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German Pages 497 [498] Year 2019
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 354
Die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf Spitzenverdiener Eine Untersuchung zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts am Beispiel des Lizenzfußballers und unter Beachtung des Unionsrechts
Von
Alexander Wagner
Duncker & Humblot · Berlin
ALEXANDER WAGNER
Die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf Spitzenverdiener
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn
Band 354
Die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf Spitzenverdiener Eine Untersuchung zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts am Beispiel des Lizenzfußballers und unter Beachtung des Unionsrechts
Von
Alexander Wagner
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. Die Juristische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Arbeit im Sommersemester 2018 als Dissertation angenommen.
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© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany
ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-15660-3 (Print) ISBN 978-3-428-55660-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85660-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Eltern
Vorwort Das Manuskript der vorliegenden Untersuchung wurde im Sommersemester 2018 von der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen; die mündliche Prüfung fand am 11. Juni 2018 statt. Die Arbeit wurde im November 2018 mit dem Promotionspreis der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ausgezeichnet. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Ende September 2017 berücksichtigt werden – dies in der Hoffnung, dass die Bedeutung der vorliegenden Untersuchung trotz ihrer Aktualität vor allem auch im Grundsätzlichen liegt. Danken möchte ich zunächst meinem Doktorvater und Erstgutachter Herrn Professor Dr. Christof Kerwer für die hervorragende Betreuung dieser Arbeit und dafür, dass er mit seinem Streben nach Perfektion eine Quelle der Inspiration für mich war – auch und gerade dann, als der neu eingeführte § 611a BGB nochmals umfangreiche Änderungen am Manuskript erforderlich machte. Herrn Professor Dr. Dr. Christoph Weber danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ganz besonderer Dank gilt aber meiner Familie, die mich seit jeher und in jeder Hinsicht unterstützt hat. Insbesondere danke ich meinen Eltern, die mir Ausbildung, Studium, Promotion und Vieles mehr ermöglicht haben, sowie meiner Frau Verena für ihre immerwährende gute Laune und Unterstützung in allen Lebenslagen. Würzburg, im Dezember 2018
Alexander Wagner
Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht
§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A.
Allgemeine Problemstellung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
B.
Besonderheiten der Lizenzfußballer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
C.
Ziel und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Kapitel Die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf Spitzenverdiener auf der Grundlage des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes 36
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 A.
Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
B.
Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft der Lizenzfußballer anhand der Kriterien des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
C. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 § 3 Alternative Ansätze der Literaturund ihre Vereinbarkeit mit dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 A.
Unternehmerrisiko als Ausschlusskriterium der Arbeitnehmereigenschaft 70
B.
Möglichkeit einer privatautonomen Vereinbarung über die Arbeitnehmereigenschaft: Statusvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
C.
Exkurs: Lizenzspieler als leitende Angestellte i. S. d. BetrVG? . . . . . . . . . . . . 112
§ 4 Zusammenfassung und Würdigung des Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 B.
Würdigung des Ergebnisses und Fortgang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . 116 2. Kapitel
Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts 119
§ 5 Die Verwendung wirtschaftlicher Begriffeim Kontext der Arbeitnehmer eigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 A. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 B.
Verwendung wirtschaftlicher Begriffe im Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
C.
Präzisierung von Verhältnis, Inhalt und Zusammenhang der im Gesetz verwendeten Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
D. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Inhaltsübersicht
10
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 A.
Vorbemerkungen zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
B.
Betrachtung des Wortlauts .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
C.
Systematische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
D.
Historische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
E.
Teleologische Betrachtung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
F. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 3. Kapitel
Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts 357
§ 7 Möglichkeiten de lege lata: Rechtsprechungsänderung zum Arbeitnehmerbegriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 A.
Mittelbar-systematische Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
B.
Vorgaben und Grenzen des § 611a Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
C. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 § 8 Möglichkeiten de lege ferenda: Stufenloses oder gestuftes Arbeitsrecht . . . . . . 390 A.
Stufenloses Recht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
B.
Gestuftes Arbeitsrecht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
C. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 § 9 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
§ 1 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A.
Allgemeine Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
B.
Besonderheiten der Lizenzfußballer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
C.
Ziel und Gang der Untersuchung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Kapitel Die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf Spitzenverdiener auf der Grundlage des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes 36
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 A.
Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
B.
Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft der Lizenzfußballer anhand der Kriterien des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Leistung von Diensten (gegen Entgelt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Sport als Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Abgrenzung zum Werkvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Für einen anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Lizenzspieler als Gesellschafter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Stellungnahme und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 III. Auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 IV. In persönlicher Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Weisungsgebundenheit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Zeitliche und örtliche Weisungsgebundenheit (zeitliche Lage, Umfang und Ort der Tätigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Fachliche Weisungsgebundenheit (Inhalt und Durchführung der Tätigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Fußballer als freiberufliche Entertainer oder Künstler? . . . . . . 60 2. Eingliederung in fremde Arbeitsorganisation bzw. Betriebsstruktur 61 3. Persönliche Abhängigkeit als unbeachtliches Erfordernis einer Mannschaftssportart? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Sonstige in die Gesamtabwägung einzustellende Kriterien . . . . . . . . 64 a) Wirtschaftliche (Un-)Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Weitere Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I.
Inhaltsverzeichnis
12
§ 3 Alternative Ansätze der Literaturund ihre Vereinbarkeit mit dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 A.
Unternehmerrisiko als Ausschlusskriterium der Arbeitnehmereigenschaft 70 Unternehmerrisiko als maßgeblicher Ansatz der Arbeitnehmereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Unternehmerrisiko als ein Merkmal im Rahmen der Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Unternehmerrisiko innerhalb des Rechtsverhältnisses mit dem Verein .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Erfolgs- bzw. leistungsorientierte Vergütungsmodelle . . . . . . . 75 b) Prozentuale Beteiligung an den Erlösen aus der Persönlich keitsrechtsverwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Berücksichtigungsfähigkeit von Unternehmerrisiko auf Grund von Rechtsverhältnissen mit Dritten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Tatsächliche und mustervertragliche Ausgangslage . . . . . . . . . . 83 b) Meinungsbild in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Stellungnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Allgemein-arbeitsrechtlicher Ausgangspunkt .. . . . . . . . . . . . 88 bb) Unternehmerrisiko und wirtschaftliche Abhängigkeit . . . . 90 cc) Keine andere Betrachtung auf Grund von Besonderheiten des Lizenzfußballs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Möglichkeit einer privatautonomen Vereinbarung über die Arbeitnehmer eigenschaft: Statusvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
I.
B.
C.
I. Statusvereinbarung bei unternehmerischer Zusatztätigkeit . . . . . . . . . . . 98 II. Statusvereinbarung bei gegebener Verhandlungsparität . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Die Ansicht von Schimke/Menke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Unklarheit über die Kriterien zur Bestimmung von Verhandlungsparität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Keine umfassende Verhandlungsparität zwischen Spieler und Verein .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. (Un-)Möglichkeit einer nicht dem Arbeitsrecht unterfallenden Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Einheitliches freies Dienstverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Aufspaltung in Arbeitsverhältnis und freies Dienstverhältnis . . . . . . 107 Exkurs: Lizenzspieler als leitende Angestellte i. S. d. BetrVG? . . . . . . . . . . . . 112
§ 4 Zusammenfassung und Würdigung des Ergebnisses .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 B.
Würdigung des Ergebnisses und Fortgang der Untersuchung .. . . . . . . . . . . . . 116
Inhaltsverzeichnis
13
2. Kapitel
Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts 119
§ 5 Die Verwendung wirtschaftlicher Begriffeim Kontext der Arbeitnehmer eigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 A. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 B.
C.
Verwendung wirtschaftlicher Begriffe im Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Arbeitsgerichtsgesetz: wirtschaftliche Unselbständigkeit .. . . . . . . . . . . . 127 II. Bundesurlaubsgesetz: wirtschaftliche Unselbständigkeit . . . . . . . . . . . . . 128 III. Tarifvertragsgesetz: wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutz bedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 IV. Heimarbeitsgesetz: wirtschaftliche Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 V. Sonstige gesetzliche Regelungen: wirtschaftliche Unselbständigkeit . 135 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Präzisierung von Verhältnis, Inhalt und Zusammenhang der im Gesetz verwendeten Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 I.
Verhältnis der Begriffe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Wirtschaftliche Abhängigkeit und wirtschaftliche Unselbständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit .. . . . 140 II. Inhalt der Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Wirtschaftliche Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Grundsatz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Dauer der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Umfang der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 d) Tätigkeit für einen oder mehrere Auftraggeber .. . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Zeitlich überwiegende Tätigkeit für einen Auftraggeber .. 149 bb) Finanziell überwiegende Tätigkeit für einen Auftraggeber 150 cc) Anderweitiges Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 e) Arbeitsorganisatorische Ausrichtung und Betriebskapital . . . . 152 f) Fremdverwertung des Arbeitsergebnisses .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Soziale Schutzbedürftigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Entgelthöhe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Privatvermögen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Zusammenhang von wirtschaftlicher Abhängigkeit, sozialer Schutzbedürftigkeit und Entgelthöhe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Teleologischer Hintergrund von wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Soziale Schutzbedürftigkeit und Entgelthöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Entgelthöhe und Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Inhaltsverzeichnis
14
b) Gesetzgeberische Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) § 10 EFZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 bb) § 92a Abs. 1 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 cc) § 5 Abs. 3 ArbGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Weit überdurchschnittliche Entgeltvereinbarungen als erfolgreiche Marktteilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 § 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungendes Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 A.
Vorbemerkungen zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
B.
Betrachtung des Wortlauts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
C.
I. Allgemeinsprachliches Verständnis des Begriffes „Arbeitnehmer“ .. 183 II. Orientierung am Begriffsverständnis des BAG als Zirkelschluss . . . . . 184 Systematische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 I. Die beschränkte Aussagekraft des § 611a Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 186 II. Die rechtliche Existenz der arbeitnehmerähnlichen Person . . . . . . . . . . . 188 1. Begriffsbestimmung und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Unmittelbare und logisch zwingende Konsequenzen für die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Gesetzliche Anerkennung des Zusammenhangs von wirtschaftlicher Abhängigkeit, sozialer Schutzbedürftigkeit und arbeitsrechtlichem Schutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 4. § 12a Abs. 1 TVG und die Bestimmungskriterien der sozialen Schutzbedürftigkeit der arbeitnehmerähnlichen Person .. . . . . . . . . . . 194 III. Der Aussagegehalt von § 84 Abs. 1 S. 2 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Allgemeingültigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Inhaltliche Reichweite .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Folgerungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 IV. Die Elemente von Umfang und Dauer der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Tätigkeitsumfang und Anwendbarkeit des Arbeitsrechts .. . . . . . . . . . 204 a) Verknüpfung durch Rechtsprechung, Literatur und historischen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Zwingende Erkenntnisse aus der Existenz des TzBfG . . . . . . . . 208 c) Teilzeitbeschäftigung und Anwendbarkeit des Arbeitsrechts . 210 aa) Teilzeitbeschäftigung, wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 bb) Gesellschafts- und gleichheitspolitische Dimension der Teilzeitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Tätigkeitsdauer und Anwendbarkeit des Arbeitsrechts .. . . . . . . . . . . . 215 a) Verknüpfung durch Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . 215
Inhaltsverzeichnis
D.
15
b) Zwingende Erkenntnisse aus der Existenz des TzBfG und sonstiger Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Zeitlich begrenzte Beschäftigung und arbeitsrechtliches Schutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 V. Unionsrechtliche Betrachtung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Arbeitnehmerbegriffe im europäischen Arbeitsrecht .. . . . . . . . . . . . . . 225 2. Unionsautonome oder mitgliedstaatliche Begriffsbestimmung .. . . . 225 a) Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Konkretisierende Ansätze der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 c) Stellungnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Kategorisierung der Arbeitnehmerbegriffe des europäischen Arbeitsrechts nach der Bestimmungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Unionsautonome Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Mitgliedstaatliche Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Zweifelsfälle .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 d) Exkurs: Konsequenzen bei kompetenzwidriger Begriffsbestimmung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4. Begriffsinhalt der unionsautonomen Arbeitnehmerbegriffe . . . . . . . . 244 a) Kein einheitlicher unionsautonomer Arbeitnehmerbegriff . . . 244 b) Zentrale Elemente der unionsautonomen Arbeitnehmerbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5. Zusammenfassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 VI. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Historische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I.
Herausarbeitung und Fortentwicklung des Arbeitnehmerbegriffes durch die Rechtsprechung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Positivrechtliche und subjektiv-teleologische Ausgangslage .. 258 b) Beachtlichkeit persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit 262 c) Zusammenfassung und Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 a) Persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit als gleichberechtigte Merkmale .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Der Verzicht auf das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 aa) Rechtssystematischer Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Rechtstatsächlicher und rechtspraktischer Grund . . . . . . . . . 278 (1) Der typische Gleichlauf von persönlicher Abhängigkeit, wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (2) Konsequenzen und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 c) Zusammenfassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Inhaltsverzeichnis
16
E.
3. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 II. Rechtliche Relevanz wirtschaftlich-gesellschaftlicher Strukturveränderungen für den Arbeitnehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 III. Die Entwicklung von Arbeitnehmerverdiensten als Grund einer Neubewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Entgelthöhe als operationaler Indikator wirtschaftlicher Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Skizzierung der Entwicklung der Arbeitnehmerverdienste .. . . . . . . . 294 a) Entwicklung der durchschnittlichen Höhe der Arbeitnehmerverdienste .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 b) Quantitative und qualitative Entwicklung der Spitzenverdienste .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 aa) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 bb) Quantitative Entwicklung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 cc) Qualitative Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 c) Zusammenfassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 IV. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Teleologische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 I.
Fehlen eines einheitlichen arbeitsrechtlichen Schutzgrundes . . . . . . . . . 309 1. Wirtschaftliche Schwäche des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 2. Strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3. Fehlende Verhandlungsparität der Arbeitsvertragsparteien .. . . . . . . . 311 4. Folgerungen für die Untersuchung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 II. Kategorisierung arbeitsrechtlicher Schutzzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 1. Berufsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Arbeitsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Persönlichkeitsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 2. Existenzschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 a) Sozialschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 b) Einstellungs- und Bestandsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 aa) Einstellungsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 bb) Bestandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 c) Haftungsbeschränkungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 3. Paritätsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 4. Zusammenfassende Betrachtung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 III. Erkenntnisse für die Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1. Erfordernis einer teleologischen Begriffsbildung .. . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2. Berufsschutz und persönliche Abhängigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Arbeitsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Persönlichkeitsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
Inhaltsverzeichnis
17
c) Zusammenfassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 3. Existenzschutz und wirtschaftliche Abhängigkeit sowie soziale Schutzbedürftigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 a) Sozialschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 aa) Risiken der Arbeitnehmersphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 bb) Risiken der Arbeitgebersphäre und Betriebsrisiko . . . . . . . . 344 b) Einstellungs- und Bestandsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 aa) Einstellungsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 bb) Bestandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 c) Haftungsbeschränkungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 IV. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 V. Das teleologische Defizit des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes .. 354 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 3. Kapitel
Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts 357
§ 7 Möglichkeiten de lege lata: Rechtsprechungsänderung zum Arbeitnehmer begriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 A.
Mittelbar-systematische Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
B.
Vorgaben und Grenzen des § 611a Abs. 1 BGB .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 I.
§ 611a Abs. 1 S. 1 – 3 BGB: Definitorischer Kern .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1. § 611a Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 a) Vom Arbeitnehmerbegriff zum Arbeitsvertrag .. . . . . . . . . . . . . . 362 b) Persönliche Abhängigkeit, Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung – betriebliche Eingliederung? . . . . . . . . . . . . 364 aa) Persönliche Abhängigkeit als Oberbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . 365 bb) Weisungsgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 cc) Fremdbestimmung als betriebliche Eingliederung? .. . . . . . 367 2. § 611a Abs. 1 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 a) Abweichende Definition der Weisungsgebundenheit? . . . . . . . . 370 b) Klarstellungsnorm .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 3. Zwischenergebnis und Schlussfolgerung: Positive Festschreibung des fehlerhaften und verengenden Umkehrschlusses aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 II. § 611a Abs. 1 S. 4 und 5 BGB: Bekenntnis zur typologischen Methode 373 1. § 611a Abs. 1 S. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 2. § 611a Abs. 1 S. 5 BGB: Gesamtbetrachtung „aller“ Umstände? .. 375 a) Wortlaut .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 b) (Binnen-)Systematik .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 c) Entstehungsgeschichte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
Inhaltsverzeichnis
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aa) Erster Referentenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 bb) Gesetzgeberischer Wille zur „1:1-Kodifikation“: Die relative Offenheit des Typusbegriffs des persönlich abhängigen Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 3. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 III. Keine teleologische Reduktion des § 611a Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 384 1. Keine verdeckte Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 2. Keine teleologische Forderung nach einer umfassenden Reduktion des Arbeitnehmerbegriffes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 a) Dogma des einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes .. . . . . . . . . . . . 386 b) Entstehung von Schutzlücken im Bereich des Berufsschutzes bei kumulativer Berücksichtigung von wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . 388 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 § 8 Möglichkeiten de lege ferenda: Stufenloses oder gestuftes Arbeitsrecht . . . . . . 390 A.
Stufenloses Recht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
B.
Gestuftes Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 I. Die vier Kategorien der persönlich Arbeitenden .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 II. Abgrenzung des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 1. Regelungsaufgabe des Arbeitnehmerbegriffes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 2. Beibehaltung des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes . . . . . . . . . . . . 396 III. Abstufungen innerhalb des arbeitsrechtsrechtlichen Regelungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 1. De lege lata bestehende Binnendifferenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 2. Schaffung der Kategorie der „unternehmerähnlichen Personen“ . . . 401 a) Bestimmungskriterium .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 aa) Entgelt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 bb) Nebenverdienste und Privatvermögen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 b) Ermittlung einer Entgeltgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 aa) Höhe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 bb) Regelungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 c) Einschränkbare Regelungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 d) Ausschluss ipso iure oder dispositive Ausgestaltung . . . . . . . . . 415 IV. Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 V. Beachtung unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 1. Regelungsbereich liegt nicht im Anwendungsbereich des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 2. Regelungsbereich liegt im Anwendungsbereich des Unionsrechts . 426 a) Für Regelungsbereich ist unionsautonomer Arbeitnehmerbegriff maßgeblich .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
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b) Für Regelungsbereich ist grundsätzlich mitgliedstaatlicher Arbeitnehmerbegriff maßgeblich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 aa) Grundsatz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 bb) Handhabung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 VI. Exkurs: Ausweitung der auf arbeitnehmerähnliche Personen anwendbaren Normen? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 § 9 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
a. A. andere/r Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) am Ende a. E. a. F. alte Fassung Alt. Alternative AN Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes Anm. Anmerkung AnwBl AnwaltsBlatt AP Arbeitsrechtliche Praxis (Entscheidungssammlung) Ascheid/Preis/Schmidt (Kommentar zum Kündigungsrecht) APS AR-Blattei Arbeitsrecht-Blattei (Loseblattsammlung) Arb-Hdb Arbeitsrechts-Handbuch ArbRB ArbeitsRechtsberater (Zeitschrift) ArbuR Arbeit und Recht (Zeitschrift) Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG), 2007 (abgeArbVG-E druckt bei Henssler/Preis, NZA-Beil. 2007 zu Heft 21, 6 ff.) Arbeitsrechts-Sammlung (Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und des ARS Reichsehrengerichtshofs, der Landesarbeitsgerichte, Arbeitsgerichte und Ehrengerichte; bis zum 19. Band sog. Bensheimer Sammlung) BAG Bundesarbeitsgericht BB Betriebsberater (Zeitschrift) Bd. Band BeckOK Beck’scher Online-Kommentar Begr. Begründung Beil. Beilage BFH Bundesfinanzhof BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales BR-Drs. Drucksache des Deutschen Bundesrates BSG Bundessozialgericht BT-Drs. Drucksache des Deutschen Bundestages BVerfG Bundesverfassungsgericht DB Der Betrieb (Zeitschrift) ders. derselbe DFB Deutscher Fußball Bund
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DFL Deutsche Fußball Liga GmbH dies. dieselbe(n) Däubler/Kittner/Klebe/Wedde (Kommentar zum BetrVG) DKKW Erg.-Lfg. Ergänzungslieferung EuArbSozR Europäisches Arbeits- und Sozialrecht EuGH Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht EuZA Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EuZW Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) EWiR f. folgende Fachanwalt Arbeitsrecht (Zeitschrift) FA FD Fachdienst ff. fortfolgende FS Festschrift Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz GK-BetrVG GmbH-Rundschau (Zeitschrift) GmbHR Germelmann/Matthes/Prütting (Kommentar zum ArbGG) GMP GS Gedächtnisschrift herrschende Lehre h. L. h. M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz Hanau/Steinmeyer/Wank (Handbuch des europäischen Arbeits- und SozialHSW rechts) Henssler/Willemsen/Kalb (Kommentar) HWK Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung IAVG in der Fassung vom i. d. F. v. im Ergebnis i. E. im engeren Sinne i. e. S. insbes. insbesondere im Sinne des/der i. S. d. im Sinne von i. S. v. in Verbindung mit i. V. m. Jg. Jahrgang juris Monatszeitschrift jM Jura Juristische Ausbildung (Zeitschrift) jurisPR-ArbR juris Praxisreport-Arbeitsrecht JuS Juristische Schulung (Zeitschrift) JZ Juristenzeitung Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter KVG LAG Landesarbeitsgericht littera, Buchstabe(n) lit. LO Lizenzierungsordnung (des Ligaverbandes) LOS Lizenzordnung Spieler (des Ligaverbandes) MuV Mustervertrag für Lizenzspieler der DFL
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m. Anm. v. mit Anmerkung von Münchener Kommentar MüKo Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht MünchArb mit weiteren Nachweisen m. w. N. NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR NJW Rechtsprechungs-Report Zivilrecht NK NomosKommentar NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht NZA-RR PHB-SportR Praxishandbuch Sportrecht PK Praxiskommentar RAG Reichsarbeitsgericht RdA Recht der Arbeit (Zeitschrift) RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RGZ Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) RIW Rn. Randnummer Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung RVA Reichsversicherungsamt s. siehe S. Seite Schönke/Schröder (Kommentar zum StGB) S/S SD Systematische Darstellung Slg. Sammlung sog. sogenannte(r) Sp. Spalte str. streitig ständige Rechtsprechung st. Rspr. u. a. unter anderen/m Urt. Urteil UVG Unfallversicherungsgesetz vgl. vergleiche von Hoyningen-Huene/Linck (Kommentar zum KSchG) vHH/L WRV Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für die Anwaltspraxis ZAP Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht ZAS Zeitschrift für europäisches Zivil- und Arbeitsrecht ZESAR ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZGR Ziff. Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis ZIP Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft ZVersWiss
§ 1 Einleitung § 1 Einleitung
A. Allgemeine Problemstellung „Zu den schwierigsten Fragen des Arbeitsrechts gehört die Abgrenzung von Arbeitsverhältnissen zu sonstigen Rechtsverhältnissen“1. Die Abgrenzung des Arbeitsrechts, oder – anders gewendet – die Bestimmung seiner Anwendungsvoraussetzungen, zählt aber nicht nur zu den kompliziertesten, sondern zweifellos auch zu den wichtigsten Fragestellungen dieser Rechtsdisziplin. Zentraler Anknüpfungspunkt für eine notwendige Antwort auf diese Frage ist dabei der Begriff des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmerbegriff ist aus rechtsmethodischer Sicht ein sogenannter Statusbegriff. Das bedeutet, dass ein oder mehrere Gesetze gleich eine Vielzahl von Rechtsfolgen von der Erfüllung einer bestimmten begrifflichen Definition auf Tatbestandsseite abhängig machen 2. Im Falle des Arbeitnehmerbegriffes sind diese Rechtsfolgen besonders umfassend, da nach h. M. dem gesamten, vielschichtigen und zersplitterten Normkomplex „Arbeitsrecht“3 mit seinen vielen unterschiedlichen Gesetzen und Teilregelungen ein einheitlicher Arbeitnehmerbegriff zu Grunde zu legen ist4. Die rechtliche Qualifizierung eines Beschäf1 So
ausdrücklich der ehemalige Richter am BAG Mestwerdt, NZA 2014, 281, 281. Henssler, RdA 2016, 18, 18 sieht hierin eine „Jahrhundertaufgabe“. 2 Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 57; Greiner, NZS 2009, 657, 658; Maties, in: FS Wank, S. 323, 325; Wank, Arbeitnehmer, S. 37 und 389; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 231; grundlegend Wank, Begriffsbildung, S. 47 ff. Mit „Status“ ist dagegen gerade nicht eine bestimmte hierarchische Stellung innerhalb der Gesellschaft gemeint. Kritisch zum Begriff aus diesem Grund Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 144; Rebhahn, RdA 2009, 154, 158 f. 3 Zur schwierigen Bestimmung der genauen Reichweite des Begriffes „Arbeitsrecht“ Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 4 Rn. 1 ff.. 4 So schon ausdrücklich RAG ARS Bd. 13, 311, 311; BAG AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG; BAG AP Nr. 1 zu § 2 BUrlG; aus jüngerer Zeit etwa BAG NZA 2005, 480, 481; BAG NZA 2013, 793, 794; implizit auch BAG AP Nr. 48 zu § 5 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 2 zu § 23 KSchG 1969; aus der Literatur etwa ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 35; HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 21 ff.; NK-ArbR/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611 BGB Rn. 101; Schaub/ Vogelsang, Arb-Hdb, § 8 Rn. 1; Boemke, ZfA 1998, 285, 320 f.; Hanau, DB 1998, 69, 73; G. Hueck, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 2 BUrlG; ders., RdA 1969, 216, 218; Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 210 Fn. 11; Oberthür, NZA 2011, 253, 257; Rieble, ZfA 1998, 327, 330; Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 6; Heuberger, Abhängigkeit, S. 164 ff.; Wank, Arbeitnehmer, S. 37, 41, 72. Gleiches gilt in den meisten anderen europäischen Rechtsordnungen, vgl. dazu Rebhahn, RdA 2009, 154, 157, 161. Speziell aus
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tigten als Arbeitnehmer ist damit entscheidend für die Geltung des gesamten Arbeitsrechts als Sonderprivatrecht5. Auch soweit einzelne Gesetze die Begriffe des Arbeitsvertrages – so etwa § 611a Abs. 1 BGB6 – oder des Arbeitsverhältnisses zum Anknüpfungspunkt ihrer Anwendbarkeit machen, ändert dies an der zentralen Bedeutung des Arbeitnehmerbegriffes nichts: Ein Arbeitsvertrag ist nämlich nichts anderes als der schuldrechtliche Vertrag zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer7; als Arbeitsverhältnis bezeichnet man die über den bloßen Vertrag hinausgehende Gesamtheit der zwischen diesen Parteien bestehenden Rechte und Pflichten im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses8. Es zeigt sich somit, dass für die Bestimmung dieser Begrifflichkeiten die Einordnung einer Vertragspartei als Arbeitnehmer gerade die entscheidende Voraussetzung ist. Die einzelnen Konsequenzen, die aus der Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft folgen, können in ihrer Vielzahl kaum überblickt werden9. Auch die dem sportarbeitsrechtlichen Schrifttum Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 164; Buchner, NJW 1972, 2242, 2243; Grunsky, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 50, 51; Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 202; Blang, Befristung, S. 80 f.; a. A. (Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft nach dem jeweiligen Schutzzweck des Gesetzes) etwa MünchArb/ Richardi, § 16 Rn. 42 ff.; Heinze, NZA 1997, 1, 3 Maties, in: FS Wank, S. 323, 341 und Zeuner, RdA 1975, 84, 87 f.; im Ergebnis auch Bühler, SpuRt 1998, 143, 147. Die Einheitlichkeit des Arbeitnehmerbegriffes gilt auch – und gerade – nach Einführung des § 611a Abs. 1 BGB, vgl. dazu unten § 7 B. und dort Fn. 11. 5 Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 1 (S. 5); Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252; Rebhahn, RdA 2009, 154, 157 (letzterer auch aus rechtsvergleichender Perspektive). Näher und grundlegend zum Begriff des Sonderprivatrechts vgl. Wolf/Neuner, BGB AT, § 3 Rn. 6 ff. 6 Zur gleichzeitig impliziten Definition des Arbeitnehmers in § 611a Abs. 1 BGB vgl. unten § 7 B. I. 1. a). 7 Preis, Individualarbeitsrecht, § 6 I. (S. 41); Schaub/Linck, Arb-Hdb, § 29 Rn. 1; Maties, in: FS Wank, S. 323, 324. Vgl. zum Begriff des Arbeitgebers etwa Vetter, NZA-RR 2017, 281, 283 f. 8 Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 611 BGB, Rn. 5; Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 44; Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 65; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 5 Rn. 1 ff. 9 An dieser Stelle werden ausschließlich arbeitsrechtliche Konsequenzen des Arbeitnehmerstatus dargestellt. Die Auswirkungen dieses Zentralbegriffes reichen aber, größtenteils in leicht angepasster Definition, sogar darüber hinaus. Zumindest hingewiesen sei an dieser Stelle deshalb auf „die maßstabsetzende Leitfunktion“ (Brammsen, RdA 2010, 267, 267) des arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffes für andere Rechtsgebiete. Zu erkennen sind insbesondere Ausstrahlungen ins Sozialrecht, ins Steuerrecht (hier ist entscheidend auf den sehr ähnlichen Arbeitnehmerbegriff des § 1 LStDV abzustellen, vgl. BFH DB 2012, 1129, 2. Orientierungssatz), ins Recht der Zwangsvollstreckung, §§ 850 ff. ZPO (Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen) oder gar ins Strafrecht, § 266a StGB, wonach das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt strafbewehrt ist. Dabei erfolgt
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folgende Aufzählung erfolgt exemplarisch und erhebt keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit. Die Auswirkungen beginnen individualarbeitsrechtlich bereits auf prozessualer Seite bei der Bestimmung des Rechtswegs. Ob die ordentlichen Gerichte nach § 13 GVG oder die Arbeitsgerichte, insbesondere nach § 2 I Nr. 3 ArbGG zuständig10 sind, richtet sich nach der Arbeitnehmereigenschaft des am Rechtsstreit Beteiligten. Noch viel weiter reicht die Bedeutung im materiellen Recht. So gelten etwa einige der Bestimmungen der §§ 611 ff. BGB nur für Arbeitsverhältnisse. Verschiedenste Sondergesetze knüpfen ebenfalls an den Arbeitnehmerstatus an. Zu nennen sind etwa das Kündigungsschutzgesetz, das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz, das Bundesurlaubsgesetz, das Arbeitsschutzgesetz oder das Arbeitszeitgesetz. Andere Gesetze bieten nur bestimmten Arbeitnehmergruppen Schutz, so etwa das Mutterschutzgesetz oder die Bestimmungen zum Schutz schwerbehinderter Menschen im Sozialgesetzbuch (SGB IX). Doch nicht nur gesetzlich geregelte Rechtsfolgen sind vom Arbeitnehmerstatus abhängig. Hinzuweisen ist ebenso auf die vom BAG in richterrechtlicher Rechtsfortbildung aufgestellten Grundsätze zur beschränkten Arbeitnehmerhaftung bzw. zum innerbetrieblichen Schadensausgleich, zur Tragung des Betriebsrisikos (später nur in seinem Grundtatbestand in § 615 S. 3 BGB normiert) oder zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch, die allesamt nur in Arbeitsverhältnissen Anwendung finden. Zudem gelten Arbeitnehmer nach der ständigen Rechtsprechung des BAG als Verbraucher i. S. d. AGB-Rechts, §§ 305 ff. BGB. In kollektivarbeitsrechtlicher Hinsicht hängt die Anwendbarkeit des Betriebsverfassungsgesetzes von der Anzahl der (wahlberechtigten) Arbeitnehmer im Betrieb ab, § 1 Abs. 1 BetrVG. Das Tarifvertragsrecht sieht als arbeitnehmerseitige Tarifvertragspartei Gewerkschaften an, § 2 Abs. 1 TVG, also Vereinigungen von größtenteils Arbeitnehmern11. Für deren Arbeitsverhältnisse gilt der normative Teil der von den Tarifvertragsparteien abgeschlossenen Tarifverträge dann unmittelbar und zwingend12, § 4 I TVG. Treffend muss daher vom
die Bestimmung der Täterqualität teilweise durch die direkte zivilrechtsakzessorische Heranziehung der Statusbegriffe „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ (so MüKo-StGB/Radtke, § 266a StGB Rn. 8 (1. Auflage), teilweise anders MüKo-StGB/Radtke, § 266a StGB Rn. 10 (Auflage 2.). Richtigerweise ist allerdings auf den eng verwandten, tendenziell aber etwas weiteren Begriff des Beschäftigten nach § 7 Abs. 1 SGB IV abzustellen (so zu Recht S/S/Perron, § 266a StGB Rn. 11; NK-StGB/Tag, § 266a StGB Rn. 19). 10 Hierzu ausführlich HWK/Kalb, § 2 ArbGG Rn. 65 ff; Reinecke, NZA 1999, 729, 730 f. 11 Junker, Arbeitsrecht, Rn. 484, weist zu Recht darauf hin, dass auch Rentner, Arbeitslose oder Studenten zum Teil Gewerkschaftsmitglieder sind; dazu auch Wollenschläger, Arbeitsrecht, Rn. 556. 12 Ausführlich hierzu Junker, Arbeitsrecht, Rn. 484 ff.; Preis, Kollektivarbeitsrecht, § 98 (S. 156 ff.).
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Arbeitnehmerbegriff als „Eingangstor“13 zum Arbeitsrecht oder vom „Schlüssel für die Anwendung des Arbeitsrechts“14 gesprochen werden. In Anbetracht dieser umfassenden Konsequenzen15 und der daraus folgenden Bedeutung des Arbeitnehmerbegriffes kann es kaum überraschen, dass die Frage nach dessen Bestimmungskriterien zu den ältesten arbeitsrechtlichen Streitpunkten überhaupt gehört16. Mehr noch: Die Problematik ist zwar so alt wie das Arbeitsrecht selbst und seither Gegenstand unzähliger Diskussionen gewesen; dennoch ist sie bis heute nicht zufriedenstellend gelöst17. Dabei hat es Rechtsprechung und Wissenschaft auf Grund von – bis in die jüngste Vergangenheit – fehlenden aussagekräftigen gesetzlichen Anhaltspunkten18 schon von Anfang an enorme Schwierigkeiten bereitet, die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts zutreffend zu bestimmen19. Heute gilt eine Begriffsbestimmung des BAG als herrschend, die sich in ihrem Kern noch immer an einer, dem berühmten Arbeitsrechtswissenschaftler Alfred Hueck zugeschriebenen 20, Definition aus dem Jahr 1928 orientiert. Danach soll Arbeitnehmer sein, „wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags zur Arbeit im Dienste eines anderen verpflichtet ist“ 21. „Im Dienste eines anderen“, so präzisiert die herrschende Meinung in Rechtsprechung22 und
13 Bauschke, RdA 1994, 209, 209; ders., öAT 2016, 69, 69; Reinecke, NZA 1999, 729, 729; ders., ZTR 2014, 63, 63; Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 5. G. Hueck, RdA 1969, 216, 216 spricht vom „Arbeitnehmerbegriff als dem zentralen Begriff des Arbeitsrechts“, Rebhahn, RdA 2009, 154, 161 vom „Eckstein“ des Arbeitsrechts. 14 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 37; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 I. (S. 49); Pötters, NZA 2014, 704, 704. 15 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 34; Brammsen, RdA 2010, 267, 267. 16 Maties, in: FS Wank, S. 323, 327 stellt sogar die Hypothese auf, es handele sich um einen der umstrittensten Begriffe des gesamten deutschen Rechts. 17 Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 275; ähnlich Böhm, NZA 2017, 494, 494; Henssler, RdA 2017, 83, 83. 18 Älter als § 611a BGB sind zwar § 2 Abs. 2 ArbZG, § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG, § 2 S. 1 BUrlG und § 1 Abs. 2 EFZG. Danach sind Arbeitnehmer „Arbeiter, Angestellte und die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten“. Dies ist jedoch keine gesetzliche Definition; vielmehr werden hier lediglich verschiedene Arbeitnehmergruppen benannt, vgl. Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 214. Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 311 unterstellt dem Gesetz an diesen Stellen daher zu Recht Zirkelschlüssigkeit. Vgl. zur heutigen Bedeutung der Begriffe „Arbeiter“ und „Angestellter“ Kortstock, NZA 2017, 357, 357 ff. 19 Tomandl, ZAS 2008, 100, 100. 20 So etwa HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 24. 21 Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I (2. Auflage 1928), § 8 II. (S. 33). 22 Etwa BAG AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA 1992, 407, 408; BAG NZA 1998, 596, 597; BAG NZA 1998, 1277, 1278 und aus neuerer Zeit BAG NZA 2012, 1433, 1434; BAG AP Nr. 126 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA-RR 2014, 522, 523; BAG NZA 2015, 101, 102.
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Literatur heute23, soll aber nur derjenige Beschäftigte stehen, der sich auf Grund von Weisungsbindung und Fremdbestimmung in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit zu seinem Vertragspartner befindet. In dieser seit Jahrzehnten unveränderten24 höchstrichterlichen Rechtsprechung, die nunmehr in § 611a Abs. 1 BGB sogar einen positivrechtichen Niederschlag gefunden hat, wurde bisweilen ein „Grundkonsens“ erblickt, ein „zuverlässiger Waffenstillstand“, was die Bestimmung der entscheidenden Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts angeht25. Doch zeigt schon ein kurzer Rückblick auf die Entwicklungen der vergangenen 40 Jahre, dass eine solche Einschätzung täuscht. Die Diskussion um den Arbeitnehmerbegriff verläuft in Wellen 26. Angestoßen wird sie oftmals durch scheinbare oder tatsächliche Missstände in der Rechtswirklichkeit. Ihre erste Hochphase erlebte sie denn auch mit Blick auf die missliche Lage der freien Mitarbeiter der Rundfunkanstalten in den 1970er Jahren. Später – in den 1990er und frühen 2000er Jahren – rückte die Problematik der sog. „Scheinselbständigkeit“ in den Mittelpunkt des Interesses27. Wohl auf Grund der allgemeinen positiven wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland gegen Ende der 2000er Jahre, war die Diskussion zwar zwischenzeitlich etwas in den Hintergrund getreten. In jüngerer Vergangenheit ist sie aber – angestoßen auch von politischer Seite28 – unter dem Stichwort des Missbrauchs von Werkverträgen in neuem Gewand wieder aufgetaucht29. Es konnte daher sicherlich nur wenig überraschen, dass sich etwa das 13. Göttinger Forum zum Arbeitsrecht Ende des Jahres 2015 dem Thema „Wen schützt das Arbeitsrecht? Die personelle Reichweite des arbeitsrechtlichen Schutzes in einer sich verändernden 23 Statt vieler ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 35; HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 24; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 91, 97 ff.; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 I. (S. 50); Wollenschläger, Arbeitsrecht, Rn. 47; Ossenbühl, Rechtsprobleme, S. 58 f. 24 Reinecke, ZTR 2014, 63, 63. 25 Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 13. 26 Ebenso die Beobachtung von Reinfelder, RdA 2016, 87, 87. 27 Diese Entwicklungen zusammenfassend etwa Park, Arbeitnehmer, S. 2 ff. mit umfassenden Nachweisen. 28 Vgl. dazu zusammenfassend etwa den Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion, BT-Drs. 17/12378, S. 1 ff. 29 Vgl. hierzu bereits Lembke, NZA 2013, 1312, 1317 ff. und Maschmann, NZA 2013, 1305, 1306 ff. Insoweit den Stand der rechtswissenschaftlichen Diskussion zusammenfassend Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 97 f. Ders., RdA 2017, 83, 86 stellt allerdings zu Recht klar, dass sich hinter diesem rechtspolitischen Schlagwort primär die nötige Abgrenzung von Arbeitnehmerentsendung auf Grundlage freier Dienst- bzw. Werkverträge einerseits und Arbeitskräfteüberlassung nach dem AÜG („Leiharbeit“) andererseits verbirgt (Dreipersonenverhältnis) und regelmäßig gerade nicht Unterscheidung des Arbeitnehmers vom Selbständigen (Zweipersonenverhältnis) in Rede steht. Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Wank, EuZA 2016, 143, 158 f. und ders., ArbuR 2017, 140, 140.
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Arbeitswelt“30 widmete und kurz zuvor auch auf der 4. Assistententagung des Arbeitsrechts in Bonn gefragt wurde: „Arbeitsrecht – für wen und wofür?“31. Allerdings kommt man nicht umhin, innerhalb der letzten Jahre auch einen gewissen Perspektivenwechsel zu beobachten. Ging und geht es in den soeben beschriebenen Fällen primär darum, als materiell schutzbedürftig erkannte Beschäftigte in den Schutzbereich des Arbeitsrechts zu integrieren, wird heute vermehrt auch die Frage nach dessen Begrenzung für anscheinend nicht schutzbedürftige gestellt. Beispielhaft stand etwa das Podium II. des 1. Deutschen Arbeitsrechtstags anfangs des Jahres 2014 unter dem Thema: „‚Begrenzung des Arbeitsverhältnisses‘ […] – brauchen wir ein abgestuftes Arbeitsrecht für ‚unternehmerähnliche‘ Beschäftigte (Topverdiener, Sport- und Medienprofis)?“32. Im Rahmen dieser Diskussion geht es letztlich um die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien bei der Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts.
B. Besonderheiten der Lizenzfußballer Ausgangspunkt und Anlass dieser Untersuchung ist das von unzähligen Besonderheiten wirtschaftlicher und sonstiger Art geprägte Rechtsverhältnis zwischen Lizenzfußballern33 und den Vereinen34 der Fußball-Bundesligen, für die 30 Die wesentlichen Diskussionsbeiträge zusammenfassend etwa Bock, RdA 2016, 123, 123 ff.; Dornberger, ArbuR 2016, 200, 200 und Stassek, ZESAR 2016, 46, 46 ff. 31 Eine Zusammenfassung aller Beiträge findet sich bei Fütterer/Pötters/Stiebert/Traut (Hrsg.), Arbeitsrecht – für wen und wofür? Dokumentation der 4. Assistententagung im Arbeitsrecht; Bonn 2014. Vgl. hierzu auch Pötters, NZA 2014, 704, 704 ff. 32 Vgl. hierzu den Generalbericht von Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 98 ff. sowie die kurze Zusammenfassung von Marx, AnwBl 2014, 248, 248 ff. Auch Pötters, NZA 2014, 704, 707 stellte im Vorfeld der Assistententagung (vgl. soeben Fn. 31) die Frage nach „neue[n] Machtverhältnisse[n] in der Arbeitswelt“. 33 Nach der Präambel der Lizenzierungsordnung Spieler (LOS, dort Nr. 3) des Ligaverbandes sowie § 8 Nr. 3 der Spielordnung des DFB ist Lizenzspieler, „wer das Fußballspiel aufgrund eines mit einem lizenzierten Verein oder einer lizenzierten Kapitalgesellschaft geschlossenen schriftlichen Vertrages betreibt und durch Abschluss eines schriftlichen Lizenzvertrages mit dem Ligaverband zum Spielbetrieb zugelassen ist.“ Aus § 1 Nr. 1 der Lizenzordnung (LO) des Ligaverbandes ergibt sich wiederum, dass eine Lizenzerteilung an einen Verein notwendige Voraussetzung (nur) für die „Nutzung der Vereinseinrichtungen Bundesliga und 2. Bundesliga“ ist. Vereinfacht ausgedrückt sind Lizenzspieler damit all jene Fußballer, die für einen Verein der 1. und 2. Fußball-Bundesliga im Rahmen des regulären Spielbetriebs tätig werden. Zu alledem auch Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 108; Jungheim, RdA 2008, 222, 222 ff.; Schütz, Lizenzfußballspieler, S. 17 f. Zu weiteren Spielerkategorien vgl. Neuß, RdA 2003, 161, 163. 34 Überwiegend kontrahieren die Spieler allerdings nicht mit Vereinen im rechtlichen Sinne (§§ 21 ff. BGB), sondern vielmehr mit aus diesen ausgegliederten Kapitalgesellschaften (vgl. dazu ausführlich unten § 2 B. II. 2.). Wo eine genaue rechtliche Differen-
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sie tätig werden. Der Streit um die Einordnung dieses Rechtsverhältnisses als Arbeitsverhältnis wird hier mit besonderer Intensität und Emotionalität geführt. Hauptgrund dafür ist – neben der bereits beschriebenen Tatsache, dass der Weg ins Arbeitsrecht im Falle der Arbeitnehmereigenschaft eines Beschäftigten nicht nur zum Teil, sondern grundsätzlich vollständig und mit all seinen Konsequenzen beschritten werden muss – die besondere Genese des Arbeitsrechts. Arbeitsrecht, wie es auch heute zu Recht noch verstanden wird, ist nach seiner historischen Entwicklung nämlich primär Arbeitnehmerschutzrecht im weitesten Sinne35. Die Entstehung des modernen Arbeitsrechts, die hier nur in aller Kürze angerissen werden soll, um die Grundproblematik der Diskussion deutlicher zu machen, begann Mitte des 19. Jahrhunderts36. Die nunmehr auch in Deutschland einsetzende Industrialisierung und das rasante Bevölkerungswachstum führten zu dem gemeinhin als „soziale Frage“ bezeichneten Phänomen der Massenarmut37: Viele ehemals in der Landwirtschaft tätige Arbeitskräfte fanden jetzt zwar Beschäftigung in den Produktionsstätten der Industrie; damit einher ging aber zugleich wirtschaftliches und soziales Elend, da sich die nun immer zahlreicher werdenden Unternehmen aufgrund des entstehenden Konkurrenzdruckes gezwungen sahen, so kostengünstig wie möglich zu produzieren. Niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und Massenentlassungen der Arbeitnehmer waren die Folge38. Hinzu kam, dass sowohl in der damaligen Gesellschaft als auch in der Wirtschafts- und Rechtsordnung ein extrem liberales Denken vorherrschte39 und folglich auch die freie Verhandelbarkeit von Arbeitsvertragsbedingungen gelöst von staatlicher Einflussnahme möglich war40. Das Überangebot an Arbeitskräfzierung ohne inhaltliche Auswirkungen ist, wird im Sinne der Lesbarkeit der Arbeit im Folgenden regelmäßig nur von „Vereinen“ gesprochen. 35 Grundlegend zu diesem Begriff vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 7 I. (S. 25 ff.); Zöllner, RdA 1969, 65, 67; dazu auch Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 192; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 222. 36 Zu sehr frühen, nur entfernt an das heutige Arbeitsrecht erinnernden Teilregelungen etwa im Bergrecht, vgl. Dapprich, in: FS Müller, S. 115, 115 ff.; Schleßmann, NZA 2006, 1392, 1392 ff.; zusammenfassend auch Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 23 ff. 37 Ausführlich zur hierdurch angestoßenen Entwicklung des Arbeitsrechts Jähnichen, in: Nutzinger (Hrsg.), Entstehung, S. 121, 121 ff. 38 Preis, Individualarbeitsrecht, § 4 (S. 24); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 3 Rn. 1 ff. 39 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 1 Rn. 2 ff.; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 11; ausführlich hierzu Benöhr, ZfA 1977, 187, 187 ff. 40 So ausdrücklich etwa die preußische Gesindeordnung von 1810: „Der Lohn, das Kostgeld oder die Beköstigung, ohne Ausnahme, hängt bloß von freier Übereinkunft ab“. Ähnlich auch § 105 der 1869 verkündeten Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund: „Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbstständigen Gewerbetreibenden und ihren Gesellen, Gehülfen und Lehrlingen ist Gegenstand freier Uebereinkunft“, vgl. hierzu Richardi, JA 1986, 289, 291.
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ten infolge des Bevölkerungswachstums sowie die potentielle wie tatsächliche Ersetzbarkeit einzelner Individuen im Rahmen der Massenproduktion in den Fabriken sorgten dabei für eine sehr schlechte Verhandlungsposition der Arbeitnehmer. Der Abschluss eines sozial ausgewogenen Arbeitsvertrages war damit unmöglich und die an sich gut gemeinte Vertragsfreiheit empfindlich zu Lasten der arbeitenden Bevölkerungsschicht gestört41. Die typische weil als strukturell erkannte Unterlegenheit einer Vertragspartei, die der Zivilrechtsordnung bis dahin fremd war, trat somit in dieser Zeit erstmals offen zu Tage. Diese Missstände zu beseitigen war42 und ist die Kernaufgabe des Arbeitsrechts. In Anbetracht dieser hier freilich nur angedeuteten Entstehungsgeschichte, der auch heute noch gültigen Schutzrichtung des Arbeitsrechts und der weitreichenden Konsequenzen des infolge der geschichtlichen Entwicklung auch ideologisch besetzten Arbeitnehmerbegriffes kann es kaum überraschen, wenn ein Großteil der Bevölkerung der Bundesrepublik heutzutage43 kein Verständnis mehr für die Einordnung mancher Lizenzfußballer als Arbeitnehmer hat44, beträgt doch der jährliche Durchschnittsverdienst eines deutschen Angestellten mitunter nur einen Bruchteil dessen, was einige Spieler Woche für Woche an Entgelt erhalten45. So war denn auch die öffentliche Empörung enorm, als bekannt wurde, dass Spieler von Borussia Dortmund von der damals gültigen Regelung des § 3b a. F. EStG zur Steuerfreiheit von Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen in Millionenhöhe profitierten46. Nicht minder entrüstet waren Fans47 und Vereinsverant41 Preis, Individualarbeitsrecht, § 4 (S. 24); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 3 Rn. 6 f.; Richardi, JA 1986, 289, 292; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 280. 42 Die Entwicklung des Arbeitsrechts ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute wird ausführlich nachgezeichnet beispielsweise von MünchArb/Richardi, § 2 III.-VI. und Preis, Individualarbeitsrecht, § 4 (S. 23 – 30). 43 Im Jahre 1979 lag der durchschnittliche Jahresbruttolohn der Spieler der ersten Bundesliga noch zwischen 60.000 bis 70.000 DM, vgl. die Angaben bei Heckelmann, AcP 179 (1979), 1, 3. 44 Vgl. allgemein zum – schlechten – Image des Arbeitsrechts in der öffentlichen Wahrnehmung die lesenswerten Befragungsergebnisse samt der dazugehörigen Ausführungen von Schramm, RdA 2007, 267, 269 f. 45 So soll z. B. das Bruttogehalt von Philipp Lahm bereits im Jahr 2011 bei etwa 10 Mio. Euro jährlich bzw. umgerechnet ca. 192.000 Euro wöchentlich gelegen haben, vgl. http://www.fussballtransfers.com/bundesliga/geldrangliste-des-fussballs-messi-fuhrtmit-31-millionen_18168 (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). Ebenso hoch war das in der Presse kolportierte Gehalt von Toni Kroos nach seinem Wechsel zu Real Madrid im Sommer 2014, vgl. Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 13. 46 Exemplarisch hierfür das Interview mit dem damaligen Bundesfinanzminister Hans Eichel im Spiegel, Heft 39/2003, online abrufbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-28653225.html: „Das kann nicht sein, das können wir nicht hinnehmen“ und die Aussage von Edmund Stoiber, SZ v. 16. 09. 2003, die Steuererleichterung sei „für hart arbeitende Bürgerinnen und Bürger geschaffen worden und nicht für Fußball-Millionä-
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wortliche, als etwa Ende der 90er Jahre der Mönchengladbacher Spieler KarlHeinz Pflipsen gegen seinen Verein vor dem Arbeitsgericht auf Zahlung des Urlaubsentgelts klagte und obsiegte48. Bereits in diesem Zusammenhang wurde ein „Missbrauch des sozialen Gedankens, der hinter dem entsprechenden Gesetz steht“ angeprangert49. Groß war das Erstaunen dann auch im Anschluss an das – in zweiter Instanz einstweilen aufgehobene, aber doch zumindest vertretbare – Urteil des ArbG Mainz50 aus dem Jahr 2015, in dem die Befristungsabrede im Arbeitsvertrag des Mainzer Torhüters Heinz Müller als unzulässig eingestuft wurde. Dennoch stand etwa für den DFB-Präsidenten Rainer Koch sogleich außer Frage, „dass das allgemeine Arbeitsrecht im Fußball so nicht gelten kann“51. Man stelle sich daher in Anbetracht dieser Reaktionen nur das mediale und gesellschaftliche Echo vor, würden die Spieler der Fußball-Bundesligen zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einen Tarifvertrag erstreiken wollen. Auch wenn kollektives Arbeitsrecht in der Praxis des deutschen Sports allgemein und in den Lizenzligen des Fußballs im Speziellen bislang noch keine Rolle spielt52, ist diese Möglichkeit tatsächlich weniger fernliegend, als sie zunächst erscheinen mag. Dies beweist schon die Existenz der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV), die in der Literatur als tariffähige Gewerkschaft anerkannt ist53 und die nach erfolgter Satzungsänderung nunmehr auch selbst „insbesondere […] den 47
re“, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fussball-steuertricks-im-strafraum-1.902180 (beides zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). In der Tat wurde die Norm aus diesem Grunde in der Folgezeit geändert und die Steuerfreiheit dahingehend begrenzt, dass der maximal ansetzbare Stundengrundlohn auf einen Höchstbetrag von 50 Euro pro Stunde festgesetzt wurde, vgl. die aktuelle Fassung von § 3b Abs. 1, 2 EStG. Ansatzweise kritisch zur damaligen Regelung auch Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 161. 47 So begrüßten die empörten Gladbacher Fans ihren eigenen Spieler beim nächsten Heimspiel, indem sie ihm mit falschen 100 Mark Scheinen zuwinkten, vgl. FAZ v. 24. 02. 1997, S. 29. 48 Vgl. dazu auch zwei Entscheidungen zur Berechnung des Urlaubsentgeltanspruchs von Bundesligaspielern BAG AP Nr. 10 und 34 zu § 11 BUrlG. 49 Rolf Rüßmann, (damaliger Manager von Borussia Mönchengladbach) in FAZ v. 21. 02. 1997, S. 34. 50 ArbG Mainz NZA 2015, 684, 648 ff.; aufgehoben durch LAG Rheinland-Pfalz NZA 2016, 699, 699 ff.; Revision beim BAG anhängig unter Az.: 7 AZR 312/16, vgl. zu alledem ausführlich unten Fn. 746. 51 Zitiert nach Gutzeit, NZA-Editorial 2016, Heft 6/2016. 52 Hingegen gibt es in der arbeitsrechtlichen Literatur bereits umfassende Würdigungen dieses Themas, etwa Fikentscher, Mitbestimmung, passim und Rüth, Kollektives Arbeitsrecht, passim; zusammenfassend bereits Schneider, SpuRt 1996, 118, 118 ff. 53 Pröpper, NZA 2001, 1346, 1349; Rüth, SpuRt 2003, 137, 138; Walker, SpuRt 2012, 222, 224; zuletzt Bepler, jM 2016, 151, 153.
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Abschluss von Tarifverträgen unter Anwendung aller gewerkschaftlichen Mittel“ anstrebt, § 2 Abs. 4 lit. a) VdV-Satzung54. Doch die Einordnung eines professionellen Fußballspielers als Arbeitnehmer scheint nicht nur den meisten juristischen Laien absurd. Auch einige Verantwortliche der Bundesligavereine55 sowie nicht wenige Juristen können sich mit der Vorstellung eines Lizenzspielers mit Arbeitnehmerstatus nicht anfreunden. So wurde etwa von Fischer die rhetorische Frage aufgeworfen, ob ein Berufssportler, der ein Vielfaches dessen verdiene, was der Gesetzgeber in § 5 Abs. 4 Nr. 4 BetrVG als Kriterium für leitende Angestellte aufstelle, wirklich genauso behandelt werden dürfe wie diejenigen, die „aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Lage nach historischer Überlieferung und sozialer Realität berechtigterweise in den Schutzbereich des Arbeitsrechts“ fielen56. Werde diese Frage bejaht, so würden Schutzrechte von faktisch Nichtschutzbedürftigen geltend gemacht, was „das System der gesellschaftlichen Solidarität“ aushöhle57. Auch Körner findet es verständlich, dass die Annahme eines Arbeitsverhältnisses zwischen manchem Lizenzspieler und seinem Verein ob der Verdiensthöhe von mehreren Millionen Euro Erstaunen hervorrufe. Er bezweifelt die Sachgerechtigkeit dieser Statuseinordnung auf Grund des Berufsbildes sowie insbesondere der Gehaltsentwicklung von Fußballprofis in den letzten Jahren58. In dieselbe Richtung geht Kade, dem es nicht einleuchten mag, dass (einige) Lizenzspieler den Schutz des Arbeitsrechts genössen, den sie eigentlich überhaupt nicht verdienten und benötigten. Er wirbt deshalb, auch mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Arbeitsrechts, offen für einen „Weg aus dem Arbeitsrecht“, den er zwar für sachgerecht und geboten, momentan aber noch nicht für gangbar hält59. 54 Einsehbar unter https://www.spielergewerkschaft.de/de/Mitgliedschaft/Mitgliedwerden/down/1.htm (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). Vgl. zur Forderung der VdV nach einem Tarifvertrag für Profifußballer im Anschluss an das soeben zitierte Urteil in Sachen Heinz Müller Gotthardt, RdA 2015, 214, 217. Eine solche Möglichkeit befürwortend Boemke/Jäger, RdA 2017, 20, 26. 55 Zu nennen sind etwa der ehemalige Vereinspräsident von Borussia Dortmund, Gerd Niebaum und der ehemalige Sprecher der Geschäftsführung der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH, Wolfgang Holzhäuser, die die Spieler nicht für Arbeitnehmer, sondern für selbständige Unternehmer halten, vgl. FAZ v. 20. 01. 1996, S. 27 und SpiegelOnline v. 01. 03. 2001, abrufbar unter http://www.spiegel.de/sport/fussball/interview-mit-wolfgang-holzhaeuser-kirch-sollte-die-d-box-verschenken-a-120125.html (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). 56 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 182 f.; ähnlich jüngst ders., FA 2017, 34, 34. 57 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 183; ähnlich ders., FA 2017, 34, 34; zustimmend P.-W. Beckmann, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 1145, 1167; ähnlich in allgemeinerem Zusammenhang Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 99. 58 Körner, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 101, 104; ähnlich Bepler, jM 2016, 105, 105 f. 59 Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 201 f. und S. 210.
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Ein Lizenzfußballer mit Arbeitnehmerstatus sorgt also offenbar für Unbehagen. Den tatsächlichen Hintergrund, der bei nahezu allen eben zitierten Stimmen die Ursache für dieses befremdliche Gefühl sein dürfte, hat Bepler ebenso prägnant wie simpel auf den Punkt gebracht: „Die Burschen verdienen einfach unvorstellbar gut“60. Zu gut, um Arbeitnehmer zu sein?
C. Ziel und Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit möchte sich dieser konkreten sowie der weitergehenden Frage nach der grundsätzlichen Relevanz wirtschaftlicher Kriterien bei der Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts widmen. Sie betrachtet diese allgemeine Problemstellung aus einem bislang weit seltener eingenommenen Blickwinkel und fragt danach, ob wirtschaftliche Kriterien nicht zu einer Begrenzung des arbeitsrechtlichen Schutzes führen können und müssen. Die Fragestellung ist aus dieser Perspektive bislang monografisch nicht aufgearbeitet worden; auch zur Schließung dieser Lücke möchte die Untersuchung einen Beitrag leisten. Ihr Ziel ist es, das Dogma der angeblich ausschließlichen Relevanz der persönlichen Abhängigkeit ebenso kritisch zu hinterfragen, wie – weitgehend unberechtigte – Berührungsängste der h. M. mit dem Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit abzubauen und deren Zusammenhang mit der sozialen Schutzbedürftigkeit und schließlich der Entgelthöhe eines Arbeitnehmers zu erläutern. Zu diesem Zweck soll dargelegt werden, dass wirtschaftliche Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts angesichts dessen Genese nicht nur gefühlt berücksichtigt werden sollten, sondern dass deren Berücksichtigungsfähigkeit im Gegenteil auch durch eine umfassende methodenorientierte Untersuchung des Arbeitsrechts gestützt wird. Dabei soll zugleich gezeigt werden, dass die beiden Begriffe der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht diametral widersprüchlich sind, sondern sie sich im Gegenteil häufig überlagern und gegenseitig bedingen, sie allerdings nur in ihrem Zusammenwirken einen hinreichenden Geltungsgrund für das Arbeitsrecht insgesamt bilden können. Hierauf aufbauend soll deutlich werden, dass dort, wo es an einer der beiden Abhängigkeiten oder der sozialen Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten fehlt, kein umfassender arbeitsrechtlicher Schutz greifen kann. Durch diese Erkenntnis soll schließlich auch der Gesetzgeber dazu inspiriert werden, den Anwendungsbereich arbeitsrechtlicher Teilregelungen de lege ferenda weiter auszudifferenzieren und nicht länger – wie bisher durch eine indifferente Anknüpfung an einen 60 Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 174; Kratzer/Frodl, NZA 2015, 657, 658 gehen von einer Durchschnittsvergütung in der 1. Bundesliga von 1,5 Mio. Euro aus.
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einheitlichen Arbeitnehmerbegriff für das gesamte Arbeitsrecht – weitestgehend nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip zu verfahren. Die Arbeit nähert sich dieser Zielsetzung sowie der zuvor angerissenen Problemstellung in drei Kapiteln. I. Im ersten Kapitel wird untersucht, ob die Lizenzspieler der Fußballbundesligen überhaupt als Arbeitnehmer ihrer Vereine einzustufen sind. Im Rahmen dieser Prüfung wird der Arbeitnehmerbegriff der herrschenden Meinung – die laut der Begründung des Regierungsentwurfs durch § 611a Abs. 1 BGB eine „1:1-Kodfizierung“ erfahren hat61 – zu Grunde gelegt, die hierdurch zugleich illustriert und detailliert behandelt wird. Dabei wird ausführlich auf die in der sportarbeitsrechtlichen Literatur vorgebrachten Bedenken gegen eine etwaige Arbeitnehmerstellung der Lizenzfußballer eingegangen. Die angeführten Argumente werden jeweils am Maßstab der Kriterien der persönlichen Abhängigkeit überprüft. II. In den folgenden beiden Kapiteln lösen sich die Ausführungen von der Fokussierung auf die spezielle Beschäftigtengruppe der Lizenzfußballer. Hier wird zunächst der grundlegenden Frage nachgegangen, ob wirtschaftliche Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts entgegen der herrschenden Meinung grundsätzlich berücksichtigungsfähig sind (zweites Kapitel), bevor untersucht wird, ob und wie sie auch tatsächlich berücksichtigt werden können (drittes Kapitel). III. Besonders zentral sind dabei die Untersuchungen des zweiten Kapitels. Hier ist es zunächst notwendig, für terminologische Klarheit zu sorgen. Zu diesem Zweck werden vor allem die Begriffe der wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit eingehend dargestellt. Sie werden auf ihren Inhalt sowie ihr Verhältnis zueinander überprüft und schließlich in Beziehung zur Entgelthöhe gesetzt. Sodann erfolgt eine methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts. Neben einigen einführenden Bemerkungen zu den Besonderheiten der angewandten Methode, stehen dort insbesondere eine systematische, historische und teleologische Analyse des Arbeitnehmerbegriffes im Mittelpunkt. Ein Schwerpunkt wird auch auf eine Betrachtung der unionsrechtlichen Einflüsse zu legen sein. IV. Die Arbeit schließt mit den Ausführungen des dritten Kapitels. Hier wird dargestellt, wie die Ergebnisse des zweiten Kapitels für eine Antwort auf die Frage nach den Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts konkret fruchtbar gemacht werden können. In Betracht kommen insoweit zwei Alternativen. Zum einen gilt es zu untersuchen, ob auf der Grundlage des geltenden Rechts eine Änderung der Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff erfolgen kann. Zum 61 So wörtlich BT-Drs. 18/9232, S. 4 und 18; ebenso BR-Drs. 294/16, S. 13 und BT-Drs. 18/10064, S. 4. Vgl. zu Vorgaben und Grenzen des § 611a Abs. 1 BGB ausführlich unten § 7 B.
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anderen soll auch ein Vorschlag für die Konzeption eines Arbeitsrechts de lege ferenda unterbreitet werden, durch den die im Rahmen dieser Arbeit gewonnenen dogmatischen Erkenntnisse bestmöglich durch positives Recht abgebildet werden können. Auch hier müssen die Vorgaben des Unionsrechts ihrer Bedeutung entsprechend berücksichtigt werden.
1. Kapitel
Die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf Spitzenverdiener auf der Grundlage des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes 1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
In diesem ersten Kapitel wird zunächst die Arbeitnehmereigenschaft von Spitzenverdienern eingehend untersucht. Dies geschieht am Beispiel der Lizenzfußballer und anhand der Kriterien des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes (sogleich § 2). Wo es dort auf konkrete Vertragsbestimmungen ankommt, wird der von der Deutschen Fußball Liga (DFL) bereitgestellte Mustervertrag (MuV) zu Grunde gelegt. Dieser findet laut Angaben der DFL in der vorliegenden Fassung bei nahezu allen Bundesligavereinen zumindest als Korsett der Vertragsgestaltung Verwendung1. Im Einzelnen soll zunächst ein erster grober Überblick über den Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zu dieser Fragestellung gegeben werden (dazu § 2 A.). Anschließend wird die Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft von Lizenzspielern anhand der tradierten Merkmale des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes von BAG und h. L. vorgenommen, die sich mittlerweile auch in § 611a Abs. 1 BGB finden. Dabei wird umfassend auf die in der Literatur vorgebrachten Argumente eingegangen, die für und vereinzelt auch gegen eine Einordnung der Spieler als Arbeitnehmer vorgebracht werden (dazu § 2 B.). Erst in einem nächsten Schritt werden sodann diejenigen alternativen Konzepte der Literatur dargestellt und bewertet, die sich nur am Rande an den überkommenen Kriterien der h. M. zur Einstufung eines Beschäftigten als Arbeitnehmer orientieren und die die Arbeitnehmereigenschaft der Fußballer aus anderen Gründen ablehnen oder modifizieren wollen (dazu unten § 3). Zuletzt folgt eine abschließende Zusammenfassung (dazu unten § 4).
1 Zum Verbreitungsgrad des Vertragstextes s. auch Englisch, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Persönlichkeitsrecht, S. 47, 53; Menke, Unternehmertum, S. 230. Nach Bepler, in: Nolte (Hrsg.), Bedrohungen, S. 9, 14 besteht sogar eine Verpflichtung der Vereine gegenüber der DFL, sich an den bereitgestellten Mustervertrag zu halten.
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 37
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff § 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff
A. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur Das BAG hatte sich bereits Anfang der 1970er Jahre in zwei Entscheidungen inzident mit dem Arbeitnehmerstatus von Lizenzfußballern zu befassen und bejahte diesen ohne jegliche Begründung2. Einige Jahre später äußerte es sich in einem Urteil erstmals ausdrücklich zur Arbeitnehmereigenschaft3. Dabei verwies es im Wesentlichen auf die damals h. M. in der Literatur, einen frühen Richterspruch des BSG4 zur (sozialrechtlich zu bejahenden) abhängigen Beschäftigung von Vertragsspielern sowie auf seine beiden eingangs zitierten Entscheidungen. Nur am Rande und in aller Kürze führte das Gericht aus, dass es für die Einordnung eines Fußballspielers als Arbeitnehmer – wie in jedem anderen Fall auch – entscheidend auf die persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten von seinem Vertragspartner ankomme5. Das BAG hat sich in der Folgezeit weder von geänderten tatsächlichen Umständen (insbesondere der Gehaltshöhe der Spieler), noch von den sonstigen in der Öffentlichkeit geäußerten Bedenken über eine fehlende Schutzbedürftigkeit oder anderslautenden Stimmen der juristischen Literatur beeindrucken lassen und geht bis heute in ständiger Rechtsprechung6 ohne Ausnahme vom Arbeitnehmerstatus der Lizenzspieler aus. Auch aus der instanzgerichtlichen Rechtsprechung ist – mit Ausnahme eines sehr alten und zweifelhaften Urteils der ordentlichen Gerichtsbarkeit7, das sich zudem mangels Existenz der Bundesligen nicht auf Lizenz-, sondern auf Vertragsspieler bezog – keine abweichende Entscheidung bekannt8. Zusammenfassend sieht die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung den Lizenzfußballspieler nicht nur unstreitig, sondern auch un2
BAG AP Nr. 29 zu § 138 BGB; BAG AP Nr. 10 zu § 11 BUrlG. BAG AP Nr. 2 zu § 611 BGB Berufssport. 4 BSG MDR 1962, 608, 609. 5 BAG AP Nr. 2 zu § 611 BGB Berufssport. 6 BAG NZA 1986, 782, 783; BAG NZA 1993, 750, 750; BAG v. 03. 05. 1994, 9 AZR 229/92 (abrufbar unter juris und beck-online); BAG NZA 1996, 640, 640; BAG NZA 1996, 1207, 1207; BAG SpuRt 1997, 61, 61; BAG DB 1999, 1761, 1761; BAG NZA 1999, 989, 989 f. und zuletzt BAG NZA 2000, 771, 773. Die Arbeitnehmereigenschaft der Spieler war in sämtlichen zitierten Entscheidungen auch zwischen den Parteien nicht umstritten. Inhaltlich ging es zumeist um die Berechnung der Höhe des Urlaubsentgelts oder des im Krankheitsfall zu zahlenden Entgelts. Neuere höchstgerichtliche Entscheidungen existieren nur zur Arbeitnehmereigenschaft von Trainern von Lizenzvereinen. 7 OLG Düsseldorf MDR 1953, 559, 559. 8 Aus neuer Zeit vgl. etwa LAG Düsseldorf SpuRt 2008, 213, 213 f.; LAG Nürnberg SpuRt 2010, 33, 33; LAG Düsseldorf SpuRt 2010, 260, 260 f. (Arbeitnehmereigenschaft eines Vertragsspielers); LAG Rheinland-Pfalz v. 18. 11. 2011, Az. 6 Sa 460/11, (abrufbar unter juris). Die genannten Entscheidungen gehen ohne weiteres von der Arbeitnehmerei3
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
problematisch als Arbeitnehmer an. Diese Einschätzung wird in Begründung und Ergebnis auch von der herrschenden Ansicht im Schrifttum geteilt9. Wenn auch die ständige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und der überwiegende Teil der Literatur den Arbeitnehmerstatus der Lizenzspieler auf dem Boden der von BAG und h. L. zur Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft allgemein entwickelten Kriterien bejaht, so war die Einordnung im Schrifttum doch nie gänzlich unumstritten10. Die kritischen Stimmen weisen dabei im Kern vor allem auf eine unternehmerische (Zusatz-)Tätigkeit der Spieler hin und führen diese – teilweise pauschal und ohne dogmatische Einbettung in den Arbeitnehmerbegriff des BAG – gegen die Arbeitnehmereigenschaft ins Feld. Zu nennen ist insoweit zunächst Dieckmann, der bereits im Jahr 1980 den Arbeitnehmerstatus erstmals bestritt11. Zur selben Zeit sah Mayer-Vorfelder die Spieler zwar grundsätzlich als Arbeitnehmer an, plädierte aber für deren Einordnung als leitende
genschaft der Spieler aus. Einen Überblick zur älteren unterinstanzlichen Rechtsprechung geben Rybak, Rechtsverhältnis, S. 35 Fn. 13 und Ittmann, Pflichten, S. 20 Fn. 2. 9 HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB, Rn. 75; MünchArb/Giesen, § 337 Rn. 8; NK-ArbR/ Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611 BGB Rn. 69; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 4. c) cc) (S. 70); Reiserer, in: Moll (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, Teil B, § 6 Rn. 69; Schaub/Vogelsang, Arb-Hdb, § 8 Rn. 10; Schöne, in: Hümmerich/Boecken/Düwell (Hrsg.), AnwaltKommentar, § 611 Rn. 124; Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 106; Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 168; Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 14 ff.; ders., in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 44; ders., in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 169; ders., jM 2016, 105, 106; Buchner, NJW 1972, 2242, 2242; ders., RdA 1982, 1, 3 ff.; Englisch, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Persönlichkeitsrecht, S. 47, 53; Gotthardt, RdA 2015, 214, 217; Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 210; Meier, SpuRt 2012, 229, 230; Meyer-Cording, RdA 1982, 13, 13 f.; B. Preis, Lizenzspieler, S. 30; Redell, Causa Sport 2015, 28, 29; Reuter, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 611 BGB Berufssport; Rüth, SpuRt 2003, 137, 138; K.-H. Schmidt, RdA 1972, 84, 91 f.; Walker, ZfA 2016, 567, 569 f.; Westermann, JA 1984, 394, 395; ders., in: Nolte (Hrsg.), Bedrohungen, S. 9, 13; Blang, Befristung, S. 81; Fikentscher, Mitbestimmung, S. 123; Füllgraf, Lizenzfußball, S. 18 f.; Gebhardt, Modelle, S. 75; Heink, Arbeitszeitschutz, S. 79; Imping, Fußballspieler, S. 60; Ittmann, Pflichten, S. 20, 30; Kirschenhofer, Sport, S. 52; Klatt, Stellung, S. 2 ff.; Köhler, Arbeitnehmerbegriff, S. 70; Küpperfahrenberg, Lizenzfußball, S. 35; Fritzweiler/Pfister/Summerer, PHB-SportR, S. 297 Rn. 13 ff.; Poschenrieder, Sport, S. 88; Reiter, Vereinswechsel, S. 27; Rüsing, Sportarbeitsrecht, S. 28; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 50; Schneider, SpuRt 1996, 118, 118 f.; Schütz, Lizenzfußballspieler, S. 21; L. Weber, Strukturen, S. 185 ff.; Vogel, Causa Sport 2016, 321, 325. Zur – von ihnen bejahten – Arbeitnehmereigenschaft von Sportschiedsrichtern vgl. Buhl, Causa Sport 2015, 378, 378 ff. und Köhler, SpuRt 2016, 3, 4 ff. 10 So sieht denn Fritzweiler, RdA 2007, 192, 192 auch heute noch Klärungsbedarf in dieser Frage. 11 Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 27 f.: Lizenzfußballer als Gesellschafter oder selbständige Unternehmer?
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 39
Angestellte i. S. d. Betriebsverfassungsrechts12. Der hierdurch entfachte Diskurs nahm Mitte der 1990er Jahre im Kontext des Bosman-Urteils des EuGH13 und den damit zusammenhängenden strukturellen Entwicklungen des professionell betriebenen Sports an Fahrt auf. Hierfür zeichnen vor allem Fischer14, Scholz/Aulehner15 und Bühler16 verantwortlich. Die durch die Entscheidung unter anderem ausgelöste Gehaltsexplosion und ein sich stark ausweitendes „Unternehmertum“ in Form von Werbetätigkeit der Spieler mögen an dieser Stelle als Stichworte für die von den Autoren angeregte Neubewertung der Arbeitnehmereigenschaft genügen. Aufgrund der unveränderten Rechtsprechung der Arbeitsgerichte wurde der Meinungsstreit etwa ein Jahrzehnt später von Menke wieder aufgenommen, weiterentwickelt und durch den Vorschlag, dass es den Parteien unter gewissen Umständen selbst überlassen bleiben sollte, zwischen einem Arbeitsverhältnis und (alternativ) einem freien Dienstverhältnis zu wählen, um den Aspekt Vertragstypenfreiheit erweitert17. Zur selben Zeit hat auch Beckmann seine Bedenken zur Untauglichkeit des Arbeitsrechts für den Profisport vorgetragen und ein Sonderarbeitsrecht für Sportler gefordert18. Schließlich hat die Diskussion in jüngerer Zeit – unter dem Blickwinkel einer steuerrechtlich möglichst günstigen Vertragsgestaltung zwischen einem Fußballverein und seinen Lizenzspielern, deren Ziel eine nicht abhängige Beschäftigung i. S. d. Steuer- und Sozialrechts ist – durch J. Becker/Figura nochmals neue Nahrung erhalten19.
12 So der Vorschlag von Mayer-Vorfelder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 40, 45. 13 In diesem grundlegenden Urteil hatte der EuGH die Ausländerklauseln und – für die hier angedeuteten strukturellen Entwicklungen noch wichtiger – die Transferbestimmungen in den Verbandsregelwerken der Fußballverbände für unvereinbar mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit (damals Art. 48 EG, heute Art. 45 AEUV) erklärt, vgl. EuGH v. 15. 12. 1995 – Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (Bosman); dazu Hilf/Pache, NJW 1996, 1169, 1169 ff. 14 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 181, der allerdings nur „Spitzensportlern“ den Arbeitnehmerstatus abspricht. Auch Seitz, NJW 2002, 2838, 2839 spricht bezogen auf „Spitzensportler“ von „selbständigen Unternehmern“. 15 Scholz/Aulehner, SpuRt 1996, 44, 46 f. 16 Bühler, SpuRt 1996, 143, 147, der zwar nicht den Arbeitnehmerstatus generell in Frage stellt, die Anwendung einzelner Gesetze aber von einer „Schutzwürdigkeitsprüfung“ abhängig machen will. Ähnlich auch der Vorschlag de lege ferenda von L. Weber, Strukturen, S. 185 ff. 17 Menke, Unternehmertum, insbes. S. 67 ff. und S. 259 ff.; ebenso Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 182 ff. 18 P.-W. Beckmann, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 1145, 1145 ff. Hiergegen etwa Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 24; ders., jM 2016, 105, 105 f.; Walker, ZfA 2016, 567, 567 ff.; Weth, jM 2016, 89, 89. 19 J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3046 ff.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
B. Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft der Lizenzfußballer anhand der Kriterien des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes Die Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft eines Beschäftigten richtet sich nach Ansicht des BAG und der herrschenden Meinung in der Literatur nach der bereits eingangs zitierten Formel. Danach ist Arbeitnehmer also derjenige, der zur Leistung von Diensten (dazu im Folgenden I.) für einen anderen (dazu II.) aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages (dazu III.) in persönlicher Abhängigkeit (dazu IV.) gegen Entgelt verpflichtet ist20. Diese ständige Rechtsprechung des BAG ist nunmehr unverändert – so der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers21 – auch Inhalt des § 611a Abs. 1 BGB und bei dessen Auslegung stets zu beachten 22. Zentraler Streitpunkt ist dabei zumeist das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit, da dort entscheidend die mitunter schwierige Abgrenzung vom freien Dienstvertrag vorzunehmen ist. Hier bildet die Diskussion um den Arbeitnehmerstatus der Lizenzspieler keine Ausnahme. Die Untersuchung der persönlichen Abhängigkeit wird deshalb den Schwerpunkt der folgenden Ausführungen bilden. Aber auch die weiteren Merkmale werfen in dem von tatsächlichen wie rechtlichen Besonderheiten geprägten Rechtsverhältnis zwischen dem Fußballspieler und seinem Verein Probleme auf, die zumindest einer kurzen Erörterung bedürfen. I. Leistung von Diensten (gegen Entgelt) Nach dem gesetzlichen Grundtatbestand des § 611 Abs. 1 BGB muss ein Arbeitnehmer zunächst überhaupt zur Leistung von Diensten verpflichtet sein. Dabei ist der Begriff der „Dienstleistung“ im Sinne dieser Vorschrift mit dem ebenfalls verbreiteten und in § 611a Abs. 1 S. 1 BGB sogar ausdrücklich verwendeten Begriff der „Arbeit“ identisch 23, sodass auch von einer Verpflichtung zur Arbeitsleistung gesprochen werden kann und hier beide Begriffe in diesem Zusammenhang synonym verwendet werden. 20 Statt vieler BAG AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA 1992, 407, 408; BAG NZA 1998, 596, 597; BAG NZA 1998, 1277, 1278 und aus neuerer Zeit BAG NZA 2012, 1433, 1434 sowie BAG NZA-RR 2016, 288, 289 zur – fehlenden – Arbeitnehmereigenschaft von Zirkusartisten (vgl. hierzu zusammenfassend Kerwer, ZfA 2016, 37, 40 f.); aus der Literatur etwa ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 35; HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 24; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 91; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 I. (S. 50); Waltermann, Arbeitsrecht, Rn 44 ff.; Wollenschläger, Arbeitsrecht, Rn. 47. 21 BT-Drs. 18/9232, S. 4, 15 f., 32 f.; im selben Sinne auch BR-Drs. 294/16, S. 13 und BT-Drs. 18/10064, S. 4. 22 Vgl. statt vieler Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 9 ff. Ausführlich zu Vorgaben und Grenzen des § 611a Abs. 1 BGB unten § 7 B. 23 BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 190.
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 41
1. Sport als Dienstleistung In früherer Zeit war umstritten, ob sportliche Betätigung überhaupt als Dienstleistung oder Arbeit bezeichnet und damit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses betrieben werden kann 24. Laut Schmidt war Sport nach überkommener Ansicht und der damals herrschenden Verkehrsanschauung allgemein nicht als Arbeit zu werten, sondern eher dem Spiel zuzuordnen. Sport werde zwar nicht ausschließlich rein lustbetont betrieben und sei keine Sache reinen Erholens und Vergnügens mehr, sondern habe nun auch die Überwindung eigener körperlicher und geistiger Schwächen bei dem Streben nach individueller Höchstleistung zum Ziel. Dies diene aber allein der persönlich-menschlichen Vervollkommnung und gerade nicht der Erreichung wirtschaftlicher oder anderer Zwecke25. In dieselbe Richtung gingen auch frühe Ausführungen des OLG Düsseldorf zur Arbeitnehmereigenschaft des Vertragsspielers. Danach sei das Fußballspiel nach der allgemeinen Verkehrsauffassung mehr von sportlich-freiwilliger Disziplin als von wirtschaftlich-sozialer Unterworfenheit geprägt26. Dieser veralteten Ansicht ist aber mit der heute wohl ausschließlich vertretenen Meinung27 entgegenzuhalten, dass Sport sehr wohl Arbeit im Rechtssinne sein kann, wenn auch nicht sein muss. Die Richtigkeit dieser Grundaussage folgt schon aus der gesetzlichen Bestimmung des § 611 Abs. 2 BGB, wonach Gegenstand bzw. Leistungssubstrat eines Dienstvertrages (oder eines Arbeitsvertrages) Dienste aller Art und somit auch sportliche Betätigungen sein können. Da aber nach dem Wortlaut des Gesetzes damit grundsätzlich jede Tätigkeit Gegenstand eines Dienst- oder Arbeitsvertrages sein kann, stellt sich die Frage, wie der Begriff der Arbeit letztlich von sonstigen Tätigkeiten abgegrenzt werden kann, die nicht unter die §§ 611 ff. BGB fallen. Die notwendige Einschränkung erreicht die h. M., indem sie für den Begriff der Arbeit die Befriedigung eines fremden Bedürfnisses28 und 24 Zusammenfassend zur damaligen Diskussion das Urteil des BSG (BSGE 10, 94, 96), das aber bereits darauf hinwies, dass Sport durchaus auch Arbeitsleistung sein könne; ebenso Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 3. a) (S. 58). 25 K-H. Schmidt, RdA 1972, 84, 84 auch m. w. N. Von „Vorbehalten“, Sport als Arbeit anzuerkennen, spricht auch Buchner, NJW 1976, 2242, 2242; vgl. dazu auch Börner, Berufssportler, S. 33 ff. und Eppensteiner, Sport, S. 147 ff. 26 OLG Düsseldorf MDR 1953, 559, 559. 27 BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 3. a) (S. 58); Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 173 ff.; für den Bereich des Berufssports auf Art. 12 I GG abstellend Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 63 f.; Fikentscher, Mitbestimmung, S. 45, siehe dort auch S. 124; Köhler, in: Vieweg (Hrsg.), Facetten, S. 119, 123; Küpperfahrenberg, Lizenzfußball, S. 24; Rüsing, Sportarbeitsrecht, S. 27; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 40; so auch schon früh Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 9 III. Fn. 6 (S. 35 f.). 28 BAG NZA 2001, 458, 459 f. (Waschen und Umkleiden als Arbeit); BAG NZA 2011, 917, 918 f.; BAG NZA 2011, 1335, 1337.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
darüber hinausgehend die Erfüllung eines wirtschaftlichen Elements verlangt29. Ob Sport damit auch Arbeit in diesem Sinne ist, hängt also entscheidend von seiner im Einzelfall zu untersuchenden altruistischen Motivation und der wirtschaftlichen Zweckbestimmung ab, die keinesfalls von vorneherein ausgeschlossen werden können. Dient der Sport nicht nur dem Selbstzweck oder der Selbstverwirklichung, sondern geht er darüber in dem Sinne hinaus, dass der Sporttreibende gerade ein wirtschaftliches Interesse an seiner sportlichen Betätigung hat und vor allen Dingen auch ein solches des Vertragspartners befriedigt, so kann von Arbeit gesprochen werden30. Dies ist unabhängig von der subjektiven Zielsetzung des Tätigwerdenden jedenfalls auch dann der Fall, wenn der Leistung, die im Rahmen des Vertragsverhältnisses erbracht wird, nach den Gepflogenheiten des Wirtschaftslebens objektiv ein wirtschaftlicher Wert zukommt31. Indiz hierfür ist ein über bloßen Aufwendungsersatz hinausgehendes Entgelt, wenn der Sport also zum Lebensunterhalt und Gelderwerb betrieben wird32. Nach diesen Voraussetzungen ist die von den Lizenzspielern in § 2 MuV versprochene Leistung unzweifelhaft als Arbeit einzuordnen. Das Fußballspielen in den Lizenzligen ist auf Grund seiner Entgeltlichkeit nicht nur Existenzgrundlage der Spieler. Es ist auch für den Verein als Vertragspartner, für den es erbracht wird, von enormem wirtschaftlichem Wert, da er diese sportliche Leistung seinerseits durch die Teilnahme an den Bundesligen oder internationalen Wettbewerben verwerten und dadurch Einnahmen mitunter in Millionenhöhe generieren kann. Der Sportausübung als solcher liegt damit bereits eine wechselseitige wirtschaftliche Zweckbestimmung zu Grunde. Darüber hinaus beschränkt sich die Leistungsverpflichtung mittlerweile nicht mehr nur auf die sportliche Betätigung in Training und Wettkampf. Es existieren zahlreiche Nebenleistungspflichten, etwa zur Öffentlichkeitsarbeit zu Gunsten der Vereine, vgl. § 2 S. 2 lit. 29 BSGE 10, 94, 96; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 3. a) (S. 57); Rybak, Rechtsverhältnis, S. 40. 30 BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Köhler, in: Vieweg (Hrsg.), Facetten, S. 119, 123 ff. 31 Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 3. a) (S. 57). 32 BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit, wobei das Gericht an späterer Stelle auch ausführt, dass alleine die Tatsache, dass die sportliche Tätigkeit auch zum Gelderwerb genutzt werde, der Annahme nicht entgegenstehe, der Sport werde vom Spieler in erster Linie als Selbstzweck betrieben. Dogmatisch korrekt wird man in einem solchen Fall aber jedenfalls von Arbeit im Rechtssinne auszugehen haben. Die entscheidende Frage, der sich das Gericht in diesem Fall ausgesetzt sah, ob nämlich ein Arbeitsverhältnis gegeben war oder nicht, richtete sich richtigerweise entscheidend danach, ob diese „Arbeit“ aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages oder aufgrund einer vereinsrechtlichen Satzung erbracht wurde, vgl. dazu genauer unten § 2 B. III. Allgemein zum Entgelt als Indiz auch MünchArb/Giesen, § 337 Rn. 3; Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 175; Köhler, in: Vieweg (Hrsg.), Facetten, S. 119, 126 f.
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 43
b) MuV. Diese können vom Verein wiederum am Markt verwertet werden, etwa durch die vertragliche Bindung von Sponsoren. 2. Abgrenzung zum Werkvertrag Dienste leistet auch derjenige nicht, der etwa als selbständiger Unternehmer Werkverträge, §§ 631 ff. BGB, mit einem anderen abschließt. Daher müssen Dienst- und Arbeitsvertrag vom Werkvertrag abgegrenzt werden. Für letzteren ist entscheidend, dass der Schuldner seinem Vertragspartner zur Erreichung eines konkreten, mit den Instrumenten des Mängelrechts messbaren Erfolges und nicht bloß zur Verrichtung der Tätigkeit als solcher verpflichtet ist33. Das könnte im Bereich des Individualsports etwa bei Rekordversuchen angenommen werden34, die im Lizenzfußball in diesem Sinne aber kaum denkbar und in den Musterverträgen auch nicht vorgesehen sind. Von einem Lizenzfußballer wird vielmehr als Hauptleistung im Kern sportliche Betätigung zu Gunsten des Vereins und damit kein ausdrücklich bestimmter Erfolg geschuldet, vgl. § 2 S. 2 lit. a) MuV, wonach der Spieler insbesondere verpflichtet ist, „an allen Spielen […] an jedem Training […] und an allen sonstigen […] Veranstaltungen teilzunehmen“.
Die Herbeiführung sportlicher oder auch wirtschaftlicher Erfolge, etwa im Rahmen der Nebenleistungspflicht der Öffentlichkeitsarbeit zu Gunsten des Vereins, § 2 S. 2 lit. e) MuV, wird auch in keiner anderen Vertragsbestimmung gefordert. Geschuldet ist damit nur die Tätigkeit als solche, weshalb der Lizenzspieler nicht Werkunternehmer, sondern als (eventuell abhängiger) Dienstleistender zur fortlaufenden Tätigkeit für den Verein verpflichtet ist, § 611 BGB35. Ob dagegen ein Trainervertrag, der Vergütung ausschließlich für den Fall des Eintritts eines sportlichen Erfolges vorsieht (etwa den Nichtabstieg einer Mannschaft oder den Gewinn der Meisterschaft) tatsächlich, wie in der Literatur vertreten36, einen Werkvertrag darstellt oder darstellen kann, erscheint zwar äußerst 33 BGH NJW 1984, 2406, 2406 f.; BGH NJW 2002, 3323, 3324; BAG NZA 2013, 1348, 1350; MüKo-BGB/Busche, § 631 BGB Rn. 14; Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 27 f.; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 16; Maschmann, NZA 2013, 1305, 1306; Schreiber, Jura 2008, 21, 23. 34 So etwa Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 65 f.; Fikentscher, Mitbestimmung, S. 124 Fn. 175 nennt als weiteres Beispiel für einen Werkvertrag auch die Vereinbarung zwischen Läufer und Veranstalter einer Leichtathletikveranstaltung über die Erbringung einer bestimmten Zeit als Führungsläufer (sog. „Hase“). 35 Im Ergebnis unstreitig, siehe auch Fikentscher, Mitbestimmung, S. 124 f; Ittmann, Pflichten, S. 20; Rüsing, Sportarbeitsrecht, S. 27. 36 So wohl Fritzweiler/Pfister/Summerer, PHB-SportR, S. 279 f. Rn. 66 (2. Auflage; anders nunmehr dies., PHB-SportR, S. 334 Rn. 68 , 3. Auflage) und explizit Rüsing, Sportarbeitsrecht, S. 27.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
zweifelhaft, kann aber im Rahmen der Themenstellung dieser Arbeit letztlich offen bleiben37. Stattdessen soll in gebotener Kürze untersucht werden, ob durch eine entsprechende Gestaltung der Lizenzspielerverträge eine werkvertragliche Einordnung erreicht werden könnte, etwa durch eine rein erfolgsbezogene Formulierung der geschuldeten Leistungspflichten. Diese könnten als rechtlichen Erfolg entweder an das Ergebnis einer ganzen Saison anknüpfen (z. B. Erringung der Meisterschaft oder bestimmte Platzierungsvorgabe als ein Werkvertrag) oder den Ausgang einzelner Spiele zum Inhalt mehrerer38 Werkverträge machen. Die Möglichkeit einer solchen Vertragsgestaltung ist aber im Ergebnis abzulehnen, denn schon die eben ausgeführten Gedanken zur Formulierung der Leistungspflichten zeigen, dass sich grundsätzlich jede bloß als solche geschuldete Tätigkeit auch erfolgsbezogen beschreiben lässt, je nachdem wie „kreativ“ der jeweilige Vertragstext einen rechtlich geschuldeten Erfolg i. S. v. § 631 Abs. 1 BGB formuliert. Auf die Ausdrucksweise der Parteien kann es daher jedenfalls nicht entscheidend ankommen. Vielmehr wäre in einem solchen Fall eine umfassende Vertragsauslegung vorzunehmen39. Diese zeigte aber unter anderem, dass der Verein als Gläubiger der Leistung auch ein Interesse an der zeitlich vor einer evtl. konkreten Erfolgsvereinbarung liegenden Tätigkeit der Spieler hat – etwa an der Trainingsteilnahme, die für den Verein notwendige Voraussetzung zur Vorbereitung auf Pflichtspiele ist, bei der es auf einen bestimmten Erfolg im Rechtssinne (über die Teilnahme hinaus) aber gerade nicht ankommt. Zudem wäre es keinesfalls angemessen und interessengerecht, dass ein Spieler die dem Werkvertrag immanente Vergütungsgefahr für den Fall des Nichteintritts des Erfolges alleine tragen sollte40, zumal er diesen Erfolg nicht selbständig, sondern nur mittelbar als Teil einer Fußballmannschaft erreichen und ihn unter Umständen (Nichtaufstellung durch den Trainer) überhaupt nicht beeinflussen kann. Eine Besonderheit der Abgrenzungsproblematik besteht zudem, wenn die Abgrenzung zum Werkvertrag im grundsätzlichen Anwendungsbereich des Arbeitsrechts vollzogen werden soll. Damit ist gemeint, dass die zwingenden Schutzvorschriften des Arbeitsrechts auch nicht durch eine Flucht ins Werkvertragsrecht mittels einer erfolgsorientierten Leistungsbeschreibung durch die Par-
37 Ablehnend trotz „spezifischer Erfolgsfixiertheit“ der Trainiertätigkeit auch J. Horst/ Persch, RdA 2006, 166, 168. 38 Eine solche Vertragsgestaltung im Lizenzfußball als problematisch erkennend Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 169. 39 MüKo-BGB/Busche, § 631 BGB Rn. 14; Staudinger/Peters/Jacoby, Vor § 631 BGB Rn. 29; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 201. 40 Zur Beachtlichkeit diese Kriteriums MüKo-BGB/Busche, § 631 BGB Rn. 17; Staudinger/Peters/Jacoby, Vor § 631 BGB Rn. 29; i. E. zustimmend auch Blang, Befristung, S. 58 f.
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 45
teien umgangen werden dürften41. Danach spielt der Bezug auf einen bestimmten „Erfolg“ jedenfalls auch dann keine Rolle, wenn ein Schuldner in einer umfassenden, den Arbeitnehmerstatus begründenden persönlichen Abhängigkeit zu seinem Vertragspartner steht, die über die auch für den Werkbesteller mitunter existierenden Weisungs- und Mitbestimmungsrechte42 (§ 645 Abs. 1 S. 1 BGB) hinausgeht43. Auf den Umfang der persönlichen Abhängigkeit wird aber an späterer Stelle noch umfassend einzugehen sein. Als Ergebnis lässt sich an dieser Stelle jedenfalls festhalten, dass eine solche Form der Vertragsgestaltung an der rechtlichen Einordnung des Lizenzspielers als Dienstnehmer letztlich nichts ändern kann. II. Für einen anderen Die geschuldeten Dienste müssen für einen anderen erbracht werden. Wer dagegen leistet, um einen Beitrag zur Förderung eines gemeinsamen Zweckes zu erbringen44, ist nicht Arbeitnehmer, sondern Gesellschafter45. 1. Lizenzspieler als Gesellschafter? Erste Zweifel daran, dass die Lizenzspieler der (ersten) Bundesliga ihre Leistung für einen anderen, sprich ihren Verein, sondern primär für sich selbst im Rahmen einer Gesellschafterstellung erbringen, hat Dieckmann vorgebracht46. Die Tatsache, dass sämtliche Einnahmen der Vereine aus dem Spielbetrieb oder der Werbung auf direktem Wege wieder den wenigen Spielern, Trainern und Be41 MüKo-BGB/Busche, § 631 BGB Rn. 14; Hromadka, NZA 1997, 569, 577; Tillmanns, Strukturfragen, S. 13 ff.; Staudinger/Peters/Jacoby, Vor § 631 BGB Rn. 29. Ausführlich und lesenswert Maschmann, NZA 2013, 1305, 1305 ff. 42 Insoweit ist hier auch von bloß „werkbezogenen Weisungen“ im Gegensatz zu „arbeitsbezogenen Weisungen“ die Rede, vgl. zur Terminologie etwa Henssler, RdA 2016, 18, 19 und leicht abweichend Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 57. 43 Auf das Kriterium unterschiedlich weit reichender Weisungsrechte ebenfalls hinweisend BAG NZA 2013, 1348, 1350; Preis, Individualarbeitsrecht, II. 3. b) aa) (S. 58); Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 30; Maschmann, NZA 2013, 1305, 1308 f. 44 Dass als gesellschaftsrechtlicher Beitrag auch Dienste geleistet werden können, stellt § 706 Abs. 3 BGB für die BGB-Gesellschaft ausdrücklich klar. Etwas anderes gilt bei der GmbH. Dort können nach h. M. Dienstleistungen nicht als Einlagen, sondern nur als gesellschaftsrechtliche Nebenleistungen vereinbart werden, § 3 Abs. 2 GmbhG. Vgl. dazu ausführlich Diller, Gesellschafter, S. 274 ff. Für die AG sind Dienstleistungen als Beiträge dagegen ausgeschlossen, §§ 27 Abs. 2, 55 Abs. 1 AktG. 45 HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 12 ff., 36; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 95; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 201. 46 Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 27 f.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
treuern zuflössen, passe nicht recht in die Grundvorstellung einer Privatrechtsordnung, in der Arbeitnehmer in Betrieben und Unternehmen Arbeitgebern helfen, mehr oder weniger große Gewinne zu erwirtschaften. Vielmehr zeige sich darin ein mitunter gesellschaftsrechtliches Grundmuster47. Die Einordnung eines Lizenzspielers als Gesellschafter statt als Arbeitnehmer wird in der Literatur teilweise mit dem Argument abgelehnt, es fehle bereits an einer gemeinsamen Zweckverfolgung zwischen Verein und Spieler. Diese sei aber gerade Voraussetzung eines jeden gesellschaftsrechtlichen Verhältnisses. Zudem spreche ein fehlendes unternehmerisches Risiko auf Seiten der Spieler gegen eine Stellung als Gesellschafter48. Andere Autoren stimmen diesem Ergebnis zwar grundsätzlich zu. Sie halten gesellschaftsrechtlich organisierte Fußballspieler aber grundsätzlich für möglich. Erforderlich sei hierfür allerdings zwingend „ein erhöhtes Maß der Einflussnahme auf die Unternehmensleitung“49. 2. Stellungnahme und Ausblick Richtigerweise bestand und besteht zwischen Lizenzfußballern und ihren „Vereinen“ keine wie auch immer geartete gesellschaftsrechtliche Verbindung. Bei der rechtlichen Betrachtung dieser Fragestellung müssen genau genommen zwei Zeitpunkte unterschieden werden. Bis zum Ende des Jahres 1998 waren die Spieler der Bundesligen ausschließlich für (Fußball-)„Vereine“ im rechtlichen Sinne tätig, das heißt für solche Vertragspartner, die sämtlich in der Rechtsform des Idealvereins organisiert waren50, § 21 BGB. Das hatte den einfachen Grund, dass diese Organisationsform bis zum 36. DFB-Bundestag im Oktober 1998 nach 47 Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 28. Diese Ansicht wird durch gelegentliche Aussagen von Verantwortlichen der Vereine gestützt. So wurde etwa der Vorstandsvorsitzende der FC Bayern München AG, Karl-Heinz Rummenigge, gegen Ende der Saison 2012/2013 wie folgt zitiert: „Wir werden dieses Jahr beim Umsatz erstmals über 400 Millionen Euro liegen. Daran müssen die Spieler in fairer Art und Weise partizipieren. Im Fall eines Triples würde es eine Rekordprämie geben“; Aussage abrufbar unter http://www.spox.com/de/sport/fussball/championsleague/1305/News/german-endpsiel-bayern-muenchen-borussia-dortmund-bvb-machen-richtig-kasse-trainer-und-spieler.html (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). 48 Kirschenhofer, Sport, S. 52. 49 Fikentscher, Mitbestimmung, S. 126; Imping, Fußballspieler, S. 59. Prinzipiell zustimmend und Vorschläge für eine Vertragsgestaltung gebend auch Menke, Unternehmertum, S. 301 ff. 50 Vgl. hierzu etwa Punte, SpuRt 2017, 46, 46. Aufgrund dieser Organisationsform wurde wiederholt der Vorwurf der Rechtsformverfehlung erhoben. Insbesondere die Einschlägigkeit des sog. Nebenzweckprivilegs wurde angezweifelt, da die Vereine in Wahrheit hauptsächlich wirtschaftliche Interessen verfolgten, vgl. hierzu Balzer, ZIP 2001, 175, 175 u. 180 ff.; Punte, SpuRt 2017, 46, 47 f.; ausführlich dazu bereits Heckelmann, AcP 179 (1979), 1, 1 ff.
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 47
den damaligen §§ 7 Nr. 3 DFB-Satzung, 4 Nr. 1 Lizenzspielerstatut Voraussetzung für die Lizenzerteilung und damit für eine Teilnahme am Spielbetrieb der Bundesligen war51. Ein Idealverein besteht aber nur aus den Organen Mitgliederversammlung und Vorstand. Er kann als juristische Person zwar unzweifelhaft Arbeitnehmer beschäftigen52. Er hat aber gerade keine Gesellschafter, sondern Mitglieder, deren Rechte und Pflichten sich von denen eines Gesellschafters grundlegend unterscheiden. Ein übergeordnetes Rechtssubjekt, etwa eine Personen- oder Kapitalgesellschaft als „Dachgesellschaft“, deren Gesellschafter dann sowohl der Idealverein als auch die einzelnen Spieler hätten sein können, existierte ebenfalls nicht. Damit konnten die Lizenzspieler bis Ende des Jahres 1998 schon aus rechtstechnischen Gründen in keiner gesellschaftsrechtlich organisierten Beziehung zu ihren Vereinen stehen. Diese formale Argumentation hat sich mit der Ende 1998 erfolgten DFB-Satzungsänderung (teilweise53) erledigt. Seitdem ist es den Bundesligavereinen gestattet, ihre Lizenzspielerabteilungen auf einen externen Rechtsträger auszugliedern, dem selbst unmittelbar eine Lizenz für die Bundesligen erteilt werden kann54. Viele Vereine der Bundesliga haben mittlerweile von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und ihre Lizenzspielerabteilungen in eine Kapitalgesellschaft55 (in Frage kommen AG, GmbH und GmbH & Co. KGaA) ausgegliedert56, deren Hauptgesellschafter der jeweilige Mutterverein ist57. Dennoch bleibt eine Beteiligung von Spielern als Gesellschafter für die Praxis uninteressant. Dies 51 Dazu
Balzer, ZIP 2001, 175, 176; Wagner, NZG 1999, 469, 470. Statt aller Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 4. c) ff) (S. 77). 53 Nach wie vor sind die Lizenzspielerabteilungen einiger Vereine der 1. und 2. Bundesligisten Bestandteile des Idealvereins, so beispielsweise beim FC Schalke 04, SC Freiburg, in: FSV Mainz 05, 1. FC Nürnberg, FC St. Pauli, SV Darmstadt 98 sowie bei Fortuna Düsseldorf und der SG Dynamo Dresden. Dagegen hatten zuletzt etwa der Hamburger SV sowie der VfB Stuttgart ihre Lizenzspielerabteilungen in Aktiengesellschaften ausgegliedert. 54 Balzer, ZIP 2001, 175, 176. Punte, SpuRt 2017, 46, 47 ff. fordert sogar, der DFB solle künftig die Kapitalgesellschaft als zwingende Rechtsform vorschreiben, da hiermit Haftungsrisiken minimiert würden. 55 Der Zusammenschluss von Lizenzfußballern in einer Personengesellschaft wäre zwar theoretisch denkbar, wird aber schon vom Verbandsrecht untersagt, indem diese Rechtsformen als nicht lizenzfähig für die Bundesligen erklärt werden, vgl. § 8 der Satzung des Ligaverbandes. 56 In der Rechtsform der AG: FC Bayern München, Eintracht Frankfurt, Hamburger SV und VfB Stuttgart; in der Rechtsform der GmbH: Bayer 04 Leverkusen, Borussia Mönchengladbach, VfL Wolfsburg, TSG 1899 Hoffenheim und RB Leipzig; in der Rechtsform der GmbH & Co. KGaA: Borussia Dortmund, SV Werder Bremen, FC Augsburg, 1 FC Köln, Hannover 96 und Hertha BSC Berlin. 57 Dies ist nach § 8 Nr. 2 der Satzung des Ligaverbandes verbandsrechtlich vorgeschrieben, sog. „50+1-Regel“. 52
1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
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wird besonders deutlich für die Organisationsform der GmbH, die auf Grund existierender Mitwirkungsrechte für eine Beteiligung praktisch ausscheidet. Es scheint etwa mit Blick auf geplante zukünftige Spielerverpflichtungen durch die Gesellschaft nur sehr schwer vorstellbar, jedem aktuellen Spieler ein unabdingbares Auskunfts- und Einsichtsrecht diesbezüglich zu gewähren, § 51a Abs.1, 3 GmbHG. Noch abstruser erscheint die Vorstellung eines potentiell bestehenden Auskunftsrechts bezüglich geplanter Mannschaftsaufstellungen durch den angestellten Trainer, dem sich die Spieler aber gleichzeitig als Kollektiv hierarchisch unterordnen sollen. Die strukturelle Untauglichkeit der GmbH zeigt sich beispielsweise auch an § 15 Abs. 3 GmbHG. Danach ist jede Übertragung bzw. Abtretung eines Gesellschaftsanteils notariell zu beglaubigen. Auf Grund der hohen Spielerfluktuation und den damit verbundenen häufigen Transfers im heutigen Profifußball käme es zu einem ständigen Wechsel im Gesellschafterbestand. Eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung der Spieler wäre daher schon deshalb mit hohem Aufwand und hohen Kosten verbunden. Hinzu kommt, dass bei der GmbH Dienste nach h. M. nicht als Einlage, sondern nur als gesellschaftliche Nebenleistung vereinbart werden können58. Auf eventuelle zusätzliche Probleme bei einem unter Umständen erforderlichen Gesellschafterausschluss soll an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Wohl auch aus den genannten Gründen ist bis heute im deutschen Lizenzfußball nicht bekannt, dass Spieler (neben dem eingetragenen Verein und gegebenenfalls weiteren Investoren) als Gesellschafter an für den Lizenzspielerbereich ausgegliederten Kapitalgesellschaften beteiligt sind. Es fehlt schon am beiderseitigen Rechtsbindungswillen, die Spieler zu Gesellschaftern zu machen. Alleine die in der Literatur vorgebrachte (richtige) Tatsache, dass ein Großteil der von den Kapitalgesellschaften generierten Einnahmen direkt wieder in die Spielergehälter zurückfließen, begründet ohne entsprechende Willensübereinstimmung zwischen den Parteien keine Gesellschafterstellung und ist damit nicht etwa die Folge eines Entnahmerechts59. Selbst wenn ein entsprechender Wille vorhanden wäre, die Spieler zu Gesellschaftern zu machen, wären zudem die Schranken des Arbeitsrechts zu beachten. Damit ist in diesem Zusammenhang insbesondere der sog. arbeitsrechtliche Rechtsformzwang gemeint. Danach hängt die rechtliche Einordnung eines Vertrages als Arbeitsvertrag nicht von dessen Bezeichnung oder dem Willen der Parteien ab, sondern vielmehr vom Vorliegen der sachlichen Kriterien der Arbeitnehmereigenschaft, wobei objektiv auf die Vertragsdurchführung abzustellen ist,
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Diller, Gesellschafter, S. 274 ff. ist zudem auch für Unternehmen in anderen Marktbereichen nicht unüblich, dass ein Großteil des Umsatzes in Personalkosten fließt. 59 Es
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 49
vgl. § 611a Abs. 1 S. 6 BGB60. Dieser Rechtsformzwang zeitigt gerade auch in der Diskussion zum Problem des sog. „Scheingesellschafters“ 61 Wirkung. Hierbei geht es um die Klärung der Frage, welche (weiteren) Rechtsverhältnisse zwischen einer Gesellschaft und ihrem Gesellschafter bestehen (können). Unstreitig ist dabei zunächst, dass zwischen beiden Seiten ausdrücklich und zusätzlich zur Stellung als Gesellschafter ein Arbeitsverhältnis existieren kann62. Ein Arbeitsverhältnis kann aber aus Arbeitnehmerschutzgründen selbst dann gegeben sein, wenn es nicht ausdrücklich zwischen den Parteien vereinbart worden ist, sofern eine Gesamtschau der realen Vertragsdurchführung63 eine persönliche Abhängigkeit des Gesellschafters ergibt. Da der Arbeitnehmerstatus nicht privatautonom durch eine anderweitige Vertragsgestaltung abbedungen bzw. umgangen werden darf64, ist der Gesellschafter bei ausreichender Weisungsgebundenheit65 in solchen Fällen (nach h. M. im Rahmen eines typengemischten Vertrages mit gesellschafts- und arbeitsrechtlichen Elementen66) auch Arbeitnehmer67. Es wird dann von einem „Scheingesellschafter“ gesprochen. Dies hat für die vorliegende Untersuchung zur Folge, dass (neben den oben beschriebenen und oh60 BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA 1992, 407, 408; BAG NZA 1998, 705, 706; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 100; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 1. (S. 51 f.); Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 171; Berger-Delhey/Alfmeier, NZA 1991, 257, 260; Buchner, NJW 1976, 2242, 2242; Reinecke, NZA 1999, 729, 731; Reuter, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 611 BGB Berufssport; Stoffels, NZA 2000, 690, 690; Löwisch, in: FS Hromadka, S. 229, 229; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 289 ff.; ebenso bereits RAG ARS Bd. 2, 145, 146 und RAG ARS Bd. 5, 27, 27. 61 Begriff nach v. Hoyningen-Huene, NJW 2000, 3233 ff.; ausführlich dazu Diller, Gesellschafter, S. 259 ff. 62 BAG AP Nr. 6 zu § 35 GmbHG; Staab, NZA 1995, 608, 609; v. Hoyningen-Huene, NJW 2000, 3233, 3234. 63 BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA 1992, 407, 408; BAG NZA 1998, 705, 706; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 100; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 1. (S. 51 f.); Berger-Delhey/Alfmeier, NZA 1991, 257, 260; Reinecke, NZA 1999, 729, 731; Stoffels, NZA 2000, 690, 690; Löwisch, in: FS Hromadka, S. 229, 229. 64 BAG AP Nr. 23 zu § 5 ArbGG 1979; BAG NZA 1999, 205, 206; v. HoyningenHuene, NJW 2000, 3233, 3235; ebenso, mit umfassenden Nachweisen auch zur insbesondere vom BGH vertretenen Gegenansicht, Müller-Glöge, in: FS Hromadka, S. 255, 256. 65 Bei der Feststellung der persönlichen Abhängigkeit von Gesellschaftern gelten zwei Besonderheiten: Nach BAG NJW 1998, 3796, 3796 ff. ist ein Gesellschafter jedenfalls dann nicht persönlich abhängig, wenn er Weisungen aus eigener Kraft verhindern kann, etwa weil ihm mehr als 50 % der Stimmrechte zustehen. Nach BAG AP Nr. 137 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau kann bereits ein Gesellschafter, der lediglich über eine Sperrminorität verfügt, keinesfalls auch Arbeitnehmer sein. Ausführlich zur persönlichen Abhängigkeit von Gesellschaftern auch v. Hoyningen-Huene, NJW 2000, 3233, 3236. 66 v. Hoyningen-Huene, NJW 2000, 3233, 3237 f.; Diller, Gesellschafter, S. 310 ff. 67 BAG AP Nr. 137 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 4 c) ff) (S. 74 f.); kritisch hierzu Martens, RdA 1979, 347, 347 f.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
nehin gewaltigen gesellschaftsrechtlichen Schwierigkeiten) die Vereinbarung einer Gesellschafterposition bei (ausreichend ausgeprägter) persönlicher Abhängigkeit der Spieler jedenfalls nichts an deren Arbeitnehmerstatus ändern würde. Im Gegenteil: Neben die Einschlägigkeit des Arbeitsrechts mit seinen Schutzmechanismen im Arbeitsverhältnis träten unter Umständen noch zusätzlich gesellschaftsrechtliche Rechte der Spieler68. Eine solche Art der Vertragsgestaltung ist aus Sicht der Vereine bzw. genauer deren ausgegliederten Kapitalgesellschaften damit nicht erstrebenswert und wird daher auch in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Realität werden. III. Auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages Die Tätigkeit des Dienstverpflichteten muss auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages geleistet werden. Wer seine Dienste auf anderer rechtlicher Grundlage erbringt, ist schon alleine deshalb kein Arbeitnehmer69. Ist ein Fußballspieler Mitglied desjenigen Vereins, für den er sportlich tätig wird, so kommt eine Leistung auf Grund der Vereinsatzung, § 25 BGB, oder des Beschlusses eines zuständigen Organs in Betracht. Ist dies der Fall, so ist der Sportler nicht zusätzlich zu der bestehenden Vereinsmitgliedschaft Arbeitnehmer, sondern nur Vereinsmitglied. Neben diesen existierenden vereinsrechtlichen Pflichten wird mit den Spielern aber regelmäßig ein privatrechtlicher Vertrag geschlossen70, der ebenfalls als Grundlage des Tätigwerdens in Frage kommt. In diesen Fällen wird deshalb auch von einer „Doppelrolle“71 des Sportlers gesprochen. Entscheidend ist dann, worauf die Tätigkeit im Einzelnen beruht. Eine Sportausübung auf Grund privatrechtlichen Vertrages und damit evtl. ein Arbeitsverhältnis ist nach h. M. nur dann gegeben, wenn der Sportler seine Leistung in einer solchen Form der persönlichen Anhängigkeit erbringt, die über die mit der Vereinsmitgliedschaft begründeten Weisungsrechte hinausgeht, wie sie sich aus der Satzung oder aus den jeweiligen Umständen ergeben72. 68 Das Fortbestehen dieser Rechte ist durch ergänzende Vertragsauslegung zu ermitteln, v. Hoyningen-Huene, NJW 2000, 3233, 3238. 69 Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 2. b) dd) (S. 56); BAG AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972 Rotes Kreuz; grundlegende Kritik dagegen etwa bei Mestwerdt, NZA 2014, 281, 281 ff. Das BAG hat jüngst (NZA 2017, 662, 664) alleine auf Grundlage dieser Sichtweise am fehlenden Arbeitnehmerstatus von Rotkreuzschwestern festgehalten. Das Urteil EuGH v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, NZA 2017, 41, 41 ff. (Betriebsrat der Ruhrlandklinik) zwang das BAG allerdings in der Folge zu einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AÜG, vgl. ausführlich BAG NZA 2017, 662, 664 ff. sowie L. Schmitt, ZESAR 2017, 167, 168 ff. 70 Dies ist ohne weiteres möglich, vgl. BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 71 So etwa Reuter, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 611 BGB Berufssport. 72 BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit 1. Leitsatz; HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 75; Dieckmann, Zuständigkeit der Gerichte, S. 32; Köhler, in: Vieweg (Hrsg.),
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 51
Ohne die folgenden Ausführungen zur persönlichen Abhängigkeit unter IV. vorweg nehmen zu wollen, muss diese Voraussetzung im Falle der Lizenzspieler unzweifelhaft bejaht werden. In den Satzungen der Vereine findet sich zumeist wenig Ausführliches über existierende Weisungsrechte. Die Pflichten der Mitglieder sind regelmäßig darauf beschränkt, die Vereinsinteressen zu fördern und den Anordnungen der Organe und der Abteilungsleiter in Sportangelegenheiten Folge zu leisten73. Aus den Umständen ergibt sich zudem, dass zentrales Motiv und wesentliches Element, das Mitgliedschaft und Tätigkeit in einem Fußballverein charakterisiert, das Einhalten sportlicher Disziplin sowie die Vorbereitung auf und das Antreten im sportlichen Wettkampf ist. Dieses Motiv ist zwar auch im Rechtsverhältnis des Lizenzspielers zu seinem Verein angelegt. Daneben existieren aber eine Reihe zumeist wirtschaftlicher Interessen auf beiden Vertragsseiten, die für ein satzungsrechtlich organisiertes Verhältnis zwischen Spieler und Verein untypisch sind. Diese führen zum einen im sportlichen Sektor zu einer detaillierten rechtlichen Ausgestaltung der einzelnen (Nebenleistungs-)Pflichten der Spieler, die die üblichen Vereinspflichten wie das Befolgen der Anweisungen des Trainers (auch in § 5 MuV enthalten) bei weitem übertreffen, vgl. insbesondere §§ 2 S. 2 lit. a) bis d), j) und k) MuV74. Zum anderen enthält der Mustervertrag darüber hinaus noch zahlreiche nicht-sportliche Verpflichtungen wie beispielsweise die Pflicht zur Öffentlichkeitsarbeit bzw. Werbung zu Gunsten des Vereins, § 2 S. 2 lit. e) MuV. Weisungsrechte seitens des Vereins in diesem Bereich sind einem rein mitgliedschaftlichen Verhältnis völlig fremd, können aus diesem nicht hergeleitet werden und gehen folglich über dieses hinaus. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Lizenzfußballer und seinem Verein erschöpft sich damit gerade nicht in den bestehenden vereinsrechtlichen Rechten und Pflichten. Zudem stellt sich die Abgrenzungsfrage bei Lizenzspielern zumeist schon deshalb nicht, weil sie in der großen Mehrzahl keine Mitglieder ihrer Vereine sind75. Das erklärt sich unter anderem daraus, dass bis zum Jahre 1986 die Erteilung Facetten, S. 119, 130. Dagegen stellen Teile der Literatur zur Abgrenzung primär nicht auf weitergehende Weisungsrechte, sondern auf die Entgeltlichkeit und den Zweck der Tätigkeit ab, so insbesondere Fikentscher, Mitbestimmung, S. 133 f. Dies als ein Kriterium heranziehend Ittmann, Pflichten, S. 33. Zu beachten ist auch, dass es satzungsrechtlich durchaus möglich ist, eine Pflicht zur Teilnahme am Training und an den Spielen zu begründen, BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 73 Exemplarisch § 9 Nr. 1 der Satzung des FC Bayern München e. V. 74 In Bezug auf die Hauptleistungspflicht (insbesondere Trainings- und Pflichtspielteilnahme) ist streitig, ob eine über die Vereinssatzung hinausgehende Weisungsgebundenheit existiert. Verneinend für Vertragsspieler etwa Fikentscher, Mitbestimmung, S. 133 f.; kritisch auch Hilpert, RdA 1997, 92, 94. Beide gehen auf eventuell existierende Nebenleistungspflichten allerdings nicht ein. 75 Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 108; Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 48.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
einer Spielerlizenz laut § 10 S. 2 Lizenzspielerstatut des DFB (a. F.) davon abhängig war, dass der Spieler nicht zugleich Mitglied des Vereins war, für den er tätig wurde76. Dieser zwingenden verbandsrechtlichen Voraussetzung folgend, schloss der damals übliche Formularvertrag die (zusätzliche) Vereinsmitgliedschaft aus. Eine solche Vorgabe besteht zwar heute ausweislich § 2 LOS und des Mustervertrages nicht mehr. Es ist daher für die Spieler mittlerweile möglich, auch Mitglied des jeweiligen Vereins zu sein, für den sie sportliche Leistungen erbringen. Von dieser Möglichkeit wurde zumindest vereinzelt auch Gebrauch gemacht77. Es ist aber zu beachten, dass die Spieler der Bundesliga nunmehr in den meisten Fällen für eine aus den Muttervereinen ausgegliederte Lizenzspielerabteilung in Form einer Kapitalgesellschaft tätig werden78. Die Abgrenzung nach der Rechtsgrundlage stellt sich daher regelmäßig auch schon deshalb nicht, weil die mögliche Vereinsmitgliedschaft einerseits und die individualvertraglichen Beziehungen andererseits zu zwei unterschiedlichen Rechtssubjekten bestehen und das Tätigwerden für die Kapitalgesellschaft dann nur auf Grund des privatrechtlichen Vertrages in Betracht kommt. Die Frage ist damit vor allem für die Beurteilung des Arbeitnehmerstatus des sog. Vertragsspielers, der neben einer vertraglichen Bindung gerade auch Mitglied seines Vereins sein muss79, relevant und im Einzelnen immer wieder mit Problemen verbunden80. Lizenzspieler werden aber in jedem Fall auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages tätig81. IV. In persönlicher Abhängigkeit Auch zur letztlich entscheidenden Frage, wie der Arbeitnehmer vom freien Dienstnehmer abzugrenzen ist, schwieg das Gesetz bis zuletzt weitestgehend82. 76 Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 48 Fn. 17; Buchner, NJW 1976 2242, 2243. Zum steuerrechtlichen Hintergrund vgl. Reiter, Vereinswechsel, S. 25 und Rybak, Rechtsverhältnis, S. 37 f. 77 So ist etwa von Manuel Neuer bekannt, dass er seit seinem vierten Lebensjahr Vereinsmitglied des FC Schalke 04 ist, http://www.sueddeutsche.de/sport/bundesliga-manuelneuer-als-profi-nach-muenchen-1.1087763 (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). 78 Vgl. dazu Ausführung oben § 2 B. II. 2. und dort insbesondere die Aufzählung in Fn. 114. 79 Präambel der LOS (unter Nr. 2); dazu auch Hilpert, RdA 1997, 92, 94. 80 BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit; HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 75. 81 Die Rechtsprechung zu Lizenzspielern teilt dieses Ergebnis stillschweigend. Aus der Literatur Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 108 ff.; Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 48; Hilpert, RdA 1997, 92, 94 f.; Ittmann, Pflichten, S. 32 f.; i. E. auch Fikentscher, Mitbestimmung, S. 133, der allerdings entscheidend auf die Entgeltlichkeit der versprochenen Leistung abstellt. 82 Gleiches gilt für die meisten anderen europäischen Staaten, vgl. dazu die Übersicht bei Rebhahn, RdA 2009, 154, 159 f.
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 53
Einen normativen Anknüpfungspunkt stellte scheinbar83 lediglich die 1953 eingeführte Vorschrift des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB dar, wonach „selbständig ist, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann“. In der Weisungsfreiheit des Handelsvertreters sah und sieht das BAG eine über das HGB hinausgehende allgemeine gesetzgeberische Wertung84. Ihr Fehlen ist nach dessen Rechtsprechung deshalb auch das entscheidende Merkmal der persönlichen Abhängigkeit eines Arbeitnehmers. Diese Schlussfolgerung hat sich mittlerweile auch der Gesetzgeber in § 611a Abs. 1 S. 2 und S. 3 BGB zu eigen gemacht85. Allerdings ist auch dem freien Dienstvertrag ein gewisses Maß an Weisungsbindung des Dienstnehmers an den Dienstberechtigten immanent86 (vgl. insbesondere auch § 84 Abs. 1 S. 2 HGB und § 611a Abs. 1 S. 3 BGB: „im Wesentlichen frei“). Hinzu kommt die Tatsache, dass es eine Reihe von Tätigkeiten gibt, die sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch auf Grund eines freien Dienstverhältnisses erbracht werden können87. Die hierdurch entscheidend erschwerte Abgrenzungsfrage versucht die h. M. dadurch zu lösen, dass ein gewisser Grad der persönlichen Abhängigkeit erreicht sein muss, um die Arbeitnehmereigenschaft eines Beschäftigten bejahen zu können88. Wann dieser Grad überschritten ist, muss mittels einer typologischen Betrachtungsweise ermittelt werden89. Dies bedeutet, dass von Rechtsprechung und Lehre eine Vielzahl von 83 Vgl. zu weiteren tatsächlich bestehenden gesetzlichen Anknüpfungspunkten. ausführlich unten § 6 C. 84 So ausdrücklich BAG NZA 1995, 622, 622 f. und BAG NZA 1996, 477, 478; insoweit zustimmend Hromadka, NJW 2003, 1847, 1849 und mit ausführlichen Nachweisen auch Boemke, ZfA 1998, 285, 301 Fn. 66. Gegen Allgemeingültigkeit Mohr, Arbeitnehmerbegriff, S. 17 und Wank, Arbeitnehmer, S. 7, 258 f. 85 In diesem Sinne ausdrücklich auch BT-Drs. 18/9232, S. 31 f. 86 Instruktiv Hromadka, DB 1998, 195, 198 f.; Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 57; vgl. auch Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 1 (S. 4); Hromadka, NZA 1997, 569, 576 f.; Tomandl, ZAS 2008, 100, 103; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 217. 87 BAG NZA 1991, 933, 934 nennt etwa Fernsehansager und Musikredakteure. 88 BAG NZA 1994, 1132, 1133; BAG NZA 2004, 39, 39 f.; zuletzt BAG AP Nr. 120 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 53; Reinecke, NZA 1999, 729, 730; Tillmanns, RdA 2015, 285, 286. 89 St. Rspr. des BAG, vgl. statt aller BAG AP Nr. 34 zu § 611 Abhängigkeit: „Es ist deshalb aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit unvermeidlich, die unselbständige Arbeit typologisch abzugrenzen“ (2. Leitsatz). Ausführlicher zur Methode Larenz, Methodenlehre, S. 461 ff.; ders./Canaris, Methodenlehre, S. 290 ff.; Schubert, Schutz, S. 24; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 218 ff.; kritisch zum Typusbegriff etwa MünchArb/Richardi, § 24 Rn. 49; Brammsen, RdA 2010, 267, 269; Rüthers, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 100, 104; Maschmann, Arbeitsverträge, S. 70; Wank, Begriffsbildung, S. 123 ff. Die Figur des Typusbegriffes dagegen generell ablehnend Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 184.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
Einzelmerkmalen entwickelt wurde, deren Vorliegen typischerweise eine für Arbeitnehmer charakteristische persönliche Abhängigkeit indiziert. Diese Merkmale sind im jeweils konkret zu bewertenden Einzelfall zu untersuchen und zu gewichten. Schließlich wird im Rahmen einer Gesamtwürdigung überprüft, ob eine genügende Anzahl bedeutender Merkmale und damit ein Erscheinungsbild gegeben ist, das den „Typus“ des persönlich abhängigen Arbeitnehmers erfüllt90. Auch das Gesetz spricht in § 611a Abs. 1 S. 5 BGB insoweit von einer „Gesamtbetrachtung aller Umstände“, die sich nach der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit in einem unterschiedlichen Grad an persönlicher Abhängigkeit niederschlagen können, § 611a Abs. 1 S. 4 BGB. Einzelne Merkmale haben mithin nur die Bedeutung von Indizien; sie müssen nicht alle immer zugleich und kumulativ vorliegen, sondern sind bis zu einem gewissen Maße auch untereinander austauschbar. So kann etwa das ausgeprägte Vorliegen des einen Merkmals unter Umständen das Fehlen eines anderen ersetzen91. Das BAG zieht zur Feststellung der persönlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten zwei Haupt- oder primäre Merkmale heran92. Erster und wichtigster Gesichtspunkt ist dabei, wie bereits angedeutet, ein umfassendes Weisungsrecht des Auftraggebers, das Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betrifft, vgl. § 611a Abs. 1 S. 2 BGB (dazu sogleich 1.). Die zentrale Bedeutung dieses Kriteriums93 ergibt sich außerdem aus der historischen „Grundnorm“ des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB und ist etwa auch in § 106 S. 1 GewO, § 8 Abs. 2 BAT, § 32 Abs. 1 S. 2 SeeArbG94 oder § 1 Abs. 2 LStDV positivrechtlich festgeschrieben. Daneben ist zweitens die Einbindung in eine fremde Arbeitsorganisation bzw. Betriebsstruktur (dazu unten 2.) zu beachten. Zudem gibt es eine Reihe sogenannter Hilfs- bzw. sekundärer Kriterien, die die nach der typologischen Bestimmungsweise notwendige Gesamtabwägung in die eine oder andere Richtung beeinflussen können95 (dazu unten 4.). 90 HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 40; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 100; Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 53; Reinecke, ZIP 1998, 581, 583; Schreiber, Jura 2008, 21, 24; Tomandl, ZAS 2008, 100, 101; Müller-Glöge, in: FS Hromadka, S. 255, 257; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 278 f. Rebhahn, RdA 2009, 154, 161 spricht insoweit passend auch von einem „Rahmenbegriff“, der auch von den Gerichten aller Mitgliedstaaten der EU verwendet wird. 91 BVerfG NZA 1996, 1063, 1063; HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 40; Beuthien/ Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Martens, RdA 1979, 347, 348; kritisch ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 54; MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 45. 92 Dies betonend etwa Thüsing, NZA 2015, 1478, 1478. 93 In diesem Sinne ausdrücklich Hromadka, NJW 2003, 1847, 1848; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 278 f. 94 Zur gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 29 Abs. 1 S. 2 SeemG vgl. Reinecke, ZIP 1998, 581, 582. 95 Exemplarisch BAG AP Nr. 37 zu § 611 BGB Rundfunk; BAG NZA 2004, 39, 39 f. Die Kriterien der Rechtsprechung zusammenfassend Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 4. a) cc) (S. 60 f.) und Junker, Arbeitsrecht, Rn. 100; zustimmend auch die sportarbeits-
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Für die Feststellung dieser Merkmale durch die Arbeitsgerichte kommt es bei einer eventuellen Divergenz zwischen den Bestimmungen eines geschriebenen Vertragstexts und der tatsächlichen Durchführung des Rechtsverhältnisses zwar immer auf letztere an, § 611a Abs. 1 S. 6 BGB96. Da es sich vorliegend um eine theoretische und abstrakte Untersuchung des Typus „Lizenzfußballer“ handelt, sollen aber die Vorschriften des MuV soweit wie möglich als entscheidend herangezogen werden. Zudem kann aus unzähligen Presseberichten geschlossen werden, dass die Durchführung durch die Vertragsparteien in der Praxis kaum von den vereinbarten Vertragsvorschriften abweicht97. 1. Weisungsgebundenheit Ein Kerngesichtspunkt im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung ist nach dem eben Ausgeführten damit die Weisungsgebundenheit der Lizenzfußballer. Bereits ein erster unbedarfter Blick auf die bis in Einzelheiten ausdifferenzierten Bestimmungen der §§ 2 S. 2 lit. a) bis lit. n) MuV, die die Pflichten der Spieler regeln, legt eine umfassende Leitungs- und Organisationsgewalt der Vereine und damit korrespondierend eine ebenso umfassende Weisungsgebundenheit der Spieler nahe98. Dafür spricht auch das in § 5 MuV besonders ausgestaltete Direktionsrecht, mit dem diese Pflichten im Einzelnen konkretisiert werden sollen. Hiernach werden
rechtliche Literatur, vgl. etwa Fikentscher, Mitbestimmung, S. 12 und Küpperfahrenberg, Lizenzfußball, S. 25. 96 St. Rspr. seit BAG NJW 1966, 903 ff.; vgl. auch BAG NZA 1995, 823, 832; BAG NZA 1998, 705, 706; BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit; aus der Literatur etwa Buchner, NZA 1998, 1144, 1145; Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 171; Fikentscher, Mitbestimmung, S. 123; Ittmann, Pflichten, S. 22 und 47. 97 Zur Umsetzung des Vertragstextes in der Praxis siehe auch Fikentscher, Mitbestimmung, S. 125. 98 Hierauf abstellend NK-ArbR/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611 BGB Rn. 69; Buchner, NJW 1976, 2242, 2242; Fikentscher, Mitbestimmung, S. 75. Insbesondere kann (im Rahmen der Bestimmung Arbeitnehmereigenschaft) nicht argumentiert werden, dass auf Grund einer detaillierten, bis ins einzelne konkretisierten Beschreibung der einzelnen Pflichten kein weitgehendes Weisungsrecht mehr bestünde. Dieses wird dann vielmehr durch den Vertragstext vorweggenommen bzw. die Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten ergibt sich dann aus dieser Vertragsgestaltung. In diesem Sinne BAG AP Nr. 90 und 103 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 52; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 190; Maschmann, Arbeitsverträge, S. 54 und i. E. auch Schliemann, RdA 1997, 322, 326; anders wohl BAG AP Nr. 60 zu § 611 BGB Abhängigkeit zur Frage der Arbeitnehmereigenschaft von Volkshochschuldozenten und Boemke, ZfA 1998, 285, 311; zu Recht kritisch hierzu Bauschke, RdA 1994, 209, 212. Nach Hromadka, DB 1998, 195, 198 soll in diesen Fällen hypothetisch danach gefragt werden, ob der Auftraggeber ungeregelte und neu auftretende Fragen alleine regeln dürfte.
1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
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„Einsatz und Tätigkeit des Spielers […] nach Art und Umfang vom geschäftsführenden Organ oder den von ihm Beauftragten bestimmt. Der Spieler hat den Weisungen aller kraft Satzung oder vom geschäftsführenden Organ mit Weisungsbefugnis ausgestatteter Personen – insbesondere des Trainers – […] genau Folge zu leisten“.
Besonders charakterisierend für ein Arbeitsverhältnis ist nach der Rechtsprechung des BAG, dass der Arbeitgeber innerhalb eines bestimmten Rahmens über die Arbeitsleistung des Mitarbeiters verfügen kann99. Diese „Verfügungsmöglichkeit“ kann sich dabei sowohl in einer zeitlich/örtlichen (dazu a)) wie auch in einer inhaltlich/fachlichen Weisungsgebundenheit (dazu b)) des Beschäftigten niederschlagen und ist im Folgenden für die Lizenzfußballer im Einzelnen zu untersuchen100, bevor auf den Vorschlag der Literatur eingegangen wird, Lizenzfußballer wie Künstler oder Entertainer zu behandeln (dazu c)). a) Zeitliche und örtliche Weisungsgebundenheit (zeitliche Lage, Umfang und Ort der Tätigkeit) Auf Grund der Besonderheiten des Beschäftigungsverhältnisses der Profifußballer, wie etwa den vom Verband und nicht vom Verein angesetzten Pflichtspielen und der Notwendigkeit, die Trainingsbelastung je nach Saisonverlauf individuell an diese Spiele anzupassen101, trifft der MuV keine konkreten Aussagen zu Dauer und Lage der Arbeitszeit. In solchen Fällen ist es für Arbeitsverhältnisse typisch, dass diese durch im billigen Ermessen des Arbeitgebers stehende Weisungen des Arbeitgebers festgesetzt wird102, § 106 S. 1 GewO. Eine Betrachtung der tatsächlichen Durchführung typischer Rechtsverhältnisse im Lizenzfußball zeigt genau dieses Ergebnis: Es ist offensichtlich, dass die Spieler kaum die Möglichkeit haben, sich ihre Arbeitszeit selbst einzuteilen oder auch über den Ort der Arbeitsleistung zu bestimmen. In beiderlei Hinsicht besteht daher eine ausgeprägte Weisungsgebundenheit der Lizenzspieler. Dies ist zunächst mit Blick auf die Teilnahme an Pflichtspielen zu beobachten: Diese finden jeweils zu fremdbestimmten Zeiten an festgesetzten Örtlichkeiten (Heim- oder Auswärtsspiele) statt. Die Gebundenheit betrifft dabei nicht nur den reinen Spieleinsatz als solchen, vielmehr müssen die Spieler auch im Falle der Nichtnominierung für die Startelf als Einwechselspieler bereit stehen, § 2 S. 2 lit. a) MuV. Dass die Pflichtspiele nicht von Vereinsseite, sondern von der DFL (Bundesliga), dem DFB (Pokal) bzw. der UEFA (Champions- und Europaleague) terminiert wer-
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BAG NZA 1991, 933, 934; BAG NZA 1994, 169, 170; BAG NZA 1995, 161, 162. Insbesondere kommt es an dieser Stelle nicht auf die Wirksamkeit der vereinbarten Weisungsbefugnisse des Vereins an. 101 Dazu ausführlich Heink, Arbeitszeitschutz, S. 68. 102 BAG NZA 2005, 359, 360; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 213. 100
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den, ist insofern unschädlich103. Die verbandsrechtlichen Vorgaben mögen für die Vereine zwar zwingend sein; das ändert aber nichts daran, dass die Spieler per Weisung der Vereine verpflichtet werden, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ihre Arbeit zu verrichten, und tangiert die Weisungsgebundenheit im Rechtsverhältnis zwischen Verein und Spieler daher nicht104. Noch ausgeprägter ist die Fremdbestimmtheit im Rahmen von Trainingseinheiten, da diese mitunter kurzfristig und spontan angesetzt werden. Dabei ist zu beachten, dass sie zusätzlich zu ihrer zeitlichen Lage, die sich in der Praxis an den jeweiligen Pflichtspielterminen orientiert, auch in ihrem Umfang und ihrer Dauer zur Disposition der weisungsberechtigten Personen, insbesondere des Trainers, stehen (beispielsweise das sogenannte besonders angeordnete „Straftraining“105), vgl. §§ 2 S. 2 lit. a) i. V. m. 5 MuV. Dasselbe gilt für die Pflicht zur Teilnahme an allen Spielerbesprechungen und den sonstigen zur Wettkampfvorbereitung dienenden Maßnahmen, bei denen von Vereinsseite auch die jeweilige Örtlichkeit bestimmt wird. Insoweit wird von Vereinsseite eine ständige Dienstbereitschaft der Spieler erwartet106. Der Verein kann in diesem Bereich damit nahezu ohne zeitliche und örtliche Rahmenbeschränkung über die Arbeitsleistung seiner Spieler verfügen, ohne dass diese das Recht hätten, die Übernahme der Tätigkeiten zu verweigern107.
103 Kritisch aber Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 29 und Menke, Unternehmertum, S. 255, der diese Fremdzwänge als mangelnde organisatorische Eingliederung begreift. 104 Zutreffend darauf hinweisend, dass es im wirtschaftlichen Bereich üblich ist, dass einzelne Arbeitgeber ihre Arbeitsorganisation fremdgesetzten Umständen anpassen müssen ArbG Bielefeld NZA 1989, 766, 767 und daran anschließend Rybak, Rechtsverhältnis, S. 42; ähnlich Ittmann, Pflichten, S. 24. Anders dagegen Hochrathner, NZA-RR 2001, 561, 562, nach dem „zeitliche Sachzwänge“ für sich genommen keine zeitliche Weisungsgebundenheit von Mitarbeitern in Rundfunkanstalten begründen. In diese Richtung wohl auch BAG AP Nr. 60 zu § 611 BGB Abhängigkeit, wonach nicht die bloße Bindung an schulrechtliche Vorschriften und Lehrpläne, sondern nur methodische und didaktische Vorgaben der Volkshochschule die persönliche Abhängigkeit von Volkshochschuldozenten entscheidend begründen können. 105 Vgl. zur Unzulässigkeit der Anordnung eines strafweisen, dauerhaften Einzeltrainings wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Beschäftigungsanspruch aus §§ 611, 613 i. V. m. 242 BGB ArbG Berlin v. 21. 12. 2015 – 23 Ga 15642/15 (juris) sowie die Anmerkung von Schulz/Menke, BB 2016, 832, 832. Zur Versetzung eines Spieles in die sog. „Trainingsgruppe 2“ oder die 2. Mannschaft Herrich/Menke/Schulz, SpuRt 2014, 187, 188 ff. Zu alledem ausführlich auch Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 44 ff.; ders., jM 2016, 151, 151 ff. sowie ders., in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 34 f. 106 Zur zentralen Bedeutung dieses Kriteriums BAG AP Nr. 35 zu § 611 BGB Abhängigkeit (Leitsatz) und BAG NZA 1995, 161, 162. 107 Vgl. zu diesem Indiz gegen Weisungsgebundenheit Boemke, ZfA 1998, 285, 309.
1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
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Der Umfang der Weisungsrechte geht aber noch weit über den rein sportlichen Bereich hinaus. So haben sich die Spieler auf Anordnung des Vereins sportmedizinischen oder sporttherapeutischen Maßnahmen zu unterziehen108, § 2 S. 2 lit. c) MuV. Wenn gewünscht, sind sie verpflichtet, an der Öffentlichkeitsarbeit des Vereins teilzunehmen, etwa im Rahmen von Pressekonferenzen oder Autogrammstunden, deren Ort, Termin und Dauer vom Verein bestimmt wird, vgl. §§ 2 S. 2 lit. e) i. V. m. 5 MuV. Schließlich behält sich der Verein sogar vor, auf die private Lebensführung der Spieler Einfluss zu nehmen109, § 2 S. 2 lit. j) MuV. Die umfassende zeitliche und örtliche Weisungsgebundenheit der Lizenzspieler wird daher in der Literatur auch nicht ernsthaft bestritten110. b) Fachliche Weisungsgebundenheit (Inhalt und Durchführung der Tätigkeit) Etwas anderes gilt für das teilweise als besonders wichtig bezeichnete Indiz111 der fachlichen Weisungsgebundenheit. Diese wurde wiederholt mit dem Argument in Frage gestellt, eine inhaltliche Einflussnahme auf die Tätigkeit der Spieler seitens des Vereins, insbesondere auch durch den Trainer, sei während der Berufsausübung kaum oder gar nicht möglich112. Allgemein ist die Feststellung eines eingeschränkten fachlichen Weisungsrechts bei Diensten höherer Art nicht neu. Vielmehr ist dies hier sogar regelmäßig der Fall und spricht nicht zwingend gegen die persönliche Abhängigkeit eines Beschäftigten, da bestimmte Tätigkeiten, wie etwa die eines Chefarztes113, ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit oder Eigeninitiative gerade voraussetzen114. 108
Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 49. auch Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 168; Ittmann, Pflichten,
109 Dazu
S. 23. 110 Im Ergebnis ebenso Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 50; Ittmann, Pflichten, S. 23 f.; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 41 ff.; vgl. dazu aber auch die Ausführungen unten § 2 B. IV. 3. 111 HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 44; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 3. 112 P.-W. Beckmann, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 1145, 1167; U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 183; Füllgraf, Lizenzfußball, S. 18; Kirschenhofer, Sport, S. 45, 47 m. w. N.; Mayer-Vorfelder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 40, 45; angedeutet bei Rybak, Rechtsverhältnis, S. 44. 113 Zur Arbeitnehmereigenschaft eines Chefarztes trotz fehlender bzw. stark eingeschränkter fachlicher Weisungsgebundenheit ausführlich BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; ähnlich auch schon RAG ARS Bd. 15, 550, 551. Debong, in: FS Löwisch, S. 89, 90 spricht diesbezüglich von einer „arbeitsrechtlichen Besonderheit“. 114 St. Rspr., vgl. BAG AP Nr. 21, 42 und 59 zu § 611 BGB Abhängigkeit; HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 44; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 4. c) cc) (S. 70). Beuthien/ Wehler, RdA 1978, 2, 3 sprechen daher in Bezug auf das fachliche Weisungsrecht von einem besonders wichtigen, zugleich aber nicht notwendigen Indiz für die Arbeitnehmer
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Das Argument überzeugt für einen Lizenzfußballer aber auch schon in der Sache kaum. Zunächst kann die Einschätzung einer fehlenden fachlichen Weisungsgebundenheit immer nur auf die Teilnahme an Pflichtspielen begrenzt sein. Gerade im Training zeigt sich nämlich eine ausgeprägte inhaltliche Fremdbestimmtheit der beruflichen Tätigkeit der Spieler. Der Trainer bestimmt Ablauf und Inhalt der Trainingseinheiten, legt etwa den Fokus mehr auf Konditions- oder Technikarbeit. Dabei kommen ihm auch im Einzelfall noch Ausgestaltungsmöglichkeiten zu, die sich gerade auf die fachlich-inhaltliche Ausübung der Tätigkeit beziehen und die die Spieler zu befolgen haben. So kann er beispielsweise anordnen, dass das Torschusstraining nur mit dem linken Fuß oder nur in eine bestimme Ecke des Tores erfolgen soll. Zudem kann er die Spieler im Rahmen von Besprechungen in taktischer Hinsicht schulen oder Trainingsspiele immer wieder mit dem Ziel unterbrechen, das fußballerische Verhalten der Spieler auf dem Trainingsplatz zu verändern und zu bestimmen und damit auf die Art der Durchführung Einfluss nehmen. Während eines Pflichtspieleinsatzes, immerhin Kern der Leistungsverpflichtung der Lizenzspieler und daher besonders gewichtig115, ist freilich ein gewisses Maß an fachlicher Weisungsfreiheit erkennbar. Viele Spielzüge – auch vorher eingeübte – leben gerade von der Spontaneität der einzelnen Spieler. Wohl nur wenige Pässe, Laufwege oder Torschüsse gehen auf eine konkrete Weisung des Trainers zurück. Auch ist etwa kaum vorstellbar, dass einem Elfmeterschützen aufgetragen wird, in welche Ecke er zu schießen hat. Dennoch findet das gesamte Spiel in einem Korsett taktischer Anweisungen statt, die der Trainer vor dem jeweiligen Spiel festgelegt hat. Dies beginnt mit der Mannschaftsaufstellung, die darüber entscheidet welche Spieler überhaupt und, falls ja, auf welcher Position sie eingesetzt werden. Es setzt sich fort über die taktische Grundanordnung – das „System“ – der Mannschaft und endet bei Anweisungen an einzelne Spieler, beispielsweise das Spiel „schnell zu machen“, vermehrt mit Fernschüssen zu agieren, sich bei Eckbällen in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten oder einen gegnerischen Spieler besonders intensiv, etwa in Manndeckung, zu verteidigen. Nur innerhalb dieses gesteckten Rahmens besitzt ein Fußballer überhaupt inhaltliche Weisungsfreiheit bei der Ausführung seiner Tätigkeit. Zudem besteht eigenschaft. Nach Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 50 Fn. 24 kommt es entscheidend auf die rechtliche Möglichkeit an, Weisungen zu erteilen. Dass hiervon insbesondere bei hoch qualifizierten Beschäftigten in praxi nur selten Gebrauch gemacht werde, stehe einem möglichen Arbeitnehmerstatus nicht entgegen. Ebenso Boemke, ZfA 1998, 285, 311 f., der auch darauf hinweist, dass das Fehlen (nur) der fachlichen Weisungsgebundenheit mit dem Wortlaut des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB vereinbar ist. Zur entsprechenden rechtsvergleichenden Perspektive Rebhahn, RdA 2009, 154, 166. Kritisch zum fachlichen Weisungsrecht Bauschke, RdA 1994, 209, 210. 115 Nach HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 44 darf sich die fachliche Weisungsgebundenheit jedenfalls nicht auf untergeordnete Teile der Tätigkeit beschränken.
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für den Trainer immer die Möglichkeit, in der Halbzeitpause oder auch während des laufenden Spiels auf eine besondere Spielsituation Rücksicht zu nehmen und korrigierende Anweisungen zu geben, die die Spieler befolgen müssen. Tun sie dies nicht oder möchte der Trainer sein taktisches Konzept verändern, so droht den Spielern schließlich die Auswechselung116, gewissermaßen der Inbegriff fachlicher Fremdbestimmung. Die damit nur in einzelnen Nuancen bestehende fachliche Weisungsfreiheit fällt in Anbetracht der ansonsten umfangreichen Weisungsbefugnisse des Vereins also kaum ins Gewicht117. c) Fußballer als freiberufliche Entertainer oder Künstler? Teilweise wird versucht, eine fehlende Weisungsgebundenheit der (Spitzen-) Lizenzspieler mit einer Gleichstellung zu freiberuflichen Entertainern118 oder Künstlern119 zu begründen. Diese seien von jeher freischaffend tätig. Der „Topos fachliche, sachliche Weisung“ sei auf Grund der Vergleichbarkeit beider Berufsgruppen daher auch beim Spitzensportler kein taugliches Abgrenzungskriterium120. Zweifellos wohnt der Ausführung eines Fußballspiels durch die beteiligten Spieler ein gewisses künstlerisches Element inne. Viele überraschende Spielsituationen leben gerade von der Kreativität der einzelnen Akteure, die frei von Anweisungen des Trainers spontan entscheiden, was zu tun ist. Das führt, wie eben beschrieben, zwar zu einem gewissen Rückgang des fachlichen Weisungsrechts121. Diese „spielerische Freiheit“ in einzelnen Spielsituationen reicht aber gerade nicht aus, um die anderweitig umfassend bestehende Weisungsgebundenheit im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung ernsthaft in Frage zu stellen. Der Vergleich ist darüber hinaus schon in seiner Grundannahme zweifelhaft. Man mag dieser Argumentation zugestehen, dass einem Bundesligaspiel für den Zuschauer unbestritten großer Unterhaltungswert zukommt und die Spieler insoweit durchaus auch als „Entertainer“ oder „Künstler“ bezeichnet werden können. 116 Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 50; ähnlich ders., in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 17. 117 Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 170; Fikentscher, Mitbestimmung, S. 124; Ittmann, Pflichten, S. 25; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 45. 118 Scholz/Aulehner, SpuRt 1996, 44, 46 f. 119 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 182 f. insbes. 183 (beschränkt auf „Spitzensportler“); ihm zustimmend P.-W. Beckmann, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 1145, 1167. Auch BSGE 16, 98, 105 f., Kania, SpuRt 1994, 122, 126 (zum Lizenzfußballverein als Tendenzbetrieb i. S. d. § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und Mailänder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Fußballspieler, S. 6, 15 sehen Ähnlichkeiten zu Künstlern und Artisten, allerdings ohne dabei die Arbeitnehmereigenschaft der Spieler anzuzweifeln. 120 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 183. 121 So auch Ittmann, Pflichten, S. 25.
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 61
Dennoch ist für die rechtliche Qualifizierung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht das Auftreten des Beschäftigten gegenüber Dritten im Rahmen seiner Berufsausübung, sondern die Rechtsbeziehung zum Vertragspartner entscheidend. Diese muss – auch bei einem Entertainer und Künstler – ein genügendes Maß an sowohl fachlicher wie auch zeitlich/örtlicher Weisungsfreiheit beinhalten, damit ein freies Dienstverhältnis angenommen werden kann122. Soweit hier auf eine bloße (sprachliche) Ähnlichkeit zu Berufsgruppen hingewiesen wird, die auf Grund der Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse bzw. deren tatsächlicher Durchführung im Einzelfall auch im Rahmen eines freien Dienstvertrages erbracht werden können, ist dies freilich für die Beurteilung des Arbeitnehmerstatus einzelner Lizenzspieler ohne konstitutive Bedeutung123. Selbst wenn man mit Fischer die Tatsache anerkennt, dass „Spitzenspieler“ innerhalb ihrer Mannschaft eine derart herausgehobene (künstlerische) Stellung einnehmen, dass von Seiten des Vereins ihnen gegenüber bisweilen nur eingeschränkt (auch zeitlich/örtliche) Weisungen erteilt werden124, ändert dies ebenfalls nichts an den soeben getroffenen Feststellungen. Denn ein Arbeitsverhältnis wird durch die (vorübergehende) Nichtausübung von Weisungsrechten nicht zu einem freien Mitarbeiterverhältnis. Vielmehr kommt es entscheidend auf die Möglichkeit an, Weisungen zu erteilen125. 2. Eingliederung in fremde Arbeitsorganisation bzw. Betriebsstruktur Ein weiteres gewichtiges Merkmal der persönlichen Abhängigkeit ist nach der Rechtsprechung die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation bzw. Betriebsstruktur126. Das Merkmal wird in § 611a Abs. 1 BGB zwar nicht aus122
Reinecke, NZA 1999, 729, 731. Im Ergebnis auch Kirschenhofer, Sport, S. 49, der den entscheidenden Unterschied zwischen beiden Berufsgruppen allerdings darin sieht, dass die Tätigkeit von Fußballern nicht unter den Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG subsumiert werden könne. 124 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 182 f. 125 BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Freier Mitarbeiter; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 1. (S. 52); Boemke, ZfA 1998, 285, 308; Hromadka, DB 1998, 195, 198; ders., NZA 1997, 569, 576; Ittmann, Pflichten, S. 29; Maschmann, Arbeitsverträge, S. 315. 126 BAG NZA 1995, 622, 623; BAG NZA 2002, 963, 964; Reinecke, NZA 1999, 729, 731; Reiserer, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 545, 547. Das Merkmal auch aus rechtsvergleichender Perspektive befürwortend Rebhahn, RdA 2009, 154, 167. Teile der Literatur lehnen das Merkmal allerdings unter Hinweis auf seinen geringen Erkenntniswert ab, da es letztlich auch auf eine Form der Unterordnung unter Weisungen des Arbeitgebers abstelle und damit ohne nennenswerten Mehrwert sei, vgl. etwa Boemke, ZfA 1998, 285, 311; Hromadka, DB 1998, 195, 198; ders., NZA 2007, 838, 838 f.; Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 10; dagegen mit zureffenden Beispielen Wank, ArbuR 2017, 140, 144. Nach Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 57 ist das Merkmal sogar von „besonderer Bedeutung“ bei der Abgrenzung von Arbeitsverhältnis und selbständiger Tätigkeit. 123
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drücklich erwähnt; da der Gesetzgeber die BAG-Rechtsprechung jedoch „1:1 kodifizieren“ wollte127, wird ihm wohl auch künftig eine mitentscheidende Bedeutung zukommen128. Der Eingliederung kann gerade in Fällen von überwiegend inhaltlich weisungsfreier Tätigkeit besondere Bedeutung zukommen129. Sie kann fehlen bei einer nur äußerst kurzen zeitlichen Berührung mit dem Betriebs- und Organisationsbereichs des Vertragspartners130. Regelmäßig ist sie aber bereits die logische Folge einer ausgeprägten zeitlichen und örtlichen Weisungsunterworfenheit131. Dieses Ergebnis zeigt auch eine Betrachtung der Vertragsgestaltung bzw. der Vertragsdurchführung bei Lizenzfußballern: Die oben aufgeführten Leistungen, zu denen der Spieler sich verpflichtet hat, erbringt er grundsätzlich innerhalb der Organisations- und Betriebsstruktur seines Vereins. Er absolviert Training und Spiele auf dem vereinseigenen Trainingsgelände oder im Stadion. Darüber hinaus reist er zu Auswärtsspielen oder Trainingslagern mit vom Verein zur Verfügung gestellten Verkehrs- und Transportmitteln, vgl. § 2 S. 1 lit. d) MuV. Dort übernachtet er in vom Verein gebuchten Hotels und nimmt die ebenfalls vom Club zur Verfügung gestellten Trainingsmöglichkeiten wahr. Zudem werden die notwendigen Arbeitsgeräte (Bälle, Trikots u. ä.) von Vereinsseite gestellt und sind nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zurückzugeben, § 2 S. 1 lit. h) MuV. Auch im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit für den Verein ist eine Einbettung in dessen Organisationsstrukturen gegeben, auf die die Spieler zur Erfüllung ihrer Pflicht aus § 2 S. 1 lit. e) MuV angewiesen sind. Als Beispiele seien etwa Pressekonferenzen genannt, die nicht nur in vereinseigenen Presseräumen stattfinden, sondern auch vom Club durch Medienbeauftragte soweit vorbereitet werden, dass die Spieler nur noch Rede und Antwort stehen müssen. Zudem ist sinnvolles Fußballspiel in Training und Spiel generell nur in Verbindung mit weiteren Spielern als Mannschaft möglich. Die hierzu notwendige Organisation und Koordination der Beschäftigten erfolgt ebenfalls von 127
S. 4.
BT-Drs. 18/9232, S. 4 und 18; ebenso BR-Drs. 294/16, S. 13 und BT-Drs. 18/10064,
128 Wie hier Wank, ArbuR 2017, 140, 150 f. Henssler, RdA 2017, 83, 85 sieht in der Tatsache der fehlenden gesetzlichen Normierung allerdings einen bewusst angestrebten Bedeutungsverlust dieses Kriteriums („Rückstufung“ zum gewöhnlichen Indiz innerhalb der typologischen Gesamtbetrachtung). Die Frage nach dem künftigen Schicksal des Merkmals der Eingliederung offen lassend Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 12. Vgl. hierzu ausführlich nochmals unten § 7 B I. 1. b) cc). 129 Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 280. 130 Rebhahn, RdA 2009, 154, 167; zum steuerrechtliche Arbeitnehmerbegriff BFH BB 2012, 994, 994; zum sozialrechtlichen Beschäftigtenbegriff des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV LSG Saarland SpuRt 2012, 39, 40. 131 BAG AP Nr. 118 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA 1998, 1165, 1165; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 99.
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Vereinsseite, ohne die es im Übrigen auch überhaupt nicht möglich wäre, am professionellen Spielbetrieb der Bundesligen teilzunehmen132. Daher wäre es letztlich auch unschädlich, wenn sich die Eingliederung (abgesehen von Wettkämpfen und Trainingslagern) mitunter auf eineinhalb bis zwei Stunden Training pro Tag beschränkte133. 3. Persönliche Abhängigkeit als unbeachtliches Erfordernis einer Mannschaftssportart? Aus den eben genannten Sachzwängen wird teilweise gefolgert, die zeitliche und örtliche Bindung der Spieler sowie die organisatorische Eingliederung seien immanenter Bestandteil jedes Mannschaftssportes. Da der einzelne Spieler seine vertraglichen Verpflichtungen im Wesentlichen nur zusammen mit dem Trainer und seinen Mitspielern erfüllen könne, sei eine solch komplexe Dienstleistung überhaupt nicht in Eigenorganisation möglich134. Die daher existierende und auch nicht völlig bestrittene persönliche Abhängigkeit der Spieler sei lediglich „sachlich notwendige Voraussetzung der Leistungserbringung“135 bzw. „Erfordernis einer Mannschaftssportart“136 und aus diesem Grunde arbeitsrechtlich nicht berücksichtigungsfähig. Dieser Einwand wird in der Literatur einhellig abgelehnt. Er gehe fehl und stärke letztlich sogar die Gegenauffassung: Könne die professionelle Ausübung einer Mannschaftssportart auf Grundlage eines Vertrages nur in einer fremdbestimmten und organisatorisch eingegliederten Art und Weise erfolgen, wie sie im Rahmen dieser Arbeit soeben beschrieben wurde, so spreche dies gerade für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses und nicht dagegen137. Es spiele schlicht keine Rolle, aus welchen Umständen sich der Verlust der Selbständigkeit ergebe138. 132 Zustimmend
Ittmann, Pflichten, S. 25; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 46. Gerd Niebaum, ehemaliger Präsident von Borussia Dortmund, in FAZ v. 20. 01. 1996, S. 27. Vgl. zum Tätigkeitsumfang aber auch die Ausführungen sogleich unter § 2 B. IV. 4. b). 134 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 183; Menke, Unternehmertum, S. 258; Niebaum, FAZ v. 20. 01. 1996, S. 27; im Ansatz auch Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 29 f. 135 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 183; ähnlich auch Teile des ausländischen Schrifttums, dazu Malatos, Berufsfußball, S. 88 m. w. N. 136 Scholz/Aulehner, SpuRt 1996, 44, 47. 137 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 51 f.; HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 48; Boemke, ZfA 1998, 285, 325; im Ergebnis auch Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 170; Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 208; Ittmann, Pflichten, S. 24; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 42 f. 138 Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 18; Blang, Befristung, S. 77; Kirschenhofer, Sport, S. 50; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 172. 133 So
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Dem ist, jedenfalls im Ergebnis, zuzustimmen. Zwar hat das BAG – in ausdrücklicher Abkehr139 zu seiner früheren Rechtsprechung140 – für Rundfunkmitarbeiter in der Tat entschieden, dass das bloße Angewiesensein auf Personal oder technische Gerätschaften des Auftraggebers dann nicht zwangsläufig zu einer organisatorischen Eingliederung führe, wenn dies bereits in der Natur der Tätigkeit angelegt sei. Entscheidendes Kriterium sei in solchen Fällen dann aber vor allen Dingen der Umfang des (insbesondere zeitlichen) Weisungsrechts141. Damit ist es letztendlich nicht entscheidungserheblich, ob man mit den kritischen Stimmen der Literatur die organisatorische Einbindung als notwendigen Sachzwang begreift, da die Vereine – wie soeben ausführlich herausgearbeitet – jedenfalls über Arbeitszeit und Arbeitsort ihrer Spieler umfassend verfügen können. 4. Sonstige in die Gesamtabwägung einzustellende Kriterien Neben den bislang genannten primären Merkmalen, auf die es für die typologische Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft hauptsächlich ankommen soll, werden in Literatur und Rechtsprechung noch einige weitere Hilfskriterien herangezogen. Diese werden regelmäßig in die Gesamtbetrachtung mit eingestellt, vgl. § 611a Abs. 1 S. 5 BGB, auch wenn ihnen dabei de facto zumeist nicht mehr als eine geringe Indizwirkung zukommt142. a) Wirtschaftliche (Un-)Abhängigkeit Größter Streitpunkt ist dabei, ob die Tatsache der wirtschaftlichen (Un-)Abhängigkeit eines Beschäftigten von seinem Vertragspartner im Rahmen der Gesamtabwägung Einfluss auf dessen Arbeitnehmereigenschaft haben kann. Das ist nach Ansicht der herrschenden Meinung nicht der Fall. Aus der richtigen Lesart der rudimentären gesetzlichen Grundlage des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB, wonach es für die Abgrenzung von Arbeitnehmer und freiem Dienstnehmer entscheidend auf den Grad der persönlichen Abhängigkeit ankomme, ergebe sich, dass eine rein wirtschaftliche Abhängigkeit nicht genüge, um die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen143. Für die Richtigkeit dieser Ansicht wird neben 139
BAG AP Nr. 74 zu § 611 BGB Abhängigkeit 1. Leitsatz. BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Abhängigkeit 2. Leitsatz. 141 BAG AP Nr. 74 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 33 zu § 611 BGB Rundfunk; ähnlich BAG AP Nr. 60 zu § 611 BGB Abhängigkeit zur Arbeitnehmereigenschaft von Volkshochschuldozenten. Zustimmend Rieble, ZfA 1998, 327, 338; zusammenfassend Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 282 f. 142 Zusammenfassend Junker, Arbeitsrecht, Rn. 100. 143 BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Anhängigkeit; MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 17 ff.; Buchner, NZA 1998, 1144, 1146; Hromadka, NZA 1997, 569, 579; Schreiber, Jura 2008, 21, 23; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 170. 140
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dem Wortlaut des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB vor allem die rechtliche Existenz der arbeitnehmerähnlichen Personen angeführt. Diese seien zwar wirtschaftlich, nicht aber persönlich abhängig und würden vom Gesetzgeber deshalb gerade nicht als Arbeitnehmer eingestuft, sondern diesen (aufgrund ähnlicher sozialer Schutzbedürftigkeit) lediglich teilweise gleichgestellt, vgl. etwa § 12 a TVG144, § 2 S. 2 BUrlG, § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AGG oder § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Die bloße wirtschaftliche Abhängigkeit könne daher nicht schon zum Arbeitnehmerstatus führen145. Der Satz von der nicht berücksichtigungsfähigen wirtschaftlichen Abhängigkeit gilt aber nach der ständigen Rechtsprechung des BAG gewissermaßen auch umgekehrt. Eine ausnahmsweise gegebene wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Arbeitgeber sei spiegelbildlich ebenfalls nicht geeignet, den Arbeitnehmerstatus bei ansonsten gegebener persönlicher Abhängigkeit in Frage zu stellen. In der ausdrücklichen und immer wiederkehrenden Diktion des Gerichts: „Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist weder erforderlich noch ausreichend.“146 Ruft man sich diese Feststellung, die in der Rechtsprechung des BAG147 seit Jahrzehnten völlig unbestritten ist148, mit Blick auf die Statusbeurteilung von Lizenzfußballern in Erinnerung, so spielt es für deren Einordnung als Arbeitnehmer nach h. M. schlicht keine Rolle, ob ein Spieler auf Grund privater Anlagen oder durch Werbeverträge mit Dritten ein so hohes Einkommen generieren kann, dass er auf das vom Verein gezahlte Entgelt wirtschaftlich gesehen nicht mehr angewiesen ist. Gleichermaßen nicht berücksichtigungsfähig ist nach auch im Schrifttum herrschender Ansicht zudem die Höhe der Vergütung, die im jeweils
144 Die in § 12a Abs. 1 TVG enthaltene Legaldefinition der arbeitnehmerähnlichen Person gilt zwar unmittelbar nur für das Tarifvertragsrecht, BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit. Die dort aufgestellten Zeit- und Verdienstrelationen können aber auch bei der Beurteilung nicht-tarifrechtlicher Sachverhalte berücksichtigt werden, so ausdrücklich BAG NJOZ 2006, 3821, 3822; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 193. 145 BAG AP Nr. 6 und 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA-RR 2016, 344, 347; Hochrathner, NZA-RR 2001, 561, 564; Hromadka, NZA 1997, 569, 579. 146 St. Rspr., vgl. BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 47 zu § 5 BetrVG 1972; BAG NZA 1992, 407, 408; BAG NZA 1994, 1132, 1133; BAG NZA 1995, 622, 622; BAG NZA 1999, 374, 375 und zuletzt BAG NJW 2008, 2872, 2872; insoweit zustimmend auch Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 47; Buchner, NZA 1998, 1144, 1146 f.; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 16; Hromadka, DB 1998, 195, 196. 147 Da an dieser Stelle der Untersuchung lediglich der Arbeitnehmerbegriff in der Interpretation der h. M. dargestellt wird, kommt es auf die weiterführende Frage, ob eine wirtschaftliche (Un-)Abhängigkeit im Rahmen einer abweichenden Auslegung des § 611a Abs. 1 BGB grundsätzlich berücksichtigt werden könnte, noch nicht an. Vgl. hierzu ausführlich unten § 7 B. und hier insbesondere unter I. 3. und II. 2. 148 Zur ursprünglichen Berücksichtigung des Merkmals „wirtschaftliche Abhängigkeit“ durch die Rechtsprechung vgl. ausführlich die historische Betrachtung unten § 6 D. I.
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zu charakterisierenden Beschäftigungsverhältnis geschuldet wird149, selbst wenn diese im Fall der Berufsfußballer teilweise exorbitant hoch ausfällt150. Eine gegebenenfalls bestehende wirtschaftliche Unabhängigkeit überlagert damit nach h. M. nicht die bestehende persönliche Abhängigkeit eines Beschäftigten. Sie führt aber jedenfalls rechtstatsächlich zu einer stärkeren Verhandlungsposition des Beschäftigten und kann daher als Konsequenz einen weitgehend paritätisch ausgehandelten Vertrag zur Folge haben, der die persönliche Abhängigkeit soweit minimiert, dass nicht mehr von einem Arbeitsverhältnis ausgegangen werden muss151. Die Frage, ob insbesondere aus zusätzlichen Werbetätigkeiten der Spieler ein unternehmerisches Auftreten am Markt erwachsen kann, das im Rahmen der Gesamtabwägung zur persönlichen Abhängigkeit doch noch Bedeutung erlangen kann, wird unten (§ 3 A. II. 2.) ausführlich behandelt. b) Weitere Kriterien Dagegen sind weitere unmittelbar berücksichtigungsfähige Kriterien nach h. M. etwa arbeitsvertragstypische Vereinbarungen. Insoweit muss mit Blick auf den Lizenzfußball festgestellt werden, dass die Rechtsbeziehung zwischen Spieler und Verein auch von den Vertragspartnern als Arbeitsverhältnis behandelt wird. Dies gilt einmal für die steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Einstufung152 durch die Parteien, vgl. § 4 lit. b) MuV, und zudem für die weitere Gestaltung der Vertragsurkunde. Zwar verwendet der Mustervertrag die neutral gehaltene Überschrift „Vertrag“. Jedoch findet sich in § 3 lit. f) MuV die Formulierung „[…] die Laufzeit dieses Arbeitsvertrages“. Auch die §§ 7 und 8 MuV, die für die Berechnung des Urlaubsentgeltsanspruchs der Spieler auf das BUrlG sowie für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Krankheitsfall auf § 3 EFZG verweisen, zeigen, dass die Parteien übereinstimmend vom Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses ausgehen. Für einen anderslautenden Parteiwillen ist darüber hinaus im gesamten Vertragswerk nichts ersichtlich. Wille und Wortwahl der Parteien sind zwar grundsätzlich dann unbeachtlich bzw. nicht mehr als ein geringfü149 Vgl. nur BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche und zuvor bereits RAG ARS Bd. 15, 550, 550 ff. sowie RAG ARS Bd. 31, 381, 383; aus der Literatur etwa Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 183; Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1239 ff.; Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 51; ders., in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 174; ders., in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 18 und insbes. 19; Boemke, ZfA 1998, 285, 314; B. Preis, Lizenzspieler, S. 29; Thüsing, ZfA 2015, 419, 446; Reinhardt, Phänomen, S. 347; Reiter, Vereinswechsel, S. 28; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 48. 150 Mittlerweile werden in der Bundesliga Bruttojahresgehälter von 10 Mio. Euro und mehr gezahlt, vgl. dazu schon oben Einleitung, Fn. 45. 151 Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 209. 152 Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 167 f.; zur geringen Indizwirkung vgl. Junker, Arbeitsrecht, Rn. 100.
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 67
giges Indiz, wenn es um die Deklarierung eines Beschäftigungsverhältnisses als „frei“ oder „selbständig“ geht. Maßgeblich ist stets, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Geschäftsinhalt und ihrer Durchführung objektiv einzuordnen ist153. „Denn durch eine bloße Parteivereinbarung kann die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzrechts nicht eingeschränkt werden“154 (sog. arbeitsrechtlicher Rechtsformzwang). Vorliegend handelt es sich aber um den umgekehrten Fall der übereinstimmenden Selbstbezeichnung eines Rechtsverhältnisses als Arbeitsverhältnis. Hier kann der Parteiwillen mangels entgegenstehender Schutzbedürfnisse ausnahmsweise respektiert und der Arbeitnehmerstatus (selbst in einem nach seiner objektiven Durchführung streitigen Rechtsverhältnis) frei gewählt werden, da hierdurch Schutzvorschriften nicht zu Lasten des Arbeitnehmers abbedungen, sondern vielmehr zu seinen Gunsten begründet werden155. Soweit bisweilen auf einen mangelnden zeitlichen Umfang der (Trainings-) Tätigkeit der Spieler als Indiz gegen die Arbeitnehmereigenschaft hingewiesen wird156, geht diese Argumentation schon im Tatsächlichen fehl. Denn neben die 153 BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA 1992, 407, 408; BAG NZA 1998, 705, 706; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 100; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 1. (S. 51 f.); Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 171; Berger-Delhey/Alfmeier, NZA 1991, 257, 260; Buchner, NJW 1976, 2242, 2242; Reinecke, NZA 1999, 729, 731; Reuter, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 611 BGB Berufssport; Stoffels, NZA 2000, 690, 690; Löwisch, in: FS Hromadka, S. 229, 229; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 289 f. Bei der bewussten Vorspiegelung einer in Wahrheit nicht gewollten selbständigen Diensterbringung möchte Rieble, ZfA 1998, 327, 328 die Grundsätze des Scheingeschäfts nach § 117 BGB anwenden. Grundsätzlich kritisch zu alledem Lieb, RdA 1975, 49, 49 ff. 154 BAG NZA 1995, 823, 832; zustimmend etwa Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Boemke, ZfA 1998, 285, 295. 155 BAG AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG NZA 1987, 629, 630; BAG NZA 1997, 194, 196; besonders deutlich bei LAG Köln, ArbuR 1996, 412, 412 und LAG Nürnberg NZA-RR 2008, 271, 271 f.; ausführlich dazu auch HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 25; Deinert, RdA 2017, 65, 67 f.; Löwisch, in: FS Hromadka, S. 229, 229 f.; Blang, Befristung, S. 73; einschränkend BAG AP Nr. 134 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 46 und Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 205; a. A. Rybak, Rechtsverhältnis, S. 48 f. (ohne weitergehende Begründung); eine „irrtümliche“ Bezeichnung als Arbeitsvertrag für irrelevant haltend Leuchten, in: Tschöpe (Hrsg.), Anwalts-Handbuch (8. Auflage 2013), Teil 1 A. Rn. 27; insoweit zweifelnd nunmehr ders., a. a. O. (10. Auflage 2017). Diese Ausführungen gelten nur für das Arbeitsvertragsrecht. Dagegen ist die Arbeitnehmereigenschaft i. S. d. kollektiven Arbeitsrechts niemals disponibel, vgl. Löwisch, in: FS Hromadka, S. 229, 230 f. 156 Niebaum, ehemaliger Präsident von Borussia Dortmund, bezweifelte die Arbeitnehmereigenschaft der Spieler mit dem Hinweis auf den geringen Trainingsumfang von ein bis zwei Stunden täglich, vgl. FAZ v. 20. 01. 1996, S. 27; ähnlich ein älteres Urteil zu einem Trainervertrag aus den 1960er Jahren, LAG Frankfurt AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abhängigkeit.
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Trainingseinheiten tritt nicht nur ein immer größeres Programm aus Pflichtspielen und Auftritten zu Zwecken der Öffentlichkeitsarbeit. Hinzu kommt, dass ein Spieler ausweislich § 2 S. 1 MuV ohnehin „seine ganze Kraft und seine sportliche Leistungsfähigkeit uneingeschränkt für den Club einzusetzen“ hat157. All diese Gesichtspunkte berücksichtigend hat Heink den Umfang des Zeitaufwands im Profifußball umfassend herausgearbeitet. Er kommt für Trainingstage auf einen Schnitt von etwa fünf bis sechs Stunden Anwesenheitspflicht158. An Spieltagen kann sich diese auf bis zu 13,5 Stunden verlängern159, in Trainingslagern dauert der Tag für die Spieler bis zu etwa 16 Stunden160. Auch hiervon abgesehen soll ein gegebenenfalls tatsächlich geringer zeitlicher Umfang für sich genommen nichts am Arbeitnehmerstatus eines Fußballers ändern. Auf Grund der typologischen Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft sei es nämlich nicht erforderlich, „dass eine sportliche Tätigkeit die Arbeitskraft eines Dienstverpflichteten […] weder voll noch auch nur zum großen Teil in Anspruch nehmen braucht […], sofern die übrigen Begriffsmerkmale vorliegen“161. Diese jedenfalls im Ergebnis zutreffende Betrachtungsweise wird im Übrigen systematisch durch die Existenz des TzBfG gestützt, das jedenfalls beweist, dass ein auch bloß in Teilzeit Beschäftigter unzweifelhaft Arbeitnehmer sein kann162. Für den Arbeitnehmerstatus sollen zudem Nebentätigkeitsverbote sprechen. Daher kann als weiteres Indiz gewertet werden, dass die Spieler während der Zeit, für die sie an einen bestimmten Verein gebunden sind, nur für diesen Verein tätig werden dürfen163. Selbst außerfußballerische Zusatztätigkeiten wie Werbung für andere Partner als diejenigen des Clubs bedürfen nach § 2 lit. g) MuV der Zustimmung des Vereins. Darüber hinaus werden den Spielern noch außerdienstliche Verhaltenspflichten, § 2 lit. i) MuV, sowie die Verpflichtung auferlegt, den Anweisungen des Trainers auch bezüglich der Lebensführung Folge zu leisten, sofern sie sich auf die 157
Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 51; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 43. Heink, Arbeitszeitschutz, S. 41. 159 Heink, Arbeitszeitschutz, S. 45. 160 Heink, Arbeitszeitschutz, S. 57. 161 BAG AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ähnlich NK-ArbR/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611 BGB Rn. 86; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 48; anders noch LAG Frankfurt AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abhängigkeit; allgemeiner, aber i. E. ebenso wie die h. M. Boemke, ZfA 1998, 285, 314 f.; Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 34 f.; Hromadka, NZA 1997, 569, 569; Rebhahn, RdA 2009, 154, 168; kritisch allerdings Wank, Arbeitnehmer, S. 205 ff., insbes. S. 212 ff. 162 Vgl. zum Zusammenhang von Tätigkeitsumfang und der Anwendbarkeit des Arbeitsrechts ausführlich unten § 6 C. IV. 1. 163 HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 75; NK-ArbR/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611 BGB Rn. 69. 158
§ 2 Lizenzfußballer als Arbeitnehmer nach dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff 69
sportliche Leistungsfähigkeit des Spielers beziehen, § 2 lit. j) MuV. Dazu gehören beispielsweise auch Eingriffe in die private Urlaubs- und Freizeitgestaltung der Spieler164. Zuletzt kann auch zu Gunsten eines Arbeitsverhältnisses angenommen werden, dass die Spieler in jedem Falle verpflichtet sind, ihre geschuldeten Leistungen in Person zu erbringen und sie nicht durch Dritte ausführen lassen dürfen165.
C. Ergebnis Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass sich nach der gebotenen Abwägung aller relevanten Kriterien trotz der Atypizität des Vertragsverhältnisses eines Lizenzspielers zu seinem Verein das typologische Gesamtbild eines persönlich abhängig Beschäftigten ergibt. Dabei stechen insbesondere eine ausgeprägte Weisungsgebundenheit in zeitlicher und örtlicher Hinsicht sowie eine umfassende Eingliederung in die Organisations- und Betriebsstruktur des Clubs heraus. Auch die weiteren, sekundären Merkmale sprechen indiziell für eine persönliche Abhängigkeit der Profispieler. Dagegen fällt ein – auch tatsächlich nur geringfügig – eingeschränktes fachliches Weisungsrecht der Clubs kaum ins Gewicht und vermag an der Gesamtbetrachtung ebenso wenig zu ändern wie eine etwaige fehlende Schutzbedürftigkeit der Spieler auf Grund wirtschaftlicher Kriterien, da solche nach herrschender Ansicht de lege lata nicht berücksichtigungsfähig sind. Insgesamt zeigt eine objektive Betrachtung der Bestimmungen des Mustervertrages und der tatsächlichen Vertragsdurchführung, dass der Lizenzspieler geradezu ein Paradebeispiel des persönlich abhängigen, weil fremdbestimmten Beschäftigten ist166. Weil auch die weiteren Merkmale des Arbeitnehmerbegriffs (Leistung von Diensten für einen anderen auf Grund privatrechtlichen Vertrages gegen Entgelt) zu bejahen sind, besitzen die Lizenzspieler der Fußball-Bundesligen Arbeitnehmerstatus. Inwieweit andere in der Literatur vorgebrachte Argumente, insbesondere eine eventuelle unternehmerische Zusatztätigkeit der Lizenzspieler, dieses Ergebnis in Frage stellen können, wird im Folgenden eingehend untersucht.
164 Laut Mayer-Vorfelder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 40, 46, damaliger Präsident des VfB Stuttgart, hatte der Verein zu jener Zeit seinen Spielern verboten, Motorrad und Ski zu fahren. Vgl. zu diesem Indiz auch Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 51. 165 BAG NZA 1998, 368, 369; BAG NZA 2002, 787, 787. 166 In den Worten Kades, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 208: „Deutlicher lässt sich persönliche Abhängigkeit kaum formulieren“. I.E. ähnlich Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 169; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 50.
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§ 3 Alternative Ansätze der Literatur und ihre Vereinbarkeit mit dem herrschenden Arbeitnehmerbegriff § 3 Alternative Ansätze der Literatur und ihre Vereinbarkeit mit der h. M.
Im Schrifttum gibt es einige Ansätze167, die das soeben gefundene Ergebnis grundsätzlich bestreiten. Dabei wird in der Regel – zumeist ohne dogmatische Einbettung – unter Hinweis auf die freiwillige Übernahme unternehmerischer Chancen und Risiken (= „Unternehmerrisiko“168) durch (Spitzen-)Spieler deren Arbeitnehmereigenschaft in Gänze verneint (dazu sogleich A.). Teilweise wird aus der Feststellung einer unternehmerischen (Zusatz-)Tätigkeit oder einer vermeintlichen Verhandlungsparität der Schluss gezogen, in diesen Fällen sei die Möglichkeit einer Selbstqualifizierung des Rechtsverhältnisses durch die Parteien als freies Dienstverhältnis oder Arbeitsverhältnis interessengerecht (dazu unten B.). Kraft Sachzusammenhangs wird zuletzt ergänzend und als Exkurs auf diejenige Ansicht eingegangen, die Lizenzfußballer grundsätzlich zwar als Arbeitnehmer ansieht, aber zumindest eine Einordnung als leitende Angestellte i. S. d. BetrVG befürwortet (dazu unten C.).
A. Unternehmerrisiko als Ausschlusskriterium der Arbeitnehmereigenschaft Zentraler Argumentationstopos, der gegen den Arbeitnehmerstatus von (Spitzen-)Lizenzfußballern ins Feld geführt wird, ist die Feststellung, dass (einige) Spieler der Bundesligen wie Unternehmer tätig würden. Dabei übernähmen sie unternehmerische Risiken und profitierten zugleich von unternehmerischen Chancen am Markt. Gemeinsam ist diesen Ansätzen größtenteils, dass sie sich nicht stringent an den überkommenen Voraussetzungen zur Arbeitnehmereigenschaft orientieren. Lediglich im Ergebnis wird klar, dass die tatsächlich gemachten Feststellungen rechtlich letztlich dazu führen sollen, die persönliche Abhängigkeit der Lizenzspieler von ihrem Vertragspartner zu verneinen. Dabei wird allerdings nicht durchgehend an die von BAG und h. L. entwickelte Methode zur Bestimmung der persönlichen Abhängigkeit angeknüpft169. Insbesondere ist oft unklar, ob das Argument der Übernahme unternehmerischer Risiken als ein Einzelmerkmal im Rahmen der nach h. M. notwendigen Gesamtabwägung die persönliche Abhängigkeit der Lizenzspieler erschüttern oder ob es als einzig rele-
167
Vgl. dazu auch schon die Übersicht oben 1. Kap. § 2 A. und dort Fn. 10 ff. Im Folgenden wird zur Vereinfachung und Verbesserung der Lesbarkeit der Begriff des „Unternehmerrisikos“ als Synonym für die Formel der „freiwilligen Übernahme unternehmerischer Chancen und Risiken“ verwendet. 169 Ähnliche Feststellung bei Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 47. 168
§ 3 Alternative Ansätze der Literatur und ihre Vereinbarkeit mit der h. M.
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vantes Kriterium über die Arbeitnehmereigenschaft entscheiden soll170. Letzteres hätte zur Folge, dass es auf eine daneben bestehende persönliche Abhängigkeit im Sinne einer Weisungsgebundenheit und Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation nicht mehr ankäme. Dass dies de lege lata nicht möglich ist, soll im Folgenden zunächst deutlich gemacht werden (sogleich I.), bevor anschließend auf die unterschiedlichen Formen unternehmerischer Betätigung der Lizenzspieler im Einzelnen eingegangen wird (unten II.). I. Unternehmerrisiko als maßgeblicher Ansatz der Arbeitnehmereigenschaft Die Beantwortung der Frage, ob die freiwillige Übernahme unternehmerischer Chancen und Risiken im Rahmen der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft berücksichtigungsfähig ist, ist kein spezifisch sportarbeitsrechtliches Problem. Es geht zurück auf eine alternative Konzeption des Arbeitnehmerbegriffes und eine abweichende Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft, die insbesondere von Wank entwickelt wurde171 und an der sich die kritischen Stimmen des sportarbeitsrechtlichen Schrifttums bewusst oder unbewusst orientieren. Nach Wank ist der Begriff des Arbeitnehmers teleologisch mit Blick auf den primären Schutzzweck des Arbeitsrechts zu interpretieren. Diesen erkennt er vereinfacht dargestellt darin, den in seinen Konsequenzen vielschichtigen Verlust freier wirtschaftlicher Dispositionsmöglichkeiten172 abzufedern, der daraus folgen soll, dass ein Beschäftigter verpflichtet ist, seine (gesamte) Arbeitskraft zu Gunsten (zumeist) eines Auftraggebers aufzuwenden. Demnach soll Arbeitnehmer typischerweise derjenige sein, der – eine auf Dauer angelegte Tätigkeit – für nur einen Auftraggeber – in eigener Person und ohne Mitarbeiter – im Wesentlichen ohne eigenes Kapital und eigene Organisation erbringt173. Dennoch soll ein solcher Beschäftigter trotz Vorliegens der eben aufgeführten Indizien Selbständiger sein, wenn er 170 Unklar etwa bei U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 183 f.; anders aber J. Becker/Figura, BB 2012, 3046 ff., bei denen deutlich wird, dass die Übernahme unternehmerischen Risikos nur einen Teilaspekt im Rahmen einer Gesamtabwägung darstellt. 171 Wank, Arbeitnehmer, passim; ders., DB 1992, 90, 90 ff. 172 Ausführlich Wank, Arbeitnehmer, S. 45 ff.; insbes. S. 94 ff.; in diesem Sinne auch bereits Lieb, RdA 1977, 210, 215 ff. und Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 13 ff.; zustimmend auch Rebhahn, RdA 2009, 154, 154 und Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 258 ff. 173 Aufzählung bei Wank, DB 1992, 90, 91 und ausführlich ders., Arbeitnehmer, S. 121 ff.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
– ein Unternehmerrisiko freiwillig übernommen hat, – am Markt auftritt – und Ausgewogenheit im Hinblick auf unternehmerische Chancen und Risiken herrscht174. Dieser Ansatz hat in Teilen der unterinstanzlichen Rechtsprechung175 und der Literatur176 wegen seines grundlegenden Versuches, den Arbeitnehmerbegriff teleologisch zu bestimmen, Beifall erhalten. Dennoch wurde Wanks Ansicht von der h. M. bereits vor der Einführung des § 611a Abs. 1 BGB zu Recht abgelehnt, da sie eine bloße Zweiteilung der Erwerbstätigen in Arbeitnehmer und Selbständige vornimmt (sog. „duales Modell“). Ein solches Modell kann aber die vom Gesetz unzweifelhaft nicht als Arbeitnehmer eingestuften arbeitnehmerähnlichen Personen177 nicht erklären, sondern müsste diesen vielmehr auf Grund wirtschaftlicher Kriterien den Arbeitnehmerstatus zukommen lassen178. Da der Gesetzgeber aber von einer dreigeteilten179 Abstufung des gesetzlichen Schutzes ausgeht und unter den Erwerbstätigen zwischen Selbständigen, wirtschaftlich abhängigen Beschäftigten (= arbeitnehmerähnliche Personen) und Arbeitnehmern differenziert, ist dieser alternative Arbeitnehmerbegriff mit dem geltenden Recht nicht zu vereinbaren180. 174 Aufzählung bei Wank, DB 1992, 90, 91 und ausführlich ders., Arbeitnehmer, S. 121 ff. Die mangelnde gesetzliche Herleitbarkeit dieser Merkmale kritisiert Boemke, ZfA 1998, 285, 300. 175 Etwa LAG Köln AP Nr. 80 zu § 611 BGB Abhängigkeit; LAG Köln NZA 1996, 557, 559 f.; LAG Nürnberg NZA-RR 1998, 250 ff.; ArbG Nürnberg NZA 1997, 37 ff.; hierzu kritisch Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 592. 176 Etwa HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 59; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 257 f. und (im Ergebnis aber ablehnend) Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 4. a) dd) (S. 62 f.); Hanau, in: FS Kehrmann, S. 23, 27. Auch zwei Gesetzentwürfe der Länder Sachsen (BRDrs. 293/95) und Brandenburg (BR-Drs. 671/96) zum Arbeitsvertragsrecht stellten auf das Kriterium der freiwilligen Übernahme von Unternehmensrisiko ab. Weitere Gesetzentwürfe zusammenfassend Kretschmer, RdA 1997, 327, 327 ff. 177 Dazu ausführlich unten § 6 C. II. 178 Ebenso Buchner, NZA 1998, 1144, 1151; Hromadka, NZA 1997, 569, 575; ders., NZA 1998, 1, 5; ders., NZA 2012, 585, 592; Rieble, ZfA 1998, 327, 328. Zu diesem Ergebnis kam auch eine vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialforschung in Auftrag gegebene empirische Studie, vgl. dazu Wank, Forschungsbericht, S. 95. Dagegen ordnete Wank ursprünglich die Arbeitnehmerähnlichen mitunter noch (widersprüchlich) als Selbständige ein, obwohl diese in Wahrheit nicht umfassend am Markt auftreten und daher nicht freiwillig ein Unternehmerrisiko übernehmen, vgl. Wank, Arbeitnehmer, S. 239 ff. Ebenfalls erkannt und kritisiert von Hromadka, DB 1998, 195, 195. 179 So ausdrücklich etwa BAG NZA 2001, 551, 551; Hochrathner, NZA-RR 2001, 561, 564; Reinecke, ZIP 1998, 581, 585; Park, Arbeitnehmer, S. 118 f. 180 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 55 – 58; MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 40; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 4. a) dd) (S. 63); Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 48;
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II. Unternehmerrisiko als ein Merkmal im Rahmen der Gesamtbetrachtung Unabhängig von der Frage nach der (Un-)Vereinbarkeit der Ansicht Wanks mit geltendem Recht, hat das von ihm (mit-)postulierte Kriterium der freiwilligen Übernahme unternehmerischen Risikos Auswirkungen auf die Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft durch die h. M. gewonnen. Es wird in der wissenschaftlichen Diskussion als zumindest ein weiteres Merkmal anerkannt, das zur Abgrenzung des Arbeitnehmers vom Selbständigen im Rahmen der typologisch zu bestimmenden persönlichen Abhängigkeit mitentscheidend beitragen kann181. Teilweise wird es insoweit sogar als wichtigstes ergänzendes Merkmal bezeichnet182. Auch die Rechtsprechung des BAG ist dem bisweilen gefolgt183. Deutlich hat das Gericht etwa zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft von Rundfunk- und Fernsehmitarbeitern ausgeführt, ein Kennzeichen der abhängigen oder unselbständigen Arbeit sei auch, dass der in die Arbeitsorganisation eingegliederte Mitarbeiter seine Arbeitskraft nicht nach selbstgesetzten Zielen und den Bedürfnissen des Marktes entsprechend in eigener Verantwortung verwerte, sondern sie für die Verwirklichung der Rundfunk- und Fernsehprogramme der Anstalten einsetze184. Zu untersuchen, ob ein sich unternehmerisch betätigender Lizenzfußballer alleine nach dem alternativen Arbeitnehmerbegriff Wanks als Selbständiger zu gelten hat185, soll wegen dessen Unvereinbarkeit mit geltendem Recht an dieser Stelle nicht die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit sein. Vielmehr besteht die Buchner, NZA 1998, 1144, 1147 f.; Hromadka, NZA 1997, 569, 576; Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 315; Maschmann, Arbeitsverträge, S. 316; Park, Arbeitnehmer, S. 106 f. Der Wegfall der Gruppe der arbeitnehmerähnlichen Personen auf der Grundlage seines Arbeitnehmerbegriffes wird zwar von Wank, NZA 1999, 225, 230 und ders., in: FS Küttner, S. 5, 14 bestritten. Jedenfalls aber steht § 611a Abs. 1 BGB einer derartigen alternativen Konzeption des Arbeitnehmerbegriffes heute entgegen, vgl. ausführlich zu dessen Vorgaben und Grenzen – insbesondere mit Blick auf eine mögliche Rechtsprechungsänderung – unten § 7 B. 181 HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 59; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 103; Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 165 f.; Henssler, JZ 1992, 833, 836; Rumpenhorst, NZA 1993, 1067, 1067 f. 182 Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 592 und 598; Fikentscher, Mitbestimmung, S. 125. 183 Vgl. etwa BAG AP Nr. 20, 35 zu § 611 BGB Abhängigkeit und BAG NZA 1997, 1126, 1127; sehr deutlich bei BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; BAG AP Nr. 26, 34 und Nr. 37 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ablehnend allerdings BAG AP Nr. 5 zu § 92 HGB; BAG NZA 1999, 374, 375 und zuletzt ausdrücklich BAG AP Nr. 117 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 184 BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit (3. Leitsatz). 185 Verneinend insoweit Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 20 und Ittmann, Pflichten, S. 26 ff.
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Aufgabe darin, zu prüfen, ob die in der sportarbeitsrechtlichen Literatur vorgebrachten Argumente in den durch die Rechtsprechung des BAG ausgeformten und in § 611a Abs. 1 BGB niedergelegten Arbeitnehmerbegriff eingebettet werden können und auch auf dessen Grundlage zu einer Korrekturbetrachtung zwingen. Dies wird von der überwiegenden Ansicht im Schrifttum – zumeist ohne oder jedenfalls nur mit knapper Begründung – im Ergebnis abgelehnt186. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegenseite sowie deren dogmatische Einordnung findet aber nicht statt187. Dies soll an dieser Stelle erfolgen. Zweckmäßig hierfür erscheint es, zunächst eine Vorsortierung vorzunehmen und zu differenzieren, auf welcher Grundlage188 die Lizenzspieler „unternehmerisch“ tätig werden. Dabei müssen zwei verschiedene Grundkonstellationen unterschieden werden. Zum einen ist die Übernahme unternehmerischen Risikos innerhalb des Rechtsverhältnisses zwischen Spieler und Verein möglich. Dies ist nach der momentanen Fassung des Mustervertrages in eingeschränktem Maß der Fall und wird im Folgenden unter 1. untersucht. Zum anderen kontrahieren einige Spieler (vor allem Spitzenspieler) aber häufig auch im eigenen Namen insbesondere mit verschiedenen Werbepartnern. Diese Form der unternehmerischen Zusatztätigkeit auf Grund von Rechtsverhältnissen mit Dritten vollzieht sich außerhalb des Vertragsverhältnisses mit dem Verein und wird unter 2. erörtert. Erst wenn diese Vorsortierung nach der Grundlage unternehmerischen Tätigwerdens geklärt ist, kann jeweils in weiteren Schritten überprüft werden, ob – erstens – die unternehmerische Betätigung der Spieler überhaupt ein arbeitsrechtlich relevantes Unternehmerrisiko darstellt und, falls ja, ob sie – zweitens – in einigen Fällen so gewichtig erscheinen kann, dass sie den oben festgestellten Befund der prinzipiell persönlich abhängigen Beschäftigung von Lizenzfußballern im Rahmen der typologischen Gesamtbetrachtungsweise zu erschüttern vermag. 1. Unternehmerrisiko innerhalb des Rechtsverhältnisses mit dem Verein Eine Besonderheit des Rechtsverhältnisses zwischen Lizenzspieler und Verein ist die Entgeltvereinbarung. Sie besteht zu einem weit geringeren Teil als im Normalarbeitsverhältnis üblich aus einer festen Grundvergütung189. Hinzu kommen in einem nicht unerheblichen Umfang besondere Vergütungen. Dabei kann unterschieden werden zwischen einer leistungsbezogenen Vergütung, die an den sportlichen Erfolg anknüpft (dazu sogleich a)) und einer Vergütungsform, die den 186
Vergleiche die umfangreichen Nachweise oben 1. Kap., Fn. 9. Ansatzweise lediglich Ittmann, Pflichten, S. 26 ff. 188 Eine solche Differenzierung findet auch nicht bei denjenigen Autoren statt, die den Arbeitnehmerstatus aus Gründen unternehmerischer Tätigkeit bezweifeln. Lediglich Menke, Unternehmertum, S. 277 ff. erkennt diesen Unterschied, zieht daraus allerdings keine rechtlichen Konsequenzen. 189 Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 53. 187
§ 3 Alternative Ansätze der Literatur und ihre Vereinbarkeit mit der h. M.
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Spieler prozentual an denjenigen Einnahmen beteiligt, die der Verein aus der Vermarktung von dessen Persönlichkeitsrechten generiert (dazu b)). Beide Varianten haben ihren Ursprung unstreitig in dem Rechtsverhältnis, das zwischen den Vertragsparteien besteht. a) Erfolgs- bzw. leistungsorientierte Vergütungsmodelle Erfolgs- und leistungsorientierte Vergütungsmodelle sind der Regelfall, wenn über das Grundgehalt hinausgehendes Entgelt gezahlt wird. § 4 Ziff. 1) lit. b) MuV sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor. Dabei zeigt ein Blick auf die Praxis, dass rechtstatsächlich die verschiedensten Varianten vereinbart werden: Es gibt Prämien für die bloße aktive Teilnahme an einzelnen Pflichtspielen oder einer bestimmten Gesamtzahl von Spielen innerhalb einer Saison. Andere Prämien knüpfen an Siege oder Punktgewinne in einzelnen Spielen an, machen einen bestimmten Tabellenplatz oder das Erreichen eines anderen Ziels am Saisonende zur Voraussetzung der Prämienzahlung, so etwa die Qualifikation für die Champions League oder den Nichtabstieg190. Daneben sind auch Prämien für das Erzielen oder Vorbereiten von Toren denkbarer Bestandteil solcher Vereinbarungen191. Der Umfang der Prämien kann dabei mitunter höher oder fast ebenso hoch sein wie das zu zahlende Grundgehalt192. Aus diesen Tatsachen wurde in der arbeitsrechtlichen Literatur bisweilen der Schluss gezogen, dass eine derartig ausgeprägte Gewinn- und Verlustbeteiligung, die sich letztlich an der erfolgreichen Teilnahme am Spielbetrieb orientiere, die Übernahme eines wirtschaftlichen Risikos der Spieler bedeute und daher eine Art (Mit-)Unternehmertum begründe193. Auch Äußerungen von Verantwortlichen der Fußballvereine legen diesen Schluss nahe, etwa wenn davon gesprochen wird, dass „die Spieler [in Form von Prämien an den erwirtschafteten Umsätzen der Clubs] in fairer Art und Weise partizipie190 Ausführlich zu Praxisbeispielen siehe Mayer-Vorfelder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 40, 43 f. 191 Einen sehr guten Überblick über die verschiedensten Prämiengestaltungen gibt Mailänder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Fußballspieler, S. 6, 10 f. 192 Exemplarisch ist der Sachverhalt von BAG NZA 2000, 771, 771 f. Danach erhielt der Torhüter eines Vereins der 1. Bundesliga in der Saison 1995/96 ein Grundgehalt von 15.000 DM monatlich. Bei einem Einsatz in mehr als 30 Spielen hatte er zudem Anspruch auf Zahlung einer Jahresleistungsprämie in Höhe von 150.000 DM. Bei mehr als 20 Einsätzen belief sich der Anspruch noch immer auf knapp 115.000 DM. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 173 über einen „Ergänzungsspieler“, der um das Jahr 2000 ein monatliches Grundgehalt von 85.000 DM bezog, zusammen mit allen Sonderzahlungen aber ein Jahreseinkommen von deutlich mehr als 2 Mio. DM erzielen konnte. 193 Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 28; Westermann, in: Reschke/Eilers (Hrsg.), Sport, S. 35, 49; angedeutet auch bei U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 183 f.
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ren“ müssten194. Zudem finden sich insbesondere in der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung195 und dem dortigen Schrifttum196 Stimmen, die zur Beurteilung der Beschäftigteneigenschaft nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV insbesondere der Frage, ob einem Sportler eine Pauschalvergütung gewährt wird oder ob ein Erfolgshonorar vereinbart worden ist, unter dem Aspekt der freiwilligen Übernahme unternehmerischen Risikos eine zentrale Bedeutung beimessen. In der herrschenden sportarbeitsrechtlichen Literatur wird die Beachtlichkeit erfolgsorientierter Vergütungsmodelle auf den Arbeitnehmerstatus dagegen abgelehnt. Es wird argumentiert, sie dienten lediglich der Motivationssteigerung der Spieler und seien darüber hinaus auch in gewöhnlichen und unstreitig dem Arbeitsrecht zugeordneten Beschäftigungsverhältnissen durchaus üblich197. Zudem wird richtigerweise angemerkt, dass der Verein auch im Falle sportlichen Misserfolgs einen Teil des unternehmerischen Verlustrisikos trägt, da er weiterhin zur Zahlung des Grundgehalts verpflichtet ist198. Daraus wird weiter gefolgert, eine Verlagerung relevanten unternehmerischen Risikos auf die Lizenzspieler könnte nur im Falle einer ausschließlich erfolgsbezogenen Vergütung ohne Zahlung eines Grundgehalts gesehen werden199. Auf die (in diesem zuletzt genannten Fall wohl eher unfreiwillige) Übernahme unternehmerischer Risiken kommt es aber auch nach den oben genannten Kriterien gerade nicht einzig und ausschließlich an. Zugleich ist immer erforderlich, dass sich dem Beschäftigten auch ausgewogene unternehmerische Chancen eröffnen 200. Worin diese in einem solchen Falle genau liegen sollen, bleibt unklar; sie könnten wohl nur dann angenommen werden, wenn eine solche rein prämienorientierte Entgeltgestaltung bei optimalem Saisonverlauf über die Höhe des Grundgehalts eines vergleichbaren Spielers hinausgehen würde. Letztlich 194 So Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG angesichts eines zu erwartenden Rekordumsatzes von über 400 Mio. Euro in der Spielsaison 2012/2013, vgl. http://www.spox.com/de/sport/fussball/championsleague/1305/News/ german-endpsiel-bayern-muenchen-borussia-dortmund-bvb-machen-richtig-kasse-trainer-und-spieler.html (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). 195 LSG Saarland SpuRt 2012, 39, 40 (mit Verweis auf BSG DB 1989, 936 ff.); SG Dortmund SpuRt 2011, 39, 40. 196 Menke/Reissinger, SpuRt 2012, 9, 12. 197 Blang, Befristung, S. 79 f.; Imping, Fußballspieler, S. 53; Rüsing, Sportarbeitsrecht, S. 28; aus anderen Gründen ablehnend Küpperfahrenberg, Lizenzfußball, S. 31. Auch Bep ler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 53 sieht die Problematik der Prämienvergütung ausschließlich unter dem Blickwinkel des arbeitsrechtlichen Lohnschutzes. 198 Ittmann, Pflichten, S. 27; Kirschenhofer, Sport, S. 42 und 52. 199 Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 169 f.; Buchner, RdA 1982, 1, 4 f.; Ittmann, Pflichten, S. 27. 200 Wank, Arbeitnehmer, S. 129 und 262 f.; dazu auch schon zusammenfassend oben § 3 A. I.
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wäre aber auch diese theoretisch mögliche Form der Vertragsgestaltung richtigerweise nicht ohne weiteres unter dem Gesichtspunkt des Unternehmerrisikos berücksichtigungsfähig. Zwar fließen durch ein (ausschließliches) Prämienvergütungssystem unbestritten bestimmte Kriterien des Unternehmenserfolgs des Clubs in das Rechtsverhältnis zwischen Spieler und Verein ein und es könnte darin grundsätzlich auch eine Verlagerung unternehmerischen Risikos erblickt werden 201. Eine mögliche Einflussnahme auf unternehmerische Entscheidungen202 der Vereine ist damit allerdings nicht verbunden. Zudem bietet der Spieler seine Leistung – die fußballerische Betätigung – jedenfalls während des Zeitraums der vertraglichen Bindung mit einem Verein gerade nicht wie erforderlich am Markt an; vielmehr wird er nur für einen einzelnen Auftraggeber tätig203. Unter anderem auch deshalb sind für eine Abgrenzung des Arbeitnehmers vom selbständigen Dienstleister nach der an dieser Stelle zu Grunde gelegten herrschenden Meinung gerade nicht die Modalitäten der Bezahlung von (entscheidender) Bedeutung, sondern die Umstände, unter denen die Dienstleistung selbst erbracht wird 204. Dass sich diese Ansicht mit guten Gründen stützen lässt, beweist ein Blick auf die Rechtswirklichkeit. Dort sind nicht selten die an sich atypischen Fälle zu beobachten, dass unstreitig Selbständige nach Stundensätzen abrechnen, geradezu idealtypische Arbeitnehmer hingegen eine leistungs- oder erfolgsorientierte Vergütung erhalten (etwa in Form von Akkordlohn, Provisionen, Umsatzbeteiligungen oder Zielvereinbarungen)205. Die überkommene Zweiteilung in Arbeitnehmer mit fixem Arbeitnehmerlohn, die völlig frei von wirtschaftlichen Risiken vergütet werden, und in Unternehmer, die wirtschaftliche 201 So ausdrücklich Wank, Arbeitnehmer, S. 77 für erfolgsbezogene Entgelte wie Akkordlohn und Provision. Etwa beim Handelsvertreter soll die Auferlegung eines erfolgsabhängigen Entgelts ein entscheidendes Unternehmerrisiko begründen, wenn dem entsprechende unternehmerische Chancen gegenüberstehen, vgl. ders., a. a. O., S. 262 f. 202 Zur Notwendigkeit dieses Kriteriums bei der Beteiligung an unternehmerischen Gewinnchancen vgl. Reuter, in: Beuthien (Hrsg.), Arbeitnehmer oder Anteilshaber, S. 89, 90 ff. und Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 263. 203 Dies ist schon aus verbandsrechtlichen Gründen zwingend, da eine Spielerlizenz seitens der DFL jeweils nur für einen Verein erteilt werden darf, vgl. § 13 Ziff. 2 lit. c) LOS. Zu den Hintergründen dieser Regelung vgl. Fikentscher, Mitbestimmung, S. 82. 204 BAG EzBAT Nr. 8 zu § 1 BAT Arbeitnehmerbegriff; BAG NZA 1999, 374, 375; BAG NZA 2002, 787, 788; HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 51; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 16; Reinecke, NZA 1999, 729, 731; i. E. auch Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 3. b) (S. 58); Rybak, Rechtsverhältnis, S. 51; anders noch BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit (Form der Vergütung als Indiz für oder gegen die Arbeitnehmereigenschaft des Beschäftigten). 205 J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3047, die a. a. O. auch strikt zwischen Vergütungsmodalitäten und der Übernahme unternehmerischer Risiken trennen, ohne dabei auf die relevanten Unterschiede einzugehen. Vgl. dazu auch Junker, Arbeitsrecht, Rn. 230 ff. und kritisch Wank, RdA 2010, 193, 195.
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Risiken zu tragen haben, ist damit heute nicht mehr allgemeingültig206. Das zeigt, dass alleine Vergütungsmodalitäten letztlich kein trennscharfes Abgrenzungskriterium (mehr) darstellen und daher für eine Statuseinordnung auch nicht von entscheidender Bedeutung sein können 207. Hinzu kommt die Gefahr eines potentiellen Missbrauchs. Denn dem Dienstberechtigten, der sich ohnehin regelmäßig in einer überlegenen Verhandlungsposition befindet, wäre es dann möglich, ein Indiz gegen die Arbeitnehmereigenschaft des Beschäftigten zu setzen – und zwar durch eine Vertragsgestaltung, die für diesen ungünstiger, weil mit einer Überbürdung vertraglicher Risiken in Entgeltfragen verbunden ist208. Die Überprüfung einer solchen Vertragsgestaltung auf ihre Rechtswirksamkeit ist aber ein Element des arbeitsrechtlichen Lohnschutzes209. Dessen Anwendbarkeit setzt allerdings die Arbeitnehmereigenschaft eines 206 So Heinze, NZA 2001, 1, 2, der a. a. O. auch ausdrücklich darauf hinweist, dass von dieser Form der wirtschaftlichen Risikotragung durch Gestaltung von Vergütungsregelungen gerade auch breite Arbeitnehmergruppen unterhalb der leitenden Angestellten betroffen sind. Vgl. hierzu ausführlich den Endbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Praktisch erprobte betriebliche Vereinbarungen zur Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer, S. 11 – 74 (1997). Ähnlich auch schon Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 224 f. Vgl. zu allem auch Greiner, RdA 2015, 218, 218 ff. 207 Teilweise wird allerdings das Begriffspaar Festvergütung – erfolgsbezogene Vergütung (unabhängig vom Kriterium der Übernahme unternehmerischen Risikos) als indizielles Unterscheidungsmerkmal von Arbeits- und freiem Mitarbeiterverhältnis herangezogen, so z. B. BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit und ausdrücklich Reiserer, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 545, 547. Als formales Indiz wertend auch HWK/ Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 50; anders aber ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 49: Form der Vergütung lediglich als eine Hilfstatsache zu Gunsten des Mitarbeiters. 208 Schon Tomandl, Wesensmerkmale, S. 84 hat mit Blick auf die Rechtsverhältnisse der Versicherungsvermittler darauf hingewiesen, dass es ein merkwürdiges Ergebnis sei, denjenigen in den Schutzbereich des Arbeitsrechts einzubeziehen, dem es ohnehin gelungen sei, durch die Vereinbarung eines fixen Lohnbestandteils einen Teil seines Erfolgsrisikos auf den Auftraggeber abzuwälzen, dagegen aber denjenigen außen vor zu lassen, der auf Grund einer vollen Risikotragung als Selbständiger zu gelten habe, obwohl er gerade hierdurch besonders schutzbedürftig erscheine. Vgl. hierzu zusammenfassend auch Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 211 und zuletzt Richardi, NZA 2017, 36, 38 f. 209 Ähnlich Buchner, RdA 1982, 1, 4 f. So wird etwa die Überbürdung des Betriebsund Wirtschaftsrisikos auf den Arbeitnehmer durch arbeitsvertragliche Vergütungsregelungen gem. § 138 Abs. 1 oder 2 BGB unter gewissen Voraussetzungen für sittenwidrig erachtet. Dies ist in der Regel zwar dann nicht der Fall, wenn sich das Gehalt aus einer angemessenen Grundvergütung und einer erfolgsbezogenen Komponente (etwa dem Erreichen einer Zielvereinbarung) zusammensetzt, vgl. dazu ausführlich und m. w. N. Staudinger/Sack/Fischinger, § 138 BGB Rn. 506. Die Schwelle zur Sittenwidrigkeit dürfte aber auch im Falle der Lizenzspieler überschritten sein, wenn dem Spieler überhaupt kein festes oder nur noch ein sehr geringes Grundgehalt zusteht. Handelt es sich im Übrigen bei den vereinbarten Prämien oder Zielvorgaben um AGB, so richtet sich deren Wirksamkeit nach §§ 305 ff. BGB, vgl. HWK/Thüsing, § 611 BGB Rn. 116; Annuß, NZA 2007, 290, 291 f. Zur Wirksamkeit variabler Vergütungssysteme von Spitzenverdienern unter einer Leistungs-
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Beschäftigten gerade voraus. Das Arbeitsrecht darf daher nicht durch eine besonders krass benachteiligende Form der Vertragsgestaltung bereits im Ausgangspunkt ausgehebelt werden, indem ein Vertragsverhältnis in Bezug auf vertragliche (Entgelt-)Risiken als „frei“ oder jedenfalls nicht arbeitsrechtlich ausgestaltet und – hieran orientiert – eingeordnet wird 210. Auch die Prämienvergütungsmodelle der Lizenzfußballer sind daher – nach Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft – am Maßstab arbeitsrechtlichen Lohnschutzes zu messen 211. b) Prozentuale Beteiligung an den Erlösen aus der Persönlichkeitsrechtsverwertung Zusätzlich zu den soeben dargestellten Elementen leistungs- bzw. erfolgsbezogener Vergütung räumt nach § 3 lit. a) MuV „der Spieler […] dem Club, sofern und soweit seine Tätigkeit als Lizenzspieler und nicht ausschließlich seine Privatsphäre berührt ist, das ausschließliche Recht ein, sein Bildnis, seinen Namen (auch Spitz- und Künstlernamen), das von ihm gesprochene Wort sowie besondere fußballbezogene Persönlichkeitsmerkmale uneingeschränkt zu nutzen und zu verwerten.“
In dieser Vereinbarung ist eine schuldrechtlich wirkende Ausübungsüberlassung bzw. Gestattungserlaubnis212 in Bezug auf die Verwertung der genannten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts des Spielers zu sehen. Die hierdurch rechtlich eröffnete Möglichkeit der Vereine, die Persönlichkeitsrechte ihrer Spieler zu verwerten, kann in ihrer potentiellen wirtschaftlichen Wertschöpfungskraft bestimmung nach billigem Ermessen (§ 315 Abs. 1 BGB) vgl. die aktuellen Urteile BAG AP Nr. 290 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG AP Nr. 92 zu § 315 BGB; BAG AP Nr. 315 zu § 107 BGB [sic] mit lesenswerter Anmerkung von Lindemann (variable Ausgestaltung von 40 % der Gesamtbezüge möglich) und zuletzt LAG Baden-Württemberg NZA-RR 2013, 118, 118 ff. 210 Tendenziell Gegenteiliges gilt aber in Großbritannien und Frankreich, vgl. Rebhahn, RdA 2009, 154, 169. 211 Selbst im Falle der indiziellen Berücksichtigung einer erfolgsbezogenen Prämienvergütung würde dies auf dem Boden des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes im Ergebnis allerdings nichts am typologischen Gesamtbild der Arbeitnehmereigenschaft der Lizenzspieler ändern. In diesem Sinne wohl Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 170 und Rumpenhorst, NZA 1993, 1067, 1067. 212 Nach st. Rspr. (BGHZ 32, 103, 111 ff.; BGHZ 119, 237, 240; BGH NJW 2003, 2093, 2094) und wohl h. M. in der Literatur (MüKo-BGB/Säcker, § 12 BGB Rn. 76; Staudinger/Habermann, § 12 BGB Rn. 112 ff.; a. A. Forkel, NJW 1983, 1764, 1768; ders., NJW 1993, 3181, 3183) kann der Name einer Person auf Grund der Menschenwürdegarantie und des Selbstbestimmungsrechts nicht mit dinglicher Wirkung übertragen werden. Er ist als Bestandteil des Persönlichkeitsrechts „unverzichtbar, unveräußerlich und unübertragbar“ und kann einem anderen nur schuldrechtlich, etwa in Form eines Lizenzvertrages, zur Ausübung überlassen werden, vgl. MüKo-BGB/Säcker, § 12 BGB Rn. 77. Ausführlich hierzu, auch mit Nachweisen zur Gegenansicht Hartl, Persönlichkeitsrechte, S. 110 ff.
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kaum überschätzt werden 213. Auf diese Weise verschafft sich der Verein unter anderem die notwendigen finanziellen Mittel, die er etwa für den Bau von Stadien, Reisekosten, die Verpflichtung neuer Spieler, vor allen Dingen aber für die Zahlung der Spielergehälter benötigt. Dabei stehen im Grundsatz alle aus dieser Vermarktung generierten Erlöse sowie die Einnahmen aus sonstiger Öffentlichkeitsarbeit und aus der Werbung mit den Spielern ausschließlich dem Club zu 214. Für den Normalfall, nämlich dass die Parteien keine hiervon abweichende Vereinbarung getroffen haben, stellt § 3 lit. e) MuV dies auch ausdrücklich klar. Dass der Verein selbst im Zusammenhang mit der Vermarktung der Persönlichkeitsrechte unternehmerisch am Markt auftritt und dort Chancen wahrnimmt sowie Risiken ausgesetzt ist, ist freilich für das Rechtsverhältnis zwischen Spieler und Verein nicht von Bedeutung. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, dass vor allem mit der Veräußerung von Fernsehrechten oder dem Verkauf von Trikots bestimmter Spieler und sonstigen Fanartikeln bzw. Merchandisingprodukten mitunter Summen in Millionenhöhe215 erwirtschaftet werden. Es ist dies lediglich eine besondere Form der Finanzierung, die im Ergebnis ohne Auswirkung auf die Vergütung der Spieler ist, die ihnen der Verein als Gegenleistung für die (insbesondere fußballerische) Betätigung nach § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. § 4 Ziff. 1) MuV monatlich schuldet. Insoweit trägt der Spieler überhaupt kein Risiko, denn etwa auch im Falle einer nachlassenden Nachfrage von Sponsoren oder von Fans an bestimmten Merchandisingprodukten schlägt sich dies nicht in der Höhe seiner (Grund-) Vergütung nieder. Er trägt lediglich – wie jeder andere Entgeltgläubiger auch – das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners. Es stellt sich aber die Frage, ob sich an dieser Betrachtungsweise etwas ändert, wenn der Verein den Spieler nicht (ausschließlich) über ein festes Grundgehalt entlohnt, sondern ihn unmittelbar und prozentual an diesen Vermarktungserlösen beteiligt216. Aus der deutschen Bundesliga ist ein solcher Fall zwar bislang noch nicht öffentlich bekannt278, allerdings spricht § 3 lit. e) MuV diesbezüglich ausdrücklich von möglichen Vereinbarungen, die vom eben beschriebenen Grund213
J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3051. J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3046; Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 49 und 53. 215 So stieg etwa nach dem Wechsel von Zinedine Zidane zu Real Madrid im Jahr 2001 deren Umsatz aus Trikotverkäufen um 20 Mio. Euro. Noch weit höhere Summen sollen ein Jahr später nach der Verpflichtung David Beckhams umgesetzt worden sein, dessen (Werbe-)Wert der damalige Marketingdirektor von Real Madrid auf etwa 435 Mio. Euro schätzte. Vgl. zu alledem Germann, Milliardenbusiness Sport, S. 22 f. 216 Gleiches gilt auch für eine Beteiligung an den Einnahmen, die durch Stadionbesucher erwirtschaftet werden. Vgl. zu dieser sog. „Zuschauerprämie“ Mayer-Vorfelder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 40, 44; zur Zahlung von Sponsorengeldern und Werbeprämien Mailänder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Fußballspieler, S. 6, 12. 214
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satz abweichen. Zudem hat es im internationalen Fußball solche Vereinbarungen durchaus bereits gegeben 218. Die anteilige Teilhabe am Vermarktungserfolg des Vereins wird außerdem – primär aus steuerrechtlichen Gründen – in der Literatur als ernsthafte Möglichkeit der Vertragsgestaltung vorgeschlagen, um hierdurch im Ergebnis eine selbständige Beschäftigungsform zu erreichen219. Es erscheint in diesem Fall jedenfalls nicht abwegig, wenn argumentiert wird, der Spieler sei insoweit in seinem Rechtsverhältnis zum Verein unternehmerischen Chancen und Risiken ausgesetzt. 217
Allerdings kann bereits an einer selbständigen Teilnahme des Spielers selbst am Wirtschaftsverkehr und damit an einem unternehmerischen Auftreten am Markt gezweifelt werden 220. Die beschriebenen Vermarktungsmöglichkeiten, etwa der Vertrieb von Merchandisingartikeln und Ähnliches, erfolgen nämlich nicht durch den Spieler selbst oder durch eine diesem unterstellte Eigenorganisation (etwa seinen Spielerberater), sondern ausschließlich durch die im Verein zuständigen Personen oder Gremien, insbesondere die dortigen Marketingabteilungen. So hat der Spieler zwar im Ergebnis unternehmerische Risiken zu tragen und kann auch von potentiell überschüssigen Gewinnen profitieren, die über ein andernfalls vereinbartes (niedrigeres) Grundgehalt hinausgehen könnten. Er kann diese Chancen in der Regel aber wohl nicht selbst aktiv und unmittelbar221 beeinflussen. Darüber hinaus könnte bei isolierter Betrachtung der Vereinbarung über die Verwertung von Persönlichkeitsrechten bereits grundsätzlich an einer arbeitsrechtlich relevanten Erbringung von Diensten gezweifelt werden 222, da es sich hierbei wie eben ausgeführt lediglich um eine schuldrechtlich wirkende Ausübungsüberlassung bzw. Gestattungserlaubnis handelt. Konsequenterweise dürfte dann auch ein hierfür geleistetes, mit Unternehmerrisiko „belastetes“ Entgelt für die Arbeitnehmereigenschaft nicht berücksichtigungsfähig sein. Allerdings 217 Kirschenhofer, Sport, S. 43 spricht zumindest davon, dass der Sportler für Teilnahmen an Werbeveranstaltungen „i.d.R. auch eine zusätzliche leistungsabhängige Vergütung erhält“. 218 J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3051 weisen insoweit auf eine Vereinbarung zwischen David Beckham und seinem damaligen Club Manchester United hin. 219 J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3052. 220 Küpperfahrenberg, Lizenzfußball, S. 32. 221 Zur Erforderlichkeit der möglichen Einflussnahme auf unternehmerische Entscheidungen des Vertragspartners vgl. etwa Reuter, in: Beuthien (Hrsg.), Arbeitnehmer oder Anteilshaber, S. 89, 90 ff. und Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 263 Dagegen kann ein mittelbarer Einfluss sportlichen Erfolges auf den Umfang der Einnahmen aus der Vermarktung sicherlich nicht geleugnet werden, vgl. Küpperfahrenberg, Lizenzfußball, S. 32 f. 222 Mit diesem Argument eine mögliche Arbeitnehmerstellung von Franchisenehmern bezweifelnd MünchArb/Richardi, § 17 Rn. 69; Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 90; Henssler, ZIP 1998, 589, 594.
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verbietet sich eine solch isolierte Betrachtung223 losgelöst von der Verpflichtung zur sportlichen Betätigung der Spieler auf Grund der Besonderheiten des Rechtsverhältnisses zwischen den Lizenzspielern und ihren Vereinen. Es muss in diesen Fällen vielmehr von einem einheitlichen, aber gemischten und dem BGB bzw. dem Arbeitsrecht typenfremden Vertrag mit überwiegenden dienst- bzw. arbeitsvertraglichen Elementen ausgegangen werden224. Dies ergibt jedenfalls eine Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB: Danach wird auch eine prozentuale Beteiligung an Vermarktungserlösen aus der Persönlichkeitsrechtsverwertung der Spieler als Vergütung für die fußballerische Tätigkeit geleistet. Anknüpfungspunkt ist insoweit § 4 Ziff. 1 lit. b) MuV: „Soweit weitere Vergütungen und andere geldwerte Leistungen vereinbart worden sind, sind diese in einer Anlage zum Vertrag enthalten. Die Anlage ist Bestandteil dieses Vertrages.“
Die Parteien gehen hiermit übereinstimmend davon aus, dass sämtliche geldwerten Leistungen, also auch eine eventuelle prozentuale Beteiligung an Erlösen aus der Persönlichkeitsvermarktung, primär als Gegenleistung für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft (fußballerische Betätigung und die Erfüllung sonstiger Nebenleistungspflichten) geschuldet wird. Auch ohne eine solche Vereinbarung ergäbe sich dieses Ergebnis jedenfalls aus einer wertenden Betrachtung der tatsächlichen Vertragsdurchführung unter Beachtung der Interessenlage beider Parteien 225. Denn trotz des mittlerweile in weiten Teilen von wirtschaftlichen Zwängen geprägten Handelns vieler lizenzierter Vereine ist es übereinstimmendes und primäres Ziel der Vertragsparteien, sportliche Erfolge zu erreichen. Da dies auf Grundlage der Eigenheit des Sports mit seiner unmittelbar wettbewerblichen Struktur nur mit solchen Spielern gelingen kann, die besser sind als jene der Konkurrenten, sind vor allem Spitzenspieler zu einem knappen Gut geworden. Dies hat bis zum heutigen Zeitpunkt zu einem enormen Anstieg der Gehälter geführt. Hauptsächlich zur Refinanzierung dieser Entgelte sind die Vereine gezwungen, vor allem durch die wirtschaftliche Verwertung von Persönlichkeitsrechten, neue Geldquellen zu erschließen. Dass die Generierung solcher Einnahmen einen sportlichen Hintergrund hat und kein Selbstzweck ist, zeigt auch die Tatsache, dass nahezu sämtliche hierdurch erwirtschafteten Gewinne umgehend in Spielergehälter oder Transfers reinvestiert werden226, um die Mannschaft zu 223 Zu Möglichkeiten und Konsequenzen der Aufspaltung des einheitlichen Vertragsverhältnisses eines Lizenzfußballers in mehrere, eigenständige Rechtsverhältnisse vgl. unten § 3 B. III. 2. 224 Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 81 ff.; vgl. auch Staudinger/ Feldmann/Löwisch, § 311 BGB Rn. 30 ff. insbes. Rn. 45 und instruktiv Schelp, in: FS Herschel, S. 87 ff. (passim). 225 BGH NJW 2008, 1072, 1073; Staudinger/Feldmann/Löwisch, § 311 BGB Rn. 35. 226 Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 28.
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verstärken und sie dadurch letztlich konkurrenzfähiger zu machen. Zudem ist aus der Bundesligapraxis noch kein Fall bekannt, in dem ein Spieler unabhängig von seiner sportlichen Leistungsfähigkeit und nicht zur Erreichung sportlicher Ziele, sondern lediglich zu Vermarktungszwecken und damit zur Gewinnmaximierung eingestellt wurde. Damit stellt eine Vereinbarung, die den Spieler prozentual an Vermarktungserlösen aus seinen Persönlichkeitsrechten beteiligt aber nichts anderes als eine bloße Vergütungsform für die vertraglich geschuldeten Tätigkeiten dar – auch wenn sie freilich speziell, atypisch und aus anderen Teilen des Arbeitsrechts nicht oder jedenfalls kaum bekannt ist. Sie muss daher konsequenterweise ebenso wie die oben untersuchten Formen der Prämienvergütung behandelt werden und kann bei der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft auf dem Boden der herrschenden Meinung damit auch nicht unter dem Kriterium der freiwilligen Übernahme unternehmerischer Chancen und Risiken eine entscheidende Bedeutung erlangen. Dennoch zeigt gerade dieses Beispiel die Schwierigkeit der Differenzierung zwischen einer für den Arbeitnehmerstatus nach h. M. grundsätzlich unbeachtlichen Vergütungsmodalität, die im Gegenteil bisweilen noch zu besonderer Schutzbedürftigkeit führt und damit grundsätzlich arbeitsrechtlicher Kontrolle bedarf und der freiwilligen Übernahme unternehmerischer Chancen und Risiken, die gegen eine Arbeitnehmerstellung sprechen können soll. Die dabei entstehenden Abgrenzungsschwierigkeiten sind jedenfalls nur schwer zu bewältigen. 2. Berücksichtigungsfähigkeit von Unternehmerrisiko auf Grund von Rechtsverhältnissen mit Dritten? Gewichtigstes Argument, das gegen die persönliche Abhängigkeit von (Spitzen-)Spielern vorgebracht wird, ist jedoch die vom Verein grundsätzlich unabhängige Eigenvermarktung der Lizenzfußballer. Diesbezüglich sind insbesondere schriftstellerische Tätigkeiten, eigenständig abgeschlossene Werbeverträge oder – früher – Autogrammstunden zu nennen, die Spieler für bestimmte (dritte) Unternehmen anbieten 227. a) Tatsächliche und mustervertragliche Ausgangslage Exemplarisch für diese Ansicht weist etwa Fischer darauf hin, dass das Einkommen aus dieser sog. „Zweitverwertung“ der eigenen Person in einigen Fällen höher sei als der Verdienst aus der Leistungserbringung im Berufssport. In diesem Rahmen würden mitunter sogar eigene Gesellschaften gegründet, über die 227 Noch während der 1980er Jahre war der Nebenverdienst durch Wahrnehmung von Autogrammstunden für die Spieler sehr lukrativ, vgl. Mayer-Vorfelder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 40, 45. Dagegen haben in der heutigen Zeit insbesondere (Fernseh-)Werbeverträge eine vielfach größere finanzielle Bedeutung.
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die Spieler ihre Dienste zu Werbezwecken anböten 228. Wenn hierdurch aber ein Einkommen erzielt werde, das ein Mehrfaches des Umsatzes eines mittelständischen Betriebes erreiche, könne von Abhängigkeit keine Rede mehr sein 229. Da die Höhe des Werbewertes aber mit dem sportlichen Erfolg des Spielers korreliere, trage „der Spitzensportler ein wesentlich höheres ‚Unternehmerrisiko‘ als der typische Mannschaftssportler“230. Das unternehmerische Risiko realisiere sich daher nicht nur in der eigentlichen sportlichen Betätigung, sondern auch in der „Zweitverwertung“, die autonom und unabhängig vom Verein erfolgen könne231. Dass der Lizenzfußballer im Rahmen seiner eigentlichen sportlichen Betätigung, also innerhalb des Rechtsverhältnis zu seinem Verein, aber gerade kein für die Statuseinordnung nach h. M. entscheidendes unternehmerisches Risiko zu tragen hat, wurde soeben ausführlich dargelegt. Hinzu kommt, dass nach § 2 S. 2 lit. g) S. 1 MuV „Werbung für andere Partner als die des Clubs […] nur mit vorheriger Zustimmung des Clubs“
betrieben werden darf und insofern die Eigenvermarktung der Spieler durch Kontrahierung mit Dritten ohnehin auch durch den mit dem Verein geschlossenen Vertrag eingeschränkt ist232. In der Tat spricht eine solche Regelung, die zu bestimmen versucht, wie oder inwieweit die verbliebenen Persönlichkeitsrechte verwertet werden dürfen, für einen hohen Grad an persönlicher Abhängigkeit233. Allerdings folgt selbst aus einem umfassenden Nebentätigkeitsverbot alleine noch nicht zwingend die Arbeitnehmereigenschaft eines Beschäftigten234. Daneben bestimmt § 3 lit. a) MuV, dass „zu der ausschließlich der Privatsphäre des Spielers zugeordneten und bei diesem verbleibenden wirtschaftlichen Verwertung der Persönlichkeitsrechte […] insbesondere schriftstellerische Tätigkeiten sowie die Testimonial-Werbung für nicht fußballbezogene Produkte“ 228 Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 183, die auch darauf hinweisen, dass sich diese Zusatztätigkeiten keineswegs ausschließlich bei Topstars, sondern auch bei „eher durchschnittlichen Spielern“ fänden. Menke, Unternehmertum, S. 280 spricht von eigenen „Unternehmen“. 229 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 183 f.; ähnlich Niebaum, FAZ v. 20. 01. 1996, S. 27. 230 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 184; Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 183. 231 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 184. 232 Zu beachten ist, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Zustimmung zur Aufnahme einer Nebentätigkeit besteht, sofern keine schützenswerten Interessen des Vertragspartners entgegenstehen. Einzelheiten dazu bei Wertheimer/Krug, BB 2000, 1462, 1465. 233 Vgl. dazu schon oben § 2 B. IV. 4. b). Dies als mitentscheidend wertend jedenfalls Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 168; Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 51; Rüsing, Sportarbeitsrecht, S. 29 und Ittmann, Pflichten, S. 28. 234 So ausdrücklich BAG NZA 2000, 534, 538 f.
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gehören. Und selbst in denjenigen Bereichen, für die der Spieler dem Verein die Verwertung seiner Persönlichkeitsrechte exklusiv überlassen hat235, bedarf es für darüber hinausgehende Eigenvermarktungsmaßnahmen zwar stets einer vorherigen schriftlichen Zustimmung durch den Verein. Diese muss (vgl. § 3 lit. a) MuV) dem Spieler aber zwingend erteilt werden, „falls dem nicht ausnahmsweise ein besonderes berechtigtes Interesse des Clubs entgegensteht.“
Unabhängig von diesem nur schwer zu durchschauenden Geflecht mustervertraglicher Bestimmungen ist Fischers Beobachtung sowohl zum quantitativen Umfang als auch zur finanziellen Bedeutung der „Zweitverwertung“ der Persönlichkeitsrechte in der Praxis aber jedenfalls zutreffend. So besaß bereits im Jahr 2004 ca. die Hälfte aller Stammspieler (in absoluten Zahlen etwa 100) der 1. Bundesliga private Werbeverträge. Aus diesen bezogen sie durchschnittlich 20 %-60 % ihrer Gesamteinnahmen 236. Insofern kann und muss mitunter durchaus davon gesprochen werden, dass einige Spieler mit eigener Organisation 237 (etwa unterstützt durch Spielerberater oder Medienbeauftragte238) wie Unternehmer am Markt auftreten und dort eine Leistung anbieten, nämlich (vornehmlich) Werbung mit der eigenen geldwerten Persönlichkeit und Popularität. Allerdings nur insoweit – und gerade nicht im Rahmen ihrer fußballerischen Tätigkeit – nehmen sie Marktchancen wahr und setzen sich freiwillig unternehmerischen Risiken aus, wie beispielsweise dem Rückgang des eigenen Werbewertes oder der Gefahr, keine Aufträge mehr zu erhalten und schließlich kein Einkommen mehr aus dieser Tätigkeit zu erwirtschaften. Die rechtlich entscheidende und auch über das Sportarbeitsrecht hinaus bedeutsame Frage ist somit aber die folgende: Kann die Übernahme unternehmerischer Chancen und Risiken durch und in Rechtsverhältnissen mit Dritten Auswirkungen auf die Qualifizierung der vertraglichen Vereinbarung mit dem (Haupt-)Dienstberechtigten als Arbeits- oder freies Dienstverhältnis, also auf den dortigen Arbeitnehmerstatus haben?
235 Dazu gehören nach § 3 lit. a) MuV insbesondere Namen, Bildnis, das gesprochene Wort sowie sonstige besondere fußballbezogene Persönlichkeitsmerkmale. Ausführlich dazu bereits oben § 3 A. II. 1. b). 236 Vgl. dazu die bei Spielervermittlungsagenturen und Beratern durchgeführte Befragung von Menke, Unternehmertum, S. 274. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die ermittelten Zahlen im Laufe des letzten Jahrzehnts eher noch gestiegen sein dürften. 237 Vgl. zu diesem (Hilfs-)Kriterium bei Feststellung des „Unternehmerrisikos“ oben § 3 A. I. 238 So soll etwa der Spieler Raul von Real Madrid eine eigene Medienabteilung beschäftigt haben, Menke, Unternehmertum, S. 281.
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b) Meinungsbild in Rechtsprechung und Literatur Zur spezifisch sportarbeitsrechtlichen Frage einer (unternehmerischen) Eigenvermarktung von Sportlern und deren Auswirkung auf das Beschäftigungsverhältnis mit dem Verein finden sich bislang keine höchstrichterlichen Entscheidungen. Es existiert lediglich eine jüngere Entscheidung der Sozialgerichtsbarkeit zur Arbeitnehmereigenschaft eines Bundesligaringers, die der unternehmerischen Zusatztätigkeit eines Sportlers (mit-)entscheidende Bedeutung beimisst. In seinem Urteil aus dem Jahr 2010 ging das SG Dortmund 239 davon aus, dass der beschäftigte Ringer mit seinem Verein nicht in einem Arbeitsverhältnis stand und damit keine unselbständige Tätigkeit i. S. v. § 7 Abs. 1 SGB IV ausführte. Es begründete seine Entscheidung zwar auch damit, der Ringer sei bei der Gestaltung des Trainings und der Wettkämpfe weder ausreichend weisungsgebunden noch genügend in die Organisation des Clubs eingegliedert gewesen. Daneben war aber „maßgebliches Indiz für eine Selbständigkeit“ und gegen eine ausreichende persönliche Abhängigkeit die Tatsache, dass der Sportler für andere Auftraggeber tätig wurde. Als Beispiele hierfür nannte das Gericht ausdrücklich „Werbe- und Sponsorenauftritte“240. Hieraus sei – als relevantes Indiz gegen die Arbeitnehmereigenschaft – ein unternehmerisches Handeln erwachsen, da der Ringer seine „sportlerischen Fähigkeiten“ umfassend eigenständig vermarktet habe241. In der sportarbeitsrechtlichen Literatur werben neben Fischer und anderen242 vor allen Dingen Schimke243 und Menke244 für eine prinzipielle Berücksichtigungsfähigkeit245 der Werbetätigkeit für Dritte. Die Persönlichkeitsvermarktung sei eine Verdienstmöglichkeit der Spieler, die nicht das Ergebnis der Verwertung 239
SG Dortmund SpuRt 2011, 39 ff. SG Dortmund SpuRt 2011, 39, 40. Die Beispiele sind a. a. O. nicht abgedruckt, der Volltext der Entscheidung ist aber bei juris einsehbar (SG Dortmund Urt. v. 24. 09. 2010 – S 34 R 40/09). 241 SG Dortmund SpuRt 2011, 39, 41; zustimmend wohl Menke/Reissinger, SpuRt 2012, 9, 12. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass arbeits- und sozialrechtlicher Arbeitnehmerbegriff nicht absolut identisch sind und dass insbesondere dem Kriterium des Unternehmerrisikos in der Rechtsprechung des BSG traditionell ein höheres Gewicht beigemessen wird als im Arbeitsrecht, vgl. Wank, DB 1992, 90, 92. Exemplarisch BSG AP Nr. 5 zu § 611 BGB Abhängigkeit und zusammenfassend Reinecke, ZIP 1998, 581, 583 f.; Weltrich, DB 1988, 806, 808. 242 I.E. auch Grunsky, ArbuR 1978, 125, 128; Scholz/Aulehner, SpuRt 1996, 44, 46 f. und ausführlicher Scholz, „3+2“-Regel, S. 115 (unveröffentlicht, zitiert bei Bühler, SpuRt 1998, 143, 144); Westermann, in: Reschke/Eilers (Hrsg.), Sport, S. 35, 49. 243 Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 182 ff. 244 Menke, Unternehmertum, passim. 245 Nach Ansicht von Schimke und Menke soll die Berücksichtigung aber nicht per se dazu führen, dem (Spitzen-)Fußballer die Arbeitnehmereigenschaft abzusprechen. Vielmehr soll es in diesen Fällen den Vertragsparteien ermöglicht werden, die Rechtsnatur 240
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der Arbeitskraft im Rahmen der fußballerischen Betätigung sei, sondern führe zu einer eigenen, vom Arbeitgeber grundsätzlich unabhängigen und letztlich unternehmerisch geprägten Wertschöpfung246. Dies stelle aber eine Konstellation dar, die für ein abhängiges Arbeitnehmerverhältnis grundsätzlich untypisch sei. Da im Falle des Rechtsverhältnisses zwischen Lizenzfußballer und Verein noch hinzukomme, dass die Zusatztätigkeit (Persönlichkeitsvermarktung) eng mit der Haupttätigkeit (fußballerische Betätigung) verzahnt sei, müsse bei der Qualifizierung des Hauptrechtsverhältnisses berücksichtigt werden, dass es – wenigstens faktisch – auch auf den zusätzlichen wirtschaftlichen Zweck der Vermarktung gerichtet sei247. In diesem Fall sei ein Dienstverpflichteter aber „unternehmerisch frei von der in Frage stehenden Diensterbringung [also der fußballerischen Betätigung für den Verein]“ und daher nicht mehr notwendig als Arbeitnehmer zu qualifizieren 248. Da „jede Zusatztätigkeit eine Entfernung von der Arbeitnehmereigenschaft“ bedeute249, ähnele das Rechtsverhältnis zwischen Fußballer und Verein vielmehr einem „(Mit-)Unternehmertum“ als einem Arbeitsverhältnis250. Dies habe jedenfalls dann zu gelten, wenn es sich bei der zusätzlich ausgeübten Tätigkeit nicht um eine „untergeordnete Nebentätigkeit“ handle, da diese dann auch im Verhältnis zur (eigentlich abhängigen) Haupttätigkeit eine beachtliche Eigendynamik entfalte251. In Anlehnung an die damals herrschende Auslegung des § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB IV a. F. solle dies dann der Fall sein, wenn die Einnahmen aus der unternehmerischen Selbstvermarktung des Spielers mehr als 1/3 seiner Gesamteinnahmen betragen: In diesen Fällen ändere die hierdurch gewonnene unternehmerische Freiheit die Gesamtbewertung zu Gunsten der Unternehmereigenschaft auch im Rechtsverhältnis zwischen Spieler und Verein 252. Die sonstige sportarbeitsrechtliche Literatur beschäftigt sich bislang kaum mit diesem recht neuen Argument. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass sich beide Tätigkeiten in zeitlicher Hinsicht nicht überschneiden, sodass die unternehmerische Betätigung der Spieler als „unabhängige Nebentätigkeit“ nicht berücksichtigungsfähig sei253 oder jedenfalls „nicht ins Gewicht“ falle254. Auch ihres Vertragsverhältnisses selbst zu qualifizieren, vgl. Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 183 f. und ausführlicher unten § 3 B. I. und II.; ebenso Grunsky, ArbuR 1978, 125, 128. 246 U. Fischer, SpuRt 2004, 251, 252; Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 183. 247 Menke, Unternehmertum, S. 90 und ausführlich zur „Verzahnung“ S. 284 f. 248 Menke, Unternehmertum, S. 90, 93. 249 Menke, Unternehmertum, S. 92. 250 Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 183; Schimke, Sportrecht, S. 20. 251 Menke, Unternehmertum, S. 93 f. 252 Menke, Unternehmertum, S. 94 f. und S. 282 f. 253 So ausdrücklich Ittmann, Pflichten, S. 28; ähnlich NK-ArbR/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611 BGB Rn. 69; Blang, Befristung, S. 79; Rüsing, Sportarbeitsrecht, S. 29. 254 Blang, Befristung, S. 79.
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im steuerrechtlichen Schrifttum wird – unter Bezug auf ein Urteil des BFH255 zur Werbetätigkeit eines Fußballnationalspielers für den DFB – davon ausgegangen, dass ein Spieler trotz einer eventuellen unternehmerischen Zusatztätigkeit „weiterhin in einer arbeitsvertraglichen Beziehung zu seinem Verein“ stehe256. c) Stellungnahme aa) Allgemein-arbeitsrechtlicher Ausgangspunkt Das Arbeitsverhältnis wird von seiner Rechtsnatur her heute ganz überwiegend nicht mehr als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis, sondern als schuldrechtliches Austauschverhältnis in Form eines Unterfalles des Dienstvertrages nach §§ 611 ff. BGB eingeordnet257. Die Annahme, eine durch weitere Rechtsverhältnisse mit Werbepartnern begründete unternehmerische Tätigkeit des Spielers sei für die Qualifizierung des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Verein berücksichtigungsfähig, scheint folglich bereits einem grundlegenden Prinzip des Schuldrechts zu widersprechen: der Relativität der Schuldverhältnisse. Deshalb wird von Vertretern der herrschenden Meinung argumentiert, die für die Vertragsart „Arbeitsvertrag“ entscheidende Arbeitnehmereigenschaft sei gerade kein Merkmal, das einer Person als solcher anhafte, sondern ein Zuordnungskriterium, das den Status innerhalb einer konkreten Vertragsbeziehung zum Bezug habe. Persönliche Voraussetzungen des Beschäftigten seien für ihre Qualifizierung nicht relevant; es komme alleine auf den Inhalt des zu bestimmenden Rechtsverhältnisses an 258. Danach erschiene es konsequent, sonstige (Neben-)Beschäftigungen und daraus generierte Einkünfte bei der Qualifizierung des Rechtsverhältnisses auch unter dem Merkmal des Unternehmerrisikos außer Betracht zu lassen 259. An einem Beispiel aus einer anderen Branche werden diese Vorbehalte besonders deutlich: Sollte es die Arbeitnehmereigenschaft eines Fließbandarbeiters (in diesem Verhältnis) beeinflussen, wenn dieser außerhalb seiner Arbeitszeit selbständig schriftstellerisch tätig würde oder gar durch freiberufliche Investmentberatung Millionen verdiente260? 255
BFH FR 2012, 731 ff. J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3050. 257 Vgl. nur Boemke, ZfA 1998, 285, 291 f. 258 Staudinger/Richardi/Fischinger, § 611 BGB Rn. 56 ff., 60; MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 49; Boemke, ZfA 1998, 285, 292; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252; ders., NZA 2007, 838, 838; Rumpenhorst, NZA 1993, 1067, 1068; Park, Arbeitnehmer, S. 117; ähnlich ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 57 f. 259 I.E. auch Ittmann, Pflichten, S. 28; ausführlich Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 94. 260 Vgl. zum ähnlichen Beispiel eines unerwarteten Lottogewinns Reinhardt, Phänomen, S. 336 f. 256
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Dennoch erfährt die pauschale Nichtberücksichtigung von Nebentätigkeiten bzw. Nebeneinkünften im allgemeinen Arbeitsrecht auch Kritik. So differenzieren etwa Wank und Lieb dahingehend, dass die Irrelevanz von Nebentätigkeiten nur bei der Qualifizierung des Beschäftigungsverhältnisses eines „auf Dauer Vollzeitbeschäftigten“ gerechtfertigt sei261. Etwas anderes müsse aber dann gelten, wenn das zu beurteilende Beschäftigungsverhältnis nicht die Existenzgrundlage des Beschäftigten darstelle. Dies könne beispielsweise bei einer Teilzeitbeschäftigung262 oder einer nur kurzfristigen Beschäftigung263 der Fall sein. Letztlich analog zu dieser Ansicht argumentiert, wie soeben unter b) dargestellt, auch Menke: Das Entgelt für die fußballerische Betätigung sei dann nicht mehr (ausschließliche) Existenzgrundlage des Lizenzspielers, wenn die Einkünfte aus der Eigenvermarktung des Spielers einen großen Teil seiner Gesamteinnahmen ausmachten und diese damit faktisch als „Hauptberuf“ oder jedenfalls nicht mehr als „untergeordnete Nebentätigkeit“ angesehen werden könnte264. Daneben zeichnet sich die Übernahme eines relevanten unternehmerischen Risikos nach der grundlegenden, oben beschriebenen Ansicht Wanks gerade durch ein Auftreten am Markt aus. Tätigkeiten und Leistungen werden aber vor allem dann am Markt angeboten, wenn sie, (jedenfalls potentiell) mehreren Auftraggebern zugänglich gemacht werden oder werden können 265. Gerade derjenige, der für mehrere Vertragspartner arbeitet, ist in der Regel Selbständiger266. Wenn ein Erwerbstätiger also mit Dritten kontrahiert, müssten sich die daraus resultierenden, verschiedenen Rechtsverhältnisse wechselseitig in der Art und Weise beeinflussen, dass das Tätigwerden für verschiedene Gläubiger (und die darin liegenden unternehmerischen Risiken und Chancen) in einem jeweils anderen Rechtsverhältnis ebenfalls für ein freies Dienst- oder sonstiges, nicht dem Arbeitsrecht unterfallendes Rechtsverhältnis sprechen 267. Exemplarisch hierfür ließe sich etwa ein Handels261
Wank, Arbeitnehmer, S. 135. Wank, Arbeitnehmer, S. 221 ff.; Lieb, RdA 1974, 257, 260. Dagegen hat das BAG mehrfach ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Tatsache der (nur) nebenberuflichen Tätigkeit für die Arbeitnehmereigenschaft ohne Belang sei, vgl. BAG AP Nr. 10 und 13 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten. Ähnlich auch Wertheimer/Krug, BB 2000, 1462, 1468. 263 Wank, Arbeitnehmer, S. 198; ähnlich wiederum Lieb, RdA 1974, 257, 258 f. 264 Erst durch den Verlust des „untergeordneten Charakters“ soll eine unternehmerische Nebentätigkeit nach Menke, Unternehmertum, S. 93 f. beachtlich werden. 265 Die Tätigkeit für mehrere Auftraggeber als Indiz gegen die (steuerrechtliche) Arbeitnehmereigenschaft wertend auch J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3047. 266 Wank, Arbeitnehmer, S. 390. Kritisch bezüglich dieses Kriteriums Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 16, weil dann unter Umständen Auftragsschwankungen des „Selbständigen“ eine für den Vertragspartner nicht beeinflussbare Auswirkung auf die Qualifikation ihres Rechtsverhältnisses (als nunmehr Arbeitsverhältnis) haben könnten. 267 So jedenfalls im Ergebnis auch Grunsky, ArbuR 1978, 125, 128 und Herschel, DB 1977, 1186, 1187 f. der eine Selbständigkeit und „Unabhängigkeit, insbesondere auf dem 262
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vertreter anführen, der seine Dienste für mehrere Unternehmen zugleich erbringt, hierdurch Markttätigkeit entfaltet und so schließlich auch ein für jedes einzelne Rechtsverhältnis unmittelbar relevantes Unternehmerrisiko übernimmt268. Ähnlich lässt sich auch für einen Kantinenpächter269 oder für Franchisenehmer270 argumentieren, die nach der Rechtsprechung des BAG zwar Arbeitnehmer sein können, bei denen aber die (eigenständige) Kontrahierung mit Kunden und das darin liegende unternehmerische Auftreten am Markt als ein entscheidendes Argument für Selbständigkeit sprechen soll271. bb) Unternehmerrisiko und wirtschaftliche Abhängigkeit Die soeben dargestellten Konstellationen und ihre rechtliche Behandlung in der Literatur unterscheiden sich. Einmal werden außerhalb des Rechtsverhältnisses liegende Umstände für berücksichtigungsfähig gehalten, ein anderes Mal nicht. Man mag dies mit dem Unterschied rechtfertigen, dass in einem Fall eine vergleichbare Leistung, eine „Kerntätigkeit“, am Markt angeboten wird (Vermittlung von Versicherungen 272). Die zu den verschiedenen Gläubigern bestehenden Hauptleistungspflichten ähneln sich; es wird jeweils dasjenige geschuldet, was für das hier einheitliche Berufsbild des Beschäftigten typisch ist. Insoweit hatte sogar schon das Reichsversicherungsamt festgestellt, dass ein selbständiger „Gewerbebetrieb eben seiner Natur nach die Ausführung gleicher und ähnlicher Verrichtungen für andere […] mit sich bringt“273. Dagegen stehen in den anderen Fällen verschiedenartige Leistungen in Rede, die inhaltlich nicht miteinander verbunden sind 274 (etwa „Fließbandarbeit“ und schriftstellerische Tätigkeit bzw. Arbeitsmarkt“ gerade in der Tätigkeit für mehrere Dienstberechtigte und des daraus (oder anderweitig) generierten Einkommens erblickt. Ähnlich BGHZ 68, 127, 130; ausführlich zu alledem Menke, Unternehmertum, S. 88 ff., insbes. S. 97 ff.; vgl. dazu auch Wank, Arbeitnehmer, S. 135 Fn. 5 m. w. N.; ausführlich auch ders., a. a. O., S. 221 ff.: Ist eine (Teilzeit-)Beschäftigung nicht Existenzgrundlage des Beschäftigten, so spreche vieles gegen die Anwendbarkeit arbeitsrechtlichen Schutzes. 268 Menke, Unternehmertum, S. 102; Wank, Arbeitnehmer, S. 263. 269 BAG AP Nr. 37 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 270 BAG NZA 1997, 1126, 1127. 271 Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 598. Hinzu kommt in diesen Fällen freilich, dass die Reichweite unternehmerischer Chancen und Risiken des Franchisenehmers entscheidend durch den Franchisevertrag bestimmt werden, vgl. dazu näher sogleich unter 1. Kap. § 3 A. II. 2. c) cc) und dort insbesondere Fn. 282. 272 Das BAG hat bei der Ermittlung des Arbeitnehmerstatus von Versicherungsvertretern hingegen auf das Kriterium des Unternehmerrisikos verzichtet, vgl. BAG AP Nr. 5 und 6 zu § 92 HGB; BAG AP Nr. 9 zu § 84 HGB; zusammenfassend Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 4. c) dd) (S. 70 f.). 273 RVA Urt. v. 05.05. 1890, AN 1890 (6. Jg.), S. 494, 494 (Nr. 857). 274 So ausdrücklich Menke, Unternehmertum, S. 105.
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Investmentberatung) und von denen jeweils eine abgrenzbare Tätigkeit („Fließbandarbeit“) nur für einen Auftraggeber erbracht wird und somit gerade nicht am Markt angeboten wird. Rechtlich zwingende Argumente für eine differenzierte Betrachtungsweise alleine aus dem Grund der Verschiedenartigkeit der angebotenen Tätigkeiten und Leistungen scheint es jedoch nicht zu geben. Für die vorliegende Untersuchung stellt sich zudem die Frage, was bei solchen Leistungen gelten soll, die zumindest mittelbar miteinander verknüpft sind: Die fußballerische Betätigung ist die „Kerntätigkeit“ der Spieler und wird ausschließlich einem Verein geschuldet. Sie wird typischerweise in ausgeprägter persönlicher Abhängigkeit erbracht. Zwar ist die werbende Tätigkeit hiervon nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich verschieden. Hier steht der Einsatz der eigenen Persönlichkeit und Popularität im Vordergrund 275. Dennoch kann das in der Literatur vorgebrachte Argument nicht in Abrede gestellt werden, dass die Möglichkeit der Vermarktung auf dem sportlichen Erfolg fußt und letztlich auch durch das Rechtsverhältnis zwischen Lizenzspieler und Verein ermöglicht wird und daher eine gewisse „Verzahnung“ 276 beider Tätigkeiten besteht. Abgesehen von diesen Unterschieden im Einzelfall ist entscheidend für die Lösung des dargestellten Problems aber die Reichweite des Kriteriums „Unternehmerrisiko“. Um die zentralen Ausführungen dieser Arbeit, die im zweiten Kapitel erfolgen sollen, nicht vorwegzunehmen, sei an dieser Stelle nur Folgendes angemerkt: Fasst man dieses Merkmal so weit, dass es mitentscheidend auch durch die Tatsache der Kontrahierung des Beschäftigten mit Dritten – evtl. samt der hieraus generierten Einnahmen – bestimmt werden muss277, so werden hierdurch de facto auch Kriterien berücksichtigt, die letztlich dem Tatbestand der wirtschaftlichen (Un-)Abhängigkeit278 eines Beschäftigten zuzuordnen sind279. Eine solche ist aber nach der ständigen Rechtsprechung des BAG und der über275 Was genau geschuldet wird, hängt vom jeweiligen Einzelvertrag ab. Dabei kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob es sich bei den einzelnen „Werbe- oder Merchandisingverträgen“ um Werk-, Dienst-, Arbeits- oder sogar typengemischte Verträge mit pachtrechtlichen Elementen handelt, vgl. zu letzterem Staudinger/Schaub, Vor § 581 BGB Rn. 82. Einen guten Überblick hierzu geben Jachmann, SpuRt 1996, 185, 186; Körner, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 101, 101 ff. insbes. 106 f. und Köhler, Arbeitnehmerbegriff, S. 97 ff. Steuerrechtlich werden Vergütungen, die Sportler aus Werbetätigkeiten erhalten, in der Regel als Einkünfte aus Gewerbebetrieb behandelt, vgl. J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3049. 276 Begriff nach Menke, Unternehmertum, S. 105. 277 So etwa der bereits oben (§ 3 A. I.) dargestellte und hier zu Grunde gelegte Ansatz Wanks. 278 Dazu ausführlich unten § 5 C. 279 So auch Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 4. a) dd) (S. 63); Bauer/Diller/Lorenzen, NZA 1999, 169, 172 (zur Beschäftigteneigenschaft nach § 7 Abs. 4 Nr. 4 SGB IV a. F.); Boemke, ZfA 1998, 285, 313; Schubert, Schutz, S. 45; allgemeiner Hromadka, NZA 1998, 1, 5; Rieble, ZfA 1998, 327, 338 f. und Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 226 f.
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wiegenden Auffassung im Schrifttum – und alleine auf die herrschende Meinung kommt es an dieser Stelle der Untersuchung an – nicht berücksichtigungsfähig280. Dies hat in einer jüngeren Entscheidung aus dem Jahr 2005 auch das BAG erkannt und seine Rechtsprechung insoweit präzisiert. Dort formuliert es unzweifelhaft: „Für den Arbeitnehmerstatus ist […das] unternehmerische Risiko unerheblich. Arbeitnehmer und Selbständige unterscheiden sich nach dem Grad der persönlichen Abhängigkeit. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit kann beim Selbständigen im Einzelfall eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Vertragspartner treten, die den Selbständigen als arbeitnehmerähnliche Person erscheinen lässt. […Nur] bei der Feststellung der wirtschaftlichen Abhängigkeit sind auch […] unternehmerische Risiken zu berücksichtigen, nicht aber bei der persönlichen Abhängigkeit.“281
cc) Keine andere Betrachtung auf Grund von Besonderheiten des Lizenzfußballs Wenn das BAG in einer früheren Entscheidung dagegen scheinbar berücksichtigungsfähige unternehmerische Risiken in der Kontrahierung mit Dritten gesehen hat, so lag dieser Entscheidung ein besonderer Sachverhalt zu Grunde, bei dem die relevanten unternehmerischen Risiken letztlich bereits im zu qualifizierenden Rechtsverhältnis angelegt waren. Eine Betrachtung der Vertragsverhältnisse der Lizenzfußballer zeigt, dass hier keine solche besondere Fallkonstellation gegeben ist, da der Zweck des Vertrages mit dem Verein nicht von vorneherein darin besteht, Vertragsabschlüsse mit Dritten (also insbesondere werbenden Unternehmen) herbeizuführen. Insofern unterscheidet sich die vorliegende Konstellation grundlegend etwa von der „Kantinenpächter-Entscheidung“ des BAG282. 280 Dazu oben § 2 B. IV. 4. a) und die umfangreichen Nachweise dort in 1. Kap., Fn. 145 und 146. 281 BAG AP Nr. 117 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 282 In BAG AP Nr. 37 zu § 611 BGB Abhängigkeit hatte das Gericht über die Arbeitnehmereigenschaft eines Kantinenpächters zu entscheiden. In dem Fall ging es allerdings schon nicht um die Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von einem anderweitigen (= freien) Dienstverhältnis, § 611 BGB, sondern um die Frage, ob ein Pächter (der an sich überhaupt keine Dienste schuldet, sondern vielmehr Gläubiger einer Sach- und Schuldner einer Geldleistung ist, vgl. dazu ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 24; für den insoweit ähnlichen Franchisevertrag Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 596) nach objektiver Betrachtung nicht in Wirklichkeit Arbeitnehmer war. Dies lehnte das BAG in seiner Begründung mit dem Argument ab, neben ohnehin mangelnder Weisungsgebundenheit und betrieblicher Eingliederung habe der Pächter auch freiwillig unternehmerische Risiken übernommen. Dabei ist freilich nicht zu verkennen, dass es für die Vertragsart der Pacht gerade typisch ist, dass der Pächter in der Folge unter freiwilliger Übernahme unternehmerischer Chancen und Risiken am Markt auftritt und mit Dritten kontrahiert. Dieses Risiko ist also bereits im zu bewertenden Rechtsverhältnis angelegt. Es ist dies damit letztlich ein Kriterium, das aus dem Rechtsverhältnis selbst ableitbar ist (dazu Wank, Arbeitnehmer, S. 135) und keine unternehmerische Zusatz- oder Nebentätigkeit im hier diskutierten Sinne. Ähnliches gilt
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Auch sonstige tatsächliche und rechtliche Besonderheiten der Rechtsbeziehung zwingen auf der Grundlage des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes nicht zu einer ausnahmsweisen Berücksichtigung der unternehmerischen Zusatztätigkeit. Denn auch wenn von Vertretern der Gegenansicht argumentiert wird, die unternehmerische Selbstvermarktung habe ihren Ursprung gerade im Rechtsverhältnis zum Verein und sei daher beachtlich 283, trifft dies im Ergebnis nicht zu. Die Feststellung ist zwar insoweit richtig, als ein relevanter Werbewert gerade durch den sportlichen Erfolg generiert wird. Insofern kann von einer gewissen „Verzahnung“ der Tätigkeiten gesprochen werden 284. Dennoch ist dies eine rein mittelbare und nur faktische Folge der sportlichen Betätigung, die insbesondere auch von außerhalb des Rechtsverhältnisses liegenden Faktoren abhängig ist (insbesondere von der Eigendarstellung in der Öffentlichkeit, der Berichterstattung in den Medien oder evtl. dem erfolgreichen Auftreten in der Nationalmannschaft)285. Davon abgesehen könnte die angesprochene „Verzahnung“ sogar im Gegenteil den Grad der Abhängigkeit vom Verein noch erhöhen. Denn dieser hat beispielsweise durch Ausübung seines Direktionsrechts, § 2 S. 2 lit. a) i. V. m. § 5 MuV, die Möglichkeit, bestimmte Spieler nicht mehr für Pflichtspieleinsätze zu berücksichtigen 286. Hierdurch kann er langfristig unmittelbaren Einfluss auf den Werbewert eines Spielers nehmen und dadurch dessen Möglichkeiten der unternehmerischen Selbstvermarktung negativ beeinflussen. Die unternehmerische Werbetätigkeit von Lizenzfußballern wirkt sich daher im Ergebnis in keiner nach herrschender Meinung statusrechtlich relevanten Weise auf das Rechtsverauch bei der Qualifizierung eines Franchisenehmers als Arbeitnehmer bzw. arbeitnehmerähnlich (so fragt etwa BAG NZA 1997, 1126, 1127 danach, ob der Franchisenehmer „seine Chancen auf dem Markt selbständig […] suchen kann“; kritisch dazu etwa Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 92). Es ist dies bei einem Vertrag, der – wie im Verhältnis zwischen Lizenzspieler und Verein – primär zur Leistung von (fußballerischen) Diensten verpflichtet, aber gerade nicht der Fall. 283 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 184; ders., SpuRt 2004, 251, 252; Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 183. 284 Menke, Unternehmertum, S. 270. 285 Ähnlich auch die Argumentation von BFH FR 2012, 731, 733 und insb. 737, wo das Gericht letztendlich eine Zurechnung von Werbeeinnahmen (= Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit) eines Fußballnationalspielers zu der Vergütung aus dem Arbeitsverhältnis (= Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit) alleine aus dem Grund der mittelbaren „Verknüpfung“ von sportlichem Erfolg und Werbewert nicht vornehmen möchte. Auch steuerrechtlich sollen sich damit die verschiedenen Tätigkeiten trotz einer gewissen Verzahnung nicht gegenseitig beeinflussen. 286 Auch im Falle der Arbeitnehmereigenschaft der Lizenzspieler beschränkt sich deren arbeitsrechtlicher Beschäftigungsanspruch lediglich auf die Trainingsteilnahme. Dies gilt selbst im Falle einer längerfristigen Nichtberücksichtigung für Pflichtspiele und trotz des Heranziehens unsachgemäßer Entscheidungskriterien. In diesem Fall wird man dem Spieler allerdings ein Recht auf außerordentliche Kündigung zugestehen müssen. Vgl. hierzu ausführlich Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 66 ff. und insbes. S. 81 f.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
hältnis von Lizenzspieler und Verein aus. Eine darüber hinaus eventuell bestehende wirtschaftliche Unabhängigkeit der Spieler vermag hieran – jedenfalls auf Grundlage der herrschenden Meinung – nichts zu ändern. III. Zwischenergebnis Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die etwaige freiwillige Übernahme unternehmerischer Chancen und Risiken durch Lizenzfußballer für die Statuseinordnung nach herrschender Meinung nicht berücksichtigungsfähig ist. Zum einen – innerhalb des konkret zu bewertenden Rechtsverhältnisses mit dem Verein – besteht eine große Nähe zu letztlich unbeachtlichen Vergütungsmodalitäten. Zum anderen – beim eigenständigen unternehmerischen Auftreten am Markt und der damit verbundenen Kontrahierung mit Dritten – würden de facto wirtschaftliche Kriterien berücksichtigt, die nach herrschender Ansicht im Rahmen der notwendigen Gesamtabwägung zur persönlichen Abhängigkeit nicht beachtlich sind. Zudem haben die Untersuchungen deutlich gemacht, dass der Aspekt des Unternehmerrisikos ein nur schwer handhabbares Kriterium für die Praxis darstellt, wenn es um die Abgrenzung des Arbeitnehmers vom freien Dienstleister oder von sonstigen Selbständigen geht. Diese wird hierdurch nicht vereinfacht, sondern zum großen Teil noch zusätzlich verkompliziert und erschwert, da der Begriff kaum operabel und stark konkretisierungsbedürftig ist287. Viele Fragen bleiben offen und hinterlassen gewaltige Subsumtionsprobleme: Wann tritt ein Beschäftigter mit „Dispositionsfreiheit“ am Markt auf? Wie sollen solche Dienstleistungen eingeordnet werden, für die es weder des Einsatzes eigenen Kapitals noch der Einrichtung einer eigenen Organisation bedarf?288 In welchen Fällen wirkt die Kontrahierung mit Dritten auf ein zu beurteilendes Rechtsverhältnis zurück? Wie soll festgestellt werden, ob ein Beschäftigter bestimmte Risiken freiwillig289 übernommen hat? Und falls er die Risiken tatsächlich freiwillig übernommen haben sollte: Wie stark müssen diese ausgeprägt sein, um einen Beschäftigten als Arbeitnehmer qualifizieren zu können? Daneben besteht immer die bereits oben angesprochene, augenscheinliche Missbrauchsgefahr, indem durch eine für den Erwerbstätigen nachteilige Überbürdung vertraglicher Risiken ein Indiz gegen die Arbeitnehmereigenschaft gesetzt und letztlich der Selbständigensta287 Praktikabilität und Handhabbarkeit sind aber zentrale Voraussetzung für Normen, die Rechtsgeltung beanspruchen, vgl. dazu Boemke, ZfA 1998, 285, 294 f.; Reinecke, ZIP 1998, 581, 587 und grundlegend Herschel, JZ 1967, 727, 732. 288 Kritisch aus diesem Grund auch Hromadka, DB 1998, 195, 196. 289 Hromadka, DB 1998, 195, 196 f.; ders., NZA 1997, 1249, 1252 merkt zudem an, dass die Schutzbedürftigkeit des Erwerbstätigen nicht von den Motiven für das Selbständigmachen abhängt.
§ 3 Alternative Ansätze der Literatur und ihre Vereinbarkeit mit der h. M.
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tus begründet wird. Diese Gefahr erkennt Wank zwar. Er versucht sie dadurch abzumildern, dass die im Vertrag übernommen Chancen und Risiken fair und ausgewogen verteilt sein müssten. Das führt aber ebenfalls zu einem weiteren erheblichen Problem in der Rechtsanwendung: Wer und auf welcher Grundlage mag schließlich beurteilen, wann vertragliche Risiken in einem konkreten Fall fair und ausgewogen verteilt sind290? Die Schwierigkeiten bei der Anwendung dieses Merkmals hat auch der sozialrechtliche Gesetzgeber bereits erfahren müssen. Die ab 01. 01. 1999 in unterschiedlicher Form gültige Fassung des § 7 Abs. 4 SGB IV a. F.291 hatte zur Bekämpfung des Problems der sog. „Scheinselbständigkeit“ versucht, den Begriff des Beschäftigten durch eine Vermutungsregelung festzustellen, die sich an einem von Wanks Konzept inspirierten 292 Kriterienkatalog orientierte. Beschäftigter – und damit nichtselbständig, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis tätig (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV) – sollte in der Regel derjenige sein, der zwei von vier bzw. später drei von fünf der dort genannten Kriterien erfüllte. Bestandteil dieses Kriterienkatalogs war in verschiedener Ausprägung jeweils mindestens ein Merkmal, das an das Fehlen unternehmerischer Betätigung293 bzw. inhaltlich an das Ausbleiben der Übernahme unternehmerischer Chancen und Risiken eines Beschäftigten294 anknüpfte. Schon kurz nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung musste eine Kommission des Gesetzgebers allerdings einräumen, dass nicht klar sei, „wie typische Merkmale unternehmerischen Handelns aussehen könnten“ und Formulierungen wie „,Auftreten am Markt‘ zu abstrakt“ seien 295. 290 Die Schwierigkeiten der Überprüfung der letzten beiden Punkte durch den Richter betont Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 18. Ähnlich und mit weiteren Kritikpunkten auch Buchner, NZA 1998, 1144, 1146 f., 1150; Reinecke, ZIP 1998, 581, 587 und Rieble, ZfA 1998, 327, 334 ff.; dagegen hält Wank, NZA 1999, 225, 290 eine solche Überprüfung durch das Gericht ohne weiteres für möglich. Schließlich hält Hromadka, DB 1998, 195, 197 das Kriterium deshalb für untauglich, weil das Verhältnis von Chancen und Risiken vom Markt abhänge und nicht aus dem Vertrag herrühre. Vgl. zu alledem auch schon Molitor, Wesen, S. 79 ff. 291 Einsehbar über juris. 292 So ausdrücklich Rebhahn, RdA 2009, 236, 246 Fn. 95. 293 So ausdrücklich die Begründung des Gesetzesentwurfes zu § 7 Abs. 4 Nr. 4 i. d. F. v. 19. 12. 1998, vgl. BT-Drs. 13/8942, S. 8. 294 Nach § 7 Abs. 4 Nr. 4 SGB IV i. d. F. v. 19. 12. 1998 sollte die Beschäftigteneigenschaft zunächst indiziell bei demjenigen vermutet werden, der „nicht auf aufgrund unternehmerischer Tätigkeit am Markt“ auftritt. § 7 Abs. 4 Nr. 4 SGB IV i. d. F. v. 21. 12. 2000 sprach dann vom Fehlen „typischer Merkmale unternehmerischen Handelns“. Zudem sollte nach beiden Fassungen des § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB IV die Tätigkeit für nur einen Auftraggeber ein weiteres Indiz für die Beschäftigteneigenschaft sein, was allerdings zu Überschneidungen mit dem Kriterium des „Auftretens am Markt“ führte, vgl. dazu Hohmeister, NZA 1999, 337, 342. 295 Kommission Scheinselbständigkeit, NZA 1999, 1145, 1147 f.
1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
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Zugleich wurde die Gesetzesnovelle auch in der Literatur scharf kritisiert. Eine erleichterte Abgrenzung sei mit dem Abstellen auf das Merkmal der unternehmerischen Tätigkeit nicht verbunden. Insbesondere auch sachlich-inhaltlich ähnliche Formulierungen wie die „freiwillige Übernahme des Unternehmerrisikos“ unter „wirtschaftlich selbständigem Auftreten als Subjekt am Wirtschaftsmarkt“ bei bestehender „Ausgewogenheit zwischen unternehmerischen Chancen und Risiken“ würden das Problem nicht lösen, sondern ließen „eine nahezu beliebige inhaltliche Konkretisierung durch den jeweiligen Rechtsanwender zu“ und seien „im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot gesetzlicher Regelungen (Art. 20 GG) in hohem Maße bedenklich“ 296. Die Problematik sei durch die enge Verwandtschaft des sozialrechtlichen Beschäftigtenbegriffes gerade auch für die arbeitsrechtliche Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes gefährlich 297. Folgerichtig ließ der Gesetzgeber bereits nach kurzer Zeit wieder von seinem Vorhaben ab und überließ – mangels Praktikabilität des Kriterienkatalogs298 – mit der ab dem 01. 01. 2003 gültigen Fassung des § 7 SGB IV die Definition der Beschäftigteneigenschaft im Detail wieder dem BSG299. Zwar genießt das Kriterium des Unternehmerrisikos in dessen Rechtsprechung weiterhin eine gewisse Bedeutung300. Dennoch haben sich die im Zuge der missglückten Gesetzesnovelle des § 7 Abs. 4 SGB IV gemachten Erfahrungen zur unzureichenden Bestimmbarkeit und problematischen Anwendbarkeit dieses Kriteriums im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zur Arbeitnehmereigenschaft von Lizenzfußballern auch für das Arbeitsrecht bestätigt. Selbst über zehn Jahre nach ihrer Abschaffung konstatierte denn auch noch Henssler, die Regelung des § 7 Abs. 4 SGB IV a. F. habe sich als „völlig praxisuntauglich“ erwiesen und könne ohne Übertreibung als „einer der größten Flops in der Geschichte des deutschen Arbeits- und Sozialrechts“ bezeichnet werden301.
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Dörner/Baeck, NZA 1999, 1136, 1140 f.; i. E. ebenfalls kritisch Bauer/Diller/Lorenzen, NZA 1999, 169, 172; Bayreuther, NZA 2007, 371, 374 („keine leicht zu handhabende Formel“); Hohmeister, NZA 1999, 337, 343 („erhebliche Rechtsunsicherheit“); Richardi, in: FS Söllner, S. 957, 959 ff. 297 Dörner/Baeck, NZA 1999, 1136, 1141; eine unmittelbare Relevanz für das Arbeitsrecht bejahend Wank, NZA 1999, 225, 225. 298 Diese wurde bereits im Gesetzgebungsverfahren bestritten, vgl. BT-Drs. 13/8942, S. 10; ebenso Rebhahn, RdA 2009, 154, 172; Reinhardt, Phänomen, S. 764 f. 299 Nach BT-Drs. 14/1855, S. 6 hat die Regelung „nicht zuletzt aufgrund von Missverständnissen über ihre rechtliche Tragweite zu Schwierigkeiten“ geführt. 300 Vgl. dazu bereits die Nachweise oben 1. Kap., Fn. 241. 301 Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 97; ebenso kritisch ders., RdA 2016, 18, 18.
§ 3 Alternative Ansätze der Literatur und ihre Vereinbarkeit mit der h. M.
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B. Möglichkeit einer privatautonomen Vereinbarung über die Arbeitnehmereigenschaft: Statusvereinbarung Ein weiterer Ansatzpunkt der Literatur ist zum Teil eng mit dem soeben ausgeführten verbunden. Das Unternehmerrisiko wird auch hier als grundsätzlich beachtlich eingestuft. Unterschiede zeigen sich vor allem mit Blick auf die Rechtsfolgen: Eine etwaige unternehmerische (Zusatz-)Tätigkeit der Lizenzspieler soll nicht etwa im Rahmen der typologischen Begriffsbestimmung der herrschenden Meinung dazu führen, die persönliche Abhängigkeit entscheidend herabzusetzen um schließlich die Arbeitnehmereigenschaft verneinen zu können. Vielmehr sollen Spieler und Verein im Falle des Vorliegens näher zu definierender Voraussetzungen in die Lage versetzt werden, die Vertragsart, auf Grund derer der Spieler tätig wird, eigenständig zu wählen. Die Ansicht bezieht sich dabei in ihren Grundlagen auf eine recht breite Strömung im allgemeinen Arbeitsrecht302, die man mit Söllner als „from status to contract“303 Bewegung bezeichnen mag. Grundgedanke dieser Meinung ist, dass es den vertragsschließenden Parteien eines Dienstvertrages unter gewissen Umständen zugestanden werden müsse, eine eigenständige Statuswahl zwischen den Alternativen „Arbeitnehmer“ und „selbständiger Dienstleister“ zu treffen304. Es soll dies vor allem möglich sein in Fällen des non liquet, also in solchen Grenzfällen, bei denen die notwendige objektive Betrachtung der tatsächlichen Durchführung des Vertrages weder eindeutig für ein Arbeitsverhältnis noch für ein freies Dienstverhältnis spricht305. Ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Rechtsformzwang, nach dem die Arbeitnehmereigenschaft nur von der objektiven Vertragsdurchführung und gerade nicht vom Parteiwillen abhängig ist306, sei dann nicht gegeben. Im Gegenteil sei es in diesen Fällen geradezu angezeigt, den Vertragsparteien ihre Privatautonomie wieder zu gewähren, die sie durch den arbeitsrechtlichen Rechtsformzwang ansonsten teilweise eingebüßt hätten307. Dieser 302 Etwa Loritz, ZfA 2003, 629, 629 ff., dort auch mit umfassenden Nachweisen; Stoffels, NZA 2000, 690, 690 ff.; Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 559 ff.; Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 221 ff.; zusammenfassend Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 206; Park, Arbeitnehmer, S. 65 ff. 303 So der Titel eines Beitrages von Söllner, in: FS Zöllner, S. 949, 949 ff., der auf das Wirken des britischen Juristen Henry Maine im 19. Jahrhundert zurückgeht, vgl. dazu Rebhahn, RdA 2009, 154, 163. 304 Zusammenfassend Stoffels, NZA 2000, 690, 695. 305 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 45 spricht von „Definitionsmacht im Grenzbereich“; Park, Arbeitnehmer, S. 69 formuliert, bei einer „Pattsituation der Kriterien“ könne der Parteiwille als Indiz herangezogen werden. 306 BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA 1998, 705, 706; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 46 ff.; vgl. dazu auch die umfassenden Nachweise oben 1. Kap., Fn. 60. 307 Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 167; Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 34 f.; Stoffels, NZA 2000, 690, 695.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
allgemeinen Auffassung ist das BAG308 in einigen Entscheidungen auch gefolgt und hat den Parteien einen (geringen) Freiraum zur Vertragstypenwahl eröffnet. I. Statusvereinbarung bei unternehmerischer Zusatztätigkeit Ein solcher, grundsätzlich anerkannter Fall des non liquet ist aber im Rechtsverhältnis zwischen Lizenzfußballer und Verein gerade nicht gegeben. Vielmehr wurde bereits oben festgestellt, dass der Spieler seine Dienste in ausgeprägter persönlicher Abhängigkeit erbringt und die Arbeitnehmereigenschaft jedenfalls auf Grundlage der Begriffsbestimmung der herrschenden Meinung insoweit eindeutig ist. Nach der im allgemeinen Arbeitsrecht vertretenen Ansicht zur Statusvereinbarung käme daher eine privatautonome Einordnung des Rechtsverhältnisses durch die im Lizenzfußball beteiligten Parteien als freies Dienstverhältnis nicht in Betracht. Menke hat diese Ansicht daher in seiner Dissertation zum „Unternehmertum“ deutscher Lizenzfußballer um den Gedanken der beachtlichen unternehmerischen Zusatztätigkeit erweitert309. Auch in den Fällen einer (eher) abhängigen Hauptbeschäftigung soll den Parteien die Möglichkeit der Selbstqualifizierung in diesem Verhältnis gewährt werden, wenn zugleich eine beachtliche unternehmerische Nebentätigkeit ausgeübt wird, die mehr als 1/3 der Gesamteinnahmen ausmacht und überdies eng mit der Haupttätigkeit „verzahnt“ ist310. Danach könnte für den Teil wirtschaftlich besonders erfolgreicher Lizenzspieler das Prinzip der Vertragstypenfreiheit angewendet werden. Soeben wurde aber bereits dargestellt, dass eine unternehmerische Zusatztätigkeit, insbesondere durch den Abschluss von Werbeverträgen mit Dritten, kein nach der herrschenden Meinung berücksichtigungsfähiges Kriterium bei der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft sein kann, da hierdurch lediglich an Kriterien der wirtschaftlichen Unabhängigkeit des Lizenzspielers angeknüpft wird311. Die unternehmerische Zusatztätigkeit darf dann konsequenterweise aber auch nicht über die Rechtsfolge der möglichen privatautonomen Selbstqualifizierung des Rechtsverhältnisses als freies Dienstverhältnis Bedeutung erlangen. Da gerade kein non liquet-Fall gegeben ist, liefe dies im Ergebnis dem bereits erwähnten arbeitsrechtlichen Rechtsformzwang zuwider, nach dem die jeweilige Rechtsbeziehung entscheidend nach ihrem Ge308 Grundlegend BAG NJW 1967, 1982, 1982; daran anschließend BAG AP Nr. 10 und 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ausdrücklich zuletzt auch BAG NZA 2010, 877, 879; ebenso BSG AP Nr. 29 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 309 Menke, Unternehmertum, passim. 310 Menke, Unternehmertum, S. 94 f. und S. 282 f.; vgl. zu dieser „Verzahnung“ bereits oben § 3 A. II. 2. b) sowie dort c) bb) und cc); ähnlich auch schon U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 182 und Grunsky, ArbuR 1978, 125, 127 f. 311 Vgl. insbesondere oben § 3 A. II. 2. c) bb).
§ 3 Alternative Ansätze der Literatur und ihre Vereinbarkeit mit der h. M.
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schäftsinhalt und ihrer Durchführung objektiv einzuordnen ist, vgl. § 611a Abs. 1 S. 6 BGB312. Dieser Schutzmechanismus des Arbeitsrechts kann aber nicht durch die Beachtung eines an sich nicht berücksichtigungsfähigen Kriteriums über den Umweg der Statusvereinbarung durch die Parteien umgangen werden. II. Statusvereinbarung bei gegebener Verhandlungsparität Menke hat aber später gemeinsam mit Schimke313 seine Konstruktion der unternehmerischen Zusatztätigkeit der Lizenzfußballer um das Merkmal der Verhandlungsparität angereichert. Auch in diesen Fällen soll den Vertragsparteien die Möglichkeit der privatautonomen Qualifizierung ihres Rechtsverhältnisses gewährt werden. 1. Die Ansicht von Schimke/Menke Der dahinterstehende, im Ausgangspunkt zutreffende Grundgedanke scheint zu sein, dass gerade das fehlende Verhandlungsgleichgewicht zwischen einem Beschäftigten und seinem Vertragspartner bei Abschluss des Vertrages nicht nur eine wesentliche Ursache arbeitsrechtlichen Schutzbedürfnisses überhaupt, sondern auch eine Triebfeder des arbeitsrechtlichen Rechtsformzwangs ist. Denn kann eine Partei über die Bezeichnung und den Inhalt eines Vertrages bestimmen, so darf es zur Einordnung der Rechtsbeziehung auf erstere offensichtlich nicht entscheidend ankommen; vielmehr muss dann auf die tatsächliche Durchführung des Rechtsverhältnisses abgestellt werden, § 611a Abs. 1 S. 6 BGB. Zeigt diese Durchführung dann das Bild einer ausgeprägten persönlichen Abhängigkeit, so ist diese typischerweise keine Folge paritätischer Verhandlungen oder des wirklichen Willens des Beschäftigten bei Abschluss des Vertrages, sondern hat ihren Ursprung in der Regel in einem Diktat der Beschäftigungsbedingungen durch den faktisch überlegenen Dienstberechtigten. Daher wird es als (mit-)entscheidender Schutzzweck des Arbeitsrechts angesehen, ein bei Abschluss des Arbeitsvertrages vermutetes – weil strukturelles – (Verhandlungs-)Ungleichgewicht später im Rahmen der Vertragsdurchführung durch einseitig zwingende Schutznormen auszugleichen314. 312 BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA 1992, 407, 408; BAG NZA 1998, 705, 706; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 100; Preis, Individualarbeitsrecht, § 8 II. 1. (S. 51 f.); Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 171; Berger-Delhey/Alfmeier, NZA 1991, 257, 260; Buchner, NJW 1976, 2242, 2242; Reinecke, NZA 1999, 729, 731; Reuter, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 611 BGB Berufssport; Stoffels, NZA 2000, 690, 690. 313 Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 182 ff. 314 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 45; Hromadka/Maschmann, Individualarbeitsrecht, § 2 Rn. 4; Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 207; Stoffels, NZA 2000, 690, 694; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 267 f.; vgl. zu den arbeitsrechtlichen Schutzgründen aber auch ausführlich unten § 6 E. I.
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Sei nun aber – wie bei der Vertragsverhandlung zwischen einem (Spitzen-)Spieler und seinem Verein – eine Disparität nicht erkennbar, so sei es gerechtfertigt, auch in diesem Fall der privatautonomen Qualifizierung des Rechtsverhältnisses durch die Vertragsparteien Raum zu gewähren315. Diese Ansicht wird auch von einigen Vertretern der nicht sportspezifischen arbeitsrechtlichen Literatur geteilt. Den Parteien müsse eine Qualifikationshoheit dort zugestanden werden, wo das eben skizzierte Ungleichgewicht nicht vorliege und sich das Vertragsverhältnis „mithin als Ergebnis einer freien und in Kenntnis der Konsequenzen getroffenen Entscheidung beider Parteien“ darstelle316. Ähnlich argumentierte das LAG Berlin317 in einem (später vom BAG318 aufgehobenen) Urteil zur Wirksamkeit einer auflösenden Bedingung in einem befristeten Trainervertrag. Der Trainer (Winfried Schäfer) sei zwar grundsätzlich ein Arbeitnehmer des Vereins (Tennis-Borussia Berlin, damals 2. Bundesliga). Es handle sich hierbei aber um eine sehr renommierte und erfolgreiche Persönlichkeit, die unter erheblicher Medienpräsenz bereits in der 1. Bundesliga tätig gewesen sei. Dagegen sei der Arbeitgeber ein Fußballverein, der auf Grund seines Renommees schon zum damaligen Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht zur Spitzengruppe des deutschen Fußballs gehört habe. Dies habe sich unter anderem in einem individuell ausgestalteten Vertrag und der hohen Vergütung niedergeschlagen. Daher könne von der üblichen Disparität der Vertragsparteien beim Aushandeln des Vertrages keine Rede sein319 (und die auflösende Bedingung sei ausnahmsweise wirksam). Dagegen hat das BAG im Rahmen der Revision dieses Urteils, das Rechtsfragen der Befristungskontrolle betrifft, die an dieser Stelle nicht näher interessieren, deutlich ausgeführt, dass eine bloße Parität im Einzelfall nicht über den Arbeitnehmerstatus entscheiden könne320. Die sportarbeitsrechtliche Literatur stimmt dem zu321.
315 Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 182 f. Diesen Gedanken ausführend, aber letztlich ablehnend Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 174 f. 316 So ausdrücklich Stoffels, NZA 2000, 690, 695: ähnlich auch ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 39 und ders., Individualarbeitsrecht, § 8 II. 4. a) ff) (S. 65), der, unter Hinweis auf BAG AP Nr. 134 zu § 1 KSchG, „bei einer wirklich freien Wahl des selbständigen Status durch den Dienstnehmer“ den Parteiwillen respektieren will. 317 LAG Berlin Urt. v. 18. 06. 2001 – 9 Sa 755/01 (einsehbar über juris). 318 BAG NZA 2003, 611, 611 ff.; näher zu diesem Urteil Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 163 f. 319 LAG Berlin Urt. v. 18. 06. 2001 – 9 Sa 755/01 (juris, Rn. 60 f.). 320 Davon geht BAG NZA 2003, 611, 611 (2. Leitsatz) offensichtlich aus, wenn das Gericht dort bemerkt, die im Einzelfall bestehende Parität habe keine Auswirkung auf den Umfang arbeitsgerichtlicher Überprüfung. Ebenso bereits BAG AP Nr. 35 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 283 f. 321 Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 174; Kirschenhofer, Sport, S. 50.
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Ob eine solche Aussage in ihrer Pauschalität überzeugen kann, ist zwar fraglich. Ihr gegenüber mag man etwa einwenden, dass einer auf Privatautonomie fußenden Rechtsordnung322 dort kein Schutzauftrag zukommt, wo zwei Parteien eine freie, gleichrangige und in ihren Konsequenzen beabsichtigte Vertragsentscheidung getroffen haben. Sie findet eine Rechtfertigung aber in den Maximen der Rechtssicherheit und Praktikabilität, die im Falle einer notwendigen Feststellung von Verhandlungsparität in jedem Einzelfall ernstlich gefährdet wären323. 2. Unklarheit über die Kriterien zur Bestimmung von Verhandlungsparität Dies führt zu einem zweiten Punkt. Denn jedenfalls spricht in der Rechtsanwendung – von der Grundsatzfrage der prinzipiellen und hypothetischen Berücksichtigungsfähigkeit eines eventuell tatsächlich bestehenden Verhandlungsgleichgewichts abgesehen, die an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden kann und soll – ein weiteres Argument entscheidend gegen dessen Beachtlichkeit: Eine bestehende Disparität zwischen den Vertragsparteien ist nicht „graduell messbar“324 und es ist letztlich ungeklärt, anhand welcher Kriterien man diese überhaupt feststellen möchte. Schimke/Menke machen diesbezüglich auch keine besonderen Vorschläge für das Rechtsverhältnis zwischen Lizenzfußballer und Verein und begnügen sich mit einem allgemeinen Hinweis darauf, Abgrenzungsprobleme seien in der Rechtsanwendung nichts Neues325. Tatsächlich scheinen diese für den Fall der Feststellung des Verhandlungsgleichgewichts aber besonders gravierend zu sein: Versuchte man die Parität mit Blick auf den ausgehandelten Vertragsinhalt zu bestimmen, so bestünde die Gefahr eines Zirkelschlusses. Zeigte sich dort nämlich eine ausgeprägte persönliche Abhängigkeit, so könnte dies nach herrschender Meinung als ein Indiz gegen Verhandlungsparität gewertet werden. Zeigte sich hingegen das Bild einer weitgehenden Weisungsfreiheit und geringen organisatorischen Eingliederung, könnte dies spiegelbildlich ein Hinweis für ein gegebenes Verhandlungsgleichgewicht sein. Das gleiche Ergebnis ließe sich aber auch schon – ohne Verlagerung der Problematik auf die Ebene der Verhandlungsparität – durch eine Anwendung des geltenden Arbeitnehmerbegriffes erreichen. Eine solche Begriffsbestimmung wäre dann jedenfalls ohne Mehrwert. Wohl vor allem aus diesem Grund wird mitunter gar der gesamten 322 Hromadka, NZA 2007, 838, 839; Weber, Arbeitsverhältnis, 266. Noch weitergehend und von einer letztlich in der Menschenwürde wurzelnden „gesamtverfassungsrechtliche[n] Freiheitsentscheidung“ spricht Heinze, NZA 1997, 1, 2. 323 Statt vieler Hildebrandt, Disparität, S. 84 ff.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 284. 324 Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 288; ähnlich Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 237. 325 Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182, 184 und dort Fn. 40. Auch Stoffels, NZA 2000, 690, 695 macht diesbezüglich keine Vorschläge. Wohl aus diesen Gründen ablehnend Küpperfahrenberg, Lizenzfußball, S. 32 f.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
„from status to contract“-Bewegung im Wesentlichen eine bloß semantische Bedeutung zugesprochen326. Allerdings muss die Tatsache, dass im Lizenzfußball außergewöhnlich hohe Vergütungen gezahlt werden, näher und differenziert betrachtet werden. Denn zunächst einmal kann die Entgelthöhe durchaus als ein Indiz von Verhandlungsmacht gedeutet werden327. Auch ein Blick auf die Praxis scheint dieses Ergebnis zunächst zu bestätigen, denn viele Spieler328 befinden sich in der Tat in einer guten Verhandlungsposition gegenüber den um sie werbenden Vereinen. Das hat seine Gründe in einer für Arbeitnehmer oftmals untypischen329, besonders günstigen Arbeitsmarktlage: Es konkurriert nur ein relativ kleiner Kreis an höchstqualifzierten Arbeitnehmern um freie Arbeitsplätze, für die zudem – mangels Sprachbarriere bei der Berufsausübung330 – in besonderer Weise der internationale Arbeitsmarkt offen steht331. Hinzu kommt die bereits an anderer Stelle332 erwähnte, unmittelbar wettbewerbliche Struktur des Fußballsports. Da sportlicher Erfolg für die Vereine nur zu erreichen ist, indem gegnerische Mannschaften besiegt werden, haben sie ein besonderes und im Vergleich zu anderen Arbeitgebern ungleich höheres Interesse daran, den jeweils höchstqualifizierten und bestmöglichen auf dem Markt verfügbaren Arbeitnehmer zu verpflichten. Wer für den jeweiligen Verein dabei der „bestmögliche Spieler“ ist, richtet sich gerade 326 Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 166; ähnlich Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 206. 327 So Henssler/Preis, Begründung des Diskussionsentwurfes eines Arbeitsvertragsgesetzes, S. 147 (unveröffentlicht, zitiert bei L. Weber, Strukturen, S. 188); in einem ähnlichen Sinne wohl auch Rebhahn, RdA 2009, 236, 241. Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 55 spricht von „für das Arbeitsleben ungewöhnliche[r] Verteilung von Verhandlungsmacht“; ähnlich ders., in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 174 f.; i. E. auch Wank, ArbuR 2017, 140, 150. Jedenfalls private Vermögensverhältnisse insoweit für irrelevant haltend Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 237. 328 Wie Berichte über arbeitslose Fußballprofis zeigen, gilt dies in dieser Pauschalität aber nicht für sämtliche Spieler der Lizenzligen, vgl. dazu FocusOnline v. 10. 07. 2012, abrufbar unter http://www.focus.de/sport/fussball/bundesliga1/tid-26467/camp-der-arbeitslosen-fussballer-rahn-und-co-trainieren-gegen-den-sozialen-abstieg_aid_779686.html (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). 329 Vgl. dazu exemplarisch und zusammenfassend etwa Wank, Arbeitnehmer, S. 40 und Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 284 f., jeweils m. w. N. 330 Ebenso Bepler, jM 2016, 105, 110. Zu den teilweise erheblichen Auswirkungen von Sprachrisiko im Arbeitsrecht vgl. ausführlich Latzel, RdA 2013, 73, 73 ff.; Rieble, in: FS Löwisch, S. 229, 229 ff. 331 So Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 54 f.; ähnlich ders., jM 2016, 105, 110. Allgemein wird fehlende (berufliche wie räumliche) Mobilität des Arbeitssuchenden als eine Ursache fehlenden Verhandlungsgleichgewichts ausgemacht, vgl. dazu etwa Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 284 m. w. N. 332 Vgl. dazu schon oben § 3 A. II. 1. b).
§ 3 Alternative Ansätze der Literatur und ihre Vereinbarkeit mit der h. M.
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auch nach der Wirtschaftskraft und der Möglichkeit, die höchsten Gehälter zu bezahlen. Zudem kommt es im besonderen Maße auf die jeweils individuellen Fähigkeiten des einzelnen Beschäftigten an. Die Vereine haben ein spezielles Anforderungsprofil (Stürmer oder Abwehrspieler; „laufstarker“ oder „kopfballstarker“ Stürmer; „Linksfuß“ oder „Rechtsfuß“ etc.) an die jeweiligen Spieler. Diese sind dadurch nicht mehr untereinander gegen einen anderen Bewerber beliebig austauschbar333. Da durch die genannten tatsächlichen Gegebenheiten insbesondere Spitzenspieler zu einem besonders knappen Gut geworden sind, drängt sich bisweilen durchaus der Eindruck auf, das Verhandlungsgleichgewicht sei sogar zu Gunsten dieser Spieler verschoben. Dennoch darf für die umfassende Feststellung von Verhandlungsparität aus zwei Gründen nicht ausschließlich an den in einem Rechtsverhältnis gezahlten Vergütungsumfang angeknüpft werden334. Erstens könnte ein solcher Ansatz auf der Grundlage der herrschenden Meinung nicht widerspruchsfrei erklären, warum die bei der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft für irrelevant gehaltene Entgelthöhe335 nunmehr über die Rechtsfolge der Vertragstypenfreiheit bei Verhandlungsparität die alleine entscheidende Bedeutung erlangen soll, wenn die Vertragsparteien ihr Rechtsverhältnis privatautonom nicht dem Regime des Arbeitsrechts unterstellt haben. Zweitens hätte das uneingeschränkte Abstellen auf den Umfang der Vergütung ohne die Einbeziehung weiterer Umstände die Gefahr eines (erzwungenen) „Abkaufens“ der Arbeitnehmereigenschaft zur Folge: Wenn ein Verein den Spielern eine entsprechend hohe Vergütung zahlte, müssten diese als Gegenleistung fußballerische Betätigung in ausgeprägter persönlicher Abhängigkeit und ohne den Schutz des gesamten Arbeitsrechts gewähren. Die Spieler könnten den Verlust des Arbeitnehmerstatus – vor allen Dingen bei tatsächlich fehlendem Verhandlungsgleichgewicht – in diesem Falle nämlich nur dadurch verhindern, dass sie auf (erhebliche) Teile ihres Entgelts verzichteten, um das Verdikt der Verhandlungsparität letztlich zu entkräften.
333 Die
prinzipielle Austauschbarkeit von Arbeitnehmern und das damit verbundene Nichtangewiesensein des Arbeitgebers auf einen konkreten Vertragsschluss auf der einen Seite, sowie die existenzielle Angewiesenheit des Arbeitnehmers auf Begründung eines bestimmten Arbeitsverhältnisses auf der anderen Seite, werten Hildebrandt, Disparität, S. 97 und Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 287 f. als eine Grundursache der Verhandlungsdisparität zwischen den Arbeitsvertragsparteien. Heuberger, Abhängigkeit, S. 155 spricht insoweit von „sachlicher Abhängigkeit“ des Arbeitnehmers. 334 A.A. wohl Wank, ArbuR 2017, 140, 150 mit dem Argument fehlender Schutzbedürftigkeit gerade von Bundesligaspielern. 335 Vgl. dazu schon oben 1. Kap. § 2 B. IV. 4. a) und dort insbes. die Nachweise in Fn. 149; aus einem ähnlichen Grund ablehnend Rüsing, Sportarbeitsrecht, S. 28.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
3. Keine umfassende Verhandlungsparität zwischen Spieler und Verein Dass die Gefahr des „Abkaufens“ der Arbeitnehmereigenschaft durchaus realistisch ist, beweisen die folgenden Überlegungen: Die Verwendung des (weit verbreiteten336) Mustervertrages zeigt, dass das gesamte Vertragswerk jedenfalls in der Regel gerade nicht die Folge paritätischer Verhandlungen ist. Auch die spezielle Gestaltung des Vertrages lässt diesen Schluss zu. Lediglich die Höhe von Vergütung (§ 4 Ziff. 1 MuV) und Vertragsstrafe (§ 6 MuV) sowie Vertragsbeginn und -ende (§ 10 MuV) sind nicht von Seiten des Vereines vorformuliert. Dagegen werden gerade diejenigen Vertragsbedingungen, die die geschuldeten Pflichten der Spieler bis ins kleinste Detail regeln und die zu einer im Ergebnis erheblich ausgeprägten persönlichen Abhängigkeit führen, vom Arbeitgeber gestellt (§ 2 S. 2 lit. a) bis n) MuV). Die regelmäßige Verwendung eines Mustervertrages bedeutet aber freilich noch nicht, dass in allen Fällen des Vertragsschlusses zwischen Lizenzspielern und Vereinen eine Verhandlungsparität verneint werden müsste. Vielmehr könnte sie gerade in den wenigen Einzelfällen angenommen werden, in denen ein Vertrag individuell ausgehandelt worden ist. Dennoch bestehen auch in diesen Fällen erhebliche Zweifel an einem umfassenden337 Verhandlungsgleichgewicht. Dies macht ein Blick auf diejenigen Vereinbarungen deutlich, die typischerweise Vertragsinhalt sind. Dass dabei die (arbeits-)rechtliche Pflicht zur Teilnahme an sog. Pflichtspielen des Vereins im Rahmen von Vertragsverhandlungen nicht zur Disposition steht, ist selbstverständlich und braucht an dieser Stelle nicht weiter erörtert zu werden; darauf kommt es aber auch nicht entscheidend an. Denn anders als bei anderen Arbeitnehmergruppen lebt die qualitativ hochwertige Ausführung fußballerischer Betätigung gerade auch von der harmonischen Einbindung in eine Mannschaft338, insbesondere in deren taktische Ausrichtung. Es ist bei einem Fußballspieler daher im Gegensatz zu einem Einzelsportler nicht vorstellbar, dass er sich selbständig und individuell auf seine Wettkampfeinsätze vorbereitet339. Noch gravierender ist die Tatsache, dass das Fußballspiel überhaupt nur im Mannschaftsverbund betrieben und eingeübt werden kann. Stünde die 336
Vgl. dazu bereits oben 1. Kap., Fn. 1. hier letztlich Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 22 ff. Insoweit für sämtliche „hochqualifizierten“ Arbeitnehmer zweifelnd Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 286. 338 Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 182 f.; Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 52 f.; Ittmann, Pflichten, S. 30. Die Arbeit im Verbund mit anderen Arbeitnehmern als Gefahr für die Vertragsfreiheit darüber hinaus auch in übrigen Beschäftigungsfeldern erkennend Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 286. 339 Am ehesten besteht die Möglichkeit zum individuellen Training außerhalb der Organisation eines Vereins noch auf der Position des Torwarts. Doch auch hier ist grundsätz337 Wie
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Trainingsteilnahme aber im Belieben jedes Spielers oder zumindest einiger Spieler, so wäre sinnvolles Training zum großen Teil überhaupt nicht möglich. Dies hat zur Folge, dass solche Vertragsbestandteile, die einer straffen Einbindung in die Organisation des Clubs und weitgehende örtlich-zeitliche Weisungsbefugnisse betreffen, nicht zur freien Verhandlung stehen werden. Dies gilt nach dem eben Ausgeführten insbesondere für die Ansetzung von Trainingseinheiten oder Trainingslagern und generell für die Bestimmung, den Anweisungen des Trainers Folge zu leisten, § 5 MuV. Jedenfalls werden sich die Vereine auf eine solche Vertragsgestaltung dann nicht einlassen, wenn sie den Spieler im Wettkampf ernstlich einzusetzen gedenken340. Auch Nebenleistungspflichten, die die persönliche Abhängigkeit besonders ausgeprägt erscheinen lassen, wie etwa die Pflicht zur unverzüglichen Vorstellung beim Vereinsarzt nach einer erlittenen Verletzung, § 2 S. 2 lit. b) MuV, oder die Pflicht, sich sportmedizinisch oder sporttherapeutisch indizierten Maßnahmen zu unterziehen, § 2 S. 2 lit. c), werden ebenso wenig verhandelbar sein wie eine deutliche Herabsetzung der Weisungsbefugnisse in Bezug auf die Pflichten zur Öffentlichkeitsarbeit, § 2 S. 2 lit. e) MuV, da andernfalls die Gefahr bestünde, Einbußen im Sektor der Einnahmegenerierung hinnehmen zu müssen. Diese ist aber notwendige Voraussetzung dafür, die Entgelte der Spieler überhaupt finanzieren zu können341. Diese Aussagen gelten auch oder besser gesagt erst recht für Spitzenspieler, denen gemeinhin die größte Verhandlungsmacht zugeschrieben wird342. Denn analog zur sportlichen Qualität eines Spielers steigt auch das Interesse des Vereins an dessen Einbindung in die Mannschaft, seiner Gesunderhaltung und der Vermarktung seines Werbewerts im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit. Die Verhandlungsmacht selbst der erfolgreichsten Spieler endet mithin bei solchen Vertragsbedingungen, die für eine erfolgreiche fußballerische oder wirtschaftliche Betätigung des Vereins unabdingbar sind. Sie beschränkt sich in erster Linie auf die Höhe der Entgeltvereinbarung und daneben auf Umstände wie die Befristungsdauer343 des Vertrages oder die Vereinbarung einer sog. „Ausstiegsklausel“, d.h. den Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages im Falle der lich eine gute „Abstimmung“ mit den Abwehrspielern notwendig. Vgl. zum Einzelsportler J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3048. 340 Bei einem älteren Spieler mit extrem hohem Werbewert könnte dies anders zu beurteilen sein. 341 I.E. ähnlich Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 171 f., 176 und ders., in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 23 f., 26. 342 U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 182 und insbes. 184; Schimke/Menke, SpuRt 182, 182 weisen insoweit etwa auf vereinbarte Mindesteinsätze oder besondere Vergütungsmodelle hin. Eine dominierende Verhandlungsmacht von Spitzenspielern wohl grundsätzlich bezweifelnd Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241. 343 Mailänder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Fußballspieler, S. 6, 14.
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Zahlung einer bestimmten Ablösesumme. Dieser Befund wird bestätigt durch einen Blick auf die zahllosen Presseberichte344, die ein deutliches Bild der tatsächlichen Vertragsdurchführung zeichnen und verdeutlichen, dass es wohl auch keinen Spitzenspieler gibt, der den üblichen und oben skizzierten Pflichten nicht unterliegt345. Diese Feststellung deckt sich auch mit den Aussagen von Branchenkennern, nach denen die Spieler oder ihre Berater im Rahmen von Vertragsverhandlungen nahezu ausschließlich daran interessiert sind, dass ihre „geldwerten Interessen beachtet werden“346. 4. Zwischenergebnis Aus alledem wird erstens deutlich, dass eine etwaige Verhandlungsparität der Parteien das Tor zu einer privatautonomen Vertragstypenwahl – jedenfalls in der praktischen Handhabung – schon deshalb nicht zu öffnen vermag, weil völlig unklar ist, nach welchen Kriterien die Verhandlungsmacht bestimmt werden kann. Auf die Höhe der Vergütung kann insoweit jedenfalls nicht ausschließlich abgestellt werden. Zweitens bestehen auch – unabhängig von der Bestimmbarkeit des Kriteriums – ernsthafte Zweifel an einer tatsächlichen und über den Entgeltbereich hinausgehenden, umfassenden Verhandlungsparität zwischen einem Lizenzfußballer und den Vereinen im deutschen Profifußball. III. (Un-)Möglichkeit einer nicht dem Arbeitsrecht unterfallenden Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses An diese Überlegungen schließt sich die Frage an, ob, und falls ja, wann den Parteien überhaupt die Möglichkeit verbleibt, ihr Rechtsverhältnis qua Parteivereinbarung nicht (ausschließlich) dem Regime des Arbeitsrechts zu unterstellen.
344 Insoweit auf die tatsächliche Durchführung hinweisend auch Arens/Scheffler, AR-Blattei SD, 1480.2 Rn. 183 und Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 208 f. 345 Ähnlich Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 23. Dabei zeigt ein Blick auf die Praxis beispielsweise, dass sich auch sonstige (außerfußballerische) Verhaltenspflichten noch in den Verträgen der Spitzenspieler finden. So wurden beispielsweise die kritischen Äußerungen Philipp Lahms gegenüber der Sportpolitik seines Vereins in einem Interview mit einer Vertragsstrafe von 50.000 Euro sanktioniert, vgl. SpiegelOnline v. 08. 11. 2009, abrufbar unter http://www.spiegel.de/sport/fussball/lahm-gegen-die-bayern-zehntausende-euro-strafe-fuer-eine-zackige-analyse-a-660059.html (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). 346 Mailänder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Fußballspieler, S. 6, 6 und 19; ähnlich J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3046.
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1. Einheitliches freies Dienstverhältnis Nach der oben angerissenen herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung im allgemeinen Arbeitsrecht kann die Möglichkeit einer Selbstqualifizierung jedenfalls dann Platz greifen, wenn es sich um einen Zweifels- bzw. Grenzfall zwischen abhängiger und selbständiger Dienstleistung handelt347. Dann wäre der Wille der vertragsschließenden Parteien unter Umständen beachtlich. Notwendig wäre hierfür aber, den Umfang der persönlichen Abhängigkeit im Rahmen der geschuldeten Tätigkeit soweit zu reduzieren, dass sowohl ein Arbeits- als auch ein freies Dienstverhältnis angenommen werden könnte348. Dass dies letztlich keine ernstzunehmende Option für eine Vertragsgestaltung ist, haben aber die soeben ausgeführten Gedanken zur (fehlenden) Verhandlungsparität gezeigt: Die Vereine selbst haben nachvollziehbar kein Interesse daran, diejenigen Vertragsbestimmungen zur Disposition zu stellen, die immanente Voraussetzung für sportlichen349 und wirtschaftlichen Erfolg sind. Da diese aber gerade den Kern der persönlichen Abhängigkeit bilden, ist die Möglichkeit einer anderweitigen Qualifizierung des gesamten Rechtsverhältnisses durch die Parteien auf Grund des arbeitsrechtlichen Rechtsformzwanges ausgeschlossen, wenn sie hierauf nicht verzichten möchten350. 2. Aufspaltung in Arbeitsverhältnis und freies Dienstverhältnis Eine weitere, letztlich steuer- und sozialversicherungsrechtlich motivierte Möglichkeit der Vertragsgestaltung ist die Aufspaltung des bislang einheitlichen Rechtsverhältnisses in mehrere Rechtsverhältnisse. Dabei käme in Betracht eine weiterhin als Arbeitsverhältnis ausgestaltete Rechtsbeziehung, ein – im Folgenden sogenannter – „Sportleistungsvertrag“, der die in ausgeprägter persönlicher Abhängigkeit geschuldete sportliche Betätigung zu Gunsten des Vereins und damit verknüpfte Neben- (leistungs-)Pflichten beinhaltet, bisherige §§ 2 S. 2 lit. a) bis d), i) bis n) MuV. Daneben könnte ein – im Folgenden sogenannter – „Vermarktungsvertrag“ geschlossen werden, der wie bisher zur Überlassung der Verwertung der Persönlichkeitsrechte verpflichtet und der zusätzlich die Pflichten zur 347
Vgl. dazu oben § 3 B. Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 167; hierzu mit weiteren Beispielen auch Fikentscher, Mitbestimmung, S. 130 f. 349 A.A. J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3053, die eine Vereinbarung über die Freiwilligkeit der Trainingsteilnahme anregen, um eine abhängige Beschäftigung i. S. v. § 7 SGB IV zu vermeiden. 350 Kritisch aus diesen Gründen auch Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 207; Rybak, Rechtsverhältnis, S. 51 begründet dieses Ergebnis mit der „Eigenart“ des Fußballsports; a. A. wohl Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 34. 348
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
Öffentlichkeitsarbeit enthält sowie alle sonstigen Bestimmungen, die dem Verein letztlich zur Generierung von Einnahmen dienen, bisherige §§ 2 S. 2 lit. e) bis h), 3 MuV. Hierbei müssten freilich Weisungsrechte und betriebliche bzw. arbeitsorganisatorische Eingliederung soweit reduziert werden, dass diesbezüglich ein (atypisches und gemischtes351) freies Dienstverhältnis vereinbart werden könnte352. Für beide Verträge könnte dann eine gesonderte Vergütung gezahlt werden, wobei sich das Entgelt des freien Dienstvertrages aus wirtschaftlichen Gründen vorzugswürdig anteilig am durch den Verein erzielten Vermarktungserfolg orientiert und damit den Großteil der Gesamtvergütung ausmacht. Dies könnte sich nämlich – jedenfalls nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht – im Ergebnis „positiv auf die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten“353 der Vertragsparteien auswirken, da insbesondere die Lohnsteuer verringert würde und für einen Großteil der Vergütung nun Gewerbesteuer anfiele354. Aus arbeitsrechtlicher Sicht, die im Rahmen dieser Arbeit primär interessiert, ist die beschriebene Form der Vertragsgestaltung zwar im Grundsatz denkbar. So ist es durchaus möglich, dass zwischen denselben Parteien neben einem Arbeitsverhältnis zusätzlich ein Werkvertrag oder ein freier Dienstvertrag geschlossen wird355. Dennoch begegnen einer solchen Ausgestaltung im konkret beschriebenen Fall schwerwiegende Bedenken. Denn jedenfalls darf die Aufspaltung in verschiedene Rechtsverhältnisse nicht dazu führen, dass arbeitsrechtliche Schutzvorschriften umgangen werden356. Für das vorliegende Modell ist dabei vor allen Dingen an diejenigen Schutzvorschriften zu denken, die sich an der Entgelthöhe im Arbeitsverhältnis orientieren. Das sind auf Grund ihrer Rechtsnatur insbe351 Dass die Überlassung der uneingeschränkten Nutzung und Verwertung von Persönlichkeitsrechten gem. § 3 MuV streng genommen keine Leistung von Diensten ist, spielt für den Gesamtcharakter als Dienstvertrag zwar keine entscheidende Rolle. Es muss dann aber dogmatisch korrekt von einem atypischen und gemischten Dienstvertrag mit untergeordneter andersartiger Leistung ausgegangen werden, ohne dass damit in der Sache Unterschiede verbunden wären. Vgl. zum umgekehrten Fall einer untergeordneten Dienstleistung Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 84; allgemeiner Staudinger/Feldmann/Löwisch, § 311 BGB Rn. 45; dazu auch bereits oben § 3 A. II. 1. b). 352 Rumpenhorst, NZA 1993, 1067, 1068. 353 J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3052. 354 Nach J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3052 soll dieses Ergebnis bereits im einheitlichen Arbeitsverhältnis erreicht werden können, wenn dort die Vergütung in Entgelt für sportliche Leistung und solches für eine Beteiligung am Vermarktungserfolg aufgeteilt würde. Siehe a. a. O. auch zu weiteren Vorteilen einer solchen Vertragsgestaltung wie Planungssicherheit des Vereins im Falle des Ausfalls eines Sponsors. 355 APS/Preis, 1. Teil, C. I. 1. a) Rn. 3; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 36; Rumpenhorst, NZA 1993, 1067, 1068 f; Menke, Unternehmertum, S. 92 (unter Hinweis auf BVerfGE 21, 173, 173 ff.). 356 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 36; Rumpenhorst, NZA 1993, 1067, 1068; i. E. auch Schelp, in: FS Herschel, S. 87, 96.
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sondere anspruchserhaltende Normen, da diese im Falle ihres Eingreifens den arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag aufrechterhalten und dieser damit für die Anspruchshöhe unmittelbar maßgeblich bleibt. Als Beispiele zu nennen sind insoweit etwa der Urlaubsentgeltanspruch, § 1 BUrlG, der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, § 3 Abs. 1 EFZG357 oder auch die Grundsätze des BAG zur Betriebsrisikolehre (in ihrem Grundtatbestand normiert in § 615 S. 3 BGB). Der Anwendungsbereich all dieser Schutzvorschriften würde durch die Aufspaltung in mehrere Rechtsverhältnisse auf denjenigen Teil des Entgelts reduziert, der innerhalb des weiterhin als Arbeitsverhältnis ausgestalteten „Sportleistungsvertrages“ geschuldet wird. Dies ist umso problematischer, als der Großteil der Vergütung im Rahmen des freien „Vermarktungsvertrages“ gewährt wird und dies, obwohl das Entgelt – jedenfalls nach wertender Betrachtung – primär für die in ausgeprägter persönlicher Abhängigkeit erbrachte sportliche Betätigung geleistet wird358. Der avisierte Schutzzweck der genannten Normen, nämlich die umfassende Aufrechterhaltung des Vergütungsanspruches unter den jeweils näher bestimmten Voraussetzungen, würde damit zumindest teilweise umgangen. Zudem wird ein freies Dienstverhältnis, das neben einem Arbeitsverhältnis mit demselben Dienstberechtigten existiert, nur dann für zulässig erachtet, wenn es „ein geschlossenes, aus dem Arbeitsverhältnis ausgegliedertes Leistungskontingent“359 beinhaltet, das zu den auf der arbeitsvertraglichen Grundlage geschuldeten Pflichten nicht in Bezug steht. Bei den angesprochenen, in den „Vermarktungsvertrag“ „ausgelagerten“ Bestimmungen handelt es sich aber gerade um solche Pflichten, die typischerweise als Nebenpflichten im Rahmen des Arbeitsverhältnisses von Lizenzspielern geregelt sind. Dies zeigt schon die momentane Ausgestaltung des Mustervertrages in § 2 S. 2 lit. e) und § 3 MuV. Zur Bestätigung dieses Ergebnisses kann zudem auch ein Gedanke des allgemeinen Zivilrechts fruchtbar gemacht werden. Der BGH macht dort die Formbedürftigkeit eines an sich formfreien und selbständigen Vertrages davon abhängig, ob er nach dem Parteiwillen derart mit einem formbedürftigen Vertrag in Zusammenhang
357 Dass § 1 BUrlG den allgemeinen arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch aufrechterhält und insoweit eine anspruchserhaltende Norm ist, ist unstreitig, vgl. NK-ArbR/ Holthaus, § 1 BUrlG Rn. 12. Selbiges ist auf Grund des Wortlauts des § 3 Abs. 1 EFZG zwar umstritten, aber dennoch vorzugswürdige und h. M., vgl. HWK/Schliemann, § 3 EFZG Rn. 5; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 3 EFZG Rn. 3; NK-ArbR/Spengler, § 3 EFZG Rn. 1; zur Gegenansicht (eigenständige Anspruchsgrundlage) Hromadka/Maschmann, Individualarbeitsrecht, § 8 Rn. 64; Staudinger/Oetker, § 616 BGB Rn. 188 f; Schmitt, EFZG, Einl. Rn. 6. 358 Dazu schon ausführlich oben § 3 A. II. 1. b). 359 Rumpenhorst, NZA 1993, 1067, 1068.
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steht, dass beide Verträge miteinander „stehen und fallen“ sollen360. Dabei kommt es auf eine bloße Niederlegung in zwei unterschiedlichen Vertragsurkunden nur indiziell an361. Wenn der Vertragspartner dies erkannt oder hingenommen hat, ist es sogar ausreichend, dass nur eine der Parteien einen Einheitlichkeitswillen der äußerlich selbständigen Vereinbarungen hatte362. Ist dies der Fall, so besteht eine rechtliche Einheit zwischen den Rechtsgeschäften mit der Folge, dass jeder Teil den Formvorschriften unterliegt363. Analog dazu will nun auch das Arbeitsrecht – ähnlich wie die Formvorschriften des BGB – den Arbeitnehmer als die strukturell unterlegene Vertragspartei schützen. Übertragen auf das Recht der Beschäftigten bedeutet dies damit, dass mehrere scheinbar eigenständige Rechtsgeschäfte insgesamt und einheitlich dem Regime des Arbeitsrechts zu unterstellen wären, wenn eines der Vertragsverhältnisse ein Arbeitsverhältnis ist und ein anderes Rechtsverhältnis, etwa ein freies Dienstverhältnis, untrennbar mit diesem verbunden ist. Der hierfür letztlich entscheidende Verknüpfungswille, der auf Grund der Erklärungen und der Interessenlage der Vertragsschließenden mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu ermitteln ist364, ist im Falle der verschiedenen Rechtsverhältnisse zwischen Lizenzfußballer und Verein erkennbar. Die Parteivereinbarungen des „Vermarktungsvertrages“ (Öffentlichkeitsarbeit und Überlassung der Vermarktung und Verwertung der Persönlichkeitsrechte) und des „Sportleistungsvertrages“ bedingen sich gegenseitig: Der Spieler wird für den Verein nur dann sportlich innerhalb des Arbeitsvertrages („Sportleistungsvertrages“) tätig, wenn er hierfür365 eine ausreichend hohe Vergütung erhält. Nur zu diesem Zweck unterwirft er sich den Pflichten des „Vermarktungsvertrages“. Umgekehrt verpflichtet sich der Verein zur Zahlung einer solch hohen Vergütung nicht etwa ausschließlich deshalb, weil er zur Generierung der hierfür erforderlichen Einnahmen die Persönlichkeitsrechte der Spieler verwerten darf oder weil die Spieler im Rahmen der sonstigen Pflichten zur Öffentlichkeitsarbeit verpflichtet sind, den Verein bei Sponsoren oder Fans zu repräsentieren. Die Entlohnung der Spieler ist kein Selbstzweck; vielmehr ist es wesentliches Ziel der Rechtsbeziehung(en) zwischen Spieler und Verein, sportliche Erfolge zu erreichen. Dies ist letztlich sogar der Urgrund der Tätigkeit der Vereine. Die sportliche Tätigkeit wird aber gerade auf Grundlage des Arbeitsvertrages und nicht des „Vermarktungsvertra360 BGH NJW 1988, 132, 132; BGH NJW 1992, 3237, 3238; MüKo-BGB/Einsele, § 125 BGB Rn. 33. 361 BGH NJW 1980, 829, 830; BGH NJW 1981, 274, 275; zuletzt etwa BGH WM 2009, 1338, 1338; Kirschenhofer, Sport, S. 43 f. 362 BGH NJW 1988, 132, 132; BGH NJW 1992, 3237, 3238. 363 BGH NJW 1988, 132, 132; MüKo-BGB/Einsele, § 125 BGB Rn. 33. 364 BGH NJW-RR 1990, 340, 340; BGH WM 1990, 764, 766. 365 Dazu, dass die von Vereinsseite geschuldete Vergütung jedenfalls primär Gegenleistung für die sportliche Betätigung ist vgl. bereits oben § 3 A. II. 1. b).
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ges“ geschuldet. Zudem sind sportliche Tätigkeit, sportlicher Erfolg und Vermarktungswert der Persönlichkeit eines Lizenzfußballers mittelbar miteinander verwoben366, da nur derjenige, der fußballerisch erfolgreich ist, auch medial präsent ist und damit seinen Werbewert steigern kann. Auf Grund dieser wechselseitigen Beeinflussung der Rechtsverhältnisse, die sich aus der im Lizenzfußball herrschenden Verkehrssitte ergibt, lässt sich der Schluss ziehen, dass sie letztlich unteilbar voneinander abhängen. Nur die Gesamtheit aller Einzelregelungen kann die beiderseits angestrebten, wirtschaftlichen und sportlichen Erfolge gewährleisten. Beide Verträge sind daher unabhängig voneinander nicht oder jedenfalls nur in extremen Ausnahmefällen367 denkbar. Sie wären damit selbst im Falle der äußerlichen Trennung und der Niederlegung in zwei Vertragsurkunden weiterhin rechtlich insoweit verknüpft, als dass sie insgesamt368 dem Arbeitsrecht zu unterstellen wären. Diesem Ergebnis entspricht auch eine Entscheidung des BAG, in der das Gericht eine Vereinbarung, die arbeitsrechtliche, mietrechtliche und
366 Vorliegend geht es um die Vermarktung der Persönlichkeitsrechte durch den Verein bzw. um die Werbetätigkeit für den Verein und gerade nicht um eine eigenständige Verwertung der Persönlichkeitsrechte durch die Spieler mittels Werbung für Dritte, vgl. dazu oben § 3 A. II. 2. 367 Theoretisch denkbar wäre dies etwa dann, wenn ein ehemaliger und äußerst populärer Spitzenspieler auf Grund seines Alters nicht mehr von sportlichem Wert ist und nur aus Gründen des Marketings verpflichtet wird. 368 Von dem Problem des Vorliegens eines einheitlichen oder zwei eigenständiger Verträge ist die Frage gedanklich zu trennen, ob nicht auch ein einheitlicher Vertrag auf Rechtsfolgenseite nach verschiedenen Rechtsnormen behandelt werden muss. Die umfassende Rechtsfolge „Anwendung des Arbeitsrechts“ könnte für den vorliegenden einheitlichen Vertrag (alleine) für die Überlassung der uneingeschränkten Nutzung und Verwertung von Persönlichkeitsrechten gem. § 3 MuV und eine hierfür gezahlte Vergütung bestritten werden. Insofern könnte argumentiert werden, dass es sich hierbei um ein nicht arbeitsrechtliches Element im Rahmen eines typengemischten Vertrages handelt, weshalb nach dem sog. „Kombinationsprinzip“ (Staudinger/Feldmann/Löwisch, § 311 BGB Rn. 36; Schelp, in: FS Herschel, S. 87, 92 m. w. N.) auf die rechtliche Behandlung dieser Bestimmung allgemeines und besonderes Schuldrecht Anwendung fände. Dies ist im Ergebnis aber abzulehnen: Geht es nämlich – wie im Arbeitsrecht – um die Anwendung zwingender Rechtsvorschriften, die dem Schutz eines Vertragsteils dienen, so ist deren Schutzzweck entgegen dem „Kombinationsprinzip“ auf den gesamten Vertrag auszudehnen, vgl. dazu im Ergebnis zutreffend Schelp, in: FS Herschel, S. 87, 96 ff. Zudem ist im Falle der Vertragsbeziehung Lizenzfußballer – Verein nach dem Willen der Parteien das arbeitsvertragliche Element eindeutig übergeordnet. Das Überwiegen eines Typus führt aber regelmäßig zur Anwendung des sog. „Absorptionsprinzips“ (BAG NJW 1969, 1192, 1192; Staudinger/Feldmann/Löwisch, § 311 BGB Rn. 45), weshalb auf die gesamte Rechtsbeziehung richtigerweise Arbeitsrecht anzuwenden ist. So i. E. auch Schütz, Lizenzfußballspieler, S. 70 ff., der a. a. O. – allerdings ohne nähere Begründung – eine AGB-Kontrolle unter Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB) vornimmt.
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darlehensrechtliche Elemente enthielt, als „unzerstörbare Einheit“ angesehen hat und von nur einem einheitlichen Vertrag ausgegangen ist369. Selbst wenn man die eben ausgeführten Bedenken nicht teilte, änderte eine solche Form der Vertragsgestaltung aber jedenfalls nichts an der Arbeitnehmerstellung des Lizenzspielers im Rahmen des „Sportleistungsvertrages“. Im Übrigen erscheint es auch fraglich, ob sich durch diese Form der Vertragsgestaltung tatsächlich steuerrechtliche Vorteile ergeben können370, da der BFH entschieden hat, dass Einkünfte aus einer „Nebentätigkeit“ (hier die Werbetätigkeit für den Verein und die Überlassung der Verwertung der Persönlichkeitsrechte auf Grundlage des „Vermarktungsvertrages“), die zusätzlich für den Arbeitgeber der Haupttätigkeit (Verein, dem fußballerische Betätigung geschuldet wird) ausgeübt wird, wie die Einkünfte aus der Haupttätigkeit zu beurteilen sind, wenn der Steuerpflichtige – und das ist für den vorliegenden Fall entscheidend – mit der Nebentätigkeit eine ihm eigentlich aus dem Arbeitsverhältnis faktisch oder rechtlich obliegende Nebenpflicht erfüllt371.
C. Exkurs: Lizenzspieler als leitende Angestellte i. S. d. BetrVG? Von Mayer-Vorfelder wurde schließlich der Versuch unternommen, Lizenzspielern als leitende Angestellte i. S. d. Betriebsverfassungsrechts einzuordnen. Auch wenn damit der Arbeitbeitnehmerstatus der Lizenzspieler implizit anerkannt wird, soll die Ansicht an dieser Stelle der Vollständigkeit wegen ebenfalls behandelt werden. Seine Einordnung begründet Mayer-Vorfelder damit, dass die Lizenzspieler während eines Pflichtspiels einen Entscheidungsspielraum besä369 BAG NJW 1969, 1192, 1192, dort auch zur ausschließlichen Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf Rechtsfolgenseite, jedenfalls wenn es um die Beendigung solch gemischter Verträge geht (sog. „Absorptionsprinzip“). 370 A.A. J. Becker/Figura, BB 2012, 3046, 3052 f. für den Fall, dass auch die sportliche Tätigkeit rein erfolgsabhängig durch ein Prämiensystem vergütet wird. Dabei verallgemeinern sie a. a. O. das Urteil BFH FR 2012, 731, 731 ff. zur gewerbesteuerlichen Einordnung von Werbeeinkünften eines Fußballnationalspielers, die sich prozentual an Vermarktungserfolgen des DFB orientierten. Dem zitierten Urteil lag allerdings eine komplizierte Dreiecksbeziehung zwischen Lizenzspieler, Arbeitgeber (= Lizenzverein) und DFB (= Verband) zu Grunde, weshalb sich der Sachverhalt wohl nicht ohne weiteres auf das arbeitsrechtlich geprägte Rechtsverhältnis zwischen Lizenzspieler und Lizenzverein übertragen lässt. Die Teilnahme an den Werbetätigkeiten und die damit verbundenen Einnahmen beruhte dort auf einer gesonderten Vereinbarung des Spielers mit einem Dritten (dem DFB) und gerade nicht auf einer (quasi-)arbeitsvertraglichen Nebenpflicht wie im Verhältnis Spieler – Lizenzverein, worauf das Gericht auch hingewiesen hat, BFH FR 2012, 731, 737 f. 371 BFH NZA-RR 1997, 161, 161; differenzierend BFH FR 2012, 731, 738 für den Fall, dass im Rahmen der Nebentätigkeit nicht für den Hauptarbeitgeber sondern für dritte Unternehmen auf Grundlage einer besonderen Vereinbarung geworben wird.
§ 3 Alternative Ansätze der Literatur und ihre Vereinbarkeit mit der h. M.
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ßen, der aus einem (vermeintlich) eingeschränkten fachlichen Weisungsrecht folgen soll. Die aus diesen Gründen selbständig getroffenen Entscheidungen der Spieler (etwa zwischen Torschuss oder Pass) hätten für den Verein mitunter wirtschaftliche Konsequenzen in Millionenhöhe. Zudem wird die Entgelthöhe als ein mitentscheidendes Kriterium angesehen372. Diese Ansicht ist mit der h. M. abzulehnen373. Auf die Entgelthöhe kommt es für die Einordnung eines Arbeitnehmers als leitender Angestellter schon nach dem Wortlaut des Gesetzes entscheidend nur im Zweifelsfall an, vgl. § 5 Abs. 4 Nr. 4 BetrVG. Sie spielt aber im Falle des Lizenzspielers keine Rolle, da ein solcher Zweifelsfall nach Auslegung und Subsumtion der entscheidenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG bereits zu verneinen ist374. Danach ist leitender Angestellter, „wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebes von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst“.
Mit anderen Worten muss der Beschäftigte danach wegen seiner Tätigkeit oder der Bedeutung seiner Funktion der Unternehmensleitung nahe stehen375. Auch wenn man den Spielern im Rahmen von Pflichtspielen376 einen gewissen Entscheidungsspielraum zugesteht, so treffen sie ihre Entscheidungen schon nicht im Wesentlichen frei von (auch fachlichen) Weisungen des Trainers. Dies wurde bereits oben ausführlich herausgearbeitet377. Zudem nehmen die Spieler keine unternehmerischen Aufgaben im Sinne des Gesetzes wahr. Es handelt es sich bei den von Mayer-Vorfelder angeführten Beispielen nicht um rationale Entscheidungen, die der planerisch-konzeptionellen Entwicklung des Vereins insgesamt oder 372 Mayer-Vorfelder, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 40, 45. 373 Fikentscher, Mitbestimmung, S. 127; Imping, Fußballspieler, S. 54; Kirschenhofer, Sport, S. 51; Küpperfahrenberg, Lizenzfußball, S. 31. 374 Selbiges gilt damit auch für § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG, das für seinen Begriff des leitenden Angestellten auf die Bestimmung in § 5 Abs. 3 BetrVG verweist. Auch eine Eigenschaft als leitender Angestellter i. S. v. § 14 Abs. 2 KSchG kommt offensichtlich nicht in Betracht, da diese nach dem Wortlaut des Gesetzes ausnahmslos zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sein müssen, was auf die Lizenzspieler jedenfalls nicht zutrifft. Allgemein hierzu zuletzt BAG AP Nr. 12 zu § 14 KSchG 1969. 375 BAG AP Nr. 22 zu § 5 BetrVG 1972; DKKW/Trümner, § 5 BetrVG Rn. 265; ErfK/ Koch, § 5 BetrVG Rn. 17. 376 Außerhalb von Pflichtspielen – etwa im Rahmen von Trainingseinheiten oder der Erfüllung sonstiger Pflichten – kommt den Spielern ohnehin nahezu keine freie Entscheidungsbefugnis zu. 377 Vgl. dazu oben § 2 B. IV. 1.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
dem sportlichen Gesamterfolg in einem Spiel oder einer Saison dienen. Vielmehr geht es um den spontanen Einsatz spielerischer Fähigkeiten, die in ihrem Zweck zunächst unmittelbar nur auf das Gelingen einer konkreten Spielsituation gerichtet sind. Sie werden zudem von äußeren Umständen wie Gegenspielern oder Schiedsrichterentscheidungen beeinflusst und ziehen somit nur rein faktisch und mittelbar wirtschaftliche Auswirkungen nach sich378. Die Fußballer führen dabei – wenn auch mit gewissen Freiheiten379 – nur die ihnen zugewiesenen Tätigkeiten aus, ohne dass konkrete rechtliche oder wirtschaftliche Konsequenzen intendiert wären. In diesem Zusammenhang wird außerdem zu Recht darauf hingewiesen, dass allein der mögliche Umfang der wirtschaftlichen Folgen des Handelns der Lizenzspieler kein geeignetes Kriterium darstellen kann, da die Fehler eines „einfachen“ Arbeitnehmers ebenfalls mitunter erhebliche finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen können380. Aus diesen Gründen kann auch die erforderliche Gleichwertigkeit zu den in § 5 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BetrVG genannten Aufgaben381 nicht festgestellt werden. Im Gegensatz zum nicht planerischen und rein faktischen Handeln der Lizenzspieler während des Spiels werden dort strukturelle, rechtlich unmittelbar verbindliche und damit funktionell arbeitgeberseitige bzw. typisch unternehmerische Tätigkeiten382 beschrieben, die eine Nähe zur Unternehmensleitung indizieren. Alleine durch das Fällen spielerischer Entscheidungen werden Lizenzspieler damit nicht zu leitenden Angestellten i. S. v. § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG. Etwas anderes könnte nur gelten bei solchen Entscheidungen, die den sportlichen Erfolg in seiner Gesamtheit zum Ziel haben. Hierzu gehören insbesondere die Abwicklung von Transfers, aber auch die Gestaltung von Trainingsplänen und -abläufen oder die gesamttaktische Ausrichtung der Mannschaft383. Diese Entscheidungen, die in aller Regel nicht von den Lizenzspielern selbst, sondern ausschließlich von Trainern oder Managern getroffen werden, sind bei objektiver Betrachtung als funktionelle Wahrnehmung von Arbeitgeberaufgaben zu sehen und könnten daher – wie bereits in Österreich gerichtlich bestätigt wurde384 – 378
Fikentscher, Mitbestimmung, S. 127 f.; Küpperfahrenberg, Lizenzfußball, S. 31. eingeschränktes fachliches Weisungsrecht ist allerdings für Dienste höherer Art nicht untypisch, vgl. dazu bereits oben § 2 B. IV. 1. b). 380 So Küpperfahrenberg, Lizenzfußball, S. 31 unter Hinweis auf BAG NZA 1990, 95, 95 ff. 381 Zu einem solchen Erfordernis bereits BT-Drs. 11/2503, S. 30; vgl. dazu auch BAG AP Nr. 69 zu § 5 BetrVG 1972 und ErfK/Koch § 5 BetrVG Rn. 21. 382 DKKW/Trümner, § 5 BetrVG Rn. 265. 383 Fikentscher, Mitbestimmung, S. 127 f.; Kirschenhofer, Sport, S. 51. 384 OLG Linz, SpuRt 2009, 23, 23 nimmt auf Grund der Kompetenz eines Trainers, „über die Fortführung, die Auflösung und den Neuabschluss von Lizenzspielerverträgen“ zu entscheiden, dessen Eigenschaft als leitender Angestellter nach (im Wesentlichen 379 Ein
§ 4 Zusammenfassung und Würdigung des Ergebnisses
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deren Einordnung als leitende Angestellte nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 BetrVG rechtfertigen.
§ 4 Zusammenfassung und Würdigung des Ergebnisses A. Zusammenfassung Nach alledem lässt sich bisher folgendes zusammenfassen: Die Lizenzspieler der Fußballbundesligen stehen zwar in einem von tatsächlichen Besonderheiten geprägten Beschäftigungsverhältnis, sie sind aber nach den Bestimmungskriterien der nunmehr in § 611a Abs. 1 BGB kodifizierten herrschenden Meinung Arbeitnehmer, weil sie auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages zur Leistung von Diensten für einen anderen in persönlicher Abhängigkeit gegen Entgelt verpflichtet sind. Insofern widerspricht das deutsche Arbeitsrecht nicht nur dem spontanen Rechtsempfinden vieler Bürger, sondern auch dem französischen Denker Jean-Paul Sartre, der behauptet hat, man sei nicht Tormann oder Läufer, wie man Lohnarbeiter sei385. Hieran vermögen auch die in der Literatur vorgebrachten Bedenken nichts zu ändern. Die Ansätze führen auf der Grundlage der Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes der herrschenden Meinung zu keinem anderen Ergebnis. Soweit die Spieler im Rechtsverhältnis zu ihrem Verein unternehmerischen Risiken ausgesetzt sind, sind diese Risiken jedenfalls im Ergebnis nichts anderes als für die Statuseinordnung unbeachtliche Vergütungsmodelle. Zudem sind unternehmerische Zusatztätigkeiten im Rahmen von Rechtsverhältnissen mit Dritten (insbesondere die Selbstvermarktung in Form der Werbetätigkeit) nicht relevant, da es sich hierbei de facto nur um Kriterien einer eventuell vorhandenen wirtschaftlichen Unabhängigkeit handelt. Solche sind aber nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nicht berücksichtigungsfähig. Letztlich aus demselben Grund darf den Parteien im Falle der unternehmerischen Zusatztätigkeit auch nicht die Möglichkeit eröffnet werden, privatautonom über den Arbeitnehmerstatus zu entscheiden. Dies wäre im Ergebnis eine Umgehung des arbeitsrechtlichen Rechtsformzwanges. Eine Statusvereinbarung als freier Dienstleister im Falle gegebener Verhandlungsparität scheitert daneben aus zwei Gründen: Zum einen ist unklar, anhand welcher Kriterien diese überhaupt festgestellt werden soll. Zum anderen bestehen auch erhebliche Zweifel an einem tatsächlich existierenden, umfassenden Verhandlungsgleichgewicht zwischen Lizenzfußballer und Verein, das nicht bloß auf gleichlautendem) österreichischem Recht an. Dazu auch Stadler, SpuRt 2009, 25, 25; noch weitergehend Klammert/Mosch, NJW-Spezial 2014 zu Heft 8, 242, 242. 385 Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, S. 490.
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
Entgeltfragen im weiteren Sinne beschränkt ist. Schließlich wurde noch aufgezeigt, dass einer Vertragsgestaltung, die den Spieler (teilweise) aus dem Anwendungsbereich des Arbeitsrechts herauslösen könnte, entweder schwerwiegende tatsächliche Gestaltungsschwierigkeiten (einheitliches freies Dienstverhältnis) oder rechtliche Bedenken (Aufspaltung in Arbeits- und freies Dienstverhältnis) entgegenstehen.
B. Würdigung des Ergebnisses und Fortgang der Untersuchung Dennoch sind die dargestellten Modelle einer alternativen Qualifizierung des Rechtsverhältnisses zwischen Lizenzfußballer und Verein in ihren Grundgedanken nachvollziehbar. Wenn sie – wie in der vorliegenden Arbeit auch – von der weit überwiegenden Ansicht der sportarbeitsrechtlichen Literatur auf der Grundlage des heute geltenden Arbeitnehmerbegriffes nicht geteilt werden, so speist sich diese Ablehnung größtenteils aus dogmatischen Gründen: Die Arbeitnehmereigenschaft von Lizenzspielern scheint im Ergebnis de lege lata zwingend zu sein. Nicht wenige derjenigen Autoren jedoch, die sich eingehender mit der Frage nach der Arbeitnehmereigenschaft beschäftigt und diese bejaht haben, bemerken auch, dass dieses Ergebnis bei einer „wertenden Betrachtung“ durchaus auf einem schmalen Fundament steht und unter Umständen einer Korrektur bedarf 386. Beispielhaft hierfür sei an dieser Stelle Kade zitiert: „Wer die Arbeitnehmereigenschaft von Berufssportlern in Frage stellt, sucht den Weg aus dem Arbeitsrecht […]. Dieses Ziel ist keineswegs verwerflich, sondern durchaus legitim, unter Umständen sogar sachgerecht und geboten“387. Dennoch müsse sich „alsbald die Erkenntnis einstellen, dass Widerstand gegen die herkömmliche Statusbeurteilung zwecklos ist und sich nicht nur die Arbeitsrichter […] mit der arbeitsrechtlichen Zuordnung werden abfinden müssen“388. 386 Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 108; P.-W. Beckmann, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 1145, 1145 ff.; Bepler, in: ders. (Hrsg.), Sportler, S. 43, 52 Fn. 27; Bühler, SpuRt 1996, 143, 147, Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 201; Körner, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 101, 104; L. Weber, Strukturen, S. 185 ff. Zu dieser Gruppe gehören im Ergebnis freilich auch diejenigen Autoren, die die Einordnung von Lizenzspielern als Arbeitnehmer schon auf der Grundlage geltenden Rechts bezweifeln, also insbesondere U. Fischer, SpuRt 1997, 181 ff.; Schimke/Menke, SpuRt 2007, 182 ff.; Scholz/Aulehner, SpuRt 1996. 44, 46 f.; Dieckmann, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 27 ff. und Menke, Unternehmertum, S. 67 ff. und S. 259 ff. Im Ergebnis gegen eine Gewährung vollen arbeitsrechtlichen Schutzes für Spitzensportler wohl auch Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1233. Generell gegen die Erforderlichkeit eines speziellen „Sportarbeitsrechts“ (wohl auch in Anbetracht der Verdiensthöhe der Lizenzfußballer) Walker, ZfA 2016, 567, 569 f., 604. 387 Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 202. 388 Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 201.
§ 4 Zusammenfassung und Würdigung des Ergebnisses
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In der Tat ist es äußerst untypisch, wenn ein Arbeitnehmer ein Gehalt in Höhe von bis zu mehreren Millionen Euro erhält und dazu nebenberufliche Einnahmen in ähnlicher Höhe erzielen kann. Vor allem deshalb wird der Einordnung des Lizenzspielers als Arbeitnehmer bisweilen auch eine rechtspolitische Bedeutung beigemessen389. Bedenken dieser Art sind dabei nicht auf die Statusbeurteilung von Berufssportlern beschränkt. So hat etwa der frühere Vorsitzende Richter am BAG Reinecke zur Arbeitnehmereigenschaft von Chefärzten ausgeführt, man könne bei „Chefärzten mit Millionen-Einkünften und großer Machtfülle in der Tat daran zweifeln, ob die rechtliche Einordnung als Arbeitnehmer“ zutrifft „und ob diese des Schutzes des Arbeitsrechts bedürfen“390. Ganz ähnlich äußern sich Bauer/von Medem: Arbeitsrechtliche Fälle, an denen Topverdiener oder andere sog. „unternehmerähnliche Arbeitnehmer“ beteiligt seien, ließen sich zwar mit arbeitsrechtlichem Handwerkszeug lösen, dennoch sei zumeist allen Beteiligten klar, „dass dieses Handwerkszeug für die Bearbeitung des Fallmaterials nicht wirklich passt“391. Schon zuvor hatte Tomandl grundsätzlich bemängelt, das Arbeitsrecht leide „unter seiner radikal egalitären Anlage, die den schlechtest qualifizierten Hilfsarbeiter grundsätzlich in gleicher Weise wie den höchstqualifizierten Top-Manager“ behandle392. Für das soeben aufgezeigte Misstrauen in Bezug auf ein dogmatisch an sich schlüssig erscheinendes Ergebnis gibt es freilich Gründe. Sie haben ihre Wurzeln letztlich in einer unzureichenden Bestimmung der Kriterien des Arbeitnehmerbegriffes und sollen im zweiten Kapitel dieser Arbeit ausführlich dargelegt werden. Nur auf einen bereits im Rahmen der Einleitung angesprochenen Gesichtspunkt, der die Diskussion vor allen Dingen ideologisch befeuert, soll hier in aller Kürze nochmals hingewiesen werden. Er ist in der Genese des Arbeitsrechts als Arbeitnehmerschutzrecht zu sehen. Der Arbeitnehmer ist nach seiner historischen Entwicklung typischerweise nicht nur persönlich abhängig. Hiermit ging in der Regel zusätzlich eine wirtschaftliche Abhängigkeit393 sowie eine soziale
389
Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 109. Reinecke, NJW 2005, 3383, 3383 f. 391 Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1233; dieses Problem ebenfalls aufwerfend, rechtliche Konsequenzen im Ergebnis aber verneinend Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1239 ff. 392 Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 11; lediglich im Ausgangspunkt der grundsätzlichen Gleichbehandlung von Spitzenverdienern und „normalen“ Arbeitnehmern zustimmend Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1239. 393 So stellte Rosin, Recht, S. 144 im Jahre 1890 eine „den privatrechtlichen Arbeitsvertrag beherrschende wirtschaftliche Abhängigkeit der arbeitenden Klassen“ fest. Auch Zöllner, RdA 1969, 65, 67 spricht davon, dass in einer bestimmten Periode des Arbeitsrechts „mit der Weisungsunterworfenheit typischerweise Schutzbedürftigkeit einherging“. 390
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1. Kap.: Der herrschende Arbeitnehmerbegriff
Schutzbedürftigkeit einher. Das ist zwar auch heute noch die Regel394; es ist aber nicht mehr uneingeschränkt der Fall395. Einige Höchstverdiener – und an deren Spitze die Lizenzfußballer – erfüllen die Kriterien des Arbeitnehmerbegriffes des BAG und scheinen doch den umfassenden Schutz des Arbeitsrechts nicht mehr zu „verdienen“, weshalb dessen Anwendung in solchen Fällen „deplatziert und zweckentfremdet“ wirkt396. Mit den Worten Rebhahns: „Das Arbeitsrecht schützt heute zuweilen besonders jene, die am Markt stark sind, und gerade jene nicht, die am Markt schwach sind“397. Die folgenden Untersuchungen müssen zeigen, ob eine pauschale Nichtberücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien bei der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes dogmatisch gerechtfertigt ist und – falls nein – wie wirtschaftliche Belange in die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts eingebettet werden können.
394 Ausdrücklich BAG NJW 1967, 1982, 1982; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 7 I. (S. 26); Buchner, NZA 1998, 1144, 1146; Hromadka, NZA 1997, 569, 576; Rancke, Berufe, S. 33 Fn. 34 m. w. N. 395 Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 15 Fn. 15 bemerkt, dass sich „Typik und typische Schutzbedürftigkeit gewaltig geändert haben“. 396 Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1233. 397 Rebhahn, RdA 2009, 236, 241; ähnlich ders., a. a. O., 236, 250.
2. Kapitel
Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Arbeitnehmereigenschaft – und damit die Anwendbarkeit von Arbeitsrecht – und die Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien, das scheint sich heute zu widersprechen. Mehr noch: Viele deutsche Juristen, ob Praktiker oder Wissenschaftler, scheinen auf diesbezügliche Vorschläge zur Modifizierung des Arbeitnehmerbegriffes mit grundsätzlicher Skepsis zu reagieren1. Stimmen, die die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts insgesamt oder jedenfalls Teile des arbeitsrechtlichen Schutzsystems und -niveaus mit der Entgelthöhe in Beziehung setzen, finden sich noch seltener; dies scheint ein nahezu völliges Tabuthema zu sein2. Das ist bei näherer Überlegung überraschend. Schließlich werden „typische“ wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer sowie eine „soziale“ Schutzfunktion des Arbeitsrechts selbst von Verfechtern der persönlichen Abhängigkeit keinesfalls geleugnet3. Zudem dürfte anerkannt sein, dass keine vorgesetzliche oder logisch zwingende Rangfolge von Elementen persönlicher oder
1 Rebhahn, RdA 2009, 236, 240; Wank, NZA 1999, 225, 227 spricht bildlich von einer „Berührungsangst“ der h. M. mit dem Merkmal der „wirtschaftlichen Abhängigkeit“; ähnlich auch Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 12. 2 Exemplarisch zuletzt – gerade mit Blick auf die Lizenzfußballer – Walker, ZfA 2016, 567, 570. In jüngster Zeit mehren sich allerdings auch erste zaghafte Vorstöße, jedenfalls de lege ferenda könne mit der Festsetzung von Entgeltgrenzen auf eine „mangelnde Schutzbedürftigkeit“ reagiert werden, vgl. in diesem Sinne etwa Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 11; noch deutlicher in diese Richtung zuletzt Annuß, NZA 2017, 345, 349 und vor allem U. Fischer, FA 2017, 34, 35 f. Die Höhe der Vergütung von Lizenzfußballern möchten Kratzer/Frodl, NZA 2015, 657, 661 und Bepler, jM 2016, 105, 110 f. schon bei der Auslegung des Arbeitsrechts de lege lata berücksichtigen; vgl. zusammenfassend auch ders., jM 2016, 151, 153. Auch im englischen Recht kommt der Höhe der Vergütung eine gewisse Indizwirkung bei der Abgrenzung des Arbeitnehmers vom Selbständigen zu, vgl. Sutschet, EuZA 2016, 171, 172 sowie Böttcher, EuZA 2017, 370, 377. 3 Schaub/Vogelsang, Arb-Hdb, § 8 Rn. 3; Buchner, NZA 1998, 1144, 1146; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 16; Herschel, ArbuR 1982, 336, 336; Hromadka, NZA 1997, 569, 576; ders., NZA 2007, 838, 840 f.; Reinecke, ZIP 1998, 581, 587; ausführlich hierzu auch Reinhardt, Phänomen, S. 332 ff. Kritisch zu diesem Widerspruch der h. M. zuletzt Wank, ArbuR 2017, 140, 145.
120 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
wirtschaftlicher Unterordnung existiert4. Für die grundsätzliche Ablehnung der Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Elemente bei der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes gibt es freilich Gründe. Der Hauptgrund scheint eine gewachsene Rechtstradition5 und die bis heute ständige Rechtsprechung des BAG zu sein, es komme nur auf die persönliche, gerade nicht auf die wirtschaftliche Abhängigkeit an6. Die Vorbehalte dürften sich nach Festschreibung dieser Rechtsprechung in § 611a Abs. 1 BGB künftig noch verstärken. Das Gericht und die ihm folgende, wohl noch herrschende Lehre haben für ihre Ansicht auch scheinbar schlagende Argumente auf ihrer Seite: Aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ergebe sich, dass nur derjenige selbständig sei, der im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen könne. Im Umkehrschluss müsse dann also derjenige, der solchen Bindungen durch den Vertragspartner gerade unterliege – und damit persönlich abhängig sei – Arbeitnehmer sein. Zudem könne aus der Existenz der bloß wirtschaftlich abhängigen arbeitnehmerähnlichen Personen, die nach der Konstruktion des Gesetzgebers augenscheinlich keine Arbeitnehmer sind, geschlossen werden, dass wirtschaftliche Abhängigkeit alleine nicht zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft ausreiche7. Das Gericht hat diese scheinbar zwingenden Erkenntnisse zur Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien bei der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes in eine kurze Formel gegossen: „Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist weder erforderlich noch ausreichend.“8
Durch diese Verknappung wird vor allem zweierlei Problematisches suggeriert: Erstens werden wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit dadurch zu Antipoden stilisiert9, die sie jedenfalls im Ergebnis zumeist überhaupt nicht sind. Zweitens wird durch die prinzipielle Weigerung zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien der Eindruck erweckt, dass diese zur Abgrenzung eines Arbeitnehmers vom Selbständigen untauglich seien oder gar mit der Anwendbarkeit des Arbeitsrechts in keinerlei Zusammenhang stünden. Auch das ist nicht korrekt. Dies herauszuarbeiten wird eine der Hauptaufgaben dieses Kapitels sein. 4
Rebhahn, RdA 2009, 154, 165; Wank, in: FS Küttner, S. 5, 10; ders., Arbeitnehmer, S. 381. 5 Statt vieler Hromadka, NZA 1998, 1, 5; ders., NZA 2007 838, 838; Reinecke, ZIP 1998, 581, 588; kritisch insoweit Rebhahn, RdA 2009, 236, 244 und Wank, NZA 1999, 225, 229. 6 Ausführlich dazu oben § 2 B. IV. 7 Dazu bereits oben § 2 B. IV. 4. a). 8 St. Rspr., vgl. etwa BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 47 zu § 5 BetrVG 1972; BAG NZA 1992, 407, 408; BAG NZA 1994, 1132, 1133; BAG NZA 1995, 622, 622; BAG NZA 1999, 374, 375 und zuletzt BAG NJW 2008, 2872, 2872; ähnlich auch Zeuner, RdA 1975, 84, 84 und Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 60. 9 Kritisch zur Gegenüberstellung auch Hromadka, DB 1998, 195, 201.
2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien 121
Die zitierte Formel des BAG kann zudem die primäre Zielrichtung der folgenden Untersuchungen vorgeben. Die Frage nach der Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien im Rahmen der Anwendbarkeitsvoraussetzungen des Arbeitsrechts lässt sich nämlich grundsätzlich aus zwei Perspektiven betrachten. Die eine Seite fragt danach, ob nicht eine ausgeprägte wirtschaftliche Abhängigkeit alleine – das heißt losgelöst vom Vorliegen einer persönlicher Abhängigkeit – genügen müsste, um arbeitsrechtlichen Schutz oder zumindest arbeitsrechtlichen Teilschutz auszulösen. Man könnte mit der genannten Formulierung des BAG danach fragen, ob eine wirtschaftliche Abhängigkeit für die Arbeitnehmereigenschaft „ausreichend“ sein kann. Die andere Seite nähert sich dem Problem auf der Basis bestehender persönlicher Abhängigkeit – also innerhalb dessen, was nach h. M. de lege lata als Arbeitnehmerschaft bezeichnet wird – und fragt danach, ob eine ausnahmsweise fehlende wirtschaftliche Abhängigkeit nicht Auswirkungen auf die (umfassende) Anwendbarkeit des Arbeitsrechts haben müsste. Wiederum mit dem BAG gesprochen geht es hier um die Frage, ob eine wirtschaftliche Abhängigkeit für den Arbeitnehmerbegriff „erforderlich“ ist. Hierbei steht also eine Begrenzung der Arbeitnehmereigenschaft nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten im Fokus. Die meisten wissenschaftlichen Stimmen beschäftigen sich in ihrem Schwerpunkt mit der zuerst genannten Perspektive, also mit der Frage, ob nicht bloß wirtschaftlich abhängige Erwerbstätige unmittelbar in den Schutzbereich des Arbeitsrechts einbezogen werden sollten und müssten. Das trifft vor allem auf diejenigen Werke zu, die insgesamt einen an wirtschaftlichen Kriterien orientierten Arbeitnehmerbegriff befürworten10. Es gilt aber auch für solche Literatur, die sich mit dem Recht der arbeitnehmerähnlichen Personen und insbesondere der Frage danach beschäftigt, ob diese als wirtschaftlich und sozial schutzbedürftig erkannten Beschäftigten nicht – etwa auf Grund analoger Anwendung einzelner Gesetze – vermehrt von Schutzmechanismen des Arbeitsrechts profitieren sollten11. Differenziert betrachtet werden müssen Stellungnahmen, die sich in ihrem Schwerpunkt dem Problem der Bekämpfung der sog. „Scheinselbständigkeit“ widmen12. 10
So vor allen Dingen das bereits oben erwähnte Konzept Wanks, Arbeitnehmer, passim; ähnlich auch Buhl, Arbeitnehmerbegriff, passim; Rancke, Berufe, passim; Traeger, Reichweite, passim. 11 Grundlegend etwa Frantzioch, Abhängige Selbständigkeit, S. 167 ff. und Neuvians, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 115 ff.; lesenswert Hromadka, NZA 1997, 1249 ff.; Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 75 ff. 12 Buchner, NZA 1998, 1144, 1144 f. weist zu Recht darauf hin, dass „scheinselbständig“ dem eigentlich Wortsinne nach nur derjenige sein kann, dessen Beschäftigungsverhältnis nach der tatsächlichen Vertragsdurchführung de lege lata dem Arbeitsrecht unterfällt, der aber – in der Regel zur Umgehung arbeitgeberseitiger Pflichten – fälschlicherweise als Selbständiger etikettiert wird. Dieses Problem kann bereits auf Grundlage des traditionel-
122 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Die Aufgabe des Arbeitsrechts ist es aber nicht nur, Schutzbedürftigen arbeitsrechtlichen Schutz zu gewähren. Genauso müssen diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind, aus seinem Anwendungsbereich herausgehalten werden13. Arbeitsrecht muss – für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber gleichermaßen – „sozial verträglich“ 14 sein. Diesen Spagat kann es aber nur dann leisten, wenn auch für den Arbeitgeber Kosten vermieden werden, die durch einen besonderen Schutzgrund nicht gerechtfertigt sind15. Das hat in der Folge auch Vorteile für die verbleibende Arbeitnehmerschaft: Zum einen kann ein ohnehin eingeengter Anwendungsbereich dazu führen, dass Anreize zu einer „Flucht aus dem Arbeitsrecht“ verringert werden16. Zum anderen können von Kosteneinsparungen der Arbeitgeber – innerhalb des eröffneten Anwendungsbereichs des Arbeitsrechts – gerade diejenigen profitieren, die materiell schutzbedürftig sind: Ein hoher Schutzstandard für Arbeitnehmer kann nur durch einen an diesen Grundsätzen ausgerichteten Anwendungsbereich erreicht17 oder gar ausgebaut werden. Dabei ist freilich und len Arbeitnehmerbegriffes gelöst werden. Dagegen kann dann, wenn eine vom geltenden Recht noch anerkannte Selbständigkeit vorliegt, streng genommen gerade nicht von Scheinselbständigkeit gesprochen werden. Stimmen, die solche Rechtsverhältnisse aus wirtschaftlichen Gründen dennoch dem Arbeitsrecht unterstellen wollen, zielen damit der Sache nach ebenfalls auf eine Erneuerung des Arbeitnehmerbegriffes. Zum Thema „Scheinselbständigkeit“ ausführlich Kramer, Scheinselbständigkeit, passim und zusammenfassend Boemke, ZfA 1998, 285, 288 f. Zu den Perspektiven von Arbeits- und Sozialrecht mit Blick auf die Zunahme „kleiner Selbständigkeit“ zuletzt Waltermann, RdA 2010, 162, 162 ff. 13 Heinze, NZA 1997, 1, 2; Rebhahn, RdA 2009, 236, 240 f.; Reinecke, ZIP 1998, 581, 587; Wank, NZA 1999, 225, 226; Mikosch, in: FS Löwisch, 189, 192. Für das Recht der arbeitnehmerähnlichen Personen ist dies auch ausdrücklich vom BAG anerkannt. Nach BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG dürfen die Tarifvertragsparteien den für die arbeitnehmerähnlichen Personen zentralen Begriff der sozialen Schutzbedürftigkeit nicht über den gesetzlich vorgegebenen Rahmen hinaus ausdehnen und damit keine weiteren (nicht sozial schutzbedürftigen) Personenkreise in den Geltungsbereich eines Tarifvertrages einbeziehen. Hierzu etwa Bauschke, RdA 1994, 209, 211. 14 Hromadka, NZA 1998, 1, 3; ähnlich Düwell, ArbuR 1998, 149, 149 (mit Rückanbindung an das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG); Griese, NZA 1996, 803, 806; Hromadka., NZA 2007, 838, 839; ders., NZA 2012, 585, 588; Thüsing, in: FS Adomeit, S. 757, 757; Wank, RdA 2010 193, 195; Reuter, in: ders. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 95, 97 und bereits Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 7 (S. 27); treffend auch die Formulierung Riebles, ZfA 1998, 327, 336: „Wieviel Schutz braucht der Arbeitnehmer und wieviel Schutz verträgt der Arbeitsmarkt?“; vgl. hierzu auch Adomeit, Arbeitsrecht, S. 26 f. und passim. Diese Abwägungsfrage entscheidet auch der Gesetzgeber bisweilen zu Gunsten der Arbeitgeber, etwa indem er Kleinbetriebe vom Anwendungsbereich des KSchG ausnimmt, vgl. § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG. 15 Ähnlich bereits Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 7 I. (S. 27); aus neuerer Zeit Hromadka, NZA 2007, 838, 839; Rebhahn, RdA 2009, 236, 245; Mikosch, in: FS Löwisch, 189, 192. 16 Mikosch, in: FS Löwisch, 189, 192. 17 Rebhahn, RdA 2009, 236, 245.
2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien 123
insbesondere zu berücksichtigen, dass Sozialstandard und Schutzmöglichkeiten des Arbeitsrechts grundsätzlich von den jeweiligen wirtschaftlichen, technischen und damit gesamtgesellschaftlichen Gegebenheiten abhängen18. Da im Rahmen der Untersuchung der Arbeitnehmereigenschaft der Lizenzfußballspieler anhand der Maßstäbe des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes jedenfalls bei wertender Betrachtung des Ergebnisses Zweifel an der materiellen Rechtfertigung einer umfassender Zuordnung zum Arbeitsrecht aufgetaucht sind, will die vorliegende Arbeit primär die zuletzt beschriebene Perspektive einnehmen. Sie verfolgt damit einen anderen – spiegelbildlichen – Ansatz als die meisten Stimmen in der Literatur und will untersuchen, ob es nicht aus verschiedenen Gründen geboten erscheint, trotz im konkreten Fall gegebener persönlicher Abhängigkeit eine im Folgenden näher zu bestimmende, fehlende „wirtschaftliche Abhängigkeit“ oder „soziale Schutzbedürftigkeit“ dazu führen kann, diesen Erwerbstätigen (Teile) arbeitsrechtlichen Schutz(es) zu versagen. Im Rahmen der äußerst umfangreichen und kaum mehr zu überblickenden19 Diskussion um den Arbeitnehmerbegriff stehen in Rechtsprechung und Literatur zumeist solche Stellungnahmen im Mittelpunkt, die sich mit der Frage beschäftigen, anhand welcher Kriterien ein Arbeitnehmer im Einzelfall von einem Selbständigen unterschieden werden kann20. Insoweit ist der zentrale Streitpunkt, ob man die relevanten Unterschiede mit dem BAG in einer rechtlichen Unterordnung bei Ausführung der Tätigkeit oder mit Teilen der Literatur in einer (jeweils unterschiedlich ausgestalteten) „wirtschaftlichen Abhängigkeit“ zu erblicken hat. Dass trotz intensiver wissenschaftlicher Begleitung eine Annäherung beider Lager noch immer nicht stattgefunden hat, führt Boemke zu Recht darauf zurück, dass zentrale Vorfragen zumeist nicht oder jedenfalls nicht umfassend beantwortet werden21. Dabei kommt vor allem einer Frage besondere Bedeutung zu: Wie sind die Voraussetzungen, von denen die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts abhängt, überhaupt zu gewinnen? Die vorliegende Arbeit möchte sich einem solchen Vorwurf nicht aussetzen und sieht die Antwort auf die soeben aufgeworfene Frage in einer umfassenden methodenorientierten Untersuchung des Arbeitnehmerbegriffes22. 18 Griese, NZA 1995, 300, 300; ders., NZA 1996, 803, 806; Hromadka, NZA 1998, 1, 9; G. Hueck, RdA 1969, 216, 217; Rebhahn, RdA 2009, 236, 241; Wank, NZA 1999, 225, 228; insoweit kritisch Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 13 f.; vgl. allgemein Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d, 778 ff. 19 So schon Boemke, ZfA 1998, 286, 287, dort auch mit umfassenden Nachweisen. 20 Boemke, ZfA 1998, 286, 289. 21 Boemke, ZfA 1998, 286, 289 f. 22 Ein Plädoyer für methodengerecht gewonnene Ergebnisse gerade im Arbeitsrecht findet sich bei Höpfner, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 97, 97 ff. und Rüthers, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 100, 102 ff., 107. Eine dementsprechende (knappe) Untersuchung des arbeitsrechtlichen Anwendungsbereichs findet sich – soweit ersichtlich – nur bei Maties, in: FS Wank, S. 323, 328 ff.
124 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Er ist der Schlüssel zur Anwendbarkeit des Arbeitsrechts und muss daher zentraler Anknüpfungspunkt sein, wenn es in diesem Kapitel um die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien geht (dazu unten § 6). Bevor diese Untersuchung erfolgen kann, ist es aber notwendig, sich einzelnen wirtschaftlichen Kriterien inhaltlich zu nähern um einigermaßen begriffliche Klarheit zu schaffen (dazu sogleich § 5).
§ 5 Die Verwendung wirtschaftlicher Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft § 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
Wenn bislang – terminologisch umständlich – oftmals von „wirtschaftlichen Kriterien“, „Belangen“ oder „Begrifflichkeiten“ die Rede war, so hat dies seine Gründe. Die Diskussion um die Arbeitnehmereigenschaft krankt allgemein und vor allen Dingen an der Unschärfe der verwendeten Begriffe23. Zwar bedienen sich Rechtsordnung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft als Instrument ihres Handelns stets der Sprache, und es muss nicht erst Wittgenstein 24 bemüht werden, um festzustellen, dass Sprache und folglich auch die hieraus gebildeten Definitionen und Begriffe der Juristen notwendig immer etwas vage, ambivalent und damit nie völlig klar sind25. Es gilt dies aber in ganz besonderem Maße für den Begriff des Arbeitnehmers, der bei genauerer Betrachtung schon kein „normaler“ Begriff, sondern ein sog. „Typusbegriff“ ist26. Das im Rahmen dieser Typusbestimmung nach herrschender Meinung entscheidende Merkmal der persönlichen Abhängigkeit, das sich nun auch in § 611a Abs. 1 BGB findet, erhielt bezeichnenderweise denn auch erst Kontur durch eine über 100 jährige Rechtsprechungstradition, stets begleitet und fortentwickelt durch die Wissenschaft27. Auf eine ähnliche Entwicklungsgeschichte in der Rechtsprechung und eine ebenso intensive Begleitung durch die Wissenschaft kann – jedenfalls im deutschen Recht – der immer wieder als Gegenbegriff 28 zur persönlichen Abhängigkeit verwendete Begriff der „wirtschaftlichen Abhängigkeit“29 nicht zurückblicken. Das 23
201.
Ausdrücklich zur begrifflichen Klarheit mahnend daher Hromadka, DB 1998, 195,
24 Zum Einfluss der Sprachphilosophie Wittgensteins auf die Rechtstheorie vgl. Röhl/ Röhl, Rechtslehre, S. 44 ff. 25 Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 14; ähnlich auch Larenz, Methodenlehre, S. 312; zum sprachtheoretischen Hintergrund vgl. Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 29 ff. 26 Dazu bereits § 2 B. IV. 27 In diesem Sinne auch Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 14 und Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 275, 279. 28 Rebhahn, RdA 2009, 154, 165. 29 Er hat zwar in der Rechtsprechung des BAG zur arbeitnehmerähnlichen Person Bedeutung gewonnen. Jedoch ist dieser Bereich gerade durch seine uneinheitliche Kasuistik
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
125
hat aber nicht nur dazu geführt, dass die genaue Reichweite dieses Begriffes in Randbereichen unklar ist30. Vielmehr muss von einer grundlegenden Unschärfe solcher Begrifflichkeiten gesprochen werden, die wirtschaftliche Zwänge, Lagen oder Abhängigkeiten (im weitesten Sinne) eines Beschäftigten beschreiben31. Das äußert sich zum Teil darin, dass demselben Begriff von verschiedenen Urhebern eine grundlegend unterschiedliche Bedeutung zugeschrieben wird. Zur besonderen Verwirrung tragen aber auch Synonymbildungen, Überschneidungen, Verwechslungen mit ähnlichen Umschreibungen und neue Begriffsbildungen32 bei. Da sich also ein einheitlicher Sprachgebrauch nicht herausgebildet hat, soll zunächst versucht werden, Verhältnis und inhaltliche Reichweite einzelner Begriffe zu bestimmen, die im Rahmen der Diskussion um die Arbeitnehmereigenschaft verwendet werden.
A. Vorbemerkungen Hierfür erscheint es zunächst zielführend, sich der Problematik auf Grundlage derjenigen Begrifflichkeiten zu nähern, die der Gesetzgeber selbst verwendet hat (dazu im Folgenden unter B.), bevor Inhalt und Verhältnis der Begriffe näher bestimmt werden können (dazu unten C.). Dabei ist sowohl für die Verwendung im Gesetzesrecht als auch für die Präzisierung der Begriffe folgendes zu beachten: Zwar ist man zu einem nicht geringen Teil gezwungen, sich solche Vorschriften und Stellungnahmen näher anzusehen, die nicht die wirtschaftliche Situation der Arbeitnehmer, sondern diejenige der arbeitnehmerähnlichen Personen beschreiben. Hieraus lassen sich aber unmittelbare Rückschlüsse für diejenigen wirtschaftlichen Begrifflichkeiten ziehen, die auch im Rahmen der Diskussion des Arbeitnehmerbegriffes verwendet werden müssen33. Denn auch arbeitnehgeprägt, die eine durchgehende Linie kaum erkennen lässt, so etwa Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 92 und ähnlich Tomandl, ZAS 2008, 100, 112. 30 Rebhahn, RdA 2009, 154, 165 bemängelt das Fehlen einer „anerkannten Umschreibung“ des Begriffes; Tomandl, ZAS 2008, 100, 111 f. meint, es sei nicht gelungen, dem Begriff „eine für die Anwendung handhabbare Kontur zu verleihen“. 31 So auch Hromadka, NZA 1997, 569, 575, der a. a. O. aber ebenfalls zur weiteren Begriffsverwirrung beiträgt, vgl. dazu näher unten 2. Kap. § 5 C. II. 1. f) und dort insbes. Fn. 184; dazu auch Tomandl, ZAS 2008, 100, 111 f.; Wank, Arbeitnehmer, S. 127. 32 Rebhahn, RdA 2009, 154, 169 f. unterscheidet (rechtsvergleichend) etwa „wirtschaftliche Abhängigkeit“ und „wirtschaftliche Unterordnung“; bei Lieb, RdA 1974, 259, 263; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 12, 15 und Traeger, Reichweite, S. 108 finden sich die ansonsten selten verwendeten Begriffe der „wirtschaftlichen Schwäche“ bzw. der „wirtschaftlich Schwachen“, vgl. dazu aber auch unten § 6 E. I. 1. 33 Ähnlich Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 214 f. und S. 227. Für die die Untersuchung „wirtschaftlicher Abhängigkeit“ von Arbeitnehmern ebenfalls normativ an § 12a Abs. 1 TVG anknüpfend Rebhahn, RdA 2009, 154, 165 und i. E. auch Tomandl, ZAS 2008, 100, 112 f.
126 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
merähnliche Personen erbringen – wie Arbeitnehmer – zum Zwecke des Erwerbs geschuldete Leistungen persönlich und für andere Personen (§ 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG). Die Konstruktion des Arbeitsrechts geht demnach davon aus, dass der entscheidende Unterschied zwischen den arbeitnehmerähnlichen Personen und den Arbeitnehmern nicht in ihrer (zumeist identischen) wirtschaftlichen Lage zu suchen ist, sondern einzig in einer fehlenden persönlichen Abhängigkeit34. Nur in diesem Sinne kann im Übrigen auch die bereits zitierte Rechtsprechung des BAG zum Arbeitnehmerbegriff gedeutet werden. Das Gericht betont dort zwar stets, „wirtschaftliche Abhängigkeit“ sei im Rahmen der Arbeitnehmereigenschaft ohne Bedeutung. Dieselbe „wirtschaftliche Abhängigkeit“ wird dann aber „an Stelle der persönlichen Abhängigkeit“35 entscheidend für die Einordnung eines Beschäftigten als arbeitnehmerähnliche Person36 herangezogen. Diese Sichtweise der begrifflichen Identität ist im Übrigen auch logisch zwingend, wenn man wie das BAG die Irrelevanz wirtschaftlicher Kriterien im Rahmen des Arbeitnehmerbegriffes entscheidend mit einem Umkehrschluss aus der gesetzlichen Existenz der arbeitnehmerähnlichen Person begründet37: Denn wenn das Gericht argumentiert, die Tatsache, dass der Gesetzgeber einen (persönlich unabhängigen, aber) wirtschaftlich abhängigen persönlich Beschäftigen als Arbeitnehmerähnlichen und gerade nicht als Arbeitnehmer einstufe, zeige, dass es auf bloße wirtschaftliche Abhängigkeit im Rahmen der Arbeitnehmereigenschaft nicht ankommen könne, so setzt dies logisch zwingend voraus, dass es dem Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit in beiden Fällen ein und dieselbe Bedeutung beilegt. Von dieser bloßen Feststellung der begrifflichen Identität zu trennen ist die sich anschließende Frage, ob die auf diese Weise herausgearbeiteten wirtschaftlichen Elemente und Kriterien im Rahmen der Bestimmung der Kriterien der Arbeitnehmereigenschaft auch dogmatisch zutreffend herangezogen werden können. Diesem Problem wird sich die zentrale methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts widmen (unten § 6).
34 BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA 2002, 1412, 1415; GMP/ Müller-Glöge, § 5 ArbGG Rn. 33; Grunsky/Waas/Benecke/Greiner, ArbGG, § 5 Rn. 26; Schaub/Vogelsang, Arb-Hdb, § 10 Rn. 3. 35 BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit; BAG AP Nr. 30 zu § 5 ArbGG 1979; BAG AP Nr. 37 zu § 5 ArbGG 1979; BAG AP Nr. 41 zu § 2 ArbGG 1979; BAG NZA 2002, 1412, 1415. 36 St. Rspr. seit BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. in diesem Sinne zuletzt etwa BAG AP Nr. 117 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 122 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ebenso Rommé, Arbeit, S. 104. 37 So etwa BAG NZA 2001, 551, 551 m. w. N.; vgl. dazu bereits oben § 2. B. IV. 4. a) und soeben unter 2. Kapitel.
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
127
B. Verwendung wirtschaftlicher Begriffe im Gesetzesrecht Der Versuch der Begriffsklärung soll mit einem Blick auf das Gesetzesrecht begonnen werden. I. Arbeitsgerichtsgesetz: wirtschaftliche Unselbständigkeit Dabei ist Ausgangspunkt der Betrachtung § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Bereits im Arbeitsgerichtsgesetz von 1934 wurde dort der Begriff „wirtschaftliche Unselbständigkeit“ eingeführt und darin erstmals ausdrücklich zu einem positivrechtlichen Kriterium erhoben. Die Norm lautete damals: „Den Arbeitern oder Angestellten stehen Personen gleich, die den Entgeltschutz nach § 2 des Gesetzes über die Heimarbeit genießen sowie sonstige nicht mit gewerblicher Heimarbeit beschäftigte Personen, die, ohne in einem Arbeitsvertragsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter anderer Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind.“38
Damit ergänzte der Gesetzgeber die ansonsten bereits im Wesentlichen gleichlautende Fassung des ursprünglichen Arbeitsgerichtsgesetzes von 192639 um das Merkmal der „wirtschaftlichen Unselbständigkeit“40. Es war bereits zuvor vom Reichsarbeitsminister als entscheidendes Charakteristikum der arbeitnehmerähnlichen Personen bezeichnet worden41. Diese seien zwar nach bürgerlichem Recht und Handelsrecht selbständig, aber dennoch schutzbedürftig, da sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise in einem dem Arbeitsverhältnis gleichartigen Verhältnis zu bestimmten Unternehmern stünden42. Eine nähere inhaltliche Konkretisierung des Begriffes lässt sich den historischen Gesetzesmaterialien jedoch nicht entnehmen. Seine heute gültige und im Vergleich zu früher deutlich verkürzte Fassung erhielt das Gesetz schließlich im Jahr 195343. In § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG heißt es seitdem unverändert: „Als Arbeitnehmer gelten auch […] sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind.“ 38
RGBl. I 1934, S. 319 (Hervorhebung vom Verfasser). RGBl. I 1926, S. 508. 40 Schwab/Weth/Kliemt, § 5 ArbGG Rn. 2 sieht hierin eine „schärfere Konturierung“ des Begriffes der arbeitnehmerähnlichen Person. 41 Abgedruckt in NZfA 1926, Spalte 303; dazu auch Hromadka, NZA 1997, 1249, 1251; Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 50. 42 Verhandlungen des Reichstags, III. Wahlperiode, Bd. 407, Drs. 2065, S. 34; vgl. zur Genese des § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG auch Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 49 f. und Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 78. 43 BGBl. I 1953, S. 1267. 39
128 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Die Gesetzesbegründung ist insoweit wenig aussagekräftig. Sie begnügt sich mit dem Hinweis darauf, durch die sprachliche Verknappung sei der Begriff der arbeitnehmerähnlichen Personen nun „klarer gefasst“44. Das muss allerdings bezweifelt werden. Es wird aus den Gesetzesmaterialien insbesondere nicht klar, ob der Gesetzgeber den nunmehr weggefallenen Passus des „Leistens von Arbeit im Auftrag und für Rechnung bestimmter anderer Personen“ als untaugliches Kriterium zur Beschreibung arbeitnehmerähnlicher Personen angesehen hatte oder er davon ausgegangen war, dieses Merkmal sei ohnehin Bestandteil der abstrakteren Formulierung der „wirtschaftlichen Unselbständigkeit“. Die bloß marginale Gesetzesbegründung lässt letztlich beide Deutungen zu. Eine nähere inhaltliche Konkretisierung des Begriffes wurde damit stillschweigend Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen. II. Bundesurlaubsgesetz: wirtschaftliche Unselbständigkeit Das im Jahr 1963 verabschiedete Bundesurlaubsgesetz45 enthält ebenfalls den Begriff der wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Dessen § 2 S. 2 lautet bis heute unverändert: „Als Arbeitnehmer gelten auch Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; für den Bereich der Heimarbeit gilt § 12.“
Mit der Aufnahme der arbeitnehmerähnlichen Personen in den Anwendungsbereich des BUrlG reagierte der Gesetzgeber hauptsächlich auf die damals geltende Gesetzeslage in den Ländern46. Dort waren arbeitnehmerähnliche Personen bereits zuvor in den Anwendungsbereich der meisten Landesurlaubsgesetze einbezogen worden47. Aus diesem Grund wird dem Bundesgesetzgeber insoweit bisweilen ein „eigenständiger und bewusster rechtspolitischer“ Gestaltungswille abgesprochen48. Dem entspricht der pauschale Hinweis der Gesetzesbegründung, der Geltungsbereich des neuen Bundesgesetzes solle nunmehr dem 44
BT-Drs. 1/3516, S. 25. BGBl. I 1963, S. 2. 46 Dabei wurde vom BAG die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass von Landesurlaubsgesetzen bezweifelt und dem BVerfG zur Überprüfung vorgelegt, vgl. BAG AP Nr. 1 zu § UrlaubsG Hamburg; BAG AP Nr. 1 zu § 1 UrlaubsG Württemberg-Baden. Das BVerfG folgte diesen Bedenken jedoch nicht und erklärte die Ländergesetze für verfassungsgemäß, vgl. BVerfG AP Nr. 2 zu § 1 UrlaubsG Hamburg. 47 So etwa Baden: § 2 Bad UrlG (GVBl. 1949, S. 289); Bremen: § 1 BremUrlG (GVBl. 1950, S. 23); Hamburg: § 2 HambUrlG (GVBl. 1951, S. 11) und Hessen: § 2 HessUrlG (GVBl. 1950, S. 165). 48 So Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 78 f.; zustimmend Reinecke, in: Däubler (Hrsg.), TVG, § 12a Rn. 3. 45
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
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Rechtszustand der meisten Länder entsprechen49. Ähnliches kann auch in Bezug auf das im Rahmen dieser Untersuchung primär interessierende Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit festgestellt werden. Durch die Formulierung des § 2 BUrlG sollte nämlich ausdrücklich eine wörtliche Übereinstimmung mit § 5 Abs. 1 ArbGG (und den meisten Landesurlaubsgesetzen) erzielt werden50. Im Übrigen stiftet die Gesetzesbegründung mehr Verwirrung als sie zur Klärung beiträgt. Wörtlich heißt es dort: „Zu den arbeitnehmerähnlichen Personen gehören in erster Linie die Heimarbeiter und die ihnen Gleichgestellten; in Betracht kommen ferner Handelsvertreter, Künstler, Musiker, Schriftsteller, Zeitungsberichterstatter usw., soweit sie in einem entsprechenden wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu einem Auftraggeber stehen.“51
Kritikwürdig ist dabei weniger der Versuch, der arbeitnehmerähnlichen Person durch die Nennung von möglichen Fallgruppen Kontur zu verschaffen. Verwunderlich ist aber, dass der im amtlichen Gesetzestext verwendete Begriff der wirtschaftlichen Unselbständigkeit52 in der Begründung mit keinem Wort erwähnt und stattdessen von einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis gesprochen wird. Man kann die Begründung ihrem Wortlaut nach so verstehen, dass ein dem Heimarbeiter „vergleichbares wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis zu einem Auftraggeber“ charakteristisch für das (damit wohl übergeordnete und weitere) Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit sein sollte. Hierzu enthält die Begründung allerdings keine weiteren Anhaltspunkte, weshalb eine synonyme Verwendung der Begriffe „wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis“ und „wirtschaftliche Unselbständigkeit“ wahrscheinlicher erscheint. III. Tarifvertragsgesetz: wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit Eine zentrale Vorschrift53 der arbeitnehmerähnlichen Personen ist § 12a TVG. Dem Gesetzeserlass vorausgegangen war eine in den 1960er beginnende Tendenz öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, ihre Beschäftigten nicht mehr als Arbeitnehmer, sondern als sog. freie Mitarbeiter anzustellen. Der Gesetzgeber versuchte, auf diese sich für die Journalisten wirtschaftlich ungünstig entwickelnde Lage mit einer Ausweitung des Tarifvertragsrechts auf arbeitnehmerähnliche
49
BT-Drs. 4/207, S. 4. BT-Drs. 4/207, S. 4. 51 BT-Drs. 4/207, S. 4 (Hervorhebung vom Verfasser). 52 Hromadka, NZA 1997, 1249, 1251 hält die Gesetzesfassung des § 2 BUrlG auf Grund der Verwendung des Begriffes „wirtschaftliche Unselbständigkeit“ für missglückt. 53 Hromadka, NZA 1997, 1249, 1251 spricht von einem „Markstein im Recht der Arbeitnehmerähnlichen“. 50
130 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Personen zu reagieren54. Am Ende des langwierigen55 und schließlich im Jahr 1974 abgeschlossenen Gesetzgebungsprozesses stand die auch heute noch gültige Formulierung des § 12a Abs. 1 TVG56: „Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten entsprechend 1. für Personen, die wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind (arbeitnehmerähnliche Personen), wenn sie auf Grund von Dienst- oder Werkverträgen für andere Personen tätig sind, die geschuldeten Leistungen persönlich oder im wesentlichen ohne Mitarbeit erbringen und a) überwiegend für eine Person tätig sind oder b) ihnen von einer Person im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das ihnen für ihre Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht […]“.
Der Gesetzgeber erhebt hier den Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit erstmals zu positivem Recht; die bislang im Zusammenhang mit arbeitnehmerähnlichen Personen verwendete Formulierung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit taucht dagegen nicht mehr auf. Diese Abweichung verwundert. Bereits die Begründung des Regierungsentwurfes erscheint insofern widersprüchlich, da sie ausdrücklich auf den Begriff wirtschaftliche Unselbständigkeit und die bereits bestehenden Regelungen der § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG und § 2 S. 2 HS. 1 BUrlG verweist und sich diese zum Vorbild nimmt, für den Gesetzestext selbst aber den Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit vorschlägt57. Dies ist umso bemerkenswerter, als der genannte Regierungsentwurf seinerseits wiederum auf einem vorangegangen Referentenentwurf aufbaut. Dieser war im Wesentlichen gleichlautend58 – verwendete aber statt des Begriffes der wirtschaftlichen Abhängigkeit noch das bereits bekannte Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Dass diese letztlich signifikante Abweichung des Wortlauts dennoch nicht begründet wurde59, lässt sich entweder damit erklären, dass es dem Gesetzgeber vornehmlich darauf ankam, sprachliche Kongruenz zum HAG zu schaffen60 oder dass er insoweit ohne Problembewusstsein handelte, da er beide Begriffe als – jedenfalls weitestgehend – synonym verstand. Insgesamt erscheint die termino-
54
So die Begründung des Gesetzentwurfes BT-Drs. 7/975, S. 1 und 20. zur Entstehungsgeschichte des § 12a TVG auch Wiedemann/Oetker, TVG, S. 71; Lieb, RdA 1974, 257, 257 f.; Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 79 f.; Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 54 ff. 56 BGBl. I 1974, S. 2884. 57 BT-Drs. 7/975, S. 20. 58 Wortlaut des Referentenentwurfs ist abgedruckt bei Wiedemann/Oetker, TVG, S. 71. 59 Auch der Ausschuss für Arbeits- und Sozialordnung, der über den Regierungsentwurf zu beraten hatte, nahm daran keinen Anstoß, vgl. BT-Drs. 7/2025, S. 5 ff. 60 Dazu sogleich § 5 B. IV. 55 Ausführlich
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
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logische Änderung zu den Bestimmungen des Arbeitsgerichtsgesetzes und des Bundesurlaubsgesetzes jedenfalls zufällig. Als Grund für die Aufnahme des weiteren Merkmals der (einem Arbeitnehmer vergleichbaren) sozialen Schutzbedürftigkeit in den Gesetzestext wird die bereits zur arbeitnehmerähnlichen Person ergangene Rechtsprechung des BAG genannt61. Sie soll neben der wirtschaftlichen Abhängigkeit das zweite Hauptkriterium der Arbeitnehmerähnlichkeit sein. Beide Kriterien sollen durch die weiteren Formulierungen des § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG noch „präzisiert“ werden, wobei auch nach Lektüre der Gesetzesbegründung im Einzelnen unklar bleibt, welche Präzisierung Anhaltspunkte für das Vorliegen welchen Kriteriums liefern soll. Unzweifelhaft wird dort lediglich deutlich, dass das in § 12a Abs. 1 Nr. 1 b) TVG genannte Merkmal das Maß der wirtschaftlichen Abhängigkeit konkretisieren können soll. Zudem wird die Höhe des Entgelts ausdrücklich als ein Kriterium der Arbeitnehmerähnlichkeit (sehr wahrscheinlich als Untermerkmal sozialer Schutzbedürftigkeit) benannt62. IV. Heimarbeitsgesetz: wirtschaftliche Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit Vergleichsweise mitteilungsbedürftig ist der Gesetzgeber auch in dem in seinen Anwendungsvoraussetzungen äußerst diffusen und schwer zu durchschauenden63 Heimarbeitsgesetz. Dieses baut historisch auf dem Hausarbeitsgesetz von 1911 auf64. Auch dort fanden sich bereits Regelungen zu persönlich arbeitenden Personen, die als (wirtschaftlich) schutzbedürftig erkannt wurden. Das Gesetz galt und gilt unmittelbar nur für Heimarbeiter und Hausgewerbetreibende (vgl. heute § 1 Abs. 1 HAG, früher § 2 Abs. 1 HAG). Dabei wurde der Heimarbeiter – in der ab 1934 gültigen Fassung – in § 3 Abs. 1 HAG65 definiert als Person, die „ohne Gewerbetreibender zu sein, in eigener Wohnung oder selbstgewählter Betriebsstätte allein oder unter Mithilfe von Familienangehörigen […] im Auftrag und für Rechnung von Gewerbetreibenden oder Zwischenmeistern gewerblich arbeitet.“
Heimarbeiter ist nach der Konstruktion des historischen Gesetzgebers damit nur derjenige, der kein Gewerbe betreibt und damit Dienste in persönlicher Ab61
BT-Drs. 7/975, S. 20. BT-Drs. 7/975, S. 20. 63 Wank, Arbeitnehmer, S. 287 f. zählt sechs mitunter kaum voneinander abgrenzbare Definitionen zur Beschreibung des persönlichen Geltungsbereichs. Insgesamt muss die Regelung als gesetzgeberisch missglückt bezeichnet werden, vgl. dazu auch Hromadka, NZA 1997, 1249, 1251. 64 RGBl. 1911, S. 976; ausführlich hierzu Hromadka, NZA 1997, 1249, 1250 ff.; Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 60. 65 RGBl. I 1934, S. 214. 62
132 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
hängigkeit leistet. Er ist also „echter“ Arbeitnehmer. Erfasst werden sollten damit vor allen Dingen die damals sog. „Außenarbeiter“66. Diese Feststellung ist vor allem deshalb beachtenswert, weil der Gesetzgeber hier zur Feststellung der „Heimarbeitereigenschaft“ und damit für das Eingreifen besonderer Rechtsfolgen – neben dem Merkmal „ohne Gewerbetreibender zu sein“ – ausdrücklich auch an zusätzliche wirtschaftliche Kriterien anknüpft. Wer dagegen kein „Außenarbeiter“ war, sondern ein Gewerbe in eigener Wohnung oder Betriebsstätte betrieb, war zwar kein Heimarbeiter, konnte aber unter die ansonsten inhaltlich nahezu gleichlautende Vorschrift des § 3 Abs. 2 HAG67 zum Hausgewerbetreibenden fallen. Begrifflich sind in beiden Formulierungen deutliche Parallelen zur ebenfalls im Jahr 1934 geänderten Fassung des § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG zu erkennen68. Hier wie dort ist für die Anwendbarkeit der jeweiligen Norm eine wirtschaftliche Situation entscheidend, in der der Betroffene Arbeit „im Auftrag und für Rechnung“ einer anderen Person leistet. Auf eine ausdrückliche Nennung des im ArbGG 1934 verwendeten Merkmals der wirtschaftlichen Unselbständigkeit hatte der historische Gesetzgeber im HAG allerdings verzichtet. Nach der heute gültigen Fassung des § 2 Abs. 1 S. 1 HAG, die mit der 1951 vom bundesrepublikanischen Gesetzgeber69 erstmals erlassenen Formulierung nahezu wortlautidentisch70 ist, ist Heimarbeiter, wer „[…] in selbstgewählter Arbeitsstätte (eigener Wohnung oder selbstgewählter Betriebsstätte) allein oder mit seinen Familienangehörigen […] im Auftrag von Gewerbetreibenden oder Zwischenmeistern erwerbsmäßig arbeitet, jedoch die Verwertung des Arbeitsergebnisses dem unmittelbar oder mittelbar auftraggebenden Gewerbetreibenden überlässt.“
Signifikanteste Änderung ist dabei die Streichung des Halbsatzes „ohne Gewerbetreibender zu sein“. Dies hatte zur Folge, dass die „Außenarbeiter“ – und mit ihnen auch alle „echten“ Arbeitnehmer – aus dem Anwendungsbereich des HAG heraus fielen71. Heimarbeiter können de lege lata nunmehr nur noch be-
66
Hromadka, NZA 1997, 1249, 1250; Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 63. RGBl. I 1934, S. 214. 68 Vgl. dazu oben § 5 B. I. 69 BGBl. I 1951, S. 191. 70 Durch das Heimarbeitsänderungsgesetz von 1974 wurde lediglich der bis dahin verwendete Begriff „gewerblich“ durch den Begriff „erwerbsmäßig“ ersetzt, vgl. BGBl. I 1974, S. 2879. Dies führte dazu, dass von nun an auch Angestelltentätigkeiten, etwa Büroheimarbeit, unter das HAG fallen konnten, vgl. dazu etwa MünchArb/Heenen, § 315 Rn. 6; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1250; Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 64. 71 Eine weitere Folge ist, dass damit eine Abgrenzung des Heimarbeiters zum Hausgewerbetreibenden nahezu unmöglich geworden ist und die Unterscheidung insgesamt als überholt angesehen werden muss (so zu Recht Hromadka, NZA 1997, 1249, 1251). 67
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
133
sonders schutzbedürftige Selbständige72 sein, weshalb sie von der h. M. als einer der praktisch wichtigsten Fälle der arbeitnehmerähnlichen Personen73 angesehen werden. Inhaltlich wird diese Schutzwürdigkeit weiterhin durch die wirtschaftliche Lage skizziert, in der sich der Heimarbeiter befindet. Der Gesetzgeber verzichtet nun aber zur Beschreibung dieser Lage auf die ursprüngliche Formulierung der Arbeit „für Rechnung“ eines anderen. Interessanterweise ist damit auch hier eine Parallele zur Entwicklung des § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG zu beobachten. Auch dort hatte sich der Gesetzgeber im Jahr 1953 dazu entschieden, den identischen, einstmals im Gesetzestext vorhandenen Passus zu streichen74. Anders als im ArbGG wurde er im HAG aber durch ein anderes Merkmal ersetzt. Entscheidend ist nun, dass der Heimarbeiter die Verwertung des Arbeitsergebnisses „und damit Gewinn und kaufmännisches Risiko“75 seinem Auftraggeber überlässt – was inhaltlich letztlich wieder eng an die bisherige Formulierung der Arbeit „für Rechnung“ eines anderen anknüpft. Der Gesetzgeber verzichtet damit zwar darauf, die bekannten Begriffe wirtschaftliche Abhängigkeit, wirtschaftliche Unselbständigkeit oder soziale Schutzbedürftigkeit explizit zu verwenden. Aus einer Stellungnahme der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren, die in Reaktion auf zuvor geäußerte Kritik des Bundesrates erging,76 ergibt sich aber, dass durch die neue Begrifflichkeit die „wirtschaftliche Abhängigkeit der in Heimarbeit Beschäftigten rechtssprachlich genauer formuliert“77 werden sollte. Anders verfährt der Gesetzgeber wiederum in § 1 Abs. 2 HAG. Dieser erweitert den Anwendungsbereich des Heimarbeitsgesetzes wie folgt: „(2) 1Ihnen [den Heimarbeitern und Hausgewerbetreibenden] können, wenn dieses wegen ihrer Schutzbedürftigkeit gerechtfertigt erscheint, gleichgestellt werden […] c) andere im Lohnauftrag arbeitende Gewerbetreibende, die infolge ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit eine ähnliche Stellung wie Hausgewerbetreibende einnehmen; […] ²Für die Feststellung der Schutzbedürftigkeit ist das Ausmaß der wirtschaftlichen Abhängigkeit maßgebend. ³Dabei sind insbesondere die Zahl der fremden Hilfskräfte, die Abhängigkeit von einem oder mehreren Auftraggebern, die Möglichkeiten des unmit72
Ausdrücklich BSG NZA 1988, 629, 629. § 315 Rn. 2; Schaub/Vogelsang, Arb-Hdb, § 163 Rn. 9; Schubert, Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 286 f.; Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 77. Im Einzelnen ist hier vieles umstritten. Für ein „Dauerrechtsverhältnis eigener Art“ etwa Otten, NZA 1995, 289, 290 ff. 74 Vgl. dazu oben § 5 B. I. 75 So ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BTDrs. 1/1357, S. 20. 76 BT-Drs. 1/1357, S. 33. 77 BT-Drs. 1/1357, S. 36 (Hervorhebung vom Verfasser). 73 MünchArb/Heenen
134 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
telbaren Zugangs zum Absatzmarkt, die Höhe und Art der Eigeninvestitionen sowie der Umsatz zu berücksichtigen.“
Hiernach kann also eine vergleichbare Schutzbedürftigkeit den Anwendungsbereich des HAG für bestimmte weitere Personen eröffnen. Dabei fällt vor allem der terminologische Unterschied zur „sozialen“ Schutzbedürftigkeit nach § 12a Abs. 1 TVG ins Auge78. Er ist umso überraschender, als man sich vergegenwärtigen muss, dass § 1 Abs. 2 S. 2 und S. 3 HAG erst durch das Heimarbeitsänderungsgesetz vom 29. Oktober 1974 und damit durch dasselbe Gesetz eingefügt worden sind, das auch die Ergänzung des Tarifvertragsgesetzes um § 12a TVG bewirkt hat79. Die sprachliche Abweichung wird nicht begründet, lässt sich aber wohl damit erklären, dass der Begriff der Schutzbedürftigkeit in § 1 Abs. 2 S. 1 HAG, auf den die neu eingefügten Sätze 2 und 3 Bezug nehmen, bereits seit 1951 durch das Gesetz verwendet worden war und daher nicht verändert werden sollte. Dass diese ursprüngliche Fassung den Begriff der Schutzbedürftigkeit nicht näher bestimmte80, wurde in der Gesetzesbegründung des Heimarbeitsänderungsgesetzes von 1974 im Übrigen ausdrücklich kritisiert. Das Merkmal sei zu allgemein und ohne nähere Konkretisierung nicht verständlich81. Dieser Mangel wurde durch die Ergänzung der Sätze 2 und 3 in der Tat behoben. Es wird nunmehr klar, dass Schutzbedürftigkeit i. S. d. HAG nur als ein Oberbegriff zu verstehen ist, der entscheidend durch das Ausmaß an wirtschaftlicher Abhängigkeit bestimmt werden muss. Aber auch diese wirtschaftliche Abhängigkeit ist wiederum nur eine Art Rahmenbegriff 82, für dessen inhaltliche Bestimmung der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 S. 3 HAG nunmehr einzelne Indizien genannt hat. Diese sind zwar als nicht abschließend („insbesondere“) zu verstehen, sollen aber nach dem Willen der Gesetzesbegründung „die in diesem Zusammenhang wichtigsten Gesichtspunkte“ enthalten83.
78
Beide Begriffe i. E. gleichsetzend Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 214 f. BGBl. I 1974, 2279 ff. (Gesetz zur Änderung des Heimarbeitsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften), Einfügung des § 12a TVG a. a. O. auf S. 2284. 80 Auch die ursprüngliche Gesetzesbegründung der Bundesregierung aus dem Jahr 1951 schwieg zur inhaltlichen Reichweite des Begriffes der „Schutzwürdigkeit“. Es wurde nur klargestellt, das Gesetz sei „auf diejenigen, aber auch nur auf die Personen auszudehnen, die eines Schutzes tatsächlich bedürfen“, BT-Drs. 1/1357, S. 20 f. 81 BT Drs. 7/975, S. 13. 82 Teile der Methodenlehre bezeichnen solche Begriffe, die sich wiederum aus Unterbegriffen zusammensetzen, auch als „Klassenbegriffe“ (Wank, Auslegung, S. 47). Im Folgenden soll aber der ebenfalls gebräuchliche Ausdruck des „Rahmenbegriffes“ verwendet werden (ebenso etwa Rebhahn, RdA 2009, 154, 161). 83 BT Drs. 7/975, S. 13. 79
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
135
V. Sonstige gesetzliche Regelungen: wirtschaftliche Unselbständigkeit Im Sinne des 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes84 sind nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AGG Beschäftigte auch „Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind.“
Dem Gesetzgeber ging es hier in der Hauptsache lediglich darum, auch arbeitnehmerähnliche Personen in den Anwendungsbereich des Gesetzes einzubeziehen. Da die Norm im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens infolgedessen kaum thematisiert worden ist85, können keine unmittelbaren Rückschlüsse auf einen gesetzgeberischen Willen bezüglich der inhaltlichen Reichweite des genannten Kriteriums gezogen werden. Bemerkenswert ist aber, dass sich der Gesetzgeber insoweit nicht an der „jüngsten“ Beschreibung der arbeitnehmerähnlichen Personen in § 12a Abs. 1 TVG (wirtschaftliche Abhängigkeit plus soziale Schutzbedürftigkeit) orientiert, sondern auf den in § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG und § 2 S. 2 BUrlG verwendeten Begriff der wirtschaftlichen Unselbständigkeit zurückgegriffen hat. Ähnliches gilt im Grundsatz auch für § 7 Abs. 1 Nr. 3 PflegeZG. Danach sind, wortlautidentisch zu der Formulierung des AGG, Beschäftigte im Sinne des seit 2008 geltenden Pflegezeitgesetzes86 auch solche „Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind.“
Interessant sind hier vor allen Dingen die Materialien zum Gesetzentwurf. Dort wird die Erweiterung des Anwendungsbereichs auf arbeitnehmerähnliche Personen damit begründet, diese seien „im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Pflegezeit wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit sozial ebenso schutzbedürftig wie Arbeitnehmer“ 87. Auch wenn sich der Gesetzgeber bei dieser Formulierung offensichtlich an der Rechtsprechung des BAG zur arbeitnehmerähnlich Person orientiert hat, ist die terminologische Diskrepanz zwischen Begründung und amtlichem Gesetzestext – vorsichtig ausgedrückt – jedenfalls unglücklich. Sie legt zum einen nahe, soziale Schutzbedürftigkeit werde entscheidend durch wirtschaftliche Abhängigkeit indiziert (was sich mit § 1 Abs. 2 S. 2 HAG deckt). Sie kann aber weitergehend auch dahin verstanden werden, die im Gesetzestext verwendete Formulierung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit, die die arbeitnehmerähnlichen Personen entscheidend kennzeichnen soll, setze sich aus den in der Begründung genannten Merkmalen der wirtschaftlichen Abhängigkeit und 84
BGBl. I 2006, S. 1897. Vgl. stellvertretend die nur sehr allgemeinen gehaltenen Ausführungen der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zu § 6 AGG, BT-Drs. 16/1780, S. 34. 86 BGBl. I 2008, S. 874, 896. 87 BR-Drs. 718/07, S. 225. 85
136 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
sozialen Schutzbedürftigkeit zusammen. Ob dies tatsächlich so gemeint war, darf allerdings bezweifelt werden. Nur ergänzend sei an dieser Stelle noch auf das Arbeitsschutzgesetz von 1996 hingewiesen88. Hier definiert der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 Nr. 3 ArbSchG die arbeitnehmerähnlichen Personen durch einen Verweis auf § 5 Abs. 1 ArbGG und stellt damit ebenfalls mittelbar auf den Begriff der wirtschaftlichen Unselbständigkeit ab89. VI. Zusammenfassung Der Gesetzgeber hat einen großen Teil zur begrifflichen Verwirrung beigetragen90. Er verwendet die Formulierungen wirtschaftliche Unselbständigkeit, wirtschaftliche Abhängigkeit und (soziale) Schutzbedürftigkeit. Dabei ist insbesondere nicht klar, in welchem Verhältnis die Begriffe der wirtschaftlichen Abhängigkeit und wirtschaftlichen Unselbständigkeit zueinander stehen. Der ursprünglichen gesetzlichen Systematik fremd erscheinen insoweit vor allem die beiden im Jahr 1974 im Heimarbeitsänderungsgesetz erlassenen Regelungen im HAG und in § 12a Abs. 1 TVG91. Sie sind die ersten und einzigen Normen, die arbeitnehmerähnliche Personen ohne Bezugnahme auf das Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit zu definieren versuchen und stattdessen das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit verwenden. Wenig hilfreich sind insoweit auch die jeweiligen Gesetzesbegründungen. Dort scheint manches für eine Überordnung des Begriffes der wirtschaftlichen Unselbständigkeit92, vieles aber auch für eine synonyme Verwendung beider Begriff zu sprechen93. Auch eine Abgrenzung der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Merkmal der (sozialen) Schutzbedürftigkeit ist schwierig94. § 12a Abs. 1 TVG, in dem beide Begriffe 88
BGBl. I 1996, S. 1246. zur Genese des § 2 ArbSchG Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 70 ff. 90 Von einem „arg inhomogenen Gesetzessprachgebrauch“ spricht daher Brammsen, RdA 2010, 267, 267 f. 91 Dies vor allem deshalb, weil sich der Gesetzgeber vor allem an den von der Rechtsprechung entwickelten Merkmalen zur arbeitnehmerähnlichen Person orientierte, vgl. Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 80. 92 Nach Schubert, Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979 soll der Begriff der „wirtschaftlichen Unselbständigkeit“ sich aus den Elementen der „wirtschaftlichen Abhängigkeit“ und „sozialen Schutzbedürftigkeit“ zusammensetzen. 93 In diesem Sinne ausdrücklich Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9; auch Rebhahn, RdA 2009, 236, 246 Fn. 96 vermutet wohl einen Willen des Gesetzgebers zur Gleichsetzung beider Begriffe. 94 Kritisch daher Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252 und Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 85 m. w. N. 89 Ausführlich
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
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als scheinbar kumulative Voraussetzungen verwendet werden, trifft hierzu keine eindeutige Aussage. Klar ist demgegenüber allerdings die Regelung des § 1 Abs. 2 S. 2 HAG: Schutzbedürftigkeit ist hier der Oberbegriff, der entscheidend über das Ausmaß der wirtschaftlichen Abhängigkeit bestimmt werden muss95. Auch inhaltlich ist die Reichweite der verwendeten Begrifflichkeiten alles andere als eindeutig. Diesbezüglich geben aber gerade die soeben als „systemfremd“ bezeichneten Vorschriften einigen Aufschluss über den gesetzgeberischen Willen. Allgemeingültige Aussagen sind dabei zwar grundsätzlich problematisch, weil die verwendeten Begriffe jeweils nur den Anwendungsbereich ihres eigenen Gesetzes beschreiben und darüber hinaus grundsätzlich96 nicht unmittelbar maßgeblich sein können. Der Sache nach haben sie aber über Gesetzesgrenzen hinweg dieselbe Bedeutung97. Für die wirtschaftliche Abhängigkeit soll es jedenfalls für das Heimarbeitsgesetz nach § 1 Abs. 2 S. 3 HAG auf die Zahl fremder Hilfskräfte, die Abhängigkeit von einem oder mehreren Auftraggebern, die Möglichkeit des unmittelbaren Zugangs zum Absatzmarkt und den Umsatz ankommen. Ausweislich des Wortlauts und der Gesetzesbegründung98 zu § 12a Abs. 1 TVG kann insoweit nur zweierlei gesagt werden: Erstens soll es hier für die wirtschaftliche Abhängigkeit mitentscheidend sein, ob einem Beschäftigten von einer Person im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das ihm für seine Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht (§ 12a Abs. 1 Nr. 1 lit. b) TVG). Zweitens soll die Entgelthöhe wohl als ein Kriterium der sozialen Schutzbedürftigkeit dienen. Die sonstigen in § 12a Abs. 1 TVG genannten Gesichtspunkte (persönliche Leistungserbringung im Wesentlichen ohne Mitarbeiter; Tätigkeit für überwiegend eine Person) sind durch bloße Lektüre des Gesetzes und der dazugehörigen Materialien keinem der beiden Oberbegriffe eindeutig zuzuordnen.
95
§ 12a Abs. 1 TVG auch in diesem Sinne deutend Hromadka, NZA 1997, 1249, 1254. für § 12a Abs. 1 TVG etwa BAG NJOZ 2006, 3821, 3822; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 193; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 191; Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 87 f.; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 275, 285; zustimmend insoweit auch ErfK/ Gallner, § 2 BUrlG Rn. 2. Alle hier zitierten Stimmen gehen a. a. O. aber jedenfalls im Ergebnis davon aus, dass die in § 12a Abs. 1 TVG genannten Merkmale, insbesondere die genannten Zeit- und Verdienstrelationen, auch außerhalb des TVG herangezogen werden können. Kempen/Zachert/Stein, § 12a TVG Rn. 9 stellt daher zu Recht fest, dass sich die in § 12a Abs. 1 TVG enthaltenen Elemente zu allgemeinen Kriterien entwickelt haben. 97 So ausdrücklich Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 88; ähnlich Boemke, ZfA 1998, 285, 318; Buchner, NZA 1998, 1144, 1146. 98 BGBl. I 1974, S. 2884. 96 So
138 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
C. Präzisierung von Verhältnis, Inhalt und Zusammenhang der im Gesetz verwendeten Begriffe In Bezug auf die gesetzlich verwendeten Begriffe bedarf es nun einer Konkretisierung sowohl deren Inhalts (dazu unten II.) als auch ihres grundsätzlichen Verhältnisses zueinander (dazu sogleich I.), bevor erst in einem nächsten Schritt auf den im Rahmen dieser Untersuchung besonders interessierenden Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit, sozialer Schutzbedürftigkeit und insbesondere der Entgelthöhe eines Beschäftigten eingegangen werden kann (dazu unten III.). I. Verhältnis der Begriffe 1. Wirtschaftliche Abhängigkeit und wirtschaftliche Unselbständigkeit Auf Grund der soeben in Kürze angerissenen Entstehungsgeschichte der positivrechtlichen Grundlagen darf es nicht überraschen, wenn das Verhältnis der vom Gesetzgeber verwendeten Begrifflichkeiten auch in der Rechtsanwendung zu erheblichen Schwierigkeiten führt. Eine einheitliche Linie hat sich insoweit in Rechtsprechung und Literatur nicht herausgebildet. Ursächlich hierfür ist vor allem zweierlei: Erstens legt der Gesetzeswortlaut der § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG, § 2 S. 2 BUrlG, § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AGG und § 7 Abs. 1 Nr. 3 PflegeZG wie soeben ausgeführt nahe, alleine die wirtschaftliche Unselbständigkeit entscheide über die Einordnung einer Person als arbeitnehmerähnlich. Zweitens deckt sich diese terminologische gesetzliche Voraussetzung nicht mit der allgemeinen Definition der arbeitnehmerähnlichen Person durch die st. Rspr. und die h. L. Danach setzt Arbeitnehmerähnlichkeit (nicht ausschließlich i. S. d. § 12a TVG und damit auch im Anwendungsbereich der eben zitierten Normen) kumulativ eine wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit voraus99. Hieraus wird – bei rein formaler Sichtweise nachvollziehbar – bisweilen der Schluss gezogen, wirtschaftliche Unselbständigkeit sei der Oberbegriff und setze sich aus den anderen beiden Begriffen zusammen100. Indes hilft diese Sichtweise – die sich im Übrigen nur auf den Begriff der wirtschaftlichen Unselbständigkeit i. S. d. der genannten Normen bezieht und nichts 99 Statt vieler HWK/Thüsing, § 611 BGB Rn. 113; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 285; Schubert, Schutz, S. 26. 100 So ausdrücklich Schubert, Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979; wohl auch dies., Schutz, S. 28 und LAG Bremen AP Nr. 3 zu § 5 ArbGG 1953 („wirtschaftliche Unselbständigkeit“ werde durch das Ausmaß „wirtschaftlicher Abhängigkeit“ bestimmt); ähnlich LAG Düsseldorf AP Nr. 6 zu § 5 ArbGG 1953. Wiederum anders die Terminologie bei Wachter, Wesensmerkmale, S. 75 ff., bei dem sich die wirtschaftliche Unselbständigkeit aus persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit zusammensetzt.
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über dessen Inhalt bei anderweitiger Verwendung aussagt – schon inhaltlich nicht weiter. Der wirtschaftlichen Unselbständigkeit wird nämlich von dieser Ansicht kein selbständiger Erklärungsgehalt zugeschrieben, der über die Unterbegriffe wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit hinausgeht101. Diese Interpretation trägt darüber hinaus aber vor allen Dingen zur zusätzlichen Verwirrung bei, da sie sich nicht mit dem tatsächlich herrschenden Sprachgebrauch deckt. Die Begriffe wirtschaftliche Abhängigkeit und wirtschaftliche Unselbständigkeit werden von der Rechtsprechung102 und der Literatur103 nämlich überwiegend als Synonyme gebraucht104, wobei die wirtschaftliche Abhängigkeit als Zentralbegriff verwendet wird und damit quantitativ eindeutig im Vordergrund steht. Der Grund für diese teilweise Abweichung der Rechtspraxis von der positivrechtlichen Terminologie ist historisch gewachsen und letztlich dadurch erklärbar, dass die Rechtsprechung den Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit bereits kreiert und verwendet hatte105, lange bevor er – bzw. der verwandte Begriff der wirtschaftlichen Unselbständigkeit – im positiven Gesetzesrecht zum ersten Mal in § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG 1934 auftauchte. Federführend war insoweit die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA), das den Begriff 101
Schubert, Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979; dies., Schutz, S. 28 ff. gilt in der Regel auch für den Sprachgebrauch innerhalb des Anwendungsbereichs von § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG, § 2 S. 2 BUrlG, § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AGG und § 7 Abs. 1 Nr. 3 PflegeZG. So spricht etwa BAG AP Nr. 2 zu § 5 ArbGG 1953 wörtlich von „wirtschaftlicher Abhängigkeit i. S. des § 5 ArbGG“ (ebenso auch schon RAG ARS Bd. 36, 256, 257); BAG NJOZ 2006, 3821, 3821 führt aus: „Als Arbeitnehmer nach § 2 S. 2 BUrlG gelten auch Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit [sic!] als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind“. Synonyme Begriffsverwendungen finden sich darüber hinaus in zahlreichen Entscheidungen, vgl. etwa BAG AP Nr. 2 zu § 5 ArbGG 1953; BAG AP Nr. 17 zu § 5 ArbGG 1953; BAG NJW 1962, 1125, 1125; BAG AP Nr. 2 zu § 2 BUrlG; BAG AP Nr. 30 zu § 5 ArbGG 1979; BAG AP Nr. 9 zu § 5 ArbGG 1979; BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit; BAG NZA 2007, 699, 700 und zuletzt BAG NZA 2011, 309, 310. 103 Synonyme Verwendung beispielsweise bei ErfK/Gallner, § 2 BurlG Rn. 2; ErfK/ Koch, § 5 ArbGG Rn. 5; Grunsky/Waas/Benecke/Greiner, ArbGG, § 5 Rn. 25 f.; Schaub/ Vogelsang, Arb-Hdb, § 10 Rn. 3; Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1240; G. Hueck, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 2 BUrlG; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 203; Richardi, JA 1986, 289, 295 (deutlich in Fn. 40); Rieble, ZfA 1998, 327, 345 f.; Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 56; Neuvians, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 70; Wank, Arbeitnehmer, S. 9. Anders wiederum Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 310, der a. a. O. den Begriff der „wirtschaftlichen Unselbständigkeit“ mit der „Vermögenslosigkeit der arbeitenden Klassen“ im 19. Jahrhundert in Verbindung bringt. Kritisch zur synonymen Verwendung und eine Differenzierung vorschlagend Hromadka, NZA 1997, 569, 575; Rebhahn, RdA 2009, 236, 237 und 246 Fn. 96. Vgl. dazu auch nochmals unten § 5 C. II. 1. f). 104 Reinhardt, Phänomen, S. 142 bezeichnet die synonyme Verwendung als oberflächlich und irreführend. 105 Zutreffend erkannt auch von Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 4. 102 Dies
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zunächst benutzte, um den Arbeitnehmer vom Selbständigen abzugrenzen. Hierauf wird an anderer Stelle noch ausführlicher zurückzukommen sein106. Hier soll einstweilen der Hinweis darauf genügen, dass die Rechtsprechung den zuvor entwickelten Begriff trotz des inzwischen sprachlich abweichenden Gesetzeswortlauts auch in der Folge beibehielt. Viele der heutigen terminologischen Probleme wären jedenfalls vermieden worden, hätte der Gesetzgeber – der sich inhaltlich zweifellos an der ihm bekannten Rechtsprechung orientiert hatte – auch an die Begriffsbildung der Reichsgerichte angeknüpft und den Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit statt dem der wirtschaftlichen Unselbständigkeit im positiven Recht verwendet. An den überkommenen und in der Rechtsanwendung auch heute noch herrschenden Sprachgebrauch will jedenfalls die vorliegende Arbeit anknüpfen. Wirtschaftliche Abhängigkeit wird daher als Zentralbegriff, wirtschaftliche Unselbständigkeit als Synonym verwendet107. Ein solcher Sprachgebrauch deckt sich im Übrigen mit demjenigen, der bei der Bezeichnung der persönlichen Abhängigkeit gebräuchlich ist – auch dort wird der Begriff der persönlichen Unselbständigkeit als inhaltlich gleichbedeutend verstanden108. 2. Wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit Für das Verhältnis der wirtschaftlichen Abhängigkeit zur sozialen Schutzbedürftigkeit empfiehlt sich eine Orientierung am insoweit klaren Wortlaut des § 1 Abs. 2 S. 2 HAG: (Soziale) Schutzbedürftigkeit wird allgemein und auch im Rahmen dieser Arbeit als Oberbegriff verstanden, der entscheidend durch das Ausmaß wirtschaftlicher Abhängigkeit bestimmt wird. Ein Erwerbstätiger ist nämlich gerade wegen seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit in der Regel auch sozial schutzbedürftig109. II. Inhalt der Begriffe Nachdem für das Verhältnis der verwendeten Begriffe jedenfalls für den Rahmen dieser Arbeit Klarheit besteht, soll nun deren Inhalt näher konkretisiert werden.
106
Dazu genauer § 6 D. I. Wie hier ausdrücklich auch Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 274. 108 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9. 109 In diesem Sinne auch Kempen/Zachert/Stein, § 12a TVG Rn. 9; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1254; Reinhardt, Phänomen, S. 268; Schubert, Schutz, S. 23. Ausführlich dazu unten § 5 III. 107
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1. Wirtschaftliche Abhängigkeit Wie für das Begriffsverhältnis zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit kann auch für die Inhaltsbestimmung des Begriffes der wirtschaftlichen Abhängigkeit § 1 Abs. 2 S. 2 HAG die entscheidende Richtung vorgeben. Dabei müssen zwar die heimarbeitsspezifischen Besonderheiten außer Betracht bleiben; die Vorschrift macht aber jedenfalls deutlich, dass der Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit als Rahmenbegriff zu verstehen ist, der sich – ähnlich dem Merkmal der persönlichen Abhängigkeit – aus verschiedenen, in der Folge näher zu präzisierenden, Einzelmerkmalen oder Gesichtspunkten zusammensetzt110. Es müssen – ebenfalls analog zur persönlichen Abhängigkeit – nicht immer alle Kriterien bejaht werden, um eine Person als wirtschaftlich abhängig bezeichnen zu können. Entscheidend ist auch hier eine wertende Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung aller Umstände111. Zu beachten ist vor allen Dingen, dass die im Folgenden aufgeführten Einzelmerkmale sich teilweise überschneiden, gegenseitig bedingen, wechselseitig beeinflussen und gerade nur in ihrem Zusammenwirken zur wirtschaftlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten führen können. a) Grundsatz Wirtschaftliche Abhängigkeit im natürlichen Sprachsinne ist ein umfassender und äußerst abstrakter Begriff mit vielfältiger Bedeutung. Wer etwa über kaum Privatvermögen oder ein geringes Einkommen verfügt und daher auf staatliche Leistungen angewiesen ist, den mag man als wirtschaftlich abhängig vom Staat bezeichnen112. Auch Kinder oder unter Umständen Ehegatten können von ihren Eltern oder ihrem Partner wirtschaftlich abhängig sein. Indes haben solche Abhängigkeiten mit dem hier untersuchten Rechtsbegriff nur die Bezeichnung gemein. Wirtschaftlich abhängig im hier gebrauchten Sinne der Diskussion um die Arbeitnehmereigenschaft oder die Arbeitnehmerähnlichkeit kann zunächst immer nur eine solche natürliche Person113 sein, die – um mit dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 110 So bereits die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts, vgl. RAG ARS 207, 207 f. und ähnlich RAG ARS 30, 284; ebenso Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 85; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 285; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 293. 111 Ähnlich und ausführlich Schubert, Schutz, S. 24 ff. und 39; teilweise abweichend Reinhardt, Phänomen, S. 257 ff.; speziell für die wirtschaftliche Abhängigkeit i. S. v. § 1 Abs. 2 S. 2 HAG Schmidt/Koberski/Tiemann/ Wascher, § 1 HAG Rn. 41; zur typologischen Beschreibung der arbeitnehmerähnlichen Person, die entscheidend durch das Maß an wirtschaftlicher Abhängigkeit beschrieben wird, Herschel, ArbuR 1982, 336, 336. 112 Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 289; vgl. hierzu auch die Klarstellung von Wank, in: FS Küttner, S. 5, 15. 113 Da nur natürliche Personen „wirtschaftlich abhängig“ in dem hier diskutierten Sinne sein können (vgl. nur Schubert, Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979;
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HAG zu sprechen – „erwerbsmäßig“114 arbeitet. Daher scheiden die als Beispiele genannten Kinder oder Lebenspartner grundsätzlich ebenso als wirtschaftlich Abhängige aus, wie derjenige, der bloß ein Hobby betreibt. Betont werden muss aber vor allen Dingen, dass der Begriff nicht eine Situation genereller finanzieller bzw. wirtschaftlicher Schwäche115 oder der Vermögenslosigkeit und auch nicht die Angewiesenheit auf die Verwertung der Arbeitskraft „an sich“116 meint, um sich etwa durch den Abschluss von (Arbeits-)Verträgen den Lebensunterhalt verdienen zu können117. Wer diesen wirtschaftlichen Zwang zur Verwertung seiner Arbeitskraft mit dem heute in der Arbeitnehmerdiskussion verwendeten Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit gleichsetzt und ihn schon aus diesem Grund als untauglich zur Abgrenzung eines Arbeitnehmers oder Arbeitnehmerähnlichen vom Selbständigen einstuft, verwendet den Begriff in einem zu weiten Sinne und unterliegt damit einem Fehlverständnis118. Denn zweifellos können und werden in der Regel auch die meisten Selbständigen diesem Zwang unterliegen119. Wenn – um ein wiederholt auftauchendes Beispiel von Richardi aufzugreifen – ein selbständiger Handwerker im Regelfall darauf angewiesen ist, den Lebensunterhalt seiner Familie durch seine Erwerbstätigkeit zu bestreiten, so macht ihn dies freilich noch nicht zum Arbeitnehmer120. Es macht ihn im Regelfall aber schon genauso wenig wirtschaftlich abhängig im Rechtssinne (und damit auch Wachter, Wesensmerkmale, S. 90, 204), können auch Vergleiche mit weitgehenden, im sonstigen Wirtschaftsleben bestehenden „wirtschaftlichen Abhängigkeiten“ (Horn/ Henssler, ZIP 1998, 589, 599 und Rieble, ZfA 1998, 327, 339 nennen das Beispiel von Zuliefererbetrieben in der Automobilbranche, Rieble, ZfA 1998, 327, 337 f. spricht zudem auch von dem Verhältnis zwischen Unternehmen und Banken oder anderen Geldgebern) in der Regel keine Argumente für oder gegen eine weite Auslegung des Begriffes im hier gebrauchten Sinne liefern. Polemische (in der Sache aber zutreffende) Kritik zu diesem Begriffs(miss)verständnis findet sich bei Wank, in: FS Küttner, S. 5, 15 und ders., ArbuR 2017, 140, 145. 114 Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252. 115 Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 286; Wank, RdA 2010, 193, 194; Reinhardt, Phänomen, S. 146; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 228. 116 Grunsky, ArbGG, § 5 Rn. 17 (7. Auflage); ähnlich Grunsky/Waas/Benecke/Greiner, ArbGG, § 5 Rn. 28. 117 So aber Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 7 (S. 26); Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 310. In diese Richtung zuletzt wohl auch Deinert, RdA 2017, 65, 69. 118 So aber P.-W. Beckmann, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 1145, 1148; Richardi, JA 1986, 289, 295; Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 313 f.; wohl auch Buchner, NZA 1998, 1144, 1146 f. und Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 203 f.; klarstellend Wank, in: FS Küttner, S. 5, 15; ders., RdA 2010, 193, 194; ders., ArbuR 2017, 140, 143 f. 119 Rebhahn, RdA 2009, 154, 159. 120 Richardi, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 607, 613; ders., JA 1986, 289, 295; ders., in: FS Hromadka, S. 309, 313 f.; ähnlich Maschmann, Arbeitsverträge, S. 40.
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nicht zum Arbeitnehmerähnlichen121) – es sei denn, es treten weitere, noch zu präzisierende Voraussetzungen hinzu. Entscheidend ist in jedem Falle immer die wirtschaftliche Abhängigkeit von einem konkreten Vertragspartner122 bzw. die existenzielle Angewiesenheit auf die Vergütung für eine Dienstleistung innerhalb einer bestimmten (Dauer-)Rechtsbeziehung123. Wann im Einzelfall nach einer Gesamtbetrachtung die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Vertragspartner angenommen werden kann, richtet sich nach den folgenden Kriterien. b) Dauer der Tätigkeit Bedeutung für das Maß an wirtschaftlicher Abhängigkeit hat zunächst die Dauerhaftigkeit der Rechtsbeziehung zu einem Vertragspartner124. Die h. M. knüpft diese Voraussetzung wirtschaftlicher Abhängigkeit normativ an das Merkmal der „erwerbsmäßigen Tätigkeit“ i. S. v. § 2 Abs. 1 HAG125. Die Dauer der Rechtsbeziehung wird aus gutem Grund berücksichtigt, denn gerade und vor allem durch die ständige oder regelmäßige Arbeit eines Erwerbstätigen für einen bestimmten Auftraggeber entsteht eine intensive Bindung zwischen den Beteiligten, da Arbeitsorganisation und Investitionen hauptsächlich auf einen Geschäftspartner ausgerichtet werden126. Dagegen reichen bloß einmalige127
121 Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 286; Reinhardt, Phänomen, S. 146; allgemeiner Wank, in: FS Küttner, S. 5, 15. 122 BAG AP Nr. 2 zu § 2 BUrlG; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9; G. Hueck, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 2 BUrlG; Lieb, RdA 1974, 259, 262; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 286; Reinhardt, Phänomen, S. 146; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 286; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 228. 123 Deutlich bei BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit; BAG NZARR 2006, 616 (2. Leitsatz); so auch bereits BAG AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 2 zu § 2 BUrlG; BAG AP Nr. 9 zu § 5 ArbGG 1979; BAG AP Nr. 30 zu § 5 ArbGG 1979; Rebhahn, RdA 2009, 154, 165. Im Ergebnis ebenso, aber zu Missverständnissen verleitend die Formulierung in BAG NZA 2002, 1412, 1415: „Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn der Betreffende auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und die Einkünfte aus der [lies: konkreten] Dienstleistung als Existenzgrundlage angewiesen ist“. 124 BAG AP Nr. 2 zu § 5 ArbGG 1953; BAG AP Nr. 6, 7 und 14 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1253 f.; ders., NZA 2007, 838, 841; Lieb, RdA 1974, 257, 264; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 286; Schubert, Schutz, S. 62; a. A. soweit ersichtlich nur Reinhardt, Phänomen, S. 370. 125 BAG NZA 1989, 141 (1. Leitsatz); MünchArb/Heenen, § 315 Rn. 6; zustimmend Hromadka, NZA 2007, 838, 840. 126 Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 286; Schubert, Schutz, S. 29, 32 und 62. 127 BAG AP Nr. 14 zu § 611 BGB.
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oder kurzzeitige128 Leistungserbringungen aus zweierlei Gründen nicht aus, um eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu begründen. Auf der einen Seite führen sie in der Regel schon nicht dazu, dass der Auftragnehmer auf die Tätigkeit und die daraus fließende Vergütung zur Sicherung seiner Existenzgrundlage angewiesen ist129, wie es von der h. M. zu Recht gefordert wird130. Sollte ein Auftragnehmer dennoch wirtschaftlich von der Vergütung für diese Tätigkeiten abhängen, so muss auf der anderen Seite beachtet werden, dass die Feststellung wirtschaftlicher Abhängigkeit unter Umständen mit – aus Sicht des Auftraggebers131 – nachteiligen Rechtsfolgen verbunden ist. Die Überbürdung solcher zusätzlicher Pflichten gegenüber einem Vertragspartner ist aber gerade nur im Rahmen einer Dauerbeziehung zu rechtfertigen132. Denn in diesen Fällen verlässt sich der Auftragnehmer nicht nur auf das Fortbestehen der Vertragsbeziehung für die Zukunft und kann daher davon ausgehen, die aus der Leistungsbeziehung fließende Vergütung zur Sicherung seiner Existenzgrundlage zu verwenden133. Oftmals wird er sich bei dauerhaften Rechtsbeziehungen auch auf einen einzigen Auftraggeber konzentrieren und damit auf ein anderweitiges Auftreten am Wirtschaftsmarkt verzichten – wofür der Vertragspartner letztlich „verantwortlich“134 zeichnet. Dagegen werden demjenigen, der bloß kurzzeitig für einen anderen tätig wird, seine Marktchancen vom Auftraggeber gerade nicht genommen. Allgemeine Aussagen bzw. starre zeitliche Grenzwerte zu einer Mindestdauer der Rechtsbeziehung gibt es insoweit zwar nicht135. Das BAG hat allerdings entschieden, ein Zeitraum „von mehr als 9 Monaten“ könne genügen136; in einer frühen Entscheidung wurde bereits „ein Semester“ als ausreichend eingestuft137. In der Literatur wird es als überzeugend angesehen, von wirtschaftlicher Abhängigkeit im hier gebrauchten Sinne jedenfalls in der Regel erst dann zu sprechen, wenn die Rechtsbeziehung zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber mindestens sechs Monate bestanden 128 BAG AP Nr. 23 zu § 611 BGB (nebenberuflich 4 Wochen pro Jahr); Hromadka, in: FS Söllner, S. 461, 466. 129 Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 195. 130 BAG AP Nr. 14 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 9 zu § 5 ArbGG 1979; BAG AP Nr. 30 zu § 5 ArbGG 1979; BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit; Herschel, DB 1977, 1186, 1187; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1253; ders., NZA 2007, 838, 840. 131 Zur Notwendigkeit der Berücksichtigung der Belastungsgrenzen der Wirtschaft bei Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts bereits Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 7 I. (S. 27). 132 Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 195. 133 Tomandl, ZAS 2008, 100, 107. 134 Hromadka, NZA 1997, 1249, 1254; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 204; Schubert, Schutz, S. 32. 135 Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 194. 136 BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit. 137 BAG AP Nr. 11 zu § 5 ArbGG 1953.
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hat. Eine solche Karenzzeit könne nämlich normativ an arbeitsrechtliche Schutzvorschriften wie etwa § 1 Abs. 1 KSchG oder § 4 BUrlG anknüpfen, die ihr volles Schutzniveau ebenfalls von der entsprechenden Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses abhängig machten138. c) Umfang der Tätigkeit Auch der Umfang der Tätigkeit eines Beschäftigten im Rechtsverhältnis zu einem Vertragspartner, kann eine Rolle für das Maß seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit spielen139. Das hat nach der Rechtsprechung des BAG zu den arbeitnehmerähnlichen Personen aber nur dann zu gelten, wenn dieser so erheblich war, dass der Auftragnehmer praktisch nicht mehr die Möglichkeit hatte, für andere Auftraggeber tätig zu werden140. Umgekehrt wird ein in absoluten Zahlen bemessener Mindestumfang der Tätigkeit gerade nicht gefordert. Das Gericht verwendet den zeitlichen Umfang damit im Ergebnis als reinen Pro-Indikator wirtschaftlicher Abhängigkeit141. Damit ist gemeint, dass ein großer zeitlicher Tätigkeitsumfang zwar dazu geeignet ist, die wirtschaftliche Abhängigkeit des Beschäftigten zu indizieren. Dagegen kann ein geringer Umfang nicht – als Contra-Indikator – entscheidend gegen die Annahme wirtschaftlicher Abhängigkeit herangezogen werden. Auch wenn das Kriterium in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur arbeitnehmerähnlichen Person insgesamt nur eine untergeordnete Rolle einnimmt142, so ist es damit für das Vorliegen wirtschaftlicher Abhängigkeit jedenfalls dann ein wichtiges Indiz, wenn ein Beschäftigter tatsächlich in erheblichem143 Umfang für einen bestimmten Auftraggeber tätig wird, da er seinen Tätigkeitsschwerpunkt und seine Arbeitsorganisation dann regelmäßig auf diesen Vertragspartner fokussieren wird. Wohl aus diesem Grund hat das BAG teilweise auch die Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft von freien Mitarbeitern – allerdings unausgesprochen – zumindest auch auf einen erheblichen Arbeitsumfang und damit auf ein Kriterium gestützt, das nicht unmittelbar der persönlichen Abhängigkeit zugeordnet werden kann144. 138 Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 195; i. E. ähnlich Hromadka, NZA 1997, 1249, 1254 Fn. 61; a. A. etwa Schubert, Schutz, S. 48 (wirtschaftliche Abhängigkeit eines Beschäftigten vom Auftraggeber erst nach über einjähriger Tätigkeit für diesen). 139 So bereits Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6 f. und 9 und Fn. 66, dort als Element sozialer Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmer sowie von Arbeitnehmerähnlichen geprüft; vgl. dazu auch dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 140 BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit; ähnlich Hromadka, NZA 1997, 1249, 1253. 141 Begriff nach Rebhahn, RdA 2009, 154, 165 Fn. 125. 142 So jedenfalls Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 194. 143 Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196. 144 BAG AP Nr. 20, 21, 32 und 36 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. dazu auch unten § 6 C. IV. 1. a).
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Vor allem mit Blick auf etwaige nachteilige Rechtsfolgen zu Lasten des Auftraggebers fordert ein Teil der Literatur dagegen, von wirtschaftlicher Abhängigkeit erst und auch nur dann auszugehen, wenn die Arbeitskraft eines Erwerbstätigen von seinem Vertragspartner in erheblichem Umfang auch tatsächlich in Anspruch genommen wird. Erst wenn ein solcher Umfang erreicht sei, dass von einer anderweitigen „Marktteilnahme“ des Beschäftigten kaum noch gesprochen werden könne, weil dieser schon faktisch nur mehr die Möglichkeit habe, hauptsächlich145 für diesen einen Vertragspartner tätig zu werden, sei die Annahme wirtschaftlicher Abhängigkeit gerechtfertigt. Denn vor allem wenn ein solches faktisches „Exklusivitätsverhältnis“ bestehe, erscheine es gerechtfertigt, dem Auftraggeber besondere Pflichten zu überbürden – als Quasi-Gegenleistung für den Entzug von Marktchancen und die exklusive Inanspruchnahme der Arbeitskraft des Auftragnehmers146. Diese Beobachtung ist im Ausgangspunkt zwar zutreffend; zudem kann es Auftragnehmer geben, die nur in äußerst geringem Umfang für einen bestimmten Auftraggeber tätig werden und die daher nicht alleine auf dieses Rechtsverhältnis zum Zwecke ihrer Existenzsicherung angewiesen sein werden. Zwingend ist das jedoch nicht147. Jedenfalls aus Sicht des Erwerbstätigen ist es nämlich egal, ob er sich deshalb in einer Abhängigkeitslage befindet, weil er in erheblichem Umfang für einen Auftraggeber tätig wird und er daher auf das Fortbestehen des Rechtsverhältnisses angewiesen ist, oder ob sich eine solche daraus ergibt, dass er zwar nur in beschränktem Umfang, aber dafür ausschließlich für einen Vertragspartner tätig wird. In beiden Fällen kann der Erwerbstätige existenziell auf die Vergütung aus diesem Vertragsverhältnis angewiesen sein. Auf eine solche Sichtweise aus der Perspektive des Erwerbstätigen stellen zumindest § 12a Abs. 1 Nr. 1. lit. a) und lit. b) TVG entscheidend ab, da dort kein Mindestumfang der Tätigkeit gefordert wird. Aus diesem Grund wird der Aspekt des Umfangs der Tätigkeit nur de facto bei der Prüfung der Frage berücksichtigt, ob ein Erwerbstätiger für mehrere Auftraggeber tätig wird (dazu sogleich unter d)). Dort besteht freilich der entscheidende Unterschied, dass es nicht auf die – bei geringem Umfang der Tätigkeit grundsätzlich immer bestehende – bloße Möglichkeit anderweitiger Erwerbstätigkeit des Auftragnehmers ankommt, sondern ausschließlich dessen tat-
145 Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 197 schlagen unter Orientierung an § 12a Abs. 1 Nr. 1 a) TVG vor, dass der Umfang der vom Auftragnehmer zu leistenden Tätigkeit mindestens der Hälfte der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitarbeitnehmers entsprechen sollte. 146 Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196; i. E. auch Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9, Hromadka, NZA 1997, 1249, 1253; ders., NZA 2007, 838, 841; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 204; Schubert, Schutz, S. 42 f. und S. 47. 147 Tomandl, ZAS 2008, 100, 107.
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sächliche Erwerbssituation entscheidend ist148. Das hat wie ausgeführt zur Folge, dass auch derjenige, der in nur geringem Umfang für einen Vertragspartner tätig wird, daneben aber praktisch keine weiteren Auftraggeber hat, grundsätzlich als wirtschaftlich abhängig angesehen werden kann. Ein genaueres Eingehen auf diesen Streit kann auf Grund der Zielsetzung der vorliegenden Arbeit an dieser Stelle allerdings dahinstehen. Denn bei der aufgezeigten Problematik geht es im Kern um die Frage, ob ein Erwerbstätiger „noch nicht“ von seinem Vertragspartner wirtschaftlich abhängig149 ist, weil diese Tätigkeit mangels zeitlichen Umfangs nicht entscheidende Grundlage der Existenzsicherung sein kann, bzw. diese wirtschaftliche Abhängigkeit dem Vertragspartner jedenfalls nicht zugerechnet und mit der Überbürdung nachteiliger Rechtsfolgen verknüpft werden darf 150. Dagegen geht es bei dem im Rahmen dieser Untersuchung im Fokus stehenden Spitzenverdiener um eine andere Perspektive. Das Beispiel des Lizenzfußballers hat gezeigt, dass ein bestimmter Umfang der Tätigkeit für den Auftraggeber dort in der Regel gegeben sein wird und die wirtschaftliche Abhängigkeit aus diesem Grund daher nicht entfällt. Es geht dann entscheidend um die Frage, ob dieser Beschäftigte auf Grund anderer Umstände – Nebenverdienste oder Entgelthöhe – „nicht mehr“ wirtschaftlich abhängig oder in der Folge jedenfalls nicht mehr sozial schutzbedürftig ist.
148 Ausdrücklich BAG NZA 2000, 1359, 1360; ähnlich bereits BAG NZA 1999, 1175, 1176; zusammenfassend Kempen/Zachert/Stein, § 12a TVG Rn. 28; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 193 f.; vgl. auch sogleich § 5 C. II. 1. d). 149 Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196 sehen a. a. O. den Umfang der Tätigkeit als Element sozialer Schutzbedürftigkeit an. 150 Diese Problematik ist denn auch eine zentrale Frage im Rahmen der Diskussion um eine Definition der arbeitnehmerähnlichen Person de lege ferenda. Die hier dargestellte Überlegung, dass die Überbürdung nachteiliger Rechtsfolgen besonderer Rechtfertigung bedarf, hat – in abgewandelter und operationalisierter Form – Eingang in § 3 Abs. 2 S. 2 des Diskussionsentwurfes eines Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG-E) von 2007 gefunden (abgedruckt bei Henssler/Preis, NZA-Beil. 2007 zu Heft 21, 6, 6 ff.). Die dort gewählte Definition des Arbeitnehmerähnlichen orientiert sich zwar grundsätzlich an der Formulierung des jetzigen § 12a Abs. 1 TVG. Es besteht jedoch ein entscheidender Unterschied. Während de lege lata nach § 12a Abs. 1 Nr. 1 lit. b) TVG entscheidend ist, dass dem Beschäftigten von einem Auftraggeber im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das ihm für seine Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht (dazu auch näher sogleich unter § 5 C. II. 1. d) bb)), soll de lege ferenda entscheidend sein, dass dem Beschäftigten vom einem Auftraggeber mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das er für seine Erwerbstätigkeit insgesamt verlangen kann. Mit den Worten des Verfassers des Entwurfes: „Es geht nicht mehr um das tatsächlich Erwirtschaftete (‚zusteht‘), sondern um das potenziell Erreichbare (‚verlangen können‘)“, vgl. Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 287. Dazu auch Hromadka, NZA 2007, 838, 841 f. und schon ders., NZA 1997, 1249, 1253.
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d) Tätigkeit für einen oder mehrere Auftraggeber Eng mit der Kombination aus Dauer und Umfang einer Tätigkeit für einen bestimmten Auftraggeber hängt der Gesichtspunkt der Anzahl an Auftraggebern zusammen, für die ein Erwerbstätiger insgesamt arbeitet. Denn gerade wer über einen langen Zeitraum in erheblichem Umfang für einen bestimmten Vertragspartner höchstpersönlich Leistungen erbringt, dem bleibt schon faktisch keine Zeit, sich weitere Vertragspartner zu suchen. Wird nach der Anzahl an Auftraggebern gefragt, so wird damit allerdings auch an außervertragliche Umstände angeknüpft. Dabei ist grundsätzlich Vorsicht geboten. Denn diese Vorgehensweise hat zur Folge, dass persönliche – und damit vom jeweiligen Vertragspartner nicht beeinflussbare – Umstände des Auftragnehmers Auswirkungen auf die Qualifizierung eines hiervon grundsätzlich unabhängigen Rechtsverhältnisses haben können151. Dennoch wird vor allen Dingen derjenige von einem bestimmten Auftraggeber wirtschaftlich abhängen, der (nahezu) seine gesamten geschäftlichen Beziehungen im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit auf diesen konzentriert hat152. Von dieser Wertung geht offensichtlich auch der Gesetzgeber in § 12a Abs. 1 Nr. 1 a) TVG aus, wonach wirtschaftlich abhängig derjenige ist, der überwiegend für eine Person tätig wird. Auch § 1 Abs. 2 S. 3 HAG hält für das Ausmaß wirtschaftlicher Abhängigkeit die Anzahl an Auftraggebern für mitentscheidend. Die Ursache der hierdurch begründeten Abhängigkeit liegt – neben der mit einer sehr geringen Anzahl an Vertragspartnern regelmäßig einhergehenden Fremdverwertung der Arbeitsleistung153 – auch in der Tatsache, dass ein solcher Erwerbstätiger – anders als ein Selbständiger, der mit einer Vielzahl an Vertragspartnern kontrahiert – das Risiko eines Erwerbsausfalls nicht streut und über den Markt verteilt, sondern auf einen einzigen Geschäftspartner konzentriert hat154: Ein ursprünglich wirtschaftlich unabhängiger Erwerbstätiger tritt in einer solchen Situation nicht mehr werbend am Wirtschaftsmarkt auf 155. Daher ist es ebenfalls ein gewichtiges Indiz für wirtschaftliche Abhängigkeit, wenn ein Erwerbstätiger neben der Tätigkeit für den Hauptauftraggeber keine nennenswerten sonstigen Tätigkeiten mehr ausübt. Eine überwiegende Tätigkeit für nur einen Auftraggeber kann sich 151 v. Hase/Lembke, BB 1997, 1095, 1096; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1253; ders., NZA 2007, 838, 841; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 203 f.; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 16. 152 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9; Boemke, ZfA 1998, 285, 318; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 226 m. w. N.; ebenso i. E. auch Rebhahn, RdA 2009, 236, 249. 153 Dazu sogleich ausführlich unten § 5 C. II. 1. f). 154 BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 2 zu § 2 BUrlG; BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252. 155 Rebhahn, RdA 2009, 154, 165 und 168.
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in zeitlicher sowie in finanzieller Hinsicht äußern156. Dabei sind – wie bereits erwähnt – alleine die faktischen Verhältnisse des Auftragnehmers relevant, also die Frage ob bzw. wie lange er tatsächlich für mehrere Vertragspartner tätig wird und wie hoch das Entgelt ist, das er von diesen bezieht. Die Frage dagegen, ob es dem Auftragnehmer vertraglich grundsätzlich erlaubt war, für weitere Vertragspartner tätig zu werden und es ihm (zeitlich) auch prinzipiell möglich gewesen wäre, sich hierdurch weitere Einnahmequellen zu erschließen, spielt hier keine Rolle157. aa) Zeitlich überwiegende Tätigkeit für einen Auftraggeber Entscheidend für die wirtschaftliche Abhängigkeit ist letztlich die Intensität der vertraglichen Beziehung zwischen einem Beschäftigten und seinem Auftraggeber. Diese Intensität kann in zeitlicher Hinsicht absolut, d.h. über eine bloße Betrachtung des Umfangs der Tätigkeit in diesem Rechtsverhältnis ermittelt werden (soeben c)). Sie kann aber auch relativ festgestellt werden, etwa indem danach gefragt wird, ob ein Beschäftigter den überwiegenden Anteil seiner Gesamtarbeitszeit für einen bestimmten Auftraggeber aufgewendet hat. Entscheidend ist dann das Verhältnis der Arbeitszeiten, die ein Beschäftigter für verschiedene Auftraggeber erbracht hat158. Diesen Ansatzpunkt wählt etwa § 12a Abs. 1 Nr. 1 lit. a) TVG. Die danach ausschlaggebende „überwiegende“ Tätigkeit für einen Auftraggeber wird grundsätzlich dann angenommen, wenn der Beschäftigte mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit für diesen tätig wird159. Da die wirtschaftliche Abhängigkeit eines Beschäftigten aber wie ausgeführt nach einer wertenden Gesamtschau aller Umstände erfolgen muss, kann eine mehr als fünfzigprozentige Tätigkeit für einen Vertragspartner dann nicht ohne weiteres ausreichen, wenn die übrigen relevanten Kriterien zweifelhaft sind. Festgehalten werden kann aber in jedem Fall, dass das Maß wirtschaftlicher Abhängigkeit mit dem Anteil der Arbeitszeit ansteigt, die ein Beschäftigter für einen bestimmten Auftraggeber erbringt160. 156 ErfK/Franzen, § 12a TVG Rn. 4; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9; Boemke, ZfA 1998, 285, 318. 157 Vgl. die Nachweise soeben in 2. Kap., Fn. 148. Wenn BAG AP Nr. 37 zu § 5 ArbGG 1979 im Übrigen auch darauf abstellt, dass es dem Beschäftigten schon auf Grund der Vertragsgestaltung unmöglich war, für weitere Geschäftspartner tätig zu werden, so liegt hierin nicht zwingend ein Widerspruch. Denn aus einer Vertragsgestaltung, die eine Erwerbstätigkeit über das bestehende Vertragsverhältnis hinaus rechtlich unmöglich macht, folgt in der Regel auch, dass der Beschäftigte tatsächlich nicht für weitere Auftraggeber tätig wird. 158 BT-Drs. 7/2025, S. 6. 159 Kempen/Zachert/Stein, § 12a TVG Rn. 14; Woltereck, DB 1974, 2252, 2257; Schubert, Schutz, S. 39. 160 Wiedemann/Wank, § 12a TVG, Rn. 72; Schubert, Schutz, S. 40.
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bb) Finanziell überwiegende Tätigkeit für einen Auftraggeber Die überwiegende zeitliche Tätigkeit für einen Auftraggeber, wie sie etwa § 12a Abs. 1 Nr. 1 lit. a) TVG fordert, ist mitunter allerdings nur schwer festzustellen. Dies gilt gerade dann, wenn der Erwerbstätige nicht Arbeitnehmer, sondern arbeitnehmerähnliche Person und damit persönlich unabhängig ist161. In diesem Fall unterliegt er nämlich gerade keinem ausgeprägten zeitlichen Weisungsrecht seines Auftraggebers. Insofern ist eine Orientierung am materiellen Leitgedanken der wirtschaftlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten hilfreich. Dieser ist stets, dass die aus einem bestimmten Rechtsverhältnis fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage des Auftragnehmers bilden muss162 und er somit wirtschaftlich auf die Einkünfte aus dieser Tätigkeit zur Sicherung seiner Lebensgrundlage angewiesen ist163. Das wird ein Beschäftigter bei einer Tätigkeit für mehrere Auftraggeber unabhängig vom jeweiligen konkreten zeitlichen Umfang typischerweise aber auch dann sein, wenn er sein laufendes Einkommen überwiegend von einem dieser Auftraggeber bezieht. Genauere Grenzen für diese abstrakte Formel stellt § 12a Abs. 1 Nr. 1 lit. b) TVG auf, der nach Lesart der h. M. – ebenso wie die soeben unter aa) dargestellte Arbeitszeitrelation nach § 12a Abs. 1 Nr. 1 lit. a) TVG – über seinen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus allgemeine Wirkung entfalten soll164. Danach ist entscheidend, dass dem Erwerbstätigen von einer Person im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das ihm für seine Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht. Teilweise wird diese Relation als zu niedrig angesehen und gefordert, der Auftragnehmer müsse 70 – 80 % seines Einkommens bei einem Auftraggeber erzielen165. Dafür kann wiederum die Notwendigkeit der wertenden Gesamtbetrachtung der wirtschaftlichen Abhängigkeitssituation ins Feld geführt werden, die entscheidend auch durch die weiteren relevanten Kriterien beeinflusst wird. Je nach deren Vorliegen können sich damit auch die Anforderungen an die Verdienstrelationen verschieben. Auch wenn starre gesetzliche Grenzziehungen den Vorteil der Rechtssicherheit mit sich bringen, ist unzweifelhaft damit jedenfalls nur, dass – wie schon zur Arbeitszeitrelation ausgeführt – das Ausmaß wirtschaftlicher Abhängigkeit auch mit der Höhe des prozentualen Anteils desjenigen Erwerbs161
Hromadka, NZA 2007, 838, 841. BAG AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 2 zu § 2 BUrlG; BAG AP Nr. 9 zu § 5 ArbGG 1979; BAG AP Nr. 30 zu § 5 ArbGG 1979; ebenso Herschel, DB 1977, 1185, 1187 f.; Seidel, BB 1970, 971, 971. 163 So die Formulierung von BAG NZA-RR 2006, 616, 616 (2. Leitsatz). 164 Vgl. zur „faktischen Allgemeingültigkeit“ der dort genannten Zeit- und Verdienstrelationen für die wirtschaftliche Abhängigkeit bereits die Nachweise oben in 2. Kap., Fn. 97. 165 Schubert, Schutz, S. 42. 162
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
151
einkommens vom Gesamteinkommen ansteigt, das der Beschäftigte von einem bestimmten Vertragspartner bezieht. In diesen Fällen schwindet nämlich die Bedeutung der Einkünfte aus den anderen Beschäftigungsverhältnissen so weit, bis sie schließlich nur noch von untergeordneter Bedeutung für die Existenzsicherung des Erwerbstätigen sind. Auffällig ist, dass mit einer solchen Entgeltrelation – ebenso wie bei der Arbeitszeitrelation – wiederum an eine relative Betrachtung der Erwerbstätigkeit des Beschäftigten angeknüpft wird. Die absolute Größe der Einkommenshöhe ist dagegen erst bei der sozialen Schutzbedürftigkeit relevant166. Das ist deshalb konsequent, weil grundsätzlich auch derjenige, der ein hohes Entgelt bezieht, auf das Fortbestehen des Rechtsbeziehung mit dem Vertragspartner angewiesen ist, wenn er auf Dauer und in erheblichem Umfang überwiegend oder ausschließlich für diesen tätig wird und er deshalb kein anderweitiges laufendes Einkommen beziehen kann. cc) Anderweitiges Einkommen Auch sonstiges stetiges Einkommen, das nicht unmittelbar mit der Erwerbstätigkeit des Beschäftigten zusammenhängt, hat grundsätzlich – ebenso wie erwerbsmäßige Tätigkeit für mehrere Auftraggeber – Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation eines Auftragnehmers und damit auf die Abhängigkeit von einer Vertragsbeziehung zu einem bestimmten Auftraggeber. Er ist dann auf die Vergütung, die innerhalb einer bestimmten Rechtsbeziehung gezahlt wird, ebenfalls nicht zur Sicherung seiner Existenzgrundlage angewiesen, und eine finanzielle oder wirtschaftliche Abhängigkeit kann verneint werden167. Im Detail ist hier vieles umstritten. Anerkannt hat das BAG jedenfalls die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit solcher Einnahmen, die auf frühere berufliche Tätigkeiten zurückgehen, namentlich Pensions- bzw. Rentenansprüche168. Dem wird entgegengehalten, dass es – jedenfalls im Anwendungsbereich des § 12a Abs. 1 Nr. 1 b) TVG und nach dessen Wortlaut – entscheidend auf die Höhe des Entgelts
166
Dazu unten § 5 C. II. 2. a); zum Zusammenhang von wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit ausführlich unten § 5 III. 167 Löwisch/Rieble, TVG, § 12a Rn. 29; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 195 f. Solche Einkünfte mit teilweise widersprüchlicher Argumentation erst bei der sozialen Schutzbedürftigkeit berücksichtigend dagegen Schubert, Schutz, S. 40 f. 168 BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG (3. Leitsatz, dort als Element sozialer Schutzbedürftigkeit geprüft; kritisch zu dieser Verortung der Prüfung Boemke, ZfA 1998, 285, 319 und Otto, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG); ähnlich OLG Köln AP Nr. 5 zu § 12a TVG (als Element wirtschaftlicher Abhängigkeit geprüft); zustimmend Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196 und im Grundsatz wohl auch Löwisch/Rieble, TVG, § 12a Rn. 29 sowie Herschel, DB 1977, 1186, 1188.
152 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
ankommt, das eine Person für ihre Erwerbstätigkeit verlangen kann169. Ähnlich umstritten ist die Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit sonstiger Einnahmen, etwa von Kapitalerträgen oder Erträgen aus Urheberrechten. Wenn dies von der h. M. verneint wird170, so hat dies – neben der Tatsache, dass es sich auch hier nicht um Erträge aus Erwerbstätigkeit handelt – vor allen Dingen praktische Gründe: Die Ermittlung solcher Einkünfte ist nicht nur mit enormen Schwierigkeiten verbunden und erheblichen Schwankungen unterworfen. Ihre genaue Höhe lässt sich zudem oft erst mit erheblicher Verzögerung ermitteln. Eine Berücksichtigung führte daher zu erheblicher Rechtsunsicherheit171. Dies gilt umso mehr, als es sich auch hier ausnahmslos um solche Umstände handelt, die außerhalb des zu qualifizierenden Rechtsverhältnisses und nur in der Person des Auftragnehmers liegen und die der Vertragspartner damit weder erkennen noch durch die Vertragsgestaltung beeinflussen kann. e) Arbeitsorganisatorische Ausrichtung und Betriebskapital Wie aus den bisherigen Ausführungen bereits deutlich wurde, wird ein Beschäftigter gerade dann als wirtschaftlich abhängig angesehen, wenn er nicht mehr die Möglichkeit hat, für beliebig viele Dritte und damit am Markt tätig zu werden, weil er sich auf Dauer und in einigem Umfang an hauptsächlich einen Auftraggeber gebunden hat. Der Grund hierfür liegt in der offensichtlichen Tatsache, dass die maximale Arbeitszeit und -kraft eines persönlich Arbeitenden aus physisch-realen Gründen auf eine bestimmte Stundenzahl pro Tag oder Woche begrenzt ist172. Diese Begrenzung führt im Ergebnis dazu, dass auch die Möglichkeiten zur Tätigkeit für mehrere Auftraggeber von vorneherein beschränkt ist. Ein solcher Erwerbstätiger ist deshalb nicht selten gezwungen, einen Großteil seiner verfügbaren Arbeitszeit für hauptsächlich einen Vertragspartner aufzuwenden. Dadurch entsteht ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis zu diesem – jedenfalls wenn er sich für eine gewisse Dauer an ihn gebunden hat. Diese Feststellung gilt uneingeschränkt aber nur, sofern der Erwerbstätige im Wesentlichen ohne fremde Hilfskräfte tätig wird und damit nicht seine Erwerbsmöglichkeiten faktisch erweitert. Daher erhebt § 12a Abs. 1 TVG dieses Kriterium 169 Kempen/Zachert/Stein, § 12a TVG Rn. 28; Reinecke, in: Däubler (Hrsg.), TVG, § 12a Rn. 49. Irrelevant soll dagegen sein, ob es sich dabei um Einkünfte aus abhängiger oder selbständiger Tätigkeit handelt, vgl. Wiedemann/Wank, § 12a TVG Rn. 75; v. Hase/ Lembke, BB 1997, 1095, 1096; Wlotzke, DB 1974, 2252, 2257. 170 Kempen/Zachert/Stein, § 12a TVG Rn. 28; Reinecke, in: Däubler (Hrsg.), TVG, § 12a Rn. 53; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196. 171 Reinecke, in: Däubler (Hrsg.), TVG, § 12a Rn. 54; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196. 172 BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Rebhahn, RdA 2009, 154, 165; Schubert, Schutz, S. 35; Wachter, Wesensmerkmale, S. 138.
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153
zum weiteren Merkmal wirtschaftlicher Abhängigkeit. Auch § 1 Abs. 2 S. 3 HAG stellt allgemein klar, dass die Zahl fremder Hilfskräfte ein Aspekt wirtschaftlicher Abhängigkeit ist. Noch strenger ist insoweit § 2 Abs. 1 HAG, wonach Heimarbeiter nur solche persönlich tätige Beschäftigte sein können, die überhaupt keine Mitarbeiter (mit Ausnahme von Familienangehörigen) haben. Auch bei einer Beachtung der organisatorischen Ausrichtung des Erwerbstätigen ist zwar grundsätzlich Vorsicht geboten, da an die individuellen Verhältnisse des Erwerbstätigen und damit an Tatsachen angeknüpft wird, die außerhalb des Rechtsverhältnisses der Vertragsparteien stehen. Dennoch werden sie ausweislich der klaren gesetzgeberischen Wertung de lege lata zu Recht als grundsätzlich berücksichtigungsfähig angesehen173. Schon aus dem bislang Ausgeführten ist aber deutlich geworden, dass es sich bei diesem organisatorischen Aspekt ohnehin nicht um ein materielles, sondern allenfalls um ein formales und ontologisches Hilfskriterium handeln kann174, das die typische Erwerbssituation eines bereits aus anderen Gründen wirtschaftlich Abhängigen beschreibt: Derjenige, der sich des Einsatzes von Hilfskräften – womöglich in einer eigenen Betriebsstätte – bedient und nicht nur ausschließlich höchstpersönlich tätig wird, wird oftmals auch mit mehreren Vertragspartnern kontrahieren, statt sich dauerhaft und in erheblichen Umfang an einen Vertragspartner zu binden. Er ist daher im Ergebnis zwar typischerweise nicht wirtschaftlich von einem einzigen Auftraggeber abhängig. Seine wirtschaftliche Unabhängigkeit ergibt sich aber materiell bereits aus der fehlenden, dauernden Fokussierung auf überwiegend einen Geschäftspartner und nicht erst auf Grund des Einsatzes von Personal. Gleiches gilt letztlich für die Höhe eines etwaig vorhandenen Betriebs- oder Eigenkapitals. Wer solches besitzt, ist eher in der Lage, die Struktur seiner Erwerbstätigkeit auf eine Markttätigkeit und damit auf verschiedene Vertragspartner auszurichten. Umgekehrt wird ein Beschäftigter ohne diese Möglichkeit sich oftmals auf (überwiegend) einen Geschäftspartner konzentrieren. Fehlendes Betriebskapital ist daher gerade dann Indiz für wirtschaftliche Abhängigkeit, wenn sich ein kapitalschwacher Beschäftigter mittels aufwendiger technischer Ausstattung auf die speziellen Bedürfnisse eines Vertragspartners eingestellt hat175. Daneben versagt das Kriterium aber regelmäßig in solchen Branchen, in denen es weniger auf die betriebstechnische Ausrüstung als auf die persönlichen, ins173 Etwa BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG; Boemke, ZfA 1998, 285, 319; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1253; ders., in: FS Söllner, S. 461, 467; Stolterfoht, DB 1973, 1068, 1070; Wlotzke, DB 1974, 2252, 2257; R. Becker, Mitarbeit, S. 107; a. A. dagegen Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9 Fn. 63, da durch die Betonung des arbeitsorganisatorischen Aspekts die Grenze zur persönlichen Abhängigkeit verwischt werde. 174 BeckOK-ArbR/Giesen, § 12a TVG Rn. 2 spricht insoweit von „Indizien“; ähnlich auch Wank, Arbeitnehmer, S. 162 und Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 298. 175 Schubert, Schutz, S. 37.
154 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
besondere intellektuellen Fähigkeiten des Erwerbstätigen ankommt176. Nur angemerkt sei, dass das BAG die Kriterien der eigenen Betriebs- oder Unternehmens organisation teilweise als Unterfall sozialer Schutzbedürftigkeit geprüft hat177. f) Fremdverwertung des Arbeitsergebnisses Ein letztes, aber zentrales Kriterium wirtschaftlicher Abhängigkeit knüpft wieder unmittelbar an das Rechtsverhältnis der Vertragsparteien an: Es betrifft die Art der Verwertung des Arbeitsergebnisses des Erwerbstätigen. Die Verwertung überlässt ein wirtschaftlich Abhängiger typischerweise seinem Auftraggeber178. Letzterer wird in solchen Fällen der Fremdverwertung zudem oftmals der einzige (Haupt-)Geschäftspartner des Erwerbstätigen sein – denn andernfalls würde der Erwerbstätige selbst am Wirtschaftsmarkt auftreten und seine Waren oder Dienstleistungen dort auf eigene Rechnung anbieten. Das Kriterium fußt damit auf der oben skizzierten Tätigkeit für (hauptsächlich) einen Auftraggeber und wird hierdurch entscheidend bedingt. Das Merkmal wird vom Gesetzgeber zwar nicht in § 12a TVG genannt, es findet sich aber in § 2 Abs. 1 HAG, der den persönlich unabhängigen aber wirtschaftlich abhängigen Heimarbeiter als einen solchen Erwerbstätigen beschreibt, der zwar in einer selbstgewählten Arbeitsstätte arbeitet, „jedoch die Verwertung der Arbeitsergebnisse dem […] auftraggebenden Gewerbetreibenden überlässt“. Ähnliches meint § 1 Abs. 2 S. 3 HAG, wenn für das Ausmaß wirtschaftlicher Abhängigkeit die (fehlende) „Möglichkeit des unmittelbaren Zugangs zum Absatzmarkt“ mitentscheidend sein soll. Auch historisch betrachtet beschrieben bereits § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG 1926 und § 3 Abs. 1 HAG 1934 diesen Tatbestand der Fremdverwertung als – inhaltlich weitestgehend gleichbedeutend179 – Arbeit „im Auftrag und für Rechnung bestimmter anderer Personen“. Durch sämtliche Formulierungen des Gesetzgebers soll im Ergebnis letztlich die folgende wirtschaftliche Situation umschrieben werden: Die optimale Verwertung der eigenen Arbeitskraft bzw. des Arbeitsergebnisses und damit die Möglichkeit der maximalen Gewinnerzielung wird vom Erwerbstätigen nicht selbst wahrgenommen, sondern dem Vertragspartner überlassen, der hiervon profitieren kann. Entscheidend ist damit letztlich, wem der wirtschaftliche oder unternehmerische Erfolg der Tätigkeit des Erwerbstätigen zukommt oder jedenfalls zukommen kann180. Nicht mehr 176 Buchner, NZA 1998, 1144, 1147; Rieble, ZfA 1998, 327, 338; dazu auch Linnenkohl, BB 1998, 45, 49 f. 177 BAG AP Nr. 37 zu § 5 ArbGG 1979; ähnlich wohl Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 600. 178 Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 286; so zutreffend auch schon das Reichsversicherungsamt zu den damals sog. Hausindustriellen, vgl. RVA Urt. v. 15. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 181, 182 (Nr. 77); zu dessen Rechtsprechung ausführlich unten § 6 D. I. 1. 179 Für eine insoweit synonyme Bedeutung wohl Hromadka, NZA 1997, 569, 572 f.
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155
der Erwerbstätige selbst besitzt im Falle der Fremdverwertung die Möglichkeit, über den reinen Gegenwert für seine physische Arbeitsleistung hinaus Gewinne zu erzielen, sondern sein Vertragspartner. Auch der Begriff des oben in Kapitel 1 bereits mehrfach erwähnten „Unternehmerrisikos“ hat in dieser Überlegung letztlich seinen Ursprung181. Es ist in der Sache damit nichts anderes gemeint, als die Möglichkeit, Chancen am Wirtschaftsmarkt wahrzunehmen und dort auch Risiken ausgesetzt zu sein182. Gerade wirtschaftliche Chancen wird aber nur derjenige nutzen können, der seine Arbeitsergebnisses selbst und eigenständig verwertet und die Verwertung nicht auf Dauer einem anderen überlässt. 180
Wenn inhaltlich insoweit weitgehende Einigkeit besteht, dass die Fremdverwertung des Arbeitsergebnisses ein zentraler Aspekt wirtschaftlicher Abhängigkeit ist183, so kann gleiches in Bezug auf die verwendete Terminologie nicht gesagt werden. Der dargestellte Tatbestand wird von Teilen der Literatur nämlich auch als „wirtschaftliche Unselbständigkeit in der Vertragsbeziehung“ bezeichnet und der „wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Vertrag“ gegenübergestellt184. Eine solche Bezeichnung findet zwar eine gewisse Stütze im natürlichen Sprachgebrauch des Wortes „unselbständig“ 185. Auch die Fassung des § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG 1934, die die Elemente „Arbeit für Rechnung anderer Personen“ und „wirtschaftliche Unselbständigkeit“ enthielt, könnte in diese Richtung gedeutet werden186. Indes trägt eine solch abgestufte Begriffsbildung nochmals entscheidend zur Begriffsverwirrung bei, da die h. M. wie gezeigt eine solche sprachliche Differen180 Schaub/Vogelsang,
Arb-Hdb, § 10 Rn. 3; Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 599; Rebhahn, RdA 2009, 154, 168. 181 Ebenso ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 74; HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 49 und 57; Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 92. RAG ARS Bd. 25, 226, 228 und RAG ARS Bd. 27, 326, 332 verwenden die Begriffe „Tätigkeit auf eigene Rechnung“ und „Unternehmerrisiko“ sogar noch synonym. 182 Wank, Arbeitnehmer, S. 122 ff.; ders., DB 1992, 90, 91 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 260 f. Später spricht Wank, EuZA 2008, 172, 188 denn auch von der entscheidenden Frage nach der finanziellen Zurechnung des (Arbeits-)Ergebnisses. 183 Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 600; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 286. 184 Rebhahn, RdA 2009, 236, 237 und 246 Fn. 96 und ders., RdA 2009, 154, 160 und 165; ders., EuZA 2012, 3, 7; wiederum anders Hromadka, NZA 1997, 569, 575, der a. a. O. arbeitnehmerähnliche Personen entgegen des insoweit eindeutigen Wortlauts der § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG und § 2 S. 2 BUrlG ausdrücklich als „immer wirtschaftlich selbständig“ bezeichnet, da sie am Wirtschaftsmarkt aufträten. Vgl. dazu auch Hromadka, DB 1998, 195, 201: „wirtschaftlich abhängig meint auf einen anderen angewiesen, der das Arbeitsergebnis verwertet, wirtschaftlich selbständig bedeutet Subjekt am Wirtschaftsmarkt“. 185 Laut Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 4123 (Bd. 9) ist unselbständig derjenige, der „auf fremde Hilfe angewiesen“ ist. Die Bezeichnung bedeutet allerdings auch die „Abhängigkeit von anderen“ (a. a. O.). 186 Die Elemente waren allerdings durch die Konjunktion „und“ verbunden, was wiederum auf einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt hindeutet, vgl. dazu oben § 5 B. I.
156 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
zierung nicht vornimmt und beide Begriffe synonym verwendet187. Ein solcher Begriff der „wirtschaftlichen Unselbständigkeit i. e. S.“ unterschiede sich zudem grundlegend von der oben dargestellten, abweichenden Inhaltsbestimmung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Teilen der Literatur188. Dagegen handelt derjenige, der einem anderen die Verwertung seines Arbeitsergebnisses überlässt, nicht nur auf dessen Rechnung, sondern zweifellos auch zu dessen Nutzen. Aus diesem Grund wird der hier behandelte Teil wirtschaftlicher Abhängigkeit auch als Fremdnützigkeit der Arbeit bezeichnet189. Da dieser Begriff eine treffende Beschreibung der wirtschaftlichen Situation eines solchen Erwerbstätigen ist und er zudem nicht durch den Gesetzgeber oder den tatsächlichen Sprachgebrauch in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft mit einer anderweitigen Bedeutung vorbelastet ist, soll er auch im Rahmen dieser Arbeit verwendet werden. 2. Soziale Schutzbedürftigkeit Neben dem Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit, das soeben inhaltlich konturiert worden ist, existiert im positiven Gesetzesrecht und in der Rechtsprechung der Begriff der sozialen Schutzbedürftigkeit. Die soziale Schutzbedürftigkeit ist ein Kriterium, das – im Recht der arbeitnehmerähnlichen Personen – dem Ausschluss solcher Erwerbstätiger von gesetzlich gewährtem Schutz dienen soll, die zwar als grundsätzlich wirtschaftlich abhängig erkannt, aber dennoch nicht als ausreichend schutzbedürftig eingestuft werden190, um nachteilige Rechtsfolgen zu Lasten des Auftraggebers rechtfertigen zu können. Die soziale Schutzbedürftigkeit soll, wenn es um die Bestimmung eines Erwerbstätigen als arbeitnehmerähnliche Person geht, durch einen Vergleich mit einem Arbeitnehmer bestimmt werden und ist damit letztlich ein „wertungsoffenes Tatbestandsmerkmal“191, bei dem alle Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt und bewertet werden müssen192. Die vom BAG verwendete Formel ist denn auch kaum subsumtionsfähig: Entscheidend soll sein, dass das Maß der Abhängigkeit nach der Verkehrsanschauung einen solchen Grad erreicht hat, wie er allgemein nur in 187
Dazu oben § 5 C. I. 1. und die Nachweise dort in 2. Kap., Fn. 102 und 103. Dazu oben § 5 C. I. 1. 189 Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 10; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 5; Hilger, RdA 1989, 1, 4; Hromadka, NZA 1997, 569, 576; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196; Buhl, Arbeitnehmerbegriff, S. 172; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 177; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 293. 190 Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252. 191 Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 287. 192 BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG; BAG NJOZ 2006, 3821, 3822; Schubert, Schutz, S. 47. Wank, Arbeitnehmer, S. 238 sieht diese allgemeine Formulierung zu Recht als Hinweis dafür an, dass es an klaren Bestimmungskriterien fehlt. Ausführliche Darstellung hierzu bei Reinhardt, Phänomen, S. 286 ff. 188
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
157
einem Arbeitsverhältnis vorkommt, und die geleisteten Dienste nach ihrer soziologischen Typik denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sind193. Auch der Versuch einer näheren inhaltlichen Konkretisierung bereitet Probleme. Hierbei muss vor allem beachtet werden, dass mit dem „Maß der Abhängigkeit“ i. S. d. vom BAG zitierten Formel nur ein bestimmter Grad an wirtschaftlicher Abhängigkeit gemeint sein kann194 (so auch die gesetzgeberische Wertung in § 1 Abs. 1 S. 2 HAG). Denn die arbeitnehmerähnliche Person, deren Schutzbedürftigkeit mit diesem Merkmal vor allen Dingen bestimmt werden soll, unterscheidet sich vom Arbeitnehmer gerade durch ihre persönliche Unabhängigkeit; anderenfalls wäre auf sie nach h. M. ohnehin Arbeitsrecht anwendbar. Aus diesem Grund kann auch für die Vergleichbarkeit zur „soziologischen Typik“ der Diensterbringung durch einen Arbeitnehmer nicht auf das Element der persönlichen Abhängigkeit zurückgegriffen werden195. Wenn man aber der sozialen Schutzbedürftigkeit dennoch einen über das bloße Maß an wirtschaftlicher Abhängigkeit hinausgehenden Bedeutungsgehalt zumessen will – wovon man mit der h. M.196 auf Grund der expliziten gesetzlichen Normierung in § 1 Abs. 2 S. 2 HAG und § 12a Abs. 1 TVG wohl ausgehen muss – so bereitet es erhebliche Schwierigkeiten, überhaupt aussagekräftige Merkmale zu benennen197, die weder 193 St. Rspr. seit BAG AP Nr. 3 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 2 zu § 717 ZPO; BAG NZA 1991, 239, 239 (3. Leitsatz); aus jüngerer Zeit etwa BAG AP Nr. 17 zu § 5 ArbGG 1979; BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit; BAG NJOZ 2006, 3821, 3822; ebenso Boemke, ZfA 1998, 285, 318 f. 194 Kempen/Zachert/Stein, TVG, § 12a Rn. 9; v. Hase/Lembke, BB 1997, 1095, 1096; Hromadka, NZA 1997, 569, 576; Wank, EuZA 2016, 143, 157; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 194 und 196; Neuvians, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 73; differenzierend Reinhardt, Phänomen, S. 282 ff.; zutreffend auch schon RAG ARS Bd. 25, 226, 227 f.; RAG ARS Bd. 27, 326, 329 f. und Volkmar, Anm. zu RAG ARS Bd. 20, 183, S. 186; jedenfalls angedeutet in BAG AP Nr. 2 zu § 717 ZPO; grundlegend zur Problematik der Begriffsbestimmung Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 278 ff. 195 Ähnlich Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 84: das Vertragsverhältnis „muss wirtschaftlich einem Arbeitnehmerverhältnis nahekommen“ und Schubert, Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979; i. E. auch Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9 Fn. 63; v. Hase/ Lembke, BB 1997, 1095, 1096; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 194; Reinhardt, Phänomen, S. 281 f.; abweichend Boemke, ZfA 1998, 285, 319 und Wank, Arbeitnehmer, S. 241, für die die persönliche Leistungserbringung im Wesentlichen ohne fremde Hilfe entscheidend ist. Auch diese Kriterien sind allerdings grundsätzlich als Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit anerkannt, vgl. dazu soeben § 5 C. II. 1. e). 196 Vgl. die Rechtsprechungsnachweise soeben in Fn. 193. Für einen eigenen Bedeutungsgehalt ausdrücklich Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252; differenzierend Reinhardt, Phänomen, S. 268; vgl. aber auch Hromadka, NZA 2007, 838, 841, der de lege ferenda für einen Verzicht der Aufspaltung der Begrifflichkeiten „wirtschaftliche Abhängigkeit“ und „soziale Schutzbedürftigkeit“ plädiert. 197 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 10; teilweise wird insoweit auf die geschäftliche Unerfahrenheit eines Erwerbstätigen abgestellt, so etwa Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 600.
158 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Elemente persönlicher Abhängigkeit sind, noch bereits unmittelbar im Rahmen der wirtschaftlicher Abhängigkeit berücksichtigt worden sind. a) Entgelthöhe Für eine Präzisierung der sozialen Schutzbedürftigkeit stellt die h. M. daher vor allem auf die Höhe des Entgelts ab, das auf Grund des Rechtsverhältnisses gezahlt wird, von dem der Erwerbstätige wirtschaftlich abhängig ist198. Schon die Begründung des Gesetzesentwurfs zu § 12a TVG hatte die Höhe des Entgelts ausdrücklich als berücksichtigungsfähiges Kriterium benannt199. Auch § 3 Abs. 2 S. 2 des Diskussionsentwurfes eines Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG-E) von 2007 koppelt die soziale Schutzbedürftigkeit (arbeitnehmerähnlicher Personen) ausdrücklich an die Entgelthöhe200. Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit des Entgelts wird damit begründet, dass oberhalb einer gewissen Schwelle die vom Gesetz ausdrücklich vorausgesetzte Schutzbedürftigkeit eines wirtschaftlich Abhängigen nicht mehr besteht201. Wann genau diese Schwelle überschritten wird, ist freilich nur schwer zu beantworten. Von der Rechtsprechung wird die Herausarbeitung starrer Vergütungsgrenzen vermieden202. Die soziale Schutzbedürftigkeit eines arbeitnehmerähnlichen Rundfunkbeauftragten wurde aber jedenfalls bei einem Jahreseinkommen von umgerechnet etwa 140.000 Euro vom BAG verneint203. In 198 BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG mit Anm. v. Otto; BAG NZA 1998, 668, 670; BAG NZA 1999, 1175, 1176; BAG AP Nr. 60 zu § 5 ArbGG 1979; HWK/Henssler, § 12a TVG Rn. 8; Löwisch/Rieble, TVG, § 12a Rn. 29; Lieb, RdA 1974, 257, 263 f.; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 199; Reinhardt, Phänomen, S. 347 ff. m. w. N.; a. A. v. Hase/ Lembke, BB 1997, 1095, 1096 und Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252 mit dem Argument, auch bei der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft spiele die Entgelthöhe keine Rolle. Kritisch auch Kempen/Zachert/Stein, TVG, § 12a Rn. 31. 199 BT-Drs. 7/975, S. 20; dazu schon oben § 5 B. III. 200 Abgedruckt bei Henssler/Preis, NZA-Beil. 2007 zu Heft 21, 6 ff.; erläuternd hierzu Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 284 ff. De lege ferenda wird darüber hinaus vorgeschlagen, die soziale Schutzbedürftigkeit im Falle des Unterschreitens einer bestimmten Entgeltgrenze zu verneinen, da hier schon nicht von „wirtschaftlicher Abhängigkeit“ vom Auftraggeber, sondern vielmehr von einer Abhängigkeit vom Staat gesprochen werden müsse (Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 289). Da im Rahmen dieser Arbeit allerdings der Spitzenverdiener im Fokus der Untersuchung steht, soll die Problematik an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. 201 Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 287; i. E. auch BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG. 202 So etwa BAG NZA 1998, 668, 670; BAG NZA 1999, 1175, 1176; BAG AP Nr. 60 zu § 5 ArbGG 1979; zusammenfassend Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 194. Absolute Einkommensgrenzen befürwortet Stolterfoht, DB 1973, 1068, 1072, freilich ohne a. a. O. konkrete Zahlen anzugeben. Vgl. hierzu auch die ausführliche Darstellung bei Reinhardt, Phänomen, S. 355 ff. 203 BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG; zustimmend Löwisch/Rieble, TVG, § 12a Rn. 29. Zusätzlich wurden in diesem Fall noch Altersbezüge in Höhe von umgerechnet etwa 1000 Euro berücksichtigt.
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
159
einer neueren Entscheidung sah das Gericht bereits Bruttoeinkünfte aus Erwerbstätigkeit in Höhe von über 74.000 Euro als ausreichend an, um die soziale Schutzbedürftigkeit und damit die Arbeitnehmerähnlichkeit eines an sich wirtschaftlich abhängigen freien Mitarbeiters als widerlegt anzusehen. Das Urteil ist aber schon deshalb nicht verallgemeinerungsfähig, weil es sich auf eine von den Tarifvertragsparteien autonom festgesetzte Verdienstgrenze bezog, oberhalb derer – nur im Anwendungsbereich dieses Tarifvertrages – nicht mehr von sozialer Schutzbedürftigkeit der Mitarbeiter ausgegangen werden sollte204. Warum die Entgelthöhe aber die soziale Schutzbedürftigkeit eines wirtschaftlich abhängigen Erwerbstätigen aufheben kann, ist damit freilich noch nicht gesagt. Ein auch für die vorliegende Arbeit zentraler Begründungsansatz hierfür soll im Folgenden unter III. ausführlich dargestellt werden. b) Privatvermögen Zuvor soll aber noch darauf hingewiesen werden, dass die Berücksichtigungsfähigkeit der privaten Vermögensverhältnisse eines Beschäftigten im Rahmen der sozialen Schutzbedürftigkeit umstritten ist. Diese wird teilweise mit dem Argument abgelehnt, das Gesamtvermögen habe mit dem Rechtsverhältnis zum Auftraggeber im Grundsatz nichts zu tun 205. Andere Teile der Literatur gehen dagegen davon aus, ein hohes Gesamtvermögen könne die soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten entfallen lassen 206. Auch die Rechtsprechung zu den arbeitnehmerähnlichen Personen hat bisweilen deren Vermögensverhältnisse berücksichtigt207. Dabei ergeben sich aber insbesondere praktische Schwierigkeiten bei der konkreten Wertbestimmung208, die zur Entstehung von Rechtsunsicherheit führen können, sowie eine nicht unbedenkliche Pflicht zur Offenbarung der privaten Vermögensverhältnisse209. 204 BAG NZA-RR 2012, 365, 365; ausführlich zur Rechtsprechung vgl. Reinhardt, Phänomen, S. 356 f. 205 v. Hase/Lembke, BB 1997, 1095, 1096; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252; ablehnend auch Kempen/Zachert/Stein, TVG, § 12a Rn. 31; Schnorr v. Carolsfeld, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 291 f.; Wank, Arbeitnehmer, S. 134 ff., 241. 206 Herschel, DB 1977, 1185, 1188; Reinhardt, Phänomen, S. 331 ff.; Schubert, Schutz, S. 49, 51 m. w. N. 207 BAG AP Nr. 3 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 2 zu § 717 ZPO. 208 Dieses Problem sieht denn auch Schubert, Schutz, S. 51, die daher Vorschlägt, das Vermögen nur schätzungsweise zu bestimmen und dabei einen „großzügigen Maßstab anzulegen“. 209 Noch weitergehend sehen v. Hase/Lembke, BB 1997, 1095, 1096 und Reinecke, in: Däubler (Hrsg.), TVG, § 12a Rn. 54 hierin einen „unzumutbaren Eingriff in die Privatsphäre“ bzw. eine „Verletzung des Persönlichkeitsrechts“; ähnlich auch Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196; dem grundsätzlich folgend, eine (vertragliche) Offenlegungspflicht aber nicht für notwendig erachtend Reinhardt, Phänomen, S. 338 ff.
160 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
III. Zusammenhang von wirtschaftlicher Abhängigkeit, sozialer Schutzbedürftigkeit und Entgelthöhe Für die vorliegende Untersuchung, die letztlich zum Ziel hat, die ausnahmslose Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auf Spitzenverdiener kritisch zu überprüfen, ist vor allen Dingen das Verhältnis des Ausmaßes wirtschaftlicher Abhängigkeit zur sozialen Schutzbedürftigkeit und hier insbesondere zur Höhe des Entgelts relevant, das in einem bestimmten Rechtsverhältnis bezogen wird. Dabei soll zunächst der teleologische Hintergrund der Begriffe geklärt werden (dazu 1.), bevor dargestellt werden kann, warum die Entgelthöhe – trotz gegebener wirtschaftlicher Abhängigkeit – die soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten entscheidend herabsetzen kann (dazu 2.) und damit im Rahmen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise eines Rechtsverhältnisses berücksichtigt werden muss. 1. Teleologischer Hintergrund von wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit Der eben dargestellte Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit und die ihn operabel gestaltenden Untermerkmale210 erfüllen keinen Selbstzweck. Sie dienen nach der vorgegebenen gesetzlichen Logik in erster Linie der Beschreibung der wirtschaftlichen Situation eines Beschäftigten, in der er als sozial schutzbedürftig211 angesehen wird 212. Insofern ist es konsequent, soziale Schutzbedürftigkeit als Oberbegriff zu wählen, die entscheidend durch das Maß an wirtschaftlicher Abhängigkeit bestimmt und indiziert wird213. Wer wirtschaftlich abhängig ist, ist daher typischerweise auch sozial schutzbedürftig. Damit ist der Zusammenhang 210 Wank, Arbeitnehmer, S. 239; allgemeiner zum Erfordernis der Aufspaltung eines Oberbegriffes in Untermerkmale zwecks Operabilität Boemke, ZfA 1998, 285, 302 und Wank, NZA 1999, 225, 227 m. w. N.; für den Oberbegriff der persönlichen Abhängigkeit vgl. Maschmann, Arbeitsverträge, S. 61. 211 Besser, da konturierter und das enge Verhältnis zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit besser ausdrückend, wäre wohl der Begriff der wirtschaftlichen Schutzbedürftigkeit. Um nicht weiter zur Begriffsverwirrung beizutragen, soll aber an dieser Stelle weiterhin von sozialer Schutzbedürftigkeit gesprochen werden. Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 4 und Lieb, RdA 1974, 257, 262 verwenden dagegen auch den Begriff der „wirtschaftlichen Schutzbedürftigkeit“. 212 Allgemein Hromadka, NZA 2007, 838, 840; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 278; Schubert, Schutz, S. 27 f.; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 286 f.; noch weitergehend Hromadka, DB 1998, 195, 196: „Die Schutzbedürftigkeit wird gleichgestellt und umschrieben mit wirtschaftlicher Abhängigkeit“; in einem ähnlichen Sinne für den Bereich der Heimarbeiter MünchArb/ Heenen, § 315 Rn. 3; für § 12a TVG Rieble, ZfA 1998, 327, 346. 213 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 9; Buchner, NZA 1998, 1144, 1146; Hromadka, NZA 1997, 569, 575; ders., NZA 2007, 838, 840; Rieble, ZfA 1998, 327, 337; Schubert, Schutz, S. 28; Wiese, Buchautoren, S. 75.
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
161
beider Begriffe vorgezeichnet: Wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit sind eng miteinander verzahnt214 und stehen nicht bedeutungslos nebeneinander. Die entscheidende Vorfrage ist aber, weshalb die beschriebene wirtschaftliche Situation den Erwerbstätigen überhaupt als sozial schutzbedürftig erscheinen lässt. Die Antwort auf diese Frage liegt wiederum entscheidend in dessen besonderen wirtschaftlichen (Abhängigkeits-)Verhältnis zum Auftraggeber215: Wer auf Dauer für einen anderen höchstpersönlich tätig wird, dies unter Umständen in erheblichem Umfang und dabei die gewinnbringende Verwertung seiner Arbeitskraft und seines Arbeitserfolgs diesem überlässt, ist wirtschaftlich auf ihn angewiesen. Wer sich zusätzlich so stark an einen Auftraggeber bindet, dass er nur oder nur noch in der Hauptsache für diesen tätig wird und keine weiteren Vertragspartner daneben hat, verstärkt diese Abhängigkeit noch zusätzlich. Von all diesen Einzelmerkmalen wirtschaftlicher Abhängigkeit ist eine bestimmte Kombination in einem gewissen Ausmaß hauptursächlich für die soziale Schutzbedürftigkeit der Lage, in der sich ein auf diese Weise Beschäftigter befindet. Sie lässt sich wohl am besten mit dem fehlenden Auftreten des wirtschaftlich abhängigen Erwerbstätigen am Wirtschaftsmarkt beschreiben 216. Dabei können bei genauerer Betrachtung zwei verschiedene Ausprägungen dieses Aspekts unterschieden werden, die im Ergebnis zu verschiedenen Konsequenzen und Bedürfnissen von Schutzbedürftigkeit führen 217. Zum einen kann hiervon gesprochen werden, weil und wenn sich ein Auftragnehmer in der Hauptsache nur auf einen Geschäftspartner konzentriert. Dieser Umstand hat vor allem zur Folge, dass der Beschäftigte seine beruflichen Risiken nicht auf mehrere Vertragspartner gestreut hat und er daher darauf angewiesen ist, auch in Zukunft die für ihn existenzielle Erwerbstätigkeit für diesen einen Vertragspartner zu erbringen. Nach Beendigung einer solch engen oder langfristigen Bindung an 214 Für eine strikte Trennung der Prüfung von wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit plädieren zwar Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 599. Dies geschieht aber wohl nur deshalb, weil der sozialen Schutzbedürftigkeit kein eigenständiger Bedeutungsgehalt mehr zukäme, würden sämtliche Gesichtspunkte bereits im Rahmen der wirtschaftlichen Abhängigkeit berücksichtigt. Für eine weitgehende Begriffsidentität wohl Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 5. 215 Dies ist keine zirkelschlüssige Argumentation. Vielmehr wurden die Kriterien zur Beschreibung der wirtschaftlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten – wie soeben ausgeführt – gerade teleologisch mit Blick auf dessen soziale Schutzbedürftigkeit entwickelt und damit operabel gestaltet, vgl. dazu auch Schubert, Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979; dies., Schutz, S. 28. 216 Dagegen sind vor allem die oben genannten Untermerkmale, die auf eine eigene Unternehmensorganisation hindeuten – etwa die Beschäftigung von eigenen Mitarbeitern, die Existenz einer eigenen Betriebsstätte oder der Einsatz von Betriebskapital – bloße Hilfskriterien, die auf Tätigwerden am Markt hindeuten können, vgl. dazu bereits oben 2. Kap., Fn. 174. 217 Ebenfalls erkannt von Lieb, RdA 1974, 259, 264 f.
162 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
einen Auftraggeber muss ein Erwerbstätiger nämlich mit Schwierigkeiten rechnen, neue und geeignete Vertragspartner zu finden 218. Hieraus folgt in erster Linie ein gesteigertes Bestandsschutzinteresse. Zum anderen – und das ist für die vorliegende Untersuchung an dieser Stelle zentral – raubt die faktische Gebundenheit des Beschäftigten an überwiegend einen Vertragspartner ihm zusätzlich die Möglichkeit zur Erzielung unternehmerischer Gewinne219. Denn solche wird nur derjenige erwirtschaften, der Dienstleistungen oder hergestellte Waren mehreren Vertragspartnern anbieten und sie dadurch meistbietend am Markt auf eigene Rechnung verwerten kann. Das gilt in der Regel aber nicht für denjenigen, der darauf angewiesen ist, mit einem Hauptgeschäftspartner zu kontrahieren. Das versetzt ihn in eine schlechte Verhandlungsposition, die sich typischerweise in ungünstigen Konditionen niederschlägt: Der Erwerbstätige ist dann regelmäßig gezwungen, fremdnützige Arbeit auf Rechnung seines Auftraggebers zu leisten. Er muss die unternehmerische Verwertung seiner Arbeitskraft und damit auch die Möglichkeit der Gewinnerzielung dem Auftraggeber überlassen 220. Nur dieser tritt in der Folge als selbständiger Akteur am Absatzmarkt für eigene Rechnung auf. Vor allem dieser Teil des Tatbestandes wirtschaftlicher Abhängigkeit – zuerst von Wiedemann als Aufgabe wirtschaftlicher Dispositionsmöglichkeiten und Dispositionsfreiheiten bezeichnet221 – und der damit grundsätzlich verbundene Verzicht auf die Wahrnehmung von Gewinnchancen, begründet letztlich die soziale Schutzbedürftigkeit eines Erwerbstätigen222. Verdeutlicht wird das durch die folgenden, prinzipiellen Überlegungen: Auf der Grundlage einer freiheitlich konzipierten und auf Privatautonomie fußenden Rechtsordnung wie der unseren, ist im Ausgangspunkt jeder Mensch für die rechtlichen sowie wirtschaftlichen Folgen seines Handelns selbst verantwort218 Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 15; i. E. ähnlich wohl Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 598 (Schutzbedürfnis verneint auf Grund der Möglichkeit zum Aufbau eines persönlichen Kundenstammes); für den Einfirmenvertreter nach § 92a Abs. 1 HGB vgl. Paul, SAE 2007, 133, 136. 219 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 5; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ähnlich Lieb, RdA 1974, 259, 263; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 12, 15; Wank, NZA 1999, 225, 227; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 258 f.; zutreffend auch schon Molitor, Wesen, S. 77 f. 220 So bereits die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Heimarbeitsgesetzes von 1951, vgl. BT-Drs. 1/1357, S. 20 sowie Kaskel, Arbeitsrecht, S. 66 f. 221 Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 13 ff., 15 (dort ausdrücklich zur Begründung der Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmern). 222 I.E. ebenso Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 10 ff.; ähnlich Preis, Individualarbeitsrecht, § 1 I. (S. 1); Hanau, in: FS Kehrmann, S. 23, 27; Hilger, RdA 1989, 1, 4; Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Lieb, RdA 1974, 259, 262 ff.; ders., ZVersWiss 1976, 207, 212 ff.; ders., DB 1976, 2207, 2210; ders., RdA 1977, 210, 215; Rebhahn, RdA 2009, 154, 154; ders., RdA 2009, 236, 243; Traeger, Reichweite, S. 124; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 259 und auch schon Molitor, Wesen, S. 75 ff.
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
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lich223. Diese Grundentscheidung für Eigenverantwortung schließt auch die Vorsorge für private Risiken mit ein, die das Leben mit sich bringt. Die Bildung von Rücklagen und damit eine Vorsorge für Mangellagen und besondere finanzielle Belastungen, die über die ständigen Lebenshaltungskosten hinaus gehen, sind daher grundsätzlich ebenfalls jedem selbst anheimgestellt. Die Möglichkeit zu einer Vorsorge für diese finanziellen bzw. sozialen Risiken hat aber – auf Grund seiner Chance zur Erzielung unternehmerischer Gewinne – typischerweise nur ein wirtschaftlich unabhängiger Erwerbstätiger. Spiegelbildliches kann dagegen bei demjenigen angenommen werden, der keine Markttätigkeit entfaltet, sondern Arbeit in der soeben beschriebenen, fremdnützigen Art auf Rechnung anderer leistet. Er hat sich hierdurch seiner unternehmerischen Gewinnmöglichkeiten begeben, weshalb grundsätzlich und generalisierend davon ausgegangen werden kann, dass er auf Grund seines hieraus resultierenden, mäßigen Einkommens gerade nicht dazu in der Lage ist, selbständige finanzielle Daseinsvorsorge für die verschiedenen Wechselfälle des Lebens zu betreiben 224. Der in einer wirtschaftlichen Abhängigkeitslage erworbene Verdienst reicht vielmehr typischerweise nur zur Aufbringung der gewöhnlichen Lebenshaltungskosten aus225. Eine eigenverantwortliche Vorsorge, vor allen Dingen für Erwerbsausfälle auf Grund von krankheits- oder unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit, wegen Arbeitslosigkeit, wegen Beschäftigungsverboten an Sonn- und Feiertagen, wegen Schwangerschaft, Erholungsurlaubs oder wegen des Alters sind dem wirtschaftlich Abhängigen in der Regel nur schwer oder überhaupt nicht möglich. Ein solcher Erwerbstätiger benötigt daher – anders als derjenige, der die Möglichkeit zur Erzielung unternehmerischer Gewinne hat – besonderen, staatlich
223 Kreuder, ArbuR 1996, 386, 389 f.; Schubert, Schutz, S. 48; zum Prinzip der Privat autonomie und der Selbstverantwortung als Teil der Privatrechtsordnung lesenswert Flume, AT Bd. II, S. 1 ff., 61 und S. 417; allgemein zum Grundsatz der Selbstverantwortung Bydlinski, System, S. 99 ff. 224 BeckOK-ArbR/Giesen, § 12a TVG Rn. 2; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 5; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Lieb, RdA 1974, 259, 262 und 264; ders., RdA 1977, 210, 215; Kreßel, in: FS Gitter, S. 491, 500 f.; H.P. Westermann, AcP 179 (1978), 150, 159 f.; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 15 f.; i. E. ähnlich auch Buchner, NZA 1998, 1144, 1151; Hromadka, NZA 1997, 569, 575 f.; ders., DB 1998, 195, 201; ders. NZA 2012, 585, 590; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 259. Den Zusammenhang von unternehmerischen Chancen, überproportionalen Verdienstmöglichkeiten und damit verbundener „eigenständiger Absicherung“ erkennen auch Horn/Henssler, ZIP 1998, 589, 598. 225 Bezeichnenderweise enthält auch heute noch der „Warenkorb“, den das Statistische Bundesamt zur Ermittlung der gewöhnlichen Lebenshaltungskosten eines Haushalts heranzieht, keine Ausgaben, die für die Sozialversicherung aufgewendet werden müssen, (vgl. für 2015 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/164774/umfrage/konsumausgabenprivate-haushalte/) (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017).
164 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
veranlassten Schutz226. Sozial- und Arbeitsrecht haben dieses Schutzbedürfnis erkannt und reagieren mit einem umfassenden Schutzsystem der Fremdvorsorge227. Ohne den weiteren Ausführungen vorgreifen zu wollen 228, wird dies besonders deutlich etwa durch die Existenz des EFZG, Teile des BUrlG oder die Verpflichtung des Arbeitgebers zur grundsätzlich hälftigen Tragung der Sozialversicherungsbeiträge229. Als Voraussetzung für das Eingreifen dieses Schutzsystems knüpft die h. M. allerdings fälschlicherweise230 ausschließlich an das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten an, obwohl für die Aufgabe der unternehmerischen Dispositionsmöglichkeit und die daraus folgende Unfähigkeit zur Daseinsvorsorge wie gezeigt die Aspekte wirtschaftlicher Abhängigkeit ursächlich sind 231. Nicht weil ein Erwerbstätiger auf Weisung eines anderen oder innerhalb dessen Arbeitsorganisation Dienste verrichtet, hat er keine Möglichkeit zu Erwirtschaftung unternehmerischer Gewinne, sondern weil er es auf dessen Rechnung tut. Davon geht der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 S. 2 HAG und § 2 Abs. 1 HAG auch ausdrücklich aus, wenn er dort das Ausmaß der wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Möglichkeiten des unmittelbaren Zugangs zum Absatzmarkt und der Überlassung der Verwertung des Arbeitsergebnisses an den Auftraggeber abhängig macht und daran im Ergebnis die soziale Schutzbedürftigkeit dieser Erwerbstätigen koppelt232. Die monokausale Fehlanknüpfung der herrschenden Meinung ist auf Grund eines regelmäßigen Gleichlaufs von persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Ergebnis freilich weniger dramatisch, als es zunächst den Anschein hat233. Sie liefert aber wohl eine Erklärung, warum die Entgelthöhe – die zweifelsfrei nicht als Element per226 Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 11; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252; Maties, in: FS Wank, S. 323, 330 f.; H. P. Westermann, AcP 179 (1978), 150, 160. 227 Lieb, RdA 1974, 259, 265; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 259; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 15 f. 228 Dazu ausführlich unten § 6 E. 229 Diese ist eine Nebenpflicht des Arbeitgebers und damit Bestandteil des Arbeitsverhältnisses, vgl. Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 240 f. 230 Vgl. dazu auch ausführlich unten § 6. 231 Dies verkennen etwa Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht (6. Auflage 2008), § 4 III. 5. e) (S. 44) und Hilger, RdA 1989, 1, 4 ff.; wie hier Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 12; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 203; Rebhahn, RdA 2009, 154, 154 und 169 f. (dort insoweit gleichbedeutend als „wirtschaftlicher Unterordnung“ bezeichnet); Willemsen/ Müntefering, NZA 2008, 193, 196; Schubert, Schutz, S. 45; i. E. auch schon Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 13. Die Vertreter der h. M., etwa Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 16, die dieses Problem erkennen, sprechen dann von einer „durch die Weisungsgebundenheit indizierten Typik der Schutzbedürftigkeit“; so ähnlich auch Buchner, NZA 1998, 1144, 1146; Hromadka, NZA 1997, 569, 576; ders., NZA 2007, 838, 840 f.; Reinecke, ZIP 1998, 581, 587. 232 Ebenso Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 286. 233 Dazu ausführlich unten § 6 D. I. 2. b) bb) (1).
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sönlicher Abhängigkeit identifiziert werden kann 234 – in der Rechtsprechung des BAG zum Arbeitnehmerbegriff anders als bei den Arbeitnehmerähnlichen keine Rolle spielt. Hierauf wird an anderer Stelle noch ausführlicher zurückzukommen sein 235. Neben dem Arbeits- und Sozialrecht reagiert auch das Schutzsystem der arbeitnehmerähnlichen Personen auf diese durch wirtschaftliche Abhängigkeit begründete Schutzbedürftigkeit und erklärt aus diesem Grund Teile des Arbeitsrechts für anwendbar. Es ist freilich nur äußerst rudimentär und fragmentarisch ausgestaltet und daher vermehrt Kritik ausgesetzt236. Nur angemerkt sei, dass das Sozialrecht dem „Arbeits“-Vertragsrecht insoweit einige Schritte voraus ist237. Die öffentliche Hand kann und will aber nicht das gesamte Schutzsystem aus Steuer- oder Sozialversicherungsbeitragsmitteln der Arbeitnehmer finanzieren. Diese letztlich politische Entscheidung des Gesetzgebers ist auf Grundlage unserer Wirtschaftsordnung – der sozialen Marktwirtschaft – und im Lichte des Sozialstaatsprinzips sowie der Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG auch ohne weiteres nachvollziehbar, wenn nicht gar geboten 238. Ch. Weber spricht daher auch treffend von einer „sozialstaatlichen Grundentscheidung des Gesetzgebers“239. Dieses Ergebnis wird wertungsmäßig bestätigt, wenn man sich 234
Reinhardt, Phänomen, S. 347. Unten § 6 E. 236 Statt vieler Bayreuther, NZA 2007, 371, 374; Buchner, NZA 1998, 1144, 1148; Wank, NZA 1999, 225, 230. 237 So unterliegen etwa die wirtschaftlich abhängigen, sozial schutzbedürftigen, aber persönlich unabhängigen Heimarbeiter und die ihnen gem. § 1 Abs. 2 HAG Gleichgestellten der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 S. 1 SGB V i. V. m. § 12 Abs. 2 SGB IV (dazu Kunz/Wedde, EFZR, § 10 EFZG Rn. 8). Gleiches galt nach der Rechtsprechung des BSG schon seit längerem auch für die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, vgl. BSG NZA 1988, 629, 629. Heute schreibt § 2 Abs. Nr. 9 SGB VI die Rentenversicherungspflicht für sämtliche arbeitnehmerähnliche Personen vor (dazu Hromadka, NZA 2012, 585, 592). Zu weiteren Regelungen für arbeitnehmerähnliche Personen in der Sozialversicherung (dort sog. „arbeitnehmerähnliche Selbständige“) vgl. Küttner/Voelzke, Personalbuch, Stichwort „Arbeitnehmerähnliche Selbständige“, Rn. 3 ff.; zu Reformvorschlägen de lege ferenda Waltermann, RdA 2010, 162, 165 ff. 238 Zum Zusammenhang von Arbeitnehmerschutz, sozialer Sicherheit, sozialer Marktwirtschaft und deren Verankerung im Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG vgl. Dreier/Gröschner, Art. 20 GG (Sozialstaat) Rn. 37 ff.; zum Zusammenhang von sozialer Marktwirtschaft und wirtschaftspolitischer Neutralität des Grundgesetzes BeckOK-GG/ Axer, Art. 14 GG Rn. 26; zu der aus Art. 14 GG entspringenden Schutzpflicht des Gesetzgebers, eine geeignete Privatrechtsordnung bereit zu stellen vgl. BeckOK-GG/Axer, Art. 14 GG Rn. 22; allgemein zur Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft unter der Geltung des Grundgesetzes vgl. Säcker, in: FS Adomeit, S. 661, 662 ff. 239 Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 259; ähnlich sprechen auch v. Hippel, Grundfragen, S. 24 f. und Wank, Arbeitnehmer, S. 79 von einer politischen Entscheidung für „soziale Sicherheit“. 235
166 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
die Kehrseite der Aufgabe wirtschaftlicher Dispositionsmöglichkeiten und Dispositionsfreiheiten eines wirtschaftlich abhängig Beschäftigten vergegenwärtigt. Denn dessen Vertragspartner, der nunmehr die fremde Arbeitskraft und -leistung auf eigene Rechnung verwerten kann, erweitert hierdurch gerade spiegelbildlich seinen unternehmerischen Spielraum und damit auch erheblich die Möglichkeit zur Gewinnerzielung am Markt240. Diese Aussicht auf die Erzielung eines wirtschaftlichen Erfolges dürfte sogar hauptursächlich dafür sein, sich überhaupt fremder Arbeitskraft zu bedienen und andere zu beschäftigen 241. Es scheint daher jedenfalls im Grundsatz gerechtfertigt, denjenigen, der von der hier beschriebenen fremdnützigen Arbeit anderer selbst durch Unternehmergewinne profitiert oder potentiell profitieren kann 242 in gewissem Maße auch für die als sozial schutzbedürftig bewertete Lage desjenigen einstehen zu lassen, dem er diese Gewinnmöglichkeit letztlich verdankt243. Hromadka formuliert mit Blick auf Teile des Arbeitsvertragsrechts daher plastisch und richtig, dass der „Arbeitgeber als Versicherer zu Gunsten des Arbeitnehmers“ eingesetzt wird 244. Ähnliches gilt – nach geltender Gesetzeslage freilich in eingeschränktem Maßstab – auch für den Auftraggeber der arbeitnehmerähnlichen Person, da auch jenem ein teilweiser Sozialschutz des Beschäftigten aufgebürdet wird245. 2. Soziale Schutzbedürftigkeit und Entgelthöhe Diese „Einstandspflicht“ und die Funktion als „Versicherer“ des Auftrag- oder Arbeitgebers ist aber dann nicht mehr uneingeschränkt gerechtfertigt, wenn der fremdnützig Arbeitleistende zwar faktisch weiterhin nicht am Wirtschaftsmarkt 240 Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Maties, in: FS Wank, S. 323, 330 f.; Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 11; Lieb, RdA 1974, 257, 259; ders., RdA 1977, 210, 215 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 257 ff.; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 16 f. 241 Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 9. 242 Hromadka, NZA 1997, 569, 576. 243 BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252; Lieb, RdA 1974, 257, 259; Maties, in: FS Wank, S. 323, 330 f.; Rebhahn, RdA 2009, 236, 243; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 259; i. E. auch v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 246; Schubert, Schutz, S. 49; ebenso für den nahe verwandten Bereich der Sozialversicherungen bereits ausdrücklich die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die Unfallversicherung der Arbeiter, Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 5. Legislaturperiode, IV. Session 1884 (Bd. 3), Anlagen/Aktenstück Nr. 4, S. 66, sowie die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung, Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 7. Legislaturperiode, IV. Session 1888/89 (Bd. 4), Anlagen/Aktenstück Nr. 10, S. 58 und 66. 244 Hromadka, NZA 1997, 569, 578; ähnlich v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 242 ff. (anders aber auf S. 247); Reuter, in: ders. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 95, 97 und Wank, Arbeitnehmer, S. 138 f. 245 Schubert, Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979.
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auftritt oder auftreten kann, er aber dennoch zur eigenständigen Daseinsvorsorge in der Lage ist, weil der Profiteur der fremdnützigen Arbeitsleistung seiner Einstandspflicht schon dadurch nachgekommen ist, dass er dem wirtschaftlich Abhängigen ein besonders hohes Entgelt für seine Arbeitsleistung zahlt. a) Entgelthöhe und Daseinsvorsorge Denn auch derjenige, der zwar keine Markttätigkeit im eigentlichen, soeben dargestellten Sinne entfaltet, kann dann eigenständige Daseinsvorsorge betreiben, wenn er von dem Vertragspartner, von dem er wirtschaftlich abhängt, ein Entgelt in solcher Höhe bezieht, das (weit) über seine laufenden Kosten hinausgeht246. Der soeben dargestellte, generalisierende und formalisierte Grundsatz, dass derjenige, der sich für eine gewisse Dauer an einen Vertragspartner bindet, Arbeit auf dessen fremde Rechnung leistet und sich dadurch unternehmerischer Gewinnmöglichkeiten begibt, in der Regel als sozial schutzbedürftig angesehen werden muss, ist dann widerlegt247. Der Erwerbstätige verzichtet zwar auch in solchen Fällen auf die Möglichkeit, seine Arbeitsergebnisse selbständig am Markt zu verwerten. Dennoch benötigt er keinen zwingenden und umfassenden staatlich veranlassten (Arbeitsrechts-)Schutz248, wenn er durch finanzielle Leistungen aus der laufenden Vertragsbeziehung heraus in eine Situation versetzt wird, in der er zur selbständigen Daseinsvorsorge in der Lage ist. Ihm kann vielmehr ab einer näher zu bestimmenden Entgelthöhe249 – gleichfalls typisierend – zugemutet werden, für die oben genannten Wechselfälle des Lebens, etwa für den Fall des Erwerbsausfalls infolge Krankheit, Rücklagen zu bilden 250 oder sich für diesen Zweck privat zu versichern 251. Ähnliches gilt mit Blick auf die über das 246 BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG; v. Hase/Lembke, BB 1997, 1095, 1096; Lieb, RdA 1974, 259, 263 f. (dort bezogen auf das „Gesamteinkommen“ eines Beschäftigten); ders., ZVersWiss 1976, 207, 214, 231; Seidel, BB 1970, 971, 973; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 199; Pottschmidt, Arbeitnehmerähnliche Personen, S. 422; Schubert, Schutz, S. 50. Für die Möglichkeit einer eigenverantwortlichen finanziellen Vorsorge von Arbeitnehmer-Spitzenverdienern für den speziellen Fall der Arbeitslosigkeit Aldenhoff, NZA 2010, 800, 801; Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1237; dagegen ausdrücklich Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241. 247 I.E. ähnlich Hromadka, NZA 1997, 569, 579; Lieb, RdA 1974, 259, 264; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 284, 287 f.; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 12, 16, 19 f.; zweifelnd, aber wohl grundsätzlich zustimmend Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 3 und Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 5 f. 248 Tomandl, ZAS 2008, 100, 114. Dies wird dagegen von Deinert, RdA 2017, 65, 69 nicht hinreichend bedacht. 249 Vgl. dazu näher unten § 8 B. III. 2. b) aa). 250 Hromadka, NZA 1997, 1249, 1254; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 288. 251 Hromadka, in: FS Söllner, S. 461, 468; Schubert, Schutz, S. 48 ff.; Wank, Arbeitnehmer, S. 87.
168 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Jahr verteilten Phasen des Erholungsurlaubs. Denn im Ergebnis ist es letztlich irrelevant, ob der Erwerbstätige selbst „Gewinn“ aus der (Eigen-)Vermarktung der Ergebnisse seiner Arbeitstätigkeit erzielt oder er von dem durch den Auftraggeber erwirtschafteten Gewinn in außerordentlichem Maße profitiert, weil er hieran umfassend beteiligt wird. Umgekehrt wird es immer auch solche Erwerbstätige geben, die nach obiger Bestimmung zwar wirtschaftlich unabhängig sind, die sich die ihnen eröffnenden Marktchancen aber nicht dermaßen gewinnbringend nutzen können und damit zur Daseinsvorsorge gerade nicht im Stande sind. Dieser Vergleich zeigt, dass vor allem derjenige, der wie ein Lizenzfußballer selbst in einem wirtschaftlich abhängigen Vertragsverhältnis ein vielfach höheres Einkommen erzielen kann als ein typischer wirtschaftlich unabhängiger Erwerbstätiger, nicht um jeden Preis als sozial schutzbedürftig angesehen werden muss. Vielmehr erschiene es sogar widersinnig, die Schutzbedürftigkeit eines wirtschaftlich abhängigen Erwerbstätigen mit dem Hinweis auf eine bloß theoretisch fehlende Chance zur Marktteilnahme und eigenverantwortliche Steuerung des Einkommens zu bejahen, wenn er selbst aus einer umfassenden Markttätigkeit keine höheren Einnahmen erzielen könnte. Die Tätigkeit in wirtschaftlicher Abhängigkeit wirkt sich für ihn dann nämlich nicht nur finanziell nicht nachteilig aus; im Gegenteil hat sie sogar den Vorteil, dass sich der Erwerbstätige nicht um die weitere Verwertung seiner Arbeitsleistung – etwa durch Akquise weiterer Vertragspartner – zu kümmern braucht. Wohl aus diesem Grund wird diese Art der abhängigen Beschäftigung in nicht wenigen Fällen sogar aus selbstbestimmten Motiven einer Tätigkeit als selbständigem Unternehmer oder Freiberufler vorgezogen werden – so etwa im Falle des angestellten Anwalts, der die letztlich wirtschaftlich abhängige Tätigkeit in einer Wirtschaftskanzlei der Gründung einer eigenen Kanzlei und damit der Arbeit auf eigene Rechnung vorzieht, oder der Mediziner, der die abhängige, aber finanziell lukrative Chefarzttätigkeit im Krankenhaus über das Betreiben einer eigenen Praxis samt der darin begründeten Gewinnchancen stellt. Hat ein Erwerbstätiger daher das in seiner Arbeitskraft liegende Ertragspotential bereits umfassend trotz fremdnütziger Bindung an (hauptsächlich) einen Vertragspartner ausgeschöpft, kann diesen faktischen Verhältnissen Vorrang vor den nur theoretisch fehlenden Chancen und Möglichkeiten zur Gewinnerzielung mangels tatsächlicher Marktteilnahme eingeräumt werden. Die Formel „wirtschaftliche Abhängigkeit = soziale Schutzbedürftigkeit“ kann damit als bloß idealtypische und indizierende Beschreibung durch das Kriterium der Einkommenshöhe widerlegt werden.
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
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b) Gesetzgeberische Wertungen Den dargestellten wertungsmäßigen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit, die grundsätzlich soziale Schutzbedürftigkeit indiziert, und der Entgelthöhe, die das Maß dieser Schutzbedürftigkeit zumindest abmildern kann, erkennt auch der Gesetzgeber. aa) § 10 EFZG Beispielhaft dafür ist etwa § 10 EFZG. Dieser regiert auf die besondere Lage der zwar persönlich selbständigen, wirtschaftlich aber abhängigen und damit (sozial) schutzbedürftigen Heimarbeiter und der ihnen Gleichgestellten (vgl. § 1 Abs. 2 S. 1, 2 und § 2 Abs.1, 2 HAG). Für den Fall der unverschuldeten Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit stellt der Gesetzgeber sie zwar nicht vollständig den Arbeitnehmern gleich und gewährt ihnen damit nicht die Rechtsfolge der sechswöchigen Entgeltfortzahlung aus § 3 Abs. 1 EFZG252. Er hält aber dennoch eine besonders gestaltete Regelung zur wirtschaftlichen Sicherung im Krankheitsfall bereit. Durch sein Tätigwerden erkennt der Gesetzgeber damit grundsätzlich die gesteigerte soziale Schutzbedürftigkeit dieses Beschäftigtenkreises im Vergleich zu wirtschaftlich unabhängigen Erwerbstätigen an. Diese versucht er dadurch abzuschwächen, dass er ihnen einen Anspruch gegen ihren Auftraggeber auf Zahlung eines Zuschlags zum Arbeitsentgelt gewährt (§ 10 Abs. 1 S. 1 EFZG). Die Überbürdung dieser besonderen Pflicht zu Lasten des Auftraggebers ist dabei gerade deshalb gerechtfertigt, weil dieser jedenfalls die Möglichkeit hatte, die Arbeitsleistung des Heimarbeiters wirtschaftlich selbständig zu verwerten253. Die Höhe des Anspruchs auf Zuschlag zum Arbeitsentgelt beträgt – je nachdem, ob der Heimarbeiter selbst fremde Hilfskräfte beschäftigt oder nicht – 3,4 % bzw. 252 Eine Gleichstellung mit Arbeitnehmern in Bezug auf die Rechtsfolge des § 3 Abs. 1 EFZG kann nach § 10 Abs. 4 EFZG (allerdings nur für die Gruppe der Heimarbeiter i. e. S. nach § 1 Abs. 1 lit. a), 2 Abs. 1 HAG) durch Tarifvertrag erreicht werden, vgl. BeckOK-ArbR/Ricken, § 10 EFZG Rn. 12 ff.; ErfK/Reinhard, § 10 EFZG Rn. 10; Schmitt, EFZG, § 10 Rn. 48. 253 BeckOK-ArbR/Ricken, § 10 EFZG Rn. 3. Wenn in der Literatur diese Sonderreglung daneben vor allem damit begründet wird, dass der Heimarbeiter seine Arbeitszeit selbst bestimmen könne, er mitunter nur schwankende, schwer bestimmbare Bezüge erhielte und daher eine Berechnung des fortzuzahlenden Entgelts nach § 4 EFZG nahezu unmöglich sei (vgl. Kunz/Wedde, EFZR, § 10 EFZG Rn. 2; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 10 EFZG Rn. 1; Schmitt, EFZG, § 10 Rn. 1), so mag dies in der Sache zutreffen. Dabei wird aber eine grundsätzlich falsche Perspektive eingenommen. Denn diese Argumentation rechtfertigt alleine eine Sonderberechnung der Bezüge verglichen mit den existierenden Regelungen für die (fremdbestimmten) Arbeitnehmer nach § 4 EFZG. Die Besonderheit der Regelung besteht aber schon in ihrer bloßen Existenz, da hier die in Heimarbeit beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten als Nichtarbeitnehmer – verglichen mit anderen Selbständigen – besonders gesetzlich geschützt werden.
170 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
6,4 % des Arbeitsentgelts vor Abzug von Steuern oder sonstiger Abgaben (§ 10 Abs. 1 S. 2 EFZG). Da der Heimarbeiter nach § 5 Abs. 1 S. 1 SGB V i. V. m. § 12 Abs. 2 IV SGB IV in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert ist, tritt der Anspruch in der Regel ergänzend neben den sozialrechtlichen Anspruch auf Krankengeld aus § 44 Abs. 1 SGB V gegen den Sozialversicherungsträger254. Ob diese Regelung tatsächlich die soziale Situation der Heimarbeiter entscheidend verbessert, darf zwar rechtspraktisch bezweifelt werden. Denn auch wenn § 10 Abs. 3 EFZG eine gewisse Überwachung der gewährten Zuschlagszahlungen anordnet255, bleibt es dem in der Regel wirtschaftlich überlegenen Auftraggeber schließlich im Ergebnis unbenommen, schon das für die Berechnung ausschlaggebende Grundentgelt niedriger zu bemessen 256. Zudem ist der Heimarbeiter freilich nicht gezwungen, das Zusatzentgelt weitsichtig für etwaige unvorhergesehene Mangellagen anzusparen 257. Indes können diese praktischen Erwägungen hier vernachlässigt werden, da es für die vorliegende Arbeit an dieser Stelle ausschließlich darum geht, die gesetzgeberische Grundentscheidung zu verdeutlichen. Diese äußert sich in § 10 Abs. 1 EFZG dahingehend, dass die soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten grundsätzlich durch die Höhe des gezahlten Entgelts in einem bestimmten Rechtsverhältnis abgemildert werden kann. Denn durch die positivrechtlich angeordnete Verpflichtung des Auftraggebers zu einer Vorsorgeleistung soll es dem Heimarbeiter – unabhängig von einem tatsächlich bestehenden Arbeitsausfall infolge von Krankheit – gerade ermöglicht werden, diesbezüglich eigenverantwortlich soziale Sicherung zu erreichen. Durch das zusätzliche bezogene Entgelt mutet der Gesetzgeber den Heimarbeitern – etwa durch die Bildung von Rücklagen oder den Abschluss von privaten Zusatzversicherungen – zu, individuell Vorsorge für den Krankheitsfall zu betreiben258 und erkennt damit grundsätzlich den Zusammenhang zwischen erhöhtem Entgelt und sinkender sozialer Schutzbedürftigkeit an.
254 BeckOK-ArbR/Ricken,
Vor § 10 EFZG Rn. 1; ErfK/Reinhard, § 10 EFZG Rn. 1; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 10 EFZG Rn. 1. 255 BeckOK-ArbR/Ricken, § 10 EFZG Rn. 11; ErfK/Reinhard, § 10 EFZG Rn. 7; Schmitt, EFZG, § 10 Rn. 41 ff. 256 Kritisch mit Blick auf die grundsätzlich schlechte Entlohnung im Heimarbeitsbereich, die unter dem betrieblichen Standard liege, Kunz/Wedde, EFZR, § 10 EFZG Rn. 7. 257 ErfK/Reinhard, § 10 EFZG Rn. 4; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 10 EFZG Rn. 5. 258 BeckOK-ArbR/Ricken, § 10 EFZG Rn. 3 und 8; ErfK/Reinhard, § 10 EFZG Rn. 4; Kunz/Wedde, EFZR, § 10 EFZG Rn. 1; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 10 EFZG Rn. 5; Schmitt, EFZG, § 10 Rn. 4; Treber, EFZG, § 10 Rn. 2; Buchner, NZA 1998, 1144, 1149; Rieble, ZfA 1998, 327, 348; Schubert, Schutz, S. 320 f.
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
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bb) § 92a Abs. 1 HGB Ähnliches gilt auch für die Regelung des § 92a Abs. 1 HGB, die das Rechtsverhältnis der sog. Einfirmenvertreter betrifft. Diese sind wie die Heimarbeiter keine Arbeitnehmer259, sondern selbständige Handelsvertreter. Der Gesetzgeber erkennt hier aber eine besondere Stellung verglichen mit anderen Handelsvertretern. Diese ergibt sich ausweislich des Wortlauts der Bestimmung daraus, dass es ihnen von ihrem Geschäftspartner entweder vertraglich untersagt worden ist, für weitere Unternehmer tätig zu werden, oder eine anderweitige Beschäftigung nach Art und Umfang ihrer Tätigkeit tatsächlich nicht möglich ist, vgl. § 92a Abs. 1 S. 1 HS. 1 HGB. Schon aus dieser gesetzlichen Beschreibung wird deutlich, dass sich der Einfirmenvertreter nach den oben herausgearbeiteten Kriterien – insbesondere dauerhafte und vollumfängliche Tätigkeit für nur einen Vertragspartner aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen und die daraus folgende, fehlende Verwertungsmöglichkeit der Arbeitsleistung am Markt260 – in einer Situation wirtschaftlicher Abhängigkeit befindet. Konsequent wird ein solcher Handelsvertreter in der Regel denn auch als arbeitnehmerähnlich eingestuft werden müssen 261. Der Gesetzgeber selbst vermeidet an dieser Stelle zwar die ausdrückliche Verwendung dieses Begriffes, weil er ihn für eine Abgrenzung von sonstigen Handelsvertretern als untauglich einstufte262. Er erkennt aber nichtsdestotrotz die Gefahr, dass diese besondere Gruppe der Handelsvertreter auf Grund ihrer besonderen Rechtsbeziehung zu nur einem Unternehmer ihre „sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse“ unter Umständen nicht ausreichend sicherstellen kann, vgl. § 92a Abs. S. 1 HS. 3 HGB. Er stuft die Einfirmenvertreter damit gerade auf Grund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit als grundsätzlich sozial schutzbedürftig ein263.
259 Baumbach/Hopt/Hopt,
§ 92a HGB Rn. 1. So bereits die Begründung des Regierungsentwurfes, BT-Drs. 1/3856, S. 40; ebenso Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196 f. 261 Baumbach/Hopt/Hopt, § 92a HGB Rn. 1 f.; MüKo-HGB/v. Hoyningen-Huene, § 92a HGB Rn. 7; Oetker/Busche, § 92a HGB Rn. 1; Schubert, Schutz, S. 5. Dagegen ist umgekehrt nicht jede Arbeitnehmerähnlichkeit ausreichend, um von einem Einfirmenvertreter sprechen zu können, vgl. MüKo-HGB/v. Hoyningen-Huene, § 92a HGB Rn. 14. 262 Die Begründung des Regierungsentwurfs hielt den Begriff der „Arbeitnehmerähnlichkeit“ zwar für eine Abgrenzung ungeeignet, sprach in der Sache aber dennoch von einer „arbeitnehmerähnlichen Stellung“, vgl. BT-Drs. 1/3856, S. 40. 263 BT-Drs. 1/3856, S. 40; Oetker/Busche, § 92a HGB Rn. 1; Paul, SAE 2007, 133, 134; zur Problematik, ob auch nebenberufliche Einfirmenvertreter unter § 92a Abs. 1 HGB fallen, vgl. bejahend BAG AP Nr. 60 zu § 5 ArbGG 1979 (aus systematischen Gründen jedenfalls für den Anwendungsbereich des § 5 Abs. 3 ArbGG); MüKo-HGB/v. Hoyningen-Huene, § 92a HGB Rn. 19; Oetker/Busche, § 92a HGB Rn. 3; mit gewichtigen Argumenten kritisch aber Paul, SAE 2007, 133, 133 ff. Regelmäßig schon an wirtschaftlicher 260
172 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Um diese als sozial schutzbedürftig erkannte Lage abzumildern, wird der Gesetzgeber aus Gründen der Flexibilität264 zwar nicht unmittelbar selbst tätig. Er schafft aber eine Ermächtigungsgrundlage und damit die Möglichkeit zum Erlass einer Rechtsverordnung durch das Bundesministerium der Justiz265, durch die Mindestarbeitsbedingungen, insbesondere Mindestentgelte unabdingbar festgesetzt werden können 266, vgl. § 92a Abs. 1 S. 1 HS. 2, S. 2 HGB. Dabei sollen diese Mindestentgelte gerade nicht ein „angemessenes“ Entgelt für die berufliche Tätigkeit der Einfirmenvertreter festlegen. Dieses ist im Grundsatz in der Provision zu sehen, die sie je nach dem Erfolg ihrer Arbeitsleistung beziehen. Vielmehr sollen sie – wie schon der gesetzliche Wortlaut nahelegt – darüber hinaus die notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Einfirmenvertreter absichern 267. Auch wenn von der Möglichkeit zum Erlass einer solchen Rechtsverordnung in der Praxis noch kein Gebrauch gemacht wurde268, so wird doch jedenfalls die gesetzgeberische Wertung deutlich: Durch die Möglichkeit der Festsetzung einer Mindestentgeltgrenze soll gerade dem Teilbereich der gering verdienenden Einfirmenvertreter eine ausreichende Existenzsicherung ermöglicht werden 269. Umgekehrt geht der Gesetzgeber bei einem Verdienst oberhalb der hypothetisch gedachten, weil nicht durch den Verordnungsgeber umgesetzten, Mindestentgeltgrenze grundsätzlich davon aus, dass eine besondere soziale Schutzbedürftigkeit nicht besteht und sie daher keines besonderen Schutzes bedürfen 270. Dies deshalb, weil der Gesetzgeber für Einfirmenvertreter oberhalb eines bestimmten Verdienstniveaus – trotz auch hier bestehender wirtschaftlicher Abhängigkeit – stillschweigend davon ausgeht, dass sie ihre wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse wie die Bewältigung der ständigen Lebenshaltungskosten und die Vorsorge für die verschiedenen Wechselfälle des Lebens eigenverantwortlich aus dem ausreichend hoch bemessenen Entgelt bestreiten können. Er anerkennt damit auch in § 92a Abs. 1 HGB den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen wirtAbhängigkeit und folglich sozialer Schutzbedürftigkeit in diesen Fällen zweifelte bereits die Gesetzesbegründung zu § 92b HGB, vgl. BT-Drs. 1/3856, S. 42. 264 BT-Drs. 1/3856, S. 41 hält eine Anpassung an die jeweiligen besonderen Verhältnisse einzelner Gruppen von Einfirmenvertretern durch Rechtsverordnung für leichter möglich als durch Gesetz. 265 Nach § 92a Abs. 1 S. 1 HS. 2 HGB muss das Bundesministerium der Justiz zusätzlich im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie handeln und zuvor die Verbände der Handelsvertreter und Unternehmer anhören. 266 BAG NJW 2003, 2627, 2628; Baumbach/Hopt/Hopt, § 92a HGB Rn. 4; MüKo-HGB/ v. Hoyningen-Huene, § 92a HGB Rn. 2. 267 BT-Drs. 1/3856, S. 41; Baumbach/Hopt/Hopt, § 92a HGB Rn. 4. 268 Baumbach/Hopt/Hopt, § 92a HGB Rn. 2; Paul, SAE 2007, 133, 133. 269 BT-Drs. 1/3856, S. 41; BAG NJW 2003, 2627, 2628; MüKo-HGB/v. Hoyningen- Huene, § 92a HGB Rn. 3. 270 BT-Drs. 1/3856, S. 41; i. E. ähnlich Paul, SAE 2007, 133, 136.
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schaftlicher Abhängigkeit, die zu sozialer Schutzbedürftigkeit führt, und einer bestimmten Entgelthöhe, die diese Schutzbedürftigkeit jedenfalls mildern kann, selbst wenn sie diese im Einzelfall nicht gänzlich aufzuheben vermag. cc) § 5 Abs. 3 ArbGG Dieses Ergebnis bestätigt auch die für Handelsvertreter existierende, prozessuale Parallelvorschrift des § 5 Abs. 3 ArbGG, die auf die soeben dargestellte, materielle handelsrechtliche Regelung Bezug nimmt. Nach § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG gelten Handelsvertreter nur dann als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes, wenn sie Einfirmenvertreter nach § 92a HGB sind und sie zudem – kumulativ – auf Grund des Vertragsverhältnisses mit dem Unternehmer innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht mehr als 1.000 Euro271 an Vergütung erhalten haben. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, den Einfirmenvertretern diejenigen prozessuale Erleichterungen zu gewähren, die anderen typischerweise sozial schutzbedürftigen Erwerbstätigen – vor allem den Arbeitnehmern und sonstigen Arbeitnehmerähnlichen 272 nach § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG – zu Gute kommen 273. Dazu gehören vor allen Dingen die Möglichkeit zur selbständigen Führung des Rechtsstreits unabhängig vom Streitwert, § 11 Abs. 1 S. 1 ArbGG, und die im Vergleich zur ordentlichen Gerichtsbarkeit geringere Belastung mit Gebühren und Kosten, §§ 12, 12a ArbGG274. Für die vorliegende Untersuchung bedeutsam ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber durch § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG deutlich macht, dass eine durch wirtschaftliche Abhängigkeit indizierte soziale Schutzbedürftigkeit des Einfirmenvertreters grundsätzlich die Anwendbarkeit des Arbeitsgerichtsgesetzes auf Handelsvertreter rechtfertigen kann. Diese prinzipielle Schutzbedürftigkeit wird bei Unterschreiten der im Gesetz genannten (gering angesetzten und damit rechtspolitisch fragwürdigen275) Vergütungsgrenze von 1.000 Euro weder in Gänze widerlegt, noch in einem für die Nichtanwendbarkeit des Arbeitsgerichtsgesetzes entscheidenden und ausreichenden Maße abgemildert. Dagegen wird demjenigen, der ein 271 Nach dem ursprünglichen Regierungsentwurf zu § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ArbGG a. F. sollte sich die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit für die Einfirmenvertreter nach der in der Rechtsverordnung nach § 92a Abs. 1 S. 1 HGB festgesetzten Mindestentgeltgrenze richten, BT-Drs. 1/3856, S. 8. Näher zur weiteren Entstehungsgeschichte Paul, SAE 2007, 133, 135. 272 § 5 Abs. 3 ArbGG enthält eine für Handelsvertreter spezielle und in sich abgeschlossene Zuständigkeitsregelung. Eine Zuständigkeitsbegründung über die allgemeine Regelung für arbeitnehmerähnliche Personen nach § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG kommt daher nicht in Betracht, vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 92a HGB; GMP/Müller-Glöge, § 5 ArbGG Rn. 39; MüKo-HGB/v. Hoyningen-Huene, § 92a HGB Rn. 3. 273 BAG NJW 2003, 2627, 2628. 274 BAG NJW 2003, 2627, 2628; Paul, SAE 2007, 133, 133 f. 275 Kritisch auch Hromadka, in: FS Söllner, S. 461, 467.
174 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
höheres Entgelt bezieht, zugemutet, auf die genannten – insbesondere finanziellen und damit in einem weiten Sinne „sozialen“ – Vorteile des Arbeitsgerichtsprozesses verzichten zu können und einen Rechtsstreit gegen seinen Auftraggeber vor den ordentlichen Gerichten zu führen. Die auch im Falle eines (weit) höheren Verdienstes oberhalb des gesetzlichen Schwellenwertes von 1.000 Euro vorhandene wirtschaftliche Abhängigkeit des Einfirmenvertreters führt dann nach der Logik des Gesetzgebers nicht mehr zu (prozessualer) sozialer Schutzbedürftigkeit mit der Folge der Nichtanwendbarkeit des Arbeitsgerichtsgesetzes. Wirtschaftliche Abhängigkeit, Entgelthöhe und soziale Schutzbedürftigkeit werden daher vom Gesetzgeber auch in § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG in der bereits zu § 92a Abs. 1 HGB dargelegten Art und Weise miteinander verknüpft. c) Weit überdurchschnittliche Entgeltvereinbarungen als erfolgreiche Marktteilnahme Noch eine weitere Überlegung verdeutlicht den engen Zusammenhang von wirtschaftlicher Abhängigkeit, sozialer Schutzbedürftigkeit und Entgelthöhe. Sie setzt an der auch im Rahmen dieser Arbeit verwendeten Begrifflichkeit des „Auftretens am Markt“ an. Diese ist selbst nach einem Versuch der Präzisierung noch einigermaßen unbestimmt. Wie viele Vertragspartner muss ein Erwerbstätiger haben, um von einer Teilnahme am Markt sprechen zu können? Wie hoch müssen seine Gewinnchancen in den jeweiligen Vertragsverhältnissen sein und wie können sie überhaupt ermittelt werden?276 Und vor allem: Entfaltet nicht auch derjenige in gewisser Weise Markttätigkeit, der seine Arbeitskraft bloß einem einzigen Vertragspartner zur Verfügung stellt?277 Eine solche Sichtweise wird von Teilen der Literatur mit durchaus überzeugenden Argumenten vertreten. Denn ökonomisch betrachtet befinden sich in einer Marktwirtschaft letztlich alle, die ihren Lebensunterhalt erwirtschaften müssen, in einer Art „Unternehmerposition“ 278. Da auch derjenige, der nur für einen Auftraggeber und in fremdnütziger Art und Weise tätig wird, seine Arbeitsleistung „verkauft“279, tritt er in dieser Eigenschaft jedenfalls am (Arbeits-)Markt auf und verwertet seine Arbeitskraft letztlich auch für sich selbst280. Auch er ist damit – mit den wenig schönen, aber bei ökonomischer Sichtweise im Ergebnis wohl treffen276
Hierzu kritisch Rieble, ZfA 1998, 327, 334; Maschmann, Arbeitsverträge, S. 95. In diesem Sinne auch Annuß, NZA 2017, 345, 348 f. und im Ansatz U. Fischer, FA 2017, 34, 35 f. 278 Rieble, ZfA 1998, 327, 335; ähnlich Annuß, NZA 2017, 345, 349 und Rommé, Arbeit, S. 104. 279 Eucken/Eucken-Erdsiek, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 322. 280 Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 10; Buchner, NZA 1998, 1144, 1147; Lieb, RdA 1974, 257, 259 f. spricht in Ansätzen bereits von einem unternehmerischen Handeln trotz zeitlicher, örtlicher und fachlicher Gebundenheit. 277
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
175
den Worten Riebles – „eine zu Erwerbszwecken produzierende Einheit“281. Dass solche Tätigkeit auch Markttätigkeit ist, wird gerade bei solchen Beschäftigten deutlich, die zwar innerhalb desselben Zeitraums in der Hauptsache nur für einen Vertragspartner tätig werden, aber eine besondere, am Arbeitsmarkt begehrte Qualifikation besitzen282. Das versetzt sie in eine gute Marktposition, die sich im Ergebnis in einer besonders hohen Entgeltvereinbarung niederschlagen kann283. Diese Feststellung gilt nicht nur284, aber in besonderem Maße für das Beispiel der in Kapitel 1 untersuchten Lizenzfußballer. Nicht zufällig wird hier für jeden einzelnen Spieler ein „Marktwert“285 ermittelt oder von einem „Transfermarkt“ der Spieler gesprochen. Der hier beobachtbare Effekt einer „Markttätigkeit“ trotz grundsätzlich fremdnütziger Arbeitsleistung in einem zumeist auch wirtschaftlich abhängigen Arbeitsverhältnis wird im Bereich des professionell betriebenen Sports vor allem auch dadurch verstärkt, dass – abweichend vom noch immer idealtypischen Normalarbeitsverhältnis286 – in der Regel nur (kurzzeitig)287 befristete Arbeitsverträge288 abgeschlossen werden. Die Spieler haben 281 Rieble, ZfA 1998, 327, 335 und 337 und ähnlich schon vor knapp 100 Jahren Molitor, Wesen, S. 79. 282 Rieble, ZfA 1998, 327, 338; ähnlich Annuß, NZA 2017, 345, 349: vgl. auch Rebhahn, RdA 2009, 236, 250. 283 Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 21 und auch schon Molitor, Wesen, S. 78; einen Zusammenhang zwischen hoher beruflicher Qualifikation, überdurchschnittlicher Entgeltvereinbarung und dadurch sinkender Schutzbedürftigkeit erkennen auch Tomandl, ZAS 2008, 100, 114 und Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 287. 284 Ebenso Annuß, NZA 2017, 345, 349 zu „unternehmerisch-zielorientierten“ Arbeitnehmern in Großbetrieben. 285 Einen „hohen Marktwert“ sämtlicher Spitzenverdiener erkennt Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 21. 286 Zum Stichwort „Ende des Normalarbeitsverhältnisses“ vgl. etwa Rieble, ZfA 1998, 327, 337 und zuletzt ausführlich Waltermann, Gutachten, passim; zusammenfassend ders., RdA 2010, 162, 162 ff. sowie Wank, RdA 2010, 193, 193 ff. 287 Dabei werden die Lizenzspieler – wegen tendenziell nachlassenden Leistungsfähigkeit – zu Beginn ihrer Karriere ein größeres Interesse an einer kurzzeitigen und gegen Ende ihrer Karriere eher an einer längeren Befristungsdauer haben, vgl. zu diesem Aspekt Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 26 f. 288 Die sachgrundgetragene Befristung von Arbeitsverträgen mit Lizenzfußballern wird von der h. M. auf Grund der Eigenart der Arbeitsleistung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG für zulässig erachtet. Dafür wird vor allen Dingen auf das typische Nachlassen der Leistungsfähigkeit der Spieler verwiesen (sog. „Verschleißtatbestand“ vgl. HWK/Rennpferdt, § 14 TzBfG Rn. 42; Fritzweiler/Pfister/Summerer, PHB-SportR, S. 326 Rn. 57 m. w. N.; kritisch zum Verschleißtatbestand als einzigem Argument Bepler, jM 2016, 105, 108; weitere Begründungsversuche zusammenfassend Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 240 ff. und Jungheim, RdA 2008, 222, 223 f. Dagegen wurde die Möglichkeit einer Befristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG im Jahr 2015 im Rahmen einer Klage des Fußballbundesliga-Torwarts Heinz Müller vom ArbG Mainz in erster Instanz zunächst
176 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
hierdurch 289 mehrmals in ihrer Karriere die Möglichkeit, ihre Arbeitskraft am Markt für Lizenzfußballer anzubieten. Ein solches Verhalten ist denn auch in viel beachtet mit dem Argument verneint, der Tatsache des allgemeinen Verschleißes der Leistungsfähigkeit eines Berufsfußballers könne im Lichte des Art. 12 GG kein entscheidendes Gewicht zukommen (vgl. ArbG Mainz NZA 2015, 684, 685 f.; dazu kritisch Kratzer/Frodl, NZA 2015, 657, 657 ff.; differenzierter, im Ergebnis aber ebenfalls ablehnend etwa Bepler, jM 2016, 105, 107 ff.; Fröhlich/Fröhlich, Causa Sport 2015, 145, 146 ff.; Weth, jM 2016, 89, 89 und wohl auch J. Beckmann/Beck, SpuRt 2015, 160, 160 f.). Dieses Urteil wurde jedoch in zweiter Instanz vom LAG Rheinland-Pfalz NZA 2016, 699, 699 ff. aufgehoben, das die Befristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG für zulässig erachtete. Die nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Befristung rechtfertigende „Eigenart der Tätigkeit“ sah es insbesondere in der besonderen Ungewissheit bezüglich der zukünftiger Entwicklung des Arbeitsverhältnisses (u. a. wegen besonderer Verletzungsgefahr bei Fußballern), der besonderen Notwendigkeit einer ausgewogenen, der sportlichen Zielsetzung gerecht werdenden Zusammensetzung der Altersstruktur des Spielerkaders und dem Abwechslungsbedürfnis des Publikums (vgl. LAG Rheinland-Pfalz NZA 2016, 699, 700 f.; vgl. hierzu begrüßend Walker, NZA 2016, 657, 658 ff.; J. Beckmann/Beck, SpuRt 2016, 155, 155 f.; Fröhlich/Fröhlich, Causa Sport 2016, 155, 156 ff.; Vogel, Causa Sport 2016, 321, 321 ff. und insbesondere aus Sicht der Verbandsautonomie und des Europarechts Fritschi, SpuRt 2017, 90, 90 ff.; kritisch dagegen Fischinger/Reiter, NZA 2016, 661, 661 ff.; eine grundlegende Analyse findet sich daneben bei Boemke/Jäger, RdA 2017, 20, 20 ff.). Außerdem meinte das Gericht – für die vorliegende Untersuchung besonders erwähnenswert –, es könne auch die typischerweise außergewöhnliche Höhe der im Profifußball gezahlten Vergütung nicht außer Betracht bleiben. Zwar könne der Befristungsschutz eines Arbeitnehmers nicht abgekauft werden. Vor dem Hintergrund, dass die dem TzBfG zu Grunde liegende EU-RL 1999/70/EG insbesondere den Zweck verfolge, die Situation schwacher und damit sozial schutzbedürftiger Arbeitnehmer zu verbessern und die Entstehung eines Prekariats von stets nur befristet angestellten Arbeitnehmern zu verhindern, verschöben die außergewöhnlich hohen Vergütungen der Berufsfußballspieler jedoch im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung durchaus den Bewertungsmaßstab bei Anwendung des § 14 Abs. 1 Nr. 4 TzBfG (LAG Rheinland-Pfalz NZA 2016, 699, 700; die hohe Vergütung halten aus der Literatur auch Bepler, jM 2016, 105, 110 f. sowie Kratzer/Frodl, NZA 2015, 657, 661 für berücksichtigungsfähig; dagegen aber ausdrücklich Fröhlich/Fröhlich, Causa Sport 2016, 155, 156 ff.). Im Zuge der momentan anhängigen Revision (Az.: 7 AZR 312/16) steht die Frage vor einer höchstrichterlichen Klärung durch das BAG, sofern dieses die Frage nicht (zunächst) dem EuGH nach Art. 267 AEUV vorlegt (so die Prognose von Junker, EuZA 2015, 279, 280 mit Blick auf die neuere Rechtsprechung des EuGH zum Missbrauch von Kettenbefristungen, vgl. EuGH v. 26. 02. 2015 – Rs. C-238/14, NZA 2015, 424 Rn. 34 ff. (Kommission/Luxemburg) und hierzu die Besprechung von Joussen, EuZA 2015, 323, 324 ff. und weiterführend ders., RdA 2015, 305, 313 ff.). Vgl. daneben ausführlich und kritisch zum Verschleißtatbestand bei der Befristung von Trainerverträgen J. Horst/Persch, RdA 2006, 166, 166 ff.; vgl. dazu auch BAG NZA 2000, 102, 103). Eine Befristung kann daneben auch auf Wunsch des Arbeitnehmers zulässig sein, wenn dieser auch bei einem Angebot auf Abschluss eines unbefristeten Vertrags nur ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart hätte (BAG AP Nr. 162 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG AP Nr. 260 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Schaub/ Koch, Arb-Hdb, § 40 Rn. 63). Dies wird im Bereich des Lizenzfußballs teilweise der Fall sein, vgl. Wüterich/Breucker, Arbeitsrecht, S. 243.
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
177
der Praxis gang und gäbe. Vor allem auslaufende Arbeitsverträge werden gerade von Spitzenspielern in der Regel zum Anlass genommen, sich verschiedene neue Vertragsangebote von verschiedenen, potentiellen Arbeitgebern einzuholen, um so die eigene Arbeitskraft finanziell optimal verwerten zu können. Das führt zu der beschriebenen, starken Markt- und Verhandlungsposition der Spieler und schlägt sich im Ergebnis in Entgeltvereinbarungen in Millionenhöhe nieder – auch wenn die Verwertung der Arbeitskraft auf Grund der tatsächlichen und verbandsrechtlichen Rahmenbedingungen 290 des professionell betriebenen Sports nicht durch fortlaufende Markttätigkeit im engeren Sinne, sondern regelmäßig in (nach hiesiger Begriffsverwendung) wirtschaftlicher Abhängigkeit zu einem Verein erfolgt. 289
Bei einem weiten Begriffsverständnis schiene es daher durchaus nicht abwegig, in solchen Fällen der weit überdurchschnittlichen Entgeltvereinbarungen bereits von wirtschaftlicher Unabhängigkeit des Erwerbstätigen zu sprechen, da er seine Arbeitskraft in Form einer besonders hohen Entgeltvereinbarung für eine gewisse Dauer letztlich ebenso gewinnbringend am Arbeitsmarkt verwertet wie derjenige, der im gleichen Zeitraum mit verschiedenen Vertragspartnern kontrahiert und dadurch seine Marktchancen wahrnimmt. Es stellt sich also mit Recht die Frage, ob für das Vorliegen wirtschaftlicher (Un-)Abhängigkeit danach differenziert werden sollte, ob ein Beschäftigter einmalig am Markt tätig wird, um dort erfolgreich seine Marktmacht für eine Dauerrechtsbeziehung zu einem einzigen Auftraggeber auszuspielen, oder ob zusätzlich gefordert werden muss, dass er neben einem solchen Rechtsverhältnis grundsätzlich weiterhin mit Gewinnchancen am Markt auftritt oder auftreten kann. Wohl vor allem aus diesem Grund wird die Entgelthöhe in einem bestimmten Rechtsverhältnis mitunter direkt der wirtschaftlichen Abhängigkeit zugeordnet291. Indes würde eine solche Sichtweise die vom Gesetzgeber grundsätzlich gezogene und im Rahmen dieser Untersuchung erläuterte Grenze zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit nicht nur verwischen, sondern völlig aufheben292. Sie verdeutlicht aber, wie eng der Zusammenhang zwischen diesen Begriffen ist und wie mit der 289 Diese Möglichkeit bestünde – rein arbeitsrechtlich betrachtet und ohne die Berücksichtigung verbandsrechtlicher Vorgaben – wegen der dann sachgrundlosen Möglichkeit zur Kündigung durch den Arbeitnehmer freilich auch im unbefristeten Arbeitsverhältnis. 290 Vgl. dazu bereits die Nachweise oben 1. Kap., Fn. 203. 291 So ist etwa für Tomandl, ZAS 2008, 100, 114 „wirtschaftliche Abhängigkeit […] vor allem eine Frage der Einkommenshöhe“. Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 287 spricht im Rahmen eines Vorschlags für die Beschreibung der arbeitnehmerähnlichen Person de lege ferenda davon, dass die „wirtschaftliche Abhängigkeit […] in […] Entgeltgrenzen zum Ausdruck kommen“ sollte. Auch für Schaub/Vogelsang, Arb-Hdb, § 10 Rn. 3 und Löwisch/ Rieble, TVG, § 12a Rn. 29 und 34 ist die Entgelthöhe Teil wirtschaftlicher Abhängigkeit. 292 Wie hier daher Rebhahn, RdA 2009, 236, 250; Reinhardt, Phänomen, S. 169 f.; i. E. auch Wank, Arbeitnehmer, S. 242.
178 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Höhe der Entgeltvereinbarung in einem Rechtsverhältnis die soziale Schutzbedürftigkeit des grundsätzlich wirtschaftlich abhängigen Beschäftigten sinkt. Jedenfalls darf die mehr oder weniger „zufällige“ Aufspaltung der Beschreibung einer sozial schutzbedürftigen Lage durch mehrere Begrifflichkeiten 293 im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise eines Rechtsverhältnisses nicht zu einer grundsätzlichen Nichtberücksichtigung der Entgelthöhe führen 294.
D. Ergebnis Trotz aller im Ausgangspunkt bestehenden terminologischen Schwierigkeiten kann der Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit als zentral für die wirtschaftliche Betrachtungsweise eines Rechtsverhältnisses zwischen einem Beschäftigten und seinem Auftraggeber bezeichnet werden. Wirtschaftlich abhängig in diesem Sinne ist eine erwerbstätige natürliche Person, die für eine gewisse Dauer, typischerweise in einem nicht unerheblichen Umfang für überwiegend einen Vertragspartner tätig wird. Dabei überlässt sie die unternehmerische Verwertung der eigenen Arbeitskraft und -leistung dem Auftraggeber und begibt sich damit der darin grundsätzlich beschlossenen Gewinnchancen, die über eine bloß äquivalente Gegenleistung für den Einsatz der eigenen Arbeitskraft hinausgehen. Wann danach von wirtschaftlicher Abhängigkeit gesprochen werden muss, kann trotz dieser Kriterien nicht allgemeingültig beantwortet werden. Erforderlich ist ähnlich wie bei der persönlichen Abhängigkeit und dem Typusbegriff des Arbeitnehmers eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände, die ergeben muss, dass der Erwerbstätige – etwa mangels sonstiger Verdienste – auf die aus dem Rechtsverhältnis fließende Vergütung zu seiner Existenzsicherung angewiesen ist. Indizien dafür können auch die hauptsächlich höchstpersönliche Tätigkeit des Beschäftigten ohne den Einsatz von Hilfskräften, ein geringes Betriebskapital oder das Fehlen einer eigenen Arbeits- oder Produktionsstätte sein. Ist ein Beschäftigter wirtschaftlich abhängig im vorgenannten Sinne, so indiziert das typischerweise seine soziale Schutzbedürftigkeit, die sich gerade aus seiner besonderen Erwerbssituation ergibt. Hintergrund ist der generalisierende 293 In diesem Sinne etwa Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 5: Die soziale Schutzbedürftigkeit „kann nur mit dem zusammenhängen, was man früher offenbar mit der sogenannten wirtschaftlichen Abhängigkeit zu umschreiben versucht hat und besser soziale Schutzbedürftigkeit hätte nennen sollen“; ebenso Rieble, ZfA 1998, 327, 337: „Es gibt keinen qualitativen Unterschied zwischen ,sozialer‘ und ,wirtschaftlicher‘ Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit“ und Hromadka, DB 1998, 195, 196: „Die Schutzbedürftigkeit wird gleichgestellt und umschrieben mit wirtschaftlicher Abhängigkeit“. Für eine Aufgabe dieser begrifflichen Schachtelung de lege ferenda daher ders., NZA 2007, 838, 841. Eine Gleichsetzung von wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit findet sich auch bei Lieb, RdA 1974, 257, 261. 294 Vgl. hierzu nochmals die Nachweise in 2. Kap., Fn. 247.
§ 5 Wirtschaftliche Begriffe im Kontext der Arbeitnehmereigenschaft
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Gedanke, dass derjenige, der ohne die Möglichkeit zur Erzielung unternehmerischer Gewinne in der beschriebenen Art und Weise für einen anderen fremdnützig tätig wird, nicht zu einer privaten Daseinsvorsorge für soziale Risiken in der Lage ist. Sein Verdienst reicht im Regelfall nur zur Bestreitung der allgemeinen Lebenshaltungskosten aus, nicht aber zur Vorsorge für zukünftige und unvorhergesehene Mangellagen. Damit wird aber bereits der Zusammenhang zur Entgelthöhe deutlich: Auch derjenige, der zwar – mangels sonstiger laufender Einkünfte – auf die aus einem bestimmten Rechtsverhältnis fließende Vergütung angewiesen und damit als grundsätzlich wirtschaftlich abhängig zu gelten hat, ist auf Grund seines Verdienstes jedenfalls dann zur eigenverantwortlichen Vorsorge in der Lage, wenn sein Entgelt weit überdurchschnittlich bemessen ist und damit deutlich über die normalen Lebenshaltungskosten hinaus geht. Die Vermutung sozialer Schutzbedürftigkeit ist dann widerlegt. Damit einher geht das Verschwinden eines letztlich aus sozialstaatlichen Gründen entstandenen, zwingenden Regelungsbedürfnisses des Rechts, das zur teilweisen Korrektur dieser Situation des Erwerbstätigen gerade durch dessen soziale Schutzbedürftigkeit veranlasst und angeregt worden ist. Die Erkenntnis des Zusammenhangs von wirtschaftlicher Abhängigkeit, sozialer Schutzbedürftigkeit und Entgelthöhe trifft im Grundsatz auf sämtliche wirtschaftlich abhängigen Beschäftigten und damit regelmäßig auch auf Arbeitnehmer zu. Dass die bloße Verdienst- oder Entgelthöhe für sich betrachtet darüber hinaus einen Arbeitnehmer vom Selbständigen zu unterscheiden vermag und damit den Begriff des Arbeitnehmers definieren kann, ist damit freilich nicht gesagt. Dazu ist sie im Ergebnis gewiss ungeeignet, denn für die Rechtsqualität der gegenseitigen Vertragsbeziehung zwischen einem Beschäftigten und seinem Auftraggeber gibt sie isoliert betrachtet keine Hinweise295. Sie ist insoweit ein neutrales Kriterium. Die (weit) überdurchschnittliche296 Entgeltvereinbarung trifft eben nur eine Aussage über die tatsächlich existierende soziale Schutzbedürftigkeit eines wirtschaftlich Abhängigen. Dass das an dieser Stelle der Untersuchung gewonnene Ergebnis für die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts und damit auch für (Arbeitnehmer-)Spitzenverdiener unmittelbare Relevanz entfalten kann ist, setzt aber einen weiteren Schritt voraus: Wirtschaftliche Abhängigkeit und die daraus folgende soziale Schutzbedürftigkeit müssen überhaupt 295
Insoweit zutreffend Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1240 und 1244. dagegen ein besonders niedriges Entgelt unterhalb eines gewissen Schwellenwerts für die Schutzbedürftigkeit eines Erwerbstätigen irrelevant ist, weil er in diesen Fällen schon nicht ausschließlich auf die aus einem bestimmten Rechtsverhältnis fließenden Vergütung als Existenzgrundlage angewiesen sein kann, soll im Rahmen der vorliegenden Themenstellung nicht erörtert werden. Dies für arbeitnehmerähnliche Personen de lege ferenda bejahend etwa Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 286. Die Schutzbedürftigkeit jedenfalls bei Unentgeltlichkeit einer Dienstleistung verneinend Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 202. 296 Ob
180 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
grundsätzliche Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts sein. Denn eine bestimmte Entgelthöhe kann nur eine durch wirtschaftliche Abhängigkeit indizierte soziale Schutzbedürftigkeit entfallen lassen, nicht aber eine andere Art von Schutzbedürftigkeit, die unmittelbar aus dem Tatbestand persönlicher Abhängigkeit folgt, weil sie mit letzterer gerade nicht in (unmittelbarem) teleologischem Bezug steht297. Um eine (teilweise) Nichtanwendbarkeit des Arbeitsrechts über die Höhe des Entgelts rechtfertigen zu können, müssen deshalb zumindest einige Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit – um mit der Terminologie des BAG zu sprechen – für den Arbeitnehmerbegriff (jedenfalls auch) „erforderlich“ sein. Dies zu überprüfen wird Aufgabe des folgenden § 6 sein.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungendes Arbeitsrechts Zur Beantwortung der Frage, ob die wirtschaftliche Abhängigkeit und eine daraus folgende soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten zu den Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts gehören, sollen diese – und damit primär der Arbeitnehmerbegriff – einer methodenorientierten Untersuchung unterzogen werden 298. In bereits existierenden wissenschaftlichen Stellungnahmen, die sich mit den Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes beschäftigen, wird einer teleologischen Betrachtung eine besondere Bedeutung beigemessen. Darauf wird auch die vorliegende Untersuchung zurückkommen müssen (dazu unten E.). Sie will dabei allerdings nicht stehen bleiben. Denn mindestens ebenso wichtig erscheint es aufzuzeigen, welche gesetzlichen, richterrechtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen historisch zur Entwicklung des Arbeitsrechts im Allgemeinen und zur Ausgestaltung des Arbeitnehmerbegriffes im Speziellen geführt haben und ob sich diese Rahmenbedingungen im Laufe der Zeit gegebenenfalls so verändert haben, dass sie eine Neubetrachtung erfordern (unten D.). Daneben ist es notwendig zu untersuchen, wie der Arbeitnehmerbegriff in die heutige Rechtsordnung systematisch eingebettet ist (unten C.). Begonnen werden soll aber – nach einigen Vorbemerkungen zu methodischen Besonderheiten der Untersuchung (sogleich A.) – mit einem Blick auf den Wortlaut des Begriffes „Arbeitnehmer“ (unten B.). 297 Kritisch zum Zusammenhang von persönlicher Abhängigkeit und der typischen sozialen Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmer bereits Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 13. 298 Ausführlich zu Arbeitsrecht und Methodenfragen Höpfner, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 97, 97 ff.; Preis, in: FS Wank, S. 413, 414 ff. Eine ähnliche Methode wie die Folgende zur Beantwortung der Frage nach den Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts wird – soweit ersichtlich – nur angewendet von Maties, in: FS Wank, S. 323, 328 ff. Auch er hält allerdings Systematik und Historie zu Unrecht für unergiebig und setzt daher einen Schwerpunkt auf die teleologische Betrachtung.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
181
A. Vorbemerkungen zur Methode Traditionell beschäftigt sich ein wichtiger Teilbereich der Methodenlehre mit der Auslegung von Gesetzen 299. Insofern wurden, zurückgehend auf die grundlegenden Arbeiten Savignys, verschiedene Auslegungskriterien entwickelt, die es dem Rechtsanwender erleichtern sollen, sich einem bestimmten Auslegungsziel zu nähern300. Dieses Auslegungsziel besteht regelmäßig in der Ermittlung der Sinnesbedeutung eines Begriffes im Kontext eines bestimmten Gesetzes301. Davon weicht die vorliegende Untersuchung insoweit ab, als der Begriff des Arbeitnehmers nicht nur im Zusammenhang mit einem bestimmten Gesetz steht. Es geht hier nicht um die Auslegung eines einzigen Tatbestandsmerkmals, einer einzigen Norm oder auch nur eines Gesetzeswerkes. Vielmehr geht es um einen ein gesamtes Rechtsgebiet definierenden Rechtsbegriff. Das erfordert die Berücksichtigung von Besonderheiten und hat etwa zur Folge, dass im Rahmen einer systematischen Betrachtungsweise die „äußere Systematik“, die danach fragt, in welchem Abschnitt oder Buch eine Vorschrift innerhalb eines Gesetzes eingegliedert ist, nicht berücksichtigt werden kann. Dagegen lässt eine Untersuchung der bedeutenderen „inneren Systematik“302 durchaus Rückschlüsse zu. Grundgedanke dieser Methode ist die Ordnung verschiedener Rechtsnormen zu einem widerspruchsfreien Wertegefüge; mit ihr können daher Wertungswidersprüche auch zwischen verschiedenen Gesetzen aufgedeckt und beseitigt werden303. Daneben weist der Arbeitnehmerbegriff unabhängig von seiner zentralen Bedeutung als „Schlüssel zum Arbeitsrecht“ weitere Eigenheiten auf. So rücken ihn etwa die Reichweite des (allgemeinsprachlichen) Wortlauts und seine Eigenschaft als Typusbegriff eher in Richtung eines unbestimmten Rechtsbegriffes oder einer Generalklausel, in deren Zusammenhang üblicherweise weniger von „Ausle299 Vgl. statt vieler Larenz, Methodenlehre, S. 312 ff.; speziell für den Bereich des Arbeitsrechts Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 8 ff.; Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 67 ff. 300 Ausführlich zur Unterscheidung zwischen subjektiver (primär am Willen des Gesetzgebers orientierter), objektiver (primär am „Willen des Gesetzes“, d.h. des normativen Sinnes einer Norm orientierter) und mischförmiger Bestimmung des Auslegungsziels Bydlinski, Methodenlehre, S. 428 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 316 ff.; Wank, Auslegung, S. 29 ff; zusammenfassend auch Höpfner, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 97, 98. Bei diesem Streit handelt es sich in Wahrheit aber um die Frage nach einem Rangverhältnis der verschiedenen Auslegungskriterien, so zutreffend Bydlinski, Methodenlehre, S. 436. 301 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730a. 302 Begriffe nach Heck, Begriffsbildung, S. 139 ff. und Larenz, Methodenlehre. S. 326 und 328; 437 ff., 473 ff.; ausführlich hierzu auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 139 ff. 303 Bydlinski, Methodenlehre, S. 442 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 324 ff.; Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 751; Wank, Auslegung, S. 57 ff.; Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 76 f., dort auch mit Beispielen aus der Rechtsprechung des BAG.
182 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
gung“ als vielmehr von „Konkretisierung“ gesprochen wird304. Bei Betrachtung der Entstehungsgeschichte, in deren Rahmen an sich insbesondere auf den Gesetzgeberwillen bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens eines Gesetzes abzustellen wäre305, ist zu beachten, dass der historische Gesetzgeber zwar einen gesetzlichen Rahmen gesteckt, den Begriff des Arbeitnehmers aber nicht ansatzweise selbst definiert hat oder auch nur definieren wollte. Diese Aufgabe haben bis zur Einführung des § 611a Abs. 1 BGB vielmehr „gesetzgebervertretend“306 die Gerichte übernommen, weshalb deren Rechtsprechung insoweit eine besondere Bedeutung zukommt. Im Rahmen einer teleologischen Betrachtung muss wiederum berücksichtigt werden, dass der Sinn und Zweck eines Gesetzes grundsätzlich mit Blick auf die spezifischen Rechtsfolgen dieses konkreten Gesetzes ermittelt werden muss307. Das kann unter der Berücksichtigung des Dogmas eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes für das gesamte Arbeitsrecht zu Problemen führen. Dennoch empfiehlt sich für eine Untersuchung der Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes jedenfalls eine strukturelle Orientierung an den tradierten Auslegungskriterien. Auf Grund der genannten Besonderheiten wurde bislang nur von „methodenorientierter“ Untersuchung und soll im Folgenden regelmäßig nicht von „Auslegung“, sondern von „Betrachtung“ gesprochen werden. Dort, wo sich spezifische Auswirkungen für die vorliegende Untersuchung ergeben, wird nochmals gesondert darauf hingewiesen.
B. Betrachtung des Wortlauts Der Wortlaut hat am Ausgangspunkt jeder Auslegung308 und damit auch am Beginn der vorliegenden Betrachtung zu stehen; er markiert zugleich die Grenzen möglicher Interpretationen durch die Gerichte309, bevor sie sich auf den Boden der Rechtsfortbildung begeben müssen.
304 Bydlinski, Methodenlehre, S. 582 f.; Wank, Auslegung, S. 51; ders., Grenzen, S. 146; ausführlich Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 304 ff. 305 Bydlinski, Methodenlehre, S. 449 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 328 ff; Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 81 ff. 306 Zur Bedeutung der Arbeitsgerichte als Ersatzgesetzgeber vgl. Rüthers, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 100, 103. 307 Ausführlich Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 85; ders., Begriffsbildung, S. 87, 110 ff. 308 Larenz, Methodenlehre, S. 320; Wank, Auslegung, S. 41; ausführlich Bydlinski, Methodenlehre, S. 437 ff. 309 Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 11.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
183
I. Allgemeinsprachliches Verständnis des Begriffes „Arbeitnehmer“ Nach der Definition des Dudens ist Arbeitnehmer „jemand, der von einem Arbeitgeber beschäftigt wird“310. Der Arbeitgeber wiederum wird beschrieben als diejenige „Person, die Arbeitskräfte im Arbeitsverhältnis beschäftigt“311. Nähere Hinweise auf ein natürliches Sprachverständnis des Begriffes „Arbeitnehmer“ liefert dieser Definitionsansatz freilich nicht: seine Wechselbezüglichkeit ohne inhaltlichen Aussagegehalt ist offensichtlich. Aus demselben Grunde helfen die Ausführungen des von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Wortlautfragen mitunter herangezogenen Deutschen Wörterbuchs der Gebrüder Grimm in dessen neubearbeiteter Auflage nicht weiter. Auch danach ist Arbeitnehmer ein „in einem Lohnverhältnis Beschäftigter“312, Arbeitgeber eine „Arbeitskräfte im Lohnverhältnis beschäftigende Person oder Institution“313. Ein wenig ausführlicher ist der Definitionsansatz des Brockhaus. Arbeitnehmer werden dort als Personen beschrieben, „die sich einem Arbeitgeber aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages oder eines ihm gleichgestellten Rechtsverhältnisses gegen Entgelt (Lohn, Gehalt) zur Leistung von Arbeit verpflichtet haben“314. Schon weil sich dieser Ansatz offensichtlich nicht am natürlichen Wortsinn, sondern am juristischen Sprachgebrauch orientiert, ist sein Wert an dieser Stelle zweifelhaft (vgl. dazu sogleich unter II.). Davon abgesehen, lassen sich aus ihm aber ohnehin keine inhaltlichen Erkenntnisse gewinnen, da die einzelnen Merkmale, die den Arbeitnehmer letztlich charakterisieren können sollen, ohne weitere Erläuterung bleiben. Zumindest ein wenig mehr lässt sich aber der ursprünglichen Fassung des Grimm’schen Wörterbuches entnehmen. In einem Nachdruck der Erstausgabe von 1854 heißt es, der Arbeitnehmer sei der „Gegenüber des Arbeitgebers“ bzw. derjenige, „der die aufgetragne Arbeit annimmt“315. Der Arbeitgeber wiederum wird beschrieben als derjenige, „der für sich arbeiten läszt, die Arbeit bestellt und bezahlt“316. Sollen diese Ausführungen für die vorliegende Untersuchung juristisch fruchtbar gemacht werden, so liegt die folgende Deutung wohl am nächsten: Sofern man dem „Bestellen“ fremder Arbeit durch den Arbeitgeber und der spiegelbildlichen „Annahme der aufgetragenen Arbeit“ auf Seiten des Arbeit310
Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 279 (Bd. 1). Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 279 (Bd. 1). 312 Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 3 (2007), S. 207. 313 Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 3 (2007), S. 206. 314 Brockhaus, Enzyklopädie Online, Stichwort „Arbeitnehmer“ (publiziert am 15. 09. 2012), abrufbar unter https://wuerzburg-ub.brockhaus.de/search#/search?keyword=arbeitnehmer (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). 315 Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1 (1984), S. 543. 316 Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1 (1984), S. 543. 311
184 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
nehmers überhaupt mehr als den bloßen Vertragsschluss zweier Vertragsparteien entnehmen möchte, so können diese Umschreibungen – insbesondere der Passus „aufgetragene“ Arbeit – in einem eher formellen Sinne, etwa als Ausprägung einer arbeitnehmerseitig bestehenden Weisungsgebundenheit verstanden werden. Jedenfalls wird hierdurch ein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer angedeutet. Dagegen lässt sich das ambivalente „für sich arbeiten lassen“ in zwei Richtungen deuten. Einerseits im Sinne eines arbeitgeberseitigen Weisungsrechts oder einer Eingliederung in eine eigene Arbeitsorganisation; andererseits aber auch wirtschaftlich mit Blick auf die unternehmerischen Gewinnchancen, die durch den Einsatz fremder Arbeitskraft entstehen. Schließlich ist die Pflicht des Arbeitgebers zum „bezahlen“ der Arbeit grundsätzlich rechtlich neutral. Wenn überhaupt, deutet sie eher darauf hin, dass das Vergütungsrisiko und damit regelmäßig auch die Möglichkeit der Gewinnerzielung gerade keine charakteristischen Eigenschaften des Arbeitnehmers sind, sondern auf Seiten des Arbeitgebers liegen. Im Ergebnis sind aber auch diese Erkenntnisse freilich mit Vorsicht zu behandeln. Dies nicht nur deshalb, weil sie auf bloß marginalen Andeutungen beruhen, die ihrerseits wiederum eines gehörigen Maßes an spezifischem Vorverständnis sowie eigener Auslegung und Interpretation bedürfen. Hinzu kommt, dass zur Zeit der ursprünglichen Grimm’schen Definition im Jahre 1854 das Arbeitsrecht als eigenständige Teildisziplin noch nicht existierte und mithin dem Begriff des Arbeitnehmers historisch noch eine andere Bedeutung zukam als dies später zur Zeit der Entstehung des modernen Arbeitsrechts der Fall war oder heute der Fall ist317. Erst im Laufe der Entwicklung wurde der „Arbeitnehmer“ überhaupt zu einem Gruppenbegriff, unter dem alle Beschäftigten zusammengefasst wurden, auf die das Arbeitsrecht angewendet werden sollte. Letztlich muss damit auf Grund der Unergiebigkeit des Wortlauts mit Reinecke treffend von einer „normativen Offenheit des Arbeitnehmerbegriffes“318 gesprochen werden. II. Orientierung am Begriffsverständnis des BAG als Zirkelschluss Daran kann auch die ständige höchstrichterliche Definition des Arbeitnehmerbegriffes nichts ändern. Denn unabhängig von der Streitfrage, ob es für den Wortlaut als Auslegungskriterium319 entscheidend auf die natürliche Bedeutung 317 Zur Problematik historischer Wortlautbedeutungen bei der Wortlautauslegung vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 323 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 741; Wank, Auslegung, S. 49; ders., Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 73. 318 Reinecke, ZIP 1998, 581, 587. 319 Zum Wortlaut als Grenzlinie zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung Larenz, Methodenlehre, S. 322; Wank, Auslegung, S. 43 f.; ders., Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 74 f.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
185
eines Begriffes, also den allgemeinen Sprachgebrauch320, oder vorrangig auf einen spezifisch juristischen Sprachgebrauch ankommt321, kann jedenfalls im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht auf die Begriffsbestimmung des BAG abgestellt werden. Denn dies liefe im Ergebnis erkennbar auf den Zirkelschluss „der Arbeitnehmer ist persönlich abhängig, weil er als persönlich abhängig definiert worden ist“ hinaus. Aus demselben Grund hilft letztlich auch die implizite Arbeitnehmerdefinition des § 611a Abs. 1 BGB nicht weiter, die sich zu wortwörtlich an der Rechtsprechung des BAG orientiert322.
C. Systematische Betrachtung Ergiebiger als eine Betrachtung des Wortlauts ist eine systematische Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts. Umso überraschender ist die Feststellung, dass bislang kaum eine umfassende323 Untersuchung all jener Vorschriften erfolgt ist, die – zwar nur mittelbare, aber doch normativ verankerte – Rückschlüsse auf den Arbeitnehmerbegriff zulassen. Gerade die für die vorliegende Themenstellung interessierende Frage, ob insoweit die Elemente der wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit kumulativ neben dem Aspekt der persönlichen Abhängigkeit berücksichtigt werden können oder müssen, wird in der Wissenschaft kaum behandelt324. Wird eine Berücksichtigungsfähigkeit verneint und werden die genannten Elemente mithin für den Begriff des Arbeitnehmers als nicht „erforderlich“ eingestuft, so wird dies denn oftmals auch mehr behauptet als überzeugend begründet. Teilweise wird die Problematik darüber hinaus mit der Fragestellung vermengt, ob alleine die 320 So etwa Bydlinski, Methodenlehre, S. 438; Larenz, Methodenlehre, S. 320 (vgl. aber auch S. 321 f.); Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 8; kritisch Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 351d ff.; differenzierend Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 74. 321 Etwa Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 741; Wank, Auslegung, S. 41 ff. (vgl. aber auch S. 48 und ders., Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 74). 322 Vgl. zu dessen beschränkten Aussagekraft an dieser Stelle der vorliegenden Untersuchung sogleich § 6 C. I. Ausführlich zu Inhalt und Reichweite des § 611a Abs. 1 BGB unten § 7 B. 323 Eher überblicksartige Betrachtungen finden sich etwa bei Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Buchner, NZA 1998, 1144, 1145 ff.; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 14 f.; Maties, in: FS Wank, S. 323, 329 f.;Reinecke, ZIP 1998, 581, 582 und 585 f.; Wank, Forschungsbericht, S. 87 ff.; ausführlicher Boemke, ZfA 1998, 285, 297 ff.; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 278 ff.; Wank, Arbeitnehmer, S. 183 ff. und 242 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 214 f., 226 ff. und 256 f.; für das österreichische Recht Wachter, Wesensmerkmale, S. 75 ff. 324 Ansätze finden sich etwa bei Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit und Konzen, ZfA 1982, 259, 289 f. sowie Wachter, Wesensmerkmale, S. 78 (anders aber auf S. 81 ff.).
186 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
wirtschaftliche Abhängigkeit eines Erwerbstätigen von seinem Auftraggeber zur Anwendung des Arbeitsrechts „ausreichend“ sein kann325. Im Folgenden soll vor allen Dingen untersucht werden, ob sich durch eine Betrachtung verschiedener gesetzgeberischer Wertungen grundlegende Rückschlüsse darauf ziehen lassen, welche Kriterien für die Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft herangezogen werden müssen und welche nicht – oder jedenfalls nicht ausschließlich – hierfür verwendet werden dürfen. Im Mittelpunkt der Ausführungen stehen dabei vor allem die Rechtsfigur der arbeitnehmerähnlichen Person (dazu II.) und der Aussagegehalt von § 84 Abs. 1 S. 2 HGB (unten III.). Daneben müssen aber auch weitere gesetzliche Wertungen, insbesondere diejenigen des Teilzeit- und Befristungsrechts (unten IV.) sowie unionsrechtliche Vorgaben (dazu V.) betrachtet werden. Einer gesonderten Bewertung bedarf aber zunächst die Vorschrift des § 611a Abs. 1 BGB (sogleich I.). I. Die beschränkte Aussagekraft des § 611a Abs. 1 BGB Durch Gesetz vom 27. 02. 2017326 wurde mit Wirkung zum 01. 04. 2017 mit § 611a Abs. 1 BGB ein neuer und für das Arbeitsrecht grundlegender Paragraf in das Bürgerliche Gesetzbuch eingeführt. Die Norm möchte nach der Intension des Gesetzgebers – über den dogmatischen Umweg des Begriffes „Arbeitsvertrag“ – den bislang herrschenden Arbeitnehmerbegriff des BAG übernehmen und schreibt dessen Inhalt damit positivrechtlich fest. Allerdings ist die Neuregelung für die Zwecke der vorliegenden Arbeit – an dieser Stelle der Untersuchung327 – gerade auf Grund ihrer „1:1-Kodifizierung“ der BAG-Rechtsprechung328 ohne Mehrwert. Denn es geht hier vor allem darum, die inhaltlichen Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes in seiner herrschenden Gestalt – also auch in derjenigen des § 611a Abs. 1 BGB – kritisch zu überprüfen und ihn auf mögliche Fehlschlüsse zu untersuchen. Zu diesem Zweck muss sich die Untersuchung zwangsläufig auf der Zeitachse rückwärts bewegen und sich auf denjenigen Normbestand konzentrieren, der Grundlage der bisherigen ständigen BAG-Rechtsprechung war, die den Arbeitnehmerbegriff zunächst (fort-)entwickelte329 und die erst sehr viel später in § 611a Abs.1 BGB mündete. 325 Exemplarisch etwa Boemke, ZfA 1998, 285, 299 und Hromadka, DB 1998, 195, 196. Einige Autoren beschränken sich auch von vorneherein auf diese letztgenannte Fragestellung, so Buchner, NZA 1998, 1144, 1145 ff.; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 15; Hanau, DB 1998, 69, 73 f.; ders., in: FS Kehrmann, S. 23, 27; Rieble, ZfA 1998, 327, 346. 326 BGBl. I 2017, S. 258. 327 Ausführlich zu Vorgaben und Grenzen des § 611a Abs. 1 BGB unten § 7 B. 328 So wörtlich BT-Drs. 18/9232, S. 4 und 18; ebenso BR-Drs. 294/16, S. 13 und BTDrs. 18/10064, S. 4. 329 Vgl. zur Genese des Arbeitnehmerbegriffes ausführlich unten § 6 D.
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Täte man dies nicht, ließen sich nämlich gerade auch etwaige Fehlinterpretationen der Rechtsprechung bei der Entwicklung des Arbeitnehmerbegriffes, die positivrechtlich nicht indiziert waren und die nunmehr erst durch die Einführung des § 611a Abs. 1 BGB zu Gesetzesrecht geworden sind, nicht mehr aufdecken330 – insbesondere deshalb, weil der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm sogar wortwörtlich die Obersätze der Rechtsprechung des BAG rezitiert hat. Anders gewendet wird die methodologische Vorzugswürdigkeit des hier gewählten Vorgehens womöglich noch deutlicher: Würde man anders verfahren und § 611a Abs. 1 BGB bereits an dieser Stelle ausführlich analysieren, so würde nämlich dieselbe Rechtsprechung des BAG – über den Umweg der nunmehr erfolgten „1:1 Kodifikation“ in § 611a Abs. 1 BGB durch einen bloß „kopierenden“ Gesetzgeber ohne positiven Gestaltungswillen331 – zum Maßstab der Überprüfung ihrer eigenen ursprünglichen Korrektheit. Das ist zirkelschlüssig und ohne Mehrwert: Die Richtigkeit einer Aussage kann schlicht nicht am Maßstab ihrer selbst kontrolliert werden332. Ähnlich lassen sich letztlich auch die Überlegungen Deinerts interpretieren333. Er kritisiert den Gesetzgeber dafür, dass er einen – wenn nicht schon heute, dann doch in naher Zukunft – überholten Arbeitnehmerbegriff kodifiziert hat. Das hat seiner Ansicht nach zum einen zur Folge, dass der Rechtsprechung künftig der Weg zu einer flexiblen Anpassung des Arbeitnehmerbegriffes an die jeweils gegenwärtige Arbeitswelt abgeschnitten sein wird. Es impliziert damit aber zugleich, dass sich der „richtige“ Arbeitnehmerbegriff nicht aus der Definition des § 611a Abs. 1 BGB selbst, sondern vielmehr – jeweils mit Blick auf die (zeit-) spezifischen Regelungsfragen und -probleme des Arbeitsrechts – aus einer umfassenden Zusammenschau aller anerkannten Auslegungsmethoden ergeben muss334. Damit ist freilich mitnichten gesagt, dass die gesetzliche Neuregelung ohne greifbare Auswirkungen bleibt. Diese sind allerdings dort zu suchen, wo es um die Frage geht, ob das BAG de lege lata von seiner bislang ständigen Rechtsprechung und damit nunmehr auch von § 611a Abs. 1 BGB abweichen könnte335.
330 Auch Wank, ArbuR 2017, 140, 142 konstatiert, der Gesetzgeber habe „alle Unzulänglichkeiten der BAG-Rspr. übernommen“. 331 Auch Thüsing spricht plastisch von einer „copy ‚n‘ paste“-Gesetzgebung (zitiert nach Eisfeld, NZA 2017, 103, 105). 332 Möglich wäre wiederum nur der bereits oben (§ 6 B. II.) zur Wortlautbedeutung beschriebene Zirkelschluss „der Arbeitnehmer ist persönlich abhängig, weil der Gesetzgeber ihn als persönlich abhängig definiert hat“. 333 Deinert, RdA 2017, 65, 72. 334 I.E. ähnlich auch Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 12. 335 Dazu ausführlich unten § 7 B.
188 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
II. Die rechtliche Existenz der arbeitnehmerähnlichen Person Bereits mehrfach war im Rahmen dieser Arbeit implizit die Rede von den arbeitnehmerähnlichen Personen. Das ist kein Zufall; vielmehr sind sie für die Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes deshalb zentral, weil sich hierin ein ansonsten kaum hervortretender gesetzgeberische Wille äußert, von dem jedenfalls mittelbar auf die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts geschlossen werden kann. Nicht von ungefähr stützt die herrschende Ansicht ihre Argumentation von der ausschließlichen Berücksichtigungsfähigkeit der Kriterien persönlicher Abhängigkeit neben § 84 Abs. 1 S. 2 HGB entscheidend auf die Existenz der Arbeitnehmerähnlichen336. 1. Begriffsbestimmung und Einordnung Arbeitnehmerähnliche Personen sind Erwerbstätige, die von einem Vertragspartner wirtschaftlich abhängig und zudem sozial schutzbedürftig sind, vgl. nur § 12a Abs. 1 TVG337. Sie sind aber gerade keine Arbeitnehmer. Das ergibt sich bereits daraus, dass der Gesetzgeber für sie ein besonderes Regelungssystem geschaffen hat, das lediglich im Ergebnis und nur teilweise auf Rechtsfolgen des Arbeitsrechts verweist. Eine systematische Betrachtung muss daher ergeben, dass sie auf Tatbestandsseite nicht schon unter den Begriff des Arbeitnehmers fallen können. Denn bei einer gegenteiligen Annahme bestünde kein über das Arbeitsrecht hinausgehendes Regelungsbedürfnis mehr und die gesetzlichen Regelungen zu den arbeitnehmerähnlichen Personen wären damit mangels denkbarer Anwendungsfälle schlicht überflüssig. Ein solcher Wille kann dem Gesetzgeber aber kaum unterstellt werden. Die daraus folgende Erkenntnis, dass sich Arbeitnehmer und Arbeitnehmerähnliche voneinander unterscheiden, klingt denn auch schon angesichts der Bezeichnung der arbeitnehmerähnlichen Personen nahezu banal: Arbeitnehmerähnliche sind keine Arbeitnehmer, sondern diesen eben nur ähnlich338. Auf der anderen Seite sind Arbeitnehmerähnliche aber auch keine typischen Selbständigen. Der Gesetzgeber hätte sonst keine besonderen Vorschriften er336 Etwa BAG AP Nr. 6 und 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Hochrathner, NZA-RR 2001, 561, 564; Hromadka, NZA 1997, 569, 579; ders., DB 1998, 195, 196. 337 Preis, Individualarbeitsrecht, § 9 III. 1. (S. 93 f.); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 5 Rn. 60 ff.; zur zwar fehlenden Allgemeingültigkeit, aber faktisch maßstabsbildenden Funktion des § 12a Abs. 1 TVG für einen allgemeinen Begriff der arbeitnehmerähnlichen Personen vgl. bereits oben 2. Kap. § 5 B. VI. und dort Fn. 96. 338 Das ist im Ergebnis denn auch nahezu unbestritten, vgl. nur v. Hase/Lembke, BB 1997, 1095, 1095; Herschel, DB 1977, 1185, 1185; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1253; R. Becker, Mitarbeit, S. 98; Wiese, Buchautoren, S. 39 f.; differenzierend nur Herschel, ArbuR 1982, 336, 336.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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lassen, die auf eine als arbeitnehmerähnlich erkannte, besondere Schutzbedürftigkeit dieser Beschäftigtengruppe mit der zumindest teilweisen Anwendbarkeit des Arbeitsrechts reagiert. Wenn die „seltsame Rechtsstellung der arbeitnehmerähnlichen Personen“339 somit im Ergebnis dahingehend aufgelöst wird, dass sie als dritte Gruppe von Erwerbstätigen letztlich zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen eingeordnet werden, so trifft dies den Kern der gesetzlichen Regelungssystematik wohl am besten340. 2. Unmittelbare und logisch zwingende Konsequenzen für die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts Aus dieser grundlegenden Feststellung ergibt sich für den Rechtsanwender in der Folge die Notwendigkeit zur Abgrenzung der Arbeitnehmerähnlichen von den beiden übrigen Beschäftigtengruppen der Arbeitnehmer und Selbständigen. Es müssen damit geeignete Merkmale gefunden werden, die diese Abgrenzung nach beiden Seiten zu leisten imstande sind. Die herrschende Meinung sieht – darin ist ihr unter anderem angesichts der in § 12a Abs. 1 TVG enthaltenen Legaldefinition zuzustimmen – den entscheidenden Unterschied zwischen arbeitnehmerähnlichen Personen und Selbständigen darin, dass erstere von einem ihrer Vertragspartner wirtschaftlich abhängig sind und sie zudem als sozial schutzbedürftig angesehen werden müssen341. Den Unterschied zu den Arbeitnehmern sieht die herrschende Meinung – auch hierin ist ihr grundsätzlich zu folgen – demgegenüber entscheidend im Grad persönlicher Abhängigkeit342. Grund dafür ist die Erkenntnis, dass ein typischer Arbeitnehmer ebenso wirtschaftlich abhän339
Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht (6. Auflage 2008), § 4 VI. 2. b) (S. 47). So wohl schon RAG ARS Bd. 10, 208, 210; wie hier v. Einem, BB 1994, 60, 61 f.; Reinecke, ZIP 1998, 581, 585; Schubert, Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 272 f.; Schubert, Schutz, S. 20; Wachter, Wesensmerkmale, S. 87 ff.; dagegen sehen BAG AP Nr. 64 zu § 5 ArbGG 1979; BAG NZA 2000, 1359, 1360; Buchner, NZA 1998, 1144, 1148; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1253; ders., NZA 1997, 569, 576 (hier allerdings mit unklarer Formulierung); ders., NZA 1998, 1, 5; Neuvians, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 29; Reinhardt, Phänomen, S. 774; Wank, Arbeitnehmer, S. 243; und ders., Forschungsbericht, S. 21 f. in den arbeitnehmerähnlichen eine Untergruppe der Selbständigen. Wiederum anders Herschel, ArbuR 1982, 336, 336, der eine „systematische Einordnung“ im Arbeitsrecht erkennt. Im praktischen Ergebnis macht es freilich ohnehin keinen großen Unterschied, wie man die Einordnung der arbeitnehmerähnlichen Personen vornimmt, sofern man die für sie existierenden Sonderregelungen nicht in Frage stellt, vgl. zutreffend Buchner, NZA 1998, 1144, 1146. 341 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 4 VI. 2. b) (S. 47); zum Zusammenhang von wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit schon ausführlich oben § 5 III. 342 BAG NZA 1999, 53, 55; Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Boemke, ZfA 1998, 285, 299; Hanau, DB 1998, 69, 73 f.; ders., in: FS Kehrmann, S. 23, 27; Hromadka, NZA 1998, 1, 5; Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Rebhahn, 340
190 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
gig und sozial schutzbedürftig sein kann wie ein Arbeitnehmerähnlicher und dies in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sogar sein wird. Folglich können diese Kriterien Arbeitnehmer und Arbeitnehmerähnliche nicht unterscheiden. Unterschiede werden vielmehr darin erkannt, dass der Arbeitnehmerähnliche keinem umfassenden Weisungsrecht seines Auftraggebers unterliegt. Der Zwitter der arbeitnehmerähnlichen Person hat damit also mit den Selbständigen die persönliche Unabhängigkeit und mit den Arbeitnehmer die wirtschaftliche Abhängigkeit und eine daraus resultierende soziale Schutzbedürftigkeit gemein343. Aus dieser im Ausgangspunkt richtigen Betrachtung der systematischen Voraussetzungen der gesetzlichen Regelungen zur Erwerbstätigkeit der verschiedenen Beschäftigtengruppen werden vom BAG aber zu weitreichende Schlüsse gezogen. Die vom Gericht entwickelte und im Rahmen dieser Arbeit bereits mehrfach zitierte Formel, wirtschaftliche Abhängigkeit sei für den Begriff des Arbeitnehmers „weder ausreichend noch erforderlich“, wird – wie sogleich zu zeigen sein wird – durch die Systematik des Gesetzes nicht umfassend gefordert. Zwingend sind nämlich lediglich folgende Schlussfolgerungen: 1. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerähnliche müssen sich voneinander unterscheiden344. 2. Arbeitnehmerähnliche sind per Gesetz definiert als wirtschaftlich abhängige und sozial schutzbedürftige Erwerbstätige (notwendig zur Unterscheidung von den Selbständigen). 3. Damit Aussage 1. nicht verletzt wird, kann es für die Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaften nicht ausschließlich auf wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit ankommen, da anderenfalls die Kategorie der Arbeitnehmerähnlichen leerliefe, weil diese sämtlich als Arbeitnehmer einzuordnen wären. In der – insoweit zutreffenden – Terminologie des BAG: wirtschaftliche Abhängigkeit ist für die Eigenschaft als Arbeitnehmer nicht „ausreichend“345. 4. Auch Arbeitnehmerähnliche und Selbständige müssen sich unterscheiden. Aus Aussage 2. folgt daher im Umkehrschluss, dass für Selbständige (auch346) RdA 2009, 154, 163 und 165 (dort auch aus rechtsvergleichender Perspektive); Rieble, ZfA 1998, 327, 346. 343 Hromadka, NZA 1997, 569, 576; Neuvians, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 29; Schubert, Schutz, 20. 344 Ausdrücklich auch BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Abhängigkeit (3. Leitsatz). 345 Vgl. hierzu schon die Nachweise in 2. Kap., Fn. 342. Mit dem hier entwickelten Argument wird auch der „neue“ Arbeitnehmerbegriff Wanks von der h. M. zu Recht als mit dem geltenden Recht unvereinbar angesehen, vgl. dazu schon oben 1. Kap. § 3 A. I. und dort die umfangreichen Nachweise in Fn. 178 und 180. 346 Aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ergibt sich gleiches freilich auch für die persönliche Unabhängigkeit i. S. v. Weisungsfreiheit, vgl. dazu näher sogleich § 6 C. III.
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eine wirtschaftliche Unabhängigkeit und fehlende soziale Schutzbedürftigkeit kennzeichnend ist. Nur diese zwingenden Aussagen folgen für den Rechtsanwender aus der Existenz der arbeitnehmerähnlichen Personen für die Abgrenzung eines Arbeitnehmers von den Arbeitnehmerähnlichen und Selbständigen. Die Rechtsprechung hat das für die Arbeitnehmereigenschaft entscheidende Kriterium in der persönlichen Abhängigkeit erblickt. Das ist aus systematischer Sicht geboten (vgl. Aussage 3.) und damit nicht zu kritisieren. Gerade nicht zwingend lässt sich aber folgern, dass der Tatbestand der wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit (oder einzelne Kriterien hiervon) nicht grundsätzlich kumulativ neben der persönlichen Abhängigkeit zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft herangezogen werden können347. Im Gegenteil: Vieles, das sich aus einer Betrachtung der Figur der arbeitnehmerähnlichen Person ableiten lässt, spricht gerade dafür, wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit auch im Rahmen der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes für „erforderlich“ zu halten. 3. Gesetzliche Anerkennung des Zusammenhangs von wirtschaftlicher Abhängigkeit, sozialer Schutzbedürftigkeit und arbeitsrechtlichem Schutzbedürfnis Das gilt zunächst für eine Untersuchung der Frage, in welcher Weise Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen im Recht der arbeitnehmerähnlichen Personen miteinander verknüpft sind. Auf der Tatbestandsseite muss hier – wenig überraschend – eine arbeitnehmerähnliche Person stehen. Die soeben vorgenommene Begriffsbestimmung hat gezeigt, dass dies nur ein solcher Erwerbstätiger sein kann, der von einem seiner Vertragspartner wirtschaftlich abhängig ist und der zudem sozial schutzbedürftig sein muss348. Die Beachtung zwingender systematischer Vorgaben hat zudem ergeben, dass dieser Erwerbstätige – zur Unterscheidbarkeit von den Arbeitnehmern – gerade nicht auch persönlich von diesem Vertragspartner abhängig sein darf. Auf der Rechtsfolgenseite knüpft der Gesetzgeber an diesen Grundtatbestand der arbeitnehmerähnlichen Person verschiedene Konsequenzen. Im Einzelnen sind dies etwa: die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nach dem ArbGG (einbezogen durch § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG); der gesetzliche Anspruch auf Erholungsurlaub sowie die damit zusammenhängenden Regelungen des BUrlG 347 So aber Hromadka, DB 1998, 195, 196. Dass sich eine solche Einschätzung alleine aus der Systematik des Gesetzes auch nicht zwingend und durchgehend schlüssig aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ergibt, wird im Folgenden unter § 6 C. III. erläutert. Wie hier ansatzweise Wank, Arbeitnehmer, S. 126. 348 Ausführlich zu den (auch) die Arbeitnehmerähnlichen kennzeichnenden Begriffen der wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit bereits oben § 5 C. II.
192 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
(einbezogen durch § 2 S. 2 BUrlG); die Möglichkeit des Abschlusses von Tarifverträgen nach dem TVG (einbezogen durch § 12a TVG); umfassender „Beschäftigtenschutz“ nach Abschnitt 2. des AGG (einbezogen durch § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AGG); die Anwendbarkeit der Regelungen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Beschäftigten nach dem ArbSchG (einbezogen durch § 2 Abs. 2 Nr. 3 ArbSchG); der Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung zur Pflege naher Angehöriger sowie die Anwendung der Schutzvorschriften des PflegeZG, die diesen Anspruch flankieren (einbezogen durch § 7 Abs. 1 Nr. 3 PflegeZG) oder die Einbeziehung in das Bundesdatenschutzgesetz (vgl. § 3 Abs. 11 Nr. 6 BDSG). Daneben existieren noch einzelne ländergesetzliche Vorschriften349 sowie für die Heimarbeiter das HAG. Klammert man die besondere Gruppe der Heimarbeiter und den für sie geltenden Regelungskomplex des HAG aus dieser Betrachtung aus350, so wird deutlich, dass der Gesetzgeber den Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen ausschließlich durch eine Einbeziehung in arbeitsrechtliche Gesetze verwirklicht hat351. Damit beweist er, dass auch eine erwerbsmäßige Tätigkeit in wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit die zumindest teilweise Anwendung von Arbeitsrecht rechtfertigen kann352 – ohne dass es daneben überhaupt einer persönlichen Abhängigkeit des Beschäftigten bedarf. Er hat damit de facto einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit, daraus im Regelfall folgender sozialer Schutzbedürftigkeit und arbeitsrechtlichem Schutzbedürfnis positivrechtlich anerkannt353. Ein solcher gesetzgeberischer Wille kann unmittelbar zwar freilich nur für diejenigen Gesetze angenommen werden, die für Arbeitnehmer wie für Arbeitnehmerähnliche gleichermaßen gelten. Aber jedenfalls für diese ergibt sich auf der Grundlage der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes durch die h. M. ein seltsames Bild: Auf der einen Seite soll es – für 349
Näher hierzu etwa HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 111. Für die Heimarbeiter als Sonderfall der arbeitnehmerähnlichen Personen (vgl. dazu bereits oben 2. Kap. § 5 B. IV. und die Nachweise dort in Fn. 73) gelten neben oder anstatt der zuvor genannten Vorschriften auch die Regelungen des HAG. Auch diese haben allerdings größtenteils „arbeitsrechtsähnlichen“ Charakter und stützen daher ebenfalls die nachfolgenden Ausführungen. Es existieren etwa Regelungen zum Arbeitszeitschutz (§§ 10 ff. HAG), zum Gefahrenschutz (§§ 12 ff. HAG, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 ArbSchG leges speciales zum ArbSchG sind), zum besonderen Schutz von (tarifvertraglich festgesetzten) Entgelten (§§ 17 ff. HAG) sowie zur Kündigung durch den Auftraggeber (§§ 29 und 29a HAG). 351 HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 111. 352 Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 228. 353 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 4; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 228 f.; noch einen Schritt weiter geht Buhl, Arbeitnehmerbegriff, S. 163 f. indem er aus dieser Erkenntnis den Schluss zieht, die Kategorie der Arbeitnehmerähnlichen sei insgesamt entbehrlich. De lege lata ist diese Ansicht allerdings aus den soeben unter § 6 C. II. 2. dargelegten Gründen nicht haltbar. 350
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
193
die Anwendbarkeit der Normen auf Arbeitnehmer – nach der Rechtsprechung des BAG und der ihm folgenden Lehre ausschließlich auf ein bestimmtes Maß an persönlicher Abhängigkeit vom Auftraggeber ankommen. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber durch die Einbeziehung der Arbeitnehmerähnlichen systematisch ausdrücklich deutlich gemacht, dass gerade auch die Erwerbstätigkeit in wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit zentrale Voraussetzung und damit materielle Rechtfertigung für das Eingreifen dieser speziellen arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen ist bzw. sein kann. Nochmals anders gewendet und allgemein gesprochen: Die Anwendbarkeit von Arbeitsrecht richtet sich nach h. M. ausschließlich nach der persönlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten; wirtschaftliche Abhängigkeit vom Vertragspartner und soziale Schutzbedürftigkeit sollen keine entscheidungserheblichen Kriterien sein. Arbeitnehmerähnliche Personen sind aber gerade durch ihre persönliche Unabhängigkeit gekennzeichnet. Dennoch sind auf sie – wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit354 – jedenfalls Teile des Arbeitsrechts anwendbar. Das ist ein widersprüchliches Ergebnis. Ausweislich des gesetzgeberischen Willens sind damit die wirtschaftliche Abhängigkeit und die regelmäßig daraus folgende soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten für ein arbeitsrechtliches Schutzbedürfnis haupt- oder jedenfalls mitursächlich. In diesem Falle drängt sich aber die folgende Schlussfolgerung auf: Wenn alleine wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit die (teilweise) Anwendbarkeit von Arbeitsrecht für persönlich unabhängige Beschäftigte (= Recht der Arbeitnehmerähnlichen) entscheidend begründen können, so müsste ihr etwaiges Fehlen spiegelbildlich auch die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts begrenzen – auch für einen persönlich abhängig Beschäftigten. Da durch eine solche Beschränkung des Arbeitnehmerbegriffes – jedenfalls im Anwendungsbereich derjenigen Normen, die auch die Arbeitnehmerähnlichen mit einbeziehen – die Wertungswidersprüchlichkeit des soeben festgestellten Ergebnisses beseitigt würde, spricht schon aus diesem Grund einiges dafür, wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit auch innerhalb des Arbeitnehmerbegriffes für „erforderlich“ zu halten355.
354 Im Anwendungsbereich des ArbSchG lässt sich eine Einbeziehung von arbeitnehmerähnlichen Personen (nur) auf Grund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit allerdings nicht teleologisch schlüssig begründen, vgl. hierzu genauer die Ausführungen unter § 6 E. III. 2. a). 355 I.E. ähnlich Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 4; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 229 und 257.
194 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
4. § 12a Abs. 1 TVG und die Bestimmungskriterien der sozialen Schutzbedürftigkeit der arbeitnehmerähnlichen Person Daneben sprechen auch die Kriterien, nach denen sich die soziale Schutzbedürftigkeit der arbeitnehmerähnlichen Person im Einzelnen bestimmt, im Ergebnis für die Erforderlichkeit der Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien im Rahmen des Arbeitnehmerbegriffes. Wie nun bereits mehrfach erwähnt, sind für die Arbeitnehmerähnlichkeit eines Beschäftigten zwei Elemente zentral: Zum einen die wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Vertragspartner und zum anderen die soziale Schutzbedürftigkeit, die ausweislich des § 12a Abs. 1 TVG einem Arbeitnehmer vergleichbar sein muss. Da der Gesetzgeber selbst zu der Frage schweigt, woraus sich die soziale Schutzbedürftigkeit eines Arbeitnehmers ergibt, muss diese Frage mittels Auslegung beantwortet werden. Bereits oben356 wurde angedeutet, dass sich eine dem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit eines Arbeitnehmerähnlichen dabei nur aus dem Maß der wirtschaftlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten ergeben kann. Schon § 1 Abs. 2 S. 2 HAG bestimmt dies für den Anwendungsbereich des Heimarbeitsgesetzes ausdrücklich. Dagegen kann insoweit auf das Überschreiten eines bestimmten Maßes an persönlicher Abhängigkeit deshalb nicht zurückgegriffen werden, weil sich die arbeitnehmerähnliche Person vom Arbeitnehmer gerade durch ihr Fehlen unterscheiden muss357. Wenn die persönliche Abhängigkeit beim Arbeitnehmerähnlichen aber schon qua Definition nicht vorhanden sein darf, kann sie seine soziale Schutzbedürftigkeit auch in keinem Fall begründen. Würde man anderes fordern, so liefe die Kategorie der Arbeitnehmerähnlichen wiederum leer: Ein persönlich und wirtschaftlich Abhängiger wäre ohnehin Arbeitnehmer; ein persönlich unabhängiger aber wirtschaftlich abhängiger Beschäftigter müsste auf Grund einer dann fehlenden (den Arbeitnehmern vergleichbaren) sozialen Schutzbedürftigkeit zu den Selbständigen gezählt werden358. An dieser systematisch zwingenden Erkenntnis kann es auch nichts ändern, wenn es nach der Rechtsprechung des BAG für die einem Arbeitnehmer vergleichbare Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmerähnlichen letztlich auf eine Gesamtbetrachtung aller Umstände ankommen soll, in deren Rahmen die geleisteten Dienste des Beschäftigten auch nach ihrer „soziologischen Typik“ denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sein müssen359. Es ist dies nämlich kaum mehr als eine Leerformel ohne materiellen Aussagegehalt, bei der im Ergebnis völlig 356
Vgl. oben § 5 C. II. 2. und ausführlich § 5 III. 1. Dazu schon oben § 6 C. II. 2. 358 Verstoß gegen die obigen Aussagen 1. und 4., vgl. bei § 6 C. II. 2. 359 So etwa BAG AP Nr. 3 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 2 zu § 717 ZPO; BAG NZA 1991, 239, 239 (3. Leitsatz); aus jüngerer Zeit etwa BAG AP Nr. 17 zu § 5 357
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
195
unklar bleibt, worin die „soziologische Typik“ der von einem Arbeitnehmer geleisteten Dienste bestehen soll. Bezeichnenderweise wird dies vom Gericht auch nicht ausdrücklich ausgeführt360. Nähert man sich diesem Problem auf der Grundlage rechtlich handhabbarer Kriterien, so kommen vor allem zwei Anknüpfungspunkte in Betracht: Erstens die Tätigkeit nach Weisung des Arbeitgebers und mithin die den Arbeitnehmer de lege lata unstreitig kennzeichnende persönliche Abhängigkeit. Diese kann aber – wie gezeigt – nicht herangezogen werden, um eine den Arbeitnehmern vergleichbare Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmerähnlichen zu begründen, da letztere eben als persönlich unabhängig definiert sind und der „soziologischen Typik“ des weisungsgebundenen Arbeitnehmers insoweit aus systematischen Gründen schon überhaupt nicht ähneln können361. Wenn für die Einordnung eines Beschäftigten als arbeitnehmerähnlich mitunter dennoch Teilaspekte persönlicher Abhängigkeit berücksichtigt werden, die noch unterhalb der Schwelle dessen liegen, was ihn unmittelbar schon zum Arbeitnehmer machen würde362, so überzeugt auch das nicht. Denn auch nahezu jeder „normale“ Selbständige, etwa ein freier Dienstnehmer, Werkunternehmer oder Handelsvertreter, wird regelmäßig ebenfalls einem eingeschränkten Weisungsrecht seines Auftraggebers unterliegen. Das beweisen etwa § 618 Abs. 1 BGB, der von einer Dienstleistung des Dienstnehmers unter Anordnung und Leitung des Dienstberechtigten spricht; § 645 Abs. 1 BGB, der ein Recht des Werkbestellers zu Erteilung von Weisungen an den Werkunternehmer anerkennt363 und § 84 Abs. 1 S. 2 HGB, der für die Selbständigkeit des Handelsvertreters nur eine im wesentlichen freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit fordert. Wenn aber damit ein solches eingeschränktes Weisungsrecht gerade den Selbständigen und nicht den Arbeitnehmer kennzeichnet, kann es nicht zugleich dafür herangezogen werden, die Dienste eines Beschäftigten als nach ihrer „soziologischen Typik“ einem Arbeitnehmer vergleichbar einzustufen. Das zeigt, dass alleine oder jeArbGG 1979; BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit; BAG, NJOZ 2006, 3821, 3822. 360 Zu Recht äußert daher Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 282 ff. grundsätzliche Kritik. 361 v. Hase/Lembke, BB 1997, 1095, 1096; Hromadka, NZA 2007, 838, 840 f.; Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Wank, ArbuR 2017, 140, 145; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 194. 362 BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG hielt es im Rahmen der (verneinten) sozialen Schutzbedürftigkeit – neben der in der Sache wohl entscheidenden Verdiensthöhe – etwa für relevant, dass ein Dienstnehmer „über Umfang und Ablauf seines Arbeitseinsatzes selbst“ entscheiden konnte. BAG NJOZ 2006, 3821, 3824 stellte zur Einordnung einer Volkshochschuldozentin neben dem Ausmaß wirtschaftlicher Abhängigkeit darauf ab, dass sie wie eine angestellte Volkshochschuldozentin für ihre Unterrichtstätigkeit von der Unterrichtsplanung und der Raumzuweisung ihres Auftraggebers „abhängig“ war. 363 Ausführlich zu werkvertraglichen Weisungen und ihrer Bedeutung für die Abgrenzung vom Arbeitsvertrag Maschmann, Arbeitsverträge, S. 184 ff.
196 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
denfalls in ganz überwiegendem Maße die Kriterien der wirtschaftlichen Abhängigkeit geeignet sind, einen persönlich Unabhängigen zum Arbeitnehmerähnlichen zu machen. Daher bleibt für die Bestimmung der „soziologischen Typik“ der Dienste eines Arbeitnehmers nur ein bestimmtes Ausmaß an wirtschaftlicher Abhängigkeit übrig. Dieses schon aus systematischen Gründen nahegelegte Ergebnis wurde oben zudem durch eine teleologische Betrachtung bestätigt: die einzelnen Tatbestandsmerkmale der wirtschaftlichen und nicht der persönlichen Abhängigkeit führen letztlich zur sozialen Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten364. Damit können nur ein gewisser Grad an wirtschaftlicher Abhängigkeit sowie damit in Verbindung stehende Gesichtspunkte wie die Entgelthöhe einen Beschäftigten als vergleichbar einem Arbeitnehmer schutzbedürftig erscheinen lassen oder diese Schutzbedürftigkeit entfallen lassen365. Aus dieser Erkenntnis lassen sich wiederum einige Schlüsse zusammenfassen: 1. Ein persönlich unabhängiger Erwerbstätiger muss, um als arbeitnehmerähnliche Person zu gelten, „vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig“ sein (so § 12a Abs. 1 TVG und die ständige Terminologie des BAG366). 2. Damit ist von Gesetzgebung und Rechtsprechung – zwar nur implizit, aber grundsätzlich zwingend – gesagt, dass gerade auch ein Arbeitnehmer, der als Vergleichsmaßstab einen wesentlichen Bestandteil dieser Prüfung bildet, selbst sozial schutzbedürftig sein muss367. 3. Aus den soeben erläuterten Gründen folgt außerdem, dass sich die soziale Schutzbedürftigkeit – von Arbeitnehmerähnlichen wie von Arbeitnehmern – entscheidend nur aus dem Maß wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Vertragspartner ergeben kann, da ansonsten gerade keine Vergleichbarkeit zwischen beiden Gruppen besteht. Mit anderen Worten: Ein Arbeitnehmerähnlicher ist nach der gesetzgeberischen Wertung des § 12a Abs. 1 TVG nur deshalb einem Arbeitnehmer ähnlich und ebenso wie dieser sozial schutzbedürftig, weil er in einem bestimmten Ausmaß von einem Auftraggeber wirtschaftlich abhängt368. Damit ist aber nicht nur 364
Vgl. oben § 5 III. 1. Vgl. dazu bereits die umfangreichen Nachweise oben 2. Kap., Fn. 194 und 195 sowie Fn. 212 und 213; i. E. ähnlich dann auch BAG NJOZ 2006, 3821, 3824. 366 Siehe nur BAG AP Nr. 1 zu § 12a TVG; BAG AP Nr. 28 zu § 5 ArbGG 1979; BAG AP Nr. 30 zu § 5 ArbGG 1979 und BAG NZA 1999, 53, 55 m. w. N. 367 Ebenso Bauschke, RdA 1994, 209, 211; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 4; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ähnlich auch Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 214 f. und 227, der a. a. O. allerdings einen bindenden Aussagegehalt über § 12a Abs. 1 TVG hinaus bezweifelt. 368 Wank, Arbeitnehmer, S. 289; ders., Forschungsbericht, S. 88; ders., RdA 2010, 193, 194; Maties, in: FS Wank, S. 323, 334; i. E. auch Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 287 f. 365
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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der Arbeitnehmerähnliche definiert; vielmehr ist hiermit gleichzeitig auch eine Aussage über den Arbeitnehmer verbunden: Auch dieser muss nach Ansicht des Gesetzgebers sozial schutzbedürftig sein. Die soziale Schutzbedürftigkeit kann sich aus den soeben dargelegten systematischen wie den bereits oben erläuterten teleologischen Erwägungen entscheidend nur aus seiner wirtschaftlichen und nicht aus seiner persönlichen Abhängigkeit ergeben. Dennoch sollen nach h. M. beide Kriterien den Arbeitnehmerbegriff – außerhalb des Rechts der arbeitnehmerähnlichen Personen und der dortigen Funktion als Vergleichsmaßstab – selbst nicht entscheidend kennzeichnen bzw. jedenfalls bei der Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft keine konstitutiven Elemente sein. Das ist ein paradoxes Ergebnis. Besonders deutlich wird diese Widersprüchlichkeit bei einer Betrachtung der Rechtsprechung des BAG zur Verdiensthöhe der arbeitnehmerähnlichen Personen. Wie bereits oben erläutert369, ist ein persönlich unabhängiger, wirtschaftlich abhängiger Beschäftigter, der ein bestimmtes Verdienstniveau überschreitet, nicht mehr einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig. Gleichzeitig wird aber die Berücksichtigungsfähigkeit der Entgelthöhe bei der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes selbst strikt abgelehnt370. Anders ausgedrückt: Ein persönlich abhängiger Spitzenverdiener besitzt nicht mehr die vom Gesetzgeber mittelbar vorausgesetzte soziale Schutzbedürftigkeit, die den Arbeitnehmer – auch nach der Rechtsprechung des BAG im Recht der arbeitnehmerähnlichen Personen – kennzeichnet, dennoch findet auf ihn das Arbeitsrecht in Gänze Anwendung. Diese Widersprüchlichkeit würde nur dadurch aufgelöst, dass die Elemente der wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit auch für die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts „erforderlich“ wären371.
369
Oben 2. Kap. § 5 C. II. 2. a) und dort insbesondere die Nachweise in Fn. 198. Vgl. die Nachweise oben 1. Kap., Fn. 149. 371 Gerade umgekehrt halten v. Hase/Lembke, BB 1997, 1095, 1096; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252 und Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 290 f. eine Berücksichtigung der Entgelthöhe im Rahmen der Prüfung der sozialen Schutzbedürftigkeit von arbeitnehmerähnlichen Personen für widersprüchlich, da sie auch für die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts keine Rolle spiele. Auch diese Sichtweise verdeutlicht jedenfalls die hier aufgezeigte Widersprüchlichkeit der Rechtsprechung des BAG. Inhaltlich kann sie allerdings nicht überzeugen, da sie den oben (§ 5 III.) herausgearbeiteten, teleologischen Zusammenhang von wirtschaftlicher Abhängigkeit, die grundsätzlich soziale Schutzbedürftigkeit indiziert, und dem Überschreiten einer gewissen Entgelthöhe, das zum Entfallen dieser sozialen Schutzbedürftigkeit führen kann, nicht genügend beachtet. Zudem ging auch die Gesetzesbegründung zu § 12a TVG von der Berücksichtigungsfähigkeit der Entgelthöhe im Rahmen der sozialen Schutzbedürftigkeit aus, vgl. BT-Drs. 7/975, S. 20 und oben § 5 B. III. 370
198 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
III. Der Aussagegehalt von § 84 Abs. 1 S. 2 HGB Damit ist bislang die Erkenntnis gewonnen worden, dass sich aus dem Recht der arbeitnehmerähnlichen Personen die positivrechtliche zu Tage tretende Grund ansicht des Gesetzgebers folgern lässt, dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit und die daraus im Regelfall resultierende soziale Schutzbedürftigkeit neben den arbeitnehmerähnlichen Personen auch die Arbeitnehmer selbst kennzeichnen. Fraglich ist, wie sich die damit letztlich aus systematischen wie teleologischen372 Gründen nahegelegte Notwendigkeit der Berücksichtigung von Kriterien wirtschaftlicher Abhängigkeit bei der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes zu § 84 Abs. 1 S. 2 HGB verhält. Nach § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ist – wie bereits in Kapitel 1 ausgeführt – derjenige selbständig(er Handelsvertreter), der „im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann“. Die herrschende Meinung sieht deshalb das vom Gesetzgeber vorgegebene Unterscheidungsmerkmal zwischen selbständiger und abhängiger Beschäftigung im Merkmal der persönlichen Abhängigkeit373. Im Wege eines Umkehrschlusses wird aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB damit insbesondere die Weisungsunterworfenheit eines Beschäftigten als Hauptmerkmal der Arbeitnehmereigenschaft gewonnen374. 1. Allgemeingültigkeit Schon die Allgemeingültigkeit dieser Norm375 über das Handelsrecht hinaus wird von der Rechtsprechung mehr behauptet als – wenn überhaupt – schlüssig begründet: Dass sie (bis zur Einführung des § 611a Abs. 1 BGB) der einzige gesetzliche Anhaltspunkt für eine Abgrenzung des Dienstvertrags vom Arbeitsvertrag gewesen sei376, kann als Argument für einen allgemeinen gesetzgeberischen Willen kaum überzeugen und geht zudem auch inhaltlich fehl, da soeben unter § 6 C. II. gezeigt wurde, dass sich auch aus der Existenz der arbeitnehmerähnlichen Personen jedenfalls mittelbar Rückschlüsse auf die Bestimmung des Arbeit372
Zur teleologischen Betrachtung vgl. ausführlich unten § 6 E. BAG NZA 1996, 477, 478; Buchner, NZA 1998, 1144, 1146; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 15; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 278. 374 Dazu auch schon oben § 2 B. IV. 375 So etwa BAG AP Nr. 47 zu § 5 BetrVG 1972; BAG NZA 1995, 622, 622 f. und BAG NZA 1996, 477, 478; Baumbach/Hopt/Hopt, § 84 HGB Rn. 35; MüKo-HGB/v. Hoyningen-Huene, § 84 HGB Rn. 26; vermittelnd Boemke, ZfA 1998, 285, 301; kritisch zur Allgemeingültigkeit Maties, in: FS Wank, S. 323, 329; Mohr, Arbeitnehmerbegriff, S. 17; Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 77; ders., Arbeitnehmer, S. 7, 258 f., ders., RdA 2010, 193, 193 f. und ders., EuZA 2016, 143, 146 mit dem Argument, hier werde nur eine besondere Interessenlage innerhalb des Handelsvertreterrechts geregelt; ähnlich wohl auch MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 5. 376 BAG NZA 1995, 622, 622 f. 373
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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nehmerbegriffes ziehen lassen377. Allerdings war und ist angesichts der an § 84 Abs. 1 S. 2 HGB angelehnten Normen der § 106 S. 1 GewO, § 8 Abs. 2 BAT, § 32 Abs. 1 S. 2 SeeArbG378 oder § 1 Abs. 2 LStDV, die zur Beschreibung eines abhängig Beschäftigten allesamt auf das Element der Weisungsgebundenheit abstellen, ein weitreichender gesetzgeberischer Wille über das Handelsrecht hinaus in der Tat sehr wahrscheinlich. Er soll an dieser Stelle auch nicht bestritten werden379. 2. Inhaltliche Reichweite Inhaltlich setzt § 84 Abs. 1 S. 2 HGB nach dieser Deutung zwar die Tätigkeit eines Beschäftigten nach Weisung seines Auftraggebers für die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts voraus380; dies jedoch nur im Wege eines Umkehrschlusses und zwingend nur als Mindestvoraussetzung381. Dass darüber hinaus nicht auch zusätzlich einzelne Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit berücksichtigt werden können und damit kumulativ im Rahmen einer typologischen Gesamtbetrachtung zu beachten sind, ist damit noch nicht ausdrücklich gesagt. Anders gewendet: Nur weil ein Merkmal zwingend vorausgesetzt wird, heißt das im Umkehrschluss noch nicht, dass alle anderen Kriterien ausgeschlossen wären382. Dieses Ergebnis ergibt sich auch bereits ausdrücklich aus der amtlichen Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches383. Dort heißt es, die gesetzliche Festlegung in § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ersetze keinesfalls die Würdigung aller Einzelumstände bei der Frage nach der Selbständigkeit eines Handelsvertreters. Als einzelne Beispiele für Indizien der 377 Diese Rückschlüsse sind auch nicht weniger „wert“ als eine Betrachtung des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB, da auch hier unmittelbar nur die Selbständigkeit des Handelsvertreters beschrieben wird und nur mittels eines Umkehrschlusses und einer Verallgemeinerung über das Handelsrecht hinaus Erkenntnisse über die Kriterien abhängiger Arbeit gewonnen werden können. 378 Zur gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 29 Abs. 1 S. 2 SeemG vgl. Reinecke, ZIP 1998, 581, 582. 379 Zu dem an dieser Stelle der Untersuchung nur eingeschränkten Aussagegehalt des § 611a Abs. 1 BGB vgl. näher oben § 6 C. I. 380 Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 381 Systematisch – als Mindestvoraussetzung – zwingend ist die persönliche Abhängigkeit deshalb, weil sie als Abgrenzungskriterium zu den arbeitnehmerähnlichen Personen benötigt wird, vgl. § 6 C. II. 2. (Aussage 3.). 382 I.E. wie hier Schreiber, Jura 2008, 21, 23; Neuvians, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 210; Schirdewahn, Begriffe, S. 127 f.; im Ausgangspunkt ähnlich auch MüKo-HGB/v. Hoyningen-Huene, § 84 HGB Rn. 26, der der Vorschrift keine eindeutigen (gemeint sind wohl: abschließenden) Unterscheidungsmerkmale für die Abgrenzung eines Arbeitnehmers vom Selbständigen entnehmen kann. 383 Dieser Entwurf ist mit dem heute noch geltenden § 84 Abs. 1 S. 2 HGB wortlautidentisch, vgl. BT-Drs. 1/3856, S. 2.
200 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Selbständigkeit werden dort zudem solche Merkmale genannt, die oben begrifflich der wirtschaftlichen (Un-)Abhängigkeit zugeordnet worden sind: so etwa die Vergütungsform (= Frage nach der unternehmerischen Gewinnmöglichkeit oder der Fremdverwertung der Arbeitsleistung), das Vorhandensein einer Geschäftseinrichtung oder der Aufbau eines eigenen Unternehmens sowie die Vertretung mehrerer Unternehmer384. Selbst das BAG erkennt für die Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes in der Weisungsgebundenheit eines Beschäftigten denn auch nur ein „typisches Abgrenzungsmerkmal“385. Diese Deutung ist für das Gericht im Übrigen auch zwingend. Denn entscheidend für die Abgrenzung des Arbeitnehmers vom Selbständigen soll auch nach seiner Rechtsprechung nicht etwa ausschließlich die Weisungsunterworfenheit des Beschäftigten sein, sondern der übergeordnete Rahmenbegriff der persönlichen Abhängigkeit386. Ein zwingender und strikt am reinen Wortlaut des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB orientierter Umkehrschluss könnte aber nicht erklären, warum das Gericht über die reine fachliche und zeitliche Weisungsgebundenheit hinaus – und nur diese ist in § 84 Abs. 1 S. 2 HGH ausdrücklich genannt387 – weitere Kriterien oder Indizien388 zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft verwendet389. Das Abstellen auf verschiedene Einzelmerkmale, die sich von der bloßen Weisungsgebundenheit des Beschäftigten unterscheiden, ist der vom BAG verwendeten typologischen Bestimmungsmethode aber gerade immanent390. Die Heranziehung auch von Elementen wirtschaftlicher Abhängigkeit wird damit von § 84 Abs. 1 S. 2 HGB zwar nicht positiv gefordert, ihre Berücksichtigungsfähigkeit jedoch auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
384
BT-Drs. 1/3856, S. 15. BAG AP Nr. 73 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 47 zu § 5 BetrVG 1972; BAG NZA 1995, 622, 622 f.; BAG NZA 1996, 477, 478. 386 Statt aller BAG NZA 1996, 477, 478; dazu bereits ausführlich oben § 2 B. IV. 387 Nach Wank, in: Martinek/Semler u. a. (Hrsg.), Handbuch des Vertriebsrechts, § 13 Rn. 47 ist zwar auch die örtliche Weisungsfreiheit vom Wortlaut umfasst; diese sei jedenfalls im Bereich des Handelsvertreterrechts aber ohnehin wenig aussagekräftig, da es auch für (selbständige) Handelsvertreter typisch sei, dass ihnen ein bestimmter Bezirk zugewiesen werde (vgl. § 87 Abs. 2 HGB). 388 Dazu schon oben § 2 B. IV. 2. und 4.; zusammenfassend etwa Baumbach/Hopt/ Hopt, § 84 HGB Rn. 36; Bauschke, RdA 1994, 209, 210 f. 389 Kritisch auf Grund der Diskrepanz von Wortlaut des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB und der Rechtsprechungspraxis des BAG Wank, in: Martinek/Semler u. a. (Hrsg.), Handbuch des Vertriebsrechts, § 13 Rn. 32 ff. und 45; vgl. dazu auch ders., RdA 1999, 297, 308 und ders., EuZA 2016, 143, 146 f; ebenfalls kritisch Maties, in: FS Wank, S. 323, 329 f. 390 Genauer zur typologischen Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 278, dort auch mit umfassenden Nachweisen zu geäußerter Kritik; vgl. dazu auch bereits oben § 2 B. IV. 385
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201
3. Folgerungen Systematische Probleme ergeben sich hiernach vor allen Dingen dann, wenn – spiegelbildlich zu den arbeitnehmerähnlichen Personen – persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit eines Beschäftigten isoliert voneinander betrachtet auseinanderfallen. Gemeint ist die im Fokus der vorliegenden Untersuchung stehende Konstellation eines zwar persönlich abhängigen, wirtschaftlich aber unabhängigen und/oder – etwa auf Grund seiner Verdiensthöhe – sozial nicht schutzbedürftigen Beschäftigten. Dieser könnte im Falle der Berücksichtigung von Kriterien oder Elementen wirtschaftlicher Abhängigkeit im Rahmen einer typologischen Gesamtbetrachtung insgesamt aus dem Anwendungsbereich des Arbeitsrechts herausfallen. Das scheint zwar angesichts des fehlenden zwingenden Ausschlusses der Berücksichtigungsfähigkeit solcher Kriterien durch § 84 Abs. 1 S. 2 HGB kein Systembruch zu sein. Außerdem beschreibt die wirtschaftliche Unabhängigkeit nach der Logik des Gesetzgebers an sich gerade den Selbständigen391, der Arbeitnehmer ist dagegen von sozialer Schutzbedürftigkeit indizierender wirtschaftlicher Abhängigkeit gekennzeichnet392, weswegen die uneingeschränkte Zuordnung eines solchen Beschäftigten zum Arbeitsrecht aus systematischen Gründen ohnehin zweifelhaft ist. Andererseits fehlt es ihm gleichzeitig auch an der für Selbständige nach § 84 Abs. 1 S. 2 HGB geforderten persönlichen Unabhängigkeit. Diese Erkenntnis spricht an sich weder für noch unmittelbar gegen die Berücksichtigung von Elementen wirtschaftlicher Abhängigkeit bei der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes. Sie beweist aber, dass die vorhandenen gesetzlichen Regelungen zu den arbeitnehmerähnlichen Personen einerseits und § 84 Abs. 1 S. 2 HGB andererseits nicht aufeinander abgestimmt sind393, weil sie für die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts – jeweils nur mittelbar – unterschiedliche Voraussetzungen suggerieren. Sie können daher im Ergebnis die Zuordnung eines persönlich abhängigen, wirtschaftlich aber unabhängigen bzw. sozial nicht schutzbedürftigen Erwerbstätigen weder zum Arbeits- noch zum „Selbständigenrecht“394 völlig 391 Schluss aus der notwendigen Abgrenzung von Arbeitnehmerähnlichen und Selbständigen, vgl. § 6 C. II. 2. (Aussage 4.). 392 Schluss aus der Existenz der arbeitnehmerähnlichen Person (oben § 6 C. II. 3.) und den Bestimmungskriterien der Arbeitnehmerähnlichkeit, vgl. oben § 6 C. II. 4. (Aussagen 2. und 3.). 393 So i. E. auch Wank, Arbeitnehmer, S. 9 f.; ders., Forschungsbericht, S. 87 f. 394 An dieser Stelle sei eine Anmerkung zu dem Begriff des „Selbständigenrechts“ gestattet. Zugrunde liegt dieser Terminologie der Gedanke eines dualen Systems der Erwerbstätigkeit, das Arbeitnehmer und Selbständige als die beiden einzigen Akteure unter den Erwerbstätigen erkennt und sie einander als Gegensatzpaar gegenüberstellt (so erarbeitet etwa von Wank, Arbeitnehmer, passim; dazu auch ders., RdA 1985, 1, 4 f.; ders., NZA 1999, 225, 229 f.; das Modell liegt etwa auch den Ausführungen von
202 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
widerspruchsfrei erklären. Ein solcher Beschäftigter hat mit den Arbeitnehmern die persönliche Abhängigkeit, zugleich aber auch mit den Selbständigen die wirtschaftliche Unabhängigkeit bzw. die daraus typischerweise resultierende fehlende soziale Schutzbedürftigkeit gemein395. Er steht damit – sozusagen als Spiegelbild der arbeitnehmerähnlichen Personen und ebenso wie diese396 – zwischen Arbeits- und Selbständigenrecht. Er bildet gewissermaßen eine vierte Gruppe der Erwerbstätigen, die allerdings nicht als besonderer Vertragstypus ausgeformt ist. Auf einen solchen Beschäftigten müssen daher nach der gesetzlichen Konzeption entweder das Arbeitsrecht in Gänze (so die Rechtslage nach Rechtsprechung des BAG) oder (bei grundsätzlicher Berücksichtigung der Kriterien wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit) mangels existierender gesetzlicher Sonderregelungen die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere das Dienstvertragsrecht des BGB Anwendung finden397. Für die Vorzugswürdigkeit der letzteren Lösung spricht vor allem, dass die Anwendung der allgemeinen und für jedermann geltenden gesetzlichen Regelungen – anders als die Anwendbarkeit von Arbeitsrecht als Sonderprivatrecht398 einer bestimmten Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 278; Rebhahn, EuZA 2012, 3, 4 ff.; Rancke, Berufe, S. 28 oder Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 257 ff. zu Grunde). Gerade wenn all diejenigen Normen beschrieben werden sollen, die nicht zum Arbeitsrecht gehören, wird in der arbeitsrechtlichen Literatur deshalb auch der Begriff des „Selbständigenrechts“ verwendet. In der Sache könnte aber genauso gut von „Nichtarbeitsrecht“ gesprochen werden, da das „Selbständigenrecht“ auf Grund seiner Vielgestaltigkeit und Inhomogenität letztlich nur dadurch bestimmt ist, dass es gerade nicht dem Arbeitsrecht angehört (dazu auch Rebhahn, EuZA 2012, 3, 4). In diesem Sinne wird der Begriff jedenfalls an dieser Stelle verwendet. Grundlegende Kritik zu einer Gegenüberstellung von Arbeitnehmern und Selbständigen, auch auf Grund einer Unschärfe des Begriffs des Selbständigen, äußert Maschmann, Arbeitsverträge, S. 94 ff. 395 Bezeichnenderweise fehlt in der Auflistung Wanks, RdA 2010, 193, 194 die Kombination des persönlich abhängigen aber wirtschaftlich unabhängigen/sozial nicht schutzbedürftigen Beschäftigten. 396 Rieble, ZfA 1998, 327, 346 spricht – in Bezug auf die Arbeitnehmerähnlichen – treffend von einer Zwischenstufe, die einen Übergangsraum zwischen echter Abhängigkeit und echter Selbständigkeit schafft; ähnlich Reinecke, ZIP 1998, 581, 585. 397 Dabei darf nicht in Vergessenheit geraten, dass auch das Dienstvertragsrecht des BGB Schutzvorschriften zu Gunsten des Dienstverpflichteten kennt, so etwa der Gesundheitsschutz nach § 618 BGB oder die Regelung zum Annahmeverzug des Dienstberechtigten nach § 615 S. 1 BGB, insoweit zutreffend Boemke, ZfA 1998, 285, 326 und Rieble, ZfA 1998, 327, 342. Wank, Arbeitnehmer, S. 250 weist auch auf Schutzvorschriften in Gesellschaftsrecht, Handelsrecht, Wirtschaftsrecht sowie auf die Auffangvorschriften der §§ 134, 138 und 826 BGB hin. 398 Griebeling, in Nutzinger (Hrsg.), Entwicklung des Arbeitsrechts, S. 253, 253; kritisch Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 135; Richardi, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 607, 612 f.; ders., in: FS Söllner, S. 957, 958 ff.
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Gruppe – nicht besonders begründungsbedürftig ist399. Jedenfalls bis zur Einführung des § 611a Abs. 1 BGB – und auf diesen Zeitpunkt ist für die an dieser Stelle der Untersuchung verfolgten Zwecke abzustellen400 – sprach für diese Lösung auch der lex-posterior-Grundsatz: Weder § 12a Abs. 1 TVG noch § 84 Abs. 1 S. 2 HGB regelten ausdrücklich die Arbeitnehmereigenschaft; da deshalb keine dieser beiden ranggleichen Normen als die speziellere angesehen werden konnte, musste der nachträglich eingetretene gesetzliche Wertungswiderspruch im Sinne der jüngeren (tarifrechtlichen) Gesetzgebung aufgelöst werden401. Falls dieses Ergebnis unbefriedigend oder befremdlich klingen mag, so liegt dies vor allem in der durch die Rechtsprechung tradierten Vorstellung begründet, ein persönlich abhängig Beschäftigter müsse in jedem Falle auch Arbeitnehmer sein402. Es wurde aber gerade gezeigt – und das ist an dieser Stelle alleine entscheidend –, dass die von der Rechtsprechung des BAG gefolgerten Kriterien des Arbeitnehmerbegriffes nicht systematisch zwingend vom Gesetzgeber vorgegeben sind bzw. waren403. Die Rechtsprechung kann ihr Ergebnis des vollständigen Verzichts auf Merkmale wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit nur aus einer Überbetonung der gesetzgeberischen Wertung des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB gewinnen. Dabei werden aber die Vorgaben, die sich aus der 399 Zur besonderen Begründungsbedürftigkeit des Arbeitsrechts Staudinger/Richardi/ Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 156; Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 22; Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Richardi, in: FS Söllner, S. 957, 958 sowie rechtsvergleichend Rebhahn, RdA 2009, 236, 240 ff.; und ders., RdA 2009, 154, 159, 165 (auch zur wirtschaftlichen Abhängigkeit als eigentlichem Wertungsgrund des Sonderrechts Arbeitsrecht). 400 Zur beschränkten Aussagekraft des § 611a Abs. 1 BGB an dieser Stelle der Untersuchung vgl. oben § 6 C. I. 401 Für eine Anwendung des lex-posterior-Grundsatzes in solchen Fällen etwa Larenz, Methodenlehre, S. 337; vgl. hierzu auch Bydlinski, Methodenlehre, S. 572 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 772. 402 Zu einem solchen Rechtsgefühl trägt sicherlich auch die soeben in Fn. 394 erläuterte Terminologie bei, nach der jeder Nichtarbeitnehmer auch als „Selbständiger“ bezeichnet werden kann und regelmäßig auch bezeichnet wird. Das ist deshalb problematisch, weil mit dieser Benennung eine grundsätzliche unternehmerische, freiberufliche oder kaufmännische Konnotation verbunden ist, obwohl mit der Einordnung eines Beschäftigten als Nichtarbeitnehmer noch nicht gesagt ist, dass auf ihn alleine aus diesem Grund etwa gewerbe- oder handelsrechtliche Sonderregelungen Anwendung finden müssten (ähnlich Rebhahn, RdA 2009, 154, 159). Beispielhaft legen etwa die Ausführungen von Bauschke, RdA 1994, 209, 211 einen solchen Zusammenhang nahe. Begrüßenswert anders Boemke, ZfA 1998, 285, 297, der mit erwähnenswerter Genauigkeit nicht von der Abgrenzung des Arbeitnehmers vom „Selbständigen“, sondern von einer Unterscheidung des „Arbeitsverhältnisses von sonstigen zur Leistung von ‚Arbeit‘ verpflichtenden Rechtsverhältnissen“ spricht. 403 Zu Vorgaben und Grenzen des § 611a Abs. 1 BGB – insbesondere mit Blick auf eine mögliche Rechtsprechungsänderung – vgl. ausführlich unten § 7 B.
204 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Existenz der arbeitnehmerähnlichen Personen ergeben und die oben ausführlich dargestellt worden sind404, nur unzureichend berücksichtigt405. Im Ergebnis sind freilich beide hier dargestellten Lösungsmöglichkeiten zur Einordnung eines persönlich abhängigen, wirtschaftlich aber unabhängigen und/oder sozial nicht schutzbedürftigen Beschäftigten – als Arbeitnehmer oder als Selbständiger – nicht nur gesetzessystematisch nicht durchgehend schlüssig begründbar, sondern auch undifferenziert und damit zudem aus teleologischen Erwägungen letztendlich nicht vollends überzeugend406. IV. Die Elemente von Umfang und Dauer der Tätigkeit Aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB sowie der Existenz der arbeitnehmerähnlichen Personen ließen sich – wenn auch zum Teil widersprüchliche – grundlegende Erkenntnisse zu den Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts ableiten. Es bleibt aber zu untersuchen, ob auch darüber hinaus gesetzgeberische Wertungen gefunden werden können, die Rückschlüsse zur Berücksichtigungsfähigkeit zumindest einzelner Kriterien wirtschaftlicher Abhängigkeit zulassen. Hinweise bezüglich der im Folgenden näher zu betrachtenden Elemente des Umfangs (sogleich 1.) und der Dauer (unten 2.) einer Tätigkeit können sich dabei insbesondere aus der Existenz des Teilzeit- und Befristungsrechts ergeben. 1. Tätigkeitsumfang und Anwendbarkeit des Arbeitsrechts Dabei soll zunächst kurz die grundsätzliche Verknüpfung von Tätigkeitsumfang und arbeitsrechtlichem Schutzbedürfnis beleuchtet werden (dazu a)), bevor in einem nächsten Schritt auf die zwingenden Aussagen des Teilzeitrechts (unten b)) und deren Folgen für die vorliegende Untersuchung eingegangen wird (unten c)). a) Verknüpfung durch Rechtsprechung, Literatur und historischen Gesetzgeber Insbesondere die Rechtsprechung des BAG der 1970er Jahre zum Status der sog. freien Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten setzte den Aspekt des Umfangs der Tätigkeit eines Beschäftigten in Beziehung zu dessen Arbeitnehmereigenschaft. Ohne ausdrücklich von der ausschließlichen Entschei404
Oben § 6 C. II.
405 Bezeichnenderweise
konstatiert denn beispielsweise auch Buchner, NZA 1998, 1144, 1146, dass zur Systematik der Rechtstellung der arbeitnehmerähnlichen Personen „noch manches im Argen“ liegt. 406 Zu den teleologischen Erwägungen siehe unten § 6 E. Letztlich kann diese vierte Gruppe der Erwerbstätigen durch eine abgestufte Anwendung des Arbeitsrechts de lege ferenda in die vorhandene Systematik eingebettet werden, vgl. ausführlich unten § 8 B. Eine solche Lösung grundsätzlich begrüßend, aus Praktikabilitätsgründen aber letztlich ablehnend Buchner, NZA 1998, 1144, 1151.
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dungsrelevanz der persönlichen Abhängigkeit abzurücken, wurde die Arbeitnehmereigenschaft dieser freien Mitarbeiter auch danach beurteilt, ob der Beschäftigte bei einem Auftraggeber im Vergleich zu einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer in ähnlichem zeitlichem Umfang eingesetzt worden war407. Auch die Tatsache, dass trotz inhaltlich im Wesentlichen gleichförmiger Tätigkeit Volkshochschuldozenten regelmäßig keine Arbeitnehmer408, Lehrer dagegen sehr wohl Arbeitnehmer sein sollen409, legt den Schluss einer stillschweigenden Berücksichtigung des Tätigkeitsumfanges nahe410. Daneben drängt sich ganz allgemein der Verdacht auf, dass gerade dann, wenn im Rahmen der Prüfung der persönlichen Abhängigkeit auf arbeitsorganisatorische Elemente wie den Grad der betrieblichen und arbeitsorganisatorischen Eingliederung abgehoben wird, dem Aspekt des Umfangs der Tätigkeit eine zwar unausgesprochene, faktisch aber doch erhebliche Bedeutung beigemessen wird. Wohl inspiriert durch diese Rechtsprechungspraxis versuchte auch ein Teil der insbesondere älteren arbeitsrechtlichen Literatur einen Zusammenhang zwischen dem Umfang der Tätigkeit und dem Eingreifen arbeitsrechtlicher Rechtsfolgen herzustellen. Dieser Gesichtspunkt sollte bei der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben. Argumentiert wurde dabei – teilweise ausdrücklich411, teilweise der Sache nach412 – mit Blick auf die wirtschaftliche Abhängigkeitslage eines Beschäftigten, die oben als kennzeichnend und entscheidend für dessen soziale Schutzbedürftigkeit ausgemacht worden ist: Danach ist 407 Deutlich BAG AP Nr. 20, 21, 32 und 36 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. zu einer Entscheidung außerhalb des Bereichs der Rundfunkanstalten BAG AP Nr. 16 zu § 611 BGB Abhängigkeit (Arbeitnehmereigenschaft eines Orchestermusikers) sowie BAG AP Nr. 20 zu § 611 BGB Abhängigkeit. Diese Rechtsprechung zusammenfassend Wank, RdA 1985, 1, 2 f. Dagegen wurde wenig später bei der der Statusbeurteilung eines Volkshochschuldozenten auch ein erheblicher zeitlicher Umfang ausdrücklich nicht als (alleine) entscheidendes Indiz für die Arbeitnehmereigenschaft gewertet, vgl. BAG AP Nr. 32 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAG AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ähnlich auch BAG NZA 2000, 1102, 1106 für einen Rundfunkmitarbeiter. 408 BAG AP Nr. 158 und 167 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; kritisch dazu Wank, in: FS Küttner, S. 5, 6. 409 BAG AP Nr. 10 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAG AP Nr. 120 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 410 Ähnlich Gamillscheg, RdA 1998, 2, 9 Fn. 53. Heftige Kritik daher bei Ehmann, in: FS Adomeit, S. 131, 146: „Die ‚persönliche Abhängigkeit‘ ist nur noch eine Worthülse, in die hinein gegossen wird, was das gewünschte Ergebnis hervorbringt“. 411 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 5 ff; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Lieb, RdA 1974, 257, 259 f.; ders., DB 1976, 2207; ders., RdA 1977, 210, 215; ders., Anm. zu BAG AP Nr. 14 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 412 Rancke, Berufe, S. 182 ff.; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 165 ff., insbes. 177 ff.; Söhnen, Selbständigkeit, S. 63 ff.; Wank, Arbeitnehmer, S. 222 ff.; mittelbar auf die Komponente des zeitlichen Umfangs abstellend Buhl, Arbeitnehmerbegriff, S. 174 ff.
206 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
derjenige sozial schutzbedürftig, der zur selbständigen Daseinsvorsorge nicht mehr in der Lage ist. Das ist nach dieser Ansicht aber typischerweise ein solcher Beschäftigter, der in erheblichem Umfang für einen Auftraggeber tätig wird. Denn gerade in diesen Fällen verliert er die umfassende wirtschaftliche Dispositionsmöglichkeit über seine Arbeitskraft und er wird auf Grund der Fremdverwertung seiner eigenen Arbeitsleistung regelmäßig nur ein solches Entgelt erhalten, das ausschließlich zur Deckung der Lebenshaltungskosten ausreicht413. Hieraus wurde im Umkehrschluss gefolgert, dass einem solchen Beschäftigten, der in nur beschränktem Umfang für einen Auftraggeber tätig wird, von diesem nicht die vollumfängliche und grundsätzliche Möglichkeit genommen werde und er deshalb in der Lage sei, durch weitere Tätigkeiten neben dieser Beschäftigung eine eigenverantwortliche und selbständige Daseinsvorsorge zu betreiben. Mitunter wurden hierfür auch feste Zeitgrenzen aufgestellt: Wer nicht mehr als 10414 bzw. mehr als 20415 Wochenstunden für einen Auftraggeber beschäftigt sei, sei nicht sozial schutzbedürftig und ein Schutz durch das Arbeitsrecht sei daher zu verneinen oder zumindest fraglich416. Die grundsätzliche Plausibilität dieses Gedankengangs beweisen bzw. bewiesen einige Vorschriften, die zwar nicht das Arbeitsrecht in Gänze, aber jedenfalls das Eingreifen einiger arbeitsrechtlicher Rechtsfolgen vom Umfang der Tätigkeit des Beschäftigten abhängig machen oder machten. Das galt etwa für § 622 BGB i.d.F. von 1900417, wonach Voraussetzung einer verlängerten Kündigungsfrist eines Dienst- oder Arbeitnehmers war, dass dessen „Erwerbsthätigkeit durch das Dienstverhältniß vollständig oder hauptsächlich in Anspruch genommen wird“. Damit wurde vom historischen Gesetzgeber stillschweigend daran angeknüpft, dass ein Dienst- oder Arbeitnehmer gerade im Falle der umfassenden Tätigkeit für einen Auftraggeber zu seiner Existenzsicherung auf den Fortbestand dieser Rechtsbeziehung angewiesen und damit im weitesten Sinne auch sozial schutzbedürftig ist418. 413
Vgl. oben § 5 III. 1. Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6 ff.; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 415 Söhnen, Selbständigkeit, S. 63 ff.; ähnlich auch D. Gaul, RdA 1982, 268, 270. 416 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6 ff.; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; D. Gaul, RdA 1982, 268, 270; Lieb, RdA 1974, 257, 260; Söhnen, Selbständigkeit, S. 63 ff.; im Ausgangspunkt ähnlich ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 72; im Ergebnis abweichend Wank, Arbeitnehmer, S. 222 ff. (Arbeitnehmereigenschaft hier nur verneint, wenn neben der Teilzeittätigkeit eine existenzsichernde hauptberufliche Tätigkeit besteht). Die Möglichkeit ins Auge fassend, de lege ferenda solche Arbeitnehmer von Teilen arbeitsrechtlichen Schutzes auszuschließen, deren Erwerbstätigkeit typischerweise nicht dem Lebensunterhalt dient, Hromadka, NZA 1997, 569, 579. 417 RGBl. 1896, S. 195. 418 Hromadka, NZA 2007, 838, 841 erkennt hierin die Aussage des historischen Gesetzgebers, dass als Schutzgrund des Arbeitsrechts die wirtschaftliche Abhängigkeit der Arbeitnehmer anzusehen sei. 414
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Eine dem § 622 BGB a. F. entsprechende Vorschrift existiert gegenwärtig zwar nicht mehr419. Allerdings macht der seit der Urfassung des BGB unveränderte und noch heute gültige § 617 Abs. 1 S. 1 BGB – rechtspraktisch wegen der in Abs. 2 enthaltenen Subsidiaritätsklausel freilich wenig bedeutsam420 – einen Anspruch auf Krankenfürsorge von freien Dienstnehmern sowie von Arbeitnehmern421 gegen ihren Dienstberechtigten im Wesentlichen gleichlautend davon abhängig, dass „die Erwerbstätigkeit des Verpflichteten [vom Berechtigten] vollständig oder hauptsächlich“ in Anspruch genommen wird. Die Literatur sieht den Normzweck des eingeengten Anwendungsbereichs dieser Vorschrift ähnlich wie die soeben dargestellten allgemeinen Theorien zum Arbeitnehmerbegriff darin liegend, dass gerade in den gesetzlich vorausgesetzten Fällen eine Eigenvorsorge des Dienst- bzw. Arbeitnehmers nicht gewährleistet sei und es deshalb einen Anspruch gegen den Dienstberechtigten bzw. Arbeitgeber auf Krankenfürsorge geben müsse422. Auch der bis zum 31. 05. 1994 geltende423 § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG stufte Teilzeitbeschäftigte zwar tatbestandlich als Arbeitnehmer ein. Für sie galt aber dann nicht die Rechtsfolge der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nach § 1 Abs. 1 LFZG a. F., wenn ihre regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich zehn Stunden oder monatlich fünfundvierzig Stunden nicht überstieg. Dagegen unterscheidet die heute gültige Nachfolgenorm für Entgeltfortzahlung infolge Krankheit, § 3 EFZG, nicht mehr zwischen Teil- und Vollzeitbeschäftigten424. 419 Aufgehoben im Jahr 1969 durch das Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz, BGBl. I 1969, S. 1106. 420 Dazu ErfK/Preis, § 617 BGB Rn. 1; HWK/Krause, § 617 BGB Rn. 1; Staudinger/ Oetker, § 617 BGB Rn. 4. 421 Da die Norm tatbestandlich eine Aufnahme des Dienstnehmers in die häusliche Gemeinschaft des Dienstberechtigten verlangt, wird ein solcher Dienstnehmer regelmäßig auch Arbeitnehmer sein. 422 BeckOK-ArbR/Joussen, § 617 BGB Rn. 6; MüKo-BGB/Henssler, § 617 BGB Rn. 6; Staudinger/Oetker, § 617 BGB Rn. 20. Dabei ist freilich umstritten, ob es auf ein absolutes tägliches oder wöchentliches Mindestvolumen der Tätigkeit ankommt (so die wohl h. M., vgl. etwa BeckOK-ArbR/Joussen, § 617 BGB Rn. 6; ErfK/Preis, § 617 BGB Rn. 2; HWK/Krause, § 617 BGB Rn. 6) oder ob – ähnlich wie im Anwendungsbereich des § 12a Abs. 1 TVG – eine relative Betrachtungsweise entscheidend ist und an die tatsächlich ausgeübte Erwerbstätigkeit angeknüpft wird, die „vollständig oder hauptsächlich“ für einen Dienstberechtigten erbracht werden muss (so Staudinger/Oetker, § 617 BGB Rn. 20). Zur relativen Betrachtungsweise bei § 12a Abs. 1 TVG siehe bereits oben § 5 C. II. 1. c) und d). 423 Aufgehoben im Zuge des Erlasses des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit vom 26. Mai 1994, BGBl. I 1994, S. 1065. 424 Vgl. zum (unionsrechtlichen) Problem, dass ein Ausschluss der Teilzeitbeschäftigten von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall überwiegend Frauen treffen und daher mittelbar diskriminierend wirken kann EuGH v. 13. 07. 1989 – Rs. C-171/88, Slg. 1989, 2743 Rn. 11 ff. (Rinner-Kühn); BAG NZA 1992, 259, 260; Schmitt, in: FS Gitter, S. 847, 847 f.; Weth/Kerwer, JuS 2000, 425, 429.
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b) Zwingende Erkenntnisse aus der Existenz des TzBfG Nicht nur die Abschaffung dieser Sonderbehandlung der Teilzeitbeschäftigten im Entgeltfortzahlungsrecht ist ein Indiz gegen eine Verknüpfung von Tätigkeitsumfang und arbeitsrechtlichem Schutzbedürfnis. Darüber hinaus könnte durch die Existenz des TzBfG die Berücksichtigungsfähigkeit dieses Elements wirtschaftlicher Abhängigkeit bzw. die gesamte, soeben dargestellte Schlussfolgerung der Literatur entscheidend in Frage gestellt sein. Zwar definiert das am 1. Januar 2001425 in Kraft getretenen TzBfG Gesetz an keiner Stelle ausdrücklich und allgemeingültig den Begriff des Arbeitnehmers426. Es bestimmt jedoch seinen eigenen persönlichen Anwendungsbereich in § 2 Abs. 1 S. 1 TzBfG wie folgt: „§ 2 Begriff des teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers. (1) 1Teilzeitbeschäftigt ist ein Arbeitnehmer, dessen regelmäßige Wochenarbeitszeit kürzer ist als die eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers.“
Das Gesetz gilt damit nur für Arbeitnehmer427 und setzt einen (allgemeinen) Begriff des Arbeitnehmers stillschweigend voraus428. Ein bestimmter Mindestumfang der Tätigkeit bzw. das Überschreiten einer zeitlichen Untergrenze für den Begriff des (teilzeitbeschäftigten) Arbeitnehmers wird in § 2 TzBfG gerade nicht gefordert. Gegenteiliges kann sogar aus § 12 Abs. 1 TzBfG geschlossen werden. Dort verlangt der Gesetzgeber in S. 2 im Rahmen einer Vereinbarung von Arbeit auf Abruf die Festlegung einer bestimmten wöchentlichen Arbeitszeit. Ist diese nicht erfolgt, so gilt nach S. 3 eine Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart429. Das muss so verstanden werden, dass jedenfalls ein Beschäftigungsverhältnis mit einem Volumen von zehn Stunden pro Woche – wohl auch eine Tätigkeit in noch geringerem Umfang430 – grundsätzlich auch als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren sein kann. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung ist der Ansicht, dass das TzBfG ohne Einschränkung für „alle Arbeitsverhältnisse bei privaten und öffentlichen Arbeitgebern“ gilt431. 425 BGBl. I 2000, S. 1966. Dabei ersetzte es das zuvor geltende BschFG, das bereits Regelungen zur Teilzeitbeschäftigung und der Befristung von Arbeitsverträgen enthielt, vgl. ErfK/Müller-Glöge, § 1 TzBfG Rn. 1. 426 Staudacher/Hellmann/Hartmann/Wenk, Teilzeitarbeit, Rn. 41. 427 HWK/Schmalenberg, § 1 TzBfG Rn. 6; Laux/Schlachter, TzBfG, § 2 Rn. 6; Meinel/ Heyn/Herms, TzBfG, § 1 TzBfG Rn. 4; NK-TzBfG/Joussen, § 2 TzBfG Rn. 5; Staudacher/ Hellmann/Hartmann/Wenk, Teilzeitarbeit, Rn. 36. 428 ErfK/Preis, § 2 TzBfG Rn. 4; Laux/Schlachter, TzBfG, § 2 Rn. 8; MünchArb/Schüren, § 45 Rn. 12; Nebendahl, Teilzeitarbeitsvertrag, S. 7; Sievers, TzBfG, § 2 TzBfG Rn. 4. 429 Näher dazu Mühlmann, RdA 2006, 356, 357 f.; Ostermeier, RdA 2008, 86, 86. 430 So ausdrücklich Mosler, AR-Blattei SD, 1560 Rn. 24; vgl. in diesem Zusammenhang auch EuGH v. 04. 02. 2010 – Rs. C-14/09, Slg. 2010, I-931 Rn. 25 ff. (Genc). 431 BT-Drs. 14/4375, S. 14 f.
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Damit ist aber jedenfalls auf der Grundlage eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes im Ausgangspunkt klar, dass der Gesetzgeber auch für einen allgemeinen Begriff des Arbeitnehmers außerhalb des TzBfG davon ausgehen muss, dass er auch auf einen solchen Beschäftigten zutreffen kann, der nicht vollumfänglich oder sogar nur in ganz geringem Umfang für einen Auftraggeber tätig wird432. Würde dagegen alleine ein im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten unterdurchschnittlicher Tätigkeitsumfang schon die Nichtanwendbarkeit des Arbeitsrechts entscheidend begründen können, so liefen die Schutzvorschriften des TzBfG und insbesondere das zentrale Diskriminierungsverbot433 des § 4 Abs. 1 TzBfG leer. Das kann nicht nur nach der deutschen Gesetzessystematik nicht gewollt sein, sondern wäre auch europarechtlich problematisch434. Wird dem Umfang der Tätigkeit des Beschäftigten der typologischen Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft bisweilen dennoch eine gewisse Indizwirkung im Rahmen der Gesamtwürdigung beigemessen435, so kann es sich dabei aus dem soeben dargelegten Grund nur um ein Indiz im Sinne eines Pro-Indikators handeln. Das heißt, dass eine Tätigkeit in Vollzeit zwar für ein Arbeitsverhältnis sprechen kann, die Verneinung der Arbeitnehmereigenschaft aber jedenfalls nicht entscheidend auf einen geringeren zeitlichen Umfang gestützt werden darf436. Man mag diese Schlussfolgerung als Argument für die zwingende Berücksichtigungsbedürftigkeit des Rahmenbegriffes der persönlichen Abhängigkeit bei der 432 ErfK/Preis, § 2 TzBfG Rn. 4; ders., § 611 BGB Rn. 73; Meinel/Heyn/Herms, TzBfG, § 2 TzBfG Rn. 5; MünchArb/Schüren, § 45 Rn. 13; Lipke, ArbuR 1991, 76, 78; Mosler, AR-Blattei SD, 1560 Rn. 21; Nebendahl, Teilzeitarbeitsvertrag, S. 7; i. E. auch BAG AP Nr. 120 zu § 611 BGB Abhängigkeit; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 2 TzBfG Rn. 10; Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252; Mikosch, in: FS Löwisch, 189, 202; so auch bereits Reuter, RdA 1981, 201, 203 und Traeger, Reichweite, S. 136. 433 Lipke, ArbuR 1991, 76, 78; Rolfs, RdA 2001, 129, 130 f.; Wank, RdA 2010, 193, 198. 434 Das TzBfG setzt die europäische Richtlinie 97/81/EG (RL des Rates zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit) in deutsches Recht um. Zwar überlässt § 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung die Definition des Arbeitsverhältnisses den jeweiligen Mitgliedstaaten (missverständlich noch EuGH v. 12. 10. 2004 – Rs. C-313/02, Slg. 2004, I-9483 Rn. 40 (Wippel); ausdrücklich bestätigt aber in EuGH v. 01. 03. 2012 − Rs. C-393/10, NZA 2012, 313, 316 Rn. 51 (O’Brien). Dennoch dürfte der deutsche Arbeitnehmerbegriff nicht so gefasst werden, dass er den sekundärrechtlichen Vorgaben jede praktische Wirksamkeit nähme, vgl. dazu ausführlich unten § 8 B. V. b) cc). 435 Mosler, AR-Blattei SD, 1560 Rn. 25; auch BAG AP Nr. 1 zu § 7 BetrVG 1972. BAG AP Nr. 66 zu § 611 BGB Abhängigkeit, BAG AP Nr. 37 zu § 611 BGB Rundfunk und BAG NZA-RR 2010, 172, 174 stellen ausdrücklich darauf ab, dass ein Mitarbeiter in „nicht unerheblichem Umfang“ zur Arbeit herangezogen wird. 436 In diesem Sinne auch Staudacher/Hellmann/Hartmann/Wenk, Teilzeitarbeit, Rn. 212; Wank, Arbeitnehmer, S. 218 und aus europarechtlicher Perspektive Rebhahn, RdA 2009, 236, 251 f. Zum Begriff des Pro- bzw. Positiv-Indikators vgl. bereits oben § 5 C. II. 1. c).
210 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes deuten. Das ist insofern richtig, als es für die Intensität der Weisungsgebundenheit grundsätzlich nicht entscheidend ist, in welchem Umfang ein Beschäftigter für seinen Auftraggeber tätig wird. Das Element verbindet daher grundsätzlich teilzeit- und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, es ist beiden gemein und kann sie vom Selbständigen unterscheiden437. Allerdings – das sei hier nur am Rande erwähnt – können sich auch auf der Grundlage des Merkmals der persönlichen Abhängigkeit schwerwiegende Abgrenzungsprobleme gerade im Bereich der Teilzeitbeschäftigung ergeben. Das gilt vor allem dann, wenn dem Teilzeitbeschäftigten eine flexible Ausgestaltung seiner Arbeitszeit zugestanden wird. In diesen Fällen schwindet nämlich nicht nur der Grad der Eingliederung des Dienstverpflichteten in die Arbeitsorganisation des Dienstberechtigten; oftmals wird dann auch von der zeitlichen Weisungsbefugnis nur eingeschränkt Gebraucht gemacht werden438. Die Erforderlichkeit zur Berücksichtigung der Weisungsgebundenheit des Beschäftigten als konstitutives Merkmal des Arbeitnehmerbegriffes zeigte sich aber ohnehin bereits aus einer systematischen Zusammenschau des Rechts der arbeitnehmerähnlichen Personen und der „Zentralnorm“ des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB; sie wird daher vorliegend auch nicht bestritten. Davon abgesehen kann festgehalten werden, dass sich aus § 2 Abs. 1 S. 1 TzBfG unmittelbar und zwingend nur ergibt, dass ein geringer zeitlicher Arbeitsumfang für sich genommen nicht entscheidend gegen die Arbeitnehmereigenschaft ins Feld geführt werden kann. c) Teilzeitbeschäftigung und Anwendbarkeit des Arbeitsrechts aa) Teilzeitbeschäftigung, wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit Mit der gesetzlichen Anerkennung der Teilzeitarbeit werden grundsätzlich auch solche Beschäftigte in den potentiellen Anwendungsbereich des Arbeitsrechts einbezogen, denen von ihrem Vertragspartner nicht vollumfänglich die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Disposition über die eigene Arbeitskraft und 437 Laux/Schlachter, TzBfG, § 2 Rn. 8 f.; Mosler, AR-Blattei SD, 1560 Rn. 21; Mehl, Freistellungszeiten, S. 66; insoweit bereits kritisch Nebendahl, Teilzeitarbeitsvertrag, S. 7. 438 Laux/Schlachter, TzBfG, § 2 Rn. 8; Nebendahl, Teilzeitarbeitsvertrag, S. 7; Staudacher/Hellmann/Hartmann/Wenk, Teilzeitarbeit, Rn. 212; Lipke, ArbuR 1991, 76, 78; grundlegend Heinze, NZA 1997, 681, 681 ff. und Reuter, RdA 1981, 201, 202 ff.; ausführlich Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 34 ff. Aus diesem Grund wird teilweise der dogmatisch wenig überzeugende Vorschlag unterbreitet, die Arbeitnehmereigenschaft durch einen Vergleich mit vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern festzustellen, die ähnliche Tätigkeiten verrichten (so etwa Staudacher/Hellmann/Hartmann/Wenk, Teilzeitarbeit, Rn. 36). Auch das Abstellen auf das typische „Berufsbild der Tätigkeit“ des Teilzeitbeschäftigten (Wank, RdA 1985, 1, 5) macht die Arbeitnehmereigenschaft letztlich nicht von rechtlich nachprüfbaren Kriterien abhängig.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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damit auch zu eigenverantwortlicher Daseinsvorsorge genommen wurde. Daraus darf aber nicht pauschal geschlossen werden, dass es für den Arbeitnehmerbegriff auf sämtliche Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht ankommen kann. Es wurde soeben bereits dargelegt, dass dies aus systematischen Gründen unmittelbar nur für den Umfang einer Tätigkeit gilt. Andere Kriterien, insbesondere die Fremdnützigkeit der Arbeitsleistung und damit die Frage nach unternehmerischen Gewinnmöglichkeiten in der Vertragsbeziehung, können durchaus Berücksichtigung finden439. Darüber hinaus darf aus der Existenz des Teilzeitrechts auch kein allgemeiner gesetzgeberischer Wille dergestalt abgeleitet werden, dass die soziale Schutzbedürftigkeit für die Anwendung des Arbeitsrechts schon deshalb keine Rolle spielen könne, weil hierdurch auch Beschäftigte in den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts einbezogen würden, die „weniger schutzbedürftig“440 als Vollzeitbeschäftigte oder gar überhaupt nicht mehr sozial schutzbedürftig seien441. Diese Schlussfolgerung mag zwar für eine bloß theoretische Betrachtung zutreffen, die im Ausgangspunkt ein Modell zu Grunde legt, das die soziale Schutzbedürftigkeit entscheidend (auch) über den Entzug wirtschaftlicher Dispositionsmöglichkeiten über die eigene Arbeitskraft definiert. In der Rechtspraxis erweist sich aber ein Großteil der in Teilzeit tätigen Beschäftigten bei näherer Betrachtung oftmals sogar als besonders schutzbedürftig442. Grund dafür ist einmal die Tatsache, dass – anders als von den zitierten Literaturstimmen behauptet und vom Gesetzgeber des TzBfG zu Recht erkannt – sich die soziale Schutzbedürftigkeit nicht entscheidend und ausschließlich über einen bestimmten Tätigkeitsumfang definieren lässt443. Nicht nur derjenige ist wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig, der ähnlich dem ursprüngli439
Laux/Schlachter, TzBfG, § 2 Rn. 13; Lipke, ArbuR 1991, 76, 78. Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht (6. Auflage 2008), § 4 III. 4. (S. 39) und ansatzweise Lieb, RdA 1977, 210, 216; ähnlich wohl auch Waltermann, RdA 2010, 162, 164; zweifelnd Laux/Schlachter, TzBfG, § 2 TzBfG Rn. 9. 441 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6 ff.; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 442 BAG AP Nr. 65 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Konzen, ZfA 1982, 259, 291; Tomandl, ZAS 2008, 100, 107; Wank, Arbeitnehmer, S. 216, 225; ders., RdA 2010, 193, 197 f. m. w. N. Ebenso Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 100, der als Beispiele etwa Putz- und Haushaltshilfen sowie Zeitungszusteller nennt. Dabei kann gerade die Arbeitnehmereigenschaft von in Teilzeit tätigen Zeitungszustellern auch auf Grundlage des Kriteriums der persönlichen Abhängigkeit äußerst fragwürdig sein. Das gilt vor allen Dingen dann, wenn dem Beschäftigten freigestellt wird, nur innerhalb eines gewissen zeitlichen Rahmens seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, vgl. dazu BAG AP Nr. 1 zu § 7 BetrVG 1972. Nebendahl, Teilzeitarbeitsvertrag, S. 8 will sogar auf Grund der „besonderen Schutzbedürftigkeit“ solcher Beschäftigten in Zweifelsfällen „regelmäßig“ ein Arbeitsverhältnis annehmen. 443 Vgl. dazu auch schon oben § 5 C. II. 1. c). 440
212 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
chen arbeitsrechtlichen Leitbild des Fabrikarbeiters444 vollumfänglich für einen anderen arbeitet und der aus dieser Tätigkeit lediglich einen solchen Verdienst erwirtschaftet, der ihn nur zum Bestreiten der allgemeinen Lebenshaltungskosten befähigt, eine darüber hinausgehende Daseinsvorsorge aber nicht ermöglicht445. Vielmehr trifft das auch oder besser erst recht auf denjenigen zu, der auf Grund fehlender unternehmerischer Eigenorganisation oder sonstiger besonderer persönlicher Voraussetzung („unfreiwillig“446) schon überhaupt nicht in der Lage dazu ist, vollumfänglich tätig zu werden447. Wer überhaupt nur in geringem Umfang arbeiten kann, der verliert nur rein theoretisch und isoliert betrachtet nicht die Möglichkeit zur Disposition über seine Arbeitskraft. Das sagt aber nichts über die existenzielle Angewiesenheit auf das aus der Teilzeittätigkeit erzielte Einkommen aus448. Vielmehr ist ein solcher Beschäftigter regelmäßig schon kaum zur Bestreitung der allgemeinen Lebenshaltungskosten in der Lage; die Möglichkeit zur selbständigen Daseinsvorsorge scheidet dann ohnehin und erst recht vollständig aus. Damit ist hier aber nicht primär die soziale Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten problematisch, sondern vielmehr die Frage nach der Rechtfertigung einer Überbürdung nachteiliger Rechtsfolgen zu Lasten des Auftraggebers449. Insoweit kann die Geltung des Arbeitsrechts aber jedenfalls nicht mit Argument bestritten werden, dass in Fällen der bloßen Teilzeittätigkeit einer geringen Arbeitsleistung übermäßig hohe Arbeitgeberverpflichtungen gegenüberstünden450. Zwar ist die Feststellung richtig, dass dem Arbeitgeber auf Grund des geringen 444 Zur
immer wieder bemühten arbeitsrechtlichen Leitfigur des Fabrikarbeiters vgl. stellvertretend MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 47. 445 Ein solcher Denkansatz liegt deutlich noch den Ausführungen von Lieb, RdA 1974, 257, 260 zu Grunde. 446 Der Aspekt der „Freiwilligkeit“ taucht in der Diskussion um die Arbeitnehmereigenschaft verschiedentlich auf. So ist etwa für den Arbeitnehmerbegriff Wanks erforderlich, dass ein Unternehmerrisiko „freiwillig“ übernommen wurde (vgl. nur Wank, DB 1992, 90, 91 und oben § 3 A. I.). Das soll insbesondere auch für den Bereich der Teilzeitbeschäftigung gelten (Wank, Arbeitnehmer, S. 216 und v.a. 227). Nach Lieb, RdA 1974, 257, 260 f. ist die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts insbesondere dort fraglich, wo (kurzfristig) und „eigenverantwortlich“ auf die wirtschaftliche Dispositionsmöglichkeit über die Arbeitskraft verzichtet worden ist; ähnlich ders., RdA 1977, 210, 215 („Unternehmer wider Willen“). Auch BAG AP Nr. 65 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag verknüpft die Tatsache einer „unfreiwilligen Teilzeitbeschäftigung“ eines Lehrers mit dessen sozialer Schutzbedürftigkeit. 447 BAG AP Nr. 65 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 448 BAG AP Nr. 65 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; ErfK/Preis, § 310 BGB Rn. 46; Konzen, ZfA 1982, 259, 291; Mosler, AR-Blattei SD, 1560 Rn. 24; Mehl, Freistellungszeiten, S. 66. 449 Diesen Aspekt betonend bereits Lieb, RdA 1974, 257, 259 und 262 und ders., RdA 1977, 210, 216; dazu auch Wank, Arbeitnehmer, S. 207 und 211. 450 Wank, Arbeitnehmer, S. 207 und 223 f.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
213
Umfangs der Tätigkeit des Beschäftigten im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten entsprechend geringere unternehmerische Gewinnmöglichkeiten zukommen451. Allerdings muss beachtet werden, dass diesen geringeren Gewinnmöglichkeiten regelmäßig auch niedrigere, weil proportional auf den Tätigkeitsumfang bezogene, finanzielle arbeitsrechtliche Einstandspflichten (etwa im Anwendungsbereich des BUrlG, des EFZG oder im Bereich des Sozialrechts bei der Höhe der vom Arbeitgeber zu tragenden Beiträge) gegenüberstehen452. Daneben ist es auch im Bereich einer nicht vollumfänglichen Beschäftigung ohne weiteres möglich, dass dem jeweiligen Auftraggeber die Möglichkeit zukommt, die Arbeitskraft bzw. das Arbeitsergebnis eines Beschäftigten gewinnbringend auf eigene Rechnung zu verwerten453, dieser Beschäftigte also fremdnützig tätig wird. Ist dies der Fall, so kann die Überbürdung nachteiliger (arbeitsrechtlicher) Rechtsfolgen zu Lasten des Auftraggebers auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ohne weiteres selbst dann gerechtfertigt werden, wenn bei einem Beschäftigten wegen einer Tätigkeit in bloß geringem Umfang noch eine weitreichende wirtschaftliche Dispositionsmöglichkeit über den Rest seiner Arbeitskraft verbleibt454. Dennoch scheint nach alledem der notwendige Begründungsaufwand für das Eingreifen arbeitsrechtlicher Rechtsfolgen im Bereich der Teilzeitarbeit prinzipiell höher zu sein als bei einem Vollzeitbeschäftigten. Diese Tatsache spricht aber gerade in besonderem Maße dafür, auch jene Gesichtspunkte bei der Anwendbarkeit des Arbeitsrechts zu berücksichtigen, die die soziale Schutzbedürftigkeit eines solchen Beschäftigten wieder entfallen lassen. Zu diesen Kriterien gehört nach den obigen Ausführungen vor allen Dingen das Überschreiten eines gewissen Vergütungsniveaus, das einem Beschäftigten eine selbständige Daseinsvorsorge über die Bewältigung der typischen Lebenshaltungskosten hinaus ermöglicht. Wenn einem Arbeitgeber also im Falle der Teilzeitbeschäftigung grundsätzlich arbeitsrechtliche Einstandspflichten auferlegt werden, obwohl er nicht einmal entscheidend für den Verlust wirtschaftlicher Dispositionsmöglich451 In diesem Sinne etwa Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 452 So ausdrücklich für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall BAG AP Nr. 38 zu § 1 LohnFG mit zust. Anm. von Trieschmann; im Ergebnis unkritisch auch MünchArb/ Schlachter, § 73 Rn. 8; Staudinger/Oetker, § 616 BGB Rn. 204; Schmitt, in: FS Gitter, S. 847, 849, 860. Daneben kann ein überproportional höherer Organisationsaufwand des Teilzeitarbeitgebers, etwa im Bereich der Lohnbuchhaltung oder bei der Bereitstellung des Arbeitsplatzes, zwar nicht geleugnet werden. Dem stehen aber wiederum Vorteile des Arbeitgebers wie Motivations- und Produktivitätssteigerungen oder eine verbesserte Kapazitätsauslastung gegenüber. Solche Vor- und Nachteile zusammenfassend Laux/Schlachter, TzBfG, Einf. Rn. 26 ff.; Bertelsmann/Rust, RdA 1985, 146, 147 f.; Wank, RdA 1985, 1, 17; ders., RdA 2010, 193, 197 f. Dazu auch BT-Drs. 14/4374, S. 11. 453 Hromadka, NZA 1997, 1249, 1253. 454 Zweifelnd Lieb, RdA 1974, 257, 260.
214 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
keiten und die daraus folgende Vorsorgeunfähigkeit des Beschäftigten verantwortlich zeichnet, so müssen diese Pflichten und damit die Anwendbarkeit (von Teilen) des Arbeitsrechts erst recht dann entfallen können, wenn er den Beschäftigten – trotz dessen Tätigkeit nur in geringem Umfang – durch die Gewährung eines weit überdurchschnittlichen Entgelts in die Lage versetzt, seine Lebenshaltungskosten zu bestreiten und zusätzlich selbständige Daseinsvorsorge zu betreiben455. bb) Gesellschafts- und gleichheitspolitische Dimension der Teilzeitarbeit Hinzu kommt nicht erst mit Inkrafttreten des TzBfG eine gesellschafts- sowie gleichheitspolitische456 Dimension der Teilzeitarbeit. Wesentlicher Gesichtspunkt bei Gesetzeserlass war nämlich neben arbeitsmarktpolitischen Zielen457 vor allen Dingen auch, dass durch die Regelung der Rahmenbedingungen der Teilzeitarbeit eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht und eine versteckte Diskriminierung der Erwerbstätigkeit von Frauen458 beseitigt wird459. Der Gesetzgeber reagiert damit zentral auf die als besonders schutzwürdig erkannte Situation von Frauen und insbesondere von Müttern, die neben der Kindererziehung oftmals nur („unfreiwillig“) in Teilzeit tätig werden können bzw. wollen460. In diesen Fällen kann zwar zumeist schon mit der vorstehenden Argumentation – neben bzw. zusätzlich zu prinzipiellen gesellschaftspolitischen Erwägungen – regelmäßig ebenfalls eine existenzielle Angewiesenheit auf die aus dem Teilzeitbeschäftigungsverhältnis fließende Vergütung und damit die soziale 455 Ein solcher Fall wird in der Praxis freilich selten vorkommen. An dieser Stelle soll aber vor allem verdeutlicht werden, dass die prinzipielle Einbeziehung Teilzeitbeschäftigter in den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts der Berücksichtigung der Entgelthöhe bei der Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts nicht grundsätzlich entgegensteht. 456 Zur auch europarechtlich veranlassten Notwendigkeit, Teilzeitarbeit in nicht diskriminierender Art und Weise auszugestalten vgl. grundlegend etwa EuGH v. 13. 07. 1989 – Rs. C-171/88, Slg. 1989, 2743 Rn. 11 ff. (Rinner-Kühn); BAG NZA 1992, 259, 260; Schmitt, in: FS Gitter, S. 847, 847. 457 BT-Drs. 14/4374, S. 1, 11. 458 Auch heute wird Teilzeitarbeit noch überwiegend von Frauen ausgeübt, vgl. dazu etwa NK-TzBfG/Joussen, § 4 TzBfG Rn. 3; Rieble, RdA 2011, 36, 40; Schmitt, in: FS Gitter, S. 847, 847; Wank, RdA 2010, 193, 197 f. 459 BT-Drs. 14/4374, S. 11; ErfK/Preis, § 4 TzBfG Rn. 4; Laux/Schlachter, TzBfG § 1 Rn. 1. Kritisch, ob diese Ziele durch das TzBfG erreicht werden können, Bauer, NZA 2000, 1039, 1043; ähnlich auch die Ausführungen im Grünbuch der Kommission „Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, KOM (2006) 708, endgültige Fassung vom 22. 11. 2006, S. 9. 460 Ähnliches gilt auch für Studenten, die eine weitere wichtige Gruppe der Teilzeitbeschäftigten bilden und die auf Grund ihres Studiums („unfreiwillig“) nicht in der Lage sind, in Vollzeit zu arbeiten.
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Schutzbedürftigkeit des bzw. der Beschäftigten vermutet werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn man zur Bestimmung des Begriffes der sozialen Schutzbedürftigkeit nicht zusätzlich und entscheidend auf private Vermögensverhältnisse oder noch weitergehend etwa auf familienrechtliche Ansprüche gegen gutverdienende Ehegatten abstellen möchte461. Aber selbst wenn die grundsätzliche arbeitsrechtliche Gleichstellung der Teilzeitarbeit im Ergebnis dazu führen sollte, dass – lediglich in Einzelfällen – auch wirtschaftlich weniger schutzbedürftige Beschäftigte in den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts einbezogen werden, so rechtfertigt sich dies insbesondere durch die gesellschafts- sowie gleichheitspolitischen Motive, die dem Teilzeitrecht zugrunde liegen, ohne dass damit auch eine generelle Aussage über die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts verbunden wäre. Insoweit stellt das TzBfG eine im Ergebnis sicherlich zutreffende sozialpolitisch abgewogene Grundsatzentscheidung dar, die den Willen des Gesetzgebers beweist, dass eine Anwendung des Arbeitsrechts in Fällen der Teilzeitbeschäftigung grundsätzlich möglich sein muss. Das beweist für die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts aber nur das, was eben unter b) schon zwingend festgestellt wurde: Auf den (geringen) Umfang der Arbeitsleistung darf hierfür nicht alleine entscheidend abgestellt werden. 2. Tätigkeitsdauer und Anwendbarkeit des Arbeitsrechts Untersuchungen, die sich mit dem grundlegenden Zusammenhang von Tätigkeitsdauer und Geltung des Arbeitsrechts beschäftigen, gibt es überraschenderweise kaum. Im Folgenden sollen daher zunächst nur einige Grundpositionen in Rechtsprechung und Literatur skizziert werden (sogleich a)), bevor auf zwingende gesetzessytematische Erkenntnisse eingegangen wird (unten b)), die schließlich in den Gesamtzusammenhang der vorliegenden Untersuchung einzuordnen sind (unten c)). a) Verknüpfung durch Rechtsprechung und Literatur Nach Ansicht der gegenwärtigen ständigen Rechtsprechung kommt es für die Begründung der Arbeitnehmereigenschaft auf die Dauer der Rechtsbeziehung nicht entscheidend an. Zum einen spreche alleine der Umstand, dass es sich um ein auf Dauer angelegtes Vertragsverhältnis handele, nicht schon für das Vorlie-
461 In diesem Sinne auch Wank, Arbeitnehmer, S. 225 f. Eine Berücksichtigung solcher „wirtschaftlich-sozialen Existenzbedingungen“ grundsätzlich befürwortend dagegen Rancke, Berufe, S. 127 ff., 140 f.; kritisch hierzu Wank, RdA 1985, 1, 4; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 92.
216 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
gen eines Arbeitsverhältnisses462. Zum anderen soll umgekehrt auch eine geringe Dauer der Tätigkeit nicht zwingend die Arbeitnehmereigenschaft des Beschäftigten ausschließen. So wurde beispielsweise die Existenz sog. „Ein-Tages-Arbeitsverhältnisse“ grundsätzlich anerkannt463 und damit eine gewisse Mindestdauer des Beschäftigungsverhältnisses jedenfalls implizit als nicht erforderlich angesehen. Diese heute scheinbar eindeutige Judikatur hat allerdings eine Entwicklungsgeschichte hinter sich. Das Reichsversicherungsamt, dessen Rechtsprechung für die Entwicklung des Arbeitnehmerbegriffes von entscheidender Bedeutung war464, führte etwa zur Tätigkeit eines Modellstehers aus, dieser stelle seine Dienste „zwar eine Zeit lang“ bestimmten Personen zur Verfügung, trete hierdurch jedoch keineswegs in ein persönliches und wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis, das damals Voraussetzung der Arbeitnehmereigenschaft war. Anderes könne aber ausdrücklich dann gelten, wenn er sich in einem „festen und dauernden Dienstverhältnis“ befände465. Einige Jahrzehnte später nahm das Reichsarbeitsgericht die Arbeitnehmereigenschaft eines leitenden Krankenhausarztes ausdrücklich deshalb an, weil er zur Leistung von Arbeit „innerhalb eines bestimmten, auf Dauer geschaffenen Vertragsverhältnisses“ verpflichtet gewesen war, „das eine sowohl rechtliche als auch tatsächliche Abhängigkeit von dem Krankenhaus mit sich“ gebracht habe466. Ähnlich argumentierte auch noch das BAG im Jahre 1957. Zur Arbeitnehmereigenschaft eines Hochschuldozenten führte es aus, diesem fehle es unter anderem deshalb an dem für das Arbeitsverhältnis wesentlichen Merkmal der persönlichen Abhängigkeit, weil ihm ein Lehrauftrag „jeweils für nur ein Semester“ erteilt worden war467. Knapp 20 Jahre später verneinte das Gericht die Arbeitnehmereigenschaft eines Künstlers 462 Etwa BAG AP Nr. 12, 26, 53, 59, 73 und 74 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG NZA 2000, 1102, 1105 f. 463 BAG AP Nr. 1 zu § 4 BeschFG 1996; BAG NZA 2004, 40, 41; BAG NZA 2012, 974, 975. Dazu auch NK-ArbR/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611 BGB Rn. 86; Reinecke, ZTR 2014, 63, 64 sowie Wank, Anm. zu BAG AP Nr. 47 zu § 5 BetrVG 1972. 464 Dazu ausführlich unten § 6 D. I. 1. 465 RVA Urt. v. 30. 09. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 172, 172 (Nr. 67); auch RVA Urt. v. 01. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 173, 173 (Nr. 69) fordert ein „dauerndes Dienstverhältnis“; ähnlich RVA Anleitung v. 19. 12. 1899 betr. den Kreis der nach dem IVG v. 13. 7. 1899 versicherten Personen, AN 1900 (16. Jg.) S. 277, 296 („auf gewisse Zeit bindender“ Dienstoder Arbeitsvertrag. 466 RAG ARS Bd. 15, 528, 530. Auch die damalige Rechtsliteratur forderte für die Arbeitnehmereigenschaft teilweise eine gewisse Dauerhaftigkeit der Rechtsbeziehung, so etwa Oertmann, Arbeitsvertragsrecht, S. 2 und 10; Molitor, Wesen, S. 88 ging sogar davon aus, die Dauer der Arbeitsleistung sei entscheidend für die Unterordnung des Arbeitnehmers; hiervon teilweise abweichend Silberschmidt, Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht 1927, Sp. 286, 297 f. 467 BAG AP Nr. 3 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten.
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unter anderem auch noch deshalb, weil er seine Zaubershow seinem Vertragspartner anlässlich einer Jubiläumsfeier nur „einmalig“ dargeboten hatte468. Auch in der Folgezeit kann dem Gericht durchaus unterstellt werden, dass der Aspekt der Dauer einer Tätigkeit – unausgesprochen – eine nicht unerhebliche Rolle bei der Einordnung eines Beschäftigten als Arbeitnehmer spielte. So war insbesondere die Dauer der Gesamtbeschäftigung bei mehrfach wiederholten, kürzeren Beschäftigungsverhältnissen der freien Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten jedenfalls faktisch ein maßgebliches Kriterium des Arbeitnehmerbegriffes469. Auch die neueren Entscheidungen zu den „Ein-Tages-Arbeitsverhältnissen“ sind nicht so eindeutig und klarstellend, wie dies zunächst den Anschein haben mag. Hier ist nämlich zu beachten, dass den einschlägigen Judikaten sämtlich Sachverhalte zu Grunde lagen, in denen der letztlich als Arbeitnehmer qualifizierte Beschäftigte nicht nur einmalig, sondern mehrmalig für denselben Arbeitgeber tätig wurde und darüber hinaus auch eine sog. Rahmenvereinbarung abgeschlossen worden war. Diese Rahmenvereinbarung wurde zwar dann nicht als unbefristetes Dauerarbeitsverhältnis gewertet470, wenn und weil sie selbst keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung begründete, sondern nur die Bedingungen der erst zukünftig noch abzuschließenden einzelnen Tages-Arbeitsverträge enthielt471. Dennoch wird deutlich, dass hier zwischen den Parteien stets eine von einer gewissen Dauerhaftigkeit geprägte Konstellation vorlag, die über den bloß einmaligen Leistungsaustausch hinausging. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass das Merkmal der Dauer einer Tätigkeit – ebenso wie das des Umfangs – dann eine mittelbare Rolle spielt oder spielen kann, wenn von der Rechtsprechung im Rahmen der persönlichen Abhängigkeit auf den Grad der betrieblichen bzw. arbeitsorganisatorischen Eingliederung abgestellt wird. Denn letzterer wird typischerweise proportional mit der Dauer einer Rechtsbeziehung ansteigen oder wird in diesem Fall jedenfalls leichter festzustellen sein472. Angesichts der soeben skizzierten Entwicklung der Rechtsprechung kann es nicht überraschen, wenn der Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses von Teilen der Literatur473 auch heute noch „eine wesentliche Bedeutung“ für die Be468
BAG AP Nr. 14 zu § 611 BGB mit lesenswerter Anm. v. Lieb. In diesem Sinne etwa BAG AP Nr. 20 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. dazu Beu thien/Wehler, RdA 1978, 2, 7; Rüthers, RdA 1985, 129, 144; Wank, Arbeitnehmer, S. 197. 470 Zur Rechtsnatur der Rahmenvereinbarung finden sich neben dieser Feststellung keine näheren Ausführungen. 471 So BAG NZA 2012, 733, 734 f. Dazu APS/Backhaus, § 3 TzBfG Rn. 8 ff.; ErfK/ Müller-Glöge, § 3 TzBfG Rn. 2 sowie die Nachweise soeben in Fn. 463. 472 Rebhahn, RdA 2009, 154, 167 und oben § 6 C. IV. 1. a). 473 Anders die wohl h. L., die der Dauer der Rechtsbeziehung ähnlich wie die Rechtsprechung keine entscheidende Bedeutung beimisst, vgl. statt vieler HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 52; NK-ArbR/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611 BGB Rn. 86; Boemke, ZfA 1998, 285, 314 f.; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 203. 469
218 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
jahung der Arbeitnehmereigenschaft zugeschrieben wird. Gerade das „Ausmaß der dienstvertraglichen Bindung“ sei kennzeichnend für die erforderliche Abhängigkeit der Arbeitnehmer474. Dabei wird mitunter ähnlich argumentiert wie in Bezug auf den Umfang der Tätigkeit: Auch demjenigen, der nur kurzzeitig für einen Auftraggeber tätig werde, werde nicht die grundsätzliche Möglichkeit zur wirtschaftlichen Disposition über seine Arbeitskraft genommen. Vielmehr könne er in naher Zukunft wieder über sie verfügen und seine Arbeitskraft dann unternehmerisch und zu eigenem Nutzen am Markt einsetzen475. Daher führe auch das eventuelle Vorliegen persönlicher Abhängigkeit während dieser Phasen nicht zur Arbeitnehmereigenschaft476. Auch für Wank477 sowie für Richardi, die den Arbeitnehmerbegriff teleologisch bestimmen wollen, ist der Aspekt der Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses zumindest indiziell von Bedeutung. Für letzteren zeichnet sich der Arbeitnehmer im Vergleich zum Selbständigen etwa dadurch aus, dass er nicht auf der Grundlage abgegrenzter Einzelleistungen für einen anderen tätig wird, sondern eine zeitbestimmte Dauerbeziehung begründet wird, innerhalb derer die geschuldete Arbeit nur ihrer Art nach bestimmt ist478. b) Zwingende Erkenntnisse aus der Existenz des TzBfG und sonstiger Regelungen Rückschlüsse auf die Berücksichtigungsfähigkeit des Kriteriums der Dauer einer Tätigkeit lassen sich zunächst wiederum aus der Existenz des TzBfG ziehen. Auch hier wird – ebenso wie in den Regelungen zum Teilzeitbeschäftigten – ein allgemeiner Begriff des Arbeitnehmers zwar nicht ausdrücklich definiert, sondern vielmehr stillschweigend vorausgesetzt, da auch die Vorschriften zur Befristung nach §§ 14 ff. TzBfG nur für Arbeitsverträge gelten479. Erläutert wird aber der Begriff des befristet beschäftigten Arbeitnehmers. Insoweit heißt es: 474 ErfK/Preis,
§ 611 BGB Rn. 72. Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 10 ff., insbes. 14 f.; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 72; Lieb, RdA 1974, 257, 258 ff.; ders., RdA 1977, 210, 211, 216 ff.; ähnlich auch Beuthien/ Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Wank, Arbeitnehmer, S. 195, 198 ff. und schon Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 14 ff. 476 Lieb, RdA 1974, 257, 260; ähnlich ders., RdA 1977, 210, 216 ff., der diese Feststellung hier allerdings nur auf bestimmte Berufsgruppen und bestimmte Tätigkeiten (sog. Beschäftigungen „auf Produktionsdauer“) beschränken will; dagegen grundsätzlich HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 52; kritisch auch Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 7 f. 477 Wank, Arbeitnehmer, S. 187 ff.; vgl. dazu schon ausführlich oben § 3 A. I. 478 Richardi, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 607, 615 ff. und erläuternd dazu Hromadka, NZA 1997, 569, 571 f. 479 ErfK/Müller-Glöge, § 3 TzBfG Rn. 2; Meinel/Heyn/Herms, TzBfG, § 1 TzBfG Rn. 4, § 14 TzBfG Rn. 3. 475
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
219
„§ 3 Begriff des befristet beschäftigten Arbeitnehmers. (1) 1Befristet beschäftigt ist ein Arbeitnehmer mit einem auf bestimmte Zeit geschlossenen Arbeitsvertrag. ²Ein auf bestimmte Zeit geschlossener Arbeitsvertrag (befristeter Arbeitsvertrag) liegt vor, wenn seine Dauer kalendermäßig bestimmt ist (kalendermäßig befristeter Arbeitsvertrag) oder sich aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt (zweckbefristeter Arbeitsvertrag).“
Der Gesetzgeber geht hier davon aus, dass auch ein solcher Beschäftigter Arbeitnehmer sein kann, der nur eine bestimmte Zeit für einen anderen tätig wird. Neben dieser allgemeinen Aussage wird positivrechtlich an keiner anderen Stelle eine bestimmte Mindestdauer der Tätigkeit gefordert, um den Anwendungsbereich des Befristungsgesetzes zu eröffnen. Im Gegenteil erklärt etwa § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG (ähnlich auch Abs. 2a, und Abs. 3) die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrages „bis zur Dauer von zwei Jahren“ für zulässig und stellt damit nur eine zeitliche Höchst- und gerade keine Mindestgrenze480 auf. Insoweit ist damit lediglich erforderlich, dass sich die Dauer des befristeten Beschäftigungsverhältnisses entweder nach dem Kalender berechnen lässt oder sich aus einem bestimmten Zweck der Tätigkeit ergibt, § 3 Abs. 2 S. 2 TzBfG481. Daraus muss der Schluss gezogen werden, dass auch kurzzeitigste Dienstleistungen prinzipiell auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden können482. Mit anderen Worten: Da sich nach Wortlaut und Systematik des Gesetzes die Zulässigkeit auch von nur eintägig befristeten Tätigkeiten grundsätzlich nach dem TzBfG richten kann, muss – weil das TzBfG nur für Arbeitnehmer gilt – auch ein bloß „Ein-Tages-Beschäftigter“ grundsätzlich Arbeitnehmer sein können. Wie der zu Grunde liegende Arbeitnehmerbegriff insgesamt zu definieren ist, ist damit freilich noch nicht gesagt. Dem Gesetz lässt sich aber die allgemeine Aussage entnehmen, dass ein Arbeitsverhältnis nicht erst ab einer gewissen Mindestdauer der Vertragsbeziehung entstehen kann und davor zwingend ausgeschlossen ist, sondern sich dessen Vorliegen entscheidend nach anderen Kriterien richten muss. Auch eine Reihe anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften macht implizit deutlich, dass ein gewisser zeitlicher Mindestbestand des Rechtsverhältnisses nicht unbedingt notwendig ist, um die Arbeitnehmereigenschaft eines Beschäftigten bejahen zu können. Zu nennen sind hier etwa § 1 Abs. 1 KSchG, wonach der allgemeine Kündigungsschutz nach dem KSchG erst ab einer Wartezeit von sechs 480 Ausdrücklich ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 86; der Sache nach auch APS/ Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 369 f.; Meinel/Heyn/Herms, TzBfG, § 14 TzBfG Rn. 256 und MüKo-BGB/Hesse, § 14 TzBfG Rn. 83. 481 APS/Backhaus, § 3 TzBfG Rn. 3 ff. Bei der sachgrundlosen Befristung nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG ist allerdings nur eine kalendermäßige Befristung zulässig, ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 81, 86. 482 So schon Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 7 (mangels Existenz des TzBfG noch mit Bezug auf § 620 BGB).
220 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Monaten eingreift, § 4 BUrlG, wonach der volle Urlaubsanspruch erstmalig nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben wird, sowie § 3 Abs. 3 EFZG, wonach der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses entsteht. Alle diese Vorschriften knüpfen die Anwendbarkeit des mit ihnen im Zusammenhang stehenden Schutzsystems somit daran, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Beschäftigten bereits eine bestimmte Zeit lang bestanden hat. Eine solche Karenzzeit wäre aber dann schlicht nicht notwendig, wenn der Gesetzgeber ohnehin davon ausginge, unterhalb dieser zeitlichen Grenzen könne überhaupt noch kein Arbeitsverhältnis bestehen. Die Eigenschaft als Arbeitnehmer muss mithin – auf Grundlage einer systematischen Betrachtung und der Prämisse eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes – grundsätzlich auch dann bejaht werden können, wenn eine Beschäftigungsdauer gegeben ist, die noch unterhalb der im Gesetz ausdrücklich genannten Wartezeiten liegt. Ein ganz ähnliches Ergebnis lässt sich im Übrigen auch aus § 622 Abs. 3 BGB herleiten. Danach können die Arbeitsvertragsparteien eine Probezeit vereinbaren, während derer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von nur zwei Wochen gekündigt werden kann. Dieses Arbeitsverhältnis auf Probe darf ausweislich des gesetzlichen Wortlauts „längstens“ sechs Monate dauern483 – nach dem Verständnis des Gesetzgebers muss ein Arbeitsverhältnis also auch schon zuvor und damit für geringere Zeiträume bestehen können. Festgehalten werden kann damit, dass nach der Wertung des Befristungsrechts sowie anderer positivrechtlicher Regelungen die Geltung des Arbeitsrechts in Gänze nicht ausschließlich und alleine entscheidend vom Überschreiten einer bestimmten Mindestdauer der Rechtsbeziehung zwischen Beschäftigtem und Auftraggeber abhängig gemacht werden kann. Daneben existiert freilich auch keine Norm des Inhalts, dass ein Beschäftigungsverhältnis ab einer bestimmten (Höchst-)Dauer nicht mehr als Dienstverhältnis, sondern zwingend als Arbeitsverhältnis angesehen werden müsste. Auch eine Dienstleistung für ein und denselben Vertragspartner, die sich etwa über mehrere Jahre erstreckt, bleibt damit grundsätzlich im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses möglich. Allerdings wird durch diese gesetzliche Systematik eine nur indizielle Berücksichtigung der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses im Rahmen einer typologischen Gesamtbetrachtung nicht zwingend gehindert. In diesem Sinne könnte eine kurze Dauer eher gegen, eine längere Dauer eher für die Arbeitnehmereigenschaft sprechen484. 483
Dazu auch APS/Linck, § 622 BGB Rn. 79 ff.; MüKo-BGB/Hesse, § 622 BGB Rn. 29. eine Indizwirkung der Dauer insbesondere ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 72; Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 14 f.; Staudacher/Hellmann/Hartmann/Wenk, Teilzeitarbeit, Rn. 69; Boemke, ZfA 1998, 285, 315; Rebhahn, RdA 2009, 236, 252; Wank, DB 1992, 90, 91; vgl. in diesem Zusammenhang auch Rebhahn, RdA 2009, 236, 251, der die Schaffung einer Vermutungsregelung nach niederländischem Vorbild anregt. Danach wird die 484 Für
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
221
Jedenfalls letzteres ist aus rechtsvergleichender Perspektive auch keinesfalls unüblich. Insbesondere in Skandinavien, aber auch in Frankreich und Spanien ist die längere Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses durchaus als wesentlicher Indikator für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses anerkannt485. c) Zeitlich begrenzte Beschäftigung und arbeitsrechtliches Schutzbedürfnis Die vorstehenden gesetzessystematischen Untersuchungen haben ergeben, dass die Geltung des Arbeitsrechts nicht zwingend von einer bestimmten Mindestdauer des Rechtsverhältnisses abhängig gemacht werden kann. Arbeitnehmer kann ein Beschäftigter damit prinzipiell schon ab der ersten Minute seiner Tätigkeit sein. Gleichzeitig wurde an anderer Stelle gesagt, dass typischerweise erst eine gewisse Dauerhaftigkeit der Vertragsbeziehung zum Entstehen wirtschaftlicher Abhängigkeit führt486. Dennoch darf aus diesem scheinbaren Widerspruch wiederum nicht der verallgemeinernde Schluss gezogen werden, für die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts spielten die Elemente der wirtschaftlichen Abhängigkeit sowie der sozialen Schutzbedürftigkeit insgesamt keine Rolle. Im Gegenteil dürfte im Grundsatz sogar unbestritten sein, dass ein arbeitsrechtliches Schutzbedürfnis mit der Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses ansteigt487. Das beweisen auch die schon soeben zitierten Vorschriften der §§ 1 Abs. 1 KSchG, 4 BUrlG und 3 Abs. 3 EFZG, die den Umfang des von ihnen gewährten arbeitsrechtlichen Schutzniveaus gerade von einer bestimmten Mindestdauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses abhängig machen488. Der Gesetzgeber reagiert damit auf die mit der Dauer der Rechtsbeziehung proportional ansteigende Schutzbedürftigkeit nicht etwa undifferenziert dadurch, dass er nur (oder besser: bislang noch) kurzzeitig Beschäftigte generell aus dessen Anwendungsbereich ausschließt, sondern vielmehr dadurch, dass einige arbeitsrechtliche Schutznormen ihre Wirkung erst mit Ablauf einer gewissen Dauer des Vertragsverhältnisses entfalten. Die Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses wird damit vom Gesetzgeber zwar nicht als Kriterium zur Abgrenzung des Arbeitnehmers von Nichtarbeitnehmern verwendet; innerhalb des einmal eröffneten Anwendungsbereichs werden an diese zeitliche Komponente dann aber verschieArbeitnehmereigenschaft eines Beschäftigten widerleglich vermutet, wenn eine Arbeitsbeziehung mit einem Auftraggeber länger als drei Monate gedauert hat. 485 Rebhahn, RdA 2009, 154, 167 f. m. w. N. in Fn. 157. 486 Vgl. dazu oben § 5 C. II. 1. b). 487 Lesenswert hierzu Rebhahn, RdA 2009, 236, 243 f., 247 f., 251 f.; ebenso ErfK/ Gallner, § 4 BUrlG Rn. 1. 488 So weist etwa Junker, Arbeitsrecht, Rn. 360 ausdrücklich darauf hin, dass „erst nach sechs Monaten eine kündigungsrechtlich geschützte Rechtsposition“ entstehe.
222 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
den intensive Rechtsfolgen geknüpft489. Deutlich wird diese Herangehensweise gerade auch im Bereich der gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 1 bis 3 BGB: Je länger das Arbeitsverhältnis bestanden hat, desto schutzwürdiger erscheint der Arbeitnehmer dem Gesetzgeber und desto länger ist die arbeitgeberseitige Kündigungsfrist bemessen490. Hiervon abgesehen kann auch für einen bloß kurzzeitig Beschäftigten ein spezifisches und unter Umständen sogar besonders großes arbeitsrechtliches Schutzbedürfnis491 bestehen. Das mag etwa der Fall sein, wenn er sich beispielsweise auf Grund fehlender Verhandlungsmacht nur „höchst unwillig“492 in ein befristetes Beschäftigungsverhältnis begeben hat, auf dessen Stetigkeit er zur Sicherung seiner sozialen Existenz angewiesen ist493 und in dessen Rahmen er weisungsgebundene und – wiederum mitentscheidend – auch fremdnützige Arbeit zu leisten hat494. Einer der ausschlaggebenden Gründe aber, warum sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung des BAG für die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts nicht pauschal und mitentscheidend an eine bestimmte Mindestdauer des Bestehens des Beschäftigungsverhältnisses anknüpfen können und wollen, liegt letztlich in der Gefahr des Rechtsmissbrauchs. Feste zeitliche Untergrenzen, wie sie etwa in Portugal dennoch existieren495, können schon deshalb kaum aufgestellt werden, weil sie einem Auftraggeber ohne weiteres ermöglichten, die zwingende Geltung des Arbeitsrechts zu umgehen. Denn die kurzzeitige Befristung eines Beschäftigungsverhältnisses unterhalb einer solchen Grenze wäre dann nicht länger die Befristung eines Arbeitsverhältnisses, sondern die eines Dienstverhältnisses und hätte sich dementsprechend mangels Einschlägigkeit des TzBfG nach § 620 Abs. 1 BGB496 zu richten, vgl. § 620 Abs. 3 BGB. Solche Befris489 Eine solche Lösung befürwortend auch Rebhahn, RdA 2009, 154, 167 f.; zu einer ähnlichen Differenzierung vgl. Wank, Arbeitnehmer, S. 187. 490 APS/Linck, § 622 BGB Rn. 12; ErfK/Müller-Glöge, § 622 BGB Rn. 2; Staudinger/ Preis, § 622 BGB Rn. 8. 491 Bayreuther, NZA 2007, 371, 374 f.; Lieb, RdA 1977, 210, 218; Wank, Arbeitnehmer, S. 187, 198 f. 492 So die Terminologie bei Lieb, RdA 1974, 257, 260; ähnlich ders., RdA 1977, 210, 215 f. sowie Wank, Arbeitnehmer, S. 188, 198 f. 493 Hanau, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 227, 239. 494 Ebenso Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 8; ähnlich Wank, Arbeitnehmer, S. 188. 495 Das dortige Arbeitsrecht bejaht die Arbeitnehmereigenschaft erst dann, wenn die Arbeitsbeziehung ununterbrochen mindestens 90 Tage angedauert hat. Auch weitere europäische Staaten knüpfen zumindest mitentscheidend an das Merkmal der Dauer der Rechtsbeziehung an. Vgl. zu alledem ausführlich Rebhahn, RdA 2009, 154, 167 ff. m. w. N. 496 Dagegen war § 620 Abs. 1 BGB bis zum Erlass des TzBfG auch auf Arbeitsverträge anwendbar. Die Norm galt hier allerdings nur mit erheblichen richterrechtlichen Ein-
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
223
tungen wären damit grundsätzlich ohne besondere Einschränkungen möglich497 und könnten daher – im Falle ihrer wiederholten Aneinanderreihung – nicht nur den Kündigungsschutz498, sondern sogar den gesamten Anwendungsbereich des Arbeitsrechts aushebeln499. Diese Missbrauchsgefahr könnte nur – beispielsweise ab einer bestimmten Gesamtdauer des Beschäftigungsverhältnisses oder der Anzahl aneinandergereihter Befristungen – durch die Konstruktion eines „überwölbenden“ Arbeitsverhältnisses beseitigt werden, in das die einzelnen Beschäftigungsverhältnisse „hineingewachsen“500 sind. Das würde zu zusätzlichen dogmatischen Problemen führen, etwa ob auch das ursprünglich als Dienstverhältnis eingeordnete Rechtsverhältnis nunmehr rückwirkend ebenfalls als Arbeitsverhältnis anzusehen wäre501. Schon aus diesem Grunde liegt es nahe, die erstmalige Begründung arbeitsrechtlichen Schutzes nicht von einer bestimmten Mindestdauer der Rechtsbeziehung abhängig zu machen. Damit ist aber wiederum keine allgemeine Aussage darüber getroffen, ob (Teile) arbeitsrechtlichen Schutzes bei fehlender wirtschaftlicher Abhängigkeit bzw. sozialer Schutzbedürftigkeit, etwa im Falle des Überschreitens einer gewissen Entgeltgrenze, entfallen könnten oder sogar müssten. Neben dem Argument der Missbrauchsgefahr existieren freilich auch einige arbeitsrechtliche Teilregelungen wie insbesondere etwa das ArbSchG, die auf ein Schutzbedürfnis reagieren, das völlig unabhängig von einer bestimmten Dauer, schränkungen, vgl. APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 1; MüKo-BGB/Hesse, § 620 BGB Rn. 5. 497 ErfK/Müller-Glöge, § 3 TzBfG Rn. 2; MüKo-BGB/Hesse, § 620 BGB Rn. 5 f.; Staudinger/Preis, § 620 BGB Rn. 7. 498 Mit der grundsätzlichen Problematik, dass durch die Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverträge das Kündigungsschutzrecht umgangen werden kann, hatte sich schon das RAG zu beschäftigen, vgl. RAG ARS Bd. 9, 350, 350 ff; RAG ARS Bd. 13, 42, 43 ff. Die Feststellung dieser Tatsache führte im Laufe einer historischen Entwicklung zunächst zu einer richterrechtlich beschränkten Zulässigkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen und mündete schließlich im Erlass der §§ 14 ff. TzBfG, vgl. hierzu ausführlich APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 1 ff.; Staudinger/Preis, § 620 BGB Rn. 9 f und mit dogmatischem Hintergrund Wank, Arbeitnehmer, S. 190 ff.; zur Missbrauchsgefahr durch Kettenbefristungen in unionsrechtlichem Kontext Kerwer, EuZA 2010, 253, 256 f. 499 Ähnlich Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 500 Zu einer solchen Konstruktion etwa Wank, Anm. zu BAG AP Nr. 34 – 36 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. dazu auch Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 7 f.; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Hilger, RdA 1981, 265, 269; Lieb, RdA 1974, 257, 264 f.; ders., RdA 1977, 210, 211 sowie Maschmann, Arbeitsverträge, S. 321 und Wank, Arbeitnehmer, S. 229. 501 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 7; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; zu einer ähnlichen Problematik NK-ArbR/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611 BGB Rn. 14 sowie Rebhahn, RdA 2009, 236, 251.
224 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
einem bestimmten Umfang, einer wirtschaftlichen Abhängigkeit oder sozialen Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten bereits ab der ersten Minute Tätigkeit entsteht und sich daher ein pauschales Anknüpfen an eine Mindestdauer – und auch einen Mindestumfang – ohnehin verbietet502. V. Unionsrechtliche Betrachtung „Ein besseres Arbeitsrecht ist europarechtskonform“503. Was de lege ferenda für einzelne arbeitsrechtliche Regelungen wünschenswert ist, gilt auch de lege lata und in ganz besonderem Maße für die zentrale Anwendungsvoraussetzung des Arbeitsrecht, den Arbeitnehmerbegriff504. Auch wenn die unionsrechtskonforme bzw. unionsrechtsorientierte Auslegung nicht zu den klassischen Auslegungsmitteln der Methodenlehre gehört, so ist sie doch als Unterfall der rangkonformen bzw. rangorientierten Auslegung mittlerweile wichtiger Bestandteil der systematischen Auslegung geworden505. In Zeiten, in denen die große Bedeutung europarechtlicher Vorgaben für das Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten längst nicht mehr verkannt wird506, ist es zudem auch rechtspraktisch unerlässlich geworden, zu untersuchen, ob und inwieweit primär- oder sekundärrechtliche Regelungen den Inhalt des deutschen Arbeitnehmerbegriffes entscheidend beeinflussen können. Die Einflüsse des Europarechts sollen daher an dieser Stelle im Zusammenhang und im Anschluss an die systematische Betrachtung des deutschen Arbeitsrechts dargestellt werden. Dabei geht es im Rahmen dieser Untersuchung weniger darum, die umfassende Thematik inhaltlich in ihren einzelnen Verästelungen darzulegen. Vielmehr sollen grundsätzliche Vorgaben des Unionsrechts erläutert werden, die bei der Bestimmung des nationalstaatlichen Arbeitnehmerbegriffes zu beachten sind. Dafür werden an dieser Stelle zunächst die europarechtlichen 502 Ebenso Rebhahn, RdA 2009, 236, 242 f., 249; Wank, in: FS Küttner, S. 5, 19; Reinhardt, Phänomen, S. 335 f. Zu diesem letztlich teleologischen Argument vgl. ausführlich unten § 6 E. II. 1. sowie insbes. § 6 E. III. 2. 503 Thüsing, in: FS Adomeit, S. 757, 763; ähnlich Rüthers, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 100, 107 und Di Fabio, RdA 2012, 262, 262 ff. Zum Einfluss der Europäischen Grundrechte-Charta auf das deutsche Arbeitsrecht vgl. Franzen, in: FS Wank, S. 105, 105 ff. 504 Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 189 ff.; Maties, in: FS Wank, S. 323, 336 ff.; Pötters, NZA 2014, 704, 704, 705; Rebhahn, RdA 2009, 154, 160; ders., RdA 2009, 236, 246. 505 HSW/Wank, EuArbSozR, § 9 Rn. 261; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 766 ff., 777; Höpfner, Systemkonforme Auslegung, S. 216 ff.; Wank, Auslegung, S. 59 ff., 62; ders., Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 80; ders., RdA 2012, 361, 362. Zur Unterscheidung zwischen rangkonformer und rangorientierter Auslegung siehe Höpfner, NZA 2011, 893, 898; ders., Systemkonforme Auslegung, S. 178 ff.; Wank, RdA 2012, 361, 362; ders., Auslegung, S. 59 f. 506 Vgl. statt vieler etwa Weth/Kerwer, JuS 2000, 425, 425, 431; Stassek, ZESAR 2016, 46, 48.
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Begriffe des Arbeitnehmers betrachtet. Die konkreten Auswirkungen des gefundenen Ergebnisses auf einen gegebenenfalls abweichenden nationalen Arbeitnehmerbegriff werden weiter unten im besonderen Zusammenhang erörtert (dazu unter § 8 B. V.). 1. Arbeitnehmerbegriffe im europäischen Arbeitsrecht Der Begriff des Arbeitnehmers taucht im Arbeitsrecht der Union verschiedentlich auf. Primärrechtlich am prominentesten etwa im Rahmen der Regelung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 Abs. 1 AEUV, in der Kompetenznorm des Art. 153 Abs. 1 AEUV und im Diskriminierungsverbot des Art. 157 Abs. 2 AEUV. Eine noch größere Rolle spielt der Begriff aber im Sekundärrecht und dort namentlich in den einzelnen arbeitsrechtlichen Richtlinien, die hier nicht im Einzelnen aufgezählt werden sollen, auf die aber im Folgenden im jeweiligen Sachzusammenhang eingegangen wird. Bevor man sich aber überhaupt dem Inhalt eines europäischen Begriffes des Arbeitnehmers nähern kann (dazu unter 4.), ist zunächst eine wichtige Weichenstellung zu vollziehen. Gerade für die später dargestellten, konkreten Auswirkungen auf das deutsche Recht ist es entscheidend, innerhalb der im Unionsrecht verwendeten Arbeitnehmerbegriffe danach zu differenzieren, ob die Kompetenz zu deren inhaltlicher Konkretisierung bei der Union oder bei den einzelnen Mitgliedstaaten liegt (dazu sogleich 2. und 3.). 2. Unionsautonome oder mitgliedstaatliche Begriffsbestimmung Die Frage nach der Zulässigkeit einer einheitlichen und damit unionsautonomen Auslegung von in Unionsrecht enthaltenen (unbestimmten) Begriffen durch den EuGH ist nicht auf das europäische Arbeitsrecht beschränkt, auch wenn sie hier historisch ihren Ausgangspunkt hat und insbesondere durch die Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerbegriff der Arbeitnehmerfreizügigkeit des heutigen Art. 45 AEUV entscheidende Impulse erhalten hat507. Sie geht vielmehr weit darüber hinaus und betrifft letztlich auch einen Teilaspekt der zentralen Frage nach der Verteilung der Kompetenzen zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten508 und kann an dieser Stelle daher nur in Grundzügen behandelt werden509.
507
Beginnend mit EuGH v. 19. 03. 1964 – Rs. C-75/63, Slg. 1964, 379 (Unger). Dazu grundlegend Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 145 ff., 187 ff. 509 Ausführlich Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 475 ff.; Röthel, Normkonkretisierung, passim; Schillig, Konkretisierungskompetenz, passim; M. Schmidt, Konkretisierung, passim; Wolff, Konkretisierungskompetenz, passim; mit Bezug zum Arbeitsrechts Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 791 ff.; Scheibeler, Begriffsbildung, S. 26 ff.; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 402 ff.; vgl. auch die weiteren Nachweise im Text. 508
226 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
a) Die Rechtsprechung des EuGH Der EuGH geht im Grundsatz in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass jedenfalls der Inhalt solcher Begriffe des Unionsrechts gleich welcher Rangstufe, zu deren Bestimmung nicht ausdrücklich auf das nationale Recht verwiesen wird, unionsautonom festzulegen ist510. Argumentiert wird vor allem damit, dass der Verweis auf eine nationalstaatliche Begriffsbestimmung Missbrauchsmöglichkeiten eröffne. Die Mitgliedstaaten könnten in diesem Fall einer bestimmten Personengruppe nach Belieben einen an sich unionsrechtlich gewährten Schutz entziehen und damit auch Grundlagen der Gemeinschaft (heute der Union) wie die Vorschriften zur Arbeitnehmerfreizügigkeit umgehen. Auch die Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts und damit das Erreichen eines einheitlichen Schutzniveaus in sämtlichen Mitgliedstaaten spielt in der Argumentation des Gerichtshofs ebenso eine entscheidende Rolle511 wie die Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten512 und ihrer Bürger513 in Bezug auf die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Pflichten. Faktisch begründet der EuGH mit dieser Rechtsprechung eine Vermutung für eine Konkretisierungskompetenz auf Unionsebene514, falls nicht besondere Umstände hinzutreten, die auf den Willen des europäischen Gesetzgebers schließen lassen, einen Begriff ausnahmsweise 510 St. Rspr. seit EuGH v. 19. 03. 1964 – Rs. C-75/63, Slg. 1964, 379 (Unger), bestätigt etwa durch EuGH v. 23. 03. 1982 – Rs. C-53/81, Slg. 1982, 1035 Rn. 11 ff. (Levin); EuGH v. 03. 07. 1986 – Rs. C-66/85, Slg. 1986, 2121, Rn. 61 (Lawrie-Blum); EuGH v. 13. 04. 2000 – Rs. C-176/96, Slg. I-2681 Rn. 45 (Lehtonen); vgl. aus neuerer Zeit und zur autonomen Begriffsbestimmung auch im Sekundärrecht etwa EuGH v. 27. 01. 2005 – Rs. C-188/03, Slg. 2005, I-885 Rn. 27 ff. (Junk); EuGH v. 11. 07. 2006 – Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6467 Rn. 40 (Chacón Navas); EuGH v. 14. 12. 2006 – Rs. C-316/05, Slg. 2006, I-12083 Rn. 21 (Nokia); EuGH v. 20. 09. 2007 – Rs. C-116/06, Slg. 2007, I-7643 Rn. 25 (Kiiski); EuGH v. 18. 10. 2007 – Rs. C-195/06, Slg. 2007, I-8817 Rn. 24 (Österreichischer Rundfunk); EuGH v. 14. 10. 2010 – Rs. C-428/09, Slg. 2010, I-9961 Rn. 28 (Union syndicale Solidaires Isère); zustimmend Schrader, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 7 Rn. 19. Zu unionsrechtlichen Vorgaben des EuGH trotz der Verweisung auf die Begriffsbestimmungen der nationalen Rechtsordnungen vgl. ausführlich unten § 8 B. V. 2. b) bb). 511 EuGH v. 27. 01. 2005 – Rs. C-188/03, Slg. 2005, I-885 Rn. 27 ff. (Junk); zusammenfassend Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 6; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 80. 512 EuGH v. 07. 02. 1979 – Rs. 128/78, Slg. 1979, 419 Rn. 12 (Kommission/Vereinigtes Königreich); EuGH v. 10. 01. 1990 – Rs. C-115/88, Slg. 1990, I-27 Rn.8 (Reichert). 513 EuGH v. 06. 06. 1972 – Rs. C-94 – 71, Slg. 1972, 307 Rn. 11 (Schlüter und Maack); EuGH v. 10. 01. 1990 – Rs. C-115/88, Slg. 1990, I-27 Rn.8 (Reichert). 514 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 6 f.; insoweit deutlich etwa EuGH v. 14. 10. 2010 – Rs. C-428/09, Slg. 2010, I-9961 Rn. 27 f. (Union syndicale Solidaires Isère); diese Rechtsprechung ausdrücklich begrüßend Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 46.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
227
durch die Mitgliedstaaten inhaltlich ausfüllen zu lassen. Ein solcher Wille kann ausdrücklich zu Tage treten (etwa durch einen besonderen Verweis in einer Richtlinie515); er kann sich ausnahmsweise aber auch stillschweigend516 aus dem Sachzusammenhang ergeben, etwa dann, wenn eine unionsautonome Begriffsbestimmung nicht möglich ist517 oder eine vollständige Harmonisierung und die Schaffung eines einheitlichen Schutzniveaus in den Mitgliedstaaten durch den Rechtsakt überhaupt nicht erreicht werden sollte518. b) Konkretisierende Ansätze der Literatur Die Interpretation des EuGH im Sinne eines grundsätzlichen Primats der autonomen Auslegung der im Unionsrecht enthaltenen Begriffe hat in der Literatur im Wesentlichen Zustimmung erfahren519. In den zu der Thematik ergangenen Stellungnahmen wurde einerseits versucht, die vom Gerichtshof selbst postulierte grundsätzliche Definitionshoheit zur präzisieren, dogmatisch zu begründen und argumentativ zu unterfüttern. Andererseits wurden auch Kriterien für eine Ausnahme von diesem als richtig anerkannten Grundsatz herausgearbeitet, da auf Grund des fragmentarischen Charakters des Unionsrechts nicht in jedem Falle ein Bedürfnis zu einer unionsautonomen Begriffsbildung bestehe520. Für eine Kompetenzabgrenzung soll es danach im Kern entscheidend auf die mit dem Rechtsakt bezweckte Harmonisierungsintensität ankommen: Je geringer das Interesse an der einheitlichen Regelung einer bestimmten Materie im Bereich der gesamten Union sei, desto eher könne man den Mitgliedstaaten eine selbständige Auslegung des relevanten Begriffes zugestehen. Umgekehrt sei die Kompetenz für eine unionsautonome Begriffsbestimmung umso näher liegend, wenn wesentliches Ziel des europäischen Rechtsakts die intensive Rechtsangleichung bzw. die 515
Etwa EuGH v. 22. 04. 1993, Rs. T-9/92, Slg. 1993, II-493 (Peugeot). So bereits EuGH v. 01. 02. 1972 – Rs. C-49/71, Slg. 1972, 23 Rn. 6 (Hagen); deutlich EuGH v. 18. 01. 1984 – Rs. 327/82, Slg. 1984, 107 Rn. 14 (Ekro). 517 EuGH v. 04. 12. 1974 – Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337 Rn. 18/19 (van Duyn); EuGH v. 06. 10. 1976 – Rs. C-12/76, Slg. 1976, 1473 Rn. 14 (Tessili); EuGH v. 18. 01. 1984 – Rs. 327/82, Slg. 1984, 107 Rn. 12 (Ekro); EuGH v. 07. 07. 1992 – Rs. C-369/90, Slg. 1992, I-4239 Rn. 10 ff. (Micheletti). 518 EuGH v. 11. 07. 1985 – Rs. C-105/84, Slg. 1985, 2639 Rn. 22 ff. (Danmols Inventar); EuGH v. 14. 09. 2000 – Rs. C-343/98, Slg. 2000, I-6659 Rn. 37 (Collino und Chiappero); vgl. dazu auch Willemsen/Annuß, NJW 1999, 2073, 2075. 519 Statt vieler Streinz, Europarecht, Rn. 627; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 6 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 477 f.; Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 797 (mit umfassenden Nachweisen in Fn. 18); Röthel, Normkonkretisierung, 364; Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 206 f.; M. Schmidt, Konkretisierung, S. 89 f.; kritisch Luttermann, EuZW 1998, 264, 266 und ansatzweise Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 445 f. 520 Ausführlich Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 800 ff., zusammenfassend S. 861. 516
228 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Rechtsvereinheitlichung sei521. Um dieses Ziel näher zu bestimmen, wird unter anderem – in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH – danach differenziert, ob der Rechtsakt, in dem der konkretisierungsbedürftige Begriff enthalten ist, zu den Grundlagen der Union gehört. In diesen Fällen stünden Kerngewährleistungen der Union in Rede, deren einheitliche Anwendung für die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts unabdingbar sei522. Daneben werden auch formale Indizien vorgeschlagen, um den vom Gesetzgeber intendierten Grad der Rechtsangleichung besser ermitteln zu können. Zwar bestehe im Grundsatz bei sämtlichen Handlungsformen der Union ein gewisses Bedürfnis zur autonomen Auslegung der darin enthaltenen Begriffe523. Anhaltspunkte für den Grad dieses Bedürfnisses zur einheitlichen Anwendung von Unionsrecht könne man aber schon der Form des Rechtsaktes entnehmen, dessen sich der europäische Gesetzgeber bedient habe. Dieser Grad sei am stärksten ausgeprägt bei (unbedingtem) Primärrecht und Verordnungen (vgl. Art. 288 Abs. 1 AEUV) und nehme bei Richtlinien typischerweise eher ab, da diese nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich seien, den Mitgliedstaaten Umsetzungsermessen einräumten (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV) und daher nicht eine Rechtsvereinheitlichung, sondern eine bloße Rechtsangleichung zum Ziel hätten524. Ein weiteres formales Indiz für den Grad des Bedürfnisses zu einer unionsautonomen Auslegung innerhalb des Sekundärrechts sei schließlich auch die Rechtsgrundlage, auf die der jeweilige Rechtsakt gestützt werde, der den konkretisierungsbedürftigen Begriff enthält525. Gerade aus der Rechtsgrundlage ließen sich Rückschlüsse auf die zulässige Harmonisierungsintensität auch von abgeleiteten Rechtsakten ziehen. Dabei sei die von der Rechtsgrundlage gestattete Angleichungsintensität umso höher einzuschätzen, je eher die Rechtsgrundlage selbst auf eine Beseitigung von 521 Käppler, in Rengeling (Hrsg.), Europäisierung, S. 129, 141 ff.; Preis, ZIP 1995, 891, 908; Remien, RabelsZ 66 (2002), 503, 522 ff.; W-H. Roth, in: FS Drobnig, S. 135, 148; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 503; Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 816 ff., 863; Röthel, Normkonkretisierung, 364 f.; Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 226 ff.; M. Schmidt, Konkretisierung, S. 64; Wolff, Konkretisierungskompetenz, 32 f. und 67 ff; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 412 ff. 522 Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 808; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 426 ff. (kritisch zur Unschärfe dieses Begriffes aber auf S. 446); i. E. auch Franzen, Privatrechtsangleichung, S, 477 f. 523 Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 811 f. 524 Ausführlich Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 813 ff. und 819 ff. und Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 182 ff., 209 ff; ebenso Preis, ZIP 1995, 891, 908 f.; W-H. Roth, in: FS Drobnig, S. 135, 151; kritisch Röthel, Normkonkretisierung, 355 f.; grundsätzlich Streinz, Europarecht, Rn. 478. 525 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 496 ff., 503; Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 835 ff.; Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 244 ff.; M. Schmidt, Konkretisierung, S. 97 ff.; Wolff, Konkretisierungskompetenz, 136 ff., 199; angedeutet bei W.-H. Roth, in: FS Drobnig, S. 135, 148.
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Hemmnissen des Binnenmarktes oder die Verwirklichung der Grundfreiheiten ziele526. c) Stellungnahme Der Grundsatz der autonomen Auslegung des Unionsrechts wird in seinem Kern zu Recht kaum bestritten. Mit einer supranationalen und – mit Blick auf die übertragenen Kompetenzen – eigenständigen Unionsrechtsordnung, deren ursprüngliches und wesentliches Ziel die Schaffung eines Binnenmarktes (vgl. den neunten und zehnten Erwägungsgrund der Präambel des EUV sowie Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV) und die dafür erforderliche Rechtsvereinheitlichung in den Mitgliedstaaten war bzw. ist, und die sich heute – noch weitergehend – die fortschreitende Integration in vielen Bereichen als wesentliches Ziel auf die Fahnen geschrieben hat (vgl. den ersten Erwägungsgrund der Präambel des EUV sowie Art. 1 Abs. 2 EUV), ist eine regelmäßige mitgliedstaatliche Bestimmung zentraler Begrifflichkeiten des Unionsrechts nicht vereinbar. Hinzu kommt die vom Gerichtshof zutreffend erkannte Missbrauchsgefahr, gestünde man den Mitgliedstaaten in grundlegenden Fragen eine eigenständige Auslegung zu. Effektivität und praktische Wirksamkeit des Unionsrechts könnten eingeschränkt werden, eine Gefährdung der postulierten und soeben zitieren Vertragsziele wäre die Folge. Auf der anderen Seite darf eine Rechtsangleichung und -vereinheitlichung nur im Rahmen der Verträge und auch hier nicht um jeden Preis erfolgen. Die Europäische Union basiert aber wesentlich auch auf dem an prominenter Stelle normierten und durch den Vertrag von Lissabon nochmals gestärkten527 Prinzip der Subsidiarität, Art. 5 Abs. 3 EUV, das in seinem Anwendungsbereich eine grundlegende Voraussetzung für jede Kompetenzausübung durch die Union ist528. Danach darf die Union in solchen Bereichen, die nicht ausschließlich in ihre Zuständigkeit fallen, nur unter besonderen Voraussetzungen tätig werden. Zu den Fällen der geteilten Zuständigkeit gehören nach Art. 4 Abs. 2 lit. a) und b) AUEV der Binnenmarkt und die Sozialpolitik. Vom Subsidiaritätsprinzip erfasst werden damit jedenfalls auch die arbeitsrechtlichen Regelungsbereiche529. Ein Tätigwerden der Union ist in diesen Fällen gem. Art. 5 Abs. 3 EUV nur 526 Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 835 f.; vgl. auch Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 496 ff. 527 Zu den substantiellen Neuerungen des Protokolls (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vom 13. Dezember 2007 vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 172 und dort Fn. 104. 528 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 4; Heinze, RdA 1994, 1, 4 ff.; Preis, ZIP 1995, 891, 893 f. 529 Heinze, RdA 1994, 1, 5; Wank, EuZA 2008, 172, 172; Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 856.
230 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
dann zulässig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahme von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Zwar stehen bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips Maßnahmen des europäischen Gesetzgebers im Vordergrund530. Allerdings bindet es nach richtiger Ansicht, die sich auf Wortlaut, systematische Stellung und Telos der Vorschrift stützen kann, auch den EuGH531. Jedenfalls ist es als eine grundlegende Maxime auch für dessen Tätigkeit mitbestimmend532. In Anbetracht dieser beiden widerstreitenden, zentralen europarechtlichen Prinzipien – das Erfordernis eines einheitlichen Unionsrechts und die Bewahrung nationalstaatlicher Eigentümlichkeiten und Kompetenzen – erscheint die folgende Behandlung grundsätzlich zielführend, auch wenn freilich jeweils eine Einzelfallbetrachtung entscheidend sein muss: Im Bereich des Primärrechts und bei Verordnungen533 besteht eine starke Vermutung zur autonomen Auslegung der enthaltenen Begriffe durch den EuGH. Das gilt jedenfalls dann, wenn hierdurch Grundlagen der Union – im Arbeitsrecht etwa die Arbeitnehmerfreizügigkeit534 (Art. 45 AEUV) oder die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Entgeltfragen535 (Art. 157 AEUV) – näher ausgestaltet werden536. Zudem gilt regelmäßig: Verweist ein Rechtsakt egal welchen Ranges und welcher Form zur Begriffskonkretisierung ausdrücklich und explizit auf mitgliedstaatliches Recht, so ist keine unionsautonome Definition gewollt und der EuGH hat einen solchen 530 Calliess/Ruffert/Calliess,
Art. 5 EUV Rn. 29; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 66. 531 I.E. auch Käppler, in Rengeling (Hrsg.), Europäisierung, S. 129, 142 f.; Preis, ZIP 1995, 891, 894; Remien, RabelsZ 66 (2002), 503, 522; W-H. Roth, in: FS Drobnig, S. 135, 143 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 65 und 500; ausführlich Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 853 ff. (auch zu den Argumenten der Gegenansicht und mit umfassenden Nachweisen zum Meinungsstand in Fn. 221 – 223) und Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 211 ff. Vgl. zur Reichweite des Subsidiaritätsprinzips auch Artikel 1 des Protokolls (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit: „Jedes Organ trägt stets für die Einhaltung der in Artikel 5 des Vertrages über die Europäische Union niedergelegten Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Sorge“. 532 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 29. 533 Vgl. aber EuGH v. 18. 01. 1984 – Rs. 327/82, Slg. 1984, 107 Rn. 13 (Ekro), wo der EuGH eine autonome Auslegung sämtlicher Begriffe einer Verordnung nicht vorgenommen hat. 534 EuGH v. 19. 03. 1964 – Rs. C-75/63, Slg. 1964, 379 (Unger); EuGH v. 03. 07. 1986 – Rs. C-66/85, Slg. 1986, 2121, Rn. 16 (Lawrie-Blum). 535 EuGH v. 08. 04. 1976 – Rs. C-43/75, Slg. 1976, 455 Rn. 12 (Defrenne II); EuGH v. 28. 09. 1994 – Rs. C-7/93, Slg. 1994, I-4471 Rn. 28 (Beune). 536 Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 808 ff.; Schillig, Konkretisierungskompetenz, 182 ff., 323; vgl. auch Remien, RabelsZ 66 (2002), 503, 511 ff.; W.-H. Roth, in: FS Drobnig, S. 135, 147.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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Willen des Unionsgesetzgebers, einen bestimmten Begriff nicht einheitlich auf Unionsebene zu regeln, grundsätzlich zu beachten537. Der EuGH ist hier darauf beschränkt, die Zielerreichung der Richtlinie zu überwachen und darf nur in Ausnahmefällen einschreiten, etwa dann, wenn eine nationalstaatliche Auslegung dem bezweckten Ziel des europäischen Rechtsakts jegliche praktische Wirksamkeit nähme538. In ungeregelten Fällen, vor allen Dingen solchen des Richtlinienrechts, kann dagegen nur noch von einer geschwächten Vermutung für den Vorrang einer autonomen Begriffsbildung durch den EuGH ausgegangen werden. Der europäische Gesetzgeber hat sich hier im Ausgangspunkt bewusst für die Rechtsform der Richtlinie – die auf bloße Rechtsangleichung gerichtet ist und den Mitgliedstaaten Spielräume überlässt – entschieden und sich zudem eine unionseinheitliche Auslegung gerade nicht ausdrücklich vorbehalten539. Daraus ergibt sich zwar noch keine Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses und damit keine Vermutung für eine nationalstaatliche Begriffsauslegung in Zweifelsfällen540. Es muss aber im jeweiligen Einzelfall besonders sorgsam geprüft und abgewogen werden, ob die Kompetenz zur Bestimmung einzelner Begriffe in diesen Fällen weiterhin beim EuGH liegt oder den Mitgliedstaaten zufällt541; die Prüfung muss sich dabei an den unter a) und b) angerissenen Grundsätzen orientieren. Dabei kommt insbesondere dem Angleichungsziel bzw. genauer der Angleichungsintensität der jeweiligen Richtlinie entscheidende Bedeutung zu. Ist es nicht vorrangiges Ziel der Richtlinie, eine einheitliche Regelung für sämtliche Mitgliedstaaten zu erreichen542 und sollen hierdurch auch nicht Grundlagen der Union näher ausgestaltet oder konkretisiert werden543, so kann das im Lichte des Subsidiaritätsprinzips zu einer mitgliedstaatlichen Konkretisierungskompetenz führen. Dabei ist wiederum zu beachten, dass in Bezug auf einzelne und für 537 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 11 Rn. 4; Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 791 f., 803; Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 227; vgl. hierzu auch unten § 8 B. V. 2. b). 538 Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 227; Wolff, Konkretisierungskompetenz, S. 68. Das könnte etwa dann gegeben, wenn der deutsche Begriff des Arbeitnehmers – auch im Anwendungsbereich des TzBfG – nur für Vollzeitbeschäftigte gelten würde, vgl. dazu bereits oben 2. Kap. § 6 C. IV. 1. b) und dort, Fn. 434 sowie nochmals ausführlich unten § 8 B. V. 2. b) cc). 539 Ähnlich W-H. Roth, in: FS Drobnig, S. 135, 146. 540 In diesem Sinne aber wohl EuGH v. 06. 02. 2003 – Rs. C-245/00, Slg. 2003, I1251 Rn. 34 (SENA ./. NOS); zu Recht kritisch hierzu Heinemann, JZ 2003, 678, 679 f.; Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 231. 541 Ebenso Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 858 f.; Röthel, Normkonkretisierung, 359 f. 542 Vgl. dazu insbesondere die Nachweise soeben Fn. 521. Ein Indiz kann insoweit der Regelungsumfang bzw. die Detailliertheit der jeweiligen Richtlinie sein, vgl. dazu auch Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 819 ff. 543 Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 808 f. und die Nachweise soeben Fn. 522.
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die Rechtsangleichung zentrale Begriffe, die zum Kernbereich eines Rechtsaktes gehören, ein besonderes Bedürfnis zur autonomen Auslegung bestehen kann544 – was auf den Begriff des Arbeitnehmers freilich regelmäßig zutreffen wird545, aber nicht zwingend muss546. 3. Kategorisierung der Arbeitnehmerbegriffe des europäischen Arbeitsrechts nach der Bestimmungskompetenz Die im europäischen Recht enthaltenen Arbeitnehmerbegriffe sollen nun anhand der Kompetenz zu ihrer inhaltlichen Bestimmung geordnet werden. Die Kategorisierung erfolgt nach den vorstehenden dargestellten Grundsätzen, wobei eine ausführliche Einzelfallprüfung aller Arbeitnehmerbegriffe an dieser Stelle freilich nicht erfolgen kann547. Aus diesem Grund wird zwischen im Wesentlichen unstreitigen Fällen (dazu a) und b)) und Zweifelsfällen (dazu c)) unterschieden548. a) Unionsautonome Begriffsbestimmung In Bezug auf die primärrechtlich festgeschriebenen Arbeitnehmerbegriffe wird nahezu ausschließlich eine Befugnis des EuGH zur unionsautonomen Begriffsbildung angenommen. Davon geht nicht nur der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung selbst aus; man ist sich darüber heute549 weitgehend auch im arbeitsrechtlichen Schrifttum einig. Nach den oben herausgearbeiteten Kriterien ist dieses zutreffende Ergebnis am eindeutigsten für den Arbeitnehmerbegriff i. S. d. der Bestimmung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV550, sowie der Kom544 W.-H. Roth, in: FS Drobnig, S. 135, 146; Willemsen/Annuß, NJW 1999, 2073, 2075; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 488; Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 817; differenzierend Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 227 ff. 545 Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 446; für Art. 1 Abs. 1 MERL auch Ch. Weber, EuZA 2008, 355, 363. 546 So etwa zur Betriebsübergangsrichtlinie EuGH v. 11. 07. 1985 – Rs. C-105/84, Slg. 1985, 2639 Rn. 22 ff. (Danmols Inventar) und EuGH v. 14. 09. 2000 – Rs. C-343/98, Slg. 2000, I-6659 Rn. 37 (Collino und Chiappero). 547 Eine ausführliche Untersuchung findet sich insoweit bei Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 124 ff. 548 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Überblick zu den verschiedenen Regelungstechniken der Richtlinien der Union zum Arbeitnehmerbegriff bei Wank, EuZA 2008, 172, 192 ff. sowie Junker, EuZA 2016, 185, 205 f. Ähnliche auch Maties, in: FS Wank, S. 323, 336 f. 549 Anders und für eine Bestimmung nach mitgliedstaatlichem Recht im Jahr 1958 noch Knolle, in: v. der Groeben/v. Boeckh (Hrsg.), EWG-Vertrag, Art. 48 EWG Fn. 3 b). 550 Grundlegend EuGH v. 19. 03. 1964 – Rs. C-75/63, Slg. 1964, 379 Ls. 1 (Unger), dort für alle Arbeitnehmerbegriffe der heutigen Art. 45 bis 48 AEUV; EuGH v. 23. 03. 1982 – Rs. C-53/81, Slg. 1982, 1035 Rn. 11 ff. (Levin); vgl. daneben die weiteren Rechtsprechungsnachweise soeben in Fn. 510; aus der Literatur etwa Fuchs/Marhold, Europäisches
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petenznormen der Art. 46 und 48 AEUV551, die der näheren Ausgestaltung dieser Grundfreiheit und damit einer der Grundlagen der Union dienen. Selbiges gilt auch für den Arbeitnehmerbegriff der Freizügigkeitsverordnung552, die auf Art. 46 AEUV gestützt worden ist. Um die einheitliche Geltung und die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts zu sichern und einem etwaigem nationalstaatlichen Missbrauch vorzubeugen, ist eine unionsautonome Auslegung der persönlichen Anwendungsvoraussetzung dieser – auch für die Verwirklichung des Binnenmarktes – zentralen Bestimmungen durch den Gerichtshof unabdingbar geboten. Gleiches wird von der Literatur – jedenfalls im Ergebnis – auch für den Arbeitnehmerbegriff des Art. 153 AEUV angenommen553. Der EuGH hatte sich hierzu bislang noch nicht zu äußern. Gegen eine unionsautonome Begriffsbestimmung in diesem Fall ließe sich zwar einwenden, dass der Union hier (nur) eine Rechtsangleichung im Bereich der Sozialpolitik und gerade nicht auf dem zentralen Gebiet des Binnenmarktes oder des Freizügigkeitsrechts ermöglicht wird. Der primärrechtliche Charakter der Vorschrift spricht aber ebenso für das Bedürfnis einer einheitlichen Begriffsbildung wie die Tatsache, dass es sich hierbei um eine Kompetenznorm handelt, die von den Organen der Union mit Blick auf das Harmonisierungsbedürfnis im Einzelfall noch ausgefüllt werden kann und muss. Wäre nun aber die Reichweite der Rechtsgrundlage mit Blick auf die verschiedenen nationalen Arbeitnehmerbegriffe begrenzt, so könnten insoweit unter keinen Umständen mehr solche Sekundärrechtsakte erlassen werden, die einen weitreichenden einheitlichen persönlichen Anwendungsbereich in allen Mitgliedstaaten vorschreiben554, und die Möglichkeit zur Harmonisierung wäre damit von vorne herein empfindlich eingeschränkt. Zudem könnte ein auf Art. 153 AEUV gestützter Rechtsakt, der seinen Anwendungsbereich entgegen der Rechtsgrundlage Arbeitsrecht, S. 55 ff.; HSW/Wank, EuArbSozR, § 14 Rn. 5; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 3 Rn. 9; Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, S. 215 f. jeweils m. w. N. 551 EuGH v. 19. 03. 1964 – Rs. C-75/63, Slg. 1964, 379 Ls. 1 (Unger); EuGH v. 23. 03. 1982 – Rs. C-53/81, Slg. 1982, 1035 Rn. 11 ff. (Levin); EuGH v. 14. 12. 1995 – Rs. C-317/93, Slg. 1995, I-4625 Rn. 21 (Nolte); HSW/Wank, EuArbSozR, § 14 Rn. 5; Krimphove, Europäisches Arbeitsrecht, Rn. 170; a. A. in Bezug auf Art. 48 AEUV Klang, Soziale Sicherheit, S. 166; differenzierend Höller, Soziale Rechte, S. 60. Angemerkt sei zudem, dass jedenfalls Art. 46 AEUV ausdrücklich von „Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 45“ AEUV spricht. 552 Vgl. etwa die Urteile des EuGH in den Rechtssachen Unger und Levin (soeben Fn. 551), die zwar noch zur VO 1612/68/EWG ergingen, die aber nunmehr durch die VO 492/2011/EU ohne inhaltliche Änderungen abgelöst worden ist. Aus der Literatur hierzu etwa Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, S. 55 ff.; Pottschmidt, Arbeitnehmerähnliche Personen, S. 154 f. 553 Rebhahn/Reiner, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 153 AEUV Rn. 4; Pottschmidt, Arbeitnehmerähnliche Personen, S. 503 ff.; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 171 f.; allgemeiner Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, S. 219. 554 Pottschmidt, Arbeitnehmerähnliche Personen, S. 506.
234 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
unionsautonom definierte, zu der seltsamen Konsequenz führen, dass ein und derselbe Sekundärrechtsakt aus – dann auch für den EuGH verbindlicher – Sicht verschiedener Mitgliedstaaten teilweise als von einer Kompetenz der Union gedeckt, teilweise aber auch als ausbrechender, kompetenzloser Rechtsakt (Art. 5 Abs. 2 EUV) anzusehen wäre. Dementsprechend könnte ein eng gefasster nationalstaatlicher Arbeitnehmerbegriff Kompetenzen und Handlungsspielräume der Union – jedenfalls aus Sicht und mit Wirkung für diesen Mitgliedstaat – empfindlich beschneiden. Schon aus diesem Grund ist der Arbeitnehmerbegriff des Art. 153 AEUV einheitlich zu bestimmen. Seine eigentliche Bedeutung erhält das soeben nur angerissene Regelungsziel des Art. 153 AEUV richtigerweise damit erst im Bereich des Sekundärrechts und dort genauer bei der Frage, ob diejenigen Arbeitnehmerbegriffe unionsautonom zu bestimmen sind, die in einem Rechtsakt enthalten sind, der sich seinerseits auf Art. 153 AEUV als Rechtsgrundlage stützt. Durch diese Betrachtungsweise werden letztlich differenzierte Ergebnisse ermöglicht. Zu Recht unbestritten ist schließlich die Kompetenz des EuGH zur Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes in Art. 157 AEUV555, in dem der Grundsatz des gleichen Entgelts für männliche und weibliche Arbeitnehmer primärrechtlich niedergelegt ist. Schon aus der unmittelbaren Anwendbarkeit der Norm556 ergibt sich ein gesteigertes Interesse an einer unionseinheitlichen Auslegung des Arbeitnehmerbegriffes, nicht zuletzt um einer Umgehung des intendierten Schutzzweckes durch eine eingeschränkte mitgliedstaatliche Definition vorzubeugen. Daneben ist zentrales Regelungsanliegen der Vorschrift die Geschlechtergleichbehandlung (in Entgeltfragen). Diese ist wiederum nicht nur ein Grundrecht der Union (vgl. Art. 21 Abs. 1 GRCh und insbesondere mit Bezug auf Beschäftigungsfragen Art. 23 Abs. 1 GRCh557), sondern wurde vom EuGH auch wiederholt zu den Grundlagen der Union gezählt558. 555 EuGH v. 13. 01. 2004 – Rs. C-256/01, Slg. 2004, I-873 Rn. 66 (Allonby); Calliess/ Ruffert/Krebber, Art. 157 AEUV Rn. 14; Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, S. 177; Rebhahn, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 157 AEUV Rn. 9; Pottschmidt, Arbeitnehmerähnliche Personen, S. 355; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 198. 556 EuGH v. 08. 04. 1976 – Rs. C-43/75, Slg. 1976, 455 Rn. 4 ff. (Defrenne II); Fuchs/ Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, S. 176 f.; Rebhahn, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 157 AEUV Rn. 9. 557 Durch Art. 6 Abs. 1 EUV wird die Charta der Grundrechte der Europäischen Union als den Verträgen rechtlich gleichrangig anerkannt. Daneben behalten aber auch die vom EuGH entwickelten Grundrechte als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts ihre Geltung (Art. 6 Abs. 3 EUV), vgl. dazu Streinz, Europarecht, Rn. 749 ff. Zum Grundrechtscharakter der Gleichbehandlung vgl. EuGH v. 13. 01. 2004 – Rs. C-256/01, Slg. 2004, I-873 Rn. 65 (Allonby); EuGH v. 27. 04. 2006 – Rs. C-423/04, Slg. 2006, I-3585 Rn. 23 (Richards). 558 Vgl. grundlegend EuGH v. 08. 04. 1976 – Rs. C-43/75, Slg. 1976, 455 Rn. 12 (Defrenne II), bestätigt etwa von EuGH v. 28. 09. 1994 – Rs. C-28/93, Slg. 1994, I-4527 Rn. 21 (van den Akker); EuGH v. 06. 12. 2007 – Rs. C-300/06, Slg. 2007, I-10573 Rn. 24 (Voß).
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b) Mitgliedstaatliche Begriffsbestimmung Nach den obigen Grundsätzen liegt die Kompetenz zur eigenständigen Auslegung des Arbeitnehmerbegriffes jedenfalls – in aller Regel – dann bei den Mitgliedstaaten, wenn der europäische Gesetzgeber dies ausdrücklich angeordnet hat559. Insoweit ist gerade im Bereich des Sekundärrechts ein Blick in die Bestimmungen des jeweiligen Rechtsakts oftmals aufschlussreich und ausreichend. Ausdrückliche Verweisungen auf die jeweiligen mitgliedstaatlichen Arbeitnehmerbegriffe finden sich in einigen arbeitsrechtlichen Richtlinien, die im Folgenden, sofern möglich, nach Sachzusammenhang geordnet werden. • Ein Verweis auf das mitgliedstaatliche Recht enthält zunächst § 2 Nr. 1 der Teilzeitrahmenvereinbarung (TzRV) der Europäischen Sozialpartner, deren Durchführung die Teilzeitrichtlinie (TzRL)560 dient. Dabei wird zur Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs zwar nicht ausdrücklich der Begriff des Arbeitnehmers verwendet; die Vereinbarung soll aber für alle „Teilzeitbeschäftigten [gelten], die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen“. Jedenfalls nach deutschem Recht richtet sich die Einordnung einer Rechtsbeziehung als „Arbeitsverhältnis“ aber entscheidend danach, dass an ihr ein Arbeitnehmer und ein Arbeitgeber beteiligt sind, vgl. auch § 611a Abs. 1 BGB561. Daher ist in der Vorgabe des TzRV jedenfalls ein mittelbarer Verweis auf den nationalstaatlichen Arbeitnehmerbegriff zu sehen. • Gleiches gilt im Ergebnis für die Befristungsrichtlinie (BefrRL)562, die die Befristungsrahmenvereinbarung (BefrRV) der Europäischen Sozialpartner umsetzt. Auch hier wird in § 2 Abs. 1 BefrRV mit einer ähnlichen Formulierung zur Begriffsbestimmung auf das nationale Recht verwiesen. Insoweit besteht lediglich der Unterschied, dass ausdrücklich auch an den Begriff des Arbeitnehmers angeknüpft wird. 559 Vgl. nur Giesen, ZfA 2016, 47, 67 und Reinfelder, RdA 2016, 87, 89. Allerdings hat der EuGH jüngst mit Urteil v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, NZA 2017, 41 Rn. 33 i. V. m. 27, deutlich auch Rn. 36 und 43 (Betriebsrat der Ruhrlandklinik) den Arbeitnehmerbegriff der Leiharbeitsrichtlinie trotz scheinbar ausdrücklichen Verweises auf nationales Recht im Ergebnis unionsautonom ausgelegt. Zu dieser kritikwürdigen Entscheidung sogleich unter c) sowie ausführlich unten § 8 B. V. 2. b) bb). 560 Richtlinie 97/81/EG des Rates zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (die Rahmenvereinbarung der Sozialpartner sind jeweils im Anhang der Richtlinie enthalten). 561 Preis, Individualarbeitsrecht, § 6 I. (S. 42); vgl. dazu auch Rebhahn, EuZA 2012, 3, 22 f. und ausführlich unten § 7 B. I. 1. a). 562 Richtlinie 1999/70/EG des Rates zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge.
236 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
• Seit dem Jahr 1998 enthält auch die heute geltende Fassung des Art. 2 Abs. 1 lit. d) Betriebsübergangsrichtlinie (BÜRL)563 ausdrücklich den Hinweis auf eine mitgliedstaatliche Begriffsbestimmung. Schon zuvor hatte der EuGH freilich mit Blick auf das eingeschränkte Harmonisierungsziel der Richtlinie den Arbeitnehmerbegriff nicht unionsautonom auslegen wollen564. Im Rahmen einer nationalen Umsetzung dürfen aber Arbeitnehmer in atypischen Arbeitsverhältnissen ausweislich des Art. 2 Abs. 2 UAbs. 2 BÜRL vom Anwendungsbereich nicht ausgeschlossen werden. Hierzu gehören Teilzeitarbeitnehmer, Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsvertrag und Leiharbeitnehmer. • Ähnlich strukturiert ist die Insolvenzschutzrichtlinie (InsSchRL)565. Art. 2 Abs. 2 UAbs. 1 InsSchRL verweist für den Arbeitnehmerbegriff grundsätzlich auf mitgliedstaatliches Recht, macht aber in Art. 2 Abs. 2 UAbs. 2 InsSchRL ebenfalls zwingende Vorgaben für die im Rahmen der BÜRL genannten atypischen Arbeitsverhältnisse566. • Auch § 1 Abs. 2 Elternurlaubsvereinbarung der Europäischen Sozialpartner, die durch die Elternurlaubsrichtlinie (EltUrlRL)567 umgesetzt wird, • sowie Art. 2 Abs. 1 Jugendarbeitsschutzrichtlinie (JArbSchRL)568 verweisen zur Bestimmung ihres persönlichen Anwendungsbereichs auf das Recht der Mitgliedstaaten (im Falle der JArbSchRL mit Bezug auf das „Arbeitsverhältnis“).
563 Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. 03. 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen. Lesenswert zur Entstehungsgeschichte Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 24 Rn. 6 ff. 564 EuGH v. 11. 07. 1985 – Rs. C-105/84, Slg. 1985, 2639 Rn. 22 ff. (Danmols Inventar); EuGH v. 14. 09. 2000 – Rs. C-343/98, Slg. 2000, I-6659 Rn. 37 (Collino und Chiappero). 565 Ursprünglich Richtlinie 80/987/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, zum Teil inhaltlich geändert und umbenannt durch die Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 80/987/EWG (nunmehr: „Richtlinie des Rates über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit“). 566 Darüber hinaus hat EuGH v. 15. 05. 2003 – Rs. C-160 – 01, Slg. 2003, I-4791 Rn. 39 ff. (Mau) den Begriff des Arbeitsverhältnisses i. S. v. Art. 3 und 4 InsSchRL in Teilen unionsautonom definiert. Zur Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit dem ausdrücklichen Verweis auf den mitgliedstaatlichen Arbeitnehmerbegriff in Art. 2 Abs. 2 Uabs. 1 InsSchRL vgl. bejahend Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 25 Rn. 7 Fn. 11 und ablehnend Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 209 f. 567 Richtlinie 96/34/EG des Rates zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Vereinbarung über Elternurlaub. 568 Richtlinie 94/33/EG des Rates über den Jugendarbeitsschutz.
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• Gleiches wird man für Art. 1 Abs. 1 Nachweisrichtlinie (NwRL)569 anzunehmen haben, der zu Art. 2 Abs. 1 JArbSchRL größtenteils wortlautidentisch ist570. • Schließlich ist nach Art. 2 lit. d) Unterrichtungsrahmenrichtlinie (URRL)571 für den Begriff des Arbeitnehmers ebenso nationales Recht maßgeblich wie nach • Art. 2 Abs. 2 Arbeitnehmer-Entsenderichtlinie (AEntRL)572. c) Zweifelsfälle Neben diesen größtenteils eindeutigen Fällen gibt es auch eine Reihe von Zweifelsfällen. Deren Darstellung soll sogleich mit einem Sonderfall begonnen werden, nämlich dem Arbeitnehmerbegriff der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie (ArbSchRL)573. Dort wird in Art. 3 lit. a) ArbSchG der Versuch unternommen, den Begriff des Arbeitnehmers i. S. d. Richtlinie zu definieren. In solchen Fällen gilt im Ausgangspunkt, dass ein unionsautonomes Begriffsverständnis grundsätzlich schon deshalb gewollt ist, weil der europäische Gesetzgeber den Begriff selbst beschrieben hat574. Dieser Grundsatz kann allerdings dann nicht mehr uneingeschränkt gelten, wenn die Definition unvollständig ist oder zusätzlich solche Begriffe enthält, die selbst wiederum konkretisierungsbedürftig sind575. Das trifft im Falle des Arbeitnehmerbegriffes des Art. 3 lit. a) ArbSchRL zu. Die 569
Richtlinie 91/533/EWG des Rates über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen. 570 Anders (und in Bezug auf JArbSchRL und NwRL zu verschiedenen Ergebnissen kommend) Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 12 Rn. 7 und § 22 Rn. 5; wie hier Wank, RdA 1996, 21, 22. 571 Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft. 572 Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen. Für eine unionsautonome Definition des Arbeitnehmers allerdings Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 501 f. 573 Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. 06. 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit. 574 EuGH v. 14. 05. 1985 – Rs. 139/84, Slg. 1985, 1405 Rn. 16 (van Dijk’s Boekhuis); zustimmend Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 4; Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 230 f.; Wolff, Konkretisierungskompetenz, S. 97. 575 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 490 ff.; Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 807; Röthel, Normkonkretisierung, S. 368; Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 231; M. Schmidt, Konkretisierung, S. 94 f.; Wolff, Konkretisierungskompetenz, S. 98 ff.
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dortige Definition des Arbeitnehmers stellt zum Teil auf eine Beschäftigung bei einem Arbeitgeber ab. Der Begriff des Arbeitgebers selbst (Art. 3 lit. b) ArbSchRL) wird wiederum auch mit Blick auf die Beschäftigung von Arbeitnehmern beschrieben. Auch soweit die weiteren Bestandteile der Definition nicht zirkelschlüssig sind, helfen sie inhaltlich kaum weiter. Aus diesem Grund kann von dem (missglückten) Definitionsversuch des europäischen Gesetzgebers nicht ohne weiteres auf die Befugnis zur unionsautonomen Begriffsbildung geschlossen werden576, auch wenn sie im Ergebnis von der h. M. bejaht wird577. Von diesem Sonderfall abgesehen, gibt es eine ganze Reihe von europäischen Rechtsakten – soweit ersichtlich ausschließlich Richtlinien –, die eine Kompetenz zur Bestimmung des in ihnen enthaltenen Begriffes des Arbeitnehmers nicht ausdrücklich regeln. Hierzu gehören die Mutterschutzrichtlinie (MuSchRL)578, die Zeitarbeits-Gesundheitsschutz-Richtlinie579, die Arbeitszeitrichtlinie (ArbZRL)580, die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (GbRRL)581 sowie die weiteren 576
So dann auch Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 13 Rn. 9. diesem Sinne wohl mittelbar EuGH v. 07. 04. 2011 – Rs. C-519/09, Slg. 2011, I-2761 Rn. 18 ff. (May); Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 13 Rn. 9; Pottschmidt, Arbeitnehmerähnliche Personen, S. 212; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 277; a. A. Sehmsdorf, Europäischer Arbeitsschutz, S. 166. 578 Richtlinie 92/85/EWG des Rates über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz. 579 Richtlinie 91/383/EWG des Rates zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis. In der hier untersuchten Sache existiert noch keine EuGH-Rechtsprechung. Für eine unionsautonome Definition des Arbeitnehmerbegriffes Pottschmidt, Arbeitnehmerähnliche Personen, S. 258; dagegen Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 19 Rn. 5. 580 Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Für eine unionsautonome Definition des Arbeitnehmerbegriffes EuGH v. 26. 3. 2015 – Rs. C-316/13, NZA 2015, 1444 Rn. 25 (Fenoll) und grundlegend bereits EuGH v. 14. 10. 2010 – Rs. C-428/09, Slg. 2010, I-9961 Rn. 28 (Union syndicale Solidaires Isère); aus der Literatur Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 14 Rn. 12; Commandeur/Kleinebrink, NZA-RR 2017, 449, 461; Henssler/Lunk, NZA 2016, 1425, 1429; Junker, EuZA 2016, 185, 205; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 47; Seifert, EuZA 2015, 500, 503 f.; jetzt auch Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 7 Rn. 12 (anders noch 1. Auflage, § 7 Rn 19). 581 Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Insoweit geht die h. M. von einer Befugnis des EuGH zur unionsautonomen Begriffsbildung aus, so etwa Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 11 Rn. 5; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 48; Schubert, ZESAR 2013, 5, 12; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 357. In diesem Sinne ist wohl auch EuGH v. 01. 10. 2015 – Rs C-432/14, NZA 2015, 1309, 1310 Rn. 22 ff. (Bio Philippe Auguste) zu verstehen, vgl. hierzu etwa die Anmerkungen von Schrattbauer, ZESAR 2016, 226, 227 f. und Benecke, EuZW 2015, 780, 780. 577 In
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Richtlinien zum Verbot von Diskriminierung im Arbeitsleben582, die Massenentlassungsrichtlinie (MERL)583, die Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat (EBRRL)584 und die Richtlinien zur Arbeitnehmerbeteiligung im Unternehmen585. In all diesen Fällen wäre nach der hier vertretenen Ansicht anhand der oben dargestellten Kriterien eine sorgfältige Einzelfallprüfung durchzuführen um eine Kompetenz zur Begriffsbestimmung festzustellen. Da eine solche Prüfung hier wegen ihres Umfangs aber nicht erfolgen kann, sei insoweit auf die Nachweise in den Fn. 578 – 585 sowie auf die umfassenden Untersuchungen Zieglers586 verwiesen. Dabei wird sich der EuGH in Zweifelsfällen auch ohne ausführliche Einzelfallprüfung587 freilich eher im Sinne eines einheitlichen Unionsrechts und damit für das Bedürfnis der unionsautonomen Begriffsbestimmung aussprechen588. Prominente Beispiele waren in jüngerer Vergangenheit etwa die Entscheidungen in Sachen Balkaya589 und Danosa590, in denen der Gerichtshof das Bedürfnis zur 582 Dazu Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 192 f. und ausführlich Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 330 ff. 583 Richtlinie 98/59/EG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen. Für eine unionsautonome Bildung des Arbeitnehmerbegriffes in diesen Fällen EuGH v. 9. 7. 2015 – C-229/14, NZA 2015, 861, 862 Rn. 33 (Balkaya); bestätigt durch EuGH v. 11. 11. 2015 – Rs. C-422/14, NZA 2015, 1441 Rn. 28 (Pujante Rivera); Junker, EuZA 2016, 185, 198 f.; Opolony, NZA 1999, 791, 793; Preis/ Sagan, ZGR 2013, 26, 48; C. Schmidt/Wilkening, NZA-RR 2017, 169, 170 f.; Ch. Weber, ArbuR 2008, 365, 367; ders., EuZA 2008, 355, 363; ders., NZA 2016, 727, 731; ders./Zimmer, EuZA 2016, 224, 228 ff.; dagegen Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 23 Rn. 9; Wank, EuZA 2008, 172, 184; Pottschmidt, Arbeitnehmerähnliche Personen, S. 381; kritisch auch Hohenstatt/Naber, NZA 2014, 637, 369 f.; dies., EuZA 2016, 22, 24 f.; Lunk, NZA 2015, 917, 918 und ders./Hildebrand, NZA 2016 129, 130. 584 Richtlinie 2009/38/EG des Rates über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen oder Unternehmensgruppen. Für eine Kompetenz zur mitgliedstaatlichen Begriffsbestimmung hier etwa Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, S. 378; Rademacher, Europäischer Betriebsrat, S. 93 ff.; a. A. wohl nur Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 501 f. 585 Hierzu ausführlich Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 375 ff. 586 Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 207 ff. 587 Bezeichnend insoweit zur MuSchRL etwa EuGH v. 20. 09. 2007 – Rs. C-116/06, Slg. 2007, I-7643 Rn. 25 (Kiiski); sehr deutlich auch zur ArbZRL EuGH v. 14. 10. 2010 – Rs. C-428/09, Slg. 2010, I-9961 Rn. 27 f. (Union syndicale Solidaires Isère) sowie zur ArbSchRL EuGH v. 07. 04. 2011 – Rs. C-519/09, Slg. 2011, I-2761 Rn. 21 f. (May). 588 So auch Ch. Weber/Zimmer, EuZA 2016, 224, 233 f.; diese Tendenz begrüßend Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 45; kritisch Folz, EuZA 2008, 308, 312 f. 589 EuGH v. 9. 7. 2015 – Rs. C-229/14, NZA 2015, 861, 862 Rn. 33 ff. (Balkaya); vgl. hierzu zusammenfassend Ch. Weber, NZA 2016, 727, 731 f.; ausführlich ders./Zimmer, EuZA 2016, 224, 224 ff.; Hohenstatt/Naber, EuZA 2016, 22, 22 ff. und Morgenbrodt, ZESAR 2017, 17, 17 ff. 590 EuGH v. 11. 11. 2010 – Rs. C-232/09, Slg. 2010, I-11405 (Danosa).
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unionseinheitlichen Bestimmung der Arbeitnehmerbegriffe i. S. v. Art. 1 Abs. 1 lit. a) MERL bzw. Art. 2 lit. a) MuSchRL (erneut591) formelhaft bejahte. Inhaltlich legte er die Begriffe jeweils dahingehend aus, dass sie auch ein Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft (alleinige Fremdgeschäftsführer592 einer GmbH) umfassen könnten, wenn dieses die a. a. O. näher dargestellten materiellen Voraussetzungen der unionsautonomen Arbeitnehmerbegriffe erfüllten593. Alleine die Beteiligung an der Unternehmensführung als solche schließe die Arbeitnehmereigenschaft jedenfalls nicht aus594. Prüfte man eine Kompetenzabgrenzung nach den oben dargestellten Grundsätzen, so sprächen jedenfalls im Bereich der Mutterschutzrichtlinie einige Argumente auch für eine mitgliedstaatliche Kompetenz zur Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes. So kann bereits von der Rechtsgrundlage der Mutterschutzlinie (Art. 118a EGV a. F., heute Art. 153 AEUV) auf ein eher geringes Bedürfnis zur autonomen Begriffsauslegung geschlossen werden. Schon ausweislich seines Wortlauts zielt Art. 153 Abs. 1 AEUV nur auf eine „unterstützende und ergänzende“ Tätigkeit der Union. Noch weitergehend sprach die eigentliche Rechtsgrundlage des Art. 118a EGV, auf die die Richtlinie tatsächlich gestützt worden war, von Zielen der Mitgliedstaaten (Abs. 1), deren Verwirklichung lediglich durch einen Beitrag der Gemeinschaften (Abs. 2) gefördert werden sollte. Auch sind weder die Herstellung des Binnenmarktes noch die Durchsetzung von Grundfreiheiten zentrale Ziele dieser Kompetenznorm; vielmehr soll der Gemeinsame Markt durch einen sozialen Arbeitnehmerschutz lediglich flankiert werden595. Außerdem könnte insoweit argumentiert werden, die Grundlagen der Union seien durch eine mitgliedstaatliche Auslegung des Arbeitnehmerbegriffes i. S. d. MuSchRL kaum betroffen. Ande591 So bezüglich der MuSchRL zuerst EuGH v. 20. 09. 2007 – Rs. C-116/06, Slg. 2007, I-7643 Rn. 25 (Kiiski); ebenso etwa Lunk, in: FS Bauer, S. 705, 711; Oberthür, NZA 2011, 253, 253; Schubert, ZESAR 2013, 5, 6; anders dagegen noch die dazugehörigen Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 15. 03. 2007 – Rs. C-116/06, Slg. 2007, I-7643 Rn. 2 (Kiiski), die ohne weiteres von einem stillschweigenden Verweis auf das nationale Recht ausgegangen war. Im Sinne der Generalanwältin auch Rebhahn, EuZA 2012, 3, 24 f. 592 Vgl. zum (Minderheits-)Gesellschaftergeschäftsführer EuGH v. 10. 09. 2015 – Rs. C-47/14, EuZW 2015, 922, 922 ff. (Holterman); vgl. hierzu zusammenfassend Junker, EuZA 2016, 185, 200. Ausführlich zur Entwicklung von Danosa über Balkaya bis zu Holterman und den Konsequenzen für das deutsch Recht Giesen, ZfA 2016, 47, 47 ff. und Commandeur/Kleinebrink, NZA-RR 2017, 449, 450 ff. 593 EuGH v. 11. 11. 2010 – Rs. C-232/09, Slg. 2010, I-11405 Rn. 38 ff. (Danosa); EuGH v. 9. 7. 2015 – Rs. C-229/14, NZA 2015, 861, 862 Rn. 34 ff. (Balkaya); Schubert, EuZA 2011, 362, 365; vgl. in diesem Zusammenhang auch EuGH v. 08. 06. 1999 – Rs. C-337/97, Slg. 1999, I-3289 Rn. 13 ff. (Meeusen). 594 EuGH v. 11. 11. 2010 – Rs. C-232/09, Slg. 2010, I-11405 Rn. 48 (Danosa); EuGH v. 9. 7. 2015 – Rs. C-229/14, NZA 2015, 861, 862 f. Rn. 38 ff. (Balkaya). 595 So zutreffend Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 843 f.; ähnlich Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 244.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
241
rerseits dient die Richtlinie auch dem Schutz von Frauen vor Diskriminierung596. Das Gebot zur Geschlechtergleichbehandlung ist aber wie ausgeführt sowohl ein Grundrecht der Union und wird zu Recht daneben auch zu den Grundlagen der Union gezählt597. Zudem steht mit dem Begriff des Arbeitnehmers gerade der Schlüssel zur Anwendbarkeit des unionsrechtlich intendierten Schutzes und damit ein Teil des Kernbereichs der Richtlinie in Rede. Auch einer systematischen Auslegung der Richtlinie lassen sich Hinweise auf eine Kompetenz zur unionsautonomen Begriffsbildung entnehmen598. Im Ergebnis sah sich der Gerichtshof damit wohl zu Recht nicht daran gehindert, den Begriff des Arbeitnehmers i. S. v. Art. 2 lit. a) MuSchRL unionsautonom auszulegen599. Zuletzt hat der EuGH nach einer Vorlagefrage des BAG600 in der Sache Betriebsrat der Ruhrlandklinik – überraschend und im Ergebnis zweifelhaft – auch entschieden, dass der Arbeitnehmerbegriff des Art. 1 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie (LARL)601 autonom auszulegen ist602. Dabei stellt er sich gegen den klaren Wortlaut Vorschrift, die in Art. 3 Abs. 1 lit. a) und Abs. 2 UAbs. 1 LARL zur Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes auf mitgliedstaatliches Recht verweist603. 596
Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 20 Rn. 4. Vgl. dazu bereits 2. Kap. § 6 C. V. 3. a) und dort die Nachweise in, Fn. 557 und 558. 598 Ausführlich hierzu Schubert, EuZA 2011, 362, 364. 599 Zustimmend Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 20 Rn. 11; Junker, EuZA 2016, 185, 198 f.; Oberthür, NZA 2011, 253, 253; Wank, EWiR 2011, 27, 27; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 291; kritisch Rebhahn, EuZA 2012, 3, 24 f. Dabei kann diese autonome Auslegung des Gerichtshofes jedenfalls nur einen Mindeststandard setzen, da es selbst dem europäischen Normgeber auf Grund der Rechtsgrundlage der MuSchRL (Art. 118a Abs. 3 EGV a. F., heute Art. 153 Abs. 2 Uabs. 1 lit. b) und Abs. 4 Spiegelstrich 2 AEUV) nur erlaubt ist, Mindestvorschriften zu erlassen. Zu letzterem allgemein Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 20 Rn. 3; ausdrücklich zum Zusammenhang von Rechtsgrundlage und Reichweite eines unionsautonom gebildeten Begriffes durch den EuGH Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 844 und (mit Blick auf Art. 100 und 100a EGV a. F.) Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 497 f. 600 Vgl. zum Vorlagebeschluss BAGE 151, 131, 131 ff. und zur Entscheidung nach Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH BAG NZA 2017, 662, 662 ff., insbes. 664 ff. 601 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Leiharbeit. 602 EuGH v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, NZA 2017, 41, 41 ff. (Betriebsrat der Ruhrlandklinik). Vgl. ausführlicher zur Entscheidung und zu Konsequenzen für die vorliegende Untersuchung unten § 8 B. V. b). bb). 603 Eine mitgliedstaatliche Bestimmungskompetenz war denn in der Literatur auch – soweit ersichtlich – einhellige Meinung, vgl. nur Hantel, Europäisches Arbeitsrecht, S. 192 Nr. 4; Kocher, Europäisches Arbeitsrecht, § 5 Rn. 16; Rebhahn/Schörghofer, in: Franzen/ Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, Art. 3 RL 2008/104/ EG Rn. 1, 3; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 18 Rn. 7; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, § 8 Rn. 15; Maties, in: FS Wank, S. 323, 337 und ausführlich Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 252 ff. 597
242 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
d) Exkurs: Konsequenzen bei kompetenzwidriger Begriffsbestimmung durch den EuGH Im Ergebnis ist eine Entscheidung des EuGH, den Arbeitnehmerbegriff in einer unionsrechtlichen Bestimmung auch unionsautonom zu definieren, für die Organe der Bundesrepublik Deutschland freilich beachtlich und nach dem Honeywell-Beschluss des BVerfG604 faktisch auch kaum verfassungsgerichtlich angreifbar. Denn in jedem Fall, in dem die Union ihre vertraglich eingeräumten Kompetenzen überschritten haben sollte, kann eine sog. ultra vires-Kontrolle vor dem BVerfG auf Grund ihrer europarechtsfreundlichen Ausübung nur dann durchgreifen und Erfolg haben, wenn ein hinreichend qualifizierter Kompetenzverstoß nachgewiesen wird. Dazu bedarf es eines offensichtlich kompetenzwidrigen Handelns der Union, das zudem – kumulativ – zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung im Kompetenzgefüge zu Lasten der Mitgliedstaaten führt605. Diese hohen Hürden dürften rechtspraktisch kaum zu überspringen sein606. Zudem geht es in den hier untersuchten Zweifelsfällen der Konkretisierung der Arbeitnehmerbegriffe (wie im Rahmen der Danosa-Entscheidung) nicht um eine fehlerhafte Auslegung von primärrechtlichen Ermächtigungsnormen durch den EuGH607, die im Ergebnis zu einer faktischen Vertragserweiterung führt, weil sie dem europäischen Gesetzgeber die Möglichkeit zum Erlass von abgeleiteten Rechtsakten eröffnet608. Auch wird der EuGH, anders als etwa im Fall Mangold609 naheliegend, hier regelmäßig keine ungeschriebenen primärrechtlichen Grundsätze „(er-)finden“610 und unmittelbar rechtsfortbildend tätig werden. Vielmehr hat sich der europäische Gesetzgeber in den im vorliegenden Zusammenhang interessierenden Fällen beim Erlass eines Sekundärrechtsaktes innerhalb der Grenzen der Ermächtigungsnorm bewegt. Lediglich in der Folge führt der Gerichtshof dann eine unzulässige autonome Auslegung der in diesem Rechtsakt enthaltenen Begriffe durch. Andererseits kann kaum trennscharf zwischen der bloßen Auslegung einer Norm und einer Rechtsfortbildung unterschieden werden; die 604
BVerfGE 126, 286, 286 ff. BVerfGE 126, 286, 286 Ls. 1 a). 606 Gehlhaar, NZA 2010, 1053, 1053 f.; kritisch Folz, EuZA 2008, 308, 318: ultra vires-Rüge sei „zu einer weitgehend theoretischen Reservekompetenz verkümmert“. Die Zurückhaltung des BVerfG begrüßend dagegen Sauer, EuZW 2011, 94, 85. 607 Vgl. zu insoweit zweifelhaften Entscheidungen des EuGH Folz, EuZA 2011, 308, 312 Fn. 22. 608 Dazu Preis, ZIP 1995, 891, 893. 609 EuGH v. 22. 11. 2005 – Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 (Mangold). 610 So ausdrücklich Preis, NZA 2006, 401, 402 und 405; ausführlich Gerken/Rieble/ Roth/Stein/Streinz, Mangold als ausbrechender Rechtsakt, S. 17 ff. 605
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
243
Übergänge sind vielmehr fließend611. Das kann im Ergebnis dazu führen, dass auch die bloße unionsautonome „Auslegung“ faktisch kompetenzerweiternde Wirkung haben kann612. Allerdings gesteht das BVerfG dem EuGH auch eine Rechtsfortbildung „im Wege methodisch gebundener Rechtsprechung“ zu613. Aus diesem Grund wird dem Gerichtshof in den hier untersuchten und oftmals umstrittenen Fällen der Begriffskonkretisierung schon ein „offensichtlich kompetenzwidriges“ Handeln regelmäßig kaum nachzuweisen sein. Das gilt umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht im zitierten Beschluss dem EuGH einen „Anspruch auf Fehlertoleranz“ zugesteht und dabei auch „unionseigene Methoden der Rechtsfindung“ akzeptiert, da es nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sei, „bei Auslegungsfragen des Unionsrechts, die bei methodischer Gesetzesauslegung im üblichen rechtswissenschaftlichen Diskussionsrahmen zu verschiedenen Ergebnissen führen könnten, seine Auslegung an die Stelle derjenigen des Gerichtshofs zu setzen“614. Hinzu kommt, dass nach dem Honeywell-Beschluss selbst eine rechtsmethodisch nicht mehr vertretbare Rechtsfortbildung des EuGH nur dann einen verfassungsrechtlich fassbaren ultra vires-Fall darstellt, wenn sie auch „praktisch kompetenzbegründend wirkt“615. Das hat zur Folge, dass jedenfalls in einem solchen Fall, in dem der europäische Gesetzgeber einen vom EuGH unionsautonom ausgelegten sekundärrechtlichen Begriff des Arbeitnehmers mit Blick auf das Primärrecht (und insoweit insbesondere unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips des Art. 5 Abs. 2 EUV) auch selbst mit derselben Reichweite unionsautonom hätte definieren dürfen, die vom BVerfG geforderte „strukturelle Kompetenzverschiebung“ nicht angenommen werden kann616. Denn in diesen Fällen bleibt die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten an sich 611 Der EuGH selbst unterscheidet etwa nicht zwischen beiden Phänomenen, vgl. dazu Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 792 Fn. 2; Schubert, EuZA 2011, 362, 366; ausführlich dazu HSW/Wank, EuArbSozR, § 9 Rn. 199, 266 ff. 612 Zur extensiven Auslegung einzelner unionsrechtlicher Bestimmungen durch den EuGH, die – ebenso wie eine Rechtsfortbildung – die Kompetenzen der Union erweitern und spiegelbildlich den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten einschränken können, vgl. in anderem Zusammenhang Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 67 und Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 857, die zu Recht darauf hinweisen, dass der Gerichtshof in diesen Fällen „in materieller Hinsicht Gesetzgebung betreibt“. Vgl. dazu allgemein Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 187. 613 BVerfGE 126, 286, 305 (in der Folge wird von illegitimer Rechtsfortbildung abgegrenzt); ähnlich bereits BVerfGE 75, 223, 241 ff.; aus der Literatur etwa Sauer, EuZW 2011, 94, 95; Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 193. 614 BVerfGE 126, 286, 307. 615 BVerfGE 126, 286, 312; Folz, EuZA 2008, 308, 315. 616 Anderes könnte dann gelten, wenn der europäische Gesetzgeber insoweit selbst unter Verstoß gegen das unionsrechtliche Subsidiaritätsprinzip gehandelt hätte. Das BVerfG hat im Lissabon-Urteil nämlich ausdrücklich festgehalten, dass sich die Reichweite seiner
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unberührt. Dass sich der EuGH mit seiner Interpretation unter Umständen über den (stillschweigenden oder ausdrücklichen) Willen des Unionsgesetzgebers hinwegsetzt und damit im Ergebnis lediglich die horizontale Kompetenzordnung zwischen den Unionsorganen, aber nicht die vertikale Kompetenzordnung617 zwischen der Union und den Mitgliedstaaten verletzt, ist dann vor allen Dingen ein „unionsrechtsinternes“ Problem der Gewaltenteilung618 und damit nicht ohne weiteres – jedenfalls nicht nach den Voraussetzungen des Honeywell-Beschlusses – vor dem BVerfG justiziabel619. 4. Begriffsinhalt der unionsautonomen Arbeitnehmerbegriffe Nach dieser überblicksartigen Darstellung soll nun auf den Inhalt derjenigen Arbeitnehmerbegriffe eingegangen werden, die unionsautonom zu bestimmen sind. Auf Grund fehlender Legaldefinitionen in Primär- oder Sekundärrecht ist man zur Konturierung eines unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffes gezwungen, sich auf die Rechtsprechung des EuGH zu konzentrieren620. a) Kein einheitlicher unionsautonomer Arbeitnehmerbegriff Betrachtet man die verschiedenen Bereiche, in denen der EuGH von seiner Kompetenz zur Konkretisierung der im Unionsrecht enthaltenen Begriffe des Arbeitnehmers Gebrauch gemacht hat, so muss man zunächst feststellen, dass es einen einheitlichen unionsautonomen Arbeitnehmerbegriff für sämtliche Regelungsbereiche nicht gibt. Dies wird vom Gerichtshof in den meisten seiner Urteile ebenso ausdrücklich betont wie die Tatsache, dass sich der Begriffsinhalt – neben den weiteren anerkannten Auslegungsgrundsätzen – insbesondere nach dem Zusammenhang und Ziel des jeweiligen Rechtsaktes richtet, in dem der Begriff enthalten ist621. Das führt im Ergebnis dazu, dass die verschiedenen Begriffe ultra vires-Kontrolle auch auf Wahrung des Subsidiaritätsprinzips erstreckt, vgl. BVerfGE 123, 267, 267 Ls. 4 S. 1. 617 Terminologie nach A. Weber, in: Rengeling (Hrsg.), Europäisierung, S. 21, 22; ähnlich Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 187 ff. 618 Inhaltlich weitestgehend gleichbedeutend ist auf der Ebene der Union vom Prinzip des „institutionellen Gleichgewichts“ die Rede, vgl. etwa Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 102; HSW/Wank, EuArbSozR, § 9 Rn. 276 f.; Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 12 Rn. 14; Grosche, Rechtsfortbildung, S. 227 f., 231. 619 Vgl. dazu auch A. Weber, in: Rengeling (Hrsg.), Europäisierung, S. 21, 22 f. 620 Rebhahn, EuZA 2012, 3, 4. 621 EuGH v. 12. 05. 1998 – Rs. C-85/96, Slg. 1998, I-2691 Rn. 31 (Martínez Sala); EuGH v. 13. 01. 2004 – Rs. C-256/01, Slg. 2004, I-873 Rn. 63 f. (Allonby); EuGH v. 11. 11. 2010 – Rs. C-232/09, Slg. 2010, I-11405 Rn. 56 (Danosa); Schlussanträge des Generalanwalts Maduro v. 10. 01. 2007 – Rs. C-307/05, Slg. 2007, I-7109 Rn. 11 (Del Cerro Alonso); vgl.
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des Arbeitnehmers in unterschiedlichen Regelungszusammenhängen eine unterschiedliche Bedeutung haben (können)622. Aus diesem Grund ist etwa auch die Ansicht voreilig, der EuGH habe in der Rechtssache Danosa die Arbeitnehmereigenschaft von GmbH-Fremdgeschäftsführerinnen für das gesamte Unionsrecht anerkannt623. Auch in diesem Urteil betont der Gerichtshof nämlich ausdrücklich, die im Ergebnis erweiternde Begriffsbildung gelte nur „für die Zwecke der Richtlinie 92/85“ 624 (MuSchRL) – was den EuGH aber freilich nicht davon abgehalten hat, seine Rechtsprechung zur (möglichen) Arbeitnehmereigenschaft von GmbH-Fremdgeschäftsführern mit der Entscheidung in Sachen Balkaya im Ergebnis auch auf den Arbeitnehmerbegriff der Massenentlassungsrichtlinie auszudehnen625. Wenn darüber hinaus im Grünbuch der Kommission von Gedankenspielen für einen einheitlichen europäischen Arbeitnehmerbegriff de lege ferenda die Rede aus der Literatur etwa Junker, EuZA 2016, 184, 188 f.; Maties, in: FS Wank, S. 323, 336; Rebhahn, EuZA 2012, 3, 5; ders., in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2. Aufl. 2010), § 18 Rn 54; Schrader, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 7 Rn. 18; Uffmann, EuZA 2012, 518, 520; Waltermann, RdA 2010, 162, 165; Wank, EuZA 2008, 172, 178. 622 Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, S. 60 f.; Junker, EuZA 2016, 184, 188 f.; Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 189; Oberthür, NZA 2011, 253, 254; Rebhahn, EuZA 2012, 3, 5 und 31. Dagegen machen Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 46 f. auf Grund des Urteils EuGH v. 07. 04. 2011 – Rs. C-519/09, Slg. 2011, I-2761 Rn. 22 (May) eine Tendenz zur Vereinheitlichung der verschiedenen europäischen Arbeitnehmerbegriffe aus. In diese Richtung auch Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418, 421 f., Ch. Weber, NZA 2016, 727, 731 f. und noch weitergehend ders./Zimmer, EuZA 2016, 224, 233 f., mit dem Hinweis darauf, dass der EuGH in seinem Urteil v. 9. 7. 2015 – Rs. C-229/14, NZA 2015, 861, 862 Rn. 50 (Balkaya) vom „Begriff des Arbeitnehmers im Unionsrecht“ spreche. 623 So aber Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1239; Schubert, EuZA 2011, 362, 369; ähnlich und teilweise widersprüchlich Kort, NZG 2013, 601, 602 ff., 605 ff.; Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 189 ff.; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 45, 55 ff., 74; Reiserer, DB 2011, 2262, 2262, 2265 sowie Schubert, ZESAR 2013, 5, 6 f., 11 ff.; vorsichtiger Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1234; wie hier dagegen Rebhahn, EuZA 2012, 3, 28; U. Fischer, NJW 2011, 2329, 2330 f. und – mit Blick auf die Balkaya-Entscheidung des EuGH – Ch. Weber, NZA 2016, 727, 731; differenzierend Oberthür, NZA 2011, 253, 258. Die Frage, ob ein GmbH-Fremdgeschäftsführer im Wege richtlinienkonformer Auslegung (am Maßstab der Antidiskriminierungsrichtlinien) als Arbeitnehmer i. S. v. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG angesehen werden muss und kann, wurde von BGH NJW 2012, 2346, 2347 ohne Vorlage zum EuGH ausdrücklich offen gelassen. 624 EuGH v. 11. 11. 2010 – Rs. C-232/09, Slg. 2010, I-11405 Ls. 1 und Rn. 56 (Danosa). 625 EuGH v. 9. 7. 2015 – Rs. C-229/14, NZA 2015, 861, 862 Rn. 38 ff. (Balkaya). Insoweit haben diejenigen Literaturstimmen recht behalten, die bereits im Anschluss an die Danosa-Entscheidung eine Ausweitung der dort aufgestellten Grundsätze prognostizierten, so namentlich etwa Wank, EWiR 2011, 27, 28 und ihm insoweit folgend Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 45 ff. Eine weitere Ausdehnung dieser Rechtsprechung erwarten nach Verkündung der Balkaya-Entscheidung etwa Hohenstatt/Naber, EuZA 2016, 22, 26 f.
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ist, so ist damit – trotz missverständlicher Formulierung – wohl nicht gemeint, dass künftig allen Normen des Unionsrechts derselbe Arbeitnehmerbegriff zu Grunde gelegt werden soll626. Es betrifft dies vielmehr den oben diskutierten Problemkreis der unionsautonomen Begriffsbestimmung. „Einheitlich“ bezieht sich in diesem Zusammenhang damit nur darauf, dass bezogen auf einen konkreten Regelungsbereich unionsweit ein einheitlicher Standard in allen Mitgliedstaaten gelten soll627. Argumentiert wird dabei, es sei ein seltsames Ergebnis, wenn das Unionsrecht für dasselbe wirtschaftliche Phänomen in manchen Staaten gelte, in anderen dagegen nicht628. Zudem solle die praktische Wirksamkeit insbesondere von Richtlinien nicht dadurch beeinträchtigt werden können, dass in mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen der Begriff des Arbeitnehmers so eng gefasst werde, dass ein Großteil der eigentlich gemeinten Beschäftigungsverhältnisse aus ihrem Anwendungsbereich herausfalle629. Letztendlich ist die teilweise bestehende nationalstaatliche Kompetenz zur Begriffsbestimmung im Anwendungsbereich eines Rechtsaktes aber Ausdruck der geteilten Zuständigkeiten von Union und Mitgliedstaaten. Zudem bindet das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 3 EUV freilich nicht nur den EuGH bei der Auslegung von nicht eindeutigem Sekundärrecht, sondern auch schon zuvor den europäischen Gesetzgeber bei der Rechtssetzung. Im Ergebnis ist das Bedürfnis für einen unionsautonomen Arbeitnehmerbegriff dabei jedenfalls umso höher, je mehr eine Vereinheitlichung des persönlichen Anwendungsbereichs des jeweiligen Rechtsakts durch die Struktur der Union geboten und zur Verwirklichung ihrer zentralen Ziele unabweisbar ist630. b) Zentrale Elemente der unionsautonomen Arbeitnehmerbegriffe Da es einen einheitlichen europäischen Arbeitnehmerbegriff mithin nicht gibt, fällt eine zusammenfassende Begriffsbestimmung nicht nur wie im deutschen Recht schwer, sie ist vielmehr abschließend gar nicht möglich, sondern muss grundsätzlich bezogen auf den jeweiligen Rechtsakt festgestellt werden. Dennoch 626 Grünbuch der Kommission „Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, KOM (2006) 708, endgültige Fassung vom 22. 11. 2006, S. 15 f. (Frage 12). 627 Zutreffend Uffmann, EuZA 2012, 518, 521 und wohl auch Bayreuther, NZA 2007, 371, 372 f.; missverständlich Rebhahn, EuZA 2012, 3, 5 f. 628 Rebhahn, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 18 (2. Aufl. 2010) Rn. 55. 629 Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht (2. Auflage 2011), § 1 Rn. 20; Rebhahn, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 18 (2. Aufl. 2010) Rn. 54; Wank, EuZA 2008, 172, 172 f.; in diesem Sinne auch Willemsen/Annuß, NJW 1999, 2073, 2075. 630 Ausführlich Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 478 ff., 484; i. E. ähnlich auch Bayreuther, NZA 2007, 371, 372 f.; weitergehend und eine grundsätzliche Kompetenz der Union zur autonomen Begriffsbestimmung aus Art. 153 AEUV annehmend Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 1 Rn. 5; vermittelnd Wank, EuZA 2008, 172, 173 f.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
247
kann nach einer groben Unterteilung im Wesentlichen zwischen drei Gruppen631 von unionsautonomen Arbeitnehmerbegriffen unterschieden werden. Die Einteilung ergibt sich dabei anhand der jeweils ähnlichen Schutzzwecke der Rechtsakte, in denen die Begriffe enthalten sind, da diese wie soeben ausgeführt für die Begriffsbildung des EuGH entscheidend sind. Die erste Gruppe betrifft danach Arbeitnehmerbegriffe im Kontext des Freizügigkeitsrechts; die zweite Gruppe ist bezogen auf das Arbeitsschutzrecht und umfasst etwa die Arbeitnehmerbegriffe der ArbSchRL, der ArbZRL, der MuSchRL und der Zeitarbeits-Gesundheitsschutz-Richtlinie; die dritte Gruppe betrifft diejenigen Arbeitnehmerbegriffe, die sich im Zusammenhang mit Diskriminierungsverboten finden. Letztere weichen allerdings inhaltlich kaum von den Arbeitnehmerbegriffen des Freizügigkeitsrechts ab632, weshalb sie jedenfalls für die Zwecke dieser Untersuchung keiner gesonderten Betrachtung bedürfen. Die Arbeitnehmerbegriffe dieser unterschiedlichen Gruppen stehen sich keinesfalls diametral gegenüber; vielmehr gibt es auch hier größtenteils übergreifende Gemeinsamkeiten633, die an dieser Stelle dargestellt werden sollen. Sie haben ihren Ausgangspunkt in der Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, heute Art. 45 AEUV. Es war dies der erste Arbeitnehmerbegriff, zu dem der EuGH inhaltlich Stellung bezog und der sich für die weitere Begriffsbildung als zentral herausstellen sollte634. So hat der Gerichtshof in der Folge etwa – trotz Betonung der Tatsache, das Unionsrecht kenne keinen einheitlichen Begriff des Arbeitnehmers – in der Sache Allonby ausdrücklich auf seine vorangegangene Judikatur zum Freizügigkeitsrecht verwiesen und im Wesentlichen die Elemente des dort entwickelten Arbeitnehmerbegriffes auch auf Art. 157 AEUV übertragen635. Ähnlich verfuhr er im Urteil Kiiski für den Begriff des Arbeitnehmers i. S. d. MuSchRL636. Noch weitergehend führte der Gerichtshof in jüngerer Ver631 Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 444 f.; der Sache nach auch Rebhahn, EuZA 2012, 3, 7 f. und passim; ebenfalls drei Arbeitnehmerbegriffe benennend, in der Sache aber anders differenzierend Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, S. 60 f.; dagegen unterscheidet Scheibeler, Begriffsbildung, S. 98 nur zwischen den zwei Gruppen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und des Arbeitsschutzrechts. 632 Von der Frage der Reichweite dieser Arbeitnehmerbegriffe ist die generelle Frage nach dem persönlichen Anwendungsbereich zu trennen. Vor allen Dingen einige Richtlinien, die Diskriminierungsverbote wegen persönlicher Merkmale beinhalten, schützen neben Arbeitnehmern nämlich grundsätzlich auch Selbständige, vgl. dazu Bayreuther, NZA 2007, 371, 373; Rebhahn, EuZA 2012, 3, 18; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 445. 633 Rebhahn, RdA 2009, 154, 158. 634 Rebhahn, EuZA 2012, 3, 8 f.; ders., RdA 2009, 154, 167; Wank, EuZA 2008, 172, 178. 635 EuGH v. 13. 01. 2004 – Rs. C-256/01, Slg. 2004, I-873 Rn. 63 und 67 (Allonby); erläuternd und kritisch Rebhahn, EuZA 2012, 3, 19 f. 636 EuGH v. 20. 09. 2007 – Rs. C-116/06, Slg. 2007, I-7643 Rn. 25 (Kiiski); bestätigt durch EuGH v. 11. 11. 2010 – Rs. C-232/09, Slg. 2010, I-11405 Rn 39 f. (Danosa).
248 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
gangenheit in der Sache May aus, dass seine „Ausführungen […] zum Begriff des ‚Arbeitnehmers‘ im Sinne von Art. 45 AEUV […] ebenfalls für den Arbeitnehmerbegriff, der in Rechtsakten nach Art. 288 AEUV verwendet wird“637, Geltung beanspruchen. Daher kann dem Inhalt des Arbeitnehmerbegriffs des Art. 45 AEUV unabhängig von einigen Abweichungen im Einzelfall zumindest eine gewisse Leitbildfunktion zugeschrieben werden638. Inhaltlich führte der EuGH in seiner grundlegenden und oft zitierten Entscheidung Lawrie-Blum aus: „[Der Begriff des Arbeitnehmers] ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht […] darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit 639 für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.“640
Kern sämtlicher (und jedenfalls im Anwendungsbereich des Freizügigkeitsrechts nicht eng auszulegender641) unionsautonomer Arbeitnehmerbegriffe ist damit – ähnlich wie in der Rechtsprechung des BAG für den deutschen Arbeitnehmerbegriff – eine organisatorische, also persönliche Abhängigkeit642. Auch hier ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung643 insbesondere die Tätigkeit nach 637
EuGH v. 07. 04. 2011 – Rs. C-519/09, Slg. 2011, I-2761 Rn. 21 f. (May). Junker, EuZA 2016, 184, 188; Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 191; Schubert, EuZA 2011, 362, 363 f.; noch weitergehend Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 46 f. 639 Das Merkmal der „bestimmten Zeit“ hat der EuGH später (26. 02. 1992 – Rs. C-3/90, Slg. 1992, I-1071 Rn. 16 (Bernini) und EuGH v. 06. 11. 2003 – Rs. C-413/01, Slg. 2003, I-13187 Rn. 28 (Ninni-Orasche) dahingehend korrigiert bzw. konkretisiert, dass auch eine „Tätigkeit von kurzer Dauer“ nicht vom Anwendungsbereich des heutigen Art. 45 AEUV ausgeschlossen ist. 640 EuGH v. 03. 07. 1986 – Rs. C-66/85, Slg. 1986, 2121 Rn. 17 (Lawrie-Blum). Zweifelnd, ob der Sachverhalt, der dem Lawrie-Blum-Urteil zu Grunde lag, überhaupt zur Herausarbeitung einer allgemeinen Formel zur Beschreibung des Arbeitnehmerbegriffes (in Abgrenzung zu Selbständigen) herangezogen werden sollte und ob dies vom Gericht intendiert war, Rebhahn, EuZA 2012, 3, 10. In der Praxis hat sich die sog. „Lawrie-Blum-Formel“ jedenfalls in der darauf folgenden Rechtsprechung des EuGH durchgesetzt (Rebhahn, EuZA 2012, 3, 10 zählt insoweit 37 direkte Zitate in späteren Urteilen). 641 EuGH v. 03. 07. 1986 – Rs. C-66/85, Slg. 1986, 2121 Rn. 16 (Lawrie-Blum); EuGH v. 17. 07. 2008 – Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939 Rn. 33 (Raccanelli); EuGH v. 10. 09. 2014 – Rs. C-270/13, NVwZ 2014, 1509, 1509 Rn. 27 (Haralambidis). Zur hier nicht näher interessierenden Erstreckung der verschiedenen Arbeitnehmerbegriffe (Art. 45, 157 AEUV sowie der Gleichbehandlungsrichtlinien) auf Beamte vgl. Schrader, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 7 Rn. 20 f.; dazu auch Wank, EuZA 2008, 172, 182; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 445. 642 Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, S. 216; Oberthür, NZA 2011, 253, 254. 643 EuGH v. 14. 12. 1989 – C-3/87, Slg. 1989, I-4459 Rn. 16 (Agegate); EuGH v. 13. 01. 2004 – Rs. C-256/01, Slg. 2004, I-873 Rn. 69 (Allonby); EuGH v. 04. 02. 2010 – Rs. C-14/09, Slg. 2010, I-931 Rn. 27 (Genc); EuGH v. 14. 10. 2010 – Rs. C-428/09, Slg. 2010, I-9961 Rn. 29 (Union syndicale Solidaires Isère); Calliess/Ruffert/Brechmann, Art. 45 638
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249
fremder Weisung644 entscheidend, die im Ergebnis einen bestimmten Grad an „Unterordnung“ (in vielen Sprachfassungen: „subordination“) überschreiten muss645. Die Begriffe von Weisung bzw. Unterordnung sind später durch die Kriterien der Einschränkung der Freiheit bei der Wahl von Zeit, Ort und Inhalt der Arbeit bzw. die Eingliederung in ein Unternehmen konkretisiert worden646. Auf eine (umfassende) wirtschaftliche Abhängigkeit vom Vertragspartner kommt es dagegen grundsätzlich nicht an647. Allerdings sprechen etwa die französische, italienische, spanische und portugiesische Fassung der Lawrie-Blum-Formel nicht von der bloßen Leistungserbringung „für einen anderen“, sondern von einer Leistung „zum Vorteil eines anderen“. Das könnte auf die Berücksichtigungsfähigkeit des oben herausgearbeiteten ökonomischen Kriteriums der Fremdnützigkeit einer Tätigkeit hindeuten648. Ähnlich liest sich auch ein Vorschlag der Literatur, die fehlende Beteiligung an Gewinn und Verlust als Merkmal der Arbeitnehmereigenschaft zu werten649. Zwar haben diese Elemente in der Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofes bislang noch keine besondere Bedeutung erlangt. Ausdrücklich in diese Richtung ging bis zuletzt lediglich das Urteil in der Sache Agegate, in dem ausgeführt wird, „die Beteiligung an den geschäftlichen Risiken des Unternehmens“ könne im Rahmen der Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft berücksichtigt werden650. Nachdem der EuGH dieses Kriterium zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft651 im Anschluss – soweit ersichtlich – über 25 Jahre lang nicht mehr AEUV Rn. 12; Rebhahn, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 18 (2. Aufl. 2010) Rn. 54; Ch. Weber/Zimmer, EuZA 2016, 224, 230 f. 644 Ausführlich Pottschmidt, Arbeitnehmerähnliche Personen, S. 146 ff.; vgl. auch Wank, EuZA 2008, 172, 180. 645 EuGH v. 11. 11. 2010 – Rs. C-232/09, Slg. 2010, I-11405 Rn. 44; (Danosa); Rebhahn, EuZA 2012, 3, 27; Schubert, EuZA 2011, 362, 365. 646 Vgl. einerseits EuGH v. 13. 01. 2004 – Rs. C-256/01, Slg. 2004, I-873 Rn. 72 (Allonby) zum Arbeitnehmerbegriff des heutigen Art. 157 AEUV und andererseits EuGH v. 11. 11. 2010 – Rs. C-232/09, Slg. 2010, I-11405 Rn. 51 (Danosa) zum Arbeitnehmerbegriff der MuSchRL. Insgesamt spielt die Tätigkeit nach Weisung aber eine deutlich wichtigere Rolle als das Merkmal der Eingliederung. 647 Rebhahn, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 18 (2. Aufl. 2010) Rn 54; ders., EuZA 2012, 3, 10. 648 Im Ergebnis wohl ebenso Rebhahn, EuZA 2012, 3, 10. 649 Calliess/Ruffert/Brechmann, Art. 45 AEUV Rn. 14. 650 EuGH v. 14. 12. 1989 – C-3/87, Slg. 1989, I-4459 Rn. 36 (Agegate). 651 Dagegen definiert Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2010/41/EU zur Geschlechtergleichbehandlung von Selbständigen diese ausdrücklich als „alle Personen, die […] eine Erwerbstätigkeit für eigene Rechnung ausüben“. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch in Art. 3 lit. a) der Richtlinie 2002/15/EG zur Beschreibung von selbständigen Kraftfahrern. In diesem Sinne etwa auch EuGH v. 14. 12. 2006 – Rs. C-217/05, Slg. 2006, I-11987 Rn. 43 (Confederación Española). Es stellt sich somit die Frage, ob sich hieraus im Wege
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verwendet hatte, findet sich jedoch in einer jüngeren Entscheidung wieder ein ausdrücklicher Hinweis auf das Agegate-Judikat samt wörtlicher Zitierung der dort verwendeten Formulierung652. Ob damit eine andauernde nuancierte Kurs änderung im Rahmen der unionsrechtlichen Bestimmung der Arbeitnehmer eigenschaft verbunden ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt freilich noch nicht abschließend beantwortet werden653. Die Ausführungen des Gerichtshofs legen aber jedenfalls den Schluss nahe, dass auf dieses Element gerade in Reaktion auf das Problem der sog. Scheinselbständigkeit (vom EuGH sog. „fiktive“ Selbständigkeit) zurückgegriffen worden ist654. Daneben finden sich wirtschaftliche Elemente insoweit, als – für den Arbeitnehmerbegriff des Freizügigkeitsrechts – eine Vergütung als Gegenleistung gefordert wird und es sich zudem um eine „tatsächliche und echte Tätigkeit“ handeln muss und daher solche „Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die so einen geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen“655. Für die vorliegende Untersuchung erwähnenswert ist zudem die Tatsache, dass unter den Arbeitnehmerbegriff des Unionsrechts auch sportliche Tätigkeiten fallen, jedenfalls soweit sie wirtschaftlicher Natur sind. Das gilt sowohl für Radsportler656 als auch für Fußball- 657 und Basketballspieeines Umkehrschlusses nicht auch Auswirkungen auf die Rechtsprechung des EuGH zu den verschiedenen Arbeitnehmerbegriffen ergeben müssten. Kritisch aus diesem Grund zur Definitionspraxis des europäischen Gesetzgebers Rebhahn, EuZA 2012, 3, 21. 652 EuGH v. 04. 12. 2014 – Rs. C-413/13, NZA 2015, 55, 57 Rn. 36 (FNV Kunsten Informatie en Media); ähnlich auch die Schlussanträge des Generalanwalts Wahl v. 11. 09. 2014 – Rs. C-413/13 (einsehbar über juris) Rn. 45 f. 653 Diese Nuancierung der EuGH-Rechtsprechung begrüßend Wank, EuZA 2016, 143, 151. 654 EuGH v. 04. 12. 2014 – Rs. C-413/13, NZA 2015, 55, 57 Rn. 31 ff., insbes. 35 f. (FNV Kunsten Informatie en Media); ähnlich auch die Schlussanträge des Generalanwalts Wahl v. 11. 09. 2014 – Rs. C-413/13 (einsehbar über juris) Rn. 51 f. (FNV Kunsten Informatie en Media). Bemerkenswert ist dabei auch, dass der Generalanwalt a. a. O. in Rn. 52 auch diejenigen „Selbständigen, die wirtschaftlich von einem einzigen Kunden (oder einem Hauptkunden) abhängig sind“ in die Nähe von „echten“ Arbeitnehmer rückt, da sie „sich in ihrem beruflichen Verhältnis zu tatsächlichen oder potenziellen Kunden in einer Position befinden, die derjenigen recht ähnlich ist, in der sich typischerweise ein Arbeitnehmer zu seinem Arbeitgeber befindet.“ Vgl. zu alledem auch Eufinger, DB 2015, 192, 192 f. 655 EuGH v. 17. 07. 2008 – Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939 Rn. 33 (Raccanelli); EuGH v. 10. 09. 2014 – Rs. C-270/13, NVwZ 2014, 1509, 1509 Rn. 28 (Haralambidis); grundlegend bereits EuGH v. 23. 03. 1982 – Rs. C-53/81, Slg. 1982, 1035 Rn. 18 (Levin). 656 EuGH v. 12. 12. 1974 – Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405 Rn. 4/10 (Walrave). 657 EuGH v. 15. 12. 1995 – Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 Rn. 73 (Bosman); in EuGH v. 16. 03. 2010 – Rs. C-325/08, Slg. 2010, I-2177 Rn. 29 (Olympique Lyonnais) begnügt sich der Gerichtshof mit dem Hinweis darauf, die unselbständige Tätigkeit eines Fußballers gegen Entgelt unterfalle „eindeutig“ dem Art. 45 AEUV; vgl. dazu auch Calliess/Ruffert/ Brechmann, Art. 45 AEUV Rn. 22 ff.
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ler658. Dabei kommt es auf die Höhe der Vergütung grundsätzlich nicht an659. Ausdrücklich entschieden hat der EuGH dies für das fehlende Erfordernis des Überschreitens einer bestimmten Mindestvergütung. Auch solche Beschäftigte, die nur so geringe Einkünfte erzielen, dass sie die Höhe dessen nicht überschreiten, was in einem Mitgliedstaat als Existenzminimum angesehen wird660, sind danach solange Arbeitnehmer, wie es sich noch um eine „tatsächliche und echte“ Tätigkeit handelt. Deutlich schwieriger auffindbar sind Urteile zu etwaigen Entgeltobergrenzen. Aussagen hierzu könnten sich mittelbar der Trojani-Entscheidung entnehmen lassen. Im Ausgangsrechtsstreit begehrte hier ein französischer Staatsangehöriger in Belgien Sozialhilfe. Als Vorfrage war entscheidend, ob Herr Trojani dort ein Aufenthaltsrecht beanspruchen konnte. In diesem Zusammenhang hatte der EuGH sodann zu klären, ob eine Person wie Herr Trojani als Arbeitnehmer i. S. v. Art. 39 EG (heute Art. 45 AEUV) angesehen werden könne. Dieser wurde in Belgien in ein Heim der Heilsarmee aufgenommen, wo er für seine Unterkunft und etwas Taschengeld im Rahmen eines individuellen Projekts der gesellschaftlichen und beruflichen Eingliederung etwa 30 Stunden je Woche verschiedene Leistungen erbrachte661. Neben einem kurzen Hinweis auf seinen ständigen Arbeitnehmerbegriff i. S. d. der Lawrie-Blum-Formel führt der Gerichtshof in einem Nebensatz auch aus, dass es „für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Gemeinschaftsrechts ohne Bedeutung [ist], […] dass sich die Höhe der Vergütung in Grenzen hält“662. Das könnte zwar in einem allgemeinen Sinne dahingehend verstanden werden, dass auch eine weit überdurchschnittliche Vergütung nichts an der Arbeitnehmereigenschaft i. S. d. Freizügigkeitsrechts zu ändern vermag. Wahrscheinlicher ist auf Grund der eher symbolischen Vergütung, die Herrn Trojani im zu Grunde liegenden Sachverhalt erhielt, aber eher die Deutung im Sinne einer bloßen Untergrenze. In diese Richtung geht auch die spätere Diktion des Gerichtshofs in der Sache Mattern, in der die vorstehende Formulierung dahingehend abgeän658
EuGH v. 13. 04. 2000 – Rs. C-176/96, Slg. I-2681 Rn. 39 ff. (Lehtonen). Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 2 Rn. 16; Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 20. 660 EuGH v. 23. 03. 1982 – Rs. C-53/81, Slg. 1982, 1035 Rn. 15 (Levin); ähnlich auch die Urteile EuGH v. 31. 05. 1989 – Rs. 344/87, Slg. 1989, 1621 Rn. 15 (Bettray) und EuGH v. 19. 11. 2002 – Rs. C-188/00, Slg. 2002, I-10691, Rn. 32 (Kurz), wonach die Höhe der Produktivität des betroffenen Beschäftigten irrelevant ist. Vgl. hierzu auch Schlussanträge des Generalanwalts Mischo v. 18. 11. 1988 – Rs. C-9/87, Slg. 1989, I-4459 Rn. 14 f. (Agegate). 661 EuGH v. 07. 09. 2004 – Rs. C-456/02, Slg. 2004, I-7573 Rn. 13 (Trojani). 662 EuGH v. 07. 09. 2004 – Rs. C-456/02, Slg. 2004, I-7573 Rn. 16 (Trojani). Diese Formulierung findet sich – bezogen auf ähnliche Sachverhalte wie in der Entscheidung Trojani – daneben nur noch im Urteil EuGH v. 19. 11. 2002 – Rs. C-188/00, Slg. 2002, I-10691, Rn. 32 (Kurz) und in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott v. 15. 12. 2005 – Rs. C-10/05, Slg. 2006, I-3145 Rn. 24 (Mattern). 659
252 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
dert wurde, als dass nur die „begrenzte Höhe der Vergütung“ ohne irgendeine Auswirkung auf die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts sei663. Neben den genannten Entscheidungen finden sich aber keine Urteile des EuGH, in denen die Arbeitnehmereigenschaft ausdrücklich an die soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten gekoppelt oder vom Einhalten einer gewissen Entgeltobergrenze abhängig gemacht worden ist664. Es ist dies im Übrigen jedenfalls mit Blick auf die Ziele und Zwecke der Arbeitnehmerfreizügigkeit wohl auch nicht zu erwarten, denn für die Schaffung eines Binnenmarktes665 ist dieser Aspekt letztlich irrelevant666. Von diesem grundlegenden Begriffsverständnis weicht die zweite Gruppe der arbeitsschutzrechtlichen Arbeitnehmerbegriffe nur insoweit ab, als hier auch solche Tätigkeiten erfasst werden, für die ein Beschäftigter nicht zwingend auch eine Vergütung erhält, weil es hierbei nicht wie im Freizügigkeitsrechts um den Zugang zum Binnenmarkt geht667. Arbeitnehmer in diesem Sinne können damit auch ehrenamtlich Tätige oder Angehörige eines Familienbetriebes sein, sofern sie – das ist hier alleine entscheidend – in ausreichendem Umfang weisungsgebunden tätig werden668. Auch das Überschreiten von Entgeltobergrenzen bzw. das Fehlen einer sozialen Schutzbedürftigkeit vermag dann freilich ebenfalls nichts am Arbeitnehmerstatus im Sinne dieser Vorschriften zu ändern: für die Gesundheitsgefahren, vor denen das Arbeitsschutzrecht einen Beschäftigten bewahren will, spielen die Höhe des Entgelts und die Fähigkeit zur Daseinsvorsorge keine Rolle. Gleiches gilt für die Arbeitnehmerbegriffe im Kontext des Diskriminierungsrechts. Im Ergebnis sind jedenfalls deutliche Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Arbeitnehmerbegriff in der Ausprägung der herrschenden Meinung erkennbar. Das verwundert im Ergebnis freilich wenig, da auch in diesem Fall das mitgliedstaatliche Recht der entscheidende Ausgangspunkt für den wesentlichen Regelungsinhalt des europäischen Rechts war und ist669. Insoweit ist es allerdings überraschend, dass der Aspekt der hier sog. Fremdnützigkeit der Arbeitsleistung in der Judikatur des EuGH nur selten Beachtung findet, da dieser für die Bestim-
663 EuGH v. 30. 03. 2006 – Rs. C-10/05, Slg. 2006, I-3145 Rn. 22 (Mattern); ebenso EuGH v. 04. 02. 2010 – Rs. C-14/09, Slg. 2010, I-931 Rn. 20 (Genc); so auch Rebhahn, RdA 2009, 154, 168. 664 In diesem Sinne auch HSW/Wank, EuArbSozR, § 14 Rn. 15. 665 Zur Bedeutung der Grundfreiheiten für die Schaffung des Binnenmarktes ausführlich HSW/Wank, EuArbSozR, § 9 Rn. 308 ff., insbes. 323 ff. 666 Angesprochen aber offen gelassen von Wank, EuZA 2008, 172, 181. 667 Rebhahn, EuZA 2012, 3, 5 und 9. 668 Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe, S. 444; zurückhaltender Rebhahn, EuZA 2012, 3, 9. 669 Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 1 Rn. 19; Rebhahn, EuZA 2012, 3, 6 und 33.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
253
mung des Arbeitnehmerbegriffes in den meisten Mitgliedstaaten – anders als in Deutschland – eine nicht unerhebliche Rolle spielt670. 5. Zusammenfassung Festgehalten werden kann an dieser Stelle damit Folgendes: Den im Unionsrecht enthaltenen Arbeitnehmerbegriffen, für die die Konkretisierungskompetenz beim EuGH liegt und die durch den Gerichtshof inhaltlich näher bestimmt worden sind, lassen sich nur wenige Hinweise auf eine zwingende Berücksichtigungsbedürftigkeit von Elementen wirtschaftlicher Abhängigkeit oder einer sozialen Schutzbedürftigkeit entnehmen. Diese europäischen Arbeitnehmerbegriffe sind zwar im Rahmen der deutschen Begriffsbestimmung jedenfalls nicht für das gesamte Arbeitsrecht unmittelbar maßgeblich, können aber im Wege einer (bloß) unionsrechtsorientierten Auslegung durchaus als Argument für den herrschenden Arbeitnehmerbegriff gewertet werden. Wann sich aus ihnen auch zwingende Vorgaben für einen deutschen Begriff des Arbeitnehmers ergeben können und inwieweit die Berücksichtigung wirtschaftlicher Abhängigkeit, sozialer Schutzbedürftigkeit oder der Entgelthöhe durch die unionsrechtlichen Vorgaben problematisch ist, wird später gesondert untersucht (unten § 8 B. V.). VI. Zwischenergebnis Die systematische Zusammenschau der wenigen Vorschriften, die allgemeine Rückschlüsse auf die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts zulassen, hat zum einen unstreitig ergeben, dass de lege lata zumindest ein gewisses Maß an persönlicher Abhängigkeit überschritten sein muss, um einen Beschäftigten als Arbeitnehmer qualifizieren zu können. Alleine wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit sind nicht „ausreichend“, weil in diesem Fall kein Unterschied mehr zwischen Arbeitnehmern und arbeitnehmerähnlichen Personen bestünde. Zum anderen spricht die Systematik des Arbeitsrechts – bei deren Betrachtung die Vorschrift des § 611a Abs. 1 BGB an dieser Stelle der Untersuchung aus methodologischen Gründen auszuklammern war – aber gerade dafür, diese Belange im Rahmen des Arbeitnehmerbegriffs für „erforderlich“ zu halten. Denn anderenfalls könnte nicht schlüssig erklärt werden, warum gerade den nur wirtschaftlich abhängigen und sozial schutzbedürftigen, persönlich aber unabhängigen Arbeitnehmerähnlichen zumindest ein arbeitsrechtlicher Teilschutz zukommt. Daneben geht der Gesetzgeber in § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG selbst ausdrücklich von der sozialen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer aus. Insoweit 670 Vgl. dazu Rebhahn, RdA 2009, 154, 160, 164 f., 169; ders., EuZA 2012, 3, 32 ff. (dort sog. „wirtschaftliche Unselbständigkeit im Vertrag“); allgemeiner Wank, EuZA 2008, 172, 187 und 190 f.; zum englischen und US-amerikanischen Recht ders., in: FS Küttner, S. 5, 16 ff.
254 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
hat eine systematische Auslegung bewiesen, dass sich diese soziale Schutzbedürftigkeit nur aus einer wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Arbeitgeber ergeben kann. Zuletzt wird die Berücksichtigung dieser wirtschaftlichen Kriterien auch nicht zwingend durch § 84 Abs. 1 S. 2 HGB gehindert. Dieser erkennt in der Weisungsunterworfenheit des Arbeitnehmers nur ein typisches Merkmal, ohne damit sämtliche Bestimmungskriterien des Begriffes abschließend zu regeln. Was einzelne Elemente der wirtschaftlichen Abhängigkeit anbelangt, so hat sich insbesondere aus der Existenz des TzBfG ableiten lassen, dass an die Kriterien des Umfangs und der Dauer einer Tätigkeit bei der Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts nur mit Vorsicht angeknüpft werden kann. Alleine die Tatsache, dass eine Tätigkeit in nur geringem Umfang oder bloß kurzzeitig ausgeübt wird, kann die Nichtanwendbarkeit des Arbeitsrechts – jedenfalls isoliert betrachtet – nicht rechtfertigen. Daraus kann allerdings nicht der verallgemeinernde Schluss gezogen werden, für den Arbeitnehmerbegriff spielten wirtschaftliche Abhängigkeit oder soziale Schutzbedürftigkeit keine Rolle. Insoweit ist gerade auf Grund der Themenstellung der vorliegenden Untersuchung auch zu beachten, dass bei einem Spitzenverdiener nicht die Problematik im Mittelpunkt steht, ob ein Beschäftigter wegen der Geringfügigkeit seiner Tätigkeit „noch nicht“ vom Vertragspartner wirtschaftlich abhängig und damit evtl. auch „noch nicht“ sozial schutzbedürftig ist671. Entscheidend interessiert hier vielmehr die Antwort auf die Frage, ob eine wirtschaftliche Abhängigkeit oder soziale Schutzbedürftigkeit – insbesondere wegen der Höhe des Entgelts – „nicht mehr“ besteht672. Die Darstellung der unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffe hat schließlich deutlich gemacht, dass eine an diesen Grundsätzen orientierte Begriffsbestimmung in Richtung des traditionellen deutschen Arbeitnehmerbegriffes im Sinne der persönlichen Abhängigkeit deutet. Wirtschaftliche Elemente finden sich hier nur in Ansätzen. Rechtlich zwingende Auswirkungen des Unionsrechts sind aber stets auf dessen Einflussbereich beschränkt, so dass sich aus den hier gewonnenen Erkenntnissen jedenfalls keine flächendeckenden Vorgaben für den nationalen Arbeitnehmerbegriff ergeben. 671 Spiegelbildlich kann auch aus Sicht des Auftraggebers gefragt werden: Ist es schon gerechtfertigt, den Gläubiger mit besonderen gesetzlichen Schutzvorschriften zu Gunsten des (wirtschaftlich schwachen) Beschäftigten zu belasten? Bei der Beantwortung – und Bejahung – dieser Frage spielen insbesondere auch gleichheitspolitische Aspekte, sowie Überlegungen zur Vorbeugung gegen einen möglichen Rechtsmissbrauch eine Rolle, vgl. oben § 6 C. IV. 1. c) bb) und § 6 C. IV. 2. c). 672 Spiegelbildlich kann wiederum aus Sicht der Auftraggebers gefragt werden: Ist es noch gerechtfertigt, den Gläubiger mit besonderen gesetzlichen Schutzvorschriften zu Gunsten des (wirtschaftlich starken) Beschäftigten zu belasten? Vgl. zu diesen zwei unterschiedlichen Blickrichtungen im Ansatz auch Zeuner, RdA 1975, 84, 87 f.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
255
D. Historische Betrachtung Auch wenn eine umfassende monographische Untersuchung zur Geschichte des deutschen Arbeitsrechts bis heute fehlt, so existieren doch einige Schriften, die sich mit dieser Thematik beschäftigen673. Stellungnahmen zur Herausarbeitung des Arbeitnehmerbegriffes und damit zur Entstehung und Entwicklung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts finden sich dagegen seltener674. Die vorliegende Arbeit will und muss sich an dieser Stelle vor allem dem letztgenannten Themenbereich widmen. Deshalb beschäftigen sich die folgenden Ausführungen insbesondere mit der Genese des Arbeitnehmerbegriffes (sog. Entstehungsgeschichte i. e. S. bzw. genetische Betrachtung) sowie dessen Fortentwicklung (dazu I.) Dabei wird zum Teil auch auf besondere gesellschaftliche oder zeitgeschichtliche Aspekte675 eingegangen, sofern diese von entscheidendem Einfluss auf die jeweiligen Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes waren676. Im Anschluss daran soll dargelegt werden, inwieweit zwischenzeitlich erfolgte rechtstatsächliche Veränderungen heute zu einer Anpassung dieses historischen Prozesses drängen (dazu II. und III.). Nur am Rande können auch Aspekte der Entstehung des Arbeitsrechts selbst behandelt werden. I. Herausarbeitung und Fortentwicklung des Arbeitnehmerbegriffes durch die Rechtsprechung Von der Entstehung des modernen Arbeitsrechts als eigenständige Rechtskategorie zu trennen ist die Genese des Arbeitnehmerbegriffes selbst. Auch wenn heute bisweilen der Eindruck erweckt wird, der Arbeitnehmerbegriff der ständigen Rechtsprechung sei vor allem unter Bezugnahme auf die gesetzgeberische Wertung des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB entstanden, so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entwicklung des Begriffes in Wahrheit viel früher begann und dieser damit weit älter ist als die genannte, erst 1953 in der heutigen Form erlassene, handelsrechtliche Norm677. Tatsächlich nahm die Entwicklung des Arbeit673 Beispielsweise Sünner, Entwicklung, S. 3 ff.; lesenswert etwa auch MünchArb/ Richardi, § 1 Rn. 1 ff.; ders., JA 1986, 289, 289 ff.; Preis, Individualarbeitsrecht, § 4 (S. 23 ff.); Adomeit, NJW 1996, 1710, 1710 ff.; Lukes, RdA 1969, 220, 220 f.; Reichold, ZfA 1990, 5, 5 ff.; M. Roth, RdA 2012, 1, 1 ff.; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 2 ff. sowie die Beiträge in den Sammelwerken von Nutzinger (Hrsg.), Entstehung sowie Steindl (Hrsg.), Arbeitsrechtsgeschichte; zusammenfassend Rüthers, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 100, 100. 674 Vgl. dazu grundlegend Hromadka, NZA 1997, 569, 572 ff. und ihm folgend Reinecke, ZIP 1998, 581, 586 f.; im Ansatz auch Rancke, Berufe, S. 29 ff. 675 Zu deren Bedeutung im Rahmen der historischen Auslegung ausführlich Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 780 ff.; vgl. auch Wank, Auslegung, S. 67 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 329. 676 Vgl. hierzu auch schon Rancke, Berufe, S. 30 ff. 677 Dazu bereits oben § 2 B. IV.
256 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
nehmerbegriffes bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert ihren Anfang. Schon damals hatte sich der historische Gesetzgeber allerdings darauf beschränkt, einen stark ausfüllungsbedürftigen gesetzlichen Rahmen bereitzustellen. Dieser sollte rückblickend zwar durchaus von mitentscheidender Bedeutung sein; dennoch kam bereits damals vor allen Dingen den Gerichten die zentrale Aufgabe zu, den Begriff des Arbeitnehmers zu konkretisieren, ihn mit Inhalt zu füllen und handhabbare Kriterien für dessen Anwendung zu entwickeln678. Aus diesem Grund müssen sich die folgenden Ausführungen in ihrem Schwerpunkt mit der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (dazu sogleich 1.), des Reicharbeitsgerichts (dazu unten 2.) und des Bundesarbeitsgerichts (dazu unten 3.) beschäftigen. 1. Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes Die Wiege des heutigen Arbeitnehmerbegriffes liegt – auf den ersten Blick durchaus überraschend – nicht in der Rechtsprechung zu denjenigen gesetzlichen Regelungen, die man heute gemeinhin als Arbeitsrecht bezeichnen würde. Grund hierfür ist die Tatsache, dass das Arbeitsrecht bis zum Ende des Ersten Weltkrieges noch bloßes Berufsgruppenrecht war, das für die einzelnen Bereiche etwa des Gewerbes, der Industrie, des Handels, des Bergbaus etc. unterschiedliche und teilweise sogar landesgesetzliche Regelungen vorsah679. Deshalb war es das Sozialrecht, das Anfang der 1880er Jahre erstmals zur Herausbildung eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes zwang680. Die Wurzeln des überkommenen Arbeitnehmerbegriffes der Rechtsprechung sind deshalb entscheidend in den Judikaten des Reichsversicherungsamtes (RVA) zu suchen. Auch wenn es dessen Bezeichnung nach heutigem Begriffsverständnis nahe legt, war das RVA nicht nur die höchste zuständige Behörde im Bereich der Krankenversicherung von 1883, der Unfallversicherung von 1884 und der Invaliditäts- und Altersversicherung von 1889, sondern zugleich auch das Revisionsgericht für die beiden zuletzt genannten Versicherungszweige681 und damit insoweit der Vorläufer des BSG. Gerade weil es mit einem Anspruch auf Allgemeingültigkeit judizierte und seine Begriffsauslegungen über die eigentlichen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen hinaus auch für die Bereiche des frühen Arbeitsrechts, 678 Zum Beitrag der Gerichte zur Entstehung des Arbeitsrechts Rüthers, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 100, 103. 679 Nikisch, Grundformen, S. 86 f.; ähnlich Hromadka, NZA 1997, 569, 572; Rebhahn, RdA 2009, 154, 156; Richardi, JA 1986, 289, 293; ders., in: FS Hromadka, S. 309, 309 f. 680 MünchArb/Richardi, § 2 Rn. 14; Hromadka, NZA 1997, 569, 572 ff. 681 Vgl. § 63 Abs. 1 Unfallversicherungsgesetz (UVG) v. 06. 07. 1984, RGBl. 1884, S. 69 ff. und § 80 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung (IAVG) v. 22. 06. 1989, RGBl. 1889, S. 97 ff.; dazu auch Hromadka, DB 1998, 195, 195; ders., NZA 2007, 838, 838; Reinecke, ZIP 1998, 581, 586.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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etwa für die Gewerbeordnung, für bindend hielt682, sollte sich seine Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes für die spätere Rechtsprechung der Zivil- und Arbeitsgerichte als prägend herausstellen683. Terminologisch orientierte sich das RVA bei seiner Begriffsbildung zwar am gesetzlichen Wortlaut und knüpfte damit vorwiegend an die Begriffe des „Beschäftigten“ bzw. des „(Lohn-)Arbeiters“ an; diese verstand es letztlich aber als Arbeitnehmer684. Inhaltlich stand es vor allen Dingen vor der Aufgabe, die sog. Lohnarbeiter, die Hausindustriellen bzw. Hausgewerbetreibenden und die Unternehmer voneinander abzugrenzen. Ihm stellten sich daher im Ausgangspunkt dieselben Fragen und Probleme wie der gegenwärtigen arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Wissenschaft, denn in die heutige Terminologie übersetzt, bedeuten diese historischen Begriffsbezeichnungen in der Sache nichts anderes als Arbeitnehmer, Arbeitnehmerähnliche und Selbständige685. Bevor auf die Begriffsbestimmung des RVA genauer eingegangen wird, sollen aber zunächst die positivrechtlichen Rahmenbedingungen sowie die dazugehörigen Erwägungen des historischen Gesetzgebers skizziert werden, nach denen sich das Gericht bei seiner Rechtsprechung zu richten hatte.
682 So etwa RVA Urt. v. 15. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 181, 183 (Nr. 77); RVA Urt. v. 05. 06. 1892, AN 1893 (9. Jg.), S. 102, 102 (Nr. 253); RVA Urt. v. 15. 06. 1892, AN 1893 (9. Jg.), S. 135, 136 f. (Nr. 282). 683 Namentlich der Direktor im RVA Hermann Dersch, Anm. zu RAG ARS Bd. 31, 265, S. 268 f. ging davon aus, dass das abhängige Arbeitsverhältnis ein einheitlicher und gleichbedeutender „Lebensbegriff“ sowohl für das Sozial- als auch für das Arbeitsrecht war; ähnlich schon ders., Anm. zu RAG ARS Bd. 29, 35, S. 38; ebenso Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 15 f.; Hromadka, NZA 1997, 569, 572 f.; Richardi, JA 1986, 289, 293; ders., in: FS Hromadka, S. 309, 309 f. Zur grundsätzlichen geschichtlichen und heutigen Bedeutung des Sozialrechts für die Entwicklung des als Arbeitnehmerschaft bezeichneten Beschäftigtenkreises vgl. auch Rebhahn, RdA 2009, 154, 156 und 158. 684 RVA Urt. v. 30. 09. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 172, 172 f. (Nr. 67); RVA Urt. v. 15. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 181, 182 (Nr. 77); RVA Urt. v. 31. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 183, 183 f. (Nr. 78); RVA Anleitung v. 19. 12. 1899 betr. den Kreis der nach dem IVG v. 13. 7. 1899 versicherten Personen, AN 1900 (16. Jg.) S. 277, 296; ebenso etwa die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung, Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 7. Legislaturperiode, IV. Session 1888/89 (Bd. 4), Anlagen/Aktenstück Nr. 10, S. 51 und 58. Dass der Arbeitnehmer im Sozialversicherungsrecht auch „Beschäftigter“ genannt wird, bezeichnet Hromadka, DB 1998, 195, 195 zu Recht als bloßen „Schönheitsfehler“. Zu den verschiedenen Begrifflichkeiten auch Richardi, JA 1986, 289, 295. 685 Hromadka, NZA 1997, 569, 572; ders., NZA 1997, 1249, 1249; Reinecke, ZIP 1998, 581, 586. Im Folgenden werden daher insbesondere die Hausindustriellen bzw. Hausgewerbetreibenden nach der heute gängigen Terminologie teilweise auch als arbeitnehmerähnliche Personen bezeichnet.
258 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
a) Positivrechtliche und subjektiv-teleologische Ausgangslage Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter686 (KVG) waren alle „Personen, welche gegen Gehalt oder Lohn beschäftigt sind: 1. in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Brüchen und Gruben, in Fabriken und Hüttenwerken, beim Eisenbahn- und Binnendampfschifffahrtsbetriebe, auf Werften und bei Bauten, 2. im Handwerk und in sonstigen stehenden Gewerbebetrieben, 3. […] […] gegen Krankheit zu versichern.“
Ebenfalls erfasst waren nach § 1 Abs. 2 KVG die sog. Betriebsbeamten. Diese waren Personen, die sich von den in Abs. 1 genannten Lohnarbeitern dadurch unterschieden, dass sie auch an der unternehmerischen Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes Anteil hatten, bei dem sie beschäftigt waren687. Heute könnte man sie mit den leitenden Angestellten vergleichen. Die Betriebsbeamten unterfielen der Versicherungspflicht aber interessanterweise nur dann, wenn ihr Arbeitsverdienst einen gewissen Betrag nicht überstieg. Ganz ähnlich waren nach § 1 Abs. 1 des Unfallversicherungsgesetzes688 (UVG) alle in einem näher beschriebenen Arbeitsumfeld „beschäftigten Arbeiter und Betriebsbeamte“ pflichtversichert, letztere allerdings nur solange wie „ihr Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt zweitausend Mark“ nicht überstieg. Im Wesentlichen gleich lautete auch das Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung689 (IAVG). Nach dessen § 1 Nr. 1 waren zum einen versichert „Personen, welche als Arbeiter, Gehülfen, Gesellen, Lehrlinge oder Dienstboten gegen Lohn oder Gehalt beschäftigt werden“, nach dessen § 1 Nr. 2 zum anderen auch „Betriebsbeamte sowie Handlungsgehülfen und -Lehrlinge […], welche Lohn oder Gehalt beziehen, deren regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt aber zweitausend Mark nicht übersteigt“. In den zitierten Verdienstobergrenzen für die Betriebsbeamten und Handlungsgehilfen spiegelten sich vor allem die vorausgegangenen, allgemeinen Erwägungen des historischen Gesetzgebers wider. 686 Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter v. 15. 06. 1883, RGBl. 1883, S. 73 ff. 687 So RVA Anleitung v. 19. 12. 1899 betr. den Kreis der nach dem IVG v. 13. 7. 1899 versicherten Personen, AN 1900 (16. Jg.) S. 277, 290 auch unter Hinweis auf die Definition des § 133a GewO 1891, vgl. das Gesetz, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung v. 01. 06. 1891, RGBl. 1891, S. 261 ff. Zu den Betriebsbeamten auch Richardi, JA 1986, 289, 292 f. 688 Unfallversicherungsgesetz v. 06. 07. 1984, RGBl. 1884, S. 69 ff. 689 Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung v. 22. 06. 1989, RGBl. 1889, S. 97 ff.
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Aus dessen Sicht war nämlich der entscheidende Zweck, dem der Erlass der Sozialversicherungsgesetze dienen sollte, eine „Verbesserung der wirthschaftlichen Lage der Arbeiter“ 690. Diese war gerade in den Fälle des Lohnausfalls infolge von Krankheit, Unfall, Invalidität oder Alter besonders prekär, da die Arbeiter auf Grund ihrer geringen Entlohnung hierfür nicht selbständig in ausreichendem Maße vorsorgen konnten691. Wo dies regelmäßig nicht zutraf – etwa bei den gut verdienenden Betriebsbeamten oder im Bereich der in den Apotheken beschäftigten Handlungsgehilfen – wurden ganze Beschäftigtengruppen von der Zwangsversicherung ausgenommen, weil diese „nach ihrer ganzen wirthschaftlichen Lage nicht gerechtfertigt“ erschien692. Nach § 2 Abs. 1 KVG konnte der Anwendungsbereich der Pflichtversicherung zusätzlich durch die „statutarische Bestimmung“ einer Gemeinde oder eines Kommunalverbandes auf bestimmte weitere Gruppen von Beschäftigten ausgedehnt werden, die nicht schon unmittelbar nach § 1 KVG erfasst worden waren. Von besonderem Interesse ist hier § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVG, der von „selbständigen Gewerbetreibenden, welche in eigenen Betriebsstätten im Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbetreibender mit der Herstellung oder Bearbeitung gewerblicher Erzeugnisse beschäftigt werden (Hausindustrie)“ spricht und damit nach heutiger Terminologie die arbeitnehmerähnlichen Personen meint. Ganz ähnlich erlaubte auch § 2 Abs. 1 Nr. 2 IAVG durch einen Beschluss des Bundesrates die Erstreckung der Pflichtversicherung über § 1 IAVG hinaus „auf solche selbständige Gewerbetreibende, welche in eigenen Betriebsstätten im Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbetreibenden mit der Herstellung oder Bearbeitung gewerblicher Erzeugnisse beschäftigt werden (Hausgewerbetreibende) […] und zwar 690 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 5. Legislaturperiode, II. Session 1882/83 (Bd. 5), Anlagen/Aktenstück Nr. 14, S. 140; ähnlich a. a. O., S. 142. Die Begr. E. IAVG (a. a. O. soeben Fn. 684), S. 49 konstatiert insoweit ein „erhebliches sozialpolitisches Bedürfnis des Gemeinwesens“ und sieht in der Einführung einer Invaliden- und Altersversicherung daher eine „werthvolle Verbesserung“ der Lage der erwerbsunfähigen Arbeiter (a. a. O. S. 53). 691 So stellvertretend etwa Begr. E. KVG (a. a. O. soeben Fn. 690), S. 140; ähnlich auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die Unfallversicherung der Arbeiter, Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 5. Legislaturperiode, IV. Session 1884 (Bd. 3), Anlagen/Aktenstück Nr. 4, S. 65. 692 Begr. E. KVG (a. a. O. soeben Fn. 690), S. 141 f.; dagegen nahm § 1 Nr. 2 IAVG später die Handlungsgehilfen der Apotheker grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Pflichtversicherung auf, jedoch nur dann, wenn deren regelmäßiger Jahresverdienst zweitausend Mark nicht überstieg. Vom IAVG ausgenommen waren dagegen Reichs- und Staatsbeamte, weil diese durch die Bestimmungen des Pensionsgesetzes bereits ausreichend abgesichert waren (so ausdrücklich Begr. E. IAVG (a. a. O. 2. soeben Fn. 684), S. 51). Zur geringeren Schutzwürdigkeit der gut verdienenden Betriebsbeamten ausführlich die Begr. E. UVG (a. a. O. soeben Fn. 691) S. 70.
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[…] auch dann, wenn sie die Roh- und Hülfsstoffe selbst beschaffen, und auch für die Zeit, während welcher sie vorübergehend für eigene Rechnung arbeiten“. Warum diese Beschäftigtengruppen nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich der Pflichtversicherungen nach § 1 KVG und § 1 IAVG693 einbezogen wurden, erschließt sich erst nach Lektüre der Gesetzgebungsmaterialien. Hauptgrund war nicht etwa – wie man wegen des heutigen Begriffsverständnisses der arbeitnehmerähnlichen Personen rückblickend meinen könnte – eine vermutete fehlende Schutzwürdigkeit auf Grund mangelnder persönlicher Abhängigkeit. Das ergibt sich systematisch schon aus § 2 Abs. 1 Nr. 4 KVG, nach dem solche „Personen, welche von Gewerbetreibenden außerhalb ihrer Betriebsstätten beschäftigt werden“ ebenfalls nur fakultativ nach § 2 KVG und nicht schon zwingend nach § 1 KVG in den Anwendungsbereich der Krankenversicherung fielen. Diese Vorschrift erfasste damit die sog. Außenarbeiter – nach heutiger Terminologie die Außendienstmitarbeiter bzw. Telearbeiter694 – und somit gerade unselbständige (persönlich abhängige) Arbeiter695 und nicht bloß eine weitere Kategorie von arbeitnehmerähnlichen Personen. Beweggrund für die Sonderregelungen des Gesetzgebers war vielmehr die Tatsache, dass aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit des Versicherungszwanges jeweils der Arbeitgeber und nicht der einzelne Arbeitnehmer selbst verpflichtet werden sollte, die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Daraus ergab „sich die Nothwendigkeit, den unmittelbaren gesetzlichen Versicherungszwang auf diejenigen Arbeiter zu beschränken, hinsichtlich deren ein Arbeitgeber für die Eingehung und Aufrechterhaltung des Versicherungsverhältnisses verantwortlich gemacht werden“ konnte696. Diese Voraussetzung war abstrakt gesprochen bei all denjenigen Arbeitern problematisch, die nur „vorübergehend mit einzelnen unregelmäßigen Dienstleistungen“ beschäftigt waren und daher „ohne einen festen Arbeitgeber zu haben, bald für diesen, bald für jenen, tage- oder selbst stundenweise einzelne Arbeiten gegen Lohn“ verrichteten697. Als konkret betroffene Beschäftigtengruppe wurden insoweit nicht nur die Außenarbeiter genannt, die oftmals „gleichzeitig für mehrere Unternehmer“ arbeiteten698. Diese Erwägung traf vielmehr gerade auch 693
In den Anwendungsbereich des UVG konnten die Hausindustriellen bzw. Hausgewerbetreibenden dagegen nicht einmal fakultativ aufgenommen werden. Dies erklärt sich daraus, dass sie nicht im selben Maße der Gefahr von Arbeitsunfällen ausgesetzt waren, wie die in § 1 UVG ausdrücklich genannten, „am meisten gefährdeten Arbeiter[gruppen]“, vgl. die Begr. E. UVG (a. a. O. soeben Fn. 691) S. 75. 694 Hromadka, NZA 1997, 569, 573; nach ders., NZA 1997, 1249, 1249 rechnete auch schon der historische Gesetzgeber die Außenarbeiter zu den Arbeitern und gerade nicht zu den Arbeitnehmerähnlichen. 695 RVA Urt. v. 15. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 181, 181 (Nr. 77). 696 Begr. E. KVG (a. a. O. soeben Fn. 690), S. 141. 697 Begr. E. KVG (a. a. O. soeben Fn. 690), S. 141. 698 Begr. E. KVG (a. a. O. soeben Fn. 690), S. 142.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
261
auf nicht unwesentliche Teile der Hausindustriellen bzw. Hausgewerbetreibenden zu699, die eine Übergangsstufe zwischen selbständigen Gewerbetreibenden und unselbständigen Arbeitern bilden sollten und daher – wohl nur historisch erklärbar – wiederum von den Außenarbeitern zu unterscheiden waren. Zudem waren ihre Beschäftigungsverhältnisse örtlich sowie nach Industriezweigen zu verschieden, um eine pauschale Einbeziehung in die Pflichtversicherung nach §§ 1 KVG/IAVG zu rechtfertigen700, und der – sogar ausdrücklich geäußerte und als „vielfach ganz besonders wünschenswert“ bezeichnete – Gedanke ihrer unmittelbaren und ausnahmslosen Aufnahme in die Sozialversicherungen wurde schließlich verworfen701. Unabhängig von diesen Erwägungen erkannte der historische Gesetzgeber jedoch, dass sich die Hausindustriellen in ihrer wirtschaftlichen Lage häufig nicht von den bereits nach §§ 1 KVG/IAVG pflichtversicherten Arbeitern unterschieden702: „[…] insbesondere überall da wo [von Umfang und Dauer] größere Arbeiten für Rechnung eines und desselben Dritten ausgeführt werden“, nehme dieser Vertragspartner „dem Hausindustriellen gegenüber dieselbe Stellung ein […], welche der Arbeitgeber gegenüber dem von ihm beschäftigten Lohnarbeiter“ habe“703. Weil und wenn dies so war, konnten die Gemeinden und Kommunalverbände mit Blick auf die besonderen örtlichen Gegebenheiten auf die jeweilige tatsächliche wirtschaftliche Situation der Beschäftigten reagieren und diese in den Anwendungsbereich der Kranken- bzw. der Alten- und Invaliditätsversicherung einbeziehen. Der Gesetzgeber ging also gerade nicht davon aus, dass ausschließlich die persönliche Abhängigkeit und nicht wirtschaftliche Aspekte bei der Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen der Sozialversicherungsgesetze eine Rolle spielen sollten, nur weil er für die heute sog. arbeitnehmerähnlichen Personen Sonderregelungen aufstellte. Im Gegenteil führten insbesondere bloße Praktikabilitätserwägungen704 dazu, diese Beschäftigtengruppen zunächst pauschal vom Anwendungsbereich der Pflichtversicherung auszunehmen und sie über flexible699
Begr. E. KVG (a. a. O. soeben Fn. 690), S. 142. E. KVG (a. a. O. soeben Fn. 690), S. 142.; Begr. E. IAVG (a. a. O. soeben Fn. 684), S. 66; besonders betont von Hromadka, NZA 1997, 569, 573 und ders., NZA 1997, 1249, 1249 f. 701 Begr. E. IAVG (a. a. O. soeben Fn. 684), S. 66. 702 Begr. E. KVG (a. a. O. soeben Fn. 690), S. 142; Begr. E. IAVG (a. a. O. soeben Fn. 684), S. 66; ebenso RVA Urt. v. 15. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 181, 181 (Nr. 77); aus der Literatur Hromadka, NZA 1997, 1249, 1249 f.; ders., NZA 2007, 838, 840. 703 Begr. E. IAVG (a. a. O. soeben Fn. 684), S. 66. 704 Begr. E. IAVG (a. a. O. soeben Fn. 684), S. 61 f. spricht insoweit auch ausdrücklich von „praktischen Schwierigkeiten“, die zu einer Nichteinbeziehung in die Sozialversicherung führten. 700 Begr.
262 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
re Bestimmungen auf kommunaler Ebene ausnahmsweise wieder einzubeziehen – gerade oder besser gesagt nur dann, wenn nach dem heutigen Begriffsverständnis eine Situation wirtschaftlicher Abhängigkeit vorlag (dauernde, fremdnützige Tätigkeit für hauptsächlich einen Auftraggeber) und die Einbeziehung damit einerseits praktisch ermöglicht wurde und sie andererseits auch auf Grund einer sozial schutzbedürftigen Lage gerechtfertigt erschien705. Interessant für die vorliegende Untersuchung ist schließlich noch eine Vorschrift des Unfallversicherungsgesetzes. In § 9 Abs. 2 UVG heißt es: „Als Unternehmer gilt derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb erfolgt.“ Aus dieser Definition des – modern gesprochen – Arbeitgebers lässt sich jedenfalls der Schluss ziehen, dass der historische Gesetzgeber706 zur Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbständigen auch dieses wirtschaftliche Element der Fremd- bzw. Eigennützigkeit einer Arbeitsleistung im Blick hatte. b) Beachtlichkeit persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit Diesen positiv-gesetzlichen Rahmen und die genannten Erwägungen des Gesetzgebers hatte das RVA vor Augen, als es vor der Aufgabe stand, den Anwendungsbereich der Sozialversicherungen zu bestimmen und zu begrenzen. Dabei erkannte es einen grundsätzlichen Gegensatz von abhängiger Beschäftigung einerseits und selbständiger Tätigkeit andererseits. Insofern heißt es in einer Anleitung des RVA betreffend den Kreis der nach dem Invalidenversicherungsgesetzes (IVG)707 versicherten Personen zusammenfassend: „[…] Die Versicherungspflicht [erstreckt sich nur] auf Beschäftigte in abhängiger Stellung, nicht dagegen auf selbständig Erwerbsthätige. Die wenigen Anhaltspunkte, die das Gesetz selbst für die Tragweite dieses durchgreifenden Gegensatzes bietet, beschränken sich auf den Sinn, den der Sprachgebrauch mit den Bezeichnungen ,Arbeiter‘, ,Gehülfen‘ u.s.w. verbindet, auf die Bedeutung der Worte ,Lohn oder Gehalt‘
705 Die Begr. E. KVG (a. a. O. Fn. 1148) S. 142 sprach insofern von einer Prüfung im Einzelfall, nach der ermittelt werden sollte, ob der „Krankenversicherungszwang durchführbar […] und gerechtfertigt“ war. Konsequenterweise konnte der örtliche Versicherungszwang dann wahlweise auch nur „auf einen Theil der zu einer dieser Klassen gehörenden Personen“ beschränkt werden (a. a. O. S. 144 f.). Vgl. dazu auch die inhaltlich gleichbedeutende Begr. E. IAVG (a. a. O. soeben Fn. 684), S. 66: Prüfung, ob die Versicherungspflicht „erforderlich und durchführbar“ war. 706 An dieser Stelle sei erwähnt, dass auch noch nach der heutigen Legaldefinition des § 136 Abs. 3 SGB VII „Unternehmer die natürliche oder juristische Person [… ist], der das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht“. 707 Das IVG v. 13. 07. 1899, RGBl. 1889, S. 393 ff. trat an die Stelle des oben zitierten und nur weniger als einen Monat zuvor erlassenen IAVG v. 22. 06. 1889, RGBl. 1889, S. 97 ff. Die Bestimmungen zum Anwendungsbereich beider Gesetze waren in den wesentlichen Teilen wortlautidentisch.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
263
im Gegensatze zu Einnahmen anderer Art (Preis, Gewinn) [und] die Bedeutung des Ausdrucks ,beschäftigt werden‘ […] im Vergleiche mit einer freien Tätigkeit […].708
Auf diesem grundsätzlichen Standpunkt stehend, versuchte das RVA Kriterien für eine Abgrenzung von unselbständiger und selbständiger Tätigkeit zu entwickeln. Betrachtet man einzelne Judikate des RVA aus der Sichtweise der heutigen Terminologie, so wird deutlich, dass es den Begriff des unselbständigen Arbeitnehmers mittels einer Mischung aus Kriterien von persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit bzw. sozialer Schutzbedürftigkeit zu bestimmen versuchte, wobei der Schwerpunkt zu Anfang eher auf den letzteren Elementen lag. Ein frühes und exemplarisches Urteil findet sich bereits im Jahr 1887. Dort hatte das RVA zu entscheiden, ob ein Scheermeister, der im Anschluss an seine eigentliche Anstellung in einer Druckerei nach Arbeitsende unregelmäßig noch für einen weiteren Unternehmer tätig wurde, auch zu letzterem in einem Beschäftigungsverhältnis nach § 1 Abs. 1 UVG stand. Dies wurde bejaht, da der Scheermeister nicht „als ein selbständiger Handwerker angesehen werden [konnte], welcher für eigene Rechnung die in sein Gewerbe einschlagenden Arbeiten verrichtete […] Vielmehr fand [er sich] in einem wenn auch nicht dauernden, sondern nur vorübergehenden Abhängigkeits- oder Dienstverhältnisse zu dem Unternehmer der Maschinenfabrik, welcher ihm für die Dauer dieses Verhältnisses Anweisungen hinsichtlich der Arbeit, sowie hinsichtlich der Haus- und Fabrikordnung zu ertheilen befugt war.“709
Wenig später stellte das RVA fest, dass die Bestimmung der Grenzlinie zwischen der Eigenschaft eines Beschäftigten als Arbeiter oder Unternehmer vor allem dann Schwierigkeiten bereiten konnte, wenn der Betreffende eventuell vorhandene, eigene Betriebsmittel auch im Interesse eines anderen verwendete. Ohne für die Lösung dieser Problemfälle ausdrücklich auf Elemente der persönlichen Abhängigkeit abzustellen, führt das RVA aus, dass sich „die Entscheidung […] nicht nach allgemeinen Gesichtspunkten, sondern nur nach der Lage des einzelnen Falles treffen [lässt], wobei neben den jeweilig getroffenen Vereinbarungen und der ganzen sozialen Stellung des Betreffenden vor Allem […] die Frage ins Gewicht fällt, ob der für seine Thätigkeit in dem fremden Betriebe bezogene Entgelt auch den Charakter eines Unternehmergewinnes oder lediglich den des Arbeitslohnes trägt.“710
708 RVA Anleitung v. 19. 12. 1899 betr. den Kreis der nach dem IVG v. 13. 07. 1899 versicherten Personen, AN 1900 (16. Jg.) S. 277, 296 (Nr. 28); wortlautidentisch auch noch RVA Anleitung v. 06. 12. 1905 betr. den Kreis der nach dem IVG v. 13. 07. 1899 versicherten Personen, AN 1905 (21. Jg.) S. 613, 640 (Nr. 28). 709 RVA Urt. v. 01. 02. 1887, AN 1887 (3. Jg.), S. 50, 50 f. (Nr. 308). 710 RVA Urt. v. 05.05. 1890, AN 1890 (6. Jg.), S. 494, 494 (Nr. 857).
264 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
In der Sache könne ein Entgelt insbesondere dann nicht als Unternehmergewinn angesehen werden, wenn es so geringfügig sei, dass es nur Lohn für die eigene Arbeitsleistung sei sowie als Ersatz für die Unterhaltskosten der eigenen Betriebsmittel gerade ausreiche711. Zusätzlich erschwert und entscheidend beeinflusst wurde die Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes aber vor allem durch die soeben unter a) angesprochene Tatsache, dass für die sog. Hausindustriellen und Hausgewerbetreibenden in § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVG bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 2 IAVG nur eine fakultative Einbeziehungsmöglichkeit in die Sozialversicherungen existierte. Die ohne weiteres nach § 1 KVG und § 1 IAVG pflichtversicherten Arbeitnehmer mussten damit nicht nur von den eigentlichen Selbständigen unterschieden werden, sondern auch von den heute sog. Arbeitnehmerähnlichen. Das RVA stand bei dieser Abgrenzung, ebenso wie die heutige Rechtsprechung, vor der besonderen Schwierigkeit, dass sich Arbeitnehmer und Arbeitnehmerähnliche in Bezug auf ihre soziale Schutzbedürftigkeit und ihre wirtschaftliche Abhängigkeit vom Vertragspartner, wie schon unter a) angedeutet, kaum voneinander unterschieden. Insbesondere leisteten auch die Hausindustriellen und Hausgewerbetreibenden ausweislichen der gesetzlichen Definition ihre Arbeit im „Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbetreibender“ und damit bei wirtschaftlicher Betrachtung auf dieselbe Art und Weise wie die typischen Fabrikarbeiter und gerade anders als die typischen Selbständigen. Diese problematische Gemengelage erkannte auch das RVA. Insoweit führte es aus: „Der Wortlaut des Gesetzes weist, indem er den ‚selbständigen‘ Gewerbetreibenden [i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 5 KVG bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 2 IAVG] von einem oder mehreren anderen Gewerbetreibenden ‚beschäftigt‘ und ‚für fremde Rechnung‘ thätig sein läßt, auf [eine] für die Hausindustrie eigenthümliche Verbindung einer gewissen Selbständigkeit mit der wirthschaftlichen Abhängigkeit des Beschäftigten hin. Insbesondere […] der Umstand, daß die Hausindustriellen nicht für eigene, sondern für fremde Rechnung arbeiten […ist] eine begriffsmäßige Voraussetzung der hausindustriellen Tätigkeit. Es ist für die Hausindustrie wesentlich, daß der Unternehmergewinn in der Hauptsache nicht dem Hausgewerbetreibenden, sondern dem den Absatz der Waaren vermittelnden Auftraggeber zufließt, von welchem der Hausgewerbetreibende wirthschaftlich mehr oder minder abhängt.“712
Aus dieser Feststellung zog das RVA den systematisch zutreffenden Schluss, dass der Gesetzgeber zur Unterscheidung von Hausindustriellen bzw. Hausgewerbetreibenden und den nach § 1 KVG bzw. § 1 IAVG pflichtversicherten Beschäftigten
711 712
RVA Urt. v. 05.05. 1890, AN 1890 (6. Jg.), S. 494, 494 (Nr. 857). RVA Urt. v. 15. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 181, 181 f. (Nr. 77).
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265
„eine wirthschaftliche Abhängigkeit beziehungsweise Unabhängigkeit nicht vorwiegend im Auge gehabt haben [konnte].“713
Auf Grund dieser Erkenntnis betrachtete das RVA nun vermehrt die tatsächlichen oder besser arbeitsorganisatorischen Bedingungen der zu beurteilenden Beschäftigungsverhältnisse und versuchte – somit letztlich mittels einer ontologischen Herangehensweise714 – handhabbare Kriterien für eine Abgrenzung zu entwickeln. Dabei lag ein signifikanter Unterschied zu den in § 1 KVG ausdrücklich genannten Beschäftigten bzw. Beschäftigungsformen offen zu Tage, der zudem auch rechtspraktisch leicht feststellbar715 war: Anders als bei den dort beschriebenen Tätigkeiten arbeiteten die Hausgewerbetreibenden und Hausindustriellen nicht innerhalb einer fremden Betriebsstruktur, waren damit einer unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeit des Vertragspartners kraft Weisung entzogen und wurden mithin nicht in einer – erstmals ausdrücklich als solche bezeichneten – persönlichen Abhängigkeit tätig. Wiederum in der Worten des RVA: „Die […] ‚Selbständigkeit‘ des Hausgewerbetreibenden [kann auf Grund einer den Fabrikarbeitern identischen Situation wirtschaftlicher Abhängigkeit] nur in der persönlichen Unabhängigkeit gefunden werden, in welcher der in der eigenen Betriebsstätte Thätige gegenüber dem in der Fabrik etc. des Arbeitgebers Beschäftigten steht. Die Beschäftigung in der eigenen Betriebsstätte führt durchgehends zu einer von der Thätigkeit in der Fabrik etc. wesentlich verschiedenen, freieren Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses. In der eigenen Werkstätte (Wohnung) ist der Beschäftigte alleiniger Herr; er bestimmt Anfang, Ende, Umfang und Reihenfolge der Arbeit. Regelmäßig ist er nach Annahme des Auftrages den weiteren Anordnungen und der Leitung des bestellenden Unternehmers bei Ausführung der Arbeiten nicht unterworfen; er hat nicht einmal immer die Identität der Waare zu gewährleisten, und es hat der Auftraggeber im Allgemeinen kein Interesse daran, ob diese bestimmte Person oder eine andere die Arbeit gefertigt hat. Es ist deshalb auch die etwaige Heranziehung und Bezahlung von Hülfskräften der selbständigen Entschließung des Beschäftigten überlassen. […] Der in der eigenen Behausung Thätige erhält in der Regel nur Einzelaufträge, nach deren Erledigung das Rechtsverhältniß erfüllt und beendigt ist, mit einem neuen Auftrage wird das Rechtsverhältnis von Neuem angeknüpft, und es besteht deshalb auch kein Anspruch auf weitere Beschäftigung oder auf Einhaltung einer Kündigungsfrist. Der Beschäftigte ist in der Lage, die ihm übertragenen Arbeiten beliebig, insbesondere um lohnendere Aufträge von anderer Seite anzunehmen, zurückzuweisen. Eine Disziplin des Arbeitgebers tritt so wenig ein, wie dessen Fürsorge. Im Übrigen ist mit dieser persönlichen Unabhängigkeit des Hausgewerbetreibenden keineswegs unvereinbar, daß er unter Umständen sogar dauernd von einem und demselben Auftraggeber beschäf713
RVA Urt. v. 15. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 181, 182 (Nr. 77). Wank, NZA 1999, 225, 226; Maties, in: FS Wank, S. 323, 327; M. Becker, Arbeitsvertrag, S. 319; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 222. 715 Rebhahn, RdA 2009, 154, 166; Waltermann, RdA 2010, 162, 164; ähnlich Zöllner/ Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht (6. Auflage 2008), § 4 III. 5. e) (S. 44). 714
266 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
tigt wird; im Gegentheil findet sich eine solche Art der Beschäftigung bei zahlreichen unzweifelhaft als Hausgewerbetreibende zu betrachtenden Personen thatsächlich vor. Insbesondere ist es an Plätzen mit langjähriger Hausindustrie keine Seltenheit, daß der einzelne Fabrikant oder Kaufmann über einen treuen Stamm von Hausgewerbetreibenden verfügt […].“716
Beachtlich an dieser Aussage sind vor allem zwei Dinge. Zum einen sind die Ausführungen zunächst nur auf die „Selbständigkeit der Hausgewerbetreibenden“ bezogen und sollen nicht unmittelbar und zugleich auch den Unternehmer (oder modern gesprochen den „echten“ Selbständigen) an sich charakterisieren. Zum anderen enthält diese Definition der persönlichen Unabhängigkeit auch einige Elemente, die nach dem heutigen und oben ausführlich dargestellten Begriffsverständnis717 eher der wirtschaftlichen Unabhängigkeit zuzuordnen wären, so namentlich der Einsatz von fremden Hilfskräften und eine unter Umständen nur kurzzeitige Tätigkeit für potentiell mehrere Auftraggeber. Nur und gerade dort, wo wie bei den Lohnarbeitern eine Dauerbeziehung des Hausgewerbetreibenden zu hauptsächlich einem Vertragspartner und damit eine wirtschaftliche Abhängigkeit auch im heutigen Sinne bestand – was allerdings der rechtstatsächliche Regelfall war – musste dann (allein) entscheidend auf das Unterscheidungskriterium der Weisungsfreiheit abgestellt werden. Im Ergebnis festzuhalten ist jedenfalls, dass das RVA auch in weiteren Entscheidungen zur Feststellung der Versicherungspflicht der in § 1 KVG, UVG und IAVG genannten Arbeitnehmer trotz der verwirrenden systematischen Vorgaben nicht grundsätzlich auf eine Prüfung (einzelner Kriterien) der wirtschaftlichen Abhängigkeit verzichtete. Dies war konsequent, denn es hatte ja an anderer Stelle – teilweise ausdrücklich, teilweise implizit beim Vergleich der Hausindustriellen mit den Arbeitern – vor allen Dingen die Arbeit auf fremde Rechnung als einen (mit-)entscheidenden Faktor bei der Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbständigen benannt. Die zumindest gleichrangige Bedeutung der wirtschaftlichen Abhängigkeit kommt denn auch in weiteren Entscheidungen des RVA noch deutlich zum Ausdruck: Für die Abgrenzung des Arbeiters vom Selbständigen komme es neben der wirtschaftlichen Unselbständigkeit auch auf das Merkmal der persönlichen Unabhängigkeit an718. Wenn auch das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit in einigen Entscheidungen etwas mehr in den Vordergrund zu
716
RVA Urt. v. 15. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 181, 182 f. (Nr. 77). Vgl. oben § 5 C. II. 1. 718 RVA Urt. v. 10. 04. 1893, AN 1893 (9. Jg.), S. 101, 101 (Nr. 252); ausdrücklich ein kumulatives wirtschaftliches und persönliches Abhängigkeitsverhältnis fordern etwa auch RVA Urt. v. 30. 09. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 172, 172 (Nr. 67); RVA Urt. v. 01. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 173, 174 (Nr. 69); RVA Urt. v. 31. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 183, 183 f. (Nr. 78); RVA Urt. v. 29. 04. 1893, AN 1893 (9. Jg.), S. 102, 102 f. (Nr. 254). 717
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267
rücken scheint719, so betonte das RVA doch weiterhin das grundsätzliche Nebeneinander von wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit im Rahmen einer schon damals typologisch vorzunehmenden Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes: „[…] Eine allgemeine Formel, die allen Erscheinungen des Wirtschaftslebens gerecht würde, [lässt] sich nicht wohl auffinden. In allgemeinster Fassung läßt sich nur sagen, daß die Versicherungspflicht eintritt, wo ein Verhältniß wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit des Arbeitenden von einem Arbeitgeber nachweisbar ist. Für diese Feststellung kommt eine große Anzahl verschiedener Einzelumstände mehr oder weniger durchgreifend in Betracht, derart, daß die Entscheidung oft nur mittels eines sorgfältigen Abwägens der verschiedenen Tatbestandsmerkmale gegen einander gewonnen, nicht aber im Wege zwingender Schlußfolgerung aus einer scharfen Begriffsbestimmung abgeleitet werden kann.“720
Nur ergänzend sei schließlich noch darauf hingewiesen, dass eine Abgrenzung der Hausindustriellen bzw. Hausgewerbetreibenden von den Außenarbeitern nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 KVG noch schwerer zu bewerkstelligen war. Ein Unterschied konnte – auf Grund der in beiden Fällen mangelnden Betriebseingliederung sowie des schwach ausgeprägten Weisungsrechts des Vertragspartners – angelehnt an die Systematik und den Wortlaut der gesetzlichen Rahmenbedingungen vor allem darin gesehen werden, dass die Hausindustriellen und Hausgewerbetreibenden in einer eigenen (und nicht bloß außerhalb einer fremden) Betriebsstätte und damit grundsätzlich mit eigenen und nicht mit fremden Betriebsmitteln produzierten721. Selbst im Rahmen dieser Abgrenzung sollten wirtschaftliche Elemente nach Ansicht des RVA daher nicht unberücksichtigt bleiben: „Die Frage, ob [ein Außenarbeiterverhältnis oder] ein selbständiger hausgewerblicher Betrieb vorliegt, ist […] nur von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der besonderen ob-
719 Diese These vertreten vor allen Dingen Hromadka, NZA 1997, 569, 574 und ihm folgend Reinecke, ZIP 1998, 581, 586, unter anderem mit Bezug auf RVA Urt. v. 27. 10. 1891, AN 1892 (8. Jg.), S. 2, 2 f. (Nr. 88), wo neben der persönlichen Unabhängigkeit allerdings auch auf das Element der „sehr kurzen Dauer“ der Tätigkeit sowie auf die Art und Weise der Bezahlung abgestellt wird (a. a. O. S. 3), sowie auf RVA Urt. v. 15. 06. 1892, AN 1893 (9. Jg.), S. 135, 135 ff. (Nr. 282), wo ebenfalls die Kriterien der Dauer und – entscheidend – des unternehmerischen Risikos eine Rolle spielten. Auf S. 137 wird dort schließlich auch wieder ausdrücklich vom „wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis“ gesprochen. Eine unzweifelhafte Akzentuierung der persönlichen Abhängigkeit ist dagegen in RVA Urt. v. 05. 06. 1892, AN 1893 (9. Jg.), S. 102, 102 (Nr. 253) zu erkennen. 720 RVA Anleitung v. 19. 12. 1899 betr. den Kreis der nach dem IVG v. 13. 7. 1899 versicherten Personen, AN 1900 (16. Jg.) S. 277, 296 (Nr. 28) und wortlautidentisch RVA Anleitung v. 06. 12. 1905 betr. den Kreis der nach dem IVG v. 13. 07. 1899 versicherten Personen, AN 1905 (21. Jg.) S. 613, 640 (Nr. 28); dem RVA ausdrücklich zustimmend Wank, Forschungsbericht, S. 86 ff. 721 So etwa Begr. E. KVG (a. a. O. soeben Fn. 690) S. 142.
268 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
waltenden Verhältnisse und der gesamten wirtschaftlichen und persönlichen Stellung des Beschäftigten zu entscheiden.“722
c) Zusammenfassung und Schlussfolgerung Hausindustrielle und Hausgewerbetreibende waren vom historischen Gesetzgeber in den 1890er Jahren nicht in den zwingenden Anwendungsbereich der Sozialversicherungen aufgenommen worden. Gerade weil diese sich aber teilweise ebenfalls in einer Situation wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit befanden, bestand für Gemeinden und Kommunalverbände die Möglichkeit der Einbeziehung. Da jedoch nicht allerorts und jeweils auch nicht für sämtliche Hausindustriellen bzw. Hausgewerbetreibenden von dieser fakultativen Möglichkeit Gebrauch gemacht worden war und Gebrauch gemacht werden konnte, bestand für das RVA die Notwendigkeit der Abgrenzung von den nach §§ 1 KVG/IAVG ohne weiteres Pflichtversicherten. Auf Grund einer oftmals identischen Situation sozialer Schutzbedürftigkeit und wirtschaftlicher Abhängigkeit konnte und musste das RVA Unterschiede vor allen Dingen in der Arbeitsorganisation bzw. der Einwirkungsmöglichkeit des Vertragspartners auf die Arbeitsleistung kraft Weisung erkennen. Es fasste diese Elemente unter dem Merkmal der persönlichen Abhängigkeit zusammen. Es wird damit deutlich, dass das RVA gerade durch die mehr oder minder zufällige, durch die Inhomogenität dieser Gruppe723 begründete und damit letztlich von Praktikabilitätserwägungen 722 RVA Urt. v. 15. 10. 1891, AN 1891 (7. Jg.), S. 181, 181 (Nr. 77) (vgl. dazu auch a. a. O. S. 183). 723 Gemeinsam war den Hausindustriellen, dass sie – ebenso wie die typischen Arbeiter – nach ihrer gesetzlichen Definition Arbeit auf fremde Rechnung leisteten. Davon abgesehen existierten bei genauerer Betrachtung zwei Untergruppen. Die eine Gruppe ähnelte in ihrer Beschäftigungssituation den klassischen Fabrikarbeitern auch insofern, als sie dauerhaft und für hauptsächlich einen Auftraggeber tätig wurden (wirtschaftliche Abhängigkeit im heutigen, oben § 5 C. II. 1. beschriebenen Sinne). Sie sollten nach der Intention des historischen Gesetzgebers ausnahmslos in den Anwendungsbereich der Sozialversicherungen aufgenommen werden, sofern sie auch sozial schutzbedürftig waren. Die andere Gruppe war zwar ebenfalls von wirtschaftlicher Schwäche bzw. sozialer Schutzbedürftigkeit gekennzeichnet. Sie ähnelten von ihrer Typik her aber eher den Selbständigen, da sie kurzzeitig für mehrere Auftraggeber arbeiteten (dieser Teil der Hausindustriellen wäre nach der obigen Definition daher schon nicht als wirtschaftlich abhängig im heutigen Sinne einzustufen gewesen). Infolgedessen – insbesondere mangels eines einzigen Auftraggebers, dem diese Situation sozialer Schutzbedürftigkeit zuzurechnen gewesen wäre – sah sich der historische Gesetzgeber gezwungen, die zweite Gruppe regelmäßig nicht in die Sozialversicherungen aufnehmen zu können. Konsequenterweise verbot sich damit eine einheitliche und pauschale Regelung für die gesamte Obergruppe der Hausindustriellen. Diese Sichtweise macht im Übrigen auch deutlich, dass gerade die wirtschaftliche Abhängigkeit (im heutigen Sinne) die zentrale Voraussetzung des Sozialversicherungsrechts und damit auch des ursprünglichen Arbeitnehmerbegriffes war. Vgl. hierzu auch schon die Ausführungen soeben § 6 D. I. 1. a).
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getragene Sonderstellung der heute sog. arbeitnehmerähnlichen Personen in den Sozialversicherungen – wenn nicht zur Herausarbeitung dann jedenfalls – zur besonderen Akzentuierung der Kriterien der persönlicher Abhängigkeit gezwungen wurde. Denn nur hierdurch konnte überhaupt eine Abgrenzung bewerkstelligt werden724. Neben der damit aus systematischen Gründen besonders notwendig gewordenen persönlichen Abhängigkeit, trug das RVA durch die ausdrückliche und kumulative Berücksichtigung der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. sozialen Schutzbedürftigkeit der Beschäftigten den bereits im Rahmen der Einleitung skizzierten sozial-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Industrialisierung Rechnung. Diese Ausgangslage hatte das RVA auch ausdrücklich als entscheidenden Schutzgrund ausgemacht725. Sie wird denn auch heute in der Literatur nicht bestritten, wenn es um die Frage nach den rechtspolitischen Gründen geht, die zur Herausbildung des Arbeits- und Sozialrechts als eigenständige Rechtskategorien führten726. Das RVA lag damit auch auf der unter a) aufgezeigten Linie des historischen Gesetzgebers. Dass nämlich vor allem die wirtschaftliche Situation der Beschäftigten die entscheidende Triebfeder des Sozialversicherungsrechts war, machen zum einen schon die Gesetzesmaterialien und die Aufnahme von Teilen der wirtschaftlich abhängigen Hausindustriellen in den fakultativen Anwendungsbereich des Sozialversicherungsrechts deutlich. Zum anderen kommt dieser gesetzgeberische Wille auch ausdrücklich in den erwähnten Entgeltobergrenzen für die Betriebsbeamten und Handlungsgehilfen sowie dem Ausschluss ganzer wirtschaftlich oder sozial als nicht schutzwürdig erkannter Arbeitnehmergruppen vom Versicherungszwang zum Ausdruck727. 2. Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts Diese durch das RVA begründete Form der Begriffsbestimmung wurde zunächst von den Zivil- und Arbeitsgerichten für das sich nun als eigenständiges
724
Vgl. dazu auch Hromadka, DB 1998, 195, 196 und 198. Hromadka, NZA 2007, 838, 841; ähnlich auch schon ders., NZA 1997, 1249,
725 So
1251.
726 In diesem Sinne etwa MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 18; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 3; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 15; Hromadka, DB 1998, 195, 196, 201; Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Richardi, JA 1986, 289, 295; Rancke, Berufe, S. 33 Fn. 34; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 225, 280; ebenso bereits Kreller, AcP 122 (1924), 1, 3; Silberschmidt, Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht 1927, Sp. 286, 286 f. und Nikisch, Grundformen, S. 91, 94 ff. 727 Für die anderen in §§ 1 KVG/UVG/IAVG genannten Arbeitnehmergruppen war die Einführung einer Entgeltobergrenze mangels praktischer Relevanz dagegen schlicht überflüssig, vgl. in diesem Sinne etwa die Begr. E. UVG (a. a. O. soeben Fn. 691) S. 70.
270 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Rechtsgebiet entwickelnde Arbeitsrecht728 übernommen. Das gilt weniger für Entscheidungen des Reichsgerichts (RG)729, das sich noch nicht mit einem allgemeinen Begriff des Arbeitnehmers auseinandersetzen musste730, als viel mehr für die Rechtsprechung des an dieser Stelle besonders interessierenden Reichsarbeitsgerichts (RAG). Letzteres wurde im Zuge des Erlasses des Arbeitsgerichtsgesetzes von 1926731, durch das erstmals einheitliche, branchen- und klassenübergreifende Arbeitsgerichte geschaffen worden waren732, aus der Taufe gehoben. Es war gem. §§ 1 Abs. 2 Nr. 3, 40 ff. ArbGG 1926 nichts anderes als der 3. Senat des RG733. a) Persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit als gleichberechtigte Merkmale Nicht nur Elemente persönlicher, sondern auch solche wirtschaftlicher Abhängigkeit beeinflussten daher anfangs die Bildung und Verwendung des Arbeitnehmerbegriffes durch die Rechtsprechung des RAG734. Gleich mehrmals wurde ausdrücklich betont, die wirtschaftliche Abhängigkeit stehe gleichberechtigt neben der persönlichen, wenn auch bisweilen bereits in diesen Entscheidungen inhaltlich die Prüfung der Merkmale der persönlichen Abhängigkeit im Vor728 Ausführlich hierzu etwa M. Becker, Arbeitsvertrag, S. 37 ff.; Sünner, Entwicklung, S. 8 ff. 729 Insbesondere scheint etwa die handelsrechtliche Entscheidung RGZ 87, 440, 442 eher in Richtung der „persönlichen Unterordnung“ zu tendieren, ohne für die Abgrenzung eines Handlungsagenten vom Handlungsgehilfen daneben auch auf die wirtschaftliche Abhängigkeit einzugehen (dies betont vor allem Hromadka, NJW 2003, 1847, 1849). Dagegen forderte in anderem Zusammenhang RGZ 98, 154, 155 wenig später für die „Selbständigkeit“ einer geschäftlichen Tätigkeit, dass der Betreffende im eigenen Namen und für eigene Rechnung handelt. Noch weitergehend bezeichnet RGZ 120, 300, 301 f. „im Dienstverhältnis […] stehende Personen“ und damit insbesondere Handlungsgehilfen oder Handwerksgesellen, als „wirtschaftlich und rechtlich im Verhältnis der Abhängigkeit zum Dienstberechtigten“ stehend und erkennt daher ein „besonderes Schutzbedürfnis [dieser] wirtschaftlich Schwachen“. 730 Ausdrücklich zum einheitlichen Arbeitnehmerbegriff bekennt sich zuerst RAG ARS Bd. 13, 311, 311. 731 RGBl. I 1926, S. 506 ff. und schon oben § 5 B. I. 732 MünchArb/Richardi, § 2 Rn. 33; Hromadka, NZA 1997, 569, 574. 733 Hromadka, NZA 2007, 838, 838; dazu auch MünchArb/Richardi, § 2 Rn. 33. 734 In diesem Sinne auch Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 9 (S. 35) Fn. 3; MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 18; ders., JA 1986, 289, 295 Fn. 40; ders., in: FS Hromadka, S. 309, 313 f.; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 3; Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 82; Reinecke, ZIP 1998, 581, 586; M. Becker, Arbeitsvertrag, S. 316; Rancke, Berufe, S. 33; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 225. Auch im österreichischen Recht war zu Anfang die persönliche und wirtschaftliche Unterordnung des Arbeitnehmers entscheidend, vgl. dazu Tomandl, ZAS 2008, 100, 101.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
271
dergrund stand. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1928 über den Status eines Buchmachergehilfen führte das Gericht beispielhaft aus: „Die Arbeitnehmereigenschaft wird […] immer dann vorhanden sein, wenn ein persönlich und wirtschaftlich von dem Arbeitgeber abhängiger Dienstverpflichteter innerhalb des Rahmens eines privatrechtlichen Vertrages nach dessen Bestimmungen eine unselbständige Tätigkeit für den Dienstherren auszuführen hat.“735
Inhaltlich wurde der Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom RAG zwar weder ausdrücklich definiert736, noch in abstrakter Weise inhaltlich näher umschrieben737. Erforderlich sei aber jedenfalls, dass von der Gesamtheit der Umstände auf eine wirtschaftliche (Un-)Abhängigkeit geschlossen werde738. Der Sache nach war dabei stets von besonderem Interesse, auf wessen Rechnung die Arbeit geleistet wurde, wer das Unternehmerrisiko trug (und wer für den Arbeitserfolg einzustehen hatte) bzw. wem die Einnahmen aus einer Geschäftstätigkeit zuflossen739. Erst allmählich, oftmals implizit im Rahmen seiner Entscheidungen zu den arbeitnehmerähnlichen Personen, war das Gericht vermehrt gezwungen, bestimmte Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit ausdrücklich zu benennen740. Danach konnte sich die wirtschaftliche Abhängigkeit auch äußern in der Höhe741 735 RAG ARS Bd. 4, 143, 143; vgl. auch a. a. O. 145; wortlautidentisch RAG ARS Bd. 13, 311, 311 f. sowie RAG ARS Bd. 14, 333, 333 f.; im Wesentlichen gleichbedeutend RAG ARS Bd. 6, 161, 166; RAG ARS Bd. 13, 470, 477; RAG ARS Bd. 13, 468, 469; RAG ARS Bd. 20, 183, 185; RAG ARS Bd. 27, 326, 329 f.; RAG ARS Bd. 31, 265, 266; leicht abweichend RAG ARS Bd. 9, 510, 513 sowie RAG ARS Bd. 13, 468, 469 („persönlich oder wirtschaftlich von dem Arbeitgeber abhängig“); schwächer RAG ARS Bd. 2, 145, 146 und RAG ARS Bd. 5, 27, 28 f. (die neben der allgemeinen Feststellung persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit „in erster Linie [auf] das Maß der persönlichen Selbständigkeit“ abstellen wollen), sowie RAG ARS Bd. 13, 42, 43 („in persönlicher und in gewissem Sinne auch wirtschaftlicher Abhängigkeit von einem Arbeitgeber“) und RAG ARS 33, 320, 321 sowie RAG ARS 36, 143, 144 („Maßgebend ist […] das Maß der persönlichen, nicht bloß der wirtschaftlichen Abhängigkeit“). 736 Exemplarisch etwa RAG ARS Bd. 30, 283, 284 f. 737 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 3 Fn. 6; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 15; Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 82; M. Becker, Arbeitsvertrag, S. 317. 738 RAG ARS Bd. 36, 256, 258. 739 RAG ARS Bd. 7, 299, 301; RAG ARS Bd. 13, 468, 469; RAG ARS Bd. 13, 480, 481; RAG ARS Bd. 15, 550, 552; RAG ARS Bd. 15, 528, 530. 740 Dabei sind diese Entscheidungen auch für den Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Arbeitnehmer relevant, weil das RAG die Eigenschaft eines Beschäftigten als arbeitnehmerähnlich noch ausdrücklich davon abhängig machte, dass er „wirtschaftlich gesehen […] in einem dem Arbeitsverhältnis gleichartigen Verhältnis zu bestimmten Unternehmern“ stand (RAG ARS Bd. 27, 326, 329 und 332) bzw. „wirtschaftlich und sozial betrachtet einem Angestellten“ nahe kam (RAG ARS Bd. 32, 221, 223). 741 RAG ARS Bd. 10, 576, 576 f.; RAG ARS Bd. 10, 579, 581; RAG ARS Bd. 36, 256, 257; implizit auch RAG ARS Bd. 3, 207, 208 sowie RAG ARS Bd. 8, 19, 19; einschränkend RAG ARS Bd. 32, 221, 223.
272 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
oder Form742 der Vergütung, der dauerhaften und umfangreichen Bindung an hauptsächlich einen Vertragspartner743 bzw. das Fehlen von Nebeneinkünften744, einer ausbleibenden Einschaltung eigener Hilfskräfte745, der arbeitsorganisatorischen Ausrüstung und Ausrichtung746, sowie – wiederum zentral – im Fehlen eines eigenen unternehmerischen Risikos oder unternehmerischer Gewinnchancen747 bzw. der Tätigkeit auf fremde Rechnung748. Über die Zusammenfassung dieser Einzelkriterien hinaus ist man sich in der Literatur heute zudem weitgehend einig, dass das RAG mit den mit dem Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit vor allen Dingen die sozial schutzbedürftige Lage der Arbeitnehmer erfassen wollte749. Bestätigt wird diese These dadurch, dass vereinzelt auch ausdrücklich das „soziale Verhältnis“ 750 eines Beschäftigten zum Auftraggeber oder seine „soziale Stellung“751 als Indiz für das Bestehen eines Arbeitsvertrages gewertet wurden. Diese Deutung deckt sich im Übrigen mit der noch heute überwiegend und auch hier vertretenen Begriffsverwendung, die – wie oben ausführlich dargestellt – die wirtschaftliche Abhängigkeit als zen-
742 So wurde die Vereinbarung eines Fest- oder Stücklohns eher als Indiz für wirtschaftliche Abhängigkeit gewertet (etwa RAG ARS Bd. 8, 21, 23; RAG ARS Bd. 9, 383, 385; RAG ARS Bd. 20, 183, 185), die Vereinbarung einer Provisionsvergütung dagegen als Indiz für wirtschaftliche Unabhängigkeit (etwa RAG ARS Bd. 5, 364, 365; RAG ARS Bd. 8, 19, 20); anders aber RAG ARS Bd. 29, 35, 36 f.; RAG ARS 36, 143, 144. 743 RAG ARS Bd. 4, 255, 256; RAG ARS Bd. 5, 364, 365; RAG ARS Bd. 8, 19, 20; RAG ARS Bd. 9, 383, 384; RAG ARS Bd. 10, 208, 211; RAG ARS Bd. 10, 576, 577; RAG ARS Bd. 10, 579, 581; RAG ARS Bd. 15, 528, 530; RAG ARS Bd. 31, 265, 266 f.; RAG ARS Bd. 32, 221, 223; RAG ARS Bd. 36, 256, 257. 744 RAG ARS Bd. 14, 333, 334. 745 RAG ARS Bd. 8, 21, 22; dabei wurde die Einschaltung fremder Hilfskräfte hier noch dem Oberbegriff der persönlichen Unabhängigkeit zugeordnet. 746 RAG ARS Bd. 10, 208, 210 f. 747 RAG ARS Bd. 8, 21, 23; RAG ARS Bd. 10, 208, 210 f.; RAG ARS Bd. 15, 550, 552; RAG ARS Bd. 15, 528, 530; RAG ARS Bd. 25, 226, 228; RAG ARS Bd. 27, 326, 329 f., 332. 748 RAG ARS Bd. 4, 255, 256; RAG ARS Bd. 7, 299, 301; RAG ARS Bd. 8, 21, 23; RAG ARS Bd. 10, 208, 210; RAG ARS Bd. 25, 226, 228; RAG ARS Bd. 27, 326, 329 ff. 749 So schon Molitor, Wesen, S. 75 und i. E. auch Nikisch, Grundformen, S. 94; aus der heutigen Literatur Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 4 f. und Fn. 31; Hromadka, DB 1998, 195, 196; M. Becker, Arbeitsvertrag, S. 317. 750 RAG ARS Bd. 6, 235, 239; RAG ARS Bd. 8, 45, 48. 751 RAG ARS Bd. 7, 299, 302; ähnlich RAG ARS Bd. 15, 550, 551; in diese Richtung deuten auch RAG ARS Bd. 8, 451, 452, RAG ARS Bd. 13, 42, 44 f. und RAG ARS Bd. 13, 470, 477, wo „wirtschaftliche Abhängigkeit“ in einen engen Zusammenhang mit der schlechten „wirtschaftlichen Lage“ bzw. der „wirtschaftlichen Schwäche“ eines Beschäftigten gesetzt wird.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
273
trales Element für die Beschreibung der sozialen Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten begreift752. Die Art und Weise der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes durch das RAG fand auch in der damaligen Rechtsliteratur Beifall. Das Gericht habe mit seiner Formel „die typische Situation des Arbeitnehmers, nämlich die wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit, ökonomisch und sozial erfaßt“ und es habe daher „mit Recht entscheidendes Gewicht auf den Begriff der wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit […] gelegt“753. Analog hierzu versuchten auch weite Teile der Literatur selbst, den Arbeitnehmer entweder primär oder jedenfalls ergänzend mittels seiner wirtschaftlichen Beschäftigungssituation zu beschreiben und vom Selbständigen abzugrenzen754. b) Der Verzicht auf das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit Hatten RVA und RAG damit in ständiger Rechtsprechungspraxis zunächst noch kumulativ eine persönliche und eine wirtschaftliche Abhängigkeit gefordert, trat im weiteren Verlauf der Rechtsprechung – namentlich mit den beginnenden 1930er Jahren – das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit sukzessive in den Hintergrund. Als Wendepunkt wird oftmals die Entscheidung des RAG vom 15. 02. 1930 genannt755. Dort ging es um die Frage, ob ein Beschäftigter, der als Vertreter gegen Provision mit dem Vertrieb von elektrischen Waschmaschinen beauftragt worden war, im Verhältnis zu dem auftraggebenden Betrieb als (selbständiger) Handlungsagent i. S. v. § 84 Abs. 1 HGB 1897756 oder als (unselb752
Vgl. dazu ausführlich oben § 5 C. I. 2 sowie § 5 III. Kahn-Freund, Das soziale Ideal des Reichsarbeitsgerichts, S. 49 f. 754 Ausschließlich auf die wirtschaftliche Abhängigkeit abstellend etwa Melsbach, Arbeitsrecht, S. 21 f.; Rosin, Recht, S. 31 f.; neben der persönlichen Abhängigkeit zumindest ergänzend auf einzelne Elemente der wirtschaftlichen Abhängigkeit (insbesondere die Arbeit auf fremde Rechnung) oder die soziale Schutzbedürftigkeit zurückgreifend etwa Kaskel, Arbeitsrecht, S. 66 f.; Molitor, Wesen, S. 73 ff; Nikisch, Grundformen, S. 182 ff.; Potthoff, Arbeitsrecht, S. 25 ff., 27, 56; Richter, Grundverhältnisse, S. 41; Kreller, AcP 122 (1924), 1, 3, 8 f.; Silberschmidt, Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht 1927, Sp. 286, 298 f.; dagegen (nahezu) ausschließlich auf die persönliche Abhängigkeit abstellend Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I (2. Auflage 1928), § 8 II. (S. 33 f.); Jacobi, Grundlehren, S. 43 ff., 52; Sinzheimer, Grundzüge, S. 122, 171 (siehe aber auch S. 32 ff.); A. Hueck, Anm. zu RAG ARS Bd. 4 143, S. 146; ders., Anm. zu RAG ARS Bd. 9, 510, S. 516 f. Die Ansichten der damaligen Literatur zusammenfassend Rancke, Berufe, S. 33; ausführlich dazu M. Becker, Arbeitsvertrag, S. 165 ff. 755 So ausdrücklich etwa Rancke, Berufe, S. 34 und 36; in der Sache auch Maties, in: FS Wank, S. 323, 329; Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 82; Richardi, JA 1986, 289, 295 Fn. 40. Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 82 spricht von „Leitentscheidung“; kritisch zu dieser Bezeichnung allerdings Reinhardt, Phänomen, S. 135. 756 Handelsgesetzbuch v. 10. 05. 1897, RGBl. 1897, S. 219 ff. 753
274 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
ständiger) Handlungsgehilfe i. S. v. § 59 HGB 1897 und damit als Arbeitnehmer anzusehen war. Zur Beantwortung dieser Frage habe „der Richter die sämtlichen für die Abgrenzung ins Gewicht fallenden Umstände gegeneinander abzuwägen; soweit Zweifel übrig bleiben, ist als entscheidendes Kriterium anzusehen das Ausmaß persönlicher Selbständigkeit, das der Vertrag dem Vertreter belässt.“757
Allerdings finden sich selbst in dieser Entscheidung noch Hinweise auf die wirtschaftliche Abhängigkeit, die zwar nicht länger entscheidend sein, aber auch nicht vollständig unberücksichtigt bleiben sollte: „Das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit wird […] nur mit Vorsicht heranzuziehen sein und nur dann Bedeutung beanspruchen können, wenn der Vertreter zu den wirtschaftlich schwachen Personen gehört, bei denen sich infolge ihrer wirtschaftlichen Schwäche auch die Abhängigkeit in persönlicher Hinsicht schärfer ausprägt.“758
Auch in späteren Entscheidungen taucht die – teilweise ausdrückliche und nicht im Sinne dieser Rechtsprechung eingeschränkte – Forderung nach der wirtschaftlichen Abhängigkeit im Rahmen des Arbeitnehmerbegriffes teilweise noch auf 759, ehe das Merkmal erst Schritt für Schritt vollständig verschwindet760. Das RAG hat diesen Verzicht auf das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit zwar niemals ausdrücklich erklärt oder gar ausführlich begründet761. Im Folgenden soll aber dargelegt werden, dass er vor allem auf zwei entscheidende Gründe zurückzuführen ist: einen rechtssystematischen (dazu sogleich aa)) und einen rechtstatsächlichen bzw. rechtspraktischen (dazu unten bb)).
757
RAG ARS Bd. 8, 451, 452. RAG ARS Bd. 8, 451, 452; ähnlich RAG ARS Bd. 29, 35, 36. 759 Vgl. dazu schon die Nachweise soeben Fn. 735 und daneben etwa RAG ARS Bd. 15, 550, 552, wo zwar auf die „allein entscheidende persönliche Abhängigkeit“ abgestellt wird, in der Sache aber überprüft wurde, ob der Beschäftigte ein Unternehmerrisiko zu tragen hatte. 760 RAG ARS Bd. 20, 302, 302 spricht noch vom „Grad persönlicher Abhängigkeit“ als demjenigen „Merkmal, dem […] das entscheidende Gewicht beizulegen ist“; RAG ARS Bd. 27, 7, 8 sieht das „Maß der persönlichen, nicht bloß wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Unternehmer“ als maßgebend an. RAG ARS Bd. 30, 283, 284 erkennt dann schon eine „feststehende Rechtsprechung“, wonach für die Arbeitnehmereigenschaft entscheidend „der Grad der persönlichen, nicht bloß wirtschaftlichen Abhängigkeit“ ist. Noch weitergehend beruft sich dann RAG ARS Bd. 32, 221, 222 auf eine „feststehende Rechtsprechung“, nach der „das Unterscheidungsmerkmal des Handlungsagenten vom Handlungsgehilfen [ist], daß er im großen und ganzen seine persönliche Selbständigkeit behält“, ohne daneben die wirtschaftliche Abhängigkeit überhaupt noch zu erwähnen. Ebenso RAG ARS Bd. 45, 34, 35. 761 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 3; Rommé, Arbeit, S. 102; Wank, Arbeitnehmer, S. 12; ders., Forschungsbericht, S. 87. 758
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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aa) Rechtssystematischer Grund In der Rechtsprechung des RAG hatte sich mehr und mehr die scheinbare Erkenntnis durchgesetzt, das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit sei aus rechtlicher Sicht für die Ziehung einer Grenzlinie zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen schon deshalb als untauglich einzustufen, weil auch ein Selbständiger wirtschaftlich abhängig sein könne762. Im Vordergrund standen dabei – nicht nur in der Leitentscheidung vom 15. 02. 1930 – zumeist Urteile mit handelsrechtlichem Hintergrund, die sich stets mit der Problematik zu beschäftigen hatten, ob ein Vertreter im jeweiligen Einzelfall selbständiger Handlungsagent (§ 84 Abs. 1 HGB 1897) oder unselbständiger Handlungsgehilfe (§ 59 HGB 1897) war763. Insoweit führte das Gericht exemplarisch aus, „daß auch Personen, die unzweifelhaft wirkliche Agenten, selbständige Kaufleute mit vielleicht ansehnlichem eigenem Geschäftsbetrieb sind, in wirtschaftlicher Abhängigkeit von den Handlungshäusern, die sie vertreten, stehen können.“764
Dagegen verbliebe auch hier „die freie Verfügung über seine Zeit und die eigene Einteilung der Arbeit […] trotzdem dem Handlungsagenten [und] die [bloß] wirtschaftliche Gebundenheit, die sich ergeben mag, bedeutet auch noch nicht die Begründung eines arbeitsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnisses.“765
Betrachtet man diese Aussage des Gerichts näher, dann ist das vorgebrachte Argument aber nur ein vermeintliches. Es basiert auf einer noch auf Branchen-, Berufsgruppen- und Klassenunterschiede fixierten Denkweise, von der sich das Arbeitsrecht als erst im Entstehen begriffenes, einheitliches Rechtsgebiet noch nicht gänzlich entfernt hatte766. Darauf aufbauend ging das Gericht offensichtlich von der durch eine tradierte Verkehrsanschauung begründeten und vom Ergebnis her gedachten Prämisse aus, ein Vertreter mit „ansehnlichem eigenem Geschäftsbetriebe“ könne keinesfalls Handlungsgehilfe bzw. Arbeitnehmer, sondern müsse vielmehr Handlungsagent bzw. Selbständiger sein767. Die daraus gefolgerte Erkenntnis des Gerichts ist in ihrer Undifferenziertheit und mit der gegebenen Be762 Konzen, ZfA 1982, 259, 290 sieht in dieser „Begründung“ zu Recht nur eine „recht beiläufige Bemerkung“. 763 So etwa schon in RAG ARS Bd. 2, 145, 145 ff.; RAG ARS Bd. 2, 232, 232; RAG ARS Bd. 5, 27, 27 ff. 764 RAG ARS Bd. 8, 451, 452; nahezu wortlautidentisch auch RAG ARS Bd. 10, 579, 583. 765 RAG ARS Bd. 10, 579, 583; ähnlich RAG ARS Bd. 12, 287, 289. 766 Vgl. dazu Silberschmidt, Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht 1927, Sp. 286, 286 f. 767 Ganz ähnlich wird zum Teil auch noch heute argumentiert, vgl. dazu Rebhahn, RdA 2009, 154, 165.
276 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
gründung aber nicht nur deshalb unzutreffend, weil gerade auch eine bestehende wirtschaftliche Abhängigkeitslage ebenso gut zur Einordnung als Handlungsgehilfe hätte führen können; § 84 Abs. 1 HGB 1897 machte jedenfalls anders als seine heute geltende Fassung keinerlei positivrechtliche Vorgaben in Richtung einer zwingend persönlich unabhängigen Stellung der Handlungsagenten. Sie übersieht daneben vor allem auch die Möglichkeit, dass sich die „Selbständigkeit“ solcher Handlungsagenten aus einer im Rechtssinne überhaupt nicht bestehenden wirtschaftlichen Abhängigkeitslage768 hätte ergeben können – insbesondere auf Grund der Übernahme eigenen Unternehmerrisikos bzw. der Arbeit auf eigene Rechnung, der Tätigkeit für mehrere Auftraggeber oder dem Einsatz eigener Hilfskräfte. Durch seine eigene pauschalisierende Formulierung konnte sich das Gericht jedoch in seiner Ansicht bestätigt sehen, dass auch ein unzweifelhaft Selbständiger scheinbar wirtschaftlich abhängig sein konnte, und war daher gezwungen, andere und von der wirtschaftlichen Abhängigkeit verschiedene Kriterien zur Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbständigen heranzuziehen. Es sah diese vor allen Dingen in arbeitsorganisatorischen Elementen wie der Eingliederung in eine fremde Betriebsorganisation oder der Unterordnung unter das Direktionsrecht eines anderen und damit im Merkmal der persönlichen Abhängigkeit769. In den Worten des Gerichts hieß es etwa: „Für [die Annahme einer Stellung als Handlungsgehilfe] ist die Feststellung einer geringeren Selbständigkeit des Vertreters und vor allem der Ein- und Unterordnung in den Geschäftsbetrieb des Geschäftsherrn erforderlich.“770
Wenig später führte das RAG aus: „Entscheidend ist das Maß der persönlichen Abhängigkeit vom Betriebe des Unternehmers […]. Es kommt darauf an, ob der für den Unternehmer Tätige in dessen Betrieb als unselbständiges Organ eingegliedert worden ist, oder er nur für das Unternehmen tätig ist und seine persönliche Selbständigkeit im wesentlichen behalten hat.“771 768 Sprachlich genauer sprach RGZ 87, 440, 442 noch von der „jeden Handlungsagenten treffenden geschäftlichen Abhängigkeit“ und meinte damit die grundsätzliche Angewiesenheit eines jeden Selbständigen, dass ein anderer seine Dienstleistungen oder Waren abnimmt. Nicht jede „geschäftliche“ Abhängigkeit führt aber zu einer wirtschaftlichen Abhängigkeit im (heutigen) arbeitsrechtlichen Sinne. 769 Daran ist freilich bemerkenswert, dass auch jede sonstige, nach Ansicht der Rechtsprechung „selbständig“ ausgeführte Arbeitsleistung ebenfalls ein gewisses Maß persönlicher Abhängigkeit mit sich brachte bzw. mit sich bringt (vgl. stellvertretend etwa §§ 618 Abs. 1, 645 Abs. 1 BGB sowie den heutigen § 84 Abs. 1 S. 2 HGB („im wesentlichen frei“)). Man hätte dieses Kriterium daher mit demselben Argument ebenso in Frage stellen können wie die wirtschaftliche Abhängigkeit. 770 RAG ARS Bd. 10, 579, 583; ähnlich RAG ARS Bd. 27, 7, 8; RAG ARS Bd. 34, 45, 51 f. 771 RAG ARS Bd. 15, 505, 505; ähnlich RAG ARS Bd. 8, 451, 453; RAG ARS Bd. 36, 143, 144.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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Kennzeichnend sei daneben auch „die Pflicht [eines Beschäftigten], regelmäßig täglich zu einer bestimmten Stunde zu erscheinen und dabei Weisungen entgegenzunehmen.“772
Ohne weitere Erläuterung ist die geschilderte Argumentation des Gerichts damit zwar nicht viel mehr als eine bloße Behauptung773. Dennoch lässt sich die Sichtweise der Rechtsprechung gesetzessystematisch stützen und hängt mehr oder minder stark auch mit der positivrechtlichen Geburt der arbeitnehmerähnlichen Personen im Arbeitsrecht774 zusammen. Oben (§ 5 B. I.) wurde bereits in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die arbeitnehmerähnlichen Personen zuerst im Jahre 1926 Eingang in § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG fanden und folglich von den Arbeitnehmern unterschieden werden mussten; 1934 wurden sie zudem erstmals ausdrücklich als „wirtschaftlich unselbständig“ definiert. Dagegen waren zuvor – in der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund von 1869, die eine der frühesten Teilregelungen des modernen Arbeitsrechts darstellt und die in ihren §§ 127 ff. die „Verhältnisse der Fabrikarbeiter“ regelte – die Hausindustriellen775 noch unmittelbar zu den Arbeitnehmern gerechnet worden. In § 136 hieß es: „Unter Arbeitern (§. 134.) werden hier auch diejenigen verstanden, welche außerhalb der Fabrikstätten für Fabrikinhaber oder für die ihnen gleichgestellten Personen die zu deren Gewerbebetriebe nöthigen Ganz- oder Halbfabrikate anfertigen, oder solche an sie absetzen, ohne aus dem Verkaufe dieser Waaren an Konsumenten ein Gewerbe zu machen.“ 776
Wie sich der Arbeitnehmerbegriff in der Folge entwickelt hätte, wäre der arbeitsrechtliche Gesetzgeber dieser Vorlage gefolgt und hätte die Beschäftigten dieser Gruppe im Falle ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit sämtlich zu den Arbeitnehmern gezählt, statt die vom Sozialversicherungsgesetzgeber „erfundene“777 Zwischenkategorie der später sog. Arbeitnehmerähnlichen zu überneh772 RAG ARS Bd. 8, 451, 453; ähnlich RAG ARS Bd. 2, 232, 232; RAG ARS Bd. 4, 255, 256; RAG ARS Bd. 13, 480, 481; RAG ARS Bd. 15, 550, 552; RAG ARS Bd. 20, 302, 302 f. 773 Konzen, ZfA 1982, 259, 290. 774 Das Sozialversicherungsrecht kannte dagegen schon von Anfang an die Kategorie der sog. Hausindustriellen bzw. Hausgewerbetreibenden, die der Sache nach nichts anderes als arbeitnehmerähnliche Personen waren, vgl. oben § 6 D. I. 1. Für sie existierten auch bereits einzelne (arbeitsrechtliche) Teilregelungen im Hausarbeitsgesetz von 1911, vgl. dazu bereits oben § 5 B. IV. sowie Hromadka, NZA 1997, 1249, 1250 f. 775 Daneben erfasste die Vorschrift noch die sog. Außenarbeiter, vgl. Hromadka, NZA 1997, 1249, 1249; Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 77. 776 Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund v. 21. 06. 1869, Bundesgesetzbl. des Norddeutschen Bundes 1869, S. 245 ff. 777 Mit Silberschmidt, Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht 1927, Sp. 286, 286 f. kann deren Sonderstellung schon allein damit erklärt werden, dass Arbeitsrecht ursprünglich als „Sonderrecht des Fabrikarbeiters“ begriffen wurde (dazu auch MünchArb/Richar-
278 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
men, kann heute nur gemutmaßt und an dieser Stelle nicht näher verfolgt werden. Wenn aber spätestens mit § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG 1934 nunmehr implizit gesagt war, dass nach dem jetzt geltenden Recht ein (bloß) wirtschaftlich Unselbständiger (= Abhängiger) nicht schon ohne weiteres Arbeitnehmer war, sondern ebenso gut auch Arbeitnehmerähnlicher hätte sein können, so war das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des Arbeitsrechts scheinbar ohne Mehrwert778. Dass diese Schlussfolgerung aus der insoweit bis zu zur Einführung des § 611a Abs. 1 BGB nicht grundlegend veränderten Gesetzessystematik zu kurz greift, wurde bereits ausführlich dargestellt779. Die Existenz der arbeitnehmerähnlichen Personen lieferte nämlich damals wie heute nur einen Erklärungsansatz dafür, dass das RAG in seiner Rechtsprechung nicht (mehr) ausschließlich auf Kriterien der wirtschaftlichen Abhängigkeit zur Begründung des Arbeitnehmerstatus abstellen konnte. Sie bedeutete damit nur, dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft nicht „ausreichend“ sein konnte780. bb) Rechtstatsächlicher und rechtspraktischer Grund Neben diesem rechtssystematischen Grund führten aber zweitens noch rechtstatsächliche sowie rechtspraktische Erwägungen zu einer Aufgabe der Prüfung der Kriterien wirtschaftlicher Abhängigkeit durch die Gerichte. (1) Der typische Gleichlauf von persönlicher Abhängigkeit, wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit Ausgangspunkt dieser Erwägungen ist dabei ein typischer Gleichlauf der persönlichen mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Schon bei einer abstrakten Betrachtung der einzelnen Kriterien liegt die Deutung nahe, dass die Elemente der di, § 1 Rn. 3) und die Arbeitnehmerähnlichen offensichtlich (schon und nur) aus arbeitsorganisatorischen Gründen (Tätigkeit außerhalb einer fremden Betriebsstätte) nicht unter dieses Leitbild des Fabrikarbeiters subsumiert werden konnten. Geradezu symptomatisch versuchte das RAG denn auch zunächst alle Beschäftigten, die nicht der Klasse der Fabrikarbeiter angehörten, aber dennoch wirtschaftlich und persönlich (i. S. e. Weisungsgebundenheit) abhängig waren, unter den Begriff der arbeitnehmerähnlichen Person zu fassen, vgl. in diesem Sinne statt vieler RAG ARS Bd. 8, 19, 20 und RAG ARS Bd. 10, 576, 576 f. 778 Ähnlich und zu Recht ebenfalls kritisch Maties, in: FS Wank, S. 323, 329. Diese Erkenntnis wurde vom RAG zwar – soweit ersichtlich – nicht ausdrücklich geäußert. Sie ist einzelnen Entscheidungen des Gerichts aber jedenfalls implizit zu entnehmen, vgl. etwa RAG ARS Bd. 25, 226, 228; RAG ARS Bd. 27, 326, 329; zur insoweit parallelen sozialversicherungsrechtlichen Ausgangslage, die das RVA vorfand, vgl. auch schon soeben § 6 D. I. 1.; aus der Literatur Hromadka, DB 1998, 195, 196; Rancke, Berufe, S. 38; Reinhardt, Phänomen, S. 333. 779 Daher sei an dieser Stelle auf die Ausführungen oben § 6 C. II. verwiesen. 780 Zu weitgehend daher Hromadka, DB 1998, 195, 196 und 198.
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279
persönlichen Abhängigkeit regelmäßig nichts anderes sind als die formale Kehrseite der wirtschaftlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten. Bereits das RAG erkannte – bemerkenswerterweise ausgerechnet in der schon mehrfach zitierten Leitentscheidung, die letztlich zur Aufgabe des Kriteriums der wirtschaftlichen Abhängigkeit führen sollte –, dass gerade der Arbeitstag desjenigen Beschäftigten „im Wesentlichen ausgefüllt“ ist, der in „hohem Maße in den Betrieb“ eines anderen eingegliedert ist, und es ihm deshalb „unmöglich gemacht [wird], neben der Tätigkeit für [einen Auftraggeber] noch eine andere geschäftliche Tätigkeit zu entfalten“781. Was hier geschieht, ist offensichtlich: Das scheinbar rein formale und unstreitig der persönlichen Abhängigkeit zugerechnete Kriterium der Eingliederung in einen fremden Betrieb wird in der Sache angereichert und ausgefüllt durch das wirtschaftliche Element des erheblichen Umfangs der Tätigkeit. Letzteres führt wiederum dazu, dass ein Beschäftigter (hauptsächlich) nur für einen Auftraggeber tätig werden kann und von diesem auch wirtschaftlich abhängig ist. Dabei muss hier nicht einmal geklärt werden, ob tatsächlich die intensive Betriebseingliederung dazu führt, dass der Beschäftigte in erheblichem Umfang überwiegend an einen Auftraggeber gebunden wird, oder ob nicht umgekehrt gerade die umfangreiche (und oftmals dauerhafte) Tätigkeit für diesen einen Auftraggeber regelmäßig auch eine organisatorische Eingliederung in hohem Maße zur Folge hat. Entscheidend für die Untersuchung ist an dieser Stelle nur, dass sich die Elemente der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht diametral gegenüberstehen, sondern sich vielmehr oftmals gegenseitig bedingen, sie ineinander übergreifen782 und dass gerade dann, wenn ein Beschäftigter als persönlich abhängig eingestuft wird, er typischerweise überdies auch wirtschaftlich abhängig und in der Folge sozial schutzbedürftig sein wird. Dieser Zusammenhang lässt sich auch weiter belegen: Wer etwa für längere Dauer für ein und denselben Dienstherren tätig wird, der wird sich intensiver in dessen betriebliche oder arbeitsorganisatorische Struktur eingliedern (müssen) als derjenige, der dies nur einmalig, kurzzeitig oder sporadisch tut und der sich anschließend wieder einem anderen Vertragspartner zuwendet783. Wer beispielsweise bei der Ausführung einer Tätigkeit verpflichtet ist, ausgeprägter fremder Direktion Folge zu leisten, der wird auch regelmäßig nicht in der Lage sein, ent781 So ausdrücklich RAG ARS Bd. 8, 451, 453 f.; ähnlich auch RAG ARS 33, 320, 321 ff. 782 Zutreffend Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 294; Rebhahn, RdA 2009, 236, 240 f. spricht von „hoch korrelierenden“ Kriterien; ähnlich auch Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit und Maties, in: FS Wank, S. 323, 328 und 331; im Ansatz auch U. Fischer, FA 2017, 34, 35. Eine Ausnahme bildet hier freilich die Gruppe der arbeitnehmerähnlichen Personen. 783 Rebhahn, RdA 2009, 154, 167.
280 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
gegen dieser organisatorischen Fremdbestimmtheit in derselben Sache zugleich eigene unternehmerische Interessen zu verfolgen784. Vielmehr ist ein solcher Beschäftigter wohl nahezu ausnahmslos gezwungen, seine Arbeit auf fremde Rechnung zu leisten und einem anderen – dem Weisungen erteilenden Vertragspartner – die wirtschaftliche Verwertung der eigenen Arbeitskraft zu überlassen. Es besteht für ihn bei Ausführung einer solchen Tätigkeit auch regelmäßig weder die Möglichkeit eigene Hilfskräfte einzuschalten noch die Notwendigkeit auf eine eigene Betriebsorganisation zurückzugreifen785. Wer sich seine Arbeitszeit und Arbeitskraft dagegen frei einteilen kann und zudem nicht straff in die Arbeitsorganisation eines anderen eingebettet ist, der hat in der Regel zumindest auch die Möglichkeit, unter Übernahme eines Unternehmerrisikos daneben noch am Markt aufzutreten und damit letztlich auf eigene Rechnung zu wirtschaften786. Spiegelbildlich – aus Arbeitgebersicht – wird derjenige, der kraft seiner Organisationshoheit Weisungen zu geben befugt ist, regelmäßig auch etwaige unternehmerische Gewinne für sich beanspruchen können. Zugleich trägt er aber auch das Risiko des wirtschaftlichen Scheiterns seiner Tätigkeit, woraus wiederum ein besonderes Interesse erwächst, die Hilfskräfte, die er zur Erreichung seiner unternehmerischen Ziele beschäftigt, nach seinen Vorstellungen einzusetzen; er wird ihnen deshalb insbesondere fachliche, aber auch zeitlich oder örtliche Weisungen erteilen wollen787. Wer also persönlich abhängig ist, ist typischerweise zugleich wirtschaftlich abhängig. Wer wirtschaftlich abhängig ist – das wurde bereits an anderer Stelle ausführlich gezeigt – ist typischerweise auch sozial schutzbedürftig, wenn nicht eine gewisse Entgelthöhe überschritten wird, die den Beschäftigten zur Eigenvorsorge befähigt788. Ein solcher Beschäftigter bedarf daher des arbeitsrechtlichen Schutzes. Dieser Zusammenhang wird nicht nur von weiten Teilen der heute herrschenden Meinung im Grundsatz (an-)erkannt789, auch wenn hier bisweilen 784
Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 218 f. Beispielhaft RAG ARS 45, 34, 37 ff. 786 Beispielhaft etwa RAG ARS 33, 320, 322. Ähnlich wie hier Boemke, ZfA 1998, 285, 316 f.; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 18; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 203; Wank, NZA 1999, 225, 228; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 299; leicht abweichend aus rechtsvergleichender Perspektive Rebhahn, RdA 2009, 154, 169. 787 Dieser Zusammenhang wird etwa schon in RAG ARS Bd. 29, 35, 36 deutlich; i. E. ebenso Wank, Arbeitnehmer, S. 155; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 294 f. 788 Vgl. dazu oben § 5 III. 789 BAG NZA 1997, 600, 601; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 7 (S. 26); Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 19; Hromadka, DB 1998, 195, 197; Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 217 ff.; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 196 f.; Rebhahn, RdA 2009, 154, 166; ders., RdA 2009, 236, 241; Zeuner, RdA 1975, 84, 84; Zöllner, RdA 1969, 65, 67; Rancke, Berufe, S. 33 Fn. 34; Wachter, Wesensmerkmale, S. 83 ff. und schon Molitor, Wesen, S. 92; abweichend Boemke, ZfA 1998, 285, 299, 316 f., 322 f. Der österreichische 785
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vorsichtiger dahingehend formuliert wird, dass in jeder persönlichen Abhängigkeit auch ein „gewisses Maß“ an wirtschaftlicher Abhängigkeit liege790 oder die (wirtschaftliche) Schutzbedürftigkeit eines Arbeitnehmers durch seine Weisungsgebundenheit typischerweise indiziert sei791. Daneben war sich wohl auch schon das RAG selbst dieser grundlegenden Wechselbeziehung bewusst. Diese Deutung findet jedenfalls eine Stütze in verschiedenen Judikaten. So formulierte das Gericht etwa, entscheidend sei das „Maß der persönlichen Abhängigkeit, das auch in der wirtschaftlichen Abhängigkeit hervorzutreten pflegt“792 oder die „allein ausschlaggebende persönliche Abhängigkeit wirke sich […] in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit aus“793. Gerade letztere sei aber kennzeichnend für die „Bevölkerungsschicht, welcher die besonderen Vorschriften des arbeitsgerichtlichen Verfahrens dienen sollen“794. Das soeben gefundene Ergebnis, dass eine Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit regelmäßig auch in wirtschaftlicher Abhängigkeit geleistet wird, besitzt zwar auch heute noch überwiegende795 Gültigkeit. Es traf aber auf Grund der damals bestehenden Rahmenbedingungen bzw. der Struktur der Beschäftigung, insbesondere in den Fabriken der Industrie oder im Bergbau, in besonderem Maße anfangs des vergangenen Jahrhunderts zu796. Hinzu kam, dass gerade im Zeitpunkt der hier untersuchten Rechtsprechungsänderung Anfang der 1930er VwGH geht sogar noch weitergehend davon aus, dass wirtschaftliche Abhängigkeit eine notwendige Folge persönlicher Abhängigkeit ist und damit stets dann vorliegt, wenn jemand persönlich abhängige Arbeit verrichtet, vgl. die Nachweise bei Tomandl, ZAS 2008, 100, 112. Diesen Grundsatz einschränkend Wank, in: FS Küttner, S. 5, 11. 790 MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 18 und schon Dersch, Anm. zu RAG ARS Bd. 31, 265, S. 269. 791 Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 16; ähnlich Reinecke, ZIP 1998, 581, 586 f. 792 RAG ARS Bd. 15, 505, 505; ähnlich, aber schwächer RAG ARS Bd. 29, 35, 36. 793 RAG ARS Bd. 15, 550, 552 f. 794 So RAG ARS Bd. 15, 550, 552 f., wo das Gericht allerdings auch davon ausgeht, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit eines Krankenhausarztes durch die im Unterschied zu anderen Arbeitnehmern vergleichsweise hohe Vergütung nicht aufgehoben wird. Aus heutiger Sicht hielt sich die Vergütung des in Rede stehenden Arztes freilich in Grenzen; sie orientierte sich an den bestehenden staatlichen Besoldungsgruppen. Anders noch RAG ARS Bd. 14, 333, 334, wo das gesamte Arbeitseinkommen als „für die Frage der wirtschaftlichen Abhängigkeit allein in Betracht kommend“ bezeichnet wird und die Arbeitnehmereigenschaft deshalb verneint wurde. 795 Insoweit schon kritisch aber Rebhahn, RdA 2009, 236, 241; näher dazu sogleich § 6 D. III. 796 So ausdrücklich schon Silberschmidt, Leipziger Zeitschrift für das deutsche Recht 1927, Sp. 286, 298 f. und i. E. auch Molitor, Wesen, S. 92 und Nikisch, Grundformen, S. 94; aus der neueren Literatur ebenso Rebhahn, RdA 2009, 154, 166; ders., RdA 2009, 236, 241; Waltermann, RdA 2010, 162, 164; Strasser, Betriebsvereinbarung, S. 14 ff.; Zöllner, RdA 1969, 65, 67.
282 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Jahre die 1929 ausgelöste Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreichte797. Das führte dazu, dass (wohl nahezu) ausnahmslos alle Beschäftigten, die persönlich abhängig ihre Dienste anboten, nicht nur wirtschaftlich abhängig im heutigen Sinne waren, sondern darüber hinaus auch sozial schutzbedürftig, weil ihre Vergütung zur selbständigen Daseinsvorsorge nicht ausreichte. Galt die regelmäßige Gleichung persönliche Abhängigkeit = wirtschaftliche Abhängigkeit = soziale Schutzbedürftigkeit zuvor ohnehin schon für den industriellen Lohnarbeiter des Bergbaus, der Hüttenindustrie oder des Maschinenbaus und damit für all diejenigen Beschäftigten, die das Arbeitsrecht damals vornehmlich zu erfassen suchte798, so weiteten sich die typische wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit spätestens ab nun auch auf persönlich abhängig Erwerbstätige anderer Berufsgruppen wie etwa die kaufmännischen Angestellten aus799. (2) Konsequenzen und Folgerungen Hieraus ergab sich für die Gerichte die Konsequenz, dass schon derjenige, der seine Dienste formal in persönlicher Abhängigkeit erbrachte, des erweiterten Schutzes des Sonderrechts Arbeitsrecht typischerweise auch materiell bedurfte. Die Abgrenzung konnte sich daher auf die äußeren und jedenfalls zur damaligen Zeit leichter feststellbaren Merkmale der persönlichen Abhängigkeit beschränken. Da der weitaus größte Teil der bislang unzweifelhaft als Arbeitnehmer eingestuften Beschäftigten in den großen Betriebsstätten der Industrie organisatorisch zusammengefasst und die Arbeit dort streng hierarchisch strukturiert war, bot sich eine Orientierung an diesen Kriterien – die damit nicht mehr als die realen Arbeitsbedingungen des typischen Industriearbeiters beschrieben – zweifellos als praktikabel an800. Beuthien/Wehler sprechen insoweit plastisch und 797
Darauf hinweisend auch Rommé, Arbeit, S. 103. Rancke, Berufe, S. 32 f.; ähnlich auch MünchArb/Richardi, § 2 Rn. 7; Rebhahn, RdA 2009, 154, 166. 799 Die Weltwirtschaftskrise hatte gerade in Deutschland drastische Auswirkungen. Sie führte zu einem Einbruch der Industrieproduktion um 40 – 50 % und hatte einen extremen Anstieg der Arbeitslosenquote sowohl unter den Arbeitern als auch unter den Angestellten zur Folge. Weite Teile der Mittelschicht stürzten Anfang der 1930er Jahre in Armut (ausführlich Pressler, Weltwirtschaftskrise, S. 126 ff., 134). Auch die Löhne der Arbeitnehmer, die weiterhin in Vollzeit beschäftigt waren, brachen von 1929 bis 1932 um mehr als 35 % ein (Statistisches Bundesamt 2014 (2. Vierteljahr), Verdienste und Arbeitskosten, Verdienstindizes für Erbbauzinsberechnungen, S. 3 und ebenso schon Institut für Konjunkturforschung 1932, Vierteljahreshefte zur Konjunkturforschung, 7. Jahrgang Heft 1, S. 44). Vgl. zu alledem auch die Übersichten in Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Zweiundfünfzigster Jahrgang (1933), S. 265 ff., 287. 800 Rebhahn, RdA 2009, 154, 166; Waltermann, RdA 2010, 162, 164; Rancke, Berufe, S. 34 f.; Wachter, Wesensmerkmale, S. 84 f.; ähnlich Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 217; ders., RdA 1977, 210, 212 f. 798
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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treffend von einer phänomenologisch-topischen Argumentation, die eher an eine Diagnose erinnert, welche die Symptome beschreibt, aber nicht den Tatbestand selbst erfasst801. Eine zusätzliche Überprüfung wirtschaftlicher Abhängigkeit oder sozialer Schutzbedürftigkeit als Anwendungsvoraussetzung des Arbeitsrechts hätte die Gerichte nach der Herausarbeitung operabler Kriterien zwar wohl nicht „hoffnungslos überfordert“802. Sie war aber schlicht überflüssig, da sie ohnehin die Folge einer Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit war. Insofern kann die Judikatur des RAG durchaus als effizient bezeichnet werden, wenn das Gericht in seiner weiteren Rechtsprechung die Kriterien der wirtschaftlichen Unabhängigkeit kaum mehr erwähnte. Man mag daraus den zunächst scheinbar nächstliegenden Schluss ziehen, das Kriterium sei seitdem kein konstitutives Merkmal des Arbeitnehmerbegriffes mehr gewesen. Rechtsdogmatisch wäre aber auch eine weitere Interpretation denkbar, die womöglich besser die soeben dargestellte Entstehungsgeschichte des Arbeitnehmerbegriffes berücksichtigt und die Rechtsprechungsänderung des RAG erklärt: Auch die wirtschaftliche Abhängigkeit sowie die soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten werden unwiderlegbar vermutet, wenn bereits der Tatbestand der persönlichen Abhängigkeit erfüllt ist803. Im Ergebnis ähnlich wird von Teilen der Literatur noch heute argumentiert: Arbeitsrecht sei zwar nicht in erster Linie geschaffen worden, um Arbeitnehmer gegen Gefahren der persönlichen Abhängigkeit, insbesondere vor Weisungsabhängigkeit zu schützen. Schon bei Vorliegen von Weisungsabhängigkeit des Dienstnehmers könne aber grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass er 801 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 3; vgl. leicht abweichend auch Tomandl, ZAS 2008, 100, 100 f. 802 So das Argument von Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht (6. Auflage 2008), § 4 III. 5. e) (S. 44) zur Rechtfertigung des Verzichts einer Prüfung der (sozialen) Schutzbedürftigkeit. 803 Dieser soeben entwickelten Deutung überraschend ähnlich liest sich im Übrigen der Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Arbeitsrechts des Landes Brandenburg aus dem Jahr 1996 (BR-Drs. 671/96; kritisch hierzu aber MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 11; ders., in: FS Hromadka, S. 309, 313). Dort wird zunächst in § 2 Abs. 1 S. 1 der Begriff des Arbeitnehmers aus einer Mischung persönlicher wie wirtschaftlicher Elemente wie folgt definiert: „Arbeitnehmer ist, wer persönlich aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages weisungsgebunden für einen anderen Dienste leistet, ohne aufgrund freiwillig übernommenen Unternehmerrisikos selbständig am Markt aufzutreten“. Interessant ist nun – neben der grundsätzlichen Tatsache, dass hier ausdrücklich wirtschaftliche Elemente wieder konstitutiv für den Arbeitnehmerbegriff werden sollten – der zweite Absatz der Vorschrift. Dort heißt es ausdrücklich: „Kann jemand nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten, so wird unwiderlegbar vermutet, dass er Arbeitnehmer ist“.
284 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
keine eigenverantwortliche existentielle Daseinsvorsorge betreiben könne und er daher des Schutzes des Arbeitsrechts bedürfe804. Am wahrscheinlichsten ist deshalb wohl die Deutung, dass die mit dem Verzicht auf die Kriterien der wirtschaftlichen Abhängigkeit verbundene Verkürzung des Arbeitnehmerbegriffes vom RAG auf Grund rein praktikabler Erwägungen hingenommen wurde, ohne dass sie zwangsläufig geboten gewesen wäre805. Davon ging offensichtlich auch die damalige, reichsdeutsche Literatur aus, die sich kritisch mit der erfolgten Rechtsprechungsänderung des RAG zum Arbeitnehmerbegriff auseinandersetzte: Nur weil in jeder persönlichen Abhängigkeit zugleich auch ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Abhängigkeit liege, bedürfe es nicht der besonderen Hervorhebung der wirtschaftlichen Abhängigkeit im Rahmen des Arbeitnehmerbegriffes. Sollte in der Nichterwähnung durch das RAG dagegen ein positiver Verzicht auf das Erfordernis der wirtschaftlichen Abhängigkeit neben dem Merkmal der persönlichen Abhängigkeit zum Ausdruck gebracht werden – was allerdings als nicht sehr wahrscheinlich eingestuft wurde –, so könne dem ausdrücklich nicht zugestimmt werden806. Eine Prüfung der Kriterien wirtschaftlicher Abhängigkeit bzw. die Ermittlung sozialer Schutzbedürftigkeit entfiel damit in der praktischen Handhabung der Gerichte. Die wirtschaftliche Abhängigkeit eines Beschäftigten war somit jedenfalls faktisch auch nicht mehr „erforderlich“ geworden. Bei der Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ging es seitdem nur mehr um die Abgrenzung des „typischen Arbeitnehmers“ vom „typischen Selbständigen“807. Diese Abgrenzung ist freilich notwendig, will man den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts bestimmen und es von anderen Rechtsgebieten unterscheiden; sie dient jedoch keinem Selbstzweck. Die ursprünglich ebenfalls in dieser Frage liegende, letztlich teleologische Wertentscheidung808, ob ein Beschäftigter (auch wirtschaft804 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht (6. Auflage 2008), § 4 III. 5. e) (S. 44); Buchner, NZA 1998, 1144, 1151; Hromadka, DB 1998, 195, 197; ähnlich auch Boemke, ZfA 1998, 285, 317; Rebhahn, RdA 2009, 236, 240 f.; Zöllner, RdA 1969, 65, 67 und Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 19; i. E. auch Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 7 (S. 25 f.); Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 16; kritisch aber Wank, in: FS Küttner, S. 5, 11. 805 Ebenso bereits Lieb, RdA 1974, 259, 264. 806 Dersch, Anm. zu RAG ARS Bd. 31, 265, S. 269; ähnlich schon ders., Anm. zu RAG ARS Bd. 29, 35, S. 38; vgl. dazu auch Schwerdtner, Fürsorgetheorie, S. 22 Fn. 37; in diesem Sinne ausdrücklich jedenfalls noch RAG ARS Bd. 15, 550, 552 f. 807 Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 15; G. Hueck, RdA 1969, 216, 217 und 219. 808 Wirtschaftliche Abhängigkeit als „eigentlichen Wertungsgrund für [die Geltung des] Sonderrechts“ Arbeitsrechts bezeichnend Rebhahn, RdA 2009, 154, 165; vgl. daneben schon die Nachweise soeben Fn. 726. Konzen, ZfA 1982, 259, 289 spricht aus diesem Grund von einer „Verkürzung des Arbeitnehmerbegriffes“; ähnlich auch Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 3 („Begriffsverkürzung“); allgemeiner Wank, in: FS Küttner, S. 5, 11.
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lich bzw. sozial) schutzbedürftig ist und er damit des umfassenden Schutzes des Arbeitsrechts bedarf, wurde alleine in den abstrakten809 und formalen Begriff der persönlichen Abhängigkeit „ausgelagert“. Insofern ist in der dargestellten Rechtsprechungsänderung des RAG auch der Beginn der heute oftmals kritisierten Tendenz hin zu einem „Abgrenzungsformalismus“810 zu sehen, und auch die Kritik an der Abgrenzung des Arbeitnehmers vom Selbständigen durch die scheinbar bloße „Leerformel“ der persönlichen Abhängigkeit811 hat hier ihren Ursprung. Mit den Worten Ehmanns: „Der Begriff [des Arbeitnehmers] hat seinen Inhalt verloren, das in dem Begriff steckende Urteil (das Arbeitsrecht soll für ihn gelten!) hat seinen Tatbestand (seine Voraussetzungen) verloren“.812 c) Zusammenfassung Weil sich zur Zeit der reichsarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung diejenigen Beschäftigten, die ihre Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verrichteten, rechtstatsächlich zugleich auch in einer Situation wirtschaftlicher Abhängigkeit bzw. sozialer Schutzbedürftigkeit befanden, konnte das Gericht aus Gründen der Effizienz auf eine Prüfung der beiden zuletzt genannten Merkmale verzichten. Zudem gingen die gesetzessystematischen Rahmenbedingungen davon aus, dass auch wirtschaftlich abhängige Beschäftigte existieren, die nicht alleine aus diesem Grunde schon zu den Arbeitnehmer zählten: die (bloß) arbeitnehmerähnlichen Personen. Daher schien das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit für einen Arbeitnehmerbegriff, dessen Aufgabe darin bestand, den Arbeitnehmer vom Nichtarbeitnehmer zu trennen, ohnehin nicht zu gebrauchen zu sein und das entscheidende Abgrenzungsmerkmal wurde ausschließlich in der persönlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten erblickt. Nur aus der Kombination dieser beiden Gründe ist es historisch zu erklären, warum bei der Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts vollständig auf die Kriterien der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. sozialen Schutz809 Zur problematischen Entstehung und Behandlung von Grenzfällen bei abstrakter Bildung des Arbeitnehmerbegriffes vgl. schon Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 1 (S. 4); Brammsen, RdA 2010, 267, 268 und 271; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 14 und aus rechtsvergleichender Sicht Rebhahn, RdA 2009, 154, 171. 810 Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 8 und 12; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 3 und 10; Lieb, RdA 1974, 259, 264; Wachter, Wesensmerkmale, S. 86; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 225. Konzen, ZfA 1982, 259, 290 erkennt eine „Entkleidung“ des Arbeitnehmerbegriffes; ähnlich auch Rancke, Berufe, S. 28. 811 MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 20; Gamillscheg, RdA 1998, 2, 8. Richardi, NZA 2017, 36, 39 spricht – auch mit Blick auf § 611a BGB – von einer „Verlegenheitslösung ohne brauchbaren Inhalt mit einer ideologischen Komponente“. 812 Ehmann, in: FS Adomeit, S. 131, 147; von „Inhaltsleere“ spricht auch Rancke, ArbuR 1979, 9, 11.
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bedürftigkeit verzichtet worden ist. Man mag diese Form der Pauschalisierung und das einseitige Anknüpfen an das typische Erscheinungsbild der persönlichen Abhängigkeit kritisieren oder aus Gründen der Effizienz und Rechtspraktikabilität813 mit dem RAG für geboten halten. Fest steht lediglich, dass durch diese Entscheidung das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit nunmehr weder ausreichend noch (ausdrücklich) erforderlich war, um die Eigenschaft eines Beschäftigten als Arbeitnehmer zu begründen. 3. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Dieser vom RAG einmal eingeschlagene Pfad wurde später auch vom BAG weiter beschritten. Die heute herrschende und ausschließlich auf die persönliche Abhängigkeit fokussierte Rechtsprechungspraxis des BAG ist hinlänglich bekannt. Sie wurde in Kapitel 1 am Beispiel der Lizenzfußballspieler ausführlich dargestellt und muss daher an dieser Stelle nicht erneut umfassend untersucht werden. Nur auf drei erwähnenswerte Aspekte zur weiteren historischen Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Bundesrepublik soll hier noch gesondert hingewiesen werden. Erstens finden sich in frühen Entscheidungen des BAG durchaus noch ausdrückliche Hinweise auf das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Zwar hatte das Gericht, das seine Rechtsprechungstätigkeit im April des Jahres 1954 aufnahm, zur Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes schon von Anfang an wesentlich auf das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit abgestellt814. Dennoch führte es etwa im Jahre 1960 aus, zur Annahme der Arbeitnehmereigenschaft 813 Reinecke, ZIP 1998, 581, 587; Stolterfoht, DB 1973, 1068, 1069; Wachter, Wesensmerkmale, S. 203; eine Unvermeidlichkeit der Pauschalierung im Rahmen des Arbeitnehmerbegriffs konstatierend auch Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 192 und – in anderem Zusammenhang – Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 284. Auf die grundsätzliche Notwendigkeit der Generalisierung durch den Gesetzgeber weist zu Recht hin BVerfG NJW 1998, 1475, 1477 (Verfassungsmäßigkeit der Kleinbetriebsklausel). Auch in der Methodenlehre ist anerkannt, dass Effektivität und Praktikabilität allgemeine Kriterien sind, die ein Rechtsanwender bei der Auslegung und Inhaltsbestimmung einer Norm berücksichtigen darf, vgl. dazu etwa Wank, Auslegung, S. 72. Gleichzeitig kommt aber auch dem aus Art. 3 Abs. 1 GG fließenden Prinzip der Gleichbehandlung eine „hervorragende Bedeutung“ zu (Larenz, Methodenlehre, S. 334; Wank, Auslegung, S. 72 f. einschränkend Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 57 f.). Daher muss der Anwendungsbereich einer Vorschrift insoweit sachgerecht sein, als er nur wertungsmäßig gleichliegende Tatbestände im Ergebnis auch gleich behandelt. Das ist bei einem völligen Verzicht der Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien – insbesondere heute, beispielsweise mit Blick auf die Lizenzfußballer – jedenfalls fraglich. 814 BAG AP Nr. 2 zu § 5 ArbGG 1953; BAG AP Nr. 10 zu § 611 BGB Lehrverhältnis; BAG AP Nr. 3 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAG AP Nr. 21 zu § 69 ArbGG 1953; vgl. aber auch BAG AP Nr. 3 zu § 554 ZPO, wo zusätzlich auf eine ebenfalls bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit hingewiesen wird.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
287
sei erforderlich, dass ein „Dienstverpflichteter nicht nur wirtschaftlich, sondern auch persönlich“ abhängig sei815. Die nachfolgenden Judikate griffen diesen Ansatz allerdings nicht weiter auf. Vielmehr wurde schon wenig später – im Jahr 1962 – wieder ausdrücklich klargestellt, dass die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber, insbesondere die Weisungsgebundenheit hinsichtlich der Arbeitszeit, das wesentliche Merkmal des Arbeitnehmerbegriffes sei816. Auch die Entwicklung der Rechtsprechung in den folgenden Jahren817 sollte zeigen, dass das BAG mit dem zitierten frühen Richterspruch keine grundsätzliche Aussage hatte treffen wollen, sondern sich nur terminologisch an die inzwischen überholten Formulierungen der älteren Urteile des RAG angelehnt hatte. Das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit geriet damit endgültig in Vergessenheit 818. Zweitens hat sich das BAG anders als die späte Judikatur des RAG nicht damit begnügt, das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit bei der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft einfach unberücksichtigt oder unerwähnt zu lassen. Vielmehr hat es im Laufe seiner Rechtsprechung die immer wiederkehrende und auch in dieser Arbeit schon zitierte Formel zur Irrelevanz der wirtschaftlichen Abhängigkeit entwickelt. Schon 1967 spricht es ausdrücklich davon, diese sei für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses „weder erforderlich noch ausreichend“819. Der zweite Teil dieser Formel wird bisweilen systematisch zutreffend mit einem Umkehrschluss aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB sowie der Existenz der arbeitnehmerähnlichen begründet820. Für den ersten Teil – die angeblich fehlende Erforderlichkeit der wirtschaftlichen Abhängigkeit – findet sich dagegen keine ausdrückliche Erklärung821. Nur implizit lässt sich einem frühen Urteil entnehmen, dass auch das BAG vom regelmäßigen Gleichlauf der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit ausging822 und sich das Gericht daher wohl ähnlich wie schon das 815 BAG AP Nr. 7 zu § 5 ArbGG 1953; ebenso auch BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Erfinder. 816 BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 817 BAG AP Nr. 3 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 7 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 818 Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 15 f. 819 BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit (ähnlich auch schon BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Abhängigkeit) und seitdem st. Rspr., vgl. etwa BAG AP Nr. 47 zu § 5 BetrVG 1972; BAG NZA 1992, 407, 408; BAG NZA 1125, 1126; BAG NZA 1994, 1132, 1133; BAG NZA 1995, 622, 622; BAG NZA 1999, 374, 375 und BAG NJW 2008, 2872, 2872. 820 BAG NZA 2001, 551, 551; ausführlich zu den systematischen Gründen oben § 6 C. II. und III. 821 Selbst der Richter am BAG Reinecke, ZIP 1998, 581, 587 hält diesen Satz denn auch für „angreifbar“. 822 Relativ deutlich spricht etwa BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit von der „allerdings meist zugleich vorliegenden wirtschaftlichen Abhängigkeit“, auf die es neben
288 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
RAG in der Lage sah, aus Praktikabilitätsgründen auf die Prüfung der letzteren zu verzichten. Wenn damit sowohl die späte reichs- als auch die frühe bundesarbeitsgerichtliche Rechtsprechung vom selben Grundgedanken ausgingen und den Arbeitnehmerbegriff auch im Ergebnis weitgehend deckungsgleich bestimmten, so besitzt die Rechtsprechung des BAG durch die Herausarbeitung dieser Formel dennoch eine ganz neue Qualität. Denn hierdurch wird eine nur auf Grund der damaligen tatsächlichen Rahmenbedingungen der abhängigen Beschäftigung erklärbare und entscheidend von Praktikabilitäts- und Effektivitätserwägungen getragene Rechtsansicht erstmals ausdrücklich und unmissverständlich in die Form der ständigen Rechtsprechung gegossen und dort zementiert. Die Folgen wirken bis heute nach: Zum einen ist das BAG nunmehr in der Lage, sich ohne besonderen Begründungsaufwand und ohne sich erneut zu hinterfragen auf diese nur scheinbar dogmatisch hergeleitete – tatsächlich aber nur zeitgeschichtlich erklärbare – Rechtsprechungspraxis zurückzuziehen. Dagegen bedürfte ein Abweichen von dieser Rechtsprechung sogar der besonderen Rechtfertigung823. Zum anderen suggeriert diese verknappte Formel, wirtschaftlichen Aspekte seien bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs des Arbeitsrechts gänzlich irrelevant. Sie können aber selbst nach der Ansicht des BAG nur deshalb vernachlässigt werden, weil sie typischerweise zugleich mit dem Tatbestand der persönlichen Abhängigkeit umschrieben und daher regelmäßig auch von ihm erfasst sind. Drittens ist dem BAG von Teilen der Literatur bisweilen unterstellt worden, es habe die Kriterien der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Sache nach niemals vollständig aufgegeben824. Solche Hinweise haben zwar sicherlich ihre Berechder persönlichen Abhängigkeit nicht entscheidend ankommen soll, vgl. aus neuerer Zeit ähnlich etwa BAG NZA 1997, 600, 601. Die Rechtsprechung des BAG ebenfalls in dem hier verstandenen Sinne deutend Reinecke, ZIP 1998, 581, 587. 823 Das gilt trotz der Tatsache, dass selbst höchstrichterliche Rechtsprechung nur eine bloße Rechtserkenntnisquelle (so etwa Bydlinksi, Methodenlehre, S. 504; Larenz, Methodenlehre, S. 432; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 236 ff.; Picker, JZ 1988, 62, 72; anders Ohly, AcP 2001, 1, 4, 19 ff.; Langenbucher, Richterrecht, S. 121.), oder – mit den Worten des BAG – ein „irrtumsanfälliger Akt der Rechtserkenntnis“ ist (vgl. hierzu BAG NZA 2010, 810, 815; Höpfner, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 97, 99). Näher zu den Voraussetzungen einer Rechtsprechungsänderung – insbesondere zu Aspekten des Vertrauensschutzes – etwa BVerfG NJW 1991, 2549, 2550 (zu einer zulässigen Rechtsprechungsänderung des BAG im Bereich des richterrechtlich geschaffenen Arbeitskampfrechts); vgl. ferner etwa BVerfG NJW 2009, 1469, 1475; BVerfG NJW 2012, 669, 672 und Olzen, JZ 1985, 155, 159 ff. Ausführlich zu alledem Biaggini, Richterrecht, S. 358 ff. und Langenbucher, Richterrecht, S. 105 ff. Grundlegend zur Bindung an selbstgeschaffene Präjudizien aus jüngerer Zeit etwa Kähler, Strukturen, passim und Klappstein, Rechtsprechungsänderung, passim. Vgl. genauer zur Möglichkeit einer Rechtsprechungsänderung zum Arbeitnehmerbegriff – bei der nunmehr freilich vor allem die Vorgaben und Grenzen des § 611a Abs. 1 BGB zu beachten sind – unten § 7 und dort insbes. unter B. 824 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6; Wank, Arbeitnehmer, S. 18 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 226 f.; i. E. auch Bauschke, RdA 1994, 209, 209.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
289
tigung. Auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist deutlich geworden, dass das Gericht in den verschiedenen Phasen seiner Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff – teilweise ausdrücklich, teilweise unausgesprochen825 – ein unterschiedliches Gewicht auch auf solche Elemente gelegt hat, die typischerweise der wirtschaftlichen Abhängigkeit zuzuordnen wären. Das gilt namentlich für die Dauer826 und den Umfang827 des Beschäftigungsverhältnisses sowie für die Frage nach der Übernahme eines Unternehmerrisikos828. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass diese Kriterien in der Rechtsprechung des BAG – terminologisch an sich unzutreffend – durchgehend unter dem Oberbegriff der persönlichen (Un-) Abhängigkeit firmierten829 und das Gericht daher jedenfalls bei einer formalen Betrachtungsweise nie von seiner ständigen Rechtsprechung abgerückt ist830. II. Rechtliche Relevanz wirtschaftlich-gesellschaftlicher Strukturveränderungen für den Arbeitnehmerbegriff Allerdings unterliegen sämtliche Rechtsnormen und damit auch ganze Rechtssysteme einem natürlichen Alterungsprozess831. Bereits an anderer Stelle wurde die Pflicht arbeitsrechtlicher Gesetzgebung und Rechtsprechung angedeutet, sich in Schutzumfang und -niveau an veränderte technische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Verhältnisse anzupassen832. Dieser Pflicht ist der Gesetzgeber bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsrechts zwar mitunter auch nachgekommen833. Doch das Arbeitsrecht kann nicht ausschließlich mit dem Er825 Allgemein kritisch zu einer solchen Methode der faktischen Berücksichtigung von Merkmalen ohne diese ausdrücklich kenntlich zu machen Wank, EuZA 2016, 143, 144 und ders., ArbuR 2017, 140, 142 ff., der auf S. 144 gar von einen „subkutane[n] Rechtsprechungsänderung“ spricht. 826 Vgl. die Nachweise oben § 6 C. IV. 2. a). 827 Vgl. die Nachweise oben 2. Kap. § 6 C. IV. 1. a) und dort insbes. Fn. 407. 828 Vgl. die Nachweise oben 1. Kap. § 3 A. II. und dort insbes. Fn. 183. 829 So ausdrücklich etwa BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 830 Diesen Widerspruch hat jedenfalls die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung für den Aspekt des unternehmerischen Risikos auch erkannt und insoweit konsequent klargestellt, dass dieses für den Arbeitnehmerstatus keine Rolle spielen könne, da es zur Unterscheidung des Arbeitnehmers vom Selbständigen alleine auf den Grad der persönlichen Abhängigkeit ankomme, vgl. BAG AP Nr. 117 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 831 Zum „Altern“ von Gesetzen und der Zeitgebundenheit ihrer Auslegung vgl. etwa Larenz, Methodenlehre, S. 314 f., 350 ff.; Kreßel, in: FS Gitter, 491, 493; Wank, Auslegung, S. 31 ff. Preis, in: FS Wank, S. 413, 417 erkennt bei veralteter Gesetzgebung sogar ein Recht (und eine Pflicht?) zur Rechtsfortbildung. 832 Oben § 5; vgl. dazu auch Heinze, NZA 1997, 1, 1; Preis, in: FS Wank, S. 413, 417 f.; Rancke, ArbuR 1979, 9, 10 ff.; ders., Berufe, S. 127 ff. 833 Dazu ausführlich Hromadka, NZA 2012, 585, 585 ff.; Rüthers, NZA-Beil. 2011 zu Heft 3, 100, 101 f. sieht in der „dramatische[n] Veränderungsgeschwindigkeit hochentwi-
290 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
lass neuer Teilregelungen auf einen solchen Wandel reagieren. Vielmehr muss sich auch das bereits existente Recht kritisch mit veränderten rechtstatsächlichen Ausgangsbedingungen befassen. Das gilt natürlich im besonderen Maße für die grundsätzliche Anwendungsvoraussetzung des Arbeitsrechts und damit für die Kriterien des Arbeitnehmerbegriffes834. Diesbezüglich ist der Gesetzgeber bekanntlich bis in die jüngste Vergangenheit untätig geblieben. Inzwischen hat er zwar mit der Einführung des § 611a Abs. 1 BGB scheinbar reagiert. Er hat sich aber – ohne eigenen positiven Gestaltungswillen835 – bloß darauf beschränkt eine, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, an sich bereits überholte und nicht mehr zeitgemäße Formel des BAG zu weiten Teilen wortlautgetreu positiv-rechtlich festzuschreiben. In der Rechtsprechung des BAG hat eine Auseinandersetzung gerade mit wirtschaftlichen836 Strukturveränderungen innerhalb der als Arbeitnehmerschaft eingestuften Beschäftigtengruppe zu keiner Zeit auch nur ansatzweise stattgefunden837. Trotz der Tatsache, dass sich gerade in den letzten Jahrzehnten die Fälle häuften, in denen persönliche Abhängigkeit und wirtschaftliche Abhängigkeit nicht länger deckungsgleich in ein und demselben Beschäftigungsverhältnis vorlagen838, war und ist die Diktion des Gerichts weiterhin unverändert. Es führte stets formelhaft aus, eine zusätzlich zur persönlichen Abhängigkeit bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit sei „nicht erforderlich“839. Als Beweggrund hierfür mag man anführen, dass es sich gerade bei denjenigen persönlich abhängig Beschäftigten, die gleichzeitig wirtschaftlich unabhängig oder nicht sozial schutzbedürftig sind, noch immer um eine Minderheit handelte. Ein echtes Problembewusstsein und damit auch eine Änderung der Rechtsprechung ist aber eher bei Massenphäckelter postindustrieller Gesellschaften“ einen entscheidenden Grund für die besondere Bedeutung arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung. 834 So ausdrücklich bereits G. Hueck, RdA 1969, 216, 217; ähnlich Griese, NZA 1995, 300, 300. 835 Zu diesem Aspekt, der bei einer näheren Analyse des Gesetzgebungsverfahren deutlich erkennbar ist, vgl. ausführlich unten § 7 B. und dort insbes. unter I. 1. b) cc) sowie unter II. 2. c). 836 Dagegen haben die Gerichte in Reaktion auf die Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen ihre Anforderungen an das Kriterium der Eingliederung der Arbeitnehmer in den Betrieb bzw. die Arbeitsorganisation der Arbeitgeber teilweise beträchtlich gelockert, vgl. Rebhahn, RdA 2009, 154, 166. 837 Kritisch aus diesem Grund Rebhahn, RdA 2009, 154, 164; grundsätzliche Kritik am „überalterten System“ des Arbeitsrechts und einer unzureichenden Anpassung an gewandelte rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen bei Heinze, NZA 1997, 1, 1 ff. 838 Waltermann, RdA 2010, 162, 164; angedeutet auch bei Stassek, ZESAR 2016, 46, 47. 839 Zuletzt etwa BAG NZA 2008, 878, 879.
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291
nomenen zu erwarten840. Zudem ist die soziale Ausgangslage841 in diesen Fällen nicht besonders prekär: Anders etwa als bei der Frage nach der Bekämpfung des Problems der Scheinselbständigkeit und des Missbrauchs von Werkverträgen geht es hier nicht darum, materiell als schutzbedürftig angesehene Personen in den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts einzubeziehen. Vielmehr sollen einige, die nicht schutzbedürftig sind, aus seinem Anwendungsbereich herausgehalten werden. Der Schluss liegt nahe, dass sich die Rechtsprechung insoweit mit der pragmatischen Erwägung zufrieden gab und gibt, das Arbeitsrecht könne die Tatsache, dass diesen wenigen dennoch umfassender Schutz gewährt wird, schon verkraften. Die ständige Rechtsprechung des BAG und seine primär auf Praktikabilität ausgerichtete Praxis bei der Handhabung des Arbeitnehmerbegriffes ändern aber freilich nichts daran, dass in der Methodenlehre anerkannt ist, dass das Altern einer Norm im Rahmen seiner Auslegung berücksichtigt werden muss842. Im Einzelnen bedeutet dies, dass sowohl ein Wandel von rechtlichen Wertungen843 als auch ein Wandel von Rechtstatsachen bei der Bestimmung eines gealterten Begriffes beachtlich ist; letzterer kann dabei sogar von besonderer Bedeutung sein844. Von Seiten der Literatur wurde deshalb bereits vor einiger Zeit angeregt, die jeweiligen Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes mit Blick auf die verschiedenen Entwicklungsperioden des Arbeitsrechts kritisch zu überprüfen845. Noch weitergehend wurde bisweilen sogar eine Pflicht der Gerichte erkannt, die Anwendungsvoraussetzungen der Arbeitsgesetze so auszulegen, dass sie den veränderten wirtschaftlich-gesellschaftlichen Bedingungen gerecht würden846. 840 Kritisch deshalb Rebhahn, RdA 2009, 154, 175; ders., RdA 2010, 236, 369; ähnliches gilt für ein Tätigwerden des Gesetzgebers, vgl. Hromadka, NZA 1997, 1249, 1256; vgl. dazu auch Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 99. 841 Rebhahn, RdA 2009, 154, 175. 842 Bydlinski, Methodenlehre, S. 572 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 314 f., 318, 350 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 100 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 721, 730, 730b ff., 778 ff.; Wank, Auslegung, S. 31 ff. 843 Als solcher kann etwa die oben im Rahmen der systematischen Betrachtung näher untersuchte Definition der arbeitnehmerähnlichen Person in § 12a Abs. 1 TVG bezeichnet werden, vgl. oben § 6 C. II. 844 Bydlinski, Methodenlehre, S. 572 ff.; 574 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 350 und 352 f.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 106 ff., 115 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 721, 730, 730b ff., 778 ff. 861; Wank, Auslegung, S. 33 ff. 845 Rebhahn, RdA 2009, 236, 241 behandelt das Problem a. a. O. hauptsächlich aus der Perspektive der arbeitnehmerähnlichen Personen und stellt die Frage, ob ein auf persönliche Abhängigkeit beschränkter Arbeitnehmerbegriff noch zeitgemäß ist, wenn er eine Vielzahl wirtschaftlich Abhängiger aus seinem Anwendungsbereich ausklammert; kritisch auch ders., RdA 2009, 154, 164. 846 Wank, NZA 1999, 225, 228; ähnlich wohl Preis, in: FS Wank, S. 413, 417 f. und auch BVerfG NJW 2011, 836, 837 f.; dazu allgemein Janson, Ökonomische Theorie im Recht, S. 154 f., 163 f.
292 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Möchte man das Alter einer Norm bei dessen Auslegung entscheidend berücksichtigen, so bedarf es aber jedenfalls des Nachweises, dass der Alterungsprozess dieser Norm auch zu einem Abweichen von deren ursprünglicher Fassung drängt. Dazu muss grundsätzlich überprüft werden, ob der einmal ermittelte Wille des historischen Gesetzgebers noch mit dem jeweils gegenwärtig geltenden normativen Gesetzessinn vereinbar ist847. An dieser Stelle bestehen für die vorliegende Untersuchung wiederum Besonderheiten. Ein eigentlicher historischer Gesetzgeberwille zur inhaltlichen Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes konnte nämlich nur rudimentär ermittelt werden. Es muss daher an dieser Stelle erneut „gesetzgebervertretend“ auf die Rechtsprechung abgestellt werden. Auch insoweit zeigte sich freilich, dass eine ausdrückliche Begründung fehlt, warum es historisch (erst) ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch ausschließlich auf das Merkmal der persönlichen und nicht mehr der wirtschaftlichen Abhängigkeit ankommen sollte. Die vorstehenden Ausführungen zur Entwicklung des Arbeitnehmerbegriffes haben aber ergeben, dass – neben dem heute noch gültigen systematischen Argument, das nur erklären kann, weshalb es auf wirtschaftliche Abhängigkeit nicht ausschließlich ankommen konnte und kann – der faktische Gleichlauf beider Abhängigkeiten und die damit indizierte soziale Schutzbedürftigkeit von persönlich abhängig Beschäftigten für einen Verzicht auf die kumulative Prüfung wirtschaftlicher Kriterien ausschlaggebend war. Genau dieser Befund des Gleichlaufs von persönlicher Abhängigkeit auf der einen Seite und wirtschaftlicher Abhängigkeit bzw. sozialer Schutzbedürftigkeit auf der anderen Seite könnte aber für einen immer größer werdenden Teil der Arbeitnehmerschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts rechtstatsächlich nicht mehr zutreffend sein. Die tradierte und generalisierende Orientierung am mittlerweile weit über 100 Jahre alten Leitbild des Industriearbeiters könnte damit jedenfalls teilweise überholt sein848. Der Kompromiss, den das Arbeitsrecht zwischen einer einfachen, praktikablen und rechtssicheren Anwendbarkeit und einer durchgreifenden Systemgerechtigkeit849 finden muss und nahezu ein Jahrhundert gefunden hatte, könnte heute nicht mehr zeitgemäß sein und die veränderten Verhältnisse damit eine andere – insoweit engere – Bestimmung850 des Arbeitnehmerbegriffes erfordern. Der soeben dargelegte und nur historisch erklärbare Verzicht auf 847 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730b ff.; Ch. Fischer, ZfA 2002, 215, 238 Fn. 83; Wank, Auslegung, S. 32 f. Insofern ist es im Ergebnis auch gleichgültig, ob man methodisch gesehen einer „geltungszeitlich-subjektiven Theorie“ oder einer „objektiven Theorie“ der Gesetzesauslegung folgt (vgl. dazu schon die Nachweise oben 2. Kap. Fn. 300). Im Ergebnis wie hier Wank, Auslegung, S. 35 und wohl auch Bydlinski, Methodenlehre, S. 429. 848 So Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 11. 849 Zu den verschiedenen Maximen, die das Recht erfüllen sollte, vgl. Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 276. 850 Larenz, Methodenlehre, S. 351.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. sozialen Schutzbedürftigkeit und die damit verbundene Verengung auf die persönliche Abhängigkeit verliert nämlich jedenfalls dann seine rechtfertigende Kraft, wenn diese faktisch stillschweigend unterstellten Merkmale851 entweder nicht mehr bei (nahezu) all denjenigen vorliegen, die persönlich abhängig sind und damit vom Anwendungsbereich des Arbeitsrechts erfasst werden oder dies bei einigen wenigen evident852 nicht mehr der Fall ist. Denn eine Rechtsnorm muss immer auch auf Sachverhalte angepasst werden, die zwar bislang quantitativ oder qualitativ zu vernachlässigen waren, die im Laufe der zeitlichen Entwicklung aber in den Vordergrund treten853. Ob die soeben angedeutete Entwicklung auch tatsächlich auszumachen ist, soll im Folgenden auf der Grundlage empirischer Daten untersucht werden. III. Die Entwicklung von Arbeitnehmerverdiensten als Grund einer Neubewertung Die tatsächlichen Veränderungen im Bereich der abhängigen Beschäftigung seit der Entstehung des modernen Arbeitsrechts sind immens und vielschichtig. Sie sind zu weiten Teilen technischer oder gesellschaftspolitischer Natur und wurden an anderer Stelle aufgezeigt und zusammengefasst854. Solche Entwicklungen interessieren im Rahmen der Themenstellung dieser Arbeit allerdings nur am Rande.
851 Rebhahn, RdA 2009, 236, 240 f. spricht auf S. 241 in Bezug auf die wirtschaftliche Abhängigkeit von einem „verdeckten“ Abgrenzungskriterium; nach Bauschke, RdA 1994, 209, 209 werden andere Kriterien „implizit mitgedacht“; ähnlich Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 19; Boemke, ZfA 1998, 285, 317 sieht im Verzicht auf die Prüfung des Merkmals der sozialen Schutzbedürftigkeit eine „generalisierende Grundentscheidung“. 852 In diesem Sinne etwa Boemke, ZfA 1998, 285, 295 sowie Herschel, JZ 1967, 727, 732, die davon ausgehen, dass eine Norm im Sinne der Gerechtigkeit auch immer dem zu entscheidenden Einzelfall angepasst werden muss. 853 Bydlinski, Methodenlehre, S. 575 f. hält zu diesem Zweck auch eine Rechtsfortbildung für geboten. 854 So weist Hromadka, NZA 1998, 1, 1 ff. unter anderem auf eine sich verändernde Beschäftigungsstruktur (Wandel zunächst von einer Agrargesellschaft zu einer Industriegesellschaft und später zu einer Dienstleistungsgesellschaft) und eine zugleich stark gestiegene Lebenserwartung der Bevölkerung hin. Lesenswert zur Entwicklung des Arbeitsrechts in der Bundesrepublik Deutschland ders., NZA 2012, 585, 586 ff.; vgl. zu alledem auch Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 14 f.; Heinze, NZA 1997, 1, 1 ff.; ders., NZA 2001, 1, 1 f. und Rebhahn, RdA 2009, 154, 163, 166.
294 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
1. Entgelthöhe als operationaler Indikator wirtschaftlicher Veränderung Denn die nach den Ausführungen unter II. relevanten Tatsachenänderungen können insbesondere auch ökonomischer Natur sein855. Im Folgenden soll deshalb eine Betrachtung der Entwicklung der Arbeitnehmerverdienste vorgenommen werden. Diese ist vor allem deshalb zielführend, weil sie einen Vergleich verschiedener Epochen abhängiger Beschäftigung auf der Grundlage empirischer und operationaler Daten ermöglicht. Zudem steht die Verdiensthöhe, wie oben erläutert, im engen teleologischen Zusammenhang zu dem Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit und ist der maßgebliche Indikator für die fehlende soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten856. Nicht zuletzt war sie auch entstehungsgeschichtlich durchaus ein Kriterium, von dem das Eingreifen arbeitsrechtlichen Schutzes abhängig gemacht worden ist. Namentlich § 133ab GewO 1900857 erklärte etwa die privatautonome Vereinbarung einer vom Gesetz abweichenden Kündigungsfrist nur dann für zulässig, wenn auf Seiten des Beschäftigten ein Angestellter stand, der ein Jahresgehalt von mehr als fünftausend Mark bezog858. In gleicher Weise verfuhr auch § 68 S. 1 HGB 1897859 für die Handlungsgehilfen, weil hier auf Grund „der wirthschaftlichen und sozialen Lage, in der sich derartige Personen befinden“ eine zwingende Einbeziehung in das gesetzliche Schutzsystem für nicht nötig erachtet worden war860. 2. Skizzierung der Entwicklung der Arbeitnehmerverdienste Allerdings existieren gerade zu Umfang und Entwicklung hoher Einkommen vergleichsweise wenige und mitunter nur schwer miteinander vergleichbare Daten, was eine aussagekräftige Analyse erschwert861. Diejenigen aktuellen wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen, stellen zwar ein erhebliches und zudem wachsendes Ungleichgewicht bei der Einkommenshöhe, -entwicklung und -verteilung fest. Insbesondere in den letzten 20 Jahren seien „die Reichen reicher und die Armen ärmer“ 855 Ch. Fischer, ZfA 2002, 215, 236; vgl. dazu auch Janson, Ökonomische Theorie im Recht, S. 142 ff. 856 Vgl. oben § 5 III.; ähnlich auch schon Molitor, Wesen, S. 76. 857 Gesetz, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung v. 30. 06. 1900, RGBl. 1900, S. 321. 858 Zu Gehaltsobergrenzen historischer Schutzvorschriften vgl. auch schon Potthoff, Arbeitsrecht, S. 27. 859 Handelsgesetzbuch v. 10. 05. 1897, RGBl. 1897, S. 219 ff. 860 Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Sechster Band, Materialien zum Handelsgesetzbuch (1897), Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und eines Einführungsgesetzes, S. 61. 861 Hirschel, in: FS Merz, S. 113, 113 f.; ders., Einkommensreichtum, S. 173.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
295
geworden862. Solche Untersuchungen haben aber oftmals den entscheidenden Nachteil, dass sie nicht auf die Entwicklung bzw. Verteilung von Verdiensten aus dem Arbeitsverhältnis beschränkt sind. Sie berücksichtigen und vergleichen vielmehr sämtliche Einkünfte – oftmals eines gesamten Haushaltes863 –, darunter auch solche aus selbständiger Erwerbstätigkeit864, Vermietung oder Verpachtung, aus privaten Renten und Kapital und sind daher für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung nicht uneingeschränkt brauchbar. Die folgenden Ausführungen, die zunächst generell die durchschnittliche Entwicklung der Höhe der Arbeitnehmerverdienste beleuchten (sogleich a)) und sich sodann der Entwicklung im Spitzenverdienstbereich zuwenden (unten b)), stützen sich daher maßgeblich auf eigene Berechnungen des Verfassers auf der Grundlage von Angaben des Statistischen Bundesamtes. a) Entwicklung der durchschnittlichen Höhe der Arbeitnehmerverdienste Aber auch mit deren Hilfe lässt sich die durchschnittliche Entwicklung der Arbeitnehmerverdienste in absoluten Zahlen nur schwierig angeben. Das hat vor allen Dingen zwei Gründe. Erstens existieren für die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges kaum einheitliche Angaben für alle als Arbeitnehmer eingestuften Beschäftigten im Deutschen Reich. In den bis 1943 regelmäßig herausgegebenen Statistischen Jahrbüchern für das Deutsche Reich wird vielmehr zumeist nach Industrie- und Gewerbezweigen bzw. Berufsgruppen sowie dem Ort des Arbeitsverhältnisses unterschieden865. Sind ausnahmsweise doch übergreifende Statistiken auffindbar, so beschränken sich diese auf nur teilweise zusammengefasste Gewerbegruppen mit tarifvertraglich geregelten Arbeitsverhältnissen und unterscheiden ihrerseits wiederum zwischen (gelernten und ungelernten) Arbeitern sowie (männlichen und weiblichen) Angestellten866. Zweitens ist eine absolute Beschreibung der Verdienstentwicklung beginnend in der Nachkriegszeit auf der Grundlage von Statistiken des Statistischen Bundesamts zwar möglich. Aber auch die Angabe einer Entwicklung des durchschnittlichen monatlichen Brutto-
862 Hirschel, in: FS Merz, S. 113, 115, 129 f.; Goebel/Grabka, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 4/2011, 5, 6 sprechen davon, dass die Schere zwischen Arm und Reich „markant“ auseinander gegangen sei. 863 So etwa bei Hirschel, in: FS Merz, S. 113, 115 ff. 864 So etwa bei Hirschel, Einkommensreichtum, S. 153 ff. 865 Beispielhaft Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Zweiundfünfzigster Jahrgang (1933), S. 265 ff. 866 Etwa Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Achtundvierzigster Jahrgang (1929), S. 266 ff.
296 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
verdienstes etwa von 346 DM im Jahr 1951867 auf 2.544 Euro im Jahr 2010868 ist isoliert betrachtet freilich nur wenig hilfreich. Denn die Steigerung der Arbeitnehmergehälter ist nur dann von Aussagekraft, wenn sie inflationsbereinigt betrachtet wird. Die reale Verdienststeigerung kann deshalb vor allem mittels eines Vergleiches des Arbeitnehmerverdienstindexes mit dem Verbraucherpreisindex feststellt werden. Betrachtet man zu diesem Zweck zuerst die Entwicklung der Arbeitnehmerverdienste anhand der entsprechenden Statistiken des Statistischen Bundesamts, so wird man feststellen, dass die durchschnittlichen nominalen Bruttomonatsverdienste der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer im Zeitraum von 1913/14 bis 1929 zunächst konstant zulegten, sie dann infolge der Weltwirtschaftskrise bis 1932 schrumpften, um sich anschließend zu stabilisieren und wieder langsam zu erholen; erst 1948 hatten sie aber erneut nahezu das Vorniveau erreicht. Anschließend begann mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ein rasantes Wachstum. Die durchschnittlichen monatlichen Bruttoverdienste der Arbeitnehmer haben sich seitdem bis heute (Stand 2016) verdreiunddreißigfacht (Anstieg um etwa 3.200 %)869 – bei zugleich stark gesunkener Wochenarbeitszeit870. Im selben Zeitraum stiegen zwar auch die Verbraucherpreise beständig an. Sie entwickelten sich aber – von der Inflation der frühen 1920er Jahre freilich abgesehen – deutlich moderater als die Arbeitnehmerverdienste. Seit haben 1948 sie sich nicht einmal versechsfacht (Anstieg um etwa 460 %)871. Wenn danach die Arbeitnehmerverdienste innerhalb der letzten knapp 70 Jahre gleich um ein vielfaches mehr angestiegen sind als die Verbraucherpreise, so bedeutet dies unmittelbar zunächst nur, dass innerhalb des betrachteten Zeitraumes von einer deutlichen Reallohnsteigerung gesprochen werden muss. Der durchschnittliche Arbeitnehmer des beginnenden 21. Jahrhunderts ist mit Blick 867
Statistisches Bundesamt 1951, Lohnstrukturerhebung, Arbeiterverdienste, S. 68. Bundesamt 2010, Fachserie 16, Verdienste und Arbeitskosten, Verdienststrukturen, 527. 869 Statistisches Bundesamt 2017 (1. Vierteljahr), Verdienste und Arbeitskosten, Verdienstindizes für Erbbauzinsberechnungen, S. 3. 870 Im Jahr 1951 arbeiteten die männlichen Arbeiter durchschnittlich noch knapp 50 Stunden pro Woche (Statistisches Bundesamt 1951, Lohnstrukturerhebung, Arbeiterverdienste, S. 68). Im Jahr 2016 waren es – alle Arbeitnehmer zusammen genommen – etwas mehr als 35 Stunden im Schnitt bzw. – betrachtet man nur in Vollzeit beschäftigte Arbeitnehmer – etwas mehr als 39 Stunden im Schnitt (Statistisches Bundesamt 2016, Fachserie 16/Reihe 2.3, Verdienste und Arbeitskosten, Arbeitnehmerverdienste S. 38). Nach Hromadka, NZA 1998, 1, 2 lag die Wochenarbeitszeit in der Frühphase der Industrialisierung sogar bei über 85 Stunden. 871 Statistisches Bundesamt 2013, Preise, Verbraucherpreisindex, Lange Reihe von 1881 bis 2009, S. 5; Statistisches Bundesamt 2017, Preise, Verbraucherpreisindizes für Deutschland, Lange Reihen ab 1948, S. 233. 868 Statistisches
Entwicklung der Verbaucherpreise sowie der Bruttomonatsverdienste der Arbeitnehmer (Vervielfachung der § 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen Indexwerte seit 1948)
297
33,0 29,0
Multiplikator
25,0 21,0 17,0 13,0 9,0 5,0 1,0 1948
1958
1968
1978
1988
1998
2008
2016
Jahr Index der Verbraucherpreise
Index der Bruttomonatsverdienste der Arbeitnehmer
Abbildung 1: Entwicklung der Verbraucherpreise sowie der Bruttomonatsverdienste der Arbeitnehmer (Vervielfachung der Indexwerte seit 1948).
auf die Verdienste aus seinem Arbeitsverhältnis damit finanziell deutlich besser gestellt als die abhängig Beschäftigten des Deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik, der Zeit des Nationalsozialismus oder der frühen Bundesrepublik Deutschland872. Alleine diese Entwicklung ist aber freilich nicht geeignet, die Geltung des gesamten Arbeitsrechts mit dem etwaigen Argument der fehlenden sozialen Schutzbedürftigkeit der heutigen Arbeitnehmer in Frage zu stellen873. Denn zum einen wäre ohne das arbeitsrechtliche Schutzsystem – insbesondere ohne die Tarifautonomie – eine solche Verdienstentwicklung schon überhaupt nicht möglich gewesen874 und sein prinzipielles Fortbestehen ist deshalb wenigstens zum Erhalt dieses erreichten Standards auch heute noch unbedingt notwendig. Zum anderen stieg gleichzeitig mit den Löhnen und Gehältern der Arbeitnehmer auch das gesamtgesellschaftliche Wohlstandsniveau an. Neben den abhängig Beschäftigten waren insbesondere auch die Unternehmer und damit die Arbeitgeber in der Lage, trotz oder gerade wegen der Verdienstentwicklung ihrer Arbeitnehmer, ihre eigenen Gewinne ebenfalls zu steigern. Es erscheint daher – auch mit Blick auf das Sozialstaatsgebot – angebracht, dass das Arbeitsrecht das soziale Niveau, bis zu dem es seinen Unterworfenen einen nicht
872 Nach Hromadka, NZA 1998, 1, 1 würde beispielsweise ein Haushalt des 18. Jahrhunderts 40 Dienstboten benötigen, um über den Komfort eines Durchschnittshaushalts am Ende des 20. Jahrhunderts zu verfügen. Vgl. insoweit für die 1880er Jahre Adomeit, NJW 1996, 1710, 1711. 873 In diese Richtung aber Reuter, AcP 189 (1989) 199, 208 f.; wie hier Heinze, NZA 1997, 1, 2 ff.; Lieb, RdA 1977, 210, 215; Wachter, Wesensmerkmale, S. 84. 874 Zutreffend Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 281.
298 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
dispositiven Schutz gewährt, dem jeweiligen Wohlstandsniveau entsprechend angleicht875. b) Quantitative und qualitative Entwicklung der Spitzenverdienste Wenn damit der allgemeine Anstieg der Arbeitnehmerverdienste trotz einer deutlichen Reallohnsteigerung isoliert betrachtet noch nicht zu einer Neujustierung des Arbeitnehmerbegriffes anregt, so gilt Gleiches nicht für einen zusätzlichen Blick auf die relative Verteilung der Verdienste innerhalb der Arbeitnehmerschaft sowie deren jeweilige Entwicklung. Diese soll im Folgenden dargestellt werden. aa) Vorbemerkungen Notwendig für eine solche Analyse ist die Auswertung von Statistiken, die die unterschiedlichen Arbeitnehmerverdienste nach verschiedenen Verdienstklassen der Höhe nach aufschlüsseln. Zwar hatte das Statistische Reichsamt, soweit ersichtlich, noch keine dieser Verdienststrukturtabellen veröffentlicht. Belastbare Daten des Statistischen Bundesamtes existieren aber bereits ab dem Jahr 1951. Insoweit kann vermutet werden, dass sich die relative Verteilung der Arbeitnehmerverdienste bis zum Endes des Zweiten Weltkrieges hiervon nicht wesentlich unterschied. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Statistiken, auf die sich die folgenden Untersuchungen stützen, zwar einen Großteil, aber nicht alle persönlich abhängig Beschäftigten erfassen. Sie sind auf voll- sowie teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer in Betrieben mit zehn oder mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im produzierenden Gewerbe sowie dem Dienstleistungssektor beschränkt und decken daher nicht die abhängig Beschäftigten in den Wirtschaftszweigen der Land- und Forstwirtschaft und in der Fischerei ab876. Für die Art der Darstellung lehnen sich die nachfolgenden Ausführungen an die wirtschaftswissenschaftliche Reichtumsforschung an. Da die Definition eines hohen Einkommens immer von einer normativen Grenzziehung abhängig ist, ist es dort üblich, zunächst ein relatives Reichtumsmaß anzuwenden877. Zu diesem Zweck wird zunächst eine Gruppe von Hochlohnempfängern gebildet, die hier – ebenfalls nach dem Vorbild wirtschaftswissenschaftlicher Untersuchungen – 875 I. E. ähnlich Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 15; Hromadka, NZA 1998, 1, 9; vgl. dazu auch Griese, NZA 1995, 300, 300; ders., NZA 1996, 803, 806; Heinze, NZA 1997, 1, 2 f., 9. 876 Näher Statistisches Bundesamt 2010, Fachserie 16, Verdienste und Arbeitskosten, Verdienststrukturen, S. 6. Eine Ausnahme bildet insoweit die jüngste, im September 2016 erschienene Verdienststrukturerhebung für 2014. Sie zieht den Kreis der untersuchten Beschäftigten weiter, ist aus diesem Grund aber auch nur eingeschränkt mit den Erhebungen früherer Berichtsjahre vergleichbar, vgl. dazu ausführlicher sogleich unten Fn. 890. 877 Vgl. etwa Hirschel, in: FS Merz, S. 113, 118; ders., Einkommensreichtum, S. 157.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
299
als Arbeitnehmer definiert werden sollen, deren Verdienst mehr als 200 % des jeweiligen monatlichen Bruttomedianverdienstes878 beträgt. Dort wo es möglich ist, wird zudem eine Gruppe von Spitzenverdienern gebildet, die mit einem Verdienst von über 400 % des Medians definiert sind (dazu sogleich bb))879. Daran anschließend wird in einem zweiten Schritt die absolute Spitze der Arbeitnehmerverdienste in den Blick genommen und deren Entwicklung mit derjenigen des Medianverdienstes verglichen (dazu unten cc)). bb) Quantitative Entwicklung Die ersten aussagekräftigen Statistiken existieren insoweit für das Jahr 1951. Dort findet sich zwar eine Differenzierung nach Arbeitern und Angestellten. Im Unterschied zu früheren Erhebungen des Statistischen Reichsamts wurden hier aber, wie bereits angedeutet, erstmals alle erfassten Wirtschaftsbereiche gemeinsam in einer Tabelle aufgeführt und die Arbeitnehmerverdienste dort nach verschiedenen Verdienstklassen aufgeschlüsselt. Der monatliche Bruttomedianverdienst der Arbeiter880 lag danach bei 336 DM. Die Gruppe der Hochlohnempfänger war äußerst gering – sie betrug lediglich 1,2 %881. Auch im Jahr 1978882 wurde noch zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden. Der monatliche Bruttomedianverdienst der (männlichen) Arbeiter war infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs der Bundesrepublik Deutschland stark angestiegen und lag bei 2.299 DM. Hiervon konnte die Gruppe der Hochlohnempfänger allerdings nicht überproportional profitieren – sie schrumpfte 878 Das Medianeinkommen bezeichnet diejenige Einkommenshöhe in einer Vergleichsgruppe, bei der numerisch gleich viele Menschen höhere und niedrigere Einkommen aufweisen, vgl. Hirschel, in: FS Merz, S. 113, 118 Fn. 20. Auf den Bruttoverdienst wird deshalb abgestellt, weil er die Lage am Arbeitsmarkt bestmöglich abbildet, ohne dabei Wohlfahrtspositionen zu berücksichtigen, vgl. Hirschel, Einkommensreichtum, S. 154. 879 Die von Wirtschaftswissenschaftlern (so etwa bei Hirschel, in: FS Merz, S. 113, 118; ausführlich ders., Einkommensreichtum, S. 157 f. vgl. dazu auch Burmester/Scherg, in: FS Merz, S. 173, 177 f. m. w. N.) festgelegte Größe einer Hochlohngrenze (200 % des Medians) hat – ebenso wie die hiesige Spitzenverdienstgrenze (400 % des Medians) – zwar für den arbeitsrechtlichen Begriff der sozialen Schutzbedürftigkeit im hier verwendeten Sinne keine unmittelbar zwingende Aussagekraft. Beide Werte sollen dennoch an dieser Stelle zunächst zu Grunde gelegt werden, um das generelle Phänomen einer Spreizung der Erwerbseinkommen innerhalb der Arbeitnehmerschaft zu verdeutlichen. Zur Koppelung der Begrenzung arbeitsrechtlichen Schutzes an eine konkrete Entgelthöhe vgl. ausführlicher unten § 8 B. III. 2. und dort insbesondere unter b) aa). 880 Die statistischen Angaben zu den Verdiensten der Angestellten im Jahr 1951 waren dem Verfasser nicht zugänglich. 881 Statistisches Bundesamt 1951, Lohnstrukturerhebung, Arbeiterverdienste, S. 68. 882 Vgl. zur Lohnentwicklung von 1960 – 1978 ausführlich Deutschmann/Schmiede, Lohnentwicklung, passim.
300 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
im Gegenteil sogar stark und sank auf 0,4 %883. Der gemeinsame monatliche Bruttomedianverdienst der männlichen und weiblichen Angestellten lag zur selben Zeit bei 2.545 DM. Die Gruppe der Hochlohnempfänger betrug dort 4,24 %884. Seit dem Jahr 1990 wird in den Tabellen des Statistischen Bundesamtes die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten aufgegeben. Außerdem beziehen sich die Verdienststrukturerhebungen von nun an regelmäßig auf die Verdienste im Oktober des jeweils untersuchten Jahres. Danach lag der monatliche Bruttomedianverdienst im Oktober 1990 bei 3.590 DM. Die Gruppe der Hochlohnempfänger lag annähernd stabil bei 4,57 %. Auf Grund der in diesem Jahr erfolgten genaueren Aufschlüsselung der oberen Verdienstklassen lässt sich für den Oktober 1990 auch erstmals eine Gruppe der Spitzenverdiener bilden. Diese Gruppe machte einen Anteil von nur 0,18 % aller Arbeitnehmer aus885. Im Oktober des Jahres 1995 war die Lage noch kaum verändert. Hier lag der monatliche Bruttomedianverdienst im früheren Bundesgebiet886 bei 4.351 DM. Die Gruppe der Hochlohnempfänger schrumpfte leicht auf 4,38 %. Auch für diesen Erhebungszeitraum lassen sich wiederum die Spitzenverdiener berücksichtigen. Der Anteil der Arbeitnehmer mit einem Einkommen von 400 % des Medians ging ebenfalls leicht zurück und betrug 0,12 %887. Diese Entwicklung sollte sich innerhalb der nächsten Jahre umkehren. Für den Oktober des Jahres 2001 erschien erstmals eine Gehalts- und Lohnstrukturerhebung nach der Wiedervereinigung, die alle Arbeitnehmer im gesamten Bundesgebiet gemeinsam erfasste. Danach lag der monatliche Bruttomedianverdienst bei 2.199 Euro. Die Gruppe der Hochlohnempfänger war inzwischen rasant angestiegen und betrug nun 7,44 %. Dieser Zuwachs wird allerdings noch übertroffen von demjenigen der Spitzenverdienergruppe. Diese verzeichneten einen enormen Anstieg auf nun insgesamt 0,42 % aller Arbeitnehmer888. 883 Statistisches Bundesamt 1978, Gehalts- und Lohnstrukturerhebung, Arbeiterverdienste, S. 462. 884 Statistisches Bundesamt 1978, Gehalts- und Lohnstrukturerhebung, Angestelltenverdienste, S. 259. 885 Statistisches Bundesamt 1990, Fachserie 16/Heft 1, Gehalts- und Lohnstrukturerhebung, S. 41. 886 Die folgenden Angaben beschränken sich auf das frühere Gebiet der BRD. Die Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern und in Berlin-Ost wurden in einer gesonderten Statistik aufgeführt, vgl. Statistisches Bundesamt 1995, Fachserie 16/Heft 1, Gehalts- und Lohnstrukturerhebung, S. 272. 887 Statistisches Bundesamt 1995, Fachserie 16/Heft 1, Gehalts- und Lohnstrukturerhebung, S. 24. 888 Statistisches Bundesamt 2001, Löhne und Gehälter, Gehalts- und Lohnstrukturerhebung, S. 37.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
301
Zum Oktober des Jahres 2006 setzte sich dieser Trend fort. Hier lag der monatliche Bruttomedianverdienst bei 2.227 Euro. Die Gruppe der Hochlohnempfänger betrug jetzt 9,27 %. Auch die Gruppe der Spitzenverdiener wuchs nochmals signifikant auf nunmehr 0,66 % an889. Die letzte, nach eigenen Angaben des Statistischen Bundesamts mit früheren Berichtsjahren grundsätzlich vergleichbare890 und im August 2013 erschienene Verdienststrukturerhebung beleuchtet die Lage im Oktober des Jahres 2010. Hier lag der monatliche Bruttomedianverdienst bei 2.330 Euro. Die Gruppe der Hochlohnempfänger stieg verglichen mit 2006 erneut leicht an und betrug nun 9,51 %. Weit stärker wuchs wiederum die Gruppe der Spitzenverdiener. Sie besitzt auf der Grundlage der jüngsten vergleichbaren amtlichen Statistik einen Anteil von 0,76 %. In absoluten Zahlen ausgedrückt sind dies knapp 185.000 Arbeitnehmer891. Die soeben skizzierte Entwicklung wird verdeutlicht durch die nachfolgenden Abbildungen 2 und 3. Dabei wird auf eine Darstellung der Ergebnisse der aktuellen Verdienststrukturerhebung vom April 2014 auf Grund der nur eingeschränkten Vergleichbarkeit verzichtet892.
889 Statistisches Bundesamt 2006, Verdienste und Arbeitskosten, Verdienststruktur erhebung, Verteilung der Verdienste, S. 6. 890 Im September 2016 erschien turnusgemäß eine weitere Verdienststrukturerhebung, die die Lage im April des Jahres 2014 abbildet. Nach den dortigen Vorbemerkungen (vgl. Statistisches Bundesamt 2014, Fachserie 16, Heft 1, Verdienststrukturerhebung, S. 8) sind die Daten für das Jahr 2014 aber grundsätzlich nicht mehr ohne Weiteres mit den Veröffentlichungen früherer Berichtsjahre vergleichbar. Als Grund wird angegeben, dass nunmehr auch andere Wirtschaftszweige untersucht und zudem erstmals Betriebe mit weniger als zehn sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erfasst wurden. Außerdem wurde eine neue Hochrechnungsmethode eingeführt, die unter anderem zu einem erheblichen Anstieg der von der Statistik abgebildeten absoluten Beschäftigtenzahlen führte. Auch wenn mithin keine unbedingte Vergleichbarkeit mehr mit früheren Jahren gewährleistet ist, seien die für die vorliegende Untersuchung relevanten Gesichtspunkte der aktuellen Verdienststrukturerhebung zumindest an dieser Stelle erwähnt. Sie zeigen – wenn auch mit Blick auf eine anders zusammengesetzte Vergleichsgruppe – zumindest eine deutliche Bestätigung des bislang dargelegten Trends: Demnach lag der Bruttomedianverdienst im April 2014 bei 2196 Euro, die Gruppe der Hochlohnempfänger machte 11,71 %, diejenige der Spitzenverdiener nunmehr sogar 1,68 % aller Arbeitnehmer aus. Auf Grund der vergrößerten Reichweite der Untersuchung (erfasst werden jetzt über 37 Mio. Arbeitnehmer) liegt die Gruppe der Spitzenverdiener in absoluten Zahlen sogar bei ca. 625.000, vgl. Statistisches Bundesamt 2014, Fachserie 16, Heft 1, Verdienststrukturerhebung, S. 32 und 90. 891 Statistisches Bundesamt 2010, Fachserie 16, Verdienste und Arbeitskosten, Verdienststrukturen, S. 527. 892 Vgl. hierzu aber soeben Fn. 890.
Anteil Entwicklung der Gruppe der Hochlohnempfänger an der 302 2. Kap.: Die und grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien Arbeitnehmerschaft seit 1951
100% 80% 60% 40% 20% 0%
1951
1978
sonstige Arbeitnehmer
98,8%
95,4%
95,43% 95,62% 92,56% 90,73% 90,49%
1990
1995
Hochlohnempfänger
1,20%
4,64%
4,57%
4,38%
Hochlohnempfänger
2001 7,44%
2006
2010
9,27%
9,51%
sonstige Arbeitnehmer
Abbildung 2: Anteil und Entwicklung der Gruppe der Hochlohnempfänger (definiert mit einem Verdienst ≥ 200 % des Bruttomedianverdienstes) Anteil und Entwicklung der Gruppe derseit Spitzenverdiener an an der Arbeitnehmerschaft 1951 der Arbeitnehmerschaft seit 1990 5% 4% 3% 2% 1% 0%
1990
1995
2001
2006
2010
sonstige Arbeitnehmer
99,82%
99,88%
99,58%
99,34%
99,24%
Spitzenverdiener
0,18%
0,12%
0,42%
0,66%
0,76%
Spitzenverdiener
sonstige Arbeitnehmer
Abbildung 3: Anteil und Entwicklung der Gruppe der Spitzenverdiener (definiert mit einem Verdienst ≥ 400 % des Bruttomedianverdienstes) an der Arbeitnehmerschaft seit 1990
Die soeben gewonnenen Ergebnisse werden auch von der gegenwärtigen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung bestätigt. Auch hier erkennt man innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer einen Zuwachs von Niedriglohnempfängern auf
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
303
der einen sowie von Hochlohnempfängern auf der anderen Seite893. Insoweit wird von einer „Polarisierung“ von individuellem Arbeitseinkommen gesprochen und eine damit verbundene, wachsende „Einkommensspreizung“ ausgemacht894. Nach den Berechnungen von Burmester/Scherg auf der Grundlage der europaweit erhobenen EWCS Daten aus dem Jahr 2010 beträgt der Anteil der Hochlohnempfänger895 unter den in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmern knapp 15 %. Deutschland belegt damit auch im kontinentaleuropäischen Vergleich einen wenig schmeichelhaften Spitzenplatz, gleichauf mit Frankreich und übertroffen nur von Luxemburg896. cc) Qualitative Entwicklung Die Veränderungen in der Verdienststruktur sind aber nicht nur quantitativer, sondern auch qualitativer Natur. Damit ist gemeint, dass es nicht nur immer mehr Hochlohnempfänger und Spitzenverdiener verglichen mit dem Medianverdienst gibt. Vielmehr wird gerade auch der Unterschied zwischen der Verdiensthöhe an der Spitze der Einkommenspyramide und dem Medianverdienst immer größer897. Während etwa der durchschnittliche, nicht inflationsbereinigte und in Euro umgerechnete Medianverdienst der Arbeiter und Angestellten des Jahres 1978 von etwa 1.200 Euro auf 2.330 Euro im Jahre 2010 erhöhte und damit um 94 % anstieg, kletterte der durchschnittliche Verdienst der Hochlohnempfänger im selben Zeitraum von etwa 2.725 Euro auf 6.410 Euro – ein Zuwachs von 135 %898. Dass gerade im letzten Jahrzehnt eine Lohnverschiebung innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer stattgefunden hat, wird auch von wirtschaftswissenschaftlichen Studien bestätigt. Nach einer preisbereinigten Auswertung der Daten des sog. Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP), die auf regelmäßigen repräsentativen Haushaltsumfragen von TSN Infratest beruhen899, sank das reale monatliche 893
Burmester/Scherg, in: FS Merz, S. 173, 183 ff. Burmester/Scherg, in: FS Merz, S. 173, 173. 895 Die Hochlohnempfänger waren hier als Arbeitnehmer mit einem Nettoeinkommen von 150 % des Nettomedianeinkommens definiert, vgl. Burmester/Scherg, in: FS Merz, S. 173, 177 f. 896 Burmester/Scherg, in: FS Merz, S. 173, 185 f.; vgl. zu dieser Entwicklung auf Basis des gesamten Einkommens eines Haushalts auch Goebel/Grabka, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 4/2011, 5, 5 f. 897 Vgl. dazu auch die Nachweise bei Burmester/Scherg, in: FS Merz, S. 173, 189. 898 Basis der Berechnung sind auch hier die soeben zitierten Daten des Statistischen Bundesamtes. Die Verdienststrukturerhebung von 2014 muss auch hier mangels grundsätzlicher Vergleichbarkeit außer Betracht bleiben, vgl. dazu bereits soeben Fn. 830. 899 Die im Rahmen des SOEP erhobenen und verwendeten Daten weichen unter anderem deshalb leicht von den Zahlen des Statistischen Bundesamtes ab, weil anders als in den amtlichen Statistiken keine unregelmäßigen Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld, 894
304 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Bruttomedianeinkommen von 2.096 Euro im Jahr 2000 auf 1.941 Euro im Jahr 2010 (minus 7,4 %). Das Erwerbseinkommen des ärmsten Zehntels ging sogar von 320 Euro auf 259 Euro zurück (minus 19,1 %). Entgegen diesem Trend stieg jedoch das Arbeitseinkommen des reichsten Zehntels im gleichen Zeitraum von 5.368 Euro auf 5.481 Euro (plus 2,1 %). Erzielte dieses reichste Zehntel zur Jahrtausendwende bereits das 17-fache des ärmsten Zehntels und das 2,5-fache des Medians, so war es zehn Jahre später sogar das 21- bzw. 2,8-fache900. Auch der im Jahr 2013 veröffentliche Vierte Armuts- und Reichtumsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) erkennt denn eine (deutliche901) Zunahme der Lohnungleichheit, die gerade die Verdienstposition von Hochqualifizierten902 begünstigt. Noch signifikanter sind insoweit die Veränderungen im absoluten Spitzenbereich der Verdienstpyramide. Hier gestaltet sich eine Betrachtung allerdings schwierig. Einigermaßen aussagekräftig sind zum einen nur die Daten des Statistischen Bundesamtes aus jüngerer Zeit (ab 1990)903, da erst seitdem eine genauere Aufschlüsselung der Verteilung der Verdienste im obersten Bereich erfolgt. Diese Tatsache mag man jedoch auch als Zeichen dafür deuten, dass hier eine Ausdifferenzierung mangels praktischer Relevanz zuvor schlicht nicht notwendig erschien904. Problematisch ist zum anderen, dass auch solche Verdienste, die wie etwa diejenigen der Lizenzfußballer sogar ein Vielfaches der eigenen Vergleichsgruppe betragen, pauschal einer Höchstverdienstgruppe zugeordnet werden (beispielsweise Verdienste von „20.000 Euro und mehr“ in der Verdienststrukturerhebung für 2010). Das hat nicht nur zur Folge, dass die individuellen Lohnsteigerungen in diesem Bereich nicht konkret nachvollzogen werden können. Diese Verdienste gehen auch zu einem (teilweise erheblich) niedrigeren Wert in die GeUrlaubsgeld oder tarifliche Einmalzahlungen berücksichtigt wurden. Näher dazu Brenke/ Grabka, DIW Wochenbericht 45/2011, 3, 3 f. 900 Brenke/Grabka, DIW Wochenbericht 45/2011, 3, 12 f.; vgl. dazu auch Hirschel, in: FS Merz, S. 113, 117. 901 So Hirschel, in: FS Merz, S. 113, 117. 902 BMAS, Vierter Armuts- und Reichtumsbericht, S. 333. 903 Diese bereits soeben Fn. 885, 887, 888, 889, 891 und 890) zitierten Statistiken liegen auch den folgenden Berechnungen zu Grunde. 904 Für diese These spricht jedenfalls, dass die Arbeitnehmer in der nach oben hin offenen „Spitzenverdienerkategorie“ im Durchschnitt nur unwesentlich mehr verdienten als diejenigen, die in der zuvor noch ausdrücklich aufgeschlüsselten Kategorie aufgeführt waren, vgl. etwa Statistisches Bundesamt 1978, Gehalts- und Lohnstrukturerhebung, Angestelltenverdienste, S. 259 sowie Statistisches Bundesamt 1978, Gehalts- und Lohnstrukturerhebung, Arbeiterverdienste, S. 462. Gegen mag man allerdings einwenden, dass die Aufschlüsselung der Verdienste in der jüngsten Verdienststrukturerhebung vom September 2016 bereits bei einem Höchstverdienst von „12.100 Euro und mehr“ endet und in dieser Verdienstklasse insgesamt 132.000 Arbeitnehmer zusammengefasst werden, vgl. Statistisches Bundesamt 2014, Fachserie 16, Heft 1, Verdienststrukturerhebung, S. 32.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
305
samtstatistik ein, weshalb der Durchschnittsverdienst der absoluten Topgruppe sogar als geringer ausgewiesen wird als er tatsächlich ist. Umso bemerkenswerter ist das sich im Folgenden ergebende Bild. Betrachtet man etwa die obersten 5 % der Verdienstpyramide, so kam diese Gruppe im Oktober 1990 auf ein monatliches Bruttoeinkommen von 8.938 DM. Sie lag damit das 2,5-fache über dem Medianverdienst. Blieben diese Zahlen zunächst etwa konstant (1995 waren es durchschnittlich 10.656 DM Bruttomonatsverdienst, was ebenfalls das 2,5-fache des Medians bedeutete), zogen sie ab 2001 merklich an (6.332 Euro bzw. das 2,9-fache des Medians) und liegen in der letzten mit früheren Berichtsjahren ohne weiteres vergleichbaren Erhebung (Stand: Oktober 2010) bei 7.642 Euro Bruttomonatsverdienst bzw. dem 3,3-fachen des Medians905. Geht man innerhalb der Verteilungsstatistik noch weiter nach oben, so ergibt sich für das oberste 1 % der Arbeitnehmereinkommen die folgende Entwicklung: Im Oktober 1990 lag der durchschnittliche monatliche Bruttoverdienst dort bei 12.231 DM und betrug damit das 3,4-fache des Medians. Bis 1995 stagnierten die Verdienste weitgehend (14.321 DM bzw. das 3,3-fache des Medians), um dann ab 2001 stark anzusteigen (8.681 Euro bzw. das 3,9-fache des Medians). Im Jahr 2010 lagen sie schließlich bei 12.092 Euro bzw. dem 5,5-fachen des Medians906. Noch extremere Ergebnisse zeigen sich für die obersten 0,1 %. Der Durchschnittsverdienst lag dort im Jahr 1990 bei über 15.000 DM und betrug damit das 4,2-fache des Medians. Einigermaßen moderat stellte sich die Lage auch noch 1995 dar (19.908 DM bzw. das 4,6-fache des Medians). Für das Jahr 2001 existieren zwar keine unmittelbar aussagekräftigen Daten, da Spitzenverdienste nur bis 10.000 Euro im Einzelnen aufgeschlüsselt werden; nach einer linearen Interpolation auf Basis der übrigen Werte – insbesonderer unter Einbeziehung derjenigen aus dem Jahr 2006907 – lässt sich aber mit hinreichender Genauigkeit 905 Nach der nur eingeschränkt mit früheren Berichtsjahren vergleichbaren (vgl. zu den Gründen bereits soeben Fn. 890) Erhebung vom September 2016 für den April 2014 liegt der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst der oberen 5 % der Einkommenspyramide bei 7696 Euro bzw. dem 3,5-fachen des Medians. Dabei ist allerdings zusätzlich zu beachten, dass der tatsächliche Durchschnittsverdient in diesem Bereich aus den sogleich in Fn. 906 genannten Gründen noch weit höher liegen dürfte. 906 Die ohnehin nur eingeschränkt vergleichbare Statistik für April 2014 (vgl. zu den Gründen bereits soeben Fn. 890) verliert für die hier in Rede stehende absolute Spitze der Einkommenspyramide jegliche Aussagekraft. Da sie die 132.000 bestverdienendsten Arbeitnehmer pauschal in die Verdienstgruppe „über 12.100 Euro und mehr“ einordnet, statt diese wie in den vergangenen Erhebungen zumindest bis 20.000 Euro im Einzelnen aufzuschlüsseln, lassen sich tragfähige und vergleichbare Berechnungen in diesem Bereich nicht durchführen. 907 Im Oktober des Jahres 2006 lagen die Einkommen bei 18.135 Euro bzw. dem 8,1-fachen des Medians.
Entwicklung des Bruttomonatsverdienstes der Arbeitnehmer seit 1990
in Euro (Umrechnung für 1990 und 1995 auf Basis des Euro Kriterien 306 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Einführungskurses von 1 Euro = 1,95 DM)
Bruttomonatsverdienst der Arbeitnehmer in Euro
20000 18000 16000 14000 12000 10000 8000 6000 4000 2000 0 1990
1995 Median
Oberste 5%
2001 Oberste 1%
2010
Oberste 0,1%
Abbildung 4: Entwicklung des Bruttomonatsverdienstes der Arbeitnehmer seit 1990 in Euro (Umrechnung für 1990 und 1995 auf Basis des Euro Einführungskurses von 1 Euro = 1,95 DM)
ein durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst von etwa 14.400 Euro ermitteln, was dem 6,5-fachen des Medians entspricht. Im Oktober 2010 standen die Durchschnittsverdienste schließlich bei 19.084 Euro bzw. dem 8,2-fachen des Medians, vgl. zu alledem nachfolgende Abbildung 4. c) Zusammenfassung Die Verdienste der Arbeitnehmer haben innerhalb der letzten Jahrzehnte eine enorme Entwicklung hinter sich. Das gilt zum einen für ihre durchschnittliche Höhe; hier konnte eine enorme Reallohnsteigerung beobachtet werden. Es gilt zum anderen aber insbesondere für die Verteilung der Verdienste innerhalb der Arbeitnehmerschaft. So wuchs nicht nur die Gruppe der Hochlohnempfänger (Arbeitnehmer mit 200 % des monatlichen Bruttomedianverdienstes), die 1951 noch kaum existent gewesen war (1,2 % unter den Arbeitern), von einer kurzen Unterbrechung abgesehen beständig an und hat sich alleine im Zeitraum von 1995 bis 2010 mehr als verdoppelt. Sie umfasst seitdem 9,5 % aller Arbeitnehmer, die von den Angaben des Statistischen Bundesamtes erfasst sind. Auch und vor allem die hier sog. Spitzenverdiener (Arbeitnehmer mit mehr als 400 % des monatlichen Bruttomedianverdienstes) haben einen enormen Anstieg zu verzeichnen. Der Anteil ihrer Gruppe betrug schon im Jahr 2010 knapp 0,8 % – mit konstanter und weiterhin stark steigender Tendenz908. Er hat sich damit alleine seit 1990 mehr als 908 Nach der nur eingeschränkt vergleichbaren Statistik für 2014 beträgt ihr Anteil 1,68 %, vgl. oben Fn. 890.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
307
vervierfacht und verglichen mit 1995 sogar mehr als versechsfacht. Auch wenn ihre Quote prozentual betrachtet weiterhin gering erscheinen mag, so existierten bereits 2010 in absoluten Zahlen schon mindestens 185.000909 dieser Spitzenverdiener; sie können daher nicht mehr ohne weiteres vernachlässigt werden910. Gleichzeitig ist auch deutlich geworden, dass sich vor allem die oberen Einkommen innerhalb der letzten knapp 20 Jahre weit überproportional gesteigert haben. Noch im Jahr 1990 verdiente das oberste 1 % der Arbeitnehmer „nur“ das 3,4-fache des Bruttomedianverdienstes. Im Jahr 2010 war es dann das 5,5-fache. Eine ähnliche und nochmals verschärfte Entwicklung lässt sich im selben Zeitraum auch für den Bereich der obersten 0,1 % der Arbeitnehmerverdienstpyramide beobachten (vom 4,2-fachen zum 8,2-fachen des monatlichen Bruttomedianverdienstes). IV. Zwischenergebnis In der Definition des heutigen Arbeitnehmerbegriffes spielen die Merkmale der wirtschaftlichen Abhängigkeit sowie der sozialen Schutzbedürftigkeit keine Rolle mehr; auch § 611a Abs. 1 BGB spricht sie nicht an911. Die vorstehenden entstehungsgeschichtlichen Untersuchungen haben aber gezeigt, dass dies nicht immer so war. Sowohl die Rechtsprechung des RVA – das im Rahmen der Genese des Arbeitnehmerbegriffes eine wesentliche Rolle einnimmt – als auch diejenige des RAG stellte zunächst kumulativ auf Kriterien der persönlichen wie der wirtschaftlichen Abhängigkeit ab; dabei sollte durch letztere gerade die sozial schutzbedürftige Lage der Arbeitnehmer beschrieben werden. Die hierdurch begründete grundsätzliche Beachtlichkeit der wirtschaftlichen Abhängigkeit ging erst in der Mitte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Schritt für Schritt verloren. Die Entwicklung gipfelte in der Rechtsprechung des BAG, das wiederholt betont, eine wirtschaftliche Abhängigkeit sei für die Eigenschaft als Arbeitnehmer weder erforderlich noch ausreichend. Diese Verengung und die Reduktion des Arbeitnehmerbegriffes auf das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit können zwar gerechtfertigt werden. Das ist aber nur dann möglich, wenn mit dem nunmehr herangezogenen Arbeitnehmerbegriff der Anwendungsbereich des Regelungskomplexes „Arbeitsrecht“ weiterhin in der Art und Weise abgegrenzt wird, dass er noch immer diejenigen 909 Diese Statistik bildet mit „nur“ 24 Mio. untersuchten Beschäftigten längst nicht alle Arbeitnehmer ab. Nach der nur eingeschränkt vergleichbaren Statistik für April 2014 sind es nunmehr ca. 625.000 Arbeitnehmer von jetzt über 37 Mio. erfassten Beschäftigten, vgl. dazu schon soeben Fn. 890. 910 Ebenso Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 95. 911 Genauer zu Vorgaben und Grenzen des § 611a Abs. 1 BGB – insbesondere mit Blick auf eine mögliche Rechtsprechungsänderung – vgl. unten § 7 B.
308 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Beschäftigungsverhältnisse erfasst, die arbeitsrechtliche Rechtsfolgen auch treffen sollen. Mit anderen Worten müssen die tatbestandlich für die Abgrenzung einer Norm herangezogenen Kriterien in nahezu allen einschlägigen Fällen auch mit dem Inhalt (und insbesondere den Rechtsfolgen) der jeweils anzuwendenden Norm übereinstimmen912. Hiervon ausgehend, war der Verzicht auf das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit aus den oben näher ausgeführten rechtssystematischen sowie rechtstatsächlichen bzw. rechtspraktischen Gründen historisch durchaus nachvollziehbar und führte lange Zeit auch zu zutreffenden Ergebnissen. Der systematische Grund – die Existenz der arbeitnehmerähnlichen Personen –, der dazu führte, dass die bloße wirtschaftliche Abhängigkeit eines Beschäftigten nicht ausreichend für dessen Arbeitnehmereigenschaft sein konnte, dauert bis heute fort. Anderes gilt aber für den rechtstatsächlichen Grund. Zwar traf die Gleichung „persönliche Abhängigkeit = wirtschaftliche Abhängigkeit = soziale Schutzbedürftigkeit“, die auch die kumulative Prüfung wirtschaftlicher Kriterien nicht länger erforderlich machte, für weite Phasen deutscher arbeitsgerichtlicher Rechtsprechungsgeschichte zu. Die im Rahmen der Arbeit dargestellte Entwicklung der Arbeitnehmerverdienste hat aber gezeigt, dass dieser prinzipielle Gleichlauf, der im Deutschen Kaiserreich begann und sich über die Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus bis tief in die Bundesrepublik Deutschland hinein fortsetzte, heute nicht mehr uneingeschränkt gilt. Insbesondere das Zusammenspiel der drei aufgezeigten Entwicklungslinien im Entgeltbereich – deutlicher allgemeiner Anstieg des Verdienstniveaus, nochmals weit überdurchschnittlicher Anstieg im Spitzenverdienstbereich und quantitativer Anstieg der Gruppen der Hochlohnempfänger bzw. Spitzenverdiener – spricht dafür, die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts nicht länger ausschließlich auf die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit zu stützen, sondern sie zusätzlich auch wieder anhand von wirtschaftlichen Maßstäben zu überprüfen. Insoweit mag man auch von einem „Funktionswandel“913 des Arbeitnehmerbegriffes sprechen. Der ursprüngliche Normgeber des noch heute weitgehend unverändert herrschenden Arbeitnehmerbegriffes – das RAG, das erstmals auf die kumulative Berücksichtigung des Merkmals der wirtschaftlichen Abhängigkeit verzichtete – konnte die künftige und teilweise außerordentliche Verdienstentwicklung von Teilen der persönlich abhängig Beschäftigten nicht absehen. Es hat daher bei seiner Begriffsbildung andere tatsächliche, aber auch normative Maßstäbe als die heute geltenden zu Grunde gelegt, weil es schlicht nicht die Notwendigkeit sah und sehen konnte, dass dem Arbeitnehmerbegriff künftig etwa auch die Aufgabe zukommen könnte, unter Umständen eine immer größer 912 Rebhahn, RdA 2009, 236, 240; vgl. zu diesem letztlich teleologischen Argument näher unten § 6 E. III. 1. 913 Dazu ausführlich Bydlinski, Methodenlehre, S. 577 ff.; zum „historischen Normzweckwandel“ auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d, 786 ff.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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werdende Zahl an Spitzenverdienern unter den persönlich abhängig Beschäftigten vom Anwendungsbereich des Arbeitsrechts (teilweise) auszuschließen. Die fehlende Begrenzung des Arbeitnehmerbegriffes durch wirtschaftliche Kriterien kann daher heute viel mehr als früher zu auffallenden Wertungswidersprüchen mit der historischen Leitidee des Arbeitsrechts als Arbeitnehmerschutzrecht führen, an der sich die „allgemeine Erwartung der Rechtsunterworfenen“914 noch immer orientiert. Bewiesen wird dies nicht zuletzt durch die Diskussion um die Arbeitnehmereigenschaft der Lizenzfußballspieler915.
E. Teleologische Betrachtung Eine teleologische Betrachtung des Arbeitnehmerbegriffes erweist sich ebenso wie die vorangegangene historische Untersuchung als methodisch schwierig916. Bei der gewöhnlichen Auslegung einer Norm oder eines Begriffes wird dessen Inhalt mit Blick auf den Sinn und Zweck des jeweiligen Gesetzes ermittelt, in dem die Norm oder der Begriff enthalten ist. Der Arbeitnehmerbegriff ist aber die zentrale Anwendungsvoraussetzung eines ganzen Rechtsgebiets. Dennoch soll zunächst versucht werden, ob sich nicht auch das gesamte Arbeitsrecht auf einen einheitlichen (Schutz-)Zweck reduzieren lässt, aus dem sich sodann Hinweise auf den Inhalt des Arbeitnehmerbegriffes ableiten lassen (dazu sogleich I.). Weil ein solcher Versuch aber im Ergebnis misslingen muss, ist eine Anpassung der Methodik notwendig. Dabei bietet es sich an, einzelne arbeitsrechtliche Rechtsfolgen auf gemeinsame Schutzzwecke zu untersuchen und sie zu Rechtsfolgenbündeln zusammenzufassen (dazu unten II.), um hierdurch letztlich zu handhabbaren teleologischen Erkenntnissen über die Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes zu gelangen (dazu unten III.). I. Fehlen eines einheitlichen arbeitsrechtlichen Schutzgrundes 1. Wirtschaftliche Schwäche des Arbeitnehmers Die Frage nach Schutzgründen und -zwecken des Arbeitsrechts ist so alt wie das Arbeitsrecht selbst917. Für einige – unter ihnen überraschenderweise auch 914 Zu diesem Kriterium, das methodologisch die abweichende Auslegung einer gealterten Norm rechtfertigen kann vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 579. 915 Vgl. zum im Ergebnis nahezu allgemein – auch unter Verfechtern der h. M. – verbreiteten Wertungskonsens, nach dem eine uneingeschränkten Zuordnung der Lizenzfußballer zum Arbeitsrecht sehr kritisch beurteilt wird, bereits oben 1. Kap. § 4 B. und dort insbesondere die Nachweise in Fn. 386 – 390. Unter der nicht juristisch vorgebildeten Bevölkerung dürfte ein solcher Wertungskonsens noch ausgeprägter sein. 916 Vgl. dazu schon oben 2. Kap. § 6 A. und die Nachweise dort in Fn. 307. 917 Vgl. hierzu aus rechtsvergleichender Perspektive Rebhahn, RdA 2009, 236, 240 ff.
310 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Verfechter des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes – scheint die Antwort auf diese Frage dennoch eindeutig zu sein: „Der Seinsgrund des Arbeitsrechts ist die wirtschaftliche Abhängigkeit918 des Arbeitnehmers“, der „Geltungsgrund des Arbeitsrechts überhaupt“ sei mithin in der „sozialen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers“ zu suchen919. Das Arbeitsrecht müsste folglich einer Beseitigung oder jedenfalls Abmilderung dieser Lage dienen. Anders als die zitierten Literaturstimmen suggerieren, lässt sich das geltende Arbeitsrecht aber nicht auf diesen einen einheitlichen Schutzzweck reduzieren. Zwar mag man den „Urgrund“ arbeitsrechtlichen Schutzbedürfnisses und damit den Stein des Anstoßes zur Entstehung des modernen Arbeitsrechts tatsächlich in der sozial elenden Lage der arbeitenden Bevölkerung des ausgehenden 19. Jahrhunderts erblicken920. Diese Situation wirtschaftlicher Schwäche im weitesten Sinne ist jedoch zunächst nicht mehr als die Beschreibung des makrosoziologischen Grundtatbestandes einer kapitalistischen, marktwirtschaftlich-industrialisierten Gesellschaftsordnung, die dazu geführt hat, dass sich ein Großteil der Bevölkerung in ein Verhältnis abhängiger Arbeit begeben musste und sich auch heute noch regelmäßig begeben muss, um sich eine ausreichende wirtschaftliche Existenzgrundlage erwirtschaften zu können. Das Arbeitsrecht ist nun aber nicht das geeignete Regelungsinstrument, um elementare gesellschaftsordnende Veränderungen vorzunehmen, etwa Eigentum oder Kapital grundlegend umzuverteilen und somit den „Urgrund“ der beschriebenen wirtschaftlichen Schwäche – den faktischen Zwang zum höchstpersönlichen Einsatz der eigenen Arbeitskraft für einen anderen zur Schaffung einer Existenzgrundlage – in Gänze zu 918 Gemeint ist hier ausdrücklich nicht eine wirtschaftliche Abhängigkeit im oben (§ 5 C. II. 1.) näher beschriebenen Sinne, sondern eine grundlegende und strukturelle Angewiesenheit auf die Verwertung der eigenen Arbeitskraft zur Existenzsicherung. Aus diesem Grund wird im hier gemeinten Zusammenhang im Folgenden von „wirtschaftlicher Schwäche“ gesprochen (vgl. zu dieser Differenzierung schon oben § 5 C. II. 1. a); ähnliche und zutreffende Terminologie bei Lieb, RdA 1974, 257, 263 und Reinhardt, Phänomen, S. 146 ff. 919 Gamillscheg, RdA 1998, 2, 8 und inhaltlich gleichbedeutend schon ders., in: FS Schwarz, S. 495, 501 Fn. 24; grundsätzlich ähnlich, im Detail aber teilweise abweichend etwa BR-Drs. 671/96 S. 142 (= Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Bereinigung des Arbeitsrechts des Landes Brandenburg aus dem Jahr 1996) und aus der Literatur Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1233; Hromadka, DB 1998, 195, 201; ders., NZA 2007, 838, 841; Lieb, in: Beuthien (Hrsg.), Arbeitnehmer und Anteilshaber, S. 41, 49 Schelp, in: FS Herschel, S. 87, 96; Zachert, RdA 2004, 1, 1 ff.; andeutungsweise auch Rebhahn, RdA 2009, 154, 164 f. sowie ders., RdA 2009, 236, 246; zweifelnd dagegen etwa Beuthien/ Wehler, RdA 1978, 2, 2; Buchner, NZA 1998, 1144, 1146 f.; G. Hueck, RdA 1969, 216, 219; Zöllner, RdA 1969, 65, 66 f; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 12 f.; vgl. zur geschichtlichen Entwicklung dieser Sichtweise Adomeit, in: FS Konzen, S. 1, 1 f. 920 Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 7 (S. 26); Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 4; Rebhahn, RdA 2009, 154, 164 (vgl. aber auch ders., RdA 2009, 236, 241); Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 280.
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beseitigen. Vielmehr resultieren aus der für weite Teile der Bevölkerung tatsächlich bestehenden Notwendigkeit, aus existenziellen Gründen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen, erst im Ergebnis die letztlich entscheidenden Schutzgründe, auf die zu reagieren die zentrale Regelungsaufgabe des Arbeitsrechts ist921. Wer beispielsweise vertraglich oder kraft Weisung dazu verpflichtet ist, unter Tage in einem Kohlestollen zu arbeiten, gefährliche Maschinen zu bedienen oder – moderner gedacht – mit hochgiftigen Chemikalien oder krankheitserregenden Mikroorganismen zu experimentieren, den wird jedenfalls in dem Moment der Ausübung dieser Tätigkeit seine Situation grundsätzlicher wirtschaftlicher Schwäche kaum interessieren. 2. Strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers Aus diesem Grund greift auch der monokausale Rückgriff auf eine allgemeine „strukturelle Unterlegenheit“ des Arbeitnehmers zu kurz. Dieses grundlegende, weil strukturelle922 Defizit soll sich aus dem Zusammenspiel fehlenden Eigentums des Arbeitnehmers an den Produktionsmitteln und -ergebnissen sowie einer intellektuellen oder organisatorischen Überlegenheit des Arbeitgebers bei der Einstellung ergeben923, was letztlich in ein ungleiches wirtschaftliches Kräfteverhältnis münde. Das führe im Ergebnis wiederum dazu, dass der einzelne Arbeitnehmer typischerweise ungleich stärker auf sein Arbeitsverhältnis angewiesen sei, als der Arbeitgeber auf den einzelnen Arbeitnehmer924. Gerade bei der Suche nach konkreten arbeitsrechtlichen Schutzzwecken helfen aber auch diese Erwägungen kaum weiter. 3. Fehlende Verhandlungsparität der Arbeitsvertragsparteien Eng verknüpft mit der Idee der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer ist schließlich auch das Modell der fehlenden Verhandlungsparität925 der Arbeits921
Vgl. in diesem Zusammenhang v. Stebut, Schutz, S. 266 ff., insbes. 268 f. Kritisch zum Aussagewert der Begriffe „strukturelles Ungleichgewicht“ bzw. „typische Unterlegenheit“ Adomeit, in: FS Konzen, S. 1, 4; Rebhahn, RdA 2009, 236, 241; Richardi, in: FS Söllner, S. 957, 966. 923 Ausführlich Wank, Arbeitnehmer, S. 46 ff.; dazu auch BVerfG NJW 1991, 2549, 2551; BVerfG NZA 1992, 270, 273; BVerfG NZA 2005, 153, 155; BVerfG NZA 2007, 85, 86; BAG AP Nr. 54 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG NZA 2002, 551, 552; Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468; Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1233; Bepler, jM 2016, 105, 105; Boemke, ZfA 1998, 286, 296; Düwell, ArbuR 1998, 149, 150; Rebhahn, RdA 2009, 236, 241; Rieble, ZfA 1998, 327, 331; Thüsing, RdA 2005, 257, 259 f.; Zachert, RdA 2004, 1, 1; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 286 ff.; grundsätzlich kritisch dagegen Adomeit, Arbeitsrecht, S. 26 f. 924 BVerfG NZA 2007, 85, 87; insoweit kritisch Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 237. 925 Für das gesamte Privatrecht insoweit grundlegend Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff. 922
312 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
vertragsparteien als zentraler Erklärungsansatz des Arbeitsrechts. Soll arbeitsrechtliches Schutzbedürfnis auf einen einheitlichen Nenner gebracht werden, wird daher oftmals auch auf die ungleiche Verhandlungsmacht zwischen den Arbeitsvertragsparteien zurückgegriffen926. Vom Grundgedanken der Vertragsfreiheit ausgehend, der unserer liberalen Rechts- und Wirtschaftsordnung zu Grunde liegt und der in Art. 2 Abs. 1, 12 GG verfassungsrechtlich verankert ist, wird dabei argumentiert, staatliches Schutzrecht werde nur dann notwendig, wenn zwei unterschiedlich starke Parteien einen nicht gleichberechtigt ausgehandelten Vertrag abschlössen, weil dieser dann seine ihm grundsätzlich innewohnende Richtigkeitsgewähr einbüße927. Solche in ihrem Ausgangspunkt zutreffende und damit durchaus begrüßenswerte Versuche kranken aber – jedenfalls wenn man für den Fall tatsächlich gegebener Verhandlungsparität die Geltung des gesamten Arbeitsrechts ausschließen möchte928 – schon an der idealtypischen Vorstellung, dass einem Beschäftigten, der in der Lage ist, einen Beschäftigungsvertrag weitgehend paritätisch auszuhandeln, keinerlei arbeitsrechtstypische Gefahren mehr drohen und ein arbeitsrechtliches Schutzbedürfnis dann nicht mehr bestehen kann. Dass dem nicht so ist, werden aber nicht nur die anschließenden Ausführungen unter II. zeigen. Es wird dies daneben auch schon dadurch deutlich, dass etwa das Tarifvertragsrecht, das entscheidend der weitgehenden Beseitigung der Machtasymmetrie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beim Aushandeln von Arbeitsbedingungen dient929, nur einen kleinen Teilbereich des gesamten Arbeitsrechts ausmacht und der Gesetzgeber darüber hinaus offensichtlich noch weitergehendes, staatlich zwingendes Schutzrecht für notwendig erachtet930. Es bleibt auch hier stets dabei, dass selbst derjenige, der einem anderem in einem 926 BVerfG NZA 1992, 270, 273; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 45; Hanau, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 227, 227 ff., insbes. 231 ff.; Thüsing, RdA 2005, 257, 258 ff.; v. Stebut, Schutz, S. 17 f. und passim; Versteyl, Obergrenze, S. 50 ff. und passim; ansatzweise etwa auch bei Hromadka/Maschmann, Individualarbeitsrecht, § 2 Rn. 4; Boemke, ZfA 1998, 286, 296; Gamillscheg, in: FS Schwarz, S. 495, 501 Fn. 24; ders., RdA 1998, 2, 8; Kittner, in: FS Kehrmann, S. 99, 99; Richardi, JA 1986, 289, 296; zusammenfassend Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 265 ff.; kritisch dagegen Heinze, NZA 1997, 1, 1 f. und Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 229 ff.; zu diesbezüglichen Überlegungen de lege ferenda Reichold, in: FS Adomeit, S. 583, 583 ff. 927 Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468; Thüsing, RdA 2005, 257, 257 ff.; ausführlich Preis, Grundfragen, S. 29 ff., 237 ff.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 266 ff. (m. w. N. in Fn. 319) und allgemeiner Maunz/Dürig/Di Fabio, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 2 Abs. 1 Rn. 101 ff. (37. Erg.-Lfg. 2001); differenzierend Kähler, Begriff abdingbaren Rechts, S. 260 ff.; vgl. zum Problem der Verhandlungsparität auch schon oben § 3 B. 928 Vgl. zum Argument der Verhandlungsparität in einem bloßen Teilbereich aber unten § 8 B. 2. d). 929 Statt aller BVerfG AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 2. 930 Ähnlich Reichold, in: FS Adomeit, S. 583, 585.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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paritätisch ausgehandelten Vertrag seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, auch als Person in den Dienst des anderen treten muss und daher besonderen Gefahren ausgesetzt ist, auf die insbesondere das Arbeitsrecht zu reagieren hat. Zudem ließe sich fehlendes Verhandlungsgleichgewicht seinerseits wiederum zurückführen auf die existenzielle Angewiesenheit eines Beschäftigten auf einen Arbeitsplatz, weil und wenn dieser nur auf Grund der Verwertung seiner persönlichen Arbeitsleistung in der Lage ist, sich seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften931: Wer faktisch gezwungen ist, ein bestimmtes Vertragsverhältnis einzugehen, der wird auch nahezu jede Vertragsbestimmung seines Gegenübers akzeptieren. Dem Kriterium der Verhandlungsparität vorgelagert wäre dann wiederum das Element der wirtschaftlichen Schwäche932. Eine solche Ansicht steht außerdem vor dem praktisch nur schwer zu bewältigenden Problem, handhabbare Kriterien zur Bemessung und Feststellung einer etwaigen Verhandlungsparität im Einzelfall liefern zu können933. Das schließt zwar nicht aus, dass einer der gewichtigen Schutzzwecke des Arbeitsrechts im Ausgleich fehlender Verhandlungsparität erblickt wird934. Gerade im Rahmen der vorliegenden Arbeit, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, konkrete Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts zu untersuchen, muss eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Problematik aber unterbleiben. 4. Folgerungen für die Untersuchung Möchte man nach alledem nicht auf generalisierende, inhaltlich kaum konturierte und damit nur scheinbar präzisierende Grundgedanken wie die wirtschaftliche Schwäche, strukturelle Unterlegenheit oder fehlende Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer zurückgreifen und damit den Arbeitnehmerschutz im weitesten Sinne als den zentralen Schutzzweck des Arbeitsrechts begreifen935, so wird schnell klar, dass es „das eine“ arbeitsrechtliche Telos nicht gibt936. In diesem Falle stellt sich dann aber die Frage, wie die verschiedenen Schutzzwecke des 931 Preis, Individualarbeitsrecht, § 1 II. (S. 1); Kreuder, ArbuR 1996, 386, 389; Thüsing, RdA 2005, 257, 260; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 276 f., 287; Heuberger, Abhängigkeit, S. 154; Wank, Arbeitnehmer, S. 49 f. 932 Ähnlich Gamillscheg, in: FS Schwarz, S. 495, 501 Fn. 24; Pfarr, in: FS Kehrmann, S. 75, 76; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 280 ff.; vgl. auch Gamillscheg, RdA 1998, 2, 8 und Tomandl, ZAS 2008, 100, 113. 933 Vgl. dazu schon oben § 3 B. II. 2.; aus weiteren Gründen ablehnend auch Rebhahn, RdA 2009, 236, 241. 934 Vgl. dazu unten § 6 E. II. 3. 935 Hanau, in: FS Kehrmann, S. 23, 23; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 192 und schon die Nachweise oben Einleitung, Fn. 35. 936 Zutreffend Wank, Arbeitnehmer, S. 54, 117 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 231 f. und i. E. dann auch Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 192 ff.
314 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Arbeitsrechts überhaupt ermittelt werden können. Weil jede einzelne Norm eine Reaktion des Gesetzgebers auf ein bestimmtes Regelungsproblem ist und sie im Ergebnis dessen Beseitigung dienen soll937, sind belastbare Ergebnisse insoweit nur dann zu erzielen, wenn man die Antwort auf diese Fragestellung entscheidend den geltenden arbeitsrechtlichen Gesetzen entnimmt. Genauer gesagt müssen deren Rechtsfolgen analysiert werden, da sich gerade hieraus die maßgeblichen Gesetzeszwecke ergeben938. Da das Ziel der vorliegenden Arbeit letztlich darin besteht, die typische und arbeitsrechtsspezifische Schutzbedürftigkeit eines Arbeitnehmers zu bestimmen, muss zunächst untersucht werden, vor welchen Risiken das Arbeitsrecht diesen typischen Arbeitnehmer konkret schützen will (dazu sogleich II.), bevor in einem zweiten Schritt dann Rückschlüsse auf die Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes gezogen werden können939 (dazu unten III.). II. Kategorisierung arbeitsrechtlicher Schutzzwecke Eine solche Untersuchung wird im Folgenden vorgenommen. Da ihr Ziel die Herausarbeitung allgemeiner und übergreifender Schutzzwecke ist, erschöpfen sich die folgenden Ausführungen nicht nur darin, sämtliche arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen separat aufzuzählen und sie isoliert auf ihre jeweiligen speziellen Schutzzwecke zu untersuchen. Vielmehr wird anhand von Beispielen versucht, Rechtsfolgen auf gemeinsame Grundgedanken zu reduzieren und sie insoweit zusammenzufassen940. Dabei wird sich zeigen, dass sich insbesondere zwei übergeordnete Schutzzwecke – Berufsschutz auf der einen Seite (sogleich 1.), Existenzschutz941 auf der anderen Seite (unten 2.) – herausarbeiten lassen. Daneben 937 Wank, Begriffsbildung, S. 87 ff.; ders., Auslegung und Rechtsfortbildung, 84; ders., Arbeitnehmer, S. 45. 938 Wank, RdA 2010, 193, 195; ders., Begriffsbildung, S. 90 ff. Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 231. 939 Ähnlich Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 222 m. w. N.; ansatzweise auch schon Zöllner, RdA 1969, 65, 67; zur grundsätzlichen methodischen Notwendigkeit im Rahmen der teleologischen Auslegung, bestimmte Normzwecke zunächst festzustellen und zu begründen, bevor anschließend inhaltliche Rückschlüsse gewonnen werden können vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 67d (S. 98). 940 Ein methodisch ähnliches Vorgehen findet sich etwa bei Maties, in: FS Wank, S. 323, 330 f.; Heuberger, Abhängigkeit, S. 138 ff.; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 172; Wank, Arbeitnehmer, S. 56 ff.; ders., EuZA 2016, 143, 149 ff. sowie Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 231 ff. Überblicke über die unterschiedlichen Schutzzwecke des Arbeitsrechts geben darüber hinaus beispielsweise Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 189 ff.; Richardi, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 607, 616; Kreutz, Betriebsautonomie, S. 156; Lampert, Sozialpolitik, 190 und Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 22 ff. 941 Die Terminologie orientiert sich an Wank, Arbeitnehmer, S. 56 ff. und dessen grundlegenden Vorarbeiten auf diesem Gebiet; vgl. hierzu auch ders., NZA 1999, 225,
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existiert noch ein Paritätsschutz, der sich keiner der beiden anderen Kategorien eindeutig zuordnen lässt (unten 3.). 1. Berufsschutz Der hier sogenannte Berufsschutz stellt das erste große Rechtsfolgenbündel des geltenden Arbeitsrechts dar. Er bezweckt insbesondere den Schutz des Arbeitnehmers vor physischen und psychischen Gefahren bei der Berufsausübung sowie einen Schutz vor einer zu weitgehenden Beeinträchtigung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers942. Demzufolge lässt er sich weiter untergliedern in einen Arbeitsschutz (sogleich a)) sowie einen weitergehenden und weitreichenden Persönlichkeitsschutz (unten b)). a) Arbeitsschutz Zum Bereich des Arbeitsschutzes gehört freilich in erster Linie das sog. Arbeitsschutzrecht i.e.S943. Im Mittelpunkt steht hier der Schutz der physischen und neuerdings vermehrt auch der psychischen944 Gesundheit der Arbeitnehmer, die letztlich vor Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit bewahrt werden sollen, die ihnen bei der Ausübung ihrer Arbeit aus den unterschiedlichsten Gründen drohen können (etwa Unfälle oder Berufskrankheiten)945. Im Bereich des Arbeitsschutzrechts i. e. S. nimmt wiederum der technische Arbeitsschutz – und an dessen Spitze das ArbSchG – eine besonders wichtige und prominente Rolle ein. Im Blickpunkt stehen hier insbesondere die Sicherung der Arbeitsumgebung und -umwelt sowie die Abwehr arbeitsbedingter Gefah-
226 f.; ders., in: FS Küttner, S. 5, 10; ders., RdA 2010, 193, 195; ders., EuZA 2016, 143, 149 ff. und ähnlich Neuvians, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 117 ff.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 231 ff. 942 MünchArb/Richardi, § 3 Rn. 33; Wank, RdA 2010, 193, 195 ff.; ders., Arbeitnehmer, S. 59 ff.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 236. 943 Zur teilweise unterschiedlichen Terminologie und systematischen Einordnung vgl. etwa Preis, Individualarbeitsrecht, § 1 II. (S. 2); Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 32 Rn. 1 ff. Dogmatisch handelt es sich dabei um öffentlich-rechtliche Arbeitnehmerschutzgesetze, die zugleich unabdingbare vertragliche Schutzpflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB darstellen, vgl. näher Preis, Individualarbeitsrecht, § 36 II. 2. (S. 533). 944 Hierzu allgemein zuletzt B. Gaul, DB 2013, 60, 60 ff.; eine ausdrückliche, spezielle gesetzliche Ausformung zum Schutz der psychischen Gesundheit findet sich etwa in § 3 BildscharbV; vgl. dazu Kollmer/Klindt/Kreizberg, § 3 BildscharbV Rn. 1 f.; Pieper, ArbSchG, Einl. Rn. 6, § 3 BildscharbV Rn. 7. 945 MünchArb/Kohte, § 288 Rn. 1; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 32 Rn. 9 ff.; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 193; ansatzweise auch Rieble, ZfA 1998, 327, 342.
316 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
ren für die soeben genannten Rechtsgüter, § 1 Abs. 1 S. 1 ArbSchG946. Zu diesem Zweck hat der Arbeitgeber nach der abstrakten Beschreibung des § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten947. Dazu gehören im Einzelnen etwa die allgemeine Gestaltung der Arbeitsbedingungen, § 4 Nr. 1 ArbSchG, oder die Bekämpfung von Gefahrenquellen, § 4 Nr. 2 ArbSchG. Diese allgemeinen Grundsätze werden wiederum durch weitere formelle Gesetze948 sowie durch zahlreiche, insbesondere auf §§ 18, 19 ArbSchG gestützte Verordnungen konkretisiert949. Neben diesen kaum noch zu überblickenden Spezialregelungen lässt sich auch die Vorschrift des (für sämtliche Dienstnehmer und nicht ausschließlich für Arbeitnehmer geltenden) § 618 Abs. 1 BGB der Zielrichtung der Verhütung von Gefahren für Leben und Gesundheit zuordnen; nach h. M. wird diese zivilrechtliche Grundnorm für das Arbeitsrecht gerade durch das ArbSchG konkretisiert950. Ähnliches gilt bezogen auf die kaufmännischen Angestellten für die Vorschrift des § 62 Abs. 1 HGB951. Hingewiesen werden kann in diesem Zusammenhang auch auf die betriebsverfassungsrechtliche Pflicht des Arbeitgebers zur Belehrung über Unfall- und Gesundheitsgefahren vor dem Beginn einer Beschäftigung, § 81 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BetrVG, sowie auf das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz, § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. 946 Näher, auch zu weiteren Zwecken des ArbSchG vgl. Kollmer/Klindt/Kollmer, ArbSchG, Vor § 1 ArbSchG Rn. 8 ff.; Kollmer/Klindt/Schmidt am Busch, ArbSchG, Einl. A. Rn. 1; Pieper, ArbSchG, Einl. Rn. 1, 10, § 1 ArbSchG Rn. 1; Vogl, NJW 1996, 2753, 2754. 947 Ausführlich Faber, Grundpflichten, S. 32 ff., 72 ff. 948 Etwa das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG), das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) oder das Chemikaliengesetz (ChemG). 949 Zu nennen sind insbesondere: Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV), Verordnung über Arbeitsstätten (ARbStättV), Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (BaustellV), Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Bereitstellung von Arbeitsmitteln und deren Benutzung bei der Arbeit, über Sicherheit beim Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen und über die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes (BetrSichV), Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (BildscharbV), Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen (BiostoffV), Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (GefahrstoffV), Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch Lärm und Vibrationen (LärmVibrationsArbSchV), Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten bei der Arbeit (LasthandhabV), Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen (PSA-BV). 950 BAG AP Nr. 28 zu § 618 BGB; MünchArb/Reichold, § 85 Rn. 1; Staudinger/Oetker, § 618 BGB Rn. 21. 951 MünchArb/Reichold, § 85 Rn. 1; Preis, Individualarbeitsrecht, § 36 II. 1. (S. 530).
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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Neben diesen Kernbereich des Arbeitsschutzes tritt vor allen Dingen der Arbeitszeitschutz952. Insbesondere das ArbZG953 hat die Aufgabe, den Arbeitnehmer vor verschiedensten gesundheitlichen Gefahren zu schützen, die ihm aus einer Überarbeitung drohen können, vgl. § 1 Nr. 1 ArbZG954. Zu diesem Zweck werden tägliche Höchstarbeitszeiten festgesetzt (§ 3 ArbZG, § 8 JArbSchG), die zeitliche Lage der Arbeitszeit reglementiert (§§ 6, 9 ArbZG, § 8 MuSchG, §§ 14 ff. JArbSchG) sowie zwingende Ruhepausen und Ruhezeiten vorgeschrieben (§§ 4, 5 ArbZG, §§ 11, 13 JArbSchG). Eine ähnliche Stoßrichtung lässt sich auch Teilen des Urlaubsrechts entnehmen (insbesondere § 1 BUrlG, § 19 Abs. 1 JArbSchG, § 56 Abs. 1 SeeArbG). Primärer Grundgedanke ist hier die Gewährung einer Freistellung von den arbeitsvertraglichen Pflichten zur selbstbestimmten Erholung955 von der Arbeitsbelastung und somit (zumindest auch) ein gesundheitlicher Schutzzweck956. Anderes gilt freilich für den fortbestehenden Lohnanspruch des Arbeitnehmers während der Zeit des Erholungsurlaubs (Urlaubsentgeltanspruch). Über die bislang genannten Regelungskomplexe hinaus reagieren einige Normen auch auf besondere gesundheitliche Gefährdungslagen bestimmter Arbeitnehmergruppen. Zu nennen ist zum einen der Schutz werdender Mütter, die immer dann nicht mit einer bestimmten Beschäftigung beauftragt werden dürfen, wenn hierbei das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind gefährdet ist (genauer §§ 3 Abs. 1, 4; vgl. auch §§ 3 Abs. 2, 6 und 8 MuSchG). Zum anderen werden Kinder und Jugendliche explizit geschützt. Gerade im Stadium körperlicher und seelischer Entwicklung besteht eine besondere Gefahr der gesundheit-
952 Teilweise wird der Arbeitszeitschutz – terminologisch nicht unmissverständlich – auch als „sozialer Arbeitsschutz“ bezeichnet, vgl. etwa Kollmer/Klindt/Butz, ArbSchG, § 17 ArbSchG Rn. 107 (2. Auflage 2011) sowie die Überschrift bei MünchArb/Kohte, § 297 und ausführlich Staudinger/Oetker, § 618 BGB Rn. 21 ff. 953 Daneben finden sich auch in anderen Gesetzen Regelungen zum Arbeitszeitschutz, etwa im JArbSchG und im MuSchG, vgl. näher Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 35 Rn. 5 ff. 954 Näher Baeck/Deutsch, ArbZG, § 1 ArbZG Rn. 3; Neumann/Biebl, ArbZG, § 1 ArbZG Rn. 3; ausführlich Tietje, Grundfragen, S. 51 ff. 955 BAG AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG; ErfK/Gallner, § 1 BUrlG Rn. 4; HWK/Schinz, § 1 BUrlG Rn. 4. 956 EuGH v. 16. 03. 2006 – Rs. C-131/04 und C-257/04, Slg. 2006, I-2531 Rn. 60 (Robinson-Steele); MünchArb/Düwell, § 81 Rn. 4; Gutzeit, System, S. 79 f.; Wank, Arbeitnehmer, S. 59 f.; daneben bezweckt der Urlaub insbesondere nach Ansicht des EuGH auch die Gewährung eines „Zeitraum[s] für Entspannung und Freizeit“, vgl. etwa EuGH v. 20. 01. 2009 – Rs. C-350/06 und C-520/06, Slg. 2009, I-179 Rn. 25 (Schultz-Hoff); EuGH v. 10. 09. 2009 – Rs. C-277/08, Slg. 2009, I-8405 Rn. 21 (Vicente Pereda); dazu ausführlich Schaub/Linck, Arb-Hdb, § 104 Rn. 5 ff. Der Erholungsurlaub ließe sich daher in Teilen auch dem Persönlichkeitsschutz zuordnen (sogleich unter b)).
318 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
lichen Gefährdung957. Insoweit kann es auch kaum überraschen, dass historisch betrachtet das Preußische Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken vom 09. 03. 1839, das sich zuerst dem Problem der Kinderarbeit annahm, einen, wenn nicht sogar den zentralen Markstein bei der Entstehung des modernen Arbeitsrechts darstellt958. Auf die besondere gesundheitliche Gefährdungslage Minderjähriger reagiert heute das JArbSchG. Es kennt einmal ein grundsätzliches Verbot der Kinderarbeit (§ 5 JArbSchG). Daneben existieren auch Beschäftigungsverbote bzw. -beschränkungen für Jugendliche, soweit die Arbeit ihre Leistungsfähigkeit übersteigt oder sie dabei bestimmten Gefahren ausgesetzt sind (§§ 22, 24 JArbSchG). Die besondere Zwecksetzung des Gesetzes äußert sich daneben auch in den §§ 32 ff. JArbSchG. Hier wird eine weitreichende gesundheitliche Betreuung Jugendlicher detailliert vorgeschrieben und zur Voraussetzung einer Beschäftigung erhoben. Auf den im Vergleich zu erwachsenen Arbeitnehmern noch weitergehenden Arbeitszeitschutz (§§ 8 ff. JArbSchG) sowie die erhöhte Mindesturlaubsdauer (§ 19 JArbSchG) sei ebenfalls nochmals hingewiesen. Dagegen sind die bis zuletzt in geringem Umfang existierenden Beschäftigungsverbote bzw. -beschränkungen für Frauen im Seearbeitsrecht (vgl. etwa ex-§ 92 i. V. m. § 143 Abs. 1 Nr. 8 SeemG) mit der Novellierung des SeemG (nunmehr SeeArbG) seit dem 01. 08. 2013 obsolet959. b) Persönlichkeitsschutz Darüber hinaus ist es im Grundsatz zu Recht schon lange unbestritten, dass der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers (hergeleitet aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art 1 Abs. 1 GG) eine zentrale Aufgabe des Arbeitsrechts ist960. Dass der Persönlichkeitsschutz nicht eine bloß theoretische Regelungsidee ist, sondern auch vom geltenden – zum Teil positiven, zum Teil richterrechtlich auf 957 Weyand, JArbSchG, Einl. Rn. 47; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 35 Rn. 16 ff.. Mit Blick auf den Schutz der seelischen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen könnte man jedenfalls Teile des JArbSchG auch dem Persönlichkeitsschutz zuordnen (sogleich unter b)). 958 Ausführlich hierzu Weyand, JArbSchG, Einl. Rn. 1 ff.; Düwell, ArbuR 1989, 233, 233 ff. 959 BGBl. I 2013, S. 868; vgl. historisch Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 87 I. (S. 837 ff.). 960 Vgl. nur BAG AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Personalakte; BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Mobbing; HWK/Thüsing, § 611 BGB Rn. 255 ff.; Preis, Individualarbeitsrecht, § 36 II. 3. (S. 536); Rebhahn, RdA 2009, 236, 242; Wiese, ZfA 1971, 273, 273 ff.; zur Entwicklung MünchArb/Reichold, § 86 Rn. 1 ff. Thees, Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht, passim geht sogar so weit, das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zur Leitidee des Arbeitsrechts zu erheben. Zu Persönlichkeitsschutz und Arbeitsverhältnis vgl. auch das umfassende Praxishandbuch Weth/ Herberger/Wächter, Daten- und Persönlichkeitsschutz, passim.
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Grundlage der sog. Fürsorgepflichten des Arbeitgebers (heute § 241 Abs. 2 BGB) entwickelten961 – Recht verwirklicht wird, beweist wiederum die Analyse arbeitsrechtlicher Rechtsfolgen. Neben dem Arbeitsschutz ist deshalb der Persönlichkeitsschutz die zweite Säule des Berufsschutzes. Normen, die in ihrem Kern primär einen Persönlichkeitsschutz im weiteren Sinne bezwecken, sind über das gesamte Arbeitsrecht verstreut; die nachfolgend aufgezählten Beispiele erheben daher auch keinesfalls einen Anspruch auf Vollständigkeit und sind rein exemplarisch zu verstehen. Genannt werden kann insoweit zunächst der Bereich des Datenschutzes, der primär durch das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sichergestellt wird, das den Schutz personenbezogener Daten von Arbeitnehmern und sonstigen Beschäftigen zum Ziel hat, vgl. §§ 1 Abs. 1, 27 ff., 32 BDSG962. Eng hiermit verbunden ist zum einen die von der Rechtsprechung entwickelte Pflicht des Arbeitgebers, grundsätzlich Stillschweigen über die Personalakten seiner Arbeitnehmer zu bewahren und bei einer Weitergabe der Akten an Dritte zuvor eine Einwilligung des betreffenden Arbeitnehmers einzuholen, sofern keine ausdrückliche gesetzliche Befugnis besteht963. Zum anderen hat der Arbeitnehmer auch Auskunftsansprüche über die Daten, die über seine Person erhoben worden sind, § 34 BDSG, ein von einem Recht auf Gegendarstellung flankiertes Einsichtsrecht in die über ihn geführten Personalakten, § 83 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BetrVG964, sowie der Betriebsrat ein erzwingbares 961 MünchArb/Reichold, § 83 Rn. 1 ff., § 86 Rn. 1; Preis, Individualarbeitsrecht, § 36 I. (S. 529 f.). 962 Geschützt wird hier genau genommen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, das seinerseits aber Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, vgl. nur BAG AP Nr. 21 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht; MünchArb/Reichold, § 88 Rn. 1, 4; Weth/Herberger/Wächter/Geiger, Daten- und Persönlichkeitsschutz, S. 30 f. und allgemeiner BVerfGE 65, 1, 43; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 2 Abs. 1 Rn. 173 ff. (37. Erg.-Lfg. 2001). 963 BAG AP Nr. 14 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht; BAG AP Nr. 21 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht; ErfK/Kania, § 83 BetrVG Rn. 5; HWK/Thüsing, § 611 BGB Rn. 258 f.; Preis, Individualarbeitsrecht, § 36 II. 4. (S. 537); ausführlich MünchArb/Reichold, § 87 Rn. 2 ff.; Weth/Herberger/Wächter/Breyer, Daten- und Persönlichkeitsschutz, S. 277 f. 964 Ausführlich hierzu Weth/Herberger/Wächter/Breyer, Daten- und Persönlichkeitsschutz, S. 279 f. Bei § 83 BetrVG handelt es sich um eine – systematisch zweifelhaft verortete – individualrechtliche Norm zum Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers (MünchArb/Reichold, § 87 Rn. 18), die unabhängig von der Existenz eines Betriebsrats gilt, vgl. ErfK/Kania, § 83 BetrVG Rn. 1; Fitting, § 83 BetrVG Rn. 1. Im Falle der Unrichtigkeit von Angaben in der Personalakte hat der Arbeitnehmer darüber hinaus auch einen Tilgungs- bzw. Berichtigungsanspruch, den die h. M. regelmäßig auf § 1004 Abs. 1 BGB analog wegen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stützt, vgl. etwa BAG AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung; Weth/Herberger/Wächter/Breyer, Daten- und Persönlichkeitsschutz, S. 281; Pauly, NZA 1995, 449, 453 f.
320 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Mitbestimmungsrecht bei der Erstellung von Personalfragebögen, § 94 Abs. 1 S. 1 BetrVG965. Eine persönlichkeitsschützende Zwecksetzung lässt sich zu Teilen auch dem ArbZG und den entsprechenden Parallelvorschriften des JArbSchG entnehmen: Neben dem primären Ziel des Gesundheitsschutzes dienen diese Regelungen – insbesondere diejenigen zu den Höchstarbeitszeiten (§ 3 ArbZG, § 8 JArbSchG) und zur zeitlichen Lage der Arbeitszeit (§§ 6, 9 ArbZG, §§ 14 ff. JArbSchG) – auch dazu, den Arbeitnehmern genug Freizeit zu bewahren, um eine ausreichende Persönlichkeitsentfaltung zu gewährleisten966. Auch die verschiedenen Ansprüche der Arbeitnehmer auf Erholungsurlaub lassen sich mit dieser Argumentation jedenfalls zu Teilen auch dem Persönlichkeitsschutz zuordnen: Namentlich der EuGH sieht den Zweck des Erholungsurlaubs – neben einer gesundheitsschützenden Zielrichtung – denn auch in der Gewährung eines Zeitraums für Entspannung und Freizeit967. Ähnliches lässt sich auch über den Arbeitnehmeranspruch auf Elternzeit, §§ 15 ff. BEEG, sagen. Durch die hierdurch im Ergebnis erzielte, unbezahlte (Teil-)Freistellung von der Arbeitspflicht968 wird die Erziehung eines Kleinkindes durch einen Elternteil ermöglicht, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert969 und damit letztlich auch die private Persönlichkeitsentfaltung des Arbeitnehmers gefördert. Auch der Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit, § 8 Abs. 1 TzBfG970, und die einschränkenden Regelungen zur Zulässigkeit von Arbeit auf Abruf, § 12 Abs. 1 S. 4, Abs. 2 TzBfG, können mit dieser Argumentation dem Persönlichkeitsschutz der Arbeitnehmer zugeordnet werden971. Daneben 965 Fitting, § 94 BetrVG Rn. 1; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 759; Richardi/Thüsing, § 94 BetrVG Rn. 1. 966 In diesem Sinne kann etwa § 1 Nr. 1 Hs. 2 ArbZG (Verbesserung der Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten) sowie § 1 Nr. 2 ArbZG (Arbeitsruhe an Feiertagen zur „seelischen Erhebung“ der Arbeitnehmer) verstanden werden; i. E. ebenso Zöllner/ Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht (6. Auflage 2008), § 30 III. (S. 323), § 32 I. (S. 330); Rebhahn, RdA 2009, 236, 242 Fn. 66; Kreft, Grundfragen, S. 24 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 234. 967 Dazu schon soeben 2. Kap. § 6 E. II. 1. a) und dort insbesondere die Nachweise in Fn. 956. 968 BAG NZA 2008, 998, 1000; ErfK/Gallner, § 15 BEEG Rn. 2; Schaub/Linck, ArbHdb, § 172 Rn. 3. 969 BT-Drs. 16/1889, S. 2, 16; ErfK/Gallner, § 15 BEEG Rn. 2; Schaub/Linck, ArbHdb, § 172 Rn. 2. 970 Dagegen weisen die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/4374, S. 17) sowie sich darauf beziehend ErfK/Preis, § 8 TzBfG Rn. 1; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 8 TzBfG Rn. 1 und Meinel/Heyn/Herms, TzBfG, § 8 TzBfG Rn. 2 nur auf eine beschäftigungspolitische Zwecksetzung hin. 971 So i. E. wohl auch ErfK/Preis, § 12 TzBfG Rn. 3; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 12 TzBfG Rn. 1 ff. Daneben verhindert insbesondere die Festlegung einer vertraglichen Mindestarbeitszeit, § 12 Abs. 1 S. 2 – 4 TzBfG, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nur bei
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soll es das PflegeZG ermöglichen, Berufstätigkeit und die Pflege naher Angehöriger zu vereinbaren (§ 1 PflegeZG). Damit wird der Versuch unternommen, den familiären und zum Teil höchstpersönlichen Bedürfnissen von Arbeitnehmern gerecht zu werden. Zu diesem Zweck gewährt ihnen das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf teilweise oder vollständige Freistellung von der Arbeitsleistung von bis zu sechs Monaten, §§ 3, 4 PflegeZG972. Dem Persönlichkeitsschutz dienen darüber hinaus weite Teile der betrieblichen Mitbestimmung973. Abgesehen von den bereits oben im Zusammenhang mit dem Datenschutz angerissenen Regelungen der §§ 83, 94 BetrVG974 gilt das etwa dort, wo es um den Schutz vor (unzulässigen) Versetzungen geht975, §§ 95 Abs. 1, 99 BetrVG, weil mit einer Versetzung oftmals eine signifikante und spürbare Änderung des Arbeitsalltags verbunden ist – sei es durch eine neue Arbeitsumgebung, durch neue Arbeitskollegen oder durch neue Vorgesetzte976. Auch einige der Mitbestimmungsrechte des § 87 Abs. 1 BetrVG lassen sich dem Persönlichkeitsschutz zuordnen. Das gilt etwa für § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, der unter anderem Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb erfasst und damit die Gestaltung des Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Arbeitnehmer zum Ziel hat977. Gleiches lässt sich auch für § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG sagen, der die zeitliche Lage der Arbeitszeit (und damit spiegelbildlich auch der Freizeit) betrifft und somit das Arbeitnehmerinteresse an der Gestaltung der für ihr Privatleben verfügbaren Zeit im Blick hat978. Besonders deutlich wird die Richtung des Persönlichkeitsschutzes freilich in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, wonach der Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen zur Überwachung von Arbeitnehmern mitzubestimmen hat979. tatsächlich anfallendem Arbeitsbedarf abruft und ihm dadurch das gesamte Wirtschaftsrisiko überträgt, vgl. Meinel/Heyn/Herms, TzBfG, § 12 TzBfG Rn. 3. 972 Vgl. daneben zur kurzzeitigen Arbeitsverhinderung wegen Pflege auch § 2 PflegeZG. 973 Wank, Arbeitnehmer, S. 62; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 251 ff. 974 Ausführlich hierzu Weth/Herberger/Wächter/Kramer, Daten- und Persönlichkeitsschutz, S. 485 ff. 975 Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 18 f. 976 BAG AP Nr. 36 zu § 95 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 47 zu § 99 BetrVG 1972 Versetzung; Richardi/Thüsing, § 99 BetrVG Rn. 93; Schaub/Koch, Arb-Hdb, § 241 Rn. 21 ff. 977 BAG AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitssicherheit; Richardi/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 174. 978 BAG AP Nr. 9 und 96 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Preis, Kollektivarbeitsrecht, § 153 III. 2. (S. 716). 979 Vgl. statt vieler nur BAG AP Nr. 2, 3, 9 und 40 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht II, S. 907; MünchArb/Reichold, § 88 Rn. 9;
322 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Daneben lässt sich auch der große und wichtige Teilbereich der arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebote sowie der allgemeinen und speziellen Benachteiligungs- bzw. Diskriminierungsverbote980 dem Persönlichkeitsschutz zuordnen. Das gilt insbesondere für die an persönliche Merkmale der Beschäftigten anknüpfenden Diskriminierungsverbote des AGG oder des § 75 Abs. 1 BetrVG, die den Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers positivrechtlich konkretisieren981. Zudem ist anerkannt, dass der Arbeitgeber das Persönlichkeitsrecht seiner Arbeitnehmer nicht nur zu achten und zu gewährleisten982, sondern mitunter auch aktiv zu fördern hat, so ausdrücklich etwa § 75 Abs. 2 BetrVG und – mit Blick auf den Diskriminierungsschutz – § 12 AGG983. Das schließt, wenn etwa wie beim Mobbing ein Zusammenhang mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit besteht, auch die Ergreifung von Schutzmaßnahmen gegen Dritte ein, auf die der Arbeitgeber Einfluss hat, vgl. § 12 Abs. 3 AGG984. Schließlich darf auch das außerdienstliche Verhalten von Arbeitnehmern nur in eng begrenzten Ausnahmefällen vom Arbeitsverhältnis beeinflusst werden985. 2. Existenzschutz Das Arbeitsverhältnis bildet im Regelfall die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers986. Dies ist nicht nur eine rechtstatsächlich bzw. rechtssoziologisch zutreffende Beschreibung der Beschäftigungssituation in Deutschland, es lässt sich diese Schlussfolgerung auch aus den Rechtsfolgen des geltenden Arbeitsrechts ableiten. Das zweite große Rechtsfolgenbündel des Arbeitsrechts – es wird hier MünchArb/Matthes, § 248 Rn. 1; Richardi/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 480; Maties, NJW 2008, 2219, 2224. 980 Ausführlich hierzu (auch zur uneinheitlichen Terminologie) Preis, Individualarbeitsrecht, § 32 ff. (S. 431 ff.); Fastrich, RdA 2000, 65, 65 ff. 981 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht II, S. 25; MünchArb/Reichold, § 83 Rn. 9 f.; § 86 Rn. 24; Preis, Individualarbeitsrecht, § 36 II. 3. (S. 537); in diesem Sinne ausdrücklich für das Verbot der Geschlechterdiskriminierung auch HWK/Thüsing, § 611 BGB Rn. 261. In Bezug auf die Gleichbehandlungspflicht des Arbeitgebers wird dagegen auch von einer „unmittelbar im Gerechtigkeitsbegriff wurzelnden Grundidee“ gesprochen, so Preis, Individualarbeitsrecht, § 32 I. (S. 432) und ähnlich MünchArb/Richardi, § 9 Rn. 2, 5. 982 Preis, Individualarbeitsrecht, § 36 II. 3. (S. 536). 983 MünchArb/Reichold, § 83 Rn. 10; ausführlich Grobys, NJW 2006, 2950, 2950 ff. 984 BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Mobbing; HWK/Thüsing, § 611 BGB Rn. 256; MünchArb/Reichold, § 83 Rn. 9, § 86 Rn. 24. 985 BAG AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung; ErfK/Schmidt, Art. 2 GG Rn. 76 f.; ErfK/ Preis, § 611 BGB Rn. 730 ff.; MünchArb/Reichold, § 49 Rn. 1, 45 ff., § 86 Rn. 21; Reinfeld, in: Moll (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, Teil G, § 33 Rn. 71 ff. 986 Löwisch/Caspers/Klumpp, Arbeitsrecht, Rn. 25; MünchArb/Richardi, § 3 Rn. 34; Preis, Kollektivarbeitsrecht, § 88 (S. 78); Heinze, NZA 2001, 1, 3; Wank, RdA 2010, 193, 195; dazu auch schon oben § 5 III. 1. sowie § 6 E. I.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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unter dem Oberbegriff des Existenzschutzes zusammengefasst – bezweckt nämlich den Schutz dieser Existenzgrundlage und dient damit insbesondere einem Schutz vor finanziellen und wirtschaftlichen Gefahren987, die dem Arbeitnehmer im Falle des Verlusts seines Arbeitsentgelts drohen. Zu diesem Zweck gewährt das Arbeitsrecht einmal einen Schutz im laufenden Arbeitsverhältnis (hier sog. Sozialschutz, dazu sogleich a)). Dabei bleibt es aber nicht stehen; vielmehr räumt es dem Arbeitnehmer daneben auch noch einen weitgehenden Einstellungs- und Bestandsschutz ein (unten b)). Gesondert betrachtet werden sollen schließlich noch die Haftungsbeschränkungen (unten c)). a) Sozialschutz Der hier sog. Sozialschutz soll in erster Linie den Lebensunterhalt des Arbeitnehmers sichern988. Das gilt – freilich neben den grundlegenden Bestimmungen des seit Januar 2015 geltenden Mindestlohngesetzes (MiLoG)989 – insbesondere für die Fälle, in denen er nach der Dogmatik des allgemeinen Schuldrechts wegen unmöglichkeitsbedingter Nichtleistung seiner Arbeit, § 275 BGB, auch seinen Anspruch auf die Gegenleistung – und damit auf sein existenziell notwendiges Arbeitsentgelt – verlieren würde, § 326 Abs. 1 S. 1 BGB („ohne Arbeit kein Lohn“)990. Besonders deutlich wird diese Zwecksetzung zunächst im Anwendungsbereich des EFZG. Sowohl bei einem Arbeitsausfall auf Grund eines Feiertages (§ 2 Abs. 1 EFZG) als auch bei einem solchen auf Grund einer bis zu sechswöchigen Erkrankung des Arbeitnehmers (§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und neuerdings § 3a Abs. 1 EFZG) wird dem Arbeitnehmer entgegen § 326 Abs. 1 S. 1 BGB sein Entgelt gewährt. Im Vordergrund steht hier augenscheinlich – von allen dogmatischen Streitereien im Detail abgesehen991 – die Sicherung des Lebensunterhalts des Ar987 Ausdrücklich diesen wirtschaftlichen Hintergrund benennend etwa Kaiser/Dunkl, EFZG, S. 39; Wank, Arbeitnehmer, S. 51; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 239; allgemeiner v. Stebut, Schutz, S. 153 ff. Die Zielsetzung der wirtschaftlichen Absicherung wird freilich auch von Verfechtern des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes anerkannt, vgl. nur Buchner, NZA 1998, 1144, 1146 f., 1151. 988 v. Hoyningen-Huene, in: FS Adomeit, S. 291, 300; Hromadka, NZA 1997, 569, 579; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 193 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 239 ff. 989 Vgl. nur BT-Drs. 18/1558, 27 f.; BeckOK-ArbR/Greiner, § 1 MiLoG Rn. 1; ausführlich zu Ausnahmen vom Mindestlohn und den arbeitsmarktpolitischen Gründen hierfür Ulber, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 159, 159 ff. 990 Preis, Individualarbeitsrecht, § 42 II., III. (S. 589 ff.); v. Hoyningen-Huene, in: FS Adomeit, S. 291, 300 ff.; für das EFZG Schmitt, EFZG, Einl. Rn. 1 ff.; ausführlich zur Dogmatik Geißler, Lohnanspruch, S. 50 ff. 991 Insbesondere ist umstritten, ob durch § 3 Abs. 1 EFZG der Entgeltanspruch aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag aufrechterhalten wird (in diesem Sinne etwa BAG AP Nr. 13 zu § 3 EntgeltFG; ErfK/Reinhard, § 3 EFZG Rn. 45), oder ob dieser
324 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
beitnehmers aus Gründen des Sozialschutzes992. Der Verhinderung finanzieller Schwierigkeiten durch Lohnausfall auf Seiten des Arbeitnehmers dient auch ein Teil des Urlaubsrechts. Zwar ließ sich der primäre Zweck des BUrlG und anderer den Erholungsurlaub sicherstellender Gesetze dem Berufsschutz zuordnen. Diesen Zweck verfolgen allerdings nicht sämtliche Rechtsfolgen, die mit der Gewährung von Erholungsurlaub verbunden sind. Die vor allem aus Gründen der Gesundheit bzw. des Persönlichkeitsschutzes gewährte Freistellung von der Arbeitspflicht wird nämlich flankiert von einem Urlaubsentgeltanspruch aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. Arbeitsvertrag i. V. m. §§ 1, 11 BUrlG. Dieser dient wiederum der sozialen Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers993. Auch durch diesen Anspruch wird entgegen § 326 Abs. 1 S. 1 BGB der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers trotz Nichtleistung der Arbeit aufrechterhalten994. Ähnliches gilt auch im Bereich des Mutterschutzrechts. Auch hier werden die primär dem Arbeitsschutz dienenden Regelungen ergänzt durch § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG, der einer Schwangeren gerade in den Fällen eines Beschäftigungsverbotes den Lohnanspruch erhalten und damit die entscheidende Lebensgrundlage für diesen Zeitraum sichern will995. Zusätzlich bestehen ein Verbot des Verdienstausfalls durch Stillzeiten, § 7 Abs. 2 MuSchG, sowie nach § 14 Abs. 1 MuSchG ein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld für den Zeitraum der Schutzfristen vor und nach der Entbindung (§ 3 Abs. 2, § 6 MuSchG). Dagegen richtet sich der Anspruch auf Mutterschaftsgeld, § 13 MuSchG, sowie auf Elterngeld aus §§ 1 ff. BEEG, der den persönlichkeitsschützenden Anspruch auf Elternzeit aus §§ 15 ff. BEEG flankiert996, gerade nicht gegen den Arbeitgevollständig untergeht und an seine Stelle ein eigenständiger Anspruch auf Entgeltzahlung aus § 3 Abs. 1 EFZG tritt (so Hromadka/Maschmann, Individualarbeitsrecht, § 8 Rn. 64; Schmitt, EFZG, § 3 EFZG Rn. 9). Für die Entgeltfortzahlung an Feiertagen nach § 2 Abs. 1 EFZG ist letzteres unbestritten, vgl. nur Hromadka/Maschmann, Individualarbeitsrecht, § 8 Rn. 100; Geißler, Lohnanspruch, S. 118 f. (Fn. 432). 992 HWK/Schliemann, § 2 EFZG Rn. 1; ErfK/Reinhard, § 3 EFZG Rn. 1; Kaiser/ Dunkl, EFZG, S. 39; MünchArb/Richardi, § 3 Rn. 34; Schmitt, EFZG, Einl. Rn. 4, 9 ff.; v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 242; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 240. MüKo-BGB/ Müller-Glöge, § 3 EFZG Rn. 1 spricht ausdrücklich von einem „Element des Sozialstaats auf Kosten Privater“. Daneben wird ein weiterer Zweck des § 3 EFZG in der Entlastung der Krankenkassen gesehen, vgl. Staudinger/Oetker, § 616 BGB Rn. 185; v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 242 f. m. w. N. 993 MünchArb/Richardi, § 3 Rn. 34; Buchner, NZA 1998, 1144, 1151; Bühler, SpuRt 1998, 143, 147; v. Hoyningen-Huene, in: FS Adomeit, S. 291, 303. 994 BAG AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG; BAG AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG; HWK/Schinz, § 1 BUrlG Rn. 5 f.; MünchArb/Düwell, § 79 Rn. 1 f.; Bühler, SpuRt 1998, 143, 147; Geißler, Lohnanspruch, S. 123; anders Gutzeit, System, S. 80. 995 ErfK/Schlachter, § 11 MuSchG Rn. 1; HWK/C.W.Hergenröder, § 11 MuSchG Rn. 1; Löwisch/Caspers/Klumpp, Arbeitsrecht, Rn. 25, 509 f.; Zeuner, RdA 1975, 84, 86. 996 Vgl. dazu schon soeben § 6 E. II. 1. b).
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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ber; vielmehr ist er eine öffentlich-rechtliche Sozialleistung, die durch öffentlich-rechtliche Träger erbracht wird997. Demgegenüber reiht sich der nicht ausschließlich für Arbeitnehmer geltende und im Übrigen dispositive998 § 616 BGB wieder in die Reihe der sozialschützenden Vorschriften ein, die den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers trotz Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aufrechterhalten999, und dient damit der Sicherung des Lebensunterhaltes1000. Gleiches gilt grundsätzlich auch für die Verpflichtungen des Arbeitgebers zur Entgeltzahlung in den Fällen des Annahmeverzugs, § 615 S. 1 BGB, und des Betriebsrisikos, § 615 S. 3 BGB. Der Hauptzweck auch dieser Regelungen besteht in der Aufrechterhaltung des Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers (bzw. im Falle des § 615 S. 1 BGB aller Dienstnehmer) zur Existenzsicherung1001. Normen, die Gegenleistungsansprüche von Arbeitnehmern trotz Nichtleistung der Arbeit aufrechterhalten, existieren über die genannten Vorschriften hinaus freilich noch in weiteren Gesetzen. Zu nennen sind etwa § 37 Abs. 2, Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG sowie § 96 Abs. 4, Abs. 6 SGB IX für die Zeit der Mandatswahrnehmung gewählter Arbeitnehmervertreter im Bereich des Betriebsverfassungsrecht und der Schwerbehindertenvertretung. Indem gewährleistet wird, dass die jeweiligen Vertreter durch ihre Tätigkeit keine finanziellen Einbußen erleiden, dienen diese Ansprüche freilich weniger einem umfassenden Sozialschutz als vielmehr der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der jeweiligen Institutionen. Namentlich die betriebsverfassungsrechtliche Entgeltfortzahlung stellt in Konkretisierung des § 78 S. 2 HS. 1 BetrVG sicher, dass die Mitglieder des Betriebsrates durch die Ausübung ihrer Tätigkeit weder begünstigt noch – gerade mit Blick auf den grundsätzlichen Wegfall des Lohnanspruches bei Nichtleistung der Arbeit nach bürgerlich-rechtlicher Dogmatik besonders relevant – benachteiligt werden1002.
997
Hromadka/Maschmann, Individualarbeitsrecht, § 8 Rn. 175; Preis, Individualarbeitsrecht, § 50 II. (S. 671). 998 Umkehrschluss aus § 619 BGB, vgl. dazu BAG NZA 1996, 383, 383; ErfK/Preis, § 616 BGB Rn. 13; HWK/Krause, § 616 BGB Rn. 49 f. 999 BAG GS AP Nr. 22 zu § 616 BGB; MünchArb/Boewer, § 70 Rn. 1; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 194; ausführlich v. Hoyningen-Huene, in: FS Adomeit, S. 291, 305 ff. 1000 BAG AP Nr. 43 zu § 611 BGB („soziale Gesichtspunkte“); Preis, Individualarbeitsrecht, § 45 I. (S. 609). 1001 HWK/Krause, § 615 BGB Rn. 2; Palandt/Weidenkaff, § 615 BGB Rn. 1; Preis, Individualarbeitsrecht, § 43 I. (S. 594). 1002 Näher hierzu GK-BetrVG/Weber, § 37 Rn. 10, 61 ff.; v. Hoyningen-Huene, in: FS Adomeit, S. 291, 304 f.
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b) Einstellungs- und Bestandsschutz aa) Einstellungsschutz Zum Bereich des Existenzschutzes gehört auch der Teilbereich des hier sog. Einstellungsschutzes. Notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Arbeitnehmer im Ergebnis überhaupt existenziell auf seinen Arbeitsplatz angewiesen sein kann, ist freilich zunächst die Tatsache, dass er erst einmal grundsätzlich die Möglichkeit hat, ein Arbeitsverhältnis einzugehen. Eine Analyse der Arbeitsrechtsordnung ergibt insoweit, dass jedem, der willens ist, sich durch abhängige Arbeit den Lebensunterhalt zu erwirtschaften, zumindest eine faire Chance zugebilligt werden muss, dieses Ziel auch erreichen zu können1003. Das äußert sich vor allen Dingen im eingeschränkten Fragerecht des Arbeitgebers, das zwar ursprünglich bloß durch die Rechtsprechung entwickelt wurde, sich aber nunmehr auch positivrechtlich, vor allem in §§ 7 Abs. 1 AGG i. V. m. 6 Abs. 1 S. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG sowie in § 32 BDSG verorten lässt1004. Dabei ist die Einschränkung des Fragerechts gerade – aber nicht ausschließlich – im gesetzlich ausdrücklich geregelten Bereich der Diskriminierungsverbote augenscheinlich besonders eng verwoben mit dem Ziel des Persönlichkeitsschutzes1005 und hat daher nicht einzig und allein die zukünftige wirtschaftliche Existenzsicherung des sich um einen Arbeitsplatz Bewerbenden zum Zweck. Ähnliches gilt mit Blick auf Einstellungsuntersuchungen, Eignungstests, die Einholung graphologischer Gutachten oder Ähnliches1006. bb) Bestandsschutz Der Bestandsschutz, insbesondere der allgemeine Kündigungsschutz des KSchG, aber auch die besonderen Vorschriften zur Befristung von Arbeitsverträgen gem. §§ 14 ff. TzBfG1007, bewahrt den Arbeitnehmer vor einer nicht durch bestimmte Gründe gerechtfertigten Beendigung seines Arbeitsverhältnisses. Insbesondere mit diesem Schutzsystem reagiert der Gesetzgeber auf die wirtschaft-
1003 Zum AGG vgl. Wank, RdA 2010, 193, 195 f., zum BDSG sowie zu weiteren gesetzlichen Grundlagen vgl. Weth/Herberger/Wächter/Breyer, Daten- und Persönlichkeitsschutz, S. 259 ff. 1004 Vgl. genauer Preis, Individualarbeitsrecht, § 20 III. 3. (S. 259 ff.); Wank, RdA 2010, 193, 195 f. 1005 ErfK/Schmidt, Art. 2 GG Rn. 91; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 271 f.; HWK/Thüsing, § 123 BGB Rn. 6; Preis, Individualarbeitsrecht, § 20 III. (S. 257 ff.); Wisskirchen/ Bissels, NZA 2007, 169, 169; Wank, RdA 2010, 193, 196; ders., Arbeitnehmer, S. 62. 1006 Zu alledem HWK/Thüsing, § 611 BGB Rn. 12 ff. 1007 Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 196; vgl. hierzu auch schon oben § 6 C. IV. 2. c).
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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lich-existenzielle Angewiesenheit des Arbeitnehmers auf seinen Arbeitsplatz zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes1008. Das Arbeitsverhältnis bildet aber nicht nur die Grundlage der wirtschaftlichen, sondern daneben auch der persönlichen Existenz des Arbeitnehmers1009. Es bestimmt seine gesellschaftliche Stellung und sein Selbstwertgefühl1010. Da mit dem Verlust des Arbeitsplatzes somit in der Regel nicht nur finanzielle Einbußen, sondern auch weitreichende Beeinträchtigungen der persönlichen und psychischen Lebenssituation des Betroffenen einhergehen1011, dient gerade das Kündigungsschutzrecht darüber hinaus – nicht nur nach der Vorstellung des Gesetzgebers selbst – auch einem Schutz vor einer „willkürliche[n] Durchschneidung des Bandes der Betriebszugehörigkeit“1012 und damit wenigstens in Randbereichen einem Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers1013. Das zeigt sich etwa darin, dass nicht jeder in der Person des Arbeitnehmers liegende Grund geeignet ist, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG oder sogar außerhalb dessen Anwendungsbereich zu rechtfertigen: Dass ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht auf Grund von dessen Homosexualität entlassen darf, gründet sich nicht ausschließlich, ja nicht einmal primär auf wirtschaftlich-existenzielle Erwägungen, sondern dient ganz entscheidend dem Persönlich-
1008 Begr. KSchG, RdA 1952, 61, 63; BVerfG NZA 1998, 470, 471; BAG AP Nr. 10 zu § 620 BGB Änderungskündigung; APS/Preis, 1. Teil, B. II. Rn. 14; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 3; Greiner, in: Boeken u. a. (Hrsg.), Gesamtes Arbeitsrecht, § 1 KSchG Rn. 28 ff.; HWK/Quecke, Vor § 1 KSchG Rn. 1, 9; Preis, Individualarbeitsrecht, § 55 I. (S. 722); vHH/L/Krause, § 1 KSchG Rn. 5, 8 f.; Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1240; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 196; Wank, RdA 2010, 193, 195; Buhl, Arbeitnehmerbegriff, S. 156 ff.; Heuberger, Abhängigkeit, S. 148; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 241 ff.; ausführlich Stelljes, Grundlage, S. 24 ff.; i. E. auch Buchner, NZA 1144, 1151. 1009 Begr. KSchG, RdA 1952, 61, 63; Preis, Individualarbeitsrecht, § 55 I. (S. 722); Stelljes, Grundlage, S. 25. 1010 BVerfG NZA 1998, 470, 471; ähnlich BAG GS AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BAG AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 4. 1011 Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 244; ähnlich BVerfG NZA 1998, 470, 471; APS/ Vossen, § 1 KSchG Rn. 4; vHH/L/Krause, § 1 KSchG Rn. 8; Stelljes, Grundlage, S. 25. 1012 Begr. KSchG, RdA 1952, 61, 63; hierzu Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Stelljes, Grundlage, S. 26 f. 1013 BAG GS AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; vHH/L/Krause, § 1 KSchG Rn. 8; Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241; Reuter, in: ders. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 241, 261 f.; ders., RdA 2004, 161, 164; ausführlich Thees, Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht, S. 99 ff.; 330 ff.; zur Herleitung des Kündigungsschutzes (auch) über das Verbot willkürlicher Behandlung durch den Arbeitgeber vgl. zusammenfassend Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 242 f. (m. w. N. in Fn. 165), vgl. aber auch S. 244; hierzu auch Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1240 f.; Ch. Fischer, ZfA 2002, 215, 240 ff.; Henssler, NZABeil. 2014 zu Heft 3, 95, 100.
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keitsschutz dieses Beschäftigten1014. Diese Stoßrichtung wird mittlerweile nicht nur dadurch untermauert, dass die verpönten Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG trotz des missverständlichen Wortlauts des § 2 Abs. 4 AGG generell bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen unionsrechtlich verpflichtend zu berücksichtigen sind1015. Ganz ähnlich dienen auch der besondere Kündigungsschutz von Schwerbehinderten, §§ 85 ff. SGB IX, sowie derjenige von Frauen während ihrer Schwangerschaft und nach der Entbindung gem. § 9 Abs. 1 MuSchG diskriminierungs- bzw. persönlichkeitsrechtlichen Zielsetzungen. Bei letzterem kommt sogar noch ein gesundheitlicher Schutzzweck hinzu, da die werdende Mutter hierdurch auch vor potentiellen seelischen Gefahren bewahrt werden soll, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes möglicherweise einhergehen1016. Auch der besondere Kündigungsschutz während der Pflegezeit, § 5 PflegeZG, oder der Elternzeit, § 18 BEEG, lässt zumindest auch auf eine persönlichkeitsschützende Zweckrichtung schließen1017. c) Haftungsbeschränkungen Auch die von der Rechtsprechung entwickelten1018 und auf § 254 BGB analog gestützten Beschränkungen der Haftung des Arbeitnehmers im Rahmen des sog. innerbetrieblichen Schadensausgleichs werden hier dem Bereich des Existenzschutzes zugeschrieben1019. Indem sie das schadensrechtliche Prinzip der Totalreparation je nach Grad des Verschuldens einschränken1020, zielen die Haftungsbeschränkungen in ihrer unmittelbaren Rechtsfolge nämlich ebenfalls primär darauf ab, die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers in den Fällen eines von ihm bei der Arbeitsleistung schuldhaft verursachten Schadens zu sichern1021. Das gilt zum einen für Sach- und Vermögensschäden an Rechtsgütern des Arbeitgebers1022. Gleiches 1014
BAG AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung; ErfK/Schmidt, Art. 2 GG Rn. 77. NZA 2008, 361, 363 f.; näher zur Dogmatik Preis, Individualarbeitsrecht, § 34 II. 3. b) (S. 480 ff.). 1016 BAG AP Nr. 13 zu § 14 MuSchG 1968; Preis, Individualarbeitsrecht, § 49 II. 1. (S. 662). 1017 MünchArb/Richardi, § 3 Rn. 36; wohl auch Preis, Individualarbeitsrecht, § 49 IV. 1. (S. 673). 1018 Grundlegend ArbG Plauen ARS Bd. 29, 62, 62 ff.; zusammenfassend Walker, ZfA 2015, 515, 515 ff. 1019 Anders Wank, Arbeitnehmer, S. 64 ff., der diese Rechtsfolge unter dem Gesichtspunkt „Schutz vor Organisationsrisiken“ dem Berufsschutz zuschreibt. 1020 Preis, Individualarbeitsrecht, § 52 I. 1. (S. 683); Pallasch, RdA 2013, 338, 344. 1021 Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 243; Joussen, RdA 2006, 129, 130, 132; Krause, NZA 2003, 577, 582; ausführlich Schumacher, Haftung, S. 125 ff. 1022 BAG GS AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; BAG NZA 2003, 37, 39; dazu Preis, Individualarbeitsrecht, § 52 I. 1. (S. 685); Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 195; Pallasch, RdA 2013, 338, 339 ff. 1015 BAG
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muss aber auch angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer die Rechtsgüter von Dritten1023 verletzt. Hier haftet der Arbeitnehmer dem Dritten im Außenverhältnis zwar weiterhin unbeschränkt; es ist aber jedenfalls im Ergebnis allgemein anerkannt, dass dem Arbeitnehmer im Innenverhältnis ein Freistellungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber zusteht. Dessen Höhe bemisst sich nach den Grundsätzen, die gelten würden, wenn der Arbeitnehmer nicht einen Dritten, sondern unmittelbar seinen Arbeitgeber geschädigt hätte1024. 3. Paritätsschutz Neben die Teilbereiche des Berufs- und Existenzschutzes tritt der Paritätsschutz. Bereits eingangs der teleologischen Untersuchung wurde auf die fehlende Verhandlungsparität der Arbeitsvertragsparteien als möglichen Begründungsansatz des Arbeitsrechts hingewiesen1025. Auch der Gesetzgeber hat erkannt, dass sich gerade ein Verhandlungsübergewicht des Arbeitgebers – mag es auf wirtschaftlicher, organisatorischer, intellektueller oder sonstiger faktischer Überlegenheit beruhen – in ungerechten Arbeitsbedingungen niederschlägt1026. Das Arbeitsrecht begegnet dieser Gefahr vor allem1027 mit der Schaffung der Tarifautonomie. Durch die Verlagerung auf eine kollektive Ebene soll die „strukturelle Unterlegenheit“ des einzelnen Arbeitnehmers überwunden und so ein annäherndes Verhandlungsgleichgewicht zum Arbeitgeber hergestellt werden1028. Insbesondere durch den Abschluss von Tarifverträgen sollen die regelungsbedürftigen Einzelfragen des Arbeitsverhältnisses soweit als möglich ohne staatliche Einflussnahme und in eigener Verantwortung geordnet und die widerstreitenden Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu einem sinnvollen und weitestgehend gerechten Ausgleich gebracht werden1029. Wo kein kollektives Schutzsystem greift oder greifen kann, muss insoweit auf die richterliche Vertragsinhaltskontrolle und hier insbesondere auf die Einbeziehung von Arbeitsverträgen in die AGB-Kontrolle 1023 Bei der Haftung für Personenschäden an Arbeitskollegen ist § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII zu beachten. 1024 BAG AP Nr. 4 zu § 898, 899 RVO; ausführlich Preis, Individualarbeitsrecht, § 52 II. (S. 689 ff.). 1025 Oben § 6 E. I. 3. 1026 HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 22; Hromadka, NZA 1997, 569, 578. 1027 Auch das Betriebsverfassungsrecht verfolgt die Schaffung von Parität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber, vgl. Preis, Kollektivarbeitsrecht, § 76 (S. 2). Dabei bezweckt es in der Sache aber zu weiten Teilen einen Persönlichkeitsschutz der Arbeitnehmer und wurde deshalb vorwiegend dort eingeordnet, vgl. oben § 6 E. II. 1. b). 1028 BVerfGE 84, 212, 229; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 3 ff.; Preis, Kollektivarbeitsrecht, § 76. (S. 2 f.); Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 199; Rebhahn, RdA 2009, 236, 244. 1029 Preis, Kollektivarbeitsrecht, § 88 (S. 78); Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 199.
330 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
nach §§ 305 ff. i. V. m. § 310 Abs. 4 BGB hingewiesen werden. Die Inhaltskontrolle, §§ 307 ff. BGB, dient in ihrem Kern ebenfalls der Kompensation gestörter Vertragsparität zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses1030. Da sich aber, wie bereits erwähnt, aus der bloßen Notwendigkeit, ein Verhandlungsgefälle zwischen den Arbeitsvertragsparteien durch kollektiv- oder individualrechtliche Instrumente auszugleichen, keine konkreten und praktikablen Rückschlüsse für die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts ziehen lassen1031, erübrigt sich ein vertieftes Eingehen hierauf jedenfalls im Rahmen dieser Arbeit. 4. Zusammenfassende Betrachtung Die arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen lassen sich im Wesentlichen zu den zwei großen Rechtsfolgenbündeln des Berufs- und des Existenzschutzes zusammenfassen. Hinzu kommt der Paritätsschutz, der sich nicht eindeutig zuordnen lässt und letztlich auch der Sicherstellung beider vorgenannter Schutzzwecke dient1032. Während der Berufsschutz insbesondere physische wie psychische Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit sowie für die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu verhindern versucht, dient der Existenzschutz – trotz einiger persönlichkeitsschützender Elemente – insbesondere der wirtschaftlichen und finanziellen Absicherung der Arbeitnehmer. Schon Kaiser Wilhelm II. hatte im Übrigen diese zwei entscheidenden Schutzzwecke des Arbeitsrechts erkannt und im zweiten seiner Februarerlasse von 1890, die als Programm für die Schaffung und den Ausbau des Arbeitsrechts ergingen1033, angesprochen. Der Kaiser dekretierte damals: „Neben dem weiteren Ausbau der Arbeiter-Versicherungsgesetzgebung sind die bestehenden Vorschriften der Gewerbeordnung über die Verhältnisse der Fabrikarbeiter einer Prüfung zu unterziehen […]. Diese Prüfung hat davon auszugehen, daß es eine der Aufgaben der Staatsgewalt ist, die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit so zu regeln, daß die Erhaltung der Gesundheit, der Gebote der Sittlichkeit, die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch auf gesetzliche Gleichberechtigung gewahrt bleiben.“1034 1030 BAG NZA 2002, 551, 552; Däubler/Bonin/Deinert, § 307 BGB Rn. 17 ff.; Preis, Individualarbeitsrecht, § 25 IV. (S. 325 ff.); ders., in: FS Richardi, S. 339, 339 ff.; Reichold, in: FS Adomeit, S. 583, 586 ff.; Thüsing, RdA 2005, 257, 258 ff., 261 ff.; Versteyl, Obergrenze, S. 64 ff.; ausführlich Hildebrandt, Disparität, S. 11 ff; Preis., in: ders. (Hrsg.), Arbeitsvertrag, I. C. Rn. 1 ff. 1031 Vgl. dazu schon oben § 3 B. II. 2. sowie § 6 E. I. 3.; dagegen setzt Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 200 die Koalitionsfreiheit ausdrücklich in Beziehung zu der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Beschäftigten. 1032 Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 254; vgl. dazu auch Preis, Kollektivarbeitsrecht, § 95 I. (S. 130) und Hromadka, NZA 1997, 569, 578. 1033 Adomeit, in: FS Konzen, S. 1, 1; ausführlich hierzu Maute, Februarerlasse, S. 1 ff. 1034 Zitiert nach Maute, Februarerlasse, S. 234.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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Vergleicht man beide großen Rechtsfolgenbündel – der Paritätsschutz sei an dieser Stelle ausgeklammert – noch einmal und untersucht sie auf Unterschiede, die über ihre jeweiligen Hauptzwecke hinausgehen, so fällt vor allen Dingen ein Punkt ins Auge: Während der Berufsschutz unmittelbar tätigkeitsbezogen ist und entscheidend auf Gefahren reagiert, die aus dem Arbeitsverhältnis selbst resultieren und die bei dessen Durchführung entstehen (können)1035, geht es beim Existenzschutz hauptsächlich um eine Absicherung allgemeiner, sich finanziell auswirkender Lebensrisiken des Arbeitnehmers und damit um Umstände, die grundsätzlich unabhängig von einem Arbeitsverhältnis be- und entstehen und die regelmäßig auch nicht in einer unmittelbaren Beziehung zur Arbeitsleistung stehen1036. Diese Risiken werden dem Arbeitgeber aufgebürdet, obwohl er sie weder verschuldet hat, noch dass er auf sie überhaupt – anders als im Bereich des Berufsschutzes, wo er Arbeitsplatz und Arbeitsumgebung gestalten kann – unmittelbaren Einfluss nehmen könnte1037. Die Risikoverteilung des Existenzschutzes gründet sich daher vor allem auf soziale Erwägungen1038. III. Erkenntnisse für die Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes Aus den verschiedenen Schutzzwecken lassen sich im Rahmen einer teleologischen Betrachtung in einem zweiten Schritt Rückschlüsse für die Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes gewinnen. Nachdem zunächst auf die ausdrückliche Forderung einer teleologischen Bildung des Arbeitnehmerbegriffes hingewiesen wird (sogleich 1.), werden anschließend die einzelnen Rechtsfol1035 Wank, Arbeitnehmer, S. 57; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 232; so auch schon Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 81 (S. 810). 1036 Zutreffend Hromadka, NZA 1997, 569, 578 f.; Richardi, JA 1986, 289, 294; Wank, Arbeitnehmer, S. 57, 79; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 241. Für einige Risiken besteht freilich dennoch ein gewisser Zusammenhang zur geschuldeten Arbeitsleistung, so etwa bei § 615 S. 1 BGB, den Haftungsbeschränkungen sowie Teilen des Kündigungsschutzes. Daneben kann etwa die Krankheit eines Arbeitnehmers mit der Arbeitsbelastung zusammenhängen oder die Ursache für eine Arbeitsunfähigkeit in einem Arbeitsunfall liegen, vgl. zu letzterem Kreßel, in: FS Gitter, S. 491, 499; Zöllner, in: FS Söllner, S. 1297, 1309 f. 1037 Ausnahmen sind insoweit § 615 S. 1 BGB sowie Haftungsbeschränkungen zu Gunsten des Arbeitnehmers. 1038 Schmitt, EFZG, Einl. Rn. 3 f.; v. Hoyningen-Huene, in: FS Adomeit, S. 291, 300, 307; v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 242; für eine Ableitung aus den Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft Hanau, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 227, 227 ff. und Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 239; ähnlich Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 5 (Arbeitsrecht als „soziales Schutzrecht“); Reichold, in: FS Adomeit, S. 583, 586 („Sozialprivatrecht“); auch BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit spricht vom „sozialen Schutz“ des Arbeitsrechts. Schon 1923 erkannte Melsbach, Arbeitsrecht, S. 25 f. in Teilen des Arbeitsrechts einen „sozialrechtlichen Gehalt“.
332 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
genbündel mit den Merkmalen persönlicher sowie wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit in Beziehung gesetzt (unten 2. und 3.). Das soll beispielhaft auch anhand derjenigen Rechtsfolgen verdeutlicht werden, die soeben im Rahmen der Kategorisierung der Schutzzwecke ausdrücklich erwähnt worden sind. 1. Erfordernis einer teleologischen Begriffsbildung Insbesondere Wank vertritt vehement die Ansicht, der Arbeitnehmerbegriff müsse teleologisch mit Blick auf die soeben dargestellten Rechtsfolgen gebildet werden. Denn abstrakt gesprochen sei die Verwendung eines bestimmten Ausdrucks im positiven Recht immer eine Reaktion des Gesetzgebers auf ein bestimmtes, real existierendes Regelungsproblem, das mithilfe dieses Begriffes – und der Gesetze, in dem der jeweilige Begriff enthalten sei – gelöst werden solle. Auf das Arbeitsrecht übertragen bedeute dies, dass der Gesetzgeber durch die Gesamtheit der arbeitsrechtlichen Normen versuche, dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer, an deren Eigenschaft das gesamte Regelungssystem anknüpfe, gerecht zu werden. Da der Arbeitnehmerbegriff somit der Geltungsgrund des gesamten Arbeitsrechts sei, müsse er dem auf der Rechtsfolgenseite angeordneten Schutz auch auf der Tatbestandsseite entsprechen1039. Daran ist zutreffend, dass die vom Gesetzgeber grundsätzlich intendierten Schutzzwecke bestmöglich durch eine teleologische Bestimmung der jeweiligen Anwendungsvoraussetzungen auf Tatbestandsseite erreicht werden können. Ob daraus der zwingende Schluss einer (nur) an teleologischen Feststellungen orientierten Bildung des Arbeitnehmerbegriffes zulässig ist, mag an dieser Stelle dahinstehen. Denn jedenfalls lassen sich solche Erkenntnisse, die sich teleologisch aus der soeben erfolgten Kategorisierung arbeitsrechtlicher Rechtsfolgen ergeben, ergänzend neben denjenigen Beobachtungen heranziehen, die bereits oben im Rahmen der systematischen und historischen Betrachtung zu Tage gefördert worden sind1040. 1039 Ausführlich Wank, Begriffsbildung, S. 77 ff., insbes. 87 ff.; speziell zum Arbeitnehmerbegriff ders., NZA 1999, 225, 227; ders., in: FS Küttner, S. 5, 9 f., 14; ders., RdA 2010, 193, 194; ders., EuZA 2016, 143, 157 ff.; ders., ArbuR 2017, 140, 151; ders., Arbeitnehmer, S. 45; ders., Auslegung und Rechtsfortbildung, 84; ähnlich Maties, in: FS Wank, S. 323, 331 f.; Rosenfelder, Arbeitsrechtlicher Status, S. 108; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S., 212, 221 f. (m. w. N. in Fn. 46), S. 231; i. E. zumindest ähnlich auch HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 59; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6; Richardi FS Juristische Gesellschaft, S. 607, 615 f.; ders., NZA 2017, 36, 39; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 192; Rebhahn, EuZA 2012, 3, 6; differenzierend Kramer, Scheinselbständigkeit, S. 54 ff.; grundsätzlich kritisch zur teleologischen Auslegung aber Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 364. 1040 Vgl. hierzu wiederum Wank, Begriffsbildung, S. 90.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
333
2. Berufsschutz und persönliche Abhängigkeit Betrachtet man zunächst das Rechtsfolgenbündel des Berufsschutzes, so erkennt man einen ausgeprägten teleologischen Bezug zu den in Kapitel 1 dieser Arbeit dargestellten Merkmalen des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes. Physische und psychische Gesundheitsgefahren sowie weitreichende Eingriffsmöglichkeiten des Vertragspartners in das Persönlichkeitsrecht eines Beschäftigten werden nämlich vor allen Dingen durch die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation, die Pflicht zur Befolgung arbeitgeberseitiger Weisungen und damit letztlich die hierarchische Unterordnung unter eine fremde Zielsetzung verursacht1041. a) Arbeitsschutz Dabei rechtfertigt sich – teleologisch betrachtet – gerade die Existenz des Arbeitsschutzes aus der Tatsache, dass der Arbeitnehmer die Gefahren, die bei der Ausführung seiner Arbeit entstehen (können), regelmäßig selbst nicht beherrschen kann, weil sie in einer fremden Herrschafts- und Einflusssphäre wurzeln1042. Derjenige, der in einer fremden Betriebsstätte, mit fremden Produktionsmitteln, auf fremde Veranlassung und in fremder Organisation tätig wird, kann auf Risiken, die sich aus einer solchen Beschäftigungssituation ergeben, wesentlich schlechter reagieren als derjenige, dem die Organisation selbst obliegt. Diese für Arbeitnehmer nach der obigen Rechtsfolgenanalyse typische Gefährdungslage wird von den Merkmalen des geltenden Arbeitnehmerbegriffes auf der Tatbestandsseite deshalb teleologisch zutreffend beschrieben. Besonders deutlich wird dies für die zentralen Kriterien der herrschenden Meinung: Wer örtlichen und fachlichen Anweisungen Folge zu leisten hat und damit seine Arbeit etwa in fremden Räumlichkeiten oder mittels gefährlicher Stoffe zu erbringen hat, der bedarf – ebenso wie derjenige, der in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist – insbesondere eines technischen Arbeitsschutzes. Wessen Arbeit von einem anderen in zeitlicher Hinsicht konkretisiert wird, wer sich seine Pausen und Ruhezeiten nicht selbst einteilen darf, der ist jedenfalls auf ein Mindestmaß an Arbeitszeitschutz angewiesen, damit Arbeitsunfälle oder langfristige Gesundheitsschäden weitest-
1041
Rebhahn, RdA 2009, 236, 242 f.; Wank, in: FS Küttner, S. 5, 10. Löwisch/Caspers/Klumpp, Arbeitsrecht, Rn. 27; Preis, Individualarbeitsrecht, § 36 I. (S. 530); Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 4; Heinze, NZA 2001, 1, 3; Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 193; Rebhahn, RdA 2009, 236, 242 f.; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 18 f.; ders., ZAS 2008, 100, 103, 105; Wank, Arbeitnehmer, S. 61; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 234; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 14; i. E. auch Buchner, NZA 1998, 1144, 1146 f., 1151; Tomandl, ZAS 2008, 100, 103. 1042
334 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
gehend vermieden werden können1043. Ähnliches gilt auch für die Gewährung des Mindesturlaubs durch das BUrlG und die weiteren Urlaubsgesetze: Wer über die Zeiten seines Arbeitseinsatzes nicht selbst bestimmt, sondern fremdbestimmt eingesetzt wird, der bedarf einer solchen Regelung viel eher als derjenige, der persönlich unabhängig entscheiden kann1044. An alledem ändert es auch nichts, dass einige gesetzliche Regelungen, die dem Arbeitsschutz zuzuordnen sind – etwa das ArbSchG oder einige Verordnungen, die dieses näher konkretisieren – auch auf arbeitnehmerähnliche Personen oder sogar wie im Falle des § 618 BGB auf sämtliche Dienstnehmer und damit nach der gesetzlichen Systematik auf persönlich unabhängige Beschäftigte anwendbar sind. Dies ist nicht etwa damit zu begründen, dass hier auch ein objektiv-teleologischer Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit oder sozialen Schutzbedürftigkeit bestünde (deren Vorliegen für die Anwendbarkeit beispielsweise des § 618 BGB auch überhaupt nicht erforderlich ist), sondern vielmehr damit, dass unter anderem auch freie Dienst- oder Werkleistende höchstpersönlich tätig werden und sie zu einem gewissen Grad ebenfalls mit dem Herrschaftsbereich ihres Gläubigers in Berührung geraten: So sind sie oftmals ähnlich einem Arbeitnehmer auf fremde Betriebsmittel oder Waren angewiesen (vgl. etwa § 645 Abs. 1 Hs. 1 Alt. 1 BGB), sind zu einem gewissen Grad in die Organisation des Auftraggebers eingebunden oder werden in fremden Räumlichkeiten und damit auch in fremden Gefahrenbereichen tätig (vgl. nur § 618 Abs. 1 Hs. 1 BGB)1045. Zudem sind auch sie grundsätzlich verpflichtet, fremden Anweisungen Folge zu leisten (arg. ex §§ 618 Abs. 1 Hs. 2, 645 Abs. 1 Hs. 1 Alt. 2 BGB1046). Damit wird erneut deutlich, dass das, was gemeinhin als persönliche Abhängigkeit bezeichnet wird, keine absolute Größe ist, die entweder gegeben ist oder vollständig fehlt; sie ist vielmehr ein nur gradueller Maßstab und gerade deswegen so schwer feststellbar1047. Daraus folgt aber eben auch, dass sämtliche höchstpersönlich tätigen Beschäftigten auf ein Mindestmaß an Schutz für Leib, Leben oder Ge-
1043 Hromadka, NZA 1997, 1249, 1256; Rebhahn, RdA 2009, 236, 242 f.; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 18 f. 1044 Ebenso Buchner, NZA 1998, 1144, 1151; Rebhahn, RdA 2009, 236, 243 und ähnlich Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 234. 1045 Aus diesem Grund wendet der BGH die Vorschrift des § 618 BGB nicht nur auf Dienstnehmer, sondern analog auch auf Werkunternehmer (grundlegend BGHZ 6, 62, 63 ff.) und andere vergleichbar Schutzbedürftige an, so etwa BGH AP Nr. 4 zu § 618 BGB; näher hierzu Rieble, ZfA 1998, 327, 342; Zeuner, RdA 1975, 84, 85 und ausführlich Staudinger/Oetker, § 618 BGB Rn. 98 ff. 1046 Vgl. dazu auch schon oben § 6 C. II. 4. 1047 Auch das BAG fordert daher, dass für die Arbeitnehmereigenschaft ein gewisser Grad an persönlicher Abhängigkeit erreicht bzw. überschritten sein muss, vgl. dazu schon oben 1. Kap. § 2 B. IV. und dort insbes. Fn. 88.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
335
sundheit angewiesen sind, wenn ihre konkrete Tätigkeit eine dementsprechende Gefährdungslage indiziert1048. Dieser Zusammenhang lässt sich auch anhand einiger weiterer Beispiele verdeutlichen. So kommt es etwa für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Betriebssicherheitsverordnung gem. § 1 Abs. 1 BetrSichV entscheidend nur auf eine Bereitstellung von Arbeitsmitteln durch den Vertragspartner eines Beschäftigten (der nicht notwendig Arbeitnehmer sein muss) an. Der Gesetzgeber folgt dieser teleologischen Erkenntnis umgekehrt etwa auch durch § 2 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 ArbSchG, der die Heimarbeiter vom Anwendungsbereich des ArbSchG aus nimmt. Diese befinden sich nämlich aufgrund ihrer Beschäftigung in einer selbst gewählten – und damit nur der eigenen Einflusssphäre unterworfenen – Arbeitsstätte ausnahmsweise nicht in einer vergleichbaren Gefährdungslage wie viele andere höchstpersönlich Tätige1049. Darüber hinaus wird auch für den allgemeinen Begriff der arbeitnehmerähnlichen Person in § 2 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1 ArbSchG – aus teleologischer Sicht ganz zu Recht – eine spezifisch arbeitsschutzrechtliche Auslegung gefordert. So soll es insoweit auf eine wirtschaftliche Abhängigkeit oder soziale Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmerähnlichen überhaupt nicht mehr ankommen und stattdessen entscheidend auf einen Organisationsbezug des Beschäftigten zu seinem Auftraggeber abgestellt werden. Nur dann, wenn ein Beschäftigter höchstpersönlich eine Tätigkeit im Rahmen der Organisation eines anderen ausübe, sei die Anwendung der Rechtsfolgen des ArbSchG gerechtfertigt1050. b) Persönlichkeitsschutz Auch der Persönlichkeitsschutz lässt sich teleologisch insbesondere mit den Kriterien der persönlichen Abhängigkeit in Verbindung setzen1051. Wer „persönlich“ abhängig für einen anderen tätig wird und sich dessen Organisation einordnet, wer sich also im wahrsten Sinne des Wortes „in Person“ in den Dienst eines anderen stellt, dessen Weisungen Folge zu leisten und nicht etwa die Möglichkeit hat, eine aufgetragene Arbeit durch weitere (Hilfs-)Personen erledigen zu lassen,
1048 Staudinger/Oetker, § 618 BGB Rn. 11, 98 ff.; Rieble, ZfA 1998, 327, 342; Tomandl, ZAS 2008, 100, 108; Zeuner, RdA 1975, 84, 85. 1049 Der Gesetzgeber begnügt sich insoweit mit den Sonderregelungen der §§ 12 ff. HAG, vgl. zu alledem Hromadka, NZA 1997, 1249, 1255. 1050 Kollmer/Klindt/Kohte, ArbSchG, § 2 ArbSchG Rn. 82 ff.; ähnlich Julius, Arbeitsschutz, S. 90 ff.; Müller, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 236 f.; ablehnend dagegen Schubert, Schutz, S. 361. 1051 Ebenso Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 18; Wank, Arbeitnehmer, S. 62 f., 149 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 236.
336 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
der setzt sich nämlich nicht nur Gesundheitsgefahren, sondern immer auch einer besonderen Gefährdung seiner Persönlichkeit aus1052. Das wird auch anhand der oben aufgeführten Rechtsfolgenbeispiele deutlich. Der Arbeitnehmer bedarf etwa deshalb eines besonders ausgeprägten Datenschutzes, weil er sich in eine fremde Arbeitsorganisation ein- und seinem Vertragspartner unterordnet und ihm damit besondere Zugriffsmöglichkeiten auch auf solche persönlichen Daten1053 ermöglicht, die er andernfalls überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in dieser Form preisgegeben hätte. Auch die damit korrespondierenden Auskunftsansprüche oder Einsichtsrechte in die Personalakte lassen sich mit dem Gedanken rechtfertigen, dass die Informationsasymmetrie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem steigenden Grad der persönlichen Abhängigkeit des Beschäftigten stetig anwächst1054. Regelungen zu Dauer und Lage der Arbeitszeit, Ansprüche auf Erholungsurlaub1055, Teilzeitarbeit, auf Pflege- und auf Elternzeit existieren, weil der Arbeitnehmer fremdbestimmt ist und sich seine Arbeitszeit – und damit spiegelbildlich auch die Zeit zur privaten Persönlichkeitsentfaltung – nicht selbständig einteilen kann. Zu diesem Zweck sieht denn etwa auch § 12 Abs. 2 TzBfG ausdrücklich eine Beschränkung des Direktionsrechts des Arbeitgebers hinsichtlich der zeitlichen Lage der Arbeit vor1056. Besonders deutlich wird der teleologische Zusammenhang zwischen den Kriterien persönlicher Abhängigkeit und den Rechtsfolgen des Persönlichkeitsschutzes freilich bei einem Großteil derjenigen Regelungen, die die Mitbestimmung im Betrieb zum Ziel haben1057. Denn hier reagiert der Gesetzgeber explizit auf solche Gefahren, die sich aus einer Eingliederung in einen fremdorganisierten Betrieb und der damit regelmäßig zwangsläufig verbundenen Unterwerfung unter eine fremde Herrschafts- und Leitungsmacht ergeben1058. Durch die Einglie1052 ErfK/Schmidt, Art. 2 GG Rn. 76, 78; MünchArb/Reichold, § 47 Rn. 9; Rebhahn, RdA 2009, 236, 243; Wank, Arbeitnehmer, S. 58, 62 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 234 f. (mit umfassenden Nachweisen in Fn. 126). 1053 Vgl. etwa zu Krankengesprächen und sonstigen Befragungen im laufenden Arbeitsverhältnis MünchArb/Reichold, § 86 Rn. 17 f.; zur Erhebung von Daten über Gesundheitsbefunde, genetische Analysen oder psychologische Tests ErfK/Schmidt, Art. 2 GG Rn. 88 ff.; MünchArb/Reichold, § 86 Rn. 13 ff. 1054 MünchArb/Reichold, § 83 Rn. 13, § 85 Rn. 46; wohl auch Rebhahn, RdA 2009, 236, 242. 1055 Rebhahn, RdA 2009, 236, 242 f. 1056 ErfK/Preis, § 12 TzBfG Rn. 3; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 12 TzBfG Rn. 2. 1057 Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 12; HWK/Gaul, Vor § 1 BetrVG Rn. 1; Hromadka, NZA 1997, 569, 575; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 198; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 18 f.; Zöllner, RdA 1969, 65, 66 ff.; Wank, Arbeitnehmer, S. 62 f., 149 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 224. 1058 Junker, Arbeitsrecht, Rn. 641; Preis, Kollektivarbeitsrecht, § 143 II. (473 f.); Richardi/Thüsing, § 81 BetrVG Rn. 1; Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 216; Mikosch, in: FS Lö-
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derung in den fremden Betrieb bzw. die fremde Arbeitsorganisation ist der Arbeitnehmer etwa im Besonderen der Gefahr einer technischen Überwachung (sei es per Video, per Telefonmitschnitt oder per Protokollierung des E-Mailverkehrs) zur Kontrolle der Arbeitsleistung oder des sonstigen Verhaltens ausgesetzt1059. Zusätzlich kann er sich dieser Überwachungsgefahr auf Grund seiner Weisungsgebundenheit auch nicht selbstbestimmt entziehen1060 – in Fällen einer heimlichen Überwachung weiß er nicht einmal von dem dauerhaften Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Offenkundig ist die teleologische Verknüpfung von persönlicher Abhängigkeit und Persönlichkeitsschutz auch beim Zusammenhang zwischen der (vor allem) örtlichen Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers und möglichem betriebsverfassungsrechtlichem Schutz vor unzulässiger Versetzung1061, §§ 95 Abs. 1, 99 BetrVG. Daneben bedingt gerade das arbeitgeberseitige Recht, dem Arbeitnehmer qua fachlicher Weisung eine bestimmte Tätigkeit zuzuteilen, insoweit besonderen Persönlichkeitsschutz, als diese zugewiesene Tätigkeit auch den Kenntnissen, der (Leistungs-)Fähigkeit1062 und – in engen Grenzen – auch den persönlichen Überzeugungen des Arbeitnehmers entspricht. Im letzteren Fall gewährt freilich vor allem das Individualarbeitsrecht einen gewissen Schutz, vor allem indem es das Direktionsrecht des Arbeitgebers für solche Fälle einschränkt, in denen die Befolgung der Weisung zu einem nicht zumutbaren (§ 275 Abs. 3 BGB) Gewissenskonflikt bei dem Arbeitnehmer führen würde1063. Zusätzlich wird die besondere Klarstellung und strenge Einhaltung des allgemeinen Prinzips, dass das außervertragliche Verhalten eines Schuldners grundsätzlich nicht der Einflusssphäre des Gläubigers unterliegt, vor allem deswegen im Arbeitsrecht relevant, weil für den Arbeitgeber hier weitreichende Weisungsrechte existieren. Selbst wenn der Arbeitgeber weiß, dass sich dieses Weisungswisch, S. 189, 198; ausführlich Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht II, S. 22 (der a. a. O. auch auf einen Zusammenhang zur wirtschaftlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers hinweist). 1059 Ausdrücklich MünchArb/Reichold, § 86 Rn. 7; i. E. auch ErfK/Schmidt, Art. 2 GG Rn. 93 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht II, S. 907 f.; Richardi/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 477, 480; vgl. dazu auch den lehrreichen Beispielsfall bei Maties, NJW 2008, 2219, 2219 ff. 1060 BAG AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; Richardi/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 480. 1061 Der betriebsverfassungsrechtliche Begriff der Versetzung, § 95 Abs. 3 BetrVG, ist räumlich und funktional zu verstehen, vgl. BAG AP Nr. 36 zu § 95 BetrVG 1972; Schaub/ Koch, Arb-Hdb, § 241 Rn. 21. 1062 Richardi/Richardi, § 75 BetrVG Rn. 44; ähnlich auch Fitting, § 90 BetrVG Rn. 38a ff.; MünchArb/Reichold, § 86 Rn. 25 sowie Richardi/Annuß, § 90 BetrVG Rn. 29 ff., die insoweit an den Begriff der „menschengerechten Gestaltung der Arbeit“ in § 90 Abs. 2 S. 2 BetrVG anknüpfen. 1063 Vgl. etwa BAG AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 56 ff.; MüKo-BGB/Ernst, § 275 BGB Rn. 119; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 234 f.
338 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
recht grundsätzlich nicht auf außerdienstliches Verhalten, sondern nur auf die örtlich, zeitlich und fachliche Ausübung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung sowie das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb bezieht und es hierauf begrenzt ist1064, § 106 S. 1 und S. 2 GewO, ist die Gefahr hier doch besonders groß, dass in überdehnender Ausübung des Direktionsrechts in unzulässiger Weise in das Privatleben des Arbeitnehmers eingegriffen wird. Dass diese Gefahr unabhängig von einer etwaigen wirtschaftlichen Abhängigkeit, sozialen Schutzbedürftigkeit und insbesondere der Entgelthöhe besteht, zeigt sich gerade am Beispiel der Lizenzfußballspieler, vgl. nur §§ 5 i. V. m. 2 S. 2 lit. j) MuV, wonach die Spieler auch Anweisungen des Trainers bezüglich der (privaten) Lebensführung Folge zu leisten haben, sofern sie sich auf die sportliche Leistungsfähigkeit der Spieler beziehen1065. Auch was ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Öffentlichkeitsarbeit angeht, § 2 S. 2 lit. e) MuV, zeigt sich eine besondere Gefährdung des Persönlichkeitsrechts der Sportler1066, die unabhängig insbesondere von der ungewöhnlichen Einkommenshöhe besteht. Im Gegenteil scheint diese Gefährdung sogar umso größer zu sein, je höher der Verdienst des Spielers ausfällt. Denn in diesen Fällen hat der Verein auch ein proportional steigendes Interesse an der geldwerten Vermarktung des Spielers zur Refinanzierung des Gehalts, das er durch eine engmaschige Formulierung der Vertragspflichten und die Ausübung seines Weisungsrechts zu verwirklichen versucht1067. Gleiches gilt mit Blick auf die Gesundheit des Spielers: Nicht zufällig bestehen für den Fall einer beruflich relevanten Verletzung besondere Vorschriften, die den Spieler verpflichten, bei einem vom Club benannten Arzt vorstellig zu werden oder sich sportmedizinisch indizierten Maßnahmen zu unterziehen, § 2 S. 2 lit. b) und c) MuV1068.
1064
Hierzu zuletzt etwa Franzen, RdA 2014, 1, 3. Vgl. dazu schon oben § 2 B. IV. 1. a). Zur Zulässigkeit von Weisungen des Arbeitgebers, die sich auf außerdienstliches Verhalten beziehen, das in engem (zeitlichen) Zusammenhang mit der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitspflicht steht, vgl. einerseits MünchArb/Reichold, § 49 Rn. 47 und andererseits Reinfeld, in: Moll (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, Teil G, § 33 Rn. 71; siehe zu alledem auch ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 730 ff. 1066 Ausführlich zu alledem Bepler, in: Nolte (Hrsg.), Bedrohungen, S. 9, 9 ff.; Englisch, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Persönlichkeitsrecht, S. 47, 53 ff.; vgl. auch den lesenswerten Einblick in die Praxis bei Hägele/Späth, in: Württembergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Persönlichkeitsrecht, S. 37, 37 ff. 1067 Vgl. dazu schon – in anderem Zusammenhang – § 3 B. II. 3. 1068 Aus diesem Grund ist es auch unzutreffend, wenn einigen Lizenzspielern pauschal jegliches arbeitsrechtliches Schutzbedürfnis abgesprochen wird. Exemplarisch etwa Kade, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 201, 203: „[Es] fällt […] schwer, sich vorzustellen, Oliver Kahn und Michael Ballack […] seien Arbeitnehmer […]. Den Schutz des Arbeitsrechts benötigt keiner von ihnen“. Ähnlich auch U. Fischer, SpuRt 1997, 181, 183; Scholz/Aulehner, SpuRt 1996, 44, 46 f.; dazu ausführlich Dieckmann, in: Württem1065
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
339
Ebenfalls auf eine besondere Gefährdungslage, die durch Eingliederung und Weisungsunterworfenheit entsteht, reagiert daneben die Verpflichtung des Arbeitgebers zum Schutz des Arbeitnehmers vor Beeinträchtigungen seiner Persönlichkeit durch Dritte. Da der Arbeitnehmer sich seinem unmittelbaren Arbeitsumfeld nicht selbstbestimmt entziehen und so einem etwaigen Mobbing von Vorgesetzten oder von Kollegen weitgehend schutzlos ausgeliefert ist, obliegt es dem Arbeitgeber, kraft seiner Organisationsgewalt Persönlichkeitsverletzungen seiner Beschäftigten zu verhindern1069. Schließlich werden auch die verschiedenen Gleichbehandlungsgebote sowie Diskriminierungsverbote besonders dort notwendig, wo ein Beschäftigter in eine fremde Arbeitsorganisation unter fremder Leitung eingebettet wird1070. Denn der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht eines Beschäftigten ist in diesen Fällen gerade deshalb gravierend, weil eine (ungerechtfertigte) ungleiche Behandlung innerhalb einer vergleichbaren Gruppe1071 durch einen weisungsbefugten Arbeitgeber vorgenommen wird. Überhaupt setzt gerade die Pflicht zur Gleichbehandlung denknotwendig immer einen gewissen kollektiven sowie direktionsrechtlichen Bezug voraus. Denn nur dort, wo es überhaupt ein Nebeneinander von vergleichbaren Sachverhalten gibt, die von einem Leitungsorgan grundsätzlich bindend beurteilt werden können und müssen, kann Gleiches auch gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden1072. Besonders im Rahmen einer fremdbestimmten, kollektiven Ordnung zählt das Prinzip der Gleichbehandlung deshalb „zu den elementaren Gerechtigkeitselementen“1073. Diese Feststellungen schließen freilich wiederum nicht aus, dass einzelne Rechtsfolgen oder ganze Gesetze wie beispielsweise das AGG vom Gesetzgeber auch auf arbeitnehmerähnliche Personen erstreckt werden, § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG. Alleine deshalb kann aber kein unmittelbarer objektiv-teleologischer Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit, sozialer Schutzbedürftigkeit sowie insbesondere der Entgelthöhe1074 und den Rechtsfolgen des Persönlichkeitsschutbergischer Fußballverband e. V. (Hrsg.), Schriftenreihe, S. 24, 27 ff. insbes. S. 34 f.; Scholz, „3+2“-Regel, S. 115 (unveröffentlicht, zitiert bei Bühler, SpuRt 1998, 143, 144). 1069 So auch MünchArb/Reichold, § 86 Rn. 24. 1070 Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 194 f.; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 201; in diesem Sinne wohl auch Hromadka, NZA 1997, 1249, 1255 f.; ausführlich zur Pflicht zur Gleichbehandlung bei Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber W. Horst, Gleichbehandlung, passim. 1071 Fastrich, RdA 2000, 65, 65. 1072 MünchArb/Richardi, § 9 Rn. 5 f.; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 201; Zöllner, in: FS Söllner, S. 1297, 1307 f.; vgl. dazu aber auch BGH NJW-RR 1990, 1313, 1313 f. 1073 MünchArb/Richardi, § 9 Rn. 2. 1074 In diesem Sinne auch Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1238.
340 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
zes angenommen werden. Etwa für die Erweiterung des Anwendungsbereichs des AGG zeichnet – neben seiner übergeordneten gesellschaftspolitischen Zielrichtung1075 – entscheidend seine unionsrechtliche Determinierung verantwortlich. Einige der Richtlinien, deren Umsetzung der Erlass des AGG dient, beziehen nämlich in ihren persönlichen Anwendungsbereich neben Arbeitnehmern ausdrücklich auch Selbständige mit ein1076. Konsequenterweise gilt Abschnitt 2 des AGG (§ 6 ff. AGG) denn auch für sämtliche Selbständige, vgl. § 6 Abs. 3 AGG. Darüber hinaus gelten sinngemäß1077 auch die obigen Ausführungen zum Arbeitsschutz: Auch derjenige, der zwar nicht einen bestimmten Grad der persönlichen Abhängigkeit überschreitet, aber dennoch der Pflicht zur Leistung in Person unterliegt, vgl. etwa § 613 S. 1 BGB, setzt sich einer gewissen Gefahr der Persönlichkeitsverletzung durch Diskriminierung seines Vertragspartners aus. Dass das AGG die Arbeitnehmerähnlichen dennoch weitergehend schützt als „echte“ Selbständige (§ 6 Abs. 3 AGG eröffnet den Anwendungsbereich für letztere nur, soweit der Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie der berufliche Aufstieg betroffen ist1078), ist teleologisch etwa mit der im Vergleich zu einem „normalen“ Dienstnehmer gesteigerten persönlichen Nähebeziehung zum Vertragspartner begründbar – insbesondere durch die dauernde Tätigkeit für hauptsächlich einen Gläubiger, die ein erhöhtes Maß an Einflussmöglichkeit auf die höchstpersönlichen Rechtsgüter mit sich bringt1079. c) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die Gefahren, vor denen der Berufsschutz die Arbeitnehmer bewahren will, zwar nicht allesamt ausschließlich arbeitsrechtsspezifisch sind – sie sind aber gerade arbeitsrechtstypisch und steigen mit dem Grad der persönlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten an1080. Außer Zweifel steht damit die Tatsache, dass die Kriterien des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes diejenige Gefährdungslage, die durch das Rechtsfolgenbündel des Berufsschutzes beschrieben wird und abgewendet werden soll, auf der Tatbestandsseite teleologisch zutreffend abbilden. Dagegen besteht hier kein
1075 Zu rechtspolitischen Erwägungen bei Diskriminierungsverboten vgl. Preis, Individualarbeitsrecht, § 32 I. 2. a) (S. 435). 1076 Art. 3 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2000/43/EG; Art. 3 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2000/78/EG sowie Art. 3 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2002/73/EG, vgl. hierzu MüKo-BGB/ Thüsing, § 2 AGG Rn. 4 und schon oben 2. Kap. § 6 C. V. 4. b) und dort insbes. die Nachweise in Fn. 632. 1077 Vgl. soeben, § 6 E. III. 2. a). 1078 Hierzu ausführlich Reufels/Molle, NZA-RR 2011, 281, 282 f. 1079 In anderem Zusammenhang ähnlich Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 237. 1080 Ähnlich Rebhahn, RdA 2009, 236, 242 f.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
341
unmittelbarer Sinnzusammenhang zu den Merkmalen der wirtschaftlichen Abhängigkeit oder der sozialen Schutzbedürftigkeit. 3. Existenzschutz und wirtschaftliche Abhängigkeit sowie soziale Schutzbedürftigkeit? Gegenteiliges ist aber gerade im Bereich des Existenzschutzes zu beobachten. Dessen Rechtsfolgen stehen zwar nicht ausschließlich, aber dennoch zu weiten Teilen in teleologischem Bezug zu den Kriterien wirtschaftlicher Abhängigkeit sowie sozialer Schutzbedürftigkeit. a) Sozialschutz aa) Risiken der Arbeitnehmersphäre Das gilt vor allen Dingen für den Bereich des Sozialschutzes, der Risiken aus der Arbeitnehmersphäre abdeckt. Begreift man – was heute wohl unbestritten ist – das Arbeitsverhältnis als auf Dauer angelegtes, schuldrechtliches Austauschverhältnis1081, so ist die Vergütung des Arbeitgebers nach § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag eine synallagmatische Gegenleistung für eine erbrachte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers1082. Über dieses Prinzip gehen die oben im Rahmen der Rechtsfolgenanalyse dargestellten Rechtsfolgen des Sozialschutzes insoweit hinaus, als der Arbeitnehmer entgegen der grundsätzlichen schuldrechtlichen Dogmatik des bürgerlichen Rechts (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB) in bestimmten Fällen trotz einer Nichtleistung der Arbeit (§ 275 Abs. 1 – 3 BGB) seinen Anspruch auf die Gegenleistung behält (Ausnahme vom Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“). Der Arbeitgeber hat dabei in einigen Fällen für Risiken einzustehen, die er nicht selbst verantwortet, die er nicht selbst steuern kann und die an sich vielmehr in der Sphäre des Arbeitnehmers zu verorten sind. Dennoch hat der Arbeitgeber nach dem geltenden arbeitsrechtlichen System für diese Risiken einzustehen1083. 1081 Preis, Individualarbeitsrecht, § 6 III. (S. 43 f.); v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 242, 245; Pallasch, RdA 2013, 338, 340; Reichold, in: FS Adomeit, S. 583, 584; ausführlich zur bis in die 1960er Jahre vertretenen Ansicht, das Arbeitsverhältnis sei seiner Rechtsnatur nach ein „personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis“ vgl. MünchArb/Richardi, § 3 Rn. 15 ff. Grundlegend für die heutige dogmatisch zutreffende Einordnung war Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 9 ff. 1082 Preis, Individualarbeitsrecht, § 24 (S. 320); v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 242, 245; Kreßel, in: FS Gitter, S. 491, 501 f.; ausführlich v. Hoyningen-Huene, in: FS Adomeit, S. 291, 291 ff., 308. 1083 Junker, Arbeitsrecht, Rn. 271; v. Hoyningen-Huene, in: FS Adomeit, S. 291, 300 f.; Hromadka, NZA 1997, 569, 578; Kreßel, in: FS Gitter, 491, 494 (dort auch zum verfassungsrechtlichen Hintergrund) und a. a. O. S. 499 f.; Richardi, JA 1986, 289, 294; Zöllner,
342 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Im Rahmen einer teleologischen Betrachtung sind solche Rechtsfolgen anders als diejenigen des Berufsschutzes aber nicht mit der Weisungsunterworfenheit oder der Eingliederung des Arbeitnehmers in die Betriebsstruktur des Arbeitgebers und damit den Kriterien der persönlichen Abhängigkeit zu erklären: Es besteht kein unmittelbarer Sinnzusammenhang zwischen der Befugnis des Arbeitgebers, eine örtliche, zeitliche oder fachliche Weisung erteilen zu dürfen und seiner Pflicht zur Entgeltfortzahlung im Krankheits-, Feiertags-1084, Schwangerschafts-1085 oder Urlaubsfall1086. Auch ein allgemeiner Hinweis auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers1087 hilft insoweit nicht weiter, weil gerade unklar bleibt, wie sich Umfang und Reichweite der Fürsorgepflicht wertungsmäßig begründen lassen. Teleologisch sind die genannten Rechtsfolgen – die sich zusammengerechnet auf eine gesetzlich festgeschriebene Entgeltfortzahlung für bis zu 14 Wochen Fehlzeit pro Jahr summieren können1088 – aber gerade dann gerechtfertigt, in: FS Söllner, S. 1297, 1303 ff.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 239 ff.; vgl. zum Krankheitsrisiko BAG AP Nr. 68, 87 zu § 1 LohnFG; v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 242, 246. 1084 Es ließe sich auch argumentieren, dass es sich bei Entgeltfortzahlung an Feiertagen, § 2 EFZG, nicht um ein Risiko aus der Arbeitnehmersphäre, sondern um ein neutrales Risiko handelt. Schließlich können weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer das grundsätzliche Gebot der Feiertagsruhe aus § 9 Abs. 1 ArbZG beeinflussen (insoweit besteht eine Ähnlichkeit zu den Fällen des Betriebsrisikos, vgl. dazu sogleich unter bb)). Da sich die Entgeltfortzahlung an Feiertagen bei teleologischer Betrachtung aber aus denselben Gründen rechtfertigt, wie in den anderen hier aufgeführten Fällen, wurde sie ebenfalls an dieser Stelle angesprochen. 1085 Das im Rahmen der Entgeltfortzahlung nach § 11 Abs. 1 MuSchG gezahlte Arbeitsentgelt sowie den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gem. § 14 Abs. 1 MuSchG bekommt der Arbeitgeber seit Einführung des Aufwendungsausgleichgesetzes freilich auf Antrag von den Krankenkassen nach §§ 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 i. V. m. 2 Abs. 2 AAG in vollem Umfang wieder erstattet. 1086 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 4; Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 193 f.; Wank, in: FS Küttner, S. 5, 10; ders., RdA 2010, 193, 196; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 13; allgemeinere Kritik zum fehlenden teleologischen Zusammenhang zwischen den Kriterien persönlicher Abhängigkeit und arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen bei Gamillscheg, RdA 1998, 2, 8; Rebhahn, RdA 2009, 236, 240 f.; Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 309; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 20; ders., ZAS 2008, 100, 113 f.; Wank, NZA 1999, 225, 226 f.; Zöllner, RdA 1969, 65, 67; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 224. 1087 Vgl. BAG AP Nr. 68, 87 zu § 1 LohnFG; v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 242, 244 f. (m. w. N. in Fn. 5); Kreßel, in: FS Gitter, S. 491, 500 f. (jeweils zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall). Auch das BVerfG stellte im Jahr 1960 zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer sozialversicherungsrechtlichen Regelung, die den Arbeitgeber zur alleinigen Aufbringung von Beiträgen zum Kindergeldgesetz verpflichtete, noch auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ab, vgl. BVerfGE 11, 105, 116. Genauer zum Begriff der Fürsorgepflicht Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 236 ff. 1088 Vgl. die Berechnung bei v. Hoyningen-Huene, in: FS Adomeit, S. 291, 308. Daneben können noch zusätzliche tarifvertragliche Urlaubsansprüche sowie bezahlte Freistellungen auf Grund von Betriebsratstätigkeit oder Ähnliches treten.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
343
wenn das Arbeitsverhältnis die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers bildet und er daher auf das fortlaufende Entgelt zur Sicherung seines Lebensunterhalts angewiesen ist1089. Außerdem sind sie nur dann Ausdruck eines gerechten Lastenausgleichs, wenn der Arbeitgeber für diese Situation zu einem gewissen Grad verantwortlich zeichnet und er deshalb einen Beitrag schuldet, der über das reine Synallagma von (Arbeits-)Leistung und Gegenleistung hinaus geht. An dieser Zwecksetzung müssen sich daher auch die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Rechtsfolgen und damit der Arbeitnehmerbegriff orientieren. Denn nur in diesem Fall ist es teleologisch schlüssig, dass das Arbeitsrecht von der grundsätzlichen Risikoverteilung des bürgerlichen Rechts abweicht und dem Arbeitnehmer diesbezüglich einen besonderen und weitergehenden Schutz gewährt. Schon oben wurde angedeutet1090, dass die soeben geschilderte Situation vom komplexen Gesamttatbestand der wirtschaftlichen Abhängigkeit, der regelmäßig in eine soziale Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten mündet, zutreffend beschrieben wird. Durch die Tatsache, dass der Arbeitnehmer auf Dauer in nicht geringem Umfang für hauptsächlich einen Vertragspartner tätig wird und auf weitere Erwerbsmöglichkeiten verzichtet, wird er vom Arbeitgeber faktisch vom sonstigen Marktgeschehen ausgeschlossen. Insoweit zeichnet der Arbeitgeber für die existenzielle (wirtschaftliche) Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitsverhältnis mitverantwortlich1091. Zusätzlich leistet der Arbeitnehmer seine Arbeit fremdnützig zu Gunsten und auf Rechnung seines Arbeitgebers. Das hat auf der einen Seite zur Folge, dass er selbst regelmäßig ein nur überschaubares Einkommen erwirtschaften wird, das hauptsächlich zur Deckung allgemeiner Lebenshaltungskosten ausreicht. Weil der Arbeitnehmer deshalb nur unzureichend zu einer Vorsorge für Verdienstausfälle auf Grund von Feiertagen, Krankheit, Urlaub oder Schwangerschaft in der Lage ist, ist er insofern auf eine Verstetigung dieses Einkommens zur Sicherung seines Lebensunterhaltes angewiesen1092. Auf der anderen Seite kommt die fremdnützige Tätigkeit gerade seinem Vertragspartner zu Gute: Der Arbeitgeber erhält erst hierdurch die Chance zur Erzielung unternehmerischer Gewinne1093. Dieser Vorteil rechtfertigt es spiegelbildlich, ihm zugleich auch solche Belastungen aufzuerlegen, die grundsätzlich nicht seiner 1089 Hromadka, NZA 1997, 569, 578; für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ausdrücklich auch v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 243 f.; vgl. hierzu auch – mit dem Versuch einer Rückanbindung an den auf Aristoteles zurückgehenden Grundsatz der „austeilenden Gerechtigkeit“ – Zöllner, in: FS Söllner, S. 1297, 1303 ff. 1090 Vgl. daher zum Folgenden auch schon ausführlich oben § 5 III. und die umfangreichen Nachweise dort. 1091 v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 244; Kreßel, in: FS Gitter, S. 491, 494, 500 f. 1092 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 5; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 193 f.; Rebhahn, RdA 2009, 236, 243. 1093 Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Kreßel, in: FS Gitter, S. 491, 494.
344 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Risikosphäre zuzuordnen sind1094. Dieser Rechtfertigungszusammenhang wird aber dann unterbrochen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ein weit überdurchschnittliches Entgelt erhält und er daher nicht mehr als sozial schutzbedürftig anzusehen ist. Der Arbeitgeber ist dann seiner grundsätzlichen Pflicht zur Fremdversorgung bereits durch die Zahlung einer besonders hohen Vergütung nachgekommen1095. In diesem Fall mag der Arbeitnehmer zwar weiterhin insoweit von seinem Vertragspartner wirtschaftlich abhängig sein, als das Arbeitsverhältnis seine Haupteinnahmequelle ist. Er ist aber jedenfalls nicht weiter auf eine Verstetigung seines Verdienstes angewiesen, weil er schon durch die unmittelbar synallagmatisch verknüpfte Entgeltleistung des Arbeitgebers in die Lage versetzt worden ist, eigenverantwortlich für die beschriebenen Risiken vorzusorgen1096. Nach einer ähnlichen Regelungslogik verfährt – freilich im Kleinen und nur an der (entgegengesetzten) Grenze des Existenzminimums – im Übrigen auch das Mindestlohngesetz: Gesetzlicher Schutz zur Absicherung eines Mindeststandards greift hier nur dort ein, wo der Arbeitnehmerverdienst unterhalb der Grenze des Mindestlohns liegt, § 1 Abs. 1 MiLoG1097. An diesem grundsätzlich aufgezeigten teleologischen Zusammenhang ändert es auch nichts, dass etwa die Vorschrift des § 616 BGB für sämtliche Dienstnehmer des BGB gilt. Neben dem Zweck eines existenzsichernden Sozialschutzes, der gerade für den wirtschaftlich abhängigen und sozial schutzbedürftigen Beschäftigten besonders relevant ist, lässt sich der erweiterte Anwendungsbereich dieser Norm nämlich auch mit dem allgemeinen bürgerlich-rechtlichen „de-minimis“-Grundsatz erklären, der in § 616 BGB eine besondere dienstvertragliche Ausprägung erfahren hat. Danach sind solche Leistungsdefizite grundsätzlich rechtlich irrelevant, die bei wertender Betrachtung nur als geringfügig oder unerheblich einzustufen sind1098. bb) Risiken der Arbeitgebersphäre und Betriebsrisiko Abweichend stellt sich die Situation dar, wenn Rechtsfolgen auf solche auf Risiken reagieren, die ohnehin in der Sphäre des Arbeitgebers zu verorten sind.
1094
Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 5 f. Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6; Rebhahn, RdA 2009, 236, 243; i. E. auch Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241 f. und Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 100; vgl. zu diesem Zusammenhang bereits ausführlich oben § 5 III. 2. 1096 I.E. ähnlich Hanau, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 227, 238. 1097 Vgl. statt vieler BeckOK-ArbR/Greiner, § 1 MiLoG Rn. 22; genauer zur Dogmatik des MiLoG Lakies, ArbuR 2017, 53, 57 f. 1098 Staudinger/Oetker, § 616 BGB Rn. 15; v. Koppenfels, NZS 2002, 241, 242; Zöllner, in: FS Söllner, S. 1297, 1303; vgl. auch Buß, NJW 1998, 337, 341 zu weiteren Beispielen des „de-minimis“-Grundsatzes im materiellen Zivilrecht. 1095
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
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Das ist etwa bei § 615 S. 1 BGB der Fall1099. Der Arbeitgeber hat, wie jeder andere Gläubiger des BGB auch, das Verwendungs- und Wirtschaftsrisiko einer Leistung tragen1100. Ein spezifischer, ausschließlich teleologischer Zusammenhang besteht deshalb weder zu den Merkmalen persönlicher Abhängigkeit, noch zu jenen wirtschaftlicher Abhängigkeit oder sozialer Schutzbedürftigkeit. Konsequenterweise gilt die Vorschrift denn auch für sämtliche Dienstleistende des bürgerlichen Rechts. Dennoch ist die Norm freilich im Arbeitsrecht besonders relevant. Gerade der Arbeitnehmer ist existenziell auf eine Sicherung seiner Lebensgrundlage durch Entgeltfortzahlung angewiesen, wenn sich der Arbeitgeber – aus welchen Gründen auch immer – unwillig zeigt, die vom Arbeitnehmer angebotene Arbeitsleistung anzunehmen. Dies vor allem deshalb, weil er sich typischerweise auf Dauer und in erheblichem Umfang an einen Vertragspartner gebunden hat und er auf Grund dieser Situation wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht in der Lage ist, seine Arbeitskraft kurzfristig anderen Gläubigern zur Verfügung zu stellen und sie dort anderweitig zu verwerten1101. Wiederum ausschließlich arbeitsrechtlich sind hingegen die Rechtsfolgen des § 615 S. 3 BGB i. V. m. den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre. Danach hat der Arbeitgeber entgegen § 326 Abs. 1 S. 1 BGB auch dann weiterhin die Pflicht zur Leistung des Arbeitsentgelts, wenn die Arbeitsleistung auf Grund einer beiderseitig unverschuldeten Betriebsstörung unmöglich geworden ist. Die Anwendung dieser Rechtsfolgen gerade auf Arbeitnehmer lässt sich teleologisch schlüssig zum einen damit begründen, dass der Arbeitgeber den Betrieb leitet und organisiert1102. Der Arbeitnehmer hingegen als ein dieser Leitungsmacht unterworfener, persönlich abhängiger Beschäftigter hat keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung des Betriebes1103. Dem entspricht, dass von der Betriebsrisikolehre nur solche Risiken erfasst sind, die gerade zu einer betriebsbezogenen Störung führen, also etwa Rohstoffmangel, eine Unterbrechung der Strom- oder Wasserversorgung, eine Stilllegung des Betriebs durch eine behördliche Anordnung, eine Beeinträchtigung der Produktionsstätten durch Naturkatastrophen oder ähnliches. Auf einen Organisationsbezug deutet auch die Abgrenzung des Betriebsrisikos zum sog. Wegerisiko hin. Führt etwa, um eines der gerade genann1099
196.
Hromadka/Maschmann, Individualarbeitsrecht, § 8 Rn. 26; Wank, RdA 2010, 193,
1100 ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 121; Preis, Individualarbeitsrecht, § 44 I. 2. (S. 607); Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB Rn. 198. 1101 Palandt/Weidenkaff, § 615 BGB Rn. 1; Preis, Individualarbeitsrecht, § 43 I. (S. 594). 1102 Hierauf stellt insbesondere das BAG ab, vgl. etwa BAG AP Nr. 14, 31 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; vgl. hierzu auch HWK/Krause, § 615 BGB Rn. 114 und Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 247. 1103 Wank, Arbeitnehmer, S. 69 ff., 75 spricht daher von „Organisationsrisiken“ des Arbeitgebers und ordnet die Betriebsrisikolehre in den Bereich des Berufsschutzes ein, da die Stellung im Beruf betroffen sei.
346 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
ten Beispiele aufzugreifen, eine Naturkatastrophe nicht zu einer unmittelbaren Beeinträchtigung des Betriebes, sondern lediglich dazu, dass der Arbeitnehmer auf Grund überfluteter Straßen seinen Arbeitsplatz nicht erreichen kann, so verliert er seinen Entgeltanspruch nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Das lässt sich damit erklären, dass es sich nicht mehr um eine Beeinträchtigung derjenigen Sphäre handelt, auf die der Arbeitgeber kraft seiner Leitungsmacht grundsätzlich noch eine zumindest theoretische Einflussmöglichkeit hat (sog. „objektive“ Leistungshindernisse)1104. Andererseits darf nicht verkannt werden, dass in den Fällen des Betriebsrisikos stets eine auch vom Arbeitgeber unverschuldete Störung des Betriebs in Rede steht. Er zeichnet für diese also schon qua richterrechtlicher Tatbestandsvoraussetzung nicht alleine oder weit überwiegend verantwortlich (sonst wäre ohnehin bereits § 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB einschlägig). Die Betriebsstörung ist daher auch nicht unmittelbar mit einer bewusst steuerbaren Organisations- oder Leitungsentscheidung des Arbeitgebers verknüpft, mitunter – etwa im Bereich von Naturkatastrophen – ist sie seinem Einflussbereich auch gänzlich entzogen1105. Insofern rechtfertigt sich die Rechtsfolge der Lohnfortzahlung in diesen Fällen weitestgehend neutraler1106 Risiken entgegen den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts gerade aus der Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis regelmäßig die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers bildet, er vom Arbeitgeber wirtschaftlich abhängt und somit in der Regel sozial schutzbedürftig ist. Auch und gerade dem Gedanken der Fremdnützigkeit bzw. der Verteilung der unternehmerischen Chancen und Risiken kommt hier wieder eine besondere Bedeutung zu: Wenn der Arbeitgeber von der fremdnützigen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers durch Erwirtschaftung unternehmerischer Gewinne in solchen Zeiten profitiert, in denen der Betrieb reibungslos funktioniert, so soll er spiegelbildlich in den Zeiten einer Betriebsstörung wenigstens die Existenz des Arbeitnehmers durch Lohnfortzahlung sicherstellen müssen1107. Dem entspricht, dass die Literatur eine Einschrän1104 In diesem Sinne etwa BAG AP Nr. 58 zu § 616 BGB; MünchArb/Boewer, § 69 Rn. 57. Dagegen würde der Arbeitnehmer seinen Entgeltanspruch dann behalten, wenn der Arbeitgeber einen Werksbus einsetzt und dieser auf Grund von technischen oder personellen Gründen ausfällt, vgl. Preis, Individualarbeitsrecht, § 45 II. 1. (S. 612). 1105 Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 55; Wank, Arbeitnehmer, S. 71 f. 1106 Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 247. Wank, Arbeitnehmer, S. 69 spricht von einem „zunächst neutral erscheinenden“ Risiko, dem der Arbeitgeber näher stehe als der Arbeitnehmer. 1107 Zutreffend HWK/Krause, § 615 BGB Rn. 120. Das Erwirtschaften von Erträgen durch den Unternehmer zieht interessanterweise auch das BAG als einen weiteren Grund neben dessen Organisationsgewalt zur Rechtfertigung der Betriebsrisikolehre heran, vgl. BAG AP Nr. 14 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. Insofern überrascht es, dass dieser Gesichtspunkt aber bei der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes selbst keine tragende Rolle spielen soll. Vgl. hierzu auch Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 247 f.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
347
kung der Betriebsrisikolehre auch für Fälle der Existenzgefährdung des von der Störung betroffenen Betriebs1108 mit dem Argument ablehnt, diese stelle eine im Ergebnis unangemessene Beteiligung des Arbeitnehmers am unternehmerischen Risiko des Arbeitgebers dar. Letzteres habe der Arbeitnehmer nicht zu tragen, wenn und weil er auch nicht am Gewinn des Unternehmens beteiligt werde1109. b) Einstellungs- und Bestandsschutz aa) Einstellungsschutz Was die Rechtsfolgen des Einstellungsschutzes angeht, so fällt eine teleologische Zuordnung sowohl zu den Kriterien persönlicher als auch zu denjenigen wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit schwer. Ein Beschäftigungsverhältnis und eine daraus fließende Vergütung, auf deren Fortbestand der Arbeitnehmer aus existenziellen Gründen angewiesen sein könnte, sind hier ebenso wenig noch nicht gegeben wie Weisungsbefugnisse des Gegenübers oder eine Eingliederung in dessen Arbeitsorganisation. Einen Schutz vor unzulässigen Fragen oder Diskriminierung bei der Einstellung verdient damit im Ausgangspunkt jeder, der auf Grund seiner wirtschaftlichen Schwäche zur Erwirtschaftung seines Lebensunterhaltes höchstpersönlich für einen anderen tätig werden muss. Andererseits muss besonders demjenigen Beschäftigten eine faire Chance beim Zugang zu einer Erwerbstätigkeit ermöglich werden, der seine Arbeitskraft in erheblichem Umfang und dauernd nur einem Vertragspartner zur Verfügung stellen will. Denn ein solcher Beschäftigter kann – anders als derjenige, der mit einer Vielzahl an Gläubigern kontrahiert – sein Beschäftigungsrisiko gerade nicht streuen. bb) Bestandsschutz Auch der Bestandsschutz lässt sich als Unterfall des Existenzschutzes in seinem Kernbereich weder mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers noch mit einer arbeitsorganisatorischen Eingliederung erklären1110. Er lässt sich aber insbesondere mit den Kriterien der wirtschaftlichen Abhängigkeit teleologisch in Verbindung setzen1111. 1108 Ausführlich BAG AP Nr. 28 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; BAG AP Nr. 56 zu § 615 BGB; angedeutet schon in BAG AP Nr. 15, 31 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. 1109 ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 126; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 291; MünchArb/Boewer, § 69 Rn. 59. 1110 Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 4; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 196; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 224; anders aber Hromadka, DB 1998, 195, 198, der den Kündigungsschutz teleologisch mit der Weisungsgebundenheit eines Beschäftigten in Bezug setzt. 1111 Buchner, NZA 1998, 1144, 1151; Konzen, ZfA 1982, 259, 290; Wank, NZA 1999, 225, 226 f.; ders., Arbeitnehmer, S. 75 ff; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 245. Mikosch,
348 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Durch die Existenz eines allgemeinen Kündigungsschutzes, also insbesondere im Anwendungsbereich des KSchG, wird der Grundsatz der Kündigungsfreiheit eingeschränkt1112. Insbesondere im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung, § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, wird dem Arbeitgeber damit teilweise das Beschäftigungsrisiko übertragen, das grundsätzlich jeder Beschäftigte selbst zu tragen hat1113: Anders als einen beauftragten freien Dienstnehmer, vgl. § 620 BGB, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht unmittelbar je nach guter oder schlechter Auftragslage und abhängig von seinem unternehmerischen Bedarf zur Arbeit heranziehen oder das Beschäftigungsverhältnis beenden1114. Diese teilweise Überbürdung des Risikos von Marktschwankungen ist aus teleologischer Sicht wiederum dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer auf sein auf Dauer und typischerweise in erheblichem Umfang ausgeübtes Arbeitsverhältnis zur Sicherung seiner Existenz angewiesen ist und er dabei gleichzeitig fremdnützig für Rechnung des Arbeitgebers tätig wird. Er hat deshalb nicht selbst die Möglichkeit zur Schöpfung unternehmerischer Gewinne, was sich regelmäßig in einem überschaubaren Entgelt sowie einer Unmöglichkeit zur Vorsorge für Phasen der Arbeitslosigkeit niederschlägt. Wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber spiegelbildlich aber gerade die Erwirtschaftung von Überschüssen ermöglicht, lässt es dies angemessen erscheinen, ihm das Risiko der Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Zeiten schlechter Marktlage wenigstens bis zu einem gewissen Grad aufzuerlegen – was die grundsätzliche Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung freilich nicht gänzlich ausschließen kann1115. Dieser grundlegenden Sachund Interessenlage entspricht es auch, dass der allgemeine Kündigungsschutz erst nach einer Wartezeit von sechs Monaten eingreift, § 1 Abs. 1 KSchG. Erst dann hat sich nämlich die Situation wirtschaftlicher Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitgeber so verfestigt, dass überhaupt eine „kündigungsrechtlich geschützte Rechtsposition“1116 entstehen kann. in: FS Löwisch, S. 189, 196 ff. plädiert gar für eine Erweiterung des Bestandsschutzes auf arbeitnehmerähnliche Personen gerade auf Grund deren wirtschaftlicher Abhängigkeit. 1112 APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 1; HWK/Quecke, Vor § 1 KSchG Rn. 1; vHH/L/Krause, § 1 KSchG Rn. 1, 4; ders., in: FS Adomeit, S. 291, 297; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 242. 1113 Rebhahn, RdA 2009, 236, 243. f.; Wank, NZA 1999, 225, 226 f.; ders., Arbeitnehmer, S. 76; Zöllner, in: FS Söllner, S. 1297, 1319; wohl auch Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 243. 1114 Rebhahn, RdA 2009, 236, 243 f.; vgl. dazu auch Preis, Individualarbeitsrecht, § 63 II. 2. c) (S. 802, 809 f.). 1115 vHH/L/Krause, § 1 KSchG Rn. 4; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 195 ff.; Wank, Arbeitnehmer, S. 76; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 245 f., 257 f. 1116 Junker, Arbeitsrecht, Rn. 360; ähnlich BAG AP Nr. 10, 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; Preis, Individualarbeitsrecht, § 61 III. (S. 775). Daneben ist Zweck der Wartezeit, dass dem Arbeitgeber die Gelegenheit gegeben wird, den Arbeitnehmer zu erproben, vgl. BAG AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969; vHH/L/Krause, § 1 KSchG Rn. 100.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
349
Allerdings ist im Bereich des Bestandsschutzes – anders als im Bereich des Sozialschutzes, der auf Risiken der Arbeitnehmersphäre im laufenden Arbeitsverhältnis reagiert – das Phänomen zu beobachten, dass alleine das Überschreiten einer bestimmten Entgelthöhe nicht schon automatisch zum vollständigen Wegfall der Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten im Hinblick auf den Kündigungsschutz führt. Auch der Spitzenverdiener, der seine Arbeitsleistung auf Dauer sowie ausschließlich oder in weit überwiegendem Umfang nur für einen Vertragspartner erbracht hat, verliert im Falle der Kündigung seine (Haupt-)Erwerbsquelle, die Grundlage seiner Existenz gewesen ist. Der in solcher Weise beschäftigte Spitzenverdiener kann daher im Falle des Arbeitsplatzverlustes ähnlich tief oder sogar tiefer fallen als andere Arbeitnehmer, wenn er – was üblich sein dürfte – seinen Lebensstandard an die überdurchschnittliche Vergütung angepasst hat1117. Anders als der „echte“ wirtschaftlich Unabhängige, der mit einer Vielzahl an Vertragspartnern kontrahiert und hierdurch nicht nur seinen Gewinn maximieren, sondern auch seine erwerbswirtschaftlichen Risiken streuen kann, kann der Spitzenverdiener, dessen mangelnde soziale Schutzbedürftigkeit sich alleine aus dem Überschreiten eines bestimmten Entgeltniveaus ergibt, seine Erwerbstätigkeit nicht nahtlos fortführen, wenn er seinen einzigen nennenswerten Auftraggeber verloren hat1118. Dabei sinkt die Schutzbedürftigkeit freilich, wenn der Spitzenverdiener sein weit überdurchschnittliches Entgelt schon über einen gewissen Zeitraum bezogen hat. Denn dann ist es ihm grundsätzlich möglich gewesen, eigenverantwortlich für den Fall eines drohenden Verlustes seines Arbeitsplatzes vorzusorgen1119. Zudem wird er regelmäßig auch über eine auf dem Arbeitsmarkt begehrte Qualifikation verfügen, was ihm den beruflichen Wiedereinstieg wesentlich erleichtert1120. Dennoch ist der teleologische Zusammenhang 1117 Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1237; Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1240 f.; Hromadka, NZA 2007, 838, 840; i. E. wohl auch Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 316 und in anderem Zusammenhang Kürth, Änderungsvorbehalte, S. 137. 1118 Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241. 1119 Zutreffend Aldenhoff, NZA 2010, 800, 801; Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1237; Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 100. Einen Zusammenhang zwischen dem Überschreiten einer gewissen Entgeltgrenze, einer daraus folgenden herabgesetzten (sozialen) Schutzbedürftigkeit und der daher im Ergebnis möglichen Lockerung des Kündigungsschutzes erkennt auch Hromadka, NZA 2007, 838, 840. Kritisch dagegen ausdrücklich Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241; Klammert/Mosch, NJW-Spezial 2014 zu Heft 8, 242, 243. Jedenfalls i. E. ähnlich auch LAG Rheinland-Pfalz NZA 2016, 699, 702 (Fall Heinz Müller) sowie Bepler, jM 2016, 105, 110 f. und Kratzer/Frodl, NZA 2015, 657, 661 mit Blick auf die Möglichkeit der Befristung von Arbeitsverträgen von Lizenzfußballern gem. § 14 Abs. 1 Nr. 4 TzBfG. 1120 Dagegen werten Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241 und Klammert/Mosch, NJW-Spezial 2014 zu Heft 8, 242, 242 f. eine besondere bzw. ausgefallene berufliche Spezialisierung als Hemmnis auf dem Arbeitsmarkt; ähnlich Debong, in: FS Löwisch, S. 89, 96 für die Chefärzte.
350 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
zwischen weit überdurchschnittlicher Entgelthöhe, damit grundsätzlich entfallender sozialer Schutzbedürftigkeit und dem Nichteingreifen der Rechtsfolgen des Bestandsschutzes weit weniger eindeutig als im Bereich des Sozialschutzes1121 (vgl. soeben 3. a) aa)). Neben dieser Einschränkung wurde schon oben im Rahmen der Kategorisierung nach Schutzzwecken festgestellt, dass der Bestandsschutz zu Teilen ohnehin auch dem Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers dient. Es wurde ebenfalls bereits ausgeführt, dass insoweit eher von einem teleologischen Bezug zu den Kriterien der persönlichen Abhängigkeit auszugehen ist1122. Besonders deutlich wird die teilweise Entkoppelung von wirtschaftlichen Gesichtspunkten außer im Bereich der Diskriminierungsverbote des AGG auch beim besonderen Kündigungsschutz von Schwangeren und während der Pflege- oder Elternzeit. Zwar bildet auch hier die Bestandssicherung des Arbeitsverhältnisses als Existenzgrundlage für den Zeitraum nach der Schwangerschaft, der Pflegezeit oder der Elternzeit einen mitentscheidenden Schutzzweck. Zur Rechtfertigung des Bestandsschutzes während dieser Zeit bedarf es in diesen Fällen aber nicht unbedingt des Gedankens der fremdnützigen Tätigkeit eines wirtschaftlich abhängigen und sozial schutzbedürftigen Arbeitnehmers und der daraus folgenden Pflicht zu einer gewissen Übernahme des Beschäftigungsrisikos durch den Arbeitgeber. Denn in den genannten Fällen existiert schon keine über das Synallagma hinausgehende finanzielle Belastung des Arbeitgebers in Form der Entgelt(fort)zahlung, für die er als Gegenleistung keine entsprechend verwertbare Arbeitsleistung erhält. Vielmehr ist in diesen Fällen ohnehin der Staat zur Zahlung des flankierenden Elterngeldes, §§ 1 ff. BEEG1123, Mutterschaftsgeldes, § 13 MuSchG1124, oder einer 1121 Zur Diskussion um die Angleichung des Kündigungsschutzes von „gewöhnlichen“ Spitzenverdienern an das geringere Schutzniveau solcher leitender Angestellter, die zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind und für die schon de lege lata kein umfassender Bestands-, sondern lediglich ein Abfindungsschutz existiert, §§ 9 Abs. 1 S. 2 i. V. m. 14 Abs. 2 S. 2 KSchG, vgl. etwa Aldenhoff, NZA 2010, 800, 800 ff.; Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1234 f., und insbes. 1235 ff.; Debong, in: FS Löwisch, S. 89, 96 f.; Greiner, RdA 2007, 60, 61; Hromadka, NZA 2007, 838, 839 f.; Klammert/Mosch, NJW-Spezial 2014 zu Heft 8, 242, 242 f.; L. Weber, Strukturen, S. 186. Zur verwandten Diskussion um die Berücksichtigungsfähigkeit von Neben- und Doppelverdiensten sowie der privaten Vermögensverhältnisse vgl. ausführlich Stelljes, Grundlage, S. 153 ff. m. w. N. 1122 Dazu ausführlich oben § 6 E. III. 2. b); zum teleologischen Zusammenhang zwischen der nicht grenzenlos zulässigen personenbedingten Kündigung und den Kriterien persönlicher Abhängigkeit vgl. auch Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 242 und andeutungsweise Rebhahn, RdA 2009, 236, 244. 1123 Vgl. dazu schon oben 2. Kap. § 6 E. II. 2. a) und die Nachweise dort in Fn. 997. 1124 Auch für den grundsätzlich vom Arbeitgeber zu erbringenden Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 S 1 MuSchG existiert eine Regressmöglichkeit bei den Krankenkassen, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AAG.
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351
evtl. finanziellen Förderung während der Inanspruchnahme der Pflegezeit verpflichtet, §§ 2 Abs. 1 i. V. m. 3 Abs. 1 Nr. 1 b) PflegeZG1125. Auch soweit an eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitnehmers bestimmte Mindestanforderungen gestellt werden (regelmäßig erhebliche, schuldhafte Pflichtverletzung, zumeist Vorrang der Abmahnung)1126, lässt sich das teleologisch zum Teil mit den Kriterien persönlicher Abhängigkeit erklären1127. Weil der Arbeitnehmer einem engmaschigen Pflichtenprogramm unterworfen ist, er zu einem hohen Maße in die Organisationsstruktur des Arbeitgebers eingegliedert ist und er dessen Weisungen Folge zu leisten hat, ist die Gefahr des vertragswidrigen Verhaltens besonders groß. Auch deswegen – freilich neben der Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers bildet – soll ein Vertragsverstoß nicht in jedem Fall und ohne weiteres sogleich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen. c) Haftungsbeschränkungen Eine eindeutige alternative teleologische Zuordnung zu den Kriterien der persönlichen Abhängigkeit oder denjenigen wirtschaftlicher Abhängigkeit fällt auch für den Bereich der Rechtsfolgen der Haftungsbeschränkungen schwer. Sie wurden hier grundsätzlich dem Existenzschutz zugeordnet, weil ihr primärer Zweck in der Erhaltung der wirtschaftlich-existenziellen Lebensgrundlage des Arbeitnehmers liegt. Insofern steht sie auch in einem Sinnzusammenhang zu den Kriterien wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit1128. Die Rechtfertigung für eine Abweichung von allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen ähnelt hier derjenigen aus dem Bereich des Betriebsrisikos1129: Wer aus dem Betrieb eines Unternehmens und dank der Einschaltung eines Arbeitnehmers im Erfolgsfalle unternehmerischen Gewinn schlägt oder schlagen kann1130, dem kann grundsätzlich auch im ausnahmsweisen Falle des Eintritts eines von diesem Arbeitnehmer verursachten Schadens dieses Schadensrisiko 1125
Näher hierzu Preis, Individualarbeitsrecht, § 50 IV. 5. (S. 667 f.). Junker, Arbeitsrecht, Rn. 368 ff.; Kerwer, in: Boeken u. a. (Hrsg.), Gesamtes Arbeitsrecht, § 1 KSchG Rn. 760 ff. Preis, Individualarbeitsrecht, § 65 (S. 855 ff.). 1127 Zutreffend Rebhahn, RdA 2009, 236, 244; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 242. 1128 Für eine erweiterte Anwendung der Grundsätze auf die bloß wirtschaftlich abhängigen und sozial schutzbedürftigen arbeitnehmerähnlichen Personen auf Grund einer „vergleichbaren Schutzbedürftigkeit“ mit Arbeitnehmern HWK/Krause, § 619a BGB Rn. 20; Joussen, RdA 2006, 129, 136 f.; Krause, NZA 2003, 577, 582; Reinecke, ZIP 1998, 581, 588; dagegen Pallasch, RdA 2013, 338, 347; differenzierend Waltermann, RdA 2005, 98, 100 ff.; Schumacher, Haftung, S. 32 ff. 1129 Vgl. oben § 6 E. III. 3. a) bb). 1130 In diesem Zusammenhang weist Pallasch, RdA 2013, 338, 341 zutreffend auch auf das Arbeitnehmererfinderrecht hin, vgl. insbesondere §§ 6, 7 ArbnErfG. 1126
352 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
(teilweise) zugerechnet werden1131, § 254 BGB analog. Das gilt jedenfalls solange, als das Verhalten des Arbeitnehmers mit Blick auf den Schadenseintritt1132 nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht1133. Hinzu kommt, dass die in Rede stehenden Schadensersatzansprüche oftmals zu außerordentlichen Summen anwachsen, die der Arbeitnehmer aus seinem nur durchschnittlichen Lohn, den er zum größten Teil ohnehin zur Bewältigung der Lebenshaltungskosten wird aufwenden müssen, typischerweise nicht begleichen kann1134. Zudem hat der nur ein gewöhnliches Entgelt beziehende Arbeitnehmer – anders als der Arbeitgeber – regelmäßig auch gerade nicht die (finanzielle) Möglichkeit, sich gegen den Eintritt hoher Schäden besonders zu versichern1135. Konsequenterweise kann dann aber auch die Höhe des Arbeitsentgelts – in dem möglicherweise sogar eine Risikoprämie enthalten ist – grundsätzlich zu Lasten des Arbeitnehmers bei der Verteilung der Schadensquote berücksichtigt werden1136. Andererseits reagieren die Rechtsfolgen der Haftungsbeschränkungen gerade auf eine Gefährdungssituation, die sich aus der fremdorganisatorischen Eingliederung sowie der Unterordnung unter fremde Weisungen ergibt1137. Darauf deutet schon die grundsätzliche Voraussetzung der betrieblich veranlassten Tä1131 Preis, Individualarbeitsrecht, § 52 I. 1. (S. 685); Boemke, ZfA 1998, 286, 303 und dort Fn. 73; Zeuner, RdA 1975, 84, 87; Wank, Arbeitnehmer, S. 68; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 250. 1132 Grundlegend BAG AP Nr. 122 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Joussen, RdA 2006, 129, 129. 1133 Näher Preis, Individualarbeitsrecht, § 52 I. 1. (S. 686 f.); Pallasch, RdA 2013, 338, 342 ff. 1134 So schon das grundlegende Urteil ArbG Plauen ARS Bd. 29, 62, 62; ähnlich BAG AP Nr. 97 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Preis, Individualarbeitsrecht, § 52 I. 1. (S. 683); Joussen, RdA 2006, 129, 130; Krause, NZA 2003, 577, 579 f.; Pallasch, RdA 2013, 338, 339; Heuberger, Abhängigkeit, S. 140 f.; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 250 f.; zweifelnd BAG GS AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Wank, Arbeitnehmer, S. 66. 1135 BAG GS AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Joussen, RdA 2006, 129, 133; Pallasch, RdA 2013, 338, 339; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 251; Wank, Arbeitnehmer, S. 66 f.; ausführlich Waltermann, RdA 2005, 98, 107 f. 1136 Besonders deutlich BAG AP Nr. 97 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; daneben BAG GS AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; BAG AP Nr. 106 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; MünchArb/Reichold, § 51 Rn. 64; Preis, Individualarbeitsrecht, § 52 I. 1. (S. 686); Pallasch, RdA 2013, 338, 342; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 249, 250 f. Teilweise wird in diesen Fällen auch schon für die tatbestandliche Nichtanwendung der Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung plädiert, vgl. dazu etwa Fleck, in: FS Hilger/Stumpf, S. 197, 216; Waltermann, RdA 2005, 98, 100; vor allem mit Blick auf etwaige, sehr hohe Haftungssummen ablehnend aber Joussen, RdA 2006, 129, 131 f. (m. w. N. auch zur Gegenansicht dort in Fn. 126). 1137 Diesen Aspekt besonders betonend etwa Pallasch, RdA 2013, 338, 340 ff., 347 ff.; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 18; ders., ZAS 2008, 100, 112; Waltermann,
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tigkeit hin: Nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber selbst bestimmt kraft seiner Leitungsmacht die jeweils geschuldete Arbeitsleistung, er organisiert Arbeitsprozesse und technische Produktionsverfahren. Damit setzt er aber zugleich – wenn auch unverschuldet – entscheidend die Ausgangsbedingungen etwaiger Haftungs- und Schadensrisiken, denen der Arbeitnehmer gerade auf Grund seiner Weisungsgebundenheit weder tatsächlich noch rechtlich ausweichen kann1138. Dieser Zusammenhang wird beispielsweise deutlich, wenn eine umfangreiche Zuweisung von Arbeit, etwa die Anordnung von Überstunden, zu einer Ermüdung des Arbeitnehmers und letztere wiederum zum Eintritt eines Schadens führt1139. Auch die mitunter exorbitante Schadenshöhe geht regelmäßig gerade darauf zurück, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber Arbeitsmaterial von hohem Wert zur Verfügung gestellt bekommt1140, das der Arbeitnehmer auf Grund seiner arbeitsorganisatorischen Einbindung und vertraglichen Verpflichtung auch verwenden muss. IV. Zwischenergebnis Die Reduzierung des gesamten Regelungskomplexes „Arbeitsrecht“ auf einen einheitlichen Schutzzweck ist jedenfalls dann nicht möglich ist, wenn man aus einer solchen Feststellung konkrete Erkenntnisse für die Bestimmungskriterien des Arbeitnehmerbegriffes gewinnen möchte1141. Die aus diesem Grund notwendige Analyse arbeitsrechtlicher Rechtsfolgen hat in einem ersten Schritt gezeigt, dass sich diese Rechtsfolgen bündeln und im Wesentlichen zu den Bereichen des Berufsschutzes und des Existenzschutzes zusammenfassen lassen. Dabei zielt der Berufsschutz insbesondere auf eine Vermeidung von physischen und psychischen Gefahren bei der Berufsausübung sowie einen Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers. Der Existenzschutz bezweckt dagegen in seinem Kern einen Schutz der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Arbeitnehmers und dient damit vor allem einer Abwendung von finanziellen Gefahren. Der sodann in einem zweiten Schritt erfolgte Versuch, aus diesem Ergebnis teleologische Rückschlüsse für die Bestimmungsmerkmale des ArbeitnehmerbeRdA 2005, 98, 99; allgemeiner Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 243; Joussen, RdA 2006, 129, 130 ff. 1138 BAG GS AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; MünchArb/Reichold, § 51 Rn. 29; Joussen, RdA 2006, 129, 132; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 195; Pallasch, RdA 2013, 338, 339 ff.; i. E. auch Boemke, ZfA 1998, 286, 303; Rebhahn, RdA 2009, 236, 243; kritisch insoweit aber Wank, Arbeitnehmer, S. 65 f. 1139 Gamillscheg, in: FS Schwarz, S. 495, 500 f. mit weiteren Beispielen. 1140 BAG GS AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Preis, Individualarbeitsrecht, § 52 I. 1. (S. 683); Joussen, RdA 2006, 129, 132; Pallasch, RdA 2013, 338, 339. 1141 Ähnlich ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 37.
354 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
griffes zu ziehen, hat deutlich gemacht, dass das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit (insbesondere die Elemente der Weisungsunterworfenheit und arbeitsorganisatorische Eingliederung) eine zutreffende tatbestandliche Beschreibung derjenigen Gefährdungslage darstellt, vor der das Rechtsfolgenbündel des Berufsschutzes den Arbeitnehmer bewahren möchte. Dagegen sind die Rechtsfolgen des Existenzschutzes zu weiten Teilen nur dann teleologisch gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer in wirtschaftlich abhängiger und sozial schutzbedürftiger Weise auf sein Arbeitsverhältnis angewiesen ist. Besonders deutlich wurde dies im Bereich des Sozialschutzes und hier gerade dort, wo dem Arbeitgeber finanzielle und über das Austauschverhältnis hinausgehende Risiken aufgebürdet werden, die an sich in der Sphäre des Arbeitnehmers zu verorten wären. Nicht ausschließlich und monokausal erkennbar war ein solcher Zusammenhang allerdings für Teile des Bestandschutzes sowie in den Bereichen des Einstellungsschutzes, des Betriebsrisikos und der Haftungsbeschränkungen. V. Das teleologische Defizit des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes Greifen, wie im Falle des Arbeitsrechts, verschiedene Gesetze als Anwendungsvoraussetzung auf ein und denselben Begriff zurück, so muss dieser Begriff – möchte man ihn einheitlich teleologisch definieren – auch den Sinn und Zweck all dieser Gesetze mit ihren unterschiedlichen Rechtsfolgen widerspiegeln1142. Diesen Grundsatz und die soeben erfolgte Analyse vor Augen, wird das teleologische Defizit des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes schnell deutlich. Zwar wusste schon Alfred Hueck – einer der Urväter der heute geltenden Begriffsbestimmung –, dass die besondere Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers eine doppelte Grundlage hat und dass „den aus [der] persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit entspringenden Gefahren Schranken zu setzen, die erste und ursprünglich wichtigste Aufgabe des Arbeitsrechts“ ist1143. Doch zogen er, weite Teile der Literatur, mit ihr die höchstrichterliche Rechtsprechung und nun auch der Gesetzgeber in § 611a Abs. 1 BGB1144 daraus nicht die entsprechenden Konsequenzen für die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts. Vielmehr definierten und definieren sie den Arbeitnehmerbegriff auch heute noch ausschließlich über die bloß formal-organisatorisch verstandene Formel der persönlichen Abhängigkeit1145. Mit ihr lässt 1142 Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 193; Wank, in: FS Küttner, S. 5, 10, ders., RdA 2010, 193, 195; ders., Arbeitnehmer, S. 41; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 224; wohl auch Konzen, ZfA 1982, 259, 290; vgl. hierzu auch Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 316. 1143 A. Hueck, Anm. zu RAG ARS Bd. 4, 143, S. 146 (Hervorhebung nicht im Original); ebenso ders./Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 7 (S. 26). 1144 Zu Vorgaben und Grenzen des § 611a Abs. 1 BGB ausführlich unten § 7 B. 1145 Eine wirtschaftliche Interpretation dieses Merkmals vorschlagend Beuthien/Wehler, Anm. BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Wank, in: FS Küttner, S. 5, 11 f.; ders., ArbuR 2017, 140, 143.
§ 6 Methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen
355
sich allerdings nur das Rechtsfolgenbündel des Berufsschutzes, nicht aber jenes des Existenzschutzes teleologisch schlüssig erklären. Damit ist freilich nicht gesagt, dass die meisten derjenigen Beschäftigten, die nach der herrschenden Begriffsbildung als Arbeitnehmer eingestuft werden, auf den arbeitsrechtlichen Existenzschutz rechtstatsächlich nicht angewiesen wären. Regelmäßig ist das Gegenteil der Fall. Im praktischen Ergebnis entschärft wird das Defizit des fehlenden unmittelbaren Sinnzusammenhangs zwischen den momentan geltenden Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts und weiten Teilen des Existenzschutzes nämlich durch den bereits oben im Rahmen der historischen Untersuchung ausführlich dargestellten faktischen Gleichlauf zwischen persönlicher Abhängigkeit auf der einen Seite und wirtschaftlicher Abhängigkeit sowie sozialer Schutzbedürftigkeit auf der anderen Seite1146. Dieser Zusammenhang ist aber ein bloß mittelbarer und idealtypischer; die Definition der herrschenden Meinung versagt daher gerade dort, wo der beschriebene Gleichlauf ausnahmsweise unterbrochen ist. Hier zeigt sich die Schwäche und Unvollkommenheit der geltenden Begriffsbestimmung und aus diesem Grund ist eine Beschränkung der Anwendungsvoraussetzungen des gesamten Arbeitsrechts ausschließlich auf Merkmale der persönlichen Abhängigkeit aus teleologischer Sicht kaum zu rechtfertigen. Die Gesamtheit der arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen wird auf der Tatbestandsseite vielmehr nur dann teleologisch zutreffend abgebildet, wenn eine Definition des Arbeitnehmerbegriffes gleichermaßen auf die Kriterien der persönlichen und der wirtschaftlichen Abhängigkeit sowie der sozialen Schutzbedürftigkeit Bezug nimmt1147.
F. Ergebnis Die methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts hat ergeben, dass eine Berücksichtigung der Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit kumulativ neben jenen der persönlichen Abhängigkeit bei der inhaltlichen Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes „erforderlich“ ist1148. Zwar zeigte sich der Wortlaut insoweit unergiebig. Dementsprechende Hinweise ließen sich aber – vorerst unter Ausklammerung des § 611a Abs. 1 BGB – einer systematischen Betrachtung des geltenden Arbeitsrechts entnehmen. Insbesondere die teilweise Erstreckung des Arbeitsrechts auf arbeitnehmerähnliche 1146
Vgl. oben § 6 D. I. 2. b) bb) (1). Wank, in: FS Küttner, S. 5, 11; sinngemäß auch ders., Arbeitnehmer, S. 82 ff. 1148 Ähnlich mit erfrischender Deutlichkeit für die wirtschaftliche Abhängigkeit auch – und nur – Maties, in: FS Wank, S. 323, 328 und 330 f.; im Ergebnis auch U. Fischer, FA 2017, 34, 36. 1147
356 2. Kap.: Die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien
Personen, der Inhalt des § 12 Abs. 1 Nr. 1 TVG sowie der beschränkte Aussagegehalt des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB sprechen trotz kleinerer Ungereimtheiten für diese Lösung. Die gleiche Erkenntnis ließ sich aus einer historischen Betrachtung folgern. Ursprünglich waren wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit gleichberechtigte Merkmale des Arbeitnehmerbegriffes. Der im Laufe der Rechtsprechungsgeschichte erfolgte Verzicht auf wirtschaftliche Kriterien lässt sich nur zeitgeschichtlich und mit einem regelmäßigen Gleichlauf von persönlicher Abhängigkeit einerseits und wirtschaftlicher Abhängigkeit sowie sozialer Schutzbedürftigkeit andererseits schlüssig erklären. Dieser Zusammenhang ist heute aber rechtstatsächlich vermehrt unterbrochen. Zuletzt wurde gezeigt, dass der Arbeitnehmerbegriff nur dann teleologisch zutreffend bestimmt ist, wenn er kumulativ neben den Elementen persönlicher Abhängigkeit auch solche wirtschaftlicher Abhängigkeit sowie sozialer Schutzbedürftigkeit enthält. Denn nur in diesem Fall steht er auch in einem unmittelbaren Sinnzusammenhang zu dem zweiten großen Rechtsfolgenbündel des Arbeitsrechts, dem Existenzschutz.
3. Kapitel
Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien bei der Anwendung des Arbeitsrechts 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Nachdem soeben in Kapitel 2 die Frage untersucht und bejaht worden ist, ob die Beachtung wirtschaftlicher Kriterien – wirtschaftliche Abhängigkeit sowie soziale Schutzbedürftigkeit – bei der Anwendung des Arbeitsrechts rechtsdogmatisch grundsätzlich indiziert ist, stellt sich nun freilich die Frage, inwieweit diese tatsächlich berücksichtigt werden können. Da Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich eine Normsetzungsprärogative des Gesetzgebers statuiert1 und damit die Pflicht der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung begründet, sich bei der Gesetzesanwendung an Gesetz und Recht zu halten, soll zunächst untersucht werden, ob und gegebenenfalls wie sich das gefundene Ergebnis – insbesondere auch unter Beachtung des § 611a Abs. 1 BGB – überhaupt mit dem geltenden Recht vereinbar umsetzen lässt (dazu sogleich § 7). Erst anschließend soll dargestellt werden, wie eine Lösung de lege ferenda aussehen könnte (dazu unten § 8).
§ 7 Möglichkeiten de lege lata: Rechtsprechungsänderungzum Arbeitnehmerbegriff? Als eine Möglichkeit der Umsetzung der bislang erzielten Ergebnisse – die kumulative Berücksichtigung der Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit bei der Anwendung des Arbeitsrechts – kommt zunächst eine Änderung der Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff in Betracht. Die Möglichkeiten und Grenzen einer Neudefinition haben sich auf Grund der aus Art. 20 Abs. 3 GG fließenden Bindung an Gesetz und Recht insbesondere an den positivrechtlichen Rahmenbedingungen des einfachen Rechts zu orientieren. Dabei müssen zum einen die mittelbar-systematischen Vorgaben des Arbeitsrechts eingehalten werden 2 (dazu sogleich A.). Zum anderen müsste eine abweichende Begriffsbestimmung auch im Lichte des § 611a Abs. 1 BGB möglich sein (unten B.). 1
Boemke, ZfA 1998, 286, 290; ders., Schuldvertrag, § 6 III. 1. Boemke, ZfA 1998, 285, 291 und 297; allgemein Ch. Fischer, ZfA 2002, 215, 223, 226 ff. 2
358 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
A. Mittelbar-systematische Vorgaben Die mittelbar-systematischen Vorgaben sind bereits oben ausführlich untersucht worden. Inhaltlich konnte eine Zusammenschau der zentralen Gesichtspunkte – § 84 Abs. 1 S. 2 HGB sowie die Existenz der arbeitnehmerähnlichen Personen – zwar keine durchgängig logische und widerspruchsfreie Lösung zu Tage fördern3. Diese gesetzliche Ausgangslage eröffnet den Gerichten damit aber zugleich eine Reihe vertretbarer Möglichkeiten bei der Ausgestaltung des Begriffes „Arbeitnehmer“4. Innerhalb dieser Schranken muss sich das BAG mit seiner Definition des Arbeitnehmerbegriffes allerdings stets bewegen. In diesem Sinne ist die wichtigste Einschränkung die grundsätzliche Existenz der arbeitnehmerähnlichen Personen. So ließe etwa eine solche Definition des Arbeitnehmerbegriffes, die sich allein an den Voraussetzungen wirtschaftlicher Abhängigkeit orientierte, die Kategorie der Arbeitnehmerähnlichen obsolet werden. Sie durchbräche die gesetzliche Systematik einer Dreiteilung der Beschäftigungsformen (Arbeitnehmer, Arbeitnehmerähnliche, Selbständige) und wäre damit im Ergebnis eine Rechtsfortbildung contra legem, die der besonderen Rechtfertigung bedürfte5. Insoweit hat die vorliegende Untersuchung aber ergeben, dass die systematischen, historischen und teleologischen Vorgaben keine vollständige Neudefinition des Arbeitnehmerbegriffes im Sinne einer ausschließlichen Orientierung an wirtschaftlichen Kriterien indizieren. Die persönliche Abhängigkeit soll und muss nicht durch eine wirtschaftliche Abhängigkeit ersetzt werden. Vielmehr müssen wirtschaftliche Aspekte kumulativ neben den Aspekten der persönlichen Abhängigkeit Berücksichtigung finden. Aus dem Anwendungsbereich des Arbeitsrechts würden im Wege einer solchen Vorgehensweise nur diejenigen ausgeschieden, die zwar persönlich, nicht aber wirtschaftlich abhängig sind (wirtschaftliche Abhängigkeit „erforderlich“). Damit wäre aber nicht jeder wirtschaftlich Abhängige zugleich schon Arbeitnehmer. Für den bloß wirtschaftlich – nicht aber persönlich – Abhängigen bliebe damit weiterhin nur die Einordnung als arbeitnehmerähnliche Person (wirtschaftliche Abhängigkeit nicht „ausreichend“). Der Anwendungsbereich dieser gesetzlich vorgeschriebenen Kategorie bliebe damit im Ergebnis unangetastet und sogar unverändert. Die Gesetzesbin3
Vgl. dazu insbesondere oben § 6 C. III. 3. Hilger, RdA 1981, 265, 266; ähnlich auch BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Küchenhoff, Anm. zu BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit; im Ausgangspunkt wie hier, aber mit anderem Ergebnis Boemke, ZfA 1998, 285, 291 und 297 ff. 5 Insoweit zutreffend ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 58; Hromadka, NZA 1997, 569, 576; in diesem Sinne auch Buchner, NZA 1998, 1144, 1150 („systemdurchbrechende Rechtsfortbildung“); Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 19 („juristisches und rechtspolitisches Abenteuer“); Hanau, DB 1998, 69, 73 f. (grundsätzlich „dem Gesetzgeber vorbehalten“) und Reinecke, ZIP 1998, 581, 587 f. 4
§ 7 Möglichkeiten de lege lata: Rechtsprechungsänderung
359
dung des Richters6, Art. 20 Abs. 3 GG, würde insoweit nicht tangiert. Daneben hat der Gesetzgeber weitere mittelbare Voraussetzungen für eine Begriffsbestimmung inzident mit dem TzBfG vorgegeben: Die Arbeitnehmereigenschaft kann danach nicht zwingend damit ausgeschlossen werden, dass ein Beschäftigter bloß in geringem Umfang oder nur für geringe Dauer für einen anderen tätig wird.
B. Vorgaben und Grenzen des § 611a Abs. 1 BGB Mit Gesetz vom 27. 02. 2017 wurde mit Wirkung zum 01. 04. 2017 zudem § 611a BGB ins Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt7. Die Norm ist – neben den soeben ausgeführten prinzipiellen mittelbar-systematischen Erwägungen – nunmehr der zentrale Anknüpfungspunkt für jegliche Rechtsprechung(sänderung) des BAG zum Arbeitnehmerbegriff 8 – und damit auch für die Frage, ob und wieweit dieser durch wirtschaftliche Kriterien ergänzt bzw. beschränkt werden kann. Die Vorschrift ist – trotz des freilich sehr begrüßenswerten Versuchs, eine „Jahrhunderaufgabe“9 zu lösen und die Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts endlich positivrechtlich niederzulegen – kein Glanzstück des Gesetzgebers10. § 611a Abs. 1 6 Vgl. dazu ausführlich Biaggini, Richterrecht, S. 278 ff.; Langenbucher, Richterrecht, S. 111 ff. 7 BGBl. I 2017, S. 258. 8 Die Allgemeingültigkeit der Regelung ist auch ob ihres Standortes im BGB unbestritten, vgl. in diesem Sinne etwa BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Vor Rn. 1 und Rn. 6; Wank, ArbuR 2017, 140, 140. 9 So Henssler, RdA 2016, 18, 18; ders., RdA 2017, 83, 84; ähnlich Uffmann, NZABeil. 2016, 5, 7 f. Angesichts der Komplexität und der Bedeutung dieser Aufgabe, an die sich der Gesetzgeber über 100 Jahre lang nicht herangewagt hat, überrascht es freilich, dass die Vorschrift letztlich nur ein Nebenprodukt der AÜG-Reform ist (vgl. dazu etwa BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a Rn. 1 f.; Henssler, RdA 2017, 83, 83). Dass § 611a Abs. 1 BGB außerdem zu dem eigentlichen Anliegen der Reform, nämlich Werkvertragsentsendung und Arbeitnehmerüberlassung voneinander abzugrenzen, also einen Missbrauch in einem Dreiecksverhältnis vorzubeugen, nichts Substantielles beiträgt (vgl. Henssler, RdA 2017, 83, 85 f.), war dem Gesetzgeber dabei wohl selbst nicht ganz klar, vgl. BT-Drs. 18/9232, S. 31. 10 Insgesamt kritisch auch Böhm, NZA 2017, 494, 496 f.; Deinert, RdA 2017, 65, 71 f.; U. Fischer, FA 2017, 34, 34 („überflüssig weil fehlerhaft“); Richardi, NZA 2017, 36, 36; Wank, ArbuR 2017, 140, 141 und passim; Zieglmeier, DStR 2016, 2858, 2859 sowie Zundel, NJW 2017, 132, 132 f. Kritik zu dem im Ergebnis wenig veränderten Regierungsentwurf findet sich bei Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 12; kritisch hierzu auch die Stellungnahmen der Sachverständigen Thüsing, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 31, Henssler, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 41 ff. und Brors, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 55 sowie des DGB, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 10 , 21 und des WSI, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 67. Begrüßend dagegen die Stellungnahme der BDA, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 32. Die Kodifizierung als „Beitrag zur verbesserten Transparenz“ lobend, ansonsten aber eher kritisch Henssler, ZAP 2017 Fach 17, 1231, 1234 und ähnlich ders., RdA 2017, 83, 86. BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Rn. 4 betont mit Blick auf die Gewaltenteilung
360 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
BGB knüpft zwar mit Blick auf die systematische Verortung der Vorschrift im Untertitel des BGB zum Dienstvertrag methodisch zutreffend an den Begriff des Arbeitsvertrages an. Gleichzeitig werden aber, worauf die Gesetzesbegründung auch ausdrücklich hinweist, „Leitsätze“ (gemeint sind Obersätze11) aus neueren Entscheidungen des BAG zum Arbeitnehmerbegriff wortwörtlich abgeschrieben12. Diese Vorgehensweise ist aber nicht nur deshalb problematisch, weil dadurch ohne große semantische Anpassung Arbeitsvertrag und Arbeitnehmerbegriff verquickt sowie die tatsächlich bestehende richterrechtliche Rechtslage nur verkürzt wiedergegeben wird13. Sie hat auch deswegen wenig Aussicht auf ein letztlich widerspruchsfreies Ergebnis, weil höchstrichterliche Obersätze zwar regelmäßig mit Bedacht formuliert sein mögen, sie indes aber oftmals – so auch hier – kein in sich abgeschlossenes dogmatisches Konzept verfolgen14. Das alles führt letztlich zu das Verdienst des Gesetzgebers, die Rechtsprechungsgrundsätze legislativ verankert zu haben. Er übt (a. a. O. Rn. 7) aber auch Kritik an der Unübersichtlichkeit der Norm. Auch Thüsing (zitiert nach Eisfeld, NZA 2017, 103, 105) spricht plastisch von einer „copy ‚n’ paste“-Gesetzgebung, die „nutzlos, aber unschädlich“ sei; ähnlich Hromadka, NZA-Editorial 2017, Heft 12/2017: „alter Wein in neuen Schläuchen“. 11 Die Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf (BT-Drs. 18/9232, S. 31) war zwar der Ansicht, die Vorschrift „unter wörtlicher Wiedergabe der Leitsätze“ des BAG zu formulieren. Das ist allerdings nicht ganz zutreffend. Keines der im Gesetzgebungsverfahren in Bezug genommenen Urteile (vgl. die Auflistung bei BT-Drs. 18/9232, S. 32) weist entsprechende Leit- oder auch Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG auf. In BAG AP Nr. 123 zu § 611 BGB Abhängigkeit, BAG NZA 2012, 731, 731 f., BAG NZA 2015, 101, 102 und BAG NZA-RR 2016, 344, 346 findet sich aber die nunmehr Gesetz gewordene Passage als „Blaupause“ (Henssler, RdA 2017, 83, 84) in den Obersätzen anfangs der Entscheidungsgründe (ähnlich etwa auch BAG NZA 2013, 1348, 1350, BAG NZA-RR 2016, 288 ff. sowie BAG NZA 2017, 244, 246). 12 Polemische Kritik zur Methode des Gesetzgebers, die Obersätze des BAG wörtlich wiederzugeben findet sich – in der Sache zutreffend – etwa bei Richardi, NZA 2017, 36, 36. Ähnlich auch mit Blick auf die vorangegangene Entwurfsfassung Böhm, NZA 2017, 494, 497. Nach Hamann, ArbuR 2016, 136, 136, hat der Gesetzgeber mit dieser Vorgehensweise zumindest „wenig falsch“ gemacht. Tiefergehende Kritik zu dieser Methode bei Wank, ArbuR 2017, 140, 144, 153 und passim. 13 Problematisch ist vor allem, dass die notwendig verkürzten Obersätze oftmals die „Essenz der Urteilsgründe“ (Wank, ArbuR 2017, 140, 141) nur unzureichend wiedergeben. Gerade die Obersätze des BAG bestehen oftmals aus – im exakten Wortlaut eher zufällig erscheinenden und von Zeit zu Zeit veränderten – Textbausteinen, die einen tradierten und allseits bekannten Leitgedanken nur abstrakt formulieren, ohne dabei – aus sich selbst heraus – die gegenwärtige Nuancierung der Rechtsprechung im Detail widerzuspiegeln (Wank, ArbuR 2017, 140, 141 spricht insoweit treffend von einem „stereotypen Vorspann“). Diese ergibt sich oftmals erst aus der genauen Subsumtion des BAG unter die vorangestellte Formel, vgl. hierzu auch Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 7, 12. 14 Da sich eine ständige Rechtsprechung immer auch aus vorangegangenen Entscheidungen sowie dem jeweiligen Kontext erschließt, ist dies auch nicht zwingend notwendig. Dagegen wäre es die Aufgabe des Gesetzgebers, eine solche ständige Rechtsprechung – auch mit Hilfe der systematisierenden Lehre – aufzuarbeiten und dogmatisch wider-
§ 7 Möglichkeiten de lege lata: Rechtsprechungsänderung
361
einem umfangreichen, semantisch nicht durchgehend geglückten und damit zum Teil verwirrenden Gesetzestext. Um den Inhalt des § 611a Abs. 1 BGB dennoch strukturiert zu erschließen, werden zunächst die Sätze 1 – 3 (dazu sogleich I.) betrachtet; sie bilden den definitorischen Kern der neuen Vorschrift. Anschließend werden die Sätze 4 und 5 (unten II.) untersucht15. Da § 611a Abs. 1 BGB im Ergebnis eine kumulative Berücksichtigung der Kriterien der wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit verhindert, schließt sich unmittelbar die Frage nach einer möglichen teleologischen Reduktion der Vorschrift an (unten III.). Ausgehend vom Wortlaut werden im Folgenden insbesondere die (Binnen-)Systematik und die Entstehungsgeschichte des § 611a Abs. 1 BGB berücksichtigt. Letztere wird dabei – angesichts der bewegten Genese im Gesetzgebungsverfahren16 sowie der zeitlichen Nähe des Gesetzgeberwillens – besonders bedeutsam sein. Dagegen kann und muss auf eine objektiv-teleologische Betrachtung an dieser Stelle verzichtet werden: Eine solche müsste sich zum einen in den obigen Ausführungen (§ 6 E.) erschöpfen; zum anderen kann ihr angesichts der Aktualität von Norm und ausdrücklich geäußertem gesetzgeberischem Willen bei der Auslegung letztlich auch kein entscheidendes Gewicht zukommen17. I. § 611a Abs. 1 S. 1 – 3 BGB: Definitorischer Kern § 611a Abs. 1 S. 1 – 3 BGB bilden das Herzstück bzw. den definitorischen Kern der neuen Vorschrift. Im Folgenden werden zunächst die Sätze 1 und 2 (sogleich 1.) im Zusammenhang betrachtet, bevor nach einer kurzen Einordnung der Bedeutung des Satzes 3 (anschließend 2.) eine erste Schlussfolgerung im Hinblick auf die Berücksichtigungsmöglichkeit der Kriterien wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit gezogen wird (unten 3.).
spruchsfrei umzusetzen (ähnlich schon vor Verabschiedung des Gesetzes der Sachverständigenhinweis Thüsings, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 31; ähnliche Kritik auch bei Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 12). Zur Verteidigung des Gesetzgebers mag man die harsche Kritik der Literatur am ersten Referentenentwurf anführen. Auch die mit der Einführung der Vorschrift verbundenen politischen Kontroversen mögen dazu beigetragen haben, dass er sich letztlich auf eine – nur seiner Ansicht nach – unangreifbare Methode zurückgezogen hat (in diesem Sinne etwa Wank, ArbuR 2017, 140, 150). 15 Satz 6 ist für die Untersuchung an dieser Stelle ohne Bedeutung. 16 Ähnlich – mit Blick auf die AÜG-Reform insgesamt – Wank, RdA 2017, 100, 100. 17 Ähnlich Preis, in: FS Wank, S. 413, 422; vgl. allgemein zur Gewichtung der verschiedenen Auslegungsmethoden statt vieler BVerfG NJW 2011, 836, 837 f.; Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 799 f.
362 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
1. § 611a Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB In § 611a Abs. 1 S. 1 und 2 BGB heißt es: „Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen.“
a) Vom Arbeitnehmerbegriff zum Arbeitsvertrag Insoweit fällt zunächst ins Auge, dass der Gesetzgeber entgegen der bisher in ständiger Rechtsprechung praktizierten Methode des BAG zur Abgrenzung des arbeitsrechtlichen Anwendungsbereichs nicht unmittelbar an den Begriff des Arbeitnehmers, sondern an denjenigen des Arbeitsvertrages anknüpft („durch den Arbeitsvertrag […]“). Angesichts der systematischen Stellung der Norm im Gesamtgefüge des BGB ist dies nicht nur konsequent, sondern letztlich auch methodisch zwingend und damit begrüßenswert18: Die Norm befindet sich im 2. Buch des BGB, das das Recht der Schuldverhältnisse zum Gegenstand hat. Im dortigen Abschnitt 8 werden die einzelnen Schuldverhältnisse behandelt, unter denen sich im Titel 8 der Dienstvertrag und ähnliche Verträge finden. In dessen Untertitel 1 wird schließlich der Dienstvertrag – dessen besondere Form der damit grundsätzlich richtig verortete Arbeitsvertrag ist19 – genannt. Insofern wird deutlich, dass das BGB hier nur Verträge regelt und die verschiedenen Vertragstypen über ihre jeweiligen charakteristischen Hauptleistungspflichten und nicht über die durch sie verpflichteten und berechtigten (Privat-)Personen abgegrenzt werden müssen. Diese zutreffende Regelungstechnik alleine bedeutet indes freilich noch keinen Bruch mit der zuvor bestehenden richterrechtlichen Rechtslage. Im Gegenteil wendet sich schon § 611a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB wieder dem Arbeitnehmer zu 20, der durch den Arbeitsvertrag „im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet“ 18 Ebenso BeckOK-BGB/Fuchs, § 611a Rn. 1; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a Rn. 3; Schaub/Vogelsang, Arb-Hdb, § 8 Rn. 1 und Wank, ArbuR 2017, 140, 141. 19 BeckOK-BGB/Fuchs, § 611a Rn. 1.; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Rn. 8; Deinert, RdA 2017, 65, 71; Lembke, NZA 2017, 1, 12; Wank, ArbuR 2017, 140, 140; siehe hierzu auch BT-Drs. 18/10064, S. 17. Die Verortung ist jedenfalls solange zutreffend wie das Arbeitsvertragsrecht nicht gesondert kodifiziert ist (vgl. zu diesem Aspekt Wank, ArbuR 2017, 140, 140). 20 Eine solche Vorgehensweise fügt sich im Übrigen ohne weiteres ins BGB ein. Beispielsweise auch die §§ 433 Abs. 1 und 631 Abs. 1 BGB nehmen unmittelbar Bezug auf den jeweiligen Sachschuldner und konkretisieren den Anwendungsbereich des Kauf- und Werkvertragsrecht sogleich durch eine Beschreibung dessen charakteristischer Hauptleistungspflichten.
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wird. Schon ein systematischer Blick auf die folgenden Sätze macht deutlich, dass der Gesetzgeber zwar den Arbeitsvertrag geregelt, er dabei aber implizit auch den Arbeitnehmerbegriff normiert und definiert hat21. Der Anwendungsbereich des Arbeitsrechts kann damit nach wie vor entscheidend vom Begriff des Arbeitnehmers her bestimmt werden22. Dass genau dies auch das Ziel des Gesetzgebers war, zeigt auch ein kurzer Blick auf die bewegte Entstehungsgeschichte der Norm23. Der erste Referentenentwurf des § 611a BGB vom 16. 11. 201524 knüpfte regelungstechnisch zwar ebenfalls ausdrücklich an den Begriff des Arbeitsvertrages an 25. Nachdem dieser insbesondere auf Grund eines im dortigen Abs. 2 BGB enthaltenen Indizienkatalogs im Schrifttum beinahe einhellige und mitunter herbe Kritik erfahren hatte26, wollte sich der Gesetzgeber anschließend auf eine scheinbar unangreifbare Position zurückziehen. Um das von ihm an sich von Anfang an verfolgte Regelungsziel einer „1:1-Kodifikation“ der Rechtsprechung zu erreichen 27, schlug der Regierungsentwurf vom 20. 07. 2016 unter wortwörtlicher Wiedergabe der Obersätze des BAG28 – und damit unter unmittelbarer Anknüpfung an den Arbeitnehmerbegriff – folgende Fassung vor: „Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann; der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ist eine Ge21 Ähnlich BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a Vor Rn. 1 und Rn. 6; Henssler, RdA 2017, 83, 84 und 87; Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418, 419; Wank, ArbuR 2017, 140, 140. 22 Dogmatisch korrekt müsste nun wohl vom Inhalt des vom Arbeitnehmer abgegebenen Leistungsversprechens ausgegangen werden. In der Sache sind damit aber keine Unterschiede verbunden. 23 Zusammenfassend etwa Henssler, RdA 2017, 83, 83; ausführlicher Wank, ArbuR 2017, 140, 141 f. 24 Abrufbar etwa unter https://www.arbrb.de/media/Entwurf_AUEG_Werkvertraege.pdf (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). 25 Diesen Gesichtspunkt ausdrücklich lobend etwa Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 7. 26 Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 7 ff. spricht – die Kritik zusammenfassend und selbst Kritik übend – von einem „Proteststurm“. Neben dem Indizienkatalog wurde kritisiert, dass der Entwurfstext den Begriff der persönlichen Abhängigkeit nicht ausdrücklich nannte und er in Abs. 3 eine wenig geglückte Vermutungsregelung für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses enthielt, vgl. zu alledem ausführlich etwa Henssler, RdA 2016, 18, 19 ff. und Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 55 ff. Die gesetzgeberische Herangehensweise des Referentenentwurfs dagegen ausdrücklich begrüßend Wank, EuZA 2016, 143, 159 ff. 27 Vgl. BT-Drs. 18/9232, S. 4 und 18; ebenso BR-Drs. 294/16, S. 13 und BT-Drs. 18/10064, S. 4. 28 Vgl. zu dieser diskutablen Vorgehensweise schon soeben Fn. 11 – 13.
364 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
samtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.“
Auch der nunmehrige Vorstoß des Gesetzgebers blieb – zu Recht – nicht ohne Kritik. Im Anschluss an die am 17. 10. 2016 erfolgte öffentliche Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales29 reagierte der Gesetzgeber insbesondere auf die regelungstechnisch-methodisch verfehlte unmittelbare Anknüpfung an den Begriff des Arbeitnehmers und nahm die semantische Anpassung hin zum Arbeitsvertrag vor. Davon abgesehen erließ er die Vorschrift aber weitgehend unverändert30. Dabei stellte der federführende Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung vom 19. 10. 2016 auch ausdrücklich klar, dass die Änderungen am Wortlaut des Regierungsentwurfes rein redaktioneller und nicht inhaltlicher Natur seien, insbesondere da die Begriffsbestimmung zum Arbeitsvertrag ohnehin den Arbeitnehmer als dessen Vertragspartei umfasse31. b) Persönliche Abhängigkeit, Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung – betriebliche Eingliederung? § 611a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB definiert damit also den Arbeitnehmer, und zwar seinem Wortlaut nach als „im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet“. Bereits an dieser Stelle wird erstmalig die schon benannte Schwäche des Vorgehens des Gesetzgebers deutlich werden, stereotype Obersätze des BAG zu paraphrasieren, ohne sie zuvor in den Gesamtzusammenhang der ständigen Rechtsprechung einzuordnen und diese auch mit Hilfe der strukturierenden Lehre methodisch sauber aufzuarbeiten. 29 Vgl. die Zusammenfassung unter BT-Drs. 18/10064, S. 9 ff., insbes. S. 15 und ausführlich BT-Ausschussdrs. 18(11)761 (passim). 30 In der endgültig Gesetz gewordenen Fassung ist in S. 1 zudem der Hinweis auf den „privatrechtlichen“ Vertrag entfallen. Das Element war aber freilich überflüssig geworden, da die Norm im Eingangssatz nunmehr schon unmittelbar an den „Arbeitsvertrag“ anknüpft. Auf Hinweis der Sachverständigen (vgl. Henssler, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 42) wurde in S. 2 außerdem auf das Element der „Dauer“ verzichtet, um einen Wortlautwiderspruch mit § 106 GewO zu vermeiden und zudem klarzustellen, dass die monatliche Arbeitspflicht als vertragliches Kernelement in der Regel nicht dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, vgl. hierzu Henssler, RdA 2017, 83, 85 und Wank, ArbuR 2017, 140, 146 (anderes kann ausnahmsweise bei der Anordnung von Überstunden oder dann gelten, wenn – wie im Falle der Lizenzfußballer – der Arbeitsumfang vertraglich überhaupt nicht festgelegt ist, vgl. dazu oben § 2 IV. 1. a)). Außerdem wurde zur Vermeidung von Missverständnissen in S. 3 der arbeitsrechtlich untechnische Begriff des „Mitarbeiters“ gestrichen. Vgl. zu alledem auch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drs. 18/10064, S. 17. 31 BT-Drs. 18/10064, S. 17. Vgl. hierzu etwa BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a Rn. 2; Deinert, RdA 2017, 65, 71; Wank, ArbuR 2017, 140, 141.
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aa) Persönliche Abhängigkeit als Oberbegriff Das Gesetz nennt zur Beschreibung des Arbeitnehmers in S. 1 Hs. 2 nämlich drei Merkmale: Weisungsgebundenheit, Fremdbestimmung und persönliche Abhängigkeit. Dabei ist das Verhältnis dieser Begriffe zueinander alleine aus dem Wortlaut heraus nicht ohne weiteres verständlich32. Erst mit Blick auf die weiteren Sätze 2 – 5 der Vorschrift – in zusätzlicher Kenntnis der bisherigen regelmäßigen Handhabung durch das BAG33, die der Gesetzgeber letztlich umsetzen wollte – lässt sich erschließen, dass die persönliche Abhängigkeit weiterhin als Oberbegriff fungieren und den Arbeitnehmer entscheidend definieren soll34. Nimmt man den Wortlaut des § 611a Abs. 1 S. 1 BGB ernst, so soll dieser Oberbegriff nun in erster Linie durch die scheinbar eigenständigen und gleichberechtigten Unterbegriffe der Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung konkretisiert werden. Allerdings ergeben sich bei einer solchen Sichtweise weitere Auslegungsschwierigkeiten, da der Gesetzgeber – neben der bekannten Weisungsgebundenheit – mit der „Fremdbestimmung“ ein bislang wenig beachtetes Merkmal verwendet. Auch diesen Begriff hat der Gesetzgeber zwar wörtlich vom BAG übernommen; in der Rechtsprechung des Gerichts kam ihm aber bislang nicht die Bedeutung eines eigenen rechtstechnischen Abgrenzungsmerkmals zu. Er fungierte eher – möchte man ihm überhaupt eine eigenständige Funktion beilegen – als allgemeine Auslegungsdirektive, die die Unselbständigkeit des Arbeitnehmers betonte35. Dagegen wird das zweite Kernelement, aus dem sich der Oberbegriff der persönlichen Abhängigkeit traditionell zusammensetzt – die Eingliederung in eine fremde Betriebsstruktur bzw. Arbeitsorganisation – in § 611a Abs. 1 BGB überhaupt nicht mehr ausdrücklich genannt, was freilich die Frage nach dessen Schicksal aufwirft36 (dazu unten cc)). bb) Weisungsgebundenheit Nähert man sich auf einer inhaltlichen Ebene zunächst dem im Gesetz ausdrücklich normierten Unterbegriff der Weisungsgebundenheit, so gilt Folgendes: 32 Ebenso
Hromadka, NZA-Editorial 2017, Heft 12/2017. hierzu statt vieler Thüsing, NZA 2015, 1478, 1478; ders., BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 31; ausführlich Wank, ArbuR 2017, 140, 144. 34 Wank, ArbuR 2017, 140, 144. Ein solches Verständnis liegt im Übrigen ersichtlich auch § 7 Abs. 1 SGB IV zu Grunde, der sich ebenfalls an der Rechtsprechung des BAG orientiert. In diesem Sinne wohl auch Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 56 und 65. 35 Kritisch auch Hromadka, NZA-Editorial 2017, Heft 12/2017, der ebenfalls die Frage aufwirft, ob es sich um Tautologien oder um – kaum zu unterscheidende – kumulativ zu prüfende Merkmale handelt. Letztlich habe der Gesetzgeber „dreimal Weisungsgebundenheit“ normiert. 36 Vgl. dazu nur Deinert, RdA 2017, 65, 71. 33 Vgl.
366 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
An Weisungen gebunden ist schon dem natürlichen Sprachgebrauch nach derjenige, der eine Anordnung oder einen Hinweis zu beachten hat, wie etwas zu tun ist oder wie er sich verhalten soll37. Dieses formale Verständnis der Weisungsbindung wird zwar in einer ersten Stellungnahme von Wank in Frage gestellt. Aufbauend auf seiner – grundsätzlich zu begrüßenden – Forderung nach einem teleologisch gebildeten Arbeitnehmerbegriff, sieht er in der gesetzlichen Kodifizierung des Arbeitnehmerbegriffes in § 611a Abs. 1 BGB die Chance zu einer neuen inhaltlichen Akzentuierung: Entscheidend sei nicht die Ausübung formaler Weisungen, sondern es müssten stets unternehmerisch relevante Weisungen vorliegen, die dem Arbeitnehmer letztlich die Möglichkeit nähmen, unternehmerisch am Markt aufzutreten und dort seine eigenen Chancen zu suchen und Risiken einzugehen38. Indes wird eine solche Interpretation schon durch die Binnensystematik der Vorschrift, insbesondere durch § 611a Abs. 1 S. 2 BGB nicht gestützt. Dort heißt es: „Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen“.
Die Vorschrift ist in ihrem Wortlaut missglückt; sie scheint von ihrer Formulierung her an ein bereits in S. 1 ausdrücklich erwähntes Weisungsrecht anzuknüpfen. Dort war allerdings gerade spiegelbildlich nur von der Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers die Rede. Indem der Gesetzgeber nunmehr die Gläubigerperspektive einnimmt, liest sich S. 2 daher wie eine Normierung der Rechtsfolgen des Arbeitsvertrages39 – lediglich der bereits eingeweihte Arbeitsrechtler weiß ohne zögern, dass damit zugleich dessen Tatbestandsvoraussetzungen beschrieben werden sollen. Inhaltlich konkretisiert die an § 106 GewO angelehnte40 Norm – das Verhältnis beider Vorschriften zueinander ist einstweilen unklar41 – aber ohne Zweifel die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers in 37
Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 4470 (Bd. 10). Wank, ArbuR 2017, 140, 143; ähnlich bereits ders., EuZA 2016, 143, 161 zu § 611a Abs. 1 BGB in der Fassung des Referentenentwurfs. 39 So auch Deinert, RdA 2017, 65, 66. 40 Zur Annäherung des Wortlauts beider Vorschriften im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vgl. bereits soeben in Fn. 30. Wank, ArbuR 2017, 140, 146 kritisiert diese Annäherung allerdings als nicht weitgehend genug. 41 Die Gesetzesbegründung enthält den wenig erhellenden Hinweis, § 106 GewO bleibe „unberührt“, vgl. BT-Drs. 18/9232, S. 31 f. (zutreffende Kritik hierzu bei Henssler, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 41). Stimmig erscheint die Sichtweise, dass § 611a Abs. 1 S. 2 BGB die Tatbestandsvoraussetzungen des Arbeitsvertrages normiert, während § 106 GewO auf der Rechtsfolgenseite Inhalt und Grenzen des – jedem Arbeitsvertrag immanenten – Weisungsrechts regelt, jedenfalls soweit keine vorrangigen Absprachen im Arbeitsvertrag getroffen worden sind. In diesem Sinne etwa BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a Abs. 1 BGB Rn. 16 und wohl auch Deinert, RdA 2017, 65, 71; anders wohl Henssler, RdA 2017, 83, 85. 38
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einer formalen Art und Weise: Entscheidend ist – man mag dies mit Wank aus teleologischen Gründen bedauern – nach den Buchstaben des Gesetzes keine unternehmerisch-wirtschaftliche Gebundenheit, sondern als deren lediglich regelmäßige formale Kehrseite42 eine solche betreffend Arbeitsinhalt, Arbeitsdurchführung, Arbeitszeit und Arbeitsort. Dieses Ergebnis wird letztlich auch gestützt durch den bereits mehrfach erwähnten Willen des Gesetzgebers zu einer „1:1-Kodifikation“ der bisherigen Rechtsprechung43. Das BAG hat die Weisungsgebundenheit ausdrücklich immer in einem solchen formalen Sinne verstanden – selbst wenn es sich bei der Ergebnisfindung zuweilen unausgesprochen auch auf ein an wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtetes Judiz verlassen haben mag44. Dort, wo das BAG dagegen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise expressis verbis eine gewisse Bedeutung beigemessen hat – so namentlich etwa bei der Berücksichtigung des Kriteriums der Übernahme eines unternehmerischen Risikos45 – hat es dies im Rahmen der Gesamtbetrachtung getan und gerade nicht über eine teleologische Interpretation des Merkmals „Weisungsgebundenheit“. cc) Fremdbestimmung als betriebliche Eingliederung? Gerade die Auslegung des Merkmals der „fremdbestimmten“ Arbeit in § 611a Abs. 1 S. 1 BGB bereitet – wie bereits angedeutet – Schwierigkeiten. Bemüht man erneut das natürliche Sprachverständnis, so ist unter Fremdbestimmung das Bestimmtsein durch einen anderen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu verstehen46. Damit käme dem Begriff aber bloß eine weitgehend tautologische Bedeutung zu: Eine weitere Klarstellung, dass die Kriterien der Weisungsgebundenheit bzw. der persönlichen Abhängigkeit in einem formalen Sinne zu interpretieren sind47. Hätte der Gesetzgeber dagegen eher eine wirtschaftliche Betrachtungsweise des Arbeitsverhältnisses intendieren wollen, so hätte vielmehr die Verwendung des Adjektivs „fremdnützig“ statt „fremdbestimmt“ nahe gelegen. Indes führt ein am natürlichen Wortlaut orientiertes Verständnis im Sinne einer bloß klarstellenden Bedeutung des Begriffes „fremdbestimmt“ zu systematisch-normlogischen Verwerfungen. Wenn „persönliche Abhängigkeit“ als Ober42 Zum typischen Gleichlauf persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit vgl. oben § 6 D. I 2 b) bb) (1). 43 Vgl. BT-Drs. 18/9232, S. 4 und 18; BR-Drs. 294/16, S. 13; BT-Drs. 18/10064, S. 4. 44 So die Andeutung bei Wank, ArbuR 2017, 140, 141, 151. Vgl. in diesem Zusammenhang auch oben § 6 D. I. 3. 45 Vgl. dazu schon oben 1. Kap. § 3 A. I und II. und dort die Nachweise insbesondere in Fn. 183. 46 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 1313 (Bd. 3). 47 In diesem Sinne wohl BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Rn. 8 und Rn. 14.
368 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
begriff fungieren soll, so bedarf es zu dessen Konkretisierung notwendigerweise mehrerer auch inhaltlich verschiedener Unterbegriffe48. Daher liegt es nahe, die „Fremdbestimmung“ nicht bloß tautologisch, sondern mit Wank als normativen Sitz des vom BAG bislang verwendeten, zweiten Kernkriteriums der persönlichen Abhängigkeit zu begreifen49: Das Merkmal der betrieblichen bzw. arbeitsorganisatorischen Eingliederung taucht in § 611a Abs. 1 BGB ansonsten nämlich nicht mehr ausdrücklich auf. Diese Sichtweise wird von Teilen der bislang zu § 611a Abs. 1 BGB erschienen Literatur bestritten50. Dabei wird insbesondere auf die Entstehungsgeschichte der Norm hingewiesen. Im ersten Referentenentwurf sei dem Merkmal der betrieblichen bzw. arbeitsorganisatorischen Eingliederung sowohl bei der Definition des Arbeitsvertrages in § 611a Abs. 1-E BGB, als auch bei der Auflistung des Indizienkataloges in § 611a Abs. 2-E BGB (dortige Merkmale b) bis d) sowie f)51) noch eine zentrale Bedeutung zugekommen. Nachdem der Entwurf in der anschließenden Diskussion aber gerade auch wegen des Kriterienkatalogs massiver Kritik ausgesetzt gewesen sei52, sei das Merkmal schon im folgenden Regierungsentwurf gänzlich verschwunden. Das lasse nur den Schluss auf einen bewussten Verzicht des Gesetzgebers auf dieses Merkmal zu. Daraus folge letztlich eine Rückstufung zu einem weder ausschlaggebenden noch sonst in irgendeiner Weise hervorgehobenen Indiz53. Allerdings wird durch eine solche Interpretation wohl die bloß pragmatische Vorgehensweise des Gesetzgebers zu einem in Wirklichkeit nicht vorhandenen gesetzgeberischen Willen überhöht. Dafür spricht schon die Tatsache, dass der scheinbare Sinneswandel des Gesetzgebers in den Materialien mit keinem Wort erwähnt wird54. Ziel des Gesetzgebers infolge der harschen Kritik in der Literatur war es vielmehr, wie bereits erwähnt, sich durch die Zitation höchstrichterlicher Obersätze auf eine scheinbar unangreifbare Position zurückzuziehen und dabei die richterrechtliche Rechtslage unangetastet zu lassen. Bei der Umsetzung dieses Ziels hat sich der Gesetzgeber zwar nachvollziehbar an aktuellen Judikaten orientiert; diese nennen das Merkmal der betrieblichen bzw. arbeitsorganisatorischen Eingliederung tatsächlich nicht mehr ausdrücklich in ihren Obersätzen. 48 Zutreffend
Wank, ArbuR 2017, 140, 144. Wank, ArbuR 2017, 140, 143 und 150 f.; dagegen Hromadka, NZA-Editorial 2017, Heft 12/2017. 50 So namentlich Henssler, RdA 2017, 83, 85 f. 51 Vgl. hierzu ausführlich Henssler, RdA 2016, 18, 19. 52 Siehe hierzu bereits die Nachweise soeben Fn. 26. 53 Henssler, RdA 2017, 83, 85. 54 Die Frage nach dem Schicksal des Merkmals der betrieblichen bzw. arbeitsorganisatorischen Eingliederung aufwerfend, aber auf Grund der fehlenden Stellungnahme der Gesetzesbegründung im Ergebnis offen lassend Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 12. 49
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Ihm kam in diesen Urteilen aber regelmäßig dennoch – das ergibt sich aus den weiteren Entscheidungsgründen – eine entscheidungserhebliche Relevanz zu55. Angesichts des gesetzgeberischen Willens zur „1:1-Kodifikation“56 wird man dem Merkmal mithin auch künftig eine mitentscheidende Bedeutung bei der Ermittlung der persönlichen Abhängigkeit beimessen müssen57. Ob es dabei in § 611a Abs. 1 S. 1 BGB unter dem Begriff der „Fremdbestimmung“ verortet wird – was normlogisch vorzugswürdig erscheint –, oder es über die Gesamtbetrachtung des § 611a Abs. 1 S. 5 BGB Berücksichtigung finden wird – was zu einer tendenziellen und damit schleichenden Abwertung des Kriteriums führen könnte58 – kann jedenfalls im Rahmen dieser Untersuchung letztlich offen bleiben: Kriterien wirtschaftlicher Abhängigkeit oder sozialer Schutzbedürftigkeit lassen sich als bloß regelmäßige materielle Kehrseite59 in keinem Fall unter das vom BAG stets formal interpretierte Merkmal der betrieblichen bzw. arbeitsorganisatorischen Eingliederung subsumieren.
55 Vgl. etwa die auch in der Gesetzesbegründung allgemein in Bezug genommenen Urteile BAG NZA 2012, 731, 732; noch deutlicher BAG NZA 2013, 1348, 150 f. (sowie a. a. O. Orientierungssatz 4.) und BAG NZA 2017, 244, 246. Vgl. daneben etwa BAG NZA 2002, 1294, 1296; BAG NZA 2013, 903, 906 sowie Wank, ArbuR 2017, 140, 150 f. (a. a. O. in Fn. 129 auch mit umfangreichen Nachweisen aus der Literatur zur gleichberechtigten Relevanz der betrieblichen Eingliederung). Damit zeigt sich erneut die Schwäche der gesetzgeberischen Methode, wortwörtlich bloße Obersätze des BAG wiederzugeben, ohne die jeweilige konkrete Begründung zu berücksichtigen. 56 Vgl. hierzu die Nachweise soeben Fn. 27. Für diese Sichtweise spricht daneben auch § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG, der ebenfalls mit Gesetz vom 27. 02. 2017 (BGBl. I 2017, S. 258) neu eingeführt worden ist. Dort sind die Elemente der Weisungsgebundenheit sowie der arbeitsorganisatorischen Eingliederung als gleichberechtigte Merkmale zur Prüfung einer Arbeitnehmerüberlassung genannt. Da bei der Arbeitnehmerüberlassung lediglich die Besonderheit besteht, dass sich Verleiher und Entleiher die Arbeitgebereigenschaft teilen, muss der Arbeitnehmerbegriff in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG und in § 611a Abs. 1 BGB zwangsläufig derselbe sein, vgl. zu diesem systematischen Argument näher Wank, ArbuR 2017, 140, 144. Kritisch ob der Diskrepanz auch ders., RdA 2017, 100, 102 und Zieglmeier, DStR 2016, 2858, 2859. 57 I.E. ebenso Deinert, RdA 2017, 65, 71; Wank, ArbuR 2017, 140, 144 und Zieglmeier, DStR 2016, 2858, 2859. Hierfür spricht im Übrigen auch, dass es beim sog. „weisungsfreien“ Arbeitnehmer (vgl. hierzu auch den Hinweis Thüsings, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 31 im Gesetzgebungsverfahren und schon oben § 2 B. IV. 1. b)) notwendig auf ein von der (regelmäßig fachlichen) Weisungsgebundenheit verschiedenes Merkmal ankommen muss, das nach h. M. gerade in der betrieblichen bzw. arbeitsorganisatorischen Eingliederung erblickt wird, vgl. etwa Henssler, RdA 2016, 18, 19 und mit umfassenden Nachweisen Wank, ArbuR 2017, 140, 151. 58 So i. E. Henssler, RdA 2017, 83, 85. Die Frage aufwerfend aber offen lassend Deinert, RdA 2017, 65, 71. 59 Zum typischen Gleichlauf persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit vgl. oben § 6 D. I 2 b) bb) (1).
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2. § 611a Abs. 1 S. 3 BGB Auch § 611a Abs. 1 S. 3 BGB ist gesetzgebungstechnisch wenig geglückt. Nachdem Satz 2, anders als Satz 1, sprachlich die Arbeitgeberperspektive einnahm, wendet sich S. 3 wieder dem Arbeitnehmer zu und knüpft dabei – als hätte es Satz 2 nicht gegeben – semantisch unmittelbar an Satz 1 an60. a) Abweichende Definition der Weisungsgebundenheit? § 611a Abs. 1 S. 3 BGB enthält wörtlich den bekannten, von der Rechtsprechung seit jeher aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB gezogenen Umkehrschluss zur Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers. Wörtlich heißt es hier: „Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.“
Diese Formulierung ist deshalb problematisch, weil sie – nähme man dem Gesetzgeber beim Wort – eine von Satz 2 abweichende Beschreibung der für die Arbeitnehmereigenschaft notwendigen Weisungsgebundenheit enthielte: Satz 2 stellt (spiegelbildlich durch eine Beschreibung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts) auf eine Weisungsbindung bei Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit ab. Dagegen ist nach dem Wortlaut des Satzes 3 – insoweit ist der nur beschränkt mögliche Umkehrschluss aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB zutreffend umgesetzt – alleine eine inhaltliche („Tätigkeit gestalten“) und zeitliche Weisungsgebundenheit („Arbeitszeit bestimmen“) relevant61. Das Gesetz würde damit ein und denselben Sachverhalt – die Weisungsgebundenheit als Kernelement des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes – in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen unterschiedlich definieren62. b) Klarstellungsnorm Weil dem Gesetzgeber ein solcher perplexer Regelungswille aber kaum unterstellt werden kann, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis und dem Sinngehalt beider Sätze. Da es dem Gesetzgeber in erster Linie darum ging, die bestehende richterrechtliche Rechtslage „1:1“ zu kodifizieren63 und das BAG – in überschie60 Vgl. zu dieser missglückten Systematik auch BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Rn. 23 sowie Thüsing (zitiert nach Eisfeld, NZA 2017, 103, 105): „unverbunden und ohne Bezug“ zueinander. 61 Vgl. hierzu bereits ausführlich oben § 6 C. III. 2. 62 Insoweit kritisch auch Deinert, RdA 2017, 65, 71 und Wank, ArbuR 2017, 140, 147. Die Tatsache der abweichenden Definitionen wurde im Übrigen schon im laufenden Gesetzgebungsverfahrens während der Sachverständigenanhörung kritisiert, vgl. Thüsing, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 31. 63 Vgl. BT-Drs. 18/9232, S. 4 und 18; BR-Drs. 294/16, S. 13; BT-Drs. 18/10064, S. 4.
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ßender Umsetzung des Umkehrschlusses aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB – in ständiger Rechtsprechung auch stets eine Weisungsgebundenheit in örtlicher Hinsicht prüfte64, ergibt die historische Auslegung, dass der weiteren Fassung des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB der Vorrang zukommen muss65. § 611a Abs. 1 S. 3 BGB kann daneben dann einen eigenständigen Sinngehalt bewahren, wenn man ihn als eine solche Norm versteht, die klarstellt, dass bei der notwendigen Gesamtbetrachtung (§ 611a Abs. 1 S. 5 BGB) der Weisungsbindung hinsichtlich Inhalt und Zeit der Tätigkeit – verglichen mit der örtlichen Weisungsbindung, aber auch der betrieblichen Eingliederung – eine besondere Bedeutung beizumessen ist66. 3. Zwischenergebnis und Schlussfolgerung: Positive Festschreibung des fehlerhaften und verengenden Umkehrschlusses aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB Die Sätze 1 bis 3 des allgemeingültigen aber gesetzgebungstechnisch wenig geglückten § 611a Abs. 1 BGB knüpfen zur Abgrenzung des arbeitsrechtlichen Regelungsbereichs an den Arbeitsvertrag an; der wesentliche Inhalt der Norm ergibt sich aber aus dem Begriff des Arbeitnehmers, der als Partei des Arbeitsvertrages implizit mit definiert worden ist. Nach § 611a Abs. 1 S. 1 – 3 BGB ist Arbeitnehmer – verkürzt formuliert – wer in persönlicher Abhängigkeit tätig ist. Persönlich abhängig ist – vorbehaltlich einer Gesamtbetrachtung gem. S. 5 (dazu sogleich unten II.) – wer fachlich, örtlich und zeitlich weisungsgebunden und in eine fremde Betriebsstruktur arbeitsorganisatorisch eingegliedert ist, wobei der fachlichen und zeitlichen Weisungsbindung eine besondere Bedeutung zukommt. Sowohl die Weisungsgebundenheit als auch die Betriebseingliederung sind nach ihrem Wortlaut und nach dem Willen des Gesetzgebers in einem formal-organisatorischen, nicht aber in einem materiell-wirtschaftlichen Sinne auszulegen.
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Vgl. hierzu bereits ausführlich oben § 2 B. IV. 1. a). Weitere Probleme könnten sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber – trotz der entsprechenden Sachverständigenkritik noch im Gesetzgebungsverfahren (vgl. dazu Henssler, BT-Ausschussdrs. 18(11)761, S. 42; siehe auch ders., RdA 2017, 83, 85) – den Wortlaut des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB nicht an denjenigen des § 611a Abs. 1 BGB angepasst hat und der federführende Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung zudem ausdrücklich klar gestellt hat, § 84 Abs. 1 S. 2 HGB bleibe unberührt (vgl. BT-Drs. 18/10064, S. 17; ähnlich bereits BT-Drs. 18/9232, S. 31). Demnach müssten beim Spezialfall der Abgrenzung des Handelsvertreters vom Handlungsgehilfen an sich ausschließlich die – engeren – Maßstäbe des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB und nicht diejenigen des § 611a Abs. 1 BGB gelten. Dass das BAG sich an diese Vorgabe halten wird, scheint indes wenig wahrscheinlich: Es hatte hier auch schon in der Vergangenheit den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff durch einen Kunstgriff angewendet, nämlich indem es – ausnahmsweise – die betriebliche Eingliederung als Unterfall der Weisungsgebundenheit verstand (hierzu Wank, ArbuR 2017, 140, 147 m. w. N.). 66 I.E. ähnlich BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Rn. 24 („unabdingbarer Kern des Arbeitnehmerbegriffes“) sowie Wank, ArbuR 2017, 140, 148 („Kernmerkmale“). 65
372 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Verglichen mit den vor Einführung des § 611a Abs.1 BGB bestehenden positivrechtlichen Rahmenvorgaben hat dies eine neue Qualität. Denn der bislang zentrale normative Ankerpunkt der Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff, § 84 Abs. 1 S. 2 HGB, definiert in seiner unmittelbaren Aussage den Selbständigen; Erkenntnisse zum Arbeitnehmer lassen sich nur aus einem Umkehrschluss gewinnen. Dieser ergibt letztlich nur, dass die Mindestvoraussetzung des Arbeitnehmerbegriffes in einer zeitlichen und fachlichen Weisungsgebundenheit besteht. Gerade nicht gehindert wird dadurch aber die Möglichkeit, die Hürden für die Arbeitnehmereigenschaft höher zu legen, an den Arbeitnehmerbegriff also weitere Anforderungen zu stellen, etwa durch das – mittelbar durch § 12a Abs. 1 TVG sogar geforderte – kumulative Erfordernis einer wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers67. Das BAG hat § 84 Abs. 1 S. 2 HGB über den dargelegten zwingenden Aussagegehalt hinaus allerdings seit jeher überschießend interpretiert. Dabei definierte es den Arbeitnehmer in seinen Obersätzen vor allem nicht bloß mittels einer Beschreibung des Selbständigen – also negativ –, sondern vielmehr eigenständig und positiv: „Arbeitnehmer ist, wer […] zur Leistung […von] Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist“.68
Der Arbeitnehmerbegriff wird durch diese Vorgehensweise vorbehaltlich einer Gesamtbetrachtung abschließend definiert. Er wird ohne zwingende gesetzessystematische Vorgaben – die in Gestalt des § 12a TVG im Gegenteil sogar die Berücksichtigung einer erforderlichen wirtschaftlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers implizieren – (unzulässig) verkürzt; damit geht aber zugleich die bloß beschränkte Aussagekraft, die § 84 Abs. 1 S. 2 HGB noch innewohnt, verloren. Diese verfehlte Rechtsprechung, die der Gesetzgeber in seinem Bestreben zur Niederlegung der richterrechtlichen Rechtslage wortwörtlich abgeschrieben hat, gilt nunmehr in § 611a Abs.1 BGB auch positivrechtlich: Ist die persönliche Abhängigkeit festgestellt, so ist ein Beschäftigter Arbeitnehmer; die Arbeitnehmereigenschaft kann dann nicht mehr in einem zweiten gedanklichen Schritt durch solche Kriterien widerlegt werden, die nicht selbst zum Oberbegriff der persönlichen Abhängigkeit zählen. Zu diesen nicht berücksichtigungsfähigen Umständen gehörte nach der Rechtsprechung – die der Gesetzgeber letztlich „1:1 kodifizieren“ wollte – grundsätzlich und pauschal auch die nicht „erforderliche“ wirtschaftliche Abhängigkeit. Wenn § 611a Abs. 1 S. 1 – 3 BGB damit zwar sagt, dass jeder persönlich Abhängige stets auch Arbeitnehmer ist, so lässt die Vorschrift im Detail aber noch offen, welches die abschließend berücksichtigungsfähigen Unterkriterien der 67
Hierzu ausführlich oben § 6 C. II. und III. sowie zusammenfassend § 7 A. statt aller die als Vorlage des Gesetzgebers dienenden Entscheidung BAG NZA-RR 2016, 344, 346. 68 Vgl.
§ 7 Möglichkeiten de lege lata: Rechtsprechungsänderung
373
persönlichen Abhängigkeit sind. Insofern ist die Norm selbst mit dem Verweis auf die – mithin besonders hervorgehobenen und damit zentralen Elemente der Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmtheit (i. S. e. betrieblichen bzw. arbeitsorganisatorischen Eingliederung) – nur scheinbar abschließend: Ein Blick auf 5 zeigt vielmehr, dass letztlich eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen ist. Ob – und wenn ja inwieweit – dies bedeutet, dass auch Kriterien, die primär der wirtschaftlicher Abhängigkeit bzw. sozialer Schutzbedürftigkeit zuzuordnen sind, bei der Anwendung des § 611a Abs. 1 BGB berücksichtigt werden können, kann sich damit endgültig erst aus der folgenden Auslegung insbesondere des § 611a Abs. 1 S. 5 ergeben. II. § 611a Abs. 1 S. 4 und 5 BGB: Bekenntnis zur typologischen Methode Indem sich der Gesetzgeber in den Sätzen 4 und 5 des § 611a Abs. 1 BGB ebenfalls eng an der Rechtsprechung des BAG orientiert hat, hat er sich auch dessen typologische Herangehensweise bei der Feststellung der persönlichen Abhängigkeit zu eigen gemacht69. 1. § 611a Abs. 1 S. 4 BGB In § 611a Abs. 1 S. 4 BGB heißt es: „Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab.“
Dieser Passus wird der in den Gesetzgebungsmaterialien zwar nicht ausdrücklich erläutert70. In der Sache reagiert der Gesetzgeber aber – wie zuvor bereits das BAG – mit dem Abstellen auf den „Grad“ der persönlichen Abhängigkeit je nach „Eigenart“ der jeweiligen Tätigkeit auf eine zwangsläufige Schwäche eines einheitlichen und nur an formalen Kriterien orientierten Arbeitnehmerbegriffes: Er soll für das gesamte Arbeitsrecht gelten und muss damit grundsätzlich die Arbeitnehmer verschiedenster Berufsgruppen auf der Tatbestandsseite gleichermaßen erfassen und sie zutreffend abbilden. Eine starre Anwendung der Untermerk69 Ebenso BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Rn. 30; Deinert, RdA 2017, 65, 67 und 71; Henssler, RdA 2017, 83, 85 und Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 12; andere Konzeption dagegen bei Wank, ArbuR 2017, 140, 149, der in einem Bekenntnis des Gesetzgebers zum Typusbegriff einen „Verzicht auf [die] juristische Arbeitsweise“ erkennen würde. Vgl. zur typologischen Methode schon oben § 2 B. IV. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der typusmäßigen Bestimmung des „abhängig Beschäftigten“ i. S. d. Sozialversicherungsrechts vgl. BVerfG AP Nr. 82 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 70 Angedeutet aber bei BT-Drs. 18/9232, S. 32 (oben) zum jetzigen S. 5 der Gesetzesfassung (im Regierungsentwurf, der den Ausführungen bei BT-Drs. 18/9232, S. 31 f. zu Grunde liegt, fand sich der jetztige § 611a Abs. 1 S. 4 BGB noch in § 611a Abs. 1 S. 3 Hs. 2 BGB).
374 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
male der persönlichen Abhängigkeit, also der Weisungsgebundenheit und der betrieblichen Eingliederung, ist aber augenscheinlich nicht in sämtlichen Branchen gleichermaßen möglich, um zu als zutreffend empfundenen Ergebnissen zu gelangen. Daher werden die einzelnen Merkmale der persönlichen Abhängigkeit in ihrer Gewichtung flexibel ausgestaltet71. Deutlich wird dies insbesondere am Beispiel der Rechtsprechung des BAG zum (fachlich) weisungsfreien Mitarbeiter. Das Gericht wörtlich: „Persönliche Abhängigkeit ist dabei nicht gleichbedeutend mit Weisungsgebundenheit. Diese ist nur eines von mehreren Unterscheidungsmerkmalen und kann bei Erledigung einzelner geschuldeter Leistungen ganz fehlen, wie z. B. beim Chefarzt, Wissenschaftler oder Künstler. Daneben kommt es auch auf alle übrigen in der Rechtspr. des BAG mehrfach hervorgehobenen Umstände an, wie insbesondere auf Eingliederung in den Betrieb, zeitl. Bindung, Verkehrsanschauung und auf den Vergleich mit festangestellten Mitarbeitern.“72
Hier wird exemplarisch das sowohl nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG, als auch nunmehr nach § 611a Abs. 1 S. 1 – 3 BGB grundsätzlich besonders bedeutsame Kriterium der (fachlichen) Weisungsgebundenheit zu einem bloßen Indiz herabgewertet. Es kann nach der Rechtsprechung sogar völlig fehlen, wenn es durch eine Vielzahl anderer Indizien und/oder durch die besonders starke Ausprägung eines der sonstigen Kriterien – das BAG nennt hier beispielhaft betriebliche Eingliederung und zeitliche Gebundenheit – ausgeglichen wird73, und der nach der „Eigenart der jeweiligen Tätigkeit“ individuell zu bestimmende „Grad der persönlichen Abhängigkeit“ damit erreicht ist. 71 Ebenso, die Regelung durch den Gesetzgeber aber für überflüssig haltend, Wank, ArbuR 2017, 140, 148. 72 BAG AP Nr. 18 zu § 611 BGB Abhängigkeit. Ähnlich auch BAG AP Nr. 123 zu § 611 BGB Abhängigkeit zur – unterschiedlichen – Relevanz einer zeitlichen und räumlichen Einbindung bei der Statusbeurteilung von Mitarbeiter der Rundfunkanstalten: „An der Unterscheidung zwischen programmgestaltender und nicht programmgestaltender Tätigkeit in diesem Sinne hält der Senat fest. Die Unterscheidung ist deswegen von Bedeutung, weil bestimmte Gegebenheiten je nachdem, ob es sich um programmgestaltende Mitarbeiter handelt oder nicht, unterschiedlichen Aussagewert im Hinblick auf den Arbeitnehmerstatus haben können. […] So wird die zeitliche und räumliche Einbindung bei programmgestaltenden Mitarbeitern oft nicht ohne Weiteres als Hinweis auf eine Leistung in persönlicher Abhängigkeit gewertet werden können. Es ist z. B. ein Unterschied, ob ein Mitarbeiter als Nachrichtentechniker in einem Tonarchiv zu festgelegten Zeiten ihm vorgeschriebene archivarische Leistungen zu erbringen hat oder ob er sich zu bestimmten Zeiten in einem Studio einzufinden und dort humoristische Beiträge individuell extemporierend zu gestalten hat, die für das Programm derart prägend sind, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der Sender mit der Stimme des Sprechers nachgerade identifiziert wird.“ (Hervorhebungen vom Verfasser). 73 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt der typologischen Methode auch BVerfG 1996, 1063, 1063, BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit und Thüsing, ZfA 2015, 415, 435 ff. sowie die weiteren Nachweise oben 1. Kap., Fn. 91.
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375
Diese Flexibilität der typologischen Methode wollte der Gesetzgeber durch § 611a Abs. 1 S. 4 BGB in seinem Willen zur „1:1-Kodifizierung“ der BAG-Rechtsprechung erhalten. Für die Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien lässt sich aus Satz 4 indes wenig gewinnen: Die Vorschrift besagt nur, dass das, was im Rahmen der persönlichen Abhängigkeit ohnehin als berücksichtigungsfähig eingestuft wird, in seiner jeweiligen Gewichtung flexibel ist und vom Rechtsanwender mit Blick auf die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit wertend betrachtet werden muss. 2. § 611a Abs. 1 S. 5 BGB: Gesamtbetrachtung „aller“ Umstände? Welche Umstände der Gesetzgeber neben der Weisungsgebundenheit und der betrieblichen Eingliederung im Einzelnen als grundsätzlich berücksichtigungsfähig einstuft, muss sich damit entscheidend aus einer Auslegung des § 611a Abs. 1 S. 5 BGB ergeben. Danach ist „[f]ür die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, […] eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen.“
a) Wortlaut Nach dem Wortlaut des Gesetzes – das sich nunmehr sprachlich-systematisch überraschend wieder unmittelbar dem Arbeitsvertrag zuwendet74 – ist eine Gesamtbetrachtung „aller“ Umstände vorzunehmen. Damit will der Gesetzgeber die Gesetzesanwendung aber freilich nicht ins vollständige Belieben der Rechtsprechung stellen; gemeint sind freilich nur solche Umstände, die nach der Systematik sowie der Entstehungsgeschichte des § 611a Abs. 1 BGB zur Bestimmung der persönlichen Abhängigkeit grundsätzlich rechtlich relevant sein können75. b) (Binnen-)Systematik Erste Aufschlüsse darüber, welche weiteren Umstände im Rahmen der Gesamtbetrachtung zur persönlichen Abhängigkeit grundsätzlich berücksichtigt werden können, lassen sich einer binnensystematischen Betrachtung des § 611a Abs. 1 74 Im Sinne einer terminologischen Stringenz wird im Folgenden vor allem von einer Gesamtbetrachtung bezüglich der „persönlichen Abhängigkeit“ gesprochen. In der Sache sind damit keine Unterschiede verbunden, da ein Arbeitsvertrag nach der Logik des § 611a Abs. 1 S.1 BGB immer dann vorliegt, wenn durch ihn ein persönlich abhängiger Beschäftigter (also ein Arbeitnehmer) zur Arbeitsleistung verpflichtet wird. 75 Kritisch auch Wank, ArbuR 2017, 140, 149. Genauer formuliert regelmäßig das BAG in seinen Obersätzen, deren Wortlaut der Gesetzgeber hier ausnahmsweise nicht wortwörtlich übernimmt: Entscheidend sei eine Gesamtwürdigung aller „maßgeblichen“ Umstände des Einzelfalles (so etwa die Entscheidung BAG NZA-RR 2016, 344, 346, an der sich Gesetzgeber in den Sätzen 1 bis 4 ansonsten wörtlich orientiert hat).
376 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
BGB entnehmen. Eine entsprechende Auslegung ergibt, dass damit jedenfalls nicht ausschließlich solche Umstände gemeint sein können, die in erster Linie die – fachliche, zeitliche und örtliche – Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers betreffen. Da dieses Kriterium in § 611a Abs. 1 S. 1 bis 3 BGB selbst ausdrücklich und ausführlich kodifiziert worden ist, versteht es sich von selbst, dass insoweit alle relevanten Umstände zu berücksichtigen sind; eines gesonderten S. 5 hätte es alleine deswegen nicht bedurft76. Auch ein Verständnis des § 611a Abs. 1 S. 5 BGB (nur) dahingehend, dass ausschließlich Umstände berücksichtigt werden können, die für und gegen eine Weisungsgebundenheit in ihren verschiedenen Ausprägungen sprechen, diese aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung und je nach Eigenart der jeweiligen Tätigkeit letztlich wertend untereinander gewichtet werden müssten, ist nicht möglich: Dies ist nämlich schon der Kernaussagegehalt des S. 4, der bei einer entsprechenden Interpretation des S. 5 schlicht überflüssig wäre77. Eine solche Sichtweise widerspräche im Übrigen auch der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BAG (vgl. dazu sogleich, insbes. unter c) bb)), die sich der Gesetzgeber bekanntlich zu Eigen machen wollte. c) Entstehungsgeschichte Damit kommt es zur Ermittlung weiterer berücksichtigungsfähiger Kriterien entscheidend auf die Entstehungsgeschichte des § 611a Abs. 1 BGB an. aa) Erster Referentenentwurf Insofern scheint auf den ersten Blick ein Vergleich des letztlich Gesetz gewordenen § 611a Abs. 1 BGB mit der noch stark abweichenden Fassung des ersten Referentenentwurfs vom 16. 11. 2015 78 ergiebig zu sein. § 611a-E BGB lautete, soweit er für die vorliegende Frage relevant ist: (1) Handelt es sich bei den aufgrund eines Vertrages zugesagten Leistungen um Arbeitsleistungen, liegt ein Arbeitsvertrag vor. Arbeitsleistungen erbringt, wer Dienste erbringt und dabei in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt. […] 76 I.E.
ähnlich BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Rn. 30, der davon spricht, dass in § 611a Abs. 1 S. 1 und 2 BGB nur die „wichtigsten“ Kriterien genannt sind, die bei der typologischen Betrachtungsweise zu berücksichtigen sind. Ähnlich auch Uffmann, NZABeil. 2016, 5, 10 (Weisungsgebundenheit und Eingliederung als „Hauptkriterien“); vgl. auch dies., a. a. O., S. 12 und Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 56 f. (Weisungsgebundenheit und Eingliederung als nur zwei – in der Regel sicher wichtige – Kriterien). A.A. wohl Wank, ArbuR 2017, 140, 151 und 153, der die Figur des Typusbegriffs allerdings generell ablehnt. 77 Ebenso Wank, ArbuR 2017, 140, 149. 78 Abrufbar etwa unter https://www.arbrb.de/media/Entwurf_AUEG_Werkvertraege.pdf (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017).
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377
(2) Für die Feststellung, ob jemand in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt, ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Für diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich, ob jemand a. nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder seinen Arbeitsort zu bestimmen, b. die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt, c. zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt, d. die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem anderen eingesetzt oder beauftragt sind, e. ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist, f. keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu erbringen, […].
Auffällig ist zunächst, dass die Entwurfsverfasser den Arbeitsvertrag hier ohne Rückgriff auf den Oberbegriff der persönlichen Abhängigkeit definiert haben. Vielmehr ist die Erbringung einer Arbeitsleistung nach Weisung und im Rahmen einer arbeitsorganisatorischen Eingliederung unmittelbar und alleine entscheidend, § 611a Abs. 1 S. 1 und 2-E BGB. Dementsprechend konnten für die ebenfalls vorzunehmende Gesamtbetrachtung schon aus normlogischen Gründen – zumindest theoretisch – auch nur solche Umstände maßgeblich sein, die die Merkmale „Weisungsbindung“ und „Eingliederung“ näher spezifizierten (§ 611a Abs. 2 S. 1 und 2-E BGB). Unter anderem der Verzicht auf den übergeordneten Begriff der persönlichen Abhängigkeit und die damit vorgenommene Verengung des Arbeitnehmerbegriffs wurden aber in der Literatur heftig kritisiert79. Diese Vorgehensweise gab zudem nicht die ständige Rechtsprechung des BAG zur Gesamtbetrachtung wieder80, die zumindest indiziell auch andersartige Umstände berücksichtigt und damit viel eher der soeben aufgezeigten Binnensystematik des jetzigen § 611a Abs. 1 BGB entspricht81. Zu dieser Sichtweise ist auch der Gesetzgeber – gleich ob in bewusster Anerkennung der Kritik der Literatur oder unbewusst – letztlich zurückgekehrt, sodass die normlogische Verengung auf Unterkriterien der Weisungsbindung und Eingliederungen de lege lata jedenfalls nicht besteht. Ins Auge fällt daneben freilich der generelle Verzicht auf den – nicht abschließenden – Indizienkatalog des § 611a Abs. 2 S. 2-E BGB. Insoweit ist insbesondere ein Blick auf lit. g.) bemerkenswert. Die Entwurfsverfasser versuchten hier, eine 79 Stellvertretend bemängeln etwa Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 56 und 65 m. w. N., dass auf diese Weise aus typologischen Merkmalen definitorische Kriterien gemacht würden. 80 Vgl. dazu soeben § 7 B. II. 2 b). 81 Vgl. dazu näher sogleich § 7 B. II 2. c) bb).
378 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Hilfestellung zur Prüfung der arbeitsorganisatorischen Eingliederung zu geben. Sie stellten mit dem Merkmal der „ausschließlichen oder überwiegenden Tätigkeit für einen anderen“ aber auf einen Gesichtspunkt ab, der gemeinhin gerade nicht der persönlichen, sondern vielmehr der wirtschaftlichen Abhängigkeit82 zugeordnet wird. Ähnliches lässt sich auch über das unter lit. f.) aufgeführte Merkmal des Fehlens einer eigenen betrieblichen Organisation sagen83. Auch diese – aus Sicht der h. M. – Fehlanknüpfung des Referentenentwurfs hat in der Literatur Kritik erfahren84; sie mag ebenfalls dazu beigetragen haben, dass der Gesetzgeber von seiner ursprünglichen Fassung umfassend Abstand nahm. Man mag diesen Gesinnungswandel auch als Fingerzeig im Sinne einer generell fehlenden Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Kriterien bei der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft deuten. Indes scheint es erneut85 eine Überinterpretation zu sein, alleine aus der Tatsache des Verzichts auf diese beiden Merkmale auf einen ausdrücklichen und eindeutigen gesetzgeberischen Willen zu schließen. Schließlich hat der Gesetzgeber den Verzicht auf die Merkmale nicht nur nicht ausdrücklich erläutert. Er wollte sich zudem – wie bereits erwähnt86 – mit dem nunmehr folgenden Versuch einer „1:1-Kodifikation“ der höchstrichterlichen Rechtsprechung hauptsächlich auf eine scheinbar unangreifbare Position zurückziehen und hat zu diesem Zweck wortwörtlich Obersätze des BAG rezitiert. Zugleich hat er durch diese Vorgehensweise auch auf eine Normierung aller anderen Indizien verzichtet, die ursprünglich im Katalog des § 611a Abs. 2 S. 2-E BGB enthalten waren. Diese waren aber ihrerseits durch die vorangegangene Recht82 Zu diesem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Abhängigkeit ausführlich oben § 5 C. II. 1. d). 83 Hierzu oben § 5 C. II. 1. e). Bezeichnenderweise prüft das BAG in dem Urteil, auf das sich der Referentenentwurf zur Rechtfertigung dieses Merkmal beruft (BAG NZA 1997, 1126, 1127 f.), unmittelbar auch nur die Eigenschaft eines Franchisenehmers als arbeitnehmerähnlich i. S. v. § 5 Abs. 1 ArbGG. Ausführungen zu einer nur als möglich eingestuften, im Ergebnis aber offen gelassenen Arbeitnehmereigenschaft finden sich dagegen nur als obiter dictum. 84 Die Kritik fokussierte sich allerdings – jedenfalls was eine Zuordnung zum Oberbegriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit angeht – auf das Merkmal unter lit. g.), etwa Henssler, RdA 2016, 18, 19 f.; Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 60, 65 (die a. a. O. S. 64 dagegen – nicht widerspruchsfrei – das ebenfalls der wirtschaftlichen Abhängigkeit zuzuordnende Kriterium des Unternehmerrisikos vermissen) und Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 11. Daneben wurde generell die selektive Auswahl von – nur – acht beispielhaften, aber mehr oder minder zufälligen Merkmalen kritisiert, die hierdurch zu Unrecht aufgewertet würden, vgl. etwa Böhm, NZA 2017, 494, 497; Henssler, RdA 2016, 18, 20; Lunk, NZA 2015, 1480, 1480 f.; Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 58 und 64 und Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 10 f.; hiergegen vgl. Wank, EuZA 2016, 143, 160 ff.; ders., ArbuR 2017, 140, 142. 85 Vgl. insofern zum nur scheinbaren Verzicht auf das Merkmal der Eingliederung oben § 7 B. I. 1 b) cc). 86 Oben § 7 B. I. 1 b) cc).
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sprechung zur persönlichen Abhängigkeit inspiriert87 und es kann kaum erwartet werden, dass die Gerichte künftig auf sie – lediglich auf Grund der verworrenen Entstehungsgeschichte des § 611a Abs. 1 BGB und eines deshalb bloß vermuteten Gesetzgeberwillens – verzichten werden88. bb) Gesetzgeberischer Wille zur „1:1-Kodifikation“: Die relative Offenheit des Typusbegriffs des persönlich abhängigen Arbeitnehmers Mangels einer ausdrücklichen Äußerung des Gesetzgebers zum Schicksal des Kriterienkatalogs des § 611a Abs. 2-E BGB rückt damit entscheidend die Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs vom 20. 07. 2016 in den Fokus89. Hier hat der Gesetzgeber sogar mehrfach seinen eindeutigen Willen zu einer „1:1-Kodifikation“ der Rechtsprechung bekundet90. Damit liegt es zunächst natürlich nahe, die Berücksichtigungsfähigkeit „aller“ (so § 611a Abs.1 S. 5 BGB wörtlich) Umstände auf jene Merkmale zu beziehen und auch zu begrenzen, die von der Rechtsprechung des BAG zuvor schon ausdrücklich herangezogen worden waren91. Insofern zeigt sich, dass nicht nur solche Umstände Berücksichtigung fanden, die sich unmittelbar den Unterbegriffen der Weisungsgebundenheit oder der betrieblichen Eingliederung zuordnen lassen: Das gilt zum einen für eine Reihe an formellen Kriterien, die das Gericht – freilich mit geringerem Gewicht und nur indiziell – bei der Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft bisweilen berücksichtigt, so namentlich etwa die Modalitäten der Entgeltzahlung, das Abführen von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen, die Weiterbezahlung des Entgelts bei Krankheit und Urlaub, die Bezeichnung durch die Vertragsparteien, die Führung von Personalakten oder die
87 Vgl. beispielsweise zu Merkmal b): BAG Urt. v. 17. 04. 2013 – 10 AZR 668/12 (einsehbar über BeckRS 2013, 71103); zu Merkmal c): LAG Rheinland-Pfalz Urt. v. 19. 12. 2013 – 10 Sa 239/13 (einsehbar über BeckRS 2014, 66086); LAG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 26. 4. 2011 – 7 Ta 519/11, einsehbar über BeckRS 2011, 72482, 66086) und ähnlich BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit; zu Merkmal: d) BAG NZA 2013, 903, 906. 88 I.E. ähnlich Deinert, RdA 2017, 65, 71, nach dem der Verzicht auf den Kriterienkatalog insbesondere (nur) bewirke, dass die bislang ausdrücklich genannten Merkmale entgegen ihrer Bedeutung im Einzelfall überbewertet würden. Auch Henssler, RdA 2017, 83, 85 f. sieht in dem Kriterienkatalog noch eine gewisse Auslegungshilfe. 89 Vgl. BT-Drs. 18/9232, S. 4, 29 ff. Auf Grund der letztlich nur kosmetischen Änderungen im federführende Ausschuss für Arbeit und Soziales (vgl. insoweit BT-Drs. 18/10064, S. 17) bleibt die ursprüngliche Gesetzesbegründung auch die wesentliche Quelle für einen Rückschluss auf den gesetzgeberischen Willen. Insoweit zweifelnd allerdings Henssler, RdA 2017, 83, 84. 90 Vgl. BT-Drs. 18/9232, S. 4 und 18; ebenso BR-Drs. 294/16, S. 13 und BT-Drs. 18/10064, S. 4. 91 Vgl. dazu auch schon oben § 2 B. IV. 4. b).
380 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Anmeldung eines Gewerbes92. Es gilt zum anderen aber auch – und das ist an dieser Stelle der Untersuchung besonders bemerkenswert – für solche Umstände, die eher den Rahmenbegriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit ausfüllen, die aber dennoch unter dem Oberbegriff der persönlichen Abhängigkeit in die Gesamtbetrachtung eingestellt wurden93. So hat das Gericht etwa abgestellt auf: – eine (fehlende) Pflicht zur Leistungserbringung in Person94; – die (fehlende) Möglichkeit, die ausgeübte Tätigkeit nicht nur für einen bestimmten Auftraggeber, sondern daneben auch für weitere Kunden auf eigene Rechnung ausführen zu können95; – die vertragliche Verteilung des unternehmerischen Risikos96 oder – die Fremdnützigkeit einer Tätigkeit97. Gleichzeitig hat das BAG aber – nicht frei von Widersprüchen – stets betont, dass es jedenfalls auf den Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit in seiner Gesamtheit nicht entscheidend ankomme98. Auch der sozialen Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten hat es – etwa über die Berücksichtigung der Entgelthöhe – bei der Statusbeurteilung im konkreten Einzelfall niemals eine auch nur mitentscheidende Bedeutung beigemessen99. Weitere Probleme der vom Gesetzgeber damit nur scheinbar als unproblematisch eingestuften Methode, die Rechtsprechung des BAG zu fixieren, bestehen zudem insbesondere dort, wo Merkmale betroffen sind, die das BAG nur phasenweise herangezogen hat. Das betrifft namentlich die soeben erwähnten Kriterien des Unternehmerrisikos sowie der Fremdnützigkeit der Tätigkeit. Ersterem hat das BAG später ausdrücklich die Berücksichtigungs92 Vgl. statt aller die Aufzählung bei Dörner, in: ders./Luczak/Wildschütz/Baeck/ Hoß (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 1. Teil, Kapitel 1, Rn. 79 m. w. N. 93 Das mag man damit erklären, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit ohnehin die regelmäßige Kehrseite der persönlichen Abhängigkeit darstellt, vgl. oben § 6 D. I. 2. b) bb) (1). 94 Etwa BAG NZA 2002, 787, 788 und ähnlich BAG NZA-RR 2016, 288, 290; vgl. zur Relevanz dieses Gesichtspunkts bei der Feststellung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit oben § 5 C. II. 1. e). 95 Etwa BAG NZA 1999, 374, 377 und ähnlich BAG NZA-RR 2007, 424, 428; vgl. zur Relevanz dieses Gesichtspunkts bei der Feststellung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit oben § 5 C. II. 1. d). 96 Etwa BAG AP Nr. 20, 35 zu § 611 BGB Abhängigkeit und BAG NZA 1997, 1126, 1127; sehr deutlich bei BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; BAG AP Nr. 26, 34 und Nr. 37 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. zur Relevanz dieses Gesichtspunkts bei der Feststellung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit oben § 5 C. II. 1. f). 97 Etwa BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit und auch schon BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. zur Relevanz dieses Gesichtspunkts bei der Feststellung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit oben § 5 C. II. 1. f). 98 Vgl. dazu die Nachweise oben 1. Kap., Fn. 146. 99 Vgl. dazu die Nachweise oben 1. Kap., Fn. 149.
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fähigkeit abgesprochen100, Letzteres hat es im Laufe der Rechtsprechungsentwicklung einfach unberücksichtigt gelassen, ohne diesen Verzicht ausdrücklich zu erklären. Bezeichnenderweise werden beide Kriterien von einem großen Teil der Literatur aber auch heute noch als berücksichtigungsfähig eingestuft101. All dies macht deutlich, dass es „die“ widerspruchsfreie Rechtsprechung des BAG zum Arbeitnehmerbegriff, die man hätte kodifizieren können, nicht gibt102. Dass dem Gesetzgeber beim Erlass des § 611a Abs. 1 BGB all diese Feinheiten bewusst waren, darf allerdings ebenso bezweifelt werden, wie ein strikter Wille zu einer starren Rückkopplung der Rechtsprechung an sich selbst, genauer gesagt eine strenge Bindung an den richterrechtlichen Rechtszustand zum Zeitpunkt der gesetzlichen Kodifizierung. Denn damit würde der Gesetzgeber die Rechtsprechung um einen entscheidenden Vorteil der typologischen Methode – zu der er sich selbst durch die Normierung der Sätze 4 und 5 des § 611a Abs. 1 BGB gerade bekannt hat – berauben: Dieser besteht vor allem in einer „normativen Offenheit“ und der damit verbundenen Flexibilität bei der jeweiligen Berücksichtigung (und Gewichtung) neuer Kriterien in einer sich verändernden Arbeitsumwelt und der Anpassungsfähigkeit an geänderte soziale Strukturen103. Schon in der Vergangenheit befand sich die Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff in ständiger – wenn auch überschaubarer und oftmals von bloßen Akzentuierungen geprägter – Bewegung104. Das sich hierin zeigende Bedürfnis nach einer stetigen Anpassung des Arbeitnehmerbegriffs wurde jedenfalls eindrucksvoll belegt durch die über einhundertjährigen Bemühungen von Rechtsprechung und Wissenschaft, trennscharfe, dogmatische zutreffende und jeweils zeitgemäße Abgrenzungskriterien herauszuarbeiten105. Es wurde besonders augenscheinlich gerade am Beispiel der phasenweisen Berücksichtigung der Merkmale des Unternehmerrisikos sowie
100 So ausdrücklich BAG AP Nr. 117 zu § 611 BGB Abhängigkeit; bereits zuvor ablehnend BAG AP Nr. 5 zu § 92 HGB und BAG NZA 1999, 374, 375. 101 Statt vieler ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 72 ff.; Deinert, RdA 2017, 65, 67; Henssler, RdA 2016, 18, 19; Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 55; Wank, ArbuR 2017, 140, 141 ff. 102 Vgl. nur Wank, ArbuR 2017, 140, 141 m. w. N. 103 Die Anpassungsfähigkeit „über Jahrzehnte hinweg“ wird von BVerfG AP Nr. 82 zu § 611 BGB Abhängigkeit für den Typusbegriff des „abhängig Beschäftigten“ i. S. d. Sozialversicherungsrechts sogar ausdrücklich betont. In diesem Sinne auch Deinert, RdA 2017, 65, 69; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 14 und 20; Pötters, NZA 2014, 704, 707; Reinecke, ZIP 1998, 581, 587 und Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 12. Allgemein zur Bedeutung von Generalklauseln zur Berücksichtigung gewandelter Wertevorstellungen vgl. Wank, Auslegung, S. 34 f. 104 Von „nicht unerheblichen Wandlungen und Gewichtsveränderungen“ spricht insoweit bereits Rüthers, DB 1982, 1869, 1871. 105 Oberthür, NZA 2011, 253, 256.
382 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
der Fremdnützigkeit der Arbeitsleistung106. Wirft man einen Blick in die Zukunft des Arbeitsrechts, so scheinen die Herausforderungen an den tradierten Arbeitnehmerbegriff durch die Digitalisierung der Arbeitswelt – als Stichworte mögen hier die tendenziell schwindende zeitliche und örtliche Eingliederung genügen107 – eher noch größer als kleiner zu werden108. Auch in Kenntnis dieser Sachlage wurde der Gesetzgeber tätig; sein allgemeines Ziel war es, durch die Kodifizierung der Rechtsprechung zu Transparenz und zur Bekämpfung von Missständen in dieser sich verändernden Struktur am Arbeitsmarkt beizutragen109. Man wird der Rechtsprechung zur Erreichung dieser Ziele deshalb auch künftig einen gewissen Ausgestaltungsspielraum im Einzelfall zugestehen müssen. Aus beiden Anliegen des Gesetzgebers – einerseits weitgehende Kodifizierung der richterrechtlichen Rechtslage, andererseits Beibehaltung der Flexibilität des Typusbegriffs – müssen sich demnach die Grenzen bei der Auslegung und Anwendung des § 611a Abs. 1 S. 5 BGB ergeben: Auch die Entwicklung neuer, die andersartige Akzentuierung bestehender oder die Wiederbelebung in Vergessenheit geratener Kriterien muss zur sachgerechten Lösung neuer und unvorhergesehener Fallgestaltungen prinzipiell möglich bleiben110. Das betrifft im Grundsatz mithin auch die oben anhand der Gehaltsentwicklung nachgewiesene Tendenz, dass persönliche Abhängigkeit einerseits und wirtschaftliche Ab106 Ähnlich Henssler, RdA 2016, 18, 19 und Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 55. Dabei ging etwa BAG AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit ausdrücklich davon aus, dass es für die Berücksichtigungsfähigkeit des Merkmals „Fremdnützigkeit der Arbeitsleistung“ im Rahmen der Prüfung der persönlichen Abhängigkeit keiner gesonderten Rechtfertigung bedurfte. Ähnlich auch schon BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 107 Ausführlich zur Digitalisierung der Arbeitswelt Günther/Böglmüller, NZA 2015, 1025, 1025 ff.; Kleinebrink, DB 2017, 1713, 1713 ff.; Krause, NZA-Beil. 2017, 53, 53 ff.; Wintermann, NZA 2017, 537, 537 ff. und speziell aus der Sicht des Betriebsverfassungsrechts Fündling/Sorber, NZA 2017, 552, 552 ff. 108 Aus diesem Grunde skeptisch zur Zukunftstauglichkeit des § 611a Abs. 1 BGB Deinert, RdA 2017, 65, 72; Hanau, RdA 2017, 213, 213; Krause, NZA-Beil. 2017, 53, 56; Zieglmeier, DStR 2016, 2858, 2859 und Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 12, die angesichts dessen auch die Frage nach der rechtspolitischen Klugheit der Regelung stellt; vgl. zum grundsätzlichen Problem auch dies., NZA 2016, 977, 979. Bereits im Vorfeld plädierte daher Thüsing, NZA 2015, 1478, 1478 für eine Normierung im Rahmen einer flexibleren Verordnung, da die „Arbeit 4.0“ andere Abgrenzungsmerkmale brauche „als die Arbeit an den Webstühlen des 19. Jahrhunderts“ und eine folgende „Arbeit 5.0“ wieder andere Kriterien erfordere. Vgl. zum grundlegenden Problem auch Maties, in: FS Wank, S. 323, 327 f. 109 BT-Drs. 18/9232, S. 1 ff. 110 In diesem Sinne letztlich auch Henssler, RdA 2016, 18, 19 und implizit Thüsing/ Schmidt, ZIP 2016, 54, 55; die Frage aufwerfend, im Ergebnis aber offen lassend Deinert, RdA 2017, 65, 72 und Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 12. Andere Konzeption bei Wank, ArbuR 2017, 140, 152 f., der einen Typusbegriff zwar generell ablehnt, der aber insbesondere eine Berücksichtigung des Merkmals des Unternehmerrisikos schon mittels einer teleologischen Auslegung des Merkmals der Weisungsgebundenheit für möglich hält.
§ 7 Möglichkeiten de lege lata: Rechtsprechungsänderung
383
hängigkeit bzw. soziale Schutzbedürftigkeit andererseits immer öfter auseinanderfallen111. Bei der Anpassung der Rechtsprechung darf aber der Boden des nunmehr positivrechtlichen Gesetzesrechts nicht verlassen werden. Eine Bindung des BAG besteht aber nicht nur an das Erfordernis der persönlichen Abhängigkeit, wie es in § 611a Abs. 1 S. 1 bis 3 BGB ausdrücklich niedergelegt ist, sondern auch – nimmt man den Willen zur „1:1-Kodifizierung“ ernst – jedenfalls an diejenigen Rechtssätze des BAG, die innerhalb seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung allgemein gesichert waren112. Dazu gehört auch der Satz, dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers nicht erforderlich ist und dass es – unausgesprochen – bei gegebener persönlicher Abhängigkeit auf eine soziale Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten im Einzelfall nicht ankommt. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies konkret: Entspricht ein Beschäftigungsverhältnis dem Typus des persönlich abhängigen, weil umfassend Weisungen unterliegenden und arbeitsorganisatorisch eingegliederten Beschäftigten, so ist dieser Beschäftigte Arbeitnehmer. Es ist dem BAG unter Geltung des § 611a Abs. 1 BGB dann nicht (mehr) möglich, unter Heranziehung von Merkmalen, die bloß eine fehlende wirtschaftliche Abhängigkeit oder soziale Schutzbedürftigkeit begründen, den Arbeitnehmerstatus nach einer Gesamtabwägung im Ergebnis zu verneinen113. 3. Zwischenergebnis Mit der Normierung der Sätze 4 und 5 des § 611a Abs. 1 BGB, die ebenfalls eng an die Rechtsprechung des BAG angelehnt sind, hat sich der Gesetzgeber zur Rechtsfigur des Typusbegriffs bekannt. Dementsprechend ist bei der Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft zum einen die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit für den notwendigen Grad der persönlichen Abhängigkeit zu beachten (S. 4) und zum anderen eine Gesamtbetrachtung „aller“ Umstände vorzunehmen (S. 5). Eine systematische wie historische Auslegung hat deutlich gemacht, dass hierbei nicht nur ausschließlich solche Umstände berücksichtigt werden können, die unmittelbar die beiden Hauptmerkmale der persönlichen Abhängigkeit – Weisungsgebundenheit und betriebliche Eingliederung – näher konkretisieren. Außerdem geht mit der Entscheidung des Gesetzgebers zum Typusbegriff eine begrenzte Gestaltungsfreiheit der Gerichte einher, mittels derer die exakte Reichweite des Arbeitnehmerbegriffes im Einzelfall an veränderte Strukturen der Arbeitswirklichkeit angepasst werden kann. Beides hat unter anderem zur Folge, dass bei der 111
Vgl. dazu oben § 6 D. II. bis IV. diese Richtung auch BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Rn. 4 (der Gesetzgeber habe sich gefestigte Formulierungen der Rechtsprechung zu eigen gemacht und diesen eine legislative Verankerung verschafft). 113 I.E. ähnlich BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Rn. 26. 112 In
384 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Gesamtbetrachtung künftig auch solche Umstände – freilich nur indiziell und mit geringerem Gewicht als die ausdrücklich gesetzlich normierten Merkmale – berücksichtigt werden können, die das BAG in seiner Rechtsprechung phasenweise schon herangezogen hat und die in jüngerer Vergangenheit in Vergessenheit geraten sind. Dazu gehören auch Merkmale, die – wie die Fremdnützigkeit einer Tätigkeit sowie die Verteilung des unternehmerischen Risikos – primär dem Oberbegriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit zuzuordnen sind. Die begrenzte Gestaltungsfreiheit der Gerichte endet aber dort, wo sie sich die Rechtsprechung zu den positivrechtlich niedergelegten Grundgedanken des § 611a Abs. 1 BGB in Widerspruch setzen würde. Dazu gehört die Entscheidung, den Arbeitnehmer als persönlich abhängig zu begreifen, diese persönliche Abhängigkeit primär formal über die fachliche, örtliche und zeitliche Weisungsgebundenheit sowie die betriebliche bzw. arbeitsorganisatorische Eingliederung zu verstehen und eine wirtschaftliche Abhängigkeit in ihrer Gesamtheit gerade für nicht erforderlich zu halten. Sind nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles damit die zentralen Merkmale der persönlichen Abhängigkeit zweifelsfrei gegeben, ist es den Gerichten daneben nicht erlaubt, den Arbeitnehmerstatus kumulativ von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit oder sozialen Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten abhängig zu machen. III. Keine teleologische Reduktion des § 611a Abs. 1 BGB Zwar wurde oben im Rahmen der Betrachtung der arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen festgestellt, dass die Teleologie des Arbeitsrechts eine kumulative Berücksichtigung der Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit sowie sozialer Schutzbedürftigkeit grundsätzlich nahe legt114. Dennoch ergibt sich letztlich schon aus der vorstehenden umfassenden Auslegung des § 611a Abs. 1 BGB, dass eine solche Beschränkung des Arbeitnehmerbegriffes auch nicht mittels einer teleologischen Reduktion der Vorschrift erreicht werden kann115. Insofern wurde bereits implizit deutlich, dass es an der grundsätzlich nötigen verdeckten Regelungslücke des Gesetzes fehlt (dazu sogleich nochmals 1.). Überdies zeigt sich, dass letztlich auch schon keine widerspruchsfreie teleologische Forderung nach einer umfassenden Reduktion des Arbeitnehmerbegriffes besteht (unten 2.). 1. Keine verdeckte Regelungslücke Eine teleologische Reduktion kommt als Mittel der ergänzenden Rechtsfortbildung grundsätzlich dort in Betracht, wo ein Gesetzestext verdeckt und unplan114
Ausführlich oben § 6 E.; vgl. dazu aber auch sogleich unten 2. b). zum Zusammenhang von Auslegung einer Norm und der Möglichkeit einer teleologischen Reduktion Bydlinski, Methodenlehre, S. 473; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 196; Danwerth, ZfPW 2017, 230, 235. 115 Vgl.
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385
mäßig lückenhaft ist116. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Gesetzgeber eine nach den Normzwecken regelungsbedürftige Frage übersehen hat, der Wortlaut einer Vorschrift also zu weit geraten ist und eine nach ihrem Zweck erforderliche Einschränkung übersehen wurde117. Der Gesetzgeber hat sich aber in § 611a Abs. 1 BGB bewusst und ausdrücklich zu einer Normierung des Arbeitnehmers als ausschließlich persönlich abhängig entschieden. Den Oberbegriff der persönlichem Abhängigkeit konkretisiert er grundsätzlich durch die beiden Hauptmerkmale der Weisungsgebundenheit sowie der betrieblichen Eingliederung, § 611a Abs. 1 S. 1 – 3 BGB. Dort, wo die Entscheidung zum Typusbegriff die Möglichkeit zu einer Gesamtbetrachtung nach der jeweiligen Eigenart der Tätigkeit eröffnet (§ 611a Abs. 1 S. 4 und 5 BGB), können zwar auch andere Indizien die Statusbeurteilung beeinflussen. Insoweit ist aber zu beachten, dass gerade der Gesamttatbestand der wirtschaftlichen Abhängigkeit nach ständiger Rechtsprechung des BAG zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft nicht „erforderlich“ war118. Dieser ständige Rechtssatz war dem Gesetzgeber bekannt und er hat ihn in seinen Willen zur „1:1-Kodifikation“ aufgenommen. Gleichzeitig kann und muss ihm ebenfalls unterstellt werden, dass er auch in tatsächlicher Hinsicht zumindest um die Entgeltentwicklung in einigen Teilbereichen des Arbeitsrechts wusste. Die Entgelthöhe – das wurde oben ausführlich gezeigt – stellt gerade einen zutreffenden Indikator der (fehlenden) sozialen Schutzbedürftigkeit119 und mittelbar der (fehlenden) wirtschaftlichen Abhängigkeit120 eines Beschäftigten dar. Hätte sich der Gesetzgeber an dieser Entwicklung und damit an der fehlenden alleinigen Eignung des Tatbestandsmerkmals der persönlichen Abhängigkeit gestört, so hätte es nahe gelegen, hier ausdrücklich korrigierend einzugreifen. Da der Gesetzgeber auf diese Ausgangslage aber nicht reagiert hat, obwohl sie ihm bei Erlass der Norm bekannt (wenn auch nicht bewusst) war, ist § 611a Abs. 1 BGB insoweit gerade nicht verdeckt lückenhaft. Das Gesetz enthält vielmehr – auch ohne besondere Klarstellung – ein „beredtes Schweigen“121, also eine abschließende Regelung des Gesetzgebers. Diese Grundentscheidung ist im Lich116 Bydlinski, Methodenlehre, S. 473 ff., 480; Kramer, Methodenlehre, S. 183 ff.; 224 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 370, 377, 391 ff.; Danwerth, ZfPW 2017, 230, 235. 117 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 852, 902 ff.; ausführlich Adrian, Grundprobleme, S. 925 ff. 118 Gleiches gilt – unausgesprochen – auch für die Einzelfallprüfung einer sozialen Schutzbedürftigkeit. 119 Oben § 5 C. III. 2. 120 Genauer gesagt werden durch das Überschreiten gewisser Entgeltgrenzen die negativen Folgen der wirtschaftlichen Abhängigkeit – die Unfähigkeit zur eigenverantwortlichen Daseinsvorsorge – entscheidend abgemildert, vgl. wiederum oben § 5 C. III. 1. 121 Begriff nach Larenz, Methodenlehre, S. 370.
386 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
te des Gewaltenteilungsprinzips gem. Art. 20 Abs. 2 GG zu respektieren: Der Richter darf seine eigenen materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen nicht an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen122. Eine Interpretation, die im Einzelfall kumulativ die wirtschaftliche Abhängigkeit und/oder soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft forderte, findet keinen ausreichenden Widerhall im Wortlaut § 611a Abs. 1 BGB und wird vom Gesetzgeber auch nicht ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt123. Sie würde deshalb – auch wenn der geltende Arbeitnehmerbegriff wie gezeigt die Arbeitswelt nicht mehr allumfassend zutreffend abbildet – unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers eingreifen. 2. Keine teleologische Forderung nach einer umfassenden Reduktion des Arbeitnehmerbegriffes Die Verengung des arbeitsrechtlichen Anwendungsbereichs mittels teleologischer Reduktion scheitert aber nicht nur an der wegen § 611a Abs. 1 BGB fehlenden verdeckten Regelungslücke. Vielmehr fordern auch und gerade die obigen teleologischen Erkenntnisse schon keine allumfassende Reduktion des Arbeitnehmerbegriffes. Eine solche würde nämlich andere Probleme bei der Anwendung des Arbeitsrechts aufwerfen, da auch ein teleologisch reduzierter Arbeitnehmerbegriff nicht in sämtlichen Anwendungsfällen zu widerspruchsfreien Ergebnissen führen würde. Die Problematik wird ausgelöst durch die Konzeption eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes, zu dem sich nunmehr auch der Gesetzgeber in § 611a Abs. 1 BGB bekannt hat. a) Dogma des einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes Mehrfach war auch im Rahmen dieser Arbeit schon die Rede davon, dass dem deutschen Arbeitsrecht das Konzept eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes zu Grunde liegt124. Dabei kann dieser Ausdruck in zweierlei Hinsicht verwendet werden. Zum einen wird er gebraucht, um deutlich zu machen, dass der Arbeitnehmerbegriff nicht etwa von Berufsgruppe zu Berufsgruppe differiert, sondern dass er einheitlich und übergreifend für sämtliche abhängig Beschäftigten gebildet und angewendet werden muss125. Daneben kann und soll er aber vor allem darauf hinweisen, dass der Arbeitnehmerbegriff sich nicht von Teilgesetz zu Teilgesetz inhaltlich unterscheidet, sondern den Anwendungsbereich des gesamten 122
Vgl. hierzu lesenswert BVerfG NJW 2011, 836, 837 f. den Maßstäben und Voraussetzungen richterlicher Rechtsfortbildung vgl. ausführlich etwa BVerfG NJW 2011, 836, 837 f. und BVerfG NJW 2007, 2977, 2982 m. w. N. 124 Vgl. dazu bereits oben i.R.d. Einleitung § 1 A. und die umfangreichen Nachweise dort in Fn. 4. 125 In diesem Sinne etwa Rancke, ArbuR 1979, 9, 10 m. w. N. in Fn. 13. 123 Zu
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387
Arbeitsrechts einheitlich beschreibt126. Für die vorliegende Untersuchung ist nur die letztgenannte Bedeutung des Begriffes von Interesse. Neben der angeblich ausschließlichen Relevanz der persönlichen Abhängigkeit ist der einheitliche Arbeitnehmerbegriff das zweite große Dogma bei der Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts. Macht man sich auf die Suche nach Erklärungsansätzen hierfür, so wird man in Rechtsprechung und Literatur nur andeutungsweise fündig. Nach Ansicht des BAG begründet schon die bloße Tatsache, dass der Gesetzgeber einen bestimmten Begriff, der einen Lebenssachverhalt umschreibt, wiederholt gebraucht und in verschiedenen Gesetzen verwendet, ohne ihn selbst jeweils neu oder abweichend zu definieren, regelmäßig ein Indiz für die einheitliche Auslegung dieses Begriffes127. Entscheidend dürfte allerdings vielmehr der Grund sein, dass das Arbeitsrecht als eigenständiges Rechtsgebiet128 ohne einen einheitlichen Begriff des Arbeitnehmers wohl nur schwer existieren könnte, jedenfalls aber nicht in der heutigen Form hätte entstehen können129. Im Begriff des Arbeitnehmers wird de facto die einzige Möglichkeit gesehen, den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts zu definieren und es von anderen Rechtsgebieten abzugrenzen130. Erst durch diese Abgrenzbarkeit wird das Arbeitsrecht aber überhaupt zu einer eigenständigen Teildisziplin und der einheitliche Arbeitnehmerbegriff soll und muss die Selbständigkeit und Einheitlichkeit der so gewonnenen Rechtsmaterie gewährleisten131. Inhaltlich weitestgehend ähnlich und nur dogmatisch abweichend verortet, wird daneben vorgebracht, der Arbeitsvertrag stelle auch ohne gesonderte Kodifizierung 126 BAG NZA 2005, 480, 481; BAG NZA 2013, 793, 794 sowie die Regierungsbegründung des BetrVerf-ReformG (BT-Drs. 14/5741, S. 35) sprechen gleichbedeutend auch vom „allgemeinen“ Arbeitnehmerbegriff. 127 BAG AP Nr. 48 zu § 5 BetrVG 1972; ähnlich BAG AP Nr. 2 zu § 23 KSchG 1969 und wohl auch Wank, Arbeitnehmer, S. 37, s. aber auch S. 385. 128 Zur verfassungsgerichtlich bestätigten Entwicklung des Arbeitsrechts zu einem „selbständigen und eigenständigen“ Rechtsgebiet vgl. auch BVerfG AP Nr. 2 zu § 1 UrlaubsG Hbg; BVerfG AP Nr. 62 zu Art. 12 GG; Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 146 ff.; I. Schmidt, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 7, 7; Richardi, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 607, 612; Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 7. 129 Schon in RAG ARS Bd. 13, 311, 311 wird deutlich, dass der einheitliche Arbeitnehmerbegriff als Kitt eines sich im Entstehen befindenden Rechtsgebietes fungierte; vgl. dazu auch Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 1 I. (S. 3) und § 9 I. (S. 34). Ausführlich zum Beitrag des Arbeitnehmerbegriffes zur Entstehung des Arbeitsrechts Richardi, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 607, 612 ff. und allgemeiner Staudinger/ Richardi/Fischinger, Vor § 611 BGB Rn. 136 ff. 130 So für den europäischen Arbeitnehmerbegriff und das europäische Arbeitsrecht Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 1 Rn. 2; Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, S. 215. 131 In diese Richtung Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 192; Rebhahn, RdA 2009, 154, 161 und wohl auch Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 1. III. und IV. (S. 5 f.).
388 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
des Arbeitsrechts einen eigenständigen und einheitlichen Vertragstypus dar. Er müsse daher auch anhand einer einheitlichen Definition des Arbeitnehmerbegriffes charakterisiert werden132. Durch die systematische Verortung des Arbeitsvertrages nicht in arbeitsrechtlichen Teilregelungen sondern im BGB wird deutlich, dass sich nunmehr auch der Gesetzgeber mit § 611a Abs. 1 BGB implizit dieser Sichtweise angeschlossen hat133. Problematisch an der Konstruktion des einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes ist vor allen Dingen, dass die damit vorgenommene „Globalvorwertung“134 der ausnahmslosen Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit des gesamten Arbeitsrechts auf einen Beschäftigten auf der Rechtsfolgenseite nicht mehr korrigiert werden kann, sofern nicht ausnahmsweise, wie etwa bei den leitenden Angestellten oder umgekehrt im Recht der arbeitnehmerähnlichen Personen, der Gesetzgeber selbst tätig geworden ist135. b) Entstehung von Schutzlücken im Bereich des Berufsschutzes bei kumulativer Berücksichtigung von wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit Grundsätzlich ist die Gefahr, dass der teleologische Zusammenhang zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm und deren Rechtsfolgen unterbrochen wird, immer dann besonders groß, wenn an ein und denselben Begriff eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsfolgen geknüpft wird. Die obigen Untersuchungen136 haben deutlich gemacht, dass dies für den monokausal an die persönliche Abhängigkeit anknüpfenden herrschenden Arbeitnehmerbegriff mit Blick auf die Rechtsfolgen des Existenzschutzes teilweise der Fall ist. Neben den systematischen und historischen Argumenten ist deshalb auch die (Wieder-)Herstellung des Sinnzusammenhangs zwischen dem Begriff des Arbeitnehmers und diesen Rechtsfolgen ein entscheidender Grund für die kumulative Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien bei dessen inhaltlicher Bestimmung. Hierdurch würden – anders als bei einer ausschließlichen Berücksichtigung wirtschaftlicher Elemente137 – teleologische Bedenken innerhalb des Anwen132 So HWK/Thüsing, Vor § 611 BGB Rn. 23 unter Bezug auf ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 35. Kritisch dagegen Bauschke, öAT 2016, 69, 70. 133 Vgl. dazu bereits soeben die Nachweise in Fn. 8. 134 So Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6 Fn. 34; ähnlich Buchner, NZA 1998, 1144, 1151 („Ja- oder Nein-Entscheidung“) und Heinze, NZA 1997, 1, 3 („alles oder nichts“). 135 Insofern weist Oberthür, NZA 2011, 253, 257 zutreffend darauf hin, dass dem deutschen Arbeitsrecht, trotz im Ausgangspunkt einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes, eine uneinheitliche Rechtsfolgenseite nicht fremd ist. 136 Vgl. oben ausführlich § 6 E., zusammenfassend insbesondere § 6 E. V. 137 Eine solche Begriffsbestimmung käme mit Blick auf die Rechtsfolgen des Berufsschutzes in Erklärungsnot, so zutreffend auch schon Henssler, JZ 1992, 833, 836.
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dungsbereichs des Arbeitsrechts zwar tatsächlich weitgehend beseitigt. Nur noch der persönlich und wirtschaftlich Abhängige sowie sozial Schutzbedürftige wäre Arbeitnehmer. Es darf aber nicht verkannt werden, dass damit gleichzeitig auch solchen Beschäftigten sämtlicher arbeitsrechtlicher Schutz entzogen würde, die lediglich in persönlicher, nicht aber in wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit tätig werden. Die teleologischen Untersuchungen unter § 6 E. haben insoweit aber auch deutlich gezeigt, dass die weisungsgebundene und organisatorisch eingegliederte Arbeit für einen anderen gerade ein Schutzbedürfnis in Bezug auf das Rechtsfolgenbündel des Berufsschutzes indiziert. Die kumulative Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien führt daher zur Entstehung von Schutzlücken bei ausschließlich persönlich abhängigen Beschäftigten in diesem Bereich138.
C. Ergebnis Eine Änderung der Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff, die neben der persönlichen Abhängigkeit auch Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit sowie sozialer Schutzbedürftigkeit erforderlich macht und diese damit zu kumulativen Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts erhebt, ist nicht (mehr) möglich. Sie wird zwar nicht durch die mittelbar-systematischen Vorgaben des bestehenden positiven Rechts gehindert; ihr steht aber § 611a Abs. 1 BGB entgegen. Der Gesetzgeber hat sich hier in seinem Willen zu einer „1:1-Kodifikation“ der bestehenden richterrechtlichen Rechtslage weitestgehend wortwörtlich an der Rechtsprechung des BAG orientiert. Damit macht er sich auch den überkommenen – und an sich unzulässigen, weil verkürzenden – Umkehrschluss des Gerichts aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB zu eigen und gießt diesen in positives Recht. Hierdurch wird der Arbeitnehmerbegriff letztlich abschließend und ausschließlich durch die persönliche Abhängigkeit eines Beschäftigten beschrieben, deren Kernelemente eine formal zu interpretierende örtliche, fachliche und zeitliche Weisungsgebundenheit sowie eine betriebliche bzw. arbeitsorganisatorische Eingliederung sind (§ 611a Abs. 1 S. 1 – 3 BGB). Auch das Bekenntnis des Gesetzgebers zur typologischen Bestimmung des Arbeitnehmers mittels einer Gesamtbetrachtung (§ 611a Abs. 1 S. 5 BGB) führt im Ergebnis nicht dazu, dass die Anwendung des Arbeitsrechts an das kumulative Erfordernis der wirtschaftlichen Abhängigkeit oder sozialen Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten gekoppelt werden kann. Da es das Ziel des Gesetzgebers war, die Rechtslage durch Einfügung des § 611a Abs. 1 BGB unverändert zu lassen und ein ständiger Rechtssatz dieser Rechtslage die fehlende Erforderlichkeit einer wirtschaftlichen Abhängigkeit war, ist § 611a Abs. 1 BGB schließlich auch nicht verdeckt lückenhaft. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift scheidet damit ebenfalls aus. Eine solche wäre zudem 138 Ähnlich
Tomandl, ZAS 2008, 100, 113.
390 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
wegen des Dogmas des einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes selbst nicht frei von Widersprüchen; sie führte letztlich zur Entstehung von Schutzlücken im Bereich des Berufsschutzes bei ausschließlich persönlich abhängigen Beschäftigten.
§ 8 Möglichkeiten de lege ferenda: Stufenloses oder gestuftes Arbeitsrecht Die vorstehenden Ausführungen unter § 7 haben deutlich gemacht, dass eine Rechtsprechungsänderung, die kumulativ die Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit zu Bestandteilen des Arbeitnehmerbegriffes erheben möchte, von § 611a Abs. 1 BGB gehindert wird und damit de lege lata nicht möglich ist. Aus diesem Grunde muss eine Lösung de lege ferenda durch den Gesetzgeber selbst erfolgen139. Zwei dementsprechende Möglichkeiten sollen im Folgenden umrissen werden. Dabei sei nur am Rande darauf hingewiesen, dass die schon von der Weimarer Reichsverfassung (Art. 157 Abs. 2 WRV) bis hin zum Einigungsvertrag (Art. 30 Abs. 1 Nr. 1 EinigVtr) immer wieder angestrebte „große Lösung“ der Kodifikation des Arbeitsrechts, oder jedenfalls des Arbeitsvertragsrechts, das eigentliche Ziel arbeitsrechtlicher Gesetzgebung sein sollte140. Die anschließenden Ausführungen beschränken sich aber darauf, wie sich die im Rahmen dieser Arbeit gewonnen Erkenntnisse bestmöglich umsetzen ließen. Insoweit ist grundsätzlich zu beachten, dass eine zwar positivrechtliche, aber dennoch einheitliche Definition des Arbeitnehmerbegriffes, die kumulativ die Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit oder sozialer Schutzbedürftigkeit für die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts erforderlich machte, letztlich ebenfalls nicht frei von Widersprüchen wäre. Sie wäre den bereits soeben unter § 7 B. III. 2. näher ausgeführten Vorwürfen und Bedenken ausgesetzt, da ein solcher Arbeitnehmerbegriff zur Entstehung von Schutzlücken im Bereich des Berufsschutzes führte. Dies macht deutlich: Das Arbeitsrecht de lege ferenda bedarf eines höheren Maßes an Ausdifferenziertheit.
139 Zugegeben sei an dieser Stelle, dass ein – erneutes – Tätigwerden des Gesetzgebers nach Einführung des § 611a BGB nicht eben wahrscheinlicher geworden ist. 140 Zusammenfassend etwa Hromadka, NZA 1998, 1, 6; Richardi, JA 1986, 289, 297; ders., in: GS Heinze, S. 661, 661 ff.; M. Roth, RdA 2012, 1, 5 ff. Vgl. insbesondere auch zuletzt den Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG-E) der Professoren Henssler und Preis, abgedruckt bei ders., NZA-Beil. 2007 zu Heft 21, 6, 6 ff.
§ 8 Möglichkeiten de lege ferenda: Stufenloses oder gestuftes Arbeitsrecht
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A. Stufenloses Recht der Arbeit Dabei geht die bisweilen auch in der arbeitsrechtlichen Literatur geäußerte Wunschvorstellung hin zu einem stufenlosen Recht der Arbeit141. Grundgedanke ist die Aufhebung des geltenden Konzepts des Arbeitsrechts mit seiner starren Unterscheidung zwischen unselbständigen Arbeitnehmern einerseits und selbständigen (freien) Dienstnehmern andererseits. Da die beiden Vertragstypen des Arbeits- und Dienstvertrages vom Gesetzgeber ohnehin „auf ein und derselben Regelungsebene“ bereitgestellt würden, könne das Arbeitsrecht seine Beschränkung auf die Erbringung unselbständiger Arbeit aufgeben und müsse vielmehr zu einem wirtschaftsordnenden „Rechtssystem der Arbeitsleistung insgesamt werden“ 142. Damit soll im Ergebnis ein System geschaffen werden, das jedem höchstpersönlich zur Leistung von Arbeit verpflichteten Beschäftigten, „von der reinen Form der unselbständigen Arbeitsleistung bis hin zur weithin oder fast völlig freien selbständigen Arbeitsleistung“,143 stets einen seiner konkreten Schutzbedürftigkeit entsprechenden und angemessenen gesetzlichen Schutz gewährt. Eine solche Lösung brächte zwar sicher ein Höchstmaß an Flexibilität und Einzelfallgerechtigkeit mit sich und mag daher die sozialpolitisch wünschenswerteste Lösung sein. Es ist jedoch schon im Ansatz völlig unklar, wie sie vom Gesetzgeber in die Praxis umgesetzt und dort von den beteiligten Kreisen – sowohl von den Arbeitsvertragsparteien als auch von den Gerichten – konkret angewendet werden könnte144. Die Vision eines stufenlosen Rechts der Arbeit kann daher nicht viel mehr sein als ein idealtypisches Leitbild.
B. Gestuftes Arbeitsrecht Stehen damit Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit in einem gewissen Widerspruch, so muss – wie stets – nach einer vermittelnden Lösung gesucht werden145. Diese ist für die vorliegend untersuchte Problematik nicht in einem stufenlosen Recht der Arbeit, sondern in einem gestuften Arbeitsrecht zu finden146. 141
Vgl. zu diesem Begriff Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 1 I. (S. 3). Heinze, NZA 1997, 1, 3; ähnlich ders., NZA 2001, 1, 3. 143 Heinze, NZA 1997, 1, 3; identisch ders., NZA 2001, 1, 3; i. E. ähnlich auch Hromadka, NZA 1998, 1, 4 und Bauschke, öAT 2016, 69, 70. 144 Ablehnend aus diesem Grund auch Buchner, NZA 1998, 1144, 1151. 145 BeckOK-GG/Huster/Rux, Art. 20 GG Rn. 181, 188; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 276; ausführlicher Herschel, JZ 1967, 727, 732 m. w. N.; zu praktischen Beispielen vgl. Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1236 f.; Buchner, NZA 1998, 1144, 1150; Willemsen/ Müntefering, NZA 2008, 193, 195, 197. 146 Die Stimmen, die lege ferenda ein gestuftes und am konkreten Schutzbedürfnis orientiertes Arbeitsrecht fordern, mehren sich in jüngerer Vergangenheit, vgl. nur Annuß, NZA 2017, 348, 349; Henssler, AnwBl 2014, 249, 250; Schliemann, in: FS Wank, S. 531, 142
392 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Sowohl das Grundgerüst hierfür als auch Ansätze für eine konkrete Ausgestaltung lassen sich der oben vorgenommenen, methodenorientierten Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts entnehmen. Beides soll im Folgenden näher aufgezeigt werden. Nachdem zunächst die vier Grundkategorien der höchstpersönlich arbeitenden Beschäftigten dargestellt werden (sogleich I.), wird sich zeigen, dass de lege ferenda kein umfassend modifizierter Arbeitnehmerbegriff benötigt wird, um zu zutreffenden Ergebnissen zu gelangen (unten II.), da diese besser durch eine teleologisch orientierte Abstufung innerhalb des bestehenden arbeitsrechtlichen Schutzsystems erreicht werden können (unten III.). Bei einer Umsetzung müsste der Gesetzgeber freilich auch die Vorgaben der Verfassung (unten IV.) und insbesondere diejenigen des Unionsrechts (unten V.) beachten. Zuletzt wird noch ein nur ergänzender Blick auf die Zukunft der arbeitnehmerähnlichen Personen geworfen (unten VI.). I. Die vier Kategorien der persönlich Arbeitenden Die obige Zusammenschau der mittelbar-systematischen Vorgaben hat ergeben, dass im Rahmen einer notwendig schematisierten Betrachtung am Ausgangspunkt vier unterschiedliche Gruppen von Beschäftigten stehen, die auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages zur regelmäßig höchstpersönlichen Leistung von Diensten gegen Entgelt verpflichtet sein können147. Die Antwort auf die Frage, welches arbeitsrechtliche Rechtsfolgenbündel auf welche Gruppe zumindest prinzipiell anwendbar erscheint, ließ sich anschließend der teleologischen Betrachtung entnehmen148. Danach ergibt sich das folgende Bild: 1. Zunächst existiert die Gruppe der sowohl persönlich als auch wirtschaftlich abhängigen sowie sozial schutzbedürftigen Beschäftigten. Auf diese Gruppe sind sämtliche arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen anwendbar, sie sind unstreitig Arbeitnehmer. 2. Zudem findet sich die gegenteilige Gruppe derjenigen Beschäftigten, die weder persönlich noch wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig sind. Ebenso unstreitig gilt hier, dass die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts auch nur
536; Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 6 f.; anders dagegen Bepler, jM 2016, 105, 105 f. Auch das „Weißbuch Arbeiten 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom Februar 2017 (abrufbar unter http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/ a883-weissbuch.pdf?__blob=publicationFile&v=6, zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017) möchte (a. a. O. S. 12, 176) die Anwendung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften künftig mehr für „spezifisch schutzbedürftige Typen“ von selbständig Erwerbstätigen öffnen, vgl. dazu auch Hanau, RdA 2017, 223, 224. 147 Vgl. insbesondere oben § 6 C. III. 3. 148 Vgl. insbesondere oben § 6 E. III.
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zu Teilen nicht in Betracht kommt, da es sich bei ihnen nach der gängigen Terminologie um Selbständige handelt. Inmitten dieser beiden eindeutigen Pole existieren jedoch zwei weitere Zwischenkategorien: 3. Zu nennen ist zum einen die vom Gesetzgeber schon heute ausdrücklich ausgeformte Gruppe der zwar persönlich unabhängigen, wirtschaftlich aber abhängigen sowie sozial schutzbedürftigen Beschäftigten. Sie werden als arbeitnehmerähnliche Personen bezeichnet und das Arbeitsrecht findet zum Teil auf sie Anwendung. Nach der teleologischen Betrachtung muss es sich dabei – jedenfalls de lege ferenda – vorwiegend um Rechtsfolgen des Existenzschutzes handeln. 4. Zum anderen gibt es die Gruppe der nur persönlich abhängigen, wirtschaftlich aber unabhängigen und/oder sozial nicht schutzbedürftigen Beschäftigten. Sie sind das Spiegelbild der arbeitnehmerähnlichen Personen und könnten daher etwa als „unternehmerähnliche Personen“ bezeichnet werden149. Auch sie verdienen bei teleologischer Betrachtung einen arbeitsrechtlichen Teilschutz. Gerade anders als bei den arbeitnehmerähnlichen Personen muss es sich dabei aber vor allem um Rechtsfolgen des Berufsschutzes handeln.
Beschäftigtengruppe
Arbeitnehmer
Art der Abhängigkeit vom Vertragspartner
Teleologischer Zusammenhang mit Rechtsfolgenbündel
Wirtschaftliche Persönliche Abhängigkeit Abhängigkeit (und soz. Sch.)
Berufsschutz
X
X
X
Existenzschutz X
Selbständige Arbeitnehmer ähnliche „Unternehmer ähnliche“
X X
X X
149 Sowohl Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1233 als auch Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1238 und Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 98 sprechen in ähnlichem Zusammenhang von „unternehmerähnlichen Beschäftigten“, letzterer a. a. O. auch von „unternehmerähnlichen Arbeitnehmern“. Insoweit terminologisch gleichlautend auch schon der Titel des Aufsatzes von Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 207 („Unternehmerähnliche Arbeitnehmer“) und nur leicht abweichend auch ders., DB 1976, 2207, 2207 („Unternehmerähnlichkeit“). Auch Annuß, NZA 2017, 345, 349 spricht zuletzt von „unternehmerisch-zielorientier[en]“ Arbeitnehmern, die „sich selbst nach unternehmerischen Gesichtspunkten auf dem Arbeitsmarkt“ vermarkten.
394 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
An dieser Einteilung150 sollte sich der Gesetzgeber grundsätzlich orientieren, möchte er ein systematisch sowie teleologisch möglichst stimmiges Konzept des Arbeitsrechts schaffen. Schließlich ist es kaum nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber bloß innerhalb der Gruppe der persönlich unabhängigen Beschäftigten mit Blick auf eine Ausweitung des gesetzlich gewährten Schutzes danach differenziert, ob diese wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig sind (Recht der Arbeitnehmerähnlichen), dass dieselbe Tatsache gleichzeitig aber innerhalb der Gruppe der persönlich abhängigen Beschäftigten überhaupt keine Rolle spielen soll. Vielmehr muss dort spiegelbildlich gelten, dass ein etwaiges Fehlen wirtschaftlicher Abhängigkeit und/oder sozialer Schutzbedürftigkeit eine Einschränkung des arbeitsrechtlichen Schutzumfanges zur Folge hat (Recht der „Unternehmerähnlichen“151). Letztere bilden nämlich ebenso wie die Arbeitnehmerähnlichen einen „Übergangsraum zwischen echter Abhängigkeit und echter Selbständigkeit“152. Ein solches abgestuftes System, das nicht nur aus Arbeitnehmern, Selbständigen und Arbeitnehmerähnlichen besteht, sondern darüber hinaus auch „Unternehmerähnliche“ besonders berücksichtigt, bildet außerdem das heute tatsächlich existierende und ausdifferenzierte Bild der Erwerbstätigkeit in Deutschland genauer ab, als das bestehende Arbeitsrecht, das zu sehr in seinen überkommenen Strukturen verhaftet ist. Daneben bietet es die flexible Möglichkeit, nach der konkreten Ursache des Schutzbedürfnisses einer bestimmten Beschäftigtengruppe zu unterscheiden und hierauf jeweils durch passende Regelungen zu reagieren153. Diese Untergliederung mag zwar zunächst revolutionär klingen; eine solche Vierteilung der Beschäftigten findet sich aber so ähnlich bereits in der nunmehr über 90 Jahre alten Schrift Molitors zum „Wesen des Arbeitsvertrages“. Dort sucht man freilich vergebens nach einer ausführlichen Analyse der im Rahmen der vorliegenden Arbeit sogenannten „unternehmerähnlichen Personen“: Für Molitor war es schlicht nur schwerlich vorstellbar, warum sich ein wirtschaftlich unabhängiger bzw. sozial nicht schutzbedürftiger Beschäftigter in ein Verhältnis persönlicher Unterordnung begeben sollte154. Nach der im Rahmen der histori150 Vgl. auch die ähnliche Einteilung bei Maties, in: FS Wank, S. 323, 334; Wank, EuZA 2016, 143, 157 und ders., ArbuR 2017, 140, 145 die a. a. O. allerdings die hier im Fokus stehenden, sog. „Unternehmerähnlichen“ nicht aufführen. 151 Gegen die Bildung einer solchen Gruppe aber Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1244. 152 So zutreffend Rieble, ZfA 1998, 327, 348 zur Figur der arbeitnehmerähnlichen Person. 153 Im Ausgangspunkt ähnlich Schubert, Anm. zu BAG AP Nr. 68 zu § 5 ArbGG 1979; vgl. dazu auch Buchner, NZA 1998, 1144, 1151; Wank, in: FS Küttner, S. 5, 14 und ders., Arbeitnehmer, S. 54 (siehe aber auch a. a. O. S. 139 f.), die allesamt freilich nicht die Möglichkeit der Schaffung einer besonderen Kategorie der „Unternehmerähnlichen“ ins Auge fassen. 154 Molitor, Wesen, S. 91 f.
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schen Betrachtung aufgezeigten wirtschaftlichen Entwicklung155 lässt sich aber jedenfalls heute nicht mehr davon sprechen, dass ein solcher Fall „praktisch kaum vorkommt“156. II. Abgrenzung des Arbeitsrechts Auch das Arbeitsrecht de lege ferenda bedarf freilich einer grundsätzlichen Abgrenzung seines Regelungsbereichs. Ob dabei an den Begriff des Arbeitnehmers oder – wie nunmehr etwa in § 611a Abs. 1 BGB geschehen – an denjenigen des Arbeitsvertrages angeknüpft wird157, hat jedenfalls dann eine weitgehend bloß semantische Bedeutung, wenn man den Arbeitnehmerbegriff nicht im Sinne eines solchen Begriffes begreift, der eine bestimmte soziale Klasse innerhalb der Gesellschaft beschreiben soll. Da die Lehre vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis zu Recht überwunden ist und das Arbeitsverhältnis ohnehin allgemein als schuldrechtliches Austauschverhältnis angesehen wird158, liegt ein solches Begriffsverständnis heute nicht mehr nahe. Deshalb ist im Folgenden im Sinne einer einheitlichen Terminologie im Rahmen dieser Arbeit weiterhin vom Begriff des Arbeitnehmers die Rede, wenn auch einen Anknüpfung an den Arbeitsvertrag dogmatisch vorzugswürdig erscheinen mag159. 1. Regelungsaufgabe des Arbeitnehmerbegriffes Der Arbeitnehmerbegriff erfüllt keinen Selbstzweck. Seine Aufgabe ist es, allen, aber möglichst auch nur denjenigen Dienstnehmern den Zugang zum Arbeitsrecht zu gestatten, die materiell schutzbedürftig sind, die mit anderen Worten also auf diesen ausdifferenzierten Schutz angewiesen sind und die ihn auch tatsächlich verdienen160. Die bisherigen Ausführungen haben aber gezeigt, dass dieses Ziel auf Grund der Verschiedenartigkeit arbeitsrechtlicher Rechtsfolgen selbst dann nicht umfassend erreicht werden kann, wenn ein einheitlich bestimmter Arbeitnehmerbegriff kumulativ die persönliche Abhängigkeit sowie 155
Vgl. dazu insbesondere oben § 6 D. III. So noch Molitor, Wesen, S. 92. 157 So etwa § 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 des Diskussionsentwurfes eines Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG-E), Henssler/Preis, NZA-Beil. 2007 zu Heft 21, 6, 7; zustimmend etwa Hromadka, NZA 2007, 838, 838; Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 310 ff. Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 276 spricht insoweit von der „einzig möglichen“ Sichtweise. Vgl. dazu auch Maschmann, Arbeitsverträge, S. 316. 158 Vgl. dazu bereits oben 2. Kap. § 6 E. III. 3. a) aa) und dort die Nachweise in, Fn. 1081. 159 Dazu schon oben § 7 B. I. 1. a). 160 Ähnlich ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 35; Beuthien/Wehler, Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Boemke, ZfA 1998, 285, 321; Lieb, RdA 1977, 210, 214 f.; Reinecke, ZIP 1998, 581, 587; Wank, NZA 1999, 225, 226. 156
396 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
die wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten erforderlich macht. In diesem Falle käme es zu Lücken im Bereich des Berufsschutzes161. Möchte man die soeben angeregte Vierteilung der Beschäftigten erreichen und gleichzeitig grundsätzlich am Konzept des einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes festhalten – was mit Blick auf die Einheitlichkeit und Eigenständigkeit des Rechtsgebiets Arbeitsrechts freilich wünschenswert ist – so bietet sich vor allem die Möglichkeit der Differenzierung innerhalb des Anwendungsbereichs des Arbeitsrechts an (sog. Binnendifferenzierung162)163. 2. Beibehaltung des herrschenden Arbeitnehmerbegriffes Im Rahmen einer solchen Herangehensweise bedarf es auch keiner grundlegenden Neudefinition des heute herrschenden Arbeitnehmerbegriffes. Im Gegenteil sprechen sogar gute Gründe für dessen Beibehaltung. Erstens kann trotz all der aufgezeigten und dogmatisch durchaus wohl begründeten Kritik nicht behauptet werden, der vom BAG bislang angewandte und nunmehr in § 611a BGB niedergelegte Arbeitnehmerbegriff werde seiner Regelungsaufgabe in grundlegender Weise nicht gerecht. Die Beobachtung der Praxis zeigt vielmehr, dass er zwar nicht immer, so aber doch in der Regel zu als zutreffend empfundenen Ergebnissen führt164; eine gewisse Unsicherheit bei der Rechtsanwendung ist dabei kein Alleinstellungsmerkmal des Arbeitnehmerbegriffes, sondern jeder Auslegung von Rechtsnormen immanent165. Allgemein ist zu konstatieren, dass das heutige Arbeitsrecht nicht primär unter der Abgrenzungsproblematik Arbeitnehmer – Selbständiger leidet. Es krankt vielmehr, ge161
Vgl. oben § 7 B. III. 2. a) und b). diesem Begriff etwa Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1235; Rebhahn, RdA 2009, 154, 172 f. 163 Für eine Kombination aus einheitlichem Arbeitnehmerbegriff und verstärkter Binnendifferenzierung auch Boemke, ZfA 1998, 285, 320 f. und Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 192 f., 204. 164 Ebenso statt vieler Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 16 f.; Henssler, JZ 1992, 831, 836; Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 217, 231; Reinecke, ZIP 1998, 581, 581, 585 ff.; Schreiber, Jura 2008, 21, 24; Waltermann, RdA 2010, 162, 164 f. Kritisch dagegen etwa Bauschke, RdA 1994, 209, 214; Brammsen, RdA 2010, 267, 269; Gamillscheg, RdA 1998, 2, 8; aus rechtsvergleichender Sicht zusammenfassend Rebhahn, RdA 2009, 154, 174. Mit Blick auf die künftige Digitalisierung der Arbeitswelt (sog. „Arbeitwelt 4.0“) wird die Griffigkeit der Kriterien des tradierten Arbeitnehmerbegriffes allerdings vermehrt auch kritisch gesehen, vgl. etwa Deinert, RdA 2017, 65, 72; Hanau, RdA 2017, 213, 213 und Uffmann, NZA-Beil. 2016, 5, 12. Weniger kritisch dagegen etwa Krause, NZA-Beil. 2017, 53, 59. 165 So auch BVerfG AP Nr. 82 zu § 611 BGB Abhängigkeit zum Typusbegriff des „abhängig Beschäftigten“ i. S. d. Sozialversicherungsrechts; zustimmend Reinecke, ZIP 1998, 581, 584; vgl. auch Boemke, ZfA 1998, 285, 302 und allgemeiner Herschel, JZ 1967, 727, 729. 162 Zu
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rade in Grenzfällen, an der ausschließlichen Anknüpfung an einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff, der – von der nur rudimentär ausgestalteten Kategorie der Arbeitnehmerähnlichen abgesehen – die (Nicht-)Anwendung sämtlicher Schutznormen nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip zur Folge hat166. Diese Auswirkungen würden aber schon durch eine verstärkte Differenzierung innerhalb des arbeitsrechtlichen Normbestandes de lege ferenda stark abgemildert. Zweitens steht ein weiterhin an der persönlichen Abhängigkeit orientierter Arbeitnehmerbegriff in der Tradition der seit langem herrschenden Meinung – auch derjenigen im Sozial- und Steuerrecht167 – und bietet mit seinen von der Literatur unterfütterten und handhabbar gestalteten Einzelkriterien, sowie der zugrundeliegenden ausdifferenzierten Rechtsprechung ein Höchstmaß an Rechtssicherheit für alle Beteiligten168. Noch bedeutsamer ist allerdings, dass eine solche Vorgehensweise auch zu den geringsten Verwerfungen mit der vom Gesetzgeber heute positivrechtlich bereit gestellten Systematik führt: Denn die de lege lata nicht nur in § 611a Abs. 1 BGB zwingend geforderte persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers bleibt auch de lege ferenda notwendig, um ihn von den bloß arbeitnehmerähnlichen Personen unterscheiden zu können169. Ferner kann ebenfalls mit Hilfe der Merkmale der persönlichen Abhängigkeit nicht nur die Abgrenzung zu den „echten“ Selbständigen bewerkstelligt werden170; die Kriterien beschreiben darüber hinaus – wenn auch nur verdeckt bzw. faktisch – als Kehrseite regelmäßig und zugleich auch die von Systematik und Teleologie geforderte wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers171. Nur dort, wo der Gleichlauf ausnahmsweise unterbrochen ist und diese Elemente tatsächlich fehlen, der Arbeitnehmer also ausschließlich persönlich abhängig ist, kann und muss daher überhaupt korrigierend in den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts eingegriffen werden. Durch die Schaffung einer zusätzlichen Ka166 Ähnlich etwa Buchner, NZA 1998, 1144, 1151; Düwell, ArbuR 1998, 149, 151; Heinze, NZA 1997, 1, 3 f.; Hümmerich, NJW 1998, 2625, 2628, 2633; Tomandl, ZAS 2008, 100, 114; Reinhardt, Phänomen, S. 335 f., 744 ff. Vgl. hierzu auch mit Blick auf § 611a Abs. 1 BGB BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB Rn. 6. 167 Vgl. hierzu den Überblick bei Reinecke, ZIP 1998, 581, 583 f.; den arbeits- und steuerrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausführlich vergleichend Mohr, Arbeitnehmerbegriff, S. 50 ff., 150 ff.; kritisch zu einem Zusammenhang von arbeitsrechtlichem, sozialversicherungsrechtlichem und steuerrechtlichem Arbeitnehmerbegriff Rieble, ZfA 1998, 327, 332 ff. 168 Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 17; Henssler, JZ 1992, 831, 836; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 275. So auch die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 611a Abs. 1 BGB, vgl. BT-Drs. 18/9232, S. 15 f. 169 Vgl. dazu näher oben § 6 C. II. 2. 170 Vgl. dazu oben § 6 C. II. 2. 171 Vgl. dazu oben § 6 D. I. 2. b) bb) (1); ähnlich daher die Überlegungen von U. Fischer, FA 2017, 34, 36.
398 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
tegorie der „Unternehmerähnlichen“, die de lege ferenda von bestimmten arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen auszunehmen sind, wird dieses Ziel ebenso erreicht wie die hier angestrebte Vierteilung der Beschäftigten. Zusätzlich ist freilich auch ein Ausbau der Kategorie der Arbeitnehmerähnlichen zu erwägen. Drittens hätte beispielsweise ein ausnahmslos an die wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit anknüpfender Arbeitnehmerbegriff nicht nur das Verschwinden der Kategorie der Arbeitnehmerähnlichen in ihrer heutigen Form zur Folge. Daneben müssten einerseits auch die ausschließlich persönlich Abhängigen mit Blick auf die Rechtsfolgen des Berufsschutzes teilweise in den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts einbezogen werden, andererseits die zwar wirtschaftlich, nicht aber persönlich Abhängigen zum Teil ausgeschlossen werden. Außerdem ist auch ein an wirtschaftlichen Kriterien orientierter Arbeitnehmerbegriff den Nachweis schuldig geblieben, eine trennscharfe und vor allem praktikable Abgrenzung des arbeitsrechtlichen Regelungsbereichs leisten zu können172; stets wird und muss es auch hier Zweifelsfälle geben. Schon im Jahr 1980 hatte Wachter insoweit zutreffend festgestellt, es sei „bis dato nicht gelungen, die persönliche Abhängigkeit durch ein Kriterium zu ersetzen, das nicht mindestens ebenso problematisch wäre wie diese“173. Dass diese Feststellung für einen überwiegend wirtschaftlich verstandenen Arbeitnehmerbegriff auch heute noch eine gewisse Gültigkeit besitzt, haben sowohl die obigen Ausführungen zur etwaigen Übernahme von Unternehmerrisiken durch Lizenzfußballer, als auch die Erfahrungen des sozialrechtlichen Gesetzgebers zu § 7 Abs. 4 SGB IV a. F. deutlich gemacht174. Erschwerend hinzu kommt, dass ein Arbeitnehmerbegriff, der zwingend an eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beschäftigten anknüpfte und diese entscheidend über Dauer und Umfang der Tätigkeit zu bestimmen versuchte, sich in Widerspruch zu den gesetzgeberischen Wertungen des TzBfG setzen könnte175. Zusammenfassend wird damit an dieser Stelle nicht der Ansatz verfolgt, den Arbeitnehmerbegriff mit Hilfe wirtschaftlicher oder sonstiger176 Kriterien neu zu definieren, um den Arbeitnehmer etwa trennschärfer vom Selbständigen abgrenzen zu können. Da ein solcher Versuch in Anbetracht der Verschiedenartigkeit der Erwerbsformen und der daraus folgenden, seit nunmehr über 100 Jahren 172 Vgl. dazu Boemke, ZfA 1998, 285, 302 mit empirischen Nachweisen in Fn. 71; so ausdrücklich auch Buchner, NZA 1998, 1144, 1150; Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 19; Reinecke, ZIP 1998, 581, 587 und Reinhardt, Phänomen, S. 763 ff.; ähnlich Rebhahn, RdA 2009, 236, 245 und Tomandl, ZAS 2008, 113. 173 Wachter, Wesensmerkmale, S. 83. 174 Vgl. dazu oben § 3 A. II. und III. sowie die Nachweise dort. 175 Vgl. dazu genauer oben § 6 C. IV. 1. b) und § 6 C. IV. 2. b). 176 Einen Vorschlag für einen Arbeitnehmerbegriff de lege ferenda unterbreitet Boemke, ZfA 1998, 285, 320 ff.
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nicht zufriedenstellend gelösten Problematik im Ergebnis wohl ohnehin nicht gelingen kann177, muss vielmehr das starre arbeitsrechtliche System aufgebrochen werden. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, individueller auf ein konkretes Schutzbedürfnis zu reagieren, um letztendlich zu gerechteren Lösungen zu gelangen178. III. Abstufungen innerhalb des arbeitsrechtsrechtlichen Regelungsbereichs Mit der soeben vorgeschlagenen Lösung, die sich weiterhin am heute herrschenden Verständnis des Arbeitnehmerbegriffes samt dessen Fixierung auf die persönliche Abhängigkeit orientiert, wird zunächst eine grobe Rasterung vorgenommen, mittels derer der Anwendungsbereich des Arbeitsrechts nur grundsätzlich und provisorisch abgegrenzt wird. Sodann ist es die aber die Aufgabe des Gesetzgebers, innerhalb dieses Anwendungsbereichs durch weitere Abstufungen der aufgezeigten Systematik und Teleologie des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen179. Denn der herrschende Arbeitnehmerbegriff ist insofern zu weit180, als 177 Ähnlich Tomandl, ZAS 2008, 100, 114 und schon Stolterfoht, Selbständigkeit, S. 114. Gamillscheg, RdA 1998, 2, 8 konstatiert sogar, dass eine Begriffsbestimmung, die Grenzfälle eindeutig zu lösen vermag, in keiner Rechtsordnung der westlichen Welt zu finden ist; ähnlich auch Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 275. Eine „Unlösbarkeit der Abgrenzungsfrage“ bestreitet allerdings Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 210 f. 178 Für ein differenzierteres Arbeitsrecht streiten in den unterschiedlichsten Schattierungen auch MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 12, 42 ff.; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 611 BGB Rn. 52 ff.; Richardi, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 607, 615 ff.; ders., in: FS Hromadka, S. 309, 316; Annuß, NZA 2017, 345, 348 f.; Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1235 ff.; Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241 f.; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6 Fn. 34; Buchner, NZA 1998, 1144, 1151, 1153; Heinze, NZA 1997, 1, 3; ders., NZA 2001, 1, 3; Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 98 ff.; Hromadka, NZA 1997, 569, 577 ff.; ders., NZA 1997, 1249, 1256; ders., NZA 1998, 1, 4 ff.; ders., DB 1998, 195, 201; Hümmerich, NJW 1998, 2625, 2632 ff.; Rebhahn, RdA 2009, 236, 244 ff.; Reinecke, ZIP 1998, 581, 587 f.; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 16 ff., 20; ders., ZAS 2008, 100, 100, 113 ff.; Uffmann, NZA 2016, 977, 981 ff.; Zeuner, RdA 1975, 84, 87 f.; Buhl, Arbeitnehmerbegriff, S. 193 ff.; Henrici, Scheinselbständige, S. 125; Reinhardt, Phänomen, S. 774 ff.; L. Weber, Strukturen, S. 185 ff. 179 Rebhahn, RdA 2009, 236, 245 geht ebenfalls grundsätzlich davon aus, dass das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit auch weiterhin „eine wesentliche Ordnungsfunktion erfüllen kann“, es darüber hinaus aber weiterer Differenzierung bedarf. 180 Spiegelbildlich ließe sich durchaus auch behaupten, der Arbeitnehmerbegriff sei gleichzeitig zu eng, als er die ausschließlich wirtschaftlich Abhängigen und sozial Schutzbedürftigen nicht erfasse und nur ein zu kleiner Normbereich des Arbeitsrechts auch auf diese Arbeitnehmerähnlichen erstreckt werde. Allerdings lässt sich dieses Problem bereits durch eine Ausweitung der für die arbeitnehmerähnlichen Personen geltenden Vorschriften lösen. Der Arbeitnehmerbegriff selbst muss hierfür nicht erweitert werden. Das hat gleich mehrere Vorteile: Ersten kann grundsätzlich – wie soeben unter § 8 B. II. 2. unter
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er für die „Unternehmerähnlichen“ sämtliche arbeitsrechtlichen Vorschriften für anwendbar erklärt. Nachdem im Folgenden zunächst auf schon de lege lata bestehende Binnendifferenzierungen innerhalb des Arbeitsrechts hingewiesen wird (dazu sogleich 1.), wird in einem nächsten und zentralen Schritt die mögliche Schaffung einer eigenen Kategorie der „unternehmerähnlichen Personen“ untersucht (dazu unten 2.). 1. De lege lata bestehende Binnendifferenzierungen Abstufungen des Schutzniveaus innerhalb seines Anwendungsbereichs sind schon dem geltenden Arbeitsrecht181 keinesfalls fremd182. Am augenscheinlichsten und geläufigsten dürfte insoweit die Gruppe der leitenden Angestellten sein. Diese sind vom gesamten oder teilweisen Geltungsbereich einiger arbeitsrechtlicher Gesetze aus guten Gründen ausgenommen (vgl. etwa § 5 Abs. 3 und 4 BetrVG, §§ 14 Abs. 2 KSchG oder § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG)183. Gerade umgekehrt existieren Sonderregelungen für als besonders schützenswert eingestufte Arbeitnehmergruppen (JArbSchG, MuSchG, §§ 68 ff. SGB IX)184. Daneben differenziert der Gesetzgeber – ohne Anspruch auf Vollständigkeit185 – etwa nach der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer im Betrieb (§ 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG, Darlegung der Vorteile eines solchen Vorgehens vorgeschlagen – am heute herrschenden Arbeitnehmerbegriff festgehalten werden. Zweitens würde hierdurch die vom Gesetzgeber systematisch vorausgesetzte Kategorie der Arbeitnehmerähnlichen nicht obsolet. Drittens wäre die Anwendung des gesamten arbeitsrechtlichen Normenspektrums auf Arbeitnehmerähnliche teleologisch ohnehin nicht indiziert: Da mangels persönlicher Abhängigkeit kein Sinnzusammenhang mit dem Rechtsfolgenbündel des Berufsschutzes besteht, wäre dann vielmehr zu überlegen, diese Gruppe von diesen Regelungsbereichen wieder auszunehmen. Vgl. zu den unterschiedlichen Möglichkeiten der Verwendung eines weiten oder eines engen Arbeitnehmerbegriffes schon Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 9 I. (S. 34). Nur ergänzend sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass Teile der Literatur allerdings der Ansicht sind, es sei „von nicht zu unterschätzender psychologischer Bedeutung“, ob ein Beschäftigter unmittelbar als Arbeitnehmer gelte, oder ob arbeitsrechtlicher Schutz (nur) in entsprechender Weise auf ihn erstreckt werde, vgl. Hromadka, NZA 1997, 569, 580 und diesen zitierend Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 309. 181 Auch das gesamte arbeitsrechtliche System selbst, kann bereits als eine Form der Ausdifferenzierung des übergeordneten allgemeinen Privatrechts begriffen werden. Letzteres wird durch das Arbeitsrecht nämlich nicht vollständig verdrängt, sondern nur um bestimmte, ausschließlich für Arbeitnehmer geltende Schutznormen angereichert, vgl. Rieble, ZfA 1998, 327, 349 und ähnlich Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1238. 182 Vgl. zu Binnendifferenzierung aus rechtsvergleichender Sicht Rebhahn, RdA 2009, 154, 172 f. 183 Vgl. näher Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1234 f.; Hromadka, NZA 2007, 838, 839 f. 184 Dazu bereits G. Hueck, RdA 1969, 216, 218. 185 Vgl. auch die Überblicke bei Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1234 f.; Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1238 f.; Däubler, in: FS Wank, S. 81, 86 ff.; U. Fischer, FA 2017, 34, 35;
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§ 23 Abs. 1 KSchG186) und der Dauer, für die das Arbeitsverhältnis bestanden hat (§ 622 Abs. 2 und 3 BGB, §§ 4, 5 BUrlG, § 3 Abs. 3 EFZG, § 1 Abs. 1 KSchG). Zuletzt kann auch die Kategorie der arbeitnehmerähnlichen Personen im Sinne einer differenzierenden Anwendung des arbeitsrechtlichen Regelungsbereichs begriffen werden187. 2. Schaffung der Kategorie der „unternehmerähnlichen Personen“ Um der grundlegenden Systematik und Teleologie des Arbeitsrechts gerecht zu werden, bedarf es aber wie ausgeführt der Schaffung einer vierten Gruppe von Beschäftigten („unternehmerähnliche Personen“), die von den „echten“ Arbeitnehmern unterschieden werden müssen und auf die das Arbeitsrecht nicht in seiner Gesamtheit Anwendung finden kann. Der hier unterbreitete Vorschlag geht damit über die meisten der soeben unter 1. genannten Beispiele insoweit hinaus, als er – ähnlich wie bei den leitenden Angestellten – eine weitere, aber größere und einheitliche Gruppe von Arbeitnehmern bilden möchte, die von einem größeren Teilbereich des Arbeitsrechts ausgenommen werden soll. Nachdem zunächst der Frage nach einem griffigen und praktikablen Bestimmungskriterium für diese Gruppe sowie dessen konkreter Ausgestaltung nachgegangen wird (sogleich a) und b)), sollen anschließend eventuell einschränkbare Rechtsfolgen skizziert werden (unten c)), bevor sich schließlich die Frage stellt, ob der jeweilige arbeitsrechtlicher Schutz ipso iure entfallen soll oder ob er dem Grunde nach weiter gelten, das jeweilige Gesetzesrecht aber (beidseitig) dispositiv ausgestaltet werden soll (unten d)). a) Bestimmungskriterium Die bislang als „unternehmerähnliche Personen“ bezeichneten Beschäftigten zeichnen sich dadurch aus, dass sie trotz persönlicher Abhängigkeit nicht in einem Verhältnis wirtschaftlicher Abhängigkeit zu ihrem Arbeitgeber stehen oder sie sonst nicht sozial schutzbedürftig sind. Es läge damit nahe, die Eigenschaft als „Unternehmerähnlicher“ spiegelbildlich zu derjenigen als Arbeitnehmerähnlicher zu bestimmen: Während hier geprüft werden muss, ob ein Beschäftigter wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig ist, müsste dort festgestellt werden, dass dies gerade nicht der Fall ist. Die Erfahrung zeigt aber, dass eine Einordnung als Arbeitnehmerähnlicher bisweilen mit großen Schwierigkeiten Hromadka, NZA 1997, 569, 577 f.; Maties, in: FS Wank, S. 323, 332; Rebhahn, RdA 2009, 154, 172 f.; Reinhardt, Phänomen, S. 744. 186 Vgl. darüber hinaus auch die sozialrechtliche Vorschrift des § 71 Abs. 1 S. 1 SGB IX. 187 Hromadka, NZA 1997, 569, 577 f.; ausführlicher ders., NZA 1997, 1249, 1254; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 192; Rieble, ZfA 1998, 327, 348.
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verbunden sein kann188. Grund dafür ist die Tatsache, dass auch die wirtschaftliche Abhängigkeit als typologischer Rahmenbegriff zu verstehen ist und eine Entscheidung über ihr (Nicht-)Vorliegen nur im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände getroffen werden kann189, was notwendigerweise immer eine wertende Betrachtung voraussetzt. Auch auf die vergleichbaren Schwierigkeiten bei der Anwendung eines wirtschaftlichen Arbeitnehmerbegriffes wurde bereits hingewiesen190. Mit einer solchen Vorgehensweise würde daher zusätzlich zur ohnehin bestehenden Problematik der Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft nach den Merkmalen der persönlichen Abhängigkeit für einen Teilbereich des Arbeitsrechts ein weiterer Unsicherheitsfaktor in Form eines äußerst unbestimmten Rechtsbegriffes in das arbeitsrechtliche Regelungssystem eingeführt. Schon im Sinne einer praktikablen Rechtsanwendung191 kann dies damit nicht die Lösung des hier diskutierten Problems sein. Auch hier gilt wie stets, dass rechtssicheres, operables und gut handhabbares Recht nicht ohne einen bestimmten Grad an Schematisierung auskommt192. Die Lösung muss daher in der Verwendung formaler Kriterien gesucht werden193. aa) Entgelt Dabei bietet sich insbesondere ein Rückgriff auf die Höhe des Entgelts an, das der Arbeitnehmer im jeweils in Rede stehenden Arbeitsverhältnis erhält194. 188 Dazu
etwa Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 287; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 194 m. w. N. 189 Vgl. dazu ausführlich oben 2. Kap. § 5 C. II. 1. und dort die Nachweise insbesondere in Fn. 110 und 111. 190 Vgl. dazu soeben § 8 B. II. 2. und ausführlicher oben § 3 A. II. III. 191 Zur notwendigen „Praktikabilität des Rechts“ Boemke, ZfA 1998, 285, 294 f.; Herschel, JZ 1967, 727, 732 f. 192 Hromadka, NZA 1998, 1, 8; ähnlich Boemke, ZfA 1998, 285, 294 f.; Buchner, NZA 1998, 1144, 1151; Mikosch, in: FS Löwisch, S. 189, 192; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 284 f. 193 Ähnlich bereits Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6; dies., Anm. zu BAG AP Nr. 15 – 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Lieb, RdA 1977, 210, 214. 194 Die Entgelthöhe wird in den verschiedensten Zusammenhängen als ein Kriterium benannt, das eine Aussage über arbeitsrechtliches Schutzbedürfnis treffen kann; vgl. dazu etwa Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1236; Heinze, NZA 1997, 1, 3; ders., NZA 2001, 1, 3; Tomandl, in: Pichler (Hrsg.), Strategien, S. 11, 20; L. Weber, Strukturen, S. 187 ff.; Wank, Arbeitnehmer, S. 138 ff.; neuerdings tritt auch Annuß, NZA 2017, 345, 349 explizit dafür ein, die „Schutzdifferenzierung [innerhalb des Arbeitsrechts] um ein einkommensorientiertes Abgrenzungskriterium zu ergänzen“; ganz ähnlich auch U. Fischer, FA 2017, 34, 35 ff., der (a. a. O., 37) allerdings hinzufügt, alleine die Verdiensthöhe reiche als Differenzierungskriterium nicht aus; grundsätzlich ablehnend dagegen Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1239 ff. (vgl. aber auch ders., a. a. O. 1241 f.); Boemke, ZfA 1998, 285, 314.
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Hierfür lassen sich neben den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und Praktikabilität195 auch weitere Gründe anführen. Einmal geht es bei den „Unternehmerähnlichen“, anders als bei den Arbeitnehmerähnlichen, nicht um die Begründung arbeitsrechtlichen Schutzes, sondern nur um dessen Begrenzung. Dem Vertragspartner sollen keine nachteiligen Rechtsfolgen aufgebürdet werden, sondern im Gegenteil sollen besondere sonderprivatrechtliche Normen nicht länger gelten und es soll insoweit zur Anwendung der für jedermann geltenden Vorschriften zurückgekehrt werden. Für diesen Zweck ist der Begründungsaufwand aber weit geringer als im umgekehrten Fall, in dem es der besonderen Rechtfertigung bedarf, weshalb und warum von der Risikoverteilung des allgemeinen Zivilrechts und dem Grundsatz der Privatautonomie abgewichen und dem Vertragspartner besondere, gesetzlich zwingende Einstandspflichten auferlegt werden sollen. Hierfür bedarf es stets einer gewissen Nähebeziehung sowie einer Verantwortlichkeit des Gläubigers, die freilich nicht ausschließlich in einer (geringen) Höhe des Entgelts bemessen werden kann und die ihren Ausdruck für die Arbeitnehmerähnlichen daher im komplexen Tatbestand der wirtschaftlichen Abhängigkeit finden musste und auch gefunden hat196. Diese wiederum indiziert entscheidend die ebenfalls erforderliche soziale Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten197. Gerade umgekehrt aber – das wurde oben ausführlich dargestellt198 – führt schon alleine ein weit überdurchschnittlich bemessenes Entgelt nicht nur zum Entfallen der sozialen Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten, sondern ebenfalls zum Entfallen der Rechtfertigung für eine Überbürdung besonderer und nachteiliger Rechtsfolgen auf den Gläubiger. Die Höhe des Entgelts bildet daher schon für sich genommen und isoliert betrachtet eine sachlich zutreffende Beschreibung für die Zwecke einer Begrenzung des arbeitsrechtlichen Schutzumfanges. Darüber hinaus war das Überschreiten einer gewissen Verdienstgrenze, etwa in § 133ab GewO 1900 oder § 68 S. 1 HGB 1897, nicht nur historisch ein mitentscheidender Faktor bei der Anwendung arbeitsrechtlicher Normen199. Vielmehr 195 Diese Aspekte werden betont von Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1236; Heinze, NZA 1997, 1, 3; ders., NZA 2001, 1, 3 („objektives Kriterium“) und Wank, Arbeitnehmer, S. 138. Auch mit Blick auf die Figur der arbeitnehmerähnlichen Person de lege ferenda sollen durch die Einführung von Entgeltgrenzen „präzisere Kriterien anstelle des wertungsoffenen Tatbestandsmerkmals ‚einem Arbeitnehmer vergleichbare Schutzbedürftigkeit’ zur Verfügung gestellt werden“, so ausdrücklich Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 287. Vgl. dazu auch Reinhardt, Phänomen, S. 169. 196 Vgl. dazu ausführlich oben § 5 C. II. 1., § 5 III. 1. und zusammenfassend Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 288 f. 197 Vgl. oben § 5 C. I. 2., § 5 C. II. 2. sowie § 5 III. 1. 198 Vgl. oben § 5 III. 2. 199 Vgl. dazu bereits näher oben § 6 D. III. 1. und zudem Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1235.
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hat neuerdings auch das BAG, trotz unstreitig gegebener Arbeitnehmereigenschaft, die Höhe des gezahlten Entgelts im Rahmen der Auslegung von § 612 Abs. 1 BGB explizit berücksichtigt und somit die Verdiensthöhe mit dem Umfang arbeitsrechtlichen Schutzes in Beziehung gesetzt. In einem präzisierenden Urteil zur Vergütungserwartung bei Überstunden sprach es davon, dass die ausdrücklich so benannten „Besserverdiener“, die „eine deutlich herausgehobene Vergütung“200 erzielten, typischerweise keine gesonderte Vergütung für Überstunden erwarten könnten 201. Auch schon zuvor hatte das Gericht mitunter den Umfang der richterlichen Vertragsinhaltskontrolle von der Höhe des Verdienstes abhängig gemacht. Bereits 1997 sprach es in einem richtungweisenden 202 Urteil mit Blick auf Chefärzte von „Arbeitnehmern in Spitzenpositionen mit Spitzenverdiensten“, gegenüber denen „sich der Arbeitgeber vertraglich weitergehende einseitige [Leistungs-]Bestimmungsrechte vorbehalten könne als gegenüber anderen Arbeitnehmern“. Die Höhe der Vergütung könne insoweit nicht außer Betracht bleiben 203. Schließlich geht auch der Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG-E) der Professoren Henssler und Preis einen ähnlichen Weg. Nach § 148 Abs. 2 ArbVG-E sollen de lege ferenda solche Arbeitnehmer, die eine bestimmte Entgeltgrenze überschreiten, durch Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber von einigen, ansonsten zwingenden Vorschriften auch zu Lasten des Arbeitnehmers abweichen können 204. In der Literatur hat sich zu dieser Konzeption, soweit ersichtlich, nur Hromadka ausdrücklich und ausführlich 205 geäußert. Er stimmt 200 Hiervon könne ausgegangen werden, wenn das Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung überschreite, vgl. BAG NZA 2012, 861, 862 f.; ähnlich bereits BAG NZA 2011, 1335, 1337. 201 BAG NZA 2012, 861, 862 f.; ähnlich BAG NZA 2011, 1335, 1337; erläuternd Bauer/ Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986, 1987; Bauer/Heimann, NZA-Beil. 2014 zu Heft 4, 114, 120; Franzen, RdA 2014, 1, 2 f.; begrüßend Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1235 und wohl auch Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1242. 202 So ausdrücklich Münzel, NZA 2011, 886, 888 f. 203 BAG NZA 1997, 1160, 1163; kritisch Debong, in: FS Löwisch, 89, 90 f. und dort Fn. 14; unkritisch dagegen etwa R. Schwarze, RdA 2012, 321, 323 und mit ausführlicher Begründung Kürth, Änderungsvorbehalte, S. 138 ff., 145; vgl. allgemein zur Zulässigkeit dieser sog. „Entwicklungsklauseln“ auf Grundlage des nunmehr geltenden AGB-Rechts ErfK/Preis, § 310 BGB Rn. 59; Debong, in: FS Löwisch, 89, 94 f.; Reinecke, NJW 2005, 3383, 3387 und zusammenfassend Münzel, NZA 2011, 886, 888 f. m. w. N. 204 Henssler/Preis, NZA-Beil. 2007 zu Heft 21, 6, 32. Vgl. zur Frage der Regelungstechnik – Ausschluss ipso iure oder dispositive Ausgestaltung der jeweiligen Vorschriften – für den hier unterbreiteten Vorschlag ausführlicher unten § 8 B. III. 2. d). 205 Eine sehr knappe Kritik findet sich lediglich bei Berkemeyer, Leihgabe, S. 39. Der hiervon abgesehene ausgebliebene Widerspruch im Schrifttum muss dagegen – gerade in Anbetracht einer solch grundlegend angedachten Neuregelung – wohl eher im Sinne einer stillschweigenden Zustimmung gedeutet werden.
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dem Ansatz im Grundsatz zu, schlägt zusätzlich aber vor, bloß „gewöhnliche Gutverdiener wie Direktoren“ nicht einzubeziehen. Vielmehr solle die Gruppe der Spitzenverdiener „auf solche Arbeitnehmer beschränkt bleiben, die Marktmacht wie ein ‚echter‘ Selbständiger“206 hätten. Einen Vorschlag, wie eine solche Gruppe abgegrenzt werden könnte, bleibt er allerdings schuldig. Es bliebe damit de facto nur die Möglichkeit, an den komplexen Gesamttatbestand wirtschaftlicher Abhängigkeit anzuknüpfen und die durch die Festsetzung einer Entgeltgrenze zunächst gewonnene Rechtssicherheit und Praktikabilität ginge damit sogleich wieder verloren. Zuletzt hat im Übrigen auch der Gesetzgeber mit dem Erlass des Mindestlohngesetzes (MiLoG) einen Zusammenhang zwischen Entgelthöhe und arbeitsrechtlichen Schutzbedürfnis anerkannt. Das MiLoG setzt zwar – spiegelbildlich zur vorliegenden Untersuchung – beim Schutz von Geringverdienern an; implizit wird damit aber deutlich, dass Entgelthöhe und arbeitsrechtlicher Schutzumfang durchaus in einem elementaren Zusammenhang stehen 207. bb) Nebenverdienste und Privatvermögen? Weitergehend wäre zwar über die bloße Berücksichtigung des im Arbeitsverhältnis erhaltenen Entgelts hinaus auch eine Anknüpfung an sonstige (Erwerbs-) Einkünfte oder das Privatvermögen des Arbeitnehmers grundsätzlich denkbar. Sie ist aber insbesondere aus drei Gründen abzulehnen. Zum einen führt diese Vorgehensweise dazu, dass der arbeitsrechtliche Schutzumfang auch von außervertraglichen Gegebenheiten abhängt208. Das ist eine Tatsache, die für das Privatrecht untypisch ist209. Allerdings erscheint deren Berücksichtigung im Arbeitsverhältnis vor allem zu Gunsten des Arbeitgebers nicht von vorneherein unangemessen, weil diesem – namentlich im Bereich des Existenzschutzes – spiegelbildlich auch Risiken aufgebürdet werden, deren Ursprung alleine in der Sphäre des Arbeitnehmers liegt und damit gleichfalls Umstände betroffen sind, die außerhalb des Austauschverhältnisses wurzeln 210. Dies geschieht, wie bereits oben ausgeführt, deshalb, weil auf Grund der typischen Er206
Hromadka, NZA 2007, 838, 840. Vgl. nur BT-Drs. 18/1558, 27 f.; ähnlich wie hier auch Wank, ArbuR 2017, 140, 145 und BeckOK-ArbR/Greiner, § 1 MiLoG Rn. 1. 208 Grundsätzlich kritisch zur Heranziehung von „nicht vertragstypenbezogenen“ Kriterien bei der Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes etwa ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 58; MünchArb/Richardi, § 16 Rn. 48 f.; Boemke, ZfA 1998, 285, 312 f., 320; Wank, Arbeitnehmer, S. 135; Ch. Weber, Arbeitsverhältnis, S. 226. Vgl. daneben auch schon die Ausführungen oben § 3 A. II. 2. c) aa) sowie die Nachweise dort. 209 Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 277; Richardi, in: FS Hromadka, S. 309, 310 ff. 210 Vgl. oben § 6. E. II. 4. sowie § 6. E. III. 3. 207
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werbssituation des Arbeitnehmers generalisierend davon ausgegangen wird, dass er zu einer eigenverantwortlichen Daseinsvorsorge nicht in der Lage ist211. Diese Vermutung ließe sich aber durch eine Berücksichtigung von Nebeneinkünften oder des Privatvermögens ebenso entkräften wie durch eine außerordentliche Höhe des Arbeitsentgelts212. Dass eine Anknüpfung an außervertragliche Umstände im Privatrecht nicht völlig undenkbar ist, beweisen zudem die Beispiele der arbeitnehmerähnlichen Personen 213 im Arbeitsrecht (vgl. insbesondere § 12a TVG), des Kaufmanns im Handelsrecht (§ 1 HGB) oder des Verbrauchers und des Unternehmers im Bürgerlichen Recht (§§ 13, 14 BGB). Mit Ausnahme der Rechtsbeziehungen der arbeitnehmerähnlichen Personen stehen hier allerdings regelmäßig keine Dauerrechtsverhältnisse in Rede, d.h. die Eigenschaft als Kaufmann, als Verbraucher oder als Unternehmer ist punktuell zum Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses feststellbar und gilt dann für einen einmaligen Leistungsaustausch. Anderes gilt im Arbeitsverhältnis: Je nach Nebenverdienstsituation oder dem Wert des Privatvermögens könnte ein Beschäftigter in ein und demselben Arbeitsverhältnis zum einen Zeitpunkt „echter“ Arbeitnehmer, zum anderen Zeitpunkt aber nur „Unternehmerähnlicher“ sein 214. Das führt letztlich zum zweiten Punkt, nämlich der fehlenden Kalkulierbarkeit des Rechtssystems für die am Arbeitsverhältnis beteiligten Parteien. Anders als im Anwendungsbereich anderer arbeitsrechtlicher Sonderregelungen für besonders schützenswerte Arbeitnehmergruppen, die ebenfalls an außervertragliche Umstände anknüpfen (etwa Alter: JArbSchG; Schwanger- und Mutterschaft: MuSchG; Behinderung: §§ 68 ff. SGB IX sowie AGG), können die entscheidenden Bestimmungskriterien hier mitunter starken Schwankungen unterworfen sein. Das gilt sowohl für den Wert des Privatvermögens als auch für die Höhe von Nebenverdiensten, deren Ermittlung im Übrigen weitere gravierende Probleme mit sich brächte, insbesondere etwa dann, wenn Wertpapiere und Immobilien zum Privatvermögen zählten oder bei den Nebeneinkünften auch Kapitalerträge mit 211
Vgl. oben § 5 III. 1. sowie § 6. E. III. 3. und dort insbesondere unter a) aa). So zum Privatvermögen ausdrücklich Reinhardt, Phänomen, S. 331 ff., 355; Schubert, Schutz, S. 51; anders wohl Boemke, ZfA 1998, 285, 299; Gamillscheg, RdA 1998, 2, 8 f. 213 Zu den außervertraglichen Kriterien bei Bestimmung der Arbeitnehmerähnlichkeit ausführlich Schubert, Schutz, S. 37 ff.; kritisch zur Berücksichtigung „privater Umstände“ Hromadka, NZA 1997, 1249, 1252 f. (dagegen Reinhardt, Phänomen, S. 352); im Ausgangspunkt kritisch auch Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 194, die an anderer Stelle (195 f.) allerdings betonen, dass „die sonstigen Einkünfte des Betroffenen und seine allgemeine finanzielle Situation unzweifelhaft Bedeutung für die rechtliche Einordnung seines Vertragsverhältnisses mit dem Auftraggeber“ hätten, und die diese daher auch teilweise berücksichtigen wollen. 214 Angedeutet von Lieb, ZVersWiss 1976, 207, 212; vgl. dazu auch Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1239 f. und Traeger, Reichweite, S. 130. 212
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einbezogen werden sollten 215. Der Arbeitgeber wäre deshalb über den Umfang seiner bestehenden arbeitsrechtlichen Verpflichtungen oftmals im Unklaren, der Arbeitnehmer spiegelbildlich zu einer Offenlegung seiner Finanzlage genötigt216. Drittens käme im Falle der Berücksichtigung von Nebenverdiensten die Gefahr einer (mittelbaren) Benachteiligung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern hinzu, die viel eher als ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen zu einer zusätzlichen Erwerbstätigkeit in der Lage sind. Würden hieran negative Rechtsfolgen für den einzelnen Arbeitnehmer geknüpft, läge aber nicht nur ein Widerspruch zu der gesetzlichen Wertung des § 4 Abs. 1 TzBfG nahe. Auf Grund der Tatsache, dass auch heute noch die überwiegende Anzahl der in Teilzeit tätigen Arbeitnehmer weiblich ist217, kommt auch eine mittelbare Diskriminierung von Frauen in Betracht218, was mit Blick auf Art. 3 Abs. 2 GG zu verfassungsrechtlichen Problemen führen könnte (vgl. dazu auch die einfach-gesetzliche Wertung aus §§ 7 Abs. 1 i. V. m. 3 Abs. 2 AGG). Sofern sich die Höhe der gesamten Nebenverdienste – etwa durch den Ausschluss von Entgeltfortzahlungsvorschriften der auf diese Art und Weise ermittelten „Unternehmerähnlichen“ – auch auf die Höhe des Entgelts im konkreten Arbeitsverhältnis auswirkt, muss auch auf die insoweit parallele unionsrechtliche Problematik des Gebots der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen nach Art. 157 Abs. 1 AEUV hingewiesen werden. Von diesem unmittelbar anwendbaren Grundsatz, der sich auch auf Entgeltleistungen auf Grund zwingender nationaler Gesetze erstreckt219, sind nämlich auch mittelbare Diskriminierungen durch (nur) dem Anschein nach neutrale Vorschriften oder Kriterien erfasst, die sich überwiegend zum Nachteil eines Geschlechts auswirken 220.
215 Vgl. dazu bereits oben § 5 C. II. 1. d) bb) und cc) bzw. § 5 C. II. 2. b). Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196 weisen zudem darauf hin, dass die Höhe solcher Einkünfte oftmals „nur über einen längeren Zeitraum und nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung ermittelt werden“ können; a. A. in Bezug auf Nebeneinkünfte Reinhardt, Phänomen, S. 350 f. Vgl. beispielhaft zu den Schwierigkeiten der Ermittlung von Nebeneinkünften des Einfirmenvertreters nach § 92a Abs. 1 HGB ausführlich Paul, SAE 2007, 133, 137 f. 216 Kritisch dazu Buchner, NZA 1998, 1144, 1147; Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196 und die Nachweise oben 2. Kap., Fn. 209. 217 Vgl. dazu bereits oben 2. Kap. § 6 C. IV. 1. c) bb) und dort Fn. 458. 218 Vgl. hierzu bereits in ähnlichen Zusammenhang oben 2. Kap. Fn. 424 sowie Wank, RdA 2010, 193, 198; ders., Arbeitnehmer, S. 225 f. 219 Ausdrücklich EuGH v. 17. 02. 1993 – Rs. C-173/91, Slg. 1993, I-693 Rn. 17 (Kommission/Belgien). 220 Dazu etwa Rebhahn, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 157 AEUV Rn. 7, 24 f.; Schrader, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 7 Rn. 58 ff., 63.
408 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Im Ergebnis kann daher nur ein Anknüpfen an die Höhe des Entgelts im jeweils in Rede stehenden Arbeitsverhältnis für die erforderliche Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Praktikabilität221 bei der Bestimmung der Gruppe der „Unternehmerähnlichen“ sorgen. b) Ermittlung einer Entgeltgrenze Durch die ausschließliche Berücksichtigung der Entgelthöhe lässt sich mithin auch von einer Gruppe der „Spitzenverdiener“ sprechen 222. Da die methodenorientierten Untersuchungen gezeigt haben, dass für Teile des Arbeitsrechts eine wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten „erforderlich“ ist und sich dieser Tatbestand nach Abwägung der Maximen der materiellen Einzelfallgerechtigkeit und der Rechtssicherheit am besten durch Entgeltgrenzen ausdrücken lässt, kann insofern auch keinesfalls von einem „Systembruch im Arbeitsrecht“ gesprochen werden 223. Erforderlich ist dann aber freilich die Festsetzung einer solchen Entgeltgrenze. Dabei stellen sich gleich mehrere Probleme. aa) Höhe Das gilt freilich zunächst und vor allen Dingen für die konkrete Ermittlung der Entgelthöhe, ab der ein arbeitsrechtlicher Schutz teilweise entfallen soll. Grundsätzlicher Maßstab sollte dabei nach dem oben teleologisch herausgearbeiteten Leitgedanken sein, dass der Arbeitnehmer über die Bewältigung seiner gewöhnlichen Lebenshaltungskosten hinaus zur eigenverantwortlichen Daseinsvorsorge für solche Risiken in der Lage ist, die der arbeitsrechtliche Existenzschutz an sich dem Arbeitgeber aufbürdet224. Darüber hinaus ist aber zusätzlich zu beachten, dass auch ein gut verdienender Arbeitnehmer regelmäßig fremdnützig und auf Rechnung seines Arbeitgebers tätig wird, der die Arbeit des abhängig Beschäftigten wiederum gewinnbringend und zu eigenen Gunsten verwerten kann. Zudem nimmt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer (anders als der Auftraggeber dem Arbeitnehmerähnlichen) typischerweise – sei es vertraglich durch eine eingeschränkte Zulässigkeit von Nebentätigkeiten, sei es faktisch auf Grund einer 221
Näher zu diesen Grundsätzen Herschel, JZ 1967, 727, 727 ff. Entsprechende oder ähnliche Terminologie bei Aldenhoff, NZA 2010, 800, 800 ff.; Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1236; U. Fischer, FA 2017, 34, 34; Lindemann Anm. zu BAG AP Nr. 315 zu § 107 BGB [sic] und Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1239, der die Schaffung einer solchen Gruppe im Ergebnis allerdings ablehnt. Hromadka, NZA 2007, 838, 839 spricht mit Blick auf § 148 Abs. 2 ArbVG-E von „Großverdienern“. 223 So zu Unrecht aber Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1240, 1244; vgl. aber auch ders., a. a. O., 1241 f.; wie hier Wank, Arbeitnehmer, S. 140. 224 Vgl. dazu ausführlich oben § 5 III. sowie § 6 E. III. 3. 222
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Vollzeitbeschäftigung225 – die Möglichkeit zur zusätzlichen Verwertung der Arbeitskraft im Rahmen einer potentiellen anderweitigen Erwerbstätigkeit226. Daher erscheint es gerade im Lichte des Sozialstaatsprinzips nicht nur grundsätzlich angemessen, sondern vielmehr sogar geboten, den Betrag höher anzusetzen als den reinen rechnerischen Wert, der sich aus einer bloßen Addition der notwendigen Kosten für Lebenshaltung und Daseinsvorsorge ergibt. Von der Tatsache abgesehen, dass schon die empirische Ermittlung dieser Kosten im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht erfolgen kann, ist damit auch nach Darstellung der relevanten Grundsätze die Festsetzung einer konkreten Entgelthöhe de lege ferenda freilich zu weiten Teilen von einer normativen Grenzziehung227 abhängig. Sie fällt daher vorrangig in den Aufgabenbereich des Gesetzgebers228. Hingewiesen werden kann an dieser Stelle aber erneut auf § 148 Abs. 2 ArbVG-E, der einen auch nach Ansicht des Verfassers zutreffenden Vorschlag unterbreitet. Dort sollte die Gruppe der Spitzenverdiener bei etwa 150.000 Euro Bruttojahreseinkommen beginnen 229. Schon nach der vorletzten Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamts betraf eine solche Regelung im Jahr 2010 damit etwa 70.000 Arbeitnehmer230. Die jüngste Verdienststrukturerhebung für das Jahr 2014 schlüsselt die Arbeitnehmerverdienste zwar „nur“ bis zu einem umgerechneten maximalen Jahresverdienst von 145.200 Euro im Einzelnen auf. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass jedenfalls ein großer Teil der dort erfassten 132.000 Arbeitnehmer231 bei einem Bruttojahreseinkommen von über 150.000 Euro lag. Aus der Erhebung für das Jahr 2010 geht zudem hervor, in 225 Zu einer Kombination aus 40-stündiger Wochenarbeitszeit und einem Erlaubnisvorbehalt bezüglich einer Nebenbeschäftigung vgl. etwa die Entscheidung BAG SAE 2003, 362, 362 ff. mit Anm. von Ch. Weber. 226 Vgl. dazu ausführlich oben § 5 III. sowie pointiert Willemsen/Müntefering, NZA 2008, 193, 196 f. 227 Vgl. dazu am Beispiel der Arbeitnehmerähnlichen de lege ferenda auch Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 287 f. 228 Aldenhoff, NZA 2010, 800, 801. 229 Henssler/Preis, NZA-Beil. 2007 zu Heft 21, 6, 32; ganz ähnlich auch die „Spitzenverdienstgrenze“ bei Aldenhoff, NZA 2010, 800, 801; Annuß, NZA 2017, 345, 349 und Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1237. Stellte man dagegen auf die oben vor allen Dingen aus Gründen der Anschaulichkeit und Praktikabilität verwendete Rechengröße von 400 % des Medianverdienstes ab (dazu insbesondere § 6 D. III. 2 b) aa) und dort 2. Kap., Fn. 879), so ergäbe sich für das Jahr 2010 ein Bruttojahresverdienst der Gruppe der Spitzenverdiener von etwa 110.000 Euro, vgl. Statistisches Bundesamt 2010, Fachserie 16, Verdienste und Arbeitskosten, Verdienststrukturen, S. 527. 230 Von gut 24 Mio. in der Statistik insgesamt erfassten Arbeitnehmern, vgl. Statistisches Bundesamt 2010, Fachserie 16, Verdienste und Arbeitskosten, Verdienststrukturen, S. 527. 231 Von nunmehr gut 37 Mio. in der Statistik insgesamt erfassten Arbeitnehmern, vgl. Statistisches Bundesamt 2014, Fachserie 16, Heft 1, Verdienststrukturerhebung, S. 32.
410 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
welchen Berufszweigen die höchsten durchschnittlichen Bruttojahresverdienste erzielt werden. Insoweit kann vermutet werden, dass zumindest ein weit überwiegender Teil der hier als Spitzenverdiener definierten Arbeitnehmer auch in diesen Berufsfeldern tätig ist. Dabei handelt es sich wenig überraschend vornehmlich um solche Berufe, die eine akademische Ausbildung voraussetzen 232. Betroffen wären von dem vorliegenden Gesetzgebungsvorschlag damit – freilich neben den Lizenzfußballspielern und weiteren Sport- oder Medienstars – wohl nahezu ausnahmslos solche Arbeitnehmer, die ein Hochschulstudium erfolgreich abgeschlossen haben, die überwiegend in leitender Funktion tätig sind und von denen ohne weiteres vermutet werden kann, dass sie zu einer eigenverantwortlichen Daseinsvorsorge auch ohne die insoweit bestehenden, zwingenden Schutzvorschriften des Arbeitsrechts in der Lage sind. bb) Regelungstechnik Ist nach alledem die ungefähre Größenordnung des Entgelts festgestellt, die für die Arbeitnehmergruppe der Spitzenverdiener maßgeblich sein soll, stellen sich in diesem Zusammenhang aber insbesondere noch zwei Fragen regelungstechnischer Art. Erstens kann die entscheidende Entgelthöhe sowohl absolut-statisch, als auch relativ-dynamisch formuliert werden 233. Sie könnte also einmal, um den Vorschlag von soeben aufzugreifen, fix bei 150.000 Euro festgesetzt werden. Daneben besteht aber auch die Möglichkeit, die Entgeltgrenze durch ein Vielfaches der durchschnittlichen Arbeitnehmerverdienste zu ermitteln. Auf diese Weise verfährt etwa § 148 Abs. 2 ArbVG-E, der die dortigen Spitzenverdiener mit dem Fünffachen der jährlichen Bezugsgröße der Sozialversicherung (§ 18 SGB IV) definiert. Eine solche Vorgehensweise bietet mit dem Verweis auf die jährlich mit Blick auf die Durchschnittsentgelte der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr aktualisierte Rechengröße234 eine dynamische und daher mit Blick auf Inflation und Lohnsteigerungen vorzugswürdige Lösung235. 232 Insbesondere Ingenieure, Chemiker, Physiker, Rechtsberater, Publizisten und Ärzte, vgl. genauer Statistisches Bundesamt 2010, Fachserie 16, Verdienste und Arbeitskosten, Verdienststrukturen, S. 523 – 526. Hinzu kommen wirtschaftsberatende Berufe (vgl. dazu beispielhaft den Sachverhalt von BAG AP Nr. 315 zu § 107 BGB [sic]) und solche in der Finanzbranche. 233 Vgl. dazu die auch in ihrer Reichweite jeweils unterschiedlichen Vorschläge von Aldenhoff, NZA 2010, 800, 801; Bauer, in: FS Etzel, S. 15, 25 f.; ders./v. Medem, NZA 2013, 1233, 1237 und Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1239 ff. 234 Details in § 18 SGB IV i. V. m. § 2 SV-ReGrVO sowie bei Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 287. 235 So wohl auch Aldenhoff, NZA 2010, 800, 801; unentschieden Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 99. Ganz ähnlich wäre auch eine dynamische Orientierung am (zwei-
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Allerdings geht sie gleichzeitig zu Lasten der Rechtssicherheit: Trotz gleichbleibenden Gehalts eines Arbeitnehmers, könnte dieser bei einer Steigerung der Bezugsgröße aus der Gruppe der Spitzenverdiener herausfallen und wäre wieder wie ein „normaler“ Arbeitnehmer zu behandeln 236. Zu beachten ist insofern aber freilich, dass dieser Effekt zumindest im Falle regelmäßiger Gehaltserhöhungen – die mittelbar selbst wiederum erst die Grundlage für die Erhöhung der maßgeblichen Rechengröße bilden – selten oder überhaupt nicht auftreten wird. Zweitens stellt sich die Frage, ob bei der Ermittlung des Entgelts eines Arbeitnehmers im Einzelfall nur an das Festgehalt angeknüpft werden sollte, oder ob zusätzlich insbesondere auch variabel ausgestaltete Sonderzahlungen Berücksichtigung finden sollten. Für die letztere Herangehensweise spricht, dass es für die tatsächliche Fähigkeit zur Daseinsvorsorge irrelevant ist, ob sich das Gehalt des Arbeitnehmers aus festen, variablen oder sonstigen Vergütungsbestandteilen zusammensetzt237. Dennoch ist eine solche Lösung im Ergebnis abzulehnen. Denn einerseits fehlt dem Arbeitnehmer vor allem bei solchen Sonderzahlungen, die er nicht selbst unmittelbar beeinflussen kann 238, eine dem Festgehalt entsprechende Planungssicherheit; andererseits ist es nur schwer einzusehen, warum eine besondere berufliche Leistung mit einer Absenkung des arbeitsrechtlichen Schutzniveaus „bestraft“ werden sollte239. Ein solcher Regelungsreflex könnte zudem dazu führen, dass ein Arbeitnehmer für ein Mehr an arbeitsrechtlichem Schutz – bewusst oder unbewusst – etwa auf das Erreichen einer Zielvereinbarung verzichtete. Der mit einer solchen Vertragsgestaltung eigentlich verbundene Anreiz, den Arbeitnehmer zu mehr Leistung zu motivieren 240, ginge damit verloren und eine gesetzliche Regelung, die eine solche Tendenz in einem bestimmten Verdienstbereich förderte, wäre mithin weder im Sinne der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber241. Darüber hinaus würde durch eine Nichtberücksichtigung variabler Entgeltbestandteile die Gefahr eines Missbrauchs schon im Ansatz vermieden. Denn andernfalls hätte es der Arbeitgeber, dem bei der Festsetzung
fachen) Betrag der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung möglich, so etwa der Vorschlag von Annuß, NZA 2017, 345, 349. 236 So liegt der fünffache Betrag der jährlichen Bezugsgröße der Sozialversicherung gem. § 18 SGB IV für das Jahr 2017 beispielsweise schon bei etwa 175.000 Euro. 237 Ähnlich Aldenhoff, NZA 2010, 800, 801. 238 So etwa regelmäßig bei Tantiemen, vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 494 ff.; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 232. 239 Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1240; Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 99 f. 240 Riesenhuber/v. Steinau-Steinrück, NZA 2005, 785, 789; Treichel, NJOZ 2012, 1097, 1097; ausführlich Deich, Zielvereinbarungen, S. 19 ff. 241 Ähnlich Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 98 f.; i. E. anders aber Aldenhoff, NZA 2010, 800, 801 f.
412 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
eines Bonus oftmals ein gewisser Ermessensspielraum zukommt242, mitunter in der Hand, den Arbeitnehmer durch die Gewährung einer großzügig bemessenen Sonderzahlung auf die Seite der Spitzenverdiener zu rücken 243. Schließlich führte eine solche Vorgehensweise – auch von Fällen des Rechtsmissbrauchs abgesehen – noch weit mehr als die oben erwähnte, relativ-dynamische Bestimmung dieser Arbeitnehmergruppe zur Entstehung von Rechtsunsicherheit: Je nach individuellem Erfolg des Arbeitnehmers (Provision oder Zielvereinbarung) oder Gesamterfolg des Arbeitgeberunternehmens (Tantiemen) könnte und würde der Beschäftigte zwischen den Gruppen der „normalen“ Arbeitnehmer und der Spitzenverdiener hin- und herpendeln 244. c) Einschränkbare Regelungsbereiche Zu der soeben behandelten und zu weiten Teilen von Wertungsgesichtspunkten und Problemen der Regelungstechnik getragenen Fragestellung nach dem Bestimmungskriterium der Gruppe der Spitzenverdiener tritt notwendigerweise die nicht minder leicht zu beantwortende Frage, von welchen arbeitsrechtlichen Regelungsbereichen die Spitzenverdiener de lege ferenda auszunehmen sind. Eine Antwort auf diese Frage kann nur eine teleologische Untersuchung des geltenden arbeitsrechtlichen Normbestands geben. Zwar kann an dieser Stelle keine umfassende Betrachtung vorgenommen werden; es kann aber zu weiten Teilen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Insoweit gilt, dass die Möglichkeiten der Einschränkung ausschließlich im Bereich des Existenzschutzes zu suchen 245 und hier vor allen Dingen bei solchen Rechtsfolgen zu finden sind, die ausschließlich oder jedenfalls weit überwiegend mit den Tatbeständen der wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit in teleologischem Bezug stehen. Es ist dabei allerdings zu beachten, dass der Ausschluss von bestimmten Rechtsfolgen nach dem soeben unterbreiteten Vorschlag nicht an eine wertende Gesamtbetrachtung der wirtschaftlichen Abhängigkeit, sondern aus Gründen der Praktikabilität und Rechtssicherheit ausschließlich an eine bestimmte Höhe des Entgelts geknüpft werden soll. Daher kommen im Ergebnis unstreitig insbesondere diejenigen Regelungen des Sozialschutzes in Betracht, 242 Vgl. dazu beispielhaft BAG AP Nr. 315 zu § 107 BGB [sic] mit Anm. von Lindemann. 243 Diese Gefahr des Missbrauchs zutreffend erkennend Aldenhoff, NZA 2010, 800, 802. 244 So etwa die begründete Befürchtung von Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1239 f. und Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 99 f. 245 Dazu ausführlich oben § 6 E. II. und III. sowie die zusammenfassende Übersicht bei § 8 B. I., die freilich auf Grund ihrer schematisierenden Darstellung eine Eindeutigkeit suggeriert, die so in der Rechtswirklichkeit nicht in allen Teilbereichen des Existenzschutzes zu finden ist.
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die Risiken der Arbeitnehmersphäre auf den Arbeitgeber übertragen 246 und die den Entgeltbereich faktisch unmittelbar betreffen 247, beispielsweise die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen oder der Anspruch auf Urlaubsentgelt248. Naturgemäß weniger eindeutig ist die Lage dagegen bei den Haftungsbeschränkungen 249 und in den Fällen des Betriebsrisikos, die wie gezeigt auf eine Gefährdungslage reagieren, die sich mitentscheidend auch aus der persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers ergibt250. Mit größter Vehemenz dürfte sich die Diskussion um eine Einschränkung aber freilich im Bereich des Bestandsschutzes nach dem KSchG entzünden. Hier wäre noch eingehender zu prüfen, ob alleine ein Anknüpfen an die Höhe des Entgelts eine vollständige Herausnahme der Spitzenverdiener aus dem KSchG bzw. gegebenenfalls eine Reduzierung auf eine Abfindungslösung teleologisch rechtfertigt oder ob eine solche Lösung auf die Gruppe der leitenden Angestellten beschränkt bleiben muss (so schon § 9 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG), weil diese zusätzlich zur regelmäßig überdurchschnittlichen Verdiensthöhe noch in einer besonderen Vertrauensposition zu ihrem Arbeitgeber stehen. Auch insoweit sei aber auf die obigen Ausführungen samt den dortigen umfassenden Literaturnachweisen verwiesen 251. Zusätzliche – namentlich auch verfassungsrechtliche – Fra-
246
Vgl. oben § 6 E. III. 3. a) aa). Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241 f.; Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 98 f.; ansatzweise auch bei Greiner, RdA 2007, 60, 61; Wank, Arbeitnehmer, S. 138 f. und L. Weber, Strukturen, S. 186 ff. 248 Ein Ausschluss vom Anspruch auf das Urlaubsentgelt, §§ 1 i. V. m. 11 BurlG i. V. m. § 611a Abs. 2 BGB, dürfte freilich – soweit der europarechtlich garantierte Mindesturlaub von vier Wochen betroffen ist – an den (momentanen) Vorgaben des Unionsrechts scheitern. Denn Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie garantiert dem Arbeitnehmer gerade einen bezahlten Urlaub in diesem zeitlichen Umfang (vgl. statt aller EuGH v. 06. 03. 2006 – Rs. C-131/04 und C-257/04, Slg. 2006, I-2531 Rn. 50 (Robinson-Steele) und aus der Literatur Mehrens/Witschen, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, § 7 Rn. 1, 38). Der dortige Arbeitnehmerbegriff wird vom EuGH aber in gefestigter Rechtsprechung unionsautonom ausgelegt (vgl. dazu die umfangreichen Nachweise oben 2. Kap., Fn. 580) und dieser enthält gerade keine Einschränkung für Spitzenverdiener im Sinne einer Verdienstobergrenze (vgl. dazu schon ausführlich oben § 6 C. V. 4. b) und zu den Konsequenzen sogleich näher unter § 8 B. V. 2. a)). Da auch eine Abweichung nach Art. 17 der Arbeitszeitrichtlinie nicht möglich ist, wäre der Erlass einer diesen (Mindest-)Vorgaben widersprechenden nationalen Regelung demnach unionsrechtswidrig und somit unzulässig, (unten § 8 B. V. 2. a)). Eine entsprechende Norm gäbe dem EuGH andererseits aber auch die Möglichkeit, seine eigene Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff mit Blick auf Spitzenverdiener zu hinterfragen. 249 Unentschieden daher auch Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 100. 250 Vgl. oben § 6 E. III. 3. a) bb) sowie § 6 E. III. 3. c). 251 Vgl. oben 2. Kap. § 6 E. III. 3. b) bb) sowie insbesondere die Nachweise in Fn. 1117 – 1121. 247 Ähnlich
414 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
gen stellen sich außerdem auf Grund der in Teilen persönlichkeitsschützenden Zielrichtung des Bestandsschutzes (dazu näher unten IV.). Was schließlich die ebenfalls diskutierte Einschränkung der Vertragsinhaltskontrolle252 angeht, so wurde bereits auf die flexible Handhabung durch das BAG in seiner Chefarztentscheidung hingewiesen 253. Die besondere Höhe des Entgelts ist aber auch de lege lata254 auf Grundlage des AGB-Rechts in Ausnahmefällen bereits mittelbar und ohne Korrektur durch den Gesetzgeber bei Umfang und Intensität der Inhaltskontrolle berücksichtigungsfähig. Als dogmatischer Hebel bieten sich hierfür entweder die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten gem. § 310 Abs. 4 S. 2 BGB255, oder – vorzugswürdig – die Regelung des § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB an, die auf Grund der Verbrauchereigenschaft von Arbeitnehmern 256 auf diese anwendbar ist257. Hiernach sind „die den Vertragsschluss begleitenden Umstände“ bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs.1 und 2 BGB zu berücksichtigen. Das gilt nach – wenn auch nicht unbestrittener – herrschender Meinung258 auch zu Lasten des Arbeitnehmers. Da bei einem Arbeitnehmer, der in der Lage ist, ein weit überdurchschnittliches Entgelt zu vereinbaren, wohl regelmäßig auch auf eine besondere Geschäftserfahrung, Verhandlungsstärke, Beurteilungsfähigkeit oder – etwa im Falle der Lizenzfußballer – auf eine besondere rechtliche Beratung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geschlossen werden kann 259, bietet sich damit die flexible Möglichkeit, „insbesondere Vertragsgestaltungen mit erfahrenen Spitzenkräften […] mit der gebotenen Zurückhaltung zu kontrollieren“ und Bedenken gegen bestimmte Klauseln – gerade solche, die Entgeltfragen betreffen – abzuschwächen260. 252 Andeutungen etwa bei Hromadka, NZA 2007, 838, 840 und – i. E. aber ablehnend – Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1237. 253 Vgl. oben § 8 B. III. 2. a) aa). 254 Die AGB-Kontrolle für besonders verhandlungsstarke Spitzenverdiener de lege ferenda für „wohl verzichtbar“ haltend Hromadka, NZA 2007, 838, 840; dagegen zu Recht Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1237. 255 So Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 100. 256 Grundlegend BAG NZA 2005, 1111, 1115; bestätigt durch BVerfG NZA 2007, 85, 86. 257 BAG NZA 2006, 324, 328; BAG NZA 2008, 1004, 1006; ErfK/Preis, § 310 BGB Rn. 23, 42. 258 BAG NZA 2006, 324, 328; ErfK/Preis, § 310 BGB Rn. 42; HWK/Gotthardt/Roloff, § 310 BGB Rn. 10; Staudinger/Schlosser, § 310 BGB Rn. 70; a. A. etwa Michalski, DB 1999, 677, 678 f. 259 Ebenso gerade mit Blick auf Lizenzfußballspieler Bepler, in: Nolte (Hrsg.), Bedrohungen, S. 9, 14 f. und diesem folgend Schütz, Lizenzfußballspieler, S. 25 ff. Vgl. allgemein zu den nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB berücksichtigungsfähigen Umständen etwa BAG NZA 2006, 324, 328; ErfK/Preis, § 310 BGB Rn. 42. 260 ErfK/Preis, § 310 BGB Rn. 23, 42, 46 und diesen ebenfalls zitierend Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1242; ähnlich auch Bauer/v. Medem, NZA 2013, 1233, 1237 f.
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d) Ausschluss ipso iure oder dispositive Ausgestaltung Hat man dementsprechend die grundsätzlich einschränkbaren Regelungsbereiche ermittelt, so stellt sich schließlich noch eine weitere Frage regelungstechnischer Art. Denn die Spitzenverdiener können von den in Rede stehenden Teilmaterien zum einen ipso iure ausgeschlossen werden; zum anderen bestünde aber auch die Möglichkeit einer bloß dispositiven Ausgestaltung: Die jeweilige Regelung bliebe dann grundsätzlich auch auf Spitzenverdiener anwendbar, es wäre ausnahmsweise aber auch eine privatautonome Abweichung zu Lasten dieser besonderen Arbeitnehmergruppe möglich. In dieser letztgenannten Weise verfährt etwa, wie oben bereits erwähnt, § 148 Abs. 2 ArbVG-E. Dort heißt es: „Arbeitnehmer, deren Entgelt das Fünffache der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch übersteigt, können mit ihrem Arbeitgeber von den §§ […] abweichende Vereinbarungen treffen.“ 261
Diese – im Rahmen der Diskussion um den Arbeitsvertragsentwurf in Wissenschaft und Presse auch als sog. „Ballack-Klausel“ bekannt gewordene262 – Regelung trägt der geringeren Schutzbedürftigkeit von Spitzenverdienern letztlich (nur) durch eine Erweiterung der Vertragsfreiheit Rechnung263. Indes favorisiert die vorliegende Untersuchung die erstgenannte Alternative, mithin also einen Ausschluss der Spitzenverdiener von den jeweiligen arbeitsrechtlichen Teilregelungen ipso iure. Die Vorzugswürdigkeit dieser Regelungstechnik für den hier unterbreiteten Vorschlag lässt sich letztlich schlüssig bereits aus den obigen Ausführungen herleiten. Dort wurde auf die Eigenschaft des Arbeitsrechts als vom allgemeinen Zivilrecht abweichendes Sonderprivatrecht hingewiesen, das gerade auf eine bestimmte Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmer reagiert und das auf Grund der damit spiegelbildlich verbundenen Belastungen der Arbeitgeber der besonderen Rechtfertigung bedarf 264. Als Schutzgründe wurden die persönliche und – kumulativ – die wirtschaftliche Abhängigkeit sowie die 261 Henssler/Preis, NZA-Beil. 2007 zu Heft 21, 6, 32. Ebenso auch noch der Vorschlag von Henssler, AnwBl 2014, 249, 250. 262 Die Bezeichnung erfolgte in Anlehnung an den damaligen Kapitän der Fußballnationalmannschaft Michael Ballack. Dieser galt zur damaligen Zeit als Inbegriff eines Arbeitnehmer-Spitzenverdieners, nachdem er im Jahr 2006 einen Arbeitsvertrag mit dem FC Chelsea abgeschlossen hatte, der mit einem wöchentlichen Entgelt von 120.000 Euro vergütet wurde. Die Bezeichnung „Ballack-Klausel“ findet sich etwa bei Hromadka, NZA 2007, 838, 842 und Berkemeyer, Leihgabe, S. 37; aus der Presse etwa Focus v. 03. 03. 2008 (Nr 10/2008) S. 51, im Internet abrufbar unter http://www.focus.de/panorama/boulevard/ profile-die-ballack-klausel_aid_263598.html (zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017). 263 So Henssler/Preis, Begründung des Diskussionsentwurfes eines Arbeitsvertragsgesetzes, S. 147 (unveröffentlicht, zitiert bei L. Weber, Strukturen, S. 188). 264 Dazu insbesondere oben 2. Kap. § 6 C. III. 3. und dort Fn. 398 und 399 sowie grundlegend hierzu § 5 C. III. 1.
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soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers ausgemacht, wobei die erstere die Rechtsfolgen des Berufschutzes und die letzteren beiden die Rechtsfolgen des Existenzschutzes zu rechtfertigen vermögen 265. Dort aber, wo eine der beiden Abhängigkeiten (oder die soziale Schutzbedürftigkeit) nicht gegeben ist, entfällt letztlich auch der damit jeweils verknüpfte Regelungsanspruch des Arbeitsrechts, weil die Anwendung der entsprechenden Rechtsfolgen für diese Art eines Beschäftigten teleologisch nicht mehr gerechtfertigt ist266. Ein überschießender weil nicht mehr mit teleologischen Sachgründen gerechtfertigter Eingriff des arbeitsrechtlichen Gesetzgebers in das damit grundsätzlich anwendbare Regelungsregime des allgemeinen Zivilrechts ist aber nicht nur dort gegeben, wo eine arbeitsrechtliche Regelung zwingend ausgestaltet wird. Sie liegt vielmehr auch dann vor, wenn die Reglung „nur“ (zweiseitig) dispositiv gilt, sie also grundsätzlich einer abweichenden Vereinbarung durch die Vertragsparteien zugänglich ist. Auch eine solche Norm ist nämlich nicht neutral267, weil durch sie die Verhandlungslast268 – unzulässig, da ohne teleologisch begründeten Anlass – auf die Seite des Arbeitgebers verschoben wird: Trotz der Tatsache, dass den Spitzenverdienern regelmäßig gerade mit Blick auf den Entgeltbereich im weitesten Sinne selbst eine erhebliche Verhandlungsmacht zukommt und eine strukturelle Unterlegenheit hier zweifelhaft ist269, muss der Arbeitgeber in den Vertragsverhandlungen tätig werden, um eine vom dann gesetzlichen Regelfall abweichende vertragliche Vereinbarung zu erzielen. Er wird durch eine entsprechende dispositive Ausgestaltung daher stärker belastet – und dies, obwohl es auf Grund der Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Daseinsvorsorge im Gegenteil überhaupt schon an einer zureichenden Rechtfertigung zur gesetzlichen Anordnung der entsprechenden Rechtsfolgen auf die Spitzenverdiener fehlt270. Der Effekt einer 265
Oben § 6 E. III. 2. und 3. zusammenfassend etwa oben § 6 E. V. Zur fehlenden Notwendigkeit staatlichen Schutzrechts im Falle gegebener Verhandlungsparität vgl. daneben die Nachweise oben 2. Kap., Fn. 927. Zur Geltung des BGB als Basiskodifikation der Privatrechtsordnung und grundlegend zum Verhältnis von Rechtsordnung und Privatautonomie auch Flume, AT Bd. II, S. 1 ff. Im Grundgedanken – aber nicht im Ergebnis – wie hier auch Bepler, in: Fütterer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht, S. 11, 22 f. 267 Kähler, Begriff abdingbaren Rechts, S. 165 und 232 f. m. w. N. 268 Ausführlich zur sog. Verhandlungs- oder (gleichbedeutend) Abbedingungslast Kähler, Begriff abdingbaren Rechts, S. 165 ff., 231 f.; ähnlich Möslein, Dispositives Recht, S. 71 f., 383 f.; vgl. zu einem Beispiel auch BVerfG NJW 1982, 373, 374 (gesetzliche aber abdingbare Mindesthonorare stärken die Verhandlungsposition des Architekten). 269 Ähnlich auch Pötters, NZA 2014, 704, 707; Annuß, NZA 2017, 345, 349 U. Fischer, FA 2017, 34, 35 f. und implizit Bepler, jM 2016, 105, 111. Vgl. zur strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers und zur (nur) typischerweise fehlenden Verhandlungsparität der Arbeitsvertragsparteien schon oben § 6 E. I. 2. und 3.; näher zum Gesichtspunkt der Verhandlungsmacht auch nochmals sogleich hier unter d). 270 Dazu oben § 5 C. III. 1. und 2. sowie § 6 E. III. (dort 3.), IV. und V. 266 Dies
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gesetzgeberischen Fehlgewichtung der verhandlungstechnischen Ausgangspositionen wird im Übrigen zusätzlich noch dadurch verstärkt, dass die Vertragsfreiheit zumindest faktisch auch durch dispostives Recht beschränkt wird 271. Denn in der Praxis werden Verhandlungen über den Vertragsinhalt oftmals schon überhaupt nicht geführt, wenn eine bestimmte Frage gesetzlich vorgeregelt ist; das in solchen Fällen stattdessen angewendete dispositive Recht entfaltet dann aber im Ergebnis dieselben Wirkungen wie zwingendes Recht272. Hiergegen mag man einwenden, dass dieser Effekt im Bereich des Arbeitsrechts dadurch abgemildert wird, dass Arbeitsverträge in aller Regel aus vom Arbeitgeber gestellten allgemeinen Geschäftsbedingungen bestehen. Die mögliche Verwendung von AGB ändert aber jedenfalls nichts daran, dass eine grundsätzliche gesetzliche Verankerung bei gleichzeitig dispositiver Ausgestaltung dem Arbeitgeber – gerade beim Werben um die am Markt regelmäßig begehrten Spitzenverdiener – vor allem mit Blick auf eine angestrebte Gesamtvereinbarung eine verhandlungstechnisch ungünstigere Ausgangslage verschafft. Außerdem kann die Initiative zur Abbedingung vom Verhandlungspartner im schlimmsten Falle sogar als grundlegender Vertrauensbruch empfunden werden und ein Vertragsschluss alleine aus diesem Grunde scheitern273. Einer entsprechenden Vorgehensweise mittels einer dispositiven Ausgestaltung widerspräche denn auch den in der Grundlagenforschung zum abdingbaren Recht entwickelten Maßstäben. Die Regelung einer bestimmten Rechtsfolge auch durch eine bloß dispositive Norm ist nämlich regelmäßig nur dann gerechtfertigt, wenn die durch sie begründeten Pflichten – und spiegelbildlich die Lasten ihrer Abbedingung – für beide Parteien interessengerecht verteilt sind. Dabei sind die jeweiligen Interessen rechtsethisch zu gewichten274; stets bedarf es einer zutreffenden 271
Kötz, JuS 2013, 289, 289. Näher hierzu Kötz, JuS 2013, 289, 290, 292 f.; ähnlich auch Kähler, Begriff abdingbaren Rechts, S. 163 f. und gerade mit Blick auf das Arbeitsrecht S. 166. 273 Vgl. zu diesen Gesichtspunkten allgemein Kähler, Begriff abdingbaren Rechts, S. 167 f., 170 m. w. N., dort auch näher zu den abdingbaren Normen als Ausgangsgröße bei Verhandlungen und zum damit zusammenhängenden psychologischen Phänomen, Verluste stärker vermeiden zu wollen als Gewinne zu verwirklichen: Es macht demnach einen Unterschied, „ob man ein gesetzlich vorgesehenes Recht abbedingt oder ein außergesetzliches Recht erlangt“ (Kähler, a. a. O. S. 170); vgl. ausführlich auch ders., a. a. O. S. 179 ff. zum damit verwandten sog. „Besitzeffekt“, nach dem eine Person ein Recht stärker schätzt, wenn sie bereits über es verfügt, als wenn sie es erst noch erwerben müsste; hierzu auch Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 323 ff. m. w. N. auch auf einen wissenschaftlichen Nachweis dieses Effekts. 274 Ausführlich Kähler, Begriff abdingbaren Rechts, S. 230 ff., 278 f., 283 ff. und insbes. 285 ff. sowie 308 ff.; zusammenfassend Kötz, JuS 2013, 289, 290; in eine ähnliche Richtung gehend auch Möslein, Dispositives Recht, S. 111 ff.; ein ausführlicher Überblick auch über abweichende Konzeptionen findet sich bei Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 66 ff. Grundsätzlich zur Notwendigkeit eines für die Parteien interessengerechten 272
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Begründung, warum die belastete Partei eine bestimmte Pflicht prinzipiell tragen soll275. Dabei unterliegen kostenintensive Regelungen einem besonderen Rechtfertigungsdruck 276. Die gesetzliche Anordnung der grundsätzlichen Geltung des Rechtsfolgenbündel des Existenzschutzes stellt demnach aber nur dann einen „angemessene[n] Interessenausgleich“277 zwischen den Arbeitsvertragsparteien dar, wenn ein persönlich abhängig Beschäftigter kumulativ auch wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig ist. Denn nur dann ist er nicht in der Lage, selbständig und eigenverantwortlich für die verschiedenen Wechselfälle des Lebens vorzusorgen und nur dann wird der Arbeitgeber spiegelbildlich dazu in die Lage versetzt, aus der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers über deren reinen Gegenwert hinaus unternehmerische Gewinne zu erwirtschaften278. Nur im Falle einer solchen Art der Abhängigkeit – die nach dem hier unterbreiteten Vorschlag über die Entgelthöhe widerlegt werden kann279 – ist es deshalb interessengerecht, den Arbeitgeber schon im Ausgangspunkt gesetzlich mit solchen Risiken zu belasten, die ihren Ursprung alleine in der Sphäre des Arbeitnehmers haben280. Ein Ausschluss ipso iure wird zudem der im Rahmen dieser Arbeit angestrebten und der Gesetzessystematik schon heute zu Grunde liegenden Vierteilung der Erwerbstätigen281 viel eher gerecht. Dass die Spitzenverdiener in einem ersten Rechts v. der Pfordten, Rechtsethik, S. 463 ff., 470 ff.; zusammenfassend auch ders., JZ 2005, 1069, 1069 ff. 275 Kähler, Begriff abdingbaren Rechts, 278 f., 285 f., 308. Ebenso mit Blick auf eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung Canaris, AcP 184 (1984), 201, 214 und Möslein, Dis positives Recht, S. 384. Grundsätzlich zur Nachteilszuweisung durch dispositives Recht Bydlinski, System, S. 93. 276 Kähler, Begriff abdingbaren Rechts, 322 ff., 324. 277 So auch der Maßstab, von dem BGH NJW-RR 2005, 394, 396 mit Blick auf dispositives Recht implizit ausgeht; ähnlich bereits BGHZ 41, 151, 154, wo davon die Rede ist, dass der Entstehung dispositiven Rechts ein sich „aus der Natur der Sache […] ergebende[s] Gerechtigkeitsgebot“ zu Grunde liegt. 278 Dazu ausführlich oben § 5 C. III. 1. 279 Dazu grundlegend oben § 5 C. III. 2. und zu einem konkreten Vorschlag soeben § 8 B. 2. b). 280 Vgl. auch hierzu schon ausführlich oben § 5 C. III. 1. sowie § 6 E. III. 3. a) aa). Ganz ähnlich Kähler, Begriff abdingbaren Rechts, S. 286: „Die Parteien sind von Verpflichtungen zu verschonen, für die sie keine Verantwortung tragen.“. Wird eine Partei dagegen ohne einen rechtfertigenden Grund benachteiligt, so liegt sogar eine Verletzung des Art. 3 GG oder anderer Grundrechte nahe, vgl. hierzu Kähler, Begriff abdingbaren Rechts, S. 327 ff.; Möslein, Dispositives Recht, S. 384 und BVerfG 84, 9, 18 zur Verfassungswidrigkeit des dispositiven § 1355 Abs. 2 S. 2 BGB a. F. (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG). Vgl. aus der Rechtsprechung ferner BAG AP Nr. 4 zu § 60 HGB zum im Lichte des Art. 12 GG notwendig verfassungskonform auszulegenden dispostiven § 60 HGB; hierzu näher HWK/Diller, § 60 HGB Rn. 13 und ausführlich Canaris, AcP 184 (1984), 201, 215. 281 Vgl. hierzu oben § 8 B. I.
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Schritt überhaupt unter den Begriff des Arbeitnehmers fallen und erst in einem zweiten, folgenden Schritt von bestimmten Rechtsfolgen des Arbeitsrechts ausgenommen werden, hat primär die bereits oben dargestellten rechtspraktischen und regelungstechnischen Gründe282: Das Arbeitsrecht kann dann weiter einheitlich und mithilfe des überkommenen und mittlerweile schon in § 611a Abs. 1 BGB normierten Arbeitnehmerbegriffes abgegrenzt werden und nur dort, wo aus teleologischen Gründen ausnahmsweise Abweichungen indiziert sind – also für Spitzenverdiener innerhalb des Rechtsfolgenbündels des Existenzschutzes283 –, kann punktuell durch einen Ausschluss dieser Spitzenverdiener eingegriffen werden 284. Der Ausschluss fußt aber nicht ausschließlich auf einer gesteigerten Verhandlungsmacht in diesen Bereichen – worauf die Begründung des ArbVG-E maßgeblich abstellt285 –, sondern wird darüber hinaus durch die Systematik, die Historie und die Teleologie des Arbeitsrecht grundlegend gefordert: Wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit sind demnach eine prinzipielle Anwendungsvoraussetzung des Arbeitsrechts, sie sind für dessen Anwendbarkeit erforderlich286 und führen nicht bloß dazu, dass von bestimmten Regelungen auch zu Lasten einer bestimmten Beschäftigtengruppe abgewichen werden kann 287. Zuletzt sei in diesem Zusammenhang ergänzend noch darauf hingewiesen, dass ein Ausschluss der Spitzenverdiener von arbeitsrechtlichen Teilregelungen ipso iure im Ergebnis freilich nicht verhindern will, kann und wird, dass die Arbeitsvertragsparteien die Geltung eben dieser Regelungen kraft ihrer Privatauto282 Vgl. zur im Folgenden zusammengefassten Regelungskonzeption ausführlich oben § 8 B. II. 2. 283 Der herrschende Arbeitnehmerbegriff versagt in diesen Fällen, weil die wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit hier ausnahmsweise nicht mehr – wie sonst regelmäßig – die materielle Kehrseite des formalen Begriffes der persönlichen Abhängigkeit bilden. Vgl. hierzu oben § 6 D. I. 2. b) bb) (1), (2). 284 Sämtliche weiteren Teilbereiche des Arbeitsrechts bleiben dagegen – ihrer Teleologie entsprechend – weiter auf die persönlich abhängigen Spitzenverdiener anwendbar, so insbesondere das Rechtsfolgenbündel des Berufsschutzes. 285 Henssler/Preis, Begründung des Diskussionsentwurfes eines Arbeitsvertragsgesetzes, S. 147 (unveröffentlicht, zitiert bei L. Weber, Strukturen, S. 188). 286 Ausführlich oben § 6 C. D. E. und zusammenfassend § 6 F. 287 Dagegen fehlte den Verfassern des Arbeitsvertragsentwurfes eine dementsprechende Rechtfertigung, um die Spitzenverdiener schon grundsätzlich vom Anwendungsbereich der dort nur dispositiv ausgestalteten Regelungsbereiche auszunehmen, weil die dortige Regelung zum Arbeitsvertrag in § 1 Abs. 2 ArbVG-E ausschließlich an der (formalen) Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers ansetzte. Auch in der Regelungssystematik des ArbVG-E zeigt sich im Übrigen, dass die monokausale Anknüpfung der h. M. an die persönliche Abhängigkeit aus teleologische Sicht nicht zutreffend sein kann: Wenn das Arbeitsrecht auf Gefahren reagiert, die insbesondere aus der formalen Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers resultieren, wieso kann dann das Überschreiten einer bestimmten Entgeltgrenze teilweise eine bloß dispositive Ausgestaltung dieses Schutzes rechtfertigen?
420 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
nomie vertraglich vereinbaren. Im Gegenteil dürfte dies – jedenfalls soweit das Recht der Entgeltfortzahlung bei Arbeitsverhinderung betroffen ist – sogar der Regelfall sein. Denn auch wenn oben am Beispiel des Lizenzfußballers gezeigt wurde, dass alleine von der Entgelthöhe nicht auf eine umfassende Verhandlungsparität im Einzelfall geschlossen werden kann, so wurde doch gleichzeitig deutlich, dass den Spitzenverdienern gerade in Bezug auf Entgeltfragen im weitesten Sinne eine ausgeprägte Verhandlungsmacht zukommt288. Bestätigt wird diese Prognose durch einen Blick auf die Praxis: Auch in GmbH-Geschäftsführerverträgen, die – nach dem nationalen Rechtsverständnis – regelmäßig (noch) freie Dienst- und keine Arbeitsverträge sind289, ist es üblich, beispielsweise die Regelungen über die Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfalle gem. §§ 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 EFZG kraft vertraglicher Vereinbarung für anwendbar zu erklären 290.
288
Dazu oben § 3 B. II. 3. und 4. statt vieler etwa BAG AP Nr. 10 zu § 35 GmbHG; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 137 ff. und ausführlich – auch im unionsrechtlichen Kontext – Reinfelder, RdA 2016, 87, 91 ff. Dagegen geht der EuGH sowohl für die Mutterschutz- als auch für die Massenentlassungsrichtlinie davon aus, dass GmbH-Fremdgeschäftsführer(innen) regelmäßig unter den dortigen Arbeitnehmerbegriff fallen, vgl. dazu EuGH v. 11. 11. 2010 – Rs. C-232/09, Slg. 2010, I-11405 Rn. 38 ff. (Danosa) und EuGH v. 9. 7. 2015 – Rs. C-229/14, NZA 2015, 861, 862 Rn. 34 ff. (Balkaya) sowie bereits oben § 6 C. V. 3. c). Es bleibt daher abzuwarten, ob das BAG seine bisherige restriktive Rechtsprechung zur Arbeitnehmereigenschaft von GmbH-Geschäftsführern für nicht unionsrechtlich determiniertes Recht beibehält. Dagegen könnte sprechen, dass es andernfalls vom Konzept des einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes abweichen müsste, vgl. in diesem Sinne etwa Wank, EWiR 2011, 27, 28 und zurückhaltender Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 194 f.; dagegen etwa Oberthür, NZA 2011, 253, 257; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 57 f.; Reiserer, DB 2011, 2262, 2267; Schubert, ZESAR 2013, 5, 11 ff.; Hildebrand, Arbeitnehmerschutz, 331 ff. und wohl auch Maties, in: FS Wank, S. 323, 339, die im Anschluss an die Danosa-Entscheidung des EuGH im Ergebnis letztlich eine Aufweichung des Grundsatzes des einheitlichen Arbeitnehmerbegriffes prognostizieren. Jedenfalls für den Alleingesellschafter-Geschäftsführer, der auch nach der Rechtsprechung des EuGH (bislang?) kein Arbeitnehmer der Gesellschaft ist, hat das BAG an seiner Rechtsprechung festgehalten, vgl. BAG NZA 2017, 572, 574 f. sowie die Einordnung hierzu von Lunk, ArbRB 2017, 137. Auch für die DRK-Schwestern, die im Anschluss an EuGH v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, NZA 2017, 41 Rn. 26 ff. (Betriebsrat der Ruhrlandklinik) als Arbeitnehmer i. S. d. Leiharbeitsrichtlinie zu gelten haben (vgl. hierzu ausführlicher sogleich unter § 8 B. V. 2. b) bb)), geht das BAG in der Entscheidung, die diese unionsrechtlichen Vorgaben umsetzt, letztlich weiterhin ausdrücklich von einem abweichenden nationalstaatlichen Begriffsverständnis aus, das mittels unionsrechtskonformer Auslegung (nur) für die Fälle der Arbeitnehmerüberlassung korrigiert wird, vgl. hierzu BAG NZA 2017, 662, 664 sowie die Einordnung von Groeger, ArbRB 2017, 136, 137. 290 Vgl. etwa stellvertretend ErfK/Reinhard, § 1 EFZG Rn. 2. 289 Vgl.
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421
IV. Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben Im Rahmen einer gesetzlichen Neuregelung müssten freilich auch die Schranken der Verfassung291, insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG, beachtet werden. Da mit der Schaffung der Gruppe der Spitzenverdiener nicht eine spezielle Berufsgruppe – etwa nur die Lizenzfußballspieler292 – von Teilen des Arbeitsrechts ausgeschlossen werden soll, sondern mit der Entgelthöhe an ein objektives und übergreifendes Kriterium angeknüpft wird, bestehen diesbezüglich keine grundlegenden Bedenken. Das gilt jedenfalls mit Blick auf die Rechtsfolgen des Sozialschutzes, die auf Risiken der Arbeitnehmersphäre reagieren: Eine Ungleichbehandlung verglichen mit den sonstigen persönlich abhängig Beschäftigten ist hier nicht nur sachlich gerechtfertigt, sondern im Gegenteil sogar geboten, da die besondere Höhe des Entgelts wie gezeigt den teleologischen Zusammenhang zwischen der grundsätzlich in der Arbeitnehmereigenschaft liegenden sozialen Schutzbedürftigkeit und den damit notwendigen Rechtsfolgen des Sozialschutzes durchtrennt293. Eine Ausnahme bildet insoweit nur der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 11 Abs. 1 MuSchG, der naturgemäß nur Frauen zu Gute kommt und dessen Abschaffung für Spitzenverdiener(innen) nicht nur zu einem Wertungswiderspruch mit der Regelung des §§ 3 Abs. 1 S. 2 i. V. m. und 8 Abs. 2 AGG führte, sondern auch verfassungsrechtliche Einwände (Art. 3 Abs. 2 GG) nach sich zöge. Praktisch entschärft wird dieses Problem allerdings durch die Tatsache, dass der Arbeitgeber das im Rahmen der Entgeltfortzahlung nach § 11 Abs. 1 MuSchG geleistete Arbeitsentgelt seit Einführung des Aufwendungsausgleichgesetzes ohnehin auf Antrag von den Krankenkassen gem. § 1 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 AAG schon de lege lata in vollem Umfang erstattet bekommt. Daher erübrigt sich auch ein Eingehen auf darüber hinaus bestehende unionsrechtliche Bedenken mit Blick auf Art. 157 Abs. 1 AEUV294. Darüber hinaus sind Bedenken mit Blick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG auch für den Fall einer Herausnahme von Spitzenverdienern aus dem 291 Vgl. hierzu auch Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 206 ff. und ders., A rbuR 2017, 140, 141 m. w. N. dort in Fn. 30. 292 Über den Bereich des Fußballs hinausgehend fordert etwa P.-W. Beckmann, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 1145, 1153 ff., 1168 eine Bereichsausnahme im Arbeitsrecht für „Profisportler“. Diesbezüglich kritisch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG Bepler, in: Eimer/Hofmann (Hrsg.), Sportrechtskongress, S. 161, 179 f. 293 Vgl. nochmals oben § 6 E. III. 3. a) aa). I.E. ähnlich auch Hromadka, NZA 2007, 838, 839; L. Weber, Strukturen, S. 188. 294 Für die Unionsrechtswidrigkeit einer Vorschrift, die den Wegfall des Entgeltanspruches bei Nichtarbeit während der Schwangerschaft vorsieht, ausdrücklich Rebhahn, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 157 AEUV Rn. 21 a. E., der die noch anderslautende und in einem nur ähnlichen Kontext ergangene Entscheidung EuGH v. 29. 05. 1997 – Rs. C-400/95, Slg. 1997, I-2774 Rn. 20 ff. (Larsson) als „überholt“ ansieht.
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Anwendungsbereich des KSchG vorgebracht worden. Diese sind aber nur dann berechtigt, wenn man dessen hauptsächliche Stoßrichtung im Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers sieht295, der letztlich vor einer willkürlichen Kündigung des Arbeitgebers geschützt werden soll. Insoweit ist die bloße Höhe des Verdienstes freilich kein geeignetes Differenzierungskriterium zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen296. Im Rahmen einer solchen Diskussion wäre aber jedenfalls auch zu beachten, dass nicht nur § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG (i. V. m. § 7 Abs. 1 AGG und § 134 BGB297) eine diskriminierende Kündigung außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG aus den nach § 1 AGG verpönten Gründen ohnehin verbietet und damit ein Kernbereich des Persönlichkeitsschutzes auch für Spitzenverdiener gewährleistet bliebe. Auch die darüber hinausgehenden, sonstigen allgemeinen Unwirksamkeitsgründe einer Kündigung nach §§ 134, 138, 242 oder 612a BGB298 wären ebenso weiter zu berücksichtigen wie der besondere Kündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX, § 9 Abs. 1 MuSchG, § 5 PflegeZG oder § 18 BEEG299. V. Beachtung unionsrechtlicher Vorgaben Zusätzlich zu den Bestimmungen der Verfassung sind insbesondere auch die – komplexeren – „Hürden des europäischen Rechts“300 zu beachten. Auch die Vorgaben des Unionsrechts sind für den Gesetzgeber selbstredend bindend301. Das gilt aber – im Grundsatz ebenso selbstverständlich – nur im Anwendungsbereich des Unionsrechts (dazu sogleich 1.). Wird der Gesetzgeber auf dem Feld einer Regelungsmaterie tätig werden, die innerhalb dieses Anwendungsbereichs liegt, so ist für die Reichweite der unionsrechtlichen Vorgaben und damit spiegelbildlich für das Rechtssetzungsermessen des deutschen Gesetzgebers anknüpfend an die in Kapitel 2 vorgenommene systematische Betrachtung302 eine weitere Differen295 So wohl Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241; vgl. zu dieser Schutzrichtung oben § 6 E. II. 2. b) bb). 296 In diesem Sinne Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1241; vgl. auch Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 100. 297 Ausführlich auch zur Dogmatik vgl. BAG NZA 2014, 372, 374 ff.; genauer hierzu auch Junker, Arbeitsrecht, Rn. 339; Preis, Individualarbeitsrecht, § 58 IV. 2. (S. 751 ff.). 298 Ausführlich Junker, Arbeitsrecht, Rn. 339 ff.; Preis, Individualarbeitsrecht, § 58 IV. 2. (S. 744 ff.). 299 Zur persönlichkeitsschützenden Zweckrichtung dieser Vorschriften vgl. oben § 6 E. II. 2. b) bb). 300 So plastisch Griebeling, NZA-Sonderheft 1999, 13, 18; ähnlich Rebhahn, RdA 2009, 236, 246. 301 Vgl. nur EuGH v. 05. 03. 1996 – Rs. C-46/93 und 48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 32, 36 (Brasserie du pêcheur); allgemein auch EuGH v. 10. 04. 1984 – Rs. C-14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 26 (von Colson und Kamann); HSW/Wank, EuArbSozR, § 9 Rn. 103; Haratsch/ Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 278, 281. Vgl. zu den verschiedenartigen Auswirkungen ausführlich auch Hildebrand, Arbeitnehmerschutz, S. 107 ff.
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zierung nötig: Es muss unterschieden werden, ob es sich im Ausgangspunkt um einen solchen Regelungsbereich handelt, dem auf europäischer Ebene ein Arbeitnehmerbegriff zu Grunde liegt, der durch den EuGH unionsautonom bestimmt wird (dazu unten 2. a)) oder ob die Bestimmungskompetenz vielmehr grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten verbleibt (dazu unten 2. b)). 302
1. Regelungsbereich liegt nicht im Anwendungsbereich des Unionsrechts Unionsrechtlich zwingend veranlasst sind Konsequenzen gleich welcher Art – und damit auch ein eingeschränktes Rechtssetzungsermessen des deutschen Gesetzgebers – immer nur dann, wenn sich eine nationalstaatliche Regelung im Anwendungsbereich eines europäischen Rechtsakts befindet. Nur in diesem Fall können die unionsrechtlichen Vorgaben zwingenden Einfluss auf einen nationalstaatlichen Regelungsbereich nehmen303, da das Unionsrecht Wirkungen freilich nur im Rahmen seines Anwendungsbereichs entfalten kann304. Ob eine bestimmte Maßnahme eines Mitgliedstaates in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, bestimmt sich „jeweils im Einzelfall nach der inhaltlichen Tragweite der Maßnahme in Bezug auf die Sachmaterie und die beteiligten Personen“305. Insoweit können auch und gerade Richtlinien306 den Anwendungsbereich des Unionsrechts – nicht nur der jeweils einschlägigen Richtlinie, sondern auch des gesamten Primärrechts – eröffnen. Ob dies der Fall ist, richtet sich danach, ob eine nationale Regelung objektiv der Erfüllung von Zielen einer Richtlinie dient; nicht entscheidend ist dagegen, wenn der nationale Gesetzgeber mit seiner Maßnahme daneben auch zusätzliche Ziele verfolgen will, zu deren Regelung die Union keine oder nur eine beschränkte Kompetenz besitzt307. Ebenso unerheblich ist daher auch, zu welchem Zeitpunkt308 eine mitgliedstaatliche Norm erlassen wor302
Oben § 6 C. V. EuGH v. 23. 09. 2008 – Rs. C-427/06, Slg. 2008, I-7245 Rn. 23 ff. (Bartsch); Franzen, EuZA 2013, 433, 434; Langenbucher, in: dies. (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 1 Rn. 49; Zuleeg, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung, S. 163, 168. 304 EuGH v. 19. 01. 2010 – Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 Rn. 53 f. (Kücükdeveci); Habersack/Mayer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 26; Franzen, EuZA 2013, 433, 434; Preis/Temming, NZA 2010, 185, 186 f.; Hildebrand, Arbeitnehmerschutz, 109; Schillig, Konkretisierungskompetenz, S. 227; zu eng HSW/Wank, EuArbSozR, § 14 Rn. 2. 305 BVerfGE 126, 286, 309 f. (Honeywell). 306 Entsprechendes gilt auch hinsichtlich Verordnungen gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV. 307 BVerfGE 126, 286, 310; in diesem Sinne auch EuGH v. 24. 11. 1998 – Rs. C-274/96, Slg. 1998, I-7637 Rn. 17 (Bickel); Langenbucher, in: dies. (Hrsg.), Europäisches Privatund Wirtschaftsrecht, § 1 Rn. 59. 308 EuGH v. 13. 11. 1990 – Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135 Rn. 8 (Marleasing); Borchardt, Grundlagen, Rn. 151; Streinz, Europarecht, Rn. 503; W-H. Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 15. 303
424 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
den ist oder ob sie konkret der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben dient309. Auswirkungen können sich im Ergebnis somit auf das gesamte nationale Recht ergeben310, sofern es sich im Anwendungsbereich des Unionsrechts befindet. Eine umfassende Untersuchung sämtlicher Bereiche des deutschen Arbeitsrechts, die frei von europarechtlicher Determinierung sind, muss an dieser Stelle freilich unterbleiben311. Es soll aber darauf hingewiesen werden, dass nach den vorstehenden Grundsätzen weitgehend unabhängig von unionsrechtlichen Vorgaben etwa das Recht der Entgeltfortzahlung nach dem EFZG ist. Eine einschlägige Richtlinie existiert hier gerade nicht312. Unionsrechtliche Einflüsse bestehen daher wohl vor allem nur insoweit, als Art. 7 der Freizügigkeitsverordnung313 die Gleichbehandlung für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten mit inländischen Arbeitnehmern fordert, und diese Forderung auch hinsichtlich der Entgeltfortzahlung nach dem EFZG gilt314. Eine Regelung, die Spitzenverdiener vom persönlichen Geltungsbereich des EFZG ausnähme, würde aber freilich – wie die bisherige allgemeine Regelung auch315 – unterschiedslos für sämtliche Arbeitnehmer aller Nationalitäten gelten, auf die das EFZG räumlich anwendbar ist. Eine – unmittelbar oder mittelbar – unterschiedliche und sachlich nicht gerechtfertigte Behandlung „aufgrund [… der] Staatsangehörigkeit“ (Art. 7 Abs. 1 309 EuGH v. 04. 07. 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 108 (Adeneler); Borchardt, Grundlagen, Rn. 150; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 769b; Junker/ Aldea, EuZW 2007, 13, 14. 310 EuGH v. 05. 10. 2004 – Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835 Rn. 115 (Pfeiffer u. a.); EuGH v. 04. 07. 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 111 (Adeneler); Borchardt, Grundlagen, Rn. 150; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 769b; Preis/ Temming, NZA 2010, 185, 186 f.; Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 440. 311 Auch Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418, 423 beschränken sich auf den Hinweis, dass in „einer Vielzahl von Fällen“ ausschließlich der nationale Arbeitnehmerbegriff maßgeblich ist. 312 ErfK/Reinhard, § 1 EFZG Rn. 2. Dementsprechend sind die Regelungen der Entgeltfortzahlung in den verschiedenen Ländern der europäischen Union sehr unterschiedlich ausgestaltet, vgl. die Übersicht bei Wedde/Kunz, EFZG, Einl. Rn. 12. Vgl. zur gegenteiligen Ausgangslage im Urlaubsentgeltrecht soeben Fn. 268. 313 Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union. 314 HWK/Schliemann, § 1 EFZG Rn. 10; Wedde/Kunz, EFZG, § 1 EFZG. Rn. 11. Daneben ist auch die – an sich sozialrechtlich – Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 dem Grunde nach anwendbar, da der EuGH unter den Begriff der „Leistungen bei Krankheit“ gem. Art 3 Abs. 1 lit. a) VO (EG) Nr. 883/2004 auch arbeitsrechtliche Leistungen auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall fasst, vgl. EuGH v. 03. 06. 1992 – Rs. C-45/90, Slg. 1989, I-3423 Rn. 19 (Paletta I); vgl. hierzu auch Eichenhofer, Sozialrecht, § 6 Rn. 95; Fuchs, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, Art. 3 VO (EG) Nr. 883/2004 Rn. 10. 315 ErfK/Reinhard, § 1 EFZG Rn. 2 ff.; HWK/Schliemann, § 1 EFZG Rn. 4 ff., 10 f.; Schmitt, EFZG, § 1 EFZG Rn. 9; Wedde/Kunz, EFZG, § 1 EFZG. Rn. 10 ff., 21 ff.
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Freizügigkeitsverordnung) wäre damit gerade nicht gegeben316. Eine Verletzung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen, 157 Abs. 1 AEUV, der auch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall umfasst317, läge daher augenscheinlich ebenfalls nicht vor318. Neben dem Entgeltfortzahlungsrecht ist auch das deutsche Kündigungsschutzrecht – derzeit319 – zu weiten Teilen noch frei von unionsrechtlichen Beeinflussungen320. Das gilt – entgegen des verwirrenden Wortlauts des § 2 Abs. 4 AGG – freilich für diskriminierende Kündigungen ebenso wenig321 wie für das Recht der Massenentlassungen nach § 17 ff. KSchG322 oder für den besonderen Kündigungsschutz etwa bei Betriebsübergängen (§ 613a Abs. 4 BGB323) oder Schwangerschaft bzw. Mutterschaft (§ 9 Abs. 1 MuSchG324). 316 Näher hierzu Steinmeyer, in: Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, Art. 7 VO 491/2011/EU Rn. 2 ff. Auch das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 ist aus denselben Gründen nicht verletzt. Zu deren grundsätzlicher Einschlägigkeit vgl. soeben Fn. 314. 317 EuGH v. 13. 07. 1989 – Rs. C-171/88, Slg. 1989, 2743 Rn. 7, 10 (Rinner-Kühn); aus der Literatur hierzu statt aller Franzen, in: ders./Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, Art. 157 AEUV Rn. 19. 318 Anders war dies etwa im Falle des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG a. F., nachdem Arbeiter(innen) von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ausgeschlossen waren, deren regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich zehn Stunden oder monatlich fünfundvierzig Stunden nicht überstieg. Der EuGH sah – auf Grund der Tatsache, dass weit überwiegend Frauen in Teilzeit arbeiteten (und arbeiten) – hierin zu Recht eine mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, vgl. EuGH v. 13. 07. 1989 – Rs. C-171/88, Slg. 1989, 2743 Rn. 11 ff. (Rinner-Kühn). Vgl. hierzu auch BAG NZA 1992, 259, 260; Schmitt, EFZG, Einl. Rn. 60 ff.; ders., in: FS Gitter, S. 847, 847 f. 319 Nach Art. 153 Abs. 1 lit. d) AEUV bestünde diesbezüglich eine weitgehende Harmonisierungskompetenz, vgl. Franzen, in: ders./Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, Art. 153 AEUV Rn. 28. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass der europäische Gesetzgeber von dieser in näherer Zukunft Gebrauch machen wird. 320 Auch hier existiert keine allgemeine Richtlinie, vgl. Weber/Zimmer, EuZA 2016, 224, 239. Ausführlicher Überblick zu unionsrechtlichen Einflüssen bei APS/Preis, 1. Teil, A. III. Rn. 36 ff. 321 Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Ausführlich zur dogmatischen Umsetzung im deutschen Recht BAG NZA 2014, 372, 374 ff.; vgl. auch HWK/Rupp, § 2 AGG Rn. 12 f. 322 Umsetzung der Richtlinie 98/59/EG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, vgl. statt aller ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rn. 1. 323 Umsetzung der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. 03. 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebs teilen, vgl. statt aller ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 1. 324 Umsetzung des Art. 10 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von
426 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
2. Regelungsbereich liegt im Anwendungsbereich des Unionsrechts Ist nach den soeben dargelegten Grundsätzen der (sachliche) Anwendungsbereich des Unionsrechts dagegen eröffnet, wird die oben unter V. bereits angedeutete Differenzierung relevant: Für die Frage, ob dem deutschen Gesetzgeber bei der Normierung des (persönlichen) Anwendungsbereichs einer arbeitsrechtlichen Teilregelung hier ein Gestaltungsspielraum zusteht, ist entscheidend, ob der jeweils betroffenen Regelungsmaterie auf Ebene der Union ein unionsautonomer Arbeitnehmerbegriff zu Grunde liegt (dazu sogleich a)) oder ob die Bestimmungskompetenz insoweit bei den Mitgliedstaaten verbleibt (dazu unten b)). a) Für Regelungsbereich ist unionsautonomer Arbeitnehmerbegriff maßgeblich Hat sich ein zwar nationalstaatlicher, aber auf der Ebene der Union bereits (vor-)geregelter arbeitsrechtlicher Teilbereich an einem unionsautonomen Arbeitnehmerbegriff zu orientieren, so besteht für den deutschen Gesetzgeber letztlich kein eigener Gestaltungsspielraum mehr. Das gilt jedenfalls insoweit, als – wie hier mit der Herausnahme von Spitzenverdienern vorgeschlagen – ein verglichen mit den Vorgaben der Union engerer persönlicher Anwendungsbereich normiert werden soll325. Zur Ermittlung der insoweit betroffenen Regelungsmaterien kann an die obigen Untersuchungen in Kapitel 2 angeknüpft werden: Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH sind demnach etwa die Arbeitnehmerbegriffe des Primärrechts in Art. 45 AEUV (Arbeitnehmerfreizügigkeit) und Art. 157 AEUV (Grundsatz des gleichen Entgelts für männliche und weibliche Arbeitnehmer)326 ebenso unionsautonom auszulegen wie diejenigen der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie327, der Arbeitszeitrichtlinie328, der Gleichbehandlungsrah-
schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz, vgl. nur ErfK/Schlachter, § 9 MuSchG Rn. 1. 325 Anders kann es dagegen im spiegelbildlichen Fall sein: Möchte eine einschlägige unionsrechtliche Norm nur einen Mindeststandard vorschreiben, so ist es den Mitgliedstaaten in diesen Fällen unbenommen, nicht nur sachlich, sondern auch durch einen erweiterten persönlichen Anwendungsbereich der nationalen Regelung über diese Mindestvoraussetzungen hinaus arbeitsrechtlichen Schutz zu gewähren, vgl. dazu etwa Greiner, NZA 2014, 284, 285; Lembke, NZA 2013, 815, 819 und im Ergebnis auch BAG NZA 2013, 1214, 1216. Allgemein zur Abweichungsmöglichkeit der Nationalstaaten von unionsrechtlichen Mindestvorgaben insbesondere im Bereich des Richtlinienrechts HSW/Steinmeyer, EuArbSozR, § 10 Rn. 23, 27, 29 und 49. 326 Vgl. dazu jeweils oben 2. Kap. § 6 C. V. 3. a) sowie die Nachweise dort in Fn. 551 und 555. 327 Vgl. dazu oben 2. Kap. § 6 C. V. 3. c) sowie die Nachweise dort in Fn. 577. 328 Vgl. dazu oben 2. Kap. § 6 C. V. 3. c) sowie die Nachweise dort in Fn. 580.
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menrichtlinie329, der Mutterschutzrichtlinie330, der Massenentlassungsrichtlinie331 und der Leiharbeitsrichtlinie332. In all diesen Bereichen ist letztlich ausschließlich das jeweilige333 Begriffsverständnis des EuGH maßgebend. Insoweit wurde bereits oben ausführlich herausgearbeitet, dass der EuGH noch in keiner Entscheidung die unionsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft an das Unterschreiten einer bestimmten Entgeltobergrenze geknüpft hat334. Dazu würde sich eine nationalstaatliche Regelung diametral in Widerspruch setzen, die genau dies täte und die an sich persönlich abhängige Spitzenverdiener – und damit Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts335 – vom Anwendungsbereich einer solchermaßen unionsrechtlich determinierten Regelungsmaterie ausnähme. Der Erlass einer entsprechenden – und damit insoweit unionsrechtswidrigen – (Ausnahme-)Vorschrift ist den Mitgliedstaaten aber ebenso offensichtlich wie ausdrücklich untersagt336 und daher in den genannten Bereichen – vorbehaltlich der Beibehaltung der Rechtsprechung des EuGH – nicht zulässig337. Das gilt auch und gerade im sachlichen Regelungsbereich der 329 330
599.
331
Vgl. dazu oben 2. Kap. § 6 C. V. 3. c) sowie die Nachweise dort in Fn. 581. Vgl. dazu oben 2. Kap. § 6 C. V. 3. c) sowie die Nachweise dort in Fn. 590, 591 und
Vgl. dazu oben 2. Kap. § 6 C. V. 3. c) sowie die Nachweise dort in Fn. 589. Vgl. dazu oben 2. Kap. § 6 C. V. 3. c) sowie die Nachweise dort in Fn. 602 und 603; vgl. zu diesem Sonderfall auch nochmals sogleich unter § 8 B. V. b). bb). 333 Zum – noch – fehlenden einheitlichen Begriffsverständnis des EuGH oben § 6 C. V. 4. a). 334 Vgl. dazu oben 2. Kap. § 6 C. V. 4. b) sowie die Nachweise dort in Fn. 664. 335 Vgl. dazu oben § 6 C. V. 4. b). 336 Insofern grundlegend EuGH v. 09. 03. 1978 – Rs. C-106/77, Slg. 1978, 629 Rn. 17/18 (Simmenthal); vgl. in diesem Sinne auch Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 89. Auch darf etwa das bereits an eine Richtlinie angepasste nationale Recht nicht nachträglich in Widerspruch zu dieser Richtlinie abgeändert werden. Die Richtlinie bleibt also fortwirkend verbindlich, vgl. etwa EuGH v. 06. 12. 1990 – Rs. C-208/88, Slg. 1978, I-4445 Rn. 7 (Kommission/Dänemark); EuGH v. 09. 06. 1992 – Rs. C-96/91, Slg. 1992, I-3789 Rn. 10 (Kommission/Belgien). Insoweit wird in der Literatur gleichbedeutend teilweise auch von einer „Sperrwirkung“ der Richtlinie gesprochen, vgl. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/ AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 79 oder HSW/Steinmeyer, EuArbSozR, § 10 Rn. 49. 337 Dass der Gesetzgeber sehenden Auges dennoch eine entsprechende unionsrechtswidrige Vorschrift erlassen würde, ist freilich nicht sehr wahrscheinlich. Die Rechtsfolgen, die sich dann ergeben würden, sollen hier daher nur in aller Kürze umrissen werden. In einem solchen Falle wäre es zunächst Sache der Gerichte, die Kollision mit dem Unionsrecht im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung soweit als möglich zu beseitigen. Auch wenn der Begriff der „Auslegung“ insoweit auch eine nach nationaler Methodenlehre vertretbare unionsrechtskonforme Rechtsfortbildung umfasst (statt vieler BGH NJW 2009, 427, 428 f.; Langenbucher, in: dies. (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 1 Rn. 97, 99; W.-H. Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 11, 31; Pfeiffer, NJW 2009, 412, 413; Schlachter, EuZA 2015, 1, 332
428 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
soeben aufgeführten Richtlinien, deren persönlicher Anwendungsbereich durch einen unionsautonom zu bestimmenden Arbeitnehmerbegriff konkretisiert wird. Trotz hier grundsätzlich bestehender Wahlfreiheit bei Form und Mitteln muss sich der nationalstaatliche Gesetzgeber nämlich immer innerhalb des von der Richtlinie verbindlich gesteckten Rahmens halten338. Denn hinsichtlich ihres Ziels (gemeint ist das Ergebnis339) – in den vorliegend interessierenden Fällen also unter anderem die unterschiedslose Anwendung des zu harmonisierenden Regelungsbereichs auf alle Beschäftigten, die unter den unionsautonomen Arbeitnehmerbegriff fallen – ist die Richtlinie stets und vollumfänglich verbindlich, vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV340. 1 ff.), müsste eine solche im Ergebnis ausscheiden, da eine Verpflichtung zur Rechtsfindung contra legem gerade nicht besteht (EuGH v. 04. 07. 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 110 (Adeneler); BVerfG NJW 2012, 669, 671; Kruse/Stenslik, NZA 2013, 596, 597; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 52; M. Weber, Grenzen, S. 99; Neuner, Rechtsfindung, S. 132 ff.): Durch die Festsetzung einer Entgeltgrenze existierte aber ein eindeutiger Wortlaut; zudem müsste von einem klaren Willen des Gesetzgebers ausgegangen werden, sich in Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben zu setzen (vgl. allgemein zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung Pieroth/Aubel, JZ 2003, 504, 504 ff.; Wank, JuS 1980, 545, 545 ff.). Im Falle fehlender unionsrechtskonformer Auslegbarkeit müsste weiter danach unterschieden werden, ob es sich um eine Kollision der nationalen Norm mit unmittelbar anwendbarem Unionsrecht (gleich welcher Rangstufe, vgl. Polzin, JuS 2012, 1, 1 ff.) oder um eine solche mit nicht unmittelbar anwendbarem Unionsrecht handelt. Im ersten Fall würde die Rechtsfolge des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts gelten (vgl. dazu EuGH v. 15. 07. 1964 – Rs. 6/64, Slg. 1964, 1269 ff. (Costa/ENEL); BVerfGE 126, 286, 301 f.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 88 f.; zu den Voraussetzungen der unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien im Verhältnis Bürger-Staat (sog. horizontale Direktwirkung) vgl. EuGH v. 19. 01. 1981 – Rs. 8/81, Slg. 1981, 53 Rn. 25 (Becker); Langenbucher, in: dies. (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 1 Rn. 60 ff.). Im zweiten Fall müsste die unionsrechtswidrige nationalstaatliche Norm im Rechtsstreit angewendet werden (Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 88 f., 172 ff.). Dem von der jeweiligen Rechtsfolge nachteilig Betroffenen bliebe dann aber eventuell die Möglichkeit, einen erlittenen Schaden per Staatshaftungsanspruch, der in seiner unionsrechtlichen Ausprägung bei einem hinreichend qualifizierten Verstoß auch gegen legislatives Unrecht greift (EuGH v. 05. 03. 1996 – Rs. C-46/93 und 48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 36 (Brasserie du pêcheur)), gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen (vgl. grundlegend EuGH v. 19. 11. 1991 – Rs. C-6/90 und 9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 30 ff. (Francovich) und erläuternd Grundmann, JuS 2002, 768, 772). Losgelöst von der Einzelfallanwendung käme zudem ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland in Betracht, das sowohl von der Kommission (Art. 258 AEUV) als auch von einem anderen Mitgliedstaat (Art. 259 AEUV) initiiert werden könnte (vgl. hierzu etwa Sagan, NZA 2016, 1252, 1255 f.). Unabhängig hiervon wäre der Gesetzgeber aber ohnehin unionsrechtlich dazu verpflichtet, den Unionsrechtsverstoß durch eine Gesetzesnovellierung zu beseitigen (Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 89 f.). 338 M. Schmidt, Konkretisierung, S. 37 f.; ausführlich HSW/Steinmeyer, EuArbSozR, § 10 Rn. 36 ff. 339 Satt aller Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV Rn. 23; HSW/Steinmeyer, EuArbSozR, § 10 Rn. 29, 37.
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b) Für Regelungsbereich ist grundsätzlich mitgliedstaatlicher Arbeitnehmerbegriff maßgeblich Spiegelbildlich stellt sich die Rechtslage – jedenfalls im Grundsatz – dann dar, wenn der Gesetzgeber eine solche Regelungsmaterie für Spitzenverdiener ausschließen möchte, die zwar grundsätzlich im sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts liegt, für die letztlich in persönlicher Hinsicht aber der mitgliedstaatliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich ist341. 340
340 Den Mitgliedsstaaten steht bezüglich des persönlichen Anwendungsbereichs der jeweiligen Regelungsmaterie damit praktisch kein Umsetzungsspielraum zu, vgl. zu diesem Gesichtspunkt Biervert, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 288 AEUV Rn. 26; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV Rn. 25 und ausführlich Wölk, Umsetzung, S. 40 ff. Der Gesetzgeber kann sich in diesen Fällen darauf beschränken, auf den allgemeinen nationalstaatlichen Arbeitnehmerbegriff zurückzugreifen und dessen ggf. im Einzelfall nötige unionsrechtskonforme Ausgestaltung der Rechtsprechung überlassen, vgl. zu diesem Aspekt Röthel, Normkonkretisierung, S. 347 und Herrmann, Richtlinienumsetzung, S. 207 ff. Diese Problematik rückte bereits mit der Entscheidung des EuGH v. 11. 11. 2010 – Rs. C-232/09, Slg. 2010, I-11405 (Danosa), vgl. dazu auch schon oben § 6 C. V. 3. c), in den Blickpunkt. Die h. M. geht hier in der Sache zu Recht davon aus – daran dürfte auch die Einführung § 611a Abs. 1 BGB nichts geändert haben –, dass der nationale Arbeitnehmerbegriff in § 1 Nr. 1 MuSchG am Maßstab des Arbeitnehmerbegriffs der Mutterschutzrichtlinie unionsrechtskonform ausgelegt bzw. fortgebildet werden kann, vgl. in diesem Sinne etwa Oberthür, NZA 2011, 253, 256; Reiserer, DB 2011, 2262, 2266; i. E. ebenso ErfK/Schlachter, § 1 MuSchG Rn. 3; HWK/C.W. Hergenröder, § 1 MuSchG Rn. 4; Pepping, in: Rancke (Hrsg.), Handkommentar Mutterschutz, § 1 MuSchG Rn. 8; Schaub/Linck, Arb-Hdb, § 166 Rn. 3; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 53 ff.; Schubert, ZESAR 2013, 5, 10 f., 15; unklar noch dies., EuZA 2011, 362, 369 (jedenfalls mit zu weitgehenden Schlussfolgerungen). In BGH NJW 2012, 2346, 2347 wurde die Frage nach der Auslegungsfähigkeit des Arbeitnehmerbegriffes mit Blick auf die Vorgaben der Richtlinie mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offen gelassen; ein Ergebnis ebenso offen lassend Bayreuther, NZA 2013, 1238, 1239. Die Gegenansicht verkennt dagegen die Reichweite der Pflicht zur unionskonformen Auslegung, so etwa v. Medem, ArbAktuell 2010, 654, 654; Lunk, in: FS Bauer, S. 705, 716; ähnlich ders./Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 191 f. (hiergegen zutreffend Reiserer, DB 2011, 2262, 2266) und i. E. wohl auch Küttner/Poeche, Personalbuch, Stichwort „Mutterschutz“, Rn. 2. Zur – unter anderem wegen § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG weit schwierigeren – Frage einer möglichen unionsrechtskonformen Rechtsfortbildung des Arbeitnehmerbegriffes des § 17 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 Nr. 1 KSchG am Maßstab des Arbeitnehmerbegriffes der Massenentlassungsentlassungsrichtlinie (veranlasst durch die Entscheidung EuGH v. 9. 7. 2015 – C-229/14, NZA 2015, 861, 862 Rn. 33 (Balkaya)) vgl. ausführlich Weber/Zimmer, EuZA 2016, 224, 236 ff. und Morgenbrodt, ZESAR 2017, 17, 22 ff. Zum daraus folgenden Reformbedarf bezüglich § 17 KSchG vgl. C. Schmidt/Wilkening, NZARR 2017, 169, 169 ff. 341 Ebenso Maties, in: FS Wank, S. 323, 337.
430 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
aa) Grundsatz Dort, wo das Unionsrecht keine zwingenden Vorgaben macht oder lediglich einen allgemeinen Rahmen aufstellt und den Mitgliedstaaten Spielräume bei der Umsetzung belässt, kann es grundsätzlich keine unmittelbaren Auswirkungen auf das nationalstaatliche Recht geben342. Für die vorliegend interessierende Frage trifft dies insbesondere auf diejenigen Richtlinien zu, die für die Bestimmung ihres persönlichen Anwendungsbereichs – und damit des jeweiligen Arbeitnehmerbegriffes – ausdrücklich auf die nationalstaatlichen Rechtsordnungen verweisen, sowie auf diejenigen Zweifelsfälle, bei denen eine Auslegung nach den oben angerissenen Grundsätzen eine Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten ergibt343. Das sind etwa die Teilzeitrichtlinie, die Betriebsübergangsrichtlinie, die Insolvenzschutzrichtlinie, die Elternurlaubsrichtlinie, die Jugendarbeitsschutzrichtlinie, die Nachweisrichtlinie, die Unterrichtungsrahmenrichtlinie, die Arbeitnehmerentsenderichtlinie und die Befristungsrichtlinie344. Hier gilt im Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht bei der Bestimmung sowie der Festlegung des Inhalts des Arbeitnehmerbe-griffes frei sind345 und sie dementsprechend auch einzelne Gruppen von Arbeitnehmern – wie etwa Spitzenverdiener – vom Anwendungsbereich einer entsprechenden Teilregelung ausnehmen können. Denn das dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich zukommende Rechtsetzungsermessen wird hier im Ausgangspunkt gerade nicht unionsrechtlich überlagert. bb) Handhabung durch den EuGH Abweichend vom dargstellten Grundsatz hat der EuGH bisweilen trotz des ausdrücklichen Verweises auf die nationalen Arbeitnehmerbegriffe besondere unionsrechtliche Vorgaben aufgestellt346. So sah sich der Gerichtshof zunächst im Urteil Del Cerro Alonso nicht daran gehindert, den Anwendungsbereich der Be-
342 Beispielhaft etwa EuGH v. 16. 12. 2004 – Rs. C-520/03, Slg. 2004, I-12065 Rn. 30 ff. (Valero). Aus der Literatur Preis, Individualarbeitsrecht, § 14 I. 2. a) (S. 135 ff.); Franzen, EuZA 2013, 433, 434; Gebauer, Grundfragen, S. 228. 343 Preis, Individualarbeitsrecht, § 14 I. 2. a) (S. 135); ders./Sagan, ZGR 2013, 26, 57 f.; Rebhahn, RdA 2009, 236, 246; Reiserer, DB 2011, 2262, 2266; Schubert, ZESAR 2013, 5, 13; dazu ausführlich oben § 6 C. V. 3. 344 Vgl. zu allen oben § 6 C. V. 3. b). 345 So ausdrücklich etwa EuGH v. 16. 12. 2004 – Rs. C-520/03, Slg. 2004, I-12065 Rn. 32 (Valero) zum Begriff des Arbeitsentgelts i. S. d. Insolvenzschutzrichtlinie, der sich (ausschließlich) nach nationalem Recht richtet. 346 Junker, EuZA 2016, 184, 196 ff. spricht insoweit kritisch von „semi-autonomer Auslegung“.
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fristungsrichtlinie347 auch für „statuarisch“ Beschäftigte des öffentlichen Dienstes348 und damit für Beamte349 zu öffnen, selbst und gerade dann, wenn diese nach dem jeweiligen nationalen Recht keine Arbeitnehmer sein sollten. Die jeweiligen Regelungen seien gerade unabhängig davon anzuwenden, ob eine Tätigkeit im öffentlichen oder privaten Sektor erfolge350. Das gebiete zum einen das Prinzip der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts. Zum anderen sei der Grundsatz der Nichtdiskriminierung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern ein zentraler Zweck der Befristungsrichtlinie und dieser gehöre ebenso wie der Grundsatz der Gleichbehandlung zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts. Aus diesen Gründen dürfe es den Mitgliedstaaten nicht vorbehalten sein, „nach ihrem Belieben bestimmte Personalkategorien von dem [mit der Richtlinie] bezweckten Schutz auszunehmen“351. Auch wenn der Gerichtshof in der Zwischenzeit – nunmehr im Kontext der insofern im Wesentlichen gleichlautenden Teilzeitrichtlinie352 – ausdrücklich betont hatte, dass es „Sache der Mitgliedstaaten“ sei, den Begriff des Arbeitsverhältnisses zu definieren353, hat er die einmal eingeschlagene Linie354 grund347 Diese setzt die Befristungsrahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner um, vgl. oben § 6 C. V. 3 b). 348 EuGH v. 13. 09. 2007 – Rs. C-307/05, Slg. 2007, I-7109 Rn. 29 (Del Cerro Alonso); bestätigt von EuGH v. 22. 12. 2010 – Rs. C-444/09 und C-456/09, Slg. 2010, I-14031 Rn. 43 (Gavieiro Gavieiro) sowie EuGH v. 9. 7. 2015 – Rs. C-177/14, NZA 2016, 95, 96 Rn. 31 (Regojo Dans). Vgl. zur Entwicklung allgemein Temming, SR 2016, 158, 161 f. und Krebber, EuZA 2017, 3, 11 ff. sowie zur letztgenannten Entscheidung die insoweit kritische Urteilsbesprechung von Kerwer/Just, EuZA 2016, 62, 64 ff. 349 Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 51; Schubert, ZESAR 2013, 5, 13 f. 350 EuGH v. 04. 07. 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 54 ff. (Adeneler); EuGH v. 13. 09. 2007 – Rs. C-307/05, Slg. 2007, I-7109 Rn. 25 (Del Cerro Alonso); EuGH v. 22. 12. 2010 – Rs. C-444/09 und C-456/09, Slg. 2010, I-14031 Rn. 38 (Gavieiro Gavieiro). 351 EuGH v. 13. 09. 2007 – Rs. C-307/05, Slg. 2007, I-7109 Rn. 25 ff. (Del Cerro Alonso); im Wesentlichen zustimmend wohl Bayreuther, NZA 2007, 371, 373. 352 Diese setzt die Teilzeitrahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner um, vgl. oben § 6 C. V. 3 b). 353 EuGH v. 01. 03. 2012 − Rs. C-393/10, NZA 2012, 313, 316 Rn. 51 (O’Brien), allerdings auch hier unter der Einschränkung, dass einer Beschäftigtengruppe (hier Richter) nicht willkürlich der mit der Richtlinie bezweckte Schutz entzogen wird, vgl. dazu ausführlich sogleich unter cc). 354 Im Urteil EuGH v. EuGH v. 18. 01. 2007 – Rs. C-385/05, Slg. 2007, I-611 Rn. 42 ff. (Confédération générale) zur Massenentlassungsrichtlinie wurde in ähnlicher Weise entschieden, dass der Ausschluss einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmern bei der Berechnung des für eine Massenentlassung geltenden Schwellenwertes durch nationales Recht unzulässig sei. Eine derartige Auslegung würde es den Mitgliedstaaten nämlich erlauben, den Anwendungsbereich der Richtlinie zu verändern, und sei somit geeignet, ihr die volle Wirksamkeit zu nehmen. Bereits zuvor hatte der EuGH etwa in der Rechtssache Simap (EuGH v. 03. 10. 2000 – Rs. C-303/98, Slg. 2000, I-7963 Rn. 49) den in Art. 2 Nr. 1
432 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
sätzlich fortgesetzt. So sah sich der EuGH etwa auch in der Rechtssache Della Rocca (aus systematischen Gründen wohl vertretbar) befugt, Leiharbeitnehmer vom Anwendungsbereich der Befristungsrichtlinie auszunehmen355. Diese Entscheidung hindert die Mitgliedstaaten zwar nicht konkret daran, die nationalstaatlichen Regelungen des Befristungsrechts weiterhin und weitergehend auch auf Leiharbeitnehmer anzuwenden356. Sie hat aber – gerade auch mit Blick auf die fehlende Kompetenz des EuGH zur Konkretisierung des Arbeitnehmerbegriffes der Richtlinie – in der Literatur Kritik erfahren357. Eine wohl nochmals neue und weitergehende Qualität358 hat zudem das jüngste Urteil des EuGH in der Sache Betriebsrat der Ruhrlandklinik 359. Dort ging es um die Frage, ob deutsche Rotkreuzschwestern in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie (LARL)360 fallen. Die Schwestern werden nicht auf Grund eines privatrechtlichen (Arbeits-)Vertrages, sondern auf vereinsrechtlicher Basis tätig und sind daher nach ständiger und jüngst erneut bekräftigter Rechsprechung des BAG nach deutschem Recht keine Arbeitnehmer361. Die Richtlinie ist bezüglich der Vorlagefrage scheinbar eindeutig: In Art 3 Abs. 1 lit. a) LARL bestimmt sie, dass „Arbeitnehmer eine Person [ist], die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist“. In Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 LARL wird nochmals ausdrücklich klargestellt, dass die Richtlinie „das nationale Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmungen von ‚Arbeitsentgelt’, ‚Arbeitsvertrag‘, ‚Beschäftigungsverhältnis‘ oder ‚Arbeitnehmer‘ unberührt“ lässt. Der EuGH bekräftigt in seinem Urteil insoweit zwar zunächst, dass nach dem Wortlaut der Richtlinie auf den mitgliedstaatlichen Begriff des Arbeitnehder Richtlinie 93/104/EG enthaltenen Begriff der „Arbeitszeit“ unionsautonom ausgelegt, obwohl die Richtlinie zur Begriffsbestimmung ausdrücklich auf nationales verwies. Begründet wurde dies damit, dass ansonsten das Erreichen des mit der Richtlinie bezweckten Ziels „ernsthaft gefährdet“ sei. 355 EuGH v. 11. 04. 2013 – Rs. C-290/12, NZA 2013, 495, 498 Rn. 45 (Della Rocca). 356 BAG NZA 2013, 1214, 1216; Franzen, EuZA 2013, 433, 434; Greiner, NZA 2014, 284, 285; Lembke, NZA 2013, 815, 819. 357 Greiner, NZA 2014, 284, 285, 289; Lembke, NZA 2013, 815, 817 f. (dort auch mit weiterer umfassender Kritik); unkritisch dagegen Franzen, EuZA 2013, 433, 434. 358 In diesem Sinne Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418, 423 ff.; L. Schmitt, ZESAR 2017, 167, 173 und Hartmann, EuZA 2017, 153, 177. Dagegen sehen Heuschmid/Hlava, ArbuR 2017, 122, 123 f., Mestwerdt, ArbAktuell 2017, 8, 9 f. und Ulrici, EuZW 2017, 70, 71 wohl lediglich eine konsequente Fortführung der soeben skizzierten Rechtsprechung. Vgl. dazu auch sogleich Fn. 364. 359 EuGH v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, NZA 2017, 41, 41 ff. (Betriebsrat der Ruhrlandklinik). 360 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Leiharbeit. 361 BAG NZA 2017, 662, 664, vgl. dazu auch schon oben 1. Kap. § 2 B. III. und dort Fn. 69.
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mers abzustellen sei362. Er kommt aber unter methodisch zweifelhaftem Vorgehen letztlich dennoch zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmerbegriff im Sinne des Art. 1 Abs. 1 LARL dahin auszulegen sei, dass er jede Person erfasse, die ein Beschäftigungsverhältnis habe, das dem unionsautonom definierten Arbeitsverhältnis363 entspreche (und die in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund der Arbeitsleistung, die sie erbringe, geschützt sei)364. In der Sache war für den EuGH erneut wohl alleine ausschlaggebend, dass eine nationale Begriffsbestimmung die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie – insbesondere den Schutz der Leiharbeitnehmer durch Gleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmern – gefährden würde. Überließe man die Definitionshoheit den Mitgliedstaaten, könnten diese nach ihrem Belieben bestimmte Personengruppen ausnehmen und die praktische 362 EuGH v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, NZA 2017, 41, 41 f. Rn. 25 f. (Betriebsrat der Ruhrlandklinik). 363 Hiernach wird gerade nicht vorausgesetzt, dass eine Arbeitsleistung auf der Grundlage eines privatrechtlichen Vertrages erbracht wird, sog. „Rechtsgrundneutralität“, vgl. hierzu etwa Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418, 422; Temming, SR 2016, 158, 164 f. und i. E. auch Mestwerdt, ArbAktuell 2017, 8, 9. 364 EuGH v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, NZA 2017, 41, 41 f. Rn. 33 i. V. m. 27, deutlich auch Rn. 36 und 43 (Betriebsrat der Ruhrlandklinik); ebenso die Deutung des auf die Beantwortung der Vorlagefrage folgenden Urteils, vgl. BAG NZA 2017, 662, 664 f. Der EuGH knüpft in seiner Begründung insbesondere an Art. 3 Abs. 1 lit c) LARL an. Daraus ergebe sich, dass die Richtlinie auch für Leiharbeitnehmer gelte, die (bloß) ein „Beschäftigungsverhältnis“ (im Unterschied zum Arbeitsverhältnis) eingegangen seien (a. a. O. Rn. Rn. 28). Daher könne die rechtliche Einordnung des Verhältnisses zum Leiharbeitsunternehmen nach nationalem Recht für die Qualifikation als Arbeitnehmer i. S. d. Richtlinie nicht entscheidend sein (a. a. O. Rn. 29). Außerdem habe der Unionsgesetzgeber sowohl die Bestimmung des Arbeitnehmers als auch diejenige des Leiharbeitnehmers keineswegs den Mitgliedstaaten überlassen; vielmehr habe er die Konturen dieser Begriffe in Art. 3 Abs. 1 lit a) LARL (sic!) sowie Art. 3 Abs. 1 lit c) LARL „selbst umrissen“ (a. a. O. Rn. 32). An diesem Ergebnis ändere auch Art. 3 Abs. 2 LARL nichts. Wenn dort für den „Arbeitnehmer“ und das „Beschäftigungsverhältnisses“ auf das nationale Begriffsverständnis verwiesen wird, werde damit lediglich die Befugnis der Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht, diese Begriffe allgemein (d.h. wohl rein innerstaatlich und außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie) autonom bestimmen zu können (a. a. O. Rn. 31; ähnlich bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe v. 06. 07. 2016 – Rs. C-216/15 (nicht in Slg., einsehbar über juris) Rn. 29 ff. (Betriebsrat der Ruhrlandklinik)). Vgl. zu ausführlicher Kritik an dieser nicht durchgehend logischen und mit dem Wortlaut nur schwer zu vereinbarenden Argumentation Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418, 423 ff.; Ulrici, EuZW 2017, 70, 71 und L. Schmitt, ZESAR 2017, 167, 172 ff. (letztere i. E. aber zustimmend); kritisch daneben auch Bauer, ArbAktuell 2016, 601, 601; Hartmann, EuZA 2017, 153, 177 f.; Hermann, ArbRAktuell 2017, 220, 220; nur im Ergebnis zustimmend Mestwerdt, ArbAktuell 2017, 8, 9 f.; unkritisch dagegen Heuschmid/Hlava, ArbuR 2017, 122, 123 f.; Hildebrand, ArbRB 2016, 354, 355; Schubert/Jerchel, EuZW 2017, 551, 554 und Stolzenberg, RIW 2017, 45, 46. Vgl. daneben zu der in der Literatur bis zur Entscheidung des EuGH einhellig vertretenen Meinung im Sinne einer mitgliedstaatlichen Bestimmungskompetenz die umfangreichen Nachweise oben 2. Kap. Fn. 603.
434 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Wirksamkeit der Richtlinie würde „durch eine übermäßige und ungerechtfertigte Einschränkung ihres Anwendungsbereichs“ beeinträchtigt365. cc) Stellungnahme Möchte man dem Wortlaut der zu Grunde liegenden Richtlinien und dem im ausdrücklichen Verweis auf eine mitgliedstaatliche Begriffsbestimmung zu Tage tretenden Willen des europäischen Gesetzgebers die ihnen gebührende Bedeutung beimessen, so darf es dem EuGH jedenfalls nicht ohne weiteres unter Berufung auf allgemeine Rechtsgrundsätze erlaubt sein, den jeweiligen Arbeitnehmerbegriff faktisch so auszugestalten und zu erweitern, als fiele ihm eine autonome Bestimmungskompetenz zu366. Zur Lösung des Problems empfiehlt sich eine Orientierung an den folgenden Grundsätzen: Zunächst ist nach den Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV, und der Subsidiarität, Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 EUV367, unstreitige Voraussetzung für jegliches Tätigwerden der Union – 365 EuGH v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, NZA 2017, 41, 41 f. Rn. 35 ff. (Betriebsrat der Ruhrlandklinik). Der EuGH ist mit diesem Urteil letztlich über das eigentlich von ihm avisierte Ziel der Missbrauchsbekämpfung hinausgeschossen. Er hätte sich ebenso wie in seiner bisherigen Rechtsprechung (Del Cerro Alonso und Folgeurteile, vgl. soeben die Nachweise in Fn. 348) mit einem Hinweis darauf begnügen können, dass es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt ist, bestimmte Gruppen von Beschäftigten willkürlich vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, nur weil diese Arbeit auf einer – vom Arbeitsvertrag verschiedenen – Rechtsgrundlage leisten. Er hat es aber nicht dabei bewenden lassen, die grundsätzliche Definitionshoheit der Mitgliedstaaten weiterhin anzuerkennen und bloß einzuschränken, sondern er hat stattdessen – entgegen dem klaren Wortlaut der Richtlinie – unmittelbar sein eigenes unionsautonomes Verständnis des Arbeitnehmerbegriffes zum Maßstab erklärt. Ähnliche Deutung wohl bei Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418, 423 f.; L. Schmitt, ZESAR 2017, 167, 173 und Hartmann, EuZA 2017, 153, 178; anders Hermann, ArbRAktuell 2017, 220, 220; Heuschmid/Hlava, ArbuR 2017, 122, 123 f. und Ulrici, EuZW 2017, 70, 71, die letztlich davon ausgehen, der EuGH habe seine bisherige Rechtsprechung in der Sache unverändert fortführen wollen und habe sich letztlich in der Begründung nur missverständlich ausgedrückt. Welche Deutung zutreffend ist, wird nur die weitere Rechtsprechungsentwicklung zeigen können. 366 Ohne kritische Auseinandersetzung mit dem Ergebnis dieser EuGH-Rechtsprechungspraxis ebenfalls erkannt von Preis, Individualarbeitsrecht, § 14 I. 2. a) (S. 137); Bieder/Diekmann, EuZA 2008, 515, 517; Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 194 sowie Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 51; anders die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 17. 11. 2011 – Rs. C-393/10 (nicht in Slg., einsehbar über juris) Rn. 34 (O’Brien) sowie Heuschmid, jurisPR-ArbR 21/2012, Anm. 6, die dogmatisch wenig überzeugend von einem „bedingten Verweis“ auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff sprechen. Wie hier kritisch etwa Junker, EuZA 2016, 184, 196 ff.; Kerwer/Just, EuZA 2016, 62, 64 ff. und Temming, SR 2016, 158, 166 („faktisch legislative“ Tätigkeit des EuGH). Ausführlich zu alledem Uffmann, EuZA 2012, 518, 523 ff. 367 Vgl. dazu bereits ausführlicher oben § 6 C. V. 2. c); allgemeiner Grosche, Rechtsfortbildung, S. 196 ff.
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und damit auch für eine unionsautonome Definition von Arbeitnehmerbegriffen im Sekundärrecht368 – jedenfalls eine entsprechende Kompetenzgrundlage. Hat nun der europäische Gesetzgeber grundsätzlich eine solche Kompetenz, hat er von dieser Kompetenz bei Erlass des Rechtsaktes aber keinen Gebrauch gemacht, so handelt es sich in den hier diskutierten Fällen bei genauerer Betrachtung aus der Sicht der Union um ein Problem der Gewaltenteilung bzw. des institutionellen Gleichgewichts369. Mangels eines „europäischen Verfassungsgerichts“, das verbindlich über die Einhaltung der Kompetenzen des EuGH aus Art. 19 Abs. 1 und 3 EUV wacht und diesbezüglich aus den Verträgen abgeleitete Vorgaben aufstellen könnte, ergeben sich die Grenzen der Gewaltenteilung nicht wie im nationalen Recht primär aus der Verfassung, sondern sie sind – jedenfalls faktisch – vornehmlich der europäischen Methodenlehre zu entnehmen. Entscheidend für die Lösung des hier untersuchten Problems muss damit die Antwort auf die Frage sein, unter welchen Voraussetzungen es dem Gerichtshof unter Berufung auf den objektiven Zweck einer Regelung erlaubt sein kann, eine solche „Auslegungs-“variante370 der in Rede stehenden Richtlinienbestimmung zu wählen, die sowohl von deren ausdrücklichem Wortlaut als auch dem historischen Willen des europäischen Gesetzgebers (teilweise oder vollständig) abweicht371. Auch wenn der teleologischen Methode im Unionsrecht im Allgemeinen und in der tatsächlichen Praxis des EuGH im Speziellen eine besondere Bedeutung zukommen mag372, kann dies in Anbetracht der Eindeutigkeit des Wortlauts, des gesetzgeberischen Willens und des damit verbundenen Fehlens einer unbewussten
368 Dazu Junker, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Grünbuch, § 1 Rn. 24; Rebhahn, RdA 2009, 236, 246. 369 Die Begriffe sind weitestgehend gleichbedeutend, vgl. dazu schon die Nachweise oben 2. Kap., Fn. 618. Zu Konsequenzen einer insofern kompetenzwidrigen Begriffsbestimmung durch den EuGH vgl. oben § 6 C. V. 3. d). 370 Für die „Auslegung“ von Sekundärrecht ist der EuGH nach Art. 19 Abs. 3 lit. b) EUV, Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV im Grundsatz unstreitig zuständig (dazu statt vieler Preis, Individualarbeitsrecht, § 14 I. 2. a) (S. 135 f.); Schmidt-Räntsch, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 23 Rn. 9). Nach der Terminologie deutscher Methodenlehre handelt es sich bei den hier untersuchten Fällen freilich eher um eine Rechtsfortbildung. Auch hierzu ist der EuGH aber grundsätzlich „im Wege methodisch gebundener Rechtsprechung“ befugt (so ausdrücklich BVerfGE 126, 286, 305; ebenso aus der Literatur etwa Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 1 Rn. 63 und Rebhahn, in: FS Wank, S. 431, 436 ff.; vgl. auch Wank, Grenzen, S. 146). 371 Diese methodische Vorgehensweise wird angedeutet in den Schlussanträgen des Generalanwalts Maduro v. 10. 01. 2007 – Rs. C-307/05, Slg. 2007, I-7109 Rn. 12 (Del Cerro Alonso); ausführlich zu alledem Grosche, Rechtsfortbildung, S. 227 ff. 372 Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 1 Rn. 61; Rebhahn, in: FS Wank, S. 431, 443; Joussen, Auslegung, S. 115 ff. spricht insoweit von einem „Primat des teleologischen Auslegungskriteriums“ im europäischen Recht.
436 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Regelungslücke nur unter engen Voraussetzungen angenommen werden373. Insbesondere kann es nicht schon ausreichen, dass eine Richtlinie – lediglich aus Sicht und in der Auslegung des Gerichtshofes – eine vollständige Harmonisierung von Arbeitnehmerschutzrechten und damit die Schaffung eines einheitlichen Schutzniveaus bezweckt374. Wäre dies auch die tatsächliche Intention des europäischen Gesetzgebers gewesen, so hätte er nämlich insbesondere im Anwendungsbereich „jüngerer“ Richtlinien auf eine ausdrückliche Delegation der Bestimmungskompetenz zu Gunsten der Mitgliedstaaten verzichtet375. Auch wenn dem Gerichtshof noch immer die Rolle des Motors der europäischen Integration zukommen mag, so darf er sich – gerade nach den Strukturveränderungen des Vertrages von Lissabon und der damit verbundenen Stärkung des Europäischen Parlaments – doch nicht ohne weiteres über den Willen des europäischen Gesetzgebers hinweg und damit an dessen Stelle setzen. Dieses Ergebnis lässt sich spiegelbildlich auch aus der Sicht der Mitgliedstaaten begründen. Insoweit gilt primärrechtlich verankert zwar der Grundsatz, dass sämtliche Richtlinien hinsichtlich der zu erreichenden Ziele für die Mitgliedstaaten verbindlich sind, Art. 288 Abs. 3 AEUV. Ihre Umsetzung muss sich deshalb immer – auch wenn den Mitgliedstaaten in Art. 288 Abs. 3 AEUV grundsätzlich eine Umsetzungsfreiheit in Bezug auf Form und Mittel eingeräumt wird – an dem Gedanken des effet utile orientieren376. Daraus ergibt sich als Konsequenz für den deutschen Gesetzgeber, dass die praktische Wirksamkeit des mit der Richtlinie angestrebten Ziels bestmöglich erreicht werden muss377. Ihre rechtlich 373 Zutreffend will daher Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 53, unter Berücksichtigung des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips, dem im Wortlaut erkennbaren subjektiven Willen des Gesetzgebers einen grundsätzlichen Vorrang auch vor objektiv-teleologischen Erwägungen einräumen. Kerwer, Gemeinschaftsrecht, S. 791 spricht insoweit von der „Achtung vor dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers“, den der EuGH zu wahren habe. 374 So aber EuGH v. 09. 09. 2003 – Rs. C-151/02, Slg. 2003, I-8389 Rn. 58 (Jaeger), bestätigt durch EuGH v. 01. 12. 2005 – Rs. C-14/04, Slg. 2005, I-10253 Rn. 44 (Dellas), wo jeweils ausdrücklich eine unionsautonome Bestimmung der Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ entgegen dem eindeutigen Verweis der Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG auf das nationale Recht vorgenommen wurde. Vgl. zusammenfassend die Schlussanträge des Generalanwalts Maduro v. 10. 01. 2007 – Rs. C-307/05, Slg. 2007, I-7109 Rn. 12 ff. (Del Cerro Alonso). 375 I. E. auch Uffmann, EuZA 2012, 518, 525. 376 EuGH v. 08. 04. 1976 – Rs. 48/75, Slg. 1976, 497 Rn. 69/73, 74/75 (Royer); EuGH v. 13. 09. 2007 – Rs. C-307/05, Slg. 2007, I-7109 Rn. 29 (Del Cerro Alonso); HSW/Steinmeyer, EuArbSozR, § 10 Rn. 31 und 36 ff.; HSW/Wank, EuArbSozR, § 9 Rn. 98 f.; allgemeiner Grosche, Rechtsfortbildung, S. 181 ff. 377 EuGH v. 08. 04. 1976 – Rs. 48/75, Slg. 1976, 497 Rn. 69/73, 74/75 (Royer); EuGH v. 10. 04. 1984 – Rs. C-14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 15 (von Colson und Kamann); EuGH v. 13. 09. 2007 – Rs. C-307/05, Slg. 2007, I-7109 Rn. 29 (Del Cerro Alonso); HSW/Wank, EuArbSozR, § 9 Rn. 98 f.; Bayreuther, NZA 2007, 371, 373.
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intendierten Wirkungen müssen sich nach ihrer Umsetzung im nationalen Recht wiederfinden378. In den hier diskutierten Fällen besteht aber zusätzlich zu diesem Grundsatz die Besonderheit, dass neben die ohnehin bestehende Wahlfreiheit bei der Umsetzung einer Richtlinie noch der – teilweise ausdrückliche – Verweis des europäischen Gesetzgebers auf den mitgliedstaatlichen Arbeitnehmerbegriff tritt379. Insofern besteht für die Nationalstaaten hier ein noch weitergehender Gestaltungsspielraum380. Dennoch kann im Lichte des effet utile und des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit, Art. 4 Abs. 3 EUV381, den Mitgliedstaaten trotz eines Verweises auf die mitgliedstaatlich gebildeten Begriffe keine „grenzenlose Definitionsfreiheit“ in Bezug auf den jeweiligen nationalen Arbeitnehmerbegriff und damit für den persönlichen Anwendungsbereichs eines der Umsetzung einer Richtlinie dienenden nationalstaatlichen Gesetzes zukommen382. Auf Grund der dargestellten, widerstreitenden Grundsätze383 kann die Freiheit zur mitgliedstaatlichen Begriffsbestimmung aber jedenfalls erst dort enden, wo ein solcher nationaler Arbeitnehmerbegriff die mit einer Richtlinie intendierten Ergebnisse entweder gänzlich vereitelt, oder wo er willkürlich384 bzw. rechtsmissbräuch378 HSW/Steinmeyer,
EuArbSozR, § 10 Rn. 29. EuGH v. 04. 07. 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 68 (Adeneler) soll dies jedoch nichts daran ändern, dass die unionsrechtlich vorgegebenen Ergebnisse erreicht werden müssen. 380 So ausdrücklich auch EuGH v. 04. 07. 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 68 (Adeneler); ebenso die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 18. 05. 2004 – Rs. C-313/02, Slg. 2004, I-9483 Rn. 45 (Wippel) sowie die Schlussanträge ders., v. 17. 11. 2011 – Rs. C-393/10 (nicht in Slg., einsehbar über juris) Rn. 22 (O’Brien). Ähnlich auch Merstwedt, ArbRAktuell 2017, 8, 9. 381 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 18. 05. 2004 – Rs. C-313/02, Slg. 2004, I-9483 Rn. 45 (Wippel); Schlussanträge ders., v. 17. 11. 2011 – Rs. C-393/10 (nicht in Slg., einsehbar über juris) Rn. 22 (O’Brien); vgl. dazu auch Biervert, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 288 AEUV Rn. 27. 382 In diesem Sinne auch EuGH v. 04. 07. 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 68 (Adeneler); noch weitergehend EuGH v. 13. 09. 2007 – Rs. C-307/05, Slg. 2007, I-7109 Rn. 29 (Del Cerro Alonso). 383 Zusammenfassend auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 17. 11. 2011 – Rs. C-393/10 (nicht in Slg., einsehbar über juris) Rn. 53 (O’Brien). 384 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 17. 11. 2011 – Rs. C-393/10 (nicht in Slg., einsehbar über juris) Rn. 40 ff. (O’Brien). Auch der EuGH verwendet insoweit den Begriff der „Willkürkontrolle“. Inhaltlich fasst er diese aber so weit, dass sie diese Bezeichnung kaum noch verdient: Der Ausschluss einer bestimmten Gruppe von Beschäftigten (vom Schutz der Befristungsrichtlinie) sei nur dann zulässig, wenn das Rechtsverhältnis dieser Beschäftigtengruppe „seinem Wesen nach erheblich anders [sei] als dasjenige, das Beschäftigte, die nach dem nationalen Recht zur Kategorie der Arbeitnehmer gehörten, mit ihren Arbeitgebern verbindet“, so EuGH v. 01. 03. 2012 − Rs. C-393/10, NZA 2012, 313, 316 Rn. 42 und 51 (O’Brien); zustimmend wohl Heuschmid, jurisPR-ArbR 21/2012, Anm. 6. Dagegen spricht Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 1 Rn. 3 zurückhaltender 379 Nach
438 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
lich385 bestimmte Beschäftigtengruppen vom Anwendungsbereich des Umsetzungsgesetzes ausnimmt. Denn in diesen Fällen wäre eine nationalstaatliche Regelung schon nicht mehr geeignet386, die von der Richtlinie verbindlich vorgegebenen Ziele zu erreichen und ihr wäre damit jegliche praktische Wirksamkeit genommen387. Nach diesen Grundsätzen ist die Berücksichtigung der Entgelthöhe bei der Anwendung von arbeitsrechtlichen Teilregelungen, die auf einer solchen Richtlinie fußen, die auf den mitgliedstaatlichen Arbeitnehmerbegriff verweist, grundsätzlich möglich. Die so definierte Arbeitnehmergruppe darf lediglich nicht willkürlich oder rechtsmissbräuchlich ausgeschlossen und den unionsrechtlichen Vorgaben damit nicht ihre praktische Wirksamkeit genommen werden. Diese Grenzen werden aber regelmäßig jedenfalls dann nicht erreicht sein, wenn die in Rede stehenden arbeitsrechtlichen Teilbereiche, von denen die Spitzenverdiener auf Grund ihrer Entgelthöhe ausgenommen werden sollen, im Rahmen einer teleologischen Betrachtung – wie oben vorgeschlagen388 – zutreffend ermittelt worden sind389. Anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang freilich, dass auch eine diesen Grundsätzen im Ergebnis widersprechende Entscheidung des EuGH sowohl für den deutschen Gesetzgeber als auch für die Gerichte letztlich bindend und auch verfassungsrechtlich kaum angreifbar wäre390. Dass eine solche und treffender von der Unzulässigkeit eines „sachfremden Ausschlusses“ einzelner Arbeitnehmergruppen. Ähnlich auch Kerwer/Just, EuZA 2016, 62, 65 f.: Den Mitgliedstaaten ist es (nur) verwehrt, willkürlich einzelnen Personengruppen den Schutz der Rahmenvereinbarung zu entziehen. Auch für Temming, SR 2016, 158, 165 müssen den Mitgliedstaaten „notwendige Freiräume erhalten bleiben“. 385 Die Beschränkung auf eine Missbrauchskontrolle klingt auch in den Schlussanträgen des Generalanwalts Maduro v. 10. 01. 2007 – Rs. C-307/05, Slg. 2007, I-7109 Rn. 14 (Del Cerro Alonso) an. Auch die Generalanwältin Kokott geht in ihren Schlussanträgen v. 18. 05. 2004 – Rs. C-313/02, Slg. 2004, I-9483 Rn. 45 (Wippel) davon aus, dass dem Unionsrecht „insoweit allenfalls äußerste Schranken entnommen werden“ könnten. Ebenso die Schlussanträge ders. v. 17. 11. 2011 – Rs. C-393/10 (nicht in Slg., einsehbar über juris) Rn. 22 (O’Brien). 386 Zum Kriterium der Geeignetheit Biervert, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 288 AEUV Rn. 28. 387 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 18. 05. 2004 – Rs. C-313/02, Slg. 2004, I-9483 Rn. 45 (Wippel); Schlussanträge ders. v. 17. 11. 2011 – Rs. C-393/10 (nicht in Slg., einsehbar über juris) Rn. 22 (O’Brien). 388 Vgl. § 8 B. III. 2. c). 389 Dagegen könnte beispielsweise die Anwendbarkeit der Regelungen des TzBfG nicht davon abhängig gemacht werden, dass ein Beschäftigter in einem bestimmten Mindestumfang (Angedeutet von Rebhahn, RdA 2009, 236, 243) oder für eine bestimmte Mindestdauer für einen anderen tätig wird, da hierdurch der avisierte Schutzzweck der zu Grunde liegenden europäischen Richtlinie vollständig ausgehöhlt würde. 390 Vgl. dazu ausführlich bereits oben § 6 C. V. 3. d).
§ 8 Möglichkeiten de lege ferenda: Stufenloses oder gestuftes Arbeitsrecht
439
Entwicklung zumindest nicht völlig auszuschließen ist, hat die oben dargestellte Entscheidung des EuGH in der Sache Betriebsrat der Ruhrlandklinik gezeigt. Hier hat der Gerichtshof trotz des scheinbar eindeutigen Verweises der Richtlinie auf nationalstaatliches Recht in Art. 3 Abs. 1 lit. a), Abs. 2 LARL die Definitionshoheit der Mitgliedstaaten nicht bloß im Sinne einer Missbrauchsgrenze beschränkt; vielmehr hat er den Arbeitnehmerbegriff der Leiharbeitsrichtlinie gleich in Gänze unionsautonom bestimmt391. VI. Exkurs: Ausweitung der auf arbeitnehmerähnliche Personen anwendbaren Normen? Zuletzt sei noch – auf Grund der vorliegenden Themenstellung notwendigerweise kurz – darauf hingewiesen, dass auf Grund der systematisch-teleologischen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit nicht nur die Schaffung einer neuen Kategorie der „unternehmerähnlichen Personen“ in Betracht kommt. Vielmehr drängt es sich auch auf, den Kreis derjenigen arbeitsrechtlichen Normen zu erweitern, die auf arbeitnehmerähnliche Personen (entsprechende) Anwendung finden. Da die Konzeption der vorliegenden Arbeit von einer Vierteilung der persönlich arbeitenden Beschäftigten ausgeht392 und im Grundsatz zur Abgrenzung des Arbeitsrechts am herrschenden Arbeitnehmerbegriff festhält393, bleiben die Arbeitnehmerähnlichen als eigenständige Kategorie von Beschäftigten außerhalb des Arbeitsrechts erhalten394. Weil sie als wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig definiert sind, liegt es nach der obigen teleologischen Betrachtung aber nahe, auf sie einige (weitere) Regelungen des arbeitsrechtlichen Existenzschutzes anzuwenden395. Durch eine solche Vorgehensweise, die das Alles-oder-NichtsPrinzip auch an der entgegengesetzten Seite des Arbeitsrechts weiter aufbricht, würde etwa der Problematik der sog. Scheinselbständigkeit396, oder neuerdings derjenigen des – tatsächlichen oder behaupteten – Missbrauchs von freien Dienstund Werkverträgen397 vieles an Schärfe genommen. 391 Vgl. dazu soeben § 8 B. V. 2. b) bb) und dort insbesondere auch Fn. 364 zu der Frage, ob mit der Entscheidung ein bewusster Rechtsprechungswandel verbunden ist. 392 Dazu oben § 8 B. I. 393 Vgl. oben § 8 B. II. 2. 394 Vgl. dazu auch schon oben 3. Kap., Fn. 180. 395 Ausführlich oben § 6 E.III. 3. sowie zusammenfassend § 8 B. I.; ebenso Tomandl, ZAS 2008, 100, 113 f. 396 Ähnlicher Befund bei Düwell, ArbuR 1998, 149, 151 und Hanau, DB 1998, 69, 73 f. 397 Vgl. hierzu die Zusammenfassung von Henssler, NZA-Beil. 2014 zu Heft 3, 95, 97. Siehe dazu im Kontext der AÜG-Reform, die allerdings primär die Abgrenzung von Arbeitnehmerentsendung auf Grundlage freier Dienst- bzw. Werkverträge und Arbeitskräfteüberlassung nach dem AÜG („Leiharbeit“ im Dreipersonenverhältnis, vgl. zu dieser
440 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Möglichkeiten und Grenzen einer solchen oder ähnlichen Stärkung der Kategorie der Arbeitnehmerähnlichen sind aber bereits an anderer Stelle ausführlich, wenn auch nicht erschöpfend erörtert worden. Auf diese Stellungnahmen soll hier verwiesen werden. Dabei reichen sowohl rechtspolitisch motivierte Vorschläge als auch umfassende wissenschaftliche Untersuchungen von eine Ausdehnung de lege lata mittels verstärkter analoger Anwendung arbeitsrechtlicher Vorschriften398, bis hin zu einer weitgehenden Einbeziehung in das Arbeitsrecht de lege ferenda399.
C. Ergebnis Da die pauschale und kumulative Berücksichtigung wirtschaftlicher Abhängigkeit zu Schutzlücken im Bereich des Berufsschutzes führt und die Schaffung eines stufenlosen Arbeitsrechts mangels Praktikabilität utopisch bleibt, ist eine operationale Lösung de lege ferenda nur in einem gestuften Arbeitsrecht zu finden. Zu diesem Zweck muss neben Arbeitnehmern, Selbständigen und Arbeitnehmerähnlichen eine vierte große Gruppe von Erwerbstätigen gebildet werden. Die Existenz dieser sog. „unternehmerähnlichen Personen“ ergibt sich insbesondere aus der systematischen und teleologischen Betrachtung des bestehenden Arbeitsrechts; sie zeichnen sich durch eine fehlende wirtschaftliche Abhängigkeit und/oder soziale Schutzbedürftigkeit bei gleichzeitig gegebener persönlicher Abhängigkeit vom Vertragspartner aus. Unterscheidung schon oben die Einleitung, Fn. 29) im Blick hat Deinert, RdA 2017, 65, 69 ff.; Henssler, RdA 2017, 83, 86; ders, RdA 2016, 18, 18, 21, 24; ders., RdA 2017, 83, 83 f. und Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54, 54 ff. 398 Hromadka, NZA 1249, 1255 f.; ders., NZA 1998, 1, 5; ders., DB 1998, 195, 196; ausführlich Neuvians, Arbeitnehmerähnliche Person, S. 115 ff.; Park, Arbeitnehmer, S. 291 ff. 399 Vgl. dazu vor allem § 3 ArbVG-E des Diskussionsentwurfes von Henssler/Preis, NZA-Beil. 2007 zu Heft 21, 6, 8; hierzu ausführlich Hromadka, NZA 2007, 838, 840 ff.; Preis, in: FS Hromadka, S. 275, 284 ff.; aus der übrigen Literatur etwa Buchner, NZA 1998, 1144, 1151; Däubler, in: FS Wank, S. 81, 91 f.; Deinert, RdA 2017, 65, 69; Düwell, ArbuR 1998, 149, 151; Hanau, DB 1998, 69, 73 f.; Reinhardt, Phänomen, S. 777 f.; vgl. ebenso für die vergleichbare Rechtslage in Österreich Wachter, Wesensmerkmale, S. 86. Auch das „Weißbuch Arbeiten 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom Februar 2017 (abrufbar unter http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a883-weissbuch.pdf?__blob=publicationFile&v=6, zuletzt abgerufen am 24. 09. 2017) möchte (a. a. O. S. 12, 176) die Anwendung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften künftig mehr für „spezifisch schutzbedürftige Typen“ von selbständig Erwerbstätigen öffnen, vgl. dazu auch Hanau, RdA 2017, 223, 224. Gegen eine Ausweitung zwar Wank, RdA 2010, 193, 203; dieser vertritt allerdings einen wirtschaftlichen Arbeitnehmerbegriff, nach dem ohnehin ein Großteil, wenn nicht sogar alle arbeitnehmerähnliche Personen direkt zu den Arbeitnehmern zu zählen wäre.
§ 9 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
441
Ausgehend von diesem Grundgerüst kann das Arbeitsrecht de lege ferenda aber weiterhin grundsätzlich anhand eines Arbeitnehmerbegriffes abgegrenzt werden, der sich an den tradierten und heute in § 611a Abs. 1 BGB normierten Merkmalen der persönlichen Abhängigkeit orientiert. Anschließend muss aber, um der Teleologie des Arbeitsrechts gerecht zu werden und zugleich das heute geltende und weitgehend starre Alles-oder-Nichts-Konzept aufzubrechen, die Gruppe der „Unternehmerähnlichen“ zumindest von Teilen der Rechtsfolgen des Existenzschutzes ausgenommen werden. Dieser Ausschluss hat ipso iure zu erfolgen, da eine bloß dispositive Ausgestaltung nicht genügend berücksichtigt, dass wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit insoweit eine grundlegende Anwendungsvoraussetzung des Arbeitsrechts sind und anderenfalls die Verhandlungs- und Abbedingungslast teleologisch nicht gerechtfertigt auf die Seite des Arbeitgebers verschoben würde. Die Gruppe der „Unternehmerähnlichen“ ist im Sinne der Rechtssicherheit und Praktikabilität ausschließlich anhand der Höhe des Entgelts im jeweiligen Arbeitsverhältnis zu bestimmen, das zugleich eine zutreffende Beschreibung der fehlenden sozialen Schutzbedürftigkeit dieser Beschäftigten bildet. Sie können auf Grund ihres ausschließlichen Bestimmungskriteriums denn auch als „Spitzenverdiener“ bezeichnet werden. Im Falle einer tatsächlichen Umsetzung dieses Vorschlags ist der Gesetzgeber unter anderem auch an die Grenzen der Verfassung und die Vorgaben des Unionsrechts gebunden. Letztere bestehen freilich nur innerhalb dessen Anwendungsbereichs. Ist dieser eröffnet und liegt einer Regelungsmaterie auf europäischer Ebene ein Arbeitnehmerbegriff zu Grunde, der sich kraft ausdrücklichen Verweises nach mitgliedstaatlichem Recht bestimmt, ist eine Herausnahme der Spitzenverdiener in weitem Umfang bis hin zur Grenze des Rechtsmissbrauchs möglich. Diese wird nicht erreicht, soweit die jeweilige Einschränkung aus teleologischen Gründen im Gegenteil gerade angezeigt ist. Ist hingegen ein Regelungsbereich betroffen, dem ein unionsautonom zu bestimmender Arbeitnehmerbegriff zu Grunde liegt, wäre eine Herausnahme der Spitzenverdiener aus dem entsprechenden arbeitsrechtlichen Teilbereich – da das Überschreiten einer gewissen Entgelthöhe bei sämtlichen unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffen (noch) keine Rolle spielt – unionsrechtswidrig und damit unzulässig.
§ 9 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Die Einordnung eines Beschäftigten als Arbeitnehmer ist nach geltendem Recht entscheidend für die Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Regelungen. Nach der ständigen, nunmehr in § 611a Abs. 1 BGB kodifizierten Rechtsprechung des BAG und der herrschenden Ansicht in der Literatur ist Arbeitnehmer, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages zur Leistung von Diensten für einen anderen in persönlicher Abhängigkeit gegen Entgelt verpflichtet ist. Entscheidendes
442 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
Tatbestandsmerkmal ist dabei die persönliche Abhängigkeit, die in einem formell-organisatorischen Sinne verstanden wird und die insbesondere durch eine Weisungsgebundenheit des Beschäftigten in zeitlicher, örtlicher und fachlicher Hinsicht, sowie eine betriebliche bzw. arbeitsorganisatorische Eingliederung festgestellt wird. Dagegen soll eine wirtschaftliche Abhängigkeit „weder ausreichend noch erforderlich“ sein. 2. Die notwendige Gesamtschau aller Umstände am Maßstab dieser Kriterien ergibt, dass die Lizenzfußballer der 1. und 2. Fußball-Bundesliga als Arbeitnehmer einzuordnen sind. Sie unterliegen einer umfassenden Weisungsbefugnis ihrer Vereine in örtlicher und zeitlicher Hinsicht, die weit über die bloße fußballerische Betätigung hinausgeht und sind zudem straff in die Organisation der Clubs eingegliedert. Dass die Ausübbarkeit des fachlichen Weisungsrechts – rechtstatsächlich ohnehin nur in geringem Umfang – mitunter eingeschränkt ist, ist für Dienste höherer Art typisch und vermag an der ausgeprägten Fremdbestimmtheit der Tätigkeit der Lizenzfußballer ebenso wenig zu ändern, wie die zum Teil immense Höhe der erzielten Vergütung. 3. Auch ein etwaiges, für Arbeitnehmer grundsätzlich untypisches, „Unternehmertum“ der Spieler muss nach den Grundsätzen der herrschenden Meinung für die Statuseinordnung außer Betracht bleiben. Wenn von kritischen Stimmen der Literatur auf unternehmerische Chancen und Risiken innerhalb der Rechtsbeziehung zum Verein hingewiesen wird, stehen hier regelmäßig bloß besondere Vergütungsmodelle in Rede, die aber jedenfalls nach herrschender Meinung keinen entscheidenden Einfluss auf die Einordnung eines Beschäftigten als Arbeitnehmer haben sollen. Soweit auf eine unternehmerische Zusatztätigkeit für Dritte, insbesondere auf eine etwaige Werbetätigkeit abgestellt wird, dürfen diese Umstände schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil damit de facto einzelne Kriterien wirtschaftlicher (Un-)Abhängigkeit herangezogen würden, die nach der ständigen Rechtsprechung des BAG aber gerade nicht beachtlich sind. 4. Tatsächlich ist aber jedenfalls die grundsätzliche Berührungsangst der herrschenden Meinung mit wirtschaftlichen Kriterien bei der Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts unbegründet. Zwar ist es zutreffend, dass der Begriff des Arbeitnehmers nicht ausschließlich über das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit bestimmt werden darf („wirtschaftliche Abhängigkeit nicht ausreichend“). Ein solcher Ansatz führte nämlich zum Verschwinden der Kategorie der arbeitnehmerähnlichen Personen, die entscheidend über dieses Merkmal definiert sind und verstieße daher gegen die geltende gesetzliche Systematik. Damit ist aber nicht gesagt, dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit – kumulativ neben den Merkmalen der persönlichen Abhängigkeit – für die Arbeitnehmereigenschaft nicht auch „erforderlich“ ist. 5. Zur erwähnten Berührungsangst mit dem Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit trägt auch ein weitgehendes begriffliches Fehlverständnis bei. Kei-
§ 9 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
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nesfalls ist damit eine generelle Situation wirtschaftlicher Schwäche oder eine Angewiesenheit der Verwertung der eigenen Arbeitskraft „an sich“ gemeint. Wirtschaftliche Abhängigkeit bezieht sich stets auf einen konkreten Vertragspartner und ist – ähnlich dem Merkmal der persönlichen Abhängigkeit – im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln. Wirtschaftlich abhängig ist demnach regelmäßig ein solcher Beschäftigter, der auf Dauer, typischerweise in nicht geringem Umfang, in fremdnütziger Art und Weise auf Rechnung für hauptsächlich einen Auftraggeber tätig wird. 6. Da sich ein solcher Beschäftigter der Dispositionsfreiheit über seine Arbeitskraft weitgehend zu Gunsten eines überwiegenden Auftraggebers begeben hat, ist er infolge dessen regelmäßig nicht mehr zur Erwirtschaftung unternehmerischer Gewinne am Wirtschaftsmarkt in der Lage; vielmehr genügt das im Ergebnis erzielte, typischerweise überschaubare Einkommen nur zum Bestreiten der gewöhnlichen Lebenshaltungskosten, nicht aber zur Vorsorge für bestimmte Risiken des Lebens, die sich letztlich in einem Verdienstausfall realisieren können (etwa Krankheit, Urlaub, Alter, Schwangerschaft etc.). Die wirtschaftliche Abhängigkeit führt daher regelmäßig zur sozialen Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten, auf die das geltende (Sozial-) und Arbeitsrecht mit einem zwingenden System der Fremdversorgung reagiert. Dabei rechtfertigt sich die Überbürdung der für den Arbeitgeber nachteiligen Rechtsfolgen aus der Überlegung, dass der Arbeitnehmer fremdnützig zu Gunsten des Arbeitgebers tätig wird und diesem damit spiegelbildlich potentielle Gewinnmöglichkeiten eröffnet. Der gesamte Ursachen- und Rechtfertigungszusammenhang erlischt aber dann, wenn der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber ein Entgelt in solcher Höhe erhält, das ihn nicht nur zur eigenverantwortlichen Vorsorge für die beschriebenen Risiken befähigt, sondern das zugleich auch vermuten lässt, dass der Beschäftigte das in seiner Arbeitskraft liegende Erwerbspotential trotz Kontrahierens mit nur einem Vertragspartner vollständig ausgeschöpft hat. Der Beschäftigte ist dann nicht länger sozial schutzbedürftig. 7. Eine methodenorientierte Untersuchung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts unter Ausklammerung des § 611a Abs. 1 BGB ergibt, dass die Berücksichtigung zumindest einiger Elemente wirtschaftlicher Abhängigkeit sowie sozialer Schutzbedürftigkeit bei Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffes kumulativ neben jenen der persönlichen Abhängigkeit „erforderlich“ ist. a) Dieses Ergebnis zeitigt zunächst eine systematische Betrachtung. Aus der Existenz der arbeitnehmerähnlichen Personen lässt sich nur schließen, dass wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit nicht schon für sich genommen ausreichen können, um den Arbeitnehmerstatus zu begründen (vgl. soeben Nr. 4) und es deshalb jedenfalls auch auf eine persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten ankommen muss. Davon abgesehen beweist die Erstreckung arbeitsrechtlicher Rechtsfolgen auf ausschließlich wirtschaftlich abhängige und
444 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
sozial schutzbedürftige Beschäftigte, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass gerade eine solche Erwerbssituation ein zumindest teilweises arbeitsrechtliches Schutzbedürfnis begründet. Noch weitergehend ergibt eine systematische Auslegung des § 12a Abs.1 TVG, dass sich die dort ausdrücklich positivrechtlich festgeschriebene „soziale Schutzbedürftigkeit“ des Arbeitnehmers nur aus einem Verhältnis ausgeprägter wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Arbeitgeber speisen kann. Dagegen lässt sich aus der viel zitierten Norm des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB kein zwingendes Argument gegen die generelle Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Elemente gewinnen: Dort wird mittels eines Umkehrschlusses nur die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers gefordert, ohne dass daneben die zusätzliche Berücksichtigung weiterer (wirtschaftlicher) Kriterien ausgeschlossen würde. Aus der Existenz des TzBfG ergibt sich schließlich nur, dass eine Versagung der Arbeitnehmereigenschaft nicht ausschließlich an den bloß geringen Umfang oder die kurze Dauer der Tätigkeit eines Beschäftigten geknüpft werden kann. Lediglich eine unionsrechtsorientierte Betrachtung spräche in systematischer Hinsicht für eine ausschließliche Berücksichtigung der Kriterien der persönlichen Abhängigkeit, da die verschiedenen Arbeitnehmerbegriffe des Unionsrechts, für die die inhaltliche Bestimmungskompetenz bei der Union selbst liegt, das Erfordernis der wirtschaftlichen Abhängigkeit oder sozialen Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten nicht aufweisen. b) Eine historische Betrachtung macht deutlich, dass die Elemente persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit bzw. die soziale Schutzbedürftigkeit zur Zeit der Entwicklung des Arbeitnehmerbegriffes durch das RVA gleichberechtigte und kumulativ erforderliche Merkmale bei dessen Bestimmung waren. Diese vom RAG zunächst fortgeführte Rechtsprechung konnte nur deshalb Schritt für Schritt aufgegeben werden, weil zum einen das Vorliegen einer persönlichen Abhängigkeit rechtspraktisch leichter feststellbar war und weil zum anderen ohnehin ein faktischer Gleichlauf zwischen der persönlichen Abhängigkeit eines Beschäftigten und dessen wirtschaftlicher Abhängigkeit sowie seiner sozialen Schutzbedürftigkeit herrschte und dieser vom Gericht auch vermehrt erkannt wurde. Nur aus diesem Grunde war – wie das BAG später ohne Begründung in st. Rspr. ausdrücklich betonen sollte – die gesonderte Feststellung der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. sozialen Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten regelmäßig nicht „erforderlich“. Eine Analyse der Arbeitnehmerverdienste der letzten Jahrzehnte zeigt allerdings, dass dieser Gleichlauf heute rechtstatsächlich vermehrt und mitunter auch evident unterbrochen ist und eine Beschränkung des Arbeitnehmerbegriffes ausschließlich auf die Kriterien der persönlichen Abhängigkeit daher ihre einstige Rechtfertigung eingebüßt hat. c) Im Wege einer teleologischen Betrachtung lässt sich darlegen, dass sich die Rechtsfolgen des Arbeitsrechts im Wesentlichen zu zwei großen Bündeln zusammenfassen lassen. Die Gesamtheit der arbeitsrechtlichen Normen bezweckt
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demnach sowohl einen Berufsschutz als auch einen Existenzschutz des Arbeitnehmers. Der Berufsschutz, der sich weiter in Arbeits- und Persönlichkeitsschutz untergliedern lässt, reagiert insbesondere auf solche Gefahren für die physische und psychische Gesundheit des Arbeitnehmers, die unmittelbar mit dem Arbeitsverhältnis verknüpft sind und die bei der Leistung der Arbeit entstehen können. Er rechtfertigt sich gerade dadurch, dass der Arbeitnehmer weisungsgebunden, fremdbestimmt und innerhalb einer von ihm nicht umfassend beeinflussbaren Arbeitsorganisation und damit in persönlicher Abhängigkeit tätig wird. Dagegen dient der Existenzschutz, der hauptsächlich aus einem Sozial- und einem Bestandsschutz besteht, insbesondere einer wirtschaftlichen bzw. finanziellen Sicherung des Arbeitnehmers vor allgemeinen Lebensrisiken, die dem Einflussbereich des Arbeitgebers grundsätzlich entzogen sind. Eine solche durch das Arbeitsrecht aus sozialen Gründen zwingend ausgestaltete Absicherung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn ein Beschäftigter auf Grund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit auch materiell auf sie angewiesen ist. Da der Arbeitnehmerbegriff zu sämtlichen Rechtsfolgen des Arbeitsrechts in teleologischem Bezug stehen muss, sind auch die letztgenannten Kriterien bei der Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen des Arbeitsrechts „erforderlich“. 8. Diese im Rahmen der methodenorientierten Untersuchung gewonnenen Ergebnisse lassen sich für das heute geltende Arbeitsrecht durch eine Änderung der Rechtsprechung des BAG zum Arbeitnehmerbegriff allerdings nicht (mehr) umsetzen. Eine solche wird zwar nicht durch die mittelbar-systematischen Vorgaben des positiven Rechts gehindert; der Rechtsprechungsänderung steht aber die Regelung zum Arbeitsvertrag in § 611a Abs. 1 BGB entgegen. Mit der Normierung dieser Vorschrift, die sich weitgehend wortwörtlich an Obersätzen des BAG orientiert, wollte der Gesetzgeber die bis dato bestehende richterrechtliche Rechtslage unverändert lassen und diese „1:1-kodifizieren“. Das hat zur Folge, dass der Arbeitnehmerbegriff – den der Gesetzgeber hier implizit mit definiert hat – nunmehr auch positivrechtlich abschließend durch das übergeordnete Merkmal der persönlichen Abhängigkeit beschrieben wird. Dieses ist wie nach bisheriger Rechtsprechung des BAG zentral über die rein formalen-organisatorischen Kriterien der Weisungsgebundenheit und der betrieblichen bzw. arbeitsorganisatorischen Eingliederung auszufüllen. Da der Gesetzgeber auch um den ständigen Rechtssatz zur „fehlenden Erforderlichkeit“ einer wirtschaftlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers wusste, kommt mangels unbeabsichtigter Lückenhaftigkeit des § 611a Abs. 1 BGB auch keine teleologische Reduktion der Vorschrift in Betracht. Überdies schlösse ein Arbeitnehmerbegriff, der einheitlich für das gesamte Arbeitsrecht kumulativ die wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit eines Beschäftigten forderte, sämtliche ausschließlich persönlich Abhängige aus dessen gesamten Anwendungsbereich aus. Das führte letztlich
446 3. Kap.: Die tatsächliche Berücksichtigungsmöglichkeit wirtschaftlicher Kriterien
zur Entstehung von Schutzlücken im Bereich des Berufsschutzes (vgl. zu einem diesbezüglichen Schutzbedürfnis soeben Nr. 7 c)). 9. Deshalb ist eine differenzierte Lösung durch den Gesetzgeber de lege ferenda nötig. Ziel muss dabei sein, die dem Arbeitsrecht in Systematik und Teleologie schon heute dem Grunde nach angelegte Vierteilung der Erwerbstätigen in Arbeitnehmer, Selbständige, Arbeitnehmerähnliche und „Unternehmerähnliche“ zu erreichen. Letztere zeichnen sich durch eine fehlende wirtschaftliche Abhängigkeit und/oder soziale Schutzbedürftigkeit bei gleichzeitig gegebener persönlicher Abhängigkeit vom Vertragspartner aus. Zum Zwecke der Vierteilung kann der Anwendungsbereich des Arbeitsrechts am Ausgangspunkt weiterhin durch den heute in § 611a Abs. 1 BGB implizit normierten und auf die persönliche Abhängigkeit beschränkten Arbeitnehmerbegriff abgegrenzt werden. Denn hiermit wird gleichzeitig verdeckt – allerdings nur regelmäßig und idealtypisch – eine ebenfalls vorliegende wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers beschrieben (vgl. hierzu soeben Nr. 7 b)). Dieser Gleichlauf ist bei den „Unternehmerähnlichen“ jedoch gerade durchbrochen. Sie sind daher in einem zweiten Schritt von denjenigen Rechtsfolgen des arbeitsrechtlichen Existenzschutzes auszunehmen, deren sie materiell nicht bedürfen. Entscheidendes und alleiniges Bestimmungskriterium dieser „Unternehmerähnlichen“ muss dabei die Höhe des erzielten Entgelts im jeweiligen Arbeitsverhältnis sein, weil dieses nach Abwägung der Maximen der Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit regelmäßig eine sachlich zutreffende Beschreibung der Situation wirtschaftlicher Unabhängigkeit bzw. fehlender sozialer Schutzbedürftigkeit dieser Beschäftigten liefert. Bei diesem teilweisen Ausschluss von Spitzenverdiener aus dem Anwendungsbereich des Arbeitsrechts, der durch den Gesetzgeber ipso iure erfolgen sollte, sind die Grenzen der Verfassung zu beachten. Die Auswirkungen der inhaltlich abweichenden Vorgaben des Unionsrechts müssen freilich ebenfalls berücksichtigt werden, bleiben aber schon grundsätzlich auf dessen Anwendungsbereich beschränkt. Selbst innerhalb dessen sind sie unmittelbar zwingend nur für diejenigen nationalstaatlichen Regelungsmaterien, die an einem solchen europäischen Rechtsakt zu messen sind, der einen Arbeitnehmerbegriff beinhaltet, für den die Begriffsbestimmungskompetenz bei der Union liegt. In diesen Fällen wäre eine Herausnahme von Spitzenverdienern mangels Relevanz der Verdiensthöhe in der Rechtsprechung des EuGH zu den Arbeitnehmerbegriffen des Unionsrechts – jedenfalls derzeit – europarechtswidrig und damit unzulässig. Liegt die Bestimmungskompetenz dagegen bei den Mitgliedstaaten, so besteht ein weitreichender Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der sich nur den Grundsätzen einer Willkür- und Rechtsmissbrauchskontrolle zu unterwerfen hat. Diese Grenze wird nicht erreicht, wenn die Regelungsmaterien, von denen die Spitzenverdiener ausgenommen werden sollen, teleologisch zutreffend ermittelt worden sind.
Anhang Anhang
Eingang DFL Deutsche Fußball Liga GmbH
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Vertrag Zwischen dem Verein bzw. der Kapitalgesellschaft ................................................................................................................................................ , Anschrift ................................................................................................................................................ , gesetzlich vertreten durch ............................................................................................................................................... , im Folgenden „Club“ genannt, und Herrn ............................................................................................................................................... , geb. am ..................................... in ........................................................... , Nationalität ................................................ , Anschrift .................................................................................................................................................. ................................................................................................................................................ , (bei Minderjährigen: gesetzlich vertreten durch) .............................................................................................. , im folgenden „Spieler“ genannt, wird folgender Vertrag geschlossen:
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§ 1 Grundlagen des Vertragsverhältnisses Der Club stellt den Spieler nach den Bestimmungen dieses Vertrages als Lizenzspieler im Sinne des Ligastatuts des „Die Liga – Fußballverbandes e. V.“ (Ligaverband) an. Die Satzungen und Ordnungen des Ligaverbandes und des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sowie der Regional- und Landesverbände, die in ihren jeweiligen Fassungen die allgemein anerkannten Grundsätze des deutschen Fußballsports darstellen, sind auch aufgrund dieses Vertrages maßgebend für die gesamte fußballsportliche Betätigung. Der Spieler erkennt sie - insbesondere die Satzung des Ligaverbandes, das Ligastatut (hier insbesondere die Lizenzordnung Spieler (LOS)), die Satzung des DFB, die Spielordnung des DFB, das Statut 3. Liga und Regionalliga des DFB, die Rechts- und Verfahrensordnung des DFB, die Schiedsrichterordnung des DFB, die Jugendordnung des DFB und die AntiDoping-Richtlinien des DFB mit den dazu erlassenen Aus- und Durchführungsbestimmungen - in ihrer jeweils gültigen Fassung ausdrücklich als für ihn verbindlich an und unterwirft sich diesen Bestimmungen. Dies gilt auch für Entscheidungen der Organe und Beauftragten des Ligaverbandes, der DFL Deutsche Fußball Liga GmbH und des DFB bzw. der Organe und Beauftragten des Regional- und Landesverbandes gegenüber dem Spieler, insbesondere auch, soweit Sanktionen gem. § 44 der DFB-Satzung verhängt werden. Der Spieler unterwirft sich außerdem der Satzung seines Clubs in der jeweiligen Fassung und insbesondere dessen Strafgewalt, sofern hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Der Spieler erkennt darüber hinaus die Statuten und Reglemente der FIFA und der UEFA, insbesondere das FIFA-Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern, in ihrer jeweils gültigen Fassung ausdrücklich als für ihn verbindlich an. Er unterwirft sich den Entscheidungen der zuständigen Organe und Rechtsorgane der FIFA und der UEFA. Alle relevanten Regelungen des jeweiligen Verbandes können im Internet unter den folgenden Adressen abgerufen werden: Ligaverband bzw. DFL Deutsche Fußball Liga GmbH: www.bundesliga.de/intern; DFB: www.dfb.de/dfb-info/interna; FIFA: www.fifa.com; UEFA: www.uefa.com.
§ 2 Pflichten des Spielers Der Spieler verpflichtet sich, seine ganze Kraft und seine sportliche Leistungsfähigkeit uneingeschränkt für den Club einzusetzen, alles zu tun, um sie zu erhalten und zu steigern und alles zu unterlassen, was ihr vor und bei Veranstaltungen des Clubs abträglich sein könnte. Gemäß diesen Grundsätzen ist der Spieler insbesondere verpflichtet a) an allen Spielen und Lehrgängen des Clubs, an jedem Training - gleich ob allgemein vorgesehen oder besonders angeordnet -, an allen Spielerbesprechungen und an allen sonstigen der Spiel- und Wettkampfvorbereitung dienenden Veranstaltungen teilzunehmen. Dies gilt auch, wenn ein Mitwirken als Spieler oder Ersatzspieler nicht in Betracht kommt. Der Spieler ist bei entsprechender Anweisung auch verpflichtet, an Spielen oder am Training der zweiten Mannschaft des Clubs teilzunehmen, falls diese in der Oberliga oder einer höheren Spielklasse spielt;
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b) sich im Falle einer beruflich relevanten Verletzung oder Erkrankung im Rahmen seiner Tätigkeit als Lizenzspieler bei dem vom Club benannten Arzt unverzüglich vorzustellen; c) sich den sportmedizinisch oder sporttherapeutisch indizierten Maßnahmen, die durch vom Club beauftragte Personen angeordnet werden, umfassend zu unterziehen. Zu diesem Zweck entbindet der Spieler den jeweils behandelnden Arzt gegenüber dem geschäftsführenden Organ des Clubs ausdrücklich von seiner ärztlichen Schweigepflicht, soweit es sich um Informationen handelt, die für das Arbeitsverhältnis von Relevanz sind; d) an Reisen im In- und Ausland, unter Nutzung der vom Club bestimmten Verkehrsmittel teilzunehmen, sofern dem nicht ausnahmsweise wichtige gesundheitliche Gründe entgegenstehen; e) an allen Darstellungen und Publikationen des Clubs oder der Spieler zum Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit für den Club, insbesondere in Fernsehen, Hörfunk und Presse, sowie bei öffentlichen Anlässen, Ehrungen, Veranstaltungen, Autogrammstunden etc. teilzunehmen bzw. mitzuwirken. Bei diesen und bei den unter a) genannten Veranstaltungen ist die vom Club gestellte Sportkleidung (Clubanzüge, Reisekleidung, Spielkleidung, Trainings- und Spielschuhe sowie alle sonstigen Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände) entsprechend der jeweiligen Weisung des Clubs zu tragen. Der Club behält sich vor, die von ihm gestellte Sportkleidung mit Werbung zu versehen; f) von Sponsoren des Clubs zur Verfügung gestellte Gebrauchsgüter (z.B. Kraftfahrzeuge) bei dienstlichen Anlässen ausnahmslos und bei privaten Unternehmungen regelmäßig zu nutzen; g) Werbung für andere Partner als die des Clubs, auch durch oder auf der Bekleidung, nur mit vorheriger Zustimmung des Clubs zu betreiben. Der Club kann diese Zustimmung insbesondere dann verweigern, wenn durch Werbemaßnahmen des Spielers berechtigte Interessen des Clubs beeinträchtigt würden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Spieler beabsichtigt, Werbung für Unternehmen zu betreiben, die in Konkurrenz zu den Partnern des Clubs stehen. Eine einmal gegebene Zustimmung kann widerrufen werden, sofern sachliche Gründe hierfür vorliegen; h) alle für die Dauer des Vertrages vom Club oder dessen Ausrüstern bzw. Sponsoren zur Verfügung gestellten einheitlichen Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände pfleglich zu behandeln und bei Beendigung des Vertragsverhältnisses dem Club zurückzugeben; i) sich in der Öffentlichkeit und privat so zu verhalten, dass das Ansehen des Clubs, der Verbände und des Fußballsports allgemein nicht beeinträchtigt wird. Stellungnahmen in der Öffentlichkeit, insbesondere Interviews für Fernsehen, Hörfunk und Presse, bedürfen, soweit sie im Zusammenhang mit dem Spielbetrieb, dem Club oder dem Arbeitsverhältnis stehen, der vorherigen Zustimmung des Clubs jedenfalls dann, wenn der Spieler Gelegenheit hatte, diese zuvor einzuholen. Gegenüber außenstehenden Personen ist jegliche Äußerung über innere Clubangelegenheiten, insbesondere über den Spiel- und Trainingsbetrieb, zu unterlassen; dies gilt auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses; j) sich auf alle sportlichen Veranstaltungen des Clubs gewissenhaft vorzubereiten. Dazu gehört insbesondere, den Anweisungen des Trainers bezüglich der Lebensführung Folge zu leisten, sofern sie sich auf die sportliche Leistungsfähigkeit des Spielers beziehen;
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k) die sportliche Fairness gegenüber allen am Spiel- oder Trainingsbetrieb beteiligten Personen einzuhalten, insbesondere die durch die Schiedsrichter und Schiedsrichterassistenten eines Spieles getroffenen Entscheidungen unwidersprochen hinzunehmen; l) sich im Falle einer Vermittlung nur der Dienste eines Rechtsanwalts oder einer Person, die sich im Besitz einer von einem Mitgliedsverband der FIFA ausgestellten Spielervermittlerlizenz befindet, zu bedienen; m) es zu unterlassen, auf Spiele (auch einzelne Spielaktionen), Ergebnisse oder Tabellenplatzierungen der Liga, für die der Club zum jeweiligen Zeitpunkt lizenziert ist, Wetteinsätze zu platzieren oder dies über Dritte zu tun; n) es zu unterlassen, Siegprämien von clubfremden Personen anzunehmen. Der Spieler versichert ausdrücklich, dass er weder direkt noch indirekt über Anteile und/oder über Optionen für Anteile an lizenzierten Kapitalgesellschaften der deutschen Lizenzligen verfügt und solche Anteile bzw. Optionen während der Dauer dieses Vertrages auch nicht erwerben wird. Der Erwerb von Aktien des eigenen Clubs ist gestattet. Es besteht in diesem Fall eine Anzeigepflicht gegenüber dem Club und dem Ligaverband bzw. der DFL Deutsche Fußball Liga GmbH.
§ 2a Dopingverbot a) Doping ist verboten. Der Spieler erkennt die nationalen und internationalen Anti-DopingBestimmungen - insbesondere die Anti-Doping-Richtlinien des DFB und deren Anhänge, das UEFA-Dopingreglement sowie das FIFA-Reglement für die Dopingkontrollen bei FIFA-Wettbewerben und außerhalb von Wettbewerben - in ihrer jeweils gültigen Fassung ausdrücklich als für ihn verbindlich an. Er unterwirft sich insbesondere auch den Bestimmungen der durch die Anti-Doping-Kommission des DFB angeordneten Doping- und der durch die NADA angeordneten Trainingskontrollen. b) Als Doping im Sinne dieses Vertrages gilt insbesondere: das Vorhandensein einer verbotenen Substanz oder ihrer Metaboliten oder diagnostischen Marker in einer dem Körper des Spielers entnommenen Probe; die Verwendung oder versuchte Verwendung einer verbotenen Substanz oder Methode; die Weigerung, sich nach der Aufforderung gemäß der Anti-Doping-Richtlinien der Entnahme einer Probe zu unterziehen; ein Fernbleiben von der Probenentnahme ohne zwingenden Grund oder eine anderweitige Umgehung der Probenentnahme; die Verletzung der Anforderungen hinsichtlich der Verfügbarkeit des Spielers für Dopingkontrollen außerhalb von Wettbewerbsspielen einschließlich der Unterlassung, Angaben zum Aufenthaltsort zu liefern, sowie verpasste Kontrollen, die aufgrund von zumutbaren Regeln angekündigt werden; die Manipulation eines Teils einer Dopingkontrolle oder der Versuch einer solchen Manipulation; der Besitz von und der Handel mit verbotenen Substanzen und Methoden; die Verabreichung oder die versuchte Verabreichung einer verbotenen Substanz oder Methode an einen Spieler sowie die Unterstützung, Anstiftung, Beihilfe, Vertuschung und jede andere Art von Mittäterschaft im Zusammenhang mit einem Verstoß oder versuchten Verstoß gegen Anti-Doping-Vorschriften.
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c) Die verbotenen Substanzen und Methoden sind in Anhang A der Anti-Doping-Richtlinien des DFB aufgeführt, die dem Spieler vom Club in gesonderter Weise ausgehändigt werden. Zudem können die relevanten Regelungen des jeweiligen Verbandes im Internet unter den folgenden Adressen abgerufen werden: DFB: www.dfb.de/dfb-info/interna/statuten/dfbdoping.pdf FIFA: www.fifa.com; UEFA: www.uefa.com. d) Die Parteien sehen in einem Verstoß des Spielers gegen die Anti-Doping-Vorschriften, der eine rechtskräftige Spielsperre des Spielers zur Folge hat, übereinstimmend einen wichtigen Grund, der es ausschließlich dem Club erlaubt, das Vertragsverhältnis außerordentlich und fristlos zu kündigen.
§ 3 Nutzung und Verwertung der Persönlichkeitsrechte im Arbeitsverhältnis a) Der Spieler räumt dem Club, sofern und soweit seine Tätigkeit als Lizenzspieler und nicht ausschließlich seine Privatsphäre berührt ist, das ausschließliche Recht ein, sein Bildnis, seinen Namen (auch Spitz- und Künstlernamen), das von ihm gesprochene Wort sowie besondere fußballbezogene Persönlichkeitsmerkmale uneingeschränkt zu nutzen und zu verwerten. Die hier eingeräumte wirtschaftliche Verwertung der Persönlichkeitsrechte in Bezug zu der Tätigkeit des Spielers als Lizenzspieler ist etwa gegeben bei einer Verwertung durch Fernsehen, Internet, mobile Dienste, Computerspiele, Sammelbilder u.Ä. Zu der ausschließlich der Privatsphäre des Spielers zugeordneten und bei diesem verbleibenden wirtschaftlichen Verwertung der Persönlichkeitsrechte gehören insbesondere schriftstellerische Tätigkeiten sowie die Testimonial-Werbung für nicht fußballbezogene Produkte. Die Regelung des § 2 lit. g) dieses Vertrages bleibt hiervon unberührt. Die vorgenannten Aufzählungen sind nur beispielhaft und nicht abschließend. Falls der Spieler die dem Club zur exklusiven Verwertung eingeräumten Persönlichkeitsrechte durch Eigenvermarktungsmaßnahmen auch selbst wirtschaftlich verwerten möchte, bedarf es dazu stets der vorherigen schriftlichen Zustimmung durch den Club. Diese ist zu erteilen, falls dem nicht ausnahmsweise ein besonderes berechtigtes Interesse des Clubs entgegensteht. Der Spieler erklärt, die wirtschaftliche Verwertung seiner Persönlichkeitsrechte, sofern und soweit seine Tätigkeit als Lizenzspieler berührt wird, keinem anderen eingeräumt zu haben. b) Der Club ist in dem Umfang der Einräumung berechtigt, das Bildnis, seinen Namen (auch Spitz- und Künstlernamen), das von ihm gesprochene Wort sowie besondere fußballbezogene Persönlichkeitsmerkmale des Spielers uneingeschränkt zu nutzen und zu verwerten, insbesondere sie dem DFB, dem Ligaverband oder der DFL Deutsche Fußball Liga GmbH zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen einzuräumen.
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Der Spieler erkennt ausdrücklich an, dass die Verwertung der oben genannten Rechte für Maßnahmen im Rahmen der Gruppenvermarktung der Bundesliga und/oder der 2. Bundesliga und/oder weiterer Wettbewerbe des Ligaverbandes nach § 16 der Ordnung für die Verwertung kommerzieller Rechte (OVR) auch durch den Ligaverband bzw. die DFL Deutsche Fußball Liga GmbH erfolgen kann. Unter Gruppenvermarktung verstehen die Arbeitsvertragsparteien alle Vermarktungsmaßnahmen, welche die Vereine bzw. Kapitalgesellschaften der Bundesliga und/oder der 2. Bundesliga in ihrer Gesamtheit oder in wesentlichen Teilen umfassen. Der Club kann die ihm von dem Spieler eingeräumten Rechte gegenüber Dritten auch gerichtlich geltend machen. Er ist berechtigt, bei der Übertragung der hier eingeräumten Rechte auf den DFB, den Ligaverband oder die DFL Deutsche Fußball Liga GmbH auch die Befugnis zu übertragen, die betreffenden Rechte gegenüber Dritten gerichtlich geltend zu machen. c) Die Einräumung der Nutzungs- und Verwertungsrechte bezieht sich auch auf den Bereich aller gegenwärtigen und künftigen technischen Medien und Einrichtungen einschließlich Multimedia-Anwendungen (Internet, Online-Dienste, mobile Dienste etc.) und Softwareprodukte, insbesondere interaktive Computerspiele. Dies gilt insbesondere für die vom Club veranlasste oder gestattete Verbreitung von Bildnissen des Spielers als Mannschafts- oder Einzelaufnahmen in jeder Abbildungsform, auch der virtuellen Darstellung, besonders auch hinsichtlich der Verbreitung solcher Bildnisse in Form von Spielszenen und/oder ganzer Spiele der Lizenzligamannschaft, um somit öffentlich- und/oder privatrechtlichen Fernsehanstalten und/oder anderen audiovisuellen Medien und/oder weiteren Interessenten Nutzungen hieran zu ermöglichen. d) Der Spieler stellt dem Club außerdem jederzeit seine Autogrammunterschrift im Originalschriftzug, als Faksimile oder in gedruckter Form für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit und/oder zur Wiedergabe auf vom Club beschafften Souvenir- und Verkaufsartikeln - ggf. auch in Verbindung mit Werbung Dritter - zur Verfügung. e) Die aus der wirtschaftlichen Verwertung der eingeräumten Rechte erzielten Erlöse stehen ausschließlich dem Club zu, soweit nicht in diesem Vertrag ausdrücklich Abweichendes geregelt ist. f) Die Rechteeinräumung ist grundsätzlich begrenzt auf die Laufzeit dieses Arbeitsvertrages. Diese Begrenzung gilt nicht für die mediale und multimediale Nachverwertung in Form von Archivbildern. Außerdem gilt für die Vermarktung und den Vertrieb von Produkten eine Abverkaufsfrist von 5 Jahren. Die Parteien sind sich einig, dass mit der vertraglichen Vergütung auch die Rechteeinräumung abgegolten ist.
§ 4 Pflichten des Clubs
1) Vergütung und andere geldwerte Leistungen: Der Spieler erhält a) ein monatliches Grundgehalt von Euro ...................................................................... . b) Soweit weitere Vergütungen und andere geldwerte Leistungen vereinbart worden sind, sind diese in einer Anlage zum Vertrag enthalten. Die Anlage ist Bestandteil dieses Vertrages.
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Die Bezüge des Spielers sind Bruttobezüge. Für die Abführung von Steuern und Soziallasten gelten die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen. Auf die Bestimmung des § 14 dieses Vertrages wird ausdrücklich verwiesen.
2) Weitere Pflichten des Clubs: Der Club verpflichtet sich neben der Bezahlung der vereinbarten Vergütung und anderer geldwerter Leistungen (Ziffer 1) insbesondere zu Folgendem: a) qualifizierte Fachkräfte für einen geordneten Spiel- und Trainingsbetrieb zu stellen; b) Spiel- und Trainingsstätten, Umkleide- und Sanitärräume nach den technischen Richtlinien des DFB bzw. des Ligaverbandes bereitzustellen und zu unterhalten; c) sportmedizinische und sporttherapeutische Betreuung in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stellen; d) Sportkleidung zu stellen; e) den Spieler bei entsprechender Berufung für Länderspiele und Auswahlspiele des DFB und seiner Mitgliedsverbände, Vorbereitungslehrgänge und Trainingslager nach den Bestimmungen der Lizenzordnung Spieler (LOS) und der DFB-Spielordnung abzustellen. Entsprechendes gilt für die Abstellung ausländischer Spieler für die Auswahlmannschaften anderer der FIFA angehörenden Nationalverbände; f) den Spieler als Beisitzer in Rechtsorganen des DFB auf Abruf freizustellen; g) dem Spieler Beratung in wirtschaftlichen, schulischen und beruflichen Angelegenheiten zu vermitteln, soweit der Spieler dies ausdrücklich wünscht; h) sich im Falle einer Vermittlung nur der Dienste eines Rechtsanwalts oder einer Person, die sich im Besitz einer von einem Mitgliedsverband der FIFA ausgestellten Spielervermittlerlizenz befindet, zu bedienen; i) Unfälle des Spielers gemäß der gesetzlichen Vorschrift des § 193 SGB VII dem Unfallversicherungsträger anzuzeigen; j) dem Spieler den Trainingsplan vorbehaltlich eventueller Änderungen auf Anforderung zur Kenntnis zu geben; k) dem Spieler die Satzungen und Ordnungen des DFB und des Ligaverbandes sowie das FIFA-Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern in geeigneter Form in der jeweils gültigen Fassung zur Verfügung zu stellen.
§ 5 Einsatz und Tätigkeit Einsatz und Tätigkeit des Spielers werden nach Art und Umfang vom geschäftsführenden Organ oder von den von ihm Beauftragten bestimmt.
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Der Spieler hat den Weisungen aller kraft Satzung oder vom geschäftsführenden Organ mit Weisungsbefugnis ausgestatteter Personen - insbesondere des Trainers - vor allem auch hinsichtlich des Trainings, der Spielvorbereitungen, seiner Teilnahme am Spiel, der Behandlungen sowie aller sonstigen Clubveranstaltungen zuverlässig und genau Folge zu leisten.
§ 6 Vertragsstrafe Bei Verstößen des Spielers gegen seine Pflichten gem. § 2 lit. a) bis g), i) bis k), m), n), § 2 a, § 7 und § 8 dieses Vertrages ist der Club - unbeschadet seines Rechts zur Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund - im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen in jedem Einzelfall berechtigt, Vertragsstrafen gegen den Spieler festzusetzen. Als Vertragsstrafen werden vorgesehen Verweis, Ausschluss von Clubveranstaltungen sowie Geldbußen bis zur Höhe von Euro .................................................. (maximal ein monatliches Brutto-Grundgehalt). Diese Vertragsstrafen können auch nebeneinander verhängt werden. Weitergehende Schadensersatzansprüche bleiben unberührt. Auf die Bestimmung des § 14 dieses Vertrages wird ausdrücklich verwiesen.
§ 7 Urlaub Der Spieler hat Anspruch auf einen Jahresurlaub von 24 Werktagen. Als Werktage gelten alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind. Der Urlaub ist in der pflichtspielfreien Zeit zu nehmen und zum Zwecke der Erholung zu nutzen. Pflichtspiele sind Meisterschaftsspiele, Pokalspiele (DFB und Liga) sowie von der FIFA bzw. der UEFA genehmigte europäische Vereinswettbewerbsspiele. Der Urlaub bedarf stets der ausdrücklichen Einwilligung durch den Club. Soweit § 11 Abs. 1 BUrlG nicht zwingend ein anderes bestimmt, gilt für die Berechnung des Urlaubsentgeltes Folgendes: Das Urlaubsentgelt bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Spieler in den letzten 13 Wochen vor Beginn des Urlaubs erhalten hat. Gegebenenfalls sind neben dem Grundgehalt in diesem Zeitraum gezahlte Prämien mit zu berücksichtigen, soweit sie Lohnbestandteile sind. Sollten dem Spieler mehr als 24 Urlaubstage gewährt werden, so berechnet sich ab dem 25. Urlaubstag das Urlaubsentgelt lediglich aus dem Grundgehalt. Ein Anspruch auf Urlaubsgeld besteht nicht.
§ 8 Krankheit a) Der Spieler versichert sich auf seine Kosten gegen Krankheit. Er erhält vom Club einen Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag nach den gesetzlichen Bestimmungen.
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Der Spieler hat jeden Fall der Arbeitsunfähigkeit unverzüglich dem Club mitzuteilen und binnen drei Tagen eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, aus der sich auch die voraussichtliche Dauer der Arbeitsverhinderung ergibt. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, so ist der Spieler verpflichtet, innerhalb von drei Tagen eine Folgebescheinigung vorzulegen. b) Verletzt sich der Spieler oder erkrankt er anderweitig, ohne dass ihn hieran ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Fortzahlung seiner Vergütung nach den gesetzlichen Bestimmungen (§ 3 EntgFG). Nach Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von sechs Wochen entfallen für die weitere Dauer der Erkrankung die Ansprüche auf die vereinbarten Vergütungen. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung umfasst neben dem monatlichen Grundgehalt gegebenenfalls auch anteilig die für die jeweiligen Pflichtspiele im Zeitraum von sechs Wochen ab Arbeitsunfähigkeit gezahlten Prämien nach der Prämienordnung des Clubs für Lizenzspieler, soweit sie Lohnbestandteile sind. Die Prämienfortzahlung erhält der Spieler in diesem Fall nach Maßgabe der folgenden Regeln: • bei einem Spieleinsatz in sämtlichen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorangegangenen fünf Pflichtspielen: 100% der Prämien, die ihm bei Spieleinsätzen während des Lohnfortzahlungszeitraumes zugestanden hätten; • bei vier Spieleinsätzen in den der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangenen fünf Pflichtspielen: 80% der Prämien; • bei drei Spieleinsätzen in den der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangenen fünf Pflichtspielen: 60% der Prämien; • bei zwei Spieleinsätzen in den der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangenen fünf Pflichtspielen: 40% der Prämien; • bei einem Spieleinsatz in den der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangenen fünf Pflichtspielen: 20% der Prämien; • ohne Spieleinsatz in den letzten der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangenen fünf Pflichtspielen: keine Prämie. Sind zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit noch keine fünf Pflichtspiele ausgetragen worden, erhält der Spieler 100% der Prämien, wenn er in mindestens der Hälfte der bis dahin ausgetragenen Pflichtspiele eingesetzt worden ist, andernfalls 50% der Prämien. Als Spieleinsatz gilt eine Einsatzdauer von mindestens 45 Minuten. c) Wird der Spieler ausnahmsweise und aus wichtigem Grund (z.B. wegen auswärtiger Erkrankung oder Verletzung) nicht vom Clubarzt selbst behandelt, so gestattet er dem Clubarzt oder einem vom Club beauftragten Arzt die diesem notwendig erscheinende Untersuchung, die Einholung von Auskünften und sonstige zweckmäßig erscheinende Rückfragen oder Maßnahmen. Insoweit befreit er schon jetzt die behandelnden Ärzte gegen-
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über dem geschäftsführenden Organ des Clubs ausdrücklich von ihrer ärztlichen Schweigepflicht, soweit es sich um Informationen handelt, die für das Arbeitsverhältnis von Relevanz sind.
§ 9 Dauernde Spielunfähigkeit Der Club ist berechtigt, den Spieler auf Kosten des Clubs für den Todesfall oder für den Fall der dauernden vollständigen Spielunfähigkeit durch Unfall oder Krankheit zu versichern. Soweit hieraus Ansprüche entstehen, tritt sie der Spieler hiermit an den Club ab, der die Abtretung annimmt.
§ 10 Vertragsbeginn und -ende 1) Vertragsbeginn Dieser Vertrag wird am ................................................... wirksam. Aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit ist: - die Erteilung der Spielerlaubnis nach § 13 Lizenzordnung Spieler (LOS) durch den Ligaverband bzw. die DFL Deutsche Fußball Liga GmbH; -(evtl. weiterer Grund) ................................................................................................................................................ . 2) Vertragsende Dieser Vertrag endet, vorbehaltlich der unter 3) und 4) getroffenen optionalen Vereinbarungen am ............................................................ . Er endet vorzeitig, wenn eine Partei das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund kündigt (§ 626 BGB). Insbesondere ist der Club berechtigt, das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund zu kündigen, wenn die Lizenz des Spielers erlischt bzw. entzogen, zurückgegeben oder versagt wird. Die Parteien sehen zudem übereinstimmend den Abstieg des Clubs aus der 2. Bundesliga und/ oder dessen Versetzung in eine Amateurspielklasse als einen wichtigen Grund an, der es ausschließlich dem Club erlaubt, das Vertragsverhältnis außerordentlich und fristlos zu kündigen.
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Sachwortverzeichnis Sachwortverzeichnis
Abgrenzung des Arbeitsrechts de lege ferenda 395 ff.
– Typusbegriff
Allgemeingültigkeit
Arbeitnehmereigenschaft siehe Arbeitnehmerbegriff
– der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes 256 – des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB – des § 611a Abs. 1 BGB
198
359
53, 124, 373 ff., 379
– Unternehmerrisiko
Arbeitnehmersphäre
70
341 ff.
Arbeitnehmerverdienste (siehe auch Entgelthöhe)
– des Begriffs wirtschaftlicher Abhängigkeit 136
– Entwicklung bei Spitzenverdienern 298 ff.
Arbeitgebersphäre
– historische Entwicklung
344 ff.
Arbeitnehmer – Entwicklung der Verdiensthöhe 294 ff. – Lizenzfußballer als
37, 40 ff.
188
– Regelungen de lege ferenda 439 – Rückschlüsse für den Arbeitnehmerbegriff 65, 71, 92, 120, 189 ff. Arbeitnehmerbegriff – alternative Ansätze in der Literatur 70 ff., 115 – Bedeutung
127, 131, 173,
Arbeitsschutz 252, 315 ff., 333 ff. Arbeitsvertrag
24, 360, 362, 395
Arbeitsvertragsgesetz, Entwurf eines 147, 158, 390, 395, 404, 415, 419,
Arbeitnehmerähnliche Personen – Begriff
Arbeitsgerichtsgesetz 270
293 ff.
23 ff.
– Beibehaltung de lege ferenda 396 – Bestimmung de lege lata 40 ff., 359 ff.
Auftreten am Markt 66, 81, 89 f., 94 f., 174 Ballack-Klausel
415
Befristete Beschäftigung – Grundlagen und Rückschlüsse 215 ff., 218 ff. – Zusammenhang mit arbeitsrechtlichem Schutzbedürfnis 221 ff. Begriffsbestimmungskompetenz
– Funktionswandel 308
– der Mitgliedstaaten 429 ff.
– im Unionsrecht
– der Union 225 ff., 232 ff., 426 ff.
225 ff., 244 ff.
– Regelungsaufgabe 396 ff.
– Überschreitung des
– Statusbegriff
Berufsschutz
23
– Statusvereinbarung über Arbeitnehmereigenschaft – teleologisches Defizit
354
97 ff.
225 ff., 235 ff.,
242, 430 ff.
– als Rechtsfolgenbündel
315 ff.
– Zusammenhang mit persönlicher Abhängigkeit 333 ff.
Sachwortverzeichnis
494
Bestandsschutz 445
326, 347 ff., 350, 413 f.,
Betriebseingliederung 61 ff., 278 Betriebsrisiko 25, 109, 325, 344 ff. Bundesurlaubsgesetz 213, 324 Chefarzt
25, 66, 109, 128,
58, 117, 168, 374, 404, 414
– historische Entwicklung der Entgelthöhe 294 ff. – Irrelevanz für Arbeitnehmereigenschaft nach h.M. 65 f. – Maßstab wirtschaftlicher Veränderung 293 – Zusammenhang mit sozialer Schutzbedürftigkeit 158, 166 ff.
Daseinsvorsorge 163, 167, 179, 206, 211, 252, 285, 384, 406, 408
– Zusammenhang mit wirtschaftlicher Abhängigkeit 158, 166 ff.
Dauer einer Tätigkeit
Europäisches Arbeitsrecht siehe Unionsrecht
– Element wirtschaftlicher Abhängigkeit 143 ff. – Zusammenhang mit Anwendbarkeit des Arbeitsrechts 215 ff. Dispositionsfreiheit über Arbeitskraft, fehlende – Element wirtschaftlicher Abhängigkeit 160 ff. – Schutzgrund des Arbeitsrechts 162 ff.
Existenzschutz – als Rechtsfolgenbündel
Fabrikarbeiter, Leitbild des 212, 264, 277, 330 Februarerlasse
– Zusammenhang mit befristeter Beschäftigung 221 – Zusammenhang mit sozialer Schutzbedürftigkeit 164 ff.
322 ff.
– Zusammenhang mit wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit 341 ff.
330
Fremdverwertung von Arbeitskraft und Arbeitsergebnis 154, 161 Funktionswandel des Arbeitnehmerbegriffes 308
– Zusammenhang mit Teilzeitbeschäftigung 210
Genese des Arbeitnehmerbegriffes 255 ff.
Dispositionsmöglichkeit über Arbeitnehmereigenschaft 97 ff., 104, 311
Genese des Arbeitsrechts
Einstellungsschutz
– Ausschluss ipso iure
326, 347
Entgeltgrenze de lege ferenda 410
408 ff.,
29 f.
Gestuftes Arbeitsrecht 415
– Binnendifferenzierungen de lege lata 400
Entgelthöhe (siehe auch Arbeitnehmerverdienste)
– einschränkbare Regelungsbereiche 412 ff.
– Daseinsvorsorge
– Konzept de lege ferenda 401 ff.
167 ff.
– Differenzierungskriterium de lege ferenda 402 ff.
– Schaffung der Kategorie „unternehmerähnliche Person“ 401
– Entfallen sozialer Schutzbedürftigkeit, 166 ff.
Gewinnchancen
– erfolgreiche Marktteilnahme
174
162, 178, 184, 272
Gleichlauf von persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit 278 ff.
Sachwortverzeichnis
Haftungsbeschränkungen 351 ff.
328 f.,
495
– Unterbrechung des Gleichlaufs mit wirtschaftlicher Abhängigkeit Persönlichkeitsschutz
Hochlohnempfänger
318 ff., 335 ff.
– Anteil an der Arbeitnehmerschaft Privatrechtlicher Vertrag 50 ff. 302 Privatvermögen 141, 159, 405 f. – Begriff 298 f. Rechtsprechungsänderung zum Arbeit– Verdienstentwicklung 299 ff. nehmerbegriff Kaiser Wilhelm II. 330 Kompetenzwidrige Begriffsbestimmung durch EuGH 242, 434 ff. Lizenzfußballer – als Arbeitnehmer nach h.M. 37 ff., 69 – als Gesellschafter – als Künstler
45 f.
63 f.
– als leitende Angestellte 112 ff. – alternative Konzepte bei Einordnung als Arbeitnehmer 70 ff. – Aufspaltung des Beschäftigungsverhältnisses 106 ff. – Besonderheiten
28 ff.
– Kritik an Arbeitnehmereigenschaft 115 f. Methode der Untersuchung – Besonderheiten 181 – Notwendigkeit
123
Musterarbeitsvertrag der DFL – Verbreitungsgrad
36
– Vertragstext
447 ff.
Nebenverdienst
83, 147, 405 ff.
Paritätsschutz 329 Persönliche Abhängigkeit – Begriff und Elemente 55 ff., 364 ff. – formale Kehrseite der wirtschaftlichen Abhängigkeit 278 ff. – typischer Gleichlauf mit wirtschaftlicher Abhängigkeit 278 ff. – Typusbegriff
53, 379 ff.
– durch das Reichsarbeitsgericht 273 ff. – Entgegenstehen von § 611a Abs. 1 BGB 389 f. – mittelbar-systematische Grenzen 358 – Möglichkeiten de lege lata 357 ff. Reichsarbeitsgericht – Berücksichtigung wirtschaftlicher Abhängigkeit 270 ff. – Verzicht auf wirtschaftliche Abhängigkeit 273 ff. Reichsgericht 140, 270 Reichsversicherungsamt 255 ff. Reichsversicherungsgesetze 258 ff. Schutzgrund, arbeitsrechtlicher
309 ff.
Schutzzwecke, arbeitsrechtliche
314 ff.
Soziale Frage 29 Soziale Schutzbedürftigkeit – Begriff im Gesetzesrecht – Begriff und Elemente
129 ff.
156 ff.
– Fehlen bei weit überdurchschnittlichem Entgelt 167 ff. – Zusammenhang mit Entgelthöhe 167 ff. Sozialschutz
323 ff., 341 ff.
Spiegelbildlichkeit von persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit 278 ff. Spitzenverdiener – Anteil an Arbeitnehmerschaft 307
302,
Sachwortverzeichnis
496
– Begriff
Typusbegriff
298 f.
– historische Verdienstentwicklung 299 f.
– Arbeitnehmerbegriff als 373 ff., 379
– Lizenzfußballer als
– persönliche Abhängigkeit als 379 ff.
36
Sport als Dienstleistung 41 f.
53, 124, 53,
Statusvereinbarung über Arbeitnehmereigenschaft
– wirtschaftliche Abhängigkeit als 178
– bei unternehmerischer Zusatztätigkeit 98
Umfang einer Tätigkeit
– bei Verhandlungsparität 99
– Element wirtschaftlicher Abhängigkeit 145 ff.
Strukturveränderungen siehe wirtschaftlich-gesellschaftliche Strukturveränderungen
– Zusammenhang mit Anwendbarkeit des Arbeitsrechts 204 ff.
Stufenloses Recht der Arbeit 391
– Arbeitnehmerbegriffe im 225, 244 ff., 246 ff.
Systematik siehe systematische Betrachtung Systematische Betrachtung – der arbeitnehmerähnlichen Personen 188 ff. – der historischen Grundlagen des Arbeitsrechts 258 ff. – der Rechtsprechungsänderung des Reichsarbeitsgerichts 278 ff. – des § 611a Abs. 1 BGB 375
186, 359 ff.,
– des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB – des Arbeitsrechts
198 ff.
185 ff., 358
– des Befristungsrechts
215 ff.
– des Teilzeitrechts
204 ff.
– des Unionsrechts
224 ff., 422 ff.
Teilzeitbeschäftigung – gesellschafts- und gleichheitspolitische Dimension 214 – gesetzliche Grundlagen und Rückschlüsse 204 ff., 208 ff. – Zusammenhang mit wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit 210 ff. Teleologische Reduktion des § 611a Abs. 1 BGB 384 ff., 445
Unionsrecht
–
Begriffsbestimmungskompetenzen im 232 ff.
– Grenzen für deutschen Gesetzgeber bei Neubestimmung des Arbeitnehmerbegriffes 422 ff. Unternehmerähnliche Personen – arbeitsrechtliche Kategorie de lege ferenda 394 ff., 398, 400 f. – Ausschluss vom Arbeitsrecht de lege ferenda ipso iure 415 ff. – Begriff
393
– Bestimmungskriterium – Entgelthöhe
401 ff.
402 ff.
– Nebenverdienste und Privatvermögen 405 ff. Unternehmerische Zusatztätigkeit 83 ff., 98 ff. Unternehmerrisiko – Ausschlusskriterium der Arbeitnehmereigenschaft 70 – Einzelmerkmal bei Gesamtbetrachtung der persönlichen Abhängigkeit 73 ff. – Element wirtschaftlicher Abhängigkeit 154
Sachwortverzeichnis
497
– erfolgsorientierte Vergütungsmodelle 75 ff.
– Kehrseite der persönlichen Abhängigkeit 278 ff.
– Rechtsverhältnisse mit Dritten 83 ff.
– Tätigkeit für mehrere Auftraggeber 148 ff.
– Vermarktung von Persönlichkeitsrechten 79 ff.
– typischer Gleichlauf mit persönlicher Abhängigkeit 278 ff.
Unwiderlegbare Vermutung der Arbeitnehmereigenschaft bei persönlicher Abhängigkeit 283
– Typusbegriff
Verdiensthöhe siehe Entgelthöhe Verfassungsrechtliche Vorgaben
421
Verhandlungsparität – Fehlen als arbeitsrechtlicher Schutzgrund 311 f. – Möglichkeit von Statusvereinbarungen 99 ff. – Probleme der Bestimmung und Feststellung 101, 313 Weisungsgebundenheit
178
– Umfang einer Tätigkeit 145 ff. – unwiderlegliche Vermutung bei persönlicher Abhängigkeit 282 ff. – Verhältnis zu sozialer Schutzbedürftigkeit und Entgelthöhe 138 ff., 160 ff., 166 ff. – Verhältnis zu wirtschaftlicher Unselbständigkeit 138 – Verzicht auf das Kriterium durch die Rechtsprechung 273 ff. – Zusammenhang mit Rechtsfolgen des Existenzschutzes 341 ff.
– örtliche
56 ff.
– Zusammenhang mit sozialer Schutzbedürftigkeit und Entgelthöhe 160 ff.
– zeitliche
56 ff.
Wirtschaftliche Begriffe
– fachliche
58 ff.
Werkvertrag
– Berührungsangst der h.M. 119 ff.
– Abgrenzung zum Arbeitsvertrag 43 ff.
– im Gesetzesrecht
– Missbrauch von Werkverträgen 27
– Verhältnis und Inhalt
Wirtschaftliche Abhängigkeit
Wirtschaftliche Unselbständigkeit
– Aufgabe des Kriteriums durch die Rechtsprechung 273 ff.
– Begriff im Gesetzesrecht
– Auseinanderfallen mit persönlicher Abhängigkeit 292 ff., 308 – Begriff im Gesetzesrecht
129 ff.
– Begriff und Elemente
141 ff.
– Dauer einer Tätigkeit
143 ff.
127 ff.
– Terminologie 124 ff. 138 ff. 127 ff.
– Verhältnis zu wirtschaftlicher Abhängigkeit 138 f. Wirtschaftlich-gesellschaftliche Strukturveränderungen – Entwicklung der Arbeitnehmerverdienste 294 ff.
– historisches Merkmal des Arbeitnehmerbegriffes 270 ff.
– rechtliche Relevanz für den Arbeitnehmerbegriff 289 ff.
– Irrelevanz nach h.M. 64 ff.
Wortlaut
182 ff.