Redaktion: Studien zur Textfortschreibung im Alten Testament entwickelt am Beispiel der Samuel-Überlieferung 9783666538377, 3525538375, 9783525538371


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Redaktion: Studien zur Textfortschreibung im Alten Testament entwickelt am Beispiel der Samuel-Überlieferung
 9783666538377, 3525538375, 9783525538371

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V&R

REINHARD WONNEBERGER

Redaktion Studien zur Textfortschreibung im Alten Testament, entwickelt am Beispiel der Samuel-Überlieferung

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend 156. Heft der ganzen Reihe

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Wonneberger, Reinhard: Redaktion: Studien zur Textfortschreibung im Alten Testament, entwickelt am Beispiel der Samuel-Überlieferung / Reinhard Wonneberger. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1992 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; 156) Zugl.: Mainz, Univ., Habil.-Schr., 1991 ISBN 3-525-53837-5 NE: GT

Zugleich Habilitationsschrift Fachbereich Evangelische Theologie, Universität Mainz, 1991 © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1992 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesetzt vom Autor mit DCF 3.2.1 Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

Hans-Joachim Stoebe gewidmet

Vorwort Die alttestamentlichen Texte über Samuel haben mich schon seit langem begleitet, aber erst die intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit ihnen h a t sie mir

rätselhaft gemacht. Während

nämlich

ihre Vielstimmigkeit

und

Mehrschichtigkeit auf Schritt und Tritt zu spüren ist, hat es die bisherige Analyse nicht vermocht, ein klares Bild von der Entstehung dieser Texte zu entwerfen. Will m a n hier weiterkommen, so genügt es o f f e n b a r nicht, die bekannten M e t h o d e n ein weiteres Mal auf die Texte anzuwenden. Vielmehr m u ß versucht werden, diese Methoden selbst weiterzuentwickeln oder ü b e r h a u p t erst einmal im Z u s a m m e n h a n g zu formulieren. D e n n gerade die redaktionsgeschichtliche Arbeit am Text ist ja bisher eher eine Kunstfertigkeit als eine Schritt f ü r Schritt nachvollziehbare M e t h o d e , auch wenn vielleicht d a s eine oder andere M e t h o d e n b u c h einen gegenteiligen Eindruck erwecken könnte. In dieser Arbeit wird daher versucht, die Analyse redaktionsgeschichtlicher Vorgänge auf eine neue methodische G r u n d l a g e zu stellen. Was die M e t h o d e n angeht, so habe ich wesentliche Anstöße durch die neuere Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie erfahren. Freilich war es nicht möglich, sprachwissenschaftliche K o n z e p t e einfach zu

übernehmen.

Vielmehr habe ich versucht, ihre methodischen Ansätze mit den bewährten Ansätzen der alttestamentlichen Exegese ins Gespräch zu bringen, u m dad u r c h das bewährte Methodenkonzept von der Redaktionsgeschichte Redaktionstheorie

weiterzuentwickeln (erster

zu einer

Hauptteil).

Der zweite Hauptteil erarbeitet eine spezielle Redaktionstheorie,

die a n h a n d

eigener Auslegung und der exegetischen Vorarbeiten anderer die redaktionellen Techniken, Handlungen und Intentionen systematisch darstellt, die in unserem Textbereich eine Rolle spielen. Der dritte Hauptteil

behandelt die Samuelüberlieferung

LS 1-7 exegetisch.

Der Nachdruck liegt dabei auf d e m Versuch, redaktionelle Muster und Verfahrensweisen herauszuarbeiten. Zweiter und dritter Teil sind eigentlich parallel zu nehmen, da bei der Exegese vielfach die Begriffe der Redaktionstheorie vorausgesetzt werden und umgekehrt bei deren Begründung die z u s a m m e n h ä n g e n d e Exegese. Der Anhang bietet meine Arbeitsübersetzung zu l.S 1-7. Sie folgt ebenso wie die entsprechenden Texte innerhalb der Arbeit den Konzepten der normierten

Textdarstellung

und des distinktiven

Ubersetzens.

Dazu und zu den

technischen Einzelheiten der Arbeit siehe den Abschnitt „Hinweise" auf Seite x.

VIII

Vorwort

Mit dieser Arbeit bin ich am 26. Juni 1991 am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Mainz habilitiert worden. Für wissenschaftliche Unterstützung danke ich den Professoren Klaus Koch und Diethelm Michel, die Beginn und Vollendung meiner Habilitation begleitet und gefördert haben, sowie Volkmar Fritz, der mir beim Wechsel von Hamburg nach Mainz und beim Abschluß der Arbeit mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Ich freue mich, daß die Professoren Wolfgang Schräge und Rudolf Smend als Herausgeber die Arbeit in die von Hermann Gunkel mitbegründete Reihe der Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments aufgenommen haben; denn ein genaues Verstehen der Redaktion ist eine unabdingbare Voraussetzung für Gunkels bis heute uneingelöstes Programm einer „Geschichte der literarischen Gattungen Israels" (Reden und Aufsätze 31; vgl T R E XIV,299). Gewidmet ist die Arbeit meinem ersten Lehrer im Alten Testament, Prof. Dr. Hans-Joachim Stoebe, Basel, der mich seinerzeit anhand von Samueltexten in die wissenschaftliche Auslegung eingefürt hat und dessen Samuelkommentar mir dann später während meiner Untersuchungen ein zuverlässiger Begleiter war. Das Deutsche Elektronen-Synchroton DESY, Hamburg, und die EDS Electronic Data Systems (Deutschland) G m b H , Rüsselsheim, haben mir die Erarbeitung des Manuskriptes und den Satz dieser Arbeit ermöglicht. Durch den Wechsel nach Mainz und meine Berufstätigkeit in der Industrie hat sich der Abschluß der Arbeit verzögert; die Forschung nach 1986 konnte nur noch in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. So wie sich ein teil in seiner Geschichte nur dann vollständig erschließt, wenn alle seine Schichten verstanden sind, so erschließt sich auch ein bearbeiteter Text erst dann ganz, wenn alle seine Bearbeitungsstufen zunächst für sich wahrgenommen werden. Erst dann nämlich können wir würdigen, was die einzelnen Überlieferungsträger zur Ausgestaltung des Gesamtgebäudes beigetragen haben, das uns überkommen ist. So geht es dieser Arbeit letztlich darum, am Beispiel der Exegese das Phänomen ,Redaktion' in seiner über die Exegese hinausgehenden Bedeutung zu erschließen und zu seiner Betrachtung als gesamttheologisches Problem anzuregen. Mainz und Rüsselsheim, 6. Juli 1992

R. W.

Aufriß Einleitung Die Aufgabe

einer

Redaktionstheorie

Kapitel 1: Der Anstoß durch die Forschung

Voraussetzungen

3

Erster Hauptteil einer Theorie der

Redaktion

Kapitel 2: Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

39

Kapitel 3: Die Textkohärenz

71

Kapitel 4: Ein Handlungs-Modell der Redaktion

88

Theorie

Zweiter Hauptteil der redaktionellen

Handlungen

Kapitel 5: Redaktionelle Handlungen auf Textebene

114

Kapitel 6: Redaktionelle Handlungen auf Sachebene

143

Kapitel 7: Redaktionelle Oberhandlungen

¡62

Zur Redaktion

Dritter Hauptteil der Samuel-Überlieferung

Kapitel 8: Die literarische Abgrenzung der Samuel- und Saul- Überlieferung. 180 Kapitel 9: Die Jugendgeschichte 1-3

197

Kapitel 10: Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

274

Schluß Folgerungen

Hinweise Querverweise. U m diese Arbeit nicht zu überfrachten, mußten weitere Teile des ursprünglichen Manuskriptes ausgegliedert werden. Sie sind noch nicht veröffentlicht, werden aber im Text und im Literaturverzeichnis unter ihren Arbeitstiteln zitiert, damit die entsprechenden Querverweise (-») wenigstens im groben nachvollzogen werden können. Es handelt sich dabei um die texttheoretischen Voraussetzungen der Redaktionstheorie (Wonneberger Gliederung), die Grundzüge einer allgemeinen Theorie der Redaktion (Wonneberger Aspekte) und um die Analyse der Samuel-Saul-Überlieferung (Wonneberger Begründung). Terminologie. Ein wesentliches Element jeder neuen Methode ist der Aufbau einer geeigneten Terminologie. Statt der sonst üblichen lateinisch-griechischen Neubildungen werden nach Möglichkeit plastische Ausdrücke verwendet und durch « » hervorgehoben, z.B. «Anker», «Haken», «Klammer». Zur besseren Orientierung erscheinen diese Begriffe auch in einem eigenen Register. Exegetische Zeichen. In der Exegese werden, wie im Abschnitt „Klammererweiterung" auf Seite 117 beschrieben, bei einigen Stellenangaben die Klammerung durch « n » angezeigt, sonstige Verbindungen durch «-+» und Parallelen durch «II». Abkürzungen und Umschrift. Die Abkürzungen für die biblischen Bücher folgen BHS\ die Abkürzungen im Literaturverzeichnis folgen TRE. Die Umschrift der hebräischen Texte folgt ZA W. Textdarstellung. Bei den normierten Texten werden die als eigenständig empfundenen Sätze und Satzteile jeweils auf einer eigenen Zeile angeordnet. Redewiedergaben werden entsprechend eingerückt. Die Methode ist in meinem Aufsatz „Normaltext und Normalsynopse" beschrieben (siehe dazu „Textnormierung" auf Seite 68). Übersetzungen. Beim distinktiven Übersetzen soll der hebräische Text so genau nachgebildet werden, wie dies im Deutschen irgend möglich ist, auch wenn dabei die stilistischen Regeln des Deutschen nicht immer gewahrt werden können. Für die Wiedergabe der Einzelheiten sind die Prinzipien der Distinktion und der Konsistenz leitend: Verschiedenes soll verschieden, Gleiches gleich wiedergegeben werden (siehe „Das Konzept des distinktiven Übersetzens" auf Seite 69).

Inhalt Einleitung

Die Aufgabe einer Redaktionstheorie Kapitel 1: Der Anstoß durch die Forschung

3

1. Zum Stoff der Samuel-Überlieferung

4

I. Zur Besonderheit der Samuel-Saul-Uberlieferung — 2. Zur Gliederung des Stoffes - 3. Zur Wahl des Stoffes 2. Die Samuel-Überlieferung in der Forschung

8

I. Zur Forschungsgeschichte — 2. Wellhausens Beobachtung zweier Textreihen — 3. Zur überlieferungsgeschichtlichen Betrachtung - (a) Thronfolgegeschichte (ThFG) - (b) Aufstiegsgcschichte (AG) - (c) Die Saul-Geschichte — 4. Fazit 3. Zur redaktionsgeschichtlichen Forschung

12

1. Noths These eines deuteronomistischen Geschichtswerkes (Dtr) — 2. Smends Annahme mehrerer deuteronomistischer Redaktionen — 3. Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion - (a) Kritik an der .Göttinger Schulc' (b) Weitere Differenzierung deutcronomistischer Redaktionen - (c) Die Cross-Schule - (d) Nachexilische Ansetzung - (e) Fazit — 4. Weitere Ansätze — 5. Ausgangslage 4. Voraussetzungen einer Redaktionstheorie

21

/. Der synchrone Bereich - (a) Strukturalismus - (b) Strukturanalyse (c) Linguistisch orientierte Exegese - (d) Fazit — 2. Der diachrone Bereich - (a) Das archäologische Modell - (b) Das Entwickeln eines EntstchungsModclls - (c) Das Aufspüren von Erzählkranz-Grcnzen 5.

Das Ziel einer Redaktionstheorie 1. Zur Herkunft der Fragestellung — 2. Evangelienharmonien und Redaktion im Pentateuch — 3. Die Fragestellung — 4. Thesen zur „Theorie der Redaktion" — 5. Zur Durchführung

Erster

29

Hauptteil

Voraussetzungen einer Theorie der Redaktion Kapitel 2: Von der Redaktionsgeschichte

zur Redaktionstheorie

39

1. Zur Entstehung der redaktionsgeschichtlichen Methode

39

2. Zur Aufgabenstellung einer Redaktionstheorie

42

3. Zur Abgrenzung der Redaktion

45

l. Verwandte Begriffe — 2. Textbearbeitung nach der Fixierung 4. Anknüpfungspunkte für eine Theorie der Redaktion 1. Grundzüge der Redaktion — 2. Veränderungen im Bereich der Textkritik — 3. Grundfragen der Redaktionsanalyse - (a) Voraussetzungen der Rekon-

50

XII

Inhalt struktion - (b) Probleme - (c) Methodische Anforderungen — 4. Ansatzpunkte für die Redaktionsanalyse - (a) Analogien und Rückschlüsse (b) Statistische Herkunftsprüfung - (c) Redaktioneller Sprachgebrauch (d) Exkurs: Referenz (Deixis, Textphorik) - (e) Literarische Beobachtungen

5. Darstellung redaktioneller Sachverhalte I. Textnormierung — 2. Das Konzept des distinktiven 3. Systematisch-exegetische Dialektik

67 Übersetzens —

Kapitel 3: Die Textkohärenz

71

1. Z u r Beschreibung der Textkohärenz

72

2. Begrenzung der Einheit

73

1. Textanfänge — 2. Schlußsignale 3. V e r k n ü p f u n g innerhalb der Einheit

78

4. V e r k n ü p f u n g mehrerer Einheiten 1. Gleichklang — 2. Diskontinuierliche Texte — 3. Weissagung - Erfüllung — 4. Rückverweise und Querverweise — 5. Vorblicke

79

5. Textverweise

81

6. Parallelisierung

81

7. T e x t f o r m u n g

82

1. Darstellung — 2. Stil und Rhetorik - (a) Probleme der Stilbeschreibung (b) Semantische Figuren - (c) Kompositorische Figuren - (d) Beitrag zur Textkohärenz — 3. Bezug über die Sache — 4. Intentionskritik Kapitel 4: Ein Handlungs-Modell

der Redaktion

88

1. Ansatz bei der Pragmatik

88

2. K o m p o n e n t e n des Modells

90

3. Typen der Redaktion

92

I. Kompilationsredaktion — 2. Adaptionsredaktion — 3. Textverständnis der Redaktoren - (a) Verlorene Vorkenntnisse - (b) Stoff und Redaktion — 4. Freiheit und Bindung der Redaktion — 5. Das Inventar redaktioneller Handlungen 4. Grundbegriffe

99

/. Art der eingefügten Texte — 2. Textorte redaktioneller Handlungen — 3. Relation zum vorhandenen Text — 4. Gründe für die Einfügung — 5. Redaktionelle Teilhandlungen 5.

Hierarchie der redaktionellen H a n d l u n g e n

6. Beispiele I. Die Abimelech-Perikope

102 103

(Jdc 9) -2.

Natan (2.S ¡2,1-15a) - 3. Fazit

1. Z u r sozialen Funktion der Redaktion 1. Die Dissonanztheorie Festingers - (a) Die kognitive Dissonanz - (b) Dissonanzreduktion - (c) Erklärungsgehalt — 2. Dissonanztheorie und Prophetie — 3. Anwendung auf die Redaktion

109

Inhalt

XIII

Zweiter Hauptteil Theorie der redaktionellen Handlungen Kapitel 5: Redaktionelle Handlungen auf Textebene

¡14

1. Typen der Erweiterung

115

2. Explizites Erweitern

116

3. Einbettendes Erweitern

117

1. Klammererweiterung - (a) Die sog. „Wiederaufnahme" - (b) Zur Terminologie - (c) Grenzen der Verwendung - (d) Beispiele für Klammerung (e) Zur Methodik - (0 Ploke als Klammereinbettung - (g) Natürliche Klammern — 2. Parasitäre Erweiterung 4. Anschließendes Erweitern

124

I. Anker-Erweiterung - (b) Bewertung eines Sachverhaltes — 2. Synchronisierte Einfligung — 3. Anknüpfungen - (a) Bezugnahme durch Deixis des Ortes (,dort l ) - (b) Bezugnahme durch Deixis der Zeit - (c) Bezugnahme durch Detaillierung - (d) Bezugnahme durch Iteration - (e) Paraphrasierung - (0 Stichworterweiterung - (g) Anaphorische Einfügung - (h) Hakeneinbettung - (i) Nachdoppelung - (j) Oppositive Einfügung - (k) Ausnehmung - (1) Exkurs zum ,Waw explicativum' — 4. Anfügen 5. Ansteuerndes Erweitern

136

6. Umstellen

138

7. Ä n d e r n

139

I. Schriftbedingte

Änderungen — 2. Ersetzungen

8. Verkürzen 1. Nachweismöglichkeiten und Raffen

141 — 2. Auslassungen — 3. Auswählen — 4. Kürzen

Kapitel 6: Redaktionelle Handlungen auf Sachebene

143

1. Übersicht

143

2. Harmonisieren verschiedener Vorlagen: Kompilation

144

3. K o n s t r u k t i o n sachlicher Z u s a m m e n h ä n g e 1. Zeitlich-logische Zusammenhänge 3. Konzeptualisierung 4.

— 2. Ankoppeln

144 und Abkoppeln



Ü b e r t r a g u n g und Etablierung von Rollen /. Übertragungen — 2. Etablierung von Rollen — 3. Überlieferte und zugeschriebene Rollen — 4. Überblick über einige wichtige Rollen — 5. Arten der Rollenzuschreibung - (a) Das Beispiel ,Nagid' - (b) Rollenzuschreibung durch Handlungen - (c) Rollenzuschreibung durch Sprechakte — 6. Rollenbefolgung

148

XIV

Inhalt

5. Generieren

157

l. Generieren aus der Vorlage — 2. Generieren namenloser Sprecher — 3. Namenlose Beauftragte Jahwes 6. Assoziieren und Verweisen

159

7. Kommentieren 159 1. Zeitgenössische Kommentierung — 2. Spätere Kommentierung — 3. Gestalten — 4. Bewerten Kapitel 7: Redaktionelle

Oberhandlungen

¡62

1. Ausgestalten 163 1. Nachschaffen — 2. Einführen — 3. Vorbereiten — 4. Extrapolieren — 5. Begründen und Rechtfertigen — 6. Verzahnen — 7. Anreichern 2. Verändern 165 /. Schönen — 2. Geschichtsklitterung — 3. Konzeptualisierung — 4. Rückverlegung — 5. Diffamierung — 6. „Selbstkritik" — 7. Verschweigen 3. Vorbauen

170

4. Absichern

170

I. Autorisieren — 2. Fälschungsverbot 5. Anpassen 172 I. Veränderungen an Sauls Tod (l.Ch 10 || LS 31) —2. Beseitigen von Anstößen — 3. Vermeidung von Anstößen — 4. Ethisierung 6. Auswerten

174

7. Strukturieren l. Schematisierung 4. Chronographie

174 —

2. Geneagraphie



3. Zahlstrukturen

8. Deuten I. Geschichtsdeutung als Sinnerfahrung — 2. Bundestreue 3. Grundzuschreibung — 4. Tun-Ergehen-Zusammenhang Dritter

— 176

Jahwes —

Hauptteil

Zur Redaktion der Samuel-Überlieferung Kapitel 8: Die literarische Abgrenzung der Samuel- und Saul-Uberlieferung.

¡80

1. Die Erzählanfänge 180 1. Die Personeinführungen LS 1,1 und 1.S 9 — 2. Der Teiltext „Genealogische Einführung" — 3. Zur Einführung Davids (l.S 17,12ff) — 4. Das Redaktionsmuster „ Vorschaltung" 2. Die Summarien 1. David-Summarien (2.S 5,4f; 2.S 8) —2. Das Saul-Summarium (1.S 14,47-51) - 3. Das Samuel-Summarium (l.S 7) - (a) Der Abschluß des Philister-Sieges (l.S 7,13f) (b) Das Richter-Summarium

187

XV

Inhalt (l.S 7,15-17) - (c) Zusammenhang mit den Richtersummarien — 4. Ausgrenzung der Samuel-Uberlieferung Kapitel 9: Die Jugendgeschichte

1-3

197

1. Zur Forschung

198

2. Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

199

1. Abgrenzung — 2. Die Einßihrung der Eliden Hophni und Pinehas (V.3b) - 3. Die Verknüpfung mit Eli und Silo - (a) Die Ausgangslage (1,1-8) (b) Hanna handelt (1,9-18) - (c) Die Erfüllung (1,19-2,1 la) - (d) Das Opfer Elkanas (V.25a) - (e) Die Übergabe an Eli (V.25b-28a) - (f) Anbetung Elkanas (V.28b) - (g) Heimkehr Elkanas (2,11a) - (h) Lobpreis Hannas (2,1-10) — 4. Der Schluß der Geburtsgeschichte - (a) Redaktionelle Überlegungen zum Ende (l.S 2,1 lb-4,la) - (b) Ausgliederung .Bosheit der Söhne' (l)-(b)-(2) - (c) Kleider und Segen (V.18a-20) - (d) Weitere Kinder und Aufwachsen Samuels (V.21) - (e) Ausgliederung .Ermahnung der Söhne' (d) - (0 Ausgliederung .Gottesmann' (e) - (g) Ausgliederung .Offenbarungsgeschichte' (f) - (h) Zwischenbilanz

3. Frevel der Söhne und Ermahnung

240

/. Ausgliederung des ,Opfermißbrauchs' (l.S 2,13-16) — 2. Der Charakter des Abschnitts — 3. Der Zweck des Einschubes — 4. Ermahnungen Elis (l.S 2,22-26)

4. Gottesmann (l.S 2,27-36)

244

/. Abgrenzung — 2. Der Rahmen: Auftreten des Gottesmannes (V.27a) — 3. Die Unheilsankündigung (V.27-30) — 4. Die Zukunftschilderung ( V.31-36) — 5. Erweiterung: Die Not der Eliden ( V.36) —6. Ergebnis: Die Zukunftschilderung ( V.3la.32b.3S) — 7. Herkunft — 8. Zusammenhang mit den Eliden-Texten

5. Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)

255

1. Die Probleme der Stelle — 2. Die Anfänge des Textes — 3. Die Vorbereitung auf die Offenbarung — 4. Die Offenbarung (V.11-14) — 5. Die Befragungsszene (V.15-18) —6. Evaluation (V.19-21)

6. Ergebnis

269

1. Zur Gattung — 2. Zu den Schichten - (a) Die Eliden-Vorlage - (b) Die Samuel-Vorlage - (c) Die Verknüpfung durch Eli und Silo - (d) Die Vorbereitung der Königtums-Texte (Nabi) - (e) Die Einfügung der Opferthematik - (f) Weitere Einfügungen — 3. Die redaktionelle Konstellation Kapitel 10: Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

274

1. Zur Forschung

274

1. Das Problem einer Ladeerzählung in l.S 4,lb-7,17 — 2. Tempelgeschichte

2. Der Verlust der Lade (l.S 4) 1. Die Philisterschlacht (l.S 4,1-11) 3. Ikabod (l.S 4,19-22) -4. Ergebnis

279 2. Die Silo-Szene

(V.12-22)

-

Inhalt

XVI

3. Das Schicksal der Lade (l.S 5,1-7,2a)

288

1. Die Lade im Philisterland (l.S 5,1-6,1) - (a) Anknüpfung (l.S 5,1) (b) Die Dagonepisode (l.S 5,2-5) - (c) Die Lade bei den Philistern (l.S 5,1.6-12) - (d) Zur Herkunft der Motive - (e) Der Abschluß (l.S 6,1) 2. Die Rücksendung der Lade (l.S 6,2-16) — 3. Die Nachwirkung (V.17f) — 4. Das Unheil von Bet Schemesch (6,19-7,1) — 5. Vorläufiger Abschluß (l.S 7,2a) 4.

Samuels Philistersieg und Tätigkeit ( l . S 7,2b-14.15-17)

297

1. Voraussetzungen — 2. Ausgliederung: Das Vorfeld der Versammlung ( V.2b-4) — 3. Die Versammlung in Mizpa ( V.5f) — 4. Der Konflikt mit den Philistern (V.7-12) - J. Die Folgen der Schlacht (V.12-14) -6. Das Verhältnis zum Kontext 5. Folgerungen zu l.S 1-7 311 1. Zur Bedeutung von l.S 7 — 2. Zum Verhältnis zu l.S 9-14 — 3. Die Rolle von l.S 8 Schluß

Folgerungen Anhang Anhang A: Ì.Samuel

1-7: Normaltext

in

Übersetzung

315

Verzeichnisse Literaturverzeichnis.

331

Register

363

Termini und Symbole

363

Stichwörter

364

Stellenangaben

370

Tafeln I. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Voraussetzungen einer Theorie der Redaktion

Hypothesen zur Artikelwahl Distinktives Übersetzen Ein Beispiel für die Aspekte in dieser Arbeit Konversationsmaximen nach Grice Die Indem-Relation Komplexes Erweitern Berechnung der Dissonanzstärke II.

8. 9. 10. 11. 12.

13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32.

Theorie der redaktionellen Handlungen

Erweiterungen Doppelte Inclusio in Jes 5,8-10,4 Rollen der beginnenden Königszeit Relokution Jes 7,1-9 III.

63 70 71 98 103 104 110

116 138 151 153 161

Zur Redaktion der Samuel-Überlieferung

Personeneinführung in l.S 1 und l.S 9 Referenz auf die Söhne Elis Literarische Opposition der Iterationssignale in l.S 1 Gebetsbezeichnungen in l.S 1 Überleitungen in l.S 1,1-4,la (Ausgangslage) Ähnlichkeiten der Überleitungen in l.S 1,1—4,1a Gruppierung der Überleitungen in l.S 1,1-4,la Überleitungen in l.S l , l - 4 , l a (1. Schritt) Überleitungen in l.S l , l - 4 , l a (2. Schritt) Überleitungen in l.S 1,1-4,1a (3. Schritt) Überleitungen in l.S l , l - 4 , l a (4. Schritt) Überleitungen in l.S l,l-4,la (5. Schritt) Bezugspunkte der Weissagungen in l.S 2,31-36 Thematisierung des Jahwe-Wortes in l.S 3 Die Begegnung mit Jahwe als Vision in l.S 3 Erwähnung des Verlustes der Lade in l.S 4 Vergleich der Namensdeutungen (l.S 4,21f) Unterschiedliche Segmentierung in l.S 6,21-7,3 Referenz auf Israel in l.S 7,2b-13 Artikelsetzung bei Ortsnamen

180 202 206 207 228 229 230 232 236 237 238 239 248 258 258 283 285 296 299 308

In der Philosophie ist es immer gut, statt einer Beantwortung einer Frage eine Frage zu setzen. (Wittgenstein Bemerkungen 147) Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen. Wenn man es aber erzählen kann, wie es war, dann ist man nicht dabei gewesen, oder die Geschichte ist lange her, so daß einem Unbefangenheit leicht fällt. (Christa Wolf, Nachdenken über Christa T., Kapitel 7)

Einleitung

Die Aufgabe einer Redaktionstheorie Ein gewichtiger Teil jener Begriffe und Titel, mit denen das Neue Testament Jesus von Nazareth ausstattet, gehört in das Umfeld des Königtums Israels. 1 1. Der zum Beinamen gewordene Titel „der Gesalbte" geht auf die Salbung der Könige Israels zurück, stellt Jesus also in die Tradition der alttestamentlichen Könige. 2 2. Die Verkündigung von der Basileia überträgt eine irdische Herrschaftsform auf das Gottcsreich. Zwar wird dadurch auch gesagt, d a ß das irdische Königtum ein f ü r allemal an seine Grenzen gestoßen ist. Bestehen bleibt aber doch, d a ß das Gottesreich in monarchischen Begriffen beschrieben wird. 3. Jesus wird über seinen S t a m m b a u m und den Titel „Sohn Davids" dynastisch mit David als wohl bedeutendstem König Israels verknüpft. 3

Stellt man diesen positiv verstandenen Konzepten der Christologie aber die alttestamentliche Überlieferung vom Königtum und insbesondere von seiner Entstehung gegenüber, dann wird deutlich, daß das Königtum auch unter ganz anderem, negativem Blickwinkel gesehen werden kann, und daß sich sogleich die Frage stellt, ob Israel überhaupt von einem König regiert werden darf. Kann das neue Israel der Kirche solche Kritik einfach als erledigt betrachten? Wird nicht vom Alten Testament her immer wieder kritisch zu fragen sein, ob solche Metaphern sachgerecht sind, ob sie nicht eine unseelige 1 Zu den Anknüpfungspunkten zum Alten Testament und der Vermittlung durch das jüdische Schrifttum vgl. Camponovo Königtum. 2 Vgl. Hahn Hoheitstitel 133-225; Karrer Gesalbter. 3 Vgl. Hahn Hoheitstitel 242-279.

2

Die Aufgabe einer Redaktionstheorie

Wirkungsgeschichte der ecclesia triumphans, der Verfilzung von Staat und Kirche, des Dominierens der institutionellen über die geistliche Kirche gefördert haben? Neben der Frage, wer rechtens in Israel herrschen soll, stellt sich sogleich auch die nach den Hauptfiguren: David als der übermächtige, aus allen Anfechtungen nur umso stärker hervorgehende Held, der Ahnvater des kommenden Messias, Saul hingegen als der tragische Versager — ein geschichtlich verständliches Bild, hat sich doch David umso mehr als schlechthinnige Verkörperung der Hoffnungen Israels durchgesetzt, je weniger der tatsächliche Geschichtsverlauf noch Platz für solche Hoffnungen zu lassen schien. Aber im alttestamentlichen Kontext kann es keinesfalls selbstverständlich sein, daß David der rechte König Israels sei — zu merkwürdig sind die Umstände seines Regierungsantrittes und der Durchsetzung seiner Dynastie, zu geschönt auch das Denkmal, das ihm in der geschichtlichen Darstellung der Samuelbücher gesetzt wird. Für dieses Bild muß Saul die Negativ-Folie abgeben: Er ist der, der sich durch seine Gottlosigkeit zugrunde richtet. Auch dann, wenn man sich dieser Wertung der Texte nicht anschließt und sich wie schon Josephus 4 um ein positives Bild bemüht, bleibt er zumindest eine tragische Figur, die immer wieder Schriftsteller und Dichter zu einem eigenen Bild des ersten Königs in Israel angeregt hat.5 Der tragische Spannungsbogen zwischen der hoffnungsvollen Krönung und dem schmählichen Untergang muß vielleicht wirklich unter jenem dem Alten Testament sonst eher fremden Aspekt der Tragödie gesehen werden.6 Vielleicht wäre es christologisch angemessener, angesichts dieses Scheiterns Jesus in der Nachfolge Sauls zu sehen. Denn das Alte Testament kennt durchaus andere Möglichkeiten, irdisches Scheitern zu bewerten; man denke nur an den Gottesknecht bei Dtjes oder auch bestimmte Propheten. Sauls Scheitern wird dagegen in den Texten auf seine eigenen Verfehlungen zurückgeführt. Aber es besteht der Verdacht, daß es sich dabei nicht um die ursprüngliche Überlieferung handelt, sondern um spätere Umdeutung des Geschehens. Hinzu kommt, daß beim unbefangenen Lesen der Texte Saul eher als Handlanger denn als Protagonist erscheint. Es ist Samuel, der die Geschichte lenkt, der das Volk rettet, der wenn auch widerwillig die Monarchie einrichtet, der vor allem auch Saul zur Rechenschaft zieht und damit seinen Primat zeigt. Zwar sind auch zwischen Samuel und David Verbindungen hergestellt worden, zwar wird auch David später von Natan zur Rechenschaft gezogen, aber doch ohne daß dies seinem Vorrang Abbruch getan hätte. 4

Vgl. Feldman Portrait. Vgl. die Übersicht über die Werke bei Liptzin Saul. 6 Vgl. die bei Kindlers Literaturlexikon VI,Sp.847-851 kommentierten Dramen: Jean de La Taille (ca.1533-ca.1608): Saül le Furieux. Tragödie in 5 Akten, entstanden vor 1562, erschienen 1572; Vittorio Alfieri (1749-1803): Saul. Tragödie in 5 Akten, erschienen 1783, Uraufführung Turin 29.4.1821; André Gide (1869-1951): Saül. Drama in 5 Akten, geschrieben 1898, Uraufführung Paris 16.6.1922 (dazu Lerner Study). 5

1. Der Anstoß durch die Forschung

3

Damit stellt sich aber die Frage, ob nicht das negative Bild von Saul, das die christliche Tradition übernimmt, 7 ein Produkt der Freunde Davids und seiner Dynastie ist, das sich noch dazu hinter der Autorität göttlichen Urteilens versteckt. An diesem Beispiel mag deutlich werden, daß unser eigenes theologisches Denken weithin durch Vorstellungen geprägt ist, die nicht in den geschichtlichen Vorgängen selbst oder in den Berichten über sie wurzeln, sondern in den theologischen Interpretationen und den geschichtlichen Umgestaltungen der Redaktoren. Während die namentlich auftretenden Einzelpersönlichkeiten der Bibel — man denke an Jeremia oder an Paulus — die Verantwortung für ihre Verkündigung von Anfang an getragen und meist auch dafür gelitten haben, bleiben die Redaktoren in einem nur schwer zu erhellenden Hintergrund. Natürlich ist das seit langem bekannt, und eines der wesentlichen Verdienste der historisch-kritischen Forschung zur Bibel liegt ja gerade darin, den redaktionellen Charakter vieler Texte aufgedeckt zu haben. Es will aber scheinen, als sei die daraus resultierende theologische Problematik noch nicht wirklich durchgearbeitet, eine Aufgabe übrigens, die nicht nur die Exegese, sondern fast alle Fächer der Theologie betrifft. Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag dazu leisten, das Phänomen der Redaktion in seinen Einzelheiten und in seinen großen Linien besser zu verstehen. Sie fragt daher über die Redaktionsgeschichte hinaus nach einer Theorie der Redaktion, also nach einer Beschreibung der Regeln, nach denen die redaktionellen Prozesse vermutlich abgelaufen sind. Geradezu herausgefordert wird eine solche Theorie durch die Samuel-Überlieferung, weil diese den bisherigen Analyse-Versuchen mehr Widerstand entgegengesetzt hat als andere Texte. Wenn dieser Versuch gelingt, dann wird damit zugleich das exegetische Instrumentarium erweitert, es wird aber auch eine exegetische Grundlage dafür geschaffen, daß wir der theologischen Problematik der redaktionellen Überlieferung näherkommen.

Kapitel 1

Der Anstoß durch die Forschung Die plastische Nachwirkung der Samuel-Bücher bis hin zu ihrer heutigen Verwendung als Erzählvorlage in Religionsunterricht und Kindergottesdienst zeigt, daß ihre Gestalten über das bloß Historische hinaus die Gemüter bewegen. 8 Daß dies von Anfang an so war, wird nicht zuletzt durch die redak7 Das Bild eines Saul, der den — gänzlich unschuldigen — David aus Eifersucht verfolgt, wird in der christlichen Tradition übernommen; vgl. Kl 4,13 \ zurückhaltender Act 13,21. 8 Das gilt natürlich auch von dem Lied der Manna, dessen wenig geschichtsspezifische Aussagen zu einer Deutung auf neue Situationen einladen. So wird z.B. die Friedensbotschaft „Der Bogen der Krieger ist zerbrochen, / aber Stauchelnde laufen voll Kraft" 2.5 2,4 im Prophetentargum auf ein Wiederaufkommen der Hasmonäer gedeutet LS 2,4 Tj\ vgl. Koch Messias 120.

4

1. Der Anstoß durch die Forschung

tionelle Aus- und Umgestaltung des Buches deutlich, die mit Erreichen der vorliegenden kanonischen Textgestalt keineswegs zuende war, wie sehr schön die redaktionelle Bearbeitung und Erweiterung von l.S 1-31 in PsPhil AntBib L-LXV zeigt. 9 Aber auch die kanonische Gestalt unseres Buches scheint das Ergebnis redaktioneller Gestaltungsprozesse zu sein, und so ist es denn auch diese redaktionelle Aus- und Umgestaltung, der in der folgenden Untersuchung das Hauptaugenmerk gelten soll.

1.1

Zum Stoff der Samuel-Überlieferung

Das 1. Samuelbuch nimmt in der Darstellung der Geschichte Israels einen besonderen Platz ein, weil sich in diesem Abschnitt der folgenschwere und auch weiterhin umstrittene Wechsel der Regierungsform von den Richtern zu den Königen vollzieht. Aber auch literarisch hat dieser Textbereich eine Sonderstellung. Denn im vorangehenden Kontext, dem Richterbuch, wird schon auf den ersten Blick eine klare Schematisierung erkennbar und auch der folgende Kontext gibt seine Leitthemen wie .Aufstieg Davids' oder .Thronfolge Davids' recht klar zu erkennen. In der Samuel- und SaulÜberlieferung ist hingegen die Überlagerung verschiedener Themen und Textstänge mit Händen zu greifen, freilich ohne daß sich ebenso leicht die Entstehung aufzeigen ließe. 1.1.1

Z.ur Besonderheit der

Samuel-Saul-Uberlieferung

Gerade unser Textabschnitt enthält eine Fülle verschiedenartiger Stoffe, angefangen von Legenden von Samuel über die Ladeerzählung bis zur SaulTradition und deren theologischer Bearbeitung. Die beiden Hauptakteure unseres Stückes, Samuel und Saul, bleiben in einem seltsamen Halbdunkel, das sich umso weniger lichtet, je weiter man in die Einzelfragen der Analyse vordringt. Denn es gehört zu den Merkwürdigkeiten unseres Abschnittes, daß sich zwar auf Schritt und Tritt literarische Beobachtungen aufdrängen, daß sie aber kein klares Bild der Entstehung ergeben. Erschwerend kommt hinzu, daß häufig gerade an solchen Bruchstellen die Textüberlieferung unsicher ist.10 Will man nicht zu dem von späterer Forschung ohnehin meist Lügen gestraften Verdikt seine Zuflucht nehmen, daß die Probleme unlösbar seien, so kann man sich eine Klärung eigentlich nur von der Weiterentwicklung der exegetischen Methodik versprechen. Daher wird dann auch die Samuelüberlieferung mehr als andere Textbereiche zum Prüfstein für die literarische Methodik der Exegese. In der Forschung liegt das Hauptinteresse meist bei der Entstehung des Königtums. Diese Thematik wird in den Texten unter zwei Leitgesichtspunkten behandelt, die ineinander verzahnt sind: wie die Richterverfassung durch die Königsverfassung abgelöst wird; wie Saul zum König gemacht wird. Diese Verzahnung bedarf ebenso der Erklärung wie die mehrfache Darstellung von Sauls Erhebung zum König. Dort werden nämlich drei unterschiedliche 9

Übersetzung bei Dietzfelbinger AniBib 234-264. !0 Zur Textkritik vgl. vor allem Barthélémy Critique und Pisano

Additions.

1.1 Zum Stoff der Samuel-Überlieferung

5

Konzeptionen erkennbar, die durch die Stichworte Salbung; Loswahl bzw. längster Mann; Entsetzung von Jabesch charakterisiert sind. Diese Konzeptionen haben den Vorzug, als eigene Geschichten ausgeführt zu sein. Eine weitere Konzeption erscheint in der Abschiedsrede Samuels IS 12, allerdings nur in präsupponierter Form. Dort wird die Erhebung Sauls als Antwort auf ein Volksbegehren dargestellt, das seinerseits einer Bedrohung durch die Ammoniter entspringt. Hinzu kommt, daß der übergreifende Rahmen der Darstellung durch Samuel bestimmt ist, der mal in dieser, mal in jener Rolle erscheint. Eine befriedigende Lösung des ganzen Komplexes setzt also voraus, daß auch die Entstehung der Samuel-Passagen verstanden wird. Die bisher geschilderte Situation läßt eigentlich nur die Vermutung zu, daß sich noch kein konsensfähiges Bild von der Textentstehung entwickelt hat. Daß diese Vermutung zutrifft, zeigt vielleicht am besten der Kommentar Stoebe Samuel, der die Probleme zwar beschreibt, aber kaum Lösungen anbietet. Da es andererseits an intensiven exegetischen Bemühungen nicht gefehlt hat, nehmen wir an, daß mit dem herkömmlichen exegetischen Instrumentarium die gestellten Fragen wohl kaum zu lösen sein werden. Unser Textbereich wird dadurch im doppelten Sinne zu einer methodischen Herausforderung: auf der einen Seite fordert er dazu heraus, die exegetischen Methoden weiterzuentwickeln; auf der anderen Seite wird unsere Stelle gerade durch diese verworrenen Verhältnisse zu einem Testfall für diese Methoden. Entsprechend wird im folgenden der Methode weit mehr Raum gegeben, als dies in exegetischen Arbeiten sonst geschieht. Denn es sind ja in diesem Textbereich geschichtliche Überlieferungen mit Deutungserzählungen, die dem Leser zum rechten Verständnis übergreifender Zusammenhänge verhelfen sollen, auf eine kaum zu entwirrende Weise vermischt. Um die theologische Bedeutung der damaligen Geschichte und auch ihrer Darstellung richtig verstehen zu können, muß aber zuvor die Scheidung zwischen geschichtsbezogenen und deutungsbezogenen Erzählungen vollzogen sein. Zwar hat sich die Forschung mit diesen Fragen intensiv befaßt und auch zahlreiche Beobachtungen zu Tage gefördert. Die Schwierigkeiten beginnen aber, sobald man daraus ein Gesamtbild von der Entstehung dieser Texte gewinnen will; man sieht sich eher einem Vexierbild gegenüber, das zwar viele Einzelheiten deutlich erkennen läßt, dessen Gestalt sich aber entzieht. Neu und besser sehen lernen kann hier allein Abhilfe schaffen. Nur wenn es gelingt, unsere methodischen Werkzeuge weiterzuentwickeln, können wir den Texten mehr abgewinnen als bisher. 1.1.2

Zur Gliederung des Stoffes

Während der Anfang des 1.Samuelbuches einen völligen Neueinsatz bildet, ist der Einschnitt am Ende des Buches weniger eindeutig. Er beruht auf dem auch sonst angewandten Prinzip, nach dem Tode eines bedeutenden Protagonisten die Grenze zu ziehen, hier also nach dem Tod des ersten Königs in

6

1. Der Anstoß durch die Forschung

Israel. 11 Dieser Einschnitt verdeutlicht zugleich ein Grundproblem, das uns in diesem Textbereich in verschiedener Einkleidung noch häufiger begegnen wird: Zusammenhänge interferieren miteinander. Zwar könnte es sein, daß Sauls T o d als Teil von Davids Aufstieg erzählt wird, es könnte aber auch sein, daß zwei verschiedene Erzählfäden ineinandergeschoben sind. Wir werden dieses Problem später noch genauer betrachten. G r o b wird LS meist so gegliedert: 12 1-7 8-15 16-31

Samuels Kindheit und sein Sieg über die Israel bis dahin schwer bedrückenden Philister; die auf Wunsch des Volkes geschehene Bestellung Sauls zum König durch Samuel und seine Verwerfung durch Jahwe; die erst freundlichen, dann feindlichen Beziehungen zwischen Saul und David und Sauls Tod in der unglücklichen Schlacht auf den Bergen von Gilboa.

Solche Gliederungen dienen aber eher der bibelkundlichen Erschließung, als daß sie die innere Struktur des Werkes abbilden würden. Diese ist vielmehr trotz intensiver Forschung nach wie vor unklar. Denn die Teile sind in einer Weise miteinander verflochten, die von vornherein dieses hierarchische Gliederungsprinzip in Frage stellt: i. In Teil I tritt Samuel in den gewichtigen Kapiteln 4-6 überhaupt nicht auf. Umgekehrt bilden diese Kapitel möglicherweise zusammen mit der Einholung der Lade nach Jerusalem 2.S 6 eine gemeinsame Lade-Erzählung. Um ein Bild von den inneren Schwierigkeiten des Abschnittes zu geben, genügt es, sich die divergierenden Titel Samuels (wie Gottesmann, Seher oder Richter) oder die verschiedenen Darstellungen von Sauls Königskür vor Augen zu halten (Salbung zum Nagid LS 9,1-10,16; Loswahl J.S 10,17-27; Bestätigung LS 11). Weitere Figuren wie Eli und die Eliden, die die Samuel-Texte mit den Lade-Texten verklammern, machen das Bild noch verworrener. ii. Während in Teil II Saul neu auftritt, bleibt gleichzeitig Samuel eine tragende Figur. Seine Abdankung fällt in diesen Abschnitt (Kap. 12). Gleichwohl will es scheinen, als sei seine Rolle hier anders akzentuiert als in Teil I. iii. Schließlich ersteht in Teil III das Bild von Davids Aufstieg vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Saul, wobei einige Perikopen zur David-, andere, z.B. Kap. 28 und 31, eher zur Saulgeschichte zu gehören scheinen. In beiden Fällen spielt Samuel zumindest noch eine Nebenrolle, und auch die beiden Notizen über seinen Tod fallen in diesen Teil. Schon diese noch ganz groben Beobachtungen machen deutlich, daß hier offenbar mehrere Erzählstränge kunstvoll und sehr komplex miteinander verbunden worden sind. Immerhin kann uns die Gliederung dazu dienen, den Bereich abzugrenzen, von d e m wir bei unserer Untersuchung ausgehen wollen. 11 Vgl. Stoebe Samuel 23; Eißfeldl Einleitung 357 vermerkt, daß die Trennung erst von 1448 an nach dem Vorbild von Sept. in die hebräischen Handschriften und Drucke eingedrungen ist. >2 Eißfeldt Einleitung 358.

i.l Zum Stoff der Samuel-Überlieferung 1.1.3

7

Zur Wahl des Stoffes

Betrachten wir, wie die Gewichte in der Forschung auf diese drei Abschnitte verteilt sind, dann läßt sich sagen, daß sowohl David wie auch Saul mehr Interesse auf sich gezogen haben als Samuel, der eine, weil er Israels wohl bedeutendster König, der andere, weil er erster Inhaber eines neuen A m t e s in Israel und zugleich auch eine tragische Figur war. Saul und David sind mit dem ebenso politischen wie theologischen T h e m a des entstehenden Königt u m s verbunden. Zugleich schimmert bei ihnen der geschichtliche Hintergrund deutlicher durch als bei Samuel. Samuel bekleidet zwar auch ein politisches A m t , nicht nur, weil er in den Texten als der letzte Richter gezeichnet wird, sondern auch, weil ihm eine f ü h r e n d e Rolle bei der Entstehung des Königtums zugeschrieben wird. Zugleich wird er aber auch mit einer Reihe eher religiöser Rollen ausgestattet. Diese Rollen- und Ämtervielfalt wird sehr schön deutlich, wenn man einmal zusammenstellt, wie das Alte Testament in anderen Partien von Samuel spricht: 1 3 a) b) c) d) e)

Fürbitter wie Mose (Jer 15,1); Priester (Ps 99,6); Levit {l.Ch 6.Uff); Seher (l.Ch 9,22 u.ö.); Richter, Priester, Seher, Prophet (Sir 46,11-20).14

Alle diese verschiedenen Rollen haben Anknüpfungspunkte in unserem Text und stellen daher umso deutlicher die Frage nach dem historischen Samuel. A u c h die Frage nach den Verhältnissen vor der Entstehung des K ö n i g t u m s läßt sich nur beantworten, wenn die literarische Analyse vollzogen ist. D a ß auch heute noch versucht wird, ein geschichtliches Bild dieser Epoche zu zeichnen, ohne den literarischen Fragen allzu viel Gewicht beizumessen, zeigen Arbeiten wie die Monographie Ishida Dyrtasties. Sein Bild der damaligen Ereignisse ist allenfalls hilfreich als Arbeitshypothese, wie es vielleicht gewesen sein könnte. Die Arbeit zeigt aber exemplarisch, daß kein bequemer Weg an der Auffassung von Kuenen Methode 43, geäußert 1880, vorbeiführt, wonach erst die kritische Analyse zu einem akzeptablen Bild von Samuel führen kann. Während also bei der Saul- und David-Überlieferung immer die G e f a h r besteht, allzu schnell zu unbegründeten geschichtlichen Konkretionen vorzustoßen, ist die Samuel-Überlieferung dagegen weitgehend gefeit. Umgekehrt wird sie zum Prüfstein, ob das Zusammenwachsen der verschiedenen Textbereiche wirklich verstanden wird. Dies betrifft nun aber nicht nur die die Samuel-Überlieferung selbst. Auch für die literarische Einschätzung des gesamten Textkomplexes über die Entstehung des Königtums ist Voraussetzung, d a ß der literarische Wachstumsprozeß in Kap. 1-7 verstanden wird. Dabei k o m m t , wie wir im einzelnen noch sehen werden, dem Philistersieg Kap. 7 eine Schlüsselrolle zu. 13 Wallis Forschung 86. 11 Vgl. Act 3,24; Act 13,20; Hbr 11,32.

8

1. Der Anstoß durch die Forschung

Unsere These ist also, daß erst die Klärung der Samuelüberlieferung den Schlüssel liefert, zu einer Gesamtsicht dieses Textbereiches vorzustoßen, und wir werden daher im folgenden versuchen, die Probleme dieses Textbereiches anhand der Forschung so weit wie möglich aufzuklären. 1.2

D i e Samuel-Überlieferung in der F o r s c h u n g

Während die Forschungslage für unseren Textbereich noch weitgehend offen ist, haben sich für das Umfeld der Texte doch eine Reihe gewichtiger Hypothesen herausgebildet. Bevor wir näher auf sie eingehen, wollen wir einen kurzen Blick auf die Forschungsgeschichte werfen. 1.2.1

Zur Forschungsgeschichte

Unser Textbereich ist in einer Fülle von Untersuchungen behandelt worden, die von Budde Samuel über Smith Samuel; Caspari Samuelbücher-, Hölscher Geschichtsschreibung-, Beyerlin Königscharisma-, Weiser Samuel; Macholz Untersuchungen-, Soggin Königtum-, Hertzberg Samuelbücher-, Wallis Geschichte-, Boecker Beurteilung-, Fohrer Einleitung-, Richter Berufungsberichte-, Schmidt Erfolg bis zu dem Kommentar Stoebe Samuel reicht.15 Auch die Ergebnisse und Probleme der Forschung sind vielfach dargestellt worden, Zu nennen sind hier die Passagen in den Monographien Grsnbcek Geschichte 11 ff; Mettinger King 19ff; Veijola Dynastie 5ff; Kegler Geschehen 56-70; Foresti Rejection 15-24; der Kommentar Stoebe Samuel 32ff; die Forschungsreferate Jenni Jahrzehnte 136-141; Dietrich David sowie die intensive Auseinandersetzung mit der Forschung bei Langlamet Recits. Diese Arbeiten entlasten uns davon, dem Verlauf der Forschung erneut nachzugehen. Wir können uns vielmehr darauf konzentrieren, die wichtigsten Ergebnisse und Probleme der Forschung unter der jeweiligen methodischen Perspektive darzustellen. Die literarische Beurteilung unseres Textbereiches und ihre Probleme lassen sich exemplarisch an den Texten zur Entstehung des Königtums ( l . S 7-12) verdeutlichen. Denn von den drei großen Komplexen .Samuel', ,Lade' und ,Saul' gilt das Hauptinteresse naturgemäß letzterem, weil er für die Geschichte Israels die größte Bedeutung hat. Die verbleibenden Samueltexte haben dagegen kaum Querverbindungen zur Geschichte Israels, und die Probleme der Lade können nicht ohne den Blick auf die Heimholung der Lade durch David 2.S 6 behandelt werden und sollen uns daher hier nur am Rande beschäftigen. Der Abschnitt über die Entstehung des Königtums hat zwar seit geraumer Zeit die alttestamentliche Wissenschaft beschäftigt, 16 er gehört aber nach wie vor zu den undurchsichtigsten Passagen im Bereich der Geschichtswerke. 15 Diese Arbeiten werden bei Kegler Geschehen tives Bild, wenn auch der eine oder andere Autor Komplex, Ritterspach Traditions. 16 Vgl. Boecker Beurteilung; Wallis Anfänge; an werke 22ff sowie Eißfeldt Geschichtsschreibung 28ff

56-70 behandelt und ergeben schon ein repräsentanoch einzufügen wäre, zu l.S 1-15 z.B. Hylander diesem Abschnitt exemplifiziert Eißfeldt Geschichtsdie Kritik an Noths These eines DtrG.

1.2 Die Samuel-Überlieferung in der Forschung

9

Ein wichtiger Ausgangspunkt der Älteren Literarkritik 17 war die nach wie vor gültige Beobachtung, daß ein Teil der Texte dem Königtum neutral bis freundlich, ein anderer ihm deutlich feindlich gegenübersteht. 1.2.2

Wellhausens Beobachtung zweier

Textreihen

Vorrang vor der Darstellung von Hypothesen gebührt dabei der von Wellhausen 18 wohl zuerst mit der nötigen Klarheit formulierten Beobachtung, daß zwischen den Abschnitten 7; 8; 10,17-27; (11); 12 und 9; 10,1-16; (11) gravierende Unterschiede bestehen. 19 Während in der Reihe (b) die positive Haltung des vorexilischen Israel zum Königtum durchscheint, zeigt die Reihe (a) für Wellhausen die deuteronomistische Beurteilung der Vorgänge an, die im Königtum ein Zurückgehen hinter das mosaische Ideal und damit einen verwerflichen Abfall sieht. Es hat sich in der Forschung eingebürgert, die Reihe (b) als .königsfreundlich' und die Reihe (a) als .königsfeindlich' zu bezeichnen, obwohl die damit vorgenommene Bewertung sicher nicht unproblematisch ist. Mit der Herausarbeitung des älteren Materials in der Reihe (a) stellt sich auch die Frage, wie die literarischen Verhältnisse im größeren Rahmen zu beurteilen sind. Wellhausen rechnet mit drei Teilen l.S 1-14; l.S 14,52 - 2.S 8,8; 2.S 9,1 - l.R 2 (ohne den Appendix 2.S 21-24). Teil III und auch der stärker überarbeitete Teil II bilden jeweils eine literarische Einheit. In Teil I hingegen stehen drei Berichte nebeneinander, die historisch zusammenpassen, ohne jedoch eine Quelle zu bilden: 1-3; 4,1-7,2; 9,1-10,16; 11; 15; 13,2-14,51. Es ist interessant, daß schon bei Wellhausen dem SaulSummarium am Ende von Kap. 14 eine gewisse Abschlußfunktion zugebilligt wird, und wir werden auf diese Frage bald zurückkommen. Ein Sonderproblem bildet Kap. 7, weil es einerseits der Reihe (a) zugerechnet wird, andererseits aber thematisch zu Teil III gehört. Für eine an den Quellentheorien der Pentateuchkritik orientierte Forschung lag es natürlich nahe, diese Zweigleisigkeit mit den Pentateuch-Quellen in Verbindung zu bringen und so den Gegensatz königsfreundlicher und königsfeindlicher Texte aus der Unterschiedlichkeit der Quellenstränge abzuleiten. Diese Position ist zuletzt von Hölscher Geschichtsschreibung umfassend begründet worden. 20 Freilich sind die Argumente für eine solche Quellenscheidung hier bedeutend schwächer als im Pentateuch selbst, so daß diese Position einer Urkundenhypothese weithin 21 zugunsten der von Noth entwickelten These eines Dtr oder einer ihrer Abwandlungen aufgegeben worden ist. 17 Als Altere Literarkritik bezeichnen wir jene Art der literarischen Analyse, die zur Entdeckung der Quelleniaden im Pentateuch geführt hat. Als Neuere Literarkritik werden wir jene literarische Analyse bezeichnen, die lediglich die Verwerfungen im Text untersucht, ihre Erklärung, also z.B. durch eine Quellenthcorie, dann aber anderen methodischen Schritten überläßt, vgl. Richter Exegese. 18 Wellhausen Prolegomena Teil B, Kap.7; Wellhausen Composilion 238ff; zur ausfuhrlicheren Darstellung seiner Position Stoebe Samuel 44ff. 19 Eslinger Viewpoints will diese Unterschiede nicht als Kriterium der Scheidung gelten lassen, sondern mit den jeweiligen Aktanten verbinden. 20 Vgl. auch Schulte Entstehung 203-224. 21 Anders z.B. Stoebe Samuel und Eißfeldt Einleitung.

10

1.2.3

1. Der Anstoß durch die Forschung Zur überlieferungsgeschichtlichen

Betrachtung

Die neuere Forschung ist vor allem durch zwei Arbeiten stark beeinflußt worden, zunächst durch Rost Überlieferung, dann durch Noth Studien. Während Rost vor allem die Vorlagen herausarbeitet, die in den Samuelbüchern verarbeitet zu sein scheinen, stellt Noth die einheitliche Gestaltung des Erzählwerkes in seiner vorliegenden Gestalt heraus. Beide Fragestellungen sind komplementär, und so werden Rosts Ergebnisse bei Noth Studien vorausgesetzt und aufgenommen. Da beide Konzepte von grundlegender Bedeutung sind, werden wir sie im folgenden etwas eingehender betrachten. Wir beginnen mit überlieferungsgeschichtlichen Fragen, weil hier noch der größte Konsens in der Forschung besteht. Rost Überlieferung22 hat gezeigt, daß innerhalb von 1.2.S mindestens zwei Erzählkränze mit einheitlicher Gestaltung vorliegen, von denen die ,Aufstiegsgeschichte' (AG) den Weg Davids zum Thron behandelt, die .Thronfolgegeschichte' (ThFG) die dynastische Nachfolge Davids. Wenngleich Einzelheiten von Rosts Konzeption debattiert werden, haben die Grundlinien seines Konzeptes weitgehende Zustimmung gefunden. 23 a) Thronfolgegeschichte

(ThFG)

Als in sich geschlossene Komposition erweist sich jener Textbereich 2.S (7)9-20; l.R 1-2, der es vor allem mit den Wirren um Davids Thron und dem daraus siegreich hervorgehenden Salomo zu tun hat. Wegen dieses Inhaltes hat er in der Forschung den Namen „Thron(nach)folgegeschichte" (ThFG) erhalten. Die T h F G gilt als das älteste uns erhaltene Stück alttestamentlicher Literatur, bildet also zeitlich gesehen das Scharnier, bei dem erzählte Zeit und Erzählzeit nahe zusammen treten. Zugleich bildet sie die reinste Form israelitischer Geschichtsschreibung, bei der die Intentionen der Individuen und die Folgen ihrer Handlungen dargestellt werden, gelegentlich auch politische Fragen wie die Rivalität zwischen Israel und Juda oder zwischen Heerbann und stehendem Heer eine Rolle spielen, die in unserem Textbereich anzutreffenden wunderhaften Übermalungen und theologischen Ausgestaltungen hingegen weitgehend fehlen. Jahwe ist nicht durch unvermitteltes Eingreifen in die Geschichte charakterisiert, sondern durch seine eher indirekte Präsenz im menschlichen Herzen (vgl. 2.S 11,27; 2.S 12,24; 2.S 17,14).™ Als Leitfrage der T h F G gilt: ,Wer wird David auf dem Thron folgen?' oder pointierter: .Warum wird gerade Salomo der Nachfolger?'. 25 Die Ausgrenzung einer Thronfolgegeschichte führt natürlich zu der Frage, ob auch für den vorangehenden Textbereich ähnliche geschlossene Textabschnitte zu finden sind. 22 Vgl. auch zur Literatur Langlamet Solomon 321-329. 23 Demgegenüber nimmt z.B. Garbini Narratrva eine ursprüngliche „Geschichte der Könige" an, die von Abimelech über Saul und David bis Jehu oder sogar Zimri führt. 24 Vgl. die Charakterisierung bei Koch Art.Geschichte 577. 25 Thornton Apologetic 161, der mit apologetischer Zielsetzung rechnet; vgl. auch Blenkinsopp Theme; Delekat Tendenz.

1.2 Die Samuel-Überlieferung in der Forschung b) Aufstiegsgeschichte

11

(AG)

In der Tat kann man auch in den vorangehenden Geschichten einen zusammenhängenden Kranz von David-Erzählungen sehen. Gemeinsam ist ihnen das Thema „Aufstieg Davids zum König" 26 und die Tendenz der Darstellung, die David in sehr positivem Lichte erscheinen läßt. 27 Allerdings sind die Anhaltspunkte hier weniger sicher als bei der Thronfolgegeschichte. So sprechen sich z.B. Schulte Entstehung U l f und Stoebe Samuel 58ff gegen eine „Aufstiegsgeschichte" aus. 28 Aber auch bei den Befürwortern sind Einzelheiten wie z.B die Zwecksetzung 29 und insbesondere Anfang und Ende umstritten. Während aber die Frage nach dem Ende der Aufstiegsgeschichte für unser Thema nicht von Bedeutung ist,30 hat die nach ihrem Anfang unmittelbare Konsequenzen für die Abgrenzung der Saul-Überlieferung. Als Anfang der Aufstiegsgeschichte werden in der Forschung folgende Texte in Betracht gezogen: a) b) c) d) e) 0

.Entsendung Davids' (LS 17,12)\3i .David besiegt Goliat' (AS /7); 32 .David kommt an Sauls Hof (l.S 16,14)\33 .David wird gesalbt' (LS 16,1)\™ .Saul wird verworfen' (LS /5); 35 .Krieg mit den Philistern' (LS I3J).36

Betrachtet man diese Anfänge unter formgeschichtlichen Gesichtspunkten, so kann nur die Goliath-Geschichte als vom Kontext unbeeinflußter Erzählanfang gelten. Wir werden auf die Frage der Erzählanfänge im Abschnitt „Die literarische Abgrenzung der Samuel- und Saul-Überlieferung" auf Seite 180 gleich noch näher eingehen. Das Schwanken der Forschung würde sich am besten erklären, wenn die strittigen Texte ihre Stellung im Zusammenhang einem redaktionellen Prozeß verdankten. Umgekehrt Finden sich innerhalb der Aufstiegsgeschichte Stücke, die offenbar noch zum Saul-Komplex gehören. In dieser Hinsicht sind insbesondere die jeweiligen Dubletten zu .Samuels Tod' und zu ,Sauls Tod' sowie die .Totenbeschwörung' ].S 28 zu befragen. 37 26 Überblick über die Forschung bei Crüsemann Widerstand 128-131; vgl. auch Lemche Rise; Weiser Legitimation; Delekat Tendenz. 27 McCarter Apology; vgl. auch Gros Louis Difficulty. 28 Vgl. Crüsemann Widerstand 128 A.3. 29 Vgl. Conrad Hintergrund. 30 Übersicht über die verschiedenen Thesen bei Crüsemann Widerstand 129. 31 Von Klaus Koch gesprächsweise erwogen. 32 DeVries Victory. 33 Alt Staatenbildung 15 A-13; Noth Studien 62; Rad Theologie 1,62; Veijola Königtum 81; Ward Story 14. 34 Weiser Legitimation 326ff; Nübel Aufstieg 91 f. 122. 35 Grenbak Geschichte 25ff.37ff; Crüsemann Widerstand 128ff, der auf die vorbereitenden Abschnitte l.S 10,8 und l.S I3,7b-I5a hinweist. 36 Mildenberger Uberlieferung 121ff. 37 Vgl. hierzu Donner Verwerfung.

12

1. Der Anstoß durch die Forschung

c) Die

Saul-Geschichte

Weniger leicht als bei der Aufstiegsgeschichte ist für die Saul-Stoffe die Frage zu beantworten, ob sie als eigenständiges Werk vorgelegen haben. 38 Eine solche Überlieferung wäre vor allem in jenen Stücken zu suchen, die Saul als Heerführer zeigen. Dagegen scheint seine Rolle als König eher aus späterer Geschichtsbetrachtung heraus gestaltet zu sein. Diese spätere Konzeptionalisierung wird allzu leicht übersehen, wenn man, wie etwa Wallis Anfänge 50-54 den Versuch unternimmt, in Gideon und Abimelech schon Vorläufer des Königtums von wenn auch begrenzter Auswirkung zu sehen. Denn auch diese Texte sind auf eine spätere Auseinandersetzung über das Königtum hin gestaltet, wie sie von Crüsemann Widerstand nachgewiesen worden ist. Als Anhaltspunkt für die Herleitung der Traditionen werden schon bei Budde Samuel39 die in der Krönungsgeschichte Sauls genannten Orte Gilgal 40 und Mizpa herangezogen. Sicher liegt in dieser Beobachtung ein wichtiges Indiz, aber noch keine Lösung des Gesamtproblems. 1.2.4

Fazit

Es stellt sich also die Frage, ob sich auch für den Bereich von Kap. 1-7 Vorlagen herausarbeiten lassen, die den bisher genannten entsprechen. Für die Lade-Erzählung scheint dies auf der Hand zu liegen, allerdings stellen sich dort wieder andere Probleme. Für die anderen Passagen gibt es zwar Ansätze in der Forschung, aber ein klares Gesamtbild fehlt bisher. Wir wollen daher auf die unseren Textbereich betreffende Forschung erst bei der exegetischen Behandlung der entsprechenden Texte eingehen.

1.3

Zur redaktionsgeschichtlichen Forschung

Die gegenwärtige redaktionsgeschichtliche Diskussion wird durch die von Martin Noth entwickelte These bestimmt, nach der unsere Texte Teil eines größeren Geschichtswerkes mit einheitlichem Plan sind. 1.3.1

Noths These eines deuteronomistischen

Geschichtswerkes

(Dtr)

Noth sieht in dem Zusammenhang Dt bis 2.R das Werk einer einheitlichen Geschichtsschreibung, die sich zwar unterschiedlicher Quellen und Materialien bedient, diese aber nach einem einheitlichen Konzept gestaltet. 41 Hauptcharakteristika dieses einheitlichen Konzeptes sind die geschichtsdeutenden Redekapitel an den Wendepunkten der Geschichte, nämlich die Reden Josuas zu den Aufgaben der Landnahme Jos l,12ff und zum ihrem Abschluß 38 Vgl. den Rekonstruktionsversuch bei Humphreys Rise und die vorausgegangene Analyse Humphreys Tragedy. 3' Ahnlich auch Schulz Samuel-, Caspari Samuelbücher, Hertzberg Samuelbücher; vgl. Stoebe Samuel 46. 10 Hemberg Samuelbücher 123-168 passim z.B. rechnet zur Gilgal-Überlieferung I S II; 15;

16,1-18. 41 Noth Studien; eine englische Übersetzung ist erst 1981 erschienen: Noth History.

1.3 Zur redaktionsgeschichtlichen Forschung

13

Jos 23, Samuels zum Abschluß der Richterzeit LS 12, und Salomos zur Vollendung des Tempels, in die Form eines Gebetes gekleidet LR 8,14ff\ die Zusammenfassungen, nämlich die Ergebnisse der Landnahme (Jos 12), das Programm des Richterbuches (Jdc 2,1 l f f ) und die Reflexionen über das düstere Ende der Königszeit (2.R 17,7ff); die Querverknüpfungen durch das Muster .Weissagung und Erfüllung'; die einheitliche Chronologie; die zentrale Intention, das Unheil des Exils aus der vorangegangenen Geschichte abzuleiten. 42 Zweck dieses Werkes ist es, durch Betrachtung der Geschichte die Krise verarbeiten zu helfen, in die Israel durch das Exil geraten ist. Das Ziel für Dtr ist also nach Noth Studien 142(= 100): Belehrung über den echten Sinn der G e s c h i c h t e Israels von der L a n d n a h m e ab bis z u m U n t e r g a n g d e s alten Bestandes; und dieser Sinn erschließt sich ihm in der Erkenntnis, d a ß G o t t in dieser G e s c h i c h t e erkennbar gehandelt hat, indem er a u f ständig w a c h s e n d e n A b f a l l mit W a r n u n g e n und Strafen und schließlich, als diese sich als fruchtlos erwiesen hatten, mit der völligen Vernichtung g e a n t wortet hat.

Zu fragen ist freilich, ob es sich um bloße Belehrung oder nicht vielmehr um die geschichtstheologische Untermauerung einer deuteronomistischen Umkehrpredigt handelt. 43 Eine wesentliche Rolle für die Bestimmung deuteronomistischer Stücke spielt der spezifisch deuteronomistische Sprachgebrauch. 44 So klar sich freilich ein deuteronomistischer Sprachgebrauch aufs Ganze gesehen erweisen läßt, 4S so problematisch ist seine Anwendung als exegetisches Kriterium im Einzelfall. 46 Gerade in 1.2.S und insbesondere in unserem Textbereich LS 1-15 sind die Spuren der deuteronomistischen Redaktion am schwersten zu erkennen. Boecker Beurteilung hat daher versucht, für den Aufstieg Sauls die These Noths auch in den exegetischen Einzelheiten durchzuführen. Eine wesentliche Rolle spielt auch die theologische Bindung des deuteronomistischen Geschichtswerkes an das Deuteronomium, das ihm ja von Noth auch literarisch zugeschlagen wird. Der Bericht über die Auffindung und Einführung eines Gesetzbuches in 2.R 22-23 steht nach allgemeiner Auffassung mit dem Deuteronomium oder einer Vorform in Zusammenhang. 4 7 Allerdings wird neuerdings behauptet, daß dieser Text in einem längeren Wachstumsprozeß entstanden ist und keinerlei vorexilisches 42

Noth Studien 5f, vgl. auch die Zusammenfassung bei Koch Art.Geschichte 580. Noth Studien 139( = 97). Diese tritt dann allerdings in schroffen Gegensatz zu der unbedingten Unheilspredigt der Propheten, und dieser Gegensatz könnte erklären, daß von ihnen in Dtr nicht die Rede ist, so Koch Profetemchweigen 128. 44 Vgl. Schultz Untersuchungen. 45 Vgl. die Zusammenstellungen entsprechenden Formelgutes bei Dietrich Prophetie und Weinfeld Deuteronomy-, zur Kultsprache Hoff mann Reform, jeweils im Anhang. 46 Vgl. die lakonische Kritik bei Levin Joschija 368 A.64: „Mit .deuteronomistischer Sprache' allein kann man hier wie anderswo nichts beweisen. Sonst müßte Dan 9 ins 6. Jh. gehören." 47 Zu 2.R 22 vgl. Dietrich Josia; zur Forschung: Preuß Deuteronomium 1-19; vgl. auch Braulik Deuteronomium 9-14; Lohfink Diskussion; Spieckermann Juda. 43

14

1. Der Anstoß durch die Forschung

Quellenmaterial enthält. 48 Umso wichtiger ist es, daß sich die Verbindung mit der Reform Josias auch aus religionsgeschichtlichen Überlegungen ableiten läßt. Denn die im Deuteronomium geforderte Kultzentralisation (Dt 12) wird am ehesten in die Blütezeit Israels vor 609 zu setzen sein, da sie im Dtr (um 560) zwar vorausgesetzt, aber zugleich auch noch gefordert wird, so daß sie noch nicht selbstverständlich gewesen sein kann. 49 Im Zusammenhang mit der Datierung auf 580/560 steht die Lokalisierung in Juda. 5 0 Inzwischen mehren sich aber die Stimmen, die eine Abfassung im Exil, also wohl in Babylon, für wahrscheinlicher halten. 51 Die Verfasserfrage erweist sich als schwierig. Noth sieht weder einen Zusammenhang zum Priestertum noch zum offiziellen Staatsleben noch auch zum den Schriftpropheten. 52 Von einigen Forschern werden levitische Kreise als Verfasser vermutet. 53 Freilich ist die Zustimmung keineswegs einhellig. 54 Als Alternative wird auch eine Schule „weiser Schreiber" in Betracht gezogen. 55 Die grundsätzliche Kritik an der These eines Dtr setzt vor allem an der Doppelstellung des Dt als letztem Buch des Pentateuch und erstem Buch des postulierten Dtr an. 56 Diese Kritik ist aber so lange nicht durchschlagend, wie sich die Pentateuchforschung selbst in einem Umbruch befindet, der völlig andere Vorstellungen von der Entstehung und auch der Datierung des Pentateuch mit sich zu bringen scheint. 57 So darf denn auch die These eines Dtr bis auf weiteres als relativ gesichert gelten, 58 und es kann untersucht werden, wie sich Dtr zu den anderen Erzählwerken verhält. 59 1.3.2

Smends Annahme mehrerer deuteronomistischer

Redaktionen

Eine Aufspaltung von Dtr in mehrerere deuteronomistische Redaktionen ist vor allem durch die Arbeiten der ,Göttinger Schule' 60 von R. Smend und 48

Levin Joschija. So der Kern der Argumentation bei Levin Joschija 35 lf. 50 Noth Studien 152(= 110); Janssen Juda 17f; Wolff Geschichtswerk 308-324 weitere Vertreter bei Pohlmann Erwägungen 102 A.29-33. 51 Nicholson Deuleronomy 117IT; Greenwood Origins 196-199; weitere Vertreter bei Pohlmann Erwägungen 103-109. 52 Die Quellenbenutzung weist allenfalls auf einen der im Lande Zurückgebliebenen, Noth Studien 152(= 110). 53 Bentzen Reform 95ff; Rad Deuteronomium-Studien; weitere Vertreter bei Gunneweg Leviten 70 A.5; vgl. auch Steck Israel 196ff; zu einer möglichen Nachwirkung im Jubiläenbuch -»Leviten in Wonneberger Aspekte. 5" Dagegen Weinfeld Deuleronomy 54-58; Claburn Basis. 55 Weinfeld Deuleronomy 158-171; Greenwood Origins. 56 Vgl. die abwägende Gesamtdarstellung bei Eißfeldt Einleitung, die freilich in seine Einzelkapitel nicht mehr einfließen konnte. Ablehnend Fohrer Einleitung. 57 Vgl. hierzu den Überblicksartikel Diebner Ansätze. 58 Kaiser Einleitung-, Smend Entstehung; die Forschung bis gegen Ende der sechziger Jahre resümiert Radjawane Geschichtswerk. 59 Das Verhältnis zu J wird bei Rose Deuteronomist analysiert. Auf sie beruft sich z.B. Spieckermann Juda 30; zur Auseinandersetzung mit ihm vgl. Lohfink Diskussion 36-42.

1.3 Zur redaktionsgeschichtlichen Forschung

15

seinen Schülern unternommen worden, 61 unter ihnen vor allem W. Dietrich und T . Veijola. 62 Nachdem Smend Gesetz exemplarisch einen nomistisch orientierten Redaktor DtrN von dem zugrundeliegenden Werk des deuteronomistischen Historikers (DtrH, auch DtrG, s.u.) abgehoben hatte, hat Dietrich Prophetie einen zwischen beiden anzusetzenden, prophetisch orientierten DtrP festgestellt. Demnach wären mindestens drei deuteronomistische Bearbeitungen zu unterscheiden. 63 Für unsere Texte ist diese Dreiteilung vor allem von Veijola Königtum durchgeführt worden, 64 dessen Arbeiten sich eng mit denen von Langlamet berühren. 65 Ob es sich bei den Redaktoren um Einzelpersönlichkeiten oder sogenannte „Kreise" gehandelt hat, ist umstritten. 66 Wie sind die drei Schichten zu charakterisieren? DtrH (= DtrG). DtrH, der .deuteronomistische Historiker', der oft auch als DtrG, ,deuteronomistischer Geschichtsschreiber' bezeichnet wird, 67 ist die Grundschicht des Werkes und orientiert sich an der Darstellung der Geschichte. 68 Eine an Texten zur David-Dynastie gewonnene Charakterisierung gibt Veijola Dynastie 127-138. DtrH wird bald nach Beginn des Exils entstanden sein, also um 560 .69 DtrP. DtrP, der .prophetische Deuteronomist', fügt vor allem prophetisches Material ein. 70 Seinen Namen verdankt er seinem Interesse an prophetischen Figuren. Jahwe handelt nicht mehr unmittelbar, sondern durch einen prophetischen Mittler, dessen Wort gegenüber auch der König gehorsamspflichtig ist.71 Er dürfte um 580-560 anzusetzen sein.72 Deutliche Spuren von DtrP lassen sich in 2.S 7; 12; 24 nachweisen. 73 Foresti Rejection hat den Versuch unternommen, auch die Verwerfung Sauls 1.S 15, von einigen Erweiterungen durch DtrN abgesehen, auf DtrP zurückzuführen. Von einer „starren Begrenzung" bei DtrP spricht Würthwein Novelle 395. Sein Verfahren läßt sich exemplarisch an folgenden Einfügungen deutlich machen, in denen dem Königshaus der Untergang durch einen Propheten angekündigt wird: 74 dem Hause Jerobeam durch Ahia von Silo (LR 14,1-18); dem Hause Baesa durch Jehu ben Hanani (1.R 16,l-4)\ dem Hause Ahabs durch Elia (1.R 21.21f.24). Als ein weiteres Merkmal für DtrP läßt sich 61

Eine knappe Zusammenfassung der einschlägigen Literatur bietet Lohfink Diskussion. Vgl. auch An.DtrG. 62 Vgl. auch Roth Theology. « Smend Entstehung ll5.122f. 64 Vgl. auch Veijola Dynastie. 65 Langlamet Recits\ vgl. auch Langlamet Solomon. 66 Übersicht bei Porter Historiography 13211; vgl. auch Bicken Geschichte 17 A.34. 67 Smend Entstehung bevorzugt DtrH und verweist dazu auf Verkündigung und Forschung 22 (1977) 48 A . l l . 68 Charakterisierung bei Roth Art.DtrG 544f. S'oth Studien 12, dem auch die neuere Forschung folgt, vgl. Levin Joschija 351 A.5. 70 Vgl. auch Herrmann Bedeutung. Eine an Texten zur David-Dynastie gewonnene Charakterisierung gibt Veijola Dynastie 138-140; vgl. auch den Überblick bei Roth Art.DtrG 545f. 71 Bicken Geschichte 15. 7 2 Dietrich Prophetie 144. 7 3 Bicken Geschichte 12-19. 74 Würthwein Novelle 393f. Roth

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1. Der Anstoß durch die Forschung

also das Vorkommen dynastischer Drohungen bestimmen. 75 Entsprechend gehört auch das Schema Weissagung - Erfüllung zu den Anzeichen für DtrP. 7 6 DtrN. DtrN, der .nomistische Deuteronomist', hat eine besondere Affinität zum deuteronomischen Gesetz. Eine an Texten zur David-Dynastie gewonnene Charakterisierung gibt Veijola Dynastie 141 f. 77 DtrN verdankt seinen Namen dem Rekurs auf deuteronomistische Vorschriften. Er wird um das Jahr 560 datiert. 78 1.3.3

Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion

Für das Gewicht dieser Konzeption mag es von Bedeutung sein, daß sie ihren Niederschlag inzwischen auch in Arbeiten von Forschern gefunden hat, die nicht zum Schülerkreis Smends gehören. 79 Aber so bestechend die Ergebnisse der .Göttinger Schule' auch sind, sie haben keineswegs allgemeine Zustimmung gefunden. a) Kritik an der ,Göttinger Schule' So artikuliert Koch Profetenschweigen 116 sicher nicht nur seine eigenen Vorbehalte gegen die Differenzierung der verschiedenen Redaktionen. 80 Ein Ansatzpunkt der Kritik ist die oft recht schnelle Zuweisung bestimmter Formulierungen an eine der Redaktionsschichten. 8 ' Weitere Gründe für die Kritik liegen im methodischen Vorgehen, wie es in Veijola Königtum exemplarisch praktiziert wird. 82 Das Rückgrat seiner Argumentation bildet die Fragestellung .Sprache und Motive', 83 mit der er in der Regel die Untersuchung einer Perikope beginnt. Dadurch wird nun aber vielfach die literarische Analyse präjudiziert, oder die sprachlich-motivischen Argumente dominieren sie. Ein weiterer Einwand liegt darin, daß oft nur die für die Redaktion in Betracht kommenden Passagen untersucht werden, so daß bestimmte Probleme oder Lösungsalternativen erst gar nicht in den Blick kommen. Andere neuere Arbeiten wie Crüsemann Widerstand haben einige Stellen, die bisher als deuteronomistisch galten, aus anderen Zusammenhängen abgeleitet. 84 Daraus ergeben sich nicht selten auch völlig andere Datierungen. Als 75 Würthwein Novelle 394; Klaus Koch gebraucht in diesem Zusammenhang den Terminus Dynastieabsetzungsformel (nach Schmoldt Botschaft 51 A.50). 76 Vgl. LR 21.19b\ LR 22,38-, Würthwein Novelle 380. 77 Vgl. auch den Überblick bei Roth Art.DtrG 546f. 78 Bohlen Nabot 304 A.104. 79 Z.B. Würthwein Novelle; Foresti Rejection. 80 Seine Kritik richtet sich insbesondere gegen Dietrich. Vgl. auch Albertz Intentionen 37-40. 81 Dies läßt sich am Beispiel der sogenannten Wortereignisformel sehr schön zeigen, vgl. Wonneberger Gliederung. 82 Vgl. auch den Kommentar Klein Samuel, der zwar mit Veijola von weit umfangreicheren deuteronomistischen Überarbeitungen als Noth ausgeht, die Kriterien zur Unterscheidung von DtrG, DtrP und DtrN aber nicht für tragfähig hält. 83 So Veijola Königtum 30 explizit zu I.S 7,2-17. 84 Leider kann Crüsemann Widerstand, erschienen 1978, noch nicht auf die 1977 erschienene Arbeit Veijola Königtum eingehen.

1.3 Zur redaktionsgeschichtlichen F o r s c h u n g

17

Beispiel sei hier verwiesen auf Crüsemanns Behandlung von l.S 8 und LS 12, die er einem aufkommenden Widerstand gegen das Königtum in der davidisch-salomonischen Ära zuweist. Auch die Beurteilung von DtrN ist nicht unumstritten. So weist Levin Joschija 354 A . l l darauf hin, daß die DtrN zugewiesenen Stücke so uneinheitlich seien, daß sie wohl kaum als einheitliche literarische Größe betrachtet werden könnten; 85 da die fundamentalen theologischen Unterschiede zu DtrH nur als Folge eines nachhaltigen Wandels der äußeren Verhältnisse zu erklären seien, könne DtrN nicht in Kontinuität zu DtrH stehen; 86 viel eher sei an den Beginn der persischen Epoche und die Konstituierung der nachexilischen Gemeinde zu denken. 87 Albertz Intentionen analysiert die Intentionen von Dtr und sucht eine Antwort auf die Verfasserfrage auf der Grundlage sozialgeschichtlicher Erwägungen. Seine Indizien führen auf eine national-religiöse Fraktion der spät-vorexilischen Zeit. 88 b) Weitere Differenzierung deuteronomistischer

Redaktionen

Daß mit der Dreiteilung der Göttinger Schule noch keineswegs das Ende dieses Entwicklungsstranges erreicht ist, zeigt Vermeylen Affaire an der Untersuchung der Erzählung vom goldenen Kalb Ex 32-34 *9 Vermeylen kommt zur Unterscheidung von fünf Bearbeitungsschichten, von denen die letzte der Priesterschrift nahesteht, während die übrigen vier als deuteronomistisch identifiziert werden. Zunächst ist damit eine weitere Schicht hinzugekommen; aber anders als die Göttinger Schule kennzeichnet Vermeylen seine Schichten nicht nach inhaltlichen Kriterien wie etwa ihrer Verbindung zur Geschichte, zur Prophetie und zum Gesetz, sondern nach dem vermutlichen Jahr ihrer Entstehung: 90 1. 2. 3. 4.

5.

D t r 5 8 5 versucht die Zerstörung Jerusalems zu erklären; D t r 5 7 5 proklamiert die Vergebung Jahwes; D t r 5 6 0 , schon der zweiten Exilsgeneration zugehörig, leitet aus der unmittelbaren Vergeltung Jahwes die Verschonung der späteren Generationen ab; D t r 5 2 5 stellt einer mit A a r o n v e r b u n d e n e n G r u p p e von Schuldigen eine G r u p p e v o n Getreuen, darunter vor allem die Leviten, gegenüber und zeigt d a m i t wahrscheinlich die Haltung der im L a n d e G e b l i e b e n e n gegenüber d e n v o n aaronitischen Priestern geführten Heimkehrern; Red.[P], eng mit P verbunden, versucht schließlich A a r o n zu rehabilitieren.

Ein wesentlicher Zug dieser Arbeit 91 ist der Versuch, ohne die Annahme vordeuteronomistischer Vorlagen auszukommen. Vermeylens Arbeit gibt interessante Anstöße, läßt sich aber nicht ohne weiteres auf unseren Textbereich übertragen, da hier die Dinge eben doch 85

Vgl. auch Smend Entstehung 115.123. 86 Gegen Dietrich Prophetie 143. 87 Vgl. auch Kaiser Einleitung 159f. Aus der Perspektive dieser Gruppierung läßt sich manches verständlich machen, was sonst als Ungereimtheit erscheint, vgl. Albertz Intentionen 46-50. 8' Vermeylen Affaire 20 A.51f beruft sich dabei nicht nur auf die Göttinger Schule, sondern auch auf die Forschung zum Deuteronomium selbst (Preuß Deuteronomium). 90 Vermeylen Affaire 20f. " Eine Weiterführung ist angekündigt, siehe Vermeylen Affaire 22 A.57.

1. Der Anstoß durch die Forschung

18

ganz anders liegen als im Buche Exodus, dessen Thematik ja von vornherein eine enge Affinität zum Exil hat. Die zeitliche Ansetzung der Redaktionen ist vom methodischen Standpunkt aus sehr zu begrüßen, allein ein Standard, der sich bei der gesonderten Betrachtung einzelner Perikopen in Dtr wohl kaum je wird erreichen lassen. Immerhin können sich aus einer weiteren Klärung dieser Fragen für die Bereiche des Tetrateuchs und des Deuteronomiums auch Konsequenzen für die Analyse von Dtr ergeben. c) Die Cross-Schule In Widerspruch zu Noths These eines DtrG und ihren Weiterentwicklungen steht die vor allem von Cross und seinen Schülern vertretene Auffassung zweier unterschiedlicher Redaktionen. 92 Cross Myth 274-289 unterscheidet zwischen Dtr 1 aus der Zeit Josias und Dtr 2 aus der Zeit des Exils. Die josianische Bearbeitung Dtr 1 ruft den Rest des Nordreiches auf, nach Juda zurückzukehren, zu dem allein legitimen Heiligtum in Jerusalem und dem allein legitimen Königshaus der Davididen. Mit den josianischen Reformen verbunden ist der Ruf zur Rückkehr zu Jahwe in der Hoffnung, daß Jahwe Israel dann wieder zu seiner einstigen Größe unter David gelangen läßt. Die Aufgabe der exilischen Redaktion Dtr 2 liegt demgegenüber darin, das Geschichtswerk durch den Bericht über den Tod Josias, seine Nachfolger, den Fall Jerusalems und das Exil fortzuführen. Hinzukommt das Bemühen, den Niedergang so bald nach Josia auf die Sünde Manasses zurückzuführen. Besonders charakteristisch für Dtr 2 ist der Abschnitt 2.R 21,2-15, aber auch ein Reihe weiterer Stellen scheint auf diese Bearbeitung zurückzugehen. 93 Dieser Ansatz wird von seinen Schülern ausgebaut. 94 Friedman Exile versucht nachzuweisen, daß es analoge Redaktionen für P gegeben hat. In der Tat sind von den genannten Forschern eine Reihe von Beobachtungen vorgetragen worden, die sich nur schwer in die Konzeption Noths integrieren lassen. 95 In dieser Debatte spielt natürlich auch 2.R 23-25 eine wichtige Rolle. 96 Eine Vermittlung zwischen beiden Positionen zeichnet sich vor allem in den Arbeiten Lohfinks ab. 97 d) Nachexilische

Ansetzung

Neuerdings wird auch eine Tendenz erkennbar, im Deuteronomium und dann auch im Deuteronomismus eine Unternehmung des nachexilischen Judentums 92 Eine knappe Zusammenfassung der einschlägigen Literatur bieten Lohfink Diskussion; Vanoni Beobachtungen. Zur Forschungsgeschichte Xelson Redaclion 14-21, vgl. auch IVeippert Beurteilungen. w Dt 4,27-31\ Dt 28,36-37.63-68-, Dl 29,27; Dt 30,1-10; Jos 23,11-13.15-16; l.S 12,25; LR 2,4; I.R 6,11-13; l.R 8,25b.46-53; LR 9,4-9; 2.R 17,19; 2.R 20,17-18; 2.R 23,26-25,30; vermutlich auch Dt 30,11-20; l.R 3,14; vgl. McKenzie Use 7f. 94 Z.B. Nelson Redaction, Friedman Exile, der allerdings auf den Ansatz Smends nicht eingeht. Überblick bei McKenzie Use 6-11. 95 Weitere Argumente bei Vanoni Beobachtungen. 96 Vgl. Lohfink Diskussion. 97 Vgl. Vanoni Beobachtungen 357 A.7.

1.3 Zur redaktionsgeschichtlichen Forschung

19

zu sehen. 98 Neben Kaiser Einleitung geht vor allem auch Hoffmann Reform in diese Richtung." e) Fazit Überblickt man diese verschiedenen Ansätze, so muß man zu dem Schluß kommen, daß sich die Forschungssituation eher destabilisiert. Daraus ergibt sich als Konsequenz für unsere Arbeit, daß wir keines der bestehenden Modelle voraussetzen, sondern uns darum bemühen, einen methodischen Zugang zu den Texten zu finden, der unsere Basis der Beobachtungsmöglichkeiten verbreitert. Wir wollen daher zunächst noch einen Blick auf Ansätze mit ähnlicher Zielsetzung werfen. 1.3.4

Weitere Ansätze

In der jüngsten Forschung finden sich einige Arbeiten, die noch andere methodische Wege für unseren Textbereich zu erschließen suchen. Kegler Geschehen (Handlungsanalyse). Zum heuristischen Prinzip seiner Analyse macht Kegler Geschehen die Suche nach politischen Handlungsmustern. Würde man aus seinem Vorgehen eine Methode machen, was er selbst freilich nicht tut, so könnte man ein Handlungsrepertoire der israelitischen Königszeit aufstellen, das alle Handlungstypen enthielte, die in dieser Epoche begegnen. Dieses Repertoire wäre aus sachlicher Notwendigkeit eng begrenzt, denn die ,Grammatik machtpolitischen Handelns' kennt nur wenige Regeln, die i.W. wohl in Keglers Inhaltsverzeichnis schon genannt sind. Eine Erweiterung würden diese Regeln jedoch durch Handlungsmuster erfahren, die, den Geschehensabläufen selbst fremd, durch Geschichte fingierende Interpreten geschaffen und eingeführt werden (Beispiele sind die .Wartezeit' LS 10,8; LS 13,8 und das ,Banngebot für Saúl' 1.S 15.2J). Crüsemann Widerstand (Sozialgeschichte). Die in jüngster Zeit neu aufkommende sozialgeschichtliche Fragestellung ist für die Entstehung des Königtums durch Crüsemann Widerstand erschlossen worden.' 00 Er untersucht königsfeindliche Texte auf ihre genaue Intention und ihre Implikationen, um daraus auf ihren geschichtlichen Sitz im Leben rückschließen zu können. Daraus ergibt sich die interessante Möglichkeit, Strömungen der damaligen Zeitgeschichte in unmittelbarer und mittelbarer Darstellung einander gegenüberzustellen. Bei der mittelbaren Darstellung verkörpert sich eine Zeitströmung in einer bestimmten Umgestaltung früherer Geschichte. Die unmittelbare Darstellung hingegen spricht sich zeitgenössisch aus. So kann Crüsemann z.B. den Gideonspruch (Jdc 8,23) in Beziehung zu einer Oppositionsschicht gegen das Königtum unter Salomo setzen.101 98

Vgl. Lohfink Diskussion 34f; dort auch weitere Vertreter. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit ihm unternimmt Lohfink Diskussion 36-42. 100 Vgl. dazu auch die ausfuhrliche Besprechung in Langlamet Textes. 101 Crüsemann Widerstand 42-54.

59

20

1. Der Anstoß durch die Forschung

Unabhängig von der sozialgeschichtlichen Fragestellung im Hintergrund bilden Crüsemanns Analysen einen wichtigen Schritt zum besseren Verständnis der betrachteten Texte. Freilich läßt sich seine Fragestellung nicht auf beliebige andere Textbereiche übertragen. Wollte man aus seinem Verfahren eine Methode machen, dann wäre bei der Intention anzusetzen. Denn die hinter den Texten zu postulierenden sozialen Gruppen geben sich ja nicht unmittelbar, sondern nur durch ihre Intentionen zu erkennen. Es wird also zu fragen sein, ob sich auch in Kap. 1-7 entsprechend deutliche Intentionen herausarbeiten lassen. Garsiel Samuel (Parallelen und Analogien). War schon in Keglers Ansatz die Frage nach generellen Mustern enthalten, so wird die synchrone Betrachtung der vorliegenden Textgestalt bei Garsiel Samuel zum Hauptziel seiner Bemühungen.' 0 2 Die Forschung zur Buchentstehung wird zwar in sehr knapper und schematischer Form referiert, ihre Chancen zur Erhellung der Entstehungsgeschichte vor allem der ersten Hälfte von LS beurteilt Garsiel aber skeptisch, da er für die Bearbeitung eine starke Umgestaltung der Vorlagen annimmt. Je stärker aber die Angleichung an das neue Konzept des Bearbeiters ist, umso geringer sind auch die Anhaltspunkte für die Rekonstruktion. Garsiel versucht daher, die Querverbindungen herauszuarbeiten, die bei der Gestaltung von l.S von den Bearbeitern hergestellt worden sind. Dabei ergeben sich zwar eine Reihe interessanter Beobachtungen, die Ergebnisse bleiben aber seltsam farblos, weil eben nicht danach gefragt wird, wie diese Gemeinsamkeiten zustande kommen. So ist zwar die Frage nach den Querverbindungen ein wichtiges Element der Exegese, und wir werden uns im Kapitel „Die Textkohärenz" auf Seite 71 noch ausführlicher mit ihr befassen; sie kann und darf aber die diachronen Fragestellungen nicht ersetzen. 1.3.5

Ausgangslage

Trotz aller Bemühungen muß das Ergebnis von Kegler für die gesamte Forschungslage als repräsentativ gelten: Er zieht sein Fazit in Form einer langen Liste offener Fragen, 103 die auch er selbst, entsprechend seiner thematischen Zielsetzung, nur unzureichend klären kann. Es bleibt also zunächst bei dem in Noth Samuel 390 ausgesprochenen Urteil, „daß die Samuelüberlieferung im A.T. sehr kompliziert und sowohl literarisch wie traditionskritisch schwer zu analysieren ist". Wenn dieses Wort nicht das letzte bleiben soll, dann muß nach einem neuen Ansatzpunkt gesucht werden. Die vorliegende Arbeit sucht diesen Ansatzpunkt in der Redaktionstheorie. Was darunter zu verstehen ist, werden wir später noch genauer entfalten. Hier sei nur gesagt, daß wir unser exegetisches Wahrnehmungsvermögen verbessern können, wenn es uns gelingt, die Regeln zu ermitteln, nach denen Texte redigiert worden sind. Den Begriff Redaktion wollen wir dabei im weitesten Sinne verstehen: Er soll sowohl das 102 Hinweis auf weitere Literatur dieser Richtung bei Garsiel Samuel 16 A. 13. 103 Kegler Geschehen 69f.

1.4 Voraussetzungen einer Redaktionstheorie

21

Bearbeiten von Vorlagen als auch das nachträgliche Herstellen von Zusammenhängen umfassen.

1.4

Voraussetzungen einer Redaktionstheorie

Für die Analyse unseres Textbereiches sind zwei Methoden ausschlaggebend: die Literarkritik, die nach den Anhaltspunkten für Veränderungen und Bearbeitungen am Text sucht, und die Redaktionsgeschichte, die den Entstehungsprozeß der Veränderungen und Bearbeitungen nachzuzeichnen versucht. Diesen beiden Fragestellungen sind einerseits die bisherigen Ergebnisse zu unserem Textbereich zu verdanken. Andererseits hat ihre Anwendung aber nicht zu einem wirklich befriedigenden Konzept von der Textentstehung geführt. N u n ist in letzter Zeit mehrfach versucht worden, die vorhandenen Methoden weiterzuentwickeln oder neue Methodenkonzepte in die Exegese einzuführen, die sich nicht unerheblich von den beiden genannten Methoden unterscheiden. Wir wollen daher diese Konzepte besprechen und fragen, ob sie zu unserer Problematik einen Beitrag leisten können. Zunächst ist zu bemerken, daß einige Exegeten sich mit ihren Arbeiten bewußt in Gegensatz zu dem klassischen Methodenkanon der deutschsprachigen alttestamentlichen Exegese setzen, wie er gemeinhin in den Methodenbüchern vorgeführt wird, ohne sich explizit mit den bewährten Methoden auseinanderzusetzen. Statt dessen vertrauen sie auf die Plausibilität der angeführten Beobachtungen und Argumente. Die verwendeten Begriffe sind häufig weder durch einen theoretischen Rahmen noch durch eine themaübergreifende Exegese abgesichert. Insbesondere gilt dies für Versuche, sogenannte „literary patterns" ohne literarische Analyse aufzudecken, wie sie vor allem innerhalb des Rhetorical Criticism unternommen werden. 104 Natürlich müssen dann klassische Ansatzpunkte der Literarkritik durch Suggestivargumente domestiziert werden. 105 Es gehört zu den argumentativen Grundmustern einer methodisch unreflektierten Exegese, daß vermeintliche Querbezüge in Texten a priori als vom Urheber gewollt angesehen werden: Kontingenz wird als Absicht verstanden, das Entdecken geheimnisvoller Querbezüge als höchste Kunst des Exegeten. 106 Diesen Verfahren leistet jene Richtung der Exegese gewollt oder ungewollt Vorschub, die sich vor allem an der kanonischen Endgestalt der Texte orientieren möchte. 107 Die Einsicht in die Regeln der Sprache und der Literatur führt aber zu der Erkenntnis, daß ein Autor oder Redaktor immer nur eine begrenzte Zahl von Regeln oder Zielvorstellungen gleichzeitig im Sinne haben kann; Ziel der 104

Siehe dazu unter Ansatzpunkte fiir die Textgliederung in Wonneberger Gliederung. 105 So erklärt Willis Tradition 299 das Fehlen Samuels in der Ladepassage !.S 4Jb-7,I aus der Absicht, „to emphasize that without Samuel Israel's situation was becoming worse and worse under the Elide priesthood". '06 Ein extremes Beispiel fur die Beliebigkeit der Aussagen ist die bei Kikawada Criticism 87f vorgetragene Annahme, das Mi-Evangelium werde durch die beiden Teile der alttestamentlichen Formel „Fürchte dich nicht / ich bin mit dir" (z.B. Gn 26,24) gerahmt (Ml 1,20 und Mi 28,20). Der jeweilige Kontext in Mt wird bei dieser These natürlich nicht berücksichtigt. Vgl. Childs Significance.

22

1. Der Anstoß durch die Forschung

Exegese muß es sein, diese begründet herauszuarbeiten und klar von solchen Beziehungen zu unterscheiden, die zwar durchaus zum Reiz der Texte gehören mögen und den Ausleger inspirieren können, aber nicht in den Intentionen des Verfassers oder Bearbeiters gründen. Aber die literarischen Methoden haben auch innere Probleme. Zwar ist insbesondere die literarische Kritik schon sehr alt;108 sie hat aber — sieht man von recht allgemeinen methodischen Reflexionen 109 und den eher praktisch ausgerichteten Lehrbüchern der exegetischen Methodik 110 einmal ab — keine eigenständige Ausformulierung und Begründung erfahren. So ist die paradoxe Situation entstanden, auf die Klaus Koch wiederholt aufmerksam gemacht hat, 111 daß zwar jedermann mit der Literarkritik arbeite, die Methode selbst aber in unserem Jahrhundert nirgends dargestellt und begründet sei. Aber auch innerhalb der praktizierten Literarkritik haben Verschiebungen stattgefunden. Vor allem sind die Grenzen dessen, was als literarkritisch unanstößig hingenommen werden kann, seit den Tagen der Quellenscheidung im Pentateuch erheblich weiter gezogen worden. So versucht Stoebe Grenzen112 an einigen Beispielen zu zeigen, daß literarische Spannungen durchaus theologisch gewollt sein können; er nennt den älteren Schöpfungsbericht Gn 2,4b-3,24, das Königsgesetz Dt ¡7,14-20, Sauls Königskür LS 10,17-27. Dagegen gibt Resenhöfft Geschichte der Übersetzung der von ihm rekonstruierten Quellen unverhältnismäßig viel mehr Raum als deren Begründung. 113 Es besteht also nach wie vor die Aufgabe, Methoden wie Literarkritik und Redaktionsgeschichte auf ein sicheres methodisches Fundament zu stellen. Freilich genügt es dazu nicht, den mehr oder weniger breiten faktischen Konsens niederzuschreiben. Vielmehr bedarf es dazu eines methodisch kontrollierten Vorgehens. Die Einsichten der neueren Methodendiskussion sind dabei vor allem insofern von Bedeutung, als die Aufmerksamkeit wieder stärker auf die vorliegende Gestalt der Texte gelenkt wird. Nicht mit hypothetischen literarischen Vorstufen ist einzusetzen, sondern mit dem vorliegenden Text. Damit stellt sich die Frage, welche exegetischen Methoden sich bei der Erarbeitung einer Redaktionstheorie einsetzen lassen. Würde sich unsere Redaktionstheorie nur auf die gängigen Verfahren der Exegese stützen, so könnten wir sie einfach voraussetzen. Nun setzen aber jene literarischen Beobachtungen, die den Ausgangspunkt für unsere Redaktionstheorie bilden, vielfach synchrone Theorien der Sprachwissenschaft voraus, weil sie nicht nach den Entwicklungslinien, sondern dem gleichzeitigen Zusammenwirken sprachlicher Elemente in einem Text fragen. Diese Theorien gehören aber noch nicht zum exegetischen Allgemeingut. Denn gerade auf diesem Sektor hat die neuere Sprachwissenschaft wichtige 108 Vgl. Kuenen Methode. 109 Z.B. Rendtorff Literarkritik; Ringgren Literarkritik. 110 Z.B. Barth/Steck Exegese; Fohrer Exegese; Koch Formgeschichte; Richter Exegese. " 1 Z.B. Koch Danielbuch K.4.5 (S.76); Koch Pachad 11 lf. 112 Seine Basler Antrittsvorlesung. 113 Die verwendete Methode bezeichnet er als Integralanalyse, vgl. Resenhöfft Jahwist 11-36; Resenhöfft Genesis; sie ist jedoch noch weniger nachvollziehbar als die klassische Quellenscheidung.

1.4 Voraussetzungen einer Redaktionstheorie

23

neue Methoden entwickelt, Methoden freilich, die es erst an exegetische Fragestellungen und an die Sprachwelt des Hebräischen anzupassen gilt. Ich haben mich entschlossen, die Darstellung jener sprachwissenschaftlichen Methoden, die meist unter dem Stichwort „Synchronie" zusammengefaßt werden, aus der folgenden Darstellung auszugliedern und bei Gelegenheit getrennt vorzulegen. Dadurch sollen einerseits die Teile über Exegese und Redaktionstheorie entlastet werden, andererseits wird eine zusammenhängende Darstellung wohl auch ein klareres Bild bieten können. Deshalb soll hier n u r eine kurze Orientierung über einige wichtige methodische Ansätze erfolgen. 1.4.1

Der synchrone Bereich

Neue Konzepte für den Umgang mit Texten sind in letzten beiden Jahrzehnten insbesondere in der Sprachwissenschaft entwickelt worden. Sie zeichnen sich insbesondere durch Strenge in der Methodik und Bemühen auch um theoretische Klärung aus. Hie und da ist auch schon der Versuch unternommen worden, diese Ansätze f ü r die Exegese zu erschließen. Die meisten linguistischen Konzepte untersuchen freilich die inneren Zusammenhänge von Sprache und Text, haben daher eine rein synchrone Fragestellung, während in der Exegese die diachronen Fragestellungen mindestens von gleichem Gewicht sind und daher hinzugenommen werden müssen. 114 Beginnen wir mit den synchronen Ansätzen. a)

Strukturalismus

In den letzen Jahren hat sich, zunächst von der übrigen Exegese wenig beachtet, eine Richtung entwickelt, die am Strukturalismus philosophischer Prägung orientiert ist. Sie kann daher auch nicht ohne weiteres dem linguistischen Strukturalismus subsumiert werden, auf den wir sogleich noch zu sprechen kommen. 1 1 5 Diese „Strukturale Exegese" ist vor allem in Frankreich entwickelt worden. 116 Sie findet aber zunehmend auch in der amerikanischen Exegese Beachtung, 117 jedenfalls da, wo diese den klassischen Methoden ablehnend gegenübersteht. 118 Neuere Arbeiten skizzieren nicht nur den strukturalistischen Ansatz, sondern diskutieren von ihm ausgehend auch klassische Konzepte der Forschung. 1 1 9 Als Beispiel aus unserem Textbereich läßt sich die Behandlung der Jonathan-Figur mit Hilfe der Aktantenanalyse nennen; 120 diese Figur hat demnach die Aufgabe, in der spezifischen Rolle des „Mittlers" den Übergang 114 Zum Verhältnis von .synchron' und .diachron' in der Exegese vgl. Theobald Primat. 115 Siehe „Linguistisch orientierte Exegese" auf Seite 24. 116 Einige Arbeiten sind in Wonneberger Syntax 16 A.4 genannt; vgl. auch die bibliographischen Angaben bei Culley Analysis 166 A.l; Polzin Structuralism 203-214. 117 Für den deutschsprachigen Bereich vgl. vor allem die Beiträge in Linguistica Biblica. 118 Vgl. die Beiträge in Semeia\ insbesondere White Structuralism und die Bemerkungen von Robertson Response über Whites Behandlung von Barthes Lutte, einer s t r u k t u r e n Auslegung von Gn 32,23-33. 119

Polzin Structuralism 126-202 solche von Wellhausen, von Rad und N'oth. 120 Greimas Semantik 172-191; zum Umfeld Gülich; Raible Textmodelle 202-250.

24

1. Der Anstoß durch die Forschung

der Herrschaft von Saul auf David nachvollziehbar zu machen.' 21 Solche Versuche bieten freilich keine Texttheorie im umfassenden Sinne, sondern beschränken sich darauf, die Konstellation der Handlungsträger in einer bestimmten Geschichte zu analysieren und daraus Generalisierungen abzuleiten. b)

Strukturanalyse

Vom eigentlichen Strukturalismus sorgfältig zu unterscheiden sind solche Arbeiten, die ausgiebig von dem Begriff „Struktur" Gebrauch machen, ohne damit ein theoretisches Konzept oder methodisch kontrollierbare Verfahren zu verbinden. Damit wird der an sich scharf umrissene Strukturalismus zu einem Sammelsurium verschiedener Vorgehensweisen aufgeweicht. 122 Der Strukturbegriff wird dabei unscharf als Sammelterminus für Fragen der Wortebene, der Textlinguistik, des Stils und der Rhetorik verwendet. So wird z.B. zwischen verschiedenen Ebenen unterschieden, 123 oder es wird versucht, Strukturmuster zu identifizieren. 124 Auch diese Forschungsrichtung bietet keine Texttheorie, sie kann aber einen Beitrag zum besseren Verständnis der Gestaltungsmittel biblischer Erzählungen leisten. 125 c) Linguistisch orientierte

Exegese

Die Zuspitzung des philosophischen Strukturalismus auf sprachliche Fragen hat im Verein mit der sprachanalytischen Philosophie zur Entwicklung ganz neuer Betrachtungsweisen der Sprache geführt. War die neue Betrachtungsweise schon von Ferdinand de Saussure in seinen posthum herausgegebenen Vorlesungen „Cours de linguistique générale" formuliert worden, 126 so gelang der entscheidende methodische Durchbruch erst in den fünfziger Jahren auf dem Gebiet der Syntax mit der von N o a m Chomsky entwickelten generativen Transformationsgrammatik (TFG). Die Bedeutung dieses und anderer Modelle liegt vor allem darin, daß zum èrstenmal in der Geschichte von Sprachwissenschaft und -philosophie ohne Rückgriff auf eine zuvor zu bildende Sprachkompetenz mit wissenschaftlichen Mitteln beschrieben werden kann, wie die Bedeutung von Sätzen zustandekommt. Zugleich haben im Zuge dieses methodischen Neuansatzes auch algorithmisches Denken und Empirie Eingang in die Sprachwissenschaft gefunden, so daß diese eine Verbindungsrolle zwischen mathematisch-naturwissenschaftlichem und hermeneutisch-geisteswissenschaftlichem Denken spielen kann. 121 Jobling Sense 14-23. >22 Vgl. Lack Sacrifice 1-5. •23 Bar-Efral Observations 157-170 unterscheidet Wortebene; Ebene der Erzähltechnik; Ebene der Erzählwclt; Ebene des konzeptionellen Inhalts. 124 Bar-Efral Observations 170-172 führt an: A A': parallel pattem; A X A': ring pattem; ABB1 A': ring pattem; A B X B' A': concentric pattem. 125 Einige Arbeiten sind zusammengestellt bei Bar-Efrat Observations 154 A. 1. 126 Vgl. dazu Engler Lexique; Wunderli Saussure-Studien und den Abriß bei Wonneberger Syntax 27-37.

1.4 Voraussetzungen einer Redaktionstheorie

25

Da es in der Sprachwissenschaft aber um ein grundsätzliches Verstehen sprachlicher Vorgänge geht, harmoniert das linguistische Forschungsinteresse nicht unbedingt mit dem eher auf praktische Detailklärung angewiesenen philologischen Interesse der Exegese. Was die Exegese von der Linguistik übernehmen kann, sind denn auch weniger die Einzelergebnisse, sondern vor allem die Methoden der Theoriebildung. Daß die Linguistik, selbst eben erst den Kinderschuhen entwachsen, für die Methoden der Exegese Bedeutung haben könnte, wurde den Alttestamentlern wohl zum erstenmal durch Barr Semantics bewußt. Das Erscheinen der deutschen Übersetzung 127 fiel zeitlich mit der Reformbewegung an den Hochschulen in den sechziger Jahren zusammen. Das Buch wurde daher von einigen als ein Aufruf zum Aufbruch empfunden,' 2 8 obwohl — oder gerade weil — es selbst keine linguistische Konzeption zu bieten vermag, sondern eher das Unbehagen an einigen der eingebürgerten Verfahren artikuliert. Nach einer relativ kurzen Inkubationszeit von wenigen Jahren fanden linguistische Vorstellungen oder zumindest linguistische Begriffe Eingang in alttestamentliche Arbeiten, seltsamerweise nur wenig auf dem Gebiet, auf dem die Linguistik ihren Durchbruch erreicht hat, der Syntax. 129 Die meiste Resonanz hat wohl Wolfgang Richter gefunden, der lange Zeit als der einzige Vertreter einer linguistischen Exegese im Alten Testament gelten konnte. 130 Es ist überraschend, wie häufig man sich auf seine Methoden beruft, obwohl diese sich, verglichen mit anderen Methodenbüchern, durchaus im konventionellen Rahmen halten. Die Gründe für seine Wirkung müssen daher wohl eher im programmatischen Bereich gesucht werden. Denn in den sechziger Jahren artikulieren einige Autoren ein Unbehagen an den traditionellen exegetischen Verfahren, 131 und die Hoffnungen richten sich auf die neu erblühte Disziplin der Linguistik. Hier scheint Richters Titel „Exegese als Literaturwissenschaft" einen mittleren Weg einzuschlagen, indem er einerseits mit dem Hinweis auf die Literaturwissenschaft einen methodischen Neuansatz verspricht, andererseits einen zu engen Zusammenhang mit der Linguistik vermeidet, mit der sich — das war schon seit Barr abzusehen — zumindest schnelle Erfolge nicht erzielen lassen. Jedenfalls läßt sich schon heute sagen, daß Richter mit seinem Konzept zumindest im Bereich der katholischen Exegese schulbildend gewirkt hat. 132 Eine ins einzelne gehende Darstellung exegetischer Probleme mit Hilfe linguistischer Theorien versucht Hardmeier Texttheorie für den Bereich der Wehe-Worte. 133 Wehrte Prophetie führt einige Methoden am Beispiel von Ob 127

Barr Bibelexegese. 128 Vgl. Güttgemanns Fragen. 129 Z u m Griechischen vgl. die generative Syntax in Wonneberger Syntax; Wonneberger Approach. 130 Richter Exegese; einige wichtige Rezensionen sind bei Diedrich Anspielungen 4 A.3 zusammengestellt; vgl. auch Barth/Steck Exegese 74-76. 131 Vgl. Barr Bibelexegese \ Güttgemanns Fragen. 132 Vgl. Schweizer Elischa 5; Witzenrath Rut Diedrich Anspielungen, der das Konzept auf prophetische Texte anwendet; Hasslberger Hoffnung. 133 Einige methodische Probleme dieses Buches werden bei Schweizer Texttheorie erörtert. Zur Weiterentwicklung vgl. Hardmeier Prophetie.

26

I. Der Anstoß durch die Forschung

1-21 vor. Aber auch kleinere Beiträge versuchen linguistische Erkenntnisse zu berücksichtigen. 134 Zu einem neuen Kommentartyp geführt hat der Versuch in Koch Arnos, das Vorgehen bei der Kommentierung eines Prophetenbuches (Am) mit Hilfe der Linguistik methodisch durchzugestalten. Schon bald hat das linguistische Gedankengut auch Eingang in die Methodenbücher gefunden. Koch Formgeschichte hat in der dritten Auflage einen umfassenden Nachtrag zum Thema „Linguistik und Exegese" erhalten. 135 Bei Fohrer Exegese ist vor allem die Darstellung der Traditionsgeschichte linguistisch beeinflußt. Da die Methodenbücher vor allem auf das alttestamentliche Proseminar ausgerichtet sind, wird auch schon dem Anfänger deutlich, daß Linguistik für die Exegese von Bedeutung ist. d)

Fazit

Eine ganz andere Frage ist es natürlich, wie diese Anleihen aus linguistischer Sicht zu beurteilen sind. Denn insgesamt gesehen spielt die Linguistik für die Exegese doch eine verschwindend geringe Rolle. Das kann sich erst ändern, wenn sich die Exegese mit dem Theorie-Gedanken der Linguistik vertraut macht. Linguistik fragt nämlich ganz allgemein nach der Regelhaftigkeit sprachlicher Erscheinungen, während in der Exegese — vielleicht mit Ausnahme der Formgeschichte — stets der konkrete Einzelfall oder -text im Vordergrund steht. Dabei steht die Exegese naturgemäß stets in der Gefahr, von Text zu Text mit unterschiedlichen Maßstäben zu messen. Einen wirksamen Schutz dagegen kann es nur geben, wenn die Einzelanalysen durch eine Theorie koordiniert werden. In der vorliegenden Arbeit können wir kein fertiges Modell übernehmen, sondern allenfalls bestimmte Konzepte. Wir werden aber versuchen, die Chancen der linguistischen Theoriebildung so gut wie möglich zu nutzen. 1.4.2

Der diachrone Bereich

Auf dem diachronen Sektor der Exegese sind methodische Neuansätze weit schwerer auszumachen als auf dem synchronen. Wesentliche Umwälzungen sind von der Pentateuchkritik zu erwarten, die sich derzeit in einer Umbruchsphase befindet. Aber dieser Umbruch geschieht weniger durch neue Methoden als durch veränderte Vorstellungen und Fragestellungen. a) Das archäologische

Modell

Ein methodischer Umbruch zeichnet sich aber vielleicht durch ein verändertes Vorgehen bei der Beschreibung der Textentstehung ab. Man könnte diese Methode als archäologisches Vorgehen in der Literarkritik bezeichnen. Wer 134 Z.B. Schickiberger Heldentat. '35 Koch Formgeschichte 289-342; für das Neue Testament vgl. Berger Exegese mit umfangreichen linguistischen Literaturangaben.

27

1.4 Voraussetzungen einer Redaktionstheorie

einen Teil ausgräbt, der findet zunächst die Schichten, die der eigenen Zeit u n m i t t e l b a r voraufgehen. 1 3 6 Es genügt aber nicht, diese Schichten nur abzutragen. Sie müssen genau verstanden sein, um auch die Störungen richtig einordnen zu können, die aus den jüngeren Schichten in die älteren hineingreifen. Entsprechend k o m m t es darauf an, die Bearbeitungsschichten eines Textes rückwärts schreitend abzutragen. Dieses Konzept wird in der Einleitung Smend Entstehung propagiert, bei der eben deshalb auch im Titel das W o r t „Einleitung" durch „Entstehung" ersetzt wird. Dieses Konzept hat den großen Vorzug, d a ß die Untersuchung vom besser Bekannten, besser Gesicherten sich allmählich zum weniger Klaren, m e h r Hypothetischen vortasten kann. Allerdings ist das von Smend propagierte Modell des Schichtenabhebens eher ein Ideal, das in der Praxis noch keineswegs verwirklicht ist. D a s hat nicht nur praktische, sondern auch prinzipielle G r ü n d e . Beim Ergraben eines Teils zeigt nämlich das Schnittprofil eine transitive, also in der Reihenfolge eindeutige Abfolge von Schichten (von Störungen durch pits und ähnliches hier einmal abgesehen). F ü r die Datierung der Schichten liefert die KeramikChronologie ein recht zuverlässiges Hilfsmittel. Keine dieser Voraussetzungen gilt freilich f ü r Texte. D e n n bei einem redigierten Text sehen wir auf der Oberfläche alle Schichten zugleich. Einigerm a ß e n leicht herausnehmen lassen sich in dieser Situation allenfalls Schichten mit disjunkten Inhalten, also Schichten ohne Querverbindungen wie z.B. die Eliden-Passagen in I.S 1-3. Die A r g u m e n t a t i o n mit der sprachlichen Kohärenz, wie sie z.B. häufig bei der Bestimmung von Dtr anzutreffen ist, ist hingegen alles andere als unumstritten, und die literarischen Schichten lassen sich nicht so klar wie an einem Grabungsprofil ablesen, sondern ihre Ermittlung bildet o f t die Hauptschwierigkeit der Analyse. Trotz dieser Mängel der A n a logie liegt das Verdienst des archäologischen Modells darin, f ü r die exegetische Arbeit eine neue und allein sachgemäße Marschrichtung bestimmt zu haben. Eine bessere Analogie als die archäologische ist vielleicht die des D o m b a u s , wie sie sich exemplarisch am Bamberger D o m studieren läßt. Auch hier sind wie beim Text alle Elemente (bis auf die abgetragenen) gleichzeitig sichtbar. Die Analyse orientiert sich zum einen an Kohärenzbeobachtungen (Baustil), z u m anderen an Störungen (Baufugen, Ausmauerungen) im Sinne der Literarkritik. b) Das Entwickeln eines

Entstehungs-Modells

W e n n m a n von der im einzelnen noch nachzuweisenden Hypothese ausgeht, d a ß der vorliegende Samuel-Text aus mehreren Elementen redaktionell zusammengesetzt ist, d a n n unterliegen alle Versuche, den Text vorab zu gliedern, einem methodischen H a n d i k a p . Denn redaktionelle Eingriffe können zu Störungen der Textstruktur geführt haben, die sich auch in der Gliederung niederschlagen. Versucht m a n daher, den jetzt vorliegenden Text zu gliedern, 136 Eine plastische Einführung Art.Archäologie-, Fritz Archäologie.

in

diese

Fragen

gibt

Lance

Testament;

vgl.

auch

Fritz

28

1. Der Anstoß durch die Forschung

d a n n wird man möglicherweise Elemente verschiedener Redaktionsstufen heranziehen; d a ß dies dann zu ganz unterschiedlichen Kombinationen führen kann, versteht sich von selbst. Außerdem stellt sich das Problem des redaktionellen Grundmodells: Wenn sich die Redaktion auf kleinere Eingriffe oder auf solche Textsorten beschränkt, die sich von der zugrundeliegenden Erzählschicht leicht abheben lassen, dann wird man erwarten dürfen, daß der A u f b a u der Grundschicht auch noch im redigierten Text ohne allzu große Schwierigkeiten erkennbar ist. Wenn hingegen die Redaktion verschiedene heterogene Überlieferungen miteinander verzahnt hat, 137 dann kann sich f ü r den redigierten Text keine konsistente Gliederung ergeben, weil ja mindestens zwei verschiedene Gliederungen ineinandergeschoben sind. Wir haben es dann mit mindestens zwei konkurrierenden Ebenen der Gliederung zu tun. Eine einfache hierarchische Gliederung im Sinne der Kommentar-Gliederungen ist dann unmöglich geworden: Es handelt sich um eine Heterarchie. 138 Schon die oben erwähnte Verzahnung der Themen und Hauptfiguren in 1.Samuel macht es wahrscheinlich, daß es sich hier um eine solche Heterarchie handelt; daß diese Verflechtung nicht das Werk eines Autors ist, m u ß natürlich noch im einzelnen nachgewiesen werden. Es genügt also nicht, nach Gliederungssignalen im Sinne unseres Modells Ausschau zu halten; vielmehr m u ß zusätzlich geklärt werden, zu welchem Teil der Heterarchie das betroffene Signal gehört. Schon die Frage nach der Textgliederung setzt also hier die vollständige Exegese der Texte voraus. 139 Z u d e m muß beachtet werden, daß im Extremfall das Zusammenfügen von vorliegendem Material, das man gemeinhin als Komposition bezeichnet, einen Typ redaktionellen Handelns bildet, der sich nicht durch eigene sprachliche Beiträge, sondern eben nur durch die A n o r d n u n g von vorgegebenem Material artikuliert. 140 Wenn sich dann zusätzlich zum Verzahnen redaktionelle Strata nachweisen lassen, dann muß noch geklärt werden, ob sie als zusätzliche Artikulation des Kompositors oder als spätere Bearbeitungen einzuordnen sind. In dieser Lage kann nur eine minutiöse, den ganzen Text abschreitende Exegese weiterhelfen. U m aber doch eine erste Orientierung zu gewinnen, können wir nach solchen Textteilen Ausschau halten, die auf eine textgliedernde Funktion festgelegt sind. c) Das Aufspüren von

Erzählkranz-Grenzen

Freilich gibt es von dieser Kautele eine Ausnahme, auf die wir vorab hinweisen wollen. Das sind jene Textabschnitte, die aufgrund ihrer formgeschichtlichen Beschaffenheit als gewissermaßen absolute Anfangs- und Endpunkte einzuschätzen sind. 1 37 Mit einem solchen Modell rechnet z.B. Otto Mazzolfesl für Jos. 138 Vgl. Wonneberger Normaltext 230. 139 In dieser Verzahnung liegt auch der Grund, warum Richters Versuch eines schematisierten Vorgehens nicht notwendig den gewünschten Erfolg zeitigt. 140 Typen redaktionellen Handelns herauszuarbeiten ist die Aufgabe einer .Allgemeinen Redaktionstheorie', die den hier gezogenen Rahmen sprengen würde; vgl. Wonneberger Aspekte.

1.5 Das Ziel einer Redaktionstheorie

29

Liest man 1.Samuel 1-15 unbefangen durch, dann fallen als stärkste Einschnitte wohl jene beiden Passagen ins Auge, in denen die beiden Protagonisten Samuel (LS 1) und Saul (LS 9) eingeführt werden. In beiden Fällen setzt die Einführung aber nicht beim Protagonisten selbst an, sondern bei seinem Vater, der zusätzlich durch einen mehrgliedrigen Stammbaum legitimiert wird. Demnach scheint es sich um ein festes Schema zu Einführung von Protagonisten zu handeln, und wir werden daher unsere Auslegung mit einer Betrachtung dieser Texte beginnen. 1.5

D a s Ziel einer Redaktionstheorie

Nimmt man die Überlegungen zum Textbereich und zum Stand der Methoden zusammen, dann stellt sich als Aufgabe für die vorliegende Arbeit die Formulierung einer Redaktionstheorie. 1.5.1

Zur Herkunft der Fragestellung

Der Exeget wird beim Terminus „Redaktionstheorie" sogleich die ihm wohlvertraute Methode der „Redaktionsgeschichte" assoziieren. Und in der Tat setzt die Redaktionstheorie die Redaktionsgeschichte voraus und führt sie fort. Von einigen Methodikern ist bemängelt worden, daß bei der Bezeichnung der exegetischen Methoden der Begriff „Geschichte" häufig ohne sachliche Berechtigung verwendet wird.141 So ist der Begriff „Formgeschichte" nur dort angemessen, wo es sich um die Geschichte einer Gattung handelt. Was unter diesem Siglum aber meistens betrieben wird, ist die Bestimmung einer Gattung nach Textsorte und Sitz im Leben zu einem durch den Text bestimmten Zeitpunkt, so daß es sich eben gar nicht um eine diachrone, sondern nur um eine synchrone Betrachtung handelt. Als Abhilfe werden Begriffe wie „Kritik" oder „Analyse" vorgeschlagen. Beim Terminus „Redaktionsgeschichte" an eine „Geschichte der Redaktion" alttestamentlicher Schriften zu denken, wird beim gegenwärtigen Forschungsstand wohl niemandem in den Sinn kommen. Eher wird man schon den Terminus so auffassen, daß die Geschichte der redaktionellen Bearbeitungen eines Textes geschrieben wird. Dennoch wird durch jene andere Auffassung des Begriffs ein wichtiges Forschungsziel umrissen: Die Redaktion nicht mehr nur als Begleitphänomen von Texten, sondern als eigene Größe in den Blick zu bekommen. 1.5.2

Evangelienharmonien und Redaktion im Pentateuch

Eine der ganz wenigen Arbeiten, die sich mit der Redaktion als solcher und den Motiven der Redaktoren befassen, ist der Aufsatz Donner Redaktor. In diesem Aufsatz behandelt Donner ausführlich das Phänomen der Evangelienharmonien. Da hier die Quellen in Gestalt der Evangelien vorliegen, läßt sich mit großer Präzision das redaktionelle Vorgehen ermitteln. Zugleich läßt Iii

Vgl. z.B. Markert

Gattungskritik

86f.

30

1. D e r A n s t o ß durch die Forschung

sich auch erschließen, welche Motive die Redaktoren zu dieser Art von Kompilation bewogen haben. Vor allem der Wunsch nach Einstimmigkeit und das Bemühen um Vollständigkeit stehen als Motive im Hintergrund: 142 Z w e c k und Sinn einer derartigen „evangelischen Geschichte", eines solchen „ L e b e n s Jesu" mußte es sein, durch harmonisierende Verarbeitung der in den Einzelheiten oft genug voneinander a b w e i c h e n d e n parallelen, d.h. bei zwei, drei oder gar allen vier Evangelisten überlieferten Erzählungen Einheitlichkeit und durch restlose Verwertung des Sondergutes der einzelnen Evangelien Vollständigkeit der Darstellung zu erreichen, soweit eben solche Vollständigkeit im R a h m e n des d e m A u f b a u dienenden Materials erreichbar ist.

Donner benutzt das Beispiel vor allem als Analogie zur Redaktion im Pentateuch. Über deren Motive ist in der alttestamentlichen Wissenschaft bisher so gut wie gar nicht nachgedacht worden, wie Donner mit einem gewissen Sarkasmus vermerkt. Der von Westermann Genesis 797f vorgetragenen Erklärung, der priesterliche Redaktor in Gn 1-11 habe sich um eine Bewahrung von Mehrstimmigkeit bemüht, hält er entgegen, daß die Endfassung in ihrer Wirkungsgeschichte ja stets als Einheit gelesen worden und überhaupt erst durch die neuzeitlichen kritischen Methoden ans Licht gekommen ist.143 Immerhin kann Donner auf Eißfeldt zurückgreifen, der die Analogie zwischen den Evangelienharmonien und der Redaktion im Pentateuch zwar in seiner Hexateuchsynopse schon formuliert, sie aber nicht in seine Einleitung aufgenommen hatte. 144 Donner untersucht exemplarisch die Prinzipien der Kompilation an den beiden Textbereichen der Ostergeschichte ( M t 28,1-15; Mc 16,1-11; Lc 24,1-12-, J 20,1-18) und der Sintflutgeschichte Gn 6,5-8,22(JP) mit Ausnahme des nicht kompilierten Kapitels Gn 9 (P). Die betrachteten Elemente faßt er dabei unter den Gesichtspunkten Zeitangaben; Personen und Gestalten; Vorgänge und Begebenheiten zusammen. Sein Ergebnis resümiert Donner in zwei Punkten, die er als additive Ergänzung und als kumulative Ergänzung bezeichnet: 145 1.

2.

142

D e r Redaktor verband die ihm vorliegenden Heiligen Texte d e s h a l b miteinander, weil ihm an der Vollständigkeit des Erzählungsmaterials gelegen war. Er b e m ü h t e sich um ein komplettes Bild der Stoffe, die seine Vorlagen boten. M a n kann d a s additive Ergänzung nennen. ... Verschiedenheiten und Widersprüche können, müssen aber nicht vorhanden sein, w e n n Heilige Texte additiv kompiliert werden. D e r Redaktor verband die ihm vorliegenden Heiligen Texte deshalb miteinander, weil ihm an der Vollständigkeit des Erzählungswortlautes gelegen war. Er b e m ü h t e sich d a r u m , vom Wortlaut möglichst nichts verloren gehen zu lassen. D a s kann m a n kumulative Ergänzung n e n n e n . . . .

Peters Dialessaron 14f; zitiert bei Donner Redaktor 7. 143 Donner Redaktor 8f. 14" Eißfeldt Hexateuchsynopse 86. '"5 Donner Redaktor 27.

1.5 Das Ziel einer Redaktionstheorie

31

Diese Art von Redaktion ist nicht zu begreifen als das bewußte Bewahren von Mehrstimmigkeit, sondern wird nur verständlich, wenn die Redaktoren „ihre Texte für sachlich gleichartig und wesentlich widerspruchsfrei hielten, d.h. daß sie die faktischen Verschiedenheiten und Widersprüche entweder durch vorgängige Exegese beseitigten oder als solche überhaupt nicht erkannten." 146 So zutreffend diese Analyse für den Pentateuch auch ist,147 sie darf keinesfalls auf alle Arten von Redaktion im Alten Testament übertragen werden. Sie ist nur möglich unter ganz bestimmten Bedingungen. Zum einen muß ja die fragliche Darstellung schon in mehreren Varianten vorliegen, und zum anderen müssen diese Varianten schon eine quasi kanonische Geltung erlangt haben. Die hier anzutreffenden Prinzipien der frommen Zusammenschau sind also in engem Zusammenhang mit der beginnenden Kanonisierung zu sehen.' 48 1.5.3

Die Fragestellung

Da eine „Redaktionsgeschichte" in diesem eigentlichen Sinn des Wortes erst geschrieben werden kann, wenn die einzelnen Stadien des redaktionellen Geschäfts je für sich unter synchronem Gesichtspunkt untersucht sind, muß der erste Schritt darauf gerichtet sein, die Redaktion an einer oder an einigen Stellen unter diesem synchronen Gesichtspunkt als eigenständiges Phänomen in den Blick zu bekommen. Betrachten wir exemplarisch, welche Definition Pohlmann Studien 18 im Blick auf seine Untersuchung des Jeremia-Buches gibt: U n t e r z i e h t m a n sich der A u f g a b e , redaktionelles Textgut von vorgegebenen T e x t e n zu unterscheiden, so kann als Kriterium für die Kennzeichnung eines T e x t e s als redaktionell nur gelten, o b sich zeigen läßt, d a ß seine Entstehung mit literarischen Zielen und A b z w e c k u n g c n im Blick auf den Kontext z u s a m m e n hängt; d.h. es ist nachzuweisen, d a ß der fragliche Text nur zu dem Zweck ges c h a f f e n und in den jetzigen Kontext verankert wurde, die Aussagerichtung der jetzt im Kontext befindlichen vorgegebenen Texte zu verändern, sei es d a ß sie korrigiert oder abgeschwächt oder verstärkt wird. Sicherlich ist auch d a m i t zu rcchncn, d a ß eine Redaktion zur D u r c h s e t z u n g ihres Anliegens lediglich vorgeg e b e n e Texte umordnet, oder d a ß sie in eine vorgegebene literarische Größe anderweitig verfügbares Textgut einschaltet. Für die Herausarbeitung und Beurteilung einer Redaktion sind selbstverständlich auch solche Verfahrensweisen mitzuberücksichtigen und auszuwerten. D o c h empfiehlt es sich, zunächst nach d e n T e x t e n A u s s c h a u zu halten, die ihre E n t s t e h u n g einer redaktionellen H a n d verdanken, weil es mit ihrer Hilfe am ehesten gelingen kann, Anliegen und T e n d e n z e n der Redaktion aufzuschlüsseln.

Diese Definition ist noch ganz darauf gerichtet, Eigenarten und Intentionen der Redaktion zu erfassen. Den weiteren Schritt, die Redaktion nun als solche l"6 Donner Redaktor 28. 117 Vgl. auch die ausführliche Analyse der Meerwundererzählung Ex 13,17-14,31 bei Weimar Meerwundererzählung. i4« Vgl. Donner Redaktor 1 lf und „Kanonisierung" auf Seite 48.

32

1. Der Anstoß durch die Forschung

in den Blick zu nehmen, vollzieht sie nicht. Allerdings liefern die Schlußabschnitte des Buches einige Ansätze in dieser Richtung. Unsere Leitfrage ist es also, Redaktion als eigenständiges Phänomen in den Blick zu nehmen. Wir wollen versuchen, diese Frage genauer zu formulieren. Wenn man ganz allgemein davon ausgeht, daß ein Text eine bestimmte Intention oder Aufgabe möglichst wirkungsvoll erfüllen soll, dann m u ß es besondere Gründe geben, die einen Redaktor veranlassen, an einer Vorlage festzuhalten und sie — häufig mühsam genug — umzugestalten, anstatt frei und ungebunden neu zu formulieren. Wenn es nun aber solche Gründe gibt, die einen Redaktor am freien Formulieren hindern, dann ist auch zu erwarten, daß sie ihm bei der Umgestaltung seiner Vorlagen Einschränkungen auferlegen. Wir können dann die Aufgabe einer Redaktionstheorie folgendermaßen umreißen: Redaktionstheorie fragt ganz allgemein nach den Regeln, nach denen ein Redaktor bei der Bearbeitung von Vorlagen zu Werke geht. Diese Frage ist, soweit ich sehe, in der Exegese bisher nicht gestellt worden. Natürlich finden sich in der redaktionsgeschichtlichen Literatur sporadische Hinweise auf einzelne Techniken wie etwa die «Wiederaufnahme», die wir im Abschnitt „Klammererweiterung" auf Seite 117 näher betrachten werden. Ganz vereinzelt wird auch versucht, redaktionelle Verfahrensweisen zusammenzustellen. So stellt z.B. Pohlmann Studien 193-197 unter der Überschrift „Zum redaktionellen Verfahren" die bei seiner Analyse einer golaorientierten Redaktion im Jeremiabuch gewonnenen Erkenntnisse zusammen, aber doch mehr im Sinne einer Zusammenfassung der Ergebnisse als im Sinne einer eigenständigen Behandlung des Gegenstandes. Sicher wird also die Zusammenstellung von Ergebnissen aus der Redaktionsgeschichte einen wichtigen Grundstock für die Redaktionstheorie bilden. Gleichzeitig bedarf es aber noch anderer Ansatzpunkte und Mittel, um zu weiterführenden Ergebnissen zu kommen. 1.5.4

Thesen zur „Theorie der Redaktion"

Was wir hier unter Redaktionstheorie verstehen wollen, soll mit den folgenden Thesen näher umrissen werden. These 1: Redaktion kann nur erforscht und beschrieben werden, wenn dahinter regelgeleitetes Handeln der Redaktoren vorauszusetzen ist. Obwohl schon lange Redaktionsgeschichte betrieben wird, ist die Frage nach der Regelhaftigkeit bisher so gut wie gar nicht gestellt worden. These 2: Eine Redaktionstheorie kann nicht rein induktiv aus der Exegese entwickelt werden. Es bedarf vielmehr eines Wechselspiels zwischen zwei Polen: Der induktiven Textexegese auf der einen Seite und einem Modell von Redaktion auf der anderen. Der größere Nachholbedarf liegt derzeit auf Seiten des Modells. These 3: Als Ausgangspunkt für ein Modell bietet sich, jener Ansatz der sprachanalytischen Philosophie an, der als Pragmatik bezeichnet wird und den Handlungscharakter sprachlicher Äußerungen untersucht. Redaktionelles Handeln ist uns ausschließlich in Gestalt von Texten überkommen und muß daher in seinem Handlungscharakter erst rekonstruiert werden. Es ist zugleich sprachliches Handeln, insofern Redaktoren selbst formulieren, und nichtsprachliches Handeln, insofern Redaktoren Texte einfügen, tilgen oder umstel-

1.5 Das Ziel einer Redaktionstheorie

33

len. Durch den Ansatz bei der Pragmatik sollen vor allem die redaktionellen Handlungen in ihrer Regelhaftigkeit und nach ihren Intentionen erfaßbar gemacht werden. These 4: Beim Aufbau eines Modells ist die Frage nach der Einbettung in den Lebenskontext einzubeziehen (,Sitz im Leben' der Redaktion). Obwohl der Lebenskontext meist nur indirekt erschließbar ist, liegen in ihm wesentliche Voraussetzungen für Redaktion, also zum einen Texte von besonderer Geltung, die nicht einfach zu vergessen oder durch andere zu ersetzen sind, und zum anderen Anlässe, also Motive, diese Texte zu verändern und damit zu erreichen, d a ß sie bestimmten Anforderungen der Gemeinschaft besser gerecht werden. These 5: Ein solches Modell wird mindestens drei Stufen haben: Zuoberst die Stufe der globalen Intentionen; sodann ihre Umsetzung in Stoffe und Argumentationsketten; schließlich die konkrete Veränderung der bestehenden Texte. Wir möchten natürlich vor allem die Intentionen auf der höchsten Ebene kennen, weil sie es sind, die den Beitrag zur „Theologie des Alten Testaments" liefern. Wir können sie aber nur induktiv von unten ermitteln und sind damit allen exegetischen Problemen und Unsicherheiten bis hin zur Textkritik ausgeliefert. These 6: Ein literarkritischer Ansatz reicht für ein solches Modell nicht aus. Schon wenn wir damit argumentieren, daß l.S 1 und 9 Anfangstexte und die Summarien in l.S 7 und 14 Schlußtexte sind, ist das ein formgeschichtliches und kein Iiterarkritisches Argument. These 7: Es muß versucht werden, Kriterien für die Rekonstruierbarkeit von Redaktion und den Grad ihrer Sicherheit zu erarbeiten. Es ist gut denkbar, daß bestimmte redaktionelle Änderungen keine oder nicht genügend sicher beobachtbare Spuren hinterlassen haben. Rekonstruierbar ist Redaktion nur dort, wo wir entweder die Quellen haben (Chr; Evangelienharmonien) oder wo sie Spuren in Form von Kohärenz (Dtr) oder Textstörungen (l.S) hinterlassen hat. These 8: Hier kommt dem Erkennen redaktioneller Muster eine ähnliche Bedeutung zu wie dem Erkennen von Gattungen in der Formgeschichte. Wenn in der Formgeschichte eine Gattung aufgrund eindeutiger Fälle erst einmal etabliert ist, dann können ihre Spuren auch dort entdeckt werden, wo dies ohne solches Mustererkennen nicht möglich wäre. Es besteht Hoffnung, daß sich bestimmte redaktionelle Techniken an klaren Beispielen erforschen lassen und dadurch auch an weniger klaren Beispielen erkennbar werden. These 9: Durch redaktionelle Eingriffe werden in vielen Fällen hybride Gattungen im Sinne der Formgeschichte entstehen. In der Formgeschichte wird zwischen Rahmen- und Gliedgattung unterschieden. In beiden Fällen handelt es sich jedoch um integere Gattungen. Hybride Gattungen entstehen durch redaktionelle Einfügungen, die weder in das Textmuster der Vorlage passen noch auch selbst eine Gattung bilden. These 10: Es gibt sehr unterschiedliche Typen von Redaktion. So gehören die Evangelienharmonien zum Typ der Harmonisierungs-Redaktion (siehe dazu „Evangelienharmonien und Redaktion im Pentateuch" auf Seite 29), während sich Chr eher als Retraktations-Redaktion beschreiben läßt. Die Redaktion der ägyptischen Totenbücher bleibt gattungsnah wie die unserer Gesetze. Propheten-Redaktion scheint nach anderen Regeln zu verfahren als Redaktion der Geschichtsschreibung. 149 149 Solche Erwägungen sind Aufgabe einer .Allgemeinen Redaktionstheorie', vgl. Anmerkung 140 auf Seite 28.

34

1. Der Anstoß durch die Forschung These 11: Es bedarf daher eines allgemeinen Teiles und mehrerer spezieller Teile der Redaktionstheorie. Die allgemeine Redaktionstheorie hat ein Rahmenmodell zu entwickeln, das in den speziellen Teilen jeweils exegetisch ausgefüllt wird. These 12: Die zu vermutende Redaktion oder Komposition in l.S 1-7 ist ein sehr spezieller Zweig von Redaktion. Man muß daher zunächst den Versuch machen, verschiedene Typen von Redaktion anhand der Daten zu unterscheiden, die aus der Exegese schon bekannt sind. Zugleich muß man sich vor Generalisierungen hüten. Erst wenn andere Typen von Redaktion vor demselben Modell-Hintergrund untersucht worden sind, und sich dann Gemeinsamkeiten einstellen, kann man von so etwas wie redaktionellen „Universalien" sprechen. These 13: Die Analyse der Redaktion in l.S 1-7 erfordert ein besonderes Vorgehen. Aus dem Negativbefund der bisherigen Analysen (z.B. Noth) ergibt sich, daß keine einfach abzuhebende Kohärenz-Redaktion vorliegt. Bestimmte Fragen, die schon von der Formgeschichte her zwingend sind, sind bisher noch gar nicht in letzter Konsequenz behandelt worden. Ein Beispiel ist die Frage nach dem Ende der Geburtsgeschichte. Ihre Beantwortung hängt ja davon ab, d a ß man die redaktionellen Ebenen trennen kann. Das geht bisher nur durch eine sequentielle Analyse des Oberflächentextcs. Wenn bestimmte Befunde nämlich eindeutig wären, wäre das Problem längst gelöst. Formgeschichtliche Befunde sind in redaktioneller Hinsicht nicht unbedingt eindeutig. So kann eine generelle Bemerkung über Samuel wie „Jahwe war mit ihm ..." entweder den Abschluß einer vorliegenden Erzählung oder eine Art redaktionelles Summarium bilden. Man darf daher diese Fragen erst behandeln, wenn man die Elementartexte ausgespreizt hat (Normaltext). These 14: Es gibt redaktionelle Ausgliederungen von unterschiedlicher Sicherheit. Je geringer die Abweichungen der Redaktion von der Gattung sind, umso unsicherer wird ihre Bestimmung sein. Trotzdem muß es erlaubt sein, auch solche manchmal vagen Möglichkeiten zu untersuchen, ohne sie damit schon zu behaupten. Andere Befunde sind ziemlich deutlich. Es kann auf diesem schwierigen Gebiet nicht mit Alles-oder-Nichts-Entscheidungen gearbeitet werden.

1.5.5

Zur

Durchführung

Bei der Entwicklung einer Theorie der Redaktion sollen die beiden Forschungsfelder der Exegese und der Linguistik miteinander verbunden werden. D i e materialen Voraussetzungen für den Aufbau der Theorie liefern die Einzelergebnisse aus der Exegese, bei denen sich folgende Gruppen unterscheiden lassen: Ergebnisse aus der Überlieferung von Samuel und Saul, die wir selbst erarbeitet oder überprüft haben; Ergebnisse zu anderen Textstellen, die wir aus der exegetischen Literatur aufnehmen oder selbst erarbeitet haben, ohne eine ausführliche Darstellung geben zu können; allgemeine Erkenntnisse aus der exegetischen Forschung, z.B. solche über Chr. In einigen wenigen Fällen können wir auch auf unmittelbar einschlägige Vorarbeiten zurückgreifen. So können wir mit unserem Konzept von der «Klammereinbettung» an die aus der Literatur bekannte .Wiederaufnahme' anknüpfen. A u f der anderen Seite stehen die Ergebnisse und Methoden der Linguistik, und zwar in einem doppelten Sinne. Z u m einen hat ja die Linguistik Verfahren zur Beschreibung von Texten entwickelt, die sich mit entsprechenden Modifikationen gewinnbringend auf das Alte Testament übertragen lassen.

1.5 Das Ziel einer Redaktionstheorie

35

Zum anderen liefert die Linguistik aber auch Anregungen und Verfahrensweisen zur Konstruktion von Theorien, durch die sichergestellt werden soll, daß die Theorie ihrem Gegenstandsbereich möglichst angemessen ist. Eine solche Rückversicherung ist deshalb besonders wichtig, weil die exegetische Wissenschaft bisher wenig Neigung gezeigt hat, abgesicherte Theorien zu entwickeln. Es wiederholt sich hier das Paradigma „Philologie" versus „Sprachphilosophie", deren erstere vornehmlich aus praktischen Erwägungen an der Sprache interessiert ist und deshalb ihre Forschungsziele nach diesen Bedürfnissen ausrichtet, während letztere an der Sprache selbst interessiert ist und daher auf praktische Schwierigkeiten des Einzelfalles meist wenig Rücksicht nimmt. Beide Ansätze miteinander zu verbinden ist denn auch ein wichtiges Teilziel der vorliegenden Arbeit. Bei der Entwicklung der Redaktionstheorie müssen natürlich eine Fülle von Beispielen mit verschiedenartiger Herkunft herangezogen werden. Als Gegengewicht dazu wird versucht, die in der Theorie formulierten Erkenntnisse auch an einem zusammenhängenden Textbereich nachzuvollziehen und zugleich die durch die Theorie an diesem Textbereich gewonnenen Erkenntnisse einzubeziehen. Dieses Verfahren ist natürlich zirkulär, ebenso zirkulär wie alle historische Forschung, die sich ja nie auf eine Oberinstanz berufen kann, sondern darauf angewiesen bleibt, daß das Erarbeitete den Fachgenossen einleuchtet.

Mihi certe ea est opinio, ut putem, Esdram sive solum sive una cum aequalibus, inigni pietate et eruditione viris, cadesti spiritu afflatum non solum hunc Josuae, verum etiam Judicum, Regum alios quos in sacris ut vocant bibliis legimus libros ex ctmersis annalibus apud ecclesiam dei conservatis compilasse in eumque ordinem, qui iam olim habetur, redigisse atque disposuisse. Masius Historìa 21

Erster Hauptteil

Voraussetzungen einer Theorie der Redaktion „Josef Knechts hinterlassene Schriften", Schlußteil aus dem Glasperlenspiel von Hermann Hesse, enden mit dem Kapitel „Die drei Lebensläufe"; deren letzter ist überschrieben „Indischer Lebenslauf'. 2 Der von Stiefmutter und -bruder verdrängte Prinz Dasa hat den Yogin gebeten, bei dem er seit einiger Zeit lebt: „Laß mich etwas mehr über ,Maya' wissen".3 Dieser schickt ihn mit einer Schale zum Wasserholen. Als Dasa mit gefüllter Schale den Rückweg antreten will, hört er aus dem Gebüsch die Stimme seiner Frau aus früheren Tagen; er wechselt hinüber in ein Leben als Fürst, das seiner Herkunft entspricht, ihn aber in Krieg und Gefangenschaft führt. Gefangen sehnt er den Tod herbei. Da erwacht er; sein Leben als Fürst war nur ein Traum, und erkennt darin die Lektion des Yogin über ,Maya', die Nichtigkeit des Daseins.4 Dieses knappe Resümee soll nicht dem Leser die eigene Lektüre abnehmen, es soll vielmehr die Struktur nachzeichnen, die wir hier betrachten wollen: Ein Abschnitt, der zunächst die Erzählung fortführt, wird nachträglich als Traum umdefiniert. 5 Der Leser muß nun mehrere Annahmen korrigieren, vor allem die über die erzählte Zeit: Nicht Jahre sind vergangen, sondern nur Minuten, denn die Jahre sind geträumte Jahre. Der Autor steht also vor der Aufgabe, einen Textabschnitt nachträglich als Einheit identifizierbar zu. machen, der an den vorderen Kontext glatt anschließt. Er stützt sich dabei nicht so sehr auf inhaltliche Beobachtungen, etwa 1 Zitiert nach Kraus Geschichte §9; Hervorhebung von mir, Übersetzung im Abschnitt „Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie" auf Seite 39. 2 Hesse Romane 8,566-609. 3 Hesse Romane 8,586. 4 Hesse Romane 8,605; der Ausdruck ,Maya' wird nicht eigentlich erklärt, sondern durch die Erzählung illustriert. 5 Vgl. auch die entsprechende Struktur in Kohout Mörder.

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Voraussetzungen einer Theorie der Redaktion

die, daß das Wasserholen noch mit dem Yogin in Verbindung steht, während mit dem Ruf der Frau neue und gänzlich unerwartete Personen auftreten. Er bedient sich vielmehr der literarischen Technik der Fokussierung: Ein scheinbar nebensächliches Element, die Wasserschale, wird mehrfach in den Blickpunkt gerückt und erhält damit eine ungewöhnliche Betonung. Der aufmerksame Leser wird vielleicht sogar die Erwartung hegen, daß mit der Wasserschale noch etwas Besonderes geschehen werde. Es wird also vom Autor ein « Wartepunkt» gesetzt. 6 Später wird dann auch der Übergang vom Traum zur Wirklichkeit der Haupterzählung mit der Wasserschale bewerkstelligt: Als Dasa, aufwachend, sich die Augen reiben will, kann er es nicht: Er hält die Schale in der Hand. 7 Diese Wendung der Erzählung könnte man als Wiederaufnahme des Wartepunktes bezeichnen. Wartepunkt und Wiederaufnahme rahmen also die Episode formal ein; wir können von «Klammerung» sprechen. In diesem Begriff kommt die Wechselseitigkeit in der Beziehung zwischen beiden Elementen besser zum Ausdruck. Denn keineswegs dient der Wartepunkt nur als Vorbereitung für die Wiederaufnahme; auch umgekehrt erschließt erst die Wiederaufnahme den tieferen Sinn des Wartepunktes. Die Klammerung schafft also Raum für anderes Material und ermöglicht zugleich die Fortführung der ursprünglichen Textstruktur. Diese Aufgabenstellung, nämlich die Struktur eines Textes beizubehalten und gleichzeitig neues Material einzufügen, gehört zu den grundlegenden Aufgabenstellungen jeder Redaktion. Wir haben hier mit Absicht ein Beispiel gewählt, dessen literarische Integrität nicht anzuzweifeln ist. Denn auf diese Weise wird deutlich, daß sich bestimmte Textkonstellationen zunächst unabhängig von der diachronen Frage nach der literarischen Textschichtung beobachten lassen. Zugleich wird aber auch deutlich, daß die bloße Beobachtung solcher Techniken noch nicht genügt, um auf Redaktion zu schließen. Die diachrone Distanz zwischen Vorlage und Bearbeitung muß noch eigens nachgewiesen werden. Ehe wir uns daher den redaktionellen Techniken und Analysen im einzelnen zuwenden, wollen wir den Rahmen skizzieren, in dem eine Theorie der Redaktion angesiedelt ist.

6 Siehe Abschnitt „Wartepunkt" auf Seite 77. «Termini» wie ,Wartepunkt' spielen für unsere Redaktionstheorie eine wichtige Rolle und werden später in ihrem jeweiligen Zusammenhang näher erläutert. - Übrigens wird diese Technik in sehr vergröberter Form auch bei modernen Femsehserien benutzt, wie das folgende Zitat aus dem Fernsehteil der ,Weinheimer Nachrichten - Odenwälder Zeitung' Nr.164, Montag, 21. Juli 1986, S.19 zeigt: „Da lagen zum Schluß der Sendung die Denver-Stars nach einem Massaker in ihrem Blut. Ein sogenannter „Cliff-Hanger" (Klippen-Hänger), wie Martin Hensel, der zuständige „Denver"-Redakteur beim Zweiten Deutschen Fernsehen sagte, ein Serienende voll höchster Spannung, das garantieren soll, daß sich nach der Sommerpause am 19. Oktober wieder alle Zuschauer ins Programm einschalten, um festzustellen, wie es weitergeht." 7 Hesse Romane 8,605.

2.1 Zur Entstehung der redaktionsgeschichtlichen M e t h o d e

39

Kapitel 2

Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie Die Grundgedanken der Redaktionstheorie lassen sich am besten entwickeln, wenn sie vor dem Hintergrund der Redaktionsgeschichte betrachtet werden.

2.1

Zur Entstehung der redaktionsgeschichtlichen Methode

Redaktionsgeschichte gehört heute zum festen Methodenkanon der biblischen Exegese. Aber obwohl sich in der Geschichte der Exegese schon recht früh Äußerungen finden, in denen die Fragestellung anzuklingen scheint, ist die Methode selbst noch ziemlich jung. Werfen wir also zunächst einen Blick auf ihre Entstehung. Vormethodische Anfänge. Als einer der ersten hat Andreas Masius (gestorben 1573) mit Vorstellungen gearbeitet, die an Kompilation und Redaktion denken lassen. Zu den Büchern Jos bis 2.R schreibt er, wie wir es schon im Motto zitiert haben: Ich habe gewißlich jene A u f f a s s u n g , d a ß ich glaube, d a ß Esra, sei es allein, sei es mit Männern gleich an außergewöhnlicher Frömmigkeit und Bildung, durch himmlischen Geist angemutet nicht nur allein dieses [Buch] Josuas, [sondern] fürwahr auch das der Richter, Könige [und] andere Bücher, welche wir in d e n heiligen, wie man sagt, Schriften lesen, aus verschiedenen bei der Kirche G o t t e s a u f b e w a h r t e n Jahrbüchern in jene O r d n u n g , die schon von jeher eingehalten wird, zusammengestellt, bearbeitet und auch niedergelegt hat. 8

Dabei geht es noch um eine reine Herausgeber-Tätigkeit. Erst ganz allmählich kommt das produktive Element der Redaktion in den Blick. Einen Schritt in diese Richtung tut um die Jahrhundertwende Kittel mit dem Gedanken, daß die Geschichtsschreibung der Königsbücher nach rückwärts fortgesetzt wird. 9 Aber weder taucht in diesen Überlegungen der Begriff „Redaktionsgeschichte" auf, noch kann schon von einer Methode gesprochen werden. Die Formulierung der Methode. Der Begriff Redaktionsgeschichte ist von Willi Marxsen in seiner Habilitationsschrift in die exegetische Forschung eingeführt worden. 10 Er lenkt damit den Blick auf ein Gebiet, das von der formgeschichtlichen Forschung am Neuen Testament zuvor kaum beachtet worden war. Denn diese hatte sich fast ausschließlich mit den Einzelstoffen beschäftigt und darüber deren Zusammenfügung zu einem Gesamtwerk vernachlässigt. Entsprechend führt Marxsen seinen Terminus vor allem ein, um 8

i 10

Masius Historia 2, zitiert nach Kraus Geschichte Par.9; Hervorhebung und Übersetzung von mir. Kittel Geschichte II,260(2.A.)= 185(6.A.). Marxsen Evangelist; zur Entstehung der Methode Rohde Methode 7-43; Petrin Criticism 1-24.

40

2. V o n der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

von der vorgegebenen „Formgeschichte", also der des synoptischen Traditionsstoffes, eine „Formgeschichte" der Evangelien abheben zu können. 11 Er kann dabei an alttestamentliche Arbeiten anknüpfen, vor allem an Rad Problem",12 dieser arbeitet das planvoll-zielbewußte Gestalten des Jahwisten heraus, das z.B. bei Gunkel weitgehend unbeachtet geblieben sei.13 Auch bei Noth Studien findet sich ein entsprechender Ansatz für Dtr und Chr. Die Methode war also der Sache nach in der alttestamentlichen Exegese schon da, hat aber durch die neue Bezeichnung an Schärfe gewonnen und gehört inzwischen fest in den Kanon der alttestamentlichen Methoden; sie wird einhellig von allen Methodenbüchern behandelt. 14 Veränderung der Literarkritik. Zugleich hat das Aufkommen der Redaktionsgeschichte die klassische Literarkritik verändert. Wurde sie ursprünglich als Quellenkritik im allgemeinen Sinne betrieben, so sind ihr inzwischen andere Methoden zur Seite getreten, und ihr Schwerpunkt hat sich auf das Erheben der Spannungen im Text verlagert. 15 Aber auch die Resultate der klassischen Literarkritik, wie sie vor allem am Pentateuch erarbeitet worden sind, werden durch eine ständig wachsende Zahl von Untersuchungen in Frage gestellt. Dabei handelt es sich keineswegs nur um Fragen der Datierung, die ja naturgemäß recht unsicher bleiben müssen, 16 sondern auch um Fragen der literarischen Entstehung. 17 Zu dieser Debatte ist in unserem Zusammenhang nicht Stellung zu nehmen; 18 es ist aber an diesem Forschungsgebiet zweierlei deutlich zu machen: 1. Trotz allen Scharfsinns bei den literarkritischen A n a l y s e n ist die M e t h o d e der Literarkritik nie als M e t h o d e formuliert worden. U n d aus unserer Perspektive k ö n n e n wir hinzufügen: Es ist nie der Vcrsuch g e m a c h t w o r d e n , die Regeln zu ermitteln, nach d e n e n ein Kompilator gehandelt h a b e n soll, der Halb- und Viertelverse ineinanderschachtelt. 2. Die Ü b e r z e u g u n g s k r a f t der A r g u m e n t e hängt nicht zuletzt von d e m einmal g e w ä h l t e n M o d e l l der Textentstehung ab. S o ist z u n ä c h s t versucht w o r d e n , die Pcntatcuchqucllcn auch im Bereich der „vorderen Propheten" weiterzuverfolgen. 1 9 D a s einmal g e w ä h l t e Modell ist auch durch neue Einsichten nicht leicht zu erschüttern. 2 0

Daß die Veränderungen im Bereich der Pentateuchkritik an der Literarkritik nicht spurlos vorübergehen, liegt auf der Hand. 11 Vgl. Rohde Methode 14f. 12 Marxsen Evangelist 5. >3 So Rad Problem 46. 14 Koch Formgeschichte Par.5 (S.72-83); Richter Exegese 165-173; Fohrer Exegese Par.9 (S. 135-143); Barth/Steck Exegese Par.6 (S.50-55); Adami Kaisen Kümmel Einführung 23-28; Schreiner Einführung 138-142. 15 Vgl. die genannten Methodenbücher, insbesondere das Inventar bei Richter Exegese Kap.4. 16 Z.B. Vorländer Entstehungszeit. 17 Zur Problematik der Neueren L'rkundenhypothese vgl. Rendlorff Problem. 18 Die Arbeiten sind in dem Forschungsüberblick Diebner Ansätze zusammengestellt. 19 Exemplarisch bei Hölscher Geschichtsschreibung. So hält Eißfeldt Einleitung im Grundsatz an dem genannten Modell fest, obgleich er sich in der Einzeldiskussion der Überzeugungskraft von Noths These eines deuteronomistischen Geschichtswerks nicht entziehen kann.

2.1 Z u r Entstehung der redaktionsgeschichtlichen Methode

41

Die Umkehrung der Fragerichtung. Der Umgang mit der Redaktion ist nicht zuletzt auch eine Frage von Werturteilen. Herrschte in den Anfängen der Literarkritik vielfach noch die aus der Textkritik übernommene Auffassung, daß die Bearbeitungen des Textes als unwerte Übermalungen zu entfernen seien und so eine möglichst authentische Urfassung zu gewinnen sei, so ist in der weiteren Forschung immer mehr der Eigenwert auch der Bearbeitungsschichten betont worden. Als Relikt dieser Einstellung ist es jedoch anzusehen, daß in den Einleitungen in das Alte Testament zunächst die Vorlagen und erst danach die Überarbeitungen abgehandelt werden. Damit wird zwar die zeitliche Entwicklung des Textes nachgezeichnet; da diese aber nur hypothetisch und in vielen Fällen umstritten ist, empfiehlt sich dieses Verfahren eigentlich nicht. Als erster hat Smend Entstehung mit dieser Konvention gebrochen und dies auch explizit begründet. Er ersetzt nämlich den traditionellen Titel „Einleitung" durch „Entstehung". Damit folgt er der Perspektive des heutigen Forschers und Lesers, der den Text ja nur durch den Filter der verschiedenen Redaktionen zu sehen bekommt. Es gilt, rückwärts schreitend, die Bearbeitungen Schicht für Schicht abzuheben. Die Analogie zu archäologischen Grabungen liegt auf der Hand. Der Vorteil des Verfahrens liegt nicht zuletzt auch darin, daß von gesicherten Ergebnissen zu Hypothesen vorangeschritten wird und nicht umgekehrt. Aufgabenstellung. Redaktionsgeschichte ist inzwischen in einer Fülle von Einzeluntersuchungen zu allen Textbereichen des Alten Testaments durchgeführt worden und hat auch weithin zu verläßlichen Ergebnissen geführt. Freilich gibt es auch Texte, die einer Bearbeitung mit den Methoden der Redaktionsgeschichte erheblichen Widerstand entgegensetzen. Ein Beispiel sind die unterschiedlichen Konzepte von Sauls Erhebung zum König, die durch die Stichworte Salbung; Loswahl bzw. längster Mann; Entsetzung von Jabesch charakterisiert und als eigene Geschichten ausgeführt sind, und zu denen als viertes Konzept eine wenig beachtete Notiz tritt, in der die Erhebung Sauls als Antwort auf ein Volksbegehren dargestellt wird, das seinerseits einer Bedrohung durch die Ammoniter entspringt. Obwohl hier genügend Anhaltspunkte im Sinne der Literarkritik vorliegen, ist es noch nicht zu einer allgemein akzeptierten Lösung gekommen, da die redaktionellen „Verwicklungen" in diesem Textbereich außerordentlich komplex sind. Man kann aber doch auch fragen, ob das bisherige Instrumentarium ausreicht. Immerhin werden neuerdings in der Exegese Methodenfragen stärker beachtet als früher. 21 Ein Handicap liegt sicherlich darin, daß die traditionellen Methoden nicht nebeneinander, sondern nach- und sogar gegeneinander entwickelt worden sind. Daher gibt es für sie bisher keinen einheitlichen theoretischen Rahmen. In der Praxis pendeln sich zwar gewisse Grenzziehungen ein; so läßt sich die 21 Als äußeres Indiz mag gelten, daß unter dem Methodenaspekt neue Periodika gegründet worden sind, z.B. Linguistica Biblica; Semeia. Sie bieten zwar ein Forum für Arbeiten in einer bestimmten Richtung, sind aber wegen ihrer Ausrichtung auf das Neue auch davon bedroht, wesentliche Standards der klassischen Forschung preiszugeben.

42

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

Konkurrenz zwischen klassischer Literarkritik, d.h. Quellenscheidung, und moderner Redaktionsgeschichte dadurch entschärfen, daß die Literarkritik von der Aufgabe der Quellenscheidung befreit und auf die Beobachtung der Risse, Doppelungen und Widersprüche konzentriert wird. Aber schon die Fragen im Proseminar zeigen, daß ein einheitliches Konzept vermißt wird. Auch in der Linguistik ist ein gemeinsames Grundkonzept der einzelnen Theorien keineswegs selbstverständlich, und erst allmählich gewinnt die Erkenntnis an Boden, daß die verschiedenen Teiltheorien von einem einheitlichen Modell aus besser miteinander in Beziehung zu setzen sind. 22 Wie eine Gesamttheorie für die Exegese aussehen könnte, ist heute noch nicht abzusehen. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn sich die Hintergründe der Redaktionsgeschichte im Rahmen einer Theorie formulieren ließen. Als ersten Schritt werden wir im folgenden versuchen, Grundzüge einer allgemeinen Theorie der Redaktion zu formulieren. Da Redigieren eine besondere Sparte im Umgang mit Texten ist, können wir an die neueren Texttheorien anknüpfen, vor allem an jene, die explizit oder implizit bei einem Modell der Kommunikation einsetzen. Ein solches Modell ist das von Gülich/Raible, das vor allem bei der Beschreibung der Textgliederung eine wichtige Rolle spielt.23 Es geht von folgendem Kern aus: Jemand teilt einem anderen etwas über etwas mit.2* Für den Spezialfall der Redaktion können wir den Kernsatz folgendermaßen modifizieren: Jemand teilt einem anderen etwas über etwas mit, indem er eine vorhandene Vorlage modifiziert und sie weitergibt. Damit haben wir die Doppelnatur der Redaktion formuliert, die immer sowohl Elemente der Überlieferung als auch solche der Veränderung enthält. Durch den Begriff der Vorlage deuten wir an, daß der benutzte Text bereits eine gewisse Stabilität erreicht hat. Dies gilt vor allem für schriftliche Äußerungen, und die Redaktion biblischer Texte ist ja von vornherein im Bereich der Schriftlichkeit angesiedelt. Wir werden im folgenden versuchen, die Linien dieses Modells ein wenig auszuziehen. Vielleicht kann dann zu einem späteren Zeitpunkt versucht werden, dieses Modell so zu erweitern, daß es als theoretischer Rahmen auch für die übrigen exegetischen Methoden dienen kann. 2.2

Zur Aufgabenstellung einer Redaktionstheorie

Ein Blick auf die Entwicklung der redaktionsgeschichtlichen Methode zeigt, daß es nicht genügen kann, nur die Bearbeitungen einzelner Texte ihrem individuellen geschichtlichen Hergange nach zu erforschen. Zwar bildet diese Erforschung die notwendige Voraussetzung für alles weitere, sie muß aber durch die generelle Frage nach den Eigenarten des redaktionellen Schrifttums ergänzt werden. 22 Vgl. GülichlRaible Textmodeile 21-59. 23 Zur Anwendung auf das Alte Testament vgl. Wonneberger Normaltexf, 21 Gülich/Raible Textsorten 24.

Wonneberger

Gliederung.

2.2 Z u r A u f g a b e n s t e l l u n g einer R e d a k t i o n s t h e o r i e

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Zum Begriff der ,Redaktionstheorie'. Eine solche generelle Fragestellung würde sich schon dann ergeben, wenn man den Terminus ,Redaktionsgeschichte' nicht, wie in der Praxis üblich, als Geschichte der Redaktion eines Textes oder Werkes fassen wollte, sondern als Geschichte der Redaktion schlechthin, also als Geschichte des bearbeitenden Überlieferns von Texten. Diese Deutung des Begriffs erinnert an seine Verwendung im Terminus ,Gattungsgeschichte', der ja ursprünglich ebenfalls auf eine Geschichte der Gattung selbst abzielt, während in der Praxis darunter meist lediglich die Zuordnung des Einzeltextes zur Gattung verstanden wird. 25 Natürlich fehlt es für eine so weit gespannte Fragestellung heute noch an den nötigen Vorarbeiten. Es ist aber immerhin möglich, in Teilbereichen den Vergleich zu wagen, der über den unmittelbaren Kontext des jeweiligen Erzählwerkes hinausgeht und andere Ausprägungen von Redaktion heranzuziehen sucht. Zugleich deutet sich in der Methode des Vergleichs schon ein Grundelement der neuen Fragestellung an: Es soll ja um das Erkennen von Regelhaftigkeiten gehen, die in der redaktionsgeschichtlichen Forschung zwar immer wieder einmal notiert, aber eben nicht systematisch erforscht worden sind. Um diese veränderte Fragestellung auch begrifflich abzuheben, wollen wir sie als Redaktionstheorie bezeichnen. 26 Zur Begriffsbestimmung der „Redaktion". Für eine Untersuchung wie die folgende mag es zunächst unerläßlich scheinen, von einem klar definierten Begriff dessen auszugehen, was als Redaktion erfaßt und beschrieben werden soll. Eine solche Definition könnte lauten: R e d a k t i o n ist die B e a r b e i t u n g s c h r i f t l i c h c r V o r l a g e n z u m Z w e c k d e r A n p a s s u n g an eine veränderte Umwelt oder Weitsicht.

Diese Definition umreißt zunächst ungefähr den allgemeinen Konsens über diesen Begriff. Sie ist mit Absicht so allgemein gehalten, daß sich in ihr auch Phänomene unterbringen lassen, die man vielleicht genauer bezeichnen könnte, z.B. die Komposition, also die Zusammenfügung verschiedener Quellen ohne eigene Textbeiträge des Bearbeiters. Was genau unter Redaktion zu verstehen ist, kann sich erst im Laufe des Versuchs selbst ergeben, sie näher zu beschreiben. Dieser Versuch ist als erster seiner Art in vieler Hinsicht tentativ und bedarf der späteren Präzisierung durch die wissenschaftliche Diskussion. Gerade deshalb scheint es aber angebracht, von einem sehr weiten Verständnis von Redaktion auszugehen, das dann später hie und da einzuschränken sein wird, statt durch ein zu enges Verständnis das Hervortreten genereller Phänomene zu gefährden. Zu den Themen einer „Redaktionstheorie". Daß die Fragestellung der Redaktionstheorie im Grunde seit längerem in der Luft liegt, mag ein längeres Zitat 25 Einige Methodenbücher versuchen dem durch Umbenennung der Methode in .GattungsÄri/i'Ä' Rechnung zu tragen. 26 Versuche in dieser Richtung zu unternehmen wäre eine Aufgabe, die an das hier Vorgelegte anschließen könnte, vgl. Anmerkung 140 auf Seite 28.

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2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

von O t t o Eißfeldt belegen, das sich auf den Liber Antiquitatum Pseudo-Philo (PsPhil LibAnt) b e z i e h t : "

Biblicarum

des

Die Herausstellung dieser Besonderheiten unseres Liber trägt nicht nur zum besseren Verständnis dieses Pseudepigraphs selbst bei, sondern vermag auch wohl, indem sie ein Analogon dazu aufweist, auf die Arbeitsart der Autoren der hexateuchischen Erzählungsfäden und der in den Büchern Richter bis 2. Könige enthaltenen größeren Erzählungszusammenhänge sowie auf das Verfahren der Redaktoren oder Kompilatoren dieser Fäden und Zusammenhänge neues Licht fallen zu lassen. Denn wenn wir bei dem Verfasser unseres Liber mit Sicherheit aufzeigen können, daß und wie er die ihm in Genesis bis 2.Samuelis vorliegenden Stoffe durch bestimmte literarische Maßnahmen ausgestaltet und seinem Plan angepaßt hat, so gewinnt von da aus die für die Autoren und Redaktoren der den Büchern Genesis bis 2.Könige zugrunde liegenden Erzählungswerke beim Fehlen ihrer Vorlagen nur als Vermutung mögliche Annahme, daß sie ähnlich wie jener vorgegangen seien, an Wahrscheinlichkeit. Mit Begriffen wie „Arbeitsart" oder „Verfahren der Redaktoren oder K o m p i l a t o r e n " ist die erste und konkreteste Aufgabe einer Redaktionstheorie umrissen, nämlich die Beschreibung der redaktionellen Techniken, die Art der Eingriffe in den Text. Von d a aus kann nach den Intentionen redaktionellen Handelns gefragt werden. D a m i t im Z u s a m m e n h a n g steht die Frage, o b die aufgezeigten P h ä n o m e n e den Charakter sprachlicher Universalien haben, o b also jedermann unter ähnlichen Bedingungen ähnlich redigieren würde, oder o b es in den Kreisen, die f ü r die Bearbeitungen im Alten Testament verantwortlich sind, eine spezifische Tradition des Redigierens gegeben hat. Generalisiert m a n diese Fragestellung, d a n n führt sie zu der Frage nach den redaktionellen Institutionen, den Trägerkreisen und ausnahmsweise auch Einzelpersonen, die hinter diesen Bearbeitungen stehen. „Redaktionstheorie" und Diachronie. Die versuchsweise Beantwortung aller dieser Fragen setzt voraus, d a ß zunächst geklärt wird, von welchen heuristischen Verfahren aus die Ergebnisse gewonnen werden können. Jedes Bemühen um eine Redaktionstheorie steht unter einer Paradoxie: Auf der einen Seite m u ß eine tragfähige Grundlage gesucht werden, bei der Ausgangspunkt und Ergebnis einer Redaktion als Quelle erhalten sind. Auf der anderen Seite werden aber die Hauptverdienste einer Redaktionstheorie gerade d o r t zu suchen sein, wo die Vorlagen quellenmäßig nicht zu greifen sind. So hat das Beispiel der Evangelienharmonien unstreitig den Vorteil, d a ß uns die Quellen der K o m p i l a t i o n vorliegen. 28 M a n könnte d a r a u s die Strategie ableiten, sich bei der Erforschung der Redaktion auf solche Fälle zu beschränken, in denen ebenfalls sowohl das E n d p r o d u k t als auch die Quellen vorliegen. So könnte m a n etwa die Verän27 Eißfeldt Kompositionstechnik 341; Hervorhebungen von mir. - Sollte sich hinter der gewundenen Ausdrucksweise das Bemühen verbergen, die anvisierte Analogie nicht allzu konkret auf das Alte Testament münzen zu müssen? 28 Vgl. „Evangelienharmonien und Redaktion im Pentateuch" auf Seite 29.

2.3 Zur Abgrenzung der Redaktion

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derungen studieren, die Chr an Dtr vorgenommen hat, um sodann die Ergebnisse auf das unsichere Terrain anzuwenden, dessen Quellen uns nicht vorliegen, also in diesem Falle Dtr. Dieses Verfahren wäre sicherlich wertvoll, was die Verfahrensweisen von Chr selbst angeht, die einfache Übertragung wäre aber kurzschlüssig. Denn zum einen liegt zwischen Dtr und Chr eine lange Entwicklung, zum anderen darf natürlich nicht vorausgesetzt werden, daß für die Redaktion beider Werke dieselben Regeln gelten; dergleichen könnte allenfalls das Ergebnis, nicht aber der Ausgangspunkt der Untersuchung sein. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als mit der Redaktionstheorie auch da anzusetzen, wo Redaktion und Vorlagen erst rekonstruiert werden müssen. Theoretischer Rahmen. Um so mehr Bedeutung erhält hingegen eine sorgfältige Klärung der Analyse-Verfahren und ihrer sprachtheoretischen Grundlagen. Das gilt insbesondere für die Ambivalenz vieler Ausgangsbeobachtungen; denn viele am Text erhebbare Befunde können entweder synchron als Eigenheiten eines Textes oder diachron als Auswirkung einer Bearbeitung verstanden werden. 29 Zu einer solchen Vorklärung gehört auch, daß für die Beschreibung der verschiedenen Bereiche ein methodisch gerechtfertigter Theorie-Rahmen abgesteckt wird, der die Verknüpfung der Einzelbefunde zu einem Gesamtmodell der Redaktion ermöglicht. Solche Modellbildung entwickelt zu haben gehört zu den großen Verdiensten der Linguistik, und wir werden versuchen, wenigstens in Teilbereichen zu einem Modell zu kommen.

2.3

Zur Abgrenzung der Redaktion

Um zu sagen, was wir unter Redaktion verstehen wollen, empfiehlt sich die aus dem Strukturalismus kommende Methode der Definition durch Oppositionen. Wir werden also zunächst den Begriff der Redaktion dadurch einzuengen versuchen, daß wir sie gegen andere Arten der Textbearbeitung abgrenzen. 2.3.1

Verwandte Begriffe

In der exegetischen Literatur tauchen gelegentlich Begriffe auf, die mit dem Gebiet der Redaktion eng zusammenhängen, z.B. Glossen, Kompilation o.ä. Es ist daher angebracht, die Stellung dieser Begriffe im Verhältnis zur Redaktion zu untersuchen. Komposition. Unter Komposition ist „der bewußt durchgeführte Aufbau eines Textes" 30 zu verstehen. In dem soeben zitierten Aufsatz von Eißfeldt 31 findet sich der Ausdruck „Kompositionstechnik", der ja auch im Titel die Fragestellung umreißt. 29 Diese Doppeldeutigkeit wird von Richter Exegese in seinem Kapitel über Literarkritik anhand vieler Beispiele sehr schön vorgeführt. 30 Gese Komposition 74. 31 Eißfeldt Kompositionstechnik; vgl. Anmerkung 27 auf Seite 44.

46

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

Der erste Teil dieses Ausdruckes, „Komposition", ist vor dem Hintergrund der Quellentheorien zum Pentateuch zu verstehen; 32 er besagt, daß mehrere gleichberechtigte Vorlagen zusammengeführt werden. Demgegenüber geht der Begriff „Bearbeitung" davon aus, daß eine einzige Vorlage das Rückgrat für Änderungen, Zusätze, auch Sondergut, und Kürzungen bildet. Den Begriff „Redaktion" möchten wir dagegen als Oberbegriff fassen, der beides einschließt, die Arbeit mit mehreren gleichberechtigten Vorlagen (Typ: Evangelienharmonie) und die Bearbeitung einer Hauptvorlage (Typ: Synoptisches Evangelium). Der zweite Teil des Ausdrucks, „Technik", zeigt die enge Begrenzung der Fragestellung. Demgegenüber zeigt unser Begriff „Theorie" die Aufgabe an, die auffälligen Phänomene in einen allgemeineren Rahmen zu stellen, der sorgfältig nach verschiedenen Ebenen und Komponenten unterscheidet und den in der Linguistik erarbeiteten Anforderungen für die Angemessenheit von Theorien Rechnung trägt. Während bei den Geschichtswerken der Aufbau weitgehend durch den zeitlichen Verlauf vorgegeben ist, können in anderen Bereichen die Stoffe freier kombiniert werden. Dort gewinnt dann die Frage nach der Komposition auch größere Bedeutung. 33 Textgestaltung. In manchen Fällen wird ein Autor auf andere Texte nicht zurückgreifen, um sie zu modifizieren, sondern um sie seinem eigenen Text einzuverleiben. In diesen Fällen liegt offenkundig eine Zusammenfügung verschiedener Textelemente vor, ohne daß es sich dabei um Redaktion handeln würde. Das gilt z.B. vom „Rückgriff auf alte Traditionen". 3 4 Er begegnet vornehmlich in Df, Deuterojesaja; Hi.3S Solche Benutzung von Texten ist also als ein Muster der Textgestaltung einzustufen und dementsprechend unter „Formgeschichte" abzuhandeln. Kompilation. Bei den alttestamentlichen Schriften ist uns bis auf wenige Ausnahmen nur die schon redigierte Form erhalten; die Vorlagen sind verloren. Dies gilt insbesondere für die zahlreichen Quellen, die explizit in Dtr genannt werden. Wichtigste Ausnahme ist Dtr selbst in seiner Rolle als Quelle für Chr. Anders liegt der Fall beim Neuen Testament. Denn dort stellen die Evangelienharmonien, also die redigierten Sammelwerke, eine spätere Entwicklungsstufe dar, während die Quellen, also die Evangelien selbst, kanonisiert sind. Dadurch läßt sich natürlich das Verfahren der Kompilation bis in die Einzelheiten nachvollziehen. 36 32

Begriffliche Unterscheidung zwischen Komposition und Redaktion auch bei Fohrer Exegese 137f. Gese Komposition. „Appeal to Ancient Tradition" Habel Appeal. 3 5 Habel Appeal 268f. 36 Dieses Beispiel und seine Konsequenzen werden ausfuhrlicher im Abschnitt „Evangelienhaimonien und Redaktion im Pentateuch" auf Seite 29 behandelt. 33

34

2.3 Zur Abgrenzung der Redaktion

47

Die Kompilation bildet einen Sonderfall der Redaktion, weil hier mindestens zwei und oft noch dazu ähnliche Vorlagen vereinheitlicht werden sollen. 2.3.2

Textbearbeitung nach der Fixierung

Je weiter die Kanonisierung eines Textes fortgeschritten ist, desto unangreifbarer wird er für redaktionelle Bearbeitung im engeren Sinne. Dennoch bleibt ein Bedürfnis zur Anpassung an veränderte Gegebenheiten, wie es auch der Redaktion zugrunde liegt. Nur muß es sich jetzt andere Formen der Realisierung suchen. Übersetzung. Faszinierend an der Textbearbeitung durch Übersetzung ist die Beobachtung, mit welch geringfügigen Eingriffen der Übersetzer eine umfassende Änderung des Sinnes herbeiführen kann. Ein schönes Beispiel dafür ist die Entwicklung von MT über Sept. bis zu Targ. in Jes 19,25b («Normalsynopse» mit Übersetzung in Wonneberger Normaltext Abb.l8f (S.223)). MT Sept. Targ.

Der masoretische Text ist Teil einer kühnen Heilsschilderung, die die feindlichen Großmächte friedlich vereint und Israel in ihrem Bunde sieht.37 Schon die Septuaginta beschränkt dieses Heilswort auf die deportierten Israeliten. Das Targum38 macht daraus einen heilsgeschichtlichen Rückblick.39

Durch die synoptische Darstellung wird deutlich, daß der Wortbestand von M T bis auf „das Gebilde meiner Hände" vollständig beibehalten wird; ihrem Selbstverständnis nach will die Übertragung ja auch nichts anderes sein als eine Präzisierung des ihr erkennbaren Textsinnes. Das Beispiel zeigt, daß das Grundmotiv der Redaktion im engeren Sinne, nämlich die Anpassung an eine veränderte Wirklichkeit, auch dort fortwirkt und sich Bahn schafft, wo die Mittel der Umgestaltung aufs Äußerste eingeschränkt sind. Das italienische Wortspiel „traduttore - traditore" drückt die Resignation aus, daß eine Übersetzung ihr Original niemals in allen Aspekten textgetreu wiedergeben kann. Dies zugestanden kann aber doch gefragt werden, wo eine Übersetzung ohne sprachliche Not ihre Vorlage verändert. Solche Veränderungen erlauben den Rückschluß auf die Intentionen und die Weltsicht des Übersetzers, die ja ebensowenig wie beim Redaktor unmittelbar zugänglich sind. Sie bilden damit eine wichtige Parallele für die Untersuchung der redaktionellen Intentionen, zumal der Vergleich zwischen Original und Übersetzung zu größerer Sicherheit der Ergebnisse führt. Die Targumforschung hat in der Tat einige Prinzipien herausarbeiten können, nach denen sich die Zusammenhänge zwischen bearbeitetem Text und Vorlage aufschlüsseln lassen. Schon an einem relativ begrenzten Stück wie Jes 53 Tj lassen sich eine Reihe von Beziehungen ermitteln, 40 die wir zusätzlich " 38 39 40

Zum Hintergrund Koch Profeien 1,138-140. Text und englische Übersetzung bei Stenning Targum 64f. Vgl. Carroll Prophecy ; zur Übertragungsstrategie von Targ. vgl. Koch Messias 121-123. Die folgenden Begriffe sind an Koch Messias 122f angelehnt und dort näher erläutert.

48

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

durch „T" kennzeichnen, wenn sich die Änderungen auf die Textebene beschränken, und durch „S", wenn sie auch die Sachebene betreffen: Kollektiver Singular Präzisierung (T); Versachlichung (S); Aufschlüsselung (S); Harmonisierung (T); Gesetzesbezug (S); Ersetzung von Anthropomorphismen durch Hypostasen (T). Allenfalls der erste Punkt ließe sich auf die Sprachverschiedenheit zurückführen. Schon diese Art des Übersetzens, die den Text präzisieren und einfacher erfassen will,41 rückt in die Nähe redaktioneller Bearbeitungen. Wie dann erst jene Verfahren, die auch vor zentralen Textaussagen nicht haltmachen! So verkehrt die Technik der „converse translation" den Text kurzerhand in sein Gegenteil. 42 Ähnliches geschieht bei der „alternative attribution"; hier wird die Aussage durch Abändern des Thema-Beireiches umgedeutet. So wird z.B. die Verneinrng der Auferstehung (Hi 14,1 1J) dadurch umgedeutet, daß sie auf die Bösen eingeschränkt wird. Aus dem alle betreffenden Geschick ist damit eine Strafe für nur einige geworden; dies läßt Raum dafür, daß die anderen doch auferstehen. 43 Mit diesen Verfahren werden in den Targumen Vorstellungen eingeführt, die weit über das im Alten Testament insgesamt Vorgegebene hinausgehen oder ihm sogar widersprechen. 44 Daß dieses Vorgehen nicht als ein bloßes Übersetzen verstanden werden kann, liegt auf der Hand. Schwieriger ist schon die umgekehrte Frage zu beantworten, worauf sich der Anspruch gründet, eine authentische Textwiedergabe zu bieten, und, weiter gefragt, wo die Grenzen der Bearbeitung gegenüber Beliebigkeit und Willkür liegen. Diese Fragestellung ist aber auch eine Schlüsselfrage für die Redaktion im engeren Sinne. Sie läßt sich natürlich nicht allgemeingültig beantworten, sondern muß für individuelle Lebenskreise auch individuell untersucht werden. Sollte die redaktionstheoretische Forschung so konkrete Ergebnisse erbringen, daß sich verschiedene Bereiche unmittelbar vergleichen lassen, dann wird es reizvoll sein, die Frage zu untersuchen, ob die Targumisten die authentischen Nachfolger der Deuteronomisten und vielleicht die authentischen Ahnherren der Evangelisten sind. Kanonisierung. Redaktion findet ihre Grenzen in der Kanonisierung. Der kanonisierte Text ist weitgehend unantastbar, Kanonisierung bedeutet aber auch, daß die Texte in ein bestimmtes Umfeld eingeordnet werden. War bislang die alttestamentliche Forschung vor allem an den einzelnen Schriften und ihrer Geschichte interessiert, so ist — ausgelöst vor allem durch die Einleitung von Childs 45 — die kanonische Gestalt des Alten Testaments wieder ins Blickfeld gerückt worden. Man wird dann vielleicht auch auf die Paradoxie aufmerksam, daß die alttestamentliche Wissenschaft primär vom 11 Koch Messias 147f. "2 Z.B. Eccl 2,16\ Klein Translation. 13 Ähnlich Eccl 3,18-22; Gordon Targumists 114. 44 Dies wird besonders deutlich an der Frage der Auferstehung; Gordon 45 Vgl. Childs lntroduction\ zum Ansatz vgl. Childs Signißcance.

Targumists.

2.3 Zur A b g r e n z u n g der R e d a k t i o n

49

masoretischen K a n o n ausgeht, wohingegen d o c h die Bibel der Urkirche die Septuaginta gewesen ist. 46 V o m S t a n d p u n k t der Redaktionstheorie aus bringt die Kanonisierung einen deutlichen Einschnitt f ü r das Bearbeiten der einzelnen Bücher mit sich. Koch Daniel Prophet 129 schreibt, ein Zitat von 1969 a u f n e h m e n d : 4 7 Years ago, writing from a form-critical perspective, I stressed the fact that „canonisation m a k e s a d e e p divide into the transmission history of a biblical book." A given book became finally fixed and received n e w accents b y its incorporation into a larger composite unit. A t the s a m e time, another w a y of dealing with the text arose. Instead of interpretation through internal textual additions, a practice c o m m o n in pre-canonical times, n e w m o d e s of interpretation exterior to the text and clearly subordinated to it b e c a m e necessary for its correct understanding.

U m es auf eine F o r m e l zu bringen, könnte m a n sagen: Aus der Bearbeitung wird die Auslegung. N u n bildet aber auch die Kanonisierung selbst eine A r t von Bearbeitung, bei der einzelne Schriften nach und nach zu d e m Buchganzen zusammengefügt werden, das uns heute vorliegt. Hier gibt es offensichtlich eine Parallele zu d e m , was wir unter d e m Begriff K o m p i l a t i o n behandelt haben, und auch hier stellt sich wie bei der Redaktion im engeren Sinne die Frage, wie sich die redaktionellen Intentionen der kanonbildenden Kreise erfassen lassen. Koch Daniel Prophet 129 schlägt folgenden Weg ein: H o w can we identify the exact meanings intended by the canonizers? There is n o evidence for a n y addition or gloss originating precisely at the time of c a n o n i z a t i o n , so it is dangerous t o speak of the canonical s h a p e of a writing. H o w is one to grasp it? Perhaps one should speak in a more careful w a y of a c a n o n i c a l intention. T h e only w a y to c o m p r e h e n d this intention, it seems to me, is to look at the surroundings, the context, in w h i c h a certain book is incorporated. Therefore, the order of the Old T e s t a m e n t b o o k s a n d the tree-fold division of the c a n o n offer the only useful key for responsible observations.

Ein interessanter Testfall f ü r diesen Ansatz ist gerade die Titelfrage des gen a n n t e n Aufsatzes: „Is Daniel Also A m o n g the Prophets", umso mehr, als das Danielbuch in frührabbinischer Zeit von den P r o p h e t e n zu den Schriften umgeordnet wurde. D a m i t wird zum einen der Akzent von der Eschatologie auf die Pädagogik verschoben, zum anderen manifestiert sich darin wohl auch eine veränderte Sicht der Propheten, die n u n ihrerseits weniger als eschatologische, sondern eher als Büß- und Thoraprediger verstanden werden. 4 8 Auslegung. Im Verlauf der nachexilischen Entwicklung Israels sind die alttestamentlichen Schriften zunehmend der Änderungsmöglichkeit entzogen 46 Daß diese Grundentscheidung von großer Tragweite für eine biblische Theologie ist, darauf macht Stuhlmacher Versöhnung 18-20 aufmerksam. "7 Koch Growth 106. 18 Koch Daniel Prophet 127.

50

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

worden, ein Vorgang, der nicht mit der Kanonisierung beginnt, sondern in ihr seinen Abschluß findet. Bestehen geblieben sind hingegen die Beweggründe, die zum Redigieren geführt haben. Sie müssen sich nun anders Bahn brechen: Was vorher als Redaktion stattfand, geschieht nun als Auslegung. Die Tradition wird nicht mehr einfach vereinnahmt, sondern bleibt als das andere bestehen. Vorgabe und Anpassung sind in ihrer jeweiligen Identität von nun an klar unterscheidbar. Die Anfänge zur Auslegung finden sich schon innerhalb des Alten Testaments selbst. 49 So wird in Da 9 der Versuch unternommen, das Orakel Jeremias über die 70 Jahre der geschichtlichen Wirklichkeit anzupassen: „Delay necessitated revision", 50 und Tritojesaja zitiert Deuterojesaja und legt ihn aus. 51 Redaktion steht also im Kontext anderer Arten von Textbearbeitung, mit denen sie zwar nicht die historischen Umstände und vielfach auch nicht die verwendeten Techniken, aber doch das bewegende Motiv zur Anpassung von Texten an eine veränderte Wirklichkeit teilt.

2.4

Anknüpfungspunkte für eine Theorie der Redaktion

In den folgenden Abschnitten wollen wir einige Anknüpfungspunkte für das Erheben von Redaktion skizzieren. 2.4.1

Grundzüge der Redaktion

Redaktion ist in erster Linie Bearbeitung von Vorgegebenem, erst in zweiter Linie Neuformulierung. Daher legt es sich nahe, mit ihrem Verhältnis zur Überlieferung zu beginnen. Das Problem der Schriftlichkeit. Die Weitergabe der Texte durch die Generationen steht offenbar im Spannungsfeld zweier widerstreitender Prinzipien: Festhalten am Überkommenen auf der einen Seite und Anpassung an das Neue auf der anderen. Die bisherige Begrifflichkeit ist nun insofern ungünstig, als sie zu diesen beiden Prinzipien querliegt. Denn der Begriff der Überlieferungsgeschichte impliziert ja seinerseits einen Wandel, sonst gäbe es ja kaum eine Geschichte zu schreiben. Das terminologische Gegenüber von Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte ist denn auch wissenschaftsgeschichtlich zu erklären: Herausgebildet hat es sich nämlich am Gegensatz ,mündlich - schriftlich', der lange zu den stark umstrittenen Fragen der formgeschichtlichen Forschung gehört hat. 52 Die Frage, ob redaktionelle Prozesse schriftliche Vorlagen voraussetzen oder ob sie auch in der mündlichen Überlieferung denkbar sind, Vgl. Fishbane Revelation; leider zieht Fishbane keine klare Trennlinie zwischen redaktioneller Umgestaltung und abgehobener Auslegung. 50 Fishbane Revelation 357. 51 Michel Eigenart 228-230. 52 Vgl. Koch Formgeschichte §7.

2.4 Anknüpfungspunkte für eine Theorie der Redaktion

51

ist noch kaum geklärt. 53 Es ist aber nicht einzusehen, warum die mündliche Überlieferung des Einzelstückes in dieser Weise von seiner schriftlichen Bearbeitung und Verarbeitung in größeren Zusammenhängen getrennt werden sollte. Zwar werden die Wandlungen des Textes in der mündlichen Überlieferung etwas anders realisiert werden als bei der Redaktion am Schreibtisch, es könnte aber gut sein, daß mündliches und schriftliches Redigieren nach ähnlichen Prinzipien funktionieren. Freilich würden sich der Beantwortung dieser Frage am alttestamentlichen Material unüberwindliche heuristische Hindernisse entgegenstellen, weil die Rekonstruktion mündlicher Vorstufen kaum mit der nötigen Sicherheit vorgenommen werden kann. Es kann aber dennoch hilfreich sein, die Fragestellung im Blick zu behalten, weil sich dann vielleicht interessante Querverbindungen zu dem ergeben, was die moderne Erzählforschung erarbeitet. Das Prinzip der Beharrung. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Funktionieren von Überlieferung ist ihr Beharrungsvermögen. Nur wenn die Übereinstimmung von Vorlage und Wiedergabe mit hoher Sicherheit gewährleistet ist,54 entsteht Vertrauen in die Verläßlichkeit der Überlieferung. Ein lebendiges Beispiel aus dem Bereich der mündlichen Überlieferung sind die in Haley Roots beschriebenen griots, die über Jahre hinweg die Genealogien ihrer Stämme memorieren, um sie dann ihrerseits an ihre Schüler weiterzugeben. 55 Sie bilden damit ein lebendes Gedächtnis ihres Stammes. Daß die Weitergabe mit außergewöhnlicher Präzision erfolgt, zeigt sich da, wo Haley die Angaben durch schriftliche Quellen überprüfen konnte. Dieses Prinzip findet späterhin seine ideologische Ausformung in der Heiligkeit der Schrift und den ihrer Bewahrung gewidmeten Kontrollverfahren der Masoreten; es ist aber unabhängig von dieser Formulierung von Anfang an vorauszusetzen, uz. im Sinne einer sprachlichen bzw. kommunikativen Universalie, wie jeder sofort einsehen wird, der einem Kind ein schon bekanntes Märchen mit Abweichungen zu erzählen versucht. Ohne eine solche Universalie könnten institutionelle Texte, und um solche handelt es sich hier, ihre Aufgabe nicht erfüllen. Das Prinzip der Veränderung. Dieses Prinzip wird nun durch die Gegenkraft des Wandels nicht nur in den Einzelheiten der Texte, sondern auch grundsätzlich in Frage gestellt. Denn durch starke Änderungen wird ja das Prinzip der Überlieferung mit ihrem Anspruch des Alters, der Bewährung und der Autorität zu Fall gebracht. Als Konsequenz daraus ergibt sich, daß Redaktion überhaupt nur da möglich ist, wo dem Leser oder Hörer gleichzeitig die Kontinuität deutlich gemacht werden kann. Will man für diese Kontinuität ein Maß angeben, dann muß man nicht nur nach der Summe der bewahrten Einzelheiten abrechnen, sondern von einer Prioritätenliste von Prägekraft ausgehen: Entscheidend ist der Erinnerungs» 54 55

Donner Redaktor 26f. In der Informatik würde man von der Qualität des Kanals sprechen. Zur Bedeutung der griots für die afrikanische Kultur vgl. Klaßke Greis.

52

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

wert einer Einzelheit. Wir wollen versuchen, dies am Beispiel Nabonid zu konkretisieren. Kontinuität und Wandel bei Nabonid. Das Gebet des Nabonid (4Q OrNab) scheint auf eine Inschrift des Königs Nabonid im Sin-Tempel zu Harran zurückzugehen (Nabon H2).56 Zwar muß dieses Stück für redaktionstheoretische Untersuchungen im engeren Sinne ausfallen, da keine schriftlichen Zwischenstufen greifbar sind. Wenn aber die Annahme zutrifft, daß es sich bei 4Q OrNab um eine volkstümliche Umbildung von Nabon H2 handelt, 57 dann können daraus immerhin einige Grundtransformationen abgeleitet werden, die gleichermaßen als Überlieferungsprozesse und als Redaktionsprozesse verstanden werden können. Die Gegenüberstellung von Nabon H2 und 4Q OrNab58 ergibt Gemeinsamkeiten in folgenden Punkten: Positiver Ausgangspunkt (Macht Nabonids); Traum; Katastrophe; Exil des Königs; Wohnsitz Tema; Traum und Deutung; Lobpreis; Rückkehr. Es handelt sich hier um eine Art Minimalstruktur, deren einzelne Elemente gewissermaßen deutungsneutral sind: Sie können in ganz verschiedene Sinnzusammenhänge eingefügt werden. Solche Veränderungen des Sinnzusammenhanges sind: a) b) c) d) e) f) g)

D i e Katastrophe wird durch einen jüdischen Seher angekündigt; w a s bei N a b o n i d die Befolgung einer A n o r d n u n g Sins war, wird jetzt zur Vertreibung, also zur Strafe; der wohl historische Zeitraum von zehn Jahren wird durch die heilige Zeit v o n sieben Jahren ersetzt; 5 9 die Residenz wird auf einen bloßen Aufenthaltsort reduziert; N a b o n i d sucht um T r a u m d e u t u n g nach; S ü n d e n b e k e n n t n i s und A b s a g e an die anderen Götter bilden die Voraussetzung für die W e n d e ; sie sind insofern das G e g e n s t ü c k zur Strafe; Heilung von der Krankheit als Restitution in den alten Z u s t a n d .

Obwohl es sich bei diesem Beispiel nicht um Redaktion im strengen Sinne handelt, sondern eher um ein Neuformulierung und Übersetzung, und obwohl vieles an diesem Beispiel fragwürdig bleiben muß, weil es auf Rekonstruktion beruht, vermag es doch in einzigartiger Weise die Umgestaltung einer staatspolitischen Proklamation zu einer erbaulichen Lehrerzählung zu illustrieren. Für unseren Zusammenhang ist dabei vor allem wichtig, daß gerade angesichts des Lehrcharakters der späteren Erzählung die historische Fundierung von Bedeutung ist, also die Möglichkeit, daß die Geschichte als authentische Erzählung von Nabonid akzeptabel wird.60 56 Publiziert bei Gadd Inscriptions 35-92; weitere Literatur bei Meyer Gebet 55 A.3; Übersetzung auch Pritchard Texts 562f. 57 Meyer Gebet 64-81; zustimmend auch Koch Danielbuch Kap.5.5.7 (S.97f). 58 Meyer Gebet 65f. 59 Siehe -> Motive in Wonneberger Gliederung. 60 Es wäre interessant, im Rahmen einer praktisch-theologischen Untersuchung der Frage nachzugehen, welche Anforderungen an die exempla gestellt werden, die in Predigt und Unterricht heute verwendet werden. Betrachtet man beliebte Beispielfiguren wie Albert Schweitzer oder Martin Luther King, dann kann wohl die Hypothese gewagt werden, daß hier die geschichtliche Verbürgtheit beim Hörer eine

2.4 Anknüpfungspunkte für eine Theorie der Redaktion 2.4.2

Veränderungen im Bereich der

53

Textkritik

Aus heuristischen Gründen sind auch jene Veränderungen am Text von großer Bedeutung, die erst lange nach dem Abschluß der Redaktionsphase im Zuge der Textüberlieferung in ihn hineingekommen sind. Redaktion und Edition (Glossen). Im Grenzbereich zwischen Redaktion und Textkritik liegen die Glossen. Wie die in Driver Glosses untersuchten Beispiele zeigen, handelt es sich dabei eigentliche um Kommentierungen des Textes. Fohrer Glossen teilt die Glossen in folgende Gruppen ein: Wiederholende; erklärende; ergänzende; ändernde; redaktionelle; 61 unverständliche. Der entsprechende Vorgang verläuft in drei Stufen: 62 Ein Text wird am Rand mit einer Glosse versehen. Um den Bezug zum Text herzustellen, wird der Glosse der entsprechende Textausschnitt vorangestellt. 63 Später übernimmt ein Abschreiber aus Unkenntnis oder Ehrerbietung die Glosse in den Text. Nach diesem Modell erklärt Lang Method 42-44 die Interpolation der Ammoniter in Ez 21,33-37,'64 führt sie also nicht auf Redaktion, sondern auf Edition zurück. Weitere Beispiele behandelt Weingreen Bible 32-54. Lang bezeichnet dieses Modell als Editionskritik. 65 Er orientiert sich dabei an einem Konzept der klassischen Philologie, das dort als ,Brinkmannsche Regel' bekannt ist.66 Dort werden zur Veranschaulichung vor allem Beispiele aus Plato herangezogen; 67 es sind jedoch nur kurze Notizen, die den Sinn bzw. die Konstruktion mehr oder weniger stören. Hinsichtlich der Redaktion nehmen solche Textänderungen eine Zwitterstellung ein. Da sie den Text in seinem Sinn verändern, sind sie dem Ergebnis nach Redaktion, es fehlt aber die Intention zur Veränderung; ja im Gegenteil wird die Randglosse ja nur deswegen in den Text aufgenommen, weil sie vom Abschreiber als nachträglicher Korrekturzusatz und damit als genuiner Bestandteil des Textes aufgefaßt wird. Wir finden hier also einen ähnlichen Sachverhalt vor wie in der Textkritik. So scheint in der Liste über die ausländischen Frauen Salomos (nomen gentile femininum plural) die Notiz „und die Tochter Pharaos" (LR 11,1) eine in den Text gerutschte Glosse zu sein, die durch die Erwähnung der Tochter Pharaos in LR 3,1 und 1.R 9,16 ausgelöst ist und offenbar den hier gegebenen Katalog vervollständigen soll. Es scheint daher in diesem Fall angebracht, diese Art Textveränderung im Rahmen der Textkritik abzuhandeln. Eine Abhandlung auf der Ebene der Textkritik wird sich aber nicht ohne weiteres generalisieren lassen, weil prophetische Texte stärker als die anonymen Geschichtswerke die Eigenstänwichtigc Rolle spielt. Das freilich eröffnet dann wiederum eine Grauzone des zwar nicht Verbürgten, aber geschichtlich Plausiblen. 61 Der Ausdruck ist hier offenbar im engeren Sinne von „Überleitungen" u.ä. verstanden. " Lang Method 43f. 63 Vgl. das Verfahren moderner kritischer Editionen, die keine Referenzzeichen verwenden. 64 Siehe -* Unheilstransfer im Abschnitt „Übertragungen" auf Seite 148. 65 Vgl. die Literatur bei Lang Method 42 A.13. 66 Vgl. Brinkmann Schreibgebrauch 481-497. 67 Gronewald Piatonkonjekturen 11-13 behandelt Piaton Apologie 19,E; 32, A; Piaton Laches 188,£>; Piaton Kratylos 393,BC\ Piaton Phaidon 115,A\ Piaton Symposion 190,DE.

54

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

digkeit von Verfasser und Situation durchhalten können, wenngleich in einzelnen Fällen 68 auch hier eine starke Gestaltung fühlbar wird. Textgeschichte. Unter dem Dach der Textkritik werden herkömmlich sowohl unbeabsichtigte als auch absichtliche Textänderungen zusammengefaßt. Dies hat zur Folge, daß auch die absichtlichen Änderungen in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des .richtigen' Textes betrachtet und lediglich als Entstellung und Verfälschung empfunden werden. Besser gerecht würde man diesen Änderungen wohl, wenn man sie ebenfalls als eine Form von Redaktion versteht, als eine sehr stark eingeschränkte zwar, dennoch aber als eine, bei der eine grundsätzliche Verwandtschaft mit der vorkanonischen Textbearbeitung sichtbar zu machen ist. Dies läßt sich am Beispiel des Aleph apologeticum verdeutlichen. 69 Hier treten nämlich besondere Restriktionen auf; denn da es viel einfacher wäre, den Text grundlegend zu ändern, muß man annehmen, daß die Änderung stark erschwert war und es dafür einer besonderen Rechtfertigung bedurfte. Die beste Rechtfertigung ist dann die, die den Sachverhalt so umdefiniert, daß aus der verbotenen eine erwünschte Handlung wird, indem aus der Änderung die Korrektur eines früheren Fehlers gemacht wird. Um die Annahme eines Fehlers plausibel zu machen, darf sich das äußere Erscheinungsbild nur minimal ändern: Das Aleph bietet hier einen exzellenten Ausweg. Während sich die Benutzung des ,Aleph apologeticum' relativ leicht nachvollziehen läßt, gibt es Fälle, in denen sich nur sehr schwer ausmachen läßt, ob es sich um einen redaktionellen oder oder um einen textkritischen Eingriff handelt. Das folgende Beispiel aus dem Bereich der Personennamen macht das deutlich. In l.Ch 10,2 liest MT „Abinadab", während Syr. wie l.Ch 8,33; l.Ch 9,39 (entsprechend LS 14,49) Jischwi lesen, das über „Jischjo" als Kurzform für „Isch Jahwe" zu erklären sein dürfte. Dieses wiederum dürfte als Euphemismus für „Ischbaal" entstanden sein. Paradoxerweise ist nun aber der anstößige Name „Ischbaal" in l.Ch 8,33 stehengeblieben, obwohl er schon in 2.S 2,8 u.ö. in „Ischboschät" verketzert worden ist. Daß Chr hier offenbar weniger Bedenken hat als Dtr, zeigt das Parallclbeispiel „Meribaal" (l.Ch 8,34), während Dtr „Mefiboschät" bietet (2.S 4,4; 2.S 9,6).70 Allerdings könnte dieses Beispiel ausfallen, wenn Chr anders segmentiert hat: „mcrib-baal" (Bestreiter Baals) würde den Namen nämlich wieder akzeptabel machen. 71

In einigen Fällen können Unterschiede in der Schreibung, die auf den ersten Blick wie ein Phänomen der Textkritik wirken, bei genauerer Betrachtung Hinweise auf unterschiedliche Textschichten geben und damit einen /.S 3,21 im Abschnitt „Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)" auf Seite 255; -*I.S l,24f im Abschnitt „Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)" auf Seite 199; Calaslini Varianti 279-281. 73 Beispiele bei Calaslini Varianti. 74 Stoebe Samuel 31. " Dargestellt bei Ulrich Text 39-93. 76 Dazu Koch Formgeschichte 163-181. 77 Dazu Koch Verhältnis.

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2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

Weiterer Aufschluß, insbesondere auch über die Beständigkeit redaktioneller Verfahren, läßt sich gewinnen, wenn m a n die Qumrantexte einbezieht. So läßt z.B. die Tempelrolle (TR) 7 8 u.a. folgende Verfahren erkennen: a) Assoziative Anordnung von Gesetzen im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Abfolge im Deuteronomium (TR 51ff)\ b) Harmonisierung von Widersprüchen (TR 58,11-15 aus Nu 3/,27ff und LS 30,24j); TR 66,8-11 aus Ex 2 2 , / J / u n d Dt 22.28J); c) Ausschaltung der alttestamentlichen Autoren und Mittler durch Transposition in die 1. Person, dadurch unmittelbare Herleitung von Jahwe (TR passim).79 Reversibilität. Wer es u n t e r n e h m e n wollte, in einem modernen anonymen und langsam gewachsenen Text, z.B. der Beschreibung eines Computers, redaktionelle Analysen zu machen, der würde sehr bald aufgeben müssen, weil er k a u m formale Anhaltspunkte finden d ü r f t e . K ö n n t e er dennoch Brüche, D o p p e l u n g e n und Widersprüche entdecken, so wäre dies wohl als Versagen der herausgebenden F i r m a zu beurteilen. Es bedarf also einer Begründung, d a ß es offenbar eine Art von Redaktion gegeben hat, die nicht d a r u m b e m ü h t war, ihre eigenen Spuren zu verwischen. F ü r die praktische Arbeit m u ß zwischen reversibler und irreversibler Redaktion unterschieden werden. U n t e r reversibler Redaktion sollen solche Eingriffe verstanden werden, die sich noch am Einzeltext rekonstruieren lassen. Im Gegensatz dazu sollen irreversible Eingriffe im Einzeltext keine Spuren der Redaktion hinterlassen haben, so d a ß sie nur d a n n ü b e r h a u p t zu entdecken sind, wenn ein früheres Textstadium überliefert oder anderweitig erschließbar ist. Sachverhalts- und Geschichtskenntnis. Redaktionelle Intentionen lassen sich u m so leichter erkennen, je besser die den Texten zugrundeliegende Geschichte bekannt ist. 80 Im Spezialfall der Identifizierung eines vaticinium ex eventu ist die vom betroffenen Text unabhängige Geschichtskenntnis ein wichtiges Hilfsmittel. So schreibt Tsevat Studies 195 zu a n g e n o m m e n e n vaticinia in l.S 2,27-36, „that those passages agreed t o o exactly with known history to be real predictions", u n d die A n n a h m e realer A n k ü n d i g u n g e n begründet er: „ F o r these verses contradict too exactly the known subsequent history to be a vaticinium ex eventu". Motive und Intentionen. Die Frage nach den Motiven der Redaktion ist kaum behandelt worden. 8 1 Ansatzweise werden — und dies meist im Z u s a m m e n h a n g mit der Pentateuchkritik — folgende Punkte genannt: Pietät der 78

Yadin

Scroti.

79 MUgrom Scroti 109. 80 So wird hinter Texten über die Rückkehr aus dem Exil häufig eine Aktualisierung der ExodusT h e m a t i k sichtbar, während andererseits die Einseitigkeiten bei der Darstellung des Exodus selbst bedeutend schwerer erkennbar sind; vgl. Strohet Sturm. 81 Sie taucht z.B. bei Barth/Steck Exegese Par.6 gar nicht auf.

2.4 Anknüpfungspunkte für eine Theorie der Redaktion

57

Redaktoren; 8 2 eine altorientalische T e n d e n z zur S a m m l u n g der Literatur; 8 3 Bewahrung von Mehrstimmigkeit. 8 4 b)

Probleme

Rekonstruktion von Redaktion hat es nicht n u r mit der A b g r e n z u n g von Bea r b e i t u n g und Vorlage zu tun, sondern auch mit der zeitlichen E i n o r d n u n g der verschiedenen Schichten. Mehrdeutigkeit. Die zeitliche Abfolge verschiedener Schichten ist in m a n c h e n Fällen nicht o h n e weiteres klar. So ist z.B. das Debora-Lied (Jdc 5) in die D e b o r a - E r z ä h l u n g ( Jdc 4; 5,31b) eingegliedert, weil die R u h e f o r m e l erst danach a u f t a u c h t . Diese Beobachtung kann n u n gegenläufig interpretiert werden; entweder ist das Lied in die schon vorliegende Erzählung eingebettet, oder die Erzählung ist als verknüpfender und interpretierender R a h m e n f ü r d a s Lied geschaffen. Fehlen von Anhaltspunkten. So wie einige redaktionelle Prozesse Nebenwirkungen auslösen, werden andere so verlaufen, d a ß sie keinerlei Spuren hinterlassen. Betrachten wir als Beispiel die Beziehung zwischen der AmalekiterN o t i z im Saulsummarium ( l . S 14,47-51) u n d dem folgenden Schlachtbericht (l.S 15). In der Forschung finden sich beide Thesen: D a ß die N o t i z nach der Geschichte eingefügt sei, oder umgekehrt, d a ß die N o t i z A n h a l t s p u n k t f ü r die Geschichte gewesen sei. Will m a n ersteres a n n e h m e n , d a n n m u ß m a n einräum e n , d a ß die Einfügung eines Elementes in eine Liste, wie sie innerhalb des S u m m a r i u m s vorliegt, im Normalfall keine literarischen Spuren hinterläßt. M a n k a n n also allenfalls darüber spekulieren, ob ein Operieren Sauls so weit im Süden historisch plausibel ist. D a n n aber verliert m a n heuristisch den Boden unter den Füßen, weil d a n n alles und jedes zur Disposition steht. D e n n o c h m u ß der Fall eingeräumt werden, d a ß redaktionelle Ä n d e r u n g e n keine literarisch faßbaren Spuren hinterlassen haben. Dies läßt sich sehr schön an den Schwierigkeiten verdeutlichen, die bei dem Versuch entstehen, die Verschonungs-Passagen in l.S 15 redaktionell einzuordnen. c) Methodische

Anforderungen

Eine redaktionsgeschichtliche Analyse m u ß mindestens folgende A n f o r d e rungen erfüllen: Sie m u ß den Text vollständig beschreiben; sie m u ß die Herkunft der Redaktion beschreiben. Vollständigkeit. Häufig können einander widersprechende redaktionelle Hypothesen nur deshalb Zustandekommen, weil die betreffenden A u t o r e n sich darauf beschränken, eine oder mehrere redaktionelle Schichten herauszuarbeiten, so d a ß einige Bestandteile des Textes ungeklärt bleiben. Z.B. zerlegt Seebass Vorgeschichte die Erzählung von Sauls Verwerfung ( l . S 15) in zwei F ä d e n und eine Bearbeitung, es bleiben aber einige Verse dabei übrig. 82

Gunkel Genesis X C I X . 83 Fohrer Einleitung 207. 84 Weslermann Genesis I,797f; zur Kritik ebenda.

58

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

Ein anderes Beispiel ist, daß Gunkel Art.Samuel Sp. 105 und Mildenberger Überlieferung 13-16 zwar beide für l.S 15 einen alten Kern über die Bannung Amaleks annehmen, Gunkel jedoch das Versagen Sauls einbezieht, während Mildenberger es ausspart. Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß Textanalysen immer vollständig durchgeführt werden müssen, also ohne daß Textreste übrig bleiben. Es besteht sonst die Gefahr, daß Alternativlösungen und Gegenargumente übersehen werden. Zeitgenössische Einordnung. Eine Einordnung der Redaktion nach Zeit und Institution ergibt sich am besten dann, wenn sich die redaktionellen Partien zu zeitgenössischen Texten in Beziehung setzen lassen. Ein solches Vorgehen findet sich in Ansätzen bei Seybold Königtum ; bei Crüsemann Widerstand wird versucht, die Einordnung der königsfeindlichen Texte durch sozialgeschichtliche Betrachtungen abzusichern. Besonders schwierig ist eine solche Zuordnung natürlich bei solchen Texten, die ihrem Wesen nach zeitlos sind, also z.B. bei einem Großteil der Ps.is 2.4.4

Ansatzpunkte für die

Redaktionsanalyse

Wenn wir uns dem Phänomen zunächst von außen nähern wollen, dann können wir fragen, ob sich in der säkularen Literatur nicht vergleichbare Erscheinungen finden lassen. 86 a) Analogien und Rückschlüsse Zwar kein Beispiel für Redaktion in unserem Sinne, aber doch immerhin eine Analogie aus dem Profan-Bereich ist der Pferdeunfall eines jungen Helden, den Sophokles (ca. 495-406 v.Chr.) und Euripides (ca. 480-406 v.Chr.) dargestellt haben, offenbar unabhängig voneinander. An Euripides knüpft Seneca an, an Seneca Racine. Die Weiterentwicklung läßt sich am Abgang der Pferde verfolgen: Euripides läßt sie entschwinden; Seneca läßt sie wegrasen; Racine läßt sie bei ein paar alten Gräbern zum Stehen kommen. Das Element des Unheimlichen wird dabei immer eindringlicher herausgearbeitet. 87 Redaktion im engeren Sinne ist zwar wenig untersucht, es gibt jedoch den Versuch, die Veränderungen beim Tradieren der Literatur begrifflich zu erfassen. Dabei geht es meist um Erweiterungen und Ausarbeitungen. 88 Nach Steiner Babel 437-460 ergibt sich bei den „modes of adaption" folgende Gruppierung: Substitution or rewording; permutation or variation on a form; interanimation or thematic interpénétration. Schon näher an unseren Textbereich führt die Frage, ob bei der Stabilität religiöser Institutionen nicht die Nachgeschichte des Alten Testaments wichtige Hinweise für die frühere Zeit gibt (Rückschlüsse). 89 Besondere Bedeutung 85 Dazu Kühlewein Geschichte. Vgl. Brodie Travail 45f. 87 Steiner Babel 430-437; dort auch weitere Beispiele. 88 „Aggrandizement / elaboration" Steiner Babel 426-436. 89 Für die Bearbeitung der Prophetenbücher wird diese Frage bei Willi-Plein Vorformen 5-8 behandelt.

2.4 Anknüpfungspunkte für eine Theorie der Redaktion

59

haben in diesem Zusammenhang die Textformen des Midrasch 90 und des Pescher, 91 die zwar den Text im Wortlaut aufnehmen, aber zugleich neue Zusammenhänge und Deutungen herstellen. Überhaupt läßt sich ein Teil der intertestamentlichen Literatur als „rewritten Bible" begreifen. 92 Solche Ansätze tragen zwar für die Untersuchung der Redaktion unmittelbar wenig aus, weil ein Zu rück verfolgen in die Zeit unserer Texte mit zu großen Unsicherheiten behaftet ist. Sie können aber ein differenzierteres Bild von den verschiedenen Möglichkeiten der Textbearbeitung vermitteln. b) Statistische

Herkunftsprüfung

Statistische Verfahren sind in erster Linie Verfahren zur Herausarbeitung von Merkmalen und Charakteristika. Sie haben daher eine natürliche Affinität zur Stilbeschreibung. 93 Ein wesentlicher Vorzug besteht darin, daß sie Beobachtungen ermöglichen, die dem „bloßen Auge" entgehen würden, mehr noch, die der willentlichen Beeinflussung des Autors entzogen sind. So liegt es nahe, statistische Verfahren zu Bestimmung des Verfassers oder allgemeiner der Herkunft zu verwenden.' 4 Genaugenommen können sie nur zur Differenzierung verschiedener, nicht zur Absicherung gleicher Herkunft verwendet werden, da gleiche oder sehr ähnliche Ergebnisse immer auch bei verschiedener Herkunft möglich sind. 95 Statistische Methoden sind bisher meist mit großer Skepsis betrachtet worden, vielleicht, weil sie häufig als Alternative zu den übrigen Methoden propagiert worden sind, ohne daß entsprechende Resultate sichtbar geworden wären. Es gibt jedoch auch Untersuchungen, die sich als komplementär verstehen und die klassischen Methoden einbeziehen. 96 So versucht Bee Study, den Unterschied „mündlich vs. schriftlich" durch statistischen Zugriff zu erfassen und für die Scheidung verschiedener Überlieferungs- und Redaktionsebenen fruchtbar zu machen. Bei literarisch uneinheitlichen Texten ist die Anwendung statistischer Verfahren aber unmöglich oder zumindest problematisch. Denn zum einen wird die für Wahrscheinlichkeitsaussagen nötige Anzahl von Fällen meist nicht erreicht, zum anderen könnte mit dem Verfahren ohnehin nur eine anderweitig gewonnene literarische Analyse überprüft werden. 97

90 Von Wright Genre als eigene Gattung betrachtet, von Deaut Definition als Vielzahl literarischer Formen, vgl. Miller Art.Midrash. 91 Horgan Pesharim 244f unterscheidet zwischen mindestens vier Kategorien der Interpretation. 92 Vgl. Vermes Scripture; Harrington;Morgan Adaptations. 93 Siehe den Abschnitt „Probleme der Stilbeschreibung" auf Seite 83. 94 Vgl. als Beitrag zu Hag, Sach, Mal, insbesondere zu Mal 3 Radday;Pollatschek Richness. 95 Vgl. RaddaylPollatschek Richness. 9 6 Vgl. zum Grundsätzlichen Bee Use. 97 Genaueres in Wonneberger Stylistics.

60

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

c) Redaktioneller

Sprachgebrauch

Eng mit einem statistischen Ansatz verwandt ist die Feststellung eines spezifischen Sprachgebrauches. Zwar wird dabei meist auf das Zählen und Rechnen verzichtet, aber es liegt doch die A n n a h m e zugrunde, daß der festgestellte Sprachgebrauch signifikant vom sonst Üblichen abweicht. F ü r die Identifizierung von Dtr ist der Sprachgebrauch eines der wichtigsten Elemente. Dabei handelt es sich vor allem um bestimmte stereotype Wendungen und Vorzugswörter, die man in einem Katalog zusammenstellen kann. 9 8 Leider ist das Verfahren solcher Katalogisierung noch nicht sehr weit fortgeschritten. Wie wichtig derartige Hilfsmittel sind, kann ein Seitenblick auf die Masora magna zeigen. Denn gegenüber der Konkordanz haben die Listen der Masora magna den großen Vorteil, daß ihre Lemmata nicht nach einem formalen Prinzip ausgewählt sind, sondern nach dem Gesichtspunkt der Auffälligkeit." Überträgt man diese Analogie, dann gilt es, ein idiomatisches Wörterbuch zu entwickeln, das die auffälligen Wendungen und seltenen Ausdrücke aufführt und ihrer erschlossenen Herkunft zuordnet. 1 0 0 Denn insbesondere die Forschung zu Dtr hat ja gezeigt, d a ß sich solide Ergebnisse nur erzielen lassen, wenn die sprachlichen Eigenheiten präzise erfaßt werden können. Dieser Sprachgebrauch ist aber an eine bestimmte Schule und deren Theologie gebunden. Er ist deshalb nicht für Redaktion im allgemeinen charakteristisch. Eine Redaktionstheorie hat aber auch nach solchen Phänomenen Ausschau zu halten, die ganz allgemein für Redaktion kennzeichnend sind. Zwar ist zu vermuten, daß kein sprachliches Phänomen nur in redaktionellen Texten vorkommt, aber es wäre schon hilfreich, wenn wir einige Phänomene finden könnten, die in redaktionellen Texten bevorzugt auftreten. Redaktionelle Renominalisierung. Auch bei der Renominalisierung von Handlungsträgern sind gelegentlich Unterschiede festzustellen. Während die Vorlage den Eigennamen verwendet, benutzt die Redaktion Funktionsbezeichnungen. Wir geben einige Beispiele: J.S i.S LS J.S LS 1.S LS

1,3 1,6 1,8 l,18b 1,20b 1,23 1,23b

Und es war hinaufgestiegen besagter Mann von seiner Stadt; und es hatte sie gekränkt ihre Nebenfrau noch dazu; Und es sprach zu ihr Elkana ihr Mann; und es ging die Frau ihres Weges; ,und es zog der Mann an seinen' Ort; Und es sprach zu ihr Elkana ihr Mann; Und es blieb da die Frau.

Tempusgebrauch. Da in den meisten Fällen der eigentliche Erzählablauf nicht geändert werden soll, wird die Redaktion bevorzugt Hintergrund-Tempora verwenden, im Kontrast zum Narrativ also vor allem AK.m 98

Vgl. die Anhänge in Weinfeld Deuteronomy 320-365 und Dietrich Prophetie. Zur Bedeutung dieses Begriffs für die Herausbildung von Konventionen vgl. Lewis 100 Vorarbeiten dazu liefert die Gruppierung der Belege in Even-Shoshan Concordance; erfaßten Kontextbeziehungen reichen in vielen Fällen nicht aus. 99

io>

Vgl. Schneider

Grammatik

Par.48.

Konventionen. aber die dort

2.4 Anknüpfungspunkte für eine Theorie der Redaktion

61

Textreferenz. In einer primären Erzählung zeigen die indexikalischen ( = deiktischen) Ausdrücke in die Wirklichkeit, gehören daher zum Paradigma zceh. In redaktionellen Texten wird hingegen oft auf Bestandteile der Vorlage bezuggenommen, so daß häufiger indexikalische Ausdrücke vom Paradigma hü' verwendet werden. Die sprachlichen Grundlagen für diese Erkenntnis sind in der bisher viel zu wenig beachteten Arbeit Ehlich Deixis gelegt worden. Wir fassen die Grundzüge im folgenden Exkurs zusammen. d) Exkurs: Referenz (Deixis,

Textphorik)

Die Ausdrücke Referenz, Deixis oder Textphorik kennzeichnen das Verweisen innerhalb von Texten oder auch das Verweisen auf die Wirklichkeit. Die Referenz spielt in den verschiedensten linguistischen Theorien eine wichtige Rolle, so z.B. in der Sprechakttheorie 102 oder bei der Beschreibung der Artikelsetzung. 103 In unserem Zusammenhang ist sie vor allem als Grundlage für Beobachtungen zur Textgliederung wichtig.104 Unter dem Begriff ,Deixis' faßt man solche Ausdrücke zusammen, deren Bedeutung sich danach richtet, wer sie äußert und wo er sich in Raum und Zeit befindet. 105 Einen grundlegenden Beitrag zur Referenz im Hebräischen leistet Ehlich Deixis. Er unterscheidet zwischen drei Ebenen, in denen sprachliche Zeigehandlungen vollzogen werden können: 106 1. Das Wirklichkeitsfragment (P); 2. seine mentale Widerspiegelung (n); 3. der Gehalt der Proposition (p). Diese Unterscheidung läßt sich am Beispiel Nu 1,16 nachvollziehen. Dort wird nämlich nicht wie sonst oft auf die Namen der zuvor Genannten referiert, die ja als Elemente des Textes (p) anwesend sind, sondern auf die Personen selbst, insofern sie dem Hörer präsent sind (n).107 Bei der Deixis ins Leere 108 wird die Hierarchie der Kommunikationsebenen verletzt, indem der Erzähler dem Sprecher einen deiktischen Ausdruck in den Mund legt, der nicht auf die Sprechsituation, sondern den Erzähltext referiert, der also vom Sprecher in seiner damaligen Situation nicht hätte gebraucht werden können. So berichtet der Levit von seiner Anstellung durch Micha: „So und so hat Micha an mir gehandelt" (Jdc ¡8,4). In die Redewiedergabe wird also ein deiktischer Ausdruck aufgenommen, der nur für den Hörer der Erzählung auflösbar ist, es für den damaligen Partner aber nicht gewesen wäre. Referieren verschiedene sprachliche Ausdrücke auf denselben Sachverhalt oder Gegenstand, dann spricht man von Koreferenz; so referieren z.B. in Gn 102

Vgl. Searle Sprechakte. 103 Vgl. den Überblick bei Winkelmann Artikelwahl 34-60. 104 Siehe -»Identifizierung in Wonneberger Gliederung. 105 Einen Überblick über die verschiedenen Aspekte gibt Rauh Beschreibung 29-106. 106 Ehlich Deixis 383-388. 107 Ehlich Deixis 393-396. io» Ehlich Deixis 606-608.

62

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

22 der Name „Abraham" und die Anrede „mein Vater" auf die gleiche Person. Ein solcher Mehrfachverweis kann auch dadurch hergestellt werden, daß auf schon vorhandene Wirklichkeitsverweise zurückgegriffen wird. So kann durch Pronomina oder auch implizit über die Verbform eine frühere Referenz sozusagen reaktiviert werden; man spricht dann von Textverweis. Der Ausdruck Phorik stellt den Zusammenhang zu den schon aus der klassischen Grammatik bekannten Begriffen anaphorisch (Früheres aufnehmend) und kataphorisch (auf Späteres vorausweisend) her, die die Richtung der Verweisung angeben. 109 Die Annahme eines kataphorischen Textverweises kann für das Verständnis eines Textes ausschlaggebend sein, wie das Beispiel 2.Ko 5,2f zeigt.110 Eine Untersuchung der Textphorik in einem zusammenhängenden Text (Ob 1-21) gibt Wehrle Prophetie Kap.3. Im Hebräischen sind deiktisches und anaphorisches System klar voneinander abgegrenzt und im Bereich der Pronomina durch die Wortgruppen zceh und Verwandte (deiktisch) und W u n d Verwandte (anaphorisch) umrissen. 1 " Der Unterschied läßt sich dort am besten klarmachen, wo beides nebeneinander verwendet wird; so ergeht an Samuel folgender Auftrag, den jüngsten Sohn Isais zu salben: qüm mesähehü ki zxh hu (l.S 16,13). Dabei referiert zceh auf den inzwischen herbeigeholten David, während hü' auf das Kriterium „den ich dir nennen werde" (l.S 16,4) zurückverweist. Die Differenzierung zwischen deiktischem und anaphorischem System bringen wir in der Übersetzung zum Ausdruck, indem wir zceh mit,dieser' und hü' mit .besagter' wiedergeben. 112 Auch die Wendung wayehi hayyömu3 erscheint im Rahmen eines deiktischen Konzeptes in anderem Licht. Sie wird meist mit „eines Tages" übersetzt, eine Erklärung für das Zustandekommen dieser Bedeutung ist damit aber noch nicht gegeben. Wie andere Einleitungsformeln auch beginnt sie mit wayehi, das wir als „Leer-Ereignis" verstehen; während andere Prädikate aussagen, was sich ereignet, besagt es nur, daß sich etwas ereignet. 114 Eine entsprechende Aussage kann daher in Texten nicht allein stehen. Sie ist Platzhalter für kommende Aussagen und enthält damit ein deiktisches Element. Das zweite Element fungiert als Zeitangabe, zeigt aber nicht in die Wirklichkeit, sondern auf deren mentale Widerspiegelung (7t) dessen, was erst noch zu erzählen ist, ist also kataphorisch, so daß man besser nicht von Widerspiegelung', sondern von .Erwartung' spricht. Daraus erst erklärt sich die 109 Vgl. auch die bei Wehrle Prophetie 55 A.l angeführte linguistische Literatur. 110 Dazu Wonneberger Syntax 180-201; Wonneberger Beilrag 312-315. i n Ehlich Deixis 768-779. ' l 2 Siehe dazu Tafel 2 auf Seite 70; dort sind entsprechend unserem Konzept des distinktiven Übersetzens (siehe „Das Konzept des distinktiven Übersetzens" auf Seite 69) die wichtigsten Übersetzungsvorschläge zusammengestellt. H3 Die Stellen sind schnell aufgezählt: l.S 1,4; l.S 14,1; 2.R 4,8.11.18-, Hi 1,6.13; Hi 2,1; vgl. Hi 3,25; zusammengestellt bei DeVries Yeslerday 235. i ' 4 Anders natürlich in Verbindung mit Prädikatsnomen, z.B. Gn 1,5.

63

2.4 A n k n ü p f u n g s p u n k t e f ü r eine Theorie der R e d a k t i o n

1. 2.

3. 4. 5. 6.

Die Artikelwahl h ä n g t von den A n n a h m e n des Sprechers über die Bekanntheit des Referenzobjektes bzw. der Referenzmenge auf Seiten des Hörers ab. Die Artikelwahl wird durch die Zugehörigkeit des determinierten Nominallexems zu einer Referenzklasse (potentielle Referenz) in der Regel vorab eingeschränkt. Der Wechsel der Referenzklasse eines N o m e n s wirkt sich direkt auf die Artikelwahl aus. Die Artikelwahl hängt vom Bezeichnungsumfang des determinierten N o m e n s ab. N o m i n a l p h r a s e n , die eine Artikelform enthalten, sind, isoliert betrachtet, in der Regel referentiell mehrdeutig. Die Artikelwahl in referentiell und in prädikativ (nicht-referentiell) verwendeten N o m i n a l p h r a s e n ist auf ähnliche Weise beschreibbar.

Tafel 1. Hypothesen zur Artikelwahl: Diese Hypothesen sind von Winkelmann Artikelwahl 2 8 - 3 3 an französischem Material entwickelt worden; d a sie aber von allgemeinsprachlichen Hypothesen ausgehen, wäre zu p r ü f e n , wie weit sie auch f ü r d a s Hebräische Gültigkeit h a b e n . a u f f ä l l i g e D e t e r m i n i e r u n g d e s A u s d r u c k s hayyöm.ui

D a s zweite Element der

W e n d u n g ist a l s o e b e n f a l l s k a t a p h o r i s c h ; d a d u r c h k a n n es d a z u d i e n e n , e i n e n N e u b e g i n n zu m a r k i e r e n . " 6 Die Deixis wird d u r c h d e n f o l g e n d e n

Narrativ

eingelöst. Die gängige Übersetzung konventionen,

„eines T a g e s " e n t s p r i c h t z w a r u n s e r e n

aber nicht der semantischen

Konstellation

der

Erzähl-

hebräischen

W e n d u n g . L e i d e r l ä ß t sie sich i m D e u t s c h e n k a u m n a c h b i l d e n ; m a n

könnte

v i e l l e i c h t ü b e r s e t z e n : „ U n d es k a m d e r T a g , d a ß ...". O b der Artikel steht oder nicht, kann unter syntaktischen Kategorien n u r unzureichend

beschrieben werden. Neuere Arbeiten versuchen daher,

Gesichtspunkte der Referenz und der Kommunikationssituation h e n . 1 1 7 E s lassen sich d a n n

generelle H y p o t h e s e n

über die

auch

einzubezie-

Determination

e n t w i c k e l n , f ü r d i e w i r in T a f e l 1 a u f d i e s e r Seite e i n B e i s p i e l g e b e n . 1 1 8 A u c h N a m e n r e f e r i e r e n je n a c h i h r e m G e b r a u c h a u f u n t e r s c h i e d l i c h e Ber e i c h e d e r W i r k l i c h k e i t . S o w e r d e n i m a l t e n Israel A h n v a t e r u n d S t a m m d u r c h denselben N a m e n bezeichnet. Aber auch andere N a m e n stehen

gelegentlich

f ü r m e h r als d e n e i g e n t l i c h e n N a m e n s t r ä g e r ; m a n k a n n sie als . r e p r ä s e n t a t i v e N a m e n ' b e z e i c h n e n . Beispiele f ü r repräsentative N a m e n sind n e b e n Silo u n d S i d o n „ Z i o n , E p h r a i m , J o s e p h , J e s r e e l (Ho 2,24)

etc. r e p r e s e n t i n g k i n g d o m s ,

territories and peoples".119 HS GA:§126s. Vgl. Schneider Grammatik §52.5.7.4. 117 In der Linguistik haben sich zwei Erklärungsmodelle herausgebildet: Die .DeterminationsTheorien' (zur Forschung Winkelmann Artiketwahl 16-22) und die ,Aktualisicrungs-Theorien' (zur Forschung Winkelmann Artikelwahl 22-28). i '8 Im Hebräischen kommt hinzu, daß sich die Determination nicht nur aus der Artikelsetzung, sondern auch aus entsprechenden Eigenschaften von Namen und status-constructus-Verbindungen ergibt. 119 Lindblom Background 86.

64

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

e) Literarische

Beobachtungen

Für eine Ausdifferenzierung der literarkritischen Begrifflichkeit hat vor allem Richter Exegese durch eine Fülle von Beispielen eine Arbeitsgrundlage geschaffen. Einige Begriffe werden in unserer Darstellung noch hinzukommen müssen, andere werden sich präzisieren lassen. Umstritten ist freilich, ob die literarischen Beobachtungen wirklich vorab und ohne Seitenblick auf andere methodische Fragestellungen wahrgenommen werden können. Immerhin hilft das Bemühen um eine solche Trennung, die exegetische petitio principii zu vermeiden, also nur das zu ,sehen', was zu der eigenen Grundthese paßt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Versuch bei Schweizer Sturz 20lf, Kriterien für das Gewicht literarischer Beobachtungen anzugeben. Er fordert für die Annahme eines Bruches das Zusammentreffen von mindestens zwei literarischen Beobachtungen; die Prüfung, ob ein Anstoß als stilistischer Effekt zu erklären ist; für Zusätze den Nachwels, daß sowohl zu Beginn als auch am Ende mehrere Anhaltspunkte für einen Bruch vorliegen. Dabei geht Schweizer von der Annahme aus, daß ein späterer Autor nie „ungestraft" in einen vorliegenden Text eingreifen kann. Selbst wenn er sich um möglichst gute Einpassung seines Zusatzes bemüht, wird er in der Regel nicht nur eine, sondern mehrere Spuren der Unverträglichkeit hinterlassen. Jeder Text ist ein diffiziles Gebilde, und ein späterer Autor kann oft gar nicht sämtliche Bezüge erkennen und sich kongenial anpassen. Zum andern dürfte ihm nie nur daran liegen, den vorliegenden Text mit dem eigenen Vokabular lediglich zu amplifizieren. Statt dessen möchte er ja immer auch eigene Aussageakzente unterbringen. Er wird also kaum ohne eigenes, spezifisches Vokabular auskommen.

Diesen Kriterien kann man zumindest für einige Bereiche der Redaktion sicher zustimmen. Freilich muß in Ausnahmefällen auch damit gerechnet werden, daß eine Einfügung keine deutlichen Spuren hinterläßt. In solchen Fällen kann aber immer noch die Gestaltwahrnehmung weiterhelfen. Der Schachmeister „sieht" auf dem Brett nicht einzelne Figuren, sondern ganze Konstellationen, eben Gestalten. In der Wahrnehmung solcher Gestalten und in der Einübung in solche Wahrnehmung scheint mir ein wesentliches Element der Exegese zu liegen. Wäre dies anders, so müßte auch ein Anfänger anhand eines geeigneten Kriterienkataloges zu überzeugenden Ergebnissen kommen können. Damit solche Gestaltwahrnehmung aber nicht subjektiv bleibt, muß der Versuch unternommen werden, sie methodisch sorgfältig zu explizieren und vor allem typische, immer wiederkehrende Gestalten möglichst genau zu beschreiben. Betrachten wir einige Beispiele. Doppelungen. Das aus der älteren Literarkritik wohlvertraute Kriterium der Doppelung reicht dann nicht aus, wenn keine sorgfältige Begründung im einzelnen gegeben wird. 120 Aber auch eine Begründung im Einzelfall kann nur 120 Vgl. die Kritik bei Koch

Pachad.

2.4 Anknüpfungspunkte für eine Theorie der Redaktion

65

als ein Durchgangsstadium verstanden werden. D e n n es m u ß versucht werden, den Begriff dadurch zu präzisieren, d a ß die unterschiedlichen Typen der D o p p e l u n g herausgearbeitet werden. Versuchsweise k ö n n t e m a n folgende Typen unterscheiden: Doppelhandlungen David überschreitet mehrfach mit verschiedenen Begleitern den Jordan (2.S 19,16-41).™ Doppeleinführung Die Bezeichnung ,Eli der Priester' LS 1,9 würde im Kontext als Einführung Elis durchaus ausreichen, er wird jedoch zuvor schon eingeführt LS 1,3- Allein würde diese Beobachtung einer „Doppelung" noch nicht für literarische Konsequenzen ausreichen. Da aber zu Anfang die Söhne miteingeführt werden, obwohl sie für die gesamte Geburtsgeschichte keinerlei Bedeutung haben, darf auf eine «Ankererweiterung» geschlossen werden: Mit der ersten Einführung wird eine spätere Perikope vorbereitet, die ursprüngliche Einführung bleibt stehen. Doppeleinbettung Die Doppeleinbettung wurde in den Anfängen der Formgeschichte eher als stilistisches Phänomen angesehen. 122 Wie das Beispiel: „Und es sprach der König ...; und es sprach David zu Abisai und zu all seinen Knechten" (2.S 16,10.11) zeigt,123 ist die Doppelung aber Ergebnis der Redaktion. Reichweite. In der Abimelech-Erzählung wird der .Abfall der Sichemiten' (Jdc 9,23f) ursprünglich d a d u r c h motiviert, d a ß G o t t einen bösen Geist sendet (V.23). Diese Begründung bleibt auf den konkreten Abfall beschränkt, in dessen Kontext sie gegeben wird. Der R e d a k t o r hingegen k n ü p f t an die J o t a m - F a b e l an und begründet n u n seinerseits die Aussendung des bösen Geistes (V.24); dadurch wird ein T u n - E r g e h e n - Z u s a m m e n h a n g hergestellt, der weit über den gegenwärtigen Aufstand hinausblickt. 1 2 4 D e n n es k o m m t nicht n u r d a s Ende Sichems in den Blick ( J d c 9,45.49), sondern auch das des Abimelech, das erst in einer späteren Episode geschildert wird ( J d c 9,54). Wir bezeichnen dies als die Reichweite einer Aussage. Sie gibt ein wichtiges Indiz f ü r die Bestimmung redaktioneller Anteile. Rückgriff aus der Einbettung. Wenn in einem eingebetteten Text auf die ihn u m g e b e n d e Situation bezuggenommen wird, d a n n ist dies ein sicheres Indiz f ü r Redaktion, weil diese Bezugnahme ja erst nach der K o m b i n a t i o n entstanden sein kann. 1 2 5 Numeruswechsel. Im Dt wird bei der A n r e d e des Volkes zwischen Singular u n d Plural abgewechselt. Diese Beobachtung ist schon f r ü h zu einem Ansatzpunkt f ü r die Literarkritik geworden. 1 2 6 Ähnliches gilt auch f ü r den Person-Wechsel, der vor allem durch die Wir-Stücke der Apostelgeschichte literarkritische Berühmtheit erlangt hat. 1 2 7 121

Veijola David 357; siehe -»Natürliche Klammern im Abschnitt „Klammererweiterung" auf Seite

117. 122

Siehe -»Doppelrede in Wonneberger Gliederung. Zur Analyse Veijola Dynastie 33f. 124 Crüsemann Widerstand 35. 125 Siehe -»Einbettung, Terminologie in Wonneberger 126 Begg Significance. '2 7 Vgl. Kümmel Einleitung 114ff. 123

Gliederung.

66

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

Formulierungen. Bestimmte Formulierungen lassen mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Redaktion schließen. Ein Beispiel dafür ist das Auftreten der «Wortereignisformel» in Geschichtstexten. 128 Sprachvarianten. Unter Sprachvarianten sollen solche Varianten des sprachlichen Ausdrucks verstanden werden, mit denen keine Änderung des Sinnes verbunden ist. Läßt sich dafür ein diachroner Grund ausfindig machen, dann ist damit zugleich ein Datierungskriterium gefunden. Ein Beispiel könnte der Wechsel in der Namensform des Saul-Sohnes von yönätän (als Partner Sauls) zu yehonätän (als Partner Davids bzw. in der Überarbeitung) 129 sein. 130 Ein weiteres, wenn auch weniger leicht auszuwertendes Beispiel bildet die unterschiedliche Bezeichnung des Königtums als mamleküt (1.S 15,27f)m und mamläkäh (1.R 11,31).™ Entbehrlichkeit. Betrachten wir als Beispiel das Gespräch zwischen David und Abner (LS 26,13-16): „Es spiegelt allzusehr die Haltung eines Jerusalemer Königs und nicht die eines Heerführers in der Wüste". 133 Eine solche, schon recht komplexe Überlegung setzt freilich voraus, daß die Passage für den Gang der Vorlage entbehrlich ist. Auch die vorangegangene Szene, in der David in Sauls Lager eindringt und der Versuchung widersteht, Saul zu töten, ist gelegentlich als nachträglicher Eintrag gewertet worden. 134 Als Gegenargument wird angeführt, daß damit der entscheidende Gedanke verlorenginge. 135 Es wird also — terminologisch streng formuliert — die Entbehrlichkeit bestritten. 136 Tempusgebrauch. Daß auch der Tempusgebrauch manchmal als literarkritisches Indiz eingeschätzt wird, mag folgendes Zitat aus Würthweins Analyse zu 1.R 13,3a veranschaulichen: 137 „Spätere Zusätze verraten sich oft durch den Gebrauch des Perfektum mit waw-copulativum anstelle des Imperfektum consecutivum." Wegen der Unsicherheiten bei der Einschätzung des hebräischen Tempussystems ist hier allerdings größte Zurückhaltung am Platze. Anachronismen. Das Gleiche gilt für Anachronismen, z.B. das Auftreten von Kamelen in der Vätergeschichte. 138 Auch hier kann es sich um ein Element der Erzählung handeln. 128 129 beide 130

Vgl. dazu die ausführliche Behandlung in Wonneberger Gliederung. Daher auch l.S 14,6-8, da V.6-11 theologische Reflexion bringen; besonders auch f.S 19,i, wo Formen zusammentreffen. Norm Jo-,Warnen 95f. 131 Weitere Belege bei Dietrich Prophetie 87 A.74. 132 Dietrich Prophetie 86f; vgl. noch metükäh (LR 11,35)-, Dietrich Prophetie 87 A.75. 133 Koch Formgeschichte 173. 134 pür einen Anschluß l.S 26,5/12 plädiert Born Samuel z.St.; vgl. auch Nübel Aufstieg 55. 135 Stoebe Samuel 468. 136 Koch Formgeschichte 175 spricht denn auch nicht von .Zuwachs' oder .Eintrag', sondern von einer „Verschiebung". 137 Würthwein Erzählung 183. 138 Westermann Genesis 11,109.192.

67

2.5 Darstellung redaktioneller Sachverhalte 2.5

Darstellung redaktioneller Sachverhalte

Exegetische Ergebnisse lassen sich grob danach einteilen, ob sie kontingent sind, also mit der Einzigartigkeit des jeweiligen Textes zu tun haben, oder ob sie regelhafte Zusammenhänge darstellen wollen, z.B. die Zugehörigkeit zu einer Gattung. Da es bei solchen regelhaften Zusammenhängen immer auch um den Vergleich mit entsprechenden Fällen geht, stellt sich die Frage, wie die Ergebnisse möglichst klar und selbst-erklärend dargestellt werden können. Ein wesentlicher und bisher wohl nicht ausreichend gewürdigter Gesichtspunkt für Arbeiten der Literarkritik, Redaktionsgeschichte oder auch Redaktionstheorie ist der Aufwand, der benötigt wird, um ein plastisches Bild von literarischen Hypothesen zu gewinnen. Die „Zahlenfriedhöfe" der älteren Literarkritik mit ihren Halb- und Viertelversen machen das Nachvollziehen einer These so kompliziert, daß etwaige Schwächen nicht auf Anhieb zu erkennen sind. Zwar ist die Nachprüfung im einzelnen anhand des hebräischen Textes jederzeit möglich, aber, es können wohl kaum mehrere Versreihen gleichzeitig verfolgt werden. Eißfeldt gebührt das Verdienst, schon sehr frühzeitig seine Quellenhypothesen durch synoptische Darstellung einer unmittelbaren Überprüfung zugänglich gemacht zu haben. 139 In der gegenwärtigen Forschung bildet diese Darstellungsform die Ausnahme. 140 Die synoptische Darstellung erleichtert aber den Zugang zu den entsprechenden Texten erheblich; sie ermöglicht auch dem Anfänger eigene Überlegungen und ist daher insbesondere auch für die Zwecke der Lehre geeignet.141 Aber dieses Verfahren ist nicht nur sehr aufwendig, es ist ebenfalls auf die Darstellung nur einer literarischen Konzeption zugeschnitten. Abhilfe ist hier nur möglich, wenn ein Verfahren entwickelt wird, das die exegetischen Hypothesen durch eine besondere Darstellungsweise des Textes zum Ausdruck bringt. Dabei sollen sowohl die synchrone wie auch die diachrone Struktur des Textes sichtbar werden. Eine gewisse Vergleichbarkeit ermöglicht die Paraphrasierung der aufgefundenen Einheiten. 142 Hier werden aber durch das Paraphrasieren selbst neue Probleme geschaffen. Inzwischen haben viele Autoren diesen Mangel erkannt und versuchen, ihm durch die eine oder andere Form graphischer Textanordnung abzuhelfen. Diese Darstellungen werden meistens aber nicht erklärt; sie sind eher intuitiv am Einzeltext gewonnen. Ein solches Verfahren wird jedoch erst dann brauchbar, wenn die Textdarstellung nach festen Regeln erarbeitet werden kann und damit intersubjektiv wird. Textdarstellung muß also zunächst als erstzunehmende wissenschaftliche Aufgabe begriffen werden, nicht als bloße Gestaltung oder als exegetisches Abfallprodukt. Konkret heißt das, daß die darzustellenden Elemente im Rahmen einer linguistischen Theorie zu beschreiben und zu begründen sind. l« wo III

Eißfeldt Quellen. Vgl. aber z.B. Otto Mazzotfesl 84-86.212-218. Beispiele zu Gn ¡2\\20\\26 und l.S 23,l4-24,23\\26 Z.B. bei Seebass Schlüsse!.

bei Koch Formgeschichte

136-141.163-181.

68 2.5.1

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie Textnormierung

Es sollte also ein Verfahren gefunden werden, das beim authentischen Text bleibt; unmittelbare Vergleiche ermöglicht; so einfach zu handhaben ist, daß es in jeder Proseminararbeit verwendet werden kann. So weit ich sehe, ist das einzige explizit formulierte und begründete Konzept dieser Art das des „Normaltextes", das ich im Zusammenhang mit der Hamburger Arbeitsstelle für Prophetenforschung zunächst für die Herstellung von „Normalsynopsen" zum Danielbuch entwickelt, dann aber so verallgemeinert habe, daß es auch für weniger anspruchsvolle Vorhaben verwendet werden kann. Ein ausführliche Darstellung dieses Konzeptes bietet Wonneberger Normaltext so daß es in dieser Arbeit vorausgesetzt werden kann. Lediglich soviel sei gesagt, daß sich die Darstellung der synchronen Textstruktur an das Modell der Textgliederung von E. Gülich und W. Raible anlehnt. 144 Auch bei der Darstellung redaktioneller Schichtungen bleibt diese Textstruktur immer erhalten. Die redaktionelle Schichtung wird durch starke Einrückung dargestellt. Dadurch wird es möglich, einen Text sowohl in seinem synchronen Zusammenhang als auch getrennt nach Schichten zu lesen und sich dabei ein sehr unmittelbares Urteil über diese Ansetzungen und die zugehörigen Anschlüsse und Querbezüge zu bilden. In dieser Arbeit verwenden wir bei der Übersetzung der ausgelegten Texte meist das Konzept der Textnormierung. Diese Art der Übersetzung soll es vor allem ermöglichen, die redaktionellen Ergebnisse unmittelbar nachzuvollziehen. Danach wird der Text zunächst in Basisaussagen aufgeteilt, die wenigstens z.T. den Sätzen und den sonstigen relativ eigenständigen Satzteilen entsprechen. Diese Basisaussagen werden jeweils in einer eigenen Zeile angeordnet und entsprechend den Einbettungsverhältnissen eingerückt. Es entsteht so eine klar aufgebaute Arbeitsvorlage, die wir als Normaltext bezeichnen. Sie ist von der späteren Entscheidung literarischer Fragen völlig unabhängig. Einen solchen Normaltext in Übersetzung enthält z.B. der Abschnitt „Natan (2.S 12,1—15a)" auf Seite 105. Liegt ein Normaltext erst einmal vor, dann kann das Zeilenschema zum Aufbau von einer sogenannten Beiliste benutzt werden. Eine literarische Theorie wird dann dadurch aufgezeichnet, daß den verschiedenen Textsträngen entsprechende Spalten der Beiliste zugeordnet werden. Die Zugehörigkeit einer Basiszeile zu einem Strang läßt sich durch Ankreuzen in der entsprechenden Spalte festhalten. Auf entsprechende Weise lassen sich auch die unterschiedlichen literarischen Zuordnungen verschiedener Autoren in einer Liste synoptisch gegenüberstellen. Da die Basisaussagen schon verhältnismäßig kleine Einheiten sind, können die meisten Theorien damit präzise dargestellt werden. Greifen sie jedoch in die Basisaussagen selbst ein, so können die Bezugsworte des Textes sehr leicht durch Numerierung angegeben werden. Redaktionelle Ergebnisse lassen sich ebenso darstellen. 143 Zur Realisierung vgl. Wonneberger 144 Dazu Wonneberger Gliederung.

Typeselling.

2.5 Darstellung redaktioneller Sachverhalte

69

Wesentliche Bedeutung hat eine solche Darstellung aber nicht nur als exegetisches Arbeitsmittel, sondern auch für die Vermittlung der Ergebnisse an die anderen Disziplinen der Theologie. Denn daß in der dogmatischen und ethischen Argumentation ebenso wie in Katechese und Predigt die Entstehungsgeschichte der Texte häufig unterschlagen wird, dürfte nicht zuletzt daran liegen, daß es für den Nichtalttestamentler zu aufwendig ist, sich in die einschlägigen Hypothesen einzuarbeiten, und diese wohl auch in jedem Fall ziemlich abstrakte Gebilde bleiben würden. Bei diesem Verfahren ist aber das Ergebnis der Analyse sofort am Text ablesbar, ohne daß es dazu auch nur einer einzigen Zeile der Kommentierung bedürfte. Zugleich bleibt die Plastizität des Originaltextes erhalten. 2.5.2

Das Konzept des distinktiven

Übersetzens

Wissenschaftliche Übersetzungen haben nicht nur die Aufgabe, den Text in der Muttersprache des Forschers zugänglich zu machen, sondern sollen gleichzeitig auch dokumentieren, wie der Forscher den Text verstanden oder bestimmte Zweifelsfragen entschieden hat. 145 Eine wissenschaftliche Übersetzung, die dieser Aufgabe gerecht werden will, muß also die Eigenheiten des Originals so präzise wie möglich erfassen, ohne sie einzuebnen oder an einen anderen Sprachgeschmack der Zielsprache anzupassen. 146 Ein offensichtlicher Konflikt besteht also z.B. zwischen der stereotypen Abfolge von Narrativen in hebräischen Erzählungen und der Neigung in den modernen Sprachen, Nebensätze zu verwenden und den Satzbau zu variieren. Insbesondere gehört dazu, daß bestimmte für die Exegese wichtige Distinktionen der hebräischen Sprache in der Übersetzung erkennbar bleiben. Ein solches Konzept wollen wir als distinktives Übersetzen bezeichnen. Das Bestreben, bestimmte Eigenheiten des Hebräischen in der Übersetzung durchscheinen zu lassen, findet sich vor allem auch in der Bibelübersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig, 147 die allerdings auch eine hohe ästhetische Qualität im Deutschen anstrebt. Auch in der klassischen Philologie gibt es entsprechende Ansätze. So unterscheidet z.B. W. Schadewaldt zwischen dokumentarischem und transponierendem Übersetzen. 148 Bei unserem Konzept sind Abstriche an der Qualität des deutschen Textes zugunsten des Originals hinzunehmen; sie sind um so eher zu verschmerzen, als ja eine sprachliche Glättung jederzeit nachgeholt werden kann. Es sollen dafür z.B. folgende Prinzipien gelten: Gleiches soll gleich, Ungleiches ungleich 145 Vor allem im Blick auf die Lehrerstudenten mit geringen Hebräischkenntnissen fordert Schult Hebräisch 21 A.6 wörtliche Interlinear-Übersetzungen; vgl. auch Diebner Interesse 19. Von dieser Aufgabenstellung kann aber auch das wissenschaftliche Übersetzen profitieren. 146 Daß das Hebräische uns nicht nur eine andere Text-, sondern auch eine völlig andere Sprachwelt erschließt, sollte dabei nicht vergessen werden; vgl. Wonneberger Partikelunlerrichl. 147 Erläuterungen in Buber;Rosenzweig Schrift-, vgl. auch Müller Verdeutschung. 148 Nachweise bei Cancik Geschichtsschreibung 28 A.87 (S.79), aufgenommen bei Wonneberger Normaltext 219 A.10.

70

2. Von der Redaktionsgeschichte zur Redaktionstheorie

1. Deixis (Pronomina) z Bsp.: die Tempora, die Deixis. 152 Dazu ein paar Beispiele: Die Unterscheidung von hü' gegenüber zah wird durch die Übersetzung „besagter" gegenüber „dieser" Rechnung getragen (zur Deixis vgl. „Exkurs: Referenz (Deixis, Textphorik)" auf Seite 61). Der Zusammenhang von le'mör zu 'mr wird durch die Übersetzung „sogesagt" beibehalten; damit wird zugleich die Unterscheidung von Fällen ohne diese Partikel und von Fällen mit koh „so" ermöglicht. 150

3. Die Textkohärenz

71

1. Nehmen wir an, wir stoßen bei der Auslegung auf die Wendung bayyöm hahü' „an besagtem Tage" und kommen zu dem exegetischen Befund, daß es sich dabei um ein Indiz für einen redaktionellen Text handelt. 2. Die Frage, ob es sich dabei um ein generelles Phänomen handelt, klären wir im Rahmen der speziellen Redaktionstheorie, indem wir nach ähnlichen Fällen fragen und nach einer Begründung dafür suchen, warum diese Formulierung redaktioneller Art ist. 3. Die Besonderheit der Formel kann aber nur im Rahmen einer synchronen Theorie gewürdigt werden, die unter anderem in der Lage ist, den Unterschied zwischen bayyöm hahü' „an besagtem Tage" und bayyöm hazzah „an diesem Tage" zu beschreiben und zu begründen. Dieser Aspekt ist also im synchronen Hauptteil zu behandeln. Tafel 3. Ein Beispiel für die Aspekte in dieser Arbeit: Am Beispiel der Formel bayyöm hazzah „an besagtem Tage" wird deutlich, wie die verschiedenen Blickwinkel zusammenwirken. Exegese ständig durch Exkurse zur M e t h o d e zu unterbrechen. Es würde weder die exegetische L i n i e n f ü h r u n g noch das methodische Konzept deutlich werden. Es erscheint d a h e r allein sachgemäß, die unterschiedlichen Aspekte unseres T h e m a s auch in verschiedenen Hauptteilen dieser Arbeit jeden f ü r sich zu seinem Recht k o m m e n zu lassen. Erkauft wird dies freilich dadurch, d a ß die Z u s a m m e n h ä n g e gelegentlich durch Vor- oder Rückgriffe oder Querverweise hergestellt werden müssen. Wie diese Querverbindung zwischen den verschiedenen Aspekten in der Praxis aussieht, wollen wir an d e m Beispiel in Tafel 3 auf dieser Seite verdeutlichen.

Kapitel 3

Die Textkohärenz Bevor wir eine Redaktionstheorie aufstellen können, müssen wir das redaktionelle Verhalten erst aus den Texten ermitteln. Dabei zeigt sich Redaktion zunächst als Störung vorgegebener Textzusammenhänge und -eigenschaften. Störungen lassen sich aber nur d a n n erkennen, wenn zuvor eine klare Vorstellung davon erarbeitet worden ist, was als Normalfall anzusehen ist. D a h e r n e h m e n wir unter dem Stichwort .Textkohärenz' zunächst in den Blick, was einen Text „im Innersten zusammenhält". D a s Problem der Textkohärenz entsteht ebenso am Einzeltext wie an größeren Textgebilden. Beim Einzeltext sind es vor allem die Störungen im literarkritischen Sinne, die zu der Frage A n l a ß geben, was denn die innere Geschlossenheit eines Textes ausmacht. Bei größeren Gebilden, deren heterogene H e r k u n f t klar ist, stellt sich die Frage, wie der Redaktor die Konsistenz sichert und wie er Z u s a m m e n h ä n g e schafft.

72

3. Die Textkohärenz

3.1

Zur Beschreibung der Textkohärenz

Die Textkohärenz gehört zu den Bereichen der Beschreibung von Texten, die meist eher vorausgesetzt als n ä h e r untersucht werden. So einfach sich fragen läßt, was einen Text zusammenhält, so schwer ist eine A n t w o r t zu geben, wenn m a n sich nicht darauf beschränken will, formgeschichtliche Textmuster a n z u f ü h r e n . Zwar kann das Erkennen der G a t t u n g einen wesentlichen Beitrag zur Textkohärenz leisten — weiß d o c h der Leser, jedenfalls ungefähr, was ihn erwartet; aber die Gesetzmäßigkeiten der Formgeschichte sind konventionell und können daher n u r f ü r jede G a t t u n g individuell bestimmt werden. Demgegenüber soll hier vor allem nach solchen Anhaltspunkten der Textkohärenz gefragt werden, die weitgehend von der G a t t u n g unabhängig sind. F ü r die Analyse der Redaktion ist die Textkohärenz eine wichtige Voraussetzung; denn erst wenn ihre Gesetzmäßigkeiten erkannt sind, läßt sich auch ausmachen, wo sie unterbrochen und gestört sind, z.B. durch redaktionelle Einschübe. Auch der umgekehrte Fall ist zu erwarten: d a ß bestimmte Textelemente vom Redaktor geschaffen werden, nur um die durch seine Eingriffe gestörte Textkohärenz wieder herzustellen.' 5 1 Schließlich gibt es wohl auch so etwas wie eine K o h ä r e n z redaktioneller Einschübe, die sich zwar vielleicht nicht zu einem fortlaufenden Text kombinieren lassen, aber doch ihre Verwandtschaft durch besondere Eigenheiten zu erkennen geben. Als genereller Ansatzpunkt f ü r die Beschreibung der Textkohärenz bietet sich das Konzept der Darstellungszwänge an; wir zitieren Kallmeyer ¡Schütze Konstitution 1.

2.

3.

188:

Detaillierungszwang. Der Erzähler ist getrieben, sich an die tatsächliche Abfolge der von ihm erlebten Ereignisse zu halten und — orientiert an der Art der von ihm erlebten Verknüpfungen zwischen den Ereignissen — von der Schilderung des Ereignisses A zur Schilderung des Ereignisses B überzugehen. Gestaltschließungszwang. Der Erzähler ist getrieben, die in der Erzählung darstcllungsmäßig begonnenen kognitiven Strukturen abzuschließen. Die Abschlicßung beinhaltet den darstellungsmäßigen A u f b a u und Abschluß von eingelagerten kognitiven Strukturen, ohne die die übergeordneten kognitiven Strukturen nicht abgeschlossen werden konnten. Relevanzfestlegungsund Kondensierungszwang. Der Erzähler ist getrieben, nur das zu erzählen, was an Ereignissen als Ereignisknoten innerhalb der zu erzählenden Geschichte relevant ist. Das setzt den Zwang voraus, Einzelercignissc und Situationen unter Gesichtspunkten der Gesamtaussage der zu erzählenden Geschichte fortlaufend zu gewichten und zu bewerten.

A u c h die Frage nach der Relation von Texten ist hilfreich; folgende Relationen sind grundlegend: Zeitliche Relation; kausale Relation; Präsuppositionsgefüge keine Relation (z.B. zwischen Samuel und der Lade). Wir werden im folgenden darauf z u r ü c k k o m m e n . Bei der Textkohärenz m u ß es aber d a r u m gehen, welchen Beitrag abstraktere sprachliche P h ä n o m e n e zur Einheit des Textes leisten, z.B. die ste153 Dies gilt allgemein für Überleitungen, speziell für den «IVartepunkt», t e p u n k t " auf Seite 77.

siehe den Abschnitt „War-

73

3.2 Begrenzung der Einheit

reotype Wiederkehr einer bestimmten Wurzel („Leitwort") oder der Textverweis mit hu.

3.2

Begrenzung der Einheit

Für die Kohärenz eines Textes sind Anfang und Ende von besonderer Bedeutung, der Anfang, weil hier möglicherweise bestimmte Erwartungen über den Text etabliert werden, das Ende, weil hier die Gestalt 154 abgeschlossen wird. 3.2.1

Textanfänge

Es ist längst gesehen worden, daß bestimmte Textsorten auf bestimmte Weise anfangen. Als Anfänge erzählender Texte lassen sich z.B. aufführen: Einführung der handelnden Personen oder ihrer Vorfahren, Motto, Titel, Hymnus, Natur- und Szenerieschilderung, Datierung und Dedikationsepistel. 155 Bei der Einführung der handelnden Personen ist zwischen zwei Typen von Texten zu unterscheiden:" 6 Solche, die den Helden ohne Umschweife nennen; solche, die von seiner Herkunft aus auf ihn hinführen. Im Sinne des letzteren Typs könnte man — freilich nicht auf der Ebene des Einzeltextes, sondern der des Gesamtwerkes — mit Caspari Stil 223 auch den Anfang von Chr verstehen. David als erster Held der Darstellung wird, abgesehen von der Erzählung vom Tod des Vorgängers l.Ch 10, durch eine umfassende Genealogie eingeführt, die sogenannte „genealogische Vorhalle" (l.Ch 1-9). Leider haftet solchen Überlegungen etwas Beliebiges und Zufälliges an; denn was als Textanfang anzusehen ist, geht keineswegs immer aus dem betreffenden Abschnitt allein hervor; die übrigen Bestimmungsmerkmale werden aber meist nicht explizit und systematisch erfaßt. Umgekehrt unterbleibt auch die Gegenprobe: Finden sich entsprechende Texte auch an Nicht-Anfängen? Das Dilemma läßt sich sehr schön an den Einführungen Samuels (l.S / ) und Sauls ( l . S 9) verdeutlichen: Da die Texte einander hinsichtlich des Verfahrens der Einführung gleichwertig sind, müßte in beiden Fällen ein „Buchanfang" vorliegen. Dem widerspricht aber, daß das „Saulbuch" seinen Platz innerhalb des „Samuelbuches" hat und sich auch nicht ohne weiteres herauslösen läßt. Koch Formgeschichte 168 weist am Beispiel l.S 24\\26 darauf hin, daß Textteile häufig mit einer Kombination aus Verbum der Bewegung und Rede beginnen und nennt als Beispiele l.S 23,19; l.S 24,9; Gn 20,1.8. Mit dieser Charakterisierung wird ein erster Schritt zu einer zusammenfassenden Darstellung verschiedener Belege vollzogen. Es wäre nun wünschenswert, diese Beobachtungen so zu verallgemeinern, daß sich ein vollständiger theoretischer Rahmen ergibt; es werden dann nicht mehr nur Aussagen über einzelne Phä154 Das der Gestaltbcgriff von genereller Bedeutung ist, zeigt nicht nur Weizsäcker dern auch die A n k n ü p f u n g der Gestalttherapie an diesen Begriff. 155 Caspari Sül 223f. 156 Caspari Stil 222.

Gestallkreis,

son-

74

3. Die Textkohärenz

n o m e n e gemacht, sondern es kann gesagt werden, welche Möglichkeiten f ü r ein bestimmtes K o r p u s ü b e r h a u p t in Betracht k o m m e n . F ü r d a s genannte Beispiel läßt sich darauf hinweisen, d a ß das V e r b u m der Bewegung als Indiz f ü r einen Szenenwechsel im lokalen Sinne g e n o m m e n werden kann; es ist d a n n nach Signalen f ü r Szenenwechsel insgesamt zu fragen. Die Bedeutung der Rede läßt sich freilich nicht ähnlich einfach abklären, es sei d e n n , m a n wollte sich auf die A u s k u n f t beschränken, d a ß eine Rede, wo sie nicht in den Wind gesprochen ist, eine Konstellation von Handlungsträgern etabliert. M a n m u ß also zumindest noch wissen, welche H a n d l u n g d u r c h die Rede vollzogen wird, o b sie informiert, auffordert, widerspricht o.ä.. Schließlich können auch sachlich r e d u n d a n t e Elemente dazu verwendet werden, Teiltexte abzutrennen. Denn da ihre A u f g a b e nicht in der I n f o r m a tion liegt, wird der Hörer nach einer anderen F u n k t i o n suchen. Im Hebräischen werden Teiltexte häufig durch wayeht eingeleitet. 157 Indirekt kann sich ein Textanfang aber auch n u r d a d u r c h ergeben, d a ß der vorangehende Text einen Abschluß aufweist. 3.2.2

Schlußsignale

W ä h r e n d die A n f ä n g e meist schon rein intuitiv leicht erkennbar sind, unterliegen die Abschlüsse einer doppelten Unsicherheit. Z u m einen sind sie o f t weniger ausgeprägt als die Anfänge, zum anderen steht zu vermuten, d a ß sie leichter z u m Ansatzpunkt redaktioneller Eingriffe werden. 1 5 8 Die Schlußwendungen zeigen nicht nur das Ende der Einheit an, sondern sollen diese auch innerlich ausklingen lassen. Bei Erzählungen gehört dazu, d a ß die S p a n n u n g aufgehoben wird. 159 Im folgenden betrachten wir ein Reihe von P h ä n o m e n e n , aus denen sich u n m i t t e l b a r oder mittelbar das Ende einer Einheit ableiten läßt. Gattungswechsel. Ein deutlicher Einschnitt wird durch einen Wechsel in der G a t t u n g gesetzt. So finden sich bei Arnos drei abschließende Doxologien. 1 6 0 Der abschließende Charakter ergibt sich in diesem Fall aber nicht nur aus d e m Gattungswechsel, sondern auch daraus, d a ß der Lobpreis Gottes gegenüber den geschichtsbezogenen Prophezeiungen zeitlos ist; es tritt also gleichzeitig ein Wechsel der Perspektive von ,kontingent' zu ,allgemein' ein. Dies läßt sich auch formgeschichtlich zeigen. D e n n von den normalerweise im H y m n u s vorhandenen Elementen 1 6 1 Aufgesang / hymnische Einführung; Thematische Überleitung („denn"); Hauptstück mit Lobpreis der Geschichtstaten; Schluß fehlt charakteristischer Weise der ebenfalls kontingente Lobpreis der Geschichtstaten. 157 l.s 23,26; LS 24,2.6.17. >58 Caspari Stil 219. 159 Beispiele bei Schulz Erzählkunst 33-35. 160 Am 4,!3\ Am S,8f\ Am 9,5Jf\ vgl. auch den hymnischen Beginn Am !,2\ dazu Koch Arnos 11,111. Ob sie sich allerdings zu einem Psalm zusammenfugen lassen, wie es in dem Rekonstruktionsversuch bei Wolff Arnos 254-256 erwogen wird, muß fraglich bleiben. 161 Koch Formgeschichte 198-200.

3.2 Begrenzung der Einheit

75

Vieles spricht dafür, daß die Plazierung der Stücke das Werk eines Redaktors ist: Der Redaktor, der diese Homilie und Anleitung zur Gerichtsdoxologie den Amosüberlieferungen eingefügt hat, sah in Josias Aktion gegen Betel eine Besiegelung der Worte des Propheten gegen die Nordheiligtümer.162 Im Textaufbau des Amosbuches fungieren die Hymnenstücke zugleich als ,Kompositionstrenner'; sie grenzen drei Komplexe mit unterschiedlichen Adressaten voneinander ab: 163 An die Völker (Am 1J); an die Söhne Israels (Am 3J); an das Haus Israels (Am 5,1-9,6). Noch deutlicher wird der Einschnitt, wenn sogleich ein Anfangssignal folgt, z.B. der Höraufruf in Am 5,1 (vgl. auch Am 3,1; Am 4,1). Themawiederholung. Eine Themawiederholung findet sich z.B. in der Völkertafel Gn 10,la.2-7.20.22f.31f P:164 2

Die Söhne Japhets: Gomer, Magog, Madaj, Jawan, ... Und die Söhne Gomers: Aschkenas, ... Und die Söhne Jawans: Elischa ... Von diesen zweigten sich die Inseln der Völker ab. Das sind die Söhne Japhets ,in ihren Ländern' jeder gemäß seiner Sprache, gemäß ihren Geschlechtern nach ihren Völkern.

3 4 5 B c D

Analoge Wiederholungen werden auch bei Ham (Gn 10,6.20), Sem (Gn 10,22.31) und schließlich, mit etwas anderem Wortlaut, für die Noahsöhne insgesamt (Gn 10,1.32) gegeben. Da Genealogien eine rekursive Struktur haben, müßten sie eigentlich zweidimensional abgebildet werden, wie dies in den graphischen Stammbäumen ja auch geschieht. Bei der hier vorgenommenen Linearisierung bildet die Themawiederholung eine wichtige Hilfe. Denn sie führt den Leser stets wieder auf die richtige Ebene der Verzweigung zurück. Dies ist im vorliegenden Fall um so wichtiger, als ja zusätzlich noch Teile der jahwistischen Völkertafel eingefügt sind. 165 Ein besonderes Problem bildet in diesem Zusammenhang der Abschluß des priesterschriftlichen Schöpfungsberichtes: „Dies ist die Entstehung des Himmels und der Erde, als sie geschaffen wurden" (Gn 2,4). Die Formulierung lehnt sich ganz offensichtlich an die Toledot-Überschriften an, auf die wir im Abschnitt „Gleichklang" auf Seite 79 noch zurückkommen. Man kann sicher annehmen, daß die Formel nachträglich auf den Schöpfungstext übertragen wurde. Ein Problem bleibt dann immer noch die Nachstellung. Rad Genesis 51 erklärt sie so: „Da der Anfang des Kapitels aber schon derart kanonisch geprägt war, mußte der Interpolator sich begnügen, den Satz als Unterschrift beizugeben". Das braucht nicht falsch zu sein, ist aber auch keine zufriedenstellende Erklärung. 162 i« 164 165

Wolff Arnos 258. Koch Arnos 11,112. Rad Genesis 115-121. Vgl. Rad Genesis 121f.

76

3. Die Textkohärenz

Betrachten wir den Satz unter dem Aspekt der Textkohärenz, so wird deutlich, daß hier ebenfalls eine Themawiederholung vorliegt. Zwar bildet Gn 1,1 keine Überschrift im formalen Sinne, hat aber durchaus eine ähnliche Funktion, 166 und das Stichwort „schaffen" wird auch hier wieder aufgenommen. Welchen Zweck aber hat diese sonst nicht häufig anzutreffende Themawiederholung? Zum einen soll sicherlich eine Verbindung zum Prinzip der Toledot hergestellt werden.' 67 Zum anderen aber wird durch die Themenwiederholung die schon erzählte Erschaffung des Menschen dem Hauptthema „Genealogie des Himmels und der Erde" untergeordnet. Dadurch wird nun aber der Konflikt zum jahwistischen Schöpfungsbericht gemildert, der ja nach einigen Nachholungen mit der Erschaffung des Menschen einsetzt (Gn 2,7). Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann dient hier die Formulierung zugleich als Abschluß und Abgrenzung, und wir dürfen darin vielleicht eine Methode sehen, mit der der priesterschriftliche Redaktor den Konflikt zur jahwistischen Vorlage gemildert hat. Wechsel des Erzählmodus. Zeitlich nebeneinander ablaufende Ereignisse müssen nacheinander erzählt werden. Dabei können aber inhärente Schemata benutzt werden, z.B. das von Ursache und Wirkung: „Und es hörte Saul und ganz Israel diese Worte des Philisters" (LS 17,11). Auf die Beschimpfungen Goliaths (Handlung) folgt die Angst Sauls und der Israeliten (Empfindung). Die Erzählung reiht also nicht nur Handlungen aneinander, sondern geht von einer Handlung zu ihrer Wirkung über. Generalisierung (Wechsel der Auflösung). Einen groben Maßstab bietet der Zeitraum, den ein Textabschnitt abdeckt. In Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften" sind etwa 1000 Seiten einem einzigen Tag gewidmet. Wo sich diese Relation umkehrt, wo also viele Jahre in einem einzigen Satz abgehandelt werden, ist mit einem Schlußabschnitt zu rechnen: „Und David wurde immer mächtiger und Jahwe Zebaoth war mit ihm" (2.S 5,10). Dieser Vers käme also als Schluß der Aufstiegsgeschichte in Betracht. In der Forschung wird aber meist die Hiram-Episode noch einbezogen, so daß die analoge Formulierung 2.S 5,12 als Schluß gilt.168 Ähnliches gilt für die Thronnachfolgegeschichte: 169 „Und Salomo setzte sich auf den Thron seines Vaters David und seine Herrschaft befestigte sich mehr und mehr" (LR 2,12). Hier wird der Einschnitt noch dadurch bestätigt, daß die Wendung wieder aufgegriffen wird: „Und das Königtum war befestigt in der Hand Salomos" (LR 2,46). Sprachlich zu bemerken ist die besondere Ausdrucksweise, die man als Kontinuitätsform bezeichnen könnte. Auch negative Formulierungen finden sich: „Und Samuel fuhr nicht fort, Saul zu sehen" (LS 15,35). 166 Soden Mottoverse 209 sieht darin ein Motto, ähnlich wie zu Beginn des altbabylonischen Atramchasis- und des Enuma-Elisch-Epos. 161 Rad Genesis 49f spricht von Systemzwang. 168 Vgl. die Übersicht bei Crüsemann Widerstand 129. > 6 ' Vgl. die Übersicht bei Crüsemann Widerstand 182.

3.2 Begrenzung der Einheit

77

Wartepunkt. Unter «Wartepunkt» verstehen wir ein Merkmal, das einen Komplex nur vorläufig abschließt; der Wartepunkt hat also eine doppelte Aufgabe: Er beendet einen Abschnitt; zugleich weist er darauf hin, daß dieser Zusammenhang später wieder fortgesetzt werden wird. Ein schönes Beispiel ist die Unterbrechung der Installation eines Königs in l.S 8,22: 22 B b D

Und es sprach Jahwe zu Samuel: Höre auf ihre Stimme und könige ihnen einen König und es sprach Samuel zu den Männern Israels: Geht jeder in seine Stadt.

Es könnte sein, daß auch der Ladekomplex mit einem Wartepunkt endet. Dies wäre der Fall, wenn l.S 7,2a: 2

B c

Und es geschah von dem Tage des Sich-Niederlassens der Lade in Kirjat-Jearim an, und es wurden zahlreich die Tage und es wurden/waren zwanzig Jahre.

als Schlußwendung zu beurteilen wäre. 170 Parallelreferenz. Das Ende der Richter- und Königsberichte kann durch einen Generalsatz gekennzeichnet werden, z.B. „und es regierte Alexander zwölf Jahre und er starb" ( l . M a k k 1,7). Die Wendung bezieht sich auf denselben Sachbereich wie die vorher berichteten Einzelheiten. Wortstellung. In poetischen Texten wird das Ende einer parallel aufgebauten Gedankenreihe gelegentlich durch Inversion angezeigt: Jes 13,20-22; Jer 48,11; Jer 10,12; Ez 24,10; Ez 21,12; Ps 115,5-7; Ps 22,24; Ps 23,2f; Qoh 12,6f; in Prosatexten: Nu 3,passim und einigen rabbinischen Texten; Gn 23,6.11.15.™ Abgang. Beim Abgang von Handlungsträgern ist zwischen Aufbruch Heimkehr zu unterscheiden.

und

A u f b r u c h . Der Aufbruch läßt eine Fortsetzung erwarten. Beispiele für die jeweils aufbrechenden Personen sind: Rest des Volkes ( l . S 12,15); Samuel (l.S 13,15); Saul und Begleiter (l.S 28,25b). Besonders gesteigert wird die Spannung, wenn Aufbruch oder gar Flucht nachts geschehen, z.B. bei David ( l . S 19,10) oder Saul ( l . S 28,25). Heimkehr. Bei der Heimkehr ist zusätzlich zum Moment des Aufbruchs das Ziel festgelegt: Heimkehr bedeutet eintreten in den normalen Lebensablauf, die Erzählung kommt zur Ruhe. Beispiele für die Einzelheimkehr sind: ,Die Israeliten nach Abimelechs Tod' (Jdc 9,55); ,Hanna nach Rama' (l.S 2,11); .Samuel' ( l . S 16,13b). Doppelheimkehr. Die Nachricht von der Heimkehr, insbesondere, wenn es sich um die sog. Doppelheimkehr der sich gegenüberstehenden Figuren handelt, ist ein deutliches Schlußsignal. Beispiele für Doppelheimkehr: 172 Jahwe / Abraham (Gn 18,33); Laban / Jakob (Gn 32,lb-2a); Esau / Jakob (Gn 33,16.17a); Bileam / Balak (Nu 170 Siehe zu - > / . S 7,2 im Abschnitt „Samuels Philistersieg und Tätigkeit (l.S 7,2b-14.15-17)" auf Seite 297. 171 Beispiele nach Mirsky Conclusion, vgl. auch Michel Tempora 186f. Seeligmann Erzählung 307-309.

78

3. Die Textkohärenz

24,25); Saul / Philister (7.5 14,46); Samuel / Saul (LS 15,34); David / Jonathan (LS 21,1 LXX); Saul / David (LS 24,23); David / Saul (LS 26,25b); das Heer / Joab (2.S 20,22b); Mit kleinen Abwandlungen: Jonatan geht / David bleibt (LS 23,18). Eine Besonderheit findet sich im Anschluß an Sauls Königskür: .Samuel entläßt das Volk / Saul geht heim' (LS I0,25b-26a). Die Abweichung könnte damit zusammenhängen, daß hier ja nicht nur Samuel und Saul, sondern auch das Volk beteiligt ist. 3.3

Verknüpfung innerhalb der Einheit

Wichtige Anhaltspunkte für die Verknüpfung innerhalb der Einheit liefert die Formgeschichte. Formgeschichtliche Beziehungen. Nun wird in der Formgeschichte allerdings in erster Linie aus den Texten der Befund erhoben. Darüberhinaus ist aber zu fragen, ab die aufgefundenen Textmuster konventionell sind, also durchaus auch anders aussehen könnten, oder ob hinter ihnen allgemeinere Prinzipien stehen. Betrachten wir als Beispiel die prophetische Weissagung, die eine dreiteilige Struktur aufweist: Lagehinweis; Weissagung; Kommentierung. Demgegenüber beginnt eine modernes Gerichtsurteil mit dem Urteil, hier der Weissagung entsprechend, und erst danach folgt die Begründung. Vergleicht man beides, dann folgt die Anordnung im Prophetenwort dem chronologischen Aspekt: Aus einer bestimmten Situation ergibt sich eine Weissagung, und diese kann dann noch kommentiert werden. Beim Gerichtsurteil herrscht offenbar das Prinzip der Wichtigkeit: Man will sofort sehen, was herauskommt, und sich erst danach mit der Vorgeschichte befassen. Da die Prophezeiungen meist relativ kurz sind, genügen zur Verknüpfung häufig schon Scharnierpartikeln wie läken „darum" oder ki „weil, denn". Damit aber stellt sich die Frage nach der Argumentationsstruktur. Denkformenanalyse. Ein Versuch zur Analyse der Argumentation ist die Denkformenanalyse, die auch früher schon gelegentlich als exegetische Methode vorgeschlagen worden ist, ohne sich aber durchsetzen zu können. 173 Die Voraussetzungen zur Entwicklung einer solchen Methode sind aber im Alten Testament weitaus ungünstiger als im Neuen Testament; denn dort nehmen argumentierende Texte breiten Raum ein, man denke nur an die Briefe. Aber argumentiert wird auch in vielen alttestamentlichen Gattungen, wobei diese Aspekte dann in der Praxis meist in die formgeschichtliche Analyse einfließen. Es ist daher wichtig, die argumentativen Aspekte der Texte auch gesondert zu betrachten und dafür nach geeigneten Methoden Ausschau zu halten. Argumentation. Eine Argumentationstheorie ist in neuerer Zeit nahezu gleichzeitig von Perelman und Olbrechts-Tyteca 174 Auf der einen Seite und von Toulmin Uses auf der anderen Seite entwickelt worden. 175 Einen Versuch, 173

Zuletzt Pfeifer Denkformenanalyse. 174 PerelmanlOlbrechts-Tyteca Rhetorique\ Perelman/Olbrechts-Tyteca Rhetoric. 175 Vgl. Siegert Argumentation 13.

die

Arbeit

ist

auch

auf

Englisch

erschienen:

3.4 Verknüpfung mehrerer Einheiten

79

die Argumentationstheorie von Perelman/Olbrechts-Tyteca an Rm 9-11 durchzuführen, hat Siegert Argumentation unternommen. 176 Im Alten Testament sind argumentierende Texte wenig präsent. 177 Die argumentative Struktur ist häufig schon mit der Gattung vorgegeben. So argumentiert die prophetische Weissagung vor allem durch die Abfolge der Schritte: Lagehinweis; Weissagung; Kommentierung. Auch die typischen sprachlichen Mittel der Argumentation wie Konjunktionen und Partikeln sind im Hebräischen weniger entwickelt als im Griechischen. Eine Art Argumentation findet sich aber auch in nicht-argumentierenden Gattungen. Denn gerade auch die redaktionellen Bearbeitungen in Dtr argumentieren mit dem Leser, wenngleich auch eher verdeckt, indem sie Geschichten erzählen oder umgestalten. 3.4

Verknüpfung mehrerer Einheiten

Die Aufgabe zur Verknüpfung mehrerer Einheiten stellt sich in erster Linie dort, wo die Einzeltexte einer Sammlung unmittelbar zusammenstoßen. 178 Darüberhinaus gibt es aber auch ein Bemühen, Texte auf größere Entfernung miteinander zu verbinden. Diese Aufgabe stellt sich insbesondere dann, wenn ursprünglich zusammengehörige Texte aus anderen Gründen auseinandergerissen werden. 3.4.1

Gleichklang

Das deutlichste Beispiel für den Gleichklang als Merkmal der Kohärenz sind vielleicht die Toledot-Überschriften im Pentateuch, 179 deren erste den Buchtitel und deren übrige die Überschriften der einzelnen Genealogien bilden. In diesem Fall wird allerdings die Kohärenz vor allem auch schon durch die Gattung der Texte selbst abgesichert. Dennoch wäre ein eigenes Buch als Vorlage weniger leicht anzunehmen, wenn die Überschriften fehlen würden. 3.4.2

Diskontinuierliche

Texte

Während in der modernen Literatur das Zerhacken von Textzusammenhängen bewußt als Stilmittel eingesetzt wird, können diskontinuierliche Texte im Alten Testament wohl nur dadurch zustande kommen, daß ein ursprünglich zusammenhängender Text durch Bearbeitung auseinandergerissen wird. In solchen Fällen stellt sich freilich auch die Frage, ob die Diskontinuität nicht anders zu erklären ist. Beispiel Ladeerzählung. Dies läßt sich sehr schön an der Ladeerzählung veranschaulichen. Wenn es sich dabei um eine ursprünglich einheitliche Erzählung handelt, dann wäre sie in Dtr nach chronologischen Gesichtspunkten ' 7 6 Ein etwas anderer Ansatz findet sich bei Wonneberger Überlegungen. 1 7 7 Ausgeprägte Formen der Argumentation entwickeln sich erst in der Spätzeit, z.B. bei Qohelet; vgl. Michel Untersuchungen 269ff. 178 Vgl. Parunak Techniques. 179 Gn 5,1; Gn 6,9; Gn 10,1; Gn 11,10.27; Gn 25,12.19; Gn 36,1.9; Gn 37,2; Nu 3,1; vgl. Rad Prieslerschrift 33ff; Tengström Toledotformel.

3. Die Textkohärenz

80

eingefügt worden. Verlust und Zwischenaufenthalt wären so in die Zeit vor Saul, Rückführung in die Zeit des Aufbaus von Jerusalem als Residenz Davids verlegt worden. Nicht um einen diskontinuierlichen Text würde es sich dagegen dann handeln, wenn der erste Teil der Ladeerzählung sekundär aus dem zweiten heraus entwickelt wäre. 180 Redaktionelle Bearbeitungen. Redaktionelle Bearbeitungen werden häufig nur an einzelnen Stellen in einen vorliegenden Text eingreifen; sie sind dann diskontinuierlich, ergeben also — miteinander verbunden — keinen quellenmäßigen Zusammenhang im Sinne der älteren Literarkritik. Entsprechend bestehen meist auch keine formgeschichtlichen Zusammenhänge. Da sich aber dennoch vielfach der Zusammenhang erkennen läßt, können hier die Merkmale der Textkohärenz besonders deutlich studiert werden. Einige der im folgenden zu behandelnden Kohärenz-Merkmale begegnen denn auch vornehmlich in redaktionellen Schichten. 3.4.3

Weissagung - Erfüllung

Innerhalb von Dtr sind zahlreiche Texte durch das Schema ,Weissagung Erfüllung' verknüpft. 181 So liegt der explizite Bezugspunkt für 1.S 2,27-36 in I.R 2,27.™ Daneben gibt es jedoch noch implizite Bezugspunkte, die zwar das Ziel des Vorverweises sein könnten, aber keinen Erfüllungsvermerk enthalten; wir haben sie für LS 2,27-36 in Tafel 25 auf Seite 248 zusammengestellt. Ein weiterer Typ ist die Anspielung auf eine künftige Erfüllung, z.B.: ,Auf daß der Herr wahrmache, was er mir verheißen hat, indem er sprach ...' ( L R 2,4). 3.4.4

Rückverweise und Querverweise

Untersucht man die deuteronomistischen Texte zur Kultreform, so ergeben sich eine Fülle von Rück- und Querbezügen; hier nur ein Beispiel mit folgenden Stationen: 183 Geweihte waren im Lande (LR 14,23; Rehabeam); Asa vertrieb die Geweihten (LR 15,12); Josaphat rottete den Rest der Geweihten aus, die zur Zeit seines Vaters noch übrig geblieben waren (LR 15,12). 3.4.5

Vorblicke

Da die Samuel-Saul-Texte noch im vorderen Teil von Dtr stehen, spielt in ihnen der vorausschauende Verweis eine größere Rolle als der zurückblickende. Dabei läßt sich unterscheiden zwischen Nah-Verweisen, die mindestens noch in derselben Generation bleiben, und Fernverweisen, die darüber hinausgehen. 180 181

'82 183

So z.B. Davies History. Rad Geschichtstheologie 193-195; Dietrich Prophetie. Rad Geschichtstheologie 193 A.6. Hoffmann Reform 39; dort weitere Beispiele S.39-46.

3.6 Parallelisierung 3.5

81

Textverweise

Ein Sonderfall liegt vor, wenn nicht auf Ereignisse und Begebenheiten, sondern auf Reden oder Texte verwiesen wird. Rückverweise auf Äußerungen. Sowohl innerhalb von Dt als auch außerhalb gibt es eine Fülle von Rückverweisen auf Redewiedergaben des Dt selbst. Man könnte diese Rückverweise einteilen nach den Texten, auf die verwiesen wird: 184 Äußerung Jahwes: Jahwewort: an Israel; an Mose; Jahwegebot: an Israel; an Mose; Jahweschwur: Äußerung Moses: Mosewort; Mosegebot; Äußerung Israels. Man kann aber auch umgekehrt nach der Funktion des Rückverweises fragen und dann folgendermaßen einteilen: 185 Erfüllung (ka'ascer oder kekäl-'asar)\ Vollzug (ka' a sxr oder kekäl-'ascer); Charakterisierung (mit 'aswr eingebettet). Schließlich kann man auch nach der Technik des Rückverweises fragen und dann folgende Punkte untersuchen: 186 Den Umfang der Bezugstexte; den Ort der Bezugstexte; die Wiederaufnahme der Bezugstexte; die Sprecher, Adressaten und Arten der Äußerungen. Funktion der Verweise. Die Verweise stiften die literarische Integration eines Werkes, das aus sehr verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt ist. Sie zeigen die planvolle Gestaltung und weisen den Leser immer wieder auf den Zentralpunkt des Werkes hin, der wohl in der deuteronomistischen Kultreform zu sehen ist. Sie unternehmen damit den Versuch, das sonst eher kontingente geschichtliche Geschehen einer theologischen Sinngebung zu unterwerfen. Dies führt im Extremfall dazu, daß einzelne Ereignisse durch die prophetische Vorhersage so stark aufgewertet werden, daß sie dem zeitgenössischen Zwielicht ihres ursprünglichen Sitzes im Leben entzogen werden, so z.B. die Ablösung Abjathars durch Zadok LR 2,26f.35.lsl 3.6

Parallelisierung

Unter Parallelisierung wollen wir jene Art der Textformung verstehen, die Anklänge an andere literarische Texte herstellt. Solche Anklänge lassen sich aus dem Text selbst natürlich nicht entnehmen, sondern können erst erkannt werden, wenn auch der Bezugstext präsent ist. Sie setzen daher einen Leserkreis voraus, der mit dem Schriftwort im Sinne von Ps 1 ständigen Umgang pflegt. Man kann daher fragen, ob der ursprüngliche Autor oder Redaktor es überhaupt darauf angelegt hatte, daß der Leser die Parallele erkennt. Vielleicht hat er nur deshalb auch aus dem Paralleltext geschöpft, weil dieser für ihn Vorbildcharakter hatte. ' 8 4 So die Einteilung bei Skweres Rückverweise IXf. 185 Skweres Rückverweise 82f. 186 Skweres Rückverweise 83-85. 187 Wir werden darauf im Kapitel „Redaktionelle Oberhandlungen" auf Seite 162 zurückkommen.

82

3. Die T e x t k o h ä r e n z

Die methodische Erforschung der Parallelisierungen steht noch ziemlich am Anfang. Für l.S liegt zwar in Garsiel Samuel eine exegetische Studie vor, sie klammert aber die diachronen Fragen von vornherein aus. Auch müssen klare Kriterien entwickelt werden, die eine Unterscheidung echter Parallelisierungen von eher zufälligen Anklängen zu unterscheiden erlauben.

3.7

Textformung

Texte sind als Strukturen, d.h. als Gebilde mit einer inneren Hierarchie, nur in einem Teilaspekt dargestellt. Eine Reihe längst beobachteter sprachlicher Erscheinungen läuft quer zu den hierarchischen Strukturen. Das gilt vor allem für die Phänomene des Stils; aber auch einiges andere ist hier einzureihen. Unter Textformung wird die Gestaltung eines Textes unterhalb der Gattungsebene und unabhängig vom Inhalt verstanden. Sie ist am deutlichsten bei poetischen Texten. Das Gegenteil, also der Grad an Ungeformtheit, ist im Hebräischen wahrscheinlich geringer als in anderen Sprachen, da für den Satzanfang nur wenige Möglichkeiten zur Wahl stehen, von denen zudem ein Großteil textsortenspezifisch ist, so z.B. der Narrativ für Erzähltexte. 188 Zwischen Poesie und Prosa gibt es Zwischenstufen, in denen zwar die Elemente der Poesie fehlen, aber dennoch ein deutlicher Formwille erkennbar ist.189 Man kann eine solche Textformung als Kunstprosa 190 oder als geprägte Prosa bezeichnen. 3.7.1

Darstellung

Es liegt nahe, die Textformung bei der Wiedergabe des Textes graphisch sichtbar zu machen. Eine graphische Anordnung allein genügt aber nicht; es müssen die Kriterien angegeben werden, nach denen sie erfolgt ist. Dabei kann man einmal versuchen, ausgehend vom Gedanken des mündlichen Vortrages, den Text nach Sprechzeilen aufzuteilen. 191 Oder man kann von syntaktischen Einheiten ausgehen, die den Status einer eigenen Teilaussage haben (sog. Basiszeilen). Während ersteres Verfahren eher die Kommunikationssituation abbildet, zielt letzteres auf die wissenschaftliche Erschließung; es eignet sich insbesondere auch zur Herstellung von Synopsen. 192 3.7.2

Stil und Rhetorik

Stil und Rhetorik sind als exegetische Kategorien ein wenig in den Hintergrund geraten. 193 In neutestamentlichen Arbeiten wird meist auf Lausberg 188 Vgl. Schneider Grammatik Par.48. •89 Vor diesem Hintergrund dürften auch neutestamentliche Texte wie der Johannesprolog (J 1,1-18), das Hohelied der Liebe (l.Ko 13) oder der Christus-Hymnus (Ph 1,6-11) zu sehen sein. 190 Braulik Mittel 7-12. 191 Braulik Mittel 7-12 zu Dt 4. 192 Näheres bei Wonneberger Normaltext. i' 3 Vgl. auch den Forschungsabriß bei Siegert Argumentation 5-15.

3.7 Textformung

83

Handbuch zurückgegriffen. 1 9 4 Im Alten T e s t a m e n t ist m a n — von Einzelstudien einmal abgesehen — noch immer auf König Stilistik angewiesen, ein Werk, in d e m jede Z u o r d n u n g sprachlicher Mittel zu bestimmten Ausdrucksabsichten entfällt. 1 9 5 a) Probleme der

Stilbeschreibung

Betrachten wir zunächst einige Stichworte. Parallelismus membrorum. Eine wichtige G r u n d e r k e n n t n i s der alttestamentlichen Stil- und Rhetorikforschung war sicher die E n t d e c k u n g des Parallelism u s m e m b r o r u m , ein Verdienst, das meist Lowth zugerechnet wird. 196 Er f u ß t dabei freilich auf früheren Arbeiten; 1 9 7 ein bedeutender Vorläufer, die „Exergasia", 1 9 8 wird bei ihm nicht erwähnt und ist auch sonst k a u m beachtet worden. 1 9 9 Wortpaare. In d e n verschiedenen stilistischen Figuren spielen häufig Wortp a a r e eine Rolle. 2 0 0 Eine systematische Darstellung der Verwendungsmöglichkeiten gibt Avishur Word-Pairs 53-338. D a s S t u d i u m der W o r t p a a r e ist d u r c h das altorientalische Vergleichsmaterial u n d namentlich die Parallelen aus Ugarit sehr gefördert worden. 2 0 1 Viele W o r t p a a r e gehören in den Bereich altorientalischer Idiomatik. 2 0 2 Klassische Rhetorik. A u c h heute gibt es noch kein klares methodisches Fund a m e n t f ü r die Beschreibung von Stil und Rhetorik; das gängige Verfahren ist es, die Figuren der klassischen Rhetorik im Text aufzusuchen. 2 0 3 Statistische Stilanalyse. Ein sehr gegensätzlicher Ansatz ist die statistische Stilanalyse. 2 0 4 Er dient meist weniger der Beschreibung der stilistischen Qualität des Textes als vielmehr der Ermittlung von Kriterien, die zur Identifizierung des A u t o r s oder zur Quellenscheidung dienen können. Ein linguistischer Stilbegriff. Ein linguistischer Stilbegriff ist noch in der Entwicklung. 2 0 5 In der alttestamentlichen Exegese sind die meisten Arbeiten älteren Datums; 2 0 6 eine Neuorientierung k ö n n t e sich aus der erwähnten U n t e r s u c h u n g der deuteronomistischen Rhetorik entwickeln. 2 0 7 Z.B. bei Bujard Untersuchungen; Wischmeyer Weg. 1 95 Zur Kritik vgl. Siegerl Argumentation 11 A.39. Lowth Poesia. 197 Vgl. Lundbom Jeremiah 121. 198 Schöltgen Horae. 199 Auszugsweise bei Lundbom Jeremiah 121-127. 200 Sieheden Abschnitt -»Paarhandlungen in Wonneberger Gliederung. 201 Zur Forschung Avishur Word-Pairs 1-52. 202 Dazu Avishur Word-Pairs 339-633. 203 So in dem Kompendium König Stilistik. 204 Vgl. Pieper Aussagekraft. 205 Sandig Stilistik-, vgl. Wonneberger Stylistics. 206 Vgl. König Stilistik; Lande Wendungen-, BühlmannjScherer StUßguren. 207 z . B . Braulik Mittel.

84 b) Semantische

3. Die Textkohärenz Figuren

Im Folgenden betrachten wir eine Reihe weiterer Figuren, die häufig auch einen Beitrag zur Textkohärenz leisten. Die Orientierung an solchen Figuren bringt jedoch unter der Hand auch die Beschränkung auf literarisch kunstvolle Texte mit sich. Sie ist daher für einen allgemeinen Stilbegriff unbrauchbar. Leitwort. In manchen Texten werden bestimmte Wörter durch überproportionale Häufung oder das Auftreten in bestimmten Schlüsselpositionen besonders hervorgehoben. Erleichtert wird das auch dadurch, daß in den meisten Derivaten auch der klangliche Bezug zur Wurzel erhalten bleibt. Durch ein solches .Leitwort' kann der Autor oder Bearbeiter dem Leser einen Hinweis geben, worauf es für das Verstehen des Textes besonders ankommt, ohne diesen Hinweis explizit aussprechen zu müssen. Die Leitwortidee setzt ein behutsames Hineinhören in den Text voraus und hat daher vor allem in der jüdischen Hermeneutik ihren Platz, wie sie z.B. in der Bibelübersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig zum Ausdruck kommt. 208 Als Beispiel kann das Auftreten der Wurzel 'hb lieben an wichtigen Stellen der Beziehung zwischen David und Jonathan angeführt werden. 209 Weitere Beispiele finden sich bei Ridderbos Psalms 43-76. 2,0 Antithese. Ein Großteil der poetischen Parallelismen wird durch Antithesen gebildet. 211 Paronomasie. Bei der Paronomasie werden phonetische Anklänge für ein Spiel mit dem Sinn verwendet. Besonders häufig tritt dieses Stilmittel in der Simson-Erzählung auf. 212 Hyperbaton. Das Hyperbaton ist kaum scharf abzugrenzen; verwandte Begriffe sind: 213 Zeugma; Synchysis; Hysterologie; Hysteron-Proteron; Hypallage; Anakoluthie; Parenthese; Prolepsis. Merismus. Beim Merismus wird ein (meist nicht vorhandener) Oberbegriff durch verkürzte Nennung von Teilen geschaffen. 214 Jona sagt z.B.:215 ,Ich bin ein Hebräer und verehre Jahwe, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat' (Jon 1,9). Mit dem Merismus verwandt sind Erscheinungen wie Synekdoche und Hendiadys. In unseren Texten begegnet der Merismus in Formeln wie: ,Von Dan und bis Beerscheba' (LS 3,20)2]6 ,Von Ekron und bis Gat' (LS 7,14); er 208 Zum Leitwort Buber;Rosenzweig Schrift 211-238.262-275. 209 Vgl. Thompson Significance. 210 Vgl. auch Witzenrath Rut 87f; Resenhöfft Untersuchungen 325-368. 211 Vgl. Krasovec Structure. 212 Dazu und generell Segerl Paronomasia. 213 Becker Hyperbata 257; König Stilistik 130-142. 214 Genaue Definition bei Brongers Merismus 100. 215 Vgl. insgesamt Krasovec Merismus; Brongers Merismus. 216 Ferner Jdc 20,1; 2.S 3,10; 2.5 17,11-, 2.S 24,2.15-, LR 5,5-, nach Stoebe Samuel 122f ad 20a Zeichen eines jüngeren Textes.

3.7 Textformung

85

hilft, diese Passage als redaktionelle Evaluationen mit einer die jeweilige Geschichte übergreifenden Israel-Perspektive zu erkennen. c) Kompositorische

Figuren

Bei den kompositorischen Figuren wird zwischen verschiedenen Textelementen ein Strukturmuster hergestellt. Inclusio (Ringkomposition). Von inclusio bzw. Epanadiplosis oder Ringkomposition wird gesprochen, wenn am Anfang und Ende der literarischen Einheit das gleiche Verb bzw. die gleiche Wendung steht. 217 Damit ist die Figur abzugrenzen gegenüber ähnlichen Erscheinungen wie Chiasmus, Parallelismus Membrorum, Introversion oder Leitwort-Stil. 218 Die Figur ist vor allem in der Poesie anzutreffen. 219 Lockert man jedoch die strenge Definition ein wenig, dann gesellen sich eine ganze Reihe weiterer Belege hinzu, auch solche aus der Prosa. 220 Allein elf Belege sind im Bereich der Thronfolgegeschichte zu finden.221 Der Ring kann auch durch eine Paarformel realisiert sein. So schließt die Formel ,rab - käbed' als Attribut zu 'am einen Teil des Gebetes Salomos (l.R 3,8f) ein. 222 Zu fragen ist, ob nicht auch das Stichwort „Tage" in l.S 2,3lf einen Ring bildet. Auch der Stammbaum ( l . S 9,1) ist durch das Stichwort „Benjamin" ringförmig geschlossen; dadurch wird schon im Stammbaum selbst erkennbar, daß das letzte Glied erreicht ist. Gelegentlich wird der Begriff auch für ringförmige Rahmungen generell verwendet, wie sich im Falle von Jes 5,8-10,4 zeigen läßt, vgl. die Darstellung von Sheppard Redaction 196, wiedergegeben in Tafel 9 auf Seite 138. Pivot-Pattern. Das Dreh- oder Angelpunktschema (pivot-pattern) ist eine poetische Figur, bei der zwei einander korrespondierende Aussagen eine zwischen ihnen stehende dritte, den Drehpunkt, umfassen. Beispiele und eine zusammenfassende Darstellung gibt Watson Pattern. Literary Insertion (AXB-Pattern). Bei der Literary Insertion wird eine bestehende sprachliche Verbindung zwischen den Elementen A und B, z.B. eine Status-constructus-Verbindung, durch Einfügung eines fremden Elementes X aufgebrochen (AXB-Pattern). Demnach würde sich Ps 24,6 in folgenden Schritten entwickelt haben: 223 1. zceh dörya'aqob doi^iäw „dies ist die Generation [A] Jakobs [B], derer, die ihn suchen [X] (appositioncll)"; 2. zceh dör doreSäw ya'aqob (AXB „literary insertion"); 3. zcch dör doreiäw mebaqie pänceka ya'aqob (AXXB literary expansion). 217 Vgl. König Stilistik 350. 218 Kessler Inclusio 44f. 219 Zur Forschung Lundbom Jeremiah 16f. 220 Vgl. auch das Vorkommen in Apc \ dazu Salake 22 1 Kessler Inclusio 46f. 222 KselmanPair 112. 223 Tsumura Insertion 47 lf.

Inklusio.

86

3. Die Textkohärenz

Weitere Beispiele und Literatur finden sich bei Tsumura

Insertion.

Chiasmus. Im Zusammenhang mit dem Parallelismus spielt auch die Überkreuzung (Chiasmus) eine wichtige Rolle. 224 Der Begriff wird zunehmend auch für größere Textkomplexe mit klammerartiger Struktur angewendet, 225 die aber besser terminologisch unterschieden werden sollten. 226 Ploke. Als Ploke wird ein Redeschema der Form „a - b - a" bezeichnet, ein Schema also, das zum Ausgangpunkt zurückkehrt. 227 Beispiele: .Warum seid ihr so nahe herangerückt?' (2.S ll,20f), ,Kehre um!' (2.S 15.19J), ,Mann des Blutes' (2.S 16,7J), .Jahwe hat es ihm gesagt' (2.S 16,10/), .Den König heimzuholen' (2.S 19.12J). So eindeutig der phänomenologische Befund ist, so wenig kann doch auf der anderen Seite die Deutung als Stilphänomen befriedigen. Zwar gilt die Ploke als Indiz für die Thronfolgegeschichte. 228 Diese Beobachtung würde aber auch Zustandekommen, wenn es sich nicht um ein Stilphänomen, sondern ein redaktionelles Phänomen handelte. Wir werden unten darauf zurückkommen. 229 Vielleicht sollten diese Beispiele besser als Inclusio bezeichnet werden, da die Ploke auf den Nahbereich von einem, höchstens zwei Sätzen beschränkt bleibt. 230 d) Beitrag zur

Textkohärenz

Stilfiguren wie etwa der Leitwort-Stil leisten unmittelbar einen Beitrag zur Textkohärenz; darüberhinaus dienen solche stilistischen Beobachtungen vor allem dazu, Zusammenhänge in diskontinuierlichen Texten aufzuspüren. Dies gilt natürlich insbesondere für redaktionelle Bearbeitungen, die ja der Natur der Sache nach diskontinuierlich sind. 3.7.3

Bezug über die Sache

Einen wichtigen Beitrag zur Kohärenz eines Textes leisten die Gegenstände und Sachverhalte, die in diesem Text vorkommen. Sachbezug bei verschiedener Sachverhalt in verschiedenen Tod der Eliden zunächst auf Redewiedergabe eines Boten lung für den Hörer.

Situation. Im einfachsten Fall kann derselbe Situationen auftreten; Ein Beispiel ist, daß der der Erzählebene erscheint (LS 4,11), danach als (LS 4,17). Darin liegt zugleich eine Wiederho-

Sachbezug bei verschiedener Deutung (Mißverständnis). Daß derselbe Sachverhalt verschieden gedeutet wird, ist ein häufig anzutreffendes literarisches 224

Zur Forschung Lundbom Jeremiah 17f. Vgl. die bei Dillard Slruclure genannte Literatur. 226 Siehe -»Palistrophe in Wonneberger Gliederung. 227 Kaiser Einleitung 145. 228 Rost Überlieferung 114.133; vgl. Kaiser Einleitung 145. 229 Siehe „Klammererweiterung" auf Seite 117. 230 König Stilistik 300. 225

3.7 Textformung

87

Motiv, das eine besonders reizvolle Art der Komplikation ermöglicht. Bei der linguistischen Beschreibung erweist es sich jedoch als unerwartet tückisch. So verwenden Gülichl Raible Textmodelle als Testfall für die kritische Bewertung der behandelten Modelle eine Novelle von Marguerite de Navarre, 231 deren Pointe auf einem Mißverständnis beruht. Es zeigt sich jedoch, daß gerade dieser Zug der Geschichte durch die behandelten Modelle entweder gar nicht oder nur sehr unzureichend erfaßt wird. 232 Beispiele: ,Hannas Auftreten (Trunkenheit / Gebet)' ( l . S 1,12-16), Beauftragter Jahwes (Gottesmann / Engel)' (Jdc 13). Die Mißverständnisrelation dient vor allem dazu, Anläße für weitere Erläuterungen zu schaffen. Daß dies als regelmäßige Technik zur Darstellung einer theologischen Position angewendet werden kann, zeigt das Johannesevangelium. 233 Da es sich um ein erzählerisches Mittel handelt, wird auch der Mißverstehende dadurch nicht abgewertet. 234 Sachbezug bei verschiedener Deutung (Täuschung). Einen eigenen Typ bilden die Erzählungen, bei denen absichtliche Täuschung im Spiele ist. Beispiele sind Gn 12,10-20; Ex 1,15-21-, Jos 9,3-15; Jdc 3,12-31; Jdc 4,17-24; l.S 19,11-17; behandelt bei Culley Analysis. 3.7.4

Intentionskritik

Ein wichtiges Element der Textkohärenz ist die Intention eines Textes. Sie ist zu verstehen als ein genereller Leitgedanke, der meist nicht ausgesprochen wird, sondern stattdessen die Gestaltung der Darstellung in vielen Details und Wendungen beeinflußt. Da die Intention auf einer sehr abstrakten Ebene angesiedelt ist, eignet sie sich auch dazu, Querverbindungen zwischen verschiedenen Werken herzustellen, insbesondere auch dann, wenn sie verschiedenen Gattungen zugehören. Ein Beispiel dafür ist der Versuch, die Thronfolgegeschichte über die Intention mit den Proverbien in Zusammenhang zu bringen. 235 Da die Intention meist nicht expliziert wird, m u ß sie rekonstruiert werden. Naturgemäß sind solche Rekonstruktionen besonders unsicher, wie sich leicht am Beispiel der Thronfolgegeschichte zeigen läßt, für die in der Forschung widersprüchliche Intentionen angenommen werden. 236 Für die Ermittlung der Intention gibt es auch kein etabliertes methodisches Verfahren. Auch in der Linguistik ist die Frage bisher eher am Rande gestellt worden. Umso bemerkenswerter ist es, daß unabhängig von einander mehrere Vorstöße in dieser Richtung unternommen wurden, 237 unter ihnen auch mein eigener Versuch, das Problem durch Einführung des Begriffs Relokution im Rahmen der Sprechakt-Theorie anzusiedeln (siehe Tafel 11 auf Seite 153). An diese Ver231 GülichlRaíble Textmodelle 234. 232 Gülichl Raible Textmodelle 312-314 und passim. 233 Nikodemus (J 3,4)\ Samariterin (J 4,/l)\ vgl. auch Bultmann Theologie 397-400. 234 So Willis Elements 39 aufgrund des in l.S 1-3 angenommenen Kontrastmotivs . 235 Crüsemann Widerstand 189ff. 236 Vgl. Crüsemann Widerstand 184. 237 Zusammengefaßt bei Wonnebergerl Hecht Verheißung 48-50.

88

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

suche könnte bei der Entwicklung einer generellen M e t h o d e der Intentionskritik angeknüpft werden. Betrachten wir einige Beispiele: i. In der Salbung spiegelt sich der Anspruch prophetischer Kreise auf die Königsdesignation. 238 ii. Das Motiv der Geistbegabung deutet auf einen dahinterliegenden Bereich der Charismatik, der sich seinerseits mit einer archaisierenden Jahweideologie in Zusammenhang bringen läßt. 239 iii. Die Erstreckungsformel „von Dan bis Beerscheba" 240 kann als Ausdruck einer bestimmten Reichsidee verstanden werden. iv. In dem Wechsel von der Namensform mit yd- zu der mit yehö- zeigt sich die Intention zu einem stärker sakralen Klang. 241

Kapitel 4

Ein Handlungs-Modell der Redaktion Es genügt aber keineswegs, Redaktion als Störung der Textkohärenz zu begreifen. Zwar setzt uns die Ermittlung von Störungen instand, redaktionelles Eingreifen zu ermitteln. Aber d a n n m u ß sogleich weiter gefragt werden nach den Intentionen, die zur Veränderung geführt haben. Ein klares Bild von redaktionellen Vorgängen wird sich nur gewinnen lassen, wenn wir f ü r den Augenblick den Rekonstruktiosprozeß mit seinen Schwierigkeiten und Unsicherheiten beiseite lassen und versuchen, ein Modell redaktionellen Handelns zu entwickeln. Dieses Vorgehen beruht auf methodischen Voraussetzungen, die wir im folgenden kurz skizzieren wollen.

4.1

Ansatz bei der Pragmatik

Der wesentliche Ansatzpunkt liegt darin, redaktionelles Eingreifen in Texte als eine Sonderform sprachlichen Handelns zu verstehen. Der Begriff „Handeln" ist dabei im Sinne der linguistischen Pragmatik zu verstehen, jener Disziplin also, die Sprache als Handeln untersucht. 2 4 2 Sprache und Handeln. Wenn wir Sprache als Handeln verstehen, d a n n ist das in einem doppelten Sinne f ü r die Exegese von Bedeutung. a) Zum einen spielen vor allem in den erzählenden Texten sprachliche Handlungen eine wichtige Rolle, sei es, daß von ihnen berichtet wird („er tat es ihm kund"), sei es, daß sie als Redewiedergabe unmittelbar angeführt werden („und er sprach: ..."). 238 Vgl. Fritz Deutungen 353. 239 Vgl. Wilson Savages. 210 Heute von teil el kadi bis bir es-seba; Entfernung nach Nolh Well 21 auf der natürlichen Straße 317 km, in Luftlinie 240 km. 2 "i SorinJo-Samen 97. 242 Zum allgemeinen philosophischen Hintergrund dieser Denkwelt vgl. Stachowiak Pragmatik, zur linguistischen Pragmatik insbesondere Stachowiak Pragmatik Bd.IV.

4.1 Ansatz bei der Pragmatik

89

b) Zum anderen machen die Autoren, indem sie diese Texte äußern, bestimmte sprachliche Handlungen in Bezug auf ihre Leser, also im Falle der Prophetie z.B. Handlungen wie „warnen", „schelten", „trösten". D a r a u s ergibt sich, d a ß die Pragmatik sowohl f ü r die Beschreibung der Inhalte von Texten als auch f ü r die Beschreibung des Z u s t a n d e k o m m e n s von Texten u n d ihrer Hintergründe von Bedeutung ist. Dieser Doppelaspekt, der Blick auf die .dargestellte Welt' einerseits und auf die ,Welt der Darstellenden' andererseits, wird uns im folgenden immer wieder begegnen. Insbesondere gilt er a u c h f ü r das sprachliche H a n d e l n der Redaktoren. Wir sehen d e m g e m ä ß im R e d a k t o r vor allem den Sonderfall eines normalen Sprechers. Wenn ein n o r m a l e r Sprecher die Worte äußert: „Ich werde m o r g e n pünktlich bei dir sein", so macht er damit, den geeigneten K o n t e x t vorausgesetzt, die H a n d l u n g .Versprechen'. Entsprechend vollzieht auch der R e d a k t o r bestimmte H a n d l u n g e n , indem er z.B. einen Abschnitt in einen Text einfügt. A n die Stelle des unmittelbaren Sprechens zu einem anderen tritt bei ihm d a s Redigieren, dessen Wirkungen beim Adressaten erst mit Verzögerung eintreten, ähnlich wie beim Schreiben eines Briefes. D a r a u s ergibt sich folgende F o r m u l i e r u n g der Aufgabe: Wir sehen die Aufgabe einer Redaktionstheorie darin, Redaktion als das sprachliche und nichtsprachliche Handeln von Redaktoren zu beschreiben. Sprechakt-Theorie. Bei der D u r c h f ü h r u n g dieses Konzeptes greifen wir auf die Sprechakt-Theorie zurück: Die Sprechakt-Theorie bildet die wesentliche konzeptionelle Voraussetzung für unsere Redaktionstheorie. Diese Theorie ist in kurzer Zeit zu einer der einflußreichsten linguistischen Theorien geworden und hat die verschiedensten Disziplinen beeinflußt. Wir verzichten hier auf eine erneute Behandlung dieser Theorie. Eine Darstellung der SprechaktTheorie findet sich in jeder neueren E i n f ü h r u n g in die Linguistik. 2 4 3 Einen Eindruck von der Vielfalt der Sprechakt-Theorie selbst und der Vielfalt ihrer Einflüsse auf Theologie und Philosophie vermittelt unsere Behandlung des Sprechaktes .Versprechen' bzw. .Verheißung', 2 4 4 und auch in die Exegese hat diese Theorie schon Eingang gefunden. 2 4 5 Handlungstheorie. Da wir es bei der Redaktion auch mit nichtsprachlichen H a n d l u n g e n wie z.B. .kürzen' zu tun haben, m u ß die Beschreibung gelegentlich auf Begriffe und Konzepte der allgemeinen Handlungstheorie zurückgreifen. Auch hier verzichten wir auf eine gesonderte Darstellung u n d verweisen d a f ü r auf die Arbeiten Brennenstuhl Handlungstheorie und Rehbein Handeln, an die wir vor allem a n k n ü p f e n . Textkohärenz. Eine wesentliche Voraussetzung f ü r die Erfassung redaktioneller P h ä n o m e n e bildet der Begriff der Textkohärenz. Im Kapitel „Die T e x t k o h ä r e n z " auf Seite 71 haben wir Textkohärenz als Voraussetzung f ü r die E r m i t t l u n g redaktioneller Störungen behandelt. Wir nennen als sehr k n a p p e Darstellung Hennig! Huth Kommunikation; Braunroth, Seyfert;Siegel; Vahle Ansätze; WonnebergeriHecht Verheißung 15-62. Wonneberger;Hecht Verheißung-, dort auch weitere Literatur. 24 5 Literatur bei Wonneberger!Hecht Verheißung 195-199.

ausführlicher:

90

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

Im Rahmen eines Modells der Redaktion stellt sich nun umgekehrt die Frage, welche Eigenschaften das innere Gefüge redaktioneller Texte konstituieren, also die Frage nach der inneren Einheitlichkeit redaktioneller Texte. Soweit es sich bei redaktionellen Texten um geschlossene Einheiten handelt, wird ähnliches gelten wie auch sonst. Da es sich bei redaktionellen Texten aber häufig um diskontinuierliche Textstücke handelt, wird sich ihre Textkohärenz allerdings auf andere Weise manifestieren als bei den in sich geschlossenen Vorlagen. Das Konzept der Textkohärenz bietet die Möglichkeit, Komponenten der Formgeschichte und der Literarkritik unter einem gemeinsamen methodischen Dach zu vereinen. Bei der weiteren Ausarbeitung dieses Konzeptes werden wir also jeweils auf drei Komponenten zu achten haben: die Kohärenz der Vorlage; die Kohärenz der Bearbeitung; die Störung der Vorlage durch die Bearbeitung.

4.2

Komponenten des Modells

Ein Modell der Redaktion wird zweckmäßigerweise beim Handeln der Redaktoren ansetzen. Für dieses Handeln gilt folgende Prämisse: Wenn Redaktoren mit ihren Texten willkürlich verfahren würden, wären unsere Chancen gering, Redaktion zu rekonstruieren. Aus der Umkehrung dieses Satzes ergibt sich die Aufgabe: nämlich zu beweisen, daß die Redaktion nicht willkürlich mit den Texten verfährt. Am Einzeltext ist dieser Nachweis in vielen Fällen gelungen. Deshalb können wir in der Aufgabenstellung noch einen Schritt weitergehen und fragen, welche handlungsleitenden Regeln fiir Redaktion maßgeblich sind. Redaktionelle Maximen. Ein Modell redaktionellen Handelns kann an das Konzept des Weltwissens anknüpfen. Einen Versuch zur Aufgliederung des Weltwissens unternehmen EhlichjRehbein Wissen. Sie unterscheiden sieben Stufen des Weltwissens:246 (0): Partikulares Erlebniswissen; (1): Einschätzung; (2): Bild; (3): Sentenz; (4): Maxime; (5): Musterwissen; (6): Routinewissen. Ein umfassendes Redaktionsmodell müßte versuchen, die verschiedenen Arten redaktionellen Weltwissens zu rekonstruieren. Denn sie sind einerseits für die Inhalte der redaktionellen Texte maßgeblich, anderseits bestimmen sie die redaktionellen Handlungen. Wir können in diesem Rahmen nur eine exemplarische Beschreibung geben und wählen dazu die «Maximen», weil sie für die Redaktion besonders charakteristisch sind. Unter Maximen wollen wir jene übergeordneten Gesichtspunkte verstehen, von denen das redaktionelle Vorgehen geleitet ist. Diese Begriffsbestimmung ist zwar noch recht verschwommen, soll aber auch nur vorläufig zur besseren Handhabung des Begriffes dienen. Eine schärfere Abgrenzung läßt sich erzielen, wenn man die Maximen in ihren Kontext stellt und als Spezialfall des Weltwissens interpretiert. 246 Ehlich/Rehbein Wissen 48-70.

91

4.2 Komponenten des Modells

So etwas wie redaktionelle Maximen setzt im Grunde schon die ältere Forschung voraus, w o sie eine Tendenzkritik fordert, also die Frage nach dem „Endzweck des Verfassers". 247 N u r ganz selten wird die Frage gestellt, welche Gründe wohl für redaktionelles Vorgehen maßgeblich sind. Einige Vermutungen sind für Zusammenfügungen ausgesprochen worden, 2 4 8 die wir als Kompilationsredaktion bezeichnen können. Bewahrung der Vollständigkeit. Wie der Abschnitt „Evangelienharmonien und Redaktion im Pentateuch" auf Seite 29 zeigt, liegt bei manchen Typen der Redaktion ein Hauptinteresse darin, das vorliegende Erzählmaterial vollständig zu bewahren, auch wenn dies zu überladenen Texten führt. 249 Wenn diese Beschreibung zutrifft, dann wird dadurch die A n n a h m e von Auslassungen sehr erschwert. In der Tat haben sich postulierte Auslassungen schon häufig als Verlegenheitsauskunft erwiesen. Freilich genügt es nicht, alle dargebotenen Sachverhalte resümierend oder nacherzählend in einer neuen Linie wiederzugeben. W o die Distanz zwischen d e m Ersterzähler und dem Redaktor schon recht groß geworden ist, hat der Text auch in seinem Wortlaut eine Dignität erreicht, die nicht mehr ohne weiteres verändert werden kann. Dies fällt unter den Begriff .kanonisch' in seinem unspezifischen, ursprünglichen Sinn ,der Regel entsprechend'. U m Begriffsverwirrung zu vermeiden, wollen wir aber lieber den Begriff .verfestigt' verwenden. D i e verfestigte Vollständigkeit ist auch längst vor der eigentlichen Kanonisierung anzusetzen. Sie hat ihren Ursprung schon im mündlichen Erzählen, wie jeder weiß, der etwa wagt, einem Kind ein Märchen anders zu erzählen, als es dies gewohnt ist. Wenn nun die verfestigte Vollständigkeit mit der sachlichen darin kollidiert, daß über dieselben Dinge Verschiedenes berichtet wird, dann kommt es zur kumulativen Vollständigkeit. Es wird dann nämlich versucht, den Wortlaut der Einzeltexte durch geschickte Kombination zu einem Gesamtwortlaut zusammenzuführen. 2 5 0 Tun-Ergehen-Zusammenhang. Normalerweise handelt es sich beim TunErgehen-Zusammenhang 2 5 1 u m eine besondere Art von Weltsicht. Diese Weltsicht kann aber nun auch das Konzept für redaktionelle Umgestaltungen bilden. Es wird damit zu einer redaktionellen Maxime. A n diesem Beispiel läßt sich gut verdeutlichen, daß redaktionelle Maximen die Wahrnehmung der Wirklichkeit bestimmen und in vielen Fällen auch verändern können. So wird, wie der Abschnitt „Nabots Weinberg" auf Seite 121 zeigt, für A h a b ein gewaltsamer Tod fingiert {l.R 21,19b mit der Erfüllung in LR 22,38),252 u m dem Tun-Ergehen-Zusammenhang Geltung zu verschaffen.

248 219 250 251 252

Künen Methode 37f. Donner Gestalt 25f A.33. Donner Redaktor 27. Vgl. Gn 7,17b J || 18 />; Gn 7,21 P || 22 J\ Gn 8,3a J || Sa />; Donner Redaktor Koch Vergeltungsdogma. Würthwein Novelle 394f.

Iii.

92

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

Tabus. Zu den redaktionellen Maximen gehört auch, daß bestimmte Vorstellungen tabu sind. Folgt man Lang Method in seiner Analyse zu Ez 21,33-37,253 dann steht als Auslöser hinter dem redaktionellen Eingriff die Vorstellung, daß Israel unmöglich der völkische Untergang angekündigt werden könne. Allenfalls in uneigentlicher Verwendung läßt sich der Gedanke überhaupt in den Mund nehmen. 254 In diesem Fall würde die Redaktion also die Radikalität ursprünglicher prophetischer Aussagen zu domestizieren suchen. Nebenwirkungen. Wir haben vor allem die Komponenten beschrieben, die sich aus der Intentionalität des redaktionellen Handelns ergeben. Nun zeitigt redaktionelles Handeln aber auch Wirkungen, die nicht nur nicht intendiert, sondern dem Redaktor selbst vielleicht auch gar nicht bewußt sind. Insofern redaktionelle Handlungen in Texte eingreifen, können sie deren inneres Gefüge stören. So wird z.B. durch die Einfügung der Eliden in l.S 1,3 fälschlich präsupponiert, daß von Eli vorher schon die Rede war. Daß das Erkennen redaktioneller Fehler von fundamentaler Bedeutung ist, läßt sich an der Perikope vom unbekannten Gottesmann (l.S 2,27-36) verdeutlichen. Für Wellhausen ist klar, daß die Passage dem Folgenden (3,2-18) „die Luft raubt, die Pointe vorwegnimmt und ihren Eindruck auf Eli vernichtet, der ja dann schon alles und noch viel mehr zum voraus weiss". 255 Stoebe kehrt das Argument genau um: „Das Gerichtswort kann nicht als Ganzes nachträglicher Zusatz zur Samuelgeschichte sein, weil es als Zusatz eine unvorstellbare Entwertung dieser Geschichte wäre". 256 Die Störung ist also deutlich wahrzunehmen, aber für ihr Zustandekommen lassen sich mehrere Wege vermuten.

4.3

Typen der Redaktion

Ein weiterer Ansatzpunkt für ein Modell der Redaktion ist die Bestimmung unterschiedlicher Typen von Redaktion. 4.3.1

Kompilationsredaktion

Unter dem Begriff Kompilationsredaktion wollen wir jene Art von Redaktion fassen, mit der die literarische Forschung am Alten Testament seinerzeit eingesetzt hatte, eine Redaktion nämlich, die zwei oder sogar noch mehr Darstellungen derselben Sache zu einer neuen Darstellung verarbeitet. 257 Über die Intentionen etwas auszumachen, ist nicht einfach. Verschiedene Möglichkeiten sind in Betracht gezogen worden, wenngleich die Forschung sich mit diesem Thema nicht allzu intensiv beschäftigt hat. 253 S.o. -»Unheihtransfer im Abschnitt „Übertragungen" auf Seite 148. 254 Ps 83,5 (Wunsch der Feinde); Dt 32,26 (göttliche Erwägung, die aber verworfen wird); Lang Method 41. 255 Wellhausen Composition 237f. 256 Stoebe Samuel 86. 257 Vgl. Donner Redaktor.

4.3 Typen der Redaktion

93

Angesichts der spannungs- und widerspruchsvollen Darstellung vor allem im Pentateuch ist die Annahme fast zwingend, daß den Redaktoren diese Spannungen bewußt und sie damit auch von ihnen gewollt oder zumindest akzeptiert waren. Man muß dann konsequenterweise annehmen, daß es auch im Interesse der Redaktoren lag, die verschiedenen Dastellungen beizubehalten, oder anders, daß es den Redaktoren darum zu tun war, eine gewisse „Mehrstimmigkeit" zu erhalten. 2S8 Dennoch ist diese Vorstellung wohl zu modern. Denn da wir keinen unmittelbaren Zugang zu den Überlegungen der Redaktoren haben, scheint es angebracht, nach besser untersuchbaren Analogien Ausschau zu halten. Eine solche ist die Herstellung der Evangelienharmonien. Sie wurde von Donner Redaktor in die Debatte eingeführt. Wenn man die dort im einzelnen aufgezeigte Analogie für zutreffend hält, dann wird man auch für die Pentateuchredaktoren mit ähnlichen Intentionen rechnen. Vor allem zwei Intentionen können dann dingfest gemacht werden: 259 Die Bewahrung des Materials, u.z. im Wortlaut; der Erweis der inneren Einheit der Darstellungen. Die Kompilationsredaktion bildet zweifellos eine Spätstufe der Redaktion, da sie viel voraussetzt: Nicht nur, daß mehrere Quellen vorliegen, und diese in Schriftform; sondern auch, weil diese Vorlagen ihrerseits wohl selbst schon der Redaktion unterlegen haben. 4.3.2

Adaptionsredaktion

Der Kompilationsredaktion gegenüber steht die Adaptionsredaktion, der unser Textbereich des Dtr zuzurechnen ist. Sie geht in der Regel von einer Vorlage aus. In ihr nimmt sie Erweiterungen und Veränderungen vor, die den Text an eine veränderte Zeit und veränderte Anschauungen anpassen. Unsere folgenden Überlegungen zu einer Theorie der Redaktion sind in erster Linie auf diesen Typ bezogen. 4.3.3

Textverständnis der Redaktoren

Bei unseren literarischen Analysen stellen wir z.T. so erhebliche Widersprüche fest, daß sie auch den damaligen Lesern nicht verborgen geblieben sein können. Wenn die Redaktoren darauf keine Rücksicht genommen haben, dann müssen sie ein ganz anderes Textverständnis gehabt haben als wir; welches das sein könnte, gilt es jetzt zu rekonstruieren. aj

Verlorene

Vorkenntnisse

Die Situation der Redaktoren unterscheidet sich dadurch grundlegend von unserer, daß für sie die Texte in ein Umfeld an Schulwissen und Tradition eingebunden waren, das uns nicht mehr zur Verfügung steht. 258 Westermann Genesis 797f, zustimmend aufgenommen bei Donner Redaktor 8f. 259 Donner Redaktor 27-28.

94

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

Dies läßt sich am Beispiel der Chronologie verdeutlichen. Das Dtr enthält eine bewußt gestaltete Chronologie. 260 Sie ist aber nirgends in diesem Werk thematisiert, sondern erschließt sich nur dem, der selbständig anfängt nachzurechnen. Wenn die Vermutung zutrifft, daß die Jahrwochen im Danielbuch das chronologische Schema von Dtr aufnehmen, 261 dann wäre damit gezeigt, daß dieses Konzept nicht nur zufällig oder auf den Kreis von Dtr beschränkt gewesen ist, sondern auch an spätere weitergegeben worden ist. Dies aber läßt sich nicht mehr aus einer Weitergabe nur der Texte erklären. Es muß also eine Art Schulwissen gegeben haben, das uns nicht unmittelbar überliefert ist. Zu diesem Schulwissen dürften auch Erkenntnisse über Sprache und Texte gehört haben, die wohl weniger als Vorläufer moderner linguistischer Einsichten anzusehen sind, sondern vielmehr als Anwendung der im Alten Orient tief verwurzelten Zahlensymbolik einerseits 262 sowie des Zahlenwertes der Wörter (Gematria) andererseits. 263 Ein weiteres Beispiel sind die Stammbäume. Aber nicht nur die Stammbäume als Gattung, sondern mehr noch redaktionelle Einzelfälle zeigen, daß Geschichte offenbar in genealogischen Zusammenhängen erfahren wird. So wird im Zusammenhang der Jael-Geschichte eine genealogische Verbindung zwischen Heber und Mose hergestellt ( J d c 4,11). Zur Weiterführung dieser Fragestellung bieten sich drei Wege: Erschließung aus den Texten wie bei der Chronologie; 264 Auswertung von religionsgeschichtlichem Material, z.B. Schultexten; Rückschluß aus der jüdischen Tradition, sofern die geschichtlichen Wandlungen im Judentum ausgesondert werden können. Dir Frage nach den verlorenen Vorkenntnissen trägt zwei einander ergänzende Perspektiven in sich. Eine davon ist die Frage nach den faktisch angewandten Regeln, Techniken und Fertigkeiten, wie sie etwa in den Regeln der hebräischen Poesie zutage treten, aber auch für die archäologischen Artefakte zu rekonstruieren sind. 265 Die andere Perspektive zielt auf die Andersartigkeit von Weltwissen und Weltverstehen, wie sie uns in der nicht-perspektivischen Darstellungsweise der ägyptischen Kunst exemplarisch vor Augen tritt. 266 Beide Perspektiven gelten auch für eine Redaktionstheorie, da sie ja zum einen redaktionelle Techniken ermitteln, zum anderen die geistigen und institutionellen Bedingungen der Textfortschreibung herausarbeiten will.

260 Seite 261 262 263 264 265 266

Solh Studien 18-27; Koch Zahlen-, vgl. auch -> Chronographie im Abschnitt „Strukturieren" auf 174. Koch Danielbuch Kap. 1.3. Vgl. Fechts Glicdeningsversuch in Hornung Mythos 109-127. Vgl. StrackjStemberger Einleitung 38f. So läßt sich z.B. aus dem Vorkommen der Gattung des Stammbaumes im NT einiges erschließen. Vgl. Isserlin Planning; Hodges Artifacts; Forbes Studies. Vgl. Brunner-Traut Frühformen.

4.3 Typen der Redaktion

95

b) Stoff und Redaktion Daß Widersprüche nicht generell ausgeglichen werden, läßt sich nur dann befriedigend erklären, wenn man annimmt, daß auch nach der redaktionellen Zusammenführung der Einzeltext ein starkes Eigenleben behält. Das bedeutet, daß das Ziel der Redaktion nicht in einer einheitlichen und fortlaufenden Darstellung gesehen werden kann, sondern in einer Art .verbundener Perikopenreihe'. Geht man davon aus, daß die Redaktoren von der Suche nach einem „sinnvollen Zusammenhang" 2 6 7 geleitet sind, dann brauchen die Einzelheiten auch gar nicht angeglichen zu werden, da sich ein solcher „sinnvoller Zusammenhang" ohnehin nicht auf der Ebene des Sagen- oder Geschichtsstoffes, also durch bloßes Wiedererzählen, konstituieren läßt. Er bedarf der eingreifenden Deutung, wie die vielen Einschübe zeigen, und er ist entprechend auf einer höheren Abstraktionsebene angesiedelt. Wir sind dann vielleicht auch berechtigt zu vermuten, daß der sagengewohnte Hörer jene Einfügungen, die uns ja auch vor allem daran erkennbar werden, daß sie die jeweilige Erzählgattung sprengen, als Einsprengsel sogleich erkennen konnte. Da die übergreifende theologische Konzeption häufig durch die Bewertung von Handlungen hergestellt wird, sind die zugehörigen Texte besprechende Rede im Sinne von Harald Weinrich Solche besprechende Rede kommt im Rahmen von Erzählungen aber ohnehin vor, u.z. in Form der Redewiedergabe der handelnden Personen. Daher bieten vor allem die Redepartien einen natürlichen Ansatzpunkt für redaktionelle Eingriffe. 268 Wo in der Vorlage ein geeigneter Sprecher fehlt, kann er fingiert werden. 269 Aber auch unmittelbare Kommentierungen durch den Autor bzw. Redaktor sind anzutreffen, wenngleich sie in der Regel schon erzählerisch vorbereitet sein dürften. 270 4.3.4

Freiheit und Bindung der Redaktion

Ein wesentliches Element jeder Redaktionstheorie ist die Frage nach „Freiheit und Bindung der Redaktion". Denn es ist zunächst einmal ein paradoxer Sachverhalt, daß die Bearbeiter auf der einen Seite oft sehr genau am überkommenen Wortlaut festhalten, 271 während sie auf der anderen Seite auch vor schweren Eingriffen nicht zurückschrecken. Generell wird der Bindung Vorrang vor der Freiheit einzuräumen sein, denn es ist sinnvoll anzunehmen, daß ein Redaktor nur das unbedingt Notwendige tut, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. 272 Freilich macht es bei der Beurteilung von Bindung und Freiheit einen Unterschied, welche Einheiten betrachtet werden. Wo ein Redaktor aus einer Quelle nach seinen eigenen Bedürfnissen zitiert, wird er relativ frei sein. Ein Beispiel dafür sind die 267

Koch Formgeschichte 178. Koch Formgeschichte 180. 269 Z.B. Einführung eines anonymen Propheten in Jdc 6,8. 270 Z.B. .Samuel trug Leid um Saul' (l.S 15,35); vgl. V.10. 271 Beispiele dafür liefert Chr ebenso wie im Neuen Testament die Synoptiker vgl. Brodie Travail 49f. 272 Näheres darüber im Abschnitt „Die Konversationsmaximen von Grice" auf Seite 97. 268

96

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

Tagebücher der Könige, bei deren Benutzung von vornherein auf das weitere dort vorhandene Material hingewiesen wird. 273 Anders liegen die Dinge, wenn eine einzelne Erzählung bearbeitet wird, die vielleicht schon über einen längeren Zeitraum bestanden hat. Hier unterliegt der Redaktor starken Einschränkungen: Der vorhandene Bestand bleibt gewahrt; es wird also nichts ausgelassen oder „weggebrochen"; z.B. bleibt Sauls Amalekitersieg in der Verwerfung erhalten (LS /5); die Erzählstruktur bleibt gewahrt; es wird also nicht umgestellt oder der Bestand der Gliederungssignale verändert. Ein schönes Beispiel für die Bindung der Redaktion ist die Namenserklärung Samuels in l.S 1,20. Sie liegt nicht in der Linie des Gelübdes, 274 sondern soll ein anderes theologisches Konzept durchsetzen. Auch sonst scheinen solche Namenserklärungen meist einer späteren Bearbeitung zuzugehören. 2 7 5 Daran zeigt sich aber deutlich, daß der N a m e selbst dem Zugriff der Redaktion entzogen war. Schließlich ist zu fragen, ob der Redaktor überhaupt an einer Verschleierung seiner Redaktion interessiert ist. Wenn z.B. der im Singular gehaltene A u f t r a g Samuels an Saul plötzlich durch eine einsame Pluralformulierung unterbrochen wird (LS 15,2),216 dann wird dies auch dem Redaktor als Störung bekannt gewesen sein. Er hat sich also entweder nur auf seine Sache konzentriert oder aber ein für den Eingeweihten verständliches Zeichen seiner Arbeit hinterlassen wollen. Aus diesen Grundsätzen folgt, daß der Redaktor sich spezieller Techniken bedienen muß, um seine Ziele zu erreichen. 4.3.5

Das Inventar redaktioneller

Handlungen

Da die redigierten Texte in irgendeiner Weise Welt darstellen, m u ß es als primäres Ziel redaktioneller Eingriffe angesehen werden, diese Darstellung zu ändern. Wir setzen also voraus, daß es in der Redaktion nicht nur um sprachliche Varianten geht. Der Austragungsort redaktioneller Veränderungen ist also in erster Linie einmal die dargestellte Welt: Es wird eine veränderte Konstellation von Personen, Ereignissen und Sachverhalten geschaffen. Die Eigenart des Redigierens liegt nun aber darin, daß nicht einfach neue und andere Darstellungen geschaffen werden, sondern diese in einer bestimmten Weise an frühere gebunden und auf sie bezogen bleiben. Die Änderungen auf der Ebene der Welt werden also realisiert durch Änderungen auf der Ebene des Textes. Es gilt die Indem-Relation: Die Weltdarstellung wird geändert, indem der Text geändert wird. 277 273 Es handelt sich um das Buch der Geschichte Salomos (I.R 11,41), das Buch der Geschichte der Könige von Israel, zuerst erwähnt fiir Jcrobeam I (I.R 14,19), zuletzt für Pckach (2.R 15,31) und das Buch der Geschichte der Könige von Juda, zuerst erwähnt für Rehabcam (I.R 14,29), zuletzt für Jojakim (2.R 24,5). Long Problem 59f. 275 Siehe ->Aitiologie in Wonneberger Gliederung. 276 Zur Textkritik s.d. 277 Siehe „Redaktionelle Teilhandlungen" auf Seite 102.

4.3 Typen der Redaktion

97

Diese Einteilung mag auf den ersten Blick trivial erscheinen. Sie ist aber die entscheidende Voraussetzung dafür, daß Redaktion überhaupt als regelgeleitetes Handeln beschreibbar wird. Denn auf der Ebene der Weltdarstellung ist die Palette der möglichen Änderungen ebenso vielfältig wie die dargestellte Welt selbst. Hier wird es schwer halten, Regularitäten der Veränderung zu ermitteln. Anders auf der Ebene der Texte: Wie unerfindlich eine Sachänderung auch immer sein mag, sie muß als Textänderung realisiert werden und ist als solche in ein eng umrissenes Konzept möglicher Operationen am Text eingebunden. Jede allzugroße Freiheit des Redigierens würde die Kontinuität zum vorliegenden Text zerstören und damit dem Redigieren selbst den Boden entziehen. Wir gehen also davon aus, daß es ein relativ fest umrissenes Inventar redaktioneller Handlungen gibt, und daß dieses auf zwei Ebenen zu verteilen ist, die der Sach- und die der Textänderungen. Wenn also der Amalekitersieg Sauls in l.S 15 zu einer Versündigung gegen das Banngebot umgemünzt wird, dann handelt es sich dabei um eine redaktionelle Handlung auf der Sachebene. U m sie zu realisieren, müssen in den Schlachtbericht an verschiedenen Stellen entsprechende Passagen eingefügt werden. Bei ihnen handelt es sich dann um redaktionelle Handlungen auf der Textebene. Es liegt auf der Hand, daß die Handlungen auf Textebene weit weniger von den jeweiligen redaktionellen Zielen abhängen als die auf der Sachebene. Sie sind eher formaler Natur und werden durch Begriffe wie .Einfügen', ,Klammereinbettung' u.ä. beschrieben. Da die Texthandlungen also weniger vom Dargestellten abhängen als die Sachhandlungen, werden wir später bei ihnen die Analyse beginnen. Die Konversationsmaximen von Grice. Wenn wir Texte als einen Sonderfall mündlicher Alltagskommunikation betrachten, dann können wir uns von solchen Theorien leiten lassen, die die generellen Anforderungen an solche Kommunikation formulieren. Eine der einflußreichsten ist die Theorie von Grice. 278 Die Sprechakt-Theorie beschreibt, welche sprachlichen Handlungen vollzogen werden und wie sie vollzogen werden, nicht aber, warum sie vollzogen werden. Eine Antwort auf diese Frage versucht die von Grice entwickelte Theorie der Konversationsmaximen zu geben. Wir haben diese Maximen in Tafel 4 auf der nächsten Seite zusammengestellt. 279 Diese von Grice entwickelten Konversationsmaximen wirken zunächst durch ihre Formulierung als Imperative wie Regeln aus einem Sprachbuch. Sie haben aber ebenso wie auch die Sprechakt-Theorie ihre Heimat in der „ordinary language philosophy", wollen also nicht irgendwelche besonders normierten Fälle von Kommunikation darstellen, etwa die wissenschaftliche Kommunikation, sondern Regeln formulieren, die für eine glückende Alltagskommunikation gelten, ohne daß die beteiligten Sprecher sich ihrer bewußt sein müßten. Diese Regeln stellen sich in der Alltagskommunikation gleichsam von selbst ein, da ihre Wirkung sofort deutlich wird. Wer seinen 278 Grice Logic, Grice Notes. 279 Vgl. auch Wonnebergerl Hecht Verheißung 43.

98

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

i.

Mache deinen Beitrag so informativ wie erforderlich. Mache deinen Beitrag nicht informativer als erforderlich. ii. Versuche nichts zu sagen, von dem du nicht glaubst, daß es wahr ist. Versuche nichts zu sagen, von dem du glaubst, daß es falsch ist. Versuche nichts zu sagen, wofür du keine angemessene Evidenz hast. iii. Sei relevant! iv. Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks! Vermeide Mehrdeutigkeit! Sei kurz! Sei folgerichtig! Tafel 4. Konversationsmaximen nach Grice: Diese Hypothesen sind von Grice 1967 in Harvard in den William James Lectures Kap.II,7 aufgestellt worden, aber erst 1975 als Vorabdruck veröffentlicht worden (Grice Logic, vgl. auch Grice Notes). Eine leicht zugängliche Darstellung geben Braunrothj Seyfertj Siegel/ Vahle Ansätze 177-186, deren Übersetzung (S. 180) wir hier wiedergeben. Beitrag nicht informativ macht, wird seinen Partner langweilen, und dieser wird versuchen, sich dem langweiligen Gespräch zu entziehen. Ü b e r den Bereich der Alltagssprache hinaus sind die Konversationsm a x i m e n aber auch f ü r andere Bereiche fruchtbar. 2 8 0 Bei der Ü b e r t r a g u n g auf literarische Texte können sie es erleichtern, das besondere Profil eines Textes herauszuarbeiten, wie es z.B. in bestimmten Passagen des D e u t e r o n o m i u m s vorliegt. 281 In unserem Z u s a m m e n h a n g sind die Konversationsmaximen vor allem als M a ß s t a b für die Beurteilung redaktionellen Handelns von Bedeutung. Eine wichtige Maxime in d e m Modell von Grice ist die der „Relevanz". M a n würde zunächst geneigt sein anzunehmen, d a ß irrelevantes Material einfach ausgeschieden wird. Das mag zwar auch der Fall sein, wenngleich im Alten Testament d a f ü r wegen der Quellenlage nur schwer ein Nachweis zu erbringen ist. Wenn aber ein ursprünglich relevanter Text durch gewandelte U m s t ä n d e an Relevanz verliert, d a n n wird er keineswegs preisgegeben. 2 8 2 Vielmehr wird man versuchen, durch Interpretation — oder eben auch d u r c h redaktionelle Umgestaltung — die Relevanz wieder herzustellen. In der Prophetie gilt dies f ü r einen Großteil der zugesetzten Heilsworte, die sich aus der Situation des Exils erklären, in der die Verkündigung des Unterganges zwar bestätigt ist, aber nicht die gegenwärtigen Probleme trifft. Annahme literarischer Vorlagen. Die Frage, ob frei formuliert sind oder auf Vorlagen beruhen, gelagerten Einzelfällen beantworten lassen. Z.B. w e r f u n g ( L S 15,13.29) und dem II.Bileamspruch 280

redaktionelle Erweiterungen wird sich nur in besonders besteht zwischen Sauls Verein offensichtlicher Z u s a m -

Zur Anwendung auf die Kommunikation mit Komputern vgl. Wonneberger Kommunikation. 281 Vgl. dazu die gegensätzliche Beurteilung von Braulik Mittel VII: „Aus einem Guß" gegenüber Rad Deuteronomium 37: „Unförmiges Redekonglomerat". Zu Brauliks Darstellung der deuteronomistischen Rhetorik Wonneberger Normaltext 209f. 282 Man denke nur an die Bemühungen, in der Diskussion um das Humanistische Gymnasium die Lektüre der lateinischen und griechischen Klassiker zu rechtfertigen.

4.4 Grundbegriffe

99

menhang. 283 Nimmt man an, daß die Bileam-Stelle den Saul-Glossen als Vorlage gedient hat, 284 dann m u ß freilich die Frage nach der Datierung erneut gestellt werden. Vor allem muß dann geklärt werden, auf welchem Wege oder durch welche Institution die Vermittlung zustande gekommen ist.285

4.4

Grundbegriffe

Für unsere spezielle Analyse benötigen wir eine Reihe von Grundbegriffen, die wir vorab besprechen wollen. 4.4.1

Art der eingefügten

Texte

Einschübe werden im Normalfall anhand der Brüche zum umgebenden Kontext abgegrenzt. Betrachtet man sie ohne diesen Kontext, dann kann man fragen, ob der Einschub auch an sich selbst Merkmale der Geschlossenheit aufweist. Wo das der Fall ist, wollen wir von „geschlossenen Abschnitten" sprechen; wo ein Abschnitt ebensogut noch weitergehen könnte, von „offenen Abschnitten". Geschlossene Einschübe liegen vor allem dort vor, wo die für Erzähltexte typischen Anfangs- und Endsignale verwendet werden oder eine Klammerung durch die beiden Teile einer «Paarhandlung» vorgenommen wird, wie z.B. in der Natan-Passage (2.5 12,1.15a), die als redaktionell anzusehen ist, wie der Abschnitt „Natan (2.S 12,l-15a)" auf Seite 105 zeigt. und es schickte Jahwe Natan zu David und er kam zu ihm ... und es ging Natan in sein Haus.

Aufbruch bzw. Sendung und «Heimkehr» bilden hier die «Paarhandlung», und eine Heimkehrnotiz ist schon für sich selbst genommen ein deutliches Schlußsignal. Vom Standpunkt der Redaktion aus betrachtet, können wir in solchen Fällen von einer „Binnenklammer" sprechen. Sie enthebt den Redaktor der Notwendigkeit, die Einbettung anderweitig kenntlich zu machen, also z.B. durch eine «Außenklammer»,286 4.4.2

Textorte redaktioneller

Handlungen

Bei der Redaktionsanalyse konzentriert sich das Interesse meist vor allem auf den Inhalt der Veränderung selbst. Mindestens ebenso wichtig ist aber, an welcher Stelle des vorgegebenen Textes die Veränderung vorgenommen wird. Wir bezeichnen diese Stelle als den «Textort» einer redaktionellen Handlung. 283 Vgl. dazu die Zusammenstellung bei Rouillard Balaam 280. 28" Tosato Colpa 258f. 285 Zu beiden Fragen äußert sich Tosato Colpa nicht. Neuerdings muß bei der Behandlung dieser Fragen auch der in Deir 'Allä gefundene Bileam-Text berücksichtigt werden, vgl. dazu Hackett Text. 286 Siehe „Klammererweiterung" auf Seite 117.

100

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

Der Textort f ü r die E i n f ü h r u n g J o t a m s liegt hinter der . E r m o r d u n g der 70 Söhne Jerubbaals' ( J d c 9,5a), der Textort der J o t a m - R e d e liegt hinter der ,Königskür Abimelechs' ( J d c 9,6). Beide Textorte sind zwingend. 2 8 7 D a ß ein Z u s a m m e n h a n g zwischen Bearbeitung und Textort besteht, ist der Sache nach schon f r ü h e r gesehen worden. Z.B. finden sich redaktionelle Voru n d Rückverweise häufig im R a h m e n der „Abschiedsreden". 2 8 8 Es m u ß aber ganz generell gefragt werden, o b die Stelle, an der die E i n f ü g u n g vorgenommen wird, Anhaltspunkte d a f ü r bietet, d a ß die Wahl gerade auf sie gefallen ist. Vorgängige Erweiterung. Als Textort bietet sich in einigen Fällen eine Stelle innerhalb einer redaktionellen Erweiterung an; unter U m s t ä n d e n s i n n f r e m d e Bemerkungen werden d a mit untergebracht, wo der R e d a k t o r o h n e h i n schon in den Text eingegriffen und sich womöglich der M ü h e unterzogen hat, eine «Klammerung» oder etwas ähnliches zu gestalten. Solche Fälle bezeichnen wir als «Parasitäre Erweiterung». Indikation. Jene Gesichtspunkte, die die Wahl des R e d a k t o r s auf einen bestimmten Textort fallen lassen, bezeichnen wir in A n l e h n u n g an die Medizin als «Indikation». Die Indikation läßt sich a m einfachsten ermitteln, wenn m a n die fragliche Erweiterung probehalber verschiebt. Ein Beispiel d a f ü r ist die wahrscheinlich redaktionelle Verurteilung von J e r o b e a m s A l t a r b a u durch die «Mißbilligungsformel» ,und es wurde diese Tat zur S ü n d e ' (l.R 12,30a).n Bei ihr scheidet eine frühere Plazierung von vornherein aus; denn k ä m e der Einschub schon nach V.28, d a n n würde er sich n u r auf die Rede J e r o b e a m s beziehen, die nur Hilfsfunktion hat. Eine Plazierung nach V.30 290 würde insofern den Sinn ändern, als ja d a n n das zuvor h a n d e l n d e Volk von dem Urteil betroffen würde, während nach d e m vorliegenden Text der K ö n i g betroffen wird. Diese Überlegung zum Textort spricht auch gegen den Zusatz „für Israel", 291 denn in diesem Falle wäre die Notiz eher nach V.30 plaziert worden; zumindest m ü ß t e eine gegenteilige A n n a h m e erklärt werden. Sept. verkennt also offenbar die königskritische Tendenz der Redaktion oder m ö c h t e die Stelle näher an die Gemeinde heranrücken. Nebenwirkungen. N u n gibt es aber auch Argumente, die die Wahl eines bestimmten Textortes als nicht glücklich erscheinen lassen. Diese Gegenargumente können aber nicht gegen die Indikation aufgerechnet werden, denn immerhin hat sich der Redaktor ja f ü r den betreffenden Textort entschieden. Während die Indikation des Textortes auch beim R e d a k t o r vorauszusetzen ist, kann bei den Gegenargumenten nur schwer entschieden werden, ob der Red a k t o r sie nicht bemerkt oder sich über sie hinweggesetzt hat. Wir wollen sie daher als Nebenwirkungen bezeichnen. 287 288 289 290 291

Siehe „Die Abimelech-Pcrikope (Jdc 9)" auf Seite 103. Eißfeldl Kompositionslechnik. Siehe auch „Jcrobeam l.R 12f' auf Seite 126. Dort ist vielleicht eine Parallelformulierung für Betel durch Ilomoioteleuton ausgefallen. So Sept., Vet.Lat.; laut BUS (A. Jepsen) „fortasse r e d e " !

4.4 Grundbegriffe

101

Den Nebenwirkungen kommt bei der redaktionellen Analyse große heuristische Bedeutung zu; je mehr unerwünschte Nebenwirkungen nämlich eine redaktionelle Handlung auslöst, um so eher wird sie zu erkennen sein. Bleiben wir bei der genannten Notiz ( l . R 12,30a), so ist als Nebenwirkung festzuhalten, daß der Zusammenhang zwischen der Handlung des Königs und der Reaktion des Volkes auseinandergerissen wird. Beispiele. Die genealogische Notiz über Heber (Jdc 4,11) ist an den Teiltext „Vorbereitung der Schlacht" (V. 6-10) angehängt. Sie leistet in dieser Stellung neben der textübergreifenden genealogischen Verknüpfung noch etwas anderes: Sie erweckt die Spannung, daß Heber noch irgendwie ins Spiel kommt. Zweck des Einschubes Jdc 6,8-10 ist es, die berichtete Bedrückung durch Midian als Folge religiösen Abfalls zu interpretieren. Zu diesem Zweck wird ein anonymer Prophet eingeführt. Das Debora-Lied (Jdc 5)292 synchronisiert die Ereignisse mit Samgar (V.6), während die Debora-Erzählung ( Jdc 4; 5,31b) sich auf Ehud beruft (Jdc 4,1). Daher ist die Notiz über Samgar (Jdc 3,31) als Einfügung zu betrachten, unabhängig davon, ob man sie mit Noth Studien 51 für alt hält. Dann versteht sich auch die Verdoppelung der Ruhezeit ganz einfach als Übertragung der Richterkonzeption auf Samgar, ohne daß dazu der gesamte Richterrahmen wiederholt werden müßte. 4.4.3

Relation zum vorhandenen Text

Zwischen dem eingefügten Text und dem Text der Vorlage sind verschiedene Relationen denkbar. Im einzelnen werden wir diese Relationen noch zu betrachten haben, im grundsätzlichen lassen sich folgende Relationen unterscheiden: Textkonform: die Vorlage aufnehmend, also z.B. bei der Erweiterung einer Erzählung durch eine Aitiologie; alternativ, den Gattungsrahmen der Vorlage sprengend, also z.B. bei der Einfügung von Geschichtsbetrachtungen in Form von besprechenden Texten (z.B. durch Jahwe-Rede l.S 8 oder durch die Rede eines Gottesmannes l.S 2). 4.4.4

Gründe für die Einfügung

Redaktionelle Einfügungen sollen offenbar bestimmten Mängeln abhelfen. Zur Absicherung ist es daher unerläßlich, das auslösende Interesse namhaft zu machen. So hatte schon Klostermann Samuel 137 ad V.2 darauf hingewiesen, die .Liste der Kinder Davids' (2.S 3,2-5) sei als Beleg für die Machtstellung Davids eingefügt: „Anlaß gab dem Einordner der Satz V.lb, in welchem vom gesegneten Wachstum D.s die Rede war, was unter anderem auch an der Zahl seine Söhne anschaul. gemacht werden konnte". Naturgemäß wird eine eingefügte Passage nur selten unmittelbar etwas über die Gründe aussagen, die zu der Einfügung geführt haben. In den meisten Fällen müssen diese Gründe daher indirekt aus dem Charakter der Stücke erschlossen werden. Müller

Aufbau.

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

102

Bei einigen Stücken des Richterbuches ist offensichtlich, daß sie den Rahmen des Schemas sprengen, das der Redaktor sich gewählt hat. Zum einen gilt dies für den ,Debora-Jael-Komplex' (Jdc 4J).2n Hier ist anzunehmen, daß das Memorabile (Heldentat zweier Frauen), festgehalten in einem Lied, ein solches Eigengewicht entwickelte, daß der Redaktor sich gezwungen sah, es aufzunehmen. Die das Lied doppelnde Erzählung wäre dann als der Versuch zu verstehen, zum einen ein Verständnis des Hergangs zu ermöglichen, der ja im Lied bei den Hörem vorausgesetzt wird, und zum andern die Deutung so anzulegen, daß der Hörer die Subsumption unter das Richterschema akzeptiert. 4.4.5

Redaktionelle

Teilhandlungen

Als redaktionelle Teilhandlungen wollen wir solche Phänomene bezeichnen, die zwar als Merkmale in redaktionellen Handlungen begegnen, aber unselbständig sind. Das sind insbesondere Phänomene unterhalb der Satzebene. Reformulierung. Der Ausdruck „Reformulierung" bezeichnet ein Phänomen, das wir schon im Rahmen der Textgliederung kennengelernt haben. Wir hatten dort von «Renominalisierung» bzw. «Anapherverzicht» gesprochen, wenn auf einen Handlungsträger expliziter referiert wurde, als dies nach den Regeln der Sprachökonomie nötig wäre. Der Begriff der „Reformulierung" ist demgegenüber weiter gefaßt. Er schließt vor allem auch solche Fälle ein, bei denen es nicht um Handlungsträger, sondern um Umstände geht. D a f ü r bietet die Redaktion von Samuels Philistersieg ( l . S 7) schöne Beispiele, zum einen die Wendung „an besagtem Tage", zum anderen die Proform „dort". Für die Einzelheiten wird hier auf die Exegese verwiesen.294 Insgesamt läßt sich sagen, daß die Reformulierung die Distanz des Redaktors zu dem ihm vorliegenden Text verrät. Wer eine Geschichte erzählt, setzt sich in der Regel nicht gleichzeitig mit dem Erzählten auseinander; er referiert nicht auf die Situation, sondern stellt sie dar. Demnach könnte eine solche Reformulierung in vielen Fällen auch unterbleiben. Wenn sie trotzdem gegeben wird, dann steht vielleicht die Absicht dahinter, für den Eingeweihten das Unterscheiden zu ermöglichen. Denn bei dem erwähnten Beispiel bildet die Wendung „an besagtem Tage" einmal den Abschluß des Einschubes ( l . S 7,10)\ im anderen Fall folgt ihr zwar noch etwas, aber dies wird dann ebenfalls durch Reformulierung („dort") angeschlossen ( l . S 7,6). 4.5

Hierarchie der redaktionellen H a n d l u n g e n

In den folgenden Kapiteln wollen wir die Hauptkomponenten eines solchen Handlungsmodells beschreiben. Obwohl eine ganzheitliche Handlungsbetrachtung unser Ziel ist, wählen wir einen induktiven Weg und setzen bei dem am Text zu Beobachtenden ein, um uns von da zu den Handlungen vorzuta293 Die übliche Benennung sowohl der Erzählung als auch des Liedes nach Debora entspricht dem redaktionellen Konzept, das die Figur des jeweiligen Richters in den Mittelpunkt stellt. 294 Siehe „Samuels Philistersieg und Tätigkeit (l.S 7,2b-14.15-17)" auf Seite 297.

4.6 Beispiele

103

sten. Dieser Weg entspricht besser der Forschungslage, in der weniges als gesichert gelten kann und vieles hypothetisch bleiben muß. Ebenen der Beschreibung. stellungen:

Die nächsten Kapitel behandeln folgende Frage-

i. Handlungen auf Textebene: Wie werden — u n a b h ä n g i g v o m Inhalt — die T e x t e durch die Bearbeitung verändert? ii. Handlungen auf Sachebene: In welchem Verhältnis stehen die inhaltlichen Positionen der Bearbeitung zu d e n e n der Vorlage? iii. Oberhandlungen und Strategie: W e l c h e globalen K o n z e p t e stehen hinter der Vielzahl der einzelnen Eingriffe?

Im nächsten Kapitel werden wir mit den „Handlungen auf Textebene" beginnen. Verknüpfung der Handlungsebenen (Indem-Relation). Die ,indem'-Relation gestattet es, eine redaktionelle Handlung in mehreren Auflösungsstufen zu beschreiben. So kann etwa der im Abschnitt „Übertragungen" auf Seite 148 behandelte Unheilstransfer als Herstellen von Tabu-Konsistenz verstanden werden, wie wir sogleich noch sehen werden. 295 Er läßt sich dann folgendermaßen darstellen:

1.

Es wird T a b u k o n s i s t e n z hergestellt, a. indem ein Mißverständnis g e s u c h t wird, 1) indem eine Korrektur angebracht wird ( A m m o n i t e r ) , a) indem eine K l a m m e r e i n b e t t u n g g e m a c h t wird. b) ... 2)

b. 2.

...

...

...

Tafel 5. Die Indem-Relation: D u r c h die Punkte wird angedeutet, d a ß die Beschreibung der H a n d l u n g e n auf jeder Ebene fortzusetzen ist.

4.6

Beispiele

Wir verdeutlichen diese Ansätze durch einen kurzen Blick auf zwei Texte, die häufig zur Veranschaulichung exegetischer Methoden gewählt werden. 4.6.1

Die Abimelech-Perikope

(Jdc 9)

Als erstes Beispiel betrachten wir die .Abimelech-Geschichte' (Jdc 9). Dieser Text wird wegen seiner Überschaubarkeit auch sonst gern als Beispieltext für die exegetischen Methoden verwendet. 296 Er ermöglicht zudem auch Konkre295 Siehe „Tabus" auf Seite 92. 296 Vgl. die Behandlung in Zenger Beispiel.

104

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

tion 297 in archäologischer 298 und topographischer Hinsicht. 299 Auch ist er von Crüsemann Widersland im Zusammenhang des Themas „Widerstand gegen das Königtum" behandelt worden. Als Anhaltspunkt sei hier die zuletzt vorgelegte Analyse von Fritz Abimelech 143 mitgeteilt: Gaal-Episode V.26-41; Königtum Abimelechs über Sichern V.l-5a, 6, 23, 25, 42^45, 50-54, 56; Jotam-Überarbeitung V.5b, 7-16a, 19b-21, 46-49; redaktionelle Ausweitung des Königtums auf GesamtIsrael V.22, 55; Erweiterungen V. 16b-19a, 24, 57. Auf eine Auseinandersetzung im einzelnen muß jedoch in diesem Rahmen verzichtet werden. Betrachten wir die Einfügung Jotams zur Vorbereitung der Jotam-Fabel: 5 B

6 B

und er (Abimelcch) ging in sein Vaterhaus nach Ophra und er ermordete seine Brüder, die Söhne Jerubbaals, 70 auf einem Stein. c und es blieb übrig Jotam, der jüngste Sohn Jerubbaals, D denn er hatte sich versteckt. und es versammelten sich alle Bürger von Sichern und alle Insassen des Millo und gingen und machten Abimelcch zum König bei der Eiche mit dem Malstein, die bei Sichern steht, 7 und sie taten es Jotam kund, B und er ging und trat auf die Höhe des Berges Garizim, c und er erhob seine Stimme und rief ihnen zu: 8 — Jotam-Rede —

Tafel 6. Komplexes Erweitern: Die Einfügung Jotams in Jdc 9. Die redaktionellen Passagen sind stark eingerückt. In diesem Text fällt auf, daß Jotam eingeführt wird, noch ehe der vorangehende Zusammenhang abgeschlossen ist. Wie wir an anderer Stelle zeigen,300 kann es sich bei Jdc 9,25-^42 nicht um eine Klammereinbettung handeln; also muß auch V.42 bis zum Beweise des Gegenteils der Abimelech-Erzählung zugerechnet werden. Dann aber muß nach einem Anknüpfungspunkt für das „wajjehi mimmochorat" (Jdc 9,42) gesucht werden. Dieser liegt nun weder in der vorangehenden Vertreibung Gaals (V.42) oder selbst seiner Niederwerfung (V.41), noch kann er in V.25 gesucht werden; denn das Wegelagern ist habituell formuliert, und die Meldung an Abimelech konstituiert kein Ereignis, das einen bestimmten Tag als Bezugspunkt für „morgen" etablieren würde. Ein solches Ereignis aber gilt es zu suchen, und es läßt sich auch unschwer finden, wenn man die Gaal-Episode ihrerseits auf Fremdkörper durchgeht. Denn das Winzerfest der Sichemiten paßt nur insofern zu der Gaal-Episode, als es einen Hintergrund skizziert, der auf eine gewisse Aufmüpfigkeit der Bewohner hindeutet. Andernfalls wäre es als blindes Motiv anzusehen. Stellt man es jedoch in den Rahmen der Abimelech-Erzählung, dann bekommt der 297

Vgl. die Abbildung eines Tores in Boling Judges. Z u Sichern (teil balata) Jaros Sichern-, Otto Jakob. 299 Vgl. Rösel Studien 24-31. 300 Siehe -»Grenzen der Verwendung im Abschnitt „Klammererweiterung" auf Seite 117. 298

4.6 Beispiele

105

ganze Z u s a m m e n h a n g plötzlich auch strategisch einen Sinn. Abimelech hütet sich nämlich, das stark befestigte Sichern offen anzugreifen; auf die erste M e l d u n g hin wartet er erst einmal ab. Als er aber hört, d a ß die Bewohner selbst ihre Bastion entblößen, indem sie zur Weinlese hinaus aufs Feld gehen, nutzt er seine C h a n c e z u m Überfall. Die Sätze über das Winzerfest geben also nicht nur den Einsatzpunkt f ü r das „am folgenden T a g " (V.42), sondern zeichnen auch den Hintergrund, dessen natürlicher Teil das Hinausgehen aufs Feld ist. D a m i t ist nun zugleich auch die zweifache M e l d u n g an Abimelech motiviert. Beim erstenmal erfährt er von dem A u f r u h r ; unausgesprochen bleibt, d a ß er auf seine Gelegenheit wartet. Beim zweitenmal erfährt er, d a ß die Sichemiten die Stadt verlassen; erst diese zweite Nachricht löst sein Eingreifen aus. D a r a u s folgt nun zunächst, d a ß die eigentliche E i n f ü g u n g V.28-41 ist. Textort dieser Einfügung ist die Unbotmäßigkeit, an die G a a l geschickt ank n ü p f e n kann. Dazu aber ist erforderlich, d a ß er den Sichemiten schon vertraut ist, und ebendies wird durch eine vorangestellte E i n f ü g u n g in V.26 dem Leser vermittelt. Sie verrät sich dadurch als Einleitung zu der zweiten Episode, d a ß sie ihr Ziel unmittelbar anvisiert, indem sie ein berichtendes A b s t r a k t u m auf einer höheren Auflösungsebene verwendet: „Sie faßten Vertrauen" (V.26) beschreibt nicht eine einmalige Handlung, sondern einen längeren Prozeß. Der «Textort» dieser Einfügung ist nur relativ zu bestimmen: Vor der verbalen Unbotmäßigkeit (V.27), nach dem faktischen Abfall (V.25). 4.6.2

Natan (2.S

12,1-lSa)

D a ß die Natan-Passage insgesamt ein Einschub ist, wird allgemein angenommen. 3 0 1 Der Einschub steht im Kontext „der Erzählung von dem Weg, auf d e m Bathseba an den Hof Davids kam und Mutter des Thronfolgers Salomo wurde", 3 0 2 die eine deutlich kritische H a l t u n g einnimmt. 3 0 3 Aber die Einzelheiten sind umstritten. 3 0 4 Betrachten wir zunächst die Übersetzung in N o r m a l f o r m : 27 B c D b

und es ging vorüber die Trauerzeit, und es s a n d t e D a v i d und holte sie in sein Haus, und sie wurde ihm zur Frau, und sie gebar ihm einen Sohn. und es war schlecht die Sache, die David getan hatte, in den A u g e n Jahwes. 12 U n d es schickte Jahwe den N a t a n zu D a v i d b und er k a m zu ihm c und er sprach zu ihm: D Zwei M ä n n e r waren in einer Stadt, E einer reich und einer arm. 2 D e m Reichen gehörte Kleinvieh und Rinder in großer Fülle.

301 Bicken Geschichte 15 mit Dietrich Prophetie 127-132; Würthwein Erzählung 24f; weitere Literatur bei Veijola Dynastie 113 A.43. 302 Würthwein Erzählung 31. 303 V.24bß scheint dem entgegenzustehen, ist aber wohl als Namenserklärung aufzufassen, so Würthwein Erzählung 28-30. 304 Z.B. rechnet Veijola Dynastie 112fauch 11,27b zum Einschub.

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion U n d dem Armen gehörte nichts außer einem kleinen Schaflamm, das er gekauft hatte, und er zog es auf und es wuchs heran mit ihm und mit seinen Söhnen gemeinsam; von seinem Bissen aß es, und aus seinem Becher trank es, und an seiner Brust lag es, und es war ihm wie eine Tochter. Und es kam Besuch zu dem reichen Mann, Und es widerstrebte ihm zu nehmen von seinem Kleinvieh und von seien Rindern, um es zu bereiten dem Wanderer, der zu ihm gekommen war; und er nahm das Schaflamm des armen Mannes und er bereitete es dem Mann, der zu ihm gekommen war; und es entbrannte der Zorn Davids gegen den Mann sehr, und er sprach zu Natan: bei Jahwe, daß ein Sohn des Todes ist der Mann, der getan hat dieses! und das Schaflamm soll er erstatten vierfach, d a r u m d a ß er getan hat diese Sache! und weil er kein Mitleid hatte. Und N a t a n sprach zu David: Du bist der Mann! b So hat gesprochen Jahwe der Gott Israels: D Ich selbst habe gesalbt dich zum König über Israel E und ich selbst habe errettet dich aus der Hand Sauls. 8 und ich gab dir das Haus deines Herrn und die Frauen deines Herrn an deinen Busen, B und ich gab dir das Haus Israel und Juda, b und wenn es zu wenig ist, D dann werde ich hinzufügen diese und jene. 9 W a r u m hast du verachtet B [das Wort] Jahwe[s], c zu tun das Schlechte in seinen Augen? D den Uria den Hethiter hast du geschlagen mit dem Schwert, E und seine Frau hast du genommen dir zur Frau; b und ihn hast du getötet durch das Schwert der Ammoniter. 10 und jetzt: nicht wird weichen das Schwcrt von deinem Hause in Ewigkeit. b d a r u m daß du verachtet hast c mich D und genommen die Frau Urias, des Hethiters E zu sein dir zur Frau. 11 So hat gesprochen Jahwe: B Siehe ich bin am Heraufführen über dich Böses aus deinem Hause, c und ich nehme deine Frauen vor deinen Augen D und ich gebe sie deinem Nächsten, b und er wird schlafen mit deinen Frauen vor den Augen dieser Sonne; 12 denn du hast es getan im Versteck b und ich werde tun diese Sache gegenüber ganz Israel und gegenüber der Sonne. Und es sprach David zu Natan: ich habe gesündigt an Jahwe. Und es sprach Natan zu David auch Jahwe hat vorübergehenlassen deine Sünde.

4.6 Beispiele

107

E

nicht wirst du sterben. Nur weil du lästerlich gelästert hast Jahwe durch diese Tat b auch der Sohn, der geboren ist dir, wird den Tod sterben. 15 Und es ging Natan in sein Haus. Und es schlug Jahwe das Kind, das die Frau des Uria dem David geboren hatte, und es wurde schwer krank. 14

b c D

Einen deutlichen Einschnitt bildet der A u f t r i t t N a t a n s (V.l). Ein ebenso deutliches Ende bildet die Heimkehr N a t a n s (V.15a). T r i f f t diese A b g r e n z u n g zu, d a n n wird dadurch eine Paar-Aussage aufgesprengt: II,27b und es war schlecht die Sache, die David getan hatte, in den Augen Jahwes. 12,15b Und es schlug Jahwe das Kind, das die Frau des Uria dem David geboren hatte, und es wurde schwer krank. Das Verhältnis der beiden Teilaussagen ist das von ,Motiv' und ,Folgehandlung'. Der «Textort» der Einfügung ist also so gewählt, d a ß nach der ersten Teilhandlung der Leser die fehlende Ergänzung erwartet und mit ihrem Eintreten wieder zum ursprünglichen Verlauf der Erzählung zurückkehren kann. Wir bezeichnen dieses Verfahren d a h e r als «AufSprengung». Ausgangspunkt der exegetischen Diskussion ist die von Rost Überlieferung 92ff entwickelte und von anderen ü b e r n o m m e n e These, d a ß n u r V.7a alt sei; d a n n sei V . l l f eingeschoben, danach erst V.7b-10. Dieser Auffassung hat vor allem Dietrich Prophetie widersprochen. Er geht davon aus, d a ß zwischen V.lOb und V.9a das Verhältnis der «Wiederaufnahme» besteht, 305 und ermittelt zwei Schichten: 306 Schicht A: (V.8aab. *9aa[bis yhwh]. lObß *11. 12) wertet Davids Ehebruch als Verachtung von Jahwes Güte; Schicht B: (V.7b. 8aßy. *9aa[ab la'asöt]. 9aßy. lOaBct) bringt einzelne Erweiterungen zu A. Daraus ergibt sich f ü r ihn die Konsequenz, d a ß der ganze Abschnitt V. 1-4 von D t r P interpoliert ist; auch 11,27b weist er als Überleitungsformel an DtrP. Einen überzeugenden Beweis f ü r diese Auffassung m u ß Dietrich jedoch schuldig bleiben. Es ist sicher nicht zufällig, d a ß er am Ende des Abschnitts Zuflucht zur «Weglaßprobe» n i m m t . D a ß es den Kontext nicht stört, den Abschnitt auszulassen, ist aber keine akzeptable literarische Begründung. Eine Schlüsselrolle f ü r die Beurteilung der redaktionellen Verhältnisse hat das Sündenbekenntnis (V.13f). 307 Vergleichsstellen sind: 308 1.S 15,24: Saul bekennt die Übertretung des Banngebotes; 2.S 24,10b. 17: David bekennt die Sünde der Volkszählung. Es bildet offenbar eine «Ansteuerung» zu dem in der Vorlage erzählten T o d des Kindes. Eine solche Ansteuerung wäre aber überflüssig, wenn N a t a n s Rede die Botenworte enthalten hätte. Denn diese kündigen zweierlei Strafe an: Das Schwert für die Tat an Uria; die Entehrung f ü r den Ehebruch mit 305 306 307 308

Dietrich Prophetie 128. Dietrich Prophetie 130f. Bicken Geschichte 15 läßt es ohne Begründung als „jüngste Schicht" außer Betracht. Veijola Dynastie 112f.

108

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

Batseba. Das Sündenbekenntnis hingegen präsupponiert als Strafe den Tod Davids, es greift auf Davids Urteil V.5 zurück. Als weiteres Argument kommt die Funktion der Beispiel-Erzählung hinzu. Wären nämlich die Botenworte das Ziel von Natans Rede, dann wäre das Exempel überflüssig; denn auch sonst kommen Gottesmänner ja gleich zur Sache (z.B. LS 2,27ff). Die Beispiel-Erzählung hat ihren Sinn nur dann, wenn sie zum Ziel hat, David zu fangen, mit anderen Worten ihm ein Geständnis zu entlocken. Ebendies geschieht in V.13. Damit ist gezeigt, daß Davids Sündenbekenntnis und die Beispiel-Erzählung aufeinander bezogen sind. Schon früher ist gesehen worden, daß sich die Episode vom Tod des Kindes 12,24b.ff gut an 11,27a anschließen läßt. „Es ist sehr möglich, daß die Erzählung von dem ersten gestorbenen Kind der Bathseba eine Legende ist, die von Salomo den Makel nehmen will, daß er als Frucht eines ehebrecherischen Verhältnisses geboren sei." 309 Sachlich gesehen wird durch die zweite Schwangerschaft die Belagerung von Rabbath Ammon ungebührlich zerdehnt. Literarisch gesehen fehlt bei der Geburt des ersten Kindes die Namengebung. 310 Diese Überlegungen lässen sich folgendermaßen stützen: Gehen wir davon aus, daß die Namengebung zur Geburt gehört, dann haben wir es auch hier mit einer Aufsprengung zu tun. Das eingefügte Stück arbeitet dann mit einer «Ansteuerung»-, mit der erneuten Geburt stellt es den Zustand wieder her, der zuvor verlassen wurde. Mit dem .Mißfallen Jahwes' wird der Erzählablauf auf eine andere Ebene gehoben, auf die Ebene der Deutung. Ein authentischer Tod des Kindes wäre vermutlich im normalen Erzählablauf dargestellt worden; hier aber wird ein neues Thema angeschlagen, nämlich die theologische Bewältigung des Vergehens. Wenn es sich um einen Einschub handelt, dann erfüllt er mehrere Funktionen: Er handelt das Vergehen Davids ab, indem dieser bestraft wird; daß es nicht um das Kind geht, sondern um David, zeigt V.22: „Vielleicht ist der Herr mir gnädig"; er macht damit den Weg für den ungetrübten Fortgang der Geschichte frei und zeigt David als selbstbewußten religiösen Pragmatiker. Nachdem mit dem Tod des Kindes die Strafe bezahlt ist, ist für ihn alles wieder im Lot; er entlastet Salomo von dem Makel einer ehebrecherischen Geburt. Betrachten wir nun die Tendenz der Einfügung. In der Vorlage fällt lediglich die Frucht der illegitimen Verbindung der Strafe zum Opfer. Der eigentliche Übeltäter dagegen geht frei aus. Diese Lösung des Konfliktes ist natürlich vom ethischen Standpunkt aus unbefriedigend. Sie bedarf der Korrektur, steckt aber zugleich jeder Korrektur auch den Rahmen ab: David muß einerseits bei seiner persönlichen Schuld behaftet werden, andererseits muß er der dann verwirkten Strafe entzogen werden. Ersteres leistet die BeispielErzählung. Sie bringt David zum Geständnis seiner Schuld. Davids Geständnis bedeutet aber, daß er sich selbst das Todesurteil gesprochen hat. Letzteres leistet das Geständnis. Es eröffnet die Möglichkeit zur Begnadigung. Was ur309 E. Auerbach, Wüste und Gelobtes Land, 1932, S.241, zitiert bei Würlhwein Erzählung 31 A.48, dort auch Besprechung der Forschung. 310 Würthwein Erzählung 32, der aber einräumt, daß seine Argumente nicht beweiskräftig seien.

4.7 Zur sozialen Funktion der Redaktion

109

sprünglich mit David gar nichts zu tun hatte, nämlich der Tod des Kindes, kann jetzt als Milderung und Verlagerung der Strafe erscheinen. In ihrer Wirkung ist diese Bearbeitung pro-davidisch. Indem sie David bei seiner Schuld behaftet, entzieht sie ihn dem Ruch dessen, der mit seinen Missetaten immer ungeschoren davon kommt. Indem sie ihn seine Schuld bekennen läßt, zeigt sie ihn als den reuigen Sünder, der alles daran setzt, das Verhältnis zu Jahwe zu reparieren. Der Abschnitt vollzieht also eine «Deutung» der Vorlage.311 4.6.3

Fazit

Durch unser Modell des redaktionellen Handelns haben wir einen groben Rahmen abgesteckt, den es nun durch Analysen im einzelnen auszufüllen gilt. Wie die beiden hier vorgeführten Musterbeispiele zeigen, liegt die Aufgabe darin, die Ergebnisse der exegetischen Einzelforschung mit dem soeben skizzierten Modell in Beziehung zu setzen. Wenn dies gelingt, erhalten wir eine Theorie der redaktionellen Handlungen, die wir auch als spezielle Redaktionstheorie bezeichnen können, weil sie sich dann ihrerseits wieder als Werkzeug bei der Exegese verwenden läßt und so den Blick für redaktionelle Phänomene schärft. 4.7

Zur sozialen F u n k t i o n der Redaktion

Obwohl nun in der Exegese schon seit geraumer Zeit redaktionsgeschichtlich gearbeitet wird, ist m.W. bisher noch nicht gefragt worden, welche Antriebskräfte ganz generell zur Entstehung des Phänomens Redaktion geführt haben. Eine Antwort auf diese Frage läßt sich wohl nicht als Folgerung aus Untersuchungen der Redaktion selbst ableiten. Sie erfordert vielmehr einen ähnlichen Ansatz wie die Frage nach dem Sitz im Leben in der Formgeschichte. Es muß nämlich gefragt werden, welche spezifischen Leistungn die Redaktion vollbringt, und in welchen Gruppen oder zeitgeschichtlichen Konstellationen sie verankert ist. Natürlich läßt sich diese Frage in unserem Rahmen nicht beantworten. Wir wollen aber zu skizzieren versuchen, von welchen Vorstellungen man dabei ausgehen könnte. 4.7.1

Die Dissonanztheorie Festingers

Dabei greifen wir auf eine „Theorie der kognitiven Dissonanz" aus der Sozialpsychologie zurück.312 Sie hat sich in der kurzen Zeit seit ihrer Veröffentlichung 1957 als wichtiges Erklärungsinstrument in der Sozialpsychologie durchgesetzt und zahlreiche experimentelle Studien ausgelöst, 313 die zu ihrer Bestätigung und Präzisierung geführt haben. Eine zusammenfassende Darstellung geben die Lehrbücher der Sozialpsychologie. 314 311 Vgl. auch Bicken Geschichte 16. 312 Festinger Theory. 313 Vgl. dazu die regelmäßigen Überblicke in Berkowitz 3' 4 Z.B. Herkrter Einführung.

Advances.

110

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

DS

=

A D R / (ADR + A K R )

Tafel 7. Berechnung der Dissonanzstärke: Symbole DS: Dissonanzstärke; ADR: Anzahl der dissonanten Relationen; AKR: Anzahl der konsonanten Relationen. Nach Herkner Einführung 25f a) Die kognitive Dissonanz Ausgangspunkt der Theorie sind die kognitiven Elemente, die nicht näher definiert werden; zu ihnen gehören Werturteile („dieses Bild ist schön") ebenso wie beschreibende Äußerungen („diese Wand ist weiß"). Kognitive Elemente können zueinander in zwei Relationen stehen; ihre Beziehung heißt konsonant, wenn sie mit einander verträglich sind, und dissonant, wenn sie zueinander in Widerspruch stehen. Ein Beispiel sind die Kognitionen: „Ich rauche viel"; „Rauchen ist gesundheitsschädlich". Ein solcher Widerspruch muß nicht schon an der Oberfläche erkennbar sein; ob er anzunehmen ist, hängt sehr stark von den Prämissen des jeweils vorliegenden Falles ab. Die relative Stärke der Dissonanz läßt sich durch einen Index kennzeichnen, dessen Wert stets zwischen 0 und 1 liegt. Er beschreibt den Anteil der dissonanten Kognitionen an der Gesamtmenge der Kognitionen in Bezug auf einen Gegenstand und läßt sich nach der Formel in Tafel 7 auf dieser Seite berechnen. Ist die kognitive Dissonanz stark genug, dann wird sie einen Versuch zur Beseitigung dieser Dissonanz auslösen. b)

Dissonanzreduktion

Die kognitive Dissonanz läßt sich dadurch reduzieren, daß neue kognitive Elemente aufgenommen werden, so daß zwischen ihnen und den vorhandenen Elementen neue konsonante Relationen gebildet werden können; vorhandene kognitive Elemente so umgebildet werden, daß sich konsonante Relationen einstellen. Würde der Raucher von folgender Liste von Kognitionen ausgehen: „Ich rauche viel"; „Rauchen ist gesundheitsschädlich"; „Rauchen sieht gut aus"; „Rauchen ist entspannend"; „fast alle meine Freunde rauchen auch", dann würde er durch die drei konsonanten Relationen die Dissonanz von 1 auf 1/4 herabsetzen. Er könnte natürlich auch versuchen, eine der beiden dissonanten Kognitionen zu verändern: A': „ich kenne Leute, die viel mehr rauchen; eigentlich rauche ich noch wenig"; B': „Rauchen ist gar nicht gesundheitsschädlich; es gibt genügend Raucher, die kerngesund alt geworden sind". Welcher Weg zur Reduktion gewählt wird, hängt vor allem von der Bindung (commitment) der kognitiven Elemente ab. Denn „öffentliche" Elemente wie (A) sind stark gebunden und daher nur schwer zu verändern. Weniger gebunden und daher leichter zu verändern sind „private" Elemente, z.B. nie oder selten geäußerte Meinungen und Bewertungen.

4.7 Zur sozialen Funktion der Redaktion c)

III

Erklärungsgehalt

Wir müssen es uns hier versagen, die Erklärungskraft der Dissonanztheorie an Beispielen oder Experimenten darzustellen. 315 Sie liegt vor allem auch darin, daß sie nicht nur erwartbare Ergebnisse voraussagt, sondern gerade auch solche, die der Intuition widersprechen und nicht selten geradezu paradox erscheinen. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, daß es religiöse Phänomene waren, die Festinger einen wichtigen Anstoß zur Formulierung seiner Theorie vermittelt haben. Er hatte nämlich beobachtet, wie die Mitglieder einer Sekte mit dem Umstand fertig wurden, daß der von ihnen vorhergesagte und intensiv vorbereitete Weltuntergang nicht stattfand: keineswegs etwa dadurch, daß sie ihre Auffassungen aufgegeben hätten. 316 4.7.2

Dissonanztheorie und Prophetie

Verallgemeinert man die von Festinger beschriebene Situation der Sekte, so fällt es nicht allzu schwer, eine Verbindung zur Prophetie im Alten Testament herzustellen. Soweit dort konkrete Weissagungen gemacht werden, sind sie stets bedroht, durch einen anderen Verlauf der Geschichte Lügen gestraft zu werden. Sofern aber der Prophet eine Gemeinde um sich geschart hat, oder später in das kanonische Erbe einer Gemeinde eingegangen ist, wird man seine Weissagungen unter keinen Umständen einfach fallen lassen, sondern nach anderen Wegen zur Verminderung der Widersprüche suchen. Daß wir es hier mit einer typischen Dissonanz-Situation zu tun haben, ist eine Hauptthese von Carroll Prophecy. The core of my thesis is that some of the hermeneutic processes evident in the prophetie traditions are indications of dissonance response, hence the stress on the principle dissonance gives rise to hermeneutic. As editors worked with the texts they occasionally provided explanations that reduced some of the problems associated with the expectations in the traditions. 317

4.7.3

Anwendung auf die Redaktion

Was Carroll Prophecy für den Sonderfall scheiternder Prophetie herausgearbeitet hat, läßt sich leicht auch für andere Bereiche das Alten Testaments fruchtbar machen. Im Fall der Prophetie muß die Weissagung einer anders verlaufenen Geschichte angepaßt werden. Im Falle der Geschichtsschreibung kommen andere Aufgaben hinzu. Die wichtigste davon dürfte es sein, einen widrigen und schmachvollen Verlauf der Geschichte so zu verarbeiten, daß die JahweReligion unangetastet bleibt. Der einschneidendste geschichtliche Anlaß dieser Art ist sicher das Exil, und entsprechend führt es nicht nur zu einzelnen Bearbeitungen, sondern zu einer umfassenden Bearbeitung, die wohl noch 315 316 3

'7

Zwei aufschlußreiche Experimente sind beschrieben bei Herkner Einführung 28-30. Ein ausführliche Schilderung bei Festinger Theory. Carroll Prophecy 124.

112

4. Ein Handlungs-Modell der Redaktion

über Dtr und P hinausgeht. 318 So kann ein zeitgenössischer Vorgang, etwa ein bestimmtes Verhalten des Königs, mit religiösen Vorstellungen in Konflikt geraten und dadurch starke Dissonanzen auslösen. Eine Möglichkeit, sie zu reduzieren, liegt dann darin, eine geeignete Legitimation zu fingieren und ihr dadurch Autorität zu verschaffen, daß sie in eine frühere Zeit als Weissagung zurückverlegt wird. Dieses Muster haben wird bei der Verwerfung der Eliden kennengelernt, die wahrscheinlich ein Reflex auf Salomos selbstherrliches Absetzen Abjatars und Einsetzen Zadoks ist. Wenn wir auch nicht erwarten dürfen, daß sich alle redaktionellen Interventionen aus der Reduktion von Dissonanz ableiten lassen, so bietet die Dissonanztheorie doch eine wichtige Hilfe zum Verständnis der Grundlagen von Redaktion.

3>8 In den Worten von Auerbach Überarbeitung 1 „die große Überarbeitung der Bibel"

Nur der richtige Name gibt allen Wesen und Dingen ihre Wirklichkeit. (Michael Ende, Die unendliche Geschichte, Kapitel XI)

Zweiter Hauptteil

Theorie der redaktionellen Handlungen Exegese vollzieht sich im Zirkel von zwei Herangehensweisen, der kursorischen Auslegung der Texte auf der einen Seite und der exegetischen Theoriebildung auf der anderen. Auslegung ohne theoretische Rückbindung wird wesentliche Befunde übersehen, exegetische Theorie ohne Absicherung durch die Auslegung wird leicht ins Unverbindliche und Konstruierte abdriften. D e n n o c h wäre es nicht gut, in unserem Fall beides miteinander zu vermischen. D e n n bei unserer geplanten Auslegung der Samuel-Überlieferung wollen wir unter den zahlreichen Problemen, die diese Texte aufwerfen, vor allem die Frage in den Blick nehmen, wo sich Anzeichen für redaktionelle Eingriffe in den Text finden. Was solche Beobachtungen im einzelnen angeht, können wir dabei zunächst an die Literarkritik anknüpfen. Unser Ziel ist es jedoch, über eine rein literarkritische Betrachtungsweise hinauszukommen und zu verstehen, welche Handlungen die Redaktoren an den Texten vorgenommen haben. Wir werden dieses Ziel leichter erreichen, wenn wir uns zuvor schon auf breiterer Textbasis eine Vorstellung davon verschafft haben, von welchen Grundregeln redaktionelle Vorgänge geprägt sind. Wir werden daher zunächst das Modell einer Redaktionstheorie erarbeiten. Bei der Frage nach den redaktionellen Handlungen geht es aus exegetischer Perspektive um ein diachrones Problem, eben die Anpassung von Texten an eine veränderte Wirklichkeit. Aus der Sicht der linguistischen Pragmatik handelt es sich aber ebensowohl um ein synchrones Problem, insofern ein Redaktor ja — so lautet unsere Hypothese — kaum völlig beliebig, sondern im R a h m e n fester Regeln — seien sie nun explizit erlernt oder auch ihm unbewußt — die Texte verändert haben wird. Man kann diesen synchronen Aspekt vielleicht am prägnantesten als die Frage nach den Regeln der Textveränderung beschreiben, und dieser Aspekt ist es auch, der über die diachrone Fragestellung der Redaktionsgeschichte hinausführt. In den folgenden Kapiteln wird es also d a r u m gehen, zumindest in Grundzügen eine Art Grammatik des Redigierens zu erarbeiten. Dazu gehört auch, d a ß wir die Regelhaftigkeit der Phänomene benennbar machen, ihnen also, wie das Motto schon andeutet, geeignete N a m e n geben. In den folgenden

114

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

Abschnitten werden also etliche neue Begriffe eingeführt, die dann auch bei der Exegese der Samuel-Texte als termini technici vorausgesetzt werden. Durch die hierarchische Gliederung der folgenden Kapitel wird zugleich versucht, diese Begriffe in einen Gesamtzusammenhang einzufügen. Es ist daher für das Verständnis eines Begriffes durchaus von Bedeutung, unter welchen Oberbegriffen er angesiedelt ist. Die zu beschreibenden Phänomene lassen sich drei Hauptbereichen zuordnen: Zunächst manifestiert sich Redaktion stets als Veränderung vorhandener Texte („Redaktionelle Handlungen auf Textebene"). Sodann verwendet Redaktion neue Sachverhalte, tilgt vorhandene oder stellt neue Beziehungen zwischen Sachverhalten her („Redaktionelle Handlungen auf Sachebene"). Schließlich tut Redaktion dies, um bestimmte Ziele und Absichten zu verfolgen, also Intentionen im Sinne der linguistischen Pragmatik („Redaktionelle Oberhandlungen"). Diese Reihenfolge der Darstellung steht für ein induktives Vorgehen, weil ja die entsprechenden Phänomene erst anhand der Textspuren rekonstruiert werden müssen. Aus der Sicht der Pragmatik gilt jedoch umgekehrt ein deduktiver Zusammenhang: Redaktion realisiert Intentionen, indem sie Sachverhaltsbeziehungen herstellt, und sie stellt Sachverhaltsbeziehungen her, indem sie Texte verändert.

Kapitel 5

Redaktionelle Handlungen auf Textebene Was immer die Intentionen eines Redaktors sein mögen, er realisiert sie, indem er an einem konkreten Text ganz konkrete Änderungen vornimmt. Diese Änderungen werden schon bei einer ganz äußerlichen Betrachtung sichtbar: Der Text wird länger oder kürzer, oder es ändert sich gegenüber einer anderen Ausgabe die Reihenfolge bestimmter Teile. Auf dieser Ebene hat unsere Erfassung der Redaktion anzusetzen, wenn sie induktiv vorgehen soll. Denn zum einen sind die Beobachtungen hier am offensichtlichsten, zum anderen dürfte hier der größte Konsens zu erwarten sein. Diese Ebene kann dann auch das Fundament für weitere Ebenen bilden, die stärker inhaltliche Gesichtspunkte einbeziehen und daher naturgemäß auch umstrittener sein dürften. Wir geben zunächst eine Übersicht über die Haupttypen und die Typen der Erweiterung. Am einfachsten lassen sich die Phänomene nach dem Kriterium ordnen, ob die Vorlage durch die Bearbeitung länger oder kürzer wird oder gleich bleibt. Wenn sie gleich bleibt, dann kann sich die Reihenfolge oder der Inhalt einzelner Teile geändert haben. Demnach sind folgende Hauptgruppen zu unterscheiden: Erweiterungen; Umstellungen; Änderungen; Verkürzungen.

5.1 Typen der Erweiterung

5.1

115

Typen der Erweiterung

Die Erweiterungen bilden das Hauptkontingent der redaktionellen Handlungen. Erweitert wird, um neues Material einzuführen, vor allem aber, um das Vorliegende zu deuten oder umzuinterpretieren. Bei allen Erweiterungen stellt sich die Frage des Anschlusses, u.z. doppelt: Einmal an den vorangehenden Text, zum anderen an den nachfolgenden (siehe „Ansteuerndes Erweitern" auf Seite 136). Zunächst kann danach unterschieden werden, ob der Bezug zum vorliegenden Text nur am Anfang oder am Ende der Erweiterung hergestellt wird (anschließende bzw. ansteuernde Erweiterung), oder ob Anfang und Ende der Erweiterung aufeinander bezogen sind (Klammerungen). Wegen der Vielfalt der Möglichkeiten kommt es hier besonders auf die Klärung der Begriffe an. Als Oberbegriff haben wir die Bezeichnung „Erweitern" gewählt. Je nach der Beziehung zum Kontext lassen sich dann mehrere Typen der Erweiterung unterscheiden, die wir in Tafel 8 auf der nächsten Seite zusammengestellt haben. In diesem Zusammenhang sind noch eine Reihe weiterer Unterschiede zu besprechen, ohne daß sich daraus ein terminologischer Anspruch ergeben soll. i. Zusetzen: Von Zusatz wollen wir sprechen, wenn die Welt des Textes verlassen wird. Dies gilt z.B. für die «Nachwirkungsformel» „bis auf diesen Tag". ii. Einfügen: Wenn die Erweiterung zwar in der Welt des Textes bleibt, aber nicht als eigenständiger Text bestehen könnte, wollen wir von „Einfügung" sprechen. Die Einfügung hat also nur die Aufgabe, das Vorgegebene zu akzentuieren oder zu modifizieren. Ein Beispiel ist die Einführung der Person Jotams ( J d c 9,5b)\ sie ist nicht eigenständig, sondern nur Vorbereitung der umfassenden Jotam-Rede. iii. Einbetten: Die Einbettung soll von der Einfügung dadurch unterschieden sein, daß bei ihr das Eingefügte eine eigenständige Größe ist, sich also gegen den Kontext klar abgrenzen läßt. Ein Beispiel ist die ,Jotam-FabeP ( J d c 9), die vom jetzigen Kontext unabhängig ist.

Von « Verzahnen» können wir dann sprechen, wenn mehrere Erweiterungen miteinander in Zusammenhang stehen, aber intermittierend in die Vorlage eingefügt werden. Ein Beispiel dafür ist die Annahme, daß die Texte 1.S 8\ l.S 10,17ff\ 1.S 12 mit der vorliegenden Saul-Überlieferung verzahnt sind. Daß die Terminologie die redaktionelle Analyse nicht vorwegnimmt, sondern im Gegenteil voraussetzt, mag die folgende Notiz zu ,Jerobeams Altarbau' zeigen, auf die wir noch in anderem Zusammenhang zurückkommen: 1 „Und es wurde diese Tat zur Sünde" (LR 12,30a). Ordnet man sie einer redaktionellen Stufe zu, die vor der Gottesmann-Erzählung liegt, dann wird man sie als Einfügung kennzeichnen. Hält man sie umgekehrt für eine nachträgliche Ausdehnung des Unheilswortes, das ja nur dem Altar von Betel gilt 1.R 13,1, dann wird man sie als Zusatz einordnen. 1

Siehe den Abschnitt „Jerobeam l.R 12f auf Seite 126.

116

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

Bezeichnung

Verbindung nach

Einbettung Anschließung Ansteuerung Einsprengsel

vorn und hinten; nur nach vorn; nur nach hinten; weder noch.

Tafel 8. Erweiterungen: Übersicht über die verschiedenen Typen der Erweiterung anhand der Kontextbeziehungen 5.2

Explizites Erweitern

Von explizitem Erweitern wollen wir sprechen, wenn im Text selbst deutlich gemacht wird, daß er aus einem anderen Zusammenhang stammt. Aufnehmen. Das «Aufnehmen» des Textes selbst ist insofern trivial, als er einfach aus der Vorlage abgeschrieben wird. Identifizieren. Entscheidend ist vielmehr, wie die fremde Herkunft des Textes dem Leser vermittelt wird; wir nennen dies das «Identifizieren» des Textes. In Chr werden an einigen Stellen Quellen genannt; sie werden bezeichnet als:2 sepxr Buch; debärtm Worte; midrai sepoer Auslegung des Buches der Könige (2.Ch 24,27)\ vgl. auch „Midrasch des Propheten Iddo" (2.Ch 13,22); rtebü'äh Prophezeiung; häzön Gesicht. Auch der Vorgang des Niederschreibens wird explizit erwähnt: „Was sonst noch von Usia zu sagen ist von Anfang bis zu Ende, das hat der Prophet Jesaja, der Sohn des Amoz, aufgezeichnet (ktb)" (2.Ch 26,22). Während für die aufs Königtum bezogenen Bücher klar ist, daß auf sie nach dem Inhalt und nicht nach dem Verfasser referiert wird, wird für die auf Propheten bezogenen Bücher angenommen, daß auf sie nach dem Autor referiert wird. 3 Bei genauem Zusehen gibt es aber dafür keine Anhaltspunkte. Denn die Mitteilung, daß Jesaja geschrieben hat (2.Ch 26,22), ist dadurch gedeckt, daß es bei Jesaja den Selbstbericht gibt; sie darf nicht ohne weiteres verallgemeinert werden. Dann aber ist anzunehmen, daß auf die Bücher einheitlich über den Inhalt referiert wird; daraus folgt dann sogleich, daß sie keinen festen Titel zu haben brauchen. Es kann also mit jeweils ad hoc gebildeten Ausdrücken auf ein und dasselbe Buch referiert werden. Daß Jesaja explizit als Autor eingeführt wird, dürfte sich daraus erklären, daß nur bei ihm Buch, Verfasser und Hauptakteur zusammenfallen. Für die 2 Vgl. Eißfeldt Einleitung 722f. 3 So Eißfeldt Einleitung 723.

5.3 Einbettendes Erweitern

117

übrigen Bücher muß zunächst davon ausgegangen werden, daß ihre Autoren bzw. Redaktoren nicht bekannt waren. Das aber erklärt sich am ungezwungensten, wenn es sich um sogenannte .institutionelle Schriften' handelt.4 Das Buch 2.Makk wird im Buch selbst als epitomä .Auszug' 2.Makk 2,26.28 bezeichnet.5 Auch die schon erwähnten Hinweise auf Quellen machen z.T. Angaben zur Gattung. 5.3

Einbettendes Erweitern

Da das Erweitern ein fundamentaler Vorgang der Textproduktion ist, muß sorgfältig zwischen den verschiedenen Umfeldern unterschieden werden, in denen die Begriffe verwendet werden. So kann z.B. von „Einbettung" die Rede sein im Sinne der Transformationsgrammatik, z.B. Einbettung eines Satzes in einen anderen; im Sinne der Komposition, z.B. Einbettung einer Fabel in eine Rede; im Sinne der Redaktion, z.B. Einbettung einer Prophetenrede in einen Erzählzusammenhang. Als .Einbettendes Erweitern' wollen wir solche Fälle bezeichnen, in denen ein größeres Textstück so in die Vorlage eingefügt wird, daß die beiden Nahtstellen einander entsprechen. Eine genauere Definition kann sich erst aus der Beschreibung im einzelnen ergeben. 5.3.1

Klammererweiterung

Das Einfügen eines Textes in einen anderen wird in der Regel dessen Aufbau und Gliederung stören. Diese Störung läßt sich entschärfen, wenn der Leser nach dem Einschub wieder an die Stelle zurückgeführt wird, an der die Vorlage verlassen wurde. Zu diesem Zweck kann z.B. der letzte Satz der Vorlage wiederholt werden. Der Satz und sein Doppel bilden dann so etwas wie ein Klammernpaar, das den Einschub umschließt. Wir werden im folgenden bei einigen Stellenangaben die Klammerung durch «fl» anzeigen, im Unterschied zu sonstigen Verbindungen «-*» und zu Parallelen «\\». a) Die sog. „Wiederaufnahme" Daß gelegentlich ein unabhängiges Textstück von zwei gleichsinnigen oder sogar gleichlautenden Sätzen gerahmt ist, läßt sich an einer ganzen Reihe alttestamentlicher Texte beobachten.6 Auch im Neuen Testament finden sich dafür Beispiele, so im Johannesevangelium7 oder bei der Einfügung eines Briefes in einen anderen.8 Dieses 4

Siehe -> Texte in Institutionen in Wonneberger Aspekte. 5 Zur Vorlage Eißfeldt Einleitung 786. 6 Kühl Wiederaufnahme; Seeligmann Erzählung; vgl. auch Richter Exegese 70; Lang Prinzip. 7 J 18,33-37 || Mc 15,2; J 7,6-9-, J 4,1-42; J 11,3-7; J 18,5f; in einer Rede Jesu: J 12,49f (vgl. J 8,28; J 5,30); diese Belege sind behandelt bei Boismard Wiederaufnahme; weitere Beispiele bei Robinson Entwicklungslinie 223-230. 8 2.Ko 2,13 il 2.Ko 7,5; so Robinson Entwicklungslinie 228; so könnte zwischen l.Ko 12,31a fl l.Ko 14,1 auch das Hohelied der Liebe (l.Ko 13) eingefügt sein, vgl. Robinson Entwicklungslinie 229 A.18; jedoch wird an dieser Stelle besonders deutlich, daß das Verfahren auch vom Autor selbst angewandt worden sein könnte, umso mehr, als ja die Formulierung variiert.

118

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

Prinzip wird in der Literatur als „Wiederaufnahme" bezeichnet, englisch als „resumptive repetition". 9 Es läßt sich auf folgende Formel bringen: „Into a text AB an expansion X is inserted according to the pattern AXAB". 10 Ein wenig komplizierter liegen die Beziehungen in dem Bericht von der Auffindung des Gesetzes in 2.R 22f.n Levin Joschija 364-366 benutzt bei seiner Analyse im Anschluß an Kühl Wiederaufnahme das Konzept der Wiederaufnahme und im Anschluß an Richter Exegese 70f.l68 das der Ringkomposition. Der Reformbericht 23,4 ( = B ) wird in 22,12 ( = B ' ) aufgenommen, der Instandsetzungsbericht 22,9aß ( = A) in 22,20b ( = A'), der Einschub ist dann 22,12-20 (X). Es entsteht also die Struktur „A B' X' A ' B", bei der die Bezüge überkreuzt sind. Auch das Problem des doppelten Hulda-Orakels versucht Levin mit Hilfe der Wiederaufnahme zu lösen. V.18 ist demnach Wiederaufnahme des ursprünglichen Einsatzes V.15, „so daß das nachgetragene Orakel mit v.16 beginnt und das ursprüngliche Orakel in v. 19 sich fortsetzt" (S.366). Damit würde der von Horst vorgeschlagene komplizierte Längsschnitt durch das Doppelorakel hinfällig: „Allein er (sc. Horst) hat mißachtet, daß jede literarkritische Analyse darauf gerichtet sein muß, daß ihr Ergebnis literargeschichtlich wahrscheinlich ist, das heißt auf ein möglichst einfaches und verständliches Verfahren des Ergänzers hinauskommt." (S.366). In dieser kritischen Bemerkung klingt so etwas ähnliches an wie unsere Frage nach den redaktionellen Techniken, freilich ohne daß dem weiter nachgegangen würde. b) Zur

Terminologie

Allerdings erweckt die Bezeichnung „Wiederaufnahme" eher den Anschein, als handle es sich um ein Phänomen der Rhetorik, vergleichbar der Anapher. In der Tat läßt sich am Beispiel der neutestamentlichen Briefe zeigen, daß viele Wiederholungen nicht literarkritisch, sondern rhetorisch zu bewerten sind.' 2 Es scheint uns daher besser, den Ausdruck «Klammererweiterung» zu wählen, der von vornherein eher als Handlung eines Redaktors verstanden werden kann. Der Ausdruck „Wiederaufnahme" soll denjenigen Fällen vorbehalten bleiben, in denen es sich um einen literarisch einheitlichen Text handelt. So ist z.B. die Doppelung der Formel „und sie gingen beide miteinander" (Gn 22,6.9) darauf zu untersuchen, ob sie innerhalb der Einheit als Mittel der Gliederung und zur Steigerung der Spannung verwendet wird (Wiederaufnahme), oder ob sie als literarische Klammer für den Opferdialog dient, der ja die Handlung nicht vorantreibt, sondern mehr die theologische Dimension der Erzählung vertieft. ' 10 11 12

Wiener Composition 2f. Lang Method 43. Vgl. die Literatur in Anmerkung 47 auf Seite 13. Vgl. Bujard Untersuchungen 86-100.

5.3 Einbettendes Erweitern

119

c) Grenzen der Verwendung Bei Dubletten im Sinne der Literarkritik sollte keiner der beiden Begriffe verwendet werden, wenn nicht ein beabsichtigter Bezug der analogen Aussagen untereinander anzunehmen ist. Entsprechendes gilt für Sachparallelen; z.B. bei Hosea (2.R ¡7,6) gegenüber Hiskia (2.R 18,10-11).13 Vorsicht ist ebenfalls geboten, wenn die vermeintliche Klammereinbettung Textteile übrig läßt. So nimmt Crüsemann Widerstand 34 A.12 an, daß in Jdc 9,25-*42 eine Wiederaufnahme (in unserer Terminologie: Klammererweiterung) vorliege, und bucht V.42 als redaktionell. Dagegen spricht allerdings, daß die Wendung „am folgenden Tage" gerade keinen Anschluß an die Vertreibung Gaals herstellt. 14 d) Beispiele fiir Klammerung Klammererweiterung liegt dann vor, wenn die Erweiterung wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt, so daß der ursprüngliche Verlauf nahtlos wieder aufgenommen werden kann. Beispiele sind: Stammbaum n Benjamin (LS 9,1) „ein Mann aus Benjamin ... Sohn eines jeminitischen Mannes" Mädchen D Weg zur Stadt (LS 9,1 in 14) „besagte waren am Hinaufsteigen auf der Steige der Stadt < Mädchenszene > und sie erstiegen die Stadt" Einige Beispiele sind bei Seeligmann Erzählung 314-324 behandelt: JudaThamar-Episode (Gn 38) Ägyptische Streitkräfte und Semaja (LR 14,25f || 2.Ch 12,2-9) Jerubbaals Treue zu Jahwe (Jdc 9,16\\9,19) Absaloms Schönheit und Kinder (2.S 14,24b\\28) der Einschub soll auf die Rolle des Volksführers und die Todesart vorbereiten. Bei der Einfügung der Silo-Szene in LS 4 handelt es sich um eine «Klammereinbettung»', die chiastische Verschränkung V.lla: wa'arön 'alohim nilqah V.22b: kt nilqah '"rön ha'*lohim könnte mit dem ki-Satz zusammenhängen. Erläuterungen zum Passa werden durch Ex 12,41b 0 51 geklammert.' 5 Eine weitere Klammer könnte in Ex 6,2 0 28-30 vorliegen. 16 Auch in 1.R 17,10-11 und 1.R 17,20-21 liegen jeweils Klammerungen vor. 17 Dabei dienen die eingefügten Stücke der Verklammerung mit dem Kontext. So stellt Elijas Bitte um Wasser V.lObß-llba die Verbindung zum Ausbleiben des Regens im Kontext der Sarepta-Erzählung her, und Elijas Anklage gegen Jahwe V.20bß verbindet V. 17-24 mit der Sarepta-Erzählung, während Elijas Ausstrecken über dem Kinde V.21aa ihn mit Elischa parallelisiert. Bei einigen Texten ergibt sich das Klammermuster nur, wenn man den LXX-Text heranzieht; dazu folgende Beispiele: Aitiologie „Saul propheta" 13 Weitere Beispiele (nach Seeligmann I.e.): Gn 18,2 (2x „sehen"); Jos 22,1 If (2x „die Israeliten hörten"); Jos S,J||9; Jos I8,8\\9-, LS 14,1\\14,6; Gn 43,l7b\\24a (Angst der Brüder Josefs). 14 Siehe dazu den Abschnitt „Die Abimelech-Perikope (Jdc 9)" auf Seite 103. 15 Smend Entstehung 51. 16 Smend Entstehung 52. 17 Nachweis bei Schmoldt Wiederaufnahmen.

120

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

(LS 10,10\\13 Sept.); Michal verhilft David zur Flucht LS 19,10\\18 Sept.); 18 Liste der Kinder Davids (2.S 3,2-5)." Einen Sonderfall bilden diejenigen Beispiele, bei denen das Eingefügte selbst noch uneinheitlich ist; dazu folgende Beispiele:20 Aarons Gleichberechtigung (V.13) und eine Genealogie (V. 14-27) (Ex 6,10-12\\28-30) sind eingefügt in die .Berufung Moses 1 , die gedoppelt ist. Mose weist in V.12 und V.30 auf seine Ungeschicklichkeit im Reden hin. In Jos 24,28-31 || Jdc 2,6-9 handelt es sich nicht nur um einzelne Sätze, sondern um ganze Abschnitte, die als Klammer fungieren. Sie schließen den .Überblick über die Eroberung Kanaans' und den .Engel von Bochim' (Jdc 2,1-5) ein. Durch 2.S 4,2a n 5a wird eine Notiz über Beerot und eine über Meribaal eingefügt, von denen sachlich aber nur die erste paßt. 21 Wie die Einfügung einer Priestergenealogie (Jdc 18,30b)21 zeigt, braucht das erste Element der Klammer nicht wörtlich, sondern nur sinngemäß wiederholt zu werden. Eine ethnographische Notiz über die Gibeoniten wird durch 2.S 21,2aC\3a geklammert. 23 Weniger leicht zu beurteilen sind Klammerungen, wenn ein längerer Abschnitt mit eigenem Gewicht geklammert wird, z.B. .David auf der Flucht' sowohl durch 2.S 15.37b n 16,15a als auch durch 2.S 15,.37a n 16,16a.2* Das .Gelübde Jephtas' (Jdc 11,30/) wird durch die .Notiz des Ammoniterzuges' V.29||V.32 geklammert. Dabei ist die erste Klammer mit x-AK konstruiert, die zweite mit Narrativ; sie schließt dadurch an die anderen Narrative von V.27 an, so daß die x-AK-Wendung als sekundäre Klammer erkennbar wird. Ihre Aufgabe ist es, das im Gelübde vorausgesetzte Stichwort „Ammoniter" zu liefern; man müßte daher genau übersetzen: „wollte er ziehen ...". Die ursprüngliche Simsonüberlieferung endet mit der Angabe der Amtszeit (Jdc 15,20).25 Diese Angabe wird, wie schon bei den Richtern zuvor, als normaler Narrativsatz gemacht; sie enthält den Zusatz „in den Tagen der Philister". 26 In Jdc 16,31 dagegen liegt ein perspektivischer Satz vor, 27 wie übrigens auch bei Eli (LS 4,18b).2i Dies erklärt sich am besten als Rückgriff auf Jdc 15,20, so daß die Erzählung nach dem Delila-Intermezzo wieder zu ihrem 18 Diese Beispiel ist von besonderem Wert für die Absicherung der Klammererweiterung, weil hier neben der erweiterten Form auch die vermutliche Vorlage überliefert ist. " Hierzu entsprechende Überlegungen schon bei Nowack Richter 159; und Budde Samuel 207 im Anschluß an Wellhausen; ähnlich Smith Samuel 274. 20 Seeligmann Erzählung 322-324. 21 Siehe „Parasitäre Erweiterung" auf Seite 123. 22 Gunneweg Leviten 20. 2 3 Dazu Veijola David 351f. 24 Veijola David 356f im Anschluß an mehrere Arbeiten von Langlamet. 25 Richter Bearbeitung 134 A.86 vermißt ein Todesdatum und hält deshalb die Formel hier für sekundär. 26 Siehe „Chronographie" auf Seite 175. 27 Zum Begriff siehe „Perspektivische Sätze" auf Seite 132. Richter Bearbeitung 134 A.85 sieht darin eine beabsichtigte Unterscheidung von den kleinen Richtern. 28 Vgl. auch Noth Studien 61 A.2.

5.3 Einbettendes Erweitern

121

formgeschichtlichen Endpunkt zurückkehrt. Wieder zeigt sich, daß die x-ziÄ'-Klammer sekundär ist. Zugleich wird deutlich, welches Gewicht das vorgegebene formgeschichtliche Schema hat. Auch in prophetischen Büchern ist mit diesem Prinzip zu rechnen. So wird die Einfügung der Ammoniter Ez 21,33 und Ez 25,10 darauf zurückgeführt. 29 Auch Prophetenerzählungen werden mit Hilfe der Klammerung erweitert. Ein schönes Beispiel dafür ist die Klammer über den Verbleib Jeremias Jer 40,6 n 39,14.30 Eingefügt sind das Heilswort an Ebedmelech Jer 39,15-18 und der Bericht über das Verhalten Nebusaradans bei der Freilassung Jeremias Jer 40,1-5. Dieser Bericht wird von Pohlmann Studien 106f mit der von ihm herausgearbeiteten golaorientierten Redaktion in Zusammenhang gebracht. Bei der Darstellung der Metallarbeiten für den Tempel (LR 7,13-51)}] zeigt sich eine Doppelung der Generalklausel: i. ii.

Die ganze Arbeit, die er machte dem König Salomo Haus Jahwes ( L R 7,40b)-, und die besagten 32 Geräte, die Hiram machte dem König Salomo Haus Jahwes (LR 7,45a).

Diese Parallelität interpretieren wir als «Binnenklammer», die die Aufzählung der Geräte (V.41-45a) umschließt. Akzeptabel gemacht wird diese erneute Einführung durch den Wechsel im Handlungsaspekt: Er machte ... (LR 7,40a)\ er vollendete zu machen ... (1.R 7,40b). Dann lautet die Vorlage: ,Und es machte Hiram die Töpfe und Schalen und die Sprengschalen ...' (LR 7,40) ,... aus polierter Bronze' (1.R 7,45b),33 und die Notiz über den Herstellungsort schließt sich an. Eine zweite Klammer bilden und er machte seine ganze Arbeit (LR 7,14b) ... zu machen die ganze Arbeit (LR 7,40b). Durch diese Klammer wird nun die ausführliche Beschreibung eingefügt. Nabots Weinberg. 19 B c D b F G H

Betrachten wir den folgenden Text LR 21,19:

Und du wirst reden zu ihm sogesagt: so hat gesprochen Jahwe: hast du gemordet und auch (schon) beerbt? Und du wirst reden zu ihm sogesagt: So hat gesprochen Jahwe: an dem Ort wo geleckt haben die Hunde das Blut Nabots werden lecken die Hunde dein Blut auch (bei) dir!

Während einige Ausleger das Problem der Doppelung zwischen V.19A und V. 19E lösen, indem sie in V. 19E mit Sept. läken „darum" einfügen, 34 nimmt Würthwein Novelle 381 hier zwischen LR 21,19aa und LR 21,19ba eine 29

Lang Prinzip. Nachweis bei Pohlmann Studien 102, vgl. auch 196 A.28. 31 Zu möglichen Erweiterungen siehe „Beispiel: Ersetzung einer Überschrift (l.R 7)" auf Seite 140. 32 So mit Qere, vgl. jedoch Noth I.Könige 145 ad 45dd. 33 Zu beachten ist die Setzung des Atnach erst an dieser Stelle! 34 Greßmann Geschichtsschreibung 271; Steck Israel 42 A.l. Mit Glättung in Sept. rechnet Hentschel Elijaerzählungen 110A.333. 30

122

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

«Wiederaufnahme» an und stuft den umschlossenen Text V.19a als spätdeuteronomistisch ein. Die Frage der W i e d e r a u f n a h m e ist von größerer Tragweite, als auf den ersten Blick erkennbar wird. D e n n weithin wird a n g e n o m m e n , d a ß der Abschluß der Erzählung schon mit l.R 21,16 erreicht ist. 35 D a s kann freilich nicht überzeugen, denn die Nabot-Erzählung ist Fallschilderung f ü r eine Prophetenerzählung und insofern offen, als sie lediglich das Problem darstellt, nämlich den Übergriff, und noch nicht seine Lösung. 3 6 In diesen Dialog wird n u n durch «Klammereinbettung» der Vorverweis auf das gewaltsame Ende A h a b s in l.R 22,38 eingebettet. Der gewaltsame T o d A h a b s ist seinerseits fingiert, 3 7 um d e m T u n - E r g e h e n - Z u s a m m e n h a n g G e l t u n g zu verschaffen. Simson. Die Geschichte Simsons endet mit der Richternotiz (Jdc 15,20). Diese wird in Jdc 16,31 nochmals gegeben; die K l a m m e r umschließt einen A n h a n g , der Simsons Unbezähmbarkeit (Jdc 16,1-3) u n d seinen Untergang {Jdc 16,4-31) ausgestaltet. Letzterer Teil n i m m t das N a s i r - M o t i v auf, steht also mit den entsprechenden Teilen der Geburtsgeschichte in Z u s a m m e n h a n g . In dieser hat o f f e n b a r die Verheißung des Engels (Jdc 13,3) sogleich an die Geburtsnotiz (Jdc 13,24) angeschlossen. e) Zur

Methodik

Die K l a m m e r e i n f ü g u n g hat methodisch den großen Vorteil, d a ß die Voraussetzungen, sie a n z u n e h m e n , relativ genau durch literarische Sachverhalte umrissen werden können, nämlich 1. 2. 3. 4.

die die die der

Wiederkehr einer Wendung; Plazierung dieser Wendung an einem Einschnitt des Textes; Eigenständigkeit des Eingeschlossenen; Nachtrags- bzw. Erweiterungscharakter des Eingeschlossenen.

Zwar ist eine derartige literarische Bestimmung immer Ausgangspunkt bei der Textanalyse, in der Redaktionstheorie kann es aber d a m i t noch nicht sein Bewenden haben. Denn die Klammereinfügung stellt ja nur einen bestimmten Typ redaktionellen Handelns auf einer tiefen Stufe dar: Sie ist eine besondere Art der Einfügung. Die A u f g a b e der Redaktionstheorie liegt aber nun auch darin, die Hierarchie der redaktionellen Handlungen sichtbar zu machen, also zu fragen, welche übergeordneten Handlungen durch die H a n d l u n g des Einfügens realisiert werden. f ) Ploke als

Klammereinbettung

Die Ploke ist von H a u s aus eine Stilfigur. 38 In einigen Fällen darf eine solche Wiederholung jedoch nicht synchron als Stilmittel gedeutet werden, sondern 35 Vgl. den Überblick bei Schmoldt Bolschaft 39f. 36 Vgl. auch Schmoldt Botschaft 51, der mit einer auch Teile des Dialogs zwischen Elia und A h a b umfassenden Vorlage LR 2!,I-I9aa($).21.24 rechnet. 37 Würthwein Novelle 394f. 38 Wir haben sie oben im Kapitel „Die Textkohärenz" auf Seite 71 behandelt.

5.3 Einbettendes Erweitern

123

m u ß diachron als redaktionelle Klammerung verstanden werden. Betrachten wir einige Beispiele. Die Wendung .warum seid ihr so nahe herangerückt?' klammert eine geschichtliche Analogie zum Tod Abimelechs, durch die Davids Zorn plastisch veranschaulicht werden soll (2.5 11,20J). Durch „kehre um!" wird eine Erklärung zur Person des angeredeten Ithai gerahmt, die zwar im Munde Davids denkbar wäre, aber den Stil des knappen Berichtes sprengt und sich daher wohl eher an den Hörer richtet (2.S 15,19f). Die ganze Simei-Rede (2.S 16,7f) könnte wegen des Einbettungssatzes Einfügung sein.39 Freilich ist zu erwägen, ob nicht innerhalb der Rede zwischen der Verwünschung „Blutmensch!" und der geschichtlichen Deutung mit Saul und Absalom differenziert werden müßte. Wäre dies der Fall, dann würde die Wendung „Blutmensch" ebenfalls eine historische Deutung rahmen. Durch „laßt ihn fluchen, der Herr hat ihn geheißen" wird wieder eine Erweiterung geklammert, innerhalb derer zu differenzieren ist: In V.ll wird das Fluchen mit dem Qal-wachomer-Schluß motiviert, in V.10 mit der Ehrerbietung gegen Jahwe (2.S 16,10/). Auch die Wendung ,den König als letzte heimholen' klammert eine Explikation an den Leser, nämlich die enge verwandtschaftliche Beziehung (2.S 19,12/). Die Auswertung dieser Beispiele zeigt deutlich, daß der als Ploke beschriebene Zusammenhang nicht ungedingt dem Stilwillen eines Autors entspringen muß, sondern durchaus auch die redaktionelle Technik der Klammererweiterung realisieren kann. g) Natürliche

Klammern

Während im Normalfall die Klammerung durch Verdoppeln einer Wendung erst geschaffen wird, gibt es auch Fälle, in denen eine Doppelung von vornherein schon vorliegt; wir wollen dann von „natürlichen Klammern" sprechen. Insbesondere ist dies der Fall, wenn eine Proposition unter verschiedenen Aspekten formuliert wird, z.B. zunächst als Absicht: ,Um den König über den Jordan zu geleiten' (2.S 19,16), sodann als vollzogen: ,Und sie geleiteten den König' (2.S 19,41 Ketib ).40 5.3.2

Parasitäre

Erweiterung

Von parasitärer Erweiterung wollen wir dann sprechen, wenn die Schnittstellen einer schon vorhandenen Klammererweiterung dazu genutzt werden, weiteres Material einzuschieben. Ein solches Vorgehen kann auch als Hinweis dafür verstanden werden, daß die Redaktoren ein Gefühl für schon bestehende redaktionelle Textorte hatten. Als gänzlich unpassend erscheint eine Notiz über Meribaal (2.S 4,4). Sie wird jedoch plausibel, wenn ein und derselbe Bearbeiter die aus anderem 39 Siehe „Anaphorische Einfügung" auf Seite 132. "0 Dazu Veijola Datid 357.

124

5. Redaktionelle H a n d l u n g e n a u f T e x t e b e n e

Grund aufgebaute «Klammererweiterung» (2.S 4,2a fl 5a) benutzt, um gleich noch eine weitere Notiz unterzubringen. 41 Wir bezeichnen dies als parasitäre Erweiterung. Vielleicht ist auch in der schon besprochenen Perikope Ex 6,10-12\\28-30 die .Genealogie' (V.14-27) an die Notiz parasitär angehängt, in der Mose und Aaron gleichberechtigt genannt werden (V.13). Ein Fall von parasitärer Erweiterung scheint auch die .Totenbeschwörung Sauls' ( l . S 28,3-25) zu sein. Auf den ersten Blick scheint sie völlig unvermittelt in den Kontext gestellt. Entfernt man sie, dann wird die Besonderheit dieses Textes leichter erkennbar, nämlich die «Klammer»-. 28,1 29,1

U n d es versammelten die Philister ihre S t r e i t m a c h t . . . und es versammelten die Philister ihre g a n z e S t r e i t m a c h t . . . .

Diese Klammer rahmt das .Gespräch zwischen Achis und David'. Hier eine Klammer anzunehmen bedeutet aber zugleich, daß dieses Gespräch als redaktionell zu qualifizieren ist, u.z. als «Vorfiigung», die David eine doppeldeutige Antwort in den Mund legt und damit beim Leser den Eindruck hervorruft, David hätte wohl im Ernstfall, „was er vermag", zugunsten Israels gezeigt. Zusammenfassend läßt sich also sagen: i. Die A n n a h m e einer parasitären Erweiterung setzt voraus, d a ß die zugrundeliegende Klammer sicher nachgewiesen ist. ii. Parasitäre Erweiterungen sprengen den T e x t oft so stark auf, d a ß der Zus a m m e n h a n g der zugrundeliegenden Klammern nur noch schwer zu erkennen ist. iii. Eine Klammerung allgemein darf nur a n g e n o m m e n werden, wenn zwei korrespondierende W e n d u n g e n ( K l a m m e r n ) v o r h a n d e n sind, die nicht anders zu erklären sind, also z.B. als Stilmittel der Wiederholung, und der von ihnen eingeschlossene Text als redaktionelle Erweiterung plausibel zu m a c h e n ist.

5.4

Anschließendes Erweitern

Unter „Anschließendem Erweitern" wollen wir solche redaktionellen Erweiterungen zusammenstellen, die auf den vorangehenden Kontext bezogen sind. 5.4.1

Anker-Erweiterung

Gelegentlich finden sich kurze redaktionelle Stücke, die zwar nicht in den Kontext passen, sich jedoch als Vorbereitung einer später eingefügten Passage zu erkennen geben. Sieht man letztere als «Schiff», dann bildet erstere den «Anker», sorgt also dafür, daß das große und damit den Text leicht sprengende Stück festen Halt im Text bekommt. Deshalb wollen wir in solchen Fällen von „Anker-Erweiterung" sprechen. Wirkungsweise am Beispiel Jotam. Ein deutliches Beispiel ist die Einfügung Jotams in Jdc 9 (siehe Tafel 6 auf Seite 104), die wir im Abschnitt „Die Abimelech-Perikope (Jdc 9)" auf Seite 103 schon behandelt haben. Man sieht deutlich, daß zunächst der Anker gelegt wird, indem Jotam durch «Ausnehmung» aus dem Kreis der ermordeten Söhne herausgehoben wird. Die eiVeijola David 345.

5.4 Anschließendes Erweitern

125

gentliche Einfügung mit der die Fabel enthaltenden Rede, das .Schiff also, wird erst später vorgenommen. Jotam ist zu diesem Zeitpunkt schon als Figur der Erzählung etabliert. Die Ankererweiterung beschreibt also ein diskontinuierliches Phänomen; zu ihm gehören mindestens eine Einfügung (der ,Anker') und eine Einbettung (das ,Schiff); sie müssen so aufeinander bezogen sein, daß der Anker das Schiff „nach sich zieht" bzw. vorbereitet. Generell wird also durch den Anker eine Erwartung aufgebaut, die dann durch das Schiff eingelöst wird. Entsprechend lassen sich verschiedene Typen der Ankereinbettung danach unterscheiden, mit welchen Mitteln die Erwartung aufgebaut wird. Einführung einer Person. Personen lassen sich dadurch leicht in einem neuen Kontext verankern, daß ihre Namen schon vorhandenen Personen zusätzlich verliehen werden und so der Leser die an sich verschiedenen Personen identifizieren muß. Den Freunden Daniels werden zunächst babylonische Namen gegeben (Da 1,7), sie werden dann aber im weiteren Verlauf der Geschichte nicht mehr benutzt. Die Umbenennung erklärt sich jedoch leicht als Vorbereitung der ,Perikope von den Männern im Feuerofen' (Da 3). Trifft dies zu, dann ist sie ebenfalls als Ankereinfügung anzusetzen. Auch die Umbenennung Jakobs in Israel könnte dem Zweck entsprungen sein, eine Verankerung der Israel-Passagen (Gn 35,21 u.ö.) zu ermöglichen. Ähnliches dürfte für die Identifizierung von Gideon mit Jerubaal (Jdc 7,1) gelten. Einführung eines Themas. Der Einführung einer Person in erzählender Rede entspricht in besprechender Rede die Einführung eines Themas. Betrachten wir als Beispiel die Einführung des Exodus in LS 12. »Anker» ist hier die Einleitung l.S 12,5b:n Zeuge ist Jahwe, der gemacht hat Mose und Aaron und der herausgeführt hat euere Väter aus dem Lande Ägypten

«Schiff» ist die Exodus-Passage V.8-10*. Eine wichtige Aufgabe des Ankers ist es, die Referenz des Ausdrucks „euere Väter" zu ändern; würde er sich zuvor auf die Richterzeit beziehen, also auf die unmittelbar vorangehenden Generationen, so bezeichnet er jetzt die ferne Vorzeit des Exodus. b) Bewertung eines Sachverhaltes Bei einer Notiz wie zu .Jerobeams Altarbau': ,Und es wurde diese Tat zur Sünde' (1.R 12,30a) handelt es sich offensichtlich um eine BewertungsAussage, die keineswegs den Eindruck erweckt, daß ihr noch etwas folgen müßte. Erst wenn man mehrere Fälle dieser Art vergleicht, stellt sich heraus, daß auf diese Wendung häufig eine eingefügte Prophetengeschichte folgt. Da 42

Zur Textkritik siehe die Auslegung zu - » l . S 12 in Wonneberger

Begründung.

126

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

die Wendung zugleich in einigen Fällen den Kontext stört, scheint der Schluß berechtigt, daß sie der Verankerung solcher prophetischen Einfügungen dient. Jerobeam 1.R 12f. Betrachten wir zunächst das soeben erwähnte Beispiel ,Jerobeam l.R 12f. Zwar wird ,Jerobeams Altarbau' durch die genannte «Mißbilligungsformel» ,und es wurde diese Tat zur Sünde' (LR 12,30a). kommentiert, Jahwe wird in ihr aber nicht explizit erwähnt. 43 Dies entspricht der Konzeption der Prophetengeschichte, die ja — anders als bei Natan — nicht von einer Sendung Jahwes ausgeht, sondern nur das Kommen des Gottesmannes vermeldet (LR 13,1). Es ist also zu vermuten, daß die Mißbilligungsformel als «Anker» für die Gottesmann-Erzählung dient; um dies zu erhärten, wäre aber noch die verworrene Textlage des Zwischenstückes über die Einführung des Festes zu klären, was hier unseren Rahmen sprengen würde. Natan-Perikope 2.S 12. Betrachten wir nun die ,Natan-Perikope 2.S 12'. Geht man davon aus, daß das Auftreten Natans 2.5 12,1-15a in den Kontext eingebettet ist,44 dann stellt sich die Frage, auf welcher Ebene die vorangehende Wertung ,und es war böse die Tat, die David getan hatte, in den Augen Jahwes' (2.S 11,27) anzusiedeln ist.45 Da die Erzählung vom Sterben des Kindes nicht die Vergeltung des Mordes an Uria, sondern das paradoxe und zugleich zweckmäßige Trauerverhalten Davids zum Thema hat, muß sie als selbständig gelten. Ein innerer Zusammenhang käme allenfalls durch die Abfolge im Kontext zustande. 46 Es scheint daher plausibler, die Wendung als «Anker» der Natan-Erweiterung anzusetzen. 47 Da Jahwe nicht als beobachtender, sondern als handelnder Gott eingeführt ist, muß die explizite Bewertung beim Hörer eine Erwartung wecken, uz. eine doppelte: Nämlich zum einen die, daß Jahwe intervenieren wird, wie dies sogleich durch die Sendung des Propheten 2.S 12,1 geschieht, zum anderen, daß er strafen wird; dies geschieht, indem das Sterben des Kindes nicht nur im Verlauf des Kontextes nachfolgt, sondern explizit angekündigt wird, und indem es als Strafe interpretiert wird (2.S 12,14). 5.4.2

Synchronisierte

Einfügung

Bei der synchronisierten Einfügung findet sich an der Nahtstelle ein Zeitsignal, das den eingefügten Text in den übrigen Ablauf einordnen soll. Seeligmann Erzählung nennt eine Reihe von Stellen, die wir hier als Uberblick vorführen: 43 Die Einfügung der Sept. (lukianische Rezension) „für Israel" vollzieht eine Umdeutung vom König auf das Volk, die wohl pädagogisch-poimenisch zu verstehen ist; vgl. dazu die Überlegungen zum «Textort» im Abschnitt „Textorte redaktioneller Handlungen" auf Seite 99. 1" Bicken Geschichte 15f; Dietrich Prophetie 127-132; Würthwein Erzählung 24f. 45 Zur Mißbilligungsformel siehe den entsprechenden Abschnitt in der Auslegung zu - > / . S 15 in Wonneberger Begründung. 16 Vgl. Würthwein Erzählung 22f;31f. "7 Dietrich Prophetie 132.

5.4 Anschließendes Erweitern

127

Gn 24,15a „Und es geschah, als besagter noch nicht ausgeredet hatte" (Einführung der Genealogie von Rebekkas Großvater Nahor);48 Nu 25,19 „und es geschah nach der Plage" (Einführung der zweiten Volkszählung); Jdc 1,1 „und es geschah nach dem Tode Josuas" (Vorschaltung des Überblicks über die Eroberung Kanaans Jdc 1,1-2,5)-, Jdc 10,1 „nach Abimelech trat auf..." (Nennung weiterer Richter); 2.S 8,1 „und es geschah danach und es schlug David die Philister"; 2.5 10,1 „und es geschah danach und es starb der König der Ammoniter"; 2.S 13,1 „und es geschah danach und Absalom der Sohn Davids hatte eine schöne Schwester ..." (Anschluß der Geschichte von ,Amnon und Tamar' an Joabs Krieg);49 Hi 3,1 „danach öffnete Hiob seinen Mund ...".50 Ein solches Zeitsignal ist zunächst einmal ein Element der Textgliederung. 51 Daher bietet es für sich allein genommen noch keine Gewähr für Redaktion; auf Redaktion läßt sich allenfalls dann schließen, wenn die sachliche Stimmigkeit beeinträchtigt ist,52 wie die ,Gaal-Episode' Jdc 9,25\\42 zeigt;53 denn es wird dort mit „am nächsten Morgen" fortgefahren, was allenfalls in der Basiserzählung sinnvoll ist.54 Die synchronisierte Einfügung wird in der Regel als ein einfacher Fall redaktionellen Handelns verstanden. ss Dabei müssen jedoch die unterschiedlichen Formeln jeweils individuell untersucht werden. ,Und es geschah danach'. Ein sehr allgemein anwendbares Mittel zur Zusammenstellung oder Einfügung von Texten sind Formulierungen mit 'ahflre-ken „danach": ,Und es geschah von da an, und Absalom schaffte sich Wagen an' (2.S 15,1). Sie kommen in mehreren Varianten vor: wayehi ahare ken wayehi me'ahare ken 'ahare ken + AK

2.S 8,1; 2.S 10,1\2.S 2.S 15,1\ Hi3,l.

13,1;

,An besagtem Tage'. Die Formel bayyöm hahu begegnet in verschiedenen Zusammensetzungen. Ihre Funktion ergibt sich daraus, daß hü ins anaphorische System gehört. 56 Es bewirkt beim Hörer eine «Refokussierung», lenkt ihn also zurück auf einen vorherigen Zielpunkt seiner Aufmerksamkeit. 57 Dieser ist zwar meist, aber nicht immer durch den vorangehenden Text gegeben. 58 Die Refokussierung läßt sich verdeutlichen, wenn man übersetzt: „an besagtem Tage". 4S Hier wäre allerdings kritisch zu fragen, o b diese Hinordnung berechtigt ist; denn eingeleitet wird nicht die Genealogie, sondern das Auftreten Rebekkas, das aber nicht entbehrlich ist. 49 liier ist die Formel sprachlich unpassend, weil eine Hintergrundaussage folgt; dies ist ein Hinweis auf die stereotype I l a n d h a b u n g des Anschlusses. 50 I Iicr mit dem Satzmuster x-AK. 51 Siehe ->Synchronisierung in Wonneberger Gliederung. 52 Umfassend untersucht bei DeVries Yesterday. 53 Vgl. auch Crüsemann Widersland 34. 54 Siehe dazu den Abschnitt ,,Dic Abimelech-Perikope (Jdc 9)" auf Seite 103. 55 Vgl. Seeligmann Erzählung. 56 Siehe „Exkurs: Referenz (Deixis, Textphorik)" auf Seite 61. 57 Ehlich Deixis 2,740. 58 Beispiele bei Ehlich Deixis Kap.9.3 (Bd.2,736-761).

128

5. R e d a k t i o n e l l e H a n d l u n g e n a u f T e x t e b e n e

Die Eigenschaft zur Refokussierung qualifiziert die Formel nicht nur als Signal der Textgliederung, sondern auch als redaktionellen Verknüpfer. 59 Die Formel wehäyä bayyöm hahu wird in der prophetischen Literatur als Redaktionssignal bewertet. 60 Wie wir gesehen haben, spielt diese Einschätzung bei der Bewertung der Offenbarung an Samuel ( l . S 3,11-14)61 eine wichtige Rolle. In der Jahwerede ( l . S 3,12) muß das hayyom hahu auf die ferne Zukunft bezogen werden, während sich V. 11 auf die nahe Zukunft des Verlustes der Lade bezieht. 62 Die Formel wayehi' bayyöm hahu begegnet nur an zwei Stellen. 63 In Gn 26,32 synchronisiert sie das Auffinden eines Brunnens mit dem vorher erzählten Vertragsschluß. 64 In l.S 3,265 wird die Exposition der Offenbarungsgeschichte redaktionell erweitert. 66 Temporalsatz. Die Geburt von Ephraim und Manasse (Gn 41,50-52) wird durch einen Temporalsatz mit betcercem ,ehe das Hungerjahr gekommen war' (V.50) auf den Kontext bezogen. Für Redaktion spricht, 67 daß der Erzählung vorgegriffen wird und daß die Hungerzeit im Singular auftritt. 5.4.3

Anknüpfungen

Als redaktionelle Anknüpfer eignen sich besonders gut deiktische Ausdrücke des Ortes und der Zeit. a) Bezugnahme durch Deixis des Ortes

(,dort')

Im normalen Erzählablauf wird nicht auf die Erzählsituation selbst referiert. Wo dies dennoch und ohne sachlichen Grund geschieht, verrät es die Distanz des Redaktors zur erzählten Situation: wayyisma säm ha am lammayim ,und es lechzte dort das Volk nach Wasser' Ex 17,3. Betrachten wir weitere Beispiele. Beispiel: Einfügung der Eliden. Die Söhne Elis werden sowohl in l.S 1,3b wie auch in l.S 4,4b durch einen wenig passenden iäm-Satz eingefügt. Beispiel: Erneuerung des Königtums Sauls. In dem Bericht über Sauls K.Önigskür l.S 1 l,14f findet sich säm „dort" gleich viermal. 14

U n d es s p r a c h S a m u e l z u m V o l k : G e h t , wir wollen gehen nach Gilgal u n d w i r w o l l e n e r n e u e r n dort d a s K ö n i g t u m ! U n d sie g i n g e n , d a s g a n z e V o l k , n a c h G i l g a l u n d m a c h t e n K ö n i g dort d e n S a u l v o r J a h w e i n G i l g a l ,

B b 15 B

59 Vgl. Munch Expression 15ff; Ehlich Deixis 757f. 60 Duhm Jesaja .Einleitung'; Seeligmann Erzählung-, Munch Expression; 61

Seite 62 63

64 65 66 6'

anders Le/evre

Expression.

Siehe die Auslegung zu -* /.S 3,11-14 im Abschnitt „Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)" auf 255. siehe z.St.; DeVries Yesterday 287f. Vgl. auch DeVries Yesterday 63 A.26, der offenbar beide Stellen für redaktionell hält. DeVries Yesterday 98f. DeVries Yesterday 63f. Siehe zu ->1.S 3,2 im Abschnitt „Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)" auf Seite 255. Vgl. Donner Gestalt.

5.4 Anschließendes Erweitern c b

129

und schlachteten dort Heilsopfer vor Jahwe. U n d es freuten sich dort Saul und alle Männer Israels gar sehr.

Während das erste Vorkommen normale Referenz ist, konkurriert das zweite sogar mit der erneuten expliziten Nennung Gilgals, so daß die Passage auch dann erklärungsbedürftig ist, wenn man sie nicht als redaktionell ansehen möchte. Beispiel: Da 8. Die Gleichrangigkeit der zweiten mit der ersten Vision (Da 7) wird explizit durch Bezugnahme auf jene vermerkt: ,Nach jenem (sc. Gesicht), das mir früher erschienen war' (Da 8,1). Daß sich die Zeitbestimmung auf Kap. 7 bezieht, wird zwar in der Forschung einhellig angenommen; 6 8 umstritten ist jedoch, ob es sich dabei um eine redaktionelle Notiz handelt. 69 Immerhin findet hier die Rückkehr vom Aramäischen zum Hebräischen statt, so daß schon von daher ein Bruch zwischen Kap. 7 und Kap. 8 vorgegeben ist. Auch das Kapitelende (Da 8,27) bereitet Schwierigkeiten: Der Widerspruch zwischen Nicht verstehen auf der einen Seite und erfolgter und auch anerkannter Deutung auf der anderen (Da 8,15f.20-25.27) hat zu einer Fülle unbefriedigender Erklärungen geführt. 70 Man entgeht diesen Schwierigkeiten, wenn man mit redaktioneller Einfügung rechnet. Dann könnte nämlich Da 8,27 den Abschluß von Kap. 7 bilden; die Erkrankung ist als Folge der Beängstigung plausibel, während sie als Abschluß der Vision schlecht paßt. Der Redaktor hätte dann durch seine Einfügung das Schlußstück abgetrennt und den zweiten Teil ins Hebräische überführt. Daher hätte er auch Grund zu der redaktionellen Bezugnahme in V.l gehabt. Beispiel: Gti 26 (Gefährdung der Ahnfrau). Daß die Verheißungen in Gn 26,2-5 eine Art Leitgedanken des Isaak-Kranzes formulieren 71 und daher literarisch abzuheben sind, ist nicht unbestritten. 72 Allerdings ist die Frage nicht ausreichend geklärt, wie der Kapitelanfang abzugrenzen ist und welchen Sinn die folgende Bezugnahme auf Gn 12 hat: 73 ,und es war eine Hungersnot im Lande außer der ersten Hungersnot, welche war in den Tagen Abrahams' (Gn 26,1). Zweierlei fällt auf. Zum einen wird durch die Verheißungen die Weg- und Wohnnotiz (Stichwort „Gerar" V.l.6) aufgesprengt. Zum anderen präsupponiert die Gottesrede (V.2), daß Isaak nach Ägypten will; das aber paßt nicht dazu, daß er gerade zu den Philistern gegangen ist. Die Nennung der Hungersnot könnte den Zug Isaaks zu Abimelech motivieren. Insofern wäre dann die Abraham-Geschichte in andere Zeitläufte übersetzt. Die beobachtete Bezugnahme ist jedoch gerade nicht durch diese 68 Literatur bei Hasslberger Hoffnung 42 A. 161. 69 Vgl. Hasslberger Hoffnung 14. 70 Zusammenstellung bei Hasslberger Hoffnung 15-17, der selbst mit einer späteren Einfügung rechnet. 71 Koch Formgeschichte 161. 72 Westermann Genesis 11,517. ^3 Westermann Genesis 11,517: „Die Exposition ist die gleiche wie Gn 12,10, deswegen sagt der Verfasser in V.l ausdrücklich, daß es sich um eine andere Hungersnot handele als die zur Zeit Abrahams"; Koch Formgeschichte 144 rechnet mit einer „verbindenden Brücke".

130

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

Parallelisierung zu A b r a h a m ausgelöst, sondern erst durch die Verheißung. I n d e m an die Abrahamgeschichte erinnert wird, stellt sich beim Hörer die E r i n n e r u n g an die Regel A b r a h a m s ein: Bei Hungersnot sucht m a n sein Heil in Ägypten. b) Bezugnahme durch Deixis der Zeit In l.S 12,8 wird die Referenz des Ausdrucks „euere Väter" durch einen ka w .«er-Satz („als J a k o b nach Ägypten gekommen war") von der Richter- auf die Väterzeit verlagert. 74 Es wird also eine Zeitbestimmung der Vorlage aufg e n o m m e n , und indem sie näher charakterisiert wird, wird sie zugleich umdefiniert. Eine Bezugnahme durch Deixis der Zeit ermöglicht auch die Formel az mit PK (Imperfekt) „this was when", nicht zu verwechseln mit az mit AK (Perfekt) „damals", die 16mal im Alten Testament vorkommt. 7 5 c) Bezugnahme durch

Detaillierung

N a c h d e m Samuel das Volk nach der Loswahl entlassen hat, heißt es: ,Und a u c h Saul war gegangen ( A K ) zu seinem H a u s in G i b e a ' ( l . S 10,26). D a ß Saul nach Hause geht, ist eigentlich durch die Schlußwendung ,und es schickte Samuel das ganze Volk jeden in sein H a u s ' (V.25b) schon impliziert. Indem es jetzt nochmals eigens formuliert wird, wird eine neue Episode eröffnet, die nach Lage der Dinge redaktionell ist. 76 d) Bezugnahme durch

Iteration

Ein wichtiges Hilfsmittel ist es auch, eine Episode oder H a n d l u n g als Wied e r h o l u n g einer anderen darzustellen. Dabei sind je nach den verwendeten sprachlichen Mitteln verschiedene Typen zu unterscheiden. Wir sprechen von Iterationserweiterung, Iterationszuschreibung,

wenn es sich um einen eigenen Erzählschritt handelt (Modalverb); wenn kein eigener Erzählschritt vorliegt (Partikel, Qualifikator).

In den folgenden Überschriften nennen wir das jeweilige sprachliche Mittel. Iterationserweiterung (Modalverb). 2.S 6,1 ist eine redaktionelle Einleitung f ü r den dortigen Kontext, die wir als «Bezugnahme durch Iteration», genauer als «Iterationserweiterung (Modalverb)» beschreiben können. Sie hat die Aufgabe, d a s Ende der Lade-Erzählung in den David-Kontext einzupassen. G e h t m a n davon aus, d a ß die Kain-Abel-Erzählung (Gn 4,2-16) in einen K e n i t e r s t a m m b a u m eingefügt ist, 77 d a n n ist nach d e m Anknüpfungsprinzip zu fragen. Wir stellen neben Abel zum Vergleich Kain und Seth und be74 Vgl. „Einführung eines Themas" auf Seite 125. 75 Rabinowitz Az behandelt drei dieser Stellen ausführlich: l.R 16,2!f (vgl. V.16); 2.R 8,20-22(vgl. V.22b); 2.R 16,2-6; die übrigen Stellen in einem Überblick: Ex 15,1; Nu 21,17; Dt 4,41; Jos 8,30; Jos 10,12; Jos 22,1; l.R 3,16; l.R 8,1 = 2.Ch 5,2; l.R 9,11; l.R H,7; 2.R 12,8; 2.R 15,16. Siehe zu -> l.S 10,26 in Wonneberger Begründung. 77 Gn 4,1.17-24; Löwenclau Erweiterung.

5.4 Anschließendes Erweitern

131

trachten, welche der Erzählschritte ,Zeugung', .Schwangerschaft', . G e b u r t ' und .Aitiologie'; v o r h a n d e n sind: Z S G A - - G Z - G A

Kain ( V . l ) Abel (V.2) Seth (V.25)

W ä h r e n d in den Vergleichstexten f ü r Kain und Seth in mehreren Schritten berichtet wird, taucht f ü r Abel nur der dritte Schritt auf, die G e b u r t selbst. D a ß sie nicht als eigene Episode gedacht ist, wird vollends d a d u r c h deutlich, d a ß der Satz mit ysp, einem Modalverb, beginnt. 7 8 Es handelt sich hier weniger u m ein erzählerisches N a c h e i n a n d e r als vielmehr u m die achrone Gleichartigkeit des Vorganges. Wir nennen das P h ä n o m e n daher Iterationserweiterung: Ein Vorgang der Vorlage wird als erneut realisiert aufgegriffen. Iterationszuschreibung (Partikel, Qualifikator). Im Gegensatz zur Iterationserweiterung wird die Iterationszuschreibung. unauffällig durch Modaladverb vollzogen, das ja viel weniger in den Satzbau eingreift als ein Modalverb. So trägt 'öd bei der G e b u r t Seths (Gn 4,25) den vorangegangenen Geburten Rechnung. Als redaktionell läßt es sich freilich nur d a n n einstufen, wenn m a n der A n n a h m e folgt, d a ß der Keniterkomplex nachträglich eingefügt sei; 79 d a n n wäre nämlich Seth ursprünglich der Erstgeborene, so d a ß die Iteration nachträgliche Zuschreibung wäre. Ähnliches gilt f ü r die Bezugnahme mit Qualifikatoren 8 0 wie z.B. gam. Die A u f f o r d e r u n g Samuels: ,Auch jetzt stellt euch a u f (l.S 12,16) bezieht sich auf die vorangegangene gleichartige A u f f o r d e r u n g : ,Und jetzt stellt euch a u f ( l . S 12,7) Ein weiteres Beispiel findet sich in dem Bericht über die R e f o r m m a ß n a h men Josias in wegam 2.R 23,14. Bei der Ermittlung Sauls durch das Los wird von einem zweiten Befragungsgang berichtet ( l . S 10,22). Obwohl dieser gerade nicht als Losorakel bezeichnet wird, wird explizit durch „nochmals" auf den ersten Fragegang bezuggenommen. Diese Kennzeichnung als Wiederholung zeigt an, d a ß schon im Losverfahren eine Befragung Jahwes zu sehen ist (vgl. Nu 27,21). Dies entspricht genau der Tendenz, das Handeln Jahwes zu betonen. Zugleich aber könnte darin die redaktionelle Technik der «Iterationszuschreibung» zu sehen sein, bei der eine durch Redaktion eingeführte H a n d l u n g d a d u r c h aus dem Text hergeleitet wird, d a ß sie als Wiederholung einer H a n d l u n g aus der Vorlage gekennzeichnet wird.

78 79 80 81

Siehe „Iterationserweiterung (Modalverb)" auf Seite 130. Löwenclau Erweiterung 180; vgl. auch „Übertragung und Etablierung von Rollen" auf Seite 148. Z u m syntaktischen Begriff Wonneberger Syntax §37. Höllenstein Erwägungen 335 A.7.

132 e)

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene Paraphrasierung

I n s b e s o n d e r e in der P r o p h e t i e halten es die R e d a k t o r e n gelegentlich f ü r nötig, d e n nicht i m m e r präzisen Sinn des Textes d u r c h p a r a p h r a s i e r e n d e E i n s c h ü b e in einer b e s t i m m t e n R i c h t u n g zuzuspitzen. Begründungs-Sätze. Solche P a r a p h r a s i e r u n g e n werden h ä u f i g d u r c h ki eingef ü h r t . 8 2 , D e n n nicht tut der H e r r J a h w e etwas, o h n e d a ß er k u n d t u t seinen E n t s c h l u ß seinen K n e c h t e n , den P r o p h e t e n ' (Am 3,7). schließt an eine R e i h e von A n a l o g i e - S p r ü c h e n an (Am 3,4-6), u m deren S t o ß r i c h t u n g zu k o n k r e t i sieren. 8 3 Apposition. Eine P a r a p h r a s i e r u n g läßt sich auch d a d u r c h erreichen, d a ß eine W e n d u n g mit einer A p p o s i t i o n versehen wird (Am 3,1): 1 B c D E

Hört dieses Wort, das geredet hat Jahwe über euch, Söhne Israels, über das ganze Geschlecht, das ich herausgeführt habe aus Ägypten, sogesagt: ...

H i e r wird die syntaktische K o n g r u e n z d u r c h W i e d e r h o l u n g der P r ä p o s i t i o n „ ü b e r " ( a l ) hergestellt. Charakteristisch f ü r den E i n s c h u b ist die 1.Person hifil von 7/z.84 Die W e n d u n g soll o f f e n b a r klarstellen, d a ß nicht n u r d a s N o r d r e i c h , s o n d e r n ebenso J u d a gemeint ist. f )

Stichworterweiterung

S t i c h w o r t e r w e i t e r u n g e n benutzen ein b e s t i m m t e s Stichwort als A n k n ü p f u n g s p u n k t , z.B. greift die E r l ä u t e r u n g ,und es w a r keiner u n t e r d e n Israeliten besser (tob) als e r ' d a s Stichwort tob in der P e r s o n e n s c h i l d e r u n g auf (l.S 9,2). A u c h allgemeinere Stichwörter k ö n n e n ähnliches leisten, z.B. d a s S t i c h w o r t 'br .überschreiten', d a s in 2.S 19,16-41 14mal v o r k o m m t u n d verschiedene Szenen in Z u s a m m e n h a n g mit d e m J o r d a n ü b e r t r i t t Davids bringt. 8 5 g) Anaphorische

Einfügung

Bei d e r a n a p h o r i s c h e n E i n f ü g u n g wird meist auf Sachverhalte d e r Vorlage z u r ü c k g e g r i f f e n . D a b e i sind verschiedene syntaktische Realisierungen zu unt e r s c h e i d e n , die wir im folgenden kurz skizzieren. Perspektivische Sätze. D e r Begriff .Perspektivischer Satz' wird hier in A n l e h n u n g an d a s hebräische Tempussystem 8 6 f ü r Sätze mit S e k u n d ä r t e m p o r a verw e n d e t , die die H a n d l u n g nicht v o r a n t r e i b e n , s o n d e r n auf E p i s o d e n Bezug n e h m e n . Betrachten wir Beispiele. 82 Schmidt Redaktion 185. 83 Oese Beiträge 424f. 81 Jdc 6,8; l.S 10,18; Am 2,10; Am 9,7; l.Ch /7,5. Knierim Hauplbegriffe 204 schließt aus der l.Pcrs. in V . l b auf eine formelhafte Übernahme. 85 Dazu Veijola David 357. 86 Vgl. die Darstellung bei Schneider Grammatik §48.

5.4 Anschließendes Erweitern

133

Im Bericht des Debora-Krieges heißt es gegen Ende: ,Und es stieg Sisera v o m Wagen und floh zu F u ß ' (Jdc 4,15). die Jael-Geschichte beginnt mit: ,Und Sisera war 8 7 zu F u ß geflohen' (Jdc 4,17). Die Jael-Geschichte beginnt also mit dem Rückgriff auf eine wichtige Einzelheit der Debora-Schlacht. Ein solcher Rückgriff ist nötig, weil die Erzählung zunächst die Vernichtung des Heeres abgehandelt hatte, den Sisera-Faden also notgedrungen fallen lassen mußte. Der partizipial formulierte Satz: ,Und es war Samuel hinaufsteigen lassend d a s B r a n d o p f e r ' (1.S 7,10) n i m m t V.9 auf, wo das Opfer berichtet wird. Die anaphorische Einfügung dient zur «Vorfiigung» des Jahwekrieges. 8 8 Die Salbung Davids greift nun ebenfalls mit einem x-AK-Satz (1.S 15,35b) auf ein früheres Element, nämlich die Reue Jahwes zurück. Es handelt sich aber hier nicht wie bei Sisera um zeitlich parallele, sondern u m sachlich koordinierte Abläufe. Denn das Einsetzen hat ebenso wie das Absetzen die Reue als Ausgangspunkt. Weitere Beispiele sind: ,Die Geschichte von Davids E i n f ü h r u n g an den H o f (l.S 16,14) und ,das S a l o m o - S u m m a r i u m ' (1.R 2,46b-3,3).t9 Angaben. Die Rede Simeis (2.S 16,7f) könnte nachträglich eingefügt sein, um das Stichwort „fluchen" (V.5) inhaltlich zu füllen. In diese Richtung deutet die Verwendung der «Botenformel» (s.d.), d u r c h die ja anders als bei einem narrativen Einbettungssatz nicht ein weiterer Handlungsschritt gebracht wird, s o n d e r n eine kommentierende «Detaillierung» eines früheren Ausdruckes (eben des „ F l u c h e n s " (V.5)). Besonders deutlich wird dies hier durch die a n a p h o rische W e n d u n g „bei seinem F l u c h e n " (V.7). Ein weiteres Indiz f ü r einen N a c h t r a g ist die kunstvolle Gestaltung der Rede, die sich der «Ploke» bedient und d a d u r c h zugleich ein redeimmanentes Schlußsignal setzt. Betrachtet m a n den ka'asxr-SaXz (1.S 12,8) im Z u s a m m e n h a n g mit d e m folgenden Einschub, d a n n handelt es sich um eine «anaphorische Einfiigung»\ es wird nämlich expliziert, worin die Rechtstaten Jahwes in der Zeit der Väter bestehen. Attribute. Der Bezugssatz einer anaphorischen Einfügung wird gelegentlich auch z u m Attribut eines N o m e n s gemacht: ,Die Schmach, daß Jahwe ihren Schoß verschlossen hatte' (LS 1,6). Dabei bringt d a n n das N o m e n die Proposition auf den Begriff und bewertet sie. Ein schönes Beispiel ist auch 1.S 8,6: 6

Und es war böse das Wort in den Augen Samuels, wie sie gesagt hatten: Gib uns einen König uns zu richten.

B c D

87

Perspektivisches AK, jedoch wäre der Form nach auch pari, möglich. Siehe „Samuels Philistersieg und Tätigkeit (l.S 7,2b-14.15-17)" auf Seite 297 und „Vorfügen" auf Seite 136. 89 Der Beziehungssatz ,und das Königtum war gefestigt (x-AK) in der Hand Salomos' (LR 2,46b) wird durch die Verseinteilung der vorangehenden .Tötung Simeis' zugeschlagen, durch die Textgliederung in BUS (Codex Leningradensis) dem folgenden Summarium. 88

134

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

Klammernde anaphorische Einfügung. In den Beispielen LS 1,6 und 1.S 8,6 wird die Einfügung auch durch das anaphorische Element abgeschlossen, so d a ß gleichzeitig eine K l a m m e r - S t r u k t u r entsteht, die die E i n f ü g u n g einklammert, indem sie die A u f m e r k s a m k e i t zum letzten Element der Vorlage zurücklenkt. h)

Hakeneinbettung

D e r anaphorischen Einbettung verwandt ist die «Hakeneinbettung». Betrachten wir zunächst als Beispiel die Sendung eines a n o n y m e n Propheten ( J d c 6,8-10). Sie hat die Aufgabe, an die H e r a u s f ü h r u n g aus Ägypten (V.8f) und d a s Fremdgötterverbot (V.10) zu erinnern und d a d u r c h indirekt die Bed r ü c k u n g durch Midian ( V . l f f ) zu begründen. Das Stück erweist sich aber nicht n u r inhaltlich als Interpretation, sondern stört auch formal den Textablauf, insbesondere durch die merkwürdige D o p p e l u n g im Z u s a m m e n h a n g mit d e m Stichwort Midianiter a m A n f a n g der Auftrittsnotiz (V.6f). M a n hat f r ü h e r versucht, diese Störung durch textkritische Operationen zu beseitigen. Aber nicht nur, d a ß sich d a f ü r kein Anhalt in den Quellen findet, es wurde dadurch gerade das redaktionelle Anschlußglied beseitigt. Es lautet: ,Und es geschah, als die Israeliten zu Jahwe wegen Midian schrien ... (way e hi kiY (Jdc 6,7) und n i m m t die Proposition „zu Jahwe schreien" aus d e m vorangehenden Vers auf: ,Und es verarmte Israel sehr wegen Midian und es schrieen die Israeliten zu Jahwe' (V.6). Die Proposition wird also zur Synchronisierung verwendet. D a d u r c h wird verhindert, d a ß die Prophetensendung als Folgeereignis verstanden werden könnte, im Richterschema also als Einleitung der Hilfe; sie wird vielmehr durch die Synchronisierung explizit auf die Station „Notschrei des Volkes" beschränkt. Wir bezeichnen dieses P h ä n o m e n als Hakeneinbettung, weil — anders als bei der Klammereinbettung — nur ein Verbindungsstück vorliegt; anders als bei der anaphorischen Einbettung greift dieses unmittelbar auf die Einfügungssituation zurück. Den «Haken» bildet dabei die Proposition, die hier als Synchronisierungsmerkmal verwendet wird. F ü r die Hakeneinbettung soll also konstitutiv sein, d a ß sie eine Parallelität der Ereignisse herstellt. Ein weiteres Beispiel ist die Einbettung der Weissagung gegen den Altar zu Bethel; zunächst wird der Bericht über die Installation des Kultes um die N a c h r i c h t erweitert, d a ß J e r o b e a m zur Kulthöhe hinaufsteigt. Der Haken ist dabei u.a. das D a t u m ,am fünfzehnten Tage des achten M o n a t s ' (LR 12,33 fl 32). A u c h Proformen wie säm „ d o r t " können als Haken fungieren. So wird die , E i n f ü g u n g der Eliden' (1.S 1,3b) mit „dort" an das zuvor genannte „Silo" angehängt (zur Begründung siehe die Exegese). i)

Nachdoppelung

Eine D o p p e l u n g bildet der Wehe-Ruf der Philister 1.S 4,7E\\8A. Dabei handelt es sich allerdings nicht u m eine Klammereinbettung, d a ja erst das zweite Element die Einfügung einleitet; wir wollen in solchen Fällen von N a c h d o p pelung sprechen.

5.4 Anschließendes Erweitern j ) Oppositive

135

Einfügung

Die Verschonung Meribaals (2.S 21,7) ist der Auslieferung an die G i b e o n i t e n oppositiv vorgefügt. 9 0 k)

Ausnehmung

Ein deutliches Beispiel ist die Einfügung J o t a m s in Jdc 9 (siehe Tafel 6 auf Seite 104), die wir im Abschnitt „Die Abimelech-Perikope (Jdc 9)" auf Seite 103 schon behandelt haben und im Abschnitt „Wirkungsweise a m Beispiel J o t a m " auf Seite 124 als Beispiel f ü r Anker und Schiff angeführt hatten. Die E i n f ü g u n g des Ankers in den Kontext geschieht als «Ausnehmung»-, d e n n die generelle Aussage der Vorlage, d a ß die 70 Söhne Jerubbaals getötet werden, wird erst nachträglich wieder d a d u r c h eingeschränkt, d a ß einer e n t k o m m t . Rein theoretisch wäre das auch als Erzählschritt der Vorlage denkbar. Die A n n a h m e einer A u s n e h m u n g setzt also hier voraus, d a ß der redaktionelle C h a r a k t e r auf andere Weise nachgewiesen werden kann. A u c h das .Königsrecht' wird durch A u s n e h m u n g eingefügt; die Generalaussage lautet nämlich: ,Höre auf sie in allem, was sie dir sagen' ( L S 8,7a). Sie wird eingeschränkt durch 'ak ki- „nur d a ß " I.S 8,9b. Dieser Z u s a m m e n h a n g wird besser erkennbar, wenn m a n zuvor den noch späteren Einschub V.7b-9a entfernt hat, der das Ägypten-Thema a u f n i m m t . / ) Exkurs zum , Waw

explicativum'

D a s Waw copulativum schließt an einer Reihe von Stellen nicht ein weiteres Glied in einer Reihe an, sondern einen Ausdruck, der sachlich dasselbe bezeichnet wie das Vorangehende; dieser Gebrauch wird in der G r a m m a t i k als Waw explicativum bezeichnet. 9 1 Es genügt jedoch nicht, es bei der Beschreib u n g des sprachlichen Sachverhaltes zu belassen. Denn da die angeschlossenen Elemente häufig den Text stören oder zumindest doppeln, liegt die Vermutung nahe, d a ß es sich um ein redaktionelles P h ä n o m e n handelt. D a n n aber sind folgende Typen zu unterscheiden: Erläutern. Ein Ausdruck, der den Zeitgenossen nicht mehr recht verständlich ist, kann durch einen anderen ersetzt werden, z.B. 92 kell durch yalqüt LS 17,40. Globalisieren. Eine Aufzählung kann durch einen Sammelbegriff globalisiert werden; so wird die Liste der einzelnen Tempelgeräte durch ,und alle diese G e r ä t e ' (LR 7,45b). abgeschlossen. 9 3 Spezifizieren. Umgekehrt können globale Ausdrücke spezifiziert werden; so wird die Bezeichnung der Begleiter Davids „alle Knechte" durch ,alle Krether und alle Plether und alle Gathiter' (2.S 15,8) spezifiziert. 94 90 91

Veijola David 351.

Baker Examples', cine Zusammenstellung der schon von anderen entsprechend gedeuteten Stellen gibt er S.135f; vgl. auch Brongers Interpretationen. 92 Baker Examples 129. 93 Baker Examples 131; jedoch textkritisch unsicher. 94 Baker Examples 131f; auch dieser Text ist aber umstritten.

136

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

Korrigieren. 12,13): 13

B

In der Bewertung des Königsbegehrens durch Samuel (1.S

Und nun da ist (hinneh) der König,

den ihr erwählt habt, c den ihr erbeten habt; b und siehe (wehinneh): Gegeben hat Jahwe über euch einen König.

dient Satz ,C' als Korrektur zu Satz ,B'.95 Zugleich zeigt sich, daß Satz ,D' das syntaktische Muster von Satz ,A' — also das «Präsentatio» — aufnimmt. Wie die Auslegung zeigt,96 handelt es sich dabei ebenfalls um eine Korrektur, die dem Volk die eigene Initiative abspricht und sie auf Jahwe verlagert. Es ergibt sich also das Schema A B B' A' für den Zusammenhang zwischen Vorlage und Korrektur. 5.4.4

Anfügen

Einige Passagen geben sich von vornherein als Nachtrag zu erkennen, z.B. die Texte: 97 .Überblick über die Eroberung Kanaans' (Jdc /); ,Dan und Benjamin' (Jdc 17-21). Hier wird schon an den Datierungsformeln mit der Wendung ,es gab noch keinen König in Israel' 98 deutlich, daß die Texte als Vorbereitung auf die Königszeit verstanden werden sollen, aber eben aus Datierungsgründen an die davor liegende Richterzeit angehängt wurden. Denn einerseits passen sie nicht in das Richterkonzept, andererseits haben sie ihre Fortsetzung in der Königszeit. Ähnliches gilt auch für die Ämterliste in 2.S 20,23/.25. 5.5

Ansteuerndes Erweitern

Beim ansteuernden Erweitern ist der Blick gewissermaßen in die Zukunft gerichtet: Die Erweiterung soll auf den dann nachfolgenden Text der Vorlage hinführen. Vorfügen. Bei der Vorfügung wird ein Abschnitt so eingefügt, daß sich damit zugleich die Prämissen für das Folgende grundlegend ändern. So bezieht sich das Sündenbekenntnis (l.S 7,6) im jetzigen Kontext auf die Fremdgötterverehrung (V.3f). Eine Analyse des Zusammenhanges zeigt, daß es sich hier um ein viel allgemeineres Sündenbekenntnis handelt, das dann i.S. des Richterschemas auf die Philisternot (l.S 4) zu beziehen ist. Damit gibt sich diese Szene als Vorfügung zu erkennen. Durch die Vorfügung wird also der Text nicht nur um eine Episode bereichert, sondern völlig in seiner Thematik und seinen Kontextbezügen verändert. In unserem Fall soll er offenbar für das Gegenwartsproblem „Kultreform" nutzbar gemacht werden. 99 95

Vgl. „Ersetzende und korrigierende Glossen" auf Seite 140. Siehe zu - > / . 5 12,13 in Wonneberger Begründung. 97 Seeligmann Erzählung 323. 9 » Stellen: Jdc 17,6; 18,1; 19,1; 21,25. 99 Siehe „Samuels Philistersieg und Tätigkeit (l.S 7,2b-14.15-17)" auf Seite 297. 96

5.5 Ansteuerndes Erweitern

137

Ähnliches gilt f ü r den Jahwekrieg (LS 7,10). Hier wird mittels a n a p h o rischer E i n f ü g u n g ein Eingreifen Jahwes vorangestellt, das das folgende Ausrücken Israels zu einer bloßen „ A u f r ä u m a k t i o n " degradiert. 1 0 0 Ansteuerung. Bei den A n k n ü p f u n g e n wird meist auf den vorangehenden Text b e z u g g e n o m m e n . Umgekehrt kann aber auch ein Stück so eingeschoben werden, d a ß der folgende Text in bestimmter Weise gedoppelt wird. Ein Beispiel d a f ü r ist die Königswahl Sauls. Die erzählte Aufstellung der S t ä m m e (1.S 10,20) wird in der eingeschobenen Samuelrede als A u f f o r d e r u n g (sich aufzustellen) vorweggenommen (V. 19). Es wird also im Einschub derjenige P u n k t „angesteuert", mit dem d a n n die Erzählung fortgesetzt wird. Ähnliches gilt auch f ü r den Zug des Volkes nach Gilgal ( I . S ¡1,15), der in V.14 als A u f f o r d e r u n g durch Samuel formuliert wird. A u c h bei der Erneuerung des Königtums (LS 11J4J) findet sich die redaktionelle Technik der «Ansteuerung», d a Samuel genau das als A u f f o r d e r u n g formuliert, was das Volk danach tut. D a d u r c h entsteht ein merkwürdiges Hin u n d Her zwischen Mizpa und Gilgal. Zugleich wird die Ansteuerung genutzt, um die Bedeutung des folgenden proleptisch umzudefinieren. Es handelt sich d a n n nicht mehr u m die spontane A u s r u f u n g des Kriegshelden zum König, sondern um die bloße Erneuerung einer schon bestehenden Tatsache. Bei der Ermittlung Sauls durch das Los wird von einem zweiten Befragungsgang berichtet (1.S 10,22). Obwohl dieser gerade nicht als Losorakel bezeichnet wird, wird explizit durch „nochmals" auf den ersten Fragegang b e z u g g e n o m m e n . Diese Kennzeichnung als Wiederholung zeigt an, d a ß schon im Losverfahren eine Befragung Jahwes zu sehen ist (vgl. Nu 27,21). Dies entspricht genau der Tendenz, das Handeln Jahwes zu betonen. Zugleich aber könnte darin die redaktionelle Technik der «Iterationszuschreibung» zu sehen sein, bei der eine durch Redaktion eingeführte H a n d l u n g d a d u r c h aus d e m T e x t hergeleitet wird, d a ß sie als Wiederholung einer H a n d l u n g aus der Vorlage gekennzeichnet wird. Beendet wird die Passage der Loswahl in Mizpa (LS 10,17-27a) durch die redaktionelle Figur der «Ansteuerung»;101 der in der Vorlage folgende Schritt (Samuel läßt das Volk antreten) wird nämlich der «Proposition» nach gedoppelt; «Illokution» ist die A u f f o r d e r u n g . Es wird also das, was n u n m e h r zu folgen hat, in einem zukunftsbezogenen Sprechakt vorweggenommen. A u c h bei der Amnestie (LS 12J) wird in V. 13 die redaktionelle Technik der «Ansteuerung» verwendet. 102

100 101

102

Siehe „Samuels Philistersieg und Tätigkeit (I.S 7,2b-14.15-17)" auf Seite 297. Vgl. auch LS Ii,l3f. Vgl. auch I.S J0J9f.

138

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

Seven woe oracles against leaders in J u d a h Invective threats against Israel Testimony of Isaiah

5:8-24 + 5:25-30 + 6:1-8:18* + 9:7-20 + 10:1-4 Tafel 9. Doppelte Inclusio in Jes 5,8-10,4: Redaction 196

5.6

Die Skizze stammt aus Sheppard

Umstellen

Vor allem die klassische Literarkritik hat gern ihre Zuflucht zu Umstellungen genommen. 1 0 3 Aber ebenso wie bei den Auslassungen ist ein tragfähiger Nachweis schwierig. Bei der Analyse von Umstellungen ist von den Fällen auszugehen, in denen eine andere Reihenfolge durch einen Paralleltext bezeugt ist, z.B. I.Makk 1-7 || 2.Makk 5 - / 5 . 1 0 4 W ä h r e n d sich Erzähltexte aufgrund ihrer inneren Logik nur in G r e n z e n umstellen lassen, gelten bei Einzelstücken wie etwa Psalmen k a u m solche Restriktionen. Ähnliches gilt f ü r die Prophetie; hier genügen in m a n c h e n Fällen bloße Umstellungen, u m der Verkündigung einen gänzlich anderen Sinn zu geben. Ein Beispiel ist die Umstellung von Jes 5,25-30, das ursprünglich hinter Jes 9,7-20 gestanden haben dürfte. Während die meisten Forscher ( D u h m , Marti, F o h r e r , Eichrodt, Kaiser u.a.) diese Umstellung als Fehler bei der E i n f ü g u n g der Denkschrift Jes 5,1-8,18 oder eine vergleichbare Störung ansehen, hat Barth Jesajaworte 109-119 eine redaktionelle Erklärung gegeben. Er sieht hier eine bewußte, in der Zeit Josias vorgenommene Umstellung, die den Skopus des urspünglichen Unheilswortes an das Nordreich n u n auch auf das Südreich ausdehnen soll. In der jetzigen Stellung bilden die Worte eine doppelte Inclusio u m die Denkschrift, wie aus Tafel 9 auf dieser Seite hervorgeht. Eine ähnliche Technik könnte auch in zwei weiteren Fällen vorliegen, nämlich in Jes 5,15f, das ursprünglich zu Jes 2,6-22* gehört haben dürfte, 1 0 S u n d in Jes 3,13-15, das ursprünglich einen Teil von Jes 5,1-7 gebildet haben könnte. 1 0 6 103 Neuere Beispiele bei Resenhöffl Jahwist 28-30.33. 104 Zum einzelnen Eißfeldt Einleitung 786f. 105 Nachweis bei Sheppard Redaction 198-204. 106 Nachweis bei Sheppard Redaction 198-204. Sheppard Redaction 207 kommt zu folgender Rekonstruktion (die Übersetzung ist hier weggelassen): Juridical Parable 5,lb—2; Judgement (Implied as an activity of the listening audience); Interpretation 3,13-14; Indictment 3,15 & 5,3—4; Sentence 5,5-6; Summary Appraisal 5,7.

5.7 Ändern

5.7

139

Ändern

Der Begriff der Änderung wird hier eingeschränkt gebraucht; wir wollen darunter nur solche Eingriffe verstehen, bei denen sowohl der Umfang als auch die Reihenfolge des Textes gleichbleiben. 5.7.1

Schriftbedingte

Änderungen

Die Eigenart der hebräischen Schrift läßt es zu, durch unverdächtige, kaum zu bemerkende und notfalls sogar als besserer Text reklamierbare Änderungen eine fundamentale Sinnänderung herbeizuführen. Solche Änderungsmöglichkeiten ergeben sich bei Vokalisierung; Abtrennung der Wörter; notfalls durch leichte Korrekturen am Konsonantenbestand. Sie sind bisher vor allem unter textkritischen Aspekten gesehen und daher weniger auf ihre redaktionellen Implikationen und Regelmäßigkeiten untersucht worden. Änderung in der Worttrennung. Aus der Erzählung über das Heiligtum von Dan (Jdc 17J) ist der Name Gersom möglicherweise dadurch herausgelesen worden, daß der Konsonantentext der Wendung wehü' gär-säm „und er (war) Flüchtling dort" Jdc 17,7 anders abgeteilt wurde. 107 Änderung im Konsonantenbestand. In der Herleitung der danitischen Priester Jdc 18,30 unterscheidet sich die Alternative ,Manasse' von der Alternative ,Mose' nur durch ein zusätzlich eingefügtes Nun.m Daß es sich um eine Einfügung handelt, läßt sich schon textkritisch wahrscheinlich machen. Denn der Codex Leningradensis (L) und viele andere führen den Buchstaben hochgestellt (suspensum), so auch der Text in BHS. Durch diese abweichende Schreibung hat der Abschreiber klargemacht, daß es sich um eine gelehrte und fromme Kommentierung handelt. Sobald das Nun aber in den Text eingedrungen ist, kann es nicht mehr nur textkritisch betrachtet werden, sondern muß als Maßnahme einer Redaktion gesehen werden. 109 Änderung in der Vokalisierung. Die eben genannten Beispiele „Gersom" aus ger säm Jdc 17,7und „Manasse" aus „Mose" Jdc 18,30 implizieren neben der anderen Abtrennung auch eine andere Vokalisierung. 5.7.2

Ersetzungen

Ersetzungen lassen sich als Kombination von Auslassung und Einfügung darstellen. Es ergeben sich dieselben Nachweisprobleme wie bei Auslassungen, und dementsprechend bleiben solche Annahmen ziemlich unsicher, wie die folgenden Beispiele zeigen. Beispiel: Ersetzung einer Berufung (LS 3). Einige Forscher nehmen an, daß in der Offenbarungsgeschichte l.S 3 statt des Unheilswortes gegen die Eliden ursprünglich eine Berufung Samuels gestanden habe. 110 Ganz abgesehen von 107

'08 109 1,0

Gunneweg Leviten 20. Nur noch Ps 80,14 und Hi 38,13.15, vgl. Wonneberger Leitfaden 43. Z u m Inhaltlichen siehe „Ankoppeln und A b k o p p e l n " auf Seite 145. Literatur bei Veijola Dynastie 43.

140

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

der Frage, ob sich dafür stichhaltige Gründe nennen lassen, müßte doch erklärt werden, weshalb solche Berufungsworte hätten entfernt werden sollen, da sich dem Redaktor ja alle nur denkbaren Erweiterungsmöglichkeiten bieten und die Berufung keiner erkennbaren Intention der Redaktion widerspricht. Beispiel: Ersetzung einer Überschrift (1.R 7). Bei der Darstellung der Metallarbeiten für den Tempel (LR 7,13-51) könnte eine Liste zugrundeliegen, die schon bei der Planung und Durchführung selbst verwendet wurde. Eine solche Liste hätte dann vermutlich auch eine Überschrift gehabt, wie sie sich analog zu LR 6,2a rekonstruieren läßt: ,Die Geräte, die der König Salomo anfertigen ließ für das Jahwehaus [und für sein Haus]'. 111 Diese Überschrift wäre dann im vorliegenden Kontext ersetzt worden, u.z. durch die erzählende Einführung (V. 13f). Diese These Noths ist immerhin formgeschichtlich plausibel, denn eine Überschrift hätte den intendierten Zusammenhang gestört. Insgesamt gesehen bleibt sie aber dennoch sehr hypothetisch. Jedoch lassen sich an diesem Text unabhängig von der unsicheren Frage der Ersetzung noch sicherere redaktionelle Beobachtungen machen, siehe „Klammererweiterung" auf Seite 117. Natürlich sind damit noch nicht alle Probleme der Perikope gelöst; dies bedürfte einer umfassenden Analyse. Jedoch scheint Noths Annahme, daß die Mitteilungen über Hiram nachträglich eingefügt seien," 2 angesichts der aufgezeigten Klammerstruktur nicht haltbar; Noth selbst kann auch kein Motiv für eine solche Einfügung angeben. Ersetzende und korrigierende Glossen. Als Ersetzung des Textes oder auch nur als korregierende Interpretation sind Glossen häufig dann gemeint, wenn sie das syntaktische Muster des Textes beibehalten. Ein solcher Fall findet sich in der Bewertung des Königsbegehrens durch Samuel (LS 12,13): (a) Und nun siehe den König, (b) den ihr erwählt habt, (c) den ihr erbeten habt ... Durch (c) soll (b) ersetzt werden, das dem Volk die Königskür zuschreibt, während (c) darauf besteht, daß der König nur von Jahwe gewählt werden kann. Auch der textkritische Befund weist darauf hin, daß (c) wohl als Glosse in den Text eingedrungen ist.113 Die Ersetzung ist also gewissermaßen auf halbem Wege ins Stocken geraten; es ist eine Einfügung daraus geworden, die einen krassen Widerspruch zur Folge hat. Wir sehen darin eine Bestätigung unserer These, daß die Hürde für Einfügungen relativ niedrig war, die für Auslassungen am überkommenen Text dagegen relativ hoch. In solchen Fällen muß der Nachweis der Einfügung besonders sorgfältig geführt werden, da es sich auch rein synchron um eine sog. Badal-Apposition handeln könnte, die ihre Bezugswendung nicht qualifiziert, sondern korrigiert." 4 > 11 Noth ¡.Könige 146. 112 Noth ¡.Könige 147. 113 Siehe zu - > / . S 12,13 in Wonneberger Begründung. 114 Michel Grammatik nennt neben ägyptischen und arabischen Parallelen als Beispiele 2.R 3,4 „er pflegte dem König von Israel hunderttausend Lämmer und hunderttausend Widder, (d.h.) Wolle zu liefern.", Ps 18,41 „und meine Feinde hast du mir gegeben, d.h. ihren Rücken" also: .Meine Feinde hast du in die Flucht geschlagen', Ps 77,22 „dann will auch ich dich preisen mit Harfenspiel, (genauer:) deine Zusageerfüllung, mein Gott".

5.8 Verkürzen

5.8

141

Verkürzen

Während bei redaktionellen Erweiterungen redaktioneller Text und Vorlage durch ihre Spannungen geschieden werden können, ist eine solche Vergleichsmöglichkeit bei Verkürzungen nicht gegeben. Die ältere Literarkritik hat aber von der Annahme von Verkürzungen reichlich Gebrauch gemacht." 5 Wie ließen sich auch sonst Lücken in den als durchlaufend postulierten Quellenfäden begründen? 5.8.1

Nachweismöglichkeiten

Bei den Auslassungen ist es besonders schwierig, einen akzeptablen Nachweis zu führen. So könnte z.B. auch ein unvollständiges Gattungsmuster zu der Hypothese führen, daß etwas ausgelassen ist. Aber da die Bestimmung von Gattungsmustern selbst häufig unsicher bleibt, erscheint dies problematisch. Es gibt jedoch noch andere Möglichkeiten, die wir im folgenden kurz betrachten wollen. Parallel-Überlieferung. Am besten gelingt der Nachweis noch, wenn eine Parallelüberlieferung vorliegt. So kann man annehmen, daß im Zusammenhang mit 2.R 23,21-14 etwas ausgelassen ist, weil nur hier der Chronist (2.Ch 35) eigenes Material bringt. Allerdings ist auch dieser Schluß nicht zwingend, da der Chronist das Material auch aus einer anderen Quelle geschöpft haben könnte. Zusammenfassungen. Wenn hingegen keine Parallelüberlieferung vorliegt, sind Auslassungen nur sehr schwer nachzuweisen. Man muß dann nach redaktionellen Techniken Ausschau halten, die von vornherein den Gedanken an eine Auslassung nahelegen. Eine solche Technik, aus der ein Ausfall zu folgern sein könnte, sind die „comprehensive anticipatory redactional joints". 116 Wenn ein solcher Hinweis ins Leere zeigt, dann sei damit zu rechnen, daß ein entsprechender Text ausgefallen sei, so z.B. eine Nachricht darüber, was weiter aus dem abgeschlagenen Kopf des Philisters Goliat (LS 17,51.54) geworden ist.117 Da die Auslassung in der älteren Literarkritik überstrapaziert worden ist, wird hier allerdings große Zurückhaltung am Platze sein. 5.8.2

Auslassungen

Mit dem Begriff ,Auslassung' ist nicht die Auswahl aus vorhandener Stoffülle gemeint, sondern das Weglassen eines schon vorliegenden Textes. In der älteren Literarkritik wird häufig mit einem „Herausbrechen" von Textbestandteilen gearbeitet. So rechnet Eißfeldt Komposition 5 damit, daß der Redaktor die Erfüllung der Drohung gegen die Eliden vor LS 3,19 ausgelassen habe, und daß auch die Änderung selbst durch einen Rückverweis ersetzt worden sei. Nun kann bei Einfügungen und Änderungen der Redaktor 115 116

in

Einige Beispiele bei Eißfeldt Komposition 5. Siehe „Antizipatorische Kommentierung" auf Seite 160. Willis Function 313.

142

5. Redaktionelle Handlungen auf Textebene

immerhin noch das Gefühl haben, er habe das Vorliegende weitergegeben. Bei Kürzungen weiß er hingegen, daß das Material unwiederbringlich verloren geht. Es bedarf daher schon eines starken Motives, um solche Annahmen zu rechtfertigen, z.B. den Wunsch, eine unliebsame Gottheit durch «Totschweigen» unschädlich zu machen. Ein außergewöhnliches Beispiel dafür böte die Debora-Tradition, falls Name und Person tatsächlich mit einer Bienengottheit der Seevölker zusammenhängen, wie Margulies Rätsel nachzuweisen versucht. Aus der gezielten Eliminierung aufgrund der religiösen Implikationen würde sich dann auch erklären, daß Debora in der Abschiedsrede Samuels nicht genannt ist.118 Freilich reicht die Rekonstruktion nicht aus, um eine Auslassung plausibel zu machen. 5.8.3

Auswählen

Aber auch durch das bloße «Auswählen» von Teilen der vorliegenden Überlieferung läßt sich eine redaktionelle Tendenz wirkungsvoll zur Geltung bringen, wie sich am Beispiel des DtrG zeigt:" 9 „Von einem so erfolgreichen König wie Ahab werden I Reg 16,29-22,40 nur Maßnahmen zugunsten des Baal von Tyros und die Auseinandersetzungen mit Profeten berichtet, nichts von seiner entscheidenden Rolle in der antiassyrischen Koalition seiner Zeit! In ähnlicher Weise werden durchweg die kultischen Aktivitäten der Könige in den Vordergrund gestellt, politisch-militärische nur ausnahmsweise erwähnt." 5.8.4

Kürzen und Raffen

Bei Kürzungen sollen nicht einzelne Textelemente unterdrückt werden, sondern der Gesamtsinn soll durch Weglassen von solchen Elementen klarer herausgearbeitet werden, die aus irgendeinem Grunde als unwesentlich angesehen werden. Während bei den Kürzungen ganz allgemein Redundanz oder Detaillierung beseitigt wird, verfolgt die Raffung den besonderen Zweck, beim Leser Rekonstruktionsprozesse anzustoßen; sie ist daher als Kunstform anzusehen. Für die Kain-Abel-Geschichte wird gelegentlich angenommen, daß wichtige Zwischenschritte ausgelassen seien.120 Sie betreffen vor allem die erzählerischen Details. Die Annahme von Raffungen läßt sich z.T. durch Vergleich, also über die Gattung, begründen, z.T. werden die ausgelassenen Teile im Text selbst präsupponiert. Wenn wir angeben können, welche Erzählschritte ausgelassen sind, dann setzt dies voraus, daß sie nicht kontingent, sondern produktiv sind, letzteres hier im linguistischen Sinne regelhaften Generierens verstanden. Sie gehören also nicht zum originellen, sondern zum regelhaften Bestand der Erna "9

l.S 12,11; Margulies Rätsel 75. Koch Art.Geschichle 580.

120 Löwenclau Erweiterung 180-182.

6.1 Übersicht

143

Zählung. 121 Die Auslassung kann daher vorgenommen werden, ohne d a ß Wesentliches verloren ginge. Daher wollen wir von R a f f u n g sprechen. Wenn z.B. erzählt worden wäre, wie Kain die Leiche verscharrt, d a n n würde dadurch die Frage Jahwes ,Wo ist dein Bruder Abel?' vor allem auf die örtliche Komponente reduziert. So aber tritt der eigentlich intendierte illokutive Gehalt besser hervor: .Verantworte dich!'. Die Erkenntnis, daß der Jahwist „der große Psychologe unter den biblischen Erzählern" ist, 122 läßt sich also auch an Details ausweisen. Dennoch genügt es nicht, solches Raffen nur plausibel zu machen, denn es gehört ja auch gleichzeitig zu den Techniken synchronen Erzählens. Es m u ß also schon eine entsprechende Vorlage nachgewiesen werden, um es als redaktionelles Phänomen beanspruchen zu können. Das Beispiel zeigt erneut, daß f ü r die Redaktionstheorie im Bereich der Auslassungen große Zurückhaltung geboten ist, weil sich überzeugende Nachweise kaum je führen lassen.

Kapitel 6

Redaktionelle Handlungen auf Sachebene Ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung redaktioneller Arbeit ist die Frage, wieweit durch die Redaktion die berichteten Sachverhalte verändert werden, oder, allgemeiner gesagt, in welchem sachlichen Verhältnis der Sinn des bearbeiteten Textes zum Sinn der Vorlage steht. 6.1

Übersicht

Einen Sonderfall redaktioneller Arbeit bildet das Kompilieren verschiedener Vorlagen zum gleichen Thema. Die dabei verwendeten Methoden lassen sich sehr schön an den Evangelien-Harmonien studieren, weil dort nicht nur die Zusammenfassung, sondern auch die Einzelvorlagen erhalten sind. 123 In allen übrigen Fällen fehlt diese thematische Identität der Texte. Die Beiträge der Redaktoren stammen aus anderen Zusammenhängen oder sind neu gebildet. Damit einher geht eine kaum überschaubare Fülle möglicher Themen. Unsere Aufgabenstellung in diesem Kapitel kann es daher nicht sein, einen Katalog dieser Themen zusammenzustellen. Vielmehr geht es um die Frage, wie die Redaktoren mit ihrem Material unabhängig von der jeweiligen Thematik umgehen. 121

Als analoges Beispiel aus der Syntax läßt sich die Ellipse anführen. 122 Rad Genesis 11. 123 Vgl. Donner Redaktor.

144

6. Redaktionelle Handlungen auf Sachebene 6.2

Harmonisieren verschiedener Vorlagen: K o m p i l a t i o n

Ein Großteil redaktioneller Arbeit geht von dem Selbstverständnis aus, daß zwar die Texte verändert werden, nicht aber die dargestellten Sachverhalte. Insbesondere geht es häufig darum, verschiedene Versionen desselben Ereignisses zu einer einheitlichen Fassung zu verarbeiten. In solchen Fällen wollen wir von «Kompilation» sprechen. Dabei finden sich vor allem zwei Prinzipien, das der Addition und das der Identifikation. Addition. In der Sintflutgeschichte addiert der Redaktor die Spähervögel, also den Raben (Gn 8,7 P) und die drei Tauben (Gn 8,8-12 J).m Dabei geht er offenbar von der Vorstellung aus, daß seine Vorlagen nur einen je verschiedenen Teil der Begebenheit berichten. Ähnliches gilt für das etwas kompliziertere Beispiel der überlebenden Tiere. 125 Identifikation. In der Sintflutgeschichte bringt der Redaktor außerdem die Zeitangabe der Flut von 40 Tagen und Nächten (Gn 8,6 J) mit der von 150 Tagen (Gn 8,3 P) zur Deckung. Wenn sich aber beide Zeitangaben auf denselben Zeitraum beziehen sollen, dann muß die kleinere einen Teilabschnitt der größeren bilden. Folgerichtig wird aus den 40 Tagen die erste Etappe der 150 Tage. 126 6.3

Konstruktion sachlicher Z u s a m m e n h ä n g e

In der Geschichtsbetrachtung sind Analogien, die Wiederkehr des Gleichen oder zumindest Ähnlichen, stets eine wichtige Verstehenskategorie gewesen; und vom Aufzeigen von Analogien zum Konstruieren entsprechender geschichtlicher Querverbindungen ist der Weg nicht allzuweit. Betrachten wir also die Skala der Möglichkeiten. 6.3.1

Zeitlich-logische

Zusammenhänge

Betrachten wir zunächst die zeitlich-logischen Zusammenhänge. Vorbereiten. Vorbereitungen finden sich mehrfach in I.2.R. Daß Josia die Höhenpriester schlachtet (2.R 23,20), wird in der Weissagung des Gottesmannes aus Juda (l.R 13,2) vorbereitet. Umgekehrt findet sich ein «Erfüllungsvermerk» (2.R 23,16), der auf die Weissagung zurückweist. Ebenso sollen die Notizen über Sauls Geistbegabung l.S 10,6.10 offenbar sein charismatisches Auftreten gegenüber Nachasch l.S 11,6 vorbereiten. Entsprechend kann die Aufgabe der Erzählung vom gestohlenen Leviten (Jdc 18)ni darin liegen, das spätere Heiligtum Jerobeams in Dan vorzubereiten (l.R 12,29-, 2.R 10,29-, vgl. Am 8,14). In der Debora-Erzählung macht Barak einen Einwand, und Debora kündigt ihm an, daß der Kriegsruhm jemand anderem zufallen wird (Jdc 4,8f). Wenn 124 Donner Redaktor 24. 125 Donner Redaktor 24f. 126 Donner Redaktor 2 1 - 2 3 . 127 Vgl. Gn 30,6; Gn 46,23; Nu 26,42.

6.3 Konstruktion sachlicher Zusammenhänge

145

die Passage redaktionell ist, dann soll sie motivieren, daß Jael die eigentliche Heldin der Geschichte ist. Nachholen. Bei der Nachholung fügt der Redaktor in eine Erzählung Informationen ein, die für das Verständnis der eigentlichen Einfügung Voraussetzung sind. 128 Diese Nachholungen sind im Deutschen in der Regel mit dem Plusquamperfekt wiederzugeben. Sie sind keine eigenständigen Episoden in der Erzählung, sondern stören meist den Erzählablauf. Gelegentlich wird als «Textort» eine Stelle höchster Spannung gewählt, z.B. bei der Begegnung zwischen Saul und Samuel, vor deren Höhepunkt die Offenbarung an Samuel nachgeholt wird (l.S 9,15-17).m Bei genauem Zusehen kann man aber bezweifeln, daß die Nachholung wirklich zum Verständnis der Erzählung beiträgt; denn daß sich Samuel den Saul nicht aus eigener Willkür ausgesucht hat, ist im Duktus der Erzählung schon angelegt. Man kann daher fragen, ob die Nachholung nicht dazu dient, eine bestimmte Terminologie einzuführen; denn nur hier in der Perikope ist vom nägid die Rede. Vorverlegen. Die Salbung Davids in l.S 16 darf als unhistorisch gelten. Zweck der Geschichte ist es, den Leser das folgende durch eine bestimmte Brille sehen zu lassen, nämlich den Wirren der Aufstiegsgeschichte von vornherein die Gewißheit der göttlichen Erwählung entgegenzusetzen. Es handelt sich also um mehr als um eine bloße Ouvertüre, die das Thema präludiert, sondern um das Umdeuten künftiger Erzählungen durch ein vorverlegtes Ereignis. D a ß es sich dabei um eine feste redaktionelle Regel handelt, zeigt ihr Weiterwirken im Neuen Testament, z.B. bei der .Vorgeschichte' und der .Taufe Jesu'. 130 Weissagungsverknüpfung. In die Josephsgeschichte wird redaktionell die Reiseoffenbarung an Jakob (Gn 46,la$-5a\ vgl. auch Gn 50,23-25) eingefügt.' 31 Damit werden .Volkwerdung' und .Exodus' präfiguriert. Benutzung. Bei Jephta dient seine Kriegführung als Ausgangspunkt für eine lange Geschichtserörterung (Jdc 11,15-26). Dabei wird die Gestalt des Richters benutzt, um eine Auseinandersetzung zu führen, die offenbar für die Gegenwart von Bedeutung ist.132 6.3.2

Ankoppeln und Abkoppeln

Da bei der Darstellung von Geschichte in Israel wie auch in seiner nomadischen Umwelt Genealogien eine wichtige Rolle spielen, kommt dem Verändern von Namen und Verwandtschaftsbeziehungen große Bedeutung zu. Genealogische Verknüpfung. Im Zusammenhang der Jael-Geschichte wird Heber mit Mose verknüpft (Jdc 4,11). Als Orientierung für die Geschichte selbst wäre dies nicht nötig, da die Voraussetzungen in V. 17 geschaffen wer128

'29 130 131 132

Beispiele bei Schulz Erzählkunst lOf. Schulz Erzählkunst 11. Kegler Geschehen 71 A.274; Motive dazu I.e. S.74f. Donner Gestalt. Vgl. Noth Studien 52 A.5.

146

6. R e d a k t i o n e l l e H a n d l u n g e n a u f S a c h e b e n e

den. Hier gibt sich also ein übergreifendes Interesse zu erkennen, das auf genealogische Verknüpfung bedacht ist. Die Genealogie scheint neben der Chronologie ein wichtiges Instrument textübergreifender Redaktion zu sein.133134 Auch bei Otniel (Jdc 3,19) scheint eine genealogische Verknüpfung vorzuliegen. 135 Darüber hinaus ist die genealogische Verknüpfung ein tragendes Prinzip der ,Vätergeschichte'. Besonders deutlich wird dies an der sonst recht einheitlichen .Josephsgeschichte', in die redaktionell die Geburt von Ephraim und Manasse (Gn 41,50-52) und ihre Legitimation durch Jakob (Gn 48\ vgl. auch Gn 50,23-25) eingefügt wird. 136 Daß die genealogische Verknüpfung auch dem Ziel der Desavouierung dienstbar gemacht werden kann, zeigt die Einreihung Samuels in den Korachiten-Stammbaum in der Samaritanischen Chronik II (SamChrll §D).U1 Die Zuordnung zur Sippe des rebellischen Korach (vgl. Nu 16,lff) kommt also einer generellen Ablehnung Samuels gleich.138 Sie beruht offenbar auf dem namensgleichen Vorfahren Elkana (vgl. Ex 6,24).m Umgekehrt wird der Saul-Sohn Meribaal zum Sohn Jonathans gemacht, „weil nur so Davids .Barmherzigkeit' an Meribaal (II. Sam., *IX) als seine Treue zu dem Eid (I. Sam., XX,12-17,42b) und dem ,Bund' (I. Sam., XIII,16-18), der zwischen Jonathan und David bestand, interpretiert werden konnte." 140 Gehilfenverknüpfung. Bei der Gehilfenverknüpfung wird die Legitimation des weniger berühmten Mannes dadurch hergestellt, daß er dem berühmten als „Gehilfe" beigesellt wird. Wir nennen einige Beispiele: Mose und Aaron; 141 Mose und Josua; 142 Elia und Elisa. 143 Namensmanipulation. Die genealogische Zuweisung der danitischen Priester ist offenbar sekundär vorgenommen worden, jedoch nicht ohne Zwischenglieder, die ihren Anhalt im Text haben. Ein solches Zwischenglied könnte der Name ,Gersom' sein, dessen Herleitung wir oben schon besprochen haben. 144 Ein weiteres Zwischenglied könnte die Änderung des Namens ,Mose' in ,Manasse' sein.145 Motiv dieser Änderung wäre es wohl, Mose von einer so zweifelhaften Nachkommenschaft zu entlasten. 146 133

Vgl. den Überblicksartikel Wilson Azel sowie Cialil Sons. 134 Sib 111,826. 135 Richter Bearbeitung 137f. 136 Donner Gestalt. 137 Text: Macdonald Chronicles 44f retro; Übersetzung Macdonald 138 Vgl. „Namensmanipulation". 139 Bowman Documents 105 A. 13. l"0 Veijola David 355. 1"1 Vgl. Ahlström Tradition 68f. 142 Siehe zu -> I S 12,8 in Wonneberger Begründung. 143 I.R 19,19-21 \ vgl. 2.R 2. 144 Siehe „Schriftbedingte Änderungen" auf Seite 139. 145 Siehe ebenfalls „Schriftbedingte Änderungen" auf Seite 139. 146 Gunneweg Leviten 21.

Chronicles 118f.

6.3 Konstruktion sachlicher Zusammenhänge

147

Ein weiteres Beispiel ist der Name Jischwi „Mann Jahwes" (¡.S 14,49) der durch die Namensform ,Eschbaal' (l.Ch 8,33) indirekt bestätigt wird. 147 Samuel wird in SamChrll §D als Ismael bezeichnet, um den theologischen Implikationen des ursprünglichen Namens auszuweichen. 148 Namensumdeutung. Bei fest eingebürgerten Namen besteht kaum die Chance, sie durch Manipulation zu verändern. Eine Umdeutung kann hier nur dadurch glücken, daß der Bezugsrahmen des Namens verändert wird. Dies läßt sich am Namen „Salomo" ( = „sein Ersatz") verdeutlichen. 149 Dieser Name bezieht sich ursprünglich auf Uria. Das Kind ist der Ersatz für den toten Vater. Damit hält der Name die Erinnerung an Davids Mordtat fest. Indem nun aber durch die Redaktion die Episode von einem weiteren Kind und seinem frühen Tod vorgeschaltet wird (2.S I2,l5b-24a), wird für den Namen ein neuer und zugleich unverfänglicher Bezugsrahmen geschaffen. Außerdem wird durch die Umbenennung Salomos in Jedidja ( = „Jahwes Liebling") die Bedeutung des ursprünglichen Namens heruntergespielt. Einbenennung. Schon oben 150 hatten wir gesehen, daß die Verleihung zusätzlicher Namen gelegentlich angewandt wird, um andersartige Stücke ohne Veränderung der dort vorgegebenen Namen mit einer bestimmten Person identifizieren zu können. 6.3.3

Konzeptualisierung

Eine weitere Gruppe bilden solche redaktionellen Handlungen auf Sachebene, bei denen ein bestimmtes Konzept vorschwebt. Schematisierung. Die deutlichsten Beispiele für die Schematisierung gibt das Richterbuch. Dabei dient das Schema sowohl chronologischen wie auch theologischen Zwecken. Daß das Richterschema nicht aus den Erzählungen selbst kommt, sondern aus der redaktionellen Gestaltung, läßt sich an folgenden Passagen deutlich machen: i. ii.

Bei Samgar wird d a s K o n z e p t a u f ihn ausgedehnt, um der Vorgabe d e s D e b o r a - L i e d e s R e c h n u n g zu tragen. D e b o r a wird sekundär zur Richterin g e m a c h t . 1 5 1 O f f e n b a r w a r dies nötig, u m die folgende Erzählung unterzubringen.

Über die Grenzen von Jdc wirkt das Richterkonzept auch bei Samuel noch nach. Resümieren. Wenn auch die einzelnen Richter-Geschichten schematisiert sein mögen, so ist damit noch nichts über die Entstehung des Schemas selbst gesagt. Eine Erklärungsmöglichkeit liegt darin, es als Ergebnis des Resümierens zu sehen. So nimmt Beyerlin Gattung 1-7 an, das Richter-Schema sei ein • 47 Vgl. auch Stoebe Samuel 276 ad 49a. 148 Macdonald Chronicles 188 A.1,20; vgl. auch „Genealogische Verknüpfung" auf Seite 145. 149 Zum Folgenden Veijola Salomo 235-237. 150 Siehe „Einführung einer Person" auf Seite 125. 151 Richter Untersuchungen 37ff.

6. Redaktionelle Handlungen auf Sachebene

148

nachträgliches Resümee der Elemente, die in den Geschichten von den Großen Richtern begegnen. Handlungsumwertung. Die Handlung, daß ich das Fenster schließe, kann je nachdem, ob ich sie von mir aus oder auf Befehl eines anderen ausführe, einen ganz unterschiedlichen Stellenwert bekommen. Als redaktionelle Technik erlaubt es die Handlungsumwertung, geschichtliche Ereignisse unangetastet zu übernehmen und dennoch ihren Sinn zu verändern. Falls es sich in l.S 15 ursprünglich um eine normale Schlacht mit den Amalekitern gehandelt hat, wie sie ja auch für David geschildert wird, dann hat die Redaktion die Handlungsweise dadurch umgewertet, daß sie sie unter die Erinnerungsaufforderung gestellt hat. Über die Zwischenstufe des Bannes wird die Handlung damit zu einer Handlung nach dem Muster „vergelten". Die Verbindung von Ex 17 zu Dt 15 wird umgekehrt durch die «Gedenkaufforderung» geschaffen. 6.4

Übertragung und Etablierung v o n Rollen

Da Erzählungen eine gewisse Eigenständigkeit haben, können sie auf andere Figuren übertragen werden, oder es können in ihnen einzelne Personen oder Züge ausgewechselt werden. 6.4.1

Übertragungen

Betrachten wir zunächst Fälle der Übertragung. Substitution. Am Beispiel des Namens Mebbunai (s.d.) läßt sich zeigen, daß Chr offenbar eine sonst unbekannte durch eine bekannte Person ersetzt hat. Denn die ursprüngliche Liste von Davids Helden enthält die textkritisch unsichere Angabe .Mebbunai der Hussiter' (2.S 23,27) , die bisher meist nach der Parallele (l.Ch 11,29; vgl. auch l.Ch 27,11) in „Sibbechai" korrigiert wurde. Ein Siegelfund aus Sichern läßt sich aber nunmehr als Beleg für den sonst unbekannten Namen deuten, 152 so daß jetzt eher anzunehmen ist, daß der Chronist die von 2.S 21,18 her gut bekannte Figur für die unbekannte substituiert hat. 153 Wir haben es hier also wahrscheinlich mit einer redaktionellen «Ersetzung» zu tun, die den Anschluß an schon vorhandene Kenntnisse zu erreichen sucht. Rollenübertragung. Nimmt man an, daß der Keniter-Komplex (Gn 4,1-24) den Anschluß der Seth-Genealogie (Gn 4,25f) an die Paradieserzählung (Gn 3) unterbricht, dann muß Seth ursprünglich als Erstgeborener Adams gegolten haben. Der Widerspruch zu Kain und Abel wird nun dadurch überbrückt, daß Seth explizit als Ersatz für Abel deklariert wird (Gn 4,25).154 Es wird ihm damit eine Rolle zugewiesen, die implizit ausschließt, daß er jene andere, eben 1S2

Literatur bei Zeron Seal. •53 Zeron Seal 157. 154 Löwenclau Erweiterung 180.

6.4 Übertragung und Etablierung von Rollen

149

die des Erstgeborenen, bekleiden könnte. Zugleich wird durch diese Rolle auch eine Iterationszuschreibung vollzogen. 155 Unheilstransfer. Folgt man Lang Method 41f, dann wird Ez 21,33-37 durch redaktionelle Einfügung in V.33 auf die Ammoniter umgelenkt, um zu vermeiden, daß die Drohung mit dem völkischen Untergang (V.37) auf Israel bezogen werden muß. 156 Unter diesem Aspekt ist auch die Einfügung in Ez 2,3 zu betrachten:' 57 Die Negativ-Charakteristik Israels wird auf die Gojim abgewälzt. Zugleich wird der Auftrag auf sie ausgeweitet.' 58 Zeittransformation. Wenn Gegenwärtiges in die Vergangenheit zurückverlegt wird, also z.B. die Verkündung des deuteronomistischen Gesetzes Mose in den Mund gelegt wird, dann wird die Zwischenzeit zwischen der erzählten Zeit und der Gegenwart für die Erzählperspektive zur Zukunft, von der ja dann eigentlich auch nichts bekannt sein dürfte. Um dennoch entsprechende Aussagen machen zu können, gibt es mehrere Wege. Bejahung der Diskrepanz; 159 Beschränkung auf Anspielungen; 160 Einführung von Vaticinia ;161 Einkleidung als Verheißung. 6.4.2

Etablierung von Rollen

Ein wichtiges Mittel der Redaktion ist die Zuschreibung von Rollen. Sie ermöglicht es, eine Gestalt in ihrer Bedeutung zu erweitern oder umzudeuten. Die jeweils benutzte Rolle stellt zugleich die Verbindung zu einer bestimmten Institution her. Da sich in den Texten geschichtlich zutreffende Informationen über Rollen und Institutionen mit solchen Zuschreibungen mischen, entsteht ein schwierig zu lösendes heuristisches Problem. Wer nämlich im Rahmen einer Geschichte Israels oder eines Lexikonartikels eine bestimmte Rolle oder Institution erforscht, der wird kaum je die Möglichkeit haben, jeden einzelnen Beleg zuvor redaktionell zu analysieren. Beispiele dafür gibt die Auslegung zu -+1.S 3 im Abschnitt „Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)" auf Seite 255. Bei der Untersuchung von Rollen und Institutionen muß also zwischen zwei Weisen der Betrachtung unterschieden werden. Die eine analysiert das Bild, das die Texte vermitteln. Um sie soll es in den folgenden Abschnitten gehen. Die andere fragt soziologisch nach den geschichtlichen Rollen und Institutionen, also insbesondere auch nach denen, die in den Texten selbst kaum zur Sprache kommen, wie es ja z.B. bei den Trägerkreisen der Redaktion der Fall ist. 155

Siehe „Iterationszuschreibung (Partikel, Qualifikator)" auf Seite 131. 156 Weitere Belege für diese Technik sind l.S 20,16\ LS 25,22 ; 2.S 12,14; vgl. jedoch Blau Moyen. 157 Lang Method 41 A.7. 158 Zimmerli Ezechiel. 159 Kommentierende Wendungen wie „bis auf diesen Tag" decken den Unterschied zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit auf; dies ist jedoch nicht sinnvoll, wenn auch ein damaliger Sprecher eingeführt ist wie in dem genannten Beispiel. 160 Brauhk Mittel 79f. '61 Z.B. l.S 8,18 (siehe zu ->l.S 8 in Wonneberger Begründung); DeVries Yesterday 342.

150 6.4.3

6. Redaktionelle Handlungen auf Sachebene Überlieferte und zugeschriebene Rollen

Nicht nur Samuel, sondern auch Saul begegnet in mehreren Rollen: Richter: 1.S 14,36ff; 1.S 22,6ff; Priester: l.S I4,33ff; LS 13,8ff; Prophet: LS 10,9ff; Heerführer: l.S II ¿ f f ; LS I3f; u.ö.. Es ist aber durchaus möglich, daß alle diese Rollen aus der Saul-Tradition stammen, also nicht auf spätere redaktionelle Zuschreibung zurückgehen. 162 Anders liegen die Verhältnisse für Samuel, wenngleich nicht von vornherein ausgemacht ist, welche von seinen Rollen redaktionell ist. Es muß daher sorgfältig darauf geachtet werden, daß sich eine Rollenzuschreibung aus anderen Kriterien ableiten läßt. 6.4.4

Uberblick über einige wichtige Rollen

Da die Rollen sich vor allem durch ihr Oppositionengefüge definieren, ist es wichtig, sich das Spektrum der Rollen im alten Israel vor Augen zu führen. Eine Groborientierung für die beginnende Königszeit bietet Tafel 10 auf der nächsten Seite. Repräsentanten. Hier ist z.B. der Wechsel der jeweils handelnden Gruppe in LS II bemerkenswert. Ältester Die Ältesten scheinen die eigentliche politisch handelnde Instanz im vorstaatlichen Israel gewesen zu sein.163 Mit der Zeit werden die Ältesten durch die Chorim verdrängt.164 Richter. Der Richtertitel wirft sowohl sprachliche 165 als auch historische Fragen auf. 166 Die unterschiedliche Behandlung der Richtergestalten in Jdc hat dazu geführt, daß nur die sog. kleinen Richter als Richter in des Wortes eigentlicher Bedeutung verstanden werden. 167 Die großen Richter werden hingegen vor allem als charismatische Heerführer geschildert. Priester. Hier ist bemerkenswert, wie bei der Schilderung Samuels priesterliche mit richterlichen Zügen gemischt werden. Fürbitter In 1.S 7,5.8.9 wird das Fürbitten als Aufgabe des Richters bzw. Priesters verstanden, ähnlich in LS 12,I9.m

162 White/am King 72 erklärt die Vielfalt daraus, „that his State was essentially in a State of transition". Thiel Entwicklung 137-141; vgl. auch Berg Älteste-, Roeroe Ältestenamt. 164 Vgl. Esr und Neh; Würthwein Novelle 387 A.35. 165 Zur Ableitung vgl. Löwenstamm sopet. 166 Einen Überblick über die Forschung gibt Rösel Richter. 167 Zur neueren Forschung vgl. Multen Judges. 168 Hertzberg Fürbitter 66; vgl. auch LS 15,11 und Ps 99,6: „Mose und Aaron unter seinen Priestern und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen".

6.4 Übertragung und Etablierung von Rollen

• •

• • • •

151

Vollbürger Repräsentanten: Älteste Sprecher Vorsteher • Stammeshäupter Richter Heerbannführer Priester Propheten

Tafel 10. Rollen der beginnenden Königszeit: Übersicht über die in Thiel Entwicklung 145-150 behandelten herausgehobenen Rollen. Zu den minderberechtigten Gruppen siehe Thiel Entwicklung 150-161. Prophetische Titel. Eine eigene Gruppe bilden die prophetischen Titel, 1 6 9 da sie untereinander weniger klar abgegrenzt sind als gegenüber den anderen Titeln. 170 Gottesmann ('U 'alohim ) In unserem Zusammenhang in IS 2,27. Die Belege sind bei Holstein Case 69f zusammengestellt; er kommt aber lediglich zu dem Negativergebnis, daß der Titel mit keinem der übrigen gleichgesetzt werden darf. 171 Seher (ro'ceh) In LS 9,9 werden näbV und ro'ah in eine zeitliche Reihenfolge gebracht, nachdem vorher vom Gottesmann die Rede war. 172 Prophet (näbV) Die Sonderrolle der Propheten wird besonders deutlich in Am 2,7 umschrieben: „Denn nicht tut Jahwe der Herr etwas, ohne daß er kundtut seinen Entschluß seinen Knechten, den Propheten". Allerdings wird der Prophetentitel nicht nur da angewendet, wo er durch das Auftreten prophetischer Gattungen gedeckt ist. Vielmehr wird Samuel i.S 3,20 als Prophet bezeichnet, wobei die erzählte Zeit lange vor Arnos liegt, die Erzählzeit vielleicht erst nach ihm. Oder aber es wird ein Buch wie Da dadurch als prophetisch definiert, daß es dem prophetischen Teil des Kanons eingegliedert wird. 173 Schauer (hozxh) Diese Bezeichnung wird Arnos beigelegt (Am 7,12). Er wird damit wahrscheinlich gegen die Nabis abgegrenzt (Am 7,14), die als Kultpropheten gelten müssen. 174 Wahrsager (qosem) Der Vollständigkeit halber sei schließlich auch noch der Wahrsager (qosem) genannt. Der Ausdruck bezeichnet den, der durch Los Entscheidungen sucht, und hat oft die Konnotation heidnischer Weissagerei; er findet sich bei Bileam (Jos 13,22), den Philistern (J.S 6,2), in der Totengeist-Erzählung (l.S 28,8) und im Verbot dieser Art von Wahrsagerei Dt 18,10.14, wobei V.lOf die abgelehnten Bräuche zusammenstellt. Das zu169 Zum Begriff Koch Profeien I,25f; eine knappe Übersicht über die altorientalischen Belege gibt Koch Profeten 1,27-24. 70 1 Zu den Querverbindungen der verschiedenen prophetischen Titel Holstein Case 72 A. 15, dort auch weitere Literatur. " i Holstein Case 74f. 172 Stoebe Samuel 202 warnt vor einer Überbewertung der Stelle für die Geschichte des Prophetismus. 173 Vgl. Koch Daniel Prophet und den Abschnitt „Kanonisierung" auf Seite 48. 174 Vgl. Koch Profeten 1,49.

152

6. Redaktionelle Handlungen auf Sachebene gehörige Substantiv qcesxm „Wahrsagerei" findet sich z.B. in der Scheltrede Samuels gegen Saul LS 15,23.

6.4.5

Arten der

Rollenzuschreibung

Daß einer Figur der Erzählung eine Rolle auf sehr unterschiedliche Art zugeschrieben werden kann, läßt sich sehr schön am Beispiel Samuels zeigen. Es lassen sich folgende Arten der Zuschreibung unterscheiden: Begrifflich situativ

relokutiv

die Rolle wird explizit durch einen entsprechenden Titel bezeichnet: 1.S 3,20 Samuel als Prophet für Jahwe; LS 7,15 Samuel als Richter über Israel; es wird die Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit erzählt: J.S 3,1.3 Samuel als Priesterschüler; 1.S 3,21 Samuel als Offenbarungsempfänger; LS 7,6 Samuel spricht Recht in Mizpa; die Rolle wir daraus erkennbar, daß der Träger oder seine Partner entsprechende Sprechakte vollziehen:175 LS 7,3 Samuel spricht zum ganzen Haus Israel; LS 7,8 Samuel spricht als Fürbitter; LS 8,6f Samuel erhält Antwort von Jahwe; LS 9,13 Samuel segnet das Opfer.

a) Das Beispiel ,Nagid' Bei einigen Roilenzuschreibungen haben wir große Schwierigkeiten, die jeweilige Rolle einigermaßen genau zu bestimmen. Ein viel verhandeltes Beispiel ist die Rolle des Nagid. Die Bezeichnung nägtd für den künftigen König gehört zu den konzeptionellen Komponenten der Darstellung von den Anfangen des Königtums. Seit Alt Staatenbildung die Fragestellung aufgeworfen hat, sind dem Wort etliche, allerdings meist kleinere Beiträge gewidmet worden; trotzdem sind wesentliche Fragen wie die nach der Wortbedeutung (in der Literatur meist als etymologische Ableitung bezeichnet) nach wie vor ungeklärt.' 76 Daß es bisher nicht gelungen ist, die Bedeutung festzulegen, läßt sich auf folgende Gründe zurückführen: Das Alte Testament selbst gibt keine klare Definition des Begriffs. Die Art der Wortbildung ist unklar. Die Versuche einer Ableitung aus der Umwelt des Alten Testaments sind fehlgeschlagen. 177 Es gibt kein allgemeinverbindliches Vorgehen für die Bedeutungsanalyse. Insbesondere wird in vielen Arbeiten die Zugehörigkeit der Belege zu unterschiedlichen Entwicklungsstadien unterschlagen. 178 i'S Zur Rclokution Tafel 11 auf der nächsten Seite; vgl. auch Wonnebergerl Hecht Verheißung 48-50. i 7 ' Für die Arbeiten bis ungefähr 1975 kann hier auf die Darstellung bei lshida Nagid verwiesen werden. Seither hinzugekommen: Mettinger King, der unabhängig von Lipinsky Nagid zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen ist. 1 77 Richter Nagid. >78 Vgl. die Hinweise bei Lipinsky Nagid.

6.4 Übertragung und Etablierung von Rollen

153

Der relokutive Aspekt bezeichnet die bei einem Sprechakt mitgesetzte Möglichkeit für den Hörer, implizit oder explizit Annahmen über die Art der Kommunikation, die Partner, ihre Rollen oder den Sitz im Leben herzuleiten, also auf die Regeln und Umstände zurückzuschließen, die den Sprechakt geprägt und veranlaßt haben. Tafel II. Relokution: Definition des relokutiven Aspektes (Wonneberger Partikel 177; wieder aufgenommen bei Wonneberger Relokution 289). vgl. auch Wonneberger Pragmatik). Analoge Begriffsbildungen sind „Allokution" (Schecker Argumentationen-, dazu Raible Argumentationen) und „Kollokution" (Keller Akte). Die etymologisch am weitesten ausgreifende These leitet das Wort von noqed „Hirte" ab, 179 erkauft diese Herleitung jedoch durch unbewiesene Hypothesen. 180 Die beiden anderen Ableitungen wahren immerhin den Konsonantenbestand. Die eine von beiden bringt das Wort mit der Präposition ruegced in Zusammenhang. 1 8 1 Schließlich wird ein Zusammenhang zur Wurzel ngd hergestellt. Dann aber ergibt sich die Frage nach dem Bildungsparadigma. Sie war von Alt Staatenbildung zu Beginn der Debatte mit der Vermutung einer passivisch zu verstehenden qatil-Form beantwortet worden. 182 Über die Aussagen der „klassischen" Grammatiker 1 8 3 wird nur dann hinauszukommen sein, wenn neuere methodische Erkenntnisse einbezogen werden. Die klassischen Ableitungen kranken daran, daß aus dem Bildungsparadigma allein schon Aufschluß über die Bedeutung erwartet wird. Demgegenüber ist zu beachten, daß das Wort erst im Zusammenhang mit dem Königtum auftaucht. Daraus läßt sich die Arbeitshypothese gewinnen, daß das Wort auch selbst an die Institution des Königtums gebunden sein könnte. Es wäre dann mit dem Königtum entstanden und folglich vom Standpunkt der Wortbildung aus als produktiv anzusetzen. Vereinfacht gesagt bedeutet der Terminus „produktiv,, in der Wortbildung, daß eine Reihe von Fällen nach demselben formalen Muster gebildet sind (Maurer, Schreiner, Metzger); die Bedeutung des Resultates nicht eigens gelernt zu werden braucht, sondern sich aus den Teilbedeutungen der Bildungselemente und der Verknüpfungsregel ergibt. 184 Daß der zweite Gesichtspunkt entscheidend ist, zeigt z.B. das Beispiel läbV Löwin, das zwar mit lebi Löwe zusammengestellt werden kann, für dessen hypothetische Wurzel sich jedoch keine Bedeutung angeben läßt. 185 179 Glück Nagid. 180 Zur Kritik Gese Davidsbund 17; Carlion David 52(T u.a.; mit etymologischer Argumentation widerlegt bei Richter Nagid 72 A.7. 181 Ishida Nagid 35 A.8; Richter Nagid 72 A.6. 182 Dazu Richter Nagid 72 A.6. 183 Zusammengestellt bei Richter Nagid 72 A.6. 184 Vgl. Wormeberger Syntax Par.14-16 (S.135—137); S.175f; dort auch linguistische Literatur zum Thema.

185 GB s.v. (S.3760 •

154

6. Redaktionelle Handlungen auf Sachebene

Weiter spielt in den Diskussionen die Ansetzung als Partizip eine wichtige Rolle; sie wird z.B. angenommen für näbV „Prophet". 146 Dem widerspricht allerdings, daß aktivische Stämme wie qal,pi., hi. für die Wurzel nicht bezeugt sind. 187 Dies wäre aber zu erwarten, wenn die Herleitung von einem nb' .ausrufen' zutreffen sollte. Schließlich werden die entsprechenden Bildungen auch als Adjektiv angesetzt, z.B. iaggî' „groß". 188 Die Adjektiv-These bringt immerhin den statischen Charakter zum Ausdruck. N u n haben sich die Grammatiken zwar zum ersten Punkt geäußert, zum zweiten Punkt jedoch keine zusammenhängenden Überlegungen angestellt. Wir müssen daher die Ausarbeitung einer semantisch orientierten hebräischen Wortbildungslehre als Desiderat anmelden. Dennoch lassen sich auch der älteren grammatikalischen Literatur einige Hinweise zur Wortbildung entnehmen. So gibt GK Par.84,lm (S.241) für den Sinn der / . S 3,21 eingehen werden, ist keineswegs selbstverständlich. Noth Samuel 153f merkt an, daß es naheliegend war, Samuel, wenn er denn auf dem Gebirge Ephraim beheimatet war, in das ebenfalls dort gelegene Heiligtum Silo zu versetzen. Vor allem aber weist er darauf hin, daß es als Parallele zwar die Weihung zum Nasir Jdc 13, nicht aber die am Heiligtum gibt. Er kommt allerdings von diesen Beobachtungen aus zu keinem klaren Schluß, zumal er es zu recht für unwahrscheinlich hält, „daß die ganze Geschichte von 1 Sam 1 aus d e m N a m e n „Samuel" herausgesponnen wäre" (S.154). In dieser Frage ist also überhaupt nur dann weiterzukommen, wenn man zeigen kann, wie die Verknüpfung der verschiedenen K o m p o n e n t e n literarisch vor sich gegangen sein könnte. Unsere Analyse wird sich darauf konzentrieren, nach Anhaltspunkten für Redaktion zu fahnden. Schon vorab sei darauf hingewiesen, daß sich dies allenfalls zu einem geringen Anteil mit klassischen literarkritischen Beobachtungen wie Rissen, Doppelungen und Widersprüchen stützen läßt. Wären sie in nennenswertem Maße vorhanden, so hätten sie der Forschung wohl kaum entgehen können. Vielmehr muß der Versuch unternommen werden, redaktionelle Muster zu identifizieren. Solche Muster mögen im Einzelfall durchaus unanstößig im Sinne der Literarkritik sein. Erkennbar und beweiskräftig werden sie erst durch Querverbindungen im Text, die wir schon hier in der Auslegung aufzeigen können, und durch Parallelen anderswo, die wir im systematischen Teil behandeln. Der exegetische Beweisführung m u ß im folgenden also zuweilen darauf zurückgreifen, daß der Blick für diese Techniken schon geschärft ist, will sagen, daß die systematische Erarbeitung der Redaktionstheorie vorausgesetzt werden darf. U m der Gefahr einer petitio principii so wenig wie möglich anheimzufallen, werden wir den Text Schritt für Schritt analysieren. a) Die Ausgangslage

(1,1-8)

Der erste Teil der Erzählung reicht bis V.8 und entfaltet den Konflikt. Besondere Spannung wird dadurch erzeugt, daß die Kinderlosigkeit Hannas nicht nur benannt, sondern im Kontrast zur Situation ihrer Nebenfrau vorgeführt wird.

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

205

Der Anfang (1,1-2). D i e formgeschichtlichen Aspekte der Einführung haben wir oben schon behandelt. D i e Angaben zur Herkunft sind schwer zu konkretisieren, 89 aber hier nicht weiter von Belang. Iterationseinfägung (V.3a). V.3a schildert die regelmäßige Pilgerreise und nennt als deren Zweck Niederwerfung und Opfer, die gemeinsam auch in Ex 32,8 und 2.R 17,36 auftreten. 90 Der Halbvers enthält eine Reihe von Besonderheiten in der Formulierung, durch die Querverbindungen zu anderen Teilen des Textes geschaffen werden. Zunächst fällt auf, daß die Aussage mit waw-AK einsetzt. Der nächste Erzählschritt im Narrativ findet sich erst in V.4. V.3a bildet also eine Art Hintergrundschilderung für das, was dann in V.4 als Episode erzählt wird. D a s zeigt sich auch darin, daß die Tätigkeit v o n V.4, das Opfern, hier als Absicht vorweggenommen wird. Das Verbum 'lh „hinaufsteigen" stellt die Verbindung zu V.7B her, w o es als Umstandsbestimmung ( b e mit inf.) verwendet wird, und zu V.21, wo es zunächst im Narrativ und dann in V.22 sogleich wieder im x-AK auftritt. Schließlich wird es in V.24 noch einmal im hi. für das Hinaufbringen Samuels verwendet. Besonders eng ist die Verbindung zu V.21, weil hier noch zwei weitere Übereinstimmungen auftreten, nämlich die Absicht, zu opfern, und die besondere Kennzeichnung des Opfers durch das Stichwort yämim „Tage", die in V.3 als Umstandsbestimmung, in V.21 hingegen als ConstructusVerbindung vorgenommen wird (siehe Tafel 15 auf der nächsten Seite). D i e Zeitangabe miyyämim yämimäh „von Tagen zu Tagen" ist zunächst nur als Textgliederungssignal zu betrachten. Dabei handelt es sich um ein Merkmal der Zeit, genauer um ein Iterationssignal, das einen Vorgang als sich wiederholend kennzeichnet. 91 Es ist nun aber auffällig, daß sich in V.4 ebenfalls ein Textgliederungssignal der Zeit findet. Wie wir bei der Betrachtung von V.4 noch sehen werden, handelt es sich dabei jedoch nicht um ein Iterations-, sondern u m ein Episodensignal, das eine spezielle Szene einführt, in diesem Fall jedoch ohne eine spezifische Zeitangabe. Dieser Unterschied wird in den Kommentaren und Übersetzungen häufig verwischt, so daß nicht erkennbar wird, daß es sich hier um eine Vorwegnahme handelt. Wenn wir die bisher festgestellten Indizien richtig deuten, dann handelt es sich bei V.3a also um eine redaktionelle Figur, die wir als «Ansteuerung» bezeichnen wollen. Diese Bezeichnung drückt aus, daß die redaktionelle Passage d e m Text vorangeht, auf den sie abzielt. Ziel der Ansteuerung ist hier V.4, für den durch die Ansteuerung ein bestimmtes Vorverständnis geschaffen werden soll, das in der Vorlage nicht ausgedrückt ist. Das wesentliche Element dieses Vorverständnisses liegt darin, daß die folgenden Ereignisse auf einer regelmäßig wiederkehrenden Pilgerreise nach Silo und somit in Silo spielen. A u s der Ansteuerung erklären sich dann auch bestimmte mehr formale Beobach89 Nach Haran Temples 307f könnten sie bedeuten, daß die Familie Samuels aus Bethlehem stammt, also aus Juda; so ergäbe sich eine landsmannschaftliche Verbindung zwischen Samuel und David, die ja auch zu der späteren, wohl sekundären Kombination der beiden (Salbung l.S / 10 Hier nach dem Satzmuster „ken + PK" (45 Belege, aufgelistet bei Mulder Partikel 218f)111 Zur Differenzierung der Warum-Fragen vgl. Michel Warum; Jepsen Warum-, insbesondere zum Psalter: Westermann Struktur.

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

213

Im Anschluß an die Unterbrechung ist die eigentlich Handlung zu erwarten, die durch das Aufstehen ja nur vorbereitet wird; sie m u ß H a n n a zum Subjekt haben und ebenfalls im Narrativ stehen. D a dies f ü r mehrere Aussagen in V. lOf zutrifft, können wir die H a u p t h a n d l u n g erst ermitteln, wenn wir den Einschub bestimmt haben. Einfügung Silos und des Trinkens (V.9a). Merkwürdig ist zunächst die Wend u n g „nach dem Essen in Silo und nach dem Trinken". Sie wirkt überfüllt, und m a n sollte entweder „nach dem Essen in Silo" oder „nach dem Essen und nach d e m Trinken" oder auch nur „nach dem Essen" erwarten. Jedenfalls m u ß man dem Aufstehen die Wendung „nach dem Essen" zuschlagen, da sie den Z u s a m m e n h a n g zur vorangehenden Situation mit der doppelten Zuteilung herstellt. Eine textkritische Beseitigung Silos kommt nicht in Frage. 112 Allerdings ist es durchaus wahrscheinlich, d a ß die Wendung „in Silo" eingefügt ist. Denn d a ß die Lokalisierung in Silo sekundär ist, haben wir oben schon plausibel gemacht. 113 Wir werden zu -+1.S 3,21 darauf zurückkommen. Hingegen fehlt die Wendung „und nach dem Trinken" in Sept.. Diese W e n d u n g wirkt zunächst einmal als «Klammereinbettung», weil sie wieder zu der Zeitangabe zurückkehrt. Darüber hinaus hat sie offenbar die Aufgabe, das T h e m a Trunkenheit vorzubereiten; sie ist also als Anker f ü r den Dialog über H a n n a s Trunkenheit V. 13b—15a zu verstehen. 114 Indem hier das Stichwort „Trinken" eingeführt wird, wird Elis Verdacht vorbereitet, Hanna sei betrunken. Die Wendung gehört also zu jenem Strang, in dem H a n n a mit Eli zu tun hat. Wie wir sogleich noch sehen werden, ist dieser Strang ebenfalls redaktionell. U m die Querverbindungen klarer herausarbeiten zu können, werden wir zunächst von der A n n a h m e ausgehen, daß dieser Strang nicht zur SiloBearbeitung gehört, sondern eine eigene Schicht bildet. Einführung Elis (V.9b). Beim ersten Auftreten wird Eli mit Namen und Berufsattribut („der Priester") eingeführt; dies m u ß als die normale Einführung f ü r Funktionsträger gelten, wenn sie, wie hier, erzählerisch Nebenpersonen sind. 115 Indem Eli mit Ortsangabe eingeführt wird, wird auch für H a n n a der Ort Elis festgelegt. In der Vorlage ist kein Ort genannt, so daß dort H a n n a am Orte des Festmahles vorgestellt wird. Der hier verwendete Ausdruck hekäln6 wird in der Offenbarungsgeschichte ( l . S 3,3) wieder begegnen. Damit haben wir einen terminologischen Hinweis auf die enge Verbindung zwischen der Offenbarungsgeschichte und der redaktionellen Einfügung Elis in der Geburtsgeschichte. Die Störung wird außerdem benutzt, um in V.10 Hannas Gemütszustand herauszuarbeiten und damit die Voraussetzung f ü r Elis spätere Mißdeutung ihres Verhaltens aufzubauen. Sprachlich geschieht dies ebenfalls durch einen Anknüpfungssatz x-AK, bei dem das x, also hi' „besagte", in den Bereich der

113

i'4 "5 116

McCarter Samuel will bsly „privately" lesen. Ahnlich Stoebe Samuel 91 ad 9a. Sie steht also gegen Stoebe Samuel 91 ad 9b nicht im Widerspruch zu V.15. Vgl. „Achimelech der Priester" (/.S 21,2). Sonst nur für den Tempel von Jerusalem, vgl. Zobel Art.Zebaot Sp.885.

214

9. Die Jugendgeschichte 1-3

Textreferenz gehört, die wir schon oben als Merkmal für Redaktion kennengelernt haben. Zum Betrübnismotiv gehören auch noch die beiden Wendungen vom Flehen und Weinen. Zwar könnte wattitpallel „und sie flehte" durchaus die Vorlage fortsetzen, da es als Narrativ formal gesehen die Haupthandlung zu wattäqäm „und sie stand a u f bilden könnte. Aber bei dem Stichwort pH handelt es sich um ein Leitwort, das im weiteren Verlauf der Begegnungen zwischen Eli und Hanna eine Rolle spielt; zur Verteilung und zu den weiteren Gebetsbezeichnungen siehe Tafel 16 auf Seite 207. Dieses Stichwort tritt hier zum erstenmal auf und ist also Teil der redaktionellen Exposition. Im Zuge des Erzählablaufes wirken die beiden Wendungen an dieser Stelle retardierend, weil die Handlung, auf die es ankommt, das Gelübde ist. Flehen und heftiges Weinen (fig. etym.) schaffen aber erst die Voraussetzung für Elis Mißverständnis, das ja eine Zeitspanne der Beobachtung voraussetzt. Durch das „Flehen" wird also für jene ausufernde Klage erzählerisch Raum geschaffen, die Voraussetzung für den Dialog mit Eli ist. Das Stichwort „flehen" dient demnach als Anker für die Dialogepisode V. 12-18. Diese Überlegungen werden auch dadurch gestützt, daß sich nunmehr ein guter Zusammenhang zwischen Aufstehen und Gelübde ergibt. Der Satz vom „Geloben" könnte natürlich auch der Einfügung zugehören, so daß der Zusammenhang lauten würde: „Und sie stand auf und sprach". Daß der Satz entbehrlich sei, genügt aber nicht als Argument, und andere Gründe sind schwer beizubringen. Vielmehr liegt es durchaus in der Linie der Erzählung, den Handlungsaspekt des Gelobens hervorzuheben. Wir nehmen daher an, daß das „Geloben" die Haupthandlung zum „Aufstehen" V.9a bildet. Durch die Einfügung wird aber nun nicht nur dieser Zusammenhang gestört, sondern zugleich wird dadurch auch der Spannungsbogen der Erzählung verwässert. Denn mit dem Gelübde beginnt nach «Exposition» und «Komplikation» nunmehr der Teil «Lösung». In der Vorlage mündet, wie wir im einzelnen noch sehen werden, das Gelübde unmittelbar in die Schwangerschaft. Durch die Bearbeitung wird der Akzent stark auf die durch Eli gegebene Erhörungszusage verlagert. Zugleich wird die durch das Gelübde gewonnene Handlungsstärke Hannas durch das verzweifelte Flehen übertüncht. Die redaktionelle Technik können wir als «AufSprengung» bezeichnen. Sie wird dadurch ermöglicht, daß die erste Teilhandlung wattäqäm „und sie stand a u f unselbständig ist. Das Ende der Aufsprengung ist daran zu erkennen, daß ein zweiter Narrativ folgt. Der Anschluß an die Vorlage wird dagegen durch «Ansteuerung» hergestellt: Die Darstellung kehrt zu Hanna als Handelnder zurück. Dadurch läßt sich hier die Einfügung auch nicht rein formal gegen die Vorlage abgrenzen; es muß geprüft werden, welche Ausdrücke wohl eher der Einfügung und welche eher der Vorlage entsprechen. Die Einfügung selbst bildet wiederum einen «Anker». Als «Schiff» gehört dazu die Mißverständnis-Passage V. 12-18.

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

215

Hannas Gelübde (V.9-11). Wenn unsere Bestimmung der Einfügung zutrifft, d a n n schließt also das Geloben H a n n a s unmittelbar an die durch das Verbum qwm „aufstehen" bezeichnete «Auftakthandlung» in V.9 an. Unter dem Blickwinkel synchroner Textbetrachtung ist festzuhalten, d a ß hier, was nicht allzu häufig geschieht, im Text selbst der Handlungsaspekt bzw. die Gattungsbezeichnung der ebenfalls im Text enthaltenen Redewiedergabe angegeben wird." 7 Ein Gelübde ist ein bedingtes Versprechen. 118 Zwar wendet sich das Gelübde anders als die Auslobung nicht an Unbekannt, wie diese wird es aber erst durch das Handeln des Partners wirksam. Es ist als eng begrenzte Sprachhandlung aufzufassen und steht dem Vertrag nahe. Im Alten Testament begegnet es neben anderen Verpflichtungsritualen wie Eid oder Bundschluß. 1 1 9 Als Parallelen sind zu nennen: 120 Nu 21,1-3 Banngelübde gegen den König von Horma; 1 2 1 Jdc 11,30-39 Opfergelübde Jephtas; ferner: Gn 28,20-22; Gn 35,1-7 (Gelübde Jakobs); Nu 30,3/ (Rechtsvorschrift über Gelübde); Qoh 5,3-6 (Über den Umgang mit Gelübden); vgl. auch Ugarit Krt 200ff (Über den Umgang mit Gelübden). Die G a t t u n g „Gelübde" umfaßt drei Elemente: 122 Anrede an die Gottheit; Bedingung; Versprechen. Es schälen sich vor allem drei Handlungskontexte f ü r Gelübde heraus: 123 Sichere Heimkehr aus der Ferne; militärischer Sieg; Entstehung einer Familie. In deren letzteren gehört unser Text. Die Bedingung des Gelübdes wird in vier Gliedern vorgebracht, von denen die beiden ersten und die beiden letzten in synthetischer Beziehung stehen. Diese beiden Parallelismen sind dadurch verbunden, daß die mittleren Glieder synonym sind. Erst das letzte Glied x nennt das eigentliche Anliegen beim Namen. Das Stichwort zkr „gedenken" 124 schafft die Verbindung zu V. 19, wo mit demselben Stichwort die Erfüllung berichtet wird. Bemerkenswert ist, d a ß es nur sehr wenige enge (Narrativ mit Gott als Subjekt) Parallelen gibt, nämlich bei N o a h Gn 8,1; A b r a h a m Gn 19,2; Rahel Gn 30,22; beim Bund Ex 2,24. Während dort lohim steht, steht hier yhwh. Das Gelübde bildet das Rückgrat der Erzählung, in folgendem Dreischritt: Ablegen des Gelübdes; Erfüllung durch die Gottheit; Erfüllung durch den Gelobenden. Diese einfache Struktur ist hier jedoch erweitert worden. Denn die Erfüllung durch H a n n a wird ihrerseits zur Vorbedingung f ü r ein weiteres Handeln Gottes, von dem vorher nicht die Rede war „nur möge Jahwe heraufführen sein Wort" V.23. Der genaue Bezug dieser Wendung ist unklar (s.u.). Die Erzählstruktur wird also folgendermaßen erweitert: Ablegen des Gelübdes

-;

117 Den theoretischen Hintergrund bildet die Sprechakttheorie, dazu Wonnebergerl Hecht Verheißung. Vgl. auch «Substitution auf Metaebene» im Rahmen der Textgliederung, dazu Wonneberger Gliederung. 118 Zum pragmatischen Hintergrund vgl. Wonnebergerl Hecht Verheißung 23-30. " 9 Vgl. dazu WonnebergeriHecht Verheißung 168-179. 120 Vgl. Long Problem 59. 121 Arad ist wohl Glosse. 122 Vgl. Parker Vow 694, der auch Arbeiten zum Ugaritischen anfuhrt. Bei Wendel Gelüide wird die Anrede nicht einbezogen. >23 Parker Vow 699. Als Bittruf Jdc 16,28, Jer 15,15, Ps 25,7, Ps 74,2, Ps 106,4; vgl. Schottroff Art.ZKR Sp.514.

216

Teilerfüllung durch Gott Erfüllung durch Hanna Vollerfüllung durch Gott

9. Die Jugendgeschichte 1-3 Geburt eines ersten Sohnes; Darleihen des Sohnes; Weitere (männliche) Nachkommen (?) / das Kind wird außergewöhnlich (?).

Erst wenn man von einer solchen Erweiterung ausgeht, werden bestimmte Details der Erzählung verständlich, z.B. die Befürchtung Elkanas, das Stillen könne für die Vollerfüllung schädlich sein. Für die Weihe eines Knaben finden sich auch altorientalische Parallelen. 125 Was genau die Funktion dieser Weihe ist, wird nur aus einer Sonderüberlieferung in Qumr. deutlich, in der — allerdings erst an späterer Stelle — die Bestimmung Samuels explizit durch den Begriff „Nasir" gekennzeichnet wird: yehi näzir V.22.126 Es läßt sich zwar nicht beweisen, aber doch als wahrscheinlich annehmen, daß es sich hier um eine alte Überlieferung handelt. 127 Dann aber ist zu fragen, warum diese Qualifizierung in M T fehlt. Ein bloßes Versehen scheint wenig plausibel. Überhaupt wäre zu fragen, ob sich eine Tilgung erst im Bereich der Textüberlieferung abgespielt haben dürfte. Besser ist hier wohl die Vermutung, daß ein Bearbeiter diese Auffassung korrigieren wollte. Denn die Rolle, die Samuel im weiteren Verlauf zugewiesen wird, ist die eines Priesterschülers oder Ministranten, der kontinuierlich am Heiligtum lebt. Obwohl er als solcher natürlich auch den Enthaltungsgelübden eines Nasir unterworfen sein könnte, scheint es doch plausibler, hier mit einer alternativen Konzeption zu rechnen, die das Bild des Nasir zurückdrängt und übermalt. Diese Veränderung der Rolle liegt übrigens auch in der Linie der soeben analysierten Übermalung des Gelübdes selbst. Denn was ursprünglich eine selbständige Handlung Hannas ohne Mitwirkung anderer war, das wird jetzt zu einer priesterlichen Szene umgestaltet, in der auf ein haltloses Flehen Hannas der Priester Eli mit einer Erhörungszusage antwortet. Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann hätten wir in Gestalt der Qumr.-Überlieferung sogar einen textlichen Anhalt dafür, daß unserer Perikope eine Vorlage zugrundeliegt, in der Hanna die Not der Kinderlosigkeit durch ein Gelübde abwendet und Samuel zu dessen Einlösung ein Nasir wird. In dieser Grundschicht finden sich dann weder die festgestellten priesterlichen Elemente noch auch der Bezug auf ein namentlich genanntes Heiligtum. Der Dialog mit Eli (V.12-18). Während das Gelübde monologischer Art ist, bringt die folgende Szene eine Interaktion zunächst non-verbaler, dann verbaler Art mit Eli. Diese Szene endet mit einem «Ortssignal», der Wegnotiz, und mit einer «Evaluation», dem Aufhören der Trauer V.18b. Sprachlich bildet der Satz einen eigenständigen Abschluß, weil insbesondere durch 'öd „hinfort" ein stabiler Zustand ausgedrückt wird. Damit wird der Spannungsbogen von V.10 abgeschlossen. V. 12.13a bilden eine eigene Exposition der Dialogepisode; deren erste Handlung im Narrativ ist Elis Urteil (V. 13b). Der Anfang in V.12 enthält als • 25 Zwei assyrische Parallelen bei Elat History. 126 Vgl. dazu Foresti Osservazioni. 127 Sloebe Samuel 99 ad 22d; vgl. auch den hebräischen Text von Sir 46,13\ Catastini Varianti 281f.

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

217

redaktionelles Indiz die Konstruktion wehäyäh ki ...,m mit der das schon ablaufende Geschehen in Zeitlupe betrachtet wird («Detaillierung»). Das «Modalverb» rbh „viel machen" ist eine Art verbales «Periodensignal». Mit pll hi. wird an V.10 angeknüpft. In V.13 wird eine weitere Voraussetzung nachgeholt: Erst das vom Üblichen abweichende leise Beten macht das Mißverständnis möglich. Diese Art der parenthetischen «Nachholung» ist durch die redaktionelle Situation bedingt, in der ja zunächst einmal die Verankerung in der Vorlage erfolgen muß (V.12a), und erst dann die näheren Umstände angehängt werden können. Bemerkenswert ist auch der «Qualifikator»n' raq „nur" 130 (V.13), denn das Wort kommt in 1.2.S nur hier und l.S 5,4 vor, in 1.2.R dagegen 23-mal. 131 Die Antwort Hannas (V.15) wird meist übersetzt „ich bin ein unglückliches Weib"; 132 zutreffender ist aber „ich bin eine Frau von straffem Geist ( = nüchtern)". 133 Dadurch ergibt sich ein besserer Spannungsbogen in der Antwort, denn es wird nun nicht mehr die Begründung des Verhaltens vorweggenommen. Das Wortpaar „Wein und starkes Getränk" begegnet ebenfalls in dem entsprechenden Verbot des priesterlichen Gesetzes. 134 Daß die «Mißdeutung» ein beliebtes Motiv ist, braucht nicht besonders betont zu werden. Wichtiger ist es, ihre Funktion zu erkennen: Sie schafft einen natürlichen Anlaß zur Explikation, ein Verfahren, das in den Mißverständnissen im Johannesevangelium theologisch auf die Spitze getrieben ist. Worin aber kann die Explikation hier liegen? Hanna wehrt sich gegen die Mißdeutung mit einer .abwehrenden Bitte' 135 V.I5f, in der sie ihr großes Leid deutlich macht. Dadurch wird Eli die Möglichkeit gegeben, mit einer Heilsankündigung zu antworten. Er kündigt Erfüllung der Bitte an, ohne die Bitte zu kennen. Auffällig ist die Doppelung der Wurzel s'l „bitten", die erkennen läßt, daß sie die Rolle eines Leitwortes hat (zur Verteilung vgl. Tafel 16 auf Seite 207).136 Auf diese Weise wird das ursprüngliche Gelübde umgedeutet. Aus der partnerschaftlichen, auch in der Entbehrung selbstbewußten und unmittelbaren Beziehung zu Gott wird die demütige und betrübte Bitte, für deren Erfüllung der priesterliche Mittler eine wichtige Rolle spielt. Weiter wird ein Bezug zur Elidenschicht auch dadurch sichtbar, daß hier das Stichwort beliyaal V.16 vorkommt, 137 auf das wir zu -+1.S 2,12 zurückkommen werden. 128 Die Wendung bezeichnet Gleichzeitigkeit, vgl. Gese Komposition 76 A 3 , und rückt damit die vorangehende Handlung in den Hintergrund. 129 Zum Begriff Wonneberger Syntax §37. 130 Dazu Jongelin Particule. 131 Vgl. Mandelkern Concordantiae 1109. 132 Der Ausdruck qesat-rüPh ist unsicher; Stoebe Samuel übersetzt mit „verzweifelt", Ahlström Samuel mit „persistent". 133 Abzuleiten aus qäsah „steif, straff, standfest"; Gerleman Sinnbereich 411. 13,1 Lv ¡0,9-, vgl. auch Ez 44,21, das eine jüngere Stufe repräsentiert; vgl. Hurvitz Study 116-119. 135 Dazu Gerstenberger Mensch 31. 136 Bergmann Rettung 216 sieht Anklänge an die Klage des einzelnen: Klage, Schilderung der Not (1-8); Bitte um Errettung (9f; 9a Sept.); Gelübde (11); erneute Klage (12-16); Heilsorakel (17); Bekenntnis der Zuversicht (18). i " Maag Belijaal 224 A. 14.

218

9. Die Jugendgeschichte 1-3

Die Szene schließt mit einer Art Heimkehrnotiz, in der sich wieder die «funktionale Referenz» als redaktionelles Merkmal findet: Auf Hanna wird nicht mit dem Namen referiert, sondern nach der Funktion: haissäh „die F r a u " V.18. c) Die Erfüllung (1,19-2,1 la) Der nächste Abschnitt umfaßt die beiderseitige Erfüllung des Gelübdes, also die Geburt des Knaben und seine Darleihung. Die Heimkehr (V.19a). Mit V. 19 wechselt die Darstellung wieder in den Plural und damit zum gemeinsamen Handeln der Familie über. Mit wayyaskimü babboqcer „und sie machten sich früh morgens a u f ' liegt ein «Episodensignal» vor, das sich auch in der Ladeerzählung 1.S 5,4 findet. 138 Eine ähnliche Kombination aus Opfer, frühem Aufsein und Rückreise findet sich auch in l.S 9. Es handelt sich um eine typische Heimkehrnotiz, die die Protagonisten aus der Ausnahmesituation wieder in den Alltag zurückführt. Die Benennung des Ortes als Rama wird in V. 11 und auch später wieder aufgenommen (besonders l.S 7,17; LS 25,1). Sie unterscheidet sich deutlich von dem in V.l genannten Ramatajim Zophim. Noth Samuel 153 A.13 erwägt, „ob die spätere Überlieferung nicht an das benjaminitische Rama gedacht hat". Die Voraussetzung für die Rückkehr, nämlich die Pligerreise nach Silo, ist nur in V.3 verankert, und zugleich findet sich hier das ebenfalls in V.3 schon benutzte shh hitpal. bzw. hwh hist. „sich niederwerfen", das mit pll hitp. kontrastiert, wie wir in Tafel 16 auf Seite 207 gesehen haben. Daher ist anzunehmen, daß die Passage ebenfalls zur Bearbeitung gehört. Für den Spannungsbogen .Kinderlosigkeit, Gelübde, Geburt' ist ohnehin der spezielle Schauplatz unwichtig. Die Geburt (V.19b-20D). Die Passage erzählt in äußerster Raffung die Schritte der Geburt Samuels und endet mit der Namensgebung. Bemerkenswert ist, daß sich enge Parallelen dazu, daß Elkana seine Frau erkennt, nur bei A d a m und Kain finden (Gn 4,1.17.25). Zugleich wird das Stichwort skr „gedenken" aus V . l l wieder aufgenommen. Die Doppelreferenz mit Name und Relation („seine Frau") war schon bei Peninna V.4 aufgetreten, entsprechend auch bei Elkana (V.8). Sie enthält keine redaktionellen Anhaltspunkte, sondern ist eher Ausdruck für die innige Gestimmtheit der Grunderzählung. Die Namenserklärung (1,20). Die Namenserklärung V.20 wird nur durch den Wechsel zwischen 1. und 3. Person als Redeeinbettung ausgewiesen. 139 Da die Namenserklärung aber nicht auf den Namen ,Samuel', sondern viel unmittelbarer auf den Namen ,Saul' führt, wird von einigen Autoren angenommen, es handle sich eigentlich um die Geburtsgeschichte Sauls. 140 Noth 138 13« 140 treter

Vgl. auch l.S 5,3 und die ähnliche Konstruktion in l.S 9,26. Vgl. Fox Identification 425. Vor allem Hylander Komplex 12; jetzt wieder Dus Geburtslegende; Stolz Samuel 25; weitere Verbei Stoebe Samuel 97 A.58 und Fichtner Ätiologie 384 A.l.

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

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Samuel 152 bringt gegen diese These vor allem zwei Argumente vor. 141 Z u m einen sei Sauls Herkunft aus Benjamin (9,1) und aus der ackerbauenden Landbevölkerung (11,5) mit einem Aufwachsen am Heiligtum von Silo unvereinbar. Zum anderen gebe die auch sonst belegte lockere Verbindung zwischen einem Namen und seiner Erklärung keinen Anlaß, einen anderen Namen zu postulieren. Beide Argumente bedürfen der Überprüfung. Denn aus unserer Analyse wird zunehmend deutlich, daß auf jedenfall die Darleihung Samuels in Gegenwart Elis, wahrscheinlich aber auch die Verknüpfung mit Silo das Werk einer Bearbeitung sind. Bei der Vorlage handelt es sich dann um eine Erzählung, wie Hanna ihre Kinderlosigkeit durch ein Gelübde wendet, das Samuel zum Nasir bestimmt. Eine solche Vorlage würde sich theoretisch auch zur Einführung Sauls eignen. Die Problematik dieser Deutung liegt also vor allem darin, daß sich außer der etymologischen Querverbindung selbst keinerlei weitere Indizien beibringen lassen, die die Verbindung zu Saul als intentional ausweisen könnten. 142 Überdies müßte dann auch noch eine plausible Erklärung für die Einführung Sauls in l.S 9,1-10,16 gefunden werden. Was die Namenserklärung angeht, so befassen wir uns mit ihren verschiedenen Typen und Möglichkeiten ausführlich in Wonneberger Gliederung. Die unterschiedlichen modernen Ableitungen des Namens Samuel als „der Gott ... ist El" auf der einen und „Gott ist erhaben" auf der anderen Seite143 sind ein Hinweis darauf, daß die Bedeutung wohl auch für den damaligen Hörer nicht von vornherein offensichtlich war. Immerhin wäre eine volksetymologische Ableitung von säma' „hören" möglich gewesen, und auch das Vor144 kommen der alten Gottesbezeichnung ,Er wäre dabei kein Hindernis gewesen, da sie entweder aufgegriffen, so bei Israel Gn 32,29, oder durch Jahwe ersetzt werden kann, so bei Ismael Gn 16,11. Die vorliegende Deutung erlaubt es jedenfalls, Jahwe besonders herauszustellen; denn durch die Satzstellung x-PK wird das Element „von Jahwe" besonders hervorgehoben. Sollte dabei tatsächlich an säma' gedacht sein, so ist dennoch merkwürdig, daß nicht dieses Stichwort selbst benutzt wird. 145 Denn zwar gibt es Beispiele für undurchsichtige Ableitungen, aber diese sind eher als Sonderfälle einzustufen. So handelt es sich bei den bei Fichtner Ätiologie 384 genannten Beispielen Sebulon Gn 49,13 und Issaschar Gn 49,15 gar nicht um Aitiologien, sondern um Ableitungen im Rahmen des Jakobsegens, und in einem Fall wie Pniel Gn 32,31, in dem ein völlig anderes Verb eingeführt wird, wird doch ein Stichwortzusammenhang über päntm hergestellt. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die bisher noch nicht gelöste Aufgabe, einen zureichenden Grund für diese Aitiologie zu ermitteln. Dieser Grund kann weder in dem Namen Samuels noch in dem des noch ganz fernen Saul 141

Dagegen auch Stoebe Samuel 97; Long Problem 60; Zalevsky Vow. Stoebe Samuel 98 erwägt als mögliches Motiv eine Kritik am Königtum Sauls, aber das bleibt doch recht vage. 143 Nachweise bei Stoebe Samuel 92 ad 20c. 144 Zum Verhältnis von Jahwe und El vgl. Otto El. Zu den El-Namen vgl. auch Knauf Ismael 38 A. 170. 145 „Bitten" und „erhören" sind konverse Handlungen wie „geben" und „nehmen" oder „fragen" und „antworten". 142

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9. Die Jugendgeschichte 1-3

liegen. Vor allem m u ß beachtet werden, d a ß das Stichwort s'l nicht erst hier, s o n d e r n schon in V.17 eingeführt wird und zunächst in allen möglichen F o r m e n , in der N a m e n s f o r m sä'ül jedoch erst in V.28 begegnet (siehe Tafel 16 auf Seite 207). Z u d e m liegt die Ableitung auch inhaltlich nicht in der Linie des Gelübdes. 1 4 6 D a s mit d e m Leitwort s'l vertretene K o n z e p t wirkt vielmehr als Korrektur des Gelübdes, wie wir schon gesehen haben. A n die Stelle des Handels mit der G o t t h e i t wird die demütige Bitte gesetzt. Wie die U n t e r s u c h u n g in in Wonneberger Gliederung zeigt, gehören solche Aitiologien h ä u f i g einer späteren Bearbeitung zu. Dies scheint auch hier der Fall zu sein. D u r c h die Aitiologie wird dieses theologische Konzept besonders eindringlich mit d e m N a m e n und der Gestalt Samuels verknüpft. Das Jahresopfer ohne Hanna (V.2I-23E). Diese Passage enthält wieder einige Indizien, die wir oben als redaktionell eingestuft haben: Die Referenz ist funktional: „der M a n n E l k a n a " V.2I, wieder in V.23A, statt „ E l k a n a " V.19b; „die F r a u " f ü r H a n n a V.23b; es begegnet wieder der Ausdruck yämim in zcebah hayyämim „Opfer der T a g e " (siehe Tafel 15 auf Seite 206); die Verantw o r t u n g verschiebt sich auf Elkana: Es ist nun plötzlich „sein Gelübde". 1 4 7 Es wird also jene Schicht fortgesetzt, die von einer regelmäßigen Pilgerreise nach Silo ausgeht. A u c h die Passage mit d e m Gespräch ist redaktionell eingefügt. Die Form u l i e r u n g „das in deinen Augen G u t e " wird sich entsprechend in der .Ergeb u n g Elis' (IS 3,18) wiederfinden, die ebenfalls redaktionelle Indizien aufweist. Der Anschluß an den vorangehenden Kontext erfolgt durch «Ausnehmung» in der sprachlichen F o r m „und es y-te (Narrativ) X " „aber x nicht y-te (AK)" wobei „y" die vorerwähnte H a n d l u n g des Hinaufziehens usw. bezeichnet, „ X " den korporativen Handlungsträger (die Familie Elkanas) und „x" entsprechend einen Teil von „X", nämlich H a n n a . In V.22 ist die «/'.-Punktierung „er wird vor dem Angesicht Jahwes erscheinen" offenbar als theologische Korrektur eines ursprünglichen qal „er wird d a s Angesicht Jahwes sehen" anzusehen 1 4 8 und gehört d a m i t in die Linie der masoretischen Korrekturen. 1 4 9 Der redaktionelle Abschnitt schließt mit V.24E (Referenz hä'issäh V.23b, s.o.). Die Aussage, d a ß H a n n a bleibt, läßt sich als «Ansteuerung» des Stillens verstehen, das zur Vorlage gehören dürfte. D a ein G e l ü b d e zu erfüllen ist, wenn die Gottheit ihr Teil erfüllt hat, k ö n n t e hinter Elkanas Worten „wenn nur Jahwe seine Verheißung aufrecht M6 Long Problem 59f. 147 Vielleicht besteht hier ein Zusammenhang mit Nu 6,13-/7 (Opferdarbringung am Ende der Gelübdezeit). '"8 Parallelen bei McCarthy Tiqqune 199f; Wonneberger Leitfaden 44 A.137. 149 Siehe dazu McCarthy Tiqqune 197-243; siehe auch Wonneberger Leitfaden 44f. Stoebe Samuel 98 ad 22b spricht nur allgemein von der „Umformung eines liturgischen Ausdrucks" und läßt damit den Urheber offen.

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

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erhält" 150 die Befürchtung stehen, daß sich das Verschieben der Weihung als Verletzung des Gelübdes auswirken könnte. 151 In V.23D lesen Qumr. und Sept.: „Das Wort, das aus deinem Munde gekommen ist". 152 Die Wendung ist störend und hat den Exegeten bisher erhebliches Kopfzerbrechen bereitet. Sollte Elkana fürchten, daß vor der Darleihung etwas dazwischen kommen könnte, z.B. der Tod des Kindes, und Hanna dann in der Schuld bliebe? Neuerdings ist sogar erwogen worden, ob es sich hier nicht um den Versuch handelt, ein halachisches Problem zu lösen. Denn nach Mischna Nasir IV,6 darf nur der Mann einen Sohn durch Gelübde zum Nasir bestimmen, nicht aber die Frau. Dies würde Elkana also hier nachholen. 153 Will man an MT festhalten, so kann sich der Text eigentlich nur auf die durch Eli ausgesprochene Verheißung beziehen. Diese aber macht sich ja Hannas Wunsch unbesehen zu eigen. Man wird daher Elkanas Vorbehalt von l.S 2,21b her zu verstehen haben, wo die Geburt weiterer Kinder berichtet wird. Dann wäre die eigentliche Erfüllung durch Jahwe erst darin zu sehen, daß es das Hauptziel von Hannas Gelübde ist, durch die Hingabe des Erstlings den Weg für weitere Söhne frei zu machen, wie dies durch den Kollektivbegriff zœra 'anàsîm „Same der Männer" in V.11G ausgedrückt wird. Allein diese Deutung paßt auch in das damalige soziale Umfeld, in dem viele Kinder lebensnotwendig sind. Demnach wäre Elkana besorgt, ob Jahwe wohl auch diesen zweiten Teil des Gelübdes erfüllt. Es genügt aber wohl nicht, die Passage nur auf der Sachebene zu betrachten. Erst die Betrachtung der redaktionellen Verhältnisse führt zu einer klaren Begründung für diese Passage. Denn da die Redaktion ein Konzept verfolgt, bei dem Elkana mit seiner Familie in regelmäßigem Turnus nach Silo zieht, wird der Leser natürlich erwarten, daß die Investitur Samuels bei einer dieser Reisen erfolgt. Wenn aber die Vorlage von einer Darleihung nur durch Hanna berichtet (V.23F.24), dann muß das Verhalten Hannas, das nicht zu diesem Konzept paßt, von der Redaktion irgendwie integriert werden. Dies geschieht dadurch, daß das Stillen als Hinderungsgrund von Elkana explizit akzeptiert wird. Die Präsupposition, daß der Knabe eigentlich sogleich von Elkana zu präsentieren sei, motiviert dann auch Elkanas Befürchtung, die Verschiebung könne ihm, nicht Hanna, als Verfehlung ausgelegt werden. Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann handelt es sich hier erneut um die redaktionelle Technik der «Ansteuerung». Solche Ansteuerungen sind zugleich ein deutlicher Beweis dafür, daß die Redaktion keineswegs mit der Vorlage nach Belieben schalten und walten konnte, wie dies die Thesen mancher Literarkritiker zu implizieren scheinen. Nur auf dem Felde der Einfügungen ist die Redaktion relativ frei, und unsere Untersuchungen zeigen, daß auch hier Beschränkungen anzunehmen sind. Zugleich wird aber damit auch eine «Umdeutung» vollzogen. Denn was in der Vorlage das eigenständige Handeln Hannas ist, erscheint jetzt dem Leser, der sich ja im Rahmen der turnusgemäßen Reisen bewegt, als bloßer Begleit150 Übersetzung nach Stoebe Samuel 98. 151 Vgl. Parker Vow 695. 152 Stoebe Samuel 99 ad 23a will heqim däbär auf Verheißungen beschränken. 153 Barthélémy Critique 141.

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9. Die Jugendgeschichte 1-3

umstand einer, und zwar einer späteren Reise. Daß dieser Rahmen fortbesteht, wird dadurch bestätigt, daß Elkana an der Schlachtung V.25 beteiligt ist. Stillen und Entwöhnung (l,23F). Die Vorlage wird fortgesetzt mit der Stillzeit bis zur Entwöhnung. 154 Die Art der Darstellung wirkt selbstverständlich und gibt keinen Anlaß zu redaktionellen Überlegungen. Die Hinaufführung mit Gaben (V.24A-D). Auch die folgende Passage wirkt auf den ersten Blick unverdächtig, enthält aber bei genauerem Hinsehen redaktionelle Indizien. Zum einen findet sich wieder das Stichwort 'lh „hinaufsteigen", diesmal im hi. „hinaufführen", das das bw' hi. „bringen" V.24E vorwegnimmt. Zum andern wird durch den ka'ascer-Satz nochmals explizit auf die Zeitbestimmung „bis zu seiner Entwöhnung" V.24A bezuggenommen. Wir haben es also wieder mit einer redaktionellen Referenz auf die Vorlage zu tun, die wir als «Bezugnahme» bezeichnen. Die Bezugnahme dient dazu, eine «Detaillierung» vorzunehmen, und diese liegt in der Einführung von Opfergaben. Die Lesur.j von MT „drei Rinder" 155 ist wohl nach Sept. in „ein dreijähriges Rind" zu korrigieren. 156 Die Naturalien sind wohl weder als Opfergaben gedacht, wie dies offenbar V.25 voraussetzt, noch lassen sie auf ein Fest bei der Entwöhnung wie bei Isaak Gn 21,8 schließen. Es wird sich vielmehr um Investitur-Gaben handeln, mit denen ein Beitrag zum Lebensunterhalt des Knaben am Tempel geleistet wird. Die Übergabe (V.24E). Wenn unsere Aussonderung der Gaben zutrifft, dann wird in der Vorlage das Stillen bis zur Entwöhnung V.23F durch das Bringen an das Heiligtum fortgesetzt. Während in der Bearbeitung stets 'lh „hinaufsteigen" verwendet wird, verwendet die Vorlage das allgemeinere bw' hi., das keine Pilgerreise impliziert. Dem Verbcharakter nach entspricht dies dem ebenfalls recht allgemeinen ntn „geben" aus dem Gelübde selbst V . U . Einfügung Silos. Schwierigkeiten bereitet der Hinweis auf Silo V.24E. Zunächst ist zu bemerken, daß der Name hier nicht wie V.3 mit he, sondern mit waw geschrieben ist.157 Nun wird sich aus der Schreibung allein noch nicht viel ableiten lassen. Allerdings hatten wir festgestellt, daß V.3 und damit auch die Lokalisierung in Silo nachträglich eingefügt waren. Auch formgeschichtliche Überlegungen sprechen gegen die Ursprünglichkeit des Namens. Denn die ursprüngliche Erzählung von Hannas Gelübde verzichtet in der Exposition auf eine Lokalisierung; ein Nachklappen an dieser Stelle wäre kaum verständlich zu machen. Wir nehmen daher an, daß der Name hier nachgetragen ist, um die von der Redaktion intendierte Verknüpfung mit Silo zu vertiefen. 154 Die Zeit bis zur Entwöhnung beträgt meist ein Jahr, nach 2Makk 7,27 drei Jahre; nach 2Ch 31,16 können Knaben von drei Jahren und darüber Priesteranteile empfangen; vgl. auch Westermann Genesis 11,414 ad 21,8; Pfeifer Entwöhnung 341-344. 155 Sie könnte mit den drei vorgeschriebenen Opfertieren in Nu 6,14 zusammenhängen. 156 Barthélémy Critique 141f. 157 Zur Defektivschreibung vgl. Catastini Varianti.

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

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Samuels Status V.24b. Will man an MT wehanna'ar na'ar festhalten, dann kann der Sinn nur sein „und der Knabe (war/wurde) ein (Tempel-)Diener". 158 Überzeugend klingt das freilich nicht, so daß vielleicht doch konjiziert werden muß. Wegen der graphischen Ähnlichkeit bietet sich dafür nàzîr an. Dafür spricht auch die Ankündigung in Qumr.: „und er wird ein Nasir sein in Ewigkeit alle Tage ..." V.22 4Q Sam".]59 Auch aus formgeschichtlichen Gründen ist bei einer Geburtsgeschichte eine Berufs- oder Tätigkeitsangabe zu erwarten. Denn mit dem Gelübde wird ja schon ein präzises Bild von Samuels künftigem Status als Nasir entworfen, und es entspricht den normalen Gepflogenheiten solcher Erzählungen, daß das Eintreten jeweils explizit berichtet wird. So wird bei der Geburtsankündigung Simsons gesagt: „Denn der Knabe soll ein Gottgeweihter sein ...", Jdc 13,7, und die Erzählung endet mit dem Geist Jahwes, der Simson treibt Jdc 13,25. Es muß aber auch erwogen werden, ob diese Angabe schon im Zuge der Redaktion unkenntlich gemacht worden sein könnte, um Platz für die spätere Kennzeichnung Samuels als mesäret „Ministrant" zu schaffen. d) Das Opfer Elkanas

(V.25a)

V.25a setzt offenbar die Konzeption fort, nach der Elkana der Handelnde ist und mit seiner Familie nach Silo zieht. Jetzt wird das in V.21 als Zweck genannte Opfer vollzogen. 4Q Sam" (Col I, Z.8-11) bezeugt ebenso wie Sept. das eigenhändige Schlachtopfer Elkanas; seine Beseitigung könnte auf die Kollision mit Lv 17,1-12 zurückgehen und damit auf eine priesterliche Redaktion P deuten, für die auch die Graphie des Namens Silo ein Indiz sein könnte. Wir werden zu -+1.S 3,21 darauf zurückkommen. 160 Daß die Abfolge der verschiedenen Handlungsträger in dieser Sequenz, zu der auch noch V.28 gehört, schon früh als problematisch empfunden worden ist, zeigen die abweichenden Vorstellungen in Sept. und Qumr.. 161 Aber weder textkritische noch gerade auch redaktionelle Gesichtspunkte können hier zum Abgehen von MT führen. e) Die Übergabe an Eli

(V.25b~28a)

Mit der Übergabe an Eli setzt sich jene redaktionelle Schicht fort, als deren Kennzeichen wir oben hitpallel und sä'al erkannt hatten. Da Hanna aber unvermittelt auf Eli referiert, gehört auch V.25b dazu, der die Situation herstellt. Die Passage enthält die Leitwörter „flehen" und „bitten" in auffalliger Häufung (siehe Tafel 16 auf Seite 207). Damit soll dem Leser eingeprägt werden, daß es in dieser Erzählung um ,Bitte und Gewährung' geht. Die Erinnerung an das Gelübde wird dadurch in den Hintergrund gedrängt. 158

Barthélémy Critique 142f. ' 59 Vgl. auch Sir 46,13; Stoebe Samuel 99 ad 24d. 160 Vgl. Catastini Varianti 280f. 161 Vgl. die Diskussion bei Barthélémy Critique 143f zu V.28.

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9. Die Jugendgeschichte 1-3

f ) Anbetung Elkanas

(V.28b)

Mit Elkanas A n b e t u n g wird die Schicht aus V.25a fortgesetzt. Wenn wir die Rede Hannas zu recht ausgegliedert haben, entfällt für die Vorlage auch der A n s t o ß des sonst recht abrupten Wechsels der Person. g) Heimkehr

Elkanas

(2,11a)

D i e Elkana-Schicht aus 1,28b setzt sich fort mit der Heimkehrnotiz 2,11, ein Zusammenhang, der freilich erst sichtbar wird, wenn m a n den .Lobpreis der Hanna' 2,1-10 entfernt hat. Wir haben also zunächst noch diese Einfügung zu behandeln und können dann fragen, o b mit der Heimkehr Elkanas der Schluß der Geschichte erreicht ist. h) Lobpreis

Hannas

(2,1-10)

Es will zunächst nicht recht einleuchten, daß das Lied der H a n n a erst plaziert ist, nachdem die Szene mit V.28b schon abgeschlossen ist. 162 Bei genauer Betrachtung wird aber deutlich, d a ß das Lied keineswegs an die Darleihung anschließt, sondern in eigenständiger Weise die Situation aufnimmt. Der Text enthält eine Reihe textkritischer Probleme, die z u m Teil auch die literarischen Anhaltspunkte betreffen; wir werden von Fall zu Fall darauf zurückkommen. 1 6 3 Der Psalm beginnt mit einem Jubelruf in der 1. Person, der mit dem fci-Satz in V.1E zunächst zur Ruhe kommt. Darauf folgt ein Bekenntnis zu Jahwe, 164 das sich durch die 1. Person Plural in V.2b als eines der Gemeinde zu erkennen gibt und damit das „Loblied des oder der einzelnen" unterbricht. In V.2B gibt schon der textkritische Befund 1 6 5 einen Hinweis darauf, daß es sich u m eine «Glosse» handelt. 1 6 6 Bestätigt wird dies nicht nur durch die Abweichung in der Person und die Störung des Parallelismus zwischen V.2A und V.2C, sondern vor allem auch durch den klar erkennbaren Anstoß, der behoben werden soll: Der Vergleich „wie Jahwe, wie unser Gott" läßt doch noch den Gedanken an andere Götter aufkommen, den die Glosse verwehrt. 167 Allerdings hat die Passage wie in 4Q Sam a und Sept.-A ursprünglich wohl mit ki begonnen. 1 6 8 Diese textkritische Entscheidung ist deswegen von erheblicher Bedeutung, weil sich im Text noch weitere W-Sätze in ähnlicher Funktion finden. 16 2 Dieser Anstoß scheint auch der Grund für die Auslassung der Passage I.S 1,28-2,1 (BHS 1,28 b-b) zu sein. '63 Vgl. auch Stummer Vulgata\ Boer Syro-Hexaplar, Boer Conßrmatum; ergänzend Boer Song-, Bressan Cantico 76-83; Tournay Cantique. im Vgl. die Parallele in Ps 75,6, Kraus Psalmen 683-687. 165 Sept. außer Alexandrinus stellt den Satz ans Ende von V.2, eine Handschrift von Vet.Lat. läßt ihn ganz aus. IM So auch Nowack Richter, Hertzberg Samuelbücher, Loretz Psalmenstudien II, Stoebe Samuel. 167 So auch Stoebe Samuel 101. 168 Vgl. die Zusammenstellung der Varianten bei McCarter Samuel 68f, der als ursprünglichen Text den Parallelismus ki 'en qados keyhwh / we'en zur ke'löhenü rekonstruiert.

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

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Auch V.3 bietet literarische Anstöße, denn er wendet sich plötzlich mit Aufforderungen an ein Gegenüber im Plural, paßt also als Paränese nicht gut in den Hymnus hinein. 169 Weiter fällt auf, daß nicht nur V.2B als weitere Glosse mit ki eingeleitet wird, sondern auch V.8b, der sich im Stil und in der Tendenz in V.9a fortsetzt. Zwar findet sich in dieser Passage ebenfalls ein Parallelismus, aber die Thematik ist doch grundlegend gewandelt. Ging es vorher um die freie Erwählung, 170 so geht es jetzt genau umgekehrt um die pflichtmäßige Bewahrung der Frommen. Auch hier haben wir es also wieder mit einer theologischen Korrektur zu tun: Die freie Erwählung könnte ja auch einmal dem Unwürdigen aufhelfen. Auch in V.9b dürfte eine Glosse vorliegen. 171 Die Gründe sind ähnlich wie bei den schon besprochenen Sätzen. Jeweils durch ki wird eine Aussage eingeleitet, die nicht den Psalm weiterführt, sondern ihn theologisch kommentiert. Schwierigkeiten bereitet auch die Fortsetzung V.10, die auf den ersten Blick an keinen der vorangegangenen Abschnitte anschließt. 172 Vollends überraschend ist die Wende zur Fürbitte in V.lOb, die nun plötzlich den König einbezieht, eine Institution, die Samuel später ja erst noch schaffen soll. Zwar besteht ein enger Zusammenhang zwischen V.5.8 und Ps 113,9-7, aber beide Texte scheinen doch von einander unabhängig zu sein. 173 Immerhin ergibt sich die Möglichkeit, das Donnern Jahwes aus V. 10 mit l.S 7,10 in Verbindung zu bringen. 174 Poetische Stücke werden im Alten Testament mehrfach in den normalen Ablauf von Geschichten eingefügt. 175 Beispiele für Lieder sind das Dankgebet Hiskias Jes 38,10-20, oder Davids Dank- und Siegeslied in 2.S 23. Das Verfahren der Einfügung wollen wir als «choosing» bezeichnen (vgl. den systematischen Teil „Theorie der redaktionellen Handlungen" auf Seite 113). Das «choosing» basiert auf einem Anknüpfungspunkt, der den Zusammenhang zwischen einzufügendem Text und erzählter Handlung darstellt. Der Psalm der Hanna enthält als solche Schlüsselaussage, daß die Unfruchtbare gebiert, 176 die Kinderreiche aber dahinwelkt ( l . S 2,5). 177 Hinzu kommt das situative Element, daß die zwar nicht zitierte, aber doch eindringlich geschilderte Klage Hannas ein lobendes Gegengewicht nahelegt. Aber der Psalm hat noch eine makro-redaktionelle Komponente. Während in .Übeltäter erstarren in der Finsternis' V.9 unschwer das Schicksal Sauls 169 Auch Stoebe Samuel 103 und Lorelz Psalmenstudien II 213 A.9 sehen darin einen Zusatz. "0 Zu käböd V.8a vgl. Weinfeld Art.Kabod 29; Westermann Art.KBD. 171 Loretz Psalmenstudien II 214. 172 Boer Bemerkungen 58. 173 Freedman Psalm 56*. im Schulz Samuel 33. ' 7 S Z.B. der poetische Ausruf Adams (Gn 2,23); die Jotam-Fabel (Jdc 9,7-/5); das Gebet Jonas (Jon 2,3-/0). 176 Vgl. Ps ¡13,9; unter negativen Vorzeichen Jer 15,9. 177

Stoebe Samuel 106 sieht darin den Anknüpfungspunkt.

226

9. Die Jugendgeschichte 1-3

wiedergefunden werden kann, deuten eine Reihe positiver Aussagen auf David 178 oder einen späteren Nachkommen Davids. 179 Hier ist zu übersetzen: 9

Er hütet die Schritte deiner Gerechten, während die Bösen in die Finsternis untergehen; denn der Starke180 siegt mit der Kraft über den Menschen, Jahwe schlägt seine Feinde.

B c D

Dieses Bestreben, nun auch umgekehrt poetische und daher vielleicht etwas vage Aussagen mit geschichtlichem Inhalt zu füllen, wollen wir als «matching» bezeichnen (siehe ebenfalls den systematischen Teil „Theorie der redaktionellen Handlungen" auf Seite 113). Es darf aber wohl nicht nur für den Redaktor, sondern ebenso auch für den Hörer oder Leser vorausgesetzt werden. In V.2 fällt eine Störung des Parallelismus auf: 2

So strahlend wie Jahwe tritt niemand auf — denn es tritt kein Gott auf außer dir — und solch einen Schutz wie unseren Gott gibt es nicht.

B c

Es handelt sich dabei um eine Glosse, die in Sept. an anderer Stelle und in etwas anderem Wortlaut steht; Qumr. hat einen Kombinationstext. 1 " Wir behandeln diesen Typ der Bearbeitung im Abschnitt „Redaktion und Edition (Glossen)" auf Seite 53. Der Wechsel zur zweiten Person zeigt deutlich die Distanz zum Text, der nicht mehr verändert, sondern kommentiert — und das heißt hier — durch Lobpreis angeeignet werden sollte. Eine Wahllesart scheint in V.3 vorzuliegen. Liest man mit Ketib lo\ dann ergibt sich: „Und nicht haben Bestand die bösen Taten"; liest man dagegen mit Qere /o,182 dann ergibt sich: „Und von ihm werden die Taten geprüft". 183 Die Herkunft des Liedes ist naturgemäß nicht einfach zu bestimmen, und auch Querverbindungen zu anderen Schriften sind kaum mit Sicherheit aufzuweisen. Einfluß von Dtjes könnte vorliegen in LS 2,2 und J.S 2,10, Einfluß eines deuteronomistischen Tun-Ergehen-Zusammenhanges in 1.S 2,9.184 9.2.4

Der Schluß der Geburtsgeschichte

Zwar ist mit der Heimkehr Elkanas eine deutlich abschließende Aussage gemacht worden 2,1 la, aber sie unterliegt dem Verdacht, Teil der Redaktion zu sein (s.o.). Sie kann aber in keinem Fall als Ende der ganzen Geschichte gelten, da diese auf Samuel zielt und daher zumindest etwas über sein weiteres Ergehen sagen wird. Daß eine solche Äußerung zu erwarten ist, zeigt nicht zuletzt der formgeschichtliche Vergleich mit anderen Geburtsgeschichten. 17« Stoebe Samuel 105. 179 Boer Bemerkungen 57. 180 f abzuleiten von l'y „können, stark, mächtig sein"; Deina L) Y• 181 Vgl. Weingreen Bible 37f. 182 So z.B. Budde Samuel 15. 183 Kellermann Korrektur 70 betrachtet beide Lesarten als gleichrangig. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Versuch bei Grill Partikeln, der die verschiedenen Stellen mit dieser Verwechselungsmöglichkeit nebeneinanderstellt. Boer Bemerkungen 54 liest we'el „ein Gott, dessen Taten überlegt sind". Zu den textkritischen Problemen von V.8 vgl. Barthélémy Critique 144f. IM Boer Bemerkungen 56f.

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

227

Als Muster für die einzelnen Erzählschritte einer Geburtsgeschichte können wir Jdc ¡3,24 heranziehen: 24 B c D 25 B

Und es gebar die Frau einen Sohn und rief seinen Namen Simson und es wurde groß der Knabe und es segnete ihn Jahwe und es fing an der Geist Jahwes ihn zu treiben im Lager Dans zwischen Zorea und Eschtaol.

Dieser Text enthält folgende Elemente: Geburt, Namensgebung, Wachsen, Segen Jahwes, Tätigkeit und Wirkungsbereich. Alle Aussagen sind mit Narrativ formuliert. Eine Tätigkeitsangabe machen auch Gn 21,20 (Ismael) und Gn 25,27 (pl.; Esau und Jakob); auch hier ist sie im Narrativ formuliert. Daß es sich hier um ein sehr stabiles Textmuster handelt, zeigt die Nachwirkung in der Vorgeschichte des Lukasevangeliums. So enthält die Schlußwendung über Johannes den Täufer ebenfalls die beiden Elemente „Wachsen" und „Wirkungsbereich" Lc 1,80, während in derjenigen über Jesus an die Stelle des „Wirkungsbereichs" das „Mitsein Jahwes" tritt, hier allerdings in etwas indirekter Formulierung. Lc 2,40. Der Abschluß der Erzählung vom „zwölfjährigen Jesus im Tempel" Lc 2,52 lehnt sich dagegen in der Formulierung eng an l.S 2,26 an. Auch hier zeigt sich der Unterschied in der Referenz (das Kind bzw. Jesus), der auch für die weiteren Überlegungen zu unserem Textbereich eine wichtige Rolle spielt. Allerdings ist beim Vergleich unseres Textes mit anderen Geburtsgeschichten zu beachten, daß hier die Erzählstruktur durch das Gelübde kompliziert wird. Die Frage nach dem Ende stellt sich aber hier nicht nur in der Weise, daß es nur um ein etwas früheres oder etwas späteres Ende ginge, sondern so, daß mehrere Wendungen aus inhaltlichen und vor allem aus formgeschichtlichen Gründen als Schlußwendung infrage kommen und daher um die Schlußposition in dieser Geschichte gegeneinander konkurrieren. Diese Wendungen stehen nun aber keineswegs eng beieinander, sondern verteilen sich auf einen weiten Textbereich, in dem auch Themen verhandelt werden, die mit der Geburt nichts mehr zu tun haben. a) Redaktionelle Überlegungen zum Ende (l.S 2,1 lb-4,la) Eine erste Wendung, die als Schlußsatz infrage käme, findet sich schon in unmittelbarem Anschluß an Elkanas Heimkehr in l.S 2,1 lb. Diese Vershälfte formuliert nämlich das Ergebnis für Samuel: Er wird (häyäh) ein Ministrant (mesäret).ls5 Damit wird ein für den weiteren Verlauf wichtiges Stichwort eingeführt, das sich schon in 2,18 wiederholt. Außerdem kommen jetzt einige Abschnitte, die sich schon rein inhaltlich von der Samuelerzählung abheben. Es zeichnet sich also die Möglichkeit ab, die Korrespondenz von möglichen Schlußwendungen und andersartigen Einschüben näher zu untersuchen. Insgesamt sechs Wendungen erfüllen die formgeschichtliche Anforderung an einen Schlußsatz der Geburtsgeschichte dadurch, daß sie eine generelle 185 Diese Übersetzung ergibt sich aus unserem Konzept „Das Konzept des distinktiven Übersetzens" auf Seite 69.

228

(4)

1

9. Die Jugendgeschichte 1-3

wehanna'ar (2,26)

Semü'el holek wegädel wätöb gam 'im-yhv/h wegam

'im-'anäSim

Q liest lipne

Tafel 17. Überleitungen in J.S l,I-4,la (Ausgangslage): Die Überleitungen werden durch eingeklammerte Zahlen, die Teiltexte durch eingeklammerte Buchstaben bezeichnet.

Bemerkung darüber machen, wie Samuel nach seiner Darbringung in Silo weiterhin lebt. Um der besseren Übersicht willen stellen wir diese Texte in Tafel 17 auf dieser Seite zusammen. Für die folgende Diskussion bezeichnen wir die Wendungen durch eingeklammerte Zahlen (1) bis (6), die von ihnen begrenzten Texte durch eingeklammerte kleine Buchstaben (a) bis (g). Es liegt auf der Hand, daß das Problem nicht dadurch gelöst werden kann, daß alle Kombinationsmöglichkeiten durchdiskutiert werden. Wir müssen daher zunächst weitere Kriterien formulieren, durch die wir die Komplexität des Problems reduzieren können: i. Die inhaltliche Geschlossenheit der Geburtsgeschichte ist kein verläßliches Kriterium für ihre Abgrenzung, da auch die Geburtsgeschichte selbst Einfügungen enthalten kann, deren Ziel die Anknüpfung weiterer Stoffe ist. ii. Die Wendungen sind auch daraufhin zu untersuchen, ob sie eine innere Beziehung zu den eingeleiteten oder abgeschlossenen Kontexten haben. iii. Vor allem ist zu fragen, ob sich die Wendungen nach ihren Eigenschaften gruppieren lassen. iv. Vom Schluß einer einfachen Geburtsgeschichte ist zu erwarten, daß er bestimmte formgeschichtliche Eigenschaften aufweist, die sich aus dem Vergleich mit anderen Geburtsgeschichten erheben lassen.

Als ersten Schritt wollen wir die Wendungen aus Tafel 17 auf dieser Seite nach ihren sprachlichen Merkmalen aufschlüsseln. Das Ergebnis ist in Tafel 18 auf der nächsten Seite dargestellt. Schon ein erster Blick zeigt, daß

229

9.2 D i e G e b u r t S a m u e l s ( l . S 1 , 1 - 3 , 2 0 * )

Kategorie

Merkmal

12 34

Verb

dienen wachsen nur „Samuel" nur „der Knabe" beides Copula Partizip Narrativ

++- - + -

Referenz

Tempus

dienen

Jahwe Eli

wachsen wachsen

'cet'cet-pene 'cet-pene lipne

allein mit anderen Verben bei Jahwe b.J. und d.M. J. war mit ihm

-

-

-

+

+

+

56

-

+ +

+ -

-

+

+

+

-

+ - + - + + -

+ - . .+ .

. .+ - . +

. . -+ . . . -+ . -

Tafel 18. Ähnlichkeiten der Uberleitungen in l.S l,l-4,la: Oben sind die überall, unten die nur teilweise zutreffenden Merkmale angegeben. Die Zeichen bedeuten: , + ' Übereinstimmung;,-' Verschiedenheit; ,.' Merkmal trifft nicht zu. die Wendungen offenbar nicht hierarchisch angeordnet sind, sondern überkreuzend: „dienen" findet sich in (1), (2) und (5), „wachsen" findet sich in (3), (4) und (6). Dieser Befund läßt sich nicht auf Anhieb deuten. Daher wollen wir zunächst die Wendungen entsprechend ihren Eigenheiten zu Gruppen zusammenfassen. Die Gruppen bezeichnen wir jeweils durch ein charakteristisches Stichwort. Die entsprechenden Gruppen sind in Tafel 19 auf der nächsten Seite dargestellt. Sie lassen sich folgendermaßen charakterisieren. i. H a u p t m e r k m a l dieser W e n d u n g e n ist d a s S t i c h w o r t meiäret. In allen S ä t z e n w i r d S a m u e l als na'ar q u a l i f i z i e r t . Die W e n d u n g e n sind e n t w e d e r als N o m i n a l s ä t z e o d e r m i t AK v o n häyäh k o n s t r u i e r t , bilden also keinen eigenen E r z ä h l s c h r i t t . D a s S t i c h w o r t meiäret ist e n g m i t d e r O f f e n b a r u n g s g e s c h i c h t e v e r b u n d e n , weil n u r in ihr ein D i e n s t v e r h ä l t n i s S a m u e l s a m T e m p e l f ü r d i e E r z ä h l u n g b e n ö t i g t w i r d . ii. Bei (4) m u ß v o r allem d e r g e ä n d e r t e S a t z t y p ( N o m i n a l i d e n t i f i k a t i o n mit P a r t i z i p ) b e a c h t e t w e r d e n , d e r einen D a u e r z u s t a n d a u s d r ü c k t . 1 8 6 D e r S a t z f ü h r t also n i c h t die E r z ä h l u n g weiter, s o n d e r n ü b e r b l i c k t b e w e r t e n d die im ü b r i g e n n i c h t e r z ä h l t e J u g e n d S a m u e l s . E r h a t d a h e r d e n C h a r a k t e r einer «Evaluation». iii. N u r hier h a n d e l t es sich u m n o r m a l e E r z ä h l a u s s a g e n im N a r r a t i v . D e n z w e i t e n Teil v o n (6) bildet d i e s o g e n a n n t e B e i s t a n d s f o r m e l . 1 8 7 186 Siehe Wonneberger Gliederung. 187 Dazu siehe ->Evaluation (V.19-21)

in „Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)" auf Seite 255.

230

9. Die Jugendgeschichte 1-3

1.

Diener-Gruppe (1) wehanna'ar häyäh meSäret 'at-yhwh 'cet-pene 'eil hakkohen (2,11b) (2) üiemü'el meSäret 'at-pene yhwh na'ar hägür 'epöd bad (2,18) (5) wehanna'ar Pmü'el meSäret 'at-yhwh lipne 'eli (3,1) 2. Wandel-Gruppe (4) wehanna 'ar Semü 'el holek wegädel wätöb gam 'im-yhwh wegam 'im- '"näiim (2,26) 3. Narrativ-Gruppe (3) wayyigdal hanna 'ar Semü 'el 'im-yhwh (2,21 b) (6) wayigdal Semü 'el weyhwh häyäh 'immö (3,19) Tafel 19. Gruppierung der Überleitungen in LS 1 ,l-4,la Referenz auf Samuel. In Tafel 18 auf der vorigen Seite haben wir unter dem Stichwort „Referenz" zusammengestellt, wie auf Samuel referiert wird. Falls die Art des Referierens nicht vom Zufall oder von stilistischen Erwägungen diktiert ist, läßt sie sich literarisch interpretieren. Bei einer normalen Geburtsgeschichte wird nach der Namensgebung wieder mit der Klassenbezeichnung „der K n a b e " referiert. Ungewöhnlich ist demgegenüber die Doppelreferenz mit Klassenbezeichnung und Name: „der K n a b e Samuel". 1 8 8 Wird eine solche Referenz vorgenommen, dann zielt sie darauf ab, das Erzählte unmißverständlich in der Jugend anzusiedeln. Ein solches Interesse könnte mit der Lade-Erzählung zusammenhängen; d a n n soll es plausibel machen, daß Samuel noch nicht eingreifen kann. Es könnte aber auch lediglich dazu dienen, für die Offenbarungsgeschichte innerhalb des Zeitrahmens der Geburtsgeschichte Platz zu schaffen. Dann legt sich der Verdacht nahe, d a ß die zusätzliche Referenz auf Samuel mit „Knabe" als redaktionelles Indiz zu werten ist. Wir werden diese Hypothese im folgenden in unsere Überlegungen einzubeziehen haben. D a durch die umfangreichen Einschübe das Ende sehr weit nach hinten abrückt, hätten wir hier eine redaktionelle Methode, die versucht, den Zusammenhang zu wahren, indem sie — bildlich gesprochen — den überdehnten Spannungsbogen durch eine Anzahl gleichartiger Pfeiler abstützt. Im folgenden wollen wir so vorgehen, daß wir die der Geburtsgeschichte sachfremden Stoffe zunächst nur ausgliedern und sie erst später behandeln. Andernfalls würde die Frage nach dem Ende der Geburtsgeschichte allzu leicht aus dem Blick geraten. b) Ausgliederung ,Bosheit der Söhne' (1

)-(b)-(2)

Die Passage vom Opfermißbrauch V. 12-17 gibt sich sowohl inhaltlich als auch formal als Fremdkörper zu erkennen. Wir werden sie unten im Zusammenhang des Eliden-Fadens behandeln. Hier soll nur die Technik der Einfügung untersucht werden. Die Passage wird von den Wendungen (1) und (2) eingeschlossen, die durch das Stichwort mesäret verbunden sind. Die Wendungen haben keine innere !88 Sie findet sich auch in anderem Zusammenhang: „der Mann Elkana".

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

231

Verbindung zu dem eingeschlossenen Stück (b) vom Opfermißbrauch der Eliden. Tilgt man das Stück, so wird offenbar, daß (1) und (2) nicht nacheinander stehen können: Sie «kontrastieren» nicht, sondern «exkludieren» sich. 189 Der Sinn einer solchen Wiederholung kann also nur darin liegen, die Aufmerksamkeit des Lesers an jenen Punkt zurückzuführen, an dem sie abgelenkt wurde — abgelenkt eben durch Einfügung von andersartigem Material. Wir haben damit eine erste redaktionelle Figur vor Augen, für die vorläufig folgende Kriterien gelten sollen: Zwei Wendungen ähneln einander; sie rahmen eine andersartige Einheit; ohne diese exkludieren sie sich. Diese Figur wollen wir als «Klammereinbettung» bezeichnen, weil die Parallelwendungen wie eine Klammer für den Zusammenhalt des durch einen Einschub gestörten Textes sorgen. Nun ist in unserem Text eine der beiden Wendungen offenbar redaktioneller Herkunft. Demnach haben wir es hier also mit einer Klammereinbettung zu tun. 190 Dann aber stellt sich die Frage, welche der beiden Wendungen zur Vorlage gehört und welche redaktionell ist. Die Wendungen stimmen überein im Leitwort mesäret und in der Präposition ('cet- bzw. 'xt-pene). Unterschiedlich ist die Referenz auf Samuel und der Satztyp (mit bzw. ohne häyäh). Die Formulierung mit häyäh „sein" 191 (1) ist von der Formulierung mit Nominalsatz abzuheben. Sie macht deutlich, daß auch die Form mesäret hier nicht partizipial, sondern substantivisch gemeint ist.192 Daher ist zu übersetzen: „Und Samuel wurde ein Jahwe-Ministrant bei Eli dem Priester". Der Grund für die Setzung von häyäh dürfte hier nicht in der Zeitmarkierung liegen — denn diese würde dann ja in (2) fehlen — , sondern im Neueinsetzen des Zustandes. Demgegenüber faßt (2) den schon etablierten Zustand ins Auge. Wie die Fortsetzung zeigt, handelt es sich um eine iterative Passage. Die Referenz ohne Namen in (1) stimmt mit dem Gebrauch der Geburtsgeschichte überein, die zwar von der Namensgebung berichtet, aber Samuel an keiner Stelle beim Namen nennt. Die Referenz auf Eli überhaupt und als Priester scheint jedoch den Satz zu überladen. Sie dient zur «Ansteuerung» der folgenden Episode von den Söhnen Elis, vielleicht auch schon zur Vorbereitung der Offenbarungsgeschichte. Daher ist anzunehmen, daß (1) die sekundäre Klammer ist. Entsprechend schließt (2) zumindest inhaltlich einwandfrei an die Heimkehrnotiz Elkanas an: Beide Protagonisten sind namentlich gegenübergestellt. Syntaktisch wird man hingegen das x-AK mit häyäh aus (1) übernehmen müssen, da sich ein Nominalsatz in diesem Zusammenhang nicht gut als Fortsetzung eines Narrativ-Satzes eignet. Unser Problem reduziert sich dann zunächst auf die in Tafel 20 auf der nächsten Seite dargestellte Konstellation. Nun ist freilich (2) recht ungewöhnlich formuliert, und man kann in der Tat fragen, ob die Qualifizierung als mesäret „Ministrant" überhaupt in den 189 Die aus der Syntax-Theorie bekannten Relationen können hier analog auf die Textebene übernommen werden; vgl. Wonneberger Syntax 80. 190 So auch Haran Temples 305, der von Wiederaufnahme spricht; zur Terminologie siehe -»Klammereinbettung. 191 Vgl. Ki/wing Kopula; Bartelmus HYH. 192 Vgl. Ex 24,13 (Mose und Josua sein Diener).

232

9. Die Jugendgeschichte 1-3

Tenor der Passage paßt. 193 Seltsam ist die Formulierung schon auf der Ebene der Syntax. Denn die Notiz über die Kleidung Samuels, auf der ausweislich des folgenden Textes der Nachdruck liegt, ist jetzt nur Apposition zu „Ministrant". Da das Stichwort mesäret in der Offenbarungsgeschichte verankert ist, liegt der Verdacht nahe, daß es hier nachgetragen ist. Allerdings wäre der Text ohne die mesäret-Wendung wohl kaum akzeptabel, da dann von Samuel lediglich gesagt würde, daß er ein Knabe war oder wurde; die Apposition ist ja ein charakterisierendes und kein spezifizierendes Attribut. 194 Vor allem aber spricht dagegen, daß ja auch das Ephod in priesterlichen Kontext gehört, 195 also einen Beitrag zum Bild des kleinen Tempeldieners leisten soll. Wir nehmen daher an, daß die Formulierung in der vorliegenden Form einheitlich ist. Dann aber muß erklärt werden, was den Redaktor zu einer so gewundenen Ausdrucksweise veranlaßt haben könnte. Für eine solche Erklärung gibt es folgende Ansatzpunkte: Zum einen hat der Redaktor das Ziel, die Offenbarungsgeschichte in der jetzigen From vorzubereiten. Zum anderen möchte er, wie wir gleich noch sehen werden, seine Korrekturen an der vorliegenden Hanna-Erzählung weiterführen. Dazu muß er das Element der regelmäßigen Besuche am Heiligtum aufgreifen. Da der formgeschichtliche Ort für die Angabe des weiteren Ergehens Samuels in der Vorlage an dieser Stelle noch nicht erreicht ist, muß der Redaktor also nach seinem Vorgriff auf dieses Element wieder in die Erzählbahnen zurücklenken. l " So Sloebe Samuel 109 ad 18a. i ' 4 Zu diesen Kategorien vgl. W\S im Anschluß an Seiler 195 Vgl. LS 22,18.

Relativsatz.

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

233

Es ergibt sich also eine Art rückwärtslaufende Erzählweise, die dann eben auch zu den festgestellen syntaktisch ausgefallenen Konstruktionen führt. Wenn diese Annahmen zutreffen, dann sind hier mindestens die redaktionellen Techniken «Verankerung» und «Ansteuerung» zu beobachten. Denn durch die Bezeichnung und Schilderung Samuels als „Ministrant" wird die Offenbarungsgeschichte vorbereitet. Da sie aber nicht unmittelbar folgt, sprechen wir von «Anker» und «Schiff». Schiff ist also die Offenbarungsgeschichte (5) (f), und als Anker dient (2). Damit ist zugleich auch die oben notierte Überkreuzung mit den „wachsen"-Wendungen (3), (4) und (6) erklärt und entschärft: Sie kommt ja nicht dadurch zustande, daß (2) und (5) eine Klammer bilden würden, sondern dadurch, daß (5) in Gestalt von (2) als Anker benutzt wird. Darin liegt zugleich ein Hinweis darauf, daß die Wachsen-Wendungen ganz oder teilweise zur Vorlage gehören. Z u m anderen läßt sich hier die redaktionelle Technik der «Ansteuerung» beobachten, wie wir sogleich noch genauer sehen werden. c) Kleider und Segen

(V.18a-20)

Nach Ausgliederung der Eliden verbleiben zunächst die folgenden Elemente: .Kleider für Samuel'; ,Segen Elis'; .Weitere Kinder'. Die Nennung der beiden Kleidungsstücke wirkt auf den ersten Blick romantisch, das Bild ausmalend. Es scheint, als habe der Erzähler sehr intime Kenntnisse. Die nachträgliche Aufbietung solcher Specialissima wollen wir als «Detaillierung» bezeichnen. Dadurch kann sich auch der Exeget leicht verführen lassen, ohne genaue literarische Analyse eine frühe Bezeugung dieser Gewänder zu sehen. Hier ist aber, wie wir oben schon angedeutet haben und sogleich noch im einzelnen sehen werden, die Detaillierung redaktionell bedingt; 196 sie hat zunächst die Funktion, das Bild von Samuel als mesäret zu konkretisieren; denn das Ephod ist ein Priestergewand; 197 ähnliches gilt für das Me'il, das unter dem Ephod getragen wird. 198 Zum anderen soll die Detaillierung auch, insofern Kleidung ja verschleißt, den Übergang zu den regelmäßigen Pilgerreisen schaffen. Wenn aber die Detaillierung als redaktionelle Technik erkannt ist, dann m u ß vor allem gefragt werden, welchen Quellen oder welchem Sitz im Leben diese Vorstellungen entnommen sein könnten. Dafür bietet sich als Ausgangspunkt ihre spätere Verankerung im Kult. 199 Die Segenspassage endet mit einer Heimkehrnotiz. Sie steht zunächst zu der Heimkehrnotiz V.IIa in Spannung und gibt sich ihr gegenüber durch folgende Elemente als redaktionell zu erkennen: 200 Referenz „der Mann" (V. 11: „Elkana"); Referenz „an seinen Ort" (V. 11: „in sein Haus"). Es handelt 196 Stoebe Samuel 113 A.27 weist zwar auf Analogien zur Jugendgeschichte Davids hin, läßt aber nicht recht erkennen, ob er die Passage für redaktionell hält. 197 Zu den Einzelheiten Haran Temples 166-168. 198 Haran Temples 168.180. 199 Vgl. für Ephod Ex 28,6ff, ferner die Verwendung für die Bekleidung eines Götterbildes {Jdc I7J) oder das Götterbild selbst (Jdc 8,26f)\ für Me'il Ex 28,31. 200 Mit Qumr., vgl. Sept.; daß M T unstimmig ist, zeigt das Suffix im Singular: „Und sie waren gezogen an seinen Ort". M T trägt mit seinem waw-AK der Nachholung besser Rechnung.

234

9. Die Jugendgeschichte 1-3

sich also wiederum um jene «funktionale Referenz», die wir oben schon angetroffen haben. Sodann wirkt sie auch deshalb störend, weil die Segensepisode nur als «Nachholung» in einem an sich iterativen Geschehen (V.19b) verstanden werden kann. Die Segensworte selbst greifen das Leitwort „bitten" wieder auf. 201 Damit knüpfen sie inhaltlich an die entsprechende Eli-Schicht an. d) Weitere Kinder und Aufwachsen Samuels ( V.21) Erst damit, daß Hanna weitere Kinder gebiert, kommt die durch das Gelübde bestimmte innere Erzählstruktur zu ihrem Abschluß, wie wir oben schon begründet haben. pqd ist eine sehr vielschichtige Wurzel,202 die schon den alten Übersetzern einiges Kopfzerbrechen bereitet hat. 203 Als Handlung Gottes findet sie sich erst wieder in l.S 15,2 im Blick auf die Amalekiter. Die Wurzel zeigt die „heilvolle Zuwendung Jahwes" an. Sie begegnet häufig in der exilischnachexilischen Prophetie und entsprechenden Zusätzen. 204 Hier hat sie den Sinn „sich jemandes annehmen". Zu vergleichen ist die Verwendung bei Sara Gn 21,1, wobei V.l-7 ebenfalls redaktionell sein dürften. 205 Daher liegt der Schluß nahe, daß sie auch hier redaktionell sein könnte, 206 zumal in 1,11.19 „gedenken" benutzt wird. Da aber die Passage Hanna erst wieder namentlich einführt, wird sie insgesamt eingefügt sein. Sie gehört dann auf die zweite Ebene und bildet offenbar den Zielpunkt für Elkanas Vorbehalt (1,23). Der Satz vom Aufwachsen Samuels bei Jahwe (V.21) setzt nur die Übergabe an den Tempel voraus (1,24), nicht aber die Lokalisierung in Silo oder gar den Kontakt zu Eli. Der knappe Narrativ-Satz mit wayyigdal begegnet öfter. 207 Häufig ist er mit einer Segens- oder Mitseins-Formulierung verbunden. 208 Bei formgeschichtlicher Betrachtung zeigt sich, daß (3) in einigen Fällen den Abschluß einer Kindheitsgeschichte bzw. den Übergang zu einer Episode aus der Jugend markiert. 209 In unserem Zusammenhang ist die Wendung auch schon deswegen unentbehrlich, weil über das weitere Ergehen der Familie berichtet wird; da es aber hauptsächlich nicht um diese, sondern um Samuel geht, muß die Geschichte dadurch zur Ruhe gebracht werden, daß zuletzt von Samuel das weitere Ergehen berichtet wird, hier also, daß er bei Jahwe aufwächst. Allerdings steht der Satz vom Aufwachsen in keinem Fall 201 Zu den Einzelheiten vgl. Barthélémy Critique 145f. 202 Zur Wurzel vgl. André Destiny, deren Untersuchung für unsere Stelle allerdings unergiebig ist. 203 Vgl. Grossfeld Translation. 204 Vgl. die Belege bei Schottroff Art.PQD Sp.476. 205 Westermann Genesis 11,405. 206 André Destiny 128 rechnet wegen der unklaren Textüberlieferung mit einer Interpolation. 207 Gn 21,8 (Isaak); Gn 21,20 (Ismael); Gn 24,35 (Reichwerden Isaaks); Gn 25,27 (pl.; Esaù und Jakob); Gn 26,13 (Reichtum Isaaks); Ex 2,10.11 (Mose); Jdc 11,2 (pl.; Stiefbrüder Jephtas); Jdc 13,24 (Simson). 208 Siehe dazu -»Evaluation in „Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)" auf Seite 255. 209 Vgl. besonders zu Simson Jdc 13,24: „Und es wuchs auf der Knabe, und es segnete ihn Jahwe", Isaak Gn 21,8; „Und es wuchs auf das Kind und wurde entwöhnt, und es machte Abraham ein großes Fest am Tage der Entwöhnung des Kindes" und Ismael Gn 21,20: „Und es war Jahwe mit dem Knaben, und er wuchs heran und wohnte in der Wüste und wurde ein Bogenschütze".

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

235

allein. 210 Die Passage erfüllt also offenbar die Anforderungen an eine Schlußwendung unserer Geburtsgeschichte nur zum Teil. Es bleibt zu fragen, ob nicht noch weitere Wendungen zum Schluß hinzugehören, und welchen Sinn die Doppelreferenz „der Knabe Samuel" hat. e) Ausgliederung

,Ermahnung der Söhne'

(d)

Der Abschnitt (d) bringt die Reaktion Elis auf die Taten seiner Söhne und k n ü p f t genau an 1,17 an. F ü r unsere gegenwärtige Diskussion ist vor allem wichtig, daß der Abschnitt eine eigene Schlußwendung in V.25b aufweist, die die Verstocktheit der Söhne feststellt und sie als Jahwes Plan zur Vernichtung deutet. Die natürliche Fortsetzung dieser Passage kann dann nur die Erzählung eben dieser Vernichtung in Kap. 4 bilden. Wenn diese Überlegung zutrifft, wäre damit nicht nur die Gottesmann-Perikope, sondern auch die Offenbarungsgeschichte als später anzusetzen. Das Zwischenergebnis haben wir in Tafel 21 auf der nächsten Seite dargestellt. Auf die .Ermahnung der Söhne' folgt mit (4) wieder eine generelle Aussage über Samuel, die schon deswegen schwer unterzubringen ist, weil sie sich von den übrigen stark unterscheidet. Zu nennen sind folgende Punkte: Die Modalkonstruktion; die durch sie ausgesprochene Zwischenstufe; die zweifache D o p p e l u n g (gdl - twb, Jahwe - Menschen); der moralisierende Tenor; die unspezifische Ausdrucksweise; 2 " der Zusammenhang zu Prv 3,4. Außerhalb unseres Textes bietet sich als Parallele die Wendung „in den Augen Gottes und des Menschen" Prv 3,4. Die Wendung holek wegädel wird noch vom Erstarken des Königs Josaphat gebraucht (2.Ch 17,12).212 Eine entfernt verwandte Konstruktion findet sich auch bei David: „Denn besagter war am Aus- und Eingehen vor ihnen" l.S 18,6.2U Die «Modalkonstruktion» bewirkt eine «Periodisierung». Diese und die Schlußwendung qualifizieren (4) als einen eigenen Teiltext, der auf der Ebene der Erzählung die Position des «Fazit» wahrnimmt. Dazu stimmt auch die Verwendung von x-AK . D a ß die Wendung (4) nicht zur Vorlage gehört, ist leicht zu zeigen, da sie nicht an V.21 anschließen kann. Dagegen spricht einmal die gleiche Referenz „der K n a b e Samuel", zum anderen die inhaltliche Doppelung des Themas .Aufwachsen'. Um eine «Klammer» kann es sich aber auch nicht handeln, d a sich die beiden Sätze zu stark unterscheiden. Ebenso klar ist, daß die Wend u n g (4) nicht die Geburtsgeschichte abschließt, weil aus formgeschichtlichen G r ü n d e n dazu die Haltung Jahwes gegenüber Samuel gehört, und die wird erst in (6) formuliert. Wie sie einzustufen ist, hängt demnach auch davon ab, wie .Gottesmann-Perikope' unterzubringen ist, der wir uns jetzt zuwenden. 210

Ciaassen Case 4. „Bei Jahwe und den Menschen" ist viel allgemeiner als „bei Jahwe" allein. 212 Vgl. auch Gn 21,8.20. 213 Stoebe Samuel 110 ad 260. 211

die

236

9. Die Jugendgeschichte 1-3

(4) wehanna'ar Semü'el holek wegädel wätöb gam 'im-yhwh wegam 'irrt-'anäiim (2,26)

Tafel 21. Überleitungen in LS 1,1-4,la (2. Schritt): Zweite Veränderung gegenüber Tafel 17 auf Seite 228; neu ausgeklammert ist (d). f ) Ausgliederung ,Gottesmann'

(e)

Da das Hauptgewicht auf dem überbrachten Gotteswort liegt, beschränkt sich die ,Gottesmann-Perikope' (e) in ihrem erzählerischen Gehalt auf die Auftrittsnotiz V.27. Diese steht unvermittelt. Der Text hat mit dem SamuelKomplex nichts zu tun. Wie er in die Eliden-Schicht paßt, werden wir später bei der ausführlichen Behandlung dieser Passage noch untersuchen. 214 Entfernt man also die Perikope, dann rückt (4) unmittelbar zwischen (3) und (5). Nun ist (5) aber inhaltlich mit der Offenbarungsgeschichte verbunden und (3) entsprechend mit der Vorlage. Daher scheint (4) durch die Einfügung der .Gottesmann-Perikope' ausgelöst zu sein. Es ergibt sich also das in Tafel 22 auf der nächsten Seite dargestellte Bild. Zu der hier angenommenen Verbindung zwischen (4) und (e) paßt auch, daß (4) einem späteren Stil zuzurechnen ist. Schließlich entsprechen sich (4) und (e) auch darin, daß beide ihrer Form nach in diesem Kontext aus dem Rahmen fallen. g) Ausgliederung ,Offenbarungsgeschichte' ( f ) Bevor wir aus diesen Beobachtungen eine Lösung entwickeln, muß noch betrachtet werden, in welchem Verhältnis die beiden Geschichten stehen, die Samuel zum Thema haben, die Geburtsgeschichte und die Ofifenbarungsgeschichte. Dabei ist die eigentliche Offenbarungsgeschichte auf 3,1-18 zu begrenzen. Folgende Möglichkeiten kommen in Betracht: i. Offenbarungsgeschichte als selbständiger Nachfolger der Geburtsgeschichte-. In diesem Fall muß für die Geburtsgeschichte ein eigener Schluß erwartet werden. Sie 21« Siehe „Gottesmann (l.S 2,27-36)" auf Seite 244.

237

9.2 Die Geburt Samuels (l.S 1,1-3,20*)

(4)

wehanna'ar Semü'el holek wegädel 'im- '"näitm (2,26)

wätöb gam

'im-yhwh

wegam

Tafel 22. Überleitungen in l.S l,l-4,Ia (3. Schritt): Dritte Veränderung gegenüber T a f e l 17 a u f Seite 228; neu ausgeklammert sind (4) und (e). m ü ß t e d a n n mit der «Evaluation» in (4) ihr Ende finden.215 Wir haben aber oben s c h o n festgestellt, d a ß (4) aus formgeschichtlichen G r ü n d e n als S c h l u ß unzureichend wäre. ii. Offenbarungsgeschichte als Nachtrag: Für diese A n n a h m e spricht, d a ß die O f f e n b a r u n g s g e s c h i c h t e (f) meist für redaktionell gehalten wird, da sie als Verbind u n g s s t ü c k zwischen der S a m u e l - und der Silo-Tradition gilt. 2 1 6 Z u klären bleibt aber, wie diese Verbindung im einzelnen aussieht.

Wenn die Offenbarungsgeschichte redaktionell ist, dann muß sie nicht an die Geburtsgeschichte angehängt, sondern kann in sie eingebettet sein. Sie würde dann den Schluß der Geburtsgeschichte gewissermaßen mitbenutzen und allenfalls noch ergänzen. Ob dies zutrifft, wollen wir jetzt im einzelnen untersuchen. Die Einleitung der Offenbarungsgeschichte (5). Die Formel vom MinistrantSein Samuels (5) ist als Einleitung zur Offenbarungsgeschichte anzusetzen, weil sie nur hier durch den Gang der Erzählung aufgenommen wird. Sie bildet also mit der Offenbarungsgeschichte eine Einheit, so daß wir (5) und (f) gemeinsam ausgliedern können. Es ergibt sich nun das in Tafel 23 auf der nächsten Seite dargestellte Bild. Damit ist die Diener-Gruppe I aus Tafel 19 auf Seite 230 vollständig ausgegliedert. Rahmung (3)-(6). Damit sind aber nun (3) und (6) aneinandergerückt. Zwar verzeichnet unsere Tabelle auch hier Unterschiede, aber es handelt sich dabei 215 Auch Noth Samuel 150 sieht in V.21b.(26) einen deutlichen Abschluß, geht aber nicht näher auf die Frage nach dem Verhältnis der beiden Verse ein. 216 Vgl. Noih Samuel 397.

238

(3)

9. Die Jugendgeschichte 1-3

wayyigdal hanna'ar Pmü'el 'im-yhwh (2,21b) (d) Vermahnung der Söhne (2,22-25) ~| (4)

wehanna'ar Semü'el holek wegädel wätöb gam 'im-yhwh 'im- '"näiim (2,26)

wegam

Tafel 23. Überleitungen in LS l,l-4,la (4. Schritt) : Vierte Veränderung gegenüber Tafel 17 auf Seite 228; neu ausgeklammert sind (5) und (f); zugleich rücken (4) und (e) eine Ebene tiefer. u m Ü b e r s c h ü s s e von (3), die sich a u s d e n A n f o r d e r u n g e n des K o n t e x t e s erklären lassen. D i e g r o ß e syntaktische u n d inhaltliche Ä h n l i c h k e i t m a c h t d e u t l i c h , d a ß hier e r n e u t eine «Klammerung» vorliegt. Ausgelöst ist sie d u r c h die E i n f ü g u n g d e r Eliden-Passagen. Bei einer «Klammereinbettung» m u ß stets auch die Frage gestellt w e r d e n , welche d e r beiden K l a m m e r n d u r c h d e n E i n s c h u b ausgelöst u n d welche d e r u r s p r ü n g l i c h e Text ist. In u n s e r e m Fall liegt der Unterschied in der zusätzlichen A n g a b e „bei J a h w e " (bzw. Q u m r . „vor J a h w e " ) in (3) u n d in d e r zusätzlichen R e f e r e n z auf S a m u e l m i t „der K n a b e " ebenfalls in (3). Diese U n t e r s c h i e d e zwischen (3) u n d (6) lassen sich a u s d e r K o n z e p t i o n der E i n f ü g u n g erklären. i. Die zusätzliche Referenz auf Samuel mit „der Knabe" spricht indirekt die Epoche an, in der die Verfehlungen der Eliden geschehen, während (6) das Heranwachsen bis zum Erwachsensein einschließt. ii. Das Heranwachsen „bei Jahwe" beruht auf der redaktionellen Konzeption von Samuels Aufwachsen am Tempel. Nach dem Konzept der Vorlage wird Samuel zwar Jahwe geweiht; das schließt aber noch nicht zwangsläufig ein, d a ß er auch am Heiligtum aufwächst. D a m i t ist (3) e i n d e u t i g als s e k u n d ä r e K l a m m e r identifiziert. (6) q u a l i f i z i e r t sich also als S c h l u ß d e r Geburtsgeschichte.

9.2 Die Geburt Sarauels (l.S 1,1-3,20*)

239

(a) Geburt (1,1-2,1 la) (1) wehanna'ar häyäh meSäret 'cet-yhwh 'at-pene 'elt hakkohen (2,1 lb) j (b) Bosheit der Söhne (2,12-17) (2) üiemü'el meSäret 'cet-peneyhwh na'ar hägür 'epöd bad (2,18)

(4) wehanna 'ar Semü 'ei holek wegädel wätöb gam 'im-yhwh wegam 'im-'anäSim (2,26)

Tafel 24. Überleitungen in l.S l,l-4,Ia (5. Schritt): Fünfte Veränderung gegenüber Tafel 17 auf Seite 228; neu ausgeklammert ist (3). Dieses Zwischenergebnis zeigt drei verschiedene Schichten, enthält aber noch nicht die redaktionellen Eingriffe innerhalb der Texte (a) bis (g). h)

Zwischenbilanz

Damit haben wir die eingangs gestellte Aufgabe gelöst und den ursprünglichen Schluß der Geburtsgeschichte, zumindest aber den Anfang dieses Schlusses aufgefunden. Tafel 24 auf dieser Seite zeigt das vorläufige Zwischenergebnis, in dem drei Schichten erkennbar werden. Zu klären bleibt noch, welche Teile des folgenden Kontextes diesem Schluß noch zuzurechnen sind. Wir werden auf diese Frage zurückkommen, sobald wir die eingefügten Texte genauer analysiert haben. 217 Dieses Teilergebnis haben wir zunächst nur durch die Analyse der „Scharnierwendungen" und der „Blöcke" aus Tafel 17 auf Seite 228 gewonnen. Nicht berücksichtigt ist dabei, daß diese Blöcke auch ihrerseits überarbeitet sein könnten. Wir werden also bei der folgenden Analyse der Einzelteile auch darauf zu achten haben, ob sich durch etwaige Überarbeitungen ein Anlaß zur Änderung unserer Hypothese ergibt. Ehe wir nun mit der Exegese der Blöcke (a) bis (g) fortfahren, möchten wir zwei Besonderheiten der bisherigen Darstellung hervorheben. Wie bei den anderen redaktionellen Figuren wollen wir uns also einer möglichst genau bestimmten Terminologie bedienen. Allerdings können wir unsere Auslegung dadurch entlasten, daß wir die systematische Behandlung dieser Figuren im zweiten Teil „Theorie der redaktionellen Handlungen" auf 217

Siehe in „Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)" auf Seite 255.

240

9. Die Jugendgeschichte 1-3

Seite 113 der Arbeit zusammenhängend vornehmen. Erscheint also ein Terminus ohne nähere Erläuterungen als «Terminus», dann wird damit zugleich auf die entsprechende Darstellung im systematischen Teil der Arbeit hingewiesen. Unser erstes Beispiel für eine «Klammereinbettung» ist insofern untypisch, als der eingeschlossene Text seinerseits keine „kleine Einheit" bildet, sondern selbst noch recht komplex ist. Wir müssen also später darauf zurückkommen, wollen hier aber schon darauf hinweisen, daß solche redaktionellen Vorgänge in vielen Fällen «rekursiv» sein werden. So wie in eine Redewiedergabe erneut ein Redewiedergabe eingebettet werden kann und so fort (vgl. Jer 45), so kann auch in eine Texterweiterung erneut etwas eingebettet werden.

9.3

Frevel der Söhne und Ermahnung

Der Zusammenhang zwischen dem Frevel der Söhne (V. 12-17) und ihrer Ermahnung (V.22-26) wird zwar durch die Fortsetzung der Geburtsgeschichte unterbrochen, bildet aber einen nahtlosen Zusammenhang. In dieser Passage treten die sonst eher spärlichen Formen mit nun paragogicum 218 gehäuft auf. 2 ' 9 Auf den ersten Blick wirkt der Abschnitt V. 12-17 einheitlich. Es ergeben sich aber insbesondere am Ende Unstimmigkeiten, die zu einer Überprüfung nötigen. Insbesondere ist zu klären, was als Beschreibung der gängigen Praxis beim Opfer zu gelten hat 220 und was als Beschreibung der Verfehlungen. 9.3.1

Ausgliederung des ,Opfermißbrauchs' (LS

2,13-16)

Im Anfangsteil, in dem es um die Verfehlungen der Eliden geht, fällt zunächst auf, daß keinerlei spezifischer Zusammenhang mit dem Erzählkontext besteht. Daher ist zu prüfen, ob es sich um ein ursprünglich selbständiges Stück handelt. Zuordnung der , Weise der Priester' (V. 13-14a). Der Abschnitt V. 13-1622' könnte insgesamt als Anklage aufgefaßt werden. Dann würde dreimal der Vorwurf des Vorgriffs erhoben: Das Holen mit der Gabel greift der Zuteilung des Opferherrn vor; das Fleisch ist noch roh; das Fett ist noch nicht verbrannt. Dies würde bedeuten, daß sich der Priester aus der Gemeinschaft ausschließt und sich anmaßt, noch vor der Gottheit zum Zuge zu kommen. 222 Nun läßt sich aber „die Weise der Priester" V. 13a schlecht als weiteres Objekt zu „kennen" V. 12 ziehen; vielmehr bildet es die Überschrift zum Folgenden und qualifiziert es positiv als „Gerechtsame des Klerus". 223 Der An21

8 IIoftijzer Function. 2 " Eine Auswertung dieses Befundes scheint aber bei der gegenwärtigen Forschungslage noch nicht möglich, vgl. auch Hoflijzer Search 231 f. 220 Vgl. hiercu Edelmann Meaning 396-398. 221 Zu den Text-Abweichungen bei Qumr. Catastini Varianti 276f. 222 Ron Studien 88. 223 Stoebe Samuel 111; vgl. auch 108 ad 13a .

9.3 Frevel der Söhne und Ermahnung

241

fang des Abschnittes stellt also zunächst das übliche Verfahren dar; vor diesem Hintergrund kann dann der Mißbrauch gezeigt werden. Die inkriminierte Praxis (V.14b-16). Dieser dialektische Charakter des Abschnitts findet seinen Niederschlag nun auch in der sprachlichen Form. Der ersten V.13a tritt als eine zweite Uberschrift V.14b gegenüber; denn entgegen der Versteilung schließt V.14b nicht die Gerechtsame ab, sondern leitet den Mißbrauch ein. Zwar wird käkä meist «anaphorisch» verwendet, in einigen Fällen aber auch «kataphorisch».221 Wir nehmen daher an, daß der Satz hier auf die folgende Schilderung des Mißbrauchs zu beziehen ist. Dann ergibt sich eine zweigliedrige Struktur: 13 14b

Und die Weise der Priester gegenüber dem Volk (war:) < gängiger Brauch > Solchermaßen taten sie ganz Israel den Kommenden dorthin in Silo < Mißbrauch >

War die Gerechtsame im generalisierenden Singular gehalten, so wird jetzt mit dem Plural wieder auf die Eliden referiert, während das dann folgende Stück wiederum im Singular und zudem von anderen Handlungsträgern (Priester und Gehilfe) spricht. Zugleich wird mit der Referenz auf Silo das sich dort Abspielende der allgemeinen Gepflogenheit gegenübergestellt. Allerdings wirkt die Wendung ,den Kommenden dorthin in Silo' (V.14b) überfüllt. Dies ist ein Indiz dafür, daß die Formulierung bei der Einfügung des unabhängigen Stückes so gestaltet worden ist, um es mit dem Elidenfaden und Silo zu verbinden. Schließlich ist noch zu beachten, daß die «Gradpartikel» gam „auch" hier nicht die Gesamtaussage qualifiziert, also eine zweite Verfehlung meint, sondern die Konjunktion betxrcem V.15, so daß zu übersetzen ist: „noch ehe". 225 9.3.2

Der Charakter des Abschnitts

Die Schilderung von Brauch und Mißbrauch hebt sich also nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich so deutlich vom Kontext ab, daß sie ursprünglich selbständig gewesen sein dürfte. 226 Ist aber diese Passage als Einfügung erkannt, dann wird auch deutlich, daß die Ermahnung Elis mit keinem Wort eine speziell priesterliche Verfehlung voraussetzt, sondern im Gegenteil ganz vage bleibt, was die Art der Verfehlungen angeht. 227 Der eingefügte Abschnitt endet zunächst mit dem Ende der generalisierenden Darstellung V.16. Die Bewertung V.17. Der Vers bildet die «Evaluation» der vorangehenden Schilderung, ist aber bei genauer Betrachtung uneinheitlich. Der Widerspruch zwischen „Knaben" V.17a und „Männer" V. 17b dürfte dadurch entstanden sein, daß ein Subjekt „Männer" V.17b nachträglich nach dem Vorbild von Nu 16,30 eingefügt wurde, um das Objekt „die Gabe Jahwes" von dem theo22-» Ex 12,11; l.R 1,48; Jer 19,11. 225 Damit entfällt auch die Annahme eines Mißverständnisses bei Stoebe Samuel 111. 226 Zu diesem Ergebnis kommt, freilich von anderen Voraussetzungen aus, auch Rost Studien A.9, der sich gegen die „ahistorische Betrachtung" bei Stoebe Samuel llOf wendet. 227 „Alle" V.22 läßt eher an eine unbestimmte Vielfalt von Verfehlungen denken.

87

242

9. Die Jugendgeschichte 1-3

logisch anstößigen Verbum „verachten" zu trennen. 228 Freilich bleibt dann zu klären, warum nicht der Begriff „Knaben" weiterbenutzt wird. Befriedigend läßt sich das nur erklären, wenn es sich hier um eine andere Schicht handelt, in der die Eliden nicht in ihrer Relation zu ihrem Vater, sondern als eigenverantwortliche Gestalten angesehen werden. In der Tat sind beide Vershälften unterschiedlichen Schichten zuzurechnen, wie wir sogleich sehen werden. In V.17a wird das Stichwort „Sünde" eingeführt, das dann als Haftpunkt für Elis Erklärung über das Sündigen gegen die Gottheit V.25 dient und zugleich das ebenfalls in V.25 geäußerte Urteil Jahwes über die Söhne vorbereitet. Demgegenüber wird in V.17b das Stichwort „Opfergabe" eingeführt, das in V.29 wiederkehrt und also den Zusammenhang zu der Anklage des Gottesmannes herstellt. Wir nehmen daher an, daß V.17a zur Vorlage gehört und durch die Einfügung von V.17b so präzisiert werden soll, daß die Opferthematik erkennbar wird. Die Söhne der Bosheit. Die Vorlage spricht also nur sehr allgemein davon, daß die Söhne Bösewichter waren. Der Ausdruck bene beliyya'al (V.12)229 begegnet wieder für die Gegner Sauls (LS 10,27). Eine ebenfalls so pauschale Charakterisierung wird auch den Söhnen Samuels zuteil werden (LS 8,3). Die Vorlage beschränkt sich also darauf, das Ausmaß der Sünde in den Blick zu nehmen, ohne diese näher zu konkretisieren. 9.3.3

Der Zweck des Einschubes

Diese Vagheit der Anschuldigung fordert eine redaktionelle Konkretisierung geradezu heraus, so daß hier zumindest der «Textort» der Einfügung klar zutage liegt. Anders als bei der Sexualnotiz (V.22b) bedarf aber die Einfügung eines solchen Stückes eines handfesten Motivs. Um es dingfest zu machen, müssen wir auf das .Wort des unbekannten Gottesmannes' (V.27-36) vorgreifen. Denn da dieses auf eine Verstoßung vom Priesteramt abzielt, muß auch eine entsprechend spezifische Verfehlung vorliegen. Nur diese beiden Stücke in unserem Kontext sind so spezifisch priesterlich orientiert. Wenn diese Hypothese zutrifft, dann wird zugleich deutlich, daß das Verdikt über die elidische Priesterschaft keineswegs wie ein Blitz aus heiterem Himmel in den Text eingesprengt ist, sondern von der Redaktion sehr sorgfältig auf der Erzählebene vorbereitet wird. Diese redaktionelle Querverbindung versuchen wir terminologisch dadurch zu erfassen, daß wir die Einfügung als «Anker» für das «Schiff» V.27-36 betrachten; wenn wir letzteren Abschnitt behandeln, werden diese Annahme überprüfen können. 228 McCarthy Tiqqune 206f; für diesen Befund spricht auch, daß der Ausdruck „Männer" in „Ms Qumr. Sept." fehlt. "9 Vgl. Dt 13,14-, Jdc 19,22-, Jdc 20,13; l.S 25,17.25; 2.S 16,7; 2.S 20,1; LR 21,10; 1.R 21,13; Maag Belijaal 221-230; vgl. auch 2.Ch 13,7; 2.S 23,6; Hi 34,18; Crüsemann Widerstand 105f.

9.3 Frevel der Söhne und Ermahnung 9.3.4

Ermahnungen Elis (LS

243

2,22-26)

Die Passage von den Ermahnungen Elis schließt nach der Unterbrechung durch die Geburtsgeschichte nahtlos an die Vorlage V.17a an. Die Verfehlungen (V.22). Sie bestätigt indirekt unsere Ausgrenzung der Opfer-Schilderung dadurch, daß sie nur ganz global von Verfehlungen redet, und auch mit keinem Wort die Söhne Elis als Priester voraussetzt, dann aber ebenfalls versucht, die Sünde zu konkretisieren, indem sie den Eliden Beteiligung an der Tempelprostitution vorwirft. Zu den Kultfrauen liefert Ex 38,8 eine Parallele. 230 Eine literarische Abhängigkeit 231 ist aber wohl nicht anzunehmen. Daß die Einfügung recht jung ist, wird jetzt durch die Auslassung in Qumr. bestätigt. 232 A m besten erklärt sich diese Einfügung, wenn der Redaktor mit diesem Einschub gegen die Tempelprostitution seiner eigenen Zeit Front machen will.233 Zusammenhang (V.22-26). Diese Tadelrede Elis, auf die später nicht mehr bezuggenommen wird, paßt weder zur Gottesmann- noch zur Offenbarungsgeschichte. Sie gipfelt in dem kasuistischen Doppelsatz, der die Schwere und den besonderen Charakter des Vergehens deutlich machen soll. Diese Rede knüpft mit dem Stichwort „Sünde" an V.17a an. Unklar ist, wie pll23A im pi. vom hitp. abzusetzen ist. Ersteres begegnet nur noch dreimal 235 und ist an keiner Stelle richtig klar. 236 Möglicherweise steht hinter dem Sprichwort das als Gottesurteil bekannte Verfahren. 237 Die Rede zeigt zugleich Elis Ohnmacht. Man könnte daher auf den Gedanken kommen, daß Eli hier entschuldigt werden soll. Das wäre aber nur plausibel, wenn die Passage der Gottesmann- bzw. der Offenbarungsgeschichte zeitlich nachzuordnen wäre, wofür es keine Anhaltspunkte gibt. Entgegen der Tendenz dieser späteren Passagen, Eli und seine Söhne über einen Kamm zu scheren, muß die große Distanz beachtet werden, die hier zwischen Eli und seinen Söhnen aufgerichtet wird: Es ist einzig und allein ihr eigenes Schicksal, von dem sie sich auch durch die Warnungen des alten Vaters nicht haben abbringen lassen, und es fällt in keiner Weise auf Eli zurück. Bestätigt wird dies auch durch die unmittelbar folgende Aussage, daß Jahwe selbst die Söhne untergehen lassen will. Moral (V.26).

Die Schlußwendung lautet:

Und nicht hörten sie auf die Stimme ihres Vaters, denn beschlossen hatte Jahwe, sie zu vernichten. 230 Dort ist die Rede von den „Spiegel(n) der diensttuenden Weiber, die Dienst tun am Eingang des Offenbarungszeltes". Zur archäologischen Verankerung Eißfeldt Kultzelt 53 A.8. 231 Vgl. Stoebe Samuel 109.115f. 232 Nach Catastini Varianti 277f könnte es sich um P-Redaktion handeln. 233 Zum Fortwirken des Motivs vgl. 2.Makk 6,4. 234 Literatur bei Ward Superstition 1. 23 5 Gn 48,11; Ez 16,52; Ps 106,30. 23 6 Vgl. Houtman Samuel 416; Stoebe Samuel 108 übersetzt: „so ist Gott sein Sachwalter". 237 Ward Superstition 19.

244

9. Die Jugendgeschichte 1 - 3

Sie n i m m t zu den inneren Zusammenhängen aus der Sicht des Erzählers Stellung und gibt eine knappe theologische D e u t u n g des Geschehens. D i e W e n d u n g „beschließen zu töten" findet sich in verneinter Form in Jdc 13,23. D e r propagierte Zusammenhang ist als Verstockung zu identifizieren, obgleich die sonst üblichen Stichwörter fehlen. 2 3 8 D a m i t ist ein wichtiger Abschluß erreicht, der aber zugleich eine Erwartung weckt: D a ß nun vom Untergang der Eliden erzählt wird. Es handelt sich also nicht um ein definitives Schlußsignal, sondern um einen «Wartepunkt». Er schließt einen Zusammenhang vorläufig ab, weckt aber zugleich die Erwartung nach einer bestimmten Fortsetzung. Hier wird diese Fortsetzung in Kap. 4 im Zusammenhang mit dem Verlust der Lade gegeben.

9.4

Gottesmann (l.S 2,27-36)

Fast völlig aus dem erzählerischen R a h m e n fällt die nun zu besprechende Perikope vom Auftreten eines unbekannten Gottesmannes; denn bis auf die knappe Auftrittsnotiz am Anfang enthält sie nur Redewiedergabe. 9.4.1

Abgrenzung

Während der Anfang des Prophetenwortes durch die Exposition eindeutig markiert ist, wird das Ende nur indirekt durch die nächste Erzählung (K.3) abgegrenzt. W o das eigentliche Prophetenwort endet, ist deswegen schwer auszumachen, weil offenbar eine Reihe von Erweiterungen eingefügt worden sind. Besonders deutlich ist dies am Ende der Perikope: V.36 wird durch ein eigenes Zeit-Signal ( w e h ä y ä h ) v o m vorangehenden Text abgegrenzt. 9.4.2

Der Rahmen: Auftreten

des Gottesmannes

(V.27a)

Der Gottesmann tritt unvermittelt und ohne weiteren Kontext auf, ähnlich wie in Jdc 6,8-10, wo ein ungenannter Prophet auf die Klage des Volkes wegen der Midianiter antwortet. A u c h er weist auf Ägypten hin. Überhaupt läßt sich zwischen den Bezeichnungen als .Prophet' und als .Gottesmann' kaum trennen; manchmal werden sie gleichgesetzt, 2 3 9 manchmal getrennt. 240 A u c h als Selbstbezeichnung findet sich der Titel „Gottesmann". 2 4 1 Es ist daher schwierig, Gottesmann und Prophet kontrastiv gegeneinander abzugrenzen. 2 4 2 Was der Titel „Gottesmann" religionsgeschichtlich bedeutet, ist schwer zu sagen. 2 4 3 Zu unterscheiden ist zwischen namentlich genannten Gottesmännern 238 Siehe -»Verslockung in Wonneberger Gliederung. 239 l.S 9,6f.-8; l.R 17,18.24-19,16; vgl. auch l.R 13,8; LR 19,16-, LR 18,22. 240 l.R 20,/J.22(Prophet); V.28 (Gottesmann) . 211 2.R 1,10.12; vgl. l.R 13,14. 212 Zuordnung des Gottesmannes zur privat-kreatürlichen Sphäre bei Weslermann Arl.Propheten Sp.l499f (A.I.4) und Bergmann Rettung 199. 243 Vgl. Bratsiotis Art.'is; dort auch weitere Literatur; Versuch einer Herleitung aus dem kanaanäischen Bcreich bei Bergmann Rettung 199. Koch Profeten 1,25 verweist auf die vorisraelitische Bezeichnung in Ugarit.

9.4 Gottesmann ( l . S 2 , 2 7 - 3 6 )

245

wie Mose 244 oder David 245 — hier weist schon die Herkunft der Belege auf spätere Zuschreibung — , Samuel, 246 Elia, 247 Elisa, 248 Semaja 249 und Jigdalja 250 auf der einen Seite und anonymen Gottesmännern auf der anderen. 251 Weiter ist zu beobachten, daß die Belege vor allem dem deuteronomistischen Schrifttum zugehören und auf das Nordreich deuten. 252 Der Gottesmann wendet sich an Eli, 253 obgleich von diesem nicht nur keine Verfehlung berichtet wird, sondern er sogar die Söhne vermahnt hat. Dies ist ein erster Hinweis darauf, daß es hier um die Abrechnung mit dem ganzen Priestergeschlecht geht, personifiziert im Ahnherrn. Als Parallele für unseren Text kommt l.R 13 in Betracht, auf den wir unten zurückkommen werden. Er enthält ebenfalls das Auftreten eines unbekannten Gottesmannes, hat aber auch im Blick auf die Redaktion einige Gemeinsamkeiten. 9.4.3

Die Unheilsankündigung

(V.27-30)

Das vom Gottesmann ausgesprochene Wort zeigt deutliche Formmerkmale der Prophetie, so daß sich die Gliederung unserer Untersuchung fast von selbst ergibt. Die Hauptschwierigkeiten setzen jedoch erst bei der Zukunftsschilderung V.31 ein. Prämisse ( V.27DE.28). Der Terminus Begründung ist ungeeignet, wenn der entsprechende Teil der eigentlichen Weissagung vorangeht. Wir benutzen daher den Begriff „Tatbestand", und zwar als Oberbegriff sowohl für Lagehinweis als auch Scheltwort (Tatvorwurf). 254 Da die Fragepartikel für den Teiltext «Scheltwort» charakteristisch ist, ist die textkritische Alternative so zu deuten: Aussageform die Passage ist als geschichtlicher Rückblick zu verstehen und als Lagehinweis einzustufen; Frageform die Partikel markiert den Beginn des Scheltwortes, der Rückblick ist also auch schon Vorwurf.

Diese Beobachtung spricht dafür, daß die Lesart ohne Frageform ursprünglicher ist. In jedem Fall zeigt die figura etymologica an, daß der Satz eine besondere Funktion hat. Dasselbe gilt für V.30. Die Benennung für diese Beobachtung soll sich nun aber weder auf den stilistischen Bereich beschränken („Nachdruck", „Betonung"), noch soll sie den weiteren Textverlauf voraussetzen. 244 Dl 33,/, Jos 14,6; Ps 90,/; Esr 3,2; I.Ch 23,¡4; 2.Ch 30,16. 245 ,\eh 12,24.36; 2.Ch 8,14. 246 Ob er dazu zählt, hängt von der literarischen Beurteilung von l.S 9 ab. 247 l.R 17,18.24; 2.R 1,9-13. 248 2.R 4,7-13,19; insgesamt 27-mal; Bergmann Rettung 199. 249 l.R 12,22; 2.Ch 11,2. 250 Jer 35,4. 251 Jdc 13,6-8; (I.S 9,10); l.R 13,1-31; l.R 20,28-31; 2.R 23,16f; 2.Ch 25,7-9. 252 Hallevy Man 243f A.19 ordnet den Gottesmann dem Nordreich, speziell Ephraim, zu, so daß sich das Verschwinden aus dem Untergang des Nordreiches erklärt. 253 Gunneweg Leviten 165 nimmt an, daß mit Eli eigentlich Elieser ben Mose gemeint sei. 254 Vgl. Koch Formgeschichte 232-237.

246

9. Die Jugendgeschichte 1-3

Wir sprechen daher von Prämisse, 255 wählen also einen Begriff aus der Argumentationstheorie. Bei der Bezugnahme auf Ägypten (V.27) bieten Qumr. Sept. Targ. zusätzlich 'abädim „Knechte". Der textkritische Befund erlaubt es hier, diese Lesart zu übernehmen, 256 zumal ein Zusammengehen von Qumr. und Sept. immer zu einer genauen Prüfung führen muß, ob nicht eine eigenständige Rezension vorliegt. 257 Sachlich wird dadurch allerdings wenig verändert. Trotz der Bezugnahme auf die Knechtschaft in Ägypten (V.27) liegt keine literarische Beziehung zu JE vor. 258 Die Formulierung „erwählen aus allen Stämmen Israels" (V.28) kann als deuteronomistisch gelten. 259 Die Konzeption vom „Tragen ns' des Ephod" (V.28) findet sich nur noch in LS 14,3.I8(LXX) und LS 22,18; der Gebrauch von ns' zeigt, daß es sich nicht wie sonst (z.B. LS 2,18) um ein Kleidungsstück handeln kann. Es liegt hier also eine eigenständige Konzeption vom Ephod vor. 260 Der Ausdruck maön (V.29) ist hier wie V.32 textlich unklar. 261 Zahlreiche Einzelindizien weisen auf Dtr; sie lassen den Schluß zu, daß der Anfang der Jahwerede (V.27f) deuteronomistische Erweiterung ist. Sie hat die Aufgabe, Verleihung und Inhalt des Priesterprivilegs zu vergegenwärtigen. Geregelt sind die Einkünfte der Priester im Priestergesetz (Dt 18,1-8). Auch das Vorzugsrecht der Feueropfer 262 weist auf das Priestergesetz (Dt 18,1).262 Hier soll offenbar deutlich werden, daß die Eliden von Jahwe durch die Feueropfer an sich gut versorgt sind. Anklage (V.29ABD). Die Proform lämmäh „warum" signalisiert eine Frage, die hier nur rhetorisch verstanden werden kann. 264 Sie qualifiziert den Satz damit als Scheltwort. Denn der Sprechakt „Vorwerfen" wird vor allem durch Wort- 265 und Satzfragen 266 vollzogen. 267 Auffällig ist die Divergenz des Tatvorwurfes zu V.22-25. Geht es hier um einen sehr konkreten Mißbrauch, so ist dort ganz generell vom „Frevel an der Gottheit" die Rede. Der Tatvorwurf steht im Plural, bei Qumr. Sept. dagegen im Singular. Aus textkritischer Sicht scheint es sich dabei um eine Erleich255 Es wäre zu prüfen, ob nicht die figura etymologica dem Hörer signalisiert, daß noch ein zweites Element zu erwarten ist. 256 Vgl. die Diskussion bei Barthélémy Critique 147f, der dies für möglich hält, jedoch bei M T bleibt. 257 Vgl. auch die in Wonneberger Leitfaden 95 genannte Literatur. 258 Vorländer Entstehungszeit 108f. 259 Dt 12,5 (Erwählung eines zentralen Gottesdienstortes); Dt 18,5 (Erwählung der levitischen Priester) 2.R 21,7 (Erwählung des Tempels); Gunneweg Leviten 113; zum Terminus Vriezen Erwählung 36f. 260 Veijola Dynastie 40-42 stuft diese Konzeption vom Ephod als deuteronomistisch ein. 261 Vgl. Barthélémy Critique 148f; McCarter Samuel will srt 'yn „selfish eye" für sr m'wn lesen. 262 Zum Begriff vgl. Edelmann Meaning 396 A.5. 263 Gunneweg Leviten 113. 264 Zur Differenzierung der Warum-Fragen vgl. Michel Warum; Jepsen Warum; insbesondere zum Psalter: Westermann Struktur. 265 Gn 37,10; Gn 44,4b-5; Neh 13,17f; Ps 52,3-6; Marken Scheltwort 243-250.254-257; vgl. auch einen Brief aus Mari, dazu Koch Formgeschichte 264. 266 2.R 1,3.6; Am 2,1 I f ; Koch Formgeschichte 259; Markert Scheltwort 252-254; vgl. auch die Vorverlegung des Scheltwortes in l.S 2,27; manchmal fehlt dabei auch die Partikel, z.B. Ez 33,25f; dazu Markert Scheltwort 250-252. 267 Markert Scheltwort 259f.

9.4 Gottesmann (l.S 2,27-36)

247

terung zu handeln. 268 Jedoch gibt es auch die Möglichkeit einer redaktionellen Erklärung, auf die wir zurückkommen werden, sobald wir V.29b analysiert haben. Zwar begegnet auch der «Promulgationssatz» (V.29), aber ob sich die Passage damit insgesamt auf DtrG zurückführen läßt, bleibt fraglich. Eine Verbindung zu V. 13-17 wird durch den Ausdruck minhäh (V.29) geschaffen, 269 der in Dt gänzlich fehlt. Ausgliederung ,Bevorzugung der Söhne' (V.29b). Dafür, daß der Vorwurf von der Bevorzugung der Söhne V.29B redaktionell ist, lassen sich folgende Argumente anführen: Die Anrede wechselt abrupt von pl. zu sg. und wieder zurück zu pl.-, die eigentliche Anklage wird unterbrochen und geschwächt; die „Söhne" sind, abgesehen von V.34, nur hier verankert. Demnach hat der Satz die Aufgabe, das Prophetenwort enger an den Kontext zu binden. Anscheinend soll damit die Spannung zu Elis Vermahnung ausgeglichen werden: Zwar hat er die Söhne vermahnt, sie aber letztlich doch gewähren lassen. Es hat also eine Intention gegeben, Eli zu belasten, und es wäre denkbar, daß diese Redaktion auch den Plural am Versanfang in den Singular geändert hätte, wie er von Qumr. Sept. bezeugt wird. Dann müßte freilich erklärt werden, warum sich in MT der Zustand der Vorlage halten konnte. Es besteht also nach strengen textkritischen Kriterien kein Anlaß, von MT abzurücken. Das Beispiel zeigt aber, daß textkritische und redaktionelle Intentionen und Überlegungen eng bei einander liegen. Tilgt man diese Einfügung, so ergibt sich auch für maön eine neue Lösung. Es rückt dann nämlich le'ammi an maön, so daß sich als Vorlage ergibt: „Welches ich geboten habe als Hilfe für mein Volk". 270 Urteil (V.30). Mit der Proform läken wird der Übergang zum zweiten Hauptteil des Prophetenwortes vollzogen. 271 Dieser zweite Teil enthält das .Urteil', das hier mit der .Rücknahme einer Zusage' beginnt. Die Spruchformel (ne'um yhwh) ist hier durch das Attribut „Gott Israels" erweitert, 272 während sie im zweiten Versteil ohne Erweiterung steht. Sie ist als «Substitution» zu beschreiben. 273 Durch das Attribut wird nun zusätzlich die Gliederungskraft fein abgestuft: Das erstemal, beim Übergang zum Urteil, gliedert sie stärker als das zweitemal, beim Übergang zur Antithese. Die Begründung wird in einem knappen Spruch im antithetischen Parallelismus gegeben, durch den eine Art Tun-Ergehen-Zusammenhang formuliert wird. 274 268 Vgl. die Diskussion bei Barthélémy Critique 147f. 269 Stoebe Samuel 117. 270 Ahnlich Martin Metzger mündlich am 26.6.1982 mit Hinweis auf HAL Ait.maôn I. 271 V.30 wird von Jepsen Nabi 121 als nebiistisch eingestuft. 272 Veijola Dynastie 35f verweist auf I.R 1,30.48 und ordnet sie DtrG zu. 273 Siehe Wonneberger Gliederung. 274 Vgl. auch die Verwendung in der rabbinischen Diskussion um die Gerechtigkeit Gottes, z.B. S'umR 8,6 ad 5,6 (2/d); Nissen Gott 157 A.260; 204 A.500.

248

9. Die Jugendgeschichte 1-3

Gerichtswort. Das Urteil selber lautet auf Rücknahme des Priesterprivilegs. Dem steht die zuvor gegebene unverbrüchliche Zusage entgegen. Der Widerspruch wird argumentativ gelöst, indem in der Begründung auf den TunErgehen-Zusammenhang hingewiesen wird, grob gesagt: „Wie du mir, so ich dir!". Bemerkenswert ist nun aber, daß dies dem Privileg übergeordnet wird. Damit wird Jahwe indirekt ein Akt der Reue unterstellt, der explizit allenfalls in häliläh „es sei ferne" Ausdruck findet. Es begegnet hier also schon ein Handlungsmuster, das später bei Saul noch eine wichtige Rolle spielen wird. 275 Bei häliläh handelt es sich um die einzige unter 20 Stellen, in der Jahwe selbst spricht und sich die Verwahrung nicht nur auf potentielle, sondern auf schon erfolgte Handlungen bezieht. Der Urteilsspruch enthält keine Strafe im engeren Sinne. Der Tod der Söhne wird nicht als Strafe, sondern als Zeichen eingestuft. 276 Der Urteilsspruch hat also von vornherein nicht die Bestrafung von Fehlverhalten, sondern die Korrektur einer Fehlbesetzung im Auge, also nicht nur negativ die Absetzung der Eliden, sondern auch die Bestellung besserer Nachfolger. Diese Konsequenz wird schon in V.35 ausgesprochen. Er wird daher am besten aus einer Situation verständlich, in der nicht nur eine Umbesetzung vorliegt, sondern diese auch der besonderen Legitimierung bedarf. Wir werden auf die Frage der Herkunft später zurückkommen. 9.4.4

Die Zukunftschilderung

( V.31-36)

Da der Text wenig Anhaltspunkte für literarische Beobachtungen zu bieten scheint, hat sich die Analyse bisher vor allem auf die Querverbindungen zu anderen Texten gestützt. Alle Analysen sind aber dadurch vorbelastet, daß der Text an einigen Stellen verderbt erscheint. 277 Vers 31f

Stelle

Inhalt

Epoche

LS 22,6-19

Priester v.Nob

Saul

1.R 2,26f 1.R 2,27b

Verstoßung Ebjatars Erfüllungsvermerk

Salomo

33

LS 22,20-23

Abjatar entrinnt aus Nob

Saul

34

l.S 4,11

Tod der Eliden

Eli

35

LS 3f

Samuel

Eli

1.R 2,35

Zadok

Salomo

Kultreform

Josia

36 Tafel 25.

| l.R 23,8f

Bezugspunkte der Weissagungen in LS 2,31-36

Vgl. LS IS,26.29. Gunneweg Leviten nimmt an der UnVerhältnismäßigkeit zwischen Tod der Söhne und bloßer Zeichenfunktion Anstoß, deutet dies aber als Uminterpretation einer ursprünglichen Weissagung auf die Verhältnisse von I.R 2,27. 277 Die weitgehenden Emendationen bei Seebass Text 76-81 führen zu einem so einfachen Sinn, daß schwer einzusehen ist, wie der Text so in Unordnung geraten konnte.

9.4 Gottesmann (l.S 2,27-36)

249

Querverbindungen. Wie aus Tafel 25 auf der vorigen Seite hervorgeht, haben alle Worte einen oder zwei mögliche Bezugspunkte in der Zukunft. 2 7 8 Eine Sonderstellung unter den genannten Perikopen nimmt l.R 2,27 ein, weil es sich dabei um einen Erfüllungsvermerk handelt. Allerdings ist zu fragen, o b er in seinem dortigen Kontext einen Einschub bildet oder nicht. 279 Wir werden auf die Frage der Querverbindungen jeweils an Ort und Stelle zurückkommen. Die Zukunftsformel (V.31). D a s folgende Episodensignal: hinnehyämim baim „siehe Tage sind am K o m m e n " (V.31) leitet eine Zukunftsschilderung ein. 280 D a die Unheilsweissagung zuvor schon einen gewissen Abschluß erreicht hat, kann m a n natürlich fragen, o b die Zukunftsschilderung insgesamt nachgetragen ist. Dagegen spricht aber, daß das eigentliche Urteil dann nur in der recht formalen Wendung „das sei ferne" V.30b läge. Diese Formel scheint ja förmlich nach Entfaltung zu rufen. Wir nehmen daher an, daß die Zukunftsschilderung fester Bestandteil des Prophetenwortes ist. 281 Klammerung: Israels Glück (V.31bf\ V.32a il V.32b). Zunächst ist eine Erweiterung zu besprechen. D e n n daß V.31b.32b eine «Klammer» für V.32a bilden, liegt auf der Hand. D a Sept. die ganze Passage V.31b.32a ausläßt, 282 könnte sie schon ihn ihrer Vorlage gefehlt haben; sie wäre dann als «Klammereinbettung» sogar durch die Textüberlieferung gesichert. D i e beiden Klammern unterscheiden sich dadurch, daß die erste (V.31b) durch Präposition und Infinitiv syntaktisch subordiniert ist, während die zweite (V.32b) einen eigenen Satz bildet und zusätzlich die Wendung „alle Tage" enthält. Wir sehen in ihr daher die primäre Klammer. 2 8 3 D e r Sinn des eingefügten Satzes ist wegen der Textschwierigkeiten schwer zu bestimmen. 2 8 4 N i m m t man ernst, daß das Prädikat des Relativsatzes in der 3.Person steht „was er Gutes tun wird", dann kann man es nicht einfach auf Jahwe beziehen. 2 8 5 Viel plausibler ist dann, auch aus inhaltlichen Gründen, eine D e u t u n g auf den neuen Priester V.35. Es könnte sich also um eine hier falsch plazierte Glosse handeln, die die Klammerung ausgelöst hat. Ihre jetzige Stellung würde sie dann einer Mißdeutung auf Jahwe verdanken. Aber das m u ß Spekulation bleiben. Im jetzigen Kontext muß man die Stelle wohl so verstehen, daß die Eliden nicht am Wohlergehen Israels teilhaben werden. Erweiterung (V.33f). Beginnen wir mit der Wendung „alle Tage" (V.32.35). Sie dient in beiden Fällen als abschließendes «Zeit-Signal». D i e beiden zugehörigen Abschnitte stehen zueinander in Opposition; der erste beschreibt die Zukunft negativ, der zweite positiv. Daneben findet sich auch noch der Bezug 278 2" 280 formen

Vgl. auch die Zusammenstellung bei Dietrich Prophetie 132 A.95. Zu dieser Frage vgl. Veijola Dynastie 21 A.29. Sie findet sich ebenfalls in der Gerichtsankündigung an den einzelnen; vgl. Westermann Grund92ff. 281 Dies wird auch von denen impliziert, die die Perikope insgesamt als Einschub sehen; Literatur bei Veijola Dynastie 35 A.105. 282 Zur Textkritik vgl. Barthélémy Critique 148f. 283 Gunneweg Leviten 110 will aus dem Überschuß „alle Tage" (V.32b) ableiten, daß dieser Satz sekundär ist. 284 Vgl. die Diskussion bei Barthélémy Critique 148f. 285 So Stoebe Samuel 117 ad 32b.

250

9. Die Jugendgeschichte 1-3

von negativer Vergangenheit auf positive Zukunft, so daß man von einem „Kontrastmotiv" sprechen kann. 286 Die Bestrafung (V.33). In V.33 wird meist übersetzt: „Einen will ich nicht vertilgen", so daß die Antithese darin besteht, daß zwar alle Männer vernichtet werden, aber einer übrig bleibt; dann wird übersetzt: „Zwar einer wird sein, den ich dir nicht wegreiße von meinem Altar". 287 Diese Auffassung läßt sich gut auf den entronnenen Ebjatar deuten, 288 und auch die Opposition zu dem noch folgenden marbit „Menge" könnte dafür sprechen. Dennoch ist zu fragen, ob der Text diese Lösung sprachlich überhaupt hergibt. Denn sie impliziert ja, daß 'is hier als Zahlwort verstanden wird. 289 Die Kombination von 'is als Indefinit-Pronomen und Verneinung hat ausweislich der Parallelen 290 den Sinn „keiner". 29 ' Der Satz meint dann: „Und keinen will ich abschneiden dir weg von meinem Altar" V.33A. Auch die angehängten Infinitive können nicht als Realis aufgefaßt werden, im Sinne von: „Wenn (ich) deine Augen vergehen lasse und deine Seele verschmachten lasse". 292 Vielmehr haben sie irrealen Sinn: „So daß ich deine Augen brechen und deine Seele verschmachten ließe". 293 Der erste Teil der Aussage hat also einschränkenden, um nicht zu sagen: tröstenden Charakter. Der zweite Teil der Aussage präzisiert dagegen die Strafe. Das Wort marbit scheint einer späteren Sprachstufe zuzugehören. 294 Die Lesart von Qumr. und Sept. „durch das Schwert von Männern", ergibt sich deutlich als Textänderung zu erkennen, weil durch die Einfügung das Attribut „von Männern" überflüssig wird. Ziel dieser Textänderung ist es offenbar, den Bezug zu ,Nob' IS 22 deutlicher herzustellen. Es ist daher zu fragen, ob dieser Bezug ursprünglich überhaupt intendiert war. Tsevat Studies zieht zur Erklärung das Konzept des Kareth heran, den frühzeitigen Tod ohne äußeren Eingriff bei Sakralvergehen. 295 „Als Männer" kann aber schwerlich bedeuten „in der Blüte ihrer Jahre". Vielmehr ist bei der Deutung von dem Stichwort zäqen auszugehen, so daß mit Blick auf l.S 17,12 und Ez 24,17.22 der Sinn eher eine soziale Differenzierung ist: Sie werden nicht als angesehene Älteste sterben, sondern als .gemeiner Mann'. 296 Die beiden Aussagen V.33a und b stehen dann nach wie vor zueinander in Antithese. Der Gegensatz liegt dann darin, 286

Westermann Grundformen 2.Aufl.:l 11-113. Stoebe Samuel 115. 288 Exemplarisch sieht Steuernagel Weissagung den Bezugspunkt in der Tötung der Priester in N o b IS 22. 28« Dies vermeidet Stolz Samuel 34: „Immerhin will ich dir nicht jeden von meinem Altare weg vertilgen". Aber auch diese Lösung entspricht dem Text nicht. MO z . B . Gn 23,6 {'is lo'); Gn 39,11 (Wen "is); Ex 16,19 Vis lo'); 2R 10,5 (lo' 'is). 291 Tsevat Studies 194 A.18 hat darauf hingewiesen, ohne allerdings Konsequenzen zu ziehen. 292 So Stoebe Samuel 115 unter Berufung auf GK §114o (nicht §1140): „Sehr häufig dient endlich der Infinitiv mit Ie in sehr lockerer Beifügung zur Angabe von Anlässen, begleitenden Umständen oder sonstigen Näherbestimmungen. ...". Wie das Zitat zeigt, bildet der Hinweis auf die Grammatik gerade keine zureichende Rechtfertigung für den angenommenen Sinn. 293 Stolz Samuel 34. 294 Es findet sich sonst nur Lv 25,37; l.Ch 12,29-, 2.Ch 9,6; 2.Ch 30,18; hier ist es offenbar gebraucht im Sinne von „das Gros". 295 Dagegen Seebass Text 82. 296 Barthélémy Critique 150. 287

9.4 G o t t e s m a n n ( l . S 2 , 2 7 - 3 6 )

251

daß den Eliden zwar das Priesteramt belassen wird, ihre erwachsenen Männer aber zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sind. Die Passage läßt sich also am besten als Präzisierung der zäqen -Thematik verstehen. 297 Daß es keinen zäqen mehr geben soll, darf nicht so mißverstanden werden, daß alle Eliden vorzeitig gestorben wären. Der Ausdruck ist vielmehr politisch zu deuten; 298 er meint das Mitglied im Kreise der Ältesten, die politisch handeln (vgl. IS 11,3). Dies trägt dem Verlauf der Geschichte Rechnung, in der die Eliden auch nach der Einsetzung Zadoks unter Salomo weiter als Priester amtiert haben, bis mit der Josianischen Reform neue Probleme auftreten (s.u. zu V.36). Die Passage bringt also eine deutliche Korrektur; der Hauptlinie „Entfernung aus dem Priesteramt" wird widersprochen. Als Strafe wird stattdessen die „Reduzierung der Dynastie" angekündigt. Dies könnte sich ganz konkret auf das Massaker in N o b beziehen. Während die Vorlage offenbar darauf aus ist, die Einsetzung Zadoks zu rechtfertigen, würde der Einschub also versuchen, angesichts einer anders verlaufenen Geschichte auch eine andere Strafe einzuführen. Das Zeichen (V.34). Die Formel zceh-lekä ha dt299 begegnet nicht allzu 300 häufig, und nicht immer ist der Zusammenhang zwischen Signans und Signatum einsichtig. 301 Als Sachparallele läßt sich vielleicht heranziehen, daß Jahwe für Samuel regnen und donnern läßt (l.S ¡2,16-18). Als unmittelbare Parallele für das Zeichen bietet sich das Abreißen des Mantels i.S. des Königtums ( l . S 15,28). Dort findet sich ebenfalls ein Globalsatz als Begründung. 302 Die wenigen vorhandenen Stellen erlauben es also nicht, einen generellen Zusammenhang zwischen Prophetenwort und Zeichen anzunehmen. 303 Vielmehr m u ß gerade bei unserer Stelle geprüft werden, ob hier nicht das Zeichen willkommenes Mittel der Redaktion ist. Als redaktioneller Verknüpfer eignet sich das Zeichen insbesondere dann sehr gut, wenn es nicht in den Ablauf der Ereignisse eingreift, sondern ohnehin in der Vorlage vorhandene Ereignisse benutzt, um daran eine bestimmte Deutung festzumachen. Wenn das Zeichen redaktionell ist, dann wird diese Deutung natürlich von dem abweichen, was sich aus der Vorlage als Deutung ergeben würde. In unserem Fall, dem Tod der Eliden, wird die Deutung in der knappen Formulierung von V.25 gegeben: U n d nicht hörten sie auf die S t i m m e ihres Vaters, d e n n beschlossen hatte Jahwe, sie zu vernichten. 297

Schon Wellhausen Composition 237 hat darauf hingewiesen, daß sie sprachlich spät ist. 298 Ähnlich Stoebe Samuel 119. 299 Vgl die Zusammenstellung bei Long Problem 66f. 300 Ex 3,12 (Zeichen für die Sendung ist Jahwes Verehrung an diesem Berg); 2.R 19,29 = Jes 37,30 (essen und säen); 2.R 20,9 = Jes 38,7 (Schatten der Sonnenuhr geht rückwärts); vgl. noch I.S 14,10. 301 Zum Zeichen vgl. Westermann Grundformen 2.A.: 113f; Fohrer Gattung. 302 Die Übersetzung „lügt nicht" ist irreführend, sachgemäßer ist: „spaßt nicht, scherzt nicht, sagt es nicht zum Schein". 303 So Richter Berufungsberichte 168.

252

9. Die Jugendgeschichte 1-3

Die hier mit Hilfe des Zeichen-Schemas gegebene Deutung will zeigen, daß dieser Tod keineswegs auf die betroffene Generation beschränkt ist, sondern exemplarische Bedeutung hat. Das Zeichen bildet in verschiedener Hinsicht die Verbindung zum Kontext. Die Passage macht deutlich, daß der Tod der Söhne nicht schon selbst das Strafgericht über die Eliden bringt. Sie paßt nicht in das generelle Thema der Auseinandersetzung, in der es um die Ersetzung eines Priestergeschlechtes durch ein anderes zu gehen scheint. Neben V.29B gibt diese Passage die einzige Querverbindung zu Hophni und Pinehas. Die Passage paßt gut in die Reihe der stereotypen Formulierungen, in denen Hophni und Pinehas mit Namen genannt werden (siehe Tafel 14 auf Seite 202). Keines dieser Argumente ist allein tragfähig, aber zusammengenommen machen sie es wahrscheinlich, daß das Zeichen eine sekundäre Brücke zu der Philisterschlacht K.4 schlagen soll. Wenn es sich aber um ein redaktionelles Element handelt, dann kann ihm keine abschließende Funktion 304 zugebilligt werden. Zu fragen ist noch, wofiir der Tod ein Zeichen sein soll. Die beste Antwort ergibt sich, wenn das Zeichen seinerseits einen Tod bezeichnet, und zwar den Tod der Männer V.33b. Für ihn ein Zeichen zu geben, ist plausibel, da Eli ihn ja nicht miterlebt. Dann aber gehört das Zeichen auf dieselbe Ebene wie V.33. Funktion. Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann bilden beide Passagen eine Einfügung, deren Aufgabe es ist, die Verbindung zur erzählten Zeit herzustellen, zur Ladeschlacht ebenso wie zum Massaker in Nob. Bestellung eines beständigen Priesters (V.35). Von den Alternativen zu V.35 (vgl. Tafel 25 auf Seite 248) kann der Bezug auf Samuel 305 wohl verworfen werden, weil das ,Ein- und Ausgehen vor dem Gesalbten' wohl als Auszeichnung gemeint ist, bei Samuel die Verhältnisse aber umgekehrt liegen: er ist der Königsmacher. 306 Gemeint ist also offenbar Zadok, zumal sich V.35b deutlich auf den Tempelbau bezieht. Zadok wird schon unter David zum Priester bestellt (2.S 15,24; LR 1,32); erst aufgrund seiner Parteinahme für Salomo gewinnt er das Monopol gegen Ebjatar, wie es z.B. in Ez 44,15 vorausgesetzt wird. 9.4.5

Erweiterung: Die Not der Eliden

(V.36)

Durch das Zeitsignal wehäyäh wird das Folgende vom Vorangehenden abgegrenzt. 307 Zwar wird formal die Ankündigung Gottes fortgesetzt („von deinem Hause"), aber der Sache nach handelt es sich eher um eine Schilderung. Hunger und Not wirken wie die Umkehrung des „Mästens" (V.29). Als Referenzpunkt bietet sich, wie einhellig angenommen wird, die Kultzentralisation unter Josia an. Bei Sanheribs Strafexpedition 701 v.Chr. hatte nur das Heiligtum auf dem Zion standhalten können, dessen göttliche Er304 305 306 307

So Steuernagel Weissagung 205, gefolgt von Stoebe Samuel. So vor allem die ältere Auslegung, vgl. Stoebe Samuel 118 A.9. So auch, freilich mit anderer Begründung Wellhausen Composition 237. Vgl. Schneider Grammatik Par.43.3.4.5.

9.4 G o t t e s m a n n ( l . S 2 , 2 7 - 3 6 )

253

wählung damit offensichtlich war. 308 Die Integration der Landleviten in den Zentralkult (Dt 18,7) scheint aber wohl durch die ortsansässigen Zadokiden hintertrieben worden zu sein (2.R 23,9).309 Wenn die Landpriester aber nach Jerusalem gebracht wurden, ohne dort opfern zu dürfen, war ihnen die Existenzgrundlage entzogen. 310 Dies muß eine Verelendung der Landpriester zur Folge gehabt haben, wie sie hier angekündigt wird. Die Art der Formulierung zeigt, daß das Wort nicht als Ziel einer Strafansage infrage kommt, sondern eher weitere Folgen einer andersartigen Strafe nachträgt. Sowohl Kriterien der Form als auch des Zeitbezuges sprechen also dafür, daß es sich hier um einen Zusatz handelt. 311 9.4.6

Ergebnis: Die Zukunftschilderung

(V.31a.32b.35)

Entfernt man diese Verknüpfungen mit dem unmittelbaren Kontext, dann ergibt sich folgender Aufbau: (a)

(b)

(c)

Orientierung Lagehinweis (V.27f) lämmäh: Vorwurf (V.29) läken Urteil ne'um yhwh These (V.30a) we'attäh ne'um yhwh Antithese ( V . 3 0 b ) ki Begründung (Parallelismus) ( V . 3 0 b ) hinneh yämim bä'im W e i s s a g u n g (V.31)

Das Thema des Prophetenwortes hat nichts mit der erzählten Zeit zu tun; es geht um eine generelle Auseinandersetzung mit einem Priestergeschlecht, dem die Entmachtung angekündigt wird, nicht etwa die Zerstörung ihres priesterlichen character indelebilis. Die Ankündigung erreicht eine gewisse sprachliche Geschlossenheit dadurch, daß die beiden Hauptaussagen V.31 und V.35 mit waw-AK beginnen und in antithetischem Verhältnis stehen. Entsprechend finden beide Teile ihren Abschluß durch einen «Periodenschluß» (V.32; V.35), und die Rede knüpft auch mit der I. Person sg. PK an diesen Vers an. Damit ergibt sich folgende Parallelität: Ich werde abhauen V.31f;

ich werde bestellen V.35;

nicht sein alle Tage;

w a n d e l n alle Tage.

Auch aus inhaltlichen Gründen ist es schwer vorstellbar, daß lediglich die Entmachtung der Eliden angekündigt würde, ohne daß das dadurch im Priesteramt entstehende Vakuum gefüllt würde. 308

Dt 12,5 u.ö.; iWaag Erwägungen 92. Maag Erwägungen 91; vgl. auch die bei Veijola Dynastie 37 A.113 genannte Literatur. 310 Smend Entstehung 79. 311 So die einhellige Meinung, vgl. Steuernagel Weissagung 205; Tsevat Studies 193; Stoebe Samuel 118. 309

254 9.4.7

9. Die Jugendgeschichte 1-3 Herkunft

Einen im Text angekündigten Wechsel der Priesterdynastien vollzieht Salomo. Ebenso wie die Morde an seinen Konkurrenten ist er Teil der „.Säuberungsmaßnahmen' bei Regierungsantritt", 312 denn der betroffene Ebjatar hatte zur falschen Partei gehört. Zwar kommt er wegen seiner Verdienste um die Lade und David und wohl auch, weil er als Priester weniger gefährlich ist, mit der Verbannung davon (l.R 2,26). Für den theologischen Betrachter ist diese Tat aber dennoch gewichtiger als die Morde. Salomo schwingt sich damit nämlich zum Herrn über den Kult auf und gerät so in gefährliche Konkurrenz zu Jahwe. 313 Nun ist schon längst gesehen worden, daß Salomo von einem Teil der Morde dadurch entlastet wird, daß sie auf ein „Testament Davids" zurückgeführt werden. 314 Zu beachten ist aber auch, daß l.R 2,27 gegenüber dem vorangehenden V.26 den Charakter einer «Evaluation» hat, weil das Verb die Illokution der Rede Salomos expliziert. Durch den Erfüllungsvermerk wird Salomo, wie noch mancher nach ihm, zum „Werkzeug der göttlichen Vorsehung" (vgl. auch V.24). Diese Überlegungen führen zu der Annahme, daß der Gottesmann eine nachträgliche Einfügung ist. Zu fragen bleibt aber noch nach dem Urheber. Da die Salomogeschichte die politischen Zusammenhänge klar herausstellt (V.22), und Salomo wohl wegen seiner Machtfülle keinerlei Rechtfertigung nötig hatte, kommen er oder seine Anhänger wohl nicht infrage. Anders Dtr, das dem Kult und der Moral ja wieder überragende Geltung verschaffen will; ihm m u ß viel eher daran gelegen sein, ein solches Sakrileg Salomos zu entschärfen. 315 Für den Grundbestand ist damit die Herkunft aus der deuteronomistischen Beschönigung Salomos wahrscheinlich. Als Parallele für ein derartiges redaktionelles Vorgehen bietet sich die Erzählung vom .Prophetenwort gegen den Altar zu Bethel' l.R 13 an. 316 Über den Titel Gottesmann hinaus hat dieser Text mit unserem gemeinsam, daß es um die Ausschaltung eines Heiligtums geht. 317 Auch in der Wahl der Mittel sind die Texte verwandt. Beidemale wird der Untergang von einem Gottesmann gekündet, beidemale gibt es einen Erfüllungsvermerk, und beidemale wird ein Zeichen gegeben.

312 So die Überschrift bei Kegler Geschehen K.2.3.5.1(S. 196) . 313 Vgl. für Europa den Investiturstreit. 311 Einfügung l.R 2,5-9(.2-4); vgl. Kegler Geschehen 197f. 3is Ob V.27 ebenfalls ein Einschub ist und mit V.2-9 zusammenhängt, kann hier nicht untersucht werden. 316 In dieser Erzählung ist mit einer längeren Entwicklung zu rechnen, die nach Würthwein Erzählung 187f ungefähr folgende Stadien umfassen dürfte: Zwei Einzelerzählungen „Gottesmann und König" und „gemeinsames Grab"; Verbindung beider (V.7-9a; vgl. 16-18); Deutung des Todes als Strafe; Ein — erschlossenes — Drohwort gegen den König wird gegen den Altar zu Bethel umgemünzt. 3n Jepsen Goltesmarm.

9.5 Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21) 9.4.8

Zusammenhang mit den

255

Eliden-Texten

Während die Passage vom unbekannten Gottesmann früher meist als nachträglicher Zusatz eingestuft wurde, 318 wird sie jetzt zumindest im Grundbestand einem Elidenstrang zugeordnet. 3 " Dies gilt es im folgenden zu prüfen. Der Text setzt voraus, daß sich die Eliden am Opfer vergangen haben. Die Passage über das Opfer (2,13-16) enthält keinerlei konkreten Hinweis auf Eli oder auf Hophni und Pinehas. Eine solche Beziehung ergibt sich nur durch die Plazierung im Kontext. Wie wir oben schon gezeigt haben, sind die das Opfer betreffenden Abschnitte redaktionell eingefügt. Vorlage und damit Voraussetzung für den Abschnitt von der .Vermahnung der Söhne' (2,22-25) sind, wie wir gesehen haben, nur ein paar knappe Bemerkungen über die Söhne Elis. Erst aus den Einfügungen ergibt sich dort also das Thema .Opfermißbrauch eines Priestergeschlechtes'. Diesen Nachweis benötigt unser ,Wort des unbekannten Gottesmannes', um plausibel zu wirken. Damit zeigt sich, was wir oben schon vermutet hatten, die Einfügung des Opfermißbrauchs als Voraussetzung für das ,Wort des unbekannten Gottesmannes'. Wir kommen daher zu dem Schluß, daß erst die Einßigung der ,Gottesmann-Perikope' die Einfügung der Opferpassage ausgelöst hat. Beide bilden die redaktionelle Figur von «Anker» und «Schiff». Dieser Strang steht also in Konkurrenz zu dem Abschnitt über die Vermahnung der Söhne 2S 2,22-25. Dort wird ja Eli von der Verantwortung dadurch entlastet, daß er seine Söhne zu ermahnen versucht. Auch daß er damit keinen Erfolg hat, wird plausibel erklärt: Einerseits ist Eli schon sehr alt, also nicht mehr durchsetzungsfähig, andererseits ist es Jahwes eigener Beschluß, die Söhne zu vernichten. Dieser Deutungssatz setzt einen «Wartepunkt», der auf eine Geschichte zielt, in der dann der Tod der Eliden erzählt wird. Ganz anderes Material kann zwar noch dazwischentreten, nicht aber ein Text, der das Thema nochmals unter ganz anderen Vorzeichen aufgreift. So ist der «Textort» der Einfügung zwar unter dem Gesichtspunkt der Textgliederung gut gewählt, vom Standpunkt der inneren Erzählstruktur aber störend. Gerade darin aber liegt unsere Chance, die Redaktion deutlicher zu erkennen.

9.5

Offenbarung an Samuel ( l . S 3,1-21)

Mit Kap. 3 wendet sich der Ablauf nach dem Wort des unbekannten Gottesmannes wieder Samuel zu. 320

318 Wellhausen Composition 237; Lohr Samuel; Dhorme Samuel-, Greßmann Anfänge. 3 " Stoebe Samuel 86 mit anderen (I.e. A.22). 320 Vgl. Fishbone Narrative.

256 9.5.1

9. Die Jugendgeschichte 1-3 Die Probleme

der

Stelle

So gefällig und einheitlich die Perikope auf den ersten Blick klingt, bei näherem Zusehen stellen sich eine ganze Reihe unerwarteter Fragen, die schon bei der Abgrenzung beginnen. Abgrenzung. In der Regel wird das Kapitel im Zusammenhang betrachtet. Eine solche Einteilung blickt auf die deutlichen Einschnitte, die durch das Ende der Gottesmann-Perikope und durch den Beginn der PhilisterschlachtPerikope gegeben sind, in denen Samuel ja nicht auftritt. Sie darf aber nicht dazu verführen, die Einheitlichkeit des Kapitels ohne weiteres zu unterstellen. Vielmehr darf nicht übersehen werden, daß das Kapitel selbst zwei Einschnitte enthält. Den ersten bildet der eigentliche Einsatz der Offenbarungsepisode V.2, den zweiten der Übergang zur globalen Betrachtung V. 19. D i e eigentliche Erzählung von der nächtlichen Offenbarung endet also mit der Zustimmung Elis zu Jahwes Plänen in V.18. V. 19-21 sind nicht Bestandteil der Erzählung, sondern aus der Perspektive geschichtlicher Rückschau formuliert. Diese Verse könnten zwar den genuinen Schluß der Offenbarungsepisode bilden, aber auch sekundär bei deren Einfügung zu ihrem Schluß geworden sein. Gattung. Eine wichtige Rolle spielt zunächst die Frage, welcher Gattung der Text zuzuordnen ist. Von einigen Autoren ist angenommen worden, daß es sich bei dem Text u m eine „Berufungsvision des heranwachsenden Samuel" handle. 3 2 1 Zwar wird auf Übereinstimmungen mit anderen Berufungsgeschichten hingewiesen, 3 2 2 insbesondere auf die Berufung Moses (Ex 3), vor allem auf die D o p p e l u n g des Anrufs 3 2 3 und das Fehlen jedes visuellen Elementes; 3 2 4 aber sie sind doch eher peripher. Vor allem aber enthält das Gotteswort keinerlei Auftrag an Samuel, und auch andere Elemente des Berufungsberichts fehlen. 3 2 5 D i e biblischen Parallelen erlauben es nicht, für diesen Text zu einer prägnanten Gattung zu kommen; reichlich Parallelen bietet aber die Literatur des Alten Orients. 326 Aus ihnen läßt sich die Gattung eines ,Botschafts-Traum-Berichtes' 3 2 7 ableiten. Diese Gattung findet sich überraschend deutlich in unserem Text wieder. Die Beweisführung braucht hier nicht wiederholt zu werden. Es ist lediglich darauf hinzuweisen, daß das umstrittene „Hintreten" Jahwes V.10 auf ein visuelles Element deuten könnte. 3 2 8 Wenn die Textgattung aus der altorientalischen Literatur entnom321 So Hylander Komplex 43; ähnlich Hertzberg Samuelbücher 27; vgl. Newman Call 86; weitere Vertreter bei Graise Reconsideration 379 A.l. 322 Simon Call. 323 Vgl. Gn 22.11-, Cn 46,2. 324 Newman Call 94. 325 Richter Berufungsberichte 174f; Veijola Dynastie 38; weitere Vertreter bei Gnuse Reconsideration 380 A.2; ausfuhrliche Widerlegung bei Gnuse Reconsideration 386-388. 326 Sie werden besprochen bei Gnuse Reconsideration\ vgl. auch die ausfuhrlichere Darstellung in Gnuse Theophany. 327 „Message dream report" Gnuse Reconsideration 381, Arbeiten von A. L. Oppenheim aufnehmend. Für die Vermittlung der Lehre spielt der Schlaf im Lehrhaus und seine Verbindung mit dem Offenbarungsempfang eine wichtige Rolle; vgl. Rau Kosmologie 477. 328 Gnuse Reconsideration 384.

9.5 O f f e n b a r u n g an S a m u e l ( l . S 3 , 1 - 2 1 )

257

men ist, dann ist dabei, wenn auch unter Vorbehalten, an das späte 7.Jh. zu denken. 3 " Allerdings gehen alle Thesen zur Gattung von der jetzt vorliegenden Textgestalt aus. Falls sich aber in größerem Umfang Überarbeitungen herausstellen sollten, ist zu prüfen, welche formgeschichtlichen Komponenten der Vorlage zugehören, und an welchen sich die Bearbeitung orientiert. Verhältnis zum Kontext. Zwar wird die Perikope insgesamt von vielen für sekundär gehalten, hinsichtlich ihrer Einzelelemente hat sich trotzdem noch keine allseits befriedigende literarische Lösung herauskristallisiert. Wir formulieren daher zunächst die Ansatzpunkte für literarische Überlegungen. i. D i e O f f e n b a r u n g an S a m u e l V . 1 1 - 1 4 steht in einem merkwürdigen D o p p e lungsverhältnis zu d e m Wort des u n b e k a n n t e n G o t t e s m a n n e s (LS 2,27-36).330 ii. Z w i s c h e n der Erzählung selbst und der in sie eingebetteten G o t t e s o f f e n b a rung bestehen S p a n n u n g e n im Skopus; die Erzählung zielt auf die Initialoffenbarung an S a m u e l , die O f f e n b a r u n g hingegen a u f die U n h e i l s d r o h u n g gegen das H a u s Eli. D a h e r ist immer wieder a n g e n o m m e n w o r d e n , die vorliegende O f f e n b a rung habe eine andere, z.B. eine Berufung S a m u e l s , verdrängt. 3 3 1 iii. In V . 7 b und V . 2 1 b begegnet eine auffällige Formulierung. Auffällig ist zunächst die Wurzel glh i.S. von „ O f f e n b a r u n g " , d a n n aber auch, d a ß im Z u s a m m e n h a n g mit ihr v o m „Wort Jahwes" die R e d e ist. Letzteres begegnet o h n e glh in der Exposition. Wir stellen die Texte in Tafel 26 auf der nächsten Seite z u s a m m e n . iv. D i e Wurzel glh wirkt z u m i n d e s t in V . 2 1 b 3 3 2 als Korrektur einer Beschreib u n g der Gotteserscheinung mit r'h ni., die auch in der Evaluation wiederkehrt (siehe Tafel 27 auf der nächsten Seite). A b e r auch für V . 7 b wird dieses M o t i v gelten, da v o m „ K e n n e n Jahwes" die R e d e ist. v. Z u dieser distanzierten Art der Darstellung scheinen die prophetischen Begriffe wie häzön und näbV, die sich in der Einleitung und am Schluß finden, nicht s o recht zu passen.

Daß wir es hier mit einer bearbeiteten Perikope zu tun haben, ist also mehr als wahrscheinlich. Die Schwierigkeit liegt darin, die Art der Überarbeitung im einzelnen zu erkennen und ihre Motive deutlich zu machen. 9.5.2

Die Anfänge des Textes

Obwohl V. 1 einen deutlichen Neueinsatz bringt, handelt es sich dennoch nicht um einen gewohnten Erzählanfang. Die Verknüpfung (V.la). Diese Formel mit mesäret begegnet hier zum letztenmal (vgl. die Zusammenstellung in Tafel 19 auf Seite 230). Wie wir im Abschnitt „Der Schluß der Geburtsgeschichte" auf Seite 226 herausgearbeitet haben, gehört sie zu einer Bearbeitungschicht, die auf eine Verknüpfung von Samuel und Eli aus ist. 329 Gnuse Reconsideralion 388; ähnliches gilt für 2R 3.4-/S. 330 Vergleich beider Stellen bei Veijola Dynastie 38f. 331 Veijola Dynastie 38 A.120; dies muß reine Spekulation bleiben, und es geht nicht an, daraus ein Charakteristikum für DtrP zu gewinnen, wie Veijola Dynastie 43 das tut. 332 So Stoebe Samuel 126.

258

b c 7 b 21 B b

9. Die Jugendgeschichte 1-3

und das Wort Jahwes war selten in besagten Tagen es gab nicht verbreitete Schauung und Samuel hatte noch nicht Jahwe kennengelernt und noch nicht hatte sich ihm enthüllt das Wort Jahwes und es fuhr fort Jahwe zu erscheinen in Silo denn Jahwe hatte sich enthüllt dem Samuel in Silo durch das Wort Jahwes

Tafel 26. Thematisierung des Jahwe-Wortes in LS 3

b c 21 B

aber Samuel fürchtete sich davor zu erzählen das Gesicht dem Eli und es fuhr fort Jahwe zu erscheinen in Silo

Tafel 27. Die Begegnung mit Jahwe als Vision in LS 3 Die Exposition (V.lb). Die Formel bayyämim hähem „in besagten Tagen" ist grundsätzlich anders zu beurteilen als die entsprechende Formulierung im Singular; wir gehen darauf im Abschnitt „Synchronisierte Einfügung" auf Seite 126 genauer ein. Die Formel ist ein Signal für distanzierte Kommentierung, insofern sie eine «Refokussierung» der Aufmerksamkeit zur Folge hat. Sie kann als redaktionelles Element verstanden werden, 333 aber doch weniger als Element zur Veränderung vorgegebener Texte als vielmehr als Element für Ein- und Überleitungen, in denen der Redaktor aus seiner viel späteren Perspektive auf die erzählte Zeit der aufgenommenen Texte zurückblickt. Ein analoges Beispiel der Kommentierung findet sich LS 9,9. Der Nachsatz 'en häzön nipräs (V.l) bereitet Schwierigkeiten. 334 Auch seine Einbindung in den Kontext ist merkwürdig. Sein Hauptzweck scheint mit dem Terminus häzön verbunden zu sein.335 Der Begriff gehört eng mit dem des näbi' zusammen, 336 und in der Tat wird in V.20 festgestellt, daß Samuel von Israel als Nabi erkannt und anerkannt wird. Auf den prophetischen Charakter weist auch hin, daß er als Gattungsbezeichnung für die Prophezeiungen verwendet wird. 337 Auch der Satzbau waw-x-AK zeigt deutlich, daß es sich nicht um einen erzählenden, sondern um einen kommentierenden Satz handelt; kommentiert 333 DeVries Yesterday 52 A.78. 334 Hylander Komplex 45 A.l: „Kein Orakel drang durch", freilich ohne Begründung. 335 Fuhs Sehen 235f. 336 Jepsen Arl.hzh Sp.825. 337 Jes 1,1; Jes 13,1; Am /,/; Mi 1,1\ Jepsen Arl.hzh Sp.831. Daß fehlender häzön Ausdruck für Gottes Zorn ist, sagt Thr 2,9.

9.5 Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)

259

wird die Situation, in der die folgende Erzählung spielt. Wir werden also darauf zu achten haben, wo diese Perspektive wieder aufgenommen wird. 9.5.3

Die Vorbereitung auf die Offenbarung

Die eigentliche Handlung beginnt erst mit dem Narrativ in V.4; es geht ihr also eine nicht nur lange, sondern auch vielschichtige Orientierung voraus. Orientierung (V.2f). Diese Orientierung (V.2f) bietet eine ganze Reihe redaktioneller Anhaltspunkte: Die Einleitungsformel „und es geschah an besagtem Tage"; 338 die sprachliche Formulierung, die auf der Ebene der Hintergrundtempora bleibt; die abstrakte Referenz auf die Schlafstatt Elis „an seinem Ort"; das Motiv der schwachen Augen, das in 2.S 4,15 beheimatet ist und hier offenbar schon vorbereitend eingeführt wird;339 der Hinweis auf den Ladetempel, 340 der hier ebenfalls ein blindes Motiv ist und ebenfalls der Verklammerung mit 2.S 4,3 dienen soll, wo die Lade ins Spiel kommt. Wir nehmen daher an, daß die gesamte Situierung redaktionell ist.341 Sie hat folgende Aufgaben zu erfüllen: Sie lokalisiert die Geschichte indirekt in Silo und verbindet Samuel mit der Lade; sie bereitet das spätere Wechselspiel zwischen Samuel und Eli vor; sie verändert das Verständnis von der Offenbarung, indem sie die Situation einer Traumoffenbarung skizziert und die Szene in die Nacht rückt. Ein Bezugspunkt für die Referenz des Zeitsignals bayyöm hahü' könnte allenfalls im Auftreten des unbekannten Gottesmannes (V.27) gesehen werden. Da aber vorher Generelles zur Sprache gekommen ist, erscheint es ratsamer, mit bloßer «Refokussierung» zu rechnen, die ja häufig am Beginn redaktioneller Einfügungen steht. 342 Ob es in Silo einen Steintempel für die Lade gegeben hat, 343 kann für unsere Fragestellung offenbleiben. 344 Der Ausdruck hekäl war schon in l.S 1,9 aufgetreten. Jedoch findet sich an beiden Stellen, wenn auch nur schwach bezeugt, auch die Variante „Haus", die auch in dem Ausdruck bet-hä'alohim Jdc 18,31b im Gegensatz zu 2,22 (Zelt) auftritt; beachtet man die Ablehnung des Tempelbaus (2.S 7,6) und den Bezug auf Wohnung und Zelt (Ps 76,60),345 dann steht dahinter vielleicht die Auseinandersetzung um die ange338 Siehe -> Episodensignale in Wonneberger Gliederung und „Synchronisierte Einfügung" auf Seite 126. 539 Maler Ladeheiligtum 43f sieht im Anschluß an Caspari Samuelbücher 50 darin die Begründung, „wieso der junge Samuel den alten Priester bei einer bestimmten Obliegenheit vertritt", was aber den Text überzieht. 340 Vgl. die Setzung des Atnach. 341 Ähnlich Stoebe Samuel 124. 3 « De Fries Yesterday 63f. 343 Zum kultgeschichtlichen Hintergrund Haran Temples 201f. 344 Leider erlauben die erneuten Grabungen in Silo unter der Leitung von Israel Finkelstein bisher keine unmittelbaren Schlüsse für unsere Texte, vgl. Bilensi Silo. Finkelstein Summary 169-171 kann keine unmittelbare Evidenz anfuhren; er vermutet jedoch das Ladeheiligtum auf der Anhöhe und sieht Silo als ein religiöses Mittelzentrum des zentralen Hügellandes (Benjamin, Ephraim, Manasse) und zugleich als das erste stammesübergreifende Kultzentrum. 34 5 Eißfeldt Kultzelt 53.

260

9. D i e Jugendgeschichte 1 - 3

messene Behausung der Lade. 3 4 6 O b sich aus diesen Überlegungen jedoch ableiten läßt, d a ß mit diesem Ausdruck der Jerusalemer T e m p e l vorausgesetzt werde, es sich also u m eine Rückprojizierung handele, 3 4 7 m u ß offen bleiben. Ähnliches gilt auch von der „ L a m p e G o t t e s " . Diese Bemerkung ist nicht o h n e G r u n d als einer „der schwerverständlichsten Sätze in S a m " bezeichnet worden. 3 4 8 Sie verführt dazu, nach einem besonderen Traditionshintergrund zu suchen oder einen solchen herbeizuziehen, wie das Beispiel der Weihungskerze zeigt. 349 A u c h wird der Versuch u n t e r n o m m e n , die W e n d u n g von der L a m p e der Stiftshütte her zu verstehen. 3 5 0 Maier Ladeheiligtum 43 sieht entsprechend der oben schon erwähnten Voraussetzung, d a ß Eli wegen seiner Sehschwäche von Samuel vertreten werden m u ß , in diesem Satz die Obliegenheit der Vertretung, und vermutet, d a ß sie mit der W a r t u n g des Leuchters zu tun hat. Solche Herleitungen lassen aber außer acht, d a ß die Exposition redaktionell überfrachtet ist. Entfernt m a n die besagten Stücke, d a n n tritt die F u n k t i o n in der Erzählung schlicht und deutlich zu Tage; es handelt es sich, wie der Formulierung nach auch gar nicht anders möglich, um eine milieugefärbte Zeitangabe, die auf den letzten Teil der N a c h t weist. 351 Diese D e u t u n g wird nicht zuletzt auch d a d u r c h gestützt, d a ß mit „ a m M o r g e n " V.15 ebenfalls auf die Zeitstruktur bezuggenommen wird. Inhaltlich ist die b r e n n e n d e L a m p e insofern von Bedeutung, als Samuel in ihrem Licht wohl sehen kann, d a ß niemand d a ist, der ihn ruft. Die erste Wechselrede (V.4). Mit V.4 beginnt die eigentliche Erzählung. Jahwe ruft Samuel an, und Samuel antwortet Jahwe. Dieser A n f a n g wird aber n u n sogleich wieder durch eine weitere redaktionelle E i n f ü g u n g unterbrochen. Wechselspiel zwischen Samuel und Eli (V.5-9). F ü r den redaktionellen Charakter der Passage sprechen eine Reihe von G r ü n d e n : 1. D e r Ü b e r g a n g von V.4 zu V.5 weist eine D o p p e l u n g auf: Die A n t w o r t Samuels ist zunächst als an Jahwe gerichtet zu verstehen. V.5 wiederholt d a n n dieselbe A n t w o r t , n u n m e h r an Eli gerichtet. D e r Versuch, diese D o p p e l u n g als sinnvoll innerhalb desselben Textes zu verstehen, führt leicht zu Verlegcnheitsauskünften. 3 5 2 2. W e n n wir die Exposition V.2f zu recht als redaktionell gedeutet haben, d a n n ist weiter zu fragen, wofür sie denn g e b r a u c h t wird. D a ß beide Protagonisten im bzw. beim T e m p e l schlafen und die W e n d u n g v o n der L a m p e die ungefähre Zeit angibt, wird nur verständlich als Vorbereitung auf das Hin und Her zwischen Samuel und Eli. Wir haben damit, neben der eben besprochenen D o p p e l u n g , ein weiteres Indiz für den redaktionellen Charakter der Passage. 346 Vgl. Görg Zell 96f. 317 Rose Anspruch 216 A.2; Stoebe Samuel 124; Haran Prophecy 386fT vermutet einen Zusammenhang mit P-Vorstellungen vom Kabod. 348 Caspari Samuelbücher 53. 34« Hylander Komplex 109. 350 Ex 27,20f\ Sloebe Samuel 122 ad 3a. 351 Stoebe Samuel 122 ad 3b. 352 So vor allem auch die älteren Ausleger (Nachweise bei Sloebe Samuel 125 A. 17): Samuel denke sofort an Eli wegen dessen Schwäche.

9.5 Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)

261

3. Aber auch der Schluß der Passage enthält ein redaktionelles Indiz: die «funktionale Referenz» „an seinem Ort". 4. Schließlich gilt die Dreizahl der Szenen nur für das Wechselspiel mit Eli, nicht für das Rufen Jahwes. Wenn unsere Ansetzung zutrifft, dann finden wir hier eine besondere redaktionelle Technik, die wir als «Ansteuerung» bezeichnen wollen. Diese Technik verbessert den Anschluß der redaktionellen Passage an den folgenden Kontext. Denn die Antwort, die Samuel später Jahwe gegenüber äußert, wird ihm am Ende der Einfügung von Eli vorgezeichnet (V.9). Einerseits wird dadurch der Leser an das herangeführt, was sogleich geschehen wird, andererseits erscheint die Antwort Samuels nicht mehr als selbständige Handlung, sondern als Nachvollziehen der Vorgabe Elis. Innerhalb der drei Begegnungen mit Eli findet eine Entwicklung statt. Nach der zweiten Szene wird Samuels Irrtum vom Erzähler als Unkenntnis gedeutet. Erst nach der dritten Szene begreift Eli die Situation, und das kommt auch im erzählerischen Detail zum Ausdruck. .Begreifen' und .Antwort' sind durch die «Renominalisierung» Elis in V.9 voneinander abgesetzt. In Elis Antwort steht statt süb „kehre um", das ja auf den alten Zustand zurückwirft, jetzt lek „gehe", das auf einen neuen Weg sendet. Zugleich gibt Eli Samuel die Antwort mit auf den Weg. Motiviert ist dieses Vorgeben der Antwort in V.7: Samuel kennt Jahwe noch nicht und muß daher von Eli angeleitet werden. Die Kommentierung (V.7). Unterbrochen wird der Dreischritt durch einen kommentierenden Satz des Erzählers. Diese Kommentierung wirkt als redaktionelle « Vorfügung», denn sie vertritt eine Konzeption von der „Offenbarung des Jahwe-Wortes", auf die wir schon aufmerksam geworden sind (Tafel 26 auf Seite 258). Zudem findet sich hier zum erstenmal der Terminus glh „offenbaren". Der Dialog mit Jahwe (V.4.10.11). Wenn unsere Ausgrenzung zutrifft, dann vollzieht sich der Dialog zwischen Jahwe und Samuel einem dreigliedrigen Aufbau: Anrede vs. Antwort V.4, Auftreten und Anruf vs. Hörbereitschaft V.10 und Offenbarung (ohne Entsprechung) V.U. Zu fragen ist nun, ob das Element .Offenbarung' ursprünglich die gesamte Rede V. 11-14 umfaßt hat. 9.5.4

Die Offenbarung (V. 11-14)

Die Offenbarung wirft ihrerseits einige Probleme auf: Sie beginnt mit einem allgemeinen, auf Israel bezogenen Satz (V. 11), der auf eine generelle Katastrophe zu deuten scheint. Der Rest (V. 12-14) beschäftigt sich aber ausschließlich mit den Eliden. Die Drohung Jahwes referiert explizit auf ein früheres Gotteswort gegen die Eliden. Das Folgende scheint dann aber im Widerspruch zu dem Wort des unbekannten Gottesmannes zu stehen. Man kann dies freilich nicht dadurch lösen, daß man V. 12 allein tilgt;353 denn in V. 13 wird Eli ja vorausgesetzt: „Und ich habe ihm kundgetan". Als Alternative wird gelegentlich erwogen, V. 13f als «Nachholung» einer vorher nicht be353 So

Wellhausen Text, Nowack Richter, Vaux Samuel;

dagegen Stoebe

Samuel

125.

262

9. Die Jugendgeschichte 1-3

richteten Gottesrede zu bewerten. Aber diese Lösung setzt einen veränderten Text voraus. 354 Wir betrachten zunächst die einzelnen Elemente. Die gellenden Ohren (V.ll). Die Wendung vom „Gellen der Ohren" begegnet noch an zwei weiteren Stellen, 355 nämlich 2.R 21,12: 12 8 c

Darum: so hat gesprochen Jahwe der Gott Israels: Siehe mich am Bringen Böses über Jerusalem und Juda, wo(von) jedem der es hört gellen werden seine beiden Ohren.

und Jer 19,3: 3 B c D E

Und du wirst sagen: Hört das Wort Jahwes, Könige von Juda und Bewohner von Jerusalem: So hat gesprochen Jahwe Zebaot der Gott Israels: Siehe mich am Bringen Böses über diesen Ort, wo(von) jedem der es hört gellen werden seine Ohren.

Ein wesentlicher Unterschied zu unserer Stelle liegt darin, daß in beiden Fällen von Unheil explizit die Rede ist. Demgegenüber redet unser Text nur allgemein von einer .Sache', setzt also einen «Platzhalter», der später noch inhaltlich gefüllt werden muß. Auch syntaktisch ist ein deutlicher Unterschied: Dort hineni + part., hier hinneh + NS ('anoki + pari.).356 Unser Text scheint also diese Formulierung eher sekundär zu benutzen. 357 Der Inhalt der Offenbarung (V.ll). Eine mögliche Lösung wäre es, aufgrund der redaktionellen und inhaltlichen Indizien V.12-14 als Nachtrag anzusetzen. Jahwerede ist dann lediglich: „Ich werde 358 tun etwas in Israel, von dem jedem, der es hört, seine beiden Ohren gellen werden" V. 11. Dann aber bleibt nur V. 11 als Inhalt der Traumoffenbarung übrig. Er wirkt vielleicht auf den ersten Blick etwas kümmerlich, aber so doch eher unter der Eindruck einer ausgeführten Gottesrede, wie sie der redigierte Text jetzt bietet. Bei näherer Betrachtung zeigt sich nämlich, daß der Satz folgendes leistet: 1. Er verschweigt die Details der Katastrophe. Dies findet seine Entsprechung in V.18. Dort wird ebenfalls nur global auf das Erfahrene referiert, während in anderen Erzählungen solche Inhaltegern wiederholt werden. Wir werden darin also am besten ein Stilmittel sehen, das wir als .Geheimhaltung vor dem Leser' bezeichnen können. 2. Er macht das Ausmaß der kommenden Katastrophe deutlich. Damit führt er unmittelbar zu der folgenden Erzählung vom Verlust der Lade hin. Denn nur sie, nicht der Tod der Eliden, kann ernsthaft als Katastrophe von nationalem Ausmaß angesehen werden. 3. Er definiert die Katastrophe als Jahwes Willen. Dadurch wird einer Mißdeutung des Ladeverlustes als Schwäche Jahwes vorgebaut. 354 Stoebe Samuel 121 Übers. V.13 gibt der ersten einen futurischen Sinn: „Und will es ihm klarmachen". 355 Von Veijola Dynastie 38 werden sie deuteronomistischer Redaktion zugeordnet. 356 Koch Formgeschichte 259 spricht von „Weissagung mit Präsentativ". 357 Dietrich Prophetie 87f will ihn „aus der schon von DtrG aufgenommenen Jugendgeschichte Samuels" ableiten; dagegen Spieckermann Juda 169 A.23 unter Hinweis auf Veijola Dynastie 38-43. 358 Zur Konstruktion und Funktion in der Gattung siehe -»Präsentativ mit NI in Wonneberger Gliederung.

9.5 Offenbarung an Samuel (l.S 3,1-21)

263

4. Er weist Samuel als Mitwisser aus. Dadurch verkehrt er die Ohnmachtsgeschichte des Ladeverlustes in ein für Samuels Legitimation positives Ereignis. Auch dem Gesamtduktus der Erzählung entspricht die knappe Offenbarung von V. 11 besser als ein ausgeführtes Gotteswort. Schließlich paßt die allgemeine Ausdrucksweise mit däbar „eine Sache" gut zu jener funktionalen Referenz, die wir nun schon mehrfach als redaktionelles Kriterium identifiziert haben. Die Erweiterung (V.12-14). Der Abschnitt V. 12-14 beginnt mit einem Zeitsignal mit Textreferenz, (bayyöm hahü'), das den Zusammenhang stört. 359 Durch die Textreferenz wird zugleich eine «Refokussierung» vorgenommen. Diese redaktionelle Technik wollen wir als «synchronisierte Einfügung» bezeichnen. Durch dieses redaktionelle Element steht das Folgende zu dem vorangehenden Satz ebenso in Spannung wie durch den Wechsel des Interesses von Israel zu den Eliden. Die Verknüpfung mit den Eliden wird ja erst hier (V.12) ersichtlich. Die Wendung vom „Heraufführen des Gesagten" erinnert stark an ähnliche Wendungen (meist hekim dibre), die meist spätdeuteronomistischen Redaktoren zugeschrieben werden: LS 15,10 ™ LR 6,ll-,36> 2.S 12,11.362 Singulär ist dagegen die Wendung hähel wekallel „von Anfang bis Ende". Für die Wendung „ich bin am Richten" stammen fast alle parallelen Wendungen aus Ez.m Als ursprüngliches Objekt des „Lästerns" ist 'alohim „Gott" zu lesen, das später zu lähxm „ihnen" korrigiert worden ist.364 Der Vorwurf ist zu übersetzen: „Und er nicht gegen sie eingeschritten ist". 365 Die Formulierung „in Ewigkeit" (V.13) stellt einen Bezug zu LS 2,30 her. In V.14 findet sich eine «Renominalisierung» Elis. Der Schwur läßt sich den Strafeiden Jahwes zurechnen. 366 Dabei geht es nicht um die Sühnemöglichkeit durch bestimmte Opferarten, sondern um die durch den Opferdienst überhaupt; so nämlich ist der Doppelausdruck minhäh und zcebah hier zu deuten. 367 Zugleich wiederholt sich die Wendung „in Ewigkeit", so daß es sich auch hier um eine Klammererweiterung handeln könnte. Betrachtet man den vermuteten Einschub formgeschichtlich, so wird eine gewisse Verwandtschaft zur Unheilsprophezeiung deutlich. Mit ba'awön (V.13)368 beginnt eine Art Lagehinweis, und entsprechend mit weläken das Gerichtswort (V.14). Das Besondere der Stelle liegt nun darin, daß die Unheilsweissagung nur referiert wird; daher sind die beiden Teile Lagehinweis und Gerichtswort von 359 DeVries Yesterday 63 A.25; 287-289. 360 Nach Dietrich Prophetie 71 A.22 DtrN. 361 Nach Dietrich Prophetie 71 A.23 ebenfalls DtrN, abzuleiten aus l.R 6,1 1. 362 Nach Dietrich Prophetie 131 A.91 eher zu DtrP zu rechnen. 363 Ez 34,17; /. Person sg. PK: Ez 11,10.11-, Ez 21,35; im Sinne des Verurteilens: Ez 33,20 (nach seinem Wandel); Ps 73,3\ I. Person sg. AK mit waw im Sinne des Recht-Sprechens: Ez 34,20.22. 364 Zum Tiq soph lähxm für '*lohim vgl. McCarthy Tiqqune 77-79. 365 Vlit Markert Scheltwort 312; es handelt sich um dieselbe Wurzel wie kehöt „blöde" V.2. 366 Giesen Schwören 342-344. 367 Vgl. die Zusammenstellung und Diskussion der Literatur bei Janowski Sühne 135-137. 368 Von manchen in ya'an geändert; Stoebe Samuel 122 ad 13b.

264

9. Die Jugendgeschichte 1-3

Ausdrücken abhängig gemacht, die bis auf den fehlenden präsentischen Sinn explizit performativ sind: higgadti „ich habe kundgetan" (V.13);369 niSba'ti „ich habe ihm geschworen" (V.14). Diese Form der Wiedergabe ist dadurch bedingt, daß mit „was ich über sein Haus geredet habe" (V.12) eindeutig eine schon ergangene Prophezeiung vorausgesetzt wird. Die Erfüllungsansage (V.12)370 würde also klarstellen, daß der Verlust der Lade nicht so sehr als Verhängnis für Israel, sondern als Bestrafung der Eliden anzusehen ist. 9.5.5

Die Befragungsszene (V. 15-18)

Der Traum hat natürlich seinen erzählerischen Sinn erst dann, wenn Eli auch davon erfährt. Dazu dient, retardierend, die Befragungsszene (V.15-18). Der Szenenbeginn (V.15). Mit V.15 wird ein «Gliederungssignal» der Zeit gesetzt und damit eine neue Szene begonnen. Es könnte sein, daß ein Satz über das Aufstehen Samuels am Morgen durch Homoioteleuton ausgefallen ist, wie es Sept. noch bewahrt hat. 371 Das Öffnen der Türen ist wieder ein milieuhaftes Detail; 372 es zeigt, daß Samuel aufgestanden ist und durchaus zu Eli gehen könnte, wenn er wollte. Daß er dieser Erwartung des Lesers nicht entspricht, wird sogleich begründet (V.15b). Mit der Zeitnotiz wird die in V.2f gegebene Situierung aufgenommen; beide Passagen können wir daher derselben Schicht zuordnen. Mit dem Ausdruck mar'xh (V.15) wird in bezug auf die Offenbarung eine «Substitution» vorgenommen. Damit wird zugleich definiert, daß die Offenbarung nicht etwa als häzön (V.l) aufzufassen ist, sondern nur als Vision. Der Konzeption nach scheint dieser Ausdruck also gut zu „Enthüllung des Wortes Jahwes" zu passen. Befragung Samuels (V.17). Samuel, mit der Unheilsdrohung belastet, hält die schlimme Kunde lieber zurück (V.15), so daß Eli ihn erst bedrohen muß. Wenn aber in dem ursprünglichen Text nichts über die Eliden ausgesagt wird, dann hat Samuel als Grund, Eli die Offenbarung zu verschweigen, nur den allgemeinen Schauder vor der Katastrophenbotschaft, nicht aber die spezielle Furcht, weil Eli unmittelbar betroffen ist. Da die Bedrohung in V.l7b einen solchen Grund voraussetzt, darf sie ebenfalls der Bearbeitung zugerechnet werden, zumal sich eine gewisse Doppelung zu V. 17a ergibt, der zur Überwindung jener allgemeinen Furcht durchaus genügt. Ergebung Elis (V.lSb). Auch Elis Ergebung ist in der jetzigen Fassung überzogen: Daß sie die Zustimmung zum Untergang seines Hauses und zur unversöhnlichen Feindschaft Jahwes umfassen soll, ist eine allzu ferne Pointe, die Eli schon in die Nähe eines Hiob rücken würde. Sie gewinnt aber ihr na369 Stoebe Samuel Übs.V.13 gibt der ersten einen futurischen Sinn: „Und will es klarmachen". 370 Vgl. Jer 29,10. 37! Klein Criticism 372 Janzen Samuel

28f; siehe dazu unten zu - > / . S 4,1a. sieht darin ein auf die Wiederkehr der Offenbarung (V.21) vorausweisendes Motiv.

9.5 O f f e n b a r u n g an S a m u e l ( l . S 3 , 1 - 2 1 )

265

türliches Gewicht zurück, wenn sie sich auf das Israel insgesamt drohende Unheil bezieht. Die Formulierung „das in seinen Augen Gute" erinnert an die entsprechende Formulierung in IS 1,23. Wir werden diesen Abschnitt also als redaktionell betrachten. Der gesamte Abschnitt 15-18 gehört demnach zur Überarbeitungsschicht. 9.5.6

Evaluation (V. 19-21)

Die Einschätzung dieser Passage ist kontrovers. Einerseits gilt sie als Zielpunkt der Jugendgeschichte, 373 andererseits wird sie als nachträgliche Erweiterung angesehen. 374 Auffällig ist allerdings, daß die Würdigung Samuels nicht erst erfolgt, nachdem die Erfüllung seines Wortes durch den Tod der Eliden manifest geworden ist, sondern schon vorher. Sept. hat in 3,21-4,1 folgenden Text: 21

B

U n d es fuhr fort Jahwe

zu erscheinen in Silo b

denn Jahwe hatte sich enthüllt d e m S a m u e l . U n d es wurde betraut S a m u e l E Prophet zu werden für Jahwe an g a n z Israel v o n einem Ende des Landes z u m anderen. F U n d Eli w a r sehr alt G und seine S ö h n e waren ein W a n d e l n a m W a n d e l n H und verwerflich war ihr W e g vor Jahwe. U n d es geschah in besagten T a g e n und es versammeltn sich die Philister z u m K a m p f gegen Israel. U n d es zog aus Israel ihnen zur Begegnung z u m K a m p f . D

4 B c

Diesem Text scheint ein hebräisches Original zugrunde zu liegen.375 Zwar lassen sich vom Standpunkt der Textkritik aus gewichtige Einwände gegen diese Fassung erheben, 376 aber unter literarischen Gesichtspunkten könnte man auch anders urteilen. Denn es liegt durchaus in der Linie der Evaluation, hier die verschiedenen Linien noch einmal zu bündeln, und Wellhausens Argument, 377 daß liqra't (4,1b) eine Einführung der Philister präsupponiere, ist nicht wirklich widerlegt. Die hier geübte Zurückhaltung einer Änderung gegenüber beruht letztlich vor allem darauf, daß sich bisher keine textkritisch plausible Erklärung gefunden hat, wie MT aus Sept. entstanden sein könnte. Der Abschnitt enthält einige literarkritische Anhaltspunkte, wird aber trotzdem von einigen für einheitlich gehalten. 378 Wir können die Widersprüche der einzelnen Aussagen folgendermaßen charakterisieren: V.19 bleibt in der Linie der Erzählung; das Thema ist Samuel, und der Gegenstand der Erzählung, das Jahwe-Wort, wird generalisiert. In V.20 hingegen kommt eine Größe 373 ,\'oth Studien 60; vgl. Stoebe Samuel 86. 374 Stoebe Samuel 126 mit Greßmann Anfänge und Smith Samuel. 375 Stoebe Samuel 123 ad 21e (Anzeichen für inf.abs.). 37 6 Barthélémy Critique 15 lf. 377 Wellhausen Text 54. 378 z.B. Ciaassen Case 8.

266

9. Die Jugendgeschichte 1 - 3

ins Spiel, nämlich „ganz Israel", 379 die bisher keine Rolle gespielt hat, und die auch erst wieder in l.S 7 auftauchen wird. Zugleich wird Samuel anachronistisch als Nabi bezeichnet. In V.21 wird nicht nur die Silo-Thematik angeschlagen, er fügt sich auch als Gegenstück zum Anfang: Der Mangel an Gesichten (V.lb) ist überwunden, aber, wie der Nachsatz betont, nicht wegen Silo, sondern wegen Samuel. Schlußnotiz (V.19). Bei der Formulierung vom „heranwachsen" handelt es sich um ein «Periodensignal», das in Geburtsgeschichten meist zur Stufe des Erwachsenseins überleitet. 380 Hier und bei Simson tritt eine Segensformel hinzu. Der Ausdruck „Jahwe war mit ihm" begegnet häufiger; er wird als «Beistandsformel» bezeichnet. 381 Insbesondere taucht sie auch in Verbindung mit David auf IS 16,18 (ohne Kopula, im Munde eines Dieners); IS 18,12.14.28. Die Wendung „er ließ keines von seinen Worten dahinfallen" findet sich noch Jos 21,45; Jos 23,14; LR 8,56; 2.R 10,10 qal.ii2 Die meisten nehmen an, daß „seine Worte" auf Samuel bezogen ist.383 Dann kann sich die Wendung allgemein auf eine längere Periode beziehen (so die meisten) oder speziell auf die Unheilsweissagung gegen die Eliden (V.l 1-18),384 zumal „fallen" und „heraufführen" ein Gegensatzpaar bilden. 385 Demgegenüber bezieht Stoebe die Wendung auf Jahwe. 386 Dann entsteht eine enge Beziehung zu 12 B

ich werde heraufführen gegen Eli alles, 387 was ich über sein Haus gesagt habe.

Zu beachten ist der Zusammenhang zu ,alles, was er sagt, trifft genau ein' (l.S 9,6). Israel-Nabi (V.20). Mit V.20 tritt ein Wechsel in der Personenkonstellation («WPK») ein, der zunächst als Element der Textgliederung zu beschreiben ist.388 Zwar ist Israel schon im Zusammenhang mit den Missetaten der Eliden erwähnt worden (l.S 2,14b.22b), aber dort in passiver Rolle. Hier hingegen wird Israel zwar nicht als handelnd, aber doch als erkennend und damit als aktives Gegenüber in den Text eingeführt. Es liegt auf der Hand, daß diese Rolle in der Jugendgeschichte durch nichts vorbereitet ist. Auch die Ladegeschichte scheint als Hintergrund nicht auszureichen, da Israel dort zwar 379 Die Formel „von Dan bis Beerscheba" begegnet noch Jdc 20,1; 2.S 3,10; 2.S 17,11; 2.S 24,2.15-, LR 5,5; nach Stoebe Samuel 122f ad 20a ist sie Zeichen eines jüngeren Textes. Zur sprachlichen Form s. u. „Merismus" auf Seite 84. 380 Von Simson Jdc 13,24; von Isaak Gn 21,20; aber auch schon von dessen Entwöhnung Gn 21,8; vgl. auch Ciaassen Case 4. 381 Richter Berufimgsberichte 148-151; Preuß Sein; weitere Literatur bei Ciaassen Case 5f. Vetter Mit-Sein stellt die Verbindung zur Bewahrung des Kindes in Gn 21,20 her. 382 Auch hier lesen Sept.Targ.Vulg. qal, woraus sich ein anderes Subjekt ergibt; vgl. Stoebe Samuel 122 ad 19a. 383 Vertreter bei Ciaassen Case 1 A.l, vgl. auch A.2-4 und S.8. 384 Vertreter bei Ciaassen Case 2 A.5. 385 Vgl. Jos 21,45; Jos 23,14; Claassen Case 4. 386 Vgl. auch Stoebe Samuel 85; 67; 200. 387 Zu qwm hl. vgl. l.R 2,4; qal: Jer 51,29; verneint: Jes 7,7; Jes 8,10 l.S 9,16. 388 Dazu Wonneberger Gliederung.

9.5 Offenbarung an Samuel (1.S 3,1-21)

267

(kriegerisch) handelt, aber andererseits keine Verbindung zu Samuel besteht. Zwar gibt es diese Verbindung in LS 7, aber dort will wiederum die Rolle Samuels nicht recht passen, die je nachdem eher richterlich oder priesterlich zu beschreiben ist. Erst von LS 8 an findet sich eine Konzeption, die der hier vorliegenden entspricht. Israel ist politisch handelnde Größe, und es wendet sich an Samuel, um seine politischen Pläne umzusetzen. Wir haben damit ein erstes Indiz, worauf V.20 zielen könnte. Freilich bedarf diese Hypothese noch der Überprüfung anhand des Mzfo-Begriffs. Samuel wird nur hier als Prophet bezeichnet. Dieser Titel gehört offenbar einer späteren Zeit zu. Seine Verwendung ist daher hier, wie auch schon bei früheren Gestalten, 389 als Anachronismus zu bewerten. Daraus ist zunächst die Vermutung abzuleiten, daß die Schicht, die in Samuel einen Nabi sieht, jünger ist als die, die ihn als Richter darstellt. Wenn der enge Zusammenhang zwischen häzön (V.lb) und näbi' zutrifft, 390 dann schließt sich hier ein Bogen zu V.lb. Es könnte dann sein, daß Samuel hier so etwas wie der Beginn der Prophetie überhaupt zugeschrieben wird. 391 Darin dürfte aber kaum die eigentliche Absicht dieser Zuschreibung liegen. Vielmehr zeigt sich bei genauem Zusehen, daß Samuel noch an einer anderen Stelle, wenn auch nur indirekt, als Nabi bezeichnet wird, nämlich im Zusammenhang der Berufung Sauls LS 9,9. Dort wird deutlich, daß der Verfasser sich des Anachronismus wohl bewußt ist. Nehmen wir die Einsicht hinzu, daß die Richterrolle Samuels mit dem Summarium am Ende von Kap. 7 zu ihrem Abschluß kommt, dann wird deutlich, daß die Nabi-Ro]\e diejenige ist, die ihm für die Passagen über die Gründung des Königtums zugeschrieben wird. Hinter dieser Zuschreibung steht offenbar das durch die ganze Königszeit hindurch wahrnehmbare Gegen- und Miteinander von König und Prophet, das sich nach Samuel schon im Verhältnis von David und Natan zeigt. Wir haben damit gezeigt, daß die Jugendgeschichte auch schon auf die späteren Texte vorausblickt, in denen Samuel als Königsmacher auftritt. Diese Querverbindung läßt sich ebenfalls durch das redaktionelle Konzept «Anker und Schiff» beschreiben. Die Definition Israels „von Dan bis Beerscheba" 392 darf ebenfalls dieser Schicht zugerechnet werden. 393 Sie bildet ebenso wie die ähnliche Formel am Ende von Samuels Philistersieg „von Ekron bis G a t h " ( l . S 7,14) einen «Merismus».m Fortdauer der Visionen in Silo (V.21a). Der Satz von der Fortdauer der Visionen in Silo (V.21a) hebt sich zunächst dadurch ab, daß er eine andere Terminologie für die Gottesbegegnung verwendet (vgl. Tafel 26 auf Seite 258 gegenüber Tafel 27 auf Seite 258). Er zielt nicht auf Samuel, sondern auf Silo 389 Abraham Gn 20,7; Mose Dl 18,15; Dt 34,10; vgl. Ho 12,13; Mirjam Ex 15,20; Debora Jdc 4,4; Gideon Jdc 6,8; Newman Call 91 A.12. 390 Jepsen Art.hsh Sp.825. 391 Jepsen Art.hsh Sp.829, der aber das nipras (V.l) nicht genügend berücksichtigt. 392 Jdc 20,1; l.S 3,10; 2.S 3,10; 2.S 24,2.15; femer 2.S 17,11; l.R 5,5. 393 Für Stoebe Samuel 123 ad 20a ist sie „Zeichen eines jüngeren Textes". Bicken Geschichte 13 hält sie für deuteronomistisch. 394 Brongers Merismus 101; siehe „Merismus" auf Seite 84.

268

9. Die Jugendgeschichte 1-3

und setzt damit die Reihe jener Stellen fort, in denen Silo in unserem Text Betonung findet. Zur Bedeutung Silos. Silo könnte um 1050 v.Chr. zerstört worden sein; 395 eine spätere Überprüfung der Ausgrabungen hat freilich ergeben, daß die Zerstörung erst gegen Ende des 8 J h . stattgefunden haben könnte, und dann nicht durch die Philister, sondern die Assyrer. Das Heiligtum scheint bis 732 oder 722 v.Chr. in Funktion gewesen zu sein. 396 Der Vergleich in Jer 7,12-15 bezöge sich dann in erster Linie auf diese dann ja zeitgenössische Zerstörung und allenfalls indirekt auf den Verlust der Lade. 397 Eine Besiedelung scheint es sogar bis 587 v.Chr. gegeben zu haben. 398 Allerdings ist dieser Spätdatierung neuerdings widersprochen worden. 3 9 9 Man könnte die Stadt als Zentrum des vorköniglichen Israel bezeichnen. 4 0 0 Zur Zeit der Reichsteilung ist Silo die Heimat des Propheten Ahia, also doch wohl noch ein gewisser Gegenpol gegen Jerusalem. 401 Der Jakobsegen (Gn 49,10) benutzt Silo als repräsentativen Namen 4 0 2 und verbindet damit die Ausdehnung des judäischen Königtums auf ganz Israel. 403 Bemerkenswert ist, das eine Zerstörung Silos in unserem Zusammenhang nicht erwähnt wird, 404 sondern im Gegenteil Silo die Rolle einer bedeutenden Offenbarungsstätte beigelegt wird. 405 Begründung (V.21b). D i e Begründung (V.21b) läßt sich denkbar schlecht auf den vorangehenden Satz von der wiederholten Offenbarung in Silo V.21a beziehen. Wenn es etwas zu begründen gibt, dann doch das Erkennen Israels V.20. Dort gehört die Begründung auch terminologisch hin, denn die Wortoffenbarung ist eben der Grund dafür, daß Samuel als Nabi erkannt wird. Die Worte besilö bidbar yhwh sind wahrscheinlich als spätere Bearbeitung anzusehen (vgl. auch Sept.). 406 Sie sollen offenbar den Begründungszusammenhang doch noch auf Silo lenken helfen. Das Ergehen des Wortes (4,1a). In 4,1a wird erneut „ganz Israel" in den Blick gefaßt. D i e Formulierung hat offenbar schon seit je Schwierigkeiten bereitet: D i e Kapiteleinteilung zieht sie zum Ladekomplex, während einige Manuskripte sie noch dem Samuelteil zuschlagen. 407 395 Lindblom Background 87 A. 1. Vgl. l.R ll,29\ Jdc 18,3!; Pearce Shiloh 107. 397 Pearce Shiloh 108. 398 Vgl. Jer 41,5. 399 Day Destruclion. •wo Lindblom Background 86. ->01 l.R 14 (Jerobeam); vgl. l.R I2,29f\ Weinfeld Deuteronomy 17f. Siehe -»Repräsentative Namen im Abschnitt „Exkurs: Referenz (Deixis, Textphorik)" auf Seite 61. 4 °3 Lindblom Background 84 datiert ihn deshalb in die Periode von 7 1/2 Jahren, die David nur in Juda regiert. 404 Anspielungen erst Jer 7,I2\ Jer 26,6.9-, Noth Samuel 148; Ps 78,58-62 bietet ebenfalls kein verläßliches Zeugnis für eine Zerstörung; vgl. Pearce Shiloh 106. "05 So hat denn auch Eißfeldt Text 19 versucht, den Text (vgl. Tafel 26 auf Seite 258) anders zu deuten: „Und nicht wurde Jahwe weiter besucht in Silo; denn fortgeführt war die Lade Jahwes aus Silo nach dem Wort Jahwes". 406 Daß die Graphie-Variante des Namens Silo mit waw gegenüber der mit heh wohl als jünger einzustufen ist (Calaslmi Varianti 279f), ist ein zusätzliches, wenn auch nicht sehr tragfahiges Indiz. "07 BHS ad b; so auch Stoebe Samuel.

9.6 Ergebnis

269

Nun ist aber vor jeder weiteren Überlegung zu beachten, daß Sept. hier einen längeren Text hat. Der Text von MT könnte durch Homoioteleuton des Wortes „Israel" verkürzt worden sein.408 Auch aus inhaltlichen Gründen ist MT nicht überzeugend. Die Art der Formulierung präsupponiert nämlich einen Angreifer, der schon da ist. Und liest man MT im Zusammenhang, dann kann man nicht umhin, die Mobilmachung Israels aus der Kunde von Samuel abzuleiten, was durch das Fehlen Samuels in Kap. 4 aber eindeutig widerlegt ist. Es scheint daher hier unumgänglich, dem Sept.-Text den Vorzug zu geben. Dann aber haben wir einen klaren Erzählanfang in l.S 4,1b, und V.la wird dadurch dem vorangehenden Kontext zugeschlagen. Da V.la aber auch keine genuine Schlußwendung ist, muß nach einer Erklärung auf höherer Ebene gesucht werden. Dann aber fällt auf, daß die Formulierung der «Wortereignisformel» entspricht, wenn man vom Unterschied in der Präposition (l e gegenüber 'cel) absieht. Dann aber muß die Wendung als «Redeeinbettung» gefaßt werden; ein Rückbezug auf die nächtliche Offenbarung wäre aber gerade keine Einbettung, sondern «Substitution», was nach den vorangehenden globalen Aussagen kaum in Betracht käme. Daher muß ursprünglich auf diese Formulierung eine «Redewiedergabe»*09 gefolgt sein, und diese kann frühestens in Kap. 7 gesucht werden, da Samuel inzwischen abtritt. Aber auch wenn man statt dessen den Satz lieber indirekt verstehen will („die Kunde von Samuel kam zu ganz Israel"), bleibt bestehen, daß es sich hier nicht um einen Abschluß, sondern um einen «Wartepunkt» handelt. 410 Der Leser kann zu recht erwarten, daß aus dieser Verbreitung der Kunde von Samuel noch etwas folgt. Form und Inhalt der Aussage sind daher in jedem Fall als Vorbereitung von l.S 7,3 zu werten, wobei die Wendung hier zuständlich (hyh + Nomen) formuliert ist. Wir möchten daher annehmen, daß lediglich V.20 und 4,1a redaktionelle Stücke sind, die der Anknüpfung von Kap. 7 dienen. 9.6

Ergebnis

Wir haben versucht, möglichst ohne Rückgriff auf die Inhalte zunächst die redaktionellen Techniken zu ermitteln, so daß dann durch Gegenüberstellung mit inhaltlichen Erwägungen eine Überprüfung der Hypothesen ermöglicht wird. Da der Elidenfaden noch in den Anfang der Ladeerzählung hineinreicht, ist es für eine Bilanz eigentlich noch zu früh. Andererseits gilt es, wichtige Teilergebnisse festzuhalten. Kommen wir also zunächst auf das eingangs schon diskutierte Problem der Gattung zurück. •W8 Mit Klein Criticism 28f, des noch weiter ähnüche Fälle aus l.S beibringt: /S 3,15; /.S 10,1; l.S 12,8; l.S 14,41; l.S 29,10. Eine Ergänzung durch Sept. in allen diesen Fällen wäre kaum plausibel zu machen. Allerdings werden die Philister in Sept. im Nachsatz pronominalisiert. "09 Dazu Wonneberger Gliederung. 410

Auch Rost Überlieferung 1 l f = 127 hält den Vers für redaktionell; vgl. auch Press Samuel 185.

270 9.6.1

9. Die Jugendgeschichte 1 - 3

Zur Gattung

Wenn unsere literarische Analyse zutrifft, d a n n ist die Vorlage nur eine knappe Episode, die von einer ebenfalls knappen Jahweoffenbarung erzählt. Diese Episode ist vor allem dadurch motiviert, d a ß Samuel als Nabi gezeigt und damit seine spätere Rolle als Königsmacher vorbereitet werden soll. Die Offenbarung selbst nimmt nur sehr allgemein auf das kommende Desaster bezug. Wegen dieser redaktionellen Bedingtheit des Textes scheint es nicht angebracht, hier von einer Gattung zu sprechen. Anders bei der Überarbeitung. Die Situierung in der Nacht, die Umdeut u n g zum T r a u m und ähnliche Züge lassen sich wohl am besten verstehen, wenn sie nicht ad hoc erfunden worden sind, sondern sich an einer dem Redaktor bekannten Gattung „Traumoffenbarung" orientieren. 9.6.2

Zu den Schichten

Wenn unsere Überlegungen richtig sind, dann haben wir es mit drei Stadien der Entwicklung zu tun: 1. Z u n ä c h s t wird darüber berichtet, d a ß S a m u e l eine G o t t e s o f f e n b a r u n g zuteil wird. Dies legitimiert ihn als Israel-jYa£>i. 2. D u r c h Einfügen der Eli-Passagen wird der Text zu einer T r a u m o f f e n b a r u n g s - E r z ä h l u n g umgestaltet und mit d e m Heiligtum Silo verknüpft. 3. Schließlich wird die A b r e c h n u n g mit d e m H a u s e Elis in das Gotteswort eing e f ü g t . Vielleicht gehen auch einige verstärkende Passagen im folgenden a u f diese E i n f ü g u n g zurück.

Die vorgetragene Konzeption mag vielleicht allzu radikal erscheinen. Es kann aber nicht genügen, nur allgemein von der Verknüpfung zwischen Samuel und Silo zu reden, 4 " sondern es m u ß versucht werden, diese Verknüpf u n g im einzelnen aufzuweisen. Charakteristisch an unserer Lösung ist, d a ß diejenigen Elemente, die der Geschichte die gefühlsmäßige Prägung geben, besonders der dreimalige Weg zu Eli, schon der Bearbeitung zuzurechnen sind. Es findet dann also eine Bearbeitung statt, die vom dürren Bericht zur ausgebauten Erzählung fortschreitet. a) Die Eliden- Vorlage Einer der beiden Handlungsfäden hat die Eliden und ihr Geschick zum Thema. Er zielt auf ihren Tod in der Philisterschlacht und sucht ihn dadurch zu erklären, daß Jahwe ihr Verderben beschlossen hat ( l . S 2,25b). Bei diesem Handlungsfaden könnte es sich durchaus u m eine an die Ereignisse anknüpfende Tradition handeln. Abschließend kann diese Frage aber erst behandelt werden, wenn wir Kap. 4 analysiert haben. Dieser Handlungsfaden wird aufgetrennt und in den an Samuel orientierten Handlungsfaden eingewoben; er wird diesem also untergeordnet. 4

ii

So maßgeblich Noth Samuel.

9.6 Ergebnis b) Die

271

Samuel-Vorlage

Schwer zu beurteilen ist der Samuel-Faden. Wenn man alle Einfügungen entfernt hat, ergibt sich eine prägnante Geburtsgeschichte, wie sie etwa auch den Erzählkranz über Simson einleitet. Aber es stellt sich dann doch die Frage, wofür diese aufwendige Art der Personeneinführung die Einleitung bilden soll. Will man sich auf den durch das Summarium Kap. 7 vorgegebenen Rahmen beschränken, dann wäre zunächst zu prüfen, ob Kap. 7 seinerseits Elemente einer Tradition enthält. Aber selbst wenn es eine Tradition von einem Richter-Sieg Samuels über die Philister geben sollte, wären die Gewichtsverhältnisse zwischen Einleitung und Hauptteil dieser RichterBiographie wenig plausibel. Plausibler schon ist es, daß sich Samuels überragende Bedeutung eher aus seiner Mitwirkung bei der Einrichtung des Königtums ergibt. Die Geburtsgeschichte könnte dann generiert sein, nicht nur um Samuel gebührend vorzustellen, sondern auch, um die übrigen disparaten Stoffe einem Leitprinzip unterzuordnen, das vielleicht in LS 3,20 anklingt: Eine prophetische und nicht eine politische Gestalt ist der Schirmherr dieser Epoche. Auch diese Frage läßt sich an dieser Stelle noch nicht entscheiden. Sie hängt sicher auch von der Entscheidung ab, ob es sich hier ursprünglich um eine Mw/r-Geschichte gehandelt hat oder nicht. c) Die Verknüpfung durch Eli und Silo Ein überraschendes Ergebnis unserer Analyse liegt darin, daß sich jene Passagen, die Hanna oder Samuel mit Eli zusammenführen, mit einiger Sicherheit als redaktionell identifizieren lassen. In beiden Fällen hat dies auch zur Folge, daß die Eigenständigkeit der Hauptfiguren beschnitten wird. Die Vorlage der Geburtsgeschichte ist eine Erzählung, in der Hanna durch ihr Gelübde ihre traurige Lage wendet. In der überarbeiteten Form wird das Gelübde zur Bitte abgeschwächt, und deren Gewährung spricht Eli als Mittler zwischen Gott und den Menschen zu. Stellen wir nochmals einige wichtige Gesichtspunkte zusammen: Das gemüthafte Element wird betont; die Person Hanna wird herausgearbeitet; es wird mit psychologischem und sprachlichem Raffinement erzählt; Eli wird in die Erzählung eingeführt; das Stichwort s'l „bitten" wird eingeführt und es wird damit eine bestimmte theologische Konzeption durchgesetzt; durch Elis Zusage wird Jahwes Reaktion auf das Gelübde vorgegriffen; dieses Konzept unterscheidet sich deutlich von dem des Nasir und auch vom Konzept des Gelübdes. Zugleich wird in dieser Überarbeitung Elkanas Rolle erheblich verstärkt. Bei Samuel wird aus der unmittelbaren Anrede Gottes eine Traumgeschichte, in der Samuel erst von Eli angeleitet werden muß, jene .magische' Formel zu sprechen, die die eigentliche Offenbarung in Gang kommen läßt. In beiden Fällen fließen also durch die Bearbeitung auch solche redaktionellen Vorstellungen ein, die mit dem unmittelbaren Ziel dieser Bearbeitung nichts zu tun haben, sondern eher der Weltsicht der Redaktoren Ausdruck geben. Das unmittelbare Ziel liegt in einer Verknüpfung zweier unterschied-

272

9. D i e Jugendgeschichte 1 - 3

licher Erzählfäden. Natürlich ist schon lange gesehen worden, daß hier in Gestalt Samuels den Eliden eine Kontrastfigur gegenüber gestellt werden soll. 412 Aber wie dies im einzelnen geschieht, wird erst nachvollziehbar, wenn man die Einfügung Elis erkennt. Indem Eli zum Partner des jeweiligen Hauptaktanten gemacht wird, können aus der Figur Elis heraus nun zwei parallele Zweige erzählerisch entwickelt werden: die bösen Söhne und der gute ,Ziehsohn'. Daß die Verwerfung der Eliden schon vorausgesetzt ist,413 zeigt sich auch daran, daß Samuel zum Priester gemacht wird und dadurch gewissermaßen Ersatz für die Eliden geschaffen wird. Diese Überarbeitung verwendet Eli im positiven Sinne. Eli fügt sich nicht nur in den Willen Jahwes (3,18), sondern er ermahnt seine Söhne, und es schimmert keineswegs der Vorwurf durch, er sei nicht rigoros genug gewesen. 414 Vielmehr wird Eli durch eine Evaluation des Erzählers ausdrücklich salviert, insofern ja die Unverbesserlichkeit der Söhne als Jahwes Beschluß deklariert wird (2,15). Der Vorwurf gegen Eli gehört erst zu jener späteren Schicht, in der die Opferthematik eingeführt wird, und die wir sogleich noch resümieren werden. Zugleich ist deutlich zu spüren, daß in den Texten auch um die Rolle Silos gerungen wird. Es könnte gut sein, daß das Interesse an Silo den Hintergrund für das Interesse an den Eliden bildet. Aber diese Frage würde unseren Rahmen sprengen. Sie müßte im Zusammenhang mit Jer 7,12 behandelt werden: 12 B b D

D e n n geht d o c h zu meiner Stätte, die in Silo war, w o ich meinen N a m e n habe w o h n e n lassen vordem, und seht, w a s ich ihr wegen der Bosheit meines Volkes Israel getan habe.

Auch die Reform Josias wäre wohl einzubeziehen, und vielleicht ergeben sich neue Aufschlüsse aus den im Gange befindlichen Grabungen. Jedenfalls hebt sich diese Bearbeitung auch durch ihre Erzählhaltung deutlich ab. Während der Eliden-Strang eher im nüchternen Ton des Berichtes gehalten ist, werden hier jene gemüthaften Elemente eingeführt, die einen Gutteil der Dramatik und des Reizes dieser Perikopen ausmachen. d) Die Vorbereitung der Königtums-Texte

(Nabi)

In einigen Passagen der Offenbarungsgeschichte wird, wie wir gesehen haben, für Samuel eine prophetische Rolle aufgebaut. Er wird nicht nur explizit als Nabi bezeichnet, sondern es ist auch von der „Offenbarung des Wortes Jahwes" die Rede (siehe Tafel 26 auf Seite 258).415 Diese Konzeption zielt auf die Rolle, die Samuel bei der Einführung des Königtums und im Gegenüber zu Saul spielt. Daß dieser Zusammenhang auch auf der Ebene der Terminologie besteht, zeigt sich daran, daß die seltene Formulierung mit glh „of•»12 Vgl. Stoebe Samuel 113. 413 So auch S'oth Samuel. 414 Gegen Stoebe Samuel. 4 5 1 Zugleich ist diese Konzeption deutlich von jener unterschieden, die von Visionen ausgeht (siehe Tafel 27 auf Seite 258).

273

9.6 Ergebnis

fenbaren" in der Erzählung von Sauls Beauftragung durch Samuel aufgenommen wird LS 9,15: 15 b

Aber Jahwe hatte geöffnet ( glh) das Ohr Samuels einen Tag vor dem Kommen Sauls sogesagt:

Was den theologischen Hintergrund dieser Konzeption angeht, so finden sich entsprechende Formulierungen mit glh im ni. z.B. bei Deutero- und Tritojesaja, so vom Offenbarwerden der Herrlichkeit Gottes Jes 40,5 und vom Offenbarwerden der Gerechtigkeit Gottes Jes 56,1. e) Die Einfügung der Opferthematik Als relativ spätere Schicht hat sich die Opferthematik herausgestellt. Bemerkenswert daran ist, daß sich diese Schicht keineswegs auf die Perikope vom unbekannten Gottesmann beschränkt, sondern auch die vorangegangene Darstellung der Verfehlung mit umfaßt. Der Einblick in die literarischen Zusammenhänge ist nicht zuletzt dadurch verstellt worden, daß die Perikope vom unbekannten Gottesmann als Vorwegnahme der Offenbarungsgeschichte gesehen wurde. 416 Nun trifft unstreitig zu, daß die Offenbarung an Samuel ein früheres Jahwewort voraussetzt, in dem detaillierte Angaben über das Verderben gemacht werden, weil sonst die Wendung „vom Anfang bis zum Ende" (V.12) nicht zu verstehen wäre. 4 ' 7 Bisher ist aber nicht gesehen worden, daß zum einen das «Referens» („was ich über sein Haus geredet habe ..." 3,12) und zum anderen das «Referatum» (die Drohungen 2,31-36) jeweils in einem Textteil stehen, der aufgrund formaler und inhaltlicher Merkmale als redaktionell einzustufen ist. Beide Erweiterungen befassen sich mit dem späteren Schicksal der Eliden, und es sie vertreten dieselbe Tendenz. Es handelt sich also insgesamt um den Versuch, die Eliden als Priester zu desavouieren. Dieser Versuch geht so weit, daß die implizite Bewertung Elis in ihr Gegenteil verkehrt wird. Denn während in (d) die Bosheit der Söhne auf Verstockung durch Jahwe zurückgeführt und Eli dadurch entlastet wird, trifft ihn in (f) die volle Verantwortung (3,13). Da nun aber zugleich auch von der Erwählung eines positiven Gegenbildes die Rede ist, will es scheinen, als sei der Hintergrund dieser Bearbeitung Salomos Ersetzung Ebjatars durch Zadok. f ) Weitere Einfügungen Gerade das Wort des Gottesmannes hat sich als geeigneter «Textort» herausgestellt, weitere Einfügungen anzubringen, die vor allem einen Beitrag zur «Kohärenz» des Geschichtsdarstellung leisten, indem sie auf weitere Situationen vorausverweisen. 416 Wellhausen Composition 237; Lohr Anfänge; dagegen Sloebe Samuel 86. Vgl. z.B. Xoth Samuel 150.

Samuel;

Xowack

Richter;

Dhorme

Samuel-,

Greßmann

274 9.6.3

10. Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7) Die redaktionelle Konstellation

Da wir es hier mit zwei Vorlagen zu tun haben, einer Samuel- und einer Eliden-Überlieferung, kann der Text keine normale hierarchische Struktur in dem Sinne haben, daß keine Überkreuzungen aufträten. Wir sprechen daher von einer Heterarchie. Da aber Texte linear sind, muß der Redaktor einer Konzeption den Vorzug geben. In unserem Fall ist das die SamuelÜberlieferung. Dabei treffen inhaltliche und formgeschichtliche Gründe zusammen. Formgeschichtlich eignet sich eine Geburtsgeschichte ungleich besser als Null-Anfang als ein knapper Bericht. Inhaltlich hat Samuel als positiver Aktant und ebenso im Blick auf seine spätere Rolle ungleich mehr Gewicht als die Eliden.

Kapitel 10

Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7) Die Abgrenzung Kap. 4-7 ergibt sich daraus, daß mit Kap. 4 das völlig neue Thema der Lade in den Blick tritt und Kap. 7 wenigstens insofern mit dem Ladekomplex zusammenhängt, als es eine Art Gegengeschichte bildet (Stichwort Eben-Ezer). 10.1

Zur F o r s c h u n g

Nun sagt aber eine solche, am vorliegenden Text orientierte Einteilung nur wenig über die literarischen Zusammenhänge aus. Deshalb müssen zunächst die Fragen behandelt werden, die das Thema Lade aufwirft. 10.1.1

Das Problem einer Ladeerzählung in LS

4,lb-7,17

Der die nächsten drei Kapitel umfassende Abschnitt wird vordergründig durch die Lade 418 bestimmt, und sie nimmt in der Tat in der Darstellung breiten Raum ein. Allerdings ist es schwer, über die Lade ein klares Bild zu gewinnen. 419 So darf aus LS 3,3 nicht ohne weiteres erschlossen werden, die Lade habe schon in Silo einen Tempel gehabt, weil diese Stelle der Rückprojektion späterer Verhältnisse verdächtig ist. Eigentliches Thema aber ist die Bedrückung durch die Philister, die durch den Verlust der Lade in zugespitzter Form erfahrbar wird. Nach der These Rosts sind sie als eine in sich geschlossene Ladeerzählung anzusehen; diese These lautet: 420 418 Beschreibung in Ex 25,10; sie spielt in der Wüstenzeit ebenso eine Rolle (Xu 10,SS) wie bei der Landnahme (Jos 3,6). Sie begegnet im Zusammenhang mit folgenden Kultorten: Sichern (Jos 24); Bethel (Jdc 20,26)-, Silo (I.S 1-6); Gilgal (Jos 3,4); Jerusalem (2.5 6). Vgl. auch Dus Geschichte. Eine Karte zu den Wanderungen der Lade gibt Eißfeldt Lade 140. Zur Forschungsgeschichte Schmitt Zeh. "20 Rost Überlieferung 36.

10.1 Zur Forschung

275

Die Ladegeschichte ist als eine selbständige, in sich geschlossene, in ihrem ganzen Umfang unversehrt erhaltene Quelle zu betrachten, die die Geschichte der Lade von der Wegführung aus Silo an bis zur Aufstellung in Jerusalem erzählt. Diese These ist allerdings keineswegs unumstritten; 421 bis in jüngste Zeit ist die Frage einer Ladeerzählung mehrfach ausführlich behandelt worden, ohne daß sich ein umfassender Konsens eingestellt hätte. 422 Der wichtigste Streitpunkt ist wohl die Frage, ob 2.S 6 zur Ladeerzählung hinzugehört oder als relativ jung und eigenständig anzusehen ist.423 Umgekehrt wird auch die These vertreten, daß das Kapitel den Ausgangspunkt für die Erfindung der früheren Erzählungen bildet, 424 oder die vorsichtigere These, daß dieses Kapitel historisch zutreffend ist,425 die Erzählungen aus LS hingegen historisch weit weniger hergeben. 426 Wir werden auf diese Frage im Zusammenhang mit ->1.S 7,2a zurückkommen. Es bleibt zu fragen, welche Rolle die Lade nach ihrer Aufstellung im Tempel für den Kult spielt, bis sie schließlich 587 v.Chr. durch Nebukadnezar dem Gesichtskreis Israels entzogen wird. 427 Die Einholung der Lade durch David (2.S 6) stimmt ja mit der Einbringung in den Tempel in den liturgischen Grundzügen überein: Versammlung; Prozession; Opfer; Segen. Die beiden Erzählungen lassen sich daher auch als Einführung zu einem jährlich wiederkehrenden Fest verstehen. 428 Eine solche Deutung kann sich vor allem auch auf Ps ¡32 stützen. 429 Die entscheidenden Verse lauten in der Übersetzung von Kraus Psalmen 1054: 6 B 7 B 8 B

Ja, wir hörten von ihr in Ephrata, fanden sie in Jaans Gefilden.-430 Laßt uns einziehen in seine Wohnung, niederfallen vor dem Schemel seiner Füße! Auf, Jahwe, zu deiner Ruhestatt, du und deine machtvolle Lade.

Folgt man der Analyse von Kraus, 431 dann dürfte dieser Psalm als Sitz im Leben ein „königliches Zionsfest" haben, da er in enger Beziehung zu 2.S 6 steht und auch thematische Berührungen mit 2.S 7 hat. 421 Einen knappen Überblick über die verschiedenen Positionen gibt Fohrer Ladeerzählung 5 A.6. Vgl. auch die bei Otto Mazzotfest 354 A.l genannte Forschung. 422 Schickiberger Ladeerzählungen\ Campbell Narrative; Miller/ Roberts Hand; diese Arbeiten werden bei Campbell Yakweh vergleichend referiert; mit Miller)Roberts Hand setzt sich Willis Samuel auseinander. 423 Tarrgon David. 424 Davies History. 425 Hertzberg Samuelbücher 45. 426 Smend Jakwekrieg 56f. 4 " Vgl. 2.R 24,13; Jer 3,16f; 2.Makk 2,4-8; Apc 11,19. 42 » Rad Theologie I,58f. 42 ' Vgl. Kraus Königsherrschaft 82f. 430 V.6 „siehe, wir haben sie gehört in Ephrat / haben sie gefunden in den Feldern Jaans" könnte auf Kirjat-Jearim l.S 7,1 bezogen sein. 431 Mit eingehender Diskussion der Forschung bei Kraus Psalmen 1056-1061.

276

10. Philister, Lade und S a m u e l s Sieg ( 4 - 7 )

Eine weitere wichtige Frage ist, ob die Kapitel 4-6 miteinander zusammenhängen, 432 oder ob Kap. 5f von Kap. 4 unabhängig ist.433 In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die Frage nach Herkunft und Alter der Ladeerzählung. Ahlström Travels versucht nachzuweisen, daß die Komposition einem exilischen D-Geschichtsschreiber zuzuweisen ist, der der Exilsgemeinde durch die geschichtlichen Analogien Mut machen will. Damit verbunden ist eine Rückverlegung post-salomonischer Territorialverhältnisse in die frühe Davidzeit. Für unseren Zusammenhang ist wichtig, daß wegen des Aufenthaltes auf gibeonitischem Territorium eine Verbindung der Lade zu Silo sehr fraglich ist.434 Bei unserer Analyse wollen wir aber die Lade-Thematik nur so weit behandeln, wie sie für unser Thema von Belang ist.435 Die verschiedenen Ladenamen. Bei der Beurteilung der literarischen Fragen m u ß beachtet werden, daß die Lade unterschiedlich bezeichnet wird. Legt man Fohrers Analyse zugrunde, 436 dann sind in einen alten Ladebericht 437 folgende Stücke eingefügt: 4.5-9 4 , 4 b . 11 b—22 5,3-5 5.6-9.10*. 11-12 6,1-7,1

Jahwe-Lade; „Hebräer"; Eintreffen im Heerlager; Elohim-Lade\ Elidcn-Erzählung im A n s c h l u ß an 2,34; Jahwe-Lade\ Aitiologie für Nichtbetrcten der T e m p e l s c h w e l l e ; Lade des Gottes Israels (singulär); A u f e n t h a l t in A s d o d , G a t , Ekron; Jahwe-Lade; andere Plage als vorher und ganzes G e b i e t der Philister. D a s A b s c h i e b e n auf judäisches G e b i e t ist ein A n a chronismus, da diese Städte erst unter David zu Juda g e k o m men sind.

Auch in 2.S 6 finden sich entsprechende Unterschiede. 438 Der Text ist nach Fohrer in drei Stufen erweitert worden: 1. . 2. 3.

Ältere Ergänzungen: a. Geschwürlcgcnde l . S 5 , 6 - 9 . 1 0 * . 1 1 - 1 2 ; b. Uzza-Aitiologie 2.S 6 , 3 - 8 ; Spätere Schicht („Jahwe-Lade"; Datierung 6 , 1 - 7 , 1 ; 2.S 6 , 9 - 1 1 . 2.S 6 , 1 3 - 1 5 . 1 7 - 1 9 ; Weitere Ergänzungen: a. Elidencrzählung 1 .S 4,4b. 11 b - 2 2 ; b. Michal-Aitiologie 2.S 6 , 1 6 . 2 0 - 2 3 .

David/'Salomo)

4,5-9;

5,3-5;

Fohrers These wertet also die unterschiedlichen Lade-Bezeichnungen vor allem literarkritisch aus. "32 Kost Überlieferung; Campbell Narrative-, MillerjRoberts Hand. 433 Schickiberger Ladeerzählungen. "34 Ahlström Travels 149. "35 Eine umfassende Darstellung z.B. bei Schickiberger Ladeerzählungen 100-171; vgl. auch Fraine Royauté; Timm Ladeerzählung. Zur Lade-Thematik insgesamt Brongers Aspekle. 436 Fohrer Ladeerzählung. 437 i.s 4,lb-4a.l0-lla; 5,1-2.10*; 2.S 6,1-2.12 . 438 Elohim-Lade: V. 1-8.12; Jahwe-Lade: V.9-11.13-19; ohne Bezeichnung: V.20ff.

10.1 Zur Forschung

277

Auch Otto Mazzotfest 354-359 setzt bei den verschiedenen Bezeichnungen an. Er versucht, die verschiedenen Epitheta der Lade 439 überlieferungsgeschichtlich auszuwerten und sie den verschiedenen Kultorten zuzuordnen. Dabei ergibt sich folgendes Bild: a) Jahwe Zebaof. Silo (militärische Funktion);440 b) Cherubenthroner. Silo (Anwesenheit des Kabod);441 c) Bundeslade: Gilgal. Ein besonderes Problem bildet in jedem Falle die Zusammenziehung der Begrifflichkeit in V.4a.442 Es ergibt sich aus diesen Analysen, daß zwischen verschiedenen Laden unterschieden werden muß. 443 Die in V.4 und auch in 2.S 6,2 verwendete Kennzeichnung Jahwes als ,Kerubenthroner' „zählt zu den ältesten Belegen für die Vorstellung vom Thronen Jahwes". 444 In unserem Zusammenhang geht es allerdings nicht um die Frage, was mit dieser Vorstellung gemeint ist,445 sondern darum, welche Konsequenzen der Terminus für die Datierung und damit auch für redaktionelle Fragen hat. Falls die Bezeichnung in den Keruben des Salomonischen Tempels gründete, dann wäre dies ein terminus a quo für die Ladeerzählung. 446 Metzger Königsthron 351 nimmt jedoch an, daß es sich um das Epitheton eines kanaanäischen Gottes handelt, das vermutlich im Jerusalem Davids auf Jahwe übertragen wurde, um seinen Herrschaftanspruch zu dokumentieren. Dann aber wäre die Passage in die Zeit vor die Errichtung des Jerusalemer Tempels zu datieren. Funktion der Lade. Zwar wird in unserem Text deutlich, daß die Anwesenheit der Lade die Anwesenheit Jahwes garantieren soll; es ist aber nicht ohne weiteres verständlich, wie die Lade mit Jahwe zusammenhängt. In der Forschung ist häufig die Ansicht vertreten worden, die Lade sei ein leerer Gottesthron. 447 Dieser Auffassung steht freilich schon die Bezeichnung als „Kasten" entgegen, und so haben etliche Forscher diese These abgelehnt. 448 Die Auffassung der Lade als Fußschemel ist zwar in Belegen wie Ps 99,5, Ps 132,7b und l.Ch 28,2 möglich, aber nicht zwingend. 44 ' Betrachtet man das archäologische Material, 450 so wird es eher unwahrscheinlich, daß die Lade einen Thron verkörpert. Wie Metzger Königsthron 361-365 zeigt, erklären sich die biblischen Befunde weit besser, wenn man als 439

Statistische Übersieht bei Brongers Aspekte 14. 440 Mettinger Gud bringt Zcbaot (V.4) mit dem himmlischen Rat in Verbindung. 441 Dabei soll die Verwendung in LS 4,4 und 2.S 6,2 die Identität von Silo- und Jerusalem-Lade deutlich machen. 442 Wie die Analyse bei Otto Mazzotfest 354f A.2 zeigt, darf sie aber nicht textkritisch beseitigt werden. Otto Mazzotfest 365 leitet das Bundes-Epitheton von der Gilgal-Lade ab. 443 Mit drei verschiedenen Laden rechnet Gutmann History-, vgl. dazu Otto Mazzotfest 361 A.l. 444 Metzger Königsthron 309. 445 Vgl. die ausführliche ikonographische Untersuchung bei Metzger Königsthron 309-351. ¿46 So Maier Ladeheiligtum 53f. 447 Literatur bei Maier Kultus 59 A.10; Maier Ladeheiligtum 55 A.97.99; Überblick bei Metzger Königsthron 352f. 448 Überblick bei Metzger Königsthron 353f. 44 ' Metzger Königsthron 358f. 450 Umfassend zusammengestellt bei Metzger Königsthron Bd.2.

278

10. Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

Parallele ein Wandbild des Amenmose in Drah abul Negga (Anfang der 19. Dynastie) heranzieht. 451 Demnach wäre die Lade ein Kasten mit Tragestangen, auf dem Thron und Götterbild bei Prozessionen mitgeführt werden. In Israel wäre wegen des Bilderverbotes auf beides verzichtet worden. Zwar gibt es im Alten Testament keine unmittelbare Bestätigung für diese Hypothese, sie bietet aber eine plausible Erklärung für die Eigentümlichkeiten der Ladetexte. 452 Zum Sitz im Leben. Die Frage nach der Funktion der Lade stellt sich auch noch in einem generelleren Sinne. Da die Ladeerzählung offenbar vor allem zur Vorbereitung der Bedeutung dient, die die Lade später unter David hat, muß natürlich auch nach ihrer politischen Funktion gefragt werden. Johann Maier hat die These aufgestellt, daß David mit der Übernahme der Lade an die Traditionen des gescheiterten Stämmebundes anknüpft: 453 „... seine militärischen und politischen Erfolge erschienen dadurch in den Augen des Volkes als nunmehr gelungene Erfiillung der Ziele jenes Stämmebundes". Entsprechend deutet er die Bezeichnung der Lade „Lade Jahwes, des Gottes der Zebaoth ( = der beiden vereinten Heerbanne)". Mit dem Verblassen des Heerbann-Konzeptes unter Salomo verlor dann die Lade diese Funktion und „wurde Sinnbild und Zeugnis der Doppelerwählung Jerusalems und Davids".454 Anhaltspunkte für die Abgrenzung. Für unsere Zwecke ist von der Beobachtung auszugehen, daß in l.S 5,1 eine Überleitungsformel vorliegt.455 Sie greift ein schon weiter zurückliegendes Element auf, nämlich die Eroberung der Lade (LS 4,ll),i56 und ist nach unsereren Kriterien als «anaphorische Einfiigung» anzusetzen. Überhaupt finden sich deutliche Abgrenzungen, so LS 4,11.18 (Abschluß); l.S 4,19; LS 5,1 (Eröffnung); 1.S 4,5 (Einleitung). 457 Einen weiteren Einschnitt bildet das «Periodensignal» in l.S 6,1, das wohl weniger als Beginn des neuen, sondern vielmehr als Schluß des alten Teiles anzusetzen ist.458 Formuliert wird hier gleichsam die Inkubationszeit, in der die Plagen ihre Wirkung entfalten; der thematische Zusammenhang bleibt gewahrt. Er weist freilich keine Beziehungen zum Vorangehenden auf, sondern ist eher als „Urgeschichte der Rückholung" (2.S 6) zu werten: Das Versagen der Lade als Kriegs- und Globalgerät wird durch Episoden numinoser Manifestation überdeckt, die selbst David noch zu schaffen machen (2.S 6,6-10). 45

1

Metzger Königsthron Tf.39,A; weitere Tragthrone in Tf.38f. Darüber hinaus lassen sich auch abgeleitete Vorstellungen wie die von der Lade als Fußschemel verständlich machen, vgl. Metzger Königsthron 362-365. 453 Das Zitat aus Maier Kultus 60f; ausfuhrlicher Maier Ladeheiligtum 63f. 4 54 Vgl. noch den Exkurs in Maier Ladeheiligtum 50-53. "55 DeVries Yesterday 289. 456 long Problem 40. 157 Long Problem 40. 458 Vgl. 2.S 6,U \ schwieriger zu beurteilen ist l.S 1,2 (s.d.). 452

10.2 Der Verlust der Lade (l.S 4) 10.1.2

279

Tempelgeschichte

Wie wir bei der Exegese von ->1.S 4,1 (s.d.) noch sehen werden, ist der Zusammenhang l.S 3-6 durch Klammereinbettung eingefügt. Zugleich wird deutlich, daß ein Zusammenhang von den .Eliden' über die ,Lade' zum .Tempel' führt. Das Schicksal der Lade und das der Eliden sind nur deshalb von Interesse, weil sie für eine spätere Gegenwart von Bedeutung sind: Die Lade, weil sie die Altehrwürdigkeit des Kultes verbürgt; die Eliden, weil Salomo ihm genehme Priester einsetzt. Das bedeutet gerade nicht, daß ein literarischer Zusammenhang zwischen den drei Komplexen bestehen müßte. Es wäre vielmehr zu prüfen, ob nicht das Alter der Texte in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Reihenfolge steht («Retrosymmetrie»): Erst der Tempelbau, dann die Lade, und erst zuletzt die Eliden.

10.2

Der Verlust der Lade (1 .S 4)

Während in 1,1 und 9,1 durch die typischen Erzählanfänge ein deutlicher Einschnitt markiert wird, ist der Einschnitt hier weniger ausgeprägt. Zudem hängt er von einer textkritischen Vorentscheidung ab. 459 Liest man mit MT, dann muß man sich mit einem bloßen «Aktantenwechsel» (Israel) zufriedengeben, der allerdings aus der Sphäre des einzelnen in die des Volkes führt. Liest man hingegen mit Sept., dann kommt immerhin noch ein «ZeitSignal» hinzu. Mit diesem Kapitel wendet sich die Darstellung zum erstenmal in l.S der politischen Geschichte zu, die in dieser Zeit von der Auseinandersetzung mit den Philistern 460 bestimmt ist. Die hier behandelten Themen unterscheiden sich von den bisherigen so stark, daß man beide Teile kaum als zusammengehörig begreifen kann. 461 Allerdings gibt es einzelne Querverbindungen. So wird nun der Tod der beiden Söhne Elis erzählt, der in l.S 2,34 (vgl. Tafel 14 auf Seite 202) als Zeichen geweissagt worden 462 und schon in 2.S 2,25 als Beschluß Jahwes vorweggenommen worden war. 10.2.1

Die Philisterschlacht (l.S

4,1-11)

Die Passage von der Schlacht gegen die Philister ist mit den Eliden nur locker verknüpft. Zur Lokalisierung. Entfernt man diese wenigen Verbindungen, wie wir es sogleich noch im einzelnen tun wollen, dann ergibt sich ein selbständiger Schlachtbericht, der insgesamt authentisch wirkt. Der Schauplatz Eben-Ezer (V.l) wird, abgewandelt durch den Artikel, 463 in l.S 7,12 aufgenommen. Damit stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Ortsangaben zu459

S.o. ->Das Ergehen des Wortes (4,1a). Spanuth Philister. 461 Vgl. Hertzberg Samuelbücher 34-36; Greßmann Geschichtsschreibung 14-16; Press Samuel 185ff; Stolz Samuel 40; Schickiberger Ladeerzählungen 36f. Vgl. Ficker Komposition 324f A.66. Siehe dazu Tafel 32 auf Seite 308. 460

280

10. Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

einander stehen. Wir werden diese Frage im Zusammenhang von -+I.S 7,12 zu klären versuchen. Diese Aufgabe würde erleichtert, wenn sich Eben-Ezer eindeutig lokalisieren ließe. Allerdings werden dafür sehr verschiedene Vorschläge gemacht, 464 so Izbet Sartah, 465 was allerdings voraussetzt, daß Aphek mit Teil Ras el-Ein zu identifizieren ist,466 oder Ezer von Ephraim bzw. Abiezer von Manasse, 467 oder es wird kanaanäischer Ursprung (12.Jhd.) angenommen. 468 Trotz dieser Unsicherheiten ist aber nicht anzuzweifeln, daß es sich hier um eine authentische Ortsangabe handelt. Die Einfügung der Eliden (VAb.llb). Die Nennung der Eliden (V.4b) folgt einem stereotypen Muster (siehe Tafel 14 auf Seite 202). Sie hat keine Funkt i o n innerhalb des Schlachtberichtes; sie soll die Familiengeschichte vorbereiten. Die «Anknüpfung» an den Kontext wird auch hier wieder als «Bezugnahme durch Deixis des Ortes» vorgenommen. Trotz des dynamischen Vorganges (holen) werden die Eliden mit der gleichen Wendung eingeführt wie schon in 1.S 1,3b; hier ist lediglich ein kurzer Hinweis auf die Lade eingefügt. Der Text impliziert auch nicht, daß Hophni und Pinehas die Lade begleitet hätten. 469 Vielmehr handelt es sich um eine Art Synchronologismus, der ähnlich wie LS 14,3 die Ereignisse auf bestimmte Priesterfiguren bezieht, wobei ihr genauer Status im Ungewissen bleibt: Sie waren „bei der Lade". Wie bei I.S 1,3b handelt es sich um eine «Ankererweiterung». Auch in V.l lb ist eine Zufügung anzunehmen. Hier wird die Voraussetzung für die Meldung des Todes an Eli V.17b geschaffen. Zwar liegen keine unmittelbaren literarischen Indizien vor, aber die Tilgung wird doch durch die Überlegungen zu den entsprechenden Passagen der Silo-Szene gefordert (s.u.). Die Klammer (V.2CnlOB). Niederlage Israels berichtet. nicht weitere Beobachtungen daß Israel lipne pelistlm „vor besten, wenn damit das neue

In V.2C und V.10B wird zweimal von einer Das wäre an sich nicht zu beanstanden, wenn hinzukämen. Die merkwürdige Ausdrucksweise, den Philistern" geschlagen wird, erklärt sich am Subjekt für V.2b geschaffen werden soll.

Reaktion auf das Eintreffen der Lade (LS 4,5-9). Der Abschnitt V.5-9 treibt die Handlung nicht voran, sondern schildert das Gewicht, das die Lade für Freund und Feind hat, und ebenso die Bedeutung der Schlacht, als deren Folge die Philister die Knechtung befürchten müssen. Den Anfang bildet ein «Episodensignal». Mit dem wayehi ki-Satz in V.5A wird nämlich auf das Bringen der Lade V.4B Bezug genommen. Der Schluß ist eine «Ansteuerung». Dabei wird die nächste Erzählhandlung „und es kämpften die Philister" V.10 in Form einer Aufforderung vorangestellt: „Kämpft!" V.9G. 464

Zum Grundsätzlichen Miller Identification 125-128. Kochavij Demski Village, die den Kontrast zwischen der armen israelitischen Siedlung Aphek (Ras el-Ein) und der reichen philistäischen herausarbeiten; zu dem dort gefundenen Ostrakon vgl. Kochavi Ostracon. 466 Dazu Miller Identification 126 A.22. "67 Garsiel;Fmkelstein Expansion 196f. "68 Naveh Considerations 35. 469 Diese Auffassung stellen Sept. und andere durch Auslassen von säm „dort" her. 465

10.2 Der Verlust der Lade (l.S 4)

281

Wir haben mit diesen redaktionellen Techniken Merkmale gefunden, die eine Ausgrenzung des Abschnittes erlauben, ohne auf das Kriterium der Ladenamen zurückgreifen zu müssen. Denn zwar wird der Abschnitt als literarisch eigenständig auch durch die Bezeichnung „Jahwelade" ausgewiesen; dieses Kriterium muß aber schon aus textkritischen Gründen unsicher bleiben. 470 Zugleich wird durch unsere Kriterien die Abgrenzung bei Fohrer Ladeerzählung bestätigt. 471 Es entsteht dann ein unmittelbarer Übergang von V.4a zu V. 10. In der Vorlage fehlt also noch jeder Blick .hinter den Zaun', also auf das, was bei den Philistern und in ihren Köpfen vor sich geht: die Vorlage steuert unmittelbar auf den Verlust der Lade zu. Weitere Einfügungen. Allerdings gibt es auch innerhalb des eingefügten Abschnitts deutliche literarische Anhaltspunkte: Die Doppelung von „zeigt euch als Männer" V.9B und „werdet zu Männern" V.9F; Die Doppelung von „wehe uns" V.7b.8a; die mehrfachen Redewiedergaben 6a.7a.b; der Ausdruck „Hebräer" der nur im Munde der Philister auftritt. Einfügung ,Gottes' (V.7BC.8).

7

b E h

"

Betrachten wir nun den Abschnitt V.6b-8a:

Und sie erkannten, daß die Lade Jahwes gekommen war zum Lager. Und es fürchteten sich die Philister 11 denn sie sprachen: c Gekommen ist Gott zum Heerlager. Und sie sprachen: Wehe uns, denn nicht hat es dergleichen gegeben zuvor. 8 Wehe uns, ...

In dieser Passage finden sich zwei Doppelungen. Die erste ist: „Denn sie sprachen" V.7B || „und sie sprachen" V.7D. Dabei fällt auf, daß V.7B subordiniert ist (ki), also syntaktisch tiefer steht, während V.7D koordiniert ist (Narrativ). Die zweite Doppelung ist der Wehe-Ruf der Philister V.7E||V.8A. Mit diesen Doppelungen steht die weitere Beobachtung in Zusammenhang, daß in V.7C und V.8 plötzlich von „Gott" die Rede ist, nachdem es vorher immer nur um die Lade gegangen ist. Bei der ersten Doppelung läßt sich also eine «Klammerung» erkennen, wobei V.7B die sekundäre Klammer bildet. Formal handelt es sich also um eine «Vorwegnahme», inhaltlich hingegen um eine «Detaillierung»: Es wird ein in der Vorlage nicht genanntes Motiv für die Furcht der Philister angegeben. Entfällt dieses Motiv, dann wird erkennbar, daß die Vorlage offenbar nur auf die gewaltige Begeisterung abstellt, die die Lade im Lager auslöst. Durch die Einfügung wird nun aber die in V.6b mitgeteilte Beobachtung der Philister interpretiert: Sie erkennen, daß nicht nur ein Kasten eingetroffen ist, sondern daß es sich um die Gottheit handelt. 470 Vgl. Fohrer Ladeerzählung 6, der dem LXX-Text in V. 1-4 den Vorzug gibt, so daß dort von Gotteslade die Rede ist. 471 Vgl. die bei Fohrer Ladeerzählung 8f gegebene Übersetzung der Grundschicht.

282

10. Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

Die zweite Doppelung läßt sich hingegen nicht als «Klammereinbettung» erklären, da ja erst das zweite Element die Einfügung einleitet. Vielmehr handelt es sich um eine «Wiederaufnahme» im eigentlichen Sinne. Da der Terminus aber in der Forschung in etwas anderem Sinne verwendet wird, wollen wir in solchen Fällen von «Nachdoppelung» sprechen. Die Nachdoppelung umfaßt V.8 und enthält den Hinweis auf „diesen mächtigen G o t t " und zugleich die Erinnerung an dessen Schläge in Ägypten. Das Stichwort „Gott" ist ja in der vorangehenden Klammereinfügung schon vorbereitend eingeführt worden. Damit bildet sie zusammen mit der «Nachdoppelung» (= «Schiff») eine «Ankererweiterung». In der Rede der Philister fällt die doppelte Deixis auf. 472 In dieser Passage wird zum erstenmal in unserem Zusammenhang auf den Exodus Bezug genommen. 473 Aufgabe dieser Erweiterung ist eine theologische Korrektur. An die Stelle der wunderhaften Lade, von der sich in der zugrundeliegenden Erzählung die Israeliten den Sieg erhoffen V.3EF, wird der geschichtsmächtige Gott gesetzt. 474 Zugleich wird damit vorbereitet, daß die Philister ihres Sieges nicht so recht froh werden sollen: „Dieser mächtige G o t t " wird nämlich auch bei ihnen mit Plagen zuschlagen (LS 5,6ff). Einfügung der Knecht-Pas sage (V.6BC.9B-E). Die Doppelung von „zeigt euch als Männer" V.9B und „werdet zu Männern" V.9F wirkt auch dann als Überfüllung, wenn es sich bei V.9FG um einen asyndetischen Konditionalsatz handeln sollte; 475 sie ist als «Klammereinbettung» zu betrachten. Der eingefügte Abschnitt enthält ebenso wie schon V.4 die Bezeichnung „Hebräer" (V.9).476 Er gibt nicht nur ein Kampfmotiv für die Philister, sondern beschreibt auch das Verhältnis der Israeliten zu ihnen als „Knechtschaft". Dann aber ist zu fragen, ob nicht auch die vorangehende Verwendung dieses Begriffes auf eine Einfügung schließen läßt. Entsprechend dürfte auch „und sie sprachen: Was (ist) der Lärm dieses großen Jubels im Lager der Hebräer" V.6BC eingefügt sein, um den Terminus „Hebräer" einzuführen. Das Ende. Der Schlachtbericht endet mit der .Anzahl der Gefallenen'; er ist konventionell gestaltet 477 und umfaßt die Elemente Niederlage; Flucht und Auflösung; Bewertung; Anzahl der Gefallenen. Der Verlust der Lade. Über das traditionelle Muster „Schlachtbericht" hinaus geht die Notiz von der Wegnahme der Lade V . l l a , die in der Form x-AK angeschlossen ist. Eine solche Notiz von der Wegnahme der Lade im passivischen Sinne begegnet fünfmal (siehe Tafel 28 auf der nächsten Seite). Ihr 172 Dazu Ehlich Deixis 703-705. 473 Einige Autoren bringen diese Art der Bearbeitung mit den Problemen des Exils in Zusammenhang, vgl. z.B. Vorländer Entstehungszeit 126f. Vielleicht liegt hier auch eine indirekte Bestätigung für die oben skizzierte These von Metzger Königsthron 361-365, wonach die Lade ein Tragegestell für Thron und Bild war. Dann nämlich wäre es durchaus erklärungsbedürftig, daß die Philister so reagieren. 475 „Wenn ihr Männer seid, dann kämpft!"; Michel mündlich. 476 Zum Hintergrund vgl. Koch Hebräer-, Loretz Habiru 102-105. 477 Insofern gehört er zu den „traditionellen Episoden"; vgl. Gunrt Story 51-54.

10.2 Der Verlust der Lade (l.S 4)

a) b) c) d) e)

V.11A V.17E V.19E V.21D V.22C

wa'arön 'alohim niiqah wa'arön ha'alohim nilqähäh 'al-hilläqah 'aron ha'alohim 'al-hilläqah 'arön ha'alohim ki niiqah '"rön ha'alohim

a) b) 0 d) e)

V.11A V.17E V.19E V.21D V.22C

und die Lade Gottes wurde genommen; und die Lade (des) Gottes wurde genommen; im Blick auf die Wegnahme der Lade Gottes; im Blick auf die Wegnahme der Lade Gottes; denn genommen ist die Lade Gottes.

283

Tafel 28. Erwähnung des Verlustes der Lade in l.S 4 k o m m t eine Schlüsselfunktion für den ganzen Z u s a m m e n h a n g zu. 478 Erst in 5,1 werden die Philister als Aktanten der Wegnahme genannt. Die Verbindung zwischen dem Verlust der Lade und Silo findet sich auch außerhalb unseres Textes. So wird der Verlust der Lade in Ps 78,61 an die Verwerfung Silos V.60 angeknüpft. 4 7 9 10.2.2

Die Silo-Szene

(V. 12-22)

Die folgende Szene spielt in Silo. Sie weicht im Stil und der Erzählhaltung so stark vom Schlachtbericht ab, daß sie nicht gut als dessen Teil verstanden werden kann. 480 Dies wird auch schon aus der Formel bayyöm hahu V.12 deutlich, die eine «synchronisierte Einfügung» anzeigt. Allerdings sind in dem vorliegenden Text mindestens drei Elemente miteinander verbunden, deren Verhältnis zueinander der Untersuchung bedarf, nämlich die Überbringung der Kunde; der Tod Elis; die Geburt Ikabods. Eine Abgrenzung läßt sich auch erst nach dieser Klärung vornehmen. Die Einfügung Elis (V.13a). Die Wendungen wayyäbö' V.13A und wehä'is ba V.13E bilden eine «Klammereinbettung», durch die Elis Ausgangssituation (Bangen um die Lade, Sitzen auf dem Stuhl, Ausspähen) 4 8 1 eingefügt wird, die d a n n in V.18 wieder eine Rolle spielt. Die Besorgnis Elis ist gelegentlich als Bezugnahme auf den Frevel der Söhne gewertet worden. 482 Das ist möglich, aber nicht zwingend. Es reicht völlig aus, die Besorgnis aus dem Risiko abzuleiten, das sich aus der Entsend u n g der Lade in die Schlacht ergibt. Einfügung der Botschaft (V.14-18). In V.14 handelt es sich um eine «anaphorische Einfügung»: Das Wehgeschrei der Stadt wird als von Eli gehört aufgenommen. Wie schon in V.13E wird auf den Boten wieder mit ha 'is referiert. 478

Vgl. Hertzberg Samuelbücher 35. "79 Vgl. Carroll Psalm. "80 Rost Überlieferung 32f. 481 Lies mit Qere yd, vgl. Barthélémy Critique 152f. 482 Press Samuel 181, gefolgt von Dus Erzählung 334.

284

10. Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

Auffällig ist die umständliche Art, in der die Kunde Eli nahegebracht wird. Die Szene bildet eine «Doppelung» zu der einfachen Vorgangsbeschreibung „und er teilte es Eli mit" V.14; wir können sie daher als «Detaillierung» beschreiben. Mit der Altersangabe wird V.18 vorweggenommen; auch hier handelt es sich im kleinen um eine «Detaillierung». Die hohe Jahresangabe soll vermutlich Elis Blindheit V.15 plausibel machen, diese ihrerseits die ausführlichen Äußerungen des Boten. Während nun auf den Verlust der Lade auch im zugrundeliegenden Erzähltext Bezug genommen wird V.18, enthält die Rede des Boten auch den Tod der Söhne. Einfügung der Söhne (V.17). Ebenso wie in V.IIb ist eine Zufügung anzunehmen, obwohl die literarischen Indizien nicht sehr ausgeprägt sind: Die Wendung ist formelhaft; die stereotype Nennung der Zahl „zwei" und der Namen als Apposition nimmt sich dem Vater gegenüber seltsam aus; die Wiederholung von „und auch" kann zwar nicht als eigenständiges Argument dienen, wäre aber der einfachste Weg der Einfügung; die Analogie zu den parallelen Stellen, an denen die Einfügung deutlicher wird, z.B. V.4b, kommt als Stützargument hinzu. Wird die Erwähnung der Söhne aber entfernt, dann bleibt als neue Information des Abschnitts nur Elis Alter und seine Blindheit. Deshalb ist nach weiteren Einfügungen zu fragen. Die Richternotiz (V.18b). Die Passage gewinnt einen deutlichen Abschluß durch die Richternotiz V.18b. Sie wird fast einhellig als Einschub angesehen. 483 Als wichtiges Indiz dafür können wir den Anschluß mit «Textreferenz» identifizieren. Zugleich könnte die Plazierung ein Hinweis darauf sein, daß der Bearbeiter hier einen Abschluß vorgefunden hat. Fazit. Wenngleich die nachträgliche Einfügung Elis durch die unmittelbaren Beobachtungen nicht allzu gut begründet ist, wird sie durch die Untersuchung der Ikabod-Szene bestätigt. Ob die Szene daher unter dem Stichwort „news of defeat" als .traditionelle Episode' anzusehen ist,484 ist zweifelhaft. 10.2.3

Ikabod (1.S

4,19-22)

Die Passage von der Geburt des Ikabod soll offenbar das Geschehen theologisch deuten. 485 Anknüpfung V.19. Die Ikabod-Szene ist nur durch das Wort „seine Schwiegertochter" auf Eli bezogen. Tilgt man es, dann wird die Gebärende als „Frau des Pinehas" eingeführt. Daß diese Einführung keiner vorgängigen Erwähnung der Eliden bedarf, ergibt sich daraus, daß Pinehas in dem Stammbaum in l.S 14,3 verankert ist. 483 Rost Überlieferung 12f= 128; Schickiberger Ladeerzählungen Anfänge 12; Ficker Komposition 328 A.107. Gunn Story 51-54. 485 Vgl. Thr 2,1; Thr 1,6; dazu Robert Gloire 354.

37; Stoebe Samuel 137 Greßmann

285

10.2 Der Verlust der Lade (l.S 4)

Die Umdeutung der Kunde (V.19). Die Wendung „im Blick auf die Wegnahme" {'xl + inf. ni.\ vgl. Tafel 28 auf Seite 283) ist hier in V.19 auf den ersten Blick gar nicht als Zusatz erkennbar. Wenn wir aber die Aitiologie (V.21f) betrachten, werden wir den redaktionellen Charakter dieser Wendung begründen können. Die Erklärung für diese merkwürdige Sprachform liegt aber hier. Denn die Wendung muß als Attribut zur .Kunde', fungieren können: daher denn auch der präpositionelle Anschluß. Eine so geschraubte Konstruktion ist in einem primären Erzähltext schwer vorstellbar; sie wird eher verständlich, wenn es sich dabei um einen redaktionellen Notbehelf handelt. Die Erwähnung der Lade dient dabei lediglich als Anküpfungspunkt für die Erwähnung der Verwandten. Wenn die Erweiterung entfernt wird, dann bezieht sich die „Kunde" nurmehr auf das, was der Bote in der Stadt verkündet, also primär auf den Verlust der Lade, der ja auch der Skopus der Namensdeutung ist. Das aber bedeutet, daß die ,Geburt des Ikabod' unmittelbar an das Auftreten der Boten V.13 anzuschließen ist. Die Umgestaltung der Aitiologie (V.21f). Während neuerdings wieder die Einheitlichkeit des Stückes betont wird, 486 ist der Bezug auf den Tod des Schwiegervaters und Mannes (V. 19b.21) in der älteren Forschung als Glosse angesehen worden. 487 Um dies zu überprüfen, werden wir zunächst die Aitiologie untersuchen.

#

Grundbestand (V.22)

#

Einfügung (V.21)

A B

und sie sprach: Ausgewandert ist die Herrlichkeit aus Israel denn genommen ist die Lade.

B C

sogesagt: Ausgewandert ist die Herrlichkeit aus Israel im Blick auf die Wegnahme der Lade und wegen ihres Schwiegervaters und ihres Mannes.

"

b

"

b E

Tafel 29.

Vergleich der Namensdeutungen

(l.S

4,2lf)

In V.21f liegen zwei Deutungen des Namens vor, die wir in Tafel 29 auf dieser Seite gegenüberstellen. Der Vergleich zeigt, daß die drei Elemente Redeeinbettung; Deutung des Namens; Begründung doppelt vorhanden sind. In der Begründung wird in beiden Fällen die Lade genannt, nur einmal der Tod der Verwandten. Diese Version wird aber schon durch die Formulierung „im Blick auf die Wegnahme" ('cel + inf ni.) als sekundär ausgewiesen: Sie gehört einer abstrakteren, konstruierten Sprachebene an. Auch die Redeeinbettung mit le'mör „sogesagt" (V.21aß) ist gegenüber „und sie sprach" sekundär, sie wird normalerweise nicht zusammen mit qr' verwendet, da dieses nicht zu den Verben der Redeeinbettung gehört. Die re486

w

Long Problem 40; Stoebe Samuel 136;. Caspari Samuelbücher 73; Greßmann Anfänge

12.15f;

Rost Überlieferung

12f= 128.

286

10. Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

daktionelle Leistung von le'mör liegt darin, daß es die Einfügung der Benennung stärker unterordnet als der eigenständige Narrativ V.22. Eigentliches Ziel der Einfügung ist der Hinweis auf die Verwandten. Würde er fehlen, so wäre die Einfügung tautologisch. Daß die Wendung in LXX fehlt, ist nicht als Auslassung zu interpretieren, 488 sondern bestätigt die Vermutung, daß die Wendung in einer früheren Textform nicht vorhanden war. Das Motiv der in den Wehen sterbenden Frau findet sich auch Gn 35,16-20. Von dem Namen „Ikabod" ist nur die zweite Hälfte klar zu deuten; für die Partikel im Namen sind folgende Lösungen vorgeschlagen worden: 489 Negation™: „Kein R u h m " vgl. Hi 22,30; Prv 31,4 ( Qere);™ JosAnt V 360: adoxia; Frage: „Wo-Ruhm" vgl. PsPhil AntBibl LIV.6: „ubi est gloria?"; 492 Ausruf: „Wehe-Ruhm" vgl. Qoh 4,10; Qoh 10,16; l.S 4,21 LXX: ouai barchabooth;w theophor: „Jahwe-Ruhm", vgl. l.S 14,3 LXX: Ioochabeed, das sich allerdings auch in JosAnt V 360 findet, hier jedoch an den Kontext angepaßt ist. 494 A m plausibelsten scheint die Negation, zumal sie auch bei der etymologischen Deutung vorgeschwebt zu haben scheint. Zu beachten ist jedoch, daß es sich dabei um eine junge Bildung handelt. 495 Auch der formgeschichtliche Befund stützt dieses Ergebnis, denn inzwischen ist für diese Art der Aitiologie ein klares Formschema herausgearbeitet worden. 496 Unter diesen literarischen Voraussetzungen wird auch die Form der .Namensgebung mit Begründung' klar erkennbar, bei der die Begründung mit einem Narrativsatz gegeben wird. Als aitiologische Parallele läßt sich Meribaal heranziehen. 497 Da in der aitiologischen Gattung die Namensdeutung in einem Narrativsatz gegeben wird, wird zugleich deutlich, daß der Rekurs auf Schwiegervater und Mann schlecht innerhalb der erzählerischen Namensdeutung vollzogen werden kann, nach V.22 also, weil er ja mit dem Namen nichts zu tun hat. Abgrenzung. Die Themenangabe von V.l la wird als Begründung für Ikabods Namensgebung in V.22 wieder aufgenommen (vgl. auch Tafel 28 auf Seite 283): V.lla V.22b 488

wa'arön'"lohim nilqah; ki nilqah '"rön ha'alohim;

Vgl. Boer Research 54, der die Auslassung auf V.22a zurückfährt. 189 Vgl. Robert Gloire 352; Long Problem 40f. •wo So auch HAL s.v.'i I I I ; Zum Vemeinungscharakter vgl. auch Tsumura Particle. 491 Dazu Tsumura Particle. "92 Jacob Tradition 75 A.16. 193 Prince Ichabod. 494 Schickiberger Ladeerzählungen 38 A.91. 4 «5 Stoebe Samuel z.St. 496 Siehe -»Aitiologie in Wonneberger Gliederung; zu 4,19-22 Long Problem 40-42. 4 " 2.S 4,4; dazu Veijola David 345f.

10.2 Der Verlust der Lade (l.S 4)

287

Es handelt sich also um eine «Klammereinbettung», wobei V.22b die sekundäre Klammer bildet. Damit ist ein deutlicher Abschluß erzielt. 498 Form. Damit ergibt sich ein klarer formgeschichtlicher Befund: Die IkabodSzene bildet die «Evaluation» der Erzählung vom Verlust der Lade. 499 Der durch die Abschlußposition besonders betonte Skopus „ausgewandert ist die Herrlichkeit aus Israel" 500 setzt zugleich einen «Wartepunkt»: Undenkbar, daß der Kabod auf Dauer aus Israel verschwunden bleibt! Der Leser wird sich also fragen, wann der Kabod zurückkehrt. Der Kabod. Zur Beantwortung dieser Frage ist vom Befund der Konkordanz auszugehen. Vom Kabod Jahwes ist das nächstemal nicht etwa schon bei der Einholung der Lade durch David die Rede, sondern erst im Zusammenhang der Tempelweihe: „ 1 0 Und es geschah, als heraustraten die Priester aus dem Heiligtum, und die Wolke hatte erfüllt das Haus Jahwes, " u n d nicht vermochten die Priester hinzutreten, um zu amtieren vor der Wolke, denn erfüllt hatte der Kabod Jahwes das ganze Haus Jahwes" 1.R 8,11.501 Damit wird rückwirkend die Bedeutung der Lade theologisch formuliert: In ihr ist der Kabod Jahwes anwesend. 502 Zugleich wird die dazwischenliegende Zeit als Zeit ohne Kabod qualifiziert; das trifft nicht nur den mißliebigen Saul, sondern auch Samuel und David. Die Vorstellung des Kabod ist vor allem der Priesterschrift und Ez zuzuordnen. 503 Sie scheint auch in 1.R 8,11 redaktionell eingetragen zu sein. Die Perikope von der Geburt Ikabods gibt also eine priesterliche Deutung des Geschehens, die auf Salomos Tempelbau abzielt. Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann dürfte auch die genealogische Verknüpfung 1.S 14,3504 in diesen Umkreis gehören. Aus der Perspektive der Exilszeit wäre dies ein wichtiger Mosaikstein zu der tröstlichen Geschichtserkenntnis, daß schon einmal der Kabod sich zurückgezogen hat, er dann aber auch zurückgekehrt ist, und noch großartiger als vorher. 505 Verhältnis zu 1.S 14,3. Ikabod wird auch in der Genealogie erwähnt, die in 1.S 14,3 für den Saul begleitenden Priester Ahia ben-Ahitub gegeben wird: 506 3 B c D E F G

Und Ahia ... der Sohn Ahitubs, des Bruders des Ikabod, des Sohnes des Pinehas, des Sohnes Elis, des Jahwepriesters in Silo ... war Träger des Ephod

498 stoebe Samuel 128. 499 Zur Verbindung mit der Ladetradition vgl. Zobel Arl.ZebaolSp.iS6 . 500 Die Kombination aus glh und dem Kabod findet sich nur noch Ho 10,5, dort im Zusammenhang mit wehklagenden Priestern. 50' Westermann Art.KBD Sp.808; Weinfeld Art.Kabod Sp.33. 502 Robert Gloire. 503 Mettinger Dethronement 80-115; paradoxerweise hält er jedoch unsere Stelle oder zumindest den Namen des Kindes für alt (S. 121). 504 Vgl. Veijola Dynastie 41. 505 Stoebe Samuel 137 ad 4,22: „Der Bogen spannt sich zum Exil 586". 506 Vgl. dazu Veijola Dynastie 39-42.

288

10. Philister, Lade und S a m u e l s Sieg ( 4 - 7 )

Die Erwähnung Ikabods verläßt den Rahmen der Genealogie, um an die schon bekannte Figur zu erinnern. Die Erweiterung der Genealogie auf den Bruder darf also zwar nicht als ausreichende Begründung für redaktionelle Einfügung gelten, aber doch als zusätzlicher Hinweis. Grund für die Einfügung. Der Grund für die Einfügung läßt sich unschwer dem Argument entnehmen, mit dem Ehrlich Randglossen 3,183 den primären Charakter begründet hatte: 507 A n dieser Stelle ist die N a m e n s e r k l ä r u n g trotz der traurigen U m s t ä n d e d e n n o c h an ihrem Platze, weil sie den f r o m m e n Geist der Sterbenden zeigt, die, w i e ihr Schwiegervater, bei all dem persönlichen U n g l ü c k im A u g e n b l i c k des T o d e s nur an d e n Verlust der L a d e Jahwes dachte.

¡0.2.4

Ergebnis

Demnach können wir uns die Entstehung des Textes folgendermaßen vorstellen: 1. 2. 3.

Bericht v o m Verlust der Lade; D e u t u n g durch die ,Geburt des Ikabod'; Einarbeitung Elis und der Söhne.

10.3

Das Schicksal der Lade ( l . S 5,1-7,2a)

Die beiden Kapitel behandeln die Ereignisse vom Verlust der Lade bis zu ihrer Zwischenlagerung in Kirjat-Jearim; 508 sie bereiten damit die Rückführung selbst erzählerisch vor und stellen zugleich die eigenständige Kraft der Lade heraus. 10.3.1

Die Lade im Philisterland (l.S

5,1-6,1)

Der erste Teil reicht entgegen der Kapiteleinteilung bis 6,1, wie noch zu begründen sein wird. Er behandelt den Aufenthalt der Lade bei den Philistern bis zu der Zeit, d a sie sie wieder loswerden wollen. a) Anknüpfung (l.S

5,1)

An l.S 5,1 ist zunächst die Satzform x-AK auffällig. Daß mit dieser Satzform eine thematische Wende eingeleitet wird, liegt auf der Hand. S09 Allerdings ist zu fragen, ob es sich nur um einen erzählerischen oder um einen literarischen Einschnitt handelt. Während Schickiberger Ladeerzählungen 100 zwar einen Bruch und Neueinsatz wahrnimmt, aber doch nicht an einen literarischen Neuansatz denken will,510 sieht Stoebe Samuel 138 hier eine redaktionelle Naht, die zwei ursprünglich selbständige Stücke miteinander verbinden will. 507 508 509 510

E r hält nur V.21b für sekundär. Zum Text der LXX Stoebe Samuel 138f. Vgl. Budde Samuel 39; ähnlich Stolz Samuel 45. Zur Kritik vgl. Ficker Komposition 329f A. 126.

10.3 Das Schicksal der Lade (l.S 5,1-7,2a)

289

Zunächst kann damit argumentiert werden, daß Kap. 4 keiner Fortsetzung durch Kap. 5 bedarf. 511 Da wir aber die Passage 4,11b-22 oben als redaktionell erkannt haben, wird die Frage des Abschlusses eher an 4,1 la abzuhandeln sein. Wegen der Klammerung durch den Satz von der Wegnahme der Lade findet sich in beiden Fällen der gleiche Schlußsatz. Ein wichtiges Indiz für die Eigenständigkeit von Kap. 5f liegt aber gerade in der Reformulierung der Wegnahme in V.la, die bei einem durchlaufenden Erzählfaden wohl nicht zu erwarten wäre. Diese Reformulierung vollzieht zugleich den Wechsel vom Passiv zum Aktiv: i. Und die Lade Gottes wurde genommen (4,1 la); ii. und die Philister hatten die Lade Gottes genommen (5,1a). (i) ist allerdings ein abschließender Satz, während (ii) vorgezogen ist und deshalb temporalen Sinn erhält: „als/nachdem die Philister die Lade genommen hatten"; (ii) ist als «anaphorische Einfügung» anzusehen. Während das Passiv eine Erzählhaltung aus der Perspektive Israels verkörpert, werden durch die Aktiv-Formulierung die Philister als neue Aktanten eingeführt; das Generalthema heißt ja auch „was die Philister mit der Lade anfangen". b) Die Dagonepisode (l.S

5,2-5)

Schon die Doppelung in der Einleitung („nehmen" und „bringen" V.1||V.2) weist darauf hin, daß die Episode mit dem Gott Dagon 512 eingefügt sein dürfte. Ihr Ende bildet eine Aitiologie (V.5), in der sich der Verfasser mit der Nachwirkungsformel 'ad hayyöm hazzceh auf seine eigene Zeit bezieht. 513 Daß erbeutete Kultgegenstände dem eigenen Gott zu Füßen gelegt werden, ist üblich; so bringt der Moabiter Mesa einen erbeuteten Jahwe-Altar vor den Gott Kamosch. 514 Diese Ausgangslage dient nun aber dazu, die Überlegenheit Jahwes zu erweisen; 515 sie wird durch mehrere Motive verdeutlicht: Dagon stürzt um; 516 er fällt aufs Angesicht; 517 er wird „enthauptet"; 518 ihm werden die Hände abgeschlagen. 51 ' Schon dadurch wird deutlich, daß es hier um Fremdgötter-Polemik geht. 520 Besonders verstärkt wird diese Thematik aber noch durch die Aitiologie zum Brauch des Schwellenhüpfens. Das Fortleben dieses Brauches wird durch eine s n Press Samuel 182; ähnlich Ficker Komposition 81-83, der in der Ikabod-Aitiologie einen eigenständigen Abschluß sieht. 512 Literatur dazu bei Preuß Verspottung 77 A. 111. Von einem großen Opferfest zu Ehren Dagons ist in Jdc 16,23 die Rede. Zur Verbindung zwischen Dagon und dägän „Getreide" vgl. Segert Paronomasia 459; Delcor Dagon 145; vgl. auch den in Jos 19,27 erwähnten Ort Beth Dagon. s 3 > Sie begegnet in unserem Textbereich sogleich wieder in l.S 6,18 und dann l.S 8,8; siehe auch die ausführlichere Behandlung in IVonneberger Gliederung. 51« Galling Textbuch 52. 515 Zur Bilddarstellung in der Synagoge von Dura Europos Preuß Verspottung 80 A.120. 516 Vgl. Gn 49,17; l.S 17,49. s 7 ' Lies 'I päne statt Ipnyw, Stoebe Samuel 138f ad 3c. Zum Motiv vgl. Gn 17,3; 2.S 14,4; Ez 1,28 u.ö. 518 l.S 17,51; l.S 31,9; metaphorisch: Jes 9,13. 51« Dt 25,12. 520 Umfassend zu diesem Thema Preuß Verspottung.

290

10. Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

Notiz vom persischen Königshof aus dem 17.Jhd. n.Chr. bezeugt. 521 Der Brauch setzt offenbar voraus, daß man unter der Schwelle Amulette, Götterstatuetten o.ä. vergrub, die dem Bösen den Eintritt verwehren sollten und denen man natürlich nicht auf den Kopf treten durfte. 522 Die Praktizierung des Brauches bedeutet freilich nicht, daß den Beteiligten dieser Sinn präzise gegenwärtig gewesen sein müßte. Der Brauch ist zwar nicht unbedingt Voraussetzung für die hier gegebene aitiologische Deutung, er erleichtert sie aber. Da die Hauptintention in der Fremdgötterpolemik zu sehen ist, wird man wohl die Periode assyrischer Vorherrschaft voraussetzen müssen, die von 701 bis Josia auch Judas Religion überfremdet hat. 523 Auch einige andere Gründe sprechen für eine eher späte Datierung: Das Schwellenhüpfen ist hier mit dem Begriff miptän verbunden; 524 er begegnet sonst nur selten und erst spät in Ez 9,3; Ez 10,4.18; Ez 46,2; Ez 47,1; Zeph 1,9; der Brauch spielt auch Zeph 1,9 (.Heimsuchung der Schwellenhüpfer') eine Rolle; der Sache nach handelt es sich um eine Fremdgötterverspottung; dafür sind als Parallelen aber nicht nur Texte wie ,Elia und die Baals-Priester' (l.R 18) heranzuziehen, sondern auch spätere Texte wie EpJer oder Bei et Draco {Da 14,3-22). Diese Gründe erlauben zwar noch kein abschließendes Urteil, aber sie stützen immerhin die These eines redaktionellen Nachtrags. Durch die Aitiologie wird der Brauch auf Jahwes Eingreifen zurückgeführt. Die Aitiologie stärkt also auf ihre Weise die Fremdgötterpolemik: So nachdrücklich war Jahwes Eingreifen, daß daraus ein Brauch geworden ist, der noch immer besteht. Daß die Dagonepisode eingefügt sein dürfte, wird auch aus dem Nachklapp „und auf Dagon, unseren Gott" V.7D deutlich; 525 denn zuvor war nur vom Unheil der Asdoditer die Rede. A m Rande sei vermerkt, daß in l.S und 2.S nur hier (V.4) und in dem ebenfalls wohl redaktionellen l.S 1,13 die «Gradpartikel» raq „nur" 526 auftritt. Das ist deswegen signifikant, weil sie z.B. in l.R und 2.R 23-mal begegnet. 527 c) Die Lade bei den Philistern (l.S

5,1.6-12)

Die Ausgliederung der Dagonepisode führt zu einem glatten Anschluß von V.6 an V.l. In V.6B dürfte nach l.S 7,10 zu lesen sein: wayehummem „und er versetzte sie in Bestürzung". 528 Die Wendung „Asdod und sein Gebiet" (V.6b) wirkt als Nachklapp. 529 Die Asdoditer selbst formulieren die Erkenntnis, daß Jahwes Hand auf ihnen lastet und zeugen damit ungewollt für dessen Überlegenheit. 530 521 Bei Pietro de la Valle 11,29 und 111,87, siehe Donner Schwellenhüpfer 54; . 522 Donner Schwellenhüpfer 53. 523 Donner Schwellenhüpfer 44. 52Platzhallersätze in Wonneberger Gliederung. Z.B. Ex 9,23; Ex 19,16-, Ex 20,18; Jes 29,6; l.S 12,17. 623 l.S 1,20; 2.S 22,14; Ps 18,14; Ps 29,3; Hi 37,4.5; Hi 40,9. Zum altorientalischen Hintergrund Weinfeld Intervention.

306

10. Philister, Lade und S a m u e l s Sieg ( 4 - 7 )

Als deutliches redaktionelles Indiz bietet sich die Wendung „an besagtem Tage". 624 Sie ist im Rahmen der Textgliederung als «Reformulierung» einzuordnen. 625 Redaktionell ist dies so zu deuten, daß der Bearbeiter auf den ihm ja schon vorliegenden Text bezugnimmt, während der Autor dies im Normalfall nicht tut. Eine solche Bezugnahme lenkt zugleich wieder auf den vorgegebenen Kontext zurück, darin der «Klammereinbettung» vergleichbar und also häufig als Endsignal eines solchen Einschubes auszuwerten. Wir haben damit ein von inhaltlichen Gesichtspunkten unabhängiges Merkmal gefunden, das den redaktionellen Charakter der Aussage anzeigt. Dann aber sind auch die Folgeereignisse der ,Verstörung' 626 und des ,GeschlagenWerdens' der Einfügung zuzurechnen. Als Parallelen zu dieser Steigerung ins Konkret-Wunderhaft-Plötzliche kommen vor allem in Betracht ,Josuas Sieg bei Gibeon' (Jos 10,10) und .Baraks Sieg über Sisera' (Jdc 4,15). Der Aufbruch der Israeliten (V.II). Wenn diese Ausgrenzung zutrifft, dann ist die nächste Handlung der Vorlage das .Ausrücken der Männer Israels' ( V . l l ) . Es schließt dann an die ,Erhörung' durch Jahwe (V.9) an. Die Initiative liegt also bei Israel, das siegesgewiß in den Kampf geht. Die Kampfhandlung der Israeliten wird als rdp mit direktem Objekt dargestellt. Dieser Sprachgebrauch ist gegen rdp 'ahfire „nachjagen" abzugrenzen, das ein vorher zu berichtendes .Fliehen' präsupponieren würde. Das Verb mit direktem Objekt hat offenbar den Sinn „vertreiben, in die Flucht schlagen". Einziger Beleg ist Lv 26,36.627 Der Ausdruck macht es also nicht erforderlich, V.10 in der Vorlage zu behalten. Gegenüber einer Etikettierung als „heiliger Krieg" 628 ist Vorsicht geboten, da wichtige Elemente wie etwa die Siegesgewißheit allenfalls zwischen den Zeilen zu lesen sind und es eher unwahrscheinlich ist, daß Samuel in der Vorlage als charismatischer Führer fungiert. In dem Bericht von Sauls Schlacht bei Gibea (LS 14,20) ist ebenfalls von Verstörung die Rede, hier als Nomen, aber diese wird nicht Jahwe zugeschrieben, sondern läßt sich allenfalls indirekt mit dem Gottesschrecken (LS 14,15) in Zusammenhang bringen. Diese Befunde zeigen, daß eine Identifizierung mit dem Heiligen Krieg ebenso vorschnell wäre wie der bei Veijola Königtum 32 unternommene Versuch, das Verb hmm „verstören" (V.10) mit Dtr in Verbindung zu bringen. Zwar wird auch hier der Sieg auf Jahwe zurückgeführt: „Und es antwortete ihm bzw. erhörte ihn Jahwe" (V.9), aber das mirakulöse Element fehlt; der Text bleibt damit in der Linie der alten Rettungserzählungen. Gegen DeVries Yesterday 8Jf, der den Text für ursprünglich hält, obwohl er selbst zeigt, daß eine Vielzahl von Belegen redaktionell sind. 625 In diesen Bereich gehört insbesondere auch das Textgliederungssignal „Renominalisierung", s. «Anapherverzicht». 626 Vgl. Ex 14,24; Ex 23,27; 2.S 22,15\ Dt 2,I5\ zur ganzen Textgruppe Weimar Jahwekriegserzählungen. 621 In /.S 17,52 ist vorher explizit von Flucht die Rede. 628 Rad Krieg 12 und passim; zur Auseinandersetzung vgl. Stolz Kriege; Weippert Krieg.

10.4 S a m u e l s Philistersieg und Tätigkeit ( l . S

10.4.5

Die Folgen der Schlacht

7,2b-I4.15-17)

307

(V.12-14)

Die Schilderung von den Folgen der Schlacht (V. 12-14) schließt nicht nur die Erzählung ab, sondern entwirft auch eine gesamtisraelitische Perspektive. Steinsetzung und Aitiologie (V.12). Dieser Abschnitt enthält keine Anhaltspunkte, die ihn als redaktionell ausweisen würden. Es ergeben sich aber eine Reihe von Beobachtungen, die dagegen sprechen, daß es sich um eine authentische Tradition handelt: i. D a s M o t i v der Steinsetzung begegnet sehr selten, so im Z u s a m m e n h a n g der Betel-Aitiologie ( G n 28,18). Bei Jakobs T r e n n u n g v o n L a b a n ist es o f f e n b a r sek u n d ä r eingefügt, u m für Jakob ein G l e i c h g e w i c h t zu L a b a n s S t e i n - H a u f e n zu s c h a f f e n , a u f den allein sich auch die Aitiologie bezieht (Gn 32,45f.52). Eine Steinsetzung mit O r t s a n g a b e wie hier n i m m t Josua vor, dort fehlt aber die Aitiologie, weil der Stein als Z e u g e fungiert ( J o s 24,26). ii. Formgeschichtlich betrachtet ist d a s M o t i v nicht im Schlachtbericht verankert. 6 2 9 Vielmehr schließt an d a s Niederwerfen des Feindes ( „ L ö s u n g " ) die A u s s a g e v o n der D e m ü t i g u n g („Evaluation") an, die d a s Ergebnis bewertet und durch den W e c h s e l der Aussage-Perspektive zugleich d a s Ende signalisiert. 6 3 0 iii. D e r vorliegenden Aitiologie entsprechen eine Reihe weiterer Aitiologien, bei d e n e n es sich stets u m Orte handelt, an d e n e n J a h w e d e n Sieg verliehen hat. 6 3 1 iv. Die Querverbindungen z u m Text b e s c h r ä n k e n sich a u f M i z p a , d e n Schauplatz der Perikope.

Alle diese Gründe sprechen eher gegen eine örtliche Tradition von einem Stein, 632 so daß die Aitiologie nicht von der Vorlage abzutrennen ist. Freilich muß dies mangels archäologischer Evidenz alles unsicher bleiben. Eine Identifizierung von Haschen ist bisher nicht gelungen, und auch Emendierungen des Namens befriedigen nicht. 633 Das Verhältnis zu dem gleichnamigen Ort in LS 4,1 ist unklar. Immerhin zeigt die Lokalisierung, daß es sich nicht um den Ort der Niederlage handelt. 634 Auffällig ist hier die Setzung des Artikels. Tafel 32 auf der nächsten Seite gibt einige Beispiele, bei denen die Form mit Artikel überwiegt. Allerdings dürfen daraus ohne genaue Untersuchung keine Schlüsse gezogen werden. In unserem Fall bewirkt die Setzung des Artikels, daß die Wendung nicht wie dort als Name, sondern in ihrer produktiven Wortbedeutung verstanden wird, auf die dann ja auch die Aitiologie Bezug nimmt. Ziel dieser Aitiologie ist es, den durch die Niederlage bei Aphek belasteten Namen Eben-Ezer (l.S 4,1; 5,1) umzudeuten. 635 Wenn dies zutrifft, ist damit das Motiv für die Aitiologie identifiziert. 629 Vgl. auch Long Problem 36f; ebenso Fehlanzeige beim „heiligen Krieg", vgl. Rad Krieg. 630 Ehud gegen die Moabiter (Jdc 3,30); Gideon gegen die Nlidianiter (Jdc 8,28); Jephta gegen die Ammoniter (Jdc 11,33); demgegenüber aktivische Formulierung mit Gott als Subjekt in Jdc 4,23, möglicherweise redaktionell. « i Ramat Lechi (Jdc 15,17)-, Eben-HaEzer (l.S 7,12); Baal Peraschim (2.S 5,20); Joqteel (2.R 14,7); Emek Beraka (2.Ch 20,26); dazu Fichtner Ätiologie 388f. 632 Gegen Noth Studien 56 A.3. 633 Zu den verschiedenen Versuchen Miller Identification 126A.21. 634 Stoebe Samuel 175; weiteres s.o. zu ->1.S 4,1. 635 Veijola Königtum 37 mit den meisten; anders Weiser Samuel 22 A.l.

308

10. Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

Kefira mit: Jos 9,17; Jos 18,26; ohne: Esr 2,25; Neh 7,29; Gibea mit: Jdc ¡9,14; Jdc 20,4.5.19; Ho 9,9; Ho 10,9; ohne: Jdc 19,12; LS 10,26; Rama mit: Jos 18,25; Jdc 4,5; LR 15,17; ohne: Neh 11,33; Gilgal mit: Dt 11,30; Jos 9,6; Jos 10,6.7.9; Jdc 3,19; 2.S 19,16.41; ohne: Jos 5,9. Tafel 32. Artikelsetzung bei Ortsnamen: 149 A.25.

Zusammengestellt nach Vriezen Kefire

Bei der Aitiologie handelt es sich um eine Namensgebung mit Begründung. 636 Durch die Begründung unterscheidet sie sich auch von anderen Steinsetzungen, 637 während sie sie mit der Ikabod-Aitiologie (LS 4,21) gemeinsam hat. Der erreichte Zustand (V.I3). Es handelt sich um ein deuteronomistisches Siegessummarium. 638 Das Verbum kn' „sich demütigen, gedemütigt werden" wird in passivem Sinn 639 im Richter-Rahmen 640 konventionell zur Beschreibung militärischer Erfolge verwendet: 641 a) So mußten sich an jenem Tage die Moabiter unter die Hand Israels beugen, und das Land hatte 80 Jahre lang Ruhe (Jdc 3,30);w b) So wurden die Midianiter vor den Israeliten gedemütigt so daß sie ihr Haupt nicht mehr erhoben. Und das Land hatte 40 Jahre lang Ruhe, solange Gideon lebte. (Jdc 8,28); c) So wurden die Ammoniter vor den Israeliten gedemütigt (Jdc 11,33). In V.13 finden sich deutliche Abschluß-Signale, so das «Modalverb» „fortfahren" (hier verneint), der stativische Nominalsatz „die Hand war gegen ..." 643 und das Periodensignal „alle Tage ...". Der Vers nimmt also im Erzählaufbau die Position der Evaluation ein. Damit ist jener Teiltexttyp vorgegeben, den dann auch der redaktionelle Zusatz (V.14) fortführt, nur daß jener aus der Perspektive Israels wertet, dieser aus der Einzelgeschichte. Durch das Periodensignal „alle Tage ..." wird der Horizont bis zum Tode des Richters aufgespannt. Diese Angabe entspricht der Konvention des Richter-Konzeptes, kann aber nicht schon allein deshalb als falsch beurteilt werden. Da das zeitliche Verhältnis von Samuel und Saul unklar bleibt, ist eine längere Periode relativer Ruhe vor der vernichtenden Niederlage Sauls (I.S 31) durchaus denkbar. 636 637 638 639 noch 610 641 642 643

Vgl. Long Problem 36; zum Typ auch Golka Aetiologies 36-47. Z.B. Gn 28,18; Jos 24,26. Vgl. Jdc 3,29/; Jdc 4,22f; Jdc 8,28; Jdc 11,33; vgl. Richter Bearbeitung 3-13. In seinem reflexiven Sinne dient es in Chr häufig zur Bezeichnung einer zwar späten, aber doch rechtzeitigen Hinwendung zu Jahwe. Veijola Königtum 32f. Vgl. auch ICh 20,4; 2Ch 13,18. Vgl. auch „Ihre Feinde bedrängten sie, und sie mußten sich beugen ihre Hand" (Ps 106,42). Dt 2,15; Jdc 2,15; l.S 5,9; l.S 12,15; 2.S 24,17 (anders /.CA 21,17) .

10.4 Samuels Philistersieg und Tätigkeit (l.S 7,2b-14.15-17)

309

Ausgliederung: Die Folgen der Schlacht (V.14). Die Rückkehr der Philisterstädte ist historisch wenig plausibel. Sie verschiebt die Perspektive von einer relativen Ruhe zu einer Vorrangstellung Israels. Die Formulierung mit dem Verbum nsl „entreißen" erinnert an V.3, den wir ebenfalls als redaktionell erkannt hatten. Überdies enthält V.13 eindeutige Schlußsignale, so daß umgekehrt V.14 als überschießend erkennbar wird. Bei der Nennung der Ortsnamen in der Formulierung „von ... und bis ..." handelt es sich um einen Merismus, 644 und es stellt sich sogleich die Assoziation zu „von Dan bis Beerscheba" (l.S 3,20\ s.d.) ein; aber es ist noch mehr, was beide Passagen gemeinsam haben. Sie bilden nämlich beide die «Evaluation» der jeweils vorangehenden Geschichte, und sie tun dies mit demselben Blickwinkel: Sie führen von der individuellen Geschichte zur gesamt-israelitischen Perspektive. Damit verraten sie ein und dasselbe Interesse, darin zugleich auf ein und denselben Geschichtsschreiber hindeutend. Dem entspricht auch die Erwähnung des Friedens mit den Amoritern. 645 Die Bemerkung soll wohl zeigen, daß der Friede umfassend ist. Fraglich ist aber, ob dies als Kritik am Königtum erklärt werden muß. 646 Eher scheint es sich um eine steigernde Ausgestaltung von V.13 zu handeln. „Richter Israels". Damit wird es plausibel, in Samuel das Endglied einer Richterliste zu sehen; sie dürfte mit Josua begonnen und insgesamt zwölf Personen umfaßt haben: 647 Josua; Othniel; Ehud; Gideon; Thola; Jair; Jephtha; Ibzan; Elon; Abdon; Simson; Samuel. Eli ( l . S 4,18) und Debora scheiden für diese Liste aus, weil bei ihnen keine Elemente des fünfgliedrigen Richterschemas begegnen. Samuel wird auf verschiedenen Ebenen als „Richter Israels" dargestellt: 648 Exemplarisch (Mizpa) (l.S 7,6); generell ( l . S 7,15f)\ Sukzession ( l . S 8,1). Der genaue Sinn des Ausdrucks „Richter" ist umstritten, sowohl was die Wortbedeutung als auch was das Amtsverständnis angeht. Die wichtigsten Arbeiten der letzten dreißig Jahre werden bei Rösel Richter besprochen, der seinerseits einen neuen Versuch zur Begriffsbestimmung unternimmt. So sieht er in dem Terminus einen Oberbegriff für qäsin, den zeitweisen militärischen Führer, was ungefähr dem Begriff des Großen Richters entspricht, und ro's, eine Art Führer des Stammes. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, daß die Richtergestalten des Richterbuches keine Zentralgestalten Israels sind, wie es das Rahmenkonzept darstellt, sondern in enger Verbindung zu ihren jeweiligen Stämmen stehen. Zu dieser Beobachtung paßt das im Summarium gezeichnete Bild recht gut. Denn das Summarium zeigt Samuel als einen Richter, der in einem recht engen Umkreis von Heiligtum zu Heiligtum zieht. Thiel Entwicklung 136 hat diese Art der Tätigkeit im Sinne einer Appella644 Vgl. Brongers Merismus 101, dessen Liste unsere Stelle hinzuzufügen ist; siehe auch „Merismus" auf Seite 84. 645 Nach Dt 20,17; Am 2,9; handelt es sich dabei um eine Sammelbezeichnung für die kanaanäischen Feinde Israels; vgl. Stoebe Samuel 175; Stolz Samuel 56. 646 So Stoebe Samuel 175; Schulz Samuel 121; beide rechnen mit bloßer Kontrastwirkung, ohne explizite Bezugnahme. 647 So die Analyse bei Schunck Richter 254f. 648 Vgl. Richter Richtern; Marzal Governor.

310

10. Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

tionsinstanz erklärt, die die schwierigen Rechtsfälle oder die bestrittenen Urteile der örtlichen Rechtspflege zu bearbeiten hat. Dann würde der Richter für die verschiedenen Orte und Stämme schon eine Art Zentralinstanz bilden. Angesichts der Quellenlage scheint dies möglich, aber nicht beweisbar. 10.4.6

Das Verhältnis zum

Kontext

Betrachten wir nun das Verhältnis zum Kontext. Dabei stellt sich zunächst die Frage nach dem Zusammenhang mit den Richtergeschichten. Die Vorlage als Richtergeschichte. Wenn unsere Ausgliederung redaktioneller Bestandteile zutrifft, dann ergibt sich für die Grundschicht folgender Aufbau: Orientierung: Komplikation: Lösung: Evaluation:

Israel kommt unter Samuel zusammen. Die Philister werten das als Bedrohung und rüsten zum Krieg. Samuels Fürbitte wird von Jahwe erhört. Israel vertreibt die Philister. Samuel setzt einen Stein. Es herrscht Ruhe vor den Philistern.

Dann aber stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zu den RichterGeschichten. Folgende Elemente gehören zum Rahmen der Richtergeschichten: 649 Das Jahwe mißfallende Handeln; 650 Baalsdienst; 651 Zorn Jahwes; 652 Preisgabe an die Feinde; 653 Schreien zu Jahwe; 654 Demütigung der Feinde; 655 Ruhezeit. 656 Vergleicht man unseren Text mit diesem Schema, so wird man einige Punkte zwar der Sache nach wiederfinden, aber nicht in der für die Richtergeschichten typischen Darstellungsform. Es ist daher nicht gerechtfertigt, l.S 7 allzu eng an die übrigen Richtergeschichten heranzurücken. Anschluß an den Kontext. Es bleibt zu fragen, woran der Text anschließt. Denn die unvermittelte Anrede Samuels an „das ganze Haus Israels" setzt ja voraus, daß Samuel schon eingeführt ist, uz. als Zentralinstanz. Man wird daher vor die Ladeerzählung zurückgehen müssen: Das Auftreten Samuels ist der Sache nach durch 3,20; 4,1 schon vorbereitet (s.d.).657 Wir nehmen also an, daß Samuels Philistersieg den Kern der Samuel-Überlieferung bildet. Diesem Kern ist die Geburtsgeschichte vorangestellt worden, dann aber durch redaktionelle Erweiterungen wieder abgerückt worden. Das Samuelbild. In der von uns rekonstruierten Vorlage bleibt das Bild Samuels recht unscharf: Samuel ist ein Retter, der durch sein Eintreten von Jahwe die Rettung erwirkt. Dadurch wird er zu einer maßgeblichen Zentralgestalt Israels und kann so in den Kreis der Richter-Gestalten aufgenommen

650 651 652 653 654 655 656 657

\ a c h Beyer/in Gattung 9f. 6-mal: Jdc 3,7; Jdc 3,12 (2x); Jdc 4,1a; Jdc 6,1; Jdc 10,6. 3-mal: Jdc 3,7; Jdc 10,6; Jdc 10,10. 2-mal: Jdc 3,8; Jdc 10,7. 3-mal: Jdc 3,8; Jdc 4,2; Jdc 10,7. 5(7)-mal: Jdc 3,9; Jdc 3,15; Jdc 4,3; Jdc 6,6; Jdc 6,7; Jdc 10,10; Jdc 4-mal: Jdc 3,30; Jdc 4,23; Jdc 8,28; Jdc 11,33b. 4-mal: Jdc 3,11; Jdc 3,30; Jdc 5,31b; Jdc 8,28b. Eißfeldt Text 17 schließt 7,2aß an 3,21 an.

10,12.

10.5 Folgerungen zu l.S 1-7

311

werden. Weitere Einordnungen wie etwa die als Priester sind der Ergebnis der Bearbeitung. Die Gestaltung des Samuelbildes könnte vielleicht auch Analogien zu der des Josuabildes im Buche Josua aufweisen. Das Bild Josuas scheint nämlich nach d e m Vorbild des von D t r so verehrten Josia gestaltet zu sein, vor allem in folgenden Zügen: 658 Gehorsam gegenüber dem Gesetz; Bundes-Mittlung; Passa. F ü r Samuel ist eine solche Erklärung zwar möglich, aber doch eher vage, denn es lassen sich nur zwei Züge nennen: 659 Führer im Heiligen Krieg (V.7-11); Bundes-Erneuerung (V.3-6).

10.5

Folgerungen zu l.S 1-7

Wie wir oben dargestellt haben, wird in der Forschung l.S 7 meist als späte Bildung beiseite geschoben. Diese Frage betrifft aber nicht nur den literarischen Charakter dieses einen Kapitels, sondern ist von großer Tragweite f ü r die Einschätzung der übergreifenden Zusammenhänge, insbesondere des Verhältnisses zu l.S 8-12. 10.5.1

Zur Bedeutung von l.S 7

D a ß l.S 7 in irgendeiner F o r m alte Tradition enthält, m u ß schon aus einer sehr einfachen Überlegung heraus postuliert werden: Wäre er nämlich fiktiv, d a n n bliebe nichts übrig, was die besondere Autoritätsstellung Samuels begründen könnte, die erst ihn zum Königsmacher befähigt. Von entscheidender Bedeutung ist das formgeschichtliche Argument, daß hier in Gestalt der Schlacht-Evaluation und des Summariums ein Endsignal auf höchster Ebene vorliegt. Zugleich gilt ähnliches für die SaulÜberlieferung. Es dürfte sich kaum plausibel machen lassen, daß ein Redaktor ein solches Endsignal hierher und nicht z.B. hinter Kap. 12 gestellt hätte, wenn ihm K a p . 8-12* schon als Tradition vorgelegen hätte. Zudem weisen unsere Beobachtungen darauf hin, daß die Erweiterungen der Redaktion in der Regel die Grundstruktur der Texte nicht stören. Die Schaffung eines Einschnittes auf höchster Ebene durch den Redaktor ist also kaum wahrscheinlich. 10.5.2

Zum Verhältnis zu l.S

9-14

Auszugehen ist von zwei Überlieferungsblöcken über Samuel (l.S 1-7*) und über Saul (l.S 9-14*). Beide Blöcke sind formgeschichtlich durch einen Vorstellungstext (Geburtsgeschichte / Berufungsgeschichte) und ein abschließendes Summarium nach A n f a n g und Ende erkennbar. Beide Überlieferungsblöcke stehen im Text nacheinander, sind also nicht miteinander verzahnt. Allerdings schließen sie nicht unmittelbar aneinander an, sondern sind durch l.S 8 getrennt. «8 Nelson Josiah 534-36. «5» Nelson Josiah 540.

312

10. Philister, Lade und Samuels Sieg (4-7)

10.5.3

Die Rolle von l.S 8

Zunächst sind die Unterschiede zum vorangehenden Text zu beachten: Samuel erscheint jetzt als der Verhandlungspartner der Ältesten, und es wird ihm zugemutet, eine gänzlich neue Institution zu schaffen. Das Ungenügen der Söhne würde aber, wie in der Forschung schon lange gesehen worden ist, allenfalls den Wunsch nach einem neuen Richter rechtfertigen, nicht aber den nach einem neuen König. Diese und andere Beobachtungen lassen deutlich werden, daß hier nicht die Entstehung des Königtums nacherzählt, sondern der Wechsel in der Regierungsform nachträglich historisierend und theologisch verarbeitet wird. Ebenso ist offensichtlich, daß l.S 8 mit einem Wartepunkt schließt, also dem Leser von vornherein anzeigt, daß die Geschichte weitergeht. Meist wird l.S 10,17 als Fortsetzung angesehen, aber diese Annahme ist nicht unproblematisch, und die Frage der Fortsetzung muß daher nochmals aufgerollt werden. Jedenfalls aber gehört die „Abdankung Samuels" in l.S 12 ebenfalls zu dieser Auseinandersetzung mit dem Verfassungswechsel. Durch die starken Samuel-Anteile wird also die eigentliche SaulÜberlieferung sehr stark in den Hintergrund abgedrängt, und durch den Ring von l.S 8 und 12 wird sie stark zerstückelt. Zweck dieser Übermalung ist es offenbar, das wohl eher aus militärischer Notwendigkeit entstandene und wohl auch noch recht bescheidene Heerkönigtum Sauls von vornherein dem Gottesmann Samuel unterzuordnen und damit nicht nur gewissermaßen den Primat des geistlichen Amtes zu sichern, sondern das Königtum auch von Jahwe herzuleiten. Diese positive Herleitung von Jahwe wird freilich erst erkennbar, wenn man die spätere königsfeindliche Bearbeitung abhebt. Für die hier betrachtete Samuel-Überlieferung folgt daraus, daß das Bild von Samuel als dem Königsmacher für den geschichtlichen Samuel wenig hergibt. Auch die Einordnung in einen priesterlichen Kontext entstammt, wie wir gesehen haben, der Redaktion und nicht der Überlieferung. So kommen als Zeugnis für den geschichtlichen Samuel noch am ehesten jene Texte in Betracht, in denen er als Richter bezeichnet wird, und dieses Ergebnis wird vielleicht gerade durch den Anfang von Kapitel 8 bestätigt, in denen die beiden Söhne Samuels namentlich genannt und nicht nur als richterliche Nachfolger bezeichnet, sondern auch lokalisiert werden; ihre Lokalisierung als .Richter in Beerscheba' wäre als Erfindung eines Redaktors kaum plausibel zu machen. Einen Hinweis auf die ursprünglich eher lokale Bedeutung Samuels liefern auch die im Summarium genannten Orte, die eng beieinander liegen. Ahlström Administration 22f hat auf diese Begrenzung hingewiesen und auch einige altorientalische Parallelen angeführt. Auch die Retterliste in l.S 12,11 weist in diese Richtung. Die ungeheuere Aufwertung Samuels ist also aller Wahrscheinlichkeit nach ein Ergebnis der Redaktion. Da sie in engem Zusammenhang mit der Begründung des Königtums in Israel steht, wird sie sich erst im Zusammenhang mit einer Untersuchung der weiteren Kapitel klären lassen.660

660

Siehe Wonneberger

Begründung.

Wer tiefer in den Aufbau der hebräischen Bibel vordringt, hat ein in der Welt-Literatur einzigartiges Phänomen vor sich: Es sind eigentlich zwei Bibeln. (Auerbach Überarbeitung 1) Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht (Jes 7,9b)

Schluß

Folgerungen Lesen wir den ersten Teil des M o t t o s im Z u s a m m e n h a n g : 1 Wer tiefer in den Aufbau der hebräischen Bibel vordringt, hat ein in der WeltLiteratur einzigartiges Phänomen vor sich: Es sind eigentlich zwei Bibeln. Die eine ist die Bibel der ursprünglichen historischen und sagenhaften Erzählungen und der originalen prophetischen Schriften; die andere ist das Werk, das ich „die große Überarbeitung der Bibel" nennen möchte. ... Die volle Bedeutung dieser Überarbeitung wird durch eine einfache Feststellung klar: Bis heute ist die Auffassung des Bibellesers von wichtigen Entwicklungen der äußeren und geistigen Geschichte Israels stärker durch die Überarbeitung geprägt als durch die originalen Traditionen und Berichte der älterem ursprünglichen Quellen. Was hier in programmatischer Überspitzung formuliert ist, bezeichnet gleichwohl ein Problem, das in der Theologie erst ganz allmählich aufgegriffen wird: Die Frage nämlich, welche Konsequenzen der weithin redaktionelle Charakter des Alten Testaments f ü r die kirchliche Lehre und Verkündigung und infolge dessen auch f ü r Dogmatik und Praktische Theologie hat. D e n n häufig sind es gerade die theologisch schwergewichtigen Worte, die, wie z.B. unser zweites M o t t o oben, 2 redaktionellen Ursprunges sind. Vielleicht ist dieses Problem ein Anzeichen f ü r eine Akzentverschiebung theologischen Fragens, wie sie darin zum Ausdruck k o m m t , d a ß nicht m e h r die ältesten Schichten, die „ipsissima v e r b a " allein Interesse beanspruchen dürfen, sondern auch die Rezeption, u m einen Begriff a u f z u n e h m e n , der erst allmählich in die theologische Diskussion eindringt. 3 A n t w o r t e n auf diese Fragestellung zu suchen m u ß den betroffenen Disziplinen vorbehalten bleiben. Was die Exegese angeht, so lassen sich immerhin n o c h einige Aufgaben aus d e m hier Vorgelegten ableiten. Haben sich unsere Untersuchungen vor allem 1 2 3

Auerbach Überarbeitung 1; Hervorhebung im Original, Kürzung von mir. Nachweis bei Hardmeier Gesichtspunkte. Vgl. Fischer Rezeption.

Folgerungen

314

an einem Erzählwerk der einsetzenden Geschichtsschreibung orientiert, so ist damit ja nur ein Hauptbereich alttestamentlicher Texte und damit auch alttestamentlicher Redaktion in den Blick genommen. Eine erste Aufgabe für die künftige Forschung könnte also darin liegen, die redaktionstheoretische Fragestellung an weiteren Hauptbereichen wie etwa den erzählenden Teilen des Pentateuch, den Gesetzen, den Psalmen, der Prophetie oder der Weisheit durchzuführen. Auf dieser Grundlage ließe sich dann so etwas wie eine Allgemeine Redaktionstheorie des Alten Testaments entwickeln, die verschiedene Typen von Redaktion nebeneinanderstellen und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten könnte. 4 Aufgabe einer Allgemeinen Redaktionstheorie wäre es auch, nach der institutionellen Verwurzelung von Redaktion zu fragen. Denn das Fortschreiben von Texten wird nur im Rahmen einer Institution verständlich, die einerseits die unversehrte Überlieferung überkommener Texte betreibt, andererseits diese Texte an eine veränderte Wirklichkeit anpaßt und zugleich ihrer Veränderung Ziel und Grenzen setzt. Für die Theologie insgesamt könnte das Bemühen um Redaktionstheorie so etwas sein wie das Aufsuchen eigener Wurzeln. Denn wenn auch in der Theologie der Neuzeit Quelle und Auslegung säuberlich getrennt bleiben, so teilt sie doch die Aufgabenstellung mit der antiken Redaktion: Überkommenes einer veränderten Wirklichkeit anzupassen und es dadurch neu zu erschließen.

4

Vorarbeiten in

Wonneberger

Aspekte.

Anhang A

1.Samuel 1-7: Normaltext in Übersetzung D i e f o l g e n d e Textdarstellung bietet eine Arbeitshilfe für die redaktionstheoretischen Untersuchungen. D i e Übersetzung orientiert sich an den Gesichtspunkten des distinktiven Übersetzens. 1 D i e Textanordnung folgt d e m K o n z e p t des N o r m a l t e x t e s . 2 Redewiedergaben werden durch schmalen, redaktionelle Schichten durch breiten Einzug dargestellt. D i e Basiszeilen werden innerhalb der Verse mit Kapitälchen durchgezählt, die Vershälften werden wie üblich m i t Kleinbuchstaben bezeichnet. / 1 b c D E F 2 8 c b E

4 B b

5 b c 6 B b

b D 8 B c

Samuels Geburt l.S

1,1-28

Und es war ein M a n n aus Ramatajim Zophim vom Gebirge Efraim, und sein Name war Elkana, - Sohn des Jeroham, - Sohn des Eliahu, - Sohn des Tohu, - Sohn des Z u p h des Efratiters. U n d er hatte zwei Frauen; der Name der einen (war) H a n n a , und der Name der zweiten Peninna; und die Peninna hatte Kinder, und der H a n n a fehlte es an Kindern. 3 Und es war hinaufgestiegen besagter Mann von seiner Stadt von Tagen zu Tagen, B um sich niederzuwerfen und zu opfern dem Jahwe Zebaoth in Silo. b Und dort (waren) die beiden Söhne Elis, Hophni und Pinehas, Priester f ü r Jahwe. U n d es war der Tag ( = eines Tages), und es opferte Elkana, und er gab der Peninna seiner Frau und allen ihren Söhnen und allen ihre Töchtern Anteile. U n d der H a n n a gab er einen Anteil .obendrein'; denn die H a n n a hatte er lieb, aber Jahwe hatte verschlossen ihren Schoß. U n d es hatte sie gekränkt ihre Nebenfrau noch dazu wegen ihrer Schmach, d a ß Jahwe ihren Schoß bisher verschlossen hatte. 7 Und so tat er Jahr für Jahr, jedesmal bei ihrem Hinaufsteigen ins Haus Jahwes; B so kränkte sie sie, und sie weinte und aß nicht. Und es sprach zu ihr Elkana ihr Mann: H a n n a , warum weinst du? U n d warum ißt du nicht?

1 Wonneberger Normaltexf, Seite 69. 2 Wonneberger Normaltext; Seite 68.

siehe auch Abschnitt „Das Konzept des distinktiven Übersetzens" auf Wonneberger Typesetting-, siehe auch Abschnitt „Textnormierung" auf

316 D b 9

11 B c D E F G b 1

b F

20

A . 1.Samuel 1-7: Normaltext in Übersetzung U n d w a r u m ist dein Herz betrübt? Bin nicht ich selbst mehr wert f ü r dich als zehn Söhne? U n d es stand auf H a n n a nach d e m Essen B in Silo und nach dem T r i n k e n , b u n d Eli der Priester war am Sitzen auf dem Stuhl a m Pfosten des Tempels Jahwes. 10 U n d besagte w a r b e t r ü b t in der Seele b u n d sie flehte zu J a h w e c u n d sie weinte über die M a ß e n u n d sie gelobte ein G e l ü b d e u n d sprach: Jahwe Zebaoth, wenn du in der T a t ansehen wirst das Elend deiner M a g d u n d meiner gedenken wirst u n d nicht vergißt deine M a g d u n d deiner M a g d Samen der M ä n n e r geben wirst, d a n n werde ich ihn J a h w e geben alle Tage seines Lebens, u n d ein Schermesser soll nicht auf sein H a u p t k o m m e n . 12 U n d es geschah, B d a ß sie immerzu f o r t f u h r anzuflehen vor Jahwe, b und Eli w a r am Beobachten ihren M u n d . 13 Und H a n n a , besagte w a r a m Reden in ihrem Herzen; B nur ihre Lippen bewegten sich, c aber ihre Stimme war nicht zu hören. b Und es hielt sie Eli f ü r eine Betrunkene. ,4 U n d es sprach zu ihr Eli: B Wie lange willst du dich t r u n k e n gebärden? b T u e deinen Wein a b weg von dir! 15 U n d es antwortete H a n n a B und sprach: c Nein, D mein Herr, E eine F r a u von starkem Geist bin ich, F u n d Wein und starkes G e t r ä n k habe ich nicht g e t r u n k e n , b sondern ich h a b e ausgeschüttet meine Seele vor Jahwe. 16 Nicht sollst d u deine M a g d f ü r eine Tochter des Bösen halten, b denn aus der G r ö ß e meines K u m m e r s und Leides h a b e ich geredet bis jetzt. 17 Und es antwortete Eli B und sprach: c Geh hin in Frieden! b U n d der G o t t Israels wird erfüllen deine Bitte, E welche du von ihm erbeten hast. 18 U n d sie sprach: B Möge finden deine M a g d G n a d e vor deinen Augen! b Und es ging die F r a u ihres Weges D und aß E und ihr Gesicht war ihr nicht mehr niedergeschlagen. 19 U n d sie machten sich f r ü h auf am Morgen B u n d warfen sich nieder vor J a h w e c u n d kehrten z u r ü c k D u n d kamen zu ihrem H a u s nach R a m a . U n d es erkannte Elkana die H a n n a , seine F r a u , und es gedachte ihrer Jahwe. U n d es geschah bei der W e n d e der Tage,

A. Lied der Hanna l.S 2,1-10 B c

b

317

und es wurde schwanger Hanna und gebar einen Sohn und nannte seinen Namen Samuel, E denn: F von Jahwe habe ich ihn erbeten. 21 Und es stieg hinauf der Mann Elkana und sein ganzes Haus, b um zu opfern Jahwe das Opfer der Tage und sein Gelübde. 22 Aber Hanna war nicht hinaufgestiegen, b denn sie hatte gesagt zu ihrem Mann: c Bis zum Abstillen des Knaben, D dann werde ich ihn bringen, E und er wird ,das Angesicht Jahwes sehen' F und wird wohnen dort für immer. 23 Und es sprach zu ihr Elkana ihr Mann: B Tue das Gute in deinen Augen! c Bleibe bis zu deinem Abstillen, D nur möge Jahwe heraufführen sein Wort. b Und es blieb da die Frau und sie stillte ihren Sohn bis sie ihn abgestillt hatte, 24 und sie führte ihn hinauf mit sich, B als sie ihn abgestillt hatte, c mit .einem dreijährigen Rind' D und einem Epha Mehl und einem Schlauch Wein und sie brachte ihn zum Haus Jahwes F Silo. Und der Knabe (war) ,ein Nasir'. 25 Und sie schlachteten das Rind b und sie brachten den Knaben zu Eli. 26 Und sie sprach: B Bei mir, mein Herr, c beim Leben deiner Seele, mein Herr, b ich bin die Frau, E die gestanden hat bei dir an diesem (Ort), F um zu flehen zu Jahwe. 27 Um diesen Knaben habe ich gefleht, b und es hat gegeben Jahwe mir meine Bitte, c welche ich erbeten habe von ihm. 28 Und auch ich selbst leihe ihn dar für Jahwe; B alle Tage, welche am Leben ist besagter, c (ist er) dargeliehen für Jahwe. b Und er warf sich nieder dort für Jahwe. 2

Lied der Hanna LS 2,1-10

1

Und es betete Hanna und sprach:

B

Es empfindet Freude mein Herz durch Jahwe, erhoben ist mein Horn durch Jahwe. Weit ist mein Mund über meine Feinde; — denn ich freue mich an deiner Hilfe — . Es gibt keinen Heiligen wie Jahwe; — denn es gibt keinen Gott auf außer dir — und es gibt keinen Fels wie unseren Gott. Redet nicht immerfort hochfahrend Hochfahrendes!

A . 1.Samuel 1-7: Normaltext in Ubersetzung A u s geht Vermessenes aus euerem M u n d e ; — denn ein G o t t der Weisheiten ist J a h w e — u n d nicht haben Bestand die bösen T a t e n . Der Bogen der Krieger ist zerbrochen, aber Stauchelnde sind gegürtet mit K r a f t . Die Satten verdingen sich um Brot, a b e r die Hungernden hören auf mit .Arbeit'. Eine U n f r u c h t b a r e gebiert sieben Söhne, aber die an Söhnen Reiche wird eine verwelkte F r a u . J a h w e ist es, der tötet und lebendig m a c h t , der niederfahren läßt in d a s Totenreich u n d h e r a u f f ü h r t . J a h w e ist es, der arm macht, aber (auch) reich, der erniedrigt, aber auch erhöht, der den Schwachen aus dem S t a u b erhebt, den A r m e n aus dem Dreck emporholt, (ihnen) einen Platz gibt unter den G e a c h t e t e n , ja ihnen zum Erble einen Ehrenplatz gibt. — Denn die Grundfesten der Erde gehören Jahwe, er h a t die Welt auf ihnen errichtet — . Die Schritte seiner Frommen b e w a h r t er, aber Übeltäter erstarren in der Finsternis — denn nicht durch K r a f t ist ein Mensch mächtig ... — . Jahwe, es gehen zugrunde, die mit ihm rechten, ,die G o t t h e i t ' im Himmel läßt d o n n e r n . J a h w e richtet die Enden der Erde und er gibt K r a f t seinem König und er erhebt das Horn seines Gesalbten. Heimkehr und Ergehen LS 2,11.18-21.26 U n d es ging Elkana nach R a m a zu seinem H a u s ; u n d der K n a b e w u r d e ein Ministrant bei J a h w e beim Angesicht Elis des Priesters. 2 12 b

Bosheit der Eliden 1.S 2,12-17 Und die Söhne Elis waren Söhne der Bosheit; nicht k a n n t e n sie Jahwe. 13 U n d die Weise der Priester gegenüber d e m Volk (war:) b Bei jedem M a n n , der ein O p f e r opferte, c d a kam der Gehilfe des Priesters, D wenn d a s Fleisch kochte, E u n d die Gabel mit drei Zinken w a r in seiner H a n d . 14 U n d er stach in Kessel oder T o p f oder N a p f oder Schüssel; B alles, was heraufbringt die G a b e l , c n i m m t der Priester mit sich. b Solchermaßen taten sie ganz Israel, den K o m m e n d e n dorthin nach Silo. 15 Noch ehe sie darbringen als R a u c h o p f e r d a s Fett, B d a k o m m t der Gehilfe des Priesters c u n d spricht zu dem M a n n e , der opfert: D G i b Fleisch her E z u m Braten für den Priester! b U n d nicht nimmt er von dir gekochtes Fleisch, G n u r rohes.

A. Elis Schelte l.S 2,22-25

319

16

Und spräche zu ihm der M a n n : Mit Rauchopfer opfern m u ß man doch zuerst das Fett, C und dann nimm dir, D ,von allem', was begehrt deine Seele! b dann sagt er zu ihm: F .Nein', G sondern jetzt wirst du es geben, H und wenn nicht, 1 dann nehme ich es mit Gewalt! 17 U n d es war die Sünde der Jünglinge sehr groß im Angesicht Jahwes, b denn ,sie' hatten verächtlich behandelt die Opfergabe Jahwes. 18 Und Samuel war ein Ministrant im Angesicht Jahwes, b ein Knabe, bekleidet mit einem linnenen Epod. 19 Und einen kleinen Überrock machte ihm seine Mutter B und brachte ihn hinauf zu ihm von Tagen zu Tagen, b wenn sie hinaufzog mit ihrem M a n n , D um zu opfern das Opfer der Tage. 20 Und es hatte gesegnet Eli den Elkana und seine Frau, B und er hatte gesprochen: c Es schaffe Jahwe dir Same von dieser Frau D anstelle der Bitte, E die .erbeten'ist für Jahwe; b ,und es zog der Mann an seinen' Ort. ,Und es sah an' Jahwe die H a n n a , und sie wurde schwanger und sie gebar drei Söhne und zwei Töchter. U n d es wuchs heran der Knabe Samuel bei Jahwe. B

2 22 b c

23 B b

24 b c 25 B c D b F G

Elis Schelte l.S 2,22-25

Und Eli war sehr alt, und wenn er hörte alles, was seine Söhne an ganz Israel taten, D und daß sie schliefen bei den Frauen, E die Dienst taten am Eingang des Zeltes der Offenbarung, da sprach er zu ihnen: W a r u m tut ihr dergleichen Dinge, so daß ich selbst am Hören bin euere bösen Taten von allem diesem Volk? Nicht doch, meine Söhne, denn nicht gut ist die Kunde, die ich das Volk Jahwes über euch verbreiten höre. Wenn sündigt Mensch gegen Mensch, dann verschafft Gott ihm Recht. Wenn aber gegen Jahwe sündigt der Mensch, wer wird ihm dann Recht verschaffen? Und nicht hörten sie auf die Stimme ihres Vaters, denn beschlossen hatte Jahwe, sie zu sterben zu lassen. 26 Und der Knabe Samuel war am Wandeln und er wuchs auf und war gut b sowohl bei Jahwe als auch bei den Menschen.

320

A. Í.Samuel 1-7: Normaltext in Übersetzung 2

Wort des unbekannten Gottesmannes I.S 2,27-36

27

U n d es k a m ein G o t t e s m a n n zu Eli, u n d er sprach zu ihm: So h a t J a h w e gesprochen:

b c

2

Lagehinweis

D

Ich h a b e mich doch d e m H a u s deines Vaters gezeigt, als sie in Ä g y p t e n Knechte waren f ü r das H a u s P h a r a o s , und ich h a b e ihn erwählt aus allen S t ä m m e n Israels mir z u m Priester, um hinaufzusteigen auf meinen A l t a r , um R a u c h o p f e r zu o p f e r n , um zu tragen d a s Ephod vor mir; und ich h a b e d e m H a u s deines Vaters alle Feuer(opfer) d e r Söhne Israels gegeben.

E 28

B c D b

2

Anklage

29 B b D E

Warum verachtet ihr mein Schlachtopfer u n d meine die ich geboten h a b e ,als Hilfe'..., ...und ehrst du deine Söhne mehr als mich, euch zu mästen vom Besten jeder G a b e Israels... ...für mein Volk?

Opfergabe,

2

Urteil

30

Darum - S p r u c h Jahwes, des Gottes Israels - : Tatsächlich h a b e ich gesagt: Dein H a u s u n d d a s H a u s deines Vaters werden w a n d e l n vor mir in Ewigkeit! Aber jetzt - S p r u c h J a h w e s - : Ferne sei d a s von mir!

B c

b E

2

Begründung

F

°

Denn wer mich ehrt, den ehre ich, und wer mich mißachtet, sie werden gering geachtet.

2

Blick in die Zukunft

31

Siehe: Tage sind am K o m m e n , und ich werde a b h a u e n deinen A r m u n d den A r m deines Vaterhauses, ( d a ß kein Ältester mehr in deinem Hause sein wird; d a n n wirst d u scheel blicken auf alles was ich Israel zugute tue;) und es wird (dir) kein Ältester sein in deinem H a u s e alle Tage. U n d keinen werde ich wegtilgen dir von meinem A l t a r , s o d a ß deine (seine) Augen verschmachten u n d deine (seine) Seele sich a b h ä r m t ; und aller N a c h w u c h s deines Hauses sie werden sterben (durch d a s Schwert von) / als Männer(n).

B c

b 32

b 33 B

b

2

Zeichen

34

U n d dies sei dir d a s Zeichen, d a s k o m m e n wird über deine beiden Söhne H o p h n i u n d Pinehas: A n einem einzigen Tage werden sie alle beide sterben.

B

b

A. Offenbarung l.S 3,1^4,1 2

Weitere Zukunft

35

Und ich werde mir bestellen einen beständigen Priester, gleichwie (der) nach meinem Herzen und nach meiner Seele handelt, und ich werde ihm ein beständiges Haus bauen, und er wird wandeln vor meinem Gesalbten alle Tage. Und es wird sein: Jeder noch Übrige von deinem Hause wird kommen, um sich niederzuwerfen vor ihm, um zu erhalten (?) ein Geldstück oder einen Bissen Brot; und er wird sprechen: laß' mich doch zu einem der Priesterämter, zu essen einen Bissen Brot.

B

b D 36 B c D b F G

Offenbarung LS 3,1-4,1 1

321

Und der Knabe Samuel (war) Ministrant (pt.) Jahwes vor Eli. Und das Wort Jahwes war selten in besagten Tagen; es gab nicht verbreitete Schauung. 2 Und es geschah an besagtem Tage, B und Eli war am Schlafen (pt.) an seinem Ort, b und seine Augen hatten angefangen nachzulassen; D nicht konnte er sehen. 3 Und die Lampe Gottes war noch nicht erloschen, Ä

156

263

12,14 126,149 12,24 10 12115a 99 l2 l 126 2'l U 1 n a 1/0 ' 12,l5b-24a 147

l.R

11,31 „„„ 144,290

in toto

252

1,35 / i 9

154, 155 156'

66

11,35 66 ,[4I 95 11,29ff 198 7 2 2 / 298 ,-,->, g g J44

2,25 279 2,22-25 255 J.2-5 101,119, 190 3,10 8 4 , 2 6 5 , 2 6 7 4,2b-4 165 4,2 160

i3

-l 127 ^ 289 K / 4 301 14,24b\\28 119 15,1 127 15,8 135 ¡5,24 252

/,4S 241 ^ 2 4 7 2,26f.35 81 2,4 1 8 , 8 0 , 2 6 6 2,12 76 2,26 254 2,27 80,248,249,

/J 165,245,254 / J / 115 126 158 y / 2 ,44' '

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53

205 / / , / 53 / / , 7 130 11,29 268

100, 101, 115 >26 12,33^32 \l4 115

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2 46b

3>/

268

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14 7 155 ' J 80 , / L ,IQ / ! ' / _ / « Ys / w / s o . ' ' , / L Yi M2,55 ö l / / " 130 -i,, f.24 2 4 4 17.18.24-19,16 244 17,10-11 119 17.20-21 119 i s

290 244

I8 30

'8-3'f

19,16

162 162 244

19,19-21

146 244

20,2S-J/ 244 21 121 21,21/24 15 162 2/,4 21,10 242 21,13 242 2 / , / 6 122 21,19 121

Stellenangaben 21,19b 15,91 21,¡-l 9aa ($).21.24 122 21,9.12 302 21,19aa 121 22 172 22,38 1 5 , 9 1 , 1 2 2 22,19-23 172 23,8f 248 2.R in toto 12,39,144, 290 1,3.6 246 1,10.12 244 1,9-13 244 2 146 3,4 140 3,4-15 256 4,8.11.18 62,208 4,7-13,19 244 4,8.18 181 8,20-22 130 10,5 250 10,10 266 10,29 144 12.8 130 13,22.24f 177 14,7 307 15,16 130 15,31 95 16,2-6 130 ¡7,6 119 17.19 18 17.20 189 17,36 205 17,7ff 13 18,10-11 119 19,29 251 20.9 251 20,17-18 18 21,7 246 21,12 262 21,2-15 18 22 13 23,9 252 23,14 131 23,16 144 23,20 144

23,25 159, 162 23,16f 244 23,26-25,30 18 23,21-14 141 23,16-18 165 24,5 95 24,13 275 25,22ff 299 22f 118 22-23 13 23-25 18 Jes in toto 166 1,1 258 2.6-22* 138 3,13-15 138 5,1-7 138 5,15f 138 5,8-10,4 85, 137 5,1-8,18 138 5,25-30 138 7,1-9 160 7,7 266 7,9b 313 8,10 266 9,13 289 9.7-20 138 13,1 258 13,20-22 11 19,25b 47 28,16b 160 29.6 305 37,30 251 38.7 251 38,10-20 225 40,5 273 46,7 304 56,1 273 53 Tj 47 40ff 46 Jer in toto 165 3,25 302 3,16f 275 5,19 300 7,12 268,272 7,18 54

7,12-15 268 9,9.17.18.19 300 10,12 11 ll,12d 304 14,17.20 302 15,1 7 , 3 0 4 15.9 225 15,15 215 19.3 262 19,11 241 26,6.9 268 29.10 264 5 / , / 5 300 35.4 244 39,15-18 121 4 0 , / - 5 121 40,6^39,14 121 41,4-9 299 4 / , 5 268 44,17.18.19.25 54 45 240 4 8 , / / 77 5/,29 266 4 0 / 299 Ez in toto 263, 287 /,2S 289 2,5 149 9,3 290 /0,4./8 290 11,10.11 263 /