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German Pages 456 [458]
Forschungen zum Alten Testament 2. Reihe Herausgegeben von Konrad Schmid (Zürich) · Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)
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Kristin Weingart
Stämmevolk – Staatsvolk – Gottesvolk? Studien zur Verwendung des Israel-Namens im Alten Testament
Mohr Siebeck
Kristin Weingart, geboren 1974; 1993–94 Junior College, Barnesville (GA), USA; 1994–98 und 2000–02 Studium der Ev. Theologie in Greifswald und Tübingen; 1998–2000 Jüdische Studien (MA) an der Hebräischen Universität in Jerusalem; seit 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Department für Altes Testament der Ev.-Theol. Fakultät der Universität Tübingen.
e-ISBN PDF 978-3-16-153237-5 ISBN 978-3-16-153236-8 ISSN 1611-4914 (Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2014 Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Nehren auf alterungbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Für Christian, Johann und Lena
Vorwort Vorwort Vorwort
Während meiner Studienzeit besuchte ich an der Hebräischen Universität in Jerusalem ein Seminar bei Prof. Dr. Sara Japhet zur biblischen Geschichtsschreibung: עיונים בהיסטוריוגרפיה המקראית. Eine Sitzung war Martin Noths Geschichte Israels als einem Klassiker des Genres gewidmet. In der Besprechung des Werkes bei den Schlussparagraphen § 34f. angelangt, wo Noth in den ersten Dekaden nach der Zeitenwende die „Geschichte Israels“ an „ihr[em] eigentliche[n] Ende“ sieht, so dass mit dem Bar KochbaAufstand nur noch ihr „schauerliche[s] Nachspiel“ zu beschreiben bleibe,1 machte sich unter den israelischen Studierenden Empörung breit: Ist in dem 1950 entstandenen Buch damit etwa ein Urteil über den 1948 gegründeten Staat Israel impliziert? Ja, selbst wenn keine Aussagen zur Historie des 20. Jh. intendiert gewesen sein sollten – was ist mit der Zeit nach 135 n.Chr.? Bestand das Volk Israel nicht weiter bis in die Gegenwart? Von welchen „Israel“ redet M. Noth hier eigentlich?2 Die Szene ist mir in Erinnerung geblieben, weil sie eine vermeintliche Selbstverständlichkeit in Zweifel zog: Was ist „Israel“? Erscheint der Name – sei es in politischer Debatte, liturgischer Sprache, historischer Untersuchung u.a.m. –, versteht sich in vielen Kontexten durchaus von selbst, wer oder was gemeint ist, in anderen jedoch nicht. Immer jedoch schwingen Vorstellungen davon mit, was Israel ausmacht. Kaum anders steht es um die Rede von „Israel“ in bibelwissenschaftlicher Literatur (doch wird auch hier selten explizit gemacht, um welches Israel es gerade geht), was wiederum damit zusammenhängt, dass „Israel“ schon in der Bibel ganz Unterschiedliches bezeichnen kann. Wer oder was ist also „Israel“? Im deutenden Rückblick auf einen Abschnitt der eigenen Lebensgeschichte verbindet sich die genannte Szene mit meinem späteren Forschungsprojekt. Dessen Ergebnis stellen die vorliegenden Studien dar, die im Wintersemester 2013/2014 von der Evangelisch-Theologischen NOTH, Geschichte, 386.406. Für Noth bricht die Geschichte hier zwar nicht völlig ab, die Ablehnung Jesu durch die „Jerusalemer Kultgemeinde“, die „in ihm nicht das Ziel erkannt[e], auf das verborgen die Geschichte Israels hinführte“ (aaO., 386) markiert für ihn aber eine tiefgreifende Zäsur, nach der mit dem Judentum „etwas wesenhaft Neues“ (aaO., 15) begonnen habe. In Kontinuität zu Letzterem sieht er schließlich auch den modernen Staat Israel (ebd). 1 2
VIII
Vorwort
Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet wurden. Wenn mit dieser Studie ein recht langer Weg zu seinem Abschluss kommt, ist es Zeit zu danken. Mein Dank gilt vor allem Prof. Dr. Erhard Blum, der das Entstehen der Untersuchung angeregt und durch Ermutigung, Rat und Kritik gefördert und begleitet hat. Prof. Dr. Heinz-Dieter Neef hat das Zweitgutachten übernommen und mir hilfreiche Hinweise für die Überarbeitung gegeben. Auch ihm sei dafür herzlich gedankt. Prof. Dr. Konrad Schmid, Prof. Dr. Mark S. Smith und Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Spieckermann danke ich für die Aufnahme der Untersuchung in die zweite Reihe der Forschungen zum Alten Testament, Dr. Henning Ziebritzki und Frau Nadine Schwemmreiter-Vetter für die kompetente und geduldige Betreuung von Seiten des Verlags Mohr Siebeck. Viele Menschen haben mich in den letzten Jahren unterstützt und begleitet. Prof. Dr. Raik Heckl danke ich für zahllose wertvolle Gespräche und die kundige Lektüre einer ersten Fassung der Arbeit, Prof. Dr. Wolfgang Oswald, Dr. Joachim Krause, Dr. Ernst Michael Dörrfuß und Frau Sabine Rumpel für Hilfe, Diskurs und vielfältigen Zuspruch. Den Mitgliedern der Tübinger sowie Heidelberger alttestamentlichen Sozietäten, denen ich Teile meiner Arbeit vorstellen konnte, sei herzlich für die wohlwollend kritische Diskussion gedankt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Doktorandenkolloquien an den Lehrstühlen von Prof. Dr. Erhard Blum und Prof. Dr. Martin Leuenberger haben sich mit mir in einer Reihe von Vorträgen mit immer wiederkehrenden Titeln wie „Die Verwendung von ‚Israel‘ in ...“ geduldig durch das Alte Testament gearbeitet und mir zahlreiche wichtige Anregungen gegeben. Mein Mann Christian Weingart hat das Entstehen dieser Studie mitgetragen – oft genug auch ertragen – und einen großen Teil der Texte gleich mehrfach Korrektur gelesen. Unsere Kinder Johann und Lena begleitete die Untersuchung Zeit ihres bisherigen Lebens. Ohne ihre Hilfe, Geduld – und auch die aufmunternd beharrliche Nachfrage der Kinder, wann das Buch denn nun endlich fertig sei – hätte es nicht gelingen können, ihnen sei das Buch daher gewidmet. Tübingen, Ostern 2014
Kristin Weingart
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Vorwort .........................................................................................................VII Abkürzungen ................................................................................................XV
A. Annäherung
Forschungsstand und Fragestellung 1. „Israel“ im Alten Testament und in zeitgenössischen außerbiblischen Quellen ............................................................................1 1.1 „Israel“ im Alten Testament .............................................................1 1.2 Die außerbiblischen „Israel“-Belege ................................................4 2. Trends in der Forschung ............................................................................8 2.1 Die semantische Frage: Steht am Anfang ein weiter oder ein enger Israel-Begriff? ...........................................................8 2.1.1 Der weite Israel-Begriff als Ausgangspunkt .......................9 2.1.2 Vom engen zum weiten Israel-Begriff ...............................13 2.1.2.1 Wendepunkt I – Das Ende des Nordreichs ...........................14 a) Eine semantische Innovation Jesajas ..............................14 b) Die „Israelitisierung“ Judas .........................................17 2.1.2.2 Wendepunkt II – Das Exil ................................................21 a) Das „biblische Israel“ als perserzeitliche Fiktion ..............21 b) Von der Nation über die Schicksalsgemeinschaft zum Gottesvolk ........................................................23
2.2 Die konzeptionelle Frage: Gottesvolk, Stämmevolk oder Staatsvolk? ....................................25 2.2.1 Konzeptionen des nachexilischen Israel ............................27 2.2.1.1 Das nachexilische Israel als Gemeinde ...............................27 2.2.1.2 Das nachexilische Israel als Stämmevolk ............................31 2.2.2 Konzeptionen des vorexilischen Israel ..............................33 2.2.2.1 Das vorexilische Israel als Gottesvolk ................................33 2.2.2.2 Das vorexilische Israel als Stämmevolk ..............................34 2.2.2.3 Das vorexilische Israel als Staatsvolk .................................36
X
Inhaltsverzeichnis
3. Gegenstand und Gang der Untersuchung ...............................................38 3.1 Methodische Vorbemerkungen .......................................................38 3.1.1 Kollektive Identität – ein konstruktivistischer Zugang ....38 3.1.1.1 Drei elementare Codes kollektiver Identität .........................40 3.1.1.2 Kollektive Identität und Ethnizität .....................................42 3.1.2 Kollektive Identität und kollektiver Name ........................45 3.1.2.1 Name und Zuschreibung ..................................................45 3.1.2.2 Referenz und Mehrdeutigkeit ...........................................47 3.2 Präzisierung der Fragestellung .......................................................50 3.3 Vorgehen ..........................................................................................51
B. Analysen
I „Israel“ in Texten der Perserzeit 1. „Israel“ im Süden und „fremde Völker“ im Norden – Der exklusive Israel-Begriff .....................................................................54 1.1 Die Abgrenzung gegen Samaria .....................................................54 1.1.1 Keine Israeliten in Samaria – 2Reg 17,24–41 ...................54 1.1.1.1 Struktur und Gestaltung von 2Reg 17,24–41 .......................55 a) JHWH-Verehrung und Götzendienst in Samaria – 2Reg 17,24–32 ..........................................................56 b) Die Israel-gemäße JHWH-Verehrung – 2Reg 17,33–41 ..........................................................59 1.1.1.2 2Reg 17,24–41 – eine nachexilische Einschreibung in die Königebücher .......................................................62 1.1.1.3 Fremde Völker im ehemaligen Nordreich ...........................64
1.1.2 Israels judäische Herkunft – Der Israel-Name im Ich-Bericht Nehemias ....................................................67 1.1.3 Ein Israel der Rückkehrer ...................................................73 1.1.3.1 Israel in Juda und Gola (Esr *1–6; 7–10; Neh 8–10) .............73 a) Die Tempelbauerzählung (Esr *1–6) ..............................73 b) Die Esra-Erzählungen (Esr 7–10 und Neh 8–10)...............78 1.1.3.2 Israel in Juda (Esr 2 und Neh 7) ........................................81 1.2 Das Zwölf-Stämme Volk im Exil ...................................................84 1.2.1 Hoffnungen auf Vereinigung und Heimkehr .....................84 1.2.1.1 Zwei Stäbe – ein Volk (Ez 37,15–24) .................................84 a) Die Zeichenhandlung .................................................87 b) Zwei JHWH-Worte – Bildebene und Sachebene ..............89 c) „Israel“ in Ez 37,15–24 ...............................................91 1.2.1.2 Die Restitution des exilierten Israel (Jer 3,18; 30,1–3; 31,27ff.; Sach 10,3–12) ...........................93
1.2.2 Eine neue Landnahme (Ez 47f.) .........................................94 1.2.2.1 Prinzipien der Landvergabe .............................................95 1.2.2.2 Die Konstitution Israels ...................................................97
Inhaltsverzeichnis
XI
2. „Israel“ in Nord und Süd – Der inklusive Israel-Begriff ......................99 2.1 „Israel“ in den Chronikbüchern ......................................................99 2.1.1 Zur Forschungssituation .....................................................99 2.1.2 Der „Israel“-Name in den Chronikbüchern .....................102 2.1.2.1 1Chr 1–2Chr 9 .............................................................102 2.1.2.2 2Chr 10–28 .................................................................104 a) Fallstudie: Der Gebrauch von ישׂראלin 2Chr 10,1–11,4 ...105 b) „Israel“ als Bezeichnung des Nordreichs ......................108 c) „Israel“ als Bezeichnung des Südreiches ......................110 2.1.2.3 2Chr 29–36 .................................................................112 2.1.2.4 Die chr Quellenverweise ................................................116 2.1.3 Die genealogische Präsentation Israels – 1Chr 1–9 ........117 2.1.3.1 Israels Stellung in der Welt ............................................120 2.1.3.2 Israel und seine Stämme I – Die Anordnung der Stämme (1Chr 5,1–2) .........................121 2.1.3.3 Israel und seine Stämme II – Kriterien der Zugehörigkeit zum Volk Israel ......................127 2.1.3.4 Genealogische Register als Nachweis der Zugehörigkeit zu Israel (1Chr 9,1–2) ..........................131
2.1.4 „Israel“ in Nord und Süd – 1Chr 10–2Chr 36..................138 2.1.4.1 Die chr Beurteilung des Nordkönigtums – 2Chr 13 .............140
2.1.4.2 Perspektiven für die Nordstämme am Beispiel von 2Chr 30 ...............................................146
2.2 Israel in Juda und Ephraim ...........................................................154 2.2.1 Frieden für „alle Stämme Israels“ – Sach 9,1–10 ...........154 2.2.2 Hoffnungen auf Versöhnung und die Wiedervereinigung Israels (Jes 11,11–16; Hos 2,1–3; Ob 15–21) ..........................................................................160
II „Israel“ als Bezeichnung Gesamt-Israels oder Judas vor dem Ende des Nordreichs 1. „Israel“ in judäischen Texten ................................................................171 1.1 Variable Referenzen für „Israel“ in der Thronfolgegeschichte . .171 1.1.1 „Israel“ in 2Sam *9–20; 1Reg *1–2 ................................171 1.1.1.1 Mehrdeutigkeit und Klärung der Referenz ........................176 1.1.1.2 Mehrdeutigkeit als erzählerisches Mittel in 2Sam 15–19 ......180 1.1.2 Hinweise auf die primordiale Codierung der kollektiven Identität Israels in der ThFG ..................186 1.2 Die Semantik des Israel-Namens bei Proto-Jesaja ......................190 1.2.1 „Israel“ in Jes 1–39 ...........................................................190 1.2.1.1 Jes 1,3 .......................................................................191 1.2.1.2 Jes 5,7 .......................................................................197 1.2.1.3 Jes 7,1 .......................................................................200
XII
Inhaltsverzeichnis 1.2.1.4 Jes 8,14.18 ..................................................................203 1.2.1.5 Jes 9,7.11.13 ...............................................................212 1.2.1.6 Jes 17,3.9 ...................................................................215
1.2.2 Der JHWH-Titel „Heiliger Israels“ .................................219 1.3 „Israel“ als alternative Bezeichnung für Juda in Micha 1–3 ......227
2. „Israel“ in Texten aus dem Nordreich ..................................................235 2.1 Die gesamt-israelitische Perspektive der Jakoberzählung und der Josephsgeschichte ............................................................235 2.1.1 „Israel“ in der Erzelterngeschichte ..................................235 2.1.2 Die narrative Entfaltung des primordialen Codes (Gen 29,31–30,24) ............................................................236 2.1.2.1 Familienzuwachs durch Fortschreibung? ..........................236 2.1.2.2 Reihenfolge und Rang ...................................................242 2.1.3 Benjamin zwischen Joseph und Juda (Gen 37–50) ........244 2.1.3.1 Thema und Einheitlichkeit der Josephsgeschichte ...............244 2.1.3.2 Das Ringen um Benjamin ..............................................252 2.1.4 Zum historischen Ort der Erzählungen ............................255 2.1.4.1 Historisch-politische Rahmenbedingungen der Jakoberzählung .......................................................258 2.1.4.2 Historisch-politische Rahmenbedingungen der Josephsgeschichte ...................................................262
2.2 Juda als Teil Israels – Hosea 5,1–6,6 ...........................................267 2.2.1 „Israel“ in Amos und Hosea .............................................267 2.2.2 Hos 5,1–6,6 als literarische Einheit .................................272 2.2.3 Die historische Verortung des Prophetenworts ...............278 2.2.4 „Israel“ in Hos 5,1–6,6 .....................................................282 2.2.4.1 בית ישׂראלin Hos 5,1 ......................................................282 2.2.4.2 ישׂראלund אפריםin Hos 5 ...............................................285 2.2.4.3 שׁבטי ישׂראלin Hos 5,9 ....................................................286 C. Synthesen
Das Stämmevolk Israel 1. „Israel“ in der Perserzeit – Volk, nicht Kultgemeinde ........................288 1.1 Die Semantik: Mehrdeutigkeit und variable Referenz ...............288 1.2 Die Konzeption: Die primordiale Codierung israelitischer Identität ...................................................................290 1.2.1 Israel als primordial codiertes Ethnos .............................290 1.2.2 Israel als Zwölf-Stämme-Volk .........................................291 1.2.2.1 Das Stämmesystem in perserzeitlichen Texten ...................291 1.2.2.2 Fiktion oder Tradition? ..................................................293 1.3 Ein Diskurs über die Grenzen: Samaria als Teil Israels? ............296
Inhaltsverzeichnis
XIII
1.3.1 Spuren des Diskurses ........................................................298 1.3.1.1 Wer feiert das Passa? – Esr 6 und 2Chr 30 ........................299 1.3.1.2 Die Unreinheit der Samarier ...........................................302 1.3.1.3 Das leere Land bzw. ethnische Kontinuität über die Gola .....307 1.3.2 Historische Hintergründe: Das Verhältnis Judas zu Samaria in der Perserzeit .............................................314 1.3.2.1 Kulturelle Gemeinsamkeiten in Samaria und Juda ..............317 a) Forschungsgeschichtliche Problemanzeige ...................317 b) Materielle Kultur, Schrift und Sprache .........................321 c) Die Zusammensetzung der Bevölkerung – Hinweise aus dem Onomastikon .................................325 d) Das Selbstzeugnis der Samarier ..................................329 e) Die Elephantine-Korrespondenz .................................331 f) Indizien im Esra/Nehemiabuch ..................................333 1.3.2.2 Zwei Tempel – zwei Völker? Der Tempelbau auf dem Garizim als Hintergrund der innerjudäischen Debatte um die Zugehörigkeit der Samarier zu Israel .....................335
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs .................................................340 2.1 Der semantische Befund ...............................................................341 2.1.1 Variable Referenzen für „Israel“ in der Thronfolgegeschichte .......................................................341 2.1.2 Keine semantische Innovation bei Jesaja ........................342 2.1.3 Weite und enge Verwendung „Israels“ in nord-israelitischen Texten ............................................344 2.2 Die konzeptionelle Frage: Grundzüge eines gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins vor 720 ...................345 2.2.1 Problemanzeigen zur Forschungsdiskussion ...................345 2.2.1.1 Innovation und Implementierung ....................................345 2.2.1.2 Staatsvolk, Gottesvolk und tertium non datur? ...................347 a) Staatsvolk und Gottesvolk? ........................................348 b) Staatsvolk und Stämmevolk? .....................................351 2.2.1.3 Konsequenzen .............................................................355 2.2.2 Die primordiale Codierung als Basis des gesamtisraelitischen Gemeinbewusstseins ..................................355 2.2.2.1 Reflexe der genealogischen Israel-Konzeption in der ThFG und den untersuchten Prophetentexten ............355 2.2.2.2 Die Pragmatik der literarischen Entfaltung der genealogischen Konstruktion in der Jakoberzählung und Josephsgeschichte ..................................................357 2.2.2.3 Gab es eine „Israelitisierung“ Judas? ...............................360 2.2.2.4 Gesamt-Israel als Stämmevolk ........................................364
2.3 Spurensuche: Die Anfänge des gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins .....................................................................366 2.3.1 Zur Situationsangemessenheit des Stämmesystems .......368 2.3.2 Elemente des älteren primordial codierten Gemeinbewusstseins .........................................................371
XIV
Inhaltsverzeichnis
3. Ergebnisse: Zwölf Thesen zur Verwendung des Israel-Namens im Alten Testament...................................................................................373 Literatur........................................................................................................377 Register.........................................................................................................413
Abkürzungen Abkürzungen Abkürzungen
Verwendete Abkürzungen richten sich nach S.M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 21992. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet:
Allgemeine Abkürzungen chr dtr DtrG ThFG
chronistisch deuteronomistisch deuteronomistisches Geschichtswerk Thronfolgegeschichte
Abkürzungen für Textausgaben BHS
Biblia Hebraica Stuttgartensia, hg. v. K. Elliger & W. Rudolf, Stuttgart 4 1990. BHQ Biblia Hebraica Quinta editione cum apparatu critico novis curis elaborato, hg. v. A. Schenker u.a., Stuttgart 2004ff. Elberfelder Die Heilige Schrift, Elberfelder Übersetzung, revidierte Fassung, Wuppertal 2004. Ö sofern verfügbar: Septuaginta. Vetus testamentum Graecum auctoritate Acad. Scientiarum Gottingensis ed., Göttingen 1974ff.; darüber hinaus: Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes. Duo volumina in uno, ed. A. Rahlfs, ed. altera quam recognovit et emendavit R. Hanhart, Stuttgart 2006. Luther Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers (Revision von 1984), Stuttgart 2004. ç Biblia sacra. Iuxta Vulgatam versionem, adiuvantibus B. Fischer, I. Gribo mont, H.F.D Sparks, W. Thiele. Rec. et brevi apparatu critico instruxit R.Weber, Stuttgart 52010. @ Der hebräische Pentateuch der Samaritaner, hg. v. A. von Gall, Berlin 1918.
XVI
Abkürzungen
Abgekürzt zitierte Werke ABD HAE HAL Ges18 GesK KAI KTU RIM TADAE TUAT WDSP
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Bibliographische Abkürzungen ABG ATM BAR BEATAJ CBR CR:BS DSD HBM HBS HEBAI HThKAT HThKNT JBVO JNSL JSP KAANT
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Abkürzungen KuI LHBOTS LSTS LXX Dt. NEAEHL NIBC NICOT OEANE RGVV THLI Trans. VWGTh WBC ZAR
XVII
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Elektronische Hilfsmittel Accordance BibleWorks SESB
Accordance 10, OakTree Software Inc., Altamonte Springs, Ca 2013. BibleWorks 7.0, BibleWorks LLC, Norfolk, Va 2006. Stuttgarter Elektronische Studienbibel 3.0, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2009.
A. Annäherung A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
Forschungsstand und Fragestellung 1. „Israel“ im Alten Testament und in zeitgenössischen außerbiblischen Quellen 1. „Israel“ im AT und außerbiblischen Quellen
1.1 „Israel“ im Alten Testament „Israel“ ist mit 2514 Belegen1 nach dem Gottesnamen יהוהder mit großem Abstand am häufigsten verwendete Name im Alten Testament. Der Gebrauch des Namens ist dabei ebenso selbstverständlich wie schillernd. Schon die Versuche einer Kategorisierung möglicher Verwendungsweisen fallen recht unterschiedlich aus, wie drei Beispiele zeigen: A. Even-Shoshan nennt für „Israel“ in seiner Konkordanz zwei Verwendungsmöglichkeiten, denen er alle Belege zuordnet; „Israel“ sei: 1. der Ehrennahme, den der Erzvater Jakob erhalten habe, als er mit dem Gottesmann kämpfte, und 2. die Bezeichnung für die Stämme der Söhne Jakobs und das ganze Volk bzw. Land.2 Mit dieser Einteilung unterscheidet Even-Shoshan lediglich zwischen individuellem und kollektivem Gebrauch und führt in Übernahme des genealogischen Modells der Erzelternerzählungen „Israel“ als Kollektivum auf den Erzvater Jakob zurück. R. Albertz benennt dagegen drei Gebrauchsmöglichkeiten für „Israel“ im Alten Testament; „Israel“ diene: 1. als Personenname 2. als ethnische und 1 An fünf Stellen findet sich zudem das Gentilizium ( ישׂראליתLev 24,10[2x].11) bzw. ( ישׂראליLev 24,10; 2Sam 17,25). Die Zahlenangaben in verschiedenen Konkordanzen
variieren geringfügig: LISOWSKY, Konkordanz, nennt 2511 Belege, wobei wie ZOBEL, ThWAT ישׂראל, Sp. 988, richtig bemerkt Gen 47,31 sowie der jeweils zweite Beleg in 1Reg 9,7; 16,29 fehlen. EVEN-SHOSHAN , Concordance, zählt 2512 Stellen, hier fehlen 1Reg 14,14; 21,21. ZOBEL, ThWAT ישׂראל, Sp. 988, sowie ALBERTZ, TRE Israel, 369, nennen die korrekte Zahl von 2514 Belegen. Unter den elektronischen Konkordanzen zählt SESB ebenfalls 2514; Accordance nennt 2515 Stellen, da in 2Sam 10,9 sowohl Ketib als auch Qere in die Statistik einfließen. BibleWorks zählt 2506 hebräische Belege, die 8 Belege im aram. Teil des Esrabuches (Esr 5,1.11; 6,14.16.17[2x]; 7,13.15) werden als unabhängiges Lemma behandelt. 2 EVEN -SHOSHAN , Concordance, 509.
2
A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
3. als geographische Bezeichnung.3 Diese Unterscheidung wird bei Albertz jedoch gleich wieder relativiert. Eine geographische Bezeichnung im engeren Sinne, d.h. ein Toponym, sei „Israel“ im Alten Testament nie, diese Funktion übernähmen attributiv zu übersetzende Constructus-Verbindungen wie ארץ ישׂראל, גבול ישׂראלu.a.4 Ebenso sei „Israel“ kein „rein ethnischer oder politischer Begriff, sondern hat von Anfang an auch eine theologische Komponente: Israel ist das Volk Jahwes, des Gottes Israels“. 5 Mit dieser Feststellung führt Albertz neben der semantischen eine konzeptionelle Ebene ein – Israel ist ein Staatsvolk, Stämmevolk bzw. ein Gottesvolk. A.R. Hulst stellt sieben mögliche Verwendungsweisen für den IsraelNamen im Alten Testament zusammen. „Israel“ komme vor als: 1. Name des Erzvaters Jakob 2. Name eines sakralen Stämmebundes 3. Name eines Staates 4. Name eines Volksteils, resp. des Nordreichs 5. – nach 722 – Name für das Südreich Juda 6. Name der „Gemeinde“ der nachexilischen Zeit 7. Name einer Gruppe der Gemeinde, resp. der Laien.6 Hulst verbindet in seiner Liste deskriptive Kategorien und (literar-)historische Hypothesen. So sind die Verwendungsweisen von „Israel“ als alternativer Name Jakobs, als Name eines Stämmeverbands, eines vereinigten Königreiches unter David und Salomo, eines Königreiches mit der Hauptstadt Samaria, als Bezeichnung der Laien im Gegenüber zum Klerus auf der textinternen Ebene der Textakteure zu greifen. Mit der Frage, ob und inwieweit sie auf textexterne Größen referieren, ist die reine Deskription bereits verlassen. Das gilt umso mehr für die Annahme, dass Juda erst nach 722 als „Israel“ bezeichnet werden konnte und ganz offensichtlich dann, wenn die Texte als Reflexe rekonstruierter historischer Gegebenheiten wahrgenommen werden und „Israel“ als Chiffre für Größen fungiert, die im Text gar nicht explizit genannt werden. Ob „Israel“ z.B. jemals auf einen sakralen Stämmebund – Hulst setzt hier M. Noths These einer Stämme-Amphiktyonie um das Heiligtum in Sichem voraus – oder aber eine als „Gemeinde“ zu bezeichnende sozio-kulturelle Gruppierung in der persischen Provinz Jehud referieren konnte, hängt v.a. davon ab, ob es
ALBERTZ, TRE Israel, 370. AaO., 372. 5 AaO., 370. 6 HULST, Naam, 27. Bei DAVIES, Search, 50, wird die Liste unter Rückgriff auf HAYES , Art. Israel, noch um drei Einträge erweitert: „Israel“ diene zudem als „8. a name for descendants of Jakob/Israel“, „9. a pre-monarchic tribal grouping in Ephraim“ und „10. adherents of various forms of Hebrew and Old Testament religion“. 3 4
1. „Israel“ im AT und außerbiblischen Quellen
3
diese Größen je gegeben hat, was in der Forschungsdiskussion bekanntlich recht unterschiedlich gesehen wird.7 Doch damit nicht genug. „Israel“ bleibt auch dann schillernd, blendet man die Schwierigkeiten der textexternen Referenz einmal aus. Verschiedene Verwendungsweisen lassen sich mit wenigen Ausnahmen8 nicht auf einzelne Bereiche des Alten Testaments aufteilen, sondern treten häufig in großer Nähe in den Einzeltexten nebeneinander auf. So dient „Israel“ in 2Sam 12,7 als Bezeichnung Gesamt-Israels, während es in 12,8 in einer engeren Verwendungsweise lediglich auf Nord-Israel referiert. 2Sam 12,7
12,8
ויאמר נתן אל דוד אתה האישׁ כה אמר יהוה אלהי ישׂראל אנכי משׁחתיך למלך על ישׂראל ואנכי הצלתיך מיד שׁאול ואתנה לך את בית אדניך ואת נשׁי אדניך בחיקך ואתנה לך את בית ישׂראל ויהודה …
Der Wechsel der Referenz von Gesamt-Israel zum Nordreich wird durch die Verwendung von „Haus Israel“ sowie das Nebeneinander von „Israel“ und „Juda“ angezeigt.9 Schwieriger sind die Verhältnisse in 2Chr 10,16–18: 2Chr 10,16
10,17 10,18
וכל ישׂראל כי לא שׁמע המלך להם וישׁיבו העם את המלך לאמר מה לנו חלק בדויד ולא נחלה בבן ישׁי אישׁ לאהליך ישׂראל עתה ראה ביתך דויד וילך כל ישׂראל לאהליו ובני ישׂראל הישׁבים בערי יהודה וימלך עליהם רחבעם וישׁלח המלך רחבעם את הדרם אשׁר על המס ורגמו בו בני ישׂראל אבן וימת …
In v. 16 stehen ישׂראלund כל ישׂראלfür Gesamt-Israel, in v. 17 bezeichnet בני ישׂראלdie Judäer, in v. 18 dagegen die Nord-Israeliten. Auch hier finden sich Signale im Text, die einer Klärung der Referenz dienen ( כלbzw. in v. 17 die Präzisierung über den Relativsatz), für die genaue Zuordnung ist jedoch der weitere Kontext unerlässlich.10 Geradezu zu einer crux interpretum wird die Verwendung des IsraelNamens an Stellen wie Mi 1,5: Dazu unten S. 8ff. So konzentriert sich die individuelle Verwendung des Namens für den Erzvater Jakob thematisch bedingt in Gen 32–50, ist aber auch darüber hinaus belegt (vgl. Ex 1,1; 32,13; 1Reg 18,36; Jes 63,16; Esr 8,18; 1Chr 1,34; 29,18; 30,6 u.a.m.). Als Bezeichnung der Laien fungiert „Israel“ lediglich in späten Texten, dazu S. 67. 9 Zu „Israel“ in der Thronfolgegeschichte vgl. unten S. 171ff. 10 Zu 2Chr 10,1–11,14 vgl. unten S. 105ff. 7 8
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
Mi 1,5a 1,5b
בפשׁע יעקב כל זאת ובחטאות בית ישׂראל מי פשׁע יעקב הלא שׁמרון ומי במות יהודה הלא ירושׁלים
Steht בית י שׂראלhier für das Nordreich und bildet das Pendant zu „Jakob“ im synonymen Parallelismus membrorum? Oder fungiert es als Bezeichnung für Juda und damit als Gegenüber zu „Jakob“, wie v. 5b nahelegt? Der Blick in den Kontext macht die Entscheidung nicht leichter, da hier einerseits „Israel“ bzw. „Haus Israel“ mit Bezug auf das Südreich eingesetzt (1,13–15; 3,1.8f.), andererseits aber „Jakob“ und „Haus Israel“ als Synonyme verwendet werden (3,1.8f.). Die Verwendungsweise des IsraelNamens in v. 5 erschließt sich erst, betrachtet man den Argumentationsgang des gesamten Abschnitts Mi 1,5–3,12. 11 „Israel“ ist im Alten Testament somit auch deswegen eine schillernde Bezeichnung, weil der Name nicht nur auf unterschiedliche Weise verwendet werden kann, sondern weil in zahlreichen Texten eindeutige, für eine rasche Disambiguierung auswertbare Signale fehlen.12 1.2 Die außerbiblischen „Israel“-Belege Erwähnungen Israels in außerbiblischen Quellen sind nicht gerade üppig, aber in ihrer zeitlichen und geographischen Streuung so vielfältig, dass die Existenz einer Größe, die diesen Namen trug, auch ohne das Zeugnis des Alten Testaments als historisch gesichert gelten würde. Die Belege sind lange bekannt und in der einschlägigen Literatur13 aufgearbeitet, so dass hier eine knappe Vorstellung genügen kann. – Als Bezeichnung einer Volksgruppe14 fungiert „Israel“ auf der Merenptah-Stele15 aus Theben. In deren Text, der auf das 5. Jahr des Pharao Dazu unten S. 227ff. DAVIES, Search, 50f., stellt zutreffend fest: „The biblical literature in most cases makes no explicit distinctions, and biblical scholars rarely make it clear in which of the biblical senses they employ the term.“ Er verbindet damit zugleich eine Forschungs aufgabe: „However, the point is not simply that the reader of the Bible ought to know at any point which ‚Israel‘ is being read about, nor even that the scholar ought always to make clear in which sense (s)he means it to be understood. No: it is not a matter of picking the definition that is wanted at any one time. Rather, it has first to be asked what kind of term this is, which is both so fundamental to the sense of the biblical literature and yet so wide-ranging and so flexible“ (Hervorhebung i.O.). 13 Zusammenstellungen finden sich in den Lexikonartikeln von ZOBEL , ThWAT ;ישׂראל ALBERTZ, TRE Israel, oder WAGNER , Wibilex Israel, sowie bei BERGER, Israel. 14 Neben der kollektiven Verwendung ist „Israel“ als Personenname in Namenslisten aus Ebla und Ugarit belegt. „Israel (iš-ra-il), der Sohn von Dara“ wird als ein Empfänger von Waren in einer Lieferliste aus Ebla aufgeführt (PETTINATO, Testi, 149 III,8). Eine Liste von Streitwagenkämpfern aus Ugarit nennt an zweiter Stelle eine Person namens jšril (KTU 4.623; dazu SAUER, Bemerkungen, 239f.). 11
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1. „Israel“ im AT und außerbiblischen Quellen
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(1209 v.Chr.) datiert ist, feiert dieser seinen Sieg über die Libyer. 16 In der Schlusspassage kommt Vorderasien in den Blick und neben Städten wie Askalon, Geser und Jenoam 17 wird auch Israel ( Y-s-ï-r-˒-ꜣ-r˒)18 genannt und mit dem Determinativ für eine Menschengruppe versehen. Letzteres ist im Text der Stele singulär, alle anderen genannten Größen tragen entweder die Determinative für Länder bzw. Orte oder Landschaften. Daher scheint es sich bei „Israel“ aus Sicht der ägyptischen Schreiber um eine „nichturbane Menschengruppe“19 und somit um eine ethnisch und nicht territorial bestimmte Größe20 zu handeln. Die mit Israel verbundene Aussage, es „ist verwüstet; es hat kein Saatgut“21, scheint zudem auf Sesshaftigkeit22 hinzudeuten. Über die Herkunft dieser Menschengruppe, ihr Siedlungsgebiet oder ihre Zusammensetzung lässt der Text keine weiteren Rückschlüsse zu.23 – In einer im türkischen Kerh-i-Dicle gefundenen Monolith-Inschrift24 beschreibt Salmanasser III u.a. einen Feldzug, den er im sechsten Jahr seiner Regierung (853) gegen eine Koalition mittelsyrischer (Stadt-) Staaten unternommen hat. Unter den Gegnern Salmanassers wird auch „Ahab von Israel“ genannt, der mit einem Kontingent von 2000 Streitwagen25 und 10000 Fußsoldaten zu den Streitkräften der Koalition beigetragen habe. Da für die übrigen Könige durchgängig Eigenname und Herrschaftsgebiet genannt sind, dürfte dies auch für „Ahab von Israel“ zutreffen, auch wenn das verwendete Gentilizium *Šir˒ilāya von M. Weip-
Kritische Ausgabe: KITCHEN, Inscriptions, 12–19; Übersetzungen u.a. in TUAT I, 544–552; KITCHEN, Translations, 10–15; WEIPPERT, Textbuch, 170f., jeweils mit weiterer Literatur. 16 Ob Merenptah tatsächlich einen Kriegszug nach Vorderasien unternommen hat, ist fraglich; zur Diskussion vgl. WEIPPERT, Textbuch, 160ff. 17 Zu Erwähnungen und der möglichen Lokalisation der Stadt vgl. WEIPPERT, aaO., 102, Anm. 136. 18 Umschrift nach WEIPPERT, aaO., 170. 19 AaO., 165. 20 WAGNER , Wibilex Israel. 21 Übersetzung nach TUAT I, 552. WEIPPERT schlägt unter Hinweis auf das semantische Spektrum von pr.t, das dem des hebräischen זרעvergleichbar sei, die offenere Übersetzung mit „Same“ vor (aaO., 171, Anm. 161). 22 F RITZ, Entstehung, 74. 23 Für WEIPPERT, Textbuch, 165, bleibt es daher lediglich „eine – wenn auch naheliegende – Vermutung“, dass „diese Gruppe für das historische Israel des 1. Jahrtausends … namengebend war.“ 24 Text: RIM A.0.102.2 Rs. 78–102; Übersetzungen u.a. in TUAT I, 361f.; WEIPPERT, aaO., 254–259. 25 Damit stellt Ahab unter den Gegnern Salmanassers die größte Zahl von Streitwagen. Ob die Angaben übertrieben (so NIEMANN , Wagen) oder zuverlässig sind (so LIVERANI , Assyria, 215f.; WEIPPERT, Textbuch, 257), ist umstritten. 15
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
pert im Blick auf seine Herleitung als „einigermaßen rätselhaft“ eingestuft wird.26 „Israel“ bezeichnet hier somit das Nordreich. – Ereignisse aus dem 9. Jh. v.Chr. sind auch Thema der sog. MeschaInschrift, einer 1868 in Diban gefundenen Bauinschrift des moabitischen Königs, in der u.a. kriegerische Auseinandersetzungen mit Israel geschildert werden.27 ישׂראלerscheint in der Inschrift sechs Mal (Z. 5.7.10f.14.18. 26), an drei Stellen in einer Constructus-Verbindung mit ( מלךZ. 4f.10f.18). Als israelitische Könige sind Omri und sein Sohn im Blick, aber lediglich Omri wird namentlich genannt (Z. 4f.). „Israel“ fungiert auch hier als Bezeichnung für das Nordreich bzw. seine Bevölkerung (Z. 7.14.26). Neben den Omriden als Herrscherhaus spricht dafür, dass das umstrittene Gebiet nicht das eher südlich gelegene moabitische Kernland ist, sondern die genannten Ortslagen – so weit sie identifizierbar sind – im nördlichen Ostjordanland auf der Höhe Nord-Israels liegen. Zudem ist neben „Israel“ als eine zweite Größe auch Juda, bezeichnet als ( בית דודZ. 31)28, genannt, so dass „Israel“ nicht mit dem Südreich identisch sein oder es einschließen kann. 2. Trends in der Forschung – Weitere Belege liefert eine 1993/1994 in Tel Dan gefundene Basaltstele mit einer aramäischen Inschrift, die ebenfalls aus dem 9. Jh. v.Chr. stammt.29 Als Auftraggeber gilt der aramäische König Hasael, der von seinen Erfolgen berichtet. Die Namen der Könige Israels und Judas sind nur fragmentarisch erhalten. Wenn aber ( ביתדודZ. 9) Juda meint,30 kommen bei den erhaltenen Buchstaben und aufgrund der Parallelität nur Joram von Israel und Ahasja von Juda in Frage. „Israel“ begegnet in Z. 3f.8.12? 31 und bezeichnet das Nordreich. Die in der Inschrift geschilderten Ereignisse lassen sich bei einigen Widersprüchen im Detail32 zu den Nachrichten über die Jehu-Revolution (2Reg 9) in Beziehung setzen. 2. Trends in der Forschung
26 AaO., 257, Anm. 45 (Umschrift ebd.). KNAUF, Sprache, 17, vermutet als Hintergrund eine abweichende Aussprache für „Israel“ im „Samaria-Israelitischen“. 27 Text: KAI 181; Übersetzungen: TUAT I, 646–650; WEIPPERT, aaO., 245–248, mit weiterer Literatur. 28 Die Buchstaben sind nicht vollständig erhalten, der Kontext so fragmentarisch, dass seine Rekonstruktion nicht mehr möglich und diese Lesung folglich nicht zweifelsfrei gesichert ist. Immerhin bestätigt die Tel Dan-Stele, dass בית דודals Bezeichnung des Südreiches Juda dienen konnte (s.i.F.). 29 Text: B IRAN & N AVEH , Stele Fragment; BIRAN & N AVEH , Tel Dan Inscription; KAI 310. 30 Diese Interpretation wurde nach der Veröffentlichung des ersten Fragments kontrovers diskutiert. KNAUF, DE PURY & RÖMER , Relecture; DAVIES, House, u.a. schlugen alternative Deutungen vor. Die Diskussion ist mit der Auffindung des zweiten Fragments weitgehend zur Ruhe gekommen. Zu weiterer Literatur vgl. KOTTSIEPER, Tel Dan Inscription, 134 mit Anm. 3 und 5. 31 Hier sind nur die ersten beiden Buchstaben erhalten. 32 Nach 2Reg 9,24.27 tötete Jehu Joram und Ahasja, in der Inschrift (Z. 6f.) schreibt sich Hasael die Tat zu.
2. Trends in der Forschung
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Als weitere Bezeichnungen des Nordreichs sind in assyrischen Quellen auch „Haus Omri“33 oder „Omri“34 sowie „Samaria“35 belegt. Das Südreich wird in assyrischen und babylonischen Quellen weitgehend einheitlich als „Juda“ ( Ia-ú-da-a-a ; Ia-ú-di oder Ia-a- udu) bezeichnet.36
Die Belege zeigen, dass „Israel“, sofern es nicht als Personenname fungiert, eine Bevölkerungsgruppe bezeichnen kann (so in der MerenptahStele, aber auch in der Mescha-Inschrift). Die Inschriften aus dem 9. Jh. ergeben, dass „Israel“ eine monarchisch verfasste und politisch/territorial greifbare Größe ist, die in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarn (Moab, Aram) verwickelt war und in der Wahrnehmung der Assyrer in eine Reihe mit weiteren mittelpalästinischen Klein- und Stadtstaaten gehört. Sie ist zudem von Juda unterschieden. Das „Israel“ der genannten Inschriften ist ausweislich der genannten Könige mit dem aus dem AT bekannten Nordreich Israel zu identifizieren. Dagegen ist „Israel“ als Bezeichnung für Juda außerbiblisch nicht belegt, ebenso fehlen Hinweise für eine Juda einschließende weite Verwendungsweise des Namens. Soll der Befund hinsichtlich Entwicklungen in der Semantik des IsraelNamens ausgewertet werden, ist jedoch neben der geringen Zahl der Belege auch die Gattung der Texte zu bedenken. Sie spiegeln eine Außenwahrnehmung, sind durchweg in der politischen Sphäre angesiedelt und zielen in ihrer Pragmatik auf die Stützung des jeweiligen Herrschers über die Herausstellung seiner (militärischen) Erfolge. Eine andere Verwendungsweise als die politisch/territoriale ist somit für den Israel-Namen auch gar nicht zu erwarten. Sie sind insofern aufschlussreich für die staatsrechtliche Außenperspektive, aber von der Innenperspektive möglicher Selbstbezeichnungen zu unterscheiden.
33 So als Beischrift zu einer Abbildung im zweiten Register des „Schwarzen Obelisken“ (vgl. TUAT I, 363; WEIPPERT, Textbuch, 264f.) sowie in den Annalen Tiglatpilesers III und Sargons II (vgl. WEIPPERT, aaO., 287–295.306). 34 Mit dem Landesdeterminativ KUR auf einer Orthostateninschrift Adadnararis III, vgl. TUAT I, 367f.; WEIPPERT, aaO., 274. 35 Sa-mì-ri-na , teils mit Stadt-, teils mit Landesdeterminativ, wobei die Stadt auch pars pro toto für das größere Gebiet stehen kann, vgl. z.B. die parallelen Notizen über die Deportationen von Arabern nach „Samaria“ (TUAT II, 30; WEIPPERT, aaO., 305, Nr. 158) bzw. ins Land „Haus Omri“ (TUAT I, 386; WEIPPERT, aaO., 306, Nr. 159). Zahlreiche weitere Belege bei WEIPPERT, aaO., 300ff. 36 ALBERTZ, TRE Israel, 369. Zahlreiche Belege bei WEIPPERT, aaO., 329–351 sowie 408–430.
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
2. Trends in der Forschung Der Vielfalt der Verwendungsweisen des Israel-Namens im Alten Testament steht eine relativ einheitliche Verwendung von „Israel“ als Name der politischen Größe Nordreich in den außerbiblischen Quellen gegenüber. Vor diesem Hintergrund scheinen insbesondere die Anwendung des IsraelNamens auf Juda sowie die mit ihr verbundene weite Verwendung des Namens für eine Gemeinschaft aus Juda und Nord-Israel erklärungsbedürftig. Lagen diese Verwendungsweisen stets in den semantischen Möglichkeiten des Israel-Namens oder sind sie das Ergebnis einer Transformation und/oder sekundären Erweiterung, die dann jeweils Ausdruck gewandelter Israel-Konzeptionen sind? 2.1 Die semantische Frage: Steht am Anfang ein weiter oder ein enger Israel-Begriff? Das Problem ist selbstverständlich nicht neu. Die Antwortalternativen für die Frage nach der Priorität des engen oder weiten Israel-Begriffs haben bereits A. Alt und M. Noth benannt. Alt geht für den Israel-Namen von einer anfänglich engen Verwendungsweise mit exklusivem Bezug auf das Nordreich aus, wenn er (eher im Vorübergehen) notiert, dass der IsraelName mit dem Ende des Nordreichs „seinen alten politischen Sinn verliert und für eine Verwendung in anderem Sinn frei wird“. 37 Erst dann – so ist wohl impliziert – ist der Israel-Name auch für Juda verfügbar geworden.38 Anders Noth; er hält die weite, gesamt-israelitische Bedeutung für primär, von der sich die engeren Verwendungsweisen als Bezeichnung des Nordoder Südreiches abgeleitet hätten: „Die alttestamentliche Überlieferung kennt den Namen ‚Israel‘, wenn wir von einer nachträglich in einer ganz bestimmten geschichtlichen Situation unter uns eindeutig bekannten Voraussetzungen aufgekommenen spezielleren Verwendung des Namens ALT, Rolle Samarias, 319. Vgl. ALT, RGG3 Israel, 938. Die Anwendung des „Israel“-Namens auf Juda erfolgt für Alt freilich nicht ohne Voraussetzungen. Mit Noth geht er von einer vorstaatlichen Stämme-Amphiktyonie aus, und auch für Alt ist jener Stämmeverband „der erste Träger des Namens I., von dem wir wissen“ (ALT, RGG 3 Israel, 938). Die Ausformung der genealogischen Struktur verdanke sich jedoch letztlich kultischen Gegebenheiten (so etwa die Zwölfzahl dem monatlichen Wechsel in der Versorgung des Heiligtums). Sie wird damit für Alt stärker noch als bei Noth zur Chiffre für ein religiös fundiertes Gemeinbewusstsein: „Der sakrale Zusammenschluß der Stämme hatte also durchaus nicht ein politisch-völkisches Zusammengehörig keitsbewußtsein zur selbstverständlichen Folge“ (aaO., 940). Letzteres entwickele sich erst im Zusammenhang der Philisterbedrohung, für Alt somit „verhältnismäßig spät“ (ebd.), und blieb im Wesentlichen auf die Nordstämme beschränkt. Auch Davids Großreich habe daran langfristig nichts ändern können, weil Nord-Israel hier „in einen so wenig nationalen Rahmen gespannt wurde“, dass dieser keine nachhaltige Verbindung sichern konnte (ebd.). 37 38
2. Trends in der Forschung
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absehen, nur als Gesamtbezeichnung für eine Gruppe von zwölf Stämmen.“39 Die „bestimmte geschichtliche Situation“ meint das Nebeneinander der Königreiche „Israel“ unter Eschbaal und „Juda“ unter David (2Sam 2): „Da aber die Südstämme sich getrennt hatten, umfaßte der politische Begriff ‚Israel‘ unter Esbaal tatsächlich nur den größeren Teil der Stämme, unter Ausschluß der Südstämme, und bei dieser Einschränkung des Namens ‚Israel‘ im politischen Bereich, in dem sich nun die Größen ‚Juda‘ und ‚Israel‘ gegenüberstanden, ist es von da ab geblieben.“40 2.1.1 Der weite Israel-Begriff als Ausgangspunkt M. Noth ist mit der genannten in seiner Geschichte Israels vorgestellten Position v.a. für die ältere Forschung repräsentativ, 41 die er selbst mit seiner wirkmächtigen Untersuchung Das System der zwölf Stämme Israels (1930) in der Frage über lange Zeit geprägt hat.42 Für Noth stellte das Stämmesystem nicht das einzige, aber doch ein wichtiges „Zeugnis für das Einheitsbewußtsein des israelitischen Volkes“43 dar. In seiner Studie suchte er einen Ausweg aus der Alternative, das System sei entweder die „Wiedergabe einer naturgewachsenen historischen Situation“ – was er aufgrund der „Künstlichkeit des Systems“ für unmöglich hielt – oder eine „‚am grünen Tisch‘ geschaffene Theorie“ und somit bloße Fiktion.44 Er lieferte mit der These, das vorstaatliche Israel sei ein sakraler Stämmebund gewesen, zusammengehalten durch die gemeinsame Verehrung JHWHs, die Sorge um ein zentrales Heiligtum und die Durchsetzung eines gemeinsamen Gottesrechts, für die Entstehung des Stämmesystems eine institutionelle und historische Erdung, aus der sich die Priorität eines weiten Israel-Begriffs quasi notwendig ergab. Auf die Semantik des Israel-Begriffs konsequent angewendet wird Noths Rekonstruktion der Frühgeschichte Israels in G. Danells Untersuchung Studies in the Name Israel in the Old Testament (1946). Die Studie Danells ist die letzte Monographie, die sich die Untersuchung der Verwendung des Israel-Namens im gesamten Alten Testament zur Aufgabe stellt. 45 In späterer NOTH, Geschichte, 11 (Hervorhebung i.O.). AaO., 169. 41 So kommt zuvor SEESEMANN , Israel, für Amos und Hosea zu dem Ergebnis: „Israel bezeichnet bei Amos wie bei Hosea nur das Nordreich“ (31, vgl. für Am auch 15–17). Er geht aber selbstverständlich davon aus, dass zumindest Amos „die umfassende und unseres Erachtens ältere Bedeutung von Israel (= Juda und Ephraim) gekannt haben [muss]“. Amos folge vielmehr lediglich dem alltäglichen Sprachgebrauch, in dem „Israel“ das Nordreich bezeichnete, sofern die Verwendung des Namens „nicht in theologischem oder historischem Interesse“ geschah (15f.). 42 Zur Wirkungsgeschichte vgl. BÄCHLI , Amphiktyonie. 43 NOTH , System, 39. 44 AaO., 39.41. 39 40
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
Zeit wurde die Frage mit diesem umfassenden Anspruch nur noch in den einschlägigen Lexikonartikeln behandelt.46 Daneben liegt eine Reihe von Untersuchungen zum Gebrauch des Israel-Namens in einzelnen alttestamentlichen Schriften vor – mit einem deutlichen Schwerpunkt auf den Prophetenbüchern. Den Anfang macht O. Seesemann mit Israel und Juda bei Amos und Hosea (1898). L. Rost legt 1937 seine Studie Israel bei den Propheten vor. W. Zimmerli untersucht das Ezechielbuch (1969),47 J. Høgenhaven (1988) und R.G. Kratz (2006) fragen nach der Verwendung von „Israel“ bei Proto-Jesaja.48 Mit dem Deuteronomium beschäftigte sich A.R. Hulst (1951), 49 mit den Königebüchern J.R. Linville (1998). 50 H.G.M. Williamson (1977; 1989) und E. Ben Zvi (1995) diskutieren den Gebrauch des Israel-Namens in der Chronik und anderen späten Texten des Alten Testaments.51
Danell definiert als Ziel seiner Studie, „to investigate the use and occurrence of the name Israel in the Old Testament, from the point of view of terminology“52 und benennt die Schwierigkeiten, denen sich alle einschlägigen Untersuchungen zu stellen haben: (1) angesichts der verschiedenen semantischen Möglichkeiten des Israel-Namens sei häufig nicht klar, in welcher Weise der Name im konkreten Einzeltext verwendet werde, (2) die Referenz des Namens sowie (3) die Verwendung von Ausdrücken wie ישׂראל,a בני ישׂראלoder בית ישׂראלkönne zudem häufig innerhalb eines Textes variieren.53 Für Danell folgt daraus, dass die Verwendung des Israel45 1962 legte A.R. H ULST, die für ein weiteres kirchliches Publikum bestimmte Studie Wat betekent de naam ISRAËL in het Oude Testament? vor, in der er verschiedene Verwendungsweisen des Israel-Namens zusammenstellt, aber ausdrücklich auf eine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Forschungsdiskussion verzichtet. 46 Einige Artikel zum Stichwort „Israel“ listen lediglich verschiedene Verwendungsweisen für „Israel“ auf, ohne deren Verhältnis zueinander oder ihre Entwicklung zu thematisieren, so z.B. HALDAR , Art. Israel; PEUCKER, CBL1 Israel; LASINE , Art. Israel; SCHÄFER , CBL2 Israel; RABINOWITZ, EJ2 Israel (PIENAAR , Art. Israel, stellt unter dem Stichwort „Israel“ lediglich die Geschichte des Nordreichs dar). Diskutiert wird die Entwicklung bei GERLEMAN, THAT ; ישׂראלHEMPEL, BHH Israel (beide auf der Linie Noths); LEE, ISBE Israel (Primat des weiten Begriffs auf der Basis der postulierten Historizität der Patriarchen); DAVIES, NBL Israel (vgl. unten S. 21), sowie ausführlich ZOBEL, ThWAT ישׂראל, und ALBERTZ, TRE Israel (für beide vgl. i.F.). KNAUF , RGG 4 Israel, thematisiert die Frage nicht eigens, scheint aber ein bestimmtes Modell vorauszusetzen, wenn er notiert: „Dem ‚einen I.‘ der Bibel gingen hist. verschiedene I. voraus: ein Stamm der SB-Zeit, ein Staat in Mittel- und Nordpalästina vom 10. bis zum 8. Jh., schließlich ein Staat in Süd palästina im 7. und eine pers. Provinz ebendort im 5. und 4. Jh“ (Sp. 287) bzw. „Als der überlebende JHWH-Staat verstand sich Juda zunehmend als das ‚wahre I.‘“ (Sp. 289). HARVEY, True Israel, 148–188, beschäftigt sich u.a. mit der Verwendung von „Israel“ im Alten Testament, bietet aber lediglich eine ausführliche Konkordanz zu verschiedenen Verwendungsweisen. 47 ZIMMERLI , Israel. 48 HØGENHAVEN , Gott; KRATZ, JESAJABUCH . 49 HULST, Name. 50 LINVILLE , Israel. 51 B EN Z VI , Inclusion; WILLIAMSON , Israel, sowie Concept. 52 DANELL , Studies, 9. 53 AaO., 10.
2. Trends in der Forschung
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Namens als literarkritisches Kriterium grundsätzlich problematisch ist, denn damit erwarte man von den biblischen Autoren „a consistency in choice of words, that probably literary critics themselves could never maintain in their own writings.“54 Der eigentlichen Untersuchung stellt Danell Überlegungen zur Etymologie des Namens und einen historischen Abriss der Ursprünge des Volkes Israel voran, in dem die entscheidende Weichenstellung für die nachfolgende Besprechung des „Deuteronomic Historical Work“, d.h. Gen–2Reg, der Psalmen, der prophetischen Bücher und des „Work of the Chronicler“ (Esr, Neh, Chr) erfolgt. Der Abriss führt Danell zu dem Schluss: „there is never a shadow of doubt in the Old Testament that Judah of old belonged to Israel in the wider sense of the name, and that view is probably of very ancient date.“55 Noths Amphiktyonie-Hypothese aufnehmend hält er fest: „it seems to me most probable that these two sections of Israel [sc. Juda und die Nordstämme, K.W.] have each their own immigration history, but that all the same before the immigration they had been united in the same cult, in a fellowship that was never wholly forgotten after the settlement, but which facilitated coalescence into the union of Israelite tribes under Yahweh, God of Israel.“ 56 Daraus ergibt sich für Danell eine Priorität des weiten Israel-Begriffs, dessen Kenntnis er auch bei jenen Propheten voraussetzt, die „Israel“ vorrangig als Name für das Nordreich verwenden (Hosea, Amos, Jesaja) 57. In Bezug auf Juda gebe es somit ausreichend „evidence from the texts themselves that … Judah from the earliest times was counted, and counted itself, as a part of the union of the Israelite tribes“, daher sei es auch „perfectly natural“, wenn nach dem Ende des Nordreichs Juda als „Israel“ bezeichnet bzw. als „Rest Israels“ verstanden werde.58 H.-J. Zobel ist in seinem ausführlichen „Israel“-Artikel im ThWAT (1982) zurückhaltend, was die Annahme einer vorstaatlichen israelitischen Amphiktyonie betrifft,59 führt aber dennoch weitgehend die von Noth vorgezeichneten Linien weiter und geht davon aus, dass „der Begriff Israel offenbar schon in der frühen Richter-Zeit auf eine Ganzheit hin offen war, die auch Juda und den Süden berücksichtigte“60. In den „Quellen für die 54 Ebd. Die literar- und quellenkritische Hypothesenbildung im frühen 20. Jh. sieht Danell ausnehmend kritisch. Mit der eigenen Studie hofft er, „to contribute to the settling of accounts with literary criticism, which is at present stirring in Old Testament scholar ship“ (aaO., 11). Der Nachweis der „Echtheit“ der Texte bzw. Historizität der dargestellten Ereignisse nimmt denn auch einen breiten Raum ein. 55 AaO., 48. 56 AaO., 49. 57 Für Amos vgl. aaO., 110–136; für Hosea aaO., 136–155; für Jesaja aaO., 155–189. 58 AaO., 288f. 59 ZOBEL, ThWAT ישׂראל, Sp. 998f. 60 AaO., Sp. 1000.
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
davidisch-salomonische Zeit“ bezeichne „Israel“ „den Stämmekreis, der im großen und ganzen das spätere Nordreich bildete“ und sei daneben „als ein das ganze Volk Judas und Israels umfassender Begriff belegt“, und auch in der Zeit des Nordreichs bleibe Israel „der Idee nach … ein aus 12 Stämmen bestehendes Ganzes“.61 Der engen Verwendung als „staatsrechtlicher Terminus“ stehe somit von Anfang an eine weite als Bezeichnung für das „Ganze des Gottesvolkes“ gegenüber.62 Dieser „auf das Religiöse konzentrierte Sprachgebrauch“ habe dann dazu geführt, dass „Israel“ in der Exilszeit „der Name der Exulanten“ werde und in der Chronik und Esra/ Nehemia die „JHWH-Gemeinde“, d.h. eine „Kultgemeinde“ bezeichne.63 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch R. Albertz in der TRE (1987), der für „Israel“ grundsätzlich zwischen einem politischen und einem theologischen Sprachgebrauch unterscheidet: Im politischen Sprachgebrauch lasse sich für „Israel“ eine „territoriale Fixierung … [auf] die Bevölkerung der mittel- und nordpalästinensischen [sic!] und ostjordanischen Region“ feststellen, daneben aber begegne „ein Sprachgebrauch, der von vornherein weiter ist“, in dem „die territoriale Fixierung keine Rolle spielt“ und „Israel“ „eine durch gemeinsame Sitte, Rechtsanschauungen und durch gegenseitige Anteilnahme und Solidarität geprägte Gemeinschaft [bezeichnet], welche die Bevölkerung der Nord- und Südregion gleichermaßen
AaO., Sp. 995f. AaO., Sp. 1006. Ohne die Annahme einer Amphiktyonie ist die Frage nach den Anfängen dieser „Ganzheit“ wieder offen. Zobel erklärt sie durch Vorgänge in der Väterzeit: Er geht zunächst davon aus, dass der Israel-Name der JHWH-Verehrung vorausgegangen sei, da er die umgekehrte Annahme, dass JHWH-Verehrer sich nachträglich mit diesem El-haltigen Namen bezeichnet hätten, für unwahrscheinlich hält. „Israel“ war also ursprünglich der Name einer El verehrenden Gruppe, die er als „Vorfahren“ der „uns später bekannten und nach den Stammmüttern Lea und Rahel benannten Gruppierungen“ identifiziert. Diese „Jakob-Leute“, die im Zuge von Transhumanzbewegungen in die Gegend von Sichem gelangt seien, wären dort zur El-Verehrung gekommen und dabei sei ihr „offenbar längst neutral empfundene[r] Name Jakob … durch den theophoren, mit religiöser Würde belegten Namen Israel ersetzt“ worden. Die Übernahme dieses „religiösen Eigennamens“ hätte dann weiterhin dazu geführt, dass „sich jene Gruppe … ihrer Einheit und Solidarität bewusst geworden sei“ und somit im Namen Israel „von Anfang an … auch die Vorstellung einer Gesamtheit, die nach innen durch gemeinsame Hoffnungen und Überzeugungen zusammengeschlossen sowie nach außen durch das gemeinsame Bekenntnis … abgegrenzt wird“, liege. Das habe sich nicht geändert, nachdem „JHWH im Zuge des Exodus-Sinai-Geschehens Israels Gott wurde“, denn „ganz gleich, ob die Bezeichnung „das Volk JHWHs“ für diese Frühzeit belegt ist oder nicht, die Sache als solche ist bereits da: die religiös bestimmte, auf ihren Gott ausgerichtete, klar umgrenzte JHWH-Gemeinschaft ‚Israel‘“ (aaO., Sp. 1000–1005). 63 AaO., Sp. 1010. Letztere werde bei Esr/Neh zwar zugleich als ein Volk verstanden, das Kriterium der Zugehörigkeit sei aber nicht die Abstammung, so dass „auch andere nicht etwa den Anspruch auf Zugehörigkeit zu Israel erheben können, denn diese Kultgemeinde ist ja das ganze Israel“ (ebd.). 61 62
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umfasst.“64 Zu den verbindenden Elementen rechnet Albertz „in besonderem Maße die gemeinsame Jahweverehrung“ und kommt zu dem Schluss: „Israel als Volk Jahwes ist eine die politischen Abgrenzungen und territorialen Besonderheiten transzendierende Einheit“.65 Der politische Sprachgebrauch gehe nach dem Verlust der Staatlichkeit in Nord-Israel und Juda allerdings „nur noch in Reminiszenzen weiter“, vorherrschend werde mit dem Exil der theologische.66 Einen etwas anderen Weg geht Th. Wagner in seinem „Israel“-Artikel (Wibilex, 2007). Für Wagner ist nicht (mehr) der religiös/theologische, sondern der ethnische Gebrauch des Israel-Namens Reflex einer frühen gesamt-israelitischen Vorstellung. So zeige der „Israel“-Beleg auf der Merenptah-Stele, dass „Israel von den Machthabern der umliegenden Staaten in der frühen Zeit als ethnische Gruppe und nicht als (Stadt-)Staat angesehen wurde“. Gleiches gelte für die Verwendung von „Israel“ im Deboralied (Jdc 5), als einem der ältesten Texte des Alten Testaments.67 Als politisch-staatsrechtlicher Begriff sei der Name in der Königszeit zwar dem Nordreich vorbehalten gewesen, doch zeige die Rede von den „zwei Häusern Israels“ (Jes 8,14) bzw. die Gottesbezeichnung „Heiliger Israels“, dass „die Idee eines zusammengehörigen, alle zwölf Stämme umschließenden Israel nicht aufgegeben wurde“.68 Mit Zobel und Albertz sieht auch Wagner in exilisch/nachexilischer Zeit eine Verschiebung in der Semantik, wobei der ethnische Aspekt jedoch beibehalten und „Israel“ zu einer „Bezeichnung einer ethnischen und zugleich religiösen Gruppe“ werde.69 2.1.2 Vom engen zum weiten Israel-Begriff Nicht zuletzt die Kritik an der Amphiktyonie-Hypothese70 hat in der neueren Forschung dazu geführt, dass sich die Gewichte stärker zugunsten der Position Alts verschoben haben; indem der postulierte institutionelle Anknüpfungspunkt eines gesamtisraelitischen Gemeinbewusstseins sowie der literarhistorische Ort seiner Quellen fraglich wurden, geriet auch die Annahme eines Primats des weiten Israel-Begriffs ins Abseits. Am Anfang vermutet man nun – noch über Alt hinausgehend – nicht mehr die weite Verwendungsweise des Israel-Namens, sondern eine enge, auf das Nordreich bezogene.71 ALBERTZ, TRE Israel, 371. Eine eigene Zusammenfassung des Artikels bietet ALBERTZ, Reform, 30ff. 65 ALBERTZ, TRE Israel, 371. 66 Ebd. 67 WAGNER , Wibilex Israel, Abschnitt 4. 68 Ebd. 69 Ebd. 70 Einer der frühen und heftigsten Kritiker war F OHRER , Altes Testament. Eine prägnante Zusammenfassung der wichtigsten Kritikpunkte bietet KÖCKERT, Gott, 157–159. 64
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Wenn aber „Israel“ ursprünglich lediglich die politische Größe Nordreich bezeichnete, verlangt die im Alten Testament vorliegende Mehrdeutigkeit nach einer neuen Erklärung. Welche Wandlungen hat die Semantik des Israel-Namens durchlaufen, damit sich für eine ursprünglich staatsrechtliche Bezeichnung eine derartige Vielfalt der Verwendungsmöglichkeiten ergab? Entsprechend sucht man nach Wendepunkten, an denen sich Transformationen in der Semantik des Namens festmachen und historisch einordnen lassen. 2.1.2.1 Wendepunkt I – Das Ende des Nordreichs Als ein derartiger Wendepunkt kommt zunächst das Ende des Nordreichs in Betracht. War „Israel“ zuvor lediglich die staatsrechtliche Bezeichnung jener politischen Entität, muss der Name geradezu zwangsläufig einen Bedeutungswandel durchgemacht haben, sollte er nach 720 mehr bezeichnen können als eine vergangene Größe, die nur noch in der historischen Erinnerung existierte. a) Eine semantische Innovation Jesajas Diesen Zusammenhang hat L. Rost klar erkannt und in seiner Untersuchung Israel bei den Propheten (1937) die entscheidende Weichenstellung beim Propheten Jesaja vermutet: „Jesaias Tat war es, wenn der ‚Israel‘-Name nach dem Zusammenbruch des Reichs unter den Schlägen der Assyrer nicht unterging, sondern wenigstens als von religiösen Traditionen erfüllter Name weiterlebte in der Gemeinde Jahwes, des Heiligen Israels, die nun aus Judäern und Jerusalemiten bestand. ‚Israel‘ als politische Größe war seit 721 tot. Aber als religiöse Gemeinde lebte es weiter in Juda.“ 72
Der mit Jesaja verbundene Bedeutungswandel des Israel-Namens hat für Rost drei Aspekte: (1) „Israel“, das zunächst die Bezeichnung des Nordreichs gewesen sei, werde bei Jesaja zur Bezeichnung Judas. Für das Nordreich stehe stattdessen Ephraim.73 Es ändert sich die Referenz des Namens. (2) „Israel“, das als Name des Nordreichs Bezeichnung eines Staatswesens bzw. einer Nation gewesen sei, werde als Bezeichnung Judas zur Bezeichnung einer Gemeinde und damit entkoppelt von der politischen Größe.74 Mit der Referenz ändert sich auch die Bedeutung. (3) „Israel“, angewendet auf Juda, habe zur Folge, dass der Name dem Nordreich aberkannt werde und mit ihm der „Anspruch auf eine besonders enge Verbindung mit 71 Die Auffassung hat als nicht weiter erläutertes Faktum teilweise den Weg in aktuelle Lehrbücher und Lexika gefunden, vgl. z.B. BERLEJUNG, Geschichte, 61.63; KNAUF, RGG 4 Israel (vgl. auch oben Anm. 46). 72 R OST, Israel, 108. 73 AaO., 46. 74 AaO., 48.108.
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Jahwe, dem ‚Gott Israels‘“. Den „Bundesnamen“ trage jetzt Juda, das Nordreich habe seine Chance durch den Angriff auf Juda im syrischephraimitischen Krieg verwirkt.75 Die Änderung von Referenz und Bedeutung ist somit nicht nur Reflex eines gewandelten Israel-Verständnisses, sondern der Wandel des Verständnisses ist selbst ein Ziel der jesajanischen Verkündigung. Diesen Bedeutungswandel kann Rost als von Jesaja gegangenen Erkenntnisweg in der Lebensgeschichte des Propheten nachzeichnen, wobei – anders als bei Alt – das Ende des Nordreichs nicht den Anfang, sondern bereits den Schluss der Entwicklung markiert:76 Während der frühe Jesaja im Kehrversgedicht 9,7–10,4 „Israel“ neben Ephraim als Bezeichnung des Nordreichs verwende, sei in der Zeit des syrisch-ephraimitischen Kriegs eine Veränderung eingetreten. Den Wandel zeige Jes 8,14 mit der Rede von den „zwei Häusern Israel“ auf. Hier werde der „Namen des größeren Reiches mit auf das kleinere“ übertragen.77 Es gehe dabei nicht um das Gesamtvolk und seine Aufspaltung in zwei Teile, sondern tendenziell um ein Nacheinander. Die Zerstörung Samarias habe diese Entwicklung im Nachhinein bestätigt. Der späte Jesaja schließlich verwende „Israel“ nur noch für Juda (1,3; 5,7; 8,18). Wie Alt nimmt aber auch Rost an, dass die Inanspruchnahme des IsraelNamens für Juda nicht aus dem Nichts geschah. Er bringt zwei Voraussetzungen in Anschlag: zum einen greife der Prophet auf die alte Formel „Jahwe, der Gott Israels“ 78 zurück und mache sie für den JHWH-Titel קדושׁ ישׂראלfruchtbar, zum anderen „besinnt [er] sich darauf, daß beide Völker [sc. Israel und Juda, K.W.] Teile jener Jahweamphiktyonie sind, die sich in der Verehrung des Gottes Israels zusammengefunden hatte“79. Im Hintergrund steht also ein älteres Gemeinbewusstsein, welches durch Jesaja reaktiviert wurde und nun die Anwendung des Israel-Namens auf Juda ermöglichte. Insofern ist „Jesaias Tat“ eher eine Wiederbelebung älterer Tradition als eine tatsächliche Innovation.80 Eine Differenzierung der Thesen Rosts legt J. Høgenhaven vor.81 Er bezieht neben der Verwendung von „Israel“ in Gottesbezeichnungen Jes 9,7.11.13; 17,3 sowie Jes 1,3; 5,7; 8,14.18; 31,6 als authentische JesajaStellen in die Diskussion ein, wovon er bei ersteren „Israel“ als Bezeichnung des Nordreichs sieht und bei letzteren einen „umfassenden Sinn“ des Israel-Namens findet, der die Bevölkerung beider Reiche meint. Wie Rost weist auch Høgenhaven unterschiedliche Verwendungsweisen verschiedenen Verkündigungsphasen des Propheten zu, sieht den Einschnitt aber 75 76 77 78 79
AaO., 46f. AaO., 44–48.107f. AaO., 45. AaO., 43. AaO., 108, vgl. 103.
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nicht beim syrisch-ephraimitischen Krieg: „Eher läßt sich vermuten, daß Jesaja den Gebrauch von jiśrāʾēl als Gesamtbezeichnung nach dem Untergang des Nordreichs aufgenommen hat.“82 Anders als Rost findet Høgenhaven aber keinen Hinweis auf eine Übertragung des Israel-Namens vom Nordreich auf den Süden, vielmehr rechnet er damit, dass „es zwischen Israeliten und Judäern Bande ethnischer, kultureller und religiöser Art hat geben können, die sich bei gewissen Gelegenheiten in einem Gefühl der Zusammengehörigkeit und einem daraus folgenden Handeln äußerten“83 und an die Jesaja sowohl im Gebrauch des Israel-Namens in den Gottesbezeichnungen als auch in der umfassenden Verwendungsweise des Namens anknüpfen konnte.84 Zugleich vermutet Høgenhaven wie Rost hinter der späteren Verwendungsweise des Israel-Namens eine bestimmte Absicht Jesajas: „Durch den Gebrauch von ‚Israel‘ als Gesamtbezeichnung der Bevölkerung Israels und Judas hat er in der Zeit nach 722 die vom Verhältnis zu Jahwe bestimmte schicksalhafte Verbundenheit der Israeliten und Judäer hervorgehoben, um nunmehr den Judäern das Gericht Jahwes anzudrohen.“85 80 Eine explizite Bestreitung der Thesen Rosts hat bereits DANELL , Studies 155–189, unternommen (zur Studie vgl. oben S. 9f.). Danell geht wie Rost von einem älteren, v.a. im Kult beheimateten umfassenden Israel-Begriff aus, der auch für Jesaja von Anfang an in Anschlag zu bringen sei (187). Daneben habe Jesaja „Israel“ als Bezeichnung für das Nordreich gebrauchen können (ebd.). Der weite Israel-Begriff hätte es Jesaja schließlich auch ermöglicht, den Namen für Juda zu verwenden, da Juda von vornherein als Teil Israels verstanden worden sei und bei Jesaja nun theologisch qualifiziert als „Rest Israels“ gegolten habe. Jesaja habe diese Möglichkeit jedoch nicht umgesetzt: „Evidence that Isaiah called the Judah that was left, ‚Israel‘, ist not really definite. But it is obvious that from his premises he counted Judah as part of greater Israel ... So it would not be surprising if Isaiah called Judah ‚Israel‘“ (187f.). Die Diskussion der einzelnen Belege ist bei Danell jedoch deutlich von dem für die Durchführung problematischen Anliegen getragen, möglichst viele der von Rost als „unecht“ ausgewiesenen Worte für den historischen Jesaja zu retten (so z.B. Jes 11,11– 16) und zudem den Großteil des Jesaja-Materials der Frühzeit in der Verkündigung des Propheten vor dem Ende des Nordreichs zuzuweisen. Jesaja sei nämlich „prophet not only for Judah, but for the whole of Israel“ gewesen, dessen Verkündigung sich an Juda und an das Nordreich Israel gerichtet habe (165). Vor diesem Hintergrund erklärt sich Danells Zurückhaltung bezüglich der Verwendung des Israel-Namens für Juda, die er für unwahrscheinlich hält, so lange das Nordreich noch existierte (188). In der Folge kann Danell letztlich auch keine Stelle finden, an der „Israel“ für Juda steht und muss die Belege, die Rost nennt (Jes 1,3; 5,7; 8,18), dem weiten Israel-Begriff zuordnen. 81 HØGENHAVEN , Gott, 8–19. 82 AaO., 14. 83 AaO., 7. 84 AaO., 15f. Als eine Vermittlungsinstanz kommt für HØGENHAVEN v.a. der Kult in Betracht, über den schon in davidischer Zeit mit der Überführung der Lade, als vorstaatlichem israelitischen Kultgegenstand, israelitische Vorstellungen in Jerusalem heimisch geworden seien (aaO., 16).
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Damit bildet die Studie Høgenhavens den Ausgangspunkt für die Weiterführung der Thesen Rosts durch R.G. Kratz 86, bei dem die „Schicksalsgemeinschaft“87 zum Katalysator für die Herausbildung eines gesamtisraelitischen Zusammengehörigkeitsgefühls wird, allerdings erst vor dem Hintergrund des babylonischen Exils (dazu unten S. 23ff.). b) Die „Israelitisierung“ Judas Sowohl Rost als auch Høgenhaven gingen davon aus, dass ein älteres Zusammengehörigkeitsgefühl die Grundlage für eine Anwendung des Israel-Namens auf Juda gebildet habe. Dieses Bild hat sich in der gegenwärtigen Neuauflage der Debatte umgekehrt. Ein gesamt-israelitisches Gemeinbewusstsein – sei es in einer genealogischen (Stämmesystem), politischen (davidisch-salomonisches Reich) oder religiösen (JHWH als Gott Nord-Israels und Judas) Fundierung – ist vom explanans zum explanandum geworden. Gefragt wird demzufolge nicht mehr nach dem Ob einer Übertragung des Israel-Namens auf Juda, 88 sondern im Zentrum der Diskussion steht die Frage nach dem Wann, dem Warum und nach den Trägerkreisen dieses Vorgangs. I. Finkelstein macht einen massiven Zustrom nord-israelitischer Flüchtlinge nach 72089 dafür verantwortlich, dass die judäischen Könige im ausgehenden 8. und frühen 7. Jh. v.Chr. „sought to ‚remake‘ the nation by uni85 AaO., 19. Die These von der schicksalhaften Verbundenheit als Motiv für die Entwicklung einer umfassenden Israel-Konzeption findet sich auch bei VIELHAUER, Werden, allerdings angewandt auf die von ihm angenommene und im späten 8. Jh. v.Chr. verortete „Juda-Schicht“ im Hoseabuch: „In dieser Situation [sc. der assyrischen Expansion in Syropalästina, K.W.] sah sich Juda wie zuvor Ephraim mit der näherrückenden assyrischen Übermacht konfrontiert. … Angesichts dieser eindrücklichen Demonstration der Ohnmacht JHWHs gegenüber dem Vormarsch Assurs verschmolzen die Trägerkreise des Hoseabuchs die ehemals verfeindeten Reiche Ephraim und Juda zu einer Einheit im Gottesgericht, zu dem einen Gottesvolk Israel“ (119f.). 86 KRATZ, Jesajabuch. 87 KRATZ, Staat, 11. 88 So geht SCHÜLE , Israels Sohn, 158, ohne weitere Diskussion davon aus, dass „nach den Ereignissen des Jahres 720 v.Chr., der Umwandlung des Nordreichs in die assyrische Provinz Šamerīna, der Israel-Name vom Süden übernommen wurde“. Ganz analog stellt NA'AMAN , Saul, fest: „Only then [sc. nach dem Ende des Nordreichs, K.W.], when the ancient name ‚Israel‘ was left unclaimed, did scribes in Judah begin to apply it to the peoples of both kingdoms“ (213), um dann zu fragen: „Why did the Judahite authors start calling the kingdom and the people amongst whom they composed their works by the name ‚Israel‘ rather than ‚Judah‘?“ (214). Für SCHÜTTE , Juda, 63, können vor 720 entstandene Texte gar nichts über die Verwendung des Israel-Namens für Juda aussagen, denn damit würde diesbezüglich „prinzipiell die historisch-kritisch gesetzte Obergrenze“ überschritten. 89 F INKELSTEIN & SILBERMAN , Temple; FINKELSTEIN , Kingdom, 154f. Zur Bevölkerungsentwicklung im Juda des ausgehenden 8. Jh.s auch FINKELSTEIN & SILBERMAN, Bible Unearthed, 243–245.
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ting the two main population groups – Judahites and North Israelites – into a single Israelite society“.90 Der neuen judäisch und nord-israelitischen Bevölkerungsstruktur habe man mit dem Bild eines gemeinsamen Anfangs im davidischen Königreich Rechnung tragen wollen, das seinen Ausdruck v.a. in den Saul- und David-Erzählungen findet. Diese „great apologia“ Davids, die negative nord-israelitische Traditionen über den Gründer der Jerusalemer Dynastie nicht verschweige, sondern aufnehme und im judäischen Sinne beantworte, habe der „reconciliation between South and North within Judah“ gedient und sei ein „vehicle for the rise of pan-Israelite ideology“ gewesen.91 Es ist also ein durch die historischen Umstände bedingtes faktisches Zusammenkommen von Judäern und Nord-Israeliten/ Benjaminiten, das nachträglich ideologisch unterfüttert wird und somit als Katalysator für die Herausbildung eines umfassenden Israel-Begriffs sowie seiner Anwendung auf Juda wirkt. 92 Einen etwas anderen Weg geht N. Na'aman.93 Gegenüber Finkelstein bestreitet Na'aman eine signifikante Einwanderung von Nord-Israeliten nach Juda im 8. Jh. v.Chr. und sucht daher nach einer alternativen – innerjudäischen – Erklärung für die „Entstehung des biblischen Israel“. 94 Er vergleicht den Vorgang mit dem assyrisch-babylonischen Ringen um das kulturelle Erbe Mesopotamiens und erklärt „the adoption of the Israelite identity by the Judahite scribes“ mit dem Anliegen, „to take over the highly prestigious vacant heritage of the Northern kingdom“.95 Als historischen Ort dieser Übernahme der israelitischen Identität in Juda bestimmt er die josianische Reform, bei der es neben den kultischen Fragen im engeren Sinne auch um „the creation of a new ethnic-religious-cultural identity for FINKELSTEIN & SILBERMAN, Temple, 279. Ebd. (Hervorhebung i.O.), vgl. FINKELSTEIN, Kingdom, 155–158. Neben „Northern pro-Saul and anti-Davidic tales“ sind laut FINKELSTEIN, Saul, 365, in den pro-dtr SaulDavid-Erzählungen weitere ältere Materialien verarbeitet, nämlich „heroic tales that may have originated in the time of the founder of the dynastie“ und „materials written against a 9th century BCE background, e.g. the prominence of Gath of the Philistines“. Die „Apologie“ selbst sei – wie die Bezeichnung bereits impliziert – „a product of a highly ideologically motivated author“ (ebd.). 92 Ähnlich KNAUF , Bethel, der den Vorgang auf Bethel focussiert: dadurch dass Juda entweder zur Zeit Manasses oder aber 640/30 v.Chr. Bethel mit seinem Tempel, seiner Schule und Bibliothek übernommen habe, seien nord-israelitische Traditionen in den Süden gelangt, die schließlich auch die judäische als eine israelitische Identität geprägt hätten (295ff.318ff.). 93 NA ' AMAN , Struggle; NA' AMAN , Saul. 94 Die Debatte der beiden ist nicht neu. Sie kreist vorrangig um die Interpretation archäologischer Befunde im Blick auf die Geschichte Jerusalems, die Bevölkerungsstruktur in Juda nach 720, die Grenze zwischen Juda und Benjamin in der Königszeit sowie die Rolle Bethels nach dem Ende des Nordreichs, vgl. neben den bereits genannten Studien auch NA'AMAN, Jerusalem, sowie FINKELSTEIN, Settlement History. Neuerdings wird sie ausdrücklich unter dem Stichwort „The Emergence of ‚Biblical Israel‘“ geführt. 95 NA ' AMAN , Struggle, 17. 90 91
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the inhabitants of Judah“ gegangen sei. Einen Reflex dieses Vorgangs liefern nach Na'aman die prä-dtr Saul-, David- und Salomo-Erzählungen, die allesamt judäischen Ursprungs seien und sich zunächst einem „genuine antiquarian and literary interest of the scribes and their audience“ verdankt hätten.96 In diesen Erzählungen sei der Name „Israel“ für das Herrschaftsgebiet der drei Könige verwendet worden, weil dieses jeweils größer war als das Territorium Judas und der Name „Israel“ zur Zeit ihrer Abfassung nicht anderweitig vergeben war. Der (in josianischer Zeit) arbeitende Deuteronomist habe diesen Gebrauch dann aufgenommen und weitergeführt: „it was he who introduced the ethnic-religious connotation of the name ‚Israel‘, thereby creating a glorious unified past for the devotees of YHWH in the realms of Israel and Judah“.97 Die weite Verwendung des IsraelNamens ist somit das Ergebnis einer Geschichtsfiktion im Dienste josianischer Herrschaftsideologie. D.E. Fleming und W. Schütte vertreten eine vermittelnde Position zwischen Finkelstein und Na'aman. Fleming kehrt in gewisser Weise zurück zu A. Alt und L. Rost, wenn er für „Judah‘s eventual appropriation of the Israel name“, die ab dem späten 8. Jh. und v.a. im 7. Jh. v.Chr. greifbar sei,98 nach den älteren Wurzeln fragt und diese zum einen im Kult vermutet: „while any identification [of Judah, K.W.] with Israel was lost to everyday use, a link between Yahweh and Israel could have survived in the Jerusalem temple“.99 Zum anderen sei mit der in Teilen alten DavidTradition100 ein Anspruch auf eine Verbindung zwischen Juda und Israel, wenn nicht gar judäischer Herrschaft über Israel verbunden gewesen. Wie Naaman sieht auch Fleming aber ein Interesse am prestigeträchtigen israelitischen Erbe als primäres Motiv für die judäische Aneignung des IsraelNamens. Dieses sei bereits in dem möglicherweise noch vor 720 entstandenen Wort von den „zwei Häusern Israels“ (Jes 8,14) zu erkennen: „This 96 NA ' AMAN , Saul, 345. Die Grundthese Na'amans aufnehmend sucht HONG , Emergence, sowie Pen, die literarischen Spuren dieses Vorgangs in den Erzelternerzählungen, insbesondere in Gen 28,13f. als Verklammerung von Jakob- und Abrahamerzählung. Obwohl HONG die genannten Verse für eine exilische Ergänzung in Gen 28 hält, sei die zugrundeliegende Verknüpfung von Jakob- und Abrahamtradition „an outgrowth of the post-722 B.C.E. Judean identity reconstruction“ (Pen, 436). Diese hat für ihn einen geradezu subversiven Zug: „Judeans may have been marginalized by their powerful northern neighbor in history; in literature, however, they rebel against the founding tradition of the hegemony that once was used to oppress them“ (aaO. 440). 97 NA ' AMAN , Struggle, 22. 98 F LEMING , Legacy, 47-51, das Zitat S. 49. Fleming sieht Reflexe dieses Prozesses im Jeremiabuch sowie bei Micha und Zephania. 99 AaO. 49. 100 Allerdings spielte für Fleming Juda in den Daviderzählungen zunächst keine Rolle, David war dort König über Israel. Juda wurde erst nachträglich als Akteur in die Texte eingetragen und David somit erst in der Hand judäischer Schreiber zum König eines vereinten Königreichs, zu den David-Erzählungen, vgl. aaO., 98-109.
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could be seen as a kind of ‚me too‘ attempt to hitch Judah to the dominant northern power, based on nothing more than a current desire to share that prestige“101 und habe sich – unter geänderten politischen Vorzeichen – im 7. Jh. fortgesetzt: „seventh-century Judah offered a functioning kingdom, and if the royal house of David maintained a claim to an ancient connection with Israel, there could be much to gain from the prestige of this name and the larger realm it had long identified.“ Als Vermittlungsinstanz nordisraelitischer Traditionen nach Juda rechnet Fleming wie Finkelstein mit Überlebenden des Nordreiches und deren Bemühen „to preserve a sense of identity“.102 Hier setzen die Überlegungen Schüttes ein. Er versteht die ‚Israelitisierung Judas‘ als „Prozess einer nationalen Neudefinition“, der seine Protagonisten im Umfeld Josias hatte. 103 Gegen Na'aman betont Schütte aber, dass die Annahme eines „vacant heritage“ problematisch sei, da sie eine „von menschlicher Tradition gelöste Aufbewahrung des kulturell-religiösen Erbes“ voraussetze.104 Daher fragt er v.a. nach den Trägerkreisen, die nord-israelitische Traditionen nach Juda vermittelt haben könnten. Er findet sie in den Schafaniden, denn diese seien nicht nur die „einzige identifizierbare Gruppe, die als Träger der josianischen Reformen infrage kommt“105, sondern für sie lasse sich auch „historisch eine israelitische Abkunft … vermuten“.106 Spuren der Anfänge eines Israelitisierungsprozesses sucht Schütte anders als Finkelstein und Na'aman nicht in den Samuel- und Königebüchern, sondern bei den frühen Schriftpropheten Micha und insbesondere bei Hosea. In Hos *1,2–2,3 findet er ein Stück „israelitische[r] Literatur im judäischen Exil“107. Nord-israelitische Schreibkundige, die nach 720 nach Juda geflohen seien und dort „als begehrte Fachleute … Schlüsselrollen in der höheren Gesellschaft Judas und im geistigen Leben des Landes“ besetzten, hätten zum Zwecke der Integration der zahlreichen Flüchtlinge in Juda eine israelitische Exilstheologie entwickelt, die u.a. das „Konstrukt des biblischen Israels“ und den „Gedanken des … Großreichs Davids“ eingeschlossen habe und die durch das Wirken Jeremias und der Schafaniden unter Josia „zur staatlichen Anerkennung“ gekommen sei.108 Das babylonische Exil schließlich „verstärkte den Impuls der israelitischen Exilstheologie, verwischte die Unterscheidung in judäische Bevölkerung und israelitische Landsmannschaft Judas und integrierte ihre Überlieferung 101 102 103 104 105 106 107 108
AaO. 48. AaO. 49. SCHÜTTE , Juda, 53. AaO., 60. AaO., 55. AaO., 61. AaO., 70. AaO., 71 mit Anm. 82.
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in deren Traditionsstrom.“109 Die Herausbildung eines weiten, Juda einschließenden Israel-Begriffs ist nach Schütte daher zuvörderst eine Leistung nord-israelitischer Tradenten, die zum Zwecke der eigenen Integration in Juda, Juda in „Israel“ integrierten. 2.1.2.2 Wendepunkt II – Das Exil In einem anderen Zweig der Forschung gilt nicht der Untergang des Nordreichs, sondern erst das babylonische Exil als der Wendepunkt, an dem sich der Israel-Begriff gewandelt und seine semantischen Möglichkeiten gegenüber dem politisch-territorialen Gebrauch in vorexilischer Zeit erweitert hätte. a) Das „biblische Israel“ als perserzeitliche Fiktion Letzteres wird pointiert von P.R. Davies vertreten. Davies stellt für das Alte Testament drei Verwendungsweisen des Israel-Namens fest: eine politisch-geographische, eine ethnische und eine religiöse und geht davon aus, dass dies „auch die Reihenfolge [ist], in der die drei Definitionen historisch hervortraten“110: „Israel“ habe in vorexilischer Zeit das Nordreich bezeichnet.111 Der „ethnische Gebrauch“ des Israel-Namens als Bezeichnung für eine „Zwölfstämme-Nation“ habe zwar in der atl. Darstellung einen „Vorrang gegenüber einem geographisch-politischen Wortgebrauch“, historisch betrachtet sei er aber eine perserzeitliche Schöpfung, der „ohnehin nur ideologischer Charakter zukommt“ und die auch bald durch die „religiöse Definition“ Israels völlig verdrängt worden sei.112 Im Hintergrund steht seine in The Search of „Ancient Israel“ (1992) entfaltete These, „biblical Israel“, d.h. eine in zwölf Stämme gegliederte Einheit aus Juda und Israel, sowie das biblische Geschichtsbild mit seiner weitgehend gemeinsamen Geschichte beider Größen seien schriftgelehrte Schöpfungen, die der Indigenisierung angesiedelter Eliten113 im perserzeitlichen Jehud und der Sicherung ihrer Herrschaftsansprüche gedient hätten: „To explain the existence of the biblical literature, we must conclude that the creation of what was in truth a new society, marking a definitive break with what had preceded, was accompanied by–or at least soon generated–an ideological superstructure which denied its more recent origins, its imperial basis, and instead indigenized itself. Its literate class AaO., 71. DAVIES, NBL Israel, 246. 111 Wenn DAVIES, ebd., davon ausgeht, dass „Israel“ nach dem Ende des Nordreichs auch das Südreich „im politischen Sinne“ bezeichnen konnte, unterscheidet er sich von seiner i.F. dargestellten Auffassung, dass „Israel“ erst in einer von politischen Gegebenheiten entkoppelten religiösen Verwendung auf Juda übertragen werden konnte. 112 AaO., 246f. 113 Diese angesiedelten Eliten sind für DAVIES , Search, 81, möglicherweise aber nicht notwendig und sicher nicht allein Nachkommen der exilierten Judäer. 109 110
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(within the gōlâ-society) created an identity continuous with kingdoms that had previously occupied that area, of whom no doubt some concrete memory remained within Palestine, and very probably some archival material too, and wrote into the history of their region an ‚Israel‘ which explained their own post-‚exilic‘ society and the rights and privileges of the immigrant élite within that society.“ 114
Liegen die Ursprünge des „biblischen Israel“ aber im perserzeitlichen Juda, stellt sich die Frage, „why the name ‚Israel‘ was adopted for that nation, the name also carried by a kingdom that was then defunct“.115 Einen Erklärungsversuch unternimmt Davies in der Folgestudie The Origins of Biblical Israel (2007)116: Sargon habe 720 das benjamitische Gebiet als Gegenleistung für erwiesene Loyalität Juda zugesprochen, und auf diese Weise sei zum ersten Mal eine Judäer und Nord-Israeliten umfassende Größe entstanden.117 Damit war für Davies eine notwendige aber noch nicht hinreichende Voraussetzung gegeben. Die Übernahme des IsraelNamens in Juda sei weiterhin nur in einer Zeit plausibel, in der Benjamin/ Israel der stärkere und Juda der schwächere Partner war, in der eine „israelitische Identität“ sich dauerhaft innerhalb der judäischen Bevölkerung durchsetzen konnte und in der „Israel“ bereits ein „religious term“ und kein politisch/geographischer Begriff mehr war.118 Alle diese Faktoren konvergieren für Davies in der exilisch/frühnachexilischen Zeit und in Bethel als religiösem Zentrum,119 bevor sich das Gewicht mit dem Bau des zweiten Tempels wieder nach Jerusalem verlagerte: „The ‚Israel‘ we are looking for, into which the Judeans incorporated themselves, is a religious rather than a political body, and the locus for this religious body is the commu nity long served by the Bethel cult, the home of Israel itself, or rather ‚himself‘: Jacob … and from 586 onward, this identity affected all or most of the Judeans who lived in Yehud. With the Jerusalem temple in ruins and the royal house and aristocracy removed, 114 AaO., 87. Die von M. L IVERANI unter dem Titel Oltre la Bibbia. Storia Antica de Israele (Bari 2004, in englischer Übersetzung LIVERANI , Israel's History) vorgelegte Geschichte Israels folgt dem dargestellten Modell: das Exil fungiert für Liverani als „great caesura“ in ideologischer Hinsicht, „[it] resulted in the creation of ethical monotheism, historiographical revision, Law and Prophets; in a word, invented history“ (365). 115 DAVIES, Origins, 3f. 116 DAVIES, Origins, vgl. auch DAVIES, Origin. 117 DAVIES, Trouble, 103, sowie Origins, 148; zur Diskussion vgl. NA' AMAN , Saul, 217, der auf der Basis archäologischer Funde zu dem Schluss kommt, dass „the highland district of Benjamin was an integral part of the kindgdom of Judah in the monarchical period, and that its material culture differs from that of the hill country of Ephraim“. Dafür, dass Benjamin bis ins letzte Drittel des 8. Jhs. v.Chr. Teil des Nordreiches gewesen und erst dann Juda angegliedert worden sei, liefern auch die assyrischen Texte keinerlei tragfähige Indizien (vgl. aaO. 339). 118 DAVIES, Origin, 144; DAVIES, Origins, 156. 119 Für die zentrale Rolle Bethels in der frühen Perserzeit beruft sich Davies auf die Studien von PFEIFFER, Heiligtum; BLENKINSOPP, Bethel; KOENEN, Bethel; KNAUF, Bethel, bzw. GOMES, Sanctuary, die alle von einer besonderen Rolle Bethels als religiöses Zentrum in der Perserzeit ausgehen. Zur Problematik vgl. unten S. 334, Anm. 200.
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they had no place or institutional support for any ‚traditions ‘ of ‚Zion‘ or of ‚House of David‘. In a period of over a century, thus spanning at least four generations, the reli gious identity of ‚Israel‘ could very easily permeate the population of ‚Benjamin-Judah‘ in such a way that the later restoration of political and cultic supremacy to Jerusalem could not challenge it, let alone remove it.“ 120
Als Jerusalem wieder die Oberhand gewann, sei der Israel-Name bereits so tief in Juda verankert gewesen, dass er sich trotz der judäischen Bemühungen, benjaminitische Traditionselemente innerhalb der biblischen Literatur zurückzudrängen, halten konnte. Die Verwendungsweisen des IsraelNamens werden für Davies somit zu einem eindeutigen literargeschichtlichen Indikator: „no text or passage in which Judah belongs to Israel should be dated before the Neo-Babylonian period at the earliest, and perhaps not before the Persian period“.121 b) Von der Nation über die Schicksalsgemeinschaft zum Gottesvolk Für R.G. Kratz ist das Exil ebenfalls eine entscheidende Etappe für die Entwicklung des weiten Israel-Begriffs, die er in einem mit Israel als Staat und als Volk (2000) überschriebenen Beitrag nachzeichnet.122 Als Ausgangspunkt wählt er die außerbiblischen Erwähnungen Israels, in denen „Israel“ ausschließlich als „Volks- und Landesname für den Territorialstaat [begegnet], der ansonsten nach dem Dynastiegründer ‚(Haus) Omri‘ oder nach der Hauptstadt ‚Samaria‘ heißt.“123 Daraus ergibt sich für Kratz die Schlussfolgerung: „Die Israel und Juda umgreifende, die politische Einheit transzendierende Größe ‚Israel‘“, die „in der Sprache des Bekennens und Glaubens“ ihren Ort hat, erscheint demgegenüber als künstlich und also sekundär.“124 Die Vorstellung des größeren Israel mit gemeinsamen vorstaatlichen und staatlichen Anfängen sei somit ein „Konstrukt“, eine Rückprojektion eines späteren Ideals in die Vorzeit. Historisch gelte: „Der Anfang des Volkes Israel fällt mit der Staatenbildung zusammen.“125 Im Weiteren beschreibt Kratz die (ideengeschichtlichen) „Stationen auf dem Weg Israels vom Staatsvolk zum Gottesvolk“.126 Die Anfänge findet er literargeschichtlich beim „ältesten Deuteronomisten“ (Grundschrift von Samuel und Könige) und seinen Quellen. 127 Sie seien bereits in den dtr Rahmenstücken (Synchronistation der Reiche und Königsbeurteilungen) sowie in der Vorgeschichte des Königtums (Saul, David, Salomo) auszumachen. Letztere „suggeriert DAVIES, Origin, 145. DAVIES, Origins, 176. 122 KRATZ, Staat, 3. Diesem Grundmodell entsprechende Überblicke zur Geschichte Israels bzw. der Literaturgeschichte des Alten Testaments bietet KRATZ, Israel. 123 KRATZ, Staat, 3. 124 Ebd., vgl. KRATZ , Israel, 143. 125 KRATZ, Staat, 4. 126 Vgl. auch KRATZ , Israel, 105ff. 127 KRATZ, Staat, 8. 120 121
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einen gemeinsamen Anfang“, der das Nebeneinander beider Staaten als „unnatürlich“ erscheinen lasse. Erstere verknüpften mit der Sünde Jerobeams als verbindendem Element das Schicksal von Nord- und Südreich: „Israel ist im Schlechten das Vorbild für Juda. Das Böse in den Augen Jhwhs schweißt die beiden Staaten zur Schicksalsgemeinschaft zusammen. … In der Grundschrift von Samuel–Könige ist aus der kultischen auch eine politische Einheit geworden, weil das gemeinsame Schicksal die politischen Unterschiede nivelliert und aus den beiden rivalisierenden Staaten Brüder macht.“ 128 Eine Voraussetzung dafür, dass man „nach dem Untergang Judas … gerade in Israel und nicht etwa in Aram oder einem der ostjordanischen Nachbarn das Vorbild für das eigene Schicksal“ erkannt habe, also für die „Aneignung der Schuld Israels in Juda“, liegt für Kratz in früherer Zeit und steht im Zusammenhang mit dem Ende des Nordreichs. Sowohl die Exoduserzählung als auch die redaktionell nationalisierte und jahweisierte Vätergeschichte129 „handeln … von der Gründung und Etablierung des Reiches Israel in nichtstaatlichem Gewand“. In dieser Form seien sie erst nach dem „Verlust der natürlichen politischen Rahmenbedingungen“ also nach 720 denkbar und stellten Versuche dar, „den Namen und den Gott des untergegangenen Reiches über die eingetretene Katastrophe hinwegzuretten“.130 Infolgedessen habe sich eine „Identitätsbestimmung Israels (und Jhwhs) jenseits der für Israel verlorenen Staatlichkeit, in dem Schwebezustand zwischen dem Untergang des Nordreichs Israel und des Südreiches Juda“ ergeben, bis „nach der Zerstörung Jerusalems und dem Untergang des Staates Juda Israel und Juda im Zeichen des Gerichts nun auch auf politischer Ebene eine Liaison eingehen und sich zum Zwölfstämmevolk, dem einen Gottesvolk entwickeln.“ 131
„Gesamt-Israel“ als „Gottesvolk“ sei eine nachexilische Konstruktion. Den theologischen Anstoß zu ihrer Entwicklung habe letztlich die nachexilische Gerichtsprophetie geliefert, die den Untergang von Israel und Juda als Willen JHWHs deutete, damit „nach dem Zusammenbruch der Staaten Israel und Juda aus dem zugrundegegangenen Staatsvolk das Volk Israel und aus dem gescheiterten Nationalgott der Gott des Volkes Israel werden konnte.“132 Dass sich dabei der Name „Israel“ und nicht etwa „Juda“ durchgesetzt habe, „liegt daran, dass Israel Aufstieg und Niedergang des Königtums vormachte.“133 Innerhalb der Koordinaten dieses Modells legt Kratz ebenfalls eine Weiterführung der Thesen Rosts zum Bedeutungswandel des Israel-Namens in den Jesaja-Texten vor,134 verortet diesen aber nicht mehr in der Lebensgeschichte des Propheten, sondern in der Redaktionsgeschichte des Prophetenbuches. Die Entwicklung verläuft nach Kratz wie folgt: – In den ältesten Stücken des Proto-Jesajabuches, den aus der Zeit des syrischephraimitschen Kriegs stammenden Worten Jes 7,4.7–9a; 8,1–4, stünden sich die beiden Reiche Israel und Juda noch als verfeindete Größen gegenüber.
128 129 130 131 132 133 134
AaO., 11. Dazu aaO., 13f. AaO., 15. Ebd. AaO., 16. AaO., 11. KRATZ, Jesajabuch.
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– Durch den Einbau dieser Heilsorakel in die Denkschrift135 hätten sie einen neuen Sinn erhalten. Sie werden mit einer Kondition versehen (7,9b), durch eine Zeichenforderung (7,10–17) und ein Unheilswort gegen Juda ergänzt (8,5–8). Das Unheil, das JHWH über den Norden gebracht habe, wende sich damit auch gegen das eigene Volk. Daraus folgt: „Sie beide [sc. Israel und Juda] trifft der Zorn Gottes, der sie zu einer Schicksalsgemeinschaft, um nicht zu sagen zu dem einen Volk des einen Gottes, zusammenschließt.“136 – Was in der Denkschrift noch implizit geschehen sei, werde im der Denkschrift vorgeschalteten Weinberglied (5,1–7) auf den Begriff gebracht. Nachdem zunächst nur Juda angesprochen sei (v. 3), würden sich in v. 7 „im Parallelismus von ‚Haus Israels‘ und ‚Männer Judas‘ … zum ersten Mal die beiden genuin politischen Bezeichnungen für das Nord- und das Südreich ausdrücklich zu einer Einheit, der Einheit des Volkes Israel aus Israel und Juda“137 verbinden. – Der Ergänzer von 8,11–15 habe für die „Vereinigung der beiden Reiche unter dem Gericht“138 die Formulierung „zwei Häuser Israels“ geprägt, und die Schlussnotiz der Denkschrift (8,16–18) sowie die Überschrift des Kehrversgedichts (9,7) würden „Israel“ schließlich in der neuen Bedeutung als Bezeichnung des Gottesvolks verwenden. Die Redaktionsgeschichte des Prophetenbuches gebe mithin zu erkennen, wie konzeptionell aus den zwei getrennten Reichen Israel und Juda eine neu definierte Einheit werde – das Gottesvolk Israel.139 Die Entstehung dieser Einheit aus Juda und Nord-Israel unter dem Namen „Israel“ ist für Kratz hier die eigentliche Innovation. Eine Verarbeitung vorgegebener Traditionen durch den Propheten selbst schließt er aus. Da die ältesten Fassungen der Väter- und Exodusgeschichte nicht vor dem 7. Jh. v.Chr. anzusetzen seien, „kann ... der Jesaja von Jerusalem noch nichts von der Umbenennung Jakobs in Israel und der damit einhergehenden Umwandlung des Namens Israel in einen Volksbegriff gewusst haben.“140 Die „Israelitisierung des Stoffs“ 141 muss also spätere Zutat sein und ist in Kratzʼ Modell de facto das Endergebnis sukzessiver Fortschreibungen durch verschiedene Redaktoren, die die Jesaja-Stoffe im Lichte der Vätergeschichte und unter dem Eindruck des Untergangs des Nord- wie des Südreiches Schritt für Schritt reinterpretieren.
2.2 Die konzeptionelle Frage: Gottesvolk, Stämmevolk oder Staatsvolk? Die semantischen Möglichkeiten des Israel-Begriffs sind nicht von den Israel-Konzeptionen zu trennen, die der konkrete Sprachgebrauch jeweils repräsentiert bzw. propagiert.142 Mit gutem Grund verbinden sich daher in der Diskussion semantische und konzeptionelle Aspekte. Letztere greifen insbesondere dann, wenn zu klären ist, worin die Basis eines israelitischen 135 Genauere Angaben zur historischen Verortung der einzelnen Redaktionsschritte gibt Kratz nicht, abgesehen von der ersten Stufe verlaufen sie jedoch sämtlich in nachexilischer Zeit. Dazu fügt sich, dass auch der Umschlag von Heils- zu Unheilsprophetie für Kratz eine Reaktion auf die Exilserfahrung darstellt (vgl. KRATZ, Israel, 101ff. u.ö.). 136 KRATZ, Jesajabuch, 99. 137 AaO., 100. 138 Ebd. 139 Eine unausgesprochene Voraussetzung der Argumentation ist freilich, dass Literargeschichte und Traditionsgeschichte in eins fallen. Die Möglichkeit, dass ein Konzept älter sein kann als seine erste literarische Bezeugung, kommt gar nicht in den Blick. 140 AaO., 93. 141 AaO., 94. 142 Vgl. unten S. 45ff.
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Gemeinbewusstseins liegt oder anders gefragt: was einen Israeliten zum Israeliten macht. Die Antworten lassen sich auf drei Grundmöglichkeiten reduzieren: 1. die JHWH-Verehrung, d.h. Israel ist konzeptionell eine Gemeinde, 2. die Abstammung vom Erzvater Jakob/Israel, d.h. Israel ist konzeptionell ein verwandtschaftlich definiertes Ethnos oder 3. die Zugehörigkeit zu einer als Israel bezeichneten politischen Entität, d.h. Israel ist konzeptionell ein Staatsvolk. Die Forschungsdiskussion ist in der Frage der Israel-Konzeptionen einigermaßen disparat, weniger in Bezug die genannten Grundmöglichkeiten selbst, wohl aber in Fragen nach dem Verhältnis verschiedener Konzeptionen zueinander (Sind sie gegeneinander exklusiv oder existieren sie nebeneinander?), nach ihrer Orientierungskraft (Welche Konzeption ist die entscheidende, wenn die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu Israel zur Debatte steht?) und nach ihrer historischen Verortung (Lösen sie einander im Laufe der Geschichte ab bzw. verschiebt sich ihre Gewichtung an bestimmten historisch verortbaren Wendepunkten?). Stärker noch als bei der semantischen Frage gilt in der Forschung das Exil in Bezug auf die Israel-Konzeptionen als ein Einschnitt, an dem sich die Vorstellung, was Israel ist, tiefgreifend gewandelt, wenn nicht gar völlig verändert hätte. Die entscheidende Weichenstellung erfolgte diesbezüglich bereits bei J. Wellhausen. Für Wellhausen war zwar „[d]as Fundament, auf dem zu allen Zeiten das Gemeinbewusstsein Israels beruhte, … ein religiöses. Es war der Glaube: Jahve der Gott Israels und Israel das Volk Jahves.“143 Diese Einschätzung hat er jedoch selbst in charakteristischer Weise differenziert: Jenes „innerliche“ bzw. „geistige Gemeinbewusstsein“ Israels habe v.a. die Anfänge geprägt, als es „die Stämme und Geschlechter“ verband, bis das Königtum „die bis dahin zerstreuten Elemente zum ersten Male zu einer organischen Einheit zusammengefasst [hat]“.144 Auf diese Weise sei der Glaube „das Fundament der Nation und ihrer Geschichte geworden“145, die Religion „der Keim, aus dem der Staat hervorwuchs“.146 Letzterer habe aber als „organische Einheit“ in der Folgezeit die vorrangige Grundlage des Gemeinbewusstseins gebildet, bis die religiöse Basis mit dem Exil und dem Verlust der Staatlichkeit wieder an Bedeutung gewann – nun freilich modifiziert als Keim und Fundament des Judentums.147 Wellhausen bestimmt als dafür maßgeblichen Trägerkreis nach dem Exil eine Gruppe der „Frommen“, d.h. eine Minderheit, der es gelungen sei „die jüdische Besonderheit zu bewahren“, während die „Mehrzahl“ des Volkes die Vergangenheit preisgegeben und sich „unter den Heiden“ verloren habe.148 Diese „Frommen“ setzt er mit den heimgekehrten 143 144 145 146 147 148
WELLHAUSEN , Geschichte Israels, 16 (Hervorhebung i.O.). Ebd. Ebd. 16f. Ebd. 20. WELLHAUSEN , Religion, 97–101. WELLHAUSEN , Prolegomena, 28.
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Exulanten gleich. Darüber hinaus versteht er das Exil als einen so tiefen Einschnitt, dass „die neue Generation … kein natürliches, sondern nur noch ein künstliches Verhältnis zur Vorzeit“ gehabt habe.149 „Künstlich“ deswegen, weil sich ihre Vorstellung von der Vorzeit nicht ‚tatsächlicher‘ Kontinuität, sondern einer Konstruktion verdanke, die die Gegebenheiten der Gegenwart in die Vergangenheit projiziere.150 Die Heimkehrer hätten sich somit selbst als „Gemeinde des rechtmäßigen Gottesdienstes“ 151 verstanden und ihre Vergangenheit nach ihrem Muster gestaltet.
Das Ergebnis fasst Wellhausen in dem bekannten Diktum zusammen: „Aus dem Exil kehrte nicht die Nation zurück, sondern eine religiöse Sekte.“152 Wellhausens Einschätzung der nachexilischen Gegebenheiten erweist sich bis heute als ausgesprochen wirkmächtig. Es bietet sich daher an, zwischen Forschungspositionen zu nachexilischen und vorexilischen Israel-Konzeption zu unterscheiden. 2.2.1 Konzeptionen des nachexilischen Israel 2.2.1.1 Das nachexilische Israel als Gemeinde In Weiterführung der Thesen Wellhausens beschrieb man das nachexilische Israel als „Jerusalemer Kultgemeinde“, für die – so H. Donner – das „wesentliche Kriterium der Zugehörigkeit … nicht mehr der Beweis oder die Behauptung der Abstammung von Menschengruppen, die das alte Israel gebildet hatten“, gewesen sei, sondern „die Unterwerfung unter das ‚Gesetz‘ als Willenskundgebung Jahwes“.153 Die Zugehörigkeit zu Israel hängt damit nicht (mehr) mit Herkunft oder Abstammung zusammen, sondern „Israel“ wird zu einer Bekenntnisgemeinschaft: „Die Zugehörigkeit zu Israel ist nicht mehr selbstverständlich gegeben, sondern muß durch Entscheidung und Bekenntnis der einzelnen (vgl. benē jiśrāʼel) und ihrer AaO., 27. Vgl. aaO., 38, wo Wellhausen die nachdeuteronomische Ansetzung des „Priesterkodex“ wie folgt begründet: „Kein Fortleben der früheren Sitte in der Gegenwart verhindert dagegen den Priesterkodex, sich ein Bild der alten Zeit, wie sie sein muß, zu entwer fen; unbeengt durch noch vorhandene Anschauung und wirkliche Tradition kann er sie nach Herzenslust idealisiren. Er hat demnach seine Stelle hinte r dem Deuteronomium, und zwar in der dritten nachexilischen Periode der Kultusgeschichte, wo … das Exil das natürliche Band zwischen der Gegenwart und dem Altertum so durchschnitten hatte, daß einer künstlichen Ausgestaltung des letzteren, von der Idee aus, kein Hindernis im Wege stand.“ Analog urteilt Wellhausen über die Chronik, sie „denkt sich das alte hebräische Volk genau nach dem Muster der späteren jüdischen Gemeinde“ (aaO., 184) und „der überlieferte Stoff erscheint gebrochen durch ein fremdartiges Medium, den Geist des nachexilischen Judentums“ (aaO., 182). Die Beispiele ließen sich vermehren. 151 AaO., 182. 152 AaO., 28. 153 DONNER , Geschichte, 431. Für Donner markiert dieser Wandel wie bei Wellhausen zugleich „die Geburtsstunde des Judentums“, das er vom „alten Israel“ absetzt (ebd.); vgl. auch die Darstellung bei NOTH, Geschichte, 298ff., oder neuerdings STIEGLER, JHWHGemeinde. 149 150
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Familien (Beschneidung, Sabbat) bewährt werden.“154 Mit der Neukonzeption ändern sich auch die Grenzlinien zwischen Israeliten und Nicht-Israeliten sowie die Zusammensetzung Israels: „An die Stelle der organischen Verbundenheit des alten Israel trat nunmehr der Kreis derer, die das Gesetz anerkannten; und dieser Kreis war auf der einen Seite enger als die Nachkommenschaft des einstigen Israel, da viele vor allem der Verstreuten sich gewiß laufend von der alten Gemeinschaft trennten, und auf der anderen Seite weiter, da nun grundsätzlich und praktisch nichts mehr dem im Wege stand, daß auch Nicht-Israeliten in die Reihe der Gesetzesgehorsamen und damit in die Kultgemeinde eintraten.“155 Die Konsequenzen aus dem Kultgemeinde-Modell für den Gebrauch des Israel-Namens zieht S. Stiegler: „Wo … י שׂראלdie Gesamtheit der nachexilischen JHWH-Gemeinde meint, sind die politisch-nationalistische und die ethnische Komponente stark in den Hintergrund getreten. Die religiös-theologische Bedeutung des IsraelNamens steht im Vordergrund.“156 In neuerer Zeit lässt sich zwar eine gewisse Verschiebung im Sprachgebrauch feststellen – es ist weniger von einer „Kultgemeinde“ und stärker vom „Gottesvolk“ die Rede157 – damit ist jedoch keine Differenz in der Sache gegeben. So entwickelt sich nach R. Albertz für „Israel“ nach 586 „die Konzeption eines rein religiös bestimmten, durch Bekenntnis konstituierten Gottesvolks“, die nun sogar so weit universalisiert werden könne, „daß auch andere Völker einmal in das Volk Jahwes, des Gottes Israels, einbezogen werden“.158 ALBERTZ, TRE Israel, 376. Vgl. ebd.: „Das Israel des Exils wird damit zu einer primär religiös konstituierten Gemeinde ( ʻedā Nu 1,2 u.ö.), in der nicht nur einzelne Gruppen gegenüber anderen behaupten können, das ‚wahre Israel‘ zu sein (z.B. die Gola gegenüber den Daheimgebliebenen, Ez 11,14–21), sondern zu der auch Fremde hinzustoßen können (Jes 44,5; 45,20–25).“ Vgl. auch ZOBEL, ThWAT ישׂראל, Sp. 998. 155 NOTH , Geschichte, 300f. Diesen Aspekt betont STIEGLER, JHWH-Gemeinde, 145ff., vgl. jüngst auch wieder ROTHENBUSCH , Auseinandersetzung, 134ff., für Neh 9f., das er geradezu als Einladung liest: „Alle können sich Israel anschließen, die sich von den ‚Völkern der Länder‘ abgesondert und der Tora Gottes zugewandt haben“ – eine Reformulierung der klassischen Kultgemeinde-Theorie. 156 S TIEGLER, JHWH-Gemeinde, 131. 157 Dass der Begriff der „Kultgemeinde“ in den Hintergrund getreten ist, mag mit der Interpretation zusammenhängen, die er durch J.P. Weinberg erfahren hat, der eine sog. Bürger-Tempel-Gemeinde als soziologisch maßgebliche Größe im perserzeitlichen Jehud postuliert (vgl. v.a. WEINBERG, Citizen-Temple Community). Aufgegeben ist die These freilich nicht, vgl. neben Stiegler z.B. BEN ZVI, Inclusion, 122: „the term [‚Israel‘ K.W.] began to refer to those who belonged ot a community characterized by a certain religious tradition, including ‚biblical‘ texts (or biblical texts in the making) and their interpretation“. 158 AaO., 378 mit Verweis auf Sach 2,15. Vorstufen dieser Entwicklung sieht Albertz in einer Mittlerrolle Israels für die Völker, wie sie in Ex 19,6 oder Jes 42,1–3; 55,5 greif bar werde. 154
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Den Versuch einer Differenzierung im Blick auf das Verhältnis von Israel und den Völkern in verschiedenen perserzeitlichen Texten unternimmt H. Irsigler.159 Sein Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die JHWH-Religion im perserzeitlichen Juda durch ein „fundamentales Spannungsverhältnis“ geprägt gewesen sei: „Es ist die Spannung zwischen ethnisch bestimmter Partikularität Israels und der Universalität des Heils für alle JHWH-Verehrer weit über das angestammte Israel hinaus.“160 Irsigler findet in den untersuchten Texten sieben Modelle zur Lösung dieser Spannung, die zum Teil eine Beibehaltung eines ethnischen Israel-Konzepts, zum Teil aber auch dessen Ablösung zu Gunsten einer religiös fundierten Gemeinschaft implizieren. In die letzte Kategorie gehören die Modelle (1) „Aufnahme und Eingliederung Fremder in das JHWH-Volk Israel“ und (2) die „Einheit der Vielzahl von Völkern“, die „zum einen Bundesvolk für JHWH werden“.161 Als Belegtexte dienen Sach 9,7 und Jes 56,1–7.8 für Modell (1) und Sach 2,15 (Ps 47,10) für Modell (2). In den übrigen fünf Modellen bleibt auch bei gemeinsamer JHWH-Verehrung die Distinktion zwischen Israel und Völkerwelt erhalten. Damit ergibt sich bei Irsigler nicht der völlige Umschlag in eine Gottesvolk-Konzeption. Diese bildet vielmehr eine Identitätskonstruktion neben anderen.162
Im klassischen Kultgemeinde-Modell ergibt sich eine Strukturanalogie zwischen dem vorstaatlichen und dem nachexilischen Israel, wie sie z.B. S. Stiegler bezüglich des Sprachgebrauchs expliziert: „Damit knüpft der nachexilische Sprachgebrauch an die ursprüngliche Bedeutung in vorstaatlicher Zeit an: Allein der JHWH-Glaube konstituiert Israel.“163 In Ermangelung staatlicher Strukturen als „organische“164 Basis eines israelitischen Gemeinbewusstseins greife jeweils die religiöse Fundierung. In der aktuellen Zuspitzung des Modells, die z.B. R.G. Kratz, U. Becker, E. Ben Zvi oder P.R. Davies vornehmen, entfällt die Analogie: ein gesamt-israelitisches Gemeinbewusstsein wird nun – genauso wie die Gottesvolkvorstellung – zu einem perserzeitlichen Konstrukt. Das bei Wellhausen angedeutete aber für Israel nicht in letzter Konsequenz angewandte Bild des Exils als Umkehrung der Verhältnisse165 verbindet sich mit der Skepsis gegenüber einer vorstaatlichen Stämme-Amphiktyonie166 oder aber einem vereinIRSIGLER, Gottesvolk. AaO., 211. 161 AaO., 243. 162 Die Textbasis ist allerdings recht schmal. Zudem erscheint fraglich, ob im Blick auf die Fremden בני הנכרin Jes 56,6f. überhaupt von einer Eingliederung in Israel die Rede ist. Deutlich ist lediglich die Beteiligung der Fremden am Kult im „Bethaus JHWHs“ (( )בית תפילתיv. 7) und ihre Sammlung ( )קבץzusätzlich zu den Israeliten. In Sach 2,15 werden die fremden Völker zwar zum Volk JHWHs, das aber nicht notwendig mit Israel identisch sein muss. Zu Sach 9, vgl. unten S. 154ff. 163 S TIEGLER, JHWH-Gemeinde, 131, vgl. ebd. mit Verweis auf Esr 6,17: „Indem die nachexilische JHWH-Gemeinde das Sühneopfer vollzieht und sich der Tora unterstellt, tritt sie legitim das religiöse Erbe des Zwölfstämmevolkes der Exodusgeneration an; indem sie die am Sinai ergangenen Satzungen JHWHs über sich anerkennt (Mal 3,22), konstituiert sie sich (neu) als Israel.“ 164 Vgl. zur Wortwahl WELLHAUSEN , Geschichte Israels, 16, sowie NOTH , Geschichte, 300. 159 160
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ten Israel unter David und Salomo167 als mögliche historische Anker für ein gesamt-israelitisches Zusammengehörigkeitsgefühl.168 Die Gottesvolkvorstellung, die im älteren Modell ihre Ursprünge noch in der vorstaatlichen Zeit hatte, wird nun dem vorexilischen Israel nicht mehr zugetraut169 und zu einem exklusiven Kennzeichen der nachexilischen „Gemeinde“. Neben dieser Weiterführung des Kultgemeinde-/Gottesvolkmodells lassen sich aber auch vereinzelte kritische Stimmen finden. 170 Ein auslösender Faktor sind die wachsenden Vorbehalte gegenüber dem sog. „chronistischen Geschichtswerk“ und damit verbunden eine differenziertere Beschreibung der Israel-Konzeptionen der Chronik auf der einen und im Esra/Nehemiabuch auf der anderen Seite. 171 Ein zweiter ist die Frage, ob das in verschiedenen Texten gespiegelte Phänomen, dass sich Nicht-Israeliten dem Gott JHWH zuwenden, religionssoziologisch zutreffend als Proselytismus zu beschreiben ist, wie es 165 WELLHAUSEN , Reste, hat ein ähnliches Denkmodell nicht für Israel, wohl aber für die Durchsetzung des Islams auf der arabischen Halbinsel entfaltet. Er arbeitet dabei sowohl die Abbrüche aber auch die Kontinuitäten zwischen „arabischem Heidentum“ und Islam heraus und kommt zu dem Schluss: „Natürlich steht der Islam in schroffem Gegen satze zu der Profanität des Heidentums, zu dem hergebrachten Schlendrian des Götzendienstes, zu dem Leben in den Tag hinein, ohne Ernst, ohne Nachdenken, ohne innere Überzeugung. Darum verhält er sich aber doch nicht gleich negativ zur Vorzeit, auch nicht in religiöser Beziehung. Er ist nicht bloss vorbereitet durch die Auflösung und Zersetzung des Heidentums, sondern er hat innerhalb desselben seine positiven Anknüpfungspunkte und Präludien“ (211f.). In der Übertragung des Modells auf die Religionsgeschichte Israels betont KRATZ, Reste, dagegen v.a. die Abbrüche, vgl. aaO., 10: „Was das Alte Testament favorisiert, ist … das Ideal einer späteren Zeit und zunächst nur einer Minderheit, einer Art Sekte im damaligen historischen Kontext, die ihre zerbrochene Geschichte dämonisiert und an Maßstäben misst, die in die Vergangenheit projiziert werden, um die Zukunft zu erlangen.“ Die Diskontinuität zwischen vor- und nachexilischem Israel gerät dabei zu einem heuristischen Prinzip, wonach religionsgeschichtlich im vorexilischen Israel fast immer das Gegenteil dessen gegeben war, was in der Tora und bei den Gerichtspropheten von Israel gefordert wird (vgl. die jeweils mit „Vom … zum ...“ formulierten Überschriften bei in KRATZ, Israel, 99ff., die anzeigen, dass sich dieser Gegensatz, bzw. jene „Übergänge in die biblische Tradition“ [99], in allen Bereichen des Alten Testaments zeigen würden). 166 Vgl. zu Kritik und Forschungsgeschichte KÖCKERT, Gott, 157–159. 167 Zur Debatte vgl. HUBER , Großreich, sowie die bei KRATZ & S PIECKERMANN , One God, gesammelten einschlägigen Beiträge. 168 Letzteres gilt genauso für die Annahme, die Ausweitung des Israel-Begriffs und Übertragung auf Juda sei nach dem Ende des Nordreichs erfolgt. Der historische Anker wird auch hier in einem faktischen Zusammenkommen von Nord-Israeliten und Judäern gesucht, dazu oben S. 17ff. 169 Vgl. mit Bezug auf Amos und Hosea auch B ECKER , Prophet, 156f. 170 So grundlegend C RÜSEMANN , Israel, in Auseinandersetzung mit Max Webers Weiterentwicklung der Thesen Wellhausens. Gegen Webers Auffassung, dem nachexilischen Judentum sei der „politische Verband“ verloren gegangen und der Zusammenhalt sei auf die Ebene einer „religiösen Anhängerschaft an den Verbandsgott und seine Priester“ gewandert (CRÜSEMANN , Israel, 207 in Aufnahme von Formulierungen Webers), betont Crüsemann den politischen Charakter der Provinz Jehud mit Rechtshoheit, Münz recht usw. (aaO., 210f.) sowie die in den Mischehentexten grundlegende Kategorie der Abstammung als Kriterium der Zugehörigkeit zu Israel (209f.).
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im Kultgemeinde-Modell geschieht. 172 Ein dritter ist das wachsende Bewusstsein für die Komplexität von Identitätsbildungsprozessen im Allgemeinen, das allzu eindimensionale Herleitungen fragwürdig erscheinen lässt.173
2.2.1.2 Das nachexilische Israel als Stämmevolk Neben der religiösen Basis für ein nachexilisches israelitisches Gemeinbewusstsein steht die ethnisch-genealogische zur Debatte, die im Stämmesystem greifbar wird. Das Kultgemeinde-Modell ist aber nach wie vor so selbstverständlich, dass dort, wo für die ethnisch-genealogische IsraelKonzeption mit einer Bedeutsamkeit für eine „israelitische“ kollektive Identität im nachexilischen Juda gerechnet wird, sogleich ihr Verhältnis zur dargestellten Konzeption Israels als Bekenntnisgemeinschaft geklärt werden muss.174 Für R. Albertz spielt die genealogische Konzeption im perserzeitlichen Juda eine wichtige Rolle, da sich die nachexilische Gemeinde auf der Basis einer „nie verloren gegangenen Erinnerung an die tribale Struktur Israels in der vorstaatlichen Zeit“ „wieder stärker abstammungsmäßig-biologisch“ organisiert und mit den „ בתי אבותkünstliche Verwandtschaftsverbände gebildet“ habe.175 So erfolge die v.a. in Priesterschrift und Chronik vorliegende Ausgestaltung der Zwölf-Stämme-Konzeption dann auch „in Analogie zur genealogischen Organisation der nachexilischen Gemeinde“.176 Die genealogische Konzeption ist für Albertz in ihrer Ausgestaltung als Zwölf-Stämme-System somit eine weitgehend perserzeitliche Bildung, basierend auf Reminiszenzen an die vorstaatliche Zeit. Sie gleiche in der „primär religiös konstituierten Gemeinde“ im nachexilischen Juda den Mangel an staatlichen Organisationen aus.177 Chr. Levin geht noch einen Schritt weiter und sieht nicht nur in der Ausgestaltung der Konzeption als Zwölf-Stämme-System, sondern in der tribaZur kritischen Auseinandersetzung mit dem Modell, vgl. ebenfalls BLUM, Volk, sowie auch BLUM & DÖRRFUSS , Altes Testament. Blum zeigt, dass die Wirkmächtigkeit der Kultgemeindehypothese durch forschungsgeschichtliche Konstellationen am Ende des 19. und im ersten Drittel des 20. Jh. bedingt war. Die historische Rekonstruktion des Judentums stand dabei im Dienst eines Ringens um die christliche Identität und inbesondere in der Zeit des Kirchenkampfes im Kontext des Versuchs, „das alte Israel für die christliche Tradition zu retten“, allerdings „um den Preis einer konsequenten Disqualifikation des Judentums“ (BLUM, Volk, 37, Hervorhebung i.O.). 171 Vgl. dazu unten S. 99f. 172 Vgl. dazu die differenzierten Überlegungen bei HAARMANN , JHWH-Verehrer. 173 Vgl. den Überblick über die Diskussion und die Problemanzeige bei B ERQUIST, Constructions. 174 Damit ist freilich auch die bis in heutige Zeit andauernde Debatte, ob das Judentum ein Volk oder eine Religionsgemeinschaft ist, berührt. Die Frage liegt jedoch außerhalb der Möglichkeiten dieser Untersuchung 175 ALBERTZ, TRE Israel, 376. 176 Ebd.
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
len Konzeption insgesamt ein perserzeitliches Konstrukt.178 Levin setzt sich mit M. Noths Untersuchung zum Stämmesystem auseinander, in der Noth u.a. versucht hatte, über das Alter der Stämmelisten die Herkunft des Stämmesystems aus vorstaatlicher Zeit zu belegen. Levin möchte dagegen zeigen, dass das Stämmesystem deswegen keine alte Tradition sein könne, weil seine literarischen Zeugnisse nicht alt sind.179 Den ältesten Beleg für das Zwölfersystem findet er in Gen 35,22b–26, einem Stück, das er der Pentateuch-Endredaktion zuweist.180 Diese Liste stützt sich nach Levin auf Gen 29f., einen „offensichtlich nicht einheitlich[en]“ Text, an dem er in sieben Redaktionsstufen die literarische Entwicklung der Jakobfamilie von zunächst drei bis zu letztlich zwölf Söhnen nachzeichnet.181 Aus dem Ergebnis, dass sich keine vorexilische Quelle finden lasse, die das ZwölfStämme-Systems belegt, schließt Levin, dass das System selbst eine nachexilische Entwicklung sein müsse, mithin eine „Fiktion“, die „in das große Unternehmen …, dem exilisch-nachexilischen Judentum eine für seinen Bestand und sein Wesen maßgebende israelitische Vergangenheit zu geben“, gehöre: „Es spiegelt eine Zeitlage, in der die familiäre Herkunft an die Stelle von Staat und Gesellschaft getreten ist: Jahwe, der Gott Israels, ist zum Gott der Väter geworden“.182 Sowohl bei Albertz als auch bei Levin ist das genealogische Konzept in nachexilischer Zeit ein Ersatz für die verlorenen staatlichen Strukturen bzw. Institutionen. Die Basis des Gemeinbewusstseins bleibt eine religiöse, seine genealogische Ausgestaltung und Strukturierung ist diesbezüglich eine Chiffre. Th. Wagner gewichtet demgegenüber das genealogische Paradigma stärker, wenn er davon ausgeht, dass in nachexilischer Zeit konzeptionell „die ethnische Gruppe und die Glaubensgemeinde in eins gesetzt“ werden und die zu diesem Ergebnis führende Entwicklung nachzeichnet: Diese setzt für Wagner schon bei Jer 50,17.19 an, wo – ebenso wie in DtJes – die Exulanten als „Israel“ bezeichnet würden. Ezechiel betone 177 Ebd. Dieses Modell wird von M ULLEN , Ethnic Myths, weiterentwickelt und zugespitzt. Er betrachtet das perserzeitliche Israel als eine „temple community“, die in spätpersischer und hellenistischer Zeit eine kritische Phase durchlaufen habe. Die Gemeinde habe sich nach dem Verlust des Königtums eine neue Identität geben müssen und diesen Mangel durch die Schaffung einer ethnischen Identität ausgeglichen (328f.). Bei Mullen verbindet sich mit der These ein eigenes Entstehungsmodell für Tetra- und Pentateuch, deren formative Periode er im Kontext der Ausbildung dieser Identitätskonstruktion in der fortgeschrittenen nachexilischen Zeit verortet. 178 LEVIN , System. 179 Eine unhinterfragte Prämisse dieser Argumentation ist auch hier, dass das Alter einer Tradition notwendig mit ihrer literarischen Bezeugung koinzidiert. 180 AaO., 171f. 181 AaO., 172–174; vgl. LEVIN , Jahwist, 221–231. Zur Diskussion der Thesen Levins vgl. unten S. 238f. 182 LEVIN , System, 178, unter Aufnahme eines Zitats von R. Smend, Zur ältesten Geschichte Israels. Gesammelte Studien Band 2 (BEvTh 100), München 1987, 10.
2. Trends in der Forschung
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demgegenüber die Zusammengehörigkeit von Exulanten und in Palästina verbliebener Bevölkerung. Maleachi nenne schließlich sowohl die nachexilische Gemeinde (Mal 1,1.5; 2,16), die „ יהוה אלהי ישׂראלJhwh, den Gott Israels“ verehre, wie auch das Nordreich (2,11) und die „Mose-Gruppe“ (3,22) „Israel“ und identifiziere so Volk und Gemeinde.183 Die Chronik und Esr/Neh setzen nach Wagner dieselbe Konzeption voraus. Damit ist eine Abkehr vom Kultgemeinde-Modell vollzogen, nach dem eine vorexilische genealogische Konzeption an Bedeutung verlor. Das Verhältnis von Ethnos und Gemeinde bleibt jedoch weitgehend unbestimmt. 2.2.2 Konzeptionen des vorexilischen Israel Für die vorexilische Zeit ist die Diskussionslage kaum eindeutiger. Die Konzeptionen des Gottesvolks und Stämmevolks stehen auch hier zur Debatte. Hinzu kommt die Bestimmung Israels als Staatsvolk des Nordreichs. 2.2.2.1 Das vorexilische Israel als Gottesvolk Nach dem klassischen Bild der Religionsgeschichte Israels, demzufolge alles, was Israel von Kanaan unterscheidet, mit den Israeliten von außen ins Land gekommen ist, ist auch die grundlegende Beziehung Israels zu JHWH dem Gott Israels ursprünglich und steht am Anfang der Geschichte Israels. Israel ist somit primär ein Gottesvolk, sein Gemeinbewusstsein ist ein religiös fundiertes. So stellte bereits bei M. Noth die genealogische Konstruktion des Zwölf-Stämme-Systems bekanntlich ein Symbol für einen dem Wesen nach anderen, nämlich kultisch-religiös bestimmten Zusammenhang dar.184 Dieser dient dann auch als Begründung, wenn in semantischer Hinsicht für das Primat eines weiten Israel-Begriffs optiert wird. 185 H.J. Zobel betont stärker noch als Noth die religiöse Basis, wenn er argumentiert: „Israel kann im engeren oder weiteren Sinn gebraucht werden. Dabei kann es sowohl ein staatsrechtlicher Terminus als auch ein mit religiöser Würde
WAGNER , Wibilex Israel, Abschnitt 4. NOTH, System, 63: „Die Eigenart der israelitischen Geschichte aber würde es dann ohne weiteres nahelegen, da ein auch noch so loser staatlicher Zusammenschluß für die in Frage stehende Zeit [sc. die Richterzeit, K.W.] überhaupt nicht ernstlich in Betracht kommt, das die Stämme Verbindende auf dem Gebiete ihrer Religion zu suchen. … Wenn man mit der Erkenntnis Ernst macht, daß Religion ohne äußere kultische Formen für das älteste Israel nicht in Betracht kommen kann, dann muß man folgerichtig auch zu der Annahme weiterschreiten, daß eine religiöse Verbundenheit der israelitischen Stämme nur in den Formen gemeinsamen Kultes an einem gemeinsamen Heiligtum überhaupt existieren konnte.“ 185 Vgl. oben S. 9ff. 183 184
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
belegter Name sein“.186 Im letzteren Sinne bedeute „Israel“ schon in vorexilischer Zeit „so etwas wie die Gemeinde JHWHs“187 und entsprechend sei die Zugehörigkeit Judas zu „Israel“ im „religiösen Gebrauch“ begründet, denn „mit dem JHWH-Namen [ist] der Israel-Name gleichsam automatisch gegeben, so daß derjenige, der JHWH verehrt, zu Israel gehört oder doch gehören sollte“.188 R. Albertz findet in der „Konzeption Israels als Gottesvolk“ neben der „genealogischen Konzeption des Zwölf-Stämme-Volks“ eine zweite ebenfalls aus vorexilischer Zeit stammende einheits- und identitätsstiftende Israel-Vorstellung.189 Die Ursprünge des Gottesvolk-Konzepts vermutet er nicht in einer Amphiktyonie, sondern in der Bezeichnung des Heerbanns als עם ישׂראל, als – so Albertz – „Truppe Jahwes“. Erst mit „der Ausweitung und institutionellen Verfestigung des Heerbanns wird der konkrete Begriff ‚Truppe Jahwes‘ in der frühen Königszeit auf das Volk insgesamt übertragen und verallgemeinert.“190 Als historischer Hintergrund für die Übertragung kommt nur das davidisch-salomonische Reich in Frage, da „Israel als Volk Jahwes“ „die Bevölkerung der Nord- und Südregion gleichermaßen umfaßt“.191 Ideengeschichtlich lasse sich die Vorstellung – so Albertz – dann weiter über ihre Indienstnahme bei den Propheten hin zu den Trägerkreisen des Dtn verfolgen, die „zum ersten Mal eine konsistente Theologie des Volkes Gottes“ formulieren, in der sie das Gottesverhältnis Israels als Bund fassen. 192 Mit der genealogischen Konzeption werde die Bundesvorstellung nur peripher verknüpft (Ex 24,3–8), für sie sei nämlich „in diesem Vorstellungskomplex nur ganz am Rande Raum“.193 2.2.2.2 Das vorexilische Israel als Stämmevolk Wenn im Alten Testament selbst von den Ursprüngen Israels gehandelt wird, ist das vorherrschende Paradigma das einer qua gemeinsamer Abstammung definierten Gemeinschaft: Die Erzelternerzählungen führen Israel in einer genealogischen Linie auf den Erzvater Jakob/Israel zurück, die innere Strukturierung des Volkes entspricht der segmentären Genealogie der Jakob/Israel-Söhne. Seinen primären Ausdruck findet das ParaZOBEL, ThWAT ישׂראל, Sp. 998. AaO., Sp. 996. Ähnlich auch HULST, Naam, 27f., sowie speziell für das Deuteronomium HULST, Name, 102ff. 188 ZOBEL, ThWAT ישׂראל, Sp. 998, formuliert die These als sogleich zu bejahende rhetorische Frage: „Aber ist mit dem JHWH-Namen der Israel-Name gleichsam automatisch gegeben, so daß derjenige, der JHWH verehrt, zu Israel gehört oder doch gehören sollte? Wir werden sehen, daß diese Vermutung zutrifft.“ 189 ALBERTZ, TRE Israel, 377. 190 Ebd. 191 AaO., 371. 192 AaO., 377. 193 AaO., 377f. 186 187
2. Trends in der Forschung
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digma neben den erzählenden Texten im Zwölfersystem der Stämme Israels. Schon früh setzte sich freilich die Einsicht durch, dass sich diese Nachrichten nicht ohne Weiteres historisch auswerten lassen. So notiert B. Luther in seiner Untersuchung Die israelitischen Stämme (1901), wenn er in den vorbereitenden Überlegungen zum Wesen der Stämme auf die משׁפחהals eine Untereinheit zu sprechen kommt: „Ebenso wie die griechische ‚Brüderschaft‘ wird die mischpacha durch Blutsbrüderschaft entstanden sein. Dass sehr bald die Fiktion sich bildete, die demselben Geschlechte angehörenden אחיםstammten von demselben Vater ab, ist begreiflich. Von hier aus bildet sich die genealogische Anschauungsweise. Wir sehen, dass das Wort ‚Geschlecht‘ in keiner Weise das Wesen der משׁפחהbezeichnet, vielmehr ganz falsche Vorstellungen wachruft.“194
Ist die Abstammungsgemeinschaft aber kein historisch/biologisches Faktum, stellte sich die Frage nach der historischen Situation hinter der Erzählfiktion. Einen Versuch zu ihrer Beantwortung unternahm die sog. stammesgeschichtliche Forschung, die insbesondere die Erzählungen der Genesis bis in die Einzelzüge hinein als Reflexe stammesgeschichtlicher Vorgänge in der vorstaatlichen Zeit verstehen wollte.195 In eine andere Richtung gehen die Versuche, die genealogische Konstruktion als Chiffre für einem Wesen nach anders motivierten Zusammenhalt zu erklären – sei er nun religiös oder politisch fundiert. Ersteres ist das vorherrschende Denkmodell, wenn die genealogischen Darstellungsformen vor dem Hintergrund der Gottesvolk-Konzeption erklärt werden sollen (s.o.), letzteres hat H. Donner vorgeschlagen, der den Zwölfstämmeverband als „politische Föderation“ erklären möchte, die mangels staatlicher Strukturen die Funktion hatte, „die Anarchie zu überwinden, die Interessen zu domestizieren, Frieden, Ordnung und Recht möglich zu machen.“196 Genealogische Ordnungsprinzipien gelten hier als Vorstufe staatlicher Strukturen, entsprechend sei zu erwarten, dass sie zurücktreten, sobald letztere sich etablieren.197 E. Blum rechnet dagegen mit einer bleibende Bedeutung genealogischer Strukturen in der Königszeit. Blum zeigt an den Erzelternerzählungen, die LUTHER, Stämme, 10f. Zu Vertretern und aktuellen Aufnahmen des Denkmodells vgl. S. 256f. 196 DONNER , Geschichte, 77. 197 Hier ergibt sich eine Strukturanalogie zu den Versuchen, die Entstehung genealogischer Konzepte nachexilisch zu verorten. In beiden Fällen dienen sie als Substitute für noch nicht bestehende resp. verlorene staatliche Strukturen. Dahinter steht vielfach, die bis in neuere Zeit meist unhinterfragte Annahme, dass Genealogien nur in nichtsesshaften Gesellschaften eine Rolle spielen würden. Letztere ist jedoch durch die ethnologische Forschung widerlegt, dazu schon CRÜSEMANN , Widerstand, 206; BLUM, Komposition, 488f., bzw. am Beispiel von Stammesstrukturen im heutigen Jordanien LABIANCA, Fluidity, 211f. Zur Problematik vgl. unten S. 351ff. 194 195
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
„ein Israel voraus[setzen], wie es – mit der Einbeziehung Judas und der besonderen Rolle Josephs – (für uns) erstmals für die davidischsalomonische Zeit sicher belegt ist“, dass das genealogische Denken eine Grundvoraussetzung der Überlieferung darstellt, sowohl was ihre Struktur als auch ihre Pragmatik betrifft und somit weder spätere Zutat noch obsolet gewordenes Erbe der vorstaatlichen Zeit sein kann.198 Der Auffassung Blums, dass „die Grundlinien der Genealogie Israels selbst … zweifellos noch vor der Königszeit entstanden“ sind,199 folgt U. Schorn in ihrer Untersuchung zum Stämmesysten nur noch insoweit, dass auch sie das Israel der Königszeit als eine „von segmentären Sozialstrukturen geprägte[.] Gesellschaft“ versteht.200 Die konkrete Ausgestaltung des genealogischen Systems im Zwölf-Stämmekonzept verortet sie jedoch in der Königszeit selbst. Für Schorn handelt es sich beim „System der zwölf Eponymen“ um ein „Konzept des Elohisten, das in der Zeit nach dem Untergang des Nordreichs den drohenden Identitätsverlust Israels aufzufangen versucht“.201 Auch W. Oswald betont die „lange[.] kulturelle[.] Tradition“ des genealogischen Prinzips, dessen „Anwendung … auf exakt diese zwölf als Stämme verstandenen Bevölkerungsgruppen der Region“ er ebenfalls im ehemaligen Nordreich nach 722 ansetzt. Der „Zweck“ sei dabei „die Konstitution Israels als solche und die grundsätzliche Festlegung seiner internen Ordnung“ gewesen.202 Damit wird das Konzept Israels als eines Stämmevolks allerdings wieder zu einem Ersatz für staatliche Strukturen, freilich nun auf konzeptionell-programmatischer Ebene. Oswald sieht denn auch gerade darin seine Funktion: „Die aufgezwungene Nichtstaatlichkeit wird mit Hilfe des Stämmesystems kompensiert und ins Positive gewendet: Israel bleibt auch ohne König ein Volk.“203 3. Gegenstand
und Gang der Untersuchung
2.2.2.3 Das vorexilische Israel als Staatsvolk Schon J. Wellhausen hatte die Rolle Sauls und Davids für die Herausbildung des Volkes Israel betont und in den staatlichen Strukturen den „organischen“ Zusammenhalt für das vorexilische Israel gesehen. 204 Wenn Wellhausen von Israel als einer „Nation“ spricht, ist damit jedoch noch kein Staatsbegriff im Sinne eines vorrangig territorial bestimmten modernen Nationalstaats gemeint, vielmehr geht es um die gemeinsame Abstammung sowie den religiös definierten Zusammenhalt als Volk JHWHs. In der 198 199 200 201 202 203 204
BLUM, Komposition, 481ff., Zitat 491. AaO., 489 (Hervorhebung i.O.); vgl. auch ZEVIT, Religions, 640ff. SCHORN , Ruben, 102. AaO., 99.282 OSWALD, Staatstheorie, 155. AaO., 156 Zu Wellhausen vgl. oben S. 26f.
3. Gegenstand und Gang der Untersuchung
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Zuspitzung auf einen Territorialstaat hin ist das Verständnis des vorexilischen Israel als Staatsvolk jedoch die konzeptionelle Voraussetzung der Annahme einer sekundären Ethnisierung und/oder Theologisierung eines ursprünglich rein staatsrechtlich gebrauchten Israel-Namens.205 Entsprechend konstatieren Chr. Levin: „Daß es vor dem Aufkommen des Königtums so etwas wie ein verfaßtes Israel gegeben hat, davon fehlt in den alten Quellen jede Spur“206, und R.G. Kratz: „Der Anfang des Volkes Israel fällt mit der Staatenbildung zusammen.“207 Als staatsrechtliche Bezeichnung ist „Israel“ aber nicht funktional, wenn keine eindeutige Referenz auf eine politisch-territoriale Größe gegeben ist. Als eine solche kommt ausweislich des Befunds in den außerbiblischen Quellen, welchen im Kontext dieser These denn auch ein großes Gewicht beigemessen wird,208 dann nur das Nordreich in Frage. 209 P.R. Davies kommt zu dem Schluss: „So historical Israel is probably best defined by the historian as a state, i.e. a kingdom … This political entity lasted until 722 BCE, and did not have any distinctive ethnic identity, nor any religious unity. … However, the creation of an ethnic Israel presupposes a recognised unit called ‚Israel‘ in the first place, which can then be construed ethnically in the way that ancient societies did.“210
Israel als Staatsvolk in diesem Sinne ist somit nicht ein Volk sondern vielmehr eine Bevölkerung, konkret die Bevölkerung des Nordreichs.
Vgl. oben S. 13ff. LEVIN, System, 178. 207 KRATZ, Staat, 4. 208 Vgl. KRATZ, aaO., 2f.; DAVIES , Search, 60ff. 209 Bei FLEMING , Legacy, bildet diese Einschätzung den Ausgangspunkt für die Suche nach nord-israelitischen Überlieferungen (er spricht von „lore“, aaO. 7 u.ö.), die in einer tiefgreifend judäisch edierten Bibel verborgen sind. Derartige Traditionen sind nach Fleming z.B. in den Jakoberzählungen, einzelnen Richtererzählungen oder der Darstellung der Auseinandersetzung mit Sihon und Og u.a. verarbeitet (39ff.). Historisch betont er die Unterschiede zwischen Israel und Juda als unterschiedlich strukturierten politischen Entitäten, die jedoch eine große Nähe hinsichtlich der materiellen Kultur, resp. Lebensweise und Lebenswelt, sowie von Schrift und Sprache aufgewiesen hätten (300ff.). Stärker archäologisch orientiert, aber von einer ähnlichen Fragerichtung getragen, ist auch FINKELSTEIN, Kingdom. 210 DAVIES , Search, 66 sowie 73. 205 206
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
3. Gegenstand und Gang der Untersuchung 3.1 Methodische Vorbemerkungen 3.1.1 Kollektive Identität – ein konstruktivistischer Zugang Ein Ausgangspunkt dieser Studie ist eine konstruktivistische Perspektive auf das Phänomen der Gemeinschaftlichkeit. Diese basiert auf der Einsicht, dass soziale Objekte nicht einfach gegeben sind, sondern Konstruktionen darstellen, die durch die Interaktion sozialer Akteure in ihrem (notwendigen) Versuch entstehen, die Welt zu strukturieren bzw. ihr Sinn zu geben. Als derartige Konstruktionen sind sie nicht etwa gegen vermeintlich objektive Gegebenheiten auszuspielen, sondern die Konstruktion selbst ist die gesellschaftliche Wirklichkeit, d.h. die Alltagsgewissheit, die als selbstverständlich oder natürlich erscheint. Der gewählte Zugang hat seinen genuinen Ort in der sozialkonstruktivistischen Theoriebildung innerhalb der Soziologie. Als Ausgangspunkt und Klassiker gilt die 1966 unter dem Titel The Social Construction of Reality (dt. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit) erschienene Studie P.L. Bergers und Th. Luckmanns, die von den Autoren als Eine Theorie der Wissenssoziologie vorgelegt wurde.211 Sie knüpft an bei Alltagswelt und Alltagswissen und zielt auf „eine Analyse jenes Wissens, welches das Verhalten in der Alltagswelt reguliert“. Die kritische Rückfrage beginnt dabei mit dem Zweifel an der Alltagsgewissheit: „Die Alltagswelt wird ja nicht nur als wirklicher Hintergrund subjektiv sinnhafter Lebensführung von jedermann hingenommen, sondern sie verdankt jedermanns Gedanken und Taten ihr Vorhandensein und ihren Bestand. So müssen wir also doch, bevor wir unsere Hauptaufgabe vornehmen, die Grundlagen des Wissens in der Alltagswelt herausfinden, das heißt die Objektivationen subjektiv sinnvoller Vorgänge, aus denen die intersubjektive Welt entsteht.“ 212 Berger & Luckmann beschreiben i.F. diese Vorgänge vom Etablieren habitualisierter Handlungsabläufe und Kommunikationsformen, über ihre Institutionalisierung und Ausdifferenzierung, ihre Weitergabe in der Sozialisation, bis hin zur Legitimierung der Institutionen durch ihre Einbindung in umfassende Konstruktionen, die sie als „symbolische Sinnwelten“, d.h. „als die Matrix aller gesellschaftlich objektivierten und subjektiv wirklichen Sinnhaftigkeit“ verstehen. 213
Mit dem Phänomen der Vergemeinschaftung ist eine grundlegende Strukturierung innerhalb der sozialen Wirklichkeit angesprochen: die Unterschei211 Im Folgenden zitiert nach der 20. Auflage von 2004 als BERGER & L UCKMANN , Konstruktion. Berger & Luckmann stellen sich selbst in eine Tradition zu Bergers Lehrer M. Schütz sowie zum phänomenologischen Zweig innerhalb der Philosophie (v.a. E. Hus serl und M. Heidegger). 212 AaO., 21f. (Hervorhebung i.O.). Vgl. GIESEN, Kollektive Identität, 24: „Wenn Menschen ihre alltägliche Welt konstruieren, so verwandeln sie das Fremde in das Vertraute, behandeln das Unbekannte als einen neuen Fall des längst Bekannten, stellen sich das Ferne nach dem Muster des Nahen vor und verlängern die Erfahrungen der Vergangenheit in die Erwartung des Zukünftigen. Eine solche analogische Übertragung sichert sich vor allem durch die alltagsweltliche Gemeinsamkeit ab: Wir alle bestätigen uns wechselseitig unsere zerbrechlichen Konstruktionen und tun so, als ob alles schon bekannt und natürlich gesichert wäre.“
3. Gegenstand und Gang der Untersuchung
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dung zwischen dem Binnenraum der Gemeinschaft und der Außenwelt, dem Eigenen und dem Fremden bzw. dem Wir und dem Sie. B. Giesen beschreibt diese Unterscheidung als eine „elementare Operation der Herstellung sozialer Wirklichkeit“ – so elementar, „daß wir uns keine soziale Wirklichkeit vorstellen können, in der diese Operationen nicht auf diese oder jene Weise vorgenommen wurden“.214 Derartig elementare Operationen sind jedoch nicht isoliert und ebenso wenig abstrakt greifbar, sondern sie sind i.d.R. verknüpft mit vielfältigen anderen Differenzen: „Die Unterscheidung zwischen dem Innen und Außen einer Gemeinschaft kann so zum Beispiel an die Differenz von gut und böse, von Natur und Kultur oder von Vergangenheit und Zukunft gekoppelt werden. Kollektive Identität gründet sich dann auf eine gemeinsame Vergangenheit, an der Außenstehende nicht teilhaben, oder auf eine gemeinsame Vorstellung der Zukunft, die von Außenstehenden nicht geteilt wird. Aber ein solches Anreichern von Bedeutung bleibt nicht auf die Ebene elementarer Operationen beschränkt. Es können sehr spezielle Embleme und die Erinnerung an ganz bestimmte Ereignisse sein, mit denen die Angehörigen einer Gemeinschaft sich wechselseitig auszeichnen und von den Außenstehenden unterscheiden. Veränderungen und Verschiebungen in diesen Koppelungen von Unterschieden erweisen sich als außerordentlich folgenreich.“215
Zentrale Unterscheidungen, an denen sich verschiedene Differenzen bündeln bzw. kristallisieren, bezeichnet B. Giesen als „Codes der kollektiven Identität“. Da dieser Sprachgebrauch sowie die von Giesen vorgenommene Kategorisierung dreier Grundmodelle für die Codierung kollektiver Identität216 sich für die vorliegende Studie als hilfreich erweisen, sollen sie kurz vorgestellt werden. 213 B ERGER & L UCKMANN , Konstruktion, 103 (Hervorhebung i.O.). Die konstruktivistische Perspektive hat, häufig in Aufnahme jeweils eigener fachspezifischer Vorläufer in den Diskurs anderer Wissenschaftszweige (Anthropologie, Psychologie, Politikwissenschaften u.a.m.) Einzug gehalten und ist dabei weitergeführt, ausdifferenziert und kritisiert worden (Einführungen bieten u.a. SARBIN & KITSUSE , Prologue, sowie unter besonderer Berücksichtigung der Psychologie BURR, Social Constructionism). Zur konstruktivistischen Theoriebildung das Phänomen der Ethnizität betreffend s.i.F. 214 GIESEN , Kollektive Identität 24f. Als vergleichbar elementar stuft er die die Unterscheidung zwischen gewünschten und verbotenen Handlungen oder die Konstitution von Macht und Abhängigkeit ein. 215 AaO., 25. 216 Die Begriffe „Identität“ und auch „kollektive Identität“ sind heutzutage fast zu Modeworten geworden – um den Preis eines weitgehenden Verlusts präziser Anwendungsbereiche; zur Begriffsgeschichte vgl. STRAUB, Identität. Straub selbst bestimmt kollektive Identitäten als „Konstrukte, die nichts anderes bezeichnen als eine näher zu spezifizierende Gemeinsamkeit im praktischen Selbst- und Weltverhältnis sowie im Selbst- und Weltverständnis einzelner. Kollektive Identitäten finden im übereinstimmenden praktischen Verhalten sowie in qualitativen Selbst- und Weltbeschreibungen Ausdruck, in denen Menschen übereinkommen. Sie sind in solchen Übereinkünften, in konsensfähigen Selbst- und Weltbeschreibungen und gemeinsamen Praktiken begründet“ (aaO., 103, Hervorhebung i.O.).
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
3.1.1.1 Drei elementare Codes kollektiver Identität B. Giesen beschreibt drei idealtypische Codes kollektiver Identität, die hinsichtlich der Logik ihrer Grenzkonstruktionen alternative Modi darstellen: primordiale, traditionale und universalistische Codes.217 – Primordiale Codes binden die Grenze zwischen Innen und Außen an Herkunft, Geschlecht, Verwandtschaft, Rasse o.ä., also an Strukturen, die als naturgegeben betrachtet werden. Sie stehen jenseits der Möglichkeit individueller Entscheidung und repräsentieren eine als objektiv wahrgenommene natürlich Ordnung. Die Grenzen sind „scharf und genau gezogen …; mittlere Positionen und fließende Übergänge, Grenzgänger und Unentschiedenheit sind zumeist nicht vorgesehen.“218 Daher kann die Beziehung einer primordialen Gemeinschaft zur Außenwelt nicht missionarisch sein; Assimilation, Konversion, Ausbildung o.ä. als Zugangswege sind weitgehend ausgeschlossen. Grenzüberschreitungen kommen zwar vor, sie sind i.d.R. durch Passagerituale219 markiert und bedeuten letztlich eine Änderung der Natur des betroffenen Individuums. Die primordiale Codierung geht mit einer besonderen Strukturierung des Binnenraums einher, für die oft eine grundlegende Gleichheit der Mitglieder hinsichtlich der gemeinschaftsstiftenden Merkmale kennzeichnend ist.220 Häufig ist sie zudem mit einer Dämonisierung der Außenwelt verbunden, über die wiederum die Grenzkonstruktion sowie der innere Zusammenhalt gestärkt werden. – Traditionale Codes gründen die Gemeinschaft nicht auf eine Naturgegebenheit, sondern auf die zeitliche Kontinuität sozialer Praktiken. Sie basieren auf der „Vertrautheit mit impliziten Regeln des Verhaltens, mit Traditionen und sozialen Routinen“.221 Der wichtigste Modus zur Konstruktion von Kontinuität ist hier die Erinnerung, die häufig ritualisierte Formen annimmt. Die geteilte Vergangenheit schafft Gemeinsamkeit, kommemorative Rituale, die z.B. einen Gründungsmythos vergegenwärtigen und mit bestimmten Personen, Örtlichkeiten u.ä. verbunden sind, sind die sozialen Interaktionen, die der Sicherung der Gemeinschaft dienen. Traditionalen Gemeinschaften eignet i.d.R. eine starke lokale Bindung;222 d.h. bestimmte Traditionen sind mit konkreten Regionen, Landschaften, Orten verknüpft, ihre Übertragung auf andere Lokalitäten fällt schwer. Die Grenzziehungen verlaufen anders als bei primordialen Gemeinschaften eher graduell oder vage. Die Grenzüberschreitung ist daher auch kein konGIESEN, Kollektive Identität, 32ff. AaO., 33. 219 Giesen nennt als Beispiele Geburt, Beerdigung, Heirat, Aufnahme, Verstoßung und Verfluchung (aaO., 34). 220 Das heißt selbstverständlich nicht, dass es keine auf anderen Merkmalen basierten Binnenstrukturierungen geben kann (dazu aaO., 35f.). 221 AaO., 42. 217 218
3. Gegenstand und Gang der Untersuchung
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trollierter Vorgang, sondern ein gradueller Entwicklungsprozess der langsamen Annäherung bzw. Entfremdung. Ebenso wenig wie die gemeinsame Abstammung in einer primordial codierten Gemeinschaft ein biologisches, also etwa genetisch nachweisbares, Faktum ist, ist die Unverändertheit der Traditionen, Gebräuche usw. in traditionalen Gemeinschaften eine historische Tatsache. Die Kontinuität wird jedoch innerhalb der Gemeinschaft als solche wahrgenommen bzw. geglaubt. – Das elementare Paradigma universalistischer Codes bildet eine unbedingte Überzeugung, eine Idee der Erlösung, des Fortschritts, der Emanzipation o.ä., die als Bestimmung aller Menschen gilt. Die Unterscheidung zwischen Innen und Außen liegt hier zwischen jenen, die bereits im Bewusstsein der Erlösung, d.h. in ihrer wahren Identität, leben und jenen, die dies (noch) nicht tun. Die Grenze ist ähnlich klar markiert wie bei primordial codierten Gemeinschaften, das Verhältnis zu den Außenstehenden jedoch anders bestimmt. Hatten die Grenzziehungen dort eine primär exklusive Tendenz, zeigt sich bei universalistisch codierten Gemeinschaften die Bestrebung, die Außenstehenden zu inkludieren: „Universalistische Konstruktionen kollektiver Identität setzen daher die Spannung zwischen dem heiligen und identitätssichernden Zentrum und der unerlösten Peripherie in eine Pädagogisierung der Grenze um – eine zivilisierende, emanzipierende und erlösende Bewegung, die in einen leeren Raum hinein verläuft.“223 Die Praxis der Grenzüberschreitung ist für entsprechend codierte religiöse Gemeinschaften die Konversion, ihrer Herbeiführung dient die Mission. Universalistische Codierungen sind jedoch ebenso in säkularen Bewegungen zu finden, die ebenfalls mittels Erziehung, Bildung und Überzeugung ihre Grenzen verschieben. Für alle drei genannten Möglichkeiten gilt, dass Codes im dargestellten Sinne symbolische Strukturen sind. Als solche sind sie zu unterscheiden von der sozialen Situation, auf die sie bezogen sind bzw. für deren Strukturierung sie herangezogen werden. Für die Bestimmung des Verhältnisses von Code und Situation benennt Giesen drei jeweils zu bedenkende Fragehorizonte:224
Interessanterweise bildet für Giesen das Judentum „die wichtigste Ausnahme“ zu dieser Regel (aaO., 46, Anm. 41). Ob das Judentum aber, trotz der unbestreitbaren Wichtigkeit kommemorativer Rituale, sozialer Routinen und spezifischer Regelungen der Lebensführung, als eine traditionale Gemeinschaft, zu verstehen ist, erscheint mir doch fraglich. Der für Giesen elementare Aspekt des Modus der Grenzkonstruktion spricht dagegen, vgl. für rabbinische Verhältnisbestimmungen zu Fremden HAARMANN , JHWHVerehrer, 20ff. 223 GIESEN , Kollektive Identität, 57. 224 AaO., 28–31. 222
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
– Die Entkopplung betrifft die Frage, inwieweit ein Code als symbolische Struktur auf eine bestimmte Situation festgelegt oder aber auf andere Situationen übertragbar ist.225 – Die Situationsangemessenheit betrifft die Erklärungskraft des Codes, also seine Fähigkeit, „eine gegebene Situation sinnvoll, einsichtig und ohne Mißverständnisse strukturieren zu können“. 226 Hier kann ein unterschiedlich großer Interpretationsaufwand notwendig sein. – Mit der Präzision eines Codes ist schließlich der Aspekt seiner ‚technischen‘ Anwendbarkeit im Blick. Ein Code ist umso präziser, je schneller und eindeutiger er eine Situation zu strukturieren vermag. Für alle drei Horizonte gilt, dass hier keine Urteile über die Güte von Codierungen impliziert sind. Je nach Art der zu strukturierenden Interaktion können etwa präzisere oder diffusere, stärker oder schwächer entkoppelte Codes angemessen sein. 3.1.1.2 Kollektive Identität und Ethnizität Mit Ethnizität ist eine spezielle Kategorie des breiteren Phänomens der kollektiven Identität angesprochen.227 Landläufig versteht man unter einem Ethnos eine Gruppe mit ausgeprägtem Wir-Gefühl, für die Merkmale wie ein gemeinsamer Name, eine gemeinsame Abstammung, Geschichte, Kultur, ein gemeinsames Territorium sowie eine gruppenspezifische wechselseitige Solidarität genannt werden.228 Der hier angedeutete konstruktivistische Zweig innerhalb der Soziologie konvergiert in Bezug auf das Problem der Ethnizität mit Entwicklungen in der ethnologischen Forschung, für die sich mit dem norwegischen Ethnologen F. Barth eine entscheidende Weichenstellung verband. Barth arbeitete die zentrale Funktion der Grenzkonstruktion für den Prozess der Ausbildung und für die Erhaltung ethnischer Identitäten heraus. Ethnische Grenzen entstehen nach Barth im Prozess wechselseitiger Selbst- und Fremdzuschreibungen, sie bilden sich somit nur im Gegenüber zu anderen vergleichbar konstruierten Gruppen und verlieren ihre Signifikanz mit dem 225 Am deutlichsten wird der Aspekt, wenn man die Extreme betrachtet: „Fehlt die Entkopplung gänzlich, so kann man nicht zwischen Situation und Codierung unterscheiden: Die symbolische Äußerung bezieht sich nur auf einen einzigen vorliegenden Fall, sie ist vollständig indexikal und gibt keinen Hinweis auf andere Fälle oder Situa tionen. Ist hingegen die Verbindung zwischen Situation und Code vollständig beliebig, so vermag der Code nicht mehr zu informieren. Er sagt nichts mehr über die Situation, er macht keinen Unterschied mehr, er ist mit allen möglichen Situationen verträglich, er entlastet nicht mehr von der mühsamen Erfahrung der Situation“ (aaO., 28f.). 226 AaO., 30. 227 Die Frage ist selbstverständlich zu breit, um hier behandelt zu werden; die folgenden Bemerkungen betreffen daher lediglich einige Grundvoraussetzungen der vorliegenden Studie. 228 Liste nach SMITH , Origins, 23ff.
3. Gegenstand und Gang der Untersuchung
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Verlust des Gegenübers. Ethnische Identitäten sind demnach soziale Konstrukte, Ethnizität als der Vorgang ihrer Entstehung und Erhaltung ist ein diskursiver Prozess. 229 Daraus folgt für die genannten Merkmale ethnischer Gruppen, dass es sich um Zuschreibungen handelt. So mag die gemeinsame Abstammung aus Sicht der Biologie Fiktion sein, innerhalb der betroffenen Gemeinschaft wird sie als gegebenes Faktum wahrgenommen.230 Gleiches gilt etwa für den Glauben an die Beständigkeit von Traditionen und sozialen Praktiken als Markierungen der jeweiligen Gruppenidentität. Auch hier zählt die geteilte Überzeugung, dass es schon immer so gewesen sei und nicht die vom Historiker nachgezeichnete Entwicklung. Für ethnische Gruppen lässt sich zwar eine relativ deutliche Prävalenz für bestimmte Sets von Zuschreibungen – bzw. in der oben eingeführten Terminologie: Muster von Codierungen – feststellen. Es sind etwa die Überzeugung einer gemeinsamen Abstammung, die Verbundenheit mit einem bestimmten Territorium, aber auch der gemeinsame Name. Ob eine oder mehrere dieser Zuschreibungen für die Bestimmung eines Kollektivs als Ethnos/ethnische Gruppe notwendig und wie sie untereinander zu gewichten sind, bleibt Gegenstand der Diskussion.231 Letztere betrifft v.a. die primordiale Codierung der kollektiven Identität ethnischer Gruppen. Diese weist – ist sie erst einmal in der Welt – eine 229 B ARTH, Introduction (1969). Die Einsicht in die Konstruiertheit von Ethnizität hat freilich eine lange Vorgeschichte. Schon MAX WEBER, Wirtschaft, 174f., definiert eine „ethnische Gemeinschaft“ wie folgt: „Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, daß dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen‘ darstellen, ‚ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinsamkeit objektiv vorliegt oder nicht. … Die ethnische Gemeinsamkeit (im hier gemeinten Sinn) ist demgegenüber [sc. gegenüber der Sippe, K.W.] nicht selbst Gemeinschaft, sondern nur ein die Vergemeinschaftung erleichterndes Moment. Sie kommt der allverschiedensten, vor allem freilich erfahrungsgemäß: der politischen Vergemeinschaftung fördernd entgegen.“ Zur Forschungsgeschichte vgl. neben HALL, Ethnic Identity, 1–33, auch ORYWAL & HACKSTEIN, Ethnizität. 230 Vgl. HALL, Ethnic Identity, 25: „Above all else, though, it must be the myth of shared descent which ranks paramount among the features that distinguish ethnic from other social groups, and, more often than not, it is proof of descent that will act as a defining criterion of ethnicity. This recognition, however, does not vindicate a genetic approach to ethnic identity, because the myth of descent is precisely that – a recognition of a putative shared ancestry. The genealogical reality of such claims is irrelevant; what matters is that the claim for shared descent ist consensually agreed“ (Hervorhebung i.O.). 231 Für HALL, Ethnic Identity, 25, sind v.a. der Glaube an eine gemeinsame Abstammung sowie das gemeinsame Territorium zentral, die sog. „cultural traits“, d.h. Sprache, Konventionen, materiale Kultur u.ä. gewichtet er eher gering; SMITH, Origins, 23, betont den gemeinsamen Namen; KOHL , Ethnizität 270, stellt die verschiedenen Merkmale (Kultur, Sprache, Glaube an gemeinsame Abstammung) gleichwertig nebeneinander. Zur Diskussion vgl. auch SPARKS , Ethnicity, 1–6.
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
erstaunliche Langlebigkeit und Wirkmächtigkeit auf, auch dann, wenn die historische Situation, in der sie sich herausbildete, nicht mehr gegeben ist.232 Das mag an der enormen sozialen Orientierungskraft genealogischer Systeme liegen, in denen diese Codierung in der Regel zum Ausdruck kommt. Mit dem Mittel der Genealogie gewinnt die soziale Wirklichkeit gleich in mehrfacher Weise Struktur. Die Genealogie erklärt z.B. wer zur Gemeinschaft gehört und warum oder wer eine bestimmte Stellung in der Gemeinschaft hat und warum, betrifft also gleichermaßen die Grenzziehung nach außen, wie die Rollenzuweisung des Individuums im Inneren.233 C. Geertz hat aufgrund dieser Beobachtung das Augenmerk auf die Rolle der Sozialisation für die generationsübergreifende Erhaltung ethnischer Strukturierungen gelenkt. Er weist den von ihm sog. „primordialen Bindungen“234, d.h. angestammten Loyalitäten bzw. von frühester Kindheit an vermittelten Vorstellungen der Zugehörigkeit auf der Basis von Verwandtschaft, aber auch Tradition, Religion, Sprache u.a., eine besondere Funktion für das ethnische Zusammengehörigkeitsbewusstsein zu. Ohne damit zu einem essentialistischen Verständnis zurückzukehren,235 ist mit Geertz vor einer zu einseitig relativistischen Betrachtung ethnischer und v.a. genealogischer Konstruktionen zu warnen. Bei aller unbestreitbaren Fluidität und Anpassungsfähigkeit scheinen letztere – wie zahlreiche empirische Beispiele belegen – doch nicht einfach austauschbar, ohne gegebene Anknüpfungspunkte als neue Strukturen implementierbar und somit auch nicht auf „bloß situative Gebilde zur Realisierung von partikularen Interessen“ reduzierbar.236
232 GEERTZ, Revolution, 259ff., sowie KOHL , Ethnizität, 276f.282f., führen als empirische Belege zahlreiche Beispiele aus dem kolonialen bzw. postkolonialen Afrika und Asien an. 233 Um die Vermittlung der Einsichten einschlägiger ethnologischer Feldforschung und Theoriebildung für die alttestamentliche Forschung haben sich im deutschsprachigen Raum v.a. CRÜSEMANN , Widerstand; BLUM, Komposition; sowie SIGRIST & N EU, Texte, verdient gemacht und damit ein neues Interesse an den Genealogien im Alten Testament sowie an der Geschichte und Funktion genealogischer Konstruktionen ausgelöst. Neben der älteren Studie von WILSON , Genealogy, sind z.B. OEMING , Israel; SCHORN , Ruben, und HIEKE, Genealogien, zu nennen. 234 GEERTZ, Revolution. Geertz versteht unter diesen primordialen Bindungen Grundgegebenheiten der sozialen Existenz, in die der Mensch quasi qua Geburt eingebunden ist. Geertzʼ Sprachgebrauch unterscheidet sich hier von dem Giesens, der unter primordialen Codes in einem engeren Sinne lediglich die Überzeugung einer gemeinsamen Abstammung versteht. 235 B RETT, Interpreting, 12f., Anm. 29, bescheinigt Geertz „weak primordialism“, nicht die „stronger version advocated by certain sociobiologists“. 236 KOHL , Ethnizität, 287.
3. Gegenstand und Gang der Untersuchung
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3.1.2 Kollektive Identität und kollektiver Name 3.1.2.1 Name und Zuschreibung Für Berger & Luckmann kommt der Sprache eine entscheidende Rolle für die Konstruktion von sozialer Wirklichkeit zu. Sie sei „das wichtigste Zeichensystem der menschlichen Gesellschaft“, daher behaupten sich die „allgemeinen und gemeinsamen Objektivationen der Alltagswelt … im wesentlichen durch ihre Versprachlichung. Vor allem anderen ist die Alltagswelt Leben mit und mittels der Sprache, die ich mit den Mitmenschen gemein habe.“ Sprache gründe zwar in der Situation des direkten Gegenübers, habe aber die Fähigkeit, diese Situation zu transzendieren. Deshalb tauge sie als „Speicher angehäufter Erfahrungen und Bedeutungen, die sie zur rechten Zeit aufbewahrt, um sie kommenden Generationen zu übermitteln“ und deshalb könne sie verschiedene Zonen der Alltagswelt überbrücken bzw. Wirklichkeitssphären überspannen, d.h. sie „integriert sie zu einem sinnhaften Ganzen.“237 Im Blick auf dieses sinnhafte Ganze sprechen Berger & Luckmann von „Symbolsystemen“ oder noch umfassender von „symbolischen Sinnwelten“.238 Die Frage nach den Verwendungsweisen eines kollektiven Namens ist in diesem Sinne die Frage nach einem Aspekt der sprachlichen Symbolisierung von Gemeinschaftlichkeit. Für A.D. Smith ist es kaum vorstellbar, dass je eine ethnische Gruppe existiert haben sollte oder existieren kann, die keinen kollektiven Namen bzw. kein Ethnonym verwendete.239 Den gemeinsamen Namen stellt er daher seiner Charakterisierung von Ethnizität programmatisch voran: „By invoking a collective name, by the use of symbolic images of community, by the generation of stereotypes of the community and its foes, by the ritual performance and rehearsal of ceremonies and feasts and sacrifices, by the communal recitation of past deeds and ancient heroesʼ exploits, men and women have been enabled to bury their sense of loneliness and insecurity in the face of natural disasters and human violence by BERGER & LUCKMANN , Konstruktion, 39. AaO., 42: „Sprachliche Zeichengebung erreicht als symbolische Sprache die weiteste Entfernung vom ‚Hier und Jetzt‘ der Alltagswelt. Sie schwingt sich empor in Regionen, die nicht nur de facto, sondern a priori für die Allerweltserfahrung nicht mehr erreichbar sind. Sie errichtet riesige Gebäude symbolischer Vorstellung, welche sich über die Wirklichkeit der Alltagswelt zu türmen scheinen, wie gigantische Präsenzen von einem fernen Stern. Religion, Kunst, Wissenschaft sind die größten Symbolsysteme der bisherigen Geschichte des Menschen. Aber trotz der Ferne von Allerweltserfahrung, aus der sie stammen, erinnert ihre bloße Erwähnung daran, welch wichtige Rolle sie für Allerweltserfahrung spielen können. Sprache nämlich hat die Kraft, nicht nur fern der Allerweltserfahrung Symbole zu bilden, sondern sie umgekehrt auch wieder in die Alltagswelt ‚zurückzuholen‘ und dort als objektiv wirkliche Faktoren zu ‚präsentieren‘. Symbole und symbolische Sprache werden so tragende Säulen der Alltagswelt und der ‚natürlichen‘ Erfahrung ihrer Wirklichkeit“ (Hervorhebungen i.O.). 239 So SMITH , Origins, 23. 237 238
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
feeling themselves to partake of a collectivity and its historic fate which transcends their individual existences.“ 240
Die Referenz des kollektiven Namens gehört i.d.R. zu jenen Objektivierungen, die in der Alltagswelt als wirklich i.S.v. gegeben erscheinen. Die kritische Rückfrage beginnt auch hier mit der Skepsis gegenüber der Alltagsgewissheit. Der Name fungiert nämlich als ein Kristallisationspunkt der sozialen Konstruktion; er ist verknüpft mit einer Reihe von Zuschreibungen, die bei seinem Gebrauch als Assoziationen mitschwingen und in seinem Gebrauch repräsentiert sind.241 Über die Verwendung des Namens wird auf der Basis dieser Zuschreibungen etwa die jeweilige elementare Codierung der kollektiven Identität und die damit gegebene Grenzkonstruktion eingespielt.242 Die Zuschreibungen beeinflussen, wem der Name zugestanden und wem er verweigert wird bzw. auf welcher Grundlage er zugestanden oder verweigert wird. Umgekehrt wirken sich faktische Verwendungsweisen des Namens auf die mit ihm verbundenen Zuschreibungen aus. Sie können diese stabilisieren und perpetuieren (und mit ihnen das sie einschließende Symbolsystem), wenn die Verwendung in den traditionellen Bahnen erfolgt, oder sie modifizieren, wenn sich z.B. auf einen engeren oder weiteren Kreis als zuvor referierende Verwendungsweisen etablieren.243 In jeden Fall sind diese Zuschreibungen zu unterscheiden von einer etwaigen Bedeutung des Namens. Namen sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie keine Bedeutung, im Sinne konnotativer Bestandteile der Sprache, haben (müssen).244 Sie „haften den Sachen selbst an“ und sind „nicht abhängig vom Fortbestand irgendeines Attributes der Sache“.245 Nun gibt es zwar durchaus Namen, die auch eine beschreibende Komponente AaO., 46. LINVILLE, Israel, 22, spricht daher von „value-laden proper names“ bzw. von „language and literature of attribution“ als „part of a symbolic universe that shapes reality and creates personal, group and institutional identities“. 242 Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen und bei sich ändernden Rahmenbedingungen sogar zu erwarten, dass Symbolsysteme instabil werden können und in der Folge Anpassungs- bzw. Transformationsprozesse durchmachen müssen und auch können (dazu BERGER & LUCKMANN , Konstruktion, 98ff.148ff.). 243 KAPLOW , Analytik, 184, spricht diesbezüglich von einem ‚dialektischen Prozess‘: „Namen sind nicht nur als Lautbilder wirklich. Als Wörter sind sie Teil unserer Wirklichkeit. Der dialektische Prozeß der Weltgestaltung schafft Wirklichkeit gerade in und durch Namen: Indem ein Phänomen durch einen Namen bestimmt wird, wird zugleich der Name selbst bestimmt.“ 244 GARDINER , Theory, 43, definiert ‚Namen‘: „A proper name is a word or group of words which is recognized as its specific purpose, and which achieves, or tends to achieve, that purpose by means of its distinctive sound alone, without regard to any meaning possessed by that sound from start, or acquired by it through association with the said object or objects.“ 240 241
3. Gegenstand und Gang der Untersuchung
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haben, welche nicht zu vernachlässigen ist.246 Eine Voraussetzung ist etwa, dass sprachliche Zeichen als Namen gewählt werden, die ebenfalls als Begriff oder Prädikat innerhalb der Sprache fungieren;247 eine andere wäre z.B., dass ein Name gewählt wird, der selbst zu einem Begriff geworden ist.248 Dennoch bleiben Namen grundsätzlich frei, d.h. „Zeichen, denen man keine festen Bedeutungen oder Sinn zuschreiben kann“ 249, und das in zweifacher Hinsicht: zum einen können genauso gut Zeichen als Namen fungieren, die keine Bedeutung in diesem Sinne haben; zum andern ist ein direkter Schluss von einem Namen auf die oder auch nur bestimmte Eigenschaften des Bezeichneten ein Fehlschluss oder zumindest ein Vorurteil.250 Zuschreibungen im oben angeführten Sinne haften somit zwar als Vorstellungskomplexe am kollektiven Namen, sind aber unabhängig von seiner möglichen intensionalen Bedeutung. Für diese Studie ergeben sich daraus zwei Konsequenzen: (a) Die Frage der möglichen intensionalen Bedeutung des Ausdrucks „Israel“, d.h. seiner wissenschaftlich rekonstruierbaren Etymologie oder seiner Deutung innerhalb des Alten Testaments (z.B. Gen 32), ist für die vorliegende Fragestellung irrelevant. (b) Wenn i.F. von der Referenz des IsraelNamens o.ä. gesprochen wird, geschieht das im Blick auf die semiotisch korrekte Verwendung der Begriffe etwas verkürzt, da die Unterscheidung zwischen Signifikant und Signifikat im Gegenüber zum Denotat weitgehend ausgeblendet wird. Dies ist durch die v.a. referentielle Funktion der als Namen dienenden Zeichen bzw. Signifikanten (dazu i.F.) und im Dienst der besseren Lesbarkeit m.E. gerechtfertigt.
3.1.2.2 Referenz und Mehrdeutigkeit Der Nachrangigkeit der Bedeutung korrespondiert für Eigennamen der Gewinn an Indexikalität, d.h. anders als bei Klassenbegriffen ist ihre Referenz eindeutig. Über den Namen lassen sich Gegenstände, Personen, Gruppen u.ä. identifizieren und zwar situationsunabhängig und konstant. 251 Voraussetzungen für gelingende Referenz sind freilich, dass man erkennt, dass ein gegebenes sprachliches Zeichen benutzt wird, um etwas zu identi245 M ILL, Namen, 54. Er nennt das Beispiel der Stadt Travemünde (bzw. im englischen Original: Dartmouth), die auch weiterhin so heißen würde, selbst wenn sich der Lauf der Trave änderte und sich ihre Mündung verschöbe. Entsprechend sieht auch KRIPKE, Naming, 48, das Wesen der Namen in ihrer referentiellen Funktion. 246 Diesen Aspekt betont KAPLOW, Analytik 94ff.182ff., gegenüber Mill, Kripke u.a. 247 Unter den zahlreichen Möglichkeiten sei nur an Eigennamen wie „Wolf“ oder „Anemone“ erinnert. 248 Beispiele wären etwa „Don Juan“ oder „Casanova“, die auch syntaktisch wie Klassenbegriffe (‚Er ist ein richtiger Casanova.‘) behandelt werden können. 249 So KAPLOW, Analytik, 153, der zwischen der Extremposition einer völligen Bedeutungslosigkeit von Namen und ihrer beschreibenden Funktion vermitteln möchte. 250 In extremen Fällen wird der Name dann zum Stigma, vgl. etwa die zwangsweise Benennung aller Juden als „Israel“ und „Sara“ in der Zeit des Nationalsozialismus. 251 Diese Starrheit in Bezug auf die Referenz wird ermöglicht durch die oben thematisierte prinzipielle Freiheit von Bedeutung, die den Eigennamen eignet.
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
fizieren und dass man dasjenige kennt, das mit diesem Zeichen identifiziert wird, das also so „heißt“. Vorausgesetzt ist somit eine einschlägige Übereinkunft innerhalb der Sprachgemeinschaft; nicht umsonst werden daher Benennungen beurkundet oder wie im Falle einer Taufe (der Aspekt tritt in der heutigen liturgischen Form der christlichen Kindertaufe eher zurück, ist aber z.B. bei einer Schiffstaufe zentral) öffentlich vollzogen: „Weil wir Namen erfolgreich verwenden, ohne daß die Referenz von Wissen oder Wahrheit abhängen muß, kann man sagen, daß Eigennamen so verwendet werden, daß wir den Referenten eines Eigennamens als dasjenige betrachten, was aufgrund sozial bedingter Evidenz als Referent betrachtet wird.“252 Gilt das Axiom der eindeutigen Referenz, erscheint Mehrdeutigkeit für Eigennamen von vornherein ausgeschlossen. Nun zeigt die Alltagserfahrung aber, dass dies keineswegs der Fall ist. Schon für die meisten Personen- oder auch viele Städtenamen ist selten eine eindeutige Referenz gegeben, da Namensgleichheit ein verbreitetes Phänomen darstellt. 253 Die Disambiguierung erfolgt, sofern sie nicht durch die Kommunikationssituation oder das Thema geleistet wird,254 i.d.R. über das Hinzutreten von Zusatzinformationen (Familiennamen, Landes- oder Landschaftsnamen u.ä.) oder Beschreibungen. Gleiches gilt für Kollektivnamen. Auch hier lassen sich zahlreiche Beispiele für mehrdeutige Namen finden: ob mit den „Bayern“ die Bewohner des gleichnamigen Bundeslandes oder nur ein Teil derselben etwa im Unterschied zu den Franken gemeint sind, ob „Schwyz“ die Gemeinde, den Kanton oder die Eidgenossenschaft, „Amerika“ in der Umgangssprache die USA oder den Kontinent meint, ist ohne weitere Information nicht zu erschließen. Ganz ähnlich konnte „Deutschland“ bis 1990 gleichermaßen als Bezeichnung der Bundesrepublik, wie auch der DDR (wenn auch im offiziellen Sprachgebrauch vermieden, aber im privaten nicht unüblich) oder für Gesamtdeutschland stehen. Ähnliche Beispiele lassen sich auch im Alten Orient finden. So ist auf der Sefire-Stele in einem aramäischen Vertragstext von ארם כלהsowie כל עלי ארם ותחתהdie Rede. „Ganz Aram“ bezeichnet die übergeordnete Größe, die „ganz Ober-Aram und Unter(-Aram)“ umfasst.255 ארםscheint hier primär als geographische Bezeichnung verwendet zu sein.256 Wie die Notwendigkeit zur Präzisierung anzeigt, steht im Hintergrund aber offensichtlich Mehrdeutigkeit für „Aram“, das sowohl auf die geographisch eingegrenzten Teilbereiche als auch auf das sie umfassende größere Gebiet referieren kann.
KAPLOW, Analytik, 170. So kann „Plato“ den griechischen Philosophen bezeichnen aber auch den Mathematiker und Astronomen Plato von Tivoli, der im 12. Jh. in Barcelona wirkte (und selbstverständlich jede andere Person dieses Namens). In Frage kommen ebenfalls ein Charakter im Musical Cats oder sieben verschiedene Ortslagen in den USA. 254 Hier ließen sich zahlreiche Beispiele konstruieren: Heißt ein Mitglied der Familie „Hans“, wird der Name in Gesprächen innerhalb der Familie immer primär auf diesen Hans bezogen werden, es sei denn die Referenz auf einen anderen Hans ergibt sich aus zusätzlichen Spezifikationen. Ist thematisch von den Jüngern Jesu die Rede, ist die Referenz von „Thomas“ ebenfalls festgelegt, anders verhält es sich bei „Simon“ oder „Jakobus“. 255 Sf I, Z. 5f.; Text bei FITZMYER , Inscriptions, 42ff.; KAI 222. 252 253
3. Gegenstand und Gang der Untersuchung
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Innerhalb des Alten Testaments ist für אפריםeine vergleichbare Mehrdeutigkeit feststellbar, der Name kann in einer engeren Verwendungsweise eine Landschaft, den Josephsohn und den auf ihn zurückgeführten Stamm aber im weiteren Sinn auch das Nordreich bzw. die Nord-Israeliten insgesamt bezeichnen.257 Auch mit diesem Namen verbinden sich Hypothesen zur Entwicklung der Semantik des Begriffs, die wie bei „Israel“ ein historisches Nacheinander verschiedener Verwendungsweisen vermuten.258 Die Verwendung des Namens „Ephraim“ wäre mithin eine eigene Untersuchung wert.
I. Kaplow versucht das Problem pragmatisch zu lösen, wenn er die Indexikalität von Eigennamen darauf reduziert, „daß die Referenz auf eine Art und Weise variabel ist, die nicht verwirrt“259 und diese Öffnung damit begründet, dass nicht das Zeichen eine referentielle Handlung vollzieht, sondern lediglich ein Mittel dazu ist: „Wörter referieren nicht, sondern wir (als Akteure, als rationale, handlungsfähige Agierende) referieren mit Hilfe der Wörter“.260 Diese Unterscheidung ist deshalb hilfreich, weil sie die sprachliche Äußerung an die jeweilige Kommunikationssituation zurückbindet und so einen Weg zur Lösung des logischen Problems weist. Mehrdeutigkeit bei Eigennamen betrifft nämlich nicht eine Eigenschaft des Zeichens, sie ist vielmehr ein Spezifikum seiner Verwendungsweise: Mehrdeutigkeit bei Eigennamen bedeutet dann nicht mehrdeutige Referenz, sondern die Möglichkeit mehrerer jeweils eindeutiger Referenzen. „Schwyz“ kann nicht gleichzeitig auf die Stadt und den Kanton referieren, sondern entweder auf das eine oder das andere. 261 Ein Sprecher, der den Namen verwendet, wird damit i.d.R. eindeutig eines der beiden identifizieren wollen. Die Schwierigkeit liegt dann höchstens darin zu entscheiden, welche der beiden Möglichkeiten realisiert wird, wofür ggf. zusätzliche Informationen nötig sind, damit die Disambiguierung gelingt.
256 F ITZMYER , Inscriptions, 65, der darauf aufmerksam macht, dass עליbzw. תחתיauch im Sinne von „stromaufwärts“ bzw. „stromabwärts“ gebraucht werden können (aaO., 68). Um welche Gebiete es sich konkret handelt ist freilich unsicher (vgl. dazu bereits ALT, Staatenwelt, 254, Anm. 2; FITZMYER, aaO., 67f., sowie GROSBY, ’Aram Kulloh, 151, jeweils mit weiterer Literatur). Falls MAZAR, Empire, 119f., mit der Annahme richtig liegt, dass die Rede von ארם כלהdie spätere Bezeichnung #; )%? beeinflusst hat, muss es sich um einen verbreiteten Sprachgebrauch gehandelt haben. Zu ארם כלהvgl. auch unten S. 353. 257 Einen Überblick über Vorkommen und Zusammensetzungen bietet NEEF, Ephraim, 325ff. Zu den Verwendungsweisen vgl. GÖRG, NBL Efraim. 258 So etwa ALT, Hosea, 176 (vgl. auch ALT, Rolle Samarias, 316), mit der These, dass „Ephraim“ nach der Begrenzung des nord-israelitischen Reichsgebiet durch die Assyrer auf einen Rumpfstaat in der Landschaft Ephraim zur Bezeichnung des Nordreichs geworden sei (ähnlich auch ROST, Israel, 105ff.; dagegen RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 49ff.). 259 KAPLOW, Analytik, 47 (Hervorhebung i.O.). 260 AaO., 73 (Hervorhebung i.O.). 261 Gleichzeitig auf eine Größe und deren Teilgröße zu referieren, führte zu einem nicht auflösbaren Widerspruch und damit zu nicht gelingender Kommunikation.
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
3.2 Präzisierung der Fragestellung Die Darstellung der Forschungsdiskussion hat gezeigt, dass die Frage der semantischen Möglichkeiten des Israel-Namens in den meisten Fällen mit Annahmen zum Israelverständnis verbunden ist. Die methodischen Überlegungen führten darauf, dass dies notwendig so ist: Was Israel „ist“, hängt von den Zuschreibungen ab, die sich mit den Namen verbinden. Ein Wandel in den semantischen Möglichkeiten korrespondiert einer Änderung der möglichen Referenz und damit zugleich neuen Grenzmarkierungen. Wenn etwa im klassischen Kultgemeindemodell eine Ausweitung der Verwendungsmöglichkeiten des Israel-Namens auf die Völker bzw. individuelle Angehörige anderer Völker angenommen wird, verbindet sich damit die Annahme eines Wandels von einer primordialen Codierung der israelitischen kollektiven Identität hin zu einer universalistischen. Nun versteht es sich von selbst, dass wir auch in Fragen des Sprachgebrauchs keinen unmittelbaren Zugang zur ‚Alltagsgewissheit‘ im alten Israel verfügen, sondern diese lediglich mittelbar über Texte erreichbar ist. Diese Studie nimmt ihren Ausgangspunkt somit beim Vorhandenen, d.h. den vorliegenden Texten. Der Gegenstand der Untersuchung ist ein zweifacher. Auf semantischer Ebene ist zu fragen, ob für den Israel Namen Einoder Mehrdeutigkeit (und wenn ja, in welcher Weise) erkennbar ist; auf konzeptioneller Ebene verbindet sich damit die Frage, welche Zuschreibungen zum Israelbegriff feststellbar sind. Im Focus stehen dabei nur zwei Aspekte der breiteren Vielfalt möglicher Attributionen, nämlich die Elemente der Grenzziehung und der inneren Strukturierung: Wer gehört zu Israel und gilt somit als rechtmäßiger Träger des Israel-Namens und wer ist ‚der Andere‘? Was sind die Kriterien, die Israeliten zu Israeliten und die Anderen zu Anderen machen? Wie ist Israel gegliedert und in welchem Verhältnis stehen die Teile zueinander? Auf der Basis der feststellbaren Zuschreibungen ergeben sich dann Rückschlüsse zur vorausgesetzten Codierung israelitischer kollektiver Identität. Diesbezüglich soll schließlich nach möglichen Kontinuitäten ebenso wie nach feststellbaren Verschiebungen gefragt und der Versuch einer Nachzeichnung der Entwicklung unternommen werden. Dabei ist freilich zu bedenken, dass die einzelnen Texte in ihrer Verwendung des Israel-Namens Reflex einer Alltagsgewissheit sein, aber ebensogut eine partikulare Wahrnehmung oder eine besondere Interessenlage spiegeln können. Neben der historischen Verortung der Texte, die schon für die Untersuchung möglicher Entwicklungen geklärt werden muss, ist daher jeweils auch der diskursive Zusammenhang zu bedenken, in dem die Texte als Ausdruck einer bestimmten Israel-Konzeption stehen.
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3.3 Vorgehen Was also ist „Israel“? Die Vielzahl der „Israel“-Belege und ihre Streuung über nahezu das gesamte Alte Testament262 erfordert neben der Konzentration auf die Grenzkonstruktion als einem Aspekt der mit dem IsraelNamen verbundenen Zuschreibungen eine weitere Einschränkung bezüglich der zu untersuchenden Texte. Deren Auswahl erfolgt entlang den durch die Forschungsdiskusion vorgegebenen Bahnen und konzentriert sich v.a. auf die angenommenen Wendepunkte für die Semantik des IsraelNamens bzw. der Codierung israelitischer Identität, d.h. das babylonische Exil und das Ende des Nordreichs. Nun stellt sich die Forschungslage so dar, dass weder über die Ausgangslage vor einem möglichen Wandel noch über sein Ergebnis Einigkeit besteht; wer „Israelit“ und was „Israel“ war, wird sowohl für die Zeit vor 720 oder 587 und auch nach 587 bzw. 539 ganz unterschiedlich bestimmt. Weder die Frühzeit noch die Spätzeit bieten sich also als sichere Basis der Untersuchung an, von der ausgehend nach Veränderungen oder Kontinuitäten gesucht werden könnte. Für die vorliegenden Studien wurde aus folgenden Grund ein Ausgangspunkt bei der Literatur der nachexilischen Zeit gewählt: Dass Fragen nach Ursprung und Geschichte, nach dem Gottesverhältnis und der Definition der Gemeinschaft, also nach der Identität und dem Selbstverständnis Israels, in exilischer und nachexilischer Zeit virulent waren, kann angesichts der historischen Umwälzungen, die nach dem Ende des Nordreichs Israel nun auch das Südreich Juda trafen, kaum überraschen. (Nicht zuletzt dieser Umstand macht die Epoche zu einer der fruchtbarsten innerhalb der alttestamentlichen Literaturgeschichte.) Damit verbindet sich die Erwartung, dass die in dieser Zeit entstandenen Texte für die Fragestellung der Untersuchung in besonderer Weise aufschlussreich sind. Weiterhin ergibt sich für diese Epoche eine relativ breite und in der zeitlichen Einordnung sichere Textbasis – zumindest, was das grobe Etikett „nachexilisch“ betrifft. Die Analysen setzen dementsprechend mit dem historisch zweiten Wendepunkt ein – dem babylonischen Exil. Untersucht werden unter I „Israel“ in Texten der Perserzeit die semantischen Möglichkeiten des IsraelNamens in diesen nachexilischen Texten sowie die sich in ihnen spiegelnden Grenzkonstruktionen für das Kollektivum Israel. Dabei – so viel sei vorweggenommen – stellt sich heraus, dass es vor allem das Verhältnis zu Samaria bzw. den Samariern263 ist, das in unterschiedlichen Texten auf verschiedene Weise bestimmt wird. In diesem Sinne wird unter einer exklusiven Israel-Konzeption im Folgenden eine solche verstanden, die die Samarier nicht zu Israel rechnet, während die inklusive Israel-Konzeption 262 Der Name erscheint in allen Büchern des Alten Testaments mit Ausnahme von Jona, Habakuk, Haggai, Hiob und Esther.
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A. Annäherung: Forschungsstand und Fragestellung
sie als Angehörige der Nordstämme und als Teil des Volkes Israel versteht. Die Darstellung folgt im diesbezüglichen Teil der Analysen nicht der kanonischen Reihenfolge der Texte, sondern ist nach den festgestellten Konzeptionen und ihren Variationen ausgerichtet. Der Abschnitt II „Israel“ als Bezeichnung Gesamt-Israels oder Judas vor dem Ende des Nordreichs ist am ersten Wendepunkt orientiert. Hier kommen Texte in den Blick, die vor dem Ende des Nordreichs entstanden sind – sei es im Südreich Juda oder im Nordreich Israel. Dass der Israel-Name in dieser Zeit als Bezeichnung des Nordreichs dienen konnte, ist unumstritten und auch durch die außerbiblischen Erwähnungen belegt. Dieser Aspekt in den Verwendungsmöglichkeiten des Namens muss daher nicht weiter thematisiert werden. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Verwendungsweisen des Namens als alternative Bezeichnung des Südreiches Juda bzw. als Bezeichnung für GesamtIsrael. Als judäische Texte kommen schwerpunktmäßig die Thronfolgegeschichte (2Sam 9-20; 1Reg 1f.) sowie Proto-Jesaja und Micha in den Blick. Als nord-israelitische Texte sind es bestimmte Erzelternerzählungen, v.a. die Erzählung von der Geburt der Jakob-Söhne (Gen 29f.) und die Josephsgeschichte sowie Hos 5f. Während Abschnitt I somit eher einem Survey gleicht, der zwar keine Vollständigkeit, aber aufgrund der Vielfalt der diskutierten Texte für die Ergebnisse Repräsentativität beansprucht, werden in Abschnitt II gleichsam Stichgrabungen in die Tiefe unternommen. Diese Vorgehensweise und die getroffene Textauswahl264 hängen mit der Ausgangsfrage zusammen, der sich die Entstehung der Untersuchung ursprünglich verdankte, nämlich ob die genannten Wendepunkte tatsächlich Wendepunkte sind. Die beiden Analyseschritte sind diesbezüglich auch als Kontrollfragen zu verstehen: So ist das Ende des Nordreichs nur dann ein Wendepunkt für die Semantik des Israel-Namens und die mit ihr verbundene Israel-Konzeption, wenn sich für die Zeit vor 720 lediglich eine enge Verwendungsweise des Namens mit Bezug auf das Nordreich feststellen lässt. Ebenso markiert das Exil nur dann einen vergleichbaren Wandel, wenn sich mit ihm tatsächlich semantische wie kon263 Zur Unterscheidung von den ‚Samaritanern‘, d.h. der Religionsgemeinschaft nach der endgültigen Trennung von Jerusalem und dem Mainstream-Judentum (diese wird in neueren Untersuchungen eher später angesetzt, vgl. den Überblick über die Diskussion bei ALBERTZ, Religionsgeschichte, 576ff., sowie die Überlegungen unten S. 314ff.), wird das Gebiet des ehemaligen Nordreichs im Folgenden in Anlehnung an den Namen der assyrischen Provinz Samerina als ‚Samaria‘ und seine Bevölkerung als ‚Samarier‘ bezeichnet. 264 Mit dieser Auswahl wird selbstverständlich eine ganze Reihe von Texten übergangen, so etwa – historisch gesprochen – der Bereich der spätvorexilischen sowie exilischen Literatur (vgl. dazu etwa die Systematisierung bei WILLIAMSON , Concept) oder – kanonisch betrachtet – weite Teile des Pentateuchs, wie z.B. das Deuteronomium, dessen Verwendung des Israel-Namens eine eigene Untersuchung wert wäre (einschlägige Überlegungen stellt ALBERTZ, Reform, an). Gleiches gilt auch für die Vorstellung vom „Rest Israels“, die sich weit gestreut in der prophetischen Literatur findet (vgl. hier etwa die Untersuchungen von HAUSMANN , Israels Rest, oder RENDTORFF, Rest, u.a.m.). Die Liste ließe sich erweitern.
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zeptionelle Abbrüche, Diskontinuitäten bzw. Innovationen in Bezug auf „Israel“ verbinden.
Die Synthesen bündeln die erreichten Ergebnisse und systematisieren die festgestellten Zuschreibungen zum Israel-Begriff in Bezug auf die zugrundeliegenden Codierungsmuster der israelitischen kollektiven Identität. Der Schwerpunkt liegt hier zudem auf der pragmatischen Komponente der Texte, d.h. auf der Frage nach möglichen Diskursen, die im Hintergrund der festgestellten Grenzkonstruktionen bzw. Binnenstrukturierungen stehen.
B. Analysen B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
I „Israel“ in Texten der Perserzeit 1. „Israel“ im Süden und „fremde Völker“ im Norden – Der exklusive Israel-Begriff 1. Der exklusive Israel-Begriff
1.1 Die Abgrenzung gegen Samaria 1.1.1 Keine Israeliten in Samaria – 2Reg 17,24–41 2Reg 17,24–32 berichten in einer ironisch-polemischen Erzählung über das Zustandekommen einer synkretistischen Kultpraxis auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreichs: Der König von Assur siedelte anstelle der deportierten Israeliten ( )תחת בני ישׂראלNeusiedler aus fünf verschiedenen Regionen im ehemaligen Nordreich an (v. 24). Ohne Israeliten gab es keinen JHWH-Kult im Land, dieser wurde erst aus einer Notlage heraus (v. 25) wieder eingeführt. Dazu sandte der König von Assur einen oder mehrere Priester1 (v. 27) aus dem Exil zurück, um die Angesiedelten zu lehren, wie man JHWH verehrt (v. 28). Daneben machten sich die angesiedelten Völker ihre eigenen Götter und pflegten die Kultpraktiken ihrer Heimat. Das Ergebnis: Auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreichs leben nun fünf fremde Völker und (mindestens) ein Israelit. Auf den Kulthöhen verehrt man die Götter der fünf Völker (v. 29) und praktiziert einen JHWH-Kult (v. 32) von Assurs Gnaden. An diese Geschichtserzählung schließt sich in v. 33–41 eine Geschichtsreflexion über das Wesen dieses Kultes an, die die geschilderte Situation mit der von Israel geforderten Alleinverehrung JHWHs kontrastiert und diese Forderung gegenüber den neuen Bewohnern des ehemaligen Nordreichs – bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass es sich bei ihnen um fremde Völker handeln soll – als Verpflichtung begründet, die sich aus dem Bund JHWHs mit den Söhnen Jakobs (v. 34) ergibt.2
1 MT ist in diesem Punkt nicht eindeutig: Es wird die Rückkehr Rückkehr eines Pries ters ( )אחד מהכהניםbefohlen, der Text fährt zunächst im Plural fort ( )וילכו וי שׁ בו, wechselt dann aber wieder in den Singular ( )וירם. Die Versionen glätten den Text und verwenden durchgehend den Singular.
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1.1.1.1 Struktur und Gestaltung von 2Reg 17,24–41 Geschichtserzählung und -reflexion in 17,24–41 sind durch das zentrale Thema der JHWH-Verehrung miteinander verknüpft; die Phrase ירא את יהוה erscheint in den 19 Versen nicht weniger als acht Mal (v. 25.28.32–34.36. 39f.). Das Ausgangsproblem der Erzählung ist, dass JHWH nicht verehrt wird (v. 25: )לא יראו את ־יהוה, das Problem ist am Ende behoben: JHWH wird verehrt (v. 32: )ויהיו יראים את־יהוה, allerdings neben der Verehrung anderer Götter. Exakt dieser Zustand ist Gegenstand der Reflexion in v. 33ff. Dennoch ist die Einheitlichkeit des Abschnitts umstritten. V. 25–28 werden gelegentlich einer anderen Hand zugewiesen als v. 24.29ff., sei es als alte Quelle3 oder nachträgliche Ergänzung.4 Letzteres ist schwierig, da die Feststellung von v. 32, dass die Neuangesiedelten JHWH verehren, ohne jede erzählerische Vorbereitung bliebe.5 Aber auch die Annahme, dass hier eine ältere „Lokaltradition [...] des Heiligtums von Bethel“ 6 verarbeitet worden sei, ist angesichts der kaum versteckten Polemik am JHWH-Kult von Bethel (dazu unten) unwahrscheinlich. Die größten Schwierigkeiten macht jedoch die Bestimmung des Verhältnisses von v. 34ff. zum Vorausgehenden. Das Problem ist mit der Frage verknüpft, von wem ab v. 34 die Rede ist:7 Sind es Israeliten im Exil 8 oder im Land verbliebene Nordreichbewohner9? Bei diesen Deutungen ergibt sich jedoch ein nicht angezeigter Subjektwechsel von den 2 Eine frühe Auslegung bietet Joh 4: Nach Joh 4,18 sagt Jesus zu der Samaritanerin am Jakobsbrunnen: „Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann“ – eine Anspielung auf 2Reg 17,24–41. 2Reg 17 wird als Ursprungsgeschichte der Samaritaner gelesen, die die Frau repräsentiert (zur Auslegung vgl. SCHNACKENBURG , HThKNT, 466ff. [allerdings mit Vorbehalten gegen eine zu einfache Allegorisierung] und neuerdings dezidiert THYEN, HNT, 254f.). Hier spiegelt sich wahrscheinlich eine jüdische Polemik gegen die Samaritaner, die in rabbinischen Quellen in Aufnahme von 17,24 auch Kutäer ( )כותיםgenannt werden (vgl. bBer 47b; 51b; bGit 10a; bKid 76a; bChul 6a sowie ALON, Origins). Ein vergleichbares Urteil liefert möglicherweise auch 4Q 372 (GROPP & BERNSTEIN, Wadi Daliyeh, 165ff.). Der Text ist nur fragmentarisch erhalten. Die Herausgeber deuten die Komposition als antisamaritanische Polemik: einerseits werde positiv auf die Nordstämme (repräsentiert durch Joseph) geblickt, die allerdings im Exil verortet sind, andererseits werde die Bevölkerung auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreichs verurteilt, die sich eine Bama auf einem hohen Berg gebaut habe und das „Zelt Zions“ schmähe ( )ועשׂים להם במה על הר גבה להקניא את ישׂראל … וישׁעירו בדברי פיהם לגדף על אהל ציון. 3 U.a. BENZINGER , KHC, 175; ŠANDA , EH, 229; NOTH , Überlieferungsgeschichtliche Studien, 97; GRAY, OTL, 650; HENTSCHEL, NEB, 81f.; in modifizierter Weise auch KÖHLMOOS , Bet–El, 207ff. 4 WÜRTHWEIN , ATD, 401, spricht von einem „midraschartigen Einschub“, der zeige, wie die Neusiedler „zur Jahweverehrung kamen“, vgl. FRITZ, ZBK.AT, 100f., sowie TALMON, Polemics, 143ff. 5 HOFFMANN , Reform, 135f. 6 NOTH , Überlieferungsgeschichtliche Studien, 97. 7 Zum Problem vgl. CHANG , Identity. 8 C OGAN , Israel, 42; BRETTLER, Creation, 130; WALSH , Deuteronomist, 318. 9 Vgl. B ENZINGER , KHC, 175; TALMON , Polemics, 156f.; FREVEL , Schreiben, 25; B UIS , Le livre des rois, 256f.; KNOPPERS , Cutheans, 233ff.
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Neuangesiedelten (bis v. 33 oder 34a) zu den Israeliten (ab v. 34b). Das wäre ein deutlicher Bruch, der sich in v. 40f. wiederholt, so dass man v 34–40 für einen Einschub halten muss. 10 Allerdings ergäbe ein direkter Anschluss von v. 41 an v. 33 oder 34a einen in hohem Maße redundanten Text. 11 Oder bleiben wie in v. 24ff. die von Assyrern angesiedelten Fremdvölker das Thema? Dann ließen sich v. 33–41 als Fortsetzung von 17,24– 32 lesen, und es bestände keine Notwendigkeit eine weitergehende Schichtung anzunehmen. Dann ist aber mit M. Cogan zu fragen: „How could any writer (whether preexilic or postexilic) speak of the foreigners as ‚sons of Jacob‘?“12
Die nicht zu leugnenden Inkonsistenzen sind jedoch nicht auf literarkritischen Wege aufzulösen. Damit würde das Problem lediglich auf eine andere Ebene verschoben und einem – wie auch immer zu verortenden – Redaktor unterstellt, dass er die Widersprüche nicht bemerkt oder bewusst in Kauf genommen hätte. Sie sind vielmehr Folge der Schwierigkeiten, die der Verfasser von 2Reg 17,24–41 bei dem Versuch hatte, seine Geschichtskonstruktion und die Realität überein zu bringen (dazu i.F.). a) JHWH-Verehrung und Götzendienst in Samaria – 2Reg 17,24–32 Der Ausgangspunkt der Erzählung v. 24–32 ist die Ansiedlung fremder Völker auf dem Gebiet Samarias. V. 24 knüpft an den narrativen Abschnitt 17,1–6 an, übernimmt das handelnde Subjekt מלך אשׁורaus v. 6 und setzt exakt mit der Situation ein, die dort erreicht war:13 Nach der Deportation der Israeliten wird nun eine neue Bevölkerung angesiedelt. Der Eindruck einer vollständigen Deportation Israels ist intendiert14 und erzählerisch Voraussetzung für das Folgende. Nur so ist verständlich, warum der Diese Konsequenz zieht die Mehrheit der Kommentatoren, so bereits STADE , Miscellen, 167–170, und BENZINGER, KHC, 175, vgl. u.a. GRAY, OTL, 655; HOFFMANN , Reform, 137–139; WÜRTHWEIN, ATD, 401; BUIS, Le livre des rois, 257; FRITZ, ZBK.AT, 100f. Dagegen argumentieren VIVIANO , Analysis; LONG, FOTL, 180ff.; PROVAN, NIBC, 249f.; WALSH, Deuteronomist, für die Einheitlichkeit von 17,33ff. 11 V. 34a.41 werden daher gelegentlich als Wiederaufnahme im Sinne KUHLS interpretiert, so z.B. WÜRTHWEIN, ATD, 401, oder dezidiert COGAN , Israel, 41. KUHL , Wiederaufnahme, 2, bezeichnet mit „Wiederaufnahme“ eine Wiederholung, die dadurch bedingt ist, „daß in den ursprünglichen Text ein Einschub erfolgt ist, und daß nach solchem Einschub der ursprüngliche Faden der Erzählung durch Wiederholung der letzten Worte … wieder aufgenommen wird.“ Hier wird jedoch kein Faden wieder aufgenommen, sondern der Abschnitt endet mit v. 41; in 18,1 beginnt etwas völlig Neues. Unter Kuhls Beispielen findet sich auch keine vergleichbare „Wiederaufnahme“ am Ende eines Sinnabschnitts. GRAY, OTL, 656; NELSON, Double Redaction, 64, und FREVEL, Schreiben, 24, halten v. 41 für eine im Verhältnis zu v. 34–40 spätere Ergänzung. 12 C OGAN , Israel, 41. 13 VIVIANO , Analysis, 554; AURELIUS , Zukunft, 77f. 14 Historisch ist die Vorstellung von einem „leeren Land“ nach der assyrischen Deportation kaum zutreffend. Sargon II berichtet, dass er 27280 Einwohner aus Samaria deportiert habe (TUAT I, 379). Selbst wenn diese Zahlen nicht übertrieben sein sollten, ist davon auszugehen, dass nicht die gesamte Bevölkerung weggeführt wurde. Zur assyrischen Deportationspraxis vgl. ODED, Mass Deportations. 10
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JHWH-Kult zum Erliegen kommt und niemand vor Ort die Neuangesiedelten über den „Landesgott“ aufklären kann, so dass dafür erst ein Bethel-Priester aus dem Exil zurückkommen muss. V. 25–32 entwickeln nun in zwei Schritten, wie es zu der spezifischen Kultpraxis in Samaria kam, dass JHWH verehrt (v. 25–28) und zugleich ein Kult fremder Gottheiten gepflegt wird (v. 29–32). Wieso wird in Samaria JHWH verehrt, wenn dort keine Israeliten leben? Die Initiative für die Wiederaufnahme des Bethel-Kults geht von JHWH selbst aus, nicht von den neuen Bewohnern. Dass JHWH hinter der Löwenplage steht (v. 25), erfahren lediglich die Leser des Textes, nicht aber die Neusiedler. Die Botschaft an den König (v. 26) ist aus ihrer Perspektive gestaltet; sie spricht davon, dass die in Samaria angesiedelten Völker das „Recht des Landesgottes“ ( )משׁפט אלהי הארץnicht kennen.15 Sie vermuten also zutreffend eine mit dem Kult verbundene Ursache für die Plage, kennen aber weder JHWH noch die ihm angemessene Verehrung. Der König von Assur reagiert und schickt einen Experten für die JHWH-Verehrung, einen deportierten Priester, zurück (v. 27), der von nun an in Bethel lebt und die Neusiedler darin unterweist, „wie sie JHWH fürchten sollen“ (v. 28: )איך יראו את־יהוה. Damit ist das Problem gelöst. Der JHWH-Kult in Samaria wird also auf Betreiben JHWHs und auf Geheiß des Königs von Assur (v. 27) unter den angesiedelten Nicht-Israeliten eingeführt. Die ätiologische Tendenz der Erzählung ist unverkennbar; hier wird ein nach dem Ende des Nordreichs in Samaria bestehender JHWH-Kult auf eine bestimmte geschichtliche Konstellation zurückgeführt. Mit einer würdevollen Heiligtumsätiologie hat das Geschehen aber wenig gemein: Es handelt sich um eine Wiedereinführung des Kults durch einen fremden König, keine Herleitung aus der Ur- oder von einem Patriarchen der Vorzeit. Das Motiv für die Wiederaufnahme des Kultes ist die Behebung einer Notlage, keine Gottesoffenbarung, über die z.B. die besondere Qualität des Kultortes erkennbar oder der Kontakt zum Gott selbst gegeben wäre. Im Gegenteil, JHWH gibt sich diesen Völkern bis zum Schluss nicht zu erkennen. Sie wissen am Ende lediglich, wie er zu verehren ist, womit sich JHWH dann zufrieden gibt.16 Die Erzählung trägt somit deutlich ironische Züge und berichtet keineswegs objektiv oder kritiklos, so dass es sehr frag15 Die Rede von JHWH als „Landesgott“ ( )אלהי הארץ, im Sinne eine geographischen Bindung JHWHs an das Land, erinnert an 2Reg 5,17: der Aramäer Naaman nimmt Erde aus Israel mit, um JHWH in seiner Heimat verehren zu können. Auch 2Reg 5 problematisiert die Verehrung anderer Götter neben JHWH, wobei für einen konkreten Einzelfall eine Ausnahme zugelassen wird (5,18f.). Zu 2Reg 5 vgl. HAARMANN , JHWH-Verehrer, 132ff. Dahinter scheint jedoch eine ältere Vorstellung zu stehen. Reflexe finden sich in 1Sam 26,19, wenn David seine Vertreibung von der נחלת יהוהmit der Aufforderung gleichsetzt, andere Götter zu verehren, oder in der Bezeichnung Moab als Land Kamoschs (Z. 5: )כי יאנף כמשׁ בארצהim Text der Meschastele (Text: KAI 181; Übersetzungen: TUAT I, 646–650; WEIPPERT, Textbuch, 245–248).
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lich ist, ob sie tatsächlich aus Bethel stammt.17 Sh. Talmon möchte die Herkunft der Erzählung aus Bethel mit dem ebenfalls in 1Reg 13 sowie 1Reg 20,35–36 belegten Löwenmotiv begründen.18 Aber auch eine dezidiert Bethel-kritische Erzählung wie 1Reg 1319 ist wohl kaum am dortigen Heiligtum tradiert worden. Kultkritik steht auch im Hintergrund von v. 29–32. Die neuangesiedelten Völker pflegen neben dem JHWH-Kult auch den Kult ihrer Götter weiter, wofür sie die Kulthöhen nutzen, die ihnen die deportierten NordIsraeliten – bezeichnet als – שׁומרוניםhinterlassen haben (v. 29). Auch hier sind die ironischen Züge der Erzählung unverkennbar, z.B. wenn als erste Aktion nach der Unterweisung der Neuangesiedelten über die JHWHVerehrung (von der natürlich jeder Kundige oder zumindest jeder, der zuvor 2Reg 17,8–23 gelesen hat, weiß, dass sie exklusiv zu erfolgen hat) erzählt wird, dass sie sich zusätzlich eigene Götter machen. Insofern spricht einiges dafür, dass es sich bei der Götterliste der Völker (v. 30f.) nicht um eine objektive Darstellung der Gegebenheiten, sondern um eine Parodie auf bzw. Polemik gegen fremde Gottheiten handelt.20 Nicht nur die alten Kulthöhen werden übernommen, sondern der neue Kult in Samaria entspricht auch darüber hinaus dem alten, von Jerobeam eingesetzten. 2Reg 17,32 hat die nächste Parallele in 1Reg 12,31 sowie 13,33: 2Reg 17,32 1Reg 12,31
ויהיו יראים את־יהוה ויעשׂו להם מקצותם כהני במות ויהיו עשׂים להם בבית הבמות ויעשׂ את־בית במות
Daher fällt es schwer, mit WALSH, Deuteronomist, 315, in 2Reg 17 „grudging admiration“ für die Neusiedler festzustellen: „Where YHWH’s own people abandoned him, the foreigners, from whom YHWH hat never before demanded any worship … strove to worship him“ (aaO., 322). Die fremden Völker verehren JHWH gerade nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur aus Not, um sich dann sofort ihren angestammten Göttern zuzuwenden. 17 Davon geht z.B. Š ANDA , EH, 229, aus, der meint, es herrsche ein „objektiver Ton, keine Animosität“, vgl. HENTSCHEL, NEB, 81. GRAY, OTL, 650, hält einen Priester des wiederhergestellten Bethel-Kults für den Verfasser. Ähnlich argumentiert auch PROVAN, NIBC, 250, der dann allerdings den Widerspruch zu v. 34ff. betont und schließt, dass v. 24–28 nur ein in hohem Maße ironisches und konstruiertes rhetorisches Mittel sein können: „The authors are simply setting up a particular point of view in order to demolish ist – rather in the manner of a participant in a debating competition.“ 18 TALMON , Polemics, 144, Anm. 27: „This tale has to it the ring of a tradition which may have been native to Bethel. It is fashioned upon a basic lion-motif which recurs in other prophetic narratives set in that very territory (1 Kgs 13:24–32; cp. 2 Kgs 23:16–18; 1 Kgs 20:35–36).“ 19 Vgl. die Auslegung der schwierigen Erzählung bei BLUM , Lüge. Nach Blums Lesung ist der Skopus von 1Reg 13 „das Verdikt Gottes über den Kult Jerobeams zu Bethel, ein Verdikt, das durch das tragische Scheitern des judäischen Gerichtspropheten nur noch schärfer profiliert wird“ (aaO., 39). Zu der auch von BLUM, aaO., 45, angedeuteten Verbindung zu 2Reg 17 vgl. unten S. 62f. 16
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1Reg 13,33
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ויעשׂ כהנים מקצות העם אשׁר לא־היו מבני לוי אחר הדבר הזה לא־ שׁב ירבעם מדרכו הרעה וי שׁב ויעשׂ מקצות העם כהני במות החפץ ימלא את־ידו ויהי כהני במות
Die drei Stellen und ihren jeweiligen Nahkontext verbindet neben den inhaltlichen Übereinstimmungen auch ein spezifischer Sprachgebrauch; der Terminus כהן במותist nur in 1Reg 12,32; 13,2.33; 2Reg 17,32 sowie 23,9.20 belegt, בית במותin 1Reg 12,31; 13,32; 2Reg 17,29.32 und 23,19. Auch ערי שׁמרוןals Landschaftsbezeichnung ist spezifisch für diesen Textbereich (1Reg 13,32; 2Reg 17,24.26; 23,19). 21 Das Errichten von Kulthöhen und das Einsetzen von Priestern aus dem Volk gehören nun nach 1Reg 12,30f. bzw. 13,33f. zu den Hauptkennzeichen der „Sünde Jerobeams“. Folgt man dieser Spur, ergibt sich für 2Reg 17, dass v. 29–32 kaum als neutrale Darstellung der Religionsgeschichte auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreichs zu lesen ist. Die Kultpraxis in Samaria restitutiert nach 2Reg 17 den früheren Zustand im Nordreich: 22 Der JHWH-Kult in Bethel wird so fortgesetzt, wie er vor der Eroberung war, für die Kontinuität sorgt ein zurückgekehrter Priester. Daneben besteht weiterhin die Verehrung fremder Götter auf den zuvor schon von den Nord-Israeliten angelegten Höhenheiligtümern. Lediglich die Kultteilnehmer sind jetzt nicht mehr Nord-Israeliten, sondern fremde Völker. Diese verhalten sich aber genauso wie zuvor Israel. Schon hier lässt sich eine Überblendung von neuangesiedelten Fremden und israelitischen Nordreichbewohnern feststellen. b) Die Israel-gemäße JHWH-Verehrung – 2Reg 17,33–41 Auf die Beschreibung folgt nun die Bewertung in einer sorgfältig strukturierten Reflexion. Dabei werden v. 33.34a in v. 40b.41 chiastisch aufgenommen, so dass ein Rahmen um v. 34b–40a entsteht. Ausgangspunkt der Argumentation und Gegenstand des Rahmens ist die Kultpraxis in Samaria, die als Ergebnis des Berichts v. 24–32 gegeben ist: JHWH-Vereh20 Die Götterliste ist ein vieldiskutiertes Problem, da die Namen abgesehen von Nergal nur schwer mit bekannten altorientalischen Gottheiten zu verbinden sind. Eine Zuordnung versuchen GRAY, OTL, 653f., und WÜRTHWEIN, ATD, 399f. Es ist jedoch fraglich, ob vom Verfasser von 2Reg 17 überhaupt Interesse an religionsgeschichtlicher Exaktheit zu erwarten ist oder ob es nicht vielmehr in der polemischen Tendenz des Abschnitts darauf ankommt, für jedes Volk Götter zu nennen, zur Problematik vgl. FRITZ, ZBK.AT, 102. Für Polemik spricht jedenfalls, dass mit dem Kinderopfer (v. 31: )שׂ רפים את־בניהם בא שׁeiner der dtr Spitzenvorwürfe erscheint (vgl. 2Reg 16,3; 21,10; 2Reg 17,17, dort allerdings mit anderer Terminologie: )העביר בנים באשׁ. 21 Die Beobachtungen hat bereits JEPSEN, Quellen, 102, zusammengestellt. Zu den literargeschichtlichen Konsequenzen vgl. unten S. 62ff. 22 Vgl. KNOPPERS , Cutheans, 226–228.
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rung und Fremdgötterkult bestehen im ehemaligen Nordreich nebeneinander. V. 34b–40a kontrastieren diese Situation mit der von Israel geforderten Alleinverehrung JHWHs über eine Gottesrede, die die Verpflichtung Israels im Bund mit JHWH entfaltet (v. 35–39). Die Rede schärft in einem dreifachen Durchgang das Verbot der Fremdgötterverehrung ein. 23 Der erste Durchgang (v. 35ab.36) rekurriert auf das erste Gebot des Dekalogs. Die Aneinanderreihung von Prohibitiven ist signifikant, zudem begegnen לא תשׁתחווund לא תעבדוebenfalls in Dtn 5,9 bzw. Ex 20,5. Darüber hinaus weist auch v. 37a in diese Richtung, denn der Dekalog ist der einzige Gesetzestext von dem erzählt wird, JHWH habe ihn geschrieben.24 Der zweite Durchgang (v. 37) stellt das Fremdgötterverbot in den Kontext des Toragehorsams, der dritte (v. 38f.) verbindet es mit der Bundestreue. Das Fremdgötterverbot wird in jedem Durchgang ausdrücklich genannt (v. 35. 37.39: )לא תיראו אלהים אחרים25, zudem sind erster und dritter Durchgang über parallele כי אם-Sätze (v. 36a.39a) und Aussagen über JHWHs Heilshandeln an Israel (v. 36 Exodus, v. 39 Rettung von Feinden) verknüpft. Die crux interpretum dieses Reflexionstextes ist der Zusammenhang von Rahmen und Argumentation. Zwischen v. 33 und v. 34 scheint es einen direkten Widerspruch zu geben: einmal verehren die neuen Bewohner Samarias JHWH (v. 33: )את ־יהוה היו יראים, dann wird ihnen das Gegenteil bescheinigt (v. 34: )אינם יראים את ־יהוה. Diese vermeintliche Spannung führt zur Annahme unterschiedlicher Adressaten und in der Folge zu literarkriZur Struktur von v. 34–40 vgl. ausführlich HOFFMANN , Reform, 137–139, sowie BAENA, Cáracter, 170; VIVIANO , Analysis, 554f.; FREVEL, Schreiben, 24–31. Frevel entwickelt ein dreistufiges Entstehungsmodell für 2Reg 17,34–40: Der Grundtext v. 34ab . 35.37*.38.40 wurde zunächst von einem spätdtr Redaktor um v. 36.39 und schließlich durch eine nachdtr-priesterliche Fortschreibung um v. 34b sowie אשׁ ר כתב לכםv. 37 und die Nennung von תורהund ( מצוהv. 34.37) erweitert. Hauptargumente für eine zweite Hand in v. 36.39 sind (a) die Rede von JHWH in der dritten Person innerhalb der Gottes rede, (b) der Wechsel von Prohibitiven zu positiven Forderungen sowie (c) die Heilszusage in v. 39. Die drei Phänomene begegnen allerdings ebenfalls im Dekalog, den Frevel sogar als entscheidenden Referenztext im Hintergrund seines Grundtextes (und auch der späteren Erweiterungen) sieht (aaO., 37f.). Darüber hinaus ist der rekonstruierte Grundtext nicht unproblematisch. So ergibt sich bei Ausscheidung von v. 34b ein Widerspruch zwischen v. 34a ( )הם עשׂים כמשׁפטים הראשׁניםund 34b ( ואינם עשׂ ים כחקתם )כמשׁ פטם, den Frevel mit der komplizierten Konstruktion lösen möchte, dass משׁפטin v. 34a den (kultischen) Brauch in v. 34b aber „Recht oder Rechtsordnung“ meine, so dass hier „pauschal auf die Gesetzlosigkeit der Bevölkerung“ abgehoben werde (aaO., 34f.). Andere als kultische Vergehen (vgl. die Aufzählung in v. 35) werden jedoch gar nicht genannt. 24 F REVEL, Schreiben, 28f. 25 Mit Bezug auf fremde Götter wird יראnur in 2Reg 17,7.35.37f. und Jdc 6,10 gebraucht (BAENA, Vocabulario, 367f.), gebräuchlichere Formulierungen für den kultischen Abfall v.a. in dtr Kontext sind עבד אלהים אחרים, הלך אחרי אלהים אחריםoder השׁתחוה אלהים אחרים, vgl. die Übersicht über die Belege und Ausdrucksalternativen bei HOFFMANN , Reform, 327–330. 23
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tischen Eingriffen im Text.26 Beides ist nicht notwendig. V. 33 reformuliert die in v. 32 erreichte Situation unter einem bestimmten Aspekt, nämlich dem משׁפט, dem die Samarier in kultischen Dingen folgen: Sie verehren zwar JHWH, aber folgen zugleich ihrer früheren Praxis ( )משׁפטים ראשׁנים und diese ist der משׁפט הגוים. V. 34b formuliert sodann die These, die im Folgenden entfaltet wird: die Samarier verehren JHWH zwar, aber nicht so, wie JHWH es von Israel fordert (v. 34), wie es zum Bund zwischen Israel und JHWH gehört (v. 35a) und inhaltlich auf die Alleinverehrung JHWHs hinausläuft (v. 35b–39). Adressat der Gottesrede v. 35–39 ist ein Israel, zu dem die neuangesiedelten Samarier nicht gehören und das ihnen als Gegenüber vorgehalten wird. In diese Argumentation passt sich die Einführung Israels als ( בני יעקבv. 34b) nahtlos ein. Ginge es lediglich um die Kultpraxis, wäre der Hinweis auf Jakob ein überschüssiges Element. Nicht aber, wenn die ethnische Zugehörigkeit zu Israel eine Rolle spielt: Israelit ist, wer von Jakob abstammt. Die Bewohner Samarias sind anderer Herkunft. V. 34b ist damit ganz auf der Linie von 17,24. Ein Problem für die hier entwickelte Interpretation stellt allerdings die Phrase כחקתם וכמשׁפטםin v. 34b dar. Die Suffixe beziehen sich auf die in v. 34a genannten הםzurück, womit im vorliegenden Text nur die angesiedelten Völker gemeint sein können, die dann doch mit Israel zu identifizieren wären? Nun liegt an dieser Stelle mit großer Wahrscheinlichkeit eine Textkorruption vor,27 doch die Beobachtung macht auf ein tieferliegendes Problem aufmerksam. Warum sollte die Kultpraxis der Samarier mit einer langen Gottesrede zur Israel gebotenen Art und Weise der JHWH-Verehrung bewertet werden, wenn die Samarier nach Auffassung von 2Reg 17,24–41 gar keine Israeliten sind? Eine ähnliche Problematik erscheint in v. 40; als Subjekt von ולא שׁמעוüberschneiden sich beide Gruppen – die in der JHWH-Rede angesprochenen Israeliten und die jetzigen Bewohner Samarias. Syntaktisch zeigen der Wechsel in die dritte Person Plural sowie die Wiederaufnahme von v. 34a in 40b an, dass die JHWHRede beendet und nun wieder von den fremden Völkern die Rede ist. Die explizite Renominalisierung erfolgt in v. 41a ()הגוים האלה. Adressat der Vgl. oben S. 55 sowie die in S. 56, Anm. 10 und 11 genannte Literatur. Die gleiche Reihe von Gesetzestermini erscheint in v. 37a, dort nicht suffigiert, sondern mit dem Plural חוקיםbzw. משׁפטים. In beiden Fällen wird als Inhalt der genannten Gesetze das Fremdgötterverbot genannt, so dass hier ein direkter Bezug und ursprünglich wahrscheinlich auch parallele Formulierungen vorlagen (so ŠANDA , EH, 233). Die Feststellung von FREVEL, Schreiben, 33, Anm. 25, dass lediglich an einer Stelle (Lev 18,3) eine vergleichbare Suffigierung belegt sei, die die Zugehörigkeit der Vorschriften zu den Adressaten betone, während in der Regel auf die gesetzgebende Größe zurückverwiesen werde, macht auch die Überlegungen von TALMON , Polemics, 157, Anm. 67, mit Verweis auf DELITZSCH, Lese- und Schreibfehler, 120f., bedenkenswert. Nach Talmon handelt es sich bei den Suffixen um eine Verschreibung von יוzu ם, so dass sie sich ursprünglich auf JHWH bezogen hätten. 26 27
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JHWH-Rede war jedoch Israel, insofern kann inhaltlich nur Israels Reaktion berichtet werden. Oder wird den Samariern Ungehorsam gegenüber einer Forderung vorgeworfen, die ihnen als Nicht-Israeliten gar nicht gilt? In der Geschichtserzählung 17,24–32 konnte bereits eine ähnliche Überblendung von neuangesiedelten Fremden und Nord-Israeliten festgestellt werden. Einerseits werden die Bewohner Samarias insgesamt als nichtisraelitische Fremde dargestellt, andererseits ist ihre Kultpraxis nichts anderes als eine Wiederaufnahme und Weiterführung der alten Verhältnisse im Nordreich und fällt somit unter das nicht zuletzt in 2Reg 17,8–23 breit entfaltete Urteil.28 1.1.1.2 2Reg 17,24–41 – eine nachexilische Einschreibung in die Königebücher Eine Reihe von Beobachtungen spricht für eine deutlich nachexilische Datierung von 2Reg 17,24–41. 29 Sowohl die Erzählung als auch die Reflexion stellen sich selbst in einen größeren zeitlichen Abstand zum geschilderten Geschehen. Den Abstand bringen die wiederkehrende Bemerkung, die beschriebene Praxis dauere עד היום הזהan (v. 34.41), 30 die Einleitung ( ויהי בתחילת שׁבתם שׁםv. 25a) und der Hinweis, dass Kinder und Enkel noch immer der Praxis ihrer Väter folgen (v. 41), zum Ausdruck. Hinzu kommt eine Reihe sprachlicher Indizien: (a) die Verwendung der für das jüngere Hebräisch charakteristischen Konstruktion von היהmit Partizip (v. 25.28.29.32.33.34.41); (b) die Bezeichnung des geographischen Gebiets des ehemaligen Nordreichs als שׁמרוןbzw. ערי שׁמרוןund seiner Bewohner als שׁמרונים31 sowie (c) die eigentümliche Verwendung von יראim Fremdgötterkontext.32 Eigentümlichkeiten im Sprachgebrauch, Gemeinsamkeiten der Motivik und die Kritik an den kultischen Zuständen im Norden verbinden 2Reg 17,24–41 zudem mit 1Reg 12,31–33; 1Reg 13 und 2Reg 23,16– 20.33 1Reg 13 erweist sich über die Wiederaufnahme von 12,30f. in 13,33f.
28 Vgl. C HANG , Identity, 29: „the writer ist still talking about those foreigners by using some covenant themes which are familiar to Israel.“ 29 Darüber besteht in den neueren Analysen auch weitgehend Konsens, anders aber COGAN , Israel, 43, sowie Worship, 290, der eine Datierung in die josianische Zeit vertritt. 30 Diese Formel ist ein weiterer Hinweis für die ätiologische Ausrichtung des gesamten Abschnitts, vgl. SEELIGMANN , Ätiologische Elemente, 91ff. 31 Die Bezeichnung ער י שׁ מרוןbegegnet nur im Komplex 1Reg 13,32; 2Reg 17,24; 23,19; שׁ מרוניםals Gentilizium in gesamten Alten Testament nur hier. Für שׁמרוןals Name des Nordreichs bzw. der assyrischen oder persischen Provinz auf seinem Gebiet vgl. 1Reg 21,1; 2Reg 1,3; Jer 23,13; Neh 3,34 und möglicherweise Hos 8,6; 14,1 (vgl. WOLFF, BK Hosea, 179f.). 32 Vgl. oben S. 60, Anm. 25. 33 Vgl. oben S. 58f. Zu diesem Komplex gehört weiterhin 1Reg 20,25–27, vgl. STIPP, Elischa, 375–377; BLUM, Lüge, 42f.
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als nachträglich in den Kontext eingebetteter Text.34 Dass es sich bei 2Reg 23,16ff. um einen Nachtrag zum Reformbericht Josias handelt, ist weitgehend Konsens.35 Insofern liegt die Vermutung nahe, dass hinter 2Reg 17,24–41 und 1Reg 13 der selbe Tradentenkreis steht – ein weiteres Indiz dafür, dass 2Reg 17,24–41 eine nachexilische Einschreibung in den vorliegenden Kontext ist.36 Nichtdestotrotz ist die Einschreibung von 17,24–41 nicht ohne Rücksicht auf den Kontext geschehen. 2Reg 17,7–23 ist für M. Noth eine der „Geschichtsbetrachtungen“, in denen der Deuteronomist „rückblickend und vorwärtsschauend den Gang der Dinge zu deuten versucht.“ 37 Hier werde „in einer an die Geschichte vom Ende des Staates Israel angeknüpften rückblickenden Reflexion über das düstere Ergebnis der israelitischjudäischen Königszeit“ nachgedacht und „das Schicksal des Staates Juda mit dem des Staates Israel zusammen[ge]faßt.“38 Was Noth vorsichtig aufgrund der Erwähnung Judas in 17,13.18–20 andeutet, trifft die Intention von 17,7–23 insgesamt: der Abschnitt ist eine Reflexion über den Untergang beider Reiche,39 Israel und Juda, die höchstwahrscheinlich zum Grundbestand des DtrG gehört. 40 Sie entspricht dem auch an anderer Stelle erkennbaren Deutemuster des DtrG für diese Krise Israels; die „Sünde Jerobeams“ wurde zum Stolperstein für das Nordreich, die synkretistische Kultpraxis Manasses zum Fallstrick für das Südreich (2Reg 23,26f.). Die Geschichtsbetrachtung zieht die Geschichte beider Reiche zu einer Sündengeschichte Israels zusammen (vgl. v. 20) und bildet somit einen Deutehorizont für die folgende Geschichte von Hiskia bis Jojachin. Insofern ist es gar nicht verwunderlich, dass eine ähnliche Reflexion am Ende von 2Reg 25 fehlt. Neben der Tatsache, dass 17,24–41 wie zuvor in 17,1–6.7–23 die Abfolge von Geschichtsdarstellung und Geschichtsreflexion aufweist, fallen weitere Gemeinsamkeiten auf. Thematisch stehen beide Reflexions-Abschnitte mit der Forderung der Alleinverehrung JHWHs als dem einzigen JHWH und Israel gemäßen Gottesverhältnis auf einer Linie. Die engsten Berührungspunkte gibt es zwischen v. 7–23 und der Gottesrede v. 35–39. Beide rekurrieren auf den Exodus (v. 7.36) und auf den Gebotsgehorsam. Vgl. STIPP, Elischa, 377f., sowie die aaO., Anm. 21, genannte Literatur. Vgl. die Zusammenstellung der Argumente bei HENTSCHEL , NEB, 111f. HOFFMANN , Reform, 261f., rechnet die Verse dagegen zum Grundbestand von 2Reg 23. 36 Vgl. KÖHLMOOS , Bet-El, 205f., die in 17,25–28, insbesondere in der Handlungsweise des Großkönigs, der die Einrichtung eines Tempels betreibt, „persisches Kolorit“ findet, das an Esr 4–6 erinnere. Sie datiert 2Reg 17 infolgedessen in die frühe hellenistische Zeit (206). 37 NOTH , Überlieferungsgeschichtliche Studien, 5. Vergleichbare Reflexionsstücke, die entweder zentralen Figuren als große Reden in den Mund gelegt werden oder direkte Kommentare des Autors sind findet Noth in Jos 1; 12; 23; Jdc 2; 1Sam 12 und 1Reg 8. 38 AaO., 6.85. 34 35
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Die deutlichste Parallele bildet das vorwurfsvolle ( ולא שׁמעוv. 14.40) als jeweilige Reaktion auf JHWHs Forderung. Aus den Parallelen in der Sache ergibt sich aber nicht automatisch ein gemeinsamer Autor, zudem variiert die Terminologie im Detail erheblich.41 Auffällig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass 17,7 ebenfalls יראmit Bezug auf fremde Götter verwendet. Es liegt also nahe, dass 17,24–41 in Aufnahme von 17,1–23 für diesen Kontext geschrieben wurde. Mit E. Aurelius ist zu überlegen, ob v. 7b zusammen mit v. 24–41 eingetragen worden ist, um beide Texte zu verknüpfen.42 1.1.1.3 Fremde Völker im ehemaligen Nordreich Sowohl die Ätiologie des JHWH-Kultes in Samaria (2Reg 17,24–32) als auch die Bewertung dieses Kultes (v. 33–41) haben zwei Argumentationsziele: (a) die Bevölkerung auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreichs ist nicht Israel und (b) der JHWH-Kult des Nordens ist nicht der von Israel geforderte. Ziel (a) dienen die Angaben zur Herkunft der Samarier (v. 25. 30) und ihre Bezeichnung als ( גויםv. 26.29.41) sowie die gesamte Problemanlage von v. 25–29 (vgl. oben S. 57). Ziel (b) wird durch Verknüpfung des „neuen“ JHWH-Kultes mit der Kultpraxis im Nordreich (v. 27f.29) und die 39 2Reg 17,13.18–20 stellen das Nordreich Israel und das Südreich Juda gleichermaßen unter das Verdikt JHWHs. Die Erwähnung Judas in v. 13.19 steht weithin unter dem Verdacht ein späterer Zusatz zu sein, wobei – meist stillschweigend – vorausgesetzt wird, dass „Israel“ in den übrigen Versen konsequent für das Nordreich steht und dass die Sündenkataloge v. 9–12 sowie v. 16–17 lediglich Vergehen des Nordens thematisieren. Das Bild ist jedoch zu differenzieren. Vier der zwölf genannten Kultpraktiken sind in den Königebüchern nur für das Südreich belegt: das Räuchern auf den Höhen ( )קטר בבמותin 1Reg 3,3; 22,44; 2Reg 12,4; 14,4; 15,4.35; 16,4; vgl. 23,5.8, die Verehrung des „Heers des Himmels“ ( )השׁתחוה לצבא ה שׁמיםin 2Reg 21,3.5; vgl. 23,4f.; das Kinderopfer ( העביר )בנים ובנות באשׁin 2Reg 16,3; 21,6; vgl. 23,10 sowie die Zauberei ( )נחשׁin 2Reg 21,6. Der Höhenkult, die Verehrung von Mazzeben und Ascheren, der Götzendienst, das Anfertigen von Ascheren und der Baalskult wird sowohl dem Nordreich als auch dem Südreich zugeschrieben (vgl. die Übersichten bei HOFFMANN , Reform, 39–45). Zudem weist 2Reg 17,16f. weitgehende Parallelen mit dem Sündenkatalog Manasses 2Reg 21,3ff. auf, vgl. die Synopse bei DIETRICH, Prophetie, 45. HOFFMANN , Reform, 38–46, hat gezeigt, dass die Angaben zu Kultpraxis und Kultveränderungen innerhalb der Königebücher untereinander verknüpft sind und ein wohlüberlegtes Verweissystem ergeben. Vor diesem Hintergrund ist der Befund in 2Reg 17 signifikant und kaum mit BRETTLER, Creation, 123f., als Versuch der Entlastung Manasses zu erklären, dessen Sünden hier auf den Norden übertragen würden, damit sie, wenn sie dann in 2Reg 21 berichtet werden, nicht mehr „as innovative or as horrifying“ erscheinen. Vielmehr bietet 2Reg 17 eine Zusammenstellung aller von Israel begangenen kultischen Verfehlungen – in Nord- und Südreich. In die gleiche Richtung weist die Verwendung des Israel-Namens in 2Reg 17,7–23. Zwar referiert „Israel“ meist auf das Nordreich (v. 13.19.21–23), daneben aber auch auf ein Juda einschließendes Gesamt-Israel, und zwar nicht nur in den umstrittenen v. 18.20, sondern im Rückblick auf Exodus und Landnahme auch in v. 7–9 (vgl. AURELIUS, Zukunft, 89).
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Konstrastierung der JHWH-Verehrung nach Art der Völker (v. 33.34a.40) mit jener Israels (v. 34b.35–39) verfolgt. Die Verbindung beider Argumentationsziele sorgt nun für eine komplexe Konstruktion: 2Reg 17,24–32 bescheinigen den Samariern nämlich kultische Kontinuität bezüglich der JHWH-Verehrung in Bethel trotz personeller Diskontinuität zum Nordreich Israel. V. 33–41 versuchen, an der personellen Diskontinuität festzuhalten, beurteilen die Kontinuität im JHWH-Kult aber wiederum mit dem für Israel geltenden Maßstab. Angesichts dieser komplizierten und der historischen Realität kaum entsprechenden Konstruktion ist es dann auch nicht verwunderlich, dass sich in v. 40a die notierte Unschärfe einschleicht. Wie sind aber beide Argumentationsziele gegeneinander zu gewichten? Als Ätiologie nimmt 2Reg 17,24–41 den Ausgangspunkt bei der gegenwärtigen Situation des Verfassers. Diese ist offensichtlich dadurch gekennzeichnet, dass es einen JHWH-Kult in Samaria gibt. Das bleibt unbestritten. 2Reg 17,24–41 will nicht zeigen, dass die neuen Völker „überhaupt keine Jahweverehrer sein können“ 43, sondern dass die neuen Völker gar nicht Israel sein können. In diesem Punkt treffen sich beide Argumentationsfäden: die Samarier sind Nachkommen fremder Völker, deshalb folgen sie in ihrem synkretistischen JHWH-Kult den Bräuchen der Völker ()משׁפט הגוים. Die Diskreditierung des samarischen JHWH-Kults hat eine Funktion im übergreifenden Argumentationsziel: die Bestreitung der Zugehörigkeit der Samarier zu Israel. Das ist auch der Grund dafür, warum die Kultpraxis dieser (vermeintlich) fremden Völker an der für Israel gebotenen gemessen wird. Auch anhand ihres Kults erweisen sie sich mithin als Nicht-Israeliten.
40 Literarkritik und Redaktionsgeschichte von 2Reg 17,1–23 sind ein viel diskutiertes Problem, was nicht zuletzt daran liegt, dass das Kapitel eine wichtige Rolle für die übergreifende Hypothesenbildung zum sogenannten deuteronomistischen Geschichtswerk spielt: kaum eine Analyse, die einen mehrstufigen Wachstumsprozess im Geschichtswerk annimmt, kommt ohne literarkritische Operationen in 2Reg 17 aus. Als Beispiele sei hier nur auf CROSS , Themes, 274; DIETRICH, Prophetie, 41f.; NELSON, Double Redaction, 55ff.; WÜRTHWEIN, ATD, 395ff.; MCKENZIE, Trouble, 140ff., oder AURELIUS, Zukunft, 71–95, verwiesen. Die Bandbreite der Thesen ist weit; während HOFFMANN , Reform, 17,7–23 für einheitlich hält (vgl. MAYES, Story, 125f.; VIVIANO , Analysis; LONG , FOTL, 180ff.) und dem Deuteronomisten zuschreibt, bezeichnet BRETTLER, Creation, 112, das Kapitel als äußerst vielschichtigen „Text in a Tel“ und meint: „This text illustrates in a nutshell almost the full range of attitudes held by biblical historians“ (aaO., 113). Die aktuellste Analyse hat AURELIUS, Zukunft, 71–95, vorgelegt, er findet drei Redaktionsschichten: (1) einen älteren Epilog zur Geschichte des Nordreichs v. 21–23, eingefügt von einem ersten Ergänzer des deuteronomistischen Historikers, (2) einen Vorspann v. 7a.8–11.18 zum älteren Epilog, der ganz Israel den „Abfall … von der durch das Erste Gebot geprägten Form des Zentralisierungsgebots Dt 12:2–7“ vorwerfe, und (3) einen Einschub v. 13– 17.19f. der das Gesetz thematisiere und daher DtrN zuzuschreiben sei. Hinzu kommen einige kleinere Ergänzungen, vgl. aaO., 72, Anm. 4.
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Für die Frage nach der Verwendung des Israel-Namen ist das Kriterium interessant, das sich aus 2Reg 17,24–41 für die Zugehörigkeit zu Israel erheben lässt. Die entscheidende Kategorie ist die genealogische: die Samarier sind keine Israeliten, weil sie Angehörige fremder Völker sind. Sie werden auch nicht zu Israeliten, wenn sie JHWH verehren. Ihr Kult zeigt vielmehr, dass sie ihrer Herkunft verhaftet bleiben; sie verehren JHWH nicht so, wie es Israel tun sollte, sondern als fremde Völker. Ob es noch Israeliten aus dem ehemaligen Nordreich gibt, lässt 2Reg 17 insgesamt offen. So viel ist nach 17,24–41 aber klar: wenn ja, dann befinden sie sich im Exil (vgl. 17,6), nicht mehr im Land. Der polemische Ton, in dem diese Grenzlinie in 2Reg 17 gezogen wird, lässt aber darauf schließen, dass es im Blick auf die Beurteilung der Bevölkerung im Norden und ihres JHWH-Kults auch andere Positionen gegeben hat, 2Reg 17,24–41 mithin nur eine Stimme innerhalb einer breiteren Diskussion ist (vgl. dazu unten S. 296ff.). 2Reg 17,24–41 gehört somit in den Kontext der Bemühungen um eine Juda-zentrierte Neubestimmung des Israel-Begriffs über eine deutliche Grenzziehung gegenüber Samaria, wie sie u.a. im Ich-Bericht Nehemias oder den Esra-Erzählungen greifbar ist (s.i.F.). Damit bewährt sich auch inhaltlich, die wegen der sprachlichen Indizien und des kompositionellen Befunds in den Königebüchern angenommene Datierung des Textes in die fortgeschrittene Perserzeit. Hier soll nur der Teil von Aurelius’ Argumentation aufgegriffen werden, der nahezu als Konsens bezeichnet werden kann – die Trennung von 17,7–20 und v. 21–23 (vgl. die aaO., 71, Anm. 1, genannte Literatur). Aurelius nennt vier Gründe: „jedes Stück hat 1. seinen eigenen Anfang: v 7/21, 2. seinen eigenen Schluß: v 20/23, 3. seine eigene Anklage: heidnischer Kult aller Art in v 7ff, die Sünde Jerobeams in v 21f, und 4. sein eigenes Bild von Jhwhs Propheten: Umkehr- und Toraprediger in v 13, Verkündiger des Untergangs in v 23“ (ebd.). Beobachtung (1) und (2) sind nicht zu bestreiten. V 21 ist nach v 7–20 eindeutig ein Neueinsatz; es beginnt ein erneuter Gang durch die Geschichte Israels. Doch ist ein Neueinsatz in der Argumentation gleich ein hinreichender Beweis für verschiedene Hände? Der Neueinsatz ist vielmehr durch den Gang der Argumentation bedingt: die Geschichte und der Untergang des Nordreichs (v. 21–23) werden in den größeren Zusammenhang der Geschichte Gesamt-Israels gestellt (v. 7–20). Dann lassen sich auch die unterschiedlichen Anklagen (3) erklären; v. 21–23 handeln mit der „Sünde Jerobeams“ speziell vom Nordreich, während 7–20 kultische Vergehen von Nord und Süd auflisten (vgl. oben Anm. 39). Zum Bild der Propheten (4) ist doch zu fragen, ob die Alternative Tora-/Bußprediger bzw. Unheilsverkünder stimmt. Gibt es eine reine Unheilsverkündigung, die nicht zur Umkehr rufen will bzw. auf ein Nichteinhalten der Tora folgt? Die prophetischen Drohungen der Dynastieorakel (1Reg 14,7–11 Jerobeam; 1Reg 16,1–4 Bascha; 1Reg 21,20–24 Ahab; vgl. 2Reg 21,10–15 Manasse) gehen stets mit einem Schuldaufweis einher. Immer ist vorausgesetzt, dass die betreffenden Könige JHWHs Gebote und Rechtssatzungen nicht gehalten hätten. Selbst auf die wohl einzige reine Unheilsankündigung im Alten Testament, Jonas Spruch עו ד ארבעים יום ונינוה נהפכת (Jon 3,4) reagieren die Niniviten mit Umkehr und Buße. In v. 13 geht es um die andauernde Warnung Israels und Judas durch die Propheten, nicht die Erstverkündigung der Tora, und die Warnung impliziert auch die Drohung.
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1.1.2 Israels judäische Herkunft – Der Israel-Name im Ich-Bericht Nehemias Für das Lemma י שׂראלgibt es im Esra/Nehemiabuch 62 Belege. 13 davon entfallen auf die Gottesbezeichnung אלהי ישׂראלbzw. אלה ישׂראל,44 vier auf den Titel מלך ישׂראל, wobei in Esr 3,10 auf David und in Esr 5,11; Neh 13,26 (2 Belege) auf Salomo zurückgeblickt wird, und zwei auf die Titel ( ראשׁי האבות לישׂראלEsr 4,3) bzw. ( שׂרי האבות לישׂראלEsr 8,29). Abgesehen von Esr 8,18, wo auf den Erzvater referiert wird, wird ישׂראלim Esra/ Nehemiabuch immer für ein Kollektivum gebraucht. Spezifisch für diese späte Literatur innerhalb des Alten Testaments ist die Verwendung von „Israel“ als Bezeichnung des säkularen Anteils der Bevölkerung im Gegenüber zu Leviten, Priestern und anderen Funktionsträgern im Kult. 45 So zählt Esr 7,7 neben בני־ישׂראלPriester, Leviten und weiteres Kultpersonal auf. Dieselbe Einteilung des Volkes in „Israeliten“ und verschiedene Gruppen von Kultpersonal begegnet ebenfalls in Esr 7,13; 9,1; 10,16ff. (ישׂראל Die Aufteilung von v. 7–20 und v. 21–23 schafft zudem ein Problem, das ohne sie nicht besteht. Da v. 21–23 direkt das Nordreich betreffen und auf einer Linie mit den Beurteilungen der Nordreichkönige stehen, gelten sie in der Regel als älter als 17,7–20. Bestimmt man das Verhältnis anders (wie z.B. NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 85; DIETRICH, Prophetie, 41) ergibt sich die von WÜRTHWEIN, ATD, 396, Anm. 20, notierte Merkwürdigkeit, dass die den Königen von Israel stets vorgeworfene Sünde Jerobeams in der abschließenden Reflexion gar nicht erwähnt würde. Sind v. 7–20 jünger, wäre zu erwarten, dass v. 21 glatt an v. 6 anschließt. Das ist jedoch nicht der Fall. V. 21a hat kein explizites Subjekt. Von v. 6 her gelesen wäre das Subjekt מלך אשׁ ור, was keinen Sinn ergibt. Man muss also entweder annehmen, dass ein ursprünglicher Übergang verloren gegangen ist (BENZINGER, KHC, 174; ŠANDA , EH, 224; NELSON, Double Redaction, 56), oder „Israel“ in v. 21 als Subjekt sehen (AURELIUS, Zukunft, 76) und gleichzeitig die für קרעnicht belegte reflexive Bedeutung „sich losreißen“ annehmen oder ein נקרעkonjizieren. Von v. 20 her gelesen, ergibt sich ein glatter Text. Subjekt ist JHWH, und die Vorstellung, dass JHWH das Nordreich vom Haus Davids losgerissen hat, ist ebenfalls in 1Reg 11,11.12.13.31; 14,8 belegt (vgl. 1Sam 15,28; 28,17, zur Formulierung WEIPPERT, Ätiologie, 351f.). 41 Der Versuch von B AENA , Vocabulario, den Beleg für die gemeinsame Verfasserschaft über Wortstatistiken zu führen, überzeugt nicht. Die meisten von Baena aufgeführten Parallelen ergeben sich aus Übereinstimmungen in der Sache oder verbreitetem dtr Sprachgebrauch. Die terminologischen Spezifika von 17,24–41 (vgl. oben S. 62) teilen 17,7–23 gerade nicht. Darüber hinaus unterscheidet sich auch die Zusammenstellung der Gesetzestermini in 17,34.37 von 17,13.19. 42 AURELIUS , Zukunft, 81; ähnlich auch FLOSS, Jahwe dienen, 433. 43 WÜRTHWEIN , ATD, 401 (für 17,35–40), vgl. LINVILLE , Israel, 214f. 44 Esr 1,3; 3,2; 4,1.3; 5,1; 6,14.21f.; 7,6.15; 8,35; 9,4.15. Im Nehemiabuch wird JHWH nie als „Gott Israels“ bezeichnet, sondern als „Gott des Himmels“ (Neh 1,4f.; 2,4. 20; vgl. Esr 1,2; 5,12; 6,9f.; 7,12.21.23 sowie 5,11 „Gott des Himmels und der Erde“). 45 Vgl. Ps 115,9f.12; 118,2f.; 135,19f.; 1Chr 9,2. Ein ähnlicher Sprachgebrauch ist später in der Qumran-Literatur in der Bezeichnung des Laien-Messias ( )משׁיח ישׂראלim Unterschied zum priesterlichen Messias ( )משׁיח אהרוןgreifbar, vgl. z.B. 1QS 9,11 sowie BROWN, Messianism, 54ff.
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in v. 25) sowie Neh 10,40; 11,3.20; 12,47. In der Regel referiert ישׂראל allerdings auf die Gesamtbevölkerung und nicht allein auf deren säkularen Anteil.46 Die Entstehungsgeschichte des Esra/Nehemiabuches ist genauso wie die Chronologie (und Historizität) der erzählten Ereignisse bekanntlich ein komplexes und daher viel dis kutiertes Problem. 47 Die folgenden Untersuchungen wollen und können somit keine eigene Quellenkritik oder Redaktionsgeschichte vorlegen, sondern setzten bei der Verwendung des Israel-Namens im vorliegenden Text ein. Dabei lassen sich allerdings Textbereiche abgrenzen und zusammenstellen, die den Israel-Namen auf eine ähnliche Weise ver- bzw. ihn auf einen vergleichbaren Personenkreis anwenden. Literargeschichtliche Thesen kommen infolgedessen nur dort ins Spiel, wo sie mit Beobachtungen zum Sprachgebrauch konvergieren. Die Befunde stimmen aber in vielen Punkten mit weitgehend mehrheitsfähigen Erkenntnissen der Esra-Nehemia-Exegese überein. So findet sich ein spezifischer Sprachgebrauch z.B. im Bereich des Ich-Berichts Nehemias und des aramäischen Tempelbauberichts Esr 5f., die als „Nehemia-Memoiren“ bzw. „Tempelbauchronik“ schon lange den im Esra/Nehemiabuch verarbeiteten Quellen zugerechnet werden, oder in den Listen Esr 2/Neh 7, die zumeist als spätere Ergänzung gelten. Innerhalb der Esra-Erzählungen lässt sich im Blick auf die Verwendung des IsraelNamens kein Unterschied feststellen, womit natürlich nicht gesagt ist, dass alle diese Texte auf einen Verfasser zurückgehen, sondern lediglich, dass sie ein vergleichbares Israel-Verständnis teilen.
Im Ich-Bericht Nehemias48 ist der Israel-Name sehr selten, er begegnet lediglich in 1,6(2mal); 2,10; 13,18.26(2mal).49 Die in diesem Textbereich übliche Bezeichnung für Nehemias Volk ist היהודים50 bzw. בני יהודה51 oder einfach יהודה52. Im Text gibt es aber keine Hinweise dafür, dass mit „Israel“ eine andere Größe gemeint ist als „die Judäer“; die Verwendung des IsraelNamens erklärt sich vielmehr aus der jeweiligen Aussageintention der betreffenden Texte (dazu unten). Wer aber sind die ?יהודיםNeh 1,2 bestimmt sie näher als הפליטה אשׁר־ „ נשׁארו מן־השׁביdie Geretteten, die übriggeblieben waren nach der Gefan46 Relativ unspezifisch wird „Israel“ in Esr 3,11 im Lobpreis gebraucht. Neh 13,2 blickt zurück auf das Israel der Landnahme. 47 Vgl. den Überblick über die derzeit diskutierten Probleme bei BECKING , Ezra, oder die forschungsgeschlichtlichen Darstellungen in den neueren Monographien: KARRER, Ringen; REINMUTH , Bericht, sowie GRÄTZ, Edikt. 48 In der Forschung besteht im Wesentlichen Konsens darüber, dass in Neh 1–7*; 11– 13* eine ältere Quelle verarbeitet ist, die als Ich-Bericht Nehemias stilisiert über Nehemias Wirken in Jerusalem berichtet. Die Abgrenzung im Einzelnen sowie die Intention des Werkes sind umstritten (vgl. den Überblick über die Diskussion bei REINMUTH , Bericht, 6–19). Eine monographische Untersuchung zur Literarkritik des Ich-Berichts hat REINMUTH, Bericht, vorgelegt. Er unterscheidet zwei ursprünglich unabhängige Komplexe: eine „Nehemia-Denkschrift“ (Neh 5,1–19*; 13,4–31*) und eine „Mauerbau-Erzählung“ (Neh 1,1–4,17*; 5,1–7,5a*; 12,27–43*). Ein deutlich komplexeres, insgesamt sieben Strati umfassendes Entstehungsmodell für Neh 1–13 hat WRIGHT, Rebuilding, vorgeschlagen. Da sich bezüglich der Bezeichnungen der Bevölkerung innerhalb des gesamten IchBerichts keine Unterschiede feststellen lassen, kann die Frage nach seiner Literargeschichte hier ausgeblendet werden.
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genschaft“. Nehemia fragt hier den gerade aus Juda angekommenen Hanani speziell nach „Judäern“ in Juda und Jerusalem. Aus v. 3 ergibt sich, dass die dort „Übriggebliebenen“ ( )הנשׁאריםnicht die einzigen sind, sonst wäre der spezifizierende Relativsatz אשׁר־נשׁארו מן־שׁבי שׁם במדינהüberflüssig. „Judäer“ sind also die Nachkommen der von der Gefangenschaft betroffenen Bewohner des Südreiches Juda, sei es dass sie – wie Nehemia – in Babel, in Juda oder andernorts leben.53 Im Ich-Bericht Nehemias ist entsprechend von Judäern in Juda bzw. Jerusalem (1,2; 2,16 u.ö.), in der Diaspora in Babylon (5,8) und in der Provinz Samaria (4,6) die Rede. 54 Wenn die יהודיםaber als Nachkommen der Bevölkerung des ehemaligen Königreiches Juda die gemeinsame Abstammung verbindet, sind sie eine genealogische Einheit, keine religiös oder territorial bestimmte Gemeinschaft.55 Es spricht somit einiges für die Überlegung Chr. Karrers, dass der Ich-Bericht Nehemias u.a. darauf abziele, „die ‚Judäer‘ als ein abgegrenz49 Darüber hinaus begegnet „Israel“ noch in 11,3.20; 12,47 als Bezeichnung der Laien und in 13,2.3 in einem Rückblick auf die Zeit der Landnahme. Über Schichtung, Datie rung und Verhältnis der Liste Neh 11,3ff. zum Ich-Bericht Nehemias gibt es variierende Ansichten (zu den diskutierten Thesen vgl. WILLIAMSON, WBC, 344–350). Ohne die komplexe Diskussion im Einzelnen aufnehmen zu können, ist es m.E. wahrscheinlich, dass Neh 11,1–2.4–19 als erzählerische Fortsetzung zu Neh 7,5a im Nehemia-Bericht enthalten waren. V. 4 schließt direkt an v. 2 an und listet nun jene Freiwilligen auf, denen der Segen gilt. V. 3 erweist sich dagegen durch die abweichende Terminologie ( ראשׁי המדינה im Unterschied zu שׂרי־העםin v. 1) und den anderen Focus (Bewohner von Jerusalem und „Städte Judas“) als nachträglich. V. 3 ist per Wiederaufnahme mit v. 20 und der folgenden Auflistung von Ortslagen (Jerusalem sowie Orte in Juda und Benjamin) und ihrer Bewohner verknüpft, die nach dem Muster von Jos 15 wahrscheinlich das Bild eines in territorialer Hinsicht idealen Israel entwirft (VON RAD, Geschichtsbild, 21–24), das wohl kaum reale Gegebenheiten im 5. oder 4. Jh. spiegelt. GUNNEWEG, KAT Nehemia, 149, sucht nach einem entsprechenden Umfang Judas in nachexilischer Zeit und muss die Liste infolgedessen in der Makkabäerzeit verorten. Sowohl Neh 12,44–47 als auch 13,1–3 sind durch den Wechsel in die 3. Person sowie die Einleitung mit ביום ההואebenfalls als Einträge zu erkennen, vgl. GUNNEWEG, KAT Nehemia, 162f., und ausführlich REINMUTH, Bericht, 248–253. 50 Neh 1,2; 2,16; 3,33f.; 4,6; 5,1.8.17; 6,6; 13,23. Die aramäischen Abschnitte im Esrabuch zeigen ein ähnliches Bild: die Bezeichnung der Bevölkerung ist ( יהודיאEsr 4,12. 23; 5,1.5; 6,7.8.14), „Israel“ erscheint als Volksbezeichnung nur in Esr 6,17 sowie im Artaxerxes-Edikt (7,13), vgl. DANELL, Studies, 281. 51 11,4 (neben )בני בנימן,a13,16, vgl. 4,10 בית ־יהודה,a6,17; 13,17 חרי יהודה,a12,31f. שׂרי יהודה. 52 Neh 4,4; 6,18; 13,12.15. 53 Wie KARRER , Ringen, 152f., richtig bemerkt, ist der Ausdruck אשׁר־נשׁארו מן שׁבי ambivalent: es können sowohl die Überlebenden unter den Exilierten in Babel als auch die nichtdeportierte Bevölkerung in Juda gemeint sein. Eine Entscheidung für eine der beiden Bedeutungen ist aber gar nicht nötig, sondern beide Möglichkeiten sind in Neh 1,2f. mitgedacht: Judäer sind alle, die „von der Gefangenschaft übriggeblieben sind“, ob exiliert oder nicht. 54 ALBERTZ, Konzepte, 23. 55 Vgl. die ausführliche Diskussion bei KARRER , Ringen, 149–152.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
tes Ethnos“ darzustellen.56 Nehemias Vorgehen gegen die Mischehen wird damit begründet, dass die Heirat fremder Frauen ein Treuebruch gegenüber JHWH sei (13,27) und an der Beherrschung der „judäischen“ Sprache (v. 24: )לדבר יהודיתkonkretisiert. Die Heirat fremder Frauen gefährdet also ein wichtiges Merkmal judäischer ethnischer Identität. Bei der Endogamieforderung geht es um die Grenzziehung zwischen Judäern und Fremden, also die Absicherung nach außen. Dem korrespondiert als Versuch, die Gemeinschaft von innen her zu stärken, Nehemias Bemühen um sozialen Ausgleich. Es soll eine Brüderschaftsethik etabliert werden, in der das Verständnis der Judäer als genealogische Einheit Grundlage ethischer Urteilsbildung ist, d.h. weil alle Judäer Brüder57 sind, soll keiner übervorteilt werden. Beide Maßnahmen zielen auf die Stärkung und Sicherung des judäischen Ethnos.58 Der Ich-Bericht Nehemias betont also die gemeinsame genealogische Identität der יהודים, er kennt zwar „Judäer“ mit verschiedenen Wohnorten, sie sind aber alle gleichermaßen „Judäer“. Damit fehlt aber eine Unterscheidung, die in der Forschung für das Juda der Perserzeit oft als geradezu charakteristisch angesehen wird, nämlich die zwischen Rückkehrern und im Land verbliebener Bevölkerung. Sie spielt im Nehemiabericht überhaupt keine Rolle.59 An drei Stellen innerhalb des Ich-Berichts werden die gegenwärtigen „Judäer“ nun „Israeliten“ genannt.60 In Neh 1 reagiert Nehemia auf die Nachrichten über die desolate Situation der Judäer mit einem Gebet (v. 5– 11).61 In der Anrede an JHWH bezeichnet er sein Volk – er selbst schließt sich über das „wir“ (v. 6b) ausdrücklich in das Sündenbekenntnis ein – als ( בני ישׂראלv. 6), die als Knechte JHWHs ( )עבדיךin ein besonderes Verhältnis zum universalen „Gott des Himmels“ (v. 5: )אלהי השׁמיםgestellt werden. AaO., 209 (im Original kursiv). „Bruder“ ( )אחist das Leitwort in Neh 5,1–17, vgl. 5,1.5.8.10. 58 Zur Diskussion vgl. aaO., 149–160. ALBERTZ, Konzepte, leitet diese Maßnahmen aus der Minoritätserfahrung der judäischen Diaspora ab. Nehemia habe kulturelle Überlebensstrategien aus der Diaspora auf Judäer in Juda übertragen. 59 KARRER , Ringen, 153. 60 Neh 13,26 referiert auf das salomonische Israel in der Vergangenheit. Neh 1,6 meint das gegenwärtige Israel, gegen ALBERTZ, Konzepte, 22. 61 Ob das Gebet ursprünglich zum Ich-Bericht Nehemias gehörte, ist umstritten; vgl. den Überblick über die älteren Positionen bei KELLERMANN, Nehemia, 9, Anm. 16, für die neuere Diskussion zusätzlich REINMUTH, Bericht, 39. Reinmuth, der Neh 1,5–11 für redaktionell hält, meint, dass „sich der Sinn des Gebets kaum im Rahmen der MauerbauErzählung Nehemias erschließt“ (aaO., 54). Dabei wird allerdings die These, die er begründen möchte, schon vorausgesetzt. Tatsächlich gibt es im Gebet keine Bezugnahme auf die konkrete Situation des Volkes, was angesichts der stereotypen Phraseologie nicht verwundern muss. Trennt man die Nehemia-Denkschrift nicht von den Mauerbautexten ab, fallen die thematischen Verbindungslinien zu Neh 13 auf, wo es um konkrete Momente der JHWH-Treue des Volkes geht. 56 57
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Die Verwendung von „Israeliten“ anstelle von „Judäern“ ist sicher ein Merkmal der „Gebetssprache“,62 aber insofern bedeutsam. Über den IsraelNamen ergibt sich im Gebet Nehemias die Verknüpfung mit dem vorexilischen Gottesvolk, sowohl in seiner Sündengeschichte als auch als Träger der Rückkehrverheißung (v. 9). Wenn hier dtn/dtr Theologie und Sprache aufgenommen werden,63 so sieht Nehemia die gegenwärtigen Judäer ganz selbstverständlich in Kontinuität zum im Dtn angesprochenen „Israel“. Das Moment der Kontinuität kennzeichnet auch die Verwendung von ישׂראלin Neh 13,18. In der Frage der Sabbatobservanz stellt Nehemia die gegenwärtigen Judäer in eine Reihe mit den Vätern, die den Sabbat missachtet und damit Gottes Gericht herbeigeführt hätten (v. 17f.). Mit der mangelnden Sabbatobservanz, so argumentiert Nehemia, würden seine Adressaten den „Zorn über Israel“ ( )חרון על־ישׂראלnun noch verstärken. Impliziert ist, dass sie daher in Gefahr stehen, JHWH wiederum zum strafenden Eingreifen zu veranlassen. Die gesamte Argumentation setzt die Kontinuität zwischen den Vätern und den gegenwärtigen Judäern voraus: beide sind gleichermaßen Israel. Auch wenn es sich hier nicht um ein Gebet handelt, ist in 13,18 die Bevölkerung Judas wie in 1,6 im Gegenüber zu JHWH im Blick. Der Israel-Name ist nun aber nicht einfach als sakrale Bezeichnung des Volkes zu verstehen, die für den liturgischen Gebrauch reserviert war, denn in Neh 2,10 ist er mit einer deutlich politischen Stoßrichtung verwendet. Neh 1,1–2,10 fungieren als Exposition für den gesamten Ich-Bericht Nehemias. Anlass und Ziel von Nehemias Mission werden vorgestellt sowie seine Legitimation durch JHWH, der ihm ganz nach seiner Gebetsbitte Erfolg beim persischen König verschafft. Von Neh 1,6 her ergibt sich kompositorisch eine Verbindung zu Neh 2,10, dem nächsten Beleg für בני ישׂראל. Nachdem Neh 2,1–9 von Nehemias Erfolg beim persischen König berichten, konstatiert 2,10 die Erfüllung seiner Gebetsbitte aus der Perspektive der Gegner: בא אדם לבקשׁ טובה לבני ישׂראל. Nehemias Wirken in Juda geschieht zum Wohle der „Israeliten“, die somit mit der Bevölkerung Judas identifiziert werden. Neh 2,10 führt zugleich Tobija und Sanballat als Antagonisten Nehemias ein. Genannt wird hier allerdings nicht ihr Amt oder ihre Funktion, sondern die Herkunft: Tobija als Ammoniter, Sanballat als Horoniter.64 Es stehen sich also Israeliten und Nicht-Israeliten gegenüber, was sicher als polemische Spitze gegen Nehemias Gegner zu lesen ist. Implizit spricht Neh 2,10 ihnen ab, Israeliten zu sein; Kriterium dafür ist ihre (behauptete) fremde Herkunft.
62 GUNNEWEG , KAT Nehemia, 48: „[H]ier wird gebetet und in der Gebetssprache wird die sakrale Bezeichnung des Gottesvolkes bevorzugt.“ 63 Vgl. die Belege bei WILLIAMSON , WBC, 172.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Im Ich-Bericht Nehemias ist „Israel“ somit nicht die übliche Bezeichnung der Bevölkerung Judas. 65 Aus der selteneren Verwendung des IsraelNamens ist aber kaum zu schließen, dass dieser „in frühnachexilischer Zeit als Identifikationsgröße kaum eine Rolle spielt“.66 Dagegen spricht grundsätzlich, dass JHWH als „Gott Israels“ ( אלה ישׂראלEsr 6,14, vgl. 5,1) bezeichnet werden kann, „Israel“ also zumindest im Gegenüber zu JHWH die zentrale Identifikationsgröße bleibt. Auch wenn die Textbasis recht schmal ist, zeigt schon die Nehemia-Schrift, dass „Israel“ nicht nur als eine Art sakraler Ehrenname auf die liturgische Sprache beschränkt war, sondern in verschiedenen Kontexten verwendet wurde. Inhaltlich lässt sich festhalten, dass die „Judäer“ der Nehemiaschrift und des älteren Tempelbauberichts als „Israel“ in einem besonderen Verhältnis zu JHWH und in Kontinuität zum vorexilischen Gottesvolk stehen. Das hier angesprochene Israel ist eine ethnische Einheit, deren Grenze – wenn man aus Neh 2,10 so viel ableiten darf – gegen den Bereich des früheren Nordreichs bzw. die Provinz Samaria klar gezogen ist. 64 Tobija (oder zumindest seine Eltern) war, wie das theophore Element in seinem Namen zeigt, JHWH-Verehrer. Sein Sohn Johanan (Neh 6,18) trägt ebenfalls einen JHWH-haltigen Namen. Zudem hatte Tobija Interesse an eigenen Räumlichkeiten im Jerusalemer Tempel (Neh 13,4f.). Die Tobijaden waren, wie MAZAR, Tobiads, 233ff., an den Lachisch-Ostraka zeigt, wahrscheinlich Judäer (vgl. ESKENAZI , ABD Tobiah, 584). Der Nehemiabericht versucht nun, den Judäer Tobija, der wahrscheinlich als hoher persischer Beamter in Ammon amtierte, zum Nicht-Judäer bzw. Nicht-Israeliten zu erklären, indem ( העמוניNeh 2,10; 3,35) wie die Angabe der Abstammung verwendet wird (vgl. ALT, Judas Nachbarn, 341; BLENKINSOPP, OTL, 217–219). Sanballat trägt selbst einen babylonischen, seine Söhne Delaja und Schemaja, die in den Elephantine-Papyri genannt werden (TADAE A4.7 Z. 29), aber JHWH-haltige Namen. Der Statthalter der Provinz Samaria wird in Neh 2,10 als חורוניeingeführt (vgl. Neh 13,28), d.h. er stammt wahrscheinlich aus Bet-Horon in Ephraim (vgl. Jos 16,3.5); WILLIAMSON, ABD Sanballat, 973. 65 Gleiches gilt im Übrigen für den aramäischen Tempelbaubericht Esr 5,1–6,15, wo „Israel“ als Bezeichnung der Bevölkerung gar nicht belegt ist, sondern stets יהודיא erscheint. So spricht etwa Esr 5,1 allgemein von „Judäern in Juda und Jerusalem“ ( יהודיא )די ביהוד ובירושׁלם, was natürlich nicht ausschließt, dass es Judäer auch anderswo gibt. Im Unterschied dazu sind in Esr 4,12 die „Judäer“ Rückkehrer aus dem Exil. Dass in Esr 1–6 ältere Quellen verwendet wurden, ist weitgehend Konsens, nicht aber, ob es sich dabei um authentische Dokumente handelt, zur aktuellen Forschungslage vgl. BECKING, Ezra, 159ff. sowie WILLIAMSON, Aramaic Documents. Der Tempelbaubericht ist durch den Rahmen Esr 5,1f.; 6,14f. als geschlossener Abschnitt markiert. Der Rahmen erweist sich freilich durch Spannungen (Haggai, Sacharja, Serubbabel und Jeschua erscheinen nur im Rahmen, dagegen agieren in 5,3–6,13 die Ältesten [5,5.9; 6,7f.] und Scheschbazar in [5,14.16]) als nachträgliche Hinzufügung, die wahrscheinlich zwischen diesem Bericht und Hag/Sach 1–8 vermitteln sollte. 6,16–18 gehören allerdings nicht mehr zu diesem Rahmen, denn hier ist plötzlich von בני ישׂראלdie Rede, die zudem mit der Gola identifiziert werden, vgl. GUNNEWEG, KAT Nehemia, 113. 66 R OTHENBUSCH , Auseinandersetzung, 111; vgl. STIEGLER, JHWH-Gemeinde, 129.
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1.1.3 Ein Israel der Rückkehrer 1.1.3.1 Israel in Juda und Gola (Esr *1–6; 7–10; Neh 8–10) Dass die Verwendung des Israel-Namens im Esra/Nehemiabuch nicht einheitlich ist, war bereits angedeutet worden. So ist für Esr 1.3f.6,16ff. sowie die Esra-Erzählungen eine gegenüber dem Ich-Bericht Nehemias und der aramäischen Tempelbauchronik fremde Kategorie bezüglich der Identität Israels charakteristisch: die vollständige Identifikation von Israel67 und Gola. a) Die Tempelbauerzählung (Esr *1–6) Der erste Beleg für ישׂראלim Esra/Nehemiabuch begegnet in der Wiedergabe des Kyrosedikts in Esr 1,3. Der „Gott Israels“ ist hier der Gott der Angehörigen jenes Volkes, das aufgefordert wird nach Jerusalem zu ziehen, um das Haus JHWHs zu bauen. Diese bezüglich der Charakterisierung des Volkes zunächst offene Formulierung wird in v. 4a konkretisiert: es handelt sich um „Übriggebliebene“ ( )כל־הנשׁארund in der Fremde Lebende ()גור.68 Auf die Aufforderung reagieren (v. 5) die Sippenhäupter ( )ראשׁי האבותJudas und Benjamins sowie Priester und Leviten und schicken sich an, zum Zwecke des Tempelbaus nach Jerusalem hinaufzuziehen ( בנה עלה+). Insgesamt schildert Esr 1, wie alle Voraussetzungen für die Wiedererrichtung des Tempels erfüllt werden: ein königlicher Auftrag, die Gewährleistung finanzieller Unterstützung, die Rückführung der Tempelgeräte und die Entsendung der dafür Verantwortlichen, die noch nicht vor Ort sind, sondern erst nach Jerusalem gelangen müssen (vgl. Esr 1,11b). An eine Rückwanderung größerer Teile des Volkes ist hier noch nicht gedacht, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass immer nur vom Heraufziehen nach Jerusalem (Esr 1,3.11; 3,8) die Rede ist. 69 Der Eindruck einer frühen Rückwanderungswelle incl. der Besiedlung des übrigen Landes entsteht erst durch die nachträglich eingefügte Liste Esr 2.70 Haupthandlungsträger des Tempelbaus sind – so legt es zumindest die Endgestalt von 67 Dabei können ( ישׂראלEsr 3,11; 4,3; 7,10.11.28; 8,29; 10,1.2.10.25; Neh 8,1; 10,34; 11,3.20) oder auch Zusammensetzungen wie ( בני ישׂראלEsr 3,1; 6,16.21; 7,7; Neh 8,14.17; 9,1; 10,40; 13,2), ( כל ישׂראלEsr 6,17; 8,25.35; 10,5; Neh 12,47) bzw. ( עם ישׂראלEsr 7,13; 9,1) gleichermaßen für die Bevölkerung verwendet werden, vgl. ROTHENBUSCH , Auseinandersetzung, 128, Anm. 67. 68 Anders WILLI, Juda, 55f.70, der in 1,2 die Bewohner von Juda und Jerusalem angesprochen sieht, ähnlich auch KARRER, Ringen, 77f. Dagegen spricht jedoch, dass mit Ausnahme von Esr 5,1–6,15 (dazu oben Anm. 65) die Erbauer des Tempels stets als Rückkehrer aus der Gefangenschaft dargestellt werden (Esr 1,11; 3,8; 4,1.12; 6,16ff.). 69 Nach der von WILLI, Juda, 64, erarbeiteten Periodisierung in der Endgestalt des Esra/Nehemiabuches steht die erste Phase Esr 1–6 ganz unter dem Zeichen des Tempelbaus, die Einwanderung bestimmt erst die zweite Phase Esr 7–10. 70 Vgl. unten S. 81ff.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Esr 1–6 nahe – die nach Jerusalem zurückgekehrten Priester, Leviten und Sippenhäupter (Esr 3,12; 4,2f.; 5,3.5; 6,8.14) bzw. namentlich erwähnte Einzelpersonen aus diesem Kreis, wovon die in 3,2 – also zu Beginn der eigentlichen Aktivitäten in Jerusalem – eingeführten Jeschua und Serubbabel die wichtigsten sind. Nicht zum Volk des Gottes Israels, gehören die Kreise aus der Provinz Samaria, die nach Esr 4,2 JHWH-Verehrer sind und am Tempelbau mittun möchten. Die Ablehnung ihres Kooperationsangebots (4,3) erfolgt nicht, weil ihnen die JHWH-Verehrung abgesprochen würde, 71 sondern unter Berufung auf das Mandat des Kyros, der nicht nur bestimmt habe, dass der Tempel gebaut werde, sondern auch, wer ihn bauen solle. Die Auseinandersetzung um die Trägerschaft des Bauvorhabens hat, wie Th. Willi herausarbeitet, eine (reichs)politische Dimension.72 Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die ethnische Frage keine Rolle spielt. 73 Esr 4,3 verweist auf 1,3 zurück, wo das „Volk des Gottes Israels“ mit dem Tempelbau beauftragt wird. Die Samarier dürfen sich deshalb nicht beteiligen, weil sie keine Israeliten sind, sondern – wie ihnen auf ironische Weise selbst in den Mund gelegt wird – von den Assyrern angesiedelte fremde Völker (4,2b). 74 Die Differenz ist durch die Redundanz, mit der der Israel-Name in den drei Versen erscheint, noch betont: das „Haus des Gottes Israels“ (v. 1.3) bauen die „Sippenhäupter Israels“ (v. 3) – und niemand sonst. Das Volk des Gottes Israels in Esr *1–6 ist also ein Israel im Exil, das sich aus Angehörigen der Stämme Juda, Benjamin75 und levitischem Kultpersonal zusammensetzt, von denen nun einige zum Tempelbau nach Jerusalem gekommen sind. Die Definition Israels im Land als ein „Israel der Rückkehrer“ wird durch Esr 6,16f. bestätigt. Esr 6,16 bestimmt die an der Einweihung des Tempels beteiligten בני־ישׂראלnäher als כהניא ולויא ושׁאר בני־ גלותא. Die „Israeliten“, die sich zu diesem Zeitpunkt in Jerusalem befinden, setzten sich also zusammen aus Priestern, Leviten und einem säkularen Anteil, alle jedoch sind aus der Deportation zurückgekehrt. Gleiches gilt für die viel diskutierte Zusammensetzung der Festgemeinde in Esr 6,21. Der Beleg ist einer der loci classici für die These, das nachexilische Judentum verstehe „Israel“ nicht mehr als Volk, sondern als 71 So vermutet u.a. auch R UDOLPH , HAT Chronik, 33, in einer aus 2Reg 17 hergeleiteten synkretistischen JHWH-Verehrung der Samarier den Grund für die Ablehnung. 72 WILLI, Juda, 67–70. 73 Anders WILLI, aaO., 67. 74 In diesem Punkt deckt sich die Bewertung der Samarier mit derjenigen von 2Reg 17,24–41 (dazu oben S. 54ff.), wenn ihre Ansiedlung auch unterschiedlichen Königen zugeschrieben wird. 75 Die Bezeichnung der Akteure als „Juda und Benjamin“ findet sich innerhalb von Esr *1–6 noch in 4,1 (4,4 nennt denselben Personenkreis ;)עם־יהודהvgl. Esr 10,9 sowie die Liste Neh 11, nach der sich der säkulare Bevölkerungsanteil in Jerusalem und Juda aus בני יהודהund בני בנימיןzusammensetzt (v. 4.7.25.31).
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Kultgemeinde, für die die JHWH-Verehrung bzw. die Tora-Treue Kriterien der Zugehörigkeit waren. Esr 6,19–22 ist deutlich als Abschluss von Esr *1-6 gestaltet.76 Die Feier dieses ersten großen Wallfahrtsfests markiert die Wiederaufnahme des Tempelkults in seiner weit über Jerusalem und Jehud hinaus reichenden Bedeutung, einschlägig illustriert durch die nun wieder mögliche Wallfahrt. V. 22b greift auf Esr 1,3 zurück und konstatiert die Vollendung des in Esr 1 angestoßenen und in Esr 4 zunächst ins Stocken geratenen Tempelbaus, wobei die Festteilnehmer mit den Trägern des Wiederaufbauwerkes identifiziert werden. Der Festbericht selbst macht knappe Angaben zum Festdatum (v. 19), zu Details des Festablaufs (v. 20.22)77 und zur Festgemeinde (v. 21). Wer feiert das Passa? Die Festteilnehmer werden in v. 19 zunächst als בני־הגולהeingeführt. V. 20 nennt Priester, Leviten und כל־בני הגולה, letzteres bezeichnet hier allerdings den säkularen Anteil der Rückkehrer, denn diese werden in v. 20b von Priestern und Leviten unterschieden. V. 21 beschreibt schließlich die Festgemeinde näher: ויאכלו בני־ישׂראל השׁבים מהגולה וכל הנבדל מטמאת גוי־הארץ אלהם לדרשׁ ליהוה אלהי ישׂראל
Unbestritten ist, dass hier zwei Gruppen 78 unterschieden werden: „Rückkehrer aus der Gola“ und „jeder, der sich von der Unreinheit der Völker des Landes abgesondert hat“. Wie aber verhalten sich sich beide zu „Israel“? Dazu sind drei Fragen zu klären: (a) worauf bezieht sich אלהםin v. 21, (b) wie werden die hier genannten Gruppen in Esr 1–6 bzw. den Esra-Erzählungen bestimmt und (c) für wen steht die zweite Gruppe. (a) Syntaktisch sind zwei Möglichkeiten denkbar. Bezieht sich אלהםauf השׁבים מגולה, ergibt sich die Übersetzung: „Und es aßen die Israeliten: diejenigen, die aus der Gola zurückgekehrt waren und jeder, der sich von der Unreinheit der Völker zu ihnen abgesondert hatte, um JHWH, den Gott Israels, zu suchen.“ Hier würden dann mit den Exulanten und jenen, die sich zu den Exulanten gesellen, zwei Gruppen innerhalb Israels unterschieden.79 Als Konsequenz ergibt sich, dass Israel nicht (allein) als ethnische Größe verstanden werden kann und die Hinwendung zu JHWH Kriterium für die Zugehörigkeit zu Israel ist. So gelesen, würde „Israel“ hier für eine religiöse Gemeinschaft stehen, die zweite Gruppe wären Proselyten, d.h. Individuen, die aufgrund ihres JHWH-Glaubens Teil dieses religiös definierten Israel sind. Bezieht sich אלהםaber auf בני ־ישׂראלzurück (Übersetzung: „Und es aßen die Israeliten, die aus der Gola zurückgekehrt waren, zusammen mit jedem, der sich von der Unreinheit der Völker des Landes zu ihnen abgesondert hatte ...“), feiern das Passa Israeliten und Nicht-Israeliten, die sich ihnen in der JHWH-Verehrung anschließen. Dann ginge es um zwei Gruppen von JHWH-Verehrern, eine (ethnisch) israelitische und eine nicht-israelitische. Für die zweite Möglich76 So u.a. GUNNEWEG , KAT XIX 2, 117: „Mit diesem sorgfältig vorbereiteten und erzählerisch ausgezeichnet gestalteten Schluß klingt der erste Hauptteil volltönend aus.“ 77 V. 20 beschreibt die besondere Aufgabe der Leviten für die beteiligten Gruppen, wobei die Dreiteilung Priester, Leviten und בני־הגולה, hier als Bezeichnung der Laien, exakt Esr 6,16 entspricht. 78 In 3Esr fehlt das „und“ sowie eine Entsprechung zu אלהם, so dass der Eindruck entsteht, dass Exulanten und „Abgesonderte“ eine Gruppe sind. 79 So in den neueren Untersuchungen dezidiert KARRER , Ringen, 73f.; STIEGLER, JHWH-Gemeinde, 49; vgl. VOGT, Studie, 145f. Auffällig ist, dass eine ganze Reihe von Kommentatoren in der Übersetzung אלהםauf בני־ ישׂראלbeziehen, in der Auslegung dann aber von Proselyten bzw. einem als Gemeinde verstandenen (wahren) Israel ausgehen, so z.B. RUDOLPH , HAT Esra, GUNNEWEG, KAT XIX 2, oder WILLIAMSON, WBC.
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keit sprechen zwei sprachliche Beobachtungen. Liest man בני ישׂראלund כלals zwei Subjekte zu ויאכלו, die jeweils durch einen mit ה־angeschlossenen Relativsatz näher erläutert werden, ergibt sich eine parallele Struktur. Zudem verweist das Epitheton JHWHs אלהי ישׂראלzurück auf בני ישׂראלam Anfang des Satzes. Daher liegt es nahe, dass auch אלהםauf die „Israeliten“ als Bezugswort weist. Die Näherbestimmung JHWHs als „Gott Israels“ wäre gar nicht notwendig, wenn es nicht darum ginge, dass hier Nicht-Israeliten einen ihnen eigentlich fremden Gott suchen. Trotz dieser Indizien ist die Frage syntaktisch nicht hinreichend zu klären. Erhellend ist jedoch der Kontext. (b) In Esr *1-6 steht „Israel“ für die Exulanten, unabhängig davon, ob sie zurückgekehrt sind oder nicht. בני־ישׂראלin Esr 6,21 ebenso zu lesen, macht keine Schwierigkeiten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Näherbestimmung durch den Relativsatz: Das Passa am Tempel feiern diejenigen Israeliten, die aus der Gola zurückgekehrt sind. Dabei handelt es sich nur um einen Teil Israels, denn viele – und nach dem Modell von Esr *1-6 wohl die meisten – sind noch im Exil. Deutlich komplizierter ist die Bestim mung der zweiten Gruppe. Die Formulierung כל הנבדלlässt vermuten, dass hier eher an Individuen als an bestehende Gemeinschaften gedacht ist. 80 גוי הארץist im gesamten Esra/ Nehemiabuch nur hier belegt; die Verbindung bezeichnet im übrigen Alten Testament durchgehend nicht-israelitische Völkerschaften.81 Diese werden in Esr 1–6 sowie den Esra-Erzählungen in der Regel עמי הארץbzw. עמי הארצותgenannt.82 So auch in der nächsten Parallele zu v. 21a Neh 10,29, wo כל־הנבדל מעמי הארצות אל־תורת האלהיםneben „Volk, Priestern, Leviten, Torhütern, Sängern und Tempeldienern“ aufgeführt werden, die sich auf die Tora verpflichten. Dass diese „Abgesonderten“ nicht einfach in die Kategorie „Volk“ resp. Laien fallen, zeigt an, dass sie als eine distinkte Gruppe wahrgenommen wurden. Dass sie zu Israel gerechnet werden, sagt Neh 10,29 freilich nicht. Esr 9,1 identifiziert die „Völker des Landes“ mit vier (alten) kanaanäischen Völkern sowie den gegenwärtigen Nachbarn Judas und hebt auf deren Unreinheit ab (vgl. die Stichworte תועבותv. 1.11, נדהsowie טמאהv. 11).83 Die Vorstellung von der „Unreinheit der Völker des Landes“ ( )טמאת גוי הארץzeigt auch Esr 6,21. Wenn aber im Hintergrund von Esr 6,21 das gleiche Konzept wie in Esr 9 steht (ethnisch fremd = kultisch unrein), wäre dies ein weiteres Indiz dafür, dass es sich hier nicht um zwei Gruppen innerhalb Israels handelt. (c) Wer aber sind diese „von der Unreinheit der Völker Abgesonderten“? Sind es Bewohner Judas fremder Herkunft, z.B. Angehörige der Nachbarvölker, die sich der JHWH-Religion zugewandt haben und analog zur Regelung für die גריםin Ex 12,43ff. mit Israel das Passa essen?84 Das ist durchaus möglich. Da sie aber zuvor überhaupt keine ROTHENBUSCH , Auseinandersetzung, 132. Gen 18,18; 22,18; 26,4; Dtn 28,1; Jer 26,6; 33,9; 44,8; Ez 32,9; Sach 12,3; Ps 10,16; 2Chr 32,13.17. Die nicht-israelitische Bevölkerung im Land – sei es in früherer Zeit oder in der Gegenwart wird in Esr/Neh meist mit der Verbindung ( עמי הארצותvgl. Esr 9,1.2.11; Neh 9,30; 10,29) oder auch ( עמי הארץvgl. Esr 10,2.11; Neh 9,24; 10,31f.) zusammengefasst, zum Sprachgebrauch WILLI, Juda, 33. 82 Ein inhaltlicher Unterschied lässt sich zwischen ( עמי הארץEsr 10,2.11; Neh 10,31f.) bzw. ( עממי הארץNeh 9,24) und ( עמי הארצותEsr 3,3; 9,1f.11; Neh 9,30; 10,29) nicht ausmachen, sie können synonym verwendet werden (z.B. in Neh 10,29–32). Im Ich-Bericht Nehemias fehlen diese Oberbegriffe, wenn von nicht-israelitischen Völkern die Rede ist, werden sie konkret genannt (vgl. Neh 13,23). 83 Anders im Ich-Bericht Nehemias; dort sind in der Mischehenfrage mit Aschdod, Ammon, Moab und Samaria tatsächliche Nachbarn im Blick (vgl. Neh 13,23.28). 84 Vgl. HAARMANN , JHWH-Verehrer, 265. 80 81
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Rolle spielen, wäre es verwunderlich, dass sie gerade an dieser sehr exponierten Stelle innerhalb der Komposition von Esr *1-6 eingeführt werden. Oft hat man hinter dieser Gruppe Nachkommen der im Land verbliebenen Judäer vermutet, die sich den Rückkehrern und deren Art und Weise der JHWH-Verehrung anschließen.85 Im Land verbliebene Judäer kann es nun aber, nach dem in Esr 1–6 vorausgesetzten Geschichtsbild, dass ganz Juda ins Exil geführt wurde, das Land leer war und Sabbatruhe hielt (vgl. Esr 1,1 mit Verweis auf Jer 25,11; 2Chr 36,20f.), gar nicht geben. 86 Es wäre immerhin zu überlegen, ob die Altjudäer hier quasi unter der Hand zu NichtIsraeliten erklärt werden, die dann als JHWH-gläubige Fremde unter den für diese geltenden Voraussetzungen doch wieder am Fest teilnehmen können. Dazu muss man unterstellen, dass zwischen Rückkehrern und Altjudäern überhaupt ein Unterschied gemacht wird. Dafür gibt es im Text jedoch keinen Anhalt. Unterschieden wird in Esr *1-6 lediglich zwischen Israeliten und Nicht-Israeliten, die das Tempelbauprojekt von außen stören wollen.87 Hinter diesen JHWH-Verehrern fremder Herkunft Altjudäer zu vermuten, hieße also einen Personenkreis einzutragen, der bisher in Esr *1-6 überhaupt nicht erscheint. Sollte es sich bei der zweiten Gruppe von Festteilnehmern daher primär um „Nachkommen der ehemaligen ‚Nordstämme‘“ 88 handeln? Dafür spricht einiges: Es ergäbe sich ein direkter Bezug zu Esr 4,2, wo die Samarier als nicht-israelitische JHWH-Verehrer 89 eingeführt werden, was den Charakteristika der zweiten Gruppe in Esr 6,21 entspricht. Unter Berufung auf ihre fremde Herkunft wird den Samariern zwar die Beteiligung am Tempelbau verweigert (vgl. oben S. 74); als Nicht-Israeliten dürfen sie nicht mittun, das widerspräche dem Befehl des Kyros (Esr 1,2–4). Es ist aber gut vorstellbar, dass sie, insofern sie sich an Israel – und das heißt wohl dem Jerusalemer Tempel 90 – orientieren (vgl. Neh 10,29), nach Jerusalem pilgern und am Fest teilnehmen können. Dass sie JHWH-Verehrer sind, bleibt schließlich unbestritten ( )כי ככם נדרושׁ לאלהיכם. Esr 4 belegt, Vgl. BERTHOLET, KHC, 29; JANSSEN , Juda, 118; GALLING, Studien, 59f. (anders ATD, 202); VOGT, Studie, 141ff.; GUNNEWEG, KAT XIX 2, 116; BLENKINSOPP, OTL, 133; KARRER, Ringen, um nur wenige zu nennen. 86 Vgl. B LUM , Volk, 30. 87 Der Versuch von WILLI, Juda, 32, Esr 4,4 als Beleg für eine weitere Gruppe ins Spiel zu bringen, nämlich den עם הארץals eine innerjudäische Opposition gegen das Bauvorhaben, kann letztlich nicht überzeugen. Im narrativen Gefälle von Esr 4,1–5 ist עם ( הארץv. 4) mit den „Bedrängern Judas und Benjamins“ (v. 1) zu identifizieren, die in v. 2 (vgl. 4,9f.) als von den Assyrern angesiedelte Völker, d.h. Bevölkerung im ehemaligen Nordreich, näher bestimmt werden. Zudem setzt v. 4 עם הארץexplizit von עם ־יהודהab, d.h. es kann sich gerade nicht um Judäer handeln. Insofern wird man das im Esra/Nehemiabuch singuläre עם הארץin Esr 4,4 wohl mit dem üblicheren עמי הארץbzw. עמי הארצותin Verbindung bringen müssen, d.h. nicht-israelitsche Bevölkerung – womit insbesondere unter der Chiffre der alten Kanaanäervölker (vgl. Esr 9f.) wohl die Samarier gemeint sind (vgl. GUNNEWEG, KAT XIX 2, 79 sowie i.F.). 88 R OTHENBUSCH , Auseinandersetzung, 132, früher schon GALLING , ATD, 202, vgl. RUDOLPH , HAT Esra, 61. 89 Zur Kategorie der nicht-israelitischen JHWH-Verehrer, die nicht einfach mit Proselyten gleichgesetzt werden dürfen, vgl. HAARMANN , JHWH-Verehrer. Vielleicht ist das Entstehen dieser Kategorie, die Haarmann auch in Erzähltexten wie Ex 18; Jos 2 oder 2Reg 5 bzw. universalistischen Verheißungen wie Jes 56,1–8 findet, ein Reflex auf die in den Esra-Texten vertretene Ideologie, in deren Konsequenz es plötzlich deutlich mehr JHWH-Verehrer als Israeliten gab? 90 Vgl. unten S. 335ff. 85
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
dass es in Samaria ein Interesse am Jerusalemer Tempel gab, und in 2Chr 30, einer chronistischen Rückprojektion zeitgenössischer Verhältnisse in die Zeit Hiskias, bilden Festpilger aus dem Norden eine signifikante Gruppe. 91 Entscheidend für Esr 6,21 ist aber, dass dieser Personenkreis anders als in 2Chr 30 gerade nicht als „Nordstämme“ und somit Israeliten verstanden wird, 92 sondern als fremde Völkerschaften. Diese Konstruktion ist dann untrennbar mit der Kombination aus genealogischer Definition Israels und der vorliegenden Geschichtsrekonstruktion verbunden: wenn ganz Israel im Exil war, kann jeder, der nicht im Exil war, nicht Israelit sein (wohl aber ein JHWH-Verehrer), sondern ist fremder Abstammung. 93
Als Beleg für die Ablösung eines ethnischen Israel-Verständnisses durch das einer JHWH-Gemeinde kann Esr 6,21 somit nicht herangezogen werden. Esr 6,19–21 führen konsequent die Verwendung des IsraelNamens der übrigen Verfasserabschnitte von Esr *1-6 fort. Wenn sich neben den Israeliten JHWH-Anhänger aus dem גוי הארץam Fest beteiligen, wobei es sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach um Nachkommen der Nordstämme94 handelt, ist die ethnische Definition Israels nicht aufgehoben, sondern bestätigt. b) Die Esra-Erzählungen (Esr 7–10 und Neh 8–10) Esr 7–10 setzen den Sprachgebrauch von Kap. *1-6 fort; auch hier ist Israel ein exilisches Israel, und die Israeliten in Juda sind jene, die aus der Gefangenschaft zurückgekehrt sind; in der Konzeption des Esra/Nehemiabuches setzt erst jetzt eine breitere Rückwanderung ein.95 Esr 7,7 nennt die Laien aus der Rückkehrergruppe um Esra בני ישׂראל, wobei deutlich wird, dass nur ein Teil der Israeliten aus der Diaspora mit Esra zieht (vgl. 7,13. 28). Esr 8 setzt voraus, dass es bereits Israeliten in Juda gibt. So werden in der Frage der Überbringung der Wertgegenstände für den Tempel כל־ישׂראל ( הנמצאיםv. 25), d.h. alle Israeliten in Babel, die Schätze für den Tempel nach Jerusalem schicken, von israelitischen Sippenhäuptern in Jerusalem (v. 29: )שׂרי ־האבות לישׂראל בירושׁלםunterschieden. Mit Esr 9f. wechselt das 91 Zu 2Chr 30, vgl. S. 148ff.; zum Verhältnis von Esr 6 und 2Chr 30 vgl. unten S.299ff. 92 Anders R OTHENBUSCH , Auseinandersetzung, 131, der zu Recht festhält, dass es „Angehörige ‚Israels‘ außerhalb Judas nicht gebe, ist den Texten des 4. Jh.s im Esra/ Nehemiabuch also nicht zu entnehmen und kann von daher auch die Rede von ‚Israel‘ im Esra/Nehemiabuch nicht in exklusiv judäischem Sinne qualifizieren.“ Diese Israeliten außerhalb Judas sind für das Esra/Nehemiabuch aber nicht in Samaria zu suchen. Diesbezüglich lässt sich die Konzeption der Chronik gerade nicht direkt übertragen, wo die Bevölkerung Samarias als Nachkommen des ehemaligen Nordreichs integraler Bestandteil Israels ist. Im Esra/Nehemiabuch wird sie nie mit den Namen der Nordstämme bezeichnet, sondern stets ihre fremde Herkunft betont. 93 Dazu ausführlich unten S. 307ff. 94 Damit freilich nicht ausgeschlossen, dass diese Kategorie der nicht-israelitischen JHWH-Verehrer auch für solche anderer als nord-israelitischer Herkunft offen war. 95 Vgl. WILLI, Juda, 64.
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Thema von der Rückwanderung um Esra zur Frage der Mischehen. Esr 9,1 stellt העם ישׂראל והכהנים והלוים96 acht „Völkern der Länder“ ()עמי הארצות gegenüber. Die Versammlung der Bevölkerung, die in Esr 10 ihre Schuld bekennt und sich im Folgenden zur Auflösung der Mischehen verpflichtet, ist „Israel“ (v. 1.3.5[ כל־ישׂראלfür den Laienanteil im Volk].10.25[Laien]) und wird mit „Juda und Benjamin“ (v. 9) sowie ( בני הגולהv. 7.16, vgl. v. 6.8 sowie Esr 8,35; 9,4) identifiziert. Sollten die „Völker der Länder“ auch hier eine Chiffre für die Samarier sein? Zwei Beobachtungen in Esr 9f. weisen in diese Richtung: (a) Das Problem der „fremden Frauen“ ist nicht ihre Religion, sondern ihre Herkunft. Ihre religiöse Affiliation oder Kultpraxis wird gar nicht thematisiert. 97 Anders ist auch die Ausweisung der Kinder kaum zu erklären, denn dass die Kinder zum Götzendienst verleiten würden, wie es den Frauen öfter unterstellt wird, 98 ist an keiner Stelle belegt. (b) S. Japhet hat anhand der auffälligen Terminologie in Esr 9f. herausgearbeitet, dass Schechanjas Vorschlag nicht auf eine reguläre Scheidung hinausläuft, sondern auf eine Änderung des sozialen Status der Frauen abzielt, die ihre Verstoßung „gemäß der Tora“ (10,3) möglich machen würde bzw. die Verbindung zu ihnen in einer Weise neu definiert, die sie nicht mehr in Konfikt mit der Tora bringt.99 Trifft dies zu, wäre in Esr 9f. eine Regelung gegeben, die auf diese (einzigartige) Situation zugeschnitten ist: mit dem Versuch, eine Israel-Konzeption zu implementieren, derzufolge Israel eine Abstammungsgemeinschaft ist und alle Israeliten im Exil waren, geht einher, dass die Bevölkerung im ehemaligen Nordreich fremder Abstammung sein muss. Heiratsbeziehungen zu ihr, die nach einem Israel-Verständnis, das die Samarier als Nachkommen der Nordstämme ansieht, 100 endogam (und wohl auch nicht
Das determinierte העםfungiert als Oberbegriff für die drei Gruppen Israel=Laien, Priester und Leviten, vgl. GUNNEWEG, KAT XIX 2, 160. 97 Die Annahme von S TIEGLER, JHWH-Gemeinde, 155, dass „Esra nur die Ehen geschieden haben will, wo kein Übertritt der Frau zum JHWH-Glauben erfolgte“, entbehrt jeder Grundlage im Text. Schon RUDOLPH, HAT Esra, 89, schließt aus der Tatsache, dass die Möglichkeit einer Konversion in Esr 9f. gar nicht erwogen wird, dass für Esra „nicht nur die Reinheit des Glaubens, sondern auch die Reinheit des Blutes Leitstern war.“ 98 Als prominente Beispiele sei hier nur an Salomos Frauen (1Reg 11) und Ahabs Frau Isebel (1Reg 16) sowie an das mit dieser Gefahr begründete Exogamieverbot bezüglich der kanaanäischen Völker Ex 34,15f.; Dtn 7,1–6 oder 20,10–18 erinnert. 99 J APHET , Expulsion, 152f., notiert, dass in Esr 9f. die üblichen Begriffe für die Eheschließung, die Geburt von Kindern oder die Ehescheidung vermieden werden. Die Männer „platzieren“ ( הושׁיבEsr 10,2.10.14.17) die Frauen in ihrem Haus, letztere „setzen Kinder“ ( וישׂימו בניםv. 44) und werden schließlich nicht geschieden, sondern „heraus gebracht“ ( להוציאv. 3.19). Japhet nimmt an: „In this way, the marriages are to be annulled not merely by fact, but also in the terminology used to describe them“ (aaO., 153). 100 Vgl. SMITH -C HRISTOPHER , Crisis, 257, der allerdings an im Land verbliebene Judäer denkt: „Essentially the only basis for Ezra’s objection is that the foreigners were simply Jews who were not in exile … the fact that the groups with which these ‚mixed‘ marriages are taking place are identified with old terms that almost surely have become stereotypically pejorative slurs referring to those ethnic groups who have long since either disappeared or assimilated … suggest[s] a debate within the community about the identity of the community itself in relation to others in the land.“ 96
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
selten101) waren, werden damit exogam und als solche problematisch. 102 Esr 9f. spiegeln dann eine Konstruktion, die einer Abgrenzungsstrategie gegenüber Samaria und den bestehenden Heiratsbeziehungen Rechnung tragen sollte. 103 Dass das Selbstverständnis Israels als ein Volk durch ein neues Paradigma abgelöst werde, lässt sich auch aus Esr 9f. nicht ableiten.
Neh 8–10 bleiben ganz auf der Linie von Esr 7–10: Nach Neh 7,72 versammeln sich im siebten Monat ( בני ישׂראלNeh 8,1), hören die Tora, die „JHWH Israel befohlen hat“ (v. 2, vgl. v. 14) und feiern das Laubhüttenfest. Neh 8,17 bezeichnet dieselbe Festgemeinde als „Rückkehrer aus der Gefangenschaft“ ( )כל־הקהל השׁבים מהשׁביund setzt sie wiederum mit „Israel“ gleich (v. 17b). Das auf diese Weise näher bestimmte Israel fastet und betet schließlich in Neh 9,1f. Auch hier ist „Israel“ somit als ein durch Abstammung definiertes Ethnos verstanden. In der Konsequenz der in den Verfasserabschnitten der Tempelbauerzählung sowie den Esra-Erzählungen vorliegenden Geschichtskonstruktion, dass ganz Israel ins Exil geführt wurde, kann es daher auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreichs auch keine Israeliten geben, sondern lediglich neu angesiedelte fremde Völkerschaften. 101 Die Hinweise auf die guten Beziehungen, die zwischen der Bevölkerung und v.a. den Oberschichten Judas und Samarias bestanden, was sich gerade auch in Heiratsbeziehungen äußerte, hat ALBERTZ, Konzepte, 20f., zusammengestellt. 102 Vgl. JAPHET, People, 112: „The dichotomy ist sharp: the ‚exiles‘ are Israel, and all others – ‚the peoples of the lands.‘ 103 Ob eine Verstoßung der Frauen tatsächlich stattgefunden hat oder es sich bei Esr 9f. um eine literarische Verarbeitung des Problems handelt, ist für die vorgeschlagene Deutung zweitrangig. In dieser Hinsicht ist schon der Textbefund nicht eindeutig. Lediglich vier Priesterfamilien kündigen an, die Forderung umzusetzen (v. 18–20). Esr 10,44 ist so verderbt (vgl. WILLIAMSON, WBC, 144f., und die Diskussion bei BÖHLER, Heilige Stadt, 195–197), dass nur Spekulationen über das Vorgehen der in v. 21–43 Aufgelisteten möglich sind. Kann man aus der Beobachtung, dass das Verhalten der vier Priesterfamilien von den anderen abgesetzt wird, ableiten, dass die übrigen anders handelten? Der uneindeutige Befund im Text wird durch die exegetische Diskussion gespiegelt, wofür hier nur einige Beispiele genannt werden sollen. So halten GUNNEWEG, KAT XIX 2, 162; STIEGLER, JHWH-Gemeinde, 153, oder JANZEN, Witch-hunts, 53, die Vertreibung der Frauen für historisch. RUDOLPH, HAT Esra, 85ff., meint, dass Esra tatsächlich die Vertreibung der Frauen betrieb, aber damit letztlich „Schiffbruch erlitt“, so dass Nehemia das Problem lösen musste (aaO., 208). BLENKINSOPP, OTL, 179, spekuliert, dass Esra mit seinem Vorgehen gegen die Mischehen seine Kompetenzen überschritt und deshalb bereits nach einem Jahr von den persischen Autoritäten zurückgerufen wurde. Deutlich skeptischer sind z.B. IN DER SMITTEN, Esra, 88, der die ganze Episode für einen Midrasch zu Esr 7 und KELLERMANN, Nehemia, 66, der sie für eine „Parallelgestaltung zum Nehemiabericht“ hält. Auch GUNNEWEG, KAT XIX 2, 162, erwägt, ob Esr 9f. von Neh 13 literarisch abhängig sein könnte. Einen Mittelweg geht JAPHET, Expulsion, 155f., mit Rückgriff auf DOR, Composition: „the resolution remained ‚on paper‘ and was never implemented … the recording [der Betroffenen, K.W.] itself was the ceremonial replacement of the actual act.“
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1.1.3.2 Israel in Juda (Esr 2 und Neh 7) Die nachträglich in Esr 2 und Neh 7 eingefügten sogenannten Heimkehrerlisten104 stellen die Rückkehr der Exilierten als eine „zweite Landnahme“ dar, in deren Folge vorexilische Gegebenheiten im Bereich des Südreiches Juda wieder hergestellt werden. Nach der Überschrift Esr 2,1–2a (vgl. Neh 7,5) sind die ab v. 3 aufgezählten Sippen jene „Landeskinder“ ( )בני המדינה, die Nebukadnezar nach Babel deportiert hatte. Kehren diese zurück ( העלים וישׁובו לירושׁלם ויהודה... )משׁבי הגולה, ist die Heimkehr aller Exilierten impliziert. Gegen die Annahme, dass es hier lediglich um eine erste Rückkehrerwelle gehen würde, nämlich jene, die mit Serubbabel, Jeschua und den übrigen Genannten gekommen sei,105 spricht die über die Notiz, jeder sei in seine Stadt zurückgekehrt (v. 2a: )אישׁ לעירו, und v. 70: וכל־ ישׂראל בעריהם hergestellte Inclusio.106 V. 70 identifiziert die in der Überschrift genannten Rückkehrer mit כל ישׂראל, so dass der Eindruck entsteht, „ganz Israel“ sei zusammen zurückgekehrt und befinde sich nun wieder in seinem Land.107 Esr 2,70 ist allerdings schwierig und die Textüberlieferung unsicher. Der Vers ist in drei Varianten108 überliefert: Esr 2,70 Neh 7,72a 3Esr 5,45
וישׁבו הכהנים והלוים ומן־העם והמשׁררים והשׁוערים והנתינים בעריהם וכל־ישׂראל בעריהם וישׁבו הכהנים והלוים והשׁוערים והמשׁררים ומן־העם והנתינים וכל־ישׂראל בעריהם @ (P?''! #A A%D& @ #A )D( @ #A 8 (#L #L 8! %#)' @ (> +M%3 #C ( A%#,.( @ #A )%-%#@ @ $4& '% 8! (D& M & K(O!
104 Während sich ein Konsens abzeichnet, dass die Liste Esr 2 aus Neh 7 übernommen wurde (vgl. WILLIAMSON, WBC, 29f.), ist die Diskussion darüber, ob die Liste ursprünglich zum Ich-Bericht Nehemias gehörte, offen. Sie fügt sich jedenfalls nicht nahtlos ein, da sie Nehemias Problem, der unzureichenden Einwohnerzahl in Jerusalem, widerspricht. Neh 7,6 geht selbstverständlich davon aus, dass die Rückkehrer sich auch wieder in Jerusalem ansiedeln. Zudem ist die Aufzeichnung der Geschlechter (7,5) für das in Neh 11,1 geschilderte Losverfahren gar nicht notwendig. Auffällig ist außerdem, dass diese Liste anders als die Listen in Neh 3 und 11 explizit als Quelle eingeführt wird. Die von FINKELSTEIN, Archaeology, beigebrachten Befunde zur Siedlungsgeschichte der Ortslagen erhärten die Vermutung, dass die Liste sehr jung und auch in Neh 7 sekundär ist. 105 Die meisten der Namen sind nicht greifbar. Wenn mit Nehemja tatsächlich Nehemia gemeint sein sollte, sind hier Persönlichkeiten unterschiedlicher Epochen versammelt (vgl. die Diskussion der Namen bei RUDOLPH, HAT Esra, 57f. bzw. WILLIAMSON, WBC, 32f.), so dass möglicherweise gar nicht an einen bestimmten Zug von Heimkehrern, sondern an verschiedene Rückwanderungswellen zu denken ist. 106 Diese Funktion der Notiz sieht auch R UDOLPH , HAT Esra, 10f. 107 Vgl. u.a. KARRER , Ringen, 73; GUNNEWEG , KAT XIX 2, 69. 108 Vgl. die Diskussion bei TALSHIR , I Esdras, 287–298. Ö stützt in Esr 2,70 und Neh 7,72 jeweils den MT. 3Esr 9,37 hilft an dieser Stelle nicht weiter, vgl. dazu die Diskussion bei WILLIAMSON , Israel, 32ff.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Aus der Feststellung, dass die Heimkehrerliste zunächst in Neh 7 eingefügt und von dorther schließlich auch in Esr eingetragen wurde (vgl. Anm. 104), folgt freilich nicht von vornherein die textgeschichtliche Priorität der in Neh 7,72 überlieferten Lesart. ומן ־העםin Esr 2,70a/Neh 7,72 meint die Laien im Gegenüber zu Priestern und Leviten 109 und entspricht damit dem Sprachgebrauch in 2,2/7,7, wo der Laien-Abschnitt der Liste mit אנשׁי עם ישׂראלund nicht einfach mit „Israel“ oder „Israeliten“ (vgl. Esr 7,7; 10,25; Neh 10,40; 11,3.20; 12,47) überschrieben ist. „Israel“ steht dagegen für das gesamte Volk, d.h. Kultpersonal und Laien. So behandeln 2,59f./7,61f. zunächst ganz allgemein die Zugehörigkeit zu „Israel“, dann folgt der spezifischere Fall, d.h. die Zugehörigkeit bestimmter israelitischer Sippen zum Priestergeschlecht (2,61–63/7,63–65). ( כל־ישׂראלEsr 2,70b/Neh 7,72) steht schließlich für die gesamte Bevölkerung, die alle zuvor genannten Gruppen umfasst. Esr 2,70 lässt sich also als konzise Zusammenfassung der Liste lesen: die aufgeführten Gruppen siedeln „in ihren Städten“, womit „ganz Israel in seinen Städten“ angekommen und eine Brücke zur Einleitung v. 2a geschlagen ist. Auch Neh 7,72a lässt sich, obwohl hier בעריהםim ersten Satz fehlt, kaum anders verstehen. So führt H.G.M. Williamsons Versuch, v. 72a als einen Satz zu lesen und כל־ישׂראלsyntaktisch den zuvor genannten Einzelgruppen beizuordnen, in Widersprüche: meint „ganz Israel“ die Gesamtbevölkerung ist das Verhältnis zu den anderen Gruppen nicht klar, sollte es für die Laien stehen, ergibt sich eine Doppelung zu העם.110 Ob בעריהםnun aufgrund von Parablepsis ausgefallen (in Esr 3,1/Neh 7,72b erscheint es wieder) oder als Dittographie in den Text gelangt ist, ist wohl nicht mehr zu entscheiden. Sowohl in Esr 2,70 als auch in Neh 7,72a bezeichnet „Israel“ aber die gesamte Bevölkerung, vgl. Esr 3,1 bzw. Neh 7,72b. Die Lesart von 3Esr 5,45, die von einigen Kommentatoren bevorzugt wird und in Esr 2 (anders Neh 7) auch zur Grundlage der Luther-Übersetzung geworden ist, erklärt sich am besten als sekundärer Erklärungsversuch eines Übersetzers, der unter „Israel“ den Laienanteil des Volkes verstand und das Nebeneinander von „Volk“ und „Israel“ ausgleichen wollte, indem er ihnen unterschiedliche Wohnorte zuwies. 111
Nach Auffassung der Liste in Esr 2/Neh 7 scheint es keine Israeliten außer jenen zu geben, die im Exil waren, und diese sind nun vollständig in ihre Städte zurückgekehrt – כל־ישׂראל בעריהם. Soll damit Israel auf Juda und Benjamin begrenzt und sogar der Diaspora die Zugehörigkeit zu Israel abgesprochen werden? Damit wäre Esr2/Neh 7 sicher überinterpretiert. Die Diaspora ist gar nicht im Blick, die Aussageintention eine andere. Es geht ausschließlich um die Verhältnisse im Land; mit der Rückkehr werden nämlich vorexilische Gegebenheiten wiederhergestellt: Jeder lebt wieder in seinem angestammten Ort. Damit gilt, wie A.H.J. Gunneweg prägnant formuliert: „Diese Rückkehr ist Restauration.“112 Während die Liste in der älteren Forschung als „echte Heimkehrerliste“113 galt, setzt sich in neueren Untersuchungen die Erkenntnis durch, GUNNEWEG, KAT XIX 2, 69. WILLIAMSON, WBC, 273, muss dann auch frei übersetzen: „even (and) all Israel“. 111 Vgl. ebd. sowie TALSHIR , I Esdras, 287. 112 GUNNEWEG , KAT XIX 2, 57. Für WILLIAMSON , WBC, 111, gilt zumindest für Neh 7: „there ist … the definite impression here of a second Exodus, with its arduous desert journey and entry into the land.“ 113 So u.a. RUDOLPH , HAT Esra, 17, der in der Liste allerdings eine Zusammenstellung verschiedener Züge von Rückwanderern sieht. Neuerdings wieder STEINMANN, Note. 109 110
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dass es sich nicht um eine Zusammenstellung von Rückkehrern, sondern um ein Verzeichnis von Einwohnern handelt. 114 Dafür spricht u.a., (a) dass die Anordnung der Laien ab Esr 2,21/Neh 7,25 nicht mehr nach Familien, sondern nach Wohnorten erfolgt, (b) dass die genannten Zahlen (die zudem innerhalb der Liste nicht stimmig sind) in keinem Verhältnis zur Anzahl der Deportierten (vgl. Jer 52,28–30) stehen und (c) dass die Überschrift mit בני־המדינהdie Provinz Jehud und Esr 2,63/Neh 7,65 bereits eine institutionelle Entscheidungsinstanz (den Statthalter der Provinz, vgl. den Titel תרשׁתאin Neh 8,9; 10,2) voraussetzen. 115 Was die genannten Ortslagen angeht, spiegelt die Liste zudem eher hellenistische als persische Verhältnisse, da die meisten von ihnen in frühpersischer Zeit gar nicht besiedelt waren.116 Hier wird also eine Einwohnerliste aus deutlich späterer Zeit als Heimkehrerliste und zudem als Verzeichnis „ganz Israels“ präsentiert. „Ganz Israel“ teilt somit die Exilserfahrung. Trotzdem ist die Exilserfahrung in Esr 2/Neh 7 nicht das entscheidende Kriterium für die Zugehörigkeit zu Israel, denn es gibt offensichtlich Sippen, die die Exilserfahrung teilen, aber deren Zugehörigkeit zu Israel dennoch nicht gesichert ist. Esr 2,59f./Neh 7,61f. nennen einige Sippen, die nicht über ihre Wohnorte im Land sondern im babylonischen Exil eingeführt werden, aber mit Delaja oder Tobija teilweise JHWH-haltige Namen117 tragen. Sie können nicht nachweisen, ob sie nach „Vaterhaus und Abstammung“ ( בית־ )אבותם וזרעםIsraeliten sind. Ihr Status bleibt ungeklärt. Von Esr 2,59/Neh 7,61 her kann man die Liste gerade nicht als Beleg für ein nachexilisches Judentum als Religionsgemeinschaft sehen. Sie stellt Israel als ein Ethnos dar, allein definiert durch die gemeinsame Abstammung.
114 Oft suchte man nach einem konkreten Anlass für die Zusammenstellung: ALT, Rolle Samarias, 335, Anm. 1, denkt an ein „Dokument … im Blick auf die dann vorzu nehmende Verteilung des verfügbaren Bodens“; GALLING, Studien, 106f., an die von Tatnai angeforderte Namensliste der am Tempelbau Beteiligten (Esr 5,4); GUNNEWEG, KAT XIX 2, 63.65, an eine Mitgliederliste für die „nachexilische Gemeinde als Körperschaft autonomen und von der persischen Regierung zugelassenen und sanktionierten Rechts“ (vgl. WEINBERG, Notizen, 51f.). Ohne diese konkrete Zuordnung dient sie in der neueren Diskussion als wichtige Quelle für die Bevölkerungszahlen in der Provinz Jehud, zur aktuellen Debatte vgl. LIPSCHITS , Fall, 158–168. 115 Weitere Argumente listet WILLIAMSON , WBC, 30f., auf. 116 Vgl. die tabellarische Übersicht bei FINKELSTEIN , Archaeology, 14. 117 Man ist versucht, hier eine Anspielung an die Gegner Nehemias zu sehen: Delaja heißt ein Sohn Sanballats (TADAE A4.7 Zeile 29), Tobija ist ebenfalls ein Gegenspieler Nehemias. Nekoda sperrt sich gegen diese These, der Name begegnet lediglich noch einmal unter den Tempelsklaven (Esr 2,48/Neh 7,50). Delaja ist zudem ein recht verbreiteter Name, vgl. Jer 36,12.25; Neh 6,10; 1Chr 3,24; 24,18.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
1.2 Das Zwölf-Stämme Volk im Exil 1.2.1 Hoffnungen auf Vereinigung und Heimkehr 1.2.1.1 Zwei Stäbe – ein Volk (Ez 37,15–24) In der kanonischen Gestalt des Ezechielbuches118 schließt Ez 37,15–28 eine Reihe von Ankündigungen kommenden Heils für Israel ab (Ez 34–37119) und verheißt eine neue Einheit des zweigeteilten Volkes. In einer prophetischen Zeichenhandlung symbolisiert das Zusammenlegen zweier beschrifteter Hölzer den Zusammenschluss beider Teile des Volkes Israel, der gedeutet und mit weitreichenden Verheißungen verbunden wird. Ez 34–37 ist zweifellos eine gewachsene Größe. Den Grundbestand scheint eine Sammlung von vier Heilsverheißungen gebildet zu haben, die jeweils mit der Aufforderung an den Propheten – angeredet mit – בן־אדם, bezüglich eines bestimmten Adressaten zu prophezeien ( נבאImp. Nif. + עלoder )אלeinsetzen.120 Die Adressaten sind die Hirten Israels (34,2: )הנבא על־רועי י שׂראל, der Seïr (35,2: )שׂ ים פניך על־הר שׂ עיר והנבא עליו, die Berge Israels (36,1: הנבא אל־הרי י שׂראל, vgl. 36,3.6) und die Gebeine in der Vision Ezechiels (37,4: )הנבא על־העצמות האלה. Die Aufforderung leitet jeweils eine Gottesrede ein, in der die Adressaten direkt angesprochen werden (2. Pers.). Alle vier Heilsankündigungen laufen auf die Gotteserkenntnis der Angesprochenen bzw. auf die Zusage der Zuwendung JHWHs zu seinem Volk zu (34,30; 35,15; 36,11; 37,14). Neben einer Reihe von Gemeinsamkeiten (Formulierung des Auftrags, Anrede in der zweiten Person, Erkenntnisformel) ist die vierte Heilsankündigung (37,1–14 121) strukturell von den vorhergehenden abgesetzt: nur hier ist der Redeauftrag des Propheten in ein szenisches Geschehen mit einer Vision und einem Dialog zwischen Prophet und ( רוח יהוהv. 3.11) eingebettet, nur hier ergeht ein doppelter Redeauftrag (v. 4.12), wobei die erste Gottesrede (v. 5f.) auf der Bildebene bleibt und die zweite (v. 12–14) die Deutung der Vision auf der Sachebene enthält. Insgesamt ergibt sich eine 3+1 Struktur: die vierte Heilsankündigung führt die
118 Die alten Handschriften bezeugen eine relativ große Variationsbreite der Textgestalt. Der griechische Pap. 967 bietet für Ez 36–39 zudem eine andere Kapitelreihenfolge (36*.38.39.37), vgl. die neueren Aufarbeitungen des textkritischen Befunds und Interpretationen der verschiedenen Fassungen bei SCHWAGMEIER , Untersuchungen; CRANE , Israel's Restoration, und LUST, Utopian Expectations. 119 Ez 38f. setzen die Heilszusagen mit der Ankündigung eines Sieges Israels über die Feinde aus dem Norden unter Gog fort. Hier wird ein endzeitliches Szenario entfaltet, das zuvor nicht im Blick war (so bereits ZIMMERLI, BK, 945, der die Kapitel dennoch tentativ Ezechiel zuschreiben möchte; neuere Kommentare sehen Ez 38f. meist als als Eintrag, vgl. u.a. FUHS , NEB, 214f.; POHLMANN , ATD, 511). Zudem haben die Kapitel ihren Ort in den ältesten Handschriften noch nicht gefunden, vgl. dazu die vorige Anm. 120 Der Auftrag הנבאdient im Ezechielbuch öfter als Einleitung für ein Gotteswort, vgl. Ez 4,7; 6,2; 11,4; 13,2.17; 25,2; 28,21; 29,2; 38,2; 39,1 mit ;עלin 21,2.7; 37,12 mit ;אלin 21,14.19.33; 30,2; 38,14 ohne Objekt. 121 Viele Ausleger sehen in 37,8–10 die Hoffnung auf eine individuelle Totenauferweckung ausgedrückt und in diesem Aspekt eine nachträgliche Reinterpretation des Textes, wobei über die konkrete Abgrenzung des angenommenen Einschubs keine Einigkeit besteht, vgl. den Überblick bei HUBMANN , Forschung, 112–119. Die Frage kann hier nicht verfolgt werden.
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ersten drei in variierter Weise fort.122 Die Formel דברתי ועשׂיתי נאם־יהוהschließt den Zusammenhang der vier Heilsankündigungen bekräftigend ab.123 Inhaltlich thematisieren die Verheißungen Aspekte der Wiederherstellung Israels in seinem Land. Kap. 34 behandelt die Sammlung der zerstreuten „Herde“ Israel und ihre Rückführung zu den „Bergen Israels“ (v. 10–16) sowie die Beseitigung sozialer Missstände durch JHWHs Eingreifen gegen die „fetten Schafe“ (v. 17ff.). Die Prophezeiung gegen das Gebirge Seïr und die Berge Israels bilden ein Paar mit vergleichbarer Metaphorik: Edom wird die Verwüstung und Israel Fruchtbarkeit angekündigt – in beiden Fällen als eine Umkehr der bestehenden Verhältnisse. Das Ziel ist auch hier die Rückführung Israels in sein Land, die schließlich in 37,1–14 als Neubelebung des Volkes gezeichnet und gedeutet wird. Diese Hoffnungsperspektive für die Exilierten ist mehrfach erweitert worden. So heben sich 36,16–38 formal (kein analoger Redeauftrag an den Propheten) und inhaltlich (längerer Geschichtsrückblick in mehreren Anläufen, Frage nach dem Grund für JHWHs Heilshandeln) vom Kontext ab.124 Gleiches gilt für die durch eine eigene Terminologie auffallende Erweiterung 34,23–30; sie führt anstelle von JHWH als Hirten über Israel nun einen davidischen Hirten als נשׂיאüber Israel ein.125 Über den Titel נשׂיאund die verheißene wunderbare Fruchtbarkeit des Landes ergeben sich Verbindungen zu Ez 37,25– 28 sowie Kap. 40–48.126
Bei der Zeichenhandlung mit den zwei Hölzern handelt es sich wahrscheinlich um eine für diesen Kontext geschaffene Fortschreibung der älteren in Ez *34,1–37,14 vorliegenden Heilsankündigungen.127 Vor allem drei Besonderheiten setzen diesen Abschnitt vom Vorhergehenden ab: (a) Der für Ez 34ff. charakteristische Auftrag an den Propheten zu prophezeien ( נבאImp. Nif.) fehlt hier völlig. Es handelt sich vielmehr um eine Zeichenhandlung, die dann in einer Gottesrede gedeutet wird. (b) Das Thema der Teilung des Volkes ist in den übrigen Heilsankündigungen gar nicht im Blick.128 Ez 34 liegt auf einer anderen Ebene und thematisiert soziale Spaltungen; die Ankündigung eines Hirten (v. 23: )רעה אחדist hier das Gegenbild zur Vielzahl der Hirten, die Israel vernachlässigt haben (vgl. 34,2ff.). Dazu kommt (c) ein anderer Gebrauch des Israel-Namens; während in 34,1–37,14 mit י שׂראלJuda bzw. die Angehörigen der judäischen Gola im Blick sind,129 schließt „Israel“ in 37,15ff. die Nordstämme ausdrücklich ein. Der Abschnitt selbst setzt mit der Wortereignisformel (v. 15) ein. In v. 16–24 folgt eine Gottesrede, die zunächst einen Auftrag an den PropheZum Zahlenschema 3+1 als Gestaltungsmittel vgl. ZAKOVITCH , Pattern. Vgl. ZIMMERLI, BK, 134f. 124 Vgl. die Argumente bei ZIMMERLI , BK, 874. P OHLMANN , ATD, 484f., bemerkt, dass es zu den „in 36,16–38 verhandelten Themen … in 37,1–14 nirgends Berührungspunkte gibt“, sieht aber in 37,1 gegenüber dem dem gesamten Vorkontext einen „abrupten Neueinsatz“. 36,23b–38 fehlen zudem in der im griechischen Papyrus 967 überlieferten Ezechielfassung, dazu oben Anm. 104. 125 ZIMMERLI , BK, 847, vgl. R UDNIG , Heilig, 61f. 126 Vgl. R UDNIG , Heilig, 62. 127 Zu den Anknüpfungspunkten vgl. BLOCK , NICOT, 393. 122 123
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ten zu einer Zeichenhandlung enthält und dann vorwegnehmend einen Dialog zwischen Prophet und Volk darstellt und dem Propheten die in diesem Dialog zu sprechenden Gottesworte vorgibt. Es ergibt sich folgende Struktur: 15 Wortereignisformel 16–17 Beschreibung der Zeichenhandlung 18–24 Dialog zwischen Prophet und Volk 18 Reaktion des Volkes 19 1. Redeauftrag: Deutung des Vorgangs auf Zeichenebene 20–24 2. Redeauftrag: Deutung des Ergebnisses auf Sachebene Ez 37,25–28 sind gegenüber v. 15–24 eine nachträgliche Erweiterung. Die Argumente sind nicht neu:130 Die erneute Ankündigung der Rückkehr der Exilierten, des davidischen Herrschers und des Bundes zwischen JHWH und Volk stellen Doppelungen zu v. 15–24 dar. Es gibt signifikante Unterschiede in der Terminologie, v. 24 spricht von David als König ( )מלך, v. 25 gebraucht den Titel Fürst ()נשׂיא. V. 25–28 weisen über das Stichwort עולם ein eigenes Gestaltungsprinzip auf, jeder Unterabschnitt wird refrainartig mit עד־עולםbzw. לעולםbeschlossen. Hinzu kommen enge Bezüge zu Lev 128 Den Gegenbeleg scheint Ez 35,10 zu bilden. Der Vers gibt allerdings eine Reihe von Rätseln auf: (a) Dass sich die Edomiter in der Exilszeit auf judäisches Gebiet ausgebreitet haben, ist relativ gut bezeugt, v.a. über die bitteren Reaktionen auf dieses Geschehen von judäischer Seite (Thr 4,21ff.; Jer 49; Ob; Mal 1,1–5 u.a., vgl. DONNER , Geschichte, 421); edomitische Übergriffe auf das Gebiet des ehemaligen Nordreichs sind nicht nachzuweisen und auch geographisch unwahrscheinlich. (b) In v. 10 fällt im Vergleich zum Kontext die Rede Edoms in der 1. Pers. pl. (v. 10b) auf und der Wechsel von der JHWH-Rede zu der Rede über JHWH in der 3. Pers. Für sich genommen sind das keine ausreichenden Indizien für die Annahme einer nachträglichen Einschreibung, käme nicht noch die auffällige Nähe zu Ez 37,15–28 hinzu. שׁני הגויםund שׁתי הארצותerinnern an שׁני הגויםund שׁ תי ממלכותvon 37,22 (dass in 35,10 „Land“ und nicht „Königreich“ genannt wird, kann damit zusammenhängen, dass es Edomitern in dieser ihnen in den Mund gelegten Rede um den Landbesitz geht). Das in der älteren Exegese gern emendierte ויהוה ( שׁ ם היהEHRLICH , Randglossen 5, 131; BERTHOLET, HAT, 122, schlagen vor, ויהוה שׁ מעzu lesen; dagegen ZIMMERLI, BK, 853) scheint von 37,26–28 beeinflusst zu sein, wo JHWHs Wohnen inmitten seines wiedervereinigten Volkes angekündigt wird. Der „Verdacht“ ZIMMERLIS, ebd., „daß wir es mit einem nachträglich zugesetzten Satz der Kommentierung zu tun haben“, scheint sich insofern zu erhärten. 129 „Israel“ begegnet in Ez 34,1–37,14 in verschieden Zusammensetzungen: בית ישׂ ראלa35,15; כל בי ת י שׂראלa 36,10; 37,11; בני ישׂראלa35,5; עם י שׂראלa36,8.12 und רועי ישׂ ראלa34,2. Daneben dienen הרי י שׂראלa(34,13f.; 35,12; 36,1.4.8)und אדמת י שׂראלa(36,6; 37,12) zur Bezeichnung des Landes. Dass mit „Israel“ hier vor allem die judäische Gola im Blick hat schon ROST, Israel, 88, mit dem zentralen Gegensatz zu Edom begründet (vgl. auch die vorige Anm.). 130 Sie sind bereits bei ZIMMERLI , BK, 907, und B ARTH, Einheit, 47, zusammengestellt und weitgehend anerkannt, vgl. u.a. LEVIN, Verheißung, 214f.; OHNESORGE , Jahwe, 347– 350; RUDNIG , Heilig, 62f.65–71; POHLMANN , ATD, 501. Umstritten ist, ob v. 24b zu dieser Erweiterung zu rechnen ist, vgl. dazu unten S. 91, Anm. 148.
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26,3–13, die im Vorkontext nicht gegeben sind.131 Thematisch schlagen 37,25–28 eine Brücke zu Ez 48: „Verheißen wird Israel ewiges Wohnen im Lande, verheißen wird David als נשׂיאauf ewig, verheißen wird die Präsenz von Jahwes Heiligtum auf ewig; mit diesen Verheißungen werden zugleich (die) drei zentrale(n) Themenbereiche des Verfassungsentwurfes angesprochen.“132 a) Die Zeichenhandlung Die Zeichenhandlung selbst ist im Grundzug deutlich, aber in den Details umstritten. Der Prophet soll zwei Hölzer133 beschriften und dann so in seiner Hand zusammenführen, dass sie eine Einheit bilden. Über das Stichwort ( אחדv. 17.19.22.24) sind Zeichen und Deutung verknüpft, so dass diese Vereinigung als das Element der Zeichenhandlung ausgewiesen ist, auf das es auf der Sachebene ankommt. Deutlich ist ebenfalls, dass ein Holz mit „Juda“ und eines mit „Joseph“ in Verbindung gebracht wird. Was aber steht auf den Hölzern? Mehrere Aspekte der Aufschrift sind in der Diskussion: 131 Vgl. die Synopse und Diskussion bei B ALTZER, Ezechiel, 156–162, sowie GROSS , Israels Hoffnung, 116f. 132 R UDNIG , Heilig, 63. Für Rudnig ergeben sich hier weitgehende redaktionsgeschichtliche Konsequenzen. Er weist eine Grundschicht (v. 25a αbβγ.26abβ.27aβb.28), aus der die Anklänge an priesterliche Sprache als „schriftgelehrte Angleichung“ an Lev 26 oder „wiederholende, verdeutlichende Glosse[n]“ ausgeschieden werden (68f., vgl. die ähnliche Analyse bei OHNESORGE , Jahwe, 345–351), der „golaorientierten Redaktion“ zu, die eine Grundschicht des Verfassungsentwurfs geschaffen und mit dem vorliegenden Prophetenbuch verbunden habe (345). Ez 37,25–28* dienen in der Analyse des Verfassungsentwurfs bei Rudnig dann als Mittel zum Erheben von dessen Grundschicht, denn deren „Texte konkretisieren die Verheißungen von Ez 37,25–28*“ (ebd.). Dagegen hält KONKEL , Gola, 364, fest: „Ez 37,25–28 zeigt deutliche Spuren einer späten Mischsprache, welche die Heilsansagen des Ezechielbuches im Licht deuteronomistischer und insbesondere priesterlicher Sprache interpretiert“, so dass der Versuch, die priesterlichen Anklänge literarkritisch abzuheben, sich vom Text her nicht nahelege. Damit würde sich auch die Zuweisung an eine Redaktion (und in der Folge auch die Annahme einer derartigen Redaktion in Ez 40–48?) erledigen, die noch keine priesterlichen Hintergrund spiegele (365). Für Konkel handelt sich bei Ez 37,25–28 daher um einen Text, „der die zentralen Inhalte von Ez 40–48 an das Buchkorpus zurückbindet“ (ebd.) Damit verbunden ist die Frage nach der Stratigraphie innerhalb von Ez 37. Während die Mehrheit der Ausleger in 37,25ff. die jüngsten Fortschreibungen innerhalb des Kapitels finden (ZIMMERLI, BK, 906–908; BARTH, Einheit, 46f.; LEVIN, Verheißung, 214– 218; OHNESORGE , Jahwe, 378–408) möchte RUDNIG , Heilig, 65–71, v. 25–28* direkt an Ez 37,1–14 anschließen. Dagegen spricht der elementare Befund, dass in 37,12–14 Israel in der 2.Pers. angesprochen wird, v. 25ff. aber über Israel in der 3. Pers. reden – ein Problem, das RUDNIG , Heilig, 67, natürlich sieht und zu der Annahme gezwungen ist, dass Pronomina und Suffixe nach Einfügung von v. 15–24 angepasst worden seien. 133 Welcher Art die Hölzer sind (Hirtenstäbe, Herrscherstäbe, hölzerne Tafeln), ist breit diskutiert worden, vgl. die Vorstellung der verschiedenen Möglichkeiten bei ZIMMERLI, BK, 909f., bzw. BLOCK, NICOT, 397–402.
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(a) Gehört das לvor יהודהund יוסףbzw. בני ישׂראלzur Aufschrift? Da es die Zeichenhandlung erfordere, dass die Hölzer als Symbole für das auf sie Geschriebene stehen, hält S. Ohnesorge eine einfache Aufschrift des Symbolisierten für passender und erklärt das לmit Verweis auf Jes 8,1 als ein sog. ל-inscriptionis, das nicht geschrieben werden soll.134 Dagegen sieht W. Zimmerli das לals Teil der Aufschrift, so dass die Hölzer über diesen „Zueignungsvermerk“ den symbolisierten Größen zugeordnet werden.135 Auch wenn Zimmerlis Verweis auf Ez 21,25 als Gegenbeleg gegen ein לinscriptionis nicht überzeugt,136 ist ihm in der Erklärung von Ez 37,16 zuzustimmen. Die These, dass das לnicht zur Aufschrift gehört, zieht nämlich für die Beschriftung des ersten Holzes nach sich, dass auch die Kopula vor בני ישׂראלausfällt und die Aufschrift יהודה בני י שׂראל חברוergäbe, was mehr Probleme schafft als löst.137 (b) חברוoder ?חבריוa ( חברוv. 16a, vgl. v. 19) als Apposition zu בני ישׂראל gelesen erfordert den Plural חבריו, wie ihn Q vorschlägt und Ö wie auch åÑ voraussetzen – auch in v. 16b, wo als Apposition zu כל־בית י שׂראלder Singular syntaktisch möglich wäre. Die meisten Kommentatoren emendieren entsprechend. Das Suffix bezieht sich dann auf „Juda“ bzw. „Joseph“ und inhaltlich folgt für die Aufschrift der Hölzer, dass jeweils der repräsentative Stamm für das Süd- bzw. das Nordreich genannt wird und neben ihm der Teil eines umfassenderen Israel, der ihm zugeordnet ist. Bei Juda wäre an Angehörige der Stämme Benjamin oder Simeon zu denken,138 bei Joseph an die übrigen Nordstämme. Doch auch MT lässt sich plausibel machen. חברוsteht auf beiden Hölzern. Möglicherweise wird über das Suffix gar kein Rückbezug zu „Juda“ bzw. „Joseph“ hergestellt, sondern ein Bezug zum jeweils anderen Holz, d.h. jedes ist חברdes anderen. Schon die Beschriftung signalisiert so die Zusammengehörigkeit der Hölzer resp. der symbolisierten Größen. Zugeeignet sind die Hölzer in beiden Fällen ganz Israel, einmal als בני י שׂראל, einmal als כל־בית י שׂראלbezeichnet, allerdings jeweils durch einen anderen Stamm repräsentiert. Auch darüber wäre die Zusammengehörigkeit als „Söhne Israels“ bzw. „Haus Israels“ bereits in der Beschriftung der Hölzer ausgedrückt.139
134 OHNESORGE , Jahwe, 340, mit Verweis auf eine Reihe älterer Kommentare. Vgl. auch Ges-K § 119u. sowie JENNI, Lamed, 71. 135 ZIMMERLI , BK, 904.910f.; GREENBERG, HThKAT, 470. 136 AaO., 904. Ein Gegenbeleg lässt sich gleichwohl finden: Jes 44,5. Die Aufforderung, ליהוהauf die Hand zu schreiben, kommt ganz ohne ל-inscriptionis aus. 137 Soll בני י שׂ ראל חברוdann Apposition zu יהודהsein? Der Vorschlag, dass ursprünglich nur „Juda“ bzw. „Joseph“ auf den Hölzern gestanden habe (s.u.), verschiebt das Problem nur auf die Ebene des Ergänzers, der dann sehr ungeschickt vorgegangen wäre. 138 ZIMMERLI , BK, 911, nennt darüber hinaus Kalebiter, Kenasiter und Jerachmeeliter, was freilich voraussetzen würde, dass diese wie in den Genealogien der Chronik in das Stämmesystem eingegliedert wären, vgl. dazu unten S. 127f.
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(c) Mehrfache Erweiterungen? Während es weitgehend Konsens ist, dass es sich bei ( עץ אפריםv. 16b) und אשׁ ר ביד־אפרים ושׁבטי י שׂראל חברו (v. 19a) um erklärende Glossen handelt,140 stehen auch ולבני ישׂראל חברו (v. 16a und ( וכל־בית י שׂראל חברוv. 16b) in Verdacht „verdeutlichende Ergänzungen“ zu sein. Als Argument dient, dass in v. 19 lediglich von einem עץ יוסףund einem עץ יהודהdie Rede ist und daher auch in v. 16 die Hölzer nur mit „Juda“ bzw. „Joseph“ beschriftet worden seien, die als „Platzhalter für Süd- bzw. Nordreich durchaus aus[reichen]“ würden.141 Die Beobachtung ist richtig, aber kein hinreichendes Argument. Zum einen kann v. 19 als Signal der Rekurrenz lediglich ein signifikantes Element der Aufschrift, also „Joseph“ bzw. „Juda“ aufnehmen, ohne dass damit ausgeschlossen wäre, dass zuvor mehr als nur die Namen auf die Hölzer geschrieben wurde. Zum anderen liegt die Einführung von Juda und Joseph als Teilgrößen eines umfassenderen Israel auf der Linie, der die Zeichenhandlung auf der Sachebene erklärenden Gottesrede v. 20ff., in der בני ( ישׂראלvgl. v. 21) ganz analog auf ein aus Süd- und Nordreich bestehendes Israel referiert (s.u.). Neben dem Bild der Vereinigung, das durch das Zusammenlegen der zwei Hölzer entsteht, gewinnt diese Zeichenhandlung Ezechiels über die Aufschriften eine zusätzliche Dimension: Beide Teile werden von vornherein als zusammengehörig ausgewiesen, da sowohl Juda als auch Joseph zu Israel gehören (unabhängig davon, ob man in v. 16 חברוoder חבריוliest). b) Zwei JHWH-Worte – Bildebene und Sachebene Nach dem Auftrag zur Zeichenhandlung gibt die weitere Gottesrede v. 18ff. dem Propheten vor, was er seinen Adressaten zu dieser Zeichenhandlung mitzuteilen hat. Es handelt sich dabei um zwei parallel eingeleitete JHWH-Worte. Die wörtliche Übereinstimmung von Redeeinleitung und Redebeginn in v. 19 bzw. v. 21 ( ודבר אלהם כה־אמר אדני יהוה הנה אני/דבר )לקחhat zu der verbreiteten Annahme geführt, dass es sich bei v. 20ff. um 139 Vgl. WILLIAMSON , Concept, 143: „even in this passage, which by speaking of the reunion of the people emphasises their division most strongly, both Judah and Joseph are equally included within Israel.“ In v. 19a ist die angedeutete Interpretation nicht möglich, es fehlt der Bezugspartner. Der Text ist aber kaum ursprünglich, vgl. die folgende Anm. 140 Beide verbindet die Erläuterung Josephs mit Ephraim. In v. 19 entsteht durch den Zusatz ein deutlicher Bruch: das Holz Joseph, das JHWH nimmt (JHWH-Rede in der 1. Pers.) befindet sich plötzlich „in der Hand Ephraims“. In diesem Zusammenhang wurde möglicherweise auch das überschüssige אותםin v. 19b. eingefügt, bei dem – wie schon in bei der Ergänzung in v. 19a von der Bildebene (Hölzer) auf die Sachebene (Stämme) gewechselt wird, vgl. ZIMMERLI, BK, 904; OHNESORGE , Jahwe, 341. Ö wechselt in v. 19 komplett auf die Sachebene, dürfte aber bereits den gestörten MT vor Augen haben und interpretieren. 141 OHNESORGE , Jahwe, 341.
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eine nachträgliche Ergänzung zu 37,15–19 handelt.142 Das ist jedoch aus zwei Gründen unwahrscheinlich. Zum einen sind beide JHWH-Worte in die Szene der Zeichenhandlung eingebettet und sollen jeweils zu einem bestimmten, in der Gottesrede festgelegten Zeitpunkt übermittelt werden. Das erste Wort (v. 19) ist auf den Vorgang des Zusammenlegens der Hölzer (v. 17) bezogen. Auf diesen reagiert das Volk mit der Frage v. 18, die der Prophet dann mit dem ersten JHWH-Wort beantwortet. Das zweite Wort (v. 21ff.) ist mit dem Ergebnis der Zeichenhandlung verknüpft, also der „Einheit“ der zwei beschrifteten Hölzer in der Hand des Propheten. V. 20 greift auf v. 16ff. zurück und fährt in der Beschreibung der Szene fort. 143 Insofern handelt es sich nicht um eine Doppelung, sondern eine bewusst gestaltete szenische Abfolge. Zum anderen bliebe die Zeichenhandlung ohne v. 20ff. völlig ohne Deutung, denn das erste JHWH-Wort bleibt auf der Bildebene.144 Inhaltlich verbalisiert es für die Zuschauer die zuvor vom Propheten vorgenommene Handlung. Dabei verknüpft es das Handeln des Propheten mit dem Handeln JHWHs, erweist das gesamte Geschehen also als ein Wirken JHWHs. Erst die zweite JHWH-Rede (v. 21ff.) liefert eine Deutung auf der Sachebene; hier ist nicht mehr von den Hölzern die Rede, sondern den durch sie symbolisierten Größen, d.h. den „zwei Königreichen“ (v. 22: )שׁתי ממלכות.145 Die Deutung auf der Sachebene greift mit ihren Verheißungen über das in der Zeichenhandlung symbolisch Dargestellte hinaus. Angekündigt werden die Rückführung der Exilierten (v. 21), ihre Vereinigung zu einem Volk mit einem König (v. 22) 146 und ihre Reinigung als Voraussetzung für ein (Bundes-)Verhältnis zwischen JHWH und Israel (v. 23). V. 24 präzisiert 142 Als Hauptargument gilt die doppelte Redeeinleitung in v. 19.21, die in der Tat nahezu wörtlich parallel läuft, vgl. ZIMMERLI, BK, 906f.; LEVIN, Verheißung, 214; POHLMANN , ATD, 501. OHNESORGE , Jahwe, 343, nennt als weitere Argumente: (a) die JHWHRede in v. 19 entspreche der Zeichenhandlung v. 15–18*, daher sei mit v. 19 ein Ab schluss erreicht und (b) v. 20 komme mit einer weiteren Handlungsaufforderung nach v. 18 zu spät. Ob mit v. 19 ein Abschluss erreicht ist, muss sich in der Interpretation erweisen, ob v. 20 zu spät kommt, hängt letztlich daran, ob sich eine Funktion genau dieser Anordnung plausibel machen lässt. Dann würde auch die doppelte Redeeinleitung kein Problem darstellen. Zu einem Vorschlag s.i.F. FOHRER, HAT, 211, geht den umgekehrten Weg und scheidet v. 19f. als „ergänzende Glossen“ aus. 143 Vgl. LEVIN , Verheißung, 214; S WEENEY, Royal Oracle, 245.247. 144 Vgl. ALLEN, WBC, 191; BLOCK , NICOT, 393; GREENBERG, HThKAT, 473. Daher notieren sowohl ZIMMERLI, BK, 908, als auch RUDNIG , Heilig, 65, v. 20ff. böten eine „notwendige“[!] Deutung der Zeichenhandlung (dennoch sehen beide v. 20ff. als spätere Hinzufügung). 145 Insofern kann es nur verwundern, wenn LEVIN , Verheißung, 214f., gerade diesen Zug, über den v. 20ff. an die Zeichenhandlung anknüpfen, als „Dublette“ und „Dublette zur Dublette“ ausscheiden möchte. 146 GROSS , Israels Hoffnung, 118, macht darauf aufmerksam, dass die Rede vom einen König hier die Einheit des Volkes illustriert.
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die Verfasstheit dieses verheißenen Israel dahingehend, dass ein davidischer König als der „eine Hirte“ für Israel fungieren wird 147 und dass die Israeliten die Gebote JHWHs bewahren und tun werden. 148 Dieser scheinbare Überschuss an Verheißungen ist jedoch nicht literarkritisch aufzulösen,149 sondern es ergibt sich ein folgerichtiger Zusammenhang. Die Rückführung der Exilierten ist eine notwendige Voraussetzung der Vereinigung, und v. 21 klärt zugleich, wer dem vereinigten Israel angehört. Dass zur neuen Existenz Israels auch ein neues Verhältnis zwischen JHWH und Volk gehört, klingt bereits in der Erklärung der Zeichenhandlung in der ersten Gottesrede (v. 19) an, ist also ein Aspekt der verheißenen Vereinigung. In v. 19 wird als Ergebnis formuliert והיו אחד בידי, nicht nur die Einheit, sondern die Einheit in der Hand JHWHs ist angekündigt. Dem entspricht auf der Sachebene, die mit der Bundesformel (v. 23) aufgerufene Verhältnisbestimmung: „als der eine gwy unter dem einen König werden sie im Land zum m YHWH“.150 JHWH bewirkt das neue Verhältnis selbst, indem er Israel reinigt und es somit in die Lage versetzt, seinem Bund entsprechend zu leben, wobei der davidische König und der Gebotsgehorsam als Konkretionen genannt werden. (
c) „Israel“ in Ez 37,15–24 Der Zusammenhang von Zeichenhandlung und ihrer Übertragung auf die Sachebene macht deutlich, auf welchen Aspekt innerhalb der breiteren und über Ezechiel hinaus belegten Hoffnungen für die Zukunft Israels es den 147 Anders als in Ez 34 steht der davidische Hirte hier nicht für das Ende der sozialen, sondern das der staatlichen Spaltung. Lässt sich Ez 37,15–24 in diesem Punkt als Reinterpretation und Ausweitung von Ez 34 lesen, zeigt sich darin eine weiterer Anknüpfungspunkt. 148 Die Präzisierung des in v. 22 genannten Königs als ( עבדי דודv. 24a) und der von Israel ausgesagte Gehorsam gegenüber JHWHs Geboten (v. 24b) sollte nicht einfach literarkritisch abgetrennt werden, weil „die ‚Bundesformel‘ in V. 23 einen guten Abschluß“ darstelle (OHNESORGE , Jahwe, 345). Schließlich lag der Focus von v. 22 noch nicht auf der Person der Königs, sondern auf dem einen König als Zeichen der Einheit des Volkes. Zudem korrespondiert das Ende von v. 24 mit ועשׂ ו אותםauf Seiten Israels dem ועשׂ יתי אותםJHWHs in v. 22 und die Reinigung von 23 bliebe ohne v. 24b ohne rechte Konsequenzen. Daher ist v. 24 durchaus als ursprüngliche Fortsetzung von v. 20–23 denkbar. 149 Für Ez 37,20–24 wird vielfach eine mehrfache Schichtung angenommen. Angelegt bei ZIMMERLI, BK, 906f., führt die These mehrfacher Bearbeitungen zu recht komplexen Entstehungsmodellen (vgl. BARTH, Einheit, 46f.; KRÜGER, Geschichtskonzepte, 438f.; OHNESORGE , Jahwe, 339–350; POHLMANN , ATD, 502f. bis hin zu LEVIN, Verheißung, 214f., der in v. 20–24 mindestens fünf Hände am Werk sieht). Ein Konsens ist nicht in Sicht. Einmal abgesehen von der grundsätzlichen Plausibilität derartiger Textentstehungsmodelle, die mit vielfachen Fortschreibungen und punktuellen Einschreibungen von Einzelworten rechnen, gilt doch: ergibt der Text einen stringenten argumentativen Zusammenhang, sollte dieser nicht ohne Not aufgelöst werden. 150 GROSS , Israels Hoffnung, 118.
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Autoren von Ez 37,15–24 ankam. Das Neue ist hier die Wiedervereinigung Israels zu einem Volk mit einem König (17.22). 151 Das Israel, das von JHWH zusammengeführt werden soll, ist in zweifacher Hinsicht näher bestimmt: (a) Israel ist in Stämme gegliedert. Es gibt ein übergreifendes „Israel“, das in v. 16 als בני י שׂראלbzw. בית ישׂראלeingeführt wird, analog referiert in v. 21 בני ישׂראלauf alle, die dann zu einem Volk zusammengeführt werden. Beide Bezeichnungen, בני ישׂראלund בית ישׂראל, deuten auf ein Verständnis Israels als eine in sich gegliederte und durch Filiation verbundene Größe. Die zu vereinigenden Teilgrößen Süd- und Nordreich, die „zwei Völker“ und „zwei Königtümer“ (v. 22), werden durch die Stämme „Juda“ und „Joseph“ repräsentiert, wobei in beiden Fällen deutlich ist, dass jeder Teil mehr umfasst als den genannten Stamm (v. 16). Auch ohne das Stichwort „Stamm“ zu nennen (dieses erscheint erst in der nachträglichen Glosse in v. 19) setzt Ez 37 also die Vorstellung voraus, dass Israel beide ehemaligen Reiche umfasst und dass es in Stämme gegliedert ist. Die Zwölfzahl der Stämme erscheint nicht, ist aber im Kontext der Überwindung der Zweiteilung auch nicht notwendig. (b) Ganz Israel ist im Exil. Die Voraussetzung der Vereinigung ist die Rückführung der Israeliten aus dem Exil. Das betrifft, wie die Formulierung von v. 21f. zeigt alle Israeliten: Objekt des JHWH-Handelns in v. 21ff. sind die in v. 21a genannten בני י שׂראל, die aus den Völkern herausgenommen,152 in ihr Land zurückgeführt und zu einem Volk (v. 22) gemacht werden. Die Verheißungen betreffen insgesamt ein exilisches Israel.153 Die Frage, ob es im Land verbliebene Israeliten gegeben hat, ist nicht im Blick. Eine solche Gruppe kommt in der Israel-Konzeption von Ez 37,15–24 nicht vor.
151 Mit dieser Zielsetzung erinnern Ez 37,15–24 an die auch in anderen (in der Mehrzahl späten) Texten greifbare Hoffnung auf Wiedervereinigung von ehemaligem Süd- und Nordreich, dazu S. 160ff. Thematisch und auch aufgrund des Befunds, dass sich der Text als nachträgliche Erweiterung der in Ez *34,1–37,14 vorliegenden Komposition, die bereits exilisch/nachexilische Erfahrungen (z.B. Übergriffe Edoms auf judäisches Gebiet) verarbeitet, erwiesen hatte (vgl. oben S. 85f.), liegt daher eine deutlich nachexilische Verortung des Textes nahe, die, wenn auch nicht durchgängig für die Zeichenhandlung wohl aber für die Deutung, von zahlreichen Auslegern vertreten wird (u.a. BERTHOLET, HAT, 129; ZIMMERLI, BK, 912; ALLEN, WBC, 192; POHLMANN, ATD, 500). Eine Zuschreibung zum Grundbestand des Ezechielbuches schlagen BLOCK, NICOT, 394.412; GREENBERG, AncB, 759 bzw. HThKAT, 467 und SWEENEY, Royal Oracle, 252, vor. Letzterer versteht den Text als Reflexion auf politische Ambitionen Josias, wobei allerdings zu klären wäre, ob diese in der Tat so weitreichend waren, dass er die Eingliederung einer assyrischen Provinz als reale Möglichkeit ansah. Zudem ist fraglich, ob diese weitreichende Hoffnung, die deutlich mehr umfasst als die Wiederherstellung vorexilischer Verhältnisse in Juda angesichts der politischen Gegebenheiten der Exilszeit hier plausibel zu verorten ist. 152 Das Herausnehmen Israels aus den Völkern (v. 21: )הנה אני לקחauf der Sachebene entspricht dem Nehmen der Hölzer (v. 19: הנה אני לקח, vgl. v. 16) auf der Bildebene. 153 Vgl. J OYCE , Ezekiel, 210.
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1.2.1.2 Die Restitution des exilierten Israel (Jer 3,18; 30,1–3; 31,27ff.; Sach 10,3–12) Ez 37,15–24 ist nicht der einzige Beleg für Restitutionshoffnungen, die gesamt-israelitische und Exilsperspektive vereinen. Konzeptionelle Berührungspunkte ergeben sich hierin zu späten Einschreibungen im Jeremiabuch. Jer 3,18 formuliert die Hoffnung einer gemeinsamen Heimkehr von Juda ( )בית־ יהודהund Israel ( )בית־ישׂראלzur Inbesitznahme des Landes. Jer 3,14–18 gelten gemeinhin als Nachtrag,154 sind aber kaum einheitlich. 3,14–17 bilden einem relativ stimmigen Zusammenhang:155 dem Aufruf zur Umkehr an die Kinder folgt die Zusage JHWHs zur Rückführung nach Zion und zur inneren Verwandlung mit Hilfe neuer „Hirten“. Der Focus liegt dann auf Jerusalem, das insgesamt als „Thron JHWHs“ zum Ziel der Völkerwallfahrt wird, was der kompletten Verwerfung jeglicher Ambitionen, die Lade, als Ort der Erscheinung JHWHs, wiederherzustellen korrespondiert.156 V. 18 klappt nach v. 14–17 in mehrfacher Hinsicht nach: בימים ההמהmarkiert einen Neueinsatz nach בעת ההיאv. 17; Rückkehr, Landnahme und Mehrung sind in v. 16 bereits erreicht, v. 18 passt nicht zur logischen Abfolge; v. 17 universalisiert die Bewegung zum Zion auf die Völkerwelt hin, dahinter fällt v. 18 zurück. V. 18 wird daher kaum der ursprüngliche Abschluss von 3,14ff., sondern (unter Aufnahme von 3,12?) nachgetragen sein.157 Die redaktionelle Rahmung von Jer 30f.* in 30,1–3; 31,27–30.31–34 158 verheißt dem im Exil verorteten Gesamt-Israel in einem Dreischritt Heimkehr, Mehrung und ein neues Gottesverhältnis, freilich anders als in Ez, wo der Schwerpunkt auf der Einigung liegt, mit deutlichem Achtergewicht auf dem „neuen Bund“ bzw. der damit verbundenen Einschreibung der Tora in die Herzen der Israeliten. „Juda“ und „Israel“ stehen nebeneinander als Bezeichnungen für Süd und Nord (30,3: ;עמי ישׂראל ויהודהa31,27.31: את בית )ישׂראל ואת בית יהודה, daneben referiert „Israel“ auf das gesamte Volk im JHWH-Epitheton אלהי ישׂראלin 30,2 und v.a. in 31,33, wo mit בית ישׂראל beide Teilgrößen aus 31,31 wieder aufgegriffen werden.159 Die Texte selbst geben kaum Anhaltspunkte für ihre historische Einordnung. Die literarischen Horizonte legen eine relative späte Verortung nahe; K. Schmid
Vgl. SCHMIDT, ATD, 111, sowie GOSSE, Ouverture, 368, mit älterer Literatur. Dazu FISCHER, HThKAT I, 193–196. 156 S CHÄFER -LICHTENBERGER , Anmerkungen, 235. 157 So bereits R UDOLPH , HAT Jeremia, 27, der hier eine redaktionelle Klammer zwischen 3,6–13 und 14–17 sieht; vgl. CARROLL , OTL, 151. Sicher nicht zufällig setzten die Masoreten eine Setuma nach 3,17. 158 Zu Textgenese und literargeschichtlicher Einordnung vgl. SCHMID , Buchgestalten, 66–85. 154 155
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
datiert die Rahmentexte in Jer 30f. im Kontext seines literargeschichtlichen Modells zum Jeremiabuch insgesamt in das 4. Jh.160 In den vorliegenen Motivkomplex ist schließlich noch Sach 10,3b–12 einzuordnen.161 Hier sind es das Haus Juda ( )בית יהודהund das Haus Joseph ()בית יוסף, die von JHWH gestärkt, versammelt und zurückgeführt werden.162 Der Israel-Name fällt nicht. Das Gegenüber von Assur und Ägypten als Orte des Exils sowie die aktualisierende Aufnahme älterer Prophetenworte erweist auch Sach 10,3b–12 als relativ jungen, wahrscheinlich in hellenistischer Zeit zu verortenden Text.163 Damit würde sich auch hier zeigen, dass gesamt-israelitische Hoffnungen weder mit dem Exil noch der Etablierung einer eigenständigen Provinz Jehud erledigt waren. 1.2.2 Eine neue Landnahme (Ez 47f.) Ez 47–48 bilden die Schlusskapitel des sogenannten „Verfassungsentwurfs Ezechiels“. Dass es sich bei Ez 40–48 um einen eigenen und Verhältnis zu Ez 1–39 späteren Zusammenhang innerhalb des Ezechielbuches handelt, ist weitgehend Konsens.164 Ez 47f. beschäftigen sich mit dem Thema Land;165 auf die Beschreibung des Landes unter dem Aspekt seiner wunderbaren 159 F ISCHER , HThKAT II, 172. R UDOLPH , HAT Jeremia, 188.200f. (vgl. App. der BHS), möchte die Mehrdeutigkeit auflösen und scheidet „Juda“ jeweils als Glosse aus. Dagegen spricht jedoch, dass mit dem Bezug auf den Exodus eine gesamt-israelitische Perspektive gegeben ist und sowie die kontrastierende Aufnahme von Jes 11, wo in v. 10 ebenfalls בית ( ישׂראל ובית יהודהin derselben Reihenfolge) genannt werden, vgl. dazu LEVIN, Verheißung, 26–28. 160 Buchgestalten, 302–304. Traditionell wurden Jer 31,31–34 aufgrund der vermeintlichen Nähe zur dtr Schule eher in der Exilszeit verortet (vgl. u.a. HERRMANN , Heilserwartungen, 179), dagegen aber zu Recht SCHMID , aaO., 67–69.81f. 161 Zur Abgrenzung, KUNZ , Ablehnung, 45ff. 162 Die Interpretation von KUNZ , Ablehnung, 331ff. (vgl. auch R EDDITT, NCeB, 121), wonach ab v. 6a nur noch Ephraim und nicht mehr von Juda die Rede sein soll, so dass allein Juda als Kriegsmacht (aber v. 7: Ephraim ist ebenfalls )!גבורgezeichnet und sich die Hoffnung auf Rückführung nur auf die nord-israelitische Gola beziehen würde, ist schwierig. Prophetenrede und JHWH-Rede wechseln sich in dem Abschnitt ab, die JHWH-Rede bestätigt die Prophetenworte (vgl. RUDOLPH, KAT Haggai, 195): V. 3b–5 Prophetenrede über Juda, V. 6 JHWH-Rede über Juda und Joseph V. 7 Prophetenrede über Ephraim V. 8–10 JHWH-Rede über Juda und Joseph V. 11 Prophetenrede über Juda und Joseph V. 12 JHWH-Rede über Juda und Joseph Die erste JHWH-Rede (v. 6) verbindet die beiden Prophetenworte über Juda (v. 3–5) und Ephraim (v. 7). V. 8 greift mit der JHWH-Rede wieder auf die Sprechsituation von v. 6a zurück, so dass auch hier wieder von Juda und Joseph die Rede ist. 163 WILLI-PLEIN, ZBK.AT, 175 (für Sach 10,9–12); KUNZ , Ablehnung, 365ff., denkt an die frühe Makkabäerzeit. Die enge Eingrenzung hängt jedoch an der postulierten unterschiedlichen Rollenzuschreibung für Ephraim und Juda.
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Fruchtbarkeit (Kap. 47,1–12) folgt in Ez 47,13–48,29 ein detailliertes Programm für die Verteilung des Landes an die Stämme Israels. Ez 48,30–35 wenden sich abschließend der Stadt Jerusalem und insbesondere ihrer nach den Stämmen benannten zwölf Tore zu. Ez 47,13–48,29 sind durch eine deutliche Rahmung als zusammengehörige Einheit gekennzeichnet: dem Landverteilungsbefehl 47,13f. korrespondiert der Schluss 48,29 im Sinne einer Ausführungsnotiz. 47,13f. geben als Überschrift mit den Stichworten גבול166 und נחלהdie Themen der Unterabschnitte Grenzen des Landes (47,15–20) und Aufteilung des Landes als Erbbesitz der einzelnen Stämme (47,21–48,29) vor. Grenzangaben und zu verteilendes Land sind aufeinander abgestimmt und durch Aufnahme einiger Ortsangaben von 47,15f.19 in 48,1.28 verzahnt.167 1.2.2.1 Prinzipien der Landvergabe Die Leitlinie für die Vergabe des Landes an die zwölf Stämme wird in 47,13 genannt ( ;)ונחלתם אותה אישׁ כאחיוdas Ziel ist eine Aufteilung, in der jeder Stamm den gleichen Anteil erhält. Das Land wird in dem in 47,15–20 abgesteckten Zuschnitt in dreizehn Ost-West-„Streifen“ aufgeteilt. Zwölf Anteile gehen an die zwölf Stämme, der zentrale Abschnitt südlich von Juda und nördlich von Benjamin ist als ( תרומת הקדשׁv. 10.20) ausgesondert (48,8–22) und umfasst die Stadt Jerusalem sowie den Priestern, den Leviten und dem Fürsten ( )נשׂיאzugewiesenes Land. Die Künstlichkeit der vorgenommenen Verteilung ist offensichtlich. Das ergibt sich schon – wie Th.A. Rudnig beobachtet – aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung, der ganz schematisch auf das zu verteilende Land angewendet wird, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse unterschiedlich großer 164 Bereits in der grundlegende Studie von GESE, Verfassungsentwurf, ist dies eine nicht mehr hinterfragte Voraussetzung (1f.), vgl. auch die Forschungsüberblicke bei KONKEL, Architektonik, 8–22, sowie RUDNIG , Heilig, 5–28. Demgegenüber weist Rudnig auf die vielfältigen Bezüge zwischen Ez 1–39 und 40–48 hin und versucht diese in Auf nahme der Thesen Pohlmanns zu Ez 1–39 mit einem redaktionsgeschichtlichen Modell zu erklären; vgl. RUDNIG , Heilig, sowie die von Rudnig besorgte Auslegung von Ez 40–48 in POHLMANN , ATD. Rudnig schreibt die Grundschicht von Ez 40–48 den Trägerkreisen der von Pohlmann, Ezechielstudien (vgl. auch POHLMANN , ATD, 27–42.526), in Ez 1–39 beschriebenen „golaorientierten Redaktion“ zu. Die Diskussion kann hier nur insoweit aufgenommen werde, wie sie die behandelten Texte betrifft, vgl. u.a. oben S. 87 Anm. 132. Für eine kritische Sichtung der Thesen RUDNIGS vgl. KONKEL , Gola. 165 Zur „Makrostruktur“ von Ez 40–48, vgl. KONKEL , Architektonik, 23–27. 166 In Anlehnung an Ö ist זה הגבולzu konjizieren, vgl. den Vorschlag im Apparat der BHS. 167 ZIMMERLI , BK, 1220. Die Fragen nach der redaktionskritischen Einordnung von 47,13–23 und den Details der zugrundeliegenden Topographie müssen hier nicht interessieren, einen Überblick über die Diskussion liefert KONKEL , Architektonik, 201–203. Konsens besteht besteht allenfalls darin, dass es sich bei 47,13b und 47,22f. um Nachträge handelt, zur Begründung vgl. GESE, Verfassungsentwurf, 97–99.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Stämme oder darauf, dass „die geographische Beschaffenheit des Landes eine Gleichbehandlung der Stämme unmöglich [macht]: Das fruchtbare Galiläa ist etwas anderes als der Negev!“168 Zudem gibt das Anordnungsprinzip selbst einige Rätsel auf. Es nimmt kaum Rücksicht auf die traditionellen Siedlungsgebiete der Stämme, scheint diese aber auch nicht völlig zu ignorieren, wenn z.B. Dan im äußersten Norden, Ephraim und Manasse auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreichs und Simeon im Süden lokalisiert sind. In der Hauptsache scheinen aber andere Ordnungsprinzipien zu gelten. Den Anker bildet der תרומה-Landstrich, in dem Stadt und Heiligtum liegen (48,8–22). Sieben Stämme werden nördlich, fünf südlich angeordnet. Grundlage scheint eine implizierte Rangordnung der Stämme zu sein: je bedeutender der Stamm, umso näher rückt er an den heiligen Bereich. Über die Kriterien der Bedeutsamkeit gibt die listenartige Aufzählung keine Auskunft, sie lassen sich nur indirekt erschließen. Der Erstgeborene Ruben erhält sein Gebiet in größerer Nähe zum Tempel als die Magdsöhne Dan, Asser, Naphtali und Gad. 169 Das genealogische System erklärt jedoch nicht die zentrale Stellung von Juda und Benjamin, so dass hier mit W. Zimmerli anzunehmen ist, dass beide als „die eigentlichen Trägerstämme des vorexilischen Juda“ in die zentrale Position gerückt sind.170 Besonders auffällig ist allerdings die Lokalisierung Benjamins im Süden und Judas im Norden Jerusalems.171 Sollte auch hier eine Rangordnung impliziert sein, ist die Anordnung wahrscheinlich durch das Bestreben veranlasst, Juda direkt an den heiligen Bereich des תרומה-Landstriches angrenzen zu lassen und somit in die größte Nähe zum Tempel zu rücken. 172 Rudnig in POHLMANN , ATD, 623. Ein Kriterium der Gleichbehandlung wird aber nicht genannt. Ist die Landfläche ausschlaggebend und nicht Fruchtbarkeit, ökonomische Potenz o.ä. der einzelnen Landstriche, wird genau das in 48,1ff. eingelöst. Es ist daher nicht notwendig 48,1ff. literarkritisch von 47,13f. abzuheben, gegen RUDNIG , Heilig, 179f. 169 ZIMMERLI , BK, 1231; vgl. KONKEL , Architektonik, 219.283ff., mit Verweis auf SMEND, KEH. 170 Ebd. Allerdings ist die Einschränkung auf das vorexilische Juda unbegründet, Trägerstämme sind Juda und Benjamin v.a. in späterer Zeit. 171 Während Rudnig die Frage offen lässt („Warum Juda dabei im Norden, und Benjamin im Süden liegt, kann nicht befriedigend erklärt werden.“ POHLMANN , ATD, 624, Anm. 51), stellt ZIMMERLI, BK, 1231f., einige Überlegungen an. Motive für die Anordnung der Stämme können seines Erachtens gewesen sein: das Wissen um die alte Verbindung Benjamins mit Jerusalem war noch gegeben; eine Ansetzung Benjamins nördlich der תרומהhätte den „Königsstamm Juda“ vom Land des aus Juda stammenden נשׂיאabgedrängt; Juda sollte in der Nachbarschaft der Leastämme Levi und Ruben verortet werden; Benjamins Name „Sohn des Südens“ legt eine südliche Position nahe. GREENBERG, Design, 200, erwägt, dass der Stamm Juda an die Stelle des „kleinsten Stammes“ Benjamin gesetzt werde, um Juda zu demütigen. 172 Zur inneren Gliederung des תרומה-Abschnitts und zur Lokalisierung des PriesterBereichs inkl. Tempel im Norden, vgl. GESE, Verfassungsentwurf, 101f.; KONKEL, Architektonik, 219–221. ZIMMERLI, BK, 1221f.; Rudnig in POHLMANN , ATD, 625f., lokalisieren den Priester-Bereich zwischen Levitenanteil und Stadt. 168
1. Der exklusive Israel-Begriff
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Zwischen dem heiligen Bereich und dem Gebiet Benjamins im Süden liegt nämlich der profane „Querriegel“ (48,15: )חל־הוא, der als Wohn- und Arbeitsbereich für die Stadt ausgewiesen ist.173 1.2.2.2 Die Konstitution Israels „Israel“ ist in Ez 47,13–48,29 stets in Zusammensetzungen und immer in weitem Sinne gebraucht. Das gilt für ארץ י שׂראלa(47,18), wo das gesamte in 47,15–20 abgesteckte Gebiet im Blick ist, wie für שׁבטי י שׂראלa(47,13.21f.; 48,19.29) oder בני י שׂראלa(47,22; 48,11). Ez 47f. spiegeln eine tribale IsraelKonzeption, die nicht mehr entfaltet werden muss, sondern als bekannt vorausgesetzt ist. Israel besteht aus zwölf Stämmen (vgl. 47,13), wobei die Joseph-Stämme Ephraim und Manasse, jeweils als ein eigener Stamm zählen. Ez 47f. ähnelt damit dem sog. zweiten System bei M. Noth, bei dem Levi als Stamm ausfällt und die Zwölfzahl durch Aufteilung des Stammes Joseph in zwei selbstständige Stämme bewahrt wird. 174 Levi wird in Ez 48 genannt, aber nicht als regulärer Stamm behandelt.175 Voraussetzung für eine Landzuteilung an die Stämme, die der Konzeption von Ez 48 entspricht, ist, dass das zu verteilende Land menschenleer ist. Die Wohngebiete einzelner Stämme werden frei zugewiesen, weitgehend ohne Rücksicht auf die Tradition oder die Realität im Land – ganz unabhängig davon, welche Periode der Geschichte Israels herangezogen würde. Das entspricht der Konzeption von Ez 47f. insgesamt: Wie W. Zimmerli zutreffend bemerkt, war das Volk bei der Beschreibung des Lands in Ez 47,1–12 „unsichtbar geblieben“176, seine Heimkehr steht noch aus. In dieser Hinsicht parallelisiert Ez 47,13ff. die Situation der Exilierten 173 Wenn sich die Anordnung der Stämme Juda und Benjamin von der internen Aufteilung des תרומה-Gebiets her erklärt, ergibt sich freilich die Konsequenz, dass sich Ez 48,8–22 nicht ohne weiteres vom übrigen Kapitel abheben lassen, wie es RUDNIG , Heilig, 181; POHLMANN , ATD, 625, vorschlagen. Rudnigs Argument, dass der Fürst „eindeutig territorial abgedrängt“ werde, was auf das Konto einer priesterlichen Redaktion gehe, die den Fürsten gegenüber Priestern und Leviten marginalisieren wolle (RUDNIG , Heilig, 304–309), widerspricht KONKEL , Gola, 378f.: Der Fürst erhalte einen sehr großen und nach Ez 47,1–12 überaus fruchtbaren Landanteil, zudem schütze sein Gebiet den Bereich des Heiligen im Osten und Westen. Weitere Argumente dafür, dass 48,8–22 nicht aus dem Kontext gerissen werden können, liefert bereits GESE, Verfassungsentwurf, 101f., der umgekehrt zeigt, dass die Beschreibung der inneren Struktur der תרומהnicht ohne den Kontext auskommt, da in der Beschreibung des Fürstenlandes die Angabe הנותרin v. 21 nur verständlich ist, wenn die Konzeption der Landverteilung an die Stämme bekannt ist. 174 NOTH , System, 14–20, und die dort diskutierten Belege. 175 Darin unterscheiden sich Ez 47,13–48,29 von Ez 48,30–35: in der Aufzählung der zwölf Tore der Stadt erscheint Levi neben den anderen Stämmen und Joseph bildet einen Stamm. 176 ZIMMERLI , BK, 1209.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
mit jener der Wüstengeneration vor der Landnahme.177 Die Regelungen betreffen nicht weniger als eine völlig neue Gabe eines „leeren Landes“ an die Stämme Israels, bei der die Landverheißung an die Väter (47,13) nun auf ideale Weise erfüllt wird. Ez 47f. kombinieren somit die tribale IsraelKonzeption mit der Vorstellung, dass ganz Israel im Exil ist. Das gilt nicht nur für das ehemalige Südreich, sondern auch für alle Angehörigen der Nordstämme. Sie sind im Verfassungsentwurf Ezechiels integraler Bestandteil Israels und wie die Bewohner des ehemaligen Südreichs vollständig deportiert worden.178 2. Der inklusive Israel-Begriff
Der Befund in Ez 40–48 insgesamt lässt auf keine abweichende Israel-Konzeption schließen. Ez 45,8 schließt Regelungen zur Abgrenzung des Tempelbezirks und des Fürstenlandes ab und legt fest, dass das übrige Land לבית ישׂראל לשׁ בטיהםgegeben werden soll, womit auf 47,13ff. vorverwiesen wird. Israel ist auch hier eine tribal strukturierte Größe. In Ez 40,2 wird Ezechiel in das „Land Israels“ ( )ארץ ישׂראלentrückt und schaut vom Norden auf Jerusalem, das er zunächst nur schemenhaft ( )כמבנה ־עירsieht, bis er zur Stadt selbst gebracht wird (v. 3). Zum „Land Israels“ gehört damit also ein weiterer Bereich nördlich von Jerusalem, wie weit dieser gedacht ist, lässt die kurze Notiz freilich offen. 177 Der Auflistung der Landesabschnitte für die einzelnen Stämme erfolgt in Ez 47,13ff. von Norden nach Süden. Hierin könnte ein Indiz liegen, dass die neue Landnahme von Norden (also aus dem babylonischen Exil) her avisiert ist, vgl. ENGELHARD, Royal Grant, 50. 178 Die historische Verortung des „Verfassungsentwurfs“ ist in der Forschung eine offene Frage. Sie hängt letztlich mit der Beurteilung des Verhältnisses von Ez 40–48 zum übrigen Ezechielmaterial und zur Priesterschrift, der Deutung der Rolle der Zadokiden und der Einschätzung der Wirkabsicht der Kapitel zusammen. Die grundlegenden Alternativen für die Gesamtkomposition sind eine exilische Datierung und die Deutung als konkretes Programm für die nachexilische Restauration (so z.B. GREENBERG, Design; KASHER , Anthropomorphism) oder eine spätere Verortung einhergehend mit der Beurteilung der Kapitel als Gegenbild zur bestehenden kultischen und politischen Organisation im nachexilischen Juda (so für die Endgestalt KONKEL, Architektonik) oder als endzeitliche Vision (z.B. NIDITCH, Visionary Context). Verschiedene redaktionskritische Ansätze wie GESE, Verfassungsentwurf; VOGT, Untersuchungen; RUDNIG , Heilig; KONKEL, Architektonik, u.v.m. verteilen die genannten Wirkabsichten auf diverse Redaktionen. Die Diskussion kann hier nicht im Einzelnen geführt werden, da sie eine sorgfältige Betrachtung des gesamten Verfassungsentwurfs erfordern würde. Anders als bei den konkreten und detaillierten Regelungen für Bau und Betrieb des Tempels fällt es für Ez 47,13ff. schwer, hierin ein Programm zu sehen, dessen konkrete Umsetzung tatsächlich erwartet bzw. angestrebt worden wäre – unabhängig davon, ob man die Exilszeit oder eine nachexilische Situation vor Augen hat. Entwickelt wird vielmehr die Vision eines idealen Israel, angesiedelt in seinem paradiesischen Land (vgl. die Transformation von Land und Totem Meer zu immenser Fruchtbarkeit in 47,1-12) und gruppiert um den Tempel als Zentrum. Aufgrund des utopischen Charakters ist die Datie rung des Textes schwierig. Als Schlussvision eines größeren Zusammenhangs kann die Utopie aber durchaus im Dienst einer konkreten Wirkabsicht stehen, wenn etwa aus dem Widerspruch zwischen dem Erhofften und dem gegenwärtigen Gegebenen die Motivation zum Handeln gezogen werden soll.
2. Der inklusive Israel-Begriff
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Die übrigen 21 Belege für „Israel“ geben nicht eigens Auskunft über die vorausgesetzte Israel-Konzeption: Ez 40,4; 43,7.10; 44,6.12.22; 45,6.17(2mal) sprechen von בית ישׂ ראל, Ez 43,7; 44,9.15 von בני י שׂ ראל, Ez 44,10.28f.; 45,8f.15f. von י שׂראלz.T. in unterschiedlichen Constructus-Verbindungen. Ez 43,2; 44,2 bezeichnen JHWH als אלהי ישׂראל.
Das „Israel“ von Ez 47f. kennzeichnet somit zweierlei: Es ist zum einen eine tribal strukturierte und daher genealogisch definierte Größe, die die Bevölkerung von ehemaligem Süd- und Nordreich umgreift. Zum anderen wird ganz Israel verheißen, die Exilsexistenz hinter sich zu lassen und in sein Land zurückzukehren. In beiden Punkten erinnert Ez 47f. an 37,15– 24. Die Einheit des Volkes, dessen Wiederherstellung Ez 37,15–24 thematisiert, ist für Ez 47f. jedoch gar keine Frage (mehr?179).
2. „Israel“ in Nord und Süd – Der inklusive Israel-Begriff 2. Der inklusive Israel-Begriff
2.1 „Israel“ in den Chronikbüchern 2.1.1 Zur Forschungssituation Zum Israel-Begriff der Chronikbücher werden in der Forschung im Wesentlichen zwei Ansätze vertreten: a) für Chr ist „Israel“ mit Juda zu identifizieren180 oder b) Chr hat eine weitere Vorstellung von „Israel“, die die Bewohner des ehemaligen Nordreichs (unter bestimmten Bedingungen) einschließt.181 Die Vertreter der ersten Auffassung gehen meistens zugleich von einem „chronistischen Geschichtswerk“ aus, das die Bücher Chronik und Esra/Nehemia umfasst.182 Vor der Aufgabe stehend eine konzise IsraelKonzeption aus der Chronik sowie Esra/Nehemia herauszuarbeiten, wird 179 Die relative Chronologie von Ez 37,15ff. und Ez 47f. ist nicht ganz einfach zu bestimmen. Die Frage ist hier nicht entscheidend, so mögen einige kurze Überlegungen genügen: Da sich Ez 37,25–28 gegenüber Ez 37,15–24 als später erwiesen hatten (vgl. oben S. 86f.), aber wie eine Ouvertüre die zentralen Themen des Verfassungsentwurfs anschlagen und diesen mit dem vorliegenden Ezechielmaterial verknüpfen (vgl. oben S. 87 Anm. 132), muss bei der Anbindung von Ez 40ff. an das ältere Ezechielbuch Ez 37,15– 24 bereits in diesem enthalten gewesen sein. In der Literargeschichte des Ezechielbuches hat Ez 37,15–24 somit Priorität. Aus den beobachteten Parallelen von Ez 37,25–28 und Ez 40–48 folgt jedoch nicht notwendig, dass beide auch einer Hand zuzuschreiben sind. Ez 37,25–28 kann ebenso gut als kompositionelles Element konzipiert sein und zu diesem Zwecke den älteren und ehemals unabhängigen Zusammenhang Ez 40–48 exzerpieren. Die Redaktionsgeschichte von Ez 40–48 ist ein ganz eigenes Problem, vgl. dazu die lange Zeit prägende Studie von GESE, Verfassungsentwurf, der für den Komplex drei literarische Schichten erhob, die Überlegungen von EBACH, Kritik, der im Verfassungsentwurf eine „geschlossene Komposition“ (159) sieht, deren Brüche sich im Wesentlichen aus der Verwendung älteren Materials erklärten, sowie die neuere Diskussion bei KONKEL, Architektonik, und RUDNIG , Heilig, bzw. die Forschungsüberblicke daselbst.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
dann häufig das Israel-Bild aus Esra/Nehemia stärker gewichtet und auf die Chronik übertragen,183 oder die vorrangig aus Esra/Nehemia abgeleitete Vorstellung vom perserzeitlichen Judentum als einer um den Jerusalemer Tempel zentrierten Kultgemeinde bildet die Deutefolie für die Chronik. Dabei treten ethnische Identitätskonzepte gegenüber kultischen in den Hintergrund: aus dem Volk wird die Bekenntnisgemeinschaft. Damit korreliert, dass die Genealogien in 1Chr 1–9 für diese Analysen meist eine eher geringe Rolle spielen: sie werden als „Einleitung“ 184 oder gern als „Vorhalle“185 bezeichnet und so vom „Eigentlichen“ der Chronikbücher
180 Bereits DE WETTE, Beiträge, 46–48, attestierte Chr einen „Hass“ gegenüber dem Nordreich Israel und eine Liebe zu Juda. Für WELLHAUSEN , Prolegomena, 182, ist „nach den Begriffen der judaistischen Periode [d.h. im nachexilischen Judentum, K.W.] ... Israel die Gemeinde des rechtmäßigen Gottesdienstes, dieser aber ist an den Tempel zu Jerusalem geknüpft“. Einflussreich war v.a. VON RAD, Geschichtsbild, 30f., mit der These, für Chr seien „Juda und Benjamin das wahre Israel“, weil „das wahre Israel da ist, wo die ihm wichtigsten Institutionen verankert sind“ (ähnlich argmentierten zuvor schon ROTHSTEIN & H ÄNEL , KAT, 376f. 385). Dieser Auffassung schließen sich in der Folgezeit viele Kommentatoren an, so u.a. GALLING, ATD, 15; RUDOLPH , HAT Chronik, IX; vgl auch MOSIS , Untersuchungen, 170f.; ZOBEL, ThWAT ישׂראל,a1010, und vermuten mit TORREY, Ezra Studies, 154f. 208ff., bzw. NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 174f., eine antisamaritanische Tendenz bei Chr, der „die Jerusalemer Kultgemeinde als echte Nachfolgerin jenes alten legitimen ‚Israel‘ erweisen wollte.“ 181 So bietet für J APHET , People, 118, Chr ein „concept of a Pan-Israel which includes not only all the Israelite elements in the land of Israel, but also foreigners, presented as ‚ גריםsojourners‘“ (vgl. auch JAPHET , Ideology, 308–334). Nach WILLIAMSON , Israel, 140, und WILLI, Chronik, 162 bzw. Juda, 159ff., repräsentiert Juda für Chr zwar „Israel“, ohne damit jedoch „Israel“ auf Juda zu beschränken oder beide Größen zu identifizieren. Bereits DANELL , Studies, 275, hatte die Schlussfolgerungen von Rads als zu weitreichend empfunden und keine „definite tendency in the Chronicler to make Judah into Israel proper“ gefunden. OEMING, Israel, 218, wiederum nimmt von Rads These vom „wahren Israel“ auf und versteht die Genealogien in 1Chr 1–9 und mit ihnen auch die gesamte chr Darstellung als „Selbstdefinition und Selbstvergewisserung“ der Jerusalemer Tempelgemeinde als „wahres Israel“, wobei die Bewohner des ehemaligen Nordreichs jedoch eingeladen würden „zum wahren Israel mit dem wahren Heiligtum zurückzukehren“ (aaO., 217). Einen Überblick über die Forschungsdiskussion bietet auch BAE, Vereinte Suche, 44ff. 182 Diese Annahme wurde im 19. Jh. breit diskutiert und war dann bis in die 60er Jahre des 20. Jh. weitgehend Konsens, vgl. für die Diskussion im 19. Jh. MATHIAS , Geschichte, 38–56, sowie den Überblick über die Lehrbücher zur Einleitungswissenschaft bei OEMING , Israel, 41, Anm. 15; für die neueren Positionen vgl. die Forschungs überblicke bei STEINS, Chronik, 49–81, und WILLI, Forschung, 94–103. 183 Exemplarisch VON R AD , Geschichtsbild, 18–37: Von Rad erhebt zunächst den Befund, dass bei Esr/Neh יהודיםausschließlich im politischen oder organisatorischen Kontext gebraucht werde, während die Bezeichnungen ישׂראלsowie בני ישׂראלder „religiösen Sphäre“ angehörten (19f.), wobei gelte: „Israel ist jetzt Juda und Benjamin“ (24). Diese Feststellung dient von Rad sodann als „Leitgedanke zur Entwirrung des reichlich widerspruchsvollen Tatbestandes in den Büchern der Chronik“ (25).
2. Der inklusive Israel-Begriff
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unterschieden.186 Betrachtet man dagegen Esra/Nehemia und Chronik nicht von vornherein als Einheit, entfällt die Notwendigkeit der Harmonisierung.187 In dieser Richtung zeichnet sich seit den späten 60er Jahren des 20. Jh. eine Wende in der Forschung ab; die Annahme eines von 1Chr 1 bis Neh 13 reichenden Geschichtswerkes wird bestritten. 188 Gewinnen zudem 1Chr 1–9 ein stärkeres Gewicht, ergibt sich für die Chronik eine andere, weiter gefasste Israel-Konzeption, die kaum mit derjenigen von Esra/Nehemia in Deckung zu bringen ist.189 Die Abgrenzung des Werkes hat also deutliche Konsequenzen für die Textwahrnehmung und -interpretation.190 Die Frage nach der Abgrenzung des „chronistischen Werkes“ soll hier nicht eigens untersucht werden, dennoch hat die Untersuchung der Zuschreibungen, die mit dem Israel-Begriff in den Chronikbüchern einerseits sowie Esr/Neh andererseits verbunden sind, Konsequenzen für die Diskussion. Widersprechen sich die Texte in diesem Punkt, ist es nur schwer möglich, Chr und Esr/Neh als Teile einer zusammenhängenden Darstellung oder als Werke eines Autors zu sehen. 184 So bereits WELLHAUSEN , Prolegomena, 206, der 1Chr 1–9 zudem erst nach 1Chr 10–2Chr 36 bespricht. 185 Die Bezeichnung wurde wahrscheinlich von ROTHSTEIN & H ÄNEL , KAT, 2, geprägt. 186 Teilweise wird auch die ursprüngliche Zugehörigkeit der genealogischen Kapitel zum erzählerischen Teil des Buches bestritten; zu den Vertretern dieser These sowie den Argumenten vgl. OEMING, Israel, 40f., und WILLI, BK, 7–9. 187 Vgl. den Harmonisierungsversuch bei DANELL , Studies, 284: Chr vertrete „on principle a pan-Israelite view“ aber in Esr/Neh werden nur die Rückkehrer aus der Gola erwähnt. „Perhaps the Chronicler means that the Judaean exiles actually are the rest of the northern Israelites too, because some of them joined the pre-exilic Judean congregation“. VON RAD, Geschichtsbild, 37, hält Chr für inkonsequent: „Bei der Schilderung der Regierung Davids kann er [der Chronist, K.W.] seinem Dogma: Israel = Israel + Juda am besten Rechnung tragen. Da er aber von der Folgezeit nur Judas Geschicke schildert, kommt er in Versuchung von der Linie seiner grundsätzlichen Theorie abzugleiten. Tatsächlich verrät er durch die ihm da und dort in die Feder kommende Gleichung Juda = Israel seine geheimen nachexilischen Gedanken.“ 188 Angestoßen wurde die Debatte durch JAPHET , Authorship, allerdings mit teilweise problematischen linguistischen Argumenten (vgl. die Kritik bei TALSHIR , Reinvestigation; THRONTVEIT, Analysis). Gegenwärtig werden neben der These vom chronistischen Geschichtswerk (z.B. OEMING , Israel, 43) verschiedene Modelle vertreten: (a) Chr und Esr/Neh sind voneinander unabhängige Werke unterschiedlicher Verfasser (neben JAPHET, z.B. WILLIAMSON , NCeB, 5–11); Chr und Esr/Neh sind zwar verschiedene Werke, gehen aber auf einen gemeinsamen Autor oder Verfasserkreis zurück (z.B. WILLI, Chronik, 179); (c) die ursprünglich unabhängigen Werke Chr bzw. Esr/Neh wurden redaktionell verbunden (z.B. BRAUN , Chronicles, oder STEINS, Chronik, 442f.). 189 Vgl. J APHET, People, 118. 190 Das gilt freilich auch für die hier getroffene Entscheidung, beide Texte getrennt voneinander zu untersuchen. Diese Vorgehensweise hat allerdings für sich, dass sie der gut bezeugten getrennten Überlieferung der Bücher entspricht (vg. dazu WILLI, Chronik, 180–182).
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
2.1.2 Der „Israel“-Name in den Chronikbüchern Für das Lemma ישׂראלgibt es in den Chronikbüchern 301 Belege191; in 201 Fällen fungiert ישׂראלals nomen rectum einer Constructus-Verbindung. Wie der folgende Überblick über die Belege zeigen wird, ist der Sprachgebrauch komplex; es lässt sich jedoch eine deutliche Tendenz erkennen: „Israel“ steht im Sprachgebrauch von Chr primär für das gesamte, in zwölf Stämme gegliederte Volk. Von dieser Verwendung abgeleitet kann der Name auch für Teile des Volkes, wie das Nord- oder Südreich oder anders definierte Gruppen verwendet werden. Neben dieser kollektiven Bedeutung begegnet „Israel“ auch in individueller Verwendung für den Stammvater Israel/Jakob.192 2.1.2.1 1Chr 1–2Chr 9 Von den 152 Belegen für „Israel“ als Kollektivum in den Genealogien 1Chr 1–9 sowie der Darstellung der Geschichte der davidischen und salomonischen Reiche, verwendet lediglich 1Chr 5,17 mit ירבעם מלך־ישׂראל „Israel“ für das Nordreich. Die übrigen Belege beziehen sich auf Israel in seiner Gesamtheit, zumeist in der davidischen bzw. salomonischen Zeit (119 Belege193) oder in Rückblicken auf die vorstaatliche Zeit (9 Belege194).195 Dabei verwendet Chr sowohl כל ישׂראלals auch ישׂראלoder בני ישׂראלbzw. in kultischem Kontext auch כל קהל ישׂראל. Eine Teilmenge des Einen kurzen Überblick zum „general use“ des Namens bietet WILLIAMSON, Israel, 89, wenngleich mit teilweise abweichenden Angaben zur Häufigkeit der Belege. 192 1Chr 1,34; 2,1; 5,1(2x).3; 6,23; 7,29; 16,13.17; vgl. 1Chr 29,18; 2Chr 30,6. Der Name „Jakob“ wird vermieden; er erscheint lediglich im Psalm 1Chr 16, der eine Doppelüberlieferung zu Ps 105 ist. Die Nennung Jakobs im Parallelismus zu Israel in v. 17 entspricht der Formulierung von Ps 105,10. In v. 13║Ps 105,6 hat Chr אברהםan Stelle von ישׂראל, d.h. einen synonymen Parallelismus im Unterschied zum synthetischen. Die Betonung der Abstammung vom Stammvater Israel gegenüber Abraham entspricht 1Chr 1,1–2,2, wo Abraham ohne weitere Hervorhebung in der Reihe der Ahnen erscheint (vgl. WILLIAMSON, NCeB, 40f.); insofern ist gut vorstellbar, dass die Variante auf Chr zurückgeht (so auch RUDOLPH , HAT Chronik, 120, anders WILLI, Chronik, 163, Anm. 209). 193 ישׂראל:a1Chr 6,34; 10,1(2x).7; 11,2(3x).3.10; 12,33.41; 13,2; 14,2(2x); 16,3.40; 17,7.9f.21f.24; 19,10.16.18f.; 20,7; 21,1(2x).2f.7.12.14(2x); 22,1f.9f.12f.; 23,1; 26,29; 27,16.23.24; 28,4f.; 29,25.27.30; 2Chr 1,13; 2,3.16; 5,2f.6; 6,5(2x).6.10.16.21.24f.27.29. 32f.; 7,10.18; 8,7; 9,8 בני ישׂראל:a1Chr 27,1; 2Chr 5,2; 7,3; 8,2.9 כל ישׂראל:a1Chr 9,1; 11,1.4.10; 12,39; 13,5f.8; 14,8; 15,3.28; 18,14; 19,17; 21,4f.; 28,4.8; 29,21.23.25f.; 2Chr 1,2(2x); 7,6.8; 9,30 כל קהל ישׂראל:a1Chr 13,2; 2Chr 6,3(2x).12f. 194 ישׂראל:a1Chr 2,7; 17,5.6 בני ישׂראל:a1Chr 1,43; 6,49; 2Chr 5,10; 6,11; 8,8 כל ישׂראל:a1Chr 17,6. 195 Zur Verwendung von ישׂראלin den chr Quellenangaben – in diesem Bereich in 1Chr 9,1 – vgl. unten S. 116f. 191
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Volkes kann zwar ebenfalls mit „Israel“ bezeichnet werden, dann wird sie jedoch als solche gekennzeichnet (1Chr 26,30: ישׂראל מעבר לירדן, vgl. 1Chr 12,39: )כל־שׁרית ישׂראל.196 An zehn Stellen erscheint „Israel“ in Titeln, wie ( מלך ישׂראלbezogen auf David 2Chr 8,11), שׂרי ישׂראלa(1Chr 22,17; 23,2; 28,1), שׂרי שׁבטי ישׂראלa(1Chr 27,22; 29,6) oder זקני ישׂראלa(1Chr 11,3; 15,25; 2Chr 5,2.4), womit jedoch an keiner Stelle Amtsträger bezeichnet sind, die allein für die Nordstämme zuständig wären. Die 19 Belege für אלהי ישׂראל sind für die Frage nach der Verwendung des Israel-Namens in Chr nur indirekt einschlägig.197 Chr vermeidet es konsequent, „Israel“ und „Juda“ so nebeneinander zu stellen, dass „Israel“ allein auf die Nordstämme referieren könnte. In diesem Sinne wird z.B. 2Sam 24,1–9 in 1Chr 21,1–6 modifiziert aufgenommen. 198 In 2Sam 24,1–9 steht ישׂראלsowohl für das gesamte Volk als auch für die Nordstämme. 199 Die Doppelsemantik ist für das Verständnis des Textes unproblematisch, da die Disambiguierung jeweils durch den Kontext erfolgt. Eine Disambiguierung ist jedoch notwendig, da im Vorkontext enge und weite Bedeutung „Israels“ begegnen 200, der Leser also grundsätzlich mit beiden Möglichkeiten rechnen muss. Beim ersten Vorkommen innerhalb von 2Sam 24, in v. 1a, wird „Israel“ in seiner weiten Verwendung gebraucht; v. 1b sorgt hier für Eindeutigkeit. In 24,1b selbst (ebenso v. 9b) ergibt sich nun aus dem Nebeneinander 196 Eine Ausnahme bildet 1Chr 9,2: in der Aufzählung ישׂראל הכהנים הלוים והנתיניםbezeichnet „Israel“ die Laien im Gegenüber zum Klerus. Zum Sprachgebrauch vgl. S. 67f. 197 So sind die 34 Vorkommen von אלהי ישׂראלin den gesamten Chronikbüchern (1Chr 4,10; 5,26; 15,12.14; 16,4.36; 17,24; 22,6; 23,25; 24,19; 28,4; 29,10; 2Chr 2,11; 6,4.7.10. 14.16f.; 11,16; 13,5; 15,4.13; 20,19; 29,7.10; 30,1.5.; 32,17; 33,16.18; 34,23.26; 36,13) bzw. die zwei Belege für אלהי אברהם יצחק וישׂראלa(1Chr 29,18; 2Chr 30,6) nicht einschlägig, weil in der Chr wie im gesamten AT keine Ausdrucksalternative, wie z.B. אלהי יהודה, belegt ist (vgl. DANELL , Studies, 274, Anm. 22; LINVILLE , Israel, 28). Es ist also nicht davon auszugehen, dass Chr sich bewusst für diese Formulierung entscheiden musste. Anders ist es z.B. im Falle der Titel von Amtsträgern, die das Lemma „Israel“ enthalten; für die genannten Titel ist – natürlich mit Ausnahme von – שׂרי שׁבטי ישׂראלin Chr ein Pendant mit Juda belegt: für מלך יהודהgibt es 29 Belege, für שׂרי יהודהdrei Belege (2Chr 12,5; 22,8; 24,17), זקני יהודהist in 2Chr 34,29 belegt. 198 Während über die Abhängigkeit von 2Sam 24 und 1Chr 21 Konsens besteht, ist deren Richtung umstritten. Bei 2Sam 24 handelt es sich bekanntlich um eine späte Ergänzung der Samuelbücher; 2Sam 24 könnte also auch ein aus 2Chr 21 entwickelter Text sein. Dafür, dass 2Sam 24 die Vorlage von 1Chr 21 war, sprechen jedoch a) die Theologisierung des Kapitels durch die Interpretation der Volkszählung als אשׁמה, vor der David durch Joab gewarnt wird und die das gesamte Volk einschließt (vgl. in Joabs Frage in v. 3e), ihre Anregung durch einen שׂטןsowie die Exklusion der Stämme Levi (Kultpersonal am Jerusalemer Tempel) und Benjamin (Standort Jerusalems, vgl. dazu unten Anm. 203) in v. 6 und b) die damit verbundene Straffung: die Details der Volkszählung selbst wie Joabs Itinerar in 2Sam 24,5–7 treten in den Hintergrund (vgl. JAPHET, OTL, 373ff.). 199 Gegen JAPHET, Ideology, 275, für die in 2Sam 24 „Israel“ nur die Nordstämme meint. 200 Im unmittelbaren Vorkontext dominiert die weite Bedeutung (vgl. 2Sam 21,2.4f. 15.17.21; 23,1.3.9), der letzte vorausgehende Beleg für ישׂראלals Bezeichnung der Nordstämme ist 2Sam 21.2 (3. Beleg), vgl. davor aber auch 2Sam 19,41ff.; 20,1f.).
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
von „Israel“ und „Juda“, dass „Israel“ hier die Nordstämme bezeichnet. In v. 2a kann „Israel“ wiederum nur das gesamte Volk incl. Juda bedeuten, dafür spricht zum einen die Verbindung כל־שׁבטי ישׂראל, zum anderen ergäbe sich, wollte man „Israel“ hier allein auf die Nordstämme beziehen, ein Bruch zur Reichweite der Volkszählung in v. 1b sowie zum Itinerar Joabs in v. 5–7, dass Juda ausdrücklich einschließt (v. 7). V. 4b hält die Ausführung des Auftrags David v. 2 fest, dabei werden sowohl die Akteure ( ושׂרי־/יואב ושׂר )הח יל, als auch deren Auftrag ( )פקדsowie dessen Objekt ( )העםwörtlich aus v. 2 wieder aufgenommen. Da sich העםin v. 2a auf כל־ שׁבטי ישׂראלzurück bezieht, also auf „Israel“ in seiner weiten Bedeutung, muss dieses auch für v. 4b gelten. Als Apposition zu העם kommt für ישׂראלin v. 4b also nur die weite Bedeutung in Frage. 1Chr 21,1–6 ist gegenüber der Vorlage so verändert, dass die Doppelsemantik vermieden und „Israel“ nur in seiner weiten Verwendung gebraucht wird.201 So fehlt in 1Chr 21,1 ויהודה. V. 2 ist im Vergleich zu 2Sam 24,2 straffer formuliert; an Stelle von בכל שׁבטי ישׂראלreicht Chr ישׂראלaus, da die weite Verwendung von v. 1 beibehalten wird. Gleiches gilt für v. 3. 1Chr 21,4 bietet eine Kurzfassung von 2Sam 24,4–8, Joabs Itinerar fällt aus, Chr interessiert hier lediglich das Ergebnis. Am deutlichsten ist die Tendenz von Chr in v. 5 greifbar. Das Nebeneinander von Juda und Israel wird wiederum vermieden; ישׂראלist über das gegenüber der Vorlage zusätzliche כלals die umfassende Größe ausgewiesen, deren Teil יהודהist.202 Dem entspricht die Art der Zahlenangaben: Chr nennt keine getrennten Zahlen für Nordstämme und Juda, sondern mit 1.100.000 wehrfähigen Männern zunächst eine Angabe für ganz Israel – mit Ausnahme der nach v. 6 nicht gezählten Stämme Levi und Benjamin 203 – und erst danach die Zahl (470.000) für die Teilgruppe Juda.
2.1.2.2 2Chr 10–28 In der chr Darstellung der Zeit von der Reichsteilung bis zur Eroberung des Nordreichs finden sich 91 Belege für das Lemma ישׂראל. An 13 Stellen bezeichnet „Israel“ das gesamte Volk, acht Mal in Rückblicken auf das vorstaatliche Israel (12,13; 20,7.10; 24,6.9; 28,3), die davidische Zeit (13,5) oder eine unbestimmte Zeit in der Vergangenheit (15,3) und fünf Mal in der chr Darstellung der Reichsteilung (s.u.). 15 Belege gibt es für „Israel“ als Bezeichnung des Südreichs. Mit 53 Belegen überwiegt die VerVgl. VON RAD, Geschichtsbild, 36; JAPHET, Ideology, 275.290. Teilweise wird erwogen, dass es sich bei der Angabe für Juda um eine Glosse handelt, so u.a. CURTIS & MADSEN , ICC, 250; RUDOLPH , HAT Chronik, 144; WILLI, Chronik, 109, Anm. 132; WILLIAMSON, NCeB, 145; JAPHET, OTL 378. Der Satz fehlt in zwei Septuaginta-Handschriften, was sich aber auch als Folge des Homoioteleuton אישׁ שׁלף חרבerklären lässt. 203 V. 6 geht auf Chr zurück, der die zwei Stämme Levi und Benjamin von der תועבה der Volkszählung ausnimmt. Die Initiative schreibt er wiederum Joab zu, der schon in v. 3 David gewarnt hatte. Chr schließt den Stamm Levi wahrscheinlich aufgrund von Num 1,49 aus (WILLIAMSON, NCeB, 145; zur Tendenz des Chr, seine Vorlagen so auszulegen, dass sie den Geboten der Tora entsprechen vgl. SEELIGMANN , Anfänge, 37). Die Exklusion von Benjamin ist eine chr Interpretation von 2Sam 24,16: Für Chr (1Chr 8,28.32) liegt Jerusalem im Territorium Benjamins (vgl. DALMAN , Stammeszugehörigkeit, 109; OEMING , Israel, 175f.). 2Sam 24 begründet die Verschonung Jerusalems mit der Reue JHWHs. Chr motiviert den Sinneswandel JHWHs über die Nichtbeteiligung dieser Stäm me an der Volkszählung (vgl. JAPHET, OTL, 378). 201 202
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wendung von „Israel“ als Name des Nordreichs deutlich. Die Verbindung אלהי ישׂראלbegegnet an fünf Stellen (11,16; 13,5; 15,4.13; 20,19).204 a) Fallstudie: Der Gebrauch von ישׂראלin 2Chr 10,1–11,4 Chr übernimmt in v. 1 כל ישׂראלaus der Vorlage 1Reg 12,1. Die meisten Kommentatoren gehen davon aus, dass כל ישׂראלhier allein die Nordstämme bezeichnet.205 In 9,30, also dem unmittelbaren Vorkontext, steht כל ישׂראלjedoch für das gesamte salomonische Reich, so dass ein plötzlicher und nicht angezeigter Bedeutungswandel sehr überraschend käme. Da zudem in der vorhergehenden Geschichtsdarstellung anders als in Sam– Reg alle Hinweise auf Spannungen zwischen den Nordstämmen und Juda bzw. dem Davidshaus fehlen, 206 liegt es näher, dass כל ישׂראלfür alle zwölf Stämme steht.207 Die Szene erinnert dann an 1Chr 11,1–3, die Einsetzung Davids zum König über Israel, wobei anders als in 2Sam 5 zuvor nicht von einer Einsetzung Davids zum König über Juda berichtet wird (vgl. 2Sam 2,3f.). Nach der chr Darstellung wird David in Hebron von כל ישׂראלzum König gesalbt. Anschließend erobert er gemeinsam mit כל ישׂראלJerusalem, so dass in 2Chr 11,1–7 mit dem Beginn der davidischen Dynastie und Jerusalem als Hauptstadt entscheidende Grundlagen für das davidische Königtum geschaffen sind. 2Chr 10,1–16 berichtet also von einer entsprechenden Zusammenkunft aller zwölf Stämme nach Salomos Tod, bei der Rehabeam zum König eingesetzt werden soll.208 In 10,3 modifiziert Chr seine Vorlage leicht; anstelle von כל־קהל ישׂראלhat Chr nur כל ישׂראל. Die Verbindung כל־ 204
Zu den fünf Belegen von ישׂראלinnerhalb von chr Quellenverweisen, vgl. unten S.
116f. 205 J APHET, OTL, 658: „‚All Israel‘ in this context is undoubtedly the people of the north“; vgl. GALLING, ATD, 102; RUDOLPH, HAT Chronik, 227; MYERS, AncB, 65. 206 Die Reichsteilung ist somit in der chr Geschichtsdarstellung nicht vorbereitet. Eine Intention der großzügigen Retusche, die Chr an der Beschreibung der Anfänge Davids und seines Reiches vornimmt, ist die Betonung der Einheit Israels unter diesem idealen König: „Es war ihm [dem Chronisten, K.W.] und seinesgleichen offenbar ein unerträglicher Gedanke, daß nicht von Anfang an ganz Israel geschlossen zu dem gottgewollten König gehalten haben soll“ ( VON RAD, Geschichtsbild, 131; vgl. schon WELLHAUSEN , Prolegomena, 167ff). Es fehlen daher ebenfalls die Hintergründe für die Klage des Volkes in 2Chr 10,4, die innerhalb von 1Reg durch 4,6; 5,7f.27f. motiviert ist (vgl. RUDOLPH, HAT Chronik, 227; WILLI, BK, 58f.). Dennoch scheint Chr auch im Bericht der Reichsteilung für bestimmte Informationen bei seinen Lesern die Kenntnis von Sam/Reg vorauszusetzen. So wird Jeroboam eingeführt, ohne dass sein Verhältnis zu Salomo und insbesondere der Grund seiner Flucht erklärt würden; 2Chr 13,6 erwähnt zwar die Rebellion Jerobeams gegen Salomo, allerdings ohne Details und genauere Hintergründe. 2Chr 10,15 übernimmt zudem aus der Vorlage den Hinweis auf die Prophezeiung Ahijas an Jerobeam, deren Inhalt Chr jedoch zuvor nicht berichtet hatte (WILLI, aaO., 58; WILLIAMSON, Israel, 103). 207 WILLIAMSON , Israel, 103, sowie NCeB, 238. Für B ECKER , NEB, 42, wird hier „die Bedeutung ‚Gesamtisrael‘ zum mindesten suggeriert.“
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
קהל ישׂראלverwendet Chr nur im kultischen Kontext (1Chr 13,2; 2Chr 6,3.12f.; vgl. 1Chr 28,8 u.ö.) 209 und streicht קהלan dieser Stelle, weil es
sich nicht um eine kultische Versammlung handelt.210 Die durch sein unkluges Verhalten für Rehabeam erfolglose Zusammenkunft der Stämme in Sichem endet mit 1Chr 10,16: כל ישׂראלkehrt in seine Zelte zurück. Chr ersetzt in v. 16b ישׂראלgegenüber der Vorlage 1Reg 12,16 durch כל ישׂראל, schafft eine Verbindung zur Einführung der Szene in v. 1.3 und stellt heraus, dass alle beteiligten Akteure Sichem verlassen. V. 17 hält das Ergebnis aus der Perspektive Rehabeams fest, sein Herrschaftsbereich umfasst lediglich die ערי יהודה, also nur noch ein eingeschränktes Gebiet.211 בני ישׂראלv. 17a referiert auf die Bewohner des genannten Gebietes, d.h. die Bewohner des Südreiches.212 In v. 18f. wird ישׂראלbzw. בני ישׂראלganz selbstverständlich für das Nordreich bzw. seine Bewohner verwendet. Chr bleibt hier nahe an der Vorlage 1Reg 12,18f.; an Stelle von כל ישׂראלverwendet Chr allerdings בני ישׂראל, um die (Nord-)Israeliten, die an der Steinigung des Fronvogts Adoniram beteiligt waren, von כל ישׂראלin 10,1–16, d.h. allen zwölf Stämmen 208 Im Kontext von Chr muss es also nicht von vornherein als eine Schwäche Rehabeams gedeutet werden, wenn sich „ganz Israel“ versammelt, um ihn zum König zu machen (gegen JAPHET, OTL, 651f.). Doch weist Chr die Verantwortung für die Reichsteilung allein Rehabeam und dessen unklugem Verhalten zu. Salomo wird entlastet, da die Kritik an Salomo in 1Reg 11,1–13 in Chr fehlt (JAPHET, OTL, 657; JOHNSTONE , Chronicles, 2, 23f.). Chr sieht Rehabeam auch nach der Reichsteilung kritisch, vgl. 2Chr 12,1.14. Bei Salomos Thronbesteigung 1Chr 29,23–25 fehlt eine vergleichbare Zusammenkunft „ganz Israels“, doch 1Chr 29,23 berichtet, כל ישׂראלhabe auf Salomo gehört. Chr war es offensichtlich wichtig, auch für Salomo die Anerkennung durch das gesamte Volk und seine Vertreter (v. 24) zu notieren und so die Einheit Israels zu betonen. Zur Polemik von 1Chr 29,23ff. gegen die Darstellung der Thronbesteigung Salomos in 1Reg 1f. vgl. JAPHET, OTL, 514f. 209 Gegen VON R AD , Geschichtsbild, 45. 210 J OHNSTONE , Chronicles 2, 24, entnimmt aus dem Fehlen von קהל, dass Chr die Zusammenkunft in Sichem als „an unauthorized secular gathering, without theological validity“ ansieht. Dafür gibt es jedoch keine weiteren Hinweise im Text, im Gegenteil: Chr übernimmt in 10,15 die Deutung der Reichsteilung als ein Wirken JHWHs unverändert aus seiner Vorlage. 211 ערי יהודהsteht bei Chr öfter für die geographische Ausdehnung des Südreiches, so in 2Chr 14,4; 31,6 (vgl. auch 17,7.9.13; 20,4; 23,2; 24,5; 25,13; 31,1). In dieser Funktion wird die Verbindung außerdem in 2Reg 23,5.8; Neh 11,3.20, möglicherweise in Sach 1,2; Thr 5,11 und auffallend häufig bei Jeremia gebraucht (vgl. Jer 1,15; 4,16; 7,17.34; 9,10; 10,22; 11,6.12; 17,26; 25,18; 26,2; 32,44; 33,10.13; 36,9; 40,5; 44,2.6.17.21). 212 R UDOLPH , HAT Chronik, 97; WILLIAMSON , Israel, 103; JAPHET, OTL, 658. Hier ist noch nicht vorausgesetzt, dass Angehörige der Nordstämme in Juda lebten. Die Übersiedlung von Angehörigen der Nordstämme in den Süden ist für Chr ein Folge der Reichsteilung, vgl. 2Chr 11,13–17; 15,9. Daher ist die Deutung von BENZINGER, KHC, 96, בני ישׂראלstehe für diese Übersiedler schwierig (so auch RUDOLPH , aaO.), da Rehabeam sonst nur über diese geherrscht hätte.
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zu unterscheiden. Für ישׂראלin v. 19 ergibt sich die Referenz auf das Nordreich schließlich deutlicher aus der Gegenüberstellung mit dem „Haus Davids“. Jerobeams Einsetzung zum König (1Reg 12,20) fehlt in Chr, 213 der Bericht konzentriert sich weiter auf Juda. ישׂראלin 2Chr 11,1 steht für das Nordreich, gegen das Rehabeam beabsichtigt, in den Krieg zu ziehen. Chr ändert בית ישׂראלaus seiner Vorlage (vgl. 1Reg 12,21) zu ישׂראל, übernimmt aber בית יהודה. H.G.M. Williamson vermutet, dass Chr die Verbindung בית ישׂראלvermeidet, weil sie nur auf das Nordreich angewendet werden könne, während sich sowohl כל ישׂראלals auch בני ישׂראלoder ישׂראלfür Nord- und Südreich gebrauchen ließen.214 So steht כל ישׂראלin 11,3 dann auch für die Bewohner des Südreiches, wie sich aus der Präzisierung ביהודה ובנימן ergibt.215 Chr transformiert in 11,3f. wiederum seine Vorlage, zum einen ersetzt er כל־בית יהודה ובנימן ויתר העםaus 1Reg 12,23 durch כל ישׂראל ביהודה ובנימן, zum anderen verzichtet er in v. 4 auf die Nennung von בני־ישׂראל. In der Sache ändert sich nichts, die potentielle Konfliktlinie verläuft zwischen Rehabeams Südreich und Jerobeams Nordreich. Bei Chr stehen sich durch die Reformulierung jedoch nicht Juda mit Benjamin und Israel gegenüber, sondern die Israeliten, die sich in Juda und Benjamin befinden, und ihre „Brüder“216 im Norden. Chr vermeidet es wiederum, Juda (bzw. Benjamin) und Israel als eigenständige Größen nebeneinander zu stellen. Im chr Bericht der Reichsteilung wird ישׂראלsomit sowohl als Bezeichnung von Nord- oder Südreich als auch als Name einer alle zwölf Stämme umfassenden Größe verwendet. Auch für die Verbindungen כל ישׂראלsowie בני ישׂראלist keine Festlegung auf Nordreich, Südreich oder „Gesamt213 Die Einführung Jerobeams in 10,2f. bleibt dadurch ohne Funktion innerhalb der Erzählung. 214 WILLIAMSON , Israel, 110. 215 WILLIAMSON , Israel, 99.104; J APHET, Ideology, 278f.293f., und OTL, 659. 2Chr 11,3 war zusammen mit 12,1 für VON RAD, Geschichtsbild, 30f., ein entscheidender Beleg dafür, dass Chr in Juda und Benjamin das wahre Israel sah. Er versteht 11,3 so, dass „ganz Israel“ nun nur in Juda und Benjamin zu finden sei. Schon DANELL , Studies, 275, macht allerdings auf eine andere Übersetzungsmöglichkeit aufmerksam: „It is more likely that this passage ought to be interpreted in connection with 1 K 12:17 (2 Chr 10:17): ‚the Israelites who lived in the cities of Judah‘, i.e. that part of Israel that lived in Judah, or quite simply the Judaean population.“ Analog lässt sich auch 12,1 deuten. Diese Beobachtung sowie die Tatsache, dass Chr weder im Bericht über die Reichsteilung noch in der folgenden Darstellung (dazu unten) Probleme hat, das Nordreich als ישׂראלzu bezeichnen und dabei selbst keine Unterscheidung zwischen „wahrem“ und „falschem“ Israel einführt, machen VON RADS Interpretation problematisch. Zur These, Juda sei für Chr das „wahre Israel“ vgl. auch S. 298. 216 Die Nordreichbewohner werden auch in 2Chr 28,8.11.15 als „Brüder“ der Judäer bezeichnet.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Israel“ gegeben.217 Zudem vermeidet Chr hier und im gesamten Buch die Verbindung בית ישׂראל, die nur auf das Nordreich anwendbar wäre, während בית יהודהbelegt ist.218 „Israel“ ist vielmehr das gesamte Volk sowie jede seiner Teilgruppen, zunächst einmal unabhängig davon, wo sie leben.219 b) „Israel“ als Bezeichnung des Nordreichs Wo die Vorlagen ישׂראלals Namen des Nordreichs enthalten, folgt ihnen Chr. So entsprechen 27 von 53 Belegen dem Sprachgebrauch von Reg (10,19; 16,1.3.4; 18,4f.7f.9.16 220.17.25.28.29[2x].30f.32f.; 21,6; 25,17.18. 21f.23.25; 28,2).221 In 15,17; 18,3.19.34; 22,5 ergänzt Chr die Vorlage um מלך ישׂראלbzw. ישׂראל, um zu präzisieren. An wenigen Stellen wird modifiziert: so ersetzt Chr wie eben gesehen in 10,3 כל־קהל ישׂראלdurch כל ישׂראל, in 10,18 כל ישׂראלdurch בני ישׂראלund in 11,1 בית ישׂראלdurch ישׂראל. Der Umgang mit den Vorlagen zeigt, dass Chr das Nordreich ganz selbstverständlich als „Israel“ bezeichnen konnte. Dieses wird durch die Texte bestätigt, die Chr ohne Rückgriff auf Vorlagen in Reg formulierte:222 – 2Chr 11,13–17 beschreibt die Übersiedlung der Leviten und JHWHTreuen aus dem Norden in das Juda Rehabeams: Leviten aus כל ישׂראל (v. 13) und JHWH-Anhänger ( מכל שׁבטי ישׂראלv. 16) kommen nach Jerusalem, um dort zu opfern. Obwohl impliziert ist, dass die im Norden Verbleibenden keinen rechten JHWH-Kult praktizieren (vgl. 2Chr 11,14f.), bezeichnet Chr das Nordreich weiter als „Israel“. Für das Südreich ergibt sich eine Bevölkerung, die sich aus Angehörigen der Stämme Juda und Benjamin sowie Leviten und den Zuzüglern aus dem Norden zusammen217
Die Verteilung sieht innerhalb von 2Chr 10,1–11,4 folgendermaßen aus: ישׂראל
כל ישׂראל
בני ישׂראל
Nordreich 10,19; 11,1 10,18 Südreich 11,3 10,17 gesamtes Volk 10,16 10,1.3.16(2x) In dem begrenzten Textbereich ist natürlich nicht zu erwarten, dass alle Möglichkeiten realisiert werden. Die Aufstellung lässt sich durch Belege aus 2Chr 11–28 ergänzen: כל ישׂראלals Bezeichnung des Nordreichs findet sich in 2Chr 11,13; 13,4.15; 18,6; zu ישׂראל als Name des Südreichs vgl. unten S. 110; בני ישׂראלfür das gesamte Volk findet sich in 2Chr 28,3. 218 בית יהודהerscheint neben 2Chr 11,1 noch in 1Chr 28,4; 2Chr 19,11; 22,10. 219 Vgl. J APHET, OTL, 658. 220 Gegen WILLIAMSON , Israel, 105, der hier eine Referenz auf Gesamt-Israel sehen möchte, weil beide Reiche an dem Feldzug gegen Aram beteiligt sind. Chr übernimmt den Vers jedoch nahezu wörtlich aus 1Reg 22,17, wo sich כל ישׂראלauf das Nordreich bezieht, was sich auch aus der Fortsetzung ergibt: das Bild der Schafe ohne Hirten kann sich nur auf das Nordreich beziehen, dessen König Ahab in dem Feldzug stirbt. 221 Vgl. WILLIAMSON , Israel, 97f., mit etwas anderen Zahlen. 222 18 Belege. Davon entfallen drei auf den Titel מלך ישׂראלa(2Chr 20,35; 21,13; 28,5), die übrigen sind 2Chr 11,13.16; 13,4.12.15f.17f.; 17,4; 25,6.7(2x).9; 28,8.13.
2. Der inklusive Israel-Begriff
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setzt.223 Die Vorstellung der Übersiedlung von JHWH-Anhängern aus dem Norden begegnet noch einmal in 2Chr 15,9.224 – In 2Chr 13 fordert Abija Jerobeam und das Nordreich erfolglos zur Rückkehr zur davidischen Dynastie und dem Jerusalemer JHWH-Kult auf. Chr verwendet ( כל ישׂראלv. 4.15), ( בני ישׂראלv. 12.16.18) und ( ישׂראלv. 17) für die Bewohner des Nordreichs. 225 – Chr fügt in 15,17 ישׂראלals Bezeichnung des Nordreichs ein, um einen Widerspruch in seiner Darstellung zu vermeiden. Chr stellt Asa positiver dar als 1Reg 15, nach 2Chr 14,2–4 entfernte er die Höhenheiligtümer. Die Kritik in 15,17 bezieht Chr durch die Einfügung auf das Nordreich.226 – In 17,4 und 21,13 führt Chr das Nordreich als schlechtes Beispiel an, wobei er in 21,13 mit בדרך מלכי ישׂראלeine gängige Formel227 übernimmt, in 17,4 aber mit כמעשׂי ישׂראלeigenständiger formuliert. – 2Chr 20,35–37 reformuliert 1Reg 22,49f.; der König des Nordreichs wird in 2Chr 20,35 wie üblich als מלך ישׂראלbezeichnet. – 2Chr 25,5–16 ist chr Sondergut. Amazja wirbt für einen Feldzug gegen Edom zunächst Soldaten aus dem Nordreich bzw. Ephraim an, zieht dann aber aufgrund der Warnung eines Gottesmannes 228 ohne sie in den Kampf, woraufhin die Ephraimiten judäische Städte plündern. V. 25,6.7a.9 sprechen allgemein von מאה אלף גבור חיל מישׂראל,a צבא ישׂראלbzw. גדוד ישׂראל, in v. 7b steht בני אפריםin Apposition zu ישׂראל, und v. 10 hält noch einmal fest, dass die Soldaten aus Ephraim gekommen seien. ישׂראלist hier der Name des Nordreichs, dessen Teil אפריםist.229 JAPHET, Ideology, 293f. Warum Simeon hier zusammen mit den Nordstämmen Ephraim und Manasse genannt wird, ist nicht geklärt, vgl. die Diskussion bei WILLIAMSON , Israel, 104. Eine ähnliche Reihe – Manasse, Ephraim, Simeon und Naphtali – findet sich in 2Chr 34,6. 225 Zu 2Chr 13 vgl. S. 140ff. 226 C URTIS & M ADSEN , ICC, 386; WILLI, Chronik, 61. Diskutiert wird, ob Chr zu einer Verlegenheitslösung griff, um den Widerspruch zu glätten (WILLI, aaO.) oder ob hier an die Autorität des Südkönigs über den Norden gedacht ist (das erwägt WILLIAMSON , Israel, 104). JAPHET, OTL, 728, bezieht den Vers auf das Südreich und erwartet von Chr nicht „a fully consistent adaption of his sources“ zumal die Frage der Kulthöhen für Chr ohnehin weniger wichtig gewesen sei (vgl. VON RAD, Geschichtsbild, 30, Anm. 43). Wenn Chr hier an das Südreich denkt, warum sollte er dann aber מישׂראלeingefügt haben? Die Fassung des Verses aus seiner Quelle hätte völlig ausgereicht. RUDOLPH, HAT Chronik, 241, möchte die Frage literarkritisch lösen und schreibt 15,16–18 einem späteren Ergänzer zu, aber damit verschiebt er das Problem lediglich. 227 Vgl. 2Chr 21,6; 28,2 (dort aus 2Reg 8,18 bzw. 16,3 übernommen). 228 Die Rede des Gottesmannes in v. 7b ( )אין יהוה עם־ ישׂראלist gelegentlich als allgemeine Aussage interpretiert worden, in der Chr sein ablehnendes Verhältnis zum Norden ausdrücke (RUDOLPH, HAT Chronik, 281; JOHNSTONE , Chronicles 2, 154). Dagegen spricht das in 2Chr 12,5; 15,2 festgehaltene Vergeltungsprinzip, das hier am Beispiel Amazjas (vgl. v. 15.20) illustriert wird (vgl. JAPHET, Ideology, 321f. & OTL, 865; WILLIAMSON , Israel, 113). 223 224
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
– 2Chr 28,5–15, ebenfalls chr Sondergut, berichtet von den Strafen JHWHs für Ahas, der u.a. durch das Nordreich geschlagen wird, wobei 200.000 Menschen aus Juda in Gefangenschaft geraten. Die Bewohner des Nordreichs erweisen sich jedoch zumindest so weit als JHWH-fürchtig, dass sie auf die Intervention eines Propheten hin die Gefangenen zurückschicken und nicht versklaven. Das Nordreich wird wiederum als ישׂראל (v. 5.13) und seine Bewohner werden als ( בני ישׂראלv. 8) bezeichnet. Auch dort wo Chr eigenständig formuliert, wird der Israel-Name also ganz selbstverständlich für das Nordreich verwendet. Die Disambiguierung ergibt sich jeweils aus dem Kontext und ist in der Regel ohne Probleme zu erschließen. c) „Israel“ als Bezeichnung des Südreiches Anders als in 1–2Reg verwendet Chr den Israel-Namen nach der Reichsteilung ebenso selbstverständlich für das Südreich, jedoch stets in Passagen, die nicht direkt aus 1–2Reg übernommen sind. Chr ersetzt an keiner Stelle ein „Juda“ in Reg durch „Israel“. ישׂראלreferiert in 2Chr 10–28 an 15 Stellen auf das Südreich.230 Schon Danell hatte festgestellt, dass es sich bei der Mehrzahl der Belege um Titel wie שׂרי ישׂראלa(12,6; 21,4), ראשׁי האבות לישׂראלa(19,8; 23,2)231 oder מלך ישׂראלa(21,2; 28,19; vgl. 28,27) handelt. 232 2Chr 21,2; 28,19 werden gelegentlich233 aufgrund des textkritischen Befundes emendiert: Sebir, einige masoretische Handschriften und die Versionen lesen יהודהanstelle von ישׂראל. Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass die Versionen versuchten, die Schwierigkeit auszugleichen, als dass hier nachträglich יהודהdurch ישׂראלersetzt wurde. MT hat wohl die ältere Lesart bewahrt,234 zumal diese zwei Belege eben nicht die einzigen sind, an denen Chr „Israel“ für das Südreich gebraucht. Da diese oder ähnliche Titel auch in der chr Darstellung des davidischen und salomonischen Reiches begegnen, nimmt Danell an, dass sie nach der Reichsteilung weiter ge-
229 WILLIAMSON , NCeB, 329. Chr verwendet אפר יםin der Regel für den Stamm, vgl. 1Chr 6,51; 7,20; 9,3; 12,31; 27,10.14.20; 2Chr 15,9; 30,1.10.18; 31,1; 34,6.9, daher wahrscheinlich auch in 2Chr 28,8.13 (gegen JAPHET, OTL, 863f.) und nicht als alternative Bezeichnung für das Nordreich. 230 2Chr 10,17; 11,3 (zu diesen beiden Belegen vgl. oben S. 105ff.); 12,1.6; 17,1; 19,8; 20,29; 21,2.4; 23,2; 24,5.16; 28,19.23.27 (vgl. VON RAD, Geschichtsbild, 30, Anm. 43f.; WILLI, Chronik, 239, Anm. 85; WILLIAMSON, Israel, 102). 231 Für שׂרי ישׂראלist die Alternative שׂרי יהודהin 2Chr 10–28 belegt (12,5; 22,8; 24,17); für ראשׁי האבות לישׂראלfehlt das entsprechene Pendant. 232 DANELL , Studies, 274. 233 J APHET, OTL, 804 für 21,2; jedoch anders bei 28,19, vgl. aaO., 895. 234 So auch R UDOLPH , HAT Chronik, 265. 291; WILLIAMSON , Israel, 102; WILLI, Chronik, 162, Anm. 206. Willi vermutet hinter dem Sprachgebrauch einen Alleinvertretungsanspruch der Davididen auch für das ehemalige Nordreich.
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braucht wurden.235 Zumindest Chr scheint davon auszugehen oder vergleichbare Titel aus seiner Zeit zu kennen (vgl. Esr 4,3; 8,29). Für die übrigen Belege lässt sich keine Systematik erkennen, sie erscheinen in unterschiedlichen Kontexten:236 – 2Chr 12,1 konstatiert den Abfall Judas von JHWH unter Rehabeam. Der Vers fasst 1Reg 14,22–24, einen Bericht über den Götzendienst Rehabeams, zusammen und ist auf die Gottesrede in 2Chr 12,5 hin formuliert. Diese deutet den Feldzug Schischaks als Vergeltung für den Abfall von JHWH. Die Verknüpfung geschieht dabei über das Verb עזב. Die Strafe trifft allein Juda und Jerusalem (v. 4) und der Prophet redet ebenfalls allein zu Rehabeam und den ( שׂרי יהודהv. 5), so dass כל ישׂראלin v. 1 nur das Südreich bezeichnen kann. Wie in der Bezeichnung des Reiches kann Chr auch beim Titel der Amtsträger zwischen ( שׂרי יהודהv. 5) und ( שׂרי ישׂראלv. 6) wechseln. Aus dem Kontext ist jedoch klar, dass es sich um die selbe Gruppe handeln muss. Analog zu 12,1 steht auch in 28,23, wo von der Fremdgötterverehrung des Königs Ahas die Rede ist, כל ישׂראלfür das Südreich.237 – In 17,1 ist umstritten, worauf „Israel“ zu beziehen ist; erstarkt Joschafat gegenüber dem Nordreich oder konsolidiert er seine Macht innerhalb Judas? W. Rudolph verweist auf die übliche Bedeutung „( התחזק עלdie Herrschaft konsolidieren“) sowie die Parallele in 2Chr 1,1 und deutet ישׂראל hier auf das Südreich.238 Dazu passt, dass Joschafat nach 2Chr 18 mit dem Nordreich kooperiert239 und dass das Ende von Asas Herrschaft für Chr eine Periode politischer Unruhe war.240
DANELL, Studies, 274. DANELL, Studies, 274f., versucht mit der These zu systematieren, Chr würde das Südreich im kultischen Kontext („concerned with the cult“) als „Israel“ bezeichnen bzw. כל ישׂראלsei die Bezeichnung der judäischen Kultgemeinde. Für einige Belege trifft die Verbindung zum Kult sicher zu (z.B. 24,5.16) auch wenn Danell dabei die Stellen mitzählen muss, die Judas Abfall vom rechten JHWH-Kult festhalten (12,1; 15,17 [nach Danell ist hier das Südreich gemeint]; 28,23). Für die übrigen Belege ist die Verbindung zum Kult reichlich gezwungen, wenn 20,29 als „glimpse [of] the language of the liturgy“ oder טובה בישׂראלals positiver Gegenbegriff zu נבלהgedeutet wird. Hinzu kommt, dass Chr, wenn wie in 2Chr 20,3.13 von kultischen Vollzügen im engeren Sinne die Rede ist, gerade nicht „Israel“ sondern כל יהודהverwendet. 237 In der Episode begegnet ישׂראלauch im Königstitel 28,19 sowie im Namen der Grabstätte der Südreichkönige קברי מלכי ישׂראלa(28,27). 238 R UDOLPH , HAT Chronik, 249. 239 Ebd. Rudolphs weiteres Argument, dass das Nordreich in 17,2 nicht als „Israel“, sondern als „Ephraim“ bezeichnet werde, ist jedoch nicht einschlägig. Bereits in v. 4 verwendet Chr wieder „Israel“ für das Nordreich, und „Ephraim“ steht in Chr in der Regel für den Stamm bzw. sein Territorium (vgl. 1Chr 6,51f.; 9,3; 12,31; 27,10.14.20; 2Chr 13,4; 15,8f.; 19,4; 28,7.12; 20,1.10.18; 31,1; 34,6). 240 J APHET, OTL, 745. 235 236
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
– Für 20,29 erwägt H.G.M. Williamson in Anlehnung an J.M. Myers, dass ישׂראלhier auf das Israel der Landnahme referiert.241 Dagegen spricht jedoch, dass an den Stellen, an denen sonst von einem פחד אלהיםbzw. פחד יהוהdie Rede ist, der die Gegner Israels überkommt, nicht auf die vorstaatliche Zeit zurückgeblickt wird. Der „Gottesschrecken“ ist vielmehr als eine konkrete Hilfe für den jeweiligen König und sein Volk vorgestellt, sei es das davidische Israel (1Chr 14,17), das Südreich unter Asa (2Chr 14,13) oder unter Joschafat (17,10) – ganz nach dem chr Prinzip, dass die Könige, die JHWH treu sind, von ihm Unterstützung im Krieg erfahren, wer aber untreu ist wird in die Hände seiner Feinde gegeben.242 Daher ist ישׂראלauch hier die Bezeichnung des Südreiches.243 – 24,5.16 stehen im Kontext der Renovierung des Jerusalemer Tempels durch Joasch und den Priester Jojada. Dass ישׂראלin v. 5 das Südreich bezeichnet, ergibt sich aus der Parallele zu ערי יהודה.244 Chr verwendet den „Israel“-Namen, um die Kontinuität zu dem Israel zu betonen, dem das Gebot des Mose galt (v. 6.9). 245 Zudem ist der Jerusalemer Tempel nach Ansicht von Chr natürlich nicht nur für das Südreich relevant, sondern für alle Israeliten, die dem rechtmäßigen JHWH-Kult anhängen (vgl. 11,13– 17). Vielleicht entscheidet sich Chr auch deshalb in v. 16 für „Israel“, d.h. die in dieser Hinsicht offenere Bezeichnung als das eindeutig partikulare „Juda“. 2.1.2.3 2Chr 29–36 Für das Lemma ישׂראלgibt es innerhalb von 2Chr 29–36, der chr Darstellung von der Herrschaft Hiskias bis zum babylonischen Exil, 49 Belege. Elf entfallen auf אלהי ישׂראל246 bzw. אלהי אברהם יצחק וישׂראלa(30,6), vier auf chr Quellenangaben (32,32; 33,18; 35,27; 36,8).247 Zwölf Belege begegnen wiederum in Rückblicken auf die vorstaatliche (33,2.9; 35,18[1. Beleg]) oder Davidzeit (29,27; 30,26; 33,7.8; 35,3[3x].4), wobei 33,2.7.8.9 den Sprachgebrauch von 2Reg 21,2.7.8.9 übernehmen, bzw. auf die
241 WILLIAMSON , Israel, 105f., mit Hinweis auf 20,10ff. MYERS , AncB, 116, denkt, „the writer viewed the whole expedition as a holy war“. 242 WELLHAUSEN , Prolegomena, 198, bezeichnet dieses Prinzip als „göttliche[n] Pragmatismus“: „Nie bleibt auf die Sünde die Strafe aus und nie mangelt dem Unglück die Schuld.“ Vgl. RUDOLPH, HAT Chronik, xixff.; JAPHET, Ideology, 150f. 243 So auch VON RAD, Geschichtsbild, 30, Anm. 43; DANELL , Studies, 274f. 244 Vgl. S. 106, Anm. 211. 245 WILLIAMSON , Israel, 107. 246 2Chr 29,7.10; 30,1.5; 32,17; 33,16.18; 34,23.26; 36,13. 247 Vgl. unten S. 116f.
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Königszeit (35,18[2. Beleg]).248 In 35,25 ist ganz allgemein von einem „Brauch in Israel“ ( )חק על־ישׂראלdie Rede. Chr verwendet ישׂראלnun auch für die Bevölkerung auf dem Gebiet des nicht mehr bestehenden Nordreichs bzw. für Angehörige der Nordstämme (neun Belege: 30,1.6[1. Beleg].25[2x]; 31,5f.; 34,9.21; 35,18[3. Beleg]).249 Die Festlegung auf diese Verwendung ergibt sich jeweils durch ein Nebeneinander mit „Juda“. An zwölf Stellen250 referiert ישׂראלauf das gesamte Volk aus Juda (und Benjamin) sowie den Nordstämmen, wobei nach Ansicht von Chr im Südreich ebenfalls Angehörige der Nordstämme leben (vgl. 10,17; 11,16; 15,9; 31,6). Chr kann zwischen ישׂראל,a בני ישׂראלoder כל ישׂראלwechseln, wobei ישׂראלhäufiger für das ehemalige Nordreich, בני ישׂראלund כל ישׂראלeher für Gesamt-Israel stehen:251 – Dass in 29,24 mit כל ישׂראלanders als noch in 28,23 mehr als nur Juda gemeint ist, ergibt sich aus v. 29b: die Wortstellung zeigt, dass die Opfer nicht nur für Juda dargebracht werden sollen, begründet durch die ausdrückliche Anordnung Hiskias. V. 29b korrigiert also die in v. 21 implizierte Erwartung, die Opfer würden nur על־הממלכה ועל־המקדשׁ ועל ־יהודה betreffen. כל ישׂראלreferiert daher auf Gesamt-Israel.252 – In 30,5 ergibt sich die weite Bedeutung für כל ישׂראלdurch die geographische Angabe מבאר־שׁבע ועד־דן. Daraus und aus 30,6a, wo ausdrücklich „( כל ישׂראל ויהודהIsrael“ referiert hier also auf das ehemalige Nordreich) als Ziel für Hiskias Boten genannt werden, folgt, dass in v. 6b zusammen mit den Nordstämmen auch die Judäer als בני ישׂראלangeredet werden.253 Entsprechend wird in v. 10–12 auch die Reaktion der Nordstämme und Judas festgehalten. Obwohl der Inhalt der Botschaft primär die Nordstämme zu betreffen scheint, ist er durchaus auch im Blick auf Juda sinnvoll; nach 2Chr 28,19–25 (vgl. 29,8–9) war auch Juda unter Ahas von JHWH abgefallen und als Folge von den Assyrern bedrängt worden. 254 248 Innerhalb von 2Chr 29–36 sind diese die einzigen drei Belege, die der Vorlage entsprechen, was aber kaum verwundert, da Chr in diesem Abschnitt auch inhaltlich eigene Wege geht. 249 Vgl. WILLIAMSON , Israel, 128f. 250 2Chr 29,24(2x); 30,5.6(2. Beleg).21; 31,1(2x).8; 34,7.33(2x); 35,17. 251 enge Verwendung weite Verwendung (ehemaliges Nordreich) ישׂראלa 30,25(2x); 34,9.21; 35,18; 34,9.21 31,8; 34,7; בני ישׂראלa 31,5.6 30,6.21; 31,1; 34,33; 35,17 כל ישׂראלa 30,1.6 29,24(2x); 30,5; 31,1 252 Vgl. WILLIAMSON , Israel, 126f. sowie DANELL , Studies, 276; gegen R UDOLPH , HAT Chronik, 297. 253 So WILLIAMSON , Israel, und NCeB, 366f.; vgl. J APHET, OTL, 942; JOHNSTONE , Chronicles 2, 200. DANELL, Studies, 277, identifiziert dagegen die in v. 6b genannte פליטהmit der Jerusalemer Kultgemeinde und plädiert daher für die Nordstämme als einzige Adressaten . 254 WILLIAMSON , Israel, 127.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Da in v. 12 berichtet wird, dass der Ruf zur Umkehr dank JHWHs Eingreifen in Juda erfolgreich war, war dieser nach Ansicht von Chr wohl auch in Juda angebracht. – 2Chr 34f. bezieht Josias Wirken auf Gesamt-Israel, diesen Punkt stellt Chr durch Ergänzungen und Reformulierungen gegenüber 2Reg 22f. heraus. So ersetzt 2Chr 34,9 מאת העםaus 2Reg 23,4 durch מיד מנשׁה ואפרים ומכל שׁארית ישׂראל ומכל־יהודהbzw. fügt in 34,21 הנשׁאר בישׂראלein; „Israel“ steht an beiden Stellen für den Norden. Auch in 2Reg 23 betreffen die Kultreformen neben Juda und Jerusalem auch Bethel und weitere nordisraelitische Städte (vgl. v. 8.15–20), nach 2Chr 34 erreichen sie jedoch das gesamte Gebiet von Nord- und Südreich (v. 6f.33). Darüber hinaus sind die Nordstämme an der Renovierung des Tempels beteiligt (34,9), bei der Befragung der Prophetin Hulda mit im Blick (34,21) und an der Passafeier beteiligt (35,17f.).255 Entsprechend verwendet Chr in den resümierenden Versen 34,7.33 den Israel-Namen auch für Gesamt-Israel, jeweils betont durch כל: v. 7.33α כל־ארץ ישׂראלbzw. כל־הארצות אשׁר לבני ישׂראלbeziehen sich dabei auf das geographische Gebiet und כל־הנמצא בישׂראלauf die Bevölkerung. Einen Sonderfall bilden 2Chr 30,21; 31,1(2x); 35,17. Hier wird auf eine Teilgruppe innerhalb Israels referiert, wobei die Trennlinie nicht zwischen Nord und Süd verläuft, sondern jene Israeliten, die an den Passafeiern Hiskias und Josias teilnehmen, von den übrigen unterscheidet. Die Gruppe wird daher jeweils als כל ישׂראל הנמצאים/ בניdefiniert, wobei „Israel“ auf die umfassende Größe, also Gesamt-Israel referiert. Ganz analog kann Chr auch eine Teilgruppe aus den Angehörigen der Nordstämme benennen (vgl. 31,6; 35,18). Wie flexibel Chr mit ישׂראלumgehen kann, zeigt 2Chr 31,1–8: וככלות כל זאת יצאו כל ישׂראל הנמצאים לערי יהודה וישׁברו המצבותv. 1 ויגדעו האשׁרים וינתצו את הבמות ואת המזבחת מכל יהודה ובנימן ובאפרים ומנשׁה עד לכלה וישׁובו כל בני ישׂראל אישׁ לאחזתו לעריהם ... וכפרץ הדבר הרבו בני ישׂראל ראשׁית דגן תירושׁ ויצהר הדבשׁ וכלv. 5 תבואת שׂדה ומעשׂר הכל לרב הביאו 256
ובני ישׂראל ויהודה היושׁבים בערי יהודהv. 6 גם הם מעשׂר בקר וצאן ומעשׂר קדשׁים המקדשׁים ליהוה אלהיהם הביאו ויתנו ערמות ערמות ...
JAPHET, OTL, 1023–1025. Gegen die masoretische Akzentsetzung ist הביאוnoch zu diesem Satz zu ziehen. So deutet auch Ö den Konsonantentext. 255 256
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ויבאו יחזקיהו והשׂרים ויראו את הערמותv. 8 ויברכו את יהוה ואת עמו ישׂראל כל־ישׂראל הנמצאיםin v. 1a bezeichnet die Teilnehmer an Hiskias Passafeier, die sich nach 2Chr 30,11f.18.25 aus Judäern und Angehörigen der Nordstämme zusammensetzen.257 Auf diese Gruppe bezieht sich auch כל־בני ישׂראלin v. 1b.258 31,2ff. thematisiert die Versorgung der Leviten. Dabei wird die über Juda hinausgehende Perspektive beibehalten. In v. 5f. werden zwei Gruppen genannt,259 die auf unterschiedliche Weise auf Hiskias Aufforderung (v. 4) reagieren: ( בני ישׂראלv. 5) und בני י שׂראל ויהודה היו שׁבים בערי ( יהודהv. 6). In beiden Fällen referiert בני ישׂראלohne Einschränkung auf Angehörige der Nordstämme. Die geographische Angabe in v. 6 erklärt die Unterscheidung: die „Israeliten“ in v. 5 leben im Gebiet des ehemaligen Nordreichs, jene in v. 6 zusammen mit Judäern260 im Gebiet des Südreiches261 (vgl. 2Chr 10,17; 11,16; 15,9). Dieser Unterscheidung der Gruppen entsprechen die Angaben zu den jeweiligen Beiträgen. Aus dem Norden kommen Erstlinge und der Zehnte von Ackererträgen und Früchten, aus Juda zusätzlich – daher das betont vorangestellte – גםder Zehnte von Rindern und Kleinvieh. Mit dieser Aufteilung scheint Chr Dtn 12,17 bzw. 14,24 entsprechen zu wollen.262 In v. 8 steht ישׂראלdann für die gesamte Bevölkerung. Der Vers schließt den Abschnitt 31,3–8 ab und wertet die Gaben aus Nord und Süd positiv. Weiterhin ergibt sich die weite Verwen-
Zu 2Chr 30 vgl. unten S. 148ff. sowie zur Festgemeinde S. 299ff. Zusammen mit 30,13f. bildet 31,1 eine Inclusio um die Darstellung der Passafeier selbst. Sie wird gerahmt von der Zerstörung fremder Kultstätten zunächst in Jerusalem (v. 14) und dann im gesamten Südreich sowie den südlichen Gebieten des ehemaligen Nordreichs (31,1). Die beteiligte Gruppe ist der in 30,13 genannte, in Jerusalem versammelte קהל, auf den sich כל ־ישׂראל הנמצאיםin 31,1 zurückbezieht. Mit 31,1b endet die Szene; alle Beteiligten kehren zu ihren Wohnorten zurück. 259 Eine gewisse Schwierigkeit ergibt sich durch die in v. 4 genannten Adressaten: לעם ליושׁבי ירושׁלים. Sind hier nur die Einwohner Jerusalems angesprochen? JAPHET, OTL, 964, hält ליושׁבי ירושׁליםfür eine Glosse, die diese Gruppe nachtragen sollte. WILLIAMSON , NCeB, 374, sieht in der Diskrepanz von Adressaten und Reagierenden ein Zeichen für die Bereitschaft des ganzen Volkes, sich an der Versorgung der Leviten zu beteiligen. 260 WILLIAMSON , NCeB, 375, will ויהודהstreichen, da בני ישׂראלin v. 5 auf die gesamte Bevölkerung in v. 6 aber wegen des Nebeneinander mit „Juda“ auf Angehörige der Nordstämme referiere, was zu einem „hopeless clash with the use of the same phrase in the previous verse“ führe. Die Schwierigkeit ergibt sich nicht, wenn „Israel“ in v. 5 auch Angehörige der Nordstämme meint. Die Botschaft des Chronisten, dass sich ganz Israel an der Versorgung der Leviten beteiligt, ist auch dann deutlich. 261 Zu ערי יהודהals Bezeichnung für das Gebiet des Südreiches vgl. oben S. 106, Anm. 211. 262 WILLIAMSON , Israel, 129, u. NCeB, 374f. Zur Tora-Orientierung bei Chr vgl. auch SEELIGMANN, Anfänge. 257 258
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
dung aus der Formulierung: wird in Chr „Israel“ als Volk JHWHs bezeichnet, ist stets das gesamte Volk gemeint.263 Chr kann also auch in 2Chr 29–36 wieder variieren und ישׂראלbzw. Verbindungen wie ( בני ישׂראלund auch )כל ישׂראלsowohl für das gesamte Volk verwenden als auch für einzelne Teilgruppen. Wenn nötig – wie in 31,6 – stellt Chr die jeweilige Verwendung ausdrücklich klar, in der Regel ist sie jedoch aus dem Kontext abzuleiten. Als alternative Bezeichnung für „Juda“ begegnet „Israel“ diesem Abschnitt nicht. 2.1.2.4 Die chr Quellenverweise Von den verschiedenen chr Quellenverweisen264 sollen hier nur jene betrachtet werden, in denen der Israel-Name enthalten ist. Es handelt es sich um zehn Referenzen auf ein „( ספר מלכיםKönigsbuch“), wobei die Bezeichnungen variieren: ספר מלכי ישׂראל דברי מלכי ישׂראל ספר מלכי ישׂראל ויהודה ספר מלכי יהודה וישׂראל ספר המלכים ליהודה וישׂראל
1Chr 9,1; 2Chr 20,34 2Chr 33,18 2Chr 27,7; 35,27; 36,8 2Chr 25,26; 28,26; 32,32 2Chr 16,11
2Chr 24,27 bietet mit מדרשׁ ספר המלכיםeine weitere Referenz auf ein „Königsbuch“, ohne allerdings im Titel Juda oder Israel zu erwähnen.265 Wie M. Noth gezeigt hat, gehören diese Verweise mit großer Wahrscheinlichkeit „zu dem von Chr aus Dtr übernommenen Gut“. 266 Sie erscheinen in Chr in den meisten Fällen genau an den Stellen, an denen in Reg der Verweis auf die „Chronik der Könige von Juda“ ( )ספר דברי הימים למלכי יהודהzu finden ist, das trifft auch für 2Chr 16,11; 20,34; 25,26 zu, wo der Quellenverweis in Reg wie in Chr nicht am Ende des Berichtes über die Regierungszeit eines Königs steht.267 Ausnahmen sind lediglich 1Chr 9,1 (ohne Parallele in Reg) und 2Chr 24,27 sowie 35,27 (im Unterschied zu 2Reg 12,20 bzw. 23,28 um einige Verse verschoben). Daher geben die Referenzen nach Th. Willi auch keine Hinweise auf „reale oder fiktive Quellen des Chronisten“, sie betreffen vielmehr „seine überlieferungsgeschichtliche Konzeption ... Das ‚Königs-Buch‘ der chronistischen Mit Nennung des „Israel“-Namens: 1Chr 11,2; 14,2; 17,7.9f.21f.; 2Chr 6,5f.21. 24f.27.29.32f.; 20,7; 31,8; 35,3; ohne Nennung des „Israel“ Namens: 1Chr 17,6; 21,3; 22,18; 23,25; 29,17f.; 2Chr 1,10f.; 2,10; 6,34.39; 7,13f.; 31,10; 36,15f. 264 Vgl. die Übersicht bei JAPHET, OTL, 19f. 265 Für die ausführliche Diskussion der Quellen von Chr in der älteren Forschung vgl. MATHIAS , Geschichte, 6–37; für einen Überblick über den Diskussionsstand gegen Ende des 19. Jh.s aaO., 32ff.; für die neueren Positionen die Überblicke bei WILLI, Chronik, 230ff., sowie JAPHET, OTL, 19–23. 266 NOTH , Überlieferungsgeschichtliche Studien ,138. 263
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Verweise ist also nichts anderes als ein Versuch, über diese hinter dem deuteronomistischen Werk liegende Quelle Klarheit zu gewinnen.“268 Chr scheint sich ein die Geschichte beider Reiche umfassendes Geschichtsoder Annalenwerk vorgestellt zu haben, das Informationen zur Genealogie der Stämme Israels (vgl. 1Chr 9,1) und zur Königszeit enthielt und dabei – genauso wie Reg – über das Ende des Nordreichs hinaus reichte (vgl. die Verweise auf dieses Werk in 2Chr 32,32; 35,27; 36,8). Chr geht allerdings recht frei mit der Bezeichnung dieses Buches um. Während in Reg jeweils einheitlich für die Könige des Südreiches auf die דברי הימים למלכי יהודהund für jene des Nordreichs auf die דברי הימים למלכי ישׂראלverwiesen wird, variiert Chr. In den Langfassungen des Titels ספר מלכי יהודה וישׂראלoder ספר מלכי ישׂראל ויהודהbzw. ספר המלכים ליהודה וישׂראל sind ישׂראלund יהודהBezeichnungen für Nord- und Südreich. In den kürzeren Fassungen ( ספר מלכי ישׂראלbzw. )דברי מלכי ישׂראלkann ישׂראל, wenn es sich tatsächlich um dasselbe Werk handeln soll, nur für Gesamt-Israel stehen (vgl. 1Chr 9,1), auch wenn inhaltlich an einigen Stellen, an denen auf es verwiesen wird, lediglich die Geschichte Judas (2Chr 20,34 und v.a. 33,18) im Blick ist.269 Auch in den Quellenverweisen wechselt Chr also zwischen enger und weiter Bedeutung „Israels“ ab. Auffällig ist jedoch, dass Chr diese „Quelle“ zwar unterschiedlich bezeichnet, aber konsequent und gegen den Sprachgebrauch der Vorlage immer den Israel-Namen im Titel nennt. Anders als es die Unterscheidung eines ספר דברי הימים למלכי יהודהvon dem ספר דברי הימים למלכי ישׂראלin den Königsbüchern erwarten ließe, präsentiert Chr diese Quelle als ein synchronistisches Geschichtswerk, dass stets Nord und Süd oder eben ein beide umfassendes Gesamt-Israel behandelt. 2.1.3 Die genealogische Präsentation Israels – 1Chr 1–9 Die Chronik beginnt mit ausführlichen „Registern“270, die etwa 20% des Textumfangs des gesamten Werkes ausmachen. Bereits der Umfang und die prominente Stellung dieser Listen am Anfang des Werkes271 zeigen an, dass Chr hier Grundlegendes für die folgende Geschichtsdarstellung mitteilt: 1Chr 1–9 führen den Gegenstand des chronistischen Werkes ein – das 267 WILLI, Chronik, 233. Umgekehrt haben von den 15 Verweisen in Reg auf den ספר דברי הימים למלכי יהודהa13 (vgl. 1Reg 14,29; 15,7.23; 22,46; 2Reg 12,20; 14,18; 15,6.36;
16,19; 20,20; 21,17; 23,28; 24,5) eine Entsprechung in Chr, wobei in drei Fällen (1Reg 14,29║2Chr 12,15; 1Reg 15,7║2Chr 13,22; 2Reg 15,6║2Chr 25,22) auf eine prophetische Quelle verwiesen wird. 2Chr 32,32║2Reg 20,20 bietet eine Mischform. In den chr Parallelen zu 2Reg 8,23 sowie 21,25 fehlt der Verweis. Der in Reg an 18 Stellen (1Reg 14,19; 15,31; 16,5.14.20.27; 22,39; 2Reg 1,18; 10,34; 13,8.12; 14,15.18.28; 15,11.15.21. 26.31) erwähnte ספר דברי הימים למלכי ישׂראלhat keine Entsprechung in Chr – wie die meisten Nachrichten über das Nordreich. 268 AaO., 233.238. 269 Vgl. J APHET, HThKAT I, 47.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Volk Israel. Sie geben Auskunft über die Stellung Israels innerhalb der Völkerwelt (1Chr 1,1–2,2), über Israels innere Gliederung in einzelne Stämme sowie deren Siedlungsgebiete in seinem Land (2,3–9,2) und schließlich über die Einwohnerschaft Jerusalems (9,3–34).272 Es ergibt sich eine konzentrische Struktur der Völkerwelt, 273 in deren Mittelpunkt die Stadt Jerusalem steht. Sie wird nach 1Chr 9,3 von Angehörigen aller Stämme Israels bewohnt; „Ephraim und Manasse“ stehen wie öfter in Chr 274 repräsentativ für die Nordstämme. Der Schwerpunkt der Jerusalemer Einwohnerliste liegt auf dem Kultpersonal in seinen verschiedenen Abteilungen, so dass Chr innerhalb von Jerusalem den Focus auf den Tempel 270 Jede Bezeichnung dieser neun Kapitel, sei es „genealogische Vorhalle“, „Bürgerlisten“ oder eben „Register“ ist mit einem bestimmtes Verständnis von 1Chr 1–9 verbun den (vgl. zu den unterschiedlichen Vorschlägen OEMING , Israel, 9, Anm. 1). Hier ist „Register“ gewählt, weil dieser Begriff nicht von vornherein eine inhaltliche Vorentscheidung impliziert und ( יחשׂHitp.) am nächsten kommt, das Chr selbst für derartige Listen verwendet. Vgl. 1Chr 9,1 und dazu unten S. 131ff. 271 Die Einheitlichkeit der genealogischen Kapitel und ihre ursprüngliche Zugehörigkeit zu Chr ist freilich vielfach bestritten worden (vgl. die Forschungsüberblicke bei WILLI, BK, 7–9, und OEMING , Israel, 40f.59–67). Mit WILLI, BK, 25, wird in dieser Untersuchung davon ausgegangen, dass 1Chr 1–9 eine „überlegte Eröffnung des gesamten Werkes“ sind, zumal eine überzeugende Alternative fehlt: 1Chr 10,1 ist schwerlich als Eröffnungsvers des Werkes denkbar. Die Register können daher bei der Auslegung von Chr nicht einfach ausgeblendet werden und sie sind – wie zu zeigen sein wird – für die Frage nach der Israel-Konzeption entscheidend. Eine eigene Literarkritik kann hier nicht geleistet werden. Die vorliegenden Analysen wie z.B. NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien; RUDOLPH, HAT Chronik, 1–5, oder zuletzt KARTVEIT, Motive, finden jeweils eine Vielzahl von Ergänzungen und Fortschreibungen, kommen aber nicht zu übereinstimmenden Ergebnissen. Nicht selten ist das Vorverständnis entscheidend. So wollen die Eingangskapitel nach BENZINGER, KHC, 1, lediglich auf David hinführen, alles darüber hinausgehende ist dann sekundär. Oder: die Genealogien sind eine Bearbeitung von Num 26 (so NOTH) und alles, was sich nicht darauf zurückführen lässt, ist sekundär. Auffällig ist auch das Urteil von KARTVEIT, Motive, 167 bzw. 165, die von ihm herausgearbeiteten Erweiterungen bzw. Glossen seien „nach den hier aufgezeigten Linien [der Grundschicht, K.W.] konzipiert“ bzw. ergäben „kein neues Bild“. Wieso sollten es dann überhaupt Erweiterungen sein? Neuere Analysen versuchen zunehmend, die Register als literarische Einheit zu verstehen (vgl. WILLIAMSON, NCeB; BECKER, NEB; OEMING , Israel; WILLI, BK; JAPHET, OTL & HThKAT). 272 Gliederung nach JAPHET, HThKAT I, 35. WILLI, BK, 8f., sieht in Anlehnung an DE WETTE, Beiträge, 257, 1Chr 1–10 als Einheit (vgl. auch WILLI, Den Herrn aufsuchen). Dagegen spricht jedoch, (a) dass 9,34b ( )אלה ישׁבו בירושׁלםüber die chiastische Wiederaufnahme von 9,3a (...a )ובירושׁלם ישׁבו מן־ בני יהודהeinen Rahmen bildet und somit einen Abschluss markiert und (b) dass mit 10,1 die Narration beginnt. Die Wiederholung des Saul-Stammbaums (9,35–44), eines Auszugs aus der Benjamin-Genealogie, hat Scharnierfunktion; es wird die Sippe noch einmal vorgeführt, mit der die Darstellung einsetzt. Zur Diskussion vgl. auch STEINS, Chronik, 238, Anm. 8. 273 OEMING , Israel, 209f. 274 Vgl. 2Chr 30,1; 31,1.
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lenkt. Von der Weite der Völkerwelt führen die chr Register also auf die Stadt Jerusalem und ihren Tempel als kultisches Zentrum Israels zu.275 Die Einführung Israels geschieht auf eine Weise, die die folgende Darstellung 1Chr 10–2Chr 36 sogleich als einen Ausschnitt einer viel umfassenderen Geschichte Israels ausweist. Die Register sind nicht nur Stammbäume, sondern zugleich ein personaler Grundriss dieser Geschichte. Über ausgewählte historische Notizen macht Chr den Zusammenhang von Genealogie und Geschichte transparent. Darüber hinaus strukturieren die Register über eine Vielzahl von Toponymen und geographischen Angaben das Land Israels als Siedlungsraum. Die neun Kapitel liefern dabei keineswegs nur die „Vorgeschichte“276 für die in 1Chr 10 einsetzende Narration, sondern greifen in zweifacher Hinsicht über das davidisch-salomonische Reich bzw. das Reich Juda hinaus: (a) Die Genealogien spannen zeitlich einen weiteren Bogen; sie setzen bei Adam ein und werden bis in die Königszeit und darüber hinaus fortgeführt. Am deutlichsten greifbar ist diese Zeitachse in den historischen Notizen, mit denen Chr selbst gelegentlich Stammbäume und Geschichte verknüpft.277 So reichen z.B. die den Stamm Juda betreffenden Notizen von der Epoche der Erzeltern (2,3; 5,2) über die vorstaatliche (2,7.22f.; 4,9f.22[?] 278) und Königszeit (3,4f.; 4,23.30) bis zum Exil (3,17; 5,41). 279 Der Stammbaum der Davididen (3,1– 24) führt noch über das Exil hinaus und listet sieben Generationen der Nachkommen Jojachins auf, womit wahrscheinlich die Gegenwart von Chr erreicht ist.280 (b) Die Genealogien führen die Akteure der folgenden Geschichtsdarstellung ein281 und verorten sie in ihren Stämmen.282 Der Schwerpunkt liegt wie in den folgenden Kapiteln bei Juda, Benjamin und Levi. Darüber hinaus listen 1Chr 1–9 aber auch die Nordstämme (mit Ausnahme von Sebulon und Dan?) auf, die in 1Chr 10ff. nicht im Mittelpunkt stehen, sowie die ostjordanischen Stämme, die lediglich in einigen Listen (1Chr 11; 12 sowie 26f.) erwähnt werden, aber darüber hinaus keine Rolle mehr spielen. Über ihre Geschichte, d.h. ihre Exilierung 275 Die Rolle Jerusalems in der Chr kann hier nicht eigens untersucht werden, vgl. dazu DENNERLEIN, Bedeutung. 276 So u.a. DE WETTE, Beiträge, 257. 277 Das Geschichtsbild ist natürlich aus den Quellen von Chr, hier dem Pentateuch, gewonnen und erschließt sich letztlich nur dem schriftkundigen Leser, der die Namen bzw. kurzen Andeutungen (z.B. 1,27) mit den Geschichten der Genesis verbinden kann (vgl. WILLI, BK, 23f.). 278 OEMING , Israel, 122f., vermutet hier eine Anspielung auf Ruth 1,1ff. Der Text ist allerdings sehr schwierig, vgl. JAPHET, OTL, 117, bzw. WILLI, BK, 136f. 279 Vgl. die Zusammenstellung bei OEMING , Israel, 211–215. 280 Vgl. OEMING , aaO., 207: „In gewissem Sinne stellt die „Vorhalle“ eine kleine Universalgeschichte dar, die von frühesten Menschheitstraditionen über Adam (1,1), Noah, Nimrod oder Peleg bis in die Zeit nach Nehemia (Kap. 9), seine [des Chronisten, K.W.] eigene Gegenwart, ausgreift“ (Hervorhebung i. O.). 281 Vgl. WILLI, Persian Judaism, 149.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
durch die Assyrer, geben die historischen Notizen 1Chr 5,6.25f. Auskunft, so dass die Genealogien auch in diesem Punkt mehr als eine „Vorgeschichte“ sind. Literarisch bereiten die Eingangskapitel vielmehr den Rahmen und die Bühne für die folgenden Kapitel, 283 in denen – um im Bild zu bleiben – lediglich ein Akt aus der längeren und weiteren Geschichte Israels (und der Menschheit, vgl. den Einsatz mit Adam) gespielt wird, wenn auch ein für Chr zentraler: die Geschichte des davidischen Königtums.284 2.1.3.1 Israels Stellung in der Welt 1Chr 1,1–2,2 ordnen Israel in die Völkerwelt ein. Dabei stehen sehr knappe, meist nur aus Namenslisten bestehende, lineare (vgl. 1,1–4.24–28) und ausführlichere segmentäre Genealogien (vgl. 1,5–23.29–33; 1,34–2,2) im Wechsel. Die Nebenlinien werden vor die Hauptlinie gestellt: 1,5–23 nennen Jafets und Hams Nachkommen, bevor in v. 24ff. Sems Nachkommen bis zu den Söhnen Abrahams aufgelistet werden; nach dem Neueinsatz in 1,29a werden in 1,29–33 zunächst Ismaeliten und KeturaSöhne285 behandelt, dann ab v. 34 die Söhne Isaaks, wobei wiederum Esau bzw. die Edomiter (1,35–54) vor Israel (2,1f.) stehen. Auf diese Weise focussiert 1Chr 1,1–2,2 aus dem breiteren Arsenal aller Nachkommen Adams auf Israel. Auch geographisch ist eine israelzentrierte Perspektive zu erkennen. Das gilt sowohl für die aus Gen 10 übernommenen Stammbäume der Noah-Söhne, die die Völker in einem weiten Kreis um Palästina herum aufzählen, als auch den engeren Kreis um Israel in 1,29ff. Israel bildet den Mittelpunkt der ausgebreiteten Völkerwelt.286 282 Hier ist allerdings keine Vollständigkeit gegeben. So fehlen z.B. in der Priesterliste 5,27–41 die in der Erzählung genannten Priester Jojada (2Chr 22,11ff.), Asarja (2Chr 26,17.20) und ein weiterer Asarja (2Chr 31,10). Auch später genannten Propheten bzw. Seher, z.B. Gad (1Chr 21,9ff.), sowie viele der in 1Chr 25 aufgelisteten Leviten tauchen in den Genealogien nicht auf. Daraus allerdings abzuleiten, dass 1Chr 1–9 ursprünglich nicht zur Geschichtsdarstellung 1Chr 10ff. gehörte, hieße von Chr eine Konsequenz und Widerspruchsfreiheit zu erwarten, die auch in den narrativen Passagen kaum zu finden ist (vgl. die Diskussion der Forschungspositionen bei JAPHET , HThKAT I, 30–33). 283 Vgl. WILLI, Juda, 123: „In diesem Sinne wollen 1Chr 1–10 die vorgegebene Größe Israel als Kanon der nachfolgenden wechselhaften und vielfältigen Geschichte Israels entwerfen und umreißen“ (Hervorhebung i.O.). 284 VON R AD , Geschichtsbild, 67: „Beim Chronisten ist das Königtum die Achse, um die die Geschichte Israels mit all ihren Fehlschlägen und Hoffnungen gelegt ist.“ 285 Ob 1,32f. ursprünglich sind, ist umstritten. WILLIAMSON , NCeB, 43, hält die Verse für eine spätere Ergänzung und „quite out of place in its present context“. Dann wäre aber zu klären, warum ein Ergänzer sie ausgerechnet hier eingetragen haben sollte. Für die Ursprünglichkeit plädiert WILLI, vgl. die ausführliche Diskussion BK, 18f. 286 Zur geographischen Disposition von 1Chr 1,1–2,2 OEMING , Israel, 90f.208, und v.a. KARTVEIT, Motive, 110–117, bes. 116f.
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Israel selbst wird in 1,34 als „Israel“, nicht als „Jakob“, eingeführt. Die Folge ist eine gewisse Inkongruenz im Nebeneinander von „Esau“ und „Israel“ in der Angabe der Isaak-Söhne (v. 34b )בני יצחק עשׂו וישׂראל.287 Chr geht es hier jedoch um die Völkerwelt; „Israel“ erscheint daher als der in diesem Kontext relevante Name. Der Namenswechsel wird anders als bei Abram/Abraham (1,27) nicht erwähnt. 1Chr 2,1–2 präsentieren Israel als eine in zwölf Stämme gegliederte Einheit. Die zwölf Söhne Israels werden dabei in einer Reihenfolge aufgezählt, die im AT sonst nicht begegnet. Die größte Nähe besteht zu Gen 35,22b–26 bzw. Ex 1,2–4, allerdings steht Dan vor Joseph und Benjamin. 288 2,1–2 fungieren als Abschluss des Durchgangs durch die Völker und bilden zugleich eine Überschrift für die folgenden Listen, die der inneren Gliederung Israels gewidmet sind. Nach 1Chr 1–9 läuft die Menschheitsgeschichte also genealogisch auf Israel zu, geographisch bildet sein Land den Mittelpunkt der Völkerwelt.289 2.1.3.2 Israel und seine Stämme I – Die Anordnung der Stämme (1Chr 5,1–2) 1Chr 2,3–9,2 bieten segmentäre Genealogien für die Stämme Israels. Die Reihenfolge entspricht dabei nicht 2,1f., sondern Chr folgt einem eigenständigen Darstellungsprinzip. Die im Blick auf den Textumfang gewichtigsten Blöcke sind die Genealogien für Juda (2,3–4,23), Levi (5,27–6,66) und Benjamin (v.a. 8,1–40). Sie stehen an prominenten Stellen (Anfang, Zentrum, Abschluss) und bilden das Grundgerüst der Komposition. 290 Die Anordnung der Stämme innerhalb dieses Grundgerüsts erklärt sich durch ein Ineinander von familienrechtlichen und siedlungsgeographischen Gesichtspunkten.291 Zu Beginn werden die südlich siedelnden Stämme Juda (2,3–4,23) und Simeon (4,24–43) behandelt. Daran schließt sich ein östlicher Block aus Ruben (5,1–10), Gad (5,11–22) und dem östlichen Manasse (5,23–26) an. Im Zentrum stehen Levi (5,27–6,66) und der Lea287 Die Textgeschichte belegt Glättungsversuche, so hat der Codex Alexandrinus „Jakob“ anstelle von „Israel“, Codex Vaticanus liest zudem die verbreitete Reihenfolge „Jakob und Esau“. 288 Am überzeugensten ist m.E. die Erklärung, Dan werde als der rechtlich Erstgeborene Rahels (vgl. Gen 30,1–6) den übrigen Rahel- und Bilha-Söhnen vorangestellt (WILLI, BK, 46). KARTVEIT, Motive, 118, entdeckt in 2,1f. eine chiastische Struktur, die die besondere Reihenfolge veranlasst habe; JAPHET, HThKAT I, 93, vermutet eine versehentliche Umstellung. 289 Hinter der Anlage dieser Eingangskapitel steht der Gedanke der Erwählung Israels, vgl. VON RAD, Geschichtsbild, 64: „Die chronistische Geschichtsbetrachtung ist ihrem ganzen Wesen nach ohne die Voraussetzung der Erwähltheit, d.h. einer kontinuierlichen Beziehung zwischen Gott und seinem Volk überhaupt nicht denkbar.“ Ohne Begründung auch OEMING, Israel, 91. Für eine andere Position vgl. JAPHET, Ideology, 93. 123f. 290 WILLIAMSON , NCeB, 47.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Sohn Issachar (7,1–5), wobei der geographische Aspekt in den Hintergrund tritt. Die Leviten siedelten nach 6,39–66 in verschiedenen Stammesgebieten. Neben genealogische und siedlungsgeographische Informationen treten im zentralen Levi-Block auch Angaben über die kultische Funktion einzelner Sippen (vgl. Sänger 6,16–32; Tempelbedienstete 6,33; Priester 6,34). Den Abschluss bilden die Rahel-Bilha-Söhne Benjamin (7,6–11; 8,1–40), möglicherweise Dan (7,12) 292, Naftali (7,13), West-Manasse (7,14–19) und Ephraim (7,20–29) sowie der Silpa-Sohn Asser (7,30–40), der wohl wegen der geographischen Nähe zu den großen Nordstämmen Ephraim und Manasse an diese Stelle rückte. Sebulon fehlt. Sollte 7,12 tatsächlich eine kurze Dan-Genealogie darstellen, ergibt sich ein Zwölfersystem, das Levi und die beiden Joseph-Söhne Ephraim und Manasse enthält, dafür aber Sebulon auslässt.293 Zusammen bilden die aufgelisteten Stämme und Sippen nach 1Chr 9,1a כל ישׂראל. Anordnung und Umfang der einzelnen Genealogien zeigen, wo Chr die Schwerpunkte setzt – bei den Stämmen Juda, Levi und Benjamin. Vor allem Juda gewinnt eine prominente Position, die so im Alten Testament sonst nicht begegnet.294 Eine Begründung für diese Heraushebung Judas findet sich in 1Chr 5,1–2. Diese breit diskutierte295 Notiz zum Erstgeborenen-Status Rubens ist der eigentlichen Ruben-Genealogie voran291 Dazu WILLI, BK, 56f., sowie Innovation, 413f. Andere Erklärungen für die Anlage der Kapitel bieten u.a. NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 118f.: Orientierung an Num 1 und Num 26, allerdings durch sekundäre Zusätze gestört, KARTVEIT, Motive, 119: ein rein geographisches System und WEINBERG, Wesen, 11: Ordnung nach Listengattungen. 292 Aufgrund der Abschlussnotiz בני בלההin v. 13, der großen Nähe von v. 13 zu Gen 46,24 und des Namens חשׁםin 7,12b hat man schon früh in v. 12 eine Dan-Genealogie vermutet, die in etwa Gen 46,23 entsprochen haben könnte (vgl. für einen Überblick über die älteren Emendationsvorschläge RICHTER, Untersuchungen, 132f., für die neuere Diskussion OEMING, Israel, 163f.). Dazu muss man entweder annehmen, dass sich Dan hinter dem kryptischen ( אחרv. 12b) verbirgt und nicht mit Namen genannt wird, weil Chr aufgrund der Geschichte der Daniten (Jdc 18) oder des Heiligtums in Dan (1Reg 12,29) Vorbehalte gegen den Namen hat (so KARTVEIT, Motive, 89f.). Oder man muss den Text an Gen 46,23 anpassen und anstelle von דן עירund anstelle von אחד אחרlesen (vgl. JAPHET, HThKAT I, 188). WILLIAMSON, NCeB, 78, deutet v. 12 als Fortsetzung des Benjaminitenstammbaums, OEMING , Israel, 164, als „Splitter aus V. 14f.“. Ob der Text wirklich rekonstruierbar ist, bleibt angesichts der Schwierigkeiten fraglich. Die Unterschrift בני בלהה (Pl.!) lässt jedoch darauf schließen, dass Dan erwähnt wurde. 293 Es hat natürlich auch Versuche gegeben, eine Sebulon-Genealogie zu rekonstruieren, vgl. RICHTER, Zu den Geschlechtsregistern, 133f.; CURTIS & MADSEN , ICC, 145–149, die eine solche in 7,6–12 finden. 294 Juda führt keine andere alttestamentliche Stämmeliste an. Eine Ausnahme scheinen lediglich die Lagerordnung Num 2 sowie die Liste der Weihegaben zur Einweihung der Stiftshütte Num 7 zu bieten, doch folgt die Anordnung hier ganz offensichtlich nicht genealogischen Gesichtspunkten (kann also auch nicht dafür herangezogen werden) und basiert auf der Anordnung der Jakobsöhne in Num 26 (vgl. NOTH, System, 16f.), wo Ruben wie üblich an der Spitze steht.
2. Der inklusive Israel-Begriff
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gestellt und durch die Wiederaufnahme von ובני ראובן בכור־ישׂראלaus v. 1 in v. 3 als Nebenbemerkung gekennzeichnet,296 die die genealogischen Listen unterbricht. ובני ראובן בכור־ישׂראל5,1a Und die Söhne Rubens, des Erstgeborenen Israels: כי הוא הבכור Denn er ist der Erstgeborene, ובחללו יצועי אביו als er aber das Bett seines Vaters entweihte, נתנה בכרתו לבני יוסף בן־ישׂראל wurde sein Erstgeburtsrecht den Söhnen Josephs, des Sohnes Israels, gegeben, aber er ist im Geschlechtsregister nicht nach dem Erstgeburtsrecht zu verzeichnen, כי יהודה גבר באחיו5,2a denn Juda ist mächtig geworden unter seinen Brüdern ולנגיד ממנו und aus ihm sollte es zu einem Fürsten kommen, והבכרה ליוסף2b aber das Erstgeburtsrecht ist bei Joseph.
ולא להתיחשׂ לבכרה1b
1Chr 5,1–2 etabliert in einer zweistufigen Argumentation eine neue, von 2,1–2 abweichende, Reihenfolge der Israel-Söhne und lässt sich am ehesten als systematisierende Weiterführung von Gen 49 verstehen. 297 Bereits die Übernahme der Formulierung חלל יצועfür das Vergehen Rubens zeigt an, dass 1Chr 5,1f auf Gen 49, hier v. 3, zurückgreift. Gen 49,3f. steht in Verbindung mit Gen 35,22 und erklärt mit diesem Vorkommnis Rubens Verlust des Erstgeburtsrechts. Ruben bleibt zwar faktisch der Erstgeborene und wird auch als erster mit seinem Spruch aufgeführt, geht aber der mit der Erstgeburt verbundenen Rechte verlustig.298 Die zwei Stämme, die nun in Gen 49 die gewichtigsten Segenssprüche erhalten, sind Joseph und Juda. Sie sind somit aus dem Kreis der Brüder herausgehoben, ja finden ihre Rolle gerade im Gegenüber zu den übrigen Brüdern (vgl. v. 8 bzw. v. 26). Juda (Gen 49,8–12) wird der Vorrang unter den Jakobsöhnen zugesprochen (v. 8b: )ישׁתחוו לך בני אביך, was die Erwähnung von Herrschaftsinsignien299 untermalt (v. 10a: )לא־יסור שׁבט מיהודה ומחקק מבין רגליו. Joseph gilt als auf besondere Weise von Jakob gesegnet (Gen 49,25f.). Welcher von beiden erhält nun das durch Rubens Zurücksetzung frei-
295 Für einen Überblick über die neuere Diskussion vgl. DIRKSEN , 1 Chronicles 5:1–2, sowie TABET, Preminenza, und die dort genannte Literatur. 296 Die Wiederaufnahme ist gelegentlich auch als Indiz dafür gedeutet worden, dass es sich bei 5,1–2 um einen Nachtrag handelt, so KARTVEIT, Motive, 65f., vgl. ROTHSTEIN & HÄNEL, KAT, 91. NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 120, findet einzig in „V. 3 das ursprüngliche Grundelement“ der gesamten Ruben-Genealogie. 5,1–2 können nach Ansicht von Noth nicht ursprünglich sein, weil Chr „kaum Joseph das Erstgeburtsrecht zugesprochen haben würde“ (aaO., 120, Anm. 3). 297 Vgl. AUGUSTIN , Aspekte, 302. 298 אל ־ תותרbildet offensichtlich ein Wortspiel mit יתרaus v. 3 (vgl. EBACH, HThKAT, 585), über das der Gegensatz zur früheren Rolle Rubens betont wird. Bei der Form handelt es sich um Impf. hi. (vgl. Ges-K § 53n), eine Konjektur ist daher nicht nötig. 299 Vgl. EBACH, HThKAT, 599f. Auch die Löwenmetapher weist in diese Richtung.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
gewordene Erstgeburtsrecht?300 Eine explizite Antwort gibt Gen 49 nicht, sowohl Juda als auch Joseph kommen in Betracht. Von der Anlage der Spruchkomposition301 her ließe sich Juda als der Empfänger sehen, da nach Rubens Ausfall und dem Fluch über Simeon und Levi Juda der erste Jakobsohn ist, der einen positiven Spruch erhält.302 Doch auch für Joseph lassen sich gute Argumente anführen. Auf ihm liegt stärker als auf allen anderen Brüdern der Segen Jakobs (vgl. v. 26: )ברכת אביך גברו. Da im Normalfall Erstgeburt und Segen zusammengehören,303 wäre es gut vorstellbar, dass der auf besondere Weise vom Vater Gesegnete auch den Empfänger des Erstgeburtsrechtes ist. 300 Kaum überzeugend ist die von VON RAD, Geschichtsbild 72f.; R UDOLPH , HAT Chronik, 43, und neuerdings wieder von OEMING, Israel, 135f.; AUGUSTIN , Aspekte, 300, vertretene These, in 5,1–2 ginge es überhaupt nicht um den Transfer des Erstgeburtsrechts an Joseph, sondern lediglich um die Segnung der Josephsöhne. Auf der Grundlage von Ö, die in v. 1a und 2b K#? hat, konjiziert VON RAD in beiden Fällen ברכה. Abgesehen davon, dass die Vorstellung von einer Übertragung des Segens von einem auf den anderen Sohn ungewöhnlich, ja im Lichte von Gen 27,33f. äußerst schwierig erscheint, hat WILLIAMSON, Israel, 94, gezeigt, dass die Konjektur mehr Probleme schafft, als sie lösen kann. Liest man in v.1a und 2b ברכהverliert die Einführung Josephs jede Funktion: „Since there is nowhere any suggestion that the genealogy should be reckoned ‚after the blessing‘, the introduction here of Joseph ... is at best an irrelevance“ (ebd.). RUDOLPH , aaO., scheint das Problem gespürt zu haben und übernimmt ברכהnur in v. 1a, muss dann aber, weil sich sonst ein Widerspruch zu v. 2b ergeben würde, annehmen, dass v. 2b ursprünglich והבכרה לו לא ליוסףlautete, d.h. gerade das Gegenteil des im MT überlieferten Satzes besagte. OEMING , Israel, 136, Anm. 5, hält v. 2 insgesamt für „mechanisch verderbt“. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass hier nicht sein kann, was nicht sein darf: da „[a]usgeschlossen ist ..., Chr wolle hier explizit ausgerechnet Ephraim und Manasse, dem Kernland der Samaritaner, das Erstgeburtsrecht zusprechen“ (aaO., 136, vgl. NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 120), muss der Text entsprechend emendiert werden, zur Kritik vgl. SCHORN , Ruben, 267f. Umgekehrt lässt sich Ö Ñgut als der Versuch erklären, die Schwierigkeit zu glätten, dass im MT das Erstgeburtsrecht den „Söhnen Josephs“ zugesprochen wird. Ö Ñgleicht 1Chr 5,1–2 durch zwei kleine Änderungen vollständig an Gen 49 an: an die Stelle des Erstgeburtsrecht tritt der Segen (s.o.) und der Empfänger ist Joseph allein ( Q )AQ K(#L
-'* )AQ '% ). In der Formulierung „seinem [Israels] Sohn Joseph, dem Sohn Israels“ entsteht durch diese Anpassung allerding eine „unerträgliche Häufung“ ( VON RAD, Geschichtsbild, 73, Anm. 25). 301 Die vielfältigen Fragen zur Deutung, Entstehung und Datierung der einzelnen Sprüche und der Gesamtkomposition von Gen 49 stehen hier nicht zur Debatte. 302 Der Rubenspruch gehört mit der Tendenz, die älteren Jakobsöhne zu Gunsten Judas in den Hintergrund zu rücken, zu einer breiteren „judäisch orientierten Überlieferungsschicht zu einzelnen Jakobsöhnen“, zu der auch Gen 34*; 35,21.22a; 38; 49,5–7 zu rechnen sind (BLUM, Komposition, 209–229, bes. 228f.). Vgl. SCHORN , Ruben, 259. 303 Das Motiv, dass der Erstgeborene den Segen nicht erhält, begegnet mehrfach in den Erzelternerzählungen. Neben Ruben trifft dies auch auf Ismael, Esau und Manasse zu. Allerdings wird in der Regel ausführlich erklärt, wie es dazu kommt. Erzählungen wie Gen 27 oder Gen 48,13–20 gewinnen ihre Spannung gerade durch die Abweichung von der üblichen Praxis. Zum Motiv vgl. SYRÉN, First–Born; HENSEL , Vertauschung.
2. Der inklusive Israel-Begriff
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Abgesehen von 1Chr 5,1–2 wird im Alten Testament an keiner Stelle explizit erklärt, ob Rubens בכורהneu zugewiesen wird und wer sie erhalten hat.304 In der rabbinischen Literatur ist jedoch die Auffassung verbreitet, Joseph sei an Stelle von Ruben das Erstgeburtsrecht zugesprochen worden.305 Es ist durchaus denkbar, dass diese Tradition, deren ältester greifbarer Beleg dann in 1Chr 5,1–2 vorliegt, auf eine Innovation von Chr zurückgeht, der Gen 49 so interpretiert, dass Joseph als Träger des väterlichen Segens auch die בכורהerhalten habe.306 Das eigentliche Ziel der Argumentation ist jedoch in 5,2a erreicht. Im zweiten Schritt der Argumentation begründet Chr, warum Juda und nicht Joseph, obwohl dieser rechtlich zum Erstgeborenen wird, den ersten Platz in den Registern einnimmt.307 Chr trennt das Erstgeburtsrecht und den damit verknüpften 304 Auf eine mögliche Ausnahme macht BRIN , פרשׁת בכורתם,a5, aufmerksam: in 1Sam 19,44 ÖÑbezeichnen sich die Nord-Israeliten als Erstgeborene ($%-(F(##&) vor Juda. Joseph erfährt aber durchaus eine Sonderbehandlung, vgl. neben Gen 49,22–26 auch Gen 38,5.22; Dtn 33,13–17 (KNOPPERS, Rethinking, 118f.), nicht zu vergessen die Josephsgeschichte, die die herausgehobene Stellung Josephs unter den Brüdern thematisiert. 305 Sie wird z.B. in den Targumim zu Gen 49,3f. vorausgesetzt und in bBaba Batra 123a.b ausführlich und mit Verweis auf Gen 48,5 sowie 48,22 begründet: Ephraim und Manasse seien wie Ruben und Simeon geworden (48,5) bzw. Joseph hätte den doppelten Anteil von Jakobs Vermögen (48,22), also den Anteil des Erstgeborenen (vgl. Dtn 21,17) erhalten. 306 In der Frage, warum Joseph nach Auffassung von Chr das Erstgeburtsrecht erhält, argumentieren viele Kommentare ähnlich wie der babylonische Talmud; sie ziehen Gen 35,22; 38,5.22 bzw. 49,3f. heran (u.a. BENZINGER, KHC, 18; MYERS, AncB, 35f.) und sehen folglich in 1Chr 5,1–2 einen „Midrasch“, der eine „neuartige Kombination von vorhandenen biblischen Texten“ bietet (JAPHET, HThKAT I, 153f., vgl. WILLI, BK, 165). MENDEL SOHN , Preferential Status, sieht in der Übertragung des Erstgeburtsrechts an Joseph einen Beleg für die seiner Ansicht nach zeitweise im Alten Orient und auch im alten Israel verbreitete Praxis, dass der Vater den „Erstgeborenen“ unter den Söhnen bestimmt habe. Damit wäre die z.B. erbrechtlich relevante Primogenitur (vgl. Dtn 21,17) von der biolo gischen Erstgeburt entkoppelt. WILLI, Juda, 162f. (vgl. Persian Judaism, 153–155; BK, 164–167), geht zwar davon aus, dass Chr den Rechtsstatus der Primogenitur anerkannt habe, aber die Tendenz zeige, die „Patriprimogenitur zu neutralisieren und so neue Möglichkeiten der Chancengleichheit und charismatischer Geschichtsentwicklung zu eröffnen“ (Juda, 163, vgl. die anders argumentierende aber im Ergebnis nahezu identische Interpretation bei DIRKSEN, 1 Chronicles 5:1–2). 307 Die Infinitiv-Konstruktion ולא להתיחשׂ לבכרהist schwierig, was sich in der Vielzahl unterschiedlicher Deutungen spiegelt. Umstritten ist v.a. ob sich v. 1b auf Ruben oder Joseph zurückbezieht. Die Syntax lässt beide Möglichkeiten zu. להתיחשׂ לבכרהbezeichnet eine Registrierung gemäß des Erstgeburtsrechts (zu ( יחשׂHitp.) vgl. unten S. 136). Das Nomen בכרהist mit „Erstgeburtsrecht“ bzw. „Erstgeburtsstellung“ zu übersetzen (Gen 25,31–34; 27,36; 43,33, Dtn 21,17). להתיחשׂmeint den Vorgang der Registrierung und nicht die Registierten (gegen MOSIS , ThWAT יחשׂ, Sp. 613; DIRKSEN, 1 Chronicles 5:1–2, 20, diese metonymische Bedeutung kann – wenn überhaupt – nur der substantivierte Infinitiv tragen, vgl. die bei Mosis und Dirksen genannten Vergleichsstellen Esr 8,1; 1Chr 4,33; 5,7; 7,5.9.40; 2Chr 31,16f.).
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
besonderen väterlichen Segen von der Vorrangstellung unter den Brüdern und trägt damit wiederum Gen 49 Rechnung: Joseph ist der Gesegnete, Juda übernimmt die Führung. Auf welche Register bezieht sich v. 1b? In Frage kommen nur 1Chr 1–9, die einzigen Stämmelisten im Alten Testament mit Juda an der Spitze, die Chr freilich nicht als ein eigenes Werk, sondern als Übernahme aus einer älteren Quelle präsentiert (vgl. 1Chr 9,1 bzw. unten S. 131ff.). Chr erklärt hier also den auffälligsten Punkt in der Anordnung der Israel-Stämme, die Spitzenposition Judas. Sie ist natürlich ein Reflex der chr Sicht auf die geschichtliche Entwicklung der Stämme308 (bzw. auf die Verhältnisse in der Provinz Jehud), in der der Stamm Juda zum Zentrum der Israel-Nachkommen wird. Die Stellung Judas entspricht seinem Gewicht, und sie ist – das zeigt 1Chr 5,1–2 – schon von Alters her so angelegt (vgl. auch 1Chr 28,4).309 Darüber hinaus kann Chr die Tatsache erklären, dass der Stamm Ruben zur Zeit von Chr längst bedeutungslos geworden war. 310 Die Zuweisung des Erstgeburtsrechtes an die Josephstämme, wobei Ephraim und Manasse wahrscheinlich die gesamten Nordstämme repräsentieren (vgl. 1Chr 9,3), ist ein weiterer Hinweis für die gesamt-israelitische Perspektive von Chr. Die Nord-Israeliten sind – vermittelt über Joseph – Träger von ברכהund בכרהund als solche integraler Bestandteil Israels. Die WiederDie Phrase kann sich nun in der Tat sowohl auf Ruben, das Subjekt in v. 1a, (so u.a. WILLIAMSON, NCeB, 63; DIRKSEN, 1 Chronicles 5:1–2, 20f.; KNOPPERS, Rethinking, 123, Anm. 42) als auch auf den zuletzt genannten Joseph bzw. die Josephsöhne beziehen (vgl. BRIN, פרשׁת בכורתם,a4; WILLI, BK, 166; SCHORN , Ruben, 268; TABET, Preminenza, 283). Entscheidend ist also die Argumentationsstruktur. Wenn 1Chr 5,1–2 aber die Voranstellung Judas in den chr Geschlechtsregistern erklären soll – so weit der Konsens unter den Auslegern –, kann sich v. 1b eigentlich nur auf die Josephsöhne beziehen. Chr bringt die drei Jakobsöhne in eine Beziehung, die für die erste Position im Register in Frage kommen. V. 1a: Ruben ist der biologisch Erstgeborene ( )בכור. Diesen Status kann er nicht verlieren (vgl. v. 3), wohl aber die בכרהund die mit ihr verbundene Voranstellung im Geschlechtsregister. V. 1b: Damit würden die Josephsöhne als Träger des Erstgeburtsrechts an seine Stelle rücken, aber sie werden nicht nach dem Erstgeburtsrecht verzeichnet. V. 2a: Der Grund dafür ( כיleitet den Kausalsatz ein) ist die faktische Vorrangstellung Judas. V. 2b: Die Tatsache, dass Juda im Register den Platz des Trägers der Erstgeburtsrechts einnimmt, heißt aber nicht, dass er auch das Erstgeburtsrecht erhält, dieses bleibt bei Joseph ()והבכרה ליוסף. Hätte die Übertragung des Erstgeburtsrechtes keine Konsequenzen für die Stellung Josephs im Geschlechtsregister und v. 1b bezöge sich auf Ruben, würde Josephs Status für die Anordnung der Stämme irrelevant und seine Erwähnung hier überflüssig. 308 Innerhalb von 5,1–2 kommt es dadurch zum Ausdruck, dass sowohl bei Joseph als auch bei Juda der Blick in die Zukunft geht. In v. 1 erhalten (anders als in v. 2: הבכרה )ליוסףdie Söhne Josephs das Erstgeburtsrecht, damit ist der Focus weniger auf der Person Joseph sondern auf den Stämmen Ephraim und Manasse (DIRKSEN , 1 Chronicles 5:1–2, 18f.). Bei Juda wird auf den zukünftigen נגיד, d.h. den davidischen König (WILLI, BK, 166), abgehoben. 309 Vgl. WILLI, BK, 166. 310 Zu Ruben vgl. unten S. 368f.
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holung והבכורה ליוסףin v. 2b schärft noch einmal ein, dass sich am Status Josephs auch durch den Vorrang Judas nichts geändert hat. 311 Chr löst sich in der Präsentation der Stämme Israels also von den traditionellen Schemata, kann sich jedoch nicht einfach über diese hinwegsetzen, sondern muss die neue Stellung Judas begründen. 312 Dabei ist, wie G. von Rad ausführt, eine „Verklammerung des alten 12-Stämmeschemas mit der tatsächlichen geschichtlichen Wirklichkeit, die der Chronist vorfand“,313 intendiert, wobei die Koordinaten innerhalb des 12-StämmeSystems verschoben werden, das System aber als für die Größe Israel grundlegend beibehalten wird. 2.1.3.3 Israel und seine Stämme II – Kriterien der Zugehörigkeit zum Volk Israel Israel wird in den Registern als eine in sich gegliederte, durch verwandtschaftliche Beziehungen verbundene Einheit vorgestellt. Damit ist jedoch eine gewisse Offenheit für ethnische Diversität nicht ausgeschlossen. 314 Diese zeigt sich (a) in der Aufnahme von Sippen, die in der Tradition nicht zu Israel gerechnet werden, und (b) in der Behandlung von Heiratsbeziehungen zu Nicht-Israeliten. Die genealogische Basis israelitischer Identität wird dabei nicht aufgegeben, denn die Eingliederung von NichtIsraeliten in die Stämme Israels geschieht stets über eine Verankerung im genealogischen System. Als Beispiel sei hier wiederum die Juda-Genealogie angeführt, in der nicht nur die nicht-israelitschen Bezüge besonders deutlich hervortreten,315 sondern die auch für einen Vergleich mit der Israel-Konzeption in Esr/Neh besonders aufschlussreich ist. (a) Ein zentrales Anliegen der Juda-Genealogie ist die Integration der Kalebiter und Jerachmeeliter in den Stamm Juda und damit in Israel. Dieses geschieht über 1Chr 2,9; der Vers bildet eine Überschrift für die gesamte folgende Liste.316 Jerachmeel und Kaleb (hier mit der Namensform כְּלוּבַי317), die beide in anderen alttestamentlichen Texten nicht zu Juda 311 VON R AD , Geschichtsbild, 73. Gegen M YERS , AncB I, 36: „Josephʼs birthright had been nullified by the apostasy of North Israel and ... the choice of David ... had indicated the shift of blessing and power.“ Eine ähnliche Position vertritt auch NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 120. 312 WILLIAMSON , Israel, 94, spricht zu Recht vom „defensive tone“ von 5,1–2. 313 VON RAD, Geschichtsbild ,73. 314 J APHET , HThKAT I, 102, betont die nicht-israelitischen Bezüge noch stärker: „Die Genealogien scheinen geradezu darauf angelegt, nicht-israelitische Elemente nicht aus-, sondern einzuschließen, indem sie als organische Bestandteile der Stämme präsentiert werden.“ 315 So auch WILLI, Juda, 140f. Vgl. auch KNOPPERS , Intermarriage. 316 So bereits WELLHAUSEN , De gentibus, 13: V. 9 „totius capitis proponit quasi summam ... quae autem sequuntur, notrum ipsum uberius exponunt versum et explicant.“
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
gehören,318 werden zu Söhnen Hezrons und damit zu Brüdern Rams, auf den die Davididen zurückgehen (2,10–17). Mit Th. Willi wird man siedlungsgeographische Gründe aus nachexilischer Zeit für das chr Interesse an der Aufnahme zumindest Kalebs annehmen können.319 Die Integration Kalebs zog möglicherweise die Aufnahme der Kenasiter nach sich (4,13f. 15?), die mit Kaleb verbunden sind. 320 Als eine vierte Gruppe ehemaliger Nicht-Israeliten kommen die in 2,55 genannten קיניםin Betracht, die in der Regel mit den in Gen 15,19; Jdc 1,16; 1Sam 27,10; 30,29 u.ö. genannten „Keniten“ identifiziert werden. Sie erscheinen hier als ein Zweig der Kalebiter.321 In allen vier Fällen erfolgt eine direkte Einfügung in die genealogische Linie. Chr präsentiert die Zugehörigkeit dieser Sippen zu Juda somit als von je her gegeben und nicht z.B. durch Einheirat zu einem bestimmten Zeitpunkt der Stammesgeschichte entstanden: „Die chronistische Juda-Liste stellt vielmehr die Verhältnisse einer etablierten Provinz Jehud ins Licht der Geschichte und Vorgeschichte des Zwölfstämmevolks Israel.“322 Ihre fremde Herkunft ist also nur für jene erkennbar, die die Juda-Genealogie mit den Nachrichten über diese Sippen in den Vorlagen von Chr vergleichen. (b) Offener treten die nicht-israelitischen Bezüge dagegen bei Ehen von Judäern bzw. Judäerinnen mit Ausländern zu tage. Die Juda-Genealogie 317 Nach 2,18 ist „Kelubaj“ mit „Kaleb“ zu identifizieren. Zur Namensform vgl. WILLI, BK, 88. 318 Jerachmeeliter werden in 1Sam 27,10 sowie 30,29 erwähnt. Aus dem Kontext ergibt sich jeweils, dass es sich nicht um Judäer handeln kann. Bei Kaleb changiert die Zuordnung. In der Kundschaftergeschichte Num 13f. repräsentiert Kaleb den Stamm Juda (vgl. Num 13,6; 34,19). In 1Sam 25 werden die Kalebiter über Abigajil mit David verbunden. Nach Num 32,12; Jos 14,6ff. ist Kaleb ein Kenasiter. Nach Jdc 3,9 heißt sein Bruder Kenas. Kaleb erhält in Jos 14 Hebron, das nach Jos 15,54 wiederum judäisch ist (vgl. Jos 15,13f.). 1Sam 30,14 lokalisiert die Kalebiter ebenfalls im Süden und unterscheidet sie von Juda. Innerhalb von 1Chr 2–4 ist schwierig, dass einmal von Kaleb, dem Sohn Hezrons (2,9.18), und Kaleb, dem Sohn Jefunnes (4,15), die Rede ist. Handelt es sich um die selbe Person (WILLI, BK, 130) oder um zwei verschiedene (BELTZ, Kaleb-Tradition, 40; WILLIAMSON , NCeB, 52)? Spiegelt sich hier die Geschichte der Kenasiter und ihr teilweises Aufgehen in Juda (JAPHET, HThKAT I, 136)? Nach KARTVEIT, Motive, 41f., geht die Einfügung von Kaleb, dem Sohn des Jefunne, auf eine spätere Hand zurück, was die Frage nach der Identifkation Kalebs jedoch nur auf eine andere Ebene verschiebt. 319 BK, 94.104, mit Verweis auf die Lokalisierung Kalebs einmal in der Gegend von Hebron und dann bei Bethlehem innerhalb des Kalebiterstammbaums 2,42–55 sowie kalebitische Namen in Neh 3,1–32, die auf ein Vordringen der Kalebiter nach Nordjuda schließen lassen (so auch BELTZ, Kaleb-Tradition, 42f.). Für die Jerachmeeliter fehlen vergleichbare Informationen; zur Überlappung von Namen mit der Edom-Liste, vgl. KNOPPERS, Intermarriage, 25f. 320 Num 32,12; Jos 14,6ff., vgl. WILLI, BK, 129f.; JAPHET, HThKAT I, 134f. 321 So KNOPPERS , Intermarriage, 26; JAPHET, HThKAT I, 116f. Die Identifikation wird von WILLI, BK, 107, bestritten. 322 WILLI, BK, 105.
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listet fünf Fälle dafür auf, dass nicht-israelitische Frauen oder Männer nach Juda einheiraten.323 Die erste Verbindung betrifft den Stammvater selbst; 1Chr 2,3a nennt die drei Söhne, die Juda מבת־ שׁוע הכנעניתgeboren wurden. Chr greift, wie in der historischen Notiz v. 3b über den Tod Ers, auf Gen 38 zurück. Aus 2Sam 17,25 übernimmt Chr die Nachricht von einer Ehe Abigals, der Schwester Davids mit יתר הישׁמעלי324a(1Chr 2,17) und aus 2Sam 3,3 weiß er von einer Verbindung Davids mit מעכה בת־תלמי מלך גשׁורa(1Chr 3,2). Die beiden letzten Fälle sind ohne alttestamentliche Parallelen: Nach 2,34f. verheiratet der Jerachmeeliter Scheschan seine Tochter mit dem ägyptischen Knecht Jarha. 4,18 berichtet schließlich von einer ersten? Ehe Mereds325 mit בתיה בת ־פרעה. Diese Fälle von Exogamie werden an keiner Stelle kommentiert. Wie aber hat Chr sie beurteilt?326 Zunächst ist festzuhalten, dass Chr alle diese Verbindungen auflistet. Dieses allein mit der Treue zu seinen Vorlagen zu 323 Vgl. die Liste bei OEMING , Israel, 121, allerdings ohne 3,2. OEMING , aaO., und KNOPPERS, Intermarriage, 22, nennen als weiteren Fall 4,22. Der Text ( )אשׁר־בעלו למואבist allerdings schwierig, בעלbegegnet nur hier mit der Präposition ל. Übersetzt man mit „herrschen“ (so offenbar schon ÖL 8"#)''!, vgl. JAPHET, HThKAT I, 140) ist der Vers hier nicht einschlägig. Meint בעל לjedoch „heiraten“ (so auch WILLI, BK, 137), wäre die Stelle ein weiterer Beleg für ausländische Heiratsbeziehungen. Ob man hier eine Anspielung an das Buch Ruth finden kann (OEMING , Israel, 122) ist jedoch fraglich, zumal in 1Chr 4,22 von einer Rückkehr (auch OEMING, aaO., folgt der gängigen Emendation von וישׁביzu )וישׁבוder genannten judäischen Männer die Rede ist. 324 MT liest in 2Sam 17,25 הישׂראלי, ÖA hat analog zu Chr ' (& . Chr hat hier die ältere Lesart bewahrt, während Sam entweder aus apologetischen Gründen (JAPHET, HThKAT I, 105) geändert wurde oder bei Vertauschung nur eines Buchstaben auch schlicht auf einen Schreibfehler zurückgehen kann (WILLIAMSON , NCeB, 52). WILLI, BK, 90, vertritt die gegenteilige Ansicht mit der Erklärung, dass zur Zeit von Chr nicht mehr verständlich gewesen sei, dass nicht jeder Bürger des Davidreichs ein „Israelit“ war. Daher habe man, um den Pleonasmus zu vermeiden zu „Ismaelit“ geändert. 325 Der Text ist bruchstückhaft, daher wird meist im Anschluss an BERTHEAU, KEH 38, v. 18b nach 17a umgestellt; RUDOLPH, HAT Chronik, 32, nimmt an, dass hier ein einleitender Satz ausgefallen ist. Wie auch immer die Zuordnung der Söhne zu den einzelnen Frauen rekonstruiert wird, die Verbindung Mereds zu einer Ägypterin ist unbestritten. 326 In dieser Frage gehen die Meinungen der Kommentatoren auseinander. KNOPPERS , Intermarriage, 19f., schließt aus dem Fehlen von kritischen Bemerkungen zu diesen Verbindungen, dass Chr sie zumindest nicht ablehnte. Nach WILLI, Juda, 140–142, betont Chr die nicht-israelitischen Bezüge, da sich das Judentum in spätpersischer Zeit „als Wahrerin nicht nur des israelitischen, sondern darum auch eines menschheitlichen Erbes“ verstanden habe (vgl. JAPHET, HThKAT I, 102). Für KARTVEIT , Motive, 120f., ist „die offene Haltung des Chronisten den nicht-israelitischen Völkern gegenüber“ ein Kennzeichen der von ihm erhobenen Grundschicht innerhalb von 1Chr 2–4. Nach OEMING , Israel, 121–123, bringt Chr dagegen in der Darstellung sein „Mißfallen“ gegenüber diesen Verbindungen zum Ausdruck. Die ablehnende Tendenz erhebt Oeming aus kleinen Abweichungen von Chr gegenüber der Vorlage, durch die „zuweilen recht deutlich, ein negatives Licht auf solche Verbindungen geworfen“ werde (ebd.). Betrachtet man die Stellen im Einzelnen ist jedoch kaum eine Tendenz erkennbar:
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
erklären, übersieht, dass Chr an anderer Stelle durchaus im Blick auf Heiratsbeziehungen eingreift.327 So streicht er alle Hinweise auf die Frauen Salomos (vgl. 1Reg 11,1–8) mit Ausnahme der Tochter des Pharao (2Chr 8,11; vgl. 1Reg 3,1; 9,16.24; 11,1) und der Ammoniterin Naama, der Mutter Rehabeams (2Chr 12,13; vgl. 1Reg 14,21). In Chr hat Salomo lediglich zwei Frauen, aber beide sind Ausländerinnen. Für Chr war es also nicht anstößig, dass Salomo Nicht-Israelitinnen heiratete. Der Vorwurf jedoch, Salomo habe sich von seinen fremden Ehefrauen zum Götzendienst verführen lassen, vertrug sich nicht mit dem chr Salomo-Bild. Vor diesem Hintergrund wird auch die etwas gezwungene Erklärung von 2Chr 8,11b für den besonderen Palast der ägyptischen Prinzessin verständlich, der in Reg als Ausweis ihrer besonderen Stellung fungiert: Chr lässt Salomo selbst dafür sorgen, dass die Frau nicht zwischen ihn und den rechten JHWH-Kult kommen kann (vgl. 1Reg 11,4).328 Weiterhin fällt auf, wer nach Chr exogam verheiratet ist. Mit dem Stammvater Juda und vor allem dem exemplarischen König und Kultgründer David (sowie in der Geschichtserzählung seinem Sohn Salomo) sind für Chr zentrale Figuren betroffen. Darüber hinaus ist Davids Schwester mit einem Ismaeliter verbunden. Die beiden Übrigen (Mered und die Tocher des Pharao sowie die Tochter Scheschans und der ägyptische – 1Chr 2,3: 1Chr 4,21.23 bietet einen Schelanitenstammbaum, selbst wenn also in 2,3f. der Eindruck entsehen sollte, „daß der Ahnenzweig mit der Kaanäerin ... abstirbt“ (aaO., 122), wird dieser am Ende der Juda-Genealogie widerlegt. – 1Chr 2,17 bleibt nach Oeming ohne negativen Kommentar, weil ein Ismaeliter nicht als Ausländer gilt (ebd.). Wozu sollte Jeters Herkunft dann aber erwähnt werden? – 1Chr 3,2 – auch ohne negativen Kommentar – wird von Oeming nicht diskutiert. – 1Chr 2,34: Dient die Erwähnung des ägpytischen Sklaven tatsächlich der Abwertung dieser Verbindung? JAPHET, Reality, 241–243, erklärt das Vorgehen Scheschans damit, dass er, wenn man das Sklavenrecht von Lev 25,44–46 zugrunde legt, sich nur über die Verheiratung seiner Tochter mit einem ausländischen Sklaven „eigene“ Nachkommen sichern konnte. – 1Chr 4,18 bleibt ebenfalls ohne negativen Kommentar. 327 Gegen OEMING , Israel, 123. 328 Die Erklärung v. 11b ( כי אמר לא־תשׁב אשׁה לי בבית דויד מלך ־ישׂראל כי־קדשׁ המה אשׁר־באה )אליהם ארון יהוהist chr Sondergut (vgl. die Parallele 1Reg 9,24). Die Argumentation ist in zwei Punkten schwierig: (a) Warum wird die Lade im „Haus Davids“ lokalisiert, während auch Chr sonst zwischen dem „Zelt“ für die Lade und dem „Haus Davids“ unterscheidet (1Chr 15,1)? (b) Die Sanktion bezieht sich auf die ägyptische Frau Salomos. Aber darf sie nicht in das Haus Davids, weil sie eine Frau ist (dann wäre לא תשׁב אשׁה ליmit „eine Frau soll mir nicht wohnen ...“ zu übersetzen) oder weil sie eine Ägypterin ist (dann stünde אשׁה ליfür „meine Frau“, so auch Ö)? Letzteres ist in der Tendenz der chr Modifikation des Salomobildes wahrscheinlicher. Chr nutzt also die in Reg vorgegebene Notiz über den besonderen Palast der Pharaonentochter, als Mittel zu Modifikation des SalomoBildes. Dieser hatte nicht-israelitische Frauen, trug aber zugleich dafür Sorge, dass sie seine rechte Ausübung des JHWH-Kults nicht störten. Gegen OEMING, aaO., wird sie aber auch nicht „allein von den vielen Frauen Salomos ‚evakuiert‘“, da Salomo in Chr nicht viele Frauen hat.
2. Der inklusive Israel-Begriff
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Knecht) sind schwerer zu greifen. 329 Für Chr war es offenbar eine Tatsache, dass Nicht-Israeliten in Juda und damit in Israel eingeheiratet haben, und zwar eine Tatsache, die Chr für erwähnenswert erachtet und offen und somit als innerhalb des genealogischen Prinzips möglichen Weg zur Integration von Nicht-Israeliten in den Stamm Juda darstellt. Sie wird nicht problematisiert, sondern über Juda, David (und Salomo) eher legitimiert. Als Basis der Einheit „Israel“ erweist sich daher in 1Chr 1–9, insbesondere wenn man den Umgang mit ethnischer Diversität betrachtet, die gemeinsame Abstammung. Damit wird die für Chr ebenfalls grundlegende Beziehung Israels zu seinem Land330 nicht in den Hintergrund gerückt, sie kommt im Rahmen der genealogischen Definition Israels erst in ihrer vollen Tragweite ans Licht. Über die zahlreichen Toponyme werden Genealogie und Geographie übereinander geblendet, die genealogischen Listen strukturieren das Land Israels als Lebensraum. Siedlungsgeographische Gegebenheiten beeinflussen zudem die Anlage der genealogischen Kapitel und stehen wie im Fall der Kalebiter im Hintergrund von Verschiebungen innerhalb der Genealogie gegenüber den Vorlagen von Chr. Chr beschreibt die Geographie des Landes jedoch konsequent in der Sprache der Genealogie Israels. Geographische Notizen sind stets in die genealogische Struktur eingebettet.331 Die Zugehörigkeit zu Israel wird in 1Chr 1–9 daher nicht über den gemeinsamen Siedlungsraum, sondern genealogisch definiert.332 Zu Israel gehört, wer vom Stammvater Israel abstammt (bzw. in diese Abstammungsgemeinschaft einheiratet). Weitere Kriterien für die Israelzugehörigkeit sind in 1Chr 1–9 nicht greifbar. 2.1.3.4 Genealogische Register als Nachweis der Zugehörigkeit zu Israel (1Chr 9,1–2) Auch wenn sich Funktion und Intention der chr Register kaum darin erschöpfen, hat man schon früh den Nachweis der Israelzugehörigkeit für die in den Listen genannten Sippen und Familien als ein zentrales Anliegen von 1Chr 1–9 gesehen. 333 Eine eigene Charakterisierung der genealo329 Da Chr eine lineare Genealogie der Nachkommen von Scheschans Tochter bis zu einem gewissen Elischama führt, vermutet JAPHET, Reality, 236, dass es sich bei Elischama um eine bekannte Persönlichkeit in der Zeit der ausgehenden Monarchie handelt, die hier trotz ägyptischer Vorfahren in die Juda-Genealogie eingeordnet wird. 330 Darauf hat v.a. WILLI, Juda, 124–133, hingewiesen und für die Abstammungsregister den Begriff „Bürger(rechts)listen“ eingeführt. 331 Die einzige Ausnahme bildet die aus Jos 21 übernommene Liste der Levitenstädte 1Chr 6,39–66. 332 Gegen JAPHET, HThKAT I, 102: „Was besonders Juda eint und auszeichnet, ist nicht so sehr das ethnische als vielmehr das geographische Moment.“ Die einheitliche Besiedelung durch Judäer steht im Hintergrund, aber Chr präsentiert die Einheit „Israel“ als eine ethnische, d.h. genealogisch definierte.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
gischen Register für die Stämme Israels (2,3–8,40) bietet Chr selbst in 1Chr 9,1–2*. 1Chr 9,1a bildet unbestritten einen Abschluss für die Listen über Israels Stämme (2,3– 8,40). 9,3 ist – ebenfalls unbestritten – die Überschrift für die folgende Liste der Einwohner Jerusalems. Schwieriger zu beurteilen sind Bedeutung und Funktion von 9,1b–2: וכל־ישׂראל התיחשׂו והנם כתובים על־ספר מלכי ישׂראל ויהודה הגלו לבבל במעלם והיושׁבים הראשׁנים אשׁר באחזתם בעריהם ישׂראל הכהנים הלוים והנתינים ובירושׁלם ישׁבו מן־בני יהודה ומן־בני בנימן ומן־בני אפרים ומנשׁה
9,1a 9,1b 9,2 9,3
Die Probleme sind vielschichtig; diskutiert wird: a) Wer geht ins Exil? b) Wie ist das mehrdeutige היושׁבים הראשׁניםin 9,2 zu verstehen? c) In welchem Verhältnis steht 9,2 zu 9,3? a) Das Subjekt zu הגלוin 9,1b ist strittig. ויהודהwird oft gegen die masoretische Akzentsetzung zu 9,1a gezogen,334 so dass sich die Quellenangabe ספר מלכי ישׂראל ויהודה ergibt, die in 2Chr 27,7; 35,27; 36,8 belegt ist. Diese Lesart legt bereits Pseudo-Raschi nahe; sie wird zum Teil auch von Septuaginta und Vulgata 335 gestützt. Dann fehlt allerdings ein Subjekt zu הגלו. Hier wird in der Regel eine Haplographie von ויהודה336 – womit sich für 9,1b nichts ändern würde – oder sogar von ישׂראל ויהודה337 angenommen. M. Oeming bezieht הגלוzurück auf כל ־ישׂראלaus 1a. Letzteres ist syntaktisch ungewöhnlich und logisch schwierig. Wenn 9,1 den Abschluss der Genealogien bildet, dann referiert כל ישׂראלauf die Gesamtheit aller Israeliten von Jakob und seinen Söhnen an (2,1f.) bis in die nachexilische Zeit (vgl. z.B. die Liste der Nachkommen Serubbabels bis in die vierte Generation 3,19–24), von denen kaum gesagt werden kann, dass sie ins Exil nach Babel geführt wurden. Chr beachtet in 5,41 sorgfältig, welche Generation das Exilsschicksal traf. Zudem widerspricht die von Oeming und wohl auch von R. Braun vorausgesetzte Vorstellung einer „Total-Deportation Israels“ 338 dem Befund, dass nach Chr zwar Juda (vgl. 2Chr 36,20f.) aber nicht ganz Israel deportiert wurde; Chr notiert lediglich die 333 Nach WILLI, Innovation, 412, Anm. 21, zuerst bei GRAETZ , Geschichte II/2, 195.289. 334 OEMING , Israel, 180; BRAUN , WBC, 130; BECKER , NEB, 46; vgl. die Einheitsübersetzung. 335 ÖÑliest 9! ?P (O! 'O! S '% @ S #) , hat aber darüber hinaus noch weitere Abweichungen: התיחשׂוwird in Ö-Textzeugen zumeist analog zu 1Chr 4,33; 5,7. 17; 9,22 als suffigierter Infinitiv gedeutet ( H ')#+' G& K(O! ), ÖL Thdt entsprechen allerdings MT. Anstelle von הגלוhat Ö (/ (O! 1$#'5!(-! ; also Part. pass. הגלוי bzw. הגלויםgelesen? Da ein finites Verb fehlt, ist die Syntax in Ö Ñschwierig; 9,1f. sind wahrscheinlich zu übersetzen: „Und [das ist] ganz Israel, ihr Register, und sie sind aufgeschrieben im Buch der Könige von Israel und Juda mit den wegen ihrer Gesetzlosigkeit nach Babylonien Geführten; und die zuerst in ihren Besitzungen, in den Städten Israels Siedelnden: Israel, die Priester, die Leviten und die Untergebenen.“ Anders OEMING, Israel, 183, der als Verb „wegführen“ ergänzt und dann schließt, dass nach Ö ganz Israel deportiert wurde. 336 So z.B. BECKER , NEB, 46. 337 B RAUN , WBC, 130. 338 OEMING , Israel, 186; vgl. BRAUN , aaO.
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Deportation der ostjordanischen Stämme Ruben, Gad und Halb-Manasse (5,25f.), die übrigen Nordreichsangehörigen blieben nach Chr im Land (vgl. u.a. 2Chr 30.35). Nach der masoretischen Akzentsetzung mit dem Atnach unter ישׂראלergibt sich die Quellenangabe ספר מלכי ישׂראל, die in 2Chr 20,34 (vgl. 2Chr 33,18) belegt ist. Chr geht – wie oben gesehen – flexibel mit dem Titel dieser Quellenschrift um. Die Tatsache, dass ספר מלכי ישׂראל ויהודהetwas häufiger begegnet (2Chr 27,7; 35,27; 36,8), zwingt jedoch nicht dazu, den Masoreten in 9,1a nicht zu folgen. Dann bezieht sich die Exilsaussage allein auf (das Südreich) Juda. Damit wäre die Notiz konsistent zur Konzeption von Chr, sowohl was die Deportierten als auch den Grund der Deportation betrifft. 339 Warum aber wird das Exil Judas an dieser Stelle erwähnt? S. Japhet beobachtet, dass durch die Gegenüberstellung von „Israel“ (1a) und „Juda“ (1b) „an emphasis ... on the dichotomy ‘Israel’/‘Judah’“ entstehe, „a concept which it is the Chronicler’s policy to understate“.340 Sie vermutet daher, dass es sich bei 9,1b um eine Glosse handelt, „die eine Wirklichkeit in den Text hineintrug, die der Chronist hatte ausklammern wollen“. 341 Der Eindruck erhärtet sich, betrachtet man 9,2. b) 1Chr 9,2 interpretiert man in der Regel als Nominalsatz mit dem Subjekt היושׁבים הראשׁניםund dem Prädikat ישׂראל הכהנים הלוים והנתיהים. Das Verständnis wird aber dadurch erschwert, dass היושׁבים הראשׁניםmehrdeutig ist. Oeming nennt für die Phrase drei Übersetzungsmöglichkeiten: „die ersten“, „die früheren“ oder „die vornehmsten Einwohner“.342 Zumeist deutet man היושׁבים הראשׁניםvon 9,1b als die ‚ersten Rückkehrer‘ aus dem Exil; so die Einheitsübersetzung: „Die ersten Ansiedler, die sich wieder auf ihrem Besitz in ihren Städten niederließen, waren Israeliten, Priester, Leviten und Tempelsklaven“.343 Was wird mit dem Vers dann aber ausgesagt? Sollen die ersten Rückkehrer von den späteren unterschieden werden, die keine „Israeliten, Priester, Leviten und Tempelsklaven“ waren? Was waren die späteren dann und warum wird nichts über sie berichtet? Nach der von Oeming erwogenen Möglichkeit, dass הכהנים הלוים והנתיניםnicht parataktisch neben ישׂראלstehe, sondern als „hypotaktisch-explikative Apposition zu Israel“ aufgefasst werden könne, so dass „das Israel der Heimkehrer ... aus lauter Klerikern zusammengesetzt gewesen“ sei,344 wäre zwar denkbar, dass die späteren Rückkehrer dann keine Kleriker sind; damit ist jedoch eine im gesamten Alten Testament singuläre Definition von „Israel“ im Spiel (Israel = Leviten, Priester, Tempeluntergebene), die zudem überhaupt nicht zu dem „Israel“ von 1Chr 2–8 passt. Darüber hinaus entsteht bei der Deutung auf die Rückkehrer aus dem Exil die terminologische Schwierigkeit, dass nach 9,1b „Juda“ ins Exil geht, nach 9,2 aber „Israel“ zurückkehrt. Soll hier unter der Hand, die judäische Gola zum (wahren) Israel erklärt werden? Damit würde aber ein Konzept vorausgesetzt, für das es in 1Chr 2–8 keinerlei Anhaltspunkte gibt. Und welche Funktion hätte dann die Erwähnung der Priester, Leviten und Tempeluntergebenen? 345 Th. Willi versteht היושׁבים הראשׁניםals die früheren Bewohner und sieht 9,2 im Zusammenhang mit 10,7: „ היושׁבים הראשׁניםheißen auch deswegen ‚erste Ansiedler‘, weil sich nun nach 10,7b die Philister statt ihrer ‚ansiedelten‘“.346 Dagegen spricht jedoch, dass ישׁב kaum signifikant genug ist, um eine spezielle Verknüpfung dieser beiden Verse zu marVgl. JAPHET, OTL, 206. Zu מעלals Grund für das Exil vgl. auch OEMING , Israel, 124–126. 340 J APHET, OTL, 206. 341 HThKAT I, 216. 342 OEMING , Israel, 180f. 343 So auch B ECKER , NEB, 46; OEMING , Israel, 186; WILLIAMSON , NCeB, 87; vgl. den Konjekturvorschlag von RUDOLPH im Apparat der BHS. Ö ist hier ebenso mehrdeutig wie MT. 344 OEMING , Israel, 181. 339
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
kieren und dass 9,1f. mit ganz Israel befasst sind, während 10,7 lediglich von כל־אישׁ ישׂראל אשׁר־בעמקhandeln. Insgesamt krankt jede Interpretation, die v 2 als Nominalsatz sieht, daran, dass das Prädikat eine Gesamtheit darstellt, nämlich Israel in seiner inneren Gliederung in Laien 347 und verschiedene Klerikergruppen, während das Subjekt auf eine Teilgruppe referiert, nämlich die ‚ersten/früheren/vornehmsten Einwohner‘ im Unterschied zu den nicht ‚ersten/früheren/vornehmen‘. Wenn sich dagegen v. 2 direkt an v. 1a anschließt und mithin gar kein eigener Satz, sondern insgesamt eine explikative Apposition ist, stellen sich die genannten Probleme nicht. Es ergibt sich folgende Übersetzung für 9,1*–2: וכל ישׂראל התיחשׂו9,1
Und ganz Israel ist in Abstammungsregister eingetragen, והנם כתובים על ספר מלכי ישׂראלa – und siehe, sie sind aufgeschrieben im Buch der Könige von Israel –, והיושׁבים הראשׁנים אשׁר באחזתם בעריהם9,2 und zwar die ersten Bewohner, die auf ihren Besitzungen in ihren Städten waren: ישׂראל הכהנים כלוים והנתינים Israel, die Leviten, die Priester und die Tempeluntergebenen. V. 2 erläutert den Inhalt der in v. 1a angesprochenen Geschlechterlisten näher: sie enthalten neben genealogischen auch siedlungsgeographische Informationen sowie Angaben zum kultischen Status der jeweiligen Sippen und Familien. היושׁבים הראשׁניםsind also die ersten (israelitischen) Ansiedler in bestimmten Teilen des Landes. 348 Der Vers bildet damit den Abschluss der Stämmelisten. Mit der Einteilung Israels in Laien und Kultper345 OEMING , Israel, 187, erwägt die Möglichkeit, v. 2 in diesem Sinne als eine Kurzdefinition Israels zu verstehen: „Israel, das sind legitimerweise nur die, die im Exil waren ... und nun als erste Bewohner des Landes (und Nachfahren der zuvor genealogisch Aufgeschriebenen) wieder in ihren Städten und Besitzungen wohnen.“ Er entscheidet sich gegen diese Deutung, denn „eine Kurzdefinition hätte man syntaktisch deutlicher aussagen müssen“ (ebd.). Dagegen spricht weiter, dass die Information, die Oeming in der Klammer mitliefert in 9,1f. gerade nicht enthalten ist und dass die Genealogien bis in die Zeit nach dem Exil ausgreifen. In der von Oeming angedeuteten Linie könnte jedoch die Motivation für die Einschreibung von v. 1b gelegen haben. Über v. 1b wird nicht nur das Exil nachgetragen, sondern eine Interpretation des Abschnitts nahegelegt, die auf die Rückkehrer focussiert ist (freilich um den Preis der dargestellten syntaktischen Schwierigkeiten) und zudem 1Chr 9,1f. an Esr/Neh anpasst. Die Registrierungsnotiz lässt sich nun nämlich als ein Verweis auf die Rückkehrerlisten in Esr 2 bzw. Neh 7 lesen. 346 BK, 61. Eine andere Lösung scheint WILLI, Innovation 405, anzudeuten; er übersetzt 9,2f.: „(2) Und die ersten Ansiedler (waren jene), welche auf ihrem Erbgrundbesitz in ihren Städten waren, Israel (wie) die Priester, die Leviten und die Tempeluntergebenen, (3) und (dann) siedelten sich in Jerusalem von den Söhnen Judas und von den Söhnen Benjamins und von den Söhnen Efraims und Manasses an.“ היושׁבים הראשׁניםwären dann die ersten Ansiedler im Land im Unterschied zu den späteren Ansiedlern in Jerusalem. V. 2 und 3 werden aber nicht über eine Zeitschiene, sondern durch die Gegenüberstellung von ( באחזתם ובעיהםv. 2) und ( בירושׁלםv. 3) verknüpft, das zeigt die betonende Voranstellung von בירושׁלם. Und warum werden die für den Kult relevanten Gruppen Leviten, Priester und Tempeluntergebene vorher und nicht bei der Besiedelung Jerusalems genannt? 347 Für ישׂראלals Bezeichnung der Laien vgl. oben S. 67. 348 So auch WILLI, Innovation, 405f.
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sonal weist v. 2 aber zugleich auf die folgende Liste der Einwohner Jerusalems voraus, die nach diesem Muster gegliedert ist. 1Chr 9,2 übernimmt also eine Scharnierfunktion, die derjenigen von 1Chr 2,1f. vergleichbar ist. c) Die Analyse des Chroniktextes zeigt also, dass 9,2 sich an 9,1a anschließt. Die ältere Forschung hat in 9,2 jedoch meist mit 9,3 zusammengezogen. 349 Ausschlaggebend war die Nähe von 9,2f. zu Neh 11,3: 1Chr 9,2–3 והישׁבים הראשׁנים אשׁר באחזתם בעריהם ישׂראל הכהנים הלוים הנתינים ובירושׁלם ישׁבו מן בני יהודה ומן בני בנימן ומן בני אפרים ומנשׁה
Neh 11,3 ואלה ראשׁי המדינה אשׁר ישׁבו בירושׁלם ובערי יהודה ישׁבו אישׁ באחזתו בעריהם ישׂראל הכהנים והלוים והנתינים ובני עבדי שׁלמה
In der Tat gibt es Übereinstimmungen im Vokabular von 1Chr 9,2 und Neh 11,3. So findet sich die Aufzählung ישׂראל הכהנים הלוים והנתיניםnur an diesen beiden Stellen; 350 in Neh wird sie allerdings noch mit בני עבדי שׁלמהweitergeführt. Die Phrase באחזתם בעריהם hat ebenfalls eine enge Parallele in Neh 11,3. Zudem folgt an beiden Stellen eine – wiederum in weiten Teilen übereinstimmende – Liste der Einwohner Jerusalems. Es ist daher wahrscheinlich, dass Chr Neh 11 als Vorlage benutzt hat. 351 Daraus folgt aber nicht, dass 1Chr 9,2 die gleiche Intention und Funktion wie Neh 11,3 haben muss. Neh 11,3 unterscheidet zwischen den Obersten des Landes, die in Jerusalem wohnen und in 11,4ff. aufgezählt werden, und den übrigen „Israeliten, Priestern, Leviten, Tempelsklaven und Nachkommen der Sklaven Salomos“, die außerhalb von Jerusalem auf ihren Besitzungen in den Städten lebten. Diese Dichtomie erklärt sich bei Neh vor dem Hintergrund des Synoikismus in Jerusalem, bei Chr spielt sie keine Rolle. Vielmehr wendet sich Chr, nachdem in 2,3–9,2 die Bewohner des gesamten Landes und ihre Besitzungen aufgezählt wurden, nun speziell den Einwohnern Jerusalems zu. Der Neueinsatz ist durch die betonende Voranstellung von בירושׂלםin v. 3 deutlich markiert. Mit Oeming ist daher festzuhalten, „daß 1Chr 9,2 kein Zitat aus Neh 11,3 ist, sondern ein eigenständiger Text“ 352, auch wenn Chr bei seiner Formulierung Elemente aus Neh 11,3 verwendete. 1Chr 9,2 muss daher auch nicht mit v. 3 verbunden werden, sondern schließt – wie gezeigt – an v. 1a an.
Mit 9,1a.2 schließt Chr die Register über Israels Stämme ab und charakterisiert sie im Blick auf ihren Gegenstand. Dabei deckt sich die Explikation in 9,2 mit dem Inhalt der Listen. Sie geben mittels der Stammbäume Auskunft über die Erstbesiedlung und die sich daraus ergebende Siedlungsstruktur im Land Israels ( )והיושׁבים הראשׁנים אשׁר באחוזתם בעריהםsowie innerhalb der Levi-Genealogie (5,27–6,66, v.a. 5,16; 6,33.34) über die Zuweisung bestimmter kultischer Aufgaben an die einzelnen Sippen, d.h. über ישׂראל הכהנים הלוים והנתינים. RUDOLPH, HAT Chronik, 83ff. und die dort genannten älteren Kommentare, so auch WILLIAMSON, NCeB, 87; JOHNSTONE , Chronicles 1, 119f. 350 Ähnliche Reihen finden sich aber auch in Esr 2,70; 7,72; Neh 11,20, vgl. die Diskussion bei OEMING, Israel, 183. 351 Eine genauerer Vergleich der beiden Listen kann hier nicht erfolgen. R UDOLPH , HAT Chronik, 83–85, hat gezeigt, dass Chr von Neh abhängig ist (vgl. JAPHET, OTL, 208). 352 OEMING , Israel, 182. 349
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Für die Israel-Konzeption der Chronik ist aufschlussreich, dass die Register in 1Chr 2,3–8,40 nach 9,1 כל ישׂראלdarstellen.353 „Ganz Israel“ schließt also alle genannten Stämme, Sippen und Familien bzw. ihre Abstammungslinien ein. Dieses Israel umfasst mehr als die Provinz Jehud oder die zur Zeit von Chr greifbaren Stämme, so gehören ganz selbstverständlich die Nordstämme und sogar die längst nicht mehr existenten ostjordanischen Stämme dazu. Es umfasst aber auch mehr als Chr aus den Vorlagen schöpfen konnte, sondern Chr trägt auch Gegebenheiten der nachexilischen Zeit Rechnung;354 so werden z.B. die Kalebiter integriert. כל ישׂראלaus 1Chr 2,3–8,40 entspricht bzw. entsprach zu keiner Zeit einem realen Israel. Die Register sammeln vielmehr alle verfügbaren Traditionen und Nachrichten und blenden sie in einem umfassenden (genealogisch strukturierten) Bild ineinander. Über die genealogische Fundierung wird eine Grenze zu anderen Völkern bzw. der Menschheit (1Chr 1,1–2,2) abgesteckt, vorrangig aber ein „Israel“ präsentiert, dass alle in den Listen genannten Sippen und ihre Angehörigen einschließt. Erhellend für die Frage nach der Funktion der chr Abstammungsregister ist die Notiz v. 1a, dass alle Israeliten „abstammungsmäßig registriert“ wurden ( )התיחשׂו. Für יחשׂgibt es im Alten Testament 21 Belege, ausschließlich in der Chronik sowie Esra/Nehemia.355 יחשׂbezeichnet die Zuschreibung zu einer bestimmten Gruppe, wobei „auch das finite Verb immer auf den abgeschlossenen Vorgang der Einschreibung zurück[blickt] und ... resultativ-faktitiven Charakter“ hat.356 Die Zuschreibung kann sich auf unterschiedlich definierte Gruppen beziehen, z.B. die Gruppe der waffenfähigen Männer eines Stamms (1Chr 7,5.7.9.40) oder der Rückkehrer aus dem Exil (Esr 8,1.3) bzw. eine bestimmte Sippe (1Chr 4,33) oder einen Stamm (5,7.17) betreffen, was im Falle der Leviten bzw. Priester eine Voraussetzung für ihre Zulassung zum Tempeldienst sein kann. Die einzige Nachricht über die praktische Anwendung von Abstammungsregistern gehört denn auch in den kultischen Bereich: Nach Esr 2,62║Neh 7,64 werden Sippen, die ihre Abstammung nicht nachweisen können ( אלה בקשׁו )כתבם המתיחשׂים ולא נמצאו, vom Priesterdienst ausgeschlossen. R. Mosis vermutet hinter den Registrierungsnotizen die Vorstellung, dass durch die 353 WILLI, Innovation, 412: „Diese Größe Israel, auf die 1Chr 9,1–3 Bezug nimmt, findet sich in 2,3–8,40 (bzw. bis 10,14) entfaltet.“ 354 Die breite Diskussion, ob und welche zeitgenössischen Quellen Chr zur Verfügung standen, kann hier nicht aufgenommen werden (vgl. den aktuellen Beitrag von LEVIN, Audience, 242ff.). Entscheidend für die Frage nach der Israel-Konzeption ist, dass derartige Informationen aufgenommen sind. 355 1Chr 4,33; 5,1.7.17; 7,5.7.9.40; 9,1.22; 2Chr 12,15; 31,16.17.18.19; Esr 2,62; 8,1.3; Neh 7,5[2x].64, davon nur in Neh 7,5 in der Constructus-Verbindung ספר היחשׂals Nomen. Als finites Verb (Hitp.) erscheint es an zwei Stellen (1Chr 5,17; 9,1), zweimal als Partizip (Esr 2,62║Neh 7,64), sonst als Infinitiv (MOSIS , ThWAT יחשׂ, Sp. 611). 356 M OSIS , aaO., Sp. 613; vgl. BEENTJES, Identity, 236.
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Einschreibung in das betreffende Register „für die Eingeschriebenen Rechte und Ehren begründet und gesichert“ würden. 357 Aufgrund der bereits von M. Oeming gemachten Beobachtung, dass sich diese Notizen innerhalb von 1Chr 1–9 oft bei Gruppen mit zweifelhaftem Status, wie Simeon (4,33), den ostjordanischen Stämmen (5,7.17) oder den Torhütern (9,22) finden, ist jedoch wahrscheinlicher, dass es hier vorrangig um den Nachweis der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe geht,358 womit natürlich besondere Rechte verbunden sein können (vgl. die Versorgung der registrierten Priester bzw. Leviten 2Chr 31,15–19). Deutlich wird diese Funktion der Registrierungsnotiz innerhalb von 1Chr 9,17–26a. Chr ordnet die Torhüter, die in Esr 2,42║Neh 7,45; Neh 11,19; 12,25 nicht als Leviten geführt werden, dem Stamm Levi zu 359 und führt ihren Stammbaum auf Korach zurück. 9,17–26a ist chr Sondergut. Die Liste nimmt im Verzeichnis der Einwohner Jerusalems ungewöhnlich breiten Raum ein und lässt das Anliegen erkennen, die Torhüter als altehrwürdiges levitisches Kultpersonal herauszustellen und damit zu legitimieren.360 Wie bei der Integration der Kalebiter in die Juda-Genealogie trägt Chr Gegebenheiten seiner Zeit Rechnung und nutzt das Mittel der Genealogie dazu, den gegenwärtigen Zustand als von je her gegeben zu präsentieren. Neben der Verknüpfung mit Korach dienen eine Reihe von historischen Notizen (v. 19–21), die die Anciennität des Torhüterdienstes betonen, die Rückführung dieses Amtes auf David und den Leviten Samuel (v. 22b, vgl. 6,12f.), und schließlich die Nachricht, sie seien in ihren Gehöften registriert ( )המה בחצריהם התיחשׂםdiesem Zweck. Die Zugehörigkeit der Torhüter zu den Leviten gilt als „aktenkundig“ und somit nachgewiesen. 1Chr 9,1 wendet die Vorstellung des Zugehörigkeitsnachweises über eine Registrierung auf ganz Israel an ()וכל־ישׂראל התיחשׂו, nicht nur auf bestimmte Gruppen innerhalb Israels. Insofern führen 1Chr 2,3–8,40 den Nachweis, dass alle Genannten zu Israel gehören. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Bemühungen von Chr, Israel möglichst umfassend aufzunehmen, dabei sowohl den überkommenen Traditionen als auch dem gegenwärtigen Zustand Rechnung zu tragen und – wie im Falle der Ehen mit Ausländern – die Integration von Nicht-Israeliten als prinzipiell möglich darzustellen, ergibt sich, dass Chr mit der Vorstellung der Registrierung eine tendenziell offene Israel-Konzeption argumentativ stützt.361 Es ist „vorrangige Absicht der chronistischen Bürgerrechtslisten ..., diesen Platz im Ganzen Israels für die Betroffenen und die Betreffenden offenMOSIS , aaO., Sp. 612. OEMING, Israel, 185f. 359 Vgl. B EENTJES , Identity, 235. 360 Vgl. R UDOLPH , HAT Chronik, 88f., der die Liste allerdings einem Bearbeiter zuschreibt; OEMING, Israel, 202–204; BEENTJES, Identity, 235. 357 358
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
zuhalten“.362 Die Nachricht von einer Registrierung ganz Israels dient dazu, diesen Anspruch abzusichern. Dazu passt, dass Chr den Vorgang dieser Registrierung363 bzw. die Dokumentation der Ergebnisse (והנם כתובים על־ספר )מלכי ישׂראלin der Königszeit verortet und nicht autoreferentiell auf die voranstehenden Listen bezieht, auch wenn sich als Folge das logische Problem ergibt, dass nicht alle Daten in den Registern, auf die 9,1f. zurückblicken, in der Königszeit bekannt gewesen sein können. Wie bei den Torhütern (vgl. 9,22) schreibt Chr die Registrierung einer früheren Epoche zu; dort der Zeit Davids und Samuels, die nach Chr für die Einrichtung des Tempelkults entscheidend war, hier den „Königen Israels“, d.h. den Davididen, den rechtmäßigen Königen über ganz Israel.364 2.1.4 „Israel“ in Nord und Süd – 1Chr 10–2Chr 36 Die chr Geschichtsdarstellung konzentriert sich bekanntlich auf das Südreich. Kann man aber mit J. Wellhausen aus dieser Darstellungsperspektive schließen, dass „die Geschichte Israels in der Chronik nur durch das Reich Jahves in der Hand der Söhne Davids fortgesetzt und alles beiseite gelassen [wird], was sich auf die zehn Stämme bezieht“? 365 Zweifelsohne ist die Darstellung an Juda orientiert, und die Abfolge der Könige des Südreichs bildet ihr Gerüst. Innerhalb dieses Gerüsts werden jedoch, wenn sich von Juda her Verbindungen ergeben, zahlreiche Nachrichten über den Norden transportiert, und zwar nicht nur die, die Chr in Reg vorgegeben waren, 361 Gegen MOSIS , ThWAT יחשׂ, Sp. 614, der hinter יחשׂeine „Auffassung von Israel“ postuliert, „nach der über die ererbte Zugehörigkeit zum Volk hinaus eine eigene Zuschreibung zu Israel bzw. zu einer seiner Gliederungen erforderlich ist, damit einer voll zu ‚Israel‘ gehört, eine Auffassung also, nach der sich die natürlich gegebene Volksgemeinschaft nicht mehr ohne weiteres mit der theologischen Größe ‚Israel‘ deckt.“ Die programmatische Verwendung der Registrierungsnotiz in 1Chr 9,1 legt jedoch gerade das Gegenteil nahe: Für Chr ist „Israel“ die „Volksgemeinschaft“, die Registrierung soll diesen Anspruch absichern. 362 WILLI, Juda, 132. 363 So WILLI, Innovation, 410f., der in der Bemerkung kein Quellenzitat sehen möchte, sondern einen „Verweis auf einen – realen oder angenommenen – Vorgang im königszeitlichen Israel, unter ‚den Israelkönigen‘, durch den die Zusammengehörigkeit der Größe ‚Israel‘ nach Rechten und Pflichten dokumentiert worden sein soll.“ 364 Vgl. WILLI, Innovation, 411. 365 WELLHAUSEN , Prolegomena, 182. NOTH , Überlieferungsgeschichtliche Studien, 176, spricht vom „völlige[n] Übergehen der Geschichte des Staates Israel im Rahmen der Königsgeschichte ... weil dieses Königtum für ihn [den Chronisten KW.] neben dem davidischen überhaupt keine Existenzberichtigung besaß.“ Nach VON RAD, Geschichtsbild, 31f., hat Chr „darauf verzichtet, eine Schilderung der Geschicke dieses Teils des israelitischen Volkes in sein Werk aufzunehmen“, weil er die „Geschichte zwischen Gott und seinem Volk“ darstellen wollte und sich widerspräche, „wenn er den abgefallenen Teil des Volkes nun doch in die Gottesgeschichte mit einbezöge.“
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sondern auch viel chr Sondergut. 366 Dabei liegt ein Schwerpunkt gerade in der Zeit nach der Eroberung Samarias. In Reg verschwinden die Nordstämme mit diesem Ereignis aus der Darstellung, in der chr Version der Geschichte des davidischen Reiches ist „der Norden“ dagegen weiterhin mit präsent. Wellhausen gelangte zu seinem Urteil, weil er die chr Kritik am Nordkönigtum (2Chr 13) uneingeschränkt auf die „Zehn Stämme“ bezog. Diese seien als Folge ihres Götzendienstes nach Überzeugung von Chr aus dem Volke JHWHs ausgeschlossen: „Wenn also die Zehn Stämme alle diese Kennzeichen des Reiches Gottes367 vermissen lassen, so bedeutet das ihren Abfall vom wahren Israel ... Sie kommen darum wie andere Heiden nur so weit für die heilige Geschichte in Betracht, als sie mit dem eigentlichen Volke Jahves, dem Israel im Lande Juda (2. Chron. 23,2), in freundliche oder feindliche Berührung treten.“368 Mit dem samaritanischen Schisma als historischem Hintergrund schien zudem ein sicherer Boden für diese Interpretation gewonnen: Das kritisierte Nordreich wird zur kaum verdeckten Chiffre für die Samaritaner, gegen die Chr mit seinem Werk die judäisch/ jüdische Identität abgrenzen und somit sichern wolle.369 Diese Hypothese ist aus verschiedenen Gründen zunehmend in die Kritik geraten. Zum einen sind die Datierung des samaritanischen Schismas und die religiöse Orientierung der nachexilischen Bewohner des ehemaligen Nordreichs nach wie vor in der Diskussion, die durch aktuelle Grabungen auf dem Garizim neue Gesichtspunkte erhalten hat.370 Zum anderen stellt sich auch das Bild in der Chronik selbst komplexer dar. So ist die Chronik als Apologie des Judentums371 wohl kaum zutreffend beschrieben, das ergibt sich – wie Th. Willi überzeugend herausgearbeitet hat – schon aus ihren Adressaten: „Voraussetzungen und Methodik des Buches zeigen, daß es sich an die jüdische, mit den prophetisch-geschichtlichen Schriften vertraute Gemeinde wendet, nicht an Außenstehende, die entweder bloß den Pentateuch anerkennen, wie die spätere samaritanische Sekte, oder überhaupt kein Verhältnis zur biblischen Überlieferung besitzen.“372 Darüber hinaus ist die Gleichung Nordkönigtum = Nord-Israeliten (= Samaritaner) auch im Blick Vgl. die Zusammenstellung des Materials bei JAPHET, Ideology, 311–318. Diese Kennzeichen, d.h. „einheitlich gegliederte Hierokratie mit einem streng centralisierten Kultus von genau vorgeschriebener Form an der heiligen Stätte zu Jerusalem“ leitet Chr nach WELLHAUSEN , Prolegomena, 184, v.a. aus der Priesterschrift ab und „denkt sich das alte hebräische Volk genau nach dem Muster der späteren jüdischen Gemeinde.“ 368 AaO., 184f. Vgl. M OSIS , Untersuchungen, 171, der das Nordreich als „völlig heidnische [...] und götzendienerische [...] Umgebung“ bzw. als „Bereich und ... Sphäre des Heidentums“ bezeichnet oder GALLING, ATD, 15, für den Chr im Nordreich Israel nur noch „Ketzer“ bzw. „Abgefallene“ sieht. 369 So die einflussreiche These von NOTH , Überlieferungsgeschichtliche Studien, 174f. 370 Zum Verhältnis zwischen Juda und Samaria in der Perserzeit vgl. unten S. 314ff. 371 Vgl. R UDOLPH , HAT Chronik, IX. 372 WILLI, Chronik, 193. 366 367
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auf die Nord-Israeliten zu kurz gegriffen. Das zeigt sich sowohl in der chr Beurteilung des Nordkönigtums als auch in den Perspektiven, die das Werk für die Nordstämme eröffnet. Die chr Geschichtsdarstellung liegt vielmehr in Bezug auf die Israel-Konzeption auf der Linie, die sich im Sprachgebrauch zeigt und sich aus der Art und Weise der Einführung Israels in den genealogischen Registern ergibt: Israel ist für Chr nicht allein auf Juda zu beschränken und der erzählte Ausschnitt seiner Geschichte macht nicht die gesamte Geschichte Israels aus. 2.1.4.1 Die chr Beurteilung des Nordkönigtums – 2Chr 13 Seine Beurteilung des Nordkönigtums stellt Chr in 2Chr 13 programmatisch der Darstellung der Epoche der geteilten Reiche voran. Das Kapitel ist mit der in einen Kriegsbericht eingebetteten „Bergpredigt Abijas“ (v. 4– 12) im Wesentlichen eine Schöpfung des Chronisten. 373 In 1Reg 15 fallen die Nachrichten über den dort im Unterschied zu Chr negativ bewerteten Abija deutlich kürzer aus; 15,6 notiert die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Nord- und Südreich, nennt jedoch keine Details. 374 2Chr 13 erfüllt innerhalb der chr Komposition eine doppelte Funktion; die Abija-Rede legt zum einen die Prinzipien für die Bewertung des Nordkönigtums dar, darüber hinaus bildet das gesamte Kapitel eine Leseanleitung für die in der Chr folgende Darstellung der Geschichte Judas bis hin zu Ahas, die – aufs Ganze gesehen – eine Geschichte des Niedergangs ist, mit Ahas (2Chr 28) ihren Tiefpunkt erreicht und das Südreich in eine Situation führt, die derjenigen des Nordreichs in 2Chr 13 gleicht: Der JHWH-Kult wird nicht mehr ordnungsgemäß gepflegt (28,23–25, vgl. 13,9f.), beide Reiche sind von JHWH gedemütigt (28,19, vgl. 13,18) und in die Hand der Feinde gegeben (28,5, vgl. 13,16f.).375 Die Abija-Rede in 2Chr 13,4–12 ist in einer dramatisch gestaltete Szenerie verortet: vor Ausbruch des Krieges, zu dem sich 1,2 Millionen Mann gegenüberstehen (v. 3), wendet sich König Abija an die zahlenmäßig überlegene Streitmacht des Nordens und sagt ihr
373 Die Bezeichnung „Bergpredigt Abijas“ wurde von RUDOLPH , HAT Chronik, 238, geprägt. Dass die Rede auf Chr zurückgeht, ist Konsens. Sowohl theologisch (vgl. die Anwendung der Vergeltungslehre, dazu u.a. VON RAD, Geschichtsbild, 10–15; JAPHET, Ideology, 150–176; RUFFING , Jahwekrieg, 73–79) als auch strukturell (dazu THRONTVEIT, When Kings Speak, 32–50, bes. 36–38) erweist sie sich als Werk von Chr. 374 Die in der Forschung breit diskutierte Frage, ob Chr über eigene Quellen zum Krieg zwischen Abija und Jerobeam verfügte, kann hier vernachlässigt werden. Vgl. dazu WELTEN, Geschichte, 116–129, sowie die Beiträge von KLEIN, Abijahs Campaign; DEBOYS, History, bzw. JONES, Abijam, und die dort genannte ältere Literatur. 375 WILLIAMSON , Israel, 118, bemerkt zutreffend: „The situation of the two kingdoms at the end auf Ahazʼs reign, then, is similar.“ Auf diese und weitere Bezüge macht neben WILLIAMSON, Israel, 116f., auch THRONTVEIT, When Kings Speak, 115–120, aufmerksam und interpretiert diese Verweisstruktur überzeugend als Mittel chr Epochengliederung.
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ihre Niederlage an. Abijas Rede ist rhetorisch sorgfältig komponiert. 376 Struktursignale sind ועתהv. 8a, והנהv. 12a sowie הלאv. 5a.9a als Einleitung rhetorischer Fragen. Nach der Redeeröffnung in v. 4b mit Höraufruf und Anrede führt die Rede in zwei Abschnitten (v. 5–8 und v. 9–12a) zu einer Konklusion (v. 12b). Die Struktur lässt sich wie folgt darstellen: 4b 5–8 5–7 8 9–12a 9–11 12a 12b
Eröffnung (Imperativ) הלאa– 1. Abschnitt: Königtum über Israel Argument und Entfaltung ( – ועתהfalsche) Konklusion der Nord-Israeliten הלאa– 2. Abschnitt: Mit-Sein JHWHs Argument und Entfaltung ( – והנהrichtige) Konklusion der Judäer Ergebnis (Vetitiv)
Angeredet werden in v. 4b Jerobeam und כל־ ישׂראל. Auf der Tatsache, dass der Norden „Israel“ ist, baut die gesamte weitere Argumentation auf. Das erste Argument ist als rhetorische Frage (v. 5a: )הלא לכם לדעתformuliert. Der Inhalt des zu Wissenden folgt in 5a: JHWH, der Gott Israels, hat das Königtum über Israel auf ewig377 an David gegeben. Im Hintergrund steht das chr Verständnis von Israel als einer Theokratie, in der die davidischen Könige lediglich JHWHs Repräsentanten sind. 378 Das Königtum über Israel kommt also JHWH – hier zusätzlich als אלהי ישׂראלbezeichnet – zu, und JHWH hat es David und seinen Söhnen verliehen. Im Zusammenhang mit der Anrede כל ־ישׂראלin v. 4b wird diese rhetorische Frage zur Polemik: da es Israel ist, sollte das Nordreich nach dem Willen des Gottes Israels von einem Davididen und nicht von Jerobeam regiert werden. Die Entfaltung dieses Arguments in v. 6–7 liefert einen Rückblick auf das Zustandekommen des Nordreichs. Gegenüber dem chr Bericht der Reichsteilung (2Chr 10,1–11,4) ist die Personalisierung des Geschehens auf die Protagonisten Jerobeam und Rehabeam hin signifikant. 379 Die Initiative geht allein von Jerobeam aus; er revoltiert gegen seine Herren (vgl. 6b: )וימרד על־אדניוund führt ganz entsprechend auch nicht die Stämme an (anders 2Chr 10,2f.12), sondern lediglich eine Gruppe „nichtswürdiger Männer“. Rehabeam wird auffallend schwach als „Knabe“ und „zaghaft“ (v.7b: )נע ר ורך־לבב charakterisiert, der der Revolte nichts entgegenzusetzen hatte. Impliziert ist: gegen einen starken König hätte Jerobeam nichts ausrichten können. Eine erste Konklusion in v. 8 ist wiederum rhetorisch geschickt als indirekte Rede formuliert. Abija schreibt seinen Gegnern die Überzeugung zu (v. 8a: )אתם אמרים, sich gegen Juda durchsetzen zu können. Durch die Aufnahme von ( חזק לפניHitp.) aus v. 7b in v. 8 wird diese Überzeugung als eine Schlussfolgerung aus der Tatsache dargestellt, dass Rehabeam sich gegen Jerobeam nicht behaupten konnte. Entscheidend ist aber, wie Juda in v. 8 umschrieben wird: ממלכת יהוה ביד בני דויד. Hier greift Abija auf die Prämisse v. 5 zurück, dass JHWH sein Königtum über Israel den Davididen gegeben habe. V. 8a identifiziert nun das Südreich Juda mit diesem Königreich JHWHs. In v. 8b nennt Abija 376 Zur Struktur der Rede vgl. die Untersuchungen von THRONTVEIT, When Kings Speak, 36–38, und RUFFING , Jahwekrieg, 26–33. 377 Diesen Aspekt betont v. 5b mit dem Stichwort ברית מלח, einer aus Num 18,19 bekannten „Metapher für eine verpflichtende und unabänderliche Regelung“ (JAPHET, HThKAT II, 168). 378 Vgl. die programmatische Reformulierung von 2Sam 7,16 in 1Chr 17,14: והעמדתיהו בביתי ומלכותי עד־העולםsowie die Diskussion bei JAPHET, Ideology, 395ff. 379 R UFFING , Jahwekrieg, 67, vgl. KNOPPERS , Rehoboam, 438f.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
weitere Punkte, die aus Sicht des Nordens für seine Überlegenheit sprechen – die Überzahl und die Begleitung ( )עמכםdurch עגלי זהב, die freilich gleich als Machwerke Jerobeams eingeführt werden (vgl. v. 8b ). V. 8 spitzt die Auseinandersetzung zwischen Nord- und Südreich auf die Frage der Zugehörigkeit zu JHWH zu. Da JHWH mit dem davidischen Südreich ist – so das Argumentationsziel –, ist die Siegeszuversicht der Nord-Israeliten unbegründet. V. 9–12 belegen nun, dass JHWH mit dem Südreich ist, nicht aber mit Jerobeams Nordreich. Den Beweis führt Abija über den Aufweis der Orthopraxie in Juda bzw. den Abfall des Nordens vom rechten JHWH-Kult. Auch in diesem Bereich (v. 9–11) erweist sich die Rede als überlegt strukturiert. Am Anfang steht wie in v. 5 eine mit הלאeingeleitete rhetorische Frage. Im Folgenden werden die Einsetzung von nicht aaronidischen bzw. nicht levitischen Priestern im Norden (v. 9) dem von Priestern durchgeführten JHWH-Kult im Süden (v. 10b.11a) sowie die Konsequenz, dass der Norden (v. 11b), nicht aber der Süden (v. 10a) JHWH verlassen habe, gegenüber gestellt, vgl. das antithetische Gegenüber von ואנחנוund ואתם. Die Bezugnahmen auf Nordreich und Südreich sind dabei chiastisch verschränkt: v. 9 v. 10a v. 10b.11a v. 11b
Priester und ihre Einsetzung im Norden JHWH nicht verlassen („wir“) Priester und ihr Dienst im Süden JHWH verlassen („ihr“)
Norden Süden
Den Abfall des Nordens von JHWH zeigt Abija an der Vertreibung der Priester JHWHs ( )כהני יהוהauf.380 Der Vorwurf deckt sich mit 2Chr 11,14, geht aber über das hinaus, was 1Reg 12 berichtet. Nach 2Chr 11 bzw. 13 gibt es im Nordreich von Jerobeam an keine Leviten mehr, die als Priester fungieren könnten. 381 Ein ordnungsgemäßer JHWH-Kult ist nach dieser Darstellung im Norden auch abgesehen von der Frage der Stierbilder schon deshalb gar nicht mehr möglich. Die Einsetzung von Nichtleviten als Priester ist in der Folge unvermeidlich. Als weiterer Beweis werden die Umstände der Ordination dieser Priester angeführt. Da sie so detailliert dargestellt werden, scheinen auch sie für Chr anstößig zu sein. V. 9b verwendet den gängigen terminus technicus מלא ידfür die Übernahme des Priesterdienstes, nennt dann aber die im Alten Testament singuläre Forderung, einen Jungstier und sieben Widder beizubringen. In den Beschreibung der Ordination aaronitischer Priester in Ex 29,1–46 (vgl. Lev 8) ist von einem Jungstier und zwei Widdern die Rede, Num 8,5–22 nennt im Kontext der Ordination von Leviten zwei Jung stiere. Chr legt gerade in kultischen Fragen großen Wert auf Übereinstimmung mit den Vorgaben der Tora, so dass eine andere Zahl von Opfertieren problematisch sein muss. Die Details dieser dem Nordreich zugeschriebenen Ordinationspraxis waren Chr jedoch nicht aus Reg vorgegeben. Polemisiert er hier gegen Regelungen, die in seiner Zeit zur Anwendung kamen? V. 9b knüpft schließlich über das Leitwort אלהיםan v. 8 an (und bereitet zugleich v. 10a vor). Die in v. 8 eingeführten „Götter“ werden jetzt als „NichtGötter“ ( )לא אלהיםgekennzeichnet. Der Kult des Nordreichs impliziert also nach 13,9 aus drei Gründen den Abfall von JHWH: Nicht-Leviten bilden die Priesterschaft, ihre Ordination ist nicht toragemäß, und sie dienen (von Jerobeam geschaffenen) Götzen. 380 Die Ursprünglichkeit der Apposition את־בני אהרן והלויםist umstritten. WILLI, Chronik, 197, hält sie, ebenso wie die entsprechende Phrase בני אהרן והלוים במלאכתin v. 11 für einen Zusatz (ebenso RUFFING , Jahwekrieg, 24). Mit STEINS, Chronik, 401f., ist jedoch dagegen zu halten, dass das Nebeneinander von Priestern und Leviten 2Chr 11,13f. entspricht, worauf 13,9 anspielt. 381 Vgl. KNOPPERS , Mt. Gerizim, 317.
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V. 10b–11b behandeln die Kultpraxis im Südreich, um die Orthopraxie in Juda zu belegen. Der Vertreibung von Aaroniden und Leviten aus dem Norden steht ihr Dienst für JHWH im Süden gegenüber (v. 10b).382 Im Blick auf die Kultakte geht es Chr darum, ihre toragemäße Ausführung zu zeigen. Die engste Parallele hat die Liste von v. 11a in Ex 40,22–29. Chr verbindet also den im Südreich gepflegten JHWH-Kult mit den Anfängen des JHWH-Kultes in Israel überhaupt und betont die Kontinuität zu seiner Einrichtung durch Mose.383 Diese Kontinuität soll belegen, dass Juda – anders als das Nordreich – JHWH treu geblieben ist. V. 11a zieht das entsprechende Fazit: כי־שׁמרים אנחנו את משׁמרת יהוה אלהינו. Das gegensätzliche Verhalten wird schließlich mit der Wendung עזבbzw. לא עזב את יהוהcharakterisiert (v. 10a bzw. 11b). Über die Antithese von betont vorangestelltem ואנחנוbzw. ואתםund die Wiederaufnahme der Wendung aus v. 10a in 11b legt die Rede besonderes Gewicht auf diese Konsequenz der dargestellten kultischen Gegebenheiten: am Kult erweist sich, wer JHWH treu ist bzw. wer ihn verlässt. Dann greift die chr Vergeltungslehre: Weil JHWH Könige, die ihm treu sind, im Krieg unterstützt, jene, die ihn verlassen, aber in die Hand ihrer Feinde gibt, wird JHWH in dieser Auseinandersetzung auf der Seite Judas stehen, da Juda ihn nicht verlassen hat. V. 12a zieht die entsprechende Schlussfolgerung ( )עמנו בראשׁ האלהים. Die Siegesgewissheit des Nordreichs (v. 8) ist also falsch. Illustriert wird die Verbundenheit von JHWH mit dem Südreich noch zusätzlich durch die Funktion der Priester im Krieg. Die Verwendung von „Lärmtrompeten“ ( )חצצרות תרועהim Krieg wie in 2Chr 13,12a hat die nächste Parallele in Num 31,6 bzw. in den Bestimmungen zum Gebrauch der Trompeten in Num 10,2–10. Wie bei den Kultpraktiken scheint 2Chr 13 auch hier an die Wüstenzeit anzuknüpfen. 384 V. 12b bildet schließlich mit v. 4b einen Rahmen um die Rede. Dem Imperativ von v. 4b steht hier ein Vetitiv gegenüber ( )אל־ תלחמו. Wie in v. 4 werden die Nordreichbewohner zudem als „Israeliten“ (hier: )בני ישׂראלangeredet; im Korpus der Rede herrscht zwar auch die 2. Person Plural vor, ohne jedoch die Adressaten zu benennen. Der Vers präsentiert das Ergebnis der gesamten Argumentation: JHWH hat das Königtum über Israel den Davididen gegeben (v. 5), das Nordreich beabsichtigt das von den Davididen regierte Königreich JHWHs zu überwältigen (v. 8), das aber heißt, dass die Israeliten gegen ihren eigenen Gott ( )אלהי ־אבותיכםkämpfen würden und nur verlieren können (v. 12). 382 In der ausführlichen Beschreibung der Kultpraxis (v. 11a ) sehen einige Ausleger einen Zusatz, der kultische Details nachliefert (vgl. u.a. WILLI, Chronik, 197; ZWICKEL, Räucherkult, 334; STEINS, Chronik, 401f.) und Teil einer am Dienst der aaronidischen Priester interessierten Bearbeitungsschicht ist. Ohne hier auf die Thesen zur Redaktion der Chronikbücher eingehen zu können, sprechen in 2Chr 13 m.E. doch gute Gründe dafür, v. 11a zum Grundbestand zu rechnen. 13,9 und 13,10b.11a weisen eine parallele Struktur auf: auf Angaben zur Herkunft des Kultpersonals (jedermann im Norden, Aaroniden und Leviten im Süden) folgen jeweils Details zur Kultpraxis (nicht toragemäße Ordinationspraxis im Norden, toragemäßer Opferkult im Süden). Diese Struktur wird zerstört, scheidet v. 11a aus. Zudem verlöre v. 11a ( )כי־שׁמרים אנחנו את־משׁמרת יהוה אלהינו seine Begründung und würde zur bloßen Behauptung, denn woran zeigt sich, dass in Juda der rechte „Dienst“ getan wird? Hinzu kommt eine strukturelle Beobachtung, die WILLIAMSON , NCeB, 353, macht: die gleichen Details wie in 2Chr 13,11 werden in 2Chr 2,3 sowie 29,7 genannt. Diese Details charakterisieren also die von Salomo eingeführte Kultpraxis, die Abija bestätigt und Hiskia wieder aufnimmt, nachdem sie unter Ahas geendet hatte. Die ausführliche Beschreibung ist also ein Baustein der chr Komposition bzw. Epochengliederung. 383 J APHET, HThKAT II, 170f.; vgl. KNOPPERS , Mt. Gerizim, 317f. 384 KNOPPERS , Mt. Gerizim, 317f., mit weiteren Beispielen.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Die Abija-Rede bleibt innerhalb der Handlung von 2Chr 13 zunächst ohne Reaktion, mit v. 13 wendet sich die Erzählung direkt der Kriegstaktik Jerobeams zu. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass „die ganze Rede ‚zum Fenster hinaus‘ gehalten“ sei, 385 denn Rede und Darstellung des Kriegsverlaufs sowie seiner Folgen (v. 13ff.) sind eng aufeinander bezogen. Sehr deutlich wird dieses z.B. an einem Einzelzug der Rede: v. 12a erwähnt die Funktion der Priester im Krieg. Für die Argumentation der Rede wäre diese Information verzichtbar, das Ergebnis ist bereits in v. 12a erreicht. V. 12a bereitet jedoch v. 14b vor, wo das Blasen der Trompeten und der Kriegslärm JHWHs Eingreifen veranlassen. Insgesamt bestätigt der Ausgang des Kriegszugs die in der Rede entfaltete Theologie (vgl. auch die abschließende Deutung in 13,18–20): JHWH befreit Juda aus der scheinbar ausweglosen Lage, Israel flieht vor Juda und verliert eine Reihe von Städten, Jerobeam ist deutlich geschwächt. Die Folgen von Israels Untreue sowie Judas Treue gegenüber JHWH werden eindrücklich vorgeführt. Rede- und Handlungsteil sind aufeinander bezogen, letzterer dient dazu, die Aussagen der Rede „narrativ zu veranschaulichen“.386
Entsprechend der zwei Abschnitte der Rede hat die Beurteilung des Nordkönigtums eine politische und eine kultische Dimension. Im Bezug auf erstere bietet 2Chr 13,4–12 eine „Relecture“ des aus Reg übernommenen Berichts über die Reichsteilung in 2Chr 10. Die Focussierung auf die Protagonisten Rehabeam und Jerobeam und die Deutung des gesamten Geschehens als Folge ihrer persönlichen Auseinandersetzung erreicht zweierlei: (a) Sie interpretiert die Aussage, Rehabeams Verhalten habe ein Wort JHWHs in Kraft gesetzt (2Chr 10,15) in der Weise, dass sie sich lediglich auf die Ereignisse in Sichem bzw. das Gegenüber von Jerobeam und Rehabeam bezieht, aber nicht als weitergehende Legitimierung des Nordkönigtums gedeutet werden kann.387 (b) Damit wird die Abwendung der Nordstämme zu einer Episode erklärt, die mit einem neuen (starken) davidischen König (wie Abija!) beendet sein sollte. Die Trennung der Reiche zu Lebzeiten Rehabeams ist also kein Argument gegen die Prämisse, dass JHWH, der Gott Israels, das Königtum über Israel den Davididen gegeben hat. Die dem Willen JHWHs widersprechende Eigenständigkeit des Nordreichs beginnt in Chr also erst mit der Regierungszeit Abijas, jetzt hätten die Nordstämme zur Daviddynastie zurückkehren sollen. Während die Abwendung der Nordstämme von Rehabeam noch dem Wort JHWHs entsprach, gibt es für eine weiteres nichtdavidisches Nordkönigtum nach Rehabeam keine Legitimitation mehr. Die Epoche der geteilten Reiche beginnt in Chr zwar faktisch mit 2Chr 10, wird aber erst mit 2Chr 13 zum theologischen Problem. Dieser Interpretation entspricht die struk-
RUDOLPH, HAT Chronik, 238. RUFFING , Jahwekrieg, 37, ist aber zuzustimmen, dass „von der Erzählkonzeption her eine positive Reaktion des Nordens erst gar nicht erfolgen kann.“ 386 R UFFING , Jahwekrieg, 40; vgl. KNOPPERS , Battling, 514. 387 KNOPPERS , Rehoboam, 439, vgl. auch R UFFING , Jahwekrieg, 65–70. 385
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turelle Beobachtung, dass 2Chr 13–28 innerhalb des chr Werkes über zahlreiche Bezüge zwischen 2Chr 13 und 28f. als Abschnitt markiert sind.388 Neben der Abwendung von der Daviddynastie verurteilt Abija den im Nordreich gepflegten Kult. Dabei ist interessant, welche Vorwürfe fehlen. Der Hauptkritikpunkt ist nicht die in Reg sprichwörtliche „Sünde Jerobeams“, d.h. das Aufstellen der Stierbilder und die Verführung der NordIsraeliten, diese anzubeten (vgl. 1Reg 12,26–32; 2Reg 17,21–23 u.ö.). Die Stierbilder werden zwar als ein Grund der (trügerischen) Siegesgewissheit des Nordreichs angeführt (v. 8), treten dann aber in den Hintergrund. Gänzlich unerwähnt bleibt auch der von Jerusalem abweichende Kultort – ebenfalls ein zentrales Thema von 1Reg 12. Chr konzentriert sich auf das levitische bzw. aaronidische Kultpersonal (v. 9.10b) bzw. die Kultpraxis (v. 11a). Implizit läuft das argumentative Gefälle von 2Chr 13,9–11 natürlich auf die Frage des Kultortes hinaus. Nur in Jerusalem kann der rechte JHWH-Kult gepflegt werden, schließlich sind nur im Südreich – das folgt schon aus 13,9a! – die dafür unverzichtbaren Leviten bzw. Aaroniden vorhanden. Die Legitimationsstrategie über das Kultpersonal erklärt sich am besten durch das Anliegen von 2Chr 13,9ff, den JHWH-Kult im Südreich als toragemäß darzustellen. Das zeigen die genauen Angaben zur Priesterordination bzw. der Rückgriff auf die Opferbestimmungen für die Stiftshütte (s.o.). Während der Pentateuch genaue Festlegungen zu Kultpersonal und -praxis enthält, bleibt er aber in der Frage des Kultortes bekanntermaßen offen, so dass sich in dieser Frage von der Tora her nicht prima facie eine Kritik am Nordreich ergibt. Beide Kritikpunkte, die Abwendung von der Daviddynastie und der nicht rite ausgeführte Kult, ändern aber nichts an der Tatsache, dass es sich nach 2Chr 13 bei den Bewohnern des Nordreichs um Israeliten handelt. Sie werden als ( כל־ישׂראלv. 4) bzw. ( בני ישׂראלv. 12) angeredet, zudem baut die gesamte Argumentation auf dieser Voraussetzung auf. Nur Israeliten ist vorzuwerfen, dass sie sich von der Dynastie abwenden, die JHWH zu Königen über Israel bestimmt hat, und nur Israeliten können auf einen toragemäßen Kult behaftet werden. Aus 2Chr 13 lässt sich daher nicht ableiten, dass die Nordstämme für Chr nicht mehr zu Israel gehören würden. Während dem Nordkönigtum eine Legitimation über die Zeit Rehabeams hinaus abgesprochen und der im Nordreich praktizierte Kult verurteilt wird, sind die Angehörigen der Nordstämme gerade als Israeliten zur Umkehr gerufen und aufgefordert, unter die Herrschaft der Davididen und zum Jerusalemer JHWH-Kult zurückzukehren. 2Chr 13 erweist sich dabei als Reflex der Gegenwart von Chr, so dass hinter den Nord stämmen als Adressaten Abijas gleich in mehrfacher Hinsicht die samarischen Zeitge388 Vgl. die Auflistung der Bezüge bei WILLIAMSON , Israel, 116f., sowie THRONTVEIT, When Kings Speak, 115–120.
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nossen von Chr durchscheinen.389 Auf diese Spur führt das Spiel mit der Wurzel שׁמר, die – sicher in Anspielung auf שׁמרניםals Bezeichnung der Samarier – hier (v. 11) sehr betont und in Bezug auf den orthodoxen JHWH-Kult für die Judäer in Anspruch genommen wird. Dazu passt ebenfalls, dass Bethel als Kultort nicht genannt wird, sondern die Rede im Blick auf den nord-israelitischen Kultort trotz der Erwähnung Jerobeams sowie der goldenen Kälber auffällig vage bleibt. Der Garizim als samarischer Kultort kann in der Geschichtsfiktion natürlich nicht erscheinen; und zumindest anzunehmen – aber aufgrund fehlender Quellen nicht zu beweisen – ist, dass die auffälligen Angabe zu mit der Priesterweihe verknüpften Opfern (v. 9) eine samarische Praxis spiegeln. Mit der Parallelisierung von samarischem JHWH-Kult und dem früheren nordisraelitischen Kult, wie ihn die Königebüchern Jerobeam zuschreiben, erinnert 2Chr 13 an 2Reg 17,24–41.
2.1.4.2 Perspektiven für die Nordstämme – am Beispiel von 2Chr 30 Die chr Geschichtsdarstellung präsentiert die Umkehr der Nord-Israeliten als eine Möglichkeit, die immer wieder im Laufe der Geschichte von individuellen Nord-Israeliten wahrgenommen wird. In der Zeit des bestehenden Nordkönigtums berichtet Chr von Auswanderungswellen aus dem Norden in das Südreich. Die Motivation der Auswanderer ist jeweils die Hinwendung zu JHWH 390: – Den Anfang machen in 2Chr 11,14 die Leviten, die das Nordreich verlassen, nachdem Jerobeam sie verstoßen hat. Dies ist der einzige Fall, an dem von allen Angehörigen eines Stammes die Rede ist. – Angehörige aus allen übrigen Stämmen schließen sich den Leviten an; sie kommen nach Jerusalem, um JHWH dort zu opfern (11,16). Ihr Motiv ist der Wille, „JHWH zu suchen“ ( )לבקשׁ את־יהוה. Die Formulierung באו ירושׁלם לזבוח ליהוהlässt zwar an eine bloße Pilgerfahrt391 denken, die Verknüpfung mit der Auswanderung der Leviten im direkten Vorkontext sowie die in 11,17 genannte Folge für Juda ( )ויחזקו את־מלכות יהודהlegen aber nahe, dass hier wie bei den Leviten an die Übersiedlung in das Südreich gedacht ist.392 – Eine weitere Welle von Übersiedlern aus Ephraim, Manasse und Simeon zieht schließlich Asa an (vgl. 2Chr 15,9), denn „sie sehen, dass JHWH mit ihm ist“ ()בראתם כי־יהוה אלהיו עמו. Ein Wendepunkt ist mit 2Chr 28 erreicht. Das Kapitel ist als Pendant zu 2Chr 13 komponiert und markiert einen Tiefpunkt in der Geschichte des Vgl. dazu die Überlegungen von KNOPPERS , Mt. Gerizim, 315–321. Chr gebraucht dafür die Wurzel דרשׁ. Mit diesem theologischen Leitwort, das v.a. im chr Sondergut begegnet, bezeichnet Chr in der Regel eine grundlegende Haltung der Treue zu JHWH, so BEGG, Seeking Yahweh, 139: „‚Seeking God‘ is, rather, an attentiveness to, a habit of looking to God in his promises and demands in all situations. It is then something like what we call a ‚fundamental option‘.“ Vgl. auch WELTEN, Geschichte, 146; WILLI, Den Herrn aufsuchen, 440f. 391 WILLIAMSON , NCeB, 243. 392 Vgl. M YERS , AncB II, 70. 389 390
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Südreiches.393 In dieser Situation, die die Verhältnisse von 2Chr 13 umkehrt, zeigen einzelne Nord-Israeliten nach der Intervention eines JHWHPropheten394 Reue (vgl. 28,9–13) und lassen die gefangenen Judäer – ihre Brüder! (v. 8: אחיהם, vgl. v. 11) – frei. In der Antwort der Sippenhäupter (v. 12f) räumen diese ihr aktuelles Vergehen und eine darüber hinausgehende Schuld ein (v. 13: )כי רבה אשׁמה לנו. Worin diese Schuld der NordIsraeliten besteht, die schon vor der Gefangennahme der Judäer auf ihnen lag, wird nicht eigens ausgeführt. Mit H.G.M. Williamson wird man sie als „a general state of sin, to be identified, for the Chronicler, with the points outlined in 13:4-12“ deuten können.395 Insofern präsentiert Chr in 28,13 gleichsam eine angemessene Reaktion auf die in 13,4–12 gegen das Nordreich erhobenen Vorwürfe. Auffällig ist nun, dass im gesamten Abschnitt über den Umgang mit den judäischen Gefangenen (28,8–15) der nordisraelitische König keine Rolle spielt. Pekach wird in 28,6 als Gegner eingeführt, verschwindet dann aber aus der Geschichte. Im Folgenden treffen in Samaria die „Sippenhäupter der Ephraimiten“ (v. 12: )ראשׁי בני־אפריםdie Entscheidung darüber, wie mit den Gefangenen zu verfahren ist. Kann man daraus schließen, dass nach Auffassung von Chr das nord-israelitische Königtum hier schon nicht mehr bestand und die Sippenhäupter deshalb zur Entscheidungsinstanz werden?396 Chr stellt nämlich – zumindest im Südreich – König und Volk stets als eine Einheit dar; ist der König JHWH treu, so auch das Volk, fällt der König von JHWH ab, dann das Volk mit ihm.397 Dem entspricht, dass während des Bestehens des Nordkönigtums die Hinwendung zu JHWH für die Nord-Israeliten nach dem Prinzip cuius regio eius religio mit einer Übersiedlung nach Juda verbunden war. JHWH-Treue und Akzeptanz eines nicht-davidischen Königs über Israel lassen sich nicht vereinbaren. Dass Nord-Israeliten das Nordkönigtum als Schuld gegenüber JHWH bekennen, setzt daher das Ende des NordkönigZu den zahlreichen Bezügen: WILLIAMSON, Israel, 114–118. Das Auftreten eines JHWH-Propheten in Samaria zeigt, dass Nord-Israel für Chr integraler Bestandteil des JHWH-Volkes ist: Chr muss nicht erklären, warum der Prophet sich an die Nord-Israeliten wendet und sie auf ihre Schuld gegenüber JHWH, ihrem! Gott, anspricht (u.a. v. 11: ;)אשׁמות ליהוה אלהיכםvgl. JAPHET, HThKAT II, 353. 395 WILLIAMSON , NCeB, 347. 396 Ebd. Der Sprachgebrauch hilft allerdings kaum weiter; während in Reg in der Tendenz der Titel שׂרfür höfische Amtsträger und ראשׁStammesführer, sei es im juristischen oder militärischen Kontext, steht, kann Chr die Titel gleichsetzen oder „promiscue gebrauchen“ (RÜTERSWÖRDEN , Beamten, 47). 397 Das ist nicht zuletzt ein Ergebnis der „demokratisierenden Tendenz“ in Chr, d.h. Chr betont die Mitwirkung des Volkes an wichtigen Ereignissen und Entscheidungen (JAPHET, Ideology, 407–428, hier 407). In der Hiskia-Perikope wären z.B. die Beiträge des Volkes zum Tempelunterhalt (2Chr 31,2–8) oder die gemeinsame Beratung über das Passafest (30,2) zu nennen. Ein Abfall des Königs von JHWH geht mit dem Abfall des Volkes einher (vgl. 2Chr 12,1; 28,23); kehrt der König um, dann das Volk mit ihm (vgl. 2Chr 29,31–36). 393 394
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
tums voraus.398 Von nun an müssen JHWH-treue Nord-Israeliten nicht mehr nach Juda übersiedeln, ihre Hinwendung zu JHWH zeigt sich in der Orientierung am Jerusalemer Tempel. Diese Möglichkeit der Teilnahme von Nord-Israeliten am Jerusalemer Kult wird im Folgenden im Kontext der Passafeier Hiskias (2Chr 30) entfaltet.399 Nord-Israeliten nehmen sowohl an Hiskias als auch an Josias Passa (2Chr 35) teil, während der Focus von 2Chr 35 jedoch auf der Durchführung des Festes und den Rollen von Priestern und v.a. Leviten liegt, beschäftigt sich 2Chr 30 mit den Bedingungen für eine Teilnahme der Nord-Israeliten. 2Chr 30 gehört zusammen mit 2Chr 29.31 zu einem größeren Abschnitt chr Sonderguts, der sich mit den Kultreformen Hiskias beschäftigt und Hiskia einerseits in die Nähe Josias rückt400 und andererseits mit David und Salomo in Verbindung bringt. 401 Mit der Regierungszeit Hiskias beginnt für Chr eine neue Epoche, ein Neuanfang sowohl für das Südreich nach dem Tiefpunkt unter Ahas als auch für die Nordstämme, für die nach dem Ende des Nordkönigtums nun eine neue Verhältnisbestimmung möglich ist. Die drei Kapitel 2Chr 29–31 bilden jeweils abgeschlossene Einheiten (29: Reinigung und Neueinweihung des Tempels; 30: Passa- und Mazzotfest; 31: Unterhalt von Tempel und Tempelpersonal), die durch eine sieben Monate (die ersten sieben Monate von Hiskias Regierungszeit) umfassende Zeitschiene verklammert sind.402 2Chr 30,1–31,1 – gegen die Kapitelgliederung gehört 31,1 noch zum Passakapitel – spielt im zweiten der sieben Monate (vgl. 30,2.15.22f.). Im Focus des Kapitels steht allerdings weniger das Fest als Insofern liefert 2Chr 28 ein Indiz dafür, dass Chr das Ende des Nordreichs noch in der Regierungszeit von Ahas verortet. Dazu passt, dass Hiskias Kultreform, insbesondere die Passa-Einladung an die Nordstämme, kaum vorstellbar ist, solange das Nordreich noch besteht. Diese stellt Chr aber pointiert an den Anfang von Hiskias Wirken (2Chr 29,3). 399 Die Debatte um die Historizität des Kapitels (vgl. den Überblick über die Diskussion bei WILLIAMSON, NCeB, 360–365, sowie die Überlegungen bei DYMA , Wallfahrt, 176– 179) kann hier ausgeblendet werden. Für die Israel-Konzeption ist letztlich entscheidend, welches Bild Chr als historisch plausibel präsentiert und nicht ob und wenn ja, welche Quellen sich rekonstruieren lassen. Auch die Frage der Einheitlichkeit soll hier nur inso weit besprochen werden, als sich Konsequenzen für das chr Israel-Bild ergeben. Die meisten Ausleger halten das Kapitel für eine chr Schöpfung (anders z.B. GALLING, ATD, 157ff.) oder rechnen allenfalls mit kleineren Einschreibungen, vgl. u.a. BENZINGER, KHC, 124; WILLI, Chronik, 200; DÖRRFUSS , Mose, 231. Einschlägig ist jedoch die Analyse von STEINS, Chronik, 139–152, der auf die Thesen von HAAG , Mazzenfest, aufbauend eine chr Grundschicht rekonstruiert (v. 1a.6*.7–9.13a. 14ab.21a*.22a*.26f.; mit lediglich geringfügigen Abweichungen so ebenfalls DYMA , Wallfahrt, 166ff.174), die zwar das „gesamtisraelitische Mazzenfest des Hiskija“ (aaO., 151) beschreibt, aber die Teilnahme der Nord-Israeliten gar nicht eigens thematisiert. Steins nimmt weiterhin fünf Bearbeitungsschichten an: eine „Gemeindeschicht“ (v. 1b– 5a.6*.13b.15*.16f.23–25), die das Thema Mazzotfest erweitert und die Passafeier eingetragen habe, eine „Nordreich-Schicht“ (v. 5b.10–12.18–20.31,1a), die durch eine „polemische Haltung gegenüber dem Norden“ gekennzeichnet sei, eine „Musiker-TorwächterSchicht“ (v. 21b*.22a*) sowie eine „Kult-Schicht“ (v. 14ba ) mit kleineren Einschreibungen in 2Chr 30 und schließlich als punktuelle Erweiterungen והלויםin v. 15 und והכהניםin v. 21b (aaO., 152). 398
2. Der inklusive Israel-Begriff
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solches, sondern die Teilnahme der Nordstämme und die Konsequenzen, die für den Festtermin und die Durchführung des Festes daraus resultieren. 30,1–31,1 lassen sich wie folgt gliedern: 30,1–13 Sammlung der Festgemeinde nach Jerusalem 1 Überschrift 2–5 Vorhaben und Begründung 6–9 Hiskias Botschaft 10–12 Reaktionen in Nord und Süd 13 Ergebnis 30,14–31,1 Festbericht 14 Kultreform in Jerusalem 15–27 Festzeit in Jerusalem 15–20 Passafeier 21–22 Mazzotfest Insbesondere bezüglich der drei erstgenannten größeren Schichten kann das Ergebnis jedoch nicht überzeugen. So lädt Hiskia in der Grundschicht zwar nach Jerusalem ein, allerdings fehlt ein Zweck der Einladung. Dass es um ein Fest geht, wird erst in v. 21 erwähnt und dann in wenigen Sätzen (v. 21a.22b) abgehandelt. Die in v. 26a herausgehobene „große Freude“ ist durch diesen lakonischen Festbericht kaum motiviert. Zudem bleibt die Umkehrrede v. 6b–9 ohne Reaktion und somit ohne rechte Funktion, was angesichts ihres Umfangs innerhalb der Grundschicht auffällig ist. Ähnlich problematisch ist auch die Gemeindeschicht, sie führt nämlich die Unreinheit der Festteilnehmer (v. 17) als Problem ein, das dann gar nicht gelöst wird, bevor die Festgemeinde das Mazzotfest mit den entsprechenden Opfern feiert (v. 21a.22b). Dass aber kultisch unreine Personen an einem Wallfahrtsfest oder gar an Opfern beteiligt sind, ist im Kontext altorientalischer Heiligkeitsvorstellungen kaum vorstellbar. Darüber hinaus sind v. 18–20 nicht einfach polemisch gegenüber dem Nordreich, sondern erkennen an, dass die Nord-Israeliten „Gott suchen“ ()לדרושׁ האלהים, charakterisieren sie über das chr Leitwort דרשׁalso ausgesprochen positiv (vgl. dazu Anm. 390). 400 Der chr Hiskia nimmt in wesentlichen Punkten die Kultreformen Josias vorweg. Das betrifft sowohl die Zerstörung von Kultstätten (vgl. 2Reg 18,4.22) als auch die große Passafeier mit Teilnehmern aus Juda und Nord-Israel (ohne Vorlage in Reg). In diesen Punkten stellt das Wirken Josias in Chr gegenüber Hiskia nur noch eine quantitative, keine qualitative Steigerung dar, d.h. die Reichweite der Kultreform ist größer (vgl. 30,14; 31,1 mit 34,33) und das Passafest überbietet dasjenige unter Hiskia (vgl. 35,17). 401 Das chr Hiskiabild vereint Züge Davids und Salomos. Die Versuche, den chr Hiskia entweder allein als zweiten David (so MOSIS , Untersuchungen, 189–192) oder allein als zweiten Salomo (so WILLIAMSON, Israel, 119–125) zu beschreiben, blenden, wie THRONTVEIT, When Kings Speak, 121–124, sowie GRAHAM , Setting the Heart, 130–133, gezeigt haben, jeweils wichtige Züge des Gesamtbildes aus. 402 F RIES , Im Dienst, 383–385. Den Anfangspunkt setzt 29,3 ( בשׁנה הראשׁונה למלכו בחודשׁ )הראשׁון, wobei mit dem ersten Monat nicht nur der erste Monat von Hiskias Regierungszeit, sondern auch der erste Monat des Jahres gemeint ist (29,17: )ויחלו באחד לחדשׁ הראשׁון. Die Reinigung des Tempels dauert bis zum 16. Tag des ersten Monats (29,17). Sie war also am 15. Tag des ersten Monats, dem regulären Termin des Passafestes noch nicht vollendet. Das Passa-, Mazzot- und ein siebentägigies Freudenfest finden folglich im zweiten Monat statt (30,2.13.21.23) und umfassen die dritte und vierte Woche des zwei ten Monats. Das Herbeibringen von Gaben für den Unterhalt des Tempels dauert vom dritten bis zum siebten Monat, also bis zum Laubhüttenfest (31,7).
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit 23–24 25–26 27 31,1
Freudenfest Festgemeinde und Bewertung Abschluss der Feiern Kultreform außerhalb von Jerusalem
Nach der Überschrift v. 1, die als eine summarische Prolepse das Thema des ersten Abschnitts v. 1–13 einführt, 403 begründen v. 2–5 die Verschiebung des Festtermins auf den zweiten Monat (v. 2–4) und die Einladung ganz Israels inklusive der Nordstämme (v. 5a: )כל ־ ישׂראל מבאר ־שׁבע ועד־דןnach Jerusalem. Für den abweichenden Termin werden zwei Gründe genannt (v. 3b): die mangelnde Vorbereitung der Priester (vgl. auch 29,34) und des Volkes, das noch nicht in Jerusalem versammelt war. Die Nennung der an der Beratung beteiligten Akteure המלךund כל־הקהלv. 2a und v. 4 (in v. 2a sind zusätzlich noch die שׂריםaufgeführt) rahmen diesen Argumentationsgang. Der zweite Punkt betrifft die Größe der Festgemeinde. V. 5b begründet die Einladung „ganz Israels“ damit, dass in der Vergangenheit die Menge der Festteilnehmer nicht so groß war, wie vorgeschrieben ist ()ככתוב. Für לרובwurden auch andere Deutungen vorgeschlagen; 30,13.24 und der Sprachgebrauch in Chr insgesamt sprechen jedoch dafür, dass hier tatsächlich die Zahl der Festpilger im Blick ist. 404 Etwas schwieriger ist zu beurteilen, worauf ככתובverweist. Wenn mit לרובauf die Menge der Festteilnehmer abgehoben wird, dürften die Passa-Bestimmungen von Ex 12,43–49 im Hintergrund stehen. V. 47 fordert ausdrücklich die Beteiligung der „ganzen Gemeinde405 Israel“, auch wenn im Kontext von Ex 12 natürlich nicht an eine zentrale Feier im Tempel gedacht ist. 406 Dem zweifachen Vorhaben aus v. 2–
403 Zur summarischen Prolepse als literarischer Technik vgl. SKA , Sommaires proleptiques. Insofern liegt weder eine Doppelung zu v. 5 noch „eine eigenartige Form von Wiederaufnahme“ vor (JAPHET, HThKAT II, 384). 404 Die Übersetzungen bieten ganz unterschiedliche Lösungen: „denn es war nicht von der ganzen Menge gehalten worden, wie es geschrieben steht“ (Luther 1984); „denn sie hatten es lange Zeit nicht so gefeiert, wie es vorgeschrieben war“ (Elberfelder Bibel); „denn man hatte es bisher nicht vollzählig so gehalten, wie es vorgeschrieben war“ (Einheitsübersetzung). Da sich לרובin 30,13.24 eindeutig auf die Menge bezieht, was dem chr Sprachgebrauch auch darüber hinaus entspricht (vgl. 1Chr 22,3ff.; 29,21; 2Chr 9,1.9.27; 18,1f. u.ö.), gibt es keinen Grund in v. 5 eine andere Bedeutung anzunehmen, vgl. BAE, Vereinte Suche, 129. 405 כל ־ עדת ישׂראל. Der chr Terminus für die Gemeinde ist קהל, v. 5 setzt die Vorschrift also in chr Sprachgebrauch um. Der einzige Beleg für עדהist 2Chr 5,6, eine wörtliche Übernahme aus 2Reg 8,5. 406 Die Bestimmung des Bezugspunkts von ככתובhängt davon ab, welchen Aspekt aus v. 2–5 man betont. Geht es um die zentrale Passa-Feier in Jerusalem? Dann wäre an Dtn 16 zu denken (so WILLIAMSON, NCeB, 366). Allerdings gibt es, wie JAPHET, HThKAT II, 388, bemerkt, zu diesem Text kaum Berührungspunkte. Um eine „specific allusion“ (WILLIAMSON , Scripture, 236) kann es sich kaum handeln, denn wie wäre diese markiert? Oder ist an den Festtermin oder die Durchführung des Festes gedacht? Beide Möglichkeiten sind vom Erzählgefälle in 2Chr 30 schwer vorstellbar, denn gerade in diesen Punkten entspricht Hiskias Passa keiner der verschiedenen Passavorschriften (JAPHET, Ideology, 242, Anm. 142), ist also keineswegs ככתוב. Dann wäre v. 5b in der Tat nur als „ironisch“ zu verstehen (JAPHET, HThKAT II, 388). Für Ex 12,43–49 als intendierte Referenz spricht zudem, dass dieser Text auch im Hintergrund von 2Chr 30,25 zu stehen scheint. Die Liste der Festteilnehmer entspricht exakt den Vorgaben von Ex 12,43–49.
2. Der inklusive Israel-Begriff
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5 entspricht dann das in v. 13 festgehaltene Ergebnis, das die Punkte Festtermin und große Festgemeinde wieder aufnimmt.407 Die Botschaft Hiskias ist nach v. 6a an ganz Israel 408 gerichtet, entsprechend sind mit der Anrede בני ישׂראלin v. 6b auch Nord-Israeliten und Judäer angesprochen und nicht das Nordreich allein.409 Dieser in gehobener Prosa gestaltete Brief ist innerhalb der chr Komposition weit mehr als eine konkrete Festeinladung. M.A. Throntveit beschreibt die Botschaft zutreffend als eine „Umkehrrede“, deren Inhalt mit der Forderung, sich dem Jerusalemer Tempel zuzuwenden (v. 8b: )ובאו למקדשׁו אשׁר הקדישׁ לעולםmit 2Chr 13,4-12 korrespondiert.410 Auch wenn die Nordstämme sicher die primären Adressaten sind (vgl. auch den Hinweis auf die Deportationen der Assyrer v. 6b), so gibt es doch keinen Punkt, der nicht auch auf das Südreich, wie es sich nach der Herrschaft Ahas präsentierte, zutreffen würde: auch Juda versündigte sich gegen JHWH ( )מעל ביהוהund wurde von Assur bedrängt (vgl. 28,19f.), und auch Juda hat sich unter Ahas vom Jerusalemer Tempel und damit von JHWH abgewandt (vgl. 28,22–25). Der Brief ist also ein an ganz Israel ergehender Aufruf zur Umkehr, die sich in der Hinwendung zum Jerusalemer Tempel manifestiert und für die als Folge die Rückkehr der Deportierten als Zeichen des Erbarmens JHWHs verheißen wird (v. 9). 411 30,10–12 berichten von den Reaktionen auf Hiskias Botschaft, wobei wiederum Nord-Israeliten (v. 10f: geteilte Reaktionen) und Judäer (v. 12: einmütige Annahme) aufgeführt werden – ein weiterer Hinweis darauf, dass sich dieser Umkehraufruf an ganz Israel in Nord und Süd richtet. 30,14-31,1 liefern nun den Festbericht, wobei 30,14 und 31,1 mit dem Thema Zer störung fremder Kultstätten in Jerusalem (v. 14) bzw. dem Südreich und Teilen NordIsraels (31,1) die Darstellung des Festablaufs im engeren Sinne rahmen. Den größten Raum (v. 15–20) nimmt das Passafest ein, wobei nicht – wie später in 35,10–14 – eine Beschreibung des gesamten Rituals im Zentrum steht, sondern im Wesentlichen ein Aspekt desselben behandelt wird, der mit der Teilnahme der Nord-Israeliten zu tun hat: die Priester empfangen das Blut aus der Hand der Leviten (v. 16b).412 Diese ungewöhnliche413 Praxis wird in v. 17–19 mit einer Folge von vier כי-Sätzen begründet, wobei das 407 In v. 13 wechselt die Bezeichnung zu חג־המצות, die parallele Formulierung zu v. 2b zeigt aber, dass es sich um dasselbe Fest handeln muss (zum Versuch, diese Beobachtung literarkritisch auszuwerten, vgl. oben Anm. 399). In der Verschmelzung von Passa- und Mazzotfest spiegeln sich wahrscheinlich die Gegebenheiten zur Zeit des Zweiten Tempels, vgl. JAPHET, HThKAT II, z.St. Voraussetzung ist die Bindung des Passa-Opfers an Tempel und Altar, wie sie Esr 6,19–22, 2Chr 30 und 35 bezeugen und in der rabbinischen Literatur als gängige Praxis vorausgesetzt ist (SAFRAI , Wallfahrt, 220–236, mit zahlreichen Belegen zu Festvorschriften und -ablauf). 408 In 2Chr 30 werden immer wieder unterschiedliche Nordstämme genannt: v. 1 Ephraim, Manasse, v. 10 Ephraim, Manasse, Sebulon, v. 11 Asser, Manasse, Sebulon, v. 18 Ephraim, Manasse, Issachar, Sebulon. Dabei ist immer mindestens einer der großen Stämme Ephraim bzw. Manasse aufgeführt, darüber hinaus ist keine bestimmte Systematik erkennbar. Insofern stehen die genannten Stämme hier wahrscheinlich repräsentativ für die Nord-Israeliten insgesamt (WILLIAMSON, NCeB, 368f.), wie das für „Ephraim und Manasse“ auch in 1Chr 9,3 bzw. für die „Josephssöhne“ in 1Chr 5,2 anzunehmen ist. 409 Dazu auch oben S. 113. 410 THRONTVEIT, When Kings Speak, 113–118. 411 Insofern ist der Brief auf die Exilssituation focussiert. Mit JAPHET, HThKAT II, 390, kann man die Zielvorstellung zudem als „Wiedervereinigung unter religiösem Vorzeichen“ beschreiben. Beides eröffnet einen Horizont, der über die Verortung der Botschaft in der Regierungszeit Hiskias hinausgeht.
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
Grundproblem die kultische Unreinheit zahlreicher Festteilnehmer ist. 414 Das Problem wird über Hiskias interzessorisches Gebet und dessen Annahme durch JHWH gelöst. An das Passa schließen sich in 2Chr 30 das siebentägige Mazzotfest (v. 21f) und ein weiteres sieben Tage umfassendes Freudenfest (v. 23f: )שׁבעת־ ימים שׂמחהan. Bevor der Festbericht in v. 27 mit dem Segen der Priester und Leviten endet, unterbrechen v. 25f. den Erzählablauf mit Angaben zur Festgemeinde und zur Bewertung des Festes. 30,25 liefert die genaue Zusammensetzung der Teilnehmer. Es handelt sich um vier Gruppen: (a) die Gemeinde Judas zusammen mit Priestern und Leviten, (b) die Gemeinde jener, die zur Feier aus dem Norden gekommen sind, (c) Fremdlinge ( )גרים, die aus dem Norden gekommen sind und (d) Fremdlinge, die in Juda leben. 415 Diese Aufstellung entspricht den in Ex 12,43ff. getroffenen Regelungen für die Teilnehmer am Passafest, die die גרים ausdrücklich einschließen (12,48f.). Insofern betont v. 25, dass alle denkbaren Gruppen von Festteilnehmern aus Nord-Israel und Juda an Hiskias Passafest teilgenommen haben. Auf die damit gegebene Einheit von Nord und Süd 416 hebt auch der Vergleich mit der Zeit Salomos in v. 26 ab; von Rehabeam bis Ahas konnte es wegen des bestehenden Nord königtums kein derartiges gemeinsames Fest geben. 30,25f. schlagen einen Bogen zurück zu v. 5 und präzisieren, inwiefern und wie lange schon das Passa in Jerusalem nicht mehr wie vorgeschrieben gefeiert wurde. 412 V. 15b–16a liefern eine Information nach, die von v. 3b her gefordert war (vgl. auch 2Chr 29,34). Einer der Gründe für die Verschiebung des Festes war die mangelnde Vorbereitung der Priester. Deren Vollzug wird jetzt berichtet, wobei die Satzstellung (wX-qatal) in v. 15b die Vorzeitigkeit anzeigt (vgl. JAPHET , HThKAT II, 394). Bei den Opfern in v. 15b handelt es sich also nicht um Opfer, die der Heiligung der Priester dienen (gegen STEINS, Chronik, 148, der den Vers auf das Passa-Opfer bezieht). Auf die nun gegebene Dienstbereitschaft bezieht sich auch die Aussage כתורת משׁה אישׁ־האלהיםv. 16a, sie soll also nicht über die Autorität des Mose die in v. 16bff. geschilderten besonderen Umstände von Hiskias Passafeier rechtfertigen (anders JAPHET , HThKAT II, 396). Man kann sie, wie DÖRRFUSS , Mose, 234, bemerkt, sowohl mit v. 16a allein oder zusätzlich auch mit 15b verknüpfen. Wahrscheinlich hat Chr die Angabe aus Esr 6,18 übernommen, wo sie auf die Priester- bzw. Leviten-Ordnungen bezogen ist (zum Verhältnis von 2Chr 30 und Esr 6 vgl. unten S. 299ff.), ein konkreter Bezugstext ist wie bereits VON RAD, Geschichtsbild 42, notiert in jedem Fall schwierig zu finden. 413 Impliziert ist, dass die Leviten das Passa schlachten, vgl. v. 17b (Das Subjekt von וישׁחטוin v. 15a ist unbestimmt.). Nach den alttestamentlichen Passavorschriften (Ex 12,3–6; Dtn 16,2.6) und auch den späteren rabbinischen Regelungen (SAFRAI , Wallfahrt, 220ff.) ist dies Aufgabe der Laien. 414 Zur Unreinheit der Nord-Israeliten, vgl. unten S. 302ff. 415 Nach JAPHET, Ideology, 363, bezeichnet ארץ ישׂראלhier nicht das Nordreich, sondern „[an] area that extends beyond Israelʼs tribal territories“, so dass geographisch zwischen יהודה,a ישׂראלund ארץ ישׂראלzu unterscheiden wäre. Dagegen spricht jedoch die chiastische Struktur des Verses (Juda – Israel / Israel – Juda), der jeweils zwei Gruppen von „Israeliten“ und „Nicht-Israeliten“ nennt. Japhets Beobachtung (aaO., 362f.), dass die Verbindung ארץ ישׂראלin Chr meist im Zusammenhang mit גריםerscheint (vgl. 1Chr 22,2; 2Chr 2,17; 30,25 aber auch 34,7) lässt sich auch anders erklären: Der Begriff ישׂראלhat zwar eine lokale Konnotation, ist aber (anders als )יהודהkein Ortsname, sondern Volksname (vgl. WILLI, ארץ ישׂראל,a388). Da es sich bei den גריםum JHWH-Gläubige handelt, die zwar beschnitten, aber ethnisch gerade nicht zu Israel gehören (vgl. HAARMANN , JHWHVerehrer, 277ff. u.ö.), ist es wenig sinnvoll von Nicht-Israeliten zu reden, die „aus Israel kommen“, wohl aber von גרים הבאים מארץ ישׂראל.
2. Der inklusive Israel-Begriff
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Nach 2Chr 30 räumt Hiskia also alle denkbaren Schwierigkeiten aus dem Weg, die den Nord-Israeliten eine Pilgerfahrt nach Jerusalem und die Teilnahme am dortigen Passafest unmöglich machen könnten. Insofern ist das Kapitel geradezu als eine Einladung an die Angehörigen der Nordstämme zu lesen, sich am Jerusalemer Tempelkult zu beteiligen. Darin manifestiert sich ihre Hinwendung zu JHWH. Gleiches gilt für die Bewohner des Südreiches. Beide Gruppen sind gleichermaßen als Israeliten zur „Umkehr“ und zum „Dienst für JHWH“, ihren Gott gerufen (30,8f.). Es unterscheiden sich lediglich die Reaktionen, nicht aber der Status der zum Fest Eingeladenen; alle sind Israeliten, aber anders als die Judäer folgen nicht alle Angehörigen der Nordstämme dem Aufruf Hiskias (30,10f.12). Vielmehr gilt wieder das Muster einer individuellen Umkehr (sogar gegen den Spott der Landsleute) einzelner Nord-Israeliten. Daher stellt die in Jerusalem versammelte Festgemeinde auch nicht ganz Israel dar, sondern lediglich einen Teil des größeren Volkes (30,21). Die Hoffnung, dass dieser an Jerusalem orientierte Teil des Volkes Israel größer werde, bis sich schließlich auch die Nord-Israeliten einmütig zum Jerusalemer Tempel halten (und so Israel um das Zentrum Jerusalem wiedervereinigt sei), ist das Ideal, auf das hin Chr die weitere Entwicklung ausgerichtet sehen möchte.417 Für die Chronikbücher ist Israel somit ein genealogisch definiertes Ethnos und als solches eingebettet in die gesamte verwandtschaftlich strukDer Vergleichspunkt ist die große Freude ( )שׂמחה גדולה. Als mögliche Referenz bietet sich 2Chr 7,8–10 an, das Fest ( )החגSalomos. Es ist in der chr Darstellung das letzte Fest vor Hiskias Passa, das קהל גדול מאד... כל ישׂראלgemeinsam feiert. Zudem ist es wie Hiskias Passa das erste Fest nach der (Wieder-)Einweihung des Tempels und dauert ebenfalls zweimal sieben Tage. Auch von diesem Vergleich her manifestiert sich die These, dass die Größe der Festgemeinde und ihre gesamt-israelitische Zusammensetzung der Aspekt des hiskianischen Passas sind, den Chr besonders hervorhebt. Insofern steht 30,26 auch nicht im Widerspruch zu 2Chr 35,18 (RUDOLPH, HAT Chronik, 303.305), wo die Unvergleichlichkeitsaussage im Blick auf Josias Passa auf einen anderen Aspekt, nämlich die Durchführung des Festes (ähnlich RUDOLPH, HAT Chronik, 329) bezogen ist. 35,18 stellt allerdings heraus, dass Josia auch im Blick auf die Zusammensetzung der Festgemeinde nicht hinter Hiskia zurückfällt. Bei der Beschreibung des Festes ist Chr bemüht, die Passavorschriften aus dem Pentateuch zu harmonisie ren und so ein Modell für ein toragemäßes Passa (v. 16) zu liefern (vgl. BEN ZVI, Revisiting). Diesen Anspruch löst Hiskias Passa gerade nicht ein, schon der Festtermin ist eine Abweichung. Daher gibt es von 2Chr 35,18 her auch keine Notwendigkeit, Chr die Passafeier unter Hiskia abzusprechen, wie es seit KAUTZSCH , Heilige Schrift 583, immer wieder getan wird. 417 Vgl. WILLIAMSON , Israel, 125; BAE , Vereinte Suche, 116.198. Hier können die weiteren Linien nur angedeutet werden. Chr legt großen Wert darauf, dass die Nord-Israeliten ihren Beitrag zum Unterhalt des Tempels leisten (2Chr 31,2–8, vgl. oben S. 114). Die josianischen Kultreformen greifen anders als jene Hiskias (31,1) auf „ganz Israel“ aus (34,33). An Josias Passa nehmen Nord-Israeliten teil, ohne dass diese Tatsache eigens entfaltet werden muss (35,18). 416
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
turierte Völkerwelt. Kriterium der Zugehörigkeit zu Israel ist daher die Abstammung und die damit gegebene Verankerung im israelitischen Stämmesystem. Aufgrund dieses Kriteriums sind die Angehörigen der Nordstämme für Chr integraler Bestandteil Israels, die jedoch als Israeliten in ihrer Beziehung zu JHWH an den Jerusalemer Kult verwiesen werden. 418 2.2 Israel in Juda und Ephraim 2.2.1 Frieden für „alle Stämme Israels“ – Sach 9,1–10 Eine der Chronik vergleichbare gesamt-israelitische und zugleich Jerusalem-zentrierte Perspektive kennzeichnet die traditionell als DeuteroSacharja abgegrenzten Kapitel Sach 9–11. Einschlägig ist hier v.a. Sach 9,1–10, wo der Israel-Name ebenfalls so verwendet wird, dass er Israeliten im Gebiet des einstigen Nordreichs einschließt. Das Prophetenwort thematisiert das Ergehen Israels im Kontext einer universalen Friedenshoffnung und ist – soweit besteht weitgehend Konsens unter den Kommentatoren 419 – auf eine konkrete historische Situation bezogen. Im Blick ist wohl ein Feldzug, der von Aram ausgehend (v. 1.2a) zunächst die phönizischen Städte Tyros und Sidon (v. 3f) trifft und dessen Auswirkungen für die Philisterstädte Aschkelon, Gaza, Ekron und Aschdod geschildert werden (v. 5–7), bis sich der Text schließlich Israel zuwendet (v. 8.9f.).420
Im Werben um die Nord-Israeliten sieht auch SCHWEITZER, Reading Utopia, 110, „direct implications for the Chroniclerʼs own day. The Northerners are still invited (or should be) and they are to be received openly and without dissent“ (ähnlich DYMA , Wallfahrt, 178). 418 Zur Israel-Konzeption der Chr und ihrer Pragmatik, vgl. ausführlich unten S. 291f. bzw. 296ff. 419 Anders R UDOLPH , KAT Haggai, 176, der nicht „akute politische Ereignisse“, sondern allein die „Versicherung, daß Jahwe zu seinem Worte steht und deshalb das uralte Versprechen an Josua (Jos 13,2–9) wahrmachen will“ im Hintergrund des Wortes sieht. 420 ELLIGER, ATD, 145, sah „ein für allemal“ als erwiesen an, dass sich Sach 9 auf den Alexanderzug 332 v.Chr. bezieht. Nach ELLIGER, Zeugnis, 109f., hat der Verfasser von Sach 9,1–8 Kenntnis von der bereits erfolgten Eroberung der Mittelmeerküste bis nach Sidon und des syrischen Binnenlandes sowie der begonnenen Belagerung von Tyros. Für die nahe Zukunft erwartet er die Eroberung der Stadt und in der Folge auch Konsequenzen für die Philisterstädte. Dagegen hat KUNZ, Ablehnung, 192–242, eine Datierung in das Ende des 3. Jhs., konkret in die Endphase des 5. Syrischen Krieges vorgeschlagen. Ohne die Diskussion hier im Einzelnen aufnehmen zu können, scheint m.E. doch der breite Raum, der Tyros in Sach 9 eingeräumt wird – fünf Sätze (v. 3–4), während die meisten anderen Städte lediglich mit einem Satz bedacht sind – und die angekündigte Zerstörung (v. 4! gegen KUNZ, aaO., 98: „das Hauptinteresse liegt in der ökonomischen Depotenzierung der Phönizierstädte“) der Stadt für Elligers Ansatz zu sprechen – sei es, dass die Eroberung noch aussteht oder dass sie bereits erfolgt ist. Vor dem Hintergrund der langwierigen und aufwändigen Kampagne Alexanders ist das Gewicht dieser Stadt in Sach 9 recht gut, vor dem Hintergrund des 5. Syrischen Krieges jedoch kaum zu erklären.
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Die Zugehörigkeit von Sach 9,9f. zu v. 1–8 ist vielfach in Zweifel gezogen worden. Als Hauptargument dient dabei zumeist die Annahme, dass v. 9 mit der Anrede in der zweiten Person einen Neueinsatz markiere.421 Daneben werden unterschiedliche Gattungen – prophetisches Unheilswort v. 1–8, Freudenruf/Heroldsruf v. 9f. 422 – und inhaltliche Differenzen423 angeführt. W. Rudolph notiert die immer wieder genannten inhaltlichen Anstöße: (a) in v. 1–8 schütze JHWH sein Land selbst, in v. 9f. übernehme der König diese Aufgabe; (b) v. 1–8 handele von einer Erweiterung von Israels Land, v. 9f. dagegen von der Weltherrschaft. Genauer besehen handelt es sich jedoch keineswegs um Widersprüche. (ad a) Der in v. 9 angekündigte König hat gar nicht die Funktion das Land zu schützen, sondern den Völkern Frieden zu verkündigen (v. 10: )ודבר שׁלום לגוים. Dem entspricht seine militärische Depotenzierung ( נושׁעund insbesondere )רכב על ־חמור424. Voraussetzung dafür ist der in v. 8 erreichte Zustand: JHWH selbst schützt sein „Haus“. Sogar das Ausrotten der Pferde und Streitwagen in Ephraim und Jerusalem übernimmt JHWH noch selbst (Ich-Rede JHWHs in v. 10a). Das Wirken des Königs in v. 9f. steht somit nicht im Widerspruch zu dem in v. 8 von JHWH Ausgesagten. (ad b) Das postulierte Gegenüber von Israel-Herrschaft in v. 1–8 und Weltherrschaft in v. 9f. ist zu differenzieren. Zum einen beschreibt Sach 9,1–8 m.E. nicht die Grenzen eines endzeitlichen Israel (s.i.F.). Zum anderen sind universale Perspektive und Israel-Bezug bereits in der Überschrift v. 1 miteinander verschränkt.425 Mit v. 8 ist zwar zweifellos ein Abschnittsende erreicht; dafür sprechen neben dem Einsatz mit der 2. Person in v. 9 und der Tatsache, dass mit v. 8 nun geographisch das „Haus“ JHWHs im Blick ist, auch die angedeutete Rahmenbildung mit v. 1 über die Stichworte חנהbzw. מנחהsowie עין. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass hier tatsächlich ein Abschluss gegeben ist. A. Kunz bringt denn auch gewichtige stilistische wie inhaltliche Argumente dafür vor, Sach 9,1–10 als literarische Einheit zu lesen: (a) Alternierende Redefolgen bestimmen Sach 9,1–10 insgesamt; ein Wechsel von der Prophetenrede in die Ich-Rede JHWHs ohne ausdrückliche Redeeinleitung begegnet sowohl in v. 6b.8 als auch in v. 10. 426 (b) Ein imperativischer Aufruf zum Lob wie in v. 9 muss keinen Neueinsatz bzw. eine neue Textgattung markieren, sondern kann textintern zur Markierung des Höhepunkts oder Abschlusses dienen. 427 (c) In der thematischen Progression bliebe ohne v. 9f. eine zentrale Frage offen, nämlich die nach den Konsequenzen, die das gesamte Geschehen für Israel selbst hat (vgl. die in v. 1 mit כל שׁבטי ישׂראלaufgebaute Erwartung).
Israel wird in Sach 9,1b als tribal strukturierte Größe eingeführt ( כל שׁבטי )ישׂראל, als Teilgrößen begegnen im Folgenden Juda (v. 7), sowie Jerusalem (v. 8 angesprochen im Parallelismus als בת־ציוןsowie ;בת ירושׁלםv. 10) und Ephraim (v. 10). Dabei tritt die Gliederung in Stämme zugunsten einer territorialen Aufteilung zurück, was aber dem Argumentationsgang von 421 U.a. R UDOLPH , KAT Haggai, 178; DEISSLER , NEB, 294–297; GRAF R EVENTLOW, ATD, 95; TAI, Prophetie, 37; WILLI-PLEIN, ZBK.AT, 153. 422 Vgl. DEISSLER , NEB, 294.296. 423 R UDOLPH , KAT Haggai, 178. Dennoch findet Rudolph in beiden Stücken „das gleiche eschatologische Milieu“ und sieht sie letztlich als „kerygmatische Einheit“. 424 Vgl. S CHMIDT, Hoffnung, 693ff.; TAI , Prophetie, 50f. 425 KUNZ , Ablehnung, 187. 426 AaO., 139f. 427 AaO., 166–183 mit Beispielen wie Jes 49,8–13; 54,1–10; 65,16–25; Zeph 3,1–15 u.a.m.
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v. 1–10, der im Wesentlichen geographisch strukturiert ist, entspricht. Beide Aspekte – tribale und territoriale Gliederung – stehen nebeneinander, ohne eigens entfaltet zu werden: Das Gebiet von Ephraim und Juda sowie Jerusalem bilden zusammen das „Haus“ JHWHs (v. 8), das zugleich das Stämmevolk Israel ausmacht.428 Vorausgesetzt ist, dass die Bewohner Ephraims genauso wie die Judas und Jerusalems Israeliten sind, somit zu ( כל שׁבטי ישׂראלv. 1) gehören. Die besonderen Folgen, die die in v. 2–8 angezeigte Umwälzung der politischen Verhältnisse in Israels Nachbarschaft für Israel selbst haben, kommen in v. 9f. zur Sprache. Dabei stehen sich als komplementäre Größen nicht Juda und Ephraim, 429 sondern Zion/Jerusalem und Ephraim gegenüber. K. Elliger hat daraus ableiten wollen, dass „Ephraim“ hier lediglich auf jenen schmalen Streifen nördlich von Bethel referiere, der 145 v.Chr. an Juda angegliedert worden sei. 430 Dagegen spricht jedoch zweierlei. Zum einen wäre mit damit keineswegs die in v. 1 geweckte Erwartung eingeholt, dass das Geschehen „alle Stämme Israels“ betrifft. Zum anderen umgibt die „Sicherheitszone“ (dazu i.F.), die JHWH nach v. 2–8 um sein „Haus“ legt, ein deutlich größeres Gebiet. Sie verläuft von Damaskus über Hamath weit im Norden entlang der Mittelmeerküste nach Süden und umschließt somit (zumindest431) das gesamte Gebiet des ehemaligen Nordreichs. „Ephraim“ repräsentiert auch hier – wie es einem verbreiteten Sprachgebrauch entspricht – Nord-Israel insgesamt.432 Analog kann Jerusalem in v. 10 repräsentativ für Juda stehen, 433 wobei sich der Focus auf Jerusalem aus der dargestellten Sache ergibt: hier wird der König eingesetzt und es ergeht daher an Zion/Jerusalem der Aufruf, seinen Einzug zu bejubeln (v. 9). Vorausgesetzt ist freilich, dass der neue König ebenso König über Ephraim ist (v. 10) und Jerusalem als Zentrum für Juda und Ephraim fungiert. Im Unterschied zu Elligers geographisch minimalistischer Lösung ist für A. Kunz in Sach 9,1–10 ein weitaus größeres Israel im Blick. Grundlegend für sein Verständnis sind die Deutung von ( מנחהv. 1) als „RuheVgl. RUDOLPH, KAT Haggai, 181. Vgl. den direkten Folgekontext Sach 9,13. 430 ELLIGER, ATD, 150, mit Verweis auf 1Makk 11,34. 431 Das am Orontes gelegene Hamath überrascht in dieser Reihe, macht aber nur dann größere Schwierigkeiten, wenn man in den genannten Ortslagen die Ausdehung von Israels Territorium sehen möchte (s.i.F.), das dann noch weiter reichen würde als in Ez 47. Die Stadt war zudem seit dem Ausgang des 8. Jhs. bis zum Beginn der hellenistischen Zeit verlassen (FUGMANN , Hama, 267) und auch dann nur eine relativ kleine Siedlung, die aber schon vor ihrer Umbenennung in Epiphaneia durch Antiochus IV bestanden haben muss (GRAINGER , Cities, 138f.). Denkbar ist auch, dass חמתhier für den gleichnamigen Landstrich (vgl. ארץ חמתin 2Reg 23,33; 25,21; Jer 39,5; 52,9.27) steht. 432 Vgl. R UDOLPH , KAT Haggai, 181; WILLI-PLEIN, ZBK.AT, 163. 433 R UDOLPH , aaO. 428 429
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stätte“434 JHWHs, in die Damaskus, Sidon, Tyros usw. und sogar Hamath eingeschlossen sind,435 sowie die für die weitere Interpretation entscheidende Weichenstellung, dass diese Ruhestätte mit dem in v. 8 genannten ביתgleichzusetzen sei436 und den „geographischen Rahmen für die Neubesiedlung des Landes durch die zwölf Stämme“ markiere. Angesichts der jede historische Realität übertreffenden Ausdehnung des Landes komme hier eine Restitutionserwartung437 zum Ausdruck, die mit einem „geographischen Entwurf des eschatologischen Landes“ verbunden sei und letztlich die Realisierung des Landentwurfs von Ez 47 ankündige.438 Während Kunz darin zuzustimmen ist, dass die מנחהin v. 1 territorial vorgestellt und dass mit ביתin v. 8 nicht der Tempel, sondern das Land Israels gemeint ist, sprechen folgende Beobachtungen gegen die Identifikation der beiden Größen und die von Kunz gezogenen Konsequenzen: (a) ביתיin v. 8a kann mit der Präposition לnicht den Ort des Lagerns angeben, sondern ist als Dativus commodi auf וחניתיbezogen: JHWH wird für – i.S.v. zu gunsten – sein(es) Hauses lagern. Sachlich ist wohl impliziert, dass JHWH sich schützend vor seinem oder um sein Haus herum lagert. 439 (b) V. 8 verweist zwar auf v. 1 zurück, aber der Konnex läuft über das Wortspiel חנה – מנחהund nicht über בית = מנחה. Die Inclusio markiert einen ersten Zielpunkt, d.h. die „Ruhestätte JHWHs“ wird in ihrer Funktion für Israel transparent. Das Ergebnis des gesamten in v. 1–7 entfalteten Geschehens ist eine „Sicherheitszone“ um Israel herum, zum einen durch die Entmachtung und Zerstörung der Phönizierstädte, zum anderen durch die Anerkennung JHWHs durch die Philister (veranlasst durch die Furcht, die JHWHs Wirken an Tyros bei ihnen auslöst), die damit als Gegner Israels ausfallen und zu JHWH–Verehrern aus den Völkern werden (v. 7b). 440 Dem entspricht schließlich auch die Zeichnung des kommenden Königs, der gar nicht im klassischen Sinne herrschen kann (v. 9) und dessen Herrschaft 434 So die Übersetzung bei KUNZ , Zions Weg, 10; zur Begründung vgl. KUNZ , Ablehnung, 85–88, mit dem Ergebnis, dass „ מנחהneben der Bedeutung ‚Ruhe‘ zugleich die Konnotation ‚Land‘ aufweist“ (aaO., 85). 435 AaO., 89ff. 436 Nach der schematischen Darstellung, aaO., 146, besteht zwischen den Begriffen die Relation „implizite Wiederaufnahme“. 437 R UDOLPH , KAT Haggai, 170, vermutet, „dass hier die Wiederherstellung des davidischen Großreichs im Norden angekündigt werde“. 438 KUNZ , Ablehnung, 156. 439 So im Übrigen auch in Ps 34,8, den KUNZ , Ablehnung, 116, als Analogie anführt. 440 Die Philister werden von JHWH (Ich-Rede in v. 6b.7a) selbst geläutert. KUNZ , Ablehnung, 103ff., möchte die Objektsuffixe der 3. P. sg. in v. 7a an ( ממזרv. 5b) anschließen, so dass die Reinigung lediglich die Mischbevölkerung in Aschdod beträfe. Dagegen spricht jedoch, dass v. 6b und 7a als Gottesrede in der 1. P. aufeinander zu beziehen sind und ausweislich der Nennung von Ekron (7b) nicht allein die Aschdoditen im Blick sind. Zudem liegt ein Rückbezug auf das Kollektivum פלשׁתיםmit Singular-Suffixen durchaus in den Möglichkeiten der hebräischen Syntax, vgl. Ges-K § 145 l-m.
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(v. 10: )משׁלוallein darin besteht, den Völkern Frieden zuzusprechen (ודבר )שׁלום לגוים.441 Die genannten Ortslagen umgeben in einem weiten Bogen vom Nordosten in den Südwesten das israelitisch–judäische Kernland, was sich gut in das Bild einer schützenden Zone fügt. (c) Die Orte von v. 1–7 werden an keiner Stelle als Territorium Israels, sondern durchgehend als Bereich JHWHs dargestellt.442 Damaskus ist „JHWHs Ruhestätte“ (v. 1), „Adonai“ wird Tyros in Besitz nehmen (v. 4) und „unserem Gott“ (v. 7) werden die gereinigten Bewohner der Philisterstädte angehören. Wenn Possessiv-Verhältnisse ausgedrückt werden, sind sie immer auf JHWH bzw. entsprechende Renominalisierungen ( אדני, )אלהינוbezogen. (d) Schließlich ist fraglich, ob in Sach 9 überhaupt „auf Ez 47,15-20 Bezug genommen wird“443. Die Bezüge sind bei genauerer Betrachtung dünn. N.H. Tai nennt „Gemeinsamkeiten im Vokabular“, führt dafür aber lediglich die Wendung שׁבטי ישׂראלan,444 und die „Berührung … in der Beschreibung der Nordgrenze“. Letztere beschränkt sich aber auf die Nennung von Damaskus, da ( חמתSach 9,2) nicht einfach mit ( לבוא חמתEz 47,16) zu identifizieren ist.445 Bei einer intertextuellen Beziehung, die wie Kunz annimmt, nicht nur für die Textproduktion in Rechnung zu stellen ist, sondern auch für die Rezipienten erkennbar gewesen sein soll, wäre eine deutlich stärkere Markierung zu erwarten. Aber auch konzeptionell unterZiel der Reinigung ist die Zuordnung der Philister zu JHWH, nicht ihre Eingliederung in das Volk Israel (vgl. TAI, Prophetie, 22; WILLI-PLEIN, ZBK.AT, 158f.; gegen IRSIGLER , Gottesvolk, 223f.). In dieser Hinsicht sind sie den Jebusitern vergleichbar, die nach Jos 15,63; Jdc 1,21 als Nicht-Israeliten im Gebiet Israels verblieben. Das Pendant im Parallelismus אלֻ ף ביהודהweist in die gleiche Richtung. Eine Änderung der Vokalisation zu אֶלֶף, wie seit WELLHAUSEN , Propheten, 188, oft vorgenommen, ist angesichts des eindeutigen Befunds der Versionen nicht notwendig. Die Belege für אלוףsind nicht gerade zahlreich; in der Bedeutung „Vertrauter“ begegnet das Nomen in Jer 3,4; 13,21; Mi 7,5; Ps 55,14; Prov 2,17; 16,28; 17,9; vgl. Jer 11,19; Ps 144,14. Darüber hinaus erscheint es als Titel für edomitische Stammeshäupter (Gen 36; Ex 15,15; 1Chr 1,51–54). Beides lässt (rück wirkend auch für den Jebusitervergleich) auf eine positiv konnotierte Stellung schließen. Wie die Jebusiter bleiben die Philister eine von Juda distinkte Gruppe, als „Würdenträger“ in Juda (ב יהודה, keine Constructus-Verbindung wie in den Edomiter-Listen von Gen 36 bzw. 1Chr 1,51ff.) und nicht als in Juda aufgehende Gruppe (WILLI-PLEIN, Prophetie, 8). 441 Vgl. SCHMIDT, Hoffnung, 695–698, der die prophetischen Züge an diesem „König“ herausstellt. 442 Vgl. TAI , Prophetie, 22. 443 KUNZ , Ablehnung 91. 444 TAI , Prophetie, 21. Da שׁבטי ישׂראלaber bei den Propheten sonst nur noch in Hos 5,9 begegne, sei die Wendung „ein Beweis dafür, daß DtSach sich sprachlich auf Ez stützt“. Allerdings zeigt ein Seitenblick über die Propheten hinaus, dass die Wendung in nachexilischer Zeit durchaus gebräuchlich war, vgl. nur Esr 6,17; 1Chr 27,16.22; 29,6; 2Chr 6,5; 11,16; 12,13; 33,7. TAI, aaO., nennt weiterhin das Lexem גבול, das aber in Sach 9 gar nicht begegnet. 445 ZIMMERLI , BK, 1215f., lokalisiert לבוא חמתin der Gegend von Ribla.
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scheiden sich beide Texte: Von einer Neubesiedlung des Landes durch die Stämme Israels, die bei Ezechiel die Pointe ist, ist in Sach 9 gar keine Rede. Es ist vielmehr vorausgesetzt, dass sich Israeliten im Land befinden, anderenfalls wäre die angekündigte Vernichtung des Kriegsgeräts in Jerusalem und Ephraim kaum verständlich. Insgesamt spricht also wenig für einen direkten Zusammenhang von Ez 47 und Sach 9; die eschatologische Landkonzeption Ezechiels fällt als Deutefolie für Sach 9 aus. Damit gewinnt Sach 9,1–10 aber eine deutlich konkretere und in Bezug auf Israels Territorium realistischere Stoßrichtung. Mit dem Geschehen (dem Alexanderzug?446), das in Sidon und Tyros bereits begonnen hat, verknüpft das Prophetenwort die Hoffnung auf ein Eingreifen JHWHs, welches zu Frieden für Israel und zur Ruhe vor seinen äußeren Feinden führt. Das „Israel“, von dem hier die Rede ist, umfasst Juda sowie Jerusalem und Ephraim. In dieser territorial basierten und auf Palästina focussierten Zuordnung spielt die Frage von exilierten Israeliten folgerichtig auch keine Rolle. Die von W. Rudolph postulierte Alternative, dass wenn von Ephraim als Teil Israels gesprochen wird, entweder ein vorexilischer Text vorliege oder die „eschatologische Sphäre“ berührt sei,447 erweist sich in Sach 9 – wie auch in der Chronik – als zu einfach. Im Blick auf den Sprachgebrauch zeigt Sach 9,1–10 ein differenziertes Bild: „Juda“ steht für den Bereich des ehemaligen Südreiches, „Ephraim“ für das nördliche Gebiet, „Israel“ für die beide einschließende übergeordnete Größe. Die in Sach 9,1–10 erhobene gesamt-israelitische und zugleich Jerusalem-zentrierte Perspektive prägt Sach 9–11 insgesamt. 448 Sie wird der Fortschreibung Sach 9,11–17 449 beibehalten, die ein gemeinsames Vorgehen von יהודהund ( אפריםv. 13) gegen die äußeren Feinde ankündigt. Beide werden als als ( בני ציוןv. 13) zusammengefasst, womit sich wie in 9,9f. die Verknüpfung mit Jerusalem ergibt. Ausweislich von בני יוןa(9,13) ist der Text deutlich in hellenistischer Zeit zu verorten. 450 Auch die Zeichenhandlung Sach 11,4–14, die mit dem Bild der sich untereinander zerfleischenden und ihres Hirten überdrüssigen Herde die Hoffnungsperspektiven von Sach 9f. geradezu konterkariert, stellt Juda und Israel ( ישׂראלin v. 14 allerdings als Bezeichnung des Nordens!) als eigentlich zusammengehörige Größe vor, deren Einheit bzw. Bruderschaft ( )אחוהnun symbolisch zerbrochen wird.
Zur historischen Einordnung vgl. oben S. 154, Anm. 420. RUDOLPH, KAT Haggai, 181. Ähnlich auch KUNZ , Ablehnung, 82: „für das nachexilische Denken [kann] der Ausdruck ‚alle Stämme Israels‘ nur eine Restitutionshoffnung bedeuten.“ 448 Sie ist in Sach 12–14 verlassen. „Israel“ wird eingangs genannt (12,1), referiert allerdings auf Jerusalem und Juda, wo nun (mit der möglichen Ausnahme von 13,7–9, vgl. STECK, Abschluß, 39f.) der Focus der Kapitel liegt. 449 Zu Abgrenzung und Fortschreibungscharakter, KUNZ , Ablehnung 45ff.; ähnlich bereits STECK, Abschluß, 35ff.; vgl. WILLI-PLEIN, ZBK.AT, 172. Zu Sach 10,3b–12 vgl. oben S. 93f. 446 447
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2.2.2 Hoffnungen auf Versöhnung und die Wiedervereinigung Israels (Jes 11,11–16; Hos 2,1–3; Ob 15–21) Die Hoffnung auf eine Versöhnung oder sogar Wiedervereinigung des judäisch-benjaminitischen Südens mit dem samarischen Norden war offensichtlich weder nach dem Verlust der politischen Autonomie im Nordreich noch nach dem Exil vollständig verloren gegangen. Zeugnis dafür legen prophetische Texte wie Jes 11,11–16; Hos 2,1–3; Ob *15–21 ab, 451 die analog zu Sach 9 gesamt-israelitische Erwartungen formulieren. Die unverkennbaren Unterschiede in den Details lassen es nicht geraten erscheinen, hier einen gemeinsamen Redaktor zu vermuten, der sein Anliegen an verschiedenen Stellen eingetragen hat. Vielmehr ist von unterschiedlichen Ausprägungen eines Verheißungstopos auszugehen, der durch Einschreibungen in verschiedene Prophetenbücher Eingang gefunden hat. Der prominenteste Vertreter dieser Textgruppe ist zweifellos Jes 11. Jes 11,11–16 ergänzen die Verheißungen von v. 1–5 (idealer König) und v. 6–9 (friedvoller Heilszustand) um einen weiteren Aspekt: die Restitution des Gottesvolkes in seinem Land. Jes 11,11–16 erweisen sich als sorgfältig komponierte Einheit. 452 Die Eröffnungsformel והיה ביום ההואmarkiert den Neueinsatz. V. 11 und 16 bilden – verbunden über die Phrase – שׁאר עמו אשׁר ישׁארeine abrundende Inclusio.453 Dem korrespondiert eine analoge Verschränkung in der thematischen Progression des Textes. V. 11 kündigt ein erneutes EinDie Mehrheit der Exegeten denkt an das späte 4. oder das 3. Jh. v.Chr., so u.a. RUDOLPH , KAT Haggai, 187; STECK, Abschluß, 35f.37; WILLI-PLEIN, ZBK.AT, 172.176. OTZEN, Studien, vertritt eine vorexilische Ansetzung, versteht Ägypten und Assur im Wortsinn (aaO., 35–45), muss dann aber בני יוןumständlich als griechische Söldner im Ägypten des 7. Jh.s erklären (aaO., 45–58); PETERSEN, OTL, 61–63, sowie GRAF REVENT LOW , ATD, 88, plädieren für eine Ansetzung in der Perserzeit, letzterer u.a. mit dem Argument, dass in dieser Zeit noch „in bestimmten Kreisen mit einer Widerherstellung Gesamt-Israels aus Nord- und Südreich gerechnet werde“ (dazu i.F.). Eine sehr späte Datierung in die Vorwehen der innerjudäischen Auseinandersetzungen der Makkabäerzeit (Sach 9,11–17) bzw. die Makkabäerzeit selbst (10,3b–12) schlägt KUNZ, Ablehnung, 320– 324.365–370, vor. Diese Verortung ist eine logische Folge der Spätdatierung von Sach 9,1–10 (dazu oben Anm. 420). 451 Vgl. auch Ez 37,15ff. (s. oben S. 84ff.); Jer 3,18; 30,1–3; 31,27–34 (s. oben S. 93), allerdings verbunden mit der Vorstellung ganz Israel befinde sich im Exil. 452 Die Einheitlichkeit des Abschnitts ist vereinzelt bezweifelt worden: KAISER , ATD, 248, setzt 11,15f. ab und deutet auch für v. 13f. an, dass die Verse eine Ergänzung zu v. 12f. sein könnten. Weitgehend Konsens besteht darüber, dass in v. 11b ab ומפתרוסsukzessive Komplettierungen vorliegen, die – möglicherweiser angestoßen durch מארבע כנפות ( הארץv. 12) – die Wohnorte der Diaspora nachtragen (anders VERMEYLEN, Prophète I, 278; KILIAN, NEB, 91). ומאיי היםfehlt noch in Ö. 453 VERMEYLEN, Prophète I, 278. Dass Ägypten in v. 16a nicht genannt ist, muss nicht heißen, dass es in v. 11 ursprünglich nicht enhalten war (gegen WILDBERGER, BK, 465; BEUKEN, HThKAT, 306). Schließlich bietet v. 16b das Stichwort in betonter Finalstellung und auch v. 15 setzt ebenfalls das Nebeneinander von Assur und Ägypten voraus. 450
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greifen JHWHs an, symbolisiert durch das Erheben seines Arms. 454 Ziel dieses Eingreifens ist JHWHs Inbesitznahme ( )קנה455 jenes Rests des ihm bereits gehörenden Volkes ()עמו, der sich gegenwärtig noch in Assur und Ägypten befindet. V. 12–15 entfalten die dazu nötigen Schritte: die Sammlung der Exilierten (12), die Überwindung der Zwietracht zwischen Juda und Ephraim (13), die Vorbereitung des Siedlungsgebiets durch territoriale Ausdehnung (14) und die Bereitstellung eines Wegs für die Rückkehrer (15). Mit v. 16 ist schließlich der Punkt unmittelbar vor der Umsetzung des Ziels erreicht; O.H. Steck hat ihn mit „bereitete Heimkehr“ 456 treffend beschrieben: alle Hindernisse, die der Rückkehr im Wege standen, sind beseitigt. Im Blick auf die geographischen Größen zeigt sich wiederum eine konzentrische Struktur: 11f. Gola (Assur und Ägypten) – 13f. Land (Juda, Ephraim, unmittelbare Nachbarn) – 15f. Gola (Assur und Ägypten).
Historischer Hintergrund von Jes 11,11–16 ist eine weiträumige Diaspora mit Schwerpunkten in Mesopotamien ( )אשׁורund Ägypten (v. 11), aber auch darüber hinaus (v. 12: )ארבע כנפות הארץ. Das ist sicher nicht die Situation im oder kurz nach dem Exil, sondern spiegelt Gegebenheiten seit der fortgeschrittenen Perserzeit. Dazu fügt sich, dass zumindest „Assur“ zweifellos als Chiffre gebraucht ist. Ausweislich der Nennung einer judäischen Gola in v. 12 müssen das babylonische Exil und damit auch der Untergang des Assyrerreiches bereits in der Vergangenheit liegen. Der Versuch, den Rest des Volkes, der aus Assur zurückkehrt, auf die von den Assyrern deportierten Angehörigen des Nordreichs Israel zu beziehen, führt in die Aporie, dass für die judäische Gola dann nur Ägypten bliebe und Babylon, das Zentrum der judäischen Diaspora, gerade fehlen würde.457 „Assur“ ist somit Chiffre für das Perser- 458 oder, wie das Nebeneinander von Assur und Ägypten nahelegt, bereits für das Seleukidenreich.459 Der „Rest“ ist mithin auch nicht alles, was von JHWHs Volk geblieben wäre bzw. Assur und Ägypten übriggelassen hätten, sondern der immer noch in der Diaspora verbliebene ( ישׁארDurativ!) Teil eines größeren Israel. Letzteres ergibt sich schon daraus, dass es in der Heimat zur Versöhnung zwischen Juda und Ephraim kommen kann, noch bevor die Exulanten sich auf den Weg machen, der in v. 15f. erst gebahnt wird. Der in v. 11 eingeführte Rest wird in v. 12 als נדחי ישׂראלbzw. נפצות יהודה näher bestimmt. Handelt sich bei den „Vertriebenen Israels“ und „Ver454 Anstelle von שׁניתist vermutlich שׂאתzu lesen, vgl. zur Begründung WILDBERGER , BK, 463, sowie die Diskussion anderer Vorschläge bei WILLIAMSON, Redaction, 355–357. 455 B EUKEN , HThKAT, 318, spricht zu Recht von der „Ausübung seines Eigentumsanspruchs“. קנהbezeichnet i.d.R. das Inbesitznehmen von beweglichen oder unbeweglichen Gütern, bezogen auf das Verhältnis zwischen JHWH und Israel erscheint es neben Jes 11,11 noch in Ex 15,16; Ps 74,2; 78,54 (vgl. LIPIŃSKI, ThWAT קנה,a65). 456 So der Titel seiner 1985 erschienen Studie zu Jes 35. 457 WILDBERGER , BK, 466. OSWALT, NICOT, 286, möchte mit dem Argument, da Babel nicht genannt wird, könne der Abschnitt nicht nach 586 geschrieben sein, Jes 11,11–16 für den historischen Jesaja retten. SWEENEY, Jesse's New Shoot, 104, führt das Fehlen Babylons für seine Verortung des Textes in der Josia-Zeit ins Feld. 458 Vgl. Esr 6,22. 459 Vgl. Jes 19,23ff.; 27,12; Mi 7,12; Sach 10,10ff.
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streuten Judas“ um Bezeichnungen derselben Größe oder referiert „Israel“ auf das ehemalige Nord- und „Juda“ auf das ehemalige Südreich? Im ersten Fall fungierte „Israel“ als alternative Bezeichnung für Juda, d.h. erwartet wird die Rückkehr der judäischen Gola. Im zweiten Fall wären bei den Verfassern Hoffnungen auf Heimkehr – vielleicht sogar Kenntnisse über den Verbleib?460 – der im 8. Jh. deportierten Nord-Israeliten anzunehmen. Beide Constructus-Verbindungen stehen chiastisch verschränkt im Parallelismus, wobei 12a und 12b die gleiche grammatische Konstruktion aufweisen, 12a und b entsprechen sich dagegen nicht. Daher ist vermutlich für 12a und 12b Synonymie intendiert, während die beiden übrigen Kola einen je eigenen Aspekt nennen. Für Synonymie spricht zudem die Geschlechterdifferenz zwischen ( נדחיםmasc.) und ( נפצותfem.), die als „morphologischer Merismus“ jeweils für das ganze Volk steht. 461 „Israel“ in v. 16 bezeichnet die Exodus-Generation und ist für keine der Alternativen in Anschlag zu bringen. Das Wortpaar „Israel“-„Juda“ erscheint im Jesajabuch neben 11,12 nur noch in 5,7 und 48,1. An beiden Stellen dient „Israel“ als alternative Bezeichnung Judas.462 Sicher ausgeschlossen ist eine Deutung als synthetischer Parallelismus, d.h. ohne Synonymie der Glieder, aufgrund dieser Beobachtungen freilich nicht.
Angesichts der angedeutet späten Entstehungszeit des Textes ist der zweite Fall weniger wahrscheinlich, aber nicht undenkbar. Ez 37,15–24 sowie Ez 47f. oder auch Jer 3,8; 30,1–3; 31,27–34 rechnen mit Nord-Israeliten im Exil.463 Die Frage ist auf der Basis von Jes 11,11–16 allein letztlich nicht zu entscheiden. Ein etwas klareres Bild ergibt sich, zieht man Jes 11,11–16 verwandte Texte hinzu. Bei Jes 11,11–16 handelt es sich um ein den vorliegenden Kontext verarbeitendes und auf ihn hin konzipiertes Stück. Die Rede vom erneuten Ausstrecken des Arms (v. 11) 464 verknüpft 11,11–16 mit dem Refrain des Kehrversgedichts ( בכל זאת לא שׁב אפו ועוד ידו נטויהJes 5,25; 9,11.16.20; 10,4). Auf die engen Bezüge zu Jes 5,25f. hat H.G.M. Williamson zu Recht aufmerksam gemacht.465 Jes 11,11–16 bieten geradezu eine Umkehr der Drohung von 5,25–29, wobei die Einzelzüge aufgenommen und jeweils in Verheißungsbilder gewendet werden: 5,25 JHWH streckt seine Hand im Zorn über sein Volk aus – 11,11 JHWH streckt seine Hand wieder aus, um sein Volk zurückzuholen; 5,26 JHWH ruft das 460 WILDBERGER , BK, 470, deutet die Möglichkeit an. DEMSKY, B ym, 250f., versucht sie über die Identifikation des schwierigen בעיםin 11,15 mit Bīt-Baḫiān am Oberlauf des Habor, d.h. der Region der nord-israelitischen Gola nach 2Reg 17,6; 18,11, zu erhärten. Zu einen ähnlichen Versuch bei Ob 20, vgl. unten S. 170 Anm. 497. 461 B EUKEN , HThKAT, 319, Anm. 38. 462 Zu Jes 5,7 vgl. S. 198ff.; zu 48,1 S. 361 Anm. 298. 463 Für Ez 37 vgl. oben S. 84ff.; Ez 47f. oben S. 94ff.; Jer 3; 30 oben S. 93. 464 Liest man anstelle von שׁניתden Inf. ( שׂאתdazu oben Anm. 454) bezieht sich die Wiederholung ( )יוסיףauf das Erheben des Arms und nicht auf לקנות, so dass sich die Diskussion, ob der Vergleichspunkt der Auszug aus Ägypten oder eine erste Rückkehrwelle nach dem Exil sei, erübrigen würde; die verschiedenen Positionen hat BEUKEN, HThKAT, 317, zusammengestellt. 465 WILLIAMSON , Redaction, 344f., vgl. zuvor bereits VERMEYLEN, Prophète I, 278, Anm. 4.
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feindliche Volk herbei – 11,12 JHWH sammelt sein Volk; 5,26 das „Feldzeichen für die Völker“ ( )נס לגויםdient als Wegweiser für die Feinde – 11,12 das Feldzeichen für die Völker dient der Heimkehr Israels. Das Gegeneinander von Ephraim und Juda (11,13) klingt ebenfalls bereits in 9,20 an. 466 Auch diesbezüglich kündigt Jes 11 eine grundlegende Wende an. Jes 5,25ff. gehören zu der älteren Komposition Jes *1,21–11,5. 467 Diese Tatsache und der Ort von 11,11–16 (im Anschluss an das Ende der Komposition 11,1–5 und einer ersten Fortschreibung in 11,6–9 468) legen nahe, dass 11,11–16 die Komposition bereits literarisch voraussetzen. Die Annahme wird möglicherweise dadurch gestützt, dass auch darüber hinaus eine analoge Verarbeitung älteren Materials wie die Fremdvölkerorakel Jes 13–23 erkennbar ist. Jes 11,14 wird meist so gedeutet, dass über die genannten Völker – Philister, „Ostleute“, Edom, Moab, Ammon – an die Ausdehnung des vereinigten Königreichs unter David und Salomo angespielt und dessen Restitution verheißen werde.469 In der Tat hat David nach 2Sam 8; 10; 12,29ff. die Philister, Edom, Moab und Ammon unterworfen. Vermutet man hinter den בני קדםAramäer470 fügen sie sich ebenfalls in das Bild (vgl. 2Sam 10,15–19). Die auffällige Differenzierung, dass den vereinigten Judäern und Ephraimiten zwar das Territorium der Philister sowie Edom und Moab zugeeignet werden, die Ostleute und Ammoniter aber zur Plünderung bzw. als Untertanen471 verbleiben, könnte damit zusammenhängen, dass Letztere in den Fremdvölkerorakeln nicht vorkommen und somit im Jesaja-Kontext keine Gerichtsankündigung gegen sie vorlag.472 VERMEYLEN, Prophète I, 278, Anm. 4. Dazu unten S. 207 Anm. 173. Gegen WILLIAMSON , aaO., der Jes 5,25–29 und 11,11–16 einem Redaktor zuschreibt, der 5,25ff. aus ihrem ursprünglichen Kontext 9,7–10,4 herausgenommen und als Abschluss hinter „the lengthy and varied invective“ Jes *2,6–5,24 gestellt habe. Jes 11,11–16 seien als korrespondierender Abschluss für Jes 6,1–11,9 gebildet worden, die „a good deal of more hopeful material“ böten (aaO., 346). Auf den Redaktor, der zudem den Plural גויםin Jes 5,26; Jes 5,30 sowie 8,21–23a eingetragen habe, gehe eine in der Exilszeit gesche hene Zusammenstellung älteren Jesaja-Materials nach dem Ordnungsschema vergangenes Gericht und bevorstehendes Heil zurück (354f.). Die These wirft jedoch Fragen auf: zum einen sind Jes 6–11 wohl kaum durchgehend Heilsworte (das Problem sieht WILLIAMSON , aaO., 354, selbst), zum anderen ist fraglich, ob in exilischer Zeit nicht bereits mehr als relativ unzusammenhängende Jesajaworte vorlagen. 468 Für die diachrone Unterscheidung von 11,1–5 und 6ff. gibt es gute Gründe, dazu ausführlich STECK, Beobachtungen, 104–108; vgl. BARTH, Jesaja-Worte, 60–62. V. 10 verbindet Stichworte aus 11,1 ( )שׁרשׁ ישׁיmit solchen aus 11,11ff. (נס, )גויםund dient als Verknüpfung zwischen 1–9 und 11–16 (so bereits MARTI, KHC, 114; vgl. CHILDS , OTL, 105; BEUKEN, HThKAT, 315f.). 469 So u.a. KAISER , ATD, 252; WILDBERGER , BK, 471f.; BEUKEN , HThKAT, 321f. 470 Belege und Literatur bei WILDBERGER , BK, 472. 471 Zur Erklärung von משׁמעת, ebd. 472 Vgl. S TECK, Heimkehr, 63. Unabhängig davon, ob sich die Zusammenstellung der Völker nun der Aufnahme von Traditionen über das David-Reich oder der literarischen Verarbeitung des Jesaja-Kontextes verdankt (oder einer Kombination aus beiden Faktoren), eine Notwendigkeit Jes 11,11–16 in vorexilischer Zeit zu verorten, weil einige dieser Völker in nachexilischer Zeit keine Rolle mehr spielten, besteht nicht (gegen SWEENEY, Jesse's New Shoot, 104). 466 467
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Diese aus dem näheren Kontext bezogenen Hinweise, dass Jes 11,11–16 größere Teile des späteren Jesajabuches kennen und verarbeiten, erhärten sich durch die literarischen Horizonte des Textes. Wegweisend ist hier die Studie von O.H. Steck, der die engen Verbindungen von Jes 11,11–16 zu Jes 27,12f. und v.a. zu 35 aufzeigt. 473 Jes 27,12f. kündigen wie Jes 11,11– 16 die vollständige Sammlung der Diaspora (mit dem Bild des Zusammentragens von Getreide) und ihre Rückkehr aus Mesopotamien (wie in 11,11. 16 )אשׁורund Ägypten an. Die Deportierten werden dabei in 27,12 insgesamt als בני ישׂראלangesprochen; „Israel“ referiert somit auf alle Angehörigen dieser – angesichts der Schwerpunkte in Mesopotamien und Ägypten – judäischen Gola. Von 27,12 her ergibt sich für 11,12 zumindest die deutliche Tendenz, dass „Israel“ auch hier als alternative Bezeichnung für Juda dient und somit an die Rückkehr jener Teile der judäischen Diaspora gedacht ist, die weiterhin fern der Heimat leben. Wendet sich der Text den Verhältnissen in Palästina zu (v. 13f.) erscheinen für das Gegenüber von Nord und Süd keine Gentilizia, sondern die Toponyme אפריםund יהודה. Für „Ephraim“ ist der Gebrauch als Landschaftsbezeichnung ohnehin vorherrschend,474 für „Juda“ ergibt sich die Realisierung dieser Möglichkeit in der Semantik des Begriffs aus dem Gegenüber zu Ephraim. Auch als Toponyme können die Begriffe freilich personifiziert und in 13b.14 zu Textakteuren werden. V. 13 gibt einige Rätsel auf. V. 13b geht vom Ende einer gegenseitigen Feindschaft – Eifersucht ( )קנאvon Seiten Ephraims, Bedrückung ( )צררvon Seiten Judas – aus, v. 13a scheint eine andere Situation zu spiegeln: die Feindschaft liegt hier allein bei Ephraim, seine Eifersucht muss weichen und Judas Bedrücker (in Ephraim?) sollen ausgerottet werden. Oder ist an Bedrücker Ephraims aus Juda gedacht? Ein genitivus partitivus ist im Hebräischen zwar möglich, dient aber in der Regel zur Darstellung des Superlativs 475, zudem gibt das nomen rectum in der Verbindung X צרר/ צרריsonst stets das Objekt an. 476 Daher hat man redaktionelle Eingriffe, konkret in 13b einen Nachtrag vermutet, der den ursprünglichen Vorwurf gegen Ephraim zu einem reziproken Verhältnis ausgeweitet habe.477 Da ohne v. 13b die logische Voraussetzung für den Wechsel in die 3. Pers. pl. in v. 14 fehlen würden, kann der Halbvers aber nicht ohne Weiteres gestrichen werden. Recht spekulativ ist das Postulat eines Abstraktnomens צ ֹרֽרִ יםoder צֽרֻרִ יםmit der Bedeutung „Feinschaft“ oder „Bedrängung“.478 Bedenkenswert scheint jedoch der alte Vorschlag K. Martis, אפריםsei Objekt zu קנאת. Dafür lassen sich Parallelen benennen (Jes 473 S TECK, Heimkehr, 60–64. S TECK findet hier und in weiteren Texten (vgl. die Übersicht aaO., 80) die „Spur einer Großjesaja-Redaktion“, die frühhellenistischer Zeit Protojesaja-Material mit Deuterojesaja und tritojesajanischen Textzusammenhängen verbindet. Die komplexe Diskussion zum Werden des Jesaja-Buches kann hier nicht aufgenommen werden. 474 Anders als noch in Jes 9,20 (Ephraim und Manasse) steht „Ephraim“ hier pars pro toto für den gesamten Norden. Zu Ephraim vgl. die Andeutungen oben S. 49f. 475 Vgl. Ges-K. § 128,2i.r. 476 Vgl. Am 5,12; Ps 143,12; Est 3,10; 8,1; 9,10.24. 477 B EUKEN , HThKAT, 321, schon DUHM , HK, 110, galt v. 13b als „unrichtig erklärende Glosse“.
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26,11; Ps 69,10). V. 13b nimmt v. 13a dann nicht nur in der Struktur, sondern auch in der Sache gespiegelt auf: Und es wird weichen der Eifer gegen Ephraim und Ephraim wird nicht mehr gegen Juda eifern
und die Bedränger Judas werden ausgerottet und Juda wird Ephraim nicht mehr bedrängen.
Der Israel-Name fällt in 11,13f. nicht. Ephraim und Juda, d.h. das Gebiet von ehemaligen Süd- und Nordreich, werden trotz der offensichtlich zur historischen Realität der Verfasser gehörenden Spannungen479 als zusammengehörig verstanden. Die Überwindung ihrer Rivalität ist eine Voraussetzung für die ausstehende Rückkehr der restlichen Diaspora. Für den Israel-Begriff in Jes 11,11–16 lässt sich somit festhalten: „Israel“ dient als Alternative zu Juda und bezeichnet im konkreten Fall (v. 12) die judäische Gola. Damit ist jedoch keine Eingrenzung Israels auf die Exulanten gegeben, sondern der gesamte Abschnitt lebt von der doppelten Perspektive auf Israel in der Diaspora und im Land, wobei hier Juda und Ephraim als zusammengehörige Größen verstanden sind. Anders gesagt: Jes 11 geht von Israeliten in Juda und Ephraim sowie als judäische Diaspora aus. Damit rückt der Abschnitt konzeptionell in die Nähe der Chronik, die ebenfalls diese doppelte Perspektive kennt. Nimmt man Jes 27,12f. und Jes 35 hinzu, weist auch die zentrale Rolle, die Jerusalem zugewiesen wird (27,13; 35,10), in die Nähe der Chronik bzw. von Deutero-Sacharja. Damit würde sich die oben angedeutete Datierung des Textes in die (frühe) hellenistische Zeit bestätigen. Hos 2,1–3 ist eine Fortschreibung, die vorliegende Hosea-Texte verarbeitet, sich mit ihnen auseinandersetzt und sie in einen neuen Deutehorizont stellt.480 Die Verse entwerfen eine weitgespannte Heilshoffnung für ganz Israel481 (v. 1: )בני־ישׂראלaus Süd und Nord (v. 2: בני־ יהודה ובני־ )ישׂראל, die in den Aspekten Mehrung und Einigung besteht: (a) Mit Formulierungen, die an die Väterverheißungen erinnern (vgl. Gen 32,13; 22,17 für die Formulierungen auch Jer 33,22) wird Israel eine umfassende 478 So WILDBERGER , BK, 464, unter Verweis auf ältere Vorschläge von JOÜON , Notes, 195, und PROCKSCH , KAT, 158. 479 Der Hinweis auf Rivalitäten zwischen Ephraim und Juda lässt kaum eine konkrete historische Situation schließen, sie scheinen über weite Strecken der Geschichte Israels eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Entsprechend vielfältig fallen die Versuche aus, die v. 13a als Anspielung auf eine solche zu deuten: Sie reichen von der Königs- (z.B. BEUKEN, HThKAT, 321) bis in die Makkabäerzeit (DUHM , HK, 110), vgl. die Zusammenstellung der Positionen bei WILDBERGER, BK, 466f.). Jes 11,13f. behandeln diese Spannung jedenfalls als gegenwärtig bestehendes Problem. 480 Nachtragscharakter und nachhoseanische Herkunft von Hos 2,1–3 sind in der Forschung bis auf wenige Ausnahmen (z.B. ANDERSEN & FREEDMAN , AncB, 199ff.) unstrittig. RUDOLPH , KAT Hosea, 56, und WOLFF, BK Hosea, 28ff., vermuten die Einarbeitung genuiner Hosea-Worte.
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Mehrung zugesagt. In der Folge (über)füllen (v. 2: )עלו מן־הארץJuda und Israel das Land.482 (b) Sie werden sich versammeln und einen gemeinsamen Herrscher (v. 2: )ראשׁ אחד483 einsetzen, wobei die Versammlung hier nicht die Rückkehr aus dem Exil meint, sondern das Zusammenkommen zu einem bestimmten Zweck (vgl. [ קבץNif.] יחדin Jos 9,3; Jes 43,9; Ps 102,23).484 Hos 2,1–3 nimmt zum Zwecke dieser Verheißung die drei Unheilsnamen der Kinder Hoseas aus Hos 1 auf, wendet sie jeweils ins Positive und erweist sich gerade im Umgang mit den Namen als auf den vorliegenden Kontext hin komponierter Text. V. 2b substituiert den Namen לא־ ( עמיvgl. 1,8) mit ;בני אל־חיin v. 3a erscheint der Name wieder, allerdings ohne Negation zum Heilsnamen ( עמיvgl. 2,25) gewandelt. Analog verfährt v. 3b mit לא רחמהaus 1,6. Komplexer ist der Fall יזרעאל. In Hos 1,4 steht der Name symbolisch für die Vergehen israelitischer Könige, exemplifiziert an der Jehu–Revolution (vgl. 2Reg 9f.) bzw. ihre Vergeltung durch JHWH.485 V. 5 generalisiert die Drohung nachträglich zum Gericht gegen den Norden insgesamt mit dem Bild einer Schlacht in der immer wieder als Einwände gegen die Einheitlichkeit des Abschnitts hat RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 77–29, vorgetragen (ähnliche Anstöße fanden bereits SCHREINER , Hoseas Ehe, 170; YEE, Composition, 68). Danach bilde 2,1 den Grundbestand, der in drei Stufen zunächst um 2,2a, dann um 2,3 und schließlich um 2,2b erweitert worden sei. Gegen eine Aufspaltung des Abschnitts spricht jedoch die thematische Geschlossenheit, wobei die Verschränkung zweier Themen (Mehrung und Einigung) nicht notwendig ein Hinweis auf verschiedene Hände sein muss, zumal das Mehrungsmotiv v. 1 und 2 ( עלו מן־ הארץ, vgl. Anm. 482, sowie )יזרעאלverbindet. Das Nebeneinander von בני־ ישׂראלin weitem (v. 1) und engen (v. 2) Gebrauch kann angesichts der zahlreichen Beispiele für diese Verwendung auf engstem Raum im Alten Testament kaum als terminologische Differenz im literarkritisch relevanten Sinne gewertet werden. V. 3 fällt durch den Wechsel zur Anrede in den Imperativ tatsächlich auf, markiert aber durch die Einbeziehung der Adressaten – wie eine Art Beglaubigung – den Abschluss des Abschnitts (WACKER, Figurationen 53). Vgl. auch den Übergang von Sach 9,1–8 zu 9f., dazu oben S. 155. 481 R UDNIG -ZELT, Hoseastudien, 78f. 482 עלה מןmeint hier nicht die Rückkehr aus dem Exil (RUDOLPH , KAT Hosea, 56; WOLFF, BK Hosea, 32; SCHÜTTE, Juda, 65, denkt an einen neuen Exodus) sondern ist ein Bild für die große Zahl der vereinigten Israeliten. Vgl. Ex 1,10: Dort ist sicher an das Heraufziehen der Israeliten aus Ägypten angespielt, aus der Perspektive des redenden Pharao ist die Bedrohung jedoch die Mehrung der Israeliten, die das Land Ägypten nicht fassen kann und der der Pharao mit den in Ex 1 beschriebenen Maßnahmen zu wehren sucht (den Hinweis auf diese Bedeutung von עלה מןverdanke ich E. Blum). Einen Überblick über die verzweigte Diskussion dieser crux interpretum liefert WACKER, Figurationen, 51. 483 Anders als in Hos 3,5 ist hier nicht ausdrücklich von einem Davididen die Rede, ob damit ausgeschlossen ist, dass es sich um einen solchen handelt (RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 79), ist m.E. nicht ausgemacht. 484 Vgl. WOLFF, BK Hosea, 31. 485 J EREMIAS , ATD Hosea, 30f.
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Schlachtfeld gebrauchten Jesreelebene.486 Im Kontext der Mehrungsaussagen von Hos 2,1–3 scheint bei Jesreel auf die Etymologie des Namens („Gott wird säen“) angespielt zu sein, womit eine Brücke zu Hos 2,23–25 geschlagen wird. Literargeschichtlich erweist sich Hos 2,1–3 allerdings gegenüber 2,23– 25 als sekundär. Was Hos 2,23–25 entfalten, ist hier bereits vorausgesetzt. Das gilt sowohl für die Begründung zu ( רחמהv. 25a) als auch für jene zu ( עמיv. 25b) und insbesondere für יזרעאל. Die in v. 2 angespielte Etymologie ist in 2,25a erklärt ()וזרעתיה לי בארץ. Zudem ergibt sich über das Stichwort יום יזרעאלeine weitere Verbindung zu 2,23f., so dass der in v. 2 angekündigte Tag mit dem Tag von v. 23 zu identifizieren ist.487 Die dortige Umbenennung der Kinder fällt somit mit jener von Hos 2,1–3 in eins, während aber Hos 2,23–25 die Erneuerung des Gottesverhältnisses zum Thema haben, steht auch diese bereits im Hintergrund (2,2b) der Zukunftsvision für ganz Israel in v. 1–3. Hos 2,1–3 ist auf den vorliegenden Kontext hin konzipiert und wird hinter den Bericht über die Geburt der Kinder (Hos 1), den er logisch voraussetzt, und vor den folgenden Diskurs (Hos 2) als eine Leseanleitung insbesondere für 2,23–25 platziert. Darüber hinaus finden sich wenig konkrete Anhaltspunkte für die Datierung. 488 Die Aufnahme von Hos 2,23–25 im engeren Kontext sowie die Kenntnis von Formulierungen der Väterverheißungen lassen jedoch eine frühe, nahe an das Exil gerückte, Ansetzung unwahrscheinlich erscheinen. Der „Israel“-Begriff zeigt in Hos 2,1–3 wiederum die bekannte Mehrdeutigkeit von weiter (ganz Israel) und enger (Gebiet des ehemaligen Nordreichs) Verwendung.489 Die Disambiguierung erfolgt in Hos 2,2 durch 486 Vgl. u.a. RUDOLPH , KAT Hosea, 52; J EREMIAS , ATD Hosea, 34; YEE, Composition, 64ff.; WACKER, Figurationen, 226f.; RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 86. 487 So bereits WEISER , ATD, 12. 488 Die Vorschläge gehen denn auch weit auseinander; WOLFF, BK Hosea, 31, denkt an die Zeit vor dem Untergang des Nordreichs, JEREMIAS, ATD Hosea, 36, und DAVIES, NCeB, 61f., an die exilisch-frühnachexilische Zeit. Einen weiteren Hinweis könnte der seltene Titel אל־חיliefern, der neben Hos 2,1 sonst nur in der Sprache nachexilischer Tempelfrömmigkeit (Ps 42,3; 84,3, dazu HOSSFELD & ZENGER, NEB, 265f. bzw. HOSSFELD & ZENGER, HThKAT, 510ff.) sowie in einem Nachtrag zur Erzählung vom Jordandurchzug Jos 3,10 (dazu KRAUSE , Zug) begegnet. 489 Jene doppelte Verwendung von „Israel“ in Hos 2,1–3 ist von S CHÜTTE , Juda, bestritten worden. Er liest בני־ישׂראלin v. 1 und v. 2 als Bezeichnung von Nord-Israeliten, konkret für die nach 720 in Juda ansässig gewordene (nord-)israelitische Landsmannschaft (65.66ff.). In Hos 2,1–3, das für Schütte Teil einer gleichermaßen proisraelitisch wie projudäischen „Endfassung“ von Hos 1,2–2,13 ist, die er auf „das Wirken israelitischer Prophetietradenten in Juda nach 720 v.Chr.“ zurückführt (69), werde für „die Israeliten insgesamt … (an einem namenlosen Ort) eine Wendung zum Guten nicht nur mit den Judäern (und einem gemeinsamen König) verknüpft, sondern zusätzlich mit einem Appell an Judäer beschlossen (Hos 2,1–3)“ (66). Hos 2,1–3 spiegele eine „Konfliktsituation, die in der Haltung von Judäern am Ende des 8. Jh. v.Chr. begründet gewesen sein muss“ (69).
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das Nebeneinander von בני־ יהודהund בני־ישׂראל, das die gegenüber 2,1 abweichende Verwendung anzeigt. Konzeptionell ist Israel hier eine aus den Juda und (Nord-)Israel bestehende Größe, die trotz der gegenwärtigen Trennung ihrem Wesen nach zusammengehört und – so die Hoffnung – schließlich wieder vereinigt wird. Ähnlich wie Deutero-Sacharja verbindet auch der Schlussabschnitt des Obadja-Buches Ob 15a.16–21490 gesamt-israelitische und Jerusalem- bzw. Zion-zentrierte Hoffnungen. In einem nachträglich angefügten und ebenfalls eher jungen491 Prophetenwort über den nahen „Tag JHWHs“ gehen בית ־ יעקבund ( בית יוסףv. 18) gemeinsam gegen Edom vor. „Haus Jakob“ referiert wie in Ob 10–12.17 492 (vgl. die Nennung von Jerusalem und Juda in v. 11f.) auf Juda, daneben steht „Haus Joseph“ als Repräsentant der Hauptstämme Ephraim und Manasse für die Nordstämme. 493 Der Zion ist
Dementsprechend sieht Schütte in Hos 2,1–3 ein Geschehen zwischen Israeliten und Judäern geschildert: V. 1 beschreibe eine Mehrung und Umbenennung der Israeliten. V. 2 führe die בני־יהודהein, die aber im Nachhinein mit „der in V. 1 namenlos gebliebenen Gruppe …, welche die Umbenennung der Israeliten vollzieht“, identifiziert werden. Beiden Gruppen steht ein gemeinsamer König und ausweislich des „Bezug[s] zum Ortsnamen des Erstgeborenen Hoseas (‚Jesreel‘) die Vollendung des erneuten Eisodus in das Land Israel“ in Aussicht. In v. 3 schließlich seien die Judäer angesprochen und aufgefordert, die Negation der weiteren Kindernamen aufzuheben, wobei „die zu bezeichnenden Kinder mit den ‚Kindern Israels‘ (V. 1f.) zu identifizieren“ seien (65f.). Die Deutung wirft jedoch einige Fragen auf: (a) Kann die Umbenennung in v. 1 tatsächlich den Judäern als Zeichen ihres Sinneswandels gegenüber den Israeliten zugeschrieben werden? Dagegen spricht neben der passiven ( אמרNif.) und im Singular gehaltenen Formulierung in v. 1, die gerade keine Identifikation mit einer bestimmten Gruppe nahe legt, v.a. das narrative Gefälle von Hos 1. Dort ist es JHWH, der Hosea die Namen vorgibt, die ja auch das Verhältnis zwischen Israel und seinem Gott symbolisieren. Also kann auch nur JHWH die Benennung revozieren bzw. umkehren. (b) Sind in v. 3 die Judäer angesprochen? Wenn ein Bezug für dem Imperativ gesucht wird, dann ist dieser am ehesten in der 2. Person Pl. von v. 1b לא עמי אתםzu finden. Dort sind – indirekt – die „Israeliten“ (v. 1a) angesprochen, die dann in v. 3 wechselseitig dazu aufgefordert würden sich die Heilsnamen zuzusprechen, was als Konsequenz aus v. 1 auch nahe liegt. (c) Schließlich stehen der vorgeschlagenen Verortung des Textes in das späte 8. Jh. doch einige Aspekte entgegen: Welche Funktion soll hier die deutlich im Vordergrund stehende Ankündigung der Mehrung der Israeliten haben? Zumal dann, wenn die v. 1 nur die im judäischen Exil lebenden Nord-Israeliten meint? Und vielleicht am schwerwiegendsten: ist die Ankündigung, man gebe sich einen gemeinsamen König (v. 2) in einer Zeit als es in Juda sehr wohl einen König gab, plausibel und mit der von Schütte angenommenen integrativen und auf Anerkennung in Juda ausgelegten Stoßrichtung der postulierten israelitischen Exilstheologie vereinbar? Insgesamt sprechen die oben genannten Gründe eher gegen die frühe Datierung von Hos 2,1–3. Schüttes Argument gegen eine nachexilische Ansetzung, eine derartige „samariafreundliche Position [sei] neben der viel deutlicheren Samariapolemik erklärungsbedürftig“ (67), ist angesichts der verschiedenen hier unter B I besprochenen Texte nicht stichhaltig.
2. Der inklusive Israel-Begriff
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dabei „Kristallisationskern eines endzeitlichen vereinigten Israel“494, Ort der Rettung, während die Völker untergehen (v. 16f.), 495 und zugleich Ausgangspunkt für das Gericht über Edom (v. 21). Der Israel-Name begegnet erst in den gegenüber 16–18.21 wohl sekundären Erläuterungen 19f., 496 die an ( וירשׁוv. 16b) anknüpfen und zunächst den Umfang des in Besitz zu nehmenden Landes präzisieren; wiederum in gesamt-israelitischer Perspektive, denn neben Schephela und Negev im Süden sind mit Ephraim und Gilead auch traditionell nord-israelitische Territorien im Blick. In einem zweiten Schritt wird schließlich die gesamt-israelitische Gola als Akteur Zur Begründung dieser weithin akzeptierten Zuordnung von v. 15b zu v. 1–14 bzw. v. 15a zu v. 16ff., vgl. WOLFF, BK Obadja und Jona, 19. V. 15a.16ff. erweisen sich aus mehreren Gründen als Nachtrag: (a) Nachdem in v. 1–14 durchgängig Edom (2. P. sg.) angesprochen ist, sind die Adressaten in v. 16 (2. P. pl.) offensichtlich Judäer (vgl. den Bezug auf den Zion mit )הר קדשׁיoder wie in v. 18 Judäer und Israeliten. (b) Nur hier kommt Gesamt-Israel in den Blick, in 1–14 ging es lediglich um Juda. (c) In v. 1–14 handelt JHWH an Edom, in v. 16ff. handeln Judäer und Israeliten (mit ähnlichen Argumenten trennen z.B. WEISER, ATD, 180; ROBINSON , HAT, 115f.; RUDOLPH , KAT Joel, 296; WOLFF, BK Obadja und Jona, 5f.; DEISSLER, NEB, 145). Uneinigkeit besteht über die innere Schichtung von v. 16–21 sowie die Frage, ob die Verse dem Propheten, der die Worte in verschiedenen Situationen gesagt haben könnte, zuzuschreiben oder abzusprechen sind (vgl. den Überblick über die Positionen bei RAABE, AncB, 16f.). Auf den ersten Blick erscheint das Stück durch die Wiederaufnahme des Stichworts Zion aus v. 16 sowie der Edom-Thematik aus v. 18 in sich geschlossen, und es spricht einiges dafür, dass v. 21 den ursprünglichen Abschluss des Wortes über den Tag JHWHs bildete (so RUDOLPH , KAT Joel, 317f.; gegen WOLFF, BK Obadja und Jona, 43, der hier den alten Schluss von v. 1–14.15b vermutet, sowie die gängige Zuordnung zu v. 19–20, vgl. WEISER, ATD, 187; DEISSLER, NEB, 147). 491 Für eine historische Einordnung des Prophetenwortes bzw. seiner Erweiterung ist entscheidend, ob man einen Reflex konkreter historischer Ereignisse (wie etwa die Unterwerfung der Idumäer durch Johannes Hyrkanos I 129 v.Chr., was zu einer Verortung in die Makkabäerzeit führt, vgl. WELLHAUSEN , Propheten, 213) oder eine Ausprägung der breiter belegten Edomiter-Feindschaft (vgl. neben Ob z.B. Jes 21,11–15; 34; Jer 49,7–22; Ez 25,12–14; 35; Am 1,11f.; Mal 1,2–5; Ps 137,7) vermutet, so dass eine zeitliche Nähe zu 587 (RUDOLPH , KAT Joel, 298; RAABE, AncB, 51–55, mit älterer Literatur) oder das 5. oder 4. Jh. gleichermaßen diskutiert werden (für Letzteres vgl. DEISSLER, NEB, 146, mit Hinweis auf die „apokalyptische Idee“ vom Tag JHWHs als endzeitlichem Gerichtstag Zeph 1,14; Jo 4,14; Mal 3,23; aber auch ROBINSON , HAT, 115f.; WEHRLE, Prophetie, 344). Die späte Ansetzung in die Makkabäerzeit ist für Ob 19.20 möglicherweise erwägenswert (vgl. DIEBNER & SCHULT, Edom, 13) für 15a.16–18.21 bietet sie die Schwierigkeit, dass Jo 3,5 den Text bereits zitiert. Immerhin lässt sich der Zeitrahmen für 15a.16–18.21 insoweit eingrenzen, dass mit 587 ein terminus post quem gegeben ist, auf den aber bereits mit einem gewissen zeitlichen Abstand zurückgeblickt wird: die angesprochenen Judäer haben lt. Ob 16 den Zornesbecher bereits getrunken. Ebenfalls vorausgesetzt scheint das verstärkte Eindringen von Edomitern in das südjudäische Territorium zu sein, das seit der persischen Zeit epigraphisch greifbar ist (WEIPPERT, TRE Edom, 295); Ob 17 kündigt Juda wahrscheinlich bezüglich dieser Gebiete die Wiederbesetzung verloren gegangener Besitzungen an. Wenn mit ( הר עשׂוOb 21) noch das östliche Stammland der Edomiter gemeint ist (vgl. Ob 8f.) läge eine Verortung im 5. Jh. nahe; Mal 1,2–5 setzen 490
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B. Analysen: I „Israel“ in Texten der Perserzeit
nachtragen; בני ישׂראלmeint in v. 20 im Gegenüber zu גלות ירושׁלםwahrscheinlich exilierte Nord-Israeliten.497 In der Endgestalt ist somit Israel in umfassender Weise präsent: als Nord und Süd sowohl im Land als auch in der Diaspora.
die Verdrängung der Edomiter aus dem Gebiet bereits voraus. Wenn allerdings der Sprachgebrauch von Ob 19 vorliegt, wo הר עשׂוals Apposition zu הנגבauf das spätere Siedlungegebiet der Edomiter referiert, greift diese Eingrenzung nicht. 492 MT muss nicht geändert werden, vgl. מורשׁin Jes 14,23 (vgl. RUDOLPH , KAT Joel, 311; gegen WOLFF, BK Obadja und Jona, 41). Die Ergänzer von v. 19f. haben den Text offensichtlich in diesem Sinne verstanden. Die Varianten der Versionen gehen dagegen wohl auf den Versuch zurück, die seltene Form zu deuten. 493 Vgl. Sach 10,6. 494 DEISSLER , NEB, 146. 495 Mit WOLFF, BK Obadja und Jona, 44f., ist an das Bild des Zornesbechers zu denken, den die Völker trinken müssen, was zu ihrem Untergang führt (vgl. Jes 51 sowie die breite Diskussion mit weiteren Beispielen bei RAABE , AncB, 206–242). 496 Dass es sich um sukzessive Nachträge handelt, ist weitgehend unstrittig (ROBINSON , HAT, 116; RUDOLPH , KAT Joel, 316; WOLFF, BK Obadja und Jona, 42; DEISSLER, NEB, 147 u.a.). Auffällig ist v.a. der Wechsel zur Prosa (anders als in 15a.16–18.21) und intern die Doppelung bei der Zuweisung des Negev zwischen v. 19 und v. 20. Es ist durchaus vorstellbar, dass insbesondere v. 19 durch erläuternde Glossen aufgefüllt wurde (WOLFF, BK Obadja und Jona, 41.47; zur Diskussion der schwierigen Syntax vgl. WEHRLE, Prophetie, 90ff.) 497 Der Text ist v.a. in 20a gestört. Seit DUHM , Anmerkungen, 178, wird anstelle von החל ־הזהhäufig חלח זהemendiert, d.h. eine der Ortslagen, in die lt. 2Reg 17,6; 18,11 NordIsraeliten deportiert worden sind. Der Vorschlag ist verlockend, würde er doch entweder schriftgelehrte Arbeit oder ein in dieser späten Zeit immer noch vorhandenes Wissen um den Verbleib der nord-israelitischen Gola spiegeln. Er ist jedoch eher unwahrscheinlich, da die Versionen ihn nicht stützen und sich חלח זהnur schwerlich in Ob 20 einfügt; in der Parallele גלות ירושׁלםist die Herkunft der Deportierten und nicht der Ort ihrer Verbannung angegeben. Dass es sich um Nord-Israeliten handelt, legt – neben dem Gegenüber zu Jerusalem – auch das ihnen zugewiesene nördlich gelegene Gebiet bei Sarepta nahe.
B. Analysen B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
II „Israel“ als Bezeichnung Gesamt-Israels oder Judas vor dem Ende des Nordreichs 1. „Israel“ in judäischen Texten 1. „Israel“ in judäischen Texten
1.1 Variable Referenzen für „Israel“ in der Thronfolgegeschichte 1.1.1 „Israel“ in 2Sam *9–20; 1Reg *1–2 Orientiert man sich an der traditionellen Abgrenzung der Thronfolgegeschichte (ThFG) mit 2Sam *9–20; 1Reg *1–2 1 lassen sich 60 „Israel“Belege ausmachen. Davon entfallen zwei auf das JHWH-Epitheton אלהי ישׂראלa(1Reg 1,30.48), 40 auf Constructus-Verbindungen wie כל ישׂראל2, בית ישׂראלa(2Sam 16,3), שׁבטי ישׂראלa(2Sam 15,2.10; 19,10; 20,14), אישׁbzw. אנשׁי ישׂראל3,a עם ישׂראלa(2Sam 18,7; 19,41), זקני ישׂראלa(2Sam 17,4.15), בחורי ישׂראלa(2Sam 10,94) und wenige andere. 5 An den übrigen 18 Stellen steht ישׂראלallein bzw. nicht als nomen rectum einer Constructus-Verbindung.6 Darüber hinaus erscheint in 2Sam 17,25 das Gentilizium הישׂראלי7.8 Die Rede von der ThFG und ihre Besprechung unter den vor dem späten 8. Jh. v.Chr. angesetzten Texten impliziert Entscheidungen, die angesichts der gegenwärtigen Forschungsdiskussion 9 nicht selbstverständlich und daher zu begründen sind. 1 Der Anfang der Komposition ist eine der nach wie vor offenen Fragen. R OST, Überlieferung, 104–107, nimmt zur „Thronfolgequelle“ (107) noch 2Sam 6,16.20–23; 7,11b. 16 hinzu. Andere Exegeten vermuten den Einsatz innerhalb von 2Sam 2–4 oder 7, verlegen ihn hinter Kap. 9 oder finden ihn (verbunden mit der These einer Textumstellung) in 2Sam 21,1–14 (für einen Überblick vgl. DIETRICH & NAUMANN , Samuelbücher, 175–180). Die Debatte kann hier ausgeblendet werden, andere Verwendungsweisen für den IsraelNamen als in 2Sam 9–20; 1Reg 1–2 finden sich in den diskutierten zusätzlichen Kapiteln nicht. 2 2Sam 10,17; 11,1; 12,12; 14,25; 15,6; 16,21f.; 17,10f.13; 18,17; 19,12; 1Reg 1,20; 2,15. 3 2Sam 15,6.13; 16,15.18; 17,14.24; 19,42f.44(2x); 20,2. 4 Anstelle von בחורי בישׂראלist mit Qere und den Versionen die Constructus-Verbindung בחורי ישׂראלzu lesen. Das zusätzliche בgeht möglicherweise auf eine Dittographie zurück. 5 2Sam 20,19.23; 1Reg 1,3; 2,4f.32. 6 2Sam 10,15.18.19(2x); 11,11; 13,12f.; 17,26; 18,6.16; 19,9.23(2x); 20,1.19; 1Reg 1,34f.; 2,11. 7 Letzteres ist aber textkritisch fraglich, dazu oben S. 129 Anm. 324.
172
B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
Die These einer ThFG als zusammenhängendes und ursprünglich eigenständiges Werk mit der Thronnachfolge Davids als durchgängigem Thema geht bekanntlich auf L. Rosts epochemachende Studie Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids (1926) zurück. Rosts These blieb bis in die 60er Jahre des 20. Jh.s weitgehend unangefochten, seitdem treten neben die zustimmenden auch vermehrt kritische Stimmen. Die Entwicklung der Diskussion hat W. Dietrich prägnant zusammengestellt: Auf der einen Seite mehren sich Studien mit literaturwissenschaftlich orientierten bzw. synchronen Zugängen zum Text.10 Auf der anderen Seite stehen literarkritische Analysen, die – etwas pauschalisierend unterschieden – zu Schichten- 11 oder Blockmodellen 12 gelangen. V.a. bei den Schichtenmodellen zeigt sich eine deutliche Tendenz zu immer größerer Komplexität in der Hypothesenbildung.13 Die Einsichten der literaturwissenschaftlich arbeitenden Ausleger in die Geschlossenheit und literarische Gestaltung der Texte stehen aber m.E. – bei 8 Weitere vier Belege finden sich in der nachträglichen (dtr?) Erweiterung 2Sam 12,7b-12 (vgl. dazu DIETRICH & N AUMANN , Samuelbücher, 250). Die Verwendungsweise des Israel-Namens unterscheidet sich nicht von jener im älteren Text (dazu i.F.): Nathan stellt David vor Augen, dass JHWH ihn zum König über ( ישׂראלv. 7) gesalbt und ihm בית ( ישׂראל ויהודהv. 8) gegeben habe. Für „Israel“ in v. 8 ergibt sich wie in 11,11 damit die Referenz auf die Nordstämme. Der Wechsel von der weiten Verwendungsweise in v. 7 (vgl. auch die Bezeichnung JHWHs als אלהי ישׂראלin 7a) macht keine Schwierigkeiten, ebenso wenig wie die Rückkehr zur weiten Verwendungsweise in 12,12. 9 Um deren Aufarbeitung haben sich v.a. W. Dietrich und Th. Naumann verdient gemacht, vgl. DIETRICH & NAUMANN , Samuelbücher; DIETRICH, Tendenzen; DIETRICH, Forschung. 10 Richtungsweisend waren hier v.a. STERNBERG & PERRY, King; F OKKELMAN , Art and Poetry, sowie ALTER, Art, vgl. auch GUNN, Story; CONROY, Absalom, sowie STERNBERG, Poetics. Unter den neueren Arbeiten sind z.B. die Kommentare von ALTER, David Story; CAMPBELL, FOTL, und BAR-EFRAT, Samuel, zu nennen sowie Studien wie MÜLLNER, Gewalt; DALLMEYER & D IETRICH, David; KUNZ, Frauen, oder SUCHANEK -SEITZ, Kommunikation. 11 Vorreiter waren hier WÜRTHWEIN, Erzählung, der eine umfangreiche prodynastische Bearbeitung von einer antidavidischen bzw. antisalomonischen Grundschicht abhob, sowie VEIJOLA, Dynastie, mit dem Vorhaben, verschiedene dtr Bearbeitungsschichten zu isolieren. In ähnlichen Bahnen folgen auch die nicht leicht zu überschauenden Arbeiten von F. LANGLAMET (die Ergebnisse sind bei DIETRICH & NAUMANN , Samuelbücher, 202–205, sowie SEILER, Geschichte, 15–17, zusammengestellt), sowie DIETRICH, Verhältnis, und KAISER, Beobachtungen. 12 In der älteren Forschung hatte man v.a. nach älteren Erzählblöcken bzw. „Novellen“ gesucht, aus denen die Darstellung zusammengesetzt worden sei (vgl. dazu DIETRICH & N AUMANN , Samuelbücher, 198f.). Diese Frage greifen in je eigener Ausrichtung WILLIPLEIN, Davidshausgeschichte, oder AHUIS , Großreich, wieder auf. Wenn größere Erzählblöcke unterschieden werden, steht v.a. das Verhältnis von 2Sam 9.13–20 einerseits und 2Sam 11f.; 1Reg 1f. andererseits zur Debatte. Die Gemeinsamkeiten, die 2Sam 11f. und 1Reg 1f. verbinden (dazu OSWALD, Nathan, 217–222) und zugleich von 2Sam 9.13–20 unterscheiden, haben schon ROST , Überlieferung, 85, veranlasst, ihre „Selbständigkeit“ zumindest zu erwägen. Bei FLANAGAN , Court History; DIETRICH, Ende; SCHÄFER -LICHTENBERGER, Überlegungen, und OSWALD, Nathan, führen die Beobachtungen zu einer literarkritischen Differenzierung. 13 So die neueren Arbeiten von B IETENHARD , General; VERMEYLEN , Loi, sowie RUDNIG , Davids Thron, die – jeweils unterschiedlich – mit vielfachen Bearbeitungsschichten rechnen.
1. „Israel“ in judäischen Texten
173
aller notwendigen methodischen Differenzierung z.B. im Blick auf das Verhältnis von Synchronie und Diachronie14 oder die Frage der Textsorte 15 – der Plausibilität allzu kleinteiliger Wachstumsmodelle16 oder den Versuchen, die „Tendenz“ der Erzählung auf literarkritischem Wege gleichzuschalten entgegen.17 (Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass es Ergänzungen gegeben hat oder dass ältere Überlieferungskomplexe im späteren größeren Werk aufgegangen sind. Die Diskussion kann und muss hier auch nicht en détail geführt werden, da selbst in Analysen, die eine weitgehende Reduktion des Grundbestands vorschlagen, in den frühen Schichten eine weite, d.h. auf Gesamt-Israel referierende Verwendung des Israel-Namens vorausgesetzt ist.18) Als Basis der folgenden Überlegungen wird daher von einer ThFG als größerem zusammenhängenden Werk ausgegangen. Wie aber ist ein derartiges Werk historisch einzuordnen? Rost hatte die Entstehung der ThFG bekanntlich in die Nähe der geschilderten Ereignisse gerückt. G. von Rad lieferte mit der These von der „salomonischen Aufklärung“ den kulturhistorischen Hintergrund, vor dem die Entstehung eines derartigen Werkes erklärt werden konnte. 19 Diese Datierung in die (früh)salomonische Zeit ist im Rahmen der neueren Diskussion fraglich geworden. Dazu hat zum einen die Bestreitung der notwendigen Rahmenbedingungen in neueren Untersuchungen zur Geschichte Israels beigetragen, in denen u.a. die fehlenden archäologischen Zeugnisse für zentralisierte administrative Strukturen sowie für die Verbreitung von Literalität im Jerusalem des 10./9. Jh. v.Chr. moniert werden.20 Zum anderen führt die im Kontext der Tendenzkritik fraglich gewordene Festlegung des Scopus der Erzählung zu einer Entkopplung vom davidisch/salomonischen Königshof und der Suche nach neuen Anschlussmöglichkeiten. So sucht Finkelstein sie Vgl. die Beiträge von BLUM, Sinn, sowie NAUMANN , Verhältnis. Dazu BLUM, Anfang, 6–17; sowie die Untersuchung von KÄSER, Interpretation. 16 Die von DIETRICH , Forschung, 271, an Rudnig gerichtete Anfrage ist auch darüber hinaus einschlägig: „Und wer möchte R. auf einem Weg folgen, der sich nur mit rabiaten literarkritischen Hieben durch das feine Geflecht einer wundervollen Erzählung schlagen lässt?“ 17 Die Argumentation mit der Tendenz – sei es pro- oder antidavidisch, pro- oder antisalomonisch, pro- oder antidynastisch – ist ein geradezu ein Standardargument zur Begründung literarkritischer Operationen an der ThFG (zur Geschichte des Arguments vgl. wiederum DIETRICH & NAUMANN , Samuelbücher, 191–198). Dabei belegen die teilweise konträren Wahrnehmungen einzelner Texte durch verschiedene Exegeten nachdrücklich, dass die Tendenz keineswegs eindeutig ist. (Unter den neueren Beiträgen sei hier lediglich auf die vollkommen gegensätzlichen Ansichten von SEILER, Geschichte, 51f., und BARTELMUS, Sachverhalt, 7–20, zur Zeichnung Davids in 1Reg 1 verwiesen). Zur methodischen Problematik vgl. bereits DIETRICH & NAUMANN , Samuelbücher, 207. 18 Das gilt sowohl für die neueren Blockmodelle á la Dietrich oder Oswald als auch für die Schichtungshypothesen nach Bietenhard, Vermeylen oder Rudnig. 19 VON RAD, Anfang, 187f.; ähnlich B LUM , Anfang, 33–35. 20 In die öffentliche Wahrnehmung ist die Diskussion um die Historizität eines davi disch-salomonischen Großreichs durch FINKELSTEIN & SILBERMAN, Bible Unearthed, gelangt. In Fachkreisen war die Frage freilich schon zuvor virulent, zur Aufarbeitung der Diskussion vgl. HUBER , Großreich. Zu den administrativen Strukturen und ihren epigraphischen Spuren sind die Studien von NIEMANN, Herrschaft, sowie JAMIESON -DRAKE , Scribes, einschlägig. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Texte der ThFG – anders als die Darstellung der salomonischen Epoche in 1Reg – kein international agierendes „Großreich“ spiegeln, sondern eher das, was NIEMANN , aaO., 281f., als „chiefdom“ beschreibt. 14 15
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
etwa in den Bemühungen um die Herausbildung einer gesamt-israelitischen Identität im Juda des ausgehenden 8. und beginnenden 7. Jh.s. 21 J. Van Seters versteht den Textbereich als antimessianische Schöpfung aus nachexilischer Zeit, die sich um das dtr Testament Davids 1Reg 2,1–4 sowie die ebenfalls dtr Todes- und Nachfolgenotiz 2,10–12 kristallisierte. 22 P.R. Davies sieht die Erzählungen als perserzeitliche Reflexe politischer Auseinandersetzungen innerhalb der Provinz Jehud.23 Doch gibt es m.E. gute Gründe, die Texte nicht allzu spät anzusetzen. Diese sind a) die Reflexe historischer Gegebenheiten, b) die Rolle von Benjaminiten in der ThFG, c) die Zeichnung Salomos sowie d) der Scopus und das soziale Milieu der Texte. (ad a): O. Kaiser hat versucht am Beispiel von 2Sam 2 und 2Sam 20 zu zeigen, dass der Autor in einem größeren zeitlichen Abstand von den Ereignissen berichtet habe, da die Texte große „Unwahrscheinlichkeiten“24 enthielten oder er – wie im Falle von 2Sam 20 – „schlechterdings gar nichts über revolutionäre Umtriebe im Land zu erzählen wusste“.25 Dass setzt jedoch voraus, dass es dem Autor überhaupt um die Darstellung historischer Abläufe gegangen ist. Stand in 2Sam 20 eher die Frage der Loyalität zu David und dessen Erfolg in der Sicherstellung geordneter Verhältnisse im Focus, können genauerer Angaben zu den Einzelheiten des Aufstands fehlen. Historische (Un-)Genauigkeit sagt noch nichts über zeitliche Nähe der Abfassung aus. Erhellender sind aber Reflexe historisch eingrenzbarer lebensweltlicher Gegebenheiten, die in die Texte einfließen. Ein solcher ist die Rolle von Gath, das in 2Sam 15,18; 1Reg 2,39–41 genannt wird und als Herkunftsort von 600 Kämpfern Davids bzw. Ziel entlaufener Sklaven als größere Stadt bzw. regionale Metropole vorgestellt ist. 26 Das entspricht den archäologischen Befunden für das 10./9. Jh. bis zur Zerstörung der Stadt Ende des 9. Jhs. Substantielle Aktivitäten sind hier erst wieder für die Perserzeit greifbar. 27 (ad b): Das Verhältnis zwischen Juda und Benjamin zieht sich als kontinuierliches Subthema durch die gesamte Darstellung. Während Benjamin als Stamm den nordisraelitischen Stämmen zugerechnet ist (vgl. 2Sam 19,21; 20,1 sowie unten S. 187f.), werden an verschiedenen Einzelpersonen (Ziba, Mephiboschet, Schim˓i ben Gera und Scheba ben Bichri) Loyalität bzw. Illoyalität von Benjaminiten gegenüber David und ihre Folgen vorgestellt. Davids Haltung ist von Nachsicht, Demut und dem Bemühen um Aus FINKELSTEIN & SILBERMAN, David, 111–135; FINKELSTEIN & SILBERMAN, Temple, 279. VAN SETERS, Search, 277–291; VAN SETERS, Court History. 23 DAVIES , Search, 94ff., bzw. DAVIES , Trouble. 24 KAISER , Beobachtungen, 15. 25 AaO., 17. Als ein weiteres Argument führt KAISER an, dass in 2Sam 11 der babylonische Frühjahrskalender vorausgesetzt sei (18–20), was, wenn ויהי לתשׁובת השׁנהtatsächlich den Jahresanfang meint, in der Tat ein Problem für die frühe Datierung wäre, dagegen aber GARSIEL , Story, 251. 26 Vgl. aus den Saul-David-Erzählungen zudem 1Sam 17,4.23.52; 21,11.13; 27,2– 4.11; 2Sam 1,20. 27 Zu den Grabungsergebnissen für Tell Eṣ-Ṣâfī, der mit Gath identifiziert wird (dazu SCHNIEDEWIND, Gath), vgl. MAEIR, Tell Eṣ-Ṣâfī. Die Ausgrabungen zeigen eine Zerstörungsschicht, die ans Ende des 9. Jh.s oder Anfang des 8. Jh.s zu datieren ist. Der Ausgräber A.M. Maeir bringt sie mit 2Reg 12,18, d.h. der Nachricht über die Zerstörung Gaths durch die Aramäer in Verbindung, vgl. bereits MAEIR, Background, 323–327. Für die Folgezeit, insbesondere im 8. und 7. Jh., gebe es in der zuvor sehr ausgedehnten Stadt dagegen kaum noch Siedlungsspuren, so dass Maeir schlussfolgert: „although the site was not totally abandoned, its size was substantially reduced“ (323). Zu den Funden der Perserzeit, die auf kultische Aktivität hindeuten vgl. AVISSAR , UZIEL & MAEIR, Persian Period. 21 22
1. „Israel“ in judäischen Texten
175
gleich geprägt, (so bei Ziba, Mephiboschet und Schim ˓i), aber auch von entschlossenem Durchgreifen, wenn die Stabilität des Reiches gefährdet ist (so bei Scheba). Insofern ist Finkelstein oder auch Davies zuzustimmen, dass in den Texten das Bemühen einer Entlastung Davids und ein Werben um Benjamin zu erkennen ist. Dass Benjamin Reprä sentant der Nordstämme ist und seine Affiliation zum „Haus Josephs“ (2Sam 19,21) eine so große Rolle spielt, fügt sich aber kaum zu einem möglichen Gerangel zwischen Judäern und Benjaminiten um die Vormachtstellung innerhalb der Provinz Jehud. 28 Benjamins Repräsentantenfunktion könnte daher eher für die These Finkelsteins sprechen, zwischen den Zeilen der ThFG sei das Bemühen um eine gesamt-israelitische Identität nach dem Ende des Nordreichs zu erkennen. Doch dann überrascht die Konzentration auf Benjamin: warum wird die Einheit nur an Benjaminiten vorgeführt und nicht an einem der Hauptstämme des Nordens wie Ephraim oder Manasse? Zumal dann, wenn das benjaminitische Gebiet auch nach Ansicht Finkelsteins 29 zu großen Teilen auch schon vor 720 zum Südreich gehörte? Schlüssiger ist auch in dieser Frage eine Datierung der Texte in die Zeit der geteilten Reiche, in der es für Juda wichtig war, sich den Einfluss im Landstrich nördlich Jerusalems zu sichern. 30 (ad c): Die Zeichnung Davids in der ThFG ist anerkanntermaßen ambivalent; er ist ein schillernder, komplexer Charakter, einmal abgeklärt und entschlossen, dann wieder emotional und zögerlich, manchmal demütig und gottesfürchtig, aber auch eigenmächtig und skrupellos. (Die Differenz zum idealisierten Davidbild in den dtr Königsbeurteilungen und der Chr ist offenkundig und für die späte Datierung der Texte ein Problem. 31) Vielleicht nicht ganz so facettenreich, aber doch plastisch sind andere Hauptakteure (Joab, Amnon, Absalom u.a.) innerhalb der ThFG dargestellt. Dagegen bleibt Salomo, auf den die Geschichte am Ende zuläuft, erstaunlich blass. Er spielt überhaupt nur in 2Sam 12 und 1Reg 1f. eine Rolle und ist bis zu seiner Inthronisation völlig passiv. Erst als König agiert er, zwar konsequent, wo die Stabilität seiner Herrschaft in Gefahr geraten könnte (Adonija, Joab), aber doch transparent und moderat (Schim ˓i). Die Diskussion um eine mögliche pro-salomonische oder anti-salomonische Tendenz in der ThFG stützt sich daher auch nur am Rande auf Salomos Taten, sondern kreist um die Beurteilung von Vorgängen, an denen er nicht beteiligt gewesen sein kann (2Sam 11f.) oder wo seine Beteiligung gerade nicht erzählt wird (1Reg 1). Seine Geburtsgeschichte, die David in vielfacher Weise ins Zwielicht rückt, lässt im Blick auf Salomo keinen Zweifel daran, dass er ein Sohn Davids ist. Letzteres wird durch die Nachhaltigkeit der Vertuschungsversuche, die ja schon das erste Kind und noch nicht einmal ihn selbst betreffen, 32 geradezu bestätigt. An Ende steht Salomo ohne Makel da – als dynastisch und obendrein von JHWH legitimierter (2Sam 12,24) Thronfolger. Wie bei David zeigt sich aber auch 28 Zu den Thesen DAVIESʼ vgl. oben S. 21ff. Bezeichnenderweise fallen bei DAVIES Benjamin und Nord-Israel weitgehend in eins. 29 Nach FINKELSTEIN , Saul, 357–362, war das benjaminitische Gebiet seit dem letzten Drittel des 9. Jh.s v.Chr. weitgehend unter judäischer Kontrolle. 30 Falls hinter 1Reg 15,16–22 Reminiszenzen historischer Entwicklungen stehen (so zumindest DONNER , Geschichte, 277f.), war die Kontrolle über das benjaminitische Gebiet zwischen beiden Reichen von Anfang an strittig, was angesichts der exponierten Lage Jerusalems durchaus plausibel ist. 31 Darauf hat v.a. VAN SETERS hingewiesen (Search, 277–291; Court History) und geschlossen, dass die „Court History“, die er konsequent anti-davidisch liest, nachdtr und nachexilisch sein müsse, da die Deuteronomisten eine Quelle, deren David-Bild konträr zu dem stehe, das sich in den dtr Königsbeurteilungen zeige, nicht in ihr Werk integriert hätten. Van Seters blendet allerdings positive Würdigungen Davids und Salomos durchgehend aus bzw. deutet sie als „cynical“ (so Court History, 88, in Bezug auf 1Reg 2,24).
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
hier eine Differenz zum späteren Salomo-Bild, das gegenüber dem strahlenden DavidIdeal blasser und grauer wird (1Reg 11). Dietrich stellt die berechtigte Frage, aus welchem Grund man Salomo in späterer Zeit eine so verwickelte Geburtsgeschichte zuschreiben und ihn in der Weise auf Kosten Davids positiv profilieren sollte? 33 Dies stünde auf jeden Fall der sonst greifbaren Entwicklung des David- und Salomobildes entgegen. (ad d): Folgt man der tendenzkritisch begründeten und literarkritisch durchgeführten Reduktion der Mehrdimensionalität der Texte nicht, lässt sich die ThFG nicht mehr als politische Propaganda lesen. Als Streitschrift für oder gegen David bzw. pro oder contra Salomo müsste sie tatsächlich eindeutiger sein. Die diskutierten Fragen sind grundsätz licher. F. Crüsemann vermutet sie jenseits des politischen Tagesgeschehens in der Auseinandersetzung mit den Aporien von Macht und Recht als Dilemmata der noch jungen Institution des Königtums. 34 Für E. Blum liegen sie noch tiefer; in Aufnahme von Ein sichten von H.-J. Hermisson und R. Whybray in die Rolle weisheitlichen Denkens für die ThFG geht es nach Blum „um die bewußte Wahrnehmung der Wirklichkeit des Menschen selber, näherhin um die Entdeckung der Gestaltungsmöglichkeiten, ja ‚Machbarkeit‘ von Wirklichkeit durch selbstbestimmtes menschliches Handeln – und zugleich um dessen Grenze.“35 Diese Themen sind keine Alltagsfragen, genausowenig wie die Problemstellungen, an denen sie durchdekliniert werden, für die ‚breite Masse‘ interessant gewesen sein dürften. Daher liegt es nahe, die ThFG im Kontext der höfischen (Aus-)Bildung von Eliten zu vermuten, womit natürlich ein begrenzter Adressatenkreis im Blick ist. Dann relativiert sich aber die Argumentation mit den kulturhistorischen Rahmenbedingungen, wie der erst im 8. Jh. nachweisbaren weiteren Verbreitung von Literalität. Die genannten Punkte sprechen für eine Datierung der ThFG in die frühe Königszeit, die Texte können mithin für den Sprachgebrauch zum Israel-Namen im Juda vor dem Ende Nordreichs herangezogen werden.
1.1.1.1 Mehrdeutigkeit und Klärung der Referenz Der Verwendungsmöglichkeiten des Israel-Namens variieren im zu untersuchenden Textbereich. In den weitaus meisten Fällen bezeichnet „Israel“ Gesamt-Israel, d.h. das davidische Königreich, das die Nordstämme und Juda umfasst. Im kanonischen Text der Samuelbücher ergibt sich schon 32 Das gilt freilich nur dann, wenn man nicht im Gefolge von VEIJOLA , Salomo, 2Sam 11,27b–12,24a ausscheidet, so dass das Eingreifen Nathans und der Tod des ersten Kindes komplett aus der Darstellung verschwinden (so neuerdings wieder RUDNIG , Davids Thron, 52–62.351, für die von ihm rekonstruierte Grundschicht, die allerdings in 2Sam 11f. nur aus v. 2.4*.5.27a*; 12,24b* besteht) und Salomo somit zu Bathschebas erstem Kind wird. Das Problem dieser Rekonstruktion liegt auf der Hand: Davids Ehe bruch und Auftragsmord bleibt ungesühnt, ja sogar ohne jegliche Kritik, was im AT kaum vor stellbar (DIETRICH & NAUMANN , Samuelbücher, 235, sehen als engste Parallele „moderne Dissidentenliteratur“) und auch nicht mit dem Davidbild etwa in 2Sam 15–19 zu vermitteln ist. 33 Forschung, 271. 34 C RÜSEMANN , Aporiendarstellung, 71–73. 35 B LUM , Anfang, 36. Die Grenze ist dabei nicht durch die Weisheit selbst gesetzt, diese ist – wie häufig notiert – in der ThFG ambivalent gezeichnet, als eine „Art von Kundigkeit … wie eine (5+! , die zum Bösen wie zum Guten dienen kann“ und ohne Rückbindung an das traditionelle israelitische Ethos oft genug ins Verhängnis führt (aaO., 35).
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von 2Sam 5 her eine entsprechende Leserlenkung bzw. Rezeptionserwartung.36 Innerhalb von 2Sam *9–20; 1Reg *1–2 ist diese Verwendungsweise bereits für die ersten Vorkommen des Israel-Begriffs vorausgesetzt: in 2Sam 10,9.15.17–19 referiert „Israel“ auf Gesamt-Israel.37 Die möglichen Alternativen, dass ישׂראלhier wie zuletzt in 5,1ff. allein die Nordstämme oder – wie zumindest theoretisch denkbar – allein Juda bezeichnen sollte, ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, angesichts der Einführung der Kriegsmannschaft als ( כל הצבא הגבריםv. 7), die auf den Einsatz aller wehrfähigen Männer abhebt,38 ist eine derartige Einschränkung aber unwahrscheinlich. Üblicherweise fehlt bei der weiten Verwendungsweise des IsraelNamens eine explizite Disambiguierung. In manchen Fällen wird die weite Verwendungsweise durch den Kontext bestätigt; so etwa für 2Sam 11,1, wo sich im Nachhinein von 11,11 her erschließt, dass in den Krieg gezogene כל ישׂראלhier Nord-Israel und Juda umfassen muss. In anderen Fällen ergibt sie sich auch aus der Sache. Wenn sich Tamar gegenüber Amnon auf das israelitische Ethos beruft (2Sam 13,12: ;לא יעשׂה כן בישׂראלv. 13: ואתה תהיה )כאחד הנבלים בישׂראל39, wenn Absaloms Außergewöhnlichkeit in Israel beschrieben wird (2Sam 14,25: )וכאבשׁלום לא היה אישׁ יפה בכל ישׂראלoder wenn Nathan David ankündigt, dass JHWHs Vergeltung für dessen Verbrechen an Uria für jedermann ersichtlich sein werde (2Sam 12,12: ואני
Nachdem David in 2Sam 2,4 zum König über Juda ( )בית יהודהgesalbt worden war, vollziehen die Nordstämme nach 2Sam 5,1–5 ein analoges Ritual, und er wird zum König über „ganz Israel und Juda“ (v. 5). Im Folgenden agiert nun stets Gesamt-Israel, d.h. alle „Israel“-Belege in 2Sam 5–8 beziehen sich entweder auf diese Größe (5,12.17; 6,1.5.15.19–21; 7,8.10; 8,15) oder erscheinen in Rückblicken auf die Exodus- und Wüstenzeit (7,6f.23f.) oder im JHWH-Titel אלהי ישׂראלa(7,27, vgl. 7,26). 37 R OST, Überlieferung, 74ff., rechnet den sog. „Ammoniterkriegsbericht“ 2Sam 10,6– 11,1; 12,26–36 freilich zu den übernommenen Quellen innerhalb der ThFG. Selbst wenn man davon ausgeht, dass hier ein älterer Text unverändert übernommen wurde und er somit für den Sprachgebrauch des Autors von ThFG nicht einschlägig ist, ändert sich der Befund nicht. Die nächsten Belege für ישׂראלsind dann 11,11 (Nordstämme im Gegenüber zu „Juda“) und 12,7.12 (Gesamt-Israel). 38 Die Zuordnung von הצבאund הגבריםmacht gewisse Schwierigkeiten, im vorliegenden Text lässt sich הגבריםsyntaktisch nur als Apposition zu כל הצבאdeuten (so z.B. HERTZBERG, ATD, 247; STOLZ, ZBK.AT, 233; HENTSCHEL , NEB, 41; STOEBE, KAT, 273, möchte צבאals erläuternde Glosse ausscheiden), was sachlich aber nicht möglich ist, da צבאüblicherweise den Heerbann bezeichnet, גבריםaber zumeist „Davids Helden“, d.h. wohl eine stehende Truppe ausgezeichneter Kämpfer (vgl. 2Sam 16,8; 20,7; 23,8ff.). Am wahrscheinlichsten bleibt der Ausfall eines וvor ( הגבריםso schon DRIVER, Notes, z.St., in der Sache auch SCHROER, Samuelbücher, 162; BAR-EFRAT, Samuel, 103). Für die Taktik Joabs spielen später wiederum zwei Truppenteile eine Rolle; ob sie wie BAR-EFRAT, ebd., unter Aufnahme der Auslegung bei David Kimchi, mit den zwei Gruppen aus v. 7 zu identifizieren sind, ist nicht sicher, da v. 9 terminologisch anders zwischen בחורי ישׂראל und יתר העםunterscheidet. 36
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אעשׂה את הדבר הזה נגד כל ישׂראל ונגד השׁמשׁ, vgl. auch 1Reg 1,20) ist eine Eingrenzung auf Nord-Israel oder Juda schlicht nicht sinnvoll.40 Dass die vorherrschende Erwartung für den Israel-Namen, die gesamtisraelitische Referenz ist, bestätigt sich auch dadurch, dass dort, wo ישׂראל in seiner engeren Verwendungsweise nur die Nordstämme41 bezeichnet, stets eine Disambiguierung erfolgt:42 – 2Sam 11,11: Uria bezieht sich in seiner Rede auf das im Feld lagernde Kriegsvolk, um zu begründen, warum er nicht zu Bathseba und in sein Haus geht. Das Kriegsvolk bezeichnet er als „Israel und Juda“. Rhetorisch dient die Aufgliederung in Israel und Juda dazu, die Liste der neben der Lade und Joab genannten zu verlängern; Uria steht somit, wenn er sich hier 39 WILLI-PLEIN, Frauen, 359f., möchte „Israel“ in 13,12f. vorrangig auf Nord-Israel beziehen. Nach Willi-Plein betrifft Tamars Argumentation nicht nur die Vergewaltigung, sondern darüber hinaus die Verletzung der Inzestschranken: „Sobald er [sc. Amnon, K.W.] einigermaßen zur Besinnung kommt, wird ihm klar, was Tamars Worte bedeuten: Nach dieser Tat wird er, gerade wenn er sie durch Eheschließung mildert, massiv an Akzeptanz für das Königtum in Israel verloren haben, denn ‚in Israel‘, wenn auch offensichtlich nicht unbedingt in Jerusalem, gilt ein striktes Inzestverbot auch unter Halbgeschwistern“ (359). Die Episode sei insofern eine „Schlüsselszene“, da hier „erstmals – also bereits vor Schebas Aufstand – ein Riß in die Personalunion zwischen Königtum über Israel und Königtum in Juda und Jerusalem geraten“ sei (360). Von 2Sam 13 her überzeugt die These, dass sich Amnon nicht notwendig mit einer anderen Vergewaltigung, wohl aber mit der Vergewaltigung seiner Halbschwester als König unmöglich gemacht hätte, nicht; Tamar bezieht ihre Argumente auf die Vergewaltigung selbst, sie erscheinen im כי-Satz, der an die Aufforderung אל תענניanknüpft (v. 12). Die ( נבלהv. 12b), die Amnon zu „einem der Schändlichen in Israel“ macht (v. 13: )כאחד הנבלים בישׂראלmeint ebenfalls die Vergewaltigung und nicht die Möglichkeit, dass die Verbindung als inzestuös angesehen werden könnte. Als Lösung bietet Tamar daher die Heirat an (v. 13). 40 KRATZ, Komposition, 180.190–193, rechnet 2Sam 13, incl. v. 12, übrigens zu den älteren Quellen innerhalb der Samuelbücher, konkret zur Sammlung judäischer Hoferzählungen, die erst nachträglich mit den israelitischen Erzählungen in 1Sam *1–14 verbunden worden seien – mit dem Ergebnis einer „Komposition in I Sam–I Reg 2, die … die ehedem unabhängigen Reiche Israel und Juda vereint“ (aaO., 190f.). Für v. 12 würde dies allerdings bedeuten, dass „Israel“ hier innerhalb der judäischen Erzählung Juda bezeichnet, womit Kratz seiner These von einer erst späteren Israelitisierung Judas (dazu S. 23f.) widerspricht. Ebenso überraschend ist es, dass in 15,2; 20,14, die Kratz zu den alten „Quellen“, d.h. den „judäischen Hoferzählungen“ zählt, von den „Stämmen Israels“ die Rede ist, schließlich hat nach Kratz erst die deuteronomistische Bearbeitung dafür gesorgt, dass „das Volk Israel die primäre Größe ist, die beides, das Haus Israel (später die Stämme Israels) und das Haus (später den Stamm) Juda umfaßt“ (191). 41 Daneben gibt es freilich auch andere Möglichkeiten zur Bezeichnung der Nordstämme. Schim ˓i ben Gera bezeichnet sich als Angehöriger des „Hauses Joseph“ (2Sam 19,21), dazu unten S. 186. 42 So bereits C RÜSEMANN , Widerstand, 96. Daran dass sich diese Regel aufstellen lässt zeigt sich, dass der Gebrauch von „Israel“ und/oder „Juda“ weder „inconsistent“ noch „certainly confusing“ ist und daher auch nicht mit GUNN , Story, 33, als Beleg für eine Spätdatierung der Texte angeführt werden kann.
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dem Ansinnen des Königs widersetzt, auf der Seite ganz Israels. 43 Für „Israel“ ergibt sich durch das Gegenüber zu „Juda“ die Referenz auf die Nordstämme. – 2Sam 19,41–44; 20: Nachdem die Bedrohung durch den Absalom-Aufstand mit dem Sieg Davids und der Flucht der Absalom-Partei überwunden ist (2Sam 19,9 44), kündigt sich mit den Vorgängen um die Reinstitution Davids im Gegenüber von Nordstämmen und Juda eine neue Konfliktlinie an, die im Scheba-Aufstand (2Sam 20,1–22) gipfelt. Die Ouvertüre für den Stämmezwist bildet bereits Davids Hinwendung zu Juda mit dem Argument der Verwandtschaft (v. 13: )אחי אתם עצמי ובשׂרי אתם, das später von den Judäern aufgegriffen, von den Nord-Israeliten zunächst zurückgewiesen (v. 43.44), dann aber gegen David gewendet zur Grundlage des Scheba-Aufstands wird (20,1). 45 Anders als noch in 2Sam 19,9 (dazu i.F.) bezeichnet „Israel“ in v. 41–44 die Nordstämme. Für 19,41 ergibt sich dies durch das Gegenüber von עם יהודהund חצי עם ישׂראל, das die weite Verwendungsweise für „Israel“ ausschließt. Daraus folgt, dass כל אישׁ ישׂראלin v. 42 ebenfalls auf die Nordstämme referiert, was im Nachhinein durch die wörtliche Rede bestätigt wird, in der sich die Wir-Gruppe von ihren „Brüdern, den Judäern“ ( )אחינו אישׁ יהודהunterscheidet. V. 43f. behalten den Sprachgebrauch bei, wobei das Gegenüber von אישׁ יהודהund אישׁ ישׂראלbis an die Grenze der Redundanz wiederholt wird. Für 2Sam 20 wirkt die durch die Exposition in v. 2 geleistete Klärung der Referenz für die folgende Darstellung, die auch hier wieder über das Gegenüber zu Juda erfolgt. Für כל שׁבטי ישׂראלin 20,14 liegt damit eine Referenz auf die Nordstämme nahe.46 Für v. 19 ist die Frage kaum zu entscheiden; in der zitierten Rede der Frau erinnert der Bezug auf „Israel“ an die vergleichbar generalisierenden Aussagen 13,12f.; 14,25. Für das Verständnis von v. 19 ist es 43 Vgl. die analoge Dichotomie zwischen König und (Kriegs-)Volk in 11,1, hier allerdings unter Verwendung von כל ישׂראל. 44 V. 9 markiert den Abschluss der Darstellung des Krieges, beide Kriegsparteien (vgl. 18,6) – העםauf der Seite Davids, ישׂראלals frühere Parteigänger Absaloms – werden getrennt, der König tritt wie zu Beginn des Kampfes ins Tor (18,4). וישׂראל נס אישׁ לאהליוin 9b ist adversativ und vorzeitig zu 9b (vgl. 18,17). Über diese szenische Wiederaufnahme wird der Abschnitt abgerundet (so auch CAMPBELL, FOTL, 160), v. 9ab sind daher auch nicht als Redeeinleitung zu werten noch ist das Fehlen einer Rede ein literarkritisches Indiz (so RUDNIG , Davids Thron, 293f.). Die neue Einheit beginnt in 19,10 mit ( ויהיanders grenzen u.a. CONROY, Absalom, 80.89; STOLZ, ZBK.AT, 269; STOEBE, KAT, 415, oder HENTSCHEL, NEB, 81, ab). 45 Zur Argumentation mit dem zehnfachen Anteil vgl. unten S. 188f. 46 Innerhalb der Darstellung fällt die fortschreitende und erzählerisch nicht motivierte Reduktion der Anhänger Schebas auf; zu Beginn ist von ( כל אישׁ ישׂראלv. 2) die Rede, in v. 14 nur noch von Angehörigen der Sippe der Bichriter ( הבריםist schwierig, Ö bezeugt mit der Wiedergabe als 8! %% jedoch die Konsonanten ב, כund ר, so dass die Annahme eines ursprünglichen הבכריםwahrscheinlich ist, so bereits BUDDE , KHC, z.St.), am Ende geht es nur noch um Scheba allein (v. 21f.).
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aber auch nicht entscheidend, ob man von v. 2 her nur an die Nordstämme oder aber an Gesamt-Israel denkt, daher bestand u.U. gar keine Notwendigkeit für eine explizite Disambiguierung. Für keine der oben (S. 171) genannten Constructus-Verbindungen mit „Israel“ scheint es somit von vornherein eine Festlegung auf Gesamt-Israel zu geben. Für Verbindungen wie זקני ישׂראל,a בחורי ישׂראלoder עם ישׂראלist zwar klar, dass sie lediglich eine Teilgruppe des Volkes 47 bezeichnen, über den Zuschnitt des bezeichneten Volkes, also ob es sich etwa lediglich um die Ältesten der Nordstämme oder Gesamt-Israels handelt, ist nicht per se entschieden.48 „Israel“ als nomen rectum eignen alle semantischen Möglichkeiten des Israel-Namens. Gleiches gilt für jene Verbindungen, deren nomen regens eine Gesamtheit impliziert49 und sogar für כל ישׂראל.50 „Israel“ als alternative Bezeichnung Judas ist im untersuchten Textbereich hingegen nicht belegt, d.h. Juda ist bei der weiten Verwendungsweise inbegriffen und somit Teil Israels, trägt den Namen anders als die Nordstämme aber nicht selbst als Teilbereich. Ob diese Verwendungsweise für den Autor der Texte nicht in den semantischen Möglichkeiten des IsraelNamens gelegen hat oder ob diese Möglichkeit z.B. aus Gründen der besseren Verständlichkeit51 lediglich nicht realisiert wurde, lässt sich nicht entscheiden. 1.1.1.2 Mehrdeutigkeit als erzählerisches Mittel in 2Sam 15–19 Einen Sonderfall bildet die Verwendung des Israel-Namens in der Erzählung über den Absalom-Aufstand (2Sam 15–19). Die Bruchlinie verläuft hier nicht zwischen Juda und den Nordstämmen, dennoch lassen es die semantischen Möglichkeiten des Israel-Namens zu, dass er auch hier verwendet wird. Die kunstvoll angelegte Kompositionsstruktur von 2Sam 15–19 hat C. Conroy herausgearbeitet. Er findet eine symmetrische Struktur mit
47 עםsteht sowohl in 2Sam 18,7 als auch in 19,41 und öfter in Kap. 18f. für das Kriegsvolk. Am deutlichsten wird dies in 19,9, wo sich bei einer Deutung von עםauf die gesamte Bevölkerung ein Widerspruch zwischen 9b und 9b ergäbe (zu 9b vgl. auch S. 179 Anm. 44). 48 „Israel“ referiert in 2Sam 10,9 auf Gesamt-Israel, in 17,4.15; 18,7 auf die Landbevölkerung als Parteigänger Absaloms (dazu i.F.), in 19,41 auf die Nordstämme. 49 בית ישׂראל: Gesamt-Israel 15,2.10; wahrscheinlich Nordstämme 20,14; שׁבטי ישׂראל: Nordstämme 12,8, wahrscheinlich Gesamt-Israel 16,3; אנשׁי ישׂראל/אישׁ: Gesamt-Israel 15,6.13; 16,18, Parteigänger Absaloms 16,15; 17,14.24, Nordstämme 19,42–44; 20,2. 50 כל ישׂראלreferiert in fast allen Fällen auf Gesamt-Israel, allerdings werden in 2Sam 18,17 auch die Parteigänger Absaloms, die sich nach verlorener Schlacht zurückziehen, als „ganz Israel“ bezeichnet. Zu כל ישׂראלin den Reden Huschais vgl. unten S. 185. 51 Je mehr Möglichkeiten realisiert werden, umso diffuser ist die Erwartung der Rezipienten, und der Aufwand der Disambiguierung steigt.
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einander korrespondierenden Szenen.52 Insbesondere Davids drei Begegnungen mit den Unterstützern Ittai, den Priestern sowie Huschai (15,13– 37), dem Sauliden Ziba (16,1–4) und dem Benjaminiten Schim ˓i ben Gera (16,5–13) während seiner Flucht aus Jerusalem und die chiastische Wiederkehr dieser Begegnungen bei der Rückkehr (19,17–24 Schim ˓i, 19,25– 31 Ziba und Mephiboschet, 19,32–41 Barsillai) lassen dieses Gestaltungsprinzip erkennen. Inhaltlich exemplifizieren die Begegnungen verschiedene Varianten der Loyalität bzw. Illoyalität gegenüber David und weisen darauf hin, dass die Frage der Loyalität gegenüber dem König ein zentrales Thema der Erzählung ist. Das zeigt sich auch in der Hinführung zum eigentlichen Aufstand in 2Sam 15,1–12. Dieser verläuft in zwei Etappen: v. 1–6 schildern, wie Absalom über einen längeren Zeitraum seine schon in v. 1 53 anklingenden Ansprüche auf den Thron durch Rückhalt in der Bevölkerung absichert, v. 7–12 beschreiben den eigentlichen Putsch und die Unterstützerfraktion Absaloms. 15,1–6 haben in der Forschung eine breite Diskussion über die im Text vorausgesetzten Rechtsinstitutionen, insbesondere zum König als Rechtsinstanz und seinem Verhältnis zu Ältesten- oder Torgericht ausgelöst, bis hin zu der Frage ob ( שׁופט בארץv. 4) ein auf seine juristische Funktion bezogener Amtstitel des Königs gewesen sei. 54 Dagegen betonen W. Dietrich/Th. Naumann zu Recht, dass Absalom gar kein Recht spreche, sondern er „propagiert ohne Ansehen des Einzelfalls, daß jeder Bittsteller mit seinem Anliegen im Recht sei, nur eben beim König kein Gehör fände“. 55 Es geht also gar nicht um die Frage der Rechtsprechung an sich, sondern darum, dass sich Absalom als Alternative zu David ins Spiel bringt und zugleich weite Teile Israels von David entfremdet. Um welche Teile es sich dabei handelt, ist Gegenstand einer weiteren und für die vorliegende Fragestellung gewichtigeren Debatte. Die älteren Ausleger vermuteten die Unterstützer Absaloms vornehmlich unter den Judäern und verwiesen dafür auf Hebron als Ort seiner Machtübernahme und auf die Beteiligung von Judäern wie Ahitophel und Amasa.56 K.-D. Schunck rechnet neben Juda noch Benjamin zur Absalompartei, die 52 C ONROY, Absalom, 89f.; ähnlich aber im Einzelnen noch weiter ausdifferenziert auch FOKKELMAN , Art and Poetry, 338ff. Sowohl Conroy als auch Fokkelman beziehen 2Sam 20 in ihre Strukturvorschläge ein, hier sind vergleichbare Entsprechungen jedoch kaum noch vorhanden. 2Sam 15–19 sind somit strukturell als Einheit zu erkennen, den noch sind die Kapitel vielfältig mit dem Vor- und Nachkontext verklammert: verwiesen sei hier lediglich auf die Aufnahme der Zeichnung Absaloms in 1Reg 1,5 (vgl. 2Sam 15,1), die Problematik vergewaltigter und angeeigneter Frauen, die sich durch die gesamte ThFG zieht (2Sam 11; 12,11f. = 16,21f.; 13; 20,3), die Frage nach dem Umgang mit den Nachkommen Sauls (2Sam 9,6–13; 16,1–4; 19,25ff.) u.a.m. 53 Vgl. 1Sam 18,11; 1Reg 1,5, dazu B AR -EFRAT, Samuel, 153. Mit dem Anspruch spielt erzählerisch sehr geschickt auch v. 5: Absalom lehnt die einem König zukommende Ehrenbezeigung ab und gibt sich volksnah, gerade um die Herrschaft zu gewinnen. 54 So SEEBASS , David, 13f. 55 Samuelbücher, 273. 56 Vgl. u.a. B UDDE , KHC, 269–271; GALLING , Erwählungstraditionen, 73; B ARDTKE , Erwägungen. METTINGER, King, 122, der selbst von einer Beteiligung ganz Israels ausgeht, stellt die Hinweise auf eine Beteiligung Judas zusammen.
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übrigen Nordstämme wären David treu geblieben. 57 A. Alt argumentiert dagegen mit dem Sprachgebrauch: da „Israel“ innerhalb der ThFG Nord-Israel bezeichne, folge für die Darstellung in 2Sam 15, dass nicht Juda, sondern „gerade und ausschließlich Israel die Aufstände machte“.58 Gegen diese Versuche im Absalom-Aufstand bereits die Fronten des Scheba-Aufstands oder der späteren Reichsteilung zu sehen, wendet sich F. Crüsemann und argumentiert für die Beteiligung des „gesamte[n] Reichsgebiet[s] am Abfall“, 59 den er als Indiz für einen „tiefgreifende[n] Dissens zwischen dem Volk und dem herrschenden Königtum“60 auswertet.
Folgt man den im Text gegebenen Hinweisen zur Disambiguierung des Israel-Begriffs ergibt sich folgendes Bild: – Absalom postiert sich zunächst im Stadttor (15,2a) fängt also jene ab, die von außen kommen und zum König wollen. Damit ist ein erstes Indiz gegeben, dass er sich nicht an die Jerusalemer Stadtbevölkerung, sondern an die Landbevölkerung wendet, die sich nur mit bestimmten Anliegen in die Stadt begibt.61 V. 2b widerspricht dieser Vermutung nicht; Absalom fragt nach der Heimatstadt der Kommenden ( )אי מזה עיר אתה, die Antwort (מאחד שׁבטי ישׂראל עבדך62) nennt aber nicht einzelne Ortslagen, sondern hebt auf die Stammeszugehörigkeit ab.63 Jenen, die mit der Auskunft über ihre tribale Zuordnung antworten – und darf man schließen: nicht mit der Auskunft, dass sie aus Jerusalem kommen? – verspricht Absalom Unterstützung. – V. 6 fasst den Erfolg seines Unternehmens zusammen; indem Absalom an כל ישׂראלauf diese Weise handelte, gelang es ihm das Herz der Männer Israels ( )לב אנשׁי ישׂראלzu stehlen. V. 6 nimmt mit כל ישׂראל אשׁר יבאו למשׁפט אל המלךdie Formulierung כל אישׁ אשׁר יהיה לו ריב לבוא אל מלך למשׁפטaus v. 2 auf, nur dass כל אישׁjetzt durch כל ישׂראלersetzt ist.64 Welcher Anteil Israels gewonnen ist, bleibt in v. 6a noch offen; כלbezeichnet hier nicht die 57 58 59
SCHUNCK, Benjamin, 140, Anm. 3. ALT, Staatenbildung, 57; so auch HERTZBERG, ATD, 271f.; DONNER , Geschichte, 238. CRÜSEMANN , Widerstand, 100, und in der Folge die meisten neueren Kommenta-
toren. AaO., 99. HERTZBERG, ATD, 271, scheint das Problem zu spüren, wenn er, um seine These zu stützen, dass Absaloms Parteigänger v.a. unter den Nordstämmen zu suchen sind, behauptet, das Tor „ist natürlich das oder ein Tor zum Hof- und Regierungsgebäude, nicht das Stadttor“ und weiterhin vermutet, David habe „regelmäßige Gerichtstage, vielleicht besonders für die Nordstämme“ abgehalten (aaO., 272). 62 Die Formulierung מאחד שׁבטי ישׂראלist dabei distributiv zu verstehen, i.S.v. ‚aus diesem oder jenem der Stämme Israels‘, was sich schon durch die Determination von אחד innerhalb der Constructus-Verbindung ergibt. Ginge es lediglich um Angehörige der Nordstämme, d.h. eine Übersetzung wie „aus einem (unbestimmt!) der Stämme Israels“ müsste dies anders formuliert sein, z.B. מאחד משׁבטי ישׂראלvgl. Dtn 18,6 mit Indetermination für אחד. 63 Vgl. F OKKELMAN , Art and Poetry, 165f. 64 Vgl. aaO., 169. B AR -EFRAT, Samuel, 155, notiert als weiteren Bezugspunkt zu 15,2. 4: „Abschalom, der ein Richter sein will, ist nichts anderes als ein Dieb“. 60 61
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Gesamtheit, sondern den im אשׁר-Satz definierten Anteil des Volkes. V. 6b spricht dann aber bereits ohne weitere Einschränkung vom לב אנשׁי ישׂראל, so dass sich hier die Vermutung erhärtet, dass Absaloms Erfolg weitreichend sein könnte. Am Ende von v. 1–6 ergibt sich als Spannungsmoment für die weiteren Fortgang, die Frage der Loyalitäten: Wer steht zu Absalom und wer zu David? – V. 7–12 bleiben bei Absalom und schildern den eigentlichen Putsch. Absalom verlässt Jerusalem und wendet sich an die שׁבטי ישׂראל, d.h. das aus v. 2 bekannte Forum. Damit bleibt es für die Textakteure bei der Unterscheidung Jerusalem vs. Stämme Israels. Letztere wird durch v. 11 auf paradoxe Weise bestätigt: 200 Mann aus Jerusalem gehen zwar mit nach Hebron, sie kommen aber nicht aus eigenem Antrieb, sondern sind geladen ( )קראיםund werden zugleich als völlig ahnungslos beschrieben ( הולכים )לתמם ולא ידעי כל דבר. V. 12b schließt auch diesen Abschnitt mit einem Ergebnis ab, das wiederum die Zuordnung der Loyalitäten betrifft: Die Verschwörung hat großen Zulauf und das Volk ( )העם65 sammelt sich hinter Absalom. – V. 13ff. wenden sich nun David zu. Die Meldung, die der König erhält (v. 13b), nimmt mit לב אישׁ ישׂראלdie Formulierung von v. 6 auf. Spätestens hier ist klar, dass Absalom die gesamte Landbevölkerung hinter sich gebracht hat.66 Davids Gefolgschaft befindet sich dagegen in Jerusalem (v. 14) und wird im Folgenden (v. 15–37) detailliert entfaltet. 67 Sie umfasst die ( עבדי המלךv. 15–18), die Gatiter unter der Führung von Ittai (v. 19–22), Zadok, Abjatar mit ihren Söhnen sowie den Leviten (v. 24–29) sowie Huschai den Arkiter (v. 32–37a). Der Eingangsabschnitt zur Darstellung des Absalomaufstands ist somit auf die Zuordnung der Kontrahenten focussiert. Die Verwendungsweise des Israel-Namens steht im Dienst der narrativen Entfaltung jenes spannungsgebenden Moments der Erzählung. So bleibt eine explizite Disambiguierung für den Israel-Begriff am Beginn der Darstellung aus, diese verläuft 65 עםbezeichnet in 2Sam 15–19 stets das „Kriegsvolk“, vgl. 15,17.23f.30; 16,6.14f. 18; 17,2f.8f.16.22.29; 18,1–8.16; 19,3f.9f.40f. 66 In 15,7ff. zeigt auch das Spiel mit dem Titel המלךdie kunstvolle narrative Gestaltung der Erzählung: In v. 7.9 wird der Titel für David verwendet. V. 10 berichtet von der Einsetzung Absaloms ( )מלך אבשׁלום. Auf David wird in v. 12 in der Einführung Ahitophels als Ratgeber Davids ( )יועץ דודwieder Bezug genommen – nun ohne Rückgriff auf den Königstitel. Inhaltlich ist an diesem Punkt offen, wie sich Absaloms Inthronisation zum Königtum Davids verhält. In v. 13f. tritt David wieder als Akteur in Erscheinung, doch auch hier trägt er den Titel המלךnicht. Dieser erscheint erst wieder in v. 15 (und hier gehäuft, vgl. die Redeeinleitung v. 15a) in einem Schwenk zur Perspektive der Männer Davids; sie sehen ihn weiter als König und bestätigen die Gefolgschaft in ihrer Rede v. 15b. Im Folgenden ist von David wieder als „König“ (v. 16ff.) die Rede. 67 Neben der Darstellung der Loyalitätsbeziehungen hat die detaillierte Auflistung von Davids Gefolgsleuten eine weitere erzählerische Funktion; sie dient als Einführung von Akteuren, die im Folgenden eine wichtige Rolle spielen werden.
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vielmehr sukzessive, wenn sich nach und nach die verschiedenen Loyalitätsbeziehungen herauskristallisieren. Im Hintergrund steht dabei der umfassende Gebrauch des Israel-Namens, weder für eine Eingrenzung auf die Nordstämme noch auf Juda gibt es eindeutige Hinweise im Text, vielmehr steht „Israel“ (wie auch die Verbindungen „Stämme Israels“ oder „Männer Israels“) im Gegenüber zu Jerusalem bzw. der Gefolgschaft Davids. 68 Die Mehrdeutigkeit des Israel-Namens trägt somit innerhalb von 2Sam 15 durchaus zum Spannungsaufbau bei, da die Uneindeutigkeit der Referenz eingesetzt wird, um die Leitfrage des Textes zunächst offen zu halten. Die in 2Sam 15 eingeführte Verwendungsweise des Israel-Namens mit Referenz auf die Absalompartei wird in der folgenden Darstellung konsequent beibehalten. 2Sam 16,1–14 schildern Davids Weg zum Jordan, mit v. 15 schwenkt die Darstellung zu Absalom und seiner Gefolgschaft, die als כל העם אישׁ ישׂראלeingeführt ist. Vor den Augen von כל ישׂראלbemächtigt sich Absalom der Frauen Davids (16,21f.), als seine Ratgeber fungieren die זקני ישׂראלa(17,4.15), und Huschais Rat wird von Absalom und כל אישׁ ישׂראל für gut befunden (17,14). In Vorbereitung der Schlacht überschreiten Absalom und כל אישׁ ישׂראלden Jordan (17,24) und Absalom und „Israel“ (v. 26) lagern in Gilead. Im Schlachtbericht 18,1–17 dienen ( ישׂראלv. 6.16) bzw. ( כל ישׂראלv. 17) oder ( עם ישׂראלv. 7) durchweg als Bezeichnung des Heeres Absaloms, die Streitkräfte Davids werden dagegen ( העםv. 1–6.16) oder ( עבדי דודv. 7.9) genannt. Nach dem Tod Absaloms und der Flucht „Israels“ (19,9) ändert sich zunächst nichts; כל שׁבטי ישׂראלin v. 10 bzw. כל ישׂראל (v. 12b)69 bezeichnet weiterhin die ehemalige Absalompartei (v. 11!).70 Erst Davids Initiative, sich zuerst an die Judäer zu wenden, bringt die später (19,41ff.; 20) relevante Bruchlinie zwischen den Nordstämmen und Juda ins Spiel.71 Dass mit כל ישׂראלin 19,10ff. nicht allein die Nordstämme bezeichnet sein können, erhellt auch aus der Formulierung von Davids Frage in v. 12 ( )למה תהיו אחרנים להשׁיב את המלך אל ביתו, die impliziert, dass die Angesprochenen David bereits zurückbringen wollen, ganz entsprechend der Argumentation von „ganz Israel“ in v. 10f. Die Judäer sollen nun lediglich den Anfang machen und David den Weg ebnen, so dass er sich in 19,23 schließlich selbst wieder als מלך ישׂראלbezeichnen kann. So auch DANELL, Studies, 81f. ודבר כל ישׂראל בא אל המלךaus v. 12b ist mit Ö hinter v. 11 zu verschieben; אל ביתוist wahrscheinlich eine Dittographie aus v. 12a aufgrund einer aberratio oculi. 70 Dass „Israel“ hier plötzlich allein die Nordstämme bezeichne und der Gesinnungswandel somit auf diese beschränkt geblieben sei (so u.a. BARDTKE , Erwägungen, 2; STOEBE, KAT, 417; HENTSCHEL , NEB, 80; BAR-EFRAT, Samuel, 194f.), ist an keiner Stelle angezeigt. 71 Ob 2Sam 19,12f.41ff. in dem Sinne historisch auswertbar sind, wie es BARDTKE , Erwägungen, und auf etwas andere Weise auch CRÜSEMANN , Widerstand, 101f., versuchen, kann hier nicht diskutiert werden. Auf narrativer Ebene bereitet Davids Vorgehen jedenfalls die Geschehnisse von 2Sam 20 vor. 68 69
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Erst in 19,41ff. wird schließlich wieder eine andere semantische Möglichkeit des Israel-Namens als Bezeichnung für die Nordstämme realisiert, dies aber mittels einer expliziten Anzeige der Referenz (dazu oben S. 179).72 Einen gewissen Sonderfall bilden die verschiedenen Reden des Ratgebers Huschai. Seine erste Rede (16,16–19), mit der er sich bei Absalom in Stellung bringt, trägt deutlich ironische Züge (die Leser wissen bereits von 15,34f. her, dass seine Loyalität David gehört). Er begrüßt Absalom mit dem doppelten Jubelruf יחי המלך יחי המלך, von keinem der Anhänger Absaloms, auch nicht anlässlich seiner Einsetzung wird ähnliches berichtet. Er spielt mit העם הזה וכל אישׁ ישׂראלauf die Formulierung von v. 15 (dort auf der Erzählerebene) an und steigert diese noch, indem er Absalom nicht nur als von Israel sondern auch als von JHWH-Erwählten bezeichnet. Von einer Erwählung durch JHWH war zuvor keine Rede, auch die Stämme beziehen sich später (19,11) nicht darauf, das Ganze dient also lediglich der Schmeichelei, vgl. die betonte Voranstellung des לוin 18b.73 Erst in v. 19 nennt er schließlich das Argument, das David ihm mitgegeben hatte (vgl. 15,34). Auch in seinem Ratschlag (17,8–13) spricht Huschai wiederholt von „ganz Israel“ (v. 10.13, v. 11 noch gesteigert: כל ישׂראל מדן ועד באר )שׁבע. Dabei geht es ihm natürlich darum, David Zeit zu verschaffen, bis der Heerbann versammelt ist, unterschwellig zielt er zudem wie in v. 15 darauf ab, Absalom mit der Vielzahl der Unterstützer und seiner eigenen WILLI-PLEIN, Zelten, erwägt ausgehend von der Parole לאהליך ישׂראלin 2Sam 20 als weitere Möglichkeit für die Referenz des Israel-Namens, dass „das in der DHG [sc. Davidshausgeschichte, K.W.] genannte ‚Israel‘ sich nach Lebens- und Kampfgemeinschaften gegliedert im Einsatz der JHWH-Kriege (1Sam 18,17) realisiert, aber keine politisch oder geographisch definierte Größe ist“ (229). In der Tat ist „Israel“ in den hier untersuchten Texten nicht primär politisch oder geographisch bestimmt (dazu i.F.), die Deutung als lediglich im JHWH-Krieg existent gedachte Größe überzeugt jedoch m.E. nicht. Zum einen geht Willi-Plein davon aus, dass die Zelte deswegen genannt seien, weil „Israel“ hier „als militärisches Kollektiv nach seinen Zelten“ gegliedert werde (aaO., 227). Ausweislich der narrativen Parallelen in 2Sam 18,17; 19,9; 20,22 aber auch Jos 22,4; Jdc 7,8; 20,8; 1Sam 4,10; 13,2, 1Reg 8,66; 12,15; 2Reg 8,21; 14,12; 2Chr 7,10; 10,16; 25,22, die stets eine Rückkehr in die Heimatorte meinen, ist der Ruf אישׁ לאהליך ישׂראלwohl auch hier als Aufforderung gemeint, nach Hause zu gehen. (In 1Reg 12,16 folgt auf den Ruf לאהליך ישׂראלdirekt die narrative Umsetzung וילך ישׂראל לאהליו.) Ob Scheba, die Befugnis hatte den Heerbann aufzulösen (was mit WILLI-PLEIN, aaO., 226, sicher zu bezweifeln ist), steht gar nicht zur Debatte, sondern der Fakt, dass die NordIsraeliten seiner Aufforderung Folge leisten. Zum anderen lässt sich die Annahme eines nur im Krieg realisierten Israel, kaum mit dem Sprachgebrauch in anderen ThFG-Texten vereinbaren, die „Israel“ keineswegs nur in kriegerischen Kontexten verwenden. Wie wäre z.B. ein Ausdruck שׁבטי ישׂראלzu verstehen, der eine innere Strukturierung Israels spiegelt, die nicht militärischen Gesichtspunkten folgt? Oder wie könnte in 2Sam 13,12f., wo die Frage des JHWH-Kriegs gar keine Rolle spielt, auf gemein-israelitische Konventionen abgehoben werden? 73 B AR -EFRAT, Samuel, 169. 72
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Wichtigkeit (er selbst soll mitziehen, v. 11) zu schmeicheln. Im Sinne der Pragmatik der Rede auf der Ebene der Textakteure schwingt hier ein umfassendes Israel-Verständnis mit, ohne Einschränkung auf die Parteigänger Absaloms. 1.1.2 Hinweise auf die primordiale Codierung der kollektiven Identität Israels in der ThFG Die Texte der ThFG lassen zwei Prinzipien der inneren Gliederung Israels erkennen. Die eine ist die sich im Sprachgebrauch für „Israel“ direkt niederschlagende Einteilung in Nord-Israel und Juda, die andere ist die Untergliederung Israels in genealogisch verbundene Stämme. Letztere wird an keiner Stelle entfaltet, ihre Kenntnis aber mehrfach und verschiedene Aspekte betreffend vorausgesetzt: – Die Bezeichnung שׁבטי ישׂראלa(2Sam 15,2.10; 19,10; 20,14) ist offensichtlich ein Reflex eines tribal konstruierten Gemeinbewusstseins.74 שׁבטי ישׂראלkann sowohl auf Gesamt-Israel incl. Juda (15,2.10) bzw. die Absalom-Partei in Gesamt-Israel (19,10) als auch auf Nord-Israel referieren (20,14). Dass „Stämme Israels“ lediglich in bestimmten sachlichen Zusammenhängen gebraucht würde, lassen die drei Belege nicht erkennen. In 15,2 geht es um die Zuordnung zu einem Stamm als Auskunft über die Herkunft eines Einzelnen, in 15,10; 19,10 sowie 20,14 geht es jeweils um Loyalitätsbeziehungen zu Absalom resp. Scheba, die betreffende Größe kann auch als אישׁ ישׂראלa(15,6.13; 20,2) oder )כל( ישׂראלa(15,6; 19,10) bezeichnet werden, ohne dass damit eine andere Eingrenzung verbunden wäre. Als Stämmenamen sind Levi (15,24), Juda 75, Joseph (19,21) und Benjamin (16,11; 19,17f.; 20,1; 1Reg 2,8) im untersuchten Textbereich belegt.76 – Noch deutlicher auf den genealogischen Zusammenhang bezogen, ist בית ישׂראלa(16,3)77, wobei mit ביתauf die Abstammungsgemeinschaft rekurriert wird.78 In 2Sam 19,21 erscheint zudem בית יוסף: der Benjaminit Schim˓i ben Gera bezeichnet sich in seiner Rede gegenüber David selbst als Angehöriger des „Hauses Joseph“. 74 Einen weiteren Hinweis könnte noch 2Sam 17,1 liefern: Ahitophel bietet an, 12.000 Mann zu versammeln, um David nachzujagen. Nachdem sich Absalom zuvor auf Ahitophels Rat hin vor den Augen von „ganz Israel“ Davids Frauen bemächtigt (16,21f.), liegt es nahe die Zahl von 12.000 hier auf die Zahl der Stämme zu beziehen (vgl. STOEBE, KAT, 385). ÖΟpL lesen 10.000, die Variante geht aber mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen Abschreibfehler innerhalb der griechischen Textüberlieferung aufgrund der graphischen Ähnlichkeit von M und 5 zurück.) 75 2Sam 11,11; 12,8; 19,12.15–17.41–44; 20,2.4f.; 1Reg 1,9.35; 2,32. 76 Daneben begegnet auch „Ephraim“ (13,23; 18,6; 20,21), jedoch nicht als Stammesname, sondern stets als Landschaftsbezeichnung. 77 Der Beleg in 12,8 ist Teil einer nachträglichen Einfügung (vgl. S. 172 Anm. 8). 78 Zu dieser verbreiteten Verwendungsweise vgl. HOFFNER , ThWAT בית, Sp. 636f.
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בית יוסףist im Alten Testament 13 mal belegt und kann in der Josephsgeschichte Haushalt bzw. Familie Josephs (Gen 43,18f.; 50,8), innerhalb der Nordstämme die „Josephsöhne“ Ephraim und Manasse (Jos 17,17), zumeist aber die Nordstämme insgesamt (Jos 18,5; Jdc 1,22f.35; 1Reg 11,28; Am 5,6; Ob 18; Sach 10,6) bezeichnen. In 2Sam 19 liegt ebenfalls letztere Verwendungsweise vor. Das ergibt sich aus dem narrativen Gefälle von 2Sam 19, nach dem sich schrittweise die Gefolgschaft Davids vergrößert (erst Juda, dann die Benjaminiten Schim ˓i, Ziba und Mephiboschet mit ihrer Entourage), sich aber zugleich der Konflikt zwischen Juda und Nord-Israel (19,41ff.) vorbereitet. Wenn der Benjaminit Schim ˓i sich in 19,21 als ראשׁון לכל בית יוסףbezeichnet, der dem König entgegengeht, kann „Haus Joseph“ hier nicht in der engeren Verwendung für das Stämmepaar Ephraim und Manasse gebraucht sein, sondern muss die übrigen Nordstämme einschließen. Dass hier בית יוסףund nicht etwa בית ישׂראלerscheint, mag damit zusammenhängen, dass „Haus Joseph“ anders als „Haus Israel“ in der Referenz auf die Nordstämme eindeutig ist. Trifft es zu, dass „Israel“ in der ThFG immer primär Gesamt-Israel meint, es sei denn es erfolgt eine explizite Disambiguierung über das Gegenüber zu Juda, hätte Schim˓i gar nicht sagen können, dass er ראשׁון לכל בית ישׂראלsei, denn die Judäer waren vor ihm da. Dass er in seiner Rede umständlich erklärt, er sei der ‚Erste vom Hause Israel, aber nicht aus Juda‘, ist in der narrativen Gestaltung ebenso wenig stimmig. Die Verwendung von בית יוסףbedeutet deutlich weniger Aufwand.
Die abstammungsmäßige Verbundenheit zeigt sich schließlich auch darin, dass die Nord-Israeliten die Judäer in 19,42 als „Brüder“ ( )אחינו אישׁ יהודה bezeichnen.79 Einen Einblick in die innere Strukturierung der Konstruktion erlaubt die Schilderung der Auseinandersetzung zwischen Juda und Israel um den Vorrang bei David (2Sam 19,41b–44), die den Scheba-Aufstand (20,1ff.) einleitet.80 Die Episode gehört mit 19,10–16 zusammen, 81 Davids Vorgehen dort bildet den Hintergrund für die Argumentation der Nord-Israeliten und der Judäer hier: David hatte die Judäer überzeugt, die ersten in GesamtIsrael zu sein, die ihn als König zurückholen und mit seiner verwandtschaftlichen Verbundenheit mit Juda argumentiert. Beide Punkte werden in 19,41–44 aufgenommen. Die Judäer verweisen auf ihre Verwandtschaft mit David (v. 43: )כי קרוב המלך אלי, die Nord-Israeliten beklagen, dass nicht sie 79 Der Verweis auf diese verwandtschaftliche Beziehung hat in der Rede der NordIsraeliten die Funktion, ihre Gleichrangigkeit mit den Judäern anzuzeigen, so CRÜSEMANN , Widerstand, 103. 80 Die Fortsetzung zeigt, dass es bereits in 2Sam 19,41ff. nur vordergründig um die Frage der Heimholung Davids geht, diese ist transparent auf die politische Problematik des Zusammenhalts der beiden Reichsteile. Der Erzähler notiert als faktisches Ergebnis der Auseinandersetzung, dass sich die Judäer durchsetzen (v. 44). Der Darstellung eignet jedoch insgesamt keine pro-judäische Perspektive; die Anfragen der Nord-Israeliten werden ohne Wertung durch den Erzähler eingebracht (vgl. im Gegensatz dazu die Einführung Schebas in 20,1), es ist vielmehr der Spott und die unver söhnliche Reaktion der Judäer, die zu einer Verschärfung des Konflikts führt. EHRLICH, Randglossen 3, 326, bezeichnet die Rede zutreffend als „borniert“ („unhebräisch“ [ebd.] ist sie deswegen freilich nicht). Diese Wirkung bestätigt auch die Gegenfrage der NordIsraeliten v. 44: מדוע הקלתני. Erzählerisch wird hier zugleich der Stimmungsumschwung der Nord-Israeliten motiviert, der sie empfänglich für Schebas Botschaft macht.
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zuerst gefragt wurden (v. 44b: מדוע הקלתני ולא היה דברי ראשׁון לי להשׁיב את )מלכי. Den Rekurs auf Davids judäische Abstammung suchen sie mit einem weiteren Argument zu entkräften: ( עשׂר ידות לי במלך וגם בדוד אני ממךv. 44a). Stilistisch handelt es sich bei v. 44a MT82 um einen chiastischen Parallelismus membrorum (auch das Spottwort Judas v. 43b ist als Parallelismus gestaltet), der inhaltlich für den Vorzug des אישׁ ישׂראלbei David argumentiert.83 Die Intention der Rede ist hinreichend klar, wie das Argument im Einzelnen zu deuten ist und insbesondere was die Rede vom zehnfachen Anteil der Nordstämme am König meint, ist jedoch umstritten.
81 Das ist Konsens und wird teilweise auch literarkritisch dahingehend ausgewertet, dass 19,10ff.41bff. entweder als sekundärer Rahmen zu 19,17–41a (so z.B. HENTSCHEL, NEB, 81f.) oder als ursprünglich zusammengehöriges Stück, das erst durch v. 17–41a auseinander gerissen worden sei (so VERMEYLEN, Loi, 386–396, bes. 393–395, der in 2Sam 19,9–44 insgesamt fünf Schichten findet). RUDNIG , Davids Thron, notiert den Zusammenhang ebenfalls (324), dünnt die Verbindungslinien aber deutlich aus. Die Voraussetzung dafür ist seine Rekonstruktion der Entstehung von 19,10–16 (aaO., 294–303): Auf der Grundlage der Itinerarnotizen 2Sam 18,17b und 19,16b habe eine Redaktion (die von Rudnig um 300 angesetzte „Theodizeebearbeitung“ T1) mit 19,10f.15b.16a eine kurze Episode gestaltet, in der das gesamte Volk das Setzen auf Absalom als Irrweg erkennt und David zurückholt. Der Antagonismus zwischen Nord-Israel und Juda sei erst durch einen weiteren Ergänzer mit v. 12a.15a („Nachrichtendienst-Bearbeitung“ N1) in den Text gelangt, dem es „um die Logistik und Kommunikation der Vorgänge“ (302) gegangen sei. Dabei werde „der inklusiv zu verstehende Israel-Begriff in der Wendung ‚alle Stämme Israels‘ (V. 10, T1) als exklusiv, also nur auf das Nordreich bezogen, uminterpretiert“ (325). Die Komplettierung des Textes erfolgte über drei weitere singuläre Nachträge v. 13, v. 14, v. 12a und v. 16b . Lediglich für v. 13.16b erwägt er einen Zusammenhang mit 19,41ff. (362, Anm. 157). Die Analyse kann hier nicht in allen Einzelheiten diskutiert werden, sondern nur insoweit mit terminologischen Differenzen bezüglich des Israel-Namens argumentiert wird. Diesbezüglich ergeben sich zwei Anfragen: Zum einen zeigt der Wortlaut von Davids Frage, dass die Judäer nicht erst zur Anerkennung Davids gebracht werden müssen – dazu ist ganz Israel, incl. Juda schon bereit –, sondern lediglich einen ersten Schritt unternehmen sollen (vgl. oben S. 184). Durch v. 12 ändert sich die gesamt-israelitische Referenz von כל שׁבטי ישׂראלin v. 10 nicht, sondern wird vielmehr bestätigt. Zum anderen ist das Gegenüber von Israel und Juda auch schon in 19,17.21 greifbar (v.a. die Aussage Schim˓is, er sei als Erster vom Haus Joseph gekommen, wäre sonst gar nicht verständlich), die Rudnig dem Theodizeebearbeiter zuschreibt (aaO., 303–309). Ja selbst in den von Rudnig als Grundschicht angesehenen Itinerarnotizen überrascht der Wechsel von Gesamt-Israel 18,17b zu Juda allein 19,16b. Für eine über diese Einzelfrage hinausgehende kritische Würdigung der Untersuchung Rudnigs vgl. DIETRICH, Forschung, 267– 272. 82 Zur Variante von Ö vgl. unten S. 190 Anm. 93. 83 Gegen STOEBE, KAT, 430, und R UDNIG , Davids Thron, 328f., ist וגם דוד אני ממךdaher auch nicht als Nachtrag zu streichen. Für die von CAQUOT & DE ROBERT, CAT, 562f., und VERMEYLEN, Loi, 391–393, vertretene Zuweisung von v. 43b.44 an eine spätere Hand gibt es keine stichhaltigen Gründe, vgl. dazu SEILER, Geschichte, 191f.
1. „Israel“ in judäischen Texten
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Drei Optionen werden diskutiert: (a) es handelt sich um eine Redensart, die ganz allgemein die Überlegenheit der Nordstämme ausdrücken soll,84 (b) es wird Bezug genommen auf die relative Größe des Volksteils85 oder (c) die Zehnzahl ist vor dem Hintergrund des/ eines Stämmesystems zu verstehen und bezieht sich auf die Anzahl der nord-israelitischen Stämme. 86 Möglichkeit (a) ist angesichts des eingeschränkten Zugangs zur hebräischen Idiomatik natürlich nicht auszuschließen, doch lässt die Argumentation der Judäer mit Davids Verbindung zu Juda ein einschlägigeres Gegenargument erwarten als eine derartig allgemeine Feststellung. Möglichkeit (b) ist eine Verlegenheitslösung, die versucht die Problematik der Zehnzahl im Zwölfstämmesystem (dazu i.F.) zu vermeiden. Vergleichbare Aussagen gibt es nicht, wenn Größe oder Bevölkerungszahl von Nordstämmen und Juda bzw. Nord- und Südreich in Beziehung gesetzt werden, dann nicht im Verhältnis 10:1.87 Es bleibt Lösung (c) mit dem Bezug auf die Anzahl der Stämme. Gewisse Schwierigkeiten macht freilich die Zuordnung der Zahlen; zehn Nordstämmen steht lediglich Juda als Adressat gegenüber. Sollte ein anderes als das Zwölfstämme-System vorausgesetzt sein? Das ist wenig wahrscheinlich, zumal jegliche Hinweise für ein solches fehlen.88 Wenn aber zwölf Stämme vorausgesetzt sind, welcher Stamm wird dann zu Juda gerechnet? Dass es in Vorwegnahme von Verhältnissen nach der Reichsteilung Benjamin sei (so H.J. Stoebe89), ist in 2Sam 19f. ausgeschlossen (in 19,17ff. werden die Benjaminiten zu den Nordstämmen gerechnet, in 20,1 ruft der Benjaminit Scheba die Nordstämme zum Bruch mit David auf). In 1Reg 12 stellen sich die Verhältnisse möglicherweise anders dar.90 M. Noth erwägt, dass es sich um Simeon handeln könnte, der zu Juda gezählt wird.91 Simeon spielt zwar in der gesamten ThFG keine Rolle (wird aber bekanntlich auch im übrigen Alten Testament abgesehen von den Erzelternerzählungen nur in Listen erwähnt), ähnlich blinde Elemente gibt es aber auch bezüglich der Zehnzahl der Nordstämme. Hier scheinen sich traditionelle Elemente in der tribalen Konstruktion gehalten zu haben.92
Am wahrscheinlichsten bleibt die traditionelle Interpretation, die den zehnfachen Anteil auf die Zahl der Nordstämme bezieht. Diese fügt sich gut zur Bezeichnung der Judäer als „Brüder“ (v. 42: )אחינוund liefert ein stimmiges Gegenargument zur judäischen Position, wenn die Nordstämme nun ihrerseits die Verwandtschaftsverhältnisse ins Spiel bringen – wenn auch nicht innerhalb eines Stammes sondern im übergreifenden „Haus“. 93 Präsupponiert ist also auch in 2Sam 19 die Abstammungsgemeinschaft als Juda und Nord-Israel umschließende Größe und ihre innere Gliederung, die CAMPBELL , FOTL, 164 unter Hinweis auf Dan 1,20, vgl. BAR-EFRAT, Samuel, 203. HERTZBERG, ATD, 299. 86 So die Mehrzahl der Ausleger, vgl. NOTH , System, 4f.; HENTSCHEL , NEB, 85; RUDNIG , Davids Thron, 326 u.a.m. 87 In 2Sam 24 ergibt sich eine Nord-Süd-Ratio von 8:5, in 2Chr 13 von 2:1. 88 Für S EILER, Geschichte, 192, der ein 10:1 Verhältnis annimmt, kann in 19,44 daher auch nicht von Stämmen die Rede sein (vgl. zuvor schon BUDDE , KHC, 295). Das Deboralied Jdc 5 (dazu auch S. 372 Anm. 331) kann hier – wenn überhaupt – nur insoweit in Anschlag gebracht werden, dass es die Tradition der Zehnzahl für die Stämme NordIsraels teilt. Die Zusammensetzung ist bekanntlich eine andere als im genealogischen Zwölfersystem (die Südstämme Juda und Simeon und auch Manasse fehlen, dafür erscheinen Gilead und Machir). 2Sam 19,44 kann es auch nicht erklären. 89 KAT, 432. 84 85
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
in einer gewissen Konkurrenz zur dualen Struktur aus Nord-Israel und Juda steht. 1.2 Die Semantik des Israel-Namens bei Proto-Jesaja 1.2.1 „Israel“ in Jes 1–39 „Israel“ begegnet in Proto-Jesaja nicht gerade häufig. Insgesamt gibt es 44 Belege, wovon 22 auf JHWH-Titel wie „Heiliger Israels“ קדושׁ ישׂראל94 (zwölf Belege), „Gott Israels“ אלהי ישׂראל95 (sieben Belege), „Fels Israels“
90 Zum Verhältnis von 2Sam 19,41–44; 20,1 zur Darstellung der Reichsteilung in 1Reg 11f. müssen hier einige Andeutungen genügen. Die Parallelen sind offensichtlich, sie betreffen neben der großen Nähe der Formulierungen der sog. Lossageformeln in 2Sam 20,1b und 1Reg 12,16 auch die Zehnzahl der nord-israelitischen Stämme (1Reg 11,31) sowie eine gewisse pro-nord-israelitische Tendenz in der Darstellung (zu 1Reg 12 vgl. auch oben S. 105ff.). Dennoch scheint es übereilt, wenn man 2Sam 20,1 ohne Weiteres mit 1Reg 12,16 parallelisiert. Die Kontexteinbindung und die Unterschiede im Wortlaut der Sprüche sprechen m.E. dagegen: In 2Sam 20,1 ist der Aufruf Schebas die nord-israelitische Reaktion auf die Bevorzugung der Judäer durch David, über die sie sich u.a. mit dem Argument des zehnfachen Anteils am König (19,43) beschwert hatten. Schebas Spruch reagiert darauf (auch wenn der „Anteil“ jeweils unterschiedlich ausgedrückt wird: עשׂר ידותin 19,43; חלקbzw. נחלהin 20,1). Das ganze wirkt wie eine Trotzreaktion, die – betrachtet man den weiteren Verlauf des „Aufstands“, der letztlich auf Scheba als Einzelperson zusammenschrumpft – schnell verpufft. In 1Reg 12 ist die Problemstellung eine andere, hier geht es um die Daviddynastie. Der Spruch in v. 16 מה־ לנו חלק בדוד ולא־נחלה בבן ־ ישׁיrichtet sich gegen letztere, d.h. es wird der Anspruch des Davididen bestritten, mehr als sein „Haus“ zu seinem Erbteil zählen und Herrschaftsansprüche auf weitergehende Gebiete anmelden zu können (so NOTH, BK, 277: „Wir gehören nicht zur Großfamilie Davids, innerhalb deren man erbliche Landteile bekommen müsste.“ vgl. WÜRTHWEIN, ATD, 156; LINVILLE, Israel, 167). Dazu passt der Schluss עתה ראה ביתך דוד, der Rehabeam an seine Sippe zurückverweist – oder eben an Juda, wenn man mit der Tel-Dan-Inschrift (KAI 310) davon ausgehen kann, dass der Name des Südreiches בית דודwar. Die übliche Übersetzung „Was haben wir für Teil an David oder Erbe am Sohn Isais“ (Luther 1984) wäre dann irreführend, besser: „Was haben wir zu schaffen mit dem Teil Davids? Nichts mit dem Erbteil des Sohnes Isais“ (für ein ähnlich vorwurfsvolles Suffix+ מה ל, vgl. Jos 22,24; Jdc 11,12; 1Reg 17,18). Ob und wenn ja, in welcher Richtung eine literarische Abhängigkeit der Texte besteht oder ob beide, auf ihre Weise eine geprägte Formel aufnehmen, wäre noch zu klären. 91 System, 5. 92 Vgl. dazu unter C 2.3. 93 Auf dieser Linie liegt auch die Lesart von Ö, die gegenüber MT das Plus @ $%-(F(##& 8N < 'J hat (vgl. auch á). Ö repräsentiert eine Doppellesart, die zusätzlich eine Variante der hebräischen Vorlage tradiert, in der בדודzu בכורgeändert wurde (zur Diskussion vgl. STOEBE, KAT 430) und die so ein weiteres in der Verwandtschaftsstruktur begründetes Argument einträgt. Sie ist ein früher Reflex der Auslegung des Textes vor dem Hintergrund des Stämmesystems mit dem Nord-Israeliten Ruben als Erstgeborenem. 94 Jes 1,4; 5,19.24; 10,20; 12,6; 17,7; 29,19; 30,11.12.15; 31,1; 37,23. 95 Jes 17,6; 21,10.17; 24,15; 29,23; 37,16.21.
1. „Israel“ in judäischen Texten
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( צור ישׂראלJes 30,29), „Mächtiger Israels“ ( אביר ישׂראלJes 1,24) oder „Licht Israels“ ( אור ישׂראלJes 10,17) entfallen. Von den übrigen 22 „Israel“ Belegen finden sich 13 in Jes 1–12: ישׂראל in 1,3; 8,18; 9,7.11.13; 10,22; 11,16 96; בית ישׂראלin 5,7; בתי ישׂראלin 8,14, פליטת ישׂראלin 4,2, שׁאר ישׂראלin 10,20; נדחי ישׂראלin 11,1296 und מלך ישׂראל in 7,1. Die Belege konzentrieren sich v.a. in drei Texten: dem Weinberglied Jes 5,1–7, den Schlussabschnitten der sog. Denkschrift 8,11–18 und dem Kehrversgedicht Jes 9,7–20. Die verbleibenden neun Belege entfallen auf Jes 13–39: ישׂראלin 14,1; 19,24f.; 27,6; בית ישׂראלin 14,2 und בני ישׂראלin 17,3.9; 27,1296 und 31,6.97
1.2.1.1 Jes 1,3 Die erste Erwähnung des Israel-Namens im Jesajabuch findet sich in Jes 1,3. Die Überschrift 1,1 nennt Juda und Jerusalem als Thema der Visionen des Propheten, seine historische Verortung erfolgt über eine Liste judäischer Könige. Das Nordreich ist nicht im Blick. Insofern liegt es nahe, ישׂראלin v. 3b ebenso wie sein Pendant עמיim synonymen Parallelismus auf das Südreich zu beziehen. Nun ist die Überschrift aber zweifellos eine gegenüber den Texten, die sie als Visionen des Jesaja ben Amoz zusamZu Jes 11,11–16; 27,12f. vgl. oben S. 160ff. Nicht eigens diskutiert werden i.F. jene Belege, für die sich in der Forschung eine nachexilische Entstehungszeit herauskristallisiert hat. Die Diskussion muss hier nicht en détail geführt werden, zumal sich in den meisten Fällen ein breiter Konsens abzeichnet. Die Gründe sollen daher nur in groben Strichen angedeutet werden: – Jes 4,2: 4,2–6 stellen den Gerichtsansagen für Zion in Kap. 3 die Verheißung des kommenden Heils gegenüber und sind damit ähnlichen Heilsansagen in 7,22; 11,11ff. u.ö. vergleichbar. Die positiv konnotierte Rede vom „Rest Israels“ פליטת ישׂראלsowie der literarische Horizont, der sowohl Deutero-Jesaja als auch Trito-Jesaja umfasst, weisen den Abschnitt als deutlich nachexilisch aus. Vgl. für einen Überblick über die ältere Diskussion zu Datierung und Einheitlichkeit WILDBERGER, BK, 152–154; für die neuere Diskussion CAZELLES, Questions; GOSSE, Isaïe, 4; BEUKEN, HThKAT, 123; Gosse und Beuken rechnen 4,2–6 zur Endredaktion des Jesajabuches. – Jes 10,20.22: Jes 10,20–23 unterbrechen den Assur-bezogenen Kontext in Kap. 10. Der Restgedanke verbindet diesen Abschnitt zudem mit 4,2–6. Die universale Perspektive (Gericht über die gesamte Erde) und die Verarbeitung verschiedener anderer Jesajatexte kennzeichnen v. 20–23 als Zeugnis „später schriftkundiger Gelehrsamkeit“ (so KILIAN, NEB, 84f.). Für eine ausführliche Begründung der nachexilischen Ansetzung vgl. BARTH, Jesaja-Worte, 35–41, mit weiterer Literatur. BEUKEN, HThKAT, 280, rechnet dagegen zumindest mit einem „jesajanischen Fundament“. CLEMENTS, NCeB, 114f., denkt an die Zeit Josias und möchte „Israel“ bzw. „Söhne Jakobs“ auf das Nordreich beziehen, allerdings ohne nähere Begründung. – Jes 14,1: 14,1–4a bilden zusammen mit 22f. eine redaktionelle Rahmung für 14,4b–21 und zugleich Verklammerung mit Kap. 13 sowie 14,24–27, die somit frühestens perserzeitlich anzusetzen ist (zur Begründung ausführlich ZAPFF, Schriftgelehrte Prophetie, 272f.; vgl. bereits DUHM , HK, 116, sowie zur Diskussion BARTH, Jesaja-Worte, 126f.; ZEHNDER, Erwartungen, 4–6; SALS, Biographie, 255f.). 96 97
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
menbinden soll, sekundäre Bildung,98 so dass die durch sie angezeigte Disambiguierung des Israel-Begriffs auf Juda nicht von vornherein für „Israel“ in 1,3 intendiert gewesen sein muss. Die Referenz ist daher im Kontext von Jes 1,2ff. zu untersuchen. V. 3b schließt die JHWH-Rede (2b–3) ab, die nach dem einleitenden Höraufruf (2a) in der Prophetenrede zitiert wird und die Grundlage für das folgende Disputationswort (v. 4–9, vgl. den Auftakt mit )הויbildet. Jes 1,2– 9 sind weiterhin Teil des Zusammenhangs 1,2–20, dieser gibt sich durch strukturierende Elemente (Inclusio über כי יהוה דברbzw. כי פי יהוה דברin v. 2 und 20; Höraufrufe in v. 2 und 10; Weiterführung von v. 2–9 in 10ff. über die Stichworte סדםund )עמרהals abgerundete Komposition zu erkennen.99 Mit Jes 1,21–26 ist mit der unvermittelt anhebenden Untergangsklage 100 über die einstmals treue Stadt ein deutlicher Neueinsatz gegeben. Jes 1,2–20 thematisieren Verhalten und Ergehen Judas und Jerusalems. Das ergibt sich aus der expliziten Erwähnung Zions ( )בת ציוןin v. 9 und auch aus dem angesprochenen Wallfahrts- und Opferbetrieb am Jerusale– Jes 19,24f.: Jes 19,19–25 ist mit der Vision einer Verehrung JHWHs in Ägypten und Assur ein theologisch singulärer Text innerhalb der Jesajaüberlieferung (BARTH, JesajaWorte, 291f., sieht einen Zusammenhang mit Jes 2,2–5, aber die deutlichen konzeptionellen Differenzen, hier JHWH-Kult mit eigenem Altar in Ägypten, v. 19.21 und Assur v. 23?, dort „Wallfahrt“ der Völker zum Zion als Ort der JHWH-Begegnung, sprechen dagegen). Anzusetzen ist er schon wegen der Gegenüberstellung von Ägypten und Assur als Bezeichnung der Diadochenreiche in der spätnachexilischen Zeit (vgl. SEDLMEIER, Israel, 106–108, mit weiterer Literatur). Der älteren Auffassung, der terminus ad quem zumindest für 19,19–22 müsse in einer Zeit liegen, in der sich die Forderung der Kultzentralisation noch nicht endgültig durchgesetzt hatte, so WILDBERGER, BK, 740f. u.a., hält bereits GROSS , Israel, 154, entgegen, dass für diese „ohnehin die empirische Gegenwart weit übersteigenden Erwartungen bezüglich der Heiden“ womöglich keine Notwendigkeit bestand, sie „mit der für Israel gültigen Tora abzugleichen“. – Jes 31,6: Innerhalb von 31,1–3.4–9 bringen v. 6f. das Ende der Götzenverehrung als neues Thema ein. Zudem fallen sie durch den Wechsel zur Prosa sowie durch die direkte Anrede (Imp. pl. שׁובוv. 6; Suffixe 2. P. pl. v. 7b) aus der Gottesrede an den Propheten (vgl. die Einleitung v. 4) heraus. Thematisch ähnlich gelagerte Einträge sind häufiger anzutreffen, vgl. Jes 2,20f.; 17,7f.; 30,22. בני ישׂראלist Vokativ (zur Begründung BEUKEN, HThKAT, 205) und bezeichnet die angesprochenen Judäer (vgl. die Suffixe 2.P.pl. in v. 7b!), also nicht Subjekt zu העמיקו, letzteres ist als unpersönliches „man“ zu deuten. Daher kann בני ישׂראלauch nicht als Reminiszenz an die Nord-Israeliten verstanden werden, gegen DANELL , Studies, 181; HØGENHAVEN , Gott, 12f. 98 Welcher Phase im literarischen Werden des Jesaja-Buches die Überschrift zuzuschreiben ist, bleibt umstritten. KAISER, ATD, 19; LORETZ, Prolog, 43, und BERGES, Buch, 53–56, gehen z.B. von einem Jes 1–66 umspannenden Horizont aus; BEUKEN, HThKAT, 56f., betont die Brücke zu Jes 39,8 und sieht 1,1 daher primär auf Jes 1–39 bezogen (ähnlich auch WILDBERGER, BK, 2f.). SWEENEY, Isaiah, 1–4, sieht 1,1 strukturell in einer „double-duty function“ (100) als Überschrift sowohl für Kap. 1 als auch das gesamte Buch (vgl. 28–30). Als Überschrift über ein größeres Jesajabuch wird 1,1 bereits in 2Chr 32,32 zitiert.
1. „Israel“ in judäischen Texten
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mer Tempel (v. 11ff.).101 Insofern liegt sowohl im Kontext von v. 2–9 als auch der größeren Einheit v. 2–20 nahe, dass das verwüstete Land (v. 7) das Südreich ist und „Israel“ in 1,3 als alternative Bezeichnung für Juda verwendet wird.102 Eine exklusive Referenz auf das Nordreich ist durch den Kontext verwehrt.103 Eine Disambiguierung im engeren Sinne, d.h. die Eingrenzung des Namens auf Juda allein, liegt jedoch nicht vor. Der vorliegende Text lässt auch gesamt-israelitische, also Nord-Israel einschließende Attributionen zu bzw. schließt zumindest nicht aus, dass die in v. 3 konstatierte fehlende Einsicht Nord- und Südreich gemeinsam kennzeichnet, die in 1,5–9 beklagte Verwüstung beide traf und der „Rest“ (v. 9: )שׂרידnun den kleinen um Jerusalem konzentrierten Teil des größeren Israel Einen gewissen Sonderweg geht GOLDINGAY, Isaiah, mit der These Jes 1,1 sei als ursprüngliche Einleitung zu Jes 1 formuliert und Jes 2,1 bilde ein entsprechendes Kolophon am Schluss des Kapitels. Nur in diesem Fall wäre der durch 1,1 vorgegebene Bezug auf Jerusalem und Juda von der Überschrift her für „Israel“ in 1,3 gesichert. Goldingays Argumentation erweist sich jedoch als problematisch. Sie basiert auf den Annahmen, חזון Sg. meine stets nur eine singuläre Vision bzw. Offenbarung (327), und die Phrase בימי עזיהו יותם אחז יחזקיהו מלכי יהודהsei nicht auf das Verbum חזהsondern auf על יהודה וירושׁלםzu beziehen und meine daher nicht den Zeitraum des Wirkens Jesajas sondern eine Periode in der Geschichte Judas und Jerusalems, über die der Prophet eine Vision, also 1,2ff., gehabt habe (329f.). Ersteres widerspricht dem leicht per Konkordanz zu erhebenden Befund, dass חזו ןneben der konkreten Vision auch abstrakt für die prophetische Schau oder kollektiv für mehrfache Einzelvisionen stehen kann (vgl. 1Sam 3,1; Jer 14,4; 23,6; Ez 12,22–24; 13,16; Hos 12,11; Mi 3,6; Prov 29,18; Thr 2,9; Dan 1,17). Letzteres wäre syntaktisch ungewöhnlich und steht zudem der üblichen Praxis in den Überschriften der Prophetenbücher entgegen, die, sofern sie Zeitangaben enthalten, stets das Wirken des Propheten datieren, sei es über einen Zeitpunkt oder eine Zeitdauer; zu einem möglichen Überschriftenformular bzw. den Varianten vgl. TUCKER, Superscriptions; WAHL, Überschriften. 99 Zur Begründung vgl. bereits BUDDE , Jesaja 1–5, 19ff.; FOHRER , Zusammenfassung, sowie VERMEYLEN, Prophète I, 42–54, sowie YHWH en litige, 167–170; WILLIS, First Pericope, 68–72; SWEENEY, Isaiah 1–4, 120, und BECKER, Jesaja, 176–192. Der erkennbare Gestaltungswille schließt natürlich nicht aus, dass älteres Material verwendet und zu einer neuen Einheit zusammengestellt wurde, dazu i.F. VERMEYLEN, YHWH en litige 100 Vgl. HARDMEIER , Texttheorie, 348–354. 101 Ebensowenig wie Juda oder Jerusalem explizit genannt werden, wird der Ort des kritisierten Kults spezifiziert. Gemeint ist aber sicher Jerusalem. BEUKEN, HThKAT, 77, findet in den in v. 12 erwähnten Höfen ()חצרי, die er mit den beiden bei Manasse (2Reg 21,5) und Josia (2Reg 23,12) erwähnten Vorhöfen des Tempels identifiziert, einen Hinweis auf die jesajanische Herkunft von 1,11–17. 102 R OST, Israel, 45. Die Kommentare setzen diese Bedeutung i.d.R. stillschweigend voraus. 103 Die Gegenprobe führt in Aporien: sollte ישׂראלin 1,3 das Nordreich bezeichnen, würde עמיin v. 3 ebenfalls auf das Nordreich referieren. Dann ergäbe sich ein terminologischer Bruch zu עםin v. 4, das ausweislich v. 8 auf Juda referiert. Der argumentative Zusammenhang wäre gestört. Hinzu kommt, dass „Israel“ auch im JHWH-Titel קדושׁ ישׂראלin v. 4 wiederkehrt, womit zweifellos der selbe Gott gemeint ist, der in v. 9 – als – יהוה צבאותan Juda handelt.
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
meint, den JHWH übrig gelassen hat.104 Weiterhin fällt auf, dass die Referenz auf Juda nicht erklärt werden muss, sondern offensichtlich als mögliche Verwendungsweise des Israel-Namens vorausgesetzt ist; anderenfalls wäre der Zusammenhang kaum nachvollziehbar. „Israel“ bezeichnet somit Juda, aber nicht notwendig Juda allein. Hinweise darauf, dass diese Verwendungsweise eine Neuerung darstellt, finden sich in Jes 1,2ff. nicht. Ob dieser Befund für die Frage einer möglichen Übertragung des IsraelNamens auf Juda (im ausgehenden 8. Jh. v.Chr. oder in späterer Zeit) überhaupt signifikant ist, hängt an der Datierung der Perikope. Letztere ist nicht von der Frage ihrer Funktion und Einheitlichkeit zu trennen. Die einschlägige Diskussion kreist hauptsächlich um die Frage, ob es sich bei Jes 1,2–20 um (ein) auf eine konkrete historische Situation bezogene(s) Prophetenwort(e) oder um eine für das Jesajabuch geschaffene Einleitung und somit literarische Bildung handelt. Ersteres war nahezu opinio communis in der älteren Forschung, die hier authentische Jesajaworte aus der Spätzeit des Propheten vermutete.105 Als Anker für die historische Verortung dienten dabei insbesondere v. 7f. als Anspielung auf den Feldzug Sanheribs und die desolate Lage Judas und Jerusalems 701 v.Chr. sowie v. 10–17 als Reflex vermehrter kultischer Aktivität angesichts der Bedrohung durch die Assyrer. 106 Letzteres, d.h. die Deutung von 1,2–20 als Bucheinleitung, fußt auf der Beobachtung, dass im ersten Kapitel bereits wichtige Motive der weiteren Jesajaüberlieferung anklingen und wurde nach Anstößen bei G. Fohrer, in neuerer Zeit von J. Vermeylen, H. Barth, W. Werner und in redaktionsgeschichtlicher Zuspitzung von J. Becker vorgetragen.107 G. Fohrer selbst hatte eine dritte Option angeregt: fünf ursprüngliche Prophetenworte seien zu einem „zusammenfassenden Überblick über die Verkündigung Jesajas“ zusammengefügt und schließlich an den Beginn der Jesajaüberlieferung gestellt worden. 108 Er hat mit der Kombination – sowohl Verarbeitung älteren Materials als auch redaktionelle Gestaltung für einen vorliegenden literarischen Kontext – m.E. einen nach wie vor bedenkenswerten Weg gewiesen.109 Auf diese Weise lassen sich die immer wieder notierten Beobachtungen am besten integrieren: (a) Die Stimmigkeit von 1,7f. mit der Situation von 701 v.Chr. ist eklatant 110 und wehrt einer vorschnellen Dehistorisierung. 111 Das Bild der verschonten Stadt inmitten eines verwüsteten Landes passt gerade nicht auf die Exils- aber auch nicht in die nachexilische Zeit. Ebensowenig in die Exils- und zumindest frühnachexilische Zeit fügt sich Diese Möglichkeit macht DANELL , Studies, 156–160, stark. Eine Übersicht über ältere Positionen zur Verortung und Entstehung der Sammlung bieten BARTH, Jesaja-Worte, 217f., sowie WILLIS, First Pericope, 64–68. Vgl. in neuerer Zeit wieder NIDITCH, Composition; SWEENEY, Isaiah 1–4, 123–133; VARGON , Background, 177–182. 106 Für eine Zusammenstellung der Vertreter dieser Ansetzung sowie alternativer Vorschläge vgl. BEN ZVI, Isaiah, 96f., der aber selbst für eine nachexilische Datierung von Jes 1,4–9 optiert. 107 Vgl. FOHRER , Zusammenfassung; VERMEYLEN , Prophète I, 42–71; BARTH , JesajaWorte, 217–220; WERNER, Eschatologische Texte, 128–133, sowie BECKER, Jesaja, 176– 191, der die älteren Arbeiten referiert (178f.) Becker rechnet anders als seine Vorgänger nicht mehr mit der Verarbeitung älteren Materials, sondern kommt zu dem Schluss, dass Jes 1,2–20 ein einheitlicher Text sei, der in nachexilischer Zeit „als literarische Einleitung eines bereits bestehenden Jes-Buches konzipiert wurde“ (191). 108 F OHRER , Zusammenfassung, 253. 104 105
1. „Israel“ in judäischen Texten
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die Kultkritik von v. 11–17, die einen funktionierenden JHWH-Kult voraussetzt (vgl. nur die plastischen Beschreibungen in v. 12), der in der tempellosen Zeit wohl kaum in der beschriebenen Intensität betrieben werden konnte. Die häufig notierte Nähe zu Am 4f. 112 lässt sich immer noch am besten durch die auch anderweitig belegbare Aufnahme der Amos-Verkündigung durch Jesaja erklären.113 Insofern spricht einiges dafür, dass mit Jes 1,2–9 und 10–17 vorexilisches und möglicherweise authentisches Jesaja-Material verarbeitet wurde.114 Ob es sich bereits um ein zusammenhängendes Wort handelte oder ob v. 11–17 nachträglich durch v. 10 mittels der Stichworte Sodom und Gomorrha verknüpft wurden,115 ist kaum mehr zu entscheiden. (b) Dagegen vertragen sich v. 18–20 deutlich schlechter mit einer vorexilischen Ansetzung. Freilich hängt hier einiges an der Übersetzung: sind die beiden jeweils mit אם eingeleiteten Sätze von v. 18b als Vergebungszusage („Wenn auch eure Sünden wie Scharlach sind, weiß wie Schnee sollen wie werden ...“) oder als rhetorische Frage („Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, können sie etwa weiß wie Schnee werden? ...“) zu verstehen, die verneint werden muss und dann gerade das Gegenteil impliziert? אם lässt beide Möglichkeiten zu. 116 Eine Zusage allgemeiner Vergebung stünde jedoch im Widerspruch sowohl zur Aufforderung zum Rechtsstreit in v. 17 117 als auch zur dem Volk vor Augen gestellten Alternative in v. 19f; Rechtsstreit und Gehorsamsforderung wären angesichts einer bedingungslosen Heilszusage hinfällig. Der Focus auf die letztliche Unausweichlichkeit der Schuldfolge erinnert dagegen an die auch an anderer Stelle 109 Die berechtigte Kritik bei BECKER , Jesaja, 177f., trifft nicht das Grundmodell, sondern nur Probleme der Durchführung. BARTH, Jesaja-Worte, geht in eine ähnliche Richtung wie Fohrer, allerdings verbunden mit einer komplizierten und letztlich hochspekulativen Relocierungshypothese für die verwendeten Texte (219f., Anm. 49). Die Relocierungshypothese ist in jüngerer Zeit von WILLIAMSON, Relocating, modifiziert aufgenommen worden. 110 Sie ist in neuerer Zeit wieder von EMERTON , Background, verteidigt worden. 111 B ECKER , Jesaja, bescheinigt Jes 1,2–20 „Geschichtsferne“ (182): „Die Angaben in v. 7f. bleiben blaß und sind nur wenig spezifisch, man könnte sie auch mit einem belie bigen anderen feindlichen Angriff [als den der Assyrer 701, K.W.] in Verbindung bringen“ (181, ähnlich auch BEUKEN, HThKAT, 69), um den Text für die nachexilische Zeit zu reklamieren: „Dabei liegt … eine Deutung auf das mit 587 eingebrochene Desaster viel näher. … Die Aussage besagt vielmehr, daß das über das Gottesvolk hereingebrochene Gericht ein umfassendes, nicht mehr überbietbares war“ (ebd.). Jedoch will das in 1,7f. gezeichnete Bild – die verschonte Stadt inmitten des verwüsteten Landes – gerade nicht zur babylonischen Einnahme des gesamten Landes incl. Jerusalems! passen, und das in 4–9 gezeichnete Gericht ist somit auch kein umfassendes. Der Text läuft ja gerade darauf zu, dass Juda nicht wie Sodom oder Gomorrha vollständig vernichtet, sondern ein Rest übriggeblieben ist. 112 Vgl. die Zusammenstellung der Parallelen bei ERNST, Kultkritik, 161–163. 113 Zum Phänomen u.a. BLUM , Jesaja. 114 Mit הויin Jes 1,4 erfolgt ein Neueinsatz, der jedoch nicht literarkritisch dahingehend ausgewertet werden sollte, dass Jes 1,2f. von v. 4–9 getrennt werden. Ohne die in der Prophetenrede zitierte JHWH-Rede (2b–3.) bliebe v. 4–9 ohne Voraussetzung bzw. ohne v. 4–9 wären v. 2f. ohne Folge (vgl. WILLIS, First Pericope, 69). 115 Vgl. WERNER , Eschatologische Texte, 131f.; WILLIAMSON , Biblical Criticism, 83. 116 Zu אםals Einleitung indirekter Fragen, vgl. Ges-K § 150, 2i. 117 So zu Recht FOHRER , Zusammenfassung, 262; vgl. WILDBERGER , BK, 52; KAISER , ATD, 50f.
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
belegte theologische Deutung des Exils als Konsequenz des Ungehorsams des Volkes gegenüber JHWH.118 (c) Die bereits genannten strukturbildenden Elemente wie die Höraufrufe, Inclusio usw. sowie der stringente Gedankengang zeigen, dass 1,2–20 keine zufällige Aneinanderreihung von Einzelworten sein kann. Der Abschnitt muss daher auch nicht in solche zerlegt werden, sondern bei der Zusammenstellung der älteren Texte ist grundsätzlich mit der Möglichkeit der Transformation oder mit redaktionellen Eigenanteilen zu rechnen. Für v. 10 war die Möglichkeit schon angedeutet worden, für v. 2a wird sie gelegentlich erwogen.119 V. 18–20 funktionieren sicher nicht als eigenständiges Prophetenwort, sondern eine Summe aus v. 2–17, 120 die letztere zugleich auf den exilisch/nachexilischen Stand bringt. 121 (d) Abschließend bleibt zu fragen, auf welchen literarischen Zusammenhang in Jes 1,2–20 hin komponiert wurde. M.E. ist der Zusammenhang am besten als aktualisierende Leseanleitung für die ältere Komposition Jes *1–11 122 zu erklären, der er ja auch direkt vorangestellt wurde. Hier müssen einige Andeutungen genügen. Zu Jes 1–11 gibt finden sich die engsten thematischen Bezüge, sei es die Problematik der Verstockung des Vol kes,123 die Kritik an sozialen Missständen oder das Gericht als Konsequenz des Ungehorsams Israels. Das von Jesaja erwartete Gericht war 701 ausgeblieben. Die Verfasser von Jes 1,2–20 stellen nun klar, dass die damalige Verschonung Jerusalems nur eine Etappe war und nicht bedeutete, dass die Schuld getilgt, das notwendige Reinigungsgericht nun abgewendet oder der erhoffte Neuanfang bereits gekommen sei. Jesajas Botschaft war somit keineswegs widerlegt, sondern weiter gültig, und wurde durch die Ereignisse von 587 letztlich bestätigt.
Treffen die vorgetragenen Überlegungen zu, folgt für die Verwendung des Israel-Namens in Jes 1,3 zweierlei. Zum einen liefert Jes 1,3 einen weiteVgl. u.a. Lev 26,31–33 (mit ganz ähnlichen Bildern), aber auch Jes 42,24f. u.a.m. Z.B. BARTH, Jesaja-Worte, 219, mit Anm. 44; BECKER, Jesaja, 187. 120 Nach B ECKER , Jesaja, 187f., sind v. 18–20 „als Abschluß der Einheit konzipiert; sie ziehen die theologische Summe aus dem Prolog und zeigen in Form einer Zwei-WegeLehre auf, woran Israel gescheitert ist und wie es künftig coram Deo leben kann.“ 121 Vgl. WERNER , Eschatologische Texte, 128, der aber 1,2f. und 1,18–20 der selben Hand zuschreibt. Für 1,4–9 nimmt WERNER an, dass es sich „um eine nachexilische Reflexion der Ereignisse von 701 v.Chr. handelt, die die damaligen Begebenheiten in aktualisierender Tendenz interpretiert“ (118.125f.). Im Kontext der gesamten „Gerichtsrede“ 1,2–20, diene der „Geschichtsrückblick Jes 1,4–9“ zusammen mit dem ebenfalls älteren Stück 1,11–17 dazu, den nachexilischen Adressaten der Rede ihre Verfehlungen und den Tun-Ergehen-Zusammenhang vor Augen zu stellen (132). Sowohl 1,4–9 als auch 1,11–17 sind für Werner nachexilische Bildungen (125f.132), ohne dass er über ihre Herkunft oder Funktion genauere Angaben macht. 122 Dazu BLUM , Testament I, sowie Testament II; vgl. unten S. 207 Anm. 173. 123 Die thematische Nähe von Jes 1 zu Jes 6 führt gelegentlich unter Anwendung von Wortstatistik- oder Sprachgebrauchsargumenten (vgl. BECKER, Jesaja, 182f., oder die Liste gemeinsamer Lexeme bei BEUKEN, Manifestation, 84) zur Annahme literarischer Abhängigkeit. Hier ist m.E. Vorsicht geboten: zum einen sind die übereinstimmenden Lexeme wenig signifikant, zum anderen liegen 1,2–3 und 6,9.11 inhaltlich gerade nicht auf einer Linie (gegen BECKER, aaO). 1,2–20 reden nicht von einer Unfähigkeit des Volkes zur JHWH-Erkenntnis, wie sie im sog. Verstockungsauftrag problematisiert wird (6,9f.), sondern konstatieren die Widerspenstigkeit des Volkes für die Vergangenheit und rufen es nun zur Umkehr (v. 18–20). 118 119
1. „Israel“ in judäischen Texten
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ren Hinweis darauf, dass „Israel“, als Jes 1,2–20 nach 587 zusammengestellt wurde, als alternative Bezeichnung Judas in Gebrauch war. Das ist kaum überraschend. Wenn in Jes 1,2–9 tatsächlich ein älteres Prophetenwort aufgenommen ist, wäre diese Verwendungsweise des Israel-Namens auch für das späte 8. oder frühe 7. Jh. v.Chr. belegt und als so verbreitet vorauszusetzen, dass sie nicht eigens erklärt werden muss. 1.2.1.2 Jes 5,7 Das sog. Weinberglied Jes 5,1–7 gilt traditionell als authentisches Jesajawort.124 Es thematisiert mit dem Bild eines Weinbergs, der trotz guter Pflege schlechte Früchte bringt, den Ungehorsam des Volkes gegen JHWH. Wie der Besitzer des Weinbergs auf gute Früchte hoffte ( ויקוv. 2.4), doch nur schlechte erhielt, so hoffte JHWH auf Recht und Gerechtigkeit ( ויקו v. 7b), doch es gab nur Rechtsbruch und Geschrei: ויקו למשׁפט והנה משׁפח לצדקה והנה צעקה. Bild- und Sachhälfte des Gleichnisses sind bezüglich der guten und schlechten Früchte, d.h. Recht und Gerechtigkeit vs. Rechtsbruch und Geschrei einander klar zugeordnet. Schwierigkeiten scheint dagegen die Zuordnung der Akteure zu bereiten, was nicht zuletzt mit dem mehrfachen Sprecherwechsel zusammenhängt. In v. 1f. spricht das Ich des Propheten und führt einen Freund und seinen Weinberg ein. In v. 3 erfolgt eine direkte Anrede an die Hörer (2. P. pl.). Das sprechende Ich ist nun nicht mehr das des Propheten, sondern das Ich des Freundes (vgl. Suff. 1. P. sg.). Diese Sprechrichtung bleibt bis v. 6 erhalten. Mit v. 7 kehrt die Situation vom Anfang wieder; es spricht wiederum das Ich des Propheten. Der Sprecherwechsel hat zu literarkritischen Eingriffen Anlass gegeben, die meist zur Zuweisung von v. 3–6 an eine zweite Hand führten. So wertet H. Niehr den „mehrfachen Subjektwechsel“ innerhalb von Jes 5,1–7 literarkritisch aus und sieht den vorjesaja124 Freilich fehlt es nicht an Spätdatierungsversuchen: VERMEYLEN , Prophète I, 159– 168, verortet Jes 5,1–7 auf der Basis von Sprachgebrauchsstatistiken im dtr Milieu der Exilszeit (zur Kritik vgl. BJØRNDALEN , Frage, 93–98); KAISER, ATD, 100, schließt sich ihm an. BECKER, Jesaja, sieht im Grundbestand v. 1b–2.7a einen „am ehesten in die exilische Zeit“ passenden Versuch, die Unheilsgeschichte Israels und Juda zu verarbeiten (132), zusammen mit der redaktionellen Zutat v. 1a.3–6.7b wird daraus eine in „der nachexilischen Zeit gestaltete theologische Vergangenheitsbewältigung“ (133); zur Literarkritik s.i.F. Aufbau und rhetorische Gestaltung des Liedes sind vielfach untersucht und beschrieben worden, vgl. die neueren Studien von THIEL, Lied; IRSIGLER , Speech Acts; BARTELMUS, Beobachtungen, und FECHTER, Erwartungen, jeweils mit Referaten älterer Positionen. Eine breite Diskussion ist der Textgattung gewidmet. Einen Überblick über nicht weniger als zwölf ältere Vorschläge zur Bestimmung der Gattung von Jes 5,1–7 bietet WILLIS, Genre, und stellt eine eigene Lösung daneben („a parabolic song of a disappointed husbandman“, 359 [im Original kursiv]). Zur Diskussion vgl. u.a. GRAFFY, Genre; YEE, Form-Critical Study; NIEHR, Gattung; NIELSEN, Hope, 90–108; BARTELMUS, Beobachtungen, sowie LEMANA, Chant.
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
nischen Grundbestand in Jes 5,1a b.2. V. 3–6 verdankten sich dem späteren Einbau des Liedes in die jesajanische Verkündigung. 125 P. Höffken rechnet mit einem „Urbestand“, der neben Jes 5,1b–2 auch v. 7 umfasste, letzterer sei bei der Verschriftlichung der ursprünglich mündlichen Parabel aber bereits transformiert worden. Wiederum bildet der Sprecherwechsel die Grundlage für die Ausscheidung von v. 3–6. 126 J. Becker schließt sich im Wesentlichen Höffken an, präzisiert aber dessen Andeutungen zu v. 7, indem er v. 7a dem Grundbestand in v. 1b–2 und v. 7b der redaktionellen Erweiterung v. 3–6 zuordnet.127 Hauptargument ist auch hier der sog. „Perspektivenwechsel“ zwischen v. 2 und 3 sowie von 1a zu 1b. Daneben notiert Becker den „Überhang“ der Maßnahmen zur Zerstörung des Weinbergs v. 5f. gegenüber seinem Aufbau v. 2 sowie eine Differenz zwischen der Zielgruppe von v. 7a (Gesamt-Israel) und den Adressaten von v. 3 (Juda).128 Die Diskussion kann hier nicht im Einzelnen geführt werden, der Hinweis auf drei Probleme muss genügen: (a) Der postulierte Grundbestand kann kaum überzeugen, denn ohne v. 3–6 bleibt das in v. 1b breit angekündigte Lied substanzlos. Es beschränkt sich auf einen Schuldaufweis für den Weinberg, ohne dass sich daraus eine Folge ergäbe. (b) Sprecherwechsel sind in alttestamentlichen Texten kein gerade seltenes Phänomen 129, so dass sie für sich genommen kaum literarkritisch relevant sind, sondern letztlich nur dann, wenn sie sich nicht als Gestaltungsmittel der Textdramaturgie plausibilisieren lassen (dazu i.F.). (c) Die Erweiterung ist „deutlich durch das Vokabular von 1b–2 geprägt“ 130; insbesondere die Leitworte קוהund v.a. עשׂהverknüpfen v. 2 mit v. 3–6. Der Redaktor hätte also bezüglich der semantischen Einpassung der Erweiterung sehr sorgfältig gearbeitet, während er im Blick auf die Sprechrichtung sehr achtlos gewesen sein müsste. Die Annahme redaktioneller Eingriffe erweist sich daher als nicht stichhaltig.
Der Israel-Name erscheint im Schlussvers Jes 5,7, der als Deutevers Sach und Bildhälfte verknüpft: der Freund wird mit JHWH, der Weinberg mit בית ישׂראלbzw. אישׁ יהודיםidentifiziert. Wen also bezeichnet ?בית ישׂראלAls denkbare Möglichkeiten kommen wiederum in Betracht: das Nordreich, das Südreich oder ein Juda und Nord-Israel umfassendes Gesamt-Israel 131. Der Sprachgebrauch für בי ת ישׂראלvermag die Mehrdeutigkeit nicht aufzulösen.132 Eine Disambiguierung muss somit wieder durch den Kontext erfolgen. Im Nahkontext v. 7a steht בית ישׂראלin einem aus zwei Nominalsätzen bestehenden Parallelismus membrorum. Dabei entsprechen sich in chiastischer Verschränkung כרם בית יהוה צבאותund נטע שׁעשׁועיוeinerseits sowie בית ישׂראלund אישׁ יהודהandererseits. Für das erste Paar ist durch die Semantik 125
NIEHR, Gattung, 99–101 (unter Aufnahme einer Analyse von LORETZ, Weinberg-
lied). 126 HÖFFKEN , Probleme, 402–407. Als weitere Argumente führt Höffken an: „die Besprechung der Kurzgeschichte [v. 1b.2, K.W.] in V. 5 fügt nichts Neues hinzu“ und „setzt einen völlig anderen Weinberg voraus“ (404). 127 B ECKER , Jesaja, 127–130. 128 AaO., 128f. 129 Für die Jesaja-Apokalypse ist das Phänomen in seinen textdramaturgischen und literargeschichtlichen Implikationen von NITSCHE , Jesaja, aufgearbeitet worden. Daneben sei an das Hohelied (dazu u.a. FISCHER, Hohelied, bes. 136ff.) und natürlich zahlreiche Psalmen (dazu SEYBOLD, Poetik, 304ff.) erinnert. 130 B ECKER , Jesaja, 129.
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der Begriffe sowie die Verknüpfung mittels des Suffixes Synonymie der Partner angezeigt. Das legt zumindest die Vermutung nahe, das Gleiches für das zweite Paar intendiert ist133 und insgesamt ein synonymer Parallelismus vorliegt, „Israel“ in v. 7 mithin als alternative Bezeichnung für Juda gebraucht wird.134 Im weiteren Kontext des gesamten Liedes bestätigt sich diese Vermutung. Der Text gewinnt seine Dynamik genauer besehen gerade aus den wechselnden Rollen der Akteure.135 Nach der Beschreibung der Situation (v. 1b.2) durch den Propheten, der als Erzähler über Freund und Weinberg berichtet (der Freund pflanzte den Weinberg; der Weinberg brachte schlechte Trauben), werden die Hörer, d.h. die „Einwohner Jerusalems und Judäer“ ( )יושׁב ירושׁלם ואישׁ יהודה, direkt angesprochen und aufgefordert zwischen Freund und Weinberg zu richten (v. 3 )שׁפטו־נא ביני ובין כרמי. Zugleich schlüpft der Prophet in die Rolle des Freundes. Mit der Frage v. 4 bringt er die Richter dazu, sich auf die Seite des Freundes stellen, ihm Recht zu geben und der in v. 5f. angedrohten Strafe zuzustimmen. Wie sich erst von 5,7 her, über die Aufnahme von אישׁ יהודהaus v. 3, erhellt, akzeptieren sie damit ihr eigenes Urteil, denn hier werden sie als diejenigen ent131 Alle drei Möglichkeiten werden in der Auslegungsliteratur vertreten: Für das Nordreich optieren YEE, Form-Critical Study, 37f.; PORATH, Sozialkritik, 183f.186 ( בית ישׂראלin v. 7 sei eine nachträgliche Erweiterung, die das Lied auf Nord-Israel anwendet); SWEENEY, FOTL, 130; BECKER, Jesaja, 131 (für die Grundschicht); KRATZ, Jesajabuch, 100. Das Südreich vermuten ROST, Israel, 48; SCHOTTROFF, Weinberglied, 89; WILDBERGER, BK, 172; WILLIAMS, Frustrated Expectations, 462; OSWALT, NICOT, 151; NIELSEN, Hope 108– 113; WENDEL, Jesaja, 19. KAISER, ATD, 99 (etwas unscharf „sein Volk Israel und besonders das Volk des Südens, Juda“); HÖFFKEN , Probleme, 408; KILIAN, NEB, 41; HØGENHAVEN , Gott, 10.63; IRSIGLER, Speech Acts, 64, Anm. 10; BECKER, Jesaja, 128 (für die Erweiterung); BEUKEN, HThKAT, 138, plädieren für einen weiten Israel-Begriff. 132 Das gilt sowohl für Proto-Jesaja als auch darüber hinaus in der prophetischen Literatur. Innerhalb von Jes 1–39 gibt es neben 5,7 nur zwei Belege für ;בית ישׂראלdavon bietet 8,14 den Plural בתי ישׂראל, verwendet „Israel“ somit als übergreifenden Begriff, zeigt aber zugleich an, dass auch Juda als ein „Haus Israels“ verstanden wird (dazu unten S. 203ff.); in 14,2, innerhalb des späten Einschubs 14,1f. (dazu oben S. 191 Anm. 97), referiert בית ישׂראלebenfalls auf Juda (ähnlich auch Jes 46,3; Jer 33,17). Freilich ist die Referenz auf Juda der seltenere Fall, häufiger bezeichnet בית ישׂראלGesamt-Israel (so v.a. bei Ezechiel, dazu ZIMMERLI, Israel, aber auch Jes 63,7; Jer 2,4.26; 3,20; 5,15; 9,25; 10,1; 18,6; 23,8; Am 5,25) oder das Nordreich (Jer 48,13; Hos 1,4.6; 5,1; 6,10; 12,1; Am 5,1.3. 4; 6,1.14; 7,10; 9,9; Mi 3,1.9 und neben בית יהודהJer 3,18; 5,11; 11,10.17; 13,11; 31,27. 31; 33,14; Mi 1,5; Sach 8,13). 133 Vgl. NIELSEN, Hope, 109. 134 WILDBERGER , BK, 172: „An der vorliegenden Stelle steht בית ישׂראלzweifellos in Parallele und nicht in Gegensatz zu אישׁ יהודה, allerdings den mehr politischen Sinn von אישׁ יהודהnach der religiösen Seite hin modifizierend. Beide Begriffe sind aber letztlich auch identisch mit יושׁב ירושׁלםund אישׁ יהודהvon 3, d.h.: derselben Zuhörerschaft, an die dort als Richter appelliert worden war, wird jetzt Schuld und Strafe zugesprochen.“ 135 Vgl. BARTELMUS , Beobachtungen, 58–60. THIEL, Lied, 168, spricht im Blick auf die verschiedenen Verständnisebenen des Liedes von „mehrfache[r] Travestie“.
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larvt, denen die Strafe gilt. 5,7 reduziert die Dreierkonstellation der Akteure aus Ankläger (Freund/JHWH), Beklagtem (Weinberg) und Richter (Judäer) auf die Zweierkonstellation aus Ankläger und Beklagtem, der sich selbst der Richter ist.136 אישׁ יהודהund ( בית ישׂראלv. 7) sind somit mit יושׁב ( ירושׁלם ואישׁ יהודהv. 3) identisch, und beide entsprechen gleichermaßen dem einen! Weinberg auf der Bildebene.137 Die Einführung einer neuen Größe – sei es das Nordreich oder ein nicht mit Juda identisches größeres Israel – würde den rhetorischen Kunstgriff geradezu konterkarieren. Sie käme zudem ohne jede erzählerische Vorbereitung und wäre für die Leser letztlich kaum nachvollziehbar.138 1.2.1.3 Jes 7,1 Eindeutig und unumstritten sind Bedeutung und Referenz des IsraelNamens in Jes 7,1: Ahas, der König von Juda, wird Pekach, dem König von Israel, gegenüber gestellt. ישׂראלist hier die staatsrechtliche Bezeichnung der politischen Größe Nordreich. Der Vers stimmt weitgehend mit 2Reg 16,5 überein, so dass von literarischer Abhängigkeit auszugehen und Jes 7,1 somit nicht ohne Weiteres für den Sprachgebrauch im 8. Jh. auszuwerten ist.
136 Auf dieselbe rhetorische Funktion von Nathans אתה האישׁin 2Sam 12,7 macht schon WILDBERGER, BK, 172, aufmerksam (vgl. OSWALT, NICOT, 151f.). 137 B ECKER , Jesaja, 128, hält dagegen, dass die in v. 3 Angesprochenen אישׁ יהודהund יושׁב ירושׁלםnicht mit בית ישׂראלund אישׁ יהודהaus v. 7 übereinstimmen können, da „die Identität nicht … begrifflich zum Ausdruck gebracht“ werde, denn „für eine bloße variatio sind die Bezeichnungen zu verschieden“. Dagegen könne der Wechsel von ביתzu אישׁin v. 7a „mit einer bewußten variatio erklärt werden“ (132). Möglichkeiten und Grenzen der variatio sind hier doch einigermaßen schwammig. 138 Das gilt umso mehr, wenn gerade darin – wie R.G. Kratz vorschlägt – die Pointe bestehen soll: Für KRATZ, Jesajabuch, ist Jes 5,7 die erste Stelle, an der die Einheit von Judäern und Nord-Israeliten explizit zur Sprache kommt, indem die „beiden genuin politischen Bezeichnungen für das Nord- und Südreich“ unter dem Vorzeichen der Anklage vereint werden (100). בית ישׂראלbezeichnet mithin das Nordreich. Vorbereitet sei die Vereinigung in der Denkschrift, die ebenfalls Nord- und Südreich unter das Gericht stelle (99). Das ist redaktionsgeschichtlich gedacht und lässt die Reihenfolge der Texte außer acht. Ob es sich für irgendeinen Leser des vorliegenden Textes mit seiner Stellung vor der Denkschrift erschließen kann, erscheint mir doch fraglich. Innerhalb von Jes 5,1–7 oder 5,1–2.7 ist der Vereinigungsgedanke nämlich an keiner Stelle vorbereitet. Es ist ein Weinberg, der schlechte Früchte bringt, nicht zwei. Es sind in v. 3 Judäer und Jerusa lemer angesprochen, aber keine Nord-Israeliten. Wäre dem Leser überhaupt nachvollziehbar, was das Nordreich hier soll? Müsste, wenn בית ישׂראלhier tatsächlich etwas anderes als Juda meint, nicht ein moderner Exeget die Phrase als Glosse oder Nachtrag ausscheiden? BEUKEN, HThKAT, 138, der בית ישׂראלauf ganz Israel bezieht, spürt die Problematik und spricht von „einer unangenehmen Überraschung“ in der Auflösung der Allegorie, die redaktionskritische Konsequenz zieht PORATH, Sozialkritik, 186.
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In der neueren Forschung ist weitgehend Konsens, dass Jes 7,1 von 2Reg 16,5 abhän gig ist.139 Die Indizien, die für den sekundären Charakter von Jes 7,1 angeführt werden, sind jedoch so eindeutig nicht. Dass v. 1 dem ab v. 2 Berichteten vorgreift,140 ist richtig, kann aber als summarische Prolepse auch ein Gestaltungsmittel sein, das das Leserinteresse weg von der Frage nach dem Ausgang des Krieges hin zum Verhalten des Ahas lenken soll.141 Die häufig notierten „terminologischen Differenzen“ – Pekach als „König Israels“ v. 1 bzw. „Sohn Remaljas“ v. 4f.9 sowie „Israel“ v. 1 bzw. „Ephraim“ v. 2.5.8f. – sowie der Überschuss an Informationen, der offensichtlich nicht voraussetzt, dass die Leser mit den Ereignissen vertraut sind, sind auffällig, reichen aber allein nicht aus. Die Frage hängt somit, wie J. Werlitz zu Recht betont, von der Beurteilung der „Echtheit“ von Jes 7 ab.142 Ist Jes *7,1–17 nämlich Teil einer von Jesaja selbst stammenden „Denkschrift“, kann die von 2Reg 16,5 beeinflusste Gestaltung von v. 1 nur sekun däre Zutat sein. Handelt es sich dagegen insgesamt um einen späten Text, würde die Aufnahme von 2Reg 16 kein Problem darstellen und v. 1 könnte zum Grundbestand gehören, wenn auch mit der Zusatzannahme, es handele sich um ein (wie eigentlich markiertes?) „Zitat“, dass sich als solches nicht bruchlos einfügen müsse. 143 Nun sperrt sich aber Jes 7 beharrlich gegen eine nachexilische Ansetzung,144 da eine solche wie der erneute Versuch von J. Becker 145 zeigt, in Aporien führt: Becker rekonstruiert innerhalb von Jes 7,1–17 einen „Grundbestand“ in v. 1–4a.5a+ לאמורaus 5b.6–7.9b.10–14.16–17a 146 (35–42) und versteht diesen als eine „nachexilische Glaubenserzählung“147, die über eine typologische Gegenüberstellung von Ahas Unglaube und Hiskias Glaube, begründen wolle, dass der Unglaube des Königs zum Untergang der davidischen Dynastie geführt habe. Die Erzählung sei daher „fiktiv“, stamme „nicht aus dem Geschichtsbuch, sondern aus dem Katechismus“ 148 und stelle eine literarische Verarbeitung von 2Reg 16 149, 2Reg 18-20 bzw. Jes 36-38 und Dtn 20 dar. Die entscheidende Weichenstellung erfolgt bei Becker bereits in seiner Deutung von 7,1, wo er hinter der Feststellung ולא יכל להלחם עליהdie „Vorstellung“ vermutet, „daß Stadt und Dynastie im Prinzip von Jahwe nicht preisgegeben werden“.150 Nun ist von der Dynastie hier gar Vorsichtiger BARTHEL, Prophetenwort, 119f. Dabei differieren die Ansichten dazu, ob v. 1 in Gänze sekundär ist oder ein älterer Grundbestand lediglich von 2Reg 16,5 her aufgefüllt wurde (so u.a. KAISER, ATD, 167, der mit dieser Einschätzung eine Mehrheit der Ausleger repräsentiert, vgl. die Zusammenstellungen bei HÖFFKEN, Grundfragen, sowie ausführlich WERLITZ, Studien, 123ff.). WERLITZ selbst rechnet 7,1 zu einer von 2Reg 16,5 abhängigen Grundschicht innerhalb von Jes 7,1–17 (aaO., 214–222; ähnlich auch BECKER, Jesaja, 35–42). 140 So schon DE L AGARDE , Anmerkungen, 9; für die Späteren vgl. HÖFFKEN , Grundfragen, 33f.; WERLITZ, aaO., 127f. 141 Zum Phänomen SKA, Sommaires proleptiques; zur vorliegenden Stelle BARTELMUS, Stilprinzip, 56; BECKER, Jesaja, 36f. 142 WERLITZ, aaO., 130. 143 So WERLITZ , aaO., 217, und auch BECKER , aaO., 37, ähnlich OSWALD , Textwelt, 204f. 144 Diese wurde u.a. von KAISER , ATD, 141–145, sowie WERLITZ , aaO., 223ff., vertreten, vgl. die Kritik bei BLUM, Testament I, 553–555, sowie STIPP, Heil, 330. 145 Jesaja, 47-57. 146 Dazu aaO., 35-42. 147 AaO., 47. 148 AaO., 52. 149 Zu den gewichtigen Unterschieden zwischen Jes 7 und 2Reg 16 vgl. aber OSWALD , Textwelt, 205. 150 Jesaja, 37. 139
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nicht die Rede, sondern lediglich von der Stadt (noch betont durch das doppelte )עליה. Zudem kann die Konstruktion im Perfekt ( )יכלnicht einen generellen Sachverhalt wie die prinzipielle Uneinnehmbarkeit Jerusalems ausdrücken. Insofern ist der Satz auf die konkrete historische Situation zu beziehen. Gleiches gilt dann auch für die gesamte Szene. Zudem sind die literarischen Bezüge zwischen Jes 7 und Jes 36–38/2Reg 18–20 bei genauer Betrachtung doch recht dünn. Becker nennt die Lokalisierung (7,3; 36,2), die sich aber auch umgekehrt als Aufnahme von Jes 7 in Jes 36 erklären lässt, 151 sowie die Einleitung mit עלה+ ויהי בin 7,1 und 36,1. 152 ויהי בführt üblicherweise eine Zeitangabe ein, bezieht sich diese auf einen Feldzug folgt עלהa(1Reg 14,35; 2Chr 12,2 oder auch Ex 16,13; 24,18; Num 10,11 in anderem Zusammenhang). Hier wäre schon ein deutlicheres Signal zu erwarten, wenn eine bewusste (und auch für die Adressaten erkennbare) Parallelisierung intendiert wäre. Gewichtiger ist jedoch, dass Ahas als Beispiel für die postulierte „Intention des Textes“153, denkbar schlecht gewählt wäre. Dass er die in den Zeichen liegende Verheißung verspielt hat, soll sich den Lesern von 2Reg 16 her erschließen.154 Allerdings trifft Ahas das Gericht trotz seines Unglaubens gerade nicht. In den Konsequenzen seines Tuns taugt er nicht als Antitypos zum vorbildlichen Hiskia. Und wie sollte ein Leser überhaupt erkennen, dass sich das Zeichen auf die Situation des Ahas bezieht, das Gerichtswort aber nicht seine Situation meint, sondern die Dynastie insgesamt? Die von W. Oswald vorgeschlagene Deutung von Jes 7 als Ermutigung für die frühnachexilischen Jerusalemer,155 krankt umgekehrt an der Frage, wie die Leser erkennen können, dass zwar die Heilszeichen nicht aber das Gerichtswort 7,17a auf ihre Situation bezogen sind.
In irgendeiner Form müssen Kontrahenten und Situation eingeführt gewesen sein, anders wäre die Angst in v. 2.4 nicht motiviert und der Rückgriff auf die Gegner in v. 4 nicht möglich. Als Bezeichnung für das Nordreich dient in Jes 7ff. zumeist „Ephraim“ (7,2.5.8.9.17; 9,8.20) bzw. pars pro toto „Samaria“ (7,9; 8,4; 9,8; 10,9.10.11), für das Südreich „Juda“ (7,1.6. 17; 8,8; 9,20). Auch wenn Jes 7,1 selbst als früher Beleg u.U. ausfällt, käme die Verwendung von „Israel“ als Bezeichnung des Nordreichs insbesondere in Verbindung mit dem Königstitel kaum überraschend.156
So HARDMEIER, Prophetie, 439. BECKER, Jesaja, 48. 153 AaO., 52 Hervorhebung i.O. 154 AaO., 52f. 155 Textwelt, 218f. In ähnlicher Weise wie OSWALD, ebd., der einen Zusammenhang zwischen בן טבאלJes 7,6 und dem in Esr 4,7 unter den Gegnern Esras genannten טבאל sieht, hatte auch schon KAISER, ATD, 144f., hinter Jes 7,6 eine Auseinandersetzung mit den Tobijaden vermutet. 156 In der prophetischen Literatur bezeichnet מלך ישׂראלstets den König des Nordreichs (Jer 41,9; Hos 1,1; 10,15; Am 1,1; 7,10); Ausnahmen sind Jes 44,6; Zeph 3,15 mit מלך ישׂראלals JHWH-Epitheton sowie Mi 1,14 (dazu unten S. 227ff.). Die denkbaren Alternativen „König Ephraims“ sind nicht bzw. „König Samarias“ lediglich in 1Reg 21,1; 2Reg 1,3 belegt. 151 152
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1.2.1.4 Jes 8,14.18 Jes 8,11–18 markieren mit ihrem „unverkennbarem Abschlußcharakter“157 das Ende der sog. „Denkschrift Jesajas“158. V. 11–15 ist zunächst ein Appell, „diesem Volk da“ העם הזהnicht zu folgen, das sich mangels Zutrauen zu JHWH fürchtet und Verschwörung wittert. Jesajas Forderung, auf JHWH zu vertrauen, und Ahasʼ sowie Judas Scheitern daran waren bereits zentrales Thema von Jes 7f. (mit dem Spitzensatz 7,9 אם לא תאמינו כי לא )תאמנו. Die Konsequenz mangelnden JHWH-Vertrauens benennen 8,14f.: JHWH selbst wird zum Fallstrick – für „beide Häuser Israels“ שׁני בתי ישׂראל. Die Adressaten von 8,11–15 sind offensichtlich nicht mit dem „Volk“ identisch, sondern werden von diesem unterschieden. Von v. 16 her kommt als möglicher Adressatenkreis eine Gruppe von Schülern des Propheten ( )למדיin den Blick.159 V. 16–18 beziehen sich schließlich autoreflexiv auf die Verkündigung Jesajas – bezeichnet im Parallelismus als תעודה und – תורה, deren Dokumentation160 notiert ( צררund חטםspielen auf den Umgang mit Schriftrollen bzw. Urkunden an161), deren Inhalt in Stichworten zusammengefasst wird (s.i.F.) und für deren Gültigkeit der Verfasser einsteht ()הנה אנכי והילדים. Der Vergleich mit einem Kolophon liegt nahe.162 Dass die Abschlussnotizen eng mit Jes 6–8 verknüpft sind, ist angesichts ihrer kompo sitionellen Funktion (ein Schluss setzt etwas Abzuschließendes voraus) und deutlichen inhaltlichen Bezüge163 kaum zu bestreiten: 8,11 blickt auf die Berufung des Propheten zurück, dazu passen die Distanzierung des Propheten vom Volk (6,5; 8,12), der Aufruf zur „Heiligung“ JHWHs (6,3; 8,13) sowie die Ankündigung, dass JHWH selbst seinem Volk zum Fallstrick wird (8,14f., vgl. den „Verstockungsauftrag“ in 6,9f.). Von 8,17 gibt es eine Verbindung zur Frage des Propheten nach dessen Zeitdauer (6,11: עד מתי )אדני.a8,18 nennt die Kinder (pl.) des Propheten und setzt neben מהר שׁלל חשׁ בזa(8,3) auch BLUM, Testament I, 553. Die breite Diskussion zu Existenz, Redaktionsgeschichte und Datierung einer solchen Größe kann hier nicht aufgenommen werden. Einen instruktiven Überblick zur älteren Forschungsgeschichte und zu neueren Positionen liefert WAGNER , Gottes Herrschaft, 18–39. 159 B EUKEN , HThKAT, 228 160 Als Deutungsalternativen stehen im Raum, ob metaphorisch die Bewahrung der jesajanischen Verkündigung durch seiner Schüler (so u.a. WILDBERGER, BK, 344–346; BARTHEL, Prophetenwort, 233, Anm. 23 listet weitere Vertreter dieser Deutung) oder die Anfertigung eines konkreten Schriftstücks gemeint ist (so BARTHEL, ebd., selbst, für weitere Vertreter vgl. aaO., Anm. 25). CARR, Writing, 144f., denkt an eine „reference copy“, die zur Instruktion von Prophetenschülern angefertigt wurde und zugleich der Bewahrung der Botschaft des Propheten sowie der Autorisierung der Schüler diente. Wie auch immer man sich entscheiden mag, in jedem Fall ist die Notiz auf die Weitergabe der Botschaft Jesajas und nicht auf ihr Verstummen ausgelegt (so auch BARTHEL, Prophetenwort, 235, gegen LESCOW, Jesajas Denkschrift, 325f.). 161 B ARTHEL , Prophetenwort, 233ff.; BEUKEN , HThKAT, 230f.; CARR , Writing, 144. 162 C ARR , Writing, 144, S TIPP, Heil, 351; vgl. BECKER , Jesaja, 115, aber nur für v. 16. 163 Zusammengestellt sind sie z.B. bei BEUKEN , HThKAT, 218f. Vgl. ebenfalls JONES, Isaiah 8.11, 154–158, sowie BARTHEL, Prophetenwort, 237; BECKER, Jesaja, 117. 157 158
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שׁאר ישׁובa(7,3) voraus. Mit der Festellung dieser Bezüge ist aber noch nicht entschieden,
ob der Zusammenhang ursprünglich ist oder (möglicherweise auch von mehreren Händen) redaktionell geschaffen wurde. Jes 8,11–15 gilt weithin als einheitlich, 164 aber auch 8,16–18 liefern für sich genommen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme redaktioneller Eingriffe.165 Sperrig erscheinen zwar die Verbformen צורund חטום, die von den Masoreten als Imperative m.sg. vokalisiert sind. Die Probleme lösen sich jedoch, wenn die Formen mit ihrem Kon sonantenbestand als Inf. abs. gelesen166 und als 1. P. sg. gedeutet werden, 167 wie sich aus וחכיתיin v. 17, אנכיin v. 18 und – sofern man es nicht streicht 168 – bereits von ( למדיSuffix 1. P.sg.) her ergibt. Dann bildet v. 17 eine direkte Fortführung, und es besteht kein Grund, v. 17f. von v. 16 zu trennen. Komplexer ist die Beurteilung der Zusammengehörigkeit von 8,11–15 und 16–18. V. 16 markiert durch den Sprecherwechsel einen Neueinsatz, ist aber dadurch mit v. 11– 15 verbunden, dass jeweils ein kleinerer Kreis innerhalb des Volkes im Blick ist – in v. 11–15 als Angeredete169 (vgl. auch die Gegenüberstellung zu den רביםin v. 15), in v. 16– 18 als „Tradenten“ der Botschaft des Propheten. Zudem überzeugen die Versuche, v. 16– 164 Zur Begründung ausführlich B ARTHEL , Prophetenwort, 218–220. WERNER , Prophetenwort, 7–11, hält in v. 11 nur die Botenformel כה אמר יהוהfür ursprünglich und findet in 12b.13b.14b( )לשׁני בתי ישׂראל לפח ולמוקשׁ ליושׁב ירושׁלםsowie 15 ( רביםund )ונוקשׁו ונלכדו retrospektive und verallgemeinernde Nachinterpretationen. Der verbleibende Text lässt sich aber nur dann als Zusammenhang lesen, wenn man mit DUHM , HK, 83, vgl. App. BHS, תקדישׁוv. 13 sowie מקדשׁv. 14 zu Ableitungen von der Wurzel קשׁרändert (dagegen EVANS , Interpretation; vgl. BARTHEL, Prophetenwort, 216f.) und bleibt auf die Aussage beschränkt, dass JHWH zum Verschwörer an seinem Volk wird – eine sowohl was die Verwendung von קשׁרals auch die Metaphorik betrifft im Alten Testament singuläre Aussage. BECKER, Jesaja 112f., grenzt לפח ולמוקשׁ ליושׁב ירושׁלםin v. 14 aus (eine „Nachinterpretation“, um „die Stadt Jerusalem explizit in das Gericht einzubeziehen“, dazu i.F.) sowie den gesamten v. 15 („ein in mehreren Schüben erfolgter Nachtrag“). Letzteres verwundert, hätte doch die Aussage, dass „viele straucheln“, aber nicht alle, gut zu Beckers Auslegung gepasst, hinter 8,11–15 stehe „die Vorstellung von einem heiligen Rest im Gottesvolk Israel, der sich kraft eigener Glaubensentscheidung von der massa perditionis getrennt hat und damit die bevorstehende Katastrophe überleben darf“ (113, Hervorhebung i.O.). Gewisse Schwierigkeiten bereitet allerdings der Übergang von v. 11 zu 12ff: Nach der Redeeinleitung v. 11 erwartet man ein Wort JHWHs an Jesaja und nicht eine Prophetenrede über JHWH an nicht explizit eingeführte Adressaten. Man kann sich damit behelfen, dass der Prophet hier nicht „in der Rolle eines Erzählers von Gottesworten auftritt, son dern als Gottesbote den Appell direkt ausrichtet“ – so HARDMEIER, Gesichtspunkte, 51. Dann hätte das כה אמר יהוהseine Funktion weniger als Signal für die Kommunikationssituation, sondern diente im übertragenen Sinne der Autorisierung des Propheten, vgl. auch das einleitende כי. Literarkritisch lässt sich dieses Problem aber auch nicht auflösen. Eine Notwendigkeit, verschiedene Hände anzunehmen, besteht vom Text her somit nicht. 165 B ECKER , Jesaja, 116, vermutet dennoch „drei verschiedene Verfasser mit unterschiedlichen editorischen Absichten“, zur Diskussion s.i.F. 166 Zu צורals Inf. abs. verweist RECHENMACHER , Abschluß, 27, Anm. 4, auf die Analogien שׁׁׁל־תשׁלוRuth 2,16; פור התפוררהJes 24,19; קׁב לא תקבנוNum 23,25; רואJes 24,19 in 1QJesb sowie auf die Diskussion des Phänomens bei BERGSTRÄSSER , Grammatik, §27a*. 167 Das ist weitgehend opinio communis, vgl. u.v.a. DUHM , HK, 84; WILDBERGER , BK, 342; BARTHEL, Prophetenwort, 228f.; RECHENMACHER , Abschluß, 26f.; BEUKEN, HThKAT, 214.
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18 auf der Basis von Sprachgebrauchsargumenten zeitlich von v. 11–15 abzusetzen, nicht.170 Die Frage der Zusammengehörigkeit von 8,11–15 und 16–18 hängt somit letzt lich mit der Einschätzung des Werdens von Jes 6–8 zusammen, und hier führen die verschiedenen Versuche, die redaktionsgeschichtlichen Hypothesen zur Genese der „Denkschrift“ literarkritisch in 8,11–18 zu spiegeln 171 – quasi ungewollt und zumindest auf der Basis der von J. Becker u.a. vorausgesetzten methodischen Prämissen – auf das Gegenteil: wenn nämlich 8,11–18 keine belastbaren Indizien für redaktionelle Eingriffe bieten, heißt das doch, dass in dem Moment, als diese Schlussabschnitte mit ihren Netz von Bezügen zu Jes *6–8 geschaffen wurden, bereits eine den Grundbestand dieser Kapitel umfassende „Denkschrift“ vorlag oder eben – was die einfachere Hypothese ist – (möglicherweise unter Aufnahme älteren Materials) in diesem Zusammenhang gebildet wurde. Dann ist aber neben der Rekapitulation von Jesajas Wirken zur Zeit des syrischephraimitischen Kriegs (Jes 7f.) auch schon die rückblickende Reflexion der Nichtbeachtung seiner Botschaft in Visionsbericht und Verstockungsauftrag Jes 6172 vorausgesetzt, womit die syrisch-ephraimitische Krise bereits Geschichte wäre, was wiederum für den historischen Ort des Textes auf die Spätzeit Jesajas weist. 173 Einen Hinweis auf diese zeitliche Verortung liefert 8,12. Auf den ersten Blick scheint der Vers sich am ehesten vor dem Hintergrund des in Jes 7f. Geschilderten zu erklären. Thema sind in Jes 7–8 bekanntlich nicht die vordergründigen politischen Ereignisse, sondern ihre Wahrnehmung durch König und Volk. 7,2 hält fest, dass neben dem Herz des Königs auch „das Herz seines Volks“ לבב עמוangesichts der Nachricht vom Lagern Arams in Ephraim zitterte. Während in 7,*3–17 nun der König und sein Haus im Focus stehen, kommt mit 8,1–8a 174 das Volk (v. 6 wiederum )העם הזה, seine Furcht und sein mangelndes Vertrauen in den Blick und erhält eine explizite Gerichtsansage. In diesem BECKER, aaO. Mit בלמדיlässt sich v. 16ff. kaum als Fortsetzung einer Gottesrede lesen, wie bei BECKER, ebd., im Anschluss an 8,1.3–4. Das bemerkte schon BUDDE , Erleben, 86f., der daher בלמדיzu בלמדיךändert. FISCHER, Tora, 45, möchte בלמדיbeibehalten und deutet es unter Hinweis auf Jes 50,4 und 54,13 als „JHWH-Schüler“. Davon ist allerdings nur 54,13 einschlägig, der Gottesknecht wird in 50,4 zwar mit einem Schüler verglichen, nicht aber als JHWH-Schüler bezeichnet. 169 Bei BECKER, Jesaja, 110, firmiert der Abschnitt daher unter dem Stichwort „Jüngerlehre“. 170 Nach WAGNER , Gottes Herrschaft, 80, gibt sich Jes 8,16f. durch den Terminus בית יעקבals „redaktionelle Hinzufügung in exilischer Zeit“ zu erkennen, da seine Verwendung den Sprachgebrauch Deutero-Jesajas voraussetze. Unklar bleibt, ob בית יעקבnun das Südreich (aaO., 78) oder Gesamt-Israel (aaO., 80) bezeichnen soll. Daran hängt jedoch, ob tatsächlich ein Widerspruch zu 8,14 (und 9,7) besteht (s.i.F.). BECKER, Jesaja, 119, erwägt wegen הסתיר פניםfür 8,17 eine literarische Aufnahme von Jes 54,1–8, allerdings ist die Wendung mit Bezug auf JHWH insgesamt 36x belegt. Am gewichtigsten scheint noch der Hinweis auf אתות ומופתיםzu sein (WERNER, Prophetenwort, 5f.; BECKER, aaO., 119f.; BARTHEL, Prophetenwort, 232f.; KILIAN, NEB, 68), die v.a. im Dtn die Machterweise JHWHs im Zusammenhang mit dem Exodus bezeichnet (Dtn 4,34; 6,22; 7,19; 26,8; 29,2; 34,11; vgl. auch Ex 7,3; Jer 32,20f.; Ps 78,43; 105,27; 135,9; Neh 9,10). Eine göttliche Machttat, allerdings entkoppelt vom Exodus, die der Prophet ankündigt, aber nicht selbst sein oder tun kann, ist אותbzw. מופתauch in Dtn 13,2f. In Dtn 28,46 stehen אתות ומופתים schließlich für die von JHWH herbeigeführten Fluchfolgen. Alle Belege eint, dass es um Taten JHWHs und nicht um ein Tun, Verhalten oder Spezifikum des Propheten geht, das Zeichencharakter annimmt. Insofern entspricht 8,18 gerade nicht dem dtn/dtr Gebrauch der Wendung. Die engste Parallele ist daher Jes 20,3, auch hier wird der Prophet bzw. sein Verhalten selbst zum „Zeichen“. 168
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narrativen Gefälle ließe sich auch seine in v. 12b konstatierte Furcht erklären, nämlich ausgelöst durch das aramäisch-nordisraelitische Bündnis gegen das Davidshaus, das als imminente Bedrohung wahrgenommen worden wäre. Will man 8,11–15 auf diese Weise vor dem Hintergrund des syrisch-ephraimitischen Krieges lesen, macht jedoch 8,12a Probleme: Worauf bezieht sich die Forderung, die Situation nicht als „Verschwörung“ קשׁרzu bezeichnen?175 In der Diskussion sind drei Möglichkeiten: 176 (a) קשׁרmeint das Bündnis zwischen Nord-Israeliten und Aramäern. Damit wäre קשׁרaber in ungewöhnlicher Weise gebraucht, üblicherweise bezeichnet es einen innenpolitisch motivierten Putsch(versuch) gegen den König.177 Allerdings schließt das Vorhaben der Koalitionäre nach 7,6 die Absetzung Ahasʼ ein, so dass das die Verwendung קשׁרu.U. durch das gleiche Resultat motiviert wäre. Schwerer wiegt jedoch, dass die Mahnung, dieses Vorgehen gerade nicht als „Verschwörung“ zu sehen, eine positive Beurteilung der Vorgänge durch den Propheten implizieren würde.178 Letzteres stände aber in einem deutlichen Widerspruch zu Jes 7,1–9. (b) קשׁרbezieht sich auf eine Fraktion innerhalb Judas, die das Vorgehen der Koalitionäre unterstützte und Ahasʼ Absetzung betrieb. 179 Diese Lösung hat den Vorteil, der üblichen Verwendung von קשׁרzu entsprechen, es mangelt ihr aber an jeglichen Hinweisen am Text. Zudem greift auch hier der unter (a) genannte Einwand, dass die Mahnung des Propheten, dieses Vorhaben nicht als „Konspiration“ zu bezeichnen, es geradezu rechtfertigen würde. (c) Der Verschwörungsvorwurf bezieht sich auf die Verkündigung des Propheten selbst, dem unterstellt wird, gegen den König zu agieren. 180 Die Texte bestätigen diese Annahme zwar nicht in Bezug auf Ahas, 181 passen aber – wenn man den Abschnitt mit E. Blum als Teil einer größere Komposition liest und auf die assyrische Bedrohung Jerusalems bezieht182 – sehr gut zu Hiskia, rechnet Jesaja doch mit einem radikalen Neuanfang nach dem bevorstehenden Gericht (vgl. Jes 10,33; 11,1–5), der mit einem zwar wiederum davidischen (11,1: )חטר מגזע ישׁיaber doch neuen König verbunden ist. Dass Jesaja diese Botschaft als קשׁרausgelegt werden konnte, verwundert dann genauso wenig wie die Zurückweisung einer solchen Wahrnehmung seiner Verkündigung in 8,12. Vor diesem Hintergrund passen sich dann auch die Argumentationslinie von 8,12f. und 8,14f. sowie der hoffnungsvolle Ausblick in 8,17f. ein. V. 12f. liefern weder die implizite Begründung für die Drohung in v. 14f.183, denn das würde doch heißen, dass ein Versagen der Adressaten schon impliziert ist. Wozu dann also die Mahnung? Noch bieten v. 14f. eine „begründende Explikation“ von 12f., denn diese müsste durch ein כיo.ä. Das zeigt sich besonders eindrücklich in den neueren Untersuchungen von BARProphetenwort, und BECKER, Jesaja. Barthel ist, was das den Umfang des im Prophetenbuch erhaltenen „echten“ Jesaja-Materials betrifft, bekanntlich deutlich optimistischer als Becker. In Jes 6,1–8,10 rechnet er dazu Jes 6,1–11 (zur Begründung aaO., 75–82); 8,1–8a (192.198) sowie eine ältere noch nicht als Fremdbericht gestaltete Fassung von 7,1–17, die noch in v. 3–9a*(10.)14b.16 durchscheint (119ff.). In 8,11–18 kann Barthel v. 11–15 als ursprüngliche Fortsetzung von 8,6–8 einordnen, als Argument führt er die Nähe zu Jes 6 an: sie „erklärt sich am einfachsten, wenn hier er Prophet selbst und nicht erst ein späterer Redaktor spricht“ (220). Schwieriger sind v. 16–18, v.a. v. 18 mit dem Bezug die Kinder (pl.) Jesajas, der offensichtlich beide Jesaja-Söhne voraussetzt und damit eine Information, die nur in Jes 7 erhalten ist. Selbst wenn Schear-Jaschub in der älteren Fassung von Jes 7 genannt gewesen wäre (vgl. aaO., 152), sei er doch nicht als „Zeichen“ eingeführt Die Beobachtung führt Barthel für 8,16–18 schließlich zur Zuweisung von v. 18 an eine spätere Hand, konkret dem „Erzähler von Jes 7“ (233), obwohl v. 16–18 selbst keinen Anhalt dafür bieten würden, die „innere Einheit“ zu bezweiflen (231). 171
THEL,
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angezeigt sein.184 Vielmehr ergibt sich die Abfolge von Mahnung und Gerichtsansage aus der Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Gerichts: die Anhänger des Propheten sollen auf JHWH vertrauen (v. 12f.), auf den auch der Prophet selbst durch das unausweichliche Gericht hindurch (v. 14f.) weiterhin sein Vertrauen setzt (v. 17f.).
„Israel“ erscheint innerhalb von 8,11–18 in v. 14 und v. 18, daneben begegnet בית יעקבin 8,17. Aufschlussreich ist v.a. der im Alten Testament singuläre Ausdruck שׁני בתי ישׂראלin 8,14.185 Auf der semantischen Ebene wird „Israel“ hier als eine aus zwei Teilen („Häusern“) bestehene Einheit präsentiert. Die Referenz der „zwei Häuser“ ist ebenso klar wie unumstritten: bezeichnet sind das Nordreich und das Südreich.186 „Israel“ steht somit für die beide Reiche umfassende Größe. Diese unbestreitbar gesamt-israelitische Perspektive ist nun kein Grund, לשׁני בתי ישׂראלzu streichen187, sondern erklärt sich aus der argumentativen Logik von 8,11–15, wobei der Abschnitt nach Art eines Resümee auf Jes Becker rekonstruiert als Worte des historischen Heilspropheten Jesaja innerhalb von Jes 6–8 die „Berufungsvision“ 6,1–4.5a .6–8 (dazu aaO., 81–89) sowie ein „Orakel gegen Damaskus und Samaria“ 8,1.3–4 (94ff.). In mehreren Stufen sei dieser Grundbestand erweitert und umgedeutet worden, zunächst in einer Revision des Prophetenbildes, die Jesaja zum Gerichtspropheten macht (6,9.11; 8,5–8a*), dann durch die Einschaltung von Kap. 7 (dazu oben S. 201 Anm. 140). und schließlich durch historisierende Glossen und weitere Ergänzungen (vgl. das Fazit aaO., 121–123). Das Modell hat notwendig Konsequenzen für 8,11–17, v.a. wenn man wie Becker die literarischen Bezüge sensibel wahrnimmt: Da 8,11–14 auf den Verstockungsauftrag Jes 6 sowie auf Jes 7 zurückgreife, müsse der Einbau von Jes 7* in die Denkschrift bereits erfolgt sein, v. 11– 14 seien somit redaktionell. Für 8,16 findet Becker keine literarischen Bezüge, der Vers (ohne )למדיsei die alte Fortsetzung von 6,1–8*; 8,1.3–4 und spreche von einer Verschriftung der Heilsbotschaft, deren „Zweck“ sich allerdings „nur erahnen lässt“ (116f.). Für 8,17 ist die Sache klarer: „Von der Beauftragung zur Unheilsbotschaft (6,9.11) über deren Ausrichtung (8,1–8*) bis hin zum Warten auf ihr Eintreffen (8,17) spannt sich ein kompositioneller Bogen“, woraus folge, dass „planvolle redaktionelle Arbeit“ vorliegt und 8,17 im Kontext dieser Redaktion an 8,16 angehängt wurde (117, Hervorhebungen i.O.). V. 18 nenne schließlich mehrere Kinder, setze daher Kap. 7 und darüber hinaus 6,1 voraus und sei somit eine noch spätere Zutat (119f.). Argumentiert wird fast ausschließlich mit den literarischen Bezügen, tlw. ergänzt mit Argumenten zum Sprachgebrauch, und auf diese Weise die Analyse von 6,1–8,10 auf 8,11–18 übertragen – mit der Konse quenz dass die sieben Verse 8,11–18, die für sich genommen kaum Anhalt für literarkritische Operationen bieten, auf nicht weniger als fünf Hände (sogar noch mehr bei mehrstufigem Wachstum von v. 15 (aaO., 112) bzw. der Hinzufügung von למדיin v. 16 (116)) verteilt sind. 172 Zu Jes 6 als Retrospektive und als Reflexion des Propheten über die Wirkung seiner Verkündigung vgl. insbesondere die Untersuchungen von HARDMEIER, Verkündigungsabsicht; STIPP, Heil, sowie BLUM, Testament II, 22–27. 173 B LUM , Testament I, sowie Testament II, rekonstruiert eine Jes 1–11* umfassende, konzentrisch um Jes 6–8 angelegte Komposition, die der Prophet selbst – unter Vewendung eigenen älteren Materials – zusammengestellt und darin seine eigene Wirksamkeit reflektiert hat; Blum bezeichnet sie als „Testament Jesajas“ (Testament I, 551) und datiert sie in die unmittelbare Nähe des Abzugs das Assyrer aus Juda 701 (zur Begründung Testament II, 20f.).
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*6–8 ingesamt bezug nimmt und die Konsequenzen aus dem historischen Lehrstück Jes 7f. für die gegenwärtigen Adressaten zieht. Treffen die Überlegungen zur Bedeutung von קשׁרsowie zur Datierung der Schlussnotizen in die Zeit der assyrischen Bedrohung Judas in den Tagen Hiskias zu, ist העם הזהin 8,12 auf Gegner Jesajas zu beziehen, konkret auf Judäer, die hinter Jesajas Erwartung einer unmittelbar bevorstehenden Entmachtung der Mächtigen eine Konspiration von Seiten des Propheten und seiner Schüler witterten. Dabei stellt sie der Schlussabschnitt in Kontinuität zu jenen Judäern (vgl. העם הזהin 8,6), die schon dreißig Jahre zuvor dem Propheten nicht folgten, was für Juda – wie die Umwandlung der ursprünglichen Heils- in Unheilsworte in Jes 7f. sowie die Verarbeitung der ZurückIn diesem Modell lassen sich die hier für Jes 8,11–18 erhobenen Befunde m.E. schlüssig erklären: (a) Es erübrigt sich eine literarkritische Zerstückelung der Schlussabschnitte. Die literarischen Bezüge sind kompositionell angelegt und nicht redaktionell akkumuliert. (b) Die Retrospektive, die der gesamten Komposition eignet, fügt sich gut zum resümierenden Charakter von 8,11–15, aber v.a. zum in v. 16–18 aufgespannten Horizont: Die Dokumentation der Verkündigung des Propheten, die auf deren Bewahrung für spätere Zeit zielt (vgl. oben S. 203 Anm. 160) weist darauf, dass es sich weniger um auf eine konkrete und eingegrenzte Situation bezugnehmende Prophetenworte handelt, sondern um allgemeinere und daher auch weniger zeitgebundene Aussagen. (c) Das Modell erlaubt zudem eine Integration der Erkenntnis, dass innerhalb der „Denkschrift“ Kap. 7f. näher an den Ereignissen des syrisch-ephraimitischen Krieg sind als Jes 6 (vgl. die vorige Anm.). BLUM, Testament II, 17.22ff., geht davon aus, dass der Zusammenhang aus Kap. 6 und 7f. erst bei der Komposition des „Testaments“ geschaffen wurde, woraus folgt, dass die älteren Bestandteile der „Denkschrift“ auch nur in dieser größeren Komposition greifbar sind (Testament I, 555 mit Anm. 28). (d) Nicht zuletzt passen sich 8,11–18 in die inhaltlichen Linien der größeren Komposition ein, das gilt u.a. für das von Jesaja als unausweichlich erwartete Gericht (8,14f.17, vgl. 1,21–26; 2,7ff.; *10,27–34), aber auch für die Hoffnungsperspektive durch das Gericht hindurch (8,17f., vgl. 11,1–5). Sind 8,11–18 aber auf die größere Komposition hin gestaltet, bedeutet dies letztlich eine Auflösung der klassischen Denkschrift-Hypothese mit 8,11–18 als Schlusswort, das den Zusammenhang erst zu einer „Denkschrift“ macht. 174 V. 8b–10 sind ein Nachtrag, dazu ausführlich B ARTHEL , Prophetenwort, 208–213. 175 Die Uneinigkeit unter den Auslegern ist ein erstes aber deutliches Indiz dafür, dass mit dem Begriff קשׁרaußertextliches Wissen der Adressaten abgerufen wird. Die Probleme verschärfen sich eher noch, wenn man die Texte weiter von der historischen Situation des 8. Jh.s v.Chr. abrückt. Dann bleibt als Referenzrahmen nur die Darstellung Jes 7f. selbst, u.U. ergänzt durch 2Reg 16, wodurch die Angst des Volks hinreichend erzählerisch motiviert wäre, nicht aber die in 8,12 vorausgesetzte Wahrnehmung einer Verschwörung. Wenn hier tatsächlich, wie BECKER, Jesaja 113f. vermutet, die „nachexilische Gemeinde“ am historischen Beispiel Gottesfurcht lernen, und über den Begriff קשׁרdie „Zeitgeschichte“ eingespielt werden sollte, dann wäre doch zu erwarten, dass dieser Konnex in der Darstellung in einer Weise vorbereitet wäre, die die Verknüpfung vereindeutigt. 176 Vgl. die Überblicke über die Diskussion bei BARTHEL , Prophetenwort, 222–225, oder BECKER, Jesaja, 110f. 177 C ONRAD , ThWAT קשׁר, Sp. 214–217. 178 So zu Recht B ARTHEL , Prophetenwort, 224, unter Aufnahme von KAISER , ATD, 186.
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weisung des Propheten im Verstockungsauftrag (vgl. לע ם הזהin 6,9) erschließt – nun das Gericht nach sich zieht. Insofern wird in 8,11–15 tatsächlich das Ergehen beider Staaten verknüpft: Dass JHWH zum Fallstrick für das Nordreich wird, ist nach 7,4ff. ausreichend klar und für die Leser von Jes *1–11 längst Geschichte. 188 Wegen des Mangels an Vertrauen auf JHWH droht nun dem zweiten Haus Israels, also dem Südreich, ebenso das Gericht.189 (Kompositionell lässt sich eine Brücke zu 5,7 schlagen, dort war Juda als בית ישׂראלbezeichnet worden,190 diese Redeweise wird hier wieder aufgegriffen.) ישׂראלbezeichnet in 8,14 somit Nord- und Südreich gemeinsam, aber nicht als ein konzeptionell neues Gottesvolk, sondern als das Nebeneinan179 So ein seit DUHM , HK, 83, immer wieder vorgetragener Versuch, Option (a) zu plausibilisieren, vgl. u.a. WILDBERGER, BK, 337: „es müssen vielmehr in Jerusalem Gerüchte über ein gegen das Königshaus und seine Anhänger gerichtetes Komplott umgegangen sein.“ 180 So PROCKSCH , KAT, 136; EVANS , Interpretation, 113 – jeweils auf Ahas bezogen, vgl. auch BEUKEN, HThKAT, 228f. 181 So zutreffend BARTHEL , Prophetenwort, 225, der jedoch hinter קשׁרentweder „die allgemeine Atmosphäre der Angst und Verdächtigung, die sich unter den Jerusalemern zur Zeit des syrisch-ephraimitischen Krieges breit gemacht“ habe (224; vgl. CHILDS, OTL, 74: „all and everything that is surmised to be treason by the cityʼs populace“) oder aber einen Vorwurf gegen Jesaja, er stehe auf der Seite Assurs gegen Israel und Juda (226), vermutet. Ersteres ist wiederum durch den Sprachgebrauch von קשׁרnicht gedeckt, letzteres passt kaum zur Darstellung in Jes 7f. 182 Vgl. oben S. 207 Anm. 173. S TIPP, Heil, 346ff., kommt für die Denkschrift selbst ebenfalls zu einer Datierung in die Zeit Hiskias: er betont den retrospektiven Charakter, der nicht nur Jes 6*, sondern auch dem komplexen Ineinander von Heilsbotschaft und Gerichtsansage in Jes 7f.* eignet, und deutet die vorliegende Denkschrift als von Jesaja selbst vorgenommene Reinterpretation bzw. Explikation seiner eigenen früheren Botschaft. 183 Vgl. WILDBERGER , BK, 340 184 Gegen BARTHEL , Prophetenwort, 219, der Jes 28,22 als Parallele nennt, aber dort ist das כיvorhanden. 185 Ö Ñliest anstelle von לשׁני בתי ישׂראלH 6 #E#& - , geht aber in Jes 8,11–18 insgesamt eigene Wege, wie die zahlreichen Varianten sowie eine andere Abgrenzung der Texte (v. 15 wird zu 11–14 gezogen, ein Neueinsatz erfolgt in v. 16) erkennen lassen. Bereits SEELIGMANN, Septuagint Version, 273f., hatte Jes 8,11ff. Ö als eine der Stellen ausgemacht, an denen der Übersetzer eigene Interpretationen gebracht habe, wobei es ihm an dieser Stelle konkret darum gegangen sei, „an existing anti-dogmatic movement in his environment“ zurückzuweisen, vgl. mit jeweils anderer inhaltlicher Deutung aber im Konsens darüber, dass Ö nicht auf eine andere Vorlage zurückgeht auch VAN DER KOOIJ , Isaiah, 519–529; WAGNER , Identifying, 253–266, sowie KRATZ, Houses, 168. 186 Einen frühen Beleg für diese Auslegung bietet CD VII, 12–14; dazu KRATZ , Houses, 171–175. HØGENHAVEN , Gott, 11, erwägt, ob die „beiden Häuser“ Ephraim und Manasse meinen und in der Konsequenz „Israel“ für das Nordreich stehen könnte, benennt aber selbst die Schwierigkeiten dieser Annahme: zum einen spricht der Sprachgebrauch dagegen (dazu oben S. 199 Anm. 132), zum anderen würde dann neben Nordreich und Jerusalem das Südreich Juda fehlen.
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der der beiden politischen Größen Nordreich und Südreich.191 Diese werden nicht deswegen beide Israel, weil sie beide unter dem Gericht JHWHs stehen, 192 sondern weil sie beide Israel sind, trifft sie das Gerichtshandeln JHWHs. 193 Die umfassende Verwendungsweise des Israel-Namens setzt sich in 8,18 fort. Die vereinzelten Versuche, ישׂראלan dieser Stelle allein auf eines der beiden „Häuser Israels“ zu beziehen, bestätigen indirekt diese Deutung, lassen sich doch sowohl für den Bezug auf das Nordreich als auch auf das Südreich gute Gründe finden. So notiert L. Rost, dass Jesajas Söhne „Wunderzeichen als Unterpfand für im Kommen begriffene Taten Jahwes … für Juda“ gewesen seien, das hier – wie beim späten Jesaja üblich – als „Israel“ bezeichnet werde.194 Rost versteht somit אותund מופתprimär als Heilszeichen und hebt auf den Verheißungscharakter der Kindernamen für Juda ab. J. Barthel erwägt die gegenteilige Auffassung: אותbegegne in Jes 7 vorrangig als Gerichtszeichen, zudem seien die Namen als Verheißung für Juda zugleich Gerichtsansagen für Nord-Israel. Er erwägt daher, בישׂראלbesser mit „gegen Nord-Israel“ zu übersetzen, schließlich könne es v. 18 ja „speziell an der Unheilsbedeutung aller drei Symbolnamen für das Nordreich“ gelegen sein.195 Wie Barthel selbst herausstellt, 187 Gegen WERNER , Prophetenwort, 10f., der den gesamten Rest des Verses sowie v. 15 streicht. Als Begründung führt er an, dass „Israel“ hier im umfassenden Sinn gebraucht werde, was „mit Vorliebe bei Ezechiel begegnet“. 188 Das Kehrversgedicht Jes 9,7–20 wird noch einmal zu diesem Punkt führen, vgl. dazu BLUM, Testament II, 17. 189 Bei der von B LUM , Testament II, 20f., vorgeschlagenen und hier ebenfalls vermuteten Verortung der Komposition kurz vor 701, erübrigt sich auch die Streichung des Schlusses von v. 14: ( לפח ולמוקשׁ ליושׁב ירושׁלםso BECKER, Jesaja, 112), der wie Becker richtig sieht, „die Aufgabe [hat], die Stadt Jerusalem explizit in das Gericht einzubeziehen“. In der Situation vom Ausgang des 8. Jh.s, in der das Gebiet Judas auf Jerusalem und sein direktes Umland zusammengeschmolzen und die Stadt selbst bedroht ist, werden hier zum Schluss jene genannt, die als einzige aus den „beiden Häusern Israels“ noch übrig geblieben sind, denen aber nach Auffassung Jesajas das göttliche Gericht unmittelbar bevorsteht. 190 Vgl. oben S. 198f. 191 Vgl. WILDBERGER , BK, 340: „Daß Jesaja an der vorliegenden Stelle von den zwei Häusern Israels spricht, ist ein Kompromiß, welcher der politischen Trennung Rechnung trägt und doch die Zusammengehörigkeit in Verantwortung und Geschick unterstreicht.“ 192 Gegen KRATZ , Jesajabuch, 100. 193 Dass mit der Formulierung „zwei Häuser Israels“, wie ROST , Israel, annimmt, der Israel-Name vom Nordreich auf das Südreich übertragen werde, um ihn schließlich dem Nordreich abzuerkennen (47), vermag ich in dem einfachen Plural בתי ישׂראלnicht zu entnehmen, besagt dieser doch, dass beide – Nord- und Südreich gleichermaßen – „Haus Israels“ sind. 194 Israel 46. Auch HARAN , Isaiah, 101, möchte „Israel“ auf das Nordreich beziehen, allerdings im Kontext des wenig überzeugenden Versuchs, alle Gerichtsworte innerhalb von Jes 6.8 als allein gegen das Nordreich gerichtet zu deuten.
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werden die Kindernamen aber auch zu Gerichtsansagen für Juda,196 so dass auch er schließlich für eine umfassende Verwendungsweise des IsraelNamens in 8,18 plädiert.197 Für בית יעקבin v. 17 ergibt sich in der Konsequenz, dass auch „Haus Jakobs“ GesamtIsrael bezeichnet. „Israel“ und „Jakob“ bzw. „Haus Jakobs“ bilden, wenn sie in Parallele stehen, stets ein Paar von Synonymen – unabhängig davon ob eine Referenz auf Nord-, Südreich oder Gesamt-Israel gegeben ist.198 Zudem erweist sich eine Deutung auf NordIsrael allein, wie sie u.a. J. Høgenhaven vorgetragen hat, als schwierig. Høgenhaven möchte die Verborgenheit JHWHs ( )יהוה המסתיר פניוauf die Eroberung des Nordreichs durch die Assyrer (722) beziehen,199 andere denken an die assyrischen Eroberungen auf nord-israelitischen Gebiet um 733. 200 Gegen die Verbindung mit einem konkreten Ereignis spricht jedoch die Verwendung des Partizips מסתיר, das die Abwendung JHWHs als einen andauernden Zustand anzeigt (ganz analog zu v. 18: )יהוה צבאות השׁכן בהר ציון. Die Übernahme der Klagepsalmmotivik 201 ist nur dann stimmig, wenn die Bedrängnis noch nicht vergangen ist (vgl. auch Perf.cons. bei חכהund )קוה, sondern auch Juda betrifft und weiter besteht. Letzteres ist ein Stolperstein für jede nachexilische Datierung von v. 17, die die Verborgenheit JHWHs auf den Untergang des Südreiches 587 bezieht, die aber, wie J. Becker bemerkt, der nachexilische Verfasser „von seiner eigenen Gegenwart her … 195 Prophetenwort, 242 (Hervorhebung im Original). Barthel bezieht „Immanuel“ in die Diskussion mit ein, obwohl 8,18 lediglich die Kinder des Propheten nennt. 196 Diese Ambivalenz der Symbolnamen im vorliegenden Text ist offenkundig, vgl. das prägnante Fazit von WILDBERGER, BK, 348: „Man kann in den Namen, die Zeichen sein sollen, einen Hinweis auf kommendes Gericht, aber auch auf zu erwartendes Heil finden. Sie mahne n auf alle Fälle: Israels Zukunft entscheidet sich an Jahwe“ (Hervorhebung i.O.). 197 So neben BARTHEL , Prophetenwort, 242, auch WAGNER , Gottes Herrschaft, 280–282, der 8,18 allerdings mit 8,19f. zusammenzieht (vgl. SWEENEY, FOTL, 175.177) und in dem Abschnitt eine Verwerfung falscher divinatorischer Praktiken im exilisch-nachexilischen Juda findet. Vgl. zur Begründung der Abgrenzung von 8,19–23* sowie 8,23*–9,6 als spätere Nachträge aber schon BARTH, Jesaja-Worte, 141ff.152–154. Bei den älteren Kommentaren wird die Frage nicht einmal thematisiert, so selbstverständlich ist die umfassende Verwendungsweise von „Israel“ sowie die Gleichsetzung von „Israel“ und „Haus Jakobs“ (v. 17); lediglich PROCKSCH , KAT, 140, hält dies ausdrücklich fest. 198 Gen 34,7; 49,7.24; Ex 19,3; Num 23,7.10.21.23; 24,5.17; Dtn 33,10.28; 2Sam 23,1; Jes 9,7; 10,20; 14,1; 27,6; 29,23; und v.a. bei DtJes: Jes 40,27; 41,8.14; 42,24; 43,1.22.28; 44,1.5.21.23; 45,4; 46,3; 48,1.12; 49,5f.; Jer 2,4; 10,16; 30,10; 31,7; 46,27; Ez 20,5; 39,25; Hos 12,13; Mi 1,5; 2,12; 3,1.8f.; Nah 2,3; Ps 14,7; 22,24; 53,7; 78,5.21.71; 105,10.23; 114,1; 135,4; 147,19; Thr 2,3; 1Chr 16,13.17. Das unterscheidet dieses Paar grundlegend von „Israel“ und „Juda“, die nebeneinander gestellt für „Israel“ zumeist eine Disambiguierung auf die Teilgröße Nordreich/Nordstämme o.ä. bewirken und somit Komplementärbegriffe werden, die sich zwar ausschließen aber bedingen und somit als Begiffspaar Gesamt-Israel bezeichnen können (vgl. 1Sam 17,52; 18,16; 2Sam 11,11; 12,8; 24,1; 1Reg 1,35; 4,20; 5,5 u.a.m., eine Ausnahme bildet Ps 76,2). 199 Gott, 17.97. 200 WILDBERGER , BK, 347; BARTHEL , Prophetenwort, 238. 201 Dazu ausführlich BARTHEL , Prophetenwort, 236–239, vgl. WILDBERGER , BK, 346f.; KAISER, ATD, 190; BEUKEN, HThKAT, 231.
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
offenbar für beendet“ gehalten haben muss.202 8,17 belegt daher, dass im 8.Jh. die Gleichsetzung von „Jakob“ und „Israel“ bekannt war und beide in einem umfassenden Sinn gebraucht werden konnten.203
1.2.1.5 Jes 9,7.11.13 Während bisher hauptsächlich Ergehen und Wirken des JHWH-Wortes in Juda im Blick waren, wechselt die Perspektive mit 9,7ff. zum Nordreich. 204 Im Focus steht dabei die Ablehnung des JHWH-Wortes, das ergangen war, wirksam und erkennbar wurde (v. 7f.), aber das Volk nicht zur Umkehr gebracht hat (v. 12), so dass der Zorn JHWHs nicht endet, wie der Kehrvers ( בכל זאת לא שׁב אפו ועוד ידו נטויהv. 11.16.20, vgl. 5,25; 10,4) wiederholt einschärft. Inwieweit Einzelaussagen innerhalb von 9,7–20 mit historischen Ereignissen zu verbinden sind, muss hier nicht im Einzelnen untersucht werden.205 Den Ausgangspunkt bildet jedenfalls das von Amos her bekannte Erdbeben (v. 9), Zielpunkt ist der syrisch-ephraimitische Krieg (v. 20: Ephraim und Manasse stellen sich gemeinsam gegen Juda).206 202 Neben BECKER , Jesaja, 117f., auch KAISER , ATD, 191f. Becker liest 8,17 als „nachexilische Reflexion über die Rolle des Propheten Jesaja“, der hier als „paradigmatischer Gerichtsprediger“ erscheine, der „am Ende seiner Wirksamkeit … gläubig auf das Eintreffen des Gerichts wartet“ (118). Dagegen ist mit BARTHEL, Prophetenwort, 237, festzuhalten: „Jesaja sagt nicht, daß er auf den Vollzug des Gerichts wartet, sondern daß er angesichts des sich bereits vollziehendes Gerichts auf Jahwe wartet“ (Hervorhebung i.O.). 203 Gegen KRATZ , Jesajabuch, 93. 204 Das ist weitgehend Konsens. Für BECKER , Jesaja, 148–155, gehen die konkreten Geschichtsbezüge (v. 9,8a.10a רצין.a20a) jedoch auf das Konto eines historisierenden Bearbeiters, der das zuvor auf ganz Israel bezogene Gedicht auf das Geschick des Nordreichs im syrisch-ephraimitischen Krieg eingrenzen wollte (ähnlich zuvor VERMEYLEN, Prophète I, 178f.; KAISER , ATD, 212). Das Ergebnis seiner Rekonstruktion kann Becker dann allerdings kaum wertschätzen: der „verbleibende Bestand“ mache einen „eher zusammengesetzten Eindruck“ (149) (so fällt z.B. die gleichmäßige Strophenstruktur der Rekonstruktion zum Opfer) und präsentiere sich inhaltlich als „mehrdeutig und erstaunlich wenig aussagekräftig“ (148). Was bleibt ist ein „Fortschreibungstext“ zu 8,17, mit der „Funktion, die Zeit des Gerichts auszumalen und in Form eines Rückblicks als bereits abgeschlossen vorzustellen“ (155). Die Argumentation bewegt sich einem unverkennbaren Zirkel: wenn zunächst alle Geschichtsbezüge gestrichen werden, kann es kaum verwundern, wenn „der frische Eindruck des Desasters … verblaßt; die Geschichte … typisiert“ wird und als Generalschlüssel für die Einordnung die nachexilische „theologische Vergangenheitsbewältigung“ greifen muss. Mit welcher Intention aber sollte ein Bearbeiter das Gedicht nach dem Ende beider Reiche allein auf das Nordreich anwenden wollen? Und wenn das Gericht zudem als abgeschlossen dargestellt werden soll, wäre der prominente Kehrvers zumindest missverständlich, besagt er doch, dass das Gericht zwar begonnen hat, aber noch keineswegs beendet ist (vgl. BEUKEN, HThKAT, 263, der das Gedicht daher in die Zeit Josias datiert). 205 Vgl. dazu die Überlegungen bei B LUM , Jesaja, 80–82, sowie die Zusammenstellung anderer Positionen aaO., 80, Anm. 28.
1. „Israel“ in judäischen Texten
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ישׂראלerscheint in v. 7.11.13. In v. 11.13, also innerhalb des Geschichtsrückblicks, bezeichnet der Name das Nordreich. Das ist weitgehend unstrittig207 und schon durch die Einführung der Akteure in v. 8 אפרים ויושׁב שׁמרוןvorgegeben sowie durch die Nennung der beiden Hauptstämme Ephraim und Manasse in v. 20 bestätigt. Schwieriger ist v. 7. Üblicherweise wird für von v. 8 sowie v. 11.13 her angenommen, dass יעקבund ישׂראלauf das Nordreich referieren.208 Da es sich bei Jes 8,19–9,6 jedoch um spätere Hinzufügungen handelt209 und 9,7 einmal direkt auf 8,17 folgte, ist auch der Vorkontext zu beachten:
8,14 8,17 8,18 9,7 9,8
והיה למקדשׁ ולאבן נגף ולצור מכשׁול לשׁני בתי ישׂראל ... וחכיתי ליהוה המסתיר פניו מבית יעקב וקויתי לו הנה אנכי והילדים אשׁר נתן לי יהוה לאתות למופתים בישׂראל מעם יהוה צבאות השׁכן בהר ציון דבר שׁלח אדני ביעקב ונפל בישׂראל וידעו העם כלו אפרים ויושׁב שׁמרון בגאכה ובגדל לבב לאמר
In Jes 8,14 wird „Israel“ im weiten Sinn gebraucht, gleiches gilt für 8,18. Zudem erscheint in 8,17f. das Begriffspaar „Jakob“ und „Israel“, jeweils bezogen auf Gesamt-Israel (s.o.). Sollten „Jakob“ und „Israel“ in 9,7 nun allein das Nordreich bezeichnen, wäre dieser abrupte Wechsel in keiner Weise angezeigt und wohl nur mit den Mitteln der Literarkritik zu erklären. Nun hatte bereits O. Procksch – ohne diesen literarischen Zusammenhang zu bedenken210 – vorgeschlagen, mit יעקבund ישׂראלund ebenso mit העם כלוin v. 8 sei „das Gesamtvolk, Nordreich und Südreich, gemeint …, 206 Für 9,7 als Bezug auf das Erdbeben, vgl. F EY, Amos, 97f., sowie BLUM , Jesaja, 79. Zum syrisch-ephraimitischen Krieg als Zielpunkt u.a. DONNER , Israel, 72–74; BARTH, Jesaja-Worte, 31f., Anm. 90; BLUM, aaO., 81, sowie Testament II, 17. 207 Anders B ECKER , Jesaja, 151, der in v. 11 eine Anspielung an die Philister- und Aramäerkriege der Richterzeit vermutet. יהוה מישׂראלin v. 13 scheidet er unter Aufnahme eines Vorschlags von DUHM , HK, 93f., aus (149.303). 208 So HØGENHAVEN , Gott, 8, apodiktisch: „Mit jiśrāʾēl ist 9,7 ganz offenbar das Nordreich gemeint“; vgl. die Diskussion bei ROST , Israel, 44f.; WILDBERGER, BK, 211; BLUM, Jesaja, 76. Die Beobachtung, dass „Jakob“ v.a. in DtJes auch als Bezeichnung Judas erscheint, reicht kaum aus, Jes 9,7ff. für nachexilisch zu erklären (gegen entsprechende Überlegungen bei VERMEYLEN, Prophète I, 179; BECKER, Jesaja, 150). Diese Annahme fußt auf der Hypothese, dass die Gleichsetzung von Jakob und Israel in vorexilischer Zeit nicht bekannt war (den Zusammenhang benennt KRATZ, Jesajabuch, 92–94). 209 Zur Begründung BARTH , Jesaja-Worte, 141ff., bes. 152–156. 210 P ROCKSCH , KAT, 101–103. Im Kontext der in der älteren Forschung breit diskutierten Frage des Zusammenhangs von 9,7ff. mit 5,25ff. und den daraus resultierenden Umstellungshypothesen vermutet PROCKSCH , aaO., 102, dass das Gedicht „nicht mehr in situ“ steht, vielmehr gehöre es hinter Kap. 5.
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
so dass das Unheilswort dem ganzen Gottesvolke gilt, wie es denn vom Nordreich auch wirklich auf Juda überspringt.“ 211 Zur Begründung führt er an, dass mit 9,20 das Ergehen Judas, konkret seine Bedrohung im syrischephraimitischen Krieg, in den Blick komme212 und dass das Gedicht in der letzten Strophe (10,1–4) schließlich Juda thematisiere. Prockschs Deutung von v. 20 ist von L. Rost widerlegt worden, der zu Recht festhält, dass auch an dieser Stelle Nord-Israel und nicht das Geschick Judas Thema ist: „Hier ist vom Kampf der beiden Stämme Ephraim und Manasse die Rede, der nur dann unterbrochen wird, wenn es gilt, Juda anzugreifen. … 9,20b … wertet den Angriff auf Juda nur als Zeichen für die fortschreitende Zersetzung des israelitischen Staatswesens.“213 Aber auch ohne Anhalt an 9,20 bleibt der Vorschlag erwägenswert. Die Zeitstruktur von 9,7–8a lässt es nämlich durchaus zu, dass „Jakob“ und „Israel“ auch hier auf Gesamt-Israel referieren 214 und die Verse zugleich als Einleitung für 9,8a–20 fungieren können. Das Senden des JHWH-Wortes wird als vorzeitig eingeführt (v. 7a: דבר שׁלח: Inversion + Perf.) 215, sein Fallen auf Israel bzw. die Wahrnehmung durch das Volk als wiederholtes Geschehen (v. 7b.8a: ונפלbzw. וידעו: Iterativ, da Perf. kons.)216. Der gesamte Abschnitt greift somit zeitlich noch einmal hinter das in Jes 7f. Berichtete zurück. Ausgangspunkt ist das Wirken des einen JHWH-Wortes, das vorzeiten für ganz Israel ergangen war und dann wiederholt vom Volk erfahren werden konnte (und verweigert wurde). V. 9,8a illustrieren die Wirkungs-Geschichte des JHWH-Wortes nun am konkreten Beispiel des Nordreichs (die Asyndese für v. 8a markiert einen Neueinsatz217). Im Anschluss an Jes 6–8 und insbesondere an die Schlussabschnitte 8,11–18 AaO., 102. AaO., 106f. 213 R OST, Israel, 44f. Er bezieht in der Konsequenz 10,1–4 ebenfalls auf Nord-Israel: „10,1–4 will nur die Wirkungen dieser innenpolitischen Auseinandersetzung auf die Rechtssphäre schildern“ (45). 214 Vgl. KRATZ , Jesajabuch, 95, Anm. 56: 9,7 ist „als eine Art Kopfzeile gedacht …, die das ganze Israel im Blick hat.“ 215 B LUM , Jesaja, 78f. 216 AaO., 80. Damit sind sie kein „prophetisches Perfekt“ (so WILDBERGER , BK, 205) und ebensowenig für eine futurische Deutung des Gedichts in Anschlag zu bringen; für die in der älteren Forschung kontrovers diskutierte Frage, ob es sich bei Jes 9,7 um eine Rück- oder Zukunftsschau handele, vgl. VOLLMER, Rückblicke, 137–139. Für ונפלist ebenfalls denkbar, dass hier wie häufiger in poetischen Texten im Parallelismus eine gleichzeitige Begleithandlung ausgedrückt werden soll. Für וידעוwäre diese Deutung jedoch schwierig; zu erwägen wäre, ob auch eine Nachzeitigkeit in der Vergangenheit in Frage kommt. 217 Denkbar ist auch, אפרים ויושׁב שׁמרוןals Apposition zu העם כלוzu deuten. Bezieht man „Israel“ und „Jakob“ in v. 7 auf das Nordreich, wäre die Information dann aber überflüssig, der Text mithin redundant. Bei gesamt-israelitischer Perspektive in v. 7 würde der Umschlag zum Focus auf das Nordreich dann bereits mit v. 8a erfolgen. Die insgesamt schwierige Syntax von v. 8 lässt keine sichere Entscheidung zu. 211
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1. „Israel“ in judäischen Texten
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dient 9,7–8a somit als Scharnier zwischen dem Focus auf Juda und dem neuen Focus auf Ephraim und Samaria. Damit ergibt sich auf der Ebene der größeren Komposition Jes *1–11, dass „Israel“ in 9,7 im umfassenen Sinn verwendet wird. Auf dieser Ebene ist auch Prockschs Hinweis auf 10,1–4 gerechtfertigt. Das Wort schneidet mit der Sozialkritik ein neues Thema an und hebt sich auch stilistisch (Weheruf, Dialog-Struktur) von 9,7–20 ab. Insofern holt es thematisch ein, was die Einleitung vorgibt und komplettiert den gesamt-israelitischen Ausgangspunkt mit der Einbeziehung Judas. Die kompositorische Funktion von Jes 10,1–4 hat E. Blum herausgearbeitet: diese letzte Strophe schlägt eine Brücke von 9,7ff. zu Kap. 5, deren zweiter Pfeiler in der Vorwegnahme des Kehrverses in 5,25 greifbar wird, und bereitet mit der Vorgabe zentraler Stichworte den Boden für das folgende Wort gegen Assur. 218 Zwischen 9,7 und 10,1–4 liefert der Durchgang durch die Geschichte Nord-Israels (9,8–20) ein Exempel für Juda, dem eine analoge Heimsuchung unmittelbar bevorsteht (10,5ff.). Ausgangspunkt ist, dass beide gleichermaßen als „Jakob“ bzw. „Israel“ das JHWH-Wort (be)trifft. Sollten Jes 9,7–20 eine ehemals eigenständige Einheit219 darstellen, die erst in Zweitnutzung zu einem Baustein der größeren Komposition geworden ist, wäre die Frage nach der Referenz „Israel“ (und „Jakob“) in 9,7 noch einmal ohne Rücksicht auf die kontextuelle Einbindung zu stellen. In diesem Fall – und vorausgesetzt, der Text ist unverändert übernommen worden – würde der Vorkontext zur Klärung der Referenz von ישׂראלausfallen, die Disambiguierung erfolgte nachträglich im Fortgang des Gedichts durch v. 8a sowie v. 11.13. Sie würde dann, wobei die gesamtisraelitische Lesart nicht völlig ausgeschlossen wäre, in Richtung Nordreich Israel weisen. 1.2.1.6 Jes 17,3.9 Jes 17,1–11 bilden in der Endgestalt des Kapitels einen Zusammenhang, der unter der Überschrift משׂא דמשׁקals vierter Ausspruch in einer Reihe von fünf mit משׂאeingeleiteten Abschnitten innerhalb von Jes 13–19 steht.220 In 17,12–14 folgt ein erstes Unheilswort über viele Völker ( גוים )רבים, in 18,1–7 schließlich ein zweites Unheilswort über Kusch, beide sind mit הויeingeleitet. Vgl. BLUM, Jesaja, 92, Anm. 72, sowie Testament II, 17f. Über die jesajanische Herkunft des Kehrversgedichts bestand in der älteren Forschung ein recht breiter Konsens. Üblicherweise wurde es in der Frühzeit des Propheten vor 732 (vgl. WILDBERGER, BK, 212) gelegentlich auch nach dem syrisch-ephraimitischen Krieg (vgl. KILIAN, NEB, 75f.; SWEENEY, FOTL, 192–195) verortet. 220 Zur Struktur und den Kompositionsprinzipien von Jes 13–23 vgl. B ERGES , Buch, 139, der insbesondere für diesen Abschnitt von einem „disziplinierten Chaos“ (141) spricht. 218 219
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„Israel“ begegnet innerhalb von 17,1–11 in v. 3 und v. 9.221 בני ישׂראלin v. 3 referiert auf die Bevölkerung des Nordreichs. Die Disambiguierung ergibt sich durch אפריםin 3a. Chiastisch verschränkt stehen in beiden Kola Aram ( ממלכה מדמשׁקbzw. )שׁאר ארםund Nord-Israel ( אפריםbzw. )בני ישׂראל nebeneinander. Als dritte Bezeichnung für das Nordreich erscheint in v. 4 יעקב. Durch die Aufnahme des Stichworts כבודaus v. 3b ist die Identifikation von יעקבmit בני ישׂראלim Zusammenhang von v. 1–6 hinreichend klar. Die Referenz von בני ישׂראלin 17,9 ist schwerer zu erschließen, was nicht zuletzt mit den Schwierigkeiten der Textüberlieferung zusammenhängt. Anstelle von כעזובת החרשׁ והאמיר אשׁר עזבו מפני בני ישׂראלMT222 liest ÖÑ in 9a: I! (%F$#! 8(5$#! #A #%%D# @ #A )D# 1$G $%#'M $#) (O! )AO! '% . Die meisten Kommentatoren folgen Ö, emendieren MT entsprechend und deuten die Phrase als Anspielung auf die Flucht kanaanäischer Völker vor den Israeliten der Landnahme.223 Nun hat bereits W. Gesenius gezeigt, dass alle Versionen die Lesart von MT voraussetzen;224 zudem zeigt sich in Ö, die für ערי מעזוA $F& '#), also Suffix 2. P.f., liest (vgl. v. 10f.), eine Tendenz zur glättenden Einpassung des Verses in den Kontext. 225 Dagegen spricht für MT, dass v. 9 insgesamt Vokabular ( עירv. 1f.; עזבv. 1, aber auch אמירv. 6) und Metaphorik (Weideland anstelle von Städten; abgeerntete Flächen und gefällte Bäume) aus dem Nahkontext aufzunehmen scheint. Das Subjekt zu עזבוin 9b bleibt dann allerdings unbestimmt. Im vorliegenden Kontext ist wohl an jene Akteure zu denken, die gleichermaßen in v. 1–6 impliziert sind, aber auch hier nicht genannt werden. V. 1–6 nehmen auf die Ereignisse des syrisch-ephraimitischen Krieges und die folgende assyrische Intervention Bezug (dazu i.F.), somit wäre auch in v. 9 an die Assyrer zu denken, die „vor den Israeliten“ lediglich ein verwüstetes Land zurückgelassen hätten.226 בני ישׂראלreferiert dann ebenso wie in v. 3 auf die Bevölkerung des Nordreichs. 17,1–11 ist zweifellos eine gewachsene Größe, dafür sprechen schon der mehrfache Neueinsatz mit ( ביום ההואv. 7.9, vgl. auch והיה ביום ההואv. 4), der Wechsel von Poesie zu Prosa (v. 7f.9) sowie die unvermittelt einsetzende Anrede nicht genauer spezifizierter AdresHinzu kommen die JHWH-Titel ( אלהי ישׂראלv. 6) und ( קדושׁ ישׂראלv. 7), dazu i.F. חרשׁund אמירbezeichnen hier wahrscheinlich verschiedene Bestandteile des Baumes, d.h. Wurzel bzw. Stamm und Krone, vgl. zur Diskussion bereits Ibn Esra und Raschi zu Jes 17,6.9. COHEN, Miqraot Gedolot 223 Vgl. WILDBERGER , BK, 634.637f.; KAISER , ATD, 67; B LENKINSOPP, AncB, 302; CHILDS, OTL, 135, u.a.m. sowie die Diskussion bei HØGENHAVEN , Gott, 70f. Für MT optiert z.B. BEUKEN, HThKAT, 147. 224 GESENIUS , Commentar, 563f. 225 Vgl. auch LXX Dt. Komm., 2548. Dazu muss zusätzlich die Reihenfolge geändert werden, wenn #A #%%D# האמירbzw. einem postulierten האמיריund #A )D# החרשׁ bzw. החוויentsprechen soll. 226 Die Deutung auf die Landnahme ist damit freilich nicht ausgeschlossen, wie Ibn Esra zeigt, der in v. 9a dem MT folgt, in 9b aber trotzdem eine Reminiszenz an die Flucht der Kanaanäer vor den Israeliten findet, vgl. auch OSWALT, NICOT, 353. 221 222
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saten in v. 10f. Hinzu kommt, dass entgegen der durch die Überschrift משׂא דמשׁקgeweckten Erwartung nur 17,1–3 überhaupt mit Aram, v. 4–6 dagegen mit Israel und v. 7f. sogar mit der Gattung Mensch insgesamt ( )האדםbefasst sind.227 17,1–6 stellen formal zwei Prophetensprüche dar, deren erster v. 1–3 stellvertretend für ganz Aram den Untergang von Damaskus ankündigt. Symbolisiert ist der Verfall durch das Bild zerstörter und verlassener Städte 228, deren Gebiet zu Weideland wird. V. 4–6 thematisieren den Untergang „Jakobs“, als Bilder dienen hier der körperliche Verfall (v. 4) sowie die spärlichen Reste, die nach der Getreide- und Olivenernte übrig bleiben (v. 5f.). Die Schlussformel נאום יהוהschließt beide Sprüche ab – in v. 3 ergänzt durch צבאות, in v. 6 zum Abschluss des Jakob-Abschnitts durch אלהי ישׂראל. Beide Sprüche sind verbunden durch ( והיה ביום ההואv. 4a) , wodurch sowohl v. 1–3 als auch v. 4–6 als komplementäre Beschreibungen „jenes Tages“, d.h. als parallel ablaufende Ereignisse charakterisiert sind. 229 Strittig ist, ob in 17,1–6 ein ursprünglicher Zusammenhang vor liegt230 oder ob zwei ehemals selbstständige Worte sekundär verknüpft wurden.231 Die für Letzteres angeführten Indizien (Themawechsel, Einleitung mit )והיה ביום ההואsind jedoch so eindeutig nicht. Dass in v. 4–6 ein gegenüber v. 1–3 neues Thema eingeführt werde, trifft nicht zu, denn das Nordreich ist bereits in v. 3 neben Aram Gegenstand der Drohung. Ein Einsatz mit ביום הואo.ä. markiert zwar häufig redaktionelle Fugen, das allein ist aber nicht hinreichend. Für einen Zusammenhang sprechen dagegen die deutliche Verknüpfung von v. 3 und v. 4 über das Stichwort von כבוד, dessen paradoxe Bedeutung in v. 3b sich erst von v. 4a her erklärt. 232 Becker rechnet daher nicht mehr mit einer Kombination ehemals unabhängiger Prophetenworte, sondern sieht in v. 4–6 eine nachexilische Fortschreibung, die ein älteres Wort gegen das Nordreich233 „auf das gesamte Gottesvolk übertragen“ wolle.234 Die These schafft allerdings neue Probleme: Entweder müsste der ( כבוד בני ישׂראלv. 3b: Nordreich) dann etwas anderes sein als der ( כבוד יעקבv. 4a: GesamtIsrael), aber wie sollte ein Leser das erkennen? Oder die gesamt-israelitische Perspektive wäre bereits für בני ישׂראלin Anschlag zu bringen. Das liegt zwar in den semantischen Möglichkeiten des Begriffs, führt aber zu einer Spannung zu ( אפריםv. 3a). Hinzu kommt, Einen Überblick über die ältere Diskussion zur literarischen Genese des Abschnitts bietet WILDBERGER, BK, 638–641. 228 V. 2a ist schwierig, da nicht sicher ist, welche Ortslage gemeint ist. In Frage kommen das Aroër am Arnon (vgl. Num 32,34; Dtn 2,26; 3,12; 4,48; Jos 12,2; 13,9.16; 2Reg 10,33; Jer 48,19), ein Aroër östlich von Rabba (Jos 13,25; Jdc 11,33) oder eine andere Ortslage dieses Namens. Dass der Name „Aroër“ keinen Ort eindeutig identifiziert, ist schon dadurch angezeigt, dass i.d.R. eine Erläuterung ( אשׁר על נחל ארנןo.ä.) folgt. Es ist auch nicht ausgemacht, dass ein Ort bei Damaskus gemeint sein muss (gegen WILDBERGER, BK, 635), möglicherweise ist in v. 2 wie in v. 3 Nord-Israel mit im Blick. Zudem könnte die Auswahl des Namens poetischen Interessen geschuldet sein (so HØGENHAVEN , Gott, 106f.). Eine Notwendigkeit zur Emendation (vgl. App. BHS sowie KAISER, ATD, 67), oder zur Streichung (BECKER, Jesaja, 274) bzw. Umstellung (WILDBERGER , BK, 635) des Verses besteht nicht. 229 Vgl. WILDBERGER , BK, 640; BEUKEN , HThKAT, 149. 230 So B EUKEN , HThKAT, 149, der von einer „kleine[n] Komposition“ spricht; ähnlich BARTH, Jesaja-Worte, 217; HØGENHAVEN , Gott, 9. 231 So u.a. WILDBERGER , BK, 640. 232 B ARTH, Jesaja-Worte, 217; HØGENHAVEN , Gott, 9. 233 B ECKER , Jesaja, 274; zum älteren Bestand rechnet er v. 1b.3. 234 AaO., 275 (Hervorhebung i.O.). Eine ähnlich späte Ansetzung vertrat zuvor schon KAISER, ATD, 63ff., der v. *1–3 in hellenistischer Zeit verortet; v. 4–6 seien eine noch spätere Fortschreibung. 227
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dass die Drohung gegen Damaskus in nachexilischer Zeit kaum plausibel zu machen ist 235 und dass die Rede vom Rest ( )שׁארin v. 6 gerade nicht im Sinne des exilisch-nachexilischen „Restgedankens“ als Hoffnungszeichen (so Becker236), sondern focussiert auf die kläglichen Überreste als Bild des Untergangs dient. 237 Insgesamt bewährt sich somit die „klassische“ Verortung, die 17,1–6 mit der in Jes 7f. geschilderten Situation in Beziehung bringt und den Text in der Zeit des syrisch-ephraimitischen Kriegs ansetzt. 238 Dazu fügt sich die Parallelisierung des Geschicks von Nord-Israel und Aram sowie die implizite Heilsbotschaft für judäische Kreise, die wohl die primären Adressaten waren. 239 Das ältere Wort hat aufgrund der Drohung gegen Damaskus später Eingang in die Sammlung von Fremdvölkersprüchen gefunden.240 Weitgehend unstrittig ist, dass in v. 7f. eine gegenüber v. 1–6 spätere Fortschreibung vorliegt. Sie gibt sich formal durch den Wechsel zur Prosa und inhaltlich durch ein neues Thema (universale JHWH-Verehrung) und eine Heilsperspektive zu erkennen.241 Komplexer liegen die Verhältnisse in v. 9–11. V. 9 hebt sich durch den Einsatz mit ביום הואvon v. 7f. ab. Traditionell gilt der Vers als spätere Konkretisierung bzw. „Vorbau“ 242 zu v. 10f. W.A.M. Beuken möchte dagegen 7,9–10a als „Verurteilung des Nordreichs“ zusammenziehen, 10b–11 böten dagegen eine spätere Illustration.243 Der Wechsel von Prosa (v. 9) zu Poesie (v. 10f.) sowie die direkte Anrede einer 2. P.f. ab v. 10a, die in v. 9 nicht vorbereitet ist, v. 10a aber mit 10b.11 verbindet, spricht gegen diese Abgrenzung. Mit Beuken ist allerdings festzuhalten, dass die Bezüge von v. 9 zu v. 1–6 enger sind als zu v. 10f. (s.o.), der Vers ist wahrscheinlich ein Nachtrag zu v. 1–6, der – möglicherweise vor dem Hintergrund von 722 – die in v. 4–6 formulierten Drohungen präzisieren soll. Ein direkter Zusammenhang zu v. 1–6 besteht jedoch nicht, da dieser Abschnitt mit der Formel נאם יהוה אלהי ישׂראלabgeschlossen ist. V. 7f. sind möglicherweise später dazwischen geraten. Trifft diese Deutung zu wäre v. 9 ebenfalls in deutlich vorexilischer Zeit anzusetzen. Sicherheit lässt sich aber nicht gewinnen. V. 10–11 bringen schließlich noch einmal ein neues Thema ein, sie setzen sich scheinbar kritisch mit einem Vegetationsritus auseinander, dessen Kenntnis bei den Adressaten vorausgesetzt wird.244 235 Vgl. den wenig überzeugenden Versuch bei KAISER , ebd.: 17,1–3 habe den kläglichen Zustand Samarias vor Augen und wünsche dem in hellenistischer Zeit blühenden Damaskus ein ähnliches Schicksal. Die Rede von einer eigenständigen ממלכה מדמשׁק, die erst noch verloren gehen soll, ist dann kaum verständlich, denn Aram war nach 333 kein eigenständiges Königreich mehr. 236 B ECKER , Jesaja, 275. 237 So zu Recht B EUKEN , HThKAT, 151. 238 Vgl. bereits DELITZSCH, Jesaja, 213, oder auch DONNER , Israel, 38ff. 239 Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass das bei Jerusalem gelegene ( עמק רפאיםv. 5) als Beispiel genannt ist. 240 B ARTH, Jesaja-Worte, 217, vermutet dass die Überschrift משׂא דמשׁקauf die AssurRedaktion zurückgehe. In der Tat ist kaum vorstellbar, dass die Überschrift ursprünglich mit 17,1–6 zusammengehörte, schließlich passt sie nicht zu v. 4–6 und genau genommen auch nicht richtig zu v. 1b–3, denn bereits hier geht es nicht nur um Damaskus, sondern auch um Ephraim/Israel. 241 Vgl. zur Begründung u.a. B EUKEN , HThKAT, 152, oder ausführlich WILDBERGER , BK, 640.650–655. 242 WILDBERGER , BK, 641. 243 B EUKEN , HThKAT, 151.157–160. 244 Dazu u.a. M ÜLLER, Beobachtungen.
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Liegt in 17,*1–6 somit altes und möglicherweise jesajanisches Material vor, ist der Abschnitt nach 7,1 und 9,11.13 ein weiterer Beleg für „Israel“ (und auch „Jakob“) als Bezeichnung des Nordreichs. Die Disambiguierung erfolgt auch hier über den Kontext. 1.2.2 Der JHWH-Titel „Heiliger Israels“ Der JHWH-Titel „der Heilige Israels“ קדושׁ ישׂראלist eine Besonderheit des Jesajabuches; abgesehen von einem Beleg in 2Reg 19,22 ( ∥Jes 37,23), zwei Belegen bei Jeremia (50,29; 51,5) und drei in den Psalmen (71,22; 78,41, 89,19) begegnet er nur bei Jesaja, dort aber sowohl in Proto- 245 wie auch in Deutero-246 und Trito-Jesaja (allerdings nur mit zwei Belegen 60,9.14).247 Innerhalb von Proto-Jesaja ist der Titel auch literargeschichtlich breit gestreut; er findet sich in späten Zusätzen genauso wie in älterem Material. Von den 14 Belegen innerhalb von Jes 1–39 stammen 10,20; 12,6; 17,7; 29,19.23 sicher aus nachexilischer Zeit. 248 Jes 10,17 gehört zu einer nachjesajanischen Ergänzung,249 37,23 zu den spätvorexilischen Jesaja-Erzählungen.250 Damit verbleiben sieben Belege, die den Gebrauch des Titels durch den Jesaja des 8. Jh.s bezeugen können (1,4; 5,19.24; 30,11. 12.15; 31,1). In Bezug auf die „Echtheit“ von Jes 30,11f.15 sowie 31,1 besteht ein recht breiter Konsens. Jes 30,8–17 ist eine zwar komplexe, aber doch klar strukturierte ( עתהund Imperativ am Beginn, Legitimationsformel in v. 12.15 zur Markierung eines neuen Unterabschnitts – jeweils mit dem Titel קדושׁ ישׂראל251) und inhaltlich stringent aufgebaute Einheit (v. 8: Aufruf zur Verschriftung; v. 9–11: Anklage; zwei begründete Unheilsworte, die allgemein v. 12–14 und bezogen auf die spezielle Situation v. 15–17 auf die Anklage Bezug nehmen).252 Die inhaltliche Nähe zu Jes 6–8, aber auch den älteren Stücken innerhalb von 1,2–20 (Vertrauensthematik; Ungehorsamsvorwurf u.ä.) muss hier nicht erneut begründet 245 1,4; 5,19.24; 10,20; 12,6; 17,7; 29,19; 30,11.12.15; 31,1; 37,23, vgl. קדושׁוin 10,17 mit Bezug des Suffix auf „Israel“ bzw. קדושׁ יעקבin 29,23. 246 41,14.16.20; 43,3.14; 45,11; 47,4; 48,17; 49,7; 54,5; 55,5, vgl. קדושׁכםin 43,15 bzw. קדושׁוin 49,7, jeweils mit Bezug auf „Israel“. 247 Daneben gibt es weitere Gottestitel, die mit „Israel“ gebildet sind, dazu oben S. 190. 248 Zu 10,20 vgl. oben S. 191 Anm. 97. 12,1–6 gibt sich durch den zumindest Jes 40– 55 (so WILLIAMSON, Book, 118–125), wenn nicht sogar Jes 40–66 (so BERGES, Buch, 133– 136) umspannenden Horizont als junger Text zu erkennen. 249 B ARTH, Jesaja-Worte, 28–35, weist 10,16–19 mit guten Gründen seiner „AssurRedaktion“ zu. 250 Zum historischen Ort der Hiskia-Jesaja-Erzählungen vgl. HARDMEIER , Prophetie, 287ff. 251 Die Redeeinleitung v. 12a fehlt in Ö, P ROCKSCH , KAT, 392, sowie ROST, Israel, 38, streichen sie daher. Allerdings liegt in Ö wahrscheinlich ein Ausfall durch Homoioteleuton (v. 11 endet mit )קדושׁ ישׂראלvor. 252 Zu Argumentationsstruktur und Zusammenhang vgl. u.a. HØGENHAVEN , Gott, 204f.; BEUKEN, HThKAT, 163f.
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
werden.253 Die traditionelle Sicht, der Abschnitt sei (zusammen mit 30,*1–7) im Kontext der assyrischen Bedrohung Judas zu verorten und setze sich kritisch mit judäischen Bemühungen auseinander, in Ägypten Hilfe zu finden, hat nach wie vor Vieles für sich. 254 Hinzu kommt, dass der Grundtenor, das Volk habe seine Chance vertan und JHWHs Gericht (mittels der Assyrer) werde unausweichlich kommen, sich mit der Aussageintention der in Jes 1–11 greifbaren Kompositon deckt, die in etwa zeitgleich entstanden ist.255 Innerhalb von Jes 31,1–3 ist v.a. v. 2 umstritten, die Aufnahme älteren Materials in v. 1.3 ist jedoch weitgehend Konsens. 256 Die inhaltliche Nähe von 31,*1–3 zu 30,1–17 ist auffällig;257 ging es dort um die Hoffnung aus Ägypten Unterstützung zu erhalten, wird hier auf gleiche Weise das Streben verurteilt, dort zumindest Schutz zu finden. Es besteht somit keine Notwendigkeit, die Texte Jesaja abzusprechen. Komplexer ist die Diskussionslage für die übrigen drei Stellen. Jes 1,4 ist bereits oben (S. 192ff.) besprochen, mit dem Ergebnis, dass der Vers wahrscheinlich zum älteren Material gehört, das in 1,2–20 verarbeitet wurde. Jes 5,19 gehört in eine Reihe von sechs sozialkritischen Weherufen, die offensichtlich verschiedentlich zur Kommentierung und Transformierung angeregt hat.258 So liegt in v. 13 eine spätere Aktualisierung auf das Exil vor (vgl. das Tempus bei ;)גלהv. 15f. sind eine an Jes 2,9ff. orientierte Ergänzung. V. 14.17 scheinen inhaltlich auf einer Linie zu liegen, überdies fehlt für die Suffixe 3. fem. von v. 14 im Kontext der Bezug. Ist an Jerusalem 259 oder Juda gedacht? Auch hier ist bereits das Exil verarbeitet. Als möglicher Grundbestand verbleibt 5,8–12.18–24a. Jes 5,18f. bilden den dritten Weheruf der Reihe, der sich gegen die Spötter JHWHs richtet, deren Rede in v. 19 zitiert wird. Eine Streichung von v. 19 aus formalen Gründen, wie O. Kaiser sie vorschlägt, um eine Reihe von sechs einfachen Weherufen ohne Erläuterungen zu rekonstruieren, verlangt dem Text zu viel Schematismus ab. 260 Zudem bliebe v. 18 dann im Vergleich zu den übrigen Weherufen vage und unbestimmt, 261 denn worin עוןund חטאהbestehen, erklärt sich erst aus dem Zitat in v. 19. Jes 5,24b fasst die Anklagen der Weherufe zusammen und schließt somit die Reihe ab. In v. 25a folgt eine Prolepse des Kehrversgedichts in 9,7ff., dessen Refrain in v. 25b Die Bezüge stellt BECKER, Jesaja, 245f., zusammen. WILDBERGER, BK, 1155.1168f. Die Warnung von KAISER, ATD, 4, dass sich die Situationen der Jahre kurz vor 701 und 587 ähneln und dass man überhaupt „angesichts der sich fast regelmäßig wiederholenden außenpolitischen Konstellation des Landes … in Bedrängnis kommt, wenn z.B. 30,1ff. und 31,1ff. überprüft werden“, ist natürlich berechtigt. 255 Vgl. oben S. 207 Anm. 173. 256 B ECKER , Jesaja, 257–263, weist 31,1.3 der Assur-Redaktion zu (anders BARTH , Jesaja-Worte, 83–88). Für Authentizität plädiert an dieser Stelle sogar KAISER, ATD, 248. 257 Anders als BECKER , Jesaja, 249, kann ich in darin, dass 30,1 mit einer allgemeinen Aussage beginnt, 31,1 aber mit einen konkreten Vorwurf, dass 31,1–3 „Rosse und Reiter“ erwähnt (vgl. aber auch 30,16) und dass 30,1ff. als JHWH-Rede, 31,1ff. aber als Prophetenrede stilisiert ist, keine „signifikante[n] Unterschiede im theologischen Profil“ sehen. 258 Vgl. die Übersicht über die Zusammenstellung der Ergänzungen bei WILDBERGER , BK, 180f. 259 So bereits B UDDE , Jesaja 1–5 (Schluß), 63. 260 ATD, 102–105; vgl. 41.43. 261 B ECKER , Jesaja, 141, spricht zutreffend vom „abstrakt-theologischen Charakter der beiden Termini“. Er sieht in 5,18f. Bezüge zu Jes 6,7.9. In der Konsequenz seines Modells werden 5,18f. daher aus der Reihe der Weherufe ausgegliedert und auf eine Linie mit der frühnachexilischen „unheilstheologischen Erweiterung“ innerhalb von Jes 6 gestellt (aaO., 140f.). 253 254
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zitiert ist. V. 24b ist v.a. wegen der Erwähnung der תורת יהוהin den Verdacht geraten, ein nachdtr Einschub zu sein.262 Ist aber hier JHWHs Weisung gemeint, wie sie durch den Propheten selbst vermittelt wird, liegt die „Tora“ von 5,24b auf einer Linie mit 8,16; 30,9.263 Das Problem der Ablehnung dieser Tora durch das Volk ist ein zentrales Thema der jesajanischen Verkündigung. Dass 5,24b zusammen mit 5,25.26–29 im Kontext von Jes 1–11 eine kompositionelle Funktion haben, indem sie eine Brücke zum Kehrversgedicht in 9,7ff. schlagen, hat E. Blum gezeigt. 264 Entgegen den hier vorgetragenen Überlegungen, fehlt es auch nicht an Versuchen, den Titel קדושׁ ישׂראלdem historischen Jesaja komplett abzusprechen. Bei U. Becker ist dies eine Konsequenz des redaktionskritischen Modells, da letztlich alle sieben Stellen verschiedenen Redaktionsschichten zugewiesen werden. Programmatisch geschieht es bei O. Loretz und neuerdings wieder bei R.G. Kratz. Loretz argumentiert vorrangig auf der Basis von Kolometrie und Syntax. 265 Kratz hat konzeptionelle Bedenken zum Titel selbst: „sowohl das Konzept der Heiligkeit als Folie für das totale Gericht Jhwhs über Israel als auch die Verwendung des Namens Israel als Chiffre für das Gottesvolk ist bei einem judäischen Propheten des 8. Jh. v. Chr mehr als verwunderlich.“ 266 Loretz zieht die Konsequenz, dass der Ursprung des Titels eher in Jes 40–66 zu suchen sei. 267 Das ist jedoch nicht möglich, denn – wie Kratz zu Recht betont – setzt Deutero-Jesaja bereits „die Unheilsweissagung voraus, die sich in Jes 1–39 mit dem Heiligen Israels verbindet.“268 Es ist ja gerade eine Pointe der deutero-jesajanischen Verkündigung, dass derselbe „Heilige Israels“, der das Unheil über sein Volk gebracht hat, letzterem nach dem Gericht nun einen heilvollen Neuanfang verheißt (vgl. z.B. den Zusammenhang Jes 42,14–44,22 unter Verwendung von קדושׁ ישׂראלin 43,3.14). Wenn aber bei Deutero-Jesaja bereits Titel und Unheilsaussage verbunden sind und diese Verknüpfung keine Erfindung Deutero-Jesajas ist, sondern bereits als bekannt vorausgesetzt ist, kann der Titel nicht erst im Kontext der Exilsdeutung in die Jesaja-Tradition gelangt sein. 269 262 So v.a. VERMEYLEN , Prophète I, 174f., aber auch KAISER , ATD, 113f. Zur Kritik vgl. BARTH, Jesaja-Worte, 111, Anm. 45, sowie BLUM, Testament II, 14f., Anm. 7. 263 B ARTH, Jesaja-Worte, 114f. 264 Zur kompositionellen Funktion, vgl. BLUM , Testament II, 14f. Kompositionell heißt somit nicht notwendig redaktionell i.S.v. nicht-jesajanisch (gegen BARTH, Jesaja-Worte, 115f.). Einen anderen kompositionellen Zusammenhang sieht WILLIAMSON , Relocating, 28f., im Rahmen seiner Relocierungshypothese für die Entstehung von Jes 1,2–20. 265 LORETZ , Prolog, 97–110: So sei z.B. der Gebrauch der Nota accusativi אתin Poesie (30,11; 31,1) ein Hinweis auf nachjesajanischen Sprachgebrauch (106.109). Der Titel sei als Glosse (1,4), durch nachjesajanische Zusätze (30,11.12.15) oder Einschreibungen (31,1) in den Text gelangt. Für 5,19.24 fehlt eine Begründung. 266 KRATZ, Jesajabuch, 102. Im Hintergrund steht die v.a. von BECKER , Jesaja, (vgl. BECKER, Prophet; BECKER, Wiederentdeckung) sowie KRATZ, Worte (vgl. KRATZ, Propheten; KRATZ, Das Neue), propagierte Revision des Bildes der vorexilischen israelitischen Prophetie, wonach es die Unheilsprophetie als differentia specifica zur kanaanäischen Umwelt im Israel und Juda der Königszeit nicht gegeben habe. Jesaja (und auch Amos und Hosea) seien erst im Kontext der nachexilischen Redaktionsgeschichte ihrer Bücher zu Unheilspropheten geworden. Zur kritischen Aufnahme der These, die hier nicht diskutiert werden kann, vgl. BLUM, Prophetie. 267 LORETZ , Prolog, 110. 268 KRATZ, Jesajabuch, 88. Der Titel sei mithin „im Kontext der Unheilsaussage … zweifellos ursprünglich“ (aaO., 90). 269 So KRATZ , Jesajabuch, 101.
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Während einiges dafür spricht, dass die Verwendung des Titels קדושׁ ישׂראלtatsächlich auf den historischen Jesaja zurückgeht, ist eine andere Frage, die die Forschung ebenfalls lange beschäftigt hat,270 nicht über die Datierung der Texte zu klären: ob nämlich bereits der frühe Jesaja vor dem Ende des Nordreichs von JHWH als „Heiligem Israels“ sprach. Es lässt sich kein Beleg mit Sicherheit der Frühzeit des Propheten zuweisen. Jes 30,8–17 und 31,*1–3 sind, wenn die oben vorgetragenen Überlegungen zutreffen, am Ende des 8. Jh. v.Chr. zu verorten. Wenn innerhalb von Jes *1–11 noch älteres Material enthalten ist, dann ist es nur vermittelt über die ebenfalls in dieser Zeit entstandene Komposition greifbar, und es ist möglich (wenn nicht sogar wahrscheinlich), dass es bei der Gestaltung des größeren Zusammenhangs angepasst und transformiert wurde. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass der Titel nicht erst in der Komposition eingeführt wurde, sondern dass die Texte bereits einen etablierten Sprachgebrauch aufnehmen, dazu s.u. S. 224ff.
Die Forschungsdiskussion zum Titel „Heiliger Israels“ kreist im Wesentlichen um zwei Fragen: (a) seine Deutung und (b) seine Herkunft. (ad a) Die zur Debatte stehende Alternative scheint von L. Rost einerseits und H. Wildberger andererseits abgesteckt. Für Rost liegt in dem Titel „eine Warnung und Drohung“ für die Judäer, denen der Prophet vor Augen stellen wolle, dass es ihnen genauso ergehen kann wie dem Nordreich Israel: „Gottes Heiligkeit kann diese Vernichtung [sc. Judas] fordern, wenn das Volk seinem heiligen Willen entgegen handelt.“271 Wildberger hält dagegen, dass der Titel nach Ausweis von DtJes „stark in der Heilsverkündigung verankert“ sei; dafür müsse es einen Grund „in seinem ursprünglichen Sinngehalt“ geben.272 JHWH sei „‚Heiliger Israels‘ … insofern er sich Israel zuwendet, es leitet und schützt.“ Dort jedoch, wo seine Heiligkeit verletzt werde, könne er zu einer existenziellen Bedrohung für Israel werden. Wildberger spricht diesbezüglich von einer „Paradoxie“. Letztere lässt sich auflösen, wenn man den Titel vor den Hintergrund der ausgefeilten Gerichtstheologie, die insbesondere Jes 1–11 prägt, betrachtet; die Alternative greift nämlich zu kurz. R.G. Kratz betont zu Recht, dass durch die Verbindung im Gottestitel sowohl das göttliche Attribut der Heiligkeit als auch der Israel-Name eine spezielle Bedeutung annehmen und darüber ein Anspruch an Israel formuliert wird. 273 Im Kon270 Zur Debatte, die sich v.a. um Jes 5,8ff. dreht, vgl. ROST, Israel, 43; WILDBERGER , BK, 182f.; HØGENHAVEN , Gott, 169–177; WILLIAMSON, Holy One, 28f. 271 Israel, 43. Diese Seite betont – zumindest für die hier als „echt“ diskutierten Stellen – auch RINGGREN, ThWAT קדשׁ, Sp. 1194. 272 Dies und die folgenden Zitate nach WILDBERGER , BK, 24f. 273 KRATZ, Jesajabuch, 89: „[E]benso wie in Jes 6 dient die Heiligkeit an den Stellen, an denen der Gottestitel im Kontext der Gerichtsaussage steht, als Maßstab, an dem die Sünde des Volkes gemessen wird: Je höher die Heiligkeit Gottes, desto größer die Sünde gegen Gott. Auf der anderen Seite wird dadurch auch der Name Israel im Gottestitel auf besondere Weise qualifiziert. Als nomen rectum der Constructus-Verbindung ist Israel unmittelbar auf das nomen regens bezogen und dem Heiligen als sein Volk zugeordnet: Je enger die Verbindung, desto größer die Verpflichtung Israels gegenüber dem Heiligen. Jhwh und Israel sind in dem Titel eine unüberbietbare, aber auch verhängnisvolle Beziehung eingegangen.“
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text von Jes *1–11 sowie 30f. meint dieser konkret die Forderung der Loyalität Israels gegenüber JHWH (Jes 7,9!) und des Gehorsams gegen JHWHs Weisung im Munde des Propheten (5,24; 8,15; 30,9), was inhaltlich auf die Durchsetzung von משׁפטund צדקהzielt (Jes 1,21ff.; 5,8ff. u.ö.). Ein Volk, das in dieser Weise auf seinen Gott bezogen ist und diesem Anspruch nicht gerecht wird, kann nicht vor JHWH bestehen. Mit der kultischen Kategorie der Heiligkeit kommt aber zugleich der Weg zur Restitution des Gottesverhältnisses in den Blick – die Reinigung. Die Läuterung Israels ist denn auch das Ziel des von Jesaja erwarteten Gerichts (vgl. Jes 1,25f. für Jerusalem bzw. 11,1ff. für den Neuanfang im davidischen Königshaus).274 Das mit dem Titel „Heiliger Israel“ gesetzte Verhältnis zwischen Gott und Volk ist somit Drohung und Verheißung zugleich. Dieses Verständnis von Heiligkeit ist bereits in Jes 6 vorgeführt und exemplarisch an der Person des Propheten szenisch entfaltet: Nachdem die Vision die Heiligkeit JHWHs im Trishagion der Seraphim (6,3) herausstellt, problematisiert v. 5 das Gegenüber von Heiligkeit JHWHs und Sündhaftigkeit von Prophet und Volk, die bei ersterem durch Schuldeinsicht und Reinigung geheilt werden (v. 6f.), so dass er vor JHWH bestehen kann (v. 8). Ganz analog kann für das Volk das gestörte Gottesverhältnis nur durch ein radikales Reinigungsgericht wiederhergestellt werden, das Jesaja unausweichlich kommen und an dessen Herbeiführung er sich selbst beteiligt sieht (6,9f.). Bezogen auf das Volk bringen Jes 8,13f. den Zusammenhang zur Sprache. Adressaten des Abschnitts Jes 8,11–18 (2. P.pl. in v. 12f.) sind Anhänger des Propheten, denen als negatives Gegenbild „dieses Volk da“ ( העם הזהv. 12) gegenüber steht. Inhaltlich weist der Prophet den gegen ihn erhobenen Verschwörungsvorwurf zurück und benennt die Konsequenzen der gestörten Gottesbeziehung für ganz Israel.275 Gleich zweifach begegnen innerhalb von Jes 8,11–15 Ableitungen der Wurzel קדשׁ,276 wobei sowohl in v. 13 als auch v. 14 der bedrohliche Aspekt der Heiligkeit JHWHs für das Volk im Vordergrund steht: Die geforderte „Heiligung“ JHWHs (v. 13) steht in einer Reihe mit Furcht und Schrecken. Da das Volk – was das Gegenüber von v. 12 und 13 impliziert – diesem Anspruch nicht gerecht wird, gewährt der מקדשׁJHWHs (v. 14) keinen Schutz, sondern wird wie der „Stein des Anstoßes“ und der „Fels des 274 B LUM , Testament II, 26f.; ähnlich auch 353. Es geht also nicht, wie KRATZ, Jesajabuch, vorschlägt, um den „Untergang“ Israels (89) oder das „totale Gericht Jhwhs über Israel“ (90), sondern um die Möglichkeit eines Neuanfangs. Deutero-Jesaja wird genau hier anknüpfen (Jes 40,2). 275 Zu Auslegung und historischer Verortung von Jes 8,11–15.16–18 vgl. oben S. 203ff. 276 Beide Stellen werden seit DUHM , HK, 83 (vgl. App. BHS) häufig zu Ableitungen von der Wurzel קשׁרändert, was zwar eine Parallelität zu v. 12 schafft, aber dem Verständnis des Textes wenig zuträglich ist, zur Diskussion vgl. EVANS , Interpretation, sowie BARTHEL, Prophetenwort, 216f.
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Strauchelns“ zu einem Gerichtswerkzeug JHWHs gegen Israel. 277 Die Hoffnungsperspektive durch das Gericht hindurch klingt dagegen in v. 18 an, gegründet auf die bleibende Gegenwart JHWHs (in seinem Heiligtum!) auf dem Berg Zion.278 (ad b) Die vorgetragenen Überlegungen haben selbstverständlich Implikationen für die Frage der Herkunft des JHWH-Titels קדושׁ ישׂראל. Sie legen nahe, dass der Titel jedenfalls nicht zufällig, sondern gerade wegen des spezifischen Verständnis der „Heiligkeit“ verwendet wurde.279 Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass der Titel auf den Propheten selbst zurückgeht.280 Schließlich kann er aus den genannten Gründen ebenso gut aus einem breiteren Repertoire bekannter Gottesbezeichnungen ausgewählt worden sein. Wenn der Titel nicht auf Jesaja zurückgeführt wird, vermutet man in der Regel eine Übernahme aus älterem kultischen Sprachgebrauch.281 Für den 277 B ARTHEL , Prophetenwort, 226, in Aufnahme ähnlicher Überlegungen bei DILLMANN , KEH, 83, und SWEENEY, FOTL, 173f. 278 Dass die Zionstheologie als traditionsgeschichtlicher Hintergund einen grundlegenden Denkrahmen für die jesajanische Verkündigung bildet, braucht nicht erneut begründet zu werden (vgl. dazu BEUKEN, HThKAT, 47–49, oder auch BERGES, Zionstheologie (Lit.!), der die Zionsthematik so stark betont, dass sie geradezu zum roten Faden des gesamten Jesajabuchs wird, und der das Jesajabuch daher als „das prophetische Zions-Buch für Israel und die Völker“ (190) bezeichnen kann). Dabei ist Jesaja, wie WILDBERGER, BK, 349, zu Recht herausstellt, aber „kein blinder Verfechter der Ziontheologie“. STIPP, Heil, hat die differenzierte Aufnahme, die die Zionstradition innerhalb der „Denkschrift Jesajas“ (und m.E. in der größeren Komposition Jes *1–11, in der das ältere Material aufgegangen ist) erfährt, herausgearbeitet: Jesaja habe seine frühe Heilsprophetie möglicherweise unkonditioniert vorgetragen, sie sei aber implizit durch die Prinzipien der Zionstheologie konditioniert gewesen, d.h. der Zusage von Schutz durch JHWH steht die Forderung nach Loyalität zu JHWH gegenüber. Ahas scheinbar erfolgreiches Bündnis mit den Assyrern habe den Propheten in eine „Glaubwürdigkeitskrise“ gestürzt: „Seine Heilsweissagung bewahrheitete sich unter Umständen, wo sie das nach seinen eigenen Prämissen gar nicht hätte tun können.“ Daraus habe sich für den Propheten die Notwendigkeit gegeben, seine Verkündigung retrospektiv zu explizieren: „Dabei erhob er die seinerzeit vielleicht nur als selbstverständlich mitgedachte Unheilsalternative für den Fall der Missachtung der zionstheologischen Konditionen des Heils in den Rang der Hauptbotschaft. Er gab also seiner Prophetie jene Gestalt, die sie angesichts der Verwerfung ihrer theologischen Säulen hätte haben müssen.“ Damit kommt jene Ambivalenz zum Tragen, die hier für den Begriff der „Heiligkeit“ gegeben ist. 279 Das muss auch VAN SELMS , Expression, 268, einräumen, der ansonsten für die frühere wie spätere Verwendung des Titels annimmt, dass das Konzept der Heiligkeit zu vernachlässigen sei. קדושׁsei wie seine Entsprechungen im Ugaritischen, Aramäischen und Phönizischen vielmehr terminus technicus für „heavenly beings, minor gods, members of the divine court“ u.ä. gewesen und „the expression ‚the Holy One of Israel‘ in its origin meant ‚the celestial being adored by the Israelite nation‘ (267). 280 Gegen PROCKSCH , KAT, 32; ROST, Israel, 41, die den Titel vom Trishagion der Seraphim herleiten. 281 Vgl. u.a. S CHMIDT, Aussage; VAN SELMS , Expression, 268; HØGENHAVEN , Gott, 15f.; WILLIAMSON, Holy One, 31–35.
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Kult als Heimat des Titels spricht die kultische Kategorie der Heiligkeit. Die Annahme eines älteren Sprachgebrauchs wird durch die Existenz außerjesajanischer Belege gestützt. Anders als bei 2Reg 19,22 sowie Jer 50,29; 51,5 gibt es nämlich für die drei Psalmbelege Ps 71,22; 78,41; 89,19 keine Hinweise auf eine besondere Nähe zur Jesaja-Tradition.282 Die Verwendung von קדושׁ ישׂראלin den Psalmen ist daher wohl nicht durch die Jesaja-Texte inspiriert, sondern geht auf eine davon unabhängige Kenntnis des Titels zurück.283 Das gilt – freilich in eingeschränkterem Maße – auch dann, wenn es sich nicht um vorexilische oder gar vorjesajanische Texte handeln sollte.284 Auf der anderen Seite zeigt die geringe Zahl der Belege aber auch, dass der Titel nicht besonders verbreitet war.285 Den deutlichsten Hinweis darauf, dass der Titel keine Innovation Jesajas ist, bieten jedoch die Jesaja-Texte selbst. In Jes 5,19 wie auch in 30,11 erscheint der Titel innerhalb von eingebetteten wörtlichen Reden, ‚zitiert‘ ist jeweils eine Äußerung von Gegnern des Propheten. In 5,19 sind dies jene, die der Prophet als משׁכי העוןbezeichnet und denen der dritte Weheruf gilt. Ihnen wird eine spöttische Herausforderung JHWHs in den Mund gelegt, die ihre Zweifel an der Wirksamkeit JHWHs zum Ausdruck bringt. Das Zitat ihrer Rede liefert dabei die Erklärung, worin ihre „Sünde“ (v. 18: עוןbzw. )חטאהbesteht. 5,18 5,19
הוי משׁכי העון בחבלי השׁוא וכעבות העגלה חטאה האמרים ימהר יחישׁה מעשׂהו למען נראה ותקרב ותבואה עצת קדושׁ ישׂראל ונדעה
Eine ähnliche Stoßrichtung haben 30,10f.; zitiert wird eine Rede des Volkes an die Propheten, die dessen Widerspenstigkeit gegenüber JHWH illustriert: 30,9 30,10 30,11
כי עם מרי הוא בנים כחשׁים בנים לא אבו שׁמוע תורת יהוה … אשׁר אמרו לראים סורו מני דרך הטו מני ארח השׁביתו מפנינו את קדושׁ ישׂראל
Beide Zitate sind schon wegen ihres spöttischen Charakters kaum eine getreue Wiedergabe von Reden des Volkes, sondern Karikaturen, die eine bestimmte Haltung überspitzen und der Lächerlichkeit preisgeben sollen. Bei 2Reg 19 liegt der Zusammenhang mit dem Jesaja-Material auf der Hand, zur Nähe von Jer 50f. zu Jesaja vgl. GOSSE, Isaïe 13, 158; WILLIAMSON , Book, 29.41f. u.ö.; ZAPFF, Schriftgelehrte Prophetie, 176, Anm. 769; sowie BOSSHARD -NEPUSTIL , Rezeptionen, 225–229. 283 Vgl. HØGENHAVEN , Gott, 15; WILLIAMSON , Holy One, 33. 284 Für Ps 71 ist die nachexilische Ansetzung Konsens, für Ps 89 vgl. die Überlegungen bei HOSSFELD & ZENGER, HThKAT, 585–587, die überzeugend für eine frühnachexilische Datierung plädieren. 285 WILLIAMSON , Holy One, 33. 282
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Insofern lassen sie sich auch nicht als direkter Beleg dafür auswerten, dass der JHWH-Titel קדושׁ ישׂראלim alltäglichen Gebrauch war. Einen indirekten Beleg liefern sie dennoch. Ihre rhetorische Funktion können die ‚Zitate‘ nur dann erfüllen, wenn der Titel bei den Adressaten von Jes 5,*8–25 bekannt gewesen ist. Zum einen wird nämlich präsupponiert, dass der „Heilige Israels“ mit ( יהוהv. 12.25) bzw. ( יהוה צבאותv. 9.24) identisch ist. Nur dann sind die Reden ohne weitere Erklärung als „Sünde“ zu erkennen. Zum anderen muss es eine gewisse Plausibilität haben, dass jemand ‚aus dem Volk‘ so reden könnte, sonst liefe die ironische Überspitzung, die sich ja auf das Verhältnis zu JHWH, nicht aber seine Bezeichnung, bezieht, ins Leere. Die Verwendungsweise des Titels קדושׁ ישׂראלlässt also darauf schließen, dass er nicht neu eingeführt wird (Jes 5,19 ist zudem die erste Stelle innerhalb der Komposition Jes *1–11, an der er genannt ist), sondern dass der Prophet auf einen etablierten Sprachgebrauch zurückgreifen kann und unter den möglichen JHWH-Titeln jenen einsetzt, der der Aussageintention am besten dient. Ist der Titel aber keine jesajanische Erfindung, verschiebt sich die Frage nach seiner Herkunft auf eine neue Ebene. Für die Aufnahme der „Heiligkeit“ unter die Attribute JHWHs wird meist ein kanaanäischer Einfluss auf den Jerusalemer Kult verantwortlich gemacht.286 Interessanter für den vorliegenden Zusammenhang ist, dass gerade „Israel“ im Titel erscheint. Es liegt auf der Hand, dass „Israel“ hier nicht als staatsrechtlicher Name des Nordreichs fungiert, denn innerhalb von Jes *1–11 begegnet der Titel ausschließlich in Kontexten, die von Juda handeln; Gleiches gilt für Jes 1,4, aber auch Jes 30f. Der „Heilige Israels“ nimmt bei Jesaja vorrangig Juda in die Pflicht. Hat der Titel aber seine Heimat im Jerusalemer Kult, ist dann nicht mit A. van Selms zu fragen, warum er „Heiliger Israels“ und nicht „Heiliger Judas“ oder auch „Heiliger Jerusalems“ lautet?287 Van Selmsʼ Antwort repräsentiert den gängigen Lösungsansatz: „we have to assume that the name goes back to the time of the undivided kingdom of Israel“.288 In der Zeit des vereinigten Königreichs unter David, in der – so die Basis des Arguments – der Israel-Name noch nicht für das Nordreich reserviert gewesen sei, habe man in Juda bzw. Jerusalem von JHWH noch als dem 286 Basis dieser Herleitung ist, dass in ugaritischen Texten göttliche Wesen mit dem Attribut qdš versehen werden. Umstritten ist, ob „Heiligkeit“ von El ausgesagt wird (so SCHMIDT, Aussage, 63f.65; NIEHR, Bedeutung, 73) oder ob qdš terminus technicus zur Bezeichnung niederer Gottheiten ist VAN SELMS, Expression, 262ff.). Der Disput kreist v.a. um die Auslegung von KTU 1.16, I, 9–11 und die Frage ob qdš hier auf El oder auf Keret zu beziehen ist. 287 VAN SELMS , Expression, 268: „The name ‚Israel‘ ist significant in this connection. If the name had come up after the division under Rehoboam, it should have been ‚the Holy One of Judah‘, but this form of the name does not occur anywhere.“ 288 Ebd. Vgl. WILDBERGER , BK, 24; HØGENHAVEN , Gott, 15f., die vermuten, der Titel sei mit der nord-israelitischen Ladetheologie nach Jerusalem gelangt.
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„Heiligen Israels“ sprechen können. Auch wenn man einmal von den historischen Unwägbarkeiten bezüglich des davidischen Reichs, der Herkunft und Vermittlung der Ladetradition u.ä. absieht, löst die frühe Ansetzung das Problem nur scheinbar. Sie kann nämlich nicht erklären, warum der Titel „Heiliger Israels“ in Jerusalem über die gesamte Zeit des bestehenden Nordreichs in Gebrauch geblieben sein soll. Das wäre nämlich wenig plausibel, wenn „Israel“ in dieser Zeit ausschließlich das Nordreich bezeichnet hätte.289 Insofern impliziert die Hypothese von der Einführung des Titels zur Zeit Davids und seiner Weiterverwendung nach der Reichsteilung stillschweigend die Möglichkeit einer Mehrdeutigkeit für den Israel-Namen: ישׂראלwürde im in Jerusalem tradierten JHWH-Titel ebenfalls auf Juda referieren.290 Damit widerspricht die Argumentation aber den eigenen Voraussetzungen. Die Implikationen, die sich aus dem Titel קדושׁ ישׂראלin Anwendung auf JHWH ergeben, decken sich somit mit dem Befund aus den untersuchten Israel-Stellen bei Proto-Jesaja. Der Titel konnte für JHWH im judäischen Kontext angewendet werden, ohne dass sich damit eine Neuerung in der Semantik ergibt. Die Auflösung der Mehrdeutigkeit des Israel-Namens in ein historisches Nacheinander der verschiedenen Bedeutungen wird dem komplexen Sprachgebrauch nicht gerecht. 1.3 „Israel“ als alternative Bezeichnung für Juda in Micha 1–3 Die Diskussion der Israel-Belege aus Proto-Jesaja hat keine eindeutige Verwendungsweise des Israel-Namens aufgezeigt: „Israel“ kann in jenen Jesaja-Texten, die mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem ausgehenden 8. Jh. v.Chr. stammen, sowohl ein Gesamt-Israel als auch dessen nord-israelitischen oder judäischen Teilbereich bezeichnen. Dass die Verwendungsweise als alternative Bezeichnung für das Südreich sowie als Bezeichnung des Gesamtvolkes eine Neuerung darstellen könnte, lassen die Texte nicht erkennen. Es wird vielmehr vorausgesetzt, dass die Adressaten mit diesem Sprachgebrauch vertraut sind. Diese Ergebnisse sind im Folgenden durch weitere Texte zu überprüfen und gegebenenfalls zu präzisieren. Einschlägig ist hier v.a. das Michabuch.291 Die Buchüberschrift (1,1) verortet den Propheten Micha im Südreich und datiert sein Auftreten in die Zeit Jotams, Ahasʼ und Hiskias. Vgl. dazu die berechtigte Kritik bei KRATZ, Jesajabuch, 93, vgl. 90. Die von Kratz vorgeschlagene späte Ansetzung führt aber ebenfalls in Aporien, vgl. oben S. 221. 290 Gleiches gilt im Übrigen für den ungleich breiter belegten Titel אלהי ישׂראל. Zudem liefert Jes 7,17 ein Indiz dafür, dass beide Reiche jenseits der ‚tagespolitischen‘ Auseinandersetzungen als zusammengehörig gedacht werden konnten. V. 17 blickt auf die Abspaltung Ephraims von Juda zurück. Die Perspektive ist eine judäische, d.h. Ephra im reißt sich los. Vorausgesetzt ist aber, dass beide Reiche einmal verbunden waren, welche Erinnerung oder Ideologie auch immer mit diesem Gedanken verbunden gewesen sein mag, vgl. HØGENHAVEN , Gott, 18. 289
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
Gingen die unter seinem Namen gesammelten Texte auf diese Zeit zurück, würden sie eine weitere Quelle für den Sprachgebrauch im Juda des 8. Jh.s bieten. Tatsächlich ist aber nur für Mi *1–3 eine Verortung im späten 8. Jh. anzunehmen.292 Ein entscheidendes Datum ist das Zitat von Mi 3,12 in Jer 26,18, das nicht nur einen terminus ad quem für eine frühe Sammlung von Micha-Worten markiert (m.E. eine frühe Micha-Schrift293), sondern Michas Verkündigung auch mit den Ereignissen von 701 verbindet. Mi *1–3 können somit ein weiteres Schlaglicht auf die Verwendung des IsraelNamens im vorexilischen Juda werfen. Von den zwölf „Israel“-Belegen im Michabuch entfallen acht auf den hier interessierenden Textbereich Mi 1–3 (1,5.13–15; 2,12; 3,1.8.9).294 Bei Mi 2,12f. handelt es sich aber mit großer Wahrscheinlichkeit um ein sekundäres Heilswort, das wie seine zahlreichen Parallelen in anderen Prophetenbüchern295 die Sammlung und Rückkehr der Exilierten ankündigt.296 Bezeichnet sind sie als יעקבund שׁארית ישׂראל, gedacht ist wohl an die judäische Gola. Das Nebeneinander von „Jakob“ und „Israel“ hat der Ergänzer bereits in 1,5 sowie 3,1.8.9 vorgefunden und aufnehmen können. Mit Mi *1,10–3,12 befinden wir uns in einem eindeutig judäischen Kontext: Die in 1,10–16 genannten Orte – sofern sie identifiziert werden können – liegen alle im Gebiet der Schefela. In v. 10–12 führt die BeweZusätzlich kommen natürlich grundsätzlich auch die Schriftpropheten Hosea und Amos in Betracht, zumindest in den Textanteilen, für die eine Abfassung im vorexilischen Juda zu veranschlagen ist. Nun zeigt allerdings die Durchsicht der Belege, dass beide Bücher nicht einschlägig sind, vgl. dazu unten S. 267ff. 292 Die Einsicht geht auf STADE , Bemerkungen, zurück und kann hier vorausgesetzt werden (vgl. den Forschungsüberblick bei KESSLER, HThKAT, 41ff. Kessler selbst geht von einer „Micha-Denkschrift“ aus, die er in Mi 1,10–16; 2,1–3.6–11; 3,12 findet und im 7. Jh. verortet (aaO., 45f.94–96, vgl. KESSLER, Tempel, 25f.). Sie ist für Kessler das Werk früher Micha-Tradenten. Er führt als Begründung an, dass „der alte Michatext deutliche Anklänge an die Jesaja- und Amos-Überlieferung hat, was eher auf eine Abfassung durch Tradenten als durch den Propheten selbst führt“ (97). Warum aber sollte ein Tradent andere Propheten rezipieren können und ein Prophet nicht? Dahinter steht offensichtlich – trotz aller Betonung literarischer und kompositioneller Zusammenhänge – das Bild eines seine Botschaft jeweils mündlich und auf konkrete Situationen bezogen mitteilenden Propheten. Jedes Schaffen größerer und möglicherweise die Botschaft reflektierender Zusammenhänge ist dem Propheten selbst nicht zuzutrauen. 293 Zur genaueren Abgrenzung und Begründung vgl. unten S. 230ff. 294 Die übrigen vier finden sich in nachexilischen Fortschreibungen. In Mi 4,14; 5,1f. referiert ישׂראלdabei ausweislich des Kontextes auf Juda. Die Referenz ergibt sich aus dem Focus auf Bethlehem und den angekündigten davidischen König. Es ist freilich nicht ausgeschlossen, dass auch gesamt-israelitische Hoffnungen mitschwingen. Mi 6,2 bildet den Auftakt zu einem Streitgespräch zwischen JHWH und „seinem Volk“ ( ריב ליהוה עם עמו )ועם ישׂראל יתוכח, das sich schon durch die literarischen Horizonte (Pentateuch, Josua), die bei den Adressaten als bekannt vorausgesetzt werden, als nachexilisch erweist. 295 Z.B. Jes 11,11–16; Jer 23,1ff.; Sach 10,3ff. Vgl. auch ZAPFF, Studien, 27–32, allerdings mit im Einzelnen tlw. problematischen Sprachgebrauchsargumenten. 291
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gung auf das „Tor Jerusalems“ zu (v. 12: )לשׁאר ירושׁלם. Auch in v. 13ff. scheint die Richtung der implizierten Bewegung auf Jerusalem hin ausgerichtet zu sein.297 Das argumentative Gefälle des gesamten Abschnitts Mi *1–3 läuft zweifellos auf Zion/Jerusalem zu, dem in 3,12 die Zerstörung angekündigt wird. Ist daraus mit L. Rost zu schließen, dass „‚Israel‘ (und ‚Jakob‘) von Micha mit dem Reich Juda gleichgesetzt wird“?298 In der Tat lassen sich die meisten Belege ohne Probleme so lesen, mit Ausnahme von Mi 1,5. Dieser Beleg bildet den Stolperstein für die Annahme, einer in dieser Weise eindeutigen Referenz des Israel-Namens in Mi 1–3299: 1,5a 1,5b
בפשׁע יעקב כל זאת ובחטאות בית ישׂראל מי פשׁע יעקב הלוא שׁמרון ומי במות יהודה הלוא ירושׁלם
In 5a sind „Jakob“ und „Haus Israel“ im Parallelismus membrorum einander zugeordnet: so wie פשׁעdurch חטאותaufgenommen wird, entspricht יעקבim ersten Kolon בית ישׂראלim zweiten.300 V. 5b führt nun eine konkretisierende Differenzierung ein, indem über rhetorische Fragen die beiden Hauptstädte Samaria und Jerusalem die in 5a angesprochenen Vergehen repräsentieren. Dabei bezeichnet „Jakob“ in 5b das Nordreich. Das ergibt sich zum einen durch die Identifikation der „Verfehlung Jakobs“ mit Samaria, zum anderen durch das Gegenüber zu „Juda“. Anders aber als die erste Frage in 5b ()מי פשׁע יעקב, die die Formulierung aus 5a wörtlich aufnimmt, variiert die zweite Frage: anstelle von חטאותsteht במות, anstelle von בית
296 Es ist gelegentlich bestritten worden, dass es sich bei 2,12f. um ein Heilswort handelt (vgl. METZNER, Kompositionsgeschichte, 71; SWEENEY, Portrayal, 216–321). In der Tat ist der Wechsel vom Impf. v. 12 zum Perf. v. 13 nicht einfach (in den meisten Übersetzungen wird er einfach übergangen, bei vielen Kommentatoren literarkritisch aufgelöst; für einen Überblick über verschiedene Lösungsansätze vgl. WAGENAAR , Edom), doch spricht die Metaphorik (JHWH als Hirte bzw. als König, der seinem Volk voranzieht) deutlich für eine heilvolle Erwartung. JEREMIAS, ATD Joel – Micha, 155f., erklärt den Zusammenhang daher als bewusste Durchbrechung der logischen Reihenfolge, indem in v. 12 „programmatisch das Ziel des Handelns Gottes“ vorangestellt werde. 297 Zur Diskussion um die Identifikation der Ortslagen vgl. NA ' AMAN , House-of-noShade, 523f., sowie KESSLER, HThKAT, 103f., jeweils mit weiterer Literatur. 298 R OST, Israel, 53. 299 Das bemerkt freilich auch Rost, der Mi 1,5 erst ganz am Ende seines Abschnitts zu Micha behandelt und das Problem letztlich dadurch löst, dass er 5b zu einer nachträglichen Ergänzungen erklärt und für v. 6 postuliert, „Samaria“ habe ein ursprüngliches „Jerusalem“ verdrängt (53). 300 Stehen „Jakob“ und „Israel“ im Parallelismus, sind sie stets Synonyme, vgl. Gen 49,7; Ex 19,3; Num 23,7.10.21.23; 24,5.17; Dtn 33,10.28; 2Sam 23,1; Jes 9,7; 10,20; 14,1; 27,6; 29,23; 40,27; 41,8.14; 42,24; 43,1.22.28; 44,1.21.23; 45,4; 46,3; 48,12; 49,5.6; Jer 2,4; 30,10; 46,27; Ez 20,5; 39,25; Hos 12,13; Nah 2,3; Ps 14,7; 22,24; 53,7; 78,5.21.71; 81,5; 105,10.23; 114,1; 135,4; 147,19; Thr 2,3; 1Chr 16,13.17.
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
ישׂראלerscheint nun יהודה.301 H.W. Wolff schließt daraus, dass auch in 5a
daher „‚Jakob‘ auf das Nordreich mit seiner Hauptstadt Samaria bezogen [wird] und nur ‚Israel‘ auf Juda und Jerusalem“. 302 Das widerspricht allerdings Mi 3,1.8.9, wo „Jakob“ und „Haus Israel“ als Synonyme nebeneinander stehen und nicht auf unterschiedliche Größen zu verteilen sind (3,8 nimmt zudem die Stichworte פשׁעund חטאהaus 1,5a auf). „Jakob“ referiert hier also auf das Südreich und fungiert zudem als Synonym zu „Haus Israel“.303 Ist die Gleichung Israel = Juda für Mi 1–3 daher zu einfach? Es ist freilich nicht ausgemacht, dass 3,1.8.9 überhaupt zur Klärung von 1,5 herangezogen werden können. Dafür müssen 1,5–9 und *2,1–3,12 literarisch auf einer Ebene liegen. Mi 1,2–9 gelten den meisten neueren Kommentatoren aber als späterer Nachtrag (teilweise verbunden mit der Zuweisung 1,2.3–4.5–7.8–9 an diverse Hände). 304 Angeführt werden zumeist die folgenden Argumente: (a) Die Deixis von כל זאתin v. 5a verweise auf den Vorkontext. Die universale Ausrichtung (Völkerforum) und das Thema (Theophanie) von 1,2–4 finde aber keinen Widerhall in Mi *1,10–3,12. (b) Die Begrifflichkeit von Mi 1,2–7 ingesamt sowie das Thema der Schuld Nord-Israels bzw. Samarias würden Sprachgebrauch und Thematik der Bücher Hosea und Amos voraussetzen. (c) Die Rede von den „Höhen Jerusalems“ (1,5) sei ein Hinweis auf dtr Theologie und Sprache. (ad a) Die Beobachtung, dass Mi 1,2.3–4 den Rahmen von Mi 1–3 sprengen, ist sicher zutreffend. Sie lässt sich dadurch erhärten, dass Mi 1,2 einen kompositionellen Bogen zu 5,14 schlägt, erst von hier aus erhellt sich die Funktion des Völkerforums. 305 Die Theophanieschilderung ist bereits von B. Stade als Eintrag erkannt worden, 306 sie weist eine große Nähe zum Anfang von Kap. 6 auf und könnte beim Anschluss von Mi 6f. an den älteren Zusammenhang Mi 1–5 als kompositioneller Anker am Anfang der älteren MichaSchrift eingetragen worden sein.307 Damit wäre in 1,5 der Anfang einer Einheit gegeben, was allerdings nur möglich ist, wenn כל זאתkataphorisch gedeutet werden kann.308 Dass
301 Die Schwierigkeiten haben eine Reihe von Kommentatoren veranlasst v. 5b komplett (so u.a. ROST, Israel, 50; DONNER , Israel, 97; FRITZ, Wort, 324) oder zumindest 5b zu streichen (RUDOLPH, KAT Micha, 33.41; METZNER, Kompositionsgeschichte, 15). Andere glättende Emendationsvorschläge gehen dahin, anstelle von ישׂראלin 5a ( יהודהWELLHAUSEN , Propheten, 135, dagegen bereits R OST, Israel, 50) oder in 5b anstelle von במותin Anlehnung an Ö חטאותzu lesen (SCHART, Entstehung, 178, mit der Annahme, במותsei bei der Vorschaltung von 1,3–4 in v. 5 eingetragen worden, was sich in der Vorlage von ÖÑ dann aber nicht niedergeschlagen haben dürfte). במותbleibt lectio difficilior und ist darüber hinaus aus kompositionellen Gründen (Inclusio mit 3,12) beizubehalten. 302 BK, 13f. 303 Auch Jakob kann in 2,7 als „Haus Jakob“ ( )בית יעקבbezeichnet werden. 304 Die verzweigte Diskussion kann hier nur in soweit aufgenommen werden, wie sie sich auf den Zusammenhang von 1,5–9 mit 1,10ff. bezieht, vgl. dazu die folgenden Anmerkungen. 305 Dazu grundlegend LESCOW, Analyse, 58–61, vgl. KESSLER , HThKAT, 82; 306 S TADE , Streiflichter, 163; vgl. S CHART, Entstehung, 177. 307 Auch J EREMIAS , ATD Joel - Micha 132, geht davon aus, „dass die einleitende Theophanieschilderung 1,3f nicht ein isoliertes Einzelwort – also nicht 1,6f (oder wie man gern rekonstruiert hat 1,5a.6f) – einleitet, sondern ein Buchganzes“, das er aber mit Mi 1–3 identifiziert. Gegen diese Eingrenzung spricht jedoch, dass die Theophanie in 1–3 keine Rolle mehr spielt.
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dies grundsätzlich möglich ist, belegt Neh 10,1 309, dass es hier so verwendet wird, zeigt die Inclusio mit dem anaphorischen על זאתin v. 8,310 die die Ankündigung der Zerstörung Samarias in v. 6(.7? 311) rahmt. Letztere beklagt der Prophet in v. 8; v. 9 wird dann diese Klage begründen und die Verbindung zu Juda (v. 10ff.) herstellen.312 (ad b) Richtig ist, dass Vergehen und Ergehen Samarias bei Mi sonst keine Rolle spielen. Die angekündigte Zerstörung Samarias bleibt in Mi 1 zudem ohne Begründung. Das ist ein Hinweis auf die argumentative Funktion von v. 6: der Blick auf Samaria ist nicht Thema, sondern bereits Ausgangspunkt für 1,10ff. V. 8f. verknüpfen das Schicksal Samarias mit dem Judas, so dass das Ende Samarias den Anfang eines (Gerichts-) Geschehens markiert, das nun auf Jerusalem zu läuft. Ähnliche Vorstellungen eines Gesamt-Israel treffenden Gottesgerichts, das im Norden seinen Anfang nimmt und auch für Juda zu erwarten ist, hatten sich in Jes 8,11–18; 9,7–20 gezeigt. Mi 1,5 setzt somit das Wenn dagegen KESSLER, HThKAT, 81f., 1,3f. mit 5–7 zusammenzieht und in 1,2–7 „eine begründete Unheilsankündigung gegen Samaria“ sieht (81), übersieht er, dass ein Schuldaufweis für Samaria komplett fehlt. Auch v. 7 kann höchstens indirekt als ein solcher dienen, hier wird lediglich die Zerstörung der inkriminierten Götterbilder angekündigt (gegen RUDOLPH, KAT Micha, 42; WOLFF, BK Micha, 16). 308 Dieses wird insbesondere von WOLFF, BK Micha, 16f. mit dem Argument bestritten, dass es dafür keine Parallelen gebe. Die anaphorische Lesart ist aber auch nicht ohne Probleme, denn die Verbindung zum Vorkontext ist nicht eben glatt. Auf das Problem macht schon WELLHAUSEN , Propheten, 135, aufmerksam: „ – כל זאתwas denn alles? Jahve ist ja erst vom Himmel herab auf die Berge getreten und noch nicht einmal auf dem eigentlichen Schauplatze angelangt, geschweige dass er schon gehandelt und gestraft hätte“. BEN ZVI, Observations, 113, postuliert eine Doppelfunktion: v. 5 fungiere als „a ‚Janus‘ verse, looking to both what precedes and what follows“. Eine analoge Deutung vertritt JEREMIAS, Lokalereignis, 138, sowie ATD Joel, 134 mit Anm. 50, neben v. 5 auch für על זאתin v. 8. Diese Verwendungsweise wäre dann aber tatsächlich singulär und ist zumindest für v. 8 auch nicht zutreffend. 309 Neh 10,1 kündigt an, dass בכל זאת, d.h. „in all diesem“ eine Vereinbarung ( )אמנה geschlossen werden soll. Den eigentlichen Inhalt der Vereinbarung enthalten erst 10,30ff.; כל זאתin v. 1 verweist also kataphorisch auf v. 30ff. voraus. 310 DONNER , Israel, 95. 311 Bei 1,7 häufen sich die Indizien, dass es sich um einen Einschub handeln könnte. Aus der Rede in der 1. P. in v. 6 wechselt 7a in die 3. P. pl. passiv. Schwerer wiegt jedoch, dass die Fremdgötter- bzw. Götzenbildthematik einen Fremdkörper in der weiteren Argumentation darstellt, die um soziale Missstände und die Anerkennung des Prophe ten kreist. (Genau genommen konterkariert ein derartiger Focus sogar die Aussageintention, die doch darauf abzielt, dass die angesprochenen Judäer den Zusammenhang des göttlichen Gerichts über Samaria mit ihren eigenen Vergehen erkennen.) Die deutlichen Anklänge an hoseanische Terminologie sprechen ebenfalls dafür, dass ein späterer diesen Aspekt vermisste und nachtrug (vgl. JEREMIAS, ATD Joel – Micha, 136f.). 312 Das Ende Samarias ist dann der Anlass, nicht der Grund für die Klage des Propheten (v. 8). Ihren Grund gibt v. 9 in den beiden כי-Sätzen an, wobei v. 9b noch zum zweiten כי-Satz zu rechnen ist (anders NA'AMAN, House-of-no-Shade, 516ff.). Für einen Zuammenhang von 8f. mit 5–7 spricht weiterhin, dass das Suffix bei מכותיהohne v. 6 ohne Referenz bliebe (vgl. DONNER , Israel, 95; JEREMIAS, Lokalereignis, 139f.). Auffällig ist der nicht angezeigte Subjektwechsel von v. 6f. (Gottesrede) zu v. 7f. (Prophetenrede), ein Phänomen, das aber in der prophetischen Literatur nicht gerade selten ist, vgl. im unmittelbaren Kontext den ebenfalls nicht angezeigten Übergang von Gottesrede zu Prophetenrede in 3,6f.
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
Ende Samarias und auch dessen Deutung als göttliches Gerichtshandeln voraus. 313 In diesem Simme kann man mit R. Kessler schließen, dass „der in Mi 1,5 inhaltlich gar nicht gefüllte Vorwurf der „Verfehlung Jakobs“ und der „Sünden des Hauses Israel“ im Grunde den gesamten Schuldaufweis gegen Samaria aus den Büchern Hosea und Amos zusammenfaßt“.314 Die Rezeption von theologischen Konzepten und Texten der nordisraelitischen Schriftprophetie ist nun aber kein erst für die nachexilische Zeit anzusetzender Vorgang.315 Sie zeigt sich innerhalb der Bücher Hosea und Amos (u.a. Hos 1,5.7; 13; Am 6,1–7) und ist auch für Jesaja und seinem Umfeld vorauszusetzen.316 (ad c) Diese Auffassung hat pointiert H.W. Wolff vertreten, der 1,3–5 einen dtr Redaktor zuweist, dem es vorrangig darum gegangen sei, der „Jerusalemer Restgemeinde nach der Katastrophe von 587 … die Geschehnisse mit Hilfe der früheren prophetischen Untergangsankündigung als Gottes gerechtes Gericht“ vor Augen zu stellen. In Mi 1,5 habe der Focus dabei auf dem „gottesdienstlichen Frevel“ gelegen, denn „[d]ie ‚Höhen‘ (5b) sind seiner [sc. des dtr Redaktors, K.W.] Schule nicht nur Grund zum Untergang des Nordreichs (2Kön 17,9; vgl. 23,15.19f.), sondern ebenso Judas und Jerusalems (2Kön 23,8.13)“.317 Selbst wenn die Rede von den במות יהודהin Mi 1,5 ursprünglich ist, lässt sich allein an diesem einen Stichwort m.E. keine dtr Verfasserschaft festmachen. Die Kritik am Höhenkult ist keine dtr Erfindung, schon Hos problematisiert ihn (und ist damit möglicherweise prägend für den späteren dtr Sprachgebrauch geworden). Als Grundbestand ergibt sich in der Konsequenz der vorgetragenen Überlegungen Mi 1,5f.8–16; 2,1–11; 3,1–12. Mi 1,2 sowie 1,3–4 sind redaktionelle Ergänzungen mit einem weiteren literarischen Horizont, 1,7 möglicherweise eine von Hos inspirierte Präzisierung.318 Die in Mi *1,5–3,12 vorliegende Komposition, die hier freilich nur knapp skizziert werden kann, bietet einen stringenten Argumentationsgang und ist durch eine Reihe von Wiederaufnahmen strukturiert. Deren auffallendste ist das Nebeneinander von „Jakob“ und „Haus Israel“, das in der Überschrift 1,5 erscheint, in den Höraufrufen 3,1.9 begegnet und in direkter Übernahme von 1,5a den Abschluss von 3,5–8 markiert. Daneben sind die Ankündigungen der Zerstörung Samarias (1,6) und Jerusalems (3,12) aufeinander bezogen;319 das Bild ist jeweils die Zerstörung von Siedlungsstrukturen und die Umwandlung in „leeres“, d.h. landwirtschaftlich nutzbares Land, 320 direkte Stichwortaufnahmen sind durch שׂדהund עיין/ עיgegeben. Hinzu kommt die Inclusio über במותin 1,5 313 Vgl. NA' AMAN , House-of-no-Shade, 525. WOLFF, BK Micha, 22f., sowie DEISSLER , NEB, 171, führen gegen die Deutung von 1,6 als vaticinium ex eventu an, dass Samaria zwar erobert, aber von den Assyren wieder besiedelt wurde. Nun ist aber 1,6 gar nicht so angelegt, konkrete Details der Eroberung aufzulisten, sondern formuliert bildhaft, so dass keine vollständige und bleibende Zerstörung impliziert sein muss. RUDOLPH , KAT Micha, 38, macht zudem auf assyrische Parallelen aufmerksam. 314 HThKAT, 83; vgl. SCHART, Entstehung, 180. KESSLER widerspricht damit aber seiner eigenen Deutung von 1,2–7 als begründete! Unheilsankündigung, vgl. oben S. 230 Anm. 307. 315 NOGALSKI , Precursors, 137–139; S CHART, Entstehung, 180.221; KESSLER , HThKAT, 84, erklären die Nähe zu Amos und Hosea im Kontext erster (deuteronomistisch/frühnachexilischer) Sammlungen, die Vorstufen des späteren Dodekapropheton bildeten. 316 Vgl. B LUM , Jesaja. Die Nähe zwischen Micha und Jesaja ist altbekannt, schon für AscJes 2,9; 4,22; 6,7 gehörte Micha zu den Schülern Jesajas (so in neuerer Zeit auch SCHMIDT, Micha, 130). Auch wenn man nicht so weit gehen muss, sind die theologische Nähe und die Überlappungen in der Textüberlieferung wohl kaum zufällig. 317 BK, 21. 318 Ob darüber hinaus z.B. in Mi 2,4f. weitere Ergänzungen vorliegen, kann hier nicht diskutiert werden.
1. „Israel“ in judäischen Texten
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bzw. 3,12.321 Mi 2,1–11 und 3,1–8 bilden zudem eine Parallelstruktur; zunächst wird jeweils Schuld und Ergehen der Oberschicht thematisiert (2,1–5 und 3,1–4), dann die falschen Erwartungen an den bzw. die Rolle des Propheten (2,6–11 und 3,5–8). 3,9–12 knüpfen wiederum an die Linie von 1,10–16 an, die schon auf Jerusalem zuführte. 1,5–16 1,5 1,6 1,8f. 1,10–16 2,1–11 2,1–5 2,6–11 3,1–12 3,1–4 3,5–8 3,9–12
JHWHs Gericht nähert sich Überschrift Gericht über Samaria Klage des Propheten – Gericht über Juda Annäherung an Jerusalem Schuldaufweis Kritik an der Oberschicht Die Rolle des Propheten Gerichtsankündigungen Gericht über die Oberschicht Gericht über falsche Propheten Zerstörung Zions und Jerusalems
Als Adressaten der Komposition kommen die Angehörigen der Jerusalemer Oberschicht in Betracht, die – so die Pragmatik der prophetischen Verkündigung – das längst begonnene Gericht für Zion und Jerusalem nur dann noch abwenden können, wenn sie von der Übervorteilung der Schwächeren ablassen und das Wort des Propheten als JHWH-Wort anerkennen. Verwoben mit dem Schuldaufweis und der Sozialkritik ist eine Reflexion über die Rolle des Propheten selbst, der sich weigert, dem Volk nach dem Munde zu reden (2,6f.; 3,5), und das Aufdecken der Schuld als wahre Aufgabe der Prophetie betont (1,5; 3,8!). Für die historische Verortung ist nach der vorgeschlagenen Deutung 720 als terminus a quo anzusetzen. Weitere Hinweise können Mi 1,10ff. liefern, insofern sich die genannten Ortslagen mit dem Anmarschweg eines feindlichen Heeres korrelieren lassen. 322 Am wahrscheinlichsten scheint nach wie vor der Feldzug Sanheribs gegen Juda zu sein, in dem er 701 von Südwesten her auf Jerusalem zu rückte und Lachisch sowie eine ganze
319 So schon WELLHAUSEN , Propheten, 135; vgl. WAGENAAR , Hillside, der nicht zuletzt aufgrund der Parallelität שׂדהin 1,6 als „hillside“ verstehen möchte, sowie KESSLER, HThKAT, 83, der Mi 1,2–7 für sekundär hält und daher überlegt, „ob das Samaria-Wort nicht in Analogie zum Jerusalem-Wort formuliert worden ist“ (ähnlich zuvor schon FRITZ, Wort, 328). 320 VINCENT, Gerichtswort, 172f. 321 R UDOLPH , KAT Micha, 68, und WOLFF, BK Micha, 61f., ändern im Anschluss an Ehrlich zu לבהמות יער, da die Aussage, dass der Tempelberg zu einer „Kulthöhe“ werde, kaum vorstellbar sei. במהkann aber jede und nicht nur die kultisch genutzten Anhöhen bezeichnen (vgl. Num 21,28; 2Sam 1,19.25). VINCENT, Gerichtswort, 176ff., interpretiert יערgegen die masoretische Vokalisation als רעהNif.: „Und der Tempelberg, (sein) Rücken / Abhang wird eingeschleift“ (178). Er muss dann aber במהSg. lesen und das ל streichen bzw. als lamed explicativum deuten. Die Änderungen sind letztlich nicht notwendig. 322 Das ist freilich nur dann möglich, wenn es sich nicht um ein reines Wortspiel handelt (so NA'AMAN , House-of-no-Shade, 523f.). Die einzelnen Sprüche spielen zweifellos mit den Ortsnamen, ihre Anordnung und Reihenfolge sind so jedoch nicht hinreichend zu erklären.
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Reihe weiterer judäischer Städte eroberte.323 Damit ergibt sich eine recht genaue Datierung in die Zeit des Feldzugs hinein, in der die Assyrer bereits anrücken, Jerusalem aber noch nicht erobert ist. Nach der Verschonung Jerusalems 701 verlöre die Komposition, die ihre Überzeugungskraft aus der Bedrohungssituation bezieht, ihre argumentative Kraft.324 2. „Israel“ in Texten aus dem Nordreich
Für die in Mi 1,5–3,12 vorliegende Komposition ist somit noch einmal neu nach den semantischen Möglichkeiten des Israel-Namens zu fragen. Die Annahme, יעקבund בית ישׂראלseien als Synonyme verwendet und referierten auf das Südreich, kann zwar die Belege 3,1.8.9 erklären, passt aber nicht zu 1,5.325 Die an 1,5 orientierte These, יעקבund בית ישׂראלseien keine Synonyme, sondern „Jakob“ meine das Nordreich und „Haus Israel“ Juda, passt nicht zu 3,1.8.9 (und auch nicht zu 2,7). Handelt es sich also doch um eine terminologische Differenz, die nur literarkritisch aufzulösen ist? Dagegen sprechen aber die Beobachtungen, die einen Zusammenhang in 1,5– 3,12 nahelegen. Die Lösung liegt m.E. darin, auch in Mi 1–3 von einer Mehrdeutigkeit für „Israel“ (und „Jakob“!) auszugehen, wobei wiederum ein weiter Israel-Begriff die Grundlage bildet. Ein Durchgang durch die Belege offenbart dann keine Schwierigkeiten: In 1,5a sind יעקבund בית ישׂראלsynonyme Bezeichnungen, die primär an eine gesamt-israelitische Referenz denken lassen. 5b nimmt Bezug auf die Teilgrößen Nord- und Südreich. Für יעקבerfolgt dabei eine Disambiguierung in Bezug auf das Nordreich: durch die Nennung Samarias, aber Der Vorschlag geht auf ELLIGER, Heimat, 141, zurück. KESSLER, HThKAT, 102f., sowie NA'AMAN , House-of-no-Shade, 525–527, diskutieren (für 1,10–16) andere Optionen im späten 8. Jh., kommen aber zum selben Ergebnis. JEREMIAS, Lokalereignis, 143, unterscheidet die mündliche vorausblickende Verkündigung des Propheten (kurz vor 701) von der schriftlichen Fassung, die die Ereignisse von 701 kenne und daher auf 701 zurückblicke. Dann wäre aber zu fragen, wozu ein Text, der in Mi 3,12 gipfelt, nach 701 formuliert sein sollte. Selbst wenn diese genaue Datierung nicht zutreffen sollte, bleibt die Einschätzung von WELLHAUSEN , Propheten, 141, richtig: „Viel weniger als bei Amos und Hosea empfinden wir bei ihm [sc. Micha, K.W.] das ängstigende Drohen des Geschicks. Es scheint, dass man sich inzwischen an die Assyrer und an den Gedanken des Untergangs gewöhnt hat.“ 324 Eine nachexilische Datierung, wie sie gelegentlich vorgeschlagen wird (vgl. DEMPSEY, Micah, 127, für Mi 2f.; BEN ZVI, Observations, 120, für Mi 1,2–16 oder KESSLER, HThKAT, 84f., für 1,2–7), erweist sich gerade durch 1,6 problematisch. Von einer Zerstörung Samarias ist in der Perserzeit nichts bekannt, und dass hier ein Reflex auf die Span nungen zwischen Jerusalem und Samaria in der Perserzeit vorliege (KESSLER, aaO., 84), ist gerade im Binnenkontext kaum plausibel: In 1,8f. klagt der Prophet über das Schicksal Samarias, sollte der Redaktor, der 1,2–7 geschrieben und über 1,8f. in den älteren Kontext integriert hat – so KESSLER, aaO., 91 –, nun gerade Sympathien für Samaria gehegt haben? 325 F RITZ, Wort, 324, bezieht „Jakob“ und „Haus Israel“ in 5a auf das Nordreich, muss dann aber 5b ausscheiden (vgl. MCKANE , Micah, 426), zu verschiedenen Emendationsvorschlägen in Mi 1,5 vgl. oben S. 230 Anm. 301. 323
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spätestens im Gegenüber zu יהודהist klar, dass es jetzt um Nord-Israel geht. Umgekehrt ist für die Eindeutigkeit der Referenz die Verwendung von יהודהin 5b notwendig, denn nur über „Juda“ als eindeutige Bezeichnung für das Südreich, kann die Disambiguierung erfolgen. Das ebenfalls mehrdeutige „Haus Israel“ taugt dafür nicht. Im Folgenden ist sowohl für „Israel“ (1,13–15; 3,1.8f.) als auch für „Jakob“ (2,7)326 eine Referenz auf das Südreich gegeben.327 Daneben begegnet in 1,9 wiederum „Juda“. Lässt sich erklären, wann „Juda“ und wann „Israel“ bzw. „Jakob“ verwendet wird? Ebenso wie in 1,5, ist in 1,9 Eindeutigkeit gefragt, d.h. nur durch die Verwendung von „Juda“ ist klar, dass der Grund für die Klage des Propheten nicht allein das Ende des Nordreichs ist, sondern die bevorstehende Fortsetzung des Gerichts im Süden. Die Verwendung von „Haus Israel“ bzw. „Jakob“ kann demgegenüber einen anderen Aspekt betonen – die Zusammengehörigkeit von Nordund Südreich vor JHWH und konkret ihr gemeinsames Schicksal unter dem Gericht (wie es 1,6–9 explizit herausstellen). Das heißt, Juda wird als „Israel“/„Jakob“ bezeichnet, insofern es (der verbliebene) Teil des größeren Israel ist. 1,13 weist ebenfalls in diese Richtung, indem hier in Bezug auf Juda von den פשׁעי ישׂראלdie Rede ist. פשׁעwar in 1,5 mit יעקב verbunden, bei einem weiten „Israel“- und „Jakob“-Begriff in 1,5a stellt der Rückgriff aber keine Schwierigkeit dar (vgl. auch 3,8). Schließlich können auf diese Weise „Israel“ und „Jakob“ in Kap. 3 wieder als Synonyme und mit Referenz auf das Südreich verstanden werden.
2. „Israel“ in Texten aus dem Nordreich 2.1 Die gesamt-israelitische Perspektive der Jakoberzählung und der Josephsgeschichte 2.1.1 „Israel“ in der Erzelterngeschichte Im Vergleich zu den bisher untersuchten judäischen Texten ist die Referenz des Israel-Namens im Bereich der Erzelterngeschichte (Gen 12–50) eindeutiger. Zum ersten Mal im Pentateuch erscheint ישׂראלin Gen 32,29 als alternativer Name für den Erzvater Jakob. 34 der folgenden 42 Beleg326 Für „Jakob“ sind damit innerhalb von Mi *1–3 alle drei semantischen Möglichkeiten realisiert, für „Israel“ nur zwei (Gesamt-Israel und Südreich). 327 Anders SCHÜTTE , Juda, 59f., der „Israel“ in 1,13f. sowie עמ יin 1,9 auf Nord-Israel beziehen möchte. Die genannten Ortslagen sprechen jedoch dagegen. Sie lassen sich auch nicht damit erklären, dass „Lachisch und Jerusalem … als Zentralorte des geistig von Israel-Samaria her wirkenden Unheils“ gelten. Das Unheil ist kein geistig aus der ferne wirkendes, sondern nach Mi 1,5–10 eine höchst konkrete Bedrohung, die neben Lachisch und Jerusalem eine ganze Reihe weiterer judäischer Orte betrifft.
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stellen in der Genesis entsprechen dieser Verwendungsweise. 328 Die wenigen Ausnahmen sind die Gottesbezeichnungen אלהי ישׂראלa33,20 und אבן ישׂראלa49,24 sowie 47,27; 49,7, wo „Israel“ als kollektive Größe erscheint.329 In der Referenz über den engeren Rahmen der zwölf Söhne Jakobs hinaus reicht auch בני ישׂראלin der ätiologischen Notiz 32,33 und im Rückblick 36,31. Gleiches gilt für die Verbindung שׁבטי ישׂראלa49,16.28. Dass die semantische Varianz für „Israel“ in der Jakob- und Josephsgeschichte begrenzter ist als in den zuvor untersuchten Texten, ist natürlich vorrangig sachlich, d.h. durch die Textwelt bedingt. Erzählt wird von Jakob und seiner Familie in der Vorzeit, Israel als eine wie auch immer bestimmte weitreichendere kollektive Größe existiert in der erzählten Welt noch nicht. Auf diese Größe hin sind aber die Erzählungen aufgrund ihrer unverkennbaren ätiologischen Ausrichtung – sie erzählen Völkergeschichte als Familiengeschichte330 – transparent und sie schimmert auch in den Nebenbemerkungen des Erzählers Gen 32,33; 36,31 durch. Nicht der Sprachgebrauch von „Israel“, sondern die in den Texten greifbare Israel-Konzeption bildet daher die Leitfrage für die folgenden Überlegungen. 2.1.2 Die narrative Entfaltung des primordialen Codes (Gen 29,31–30,24) 2.1.2.1 Familienzuwachs durch Fortschreibung? Gen 29,31–30,24 erzählt von der Geburt von elf Söhnen Jakobs sowie der Tochter Dina; der zwölfte Sohn, Benjamin, wird in 35,16–18 folgen. Den größten Anteil am Text haben die Geburtsnotizen der einzelnen Kinder und die Erklärung ihrer Namen. In dem sich daraus ergebenden schematischen Aufbau331 lässt sich jedoch ein Spannungsbogen erkennen, dessen Ausgangspunkt die Ungleichbehandlung von Lea und Rahel durch Jakob 328 ישׂראל:a34,7; 35,10(2x).21f.; 37,3.13; 43,6.8.11; 45,28; 46,1f.29f.; 47,29.31; 48,2. 8.10f.13(2x).14.20f.; 49,2; 50,2; בני ישׂראל:a42,5; 45,21; 46,5.8; 50,25. 329 47,27b fällt durch die kollektive Weiterführung von „Israel“ in 27a aus dem Kontext heraus, zudem sind die Stichworte des Mehrungssegens פרהund רבהaufgenommen, was für eine späte, priesterliche Ergänzung spricht. 330 Vgl. B LUM , Komposition, 479ff., sowie unten S. 255f. 331 Vgl. das Schema bei HIEKE , Genealogien, 155, der wegen der wiederkehrenden formelhaften Elemente zu dem Urteil kommt: „In Gen 29–30 werden die Geburten der Jakobsöhne in einer segmentären genealogischen Erzählung stereotyp dargestellt“ (aaO., 154). Aus dem listenartigen Charakter folgt auch für VON RAD, ATD, 237, „daß es sich nicht um eine formgerecht aufgebaute Erzählung handelt, sondern um eine Vielzahl kleiner zusammenhangloser Einheiten“; vgl. auch SPEISER, AncB, 233: Gen 29f. sei „a complex patchwork“ of „inconsistent … traditions“. Andere betonen dagegen die narrative Gestaltung und Geschlossenheit von Gen 29,31–30,24 vgl. JACOB, Genesis, 592–601; EISING, Untersuchung, 176ff.; FOKKELMAN , Art, 130ff.; BLUM, Komposition, 105ff.; TASCHNER , Verheißung, 91–98; MEURER, Gebärwettstreit; HENSEL, Vertauschung, 158f.
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(29,30) einerseits und infolgedessen durch JHWH (29,31) andererseits ist. Das Thema der von JHWH bedingten Unfruchtbarkeit Rahels wird in 30,2 sowie 30,22 aufgenommen und zu einer Lösung gebracht. Das zweite Thema kommt nicht zu einer vergleichbaren Lösung, wenn auch Lea durch die Vielzahl ihrer Kinder eine gewisse ‚Entschädigung‘ erfährt. Die Rivalität der beiden Frauen prägt durchgängig alle Namenserklärungen 332, so dass ihre Auseinandersetzung zwar nicht durch den Erzähler geschildert, aber in ihrem Verlauf und in ihrer zunehmenden Erbittertheit in den Worten der Frauen nachvollzogen werden kann. Neben der bewussten Strukturierung durch die zwei eingeschalteten Szenen 30,1–4 und 30,14–16 und dem Vorhandensein erzählerischer Querverbindungen333 ist es v.a. dieser erzählerische Kunstgriff, der die Episode als gerundeten und sorgfältig komponierten Erzählabschnitt erweist. Ist sie auch eine einheitliche Erzählung? Die ältere Forschung musste, sofern sie versuchte, den Text in das Koordinatensystem der Urkundenhypothese einzupassen, die Frage verneinen, schließlich verfing auch hier das sog. „Gottesnamenkriterium“. Daneben wurde häufig mit literarkritisch ausgewerteten Doppelungen in den Namenserklärungen für Ascher, Issachar, Sebulon und Joseph argumentiert.334 Beide Argumente hat E. Blum widerlegt, indem er zum einen zeigt, dass der Wechsel der GottesVgl. VON RAD, ATD, 240, bzw. FOKKELMAN , Art, 133: „All eleven names are mentioned and interpreted in the framework of the bitter struggle, the poisoning envy between Rachel and Leah.“ TASCHNER , Verheißung, 97, hat sicher Recht mit der Anmerkung, dass neben der Rivalität der Frauen auch „das segensreiche Eingreifen Gottes zum Ausdruck“ kommt. Dies ändert jedoch nichts an der durchgängigen Kontextbezogenheit der Etymologien, die gerade nicht allgemeine Aussagen etwa über bestimmte Charakteristika einzelner Stämme machen oder gar stammesgeschichtliche Informationen liefern und mithin auch nicht als sekundäre Schicht von den narrativen Abschnitten 30,1–6.14– 16 abzuheben sind (so WESTERMANN , BK, 574–576). 333 Dazu v.a. EISING , Untersuchung, 186f.; vgl. B LUM , Komposition, 105f. 334 Vgl. u.a. EISSFELDT , Hexateuch-Synopse, 56*ff., oder NOTH , Überlieferungsgeschichte, 30.38, jeweils mit Abweichungen in der Abgrenzung von J und E im Detail, vgl. auch SPEISER, AncB, 232f.; SCHARBERT , NEB, 204 allerdings ohne den Versuch, die Textbestandteile der Quellen zu benennen; GRAUPNER , Elohist, 244–249, sowie SCHORN , Ruben, 66f. mit der Rekonstruktion einer elohistischen Grundschicht. (Ein ganz eigenes Modell entwickelt WESTERMANN , BK, 575f., der die ältere Erzählung über die Rivalität zwischen den Frauen von einer jüngeren, die die genealogischen Elemente und Namensgebungen einbringt, unterscheiden möchte. Die These ist von NAUERTH, Untersuchungen, wieder aufgegriffen worden.) Den Versuch der Quellenscheidung unternimmt neuerdings wieder SEEBASS, Vätergeschichte, 343f., der 29,31–35; 30,9–16 J und 30,1–8.17–20.22–24 E zuweist, wobei E nachträglich in J eingearbeitet worden sei. Die literarkritische Diskussion läuft über die Feststellung von „Bruchlinien“. Eine solche findet Seebass vor und nach 30,1–8, da der Abschnitt „keine ernsthafte Beziehung zu 29,31–35“ (343) habe und den Zusammenhang von 29,35 und 30,9ff. unterbreche. Eine zweite sei nach 30,16 zu finden: 30,14–16 fehle ein Zusammenhang, der in v. 17a.22a ausgesagten Erhörung ein Bezug. 332
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bezeichnungen nicht notwendig eine terminologische Differenz im literarkritischen Sinne darstellt335 und indem er für den vorliegenden Text die narrative Einbindung und Funktion der zweifachen Erklärungen nachweist.336 Ohne Rückgriff auf die klassische Urkundenhypothese ist die Einheitlichkeit von Gen 29,31–30,24 neuerdings wieder von Chr. Levin, R.G. Kratz und D.E. Fleming bestritten worden. Für Levin ist Gen 29f., ein „offensichtlich nicht einheitlich[er]“ Text, an dem er in elf Schritten die literarische Entwicklung der Jakobfamilie von zunächst drei (bzw. vier) bis zu letztlich zwölf Söhnen nachzeichnet:337 Den Anfang machen die reinen Geburtsnotizen für Ruben, Simeon und Joseph (29,32a.33a 1b; 30,14.23a.24a[ohne )]לאמר. Die Geburt Ben-Onis (35,16ff.) gehört für Levin ebenfalls in dieses Stratum. Die zweite Stufe geht auf den „Jahwisten“ zurück, der am Gottesnamen „JHWH“ zu erkennen ist und der die Verbindung von Väter- und Exodusgeschichte herstellt. Auf sein Konto gehen die Etymologien für Ruben, Simeon und Joseph (29,32b.33a 2; 30,24[ab )]לאמר, die Einfügung der Söhne Levi und Juda samt ihrer Etymologien (29,34f.), die Einleitung (29,31) und in Gen 35 der Name Benjamin. Die Jakobfamilie ist somit auf sechs Kinder angewachsen. In weiteren drei Stufen wurden nacheinander Issachar (30,15f.17b.18b), dann Sebulon (30,19.20*) und anschließend Dina (30,21) ergänzt. In Anlehnung an Gen 16 wurden im nächsten Schritt Bilha und ihr Sohn Dan (30,1a .3–6) eingefügt, schließlich sorgte das „Gesetz der Verdopplung“ wie schon für Sebulon nun auch für einen zweiten Bilha-Sohn (Naftali 30,7–8), dann für eine zweite Magd mit wiederum zwei Söhnen (Gad, Ascher 30,9–13). So ist Jakob bei zwölf Söhnen angekommen. Die bisher ausgesparten Text-
Die Rede von der Erhörung durch Gott hat aber eine Parallele in 29,33: Lea deutet die Geburt Simeons als Erhörung durch JHWH, zugleich verweist der Vers zurück auf 29,31. Auch für v. 33 wird vorab keine Anrufung JHWHs durch Lea erzählt, fehlt also ebenfalls ein Bezug? Nein, der Zusammenhang ist durch den Konnex mit v. 31 hinreichend klar. Dann weist 29,33 aber auch den Weg für die Aufnahme des Motivs von der Erhörung durch Gott in 30,17 und 22: Lea kann in v. 17 die Geburt Issachars wiederum als Erhörung durch Gott deuten. (Zugleich wird ein Widerspruch zu 29,35 ותעמד מלדתvermieden, denn dass Lea wieder gebären kann, hat seinen Grund in dem Handel mit den Dudaim und der Erhörung durch Gott, die die Fruchtbarkeit gewährleistet.) V. 22 setzt die Reihe nun mit Bezug auf Rahel fort und ist zusätzlich durch 30,1ff. motiviert. Auch die die erste „Bruchlinie“ an v. 16 zeigt sich nur dann, wenn man v. 17ff. ab trennt. Dann bleibt die ganze Episode 30,14–16 ohne Konsequenz bzw. „wie ein Rest, dem der Zusammenhang jetzt fehlt“ (aaO., 344). Weiterhin zeigt die Wiederaufnahme von 29,35 in 30,9 ותעמד מלדת – ותרא לאה כי עמדה מלדת, dass hier ein Erzählfaden wieder aufgegriffen wird, der zwischenzeitlich verlassen war. Als direkter Übergang wäre der Zusammenhang 29,35; 30,9 auffällig redundant. Zudem wirft auch die Quellenscheidung durch Seebass ein Problem auf, das schon die älteren Versuche kennzeichnete. Er geht ganz traditionell davon aus, dass sowohl J als auch E eine komplette Liste der zwölf Stämme vorgegeben gewesen sei (aaO., 344f.). Ist es dann aber plausibel die Stämme resp. Söhne erst auf zwei Quellen zu verteilen, um sie sogleich wieder als Verbindung der beiden Quellen zusammenzuführen? 335 B LUM , Komposition, 471ff., sowie Gottesname. 336 AaO., 108–110; zur Kritik an der Quellenscheidung vgl. bereits JACOB , Genesis, 997–1000. 337 LEVIN , System, 172–174, das Zitat S. 173; vgl. LEVIN , Jahwist, 221–231.
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bestandteile (30,1ab.2.17a.18a.20a[ ]זבדני אלהים אתי זבד טוב. 22338.23b) sind nach Levin „elohistische Ergänzungen“.339 Levin argumentiert z.T. mit klassisch literarkritischen Argumenten, 340 z.T. mit literarischen Bezügen,341 v.a. aber mit der Verschiedenartigkeit der Söhne, resp. Stämme, an der sich die „Künstlichkeit des Systems der zwölf Stämme“ erweise. 342 So seien die ältesten Stämme Ruben, Simeon und Joseph „von Hause aus Erzählfiguren“ und nicht historisch greifbar.343 Die „jahwistischen Stämme“ repräsentierten dagegen bedeutsame Größen: Juda das Südreich, Benjamin „das historisch bedeutende Land zwischen Nord und Süd“, Israel das Nordreich bzw. das Gottesvolk und Levi „eine Priesterklasse“. 344 Die „sechs nachgetragenen ‚Stämme‘“ seien alle „historisch faßbar, aber von geringer Bedeutung“.345 Levins Rekonstruktion wirft eine Reihe von Fragen auf. Diese betreffen neben der Argumentation346 die Ergebnisse seiner literargeschichtlichen Rekonstruktion. In der postulierten Jakobgeschichte ist die Einführung der Dudaim als Erzählelement überhaupt nicht motiviert; ohne 29,31 fehlt das Problem von Rahels Unfruchtbarkeit. Nimmt man die jahwistischen Ergänzungen dazu löst sich das Problem nicht, ganz im Gegenteil: nach der Auskunft, dass Lea aufhörte zu gebären (29,35b), ist wohl kaum stillschweigend vorauszusetzen, dass sie Rahel die Dudaim ohne weiteres zur Verfügung stellt. Desweiteren ist die Kategorisierung der Stämme nicht recht einsichtig. Zum einen versammeln die Gruppen Unterschiedliches. Schon bei den „nachgetragenen Stämmen“ stehen Sippen-, Orts- und Landschaftsnamen nebeneinander, bei den „jahwistischen Stämmen“ kommen politische Größen (Südreich, Nordreich), ein Landstrich (Benjamin), ein theologisches Konzept (Israel als Gottesvolk) und eine funktional bestimmte Gruppe (Levi) zusammen. „Historisch fassbar“ wie die anderen sechs Stämme sind sie ebenfalls, Erzählfiguren347 auch. Ausgerechnet wofür „Israel“ nun eigentlich steht, bleibt bei Levin in der a
338 In LEVIN , Jahwist, 221–231, findet sich noch eine Präzisierung zu 30,22. Danach gehört v. 22b noch zur jahwistischen Redaktion, v. 22a als einziger Satz des gesamten Abschnitts zu P (224.228). 339 AaO., 230f. 340 Deren Stichhaltigkeit ist jedoch zu hinterfragen: So ist z.B. der „Widerspruch“ zwischen 29,35 und der Geburt des Issachar (System 174) in der Erzählung durch die Dudaim-Episode gelöst (sofern man 30,15f. nicht literarkritisch ausscheidet). Für das von Levin gleich dreifach (Sebulon, Naftali sowie Silpa und ihre Söhne) in Anschlag gebrachte „Gesetz der Verdopplung“ (ebd.) fehlt jede Begründung. 341 Für Levins Argumentation spielen Formulierungs- oder Motivparallelen eine große Rolle, die er i.d.R. als literarische Abhängigkeiten deutet (vgl. neben Gen 30,3–5 als Übernahme aus Gen 16 [ebd.] auch die Erklärung zu Gen 46,8ff. aaO., 167ff. bzw. Jahwist, 305). Dass Ähnlichkeiten der Formulierung auch durch einen vergleichbaren Erzählgegenstand oder Motivparallelen traditionsgeschichtlich bedingt sein können, kommt gar nicht erst in den Blick. 342 AaO., 175. 343 AaO., 177. Was ist mit Ben-Oni? 344 AaO., 176f. 345 AaO., 175. 346 Vgl. oben Anm. 340 und 341. 347 Für Levi hält Levin ausdrücklich die literarische Funktion fest: dieser werde vom Jahwisten eingeführt, „um eine genealogische Brücke zwischen der Vätergeschichte und der Exodusgeschichte zu schlagen“ (aaO., 176).
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Schwebe: sowohl die „Gleichsetzung Jakobs mit dem Nordreich“ als auch „mit dem Stammvater des Gottesvolks“ geht seines Erachtens auf den Jahwisten zurück.348 Kratzʼ Analyse deckt sich teilweise mit derjenigen Levins. Er rekonstruiert innerhalb von 29,31–30,24 eine Grundschicht in 29,32a.33a 1b.34; 30.14.23–24a. Sie berichtet von der Geburt der Söhne Ruben, Simeon, Levi, und Joseph und enthält die „für die Erzäh lung konstitutiv[en]“ Namensetymologien für Levi und Joseph. 349 Diese sei durch die jahwistische Bearbeitung (J G) um die Etymologien für Ruben und Simeon (29,32b. 33a2), die Geburt und Etymologie Judas (29,35) und den Vorverweis auf Benjamin (30,24b) ergänzt worden. Alles Übrige werde „von jedermann als uneinheitlich empfunden und darum üblicherweise auf die verschiedenen Quellenschriften verteilt“. 350 Es gehört nach Kratz folglich – und ohne genauere Differenzierung – zum „nachjahwistischen“ bzw. „nachpriesterlichen“ Material und verdanke sich dem Bestreben, „die Zwölfzahl der Stämme Israels zu erreichen“.351 Über das genannte pauschale Urteil hinaus (das angesichts der aktuellen Forschungslage etwas überrascht) gibt Kratz keine Auskunft über die literarkritischen Anstöße, die zu dieser Aufteilung des Textes nötigen. 352 Das Ergebnis schafft denn auch neue Probleme: Warum gibt es in der angenommenen Quellenschicht nur für zwei der vier Söhne eine Namensetymologie? Und wieso sind gerade diese beiden erzählerisch konstitutiv? Für 29,34 lässt sich noch die Verbindung zu 29,30 anführen, das Kratz ebenfalls zur Grundschicht rechnet, die Etymologie für Joseph 30,23 ist aber ohne 29,31; 30,1f. erzählerisch gar nicht motiviert, schlüssiger wäre da schon die zweite Joseph-Etymologie 30,24b, die auf 35,16–20 vorverweist, das für Kratz auch vorjahwistisch ist. Die Dudaim-Episode 30,14 hängt auch hier völlig in der Luft, weder wird Leas Antwort berichtet noch eine Folge benannt, Rahel führt das Ende ihrer Unfruchtbarkeit in 30,23 auch nicht auf die Dudaim, sondern auf JHWH zurück. Die jahwistische Fassung (J G) ist nicht weniger problematisch: Nun gibt es zwar Etymologien für die nunmehr fünf Söhne, aber die Problematik der Dudaim-Episode verschärft sich ebenso wie beim Modell Levins. Fleming argumentiert weniger literarkritisch 353, sondern vielmehr konzeptionell, auf der Basis geographischer Beobachtungen und historischer Hypothesen. Die Erzählung von der Geburt Benjamins (35,16–20) sei „in both narrative and geographical terms … totally separate“ von der längeren Episode in 29,31ff. Sie sei auf der Basis einer Lokaltradition zum Rahelgrab als Fortsetzung zur älteren Geburtserzählung komponiert Ebd. KRATZ, Komposition, 270f. und die Übersicht 280, Zitat nach 270, Anm. 52. 350 AaO., 271. 351 Ebd. 352 Sie ist offensichtlich dem übergreifenden Modell geschuldet, nach dem Gen *29– 31 als ältere aus Nord-Israel stammende Erzählungen (Grundschicht) mittels Gen 12,1–3 in einen größeren Erzählbogen (J) eingespannt worden seien, der „das aus Abraham hervorgegangene Volk Jakob-Israel im Verhältnis zu Juda und in der Nachbarschaft zu den übrigen syrisch-palästinischen Kleinstaaten nach 720 v.Chr. sieht“ (aaO., 321f.). Auf dieser Stufe werde „Jakob zum Stammvater Israels und zum Vater Judas deklariert“ (321). Schließlich habe es nach 587 nur noch „einige[r] wenige[r] Retuschen“ an der jahwistischen Ur- und Vätergeschichte bedurft, um „den Verlust der staatlichen und kultischen Mitte [in Juda, K.W.] dadurch zu kompensieren, daß Juda in der Einheit des staatenlosen Gottesvolkes Israel aufging“ (324). Unklar bleibt dabei, ab wann Juda denn nun konzeptionell zu Israel gehört – nach 720 oder erst nach 587? Wie häufiger bei Kratz fallen beide Daten auf eigentümliche Weise in eins (vgl. unten S. 346). 353 F LEMING , Legacy, 77–81, schließlich gelte: „It is impossible to separate the original list from the additions with certainty“ (aaO., 80). 348 349
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worden.354 Daher müsse auch die mit 35,16ff. zusammenhängende zweite JosephEtymologie in 30,24b sekundär sein. Eine ursprüngliche Reihe von elf Jakob-Söhnen sei nun aber schon wegen der Zahl unwahrscheinlich. Welche Söhne sind also weiterhin zu streichen? Dafür argumentiert Fleming zum einen mit der narrativen Logik der Erzählung, nach der z.B. alle vier Frauen notwendig seien, und zum anderen mit der Nennung von Stämmen in Texten wie Gen 49 355 oder Jdc 5. Hier zeige sich, dass die vier Magdsöhne in der Frühzeit Israels signifikant gewesen sein müssen. 356 Ruben sei ebenfalls notwendig, da Lea zumindest einen Sohn gehabt haben müsse, damit die Rivalität der Frauen erzählerisch motiviert sei; Joseph unverzichtbar, damit Rahel am Ende zu ihrem Recht komme. Issachar und Sebulon seien über die Dudaim-Episode in der Erzählsubstanz verankert. Im Ergebnis steht ein Acht-Stämme-Israel, das geographisch im Gebiet um die Jesreel-Ebene sowie östlich und westlich des Jordans lokalisiert ist.357 Die übrigen drei Stämme Juda, Levi und Simeon hätten dagegen „no geographical basis for a connection with the association defined by Jacob‘s family in Genesis 2930.“358 Fleming sieht sicher richtig, dass Simeon und Levi sich auf geographischer Basis schwer in das System einordnen lassen. Das gilt aber auch für Joseph als Stammvater, hier würde man doch eher Ephraim und Manasse erwarten. 359 Und was ist mit Benjamin? Er ist sowohl geographisch greifbar und darüber hinaus – anders als Juda – in direkter Nachbarschaft zu den Josephstämmen angesiedelt, warum sollte er da nicht Teil des Systems sein? Die Argumentation mit literarischen Elementen einerseits (Ausschluss Benjamins, Einschluss Rubens usw.) und geographischen Gegebenheiten andererseits ist in sich wenig konsistent und erweckt den Eindruck, dass sich hier ein historisches Modell (Abgrenzung von Israel und Juda) auf die Textwahrnehmung durchschlägt. Zudem ist das resultierende Acht-Stämme-System wegen der „unprecedented number“ 360 ebenso wenig plausibel wie ein Elf-Stämme-System, das Ausgangsproblem also gar nicht gelöst.
Die Analysen überzeugen somit letztlich nicht, sondern zerschlagen ohne Not eine sorgfältig gestaltete Komposition, die ihre Spannung aus der Rivalität der Frauen schöpft und von Anfang an auf elf bzw. mit dem Vorverweis auf Benjamin auf zwölf Söhne hinausläuft. Gute Gründe gibt es allerdings dafür, dass die Geburtsnotiz für Dina (30,21) nachträglich hinzugekommen ist. Die Argumente sind nicht neu:361 Für Dina fehlt als einzige eine Namensetymologie, ihre Existenz ist in Gen 33,23, wo von den elf Kindern Jakobs ( )אחד עשׂר ילדיו362 die Rede ist, nicht vorausgesetzt, und ihre
AaO., 77. Hier geht FLEMING, aaO., 85–90, von einem ältesten Stratum innerhalb von Gen 49 mit nur sechs Stämmen (Sebulon, Issachar, Dan, Gad, Ascher und Napthali) aus. 356 AaO., 78. 357 AaO., 79. 358 AaO., 80. 359 F LEMING , aaO., 79, bemerkt das Problem, sieht es sogar als das „most arresting feature“ innerhalb der Erzählung, nennt aber keine Lösung. 360 AaO., 78, für die Zahl von elf Stämmen. 361 Sie sind bei BLUM , Komposition 110, zusammengestellt. 362 Blum betont, dass Gen 33,23 von „Kindern“ ילדיוund nicht etwa „Söhnen“ בניו spricht, Dina wäre also zu zählen (aaO., 110, Anm. 23). 354 355
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Einfügung steht im Zusammenhang mit Gen 34 und verwandten Texten, denen es um die Heraufstufung Judas im genealogischen System geht.363 2.1.2.2 Reihenfolge und Rang Gen 29,31–30,24 ist eine genealogische Erzählung. Entfaltet ist die segmentäre Genealogie der Jakob/Israel-Söhne. Damit werden für die israelitischen Adressaten in ganz elementarer Weise Verhältnisse bezüglich ihrer sozialen Umwelt geklärt, sowohl was die Abgrenzung nach außen betrifft als auch im Blick auf die soziale Organisation und Strukturierung im Inneren der Gemeinschaft.364 Für die Abgrenzung nach außen liefert Gen 29f. ein klares Kriterium: Israelit ist, wer zu einem der zwölf Stämme gehört und somit vermittelt über den jeweiligen Stammvater von Jakob/ Israel abstammt. Der Erklärungsüberschuss einer genealogischen Erzäh– lung gegenüber der Darstellung der Verhältnisse in Listen ist nun, dass sie auf ganz andere Weise die innere Struktur des Gefüges thematisieren kann.365 Wie bei segmentären Genealogien üblich, ergibt sich eine Strukturie– rung über engere oder weitere Verwandtschaftsbeziehungen. So bilden die Söhne einer Mutter jeweils enger zusammenhängende Gruppen, daneben erfolgt über die Zuordnung der Mägde zu den Hauptfrauen eine weitere Strukturierung. In Gen 29f. fällt aber auf, dass für eine mögliche Rangordnung der Stämme verschiedene Ordnungsprinzipien konkurrieren.366 Je nach angelegtem Raster ergeben sich andere Konsequenzen: Die Reihenfolge der Geburten verleiht Ruben als Erstgeborenem ein besonderes Gewicht. Die Zuordnung zu den Müttern impliziert einen Vorrang der Leaund Rahelsöhne vor den Magdsöhnen. Nimmt man Jakobs Präferenz für Rahel hinzu, gewinnt der spätgeborene Rahelsohn Joseph gegenüber den Leasöhnen an Bedeutung. Keines der erkennbaren Prinzipien ist jedoch durchgängig ausgeführt: – Die Geburtenfolge ist bei genauerem Hinsehen nicht eindeutig. Fest steht die Reihenfolge der Söhne für jede Mutter. Zur relativen Chronologie der Geburten der verschiedenen Mütter gibt es Hinweise, aber keine durchgängige Systematisierung.
Vgl. aaO., 209ff. und 258ff.. Vgl. FLEMING, Legacy, 75f. 365 Das gilt für Gen 29f. genauso wie die genealogisch gefassten Beziehungen zu den Nachbarvölkern in der Ur- und Vätergeschichte insgesamt. 366 C RÜSEMANN , Menschheit, 190, bemerkt zu recht: „Die Zuordnung zu den zwei Hauptfrauen Lea und Rahel, bei jeder die Differenz von Herrin und Sklavin, weiter die Reihenfolge der Geburten und schließlich auch die persönliche Neigung Jakobs zu Rahel, so daß ihre Söhne auch als Spätgeborene großes Gewicht bekommen – das sind verschiedene, sich überschneidende Möglichkeiten, eine Rangfolge zu beschreiben.“ 363 364
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Die Silpa-Söhne müssen nach Juda geboren sein, denn Silpa kommt erst zum Einsatz als Lea nach ihrem vierten Sohn nicht mehr schwanger wurde (29,35; 30,9). Issachar wurde geboren, nachdem Lea Jakob ihre Magd zugeführt hatte, denn seine Namenserklärung nimmt darauf Bezug (30,18). Ebenfalls sicher ist, dass die Bilha-Söhne vor Joseph geboren sind. Dagegen ist nicht sicher, wie sich die Geburten Bilhas und Silpas zueinander verhalten. Wann Rahel erkannte, dass sie unfruchtbar ist wird nicht gesagt. Und Leas Motivation, Silpa einzusetzen, ist gerade nicht über das Vorbild Rahels begründet, sondern im Rückgriff auf 29,35, so dass gar nicht genau festgelegt ist, welche Magd nun zuerst geboren hat. Zusätzlich verkompliziert wird die Sache dadurch, dass Lea in der Namenserklärung für Issachar sowohl die Dudaim-Episode als auch die Übergabe der Magd ins Spiel bringt und zwar im Verhältnis zur Erzählfolge chiastisch, so dass die Ereignisse noch einmal verschränkt werden. Im Ergebnis zeigt sich die Priorität der ersten vier Leasöhne und – nach der Logik der Erzählung – auch der vorläufige Abschluss mit Joseph. Wie aber die Verhältnisse auf Position 5–10 liegen, ist nicht explizit festgelegt. 367
– Die Differenzierung zwischen Hauptfrauen und Mägden kann als Hinweis auf eine Vorrangstellung der Lea- und Rahelsöhne gegenüber den Silpa- und Bilhasöhnen gedeutet werden, die dann nur teilweise mit der Reihenfolge der Geburten korrelieren würde. Aber auch hier bleiben Fragen offen: etwa wie das Verhältnis der Silpa- zu den Bilhasöhnen bestimmt ist (haben z.B. Letztere den Vorrang, weil sie zur Magd der Lieblingsfrau gehören?), oder verfängt die Kategorie Magdsöhne gar nicht und die Kinder sind direkt zu den Frauen zu rechnen? Eine stringente Systematik ist auch diesbezüglich nicht erkennbar. – Aus der Bevorzugung Rahels ergibt sich eine Präferenz für Joseph, die Rangfolge der übrigen Söhne ist dadurch aber nur am Rande tangiert (etwa in der möglichen Aufwertung der Bilhasöhne gegenüber den Silpa- und Leasöhnen). Wenn es Gen 29f. somit nicht an einer expliziten Rangordnung aller Söhne gelegen ist, lassen sich dann zumindest Hinweise auf die Wertigkeit der verschiedenen Ordnungsprinzipien finden? Explizite Angaben dazu, wie sich etwa das Erstgeburtsrecht und die Bevorzugung eines Sohnes durch den Vater zueinander verhalten,368 gibt es nicht. Ein implizites Indiz ist aber, dass in der Betonung Josephs Erzählinhalt und narrative Gestaltung konvergieren. Inhaltlich ist Joseph der langersehnte Sohn der bevorzugten Frau und nimmt als solcher eine Sonderstellung ein. Erzählerisch markiert seine Geburt den Punkt, an dem verschiedene Fäden zusammen367 In diesem Punkt ist auch in den verschiedenen Stammeslisten die größte Variabilität erkennbar, vgl. NOTH, System, 27f. 368 Die Fragestellung ist bekanntlich ein wiederkehrendes Motiv in den Erzelternerzählungen (Jakob und Esau, Joseph und die Brüder; Ephraim und Manasse), zur Untersuchung des Motivs vgl. TASCHNER , Verheißung; HENSEL, Vertauschung. In der Jakoberzählung bildet es die Grundlage für einen durchlaufenden Spannungsbogen, ihre Leser sind schon von Gen 27 her dafür sensibilisiert, dass es sich durchaus um eine offene Frage handelt.
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laufen. So stehen die beiden szenischen Sequenzen, Rahels Gespräch mit Jakob (30,1–3) und der Handel mit Dudaim (30,14–16) im Dienst der spannungsauslösenden Frage, ob Rahel noch Kinder gebären wird. Sie stellen zwei – letztlich erfolglose – Problemlösungsversuche dar und bereiten so die Geburt Josephs erzählerisch vor. Jakobs Lieblingsfrau wird schließlich weder durch die Hilfe der Magd noch durch den Einsatz der „Liebesäpfel“369, sondern nur durch JHWHs Einlenken Mutter. Ähnliches lässt sich auch in der Namensetymologie Josephs (30,23f.) beobachten. Neben der sorgfältigen Gestaltung (lautliche Nähe, aber gegensätzliche Bedeutung von אסףund יסף, parallele syntaktische Anordnung bei אסף אלהים und יסף יהוה, Alliteration)370 sind die narrativen Bögen signifikant, die sich einerseits nach hinten zum Ausgangsproblem (29,31) und andererseits nach vorn zur Geburt Benjamins (35,16ff.) aufspannen. Damit ist zugleich die Nähe zwischen Joseph und Benjamin als spätgeborene Söhne der Lieblingsfrau im Blick. Bestätigt wird der Focus auf Joseph im Fortgang der Erzählung. In Gen 33,1f. ordnet Jakob selbst seine Familie vor der Begegnung mit Esau, in der er seine Kinder dann in der nach v. 1f. vorgegebenen Reihenfolge präsentiert (v. 6f.).371 Die Aufstellung folgt nicht der Geburtsreihenfolge, sondern orientiert sich offensichtlich nach der Bedeutsamkeit der einzelnen Gruppen: erst die Mägde mit ihren Kindern, dann die Lea-Gruppe, schließlich Rahel und Joseph. Joseph nimmt somit auch hier die prominente Stellung am Schluss der Reihe ein und wird zudem als einziger Sohn namentlich genannt. Wie in Gen 29f. ist die Sonderstellung Josephs deutlich, die übrige Anordnung lässt bei analoger Gruppenbildung eine Vorordnung der Leasöhne vor den Magdsöhnen erkennen, unter den Mägden wird nicht weiter differenziert. 2.1.3 Benjamin zwischen Joseph und Juda (Gen 37–50) 2.1.3.1 Thema und Einheitlichkeit der Josephsgeschichte Die Josephsgeschichte zählt sicher zu den am häufigsten diskutierten Textbereichen im Alten Testament. Eine umfassende Auslegung von Gen 37– 50 ist nicht das Anliegen dieser Untersuchung. Die folgenden Anmerkungen zum Scopus und zur Redaktionsgeschichte des Textes können daher auch nicht die verzweigte Diskussion 372 in ihrer Breite aufrollen, Ob es sich bei den דודאיםim ein Aphrodisiakum oder ein Mittel zur Steigerung der Fruchtbarkeit handelt, kann hier offen bleiben. In der Erzählung entfalten sie jedenfalls nicht die erwünschte Wirkung: Lea gebraucht sie nicht, sie gewinnt Jakob im Tauschhandel; Rahel haben sie offensichtlich nichts genützt. 370 Ausführlich bei JACOB , Genesis, 600; B LUM , Komposition, 109f. 371 Den Zusammenhang im Blick auf die Rangordnung sieht auch OSWALD, Staatstheorie, 152. 369
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sondern sollen lediglich den Referenzrahmen für die folgenden Überlegungen zur Rolle Benjamins in Gen 37–50 abstecken. Mit F. Crüsemann, C. Westermann, E. Blum u.a.373 ist davon auszugehen, dass „Herrschaft“ ein Hauptthema der Josephsgeschichte ist. Die konfliktauslösenden Träume Josephs werden von den Brüdern in politischem Vokabular gedeutet: auf die Vorstellung, dass sie sich vor Joseph verneigen sollten ()השׁתחווה, reagieren sie mit der Frage המלך תמלך עלינו ( המשׁל תמשׁל בנוGen 37,8), interpretieren das Traumbild also als königlichen Herrschaftsanspruch. Die Erfüllung des Traums geschieht im Fortgang der Geschichte gleich mehrfach: In 42,6 verneigen sich die Brüder vor Joseph ()השׁתחווה, noch ohne ihn zu erkennen. Joseph erkennt sie und die Szene wird in 42,8 – als Erinnerung Josephs – direkt an die Träume zurückgekoppelt. In 43,26 und 44,14 fallen die Brüder wiederum nieder, wobei Juda den Herrschaftsanspruch Josephs anerkennt (44,18), indem er Joseph mit dem Pharao vergleicht ( )כי כמוך כפרעה. Auch hier bleibt Joseph noch unerkannt. In Gen 50,18 schließlich verneigen sich die Brüder wieder und jetzt wissentlich vor Joseph und bieten an, seine Knechte zu sein. Joseph lehnt das Angebot zwar versöhnlich ab, 374 de facto ist damit aber die Anerkennung seiner Herrschaft gegeben. Erst hier ist das Traumbild ein- und der Konflikt aufgelöst. Eine gänzlich andere Deutung hat A. Meinhold mit der These vertreten, die Josephsgeschichte sei als eine „Diasporanovelle“ zu verstehen, der es v.a. um „die Darstellung und Deutung der israelitisch-jüdischen Diasporaexistenz“ gehe. 375 Als thematische Schwerpunkte benennt er den Aufweis, „wie Jahwe die Erwählung durchhält“ und „welch LUX, Geschichte, 147, schätzt die aktuelle Forschungslage wie folgt ein: „Zwischen den Urteilen in der alttestamentlichen Wissenschaft über die Entstehung und die literarische Eigenart der Josefsnovelle liegen gegenwärtig nicht nur Meilen, sondern Kontinente.“ 373 C RÜSEMANN , Widerstand, 143ff.; WESTERMANN , BK, 29f.; B LUM , Komposition, 240ff. Vgl. dazu auch unten S. 262f. 374 Die Annahme, dass Joseph hier auf das Königtum verzichte (so OSWALD , Staatstheorie, 183) oder sich in 50,19 gar ein herrschaftskritischer Zug niederschlage (so KEBEKUS, Joseferzählung, 320 für seine Juda-Schicht), lässt m.E. den Kontext außer acht. Demnach bezieht sich Josephs Absage auf seine Gleichsetzung mit Gott (so auch EBACH, HThKAT, 660f.), schließlich hatten sich die Brüder in 50,17 als עבדי אלהי אביךbezeichnet, bevor sie sich als Knechte Josephs anboten (v. 18: )הננו לך לעבדים, vgl. dazu BLUM, Komposition, 241. Hier ergibt sich möglicherweise eine Brücke zum zweiten Traum Josephs 37,9, der auch von Jakob zurückgewiesen wird (v. 10). Dieser Traum, der Joseph tatsächlich fast auf göttliche Höhen hebt, wird am Ende nicht eingelöst. EBACH, HThKAT, zeigt, dass Josephs Träume innerhalb der Geschichte „erfüllt und korrigiert“ werden (75, Hervorhebung i.O.) und dass am Ende „auch Josef … etwas gelernt [hat], nämlich dass er nicht an Gottes Stelle ist, nicht Gott spielen soll“ (660). Es besteht somit keine Notwendigkeit, den Sternentraum 37,9f. mit RUPPERT, Kritik, 15, als späte antisamaritanische Polemik literarkritisch auszuscheiden. 375 M EINHOLD , Diasporanovelle, 320. 372
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hohe, ausschlaggebende Bedeutung … der ganzen Diasporagemeinschaft für das eigene Leben und das der Fremdvölker zukommt“, die Bestätigung der „Gewißheit der Einzigkeit Jahwes auch für die Diaspora“ und schließlich die Aufforderung an die Adressaten „zur Tätigkeit im Fremdland und für dieses Volk“. 376 Die Schwerpunktsetzungen durch Meinhold, die kaum an konkreten Erzählzügen, aber stark an hinter dem Text vermuteten theologischen Konzepten orientiert sind, werden in dieser Form kaum noch vertreten, 377 wohl aber die mit der These verbundene Abkehr von einer frühen Datierung der Josephsgeschichte in die vorstaatliche oder davidisch-salomonische Zeit. 378 Jene Abkehr ergibt sich notwendig, wenn man den Ägyptenaufenthalt Josephs und der Jakobfamilie innerhalb der Erzählfiktion auf die Exilserfahrungen Israels und Judas nach 720 bzw. 597 bezieht. Für J. Ebach z.B. „spricht viel dafür, dass sie [sc. die Josephsgeschichte, K.W.] eine gesamt-israelitische Diaspora- bzw. Exilsperspektive einnimmt“ und dass „die ‚Botschaft‘ der Geschichte ist, dass man auch im fremden Land überleben und leben kann“.379 Andere Ausleger versuchen konkretere Erzählziele zu benennen, in denen sich die auf Joseph bezogene Herrschaftsthematik mit der nachexilischen Ansetzung verbinden lässt. R.G. Kratz erklärt die Josephsgeschichte als Reflex von Rivalitäten zwischen Diaspora und Mutterland: Joseph werde zum „Paradigma des verlorenen, in die Hand von Feinden geratenen Reiches und Volkes Israel. … Die Israeliten in der Diaspora fühlen sich von den ‚Söhnen Israels‘, den Israeliten im Mutterland totgesagt, und Benjamin gerät zwischen die Fronten. … [S]o meldet sich in der Josefsgeschichte die ägyptische Diaspora zu Wort und macht klar, daß es auch außerhalb Judas und der anderen von Israeliten bewohnten Gebiete im Land Israeliten gibt: Josef in Ägypten ist nicht … tot, sondern lebt.“ 380 K. Schmid betont stärker die konzeptionellen Züge und liest die Josephsgeschichte als „antideuteronomistisches Geschichtswerk“, das im Blick auf die „Herrschaftsthematik“ ein anderes Modell als das dynastische Königtum favorisiere: die Josephsgeschichte „optiert nicht für die Souveränität Israels als eigenständiges Königtum, sondern wertet auch die Existenz Israels unter fremder Oberherrschaft als mögliche Lebensform“ und „setzt … ein ‚theokratisches‘ Gegengewicht zur königlichen Verfassung Israels seit Saul, David und Salomo.“ 381 Bei W. Oswald wird die Josephsgeschichte zum Rundumschlag gegen den gesamten Deuteronomismus aus samarischer Perspektive: „Israel besteht keineswegs nur aus Juda (und Benjamin) sondern aus zwölf Stämmen. Joseph ist keineswegs fern von seinen Bruderstämmen, sondern alle zusammen sitzen in demselben Boot der Fremdherrschaft. Ägypten ist keineswegs das Land der Dienstknechtschaft, sondern das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Grundlage des Zusammenlebens ist keine Mosetora, sondern der gegenseitige Respekt und die Solidarität. Der Tempel ist keineswegs das Zentrum, auf das hin alles ausgerichtet ist, er spielt vielmehr überhaupt keine Rolle. Keineswegs darf Juda das Königtum für sich beanspruchen, weder AaO., 323. Zur Kritik der Thesen Meinholds vgl. bereits BLUM, Komposition, 235–237. 378 Die Datierung hing oft einfach daran, dass in der Josephsgeschichte ein jahwistischer Grundbestand erhoben wurde, der dann entsprechend der traditionellen Datierung des Jahwisten ins 10./9. Jh. fiel. 379 EBACH, HThKAT, 693; vgl. EBACH, Israels Sohn. In diesem Focus auf die Diaspora folgen Meinhold neben den oben genannten auch zahlreiche neuere Ausleger, so. u.a. BEYERLE, Joseph; WEIMAR, Komposition; GOLKA, Story, (vgl. auch die folgende Anm.). LANCKAU , Herr, 369, sowie SCHORN , Ruben, 245f., denken – jeweils für ihre Grundschicht – an die Zeit nach 720 mit einer nord-israelitischen Diaspora als Erfahrungshintergrund. 380 KRATZ, Komposition, 285f. Die ägyptische Diaspora als Entstehungskontext vermuten ebenfalls RÖMER, Narration; LUX, Josef, 232f., sowie UEHLINGER, Roman. 381 S CHMID , Josephsgeschichte, 113f.; vgl. SCHMID , Literaturgeschichte, 122–124. 376 377
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das vergangene noch ein zukünftiges, es gehört theoretisch dem Erstgeborenen der Rahel, Joseph, der aber verzichtet darauf.“382 Auf die historische Verortung der Texte wird vor dem Hintergrund der Verhältnisbestimmung zwischen Juda, Joseph und Benjamin später einzugehen sein (dazu S. 252ff.).
Auch im Blick auf das Werden der Josephsgeschichte ist gegenwärtig kein Konsens in Sicht.383 Das betrifft insbesondere die Existenz bzw. den Umfang redaktioneller Überarbeitungen. Der Versuch, die Quellenfäden der Urkundenhypothese in der Josephsgeschichte zu finden, wird heute nur noch selten unternommen.384 Ein Teil der literarkritischen Argumente lebt aber in neueren redaktionsgeschichtlichen Modellen weiter, die ihren zentralen Anker am Nebeneinander von Juda und Ruben festmachen und somit auch jene Textbereiche betreffen (Gen 42–44), in denen es um die Zuordnung Benjamins geht. Nach Vorarbeiten von D.B. Redford und H. Schulte 385 hat H.-C. Schmitt 386 ein Redaktionsmodell für die Josephsgeschichte entwickelt, wonach die vorpriesterliche Josephsgeschichte mehrere sukzessive Bearbeitungsphasen durchlaufen hat. Schmitt bewegt sich in den Koordinaten der klassischen Urkundenhypothese, die er jedoch auf der Basis seiner Analyse der Josephsgeschichte grundlegend modifiziert.387 Am Anfang der Literargeschichte der Josephsgeschichte stand nach Schmitt eine „Juda-Israel-Schicht“. Diese sei um eine „Ruben-Jakob-Schicht“ ergänzt worden, die alle Bezugnahmen auf Ruben und die mit ihm verbundenen Textanteile v.a. in Gen 40–42 eingetragen habe und im Zusammenhang mit elohistischen Texten im übrigen Pentateuch stehe. Danach habe noch eine mehrschichtige jahwistische Bearbeitung ihre Spuren hinterlassen. Als literarkritische Anhaltspunkte zur Identifikation der Schichten dienen der Gebrauch der Namen „Israel“ oder „Jakob“ für den Erzvater sowie der Gottesbezeichnungen JHWH oder ʾelohim, die Beurteilung der meisten Rubenpassagen als Dubletten sowie die Feststellung einer Theologisierung sowie Ethisierung der älteren Erzählung durch das Rubenmaterial.388 Der Verfasser habe nämlich nicht „einen weniger idealen Anführer durch einen
OSWALD, Staatstheorie, 183. Eine Ausnahme bilden die priesterlichen Einträge, auch wenn über deren Umfang im Einzelnen gelegentlich noch diskutiert wird. LUX, Geschichte, 150f., nennt als „kritisch gesicherte[s] Minimum“ Gen 37,1.2a; 41,46a; 46,6f.[8–27]; 47,5*.6a.7–11.27b.28; 48,3–7; 49,1a.28b*.29–33; 50,12f. 384 Als prominente neuere Vertreter sind u.a. SCHMIDT, Studien, sowie Verbindung; SEEBASS, Josephsgeschichte; BADEN, Redaction, zu nennen. 385 R EDFORD , Study; SCHULTE , Entstehung. 386 S CHMITT, Josephsgeschichte; vgl. auch SCHMITT, Hintergründe. 387 Die Rekonstruktion der Schichten ist in weiten Teilen an die Quellenscheidung angelehnt, so dass die Juda-Schicht J und die Ruben-Schicht E entspricht. SCHMITT rechnet jedoch nicht mehr mit eigenständigen Quellen, sondern mit einer Grundschicht und deren redaktioneller Erweiterung. Die Rückbindung der Schichten an das Quellenmodell unternimmt RUPPERT, Aporie. 388 Üblicherweise wird die Ruben/Juda-Problematik mit der Midianiter/IsmaeliterCrux verbunden (KRATZ, Komposition, 282, spricht z.B. von einer „Midianiter-RubenJakob-Linie“ und „Ismaeliter-Juda-Israel(-Jakob)-Linie“). BLUM, Komposition, 244f., meldet begründete Zweifel an, ob diese Verknüpfung notwendig ist. 382 383
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idealeren ersetzen, sondern … dem Anführer Juda in Ruben einen idealen Vertreter der ‚Söhne Israels‘ als Kontrastfigur an die Seite stellen“ wollen.389 Mit einem ähnlichen redaktionsgeschichtlichen Modell arbeiten auch W. Dietrich, N. Kebekus und P. Weimar390 die im Wesentlichen mit den bekannten Argumenten eine JudaSchicht von einer Ruben-Schicht unterscheiden, nun aber deren Abhängigkeitsverhältnis umkehren. Die Ruben-Schicht bilde die Grundlage, die Juda-Schicht sei eine nachträgliche Erweiterung, durch die „der nordisraelitische Stoff … zu einer gesamtisraelitischen Überlieferung umgestaltet“ werde (so Dietrich)391, bzw. die als Teil der Pentateuchredaktion eine tiefgreifende Neuinterpretation unternommen und ein „nicht leicht zu überschauendes, literarisch wie theologisch vielschichtiges Gebilde“ geschaffen habe (so Kebekus)392 und dabei u.a. die „Verdrängung des Ruben aus seiner führenden Rolle durch Juda“ betrieben habe (so Weimar).393 Eine erneute Umkehr der Verhältnisse erfolgt bei U. Schorn, die wieder auf H.-C. Schmitt zurückgreift und die Juda-Schicht für die „Grunderzählung“, die Ruben-Schicht dagegen für eine „zielgerichtete Bearbeitung, möglicherweise im Sinne einer Kompositionsschicht“ hält.394 Sie versucht detailliert zu zeigen, dass die Ruben-Schicht Vorgaben aus der Juda-Schicht literarisch verarbeitet (z.B. den Tötungsplan der Brüder in Gen 37; das Motiv der Bürgschaft in Gen 42) und daher sekundär sein muss. Die Ruben-Schicht verbindet für Schorn „in eigentümlicher Weise … Ethisierung der Personen und Theologisierung alles Geschehens“ und wird von ihr, wie zuvor von Schmitt in einen Zusammenhang mit „elohistischen Texten“ wie Gen 29f. gestellt. Auf ganz andere Weise kommt K. Schmid zu einem ähnlichen Ergebnis; auch er hält die Rubenpassagen für sekundär, aber nicht aufgrund ihrer besonderen theologischen Akzentsetzung, sondern weil sie gerade „keine tragende Funktion innehaben“. Sie dienen lediglich dazu, „die Brüder insgesamt durch positive Zeichnung ihres Erstgeborenen zu entlasten“. 395
Ist das Nebeneinander von Juda und Ruben Ergebnis redaktioneller Arbeit oder erzählerisches Mittel? Die Schwierigkeiten, die sich in der redaktionellen Modellbildung neben der Zuweisung des Materials an die verschiedenen Schichten im Einzelnen, die – vergleicht man die verschiedenen Studien – recht unterschiedlich ausfallen,396 v.a. in der Unklarheit über die Richtung der Abhängigkeit zeigen, sprechen nicht gerade für sie.397 Der Wechsel der Namen Jakob und Israel für den Erzvater muss keine terminologische Differenz im literarkritischen Sinne sein,398 ebensowenig ist eine mögliche Theologisierung durch bestimmte Textpassagen per se literarkritisch auszuwerten. Die Beurteilung dieser Phänomene hängt SCHMITT, Josephsgeschichte, 20. DIETRICH, Josephserzählung, stellt in der kurzen Untersuchung nur Grundzüge des Modells dar; KEBEKUS, Joseferzählung, entwickelt ein sehr kleinteiliges redaktionsgeschichtliches Modell, das u.a. mit zwei Ruben-Schichten rechnet. 391 AaO., 77. 392 AaO., 339. 393 AaO., 128. 394 S CHORN , Ruben, 228. 395 S CHMID , Josephsgeschichte, 105, vgl. KRATZ, Komposition, 282. 396 S CHMID , ebd., nennt als sekundäre Rubenpassagen lediglich acht Verse (37,36f.; 42,22.37f.; 46,9; 48,5; 49,3). Bei SCHMITT, Josephsgeschichte, 197f., oder SCHORN , Ruben, 228ff., ist der Umfang der Ruben-Schicht ungleich größer, bei KEBEKUS, Joseferzählung, 344f., macht sie – modellbedingt – das wesentliche Erzählgerüst aus. 389 390
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letztlich daran, wieviel Variabilität in den Formulierungen bzw. narrative Komplexität einem alttestamentlichen Autor zugetraut wird. Entscheidend sind v.a. die sogenannten Doppelungen, bzw. die Frage, ob die offensichtlichen Doppelführungen in der Erzählung echte, literarkritisch signifikante Dubletten, d.h. letztlich Wiederholungen ohne Funktion für die Erzählung, oder erzählerisches Mittel sind, über das in der Erzählung Akzente gesetzt und theologische Tiefenschärfe erreicht werden. Letzteres ist m.E. beim Bürgschaftsmotiv in Gen 42,37 bzw. 43,8f. deutlich zu sehen. Das Ausgangsproblem ist hier Jakobs Weigerung, Benjamin mit nach Ägypten gehen zu lassen (42,36). Dieses wird in zwei Szenen 42,29–38 und 43,1–15 zu einer Lösung geführt. Beide kennzeichnet eine deutliche Doppelführung aus Rekapitulation der Forderung Josephs und Angebot gegenüber Jakob. Handelt es sich aber um Dubletten? Die erzählerische Einbettung macht es immerhin möglich, beide Szenen nebeneinander zu lesen. 42,29ff. ist bei der Rückkehr der Brüder nach dem ersten Ägyptenaufenthalt situiert (v. 29), 43,1ff. in einem gewissen, wenn auch nicht genauer definierten, zeitlichen Abstand dazu (v. 2) vor dem Aufbruch zur zweiten Ägyptenreise. Auf die unterschiedlichen Wiedergaben der Unterredung mit Joseph wird noch einzugehen sein, hier soll es lediglich um die Lösungsversuche gehen: Ruben setzt seine Söhne 399 ein (42,37), Juda bietet sich selbst als Bürge an (43,8f.). Ruben 42,37 ויאמר ראובן אל אביו לאמר את שׁני בני תמית אם לא אביאנו אליך תנה אתו על ידי ואני אשׁיבנו אליך
Juda 43,8f. ויאמר יהודה אל ישׂראל אביו שׁלחה הנער אתי ונקומה ונלכה ונחיה ולא נמות גם אנחנו גם אתה גם טפנו אנכי אערבנו מידי תבקשׁנו אם לא הביאתיו אליך והצגתיו לפניך וחטאתי לך כל הימים
Ruben reagiert auf Jakobs Klage, dass dieser bereits zwei Söhne verloren habe, mit dem Angebot, das Leben seiner beiden Söhne als Pfand einzusetzen. Jakob scheint nicht direkt 397 Ein weiteres Problem ist, dass sich je nach Umfang der angenommenen sekundären Schicht große erzählerische Lücken auftun. So springt die Erzählung in der von SCHMITT, Josephsgeschichte, rekonstruierten Grundschicht z.B. direkt von Gen 37,35a zu 42,38 (vgl. die Übersicht über die Schichten S. 197). Bei KEBEKUS, Joseferzählung, 344f., geht es zum Beispiel von 37,30 direkt zu einem absoluten Neueinsatz mit 40,2ff. 398 Bezeichnenderweise stellt schon EISSFELDT , Hexateuch-Synopse, 1,9 fest, dass die Ruben-Schicht, die den Erzvater Jakob nennt, andererseits „nie von den Söhnen Jakobs, sondern immer den Söhnen Israels spricht“. 399 את שׁני בניist determiniert, so dass Ruben nach 42,37 nur zwei Söhne hat. Das steht in Widerspruch zu Gen 46,9, wo für Ruben vier Söhne aufgelistet werden. Weitere Unstimmigkeiten der Liste in Gen 46,8–27 hat EBACH, HThKAT, 440ff., zusammengestellt. Er hält die Liste für einen „späten Einschub“ (444), der u.a. eine Brücke zu Ex 1,5 schlage, vgl. auch die Argumentation bei BLUM, Komposition, 249f. Häufig vermutet man eine Nähe zu priesterlicher Traditionsbildung, so schon WELLHAUSEN , Composition, 51 („aus Q entnommen, aber es scheint eine spätere Hand zu sein“); VON RAD, ATD, 330f., vgl. auch LUX, Geschichte, 150, Anm. 12.
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auf diesen Vorschlag zu antworten, allerdings ist seine Reaktion in 42,38 doch auf v. 37 bezogen. Hatte er in v. 36 noch beklagt, dass Joseph und Simeon nicht mehr da seien ( יוסף )איננו ושׁמעון איננו, womit nicht notwendig gesagt ist, dass sie tot sind, 400 kommt jetzt die Möglichkeit des Todes (vgl. v. 37) der Söhne ins Spiel und damit Jakobs größte Sorge, die er wortgleich bereits in 42,4 geäußert hatte. Der Focus auf Joseph erklärt sich vor dem Hintergrund seiner die gesamte Josephsgeschichte prägenden Bevorzugung durch Jakob, aber auch durch die Todes-Thematik, die für Jakob mit Joseph verbunden ist, den er ja noch für tot hält. Rubens Angebot ist somit unannehmbar und kennzeichnet ihn, der er ja die Trauer des Vaters um Joseph und die Angst vor dem Tod Benjamins kennt, auch als reichlich unüberlegt, unsensibel und mit der Implikation, dass Jakob seine Enkel tötet, auch ethisch verwerflich.401 Der erste Lösungsversuch scheitert. Judas Angebot bildet in mehrfacher Hinsicht das positive Gegenbild zu Rubens Vorschlag. Ging es bei Ruben um den Tod, argumentiert Juda mit der Erhaltung des Lebens (v. 8: )ונחיה ולא נמות גם אנחנו גם אתה גם טפנוund zwar für die drei Generationen – Jakob, seine Söhne und deren Kinder –, die auch bei Rubens Vorschlag im Blick waren. 402 Hatte Ruben das Leben seiner Söhne als Pfand gesetzt, tritt Juda persönlich für die möglichen Konsequenzen ein und überlässt es dabei Jakob als pater familias gegebenenfalls das Urteil zu fällen. Judas Vorschlag führt denn auch zum erwünschten Ergebnis, Benjamin zieht mit nach Ägypten. Betrachtet man beide Lösungsvorschläge ist also deutlich, dass sie aufeinander bezogen sind. Rubens Angebot wäre ohne Judas ein blindes Element, das ohne erzählerische Folge bleibt. Judas Vorgehen gewinnt durch Rubens Vorschlag als Negativfolie an theologischer (Tod vs. Leben) wie narrativer (Zeichnung der Figuren) Tiefenschärfe. Nun ist das Bürgschaftsmotiv für die redaktionsgeschichtliche Hypothesenbildung auch deshalb wichtig, weil die Stelle häufig als Kronzeugin für das Primat der JudaSchicht gegenüber der Ruben-Schicht angeführt wird. H.-C. Schmitt und U. Schorn betonen zu recht, dass 42,37 ohne 43,8f. kaum vorstellbar ist, schließlich finde sich in Bezug auf Ruben „keine eigenständige Ausgestaltung dieses Motivs“, es diene vielmehr lediglich der Zeichnung „der Rolle des im Zusammenhang mit dem Bürgschaftsmotiv auftauchenden Juda als Gegenüber zu Ruben“. 403 Beide werten den Befund jedoch als Hinweis auf die literargeschichtliche Priorität der Juda-Schicht und scheiden in der Konsequenz 42,37 als nachträgliche Erweiterung aus dem Juda-Grundbestand aus.404 Damit entsteht jedoch ein neues Problem: Ohne v. 37 ergibt sich im direkten Übergang von v. 36 zu v. 38 kein glatter Zusammenhang, vielmehr stoßen dann zwei JakobReden aufeinander, die beide auf die Weigerung hinauslaufen, Benjamin nach Ägypten gehen zu lassen. Einmal argumentiert er mit dem möglichen Verlust dreier Söhne (v. 36: 400 Von Simeon weiß Jakob, dass er noch lebt. Dass die Brüder über seinen Verbleib in 42,29ff. nicht ausdrücklich berichten, ist wohl der Ökonomie der knappen hebräischen Erzählweise geschuldet. Immerhin fehlen im Bericht der Brüder auch andere Details, wie z.B. ihre dreitägige Haft oder der Fund des Geldes bei einem der Brüder. Jakobs Kenntnis ist aber neben 42,36 auch in 43,14 vorausgesetzt. 401 EBACH, HThKAT, 310, verweist auf die prägnanten Kommentar zu Gen 42,37 im Midrasch Rabba: בניך לא בני הם – אתמהא, הרי זה בכור שׂוטה:רבי אומר. 402 Die Begründung ist sicher auch durch Situation der Hungersnot motiviert (vgl. ונחיה ולא נמותin 42,2 sowie die Exposition von Kap. 43 mit )והרעב כבד בארץ, die betonte Folge von drei Generationen bindet v. 8 aber an 42,37 zurück. 403 Zitiert nach SCHORN , Ruben, 227, die hier auf die Argumentation bei SCHMITT, Josephsgeschichte, 17–20, zurückgreift. 404 Ähnlich auch S CHMIDT, Studien, 154; SEEBASS , Josephsgeschichte, 90f., die 42,36f. zu E rechnen.
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Joseph, Simeon und nun Benjamin) und einmal lediglich mit den Rahelsöhnen Joseph und Benjamin (v. 38). Hier wird häufig ein Bruch gesehen, der dann zur Ausscheidung einer der beiden Reden führt.405 Nun muss aber v. 38 wegen der nahezu wörtlichen Übereinstimmung mit 42,4 sowie 44,29 zur Juda-Schicht gehören, so dass für die RubenSchicht nur v. 36 bleibt. Betrachtet man aber allein den Zusammenhang in Kap. 42 liegt die alternative Zuordnung viel näher: auch Ruben bezieht sich in seinem Angebot nur auf Benjamin, Simeon ist gar nicht im Blick; zudem verbindet die Todesthematik v. 37 und v. 38.406 Im Binnenkontext gehören also v. 37 und 38 enger zusammen als v. 36 und 37. Die Zuweisung von v. 36 zur Ruben-Schicht ist allein dem größeren Modell geschuldet. Diese Problematik im Einzelfall ist aber symptomatisch. Sie konvergiert mit anderen Schwierigkeiten, die die Ausgrenzung einer Ruben- (oder auch einer Juda-)schicht auslösen. So klafft bei Ausscheidung der Ruben-Schicht, in der vorgeschlagenen Abgrenzung, eine erzählerische Lücke zwischen Gen 37 und 40. Auch kann man angesichts der Problematik von Rubens Vorschlag für Gen 42 kaum behaupten, dass es hier um den „Aufweis der vorbildlichen Haltung Rubens“ gehe, 407 er wird vielmehr negativ von Juda abgesetzt. Wenn er in Gen 37 dagegen den positiven Gegensatz zu Juda bildet, ergibt dies eine weitere Anfrage an die Annahme eines klaren konzeptionellen Interesses an der Einfügung der Rubenfigur. Gleiches gilt übrigens genauso für die Judafigur, die im Gegenüber von Gen 37 und Gen 43f. ebenso schillernd ist.
Wenn die Annahme von Redaktionsschichten mehr literarische Probleme schafft als löst, ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Doppelführungen nicht auf die Arbeit von Redaktoren zurückgehen, sondern mit H. Donner als ein primäres Kompositionsprinzip der Josephsgeschichte zu beurteilen sind.408 Der Eindruck verstärkt sich, nimmt man die von J. Lanckau zusammengestellte Liste von Wiederholungen409 hinzu, die gar nicht alle literarkritisch ‚behoben‘ werden können, ohne die Erzählung komplett zu zerschlagen. Zumindest für den im Folgenden interessierenden
405 Vgl. S CHMIDT, Studien, 154; KEBEKUS , Joseferzählung, 109f.; SCHWEIZER, Josefsgeschichte, 187.200; SEEBASS, Josephsgeschichte, 90. 406 Auch S CHMITT , Josephsgeschichte, 44, Anm. 172, notiert die Nähe von v. 37 und 38: „Bemerkenswert ist hierbei, daß 42 37 in der Ruben-Schicht so formuliert ist, daß 42 38 (Juda-Schicht) die direkte Antwort auf den Vorschlag Rubens von 42 37 darstellen kann. … Ein solches fugenloses Zueinanderpassen zweier Verse aus verschiedenen Schichten wäre bei der Annahme einer Kompilation der Josephsgeschichte aus zwei quellenhaften Schichten sehr unwahrscheinlich!“ Ist bei „fugenlosem Zueinanderpassen“ nicht auch die Zuweisung zu verschiedenen Schichten eher unwahrscheinlich? SCHMID , Josephsgeschichte, 105, zieht 42,37 mit v. 38 zusammen und weist beide den sekundären Rubenpassagen zu. 407 So SCHORN , Ruben, 238. 408 DONNER , Gestalt, 106ff.; vgl. B LUM , Literarkritik, 496. Die zwei Lösungsangebote in Gen 42f. beschreibt DONNER , aaO., 108, als „retardierende Doppelung“. Wie Donner plädieren z.B. auch COATS, Canaan; WESTERMANN, BK; BLUM, Komposition, 229–244, sowie Literarkritik, 492–502; LUX, Josef; EBACH, HThKAT, für die weitgehende Einheitlichkeit der Josephsgeschichte. 409 LANCKAU , Herr, 59–61, die von Lanckau vorgenommenen Beurteilungen können hier nicht diskutiert werden.
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Textbereich Gen 42–44 kann somit von der Einheitlichkeit des Textes ausgegangen werden.410 2.1.3.2 Das Ringen um Benjamin Mit Gen 42–45 kreist ein umfangreicher Abschnitt innerhalb der Josephsgeschichte um das Dreiecksverhältnis Joseph – Benjamin – Juda. Als Hauptakteure in diesem Bereich treten Joseph und Jakob sowie unter den Brüdern v.a. Juda und Ruben auf. Benjamin bleibt passiv, ist aber Gegenstand der Verhandlungen. Simeon als bei Joseph verbliebene Geisel wird aus dem Kreis der sonst namenlos agierenden Brüder ebenfalls hervorgehoben, bleibt aber wie Benjamin ohne eigene Aktion. Der Konflikt wird in 42,4 mit Jakobs Weigerung vorbereitet, Benjamin mit den Brüdern nach Ägypten ziehen zu lassen. Seine Begründung ist die Sorge, Benjamin könne etwas zustoßen. ( )פן יקראנו אסון. Diese Angst wird in 42,38 und 44,29 wörtlich wiederholt. Joseph fordert aber im Gespräch mit den Brüdern (42,7–20) Benjamin als Beweis dafür, dass die Brüder die Wahrheit sagen,411 was in 42,30–34 vor Jakob rekapituliert wird. Ein erster Lösungsansatz, das Angebot Rubens 42,37, wird verworfen (im Spannungsbogen ein ein retardierendes Element). Nach der Zuspitzung der Lage 43,1f. übernimmt Juda die Initiative, liefert eine modifizierte Darstellung des Gesprächs mit Joseph (43,3–10) und bietet sich selbst als Bürge dafür an, dass Benjamin zu Jakob zurückkommt. Der Spannungsbogen erreicht seinen Höhepunkt mit Josephs Forderung, Benjamin in Ägypten zu behalten (44,17). Juda reagiert darauf mit einer ausführlichen Rede, in der er sowohl das Gespräch mit Joseph als auch jenes mit Jakob rekapituliert. Dieses Gespräch eröffnet den Weg dazu, dass Joseph sich zu erkennen gibt und die Brüder sich versöhnen (45,1ff.). 410 Damit ist freilich die Möglichkeit von Eingriffen in die Josephsgeschichte nicht ausgeschlossen, lediglich die Annahme von durchlaufenden Redaktionsschichten erweist sich als unwahrscheinlich. Als nachträgliche Ergänzungen sind neben den priesterlichen Zusätzen (vgl. S. 247 Anm. 383) und – insgesamt außerhalb des hier zur Debatte stehenden Textbereichs – u.a. Gen 38; 46*; 48f. in der Diskussion (vgl. u.a. BLUM, Komposition, 244–263; EBACH, HThKAT, liefert zu den Stellen jeweils kurze Forschungsüberblicke). 411 Der Spionagevorwurf ist sachlich schwierig. Er ist wohl kaum mit SOGGIN , Notes, 340, dahin auszuwerten, dass die Josephsgeschichte aus hellenistischer Zeit stamme, da erst mit den Seleukiden in Palästina Ägypten zum feindlichen Territorium geworden wäre. SEEBASS, Josephsgeschichte, 87, erwägt wegen v. 9b, dass es hier gar nicht um Spionage im engeren Sinne, sondern um „gehässige Freude an einem Mißstand Ägyptens“ gehe, die Joseph den Brüdern vorwerfe. Die Erzählung selbst liefert keine Begründung, was Joseph zu dieser konkreten Anschuldigung veranlasste. Sie kann jedenfalls nicht einfach widerlegt werden und ist somit geeignet, die Brüder unter Druck zu setzen. Das Holen Benjamins kann letztlich auch nicht den Spionagevorwurf entkräften, sondern wie JACOB, Genesis, 768, erläutert, lediglich zeigen, dass „sie sich mit dem, was sie positiv über sich vorgebracht haben, als wahrhaftig erweisen“.
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Die dreimal wiederkehrende Rekapitulation des ersten Gesprächs Josephs mit den Brüdern (42,7–20) ist auffällig. Die Fassung der Brüder im Bericht für Jakob (42,29ff.) ist in Abfolge und Formulierung viel näher an der Darstellung des Gesprächs in 42,7ff. als die Fassung Judas von 43,1ff. Letztere bildet aber ein Paar mit 44,18–23. 412 Dass Judas Version in 43,1ff. von den beiden vorhergehenden abweicht, kann aber nicht dahingehend gedeutet werden, dass er hier eine falsche Darstellung liefere. Schließlich wiederholt er sie in Grundzügen vor Joseph selbst (44,18–23), der diese Wiedergabe seiner früheren Worte offensichtlich akzeptiert.413 De facto geht es also immer wieder um das selbe Gespräch. Die vier Redegänge sind dabei mehrfach verschränkt, durch die Formulierungsbezüge einerseits und durch die Situierung vor Joseph (42,7–20 und 44,18–23) bzw. Jakob (42,30–34 und 43,1–10) andererseits. Inhalt 42,7-20
Inhalt 43,1-10
42,30-34
44,18-23
Situation Situation Insgesamt fällt auf, dass in keinem Fall ein früheres Gespräch wörtlich wiedergegeben ist, das gilt auch für die beiden inhaltlich nahestehenden Paare. Die größte Nähe besteht zwischen 42,7–20 und v. 30–34. Doch auch hier geben die Brüder Jakob gegenüber das Geschehen von 42,7–20 verkürzt wieder und zeichnen die ganze Szene weniger dramatisch. Sie berichten nicht von ihrer Haft, bezeichnen Simeons Verbleib nicht als Gefangenschaft (v. 33: אחיכם האחד הניחו אתי, vgl. v. 19: )אחיכם אחד יאסר בבית משׁמרכםund verschweigen die Todesdrohung v. 19. Wo die Brüder versuchen zu deeskalieren, geht Juda den entgegengesetzten Weg. In seinen Reden dramatisiert er, um sein Ziel zu erreichen. Jakob gegenüber zeichnet er Joseph strenger: ohne Benjamin dürften die Brüder gar nicht vor ihn treten ( לא תראו פני בלתי אחיכם אתכםgleich zweimal v. 3.5) und Joseph selbst hätte Auskunft über die Familienverhältnisse gefordert (v. 7 im Munde der Brüder). Joseph gegenüber rekapituliert er zudem sein Gespräch mit Jakob 43,1–14 und verstärkt hier wiederum die Verzweiflung Jakobs über den drohenden Verlust Benjamins (44,29– 31).414 Die verschiedenen Redegänge sind somit aufeinander bezogen; sie bauen aufeinander auf und steigern die Spannung, deren Höhepunkt am Ende von Kap. 44 erreicht ist.
Mit dieser auf Juda focussierten Linie ist eine zweite verbunden, die die enge Verbindung Josephs zu Benjamin herausstellt. Auch sie knüpft an die Die offensichtlichsten Gemeinsamkeiten sind (a) die Darstellung des Verhörs; nach 42,13.32 berichten die Brüder selbst von Benjamin, laut 43,7; 44,19 geben sie diese Auskunft erst auf Josephs Nachfrage hin, (b) der Spionagevorwurf spielt in 42,7ff.30ff. eine wichtige Rolle, Juda nennt ihn nicht, sondern spricht davon, dass die Brüder gar nicht vor Joseph treten dürften (43,3.5; 44,23.26: ראה פניbzw. )ראה פני האישׁ. Die Beobachtungen dienen in Quellenscheidungs- bzw. Redaktionsmodellen üblicherweise zur Verteilung der Texte auf verschiedene Quellen bzw. Schichten, zur Problematik vgl. i.F. sowie oben S. 250. 413 EBACH, HThKAT, 318. 412
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Forderung Josephs an, Benjamin nach Ägypten zu bringen. Sobald Joseph sieht, dass Benjamin mit den Brüdern kommt, lässt er ein Festmahl ausrichten (43,16) und bricht in Tränen aus, als Benjamin ihm vorgestellt wird (43,29f.). Benjamin wird beim Festmahl (43,34) und bei den Geschenken an die Brüder (45,22) bevorzugt, er wird in Josephs Rede hervorgehoben (45,12) und ist auch der erste, auf den Joseph zugeht, nachdem er sich zu erkennen gegeben hat (45,14). Die Beziehung Josephs und Benjamins wird als eine besonders innige und emotionale gezeichnet, so in 43,30 כי נמכרו רחמיו אל אחיו, aber auch gegenseitig in 45,14 ויפל על צוארי בנימן ויבך ובנימן בכה – על צואריוdie einzige Aktion Benjamins, die in der ganzen Josephsgeschichte erzählt wird. Hinzu kommt, dass Benjamin auch am Verkauf Josephs in Gen 37 gar nicht beteiligt war. Wenn W. Oswald Gen 42–45 als „komplexes Drama“ beschreibt, „in dem der Vater Jakob/Israel als oberste bewertende Instanz fungiert, während die Söhne Joseph, Ruben und Juda als Konkurrenten auftreten, die um Benjamin als dem Objekt der Begierde werben,“415 ist damit zwar im Blick auf die beteiligten Akteure und die dramaturgische Funktion der verschiedenen Redegänge Richtiges erkannt, aber m.E. die problemauslösende Fragestellung nicht getroffen. Wenn es ein Werben um Benjamin wäre, dann keines mit offenem Ausgang. Der Erzähler führt Benjamin in 42,4 als אחי יוסף, also sogleich mit seiner besonderen Verbundenheit zu Joseph, in die Darstellung ein. Diese wird in der oben gezeigten Linie zur besonderen Nähe der beiden Brüder fortgeführt. Innerhalb der Darstellung ist auch für Jakob stets klar, dass Benjamin und Joseph zusammengehören. Seine Sorge um Benjamin ist ja nicht nur darin begründet, dass nach Joseph ein weiterer Sohn verloren gehen könnte, sondern auch darin, dass es einen weiteren Rahel-Sohn betrifft (42,38), worauf Juda in seiner Rede vor Joseph Bezug nimmt (44,27f.). Als eine Instanz, die (noch) darüber zu entscheiden hätte, wohin Benjamin gehört, fungiert er gerade nicht. Die auslösende Frage ist daher nicht, ob Benjamin zu Joseph gehört, sondern wie er zu Joseph kommt. Diese Problematik kennzeichnet die Ausgangslage zwischen Josephs Forderung und Jakobs Weigerung, 416 um deren Lösung in den zwei Szenen um Ruben und Juda gerungen wird. Beiden geht es primär darum, ihn zu Joseph zu bringen, nur Judas Strategie ist 414 Judas Rede 44,18–34 ist zweifellos ein rhetorisches Meisterstück, vgl. zu ihrer Analyse WEIMAR, Rede; EBACH, HThKAT, 371–377. 415 OSWALD, Staatstheorie, 180. 416 EBACH, HThKAT, 311, zeichnet Jakobs Dilemma trefflich nach: „Unter keinen Umständen will er [sc. Jakob, K.W.], dass sich bei Benjamin wiederholt, was mit Josef geschah. Um diese Wiederholung zu vermeiden, stellt er abermals den Rahelsohn über seine anderen Söhne und kränkt sie in weiteres Mal. … Es ist der Versuch der Vermeidung der Wiederholung, die sie wieder und wieder erzeugt.“ Das die gesamte Erzählung prägende Spiel mit wiederkehrenden Situationen arbeitet auch SCHMID , Josephsgeschichte, 98, auf struktureller Ebene heraus.
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jedoch erfolgreich. Neben den bereits genannten Punkten im Gegenüber der beiden Angebote (oben S. 249f.), ist für das Verhältnis der beiden zu Benjamin ein weiterer Aspekt aufschlussreich, der sich im Vergleich der Formulierungen zeigt: Ruben 42,37 … ויאמר ראובן אל אביו לאמר תנה אתו על ידי ואני אשׁיבנו אליך
Juda 43,8f. ויאמר יהודה אל ישׂראל אביו … שׁלחה הנער אתי … אנכי אערבנו
Rubens Bitte תנה אתו על ידיkönnte im Sinne einer Übereignung Benjamins an den älteren Bruder verstanden werden. נתן על ידwird, sofern es nicht im Wortsinne um das Anlegen von Schmuck geht (so Gen 41,42; Ez 16,11), übertragen für die Übergabe von Geld verwendet. 417 Juda vermeidet mit שׁלחה הנער אתיdiesen Eindruck. Dass er seine Rolle als „Bürge“ ()ערב beschreibt, weist in die gleiche Richtung. Schließlich geht es bei einer Bürgschaft nicht um die Übereignung eines Besitztums, sondern um die Sicherstellung seines Wertes für den Eigentümer. 418 Juda ist somit unter anderem deswegen erfolgreich, weil er jeden eigenen Anspruch auf Benjamin ausschließt und ausweislich der Formulierung lediglich sicherstellen will, dass Benjamin zu Joseph (und wieder zurück zu Jakob 419) gelangt. In dieser Rolle agiert er schließlich gegenüber Joseph, wenn er sich selbst an Benjamins statt als Sklave anbietet (44,33f.). Juda kommt somit in der Lösung des Konflikts die entscheidende Rolle zu; indem er Benjamin an Joseph überbringt und zugleich Josephs Herrschaft anerkennt (44,18.33), ermöglicht er die Versöhnung und Zusammenführung aller Söhne Israels. 2.1.4 Zum historischen Ort der Erzählungen Mit der Einordnung der hier besprochenen Texten unter der Rubrik „NordIsrael“ ist eine Entscheidung über ihre Entstehungszeit und Herkunft impliziert, die noch zu begründen ist. Dafür sind einige Vorbemerkungen im Blick auf den Charakter der Texte angebracht. Wenn eingangs die Einsicht zitiert wurde, dass in den Erzelternerzählungen Völkergeschichte als Familiengeschichte erzählt wird, ist damit zweierlei nicht gemeint: (a) Die Erzählungen sind nicht in dem Sinne 2Reg 12,16; 22,5.7.9; 1Chr 29,8; 2Chr 34,10.17. ערבwird zumeist in wirtschaftlichen Zusammenhängen gebraucht; der Bürge tritt als Sicherheit für jemanden ein, d.h. der Gläubiger wird ggf. durch die Arbeit des Bürgen entschädigt (vgl. Lev 25,39.47; Dtn 15,2.12; Neh 5,2.5–7; Ps 119,121f.; übertragen Jer 30,21), dazu LIPIŃSKI, ThWAT ערב. 419 In diesem Punkt werden die Wiederholungen durchbrochen und die Erwartungen der Akteure durchkreuzt. Die Familie wird schließlich dadurch vereint, dass Jakob zu Joseph kommt. 417 418
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Völkergeschichte, dass man sie als Abbildung konkreter völker- (oder stammes-)geschichtlicher Vorgänge im Modus der Personifizierung und Rückprojektion entschlüsseln könnte. Die Fragestellung prägte v.a. die ältere Forschung. C. Westermann zählt v.a. H. Guthe und C. Steuernagel, aber später auch O. Eißfeldt zu den Vertretern dieser Richtung, die es unternahmen, die Erzelternerzählungen bis in Einzelheiten hinein konsequent stammesgeschichtlich auszulegen – etwa den Tod einer Erzählfigur als Verschwinden eines Stammes, eine Heirat als Verschmelzung zweier Stämme usw. 420 Durch die berechtigte Kritik H. Gunkels und H.-Greßmanns ist die stammesgeschichtliche Deutung „in ihrer radikalen Form“ nicht mehr zu halten gewesen, 421 aufgegeben war sie damit freilich nicht.422 Im Ergebnis auch der gemäßigten stammesgeschichtlichen Auslegung der Texte stand eine Historisierung der Stoffe um den Preis einer gleichzeitigen Fiktionalisierung der Erzählungen. Diese wurden Geschichten, deren Charaktere und Plot (und letztlich die gesamte Erzählwelt) zwar fiktiv, aber nach Art der Allegorie423 auf die dahinter liegende historische Situation beziehbar sind. In modifizierter Form lebt dieser Zugang in neueren Analysen wieder auf, auch wenn nun nicht mehr historische Vorgänge, sondern politische Konzeptionen oder literargeschichtliche Vorgänge den Subtext bzw. die Sachebene der Allegorie bilden. Dies geschieht, etwa wenn Chr. Levin behauptet: „Vom Jahwisten stammt … Levi als dritter Sohn Leas, um eine genealogische Brücke zwischen der Vätergeschichte und der Exodusgeschichte zu schlagen“424 oder wenn W. Oswald annimmt, dass nach dem Ende des Nordreichs mit der Jakoberzählung versucht wurde, den Verlust des Königtums und seiner ordnungspolitischen Funktion auszugleichen und fragt, „warum für die außen- und innenpolitische Verhältnisbestimmung die Fiktion von Ahnvätergestalten gewählt wurde“.425 Die Erzählfiguren werden dabei zwar nicht mehr zu personifizierten Ereignissen, aber zu Symbolen ideologischer Konzepte bzw. politischer Ideen.
(b) Sie sind aber auch keine reinen Familiengeschichten, die um das Ergehen konkreter Personen kreisen – unabhängig davon, ob sie als historische Persönlichkeiten der realen Welt angesehen werden oder als beispielhaft agierende Textakteure innerhalb einer imaginierten Erzählwelt. Beides ist v.a. für die Josephsgeschichte diskutiert worden. Ersteres, die historische Deutung,426 hat bereits durch G. von Rad eine deutliche Absage erfahren.427 Letzteres scheint die Gattungsbestimmung als „Novelle“, wie sie wirkmächtig von Rad vorgenommen hat, nahezulegen und wird v.a. bei einer exilischen oder nachexilischen Datierung virulent. Die Bestimmung des Themas kann dabei recht unterschiedlich ausfallen. So betont ein
420 WESTERMANN , EdF, 5–7. So hat S TEUERNAGEL , Einwanderung, 66f., selbst für Josephs buntes Kleid noch eine stammesgeschichtliche Erklärung: „Die Josephiden mögen schon frühzeitig die einfache Nomadenkleidung mit einer vornehmeren vertauscht haben und eben dadurch sich den Hass der anderen Stämme zugezogen haben, die an der alten einfachen Kleidung und Sitte festhielten.“ 421 WESTERMANN , EdF, 7. 422 Vgl. die Darstellung und Kritik bei BLUM , Komposition, 482. 423 So die Einschätzung bei WESTERMANN , EdF, 7. 424 LEVIN , System, 176. 425 OSWALD, Staatstheorie, 154. Dazu auch unten S. 260. 426 Dazu WESTERMANN , EdF, 58.
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breiter Strang der Forschung in Anknüpfung an von Rad 428 die weisheitliche Prägung der Geschichte; Joseph wird dann zum Exempel des „weisen Höflings“ oder zur Idealgestalt im pädagogisch ausgerichteten Lehrstück. 429 Rückt die Diaspora in den Focus gerät Joseph zu einem Beispiel dafür, wie das Leben in der Fremde gelingen kann. 430 Liegt der Focus auf theologisch/anthropologischen Fragestellungen zeigen sich an Joseph die Bedingungen der Möglichkeit zwischenmenschlicher Versöhnung.431 Gegen diese auf andere Weise als in der stammesgeschichtlichen Deutung vorgenommenen Fiktionalisierungen der Josephsgeschichte, die sie in die Nähe einer Beispielerzählung oder eines Entwicklungsromans rücken, hat W. Oswald zu recht eingewandt: „Gott führt nicht irgendeine Geschichte einem guten Ende zu – so sehr es jeder Leserin und jedem Leser frei steht, ihre oder seine Geschichte darin wiederzufinden – , sondern die von Joseph und seinen Brüdern.“432 Die Geschichte ist über ihre Protagonisten untrennbar mit der geschichtlichen Welt der Adressaten verbunden, es ist ihre Geschichte. Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass weisheitliche, theologische oder anthropologische Themen eine wichtige Rolle spielen, sie dürfen aber nicht zu einer Verwechslung der Gattung führen.
Sowohl der Versuch der Historisierung als auch die aktuell vorherrschenden Tendenzen zur Fiktionalisierung werden der Pragmatik der Texte nicht gerecht.433 Diese sind vielmehr Völkergeschichte als Familiengeschichte, da im genealogischen Denken als der zugrundeliegenden sozialen Kon427 „Freilich ebensowenig will es gelingen, die Josephsgeschichte für eine exakte geschichtliche Biographie zu halten. Selbst wenn ihr ein tatsächliches geschichtliches Ereignis zugrunde läge, also wenn sich in ihr die Erinnerung an das Wirken eines Wesirs aus Palästina erhalten haben sollte – und das allein wäre diskutabel –, so wäre doch dieser ihr „geschichtlicher Kern“ gegenüber der novellistischen Umrankung niemals mehr genau zu fassen“ (VON RAD, ATD, 357). 428 VON RAD, Chokma; VON R AD , Josephsgeschichte. 429 Vgl. u.a. NIDITCH & D ORAN , Success Story; M ÜLLER, Lehrerzählung; B EYERLE, Joseph, oder auch die Einschätzung von LUX, Josef, 31f., der die Josephsgeschichte als „Idealbiographie“ beschreibt: „Dass Josef der Unordnung, in die sein Leben gestoßen wurde, stets eine neue Ordnung abzuringen wusste und wie er das machte, das interessierte die Leser. An ihm wird exemplarisch vorgeführt, wie ein Mensch sein persönliches Lebenschaos zu zähmen und in geordnete Bahnen zu überführen vermag.“ 430 So spricht M EINHOLD , Diasporanovelle, 324, davon, dass Joseph „beispielhaft wirkte“, und konstatiert: „Wer hier bestehen wollte, mußte geistiges Format und weisheitliche Fähigkeiten aufweisen, wie sie von Joseph ausgesagt werden und wie sie dem Verfasser der Josephsgeschichte zu eigen sind“ (323). Weitere Literatur oben S. 245f. 431 B OECKER , Josefsgeschichte, 91, in der Auslegung von Gen 50,19f.: „Mit diesen Worten wird zugleich Vergebung zugesprochen. Josef weiß, dass das kein Vorgang ist, der sich nur zwischen ihm und den Brüdern ereignet. So kommt an dieser entscheidenden Stelle der Josefsgeschichte Gott ins Spiel als der, der im Hintergrund des ganzen Geschehens der letztlich Handelnde ist: ‚Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen‘. Diese Worte … geben abschließend der Josefsgeschichte als Ganzer die entscheidende Deutung: Auch wenn es auf weite Strecken nicht danach aussah, es war doch Gottes gnädiges Führungshandeln, das die ganze Geschichte bestimmt und letztlich zu einem guten Ende geführt hat.“ 432 OSWALD, Staatstheorie, 174, in Auseinandersetzung mit der Deutung Boeckers. 433 Dazu grundlegend B LUM , Anfang 9ff.; BLUM , Notwendigkeit 28ff., sowie BLUM , Historiographie.
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struktion die Völkergeschichte Familiengeschichte ist.434 In der sozialen Strukturierung der Lebenswelt liegt denn auch ihre vorrangige Orientierungskraft für ihre Produktions- und Rezeptionsgemeinschaft: Daneben treten stellenweise auch konkrete ätiologisch oder paradigmatisch bedeutsame Einzelzüge.435 Als erzählte Genealogien436 sind sie Ausdruck einer primordialen Codierung kollektiver Identität und als solche auszuwerten. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Frage nach den historisch-politischen Rahmenbedingungen der Texte zuvörderst die Frage nach der Situation ist, in der die Situationsangemessenheit des entfalteten Codes begründet angenommen werden kann. (Damit hängt freilich auch die Frage zusammen, ob der entfaltete Code hier erst entwickelt wird oder bereits vorausgesetzt ist, dazu unten S. 357ff. sowie 368ff.). 2.1.4.1 Historisch-politische Rahmenbedingungen der Jakoberzählung Gen 29,41–30,24 haben sich als einheitliche Erzählung erwiesen, die anhand der Geschichte der Geburten der Jakobkinder Auskunft über Grundzüge der inneren Strukturierung Israels gibt. Der Abschnitt gehört zur Jakoberzählung, deren Handlungsbogen um die Rivalität zwischen Jakob und Esau errichtet ist. Diese setzt bereits im Mutterleib (Gen 25,22) ein und kommt mit dem friedlichen Auseinandergehen der Brüder (Gen 33,16f.) zu einer Lösung. 437 Neben der inneren Struktur Israels kommt somit das Verhältnis zu den Nachbarn zur Sprache. Eingebettet in das Thema Jakob-Esau, resp. Israel-Edom wird das Verhältnis zu Aram thematisiert, repräsentiert durch Laban. Letzteres gelangt mit dem Vertrag Gen 31,44–54 ebenfalls zu einer versöhnlichen Regelung. Die Beziehungen sind durchgängig als Verwandtschaftsverhältnisse gefasst, die Unterscheidung zwischen eigenem Volk und fremden Völkern erfolgt ebenfalls in diesen Kategorien, d.h. zwischen Söhnen des Stammvaters (Israel) bzw. seinem Bruder (Edom) oder Onkel (Aram). Mit E. Blum ist davon auszugehen, dass die völkergeschichtliche Dimension keine nachträgliche Zutat 434 Vgl. BLUM , Komposition, 482: „Ja, unter der Voraussetzung des genealogischen Modells von der Entstehung der Völker kann deren Frühgeschichte gar nichts anderes denn Familiengeschichte sein“ (i.O. kursiv). 435 Insofern ist sogar zu erwarten, dass weisheitliches Denken oder auch didaktische Zielsetzungen in die Darstellung einfließen. Das macht die Erzählung aber nicht zu einem „Bildungsroman“. 436 Für Gen 29f. ist das Etikett „erzählte Genealogie“ (HIEKE, Genealogien, 154 unter Verweis auf VAN SETERS, Prologue, 205) noch unmittelbar einleuchtend, hier ist die Genealogie als „Knochengerüst“ (WELLHAUSEN , Prolegomena, 316) der Erzählung deutlich erkennbar. In der Josephsgeschichte sind die Knochen unter dem umfangreichen narrativen „Fleisch“ schwerer zu ertasten, dennoch wird dieses Strukturprinzip nicht verlassen. Die Stammväter sind die Protagonisten, die Weiterführung der Genealogie kommt mit den Söhnen Ephraim und Manasse ebenfalls in den Blick. 437 B LUM , Komposition, 147–149, sowie BLUM , Jacob Tradition, 185f.
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ist, sondern die Erzählung von Anfang an bzw. schon ihre noch erkennbaren älteren Bausteine prägte.438 Mit guten Gründen vermutet man den Ursprung von Gen 29f. wie auch der Jakoberzählung insgesamt im nord-israelitischen Bereich. Neben der josephitischen Ausrichtung sprechen dafür der Focus auf das Heiligtum in Bethel, dessen hieros logos in Gen 28 ein zentrales Element der Jakoberzählung ist, sowie die lokalen Anknüpfungspunke (Mahanaim, Pnuel, Sukkot), die allesamt im nord-israelitischen Gebiet liegen.439 Das in exilisch/nachexilischer Zeit greifbare negative Edombild liefert zudem einen weithin anerkannten terminus ad quem für die Erzählung, schließlich ist vor dem Hintergrund einer derartigen Aversion, die Zeichnung Esaus in Gen 27.33 kaum erklärbar. Mit genaueren Datierungvorschlägen ist der Konsensbereich verlassen, wobei die sich aktuell herauskristallisierende Alternative eine Verortung der Jakoberzählung im noch bestehenden Nordreich oder erst nach dessen politischem Ende 720 v.Chr. ist. Ersteres war zumindest für die Verschriftung der Texte nahezu opinio communis in der Forschung.440 Schon für J. Wellhausen blickt, insbesondere in den Erzählungen über Jakob und Esau „überall der Hintergrund, bricht überall die Stimmung der israelitischen Königszeit durch“,441 wobei die „nahe Beziehung, in welche die Aramäer zu den Israeliten gesetzt werden“ sowie die „Vorliebe für Rahel und Joseph“ zeigen, „daß die Patriarchensage im mittleren und nördlichen Israel ihren eigentlichen Boden hat“. 442 Im Kontext der Urkundenhypothese versuchte man diese Beobachtungen zu integrieren, indem zumeist für den dem Elohisten zugeschriebenen Anteil an der Jakoberzählung eine Herkunft aus dem Nordreich angenommen wurde.443 Zwangloser sind sie jedoch mit der Einsicht zu verbinden, dass Erzählungen und Erzählkränze die Grundbausteine der Erzelternerzählungen ausmachen, die sukzessive zu größeren Kompositionen verbunden wurden, wobei die aus dem Nordreich stammende Jakoberzählung einen dieser Bausteine darstellt. Für E. Blum ist es denn auch „beyond reasonable doubt that the primary home of our Story of Jacob was the kingdom of Israel“. 444 Als weitere Präzisierung hatte Blum zunächst für die Regierungszeit Jerobeams I als historischem Ort der Jakoberzählung plädiert, da in diesen Anfangsjahren des Nordreichs „ein ganz besonderer Artikulationsund Legitimationsdruck bestanden“ habe, auf den die Jakoberzählung reagiere. 445 Neuerdings hat er eine weitere Differenzierung vorgenommen und verortet eine ältere zweiteili438
BLUM, Komposition, 69–79, für die vorgegebenen Überlieferungen vgl. aaO.,
190ff. 439
Die Argumente finden sich prägnant zusammengefasst bei CARR, Reading, 264–
266. Die gerade im Bereich der Erzelternerzählungen breit geführte Diskussion, ob und ja mit welchem Erkenntnisgewinn ein Rückgriff auf mündliche Vorstufen der Erzählungen möglich ist, kann hier ausgeblendet werden, einen neueren Überblick dazu bietet WAHL, Jakobserzählungen. 441 WELLHAUSEN , Prolegomena, 319. 442 AaO., 317. 443 Vgl. exemplarisch WOLFF, Thematik, 416, sowie neuerdings wieder GRAUPNER , Elohist, 399f., oder GELANDER, Peoples, 59ff. 444 B LUM , Jacob Tradition, 209. Vgl. C ARR , Reading, 264–268. 440
260
B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
ge ältere Jakob-Esau-Laban-Erzählung (Gen 25B*; 27*; *29-31) in omridischer, eine erweiterte dreiteilige Jakoberzählung (Gen 25B*; *27-33) 446 etwa in der Zeit Jerobeams II. Die zuvor vorgeschlagene Datierung der Jakoberzählung in die Anfänge des Nordreichs würde kaum noch Raum für die ebenfalls aus dem Nordreich stammende Vorstufe lassen. Von den harten Auseinandersetzungen zwischen Aram und Israel in der zweiten Hälfte des 9. Jh.s sei in den Erzählungen nichts zu spüren, so dass auch diese Zeit als Ent stehungskontext unwahrscheinlich und die Komposition der Jakoberzählung wahrscheinlich ins 8. Jh. falle. 447 Dagegen stehen einige neuere Untersuchungen, die bei Beibehaltung der nord-israelitischen Provenienz der Jakoberzählung eine Datierung nach 720 favorisieren. Die Argumentation läuft im Wesentlichen in zwei Bahnen: (a) Der in der Jakoberzählung vorausgesetzte Israel-Begriff, d.h. die gesamt-israelitische Konzeption des Zwölfstämme-Volks, ist für H.-C. Schmitt und U. Schorn nicht im bestehenden Nordreich, sondern erst nach 720 plausibel. Die gesamt-israelitische Perspektive weise vielmehr „auf einen Versuch, Nord- und Südreichtraditionen miteinander in Beziehung zu setzen“. 448 (b) K. Schmid notiert „das Fehlen einer Königsfigur“ in der Jakobserzählung, wofür er verschiedene Gründe erwägt, aber schließlich zu der These gelangt, „dass der Jakobzyklus von vornherein eine nachstaatliche Ätiologie für Israel formuliert“ und mithin nach 720 entstanden sei.449 Ähnlich hatte zuvor schon A. de Pury argumentiert, der die Jakoberzählung nach 720 am Heiligtum von Bethel verortet. 450 W. Oswald spitzt die Überlegungen programmatisch zu: „Die Jakoberzählung stellt somit den ersten und sogleich auch beachtlichen Versuch dar, den Verlust des Königtums zu kompensieren. Die aufgezwun-
Blum hatte dafür v.a. mit der großen Bedeutung Pnuels in der Jakoberzählung argumentiert und diese mit der Verlegung von Jerobeams Residenz an diesen Ort verbunden, die er aus 1Reg 12,26 erschloss (aaO., 176ff.). Die besondere Rolle Pnuels als der Ort, an dem Jakob den Israel-Namen erhält, leiste vor diesem Hintergrund eine „doppelte Legitimation“: „Begründet/bekräftigt/legitimiert wird einerseits die politische Stellung, welche Jerobeam diesem Ort zuzuweisen sucht, andererseits vermag diese Koinzidenz den ‚genuinen‘ Zusammenhang des Israels-Namens mit dem Nordreich zu bestärken“ (aaO., 182). 446 Zu deren Themen und Kompositionsstrukturen B LUM , Jacob Tradition, 182ff. 447 AaO., 209f. 448 S CHMITT, Kampf, 423; vgl. auch SCHORN , Ruben, 79. Eine Begründung für diese These bleiben sowohl Schmitt als auch Schorn schuldig, SCHMITT, ebd., verweist lediglich auf Amos, Hosea und Micha: „So zeigt sich beim Vergleich des primär auf das Nordreich bezogenen Jakob/Israel-Begriffs von Amos und Hosea mit dem im Michabuch der Übergang von einem auf das Nordreich bezogenen zu einem das Südreich einbeziehenden Verständnis von Jakob/Israel.“ Zu Hosea vgl. aber S. 267ff. Als unterstützendes Argument für die Datierung ihrer elohistischen Kompositionsschicht, zu der sie Gen 29f.* rechnet, führt SCHORN , aaO., 80f., die Zeichnung Edoms als Bedrohung für Israel an, die nur 8.–6. Jh. und nur im Gegenüber zu Juda plausibel sei. Damit ist das vielschichtige Esaubild jedoch recht vereinfachend und zumindest, was Gen 27 betrifft, auch unzutreffend charakterisiert. Dagegen wäre mit BLUM, Jacob Tradition, 209, zu bemerken, „the remarkably sympathetic introduction of the deceived Esau in Gen 27 as well in Gen 33 is more conceivable in the North than in Judah with its bloody neighbor strife.“ 449 S CHMID , Literaturgeschichte, 69. 450 DE PURY, Situer, 238; DE P URY, Genèse, 147f. 445
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gene Nichtstaatlichkeit wird mit Hilfe des Stämmesystems kompensiert und ins Positive gewendet: Israel bleibt auch ohne König ein Volk.“451 Die Argumentation ist in den Details nicht unproblematisch und kann nur in den den „Israel“-Begriff betreffenden Aspekten genauer aufgenommen werden (dazu i.F.). Zwei Anfragen seien aber festgehalten: – Wenn die Jakoberzählung in nachstaatlicher Zeit entstanden sein soll, ist als institutioneller Kontext am ehesten ein Heiligtum anzunehmen und hier kommt wegen Gen 28 wohl nur Bethel in Frage. Doch kann mangels archäologischer Funde 452 und eindeutiger literarischer Belege im Moment weder gesichert angenommen werden, dass es nach 720 dort kultische Aktivitäten gab noch dass es sie nicht gab. Was bislang an Indizien vorliegt, deutet auf gewisse kultische Aktivitäten nach dem Ende des Nordreichs,453 spricht aber gegen einen florierenden Kultbetrieb nach 720 oder gar in späterer Zeit.454 – Die zutreffende Beobachtung, dass in der Jakoberzählung eine Königsfigur fehlt, muss nicht heißen, dass hier das Königtum substituiert oder sein Verlust kompensiert werde. Der Befund ist m.E. der Textfiktion geschuldet. Die Erzählung spielt bekanntlich im familiären Umfeld, übergeordnete Größen sind nicht präsent (und in der erzählten Welt gar nicht möglich). Das Gleiche gilt im Übrigen auch für Edom bzw. Aram, auch hier fehlt jegliche staatliche Struktur. In der erzählten Welt ist Israel weder ein Königtum noch ein Volk, daher scheint es kaum plausibel, das eine gegen das andere zu stellen, zumal das Stämmesystem auch nicht notwendig ein Surrogat für administrative Strukturen sein muss. 455
Geht man von der Entfaltung des primordialen Codes aus, wie sie in der Jakoberzählung und insbesondere in Gen 29f. vorliegt, ist eine Ansetzung nach 720 jedoch mit Schwierigkeiten behaftet. Die innere Strukturierung hatte neben der Prominenz Josephs die eindeutige Zuordnung von Benjamin zu Joseph (Vollgeschwister) gezeigt. Daneben rücken Stämme wie Ruben und Simeon an exponierte Stellen, Juda wird als Viertgeborener eingereiht. Diese Züge des genealogischen Systems sind schlicht nicht mit der Situation nach 720 überein zu bringen. Das wäre aber zu erwarten, wenn dem System in dieser Zeit eine konsolidierende bzw. identitätssichernde Funktion eignen soll, die eine derartige Konstruktion nur leisten kann, wenn sie der Situation angemessen, d.h. auf die vorliegenden Gegebenheiten beziehbar ist.456 Das gilt in verstärktem Maße dann, wenn das System auf diese Situation hin geschaffen sein soll (so Oswald457), ist aber auch zu bedenken, wenn man mit der Verarbeitung älterer Traditionen rechnet (de Pury458).459 Somit bleibt eine Ansetzung der Jakoberzählung vor 720 die plausiblere Annahme (zu ihrer Pragmatik in dieser Zeit vgl. unten S. 357ff.). OSWALD, Staatstheorie, 156. Vgl. die Einschätzung der archäologischen Befundlage durch FINKELSTEIN & SINGER-AVITZ, Reevaluating. 453 2Reg 23,16–18; 2Reg 17,28 ist als Beleg für die Königszeit nicht einschlägig, dazu oben S. 54ff. 454 Dazu unten S. 334 Anm. 200. 455 Zur Frage, ob das Stämmesystem und das Königtum konkurrierende Konzeptionen darstellen, vgl. unten S. 351ff. 451 452
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2.1.4.2 Historisch-politische Rahmenbedingungen der Josephsgeschichte Die Bandbreite für Datierungsvorschläge zur Josephsgeschichte reicht von der salomonischen460 bis in die hellenistische461 oder gar römische462 Zeit und deckt den gesamten Entstehungszeitraum der alttestamentlichen Schriften ab (wenn nicht sogar mehr463). Unter den oben genannten Voraussetzungen, dass (a) Herrschaft ein Grundthema der Erzählung ist und dass es sich bei der Josephsgeschichte wie schon bei der Jakoberzählung (b) nicht um fiktionale, sondern „adressatenbezogene Mitteilungsliteratur“464 handelt, lässt sich der Entstehungszeitraum deutlich eingrenzen. Dazu ist zunächst die Herrschaftsthematik zu präzisieren. Selbst unter den Auslegern, die diese Einschätzung teilen, fallen die Akzentsetzungen im Einzelnen recht unterschiedlich aus. Für C. Westermann geht es in der Josephsgeschichte, um „die Grundfrage des Herrschens von Menschen (Bruder) über Menschen (Brüder)“ 465 überhaupt, für F. Crüsemann um die Legitimation „königlicher und beamtenmäßiger Herrschaft mit ihrer Steuer- und Versorgungspolitik“ 466, für E. Blum dagegen um eine „(Selbst-) 456 Zur Problematik unten S. 345ff. Auf den vorliegenden Text bezogen vgl. BLUM , Jacob Tradition, 207: „Knowing the historical context of a biblical narrative is essential for a full understanding of its purpose – and vice versa, peculiar pragmatic textual features often deliver the most reliable criteria for defining the intended addressees and the historical conditions. In this respect etiological traditions have a significant advantage in that they are anchored in a more or less specific historical constellation, i.e. the conditions under which the question, answered by the etiology, makes sense.“ 457 OSWALD, Staatstheorie, bemerkt die Diskrepanzen, hält sie aber nicht für signifikant: „Daher ist es auch ganz unwahrscheinlich, dass dieses System die politische Realität zur Zeit seiner Abfassung widerspiegelt. … Es handelt sich vielmehr um den Versuch einer politischen Selbstvergewisserung nach der Katastrophe von 722. Das ehemalige Herrschaftsgebiet der Omri- und der Jehu-Dynastien war aufgeteilt auf verschiedene politische Entitäten und die dort wohnenden Bevölkerungsgruppen drohten zu desintegrieren. Mit dem Ahnvater Jakob gewinnen diese Bevölkerungsgruppen jedoch eine neue Mitte und mit der dreifach differenzierten Abstammung (Lieblingsfrau, zweite Hauptfrau, Nebenfrauen) eine relative Ordnung untereinander“ (155). Vgl. auch SCHORN , Ruben, 282, die von einem „von realen politischen Verhältnissen unabhängigen ideellen Israel“ spricht. Nach Schorn ist dabei nicht so sehr der Verlust des Königtums, sondern die identitätsstiftende Funktion der territorialen Integrität des Nordreichs zu kompensieren (aaO., 99f.). 458 Es sei denn, man unterstellt ein rein archivarisches Interesse, das bei DE P URY, Genèse, zwar mitschwingt („On a suggéré que cʼest au santuaire de Béthel … quʼa été mené … lʼeffort de rassembler et de mettre par écrit quelques-uns des livres de dimension modeste.“ [147]), aber auch bei ihm im Dienst einer „Vergangenheitsbewältigung“ steht, die den Verlust des Königtums kompensieren soll: „Et leur message, qui se décline en toutes sortes de variantes, est en définitive toujours le même: la suppression de la royauté nʼaffecte en rien la vie – et ‚lʼame‘ – dʼIsraël, car le vrai Israël ne dépend pas de la royauté“ (DE PURY, Situer, 238). 459 Zur Frage, wie es um die Situationsangemessenheit der Codierung in der nordisraelitischen Königszeit bestellt ist, vgl. unten S. 368ff.
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Interpretation des Nordreich-Königtums“467. Für Letzteres spricht, dass es diesbezüglich die größte Überschneidung zum spannungsauslösenden Konflikt der Erzählung gibt. Das Problem der Brüder mit Josephs das Geschehen in Gang setzenden Träumen ist nicht, dass überhaupt jemand herrscht, sondern dass sich gerade Joseph dazu aufschwingt. 468 Daraus ergibt sich als scheinbare Problemlösung, Joseph zu beseitigen (Gen 37) und als Weg zur finalen Versöhnung, die schrittweise eingelöste Anerkennung der josephitischen Herrschaft (die Erzähllinie läuft über 42,6.8; 44,18 zu 50,18). Dabei geht es stets um seine Person, nicht die Funktion, wie es zu erwarten wäre, wenn hier die Legitimation einer Beamtenschaft im Zentrum stünde. Sollte allein dies erreicht werden, wäre die Geschichte bereits mit 42,6 am Ziel. Der Versorgungsaspekt mag ebenfalls eine Rolle spielen, wenn es darum geht, das Königtum positiv zu zeichnen,469 das Herrschaftsthema lässt sich jedoch nicht darauf reduzieren; die Frage der Versorgung spielt 460 Im Rahmen der Urkundenhypothese war dies, sofern man jahwistische Anteile vermutete, mit der historischen Verortung von J vorgegeben. Eine inhaltliche Begründung für die Ansetzung in der frühen Königszeit suchen auf unterschiedliche Weise z.B. VON RAD, Chokma, und CRÜSEMANN , Widerstand. Von Rad findet sie in der Aufnahme weisheitlichen Denkens, als dessen kulturhistorischen Hintergrund er die „salomonische Aufklärung“ ausmacht. Für Crüsemann ist die Josephsgeschichte eine Reflexion der veränderten Rahmenbedingungen, die sich durch das Aufkommen des Königtums in Israel ergaben (aaO., 143–155): „Es handelt sich bei der Josephsgeschichte also um nichts Geringeres als den Versuch einer innen- und versorgungspolitisch argumentierenden Legitimierung königlicher Steuerpolitik und damit einen gewichtigen Beitrag zur ideologischen Rechtfertigung des umstrittenen Königtums“ (149). 461 So z.B. SOGGIN , Dating, mit einem breiten Überblick über andere Datierungsvorschläge. 462 So DIEBNER , Roman. 463 Teile der Josephsgeschichte sind nach ULRICH , BQS, 10–26, in Qumran in mindestens sechs verschiedenen Handschriften belegt (4QGenc; 4QGene; 4QGenf; 4QGenj; 4QGenn? [nur drei Buchstaben, möglicherweise Gen 50,3]; 4QGen p; 4QGen-Exoda). 4QGen-Exoda wird vom Herausgeber auf paläographischer Basis in das letzte Drittel des 2.Jh.s v.Chr. datiert (DAVILA, QGen-Exoda, 8). Eine Entstehung des Textes erst in römischer Zeit ist somit ausgeschlossen. 464 B LUM , Historiographie, 68. 465 BK, 29. 466 Widerstand, 152, vgl. auch KEBEKUS , Joseferzählung, 252f., für die von ihm rekonstruierte Grundschicht; anders als Crüsemann sieht Kebekus das Anliegen jedoch allein im Aufweis der Notwendigkeit der königlichen Beamtenschaft, eine Legitimierung des Königtums sei damit nicht verbunden. Auch LANCKAU , Herr, 369, vermutet den Verfasser der Josephsgeschichte in der „nordisraelitischen Beamtenschaft“ (aber nach 722 v.Chr.); die Herrschaftsthematik möchte er aber auf das Thema Versorgung beschränken: „Joseph ist kein König, sondern ein Verwalter“, er sei zwar als „Segensträger … der Erste unter den Brüdern“, aber „der „König“, der eigentlich Aktive, der das Leben Israels erhält, ist nicht Josef, sondern Gott selbst“ (Zitate aaO., 368). 467 Komposition, 241, vgl. schon WELLHAUSEN , Prolegomena, 321. 468 Zur (partiellen) Einlösung der Träume, vgl. oben S. 245 Anm. 374 .
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bei der Auslösung des Konflikts keine Rolle und ist im weiteren Verlauf der Erzählung speziell auf die Situation in Ägypten bezogen (47,21; 50,21). Im Focus der Erzählung steht somit die Frage der Vorherrschaft Josephs unter seinen Brüdern. Möchte man die Erzählfiktion nun nicht als autonome Erzählwelt von der geschichtlichen Welt abkoppeln, ist also v.a. dieser zentrale Erzählzug zu bedenken. Dieser Erzähllinie eignet eine deutlich legitimatorische Tendenz, die in ihrer Betonung der Joseph-Figur somit am besten mit dem noch bestehenden Nordreich-Königtum zu verbinden ist, aber in ihrer gesamt-israelitischen, d.h. Juda einschließenden Perspektive, zugleich darüber hinausweist. E. Blum hat zu recht davor gewarnt, „Einzelzüge der erzählerischen Durchführung … in geschichtliche Sachverhalte der israelitischen Königszeit umzusetzen“, schließlich „bildet die Josepherzählung – trotz des im weitesten Sinne ätiologisch-legitimierenden Zielpunktes – in ihrer Handlungs- und Bedeutungskomplexität nicht einfach Wirklichkeit allegorisch ab, sondern baut ihre eigene erzählungsimmanente Welt auf.“470 Damit ist die Frage aufgeworfen, was derartige „Einzelzüge der erzählerischen Durchführung“ sind bzw. wo Beziehungen zur textexternen Welt liegen und v.a. mit welchen Kriterien eine begründete Entscheidung getroffen werden kann. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: betrachtet man z.B. den Ägyptenaufenthalt der Jakobfamilie als einen derartigen Anknüpfungspunkt, liegt die Vermutung nahe, dass hier die Erfahrungen des Exils oder spezieller der ägyptischen Diaspora verarbeitet werden. So betont etwa W. Oswald, dass die Josephsgeschichte in Ägypten ende und schließt daraus: „ … allein dieser Zug bedarf einer Erklärung, die über den Hinweis auf die künstlerische Freiheit des Autors hinausgeht.“ Mit der Konsequenz einer nachexilischen Datierung der Josephsgeschichte werden selbstverständlich andere thematische Linien zu Elementen der literarischen Gestaltung. Die Folge ist eine Vielfalt relativ abstrakter Themenangaben. 471 Die Herrschaftsthematik muss dabei zumeist vernachlässigt oder metaphorisch gedeutet werden, die josephitische Ausrichtung ist kaum zu erklären. 472 Möchte man die Josephsgeschichte aber nicht vom genealogischen Denken abkoppeln, ist wie auch bei der Jakoberzählung ihre Situationsangemessenheit im Blick auf die intendierten Adressaten zu bedenken. Dann gewinnt die Verhältnisbestimmung der Protagonisten besonderes Gewicht. Dazu zählt, dass Israel/Jakob Vater von zwölf Söhnen ist, dass Joseph und Juda aus dem Kreis der Söhne die zentralen Akteure sind und dass die Zugehörigkeit Benjamins nicht von vornherein feststeht. Diese Erzählzüge lassen sich viel unkomplizierter und v.a. viel konkreter als Reflexe historischer Bedingungen bzw. politischer Diskurse der Königszeit zusammenführen als es bei der nachexilischen Ansetzung der Fall ist. Als Kontrollfrage ist umgekehrt zu zeigen, ob der Ägyptenaufenthalt sich textintern als literarisches Mittel plausibel machen lässt oder ob er tatsächlich notwendig einer externen Erklärung bedarf. Für den Plot der Josephsgeschichte ist Josephs Verschleppung 469 Entsprechend wird Joseph als vorausschauend planender und effektiv agierender Verwalter/„Herrscher“ gezeichnet. Das betrifft nicht nur sein Verhalten gegenüber den Brüdern, sondern auch seinen Aufstieg in Potiphars Haus und im Gefängnis sowie insbesondere seine Maßnahmen zur Bewältigung der dürren Jahre in Ägypten. 470 Komposition, 242. 471 Zu verschiedenen Vorschlägen vgl. oben S. 245f. sowie 256f.
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selbstverständlich unverzichtbar, die Geschichte funktioniert nur exterritorial: nur im fremden Land kann Joseph zu einer Machtposition gelangen, die es in der erzählten Welt in seiner Heimat so gar nicht gibt und die es zudem ermöglicht, dass ihm die Brüder als einem Fremden begegnen. Wie aber steht es mit dem Nachzug der Jakobfamilie? Soll über diesen Erzählzug Ägypten als „verlockende[s] Auswanderungsland“ präsentiert werden, „in dem man sich auf Dauer niederließ“473? Dagegen spricht zum einen, dass die Zeichnung des Ägyptenaufenthalts gerade nicht uneingeschränkt positiv ist: Nach Gen 46,34 lebt die Jakobsippe abgegrenzt von den Ägypten, denen sie als Viehhirten ein Gräuel sind ( )כי תועבת מצרים כל רעה צאן. Zudem ist ihr Wohlergehen auf Joseph focussiert, von dem allein ihre Versorgung abhängt (50,21). Zum anderen hängt die Frage mit der weitgreifenderen Problematik des Zusammenhangs von Erzeltern und Exodus zusammen.474 Die Josephsgeschichte „endet“ nur dann in Ägypten, wenn ihre Fortsetzung durch die Exoduserzählung nicht im Blick ist. Ist sie dagegen als Zwischenstück zwischen Erz elternerzählungen und Exodus konzipiert, ist Jakobs Weg nach Ägypten erzählerisch notwendig. Nur wenn man Erzeltern und Exodus zur Entstehungszeit der Josephsgeschichte nicht nur literarisch, sondern auch traditionsgeschichtlich (etwa als sich gegenseitig ausschließende Konzeptionen der Ursprünge Israels) trennt, ist der Aufenthalt Jakobs und seiner Söhne in Ägypten eine ‚dauerhafte Übersiedlung‘, die nach einer Erklärung verlangt.
Ist aber die innere Strukturierung Israels, wie sich sich in der Geschichte an der Person Josephs zeigt, nicht beliebig, gewinnt auch das Ringen um Benjamin an Profil. Die Problematik nimmt einen breiten erzählerischen Raum ein.475 Einen Versuch, die Benjamin-Problematik der Josephsgeschichte mit historischen Gegebenheiten zu verbinden, unternimmt
472 So will z.B. kaum einleuchten, warum nun ausgerechnet Joseph zum Repräsentanten der judäischen! Gola in Ägypten werden soll. LUX, Josef, unternimmt einen – in der Weichzeichnung des Herrschaftsmotivs für die Schwierigkeiten der nachexilischen Deutung aufschlussreichen – Erklärungsversuch: „Auf diesem Hintergrund scheint es plausibel zu sein, den Verfasser der Josefsgeschichte in den Kreisen zu suchen, die der ägyptischen Diaspora nahe standen. Möglicherweise kam er selbst aus ihr. Das würde die vom Erzähler vorausgesetzte Existenz aller Söhne Jakobs in der Fremde gut erklären, ebenso das Wissen, dass Josef (Nordreich Israel) diesen Weg lange vor Juda (Südreich) gehen musste, dass das Geschick Josefs nicht zuletzt auch ein Ergebnis des Streites zwischen den feindlichen Brüdern war, dass Juda nach dem Untergang des Nordreichs sich in besonderer Weise für Benjamin verantwortlich wusste“ (233). Das Ergehen des Nordreichs wird somit zu einem Paradigma judäischer Exilsdeutung, die schuldbewusst das eigene Ergehen mit den Unglück des Nordreichs parallelisiert. Neben konzeptionellen Fragen wirft die These aber auch historische auf: So fehlen jegliche Hinweise auf eine ägyptische Nordreichsdiaspora. Zudem wäre zu erläutern, ob das sog. nord-israelitische Exil dem judäischen Geschick vergleichbar war bzw. ob es im Juda des 6. Jh. noch so nachhaltig präsent war, dass es auf diese Weise herangezogen werden konnte? 473 LUX, Josef, 233. 474 Die Fragestellung kann hier nicht diskutiert werden, vgl. dazu grundlegend SCHMID , Erzväter, sowie GERTZ, Tradition; BLUM, Verbindung. Speziell zum literarischen Übergang von Gen 50 zu Ex 1 auch die aktuelle Debatte zwischen SCHMIDT, Verbindung, und BLUM, Literarkritik. 475 Dazu oben S. 252ff.
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Y. Levin.476 Er weist den betreffenden Textbereich einer nach 720 erfolgten Redaktion zu. In dieser Zeit seien die Erzelterntraditionen und auch die Saul- und Davidstoffe, die die Zuordnung Benjamins zum Nordreich voraussetzen, bereits so bekannt gewesen, dass es den verantwortlichen Schreibern notwendig erschien, „to address the historical fact of Benjaminʼs continued affiliation with Judah“.477 Levins Deutung, dass Benjamins Zugehörigkeit zum Südreich, damit begründet würde, dass Juda den jüngsten Bruder vor Joseph beschützt hätte,478 entspricht allerdings nicht der Zeichnung der Verhältnisse in der Josephsgeschichte,479 die an der Zusammengehörigkeit von Joseph und Benjamin keinen Zweifel lässt. Reflektiert die Josephsgeschichte aber das Nordreich-Königtum, gewinnt auch das Bürgschaftsmotiv Konturen. Es stellt Benjamin und Juda in eine gewisse Nähe zueinander, doch so, dass dies nur als vorübergehender Zustand verstanden wird, der an der Josephsbruderschaft bzw. der Affiliation Benjamins mit dem Nordreich nichts grundsätzliches ändert. Nicht umsonst besteht die Lösung des Bruderkonflikts a) in der Anerkennung der Sonderrolle Josephs (im Munde Judas!) und b) zugleich darin, dass Benjamin zu Joseph gelangt.480 Insgesamt stellt die Josephsgeschichte die Vorherrschaft Josephs als eine von JHWH intendierte Einrichtung dar, die für das Überleben des ganzen Hauses Israel positive Auswirkungen hat. Damit ist sie freilich keine reine Ätiologie bestehender Verhältnisse, sondern dient – wie sich zeigen wird481 – darüber hinaus politischer Propaganda. Dabei entstand, zur Freude zahlloser Leser, ein „Kleinod alttestamentlicher Erzählkunst“.482
LEVIN, Joseph. AaO., 239. Mit der Neufassung der Josephsgeschichte würde dieser Umstand nicht nur erklärt, sondern auch gerechtfertigt: „However in the face of continuing Benjaminite resentment of the Judahite occupation of southern Benjamin it was necessary to provide an explanation, in the tradition of the Patriarchal etiologies, showing how Judah had, even in long-ago Egypt, taken ‚little brother‘ Benjamin under his wing and protected him from the powerful Joseph, as a part of his overall responsibility for the children of Israel“ (240). 478 Vgl. das Zitat in der vorigen Anm. Gleiches gilt für Levins redaktionsgeschichtliche Voraussetzungen, die er nur andeutet (aaO., 239f.: eine Grunderzählung aus vorstaatlicher Zeit, tiefgreifende redaktionelle Eingriffe nach 720). 479 Vgl. oben S. 252ff. 480 Möglicherweise liegt hier auch die Erklärung dafür, dass ausgerechnet Simeon (Gen 42,24) als Geisel bei Joseph verbleibt. Neben Benjamin rückt damit auch der zweite eng mit Juda verbundene Stamm in den „Machtbereich“ Josephs. DONNER , Gestalt, 109, vermutet dagegen, dass Simeon als Zweitgeborener herhalten musste. 481 Vgl. unten S. 357ff. 482 DIETRICH, Josephserzählung, 5. 476 477
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2.2 Juda als Teil Israels – Hosea 5,1–6,6 2.2.1 „Israel“ in Amos und Hosea Für eine Untersuchung der Verwendung des Israel-Namens in Texten aus dem Nordreich kommen grundsätzlich die Schriftpropheten Hosea und Amos in Betracht, zumindest in den Textanteilen, für die eine entsprechend frühe Abfassung zu veranschlagen ist. Der nord-israelitische Anteil an beiden Prophetenbüchern wird aber in der Forschungsdiskussion recht unterschiedlich gewichtet, ein Konsens scheint gegenwärtig nicht in Sicht. 483 Daher bietet sich als Ausgangspunkt nicht ein bestimmtes redaktionsgeschichtliches Modell an, sondern wiederum ein Durchgang durch die Belege.
483 Nach dem klassischen Bild der Bücher der beiden „Nordreichspropheten“, wie es u.a. W. Rudolph, H.W. Wolff oder J. Jeremias präsentieren, sind große Teile des in den Büchern gesammelten Materials im Nordreich entstanden und waren primär an NordIsraeliten gerichtet. Das gilt unabhängig davon, ob man die Anfänge der Bücher in Spruchsammlungen (RUDOLPH, KAT Hosea, 25–27 bzw. RUDOLPH , KAT Joel, 100f.; für Am auch WOLFF, BK Joel und Amos, 129f.) oder Auftrittsskizzen (WOLFF, BK Hosea, xxiii– xxvii) sucht oder von Anfang an die kompositionellen Bezüge betont und gegenüber einer Rekonstruktion genuiner Propheten-Worte skeptisch ist (JEREMIAS, ATD Hosea, 1820, bzw. JEREMIAS, ATD Amos, XIXff., vgl. auch JEREMIAS, Beobachtungen). Spätere judäische Beiträge bestehen danach zum einen in punktuellen Ergänzungen, die die älteren Texte für judäische Leser aktualisierten, wobei für diese Fortschreibungen eine breite Streuung von der vorexilischen bis in die exilisch/nachexilische Zeit angenommen wird. Hinzu kommt zum anderen ein für die Genese der Bücher zu beachtender aber begrenzter Anteil an der Sammlungs- und Kompositionsarbeit, der nach 720 in Juda verortet wird. Die Einsichten von Jeremias zur literarischen Gestaltung der Bücher aufnehmend und weiterführend rechnet E. Blum mit größeren Zusammenhängen nord-israelitischer Herkunft: für das Hoseabuch mit einer in den letzten Jahren des Nordreichs durch den Propheten selbst erstellten Komposition in Hos *4–11.12, für Amos mit einer „AmosSchrift“, die unter Rückgriff auf älteres Amos-Material die Oberschicht im nach 732 verbliebenen Rumpfstaat Israel mit JHWHs Gericht konfrontierte (BLUM, Prophetie, 105– 107, zu Hos auch BLUM, Hosea, zu Am auch BLUM, Jesaja; BLUM, Amos). In anderen neueren Studien lassen sich zwei Tendenzen erkennen. Zum einen werden die Bücher viel stärker zu judäischen Werken. Für das Hosea-Buch rechnet z.B. VIELHAUER , Werden, nur für „einen bescheidenen literarischen Kern (Hos 5,1f.; 6,7–7,12*)“ ephraimitischer Provenienz (225), alles Übrige verdanke sich verschiedenen judäischen Fortschreibungsschichten. Für RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, stammt bereits der Grundbestand, d.h. einige einzelne Bildworte, aus Juda; das Buch selbst wird zum Ergeb nis einer kleinteiligen Wachstumsgeschichte, die theologische Dispute und Konflikte in nachexilischen Jerusalemer Kreisen zu verschiedenen Themen spiegelt. Für das AmosBuch reduziert z.B. KRATZ, Worte, den amosisch/nord-israelitischen Grundbestand auf die „Bildworte“ 3,12ab; 5,2.3.19 und die „Partizipien (Weherufe)“ 3,12b ; 4,1a2; 5,7; 5,18a.20 (oder 5,18a b20), wobei es sich nach Kratz allerdings auch „um befreiende Stoßseufzer“ aus „judäischer Perspektive“ gehandelt haben könnte (80.86; zur Diskussion der Thesen von Kratz, vgl. BLUM, Prophetie, 99–101). RADINE , Book, entkoppelt Buch und Propheten völlig vom Nordreich; das Buch sei vielmehr nach 720 in Juda entstanden und solle vor einem Adressatenkreis aus Judäern und Nordreichsflüchtlingen einerseits das Ende Nord-Israels rechtfertigen und andererseits Juda vor einem ähnlichen Schicksal bewahren.
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
Im Hosea-Buch begegnet „Israel“ an 43 Stellen, sowohl als einfaches ישׂראל484 als auch in Zusammensetzungen wie בני ישׂראלa(2,1.2; 3,1.4.5; 4,1),a בית ישׂראלa(1,4.6; 5,1; 6,10a; 12,1),a שׁבטי ישׂראלa(5,9) oder מלך ישׂראלa(1,1; 10,15). Da in Hos 5,5b eine Dittographie von ישׂראלaus 5,5a vorliegt, ist dieser Beleg zu streichen. 485 In der überwiegenden Mehrheit der Belege referiert „Israel“ auf das Nordreich. Wann diese Verwendungsweise gegeben ist, lässt sich meist relativ einfach erheben, da hier ישׂראלhäufig in Parallele zu ( אפריםim direkten Parallelismus: 5,3.5; 6,10; 7,1; 10,6; 11,8; 12,1; im unmittelbaren Kontext: 4,16; 7,10; 8,8; 9,1.7; 10,1.8; 13,1.9) oder im Gegenüber zu יהודהa(1,1; 2,2; 4,15; 8,14) erscheint. 486 Für Hos 1,4f. ergibt sich die Referenz auf Nord-Israel aus der Nennung von Jesreel bzw. des Hauses Jehu. Daher ist auch בית ישׂראל in 1,6 auf den Norden zu beziehen. Hos 5,1; 8,6; 10,9.15 referieren ausweislich der genannten Ortslagen auf das Nordreich.487 Weniger eindeutig ist der Befund in Hos 3,1.4f.; 4,1; 8,2f. da die Entscheidung hier nicht von der literargeschichtlichen Einordnung der Texte zu trennen ist. Handelt es sich bei Hos 3,1-5 um ein vor 720 entstandenes Prophetenwort, würde die Referenz von בני ישׂראלin 3,1.4f. wohl auf der Linie der zuvor genannten Stellen liegen und die Bevölke rung des Nordreichs meinen. Wenn für Hos 3,1-5 in der aktuellen Diskussion aber überhaupt noch erwogen wird, dass es sich um eine authentisches Hoseawort handeln könnte, dann meist um den Preis einer weitgehenden Reduktion des angenommenen Grundbestands, die dann häufig auch die „Israel“-Belege betrifft. 488 Andere Studien gehen für Hos 3,1-5 insgesamt oder – sofern ein mehrstufiges Wachstum angenommen wird – schon für die ältesten Stufen von einer Entstehung in nachexilischer Zeit aus. 489 Dafür, wer hier als בני ישׂראלbezeichnet ist, werden dann unterschiedliche Optionen vertreten. R. Vielhauer sieht den Text als Exilsdeutung aus nachexilischer judäischer Zum anderen wird selbst da, wo man mit einem substantiellen – in seinem Umfang freilich recht unterschiedlich bestimmten – nord-israelitischen Grundbestand rechnet, der Weg dieses Grundbestands hin zu Büchern in Sinne größerer bewusst gestalteter Kompositionen zunehmend komplexer. Rekonstruiert wird eine teilweise sehr kleinteilige in der Zuweisung der einzelnen Texte und ihrer Datierung ganz unterschiedlich bestimmte Redaktions- und/oder Fortschreibungsgeschichte. Für das Hosea-Buch sind hier unter den neueren Arbeiten u.a. YEE, Composition; NISSINEN , Prophetie; WACKER, Figurationen; PFEIFFER, Heiligtum, zu nennen (einen instruktiven Forschungsüberblick bietet RUDNIG ZELT, Hoseastudien, 20–43). Für Amos sei neben den oben genannten exemplarisch auf ROTTZOLL, Studien; LEVIN, Amosbuch; BECKER, Prophet; HADJIEV , Composition, verwiesen. 484 4,15.16; 5,3a.3b.5; 6,10b; 7,1; 8,2.3.6.8.14; 9,1.7.10; 10,1.6.9; 11,1.8; 12,14; 13,1.9; 14,2.6 sowie die Konstruktusverbindungen קשׁת ישׂראלa1,5, גאון ישׂראלa7,10 sowie חטאת ישׂראלa10,8. 485 R OST, Israel, 21; WOLFF, BK Hosea, 120. Dagegen ist in Hos 12,3 „Juda“ nicht ursprünglich, wahrscheinlich ist ein älteres „Israel“ oder auch „Ephraim“ ersetzt worden, dazu WOLFF, BK Hosea, 267; JEREMIAS, ATD Hosea, 152; BLUM, Hosea, 299, Anm. 39; anders PFEIFFER, Heiligtum, 72, Anm. 29. 486 Auch wenn es sich bei diesen Gegenüberstellungen mit großer Wahrscheinlichkeit um judäische Aktualisierungen handelt, sind sie doch ein Beleg dafür, dass die Ergänzer „Israel“ in den ihnen vorliegenden Texten als Bezeichnung des Nordreichs verstanden. 487 R UDNIG -ZELT, Hoseastudien, 57f., mahnt allerdings bei Rückschlüssen aus der Nennung nicht sicher identifizierter Ortslagen mit Recht zur Vorsicht. An den genannten Stellen wird die Referenz auf den Norden aber jeweils durch den Kontext gestützt. 488 So etwa bei HAAG , Ehe, 2-7, vgl. auch SCHERER , Verhältnis, 27f.; WILLI-PLEIN, Vorformen, 126-129 u.a.
2. „Israel“ in Texten aus dem Nordreich
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Perspektive und die genannten Israeliten dann primär als Judäer.490 S. Rudnig-Zelt vermutet hinter Hos 3,1-4 eine Auseinandersetzung mit der Kultpraxis im perserzeitlichen Samaria, K. Weißflog eine judäische Reflexion enttäuschter Hoffnungen auf einen gemeinsamen Neubeginn mit dem ehemaligen Nordreich in früh-nachexilischer Zeit; in beiden Fällen wären als בני ישׂראלNord-Israeliten angesprochen.491 In jedem Fall ließe sich der Text nicht für den Sprachgebrauch im vorexilischen Nord-Israel heranziehen. Bei Hos 4,1-2492 fällt die strukturbildende Funktion auf; die Verse bilden den Auftakt einer größeren Komposition, die hier als דבר יהוהeingeführt und zugleich als ריב יהוה näher bestimmt wird. 493 4,1b.2 bündeln vorwegnehmend die im Folgenden vorgetragenen Anklagepunkte gegen Nord-Israel. Wie weit der Horizont dieses Auftakts reicht, wird unterschiedlich bestimmt; J. Jeremias sieht einen bis zu Hos 11 reichenden Bogen, R. Vielhauer denkt an Hos 9,1–9. 494 Die Frage kann hier offen bleiben. Über die Verwendung von בני ישׂראל495 ergibt sich eine Verbindung zu 3,1-5. Ob hier ein Zusammenhang besteht, muss eine genauere Untersuchung von Hos 3 klären. 496 Hos 8,2f.497 stellen der konkreten Liste der Vorwürfe in 8,4–14 ein „Grundsatzurteil“498 voran und dienen somit 489 Einen Überblick über Diskussion bietet WEISSFLOG , Zeichen, 452ff., der selbst mit guten Gründen für die Einheitlichkeit von Hos 3,1-5 plädiert (aaO., 387-406.455). Für die historische Einordnung wird meist mit literarischer Abhängigkeit von Hos 1f. argumentiert (so z.B. YEE, Composition, 58; WACKER, Figurationen, 217f.; VIELHAUER, Werden, 134f.) bzw. 3,1b über Sprachgebrauchsargumente als nachdtr ausgewiesen, womit ein Anhalt für die Datierung des gesamten Abschnitts gegeben scheint (so YEE, Composition, 60; VIELHAUER , Werden, 135). Abgesehen von v. 1b – dessen Ursprünglichkeit ganz oder teilweise in Frage steht (zur Problematik vgl. WEISSFLOG , Zeichen, 454) – ist m.E. für die Datierung des Abschnitts v.a. die Mängelliste in v. 4 signifikant, die eine Situation ohne König, Obersten, Opfer, Massebe, Ephod und Teraphim voraussetzt, die weder vor 720 noch nach dem Exil so recht zu passen scheint, aber gut mit den Gegebenheiten im Nordreich kurz nach dessen politsichem Ende vereinbar ist. Es ist daher zu überlegen, ob in Hos 3,1-5 nicht eine nach 720 verfasste Einleitung und Leseanleitung für Hos *4-11 aus ephraimitischer Perspektive vorliegt. 490 Ebd. 491 R UDNIG -ZELT, Propheten; WEISSFLOG , Zeichen, 456. 492 Hos 4,3 ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Nachtrag, so bereits MARTI , KHC 39, vgl. zur Begründung JEREMIAS, ATD Hosea 62f.; RUDNIG -ZELT, Hoseastudien 122f.131f., sowie VIELHAUER, Werden, 101, Anm. 139.141 mit weiterer Literatur. 493 J EREMIAS , ATD Hosea, 59. 494 AaO., 60; VIELHAUER , Werden, 96–98. 495 בני ישׂראלerscheint nur noch im späten Hos 2,1–3, vgl. dazu 165f. 496 Einen solchen vermutet HAAG , Ehe, 9, allerdings auf der Ebene, der von ihm in 3,1–5 angenommenen Redaktionsschicht 3,1b.4.5a. 497 Hos 8,1 ist gegenüber v. 2f. wahrscheinlich sekundär. Das muss für v. 1b nicht erneut begründet zu werden (vgl. ausführlich PFEIFFER, Heiligtum 133, mit weiterer Literatur). Die Einordnung von 1a hängt v.a. an der Deutung von בית יהוה. Ist damit der Tempel bezeichnet, ist für den gesamten Vers eine judäisch-nachexilische Herkunft wahrscheinlich (so RUDNIG -ZELT, Hoseastudien 184 sowie zu בית יהוהauch 180), ist „der Raum, das Gebiet JHWHs“ gemeint (RUDOLPH, KAT Hosea 162; vgl. JEREMIAS, ATD Hosea 104), fällt die Entscheidung weniger eindeutig aus. Ohne v. 1 ist aber auch der oft konstatierte und literarkritisch ausgewertete Wechsel von der JHWH-Rede in v. 2 zur Prophetenrede v. 3 hinfällig. 498 J EREMIAS , ATD Hosea, 105.
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
als proleptische Überschrift, die in kompositioneller Funktion verschiedene Einzelpunkte zusammenbindet,499 die ausweislich von 8,8 ebenfalls auf Nord-Israel bezogen sind. Daneben gibt es eine Reihe von Belegen mit unbestimmter Referenz. In diese Kategorie gehören alle Rückblicke auf ein Israel der Vorzeit (Hos 9,10; 11,1) sowie auf den Erzvater Jakob (12,14). Sie geben selbst keine Auskunft darüber, ob eine gesamt-israelitische Referenz intendiert gewesen sein kann500 (die Möglichkeit einer derartigen Rezeption ist unbestritten). Letzeres hängt vielmehr von der literar- und traditionsgeschichtlichen Modellbildung ab (etwa der Frage, wie die Exodus- bzw. Wüstenwanderungstradition ausgesehen hat, auf die angespielt wird). Für Amos ergibt sich folgendes Bild: 501 In den meisten Fällen bezeichnet „Israel“ das Nordreich. Das lässt sich häufig aus dem direkten Kontext erschließen. So erfolgt die Disambiguierung in Am 1,1 durch das Gegenüber von Israel und Juda und die Nennung von Jerobeam II. In ähnlicher Weise bestimmt auch in 7,9 sowie 7,10f. die Erwähnung von Jerobeam bzw. seines Hauses den Bezug auf Nord-Israel. Von 7,10f. her sind dann auch die „Israel“-Belege in 7,15–17 auf das Nordreich zu beziehen.502 Bethel als Schauplatz des Geschehens weist ebenfalls in das Nordreich. Aufgrund der genannten Ortslagen ist weiterhin für 3,12.14; 4,5; 5,4 503 sowie 6,14504 eine Referenz auf den Norden anzunehmen. 499 Als kompositionelles Element deutet Hos 8,1–3* auch VIELHAUER , Werden, 120– 123.226f., allerdings im Zusammenhang einer „kultpolemischen Ergänzungsschicht“, die er in Juda und „in den beiden letzten Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts v.Chr.“ verortet (124). Als Begründung führt er die Bezüge zu Hos 5,8–6,6* an. Letztere sind jedoch so unspezifisch („Ertönen des „ ;“שׁופרAussprechen der falschen Gotteserkenntnis“ (;)ידע „exponiert plazierte Personalpronomen 3.m.pl.“; „die Bezeichnung der politischen Machthaber (Wurzel שׂר ;מלךbzw. )“)שׂרר, dass sie für das Postulat einer Text-TextBeziehung kaum hinreichend sind. 500 So z.B. ROST, Israel 16f., für Am 9,7. 501 Im Amos-Buch gibt es 30 „Israel“-Belege; der Name erscheint – z.T. als nomen rectum diverser Constructus-Verbindungen – in 1,1; 2,6; 3,14; 4,12(2x); 5,2; 7,9.11.16f. und als Apposition zu עמיmit Bezug auf JHWH in 7,8.15; 8,2; 9,14. Daneben begegnen die Zusammensetzungen בני ישׂראלa(2,11; 3,1.12; 4,5; 9,7) und בית ישׂראלa(5,1.3.4.25; 6,1. 14; 7,10; 9,9) sowie מלך ישׂראלa1,1; 7,10). Im App. BHS wird zudem vorgeschlagen in 5,6 anstelle von לבית אלin Anlehnung an Hos 10,15 und mit Ö לבית ישׂראלzu lesen. Die Lesart von Ö erklärt sich aber am besten als nachträgliche Verallgemeinerung (WOLFF, BK Joel und Amos, 269), so dass keine Emendation nötig ist. 502 Zu Deutung und Datierung von Am 7,10–17 vgl. RIEDE, Erbarmen, 283–294, mit weiterer Literatur. 503 Die Referenz auf Nord-Israel ergibt sich aus 5,5f., in 5,6 erscheint zudem בית יוסף. Die Erwähnung von Beerscheba neben Bethel und Gilgal mag überraschen. Möglicherweise steht sie in Verbindung zu den „Höhen Isaaks“ in 7,9 (vgl. 7,16) und spielt auf einen v.a. für Nord-Israeliten bedeutsamen Kultort im Negev an. Die Pithos-Inschriften von Kuntillet ʻAǧrūd (HAE 59–64), die in ihren Segensformeln neben יהוה שׁמרן (KAgr(9):8) auch ( יהוה תמןKAgr(9):9 und KAgr(9):10) nennen, könnten ein weiteres Indiz für einen im Negev gelegenen Kultort sein, der v.a. für Nord-Israeliten bedeutsam war, vgl. dazu BLUM, Mose, 55ff. 504 Zur Identifikation der Ortsnamen und der Lokalisierung des durch sie begrenzten Gebiets vgl. JEREMIAS, ATD Amos, 93, der festhält: „In jedem Fall ist an das Nordreich in seiner weitesten Ausdehnung in Nord-Südrichtung gedacht.“ Ähnlich zuvor ROST, Israel, 15; WOLFF, BK Joel und Amos, 335f.
2. „Israel“ in Texten aus dem Nordreich
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Für 2,6 ergibt sich die Referenz auf Nord-Israel im vorliegenden Text aus der Nennung Judas in 2,4; „Israel“ kann also weder eine alternative Bezeichnung für Juda noch für ein größeres Gesamt-Israel sein. Nun ist die Juda-Strophe mit großer Wahrscheinlichkeit ein sekundärer Bestandteil des Völkerorakelzyklus, 505 so dass diese Art der Disambiguierung für den Grundbestand nicht vorauszusetzen ist. 506 Dennoch besteht weitgehend Konsens, dass „Israel“ in 2,6 auf das Nordreich referiert.507 Für בית ישׂראלin 6,1 leistet der Kontext die Disambiguierung. Im vorliegenden Text sind die „Sorglosen in Zion“ ( )השׁאננים בציוןim Blick, zu denen das „Haus Israels“ kommt ( )ובאו להם בית ישׂראלund die „der Zusammenbruch Josephs nicht kümmert“ (v. 6: ולא נחלו )על שׁבר יוסף. Neben den in Zion verorteten Adressaten ist also eine zweite Gruppe im Blick, vermutlich Flüchtlinge aus dem Nordreich, dessen Ende bereits vorausgesetzt ist.508 Es verbleiben somit Am 3,1; 5,1–3; 7,8 und 8,2 als Stellen, an denen sich die Refe renz nicht aus dem unmittelbaren Kontext ergibt. Eine generalisierende Deutung auf das Nordreich ist sicher zu einfach509, allerdings hat es eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich, die übrigen Belege in Analogie zu den eindeutigen Stellen, auf das Nordreich zu beziehen, schließlich ist ein Wechsel der Referenz an keiner der Stellen angezeigt und wäre somit für die Leser nicht erkennbar.510 Für Am 3,1 und 5,1–3 lässt sich diese Deutung zudem durch die kompositionellen Bezüge erhärten. Am 3,1a und 5,1 sind Hörauf rufe innerhalb der größeren Komposition Am *3–6, die sich durch ihren durchkonstruierten Aufbau als literarische Größe zu erkennen gibt.511 3,1a leitet eine Gottesrede an die בני ישׂראלein, 5,1 eine als Klage gestaltete Prophetenrede über בית ישׂראל.512 Gegenstand der Klage ist die בתולת ישׂראל, die in 5,3 auf der Sachebene wiederum mit בית ישׂראל identifiziert wird. Der deutliche kompositionelle Zusammenhang erlaubt es nun, in diesem Fall die übrigen „Israel“-Belege innerhalb von Am 3–6 zur Deutung heranzuziehen. Für 3,12.14; 4,5; 5,4; 6,1.14 hatte sich eine Referenz auf Nord-Israel gezeigt. Hinzu kommt, dass auch der das Zentrum der Komposition bildende und selbst wiederum konzentrisch gestaltete Abschnitt 5,1–17 genauere Angaben über die Adressaten ermöglicht. Angesprochen ist in 5,6 das „Haus Joseph“ ( )בית יוסףbzw. in 5,15 der „Rest Josephs“ ( )שׁארית יוסף, der zur Umkehr zu JHWH gerufen wird, was sich konkret in der 505 Das ist weitgehend Konsens. Andere Wege geht unter den neueren Auslegern lediglich RADINE , Book, der nur 2,6ff. für ursprünglich hält und den Juda-Spruch zusammen mit den übrigen Völkerorakeln als „ex eventu ‚prediction‘“ und „literary portrayal of an overall regional devastation“ aus der Exilszeit einordnet (217, vgl. 170–183). 506 Immerhin bestätigt der Nachtrag, dass der Ergänzer „Israel“ in 2,6 auf das Nordreich bezog, anderenfalls hätte es keine Veranlassung gegeben, einen eigenen Abschnitt zu Juda einzutragen. 507 Sogar B ECKER , Prophet, rechnet 2,6 zu den wenigen Belegen im Amosbuch, bei denen sich die „Bezeichnungen „Jakob“ und „Israel“ auch speziell auf das Nordreich beziehen lassen könnten“ (156 mit Anm. 56; Hervorhebung i.O.). 508 Vgl. zu Am 6,1–7 B LUM , Amos. 509 Vgl. WOLFF, BK Joel und Amos, 348: „‚Israel‘ meint hier [sc. Am 7,8; K.W.] wie immer bei Amos das Nordreich.“ 510 Doch zeigt das Beispiel der wohl auf Juda zu beziehenden Ergänzung 9,11–14, dass derartiges durchaus vorkommen kann. 511 Grundlegend sind die Einsichten von JEREMIAS , Beobachtungen, vgl. auch R OTT ZOLL, Studien, 3ff., sowie STEINS , Chaos, 37–41, der für Am 3–6 insgesamt eine konzentrische Struktur herausarbeitet. Bei Am 3,3–8 handelt es sich aber möglicherweise um einen Einschub (vgl. die Stichwort- und Motivbezüge zu Am 1,2 mit seiner judäischen Perspektive).
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
Abkehr vom in 5,7.10–13 beschriebenen Rechtsbruch zeigen soll. Das „Haus Joseph“ weist ebenfalls auf das Nordreich, u.U. sogar genauer auf die nach 732 verbliebenen Rumpfstaat im Bereich Ephraim und Manasse. 513 Für Am 7,8 und 8,2 hängt die Entscheidung letztlich an redaktionsgeschichtlichen Einsichten. Beide Belege finden sich im zweiten Visionspaar des Visionenzyklus im Amosbuch. Sie sind zugleich die einzigen „Israel“-Belege in den Amosvisionen (daneben begegnet noch „Jakob“ in 7,2.5). Traditionell verortet man die Visionen im späteren 8. Jh. und ihre primären Adressaten im Nordreich Israel. Diese Einschätzung überzeugt nach wie vor, insbesondere angesichts der diskutierten Alternativen und der literarhistorischen Stratigraphie.514 Für ישׂראלin 7,8 und 8,2 folgt daraus, dass auch diese beiden Belege auf das Nordreich, genauer auf seine Bevölkerung, referieren. In den Rückblicken auf ein Israel der Vorzeit (Am 5,25; 9,7) bleibt die Referenz im Blick auf die Alternativen Nordreich, Südreich oder Gesamt-Israel unbestimmt. Die Belege in den nachexilischen Fortschreibungen Am 2,9–12; 9,7–15 sind für die vorlie gende Fragestellung nicht einschlägig.
2.2.2 Hos 5,1–6,6 als literarische Einheit Hos 5,9 nennt als Adressatenkreis der prophetischen Botschaft die Stämme Israels ( )שׁבטי ישׂראל. Der Vers ist Teil des größeren Abschnitts Hos 5,1–6,6, der in zweifacher Hinsicht eine Sonderstellung innerhalb des HoseaBuches einnimmt: zum einen verbinden sich hier auf besondere Weise politische und kultische Aspekte, zum anderen ist dies die einzige Stelle, in der neben Nord-Israel auch Juda explizit zum Thema wird515 und der Israel-Name für Gesamt-Israel Verwendung findet. Wenn hier Hos 5,1–7 und 5,8–6,6 als ein Zusammenhang betrachtet wird, widerspricht dies dem breiten Trend innerhalb der Forschung, beide Abschnitte als unabhängige Stücke, mit je eigener, z.T. komplexer Vorgeschichte, zu betrachten.516 512 Aus dem Nebeneinander von ישׂראלbzw. בני ישׂראלin Am 3f. und בית ישׂראלin 5f. hat WOLFF, BK Joel und Amos, 199f., geschlossen, dass „Haus Israel“ bei Am den Staat des Nordreichs bezeichne, einfaches „Israel“, „Israeliten“ oder „mein Volk Israel“ das „Gottesvolk“. In der Tat wird בית ישׂראלzumeist dann gebraucht, wenn es um Institutionen des Gemeinwesens oder das Nordreich als verfasste Größe geht (5,1.3.4; 6,1.14; 7,10; 9,9). ישׂראלbzw. בני ישׂראלbezeichnen die Bevölkerung dieses Gemeinwesens, die wie JEREMIAS , ATD Amos, 63, herausstellt, „gegenüber [ihrem] Herrn völlig versagt hat“. Was Wolff und Jeremias hier mit „Gottesvolk“ meinen, ist also die Bevölkerung des Nordreichs in ihrer Bezogenheit auf JHWH (vgl. auch JEREMIAS, Beobachtungen, 131: „Der Staat geht seinem Untergang entgegen, weil das Gottesvolk versagt hat“.). Davon zu unterscheiden ist die umfassende Rede von einem „Gottesvolk“ aus Juda und Israel, das BECKER, Prophet, 156, vom „Staatsvolk“ unterscheiden möchte, zur Frage vgl. unten S. 348ff. 513 Vgl. BLUM , Prophetie, 105. Primäre Adressaten von Am *3–6 wären dann die Angehörigen der nord-israelitischen Oberschicht. 514 Zu Am 7,8; 8,2 gl. unten S. 348f. 515 Abgesehen von späteren judäischen Aktualisierungen sowie möglicherweise den nachexilischen Fortschreibungen Hos 2,1–3; 14,2ff.
2. „Israel“ in Texten aus dem Nordreich
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Dass Hos 5,8–6,6 eine „unauflösliche literarische Einheit … bilden“, hat insbesondere J. Jeremias517 vertreten und zur Begründung auf die bewusste Aufnahme von Stichworten und Wendungen aus 5,8–14 in 5,15–6,6 518 sowie auf den stringenten Aufbau verwiesen. Jeremias findet in 5,8–14 einen Gedankengang mit doppeltem Gipfel: der Abschnitt v. 8– 11 vergegenwärtige Ereignisse im syrisch-ephraimitischen Krieg und diene als Illustration für das „grundsätzliche theologische Fazit in V. 12–14“, das die Verbundenheit der beiden Bruderreiche in ihrer „Schuld zum Tode, zur unrettbaren Verlorenheit“ festhalte.519 5,15–6,6 setzten an diesem Punkt noch einmal neu an: „Noch einmal wartet Jahwe in Geduld zu, ob sich das Gottesvolk besinnt.“ 520 Da die „Willenserklärung“ (6,1–3) sich jedoch als unzureichend erweise, bleibe nur die Strafe (6,4ff.). Die Einsicht Jeremiasʼ in die literarische Gestaltung des Zusammenhangs bewährt sich auch gegenüber neueren Versuchen, den Abschnitt auf verschiedene Hände aufzuteilen.521 Einen solchen unternimmt R. Vielhauer, der 5,8–14 innerhalb von 5,8–6,6 als Grundschicht und 5,15–6,4.6 als Ergänzungsschicht ansieht. 522 Für Vielhauer gibt es eine „inhaltliche Verschiebung“ in 5,15ff. gegenüber 5,12–14 im Blick auf Gericht und Gotteserkenntnis: 5,14 spreche vom „definitiven und umfassenden Gericht“, 5,15 vom „abwartenden Rückzug JHWHs, ob das Volk nicht doch zur Einsicht kommen wolle“; in 5,12–14 entspreche die Erkenntnis JHWHs der „Erkenntnis des von ihm gewirkten Gerichts“, in 5,15–6,6 der „Erkenntnis des eigentlichen JHWH, der im Kult unerreichbar ist.“523 Basis der Argumentation ist die These, dass die Rede des Volkes in 6,1–3 524 in 516 So unter den neueren Auslegern z.B. DEISSLER , NEB, 27.29; J EREMIAS , ATD Hosea, 73ff.79ff.; RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 162; VIELHAUER, Werden, 45ff.75ff. u.a.m. (vgl. die Zusammenstellung verschiedener weiterer Abgrenzungsvorschläge bei BEN ZVI, Hosea, 122). Ben Zvi selbst sieht Hos 5,1–7,2 als Zusammenhang (120ff.). Unter den älteren rechnen MARTI, KHC, 49, sowie NOWACK, HAT, 36, Hos 5,8f. zu v. 1–7. NISSINEN , Prophetie, 148f, sieht einen Zusammenhang von 5,1f. und 5,8ff. und betrachtet 5,3–7 als „nachträgliche[n] Kommentar“. 517 J EREMIAS , ATD Hosea, 80, vgl. zu 5,8–14 JEREMIAS , Löwe. 518 Dazu vgl. auch BEN Z VI , Hosea, 121f.; VIELHAUER , Werden, 50. 519 J EREMIAS , Löwe, 112. 520 J EREMIAS , ATD Hosea, 80. 521 R UDNIG -ZELT, Hoseastudien, hat 2006 ein sehr kleinteiliges Wachstumsmodell für das Hoseabuch vorgelegt. Innerhalb von 5,1–6,6 findet sie diverse, teilweise nur Halbverse umfassende Schichten. Die Analyse, die in ihren Implikationen für das gesamte Buch wahrgenommen werden müsste, kann hier nicht en detail diskutiert werden (zu einigen Punkten vgl. die folgenden Anm.). Bezogen auf Hos 5,1–6,6 erweist sich, abgesehen von der Plausibilität eines derartigen mit vielfachen „Konglomerat-Schichten“ rechnenden Textentstehungsmodells, auch das Ergebnis der Rekonstruktion als problematisch. So präsentiert Rudnig-Zelt als eine der relativ frühen Formationsstufen des Hoseabuches eine „anonyme Prophetenrede“, zu der sie aus dem hier interessierenden Textbereich Hos 5,1*; 6,4b und darüber hinaus weitere Einzelverse aus Hos 6–10 rechnet (vgl. die Zusammenstellung aaO., 276). Darin ist schon der Anschluss von 6,4 an 5,1 durch den Wechsel der Metaphorik auffällig. Zudem bleibt die Nennung des בית המלך unter den Adressaten zunächst ein blindes Element und führt letztlich zu einem Bruch, wenn in 7,3 über den König geredet wird und in 10,3f. sogar die Abwesenheit eines Königs vorausgesetzt ist. (Rudnig-Zelt muss daher davon ausgehen, dass Hos 5,1* eine „Debatte über Abkömmlinge des Königshauses und Priester“ einführe [aaO., 115]). Die Liste ließen sich erweitern; legte man das literarkritische Instrumentarium an, mit dem Rudnig-Zelt die Hosea-Texte bearbeitet, wäre hier kaum ein Zusammenhang zu finden.
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v. 4–6 zurückgewiesen werde und sich somit als unpassend (falsche Gotteserkenntnis) erweise. Vielhauer macht mit seiner Argumentation erneut auf 6,1–3 als crux innerhalb von Hos 5,8–6,6 aufmerksam; an der Interpretation dieser Rede und ihres Zusammenhangs mit 6,4 entscheidet sich die Deutung und (zumeist) die Frage der Einheitlichkeit des gesamten Abschnitts. Häufig wird die in 6,1–3 ausgedrückte Hinwendung des Volkes zu JHWH von 6,4 her als Ausdruck einer entweder defizienten 525 oder zwar aufrichtig gemeinten aber nicht nachhaltigen Umkehr526 gedeutet. Inhaltlich liefert die Rede jedoch keine Hinweise dafür, im Gegenteil: mit der Formulierung ( ידע את יהוהv. 3) entspricht das Volk gerade dem, was nach 6,6 von ihm gefordert ist (vgl. auch 5,4) und auch darüber hinaus JHWHs Forderung entspricht. 527 Vom Kult ist in 6,1–3 keine Rede! 528 Die Aussagen des Volkes liegen zudem auf der Linie des in 5,13 Thematisierten; das Volk wendet sich JHWH als demjenigen zu, der tatsächlich heilen kann. 6,1–3 bilden somit den positiven Gegenpart sowohl zu den Vorwürfen von 5,12–14 als auch zu 6,6 (sowie 5,3–7 dazu i.F.). Die Rede ist also inhaltlich nicht zu beanstanden, sie entspricht vielmehr dem, was 5,15 als Ziel des Gerichts und des Rückzugs JHWHs von seinem Volk bestimmt. Rückzug und Gericht sollen das Volk veranlassen, seine Schuld zu erkennen und nach JHWH zu suchen ()עד אשׁר יאשׁמו ובקשׁו פני. Eingeleitet von 5,15 präsentieren 6,1–3 demzufolge, wie das Volk sprechen könnte, wenn es diese Umkehr vollzieht. Entscheidend ist nun, dass diese Aussage innerhalb der Gottesrede vorgetragen wird, d.h. JHWH imaginiert eine derartige Rede des Volkes. Wenn JHWH aber selbst eine fiktive Rede des Volkes 522 VIELHAUER , Werden, 45–63, in Weiterentwicklung eines Vorschlags von KRATZ , Erkenntnis, 7–11. Hos 6,5 ist für Vielhauer eine spätere Ergänzung (61f.). 5,8–14 weist er seiner „Juda-Schicht“ zu, d.h. einer nach 720 angesetzten Fortschreibungsschicht, die den Adressatenkreis des älteren Materials auf Juda ausweitet und „Ephraim und Juda nun als eine Einheit unter des Vernichtungsgericht desselben Gottes JHWH“ stellt (118). 5,15– 6,6* gehören zu einer weiteren Fortschreibungsschicht „kultpolemische Schicht“, die die älteren politisch begründeten Gerichtsankündigungen um kultisch motivierte ergänze (120). 523 VIELHAUER , Werden, 60. 524 Vielhauer versteht 6,1–3 als „fiktive[.] Rede des Volkes“ (aaO., 52). Diesen Weg hat JEREMIAS, ATD Hosea, 84, mit seiner Einschätzung gewiesen, die Äußerung des Volkes entspreche nicht „einer mitstenographierten spontanen Meinungsäußerung, sondern stellt eine Gesamtdeutung der Möglichkeiten und Absichten des Volkes in der Terminologie des Propheten dar.“ 525 Die Erklärungen laufen meist darauf hinaus, dass es dem umkehrenden Volk entweder an der wirklichen Umkehr (ALT, Hosea, 185; UTZSCHNEIDER, Situation, 100f.) oder an der rechten Gotteserkenntnis mangele (BEN ZVI, Hosea, 135: „Israelʼs response in 6:1– 3 was ephemeral and not informed by knowledge of YHWH“; vgl. u.a. WOLFF, BK Hosea, 151; JEREMIAS, ATD Hosea, 86). 526 So schon B UDDE , Text, 32: „Nicht, daß Inhalt und Umfang der Vorsätze, die er das Volk äußern läßt, ausreiche, bezweifelt Jahwe in V. 4, sondern nur, daß sie den Stand halten und zu stetiger Ausführung gelangen, statt daß es bloß bei guten Vorsätzen bleibt, mit denen bekanntlich der Weg zur Hölle gepflastert ist.“ Ähnlich auch SELLIN, KAT, 52; RUDOLPH , KAT Hosea, 138; DEISSLER, NEB, 32; BONS , Hosea, 92; VIELHAUER, Werden, 53. 527 Dazu WOLFF, Wissen. 528 Dafür, dass 6,1–3 eine „Ephraim und Juda gemeinsame Kulthandlung“ impliziere bzw. dass eine solche durch 6,4 „suggeriert“ werde (VIELHAUER, Werden, 52f., Anm. 9), gibt es m.E. keine Hinweise im Text.
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zitiert, sprechen 6,4f. kein Urteil über die Rede selbst, sondern über das Volk, dass eben nicht auf diese Weise zu JHWH spricht.529 Trifft diese Deutung zu, ergeben sich folgende Konsequenzen: (a) 5,8–14 und 5,15– 6,6 bilden einen stringenten Zusammenhang. Sie unterscheiden sich weder in der Frage der Unabwendbarkeit des Gerichts noch im Blick auf die geforderte Gotteserkenntnis. Das Gericht hat eine primär pädagogische Funktion, es ist das letzte aber nunmehr notwendige und daher unabwendbare Mittel, das Volk zur Gotteserkenntnis und zur Abkehr von trügerischen Hoffnungen (sei es im Vertrauen auf politische Mächte oder kultische Aktivitäten) zu führen. (b) Hos 5,1–7 passen sich gut als Einleitung der Komposition ein. Die zahlreichen Stichwortverbindungen sind auch hier nicht zu übersehen 530 Das Eingreifen JHWHs wird in v. 2 als „Züchtigen“ 531 eingeführt, was sich gut zur dargestellten pädagogischen Funktion des Gerichts in 5,8ff. fügt. Die auf Ephraim bezogene Situationsanalyse in v. 3–7 bietet den Hintergrund, vor der sich die Argumentation von 5,15ff. eigentlich erst richtig erklärt: hier wird die Verunreinigung und mangelnde Gotteserkenntnis Ephraims, seine Unfähigkeit zur Umkehr, die fehlgeleitete kultische Aktivität festgehalten, die das Urteil von 6,4f. sowie die Abwendung JHWHs und das Gericht letztlich notwendig machen.
Die Argumentationsstruktur des Abschnitts lässt sich wie folgt nachzeichnen: V. 1a fungiert als Einleitung und Themenangabe. Der Vers nennt im dreifachen Höraufruf mit den Priestern, dem Haus Israel und dem Königshaus, eine Trias von Adressaten (v. 1a). Diese werden für das Verderben dreier Städte (v. 1b.2) verantwortlich gemacht. Beide Dreierreihen schließen mit einer Gerichtsankündigung ab. V. 3–7 beschäftigen sich mit Ephraim. V. 3–4 sind durch die konzentrische Gestaltung über die Stichworte ( ידעv. 3a.4b) sowie ( זנהv. 3b.4b) als Untereinheit zu erkennen. Im Zentrum der Struktur steht die Feststellung, dass Ephraim die Umkehr zu JHWH unmöglich ist (v. 4a, vgl. die Rede von der Unreinheit v. 3b). V. 5–6 thematisieren die erfolglose Suche Ephraims nach JHWH im Kult, die zu nichts führen kann, da JHWH selbst sich entzog (v. 6 )חלץ מהם. Der Abschnitt endet mit einer Gerichtsansage v. 7b. V. 8–10(11) wenden sich Juda zu. In v. 8.9a zitiert der Prophet seine eigene frühere Verkündigung, d.h. ein Wort, das einen judäischen Vorstoß in Richtung Ephraim rechtfertigt. Es handelt sich zunächst um eine Reihe von Imperativen (v. 8), in denen drei Ortslagen aufgefordert werden, Kriegslärm hören zu lassen. V. 9a kündigt die Vernichtung Ephraims an. Weitgehend unbestritten ist, dass v. 8.9a von einem kriegerischen Vorstoß die Rede ist. Die Kombination von „Horn“ ( )שׁופר, „Trompete“ ( )חצצרהund „Kriegsgeschrei“ ( רועHif.) lässt in dieser Dichte kaum eine andere Deutung zu. 532 Auch die Wendung אחריך בנימןfügt sich in den Kontext einer kriegerischen Auseinandersetzung. Der Ruf ist wohl am ehesten als Aufruf zum Angriff „Dir nach, Benjamin!“ zu verstehen,533 schließlich sind mit Gibea und Rama eindeutig benjaminitische Ortschaften aufgefordert, den Kriegslärm hören zu Diese Deutung geht auf einen Hinweis von E. Blum zurück. Zu nennen sind u.a. אלהים/ידע את יהוהa5,4 und 6,3.6 (vgl. 5,3), בקשׁmit JHWH als Objekt 5,6 und 5,15; יהוה/שׁוב אל אלהיםa5,4; 6,1. Hinzu kommt das Motiv des Rückzugs JHWHs (5,6 und 5,14f.) sowie die Kritik an der Suche nach JHWH im Kult (5,6 und 6,6). 531 In Anlehnung an Ö und ç ist wohl Part. Pi. מיסרzu lesen, vgl. App. BHS. 529 530
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lassen.534 Nach der gängigen Identifikation von Gibea mit Tell el-Fūl und Rama mit erRām ergibt sich in der Abfolge der Ortslagen eine Süd-Nord-Ausrichtung auf benjaminitischen Gebiet. Die Linie lässt sich über Bet-Awen/Bethel, d.h. Bētīn nach Norden bis an die Grenze zum ephraimitischen Bereich verlängern.535 Ist also ein Waffengang angedeutet, so verläuft er von Juda über das benjamitische Gebiet in Richtung Ephraim, das in v. 9a explizit als Ziel genannt ist und dessen Untergang angekündigt wird (v. 9a), was den Erfolg des Waffengangs impliziert.
V. 9b fungiert als Redeausleitung für v. 8.9a, die im Nachhinein die Kommunikationssituation erhellt,536 indem הודעתיdie genannten Worte als in der Vergangenheit ergangene kennzeichnet537 und zugleich als zuverlässig (נאמ )נהcharakterisiert. Der Vorwurf gegen Juda (v. 10) scheint dann auch nicht darin zu bestehen, dass es diesen Vorstoß unternommen hat, sondern dass 532 R UDNIG -ZELT, Hoseastudien, 174, schließt aus der Erwähnung von „Metalltrompeten“ ()חצצרה, dass „es in Hos 5,8 um einen Jahwekrieg gegen den Norden geht“. Dass nun gerade die Trompete JHWHs Mitziehen im Heer anzeigen würde, bestätigt der Konkordanzbefund nicht. Zum einen wird sie auch in anderen Kontexten verwendet (vgl. Num 10,10; 2Reg 11,14; 2Chr 5 u.ö.), was sich auch daran zeigt, dass es für Trompeten im Kriegseinsatz mit חצצרות תרועהauch eine eigene Bezeichnung gibt. Zum anderen wäre traditionsgeschichtlich, insbesondere vor dem Hintergrund von Theophanieschilderungen wie Ex 19f.; Jo 2 oder Ps 47 eher das Schofar als Signalinstrument für JHWHs Gegen wart zu erwarten. 533 Der Ausdruck אחריך בנימיןist recht unterschiedlich gedeutet worden. Das hängt nicht zuletzt mit dem textkritischen Befund zusammen: Ö liest 8"5'( und setzt damit wohl eine Ableitung der Wurzel חרדvoraus (vgl. ALT, Hosea, 164f.; RUDOLPH, KAT Hosea, 123). Die Version hat aber offensichtlich Schwierigkeiten (vgl. die Wiedergabe der Ortsnamen), dem Text einen Sinn abzugewinnen. Der Ausdruck selbst lässt zwei Deutungsalternativen zu (dazu VIELHAUER, Werden, 56f.); er kann entweder als Warnung vor einem Angriff oder als Schlachtruf verstanden werden, der Benjamin zum Gegenangriff auffordert. Die Frage lässt sich letztlich nur vor dem Hintergrund der vorgestellten historischen Situation entscheiden, vgl. dazu i.F. Als Parallele wird häufig auf Jdc 5,14 verwiesen; UTZSCHNEIDER, Situation, 92, geht von einem literarischen Zusammenhang aus, mit dem Deboralied als dem „mutmaßlichen Intertext“ von Hos 5,8f. Eine nähere Begründung bleibt aus. Auch für RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 173, ist אחריך בנימיןin v. 8 „ein Zitat aus dem Deboralied (Jdc 5,14)“, freilich mit der zusätzlichen Annahme: „Aussage und Intention von Jdc 5,14 wird jedoch in Hos 5,8 in ihr Gegenteil verkehrt“ (ebd., zu ihrer Deutung vgl. die folgende Anm.). Hinweise, wie die angenommene Text-Text-Beziehung für die Leser markiert sein könnte, fehlen. 534 R UDNIG -ZELT, Hoseastudien, sieht in 5,8b .9a Ephraim angesprochen. Sie übersetzt אחריך בנימיןmit „Hinter dir ist Benjamin!“ und deutet תהיהin 9a als 2. Pers. mas. (158, vgl. 173f.). Offen bleibt, wie sich dazu die in v. 8 ebenfalls direkt angesprochenen nichtephraimitischen Ortschaften Gibea und Rama verhalten. Ebenso fragwürdig bleibt die Annahme, mit der Wendung תקע שׁופר בwürden Jer 4,5; 6,1; 51,27 zitiert. Erklärt sich die übereinstimmende Formulierung nicht vielmehr durch die Rede über die gleiche Sache, zumal תקע שׁופרgeradezu terminus technicus ist? Und warum ist nicht auch Jo 2,1.15 oder Am 3,6 zitiert? Entfallen die Bezüge, kann aber auch nicht mehr von einem „musivisch konzipiert[en]“ Text (aaO., 174) die Rede sein. 535 Zur Diskussion im die Identifikation der Ortslagen vgl. den Überblick bei VIEL HAUER , Werden, 57f.
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die Judäer die Grenzen über Gebühr zu ihren Gunsten verschoben 538 und damit nun das Recht Ephraims verletzt haben (v. 11a). Juda erhält in v. 10b ebenfalls eine Gerichtsansage. 5,12–6,6 führen nun das Schicksal Judas und Ephraims zusammen. Aus dem Umstand, dass der Prophet in der Vergangenheit einen judäischen Gegenschlag im Namen JHWHs rechtfertigte, folgt nun nicht, dass Juda in der Gegenwart besser vor JHWH dastünde. Juda (bzw. seine Eliten) ist durch das Verrücken der Grenzen ebenso schuldig geworden und steht mithin unter dem selben Verdikt JHWHs wie das Nordreich Israel. Der gesamte Abschnitt ist durch das Wortfeld Krankheit/Verletzung bzw. Heilung sowie durch die Parallelität zwischen Ephraim und Juda geprägt. Beiden gilt gleichermaßen das Gericht, das hier mit dem Bild des Löwen, der zuschlägt und sich zurückzieht, gezeichnet ist. Die fiktive Rede 6,1–3 sprechen in der Vorstellung JHWHs beide gemeinsam. Die Parallelführung gipfelt schließlich in der wortgleich an Ephraim und Juda gerichteten Frage ( מה אעשׂה לךv. 4), die JHWHs Klage darüber zum Ausdruck bringt, dass es keinen anderen Weg als das Gericht gibt, um beide zur Gotteserkenntnis zu führen (6,6). V. 5 schlägt eine Brücke zurück zu v. 1f.; JHWHs Eingreifen hat bereits eingesetzt, d.h. das Ergehen der genannten Orte wird transparent auf das Gericht. Die damit gegebene Inkongruenz zwischen der Situation der Adressaten von 5,1– 6,6 insgesamt und der Situation von 5,8.9a findet erst im Nachhinein ihre Auflösung. Der Übergang erfolgt von 5,7 zu 8f. recht unvermittelt, ist aber durch den Wechsel in die Anrede (2. Pers.) markiert. 537 Das Perfekt הודעתיsollte nicht vorschnell als „konstatierendes Perfektum“ (so WOLFF, BK Hosea, 144; vgl. auch JEREMIAS, Löwe, 108f. u.a.) o.ä. hinweg erklärt und präsentisch wiedergegeben werden. UTZSCHNEIDER, Situation, 94, Anm. 56, schlägt unter Hinweis auf Prov 22,19 vor, הודעתיperformativ zu verstehen und daher präsentisch zu übersetzen. De facto fungiert v. 9b in der Textwiedergabe durch Utzschneider dann aber als Redeeinleitung für v. 10–13 (vgl. aaO., 94 sowie die Erläuterung in Anm. 57) und ist damit gerade nicht performativ (mündlicher Hinweis von E. Blum). ALT, Hosea, 165, vermutete in v. 9b einen „Rückweis (V. 9b) auf frühere Bekundung dessen, was hier in Aussicht gestellt wird“ und sieht in der Annahme eines Rückblicks Richtiges. Nur verortet er v. 9b auf der Ebene von v. 8.9a, so dass die Deixis noch hinter diesen Spruch zurückweist. Sieht man v. 9b auf der Ebene der Gesamtkomposition führt die textinterne Deixis auf 5,8.9a selbst, d.h. ein älterer Spruch wird innerhalb der Rede zitiert (so ähnlich auch SCHÜTTE, Stimme, 408, der jedoch annimmt, es werde eine Rede des Königs Ahas zitiert). Ausweislich der 1. Pers. kann es sich dabei aber nur um eine JHWH- bzw. Prophetenrede handeln, d.h. der Prophet zitiert seine eigene frühere Verkündigung. 538 Der Vorwurf in v. 10 spielt das Verrücken der Ackergrenzen, das in Dtn 27,17 mit dem Fluch belegt wird (vgl. auch Dtn 19,14; Prov 22,28; 23,10) als Bild für die Vergehen Judas ein. Die Formulierung mit כ, d.h. „ כמסיגי גבולwie Grenzverrücker“ zeigt, dass nicht die soziale Problematik der Verdrängung von Kleinbauern angesprochen ist (gegen RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 165f.), sondern letztere lediglich zur Illustration angeführt und die politische Stoßrichtung von v.8f. beibehalten wird. 536
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2.2.3 Die historische Verortung des Prophetenworts Den Weg zur Datierung von Hos 5,1–6,6 hat A. Alt in seiner bekannten Studie Hosea 5,8–6,6. Ein Krieg und seine Folgen in prophetischer Beleuchtung (1919) gewiesen. Alt findet in Hos 5,8–6,6 fünf ehemals eigenständige Einheiten (5,8f.; 5,10; 5,11; 5,12–14; 5,15–6,6), die er zu verschiedenen Phasen des syrisch-ephraimitischen Kriegs in Beziehung setzt und jeweils als in die betreffende historische Situation gesprochene genuine Prophetenworte versteht: Hos 5,8f. kündige einen judäischen Vorstoß gegen Ephraim zur Rückeroberung zuvor von den Nord-Israeliten eingenommener benjaminitischer Gebiete an und rechtfertige diesen. Ergangen sei der Spruch in der „Zeit der Schicksalswende“, als die Assyrer Nord-Israel zum Abbruch der Belagerung Jerusalems zwangen. 539 Hos 5,10 blicke bereits auf diesen judäischen Gegenstoß zurück und verurteile, dass die Judäer mehr als die ehemals zu Juda gehörenden Gebiete erobert hätten. Hos 5,11 setzte die Annexion weiter Teile Nord-Israels durch die Assyrer voraus und deute die Verluste als Folge der verfehlten Bündnispolitik. Hos 5,12–14 gehöre in eine Zeit unmittelbar nach dem Ende des syrisch-ephraimitischen Kriegs und verurteile die Orientierung beider Reiche am assyrischen Großkönig – Juda durch den freiwilligen Gang in die Vasallität, Nord-Israel durch den Ausgang des Krieges und das Bemühen um das politische Überleben gezwungen. 540 Hos 5,15–6,6 schließlich spiegele die Lage nach dem Krieg und biete eine grundsätzliche Reflexion über den Charakter des Volkes. Die Thesen Alts sind in mehrfacher Hinsicht modifiziert worden. So hat sich insbesondere die Aufgliederung des Stückes in einzelne Einheiten nicht halten können (s.o.). Auch Alts Auslegung von 5,8f. wirft Fragen auf: so überzeugt die Deutung von v. 8bβ als Warnung letztlich nicht541 und v. 9b gehört nicht zum zitierten früheren Prophetenwort, sondern bettet dieses in die größere Komposition ein (s.o.). Bewährt haben sich jedoch die Deutung von 5,8.9a als Reflex eines judäischen Gegenangriffs und die Einsicht, dass Hos 5,10ff. eine andere historische Situation spiegeln als 5,8f. Anders als 5,8f. rücken 5,10.11.12–14 dabei in eine enge zeitliche Nähe; für 5,15–6,6 schließlich nimmt auch Alt keine Selbstständigkeit an, sondern sieht den Abschnitt als Abschluss der nun bereits vorliegenden Zusammenhangs.542 Die Unterscheidung von 5,8f. und 5,10ff. und die Indizien zur historischen Einordnung von 5,10ff. bleiben auch dann relevant, ALT, Hosea, 169. AaO., 180. 541 Schon innerhalb des Altschen Modells ist die Deutung als Schlachtruf plausibler. Schließlich geht er davon aus, zumindest Gibea und Rama zuvor judäisch waren und von Nord-Israel besetzt wurden (aaO., 169). Sollten sie nun etwa vor ihrer ‚Befreiung‘ gewarnt werden? 542 ALT, Hosea, 183ff. 539 540
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wenn Alts Aufgliederung von 5,10ff. in Einzelsprüche aufgegeben und der Text mit Jeremias als ein literarischer Zusammenhang gesehen wird. Sie legen insgesamt eine Datierung der Komposition in die letzten Jahre des Nordreichs Israel nahe, zumal überzeugende Deutungsalternativen nicht in Sicht sind.543 Den Versuch einer direkten Widerlegung der Thesen Alts haben auf unterschiedliche Weise H. Utzschneider und S. Rudnig-Zelt unternommen. 544 Utzschneider betont die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen historischer Situation und der Szenerie des Textes: Bei Alt diene die historische Situation dazu, den Zusammenhang der Einzelsprüche herzustellen. Die Situation ergebe sich aber nicht aus dem Text, sondern sei letztlich eine vom Exegeten postulierte Szenerie, die an den Text herangetragen und unreflektiert mit der historische Situation in eins gesetzt werde. Dagegen versucht Utzschneider die szenische Kohärenz des Textes selbst herauszuarbeiten und beschreibt Hos 5,8–6,6 als eine „dramatische Sequenz“,545 die den (exilisch-nachexilischen) Adressaten in drei Szenen ein „Lehrstück“ vor Augen stelle, in dem basierend „auf historischer Erinnerung ebenso wie auf historisierender Fiktion“ das Ende beider Reiche dargestellt und erklärt werde.546 Rudnig-Zelt nennt drei Einwände gegen die These Alts: Diese sei (a) methodisch problematisch, weil 5,8–14 „in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang gelesen [werden], den sie selbst nicht herstellen“. 547 (b) Die Deutung des Textes vor dem Hintergrund des syrisch-ephraimitischen Kriegs argumentiere „zirkulär“: „man setzt voraus, daß die Verse in diese Zeit gehören und gleicht ihre Deutung an diese Voraussetzung an, indem man sie zur Quelle von postulierten Ereignissen dieser Zeit macht, die nirgends unabhängig bestätigt werden“. 548 (c) Der theologiegeschichtliche Hintergrund spreche für eine spätere Zeit: „Hos 5,12–14 spielt Assur und Jahwe als Retter in der Not gegeneinander aus. Damit setzt diese Textfolge das Erste Gebot voraus“.549 Die These Alts ist diesbezüglich nur selten grundsätzlich bestritten worden. Im Rahmen kleinteiligerer redaktionsgeschichtlicher Modelle reduziert sich allerdings der Hosea zugewiesene Grundbestand. Als Beispiel sei nur auf die Analysen von G.A. Yee, und R. Vielhauer verwiesen. YEE, Composition, sieht innerhalb von Hos 5f. lediglich Hos 5,1–2a.3.5*.8–13a.14 als „Hosean tradition“ an (272ff.). Diesen Grundbestand verortet aber auch sie im syrisch-ephraimitischen Krieg (277f.). Zu Vielhauer vgl. oben S. 273f. Widerspruch hatte bereits 1966 GOOD, Alternative, angemeldet. RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 162, konstatiert für die letzten 30 Jahre eine „Distanzierungsbewegung“ gegenüber den Thesen Alts und verweist dafür neben Utzschneider auf ANDERSEN & FREEDMAN , AncB, 401–404, die in ihrer Datierung von 5,8–11 sogar noch hinter Alt zurückgreifen („perhaps Judah intervened in the civil war between Menahem and Shallum“, aaO., 404), auf MACINTOSH , ICC, 195–198, der Alt nicht in der Datierung wohl aber in der Deutung widerspricht (5,8–14 seien hier als das aktuellste Beispiel des lange währenden Bruderkriegs zwischen Ephraim und Juda angeführt) und auf GRAF REVENTLOW , Exegese. Nach Graf Reventlow geht es in Hos 5,8ff. um soziale Missstände und „um die zerbrochene Loyalität des Gottesvolkes … die katastrophalen Folgen dieses Bruchs und die einstweilen verpaßten Möglichkeiten seiner Heilung“ (aaO., 160). Eine Erklärung dafür, wie sich diese Einheit als Ziel der Heilung im Text erschließt, bleibt aus. 544 UTZSCHNEIDER , Situation; R UDNIG -ZELT, Hoseastudien, 159ff. 545 Zur Dramaturgie von Hos 5,8ff. vgl. aaO., 90–103. 546 AaO., 105. 547 R UDNIG -ZELT, Hoseastudien, 160. 543
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Der ersten beiden Einwände Rudnig-Zelts decken sich im Wesentlichen mit der Kritik Utzschneiders, die Konsequenzen unterscheiden sich jedoch diametral. Bei Rudnig-Zelt wird der Zusammenhang im Rahmen ihres redaktionsgeschichtlichen Modells völlig aufgelöst; allein in 5,8–14 findet sie Niederschläge sieben verschiedener Bearbeiter bzw. „Konglomeratschichten“.550 Utzschneider ersetzt den Zusammenhang mittels der postulierten historischen Situation durch den einer dramatischen Inszenierung, als deren Kulisse er eine Versammlung („Feldgottesdienst“) am Heiligtum vom Bethel ausmacht. 551 Beide Vorschläge werfen jedoch Fragen auf: So kommen die von J. Jeremias u.a. herausgearbeiteten literarischen Bezüge552 bei Rudnig-Zelt gar nicht in den Blick. Sollen sie etwa ein mehr oder weniger zufälliges Produkt im Zusammenspiel verschiedenster Ablagerungen sein? Auch bei Utzschneider erfolgt eine gewisse Zergliederung des Textes in unterschiedliche Auftritte, d.h. die Aufteilung des Textes auf verschiedene Sprecher bzw. Akteure. Für die Sprecherwechsel fehlen im Text jedoch die Signale, sie ergeben sich erst vor dem Hintergrund der vorgestellten Szene, die damit nicht weniger ein an den Text herangetragener „Kitt“553 ist als die „historische Situation“ bei Alt. Dass Hos 5,12–14 theologiegeschichtlich das 1. Gebot voraussetzen würden – so der dritte Einwand Rudnig-Zelts554 – greift nicht, schließlich geht es hier nicht um die Alternative verschiedener Gottheiten. Die Frage aber, ob man sich Rettung vom König (sei es der eigene oder ein fremder) verspricht oder auf auf JHWH vertraut, ist ein bekannter Topos der prophetischen Literatur (vgl. Jes 7; Hos 13; Jes 45 u.ö.), der sich traditions- und theologiegeschichtlich nicht ohne Weiteres auf einen bestimmten Zeitraum eingrenzen lässt. 548 AaO., 161. Letzteres bezieht sich v.a. darauf, dass Aram nicht erwähnt wird (ähnlich auch MACINTOSH , ICC, 195; BEN ZVI, Hosea, 140.142), dass es für den judäischen Gegenstoß keine externen Belege gibt und dass Assur als möglicher Retter in den Blick komme, zu dem sich sowohl Juda als auch Israel hinwenden. Die ersten beiden Punkte sind bedenkenswerte Anfragen, aber keine Gegenbelege. Dass Aram nicht erwähnt wird, kann nämlich auch an der binnenisraelitischen Aussageintention des Textes liegen, der Nord-Israel und Juda unter den gemeinsamen Gott JHWH parallelisiert. Die fehlende externe Bestätigung mag der dürftigen externen Beleglage zum sog. syrisch-ephraimitischen Krieg insgesamt geschuldet sein. So stützt sich BEGRICH, Krieg, in seiner nach wie vor grundlegenden Rekonstruktion der Ereignisse weitgehend auf 2Reg 15f. und Jes 7 sowie Auszüge aus den Annalen Tiglatpilesers III, die jedoch für die Verwicklungen zwischen Israel und Juda kaum Informationen bieten (zu den Texten vgl. WEIPPERT, Textbuch, 285–295, sowie DUBOVSKÝ, Campaigns, jeweils mit weiterer Literatur). Die letzte Anfrage betrifft v.a. die in 5,13 ausgesagte Hinwendung Ephraims zu Assur ()וילך אפרים אל אשׁור, „war doch nach II Reg 16,5–9 nur Juda mit Assur verbündet, keinesfalls Ephraim“ (RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 161). Letzteres gilt nach der gängigen Rekonstruktion der Ereignisse für die Zeit des Krieges selbst, für den Standpunkt des auf die Ereignisse von 734f. zurückblickenden Autors von Hos 5,1–6,6 hatte sich die Situa tion möglicherweise geändert. Zumindest weiß 2Reg 17,3 von einer Tributzahlung des Königs Hosea an Assur (vgl. JEREMIAS, Löwe, 114, Anm. 23; KRATZ, Erkenntnis, 4.8). Dass in 5,13 zwingend ein „regelrechtes Bündnis“ gemeint sei (so RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 161, Anm. 125), ist aus der Formulierung mit הלך אלnicht abzuleiten. 549 AaO., 161. 550 Vgl. die Zusammenstellung, aaO., 177. 551 UTZSCHNEIDER , Situation, 92. 552 Vgl. oben S. 273f. 553 AaO., 84. 554 R UDNIG -ZELT, Hoseastudien, 167ff.
2. „Israel“ in Texten aus dem Nordreich
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Die sowohl von Utzschneider als auch von Rudnig-Zelt vertretene exilisch-nachexilische Datierung von Hos 5,8ff. schafft neue Probleme. Zum einen nötigt sie zu einer abstrahierenden Verallgemeinerung konkreter Aussagen im Text. Bei Utzschneider betrifft dies etwa die Auslegung von 5,10a: Hier gehe es nicht um politische und wohl auch nicht um eine „konkrete und aktuell beziehbare ‚Sozialkritik‘“, sondern „die Pointe des Vorwurfs gegen Juda“ sei, dass seine Repräsentanten „von jeher älteste Rechte mißachten.“555 Bei Rudnig-Zelt geschieht Analoges im Blick auf 5,12–14: Hier gehe es nicht um „Bündnispolitik, sondern das gestörte Verhältnis des Volkes zu Jahwe“, dabei werde „jede Annahme von Hilfe von einer anderen Instanz als Jahwe als Verstoß gegen dessen Ausschließlichkeitsanspruch gewertet“556.557 Zum anderen fällt es angesichts der deutlich gesamt-israelitischen Perspektive schwer die intendierten Adressaten auszumachen: Utzschneider muss diese dann auch unter Verweis auf Hos 2,2 in den „dereinst ‚wiedervereinigten‘ Stämmen“ vermuten, denen in einem Vorgriff auf die zukünftige Vereinigung schon einmal prophylaktisch ein Lehrstück präsentiert wird. 558 Rudnig-Zelt ordnet 5,12–14 sowie 5,15; 6,1–3 einer Gruppe von Texten zu, denen es v.a. darum gehe, „daß Norden und Süden gemeinsam umkehren“.559 Eine Umkehr des Nordens sei in der dtr. Theologie noch nicht im Blick, so dass als einzige Parallele 2Chr 30,5–9 in Betracht komme, woraus folge, dass Hos 5,12ff. dem „weiteren Umfeld von Chr“ entstammen. Nun geht es aber in 2Chr 30,5–9 gar nicht um Juda, sondern primär die Nordstämme. 560 Als Parallele für eine gemeinsame Umkehr ist der Text somit nicht einschlägig und auch kein Beleg für eine späte Ansetzung von Hos 5. Die Parallelisierung von Nord und Süd hat aber eine große Nähe zur Argumentation bei Jesaja und Micha, was zumindest eine weiteres Indiz für eine Ansetzung im 8. Jh. sein könnte.
Betrachtet man die größere Komposition 5,1–6,6 kommen weitere Hinweise auf eine Datierung in die letzten Jahren des Nordreichs hinzu: Die Auswahl der in 5,1f. genannten Ortslagen Mizpa, Tabor und Schittim lässt sich am besten vor der Hintergrund der assyrischen Annektionen erklären, durch die Nord-Israel auf einen Rumpfstaat reduziert wurde. Mizpa und Schittim stehen dann für das Ostjordanland, Tabor für Galiläa.561 Letzteres UTZSCHNEIDER, Situation, 97. RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 168.169. 557 Die Tendenz zur Abstraktion verstärkt sich noch bei BEN Z VI , Hosea, der als „primary readership“ ganz allgemein die „postmonarchic literati“ ausmacht. Diese solle der Text „of Israelʼs monarchic past, of its shortcomings, of the shortcomings of its leadership, worship, and the like“ informieren und zu ihrer „identification with that sinful Israel“ ermuntern (147, vgl. 143ff.). 558 UTZSCHNEIDER , Situation, 105. 559 R UDNIG -ZELT, Hoseastudien, 172. Hervorhebung i.O. 560 Zu 2Chr 30 vgl. oben S. 148ff. 561 So ALT, Hosea, 187, ähnlich in der politischen Deutung auch VIELHAUER , Werden, 111f.115–118, der Hos 5,1f. zur Grundschicht des Hoseabuches rechnet, die nach 720 den Untergang des Nordreichs verarbeite. Zweifelsfrei zu identifizieren ist freilich nur der Tabor. Der Name „Mizpa“ ist für verschiedene Ortslagen belegt (dazu LIWAK, TRE Mizpa), bei der hier vertretenen Deutung wäre an Mizpa in Gilead (Gen 31,49; Jdc 10f.) zu denken. „Schittim“ ergibt sich durch die gängige Konjektur ( ושׁחת השׁטיםdazu ELLIGER, Kunstform 156f.), die nur minimale Eingriffe in den Text erfordert und zudem angesichts der jeweils dreigliedrig parallelen Struktur von 5,1f. geboten erscheint. 555 556
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
und die Parallelisierung von Ephraim und Juda, denen gleichermaßen das Gericht noch bevorsteht (vgl. 5,2.7.10; 6,5f.) sprechen ebenfalls für eine Situation mit dem syrisch-ephraimitischen Krieg als terminus a quo sowie dem Ende des Nordreichs als terminus ad quem. 2.2.4 „Israel“ in Hos 5,1–6,6 Bezüglich der Verwendung des Israel-Namens zeigt Hos 5,1–6,6 die Vielfalt und Flexibilität der sprachlichen Möglichkeiten. ישׂראלerscheint in Hos 5,1 in der Constructus-Verbindung בית ישׂראל. Daneben begegnet der Name in 5,3.5562 sowie in der Verbindung שׁבטי ישׂראלin 5,9. 2.2.4.1 בית ישׂראלin Hos 5,1 In 5,1 bildet בית ישׂראלein Element in der Trias der Adressaten neben den Priestern ( )כהניםund dem Königshaus ( )בית המלך.563 Bezeichnet „Haus Die häufig vertretene kultische Deutung, nach der die drei Orte „Stätte[n] besonderen gottesdienstlichen Vergehens“ repräsentieren (WOLFF, BK Hosea, 125; vgl. auch RUDOLPH , KAT Hosea, 120; DEISSLER, NEB, 28; BONS , Hosea, 81; vorsichtiger JEREMIAS, ATD Hosea, 75), ist für Mizpa – unabhängig davon, welche der verschiedenen mit diesem Namen bezeichneten Ortslagen man annimmt – und für den Tabor kaum zu belegen. Außerdem muss ein relativ komplizierter Gedankengang eingetragen werden: Die genannten Orte, resp. Kultstätten, sind in 5,1f. nicht als Auslöser sondern als Opfer eingeführt, d.h. impliziert wäre: die in v. 1 angesprochenen Eliten(?; dazu i.F.) haben das Volk zum falschen Gottesdienst verführt und das wiederum ist den betroffenen Kultstätten zum Verhängnis geworden. Eine mögliche Alternative zu kultischen Deutung ist, dass auf konkrete Vergehen der Oberschicht in den genannten Orten angespielt wird. Hosea würde dann ein ein textexternes Wissen der Adressaten abrufen, dass anderweitig nicht überliefert ist. Die Möglichkeit ist zumindest nicht auszuschließen. Die politische Deutung auf die annektierten Gebiete bietet aber beim gegenwärtigen Kenntnisstand nach wie vor die schlüssigste Annahme. BEN ZVI, Hosea, 139, entkoppelt die Ortsliste weitgehend von einem Konnex zu einer bestimmten historischen Situation. Sie diene in dieser Hinsicht lediglich dem „portrayal of the world of the text as set in northern Israel“. Eine wichtige Rolle bei der Auswahl der Orte habe vielmehr die literarische Gestaltung gespielt, z.B. der Kontrast zwischen dem hohen Tabor und dem העמיקוin v. 2. Für die Frage nach den Intention des Textes muss Ben Zvi dann aber doch die kultische Deutung einspielen: leitendes Interesse der Komposition sei es nämlich gewesen, eine „ideological geography“ zu schaffen, die die (für Ben Zvi perserzeitlichen) Leser erkennen konnten und die u.a. in der Herabsetzung der anderen Ortslagen der Legitimation Jerusalems als religiöses und politisches Zentrum gedient habe (ebd.). 562 Beim zweiten Vorkommen in v. 5 handelt es sich wahrscheinlich um eine fälschliche Doppelschreibung, zur Begründung vgl. bereits ROST, Israel, 21, oder WOLFF, BK Hosea, 120. 563 Gelegentlich wird בית ישׂראלkomplett gestrichen, so unter den Neueren u.a. bei NISSINEN, Prophetie, 148, Anm. 41; vorsichtiger DAVIES, NCeB, 138. Auch RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 117f., sieht in v. 5a einen Nachtrag, בית ישׂראלsei hier „als Bezeichnung des Gesamtvolkes in Nord und Süd aufzufassen“.
2. „Israel“ in Texten aus dem Nordreich
283
Israel“ hier bestimmte Repräsentanten des Volkes – etwa die Ältesten – als eine distinkte Gruppe neben dem Klerus und dem Hofpersonal oder ist das gesamte Volk angesprochen? Ersteres wird nach einem entsprechenden Vorschlag von H.W. Wolff564 von den meisten Kommentatoren vertreten; man denkt dann zumeist an die Ältesten als Repräsentanten des Volkes. 565 In dieser Deutung fügt sich בית ישׂראלglatt in die Reihe der Amtsträger ein. Dagegen spricht jedoch, dass בית ישׂראלan keiner Stelle im AT für eine spezielle Gruppe innerhalb des Volkes steht, sondern stets das Volksganze meint (sei es das Volk des Nordreichs, des Südreiches oder GesamtIsrael566)567 und dass בית יהודהin 5,12.14 im Gegenüber zu „Ephraim“ nicht allein die Ältesten bezeichnen kann. Die Entscheidung hängt mit zwei Punkten zusammen: (a) mit der Auslegung von v. 1a innerhalb von 5,1f. und (b) mit dem Verhältnis von v. 1f. und v. 3–7. (ad a): כי לכם המשׁפטkann für sich genommen auf zweierlei Weise verstanden werden. Es kann sich um die Zuweisung der Aufgabe der Rechtspflege an die in der 2. Pers. pl. angesprochenen Adressaten („denn euch ist das Recht anvertraut“568) oder um eine Gerichtsankündigung handeln („denn euch gilt das Urteil“569). Die Mehrdeutigkeit hängt mit den vielfältigen semantischen Möglichkeiten von משׁפטzusammen, das bekanntlich sowohl den Urteilsspruch als auch das Recht bzw. die Rechtsprechung bezeichnen kann.570 Eine Festlegung auf die erste Möglichkeit (Zuweisung der Rechtspflege) würde die Mehrdeutigkeit auflösen. Sie lässt sich innerhalb von v. 1f. logisch nur mit der ersten Lesart oben ( בית ישׂראלfür die Ältesten) verbinden.571 Dann ist nämlich impliziert, dass jene mit der Rechtspflege Betrauten versagt haben572 und somit verantwortlich sind (vgl. die Fallen-Metaphorik) für das Schicksal anderer Teile des Volkes – im Text repräsentiert durch die in v. 1b.2a genannten Orte. Es ergibt sich ein Gegenüber innerhalb des Volkes und בית ישׂראלkann nicht das gesamte BK Hosea, 123. Für UTZSCHNEIDER, Hosea, 138f., ist בית ישׂראלhier sogar terminus technicus für die Ältestenversammlung. Er verweist auf 1Reg 20 als Parallele, dort agieren jedoch die זקני ( ישׂראלv. 7). 566 Für „Haus Israel“ in prophetischer Literatur, vgl. S. 199 Anm. 132. 567 Vgl. VIELHAUER , Werden, 76 mit Anm. 63, unter Verweis auf MAZOR , Compositional Rhetoric, 116; WACKER, Figurationen, 158, u.a; vgl. auch RUDNIG -ZELT, Hoseastudien, 108. Die Schwierigkeit wird gelegentlich durch Textänderungen ausgeglichen (vgl. App. BHS sowie RUDOLPH , KAT Hosea, 116). Das ist jedoch nicht nötig, s.i.F. 568 So die meisten neueren Übersetzungen, vgl. auch WOLFF, BK Hosea, 119; JEREMIAS , ATD Hosea, 73, u.a.m. 569 So auch Ö und ç, vgl. RUDOLPH , KAT Hosea, 118f.; MAZOR , Compositional Rhetoric, 118f.; WACKER, Figurationen, 156; VIELHAUER, Werden, 75.77. 570 Vgl. J OHNSON , ThWAT משׁפט. 571 Den Zusammenhang sieht VIELHAUER , Werden, 76f. 572 J EREMIAS , ATD Hosea, 73, fügt in seiner Übersetzung entsprechend ein „doch“ ein: „Euch ist doch das Recht anvertraut!“ 564 565
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B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
Volk meinen. Umgekehrt ergibt sich bei der Wahl der zweiten Möglichkeit für v. 1a (Gerichtsankündigung) innerhalb von v. 1f. keine analoge Festlegung. Identifiziert man die in v. 1a Angesprochenen als die Eliten, gilt nach v. 1a auch ihnen das Gericht; ist in 1a das gesamte Volk im Blick, steht es auch insgesamt unter der Gerichtsandrohung. In beiden Fällen fungiert v. 1b.2a als Begründung, wobei offen bleibt, worin das Fehlverhalten nun genau besteht. Nun gibt es aber innerhalb von v. 1f. Indizien, die die zweite Möglichkeit (Gerichtsankündigung) zumindest wahrscheinlicher machen. Für diese spricht zum einen die doppelt geführte 3+1 Struktur,573 in der sich v. 1a und 2b entsprechen. V. 2b ist eine Gerichtsankündigung.574 Das legt eine analoge Deutung für v. 1a nahe, zumal beide Sätze zusätzlich durch die Antithese aus לכםund ואניaufeinander bezogen sind. Zum anderen muss in diesem Fall keine unterschiedliche Funktion für das כיin v. 1a und 1b angenommen werden, sondern es kann in beiden Fällen einen Begründungssatz einleiten. Liest man dagegen v. 1a im Sinne der Zuweisung der Rechtspflege kann v. 1b nicht Begründung sein, sondern כיwürde hier als emphatische Partikel fungieren.575 Beide Indizien sind keine Ausschlusskriterien für die andere Deutung,576 sie lassen sich jedoch erhärten, bezieht man Hos 5,3–7 in die Diskussion ein. (ad b): In Hos 5,3–7 wird über Israel/Ephraim gesprochen. 577 Lediglich in v. 3b erfolgt eine direkte Anrede, hier allerdings in der 2. Pers. Sg., 578 wobei sich der Singular wohl dem Bezug auf Ephraim bzw. Israel verdankt. Hier ist zweifellos das gesamte Volk im Blick. Sofern kein direkter Bezug auf „Ephraim“ bzw. „Israel“ als Bezeichnung des Volksganzen gegeben ist, wird entsprechend die 3. Pers. pl. verwendet. Eine Differenzierung in verschiedene Gruppen erfolgt nicht; sie würde der Intention des Abschnitts auch widersprechen, der die Unreinheit (ganz) Israels und die daraus folgende Unmöglichkeit der Umkehr zu JHWH konstatiert. Ein Wechsel der Adressaten ist an keiner Stelle angezeigt. Vgl. ELLIGER, Kunstform, 154; MAZOR, Compositional Rhetoric, 115–122. Das gilt unabhängig davon, ob man mit dem MT vokalisiert („Züchtigung“), bei gleichem Konsonantentext „( מוֹסֵרFessel“, vgl. JEREMIAS, ATD Hosea, 73; VIELHAUER, Werden, 75 u.a.) liest oder in „( מיסרZuchtmeister“, vgl. WACKER, Figurationen, 157) ändert. 575 Vgl. R UDOLPH , KAT Hosea, 118f. 576 Methodisch ist natürlich die Möglichkeit einer Doppeldeutigkeit zu bedenken (vgl. ELLIGER, Kunstform, 154f.; BEN ZVI, Hosea, 133). Für die Deutung von בית ישׂראלwären dann allein die sich aus v. 3–7 sowie dem weiteren Kontext ergebenden Implikationen ausschlaggebend. 577 Dass es sich bei v. 5b um eine sekundäre judäische Aktualisierung handelt, ist Konsens. 578 Mit WOLFF, BK Hosea, 120, ist zu überlegen, ob hier ein ursprüngliches אתה aufgrund der phonetischen Ähnlichkeit zu עתהverschrieben wurde. עתהfügt sich schlecht zu den folgenden Perfektformen und das betonte אניin v. 3a lässt ein אתהals Gegenüber erwarten. 573 574
2. „Israel“ in Texten aus dem Nordreich
285
Bezeichnenderweise hat W. Rudolph die Einheitlichkeit von Hos 5,1–7 gerade mit dem Argument bestritten, dass v. 1f. nur die „Führer des Volkes“ anspreche, v. 3ff. aber „das Volk als ganzes“ angingen. V. 3ff. aber „nur auf die leitenden Kreise zu beziehen, ist … unmöglich“, somit bleibt nur eine literarkritische Lösung.579 Nun gibt es aber gute Gründe, v. 3–7 nicht von v. 1f. abzutrennen. Der Abschnitt liefert in zweifacher Hinsicht die Erläuterung für v. 1f. Zum einen präzisiert er, worin das Fehlverhalten besteht, das dort lediglich impliziert war: Es geht um die Untreue gegenüber JHWH trotz (oder besser: gerade in) vermehrter kultischer Aktivität.580 Zum anderen konkretisiert er das in v. 2b, und je nach Deutung auch schon in v. 1b, angekündigte Gericht, das hier als wohl als Eroberung des Landes gezeichnet ist.581 Fallen v. 3–7 aus, wird der Anschluss an v. 8ff. dagegen schwierig; als Adressat der Aufrufe von v. 8 könnte dann nur die ebenfalls in der 2. Pers. pl. angesprochene Adressatentrias von v. 1 in Frage kommen, diese befindet sich aber kaum in benjaminitischen Ortslagen. Ohne eine Fortsetzung bleiben 5,1f. somit unklar und wirken fragmentarisch.582 Von v. 3–7 her ergibt sich somit ebenfalls eine Präferenz für die umfassende Bedeutung von בית ישׂראלin v. 1. Wenn daneben trotzdem Priester und Königshaus genannt werden, die genau genommen im בית ישׂראלschon inbegriffen sind, kann es daran liegen, dass es sich hier um die Gruppen handelt, die für die in 5,1–6,6 angesprochenen Themen Kult und Politik maßgeblich sind. 2.2.4.2 ישׂראלund אפריםin Hos 5 „Israel“ steht in Hos 5,3–7 durchweg in Parallele zu „Ephraim“. 583 Damit ergibt sich eine Referenz auf das Nordreich bzw. seine Bevölkerung (vgl. 579 KAT Hosea, 118. Innerhalb von v. 3–7 differenziert er weiter und setzt v. 3f. noch einmal von v. 5–7 ab. Rudolphs Voraussetzung ist freilich, dass hier verschiedene mündlich verkündigte Prophetenworte vorliegen. 580 Mit der Verurteilung eines aufwendigen Opferkultes als Selbstüberhebung Israels liegt Hos 5 im Übrigen auf einer Linie mit Hos 12. 581 Der Text ist offensichtlich verderbt, vgl. WOLFF, BK Hosea, 120, für verschiedene Konjekturvorschläge. Der Vorschlag von JEREMIAS, ATD Hosea, 73 (unter Aufnahme von EITAN, Studies, 2), „ מחדשׁEroberer“ zu lesen, hat den Vorzug, dass sich eine gute kontextuelle Einbindung zu v. 1 bzw. 8ff. (Eroberungen der Assyrer) ergibt. Das angenommene Lexem bleibt jedoch unsicher. 582 VIELHAUER , Werden, 79f., sieht die ursprüngliche Fortsetzung in 6,7ff., muss dafür aber alle Verbindungen zu 5,3–7 und zu 5,8ff. ignorieren und liefert auch keine stichhaltige Begründung (die Einsichten von ELLIGER, Kunstform, und JEREMIAS, Löwe, in die kunstvolle Gestaltung von 5,1f. sowie 5,3f. sind kaum ein hinreichendes literarkritisches Indiz). Die Abtrennung von 5,3–7 ist vielmehr dem Modell geschuldet, das kultische und politische Vergehen redaktionskritisch auf verschiedene Strata verteilt. 583 Diese Verwendung ist bei Hosea nicht ungewöhnlich, vgl. oben S. 268.
286
B. Analysen: II „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
den Wechsel in die 3. Pers. pl. in v. 4.6f.). 584 Die parallele Verwendung von ישׂראלund אפריםendet jedoch mit diesem Abschnitt. Im Folgenden (5,9.13f.; 6,4) erscheint als Bezeichnung des Nordreichs nur noch „Ephraim“ – im Gegenüber zu Juda. Umgekehrt ergibt sich sowohl aus der Parallele zu „Israel“ als auch aus dem Gegenüber zu „Juda“, dass „Ephraim hier nicht nur einen einzelnen nord-israelitischen Stamm bezeichnet,585 sondern Nord-Israel insgesamt. 2.2.4.3 שׁבטי ישׂראלin Hos 5,9 Mit v. 8 erfolgt der Wechsel in eine gesamt-israelitische Perspektive. Trifft die oben vorgeschlagene Deutung zu, zitiert der Prophet hier seine eigene frühere Verkündigung mit einem Wort, dass sowohl Juda als auch NordIsrael betraf: Juda als Thema des Wortes, Nord-Israel als Adressat, demgegenüber das judäische Vorgehen gerechtfertigt wird. Die Einbettung des Wortes über v. 9b bestätigt die „grenzübergreifende“ Relevanz, indem sie als Forum die „Stämme Israels“ ( )שׁבטי ישׂראלnennt.586 Dass die שׁבטי ישׂראל hier eine gesamt-israelitische Größe bezeichnen, ist unumstritten; letzteres ergibt sich sowohl aus dem allgemeinen Sprachgebrauch587 als auch der Fortführung in 5,10ff., die bis 6,4 von Juda und Ephraim handelt und dass Ver- und Ergehen beider parallelisiert. Im Blick auf die Semantik ist zweierlei beachtenswert. Erstens: Ab 5,9 ist eine andere semantische Möglichkeit des Israel-Namens realisiert als zuvor. Bezeichnete „Israel“ in 5,1–7 durchgängig das Nordreich, so wechselt hier die Referenz hin zum größeren und Juda einschließenden Gesamt-Israel. Die gesamt-israelitische Referenz des Namens ist dadurch angezeigt, dass von den „Stämmen Israels“ die Rede ist.588 Zweitens: Bestätigt wird diese neue Referenz auch durch die Vermeidung des IsraelNamens für das Nordreich im Folgekontext. Wenn „Israel“ ganz Israel 584 Diese Steuerung der Rezeption bestätigt auch der Ergänzer in 5,5, der Juda nicht unter Israel/Ephraim subsumieren kann, sondern nachträgt. 585 Gegen RUDOLPH , KAT Hosea, 127. 586 Dabei ist richtig, dass das zitierte Wort „ein deutliches Gegeneinander der beiden Einzelstaaten Ephraim und Juda“ (VIELHAUER, Werden, 59, vgl. UTZSCHNEIDER, Situation, 96) erkennen lässt, während in der nun vorliegenden Komposition beide zusammengesehen sind. Letzteres ergibt sich aber aus der Intention der Komposition und ist gerade nicht literarkritisch aufzulösen. KRATZ, Erkenntnis, geht davon aus, dass Hos 5,12–14 auf Überlieferer zurückgehe, für die „unter dem Eindruck der … assyrischen Expansion …. die beiden ehedem verfeindeten Staaten Efraim und Juda zur Einheit des Gottesvolkes Israel zusammen[wachsen], aus der Feindschaft wird eine Schicksalsgemeinschaft unter dem Gericht JHWHs, das die in 5,8–11 noch deutlich spürbare Rivalität nivelliert“ (10). Diese These, die Kratz auch für Jes 6–8 in Anschlag bringt (vgl. oben S. 24f.), kann jedoch nicht erklären, warum für Gesamt-Israel ausgerechnet שׁבטי ישׂראלgebraucht wird, womit auf die gemeinsame Abstammung und nicht auf die gemeinsame Geschichte Bezug genommen ist. 587 Zu den Belegen vgl. S. 357 Anm. 281.
2. „Israel“ in Texten aus dem Nordreich
287
meint, wäre die gleichzeitige Verwendung für das Nordreich verwirrend, also wird Ephraim verwendet, das schon in 5,3–7 alter alternative Bezeichnung für das Nordreich eingeführt worden war. Konzeptionell zeigt sich, dass der gesamt-israelitische Zusammenhalt im Text durch den Rückgriff auf die tribale Israel-Konzeption eingespielt wird, d.h. Ganz-Israel ist ein Juda einschließendes und in Stämme gegliedertes Volk. (Die Verwendung von Ephraim für das Nordreich lässt ähnliches erkennen, auch wenn der Name des Stammes hier pars pro toto für die größere Einheit steht.) Die Kenntnis dieser Konzeption ist bei den Adressaten vorausgesetzt, was die „Stämme Israels“ sind und dass Juda dazugehört, muss nicht erläutert werden.589 Ebenso wenig muss erläutert werden, dass JHWH wie auf Nord-Israel ebenso auf Juda bezogen ist und an Juda wie Israel gleichermaßen handelt; beiden droht das Gericht, das im Nordreich bereits eingesetzt hat, aber dem Südreich genauso noch bevorsteht.
בית ישׂראלeignet dagegen offensichtlich keine eindeutig gesamt-israelitische Referenz, was sich im vorliegenden Text auch durch das Gegenüber zu ( בית יהודהv. 12.14) zeigt. 589 Dass Hosea bestimmte Züge der Erzeltern- und insbesondere der Jakob/IsraelTradition als bekannt voraussetzen konnte, zeigt sich auf andere Weise auch in Hos 12, vgl. dazu grundlegend BLUM, Hosea, mit weiterer Literatur. Der Rückgriff auf die tribale Israel-Konzeption muss, falls die hier vorgeschlagene Datierung des Textes zutrifft, dann auch nicht „antikisierend“ oder gar „anachronistisch“ (so UTZSCHNEIDER, Situation, 96) sein. 588
C. Synthesen C. Synthesen: Das Stämmevolk Israel
Das Stämmevolk Israel 1. „Israel“ in der Perserzeit – Volk, nicht Kultgemeinde 1. „Israel“ in der Perserzeit – Volk, nicht Kultgemeinde
Die Untersuchung der verschiedenen perserzeitlichen Texte lässt bei allen Unterschieden im Detail Schlüsse über den Sprachgebrauch des IsraelNamens zu. Dabei ist zunächst festzuhalten: dass Juda „Israel“ ist, ist für die nachexilische Zeit eine Selbstverständlichkeit. Davon zeugen auch über die untersuchten Texte hinaus zahlreiche Beispiele für die Verwendung des Israel-Namens als Bezeichnung Judas.1 Ob – und gegebenenfalls wie – Juda zu „Israel“ geworden ist, ist somit eine Frage an die exilische oder vorexilische Zeit. Dass Juda „Israel“ ist, impliziert aber nicht, dass „Israel“ nur Juda ist; vielmehr können mit dem Israel-Namen ganz unterschiedliche Zuschreibungen verbunden sein. 1.1 Die Semantik: Mehrdeutigkeit und variable Referenz Alle untersuchten Texte zeigen für den Israel-Namen Mehrdeutigkeit. 2 In der Folge ist die Referenz in vielen Fällen nicht durch den Namen allein zu erschließen, sondern es sind im Kontext gelieferte Zusatzinformationen notwendig. Die Bandbreite der möglichen Zuschreibungen ist groß und entsprechend auch die Vielfalt der möglichen Referenzen. Die folgende Tabelle bietet einen Überblick zu den ausführlich diskutierten Texten, wobei immer in Rechnung zu stellen ist, dass einerseits nicht alle Möglichkeiten im jeweiligen Einzeltext realisiert und andererseits in der Regel mehrere Zuschreibungen mit dem Namen verknüpft sind:
1 Vgl. Jes 56,8; Jo 2,27; 4,2.16; Am 9,14; Mi 4,14; 5,1f.; 6,2; Nah 2,3; Zeph 3,13.14. 15; Sach 2,2; 12,1; Mal 1,1.5; 2,11; Ruth 4,11.14; Thr 2,1.3.5; Dan 1,3; 9,7.20 u.ö. 2 Das gilt sowohl für einfaches ישׂראלwie auch für Zusammensetzungen wie בני ישׂראל oder teilweise auch ( כל ישׂראלvgl. Ez 37,16 oder Chr, für die JAPHET, OTL, 658, festhält: „The people is an essential unity, and each of its parts may be termed ‚Israel‘, ‚the children of Israel‘ or ‚all Israel‘ – as the literary unit and the context may require.“).
2Reg 17,24ff.
x
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Ich-Bericht Nehemias
x
Tempelbauerzählung
x
Esra-Erzählungen
-
x
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x x
Ez 37,15–24
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Sach 9,1–10
x x
exilierte Bevölkerung des Nordreichs
exilierte Bevölkerung des Südreichs
x x x
x
(x)
x
x
x x
x
x
(x)
Ez 47f.
exilierte Bevölkerung beider Reiche
-
Esr 2/Neh 7
Chronik
Samaria/Nordstümme
Jehud/Juda, Benjamin, Levi
ehemaliges Nordreich
ehemaliges Südreich
david./salomon. Reich
(Zwölf-)Stämme-Volk3
Erzvater Jakob
Israel
Laien (vs. Klerus)
289
1. „Israel“ in der Perserzeit – Volk, nicht Kultgemeinde
x x
x
x
(x)4
(x)4
x
x
x
Der Überblick legt nahe, dass die weite Verwendungsweise des IsraelNamens die grundlegende ist. Dafür spricht zum einen, dass die Zuschreibung des tribal strukturierten Volkes in den meisten Texten zumindest im Hintergrund und auch trotz unterschiedlicher Referenz greifbar ist. Sie kann letztlich nicht von der Zwölf-Stämme-Konzeption getrennt werden (dazu im Folgenden). Zum anderen fällt insbesondere im Sprachgebrauch der Chronik auf, dass eine explizite Auflösung der referentiellen Ambiguität zwischen weitem und engerem Israel-Begriff zumeist dann erfolgt, wenn die weitere Bedeutung vermieden und eine engere spezifiziert werden soll.5
Dazu i.F. In der Erzählfiktion geht es um die Zeit vor dem Exil. Die Genealogien sind aber stellenweise bis in die Gegenwart von Chr ausgezogen und die chr Weichenstellungen zur Beurteilung der Nord-Israeliten (v.a. 2Chr 13.30) haben in erster Linie für die Gegenwart von Chr Relevanz, so dass die Darstellung auf die Referenz des Israel-Namens in dieser Zeit zielt. 5 Z.B. 1Chr 26,30; 2Chr 11,3; 30,21; 31,1; 35,17. 3 4
290
C. Synthesen: Das Stämmevolk Israel
1.2 Die Konzeption: Die primordiale Codierung israelitischer Identität 1.2.1 Israel als primordial codiertes Ethnos Alle untersuchten Texte stimmen darin überein, dass sie Israel als eine Abstammungsgemeinschaft verstehen. Die Ablösung des primordialen Codes durch einen anderen ist nicht erkennbar. Das gilt insbesondere für die untersuchten Abschnitte aus dem Esra/Nehemiabuch, das häufig als Kronzeuge für einen Wandel von Volk zu Gemeinde angesehen wird. Hier kommt über die Verwendung des Israel-Namens ein grundlegendes Moment der Kontinuität zum Ausdruck: die Adressaten des Buches sind Israel – sie werden nicht als neu entstandene oder vom vorexilischen Volk unterschiedene Gemeinschaft angesprochen, sondern als das Volk Israel, dessen Geschichte durch das Exil hindurch und nach dem Exil weitergeht. 6 Als Angehörige desselben Volkes sind die gegenwärtigen Israeliten Nachkommen der früheren; geschichtliche Kontinuität und genealogische Kontinuität sind nicht zu trennen. Die Verpflichtung auf die Tora des Mose hat u.a. in diesem Israel-Verständnis ihre argumentative Grundlage, die allerdings in keinem der Texte eigens entfaltet werden muss, sondern stets schon vorausgesetzt ist. Ohne Zweifel gehört die Verpflichtung auf die Tora zu Israels kollektiver Identität. Wird die Tora aber im Esra/Nehemiabuch zur Grundlage der Identität Israels, so dass die Zugehörigkeit zu Israel letztlich allen offensteht, die sich freiwillig auf die Tora verpflichten?7 Dagegen spricht zum einen, dass mit der Sabbatobservanz als religiösem „identity marker“ und insbesondere mit der Endogamieforderung als Instrument der ethnischen Identitätssicherung Elemente des Tora-Gehorsams hervorgehoben werden, die die Differenz nach außen betonen und somit eher Grenzen ziehen als abbauen. Zum anderen zeigen alle Verwendungsweisen des Israel-Namens im Esra/Nehemiabuch ein Israel-Verständnis, nach dem ein Israelit dieses qua Abstammung ist. Der Ich-Bericht Nehemias versteht als Israel alle Nachkommen der Bevölkerung des Königreiches Juda – in Juda, in Babylon oder anderswo. Für die Verfasserabschnitte in Esr 1–6 und die Esra-Erzählungen ist Israel ein exilisches Israel, d.h. alle Israeliten waren im Exil und Israel setzt sich aus jenen zusammen, die noch in der Diaspora leben und jenen, die nach Juda zurückgekehrt sind. Für Esr 2/Neh 7 schließlich sind die Israeliten zurück im Land, womit die vorexilischen Verhältnisse wiederhergestellt sind. Esr 1–6, die Esra-Erzählungen sowie Diesen Punkt stellt v.a. VOGT, Studie, 47–65, heraus (vgl. auch BEN ZVI, Inclusion 133). Wenn Vogt allerdings meint, dass darüber die „Rückkehrergemeinde“ als „der legitime Erbe des alten Zwölfstämmevolkes“ erwiesen werden sollte (aaO., 56.59), vergisst er die Israeliten in der Diaspora. 7 Grundsätzlich ist zu differenzieren zwischen der Zuwendung zu JHWH, die natürlich Nicht-Israeliten möglich ist, und der Aufnahme in das Ethnos Israel, dazu HAARMANN , JHWH-Verehrer, 277ff. 6
1. „Israel“ in der Perserzeit – Volk, nicht Kultgemeinde
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Esr 2/Neh 7 erweitern das semantische Feld des Israel-Begriffs gegenüber dem Ich-Bericht-Nehemias dahingehend, dass sie alle Israeliten als Exilierte bzw. Rückkehrer sehen, womit aber – wie exemplarisch Esr 2,59 bzw. Neh 7,61 zeigen – das Verständnis von Israel als einem durch Abstammung definierten Ethnos nicht aufgegeben ist. Von hier ergeben sich Berührungspunkte mit Ez 37,15ff. und Ez 47f. sowie den Restitutionshoffnungen in Jer 3,18; 30,1–3.27ff. und Sach 10,3– 12. Diese Texte zeichnen Israel als eine Stämmegemeinschaft, die sich in ihrer Gesamtheit im Exil befindet. Anders als im Esra/Nehemiabuch spielen in den Szenarien von Ez 37 und 47f. jedoch die Nordstämme eine wichtige Rolle. Sie sind ganz analog zum Geschichtsbild von 2Reg 17 vollständig deportiert worden und teilen mit Juda die Exilserfahrung und die Verheißung auf Rückkehr. Auch die Chronikbücher präsentieren Israel als Volk, im Sinne einer primordial codierten Gemeinschaft. Das gilt sowohl für die Abgrenzung gegenüber anderen Völkern als auch für die innere Gliederung. Chr stellt die gesamte Völkerwelt als verwandtschaftlich strukturierte Gemeinschaft dar, die um Israel als ihr Ziel und Zentrum gruppiert ist. Universalismus verbindet sich mit Israel-bezogenem Partikularismus. Die Zugehörigkeit zu Israel ergibt sich auch in Chr durch die Verankerung im israelitischen Stämmesystem: Israelit ist, wer in einen der Stämme Israels hineingeboren wird oder einheiratet. Dabei eignet dem System eine ätiologische Funktion; so trägt Chr den Gegebenheiten der Provinz Jehud Rechnung, allerdings stets auf der Basis des genealogischen Systems, wie z.B. die Eingliederung der Kalebiter oder Jerachmeeliter zeigt. Sach 9,1–10 entfalten die Zusammenhänge nicht, die genealogische Israel-Konzeption ist jedoch in der Bezeichnung Israels als Stämmevolk (v. 1) zu greifen, das territorial das Gebiet des ehemaligen Nord- und Südreich umfasst. Letzteres gilt ebenfalls für Jes 11,11–16, aber auch Hos 2,1– 3 und Ob 15–21. 1.2.2 Israel als Zwölf-Stämme-Volk 1.2.2.1 Das Stämmesystem in perserzeitlichen Texten Dass die Chronikbücher oder Ez 47f. mit dem Stämmesystem 8 arbeiten, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Auch Sach 9,1–10; Ez 37,15ff. und 2Reg 17,24ff. dürften angesichts der Erwähnung von „Stämmen Israels“ bzw. des Erzvaters Jakob ein Stämmesystem voraussetzen, ohne es freilich eigens zu entfalten. Die Tradition wird präsupponiert, gehört also zum 8 Die Rede von dem Stämmesystem vereinfacht in gewisser Weise einen komplexeren Befund, da die Stämmelisten bekanntlich variieren, vgl. dazu die grundlegende Studie von NOTH, System. Die Frage kann jedoch hier vernachlässigt werden.
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erwarteten Vorwissen der Adressaten. 9 Das ist nicht verwunderlich, da die genannten Texte die Nordstämme – sei es im Land (Chr, Sach 9,1–10) oder im Exil (Ez 37; 2Reg 17) – als Teil Israels betrachten, also mit einem weiten Israel-Begriff operieren. Nicht von vornherein zu erwarten ist die Präsupposition des Stämmesystems in jenen Texten, die „Israel“ de facto mit der Stämmetrias der Provinz Jehud (Juda, Benjamin, Levi) identifizieren. Esra verwendet als eine Bezeichnung der Einwohner der Provinz Jehud יהודה ובנימין.10 Nach Neh 11 setzen sich die Bewohner von Jehud aus Angehörigen der Stämme Juda, Benjamin und Levi zusammen. Und auch die sehr späten „Rückkehrerlisten“ Esr 2/Neh 7 listen neben dem judäischen Gebiet auch eine Reihe benjaminitischer Ortslagen auf.11 Aktuelle Rekonstruktionen der Grenzen der Provinz Jehud sind sich – trotz vielfältiger Unterschiede im Detail – doch darin einig, dass diese Provinz große Teile des traditionell Juda und Benjamin zugewiesenen Territoriums umfasste.12 Die Tempelbauerzählung und die Esra-Erzählungen sehen diese „Israeliten“ zudem als (zurückgekehrte) Exulantenschaft und schärfen diesen Punkt geradezu ein. Während der Israel-Begriff infolgedessen in einer Richtung klar abgegrenzt ist – in Juda gibt es keine Israeliten außer jenen, die aus dem Exil zurückgekehrt sind –, bleibt er in der anderen Richtung – Israeliten in der Diaspora – relativ unbestimmt und offen. Esr 6,21 und 7,7 spiegeln ein in dieser Hinsicht weites Verständnis von „Israel“. Die Israeliten in Juda sind zugleich Teil und Repräsentanten eines größeren Israel, das sich noch im Exil befindet. 13 Dieses größere Israel wird aber weiterhin als Ethnos, d.h. als das durch gemeinsame Abstammung gekennzeichnete Zwölf-Stämme-Volk bestimmt. In den Vordergrund rückt dieser weite Israel-Begriff v.a. in kultischem Kontext. Nach Esr 6,16f. opfern die Israeliten ( )בני י שׂראלin Jerusalem anlässlich der Einweihung des neuen Tempels ein Sündopfer für כל ישׂראל. Die Zahl der Opfertiere beträgt zwölf, näher erläutert mit ( למנין שׁבטי ישׂראלv. 17). „Ganz Israel“ umfasst also mehr als die Israeliten vor Ort, und es ist als ein in zwölf Stämme gegliedertes Volk vorgestellt. Ein analoges Verständnis 9 Angesichts der zeitlichen Verortung der untersuchten Texte in der fortgeschrittenen Perserzeit können weite Teile des Pentateuch vorausgesetzt werden. Allerdings muss gar keine Anspielung auf bestimmte Texte vorliegen, sondern eine allgemeine Kenntnis der inneren Gliederung Israels reicht aus. 10 Esr 4,1; 10,9; 11,4.7.25.31; vgl. KARRER , Ringen, 83f. 11 Vgl. dazu die Untersuchung der genannten Ortslagen bei FINKELSTEIN , Archaeology. 12 Einen Überblick über die Diskussion bietet CARTER, Emergence, 75–90. 13 Ähnlich auch Sach 8,13; Dan 9,7. Nach WILLI, Juda, 174, geht das Esra/Nehemiabuch wie die Chronik und Dan *1–6 davon aus, „daß auch die Diaspora – die bekannte wie die verschollene – ein integraler Teil Israels ist und eine positive Funktion im Plan Gottes für sein Volk und seine Welt wahrnimmt.“ Vgl. die gesammelten Belege bei BEDFORD , Diaspora.
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steht auch im Hintergrund von Esr 8,35. Auch hier opfern die Zurückgekehrten ( )הבאים מהשׁבי בני־הגולהfür ganz Israel ()על־כל־י שׂראל. Ohne dass das Stichwort „zwölf Stämme“ genannt würde, ergibt sich jedoch aus der Zahl der Opfertiere, dass dieses Konzept im Hintergrund steht: Geopfert werden zwölf Stiere und zwölf Böcke sowie 96 Widder. 96 ist ein Vielfaches von zwölf. Hinzu kommen noch 77 Lämmer, wobei 77 den Aspekt der Vollständigkeit betont.14 Die Zwölfzahl spielt ebenfalls in 8,24f. eine Rolle: zwölf Priestern wird der Tempelschatz anvertraut, den „ganz Israel“ (v. 25) zusammengetragen hat. W. Rudolph verweist darüber hinaus auf Esr 8,1–14 sowie Esr 2,2/Neh 7,7. Esr 8,1–14 zählen zwölf Sippen auf und nennen jeweils die Zahl ihrer aus dem Exil zurückkehrenden Männer.15 In Esr 2/Neh 7 könnte die Zwölfzahl der Anführer (wie sie zumindst in Neh 7,7 erhalten ist) auf Israel als Zwölfstämmevolk anspielen.16 Die Zwölf wird auch hier jedenfalls kaum zufällig sein. „Ganz Israel“ bleibt somit ein Zwölfstämmevolk, das mehr umfasst als Juda, Benjamin und Levi.17 Wer auch immer neben den in der Diaspora verbliebenen Deportierten aus dem Südreich dazu zählt, bleibt vage; wird mit deportierten Nord-Israeliten gerechnet? 1.2.2.2 Fiktion oder Tradition? Die Prominenz genealogischer Listen in der Chronik hat dazu Anlass gegeben, den Ursprung des Zwölf-Stämme-Systems insgesamt in nachexilischer Zeit und insbesondere im Umfeld der Chronik zu vermuten.18 Die Beobachtung, dass das Stämmesystem nicht nur das Israelbild der Chronik oder Zukunftsvisionen wie Ez 47f. prägt, sondern auch im Esra/Nehemiabuch Spuren hinterlassen hat, könnte die Annahme seiner perserzeitlichen Verortung auf den ersten Blick stützen. Bei genauerem Hinsehen tun sich jedoch Probleme auf: (a) Weder die Chronik noch das Esra/Nehemiabuch belegen das Stämmesystem in einer der Formen, die im Pentateuch oder Josuabuch anzutreffen sind. 1Chr 2,1f. listen zwar die zwölf Söhne Jakobs auf, allerdings in einer ungewöhnlichen Reihenfolge, die aber mit großer Wahrscheinlichkeit eine Kenntnis der Vätergeschichte voraussetzt. In der Durchführung 1Chr 2–9 erscheinen – wenn man 1Chr 7,9 als DanitenGenealogie mitzählt – zwölf Stämme. Die Zwölfzahl ergibt sich durch den OTTO, ThWAT שׁבע, Sp. 1008. Ö und 3Esr 8,65 lesen 72, was wiederum ein Vielfaches von Zwölf wäre. 15 HAT 20, 79; ähnlich schon B ERTHOLET, KHC, 6. 16 HAT 20, 19; vgl. GUNNEWEG , KAT XIX 2, 57. Nach BLENKINSOPP, OTL 83f., ist die Liste sogar als Parallele zur Landnahme des Zwölfstämmevolks unter Josua angelegt. 17 Vgl. P OHLMANN , Frage, 321ff., freilich verbunden mit dem Kultgemeinde-Modell, sowie ROTHENBUSCH , Auseinandersetzung, 128, und die dort genannte Literatur. 18 So insbesondere LEVIN , System, aber vgl. auch die oben S. 31ff. dargestellten Positionen. 14
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Stammbaum Levis bei gleichzeitiger Aufteilung der Joseph-Stämme in Ephraim und Manasse. Allerdings fehlt hier der Stamm Sebulon völlig. Im Esra/Nehemiabuch ist zwar die Zwölfzahl der Stämme belegt, die Namen der Nordstämme werden jedoch nicht genannt. Weder aus Chr noch aus Esra/Nehemia ließe sich das System somit rekonstruieren. Ez 47f. bietet dagegen eine vollständige Stämmeliste unter Nennung der Namen der Nordstämme und kennt darüber hinaus nicht nur M. Noths System I (Ez 48,30–35: mit Levi, ohne Aufteilung der Joseph-Stämme) sondern auch System II (Ez 47,13–48,29: ohne Levi, mit Aufteilung der Joseph-Stämme).19 Aber auch Ez 47f. taugt kaum als Quelle für das Stämmesystem. Hier sind ebenfalls Kenntnisse der Vätergeschichte präsupponiert, z.B. die Erklärung dafür, dass Joseph zwei Anteile erhält (47,13) und welche diese sind; aus Ez 47f. allein ist nicht ersichtlich, dass Ephraim und Manasse den „Stamm Joseph“ repräsentieren. Schwerer wiegt jedoch, die hochgradig künstliche Anlage der Landverteilung. (b) Nicht nur materialiter, sondern auch konzeptionell erschließt sich das Stämmesystem nicht aus den untersuchten Texten. Diese lassen vielmehr Versuche erkennen, das vorgegebene System an die nachexilischen Gegebenheiten anzupassen. Charakteristisch für Chr war das Schwergewicht der Stämmetrias Juda, Benjamin und Levi, deren Stammeslisten das umfangreichste Material bieten und die in den Genealogien an prominente Stellen gerückt werden. Diese Anordnung ist, wie 1Chr 5,1f. zeigt, nicht selbstverständlich, sondern bedarf einer umständlichen Rechtfertigung, die erklärt, warum Ruben zurückgestuft und Juda sowie die Josephstämme hervorgehoben werden. Diese wäre kaum nötig, wenn nicht ein Stämmesystem vorgegeben wäre, in dem Ruben die Stämme anführt und Juda und Levi als seine jüngeren Brüder eingeordnet sind. Die im Esra/Nehemiabuch erhobene exklusive Israel-Konzeption tut sich mit dem Stämmesystem noch schwerer, so dass es hier deutlich in den Hintergrund tritt und nur noch im kultischen Kontext, in dem es auf die Gesamtheit des Gottesvolkes ankommt, greifbar wird. Dass Israel als Zwölfstämmevolk vorgestellt wird, obwohl in der Realität der Provinz Jehuds hauptsächlich Angehörige der Stämme Juda, Benjamin und Levi anzutreffen waren und den Bewohnern Samarias die Zugehörigkeit zu Israel gerade abgesprochen wurde, ist ein weiterer Beleg dafür, dass in der Perserzeit das Stämmesystem vorgegeben und so stark mit dem IsraelNamen verknüpft war, dass es nicht völlig ignoriert oder frei transformiert werden konnte. (c) Der gewichtigste Einwand gegen eine Entstehung des Stämmesystems in der Perserzeit ist jedoch seine angenommene Funktion. Es soll die Identität Israels in einer Zeit stützen, in der die staatlichen Organisationen dieses nicht mehr leisten konnten, nachdem die politische Eigen19
NOTH, System, 7ff.14ff.
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ständigkeit Israels und Judas verloren gegangen war. Wenn man aber die Entstehung eines genealogischen Systems als eine Konstruktion kollektiver Identität für eine bestimmte historische Epoche annimmt, sollte das System zur Verfasstheit der betreffenden Gemeinschaft in dieser Epoche kompatibel sein, um über die gegebene soziale Situation informieren zu können. 20 B. Giesen spricht diesbezüglich von der Situationsangemessenheit eines Codes.21 Er muss keine einfache Abbildung der Verhältnisse liefern, darf sie aber auch nicht außer Acht lassen. Die Situationsangemessenheit des Zwölf-Stämme-Systems in der Perserzeit wirft jedoch gleich in mehrfacher Hinsicht Fragen auf: – Wie ist das Vorkommen und v.a. die prominente Position der ostjordanischen Stämme (v.a. Ruben als Erstgeborener!) im Stämmeverbund zu erklären, die in der Perserzeit keine reale Entsprechung hatten? – Warum sollte ein Stamm wie Sebulon aufgenommen werden, wenn es über ihn – ausweislich der Genealogien der Chronik, die sonst durch das Bemühen gekennzeichnet sind, alle möglichen Informationen über die Stämme zusammenzutragen – keine Informationen (mehr) gab? – Warum wird Juda als Viertgeborener der Stammväter eingeordnet und Benjamin sogar als jüngster, wenn beide Stämme die Hauptkomponenten des perserzeitlichen Israels sind? – Wie ist es zu erklären, dass Benjamin enger mit Joseph als mit Juda verbunden wird, obwohl die beiden Stämme in der Perserzeit gemeinsam Gebiet und Bevölkerung der Provinz Jehud stellten, Benjamin also enger mit Juda verbunden war als mit Ephraim oder Manasse?22 Diese Fragen betreffen nicht nur periphere Phänomene, sondern Inhalt und Strukturierung des primordialen Codes insgesamt. Als perserzeitliche Fiktion ohne Anhalt an älterer Tradition ist das Stämmesystem schlicht nicht funktional. Es lässt sich nicht aus den Gegebenheiten der Provinz Jehud herleiten und würde mehr Probleme aufwerfen als Erklärungsleistungen vollbringen zu können. Der Umgang mit dem Stämmesystem zeigt vielmehr, dass ältere Traditionen vorlagen, die fest geprägt und/oder allgemein bekannt gewesen sein müssen. Es war offensichtlich nicht mehr möglich, einzelne inzwischen blinde Elemente auszuscheiden (z.B. einen Stamm wie Sebulon, der in 1Chr 2,1 genannt wird aber in 2,3–8,40 fehlt oder die Zwölf-Stämme-Tradition im Esra/Nehemiabuch) oder andere ohne 20 Zu diesbezüglichen Engführungen in der gegenwärtigen Forschungsdebatte vgl. auch unten S. 345ff. 21 GIESEN , Kollektive Identität, 29f. Dabei kann durchaus ein gewisser Interpretationsaufwand nötig sein, um eine gegebene Situation über eine solche Codierung strukturieren zu können. 22 Für Ez 47f. stellt sich zudem das Problem der Siedlungsgebiete. Wenn Juda nördlich von Jerusalem und Benjamin südlich der Stadt angesiedelt werden, sind die perserzeitlichen Gegebenheiten in ihr Gegenteil verkehrt.
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Erklärung zu modifizieren (vgl. die Degradierung Rubens innerhalb der Hierarchie in 1Chr 5,1f.). 1.3 Ein Diskurs über die Grenzen: Samaria als Teil Israels? Die hier vorgeschlagene Unterscheidung zwischen einer exklusiven und einer inklusiven Israel-Konzeption bezieht sich auf den Umgang mit der Bevölkerung im Gebiet des einstigen Nordreichs. 23 Da die untersuchten Texte Israel übereinstimmend als ein Ethnos verstehen, dessen Zusammenhalt auf der gemeinsamen Abstammung beruht, welche eine in zwölf Stämme gegliederte und genealogisch auf einen Stammvater zurückführbare Gemeinschaft konstituiert, kann die Verhältnisbestimmung zu den Samariern nur in den Koordinaten dieser Israel-Konzeption erfolgen. Gehören sie zu Israel, müssen sie ebenfalls Nachkommen Jakobs sein; gehören sie nicht zu Israel, sind sie fremder Herkunft und stehen außerhalb des Stämmeverbands. Entsprechend verlaufen die Argumentationslinien. Chr vertritt eine dezidiert gesamt-israelitische Perspektive. Diese zeigt sich in dem akribischen Bemühen der Register 1Chr 1–9, einen quasi maximalen Bestand Israels durch die Zeiten (und immer in der Verbindung zum Land Israels) zusammenzustellen. Stämme bzw. Sippen, die in nachexilischer Zeit längst aus der historischen Realität verschwunden aber in den chr Vorlagen vorgegeben waren, bleiben im System; Sippen, die in chr Zeit als Teil Israels angesehen wurden, werden integriert. Diese gesamtisraelitische Perspektive wird nun insbesondere in der differenzierten Haltung von Chr gegenüber den Nord-Israeliten erkennbar, nach der „dem Nein zu dem Königtum des Nordens ein uneingeschränktes Ja zu dem Volk entspricht“. 24 Chr vertritt daher für die Nordstämme, die nach dem chr Geschichtsbild nicht exiliert wurden, sondern weiterhin in ihren angestammten Gebieten angesiedelt sind, eine inklusive Konzeption, d.h. die genealogische Basis wird so weit gefasst, dass die Nordstämme über ihre Verankerung in diesem System ein unausscheidbarer Teil Israels sind.25 Sie bleiben selbst in der größten Verfehlung „Israel“26, einziges Kriterium für die Zugehörigkeit zu Israel bleibt die Abstammung.27 Die im Esra/Nehemiabuch versammelten Texte ziehen die Grenzen anders. Auch hier ist Israel weiterhin ein in zwölf Stämme gegliedertes 23 Zur Terminologie vgl. DYCK , Ideology, 90ff., allerdings mit etwas anderer Akzentsetzung; BAE, Vereinte Suche, 182, spricht in diesem Zusammenhang von der „groß- oder kleinisraelitischen Option“. 24 Chronik, 192. 25 J APHET, Ideology, 324; WILLI, Juda, 132f. 26 Vgl. 2Chr 25,7: אין יהוה עם־ ישׂראלin Bezug auf das Nordreich (dazu J APHET, Ideology, 321f.) oder 2Chr 12,1: עזב את־ תורת יהוה וכל־ישׂראל עמו... רחבעםin Bezug auf Juda. 27 WILLI, Juda, 132, mit Hinweis auf bSanh 44a: אף ־ על ־פי שׁחטא ישׂראל הוא.
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Volk, aber die Nordstämme sind nicht in Samaria zu finden. Über ihren Verbleib gibt der Ich-Bericht Nehemias keine Auskunft, auch die Tempelbau- oder Esraerzählungen thematisieren sie nicht eigens, scheinen aber vorauszusetzen, dass sie wie später die Judäer vollständig deportiert (vgl. auch Ez 37,15ff.; 47f.) und analog zum Geschichtsbild von 2Reg 17 durch fremde Völker ersetzt worden sind. Die exklusive Israel-Konzeption bedeutet also keine Eingrenzung Israels auf Juda, Benjamin und Levi, auch wenn diese de facto die tragenden in Jehud Stämme gewesen sind. Exklusiv ist diese Konzeption vielmehr in der Abgrenzung gegenüber der Bevölkerung Samarias. Letztere erfolgt in ethnischen Kategorien; entweder werden sie als von den Assyrern angesiedelte Völker dargestellt (Esr 4) oder mit den „Völkern des Landes“ identifiziert (Esr 9), wobei der gemeinsame Nenner die nicht-israelitische Abstammung ist. Argumentativ zieht die Geltung des primordialen Codes israelitischer Identität inkl. der ZwölfStämme-Konzeption für die Grenzziehung gegenüber Samaria ein gewisses Dilemma nach sich. Die exklusive Position ist bei gegensätzlichen Ansprüchen schwer durchzuhalten, insbesondere da eine vollständige Deportation der Nordreichbewohner nicht erfolgte und sich die Samarier selbst als Israeliten verstanden.28 Sie bedurfte eines großen argumentativen Aufwands, um Überzeugungskraft zu gewinnen (s.i.F.) und ließ sich auf lange Sicht auch nicht durchhalten.29 Bei aller Offenheit gegenüber Samaria ist jedoch auch die inklusive Israel-Konzeption mit einer deutlichen inneren Hierarchie verbunden. Juda rückt im genealogischen System der Chronik an die erste Stelle. Die für die Nordstämme eröffnete Perspektive setzt zudem voraus, dass sie sich dem Jerusalemer JHWH-Kult zuwenden; an der Ausrichtung auf den Jerusalemer Tempel entscheidet sich für Chr die Zukunft ganz Israels (vgl. 2Chr 30,8f.). Die chr Israel-Konzeption hält den Nordstämmen ihren Platz in Israel offen30 und lädt sie ein, ihrer Bestimmung als Israel zu entsprechen. Die Bestimmung Israels, seine Verpflichtung und Verheißung, entwirft Chr aber aus einer dezidiert judäischen bzw. Jerusalem-zentrierten Perspektive.31 Insofern dient die chr Israel-Konzeption eines Panisraelismus unter judäischer Führung neben der Definition Israels 32 als genealogisch fundiertes Zwölfstämmevolk auch der Legitimation33 der besonderen Rolle Jerusalems und Judas (sowie Levis und Benjamins) innerhalb eines größeren Israel. 2Chr 13 führt diesen bereits in den Genealogien greifbaren Aspekt in der Rede des Abija argumentativ vor. Vgl. unten S. 329ff Zur historischen Einordnung vgl. unten S. 335ff. 30 WILLI, Juda, 132. 31 Vgl. DYCK , Ideology, 113: Chr entwickelt „an inclusivist vision of all Israel under God, but this concept of Israel is Judahʼs and Jerusalemʼs concept of Israel“ (Hervorhebung im Original). 28 29
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Angesichts der genealogisch fundierten Israel-Konzeption der Chr kann nun aber von einem „wahren Israel“, das dann mit Juda oder einer „Jerusalemer Kultgemeinde“ identifiziert wird, nicht die Rede sein.34 Die für ein „wahres Israel“ angeführten vermeintlichen identity markers, seien es kultische (so z.B. J. Wellhausen, für den Israel nach dem Exil die „Gemeinde des rechtmäßigen Gottesdienstes“ am Jerusalemer Tempel ist)35, dynastische (so z.B. G. von Rad, für den die Treue zur davidischen Dynastie entscheidend ist)36 oder eine Kombination aus beiden Kategorien, wie sie z.B. G.A. Danell oder M. Oeming anführen, 37 sind in der Tat zentrale Themen in Chr, denn sie dienen der Legitimation der führenden Rolle Judas, nicht aber der Ausgrenzung anderer „Israeliten“ aus einem nun nicht mehr genealogisch definierten „wahren Israel“. Die Juda- bzw. Jerusalem zentrierte Perspektive verbindet Chr darüber hinaus mit Sach 9,1–10: so wie Sach 9 Gesamt-Israel und die tribale Struktur voraussetzen, genauso selbstverständlich ist Jerusalem das Zentrum für ganz Israel. Dort hat der angekündigte König seinen Sitz, der gleichermaßen in Juda wie in Ephraim und schließlich auch für die gesamte Völkerwelt agiert. Israel in Juda und Ephraim und Jerusalem als gemeinsames Zentrum kennzeichnen ebenfalls die Zukunftshoffnungen, die sich Jes 11,11–16; Hos 2,1–3 und Ob 16–21 niedergeschlagen haben. 1.3.1 Spuren des Diskurses Die aus den untersuchten Texten erhobene inklusive und die exklusive Israel-Konzeption stehen weitgehend unvermittelt nebeneinander, direkte Bezugnahmen sind die Ausnahme. Der polemische Ton von Texten wie 2Reg 17, Esr 9 aber auch 2Chr 13 lassen jedoch vermuten, dass ein innerjudäischer Diskurs über die Zugehörigkeit der Samarier zu Israel geführt wurde. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die kultische Aufladung der Trennlinie zwischen Juda und Samaria sowie die weitgehende Gleich32 Auch OEMING , Israel, 218, sieht die Intention von 1Chr 1–9 in der „Selbstdefinition und Selbstvergewisserung“, allerdings einer „Jerusalemer Kultgemeinde“, die den Titel „Israel“ exklusiv für sich beansprucht. Oeming ist zwar zuzustimmen, wenn er die Botschaft von Chr an die Nordstämme mit „Werde, was du bist!“ zusammenfasst, allerdings nicht im Sinne der Rückkehr zu einem „wahren Israel“ (aaO., 217), denn Israel sind sie weiterhin und immer gewesen. 33 Ebenso DYCK , Ideology, 113: „the ideology of identity in Chronicles is at the same time an ideology which legitimates Jerusalemʼs role as sole legitimate centre of Israel in the Chroniclerʼs day“ (im Original kursiv). 34 Zur Diskussion vgl. J APHET, Ideology, 322–324; WILLI, Juda, 131f.; zu theologisch hochgradig problematischen Implikationen der Vorstellung JAPHET, Ideology, 324, Anm. 217, sowie BLUM, Volk, 33ff. 35 WELLHAUSEN , Prolegomena, 182. 36 VON RAD, Geschichtsbild, 37. 37 DANELL , Studies, 275; OEMING , Israel, 218.
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setzung von „Israel“ und Gola innerhalb der Geschichtskonstruktion im Esra/Nehemiabuch. Beide Vorstellungen haben bis in spätere Zeit fortgewirkt und sind u.a. noch in der Chronik zu greifen, die den exklusiven Israelbegriff nicht teilt. Symptomatisch dafür ist die Aufnahme und Modifikation, die Esr 6,19–22 in 2Chr 30 erfährt. 1.3.1.1 Wer feiert das Passa? – Esr 6 und 2Chr 30 Esr 6,19–22 und 2Chr 30 38 stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis. Die Parallelen sind in der Vergangenheit zusammengestellt und diskutiert worden.39 Wenn auch über die Richtung der Abhängigkeit keine Einigkeit besteht, spricht doch einiges dafür, dass 2Chr 29ff. auf Esr 6 zurückgegriffen haben. Die Übereinstimmungen betreffen (a) die Makrostruktur der Texte, (b) inhaltliche Einzelzüge und (c) Übereinstimmungen in den Formulierungen: (a) In der kontextuellen Einbettung stimmen beide Texte bezüglich der Abfolge von Tempel(ein)weihung und Passafest überein. In Esr ergibt sich der Zusammenhang durch die Datierung der Tempeleinweihung auf den dritten Tag des Adar (6,15). Das Passafest ist das nächste Fest im Jahreskreis und zugleich das erste Pilgerfest nach der Tempeleinweihung, so dass die Frage der Festteilnehmer hier zum ersten Mal relevant wird. In Chr ist die Situation komplizierter. Nach 2Chr 29,17 beginnt die Tempelweihe unter Hiskia am ersten Tag des ersten Monats und dauert bis zum 16. Tag. Der reguläre Festtermin für das Passa wäre dann in den Zeitraum der Tempelweihe gefallen. Das Passa, von dem 2Chr 30 berichtet, wird aber nicht zum regulären Termin sondern erst im zweiten Monat gefeiert (2Chr 30,2). Die Verschiebung ist notwendig, weil die Priester noch nicht vorbereitet sind und die Zahl der Festteilnehmer noch nicht ausreichend ist (30,3). Die von 2Chr 29 her naheliegende Begründung, dass die Tempelweihe noch nicht abgeschlossen war oder auch ein Rückgriff auf die Regelung von Num 9,10–12 zu einem zweiten Passa für kultisch unreine Pilger, erfolgen nicht. Die Konstruktion verdankt sich vielmehr der Interessenlage von Chr. Chr kommt es darauf an, Tempelweihe und Passa zu verbinden und bereits beim ersten Passa nach der Neueinweihung des Tempels unter Hiskia ganz Israel – und insbesondere Pilger aus den Nordstämmen – in Jerusalem zu versammeln. Die Tempelweihe wird somit in das Frühjahr gelegt, womit 2Chr 29 auch im Vergleich zum chr Bericht über die Einweihung des salomonischen Tempels neue Wege geht; diese datiert 2Chr 7,10 (in Aufnahme von 2Reg 8,2) in den siebten Monat. (b) Neben der analogen Zeitschiene verbinden Esr 6,19–22 und 2Chr 30 eine Reihe von inhaltlichen Übereinstimmungen. In beiden Festberichten kommt den Leviten eine wichtige Funktion zu. Ihre Reinigung wird erzählt (Esr 6,20; 2Chr 30,16f. 40), was mit der Aufgabe zusammenhängt, die sie zu übernehmen haben: die Leviten schlachten das Passa für die restliche Festgemeinde aus Priestern und Laien (Esr 6,29; 2Chr 30,17). Das entFür die Diskussion der Texte im Einzelnen vgl. oben S. 74ff. bzw. S. 148ff. Ausführlich u.a. bei STEINS, Chronik, 231–236, allerdings mit einem komplexen Modell wechselseitiger Abhängigkeiten; zur Diskussion der vorausgesetzten Literarkritik in 2Chr 30 vgl. oben S. 230 Anm. 307. Die Frage wird freilich nur dann relevant, wenn Esr/Neh und Chr nicht einem gemeinsamen Autor zugeschrieben werden, dann wären die Übereinstimmungen kompositionelle Elemente innerhalb der Gesamtwerkes. 40 Sie werden damit gegenüber den Priestern positiv abgesetzt, vgl. 2Chr 29,34; 30,3.22. 38 39
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spricht der Rollenverteilung von 2Chr 35, nicht aber den Bestimmungen von Ex 12,3–6 oder Dtn 16,2–6, wo das Schlachten Aufgabe der Laien ist. Esr 6 weist diese Aufgabe ohne weitere Erklärung den Leviten zu, 2Chr 30 begründet zumindest, warum die Laien hierfür nicht in Frage kommen. In beiden Fällen wird das Mazzotfest als ein „Freudenfest“ gefeiert. Das ist singulär, denn die ausdrückliche Freude ( )שׂמחהist kein Topos, der in den sonstigen Festkalendern, -berichten oder -bestimmungen mit dem Mazzotfest verbunden ist. Esr 6,22 motiviert die besondere Festfreude mit der Vollendung des Tempels, die durch JHWHs Eingreifen ermöglicht wurde.41 Auch in 2Chr 30 wird wohl die Neueinweihung des Tempels und die damit verbundene Wiederaufnahme des Kultbetriebs im Hintergrund stehen. Dafür spricht, dass über die Festdauer Hiskias Passa und Mazzotfest mit der Tempelweihe unter Salomo parallelisiert werden. Nach 2Chr 7,8–10 dauern die Festlichkeiten und Opfer zur Weihe des salomonischen Tempels 15 Tage: sieben Tage für die Weihe des Tempels, sieben Tage für das Laubhüttenfest und eine Versammlung am achten Tag, so dass die Gemeinde am 23. Tag entlassen wird. Gefeiert wird unter Beteiligung von „ganz Israel“ (v. 8, zusätzlich betont durch die geographischen Angaben )מלבוא חמת עד ־נחל מצרים. Die Neueinweihung des Tempels unter Hiskia dauert 15 Tage und ist am 16. Tag vollendet (2Chr 29,17), allerdings ist hier nicht das ganze Volk beteiligt, sondern zunächst nur die Priester und die Oberen der Stadt Jerusalem. Erst in 2Chr 30,21–24 wiederholt sich die Zeitstruktur von sieben Tagen Fest und sieben Tagen mit weiteren Opfern sowie die An wesenheit einer großen Festgemeinde. Was bei Hiskias Tempeleinweihung hinter Salomo zurückbleibt, wird somit mit dem Passa- und Mazzotfest und der zweiten Festwoche nachgeholt. Hiskias Parallelisierung mit Salomo – und nicht mit David wie Josia – hängt möglicherweise auch mit dieser Focussierung auf den Tempel zusammen. Sowohl Esr 6,21 als auch 2Chr 30,25 machen detaillierte Angaben zur Zusammensetzung der Festgemeinde. Das Thema prägt darüber hinaus den größten Teil des Festberichts in 2Chr 30, wobei es vor allem darauf ankommt, alle Hindernisse, die den NordIsraeliten die Teilnahme am Fest verwehren könnten, aus dem Weg zu räumen. Insbesondere in der Beurteilung der Teilnehmer aus dem Norden zeigen sich die konzeptionellen Unterschiede im Israel-Verständnis (dazu gleich). (c) Signifikant für das Verhältnis der beiden Texte sind weiterhin Übereinstimmungen in den Formulierungen. Davon können parallele Ausdrücke wie ( דרשׁ ליהוהEsr 6,21) bzw. ( דרשׁ את יהוה2Chr 30,19) für die Hinwendung zu JHWH oder ויעשׂו חג־מצות שׁבעת ימים ( בשׂמחהEsr 6,22; mit kleinen Abweichungen ebenfalls in 2Chr 30,21) dem gemeinsamen Gegenstand geschuldet sein. Auf diese Weise lässt sich jedoch keineswegs die Übernahme des aramäischen Terminus für die zum Sündopfer verwendeten Ziegen צפירי עיזין (Esr 6,17) im hebräischen Chroniktext (29,21) erklären. Eine hebräische Ausdrucksalternative שׂעירי החטאתhätte es gegeben, und diese wird in 2Chr 29,23 auch verwendet. 42 2Chr 30,16 notiert, dass Priester und Leviten entsprechend den Vorschriften der Mosetora Aufstellung nehmen ( )ויעמדו על־עמדם כמשׁפטם כתורת משׁה אישׁ־האלהים. Die Aufstellung von Priestern und Leviten zum Dienst am Tempel entsprechend des Buches Moses ( )ככתב ספר משׁהerscheint ebenfalls in Esr 6,18, also dem direkten Vorkontext des a
41 Sachlich – wenn auch nicht in den Formulierungen – und sicher auch komposi torisch schließt sich hier der Bogen, der mit Esr 1,1–4 anhob. Das gesamte Tempelbau unternehmen beginnt damit, dass JHWH Kyrosʼ Geist erweckt und dieser sich daraufhin der Sache „des Hauses JHWHs, des Gottes Israels“ (1,3: בית יהוה אלהי ישׂראל, ganz ähnlich 6,22: [ בית־ האלהים אלהי ישׂראלgewichtige Textzeugen lesen sogar genau wie in 1,1 )]בית יהוה und dessen Volk zuwendet. 42 צפירfindet sich darüber hinaus nur in Esr 8,35 (ebenfalls als Bezeichnung des Ziegenbocks beim Sündopfer )צפיר חטאתund in Dan 8,5.8.21 (ohne Opferkontext).
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Berichts über die Passafeier. In der Sache geht es freilich um unterschiedliche Dinge, einmal die allgemeine Einteilung der Priester und Leviten zum Tempeldienst (Esr 6,18), einmal das konkrete Hinstellen zur Durchführung des Reinigungsopfers (2Chr 30,16, vgl. 35,5f.). In beiden Fällen läuft jedoch der Verweis auf die Mosetora ins Leere; weder für die Abteilungen und Ordnungen von Priestern und Leviten noch für ihre (räumliche) Aufstellung beim Opfern lassen sich eindeutige Bezugstexte benennen. Einige Übereinstimmungen zwischen den Texten verdanken sich ohne Zweifel der gemeinsamen Thematik, aber die Fülle der inhaltlichen Parallelen in Kombination mit sehr ähnlichen Formulierungen und der analogen Makrostruktur weisen darüber hinaus auf ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Texten hin. Für die Frage nach der Richtung der Abhängigkeit ist die Übernahme aramäischer Terminologie in 2Chr 29,23 ein schlägig: in 2Chr 29,23 lässt sich kein textinterner Grund für die Verwendung eines aramäischen Terminus ausmachen, sie erklärt sich am besten als eine Übernahme aus Esr 6,17. Damit wäre Esr 6 die Vorlage von 2Chr 29f. Dafür spricht ebenfalls, dass sich die Zeitstruktur (Tempelweihe – Passa) in Esr 6 natürlich ergibt; während die Datierung der Tempelweihe in den weder im Jahreskreis herausgehobenen noch anderweitig bedeutsamen Adar kaum eine Erfindung ist, erfordert in 2Chr 30 dieselbe Abfolge in Kombination mit dem Anliegen von Chr, die Tempelweihe in den ersten Monat und an den Anfang der Regierungszeit Hiskias zu legen, jedoch eine recht komplexe Erklärung. Gleiches gilt für die ausdrücklich notierte Freude bei der Feier des Mazzotfestes, die in Esr 6 direkt mit der Tempelweihe verbunden ist und sich auch in 2Chr 30 zusammen mit der Verlängerung des Festes vor diesem Hintergrund erklärt. Chr scheint die Vorstellung in Esr vorgefunden und sie in der eigenen Darstellung auf die erzählte Zeit angewendet und angepasst zu haben. Nicht ganz in das Bild fügt sich die Funktion der Leviten: Esr 6 schreibt ihnen ohne weitere Erläuterung das Schlachten des Passa zu; in 2Chr 30 erscheint dieselbe Praxis keineswegs als Normalfall, sondern wird über die mangelnde Bereitschaft der Priester und die Unreinheit von Teilen der Festgemeinde gerechtfertigt. Angesichts der auch an anderer Stelle sichtbaren Tendenz von Chr, die Rolle der Leviten und ihre Aufgaben herauszustellen, ist es jedoch wahrscheinlicher, dass sowohl Esr 6 als auch 2Chr 30 (vgl. 35) die Festpraxis am zweiten Tempel spiegeln, aber nur Chr das Interesse hatte, die Rolle der Leviten beim Passa ätiologisch mit dem ersten Tempel und dem Reformer Hiskia zu verknüpfen.
Für den Israel-Begriff sind v.a. die Unterschiede in den Angaben zur Zusammensetzung der Festgemeinde interessant: Esr 6,21
2Chr 30,25
וישׂמחו כל־קהל יהודה והכהנים והלוים ויאכלו בני־ישׂראל השׁבים מהגולה וכל־הקהל הבאים מישׂראל וכל הנבדל מטמאת גוי־הארץ אלהם והגרים הבאים מארץ ישׂראל לדרשׁ ליהוה אלהי ישׂראל והיושׁבים ביהודה
An beiden Festen nehmen verschieden Gruppen von Pilgern teil. Esr 6,21 nennt als erste Gruppe Israeliten, die inzwischen aus dem Exil zurückgekehrt sind, und als zweite Gruppe Angehörige fremder Völker, die bezüglich ihrer Abstammung nichts mit Israel gemein haben, sich aber dem Gott Israels zuwenden. Die Analyse hatte ergeben, dass hinter dieser zweiten Gruppe vorrangig – aber nicht notwendig ausschließlich – Sama-
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rier stehen, die JHWH verehren und sich am Jerusalemer Tempel orientieren. Nach der Israel-Konzeption, die Esr 6,19–22 repräsentiert, gehören diese Festteilnehmer also nicht zu Israel, sondern werden JHWH-Anhängern aus den Völkern gleichgestellt. Die Israel-Zugehörigkeit hängt somit nicht an der JHWH-Verehrung, sondern an der Abstammung. Die Samarier sind nicht Teil des israelitischen primordial codierten Ethnos. Auch 2Chr 30,25 nennt verschiedene Pilgergruppen: Judäer (samt Priestern und Leviten), Nord-Israeliten sowie Nicht-Israeliten ( )גרים, die im Gebiet des ehemaligen Nordreichs oder in Juda leben. Die Pilger aus dem Norden gelten somit als Israeliten. Dieses Verständnis steht auch hinter ihrer Bezeichnung mit den Stämmenamen (Ephraim, Manasse, Asser, Issachar, Sebulon): sie sind intergraler Teil des israelitischen (ebenfalls primordial codierten) Ethnos. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum ihre Teilnahme an Hiskias Passa für Chr so wichtig ist und die Festgemeinde ohne die Nordstämme weder quantitativ noch qualitativ ausreichend sein kann. Nur unter Beteiligung von „ganz Israel“ kann Hiskias Passa den Passafeiern unter Salomo entsprechen und die hiskianische Neueinweihung des Tempels mit Salomos Tempelweihe parallelisiert werden. Chr greift somit auf Esr 6 zurück und gestaltet einzelne Züge des kurzen Abschnitts erzählerisch aus, geht aber in der Beurteilung der Samarier einen anderen Weg als die Vorlage. 1.3.1.2 Die Unreinheit der Samarier Zu den Erzählzügen, die 2Chr 30 mit Esr 6 verbinden, gehört auch der Topos der Unreinheit der Samarier. Esr 6,21 präsupponiert, dass die Zuwendung zum Gott Israels die Abkehr von einer den fremden Völkern attestierten Unreinheit ( )טמאת גוי־הארץimpliziert. Welcher Art diese Unreinheit und wie sie verursacht ist, lässt der Text offen. Im breiten Kontext des Esra/Nehemiabuches zeigt sich jedoch, dass die kultische Kategorie der Unreinheit mit der Grenzlinie zwischen Angehörigen des eigenen Volkes und Fremden43 und insbesondere den Samariern verbunden wird. Erste Zeichen einer kultischen Aufladung dieser Grenzlinie finden sich bereits im Ich-Bericht Nehemias. Neh 13 setzt voraus, dass eine Verbindung mit Fremden kultisch verunreinigt (z.B. v. 28: )גאלund die betroffenen Priester (13,30) oder Tempelräume (13,9) infolgedessen der Reinigung ( )טהרbedürfen. Im vorliegenden Fall sind die „unreinen Fremden“ Tobija (v. 4ff.) sowie eine Tochter Sanballats (v. 28–30), die als JHWH-Gläubige nicht aufgrund der Verehrung anderer Götter, sondern als „FremdstämmiOLYAN, Hierarchy, 60: „In Ezra-Nehemia, struggle over defining the boundaries of the people itself leads to the employment of the rhetoric of impurity to justify exclusion from the community of all individuals classed as alien“; vgl. HARRINGTON , Holiness; KARRER, Ringen, 82f.89. Olyan differenziert allerdings nicht zwischen dem Ich-Bericht Nehemias und den Esra-Erzählungen. 43
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ge“ (v. 30: )נכרunter die Kategorie „unrein“ fallen.44 Nehemia propagiert in der Frage der Mischehen allgemein die Abgrenzung von den Nachbarn (Aschdod, Ammon und Moab) als ein Mittel zur Bewahrung der eigenen Identität, angewendet wird das Etikett „kultisch unrein“ aber insbesondere auf JHWH-Anhänger aus Samaria. Das Grundmodell einer genealogisch fundierten kollektiven Identität (primordialer Code) ist damit v.a. bezüglich der Grenze zwischen Juda und Samaria kultterminologisch aufgeladen, jedoch nicht aufgegeben: „Holiness becomes biological.“45 Bedarf die Ausgrenzung der Samarier aus Israel einer zusätzlichen argumentativen Stütze, wie sie die Opposition rein – unrein liefert, während die Grenzziehung gegenüber Nachbarn wie Aschdod oder Ammon ohne eine solche auskommt?46 In Esr 9f. kommt die kultische Dimension der Grenzziehung zwischen Judäern und Samariern noch stärker zum Tragen: Israel als זרע הקדשׁstehen die Gräuel und die Unreinheit der Völker gegenüber (9,2.11). 47 Esr 9,1 bietet in diesem Zusammenhang eine Neh 13,23 vergleichbare Liste der Nachbarn Judas (Ammon, Moab, Ägypten und Edom 48), nennt aber zusätzlich vier alte kanaanäische Völker (Kanaaniter, Hetiter, Perisiter, Jebusiter). An letzteren bzw. ihren Nachkommen scheint sich Esra vor allem zu stören (9,11–14): die Vermischung mit Frauen aus diesen „Völkern“ gefährde Israels Status als „heiliger Same“ und sei מעל, d.h. eine Pflichtverletzung gegenüber JHWH49 (neben 9,2 auch 9,4; 10,10). Im Hintergrund steht wahrscheinlich Dtn 7,1–6.50 Auch an dieser Stelle ergab die Analyse, Zur Herkunft Tobijas und Sanballats vgl. oben S. 72 Anm. 64. HARRINGTON , Holiness, 103. Auch KARRER, Ringen, stellt fest, dass in den EsraErzählungen „Heiligkeit und Unreinheit stark an den Personen selbst fest gemacht“ (277) und „die Heiligkeit mit genealogischem Denken in Verbindung gebracht“ (279) werde. 46 So auch ALBERTZ, Konzepte, 29: „Zusammenfassend können wir also feststellen, dass Nehemia … das kultische und rituelle Konzept binärer Oppositionen in seine politischen Strategien einbezog, um die Durchsetzung seiner exklusiven Abgrenzungspolitik, die sonst fehlgeschlagen wäre, zu erzwingen.“ 47 Vgl. OLYAN, Hierarchy, 81–90; B ECKING , Continuity, 270f. und ROTHENBUSCH , Auseinandersetzung, 129: „Sie [die ‚Völker des Landes/der Länder‘, K.W.] haben alle konkreten Konturen verloren und besitzen einen ganz und gar pejorativen Klang. Es liegt ein Stereotyp der von Gott gewollten Heiligkeit des ‚heiligen Samens‘ einerseits, als der Israel idealisiert wird, und Unreinheit der Völker andererseits vor.“ 48 Mit 3Esr 8,69 ist hier wahrscheinlich והאדמיzu lesen (vgl. BHS sowie GUNNEWEG , KAT XIX 2, 162), da nach der vorliegenden Reihenfolge ein weiterer Nachbar folgen müsste. So ebenfalls VAN SETERS, Terms, 74, der aber האמריbeibehält und annimmt, dass „Amoriter“ als Bezeichnung für „Araber“ fungiert. 49 Zur dieser Bedeutung von מעלvgl. J OHNSTONE , Guilt, 120. 50 Das ist weitgehend Konsens, vgl. GALLING , ATD, 212; WILLIAMSON , WBC, 131; GUNNEWEG, KAT XIX 2, 163; BLENKINSOPP, OTL, 175. Dtn 7,6 bezeichnet Israel als „heiliges Volk“ ( )עם קדושׁ, eine Folge von Israels Erwählung durch JHWH. Wenn Esr 9,2 statt dessen vom „heiligen Samen“ ( )זרע הקדשׁspricht, wird die Komponente der Abstammung stärker betont, vgl. HARRINGTON , Holiness, 99–101. 44 45
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dass diese in der nachexilischen Zeit längst nicht mehr greifbaren Völkerschaften als Chiffre für Samarier dienten, zumal Heiratsbeziehungen zwischen Judäern und Samariern offensichtlich keine Seltenheit waren, das Problem der „Mischehen“ somit zu einem großen Teil diese Verbindungen betraf. Die Zuschreibung einer fremden Abstammung51 wird somit auch hier in Bezug auf Samaria kultterminologisch unterfüttert.52 In diesem Zusammenhang wird häufig Haggai 2,10–14 diskutiert und „dieses Volk da“ (2,14) unter Verweis auf Esr 4,1–3 mit Samariern identifizert, die am Tempelbau mittun wollen, was ihnen hier jedoch aufgrund ihrer Unreinheit verwehrt werde.53 Die Deutung ist jedoch nicht ohne Probleme. Zum einen nötigt sie zu einer Textumstellung, 54 da 2,15– 19 kaum an Samarier als Adressaten gerichtet sein können. Schließlich ist schwer nachzuvollziehen, dass dieselben Samarier, die in v. 10–14 zurückgewiesen werden, in v. 15ff. mit Hinweis auf ihre desolate wirtschaftliche Situation zum Tempelbau motiviert werden sollen (vgl. Hag 1,1–15) bzw. ihnen in v. 19 sogar der Segen zugesagt wird. Zum anderen fügt sich der Abschnitt recht gut in die Argumentation Haggais ein, wenn man העם הזה 51 Anders WILLI, Juda, 80f., der hinter der Mischehenfrage zu Recht das Problem der Gefährdung von Israels Identität durch Assimilation sieht, dann aber זרע הקדשׁauf das Heiligtum bezieht: „Der wieder erbaute Tempel zog ja die Einwanderung nach sich – und den Eingewanderten wird angesichts des Heiligtums die Kontamination Ganz-Israels bewußt, an der sie repräsentativ für alle zu tragen haben … Die zum und für das Heiligtum berufenen Glieder der Gola sind in dieser Hinsicht einfach der sensibilisierte Teil Israels – die Nähe und die Bedeutung des Tempels verpflichtet sie. Darum ist זרע הקדשׁ, ‚die Saat (Nachkommenschaft) der Heiligkeit‘ … der einzige in dieser Frage gültige Gesichtspunkt, nicht die Abkunft oder religiöse Einstellung. Was zählt, ist das Verhalten, die Praxis. … Das Heiligtum wirkt als Saat und Keim; es verlangt eine heilige Umgebung.“ Gegen die These Willis spricht zweierlei: Zum einen passt sich זרעin der Bedeutung „Same/Nachkommenschaft“ gut in das semantische Feld mit נשׂאund ערב (Hitp., vgl. Ps 106,35) in 9,2 und der Endogamieforderung im weiteren Kontext ein. Zum anderen – und das ist gewichtiger – kann זר ע הקדשׁnicht Objekt zum sonst stets intransitiven ( ערבHitp.) sein (vgl. die Belege bei HAL s.v.), so dass „der heilige Same“ Subjekt und mit dem in 9,1 genannten „Volk“ zu identifizieren ist. 52 Vgl. HARRINGTON , Holiness, 110: „Ritual impurity is a label which communicates and reinforces the boundaries of a particular group, it expresses the group’s desire to preserve its integrity, and marks off symbolically where its borders lie.“ 53 Die These geht auf R OTHSTEIN , Juden und Samaritaner, 40f. u.ö., zurück, dessen Hauptpunkt allerdings nicht speziell die Samarier sind. Für Rothstein grenzt Haggai die Rückkehrergemeinschaft von der im Lande verbliebenen Bevölkerung, einschließlich der „Samaritaner“, ab, welche insgesamt als unrein klassifiziert werde und somit außerhalb der „jüdische[n] Gemeinde“ stehe, die sich damit zugleich als „religiöse Gemeinschaft, als Kultusgemeinde“ konstituiere (aaO., 41). ELLIGER, ATD, 94f., und RUDOLPH, KAT Haggai, 49f., spitzen die Rothstein-These schließlich auf die „Samaritaner“ zu, die Haggai (entsprechend dem Geschichtsbild von 2Reg 17) als Mischvolk verstehe und daher (v. 14) zugleich als עם, d.h. Nachfahren der Nord-Israeliten, und als גוי, d.h. angesiedelte Fremdvölker, bezeichnen könne (RUDOLPH, ebd.). 54 R OTHSTEIN , aaO., 63, sieht daher in 2,15–19 die ursprüngliche Fortsetzung von 1,15a. Die Textumstellung wurde durch ältere Kommentaroren tlw. übernommen (u.a. HORST, HAT, 206f.; BEUKEN, Haggai, 216), wird nach der Untersuchung von KOCH, Volk, jedoch kaum noch vertreten (mit Ausnahme von WOLFF, BK Haggai, 40–42).
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(wie auch in 1,2) bzw. הגוי הזהauf die judäischen Adressaten Haggais bezieht, die dann ab v. 15 wieder in der 2. Person angeredet sind: Die textexterne Deixis von ( שׁםv. 14) lässt zwar keine Rückschlüsse auf konkrete Lokalitäten mehr zu, zeigt aber an, dass offensichtlich ein laufender Opferbetrieb in Jerusalem vorausgesetzt ist. 55 Dafür spricht auch die Existenz von „heiligem Fleisch“ (v. 12: )בשׂר ־קדשׁ, insofern man nicht den gesamten den Priestern vorgelegten Fall der Heiligung durch Opferfleisch als bloße Theorie betrachtet. Haggai geht es in 2,10–19 darum, diesen laufenden Kult als unzulässig bzw. als nicht suffizienten Ersatz für den zu bauenden Tempel auszuweisen.56 Die von den Priestern eingeholte Tora behandelt einen Fall der Übertragung von Reinheit bzw. Unreinheit durch indirekte57 Berührung und bestätigt, dass Unreinheit anders als kultische Reinheit über zwei Stationen übertragbar ist. Im Spiel sind jeweils drei Größen (heiliges Fleisch → Gewand → Brot u.a. bzw. Unreiner → Gewand → Brot u.a.). Dem entspricht in v. 15 ebenfalls eine Reihe von drei Größen (Volk, Werk der Hände, Opfer). V. 15 selbst gibt keine Auskunft über die Richtung der Verunreinigung. Geht sie vom Volk aus, das selbst unrein ist und diese Unreinheit an die Werke und die Opfergaben weitergibt? Oder führt umgekehrt ein unreines Opfer zur Verunreinigung von Werken und Volk? Die Antwort erschließt sich von v. 17 her, wo die ersten beiden Größen der Trias (das Volk: hier in der Anrede אתכםsowie das Werk ihrer Hände )כל־מעשׂה ידיכםwieder aufgenommen werden;58 JHWH hat beide vor Aufnahme des Tempelbaus geschlagen. Es geht also um die Konsequenzen für Volk und Arbeitsertrag, die sich aus der in v. 14 konstatierten Situation ergeben: sie und die Früchte ihrer Arbeit sind durch unreine Opfer vor JHWH ( )לפניunrein und sind deshalb nicht bei JHWH (v. 17b 59: )אלי. Ursache der Verunreinigung und infolgedessen der wirtschaftlichen Misere der Adressaten ist somit der Opferkult ohne Tempel. Mit der Grundsteinlegung desselben verbindet sich für Haggai eine grundlegende Wende zum Besseren (v. 18f.). So gelesen ist Hag 2,10–14 für die hier geführte Diskussion nicht einschlägig. Es geht nicht um eine grundsätzliche Unreinheit der Samarier und auch nicht um die Frage ihrer möglichen Beteiligung am Tempelbau, sondern um die Widerlegung des (naheliegenden) Arguments, der Bau des Tempels sei nicht nötig, weil sich der JHWH-Kult auch ohne Tempel durchführen lasse, vor dem Forum der judäischen Adressaten des Propheten. Es 55 Zum Opferdienst am Ort des zerstörten Tempels vgl. WILLI-P LEIN, Warum, 61.65; LIPSCHITS , Judah, 135–142; BERLEJUNG, Notlösungen, 224f. 56 WILLI-PLEIN, ZBK.AT, 45, teilweise auch GRAF REVENTLOW , ATD, 26f. So in Ansätzen bereits KOCH, Volk, 63, der hinter Hag 2,10–19 die Sorge um Haggais eigenes Volk sieht, das ohne „unversehrtes Heiligtum“ keine Möglichkeit zur kultischen Reinigung habe, so dass der „unheimliche Einfluß des Unreinen“ stetig wachse. 57 Dieser Aspekt kommt in den Kommentaren oft zu kurz, vgl. zur Problematik TIEMEYER, Question. Um die Übertragung von Heiligkeit bzw. Unreinheit durch indirekte Berührung geht es in beiden Fällen. Die Frage der Unreinheit ist durch die Einleitung mit אםals Unterfall zum zuvor dargestellten Sachverhalt gekennzeichnet. 58 Der Vers bildet zugleich das Ziel des Argumentationszusammenhangs der mit ועתה (v. 15) einsetzte und ist über die Formel נאם־ יהוהmit v. 14 verbunden (zur gliedernden Funktion der Gottesspruchformel bei Haggai, vgl. KOCH, Volk, 56ff.). Mit v. 18 wendet sich die Argumentation den positiven Effekten des Tempelbaus zu. 59 V. 17b ist schwierig. Oft wird nach Ö und in Anlehnung an Am 4,9 zu ולא שׁבתם geändert (vgl. App. BHS). Dann wäre aber die Entstehung der Lesart von MT kaum zu erklären. Wahrscheinlicher ist es, dass der schwierige MT aufgrund der wörtlichen Übereinstimmung des Versanfangs in Ö oder ihrer Vorlage von Am 4 her korrigiert wurde.
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besteht mithin auch keine Notwendigkeit, den Abschnitt Haggai insgesamt abzusprechen.60
Interessanterweise ist nun die kultische Unreinheit von Angehörigen der Nordstämme auch ein ausführlich diskutiertes Thema in 2Chr 30, obwohl Chr ihnen gegenüber eine inklusive Position einnimmt. Das Thema Unreinheit der Festteilnehmer dient in 2Chr 30,17 zunächst dazu, das Schlachten des Passalammes durch die Leviten zu legitimieren. Da die kultisch unreinen Pilger das Passa weder schlachten noch davon essen dürfen, schlachten nicht mehr die Laien, sondern die Leviten das Opfer. Alle Pilger, auch die unreinen, können aber davon essen. Bis hierher könnte es allgemein um die Legitimierung einer im zweiten Tempel gängigen Praxis, i.e. das Schlachten von Opfertieren durch die Leviten, gehen bzw. darum, wie mit der kultischen Unreinheit von Festpilgern umzugehen ist.61 In der Folge (v. 18–20) wird jedoch deutlich, dass die mangelnde kultische Reinheit vorrangig die Pilger aus den Nordstämmen betrifft. V. 18 nennt in die Stämme Ephraim, Manasse, Issachar und Sebulon. Auf diese ( )עליהםist Hiskias interzessorisches Gebet und JHWHs positive Aufnahme desselben focussiert. Das Gebet erklärt im Blick auf die Samarier die innere Einstellung ( יהוה הטוב יכפר בעד כל־לבבו הכין לדרושׁ האלהים יהוה אלהי )אבותיוzum wichtigeren Kriterium als die äußere kultische Reinheit. Die Hinwendung zu JHWH bedeutet damit zugleich ihre Reinigung, denn JHWH selbst „heilt“ diejenigen (v. 20: )רפא, die sich ihm zuwenden. Da die Debatte, wie mit unreinen Pilgern umzugehen ist, bis in die rabbinische Zeit geführt wurde, scheint sich für das Problem im Kultbetrieb des zweiten Tempels keine endgültige Lösung gefunden zu haben.62 Insofern ist auch nicht davon auszugehen, dass zur Zeit von Chr eine solche existiert hat und 2Chr 30 diesbezüglich die Kultpraxis des zweiten Tempels spiegele. Wahrscheinlich handelt es sich bei der Lösung von 2Chr 30 um eine Innovation von Chr.63 Als solche ist sie aber erhellend für die chr Beurteilung der Nord-Israeliten. Diese setzt offensichtlich voraus, dass insbesondere die nord-israelitischen Festpilger mit dem Problem der kultischen Unreinheit zu tun haben. Hat sich hier ein Topos, der ursprünglich 60 KRATZ, Serubbabel, 91. Auch die von KRATZ , ebd., notierte terminologische Differenz in der Bezeichnung des Tempels ( ביתHag 1,2.4.8f.14; 2,3.7.9; היכלHag 2,15.18) lässt sich dafür nicht ohne Weiteres anführen. Schließlich gibt es für die Verwendung von ביתzumindest in Hag 1 gute Gründe: die gesamte Argumentation lebt vom Gegenüber des Hauses JHWHs und der Häuser der Adressaten. 61 Die in Num 9,10–12 angebotene Lösung eines zweiten Passa wendet Chr jedenfalls nicht an, sondern sanktioniert die Teilnahme der „Unreinen“ über das Gebet und dessen positive Aufnahme. 62 Wie gewichtig die Sicherstellung der kultischen Reinheit der Festpilger war, zeigt die Breite der rabbinischen Diskussion um das Thema an, dazu SAFRAI , Wallfahrt, 163– 173. 63 Anders JAPHET, HThKAT II, 398; vgl. DYMA , Wallfahrt, 176–179.
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im Umfeld der Abgrenzungsbemühungen gegenüber Samaria in jenen judäischen Kreisen64 entstand, die eine exklusive Israel-Konzeption vertraten, nachhaltig in der judäischen Einschätzung der Samarier festgesetzt und bis in die Zeit von Chr gehalten?65 Wenn den Samariern in der Tat der Ruch einer grundsätzlichen kultischen Unreinheit anhing, stellt Chr dem eine ebenso grundsätzliche Lösung entgegen, das Gebet wird nicht umsonst so allgemein formuliert sein: diejenigen Nord-Israeliten, die sich JHWH – und das heißt für Chr (vgl. 2Chr 13) zugleich dem Jerusalemer JHWH-Kult – zuwenden, sind durch JHWHs Wirken rein und kultfähig. Diese Lösung musste dann fast zwangsläufig mit Hiskia verbunden werden, da im chr Geschichtsbild in seiner Zeit zum ersten Mal seit Salomo eine Teilnahme von Nord-Israeliten am Jerusalemer Kult möglich war. 1.3.1.3 Das leere Land bzw. ethnische Kontinuität über die Gola Die Analysen zeigen in den oben unter 1.1.3 untersuchten Texten eine Koinzidenz von exklusivem Israelbegriff und dem Verständnis der Bevölkerung Judas als Rückkehrergemeinschaft. Die Texte verbindet neben der Abgrenzung gegen Samaria somit ein spezifisches Geschichtsbild im Blick auf das babylonische Exil: alle nachexilischen Judäer sind Nachkommen der Exulanten, daher muss Juda zuvor vollständig deportiert worden sein. Die Problematik dieser Geschichtskonstruktion ist bekannt: historisch kann als sicher gelten, dass keineswegs die gesamte Bevölkerung des Südreiches deportiert wurde, sondern ein großer Teil im Land blieb und vor allem im benjaminitischen Gebiet auch vom Kriegsgeschehen um Jerusalem weitgehend verschont weiter lebte.66 Im Alten Testament selbst sind die Nachrichten über die im Land Gebliebenen jedoch rar. Das mag für die Exilszeit selbst mit der Tatsache zusammenhängen, dass das Exil in den biblischen Geschichtsdarstellungen überhaupt nur von seinen Rändern her in den Blick kommt. 67 Texte wie Jer 39ff., Ez 33,23–29 oder Thr 5 werfen lediglich einzelne Schlaglichter auf das Ergehen Judas während dieser Zeit. Für die nachexilische Zeit ergibt es sich daraus, dass die einschlägigen Darstellungen eben jenes Geschichtsbild präsentieren, demzufolge es keine im Lande verbliebenen Judäer gegeben hat. Das Alte Testament kennt für diese sog. „Altjudäer“ nicht einmal eine eigene Bezeichnung. 68 Historische Rekonstruktion und alttestamentliches Geschichtsbild sind in diesem Punkt schlicht nicht kompatibel. Ver suche, beide einfach zu kombinieren, führen in Aporien: Etwa wenn man die „Altjudäer“ in Esr 6,19–22 mit den „Abgesonderten von der Unreinheit der Völker“ (v. 21) identifi-
Zum Versuch einer historischen Einordnung, vgl. unten S. 335ff. Für die Samaritaner ist der Vorwurf öfter belegt, vgl. Sir 50,25f. oder Joh 4,9. 66 Vgl. die Studie von B ARSTAD , Myth, sowie zusammenfassend S TERN, Material Culture, 229f.; WEIPPERT, Palästina, 692.697f. oder GRABBE , Yehud, 22ff. 67 ALBERTZ, Exilszeit, 13: „So bildet die Exilszeit in der Geschichtsdarstellung der Hebräischen Bibel eine gähnende Lücke; sie klafft wie ein düsteres Loch in der Geschichte JHWHs mit seinem Volk, das nur durch vereinzelte Spotlights ein wenig auf gehellt wird.“ 64 65
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ziert, sie also zunächst als Nicht-Israeliten definiert, um sie dann über den Umweg eines Beitritts zur Kultgemeinde doch wieder zu Israel zu rechnen.69 Das gängige Erklärungsmodell für den Hiat zwischen historischer Rekonstruktion und biblischem Geschichtsbild ist die Annahme von Spannungen zwischen Rückkehrern und Daheimgebliebenen, wobei die Rückkehrer sich durchgesetzt hätten und ihre Geschichte zur maßgeblichen geworden sei.70 In der Tat ist mit unterschiedlichen gesellschaftlichen, religiösen und kulturellen Entwicklungen in Exil und im Mutterland zu rechnen. Dafür werden schon die kaum vergleichbaren kulturellen Kontexte und Lebensbedingungen gesorgt haben.71 Rivalitäten, sei es im Blick auf den Landbesitz oder die Autorität in religiösen bzw. kultischen Fragen,72 sind eine zu erwartende Folge. Wie stark diese gewesen und ob sie tatsächlich ein entscheidender Faktor für die Entwicklung im nachexilischen Juda gewesen sind, ist eine Frage an die historische Rekonstruktion. In der Konsequenz des vorliegenden Geschichtsbilds – wenn es keine Daheimgebliebenen gegeben hat, kann es auch keine Spannungen zwischen ihnen und den Rückkehrern geben – sind derartige Konflikte jedoch kein Thema der biblischen Geschichtsdarstellung. 73 Wo sie als ein solches postuliert werden, da als eine Art Subtext, der sich nicht ohne diffizile Analyse erschließt und dessen Offenlegung nicht selten auf der problematischen Einschätzung fußt, die biblischen Texte wollten die Gruppe der Daheimgebliebenen „diskreditieren“ und „sozial marginalisieren“ und erst die neuzeitliche Exegese könne die geschehene „narrative Gewalt“ aufdecken.74 68 Dafür ließe sich lediglich דלת עם הארץa(2Reg 24,14) bzw. דלת הארץa (25,12) als Bezeichnung der nicht deportierten Teile der Bevölkerung Judas anführen. Diese Constructus-Verbindung erscheint sonst nur im Kontext der Deportation (vgl. Jer 40,7; 52,15f.), im Focus ist aber der soziale Status. Darüber hinaus ist דלbzw. דליםeine übliche Bezeichnung der Armen (48 Belege im AT), als terminus technicus für die Daheimgebliebenen ist sie kaum spezifisch genug. 69 Auf diesen „Schönheitsfehler“ macht BLUM , Volk, 30, aufmerksam: „Sie [die These von Altjudäern, die sich der Kultgemeinde anschließen, K.W.] vertauscht die dem Text zugrundeliegende fiktive Geschichtskonstruktion (‚ganz Juda war im Exil‘ – folglich stammen alle Judäer der Perserzeit von Exulanten ab) durch eine postulierte historische Konstellation und glaubt diese damit zu belegen“. Zu Esr 6,19–22, vgl. oben S. 74ff. 70 Für eine kritische Betrachtung verschiedener Varianten dieser These, vgl. BEN Z VI , Inclusion, 104–117, sowie KESSLER, Reconstructing, 138–145. 71 Vgl. dazu S MITH , Religion, sowie die Hinweise auf Diaspora-Forschungen in anderen Kontexten bei ROTHENBUSCH , Auseinandersetzung, 118–120. 72 Das übliche Bild in den aktuellen ‚Geschichten Israels‘ geht von tiefliegenden Rivalitäten aus; vgl. z.B. SASSE, Geschichte, 50: „Zum Konflikt musste es kommen, als die Rückkehrer mit dem Tempelbauprojekt inklusive Gesellschaftsmodell (Vaterhäuser) und den im Exil bewährten Glaubensüberzeugungen im Gepäck ihre exilische Lebensweise auf die Heimat übertragen wollten.“ Eine vorsichtigere Bewertung vertritt GRABBE, Yehud, 288: „Yet a certain amount of friction and occasional quarrels is not the same as wholesale antagonism between the two groups. The numbers of returnees were probably not large at any one time and could be assimilated over a period of time. The two groups seem to have integrated more or less successfully“ (288). 73 Auch Ez 33,23ff. (vgl. 11,14ff.) bildet keine Ausnahme. Das Prophetenwort spiegelt zwar Auseinandersetzungen um Landrechte, ist aber aller Wahrscheinlichkeit nach ein Reflex von Ansprüchen der ersten Gola gegenüber nach 597 in Jerusalem verbliebenen Judäern (ZIMMERLI, BK, 818f.; POHLMANN , ATD, 454f.). 74 So sehr zugespitzt bei B IEBERSTEIN , Geschichten, 44f., der annimmt, die Leistungen der Altjudäer beim Tempelbau sollten bewusst verdeckt werden.
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Von einer kompletten Entvölkerung Judas ist denn auch in den Nachrichten, die über die Deportation vorliegen, keine Rede. 2Reg 24f. berichten von mehreren Deportationswellen (24,14–16; 25,11f.18–21; vgl. Jer 39,9f.; 52,15f.). Der Schlusssatz 25,21 fasst mit ויגל יהודה מעל אדמתוdas zuvor Erzählte zusammen.75 Über die Formulierung ergibt sich eine Parallele zwischen dem Geschick Judas und jenem des Nordreichs (2Reg 17,23: ויגל – )ישׂראל מעל אדמתוganz im Sinne der Argumentation von 2Reg 17,8–23. „Und Juda wurde deportiert aus seinem Land“ (2Reg 25,21) weckt zwar ebenfalls den Eindruck einer vollständigen Deportation. Genauer besehen wird aber nur ein Teil der Bevölkerung exiliert, die Angaben dazu sind relativ detailliert: exiliert werden die Stadtbevölkerung, Funktionsträger in Militär, Verwaltung und Kult sowie spezialisierte Handwerker; zurück bleibt die Landbevölkerung (vgl. die in 25,12 genannten Berufe), die „Geringen des Landes“ (24,14: דלת עם הארץbzw. 25,12: )דלת הארץ. Für die Verfasser von 2Reg 24f. repräsentieren die Deportierten den signifikanten Anteil der Bevölkerung, so dass trotz de facto im Land gebliebener Judäer, gesagt werden kann, Juda sei im Exil. Dazu passt die Zahl von 4600 Deportierten, die Jer 52,28–30 nennt. Unabhängig davon, ob sie historisch korrekt ist, soll sie sicher nicht die gesamte Bevölkerung Judas angeben. Der Ich-Bericht Nehemias kennt ebenfalls noch keine vollständige Deportation, sondern geht neben den Exilierten auch von im Land verbliebenen Judäern aus. Konzeptionell ergeben sich für das Motiv der vollständigen Deportation dagegen Verbindungslinien zum sog. „Mythos vom leeren Land“, d.h. der Vorstellung, das Land sei während der Exilszeit vollständig entvölkert gewesen. Das Motiv begegnet prominent in der Deutung des Exils als (siebzigjährige) Sabbatruhe für das Land. Als ausge arbeitetes Konzept liegt diese in 2Chr 36,20f. vor. Dort kommen drei Aspekte zusammen: (a) der Beginn der Perserzeit zeigt die Erfüllung eines durch Jeremia gesprochenen JHWH-Wortes an, (b) die Exilierung der Bevölkerung76 dient der Sabbatruhe des Landes, (c) das Exil dauert 70 Jahre. 77 Dabei geht es Chr um Gegenwartsdeutung und nicht Vergangenheitserklärung; entscheidend ist nämlich die zeitliche Begrenzung der Sabbatruhe und ihre Verknüpfung mit dem Ende der babylonischen Herrschaft. Letzteres be75 2Reg 25,22–26 klappen nach v. 21 nach, zudem zeichnen v. 22–26 ein anderes Bild der im Land Verbliebenen. Nach 2Reg 24,14; 25,12 bleibt nur die Landbevölkerung zurück, in 25,23 ist dagegen die Existenz von Kriegsleuten ( )שׂרי החילים והאנשׁיםvorausgesetzt, die sich um Gedalja sammeln. In äußerst knapper Form wird hier notiert, wovon Jer 40ff. ausführlich berichten. Wenn es sich um eine Zusammenfassung des JeremiaBerichts handelt (so die gängige Auffassung, WANKE , Untersuchungen, 115; COGAN & TADMOR , AncB, 326, vermuten dagegen eine gemeinsame Quelle hinter beiden Darstellungen), kann nicht nur Jer 40,7–41,18 (gegen RUDOLPH, HAT Jeremia, 213) vorgelegen haben (vgl. POHLMANN , Erwägungen, 97f.), denn die Auswanderung der gesamten Restbevölkerung nach Ägypten (2Reg 25,26) ist in Jer 41,18 noch nicht erreicht, sondern erst in 43,4–7. Ob es sich bei v. 22–26 um einen späteren Nachtrag (so POHLMANN , Erwägungen 100; WÜRTHWEIN, ATD, 479) oder um eine Notiz von Dtr selbst, der nach dem eigentlichen Ende noch weiteres Material nachtrug, das sich zuvor nicht einfügte (so erklärt BRUEGGEMANN , 1 & 2 Kings, 601, die Stellung der Notiz), kann hier offenbleiben.
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zeugt die Erfüllung des prophetischen Wortes; die 70 Jahre sind vergangen und mit ihnen die Sabbatruhe des Landes.78 Die Perserzeit steht unter neuen Vorzeichen.79 Die Innovation von Chr ist dabei weder die Terminierung der Exilszeit auf 70 Jahre, diese ist bei Jeremia vorgegeben (25,11f.; 29,10; vgl. auch Esr 1,1), 80 noch das Verständnis der Exilszeit als Sabbatruhe für das Land, dieses stammt aus Lev 26. Das Schlusskapitel der Priesterschrift mit der Ankündigung von Segen (26,9–13) und Fluch (26,14ff.) bei Bundestreue bzw. Bundesbruch Israels und schließlich mit der Zusage von JHWHs Bundestreue über das Gericht hinaus (26,41ff.) bietet eine Exilsdeutung der priesterlichen Tradenten.81 Lev 26,34f.43 haben für 2Chr 36,21 bis in die Formulierungen hinein ( רצתה )הארץ את שׁבתותיה כל ימי השׁמהPate gestanden. Schon in Lev 26 impliziert das Verständnis des Exils als Sabbat somit einen positiven Ausblick. 82 Als Sabbatruhe ist die Zeit der Zerstörung und Deportation von vornherein eine begrenzte Zeit, die nach ihrem Ablauf 76 WILLI, Juda, 22f., bestreitet, dass Chr von einer völligen Deportation ausgeht: „Bei einer gründlichen Analyse der Schlußverse der Chr zeigt sich, daß die konkrete Angabe in V. 20a über „einen Überrest vom Schwert“ sich auf die im Vorhergehenden berichtete gnadenlose Hinschlachtung sämtlicher Bevölkerungsgruppen zurückbezieht. Diese aber ist, wie V. 14 klar sagt, „in Jerusalem“ geschehen. D.h. rein bevölkerungspolitisch ist auch in V.20a nur Jerusalem im Blick“. In der Tat kommt es Chr wohl nicht darauf an, unmissverständlich klarzustellen, dass kein einziger Judäer im Land blieb (die Vorstellung ist auch in 1Chr 9,1 nachgetragen, vgl. oben S. 132ff.), aber dass hier anstelle des „myth of an empty land“ nun lediglich „the fact of the empty Jerusalem“ beschrieben werde (so die Paraphrase von Willis Argumentation bei JONKER , Exile, 713), ist so eindeutig nicht. Die Angabe „in Jerusalem“ v. 14 bezieht sich auf den Ort des Tempels, nicht auf die Hinschlachtung der Bevölkerung, letztere geschieht nach v. 17 zwar zum Teil im Tempel (junge Männer), aber auch darüber hinaus. Unbestritten ist der Focus deutlich auf Jerusalem (so auch WILLI, aaO., 23), aber v. 14 bezieht alle Judäer (שׂרי היהודים הכהנים והעם, gelesen mit Ö) in den Schuldvorwurf mit ein. Zudem verbindet sich mit dem Bild der Sabbatruhe des Landes zwar nicht notwendig (im „regulären“ Sabbatjahr ist natürlich die Bevölkerung präsent, vgl. Lev 25) das des leeren Landes, das argumentative Gefälle von 2Chr 36 legt das Bild jedoch nahe: nur weil die Bevölkerung weggeführt ist, kann das Land die Sabbate halten, die ihm zuvor verwehrt waren. Kurz: die Frage – restlose Deportation oder nicht – scheint Chr fremd. Die Wegführung maßgeblicher Kreise der Bevölkerung reicht aus, um das Bild eines brach liegenden Landes (v. 21: )כל ימי השׁמה zu evozieren. 77 Zum Konzept vgl. ALBERTZ, Exilszeit, 20–22; JONKER , Exile. Gegen Albertz und CARROLL, Myth, 80f., betont JONKER , Exile, 713–715, dass es Chr nicht darum geht, den Mythos der leeren Landes zu pflegen oder gar die im Land gebliebene Bevölkerung unter den Tisch zu kehren (so CARROL, aaO., 81.90). 78 למלאות שׁבעים שׁנהist als Inclusio zu למלאות דבר יהוהgestaltet, dazu JAPHET, HThKAT II, 511. 79 WILLI, Juda, 23, vgl. JONKER , Exile, 714f. 80 Die Zahl wird ebenfalls in Sach 1,12; 7,5; Dan 9,2 aufgenommen. 81 Zu Lev 26 als Abschluss der „Priesterschrift“ vgl. BLUM , Pentateuch, 324ff. 82 Ohne Sabbatmotivik und damit auch ohne positiven Ausblick erscheint die Ankündigung einer vollständigen Entvölkerung des Landes in Jer 24. Die Feigenvision schließt mit Drohungen gegen die „schlechten Feigen“ 24,9f.; den Kulminationspunkt der Drohungen bildet die Ankündigung der völligen Vertilgung der Adressaten von ihrem Land (v. 10b: )עד תמם מעל האדמה אשׁר נתתי להם ולאבותיהם. Zu verorten ist Jer 24 – wie Ez 11,14ff.; 33,23ff. – in Programm und Ansprüchen der ersten Gola von 597, dazu POHL MANN , Studien, 19–31; zusammenfassend SCHMID , Literaturgeschichte, 166f.
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einen Neuanfang ermöglicht. Die Zeit dient der Neuorientierung des Volkes, wobei die Sabbatruhe des Landes nicht der Zweck der Deportation ist (für die Sabbatruhe muss das Land nicht leer sein, vgl. Lev 25), sondern eine positive „Begleiterscheinung“ (v. 43). 83 Neu bei Chr ist die Kombination beider Motive, für S. Japhet ein „perfect example of midrashic exegesis“84, in dem Chr verschiedene Konzepte im Dienste des neuen Aussageziels zusammenfügt. Anders als in Lev 26, wo die Dauer des Exils, die Zeit bestimmt, die das Land nutzen kann um zu ruhen (z.B. v. 34 )אז תרצה הארץ את שׁבתתיה כל ימי השׁמה, hängt in 2Chr 36,21 die Dauer des Exils von der Anzahl der nachzuholenden Sabbate ab ( עד )רצתה הארץ את שׁבתותיה.
Darüber hinaus ist ein Weiteres zu bedenken. Die Mehrzahl der Texte, die Israel und Gola auf diese Weise identifizieren, sind in einem größeren zeitlichen Abstand zum Exil entstanden. Dass Streitigkeiten um Landrechte bzw. die politische oder religiöse Autorität – wenn es sie denn gab – immer noch an der Konfliktlinie Rückkehrer-Altjudäer ausgetragen wurden, ist kaum vorstellbar. Wahrscheinlich hat sich die Unterscheidung zwischen Rückkehrern und Daheimgebliebenen in der dritten oder vierten Generation nach dem Exil längst verwaschen.85 Dann wird aber die Frage umso virulenter, warum im (spät)perserzeitlichen Jehud Exil und Rückkehr zu einem derartig prägenden identity marker werden konnten, dass eine Ausweitung der Exilskategorie auf „ganz Israel“ möglich wurde.86 Was ist die Funktion eines solchen Geschichtsbilds in der fortgeschrittenen Perseroder frühen hellenistischen Zeit? Woraus gewinnt es seine Überzeugungskraft? Die eingangs notierte Koinzidenz legt nahe, nach einer Funktion des Geschichtsbilds im Diskurs über die Beurteilung der Bevölkerung des ehemaligen Nordreichs zu fragen; stützt es eine Grenzkonstruktion, die die Samarier aus Israel ausschließt?87 Die Vorstellung einer vollständigen Deportation Judas impliziert, dass die Kontinuität zwischen vor- und nachexilischen Judäern allein über die 83 Die Annahme einer eigenen Wurzel רצהII „bezahlen“ ist für das biblische Hebräisch angesichts der wenigen angeführen Belege (diskutiert werden neben 2Chr 36,21 noch Lev 26,34.41.43; Jes 40,2) kaum begründet. Sie lassen sich zudem im Bedeutungsspektrum von רצהI verstehen, vgl. BARSTAD, ThWAT רצה, Sp. 646f. 84 J APHET, OTL, 1075f. 85 In gewissem Sinne ist gerade die Anwendung der Exilskategorie auf alle Judäer ein Beleg dafür. Sie wäre in der umfassenden Weise, wie sie z.B. in den Listen Esr 2 bzw. Neh 7 geschieht (dazu oben S. 81ff.), kaum denkbar, wenn die Unterscheidung von Deportierten und Nicht-Deportierten für – wie auch immer geartete – soziale Konfliktlinien innerhalb Judas noch eine Rolle gespielt hätten. 86 B EN Z VI , Inclusion, stellt zahlreiche Belege zusammen und betont die Verbreitung des Motivs: „In sum, post-monarchic texts conveying to their historical ausdiences the message that Israel is either ‚exilic Israel‘ or – provided that the temporal framework allows it – ‚returneesʼ Israel‘ are abundant. They cross the boundaries of genre, style, date – provided that they are post-monarchic – and can in no way be exclusively asso ciated with a single historical community or group existing in a narrow span of time“ (99f.).
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Gola läuft. Notwendig ist eine derartige Konstruktion allerdings nur dann, wenn es um die genalogische Kontinuität geht, für andere Aspekte (kultische, dynastische Kontinuität o.ä.) ist eine vollständige Deportation letztlich nicht relevant.88 Soll aber sichergestellt werden, dass alle späteren Judäer von den Exulanten abstammen, muss das Land „leer“ gewesen sein, eine Repräsentation ganz Judas durch signifikante Anteile der Bevölkerung nach dem Beispiel von 2Reg 24f. reicht hierfür nicht aus. Die vollständige Deportation wird in den betreffenden Texten ebenso für das ehemalige Nordreich postuliert. In der Folge befinden sich die verbliebenen Nord-Israeliten im Exil. Ihr Land blieb jedoch nicht leer, sondern dort leben fremde Völkerschaften, deren Herkunft unterschiedlich definiert wird. Nach Esr 4,2 handelt sich in Analogie zu 2Reg 17,24ff. um von den Assyrern hierher verbrachte Neusiedler, Esr 9 identifiziert sie mit den alten Kanaanäer-Völkern. In der Konsequenz gibt es nach dieser Geschichtsrekonstruktion eine genealogische Kontinuität zwischen vorund nachexilischen Israel für das nachexilische Israel in seiner Gesamtheit nur noch über die Gola. Während die Linie mit der Rückehr der ersten 87 Den Weg in dieser Richtung weist BEN Z VI , Inclusion, v.a. 139–145. Er fragt nach den Gründen für die Verbreitung des Geschichtsbildes und kommt zu dem Ergebnis: „Thus, within the two neighbouring Yahwistic provinces, contradictory claims were held about who was Israel and what the divine teachings of YHWH that defined Israel consisted of. This was not an ephemeral but a prolonged situation. The tension caused by this system of opposite claims, by their potential implications for the self-image of Yehudites and Samarians, and by their likely sociopolitical implications, seems to provide a rea sonable historical background for the ubiquity of the ‚EI=I‘ [Exilic Israel = Israel, K.W.] view as well as for the continuous emphasis on Zion/Jerusalem in the literature of Yehud that later became the Old Testament/Hebrew Bible“ (144f.). Diese m.E. richtigen Überlegungen sind bei Ben Zvi jedoch in zweifacher Hinsicht mit problematischen Argumenten verbunden. Zum einen übersieht Ben Zvi in seiner Sammlung von Belegen für ein „exilic Israel“ die Differenzen bezüglich der Nord-Israeliten und postuliert auch für Chr ein Geschichtsbild, wonach „no one from Israel remained in the land after the Babylonian conquest“ (95). Zum anderen geht auch Ben Zvi von einem grundlegenden Wandel hin zu einer „Kultgemeinde“ aus: „During the post-monarchic period … the concept referred to by the term ‚Israel‘ … began to change. Instead of referring to Judahites (and to some extent to ‚Ephraim‘) the term began to refer to those who belonged to a community characterized by a certain religious tradition, including ‚biblical‘ texts (or biblical texts in the making) and their interpretations“ (122). Angewendet auf die Samarier folgt für Ben Zvi daraus, dass sie durch das Exilic Israel = Israel – Konzept aus Israel ausgeschlossen würden, weil sie die theologischen sowie sozialen und politischen Voraussetzungen nicht erfüllten (139f.) bzw. zu Israel zugelassen worden wären, wenn sie den Jerusalemer Jahwismus akzeptiert hätten (140, Anm. 110). 88 Der Sicherstellung kultischer Kontinuität durch das Exil hindurch dient das Motiv der Weg- und Rückführung der Tempelgeräte (Esr 1,6–11); für dynastische Kontinuität kann die Begnadigung Jojachins (2Reg 25,27–30) als Signal eines Fortbestands der davidischen Dynastie sowie die Einordnung Serubbabels in die Davididen-Linie als Enkel (Hag; Esr) oder Urenkel (1Chr 3,19) Jojachins (vgl. Hag 2,20–23 als Umkehrung von Jer 22,24) in Anschlag gebracht werden.
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Exulanten in Juda wieder aufgenommen wird, ist sie im Gebiet des ehemaligen Nordreichs völlig abgebrochen. Nun bestimmt gerade die Frage der Kontinuität auch die polemische Abgrenzung gegenüber Samaria von 2Reg 17,24–41 und offenbart zugleich die inhärente Problematik der Position. Die Analyse hatte die ätiologische Tendenz der Geschichtsdarstellung von 17,24–33 herausgearbeitet, die somit kaum Nachrichten über Vorgänge im 8. Jh. v.Chr. liefert, aber als Ausgangspunkt der Ätiologie Rückschlüsse auf die Situation in der Perserzeit und aufgrund der starken Polemik auch auf Grundzüge der Gegenposition zulässt. Der Ausgangspunkt der Ätiologie ist naturgemäß der am Ende der Geschichtserzählung erreichte Zustand: im Gebiet des ehemaligen Nordreichs leben fremde Völkerschaften, die aber den JHWH-Kult der deportierten Nord-Israeliten fortführen. Ersteres wird durch die vollständige Deportation der Nord-Israeliten erklärt, letzteres durch JHWHs Eingreifen sowie die Rückkehr eines Priesters zur Unterweisung der Neusiedler. Eine genealogische Kontinuität zwischen Nord-Israel vor der assyrischen Deportation und den späteren Bewohnern des Landes ist somit ausgeschlossen, auch die kultische Kontinuität fällt als Beleg einer solchen aus. Bis zu diesem Punkt deckt sich die Darstellung von 2Reg 17 mit dem Geschichtsbild der oben unter B I 1.1.3 (und soweit der Verbleib der NordIsraeliten im Blick ist auch unter 1.2) besprochenen Texte. Als Gegenposition lässt sich unschwer die Behauptung ethnischer Kontinuität zwischen den gegenwärtigen Bewohnern Samarias und den früheren NordIsraeliten erkennen. Die Annahme hatte sich angesichts der argumentativen Unschärfe, die aus der Überblendung von Israeliten und fremden Neusiedlern und Israeliten in der Geschichtsreflexion 17,34–41 resultierte, bestätigt. Hier wird der samarische JHWH-Kult an den Vorschriften gemessen, die für Israel gelten, eine Argumentation, die letztlich nur greift, wenn die Angesprochenen auch Israeliten sind.89 Im Diskurs um die Zugehörigkeit der Samarier zu Israel gewinnt das Geschichtsbild von der vollständigen Deportation ganz Israels somit Profil; die Behauptung genealogischer Kontinuität allein durch das Exil hindurch stützt die exklusive Position gegenüber einer Wahrnehmung Samarias als Bestandteil Israels. Damit ist eine Zentrierung Israels auf Juda (sowie Benjamin und Levi) als (bisher) einzige Rückkehrer aus dem Exil verbunden, aber – wie die Beibehaltung der Zwölf-Stämme-Konzeption zeigt90 – keine Ablösung des weiteren Israel-Begriffs, der die Nordstämme einschließt. Zugleich wird aber die Ausweitung der Exilskategorie auf alle Judäer zu notwendigen Konsequenz. Wenn genealogische Kontinuität für Israel nur über die Gola gedacht wird, müssen alle Judäer Heimkehrer bzw. deren Nachkommen sein. So gesehen dient das vorliegende Geschichtsbild gera89 90
Zur Auslegung von 2Reg 17 vgl. oben S. 54ff. Vgl. die Belege oben S. 291f.
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de nicht der Ausgrenzung oder Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsteile innerhalb Judas, sondern der Stärkung und der Einheit der judäischen Gesellschaft und fügt sich in dieser Hinsicht gut in das Anliegen des Esra/Nehemia-Buches ingesamt ein.91 Die Gegenprobe liefert die inklusive Position gegenüber Samaria. Die besprochenen Prophetentexte (vgl. B I 2.2) gehen einfach vom Vorhandensein von Israeliten in samarischen Gebiet aus, die Chr liefert die zugrunde liegende Geschichtskonstruktion. Sie kennt für Juda eine (vollständige?) Deportation, nicht aber für Nord-Israel. Die genealogische Kontinuität gründet hier in der fortwährenden Existenz von Nord-Israeliten in ihrem angestammten Siedlungsgebiet. Gleichwohl ist der in Samaria gepflegte JHWH-Kult problematisch (vgl. 2Chr 13 sowie 2Reg 17,34–41). Ohne eine Eingrenzung Israels auf Juda und die Diaspora entfällt somit die Notwendigkeit, die genealogische Kontinuitätslinie allein über die Gola zu führen. 1.3.2 Historische Hintergründe: Das Verhältnis Judas zu Samaria in der Perserzeit Über die Geschichte Samarias in der Perserzeit ist aufgrund der begrenzten Quellenlage nicht sehr viel bekannt. Archäologische Surveys ergeben, dass die Region relativ dicht besiedelt war, wobei eine besonders hohe Siedlungsdichte für die Gegend von Samaria und das Dotan-Tal festzustellen ist.92 Nach einem signifikanten Rückgang der Bevölkerungszahlen im ausgehenden 8. Jh. hatte sich die Region im 6. Jh. weitgehend erholt. Der Übergang von der assyrischen zur babylonischen Herrschaft scheint ohne gravierende Folgen für die Lebensbedingungen vollzogen worden zu sein, zumindest zeigt sich eine weitgehende Kontinuität in Siedlungsstrukturen und materieller Kultur. Gleiches gilt für die Ablösung der Babylonier durch die Perser; erst die mit dem Alexanderzug verbundenen Verwerfungen markieren das Ende dieser Epoche. 93 Im Blick auf die Besiedlungsdichte sind allerdings regionale Unterschiede feststellbar. Der Norden und der Westen verzeichneten einen schnelleren Bevölkerungszuwachs als die südlichen Gebiete. Im von A. Zertal 1978 durchgeführten sog. ‚Manasse‘Survey wurden im nördlichen Bergland und im Umland Samarias 247 in der Perserzeit besiedelte Ortslagen festgestellt.94 Viele von ihnen (insoweit sie ausgegraben sind bzw. die Oberflächensurveys Rückschlüsse zulassen) 91 KARRER , Ringen, arbeitet dieses Anliegen sowohl für die von ihr rekonstruierte Nehemia- (149ff.; 208) und die Esraschrift, in der die Rolle der Bevölkerung im Vergleich zur Nehemiaschrift noch einmal gesteigert werde (253f.; 278), als auch für die Gesamtkomposition heraus (318ff.; 363). In diese nach innen hin integrative Zielsetzung will sich eine Ausgrenzung der Altjudäer, wie sie auch KARRER, aaO., 240f.; 278, insbesondere für die Esraschrift annimmt, nicht recht fügen. 92 ZERTAL, Pahwah of Samaria, 14f.25, vgl. ZERTAL, פחוות שׁמרין,a79f. 93 ZERTAL, Art. Samaria, 1312, sowie Art. Northern Samaria, 165.
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zeigen eine kontinuierliche Besiedlung vom späten 8. Jh. bis in die Perserteilweise auch in die hellenistische Zeit.95 Der ‚Ephraim‘-Survey 1980– 1987 ergab, dass die südlichen Gebiete nicht nur weniger dicht besiedelt waren (90 meist kleinere Ortslagen), sondern dass die Bevölkerung auch langsamer wuchs als im Norden. 96 A. Zertal nimmt allein für den nördlichen Bereich (Manasse) eine Bevölkerungszahl von 42.000 an.97 Wasserreichtum und fruchtbare Böden machten dieses Gebiet zu einer auch ökonomisch prosperierenden Region.98 Städtische Zentren waren Samaria und Sichem. Auch wenn die Ausgrabungen in Samaria für die Perserzeit wenig ergiebig sind, zeigt das ungewöhnlich dicht besiedelte Umland, dass die Stadt in persischer Zeit florierte.99 Das religiöse Zentrum der Region lag, wie die neueren Grabungen100 ergaben, bereits in der Perserzeit auf dem Garizim. Unter den Strukturen des hellenistischen Heiligtums konnten die Ausgräber Reste einer älteren monumentalen Anlage (Kammertor, Innenhöfe, Begrenzungsmauern und möglicherweise Reste eines Altars) freilegen.101 Knochenfunde (Ziegen, Schafe, Rinder, Tauben) und Installationen zur Gewährleistung ritueller Reinheit sind Hinweise auf einen Opferkult am Ort. 102 Die Funde 94 Ebd. Ein Survey im südlichen samarischen Bergland wurde 1971–1981 von Shimon Dar unternommen (vgl. DAR, Landscape). Seit der Eisen-II Zeit zeigt sich eine große Zahl kleinerer ländlicher Siedlungen bzw. einzelner Gehöfte im gesamten untersuchten Gebiet (aaO., 2). 95 DAR , Landscape, 2.8; vgl. DAR , Art. Samaria, 1314, sowie ZERTAL, Pahwah of Samaria,a11f. 96 F INKELSTEIN, Art. Samaria, 1313f. Finkelstein vermutet hier eine Folge der Eroberung des Südreiches (aaO., 1313); KNOPPERS , Revisiting, 268, Anm. 7, denkt an eine Verlagerung der Bevölkerung innerhalb Samarias; GRABBE, Yehud, 156, an ökonomische Ursachen. 97 ZERTAL, Pahwah of Samaria, 11f. Die Schätzungen für das zeitgenössische Juda variieren erheblich: WEINBERG, Chronist, 37, rechnete noch mit deutlich über 200.000 Einwohnern, neuere Studien gehen dagegen von sehr viel kleineren Zahlen aus (z.B. CARTER, Emergence, 201, ca. 13.000 oder LIPSCHITS , Demographic Changes, 363, ca. 30.000 für die Perserzeit). 98 Hauptwirtschaftszweige waren der Anbau und Export von Öl und Wein, dazu ZERTAL, פחוות שׁמרין,a78f. 99 Für Samaria, vgl. AVIGAD , Art. Samaria (City). ZERTAL, Pahwah of Samaria, 14, notiert, dass fast die Hälfte der perserzeitlichen Siedlungen, die im Manasse-Survey gefunden wurden, in einem Radius von 10km um Samaria liegen und wertet den Befund als Beleg für Samarias Rolle als wirtschaftliches und administratives Zentrum. 100 Bisher liegen zwei des auf fünf Bände auslegten Grabungsberichtes zu den neueren Grabungen auf dem Garizim vor: MAGEN, MISGAV & TSFANIA , Mount Gerizim Excavations I, sowie MAGEN, Mount Gerizim Excavations II. Nachrichten zum Tempel und heiligen Bezirk publizierten die Ausgräber bereits in einer Reihe von Vorabveröffentlichungen: MAGEN, Mt. Gerizim; STERN & MAGEN, Samaritan Temple; STERN & MAGEN, Evidence; MAGEN, Dating. 101 M AGEN , Mount Gerizim Excavations II, 95–137. 102 AaO., 158–162.
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belegen, dass die größere hellenistische Tempelanlage auf dem Garizim einen Vorgängerbau hatte, der um 450 v.Chr. entstand und etwa 200 Jahre in Gebrauch war.103 So existierte bereits im 5. Jh. neben dem wiedererrichteten Jerusalemer Tempel ein weiteres JHWH-Heiligtum im Land.104 Die Stadt Sichem erfuhr erst in hellenistischer Zeit einen signifikanten Bevölkerungszuwachs, möglicherweise in Folge der Zerstörung Samarias durch Alexander.105 Innerhalb des Perserreichs bildete Samaria als Teil der größeren Satrapie Ebir-nari eine eigene Provinz, wobei die Perser (wie die Babylonier) wahrscheinlich die ältere neuassyrische Struktur mit der Provinz Samerina übernahmen.106 Über die administrative Struktur und den territorialen Zuschnitt der Provinz liegen kaum Zeugnisse vor. Bekannt sind die Namen einiger hoher Funktionsträger mit Titeln wie פחהoder סגן.107 Das Territorium der Provinz ist – verbunden mit der Frage nach dem Status Judas – Gegenstand einer lebhaften Forschungsdiskussion. Diese wurde 1934 von A. Alt mit der These angestoßen, dass Juda erst mit der Ankunft Nehemias in der Mitte des 5. Jh. den Status einer eigenen Provinz erhalten habe und zuvor von Samaria aus verwaltet worden sei.108 Nachdem Alts Rekonstruktion zunächst breite Zustimmung erfuhr,109 ist seine Argumentation in neuerer Zeit stärker in die Kritik geraten.110 Die Debatte, ob und wenn ja, welche Statthalter es in Juda vor Nehemia gab, kann und muss hier nicht aufgenommen werden, zweifellos war Samaria in der Perserzeit aber größer, bevölkerungsreicher, ökonomisch potenter und innerhalb des Perserreiches administrativ besser aufgestellt als der südliche Nachbar.
103 Die Existenz eines Heiligtums auf dem Garizim ist für die hellenistiche Zeit auch in literarischen Quellen bezeugt, vgl. Josephus, Ant XI, 302–347 (zur Diskussion um die Quellen des Berichts, vgl. DEXINGER, Ursprung, 67ff.); Ant XII, 7–10.257–264; XIII, 74– 79. 254–256 sowie 2Makk 6,2 sowie zwei Inschriften aus Delos aus dem 3. oder 2. Jh.v.Chr. (dazu unten S. 329ff.). Archäologisch ist die Datierung durch Keramik, Münzfunde und C14-Untersuchungen gesichert (MAGEN, Mount Gerizim Excavations II, 165–180). 104 Dass es sich bei der hellenistischen Anlage um ein JHWH-Heiligtum handelte, ist unbestritten. Dafür sprechen neben den externen Belegen (vgl. die vorige Anm.) Funde wie eine hebräische Inschrift, die das Tetragramm bietet, oder eine griechische mit der Phrase #& ),'(#& , sowie ein wohl aus einem Priesterornat stammendes Goldglöckchen (MAGEN, Mount Gerizim Excavations II, 156f.). Gründe, für die perserzeitliche Vorgängeranlage etwas anderes anzunehmen, gibt es nicht. 105 M AGEN , Mount Gerizim Excavations II, 89.97f. 106 In WDSP Nr. 4 und 5, wird Samaria als Provinz bezeichnet ( )שׁמרין מדינתא. 107 GRABBE , Yehud, 56.156f. CROSS , Reconstruction (=überarbeitete Fassung einer gleichnamigen Studie, die in JBL 94 [1975] 4–18, veröffentlicht wurde), versucht über eine Kombination der in verschiedenen Quellen genannten Namen eine SanballatidenDynastie (ca. 485–332) als Statthalter Samarias zu rekonstruieren (vgl. CROSS , Samaria 192ff., sowie die Kritik bei GRABBE , ebd.).
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1.3.2.1 Kulturelle Gemeinsamkeiten in Samaria und Juda In neuerer Zeit mehren sich die Hinweise, dass Samaria und Juda in der Perserzeit als ein gemeinsamer Kulturraum111 anzusehen sind. Indikatoren für weitgehende kulturelle Gemeinsamkeiten zwischen Juda und Samaria in der Perserzeit finden sich in der materiellen Kultur, in Schrift, Sprache und Onomastikon sowie den Reflexen auf die gemeinsame JHWH-Verehrung im Verbund mit engen Beziehungen der jeweiligen Eliten, die neben den alttestamentlichen Texten auch in der Elephantine-Korrespondenz zu greifen sind. Damit kehrt sich ein Trend in der Forschung um, der lange Zeit bestimmend war. a) Forschungsgeschichtliche Problemanzeige Die erwähnte Studie A. Alts kann – auch unabhängig von der Frage nach der Datierung einer eigenständigen Provinz Jehud – als symptomatisch und darin wegweisend für eine bestimmte Wahrnehmung Samarias gelten. Postuliert wird eine ethnische Diskontinuität zwischen den früheren NordIsraeliten und den späteren Samariern bzw. Samaritanern.
ALT, Rolle Samarias. Insbesondere die südliche Ausdehnung der Provinz verbunden mit der Frage nach dem Status Judas ist Gegenstand der Diskussion. Aufgeworfen wurde die Frage 1934 von A. Alt, mit der These, dass Juda erst mit der Ankunft Nehemias in der Mitte des 5. Jh. den Status einer eigenen Provinz erhalten habe und zuvor von Samaria aus verwaltet worden sei. Seine Hauptargumente sind: (1) Die Babylonier hätten anders als die Assyrer im Nordreich zwar die judäische Oberschicht deportiert, aber keine fremde angesiedelt, so dass in Juda eine kompetente Oberschicht, die die Verwaltung hätte übernehmen können, gefehlt habe. Wegen der geringen Größe Judas sei es zudem die praktikabelste Lösung gewesen, Juda dem Statthalter von Samaria zur Verwaltung zuzuweisen. (2) Wenn es einen Statthalter in Juda gegeben hätte, hätte er in den in Esr 4f. geschilderten Ereignissen eine Rolle spielen müssen. Vielmehr zeige das Eingreifen der Samarier, dass dort die Zuständigkeit für Jerusalem lag. (3) Der Titel פחהwerde nicht allein für Statthalter gebraucht, sondern für verschiedene Funktionsträger, daher folge aus der Tatsache, dass Scheschbazar (Esr 5,14; 6,7) oder Serubbabel (Hag 1,1.14; 2,2.21) als פחהbezeichnet werden, nicht notwendig, dass Juda bereits eine eigene Provinz gewesen sei. Gleiches gelte für מדינהals Bezeichnung des Territoriums (Esr 2,1//Neh 7,6). (4) Die Konflikte zwischen Jerusalem und Samaria reichten bis zur Zeit Nehemias und verschärften sich bei seiner Ankunft; für das Ende des 5.Jh. bezeuge die ElephantineKorrespondenz dann ein friedliches Nebeneinander von Juda und Samaria. Erst in der Mitte des 5. Jh. seien durch die Einrichtung einer eigenständigen Provinz Juda die „Kompetenzstreitigkeiten“ zu einem Ende gekommen. 109 Sie wird z.B. von DONNER , Geschichte, 454f., weitgehend übernommen, vgl. auch WILLI, Juda, 82–90. 110 Dazu v.a. WILLIAMSON , Governors, und die dort genannte Literatur. 111 Das Stichwort „cultural continuity“ findet sich bezogen auf das Nebeneinander von Juda und Samaria bei KNOPPERS, Revisiting, 273. 108
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A. Alt überschreibt seinen Beitrag mit Die Rolle Samarias bei der Entstehung des Judentums und führt Samaria und „das Judentum“ 112 sogleich als zwei zu unterscheidende Größen ein. Inhaltlich zeichnet er Jerusalems „Weg von der kultischen zur politischen Erneuerung seiner Rechte“ nach, der für A. Alt mit Nehemia zu einem Abschluss gekommen ist: „so gewann jetzt das judäische Gebiet, was Samaria schon fast drei Jahrhunderte besaß: die vollen Rechte einer in sich geschlossenen Provinz des Großreiches mit eige nem Statthalter, eigenem städtischen Mittelpunkt, der noch dazu durch den Besitz eines privilegierten Heiligtums ausgezeichnet war, eigener und sogar einheimischer Oberschicht, eigenem Landvolk, eigener Kultus- und Rechtsordnung.“ 113 Die „Rolle“ die Samaria dabei zukommt ist die „des Gegenspielers zu allen in Jerusalem aufkommenden und auf seine Verselbständigung abzielenden Aktionen“ 114, und die Geschichte von Juda und Samaria ist folglich eine Konfliktgeschichte, bis nach der Klärung der Rechtslage durch das Wirken Nehemias endlich Ruhe einkehrt. 115 Dass mit der Zeichnung des Verhältnisses von Juda und Samaria in der Perserzeit in der Weise einer andauernden Gegnerschaft Weichenstellungen für die historische Rekonstruktion sowie die Textwahrnehmung und -interpretation 116 verbunden sind, liegt auf der Hand. Als im engeren Sinne historische Fragestellungen sind u.a. die Herleitung und Datierung des samaritanischen Schismas betroffen, aber auch die Beschreibung des nachexilischen Judentums als eine Bekenntnisgemeinde, die ihre Identität in Abgrenzung gegen die Samari(tan)er entwickelt habe. Für den hier diskutierten Zusammenhang ist insbesondere ein Aspekt der Argumentation zentral – die Betonung ethnischer und kultureller Differenzen zwischen Juda und Samaria. Nach A. Alt sind die maßgeblichen Kreise in Samaria (d.h. der עם הארץin Esr 4,4 u.ö.117) keine Israeliten, sondern Angehörige der von den Assyrern angesiedelten fremden Oberschicht, die ihre kulturelle Identität bis in die Perserzeit bewahrt und – auch wenn sie es „kaum vermeiden konnte“, JHWH als Landesgott zu verehren – in der Hauptsache die eigenen Kulte gepflegt habe.118 A. Alt rechnet zwar mit der Existenz einer israelitischen Unterschicht, die von den assyrischen Deportationen verschont geblieben war. Von dieser habe sich die fremde Oberschicht aber aktiv abgegrenzt, um ihren Herrschaftsanspruch nicht zu verlieren.119 Daher spielt sie für die Argumentation keine weitere Rolle. Die Teilnahme der Oberschicht am lokalen JHWH-Kult sei insofern kein Zeichen für „eine tiefere Gemeinsamkeit mit der alteinheimischen Landbevölkerung, die ihrerseits von den Kulten der fremden Herren natürlich ausgeschlossen blieb.“120 Die Fremden seien Fremde geblieben, und ihr Weg habe nach der Verselbständigung Judas geradewegs zum samaritanischen Schisma geführt: „Daß sich die Provinz Samaria auf 112 Zugleich setzt A. Alt damit schon im Titel eine begriffliche Differenz zwischen dem älteren „Israel“ und dem nun entstehenden „Judentum“. 113 AaO., 337. 114 AaO., 317. 115 Vgl. aaO., 333f. 116 Z.B. für die Chronik-Exegese, in der dieses Geschichtsbild – gespiegelt in vermeintlich antisamaritanischen Tendenzen der Texte – über lange Zeit eine Art hermeneutischen Schlüssel bildete, vgl. oben S. 99f., insbesondere Anm. 180. 117 AaO., 322, Anm. 2. 118 AaO., 334, vgl. 322–324. 119 Ganz entsprechend sei es für die fremde Oberschicht in Samaria auch ein besonderes Ärgernis gewesen, dass mit der Repatriierung der exilierten Judäer eine „zweite Oberschicht, noch dazu eine alteinheimische, neben die fremde in Samaria gestellt“ wurde (aaO., 335). 120 AaO., 323.
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diesen Umschwung hin auch als Religionsgemeinschaft unabhängig von Jerusalem konstituierte und durch offiziellen Ausbau der Verehrung Jahwes auf dem Garizim ein kultisches Element, das ihr bis dahin gefehlt hatte, in ihren Bestand einfügte, war die unausweichliche Folge“.121 Zu fragen wäre allerdings, warum die Fremden, die doch hauptsächlich ihre eigenen Kulte pflegten, sich in der Abgrenzung gegen Juda nun ausgerechnet auf den JHWH-Kult verlegt haben sollen. Eine verbreitete Variante dieser Rekonstruktion, die das genannte Problem zu vermeiden sucht, ist die Annahme, die von Assyrern angesiedelte Oberschicht habe sich mit der verbliebenen einheimischen Bevölkerung verbunden, und diese neue „Ethnie“ habe sich zu den späteren Samaritanern entwickelt. Zwei Beispiele mögen genügen: 122 A.H.J. Gunneweg spricht auf drastische Weise vom „Völkervermischungstod“, der die aus dem Nordreich deportierte Oberschicht und letztlich auch die verbliebene Bevölkerung im Land ereilt habe, so dass die nord-israelitischen Stämme „als eigenständige Größe von der weltpolitischen Bühne“ verschwunden seien.123 Für H. Donner markierte die Deportationspraxis der Assyrer im eroberten Nordreich den „Beginn einer religiösen Entfremdung …, verbunden mit und befördert durch die kontinuierliche Vermischung der einheimischen Bauernbevölkerung mit fremden Zuzüglern“.124 Das Ergebnis sei ein „mixtum samaritanum“125 gewesen, mit dem die „religiös stabilisierte Gemeinde“ in Juda nichts habe anfangen können. Das samaritanische Schisma ist für Donner daher nur die folgerichtige Konsequenz einer durch die Assyrer angestoßenen Entwicklung: „Wir gehen mit der Annahme kaum fehl, daß hier [sc. in der Änderunge der Bevölkerungszusammensetzung durch assyrische Deportationen, K.W.] wenigstens eine der Wurzeln für die fortschreitende Entfremdung des alten israelitischen Nordens gegenüber Juda liegt, die sich später in nachexilischer Zeit mehr und mehr verfestigte, bis hin zum sog. samaritanischen Schisma.“126
Die Rekonstruktionen eint das Postulat einer ethnischen (und infolgedessen kulturell/religiösen) Diskontinuität zwischen der Bevölkerung des ehemaligen Nordreichs und den Bewohnern der Provinz Samaria.127 In beiden Fällen sind die Bewohner oder die das politische und religiöse Geschick der Region bestimmenden Kreise letztlich keine Israeliten, sondern – zumindest teilweise – fremder Abstammung. Als Konsequenz ergibt sich natürlich auch eine ethnische (und religiöse) Differenz zu Juda. Die Nähe zum Geschichtsbild von 2Reg 17 ist offensichtlich. Das Bild wird in AaO., 337. Vgl. darüber hinaus den Überblick bei DEXINGER, Ursprung, 73–83. 123 GUNNEWEG , Geschichte Israels, 114. 124 DONNER , Geschichte, 470. 125 Ebd. 126 AaO., 347. 127 Dabei fällt die Gewichtung des Einflusses, den die Neusiedler auf die Entwicklung Samarias hatten, durchaus unterschiedlich aus. Im Modell Alts ist vorausgesetzt, dass sie sich als von der lokalen Bevölkerung distinkte Oberschicht vom 8. Jh. bis in die Perserzeit gehalten haben und im Gegenüber zu Esra bzw. Nehemia Haupthandlungsträger waren. BEN-ZVI, Origins, 188, rechnet damit, dass die im Land verbliebenen Israeliten „some influence on the settlers, both racially and culturally“ ausgeübt hätten. Nach NOTH, Geschichte, 237, haben die „fremden Elemente … ihre eigene Art und vor allem auch ihre eigenen Kulte“ mitgebracht, „sich aber auch ihrerseits mit der Zeit schließlich in der im Lande verbliebenen israelitischen Bevölkerung verloren“. 121 122
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den Grundzügen übernommen und historisch dadurch plausibilisiert, dass man nicht von einer vollständigen Deportation der Bevölkerung ausgeht, sondern eine im Land verbliebene Unterschicht in das Modell einbaut, für die oder gar für deren Konflikte mit der neuen Oberschicht es aber keine Quellen gibt. Diese Vorstellung ist in zweifacher Hinsicht problematisch: Zum einen kann 2Reg 17 nicht einfach als historischer Tatsachenbericht gelesen werden. Bei diesem Text, der als Ätiologie eher Hinweise auf die Verhältnisse zur Zeit seiner Entstehung gibt und zudem polemisch auf eine gegebene Situation reagiert, wäre genau zu prüfen, ob er überhaupt als Quelle für historische Entwicklungen im 8. Jh. v.Chr. herangezogen Studien, die ihren Ausgangspunkt eher vom Selbstzeugnis der Samaritaner her nehmen (dazu unten S. 329f.) betonen die Rolle der Nordreich-Israeliten stärker, so z.B. BOWMANN , Probleme, 9f., und deutlich KIPPENBERG, Garizim, 37: „Die zurückgebliebenen Israeliten waren der Zahl nach den neu angesiedelten Heiden gewiß überlegen. Daß diese Kolonisten in der autochthonen Israel-Bevölkerung aufgingen, ist wahrscheinlich. Dieser ganze Vorgang, der vielleicht auch zu einem Synkretismus geführt hat (2Kön 17), fällt zeitlich drei bis vier Jahrhunderte vor die Gründung des Garizim-Kultes und hat mit diesem nichts zu tun.“ DEXINGER, Ursprung, sucht einen Ausweg aus den „monokausalen Hypothesen“ (76), in denen die Samaritaner entweder auf die Nord-Israeliten oder auf die Neusiedler zurückgeführt werden. Eine These von TALMON, Traditions, aufnehmend, der für die ländlichen Gebiete Samarias ein Fortbestehen der israelitischen Religion annahm, während sich in den Städten ein synkretistischer Kult entwickelt habe, sind für Dexinger zwei Gruppen im perserzeitlich/hellenistischen Samaria maßgeblich, zum einen „Proto-Samaritaner“, d.h. „die jahwistischen Israeliten des Nordens“ und „Samarier“, d.h. „die heidnischen Bewohner Samarias“ (100). Bezüglich des Tempelbaus auf dem Garizim sieht er dann beide Gruppen am Werk: die Initiative habe ursprünglich bei den „nicht-jüdischen Samariern“ gelegen, die mit dem Tempel Repräsentationsabsichten verbunden hätten (106f.); der Kult sei dann aber von „proto-samaritanischen Priestern primär für ProtoSamaritaner“ vollzogen worden (108). Einen Hinweis auf diese Unterscheidung findet Dexinger in Esr 4,1–5, wo mit צרי יהודה ובנימןund עם הארץzwei Gruppen terminologisch unterschieden würden, zum einen die „synkretistischen Kolonisten“ zum anderen die „nicht deportierten Nordreich-Israeliten“ (98f.). Die Annahme erweist sich jedoch in mehrfacher Hinsicht als schwierig: (1) Das argumentative Gefälle von Esr 4,1–5 legt eine Identifikation von צריםund עם הארץnahe (vgl. dazu oben S. 74), was auch Dexinger bemerkt: „Die berechtigte Abweisung der synkretistischen Kolonisten des Nordens (Feinde von Juda und Benjamin) wird stillschweigend auf den jahwe-gläubigen Bevölkerungsteil =עם הארץProto-Samaritaner übertragen“ (100). Das heißt Esr 4,1–5 macht die postulierte Unterscheidung gerade nicht! (2) Nach der Geschichtskonstruktion des Esra/ Nehemiabuches gibt es gar keine Israeliten im ehemaligen Nordreich (dazu oben Abschnitt B I: 1.1.3). Somit gilt hier das Gleiche wie für das Postulat der „Altjudäer“: Geschichtsbild und historische Rekonstruktion sind nicht kompatibel. (3) Auch die anderen denkbaren Quellen kennen eine Unterscheidung der beiden Gruppen nicht. Das gilt sowohl für Chr als auch für Josephus, wo Dexinger wiederum selbst notiert, dass z.B. „nichts über die Reaktion der proto-samaritanischen Bevölkerungsgruppe“ zum Tempelbau gesagt werde (107), obwohl es um ihren Kult gegangen sei. Angesichts des Befunds ist es m.E. fraglich, ob die Existenz einer ausgrenzbaren Gruppe von Kolonisten noch Jahrhunderte nach dem Ende des Nordreichs eine historisch plausible Annahme ist.
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werden kann. Die hier vorgelegte Analyse spricht dagegen.128 Zum anderen zeigen archäologische und epigraphische Befunde, dass Juda und Samaria enger zusammenzurücken sind, als es die These der ethnischen Diskontinuität in Samaria nahelegt. b) Materielle Kultur, Schrift und Sprache E. Stern kommt in seiner breit angelegten Untersuchung der materiellen Kultur Palästinas in der Perserzeit zu der Feststellung: „the country was divided into two regions: the mountain region of Judah and Transjordan (and also Samaria to a lesser extent) and the Galilee and coastal plain. At times the border bisecting these cultural areas was as sharp as a partition between to separate countries.“129 Stern sieht in diesem Befund die Folge einer unterschiedlichen kulturellen Orientierung: „the culture of the mountains was basically eastern, being composed of a local culture, which continued the Israelite tradition, and of eastern cultural influences such as Assyrian, Babylonian and Egyptian. The culture of the coast, in contrast, contained the essentially western East-Greek, Cypriot and Attic elements.“130 Neben der weitgehenden Abwesenheit von Kultfigurinen und Räucheraltären im judäischen und samarischen Gebiet131 ist nach Stern als ein weiteres signifikantes Beispiel für Gemeinsamkeiten in der materiellen Kultur in Juda und Samaria die Keramik aufschlussreich. Im judäischen und samarischen Bergland lässt sich die Weiterführung älterer lokaler Keramiktraditionen feststellen. Im Bergland wurden zudem häufiger als in der Küstenebene Nachahmungen assyrischer, babylonischer und ägyptischer Keramik gefunden.132 Dagegen ist der hellenistische Einfluss in der Küstenebene deutlich stärker und früher greifbar, wo nicht nur importierte Ware, sondern auch lokale Nachahmungen attischer und anderer griechischer Keramik in großer Zahl erhalten sind. Natürlich hat griechische Keramik ihren Weg auch nach Juda und Samaria gefunden, aber sie kam dort später an und war nicht so stark verbreitet.133 Weitere Indikatoren für kulturelle Gemeinsamkeiten sind Schrift und Sprache. Neben der Elephantine-Korrespondenz 134 (2. Hälfte des 5. Jh.s v.Chr.) und den Wadi Dalijeh-Papyri 135 (4. Jh. v.Chr.) sind es vor allem Ostraka, Siegelabdrücke, Münzfunde und Inschriften, die Rückschlüsse auf Zu 2Reg 17 vgl. oben S. 54ff. STERN, Material Culture, 236. 130 Ebd. 131 AaO., 158ff. Vgl. STERN, Revolution, 201f. 132 Vgl. aaO., 231 sowie die Einzelnachweise 93ff. 133 Vgl. die Übersicht aaO., 283ff. 134 Dazu PORTEN , Archives, bzw. TADAE. 135 Kritische Gesamtausgaben liegen vor in: DUŠEK, Manuscrits; GROPP & BERNSTEIN , Wadi Daliyeh; für die Siegelabdrücke vgl. LEITH, Wadi Daliyeh. 128 129
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Schrift, Sprache und Schreiberpraxis zulassen.136 In Juda wie in Samaria waren aramäische und paläohebräische Schrift in der Perserzeit und noch bis in die hellenistische Zeit hinein nebeneinander im Gebrauch.137 Paläographisch ist zwischen den in Samaria gebräuchlichen aramäischen und paläohebräischen Schriftzeichen und ihren Gegenstücken in Juda kaum ein Unterschied auszumachen.138 In beiden Regionen koinzidieren zudem Schrift und Sprache, d.h. aramäische Texte werden in aramäischer, hebräische dagegen in paläohebräischer Schrift geschrieben.139 Aramäisch scheint dabei in alltäglichen, ökonomischen sowie diplomatischen Kontexten140 zu dominieren, Hebräisch in Kontexten von religiöser141 (oder nationaler142) Bedeutung. Die Datenbasis ist für die Alltagssprache oder die Frage möglicher dialektaler Unterschiede143 trotz der zahlreichen epigraphischen Funde erstaunlich schmal. Die Ostraka enthalten zumeist lediglich Namen oder Warenlisten, die Siegelabdrücke oder Münzen bieten 136 Aus dem südlichen Palästina sind etwa 700 beschriebene Ostraka und zahlreiche Siegel- sowie Stempelabdrücke erhalten (vgl. die Zusammenstellungen bei NAVEH, Hebrew Texts, 30f., STERN, Material Culture, 202ff., EPH'AL, Changes, 107f., bes. Anm. 3, sowie GRABBE, Yehud, 58–61). Hinzu kommen Bullen und Siegelabdrücke aus einen offiziellen Archiv aus dem späten 6. oder frühen 5. Jh. v.Chr. (AVIGAD , Bullae) einige einzelne Siegelabdrücke (STERN, Material Culture, 200f.) sowie zahlreiche Münzfunde (MESHORER, Coinage; MESHORER , Addendum; MESHORER , Treasury) und eine Namensliste auf Papyrus aus einer Höhle am Ketev Jeriḥo (ESHEL & MISGAV, Document). Nördlicher Provenienz sind die Dokumente und Siegel aus dem Wadi Dalijeh (vgl. die vorige Anm.); die von STERN, Hoard, publizierten Bullen, die wahrscheinlich ebenfalls aus Samaria stammen, sind bis auf wenige Ausnahmen anepigraphisch), eine Gruppe von Bronzegefäßen mit aramäischen Inschriften aus der Scharon-Region (DEUTSCH & H ELTZER, Inscriptions, 69–89), die auf bei den Grabungen auf dem Garizim entdeckten Inschriften (MAGEN, MISGAV & TSFANIA , Mount Gerizim Excavations I) sowie ebenfalls zahlreiche Münzfunde (MESHORER & QEDAR, Coinage of Samaria; MESHORER & Q EDAR , Samarian Coinage). Einen neueren Gesamtüberblick inkl. der Funde aus der Küstenebene bietet LEMAIRE, Èpigraphie. 137 Letztere wurde seit Ende des 3. Jh.s v.Chr. im Süden durch die sog. „jüdische Schrift“ ersetzt, die v.a. in den Qumran-Funden belegte Weiterentwicklung der aramäischen Quadratschrift, dazu NAVEH, History, 112–124. 138 So das Ergebnis der Analyse von NAVEH, Scripts, 91: „No differentiation whatsoever is discernible in the scripts used in Judah and Samaria in the Persian period“. 139 Dazu sowie zur Diskussion von drei Belegen, die F.M. C ROSS als mögliche Gegenbeispiele anführte, vgl. NAVEH, Hebrew Texts. 140 Die aramäisch beschrifteten Ostraka (vgl. Anm. 136) sind in der Mehrzahl Steuerbzw. Abgabenlisten; Lieferquittungen über Zuteilungen von Gerste oder anderen Waren u.ä. Dokumente. Die „Jehud“-Stempel auf Krügen sind in der Perserzeit durchgängig aramäisch gehalten (die Stempel in paläohebräischer Schrift repräsentieren einen späteren – wohl hellenistischen – Typ, vgl. den Überblick über die Diskussion bei STERN, Material Culture, 205f.). Die Elephantine-Briefe werfen Schlaglichter auf die Gepflogenheiten einer innerisraelitischen „diplomatischen“ Korrespondenz. Bei den aramäischen Texte aus dem Wadi Dalijeh handelt es sich um Urkunden über den Verkauf von Sklaven, Kaufverträge und Quittungen.
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i.d.R. lediglich Namen, die meisten Inschriften sind wie die zahlreichen Weiheinschriften vom Garizim sehr formelhaft gestaltet. Die Wadi DalijehPapyri geben zwar Einblicke in das Aramäisch samarischer Rechtsdokumente aus dem 4. Jh. v.Chr., allerdings bieten sie – wie für die Textgattung nicht ungewöhnlich – eine konservativ normierte Sprache, die weniger lokale Einflüsse zulässt als andere Textgattungen.144 D.M. Gropp beschreibt die Sprache der Dokumente als „Official Aramaic“, d.h. „the ideal standard language in which scribes of the Persian period … would draft documents of an official nature“. Dabei sei die Sprache der Wadi Dalijeh-Papyri „virtually identical to the language of the fifth century Elephantine legal papyri and the Arsames correspondence“.145 Direktes Vergleichsmaterial 141 Besonders eindrücklich sind in dieser Hinsicht die zahlreichen Inschriften, die die neueren Grabungen auf dem Garizim zu Tage gefördert haben (MAGEN, MISGAV & TSFANIA , Mount Gerizim Excavations I). Gefunden wurden hunderte von aramäischen Weihinschriften, für die die Ausgräber annehmen, dass sie in die Außenseite der Trennmauer zwischen öffentlichem und nur Priestern zugänglichem Bereich des Tempels eingelassen waren (15). Daneben gab es hebräische Inschriften, geschrieben in paläohebräischer Schrift, die möglicherweise aus dem inneren Bereich des Tempels stammen und durchgängig priesterlicher Provenienz sind (253–260). Erhalten sind Fragmente von Weihinschriften, Segenssprüchen und Gebeten. Das Tetragramm ist einzig in einer paläohebräischen Inschrift belegt (254, Nr. 383), Gottesbezeichnungen wie oder finden sich dagegen in proto-jüdischer Schrift (22f.). Der Befund erinnert an die aus Qumran und frühen griechischen Papyri (Papyrus Fouad, Zwölf-Propheten-Rolle aus dem NaQal Pever) bekannte Praxis, das Tetragramm paläohebräisch zu schreiben und so vom umgebenden Text abzuheben. 142 Die Verwendung von Paläohebräisch als Marker nationaler Identität wird in Juda insbesondere bei den Hasmonäern und während des Bar Kochba-Aufstands signifikant, beginnt aber möglicherweise schon in der ausgehenden Perserzeit. NAVEH, Scripts, 92, führt als Beispiele Kleinmünzen aus dem 4. Jh. v.Chr. mit der paläohebräischen Legende als Name der Provinz oder Namen von Amtsträgern wie bzw. an (dazu BARAG , Coin). Münzprägungen mit aramäischen Legenden scheinen – neben den verbreiteten Imitaten griechischer Münzen – im Samaria der ausgehenden Perserzeit häufiger als in Juda gewesen zu sein (allerdings ist die Zufälligkeit der Funde zu bedenken), einen Überblick liefert MILDENBERG, Geld. Eindeutig paläohebräische Legenden sind bei den samarischen Münzfunden nicht belegt; die Schrift ist jedoch teilweise nicht zweifelsfrei zuzuordnen und ähnelt paläohebräischen Buchstabenformen (aaO., 127). 143 LEMAIRE , Ashdodien, der zunächst auf die grundsätzliche Schwierigkeit aufmerksam macht, von der Schriftsprache auf die gesprochene Sprache zu schließen (156), nimmt z.B. einen Dialektunterschied zwischen der Sprache der Exilsrückkehrer – konservativ, nahe am klassischen Hebräisch – (156f.) und jener, der im Land verbliebenen Bevölkerung – Weiterentwicklung in Richtung Mischna-Hebräisch, deutliche aramäische Einflüsse – an (157). (Neh 13,14) bezeichnet nach Ansicht Lemaires eine „Mischsprache“ aus den ohnehin nahe verwandten Dialekten, die in Aschdod sowie unter den im Land verbliebenen Judäern gesprochen wurde (162). 144 Vgl. FOLMER , Aramaic Language, 36.714, sowie für die Einordnung der Texte aus dem Wadi Dalijeh in den breiteren Kontext bekannter aramäischer Rechtstexte 714ff.
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aus dem Bereich Judas fehlt.146 Allerdings stehen die Wadi Dalijeh-Texte bezüglich der Rechtsformeln den Dokumenten aus dem Wadi Muraba'at bzw. Naḥal Ḥ̣ever deutlich näher als den Elephantine-Papyri147, sie scheinen also eine gemeinsame judäisch-samarische Rechtstradition und/oder Schreiberpraxis zu spiegeln. Für das Hebräische mangelt es andererseits an samarischen Quellen. E. Lipiński schließt daraus, dass der Gebrauch des Hebräischen in Samaria auf die Tora-Lektüre und die Liturgie beschränkt war.148 Immerhin lassen einige auf dem Garizim gefundende hebräische priesterliche Weihinschriften aus hellenistischer Zeit darauf schließen, dass Hebräisch auch im erweiterten kultischen Kontext in Gebrauch blieb.149 Eine hebräische Bulle ( )לישׁע[יהו בן ]סנא[בלט פחת שׁמר]ןaus dem Wadi Dalijeh150 ist ein möglicher (aber zunächst singulärer) Hinweis für Hebräisch im nichtkultischen Kontext.151
145 GROPP & BERNSTEIN , Wadi Daliyeh 4, vgl. GROPP, Language 170. Im direkten Vergleich der Wadi Dalijeh- mit den Elephantine-Papyri stellt GROPP, Wadi Daliyeh, trotz weitgehender Übereinstimmung bezüglich des verwendeten „official Aramaic“ („the Samaria Papyri conform to this standard even more consistently than do either the Arsames correspondence or the Elephantine legal papyri“, aaO., 827) grundsätzlich verschiedene Rechtstraditionen fest: „The Elephantine legal papyri stem ultimately from an Assyro-Aramean symbiosis, whereas the Samaria papyri derive from a BabylonianAramean symbiosis. The agreement in language between the Elephantine papyri and the Samaria papyri offers a counterpoint to their divergence in legal traditions“ (824). 146 Die aramäischen Abschnitte im Esrabuch sind zwar ebenfalls in der fortgeschrittenen Perserzeit zu verorten und teilen Charakteristika des achämenidischen Aramäisch, die Orthographie unterscheidet sich allerdings deutlich vom vorliegenden epigraphischen Material (FOLMER, Aramaic Language, 753), weshalb schon SCHAEDER, Beiträge, 229, eine nachträgliche redaktionelle Anpassung angenommen hat. Hinzu kommen die späteren Eingriffe der Masoreten, so dass die biblischen Texte kein unmittelbares Zeugnis für „judäisches Aramäisch“ der Perserzeit darstellen. 147 GROPP & BERNSTEIN , Wadi Daliyeh, 5. BOTTA , Legal Traditions, kommt nach einem Vergleich der Elephantine-Texte mit aramäischen und ägyptischen Rechtstexten zu dem Ergebnis, dass sich in den Dokumenten aramäische und ägyptische Rechtstradition und -terminologie verbinden: „The Jewish/Aramaic scribes arrived in Egypt with a solid background of legal terminology and legal formulae. … But the need to produce legal documents that would be valid within the Egyptian context compelled them to modify/adapt their own formulae/formulary to the Egyptian tradition“ (203). 148 LIPIŃSKI , Géographie, 104. 149 Vgl. Anm. 141. 150 AVIGAD & S ASS , Corpus, 176, Nr. 419. 151 NAVEH , Scripts, 93, vgl. NAVEH , Sherd, 19, stellt ein weiteres Beispiel daneben: ein Siegel mit der Aufschrift ( לחנן בן שׂכויAVIGAD & SASS , Corpus, 99f., Nr. 162); weitere Beispiele aus der hellenistischen und frührömischen Zeit bei NAVEH, Scripts, 93.
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c) Die Zusammensetzung der Bevölkerung – Hinweise aus dem Onomastikon Die epigraphischen und literarischen Quellen aus dem Palästina der späten Perser- und der hellenistischen Zeit enthalten ca. 750 Personennamen. Die Namen lassen auf der Basis der theophoren Elemente und linguistischer Merkmale152 Rückschlüsse über die ethnische Zugehörigkeit und/oder religiöse Affiliation ihrer Träger (bzw. ihrer Eltern) zu. 153 Die wichtigsten Hinweise für das samarische Onomastikon, resp. die Zusammensetzung der Bevölkerung Samarias, liefern dabei die Weihinschriften auf dem Garizim (hauptsächlich 3.–2. Jh.v.Chr.), Münzen mit Namen von Amtsträgern in der Legende (2. Hälfte des 4. Jh.s v.Chr.) und die Wadi Dalijeh-Papyri (4. Jh. v.Chr.). 144 Personen werden in den publizierten Weihinschriften vom Garizim genannt, 89 Namen konnten identifiziert werden, wovon einige mehrfach erscheinen. Insgesamt sind 55 verschiedene Namen belegt, darunter 35 hebräische, 13 griechische, 4 arabische, ein persischer, ein palmyrenischer und zwei, deren Zuordnung unklar ist.154 Die hebräischen Namen weisen häufig des theophore Element יהוoder יהauf, die meisten von ihnen sind auch aus anderen Quellen – literarischen oder epigraphischen – als „jüdische“ Namen bekannt. Der Name „Joseph“ ( יהוסףoder )יוסףscheint verbreitet gewesen zu sein, er ist sechsmal belegt, aber auch „Juda“ kommt in zwei Inschriften vor. 155 Die griechischen Namen erscheinen sowohl in griechischen als auch in aramäischen Inschriften. Unter ihnen gibt es griechische Namensformen im engeren Sinne (z.B. פלותס, אנתפתרוסoder )יסון aber auch griechische Varianten hebräischer Namen wie z.B. מתיס.156 Auf samarischen Münzen157 sind sieben Personennamen belegt ( חנניה, חים, ירבעם עבדאל, יהוענה, בדיחבל, und )בדיה.158 Aus den Wadi Dalijeh-Papyri (WDSP Nr. 7 und 9) ist ein Statthalter חנניהbekannt, so dass es sich hier um die selbe Person handeln könnte. Die übrigen Namen lassen sich nicht mit anderen Quellen korrelieren. Für ירבעםliegt es nahe, Zur Zuordnung, vgl. EPH'AL, Changes, 110. EPH'AL, ebd., nennt jüdisch, edomitisch, arabisch, phönizisch und aramäisch als erkennbare Gruppen von Namen. Mit der beginnenden Hellenisierung kommen in allen Bevölkerungsgruppen verstärkt griechische Namen oder graezisierte Formen lokaler Namen hinzu. 154 M AGEN , MISGAV & T SFANIA , Mount Gerizim Excavations I, 25. 155 יהוסףaaO., Nr. 20, 52, 53?, 148, 203; יוסףNr. 150; יהודNr. 43; יהודהNr. 49. 156 Plutas aaO., Nr. 55, 83?, 157; Antipatros Nr. 9, 50, 296?; Jason Nr. 148; Mathias Nr. 54. 157 Samaria zugeordnet werden im Wesentlichen zwei Depotfunde, die aber beide nicht in situ entdeckt wurden, sondern über den Antiquitäten-Markt in Umlauf kamen. Der sog. Samaria-Hort ist intakt und umfasst 334 Münzen, die nebst einigen Schmuck stücken in einem Tonkrug aufbewahrt wurden. Die Münzen stammen aus dem 4. Jh. v.Chr und wurden vor 346/5 geprägt (MESHORER & Q EDAR, Coinage of Samaria, 65f.). Vom sog. Nablus-Hort, der möglicherweise in den Kontext der Papyrusfunde aus dem Wadi Dalijeh gehört, sind 965 Münzen erhalten. Die jüngsten stammen aus den Jahren unmit telbar vor 333 v.Chr. (MESHORER, Coinage, 31f.). Allerdings sind nur ein kleinerer Teil der Münzen samarische Prägungen (häufig mit der Legende šmryn oder šmr), die meisten stammen aus Phönizien und Kilikien. 152 153
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ebenfalls einen (oder mehrere159) Statthalter dieses Namens anzunehmen. 160 Gleichermaßen wahrscheinlich ist, dass auch die Übrigen samarische oder persische Amtsträger in Samaria sind. 161 Anders als auf Münzen aus Juda sind aber keine Amtsbezeichnungen aufgeführt. In den Wadi Dalijeh-Dokumenten sind 91 verschiedene Personennamen erhalten, wobei insbesondere die Urkunden über den Verkauf von Sklaven aufschlussreich sind. 162 Sie nennen den Namen des Verkäufers, des Käufers, des oder der Sklaven sowie der Zeugen. Alle Käufer, bei denen es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Einwohner Samarias handelte, weisen im Eigennamen, im Patronym oder beiden ein auf JHWH bezogenes theophores Element auf. Auch die meisten Sklaven tragen israelitische Namen. 163 Unter den Verkäufern und Zeugen ist das Bild weniger eindeutig, hier finden sich neben den israelitischen auch edomitische ()קוסנהר, phönizische ( )אסיתוןund andere ( )שׁלומי בר שׁהרנתן Namensformen.164 Insgesamt enthalten 34 der 91 bekannten Namen das theophore Element יהוoder יה, zehn sind dagegen auf andere Götter (Qaus, Schamasch, Sin u.a.)
158 Daneben sind die Abkürzungen ( בתMESHORER & Q EDAR , Coinage of Samaria, 15, rekonstruiert nach einer griechischen Parallele בגבתmit der Bedeutung „Haus Gottes“), סנ (wahrscheinlich für סנבלט, vgl. aaO., 16), ( דלfür דליה, den Sohn Sanballats?, vgl. aaO., 17) sowie ( מזfür den persischen Satrapen =מזדיMazäus, ebd.) belegt. Auf zwei Münzen finden sich neben aramäischen auch griechische Legenden: ΒΑΓΑΒΑΤΑΣ (MESHORER & QEDAR, Coinage of Samaria, 50, Nr. 31) sowie ΙΕΥΣ (MESHORER & QEDAR, Coinage of Samaria, 51, Nr. 38). 159 Der Name erscheint auf fünf Münztypen (MESHORER & Q EDAR , Coinage of Samaria, 49, Nr. 23–27). Meshorer nennt die Möglichkeit, dass es mehrere Statthalter dieses Namens gab (aaO., 14, Anm. 27). ESHEL , Names, 24f., erwägt, dass es sich um einen Ehrennamen für einen hohen Amtsträger handelt. Dann wäre mit dem Namen eine Reminiszenz an die beiden nord-israelitischen Könige diese Namens und somit eine Anknüpfung an die nord-israelitische Königstradition verbunden (so ESHEL , ebd.; KNOP PERS, Revisiting, 277). EPH ' AL , Changes, 113, warnt aber zu Recht davor, hinter dem Namen vorschnell eine bestimmte Ideologie zu vermuten: „More plausibly, children in Samaria, many of whose inhabitants were descendants of the Israelites of old, were named after the two great kings of Israel, Jeroboam I, son of Nebat, and Jeroboam II, son of Joash“. 160 Ein Statthalter dieses Namens ist in den anderen Quellen nicht belegt. MESHORER , Coinage, 32, möchte ihn mit dem bei Josephus, Ant. XI, 301–309, genannten Manasse identifizieren, der von Jerusalem zum Garizim wechselte. 161 בדיחבלscheint phönizischen Ursprungs zu sein, dazu M ESHORER & Q EDAR , Coinage of Samaria, 15f. 162 WDSP Nr. 1–9; 18. Bei Nr. 11r; 19; 20; 22; 26 handelt es sich wahrscheinlich um ähnliche Urkunden, von denen aber nur kleine Fragmente erhalten sind. 163 Eine Ausnahme bildet die einzige Frau unter den Käufern. Ihr Name ist אביעדן, ein Patronym ist nicht genannt (WDSP Nr. 2). Unter den Sklaven ist die edomitische Namensform קוסדכרbelegt (WDSP Nr. 9). 164 Vgl. die Tabellen bei ZSENGELLÉR , Names, 183f., und ESHEL , Names, 27. Eshel erklärt den Unterschied damit, dass die Käufer mit großer Wahrscheinlichkeit Samarier waren, während die Verkäufer von außerhalb gekommen sein können und die Zeugen zum Teil vom Käufer, zum Teil vom Verkäufer gestellt worden seien, so dass die fremden Namen kein Hinweis für eine signifikante ethnische Diversität oder einen nicht-jahwistischen Kult in Samaria seien (aaO., 26f.).
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bezogen. H. Eshel findet im gesamten Corpus zwei edomitische, vier arabische, fünf phönizische, zwei persische und vier weitere mesopotamische Namen.165
Die vorliegenden Quellen zeigen für das samarische Onomastikon insgesamt Kontinuität zum Nordreich Israel an. In der Namensgebung dominieren hebräische Formen166, sei es dass ältere (auch aus dem biblischen Onomastikon bekannte) Namen weiter verwendet werden, und mit Namen wie יוסף, ירבעםoder יהודהu.ä. an die alten Traditionen angeknüpft wird, sei es dass Namen, die aus älteren Quellen bisher nicht bekannt waren, 167 analog zu den bekannten gebildet sind (יהוטב, יהוענהu.a.m.). Zudem legt die große Zahl auf JHWH bezogener Namen die JHWH-Verehrung als vorherrschenden Kult nahe. Insofern man aus dem Onomastikon auf die ethnische Zugehörigkeit und religiöse Affiliation einer Bevölkerung schließen kann, folgt aus den vorliegenden Quellen, dass die Bewohner Samarias in der Mehrheit Israeliten und JHWH-Anhänger waren.168 Zwei Einwände scheinen jedoch angebracht: (a) Neben den hebräischjahwistischen und somit „israelitischen“ Namensformen sind auch zahlreiche andere, mit fremden theophoren Elementen oder anderer linguistischer Herkunft, belegt. Das könnte ein Hinweis auf breitere ethnische Diversität und kultische Vielfalt sein.169 (b) Die vorliegenden Quellen zeigen lediglich einen Ausschnitt aus der Gesamtbevölkerung, der sich zudem weitgehend auf die Eliten beschränkt, und sind daher nicht repräsentativ. (ad a) Vollständige Homogenität ist in der Tat nicht zu erwarten, doch muss die Existenz fremder Namensformen kein notwendiger Hinweis auf Nicht-Israeliten oder Verehrer anderer Götter sein.170 Das zeigen die Existenz hebräisch-persischer Mischformen wie ( יהובגהWDSP Nr. 7), der Umstand, dass Sanballat als Träger eines babylonischen Namens seinen Söhnen JHWH-haltige Namen gibt, oder die nicht-israelitischen Namen AaO., 27f. ZSENGELLÉR, Names, 184–188. 167 Die Namen können selbstverständlich schon viel länger im Gebrauch sein, das biblische Onomastikon sowie die außerbiblischen Quellen bieten schließlich nur einen im gewissen Sinne zufälligen Ausschnitt. 168 Zu diesem Schluss kommt auch ESHEL : „ שׁרוב תושׁבי העיר שׁומרון, דומה שׁישׁ להניח,לפיכך 165 166
ואין לקבל את ההנחה שׁבמאה הרביעית לפנה"ס נשׁמרה בעיר.במאה הרביעית לפנה"ס עבדו את אלוהי ישׂראל ( “שׁומרון מורשׁה מסופוטמיתaaO., 28). Vgl. KNOPPERS , Revisiting, 277.
So z.B. ZSENGELLÉR, Names, 188f., der auf der Basis der Namen drei Gruppen innerhalb der Bevölkerung unterscheidet: eine jahwistische Unterschicht, die aus im Land verbliebenen Nord-Israeliten hervorgegangen ist, eine fremdstämmige aber JHWHgläubige Mittelschicht und eine heidnische Oberschicht. Vgl. auch CROSS , Papyri, 20–22. 170 M AGEN , Samaritans, 15, kommt zu der Einschätzung, dass es von der assyrischen Eroberung bis in die römische Zeit hinein immer eine heterogene Bevölkerung in Samaria gab. Mit dem Bau des JHWH-Tempels wurde dieser jedoch „the central ritual element“, auch wenn daneben andere Kulte, v.a. in der hellenisierten Bevölkerung existierten. 169
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auf den Weihinschriften vom Garizim, deren Träger durch das Anbringen der Inschrift dennoch dokumentieren, dass sie JHWH-Anhänger sind. Im Fall individueller Personen lässt der Name daher nicht mit Sicherheit auf Abstammung oder Religion schließen, so dass die Namensform allein kein eindeutiger Indikator für die ethnische Zugehörigkeit des Trägers ist.171 In der Gesamtschau ist die Tendenz gleichwohl signifikant, sie zeigt eine deutliche Dominanz hebräischer und JHWH-haltiger Namen. (ad b) Es liegt in der Natur der Quellen, dass vorwiegend Namen von Angehörigen der Elite erhalten sind. Das gilt insbesondere für die Münzlegenden und die Bullen aus dem Wadi Dalijeh. Die Garizim-Inschriften sind ebenfalls einer erweiterten Elite zuzuordnen, die sich die Beteiligung am Tempelbau bzw. die Anfertigung einer Inschrift leisten konnte (und ausweislich ihrer Beteiligung am Tempel zu den JHWH-Anhängern zählte). Aus den Wadi Dalijeh-Urkunden sind aber neben den Namen von Verkäufern und Käufern aber auch einige Namen von Sklaven bekannt, somit ist zumindest ein Schlaglicht auf andere Bevölkerungsgruppen gegeben. Abweichungen von der allgemeinen Tendenz zeigen sich nicht, auch die Namen der Sklaven sind mehrheitlich jahwistisch und hebräisch.172 Auch wenn die Datenbasis diesbezüglich schmal ist, fügt sie sich gut in das Gesamtbild ein. Ein Seitenblick auf Juda bestätigt die Annahme. Scheschbazar oder Serubbabel sind exponierte Träger nicht-israelitischer Namen und dennoch nach der biblischen Darstellung zweifellos Judäer und JHWH-Anhänger. Ein in der Gegend von Jericho gefundener Papyrus aus dem ausgehenden 4. Jh. v.Chr. enthält auf der Vorder- und Rückseite Listen von insgesamt 19 Eigennamen.173 Neun der Namen enthalten ein auf JHWH bezogenes theophores Element, zehn sind zum Teil aus dem biblischen Onomastikon oder anderen Quellen bekannte, zum Teil zuvor unbekannte Namen ohne JHWH-Bezug.174 Drei der Namen finden sich auch in den Wadi DalijehDokumenten (חנניה, יהוחנן, )יהועזר. H. Eshel hält fest, dass der Anteil von Namen mit theophorem Element in etwa dem der Wadi Dalijeh-Papyri Gleiches gilt für umgekehrt für hebräische bzw. jahwistische Namen. Vgl. Namen wie ( יהוחנןWDSP Nr. 1), יהוענני, ( עזריהNr. 3), ( נחמיהNr. 4), ענניה יהושׂבה, (Nr. 5), חנניה, ( נתןNr. 7), מכיהו, ( חנןNr. 8). Auch unter den Namen der Sklaven gibt es fremde Formen: ( קוסדכרNr. 9), ( ?אבלחיWDSP Nr. 6). 173 ESHEL & M ISGAV, Document. Neben den Namen sind Geldsummen notiert. Einige Namen erscheinen sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite, wobei die notierten Summen auf der Rückseite geringer sind. Eshel und Misgav halten das Dokument daher für eine Schuldnerliste, auf deren Rückseite die bisher eingegangenen Rückzahlungen notiert sind (166f.). Wenn die Annahme von Eshel und Misgav zutrifft, dass das Dokument im Kontext der Niederschlagung einer Rebellion gegen Artaxerxes (344–343 v.Chr.) in die Höhle gelangt ist, handelt es sich bei den Genannten wahrscheinlich um Einwohner von Jericho (175f.). 174 Zur Diskussion der einzelnen Namen, vgl. aaO., 167–171. 171 172
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entspricht.175 Das Aufkommen griechischer Namen oder graezisierter Formen hebräischer Namen in hellenistischer Zeit wie es in den Garizim Inschriften feststellbar ist, ist durch Aufschriften auf Ossuarien auch für Juda belegt.176 Insgesamt stützt das Onomastikon somit das Bild, das sich aus der Untersuchung der materiellen Kultur ergab. Juda und Samaria bilden auch diesbezüglich einen gemeinsamen Kulturraum. d) Das Selbstzeugnis der Samarier Über die samarische Binnenperspektive ist aufgrund der begrenzten Quellenlage wenig bekannt. Die Verwendung eines Namens wie Jerobeam 177 ist immerhin ein indirekter Hinweis auf ein Selbstverständnis in Kontinuität zum Nordreich Israel bzw. als „Israel“. Dass sich die späteren Samaritaner als „Israel“ bezeichnen, bedarf dagegen keiner weiteren Erläuterung.178 Sie selbst führen sich auf die Joseph-Stämme zurück und verorten ihre Entstehung am Ende der Richterzeit: Eli verließ nach einer Auseinandersetzung mit dem amtierenden Hohepriester mit einer Gruppe von Anhängern Sichem, orientierte sich nach Silo und etablierte dort in Rivalität zum rechtmäßigen Hohepriester ein anderes Priestergeschlecht. Damit kam es zu einer Spaltung innerhalb Israels. Die Samaritaner führen sich auf jene Israeliten zurück, die dem Heiligtum auf dem Garizim treu blieben, während das übrige Israel abgefallen sei.179
Einen direkten Beleg liefern dagegen zwei Stelen mit griechischen Widmungs-Inschriften, die 1979 auf der Insel Delos gefunden wurden. 180 P. Bruneau datiert sie in die Jahre 150–50 v.Chr. (Inschrift 1) bzw. 250–175 v.Chr. (Inschrift 2). Die Stifter bezeichnen sich als #A 8! :P '%D ( #A 1$%+F !# B& A%G! %%@! , d.h. als „Israeliten aus Delos, ESHEL, Names, 29f. RAHMANI , Ossuaries, 13ff. Die ältesten von Rahmani besprochenen Ossuarien stammen allerdings erst aus dem 1. Jh. v.Chr. 177 Vgl. oben S. 325ff. 178 Vgl. dazu die klassische Studie von M ONTGOMERY, Samaritans, aus dem Jahr 1907, dort u.a. S. 318f. oder CROWN, PUMMER & TAL, Companion, 134f. 179 Diese Sicht der Dinge findet sich im Kitab al-Tarikh des Abu ʾl-Fath, Kap. 9f. (STENHOUSE , Kitāb al-Tarīkh, 44ff.), einem Werk aus dem 14.Jh. (zu Datierung, Textausgaben und Übersetzungen vgl. STENHOUSE , Samaritan Chronicles, 221f.232ff.; CROWN, Samaritan Scribes, 28f.) sowie dem wohl ebenfalls spätmittelalterlichen samaritanischen Josuabuch, Kap. 43 (JUYNBOLL , Chronicon, 180f., zur Einordnung vgl. STENHOUSE , Samaritan Chronicles, 219f.) und in der sog. Chronik II, I Samuel § B, A*–G* (Angabe nach der Ausgabe von MACDONALD , Chronicle No. II, 114). Nach Macdonald „Chron. II cannot be dated“ (aaO., 5); die älteste Handschrift stammt seiner Einschätzung nach (ebd.) aus dem 16. Jh. Macdonalds Schüler COHEN, Samaritan Chronicle, 176, sieht sie als „14th century composition“. Diese Sicht ist zunehmend in die Kritik geraten (zur Diskussion PUMMER , Einführung, 23–27), wahrscheinlich handelt es sich um ein am Anfang des 20. Jh.s zusammengestelltes Werk (CROWN, Samaritan Scribes, 31). 180 B RUNEAU , Israélites, 467. 175 176
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die Erstlingsopfer zum Heiligtum Garizim darbringen“.181 Die Inschriften sind zunächst ein Beleg für ein Heiligtum und laufenden Kultbetrieb auf dem Garizim, der offensichtlich auch über die Grenzen Samarias hinaus bedeutsam war. Es liegt nahe, sie Familien samarischen Ursprungs zuzuschreiben, die ihre Bindung an das Heiligtum bewahrt haben. 182 Die Verwendung des Israel-Namens gibt über das Selbstverständnis der Stifter Auskunft: sie verstehen sich zweifellos als Israeliten, qualifizieren sich allerdings in zweifacher Hinsicht näher – zum einen als Israeliten auf Delos, zum anderen als Israeliten, die sich zum Heiligtum auf dem Garizim hin orientieren. Fraglich ist, ob die Inschriften als Zeugnisse einer samarischen oder bereits samaritanischen Diaspora zu werten sind. Letzteres vertritt F. Dexinger, der sie als Beleg für die „die Eigenständigkeit der Samaritaner“ wertet, die auf Delos schon in vormakkabäischer Zeit eine eigene Synagoge gehabt hätten.183 U. Rappaport deutet sie als Zeichen des Übergangs: die Verwendung des Namens „Israel“ (im Unterschied zum üblichen #)D#) zeige zum einen die Verbundenheit der Samarier von Delos mit dem ehemaligen Nordreich, sei zum anderen aber auch als Polemik gegen ebenfalls auf Delos ansässige Jerusalem-orientierte Judäer gewählt, d.h. ihnen gegenüber würden sich die Stifter der Inschriften durch die Verwendung des Namens als „wahres Israel“ darstellen. 184 In der Konsequenz hätten sich auch in Delos im 2. Jh. v.Chr. die Wege getrennt und aus einer gemeinsamen Gemeinde seien zwei getrennte geworden.185 Der delische Befund ist allerdings so eindeutig nicht. Neben der bekannten Synagoge 186 Der Text der Inschrift 1 ist vollständig erhalten; er lautet nach der Wiedergabe von BRUNEAU , aaO., 182: 181
A 8! :P '%D( #A 1 $%+F !# B& A%G! % %@! '(*!#L'! +%)'Q '(*.!P %$?-! .'# !#& !M'#! K%'B& 9!! (=& 7)(#J&
Inschrift 2 ist stärker beschädigt. BRUNEAU, aaO., 474, ergänzt am Anfang A 8! :P , die Fortsetzung '%D( #A 0$%+F !# B& A%G! 2#! %%@! sowie einige weitere Zeilen sind erhalten. Im unteren Teil bricht die Inschrift ab. 182 Die Namen sind griechisch. In Inschrift 1 erscheint „Jason“, der möglicherweise von Knossos kommt (ein Hinweis auf samarische Auswanderer auf einer weiteren Insel?); Inschrift 2 nennt „Menippos, den Sohn des Artemidor“ aus Herakleion. 183 Ursprung, 118f. 184 R APPAPORT, Samaritans, 378f. 185 AaO., 381. 186 1913 veröffentlicht von PLASSART, Synagogue juive, sowie 1914 in einem Artikel gleichen Namens in RB 23, S. 523–534. Eine ausführliche Darstellung von Baugeschichte, Architektur und Austattung bietet TRÜMPER , Synagogue. Trümper hält es auf der Basis der archäologischen Daten für nicht entscheidbar, ob es sich um eine jüdische oder samaritanische Synagoge gehandelt hat (aaO., 588.593).
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gibt es keinen Hinweis auf eine zweite. Die Inschriften allein können ihre Existenz kaum belegen. Dass die Verwendung von „Israel“ im Kontext der Inschrift eine „Trennung von den Judäern und Aneignung des Begriffs“ 187 durch die Samarier impliziert, ist zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht notwendig. Der Text der Inschrift lässt sich auch so lesen, dass sich die Stifter als diejenigen Israeliten von Delos verstehen, die zum Garizim opfern – im Unterschied zu anderen Israeliten, die sich dem Jerusalemer Tempel verbunden sehen. Das würde für die delische Synagogengemeinde bedeuten, dass es möglicherweise je nach Herkunft der Familien unterschiedliche Affinitäten entweder zum JHWH-Tempel von Jerusalem oder zu jenem auf dem Garizim gegeben hat, darüber keine Spaltung in jüdische und samaritanische JHWH-Anhänger erfolgt sein muss, sondern beide als spezifische Ausprägungen innerhalb eines übergreifenden Spektrums jüdisch-israelitischer Religiosität zu verstehen sind. e) Die Elephantine-Korrespondenz Einen Einblick in das Verhältnis von Juda und Samaria am Ausgang des 5. Jh. v.Chr. eröffnet die im Archiv des Jedania gesammelte Korrespondenz der Juden von Elephantine, die nach Auseinandersetzungen mit der Chnum-Priesterschaft am Ort und dem Kommandanten von Syene, die in der Zerstörung ihres JHW-Tempels gipfelten, nach Unterstützung beim Wiederaufbau des Heiligtums suchen.188 Von den erhaltenen zehn Dokumenten aus dem Archiv sind fünf mit der Problematik des Tempels befasst: ein Entwurf für eine Petition zum Wiederaufbau des Tempels (A 4.5), zwei Entwürfe einer Petition an Bagohi, den Statthalter von Jehud (A 4.7; 4.8), ein Memorandum über die Entscheidung Bagohis und Delajas (A.9) sowie eine Erklärung zur finanziellen Unterstützung189 des Tempelbaus (A 4.10). Einschlägig sind hier v.a. die Petition (A 4.7; 4.8) sowie das Memorandum (A 4.10). Die Petition, von der zwei nicht abgeschickte Entwürfe erhalten sind, ist an Bagohi, den Statthalter von Jehud (A 4.7, Z. 1: אל מראן )בגוהי פחת יהודgerichtet. Darin wird zunächst berichtet, wie es zur Zerstörung des Tempels kam (A 4.7, Z. 4–13), dann auf die Verschonung des Tempels durch Kambyses – als Beleg seiner Akzeptanz durch die Perser 190 – zurückgeblickt (Z. 13ff.) und schließlich das eigentliche Anliegen entfal-
Die Stelen wurden etwa 90m von der Synagoge entfernt gefunden, allerdings wohl nicht an ihrem ursprünglichen Standort, aber auch nicht in sekundärer Verbauung, vgl. TRÜMPER , aaO., 588: „they were just stored coincidentally at their findspot, that is they were probably displaced.“ 187 R APPAPORT, Samaritans, 380: „ “ההבדלות מיהודים ואימוץ המונח ישׂראל. 188 Zu den historischen Hintergründen, vgl. PORTEN , Archives, 278ff.; für die Texte: TADAE, Bd. 1, S. 52–79. 189 KOTTSIEPER , Religionspolitik, 169, denkt vielmehr an einen Bestechungsversuch.
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tet: Bagohi möge sich gegenüber der persischen Verwaltung191 in Ägypten für eine Erlaubnis zum Wiederaufbau des Tempels einsetzen (Z. 22–28). Die Verfasser des Briefes teilen weiterhin mit, dass zuvor bereits Briefe an Bagohi192, Jochanan, den Jerusalemer Hohepriester, und weitere Honoratioren193 geschickt worden waren (Z. 17–19) und dass ein weiterer Brief an Delaja und Schelemja, die Söhne Sanballats gehen werde (Z. 29). Die insgesamt recht große Zahl weiterer Adressaten, insbesondere die Erwähnung der Sanballatiden am Schluss, dient sicher dazu, den Nachdruck der Petition gegenüber Bagohi zu erhöhen und ihn zum Handeln zu veranlassen, nachdem ein erstes Schreiben offenbar ohne Reaktion geblieben war (Z. 19). Dass die primären Adressaten der Elephantiner Juden Administration, Klerus und Honoratioren in Jerusalem waren, kann anzeigen, dass ihre Verbindungen zu Jerusalem stärker waren als jene nach Samaria.194 Dass sie sich mit ihren Anliegen ebenfalls an die Söhne Sanballats, des Statthalters von Samaria wenden, lässt aber darauf schließen, dass sie auch von dort Unterstützung erwarten. Dass eine weitere Petition tatsächlich nach Samaria gegangen ist, bestätigt indirekt das Memorandum (A 4.9), das eine gemeinsame Äußerung Bagohis und Delajas zu Gunsten des Wiederaufbaus des Tempels festhält.195 Von einem Konflikt oder angespannten Beziehungen zwischen Jerusalem und Samaria ist in den Dokumenten nichts zu spüren. Die Verfasser der Petition gehen offensichtlich davon aus, dass sowohl die Jerusalemer Administration als auch ihr Pendant in Samaria gleichermaßen als Ansprechpartner für die Belange eines exterritorialen JHWH-Tempels dienen Mit KOTTSIEPER, aaO., 160, ist anzunehmen, dass es „eine ausdrückliche persische Bestätigung des Tempels und seines Kults“ nicht gegeben hat, daher musste auf diesen eher indirekten Beleg zurückgegriffen werden. Ob es tatsächlich zutrifft, dass Kambyses die ägyptischen Tempel zerstört hat oder ob ein in Ägypten bereits verfestigte negatives Kambyses-Bild instrumentalisiert wird, ist ebenfalls zu diskutieren (dazu BURKARD, Tradition I, 99f.; Tradition II, 35–37). Die Argumentationsstrategie war offensichtlich plausibel und erfolgreich, da Bagohi und Delaja sich ihrer Aršames gegenüber ebenfalls bedienen (A 4.9, Z. 5). 191 Die Formulierung (A 4.7, Z. 23f. sowie mit geringen Abweichungen, aber auch nicht klarer A 4.8, Z. 23) ist nicht ganz eindeutig, zur Diskussion KOTTSIEPER, aaO., 166f. 192 Er wird nicht namentlich genannt, sondern nur als ( מראןA 4.7, Z. 18) angesprochen. Die gleiche Anrede in Z. 1 legt nahe, dass wieder Bagohi gemeint ist. KOTTSIEPER, aaO., 163, denkt dagegen an den Satrapen Aršames. 193 Zur Rolle des Ostanes, vgl. die Überlegungen bei KOTTSIEPER , aaO., 165f. 194 Dazu passt die Selbstbezeichnung der Petenten als ( יהודיאA 4.7, Z. 22, vgl. A 4.1, Z. 1.10; A 4.3, Z. 12; A 4.7, Z. 26; A 4.8, Z. 22.26). 195 Der Wiederaufbau des hier als „Altarhaus des Himmelsgottes“ (A 4.9, Z. 3f.: בית )מדבחא זי אלה שׁמיאbezeichneten Tempels ist aber mit gewissen Einschränkungen verbunden, v.a. mit dem Verzicht auf Tieropfer. Sollte Kottsiepers Lesart von A 4.10 als Bestechungsversuch mit dem Ziel, auch die Tieropfer wieder einführen zu dürfen (aaO., 169), zutreffen, würde dies zeigen, dass sich die Elephantiner Tempelgemeinde nicht ohne weiteres mit dem Bescheid abgefunden hat. 190
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können. Zudem hätten sie Bagohi kaum über die Kontaktaufnahme mit Delaja und Schelemja in Kenntnis gesetzt, wenn diese Information ihren Interessen bei Bagohi aufgrund einer Rivalität zwischen ihm und den Sanballatiden geschadet hätte. Sie gehen vielmehr davon aus, dass zwischen Jerusalem und Samaria zumindest normale diplomatische Kontakte bestehen.196 Dafür spricht ebenfalls die gemeinsame Reaktion von Bagohi und Delaja in der Frage des JHW-Tempels von Elephantine, die voraussetzt, dass sie diesbezüglich eine Übereinstimmung erzielt haben und einvernehmlich für den Wiederaufbau aktiv geworden sein müssen. In das Bild einer andauernden Konfliktlage zwischen den judäischen und samarischen Eliten im späten 5. Jh. fügt sich die Elephantine-Korrespondenz nicht ein. f) Indizien im Esra/Nehemiabuch In gewisser Weise lässt sich das Esra/Nehemiabuch recht gut vor dem Hintergrund der dargestellten Befunde lesen. Es gibt verschiedentlich Hinweise darauf, dass enge Beziehungen zwischen Juda und Samaria in verschiedenen Bereichen eher die Regel als die Ausnahme waren: (a) Zumindest ein Teil der Jerusalemer Führungselite war nach dem Zeugnis des Nehemiabuches durch Heiratsbeziehungen mit ihrem samarischen Pendant verbunden. Der Hohepriester Eljaschib war sowohl mit Tobija verwandt (Neh 13,4) als auch mit Sanballat, dessen Sohn eine Enkelin Eljaschibs heiratete (Neh 13,28).197 Die lange Liste der mit fremden Frauen verheirateten Judäer in Esr 10 weist in die gleiche Richtung, v.a. da die Analyse gezeigt hatte, dass auch hier insbesondere Beziehungen nach Samaria problematisiert werden.198 (b) Was vorrangig als andauerndes Störfeuer von Seiten Sanballats und Tobijas gegen die Verbesserung der 196 GALLING , Bagoas, 163, hält daher fest: „Dieses nicht erhaltene, aber dem Inhalt nach zu rekonstruierende Schreiben nach Samaria [i.e. der angekündigte Brief der Petenten an Delaja und Schelemja, K.W.] ist nur denkbar, wenn das – um 330 deutlich erkennbare – Schisma zwischen der dann einen eigenen Tempel auf dem Garizim besitzenden samarischen Gemeinde und der von Jerusalem noch nicht [Hervorhebung i.O.] bestand“. DONNER , Geschichte, 468, möchte den „Diasporajuden“ dagegen eine gewisse Ignoranz gegenüber der Lage im Mutterland unterstellen: „Über die Zuständigkeiten waren sie sich freilich nicht ganz klar, sonst hätten sie ihre Petition schwerlich an die Söhne des Sanballat gesandt – sie wußten anscheinend nichts über die Spannungen zwischen Jerusalem und Samaria.“ Die Korrespondenz ist für ihn daher auch kein Gegenbeleg gegen eine fortschreitende Entfremdung Judas und Samarias im 4. Jh. Gegen die These vom Informationsdefizit der Petenten spricht jedoch das Memorandum, ausweislich dessen sich Bagohi und Delaja gemeinsam für zuständig halten und einvernehmlich handeln. 197 ALBERTZ, Konzepte, 20f., vermutet wegen Neh 13,4–9, dass es insbesondere in Priesterkreisen – vorausgesetzt, das Verhalten des Hohepriesters Eljaschib kann als repräsentativ gelten – ein Interesse an guten Beziehungen zu Samaria gegeben habe. 198 Vgl. oben S. 78ff.
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Lage in Juda und den Mauerbau (vgl. Neh 2,19; 3,33ff.) gezeichnet wird, hat auch eine innerjudäische Komponente. Neh 3,5; 6,17–19 berichten von einer inneren Opposition gegen den Mauerbau, die vorrangig aus dem Kreis der Eliten kam (3,5: אדיריםaus Thekoa; 6,17: )חרי יהודה. Neh 6,17–19 führen wiederum verwandtschaftliche Beziehungen (hier zu Tobija) als Grund dafür an, dass viele aus der judäischen Oberschicht Nehemias Abgrenzungsbestrebungen gegenüber den Nachbarn zu hintertreiben suchten. Die Verbindungen und ihre Konsequenzen (Kontakt und Loyalität) werden ohne weitere Erläuterung vorausgesetzt, so dass auch hier kaum ein erklärungsbedürftiger Sonderfall angesprochen ist.199 (c) Esr 4,1–3 (vgl. auch Neh 13,4–9) zeigen, dass es von Seiten Samarias ein Interesse am Jerusalemer Tempel und JHWH-Kult gegeben hat. Wenn die oben vorgeschlagene Interpretation von Esr 6,10–21 korrekt ist, liefert der Text einen weiteren Hinweis dafür, dass Samarier sich nach Jerusalem orientierten und zu den Pilgerfesten anreisten. Da es bis Mitte des 5. Jh. im Bereich Samarias wahrscheinlich keinen eigenen JHWH-Tempel gab, kann dies kaum überraschen.200 Die Praxis riss aber, wie aus 2Chr 30 201 ersichtlich ist, auch nach dem Tempelbau auf dem Garizim nicht völlig ab.202 (d) Neben diesen Reflexen auf eine komplexe Gemengelage in den Texten 199 Für ALBERTZ, aaO., 19–21, sind die Notizen ein Hinweis darauf, dass die judäischen Eliten Nehemias Bestrebungen weitgehend skeptisch gegenüberstanden, ein großes Interesse an Beziehungen zu den Führungseliten der Nachbarprovinzen hatten und „definitiv kein isoliertes Juda“ wollten (21). 200 Ein solcher wird freilich immer wieder in Bethel vermutet. So rechnen etwa VEIJOLA, Verheissung, 197; BLENKINSOPP, Priesthood, 30–34; SCHAPER , Priester, 272f.; KÖHLMOOS , Bet-El, 308 u.ö.; KNAUF, Bethel, u.a. mit einem florierenden Bethel-Kult in nachexilischer Zeit. Alledings fehlen dafür jegliche archäologischen Hinweise. Weder wurde ein Heiligtum gefunden noch eindeutige Hinweise auf eine perserzeitliche Besiedlung. FINKELSTEIN & SINGER-AVITZ, Reevaluating, 42, kommen zu dem Ergebnis: „In any event, no unambiguous evidence fo a full-fledged Persian-period occupation was found at Bethel – neither pottery nor Jehud seal impressions. This fits the description of the excavators, according to which the foundations of the Hellenistic walls penetrated into the Iron Age II remains. The excavators speculated that a Persian-period settlement may have been located near the spring of Bētīn, under the built-up area of the village, but had such a settlement existed, it should have left a clear ceramic imprint on the site.“ Für die hellenistische Zeit finden sich wieder deutliche Siedlungsspuren. Zur Frage des Fortbestands des Bethel-Heiligtums nach 720 vgl. bereits WOLFF, Ende, der mit einen eingeschränkten Kultbetrieb bis in die josianische Zeit rechnet; zur kritischen Auseinandersetzung mit der These der nachexilischen Bedeutsamkeit Bethels vgl. KOENEN, Bethel, 59–64; BLUM, Geschichtswerk, 274f., Anm. 31. Vor dem Hintergrund der archäologischen Beleglage überrascht es nun, wenn Bethel in nachexilischer Zeit nicht nur ein kultisches Schwergewicht, sondern auch politisch bedeutsam und zugleich Zentrum literarischer Sammlungs- und Produktionsarbeit gewesen sein soll. Es drängt sich der Eindruck auf, dass gerade das Fehlen belastbarer archäologischer und literarischer Indizien das Feld für die Zuschreibung immer neuer Funktionen eröffnet. 201 Dazu oben S. 148ff.
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legen auch die Schärfe der Polemik und die zum Zwecke der Exklusion der Samarier eingesetzten Argumentationsstrategien (s.o. S. 302ff.) nahe, dass die im Esra/Nehemiabuch greifbare Grenzkonstruktion weniger auf „objektiven“ Kriterien beruht und infolgedessen eines hohen Argumentationsaufwands bedarf. 1.3.2.2 Zwei Tempel – zwei Völker? Der Tempelbau auf dem Garizim als Hintergrund der innerjudäischen Debatte um die Zugehörigkeit der Samarier zu Israel Die dargestellten Hinweise auf kulturelle Kontinuität zwischen Juda und Samaria bis in die hellenistische Zeit hinein sind in mehrfacher Hinsicht signifikant. Sie deuten darauf hin, dass der kulturelle Einfluss nach Samaria deportierter Bevölkerungsanteile (insbesondere mehrere Jahrhunderte nach dem Ende des Nordreichs) eher gering einzuschätzen ist und machen eine frühe Ansetzung des samaritanischen Schisma unwahrscheinlich.203 Die archäologischen und epigraphischen Befunde zeigen, dass die Annahme einer bereits in der Perserzeit einsetzenden geradlinigen Auseinanderentwicklung – hie zum Judentum, da zur samaritanischen Religionsgemeinschaft – eine komplexere Situation zu stark vereinfacht. Für Juda ergeben auch die untersuchten Texte, zumindest in der Frage der Zugehörigkeit der Samarier zu Israel, ein anderes Bild.204 Eine kontinuierliche fortschreitende Trennung der Wege ließe nämlich erwarten, dass der inklusive Israel-Begriff zugunsten des exklusiven tendenziell in den Hintergrund tritt. Je später die Texte anzusetzen wären, umso deutlicher müsste die Abgrenzung gegenüber Samaria und zugleich die Focussierung des Israel-Namens auf Juda ausfallen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die spätpersische Chronik versteht die Samarier als integralen Bestandteil Israels und vertritt ihnen gegenüber eine geradezu werbende Position.205 Die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der beiden Teile des einen Israel bricht sich vor allem in spätpersischen und früh202 Die Frage, zu welchem Tempel man sich orientierte, konnte v.a. in der Diaspora nicht von vornherein entschieden sein. Josephus (Ant. XII, 10) berichtet von Diskussionen zwischen Juden und Samaritanern/Sichemiten im ptolemäischen Alexandria, welcher Tempel – Jerusalem oder Garizim – der heiligere sei bzw. an welchen Tempel man seine Abgaben zu entrichten habe – Diskussionen, die sich erübrigt hätten, wenn es sich bereits um distinkte Religionsgemeinschaften gehandelt hätte (sei es auch nur in der Wahrnehmung des Josephus). 203 Die Frage liegt außerhalb der Möglichkeiten dieser Untersuchung (vgl. die Forschungsüberblicke bei PUMMER , Einführung, 8–12, sowie DEXINGER, Ursprung, 69–83). In neuerer Zeit zeichnet sich ein Konsens für eine Ansetzung des Schismas in der Makkabäerzeit ab (zur Begründung u.a. MOR, Samaritan History, 16–18; ALBERTZ, Religionsgeschichte, 584). 204 In den Blick kommt hier lediglich die judäische Perspektive; wie das Verhältnis zu Juda in Samaria gesehen wurde, muss mangels literarischer Quellen offen bleiben.
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hellenistischen Fortschreibungen der Prophetenbücher Bahn (vgl. die unter B I: 2.2 besprochenen Texte). Voraussetzung ist in der Regel die ältere (vorexilische206) Tradition des Zwölf-Stämme-Volkes Israel, die die Zusammengehörigkeit von Nord und Süd als „Israel“ begründet. Die Chronik kann sich dabei auf den Pentateuch, v.a. auf die Erzelternerzählungen aber auch die diversen Stämmelisten, stützen, den sie in dieser Sache aufnimmt und in den chr Genealogien in gewissem Sinne auf den spätperserzeitlichen Stand bringt. Wie fügt sich aber der exklusive Israel-Begriff ins Bild? Angesichts der Ergebnisse der neueren Grabungen auf dem Garizim und der sich durchsetzenden Datierung der Entstehung der Samaritaner in die Makkabäerzeit, ist offensichtlich, dass der samarische JHWH-Tempel auf dem Garizim nicht der Anlass und schon gar nicht die Folge des samaritanischen Schisma gewesen sein kann.207 Dennoch spricht einiges dafür, dass der Tempelbau einen innerjudäischen Diskurs über die Zugehörigkeit der Samarier zu Israel angestoßen und damit auch einem exklusiven Israel-Begriff in Juda Auftrieb gegeben hat: (a) Die Abgrenzung gegenüber Samaria ist in 2Reg 17,24ff. mit der Bestreitung der Rechtmäßigkeit des samarischen JHWH-Kults verbunden. Letzterer wird als synkretistisch und als Fortsetzung eines falschen Nordreich-Kultes verurteilt.208 Als Kultorte sind in 2Reg 17 zwar Bethel sowie die nördlichen Höhenheiligtümer aufgeführt und nicht der Garizim, aber seine Nennung wäre in der Erzählfiktion von 2Reg 17 auch gar nicht möglich gewesen. (b) Esr 1–6 zeigen in Kombination mit dem exklusiven Israel-Begriff – quasi als positives Pendant zu 2Reg 17 – eine deutliches Bemühen um die Sicherung der Legitimation des Jerusalemer Tempels. Auf diesen Aspekt macht R. Heckl aufmerksam. Er notiert in Esr 1–6 eine vierfache Absicherung der Legitimität des Jerusalemer Tempels: (1) durch Rückgriff auf Befehl und Wirken JHWHs zum Wiederaufbau des Tempels (Esr 1,2.6; 5,1; 6,14), (2) durch Berufung auf die persischen Autoritäten (Esr 1,3f.; 2,7; 4,3; 6,3–5.6–12), (3) durch Betonung der Kontinuität des Ortes (3,3; 6,5.7) sowie (4) durch auf Jerusalem bezogene Toraauslegung (Esr 3,2; 6,12.18).209 Punkt 3 ließe sich noch um die Kontinuität der Kultgeräte ergänzen (Esr 1,7–11). Heckl sieht die Legitimierungsbemühungen eben205 Vgl. für den Niederschlag dieses Ideals in 2Chr 30 oben S. 153f. Anders als BAE , Vereinte Suche, 199, vermutet, scheint diese Israel-Konzeption aber keine auf die Chronik zurückgehende Konzeption zu sein, sondern vielmehr traditionelle und verbreitete Attributionen zum Israel-Namen zu spiegeln. 206 Vgl. unten Abschnitt 2. 207 DEXINGER , Ursprung, 114–116; vgl. auch F REY, Temple, 180. 208 Vgl. oben S. 64f. 209 HECKL, Kompromiss.
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falls durch die Existenz des JHWH-Tempels auf dem Garizim und eine dort gepflegte Auslegung der Tora veranlasst.210 (c) Die Verwendung der Kategorie der Unreinheit, die in Neh 13 und noch gesteigert in Esr 6,21ff. sowie 9f. in der Abgrenzung gegenüber Samaria ins Spiel gebracht wird und die noch in 2Chr 30 als spezielles Problem der Nordstämme aufgenommen ist, deutet eine kultische Dimension der Grenzziehung an. Es ist gut denkbar, dass die kultterminologische Unterfütterung der genealogischen Grenzkonstruktion ihre Überzeugungskraft aus der Existenz eines konkurrierenden JHWH-Heiligtums schöpft, zumindest in Kreisen, die in deuteronomistischer Tradition stehend, eine Gefährdung der Einheit des JHWH-Kultes als problematisch empfinden müssen. Neben diese inhaltlichen Punkte tritt die zeitliche Koinzidenz. Die Errichtung des JHWH-Heiligtums auf dem Garizim wird von den Ausgräbern in die Mitte des 5. Jh.s v.Chr. datiert, 211 ein Zeitpunkt der durchaus als terminus a quo für jene Texte in Betracht kommt, die dezidiert eine Ausgrenzung Samarias aus Israel vertreten. Für 2Reg 17,24–41 hatte dagegen die Analyse aufgrund redaktionskritischer und sprachlicher Erwägungen eine Verortung in der fortgeschrittenen Perserzeit ergeben.212 Gleiches gilt mit großer Wahrscheinlichkeit für das Esra/Nehemiabuch, dessen Datierung freilich ein komplexes Problem und im Kontext dieser Studie nicht zu untersuchen ist.213 Die oben diskutierte relative Chronologie von Esr 6 und 2Chr 30214 macht auf der anderen Seite eine allzu späte Ansetzung zumindest von Esr *1–6 etwa in hellenistischer Zeit unwahrscheinlich, da Esr 1– 6 incl. der kompositionell grundlegenden hebräischen Redaktion dem wohl gegen Ende der Perserzeit schreibenden Chronisten215 bereits vorgelegen haben. Insofern deutet sich eine Hochzeit der antisamarischen Polemik für das spätere 5. und das 4. Jh. v.Chr. an. Ältere Belege finden sich nicht. 210 HECKL, Kompromiss, bezieht sich dabei auf die auffällige Offenheit der Tora in der Frage des Kultorts, aufgrund derer sie zur Legitimation sowohl des Jerusalemer als auch des Tempels auf dem Garizim herangezogen werden konnte. Tendenzen zur späteren lokalen Fixierung des Zentralheiligtums sind noch textgeschichtlich in den Varianten von Ö (zu Gen 33,18; 35,4 u.a.) einerseits und @ (z.B. zu Gen 22,2; 33,18) andererseits sowie in den samaritanischen Interpolationen zugunsten des Garizim wie z.B. Ex 20,17 @Ñgreifbar. 211 Vgl. oben S. 315f. 212 Vgl. oben S. 62ff. 213 Unbestritten ist schon wegen der berichteten Ereignisse (und unabhängig von der Frage ihrer Chronologie) die fortgeschrittene Perserzeit als terminus a quo des Buches. Der Versuch einer genaueren Datierung ist natürlich nicht von der Literarkritik des Buches sowie der Beurteilung der verarbeiteten Quellen zu trennen und kann hier nicht unternommen werden. 214 Vgl. oben S. 299ff. 215 Zur Begründung vgl. JAPHET, HThKAT I, 52–54.
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Das Hinzutreten derartiger Differenzierungen zum elementaren primordialen Code kann somit im Kontext des Bemühens judäischer Identitätssicherung gesehen werden. Die Notwendigkeit der Sicherstellung von Legitimität und Exklusivität des Jerusalemer Tempels als kultisches Zentrum Israels wurde angesichts der Existenz eines konkurrierenden JHWHHeiligtums in Samaria virulent. Die Pragmatik dieser Grenzkonstruktion liegt mithin weniger auf der Abgrenzung nach außen, sondern (wie die Überlegungen zur Führung der genealogischen Kontinuität über das Exil216) auf der Stärkung der judäischen Gesellschaft nach innen und der Stabilisierung einer ihrer zentralen Institutionen. Die neuen Grenzziehungen geschehen aber weiterhin in den Koordinaten des genealogischen Systems, mithin in einem primordial verstandenen Code israelitischer Identität. „Israel“ wird über den Konflikt in einer kultischen Frage nicht zur Kultgemeinde, es bleibt Volk, freilich um den Preis einer Redefinition der Bevölkerung des ehemaligen Nordreichs, die nun nicht mehr Teil dieses Ethnos ist. Auf längere Sicht durchsetzen konnte sich diese extreme Position freilich nicht. Die eingangs angedeutete Prominenz des inklusiven IsraelBegriffs in der Chronik sowie den in den Verwerfungen der späten Perserbzw. frühen hellenistischen Zeit aufkommenden Vereinigungshoffnungen sprechen dagegen, ebenso der für die spätere Zeit u.a. im Neuen Testament greifbare Befund, dass Galiläa – mit Ausnahme des begrenzten samaritanischen Gebiets – selbstverständlich als jüdisch galt und kultisch auf den Jerusalemer Tempel hin orientiert war.217 Aber auch für das 5./4. Jh. selbst ist zu fragen, wie repräsentativ die untersuchten Texte in ihrer exklusiven Israel-Konzeption überhaupt sind. Angesichts der deutlichen Anzeichen kultureller Gemeinsamkeiten zwischen Juda und Samaria in der Perserzeit stehen sie in gewisser Weise quer zur alltäglichen Lebenswelt im perserzeitlichen Juda, was mutatis mutandis den argumentativen Aufwand verständlich macht, der für die Plausibilisierung des exklusiven Israel-Begriffs notwendig war. Die in der Elephantine-Korrespondenz218 gespiegelte Außenperspektive lässt ebenfalls erkennen, dass man um 400 in Elephantine nichts von Spannungen zwischen Juda und Samaria wusste und davon ausgehen konnte, dass die Kontaktaufnahme mit den Söhnen des samarischen Statthalters, dem eigenen Anliegen bei den judäischen Eliten nicht schaden würde – eine Einschätzung, die durch das gemeinsame Memorandum von Bagohi und Delaja bestätigt wird. Schließlich scheinen im Esra/Nehemia-Buch selbst Vgl. oben S. 307ff. Vgl. auch Tob 1,3–9. Tobit beschreibt sich als Nord-Israelit, der dem Jerusalemer Tempel treu bleibt. In der Erzählfiktion ist er in der Zeit der assyrischen Eroberung des Nordreichs verortet, zugleich aber in seiner Orientierung nach Jerusalem als bleibendes Beispiel für die Adressaten des Buches präsentiert. 218 Vgl. oben S. 331ff. 216 217
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verschiedentlich Hinweise darauf durch, dass innerhalb der judäischen Eliten bezüglich der Verhältnisbestimmtung nach Samaria keine Einigkeit bestand. Insgesamt verfestigt sich der Eindruck, dass der exklusive Israelbegriff im perserzeitlichen Juda kein Konsens, sondern nur eine Position (und möglicherweise die einer Minderheit) neben der inklusiven Konzeption war. Damit stellt sich natürlich die Frage nach möglichen Trägerkreisen. Angesichts des Interesses am Jerusalemer Tempels geht man sicher nicht fehl, sie im Umfeld desselben zu suchen. Für Esr 1–6 liegt die Nähe zum Tempel auf der Hand, aber auch das gesamte Esra/Nehemiabuch kennzeichnet ein Interesse an kultischen und v.a. kult-organisatorischen Fragen.219 Einen indirekten Hinweis liefert darüber hinaus die Elephantine-Korrespondenz. Das auffällige Schweigen des Jerusalemer Hohepriester Jochanan, an den sich die Elephantiner Petenten als in Fragen eines Tempels primären Ansprechpartner zunächst gewandt hatten, der aber weder auf ihr Schreiben antwortete noch im Memorandum über die positive Aufnahme der Petition genannt wird, könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Hohepriester, diese Entscheidung nicht mitgetragen hat. Von Konflikten zwischen Bagohi und Jochanan und Eingriffen Bagohis in Angelegenheiten des Tempelkults weiß noch Josephus220. Ist es also denkbar, dass sich Bagohi auch in der Frage des Tempels von Elephantine weitgehend über den Hohepriester hinwegsetzte221 und in der Elephantine Korrespondenz Reflexe eines Dissenzes zwischen Statthalter und Tempelpriesterschaft erhalten sind? Dann wäre eine Analogie zur Frage des samarischen JHWH-Tempels gegeben und somit ein weiterer Hinweis darauf, dass die Verfechter eines exklusiven IsraelBegriffs am ehesten im Umfeld der Jerusalemer Tempelpriesterschaft im späten 5. sowie 4. Jh. v.Chr. zu suchen sind. 2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
Wenn sich die soziale Grenzkonstruktion, die die Bevölkerung Samarias pauschal als Nicht-Israeliten versteht, auf lange Sicht auch nicht durchgesetzt hat, so haben doch die mit ihr verbundenen Zuschreibungen zum Israel-Begriff Spuren hinterlassen. Das gilt z.B. für die kultische Aufladung der Grenzlinie, die die Chronik in ihrer Verknüpfung von traditionell 219 Der Tempel und sein Betrieb sind auch über Esr 1–6 hinaus ein durchgängiges Thema, vgl. Esr 7 (kultische Geräte und Tieropfer); Neh 10,3–40; 13,10–14 (finanzielle Austattung); 13,4ff. (Tobijas Kammer im Tempel); 13,31 (Brennholzlieferungen an den Tempel). Infolgedessen hat man die Verfasser im Tempelmilieu vermutet, bis hin zur bekannten These von WEINBERG, Citizen-Temple Community, eine Gemeinde freier Bürger, die sich um den Tempel als Zentralinstitution herausbildete (Bürger-Tempel-Gemeinde) habe den Trägerkreis des Esra/Nehemiabuches ausgemacht. 220 Josephus berichtet von Auseinandersetzungen der beiden, die darin gipfelten, dass Bagohi nach dem Brudermord Jochanans den Tempel betrat und die Opfer mit einer Strafsteuer belegte (Ant. XI 297). 221 Vgl. KOTTSIEPER , Religionspolitik, 171, Anm. 78. Für KNAUF , Elephantine, 186f., erklärt sich das Schweigen des Hohepriesters damit, dass sich die Tora und insbesondere deuteronomistisches Gedankengut in Jerusalem weitgehend durchgesetzt habe und die Jerusalemer Eliten, einem JHWH-Tempel sehr skeptisch gegenüber gestanden und ihn schließlich nur mit Auflagen erlaubt hätten. Ähnlich interpretiert HECKL, Kompromiss, die erreichte Einigung als Vermittlungsversuch zwischen dem Kultzentralisationsgebot und den realen Verhältnissen.
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inklusivem Israel-Begriff und der zentralen Stellung des Jerusalemer Tempels für ganz Israel nicht mehr einfach übergehen kann, sondern kreativ lösen muss.222 Es gilt aber insbesondere für die Ausweitung des Exilskategorie auf ganz Juda sowie ganz Israel,223 die dazu beigetragen hat, dass das Exil zu einer zentralen theologischen Deutekategorie für das nachexilische Israel werden konnte. Nur einen Beleg dafür bilden jene Texte, die die Hoffnungsperspektive mit der Heimkehr und Vereinigung des exilierten Gottesvolks entwickeln (oben Abschnitt B I 1.2). Sie sind in ihrer Intention und Pragmatik sicher nicht auf den Diskurs um den Status der Samarier ausgerichtet, setzen aber das Geschichtsbild einer vollständigen Deportation von Israel und Juda voraus und sind somit daran beteiligt, jene Zuschreibungen zum Israel-Begriff zu verstärken und weiterzutragen.
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs Die i.F. entfalteten Vorschläge zur semantischen Entwicklung des IsraelNamens in der Epoche der beiden Reiche basieren auf einer deutlich schmaleren Textbasis als die Überlegungen zur Perserzeit und hängen selbstverständlich noch stärker von der (in der Forschung z.T. hochgradig umstrittenen) Datierung der jeweiligen Texte ab. Dennoch lassen sich in der Konvergenz der verschiedenartigen Texte Linien zur Verwendung des Israel-Namens erkennen oder zumindest bestimmte Engführungen ausschließen. Im Focus stehen dabei die Frage der Verwendung des IsraelNamens als Bezeichnung für Juda oder Gesamt-Israel sowie – damit zusammenhängend – jene nach den konzeptionellen Grundlagen dieser Verwendungsweisen. 224
Dazu oben S. 302ff. Dazu oben S. 307ff. 224 Dass „Israel“ das Nordreich bezeichnen konnte, ist so selbstverständlich, dass diese Verwendungsweise für die Auswahl der in den Anlysen diskutierten Texte ausgeblendet wurde. Wenn es dennoch einer Bestätigung dafür bedarf, dass „Israel“ als Bezeichnung des Nordreichs auch in Juda gebräuchlich war, wird diese bei Hos und Am schon allein durch die judäischen Fortschreibungen geliefert. So haben die Ergänzer von Hos 1,7 oder Am 2,4f. ישׂראלin Hos 1,6 bzw. Am 2,6 als Bezeichnung des Nordreichs gelesen und jeweils Juda betreffende Passagen ergänzt. Gleiches gilt für eine Reihe weiterer judäischer Aktualisierungen, die die vorliegenden Texte – auch noch in späterer Zeit – durch Analogieschlüsse oder Gegenüberstellungen auf Juda anwenden (z.B. Hos 4,15; 5,5; 12,1b). 222 223
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
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2.1 Der semantische Befund 2.1.1 Variable Referenzen für „Israel“ in der Thronfolgegeschichte Die Untersuchung der in den Texten der ThFG realisierten referentiellen Möglichkeiten des Israel-Namens zeigt, dass „Israel“ in einem weiteren Sinn als Bezeichnung Gesamt-Israels dient, aber auch im engeren Sinne auf Teilbereiche dieses größeren Israel referieren kann. Dabei kann es sich um die Nordstämme oder auch anders bestimmte Gruppierungen, wie die Gefolgschaft Absaloms im Gegenüber zu David im Bericht über den Absalomaufstand handeln. Quantitativ zeigt sich ein gewisser Schwerpunkt bei der weiten, gesamt-israelitischen Referenz (18 Belege in 2Sam 9–14; 19,41–20; 1Reg 1f. gegenüber zehn Belegen als Bezeichnung der Nordstämme225). Nicht belegt ist dagegen die Verwendung von „Israel“ als Bezeichnung Judas. Im Blick auf die angewandten Strategien der Disambiguierung bestätigt sich bezüglich der Verwendung des Namens als Bezeichnung der Nordstämme F. Crüsemanns Beobachtung, dass die primäre Verwendungsweise des Israel-Namens in diesem Textbereich die weite, d.h. gesamt-israelitische ist und dass eine explizite Klärung stets dort erfolgt, wo die engere Referenz intendiert ist.226 Dass letztere in der Exposition zur Darstellung des Absalomaufstands (2Sam 15) nicht sogleich geschieht, liegt daran, dass die Mehrdeutigkeit des Israel-Namens als erzählerisches Mittel im Dienste des Spannungsaufbaus eingesetzt wird. 227 Allerdings bestätigt sich auch hier das Primat der weiten Verwendungsweise, wenn ein spannungsauslösendes Moment die Frage ist, ob David tatsächlich von allen Israeliten verlassen ist oder ihm noch loyale Parteigänger bleiben. Vorausgesetzt ist also zunächst ein weites Israel-Verständnis (v. 1–6), das im Fortgang (15,13ff.) dahingehend korrigiert wird, dass v.a. die Landbevölkerung (welche i.F. als ישׂראלa( )כלoder auch אישׁ ישׂראל/עם/ שׁבטיbezeichnet wird) Absalom anhängt, während Davids Gefolgschaft sich aus verschiedenen namentlich genannten Gruppen von Nicht-Israeliten (Kreti und Pleti, Ittai und die Gatiter) und Israeliten (Zadok und seine Söhne, Huschai, Ziba, Barsillai) zusammensetzt. Ist die vorgeschlagene Ansetzung der Texte in die frühere Königszeit und damit vor dem Ende des Nordreichs zutreffend, folgt aus diesem Befund, dass „Israel“ schon hier mehrdeutig, d.h. dass zumindest eine weite gesamt-israelitische Verwendungsweise und daneben eine engere, auf die Nordstämme referierende, gegeben waren. In der Darstellung des Absalomsaufstands 2Sam 15–19,40 wird mit den semantischen Möglichkeiten des Israel-Namens gespielt (dazu oben S. 180ff.), so dass eine klare Zuweisung zur einen oder anderen Möglichkeit nicht sinnvoll wäre. 226 C RÜSEMANN , Widerstand, 96. 227 Dazu S. 180ff. 225
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2.1.2 Keine semantische Innovation bei Jesaja Vor diesem Hintergrund ist es dann auch nicht überraschend, dass sich die Annahme eines Wendepunkts in der Verwendung des Israel-Namens, der bei Jesaja bzw. in den unter seinem Namen überlieferten Texten zu finden wäre, nicht bestätigt. Die These wurde L. Rost vorgetragen und in neuerer Zeit v.a. von J. Høgenhaven und R.G. Kratz vertreten und weiterentwickelt. 228 Rost, Høgenhaven und Kratz verbindet – so stark sie sich auch in der Chronologie der Texte sowie bezüglich des dem historischen Jesaja zugewiesenen Beitrags unterscheiden –, dass sie nicht mit der Möglichkeit verschiedener Referenzen für den Israel-Namen rechnen, sondern jeweils ein historisches Nacheinander zweier Verwendungsweisen mit jeweils eindeutiger Referenz annehmen: die staatsrechtliche Bezeichnung des Nordreichs wird überführt in den religiösen Titel des Gottesvolkes, das für Rost freilich mit Juda zu identifizieren ist, für Kratz und Høgenhaven aber eine Einheit aus Juda und Nord-Israel darstellt. Die in den Texten vorliegende Mehrdeutigkeit ist erst das – wenn auch nicht intendierte – Ergebnis dieses Prozesses; in einem Text, der eine Zusammenschau der verschiedenen Verkündigungsphasen des Propheten bietet (Rost, Høgenhaven) bzw. Ergebnis stets additiv arbeitender Redaktionen darstellt (Kratz), stehen nun die unterschiedlichen Verwendungsweisen des Namens nebeneinander. Die Studien eint weiterhin, dass sie ihren Ausgangspunkt bei redaktionskritischen Überlegungen nehmen. Rost und Høgenhaven stellen der Untersuchung eine Scheidung von „echten“ und „unechten“ Jesajaworten voran und entkoppeln die „echten“ Worte zudem von ihrer Anordnung im Buch, indem sie sie nach Verkündigungsphasen im Leben des Propheten ordnen.229 Bei Kratz geht die Athetisierung deutlich weiter; als authentische Worte des historischen „Heilspropheten“ Jesaja kommen neben Jes 7,4.7–9a; 8,1–4 nur noch Jes 17,1–3 und Jes 28,1–3 in Betracht. 230 In der Folge sind mögliche kompositionelle Zusammenhänge nicht im Blick, ebensowenig die Leserichtung im vorliegenden Text, so dass die Frage, wie sich die jeweils angenommene Verwendung des IsraelNamens für die Leser (auf verschiedenen Redaktionsstufen des Materials) erschließen konnte, ausgeblendet wird.
Gegen eine mit Jesaja verbundene semantische Innovation spricht nun aber sowohl (a) der innere Befund der Jesaja-Texte als auch (b) der Vergleich mit Mi *1–3 als weiterem zeitnah entstandenem judäischen Prophetentext: (ad a) Bei Proto-Jesaja lässt sich für den Israel-Namen keine einheitliche Verwendung feststellen: Israel kann als Bezeichnung des Nordreichs dienen (Jes 7,1*; 9,11.13; 17,3), aber auch in umfassender Weise als Bezeichnung beider Reiche (8,14.18; 9,7) sowie als Bezeichnung Judas. Letztere Verwendungsweise ist im Schlussvers des Weinberglieds 5,7 Zu ihrer Darstellung vgl. oben S. 14ff. sowie 24. ROST, Israel, 33–40. 230 KRATZ, Jesajabuch 99, eine Begründung fehlt. In Jes 17,1–3 sowie 28,1–3 begegnet der Israel-Name nicht, das Nordreich wird als „Ephraim“ bzw. über die Hauptstadt Samaria bezeichnet. Das bei Kratz vorausgesetzte, wenn auch nicht eigens entfaltete redaktionsgeschichtliche Modell erweist sich (auch unabhängig von den Thesen zur Verwendung des Israel-Namens) angesichts der kompositionellen Strukturen in Jes *1–11 als problematisch (vgl. oben S. 207 Anm. 173). 228 229
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greifbar und wird bestätigt durch 8,14 – Juda ist ein בית ישׂראל. Die Art der Verwendung des JHWH-Titels קדושׁ ישׂראלzeigt, dass der Titel bei den Adressaten des Propheten bekannt war, aber auch, dass die Referenz auf Juda von vornherein in den Möglichkeiten des „Israel“-Namens lag. Ein weiterer Hinweis auf vorliegende Mehrdeutigkeit ist die Notwendigkeit zur Disambiguierung, die, insofern sie nicht durch den Kontext geleistet wird (9,11.13) durch die Formulierung (8,14) oder durch das Pendant im Parallelismus (5,7) erfolgt. Wo es auf Eindeutigkeit ankommt, werden zudem andere Begriffe verwendet, die in ihrer Referenz eindeutig sind – „Ephraim“ für den Norden (Kap. 7; 9,8), und „Juda“ (5,3; Kap. 7; 9,20) für den Süden. Die verschiedenen Verwendungsweisen des IsraelNamens stellen daher keine terminologische Differenz im literarkritischen Sinne dar und sind somit auch kein redaktionsgeschichtlich auswertbares Indiz. Eine Änderung der Referenz oder Semantik des Israel-Namens wird zudem an keiner Stelle explizit gemacht. Gegen eine diesbezügliche Innovation des Jesaja (oder seiner Redaktoren) spricht also weiterhin, dass sie nicht entfaltet wird und den Lesern hinterrücks untergeschoben würde. Die Annahme verschiedener möglicher Referenzen vermeidet die Probleme: weil JHWH, der Gott Israels, gleichermaßen der Gott von Nordreich und Südreich ist und beide „Israel“ sind, gilt sein Wort gleichermaßen für beide Teile Israels bzw. „beide Häuser Israels“ (8,14). 231 Die Mehrdeutigkeit sowie weite Verwendung des Israel-Begriffs sind daher nicht das Ziel der Argumentation, sondern ihre Voraussetzung. Sie stehen somit nicht am Ende, sondern bereits am Anfang des Werdens des Jesaja-Buches. (ad b) Die Untersuchung der zeitnah entstandenen Komposition Mi *1– 3 bestätigt das an Proto-Jesaja erhobene Bild. Auch hier zeigen sich für den Israel-Namen mehrfache Referenzen: „Israel“ kann zum einen das (ehemalige) Nordreich bezeichnen, daneben aber auch in einem weiteren Sinne als Bezeichnung einer Größe dienen, die weder mit dem Nordreich noch dem Südreich zu identifizieren ist, sondern beide umfasst. Diese Verwendungsweise ist in Mi 1,5a greifbar. Auf dieser Basis fungiert ישׂראל schließlich auch bei Micha als alternative Bezeichnung Judas (Mi 1,13–15; 3,1.8f.), insbesondere dann, wenn die gemeinsame Geschichte beider Reiche (vgl. die gemeinsame Bedrohung durch die Assyrer in Mi 1–3) in den Blick kommt. Indizien dafür, dass dieser Sprachgebrauch eine Neuerung darstellen könnte, fehlen auch hier. Ein weiterer Hinweis auf die Mehrdeutigkeit des Namens sind auch hier die Anzeichen einer bewussten Disambiguierung. Sie ist in Mi 1–3 dadurch gegeben, dass dort, wo spezielle Aussagen über das Südreich allein getroffen werden sollen, das in dieser Hinsicht eindeutige „Juda“ erscheint. 231 So kann Jesaja z.B. auf Amos zurückgreifen und dessen im Nordreich gesprochene Gerichtsworte auf Juda beziehen; vgl. BLUM, Jesaja.
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C. Synthesen: Das Stämmevolk Israel
Die Verwendungsweise des Israel-Namens bei Proto-Jesaja stellt somit auch innerhalb der zeitgenössischen prophetischen Literatur keinen Sonderweg dar. Sie ist daher auch keine Neuerung, sondern ein Beleg für die semantischen Möglichkeiten, die dem Israel-Namen im judäischen Sprachgebrauch des späten 8.Jh.s eigneten. 2.1.3 Weite und enge Verwendung „Israels“ in nord-israelitischen Texten Die untersuchten Texte aus den Erzelternerzählungen (Gen 29f. sowie die Josephsgeschichte) sind eher im Blick auf die Israel-Konzeption als die Israel-Semantik einschlägig. Die auf den Erzvater focussierte individuelle Verwendungsweise innerhalb von Gen 12–50 ergibt sich notwendig aus der Textfiktion. Eine kollektive Größe „Israel“ scheint lediglich in der ätiologischen Notiz Gen 32,33, in den Rückblicken Gen 36,31; 47,27 sowie im Kontext der Stammessprüche von Gen 49 (v. 7.16.28) durch. Gen 49 setzt in der vorliegenden Komposition zweifellos ein in zwölf Stämme gegliedertes Gesamt-Israel voraus. Die Referenz des Israel-Namens an den übrigen drei Stellen, bleibt weitgehend unbestimmt. Aufschlussreich ist jedoch die Verwendung von ישׂראלin Hos 5,1–6,6. Der Abschnitt bildet eine zusammenhängende argumentative Einheit, die nord-israelitischen Adressaten die Erfolglosigkeit ihrer Suche nach JHWH sowie die Unausweichlichkeit und Notwendigkeit des Gerichts als letztes Mittel zur Umkehr vor Augen stellt. Entfaltet wird die Botschaft vor dem historischen Hintergrund der letzten Jahre des Nordreichs Israel. Der Prophet greift dazu auf die Geschehnisse im sog. syrisch-ephraimitischen Krieg (5,1.8.11.13) und auf seine eigene frühere Verkündigung im Krieg (5,8) zurück. Bezüglich des Israel-Namens werden in Hos 5,1–6,6 verschiedene semantische Möglichkeiten realisiert. „Israel“ kann sowohl das Nordreich (5,1.3.5) als auch Gesamt-Israel (5,9) bezeichnen. Die Disambiguierung erfolgt durch den Kontext, konkret dadurch, dass in 5,9ff. für das Nordreich durchgängig „Ephraim“ (im Gegenüber zu Juda) steht, das schon zuvor (5,3–7) über die Beiordnung zu „Israel“ in synonymen Parallelismen als alternative Bezeichnung für das Nordreich eingeführt worden war. Auch wenn hier der engere Gebrauch des Israel-Namens mit Bezug auf das Nordreich der vorherrschende und innerhalb des Textes auch durch 5,1ff. vorgegeben ist, und der Wechsel der Verwendungsweise infolgedessen für die weitere Referenz angezeigt werden muss, wird letztere nicht als Neuerung eingeführt. Dass die Rezipienten „Juda“ und „Ephraim“ als שׁבטי ישׂראלidentifizieren (und darüber hinaus „Ephraim“ wohl auch als Repräsentanten einer größeren Zahl nord-israelitischer Stämme deuten) können, zählt zu den Präsuppostionen innerhalb von Hos 5,1ff. ישׂראלals Bezeichnung Gesamt-Israels in Hos 5,9 bildet zusammen mit der inhaltlichen Parallelführung des Ergehens von Nord-Israel und Juda somit einen – freilich im Hoseabuch singulären – Reflex einer
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
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gesamt-israelitischen Verwendungsweise des Israel-Namens im Nordreich des ausgehenden 8. Jh.s. 2.2 Die konzeptionelle Frage: Grundzüge eines gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins vor 720 2.2.1 Problemanzeigen zur Forschungsdiskussion Israel wird in den Erzelternerzählungen als ein Stämmevolk dargestellt, und viele andere Texte setzen diese genealogische Konstruktion voraus; das ist unstrittig, ja vielmehr ein Gemeinplatz innerhalb der alttestamentlichen Forschung. In der aktuellen Diskussion zu den Grundlagen des israelitische Gemeinbewusstseins in vorexilischer Zeit spielt das genealogische Konzept dennoch bestenfalls eine Nebenrolle. Diese Schwerpunktsetzung hat ihre Vorläufer in der älteren Forschung, die in Folge der Einsicht, dass die abstammungsmäßige Verbundenheit kein biologisches bzw. historisches Faktum darstellt, entweder die religiöse oder die politisch-territoriale Grundlage eines israelitischen Gemeinbewusstseins betonte. Während bis in die 80er Jahre des 20. Jh. der Focus eher auf der religiösen Fundierung lag, ist in der aktuellen Debatte eine Konzentration auf die politisch-territorialen Gegebenheiten festzustellen, die für die Herausbildung eines israelitischen Gemeinbewusstseins in Anschlag gebracht werden. Der Trend zur Marginalisierung der genealogischen Konstruktion hat sich zudem in neuerer Zeit durch eine bestimmte Aufnahme des diskursiv-konstruktivistischen Zugangs zum Phänomen der Ethnizität innerhalb der Ethnologie bzw. Soziologie noch verstärkt. 232 Diese Weichenstellung ist jedoch nicht unproblematisch, denn sie geht mit einer Reihe von unhinterfragten Voraussetzungen und mancherlei Engführungen einher. 2.2.1.1 Innovation und Implementierung In zahlreichen neueren Studien dominiert eine stark relativistische Betrachtung ethnischer Konstruktionen insgesamt bzw. genealogischer Systeme im besonderen, die innerhalb der breiteren Debatte in der Ethnologie eher eine Extremposition darstellt.233 Als „bloße“ Konstruktion verstanden werden genealogische Systeme dabei zumeist als Chiffre für ein religiös fundiertes Gemeinbewusstsein, als Ersatz für staatliche Strukturen, als Gegenmodell bzw. Idealbild o.ä. charakterisiert. Dabei besteht die Gefahr der Verwechslung von kritischer Außenwahrnehmung und Binnenperspektive, in der sich die Mitglieder des Kollektivs der Relativität der Konstruktion i.d.R. nicht bewusst sind (und nicht bewusst sein dürfen), soll diese ihre gemein232 233
Zur Forschungsdiskussion vgl. auch oben S. 25ff. Vgl. dazu KOHL, Ethnizität, 283ff., sowie oben S. 42f.
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C. Synthesen: Das Stämmevolk Israel
schaftsstiftende bzw. -erhaltende Funktion erfüllen. Werden zudem v.a. innerisraelitische bzw. innerjudäische Faktoren für die Herausbildung ethnischer Konstruktionen in Anschlag gebracht, gerät darüber hinaus der v.a. für F. Barth u.a. grundlegende Faktor der Fremdwahrnehmung bzw. Opposition für die Herausbildung des Wir-Gefühls aus dem Blick. Beide Faktoren machen es aber unwahrscheinlich, dass sich die vorliegende Ausgestaltung des primordialen Codes als Stämmesystem auf gelehrte Schreibstubenarbeit zurückführen lässt, die im Dienste einer wie auch immer zu bestimmenden Ideologie als Selbstverständnis Israels nicht nur entwickelt sondern auch implementiert wurde. Bezeichnenderweise spielt die Frage, wie sich ein derartiger neuer Code durchgesetzen konnte, in den einschlägigen Studien keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Sie ist jedoch zentral und insbesondere dann virulent, wenn der primordiale Code in Diskontinuität zu anderen älteren Israel-Konzeptionen gesehen wird. Für die Herleitung des Zwölf-Stämmesystems aus der nachexilischen Zeit hatte sich bereits die Problematik der mangelnden Situationsangemessenheit dieses Codes bezüglich der Verhältnisse der Perserzeit gezeigt (vgl. S. 293ff.). Ist aber schon die Herleitung schwierig, so gilt dies ebenfalls für die Frage, warum sich eine derartige Codierung in jener Zeit durchgesetzt haben und zur neuen Basis des Gemeinbewusstseins geworden sein sollte. R. Albertz, der das Stämmesystem für eine perserzeitliche Bildung hält, möchte die Schwierigkeit durch die Annahme umgehen, dass hier Reminiszenzen an die Verhältnisse der vorstaatlichen Zeit reaktiviert würden. 234 Diese müssten aber viele Jahrhunderte im Untergrund überdauert haben, um nun als Anker für die Durchsetzung eines „abstammungsmäßig-biologisch“ codierten Gemeinbewusstseins zur Verfügung zu stehen. Chr. Levin thematisiert die Frage erst gar nicht, und auch E.Th. Mullen oder P.R. Davies legen den Focus auf die Entstehung und die ihrer Ansicht nach relativ eng eingrenzbaren Trägerkreise hinter der Erfindung der Konstruktion, nicht aber auf ihre Implementierung in weiteren Teilen des Volkes. Gegen den Einwand, dass die Konzentration auf die Eliten als Trägerkreise dadurch zu rechtfertigen sei, dass der Niederschlag der Konstruktion eben in literarischen Zeugnissen und somit einem Produkt der Eliten vorliege, spricht der ebenso banale wie grundlegende Befund, dass die primordiale Codierung für das Volk Israel/das Judentum zu einer Konstituente des Selbstverständnisses geworden ist, sich also de facto – wann auch immer – durchgesetzt haben muss. Die Herleitung des primordialen Codes aus der Situation nach 720 ist mit vergleich baren Schwierigkeiten behaftet, denn um seine Situationsangemessenheit ist es hier kaum besser bestellt (dazu unten S. 368ff.). Wenn das Stämmesystem in dieser Zeit als Gegenoder Ersatzmodell zur verlorenen staatlichen Ordnung (so R.G. Kratz bzw. W. Oswald) oder als Idealbild Israels (U. Schorn) erst aufgekommen sein soll, 235 bleibt ebenfalls offen, warum es sich in Nord-Israel, insbesondere aber in Juda durchsetzen konnte. Kratz spürt das Problem sehr wohl und muss schließlich das Exil Judas zur Begründung heran ziehen (s.u. S. 363). Damit wird freilich die gesamte Epoche zwischen 720 und 597 (wenn nicht sogar mehr, wenn man Zeit für die theologische Reflexion des Exils einrech234 ALBERTZ, TRE Israel, 376. Auf vergleichbare Weise versuchten etwa L. Rost oder J. Høgenhaven die Verwendung des JHWH-Titels קדושׁ ישׂראלbei Jesaja zu erklären, dazu oben S. 224f. 235 Zu den Überlegungen von Kratz, Schorn und Oswald vgl. oben S. 34f. sowie 260f.
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
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net) zu einem „Schwebezustand“236 ohne eigenes Gewicht; das Ende des Nordreichs und das judäische Exil fallen, was die ideengeschichtlichen Auswirkungen betrifft, zu einem Ereignis zusammen. Schorn und Oswald gehen wie Albertz daher von einer bereits vorliegenden älteren Prägung der Gesellschaft durch genealogische Konstruktionen aus.
Wenn die Implementierung eines primordialen Codes aber nur auf der Basis bereits vorhandener segmentärer Strukturen plausibel gemacht werden kann, steht die Frage im Raum, wie diese aussahen und ob das Stämmesystem tatsächlich eine Innovation oder nicht vielmehr eine Aufnahme älterer Traditionen darstellt. 2.2.1.2 Staatsvolk, Gottesvolk und tertium non datur? Wenn in der aktuellen Debatte zur Semantik des Israel-Namens für ein historisches Nacheinander verschiedener eindeutiger Verwendungsweisen argumentiert wird, geht damit i.d.R. die Annahme einer analogen Abfolge entsprechender Israel-Konzeptionen einher. R.G. Kratz bringt die These auf den Punkt: Solange des Nordreich existierte, war Israel ein „Staatsvolk“, später entwickelte es sich zum „Gottesvolk“, d.h. zu einem Israel des „Bekennens und Glaubens“, dessen Gemeinbewusstsein ein Erwählungsbewusstsein gewesen sei.237 Kratz steht mit dieser Einschätzung selbstverständlich nicht allein. So urteilt E. Ben Zvi mit Bezug auf מלכי ישׂראלals Bezeichnung der Könige Judas in Mi 1,14, dass „Israel“, dort wo es nicht auf das Nordreich referieren könne, notwendig ein theologisches Konzept darstelle („But a text that calls them ‚the kings of Israel‘ strongly suggests to the audience that Israel is Judah, which means that Israel here cannot refer to the northern kingdom, but functions as a theological concept“). 238 J. Becker argumentiert umgekehrt, aber unter den gleichen Vorzeichen, zu Am 7,8; 8,2: da von einem Gottesvolk die Rede sei, könne „Israel“ hier nicht das Nordreich meinen, die entsprechende AmosVision sei mithin nachexilisch anzusetzen. 239 Auch die Debatte zwischen I. Finkelstein, N. Na'aman und W. Schütte läuft vor dem Hintergrund dieses gemeinsamen Vorverständnisses, entsprechend suchen sie jeder auf seine Weise als Basis für die Herausbildung eines gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins nach einer Epoche in der Geschichte Israels, in der Juda und Nord-Israel in einer politischen Größe vereint waren.240
Dahinter steht die Voraussetzung, dass die Verständnisse Israels als Staatsvolk, Gottesvolk oder Stämmevolk sich gegenseitig ausschließende Alternativen sind und sich die Frage ihres Verhältnisses zueinander bzw. der Möglichkeit einer Integration der einen Konzeption in die andere gar nicht erst stellt. Ihr Nebeneinander in den Texten des Alten Testaments wird vielmehr als Niederschlag verschiedener Konzeptionen erklärt, die sich sedimentartig im Kanon abgelagerten bzw. literargeschichtlich kumulierten und im Resultat auf semantischer Ebene zur Mehrdeutigkeit für „Israel“ in 236 237 238 239 240
KRATZ, Staat, 15. AaO., 5. BEN ZVI, Observations, 117; zu Mi 1–3 vgl. oben S. 227ff. BECKER, Prophet, 155–157. Dazu oben S. 17ff.
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C. Synthesen: Das Stämmevolk Israel
den Texten führten. Die Priorität liegt zumeist bei Israel als Staatsvolk, das Verständnis Israels als Gottesvolk oder Stämmevolk gilt demgegenüber als sekundär und erklärungsbedürftig. Wie das ‚Staatsvolk‘ genauer zu bestimmen ist, bleibt in der Diskussion relativ offen. R.G. Kratz betont zwar, dass es dabei „nicht um die dem alten Orient ganz fremde Vorstellung einer Identität von Nation und Staat im Sinne des 19. Jahrhunderts“ 241 gehe, rechnet aber damit, dass es in irgendeiner Form auch ein genealogisch fundiertes Gemeinbewusstsein gegeben habe.242 Er nähert sich somit dem Konzept eines Nationalstaats (oder Nationalitätenstaats?) an, lässt die Frage aber letztlich offen. P.R. Davies schließt dagegen ein ethnisches Gemeinbewusstsein völlig aus („So historical Israel is probably best defined by the historian as a state, i.e. a kingdom … This political entity lasted until 722 BCE, and did not have any distinctive ethnic identity, nor any religious unity.“ 243) und erklärt Israel zu einem reinen Territorialstaat, d.h. der Herrschaftsanspruch erstreckt sich anders als etwa im Personenverbands- bzw. Stammesstaat nicht über eine bestimmte Personengruppe, sondern über ein genau definiertes Gebiet. 244 Ob die Vorstellung eines Territorialstaats im alten Orient geläufig war (v.a. für einen Flächenstaat und nicht nur für ein Stadtkönigtum), wäre allerdings zu fragen. Ein Problem ist schließlich schon die Festlegung von Grenzen, für die sich nicht einfach moderne Maßstäbe übertragen lassen, die aber für Fragen der Zugehörigkeit zu einem Territorialstaat grundlegend ist. 245
a) Staatsvolk und Gottesvolk? Nun erweist sich aber die Annahme, dass ein Staatsvolk nicht zugleich ein „Gottesvolk“ sein könne, als problematisch – und zwar sowohl für Israel als auch für seine altorientalischen Nachbarn. Für Israel zeigt sich dies exemplarisch an der genannten These J. Beckers zu Am 7,8; 8,2: da „Israel“ hier als JHWH-Volk ( עמי ישׂראלin der Gottesrede) verstanden werde, könne nicht vom Nordreich die Rede sein, der Text sei daher nachexilisch anzusetzen. Hier geht es also noch nicht um die Problematik eines Juda einschließenden Israel-Verständnisses, sondern lediglich um das Nordreich Israel. Die beiden Belege finden sich im zweiten Visionenpaar des Visionenzyklus im Amosbuch. Sie sind zugleich die einzigen „Israel“-Belege in den Amosvisionen (daneben begegnet noch „Jakob“ in 7,2.5). Die Referenz des Israel-Namens in Am 7f. lässt sich daher nur im Zusammenhang mit der übergreifenden Frage nach dem Thema der Visionen insgesamt bestimmen. In der dritten und vierten Vision wird dem Propheten jeweils ein Bild vor Augen gestellt, das sich nicht von selbst erklärt. Sowohl das Zinn als auch der Erntekorb können sowohl positiv als auch negativ konnotiert sein. 246 Die am Ende beider Visionen stehende KRATZ, Staat, 4. AaO., 5. 243 DAVIES , Search, 66 sowie 73. 244 Zum Nationalstaat bzw. dem Prinzip der Territorialität als Fundament des Herrschaftsanspruchs vgl. die einschlägigen Definitionen bei NOHLEN, Lexikon, 412 bzw. 644. 245 Zum Problem der Festlegung und Rekonstruktion von Grenzen vgl. die Diskussion zum perserzeitlichen Jehud bei CARTER, Emergence, 75ff. 246 Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund ausführlich RIEDE , Erbarmen, 105–148. 241 242
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
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Gottesrede, löst die Ambiguität auf und kündigt JHWHs Eingreifen an. Damit ist ein Zusammenhang zum ersten Visionenpaar hergestellt, in dem das Eintreffen der jeweiligen Bedrohung noch durch die Fürbitte des Propheten abgewendet werden konnte. Die Bilder selbst zielen auf ein vollständiges „Ende“ Israels (vgl. das Wortspiel קיץbzw. קץin Vision 4).247 Der Focus liegt aber stärker noch als auf der Ankündigung des Gerichts auf der Feststellung, dass JHWH selbst dieses Gericht initiiert. 248 Eine Deutung des Visionenzyklus 249 als vaticinium ex eventu ist nun schon deswegen schwierig, weil das Gericht in der implizierten Totalität 250 niemals eingetreten ist – unabhängig davon, ob man es auf das babylonische Exil oder den Untergang des Nordreichs beziehen möchte. In jedem Fall wäre es schwierig, sich Tradenten vorzustellen, die sich selbst als „Israel“ verstehen und mit dem Wort vom קץ אל עמי ישׂראלrückblickend die eigene Geschichte gedeutet haben sollten, insbesondere dann wenn mit עמי ישׂראלnicht das Nordreich als staatliche Größe, sondern das Gottesvolk gemeint ist. 251 Stimmiger scheint es, sich die Worte an Adressaten gerichtet vorzustellen, die mit dem bevor stehenden Eintreffen des Gerichts rechnen mussten (bzw. rechnen sollten, sofern der Autor der Visionen in seiner Einschätzung von der allgemeinen Meinung abweicht).252 Damit kommen am ehesten nord-israelitische Adressaten in den letzten Jahren des Nordreichs oder aber Judäer gegen Ende des 8. Jh.s oder kurz vor dem Ende des Südreiches in Betracht. Für erstere spricht die literarhistorische Stratigraphie von Am 7f. 253 Sowohl die dritte als auch die vierte Vision sind jeweils mit einer nachträglichen Deutung versehen, die sie nun tatsächlich als ein vaticinium ex eventu konkretisieren und auf ein historisches Ereignis beziehen, wobei es sich nach Am 7,9 wohl um das Ende des Nordreichs handelt. 254 Am 8,3 zeigt in der Bildsprache eine große Nähe zu Am 6,9f. bzw. Jes 5,25, die jeweils auf die Gräuel bei der Eroberung Samarias anspielen. Waren nun die Visionen ursprünglich für judäische Adressaten bestimmt, wann und wozu sollten sie nachträglich auf das Damit liegen die dritte und vierte Vision auf der Linie der ersten beiden Visionen, die die Vernichtung der Existenzgrundlagen Nahrung und Wasser beschreiben, vgl. RIEDE, Erbarmen, 34–80; WASCHKE , Anmerkungen, 425. Für die Dramatik des gesamten Zyklus ist dabei zu beachten, dass es sich beim ersten Visionenpaar zunächst um „als Möglichkeit vorgestellte Vorgänge“ handelt (BLUM, Prophetie, 106, Hervorhebung i.O.), die durch die Fürbitte des Propheten (noch) abgewendet werden. 248 Das zeigt sich schon im durch die wörtliche Wiederholung betonten Schlusssatz לא אוסיף עוד עבור לו, durch den das Gericht zudem in eine unmittelbare zeitliche Nähe rückt. Vgl. BLUM, ebd.; RIEDE, aaO., 156f. 249 Die viel diskutierte Frage, ob die fünfte Vision ursprünglich zum Visionenzyklus gehörte oder eine nachträgliche Erweiterung darstellt, sei hier einmal ausgeklammert (letzteres wird in der aktuellen Diskussion u.a. von WASCHKE , Vision; BERGLER, Mauer; BECKER, Prophet; BEHRENS, Visionsschilderungen, 77–104; GERTZ, Gerichtsankündigung, und KÖHLMOOS , Amos, vertreten). Gehört sie zum ursprünglichen Bestand, wofür m.E. gute Argumente sprechen (vgl. grundlegend GESE, Komposition, 95–105; JEREMIAS, Völkersprüche; JEREMIAS, Rezeptionsprozesse, sowie ATD; SCHART, Entstehung, 84–86; BLUM, Prophetie, 106, Anm. 130; RIEDE, Erbarmen, 171ff.277ff.), verschärft sich das Problem noch, da 9,1–4 eindrücklich die vollständige Vernichtung aussagen. 250 Vgl. WASCHKE , Anmerkungen, 429: „An keiner anderen Stelle des Amosbuchs ist das Ende Israels so radikal definiert wie im Ablauf der vier Visionen.“ Zu den sich daraus ergebenden Aporien vgl. BLUM, Prophetie, 98 mit Anm. 99. 251 B ECKER , Prophet, 155–157. 252 Zur Begründung vgl. auch GERTZ , Gerichtsankündigung, 166–168, sowie B LUM , Prophetie, 106f. 247
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Nordreich bezogen worden sein? In nachexilischer Zeit hätte es einer Bestätigung der prophetischen Gerichtsankündigung mittels einer weit hergeholten Reminiszenz an den Untergang des Nordreichs wohl kaum bedurft, da lag anderes näher. Am Ende des 8. Jh.s blieb das von prophetischen Kreisen erwartete Gericht aus, die Gerichtsbotschaft hätte sich auch nicht durch den Rückgriff auf 720 bewahrheiten lassen. Auf der anderen Seite ist es sehr gut vorstellbar, dass judäische Tradenten, die die Verkündigung des „Amos“ nach 720 aufgriffen und ihre Relevanz für Juda herausstellen wollten (diese Bemühungen sind in einem frühen Stadium auch in 6,1–7 und möglicherweise 7,10–17 greifbar 255), ein Interesse daran hatten, die Wirkmächtigkeit des von Amos im Norden verkündeten JHWH-Wortes durch das Eingetroffensein des zuvor angekündigten Gerichts zu erweisen. In diesem Fall entfällt die Annahme einer umdeutenden Relecture der Visionen vom Südreich hin zum Nordreich, vielmehr bezeugen die Fortschreibungen selbst den ursprünglichen Adressatenbezug der Visionen zu Nord-Israel.
Führt aber die nachexilische Ansetzung dieser Stelle in Aporien und ist die Vision daher an nord-israelitische Adressaten gerichtet, zeigt sich, dass diese als JHWH-Volk angesprochen sind. Die Bevölkerung des Nordreichs ist somit zugleich ein Gottesvolk.256 Dass ein Volk neben seiner ethnischen oder territorialen Verfasstheit auch durch eine besondere Verbindung zu einer bestimmten Gottheit gekennzeichnet sein konnte, ist über das Alte Testament hinaus im Alten Orient auch anderweitig belegt.257 E. Blum hat diesbezüglich auf die Meschastele 258 aufmerksam gemacht.259 In der gebotenen Darstellung des Konflikts zwischen Israel und Moab agiert Kamosch als Gott Moabs, während als Gott Israels JHWH genannt ist (Z. 18). In Z. 5f. wird die Unterdrückung 253 R IEDE , Erbarmen, 109f.146, argumentiert ebenfalls für eine frühe Entstehung. Er sieht in der Verwendung des akkadischen Lehnwortes אנךfür Zinn ein Indiz dafür, da hier nicht das in späterer Zeit gebräuchliche בדילverwendet werde. Zudem vermutet er hinter dem Wortspiel zwischen אנךund „ אנכיeine spezifische Ausprägung der Nordreichtheologie …, die das göttliche Ich betont herausstellt“ (aaO., 124). Allerdings ist über beide Argumente keine sichere Datierung zu erreichen: אנךlässt als Hapax legomenon in Am 7,7f. kaum Rückschlüsse über den allgemeinen Sprachgebrauch zu, zumal es hier mit großer Wahrscheinlichkeit wegen des genannten Wortspiels zur Anwendung kam und daher u.U. dem gebräuchlicheren בדילvorgezogen wurde. Für das zweite Argument benennt Riede eine der Schwierigkeiten selbst: das Wortspiel wird anders als in der vierten Vision nicht ausgeführt (aaO., 125). Ob ein bloßes אנכיJHWHs ausreicht, um möglicherweise geprägte Wendungen im Stile von Gen 31,13 oder Hos 12,10 zu assoziieren, erscheint fraglich. 254 Ist mit LANG , Gott, 189, anzunehmen, dass 7,9 eine kompositionelle Brücke zu 7,10–17 schlägt? Die zahlreichen Bezüge zwischen beiden Texten sind bekannt (vgl. die Zusammenstellungen bei UTZSCHNEIDER, Amazjaerzählung, 84f.; RIEDE, Erbarmen, 285f.) und sprechen dafür. Dann wäre freilich zu erwägen, ob mit dem Schwert, das über בית ירבעםkommt, nicht nur auf die Ablösung der Jehu-Dynastie Bezug genommen wird, sondern das Ende des nord-israelitischen Königtums insgesamt im Blick ist. 255 Zu Am 6,1–7 vgl. BLUM , Amos; zu 7,10–17 u.a. RIEDE, Erbarmen, 294. 256 Ähnliches findet sich auch im Deboralied (Jdc 5,11.13), wohl ebenfalls auf NordIsrael bezogen. Die Datierung des Textes ist allerdings hochgradig umstritten, dazu S. 372 Anm. 331.
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
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Moabs durch Omri von Israel damit begründet, dass Kamosch über sein Land gezürnt hatte ()כי יאנף כמשׁ בארצה. „Land“ steht hier metonymisch für die Bevölkerung, über die Mescha als König herrscht.260 Moab ist somit sowohl Staatsvolk in Meschas Königreich als auch das Gottesvolk des Gottes Moab. Entsprechend können die Moabiter im Alten Testament auch als ( עם כמושׁNum 21,29; Jer 48,46) bezeichnet werden. Als vergleichbare ‚Nationalgottheiten‘ nennt A. Lemaire die Hauptgötter der Nachbarvölker Ammon (El/Milkom) sowie Edom (Qaus). Auch wenn die Bezeichnung dieser Völker als Volk der jeweiligen Gottheit epigraphisch nicht belegt ist und Lemaire die besondere Beziehung vorrangig aus den den theophoren Elementen im Onomastikon erschließt, kommt er zu dem Ergebnis: „Au total, il apparaît que les religions transjordaniennes étaient caractérisées par la primauté accordée à une divinité nationale: Milkom en Ammon, Kamosch en Moab et Qôs en Edom … Bien que la survivance de traditions cananéens du IIe millénaire av. n. è dans cette région ne puisse être totalement écartée, ce culte de la divinité nationale semble avoir été monolâtrique ou quasi-monolâtrique.“ 261
b) Staatsvolk und Stämmevolk? In der gängigen Verhältnisbestimmung von tribaler Israel-Konzeption und staatlicher Verfasstheit findet die stark relativistische Betrachtungsweise der genealogischen Konstruktion in besonderer Weise Ausdruck. Sie führt dazu, dass der genealogischen Konstruktion gar nicht erst zugetraut wird, selbst eine Basis für ein Gemeinbewusstsein darzustellen bzw. wenn, dann nur übergangs- oder ersatzweise, bis mit staatlichen Strukturen (wieder) eine „organische“ Basis262 für den Zusammenhalt etabliert ist. Nun ist genealogisches Denken als praktisch orientierendes Alltagswissen v.a. in segmentären Gesellschaften anzutreffen und wird daher in der ethnologischen Feldforschung v.a. an existenten Stammesgesellschaften untersucht.263 Daraus aber abzuleiten, dass mit dem Aufkommen staatlicher Strukturen genealogische Konstruktionen notwendig an Bedeutung verlören, widerspricht dem empirischen Befund. In einem Zeitalter, das zahlreiche ethnische Konflikte kennt, überrascht diese Einschätzung geradezu. In vielen Teilen der Welt zeigt sich eine erstaunliche (und oftmals konfliktträchtige) Persistenz genealogisch codierter Gemeinschaftlichkeit, die selbst 257 Die These von LORETZ, Einzigkeit, 89f., wonach die „in der Bibel vorgestellte Verbindung eines Gottes mit einem einzelnen Volk … eine Besonderheit der israelitischjüdischen Geschichte“ und im Alten Orient analogielos sei, ist daher möglicherweise zu einfach. Die einschlägige religionsgeschichtliche Diskussion kann hier freilich nicht aufgenommen werden. 258 Text: KAI 181; Übersetzungen: TUAT I, 646–650; WEIPPERT, Textbuch, 245–248. 259 B LUM , Prophetie, 104. 260 Zur Begründung ebd. mit Anm. 122. 261 LEMAIRE , Déesses, 144f. Auf Lemaire aufbauend ähnlich auch K EEL, Geschichte, 212. 262 So schon WELLHAUSEN , Geschichte Israels, 16; ähnlich auch NOTH , System, 30f. 263 Vgl. etwa die bei S IGRIST & N EU , Texte, gesammelten Studien. Zu Gestaltung, Funktion und Fluidität von (biblischen) Genealogien vgl. auch WILSON , Genealogy, sowie LEVIN, Understanding, jeweils mit weiterer Literatur.
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dann, wenn sie – wie in in manchen Fällen in Afrika und Asien – nachweislich auf Betreiben der Kolonialmächte an Bedeutung gewann, nachhaltig wirksam ist und durch entsprechend verlaufende Loyalitäts- oder Konfliktlinien die gegenwärtige Entwicklung prägt.264 Ein Beispiel mit trauriger Berühmtheit ist sicher die Auseinandersetzung zwischen den Hutu und Tutsi in Ruanda. Die Unterscheidung zwischen beiden Bevölkerungsgruppen nahm erst in der Zeit der belgischen Kolonialherrschaft nach 1916 den Charakter einer ethnischen Differenz an, wobei die Rückführung der Tutsi auf eine überlegene „hamitische Rasse“ durch europäische Missionare und Regierungsbeamte, die aus politischen Interessen die Differenz beider Gruppen betonten, eine primordiale Codierung der jeweiligen kollektiven Identität mit entsprechenden Grenzkonstruktionen begünstigte. Die in vorkolonialer Zeit noch fluktuierenden Grenzen wurden damit undurchlässiger und das jeweilige Wir-Gefühl über eine stärkere Abgrenzung gegen die andere Gruppe gestärkt, bis hin zum gewaltsamen Konflikt von 1994. 265 Ein weiteres Beispiel bieten die Untersuchungen, die Ø.S. LaBianca im Kontext des archäologischen Madaba Plains Project zu Stammesstrukturen und zum Nahrungsmittelsystem in jordanischen Dörfern durchgeführt hat.266 Er notiert eine Zusammenhang zwischen der stärken Fixierung genealogischer Strukturen und der Sesshaftwerdung bzw. der Verlagerung der landwirtschaftlichen Aktivitäten zum Ackerbau, während genealogische Systeme in Gruppen mit nomadischer Lebensweise tendenziell eine größere Fluidität aufweisen. Die bleibende Bedeutung von Stammesstrukturen sei davon aber nicht berührt: „Thus, for more than two and a half millenia, Transjordan was ‚ruled‘ – with extremely varying degrees of effectiveness – from Persia, Rome, Constantinople, Damascus, Cairo, Baghdad and Istanbul. Against the backdrop of these transient and mostly externally imposed supra-tribal policies, tribalism has provided a highly flexible system of local level political organization … Tribalism – based as it is on the principle of lineal descent – has provided a system of local-level political organization that has served the interests of those investing in crops as well as those investing in pasture animals.“267
Insofern ist es nicht angezeigt, die genealogische Basis des israelitischen Gemeinbewusstsein von vornherein als ein obsolet gewordenes Erbe aus der vorstaatlichen Zeit beiseite zu schieben.268 Vielmehr entspricht im Sinne der von C. Geertz u.a. herausgearbeiteten und vielfältig belegten Langlebigkeit genealogischer Konstruktionen auch über Phasen politischer Umbrüche hinweg, die Einschätzung von N.P. Lemche dem zu erwartenden Normalfall: „The ordinary Israelite continued primarily to belong to his tribe, and it was to him only of secondary importance that he also was a member of an Israelite state. His relationship to the leadership of the state, that is, to the king and the central administration, was a factor in his existence which played a far smaller part in things than did his relations to his lineage and his fellow tribesmen. If latent conflicts broke out, the line along which Dazu GEERTZ, Revolution, sowie KOHL, Ethnizität, mit zahlreichen Beispielen. Zu Geschichte und Hintergründen des Konflikts vgl. BEHREND & MAEILLASSOUX , Krieg, sowie HARDING , Ruanda, 266 LA BIANCA , Sedentarization; eine Kurzfassung der Ergebnisse bietet LAB IANCA , Fluidity. 267 LA BIANCA , Fluidity, 212. 264 265
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
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the society would have cleaved would probably have followed the actual relationships among the tribes.“269
Damit ist freilich impliziert, dass die genealogische Konstruktion tatsächlich ältere Wurzeln hat als die historisch greifbare Existenz Israels als staatliche Größe (dazu i.F.). Dass genealogische Konstruktionen und staatliche Strukturen nebeneinander existieren können, heißt jedoch nicht, dass sie im Blick auf die jeweiligen Grenzziehungen etwa im Sinne des im 19. Jh. aufgekommenen Modell des Nationalstaats deckungsgleich sein müssen. Die moderne Staatstheorie trägt dem Umstand durch die Unterscheidung von Nationalstaat und Nationalitätenstaat Rechnung, die auf die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung (eine Ethnie oder mehrere Ethnien innerhalb eines Staatsgebildes) bezogen ist.270 Für den alten Orient liefert mit Aram wiederum ein Nachbar Israels ein Beispiel dafür, dass ein auf ethnische Verbundenheit gegründetes Gemeinbewusstsein kleinteiligere staatliche Strukturen überspannen konnte. Aus den altorientalischen Quellen ist eine Reihe verschiedener aramäischer (Stadt-) Staaten wie Samʾal, Bit-Agusi/Arpad, Hamat, Bet-Rehob/Zoba oder Damaskus bekannt.271 Im Alten Testament werden sie häufig mit dem Zusatz ארםversehen (ארם בית רחובa2Sam 8,5; ארם דמשׁקund ארם צובאa2Sam 10,6). Daneben werden auch ( ארם נהריםGen 24,10; Dtn 23,5; Jdc 3,8; 1Chr 19,6; Ps 60,2) und ( פדן ארםGen 25,20; 31,18; 33,18; 35,9. 26; 46,15) genannt. Hier ist eine Wahrnehmung gespiegelt, die diese Orte und Gebiete einer durch den Oberbegriff ארםidentifizierten größeren Gemeinschaft zuordnet.272 Ver268 Dagegen schon B LUM , Komposition, 488f., unter Rückgriff auf CRÜSEMANN , Widerstand, 205ff. Crüsemann argumentierte gegen die Hypothese, dass genealogisches Denken nur in nomadischen Gesellschaften bedeutsam sei und findet in der „segmentären Gesellschaft“ ein „gesichertes Gesamtmodell vorstaatlich-agrarischer Gesellschaften … und damit freigesetzt von an Staatlichkeit gewonnenen normativen Denkmodellen von Gesellschaft überhaupt“ (206). Bei Blum ergibt sich schon durch die historische Ansetzung der Erzelternerzählungen in der Königszeit, dass er von einer bleibenden Bedeutsamkeit genealogischer Konstruktionen auch neben staatlichen Strukturen ausgeht. Auch KRATZ, Staat, 5, rechnet mit einem durch „ethnische Verbundenheit, Geographie, Lebensweise und Religion, gemeinsame wirtschaftliche und politische Interessen“ bedingten „Gemeinbewußtsein unter einzelnen Sippen, Stämmen oder Regionen“, das neben den staatlichen Strukturen existiert habe. Als Ausdruck eines gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins komme es jedoch nicht in Frage; schließlich sei es „nicht festgelegt, son dern flexibel“ gewesen. Zudem habe noch ein „übergeordneter Volksbegriff“ sowie das Bewusstsein, dass die „verschiedenen Menschengruppen in Palästina eine höhere Einheit“ darstellten, gefehlt. Diese Bestimmung bleibt ebenso allgemein wie vage, Belege werden nicht genannt. 269 LEMCHE , Ancient Israel, 138. 270 Vgl. NOHLEN , Lexikon, 691f. 271 LIPIŃSKI , NBL Aramäer, Sp. 147; zu den Beziehungen zwischen Aram und Israel, vgl. LIPIŃSKI, TRE Aramäer und Israel, sowie PITARD, ABD Aram, jeweils mit weiterer Literatur. 272 Dazu passt auch, dass sie sich z.B. gegenseitig im Krieg helfen (2Sam 8).
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C. Synthesen: Das Stämmevolk Israel
gleichbares ist auch in assyrischen Quellen zu finden. So werden auf einer im Iran gefundenen Stele Tiglat-Pilesers III die „Könige … von Aram am Ufer des Meeres“ genannt und Aram ebenfalls als Oberbegriff verwendet.273 Nimmt man die im Text der Sefire-Stele belegte Selbstbezeichnung ( ארם כלהSf IA, Z. 5) hinzu,274 spricht einiges für ein aramäisches Gemeinbewusstsein, das die einzelnen staatlichen Entitäten als Teile einer größeren Einheit sah. In diesem Sinne hat B. Mazar als Hintergrund der Bezeichnung „ אר ם כלהan accepted ethnic-territorial concept in Syria“275 vermutet.276 Wie dieses konstruiert war, ist mangels einschlägiger Quellen kaum noch festzustellen. „Ober-“ bzw. „Unteraram“ (Sf IA, Z. 6) als Teilbereiche von ארם כלה sind wahrscheinlich territoriale Angaben. 277 Bezeichnungen wie ( בית גשׁSf IIB, Z. 10) im Wechsel mit ( בני גשׁSf IB, Z. 3) lassen immerhin vermuten, dass hier für Arpad als Untereinheit von ארם כלהeine genealogische Verbundenheit vorausgesetzt ist. Kann man daraus auch auf die größere Einheit schließen? Unabhängig davon, ob man eher traditionale (gemeinsames Territorium, Sprache, Kult) oder primordiale (Abstammung) Codierungen als Grundlage eines aramäischen Gemeinbewusstseins annimmt, über die Rede von ארם כלהist belegt, dass ein solches 273 Text: TADMOR , Inscriptions, 106–109 (Stele IIIA, Z. 1); Übersetzung: TUAT I, 378. In älteren Inschriften findet sich auch die Bezeichnung māt A-ri-mi mit Landesdeterminativ für ein Gebiet am oberen Habur, Belege bei LIPIŃSKI, NBL Aramäer, Sp. 147. 274 Text bei F ITZMYER , Inscriptions, 42ff.; KAI 222. Vgl. auch oben S. 48. 275 M AZAR , Empire, 119. Auch Mazar kann sich ein solches nur vor dem Hintergrund einer staatlichen Einheit der aramäischen Gebiete erklären, die er in einem im 9. Jh. v.Chr. von Ben Hadad II gegründeten „Aramean Empire“ mit der Hauptstadt Damaskus vermutet (112), das zwar zur Zeit der Sefire-Stele (ca. 745 v.Chr.) nicht mehr bestand, aber trotzdem die Selbstwahrnehmung der Aramäer nachhaltig geprägt habe: „An impressive phenomenon in the history of the Arameans in Syria is their tradition of unity and distinctiveness, which remained unimpaired even in their period of decline, when they split up into small kingdoms and northern Syria replaced Damascus as the center of importance“ (116). 276 Diese Annahme ist in neuerer Zeit von GROSBY, ’Aram Kulloh, mit dem Argument bestritten worden, dass es Hinweise auf territoriale Heterogenität, Grenzstreitigkeiten und sogar feindliche Auseinandersetzungen unter den einzelnen aramäischen Staaten gebe und sich darin ein „apparent lack of the relative uniformity characteristic of a nation“ (155) zeige. Wenn es ein gesamt-aramäisches Selbstverständnis gegeben habe, könne dieses nur „subordinate to the various, heterogeneous traditions of city-kingdoms“ gewesen sein, die jeweils auch „heterogeneous structures of kinship“ aufgewiesen hätten (156). Gemeinschaftliche Elemente findet Grosby daher primär im gemeinsamen Territorium, im gemeinsamen Widerstand gegen die Assyrer sowie der gemeinsamen Verehrung des Gottes Hadad. Diese Elemente und dabei vorrangig das gemeinsame Territorium seien zur „basis of the fiction of being related by blood“ (163) geworden. Grosbys These ist in zweifacher Hinsicht zu hinterfragen. Zum einen kann es feindliche Auseinandersetzungen auch innerhalb ethnischer Gruppen geben, sie sind mithin kein hinreichender Beleg für „heterogeneous structures in kinship“. Zum anderen zeigt der Ansatz die hier im Blick auf das Verständnis Israels als Stämmevolk diskutierte methodische Problematik, dass genealogische Konstruktionen von vornherein lediglich als Ausdruck anders fundierter Gemeinschaftlichkeit disqualifiziert werden. 277 Die genaue Lokalisierung bzw. die Grenzziehungen sind nicht sicher, vgl. dazu bereits ALT, Staatenwelt, 254, Anm. 2; FITZMYER, aaO., 67f., sowie GROSBY, ’Aram Kulloh, 151, jeweils mit weiterer Literatur.
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
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gegeben hat und dass es nicht deckungsgleich mit den deutlich kleinteiligeren staatlichen Strukturen war.
2.2.1.3 Konsequenzen Insgesamt erweist sich die Marginalisierung der tribalen Israel-Konzeption somit als problematisch. Sowohl die These, diese sei ein funktionsloses Relikt aus einer nomadischen Vorzeit als auch die Auffassung, Israel habe sich über sie in Reaktion auf ein bestimmtes historisches Ereignis oder eine gesellschaftliche Konstellation als Stämmevolk quasi neu erfunden, basieren auf unhinterfragten, aber letztlich nicht haltbaren Voraussetzungen. Daher ist neu zu bedenken, ob diese primordiale Codierung als Basis für ein israelitisches Gemeinbewusstsein in Frage kommt. Den Einsichten F. Barths folgend, ist dabei die Frage der Grenzkonstruktion entscheidend: Was einen Israeliten zum Israeliten bzw. einen Nicht-Israeliten zum NichtIsraeliten macht, gibt darüber Auskunft, was Israel ist. Um Engführungen zu vermeiden, bedarf es im Blick auf Kategorien wie Staatsvolk, Gottesvolk oder Stämmevolk zudem einer Differenzierung. Beziehen sie sich auf die elementare Codierung der jeweiligen kollektiven Identität oder aber auf weitergehende Differenzierungen, die mit dem elementaren Code gekoppelt sein können? Gegeneinander exklusiv wären sie nur im ersten Fall, wenn etwa mit dem „Gottesvolk“ eine universalistische „Stämmevolk“ eine traditionale Codierung angesprochen wäre. Sind sie aber nicht exklusiv, ist ihr Verhältnis zu bestimmen und die elementare Codierung von den Differenzierungen zu unterscheiden. 2.2.2 Die primordiale Codierung als Basis des gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins 2.2.2.1 Reflexe der genealogischen Israel-Konzeption in der ThFG und den untersuchten Prophetentexten Innerhalb der ThFG ist an verschiedenen Stellen eine primordial kodierte Konstruktion kollektiver Identität für Israel greifbar. Reflexe dieser Konstruktion sind die Bezeichnungen Israels als „Haus“ (2Sam 12,8; 16,3) oder als „Stämmeverband“ (2Sam 15,2.10; 19,10; 20,14; vgl. auch 17,1) sowie der Rekurs auf verwandtschaftliche Beziehungen („Brüder“, so in 2Sam 19,42). Als einzelne Stämme werden Juda 278, Benjamin279, Levi (2Sam 15,24) bzw. Joseph (19,21) genannt. Wenn sich die Rede vom zehnfachen Anteil der Nord-Israeliten an David (2Sam 19,44) auf die innere Strukturierung des Volkes deuten lässt, ist eine Zahl von zehn + zwei(?) Stämmen gegeben. Die Hinweise auf den primordialen Code sind innerhalb der ThFG weit gestreut und lassen sich weder einem bestimmten 278 279
2Sam 11,11; 12,8; 19,12.15–17.41–44; 20,2.4f.; 1Reg 1,9.35; 2,32. 2Sam 16,11; 19,17f.; 20,1; 1Reg 2,8.
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C. Synthesen: Das Stämmevolk Israel
Textausschnitt noch – betrachtet man die verschiedenen redaktionskritischen Wachstumsmodelle – ohne weiteres einer bestimmten (Ergänzungs-)Schicht zuweisen.280 Aus den genannten Reflexen lässt sich die konkrete Ausgestaltung des Codes gleichwohl nicht rekonstruieren, die Daten sind zu singulär, Zusammenhänge werden nicht expliziert. Reflexe vergleichbarer Attributionen zum Israel-Begriff finden sich ebenfalls in den untersuchten Prophetentexten. Auch hier werden sie nicht eigens entfaltet, klingen aber verschiedentlich an. Einschlägig ist etwa die Bezeichnung Judas als בית ישׂראלin Jes 5,7, die in der singulären Formulierung שׁני בתי ישׂראלin 8,14 aufgenommen wird. Mit der Verwendung von בית ergeben sich hier Assoziationen zum בית אב, d.h. einer verwandtschaftlich begründeten Gemeinschaft. Ein weiterer Hinweis ist die Parallelstellung von „Israel“ und „Jakob“ (Jes 8,17; 9,7; Mi 1,5; 2,7; 3,1.8.9, wobei für „Jakob“ in Mi eine analoge Mehrdeutigkeit zu „Israel“ besteht), die nicht nur die Bekanntheit der Gleichsetzung von „Israel“ und „Jakob“ anzeigt, sondern auch der mit Jakob verbundenen genealogischen Rückführung der Israeliten auf den Erzvater. In Hos 5,1–6,6 klingt die genealogische Israel-Konzeption ebenfalls in der Anrede an das בית ישׂראלan, was hier, anders als in Jes 5,7, das Nordreich bezeichnet. An dem Punkt, an dem innerhalb der Komposition der Focus von Nord-Israel auf Gesamt-Israel wechselt, wird über die Verwendung von ( שׁבטי ישׂראלHos 5,9) noch deutlicher die tribale Konstitution Israels eingespielt. Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, wird auch hier als vorhandenes Wissen der Adressaten vorausgesetzt und nicht näher erläutert.281 Betrachtet man die argumentativen Kontexte, in denen diese IsraelKonzeption in den Prophetentexten eingespielt wird, zeigt sich ein gemeinsamer Schwerpunkt; alle Texte eint, dass diese dann ins Spiel kommt, wenn es um Gesamt-Israel geht. In Jes *1–11 sowie Mi *1–3 spielt die genealogische Konstruktion eine Rolle, wenn es um die Parallelisierung von Schuld und Schicksal der beiden Reiche Juda geht. Auf eine ähnliche 280 Die genannten Stellen gehören mit Ausnahme von 2Sam 12,8 bei WÜRTHWEIN, Erzählung, zur david- und salomokritischen Grundschicht der ThFG. Auch bei VEIJOLA, Dynastie, sind die Hinweise auf die Stämmekonzeption (wiederum mit Ausnahme von 12,8) durchgängig vor-dtr. KRATZ, Komposition, rechnet 15,2; 20,14 zum alten Kranz der judäischen Hoferzählungen, und weist 12,8; 15,10; 16,3; 17,1; 19,10ff.41ff. verschiedenen Bearbeitungen und Glossen zu (aaO., 180f. mit Anm. 85). Für VERMEYLEN, Loi, 318.400ff., stammen 15,2.10; 17,1; 19,10; 20,14 aus einer Darstellung, die noch zu Leb zeiten Davids entstanden ist, 16,3; 19,21 gehören zu redaktionellen Ergänzungen aus salomonischer Zeit, 12,8; 19,43b.44 sind dtr. Gleichwohl wird die Kenntnis des Stämmesystems bei RUDNIG , Davids Thron, zu einen literarkritischen Indiz; so begründet er die späte Ansetzung von 2Sam *19,10–16 mit dem Argument, dass es „keinen Anhaltspunkt für eine frühe Datierung des ZwölfStämmesystems, das in dem Begriff ‚alle Stämme Israels‘ wohl vorausgesetzt ist“ gebe (295) und beruft sich dafür auf LEVIN, System.
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
357
Pointe läuft auch Hos 5,1–6,6 hinaus, wenn „Juda“ und „Ephraim“ als שׁבטי ישׂראלzusammengefasst und gemeinsam unter das Gericht JHWHs gestellt werden. 2.2.2.2 Die Pragmatik der literarischen Entfaltung der genealogischen Konstruktion in der Jakoberzählung und Josephsgeschichte Eine explizite Entfaltung der genealogischen Konstruktion liegt in der Thronfolgegeschichte und den untersuchten Prophetentexten nicht vor. Eine solche findet sich aber in der nord-israelitischen Jakoberzählung, insbesondere in der Darstellung der Geburt der Jakob-Söhne in Gen 29,31– 30,24. Auf elementare Weise orientiert diese Erzählung, wie die Jakobgeschichte insgesamt, über die Stellung von Israeliten innerhalb ihrer sozialen Umwelt. Das betrifft zum einen die Grenze zwischen dem Binnenraum der Gemeinschaft und der Außenwelt, also die ethnische Grenzkonstruktion. Hier ist, eingebettet in eine genealogische Strukturierung der gesamten Völkerwelt,282 das Kriterium zu erschließen, das einen Israeliten zum Israeliten macht: die Abstammung vom Erzvater Jakob/Israel. Die Analysen von Gen 29f. sowie der Josephsgeschichte hatten aber ergeben, dass auch die hier vorliegende narrative Entfaltung der genealogischen Konstruktion einem bestimmten Argumentationsziel folgt, das über die bloße Darstellung der Konstruktion hinausgeht. So entspringt ein zentraler Spannungsbogen sowohl der Jakoberzählung als auch der Josephsgeschichte der Frage nach der inneren Strukturierung der Jakobnachkommen. Das Thema von Gen 29f. ist einerseits die Gliederung Israels in zwölf Stämme sowie deren Rückführung auf den Erzvater Jakob/Israel, aber andererseits – und angesichts der Gestaltung der Episode vorrangig – die besondere Herausstellung Josephs. Trotz konkurrierender Ordnungsprinzipien und bei bleibender Offenheit in der Zuordnung einzelner Stämme zeigt sich in der Rolle Josephs die primäre Erzählintention von Gen 29f. Letztere verbindet diese Episode aus der Jakoberzählung mit der 281 Vergleichbare Reflexe eines genealogisch fundierten Israel-Verständnisses sind selbstverständlich in zahlreichen weiteren Texten zu finden, die nicht Gegenstand der Untersuchung waren. Dies zeigt sich exemplarisch bereits an der leicht per Konkordanz zu erhebenden weiten Verbreitung von Zusammensetzungen wie ( בית ישׂראלvgl. S. 199 Anm. 132) oder שׁבטי ישׂראלa(47 Belege: Gen 49,16.28; Ex 24,4; Dtn 29,20; 33,5; Jos 3,12; 12,7; 24,1; Jdc 18,1; 20,2.10.12; 21,5.8.15; 1Sam 2,28; 9,21; 10,20; 15,17; 2Sam 5,1; 7,7; 15,2.10; 19,10; 20,14; 24,2; 1Reg 8,16; 11,32; 14,21; 2Reg 21,7; Ez 37,19; 47,13.21f.; 48,19.29.31; Hos 5,9; Sach 9,1; Ps 78,55; 1Chr 27,16.22; 29,6; 2Chr 6,5; 11,16; 12,13; 33,7) bzw. der Parallelisierung von „Jakob“ und „Israel“ (dazu S. 211 Anm. 198). Ohne eine begründete historische Einordnung jener Texte können sie hier freilich nicht herangezogen werden. Immerhin ist die breite Streuung als ein Indiz dafür zu werten, dass das genealogische Israel-Verständnis ein verbreitetes kollektives Wissen in der Produktions- und Rezeptionsgemeinschaft der Texte darstellte. 282 Dazu ausführlich BLUM , Komposition, 479ff.
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C. Synthesen: Das Stämmevolk Israel
Josephsgeschichte, die die Sonderrolle Josephs unter den Brüdern mit dem Thema der Herrschaft über die Brüder verknüpft und zugleich die enge Verbundenheit Benjamins mit Joseph, die auch schon in Gen 29f. angelegt war, in besonderer Weise profiliert. Aus dieser Beobachtung ergeben sich Konsequenzen für die Frage nach den diskursiven Zusammenhängen, in denen diese Entfaltung des Codes angesiedelt war. Für die Jakoberzählung und Josephsgeschichte hatten die Überlegungen zu ihrer historischen Verortung eine Präferenz für die nord-israelitische Königszeit ergeben.283 Dabei fällt sogleich auf, dass in dieser Zeit wichtige Aspekte der genealogischen Konstruktion keine Entsprechung haben, so z.B. die Stellung Rubens, die Zuordnung Benjamins oder sogar die zentrale „Israel“-Ätiologie selbst, mit der der „Israel“-Name zwar für das Nordreich beansprucht, seine gesamt-israelitische Bedeutung aber keineswegs aufgegeben wird. Als eine in dieser Zeit entstandene Konstruktion, die etwa vor dem Hintergrund der gegebenen staatlichen Struktur die kollektive Identität der Nord-Israeliten stützen und stärken sollte, lässt sich das in Gen 29f. und in der Josephsgeschichte vorausgesetzte Stämmesystem somit nicht erklären.284 Die dezidiert gesamt-israelitische Perspektive weist vielmehr auf eine andere Pragmatik: Der Josephsgeschichte geht es um die Legitimation des josephitischen Vorrangs innerhalb Israels und insbesondere um die Zugehörigkeit von Benjamin zu Joseph. Dieser deutlich formulierte Anspruch (samt seiner Anerkennung durch Juda und die übrigen Brüder) erklärt sich am besten als politische Propaganda im Dienste eines politischen Hegemonieanspruchs des Nordreichs für ganz Israel incl. Juda, Benjamin und Simeon.285 Die Darstellung der Geburt der Jakobsöhne in Gen 29f. läuft ebenfalls auf eine Sonderrolle Josephs im Kreis der Brüder zu und fügt sich in ihrem Profil damit gut zu dieser pragmatischen Stoßrichtung. Auch sie dient zum „Ausdruck eines in bestimmter Weise definierten ‚Wir-Gefühls‘“,286 das Juda einschließt. Nimmt man die enge Verbindung von Joseph und Benjamin und die unspektakuläre Einordnung Judas in die Geschwisterfolge hinzu, ist auch hier der panisraelitische Herrschaftsanspruch des josephitischen Nordreichs mit Händen zu greifen.287 Das Bild der Königreiche Juda und Israel, das die Königebücher zeichnen, ist bekanntermaßen ein judäisches. Sie vermitteln den Eindruck zweier Königreiche auf Augenhöhe und verwischen so die Tatsache, dass das Nordreich Israel über weite Strecken dominierend und überhaupt auf „weltpolitischer“ Bühne präsenter war.288 Reflexe dieser Situation sind dennoch zu finden: Ahab (1Reg 22) und Joram (2Reg 3) fordern judäische Waffenhilfe ein, Jehu kann ungestraft König Ahasja und judäische Prinzen ermorden (2Reg 9,27f.; 10,13f.) und Joasch plündert den Jerusalemer Tempel und reißt Teile der Stadt283 284 285 286
Vgl. oben S. 255ff. Vgl. dazu auch unten S. 368ff. Zu Simeon vgl. oben S. 266 Anm. 480. BLUM, Komposition, 182.
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mauer ein (2Reg 14). Für die Zeit der Omriden spricht H. Donner aufgrund der offenkundigen Dominanz der Nordreichs sogar von einem „verschleierten Vasallitätsverhältnis Judas gegenüber Israel“289. Wie undurchsichtig dieser Schleier war, kann man vor dem Hintergrund der erkennbaren Hegemonieansprüche durchaus fragen.290
Geschieht die vorliegende Entfaltung der genealogischen Konstruktion somit im Kontext eines auf die inner-israelitischen Verhältnisse zielenden Programms ist damit aber ein grundsätzlich anderer diskursiver Kontext gegeben, als für die Herausbildung primordialer Codes vorauszusetzen ist (dazu unter C 2.3). Verdankt sich vorliegende Darstellung nun aber nicht der Abbildung gegebener Verhältnisse, sondern politischen Interessen, ist im Sinne einer Kontrollfrage zu bedenken, ob sie sich als ein vergleichbares Programm nicht auch für andere Epochen innerhalb der Geschichte Israels plausibel machen lässt. Für die nachexilische Zeit hat P.R. Davies den Versuch unternommen. 291 Er nimmt zum Ausgangspunkt, dass ausweislich der archäologischen Befunde das benjaminitische Gebiet in der Exils- und frühnachexilischen Zeit anders als das judäische Kernland um Jerusalem von den Zerstörungen durch die Babylonier weitgehend verschont einen Bevölkerungszuwachs und wirtschaftlichen Aufschwung erlebte und dass mit Mizpa als Sitz des Statthalters auch das politische Zentrum nach Benjamin wanderte. Davies schließt daraus, dass es in frühnachexilischer Zeit Auseinandersetzungen zwischen Juda 287 Auch SCHÜLE , Israels Sohn, geht davon aus, dass im Nord-Israel des 8. Jh.s gesamtisraelitische Ansprüche en vogue waren. Für ihn hängen diese jedoch weniger am Israel-, sondern v.a. am Jakob-Namen: „Anders liegen die Dinge im Fall von Jakob – der Name, an dem die Vorstellung des Gottesvolkes in Gestalt der zwölf Stämme hängt. Religionsgeschichtlich brisant ist die Tatsache, daß man im Norden diese Tradition zur Selbstbezeichnung einsetzte, vor allem, weil damit ein gesamtisraelitischer Anspruch verbunden war. Das Nordreich machte sich damit faktisch zum kultischen und politischen Zentrum der zwölf Stämme – und das bedeutete zwangsläufig: einschließlich des Südreiches. Wenngleich die Belege dies nicht explizieren, liegt die Schlußfolgerung nahe, daß die Selbstbezeichnung als Jakob zugleich eine imperialistische Spitze des Nordens gegenüber dem Süden enthielt. Wo es ein Gesamtisrael realiter nicht gab, war der Anspruch, dies zu repräsentieren, wohl weder harmlos noch unschuldig“ (158). Ob man aber auf diese Weise zwischen „Jakob“ und „Israel“ differenzieren kann, erscheint mir vor dem Hintergrund der Jakoberzählung und auch der durchgehenden Parallelisierung beider in den von Schüle angeführten Texten aus Num 22–24 bzw. Amos und Micha jedoch fraglich. Auch statistisch überwiegt die Bezeichnung בני ישׂראלmit 640 Belegen deutlich gegenüber בני יעקבa(15 Belege), so dass die Annahme, dass gerade an „Jakob“ traditionsgeschichtlich die Volksvorstellung hänge, unwahrscheinlich ist. 288 Davon legt schon seine breiter belegte Wahrnehmung bei den wechselnden Großmächten Zeugnis ab, vgl. oben S. 4ff. 289 DONNER , Geschichte, 279. 290 Die Pragmatik der Texte passt denn auch besser zu einer Ansetzung in den späteren Jahren des Nordreichs, wie sie neuerdings auch BLUM, Jacob Tradition, 209f., vertritt. Hier spricht nicht das „junge Königreich Jerobeams, das wesentlich in der Abgrenzung zu Juda seine Identität behaupten mußte“ (BLUM, Komposition, 182), sondern ein konsolidiertes Reich, das seine Überlegenheit gegenüber Juda in die Waagschale wirft. 291 DAVIES , Trouble, sowie DERS ., Origin. Zu den Thesen Daviesʼ vgl. oben S. 21f.
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und Benjamin um politische und religiöse 292 Vorherrschaft gegeben habe,293 in denen sich Juda schließlich durchsetzen konnte, aber nur um den Preis weitgehender Zugeständnisse an Benjamin, wozu die Übernahme des in Benjamin lebendigen nord-israelitischen Erbes incl. des Israel-Namens gehört habe. Das Stämmesystem sei letztlich eine judäische Verarbeitung dieser Tatsache: „The origin of that larger 12 ... tribe ‚nation‘ of Israel is, then probably a late invention, stemming from the time after Judaeans absorbed elements of Israelite historical and religious identity. Only then was the ‚biblical Israel‘ created, as something idealized but already passed, preserved only in the tribes of Judah, Benjamin and Levi.“294 Eine Rivalität zwischen Juda und Benjamin sowie ein nord-israelitisches Selbst verständnis Benjamins könnte möglicherweise die Zuweisung der beiden Stammväter an verschiedene Mütter erklären. Wieso aber die exponierteste Position in diesem in die Vorzeit projizierten Israel dem in der Perserzeit bedeutungslosen Ruben zukommt und Benjamin, aber vor allem Juda (vierter Sohn) und Levi (dritter Sohn) derartig unspektakulär eingereiht werden, lässt sich aus dem angenommenen Zielsetzung nicht erklären. Überhaupt bleibt die ‚Erfindung‘ aller neun übrigen Stämme ohne Funktion. Kaum besser steht es um die von U. Schorn vertretene Annahme, das in Gen 29f. entwickelte System 295 ziele, nachdem das Nordreich zerbrochen war, auf eine Konsolidierung Israels mit Hilfe religiöser Traditionen, die über das Mittel der Genealogie zusammengestellt werden: „Identitätsstiftend sind für Israel jetzt nicht mehr territoriale Gegebenheiten, sondern vor allem die mit bestimmten Territorien verbundenen religiösen Traditionen.“296 Die Motive, die Schorn im Einzelnen für die Aufnahme der Stämme bzw. ihrer Eponymen in das Zwölfersystem nennt, 297 sind einigermaßen disparat: Joseph und Benjamin stehen territorial für den Kernbereich des Nordreichs, Simeon repräsentiert die Erzvätertraditionen mit ihrem Haftpunkt in Beerscheba, Levi gehört wegen seiner Funktion als Priestergilde dazu und Ruben vertritt die Mosetradition als identitätsstiftende Tradition des Ostjordanlandes. Issachar, Sebulon und Naphtali sind Repräsentanten der mit dem Tabor verknüpften Traditionen, Juda bringt Jerusalem ein, Dan, die Traditionen des Heiligtums in Dan. Die Idee lässt sich offensichtlich nicht durchhalten; die Aufnahme Josephs und Benjamins folgt gerade keinem religiösen Motiv und für Gad und Asser kann auch Schorn „kaum ein[en] religiöse[n] Bezug“ feststellen. Fehlt dieser aber, kann das religiöse Moment keine durchgängige Motivation für die Ausbildung des Stäm mesystems sein, die Frage, warum man nach 720 ein derartiges Konstrukt entwickelt haben sollte, ist wieder offen. Überzeugende Alternativen bieten die vorgetragenen Ansetzungen in beiden Fällen nicht.
2.2.2.3 Gab es eine „Israelitisierung“ Judas? Ist der Israel-Name erst nach 720 auf Juda angewandt worden? Die Analyse der semantischen Möglichkeiten des Israel-Namens in den untersuchHierfür führt auch DAVIES, Trouble, 110f., sowie Origin 142ff., die problematische These von der bleibenden Bedeutsamkeit Bethels in nachexilischer Zeit ins Feld, dazu oben S. 334, Anm. 200. 293 U.a. E DELMAN , Rivalry; B LENKINSOPP, Benjamin, oder AMIT, Saul Polemic. 294 DAVIES , Trouble, 109. 295 S CHORN , Ruben, 73ff., führt die Grunderzählung innerhalb von Gen 29,31–30,24 auf einen nach 720 arbeitenden, aus dem Nordreich stammenden „Elohisten“ zurück. 296 AaO., 99. 297 AaO., 282f. 292
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
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ten nord-israelitischen und judäischen Texten spricht dagegen. Schließlich lassen die ThFG und Hos 5,9 eine weite Verwendungsweise des IsraelNamens erkennen, die Juda einschließt. Jes *1–11 sowie Mi *1–3 verwenden „Israel“ als alternative Bezeichnung für Juda. Beide sind zwar erst nach 720 entstanden, machen es aber dennoch unwahrscheinlich, dass diese Verwendungsweise eine Neuerung darstellt. Dagegen spricht schon der kurze Zeitraum, der für diese Entwicklung verbliebe,298 da dieser Sprachgebrauch am Ende des 8. Jh.s bereits in verschiedenen Texten vorliegt und bei den Adressaten der genannten Texte überdies als bekannt vorausgesetzt ist.299 Hinzu kommt, dass die Anwendung des Israel-Namens auf Juda nicht von einer entsprechenden Israel-Konzeption zu trennen ist: Die weite Verwendung des Israel-Namens und seine Anwendung auf Juda erfordern eine gewisse Vorstellung von der Basis der Zusammengehörigkeit. Auch diese 298 Bei KRATZ, Jesajabuch, läuft sie denn auch bis in die exilisch/nachexilische Zeit. Einen Reflex dieser Entwicklung findet er noch bei DtJes, denn Jes 48,1 zeige: „Noch dem zweiten Jesaja ist … vollkommen präsent, dass ein Unterschied zwischen Israel und Juda besteht. Ausdrücklich sagt er, dass die Judäer, die ‚aus den Wassern Judas hervorgehen‘, nur dem Namen nach Israel heißen“ (aaO., 97) – mithin keine Israeliten im eigentlichen Sinne seien, vgl. auch BERGES, HThKAT, zur Stelle: „Diejenigen, die sich (nur) oberflächlich mit dem Namen Israel bzw. nach der heiligen Stadt ‚nennen‘ ( קראJes 48,1.2), werden nun durch den Schmelzprozess von denen geschieden, die in Wahrheit zu Israel/Jakob gehören“ (511). Jes 48,1 ist ein Höraufruf und leitet nach einem Wort gegen Babel (Kap. 47) eine erneute Auseinandersetzung mit Jakob/Israel ein (48,1–11), ein neuer Höraufruf folgt in v. 12. V. 1–11 und 12ff. sind allerdings aufeinander bezogen, wie nicht nur das Leitwort – קראin 48,1 נקראים בשׁם ישׂראל, in v. 8 פשׁע מבטן קרא לך, wiederum in v. 12 – ישׂראל מקראי anzeigt. Das Thema, mit welchem Namen gerufen bzw. berufen wird, zieht sich durch den gesamten Text. Dazu fügt sich auch v. 9: um seines Namens willen ( למען שׁמיvgl. שׁם in v. 1) hält JHWH seinen Zorn zurück und handelt an Israel. 48,1 ist schon deshalb interessant, weil hier die Namen „Israel“, „Jakob“ und „Juda“, sowie der JHWH-Titel „Gott Israels“ auf engstem Raum versammelt sind. Wie sind die verschiedenen Bezeichnungen aber aufeinander bezogen? Angesprochen ist zunächst das Haus Jakobs, allerdings als Kollektiv (2. Person plural). בית יעקבwird durch die zwei folgenden Parallelismen näher erläutert – beide eingeleitet als Relativsätze הנקראיםbzw. הנשׁבעים, jeweils Part. Nif. Zunächst erhält das „Haus Jakobs“ eine nähere Bestimmung, dann seine Gottesbeziehung. Jakob kennzeichnet zweierlei: sie nennen sich Israel und sie stammen aus Juda. Zudem schwören sie beim Namen JHWHs und bekennen den Gott Israels. Es ergibt sich eine Rückbindung an 48,1a in chiastischer Verschränkung; die Pointe folgt in 1b : sie tun es nicht in Wahrheit und Gerechtigkeit. Das gilt nun aber für alle mit בית יעקבAngesprochenen (Hauptsatz), was auf der einen Seite Rückschlüsse auf die konkreten Adressaten zulässt (Judäer!), auf der anderen Seite gerade nicht bedeutet, dass hier zwischen eigentlichen und un-eigentlichen bzw. wahren und falschen Israeliten unterschieden wird. Insofern ist HERMISSON , BK 216, zuzustimmen, dass der Text diese Unterscheidung nicht nahelege: 48,1 „charakterisiert ganz Israel als das Volk, das sich den Israel-Namen zu Unrecht beilegt“ und daher den Namen פשׁע מבטןv. 8 tragen sollte.
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müsste in der relativ kurzen Zeit nicht nur entwickelt, sondern auch bereits etabliert sein, sollten die genannten Reflexe wie die Rede von שׁני בתי ישׂראל (Jes 8,14) oder die Gleichsetzung von „Jakob“ und „Israel“ überhaupt verständlich sein. Gleiches gilt für die angenommene Verschiebung in der Semantik des Israel-Begriffs von einer staatsrechtlichen Bezeichnung für ein Königreich und seine Bevölkerung hin zu einem theologischen Konzept. Ist die hier vertretene historische Verortung der Texte korrekt, mutet das Erscheinen einer derartigen Israel-Konzeption im Juda des ausgehenden 8. Jh.s ohne ein älteres gesamt-israelitisches Bewusstsein an wie ein deus ex machina.300 Ob und inwiefern der Untergang des Nordreichs als Wendepunkt bezüglich der semantischen Möglichkeiten des Israel-Namens gelten kann, ist daher neu zu fragen. Unbestritten ist, dass der Israel-Name ab dem 7. Jh. in Juda „Karriere gemacht“ hat. „Israel“ dient in Texten der nachexilischen und auch schon der Exilszeit als Bezeichnung Judas301 und auch des ehemaligen Südreichs302. Zu dieser Entwicklung hat das Ende der politischen Größe, die den Namen trug, sicher beigetragen, da die Notwendigkeit einer Disambiguierung nunmehr in vielen Fällen ausfiel. Juda überstand (gegen manche prophetische Erwartung, vgl. Jes 1–11; Mi 1–3) die assyrische Krise anders als das Nordreich als eigenständige politische Entität. Da lag es nicht fern, in der Folge – zumindest aus der judäischen Perspektive – eine Verschiebung der Gewichte innerhalb Israels zusehen: Juda löst Ephraim als primärer Repräsentant Israels ab. Der Legitimationsgewinn, der mit einer derartigen Geschichtsdeutung für die judäische kultische und politische Elite verbunden ist, kann die Die Wiedergabe des Verses bei Kratz vertauscht nun „Haus Jakob“ und „Judäer“ und ändert somit den Bezug des Relativsatzes. „Nur dem Namen nach Israel“ heißen in Jes 48,1, eben nicht die Judäer, sondern die Angehörigen des Hauses Jakob, und es geht bei dem Vorwurf nicht um die Abstammung, sondern um die Frage von Treue und Gerechtigkeit. Im Übrigen ist v. 2 כי מעיר הקודשׁ נקראוin der Deutung von Kratz kaum zu verstehen: Sollten sich die Judäer etwa auch nur dem Namen nach nach der Stadt Jerusalem genannt haben, mir der sie bezüglich ihrer Herkunft nichts zu tun hatten? Worauf es Deutero-Jesaja ankommt, ist vielmehr die Verbindung von Gott und Volk, die insbesondere im Israel-Namen zum Ausdruck kommt. Jes 48,1 versammelt mehrere Facetten der Identität seiner Adressaten – die Abstammung von Jakob, die Bindung an den Gott Israels, die Herkunft aus Juda – ohne dass diese Alternativen wären, sondern alle sind Teil einer komplexen Konstruktion. 299 NA ' AMAN , Saul, sowie Struggle, und S CHÜTTE , Juda, rechnen mit einer durchschlagenden „Israelitisierung“ Judas daher auch erst bei Josia. Das erweist sich angesichts des Textbefunds aber als zu spät. 300 Die angestrengte Suche nach Vermittlungswegen und Trägerkreisen im Hintergrund der „Israelitisierung“ bei Davies, Finkelstein, Na'aman und Schütte (dazu oben S. 17ff.) offenbart auf augenfällige Weise die Schwierigkeiten der Hypothese. 301 Dazu oben S. 288 Anm. 1. 302 Vgl. neben den oben S. 99ff. untersuchten Texten aus Chr z.B. Jes 42,24; 46,3; 48,1; Ez 44,12.
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fruchtbare Aufnahme sowohl nord-israelitischer Traditionen als auch ein vermehrtes Interesse an der Verwendung des Israel-Namens als alternative Bezeichnung für Juda motiviert haben. N. Na'aman ist sicher zuzustimmen, dass es sich bei dem Namen und den nord-israelitischen Traditionen um ein „highly prestigious … heritage“ handelte,303 schließlich ist das Nordreich zuvor stets der größere, ökonomisch und militärisch potentere und außenpolitisch einflussreichere Nachbar gewesen. Dass nord-israelitischen Flüchtlingen und insbesondere solchen aus der schriftkundigen Elite hierbei eine besondere Vermittlungsrolle zukam, bleibt die historisch wahrscheinlichste Annahme.304 In diesem Sinne kann man also durchaus von einer „Israelitisierung“ Judas ab dem beginnenden 7. Jh. v.Chr. sprechen. Diese dürfte aber in Juda nicht ohne Voraussetzung gewesen sein. Neben dem Textbefund, der mit der ThFG bereits für das 9. Jh. eine gesamt-israelitische Referenz für den Israel-Namen belegt, ist es v.a. die legitimatorische Tendenz, die die Annahme eines älteren gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins, das die Integration nord-israelitischer Tradition ermöglicht hat, geradezu notwendig macht.305 R.G. Kratz zeigt die Problematik auf, wenn er zu erklären sucht, warum der Name „Israel“ in Juda übernommen wurde: „Israel ist im Schlechten das Vorbild für Juda. Das Böse in den Augen Jhwhs schweißt die beiden Staaten zur Schicksalsgemeinschaft zusammen. … Daß sich der Name „Israel“ und nicht etwa Juda durchgesetzt hat, liegt daran, daß Israel Aufstieg und Niedergang des Königtums vormachte. Von hier aus war es kein weiter Weg mehr dahin, daß die sündigen Stämme des Nordens für das Ganze stehen (Richterbuch, Enneateuch) bzw. das eine Reich im Süden ganz Israel repräsentiert (Chronik).“306
Bei Kratz dient das Argument als Nachweis für die nachexilische Ansetzung eines weiten Israel-Begriffs, denn „die Schicksalsgemeinschaft setzt den Untergang Judas voraus“. 307 Unabhängig davon, ob die Beschreibung des nachexilischen Israel als „Schicksalsgemeinschaft“ zutreffend ist, ist Kratz zuzustimmen, dass sich die Übernahme des Israel-Namens auf diese Weise für das vorexilische Juda nicht motivieren lässt. 308 Wer schmückt
NA'AMAN, Struggle, 17. Mit FINKELSTEIN & SILBERMAN, Bible Unearthed, 243–245, und SCHÜTTE , Juda, gegen NA'AMAN , Saul, sowie Struggle. Auch ohne die Debatte um die Interpretation archäologischer Funde aufnehmen zu können, ist SCHÜTTE, aaO., 60, zuzustimmen, dass eine Vermittlung ohne Träger nicht funktionieren kann; das Postulat eines „vacant heritage“ (NA'AMAN , Struggle, 17) ist daher kaum plausibel. 305 Wenn SCHÜLE , Israels Sohn, 158f., davon ausgeht, dass man in Juda nach dem Ende des Nordreichs zunächst nur den Israel-Namen, nicht aber den seiner Ansicht nach mit gesamt-israelitischen Konnotationen behafteten Jakob-Namen übernahm, so spricht nicht nur der Textbefund in Jesaja und Micha dagegen, sondern auch die Frage, warum man nun ausgerechnet die Bezeichnung wählte, die mit Juda noch weniger zu tun hatte. 306 KRATZ, Staat, 11f. 303 304
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sich mit den Namen eines Verlierers, um die eigene Postion zu stärken? 309 Wenn aber ein gesamt-israelitisches Gemeinbewusstsein nicht die Folge sondern eine Ursache für die Entwicklung ist, lösen sich die Aporien. Vor diesem Hintergrund stellt die Anwendung des Israel-Namens auf Juda genauso wie die Adaption nord-israelitischer Traditionen in Juda nicht die Übernahme eines an sich fremden Erbes dar, die genauso gut in Moab oder Edom hätte geschehen können, sondern die Verlagerung der innerisraelitischen Gewichte vom Norden in den Süden, d.h. Juda wird zur maßgeblichen Größe innerhalb Israels. So ergibt sich für den Jerusalemer Kult und v.a. für die davidische Dynastie auch ein echter Legitimationsgewinn: das Ende der parallelen bzw. konkurrierenden kultischen wie staatlichen Institutionen im Nordreich bestätigt die judäischen in ihrer Funktion für ganz Israel. 2.2.2.4 Gesamt-Israel als Stämmevolk Vergleicht man die greifbaren Reflexe der genealogischen Konstruktion in der Thronfolgegeschichte und in den untersuchten Prophetentexten mit ihrer narrativen Ausgestaltung innerhalb der Jakoberzählung, zeigt sich, dass diese dem dort entfalteten System der zwölf Stämme Israels in keinem Punkt widersprechen. Das gilt sowohl für die Fundierung der Gemeinschaft in verwandtschaftlichen Beziehungen, das Gliederungsprinzip in Stämme, deren Rückführung auf den Erzvater Jakob/Israel als auch für inhaltliche Details wie die Namen einzelner Stämme sowie möglicherweise 307 AaO., 11. So letztlich auch bei SCHÜTTE , Juda, der von NA' AMAN , Struggle, 1.17, und FINKELSTEIN, Saul, 365, die These übernimmt, eine gesamt-israelitische Konzeption, konkret „die Fiktion jenes ‚Großisrael‘, das sich mit Jerusalem (Juda) und der davidischen Dynastie verbindet“, hätte schon vorexilisch vorgelegen (53), aber dann doch davon ausgeht, dass die postulierte nord-israelitische Exilstheologie, der jenes Konzept entstammt, des babylonischen Exils zur Durchsetzung in Juda bedurfte (71). 308 Das gilt auch dann, wenn man mit FINKELSTEIN & S ILBERMAN , Bible Unearthed, 243– 245; Kingdom, 154f., einen Wandel in der Bevölkerungsstruktur und ein starkes nordisraelitisches Element annimmt. Einer Stabilisierung judäischer! Herrschaftsideologie (so FINKELSTEIN & SILBERMAN, Temple, 279, sowie Kingdom, 155ff.) wäre mit der Übernahme des Israel-Namens und nord-israelitischer Traditionen auch dann nicht gedient. So der berechtigte Einwand von HONG , Emergence, 284, gegen Finkelstein. Hongs eigene Erklärung, die die Übernahme nord-israelitischer Traditionen in vorexilischer Zeit durch eine aktive Neukonstruktion judäischer Identität motiviert sieht, in der der vormals schwächere Partner, sich die Traditionen der früheren Hegemonialmacht aneigneten (vgl. HONG, Pen, 440: „Claiming ownership of this tradition [sc. der Jakob-Tradition, K.W.], then, is an important part of the program by which Judeans reconceptualize their role as the new Israel“), verschärft die Problematik aber eher noch. Was sollte Judäer veranlassen, die Identität des Unterdrückers anzunehmen, wenn sie sich nicht bereits als Teil Israels verstanden und in der Jakob-Tradition zugleich die eigene Geschichte fanden. 309 Angewandt auf die neuere deutsche Geschichte wäre ein analoger Vorgang, d.h. die Übernahme des Namens einer untergegangenen politischen Größe, die Umbenennung der Bundesrepublik in DDR im Zuge der Wiedervereinigung.
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die Stämmezahl. Insofern bleibt es die einfachste Annahme, dass es in den Grundzügen diese Konstruktion ist, die hier als Vorwissen der intendierten Adressaten präsupponiert ist. Die Alternativen, dass keine systematisierte Konstruktion oder eine andere, in den übrigen Quellen nicht belegte, vorausgesetzt sei, sind zwar denkbar, aber sehr unwahrscheinlich. Gegen ersteres spricht die Konvergenz der Reflexe in den genannten Einzelzügen, die kaum zu erklären wäre, wenn kein gleichartiges Vorwissen dahinter stünde. Letzteres wäre reine Spekulation. Die Beobachtung aber, dass die Konstruktion in den genannten Texten gar nicht entfaltet werden muss, sondern präsupponiert werden kann, lässt darauf schließen, dass hier eine Übereinkunft von jeweiligem Autor und intendierten Adressaten in der diesbezüglichen Weltdeutung greifbar wird, die zwischen beiden nicht fraglich ist (oder zumindest vom Autor als nicht fraglich angesehen wird). Trifft dies zu, kommt ihr der Charakter einer Alltagsgewissheit zu, die sozialen Konstruktionen eignet, sofern ihr Vermögen, die soziale Situation zu strukturieren, nicht gestört ist. Dazu passt, dass keiner der Texte die genealogische Konstruktion um ihrer selbst willen darstellt. Für die ThFG und die Prophetentexte ergibt sich dies angesichts des fragmentarischen Charakters der Reflexe von selbst, aber auch in der Jakoberzählung und Josephsgeschichte bildet nicht das genealogische Prinzip an sich oder seine Verankerung im Erzvater Jakob, den Scopus der Erzählungen, sondern die innere Struktur der Gemeinschaft der Jakobnachkommen. Anders als in den nachexilischen Texten spielen Fragen der Grenzkonstruktion in den Texten aus dem 9. und 8. Jh. zudem nur eine marginale Rolle. Damit ist ein weiteres Indiz gegeben, dass sie in der Produktions- und Rezeptionsgemeinschaft der Texte unstrittig war oder – vorsichtiger formuliert – dass sich kein Diskurs über sie in den Texten niedergeschlagen hat. Betrachtet man die argumentativen Kontexte, in denen das Stämmesystem eingespielt wird, zeigen sich vielmehr andere Schwerpunkte. Alle Texte eint, dass es dann abgerufen wird, wenn es um Gesamt-Israel geht. In dieser Verbundenheit mit einer dezidiert gesamtisraelitischen Perspektive konvergieren die Reflexe der genealogischen Konstruktion in den nord-israelitischen und judäischen Texten. Daraus folgt, dass die zugrundeliegende Israel-Konzeption als eines Ethnos, konkret einer aus (12) Stämmen zusammengesetzten Abstammungsgemeinschaft, die die politische Teilung in Nord- und Südreich transzendierte, in Nord-Israel wie in Juda gleichermaßen als Alltagsgewissheit präsupponiert und in Textproduktion und -rezeption eingespielt werden konnte. Die Annahme eines derartig primordial codierten gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins vermag die Ergebnisse der Analysen zu integrieren und die aufgezeigten methodischen Engführungen zu vermeiden:
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– Es nimmt die in den Texten selbst greifbare Konzeption Israels als Stämmevolk und die damit verbundene Grenzkonstruktion ernst. Schließlich ist eine andersartige Grenzkonstruktion an keiner Stelle belegt. – Es kann darüber hinausgehende Differenzierungen, die an diese Grenzkonstruktion gekoppelt sind, integrieren, so etwa die Vorstellung von Israel als auf JHWH bezogenes Gottesvolk. Der umgekehrte Weg ist dagegen nicht möglich: Wäre Israels kollektive Identität primär als Gottesvolk codiert (universalistischer Code), dann ergäbe sich ein Widerspruch zur Darstellung Israels in den Texten als durch Filiation verbundenes Stämmevolk. – Es erklärt den semantischen Befund, dass sich (a) die Mehrdeutigkeit des Israel-Namens nicht literargeschichtlich in ein Nacheinander verschiedener eindeutiger Verwendungsweisen auflösen lässt und (b) die weite, d.h. gesamt-israelitische, Referenz des Israel-Namens häufig die primäre bildet und eine Klärung dann erfolgt, wenn eine engere Referenz intendiert ist. – Es bildet die Grundlage für die wachsende Prominenz des IsraelNamens als Bezeichnung für Juda, die sich in den Texten seit dem Ende des 8. Jh.s niedergeschlagen hat. Dieses Gemeinbewusstsein ist dabei als eine soziale Konstruktion zu verstehen, die innerhalb der betroffenen Gemeinschaft als wirklich und gewiss gilt und die soziale Welt strukturiert. Ein derartiges Gemeinbewusstsein lässt sich somit weder auf ein biologisches Faktum noch auf eine bloße Fiktion reduzieren – beides sind im Übrigen Einschätzungen aus der neuzeitlichen Außenperspektive der kritischen Forschung, die streng von der Binnenperspektive der jeweiligen Gemeinschaft zu unterscheiden ist. Es ist auch nicht an staatliche Strukturen gebunden, sondern kann neben diesen existieren und muss sie nicht deckungsgleich abbilden. 2.3 Spurensuche: Die Anfänge des gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins Mit der Frage nach den Anfängen eines gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins ist das weite Feld der Diskussion um die Herkunft des Stämmesystems bzw. die historischen Anfänge Israels betreten und die Fragestellung der Untersuchung, die sich mit den Verwendungsweisen des Israel-Namens in den Texten und deren konzeptionellen Voraussetzungen beschäftigte, überschritten. Die folgenden Überlegungen sollen denn auch nur einige Konsequenzen und Anstöße im Licht der erreichten Ergebnisse benennen. Auch wenn F. Barth die Möglichkeit der Persistenz primordialer Identitätskonstruktionen möglicherweise zu gering bewertete, bleibt seine Einsicht fundamental, dass die Herausbildung von Ethnizität kausal mit der Grenzkonstruktion, also der Bestimmung der Differenz zwischen Eigenem und Fremdem im Wechselspiel von Selbst- und Fremdwahrnehmung
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zusammenhängt. Für die Herausbildung und Durchsetzung entsprechender Codes ist somit ihre Fähigkeit entscheidend, über die jeweilige Situation hinsichtlich dieser Differenz zu informieren.310 Vor diesem Hintergrund ist es besonders auffällig, dass in den vorliegenden Texten die Grenzkonstruktion nach außen gegenüber den binnenisraelitischen Fragen derartig den Hintergrund tritt.311 Das ist m.E. ein deutliches Indiz, dass bezüglich der narrativen Entfaltung der genealogischen Konstruktion zwischen dem Diskurs, dem sich diese Entfaltung verdankt und jenem, vor dessen Hintergrund sich ein derartiger primordialer Code herausbildete, zu unterscheiden ist. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass sich der erste literarische Niederschlag des Stämmesystems – unabhängig davon, ob man ihn nun in narrativen Texten wie Gen 29,31–30,24; 35,16–20 oder in Listen wie Gen 49,1–27; Num 1,5–15; 26,5–51312 oder 1Chr 1–9 findet 313 – nicht ohne weiteres mit der historischen Geburtsstunde des Stämmevolks, d.h. der genealogischen Israel-Konzeption identifizieren lässt.314 Für die Suche nach den Anfängen eines dergestalten Gemeinbewusstseins ist vielmehr die Situationsangemessenheit des konkreten Codes insbesondere in Bezug auf die Selbstwahrnehmung der Wir-Gruppe zu bedenken.315 Schließlich setzt die Verortung der Herausbildung eines Codes kollektiver Identität in einer bestimmten historischen Epoche voraus, dass die Konstruktion zur Verfasstheit der betreffenden Gemeinschaft so weit kompatibel ist, dass sie über die soziale Strukturierung der Situation zu informieren vermag. Dazu oben S. 42ff. Sie spielen auch eine Rolle, stehen, abgesehen von der Verhältnisbestimmung zu Edom, deutlich weniger im Focus und selbst für diese kommt BLUM, Komposition, 184, zu dem Schluss, dass die Lösung des Bruderkonflikts zwischen Jakob und Esau ein zwar wichtiger Aspekt der Jakoberzählung sei, aber keineswegs den „Skopus der ganzen Einheit“ bilde. In der Esau-Thematik gehe es ebenso um die Zeichnung Jakobs und „um eine hintergründige Ausleuchtung des Themas ‚Segen‘ in ‚erzählter Theologie‘“ (185). 312 Für NOTH , System, 14.17, sind diese Listen sehr alt und führen bis in die Richterzeit zurück, während die übrigen Listen von ihnen abgeleitet werden können. 313 LEVIN , System, 164, sortiert 1Chr 1–9 zwar von vornherein aus seiner Betrachtung aus, denn „es bedarf keiner Begründung, daß die Listen der Chronik neben ihren Vorlagen im Pentateuch keinen eigenen Quellenwert haben“. Angesichts des Ergebnisses seiner Untersuchung, dass das „System der zwölf Stämme Israels … ziemlich von Anfang an in die ‚genealogische Vorhalle‘ der Chronik [gehört]“ (178), verwundert diese Vorentscheidung. 314 Das ist, unabhängig von der historischen Einordnung im Einzelnen, eine häufige aber letztlich unbegründete Voraussetzung zahlreicher Untersuchungen zum Stämmesysten, so z.B. LEVIN, System; SCHORN , Ruben; OSWALD, Staatstheorie, 155, aber auch SEEBASS , Josephsgeschichte, 230f., mit seinem Modell zur Überlieferungsgeschichte der Erzelterngeschichte, nach dem aus einem „ideellen Vater Israel“ durch Anlagerung verschiedener Traditionen ein „genealogischer Vater“ wird, u.a.m. 315 Für die Perserzeit wurde dies oben S. 293ff. unternommen. 310 311
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2.3.1 Zur Situationsangemessenheit des Stämmesystems Es ist durchaus keine neue Einsicht, dass es schwerfällt, eine Epoche in der Geschichte Israels zu finden, in der System der zwölf Stämme Israels nicht in gewisser Hinsicht quer zu den historisch greifbaren Verhältnissen steht.316 Das gilt für die gesamt-israelitische Perspektive, aber auch für die innere Strukturierung der genealogischen Konstruktion. Allein der Blick auf Ruben und Benjamin genügt, um die Problematik zu verdeutlichen. Der Stamm Ruben gehört zu den historisch am schwersten fassbaren Größen innerhalb der Stämmesystems.317 Sein Siedlungsgebiet wird hauptsächlich im Ostjordanland verortet (vgl. Num 32; Jos 13.22)318, allerdings in einem Gebiet, das nach Auskunft der Meschastele seit dem 9. Jh. v.Chr. von den Moabitern beansprucht wurde. Die Meschastele nennt als israelitische Bevölkerung Gad, Ruben wird dagegen nicht erwähnt. Nachrichten über den Stamm Ruben oder Rubeniten in der Königs- oder exilisch-/ nachexilischen Zeit fehlen völlig. Dieser Befund hat zu Überlegungen geführt, dass der zuvor bedeutsame Stamm Ruben im 8. Jh. v.Chr. untergegangen sei319 oder sogar niemals existiert habe.320 Demgegenüber steht die relativ große Bedeutung die dem Jakobsohn Ruben als Erzählfigur in den Erzelternerzählungen, v.a. der Josephsgeschichte zukommt und seine prominente Position als Erstgeborener unter den Jakobsöhnen, die sich darüber hinaus auch in den Stammessprüchen Gen 49,3f. bzw. Dtn 33,6 und der Mehrzahl der Stämmelisten bis hin zu 1Chr 1–9321 findet. Die Existenz Benjamins, lokalisiert im notorisch umstrittenen Landstrich zwischen Jerusalem und dem ephraimitischen Bergland, ist dagegen 316 Schon für NOTH , System, 31, ist dies der Ausgangspunkt der Untersuchung: „Die Zeit nach dem Tode Salomos, d.h. die Zeit des israelitisch-judäischen Gegensatzes … hätte man nie ernstlich für die Entstehung des Systems in Betracht ziehen sollen; sie ist dafür so ungeeignet wie möglich; denn das System läßt als Ganzes, vor allem aber in seiner Einzelgliederung – man denke besonders an die in allen überlieferten Formen als geschlossene Gruppe auftretende Reihe der „Lea“-Stämme – jegliche Rücksicht auf die politische Trennung in die Reiche Israel und Juda vermissen.“ 317 In der neuesten Monographie zum Thema Ruben kommt SCHORN , Ruben, 283, daher zu dem Schluss: „Die während der Arbeit über Ruben gestellte Frage ‚hat es Ruben gegeben?‘ oder ‚wer war Ruben?‘, musste je länger je mehr der Einsicht weichen, daß die eigentlich entscheidende Frage lautet: ‚Welche Bedeutung hat Ruben?‘.“ 318 Daneben gibt es indirekte Hinweise auf Rubeniten im westjordanischen Gebiet, wobei es sich meist um Sippen oder Ortslagen handelt, die in verschiedenen Texten einmal als rubenitisch und einmal als judäisch oder benjaminitisch eingeordnet werden (zum Phänomen und der Forschungsdiskussion vgl. SCHORN , Ruben, 197f.). 319 So z.B. CROSS , Reuben; DONNER , Geschichte, 167. 320 So AUGUSTIN , Aspekte; ähnlich auch LEVIN , System, mit dem Urteil, Ruben gehöre zu jenen ‚Stämmen‘, die „von Hause aus Erzählfiguren gewesen [sind], nicht anders als Jakob, Esau, Laban, Lea und Rahel“ (177). 321 Zum chr Umgang mit dieser Rolle Rubens oben S. 122ff.
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unbestritten, ist er doch in der alttestamentlichen Überlieferung weitaus stärker präsent. Der Stamm und sein Gebiet bestimmen die Landnahmeerzählungen in Jos 2–9, deren „Gesichtskreis … räumlich über das Stammesgebiet von Benjamin kaum hinaus[geht]“ 322. Im Richterbuch hat Benjamin seine Helden – Ehud ist Benjaminit (Jdc 3,15) und Debora hatte ihren Sitz offenbar im benjaminitischen Gebiet (zwischen Bethel und Rama, Jdc 4,5) – und seine Übeltäter, wie die Leute von Gibea, deren Schandtat an der Frau eines Ephraimiten sprichwörtlich geworden ist (Jdc 19–21). Der letzte Richter Samuel agiert vorwiegend in Benjamin (1Sam 7,15–17), und Benjamin stellt mit Saul schließlich den ersten König und mit Michal – Sauls Tochter – die erste Frau Davids. Aus Benjamin kommt dann auch der Widerstand gegen David, wie die Verfluchung Davids durch Schim˓i ben Gera (2Sam 16) oder der Aufstand Scheba ben Bichris (2Sam 20) zeigen. In der Darstellung der Reichsteilung fällt Benjamin schließlich an Juda (so 1Reg 12,21.23), obwohl Benjamins Zugehörigkeit zuvor auf seltsame Weise offen bleibt. 323 In den Königebüchern kommt das Gebiet Benjamins öfter als zwischen Nord- und Südreich umstrittenes Territorium in den Blick; der Grenzverlauf ändert sich mehrfach. 324 Wenn in 2Reg 23,8 Geba als Grenzort Judas erscheint, werden hier große Teile des benjaminitischen Gebiets zum Gebiet Josias gerechnet. Die Nachrichten aus der Exilszeit sind spärlich, nennen jedoch das benjaminitische Mizpa als Residenz Gedaljas (Jer 40f.). In Esr/Neh sowie Chr gehört Benjamin schließlich neben Juda und Levi zur dominierenden Stämmetrias. Mit K.-D. Schunck ist festzuhalten: „Niemand, der sich der Geschichte des Volkes Israel zuwendet, sei es dem Gesamtablauf der Geschichte dieses kleinen und doch so eminent bedeutenden Volkes, sei es nur einzelnen Perioden innerhalb seiner Geschichte, kann den Namen Benjamin unbeachtet übergehen.“325
In Gen 29f.35 und auch in der Josephsgeschichte ist Benjamin als einziger weiterer Rahelsohn in die größtmögliche Nähe zu Joseph gerückt. Gleiches gilt für die Stämmelisten, sofern sie dem genealogischen System und nicht anderen Ordnungsprinzipien folgen.326 Auf eine nördliche Provenienz weist auch der Name בנימין,327 dessen Bedeutung eine geographische ist und mit ימיןauf die rechte bzw. südliche Seite abhebt. Die Beschreibung als „südlich“, zeigt aber eine Perspektive von Norden her an. NOTH, Josua, 12. Ahija zerreißt in seiner Zeichenhandlung vor Jerobeam (1Reg 11,29–39) seinen Mantel in 12 Stücke, von denen Jerobeam zehn erhält und ein Stück resp. Stamm Reha beam zugesprochen wird. Was ist mit dem 12. Stück/Stamm? Man kann es so verstehen, dass Rehabeam noch einen Stamm zusätzlich zu Juda erhält, dann wäre an Simeon oder eben Benjamin zu denken. 324 S CHUNCK , Benjamin, 167, rekonstruiert sechs verschiedene Grenzziehungen assoziiert mit David, Rehabeam, Abia, Asa, Ahas und Josia. 325 S CHUNCK , Benjamin, 1. 326 So in Gen 35,23–26; 46,8–25; 49,1–27; Num 1,5–15.20–43; Num 13,4–15; 26,5– 51; 34,16–29; Dtn 33; 1Chr 2,1f.; 12,25–28; 27,16–22, allerdings mit Variationen in der Reihenfolge v.a. bezüglich der Magdsöhne. In Ex 1,2–4 fehlt Joseph, der sich bereits in Ägypten befindet. Num 2,3–31; 7,12–83; 10,14–28; Ez 48,1–29.31–35; 1Chr 2–8 und mglw. Dtn 27,12f.; Jos 13–19 folgen anderen Gliederungsprinzipien, aber auch hier steht Benjamin meist in der Nähe von Joseph bzw. Ephraim oder Manasse. 322 323
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Die engen Verbindungen Benjamins mit Joseph erweisen sich im Blick auf die Situationsangemessenheit als Stolperstein für jede Erklärung des Stämmesystems als judäische Erfindung. Für die nachexilische Zeit ist sie mit den Verhältnissen der Provinz Jehud nicht zu vereinbaren.328 Da das benjaminitische Gebiet häufig zwischen Nord- und Südreich umstritten war und nach 720 mit großer Wahrscheinlichkeit zu Juda gehörte, gilt das gleiche für die vorexilische Zeit. Ähnlich verhält es sich mit der exponierten Stellung Rubens unter den Jakobsöhnen. Diesbezüglich wird die mangelnde Situationsangemessenheit indirekt durch Versuche bestätigt, die Stellung Judas im Stämmesystem zu stärken. Ein solcher zeigt sich in der Anlage der Genealogien in 1Chr 1–9 samt ihrer Erklärung in 1Chr 5,1f., aber auch schon deutlich früher in Texten wie Gen 34; 35,22; 49,3–10, die darauf abzielen, die älteren Söhne Ruben, Simeon und Levi herabzustufen, und darüber Juda innerhalb der Koordinaten des genealogischen Systems aufzuwerten.329 Mit einer Herleitung aus dem Nordreich lässt sich dagegen die Zuordnung Benjamins deutlich besser vereinbaren. Ruben jedoch bleibt problematisch. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Rubeniten eine bedeutsame Bevölkerungsgruppe innerhalb des Nordreichs darstellten. Zudem legt die narrative Ausgestaltung, die das Stämmesystem in der Darstellung der Geburt der Jakobsöhne erfährt und die Art und Weise, wie es in der Josephsgeschichte aufgenommen wird, Zeugnis davon ab, dass Joseph zu Lasten des erstgeborenen Ruben profiliert wird. In Gen 29f. geschieht dies über seine Zuordnung zu Rahel und v.a. die damit verbundene Wertschätzung durch Jakob; in der Josephsgeschichte über die 327 „Benjamin“ begegnet in zweifacher Verwendung, einmal als Name einer Einzelperson (neben den Belegen in Gen und in den Stämmelisten auch in Esr 10,32; Neh 2,23; 1Chr 7,10; zu Neh 12,34 vgl. RUDOLPH , HAT Esra 196f.), womit zumeist der Jakobsohn gemeint ist, oder als Name des Stammes Benjamin. SCHUNCK , Benjamin 5, möchte den „Stamm als ethnisch-geographische Größe“ verstehen. Allerdings fungiert „Benjamin“ nie als reines Toponym, was bei der Wortbildung mit בןauch kaum denkbar wäre, diese Funktion übernehmen Zusammensetzungen wie ( ארץ בנימיןJdc 21,21; 1Sam 9,16; 2Sam 21,14; Jer 1,1; 17,26; 32,8.44; 33,13; 37,12) bzw. ארץ ימיניa(1Sam 9,4), גבעת בנימיןa(1Sam 13,2.15; 14,16) bzw. גבע בנימיןa(Jdc 20,10; 1Sam 13,16; 1Reg 15,22) u.ä. Die Schreibung des Namens ist allerdings nicht einheitlich, neben der zusammengesetzten Form בנימיןsind auch eine Reihe von Verbindungen mit ימיניbelegt, neben בן bzw. בני ימיניa(Jdc 19,16; 1Sam 9,21; 22,7; Ps 7,1; 1Chr 27,12) auch אישׁ ימיניa(1Sam 9,1; 2Sam 20,1; Est 2,5) oder ארץ ימיניa(1Sam 9,4). Analoge Constructus-Verbindungen gibt es aber auch mit בנימין. Literar- oder quellenkritische Rückschlüsse lassen die verschiedenen Varianten m.E. nicht zu, eher scheint es, dass die Textüberlieferung in diesem Punkt über lange Zeit unsicher blieb, wofür eine Reihe textkritischer Varianten und auch die Häufigkeit von masoretischen Ketib und Qere-Anmerkungen spricht (so z.B. zu Ex 1,3; Num 1,11; Jdc 20,13.23f.28; 1Sam 9,1.21; 1Chr 27,12). 328 Vgl. oben S. 293ff. 329 Zu Abgrenzung und Profil dieser „judäischen Textgruppe“, zu der er auch Gen 38 rechnet, vgl. BLUM, Komposition, 209ff.228f.
2. „Israel“ vor dem Ende des Nordreichs
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Zeichnung Rubens als zwar gewichtige, aber letztlich erfolglose Figur unter den Brüdern, die gegenüber Joseph (und auch Juda) zurücksteht. Dass sich das Stämmesystem als Codierung der kollektiven Identität eines verfassten Gemeinwesens wie der persischen Provinz Jehud oder des vorexilischen Nord- oder Südreichs herausgebildet hat, ist somit unwahrscheinlich. Ist es jedoch älter, fehlt für seine Rekonstruktion jegliche Textbasis. 3. Ergebnisse
2.3.2 Elemente des älteren primordial codierten Gemeinbewusstseins Sind dennoch Rückschlüsse auf Einzelzüge der älteren Codierung möglich? Sie lassen sich nur indirekt durch den Versuch eines traditionsgeschichtlichen Rückgriffs hinter die vorliegenden Texte erreichen und bleiben somit spekulativ. In Frage kommen als Minimalbestand jene Elemente, in denen (a) die frühen Texte wie die nord-israelitische Jakoberzählung, die Josephsgeschichte sowie die judäische Thronfolgegeschichte aber auch die übrigen untersuchten Texte konvergieren und die sich (b) darüber hinaus nicht aus der herausgearbeiteten Erzählintention der vorliegenden narrativen Entfaltung des Codes erklären lassen. (ad a) Hierzu zählen die gesamt-israelitische Perspektive, die Gliederung in Stämme und möglicherweise ihre Zwölfzahl 330, ihre Rückführung auf den Stammvater Jakob/Israel, die enge Verbindung zwischen Joseph und Benjamin, die Nennung der Stämme Juda, Benjamin, Levi und Joseph. (ad b) Diesbezüglich ist sicher an Ruben und seine prominente Stellung als Erstgeborener zu denken (wäre Rubens Rolle nicht vorgegeben, wieviel einfacher wäre es gewesen, Joseph gleich zum Erstgeborenen zu machen?), vielleicht auch an die Zwölfzahl der Stämme, incl. jener Söhne, die als Erzählfiguren keine Rolle spielen, sowie die Differenzierung in Rahel- und Lea-Söhne einerseits und Magdsöhne andererseits. Dagegen dient die Zuordnung Josephs zur Lieblingsfrau Rahel sowie die Einordnung Judas auf einer wenig herausgehobenen Position der josephitischen Pointe der Erzählung. Gleiches gilt selbstverständlich auch für die enge Verbindung von Joseph und Benjamin, die aber auch in der judäischen Thronfolgegeschichte vorausgesetzt ist. Daneben finden sich aber auch Hinweise auf weitere Stämme. Hierfür wird häufig das Deboralied (Jdc 5) angeführt, 331 das zehn Stämme nennt, darunter die im Zwölfersystem nicht enthaltenen Gilead und Machir. Es fehlen die Südstämme Juda und Simeon, Manasse und Gad. 332 Machir wird außerhalb von Jdc 5 als Sippe innerhalb Manasses geführt, 333 Gilead scheint an manchen Stellen als eigener Stamm angesprochen zu sein (Jdc 10,3–5; 11f.), ist aber zumeist als Sippe oder Territorium Manasse, stellen-
330
Zu 2Sam 19, vgl. 179f.
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C. Synthesen: Das Stämmevolk Israel
weise auch Ruben oder Gad zugeordnet.334 Eine wieder andere Liste nennt 2Sam 2,9 als Herrschaftsgebiet Eschbaals; neben Ascher, Ephraim und Benjamin erscheinen hier Gilead und Jesreel. Darüber hinaus ist die Zuordnung einzelner Sippen unklar (das betrifft neben einigen rubenitischen Sippen335 z.B. auch Kaleb, der in den Genealogien der Chr (1Chr 2,18– 24.42–50) zu Juda gerechnet wird, in Jos 14 jedoch als „Kenasiter“ geführt ist.336 Eine derartige Fluidität ist für genealogische Systeme jedoch nicht ungewöhnlich, sondern in segmentären Gesellschaften, in denen sie zur praktisch orientierenden Alltagsgewissheit gehören, geradezu der Normalfall.337 Diese Fluidität scheint die genealogische Konstruktion der zwölf Stämme Israels aber bereits in der frühen Königszeit eingebüßt zu haben. Schon die 331 Ob man auf der Basis von Jdc 5 Rückschlüsse auf die Geschichte israelitischer Stämme in vorstaatlicher Zeit ziehen oder ein Stämmesystem rekonstruieren kann, das dem Zwölfersystem vorausging (so in neuerer Zeit z.B. FRITZ, Debora-Lied), ist allerdings fraglich. Beides hängt zunächst an der literarkritischen Einschätzung des betreffenden Abschnitts 5,14–18 (SCHORN , Ruben, 117ff., hält den Rubenspruch v. 15b.16 gegenüber den übrigen Aussagen zu den Stämmen für sekundär; PFEIFFER, Jahwes Kommen, 48ff.69, nimmt für die Entstehung von v. 14–18 sogar vier Schritte an; in der Konsequenz fällt Jdc 5 als Zeugnis für ein altes Zehn-Stämme-System aus) und v.a. an der umstritte nen Datierung des Liedes. Es galt lange als einer der ältesten Texte des Alten Testaments, der in die frühe Königszeit, wenn nicht gar vorstaatliche Zeit zurückführt – ein Forschungskonsens, der sich Ende des 20. Jh. aufgelöst hat und nun einer Vielzahl verschiedener Ansetzungen vom 11. Jh. v. Chr. bis ins 1. Jh. n.Chr. gewichen ist (einen Überblick bietet NEEF, Deboraerzählung, 99–104). Für ein hohes Alter des Stückes werden neben der Nennung von Machir und Gilead unter den Stämmen v.a. Sprachargumente beigebracht (vgl. dazu die Darstellung der Diskussion bei GROSS , HThKAT, 295–297, der den „starke[n] Eindruck altertümlicher Sprache“ teilt, aber zugleich zu bedenken gibt: „Aber strikt bewiesen werden kann archaische Sprache gegen jüngere archaisierende Ausdrucksweise nicht“ (296).) Selbst wenn man mit Groß, der nach sorgfältiger Abwägung der Argumente für eine Entstehung des seiner Ansicht nach weitgehend einheitlichen Liedes „im ausgehenden 10. oder beginnenden 9. Jh. am Königshof des sich konsolidierenden Nordstaates Israel“ (aaO., 349) plädiert, eine alte Komposition vermutet, bleiben Rückschlüsse auf ein Stämmesystem schwierig. Das Lied dient nicht der Entfaltung einer genealogischen Konstruktion, sondern die Nennung der Stämme erfolgt im Kontext eines Schlachtberichts. Ob Vollständigkeit angestrebt war, bleibt somit offen, was wiederum Auswirkungen auf die Erklärung der Tatsache hat, dass die Südstämme Juda und Simeon fehlen. Auch über die innere Strukturierung des Systems gibt es keine Auskunft. Selbst die Rede von „Stämmen“ ist aus anderen Texten, die diese Größen nennen, an Jdc 5 herangetragen; der Begriff שׁבטfällt im Lied nur in 5,14, allerdings in der Bedeutung „Stab“. Jdc 5 kann also als Beleg dafür dienen, dass es neben der Zwölf-Stämme-Konstruktion, die sich im Alten Testament vorrangig niedergeschlagen hat, andere oder zumindest variierende genealogische Konstruktionen gegeben hat. Wie diese konturiert waren, lässt sich allerdings nicht mehr rekonstruieren. 332 Levi fehlt ebenfalls, er wird aber in geographisch gegliederten Listen i.d.R. nicht genannt. 333 Gen 50,23; Num 26,29; 27,1; 32,39f.; 36,1; Jos 13,31; 17,1.3; 1Chr 7,14–17.
3. Ergebnisse
373
Jakoberzählung konnte Ruben und seine Stellung als vorgegebenes Traditionselement nicht mehr ignorieren oder transformieren. Die späteren Anpassungsbemühungen zugunsten Judas (Gen 34; 38; 35,22; 49,3–10) greifen nicht mehr in die Koordinaten des Stämmesystems ein, sondern ergänzen sie um hinzutretende Differenzierungen. Die zunehmende Fixierung mag durch die Verschriftlichung verstärkt worden sein. Sie ist vielleicht auch ein Indiz dafür, dass der primordiale Code gegenüber anderen, z.B. staatlichen, Strukturen der sozialen Welt zeitweise in den Hintergrund trat.338 Als Ausdruck und „Zeugnis für das Einheitsbewußtsein des israelitischen Volkes“339 blieb er jedoch ausweislich seiner Bedeutsamkeit in nachexilischer Zeit eine fundamentale Konstante für die kollektive Identität Israels.
3. Ergebnisse: Zwölf Thesen zur Verwendung des Israel-Namens im Alten Testament 3. Ergebnisse
Anstelle eines Fazits sollen die in den Studien erreichten Ergebnisse knapp in zwölf Thesen zusammengestellt werden: 1. Für den Israel-Namen lässt sich im Alten Testament eine Vielfalt möglicher Zuschreibungen feststellen. Daraus resultiert Mehrdeutigkeit im Sinne einer Mehrzahl möglicher Referenzen des Namens. 2. Insofern „Israel“ ein Kollektiv bezeichnet, sind mit dem Namen Zuschreibungen verbunden, die auf die Grundlagen der kollektiven Identität bezogen sind und die im Gebrauch des Namens mitschwingen und über seinen Gebrauch bestärkt oder modifiziert werden können. 3. Die Vielfalt der Verwendungsweisen lässt sich nicht einfach in ein (literar-)historisches Nacheinander verschiedener eindeutiger Verwendungsweisen auflösen. Die Annahme einer ursprünglich allein engen 334 Als manassitische Sippe wird Gilead in Num 26,29; 27,1; 32,29f.; 36,1; Dtn 3,12. 15; Jos 13; 17,1.3.5f.; 20,8; 1Chr 7,14ff. geführt, in Assoziation zu Ruben oder Gad z.B. in Dtn 3,13; 4,43; 20,8. Den Versuch einer historischen Rekonstruktion unternimmt KAMLAH , Ostjordanland, und kommt zu dem Ergebnis: „Im Zeitalter der Entstehung Israels und während der frühen Königszeit galt Gilead also offensichtlich als ein zu Israel gehörender oder mit Israel verbundener Stamm (Ri 5,17; 1 Kön 4,19). Im Verlaufe der Königszeit kam es zu einer zunehmenden Ablösung Gileads von Israel“ (122). 335 Vgl. oben S. 368 Anm. 318. 336 Zu Kaleb vgl. oben S. 128 Anm. 318. 337 Genealogien werden oft von Generation zu Generation an die bestehenden Verhältnisse angepasst und trotzdem so präsentiert und wahrgenommen, als seien sie seit Menschengedenken unverändert, vgl. FORTES, Struktur, sowie MIDDLETON & TAIT, Lineage. 338 Vgl. B LUM , Komposition, 487f. 339 NOTH , System, 39.
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C. Synthesen: Das Stämmevolk Israel
Verwendungsweise als staatsrechtliche Bezeichnung für das Nordreich bestätigt sich nicht. 4. Sowohl in nord-israelitischen (Jakoberzählung, Josephsgeschichte, Hosea) als auch in judäischen Texten (ThFG) ist für die Zeit der geteilten Reiche neben einer engen auf das Nordreich referierenden eine weite, d.h. gesamt-israelitische Verwendungsweise des Israel-Namens festzustellen. Die Anwendung des Israel-Namens auf Juda ist zuerst in judäischen Prophetentexten (Proto-Jesaja, Micha) vom Ende des 8. Jh.s v.Chr. belegt; sie setzt aber bereits einen älteren diesbezüglichen Sprachgebrauch voraus. 5. Die Basis für diesen Sprachgebrauch bildet ein gesamt-israelitisches Gemeinbewusstsein, das in den Texten präsupponiert ist, aber in den meisten Fällen nicht entfaltet wird/werden muss, sondern lediglich in Einzelaspekten aufgegriffen und meist in Argumentationszusammenhängen, in denen es um eine gesamt-israelitische Perspektive geht, eingespielt wird. 6. Die Wurzeln dieses gesamt-israelitischen Gemeinbewusstseins führen hinter die früheste narrative Entfaltung als Stämmesystem in der Jakoberzählung und auch der Josephsgeschichte zurück, die in ihrer Darstellung des Eponymensystems u.a. die politische Ideologie des Nordreichs (Hegemonieanspruch für ganz Israel) spiegeln. 7. Die Anwendung des Israel-Namens auf Juda hat in diesem Gemeinbewusstsein ihre Voraussetzung. Eine „Israelitisierung“ Judas nach dem Ende des Nordreichs ist nur dahingehend feststellbar, dass die Bezeichnung Judas als „Israel“ stärker verbreitet war. Sie stellt jedoch keine Innovation dar, sondern fußt auf dem genannten älteren gesamt-israelitischen Gemeinbewusstsein. 8. In den perserzeitlichen Texten sind bezüglich der möglichen Referenz auf die Bevölkerung im Gebiet des ehemaligen Nordreichs in verschiedenen Texten sich gegenseitig ausschließende Zuschreibungen erkennbar. Daher ist zwischen einer inklusiven Verwendungsweise („Israel“ schließt die Samarier ein) und einer exklusiven Verwendungsweise („Israel“ schließt die Samarier nicht ein) zu unterscheiden. 9. Sowohl der inklusive als auch der exklusive Israel-Begriff gehen mit einer Konzeption von „Israel“ als Ethnos im Sinne eines verwandtschaftlich strukturierten Stämme-Volks einher und stehen daher in der Tradition zum in den vorexilischen Texten greifbaren Israel-Verständnis. 10. Das Zwölf-Stämme-System ist nicht aus den Gegebenheiten der Perserzeit erklärbar, sondern bildet eine bereits vorgegebene und nicht mehr frei transformierbare Tradition, die weder mit dem inklusiven noch mit dem exklusiven Israel-Begriff einfach deckungsgleich ist.
3. Ergebnisse
375
11. Die exklusive Verwendungsweise, die wirkungsgeschichtlich über lange Zeit das Bild nachexilischen Israel geprägt hat, ist angesichts der kulturellen Kontinuität zwischen Juda und Samaria in der Perserzeit und ausweislich des argumentativen Aufwands, der zu ihrer Absicherung nötig war, wahrscheinlich eine Minderheitenposition, die im Juda des 5. Jh.s v.Chr., ausgelöst durch den Bau des JHWH-Tempels auf dem Garizim, vertreten wurde, sich aber auf längere Sicht nicht durchsetzen konnte. 12. Israel ist durchgehend ein Stämmevolk, ein Wechsel der elementar primordialen Codierung der israelitischen kollektiven Identität ist ausweislich der erhaltenen Texte nicht feststellbar. Eine Substitution dieses primordialen Codes israelitischer Identität durch einen universalistischen (z.B. als Gemeinde) ist nicht erkennbar. Mit dem elementaren Code sind schon in früher Zeit weitergehende Zuschreibungen gekoppelt, wie etwa das Verständnis Israels als Gottesvolk, andere treten im Laufe der Geschichte zeitweise hinzu, so etwa die Identifikation von Israel und Exilsgemeinschaft. J. Wellhausen hat auf die Frage nach dem „Fundament, auf dem zu allen Zeiten das Gemeinbewußtsein Israels beruhte“, mit der bekannten Gleichung „Jahve der Gott Israels und Israel das Volk Jahves“ geantwortet.340 Im Lichte der vorliegenden Studien erweist sich diese Antwort als ebenso richtig wie falsch. Falsch ist, dass Israels kollektive Identität auf einem religiösen Fundament ruhen würde. Israelit ist – sowohl in vorexilischer, wie auch in nachexilischer Zeit – nach der in den Texten greifbaren Codierung der kollektiven Identität, wer von Jakob abstammt und in diesem Sinne בן ישׂראלist. Richtig ist aber, dass es untrennbar zu JHWH gehört, als אלהי ישׂראלGott des so bezeichneten Stämmevolks zu sein. An keiner Stelle im Alten Testament findet sich ein JHWH-Epitheton, das JHWH zu einer anderen kollektiven Größe als Israel in Beziehung setzt.341 Auch wenn JHWH zum Gott der Völker wird, bleibt er dabei doch stets und beständig, der Gott seines Volkes Israel. WELLHAUSEN , Geschichte Israels, 16 (Hervorhebung i.O.). Die einzige Ausnahme bildet die Konstruktion אלהי העברים, die nur in der Exoduserzählung begegnet (Ex 3,18; 5,3; 7,16; 9,1.13; 10,3). Im Erzählzusammenhang ist jedoch klar, dass es sich bei den „Hebräern“ um die Nachkommen Jakobs/Israels handelt, deren Gott hier jeweils im Gespräch mit dem Pharao als „Gott der Hebräer“ bezeichnet wird. Auf die grundlegende Beobachtung, dass Zusammensetzungen wie etwa אלהי יהודהim gesamten Alten Testament nicht belegt sind, haben bereits DANELL , Studies, 274, Anm. 22; LINVILLE , Israel, 28, und BLUM, Prophetie, 99, Anm. 100, aufmerksam gemacht. אלהי ירושׁלםfindet sich in 2Chr 32,19, allerdings nur in der indirekten Wiedergabe der Rede der Boten Sanheribs. Außerbiblisch ist diese Zusammensetzung möglicherweise in einer Inschrift aus Khirbet Beit Lei belegt, die Lesung ist allerdings unsicher, zu Lesevorschlägen, Diskussion und Literatur vgl. RENZ & RÖLLIG, HAE I, 242–246. 340 341
Literatur Literatur
Die verwendete Literatur wird in der Arbeit unter Angabe der Verfasserin bzw. des Verfassers und unter Nennung eines Kurztitels, bei Kommentaren der Reihe, angegeben. Wo aus bislang unveröffentlichten Manuskripten zitiert wird, geschieht dies mit Dank an die Autoren, die mir ihre Arbeiten vorab zur Verfügung gestellt haben. Hebräische Titel finden sich unter ihren englischsprachigen bibliographischen Angaben, sofern solche beigegeben sind. Literatur
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Register Register
Anders als im Stellenregister sind die Anmerkungen im Autoren- und Stichwortregister nur zum Teil berücksichtigt. Kursiv gesetzte Seitenzahlen beziehen sich auf lediglich in den Anmerkungen genannte Stellen.
Stellenregister Register
Altes Testament Genesis 10 12–50 12,1–3 15,19 16 18,18 22,2 22,17 22,18 24,10 25,20 25,22 25,31–34 26,4 27 27,33f. 27,36 28 29,31–30,24* 30,1–4 30,3–5 30,9 30,14–16 30,15f. 30,16 30,21 30,22 31,13
120 235, 344 240 128 239 76 337 165 76 353 353 258 125 76 124, 243, 259 124 125 19, 259 32, 236ff., 240, 242, 248, 258f., 261, 344, 357f., 360, 367, 369 237 239 238 237, 238 239 238 241 238f. 350
31,18 31,44–54 32,13 32,29 32,33 33 33,1f.6f. 33,16f. 33,18 33,20 33,23 34 34,7 35 35,4 35,9 35,10 35,16ff. 35,16–20 35,16–18 35,21f. 35,22–26 35,22 35,23–26 35,26 36 36,31 37–50* 37 37,1f. 37,3.13
353 258 165 235 236, 344 259 244 258 353, 337 236 241 124, 242, 370, 373 211, 236 369 337 353 236 241, 244 367 236 124, 236 32, 121 123, 125, 370, 373 369 353 158 236, 344 244ff. 248, 251, 254, 263 247 236
414 37,30.35 37,36f. 37,8 37,9f. 38 38,5.22 40 40,2ff. 41,42 41,46 42–45 42–44 42 42,2 42,13 42,19 42,22 42,29ff. 42,29–38 42,30–34 42,32 42,33 42,36 42,37 42,37f. 42,38 42,4 42,5 42,6 42,7ff. 42,7–20 42,8 42,9 43 43f. 43,1ff. 43,1–15 43,1–10 43,3–10 43,3.5.7 43,6.11 43,8f. 43,8 43,14 43,16 43,18f. 43,26 43,29f. 43,33 43,34 44,14
Register 249 248 245 245 124, 129, 252, 373 125 251 249 255 247 252, 254 247, 252 248, 251 250 253 253 248 250, 253 249 252f., 253 253 253 249f. 249f., 252, 255 248, 251 249, 250, 252, 254 250, 252, 254 236 245, 263 253 252f. 245, 250, 263 252 250 251 252f. 249 253 252 253 236 249f., 255 236, 250 250 254 187 245 254 125 254 245
44,17 44,18–23 44,18 44,19.23.26 44,27f. 44,29 44,33f. 45,1ff. 45,12.14 45,21 45,22 45,28 46 46,1f.5.8 46,6f. 46,8–25 46,8–27 46,9 46,15 46,23f. 46,29f. 46,34 47,5f.7–11 47,21 47,27 47,27f. 47,29 47,31 48f. 48,2.8.10f.13f. 48,3–7 48,5 48,13–20 48,20f. 48,22 49 49,1 49,1–27 49,2 49,3 49,3f. 49,3–10 49,5–7 49,7 49,8–12 49,16 49,22–26 49,24 49,25f. 49,28
252 253, 254 245, 255, 263 253 254 251f. 255 252 254 236 254 236 252 236 247 369 249 248f. 353 122 236 265 247 264 236, 344 247 236 1, 236 252 236 247 125, 248 124 236 125 123, 124, 125f, 241, 344 247 367, 369 236 248 123, 125, 368 370, 373 124 211, 229, 236 123 236, 357 125 211, 236 123 236, 247, 357
415
Register 49,29–33 50 50,2 50,8 50,12f. 50,17f. 50,18 50,19f. 50,19 50,21 50,23 50,25
247 265 236 187 247 245 245, 263 257 245 264f. 372 236
Exodus 1 1,2–4 1,3 1,5 1,10 3,18 5,3 7,3 7,16 9,1.13 10,3 12,3–6 12,43–49 15,15 15,16 16,13 18 19f. 19,3 19,6 20,5 20,17 24,4 24,18 29,1–46 34,15f. 40,22–29
265 121, 369 370 249 166 375 375 205 375 375 375 152, 300 76, 150, 152 158 161 202 77 276 211, 229 28 60 337 357 202 142 79 143
Leviticus 8 24,10f. 25 25,39.47 26 26,3–13 26,31–33 26,34.41.43
142 1 310, 311 255 310 86 196 311
Numeri 1,5–15 1,5–15.20–43 1,11 1,49 2 2,3–31 7 7,12–83 8,5–22 9,10–12 10,2–10 10,10 10,11 10,14–28 13,4–15 13,6 18,19 21,28 21,29 22–24 23,7.10.21.23 23,25 24,5.17 26 26,5–51 26,29 27,1 31,6 32 32,12 32,29f. 32,34 32,39f. 34,16–29 34,19 36,1
367 369 370 104 122 369 122 369 142 299, 306 143 276 202 369 369 128 141 233 351 359 211, 229 204 211, 229 118, 122 367, 369 372f. 372f. 143 368 128 373 217 372 369 128 372f.
Deuteronomium 2,26 3,12 3,13.15 4,34 4,43 4,48 5,9 6,22 7,1–6 7,19 12,17 13,2f.
217 217, 373 373 205 373 217 60 205 79, 303 205 115 205
416
Register
14,24 15,2.12 16,2 16,2–6 16,6 18,6 19,14 20 20,8 20,10–18 21,17 23,5 26,8 27,12f. 27,17 28,1 28,46 29,2 29,20 33 33,5 33,6 33,10.28 33,13–17 34,11
115 255 152 300 152 182 277 201 373 79 125 353 205 369 277 76 205 205 357 369 357 368 211, 229 125 205
Josua 1 2 2–9 3,12 9,3 12 12,2 12,7 13–19 13 13,9.16.25 13,31 14 14,6ff. 15,13f.54 15,63 16,3 16,5 17,1.3.5f. 17,17 18,5 20,8 21 22
63 77 369 357 166 63 217 357 369 368, 37 217 372 372 128 128 158 72 72 373 187 187 373 131 368
22,4 22,24 23 24,1 Richter 1,16 1,21 1,22f. 1,35 2 3,8 3,9 3,15 4,5 5
185 190 63 357
5,14 6,10 7,8 10,3–5 11f. 11,12 11,33 18,1 19–21 19,16 20,2 20,8 20,10 20,12 20,13.23f.28 21,5.8.15 21,21
128 158 187 187 63 353 128 369 369 13, 189, 241, 371, 372 276, 372 60 185 371 371 190 217 357 369 370 357 185 357, 370 357 370 357 370
1 Samuel 2,28 3,1 4,10 7,15–17 9,1.4.16 9,21 10,20 12 13,2 13,15f. 14,16 15,17 17,4.23 17,52 18,11
357 193 185 369 370 357, 370 357 63 185, 370 370 370 357 174 174, 211 181
Register 18,16 21,11.13 22,7 27,2–4 27,10 27,11 30,14.29 2 Samuel 1,19 1,20 1,25 2 2,3f. 2,4 2,9 3,3 3,12f. 5 5,1 5,1ff. 6,1.5.15.19–21 7,6ff. 7,10 7,16 7,23f.27 8 8,5 8,15 9–14 9,6–13 10 10,6–11,1 10,7 10,9 10,15 10,15–19 10,17–19 11f. 11 11,1 11,11 12,7 12,7b-12 12,8 12,11f. 12,12 12,24 12,26–36
211 174 370 174 128 174 128 233 174 233 9, 174 105 177 372 129 178 105, 177 357 177 177 177, 357 177 141 177 163, 353 353 177 341 181 163 177 177 1, 171, 177, 180 171, 177 163 171, 177 175, 176 181 171, 177, 179 171, 177f., 186, 211, 355 3, 200 172 3, 180, 186, 211, 355, 355f. 181 171, 177 175 177
12,29ff. 13 13,12f. 13,12 13,23 14,25 15–19 15 15,1 15,1–6 15,1–12 15,2 15,6 15,7–12 15,10 15,13ff. 15,13–37 15,13 15,18 15,24 15,34f. 16 16,1–4 16,1–14 16,3 16,5–13 16,11 16,15 16,16–19 16,18 16,19 16,21f. 17,10f. 17,1 17,4 17,8–13 17,12 17,13 17,14 17,15 17,24 17,25 17,26 18,1–17 18,6 18,7 18,9 18,16
417 163 178, 181 171, 179, 185 177, 178 186 171, 177, 179 180ff. 341 181 181, 341 181 171, 178, 180, 186, 355, 356f. 171, 180, 186 183 171, 180, 186, 355, 356f. 183, 341 181 171, 180, 186 174 186, 355 185 369 181 184 171, 180, 186, 355, 356 181 186, 355 171, 180, 184f. 185 171, 180, 185 185 171, 181, 184 171, 185f. 186, 355, 356 171, 180, 184 185 184 171, 185 171, 180, 184 171, 180, 184f. 171, 180, 184 1, 129, 171 171, 184 184 171, 184, 186 171, 180, 184 184 171
418 18,17 19f. 19 19,9 19,10–16 19,10 19,11 19,12 19,13 19,15–17 19,16 19,17f. 19,17–24 19,21 19,23 19,25–31 19,32–41 19,41–44 19,41–20 19,41 19,42f. 19,42–44 19,42 19,43 19,44 20 20,1 20,1ff. 20,1f. 20,1–22 20,2 20,3 20,4f. 20,14 20,19 20,21 20,22 20,23 21 21,14 23,1 23,3 23,9
Register 171, 185, 188, 184 189 187 171, 179, 180, 184, 185 184, 187, 356 171, 184, 186, 355, 356f. 184f. 171, 184, 186, 355 179 186, 355 188 186, 189, 355 181 174f., 186f., 355, 356 171, 184 181 181 103, 179, 184f., 186, 187, 190, 355f. 341 171, 180 171 180 187, 355 190 171, 355 174, 184, 369 171, 174, 185, 186, 187, 189, 190, 355, 370 187 103 179 171, 179, 180, 186, 355 181 186, 355 171, 178, 179, 180, 186, 355, 356f. 171, 179 186 185 171 103 370 103, 211, 229 103 103
24 24,1 24,1–9 24,2 24,4–8 24,9 24,16
189 103f., 211 103 104, 357 104 103 104
1 Könige 1f. 1,3 1,5 1,9 1,20 1,30 1,34f. 1,35 1,48 2,1–4.10–12 2,4f. 2,8 2,11.15 2,32 2,39–41 3,1 3,3 4,6 4,20 5,5 5,7f. 5,27f. 6,14 8 8,16 8,66 9,7 9,16.24 11 11,1–8 11,1–13 11,1 11,4 11,28 11,29–39 11,31 11,32 12 12,15 12,16 12,18f. 12,20
106, 175, 341 171 181 186, 355 171, 178 171 171 186, 211, 355 171 174 171 186, 355 171 171, 186, 355 174 130 64 105 211 211 105 105 117 63 357 185 1 130 79, 176 130 106 130 130 187 369 190 357 145, 189 185 106, 190 106 107
Register 12,21.23 12,26–32 12,26 12,30f. 12,31–33 12,32 13 13,2 13,32 13,33f. 13,33 14,7–11 14,19 14,21 14,22–24 14,29 14,35 15 15,6 15,7 15,16–22 15,22 15,23.31 16 16,1–4 16,5 16,20.27 16,29 17,18 20 20,25–27 21,1 21,20–24 22 22,17 22,39 22,44 22,46 22,49f.
107, 369 145 260 58f., 62 62 59 62f. 59 59, 62 59, 62 58 66 117 130, 357 111 117 202 109, 140 140 117 175 370 117 79 66 117 117 1 190 283 62 62, 202 66 358 108 117 64 117 109
2 Könige 1,3 1,18 3 5 5,17 8,2 8,21 8,23 8,5 9f.
62, 202 117 358 77 57 299 185 117 150 166
9,24.27 9,27f. 10,13f. 10,33 10,34 11,14 12,4 12,16 12,20 13,8.12 14 14,4 14,12 14,15.18.28 15f. 15,4 15,6 15,11.15 15,21.26.31 15,35 15,36 16 16,3 16,4 16,5 16,19 17 17 17,1–6 17,3 17,6 17,7–23 17,7–20 17,7 17,8–23 17,13 17,17 17,18–20 17,19 17,21–23 17,23 17,24–41 17,24–33 17,24–32 17,24 17,25–28 17,25 17,26 17,29
419 6 358 358 217 117 276 64 255 116, 117 117 359 64 185 117 280 64 117 117 117 64 117 201f., 208 59, 64 64 200f. 117 291f., 292, 297f., 304 320 63 280 66, 162, 170 63 66 60, 64 309 63, 67 59 63 67 66, 145 309 54ff., 289, 291, 312f., 336f. 313 56ff. 59, 62 55 64 59, 64 59, 64
420 17,30 17,32 17,33–41 17,34–41 17,34 17,35 17,37f. 17,37 17,40f. 17,40 17,41 18–20 18,4 18,11 18,22 19,22 20,20 21,2 21,3 21,5f. 21,5 21,7 21,8f. 21,10 21,10–15 21,17.25 22f. 22,5.7.9 23,4 23,4f. 23,5 23,8 23,9 23,10 23,12 23,15–20 23,16–20 23,19 23,20 23,26f. 23,28 23,33 24f. 24,5 24,14 25 25,12 25,21 25,22–26 25,27–30
Register 64 58 59ff. 55, 60, 313f. 61, 67 60 60 67 61 65 64 201f. 149 162, 170 149 219, 225 117 112 64 64 193 112, 357 112 59 66 117 114 255 114 64 64, 106 64, 106, 114, 369 59 64 193 114 62f. 59, 62 59 63 116, 117 156 309, 312 117 308, 309 63 308, 309 156, 309 309 312
Jesaja 1–11 1–39 1,10–17 1,1 1,2–20 1,2–3 1,2–9 1,3 1,4 1,5–9 1,7f. 1,9 1,11ff. 1,18–20 1,21–11,5 1,21–26 1,21ff. 1,24 1,25f. 2,1 2,20f. 2,9ff. 4,2 5,1–7 5,3 5,7 5,8–12 5,8–25 5,8ff. 5,13f.15f.17 5,18–24 5,19 5,24 5,25 5,25–29 5,26–29 6 6–8 6,3 6,5 6,6f. 6,7 6,8 6,9 6,9f. 6,11 7
196, 356, 361f. 190ff. 194f. 191, 193 192, 194, 196, 219f. 196 195, 197 15, 16, 191ff., 193 190, 195, 219f., 221, 226 193 194 192 193 195f. 163 192 223 191 223 193 192 220 191 25, 191, 197ff., 200 25, 343 15, 16, 25, 162, 191, 198ff., 209, 342, 356 220 226 223 220 220 190, 219f., 225f. 190, 219–221.223 162, 212, 215, 220f., 349 162f. 221 205 207, 219, 286 203, 223 203, 223 223 220 223 196, 209, 220 203, 223 196, 203 202, 280, 343
Register 7f. 7,1 7,1–9 7,1–17 7,2 7,3 7,3–17 7,4ff. 7,4 7,5 7,6 7,7–9 7,8 7,9 7,10–17 7,17 8,1–4 8,1–8 8,3 8,4 8,5–8 8,6 8,8 8,11 8,11–15 8,11–18 8,12 8,13f. 8,13 8,14
8,14f. 8,15 8,16 8,16–18 8,17 8,18 8,19–9,6 9,7–10,4 9,7–20 9,7–8 9,7 9,7f. 9,7ff.
205, 208 191, 200ff., 201, 342 206 201 202, 205 204 205 209 24, 342 202 202, 206 24, 342 202 25, 202f., 223 25 202, 227 24, 342 205 203 202 25 208 202 203 25, 203f., 205, 207 191, 203, 204, 208, 209, 223, 231 203, 205f., 208, 223 223 203 13, 15, 191, 199, 203ff., 207, 209, 210, 213, 342f., 356, 362 203 223 221 25, 203f., 205 203, 207, 211ff., 356 15, 16, 191, 203ff., 205, 210, 211, 213, 342 213 15 191, 212ff., 231, 342, 356 214 15, 25, 191, 211, 212ff., 229 214 221
9,8 9,9 9,11 9,13 9,16 9,20 10,1–4 10,4 10,9 10,10 10,11 10,16–19 10,17 10,20 10,22 10,33 11,1ff. 11,1–5 11,6–9 11,10 11,11 11,11–16 11,12 11,13 11,16 12,1–6 12,6 13–19 13–23 14,1 14,2 14,23 17,1–3 17,1–11 17,2 17,3 17,4 17,6 17,7 17,7f. 17,9 17,9 17,12–14 18,1–7 19,23ff. 19,24f. 20,3
421 202, 213, 343 212 15, 162, 191, 212ff., 342 15, 191, 212ff., 342 162, 212 162, 164, 202, 212– 214, 343 214f. 162, 212 202 202 202 219 191, 219 190f., 191, 211, 219, 229 191 206 223 163, 206 163 94 161 16, 160ff., 163, 228, 291, 298 162, 191 164f. 160, 191 219 190, 219 215 163 191, 211, 229 191, 199 170 218, 342 215ff. 217 15, 191, 215ff., 342 216 190 190, 219 192 191 215ff., 191 215 215 161 191, 192 205
422 21,10 21,11–15 21,17 24,15 24,19 26,11 27,6 27,12 27,12f. 27,13 28,1–3 29,19 29,23 30f. 30,1 30,8–17 30,9 30,11 30,11f. 30,12 30,15 30,16 30,22 30,29 31,1 31,1–3 31,3 31,6 34 35 35,10 36–38 37,16.21 37,23 40,2 40,27 41,8 41,14 41,16.20 42,1–3 42,14–44,22 42,24 42,24f. 43,1 43,3 43,9 43,14 43,15 43,22.28 44,1.21.23 44,5
Register 190 169 190 190 204 164 191, 211, 229 161, 191 164f. 165 342 190, 219 190, 211, 219, 229 226 220 219, 222 221, 223 219, 221, 225 190 219, 221 190, 219, 221 220 192 191 190, 219, 220f. 220, 222 220 15, 191, 192 169 164f. 165 201f. 190 190, 219 311 211, 229 211, 229 211, 219, 229 219 28 221 211, 229, 362 196 211, 229 219, 221 166 219, 221 219 211, 229 211, 229 211
44,6 45 45,4 45,11 46,3 47,4 48,1 48,1-11 48,2 48,12 48,17 49,5f. 49,7 49,8–13 50,4 54,1–10 54,1–8 54,5 54,13 55,5 56,1–8 56,8 60,9.14 63,7 65,16–25
202 280 211, 229 219 199, 211, 229, 362 219 162, 211, 361f. 361 362 211, 229 219 211, 229 219 155 205 155 205 219 205 28, 219 29, 77 288 219 199 155
Jeremia 1,1 1,15 2,4 2,26 3,4 3,8 3,14–18 3,18 3,20 4,5 4,16 5,11.15 6,1 7,17.34 9,10 9,25 10,1 10,16 10,22 11,6 11,10 11,12 11,17 11,19
370 106 199, 211, 229 199 158 162 93 93ff., 199 199 276 106 199 276 106 106 199 199 211 106 106 199 106 199 158
423
Register 13,11 13,21 14,4 17,26 18,6 22,24 23,1ff. 23,6 23,8 23,13 24,9f. 25,11f. 25,11 25,18 26,18 26,2 26,6 29,10 30f. 30,10 30,1–3 30,3 30,2 30,21 30,27ff. 31,7 31,27–34 31,27–30 31,27 31,31–34 31,31 32,8 32,20f. 32,44 33,9 33,10 33,13 33,14.17 33,22 36,9 36,12.25 37,12 39ff. 39,5 39,9f. 40f. 40,5 40,7–41,18 40,7 41,9 41,18
199 158 193 106, 370 199 312 228 193 199 62 310 310 77 106 228 106 76 310 94 211, 229 93ff., 162, 291 93 93 255 291 211 162 93 93, 199 93, 94 93, 199 370 205 106, 370 76 106 106, 370 199 165 106 83 370 307 156 309 369 106 309 308 202 309
44,2.6.17.21 44,8 46,27 48,13 48,19 48,46 49 49,7–22 50f. 50,17.19 50,29 51,5 51,27 52,9 52,15f. 52,27 52,28–30
106 76 211, 229 199 217 351 86 169 225 32 219, 225 219, 225 276 156 308, 309 156 83, 309
Ezechiel 1–39 4,7 6,2 11,4 11,14ff. 12,22–24 13,2 13,16 13,17 16,11 20,5 21,2.7.14.19.33 21,25 25,2 25,12–14 28,21 29,2 30,2 32,9 33,23–29 34–37 34,10–16 34,1–37,14 34,2 34,2ff. 34,13f. 34,17ff. 34,23–30 34,23 34,30 35 35,2
94, 95 84 84 84 308, 310 193 84 193 84 255 211, 229 84 88 84 169 84 84 84 76 307, 308, 310 84 85 85 84, 86 85 86 85 85 85 84 169 84
424 35,5.10.12.15 35,15 36–39 36,1.6 36,3 36,4.8.10.12 36,11 36,16–38 37 37,1–14 37,3f.5f. 37,8–10 37,11 37,12–14 37,12 37,15ff. 37,15–28 37,15–24 37,16 37,17 37,18 37,18ff. 37,19 37,20ff. 37,21 37,22 37,23 37,24 37,25–28 38,2.14 39,1 39,25 40–48 40,2f. 40,4 43,2.7.10 44,2.6.9f. 44,12 44,15.22.28f. 45,8 45,8.8f.15f.17 47 47f. 47,1–12 47,13f. 47,13ff. 47,13–48,29 47,13 47,15–20
Register 86 84 84 84, 86 84 86 84 85 291f. 84f. 84 84 84, 86 84 84, 86 85, 291, 297 84 84ff., 90, 99, 162, 289 88f., 92, 288 87, 90, 92 90 89 87–92, 357 89f., 91 89–92 87, 90, 92 90f. 87, 90, 91 85–87, 99 84 84 211, 229 85, 94, 95, 98, 99 98 99 99 99 99, 362 99 98 99 156, 157 94ff., 162, 289, 291– 294, 295, 297 95, 97, 98 95, 96 97, 98 95ff., 97, 294 95, 97f., 294, 357 95, 97
47,16 47,18 47,19f. 47,21f. 47,22 47,22f. 48 48,1 48,1–29 48,8–22 48,11.15 48,19 48,28 48,29 48,30–35 48,31 48,31–35 Hosea 1 1,1 1,2–2,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 2,1–3 2,1 2,2 2,23–25 2,25 3,1–5 4,1 4,1f. 4,15f. 5,1 5,1f. 5,1–7 5,1–6,6 5,2 5,3 5,3–7 5,4 5,10 5,11 5,12–14 5,12 5,13
158 97 95 97, 357 97 95 87 95 369 95f., 97 97 97, 357 95 95, 97, 357 97, 294, 369 357 369 167 202, 268 20 166, 199, 268 166, 232, 268 166, 199, 268, 340 232, 340 166 160, 165ff., 269, 272, 291, 298 167, 268 268 167 166 268, 269 268 269 268, 340 199, 268, 282, 284, 344 281, 283 272, 275 267ff., 344, 356f. 282 268, 344 284f. 275, 286 277 344 286 283, 287 280, 344
425
Register 5,13f. 5,14 5,15 5,15–6,6 5,5 5,6 5,6f. 5,8 5,8f. 5,8–11 5,8–14 5,8–6,6 5,9 6,1.3 6,1–3 6,4 6,5 6,6 6,7ff. 6,10 7,1.10 7,3 8,1 8,1–3 8,2f. 8,4–14 8,6 8,8.14 9,1.7 9,1–9 9,10 10,1 10,3f. 10,6.8f. 10,15 11 11,1 11,8 12 12,1 12,3 12,10 12,11 12,13 12,14 13 13,1 13,9 14,1
286 275, 283, 287 275 274 268, 282, 284, 286, 340, 344 275 286 276, 344 278 279, 286 274 272ff. 158, 268, 277, 286, 344, 356, 357, 361 275 274 274, 286 274 275 285 199, 268 268 273 269 270 268, 269 269 62, 268 268 268 269 268, 270 268 273 268 202, 268, 270 269 268, 270 268 285, 287 199, 268, 340 268 350 193 211, 229 268, 270 232, 280 268 268 62
14,2 14,2ff. 14,6
268 272 268
Joel 2,1.15 2,27 4,2 4,14 4,16
276 288 288 169 288
Amos 1,1 1,2 1,11f. 2,4 2,4f. 2,6 2,9–12 2,11 3f. 3–6 3,1 3,3–8 3,6 3,12 3,14 4f. 4,5 4,9 4,12 5f. 5,1 5,1–17 5,2 5,12 5,15 5,25 5,3 5,4 5,5f. 5,6 6,1 6,1–7 6,9f. 6,14 7,2.5 7,7f. 7,10 7,10f. 7,10–17
202, 270 271 169 271 340 270, 271, 340 272 270 272 271f. 270, 271 271 276 270f. 270f. 195 270f. 305 270 272 199, 270, 272 271 270 164 271 199, 270, 272 199, 272 270f., 272 270 187, 270, 271 199, 270, 271, 272 232, 350 349 199, 270f., 272 348 350 199, 202, 270, 272 270 270, 350
426
Register
7,11 7,15–17 7,8 7,9 8,2 8,3 9,7 9,7–15 9,9 9,11–14 9,14
270 270 270, 271f., 347ff. 270, 349, 350 270, 271f., 347ff. 349 270, 272 272 199, 270, 272 271 270, 288
Obadja 10–12 15–21 17 18 19f.
168 160, 168f., 291, 298 168 187 169, 170
Jona 3,4
66
Micha 1 1–3 1–5 1,1 1,2–4 1,5 1,5–3,12 1,5–9 1,6 1,6–9 1,7 1,8f. 1,9 1,10–16 1,13 1,13–15 1,14 2,1–11 2,6f. 2,7 2,12 2,12f. 3,1 3,1–8
231 227ff., 342f., 356, 361f. 230 227 230 3, 199, 211, 228, 229f., 230–235, 343, 356 4, 232, 234 230 231f., 232–234 235 231, 232 231, 234 235 228, 231, 233 235 4, 235, 343 202, 347 233 233 230, 356 211 228, 229 199, 211, 228, 230, 234f., 343, 356 233
3,1.8f. 3,5 3,6 3,8 3,8f. 3,9 3,12 4,14 5,14 5,1f. 6f. 6,2 7,5 7,12
4 233 193 228, 230, 233f., 356 211, 235, 343 199, 228, 230, 234, 356 228f., 230, 232, 234 228, 288 230 228, 288 230 228, 288 158 161
Nahum 2,3
211, 229, 288
Zephanja 1,14 3,1–15 3,13-15 3,15
169 155 288 202
Haggai 1,1 1,1–15 1,2 1,4.8f. 1,14 2,2 2,3.7.9 2,10–14 2,15 2,15–19 2,17 2,18 2,20–23 2,21
317 304 305, 306 306 306, 317 317 306 304f. 306 304 305 306 312 317
Sacharja 1,2 1,12 2,2 2,15 7,5 8,13 9 9,1 9,2
106 310 288 29 310 199, 292 160 155, 357 158
427
Register
9,11–17 10,3–12* 10,6 10,10ff. 11,4–14 12,1 12,3
29 155 154ff., 289, 291f., 298 159, 160 93ff., 160, 228, 291 187 161 159 159, 288 76
106,35 114,1 115,9f.12 118,2f. 119,121f. 135,4 135,9 135,19f. 137,7 143,12 144,14 147,19
304 211, 229 67 67 255 211, 229 205 67 169 164 158 211, 229
Maleachi 1,1 1,1–5 1,2–5 1,5 2,11 2,16 3,22 3,23
33, 288 86 169 33, 288 33, 288 33 33 169
Proverbien 2,17 16,28 17,9 22,28 23,10 29,18
158 158 158 277 277 193
Ruth 2,16 4,11.14
204 288
Klagelieder 2,1 2,3 2,5 2,9 4,21ff. 5 5,11
288 211, 229, 288 288 193 86 307 106
Esther 2,5 3,10 8,1 9,10.24
370 164 164 164
Daniel 1,3 1,17 8,5.8.21 9,2 9,7 9,20
288 193 300 310 288, 292 288
Esra 1 1–6
73, 75 73ff., 290, 336, 339
9,7 9,9f. 9,1–10
Psalmen 7,1 10,16 14,7 22,24 42,3 47 47,10 53,7 55,14 60,2 69,10 71,22 74,2 76,2 78,5.21 78,41 78,43 78,54 78,55 78,71 81,5 84,3 89,19 102,23 105,6 105,10 105,23 105,27
370 76 211, 229 211, 229 167 276 29 211, 229 158 353 165 219, 225 161 211 211, 229 219, 225 205 161 357 211, 229 229 167 219, 225 166 102 102, 211, 229 211, 229 205
428 1,1 1,1–4 1,2 1,2–4 1,3 1,3f. 1,4f. 1,6–11 1,6 1,7–11 1,11 2 2,1 2,1–2 2,2 2,7 2,21 2,42 2,48 2,59 2,59f. 2,61–63 2,62 2,63 2,70 3,1 3,2 3,3 3,8 3,10 3,11 3,12 4 4f. 4,1 4,1–3 4,1–5 4,2 4,3 4,4 4,7 4,12 4,23 5f. 5,1 5,1–6,15 5,3 5,4 5,5 5,11
Register 77, 310 300 67, 336 77 67, 73–75 336 73 312 336 337 73 68, 81ff., 73, 289– 292, 311 317 81 82, 293 336 83 137 83 291 82f. 82 136 83 81f., 135 73, 82 67, 74, 336 76, 336 73 67 68, 73 74 75, 77, 297 317 67, 73, 74, 292 304, 334 320 74, 77, 312 67, 73, 74, 111, 336 74, 77, 318 202 69, 73 69 68 1, 67, 69, 72, 336 72f. 74 83 69, 74 1, 67
5,12 5,14 6 6,3–5 6,6–12 6,7 6,7f. 6,8 6,9f. 6,10–21 6,12 6,14 6,15 6,16 6,16f. 6,17 6,18 6,19–22 6,20 6,21 6,21f. 6,21ff. 6,22 6,29 7 7–10 7,10f. 7,12 7,13 7,15 7,21 7,23 7,25 7,28 7,29 7,6 7,7 7,72 8,1 8,1–14 8,3 8,17 8,18 8,24f. 8,25 8,29 8,35 9 9f.
67 317 337 336 336 317, 336 69 74 67 334 336 1, 67, 69, 72, 74, 336 299 73, 75 1, 74, 292 29, 69, 73, 158, 300f. 152, 300f., 336 75ff., 151, 299ff., 307 75, 299 73, 74, 292, 300–302 67 337 75, 161, 300 299 339 73, 78ff. 73 67 1, 67, 69, 73, 78 1, 67 67 67 78 73, 78 78 67 67, 73, 78, 82, 292 135 125, 136 293 136 73 67 293 73 67, 73, 111 67, 73, 79, 293, 300 76, 297f., 312 78–80, 303, 337
Register 9,1 9,1f. 9,2 9,4 9,11 9,11–14 9,15 10 10,1 10,2 10,3.6–9 10,5 10,9 10,10 10,11 10,16 10,16ff. 10,25 10,32 11,4.7.25.31
67, 73, 76, 79, 303 76, 304 303 67, 79, 303 76, 303 303 67 79, 333 73, 79 76 79 73, 79 74, 79, 292 73, 79, 303 76 79 67 73, 68, 79, 82 370 292
Nehemia 1,1–2,10 1,2 1,3 1,4f. 1,5–11 1,6 1,9 2,1–9 2,4 2,10 2,16 2,19 2,20 2,23 3 3,1–32 3,5 3,33f. 3,33ff. 3,34 3,35 4,4.6.10 5,1.8.17 5,2.5–7 6,6 6,10 6,17–19 6,17 6,18
71 68, 69 69 67 70 68, 70f. 71 71 67 68, 71, 72 69 334 67 370 81 128 334 69 334 62 72 69 69 255 69 83 334 69 69, 72
7 7,5 7,6 7,7 7,25 7,45 7,50 7,61 7,61f. 7,63–65 7,64 7,65 7,72 8–10 8,1 8,2 8,9 8,14 8,17 9,1f. 9,10 9,24.30 10,1 10,2 10,3–40 10,29 10,29–32 10,30ff. 10,31f. 10,34 10,40 11 11,1 11,3 11,4 11,4ff. 11,19 11,20 12,25 12,31f. 12,34 12,44–47 12,47 13 13,1–3 13,2 13,4 13,4ff.
429 68, 289, 291f.81ff., 290, 311 81, 136 81, 317 82, 293 83 137 83 291 82f. 82 136 83 80–82 73, 80 73, 80 80 83 73, 80 80 80 205 76 231 83 339 76f. 76 231 76 73 68, 73, 82 74, 292 81 68, 69, 73, 82, 106, 135 69 135 137 68, 69, 73, 82, 106, 135 137 69 370 69 68, 69, 73, 82 70, 337 69 68, 73 333 72, 302, 339
430 13,4–9 13,9 13,10–14 13,12 13,14 13,15f. 13,17f. 13,18 13,23 13,24 13,26 13,27 13,28 13,28–30 13,30 13,31 1 Chronik 1–9 1,1–4 1,1–2,2 1,32f. 1,34.43 1,51–154 2–8 2–9 2,1 2,1f. 2,3 2,3–4,23 2,3–8,40 2,3–9,2 2,34f. 2,7 2,9 2,10–17 2,17 2,18–24 2,22f. 2,42–50 2,42–55 2,55 3,1–24 3,2 3,4f. 3,17 3,19 3,19–24 3,24
Register 333, 334 302 339 69 323 69 71 68, 71 69f., 303 70 67f., 70 70 72, 76, 302, 333 302 302f. 339 100ff., 117ff., 296, 298, 367f., 370 120 118, 120, 136 120 102 158 133, 369 293 102, 295 120–123, 132, 135, 293, 369 119, 129, 130 121 132, 136f., 295 118, 135 129, 130 102, 119 127 128 129, 130 372 119 372 128 128 119 129, 130 119 119 312 132 83
4,9f. 4,10 4,13f. 4,15 4,18 4,21ff. 4,22 4,23 4,24–43 4,30 4,33 5,1 5,1–2 5,1–10 5,2 5,3 5,6 5,7 5,11–22 5,16 5,17 5,23–26 5,25f. 5,26 5,27–6,66 5,27–41 5,41 6,12f. 6,16–32 6,23 6,33 6,34 6,39–66 6,49 6,51 6,51f. 7,5 7,6–11 7,7 7,9 7,10 7,12f. 7,14–17 7,14–19 7,20–29 7,20 7,29 7,30–40 7,40 8,1–40
119 103 128 128 129, 130 130 119, 129 119 121 119 125, 132, 136 102, 136 121ff., 123f., 126, 294, 296, 370 121 119 102 120 125, 132, 136 121 135 102, 132, 136 121 120, 133 103 121, 135 120 119, 132 137 122 102 122, 135 102, 122, 135 122, 131 102 110 111 125, 136 122 136 125, 136, 293 370 122 372f. 122 122 110 102 122 125, 136 121f.
431
Register 8,28.32 9,1 9,1–2 9,2 9,2f. 9,3 9,3–34 9,17–26 9,22 9,34 10 10,1 10,7 10,16 11f. 11,1.2f.4.10 11,1–3 11,2 11,3 12,25–28 12,31 12,33.41 12,39 13,2 13,5f.8 14,17 14,2 15,1 15,3 15,12.14 15,25 15,28 16,3f. 16,13.17 16,36 16,40 17,5 17,6f. 17,9f. 17,14 17,21f. 17,24 18,14 19,6 19,10.16f.18f. 20,7 21,1-3 21,1–6 21,3
104 102, 116f., 122, 126, 134, 136, 138 131ff. 67, 103 134 110f., 118, 126, 132, 135 118 137 132, 136, 137f. 118 119 102, 118 102, 133 106 119 102 105 116 103 369 110f. 102 102, 103 102, 106 102 112 102, 116 130 102 103 103 102 102 102, 211, 229 103 102 102 102, 116 102 141 102, 116 102f. 102 353 102 102 102 103f. 116
21,4f.7 21,9ff. 21,12.14 22,1f.12f. 22,2 22,3ff. 22,6 22,9f. 22,17 22,18 23,1 23,2 23,25 24,18 24,19 25 26f. 26,29 26,30 27,1 27,10 27,12 27,14 27,16–22 27,16 27,20 27,22 27,23f. 28,1 28,4 28,8 29,10 29,17f. 29,18 29,21 29,23–25 29,23.25f.27.30 29,6 29,8
102 120 102 102 152 150 103 102 103 116 102 103 103, 116 83 103 120 119 102 103, 289 102 110f. 370 110f. 369 102, 158, 357 110f. 103, 158, 357 102 103 102f., 108, 126 102, 106 103 116 102f. 102, 150 106 102 103, 158, 357 255
2 Chronik 1,1 1,2.13 1,10f. 2,3 2,10 2,11 2,16 2,17 5 5,2f.10
111 102 116 102 116 103 102 152 276 102
432 5,2.4 5,6 6,3 6,4.7 6,5 6,10f. 6,12f. 6,16 6,5f.21.24f. 6,27.29.32f. 6,34.39 7,3.6.8.18 7,10 7,13f. 7,8–10 8,2.7f.9 8,11 9,1.9.27 9,8 9,30 10 10–28 10,1–11,4 10,2f. 10,3 10,4 10,15 10,16–18 10,16 10,17 10,18f. 11,1 11,1–7 11,13–17 11,14 11,16 11,17 11,3 11,4 12,1 12,2 12,4 12,5 12,6 12,13 12,14 12,15 13
Register 103 102, 150 102, 106 103 158, 357 102f. 102, 106 102 102, 116 102, 116 116 102 102, 185, 299 116 153, 300 102 103, 130 150 102 102, 105 144 104 105ff., 108, 141 107 105, 108 105 105f., 144 3 185 106, 110, 113, 115 106, 107f. 107f. 105 106, 108, 112 103, 142, 146 103, 105, 108, 113, 115, 146, 158, 357 103, 146 107, 110, 289 107 106, 110, 111, 147, 296 202 111 103, 110, 111 110f. 104, 130, 158, 357 106 117, 136 139ff., 189, 289, 297, 307, 314
13–28 13,4 13,5 13,6 13,9f. 13,9–11 13,11 13,12.15f.17 13,18 13,22 14,2–4 14,4 14,13 15,3 15,4 15,8f. 15,9 15,13 15,17 16,1.3f. 16,11 17,1 17,2 17,4 17,7.9.13 17,10 18 18,1f. 18,3.4f.7f.9. 18,6 18,16f.19.25 18,28f.30f.32f.34 19,4 19,8 19,11 20,1.3 20,4 20,7 20,10 20,18 20,19 20,29 20,34 20,35 20,35–37 21,2.4 21,6 21,13 22,5 22,8
145 108, 109, 111 103, 104f., 141 105 140 145 143 108, 109 109, 140 117 109 106 112 104 103, 105 111 106, 109, 110, 113, 115, 146 103, 105 108f., 111 108 116 110, 111 111 108, 109 106 112 111 150 108 108 108 108 111 110 108 111 106 104, 116 104, 111 111 103, 105 110f., 112 116f., 133 108 109 110 108 108, 109 108 103, 110
Register 22,10 22,11ff. 23,2 24,16 24,17 24,27 24,5 24,6.9 25,5–16 25,6 25,7 25,9 25,10 25,13 25,17f.21f. 25,22 25,23.25 25,26 26,17.20 27,7 28 28f. 28,2 28,3 28,5 28,5–15 28,6 28,7 28,8 28,8–15 28,9–13 28,11 28,12 28,13 28,15 28,19 28,19f. 28,19–25 28,22–25 28,23–25 28,23 28,26 28,27 29 29–31 29,3 29,7 29,8–9 29,10 29,17 29,21
108 120 106, 110 110f., 112 103, 110 116 106, 110f., 112 104, 112 109 108, 109 108, 109, 296 108, 109 109 106 108 117, 185 108 116 120 116, 132f. 140, 146 145 108 104, 108 108, 110, 140 110 147 111 107f., 110 147 147 107 111, 147 108, 110, 147 107 110, 111, 140 151 113 151 140 110, 111, 113, 147 116 110, 111 299 148 148f. 103, 112 113 103, 112 149, 299f. 113, 300
29,23 29,24 29,27 29,29 29,31–36 29,34 30 30,1 30,1–31,1 30,2 30,3 30,5 30,5f. 30,5–9 30,6 30,8f. 30,10 30,10f. 30,10–12 30,11f. 30,12 30,13 30,13f. 30,14 30,14-31,1 30,15f. 30,16 30,16f. 30,17 30,18–20 30,18 30,19 30,21 30,22 30,24 30,25 30,26 31,1 31,1–8 31,10 31,15–19 31,16f. 31,16-19 31,2ff. 31,2–8 31,4
433 300f. 113 112 113 147 299 78, 133, 146ff., 151, 289, 299ff., 334, 337 103, 110, 112, 113, 118 148ff. 299 299 103, 112, 113, 150 113, 115 281 102f., 112f. 153, 297 110 153 113 115 153 150 115 149 151 152 300f. 299 306 306 110, 115 300 113, 114, 153, 289, 300 299 150 113, 115, 150, 152, 300–302 112 106, 110f., 113, 114, 115, 118, 149, 289 114 116, 120 137 125 136 115 147, 153 115
434 31,5f. 31,6 31,8 32,13 32,17 32,19 32,32 33,2 33,7 33,8f. 33,16 33,18 34f. 34,6 34,6f. 34,7 34,9 34,10.17 34,21
Register 113 106, 113f., 116 113, 116 76 76, 103, 112 375 112, 116f. 112 112, 158, 357 112 103, 112 103, 112, 116f., 133 114 109, 110f. 114 113, 114, 152 110, 113, 114 255 113f.
34,23.26 34,29 34,33 35 35,3 35,4 35,5f. 35,17 35,17f. 35,18 35,25 35,27 36,8 36,13 36,14.17 36,15f. 36,20 36,20f. 36,21
103, 112 103 113, 114, 149, 153 133, 148, 151, 300 112, 116 112 301 113, 114, 149, 289 114 112–114, 153 113 112, 116f., 132f. 112, 116f., 132f. 103, 112 310 116 310 77, 132, 309 311
Außerkanonische Schriften 3 Esra 5,45 8,65 8,69 9,37
81f. 293 303 81
Ascensio Isaiae 2,9
232
4,22 6,7
232 232
Ben Sira 50, 25f.
307
Tobit 1,3-9
338
Neues Testament Johannes 4,9 4,18
307 55
Rabbinische Schriften bBaba Batra 123a.b
125
bBerakhot 47b 51b
55 55
bChullin 6a
bGittin 10a
55
bQidduschin 76a
55
bSanhedrin 44a
296
Genesis Rabba zu Gen 42,37
250
55
Register
435
Moderne Autoren Albertz, R. 1f., 12f., 28, 31f., 34, 346f. Alt, A. 8, 13, 15, 19, 182, 278ff.; 316ff., 317 Augustin, M. 124 Aurelius, E. 65f. Barth, F. 42, 346, 366 Barth, H. 194 Barthel, J. 210 Becker, J. 348 Becker, U. 29, 194, 195, 198, 201f., 205, 206f., 211, 212, 217f., 221, 347 Ben Zvi, E. 10, 29, 282, 312, 347 Berger, P.L. 38, 45 Berges, U. 224 Beuken, W.A.M. 218 Blum, E. 35f., 58, 176, 206, 207, 210, 215, 221, 237, 245, 258f., 262, 264, 308, 350, 353 Bruneau, P. 329 Cogan, M. 56 Conroy, C. 180 Crüsemann, F. 30, 176, 182, 245, 262, 341, 353 Danell, G. 9ff., 16, 107, 110, 111, 298 Davies, P.R. 21ff., 29, 37, 174f., 346, 348, 359 de Pury, A. 262 de Wette, W.M.L. 100 Dexinger, F. 320, 330 Dietrich, W. 172, 176, 181, 248 Donner, H. 27, 35, 251, 319, 359 Dyma, O. 148 Eißfeldt, O. 256 Elliger, K. 154, 156 Eshel, H. 327f. Even-Shoshan, A. 1 Finkelstein, I. 17ff., 173, 175, 347 Fleming, D.E. 19f., 37, 238, 240f. Fohrer, G. 194 Fokkelman, J.P. 181 Frevel, Chr. 60, 61 Geertz, C. 44, 352
Giesen, B. 39ff., 295 Goldingay, J. 193 Gropp, D.M. 323 Grosby, St. 354 Groß, W. 372 Gunkel, H. 256 Gunneweg, A.H.J. 82, 319 Guthe, H. 256 Haag, H. 148 Haarmann, V. 57 Hall, J. 43 Heckl, R. 336f. Hermisson, H.-J. 176 Höffken, P. 198 Hoffmann, H.-D. 64 Høgenhaven, J. 10, 15ff., 211, 342 Hong, K.P. 19 Hulst, A.R. 2, 10 Japhet, S. 79, 100, 133, 147, 152, 311 Jeremias, J. 20, 267, 269, 273, 279f. Kaiser, O. 174, 220 Karrer, Chr. 69 Kebekus, N. 248 Kessler, R. 228, 232 Knauf, E.A. 18 Kratz, R.G. 10, 17, 23ff., 29, 30, 37, 178, 200, 221f., 238, 240, 246, 267, 342, 346ff., 353, 361, 363 Kunz, A. 94, 154, 155ff., 157 LaBianca, Ø.S. 352 Lanckau, J. 251 Lemaire, A. 351 Lemche, N.P. 352 Levin, Chr. 31f., 37, 238f., 256, 346 Levin, Y. 266 Linville, J.R. 10, 46 Lipiński, E. 324 Loretz, O. 221 Luckmann, Th. 38, 45 Luther, B. 35, 82 Lux, R. 265 Marti, K. 164 Meinhold, A. 245f.
436 Mendelsohn, I. 125 Mosis, R. 136, 138 Mullen, E.Th. 32, 346 Myers, J.M. 112 Na'aman, N. 18ff., 347, 363 Niehr, H. 197 Noth, M. 2, 8f., 11, 20, 32f., 63, 97, 116, 189, 294 Oeming, M. 118, 124, 129, 132f., 134, 135, 137, 298 Ohnesorge, S. 88, 90 Oswald, W. 36, 202, 246, 254, 256f., 260f., 262, 264, 346f. Procksch, O. 213ff. Rappaport, U. 330 Redford, D.B. 247 Reinmuth, T. 70 Riede, P. 350 Rost, L. 10, 14ff., 19, 24, 172f., 210, 214, 222, 229, 342 Rothenbusch, R. 78 Rothstein, J.W. 304 Rudnig, T.A. 87, 188 Rudnig-Zelt, S. 166, 268, 269, 273, 279ff. Rudolph, W. 111, 155, 159, 285, 293 Schmid, K. 93, 246, 248, 260 Schmitt, H.-C. 247f., 250, 260 Schorn, U. 36, 248, 250, 260, 346f., 360 Schüle, A. 17, 359 Schulte, H. 247 Schunck, K.-D. 181, 369 Schütte, W. 19ff., 167, 347 Seebass, H. 237 Seeligmann, I.L. 209 Seesemann, O. 10 Stade, B. 230
Register Steck, O.H. 161, 164 Steins, G. 148 Stern, E. 321 Steuernagel, C. 256 Stiegler, S. 28f. Stipp, O.H. 224 Stoebe, H.J. 189 Talmon, Sh. 58 Throntveit, M.A.
151
Utzschneider, H. 279ff. van Selms, A. 226 Van Seters, J. 174, 175 Veijola, T. 176 Vermeylen, J. 194 Vielhauer, R. 17, 268f., 273f. 274, 267 von Rad, G. 100, 173 Wagner, Th. 13, 32f. Weber, M. 43 Weimar, P. 248 Weinberg, J.P. 28 Weippert, M. 6 Weißflog, K. 269 Wellhausen, J. 26f., 29, 30, 36, 138f., 259, 298, 375 Werner, W. 194, 204 Westermann, C. 245f., 262 Whybray, R. 176 Wildberger, H. 222 Willi-Plein, I. 178, 185 Willi, Th. 74, 77, 116, 117f., 128, 133, 134, 139, 304, 310 Williamson, H.G.M. 10, 82, 107, 112, 124, 147, 162, 163 Wolff, H.W. 230, 232, 267, 282, 283 Zertal, A. 314f. Zimmerli, W. 10, 88, 96f. Zobel, H.-J. 11, 13, 33
Register
437
Stichworte Abija 109, 140ff., 144f., 297 Absalom 175, 177, 179ff., 184ff., 341 Ägypten 94, 161, 164, 220, 246, 249f., 252, 254, 264f., 303, 332 Alltagswelt 38, 45f. Altjudäer 77, 307, 311 Ammon 71, 130, 163, 303, 351 Amphiktyonie 2, 11, 13, 15, 29, 34 Aram 7, 24, 48, 154, 163, 205f., 216ff., 258ff., 353f. Aschdod 154, 303 Asser 96, 122, 237f., 302, 360, 372 Assur/Assyrer 7, 14, 54, 56f., 74, 94, 113, 151, 161, 194, 211, 215f., 220, 278f., 297, 312, 318f., 343 Bekenntnisgemeinschaft 27, 31, 100 Benjamin 22f., 73f., 79, 82, 88, 95ff., 104, 107f., 113, 119, 121f., 174f., 181, 186, 189, 236, 238ff., 244ff., 249ff., 255, 261, 264ff., 275, 289, 292ff., 297, 313, 355, 358ff., 368ff. Bethel 22, 55, 57ff., 65, 114, 146, 156, 259ff., 270, 276, 280, 336, 369 Bundesname 15 Bürgschaftsmotiv 249f., 266 chronistisches Geschichtswerk 30, 99 Codes/Codierung 39ff., 50f., 53, 186, 236, 258, 261, 290, 295, 297, 346f., 352, 354ff., 367, 371, 375 Dan 96, 119, 121f., 238, 293, 360 David 2, 9, 18, 20, 23, 30, 36, 67, 86f., 103ff., 129ff., 137f., 141, 148, 163, 172, 174ff., 179, 181ff., 226f., 246, 266, 300, 341, 355, 369 Dekalog 60 Delos 329ff. Diaspora 69, 78, 82, 161, 164f., 170, 246, 257, 264, 290, 292f., 314, 330 Diasporanovelle 245 Edom 85, 109, 120, 163, 168f., 258f., 261, 303, 351, 364 Elephantine 317, 321, 323f., 331ff., 338f. Endogamieforderung 70, 290
Entkopplung 42 Ephraim 14f., 49, 96f., 109, 118, 122, 126, 146f., 154ff., 159, 161, 163ff., 168f., 175, 187, 201f., 205, 212ff., 241, 272, 275ff., 282ff., 294f., 298, 302, 306, 315, 343f., 357, 362, 369, 372 Ethnizität 42f., 45, 345, 366 Ethnonym 45 Etymologie 11, 47, 167, 238, 240f. exogam 80, 130 Festgemeinde 74f., 80, 149ff., 299ff. Gad 96, 121, 133, 238, 360, 368, 371f. Garizim 139, 146, 315f., 319, 323ff., 328ff., 334ff., 375 Genealogie 34, 36, 44, 100, 102, 117, 119ff., 127f., 131f., 135, 137, 242, 258, 293ff., 297, 336, 360, 370, 372 Gilead 169, 184, 371f. „Gott Israels“ 15, 33, 72f., 76, 190 Gottesvolk 2, 12, 23ff., 28ff., 33ff., 71f., 160, 209, 214, 217, 221, 239f., 273, 294, 340, 342, 347ff., 355, 366, 375 Grenzkonstruktion 40, 42, 46, 51, 53, 311, 335, 337ff., 352, 355, 357, 365ff. Grenzziehung 40f., 44, 50, 66, 70, 297, 303, 337f., 353 „Haus Jakobs“ 168, 211 „Haus Josephs“ 94, 168, 175, 187, 271f. Hegemonie 358f., 374 Heiligkeit 221ff., 226 Heiliger Israels 13, 190, 219, 222, 226f. Heiligtumsätiologie 57 Heimkehrerliste 81ff. Hiskia 63, 78, 112ff., 148f., 151ff., 201f., 206, 208, 227, 299ff., 306f. Identitätssicherung 290, 338 Israelitisierung 17, 20, 25, 360, 363, 374 Issachar 122, 237., 241, 243, 302, 306, 360 Jakob 1f., 4, 25f., 34, 54, 61, 102, 121,
438
Register
123f., 132, 168, 211ff., 217, 219, 228ff., 232, 234ff., 238, 240ff., 246ff., 252ff., 258f., 261, 264f., 270, 272, 289, 291, 293, 296, 348, 356ff., 362, 364f., 368, 370f., 375 Jehud 2, 21, 75, 83, 94, 126, 128, 136, 174f., 289, 291f., 294f., 297, 311, 317, 331, 370f. Jerachmeel/Jerachmeeliter 127, 129, 291 Jerusalem 22ff., 69, 73ff., 77f., 93, 95f., 98, 105, 108, 111, 114, 118f., 132, 135, 137, 145f., 148ff., 153f., 159, 165, 168, 173, 175, 181ff., 191ff., 196, 199, 202, 206, 220, 223, 226f., 229ff., 278, 292, 297ff., 302, 305, 307, 316, 318f., 330ff., 336, 339, 359f., 364, 368 Jerusalemer Tempel 77f., 100, 112, 148, 151, 153, 192, 297f., 302, 316, 331, 334, 336, 338ff., 358 Joseph 36, 87ff., 97, 121ff., 168, 186f., 237ff., 249ff., 257, 259, 261, 263ff., 271, 294f., 325, 329, 339, 355, 357f., 360, 369ff. Juda (Stamm bzw. Stammvater) 6, 15, 23, 73f., 79, 82, 87, 89, 95f. 119, 121ff., 137, 168, 186f., 226, 234, 238ff., 261, 264, 266, 276, 289, 292ff., 297f., 322, 325, 340, 355, 358, 360, 369ff. Kaleb/Kalebiter 127f., 131, 136f., 291, 372 Kerh-i-Dicle Monolith 5 Klerus 2, 283, 289, 332 Kolophon 203 Kultgemeinde 12, 27ff., 33, 50, 75, 100, 288, 298, 308, 338 Kultpraxis 54, 57, 59, 61ff., 79, 143, 145, 269, 306 Landesgott/Nationalgott 57, 318, 351 Levi 97, 104, 119, 121f., 124, 135, 137, 186, 238ff., 256, 289, 292ff., 297, 313, 355, 360, 369ff. Leviten 67, 73ff., 82, 95, 108, 115, 122, 133ff., 142f., 145f., 148, 151f., 183, 299ff., 306 Machir 371
Madaba 352 Manasse 63, 96f., 118, 121f., 126, 133, 146, 168, 175, 187, 212ff., 241, 272, 294f., 302, 306, 314f., 371 Merenptah-Stele 4, 7, 13 Mescha-Inschrift/Meschastele 6f., 350, 368 Moab 7, 163, 303, 350f., 364, 368 Naphtali 96, 122, 238, 360 Nation 14, 21, 23, 26f., 36, 348 Nationalitätenstaat 348, 353 Nationalstaat 36, 348, 353 Paläohebräisch 322 Panisraelismus 297 Passa 75f., 114f., 148ff., 299ff., 306 Philister 133, 154, 157f., 163 Phönizier 157 primordiale Codierung 40f., 43f., 50, 186, 236, 258, 261, 290f., 295, 297, 302f., 338, 346f., 352, 354f., 359, 365ff., 371, 373, 375 Quellenverweise 116f. Rehabeam 105ff., 111, 130, 141, 144f., 152 Ruanda 352 Ruben 96, 121ff., 133, 238ff., 247ff., 254f., 261, 294ff., 358, 360, 368, 370ff. Sabbatobservanz 71, 290 Salomo 2, 23, 30, 67, 105, 130f., 135, 148, 152, 163, 174ff., 246, 300, 302, 307 Samaria 2, 7, 15, 23, 51, 54, 56ff., 61f., 64ff., 69, 72, 74, 78, 80, 139, 147, 202, 215, 229ff., 269, 289, 294, 296ff., 303f., 307, 313ff., 318f., 321f., 324ff., 329ff., 335, 337, 349, 375 Samarier 51, 61f., 64ff., 74, 77, 79, 146, 296ff., 301ff., 311, 313, 317, 329ff., 334ff., 340, 374 Sanballat 71, 302, 327, 332f. Schicksalsgemeinschaft 17, 23ff., 363 Sebulon 119, 122, 237f., 241, 294f., 302, 306, 360 Sichem 2, 106, 144, 315f., 329
439
Register Simeon 88, 96, 121, 124, 137, 146, 189, 238ff., 250ff., 261, 358, 360, 370f. Situationsangemessenheit 42, 258, 264, 295, 346, 367f., 370 Stammbaum 119, 137, 294 Stämmebund 2, 9 Stämmesystem 9, 17, 31ff., 36, 127, 154, 189, 241, 261, 291ff., 346f., 358, 360, 365ff., 370f., 373f. syrisch-ephraimitischer Krieg 15f., 24, 205f., 214, 216, 218, 273, 278f., 282, 344 Tel Dan-Stele 6
Territorialstaat 23, 37, 348 Tobija 71, 83, 302, 333f. traditionale Codierung 40f., 354f. Tyros 154, 157ff. universalistische Codierung 40f., 50, 355, 366, 375 Unreinheit 75f., 152, 275, 284, 301ff., 337 Urkundenhypothese 237f., 247, 259 Völker der Länder/des Landes 75f., 79 vollständige Deportation 56, 309, 311, 313, 320, 340
Hebräische Termini אפ ריםa 49, 89, 109, 114, 132, 135, 147,
159, 164, 213, 216f., 268, 285f. ארץ ישׂראלa 2, 97f., 114, 301
קדושׁ ישׂראלa 15, 190, 219, 221f., 224ff.,
343 שׁבטי ישׂראלa 89, 97, 103f., 108, 155f.,
בית יהודהa 93f., 107f., 283 בית יוסףa 94, 168, 186f., 271 בית יעקבa 207, 211, 213 בית ישׂראלa 4, 10, 88f., 92f., 98f., 107f.,
171, 186f., 191, 198, 200, 209, 229, 234, 268, 271, 282f., 285, 343, 356
158, 171, 179, 182ff., 186, 236, 268, 272, 282, 286, 292, 344, 356f. שׁומרוניםa 58 שׁמרוןa 59, 62, 213, 229