Res publica res populi: Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre. Ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts- und Staatslehre [1 ed.] 9783428481248, 9783428081240


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German Pages 1340 [1341] Year 1994

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Res publica res populi: Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre. Ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts- und Staatslehre [1 ed.]
 9783428481248, 9783428081240

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KARL ALBRECHT

SCHACHTSCHNEIDER

Res publica res populi

Res publica res populi Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre Ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts- und Staatslehre

Von

Karl Albrecht Schachtschneider

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schachtschneider, Karl Albrecht: Res publica res populi : Grundlegung einer allgemeinen Republiklehre ; ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts- und Staatslehre / Karl Albrecht Schachtschneider. Berlin : Duncker und Humblot, 1994 ISBN 3-428-08124-2

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-08124-2

Pfarrer Kurt Schachtschneider Philosopho theologo 2. Januar 1907 - 12. Juli 1973

Vorwort

Das Recht kann in einem Gemeinwesen, welches sich der Würde des Menschen verpflichtet hat, nur auf Freiheit gründen. Herrschaft ist seit der Aufklärung nicht mehr legitimierbar. Die Freiheit als das Recht auf Recht gebietet die Verfassung des Gemeinwesens zu einem Staat. Der Staat des Rechts ist die Republik. Die Freiheit ist allgemein. Sie verwirklicht sich in Gesetzen und in der Gesetzlichkeit. Die Verbindlichkeit der richtigen Gesetze, der Rechtsordnung, ist der Wille aller Bürger. Die Erkenntnis des Rechts ist ein der Legalität verpflichteter sittlicher Akt. Die Erkenntnisweise ist die Moralität, die ihr Verfahren im kompetenten Diskurs findet. Das Gesetz der Moralität ist der kategorische Imperativ, das Sittengesetz. Der politische Diskurs ist allgemein, die verbindliche Erkenntnis des Rechts aber ist Sache der Vertreter des Volkes in den Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. Die Abgeordneten, die Beamten und die Richter vertreten das Volk in dessen Sittlichkeit und sind deshalb ausschließlich ihrem Gewissen verantwortlich. Die Moralität der Amtswalter ist der Baustoff der Republik. Das höchstrangige Prinzip der Sittlichkeit ist die Rechtlichkeit. Ohne die Achtung des Sittengesetzes kann die res publica nicht res populi sein, aber die Sittlichkeit als die innere Freiheit setzt das Recht zur Willkür als die äußere Freiheit voraus. Diese politische Freiheit ist das Paradigma der Lehre von der Republik. Freiheitlichkeit, Rechtlichkeit und Staatlichkeit finden in dieser Lehre zur Identität. Jede Herrschaftlichkeit wird aus ihrer Dogmatik eliminiert. Die republikanische Freiheits-, Rechts- und Staatslehre ist der antiken und der neuzeitlichen Aufklärung verpflichtet. Meine Lehrer der Republik sind Aristoteles, Cicero, Hobbes, Locke, Rousseau und vor allem Kant. Auf eine Auseinandersetzung mit Piaton, Hegel oder gar Marx, die Popper Feinde der offenen Gesellschaft genannt hat, habe ich mich nicht eingelassen. Meine republikanische Dogmatik beansprucht nicht die Republiklehre zu sein, die Kant unter dem Grundgesetz entworfen hätte; aber das Grund-

Vili

Vorwort

gesetz ist als Verfassung einer Republik kantianisch. Die Verfassungslehre jedoch hat, abgesehen von Werner Maihofer und in gewisser Weise Herbert Krüger, erst vor weniger als einem Jahrzehnt (erneut) begonnen, dem Kantianismus des Grundgesetzes Folge zu leisten. Der Paradigmenwechsel vom Liberalismus zum Republikanismus ist im Gange. Noch dominiert die liberalistische Lehre von den Freiheiten, die Staat und Gesellschaft trennt und konsequent den Staat und das Recht herrschaftlich konzipiert. Deren Dogmatik ist dem 19. Jahrhundert, der Restauration, und nicht, wie der echte Republikanismus, dem 18. Jahrhundert, der Revolution, verpflichtet. Die politischen Texte in Deutschland, in Europa und in der Welt folgen dem Ideal der französischen Revolution, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die liberalistische Lehre jedoch hat die Politik der Texte nicht erreicht. Sie müßte sonst die Republikwidrigkeit des Parteienstaates offenbaren. Der Parteienstaat ist die typische Verfallsform der Republik. Dekuvrierend für die Verfassungsferne der Parteienstaatslehre ist es, daß das republikanische Gewissensprinzip verhöhnt und das "Sittengesetz", obwohl es doch die grundgesetzliche Freiheit bestimmt, aus der Dogmatik ausgeblendet wird. Die wurmstichige Frucht der republikwidrigen Freiheitslehre ist der Vorschlag, durch einen Art. 2 a GG die Bürger dem "Gemeinsinn und der Mitmenschlichkeit" zu verpflichten, als wenn das Sittengesetz in Art. 2 Abs. 1 GG nicht seit 1949 die grundgesetzliche Freiheit durch den kategorischen Imperativ definiert hätte. Der Republikanismus ist wegen seines Prinzips der Moralität notwendig Imperativisch. Er kann sich mit der aller Erfahrung nach immer mehr oder weniger illegalen Wirklichkeit niemals identifizieren. Dieses Dilemma ist sein Wesen, welches aus der ihm zugrunde liegenden Anthropologie vom ungeselligen Gesellen, aus der Dichotomie des homo noumenon und des homo phainomenon folgt. Die republikanische Freiheits-, Rechtsund Staatslehre entwickelt die Institutionen der Sittlichkeit, der praktischen Vernunft also, um ein gutes Leben aller in allgemeiner Freiheit zu ermöglichen. Ständig muß der Republikanismus dem Mißbrauch seiner Institutionen aus Herrschsucht, Habsucht und Ehrsucht entgegenwirken. Das 20. Jahrhundert hat die parteilichen Parteien institutionalisiert. Vor allem diese Fehlentwicklung ist um der Republik willen zu korrigieren. Niemals wird, weil der Mensch aus allzu krummen Holze ist, das Werk des Republikanismus, die wirkliche allgemeine Freiheit, vollendet sein. Diese Einsicht

Vorwort

IX

rechtfertigt durch nichts, daß die einen die anderen beherrschen, ausnützen, verachten. Republikanität ist ihrem innersten Prinzip, dem kategorischen Imperativ, oder, was dasselbe ist, dem christlichen Gebot der Nächstenliebe gemäß ständig herausfordernde Pflicht. Eine Lehre vom Recht darf nicht zu einer Empirie verflachen. Dadurch verlöre sie ihren Anspruch, die Menschheit zum Guten zu führen. Eine Rechtslehre ist dem Fortschritt zur allgemeinen Freiheit verpflichtet. Sonst würde sie lediglich Besitzstände konservieren und den Verfall des Gemeinwesens befördern. Im republikanischen Sozialprinzip ist die Hoffnung auf den Fortschritt zur allgemeinen Freiheit inbegriffen. Das Prinzip der Brüderlichkeit wahrt darin seine Einheit mit den Prinzipien der Freiheit und der Gleichheit.

Eine Lehre, welche auf dem republikanischen Freiheitsbegriff des Grundgesetzes aufbaut, muß alle Institutionen der Verfassung neu dogmatisieren. Die liberalistische Lehre konnte eingeübte Begriffe tradieren, ja die Dogmatik des Staatsrechts hat das herrschaftliche Paradigma wesentlich gestützt. Das zeigt etwa der Liberalismus der Grundrechtsdogmatik. Er hat nicht nur die schon überwunden geglaubte Unterscheidung von Staat und Gesellschaft wiederbelebt, sondern ist die Grundlage der Herrschaftsideologie der Staatsrechtslehre und trägt zugleich die Ideologie von der Notwendigkeit der herrschaftlichen parteilichen Parteien. Diese Lehre verteidigt nach wie vor einen Untertanen gegen eine Obrigkeit, obwohl die politische Freiheit aller Bürger die Verfassungen Deutschlands von 1919 und 1949 bestimmt. Der eigentliche Politiker einer Republik, der Bürger, ist denn auch bis heute nicht dogmatisiert worden. Er paßt nicht in die Herrschaftsideologie. Das großangelegte Handbuch des Staatsrechts, welches Josef Isensee und Paul Kirchhof von 1987 bis 1992 herausgegeben haben, kennt den Bürger nicht. Es kennt Wähler und Grundrechtsträger, also doch nur konstitutionalistische Untertanen der heute parteienstaatlichen Obrigkeit. Wer jedoch den Bürger als Bürger versteht, muß die Freiheit wie das Grundgesetz durch das Sittengesetz definieren. Die bürgerliche Rechtslehre kann nur von dem Satz: res publica res populi, ausgehen; denn alle Staatsgewalt geht vom Volke aus und wird vom Volke oder vertretungsweise von dessen Organen ausgeübt (Art. 20 Abs. 2 GG).

Vorwort

Ich bemühe mich in diesem Buch um die Grundlegung einer Lehre von der Republik. Nach einer republikanischen Orientierung im ersten Teil, der sich im 3. Kapitel mit dem Verhältnis der Republiklehre als einer Lehre von der freiheitlichen Demokratie zur herrschaftlichen Demokratielehre befaßt und zu diesem Zweck Erkenntnisse der anderen Teile einbezieht, weist der zweite Teil die Herrschaftsideologie der deutschen Staatsrechtslehre zurück. Im dritten Teil wird die freiheitsdogmatische Begründung der Trennung von Staat und Gesellschaft kritisiert. Im vierten Teil unternehme ich den Versuch, den Begriff des Bürgers als staatliche und zugleich private Persönlichkeit zu erfassen und den republikanischen Standort des Sozialprinzips, des Prinzips der Brüderlichkeit also, zu bestimmen. Im fünften Teil versuche ich eine kantianische und eine dogmatische, durch das Sittengesetz geprägte Grundlegung des republikanischen Freiheitsbegriffs als der Autonomie des Willens, welche auch die freiheitliche Privatheit bedenkt. I m sechsten Teil konfrontiere ich den republikanischen mit dem liberalistischen Freiheitsbegriff, dessen Dogmatik angesichts der Entscheidung der sogenannten westlichen Demokratien für die Lebensform Republik das Problem der politischen Freiheit bewältigen muß. Die dualistische Lehre von einer liberalen und einer demokratischen Freiheit, der Stand der herrschenden Lehre, hat bereits eine gewisse Nähe zum einheitlichen republikanischen Freiheitsbegriff, der vor allem die Privatheit anders begreift und der objektiven Dimension der Grundrechte größeres Gewicht als deren subjektiver als Abwehrrechte des (sogenannten) Bürgers gegen den Staat einräumt. Die politische Freiheit als Recht auf Recht, als Grundrecht auf gesetzliche Rechtlichkeit, trägt die republikanische und darum diskursethische Rechtsstaatslehre des siebten Teils, der im 6. Kapitel der Dogmatik der demokratistisch mißverstandenen eine republikanische Lehre des Interessenausgleichs entgegensetzt. I m achten Teil biete ich eine republikanische Lehre der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes an, die sich von der durch Carl Schmitt und Gerhard Leibholz geprägten Repräsentationsideologie löst. Letztere ist noch immer Stützpfeiler des parteienstaatlichen Parlamentarismus, in dem mittels des Fraktionswesens die bürgerliche Freiheit der Parteienoligarchie geopfert wird. Im neunten Teil zeichne ich die grundrechtliche Verfassungsrechtsprechung in ihrer Gesetzgebungsfunktion nach. Peter Häberle folgend verstehe ich die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG als Kern der Grundrechtsverfassung. Die politische Funktion des Bundesverfassungsgerichts als die sittliche Verantwortung für die praktische

Vorwort

XI

Vernunft stütze ich im Grundsatz auf das Prinzip der allgemeinen Freiheit. Bisher wurde diese als Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitet oder als Verhältnismäßigkeitsprinzip mit den Grundrechten oder dem Rechtsstaatsprinzip verbunden. Die Lehre von der objektiven Dimension der Grundrechte exemplifiziere ich an der Freiheit von Kunst und Wissenschaft und an der Eigentumsgarantie. Das Maß der Übereinstimmung der Ausführungen dieses neunten Teils mit den Erkenntnissen des Bundesverfassungsgerichts zeigt mir, daß Deutschland als Verfassungsgerichtsstaat weitgehend republikanisiert ist, jedenfalls war. Das kompensiert das freiheitliche Defizit des entwickelten Parteienstaates in einem Maße, welches diesen bisher hinreichend stabilisiert hat. Die Republik w i l l aber nicht Jurisdiktions- und auch nicht Exekutiv-, sondern vornehmlich Gesetzgebungsstaat sein, weil nur der echte Parlamentarismus die allgemeine Freiheit zu verwirklichen vermag. Der Parteienstaat befindet sich in einer Krise, die der Republik eine Chance gibt, die aber auch die Gefahr des Despotismus birgt. Die Kritik an der republikwidrigen Parteienherrschaft im zehnten Teil, in ihren Grundzügen bereits vor gut fünf Jahren konzipiert, ist durch die öffentliche Diskussion, insbesondere durch die Arbeiten von Hans Herbert von Arnim, weitgehend bestätigt worden. Parteien sind schwer zu vermeiden, nicht notwendig aber sind Bündnisse von Führern und Gefolgsleuten, um illegal Ämter zu besetzen, das Wesen der festgefügten parteilichen Parteien. Schließlich wage ich im elften Teil, die Homogenität als Voraussetzung einer diskurshaften Republik vorzustellen. Diese Homogenität ist in Deutschland und in Europa wesentlich aufklärerisch, säkularisiert christlich. Sie wird in den verschiedenen Völkern durch deren Sprachen gestärkt. Auch diesen Teil habe ich vor der deutschen Vereinigung entworfen, als es noch vielen geboten erschien, die deutsche Nation zu leugnen. Noch immer stört viele die deutsche Identität, die sie mittels eines europäischen Integrationalismus zu überwinden versuchen. Das Bundesverfassungsgericht hat diesem Versuch in seinem Maastricht-Urteil deutliche Grenzen gezogen. Mein Beitrag zu diesem Prozeß (als Verfahrensbevollmächtigter Manfred Brunners) beruhte auf den Lehren dieses Buches. Das Grundgesetz verfaßt mit seinen fundamentalen Prinzipien das Projekt der Moderne, das freiheitliche Gemeinwesen, die Republik. Seine Texte sind klassisch. Eine Freiheits-, Rechts- und Staatslehre, die sich am Grundgesetz orientiert, darf darum beanspruchen, ein Beitrag zur europäi-

Vorwort

sehen, j a zur weltweiten Republiklehre zu sein, zumal deren geistige Konzeption, verankert i m abendländischen Denken seit Jahrtausenden, ihren Höhepunkt in der von Rousseau kräftig vorbereiteten Französischen Revolution und in der politischen Philosophie des deutschen Revolutionärs Immanuel Kant hat. Dennoch beschränke ich mich auf die Auseinandersetzung mit deutschen Staatsrechtslehrern der Gegenwart, und auch von diesen konnte ich nur einige wenige studieren. Ein Blick in die (ohne Ausnahme selbst erarbeiteten) Anmerkungen dürfte zeigen, daß mehr nicht zu leisten war. Mein Begriffsgebäude darf sogar größere Nähe zu den lateinischen Rechtswissenschaftlern erwarten, deren Dogmatik nicht durch den deutschen Konstitutionalismus belastet ist. Mein Buch w i l l jedenfalls auch ein Beitrag zur Entwicklung eines europäischen Verfassungsstaates sein. Die republikanische Freiheits-, Rechts- und Staatslehre versucht, vornehmlich mit den Mitteln der Logik, die Ideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu entfalten. Sie ist darum der Würde des Menschen gemäß formal, d. h. sie ist der Menschheit des Menschen, also dessen Personenhaftigkeit, verpflichtet. Diese Lehre ist wegen ihres alteuropäischen Paradigmas der allgemeinen Freiheit ein Beitrag des christlichen Abendlandes zum Frieden in der Welt. Einen bestmöglichen Text hat dieses Paradigma am 10. Dezember 1948 durch die Vereinten Nationen in deren Allgemeiner Erklärung der Menschenrechte gefunden: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen." Dieser Text formuliert das weltrechtliche Rechtsprinzip schlechthin. Die Rechtswissenschaft, die ihn entfaltet, bietet eine Lehre des Rechts für die Welt. Damit ist eine Lehre von der Republik, die auf diesen Text gründet, eine Freiheits-, Rechts- und Staatslehre mit weltweitem Anspruch. Nur echte Republiken garantieren den Frieden, lehrt Kant in seiner Schrift Zum Ewigen Frieden. Der Anspruch ist so groß wie die Aufgabe. Jede Kritik hilft, das Kunstwerk der Republik zu schaffen. Vieles, was republikanisch dogmatisiert werden muß, habe ich in diesem Buch noch nicht ausgearbeitet, etwa das verschiedentlich angesprochene Amtsprinzip, das Föderalismusprinzip, das auch für die europäi-

Vorwort

XIII

sehe Verfassungsentwicklung elementar sein wird, das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung, das der Willensautonomie der Gemeindebürger den Weg ebnen sollte, aber auch ein Prinzip berufsständischer Selbstverwaltung, welches den Berufskammern eine tragfähige Rechtsgrundlage verschaffen könnte. Nicht behandelt sind auch wichtige Institutionen der Republik, wie der Präsident, in Deutschland der Bundespräsident, auch nicht die Bundesregierung und das parlamentarische Regierungssystem, welches in Verbindung mit dem republikwidrigen Verhältniswahlsystem und dem konstruktiven Mißtrauensvotum gegen den Bundeskanzler die parteienoligarchische Exekutivstaatlichkeit stützt. Nicht erörtert sind die Bundesbank, deren Unabhängigkeit spezifisch republikanisch begründet ist, die Universitäten und deren Aufgabe als Hüter eines republikanischen Gemeinwesens, die Kirchen und Religionsgemeinschaften in der laizistischen Republik, die Verbände, vor allem die Gewerkschaften als Institutionen überholter klassenkämpferischer

Interessengegensätze. Auch die Wirt-

schaftsverfassung der marktlichen Sozialwirtschaft bedarf der republikanischen Konzeption, zumal sie wesentlich vom Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union bestimmt ist. Insbesondere fehlt eine republikanische Lehre von den Gemeinschaften der Völker, die ihre Staatsgewalt von gemeinsamen Organen ausüben lassen, wie vor allem die Gemeinschaften der Europäischen Union. Dies und anderes mehr muß an anderer Stelle oder später, in einem zweiten Band, nachgeholt werden. Meine Republiklehre reibt sich an den Konzeptionen bedeutender Rechtslehrer dieses Jahrhunderts, wie die Zitate und Belege zeigen und zeigen sollen. Genannt sei schon an dieser Stelle allen voran Carl Schmitt, dem viele Fragestellungen zu danken sind und dessen bestimmender Einfluß auf die (nicht nur) deutsche Staatsrechtslehre der Gegenwart allein schon die Kritik herausfordert. Genannt seien hier unter den vielen Klaus Stern, Josef Isensee, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Wilhelm Henke, aber für die liberalistische Grundrechtslehre auch Jürgen Schwabe. Mehr Nähe als Distanz habe ich zu Martin Kriele, Hasso Hofmann und Paul Kirchhof. Eng verbunden bin ich Werner Maihofer, Herbert Krüger, Konrad Hesse und Peter Häberle, aber auch Ralf Dreier und Robert Alexy. Auf den Weg aber hat mich der Philosoph Karl Jaspers gebracht, dessen vornehmer Denkungsart sich nicht entziehen kann, wer zur Freiheit finden will, nach dem Urteil

Vorwort

Hannah Arendts der einzig wirkliche Kantianer. Hannah Arendt selbst hat mich zunehmend beeindruckt, nicht minder Dolf Sternberger, beide Schüler Jaspers. Karl R. Poppers kantianische objektive Erkenntnislehre gehört zu meinen Grundlagen. Die Nähe zu Jürgen Habermas, dem die meines Erachtens kantianische Diskursethik wesentlich zu danken ist und der kürzlich in Faktizität und Geltung eine recht kantianische Rechtslehre vorgelegt hat, ist augenscheinlich. Allen Lehrern, die ich hier genannt oder auch nur im Buch zitiert habe, sage ich Dank, weil sie meinen Beitrag zur Rechtslehre gefördert haben. Von jedem habe ich gelernt. Das Studium jeder Schrift und jedes Aufsatzes hat merklichen Einfluß auf meine Überlegungen gewonnen. Vor allem gilt der Respekt unserem Bundesverfassungsgericht, das seit Jahrzehnten die geistige Führung in der Rechtslehre behauptet und dringend der Hilfe bedarf. Dank sage ich aber auch Gerd Bornmüller, Alois Kammerl, Dietrich Kressel, Axel Enderlein und Angelika Emmerich-Fritsche. Gerd Bornmüller hat in vielen freundschaftlichen Läufen die persönliche Haltung gestärkt, ohne die ein Buch, das die Moralität lehrt, nicht geschrieben werden kann. Alois Kammerl hat meine ersten Kantstudien begleitet. M i t Dietrich Kressel habe ich die lehrreichen politischen Verhältnisse in Hamburg rechtlich erörtert. Er hat in Hamburg und Nürnberg auch manche technische Hilfe gegeben. Axel Enderlein hat mich jahrelang mit zweifelnden Fragen gezwungen, die kantianischen Ansätze zu verteidigen und tiefer zu durchdringen. Angelika Emmerich-Fritsche hat mich vor Irrtümern bewahrt. Ihre Kritik hat die Lehren von dem republikanischen Interessenausgleich, von der freiheitlichen Privatheit und vor allem die von der republikanischen Funktion des Bundesverfassungsgerichts bereichert. Dank sage ich den Studenten in Berlin, Hamburg, Göttingen, Kiel und Erlangen-Nürnberg, die mir in Vorlesungen und Seminaren zugehört und mir dadurch die forschende Lehre ermöglicht haben.

Dieses Buch hat mein Lehrstuhl mit Hilfe moderner Textverarbeitung erstellt. Diese Technik hat Stärken und Schwächen, welche die Arbeit verändern. Dank sage ich den vielen Hilfskräften, die i m Laufe der sechs

Vorwort

XV

Jahre, in denen das Buch entstanden ist, die Mühen der Textverarbeitung, der Literaturbeschaffung und auch von Korrekturen auf sich genommen haben. Es sind: Heiko Weick, John Loeber, Annette Stapel, Babett Stapel, Rainer Hartmann, Stefan Lingsminat, Harald Schmiedel, Andrea Kaesbach, Sylvia Baier, Christian Mangold, Konstantinos Zois, Alexandra Groß, Felix Schuler, Birgit Weidhas, Ralf Dresel, Joachim Hein, Jörg Modlmayr, Gösta Makowski, Tanja Posmyk, Michaela Schuhmann, Alexandre Tchernavski, Anne Miarka, Peter Baranek, Heike Duus und besonders Alexandra Brinkama und Olaf Schunke. Die Mühen der redaktionellen Schlußarbeiten hat Regina Köhler auf sich genommen und mit großer Umsicht bewältigt. Dank sage ich auch den Sekretärinnen meines Lehrstuhls, Christa Dammann und Else Hirschmann. Frau Dammann hat die studentischen Hilfskräfte ständig aktiviert und koordiniert. Frau Hirschmann hat vielfältige Lasten, wie die Nachteinsätze im Maastricht-Verfahren, klaglos auf sich geladen. Beide haben jahrelang die Überlast einer Abhandlung mit derart vielen Belegen ausgehalten, zumal ich in den letzten vier Jahren Prodekan und Dekan meiner Fakultät war und auch andere wichtige Aufgaben, wie vor allem den Maastricht-Prozeß, zu bewältigen hatte, akademische und bürgerliche Pflichten, die freilich das Erscheinen eines Buches nicht gerade beschleunigen. Liebender Dank gilt meiner Frau und unserer Tochter, Lisa Maria, die über Jahre einen der Rechtslehre, der Universität und auch der Politik verschriebenen Mann und Vater hinnehmen mußten. Die Hans Frisch-Stiftung Nürnberg hat das Buch dadurch gefördert, daß sie zwei Jahre lang Mittel für eine halbe Stelle eines studentische Mitarbeiters und 15 Stunden wöchentlich für wissenschaftliche Hilfskräfte zur Verfügung gestellt und einen erheblichen Druckkostenzuschuß verauslagt hat. Dafür danke ich. Professor Simon hat das Buch nicht nur in sein Verlagsprogramm aufgenommen, sondern vor allem einen Kaufpreis ermöglicht, der es auch für Studenten erschwinglich macht. Das beweist Vertrauen in meine Arbeit und ist eine ganz außergewöhnliche Förderung der Lehre von der Republik. Dem gilt mein herzlicher Dank.

Vorwort

Ich widme das Buch meinem 1973 verstorbenen Vater, dem Schüler Luthers und Heideggers, in Dankbarkeit für seine Predigten und Tischgespräche, die in mir weiterwirken. Neben meiner Mutter, Margot Schachtschneider, hat mich niemand so geprägt wie mein Vater, der Theologe und Pfarrer. Die Rechtslehre als praktische Philosophie zu betreiben, schulde ich ihm.

Erlangen-Nürnberg, im August 1994 Karl Albrecht Schachtschneider

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil Republikanische Orientierung 1. Kapitel:

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als republikanische Grundprinzipien

1

2. Kapitel:

Republikanisches versus monarchisches Prinzip

10

3. Kapitel:

Die demokratische Republik als Form des Politischen

14

I.

Die bürgerliche Staatlichkeit

14

II.

Die demokratische Republik als Lebensform der Bürger ohne Herrschaft

III.

23

Die freiheitliche Demokratie als durch die Gleichheit aller in der Freiheit und die allgemeine Gesetzlichkeit definierte Bür-

IV. V.

gerschaftlichkeit

35

Die sanfte Despotie der demokratistischen Parteienoligarchie . .

45

Das menschliche Recht auf Glück und das republikanische Ethos der Sittlichkeit

54

VI.

Das demokratische Prinzip der Republik

60

VII.

Weitere Aspekte der Republik

62

Zweiter Teil Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik 1. Kapitel: Die Herrschaftsideologie der deutschen Staatslehre

71

2. Kapitel: Herrschaft und Untertänigkeit

79

3. Kapitel:

Die Lehren von der Herrschaftlichkeit des Staates

88

4. Kapitel: Die Lehren von der Demokratie als Herrschaft des Volkes . . . .

92

5. Kapitel: Die Lehren von der Demokratie als herrschaftlicher Führung . .

100

Inhaltsverzeichnis

XVIII 6. Kapitel:

Die Lehren von der Demokratie als Herrschaft der Mehrheit

. .

105

I.

Das herrschaftliche Mehrheitsprinzip

II.

Die freiheitliche Mehrheitsregel

119

Die Lehren von der Einheit von Freiheit und Herrschaft

124

7. Kapitel:

105

8. Kapitel: Wilhelm Henkes Lehre von der guten Herrschaft

133

9. Kapitel:

Regieren ist nicht Herrschen

139

10. Kapitel:

Die sogenannte Herrschaft der Gesetze

145

11. Kapitel:

Freiheit als Ordnung durch Autonomie des Willens

153

Dritter

Teil

Die republikwidrige Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 1. Kapitel:

Die parteienstaatliche Herrschaft und die liberalistische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

159

I.

Die (differenzierte) Staatlichkeit des Gemeinwesens

159

II.

Die Parteienherrschaft als Mißachtung der Republikanität (des Sittengesetzes und der Funktionenordnung) und deren liberalistische Moderierung

2. Kapitel:

166

Kritik des neoliberalistischen Dualismus von Staat und Gesellschaft

I.

175

Die liberalistische

Logik der grundrechtlichen

Abwehr

der

Herrschaft II.

175

Die politische Freiheit in herrschaftslosen Gemeinwesen

184

3. Kapitel:

Die Totalität des Politischen des gemeinsamen Lebens

193

4. Kapitel:

Hans Heinrich Rupps Lehre von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

201

Vierter

Teil

Der republikanische Bürger 1. Kapitel: Die Vernachlässigung des Bürgerbegriffs in der Staatslehre . . .

207

2. Kapitel:

211

Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

I.

Der Bürger als citoyen

211

II.

Staatlichkeit und Privatheit als Maximen des Handelns

219

III.

Staatlichkeit der Amtswaltung und Privatheit der Amtswalter . .

226

IV.

Zwei Sollensordnungen des Menschen

230

Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel: Die Selbständigkeit und die Brüderlichkeit nach dem republikanischen Sozialprinzip

234

Bürgerlichkeit, Brüderlichkeit, Selbständigkeit

234

II.

Das freiheitswidrige Sozialismusprinzip

245

III.

Fortschrittlichkeit und Gesetzlichkeit

247

I.

Fünfter

Teil

Der republikanische Freiheitsbegriff 1. Kapitel: Die alteuropäische republikanische Freiheitsidee des Grundgesetzes 2. Kapitel:

Das "Sittengesetz" als der republikanische Schlüsselbegriff

253 . . .

259

I.

Die Vernachlässigung des Sittengesetzes in der Freiheitslehre . .

259

II.

Formalität, nicht Materialität des Sittengesetzes

267

3. Kapitel:

Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

275

I.

Die Tradition des aufklärerischen Freiheitsbegriffs

275

II.

Freiheitlichkeit, Sittlichkeit, Gesetzlichkeit als die Prinzipien des christlichen Liebesprinzips

279

III.

Freiheit als Recht auf Recht und Recht als Wirklichkeit der

IV.

Glücksgerichtete Zweckverwirklichung und freies Handeln

Freiheit V.

290 . ..

Das Recht zur freien Willkür, die allgemeine Gesetzlichkeit und die Verwirklichung der Freiheit aller

VI.

297 303

Formalität der allgemeinen Freiheit als Selbstzweckhaftigkeit jedes Menschen, nicht Materialität einer allgemeinen Handlungsfreiheit als des Untertanen Recht zur Beliebigkeit \ Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogma-

313

tisch

325

I.

Die Freiheit als formales Urrecht auf Recht

325

II.

Die äußere Freiheit als das Recht der Autonomie des Willens,

4. Kapitel:

die Materialisierung der Handlungsmaximen durch Rechtsgesetze und die gesetzesbedürftigen Handlungen III.

durch allgemeine Gesetze IV.

332

Die allseitige Zweckverwirklichung und der Interessenausgleich 340

Die Idee der Freiheit als aufklärerisches Paradigmader Rechtslehre unter dem Grundgesetz

344

Inhaltsverzeichnis

XX V.

Offenheit der Staatsaufgaben, staatliche Daseinsvorsorge, der Vorrang der privaten Lebensbewältigung und dessen grundrechtlicher und verfassungsgerichtlicher Schutz

346

VI.

Die Unbeschränkbarkeit der Freiheit und des Rechts der Frei-

VII.

Freiheits Verletzung

heit wegen der Formalität der Freiheit Grundrechtsschutz

durch

Gesetzes Verletzung,

356 Rechts-

gegen Gesetzes Verletzungen,

und

grundrechts-

widrige Gesetze und die Grundrechtsbindung der Gesetzesrich360

ter VIII.

5. Kapitel: I.

Das Recht auf Leben in subjektiver und objektiver Dimension als Verwirklichung der Freiheit

368

Die freiheitliche Privatheit in der Republik

370

Die institutionelle und die modale Privatheit und Staatlichkeit des Bürgers

II.

370

Privatheit als berechtigte Willkür; auch Kants Begriff des äußeren Mein und Dein

III.

Subjektive

Rechte der Privatheit, Legalität und

374 Sittlichkeit

berechtigter Privatheit und Entlastung des gemeinsamen Lebens durch Privatheit IV.

378

Der Grundsatz und Vorrang privater Lebensbewältigung, insbesondere der unternehmerischen Wirtschaft und der Berufswahl, sowie dessen Judiziabilität

386

V.

Die berufsfreiheitsrechtlich geschützte Privatheit der Berufswahl

392

VI.

Die Sicherung unternehmerischer Privatheit durch Erfolg

394

VII.

Wettbewerb als res publica und res privata

396

VIII.

Privatheit, nicht Privatautonomie; Tarifprivatheit, nicht Tarifautonomie (Kritik der Delegationslehre)

399

IX.

Die Vertragsfreiheit, republikanisch konzipiert

404

6. Kapitel:

Das Recht zur Autonomie des Willens als Gleichheit in der Freiheit

410

I.

Gleichheitsdogmatische Skizze einer allgemeinen Republiklehre

410

II.

Die politische Identität der allgemeinen Freiheit und der Gleichheit aller im Gegensatz zur despotischen Diversität von Freiheiten und Gleichheit

7. Kapitel: Freiheit als Autonomie des Willens, nicht Freiheiten als lichkeiten

422 Mög427

Inhaltsverzeichnis Sechster Teil Nähe und Distanz des republikanischen zum liberalistischen Freiheitsbegriff 1. Kapitel:

Der Grundrechtsschutz der herrschaftslosen Freiheit

2. Kapitel:

Die republikanische Verteilung von Freiheit als Willensauto-

441

3. Kapitel:

Die herrschaftsabwehrende Notfunktion einer staatsabwehren-

nomie und als Privatheit

449

den grundrechtsgeschützten Freiheitssphäre

454

I.

Die liberalistische grundrechtliche Abwehrdogmatik

454

II.

G. Jellineks status negativus und die grundrechtliche Abwehr der Parteienherrschaft

457

4. Kapitel: Die objektive und die subjektive Dimension der Grundrechte . . 5. Kapitel:

461

Die gemeinsame Lebensbewältigung in Staatlichkeit und (vorrangiger) Privatheit (ohne einen ausgegrenzten Freiheitsraum der Gesellschaft)

466

I.

Die verräumlichende Freiheitsdogmatik einer vom Staat ge-

II.

Die gemeinsame Lebensbewältigung in Staatlichkeit und Pri-

schiedenen Gesellschaft

466

vatheit 6. Kapitel:

474

Kritik der freiheitsdogmatischen Außenlehre

(Schranken-Ein-

griffs-Schema) und des Regel-Ausnahme-Prinzips des Liberalismus 7. Kapitel: 8. Kapitel:

Die

478 gesetzgeberische

Verwirklichung

der

Politik

der

Grundrechte durch grundrechtsgeleitete Rechtserkenntnisse

. . .

490

Die Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG als Grundrecht auf allgemeine Gesetzlichkeit

494

9. Kapitel: Die dualistische Lehre von der liberalen und demokratischen Freiheit

501

10. Kapitel: Grundrechtlicher Minderheitenschutz in der Republik?

513

Siebter Teil Die republikanische Rechtsstaatlichkeit 1. Kapitel: I.

Republikanische Staatlichkeit als gesetzliche Rechtlichkeit . . . .

519

Freiheitlichkeit, Vernunft

519

Rechtlichkeit,

Staatlichkeit durch

praktische

Inhaltsverzeichnis II.

Gleichheit in der Freiheit durch allgemeine Gesetzlichkeit . . . .

525

III.

Amtsmäßige Repräsentation als Vertretung in der Sittlichkeit . .

530

IV.

Das demokratische Prinzip der Republik

532

Kapitel:

Freiheitliche Gesetzlichkeit statt herrschaftlicher Richterlichkeit

536

Kapitel:

Der staatliche Zwang zur Verwirklichung des Rechts und der Freiheit

I.

545

Die Gefährdung der Rechtlichkeit durch Gewaltsamkeit, Ungesetzlichkeit und Parteilichkeit

545

II.

Das Gewaltprinzip der Freiheitlichkeit und Gesetzlichkeit . . . .

549

III.

Das Zwangsprinzip freiheitlichen Rechts

553

Kapitel: Die Republikanität der Rechtsgesetze

560

I.

Die Verfassung freiheitlicher Gesetzlichkeit und das Ethos des

II.

Die gesetzgeberischen Erkenntnisse des Rechts in diskursiver

Konsenses

560

Moralität III.

564

Die theoretische und praktische Vernünftigkeit der gesetzgeberischen Rechterkenntnisse

IV.

567

Das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit als Richtigkeitsprinzip der Gesetzgebung und Irrtümlichkeit

573

V.

Interessiertheit

bei der gesetzgeberischen

VI.

Die Pflicht zur Verteidigung der Freiheit und das Recht zum

Rechtserkenntnis

577

Widerstand

581

Kapitel:

Der Rechtsdiskurs der Republik

584

I.

Rechtlichkeit der Gesetze durch (diskursive) Moralität in der

II.

Politik Diskursive Kommunikation und akklamative Demonstrationen .

584 588

III.

Der Verlust des diskursiven Parlamentarismus im Parteienstaat .

592

IV.

Die

V.

Öffentliche Meinung, eigene Meinung und politische Willens-

Formalität

der

Diskursethik

und die

gesetzgeberische

Rechtserkenntnis der Vertreter des Volkes bildung VI.

598 602

Meinungsumfragen als Technik inkompetenter Akklamation und sanfter Despotie

610

VII.

Besondere Interessen und das allgemeine Interesse

612

VIII.

Die Mündigkeit des Bürgers und dessen Wahlamt

614

Kapitel: Der republikanische Interessenausgleich I. Interessenausgleich und gruppenhafter Pluralismus

617 617

Inhaltsverzeichnis II.

Konsensual-repräsentative Rechtserkenntnis als notwendig kompromißhafter Interessenausgleich

625

Achter Teil Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

1. Kapitel:

Bestmögliche

Freiheitsverwirklichung

durch

bestmögliche

Volksvertretung

637

I.

Das Prinzip der Stellvertretung des Volkes in der Gesetzgebung

637

II.

Die Notwendigkeit der parlamentarischen Vertretung des Volkes für die Sittlichkeit der Rechtserkenntnisse des Gesetzgebers und deren Möglichkeit durch die Homogenität der Bürgerschaft

III.

Der repräsentationsrechtliche Begriff des Volkes als die Viel-

IV.

Die Formalität des Gemeinwohlbegriffs und die Materialisie-

heit der Bürger

650

rung des Gemeinwohls durch Gesetze des Rechts V.

655

Republikanischer Aristokratismus und dessen Schädigung durch die parteilichen Parteien

VI.

644

662

Die bürgerliche Identität im Staatlichen durch die Repräsentation des Sittlichen

666

VII.

Formelle Kompetenz, materielle Kompetenz, moralische Kompetenz der Vertreter des Volkes als vorbildliche Bürger

674

VIII.

Die republikanische Elite

679

Repräsentative Demokratie als liberale Herrschaftsform?

685

2. Kapitel: I.

Republik als Form der Freiheit, Demokratie als Form der Herrschaft und Liberalität als grundrechtlicher Schutz von Freiheiten

II.

gesetz III. IV.

685

Kritik des Begriffs repäsentative Demokratie unter dem GrundKritik der empiristischen, insbesondere

692 soziopsychologischen

Verfassungsdogmatik der repräsentativen Demokratie

695

Kritik plebiszitärer Demokratie

703

3. Kapitel: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

707

I.

Republikanische Repräsentation als organschaftliche Vertretung

707

II.

Das freie Mandat als Bollwerk der Freiheit gegen die Parteienherrschaft

710

XXIV

Inhaltsverzeichnis

III.

Die Vertretung des ganzen Volkes durch das gesamte Vertre-

IV.

Der vorgängige Rechtsetzungswille des Volkes und die Er-

tungsorgan

714

kenntnis der Rechtsmaterie durch die Vertreter des Volkes . . . . V.

lichkeit im Sittlichen (Allgemeinen, Staatlichen) VI.

735

Repräsentation und Identität in der existentialistischen Staatslehre Carl Schmitts

II.

5. Kapitel: I.

730

Repräsentation und Identität in den Lehren von Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

I.

725

Repräsentation als Herrschaft und die antiaufklärerische Sehnsucht nach einer Legitimation von Herrschaft

4. Kapitel:

718

Die identitär-repräsentative Dogmatik der bürgerlichen Persön-

735

Repräsentation und Identität in der phänomenologischen Parteienstaatslehre Gerhard Leibholzens

763

Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

772

Die Lehre von der Parteiendemokratie als Apologie des verfassungswidrigen Parteienstaates

772

II.

Die Wahlen als Chance der Republik

788

III.

Das Prinzip innerparteilicher Demokratie und die politikwidrige

IV.

Die plurale Parteienoligarchie in den Institutionen des repu-

Parteienoligarchie

792

blikanischen Parlamentarismus und der neue Dualismus

796

V.

Institutionelle Förderung eines echten Parlamentarismus

805

VI.

Das freie Mandat als Institution der Sittlichkeit und die parteiliche Bindung der Abgeordneten

810

Neunter Teil Die republikanische Gesetzgebungsfunktion der grundrechtlichen Verfassungsrechtsprechung

1. Kapitel: I.

Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte richterliche Schutz ihres Wesensgehalts

II.

819

Die Grundrechte als politische Leitentscheidungen und der Die materiale Offenheit Grundrechte

819

des Wesensgehalts der besonderen 831

Inhaltsverzeichnis III.

Die Verbindlichkeit der material offenen oder formalen grundrechtlichen Leitentscheidungen

2. Kapitel:

847

Die funktional gesetzgebende Grundrechtsverwirklichung durch die Verfassungsrechtsprechung

858

I.

Das grundrechtsgeleitete gemeinsame Leben in Freiheit

858

II.

Rechtlichkeit durch funktionsteilige Gerichtlichkeit und Gesetz-

III.

Der von einer Gesetzesbindung unabhängige Begriff der Recht-

lichkeit

863

sprechung und das freiheitsrechtliche Postulat der Gesetzesbindung

870

Die gesetzgebende Funktion richterlicher Rechtserkenntnisse . .

885

V.

Abwägung als Methode der Gesetzeserkenntnis

895

VI.

Die Verfassungsrechtsprechung über die Rechtlichkeit der Ge-

IV.

setze, die Fachgerichte als Verfassungsgerichte, deren Verfas-

3. Kapitel: I.

sungsbindung und das Bundesverfassungsgericht als Fachgericht

901

Rechtsprechung und Politik in der Republik

909

Die

politische

Funktion

des Bundesverfassungsgerichts

als

Organ der Rechtsprechung

909

II.

Die Einheit von Recht und Politik in der Verfassungsrechtspre-

III.

Die Ideologisierung der gesetzgeberischen Politik der Verfassungsrechtsprechung als Verfassungsinterpretation

921

IV.

Die Einheit von Recht, Politik und Moral in der Republik . . . .

925

chung

V.

912

Die freiheitliche Politik als Verwirklichung des Rechts durch die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung . .

VI.

klage 4. Kapitel: I.

929

Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit Rechtlichkeit durch Verfassungsgerichtlichkeit

932

als Vollendung

des Rechtsstaates II.

932

Kompensation der parteienstaatlichen Parteilichkeit durch die befriedende Rechtlichkeit der Verfasssungsgerichtsbarkeit

III.

926

Die freiheitliche Allgemeinheit des Unrechts und die Popular-

....

937

Das sittliche Defizit des parteienstaatlichen Parlamentarismus und die Förderung der Rechtlichkeit durch die Moralität des Verfassungsgerichts (die Mehrstufigkeit des Verfahrens der Sittlichkeit)

IV. V.

943

Die Verbindlichkeit der Rechtserkenntnisse des Verfassungsgerichts

951

Das Gebot zur verfassungsgerichtlichen Zurückhaltung

955

XXVI 5. Kapitel:

Inhaltsverzeichnis Die Legitimierungsfunktion der Rechtserkenntnis des Verfassungsgerichts, die öffentliche Meinung vom Recht und die Befriedung des Gemeinwesens

956

6. Kapitel: Die Richtigkeitschance verfassungsgerichtlicher

Erkenntnisse,

das Vertrauen des Volkes in die Verfassungsrechtsprechung und die Legitimation der Richter und Verfassungsrichter I.

Die

II.

Das

größere

Richtigkeitschance

der Rechtserkenntnisse

963 des

Verfassungsgerichts gegenüber denen des Gesetzgebers trauen gegenüber dem parteilichen Gesetzgeber III.

967

Die republikanische Legitimation der Gesetzesrichter aus der Gesetzesbindung und der rechtswissenschaftlichen Befähigung .

IV.

963

Vertrauen zum Bundesverfassungsgericht und das Miß-

970

Die demokratische und republikanische Legitimation der Richter des Bundesverfassungsgerichts

975

7. Kapitel: Die Wesensgehalts Verwirklichung des Grundrechts der allgemeinen Freiheit I.

978

Die sachliche Materialisierung der formalen Freiheit oder der Schutz der Rechtlichkeit der Gesetze als Wesensgehalt der allgemeinen Freiheit

II.

Der allgemeine Diskurs

978 als prozeduraler

Wesensgehalt der

allgemeinen Freiheit und die Unsittlichkeit der Parteienoligarchie

988

8. Kapitel: Die formale Gleichheit und das Willkürverbot I.

und die Gerechtigkeit als Sittlichkeit/Sachlichkeit II.

990

Das Willkürverbot als Freiheits- oder/und als Gleichheitsprinzip 990

Die Gleichheit als (rechtliche) Gesetzlichkeit und die Gesetzesanwendungsgleichheit

997

9. Kapitel: Die Wesensgehalts Verwirklichung der Grundrechte der Freiheit von Kunst und Wissenschaft und der Eigentumsgarantie I.

1002

Die Gesetzlichkeit künstlerischen und wissenschaftlichen Handelns unter der politischen Leitentscheidung für die Kunst und die Wissenschaft

1002

II.

Die Einzelfallgerechtigkeit in der Kunstrechtsprechung und der

III.

Die Offenheit des Kunstbegriffs

IV.

Die Offenheit des in objektiver Dimension garantierten Eigen-

Primat der freiheitsverwirklichenden Gesetzlichkeit

1009

und die Gesetzlichkeit der

Freiheit der besonders schützenswerten Kunst

1015

tums und dessen Subjektivierung durch Rechte der Privatheit . . 1023

Inhaltsverzeichnis 10. Kapitel: Die gleichheitliche Allgemeinheit des Gesetzgebungsstaates und die Gesamtverantwortung von Gesetzgeber und Verfassungsrechtsprechung für das Recht 11. Kapitel:

1027

Die Variabilität und Dynamik des durch die grundrechtlichen Wesensgehalte geleiteten läge- und erkenntnisbedingten Rechts

1033

Zehnter Teil Die republikwidrige Parteienherrschaft 1. Kapitel:

Die Staatlichkeit der republikanischen Parteien

2. Kapitel: Die demokratistische Ideologie von der Notwendigkeit

3. Kapitel: I.

1045 von

Parteien

1054

Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien

1060

Oligarchie statt Demokratie in Parteien als Bündnissen der Herrschaft

II.

1060

Das aristokratische Prinzip der Republik und die Negativauslese der Parteien

III.

1064

Die Geschlossenheit von Führern und Gefolgsleuten statt kompetenter Meinungsbildung in Offenheit und Öffentlichkeit . . . .

1069

IV.

Parteilichkeit zu Lasten der Sittlichkeit und Rechtlichkeit

1080

V.

Widerspruch statt Widerstand gegen die Parteilichkeit als bür-

4. Kapitel: I.

....

gerliche Pflicht

1084

Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

1086

Die innerparteiliche Moralität der Abgeordneten und die Fraktionsdisziplin

1086

II.

Die persönliche, unparteiliche Meinung als Bedingung republikanischer Einigkeit

1095

III.

Die formelle Meinungsführung der Parteioligarchie

1099

IV.

Innerparteiliche Opposition als Institutionalisierung von Kritik und Diskurs

5. Kapitel:

Ämterpatronage und andere Machiavellismen zur Stabilisierung der parteilichen Oligarchie

I.

Die plural-proportionale Ämterpatronage der festgefügten Par-

II.

Die demokratiewidrige Sicherung der Nomination der Parteie-

teien

III.

1108

1113 1113

noligarchie

1120

Der Parteienstaat als Führerstaat

1122

XXVIII

Inhaltsverzeichnis

IV.

Der Lagermachiavellismus des kleineren Übels unter den Alt-

V.

Das Prinzip der Einigkeit, der neue und alte Dualismus und die

parteien und die Verdrängung neuer Parteien

1125

gewaltenteilige Funktionenordnung 6. Kapitel:

1129

Richterstaatliche Kompensationseffekte

der Parteilichkeit der

Parteien

1131

7. Kapitel: Die republikanische Pflicht der Medien zum unparteilichen Diskurs 8. Kapitel:

1141

Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

....

1147

I.

Wider das Verhältniswahlsystem des Parteienstaates

1147

II.

Republikanische Parteien als politische Gesprächskreise

1159

III.

Wider die politische Verbindlichkeit von Parteitagsbeschlüssen . 1163

IV.

Wider die Berufs(partei)politiker

1165

V.

Wider die Parteienfinanzierung festgefügter Parteien

1167

VI.

Die Entparteilichung der Parteien

1168

9. Kapitel: Die Verkürzung des Justizgewährungsanspruchs durch die Parteigerichtsbarkeit

1169

10. Kapitel: Die gerechtfertigte Parteiverdrossenheit der Bürger

1173

Elfter Teil Republikanische Homogenität 1. Kapitel: Die Homogenität als Voraussetzung der Republik

1177

2. Kapitel: Die Homogenität der deutschen Nation

1186

3. Kapitel:

Die sprachliche Homogenität der Deutschen

4. Kapitel: Die

aufklärerische,

säkularisiert

christliche

1194 Homogenität

Deutschland und Europa 5. Kapitel: Die Einbürgerung anstelle eines Ausländerwahlrechts

in 1196 1201

Literaturverzeichnis

1205

Personen Verzeichnis

1267

Sachwortverzeichnis

1272

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. abgedr. abl. Abs. Abschn. AcP a.F. AK, auch Alt-Komm. Allg.Erkl.MenschenR. Anm. AöR arg. ARSP Art. ASSP AT AuR Aufl. Az. BAB1. BAG BAGE Bay BayVBl. BBG Bd. BDSG bearb. Beih. Beil. Bern. Beschl. BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ Bl. Bonner Komm. BRRG BSG BSHG

anderer Ansicht am angegebenen Ort abgedruckt ablehnend Absatz Abschnitt Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare (Rudolf Wassermann) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts argumentum, Argument aus Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel (auch im Plural) Archiv für Sozialwissenschaft und Privatrecht Allgemeiner Teil Arbeit und Recht Auflage Aktenzeichen Bundesarbeitsblatt Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayern Bayerische Verwaltungsblätter Bundesbeamtengesetz Band Bundesdatenschutzgesetz bearbeitet Beiheft Beilage Bemerkung Beschluß Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Blatt (auch im Plural) Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Beamtenrechtsrahmengesetz Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz

XXX BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE bzw. BvR BWahl DB ders. d.h. d.i. dies. Diss. DJT DJZ DÖV DRiG DRiZ Drucks. DVB1. E ed. EGV EMRK entspr. Entw. Erg. erw. etc. EuGH EuGHE EuGRZ EuZW EvStLex EWGV f. FAZ ff. FG Fn. FS gem. ges. GeschO BT GewArch GewO GG ggf·

Abkürzungsverzeichnis Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Bundesverfassungsgerichtliche Rechtssachen GBundeswahlgesetz Der Betrieb derselbe das heißt das ist dieselbe Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitschrift Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidung Edition Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Europ.) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4.11.1950 entsprechend Entwurf Ergänzung erweitert, erweiterte et cetera Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof. Sammlung der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechtezeitschrift Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Evangelisches Staatslexikon Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 25.3.1957 folgende (Seite); für Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende (Seiten) Festgabe Fußnote (auch im Plural) Festschrift gemäß gesammelte Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Gewerbearchiv Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls

Abkürzungsverzeichnis GGK GjS GR GrS GS GS GV Halbs. Ham. Presse G HambVerf. HChE Hbd. HdbDStR HdSW Hervorh. HGrR Hinw. h.M. h.L. HGZ HRG Hrsg. hrsg. HStR HVerfR i.d.R. i.d.S. i.E. i.e.S. im Erg. insb. i.S. i.S.d. i.S.v. iur. i.V.m. i.w.S. JA Jahrg. JbRuR JöR JR Jura JuS JW JZ Kap. KG komm. KritV LG LS

XXXI

Gemeinschaftskommentar Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Die Grundrechte Großer Senat Gedächtnisschrift Gesetzessammlung GGerichtsverfassungsgesetz Halbsatz Hamburger Presse Gesetz Verfassung der Freien und Hasestadt Hamburg Entwurf des Verfassungskonvents in Herrenchiemsee Halbband Handbuch des Deutschen Staatsrechts Handwörterbuch der Staatswissenschaften Hervorhebung Handbuch der Grundrechte Hinweis (auch im Plural) herrschende Meinung herrschende Lehre Hanseatische Gerichts-Zeitung Hochschulrahmengesetz Herausgeber herausgegeben Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland in der Regel in diesem Sinn im Erscheinen im engeren Sinne im Ergebnis insbesondere im Sinne im Sinne des im Sinne von iuris in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Jahrgang Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Kammergericht kommentiert Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Landgericht Leitsatz

XXXII m. m.E. Μ DR m.H. MRK m.w.H. m.w.N. Nachdr. Nds. OVG Neudr. N.F. n.F. NJW Nr. NVwZ o.J. OLG OVG PartG ParteigerichtsO PVS Rdn. RG RGBl. RGZ Rs. Rspr. RuStAG S. s. s.a. sc. SGB SJ SJZ Slg. s.o. sog Sp. Staatslex. Sten. Ber. StGB StGH st. Rspr. Studienges. SZ TVG Tz u. u.a. u.a.m.

Abkürzungsverzeichnis mit meines Erachtens Monatsschrift für Deutsches Recht mit Hinweisen Konvention v. 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit weiteren Hinweisen mit weiteren Nachweisen Nachdruck Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht Neudruck neue Folge neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht ohne Jahr Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Parteiengesetz Parteigerichtsordnung Politische Vierteljahresschrift Randnummer (auch im Plural) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtssache Rechtsprechung Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Satz, Seite siehe siehe auch scilicet Sozialgesetzbuch Societas Jesus Süddeutsche Juristenzeitung Sammlung siehe oben sogenannte, sogenannter Spalte Staatslexikon Stenographischer Bericht Strafgesetzbuch Strafgerichtshof ständige Rechtsprechung Studiengesellschaft Süddeutsche Zeitung Tarifvertragsgesetz Textziffer und und andere und andere mehr

Abkürzungsverzeichnis u.ö. UrhG Urt. u.st. u.s.w. u.U. UWG v. Verf. Verf. Bay. VerfGH Verh. VerwArch. Verz. VerfGH VG VGH vgl. VO VVDStRL VwGO WRV WW ZaöRV ZBR ZföR ZHR Ziff. ZParl. ZPO ZRP zust.

XXXIII

und öfter Urheberrechtsgesetz Urteil und ständig und so weiter unter Umständen Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb vom, von, vor Verfassung; Verfasser Verfassung von Bayern Verfassungsgerichtshof Verhandlung (auch im Plural) Verwaltungsarchiv Verzeichnis Verfassungsgerichtshof Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer Reichsverfassung) Wissenschaftliche Werksausgabe Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Parlamentsfragen Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zustimmend

Erster Teil Republikanische Orientierung

1. Kapitel Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als republikanische Grundprinzipien "Res publica res populi" (Cicero) 1. "Der Staat, das sind wir" (Friedrich Naumann) 2. "Wir sind das Volk".

1 De re publica, ed. Büchner, Reclam, 1979, S. 130 f. u.ö.; dazu J. Isensee, Republik-Sinnpotential eines Begriffs, JZ 1981, 1 ff., 3 ff; ders., Grundrechtliche Freiheit-Republikanische Tugend, in: E.E. Geißler (Hrsg.), Verantwortete politische Bildung, 1988, S. 65 ff.; ders., Republik, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 4, 1988, S. 882 ff.; ders., Staat und Verfassung, HStR, Bd. I, S. 631 ff., 654; IV. Henke , Zum Verfassungsprinzip der Republik, JZ 1981, 249 ff.; ders., Die Republik, HStR, Bd. I, 1987, S. 863 ff., 869 ff.; tendenziell republikanisch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 16. Aufl. 1988, Rdn. 118 ff., S. 48 f., Rdn. 133, S. 52 f., Rdn. 138, S. 54 (für "Rationalität des politischen Prozesses" und "Öffentlichkeit"; allerdings i.S.v. "Herrschaft", Rdn. 134, S. 53); republikanisch argumentiert der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in seinen Reden, etwa, Ausgewählte Texte, 1988, S. 67 ff., 105 ff.; auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, 1986/89, insb. S. 203; republikanisch argumentiert auch H. Hofmann , Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, VVDStRL 41 (1983), S. 42 ff., ohne freilich ein republikanisches Prinzip zu entwickeln, wozu sein Gegenstand Anlaß gab; durch und durch republikanisch Karl Jaspers, u.a., Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, insb. Das Ziel: Die Freiheit, S. 196 ff.; ders., Wahrheit, Freiheit, Friede, 1958, in: ders., Lebensfragen der deutschen Politik, 1963, S. 158 ff.; ders., Wohin treibt die Bundesrepublik?, 1965, insb. S. 125 ff.; i.d.S. auch Hugo Preuss, Deutschlands Republikanische Reichsverfassung, 2. Aufl. 1923, S. 10; republikanisch ist vor allem die Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1964, Herbert Krügers, ohne daß Krüger das Wort Republik hervorhebt; die "res publica" reklamiert für seine auf Interessenausgleich abgestellten Lehren, insb. des Öffentlichen, (u.a.) P. Häberle, Struktur und Funktion der Öffentlichkeit im demokratischen Staat, 1970, in: Die Verfassung des Pluralismus, Studien zur Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1980, S. 126 ff., der insb. das republikanische Tugendprinzip nicht einbezieht; auch in: Die Verfassung des Pluralismus, daselbst, S. 56 ff., spricht ders. von "res publica" und "Bürger" und findet zu einer Tugend, der der Toleranz (S. 59, 61, 63), die eher liberal, als republikanisch ist; auch W. Löwer, Aktuelle Gefährdungen des Republikanismus durch den Parteienstaat, in: Almanach des Hochschulverbandes Bd.VI, 1993, S. 47 ff.; zur Begriffsgeschichte ergiebig W. Mager, Republik, Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 5, 1984, S. 549 ff. 2 So zitiert R. Thoma, Das Reich als Demokratie, HbdDStR, Bd. 1, 1930, S. 186 f., Friedrich Naumann und schließt sich ihm an; vgl. K. Low, Was bedeutet "Republik" in der Bezeichnung "Bundesrepublik Deutschland"?, DÖV 1979, 819 ff., 821.

1 Schachtschneider

2

1. Teil: Republikanische Orientierung M i t dieser Parole haben viele Bürger Mitteldeutschlands 3 i m deutschen

Herbst 1989 für die Freiheit u n d gegen die Herrschaft der S E D demonstriert. "Das Deutsche R e i c h ist eine R e p u b l i k " , lautete A r t . 1 Abs. 1 W R V . Deutschland 4 ist nach dem Grundgesetz eine Bundesrepublik ( A r t . 20 A b s . 1) und hat Grundsätze auch des republikanischen Rechtsstaates ( A r t . 28 A b s . 1 S. 1). D i e F o r m des Politischen ist danach die R e p u b l i k . Das G r u n d gesetz verfaßt Deutschland zur föderalen demokratischen und

sozialen

R e p u b l i k und gibt darin den Deutschen die politische F o r m der Freiheit. D i e R e p u b l i k als Verfassung der Freiheit b e s t i m m t die Prinzipien des Rechts u n d des Staates als die der rechtlichen Gesetzlichkeit. E i n e R e p u b l i k ist n o t w e n d i g bürgerschaftlich, also i m freiheitlichen Sinne demokratisch, verfaßt 5 , aber keine D e m o k r a t i e als Herrschaft des Volkes 6 . Sie ist das Gemeinwesen freier Menschen, der Bürger. " A l l e Staatsgewalt geht" nach A r t . 20 A b s . 2 S. 1 G G " v o m V o l k e aus". "Sie w i r d " aber " v o m V o l k e " außer " i n Wahlen u n d A b s t i m m u n g e n " vor allem "durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt u n d der Rechtspre-

3 Seit die "Einheit... Deutschlands vollendet" ist (Präambel des GG in der Fassung des Einigungsvertrages vom 31. August 1990; zwar eine Geschichtsfälschung, aber eine verbindliche Willensäußerung, vgl. Art. 1 Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. Sept. 1990, Zwei-plus-Vier-Vertrag, der die Außengrenzen "endgültig" als die "Grenzen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" festgelegt hat), wird dieses Gebiet Ostdeutschland genannt, während vorher "Ostgebiete" die jetzt vor allem polnischen Gebiete jenseits der sogenannten Oder-Neiße-Grenze waren (vgl. etwa R. Bernhardt, Die deutsche Teilung und der Status Gesamtdeutschlands, HStR, Bd. I, S. 338, 341, 344 ff., 348). 4

Die Länder der Deutschen sind in der Präambel des GG aufgeführt. Art. 23 GG, der bis zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990 den Geltungsbereich des Grundgesetzes regelte, ist aufgehoben. Damit regelt das Grundgesetz das Gebiet Deutschlands. 5 So E. Bernatzik, Republik und Monarchie, 2. Aufl. 1919, S. 34; W. Henke, JZ 1981, S. 251; ders. klar, HStR, Bd. I, S. 880 f.; vgl. die Einheit des republikanischen und demokratischen Prinzips in Art. 1 WRV, dazu G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl. 1933, Anm. 1 zu Art. 1; ganz so H. Preuss, Deutschlands Republikanische Reichsverfassung, S. 62 ff.; i.d.S. auch R. Thoma, HbdDStR, Bd. 1, S. 186 ff.; anders G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1931, S. 710 ff. (jede Mehrherrschaft), der die demokratische Republik als eine Art der Republik versteht, in der "die Volksgemeinde" "höchstes Staatsorgan" ist; wie im Text für seine Zeit auch R. Hübner, Die Staatsform der Republik, 1919, S. 15 ff.; zur sprachgeschichtlichen Verbindung von Republik und Demokratie im 18. und 19. Jahrhundert W. Mager, Republik, S. 580 ff. 6

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., 34; 2. Teil, 4. und 5. Kap., S. 92 ff., 100 ff.

1. Kap.: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als republikanische Prinzipien

3

c h u n g ausgeübt" ( A r t . 20 Abs. 2 S. 2 G G ) 7 . D i e deutsche Staatlichkeit ist somit nach d e m Text des Grundgesetzes v o m V o l k als solche des Volkes, also demokratisch, verfaßt. D i e verfaßte Staatlichkeit aber ist die der Repub l i k als der Lebensform der größtmöglichen Freiheit 8 . Das demokratische P r i n z i p der R e p u b l i k als d e m freiheitlichen Gemeinwesen steht gegen jede A r t staatlicher Herrschaft 9 ; denn Herrschaft des als Bürgerschaft verstandenen Volkes über die V i e l h e i t der Bürger als das V o l k ist nicht denkbar, w e i l der Bürger durch seine Selbständigkeit, durch seine U n a b h ä n g i g k e i t v o n anderer nötigender W i l l k ü r , durch Freiheit n ä m l i c h , definiert

ist10.

W e n n sich Herrschaft etabliert, w i e i m entwickelten Parteienstaat, ist die R e p u b l i k i n Gefahr und das V o l k aufgerufen, die Freiheit zu verteidigen 1 1 . D i e M ö g l i c h k e i t , ohne Blutvergießen die Regierung zu wechseln, kann man m i t Karl

R. Popper

als das demokratische Prinzip begreifen 1 2 . D e m o k r a t i e

ist unter d e m Grundgesetz somit nicht die F o r m der Herrschaft u n d schon

7 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 17 f.; 3. Teil, 1. Kap., S. 168 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; vgl. insb. BVerfGE 83, 60 (71 ff.). 8 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., insb. S. 34 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 178 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.; zum Prinzip der Volkssouveränität und dessen Verhältnis zur Staats- und Regierungsform E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 888 ff., der beides demokratisch bestimmt sieht; ähnlich P. Badura, HStR, Bd. I, S. 968 ff.; auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 23, S. 170 ff. 9 BVerfGE 83, 60 (71 ff.) versteht die "freiheitliche Demokratie" als "staatliche Herrschaft", die "demokratischer Legitimation" bedarf; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. und 7. Kap., S. 97 ff., 124 ff. 10 I.d.S. M. Hättich, Demokratie, Staatslexikon, hrsg. v. der Görres-Gesellschaft, Bd. 1, 1985, Sp. 1183; ders., Demokratie als Herrschaftsordnung, 1967, S. 27 ff., erörtert mit Hinweisen den Aktionären Charakter der Begriffe "Volksherrschaft oder Selbstregierung des Volkes"; K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, 1988, S. 10 ff.; zum bürgerlichen Freiheitsbegriff Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; insb. schon J. Locke, Über die Regierung, ed. Mayer-Tasch, Reclam, 1983, S. 18, 41; i.d.S. M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 37; ders., Freiheit und Gleichheit, HVerfR, S. 143; W. Maihof er, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, HVerfR, 1983, S. 186 ff.; zum demokratischen Prinzip der Republik 7. Teil, 1. Kap., S. 532 ff.; 1. Teil, 3. Kap, S. 14 ff., insb. S. 64 ff.; zur Bürgerlichkeit des Bürgers 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 341 ff., 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; zum bürgerlichen Freiheitsbegriff 5. Teil, 3., 4., 5., 6. und 7. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 370 ff., 410 ff., 427 ff. 11

Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 249 f.; 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 ff.; vor allem Κ Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff. 12 Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 10 ff., 14 ff.; weitere Hinweise in Fn. 145. ι

4

1. Teil: Republikanische Orientierung

gar nicht die Form der Regierung 13 . Das demokratische Prinzip deklariert im Grundgesetz vielmehr die Verfassung der Herrschaftslosigkeit, wie es der politischen Grundentscheidung des Grundgesetzes, der für die allgemeine Freiheit, entspricht. Hans Kelsen und René Marcie haben die Herrschaftslosigkeit als die Idee der Demokratie herausgestellt 14. Kelsen aber hat die reale Demokratie als Form der Politik zur Herrschaft von Parteiführern verzerrt 15 . Eine positive Form des Politischen ist mit dem Begriff Demokratie nicht entschieden 16 . Das demokratische Prinzip entscheidet in einer Verfassung der Freiheit vielmehr negativ gegen jede Art der Herrschaft. Die einzig mögliche positive Form des Politischen, welche in diesem Sinne demokratisch ist, ist die Republik als die Verfassung der Freiheit. Eine zentrale Vorschrift des demokratischen Prinzips ist Art. 20 Abs. 4 GG, die Verfassung des Widerstandes, welche zur Verteidigung der Republik verpflichtet. Jede Interpretation des demokratischen Prinzips als Herrschaftsform verletzt die Verfassung der Freiheit; denn sie rechtfertigt die Despotie 17 . Die Freiheit aller und damit die Gleichheit aller in der Freiheit ist die politische Grundentscheidung einer Republik, ihre Idee und ihr Zweck 1 8 ,

13

Kant, Zum ewigen Frieden, ed. Weischedel, Bd. 9 S. 206 f., hat klargestellt, daß eine demokratische Regierung despotisch sein muß; vgl. dazu R. Koselleck, Demokratie, in: Geschichtliche Grundbegriffe, S. 850 ff.; i.d.S. auch K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 14 ff.; dazu 2. Teil., 9. Kap., S. 144 ff. 14 H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., 12 u.ö.; R. Marcie , Rechtsphilosophie, 1969, S. 208 ff., 227 ff.; ebenso W. Henke, Recht und Staat, Grundlagen der Jurisprudenz, 1988, S. 301 ff., 318, für die Demokratie Athens, deren Modell er in seiner herrschaftlichen Gerechtigkeitslehre konsequent bekämpft (a.a.O., S. 251 ff., 294 ff., 387 ff., 607 ff. u.ö.); ebenso ders., HStR, Bd. I, S. 879 ff.; kritisch zu diesem vermeintlich "ideologischen Demokratieverständnis" insb. M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 25 ff.; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., S. 36 ff.; 2. Teil, 4., 5., 7. Kap., S. 92 ff., 100 ff., 124 ff. 15 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78 ff. 16 Zur Unbestimmtheit des Demokratiebegriffs 1. Teil, 3. Kap., S. 23 ff.; insb. M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 11 ff. 17 Dazu 2. Teil, 1. und 9. Kap., S. 71 ff., 139 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. 18 Cicero, De re publica, S. 140 f.; J. Locke, Über die Regierung, S. 18 f., 41, 73; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, ed. Brockard, Reclam, 1986, S. 22 f., 26, 27, insb. S. 56 f. u.ö.; Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204, 241, ders., Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, daselbst S. 145, 150; sowie seine ganze Philosophie der praktischen Vernunft; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 722, für die demokratische Republik; R. Hübner, Die Staatsform der Republik, 1919, S. 22 ff., 38 f.; G. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 18 zu Art. 1 Abs. 1, Rdn. 134 zu Art. 3 Abs. 1; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 309, 376 u.ö.; ders., Rechtsphilosophie, 1969, S. 213; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971/1979, passim, insb. S. 223 ff., der seine

1. Kap.: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als republikanische Prinzipien

5

auch die nach dem Grundgesetz, wie schon die der aristotelischen Politie für die Bürger Athens 19 . "Da Menschenwürde und Freiheit jedem Menschen zukommen, die Menschen insoweit gleich sind, ist das Prinzip der Gleichbehandlung aller für die freiheitliche Demokratie ein selbständiges Postulat." - BVerfGE 5, 85 (205) 20

"Vertragstheorie" (S. 11 ff.) explizit auf Locke, Rousseau, Kant stützt (S. 27 f.); ders., Kantischer Konstruktivismus in der Moraltheorie, 1980, in: ders., Die Idee des politischen Liberalismus, 1992, S. 80 ff.; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 201 ff., 244, auch S. 153 f.; P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 126 ff.; ders. in der Sache, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. I, S. 845 ff., für die "freiheitliche Demokratie"; ganz so J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, in: Ρ Kielmannsegg, Legitimationsprobleme politischer Systeme, 1976, S. 43 ff.; i.d.S. M. Kriele, Freiheit und Gleichheit, HVerfR, S. 129 ff.; ders., Einführung in die Staatslehre, 4. Aufl. 1990, S. 318 f.; W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., 194 ff., 212 ff.; ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, ARSP, Beiheft Nr. 15, 1981, S. 15 ff., 21 ff.; H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 69, 74 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 571, 788 ff.; KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986, S. 138 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, Bd. I, S. 909 ff., 914 ff.; ders. schon, Der Staat als sittlicher Staat, 1978, S. 12 ff., 31, 33, für die Freiheit als Staatszweck; Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat - nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 48 (1990), S. 42 ff.; G. Ress, daselbst zum nämlichen Thema, S. 98 ff.; auch W. Henke, Recht und Staat, S. 311 ff., 327 u.ö.; ders., HStR, Bd. I, S. 881; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 630; ders., HStR, Bd. III, S. 35; P. Kirchhof Der allgemeine Gleichheitssatz, HStR, Bd. V, 1992, S. 882 ff.; auch M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 144 ff., für die demokratische politische Freiheit, ohne daraus Konsequenzen gegen die Herrschaft zu ziehen; durchgehend auf dieser Grundlage stellt W. Jens, Feldzüge eines Republikaners, 1988, die unterschiedlichsten Lebensbereiche dar, etwa S. 58, 174, 180 ff., 203. Grundsätzlich problematisiert die Verdrängung der Freiheit durch die Gleichheit W. Leisner, Der Gleichheitsstaat, Macht durch Nivellierung, 1980. Zur Geschichte der Menschenrechtsidee H. Hofmann, Zur Herkunft der Menschenrechtserklärung, JuS 1988, 841 ff. mit umfangreichen bibliographischen Hinweisen. I.S.d. Textes BVerfGE 2, 1 (12) SRP-Urteil -; 5, 84 (204 ff.) - KPD-Urteil u.ö. 19 Aristoteles, Politik, ed. Gigon, 6. Aufl., S. 114 ff. (III, 7), 202 (VI, 2) u.ö. Zur griechischen Polis als dem freiheitlichen Gemeinwesen H. Arendt, Vita Activa oder Vom tätigen Leben, 5. Aufl. 1987, S. 27 ff., die Gleichheit als das Wesen griechischer Freiheit herausstellt (S. 34); so auch R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 205 ff., 227 ff., 237 ff.; i.d.S. auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 274 f., der freilich von der "konstitutionellen Demokratie" spricht; wie hier W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff., 311 ff. (zur "Isonomie - oder Demokratie, als ein politisches, ein Polisprinzip"); i.d.S. auch A. Bürgin, Polis und Ökonomik zur Zeit des Aristoteles, Vortrag am 10.11.1988 in Hamburg; Rousseau selbst, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 18 f., identifiziert die Republik mit der Polis; C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 223, bestreitet, daß Republik noch Politie im aristotelischen Sinne meine. Zur Entwicklungslinie von der aristotelischen Polis zum modernen Verfassungsstaat, der Republik (vor allem sprachanalytisch) D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, 1978, insb. S. 140 ff.; begriffsgeschichtlich W. Mager, Republik, S. 549 ff. (umfassend, ergiebig); vgl. i.d.S. auch zur Begriffsgeschichte der Freiheit Ch. Meier, Geschichtliche Grundbegriffe, Freiheit, Band 2, 1975, S. 426 ff. zur Polis; dazu auch H. Hofmann, JuS 1988, 842.

1. Teil: Republikanische Orientierung

6 Carl Schmitt

hat die Freiheit als "politisches F o r m p r i n z i p ... der moder-

nen Verfassung" i m Gegensatz zur "Gleichheit als demokratischem P r i n z i p " zurückgewiesen u n d nur als "liberales P r i n z i p " , "als rechtsstaatlichen Bestand der modernen Verfassung", eingestuft 2 1 . Seine Verfassungslehre ist gegen die R e p u b l i k als den Gesetzesstaat und damit Rechtsstaat i m freiheitlichen Sinne gerichtet 2 2 . D i e grundgesetzliche Verfassung versteht

ihre

politischen Grundentscheidungen als "freiheitliche demokratische Grundordn u n g " ( A r t . 18 S. 1, Art. 21 Abs. 2 S. 1, A r t . 91 A b s . 1 G G u . ö . ) 2 3 . D i e

20 Das Bundesverfassungsgericht geht allerdings von "nicht zu übersehenden Spannungen zwischen den beiden Werten" "Freiheit und Gleichheit" aus, die in der "freiheitlichen Demokratie" beide "allmählich zu immer größerer Wirksamkeit zu entfalten und bis zum überhaupt erreichbaren Optimum zu steigern, Aufgabe sei"; vgl. auch BVerfGE 44, 125 (139); eine solche Spannung besteht nur, wenn Freiheit und Gleichheit konstitutionalistisch und liberalistisch material, nicht aber republikanisch formal begriffen werden, dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff., insb. S. 424 ff.; 6. Teil, 1. und insb. 9. Kap., S. 441 ff., 501 ff. 21 Verfassungslehre, S. 224 f.; allein die Gleichheit als Prinzip der Demokratie hat Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 139 ff., 180, herausgestellt; dazu W. Maihofer y HVerfR, S. 186 f; zu dieser Lehre noch unter dem Grundgesetz 2. Teil, 4. Kap., S. 95 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501. 22 Vor allem, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl. 1926, S. 41 ff.; Legalität und Legimität, 1932, 2. Aufl. 1968, S. 7, 20 ff.; Verfassungslehre, S. 303 ff., 318 f. 23 Dazu K. Stern, Staatsrecht I, § 16, S. 536 ff.; Ch. Gusy, Die "freiheitliche demokratische Grundordnung" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 105 (1980), S. 279 ff.; E. Denninger, Der Schutz der Verfassung, HVerfR, S. 1303 ff., der richtig auf S. 1308 den offenen und freiheitlichen, demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß als Kern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Anlehnung an BVerfGE 7, 198 (208); 33, 1 (15); 44, 125 (139) herausstellt; i.d.S. auch ders., Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 37 (1979), S. 26 ff. (für "Freiheit von Angst, Vertrauen, Bereitschaft zum Engagement"); vgl. auch daselbst zum nämlichen Thema H.H. Klein, S. 55 ff., der den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit dem Gegenstand der Unantastbarkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG identifiziert, zu Recht; wesentlich W. Maihofer, HVerfR, S. 173 f., dessen Begriff der freiheitlichen Demokratie auch i.S. der Überlegungen im Text republikanisch ist (S. 175 ff.); i.d.S. auch R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 374 ff., 381 ff.; vgl. auch H.F. Zacher, Freiheitliche Demokratie, 1969, insb. S. 81 ff.. Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung 1952 im SRPUrteil in BVerfGE 2, 1 (12 f.) definiert und diese Definition im KPD-Urteil 1956 in BVerfGE 5, 85 (197 f.) weitestgehend bestätigt, vgl. aber auch BVerfGE 44, 125 (139). Es hat die Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Rechtlichkeit, aber auch das Prinzip des sozialen Fortschritts besonders herausgestellt (insb. BVerfGE 2, 1 (12); 5, 85 (204 ff.). Das Gericht hat mit seiner Definition breiteste Zustimmung gefunden (vgl. die Hinweise bei Stern, a.a.O., S. 568 Fn. 73). Die Definition des SRP-Urteils lautet: "So läßt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt-und Willkürherrschaft eine rechts staatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbst-

1. Kap.: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als republikanische Prinzipien

7

vollendete F o r m freiheitlicher demokratischer O r d n u n g ist die R e p u b l i k . E i n e bürgerliche Freiheits-, Rechts- u n d Staatslehre ist zugleich eine Lehre v o n der freiheitlichen demokratischen G r u n d o r d n u n g 2 4 , jedenfalls

wenn

diese auf der grundgesetzlichen E t h i k gründet. 'Der Schlüsselbegriff dieser E t h i k ist das Sittengesetz, welches nach A r t . 2 A b s . 1 G G den Freiheitsb e g r i f f des Grundgesetzes definiert. Sittlichkeit ist aber das prägende Prinzip der R e p u b l i k ; denn das Grundgesetz ist die "Verfassung der Freiheit" (Friedrich

August

von Hayek) 25.

D i e Freiheit, d.i. die A u t o n o m i e des W i l -

lens, ist die W ü r d e des Menschen, die A r t . 1 Abs. 1 S. 1 G G für unantastbar u n d die zu achten u n d zu schützen S. 2 der grundgesetzlichen Fundamentalnorm zur Verpflichtung aller staatlichen G e w a l t e r k l ä r t 2 6 .

bestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor dem im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, der Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition." Dazu auch 1. Teil, 3. Kap., S. 19 ff., insb. S. 39 ff. 24 Vgl. K. Stern, Staatsrecht I, S. 582, der das Prinzip der Republik auf das Verbot der Monarchie begrenzt (S. 565, vgl. 1. Teil, 2. Kap., S. 11 ff.) und als solches zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung rechnet, nicht aber wie der Text diese Ordnung im Prinzip der Republik definiert sieht; J. Isensee, JZ 1981, 8; K. Low, DÖV 1979, 821; i.d.S. W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 16; ders., HVerfR, S. 173 ff.; kritisch W. Schmidt, AöR 106 (1981), S. 520 Fn. 97. 25 F.A. v. Hayek , Die Verfassung der Freiheit, 3. Aufl. 1991, 1971, S. 225 f.; wie der Text K. Stern, Staatsrecht I, S. 571 f., auch S. 788 ff.; ebenso W. Maihofer, HVerfR 1983, S. 173 f. (mit Bezug auf die Äußerungen von Th. Heuss, Η. v. Mangoldt und Carlo Schmid im Parlamentarischen Rat). 26 I.d.S. BVerfGE 5, 85 (204); W. Maihofer, HVerfR., S. 194 ff.; M. Kriele, HVerfR, S. 129; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 99 ff., 138 ff. m.w.H.; auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 244; zur Menschenwürde K. Stern, Staatsrecht III, 1, Allgemeine Lehren der Grundrechte, 1988, S. 3 ff., der die aufklärerische Grundlegung des grundgesetzlichen Menschenwürdeprinzips, insb. die kantianische in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, zugunsten der Herleitung aus der christlichen Theologie, nämlich der Gottesebenbildlichkeit des Menschen zurückdrängt, S. 8 ff.; richtig im aufklärerischen Sinne Maihofer, a.a.O., der zu Recht herausstellt, daß die Aufklärung nicht nur eine griechische, humanistische, sondern auch eine christliche Tradition hat, aber sich auch gegen die christlichen Kirchen behaupten mußte. Ch. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl., Bd. 1, 1985, S. 25 ff., stellt die Verschränkungen der humanistisch-griechischen, christlichen und aufklärerischen Entwicklungsgeschichte des Menschenwürdeprinzips richtig heraus; ebenso P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. I, S. 834 f., 848, der namentlich Kant als "Vollender dieser Gedanken" heraushebt; vgl. auch W. Vitzthun, Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, JZ 1985, 201 ff.; zum Menschenwürdeprinzip wesentlich G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 1 ff. zu Art. 1 Abs.

8

1. Teil: Republikanische Orientierung

"Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur." - Kant 27 Die "Kultur der Menschenwürde" ist "die Kultur der Freiheit." - Peter Häberle 28 Die freiheitliche Moral, die innere Freiheit als die Pflicht zur Sittlichkeit 2 9 , ist die republikanische Tugend der Brüderlichkeit 30 . Deren empi-

I GG (1958) i.S. der personalen Ethik, die auf christlichen Wertgedanken gründe (Rdn. 15 mit Fn. 2). 27 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69; K. Stern, Staatsrecht III, 1, S. 8 f., meint, Kant billige die Würde nicht dem einzelnen Menschen, sondern nur der "Menschheit schlechthin", "der (autonomen) Sittlichkeit", mithin "einem objektiven Prinzip" zu, und verkennt dadurch die kantianische Prägung des Grundgesetzes, die aber in vielen weiteren zentral kantianischen Begriffen, wie insb. "Sittengesetz", "Persönlichkeit", "Gewissen", zum Ausdruck kommt. Folglich kennt Sterns Freiheitsbegriff auch die mit dem Sittengesetz in Art. 2 Abs. 1 GG angesprochene innere Freiheit, der Pflicht zur Sittlichkeit, nicht und verfehlt die grundgesetzgemäße Freiheits- und Grundrechtslehre. Willensautonomie steht unter dem kategorischen Imperativ, der spezifisch jeden einzelnen Menschen anweist, "pflichtgemäß, aus Pflicht" zu handeln (Kant, Metaphysik der Sitten, S. 521). 'Subjektiver', stärker auf jeden Einzelnen bezogen als das kantianische Moralprinzip kann ein Prinzip der Sittlichkeit schlecht sein, dem denn auch Solipsismus vorgeworfen wird (KO. Apel, zu Unrecht, vgl. Kant selbst a.a.O., S. 586). Die Erkenntnis des kantianischen Charakters der grundgesetzlichen Autonomielehre ist freilich folgenreich (richtig W. Maihofer, (u.a.) HVerfR, S. 194 ff.; vgl. dazu KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff., 104 ff., 107 ff.). Stern beruft sich auf E. Fechner, Menschenwürde und generative Forschung und Technik, JZ 1986, 654 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 1 ff. zu Art. 1 Abs. 1, S. 25 ff., sieht den kantianischen Ursprung, zieht aber ausweislich seines materialen Begriffs des Sittengesetzes (S. 168 ff., Fn. 24 ff. zu Art. 2 Abs. 1) und seiner Grundrechtstatbestands/-schrankenlehre (Fn. 170 ff. zu Art. 1 Abs. 3, S. 118 ff., auch Fn. 13 ff. zu Art. 2 Abs. 1 GG, S. 160 ff.) auch nicht die autonomierechtlichen Konsequenzen. 28 HStR, Bd. I, S. 848, in der Sache nach kantianischer Konzeption, dessen "institutionelles Verständnis der Grundrechte", in: Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Auflage 1983, dem menschenwürdegerechten und damit dem grundgesetzlichen Freiheitsbegriff nicht ganz gerecht wird (dazu 5. Teil, 1., 2. und 3. Kap., S. 253 ff., 259 ff., 275 ff.), vor allem weil er sich durch ein materiales Verständnis des Sittengesetzes als gute Sitten (S. 21, 27, 37, 405) den Zugang zur Formalität der Freiheit versperrt; richtig aber ders., Ethik "im" Verfassungsrecht, Rechtstheorie, 21 (1990), S. 269 ff., 277 ff. und ders., Föderalismus, Regionalismus, Kleinstaaten in Europa, Die Verwaltung 25 (1992), S. 13. 29 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 66, 69, 74 u.ö.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, ed. Weischedel, Bd. 6, S. 144; dazu KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104 ff. 30 Zur Begriffsgeschichte von Brüderlichkeit, insb. als Gesinnungsbegriff und als moralische Kategorie W. Schüder, Brüderlichkeit, Bruderschaft, Verbrüderung, Bruderliebe, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, 1972, S. 552 ff.; i.S.d. Textes W. Maihofer, HVerfR, S. 224 ff.; durchaus auch P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 843 ("Der Bezug zum 'Anderen', 'Nächsten', dem 'Du' und 'Bruder' (i.S. der Brüderlichkeit von 1789), heute auch der "Schwester", ist integraler Bestandteil des Grundrechtssatzes der Menschenwürde"); eindrucksvoll die Beiträge in: H.J.

1. Kap.: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als republikanische Prinzipien

9

risch erfahrbare Voraussetzung ist eine spezifische H o m o g e n i t ä t der i n der R e p u b l i k vereinigten Menschen, die durch ihre Aufgeklärtheit charakterisierte B ü r g e r l i c h k e i t der B ü r g e r 3 1 . Freiheit u n d Frieden, Recht u n d Staat erfordern bürgerliche H o m o g e n i t ä t u n d gebieten freiheitliche, unparteiliche Moralität. " D e r Friede ist die politische Kategorie schlechthin." - Dolf

Sternber-

ger 32 "Friede u n d Schutz" sind "der allgemeine E n d z w e c k eines Staates." Hobbes 33 " U n p a r t e i l i c h k e i t ist der K e r n der Gerechtigkeit." - Martin D e r parteiliche Parteienstaat ist darum r e p u b l i k w i d r i g

35

34

Kriele .

All

das ist

auszuführen. "Liberté, égalité, fraternité" ist der Wahlspruch der Französischen R e v o l u t i o n und seither jeder Repub l i k , n i c h t nur der Französischen ( A r t . 2 Abs. 4 Verfassung 1958) 3 6 .

Schulz (Hrsg.), Brüderlichkeit. Die vergessene Parole, 1976; dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 31 Dazu 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff. 32 Der Begriff des Politischen, 1961, S. 18; zur Friedensfunktion des Rechts H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., 1966, S. 714 ff.; Ch. Starck, Frieden als Staatsziel, in: FS Karl Carstens, 1984, S. 867 ff., ders., Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, HStR, Bd II., S. 5; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 29; auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 22; Hobbes, Leviathan, ed. Mayer/Disselhorst, Reclam, 1970/80, S. 155 ff., 160, 193 u.ö. 33 Hobbes, Leviathan, S. 155 ff., 160, 193 u.ö. 34 Die demokratische Weltrevolution, S. 93 u. ff.; ders., HVerfR, S. 151; auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 31 ("Unparteilichkeit und Willkürfreiheit"). Unparteilichkeit ist auch ein Herzstück der "Gerechtigkeit als Fairneß" in der Theorie von J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 19 ff., 34 ff., 211 ff., 217 ff., 513 f., ihr dient der "Schleier des Nichtwissens" (S. 37 u.ö., insb. S. 159 ff., 561), der die eigenen Interessen und Neigungen bei der Beurteilung der Grundsätze außer Acht zu lassen helfen und im kategorischen Imperativ Kants enthalten sein soll (S. 159 f. Fn. 18). 35 Dazu 10. Teil, 3. und 4. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 36 I.d.S. W. Maihofer, HVerfR, S. 194 ff., 224 ff., 237; dazu E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, 2. Aufl. 1980, S. 175 ff. ("Aporien und Erbe an der Trikolore"). I.d.S. auch M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 49 ff.; auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 329 ff.; zur republikgeschichtlichen Bedeutung der Französischen Revolution W. Mager, Republik, S. 596 ff.; zum "Menschenrecht nach Glück zu streben", zum "right" of "persuit of happiness" der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1876 D. Sternberger 1966 im gleichnamigen Aufsatz in: ders., "Ich wünschte, ein Bürger zu sein", 1967, S. 131 ff.

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1. Teil: Republikanische Orientierung

"Auch unser Grundgesetz ist erfüllt von diesem Geist der Freiheit Gleichheit - Brüderlichkeit!" - Werner Maihofer' 1 Republikanischen Geist atmet Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen." "Republik nenne ich deshalb jeden durch Gesetze regierten Staat, ..." "Jede gesetzmäßige Regierung ist republikanisch." - Jean-Jacques Rousseau38 "Zweitens, die Mitglieder einer wohlgeordneten Gesellschaft sind freie und gleiche moralische Personen und betrachten sich selbst und andere in ihren politischen und sozialen Beziehungen (soweit diese für die Gerechtigkeitsfrage relevant sind) als solche." - John Rawls 39

37 HVerfR, S. 237; ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 16 in Fn. 3; P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 839 ff.; K.A. Schachtschneider, Frei-sozial-fortschrittlich, S. 17; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 264, erwartet "Freundschaft zwischen den Bürgern"... "als Ethos der politischen Kultur", das er als Brüderlichkeit i.S. seines "Unterschiedsprinzips" (S. 95 ff.) begreift. 38 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41; ganz i.d.S. K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 127 ff., 145. 39 Kantischer Kontstruktivismus in der Moraltheorie, S. 88; zu Rawls Analogie zu Kants politischer Philosophie ders. daselbst S. 82; zur Gleichheit in der Freiheit auch 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff.

2. Kap.: Republikanisches versus monarchisches Prinzip

11

2. Kapitel Republikanisches versus monarchisches Prinzip Georg Jellinek definiert die Republik als "Nicht-Monarchie", als "Mehrherrschaft im Gegensatz zur Einherrschaft" 40 . Nicht anders stellt Carl Schmitt mit Machiavelli die Staatsform Republik allein in einem Gegensatz zu der der Monarchie und weist das aristotelische und kantianische Verständnis der Politie bzw. der Republik als "idealen Staat", als "bürgerlichen", "gewaltenteilenden Rechtsstaat" zurück 41 . Auch in der gegenwärtigen Staatsrechtslehre wird das republikanische Prinzip meist auf das Verbot der Monarchie reduziert 42 . Das Menschenwürdeprinzip, materialisiert in der Entscheidung für die allgemeine Gleichheit in der Freiheit, findet jedoch seine staatliche Form ausschließlich in der Republik. Davon waren der amerikanische Unabhängigkeitskampf und die Französische Revolution beseelt 43 . Der Republikanismus ist die Lehre der Aufklärer, vor allem des 18. Jahrhunderts. "Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein." Kant u. Der "bürgerliche Zustand" aber ist a priori auf die Prinzipien "Freiheit jedes Gliedes der Sozietät, als Menschen, ... Gleichheit desselben mit jedem anderen, als Untertan", und "Selbständigkeit jedes Gliedes eines gemeinen Wesens, als Bürgers" gegründet. - Kauf 5

40

Allgemeine Staatslehre, S. 710 ff., insb. S. 711 f.; so auch R. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 7 ff.; so auch G. Anschütz, Anm. 1 zu Art. 1 WRV; dagegen schon R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 221. E. Bernatzik, Republik und Monarchie, S. 35 ff., 39 ff., unterscheidet Monarchie und Republik danach, ob das Recht zu herrschen auf eigenem Recht beruht oder nicht, vielmehr im fremden Namen (dem des Gemeinwesens) als Amt/Organ ausgeübt wird. Zur Begriffsgeschichte monarchischer und antimonarchischer Republik W. Mager, Republik, S. 549 ff., insb. S. 580 ff.; vgl. auch K. Low, DÖV 1979, 819 ff. 41 C. Schmitt, Verfassungslehre S. 223 f.; N. Machiavelli , II principe, ed. Ziegler, 1833, 1. Kap., S. 119; i.d.S. auch R. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 9; zum Republikbegriff Machiavellis W. Mager, Republik, S. 596. 42 Etwa K. Stern, Staatsrecht I, S. 575 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 947; dagegen richtig J. Isensee, JZ 1981, 1 ff.; auch ders., in der Tendenz, Republik, Staatslexikon, S. 883 f.; W. Henke, JZ 1981, 249 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 867 ff. 43 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 722; näher dazu W. Mager, Republik, S. 589 ff., 596 ff. 44

Zum ewigen Frieden, S. 204 (auch zum Freiheits- und Gleichheitsaspekt), ebenso S. 241; nicht anders Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41 f.; vgl. W. Maihofer, HVerfR, S. 190. 45 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 ff.

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1. Teil: Republikanische Orientierung

Eine Lehre der Freiheit ist somit zugleich eine solche der Republik. Die bloße Entgegensetzung von Republik und Monarchie verliert die allgemeine Freiheit und damit die Menschenwürde aus dem Blick und kann darum dem republikanischen Prinzip des Grundgesetzes nicht gerecht werden. Wegen der Restriktion des Republikbegriffs haben sich das demokratische, das rechtsstaatliche und auch das soziale Prinzip in den Bereich des republikanischen Prinzips ausgedehnt, ohne der res publica gerecht werden zu können. Das rechtfertigt Ernst-Wolfgang Böckenförde 46, indem er dem "inhaltlichen Begriff der Republik" (im ciceronischen Sinne) die "staatsrechtlich-dogmatische Relevanz" abspricht. Das Grundgesetz verfaßt Deutschland nicht als Monarchie. Nach dem 2. Weltkrieg gab es keine ernstzunehmende Initiative für eine Erneuerung der Monarchie in Deutschland. Für eine Institutionalisierung der Monarchie hätte es einer Regelung in der Verfassung bedurft, zumal nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG i.S.d. demokratischen Prinzips "alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht" 47 . Das republikanische Prinzip auf die Abwehr der Monarchie zu restringieren, heißt, diesem jeden regelnden Gehalt abzusprechen und unterscheidet sich dogmatisch nicht von der Lehre, welche Republik und Staat begrifflich identifiziert. Das ist allenfalls tragfähig, wenn der Begriff Staat republikanisch 48 , nicht aber, wenn unter Staat in Anlehnung an die völkerrechtliche Begrifflichkeit jedes verfaßte Gemeinwesen mit Gebiet, Volk und Gewalt oder eben die Einheit von Land, Leuten und Herrschaft 49 verstanden wird. "Der Bundespräsident" hat im übrigen seine Regelung in Art. 54 ff. GG gefunden 50 . Er ist kein Staatsoberhaupt 51, schon gar nicht ein Monarch.

46

HStR, Bd. II, S. 947 f. Dazu 1. Teil, 1. und 3. Kap., S. 1 ff., 14 ff., insb. S. 64 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff. 48 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; auch 2. Teil, 1. und 11. Kap., S. 71 ff., 153 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 49 Dazu R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 59, S. 52 ff.; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 231 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 83 ff., 97 ff.; Λ. Verdross , Völkerrecht 5. Aufl. 1964, S. 191 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 294 ff., zur Relativität des Staatsbegriffs, insb. S. 298. 50 Auf dieses Argument gegen die Reduzierung des Republikbegriffs auf die Entscheidung gegen eine Monarchie weist auch W. Henke, HStR, Bd. I, S. 867, hin. 47

2. Kap.: Republikanisches versus monarchisches Prinzip

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Das republikanische steht dem monarchischen Prinzip entgegen, nicht einem Königtum, das republikanisch sein kann 52 , wie die Geschichte und einige europäische Nachbarländer es beweisen. Ein König muß kein Herrscher sein. "Republik nenne ich deshalb jeden durch Gesetze regierten Staat, gleichgültig, unter welcher Regierungsform dies geschieht: weil nur hier das öffentliche Interesse herrscht und die öffentliche Angelegenheit etwas gilt. Jede gesetzmäßige Regierung ist republikanisch. ... Ich verstehe unter diesem Begriff nicht nur eine Aristokratie oder eine Demokratie, sondern ganz allgemein jede Regierung, die vom Gemeinwillen geleitet wird, der das Gesetz ist. Um gesetzmäßig zu sein, muß die Regierung nicht mit dem Souverän zusammenfallen, sondern sie muß dessen Sachwalter sein: dann ist selbst die Monarchie republikanisch." - Rousseau 53 Das monarchische Prinzip hingegen kennzeichnet die fürstliche Herrschaft, die den Absolutismus als deutschen zugleich liberalen Konstitutionalismus ablöst 54 . Eine Monarchie als Herrschaftsform kann und sollte nach Kant republikanisch regiert werden 55 , ist aber keine Republik als vollendete Form des Politischen, der bürgerlichen Freiheit. Das republikanische Prinzip gebietet auch, die vielen vom monarchischen Prinzip bestimmten Konstitutionalismen, die in unserer Rechtsordung noch

51 So aber W. Henke, HStR, Bd. I, S. 867; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 191; R. Herzog, in: Maunz/Diirig, GG, Rdn. 3, 14 zu Art. 54; vgl. insb. die Erörterungen der Deutschen Staatsrechtslehrer 1966 in Graz, mit den Berichten von O. Kimminich und R Pernthaler (verfassungstheoretisch), Das Staatsoberhaupt in der parlamentarischen Demokratie, VVDStRL 25 (1967), S. 2 ff. bzw. 95 ff., (Kimminich S. 2 f. u. S. 88 kritisch zum "Ober-Titel", "an sich häßliches Wort"), die den Begriff als solchen nicht in Frage gestellt hat; richtig K. Schiaich, Die Funktionen des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge, HStR, Bd. II, S. 581 f. 52 Cicero, De re publica, S. 296 f.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41; R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 221; auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 223 f.; R. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 12 ff.; R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 220; auch J. Isensee, JZ 1981, S. 2 mit Fn. 2, S. 8; i.d.S. auch Κ Low, DÖV 1979, 819 ff., 812 f.; W. Henke, Recht und Staat, S. 367 f.; dazu W. Mager, Republik, vor allem S. 580 ff.; vgl. auch zur Organschaft des Monarchen E.-W. Böckenförde, Organ, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, 1978, S. 619. 53 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41. 54 Dazu R. Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates bis 1866, HStR, Bd. I, S. 13 ff.; E.R. Huber, Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung, HStR, Bd. I, S. 51 ff.; vgl. auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 156 ff. 55 Zum ewigen Frieden, S. 206 ff.; vgl. H. Maier, Demokratie, S. 847; R. Koselleck, Demokratie, S. 850 f.; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 279 ff., 291 ff.

14

1. Teil: Republikanische Orientierung

bestehen, zu überwinden, e t w a das überaus wirksame u n d folgenschwere Fiskusdogma56.

3. Kapitel Die demokratische Republik als Form des Politischen I.

D i e bürgerliche Staatlichkeit

1. D e r fundamentale politische Satz des A r t . 20 Abs. 2 S. 1 G G : " A l l e Staatsgewalt geht v o m Volke aus", stellt klar, was eine Verfassung der Menschenwürde ( A r t . 1 Abs. 1 S. 1 G G ) u n d damit eine Verfassung der Freiheit ( A r t . 2 Abs. 1 G G ) nicht anders regeln d a r f 5 7 . Es darf keine Herrschaft über das V o l k geben; denn Herrschaft u n d Freiheit sind unvereinbar 5 8 . Herrschaft besteht aus Befehl u n d G e h o r s a m 5 9 . Oboedientia facit imperantem. " W e n n daher das V o l k einfach verspricht, zu gehorchen, löst es sich durch diesen A k t auf u n d verliert seine Eigenschaft als V o l k . " - Rousseau60 Das V o l k hat unter dem Grundgesetz keinem Herren zu gehorchen, sondern die allgemeinen Gesetze, seine eigenen Gesetze also, zu achten. D i e

56 Dazu mein Staatsunternehmen und Privatrecht. Kritik der Fiskustheorie, exemplifiziert an § 1 UWG, 1986, der sich H.H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, HStR, Bd. I, S. 1208, und Κ Slapnicar, Buchbesprechung, Staatsanzeiger für das Land Hessen, 1988, S. 1239, angeschlossen haben. Gegen das Fiskusdogma vorher schon H. Krüger, Die öffentlichen Massenmedien als notwendige Ergänzung der privaten Massenmedien, 1965, S. 82 f.; ders., Von der Reinen Marktwirtschaft zur Gemischten Wirtschaftverfassung, 1966, S. 27; ders., grundlegend, Allgemeine Staatslehre, S. 323 ff., auch S. 897 f.; so auch J. Burmeister, Verträge und Absprachen zwischen Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 (1993), S. 210 f., 213 ff., insb. 218; ders. schon, Der Begriff des Fiskus in der heutigen Verwaltungsrechtsdogmatik, DÖV 1975, 695 ff.; allgemein gegen die Rückstände monarchischer Staatslehre in der "freiheitlichen res publica" des Grundgesetzes P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 127. 57 G. Häberle, HStR, Bd. I, S. 846, stellt den Vorrang der "Menschenwürdegarantie" vor der "überlieferten Volkssouveränitätsklausel" heraus, Art. 1 GG "korrigiere" den Art. 20 Abs. 2 GG. 58 Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 7. u. 11. Kap., S. 124 ff., 153 ff. 59 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28, 122, 541 ff., 544; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 4 f., 236 u.ö.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 604 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 188, insb. S. 837 ff., 940 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 53; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 627 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., 299, 389, 567 u.ö.; dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 79 ff. mit weiteren Hinweisen in Fn. 40. 60 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 28; ganz so J. Locke, Über die Regierung, S. 101 f.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

15

Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens ist keine Herrschaft. Sie ist die Staatlichkeit, die Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG mit dem Wort "Staatsgewalt" anspricht 61 . Klaus Stern leitet demgegenüber seine herrschaftliche Demokratielehre mit folgendem Satz ein: "Das demokratische Prinzip konstituiert die 'Staatsgewalt' (Art. 20 Abs. 2 GG); es formt also (Herv. von mir) ein Herrschaftssystem, innerhalb dessen 'befohlen und gehorcht werden muß, nicht etwa ein willkürliches Durcheinander und hemmungsloses Mitbestimmen jedes Bürgers zu jeder Zeit'." - Klaus Stern 62 Ordnung ist nicht schon Herrschaft 63 . Wie sich aber "Herrschaft von unten nach oben, nicht von oben nach unten präsentieren soll", wie Stern die Herrschaft in der Demokratie gegenüber der "im absoluten Staat und in der Diktatur" kennzeichnet 64 , ist unerfindlich, zumal Stern seine demokratische Herrschaftslehre auf die Erfahrung des "ehernen Gesetzes der Oligarchie" stützt 65 . Reinhold Zippelius lehrt nichts anderes: "Staatsgewalt ist immer Herrschaft über Menschen" 66 . Wilhelm Henke sieht "den Sinn jedes Staates in der Vereinigung von Herrschaft und Gerechtigkeit" 6 7 . Wie viele erkennen Josef Isensee und Konrad Hesse in der "Demokratie" eine "Form der staatlichen Herrschaft", "Herrschaft von Menschen über andere Menschen", wenn auch nicht "Herrschaft aus eigenem Recht" 68 .

61

Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 328 ff. Staatsrecht I, S. 605 m.H., nur nicht auf C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 4 f., 236, dessen Gedankengut Stern damit auch übernimmt; nicht anders in der Sache P. Badura, GG, Bonner Komm., Rdn. 29 zu Art 38. 63 Dazu 2. Teil, 7. und 11. Kap., S. 131, 153 ff.; auch 2. Teil, 9. Kap., S. 139 ff.; so aber Ρ Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, HStR, Bd. V, S. 864 f. 64 Staatsrecht I, S. 605. 65 Staatsrecht I, S. 604. 66 Allgemeine Staatslehre, S. 70. 67 Recht und Staat, S. 300, auch S. 251 ff., 387 ff., 620 ff., der eine prononcierte auf die vermeintliche Ungleichheit der Menschen gegründete Herrschafts lehre ausbreitet, die das allgemeine Gesetz als Ausdruck des allgemeinen Willens, der volonté générale, und damit der freiheitlichen Staatlichkeit als "Experiment schwärmerisch-demokratischer Herrschaftslosigkeit" (a.a.O., S. 621) zurückweist (etwa a.a.O. S. 620 ff.), weil die fallbezogene, personale Gerechtigkeit das menschliche Miteinander, welches durch den Streit gekennzeichnet sei, befriede (a.a.O., S. 173 ff., 607 ff.). 62

16

1. Teil: Republikanische Orientierung

Auch das Bundesverfassungsgericht begreift die "Ausübung der Staatsgewalt" als "staatliche Herrschaft" 69 . Die Lehre von der Herrschaftsfreiheit wird durch das althergebrachte Schlagwort von der "Herrschaft der Gesetze" verschleiert, das keine Herrschaft von Menschen über Menschen legitimiert, sondern i m Gegenteil jede Art von personaler Herrschaft zurückweist 70 . Das Volk als die Gemeinschaft der Bürger, die Bürgerschaft also, gibt seiner Freiheit eine Verfassung, wie etwa die des Grundgesetzes. Diese Verfassung ist die Grundlage aller Staatlichkeit. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bewahrt dem Volk die verfassungsgebende Gewalt, den "pouvoir constituant" 7 1 , die nur ein Herr dem Volk nehmen könnte, der das Volk unterjocht. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG deklariert damit das Selbstbestimmungsrecht des Volkes 72 . Die Staatlichkeit des Volkes ist Sache des Volkes. Res publica res populi. Als Bürgerschaft ist das Volk Rechtssubjekt des Staatlichen 73 , der allgemeinen Gesetzlichkeit also. Das (notwendig) verfaßte Volk, die Bürgerschaft, ist der Staat im weiteren Sinne 74 ; denn: "Der Staat, das sind wir" 7 5 . Der Staat ist eine Einrichtung von Menschen für die Verwirklichung des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit 76 .

68

J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 628, auch 605 ("effektive und organisierte Herrschaftsgewalt, innere Souveränität"), 644, 652 u.ö.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 134, S. 53; i.d.S. auch W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., 365 ff.; weitere Hinweise dazu in Fn. 188, 2. Teil, 6. Kap., S. 106. 69 BVerfGE 83, 37 (52); 83, 60 (72). 70 Dazu 2. Teil, 10. Kap., S. 145 ff.; auch 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 71 Dazu J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 591 ff., 683 ff.; W. Henke, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes in Lehre und Wirklichkeit, Der Staat 7 (1968), S. 167 ff.; ders., Staatsrecht, Politik und verfassungsgebende Gewalt, Der Staat 19 (1980), S. 181 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 143 ff., 151 ff.; ders., Staatsrecht II, S. 4; D. Murswiek, Die verfassungsgebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1978; ders., Maastricht und der pouvoir constituant, Der Staat 32 (1993), S. 161 ff., insb. S. 168 ff., 176 ff.; dazu 6. Teil, 3. Kap., S. 455 ff. 72 I.d.S. E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 890 f.; vgl. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 59 f. 73 I.d.S. auch BVerfGE 83, 37 (50) ("Träger und Subjekt der Staatsgewalt"), ebenso i.d.S. BVerfGE 83, 60 (71). 74 So auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 654, als "republikanische Sicht" der "Einheit von Staatsgewalt und Bürgerfreiheit", die er sich nicht zu eigen macht, vielmehr den "realen Staat" als "notwendig verfaßten Staat" versteht (a.a.O., S. 592 f.); der Staat ist aber Verfaßtheit, es gibt keinen Staat ohne Verfassung, wie Isensee meint (a.a.O., S. 595, 602). 75 Friedrich Naumann, vgl. Fn. 2, S. 13.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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Die gemeinsame Verfassung qualifiziert die durch sie zu einem "gemeinen Wesen" (Kant) vereinigten Menschen zu Bürgern und die so begründete Bürgerschaft zum Volk. "Ein Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen." - Kant 11 "Der weite, integrierende Staatsbegriff entspricht der republikanischen Tradition, der Amtsgewalt (res publica) und Sache des Volkes (res populi) als Sinneinheit gelten." - Josef Isensee 1* Ganz so hat Carlo Schmid Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG konzipiert, als Klarstellung dessen nämlich, daß "Volk und Staat nicht verschiedene Dinge" seien, daß "letzte irdische Quelle der Gewalt im Staate das konkret lebende Volk, die Summe der jeweils lebenden einzelnen Deutschen", daß die "obrigkeitlichen Befugnisse" "auf dem Konsens des Volkes beruhen" würden 79 . 2. Die Sätze 1 und 2 des Art. 20 Abs. 2 GG unterscheiden richtig zwischen dem bürgerschaftlichen Selbstbestimmungsprinzip, der, wenn man so will, "Staatsträgerschaft" 80, besser: der Willensträgerschaft, einerseits und den Grundsätzen der Ausübung der Staatsgewalt andererseits. Aber auch die Ausübung der Staatsgewalt bleibt Sache des Volkes; denn das Volk übt die Staatsgewalt entweder unmittelbar "in Wahlen und Abstimmungen" oder mittelbar "durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt oder der Rechtsprechung" aus. Die Ausübung der Staatsgewalt durch Organe ist Ausübung der Staatsgewalt durch Vertreter des ganzen Volkes (argumentum aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) als einer Form der

76 Dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 346, 350 ff.; 7. Teil, 4. und 6. Kap., S. 574 ff., 625 ff. 77 Metaphysik der Sitten, S. 431. 78 HStR, Bd. I, S. 654, der aber, wie gesagt, diese "republikanische Sicht" nicht übernimmt, sondern eine demokratisch-liberale Lehre der "Distanz" von Staat und Gesellschaft, in der er "einen verfassungsrechtlichen Kunstgriff der Freiheitsgewähr" erkennt (a.a.O., S. 653), vertritt, weil diese Freiheit und damit die "freiheitliche Demokratie"... "konstituiere" (a.a.O., S. 655), die Konsequenz aus der (irrigen) Annahme, Demokratie sei "staatliche Herrschaft" (a.a.O., S. 628, 644, 655 u.ö.); republikanisch aber K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 133, S. 53, obwohl auch Hesse die Demokratie als Herrschaft begreift (a.a.O., Rdn. 134, S. 53); zur liberalistischen Konzeption der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. 79 80

Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 198 f. Vgl. die Hinweise in Fn. 86.

2 Schachtschneider

18

1. Teil: Republikanische Orientierung

Selbstausübung der Staatsgewalt, als einer, wenn man so will, identitären Form des Staatlichen, wie die Lehre von der Organschaft erhellt 81 . Keinesfalls überträgt das Volk irgendein Recht zur Herrschaft auf den Staat oder dessen Organe. Das Volk kann ein solches Recht zur Herrschaft nicht übertragen, weil es sich zur Verwirklichung der allgemeinen Freiheit vereinigt, nicht zur Herrschaft. Im übrigen verfügt das Grundgesetz in keiner seiner Vorschriften eine Übertragung der Staatsgewalt vom Volk auf die Staatsorgane. Es regelt vielmehr die organschaftliche Vertretung des Volkes bei dessen Ausübung der Staatsgewalt. Die Institutionen, welche die Staatsgewalt ausüben, sind in ihrer Gesamtheit der Staat im engeren Sinne. Demgegenüber wird meist gelehrt, Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG legitimiere als Prinzip der Volkssouveränität die Herrschaft "für das Volk", die aber "im Interesse des Volkes" ausgeübt werden müsse 82 . Die Formulierung: "... geht vom Volke aus", ist nicht ergiebig; denn wenn die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, fragt es sich, zu wem hin sie geht. Das Grundgesetz benennt dafür niemanden, im Gegenteil, es beläßt die Staatsgewalt beim Volk, das sie selbst ausübt, wie S. 2 klarstellt. Die Legitimationskette vom Volk zu den Volksvertretern durch Wahlen und Berufungen, welche für die demokratische Legitimation der Staatsgewalt gefordert wird 8 3 , allein genügt der Verfassung der Republik nicht, die Staatsgewalt muß nicht nur personell, sondern auch sachlich, soweit als möglich, vom Volk ausgehen, d.h. sie muß durchgehend durch Rechtsakte begründet sein. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", wenn die Staatlichkeit des gemeinsamen Lebens durchgehend auf Verfassung und Gesetz beruht, wenn also dem Prinzip des umfassenden Gesetzesvorbehalts genüge getan ist 84 . Eine solche Lehre wahrt die Tradition Rousseaus, wonach das Volk seine Souveränität in der "volonté générale" verwirklicht 85 .

81 Dazu 8. Teil, 1., 2., 3. u. 4. Kap., S. 647 ff., 687 ff., 527, 715, 707 f., insb. S. 719 ff., 735 ff. 82 K. Stern, Staatsrecht I, S. 592 ff., 604 ff.; vgl. auch ders., Staatsrecht II, S. 20 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 888 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 968 ff.; M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 60, der aber nur von "alle Staatsgewalt" spricht. 83 BVerfGE 47, 253 (275); 52, 95 (112, 120, 130); 77, 1 (40); 83, 60 (71 ff.) (relativierend); E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 894, 896 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 593 f.; ders., Staatsrecht II, S. 23; R. Herzog, in: Maunz/Dürig Rdn. 46 ff. zu Art. 20 II; weitere Hinweise in Fn. 348 und 350, S. 66. 84 Dazu 6. Teil, 5. Kap., S. 472 ff. (zur ultra-vires-Lehre); auch 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 519 f., 560 ff.; i.d.S. auch BVerfGE 83, 60 (71 ff.); vgl. dazu Fn. 395, 9. Teil, 2. Kap., S. 891. 85 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 27 ff.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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Auch das Volk als "Träger der Staatsgewalt" oder als "Ursprung staatlicher Herrschaft" zu bezeichnen 86 irritiert; denn es bringt eine Trennung des Volkes von dem Staatlichen zum Ausdruck. "Volk und Gesellschaft sind nicht dasselbe. Das Volk ist in der Demokratie Ursprung staatlicher Herrschaft, die Gesellschaft dagegen ihr Objekt." - Josef Isensee %1 Dem Volk wird nur eine legitimatorische Relevanz für die staatliche Herrschaft, die Staatsgewalt, zugestanden88, die sich in den Wahlen realisiere und nach Isensee sogar in diesen "als demokratische Freiheit" erschöpfe 89 . Demokratische Legitimation des Staatlichen ist als Begriff nicht republikgemäß, weil Freiheit, die sich staatlich verwirklicht, kein Legitimationsprinzip für Herrschaft von wem auch immer ist. Nur Herrschaft bedarf der Legitimation 90 . 3. Jedenfalls muß die Interpretation des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG das fundamentale Prinzip der gleichen Freiheit aller 91 wahren, welches eine Identifizierung des Begriffs Staatsgewalt mit irgendeinem Begriff Herrschaft verbietet 92 . Die die herrschende Verfassungslehre bestimmende begriffliche Identifizierung von Staatsgewalt und Herrschaft nährt sich aus der empiristischen Ideologie, es gebe keine Staatlichkeit ohne Herrschaft 93 . Begrifflich erfaßte Phänomene der Verfassungswirklichkeit verdrängen das Verfassungsgesetz. Ernst-Wolfgang Böckenförde schreibt: 86 K. Stern, Staatsrecht I, S. 592 f., 604; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 890, 893, 903, 909, 921, 926 ff.; M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 60; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 655; BVerfGE 83, 37 (50); 83, 60 (71, aber auch "Subjekt" der Staatsgewalt). 87 HStR, Bd. I, S. 655. 88 So vor allem M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, 1967, S. 31, 138 ff. ("Demokratie als Idee erweist sich als bestimmtes Legitimitätsdenken", S. 139). 89 HStR, Bd. I, S. 655; so auch in der Sache R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 176 ff., 182, 187 ff. 90 Dazu S. 36 ff.; 2. Teil, 4. und 7. Kap., S. 100 ff., 124 ff.; insb. das Zitat von E.-W. Böckenförde, unten 2. Teil, 7. Kap., S. 130; ders., HStR, Bd. I, S. 888 ff., 893 ff., 903 ff.; ders., HStR, Bd. II, S. 36 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 954, 968 f.; vgl. zur "Legitimation der Herrschaft durch die Mehrheit des Volkes" K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 153 ff., S. 60 ff.; zum Streben jeder "Herrschaft nach Legitimität" G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 140 ff., der Repräsentation als Herrschaft versteht. 91 Hinweise in Fn. 18, 1. Teil, 1. Kap., S. 4; auch 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 996 ff. 92 So aber beispielhaft, E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 888 f., 893; ders., HStR, Bd. II, S. 35; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 968 f.; K. Stern , Staatsrecht I, S. 605 u.ö.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 605, 628, 644, 655 u.ö.; W. Henke, Recht und Staat, S. 299 f., 387 ff. 93 Hinweise dazu Fn. 5, 2. Teil, 1. Kap., S. 72 f., Kritik dieser Ideologie insb. 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.

2*

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1. Teil: Republikanische Orientierung

" M i t dem Kernsatz 'Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus'(Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) knüpft das Grundgesetz bei der Bestimmung der Staatsform ausdrücklich an das Prinzip der Volkssouveränität an. Es proklamiert das Prinzip zum verbindlichen Leitgedanken für die Konstituierung der Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland". "Das Prinzip der Volkssouveränität wird von einem doppelten Gedanken getragen: politische Herrschaftsgewalt - Herrschaft von Menschen über Menschen - ist nicht einfach vorgegeben und hinzunehmen, bedarf vielmehr einer sie rechtfertigenden Herleitung (Legitimation), und diese Legitimation kann nur vom Volke selbst, nicht von einer Instanz außerhalb des Volkes ausgehen. Die Ordnung des Zusammenlebens in einem Volk muß auf die Anerkennung derer zurückgeführt werden können, die unter ihr leben, hat Ausdruck der Freiheit und Selbstbestimmung des Volkes zu sein" 94 . Derartige Sätze sind wohl erforderlich, um aus einer freiheitlichen Demokratie, einer Republik, eine herrschaftliche Demokratie zu machen. Die "Volkssouveränität" ist vom Grundgesetz nicht als Legitimation der Herrschaft von Menschen über Menschen proklamiert, schon gar nicht durch das Volk selbst, das gar die Herrschaft als Freiheit und Selbstbestimmung anerkennen soll. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ist vielmehr Ausdruck des rousseauschen Souveränitätsprinzips 95 . Nur legitimiert dieses keine Herrschaft 96 . Rousseau schreibt: "Ich behaupte deshalb, daß die Souveränität, da sie nichts anderes ist als die Ausübung des Gemeinwillens, niemals veräußert werden kann und daß der Souverän, der nichts anderes ist als ein Gesamtwesen, nur durch sich selbst vertreten werden kann; die Macht kann wohl übertragen werden, nicht aber der Wille. ... In dem Augenblick, in dem es einen Herrn gibt, gibt es keinen Souverän mehr, und von da an ist der politische Körper zerstört." 97 Das überzeugt und hilft, das Grundgesetz zu verstehen; denn wer auf seinen Willen verzichtet, "verzichtet auf seine Freiheit" und damit "auf seine Eigenschaft als Mensch." - Rousseau 98

94 HStR, Bd. I, S. 888; vom Legitimationsprinzip und Souveränitätsprinzip ist die Dogmatik des demokratischen Prinzips des Bundesverfassungsgerichts auch im Maastricht-Urteil bestimmt, BVerfGE 89, 155 (181 ff.). 95 Dazu /. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, 1960, S. 146 ff. 96 Dennoch beruft sich E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 889 f., auf Rousseau; vgl. auch M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 53 ff., 59 f., der den Begriff Volkssouveränität für das Verständnis des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG zurückweist. 97 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 27, 28.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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Bei Rousseau ist die Souveränität die Willensautonomie der Bürger, deren Freiheit, aus der sich Herrschaft nicht legitimieren läßt. Böckenförde sieht in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG den Unterwerfungsakt des Volkes, mit dem das Volk frei die Freiheit aufgibt. Das ist der Verstoß gegen das Sittengesetz schlechthin, weil die Menschheit des Menschen verraten wird. "Ein solcher Verzicht ist unvereinbar mit der Natur des Menschen; seinem Willen jegliche Freiheit nehmen heißt seinen Handlungen jegliche Sittlichkeit nehmen." - Rousseau" Es gibt keine Logik einer freiheitlichen Herrschaft 100 . 4. Peter Badura, der ebenfalls in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG "mit einer überkommenen Formel das Prinzip der Volkssouveränität" angesprochen sieht, sagt: "Da eine herrschaftslose Organisation der Gesellschaft nicht möglich ist, kann die verwirklichte Demokratie nicht unmittelbar, sondern nur repräsentativ sein." "Nur eine repräsentative Ausführung politischer Gewalt ermöglicht eine Herrschaft nach (Herv. von mir) Rechtsgesetzen". Diese Herrschaft sei in der "parlamentarischen Demokratie notwendig ein Parteienstaat" 101 . Der Begriff der Repräsentation wird noch erörtert werden 102 ; den der Volkssouveränität zu aktivieren verbietet sich schon angesichts der monarchischen Tradition des Begriffs der Souveränität, vor allem aber wegen des grenzenlosen ideologischen Potentials, das in der Übertragung höchst streitiger monarchischer Begriffe in den Volksstaat besteht. Freilich hat Rousseau mit großer verfassungspolitischer Wirkung diese Begriffsverschiebung vorgeführt. Die Klärung der grundgesetzlichen Verfassung wird nicht dadurch gefördert, daß verfassungsfremde und zudem fremdsprachige Begriffe eingeführt werden. Die oben angeführten Exempel beweisen das ideologische Potential des Begriffs Volkssouveränität. Martin Kriele hat diesen Begriff im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen 103 .

98 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 11, vgl. auch 27 f.; dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 714 ff., zur republikanischen Vertretungslehre. 99 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 11. 100 Dazu 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff. 101 HStR, Bd. I, S. 968 bzw. 973 bzw. 982; vgl. auch ders., GG, Bonner Komm., 1966, Rdn. 30 zu Art. 38. 102 Dazu 8. Teil, 1., insb. 2. u. 3. Kap., S. 637 ff., 685 ff., 707 ff.

1. Teil: Republikanische Orientierung

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Böckenförde, Badura, aber auch Stern haben, wie viele, nicht einmal die überzeugende Lehre Herbert Krügers, die Albrecht Randelzhofer fortführt, beachtet, wonach innere Souveränität lediglich eine Eigenschaft der Staatsgewalt, nämlich deren Einseitigkeit und Einzigkeit 1 0 4 , nicht aber eine Lebensform, etwa die Herrschaft von Menschen über Menschen, anspricht. Souveränität mag ein unverzichtbarer Begriff der Außenpolitik und damit des Völkerrechts sein 105 , obwohl auch für diese Gebiet von Politik und Recht der der Selbstbestimmung des Volkes vorzuziehen ist 1 0 6 , als Begriff der Innenpolitik, also als Begriff des, wenn man so will, Staatsrechts, hat er in der Republik keinen Aussagegehalt, der nicht schon im Begriff der allgemeinen Freiheit enthalten wäre. In einem von dem Prinzip der gleichen Freiheit aller geprägten Verständnis bleibt der Begriff der Souveränität Rousseau treu 107 . Für die Lehre von der Republik ist der Begriff der Volkssouveränität eher fragwürdig, weil er in seiner Bodinschen und Hobbesschen Tradition des "Zu-Höchst-Seins", der "Über-Unterordnung", des "Befehlens-und-Gehorchens" 108 mit dem der Freiheit, dem der Autonomie des Willens, in Konflikt gerät, zumal das herrschaftliche Verständnis des Begriffs der Souveränität dominiert. Der Bürger ist nicht souverän, sondern autonom. Die Gesetzlichkeit aber wird dem Rechtsprinzip gemäß notfalls durch Zwang gesichert. Zu diesem Zweck verfügt der Staat über prinzipiell unwiderstehliche Gewalt nach Maßgabe der Gesetze 109 .

103

VVDStRL 29 (1971), S. 53 ff., 81; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 626, erklärt demgegenüber die "innere Souveränität als Gemeinwohlfähigkeit". 104 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 852 f., 847 ff. (Einzigkeit), S. 879 ff. (Einseitigkeit); A. Randelzhofer, HStR, Bd. I, S. 699, 705 f.; vgl. auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 605. 105 A. Randelzhofer, HStR, Bd. I, S. 701 ff.; auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 605 ("äußere Souveränität"), auch S. 649 f. 106 Dazu K. Stern, Staatsrecht II, S. 26 ff.; R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, HStR, Bd. I, S. 671 f. 107 Vgl. das obige Zitat, S. 20. 108 Dazu A. Randelzhofer, HStR, Bd. I, S. 696 ff., 699, 700, 705; auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 186, 851 f.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 56 ff.; zur Souveränitätslehre grundlegend H. Quaritsch, Staat und Souveränität, 1970; ders., Souveränität, 1986; auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 605, auch S. 627 ff., 655 (krass dualistische Trennung von grundrechtlicher Freiheit und demokratischer Herrschaft). 109 Insb. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 837 ff.; A. Randelzhofer, HStR, Bd. I, S. 706; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 626 f., erklärt "das Gewaltmonopol" zur "notwendigen, aber nicht hinreichenden Bedingung der inneren Souveränität"; dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 548 ff.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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II.

Die demokratische Republik als Lebensform der Bürger ohne Herrschaft 1. Das Grundgesetz erklärt nicht spezifisch die Demokratie zur Staatsund Regierungsform 110 der Bundes republik Deutschland, sondern die Republik 1 1 1 , die demokratisch sein muß, zur Freiheits-, Staats- und Regierungsform. Die demokratische Republik ist nach dem Grundgesetz die Form des Politischen 112 . Auch darin steht das Grundgesetz in der Tradition der Weimarer Reichsverfassung. Die Weimarer Verfassung jedenfalls hat durch ihren Art. 1: "Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus", eine demokratische Republik, nicht aber eine republikanische Demokratie verfaßt 113 . Art. 17 WRV bestätigt die republikanische Staatsform durch sein föderales Homogenitätsprinzip: "Jedes Land muß eine freistaatliche Verfassung haben". Das ist "die republikanische Staatsform" (Gerhard Anschütz) 114. Satz 2 dieses Artikels beweist, daß auch die Länder demokratische Republiken sein sollten. Gerhard Anschütz hat den Abs. 2 des Art. 1 WRV: "Die Staatsgewalt geht vom Volke aus", als "den Fundamentalsatz aller Demokratie, das Prinzip der Volkssouveränität" eingestuft und das Volk im Anschluß an Richard Thoma als "Gesamtheit aller politisch vollberechtigten Deutschen, die Aktivbürgerschaft des allgemeinen und gleichen Wahl- und Stimmrechts, m.a.W. der Wählerschaft"

1,0

Hinweise zu dieser Lehre in Fn. 307, 8. Teil, 2. Kap., S. 692 f.; etwa E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 893 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 972 ("Demokratie als Staatsform"); vgl. aber BVerfGE 83, 60 (71), das von "freiheitlicher Demokratie" spricht, die der Sache nach eine Republik ist (vgl. S. 24 f.), auch BVerfGE 83, 37 (51). 111 Nicht nur formal als "Gegensatz zur Monarchie" (E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 947; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 875, der selbst, S. 867 ff., sehr vorsichtig weitergeht und a.a.O., S. 879 f. u.ö., von der "demokratischen Republik" spricht), sondern material, wie i.S.d. Satzes "res publica res populi", wie es in dieser Schrift vorgestellt wird; a.A. etwa E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 947 f., der das Republikprinzip in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zu einem "verfassungstheoretischen", "zusammenfassenden ex-post für solche anderweitig festgelegten Formelemente" herunterzuspielen und dafür die so im Grundgesetz nicht genannte "Demokratie" zur Staats- und Regierungsform aufzuwerten versucht (a.a.O., S. 888 ff.). 112 Zum Begriff des Politischen E. Vollrath, Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen, 1987, S. 25 ff., 289 ff. 113 G. Anschütz, WRV, Komm., Anm. 1 zu Art. 1; C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 191, (Fn. 19), S. 212, benutzt beide Begriffe zur Kennzeichnung der WRV. 114 WRV, Komm., Anm. 2 zu Art. 17.

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1. Teil: Republikanische Orientierung

bezeichnet 115 . Diese Kennzeichnung ist für das Verständnis des Grundgesetzes geschichtlich und entstehungsgeschichtlich bedeutsam, weil der zitierte Kommentar, der Anschütz, den Vätern des Grundgesetzes wesentliche Orientierung gegeben hat. Der fast identische Wortlaut in Art. 1 Abs. 2 WRV und Art. 20 Abs. 2 S.l GG ist ein gutes Argument dafür, daß das demokratische Prinzip des Abs. 1 des Art. 20 GG durch den Satz 1 des Abs. 2 definiert wird. Die republikgerechte Verwirklichung des demokratischen Prinzips ist in Satz 2 dieses Absatzes 2 von Art. 20 GG geregelt, nämlich im Sinne einer durch "Wahlen und Abstimmungen" unmittelbar vom Volke und mittelbar durch die "besonderen Organe der Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung" im Namen des Volkes, also repräsentativ 116 , ausgeübten Staatsgewalt. Gerhard Anschütz hat zugleich erläutert, daß Art. 1 Abs. 1 WRV: "Das Deutsche Reich ist eine Republik", "die Staats- oder Regierungsform des Reiches" festgelegt habe, ohne aus sich heraus schon die besondere Art der Republik zu entscheiden 117 . Erst beide Sätze des Art. 1 WRV zusammen haben entschieden, daß 1919 eine demokratische Republik verfaßt worden ist 1 1 8 . Art. 20 GG hat diese Entscheidung (u.a.) in dem Absatz 1 zusammengefaßt. Die Auffassung, das Grundgesetz verfasse als Staats- und Regierungsform spezifisch eine Demokratie, findet somit nicht nur im Wortlaut des Art. 20 GG keine Stütze. Sie widerspricht der Geschichte und Entstehungsgeschichte. I m Grund- und Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates wurde als Art. 21 Abs. 1 die Formulierung, die Carlo Schmid im Grundsatzausschuß vorgeschlagen hatte, beraten: "Deutschland ist eine demokratische und soziale Republik bundesstaatlichen Aufbaus, dessen Regierung der Volksvertretung verantwortlich ist." 1 1 9 Die endgültige Formulierung des Art. 20 Abs. 1 GG sollte die Dominanz des Begriffes "Republik" in der Entscheidung über die Staatsform Deutsch-

115

Die Verfassung des deutschen Reichs, 14. Aufl. 1933, Anm. 2 zu Art. 1; R. Thoma, HbdDStR, 1. Bd., S. 187; dazu W. Henke, Die Republik, HStR, Bd. I, S. 864 ff. 116 Zur Repräsentation nach dem Grundgesetz als Vertretung des ganzen Volkes 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff. 117 Die Verfassung des deutschen Reiches, Anm. 1 zu Art. 1. 118 So auch W. Henke, HStR, Bd. I, S. 864 f., 866, 881. 119 Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 195 ff.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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lands nicht schmälern 120 . Der Kantianer Carlo Schmid hat den Republikbegriff material verstanden 121 . Vor allem aber die Entscheidung des Grundgesetzes für die Gleichheit in der Freiheit läßt eine andere Form des Politischen als die der demokratischen Republik (im substantiellen Sinne) nicht zu 1 2 2 . Wäre die Form des Politischen die Demokratie, wären alle Begriffe der Verfassung von dieser Form abhängig. Die grundgesetzliche Form des Politischen als die Verfassung der Freiheit ist die Republik, die, wie gesagt, demokratisch sein muß. Diese Form kann man als freiheitliche Demokratie bezeichnen, wenn sie ihr Spezifikum im Prinzip der politischen Freiheit hat 1 2 3 . Das Freiheitliche einer solchen freiheitlichen Demokratie ist das Wesen des Demokratischen selbst. Das demokratische Prinzip wird mit dem freiheitlichen Prinzip identifiziert. Die Freiheitlichkeit wird der Demokratie nicht (moderierend) im Sinne einer liberalen Herrschaftsform hinzugefügt. Das wäre konstitutionalistisch. An die Stelle des monarchischen Prinzips träte das demokratische Prinzip als Herrschaftsform. Wird jedoch die Demokratie als Form der Herrschaft konzipiert und folglich die Freiheit liberalistisch auf eine grundrechtsgeschützte Privatsphäre reduziert 1 2 4 , die Logik der Trennung von Staat und Gesellschaft 125 , so geraten die Begriffe Republik und freiheitliche Demokratie in einen unüberwindbaren Widerspruch. Der grundgesetzliche Verfassungsstaat 126 ist eine Republik. Nur im republikanischen Verständnis ist er eine freiheitliche Demokratie. Klarer ist das Wortpaar herrschaftslose Demokratie, weil es Demokratie als Form der Herrschaft zu interpretieren ausschließt. Jürgen Habermas spricht von "bürgerlicher Demokratie", deren "politisch folgenreiche Entscheidungsprozesse" er "an die rechtlich verbürgte diskursive Willensbildung des Staatsbürgerpublikums zurückbinden" will, zu Recht 127 .

120

So auch W. Henke, HStR, Bd. I, S. 846 ff. Vgl. zu Carlo Schmid 5. Teil, 2. Kap., S. 273 f. 122 I.d.S. W. Henke, HStR, Bd. I, S. 867 f., 879 f.; Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 118 ff., S. 48 f. (mit Bezug auf Kant); auch Κ Low, DÖV 1979, 821. 123 Dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 5. und 8. Kap., S. 472 ff., 494 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. 121

124

Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 6. Teil, 3., 5. und 9. Kap., S. 454 ff., 466 ff., 501 ff. Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. 126 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 104 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 592 ff.; P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 776 ff.; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 787 f.; grundlegend C.J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, 1953; vgl. auch 9. Teil, 4. Kap., S. 932 ff., mit Fn. 696, S. 950. 125

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1. Teil: Republikanische Orientierung

Das Gemeinwesen ohne Herrschaft ist die Republik, nicht eine "in Ämter gefaßte Herrschaft", wie Wilhelm Henke lehrt 128 . 2. Gesetze, Verwaltungsakte und Richtersprüche der grundgesetzlichen Republik "gehen vom Volke aus". Nach allgemeinem Sprachgebrauch müssen sie demokratisch legitimiert sein (Art. 20 Abs. 2 GG) 1 2 9 . "Als Ausübung von Staatsgewalt, die demokratischer Legitimation bedarf, stellt sich jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter dar." - BVerfGE 83, 60 (73) Richtigerweise sind die Rechtsakte der Staatsgewalt der Wille des Volkes; denn das Volk entscheidet durch seine Vertreter. Die Verbindlichkeit von Willensakten beruht auf dem Willen des Vertretenen, nicht auf dem des Vertreters. Das Prinzip der Vertretung des Volkes formuliert Art. 20 Abs. 2 GG wie folgt: "Sie (sc. die Staatsgewalt) wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt". Das Volk also übt die Staatsgewalt durch Organe aus 130 . Das ist Kennzeichen einer jeden Republik. Carlo Schmid hat dieses Prinzip der Republik im Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates dahingehend zum Ausdruck gebracht, daß "das Volk nicht nach Art einer Landesgemeinde handele, sondern sich in Organen vergegenwärtige", daß diese Organe die Konzentration der Volksgewalt in ihrer Aktivitätsform darstellen würden 131 . Die Wahlen bevollmächtigen die Abgeordneten, Be-

127 Die Utopie des guten Herrschers, 1972, in: G. Roellecke (Hrsg.), Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie, 1988, S. 332; zum Rechtsdiskurs der Republik 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff. 128 HStR, Bd. I, S. 881. 129 BVerfGE 83, 60 (71 ff.); BVerfGE 89, 155 (182 ff.); vgl. auch BVerfGE 47, 253 (273); R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 210; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 46 ff., 50 ff., 74 ff. zu Art. 20 Abs. 2; M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 60 ff., 82; K. Stern, Staatsrecht I, S. 593 f., 606; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 896 f.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 652 f., der S. 655 die "demokratische Freiheit" auf die "Wahlen und Abstimmung"... "der Aktivbürger" "nach Maßgabe des Mehrheitsprinzips" reduziert: "Doch diese aktualisiert sich nur im Zeitpunkt der Wahl; sie endet auch mit ihr"; zwischen den Wahlen verlöre der Bürger danach seine Bürgerlichkeit (?!); dazu kritisch 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; auch 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff. 130

So E.-W. Böckenförde, Mittelbare/repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: FS K. Eichenberger, 1982, S. 318 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 894, 896, 898, auch S. 909 ff.; i.d.S. auch BVerfGE 83, 60 (71 ff.); 83, 37 (50).

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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amten und Richter, denen dadurch ermöglicht wird, im Namen des Volkes als Vertreter des Volkes zu entscheiden. Der republikanische Grundsatz: volenti non fit iniuria, bleibt dadurch nicht nur gewahrt, sondern wird allein durch diese vertretungsmäßige Repräsentation verwirklicht 1 3 2 . Keinesfalls üben die Organe die Staatsgewalt für das Volk aus 133 . Eine solche Sicht der Repräsentation wandelt die herrschaftsfreie Republik in eine herrschaftliche Demokratie. Es heißt in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nicht: Sie wird in Wahlen und Abstimmungen vom Volke und durch besondere Organe ausgeübt. Der Organbegriff widerspricht selbst schon der Trennung vom Volk und staatlicher Gewalt. Die Beschlüsse der Organe, die des Bundestages etwa, die die Organwalter, die Bundestagsabgeordneten also, treffen, sind der Wille des deutschen Volkes, technisch der juristischen Person Bundesrepublik Deutschland, in deren Namen das Organ, der Bundestag, entscheidet. "Die Staatsorgane bilden durch die Organwalter den Staatswillen." Hans-Julius Wolff 34 Diese Willensbildung erfaßt Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG als Vertretung des ganzen Volkes. Das gilt für jede Art der Ausübung der Staatsgewalt durch Organe des Volkes. Die Träger oder Subjekte der Körperschaft Staat, die Menge der Bürger also, werden im Repräsentationsorgan, etwa dem Parlament, vertreten, das den autonomen Willen dieser Bürgerschaft, des Volkes also, bildet. Die "besonderen Organe" des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sind

131

Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 196. Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff. 133 So aber M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 60 ("für das Volk, in seinem Interesse") anders S. 82 ("stellvertretend für das Volk, in seinem Interesse"); K. Hesse, VVDStRL 17 (1959), S. 19 ff. ("Demokratie" - "nicht Selbstregierung des Volkes, sondern Herrschaft für das Volk"; im Gegensatz zu Art. 20 Abs. 2 GG: "Das Grundgesetz konstituiert diese Ordnung durch Art. 20 Abs. 2 GG, nach dem die Staatsgewalt (außerhalb der Wahlen) nicht vom Volk ausgeübt wird, sondern durch die Bezogenheit auf das Volk legitimiert wird,..."); ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 136, S. 35 f., weist die Alternative: Regierung "durch" oder "für" das Volk zurück; auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 632 (in irriger Übersetzung von Ciceros Satz "res publica res populi" als staatliche "Herrschaft für das Volk"), auch S. 633; i.d.S. D. Grimm, HVerfR, S. 320; K. Stern, Staatsrecht I, S. 592 f.( "Die Herrschaft braucht nicht vom Volk ausgeübt zu werden, sie muß nur durch dieses gerechtfertigt sein", S. 593); weitere Hinweise in Fn. 130; Fn. 472, 8. Teil, 3. Kap. 134 Verwaltungsrecht II, 3. Aufl. 1970, § 74 V d, S. 58 zur Organschaft, daselbst § 74 S. 42 ff.; ders., Organschaft und juristische Person, 2. Bd., Theorie der Vertretung, 1934, §§ 4, 1416, S. 16 ff., 303 ff.; dazu H. Pollmann, Repräsentation und Organschaft, 1969, S. 45 ff. 132

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1. Teil: Republikanische Orientierung

Vertretungsorgane 135 . Die Organbeschlüsse materialisieren somit den Staatswillen und der Staatswille ist der allgemein verbindliche Volkswille 1 3 6 . 3. Die Verwechselung der republikanischen Verfassung mit der demokratischen hat schon Kant kritisiert 137 . Karl Jaspers sieht die "echte Demokratie" durch eine "republikanische Verfassung der Freiheit konstituiert", die sich an die "politische Aristokratie", die "Besten", wende 1 3 8 . "Echte Demokratie" ist damit ein anderes Wort für Republik, zumal Jaspers' politische Philosophie ohne Einschränkung republikanisch ist. Werner Maihofer und John Rawls , die beide zur Renaissance der Lehren Rousseaus und vor allem Kants in der Freiheits- und damit der Rechts- und Staatslehre beigetragen haben, sprechen u.a. von "konstitutioneller Demokratie", obwohl auch ihre Lehren ausgesprochen republikanisch sind 1 3 9 . "Gerechtigkeit in einem Staat, zu dem sich ein Volk 'nach den alleinigen Rechtsbegriffen der Freiheit und Gleichheit' vereinigt, den Kant eine 'republikanische Verfassung' und den wir heute eine freiheitliche Demokratie nennen,..." - Werner Maihofer 140 Martin Kriele meint, Kants Begriff der Republik decke sich mit dem, "was wir heute unter dem gewaltenteilenden demokratischen Verfassungsstaat verstehen" 141 . 135 I.d.S. H.-J. Wolff, ; Verwaltungsrecht II, § 75 I d 2, S. 61, e 1, S. 64; vgl. auch ders., Verwaltungsrecht I, 8. Aufl. 1971, § 35 III a, S. 237; vgl. auch H. Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 70 ff., 90 ff. 136 Dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 714 ff. 137 Zum ewigen Frieden, S. 206. 138 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 139. 139 W. Maihofer etwa, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 17 ff.; zum Rousseauismus und Kantianismus Maihofers vgl. etwa dessen: Rechtsstaat und menschliche Würde, 1968, und: Prinzipien freiheitlicher Demokratie, HVerfR, 1983, S. 173 ff., 216; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971/1979, S. 27 f. (explizit), der allerdings Kant ohne dessen wesentliche transzendentalphilosophische "Dualismen", also "getrennt vom metaphysischen Beiwerk" und "so klarer erkennbar" und "weniger Einwänden ausgesetzt", weiterentwickeln will (S. 289 f., 297); Rawls gibt das nicht nur in seinem (an sich richtigen) Ansatz der Gleichheit in der Freiheit (passim, S. 223 ff.) auf, sondern muß vor allem um seines Empirismus willen Begriffsschärfe meiden. Eine Theorie der Gerechtigkeit kann es wegen der transzendentalen Letztbegründung des Sollens nicht geben; denn eine Theorie würde das Sein von Gerechtigkeit voraussetzen. 140 HVerfR, S. 216; Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 ff.; auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910 f., 914 ff., beruft sich auf Kant, hält das aber in seiner "Metamorphose der individuellen zur demokratischen Freiheit" nicht durch, weil er sich vor der Herrschaftsideologie nicht löst (a.a.O., S. 893 ff., 919 ff. u.ö.).

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

29

Das w i r d d e m kantianischen R e p u b l i k b e g r i f f nur begrenzt gerecht, trifft aber auch den Verfassungsstaat des Grundgesetzes 1 4 2 , der jedenfalls auch republikanisch ist, nicht i m K e r n , vor allem, w e i l das Politische n i c h t als moralische Kategorie b e g r i f f l i c h Republikbegriff.

aufgenommen ist. Das leistet nur der

D e n n o c h ist Krieles

Lehre v o n der "gleichen Freiheit"

republikanisch; denn die "gleiche Freiheit eines jeden stehe und falle ... m i t der G e l t u n g des Verfassungsgrundsatzes der U n p a r t e i l i c h k e i t " , welchen Kriele

als "Ethos der

Repräsentation" versteht 1 4 3 . D i e folgenden Sätze Martin

Krieles

skizzieren eine herrschaftslose D e -

mokratie, also eine R e p u b l i k : " D e m o k r a t i e als politische Selbstbestimmung des Volkes hängt ab v o n der Selbstbestimmung der M i t g l i e d e r des Volkes. W e r v o m Selbstbestimmungsrecht der V ö l k e r spricht, ohne das bürgerliche u n d politische Selbstbestimmungsrecht des Menschen einzuschließen u n d vorauszusetzen, betrügt sich u n d andere. Er meint dann i n W i r k l i c h k e i t die Fremdbes t i m m u n g des Volkes durch eine Parteiführung oder, sonstige Herrschafts-

141

Die demokratische Weltrevolution, 1987, S. 33 f., 79, auch S. 166; vgl. auch HVerfR, S. 135 ff.; i.d.S. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 118; auch Κ Jaspers, Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 159 f., 162; ders., Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 187, 139. 142

Zum Begriff Verfassungsstaat Hinweise in Fn. 696, 9. Teil, 4. Kap., S. 950; insb. J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 592, 638 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 104 ff. 143 HVerfR, S. 150 f.; auch, Die demokratische Weltrevolution, S. 105; noch deutlich toleranter gegenüber der Parteilichkeit ders., Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), S. 69 ff.: "Da es im dialektischen Rechtfertigungsprozeß kein neutrales Urteil geben kann, kann es nur parteiliche Ansichten geben, unabhängig davon, wieweit sich Parteien zu politischen Organisationen verfestigt haben" (S. 70). "Die parteiliche Einseitigkeit ist unausweichlich und kann durch den ethischen Anspruch ('nämlich den auf sachliche und verantwortliche Meinungsbildung') nur gemäßigt und in Grenzen gehalten werden" (S. 68 f.). Kriele ist hier noch in dem erkenntnistheoretischen Relativismus der frühen 70iger Jahre, die von Soziologismus geprägt waren, verfangen. Das Grundgesetz baut auf der Fähigkeit zur Sittlichkeit der Abgeordneten wie der Bürger auf (dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 659 ff., 810 ff.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 566 ff., 601 ff.). Kriele hat die Kritik an den Prinzipien Diskussion und Öffentlichkeit des Parlamentarismus (a.a.O., S. 56 ff.) in jüngerer Zeit nicht wiederholt; sie war irrig. In HVerfR, S. 150 f., weist Kriele im Gegenteil auf H. Krügers, Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff. "Grundsatz der Nichtidentifikation", auf die Notwendigkeiten "sachlicher Diskussion", auf das "Ethos der Repräsentation", vor allem auf den "Grundsatz unparteilicher, gerechter Abwägung der Interessen" hin, der voraussetze, "daß sich jeder Amtsinhaber als Repräsentant des ganzen Volkes" verstehe. Der Dialektik (VVDStRL 29 (1971), S. 58) vertraut Kriele nicht mehr. Sie ist auch angesichts dessen, daß die Parteien im Parlament selbst entscheiden, also auch "Richter" über das Richtige sind (so Kriele selbst, a.a.O., S. 69) nicht erfolgversprechend; denn die Analogie zum Gerichtsprozeß mit gegnerischen Parteien und einem unabhängigen, neutralen Richter versagt.

30

1. Teil: Republikanische Orientierung

elite, die sich als Repräsentantin des Volkes ausgibt, ohne dazu demokratisch legitimiert zu sein" 144 . Auch Karl R. Popper lehrt eigentlich die Republik, obwohl seine Lehre spezifisch das demokratische Prinzip der Republik aufgreift, indem er die friedliche Ablösung der Regierung in den Mittelpunkt seiner Erörterung stellt 145 . Wer seine politische Philosophie auf den Prinzipien der Französischen Revolution, nämlich auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, aufbaut, lehrt spezifisch die Republik als Form der herrschaftslosen Demokratie. Immer droht die Gefahr, daß die Verfassungslehre verzerrt wird, um die Verfassungswirklichkeit zu rechtfertigen. Der entwickelte Parteienstaat kann seine Rechtfertigung allenfalls in einem Prinzip der Demokratie finden 146. M i t dem Prinzip Republik ist er unvereinbar. Das dürfte der Grund für die fast einhellige Lehre sein, das Grundgesetz verfasse als Staats- und Regierungsform die Demokratie 147 . Auch Hans Herbert von Arnim verbindet seine durchaus republikorientierte Staatslehre mit den "Prinzipien des demokratischen sozialen Rechtsstaates", "wie sie sich in den westlichen Demokratien entwickelt" hätten. Er betont das Gemeinwohlethos in dem wesentlich der Freiheit seiner Bürger verpflichteten Staat 148 . Peter Häberle spricht von "Republik" oder

144

HVerfR, S. 143. Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 10 ff., 14 ff., 17; i.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 157, S. 61 f., für das Zweiparteiensystem; so insb. O. Stammer, Politische Soziologie; in: Gehlen/Schelsky, Soziologie - Ein Lehr- und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde, 1955, S. 261: Demokratie kann "heute nur aufgefaßt werden als Herrschaftsausübung durch eine zu alternativer Führung und Regierung tendierende Kombination konkurrierender Gruppen im Auftrag und unter Kontrolle des Volkes". 146 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff. 147 Vor allem E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 888, 893, 926; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 130 f., S. 51 f., hält das demokratische Prinzip für dominant, weitere Hinweise in Fn. 110 S. 23; Fn. 307, 8. Teil, 2. Kap., S. 692 f. 148 Der Staat 26 (1987), S. 477 ff., 490 ff., Zitat S. 494; i.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 48 f., Rdn. 118 ff.; ebenso J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 633; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. 1, S. 937 ff. 145

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

31

"res publica". Während er die Ethik als die Lehre von der Freiheit 149 in seine frühere Grundrechts- und Verfassungslehre, die vom offenen Demokratiebegriff und vom Interessenaspekt dominiert war 1 5 0 , nicht einbezogen hat, ist seine kulturwissenschaftliche Lehre eine vom Menschenwürdeprinzip geleitete Freiheitslehre, die auch die "Demokratie" republikanisch begreift 151 und die "Ethik ' i m ' Verfassungsrecht" und damit das Sittengesetz als die "regula aurea" oder als den "Kategorischen Imperativ Kants" erkennt 1 5 2 . Den freiheitsdogmatischen Paradigmenwechsel vom Liberalismus zum Republikanismus 153 , der eine Wende der deutschen Staatsrechtslehre bedeutet 154 , hat Peter Häberle schon lange hinter sich. Schon seine grundrechtliche Wesensgehaltslehre hat sich von der liberalistischen Abwehrdogmatik gelöst 155 . Auch seine Lehre von den öffentlichen Interessen ist im Kern republikanisch 156 . Die Lehre von der "repräsentativen Demokratie" 1 5 7 hat republikanische Prinzipien aufgesogen, ohne zu einer Lehre von der Republik zu werden, vor allem weil sie nicht zur Relevanz des Sittengesetzes findet 158. Josef Isensee versucht das republikanische Prinzip aus der grundgesetzlichen Verfassung zu verdrängen, indem er "Republik" als ein "Ersatzwort" für "Staat" hinstellt und dementsprechend die "ver-

149

Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 11; dazu KA. Schachtschneider, Ethik und Politik, Ein Vortrag im deutschen November, Hamburg 1989. 150 Wesensgehaltsgarantie, vor allem S. 257 ff.; bezeichnend ist, daß sein Stichwortverzeichnis das Wort Republik nicht aufführt, ebensowenig wie die Worte Moral, Ethos, Tugend; verbal betont republikanisch, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 126 ff. ("Die Sorge dafür,... ist Sache aller: res publica", S. 148). 151

HStR, Bd. I, S. 839 ff. Rechtstheorie 21 (1990), S. 269 ff., 277 ff. 153 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. 154 Dazu KA. Schachtschneider, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Wende, JöR N.F. 42 (1994), S. 23 ff. 155 Dazu 6. Teil, 3., 5., 6. und 9. Kap., S. 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. 156 Öffentliche Interessen als juristisches Problem, 1970, S. 708 ff., 716 ff. 157 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 23, S. 170 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 972 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, HStR, Bd. II, S. 30 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 599 ff., 608, 628 u.ö.; auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 249 (auch S. 334), der allerdings seine repräsentative Vergütungslehre des besseren Ichs einbezieht; weitere Hinweise auf diesen herrschenden Begriff für die Staats- und Regierungsform nach dem Grundgesetz in Fn. 307, 8. Teil, 2. Kap., S. 692. 152

158

Dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff., insb. S. 186 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff.

32

1. Teil: Republikanische Orientierung

pflichtende Kraft des Sittengesetzes" "vernachlässigt" 159 . Das widerspricht nicht nur dem Begriff Staat, den das Grundgesetz neben dem der Republik meist als Teilwort benutzt, sondern macht dem republikanischen Staat auch die Grundpflicht des friedlichen und dadurch freiheitlichen gemeinsamen Lebens streitig, um diese dogmatisch durch Herrschaft und Gehorsam ersetzen zu können 160 . Demokratie ist nur ein anderes Wort für Republik, wenn man es im Sinne der griechischen Antike als Staat der Bürger, in diesem Sinne als Volksstaat versteht 161 . Der sprachliche Populismus, der heute Demokratie sagt, aber Republik meint, erschwert den ohnehin nicht einfachen freiheits-, rechts- und staatspolitischen Diskurs zusätzlich. Karl R. Popper warnt vor der (vermeintlich) wörtlichen Übersetzung von Demokratie in Volksherrschaft 162 , weil das entgegen dem Prinzip der Polis, der Herrschaftslosigkeit, Herrschaft, von wem auch immer, ideologisiere: "Demokratie war nie Volksherrschaft, kann es nicht sein, soll es nicht sein". Popper begreift eine "demokratische Regierungsform" als solche, die "es ermöglicht, die Regierung ohne Blutvergießen abzusetzen" 163 . Poppers Anliegen ist republikanisch. Die Demokratie hat entgegen dem Resümee von Wolfgang Mager 164 das Erbe der Republik allenfalls in griechischem Verständnis angetreten. Das Prinzip der Republik lebt als die Form der Demokratie ohne Herrschaft. Die Idee der Republik ist unsterblich.

159

Republik, Staatslexikon, Bd. 1, 1985, Sp. 883; ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65; nicht anders in der Sache ders., HStR, Bd. I, S. 654; in der Sache ebenfalls reduktiv E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 946 ff. 160 J. Isensee, etwa, HStR, Bd. I, S. 627 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 893; zur Problematik des Begriffs Gehorsam 2. Teil, 2. und 11. Kap., S. 79 ff., 153 ff.; 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff. 161 Dazu Ch. Meier, Demokratie, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, 1972/79, S. 821 ff., der allerdings von "Herrschaft" spricht, die er mit der Freiheit der vielen Bürger identifiziert. 162 Bemerkungen zur Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 10 ff., 17; nicht anders M. Hättich, Demokratie, Staatslexikon, Sp. 1182; vgl. ders., Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 33, 34; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 879 ff.; ders., Recht und Staat, S. 311 ff.; ebenso E. Benda, Demokratie, Staatslexikon Bd. 1, 1985, Sp. 1193; i.d.S. auch R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 218, 261 u.ö. 163 Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 10 ff., 14 ff., 17. 164 Republik, S. 651.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

33

Demokratie und Republik konkurrieren heute als politische Ideen. Die großen Parteien der Vereinigten Staaten von Amerika reklamieren diese Ideen mit ihren Namen 'Demokraten' und 'Republikaner' 165 . Das demokratistische Prinzip fordert prinzipiell die unmittelbare, also plebiszitäre Herrschaft des Volkes und favorisiert als Ideologie das interessenhafte Mehrheitsprinzip, weil dieses die größtmögliche Identität von Herrschern und Beherrschten zu verwirklichen scheint 166 . Das republikanische Prinzip dagegen steht und fällt mit der kompetenzsichernden Funktionen- und Ämterteilung, die nur repräsentativ, also das Volk vertretend, vorstellbar ist 1 6 7 . Repräsentation ist auf wahrheitliche Richtigkeit der staatlichen Entscheidungen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit 168 ausgerichtet und muß darum amtsmäßig gestaltet sein 169 . Beide Sätze bieten lediglich eine grob orientierende Annäherung an die Begriffe Demokratie und Republik und beanspruchen nicht, diese Begriffe zu definieren. Der Begriff Demokratie ist für die unterschiedlichsten Verfassungen offen und entzieht sich als isolierter Begriff einer Definition 170 . Das Demokratische vermag nur durch andere Verfassungsprinzipien Konturen zu gewinnen.

165

Dazu W. Mager, Republik, S. 595; J. Isensee, Republik, Staatslexikon, Sp. 885. Dazu 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; auch 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff.; vgl. auch 8. Teil, 1. und 4. Kap., S. 637 ff., 735 ff.; vgl. etwa K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 52, 55 f., Rdn. 131, 142. 167 Zum Terminus Funktionenteilung anstelle des der Gewaltenteilung N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 109 ff.; G. Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, 1979, S. 58 m. Anm. 4; K. Stern, Staatsrecht I, S. 792 ff.; ders., Staatsrecht II, S. 521 ff.; schon G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 595 f.; auch BVerfGE 83, 60 (72); zur Relevanz der "Gewaltenteilung" für die Gleichheit in der Freiheit, also die Republik, insb. M. Kriele, HVerfR, S. 135 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 177, 186 ff.; P. Kirchhof Gleichheit in der Funktionenordnung, HStR, Bd. V, 1992, S. 973 ff.; die "Einheit der Staatsgewalt" läßt eine Gewaltenteilung logisch nicht zu; i.d.S. schon der Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates ausweislich der Entwürfe zu Art. 20 Abs. 2 (Art. 21 Abs. 3 der Entwurfsfassungen), vgl. Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 196 ff. 168 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff., insb. S. 657 ff.; auch 7. Teil, 1., 4., 5. und 6. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff., 617 ff. 169 I.d.S. auch J. Isensee, Republik, Staatslexikon, Sp. 884 f.; auch ders., HStR, Bd. III, S. 45 ff.; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 869 f., 879 f., 883; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 40 f.; das ist die Grundidee der Repräsentationslehre H. Krügers, Allgemeine Staatslehre, insb. S. 232 ff.; i.d.S. KR. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 9 ff.; zur Begriffsgeschichte W. Mager, Republik, S. 607 ff.; zum Amtsprinizp Hinweise auch in Fn. 243, 8. Teil, 1. Kap., S. 682. 170 So schon C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 225 f.; auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 50, Rdn. 127; i.d.S. auch W. Maihofer, HVerfR, S. 173; auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 888; M. Hättich, Demokratie, Staatslexikon, Sp. 1182; W. Leisner, Staatseinung, S. 31 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 588 f., der auf S. 590 ff. adjektivische Zusätze aufführt, welche den Begriff der Demokratie konkretisieren sollen. 166

3 Schachischneider

34

1. Teil: Republikanische Orientierung

Art. 20 Abs. 1 S. 1 GG spricht von der Bundes republik, die ein u.a. "demokratischer ... Bundesstaat" ist, nicht von der Demokratie. Diese Entscheidung des Grundgesetzes für die politische Form des Gemeinwesens stimmt mit der Fundamentalnorm dieser Verfassung in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG, mit dem Menschenwürdeprinzip, überein. Ein Gemeinwesen, in dem Menschen zusammenleben, die gegenseitig ihre Gleichheit in der Freiheit akzeptieren, ein bürgerliches Gemeinwesen also, kann nur eine Republik sein, in der niemand über irgendjemanden herrscht 171 . Die Republik ist die Form der Freiheit. Wäre jeder Staat verfaßte Herrschaft, böte es sich an, die Herrschaft der Parteien als die unvermeidliche Form demokratischer Staatlichkeit hinzunehmen. Daß jede Form der Politik Herrschaft sei 172 , ist jedoch die die grundgesetzliche Verfassung sprengende Ideologie. Empirisch mag es kein gemeinsames Leben ohne (mehr oder weniger subtile) Herrschaft geben 173 ; die Verfassung aber sieht keine Herrschaft von Menschen über Menschen vor. Herrschaft ist unter dem Grundgesetz als einer Verfassung der Freiheit weder legal noch legitim. Bürger, die in einer Republik zusammenleben, herrschen, wenn man so will, über sich selbst 174 , nicht über andere. Darum ist Freiheit im republikanischen Sinne, wie schon gesagt, die Willensautonomie der Bürger. Diese bürgerliche Freiheit ist nichts anderes als das Prinzip gemeinsamer Gesetzgebung 175 . Selbstherrschaft ist Freiheit als Sittlichkeit, nämlich die Herrschaft des Menschen über seine Neigungen, die ihn erst zum Bürger macht. Diese Sittlichkeit macht sich von allen besonderen Interessen frei; denn sie sucht auf der Grundlage der Wahrheit das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit, das Rechtsgesetz.

171 Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 9. und 11. Kap., S. 139 ff., 153 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 172 Dazu 2. Teil, 3. Kap., S. 88 ff.; insb. M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 27 ff. u.ö. 173 So insb. W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff. u.ö. 174 Dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; auch 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff. 175 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 521 ff.; auch 9. Teil, 2., 3., 7. und 10. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 978 ff., 1027 ff.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

35

III.

Die freiheitliche Demokratie als durch die Gleichheit aller in der Freiheit und die allgemeine Gesetzlichkeit definierte Bürgerschaftlichkeit 1. Weder der Begriff des Volkes noch erst recht der der Herrschaft sind aus sich heraus hinreichend bestimmt, um einer Definition des Begriffes Demokratie i m Sinne der Übersetzung Volksherrschaft Halt zu geben. Wenn der Volksbegriff jeden Bürger als solchen erfaßt 176 , ist das Volk die Bürgerschaft. Das wäre republikanisch, weil es die logische Konsequenz der Gleichheit aller Bürger in der Freiheit ist 1 7 7 . Kant definiert demgemäß das "Volk" als "eine Menge von Menschen, die, im wechselseitigen Einflüsse gegen einander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung (constitutio) bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden", und nennt "diesen Zustand der einzelnen im Volke, in Verhältnis untereinander" den "bürgerlichen (status civilis), und das Ganze derselben, in Beziehung auf seine eigene Glieder, den Staat (civitus), welcher, seiner Form wegen, als verbunden durch das gemeinsame Interesse aller, im rechtlichen Zustande zu sein, das gemeine Wesen (res publica latius sic dicta) genannt wird,..." 1 7 8 . Das Volk kann aber auch als ein "eigenes Sein", als quasi-personale, subjekthafte Existenz verstanden werden, die von dem einzelnen Bürger unabhängig ist, ein Begriff, den sich vor allem Carl Schmitt zu eigen gemacht hat 1 7 9 . Dieser Volksbegriff wird mehr oder weniger deutlich auch unter dem Grundgesetz vertreten, etwa von Klaus Stern, Peter Badura und ErnstWolfgang Böckenförde m. Ein solcher Volksbegriff kann nicht der des Grundgesetzes sein, weil er der Würde des Menschen widerspräche 181 .

176 I.d.S. BVerfGE 83, 37 (51, 53); BVerfGE 83, 60 (71: "Volk", Art. 116 Abs. 1 GG, "Gesamtheit der in dem jeweiligen Wahlgebiet ansässigen Deutschen"). 177 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 5 f.; 2. Teil, 4. und 7. Kap., S. 92 ff., 124 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 8. und 10. Kap., S. 990 ff., 1027 ff.; ganz so M. Kriele, HVerfR, S. 143 u.ö.; i.d.S. auch W. Henke, HStR, Bd. I, S. 868, 880 f., zur "gleichen Freiheit" ders., Recht und Staat, S. 311 ff. u.ö. 178 Metaphysik der Sitten, S. 429; ganz so C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 205; i.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 247 ff. 179 Verfassungslehre, S. 204 ff., 213 u.ö. 180 Κ Stern, Staatsrecht II, S. 38:" Volk als überindividuell-ideelle Einheit"; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 969: "Das Prinzip der Volkssouveränität setzt das 'Volk' als eine ideelle oder normative und zugleich reale und in bestimmten Äußerungen und Verfahren wirksame Größe voraus. Von dem 'Willen' des Volkes kann nur in einem metaphorischen, die Analogie zur natürlichen Person (Hervorhebung von mir) suchenden Sinn die Rede sein"; E.-W. Böcken-

3'

36

1. Teil: Republikanische Orientierung

"Ein Volk besteht aus Menschen. Zur Menschlichkeit des Menschen gehört, daß er sich zum aufrechten Gang der Freiheit erhebt und als Freier zu Freien in Beziehung tritt. Sie schlägt sich zuallererst in der Achtung vor der Würde des anderen nieder." - Martin Kriele 182 Weil grundgesetzlich das Volk nichts anderes ist als die Vielheit der einzelnen Bürger in ihrer Gesamtheit, also die Bürgerschaft, kann dem Völksbegriff der Demokratie eine eigenständige Verfassungsentscheidung nicht entnommen werden, jedenfalls keine, die diesem republikanischen Volksbegriff entgegenstünde. "Demokratie - ... Dies ist ein Wort, in dessen Begriffskern, wenn es einen solchen gibt, die Staatseinung steht, es ist ein Begriff für die 'Vielen' und ihre durch Einung ständig erzeugte Staatsmächtigkeit." Walter Leisner 183 Das lehrt das herrschaftslose Gemeinwesen, "das Reich der Freiheit" (Walter Leisner) 184, die Republik. "Der demos der demokratischen Verfassung ist der Verband der Staatsangehörigen." - Josef Isensee 1* 5 Carlo Schmid hat im Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates, wie gesagt, "als irdische Quelle der Gewalt des Staates das konkret lebende Volk, die Summe der jeweils lebenden einzelnen Deutschen" bezeichnet 186 . Die unterschiedlichen Volksbegriffe in der Lehre spiegeln das jeweilige herrschaftliche oder freiheitliche, also republikanische, Demokratieverständnis wider, ohne daß die Begriffsbildung immer eindeutig wäre. 2. Welche Verfassung nun der Begriff der Herrschaft des Volkes fordern mag, ist schlechterdings aus dem Begriff Herrschaft nicht ableitbar. Allzu vielfältig waren und sind die Herrschaftsformen, auch die, welche sich als Demokratien verstehen. Es gibt einen Gegensatz von Freiheit und Herrförde, HStR, Bd. II, S. 35 ff., 40 ff., 43, spricht vom "eigenen Selbst des Volkes"; ders., HStR, Bd. I, S. 904, definiert nicht recht klar das "Volk im demokratischen Sinn" als "die Gesamtheit der (Staats-)Bürger, wie sie in der Aktivbürgerschaft zur Erscheinung kommt, von der der einzelne Bürger nur ein Teil ist" und spricht S. 891 vom "Volk als einem menschlichen Subjekt"; wie der Text etwa W. Henke, Recht und Staat, S. 369 f. 181 182 183 184 185 186

Dazu 8. Teil, 1. Kap. und 4. Kap., S. 637 ff., 735 ff. Die demokratische Weltrevolution, S. 37. Staatseinung, S. 31, vgl. auch S. 63 f., zu den "Polloi". Staatseinung, S. 34 f. HStR, Bd. I, S. 635. Mörz, JöR N.F. Bd. I (1951), S. 199.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

37

schaft 187 , aber der Begriff Herrschaft definiert nicht rechtlich, sondern legitimiert Abhängigkeiten, welcher Art auch immer 1 8 8 . Die Begriffsschwäche des Wortes Herrschaft beweist am deutlichsten der idealtypische Demokratiebegriff Hans Kelsens, der zu Recht meint, daß die Demokratie der Idee nach das politische Prinzip der Herrschaftslosigkeit sei 189 . Kelsen hat die "Idee der Freiheit" und untergeordnet die "Idee der Gleichheit" als die "zwei Postulate unserer praktischen Vernunft" benannt, welche sich "in der Idee der Demokratie vereinigen" und die "Forderung abgeleitet, daß einer den anderen nicht beherrschen solle" 1 9 0 . Die "politische Freiheit" hat Kelsen also als Autonomie des Willens vorgestellt 191 ; die Freiheit aber schließlich im "Freistaat" zur Untertänigkeit verwandelt 192 . Auch dieser Gegensatz zeigt, daß der Demokratiebegriff erst durch Attribute spezifiziert wird und nur bescheidene definitorische Wirkung entfaltet. Desto größer ist seine ideologische Kraft, die er wohl seiner Offenheit für unterschiedliche Verfassungen verdankt. Die Ideologiehaftigkeit des Wortes Demokratie hat wie kein anderer Kelsen herausgestellt 193 . Manfred Hättich zeigt die Spannweite des Wortes Demokratie: 187 188

Dazu 2. Teil, 1., 2., 7. und 11. Kap., S. 71 ff., 79 ff., 124 ff., 153 ff. Dazu 2. Teil, 1. und 2. Kap., S. 71 ff., 79 ff.

189

Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., 12 u.ö.; vgl. dazu auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 976; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 25 ff., insb. 33 f., auch S. 147 u.ö., ders., Demokratie, Sp. 1183; so auch W. Henke, Recht und Staat, S. 318, 621, der darum in seiner konsequenten Herrschaftslehre das demokratische Element auf wahlrechtliche Rudimente reduziert (a.a.O., S. 386, 398); ebenso ders., HStR, Bd. I, S. 879 f., wo er die Demokratie mit Freiheit, diese mit Ordnungslosigkeit identifiziert. 190 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 und ff., 12 u.ö.; zur republikanischen Logik der Identität der Gleichheit mit der Freiheit 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; auch 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; so schon Aristoteles, Politik, S. 203, 1317 b, 38 ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345 f. 191 Kelsen hat freilich den kategorischen Imperativ als material (miß)verstanden und ihm darum "völlige Lehrheit" vorgeworfen, Was ist Gerechtigkeit?, 1953, S. 32 f.; darum konnte er die Lehre von der Freiheit nicht begreifen, die untrennbar mit der Formalität der inneren Freiheit, der Pflicht zur Sittlichkeit, zusammenhängt (dazu 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff., insb. 3. Kap., S. 275 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 214 ff.). 192 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff. 193 Vom Wesen und Wert der Demokratie, passim; das machen auch die "Überlegungen zur sozialistischen Demokratie" von J.-U. Heuer, seit 1990 Mitglied des Bundestages, und anderen Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1987, sehr deutlich, die etwa W. Eichhorn, Demokratie als "Begriff des Klassenkampfes" mit Diktatur identifizieren ließen (S. 43 f.; dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 245 f.); U.-J. Heuer, Marxistische Theorie und Demokratie, Kritische Justiz 23 (1990), S. 198 ff., kritisiert das jetzt, nach dem "Scheitern des Frühsozialismus" wegen der "zentralistischen Kommandowirtschaft" (a.a.O., S. 207) auf der Basis seines Buches Marxismus und Demokratie, 1989, deutlicher als "die Stalinsche Denkweise der Identität von Demokratie und Diktatur" (a.a.O., S. 198, 202); BVerfGE 5, 85 (196) -KPD-

38

1. Teil: Republikanische Orientierung

"In der Tat wäre Demokratie in des Wortes eigentlicher Bedeutung eine herrschaftslose Ordnung", aber: "Politische Herrschaft und Staat synonym genommen, wird man all denen recht geben müssen, welche die Notwendigkeit von Herrschaft betonen, was mit einer Verwerfung des Demokratiebegriffs als herrschaftslose Ordnung gleichbedeutend ist". 1 9 4 Die begriffs- und damit verfassungsändernde Wirkung der Herrschaftsideologie illustriert Hättich damit trotz seiner ideologiekritischen Bemühungen selbst 195 . 3. Das Wort Demokratie ist keineswegs begriffslos. Immerhin steht es seit den griechischen Staatsphilosophien gegen die Monokratie oder Monarchie, aber auch gegen die Oligarchie 196 . Eine Herrschaft aus eigenem Recht, insbesondere eine aus ererbtem Recht, ist mit dem Prinzip Demokratie genausowenig vereinbar wie eine Herrschaft, die sich religiös auf eine Legitimation von Gott stützt 197 . Dieser elementare Begriffsgehalt von Demokratie folgt aber auch aus dem Prinzip Republik 1 9 8 . Das gilt auch für die Unverzichtbarkeit von Wahlen in einem Gemeinwesen, dessen Politik auf der Gleichheit aller in der Freiheit gründet. Wahlen sind republikanisch. Sie sind zugleich demokratisch, wenn das Volk als Bürgerschaft begriffen wird; denn eine identitäre Herrschaft des Volkes über das Volk ist unmöglich 1 9 9 . Man mag vom "ehernen Gesetz der Oligarchie" sprechen 200 .

Urteil: "Die Demokratie, die in der Diktatur des Proletariats bestehen soll, ist jedenfalls nicht die der Prinzipien des Grundgesetzes"; auch der Hitlerismus hat beansprucht, "wahre Demokratie" zu sein, vgl. M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 11 f.; F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 8 ff. 194 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 33, 34 unter Berufung auf /. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, 1960, S. 155. 195 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 25 ff., zum "ideologischen Demokratieverständnis" S. 166 ff. (zum Ideologiebegriff). 196 Piaton, Die Gesetze, S. 75, 693 d, wo er die Allein- und die Volksherrschaft als "Mütter der Staatsverfassungen" unterscheidet; Aristoteles, Politik, S. 114, 1279 b 4 ff., S. 139, 1290 a 13 ff.; vgl. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 151 f.; W. Maihofer, HVerfR, S. 175 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 592 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff., 318. 197 Etwa K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 53, Rdn. 134; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 139 ff.; ders., Demokratie, Sp. 1182; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 891, 893 f. ("Säkularisierung der politischen Herrschaft"); dazu auch die Erörterung der Herleitung der Staatsgewalt aus dem Willen Gottes, die H. v. Mangoldt nicht geleugnet wissen wollte, Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 198 f.; dazu 1. Teil, 2. Kap., S. 11 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff. 198 So auch W. Maihofer, HVerfR, S. 176; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 873 f.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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W e n n D e m o k r a t i e die Herrschaft, was i m m e r das sei, d e m V o l k beläßt, ist m i t d e m B e g r i f f D e m o k r a t i e jedenfalls die politische Gleichheit der Bürger verbunden201. "Volksherrschaft manifestiert sich drittens i m Prinzip der Gleichheit n i c h t als Gegenprinzip zu Freiheit, sondern zu Privilegien." Kriele

Martin

202

D e r Begriffskern v o n Demokratie, welcher keinen Streit auslösen dürfte, vermag eine Verfassung über den politischen Formgehalt des Begriffs R e p u b l i k hinaus nicht zu bestimmen. D e r B e g r i f f R e p u b l i k entfaltet aber differenziertere politische W i r k u n g . 4. V o r a l l e m die Entscheidung für die Gleichheit aller i n der F r e i h e i t 2 0 3 läßt sich m i t der für die D e m o k r a t i e zur Staats- u n d Regierungsform der "freiheitlichen D e m o k r a t i e " verbinden.

199 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 51 f., Rdn. 131; so auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 593 ff.; ders., Staatsrecht II, S. 37 ff., der das demokratische Element, die sog. Volksherrschaft, auf das Wahlprinzip zentriert; i.d.S. auch M. Hättich, Demokratie, Sp. 1182; i.d.S. auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 655; dazu auch 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 200 R. Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens, S. 354 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 160 ff., dazu 10. Teil, 4. und 5. Kap., S. 1086 ff., 1113 ff. 201 Vgl. Aristoteles, Politik, S. 143, 1292 a 30 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 224 f., 226 ff., sieht die Gleichheit i.S. der Gleichartigkeit als das politische Formprinzip der Demokratie; vgl. dazu 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff.; auch 2. Teil, 4. Kap., S. 95 f.; vgl. auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 914 ff., zur "demokratischen Gleichheit" auch i.S. der "vorrechtlichen Gleichartigkeit" als "relativer Homogenität" (dazu 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff.) im Unterschied zur "allgemeinen Menschengleichheit", der aber S. 914 auch von "Gleichheit in der Freiheit" spricht; E. Benda, Demokratie, Sp. 1196; G. Leibholz, Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 59 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 594 f., und R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 6 ff. zu Art. 20 Abs. II, zentrieren das Demokratieprinzip auf den Grundsatz der Gleichheit; auch M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 61; anders ders., HVerfR, S. 135 ff. ("gleiche Freiheit"); anders auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 641; anders W. Henke, HStR, Bd. I, S. 879 f. ("Demokratie ist Freiheit schlechthin", das heißt für Henke fast schon Anarchie); anders insb. W. Maihofer, HVerfR, S. 212 ff. ("Gleichheit in Freiheit", aber "Vorrang der Freiheit"); vgl. auch KA. Schachtschneider, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, JA 1979, 569 ff. 202 VVDStRL 29 (1971), S. 61; der im HVerfR, S. 129 ff., 135 ff., richtig das Prinzip der "gleichen Freiheit" zur "staatsrechtlichen Basis" erklärt. 203 Vgl. M. Kriele, HVerfR, S. 129 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., 212 ff.; so auch W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff., 318, für Athen, das Modell "einer Gemeinschaft gleich Freier", gegen das sich seine Herrschafts lehre richtet, weil er das Modell für "schwärmerisch", "illusionär", "perennierenden Rousseauismus" (a.a.O., S. 251 ff., 399, 621) usw. hält, alles Vorwürfe gegen das Grundgesetz; K. Stern, Staatsrecht I, S. 588, sieht in der Verbindung der Demokratie mit den Menschenrechten und der Freiheit seit dem Zweiten Weltkrieg "lediglich" eine "zusätzliche Legitimation" der Demokratie, die er auf den Gleichheitsgrundsatz stützt

40

1. Teil: Republikanische Orientierung

"Der Verfassungsstaat ist die Wirklichkeit der Freiheit." - Josef Isensee204 Die "freiheitliche Demokratie" wird als die politische Form des grundgesetzlichen Gemeinwesens reklamiert 205 , zumal das Grundgesetz eigenständig die "freiheitliche demokratische Grundordnung" schützt (Art. 18, 21 Abs. 2, 91 Abs. 1 GG) 2 0 6 . Gerade die Gleichheit in der Freiheit aber rückt die "freiheitliche Demokratie" an die Republik heran, die Form des Politischen, welche die allgemeine Freiheit verwirklicht, die Form des eigentlich Politischen also, die Politie nämlich, wie sie Aristoteles genannt hat. Wenn auch nicht im gleichen Maße wie der der "freiheitlichen Demokratie", so republikanisieren doch auch die Begriffe "parlamentarische Demokratie" 2 0 7 und "repräsentative Demokratie" 208 den Begriff der Demokratie, wenn diese Begriffe nicht durch ein Prinzip Herrschaft überlagert werden. 5. Die genannten Begriffe machen sich republikanische Prinzipien zu eigen, ja zum bestimmenden Merkmal des Demokratiebegriffs. Mittels der republikanischen Attribute zum begriffsarmen Substantiv Demokratie wird das die grundgesetzliche Verfassung bestimmende Prinzip Republik zur Geltung gebracht, allerdings vor allem herrschaftsideologisch relativiert und begriffssynkretistisch der Verzerrung ausgeliefert. Reinhold Zippelius fragt: "Was bleibt von der Demokratie noch übrig?" 2 0 9

(a.a.O., S. 594 f.); E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 909 ff., 914 ff.; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 880 f. ("gleiche Verteilung geordneter Freiheit", was einen materialen Freiheitsbegriff reklamieren durfte, aber auch "gleiche Freiheit"). 204 HStR, Bd. I, S. 641, vgl. auch S. 655 f. 205 BVerfGE 83, 60 (71); etwa W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff.; insb. H.-F. Zacher, Freiheitliche Demokratie, 1969, insb. S. 81 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 556 ff.; vgl. auch E.W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 909 ff.; E. Benda, Demokratie, Sp. 1194 f. 206 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 6 f.; 2. Teil, 4. Kap., S. 97 f.; so etwa W. Maihofer, HVerfR, S. 173; K. Stern, Staatsrecht II, S. 556 ff., mit aufschlußreichen Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. 207 Etwa M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 47 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 65, Rdn. 166; auch BVerfGE 83, 37 (54). 208 Dazu Hinweise in Fn. 157 und Fn. 306, 8. Teil, 2. Kap., S. 692; etwa BVerfGE 84, 304 (324). 209 Allgemeine Staatslehre, S. 176; vgl. BVerfGE 83, 60 (72), das "vor allem die Wahl des Parlaments", "die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt", "den parlamentarischen Einfluß auf die Politik der Regierung", "sowie die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung" als Kriterien für das demokratische

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

41

Z u r A n t w o r t verweist er auf das W a h l p r i n z i p 2 1 0 , das freilich unverzichtbarer Baustein der R e p u b l i k ist. D e r B e g r i f f "Parteiendemokratie" 2 1 1 j e d o c h entfernt sich v o n der Entscheidung für die R e p u b l i k ; denn die Parteienstaatlichkeit ist m i t d e m Prinzip R e p u b l i k u n v e r e i n b a r 2 1 2 . M i t d e m Beg r i f f "Volksdemokratie" verbindet sich die Herrschaft v o n Parteienoligarchien. "Es gibt eine demokratische Ordnung, die weniger frei ist, die volksdemokratische, u n d eine, die frei ist." - Hermann

v. Mangoldt

(CDU) im

parlamentarischen R a t 2 1 3 . Der Begriff

"konstitutionelle D e m o k r a t i e " 2 1 4 klärt zunächst die Verfaßt-

heit des Gemeinwesens, ohne die eine (etwa akklamative) D e m o k r a t i e , nicht aber eine R e p u b l i k bestehen k a n n 2 1 5 , akzeptiert aber darüberhinaus

den

Herrschaftscharakter der Demokratie, der i m Verfassungsstaat liberalistisch gemäßigt werden soll. Werner Maihofer

spricht denn auch v o n der "Herr-

schaft v o n M e n s c h e n über Menschen" u n d v o n der "liberalen u n d sozialen

"Legitimationsniveau" aufstellt, das nicht von der "Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität" abhänge, wobei "unterschiedliche Formen des institutionellen, funktionellen, sachlich-inhaltlichen und personellen Legitimation" "in ihrem Zusammenwirken" "für den Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft" maßgeblich seien. 210 Allgemeine Staatslehre, S. 176 ff., 182, 187 ff.; allgemein wird das Wahlprinzip als Kern der Demokratie gesehen, zu Recht, vgl. M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 61 ff. 211

Dazu die Hinweise 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., insb. in Fn. 704. Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff., insb. 2. Kap., S. 1054 ff.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 352 f. 213 JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 173; vgl. Κ Stern, Staatsrecht I, S. 557. 214 Etwa W. Maihofer. Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff.; ders., HVerfR, S. 178 ff.; zum Konstitutionalismus vor allem, C.J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, passim, S. 33 f.; K. Loewenstein, Verfassungslehre, 1959, S. 67 ff.; dazu auch M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 15, 70, 122; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 592 ff., 638 ff. zum Verfassungsstaat; für die deutsche Verfassungsgeschichte R. Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates, HStR, Bd. I, S. 4 ff., 24 f.; E.R. Huber, Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung, HStR, Bd. I, S. 36 ff., insb. S. 51 ff. 212

215

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 429; so schon Aristoteles, Politik, S. 144, 1292 a, 30 ff. ("Wo nämlich keine Gesetze regieren, da ist auch keine Verfassung"); i.d.S. auch W. Henke, HStR, Bd. I, S. 879 ff., der Demokratie als Freiheit, aber eine ohne Ordnung versteht, Republik aber als "freiheitliche Ordnung". Eine akklamative Demokratie etwa i.S. C. Schmitts, Verfassungslehre, S. 243 u.ö., hat keine Verfassung im verfassungsrechtlichen Sinne, denn sie erreicht keine rechtsstaatliche Qualität. Zum Begriff der Verfassung i.d.S. J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. I, S. 592 ff., 638 ff.

42

1. Teil: Republikanische Orientierung

Demokratie des Grundgesetzes" 216 . M i t dem Begriff "konstitutionelle Demokratie" w i l l Werner Maihofer, nicht anders als Carl Schmitt, die vor allem grundrechtlich, im Sinne Schmitts liberal "beschränkte Mehrheitsherrschaft" erfassen 217 . Auch eine konstitutionelle Demokratie bleibt ihrem Begriff nach herrschaftlich, also dezisionistisch; die Republik aber ist kognitivistisch, nämlich sittlich, wie gerade Maihofer weiß, der den "Kategorischen Imperativ" richtig als juridisches Konstruktionsprinzip von Recht unter Freien und Gleichen, also einer Republik, erkennt 218 . Trotz dieser Übereinstimmung verwenden Werner Maihofer und Carl Schmitt gänzlich unterschiedliche Volksbegriffe. Während Volk bei Schmitt die "politische Einheit", "das Volk als Ganzes", "die Nation", ist 2 1 9 , begreift Maihofer den Staat und damit das Volk kantianisch als "die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen" 220 . Die Begriffe Volk und Staat sind notwendig reziprok und homolog 2 2 1 . Werner Conze schließt die geschichtliche Untersuchung des Begriffs Demokratie, an der neben ihm Christian Meier, Hans Leo Reimann, Hans Maier und Reinhart Koselleck mitgewirkt haben, mit der resignativen Feststellung ab, daß Demokratie ein "Idealbegriff", eine "Leerform", ja ein "allumfassender Idolbegriff" sei 222 . So versteht Wilhelm Henke, geschicht-

216 HVerfR, S. 178, 191 u.ö., bzw. S. 177 ff., im Widerspruch zu seiner Lehre von der "Demokratie als Selbstherrschaft und Selbstbeherrschung" (a.a.O, S. 187). 217 IV. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff.; ebenso ders., HVerfR, S. 174, auch S. 216; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 216, 224 f.; nicht anders E. Benda, Demokratie, Sp. 1194 ff.; auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 223, 252, 275 f., nennt sein politisches System "konstitutionelle Demokratie". 2.8 Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 20, 32; ders., HVerfR, S. 207, 224 ff. (zur Brüderlichkeit, Moralität, Nächstenliebe); auch Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 138, S. 54, Rdn. 159, S. 62 ff., sieht "Demokratie im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes" als "Form der Rationalisierung des politischen Prozesses", der darum wegen der "Begrenztheit des menschlichen Erkennens" der "Öffentlichkeit" bedarf, also kognitivistisch. 2.9 Verfassungslehre, S. 204 ff. u.ö. 220 Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 22 ff.; HVerfR, S. 206; Kants Staatsbegriff befindet sich in: Metaphysik der Sitten, S. 431. 221 Ganz so Kant, Metaphysik der Sitten, S. 429, dessen Volksbegriff im Text S. 35 zitiert ist; vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 205; i.d.S. Carlo Schmid im Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates, Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 198 f. 222 Demokratie, S. 1897 f.; nicht anders C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 225 ("ganz allgemeiner Idealbegriff"); M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 11 ff., m.H. auf weitere Äußerungen zu diesem Aspekt; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 127, S. 50; W. Leisner, Staatseinung, S. 31.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

43

lieh wohlbegründet, Demokratie als Freiheit ohne Ordnung 223 , also als Anarchie, die "marxistische, sozialistische Demokratielehre" dagegen als "Diktatur des Proletariats" 224 , das Beispiel eines Begriffs "totalitärer Demokratie" (Manfred Hättich) 225. Weil eine Demokratie begriffsgeschichtlich also nicht nur eine Form der Freiheit, sondern auch eine der Herrschaft sein kann, läßt sich dem Begriff weder ein Repräsentationsprinzip, zu dem ein Wahl- und auch ein Parlamentsprinzip gehören würden, noch ein bestimmtes Freiheits- oder bestimmtes Gleichheitsprinzip entnehmen, obwohl die Entscheidung für die gleiche Freiheit aller das Verständnis des Begriffs Demokratie im Laufe seiner Geschichte dominiert. 6. Carl Schmitt hat die Freiheit als politisches Formprinzip der Demokratie neben dem der Gleichheit geleugnet und konsequent das Prinzip Gleichheit auf die Gleichartigkeit ausgerichtet 226 . Wenn "die Demokratie die Herrschaft der öffentlichen Meinung" ist, wie Carl Schmitt "den Zusammenhang von Volk und Öffentlichkeit" gesehen hat 2 2 7 , sind weder ein Freiheitsprinzip noch ein Gleichheitsprinzip, aber auch ein Wahl- oder gar ein Parlamentsprinzip nicht begrifflich mit der Demokratie verbunden. Die Hitlerische Führerschaft, die nach Schmitts Kriterien eine Demokratie war, hat das unter Beweis gestellt. "Das Volk kann akklamieren", wem, "einem Führer". - Carl Schmitt 228 Ein Führer herrscht im Schmittschen Sinne demokratisch, wenn das Volk ihn stützt. Dafür genügt nach Schmitt die öffentliche Meinung; denn: "Die öffentliche Meinung ist die moderne Art der Akklamation" 2 2 9 . Auch wer schweigt, scheint zuzustimmen. Der Schein genügt für das öffentliche Leben. Die Parole: Führer befiehl, wir folgen, ist im Schmittschen

223 HStR, Bd. I, S. 879 ff.; ders., Recht und Staat, S. 311 ff., wo er griechische Demokratie als möglichste Herrschaftslosigkeit vorstellt; kritisch zur "herrschaftslosen Ordnung", der eigentlichen Bedeutung von Demokratie, M. Hättich, Demokratie und Herrschaftsordnung, S. 33 ff. 224 W. Eichhorn, Anmerkungen zum Demokratiebegriff, in: U.-J. Heuer, Überlegungen zur sozialistischen Demokratie, 1986, S. 43 f. (Zitat unten S. 48 f.). 225

Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 12. Verfassungslehre, S. 224 ff.; Hinweise auf Vertreter einer gleichheitsdominierten Demokratielehre unter dem Grundgesetz in Fn. 133, 2. Teil, 4. Kap., S. 96. 227 Verfassungslehre, S. 246 ff. 228 Verfassungslehre, S. 243 ("einem Führer oder einem Vorschlag zujubeln"), S. 277, 315; vgl. auch ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 35 f.; zur Kritik der Akklamation als Legitimation 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 741 ff., 754 ff. 226

229

Verfassungslehre, S. 243, 246 f.

44

1. Teil: Republikanische Orientierung

Sinne demokratisch. Schon Aristoteles hat die Herrschaft durch Führer als die in einer Demokratie zu erwartende Entwicklung skizziert 230 . Der gegenwärtige entwickelte Parteienstaat bestätigt erneut diese Erwartung. Martin Kriele hat in seiner "Demokratischen Weltrevolution", 1987, den herrschaftlichen Charakter des Akklamationsprinzips als eine "Akzeptanz der Fremdbestimmung" herausgestellt: "Diese Akzeptanz mag der einzelne mit allerlei Gründen erklären - etwa: der Herr kämpfe gegen Feinde, die auch seine Feinde seien, oder: er sei ein genialer Führer, der schon wisse, was er tue, oder: es gehe sozial und wirtschaftlich aufwärts. Was im Verzicht auf demokratische Selbstbestimmung zum Ausdruck kommt, ist trotzdem nicht die dem Menschen eigene Vernunftnatur, sondern der Durchbruch der dem Menschen freilich auch zugehörigen tierischen Natur, also nicht die menschliche Würde des aufrechten Ganges, sondern die hündische Unterwürfigkeit unter den Herren. Je freudiger die Identifikation mit dem Herren, desto eindeutiger die Würdelosigkeit des Verzichts auf freie Selbstbestimmung und desto eindeutiger auch die Mißachtung der Würde der anderen, die an dieser Identifikation nicht teilhaben und rechtlos sind" 2 3 1 . 7. Auch die demokratische Bewegung in der DDR 1989/90 hat tiefgreifend die Verhältnisse verändert, ohne daß die Abgeordneten der Volkskammer durch Wahlen legitimiert gewesen wären, Entscheidungen für das Volk zu treffen. Die Entscheidungen traf ein Runder Tisch, der das Vertrauen der politisch aktiven Bürger genoß, ohne daß die Bürger, die sich am Runden Tisch zusammenfanden, gewählt gewesen wären, ohne daß der Runde Tisch ein Parlament und ohne daß die politische Freiheit durch irgendeine Art von Gleichheit der Bürger verwirklicht gewesen wäre. Dennoch galt die Entwicklung der DDR nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes als demokratisch, in der Zeit der Befreiung von der Herrschaft dem elementaren Begriffsgehalt von Demokratie nach zu Recht. Erst unter einer Verfassung der Republik, wenn also das bürgerliche Prinzip des Rechts sich behauptet hat, ist dieser Teil Deutschlands in freiheitlichen Sinne demokratisch. Durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 nach Art. 23 GG (damalige Fassung) haben sich die sogenannten neuen Bundesländer für eine Verfassung der Republik entschieden.

230 Politik, S. 143 f., 1292 a 5 ff.; ganz so auch K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff., 141 ff. 231 Die demokratische Weltrevolution, S. 37.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

45

8. Das Grundgesetz ist die Verfassung der Freiheit 232 . Grundgesetzliche Staatlichkeit ist (rechtliche) Gesetzlichkeit 233 . Das hat zur Folge, daß die wortgetreue Übersetzung des Begriffs Demokratie unergiebig bleibt, weil eine Herrschaft des Volkes der Freiheit des Volkes widerspräche, wie die Schmittsche mit dem Begriff Demokratie verbundene Herrschaftslehre zeigt. Eine Herrschaft des Volkes über das Volk muß die Regierung einschließen. Eine solche Regierung wäre republikwidrige Despotie, wie Kant klargestellt hat, weil ihr die Gesetzlichkeit ermangeln würde 234 . Wenn, wie schon hervorgehoben wurde 2 3 5 , die Entscheidung für die Demokratie als Entscheidung gegen jede Art von Herrschaft verstanden wird, ist mit dem Begriff Demokratie die Form des Politischen zwar eingeengt, aber noch nicht hinreichend bestimmt. Das müssen erst die Attribute zum Substantiv Demokratie leisten. Wenn diese Attribute jedoch durchgehend republikanisch sind, ist die eigentliche Form des Politischen die der Republik; denn die Republik ist die spezifische Form der Demokratie, welche die allgemeine Gleichheit in der Freiheit verwirklicht, nämlich die politische Form des Rechts durch Gesetzlichkeit. "Das demokratische Instrument zur Herstellung gleicher Freiheit ist das allgemeine Gesetz." - Martin Kriele 236 IV. Die sanfte Despotie der demokratisti sehen Pateienoligarchie 1. Auch die Parteienoligarchie ist durch die Führung von Führern gekennzeichnet 237 . Die Parteienoligarchie ist die Wirklichkeit des entwickel-

232 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 2 ff., auch 3. Kap., S. 14 ff.; insb. P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, HStR, Bd. I, S. 810 ("personale Würde und Freiheit"); P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. I, S. 815 ff., 843 ff., 848 ("Kultur der Freiheit" als Konkretisierung der "Kultur der Menschenwürde"; Zusammenhang zwischen Menschenwürde bzw. Grundfreiheiten und freiheitlicher Demokratie"); J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 616; zur Autonomie/Freiheit als der Würde des Menschen; Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67 ff., 69, passim; auch ders., Metaphysik der Sitten, S. 317 ff.; dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 7. Teil, 1. und 2. Kap., S. 519 ff., 536 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 9. Teil, 7. und 10. Kap., S. 978 ff., 1027 ff. 233 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; weitere Hinweise in Fn. 454, 5. Teil, 4. Kap., S. 342. 234 Zum ewigen Frieden, S. 206 ff.; vgl. i.d.S. auch ders., Der Streit der Fakultäten, S. 364; so vor allem Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 40 u.ö. (siehe das Zitat S. 13 im 2. Kap.); vgl. i.d.S. R. Koselleck, Demokratie, S. 850 ff. 235

Vgl. S. 19 ff., 34 ff. HVerfR, S. 145. 237 K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff.; so auch schon H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78 ff. 236

46

1. Teil: Republikanische Orientierung Parteienstaates 2 3 8 ,

ten

der

als

demokratisch

gilt239.

Parteiendemokrati-

sche F ü h r u n g verletzt die Freiheit und verletzt die Gleichheit. Sie entwertet die W a h l e n u n d mißbraucht das Parlament. Das Parlament hat i m e n t w i k kelten Parteienstaat, i m "pluralistischen Parteienstaat m i t fest organisierten G e b i l d e n als Träger der staatlichen W i l l e n s b i l d u n g " , w i e Carl diesen n a n n t e 2 4 0 , seine freiheitliche,

Schmitt

gesetzesstaatliche F u n k t i o n i n

Substanz e i n g e b ü ß t 2 4 1 . D i e W a h l e n der Parlamentarier

sind i m

der

entwic-

kelten Parteienstaat i m wesentlichen die Entscheidung der M e h r h e i t der W ä h l e r für die Herrschaft einer der u m die Herrschaft Parteiführungen

242

konkurrierenden

. D i e verfassungsgebotene F o r m dieser Entscheidung ist

die W a h l der Vertreter des ganzen Volkes. Carl

Schmitt

hat den W a h l e n

einen plebiszitären Charakter beigemessen. " D e n n die W a h l ist ein plebiszitärer Vorgang g e w o r d e n . " 2 4 3 Gerhard dieser

238

Leibholz Ansicht

hat seine (ständig wiederholte) Parteienstaatslehre aufgebaut 2 4 4 .

Plebiszite

sind

keine W a h l e n 2 4 5 ,

auf

sondern

Dazu 10. Teil, 4. und 5. Kap., S. 1086 ff., 1113 ff.; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. Vgl. die Hinweise in Fn. 704, 7. Teil, 5. Kap.; insb. H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 19 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 247 (wohl i.S. liberaler Parteien); ders., Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., 87 ff.; ders., Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 45; G. Leibholz, Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 58 f.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff., insb. S. 79 ff. u.ö.; nach E. Benda, Demokratie, Sp. 1194 f., sogar als "freiheitlich demokratisch"; dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff. 240 Der Hüter der Verfassung, S. 82 ff., S. 89 (Zitat), 98 f.; i.d.S. auch ders., Verfassungslehre, S. 247 f., 319 u.ö. 241 So insb. H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, 1927, S. 13 f.; C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 41 ff., 63; ders., Verfassungslehre, S. 318 f.; ders., Legalität und Legitimität, S. 7; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 77, 83 ff. u.ö.; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 131 ff., 136 ff.; G. Leibholz, Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff. u.ö.; dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., insb. 811 ff. 242 Darin sieht KR. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 12 f., 14 ff., das demokratische Prinzip erfüllt, weil ein Herrschaftswechsel ohne Blutvergießen möglich ist; weitere Hinweise für diese Ansicht in Fn. 145, S. 30. 243 Legalität und Legitimität, S. 92; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 86 f. (ein "plebiszitähnlicher Vorgang", den "man nicht mehr Wahl nennen" könne); vgl. ders., Verfassungslehre, S. 319. 244 Etwa in: Die Reform des Wahlrechts, VVDStRL 7 (1932), S. 164 ff.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff.; dazu D. Grimm, Politische Parteien, HVerfR, S. 331 ff.; ders., Das Parlament und die Parteien, S. 200; M. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 141 f.; kritisch W. Hennis, Die Rolle der Parteien und die Parteiendemokratie, in: ders., Die mißverstandene Demokratie, 1973, S. 168 Fn. 32: "An Leibholz' Lehre stimmt so ziemlich nichts". 239

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

47

Sachentscheidungen unmittelbar durch das Volk 2 4 6 . Die Wahl zwischen konkurrierenden Parteiführungen ist jedoch kein Plebiszit. Trotz einer plebiszitären Wirkung der Wahlen lassen sich die Parteienoligarchien weder rechtlich noch moralisch auf Programme festlegen, selbst wenn sie mit solchen werben. Die jeweiligen Veränderungen der Lage lassen das nicht zu. Die programmatische Wahlwerbung ist keinesfalls legitim. Sie verführt zur Wählertäuschung. Aus der Sicht des Grundgesetzes geht es allein um die Wahl der Besten zu Volksvertretern 247 . Die 1989/90 herrschende Koalition ist nicht gewählt worden, um ihre Deutschlandpolitik der Einheit zu betreiben; denn bei der Wahl 1986 hat kein Deutscher auch nur ahnen können, daß 1989 eine deutsche Einheit durch Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland 248 möglich werden wird. Die Wahlen bleiben Personalentscheidungen. I m Parteienstaat nehmen sie Einfluß darauf, welche Parteioligarchien das Volk in der Wahlperiode führen sollen. Die Entscheidung darüber treffen im Rahmen der Möglichkeiten der parteilichen Mehrheitsbildung die Parteioligarchien selbst. Wenn aber der Parteienstaat sich zur Parteienoligarchie, wie das Karl Jaspers beschrieben hat 2 4 9 , entwickelt hat, verliert die Wahl der Volksvertreter ihre substantielle Funktion, jedenfalls wenn die Instrumente der etablierten Parteien genügen, Alternativen zur herrschenden Oligarchie zu verhindern. Das leisten die privilegierende Parteienfinanzierung und die diffamierende Propaganda, zumal wenn der vom Grundgesetz vorgeschriebene Weg der Klärung der Verfassungswidrigkeit neuer Parteien, der Weg zum Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 2 GG, gemieden wird. Parteigebundene Abgeordnete sind keine Parlamentarier, wenn und soweit sie nicht miteinander im Sinne von Diskursen, also öffentlichen Diskussionen, über die richtigen Gesetze sprechen. Sie versammeln sich nur selten zu einem Parlament; denn sie degradieren ihre Versammlungen meist zur bloßen, wegen der grundgesetzlich vorgeschriebenen Einrichtungen unver-

245 M. Hättich, Demokratie, Sp. 1186 f.; ders., Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 113 f.; dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 644 ff. 246 W. Maihofer, HVerfR, S. 1409 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 607 f.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 259 ff. 247 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 662 ff., 674 ff. 248 Vgl. dazu den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands, Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889). 249 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff.

48

1. Teil: Republikanische Orientierung

meidbaren, Beschlußfassung über außerparlamentarische Entscheidungen ihrer Parteien und mißbrauchen diese Gelegenheit vielfach zur parteilichen Propaganda. "Der repräsentative Charakter des Parlaments und des Abgeordneten entfällt. Infolgedessen ist das Parlament nicht mehr der Platz, an welchem die politische Entscheidung fällt. Die wesentlichen Entscheidungen werden außerhalb des Parlaments getroffen. Das Parlament fungiert dabei als Bureau für eine technische Umschaltung in den staatlichen Behördenapparat." - Carl Schmitt 250 Wer als Abgeordneter Mitglied des Parlaments wird, unterliegt wesentlich dem Einfluß der Parteiführungen. Die Wähler entscheiden im Verhältniswahlsystem politisch über die Stärkeverhältnisse unter den Parteien im Parlament. Welche Parteifunktionäre im Parlament Sitz und Stimme haben sollen, entscheiden im Rahmen dieser weitestgehend abschätzbaren Wählerentscheidung die Parteien. Die Kandidaten sind den Wählern meist unbekannt. Diese Mängel des parteienstaatlichen Parlamentarismus sind oft festgestellt worden 2 5 1 , aber nicht behoben. Freiheitlicher Parlamentarismus kann sich i m entwickelten Parteienstaat nicht entfalten. 2. Die Oligarchie der von der damaligen SED dominierten Blockparteien in der DDR bis zum November 1989 war nur der konsequent entwickelte Extremfall der Parteienoligarchie, welche die von Karl Jaspers befürchtete "Diktatur" 2 5 2 verwirklicht hatte. Auch die Herrschaft der SED hat für sich in Anspruch genommen, Demokratie, nämlich die "sozialistische Demokratie" zu sein. "Diktatur des Proletariats und proletarische bzw. sozialistische Demokratie sind identisch, spezifische Fragestellung nach einem Widerspruchsverhältnis von Massen und eigenem Staat, nach der Freiheit eines jeden können (müssen) vernachlässigt werden, ...",

250

Verfassungslehre, S. 319. H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 13 ff.; G. Radbruch, Die politischen Parteien im System des deutschen Verfassungsrechts, HbdDStR, 1. Bd., 1930, S. 286 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 318 f.; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 41 ff., 61 ff.; vgl. auch ders., Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; ders., Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 43 ff.; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 131 ff.; G. Leibholz, Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff. u.ö.; dazu D. Grimm, HVerfR, S. 331 ff.; dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 112 ff.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1164 ff. 251

252

Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 141 ff.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

49

faßt Uwe-Jens Heuer, korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR, seit 1990 Mitglied des Bundestages (PDS), das "bestimmende Demokratieverständnis" des Sozialismus zusammen 253 . "Unser Staat als Form der Diktatur des Proletariats vertritt die Interessen des ganzen Volkes", zitiert Heuer das Programm der SED 2 5 4 . Art. 47 Abs. 2 der sogenannten Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 brachte das herrschaftliche Prinzip der sozialistischen Demokratie auf den Begriff: "Die Souveränität des werktätigen Volkes, verwirklicht auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus, ist das tragende Prinzip des Staatsaufbaus". In seinen "Anmerkungen zum Demokratiebegriff" stellt Wolfgang Eichhorn, damals ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR, klar, daß " , Demokratie , in erster Linie, zunächst und vor allem ein Klassenbegriff, ein Begriff des Klassenkampfes ist - und das ist eben meiner Meinung nach conditio sine qua non des marxistischen Herangehens an die Problematik -, dann ist und bleibt sie inhaltlich wesensgleich mit 'Diktatur': mit realer Macht von Klassen." 255 Demokratie wird in diesem Sozialismus offen zur Diktatur, zur "Diktatur des Proletariats", zur "revolutionär-demokratischen Diktatur" also 256 . Selbst diese Demokratielehre kann sich auf Carl Schmitt berufen; denn sie ist eine Herrschaftslehre: "Bolschewismus und Faschismus dagegen sind wie jede Diktatur zwar antiliberal, aber nicht notwendig antidemokratisch. In der Geschichte der Demokratie gibt es manche Diktaturen, Caesarismen und andere Beispiele auffälliger, für die liberalen Traditionen des letzten Jahrhunderts ungewöhnliche Methoden, den Willen des Volkes zu bilden und eine Homogenität zu schaffen." - Carl Schmitt 257 Die Realität dieser sozialistischen Demokratie war die verbrecherische Unterdrückung eines Teils des deutschen Volkes. Nach aller Erfahrung ist immer zu erwarten, daß Herrschaft zum Verbrechen wird. Auch die bundes253

Überlegungen zur sozialistischen Demokratietheorie, 1986, S. 5 ff., 19; vgl. auch 4. Teil, 3. Kap., S. 246. 254 Überlegung zur sozialistischen Demokratie, S. 27. 255 In: U.-J. Heuer, Überlegungen zur sozialistischen Demokratie, S. 41 ff., 43 f. 256 W. Eichhorn, Anmerkungen zum Demokratiebegriff, S. 43. 257 Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 22. 4 Schachtschneider

50

1. Teil: Republikanische Orientierung

deutsche Mehrparteienoligarchie macht sich den Staat "zur Beute", vor allem durch die Ämterpatronage 258 . 3. Wenn das demokratische Prinzip Herrschaft verbietet, muß die Form des Politischen, die Freiheit, wohlorganisiert sein. Das leistet die Republik als Verfassung der Ämter 2 5 9 . Jedenfalls muß das demokratische Prinzip im Rahmen der republikanischen Staats- und Regierungsform, der politischen Form der Freiheit, entfaltet werden und ist dadurch nicht derart unbestimmt, daß auch noch der entwickelte Parteienstaat als demokratisch eingestuft werden könnte; denn die Parteienoligarchie widerspricht der Idee der Gleichheit aller in der Freiheit und damit der der Republik. Unter dem Grundgesetz kann das demokratische Prinzip, wie schon angedeutet 260 , nur negativ die Entscheidung gegen jede Art von Herrschaft, nicht positiv die Entscheidung für eine Herrschaft des Volkes sein, weil sonst die allgemeine Freiheit in der Despotie von Führern untergehen dürfte. Eine positive Form des Politischen gibt die Verfassung der Republik als die Verfassung der Freiheit und damit die Verfassung der Gesetzlichkeit. 4. Die reale Parteiendemokratie der Bundesrepublik Deutschland ist weit von einer Diktatur, wie sie Art. 1 der sogenannten Verfassung der DDR als "Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei" definiert hatte, entfernt. Dennoch ist der bundesdeutsche Parteienstaat substantiell eine Mehrparteienherrschaft. Der Wettbewerb der verschiedenen Parteien, insbesondere der um die Herrschaft und Beute ringenden beiden Lager, hat die freiheitliche Wirkung, die mit dem neuen Dualismus ver-

258

R. v. Weizsäcker, Krise und Chance unserer Parteiendemokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 42/82, S. 3 f.; H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk? Parteienherrschaft und Volkssouveränität, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 21/90, S. 25 ff.; ders., Der Staat als Beute, 1993; zur verfassungswidrigen Ämterpatronage ders., Ämterpatronage durch politische Parteien, 1980; ders., Ist die Kritik an den politischen Parteien berechtigt?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/93, S. 17 ff.; Th. Eschenburg, Ämterpatronage, 1961, S. 11 ff. ("Herrschaftspatronage"); M. Wichmann, Parteipolitische Patronage, ZBR, 1988, 365; dazu auch F. Wagner, Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, VVDStRL 37 (1979), S. 233 ff.; D. Grimm, HVerfR, S. 362 f.; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, 1992, S. 116 ff. u.ö.; klar schon C. Schmitt, Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 45, 47, 55; H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 23, 26; dazu 10. Teil, 5. und 8. Kap., 1113 ff., 1168 ff. 259 260

Dazu Hinweise in Fn. 169; vgl. insb. 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff. Vgl. auch 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

51

bunden ist 2 6 1 . Manchem genügt die Möglichkeit, zwischen zwei (oder mehreren) Führungsgruppen wählen zu können, als Demokratie 262 . Die Lager konkurrieren um die Mehrheit der Wählerstimmen und müssen sich darum den Interessen der großen Wählergruppen fügen. Das besänftigt ihre Herrschaft, bezähmt aber nicht den Beutetrieb, der hinreichend vor der Öffentlichkeit verschleiert und, "nach dem Gesetz der Quote" (Carl Schmitt) durch Verteilung vor oppositioneller Kritik geschützt, befriedigt zu werden pflegt 263 . Das Grundgesetz hält zudem Gegenprinzipien gegen die Parteienherrschaft bereit, die nicht ohne Wirkung sind, insbesondere die Prinzipien des materiellen und formellen Rechtsstaates264. Das eigenständige Gerichtswesen beschränkt die Möglichkeiten der Parteienherrschaft 265. Auch die Trennung von Wirtschaft (im Sinne der Unternehmer) und Staat schützt die Freiheit gegen die parteiliche Herrschaft. Diese Trennung, welche durch die Staatsunternehmen in Frage gestellt wird, muß um der Freiheit willen verteidigt werden. Wesentlich ist dafür die Erkenntnis, daß die formelle Privatisierung des Staates als vermeintlicher Unternehmer, auch Organisationsprivatisierung genannt, mit dem Grundgesetz unvereinbar ist 2 6 6 . Der Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung stabilisiert die Liberalität in der herrschaftlichen Parteiendemokratie 267 . Dieser Grundsatz realisiert sich in den Gesetzen, deren moralische Maxime äußerste Zurückhaltung des Gesetzgebers ist, wenn er staatliche Aufgaben definiert. Der

261 Hinweise zum Begriff des neuen Dualismus in Fn. 867, 8. Teil, 5. Kap., S. 802 ff.; zum parteienrechtlichen Konkurrenzprinzip D. Grimm, HVerfR, S. 320 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 457; H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 25 ff. 262 Hinweise in Fn. 145, S. 30. 263 Dazu 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff., 1126 ff.; insb. zur pluralen Allparteienherrschaft in Fn. 183, 10. Teil, 3. Kap., S. 1081; C. Schmitt, Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 55, auch S. 45, 47; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 88, 101. 264 Zum Rechtsstaat K. Stern, Staatsrecht I, S. 759 ff., 781 ff.; E. Benda, Der soziale Rechtsstaat, HVerfR, 1983, S. 477 ff.; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986; E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, HStR Bd. I, S. 987 ff.; auch K.A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, 4. Aufl. 1992. 265 Dazu 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff.; zur kompensatorischen Wirkung des Beamten-, Rechts-, Sachverständigen- und Gutachter- (Experten-) Staates, der Reichsbank und der Reichsbahn, des Föderalismus, u.a., C. Schmitt, Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 47 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 93, 100 ff. 266 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, vor allem S. 135 ff., 281 ff.; zum Begriff 'Organisationsprivatisierung"; vgl auch H.-P. Trampler, Verfassungs- und unternehmerrechtliche Probleme der bundesdeutschen Flugsicherung, 1993; dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 230. 267 Dazu, insb. zur institutionellen Judiziabilität des Grundsatzes freiheitlicher Privatheit 5. Teil, 5. Kap., S. 389 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.

4*

52

1. Teil: Republikanische Orientierung

Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung wird meist als Subsidiaritätsprinzip erfaßt 268 . Führung, die sich auf Akklamation des Volkes stützt, in welchen Verfahren dies auch immer vermittelt werden sollte, gerät erst in Widerspruch zum Begriff der Demokratie 269 , wenn dieser republikanisiert ist. Das Grundgesetz hat sich mit jedem seiner Artikel gegen einen Führerstaat, und sei es nur ein Staat der Führer, entschieden. "Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung". Art. 65 S. 1 GG, der das bestimmt, macht den Bundeskanzler nicht zum Führer des Volkes 2 7 0 . Wenn er es im Parteienstaat als Parteiführer wird, ist die Verfassung gebrochen. 5. In der Bundesrepublik Deutschland und auch in anderen sogenannten westlichen Demokratien 271 verbindet sich in der Verfassungswirklichkeit die Staats- und Regierungsform der Demokratie, sei diese verfassungsbefohlen oder nicht, mit dem Parteienprinzip. Die Parteioligarchien oder gegebenenfalls die Parteienoligarchie versuchen sich aus dem irrigen Satz, die Demokratie benötige unverzichtbar Parteien 272 , zu legitimieren. Dieser Satz ist reine Ideologie ohne Wahrheits- oder Richtigkeitsgehalt, jedenfalls für die "festgefügten Parteien", die § 2 Abs. 1 PartG konzipiert und von

268 Grundlegend J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 215 f., 313 ff.; ders., HStR, Bd. III, S. 75 ff., K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 272 f. m.H. in Fn. 184; dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 220 f. mit Fn. 76, 5. Teil, 5. Kap., S. 390 ff.; auch 3. Teil, 4. Kap., S. 201. ff. 269 Vor allem i.S. C. Schmitts, Verfassungslehre, S. 243 f., 246 f. u.ö. 270 Art. 23 GG n.F. (Dezember 1992) begründet für die Angelegenheiten der Europäischen Union führerstaatliche Strukturen und verletzt damit Art. 1 und Art. 20 GG; dazu K.A. Schachtschneider, Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 28/93, S. 3 ff. 271 Zum Begriff E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, 7. Aufl. 1979, S. 32 ff.; vgl. K. Stern, Staatsrecht I, S. 447 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 174. 272 H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 20; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 247; ders., Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 45; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 65 f., Rdn. 166; K. Stern, Staatsrecht I, S. 436 ff., 457, 459, für den Bereich der Repräsentation; M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 69 ff.; BVerfGE 1, 208 (225); st.Rspr., vgl. auch BVerfGE 52, 63 (82 f.); weitere Hinweise in Fn. 375, 7. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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denen mit dem Begriff Parteiendemokratie die Rede ist 2 7 3 . Gestützt wird die Parteienideologie durch die Mehrheitsideologie, der ebenfalls jeder Wahrheits- oder Richtigkeitsgehalt ermangelt 274 . Das Legitimierungspotential des Prinzips Demokratie ist immens. Demokratie sei "zum Synonym der 'guten' Staatsform geworden", "zum Staatsideal avanciert" (Carl Schmitt, Klaus Stern) 215. Verwiesen sei nur auf die Schrift Martin Krieles: "Die demokratische Weltrevolution", 1987, die den Republikaner Immanuel Kant, der dem Begriff Demokratie wenig abzugewinnen vermochte, auf dem Einband abbildet, den Untertitel trägt: "Warum sich die Freiheit durchsetzen wird", und republikanische Prinzipien vorstellt, aber auf die Suggestivkraft des Wortes Demokratie, wie schillernd der Begriff Demokratie auch sei, nicht verzichten mochte. Kriele selbst: "Republiken im Kantschen Sinne - also die westlichen Demokratien ..276

Die politischen Parteien spielen in Krieles Lehre von der "demokratischen Weltrevolution" zu Recht keine Rolle. Sie ist vielmehr die Lehre des Rechtsprinzips 277 . Die Parteien herrschen oligarchisch. Das wird, wie schon gesagt, mit dem empiristischen Argument, eine Demokratie sei notwendig Parteiendemokratie, zu rechtfertigen versucht. Dieser Versuch ist nicht ganz erfolglos. Er wird von der Staatsrechtslehre kräftig unterstützt 278 . 6. Solange die Parteienherrschaft das Maß sanfter Despotie nicht überschreitet und die Wirtschaft es die Menschen gut gehen läßt, wird die Parteienoligarchie hingenommen. Deren Stabilität hängt nach der Erfahrung der beiden Parteienstaaten Deutschlands davon ab, daß die Parteien ihre Herrschaft beschränken. Die umfassende Herrschaft führt zur umfassenden

273 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., Hinweise in Fn. 375; 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff., insb. Fn. 49; richtig insb. H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 9 ff.; so auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., für die "festgefügten Parteien"; ders., Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 43; für die praktizierte Lehre W. Henke, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung, 1991, Rdn. 8, 15 ff., passim, dessen Parteibegriff die gesamte Kommentierung determiniert. 274 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 275 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 225; K. Stern, Staatsrecht I, S. 588; dazu m.w.H. in Fn. 222, S. 42 f. 276

Die demokratische Weltrevolution, S. 166, auch S. 79; vgl. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 118. 277

S. 79 ff. Dazu die Hinweise in Fn. 704, 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; Fn. 49, 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff. 278

54

1. Teil: Republikanische Orientierung

Verantwortung für Erfolg und Mißerfolg. Die weitgehende Unabhängigkeit der Wirtschaft vom Staat, vor allem die Tarifprivatheit der (sogenannten) Sozialpartner 279 , aber auch die Unabhängigkeit der Gerichte sind (u.a.) Gründe und Bedingungen dieser Stabilität 280 . Der im konstitutionellen Sinne liberale Parteienstaat tendiert zur Politikverweigerung der etablierten Parteien und deren Staatswalter, welche die Ämter, die innezuhaben das eigentliche Interesse der Parteimitglieder der zweiten Reihe ist, eher sichert als das Wagnis von Entscheidungen. Die politische Entwicklung wird dadurch anderen Kräften überlassen, fremden Staaten oder staatsfremden Mächten. Wenn die Parteienoligarchie aber das Volk umfassend bevormundet und auch noch verarmen läßt, wenn zudem das herrschende Parteienkartell echte Wahlen gänzlich unterbindet, zeigen sich, wie 1989 in Mittel- und Osteuropa, die Grenzen der Stabilität derartiger Herrschaft. Bereits die Gefährdung des Wohlstandes bringt die Parteienoligarchie in arge Bedrängnis, deren Erfolgs-, ja Existenzbedingung, die Stabilität und darüberhinaus das Wachstum der Wirtschaft ist. Die deutsche Lage der 90er Jahre ist ein Beispiel der latenten Krise der Parteiendemokratie, die in einer regressiven oder gar depressiven Wirtschaftslage leicht zur Staatskrise werden kann. Auch und wesentlich aus diesem Grunde ist der Parteienstaat eine Gefahr für den inneren und auch den äußeren Frieden. Die Geschichte beweist das. Das Prinzip Republik steht der Parteienherrschaft so deutlich entgegen, daß es diese nicht nur nicht stützt, sondern ruiniert; denn das Prinzip Republik weist allzu gebieterisch auf die politische Freiheit aller hin. V.

Das menschliche Recht auf Glück und das republikanische Ethos der Sittlichkeit 1. Der Aspekt Interessen hat in der Republik eine spezifische Relevanz, die sich dem grundgesetzlichen Freiheitsbegriff fügen muß 2 8 1 . Den Begriff Interesse hat bereits Aristoteles mit der Staatsform der Demokratie im Gegensatz zur Staatsform der Politie verbunden; denn die Demokratie definiert er (u.a.) als die "Herrschaft zum Nutzen der Armen" 2 8 2 . Soweit es nicht politisch wird, d.h. die Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens verzerrt, ist es jedem Bürger unbenommen, sein Glück zu suchen,

279 280 281 282

Dazu autonomiedogmatisch 5. Teil, 5. Kap., S. 401 ff. Dazu 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. Dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. Politik, S. 114, 1279 b 5 ff.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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seinen Interessen zu frönen. Jeder hat das Recht dazu, wie es in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 4. Juli 1776 als "selbstverständliche Wahrheit" angesprochen ist 2 8 3 und von Art. 2 Abs. 1 GG im Sinne des Menschenwürdeprinzips des Art. 1 Abs. 1 S. 1 und 2 GG mit gewährleistet ist; denn die "Entfaltung" der "Persönlichkeit" ist der jeweilige Versuch des Menschen, sein Glück zu finden, gut zu leben. Dieser Versuch aber unterliegt dem sozialen Prinzip der Freiheit oder eben dem gleichen Recht aller Menschen, ihr Glück zu suchen, d.h. vor allem, selbst (im Rahmen der Gesetze allein 2 8 4 ) zu bestimmen, welchen Weg zum Glück sie einschlagen wollen 2 8 5 . Wenn die Bürger ihren eigenen, besonderen Interessen folgen, ist das folglich in dem Maße zu akzeptieren, in dem sie anderen nicht schaden 286 . Die Suche nach dem eigenen Glück i m Rahmen der Gesetze nicht zu behindern, ist sogar für das Gemeinwesen förderlich, weil es den Leistungswillen der Menschen bestmöglich zur Entfaltung kommen läßt. Kant hat der "Natur für die Unvertragsamkeit, für die mißgünstig wetteifernde Eitelkeit, für die nicht zu befriedigende Begierde zum Haben, aber auch zum Herrschen" den berechtigten "Dank" gezollt. "Ohne sie würden alle vortrefflichen Naturanlagen in der Menschheit ewig unentwickelt schlummern. Der Mensch will Eintracht; aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist: Sie will Zwietracht n287

Der Wettbewerb, ein Faktum, das sich ergibt, wenn Menschen frei, also in Gesetzlichkeit, ihr Glück suchen, weil nicht jeder sich alles zu eigen machen kann, sichert nach aller Erfahrung bestmöglich den Wohlstand des Volkes 288 . Die Suche nach dem eigenen Glück ist allemal die stärkste Triebfeder des Menschen 289 . Gerade darum ist Tugendpflicht außer der "eigenen Vollkommenheit" die "fremde Glückseligkeit." - Kant 190

283

Dazu D. Sternberger, Das Menschenrecht nach Glück zu streben, 1966, in: ders., "Ich wünschte ein Bürger zu sein", 1967, S. 131 ff.; nicht anders Kant, Metaphysik der Sitten, S. 515 ff. 284 Zur freiheitlichen Privatheit als Rechte zur Willkür i.S. der Alleinbestimmtheit 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; auch 5. Teil, 3., 4., und 5. Kap., S. 298 ff., 333 ff., 349 ff., 370 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff. 285 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 216 ff. 286 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 7. Teil, 5., S. 613 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 297 ff. 287 Idee, S. 37 ff. 288 Zum Wettbewerbsprinzip als Wohlstandsgarant Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776, ed. W.B. Todd, 1976, S. 9 ff., insb. S. 452 ff.;

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1. Teil: Republikanische Orientierung

Das eigene Glück zu suchen, ist die Natur des Menschen und kann darum nicht Pflicht sein 291 . Die Verfassung der Freiheit gebietet die Sittlichkeit, d.h. die allgemeine Gesetzlichkeit des Handelns. Der Imperativ ist notwendig, damit alle frei zu ihrem Glück sind. Nur die allgemeine Gesetzlichkeit bewirkt, daß alle "unabhängig sind von anderer nötigender Willkür", d.h. die äußere Freiheit haben 292 . Sie schafft das freiheitliche Gemeinwesen. Zu diesem gehört die Privatheit, welche subjektive Rechte ermöglichen und um der Menschheit des Menschen willen ermöglichen 293

müssen

.

2. Das republikanisch fundamentale Sittengesetz ist mit der demokratistischen Begriffsverschiebung aus dem Blick geraten. Die Sittlichkeit als innere Freiheit ist auch das Defizit eines interessenorientierten Demokratieprinzips. Das Grundgesetz hat aber mit dem "Sittengesetz" in Art. 2 Abs. 1 den kategorischen Imperativ zur republikanischen Grundpflicht moralischer Art erhoben 294 . Karl Jaspers spricht im kantianischen Sinne der "republikanischen Regierungsart" von der "Regierungsart der Freiheit", welche heute "die Idee der Demokratie" sei 2 9 5 . Jaspers hält die moralische Bedingung aufrecht, welche diese Idee republikanisiert 296 . Meist wird letztere ignoriert; von Josef Isensee wird sie in

auch Kant, Idee, S. 37 ff. (zum "Antagonism" und für diese "Naturanlage" des Menschen); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 454 ff. (kritisch zur übermäßigen Verallgemeinerung des Prinzips Wettbewerb); E.-J. Mestmäcker, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, in: FS F. Böhm, 1975, S. 383 ff. 289 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 527; ders. i.d.S., Idee, S. 37 ff.; vgl. auch ders., Zum ewigen Frieden, S. 258 f.; ders., Kritik der Praktischen Vernunft, S. 145 ff. (insb. S. 149), S. 216 ff. 290 Metaphyisk der Sitten, S. 515 ff. 291 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 517 f. 292 Dazu näher 2. Teil, 7. Kap., S. 126 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 295 ff., 325 ff., 373 ff.; 6. Teil, insb. 2. und 8. Kap., S. 449 ff., 494 ff.; zum Begriff der äußeren Freiheit Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; vgl. in der Sache auch ders., Idee, S. 39 ff.; i.d.S. auch Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 40 f. u.ö.; so M. Kriele, HVerfR, S. 145 f. 293 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff. 294 Dazu KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff.; dazu insb. 5. Teil, 2. Kap., S. 259 ff., auch 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff. 295 Wahrheit, Freiheit und Friede, 1958, S. 163; ders., auch i.d.S., Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 127, 139. 296 Etwa Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 158 ff., insb. S. 159 f., ähnlich, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 139.

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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Abrede gestellt 297 . Das Charakteristikum der Republik ist die Moralität der Bürger, deren Orientierung an dem allgemeinen Interesse der Freiheit aller. "Der aufgeklärte Begriff der Demokratie setzt den Rechtszustand voraus."... "Wo jemand nicht den Rechtszustand will, schlummern Vernunft und Moral noch; er nimmt die Wirklichkeit seiner Mitmenschen, die des Rechtszustandes beraubt sind, gar nicht wahr." "Zur Menschlichkeit des Menschen gehört, daß er sich zum aufrechten Gang der Freiheit erhebt und als Freier zu Freien in Beziehungen tritt." - Martin Kriele 298 Letzteres Zitat verdient seine Wiederholung. Diese bürgerliche Sittlichkeit ist der Baustoff der Republik. "Hingabe an den Staat" ist "sittliche Notwendigkeit." - Georg Jellinek 299 Eine Demokratie als vermeintliche Herrschaft des Volkes dagegen läßt es zu, daß das vermeintliche Volk seine Herrschaft für seine Interessen einsetzt. Das sind dann die besonderen Interessen der Wähler, welche für die jeweils relevante Mehrheit, meist die parlamentarische Mehrheit einer Parteioligarchie, ausschlaggebend sind. Die Herrschaft der SED in der DDR hat sich damit als demokratisch zu rechtfertigen versucht, daß sie die "Klasseninteressen des Proletariats" gegen den "antagonistischen bürgerlichen Kapitalismus" durchzusetzen "die geschichtliche Aufgabe" habe 300 . Das Amts- und Kompetenzprinzip der Republik 3 0 1 , vor allem aber deren Prinzip der Sittlichkeit haben unter dem Verlust an republikanischer Begrifflichkeit gelitten, zum Schaden von Wahrheit und Richtigkeit als den zentralen Werten der Republik, zu Lasten der praktischen Vernunft al-

297 Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65 ff., insb. S. 69 ff.; anders wohl ders., HStR, Bd. I, S. 616 f., 633. 298 Die demokratische Weltrevolution, S. 35, 36, 37, 38, der S. 35 ff. die allseitige Freiheit als Voraussetzung des Rechtszustandes herausstellt und damit die Republik lehrt. 299 Allgemeine Staatslehre, S. 264. 300 J.-U. Heuer, Überlegungen zur sozialistischen Demokratie, S. 5 ff.; deutlicher noch W. Eichhorn, Anmerkung zum Demokratiebegriff, S. 41 ff. 301 Dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 253 ff.; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 874, 877; ders., Recht und Staat, S. 387 ff. u.ö.; J. Isensee, u.a., Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, HStR, Bd. III, S. 29 ff., 45 ff.; dazu 2. Teil, 6. und 8. Kap., S. 113 ff., 137 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.

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1. Teil: Republikanische Orientierung

s o 3 0 2 . Ernst-Wolfgang

Böckenförde

e n t w i c k e l t den Gedanken eines "de-

mokratischen Ethos", das an einem fairen, offenen Verfahren der W i l l e n s b i l d u n g orientiert sei, Interessen zurückzustellen rate, aber doch das M e h r heitsprinzip respektiere 3 0 3 . Dieses Ethos erreicht nicht die

freiheitliche

D i g n i t ä t des kategorischen Imperativs, z u m a l Böckenförde d e m " V o l k als Inhaber der Staatsgewalt" zugesteht, die "Herrschaft der Vernunft" n i c h t zu " w o l l e n u n d sich nicht zu eigen zu m a c h e n " 3 0 4 , eine krasse Verengung des republikanischen Prinzips der Sittlichkeit, der verfassungsbefohlenen Pflicht zur praktischen Vernunft aller staatlichen Gew a l t 3 0 5 . Durchaus republikanisch versteht das "Ethos der Bürger", deren freiheitliche u n d darum gemeinwohlverpflichtete "Tugend" Hans von Arnim,

der es freilich auch demokratisch n e n n t 3 0 6 . Martin

Herbert Krieles

"Rechtsprinzip der U n p a r t e i l i c h k e i t " , welches den "aufrechten Gang" u n d die " A c h t u n g v o r der W ü r d e des anderen" voraussetzt, sein "Ethos der Repräsentation" ist ein Prinzip republikanischer M o r a l , das sich wesentlich

302

Zum Prinzip des Richtigen, das zu verwirklichen Zweck der Repräsentation sei, H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 234 ff.; KA. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik" im Atom- und Immissionsschutzrecht, in: W. Thieme, Umweltschutz im Recht, 1988, S. 100 ff.; auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 16 ff. 303 HStR, Bd. I, S. 937 ff.; auch schon K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, S. 211 ff. (in der Sache ist sein "Ethos gemeinschaftlichen Lebens" republikanisch). Den prozeduralen Aspekt des formalen Prinzips der Einigkeit stellt deutlich J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 43 ff. heraus; vgl. auch N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969; zum Kompetenz- und Verfahrensprinzip nach der Autonomielehre K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 170, 242 f., 247 f., 254 f., 265, das zur juridischen Identität von Gemeinwohl und Gesetzlichkeit führt. 304

HStR, Bd. I, S. 893 f. Dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 265 ff., 275 ff.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff.; 9. Teil, 1. und 2. Kap., S. 819 ff., 858 ff. 306 Der Staat 26 (1987), S. 487 ff.; ders., Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 205 ff., 310 f.; i.d.S. auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 264, 472 ff. (Lehre vom guten Menschen), S. 485, 493 ff. (Gerechtigkeitssinn), S. 513 f. (gegen Parteilichkeit), der eine Tugendlehre entwickelt; mit der Frage von verfassungsgesetzlichen Tugendpflichten befaßt sich auch H. Hofmann, Grundpflichten, VVDStRL 41 (1983), S. 42 ff., der diese republikanisch versteht; O. Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 575 f., sieht "als eine weitere Seite des demokratischen Gedankens die Staatsethik, d.h. die für den einzelnen aus der persönlichen Beziehung zu seinem Staat entspringende besondere sittliche Verantwortung für das Gemeinwesen und dessen Schicksal. Kraft des demokratischen Prinzips besitze der Bürger unter dem Grundgesetz eine ethische Treuepflicht im Sinne einer Verfassungserwartung, deren Inhalt die klassischen republikanischen Bürgertugenden bilden"; Luchterhandt spricht von "der ethischen Dimension des Grundsatzes der Demokratie"; dieser richtige republikanische Ansatz, dem Luchterhandt, ohne das Sittengesetz des Art. 2 Abs. 1 GG zu erwähnen, wenige Zeilen widmet, ist eine Abhandlung zum Verfassungsproblem der Grundpflichten wert (dazu 5. Teil, 2. und 3. Kap., S. 259 ff., 278 f.). 305

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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auf Kants Republikanismus stützt 307 . Auch Herbert Krügers Repräsentationslehre der "Hebung des wahren und richtigen Volkswillens", der "Vergütung" des Volkswillens ist von republikanischer Tugend bestimmt; denn sie versteht sich als "eine Methode der autonomen Bildung eines Gesamtwillens durch die Bürger, die... von deren 'natürlichen' zum 'besseren' Ich zu gelangen sucht", indem man "ein alter ego" wirken läßt, das als "selbstlos" vorgestellt wird 3 0 8 . Ausweislich des Art. 28 Abs. 1 GG darf das republikanische Prinzip jedoch nicht in dem demokratischen und dem sozialen Prinzip des Rechtsstaates aufgehen. Alle wesentlichen Elemente des Grundgesetzes lassen sich, wenn sie nicht zur Rechtfertigung der parteienstaatlichen Verfassungswirklichkeit gebeugt werden, in eine Verfassung einfügen, die den Namen Republik verdient, den sie trägt. Das gilt sogar für Art. 21 Abs. 1 GG, der den Parteien die "Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes" zugesteht 309 . Eine Entscheidung für die Staats- und/oder Regierungsform der Demokratie oder gar für die Parteiendemokratie läßt sich aus dieser Mitwirkungskompetenz schlechterdings nicht herleiten. Das würde zumindest voraussetzen, daß die grundrechtlich geschützte Freiheit liberalistischkonstitutionalistisch entpolitisiert 310 und der Volksbegriff entbürgerlicht würden 311 . Wenn der Widerspruch zu den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes vermieden wird, wenn die Einheit der Verfassung gewahrt bleibt, spricht alles dafür, daß die grundgesetzliche Form des Politischen spezifisch die der Republik und nicht die einer unspezifischen Demokratie ist. Die Republik ist die politische Form der Freiheit und der Würde des Menschen. Das Freiheitsprinzip hat durch Art. 2 Abs. 1 GG die Ausgestaltung erfahren, welche der Würde des Menschen gerecht wird. Die Pflicht zur Sittlichkeit als die innere Freiheit findet ihre Wirklichkeit in der Republik. Vornehmster Ausdruck der Republik ist das Gewissensprinzip, das Art. 2 Abs. 1 GG

307 Die demokratische Weltrevolution, passim, insb. S. 36 ff., 172 ff.; vgl. auch ders., HVerfR, S. 143 ff., 150 f. 308 Allgemeine Staatslehre, S. 234 ff., Zitate S. 251 f., auch S. 311 ff. zur Bildung der "öffentlichen" aus der "natürlichen" Person. 309 Dazu 10. Teil, 1. und 8. Kap., S. 1045 ff., 1147 ff. 310 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff., insb. 3. und 9. Kap., S. 454 ff., 501 ff. 311 Dazu S. 17 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff.; 8. Teil, 1. und 4. Kap., S. 650 ff., 735 ff., insb. S. 764 ff.

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1. Teil: Republikanische Orientierung

und Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zum Stützpfeiler der Republik gemacht haben. Die Gewissensfreiheit wird auch darum uneingeschränkt durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützt 312 . Der Begriff Republik als solcher spricht vor allem die Pflicht zur bürgerlichen Sittlichkeit an. V I . Das demokratische Prinzip der Republik 1. Die Deklaration des demokratischen Prinzips in Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 S. 1 GG neben dem Prinzip der Republik ist keineswegs überflüssig, wenn daraus auch die positive Staats- und Regierungsform des Grundgesetzes nicht hergeleitet werden kann. Sie klärt, daß die Republik weder monarchisch noch aristokratisch im oligarchischen Sinne erblicher Ämter sein darf 3 1 3 , obwohl dies dem Begriff der Republik nach dessen Begriffsgeschichte nicht widerspräche, solange die Amtswaltung nicht zur Herrschaft wird 3 1 4 . Erst recht darf die Republik nicht klassenhaft sein. Sie läßt auch keine politische Klasse zu, als welche sich die Parteienoligarchie versteht. Das demokratische Prinzip weist zudem aus sich heraus jeden eschatologisehen Politikbegriff und damit, wie schon gesagt, jede religiöse Herrschaftslegitimation zurück 315 . Auch das Freiheitsprinzip kann liberalistisch mißverstanden werden und wäre als solches mit einer konstitutionellen Monarchie nicht unvereinbar. Die herrschende dualistische Freiheits-

312

Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff. Η. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 679 ff., insb. S. 683; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 893; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 871, 875 ff., 879 ff.; vgl. auch Κ Stern, Staatsrecht I, S. 593 f., der die Demokratie "auf der Legitimation der Herrschaft durch das Volk" restringiert. 314 So insb. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41; zur Begriffsgeschichte vgl. W. Mager, Republik, S. 549 ff.; dazu 2. Teil, 8. Kap., S. 133 ff. 315 M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 139 ff.; ders., Demokratie, Sp. 1182; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 891, 893 f.; in der Sache K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 134, S. 53; das verbindet W. Henke, HStR, Bd. I, S. 871 f., zu Recht auch mit dem Republikbegriff; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 616 f., vermag das nicht recht einzusehen: "Mehr noch: der freiheitliche Staat ist auf sittliche und religiöse Energien verwiesen, deren Quellen in den ihm von Verfassung wegen unzugänglichen, unverfügbaren Bereichen liegen", und ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 76: "Zur Grundrechtserwartung gehört, daß sich zum Wohl des Ganzen Kräfte regen, deren Quellen jenseits des rechtsstaatlichen Horizonts liegen: Religion, Moral, Tradition, Kultur." Die Politik muß der Moral huldigen (Kant, Zum ewigen Frieden, S. 228 ff., 243), das heißt, sie muß auf jede materiale Moral und somit vor allem auf Religiosität verzichten (dazu 8. Teil, 1. Kap., insb. S. 655 ff.). Zum eschatologischen Begriff des Politischen D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, S. 309 ff.; kategorienbildend (charismatische, traditionale, rationale Legitimation) M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 16 ff., 122 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 54, 110 ff.. 114 ff.; Th. Würtenberger, Legitimität, Legalität, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, 1982. S. 677 ff. 313

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

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lehre definiert die liberale gesellschaftliche Freiheit noch immer in diesem monarchisch-konstitutionellen Sinne, stellt aber eine demokratische, staatliche Freiheit daneben, der Logik der Trennung von Staat und Gesellschaft folgend 316 . Das ist schon mit dem Prinzip des Demokratischen unvereinbar, welches konstitutionelle liberal-monarchische Begriffe des Staats- und Verwaltungsrechts nicht zuläßt. Das gemeinsame Leben ist ohne Ausnahme politisch, nämlich der Gesetzlichkeit und damit der Staatlichkeit fähig, auch die Religionsausübung, wie Vergangenheit und Gegenwart erweisen 317 . Das gesamte Leben muß frei sein, wenn nicht die Würde des Menschen verletzt sein soll 3 1 8 . Folglich wird der Republik als dem Gemeinwesen freier Menschen nur ein Begriff allgemeiner politischer Freiheit gerecht, der das dualistische liberale und demokratische Freiheits Verständnis begrifflich zusammenführt. 2. Die Entscheidung für die Lebensform der Republik läßt sich allein aus den Worten "Bundesrepublik" in Art. 20 Abs. 1 GG und "republikanisch" in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG nicht herleiten. Sie folgt vielmehr aus der Logik der Entscheidung für die gleiche Freiheit aller Bürger 319 , welche gerade auch deshalb die politische Freiheit umfaßt, weil das Grundgesetz zugleich das demokratische Prinzip verankert hat. Schlechterdings kann man umgekehrt den Worten "demokratisch" in Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG nicht die Entscheidung für eine Staats- und Regierungsform einer Demokratie abgewinnen, die in einen Widerspruch zur Idee der allgemeinen Freiheit, die die Würde des Menschen ausmacht, gerät. Wenn aber eine Art Demokratie strikt aus dem Prinzip der Gleichheit aller in der Freiheit entwickelt wird, ist das der Sache nach eine Republik 3 2 0 , die sich nicht des vieldeutigen, insbesondere die Freiheit durch Herrschaft gefährdenden Begriffs der Demokratie bedienen sollte. Das demokratische Prinzip der Republik folgt zwingend aus der Grundentscheidung für die Freiheit, die logisch allgemein, also die Entscheidung für die Gleichheit in der Freiheit

316 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff., insb. 9. Kap., S. 501 ff. 317

Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 193 f.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 f.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370

f. 318

Dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, vor allem 3. Kap., S. 275 ff. 319 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 1 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff. 320 Vgl. dazu die literarischen Hinweise Fn. 18, S. 4 f. im 1. Teil, 1. Kap.

62

1. Teil: Republikanische Orientierung

ist 3 2 1 . Weil die Republik als freiheitliche Lebensform die logische Konsequenz der Idee der Freiheit ist, folgt das demokratische Prinzip i m Gegensatz etwa zu einem monarchischen oder oligarchi sehen Prinzip bereits aus der Entscheidung für die Freiheit und fügt dieser keinen substantiellen Gehalt hinzu, insbesondere nicht einen parteienstaatlichen. Ein freiheitliches Gemeinwesen, ein Freistaat, ist eben eine Republik 3 2 2 . U m die Nähe, ja die Verwandtschaft der Begriffe Demokratie und Republik hat man immer gewußt 323 ; denn der Leitsatz der Republik ist: Res publica res populi. 3. Schlagwortartig läßt sich sagen: Eine durch die Gleichheit aller in der Freiheit definierte Republik ist demokratisch und, wenn man so will, eine Demokratie, aber eine Demokratie ist nicht notwendig eine Republik, weil sie nicht durch die Gleichheit aller in der Freiheit definiert sein muß, sondern auch eine Form der Herrschaft sein kann. Die Republik wäre die Form der Demokratie, welche die Gleichheit aller in der Freiheit durch Gesetzlichkeit verwirklicht. Es gibt aber mannigfache andere Formen der Demokratie, die keine Republiken sind, insbesondere die Parteiendemokratie. Wenn eine Monarchie, eine oligarchische Aristokratie oder auch eine Demokratie republikanisch sind, sind sie noch keine Republik. Das Grundgesetz verfaßt als Form des Politischen, als Form des gemeinsamen Lebens, die Republik. Die Entscheidung des Grundgesetzes gegen jede Art von Herrschaft, welche mit dem Republikprinzip getroffen ist, wird vernachlässigt, wenn als Staats- und Regierungsform nach dem Grundgesetz attributlos die Demokratie gelehrt wird; denn Demokratie kann auch herrschaftlich begriffen werden und wird meist in diesem demokratistischen Sinne verstanden 324 . So lehrt etwa Peter Badura: "Die Verfassung proklamiert und ordnet die Demokratie als Staatsform, als Organisation politischer Herrschaft." 325 V I I . Weitere Aspekte der Republik 1. Ohne Not wird die republikanische Repräsentation zu einem Institut der demokratistischen Staatsform verzerrt 326 , obwohl Repräsentation als

321

Dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 179; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff. Dazu 2. Teil, 3. Kap., S. 89 f.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; vgl. zum Sprachgebrauch W. Henke, HStR, Bd. I, S. 867 f. ™ Aristoteles, Politik, S. 136 ff. (Viertes Buch), S. 149 f., 1294 b 14 ff., S. 211; vgl. zur Begriffsgeschichte insb. W. Conze, Demokratie, VI 2., S. 884 f., für den Vormärz. 324 Hinweise in Fn. 108 im 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff. 325 HStR, Bd. I, S. 972. 322

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

63

N o t w e n d i g k e i t der R e p u b l i k einerseits u n d Identität als "Idealzustand der D e m o k r a t i e " ( C a r l Schmitt*

21

)

gegeneinanderstehen.

" D i e Repräsentation enthält den eigentlichen Gegensatz z u m demokratischen Prinzip der Identität." - Carl Das ist auch

richtig,

Schmitt 328

w e n n man Repräsentation m i t d e m Grundgesetz als

"Vertretung des ganzen Volkes" u n d nicht m i t Carl Schmitt

als

"Vergegenwärtigung eines unsichtbaren Seins durch ein ö f f e n t l i c h anwesendes Sein", n ä m l i c h "des Volkes als G a n z e m " 3 2 9 versteht; denn die demokratische Identität realisiert sich i m volksherrschaftlichen Mehrheitsprinzip 330,

während die republikanische

Repräsentation

auf die freiheitliche S i t t l i c h k e i t des gemeinsamen Lebens ausgerichtet ist. Gerhard

Leibholzens

Kernsatz ist demgegenüber:

" D e r G e m e i n w i l l e k o m m t i n der parteistaatlichen D e m o k r a t i e des 20. Jahrhunderts m i t H i l f e des Identitätsprinzips ohne B e i m i s c h u n g repräsentativer Strukturelemente zur G e l t u n g " 3 3 1 . D i e rousseausche Identität ist spezifisch republikanisch u n d nur i n den Grenzen des Republikanismus demokratisch; denn sie setzt für den

326

Dazu 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 652 ff., 685 ff.; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. Verfassungslehre, S. 204 ff., 214, 218, der herausstellt, daß jeder Staat die Strukturelemente Identität und Repräsentation mischt; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 102 ff., hat bekanntlich jede Repräsentation abgelehnt; diese Identitätsforderung wird denn auch als Prinzip absoluter Demokratie in der rousseauschen Republik mißverstanden (etwa W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff.); dazu auch Μ. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 53 ff. 328 Verfassungslehre, S. 218; zur Identität als Prinzip der Demokratie auch ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 30 ff., 35 ff.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 329 Verfassungslehre, S. 209, 209 ff., 213; Schmitts Repräsentationsbegriff geht auf Hegel, Rechtsphilosophie, § 311, S. 298, zurück, der "das Interesse (sc. "ein großes Interesse" "wesentlicher Sphären der Gesellschaft") selbst in seinen Repräsentanten wirklich gegenwärtig" sah; Schmitt hat viel Gefolgschaft gefunden und behalten, etwa H. Triepel, Delegation und Mandat, 1942, S. 129; ders., Die Hegemonie, 2. Aufl. 1943, S. 66; E.R. Huber, Die Selbstverwaltung der Wirtschaft, 1958, S. 49; U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: FS H. Huber, 1961, S. 222 ff., 227; K. Stern, Staatsrecht I, S. 960 f.; G. Leibholz, EvStLex, 2. Aufl., Sp. 2194 f.; ders. schon, Das Wesen der Repräsentation, 1929, S. 25 ff.; kritisch dazu R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 176 f.; ablehnend auch W. Henke, Recht und Staat, S. 372; dazu mit zurückhaltender Zustimmung H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 235 f.; dazu W. Manti, Repräsentation und Identität, 1975, S. 121 ff., vor allem S. 139 ff.; V. Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 199 ff.; dazu 8. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 707 ff., 735 ff. 327

330

Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 107 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 717 ff. Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 59, u.st.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff. 331

64

1. Teil: Republikanische Orientierung

"bürgerlichen Stand ... die sittliche Freiheit" voraus, "die allein den Menschen zum wirklichen Herrn seiner selbst mache" 332 . Die Verkennung des republikanischen Charakters der volonté générale dürfte der Grund des verbreiteten Antirousseauismus sein 333 . Aristoteles hat die identitäre Volksherrschaft als eine Form der Demokratie, welche sich unvermeidlich der Despotie von Volksführern ausliefere, kritisiert und sich für die Politie als einer Mischform von "Demokratie und Oligarchie" mit ihren aristokratischen, also repräsentativen Elementen ausgesprochen 334 . Als Maßstab der Aristokratie hat aber bereits Aristoteles, wie gesagt, die Tugend benannt, nach der auch die Ämter zu verteilen seien 3 3 5 . So wie die aristotelische Politie demokratische Elemente umfaßt, so muß die Republik demokratisch sein 336 . Die Politie ist die Form des Politischen 337 . I m modernen großflächigen, menschenreichen Staat, der auf die Vertretung des Volkes durch Amtswalter in allen Staatsfunktionen angewiesen ist, ist die Politie res publica, Republik 3 3 8 . Die athenische Polis bedarf der römischen Ämter 3 3 9 . Dadurch wird sie zur Republik, ohne an Freiheitlichkeit einzubüßen, weil die Tugend den Mißbrauch der Ämter zur Herrschaft nicht zuläßt 340 . Das demokratische Prinzip deklariert in der Republik die Allgemeinheit und damit die Gleichheit der Freiheit 341 . M i t dem Satz:

332

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23. Hinweise in Fn. 24 im 8. Teil, 1. Kap., S. 641. 334 Politik, S. 138 ff., 143, 148. 335 Politik, S. 148, 1293 a 9 ff. 336 Hinw. in Fn. 5 im 1. Teil, 1. Kap., S. 2 f. 337 E. Vollrath, Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen, vor allem S. 289 ff.; D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, S. 19 ff. (insb. S. 62) 87 ff. 338 So auch E. Vollrath, Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen, S. 306, der S. 304 im Anschluß an W. Mager, Republik, S. 549 ff., den Begriff Republik zu Unrecht zurückweist, weil damit "jegliche staatliche Organisation überhaupt" gemeint sei. 339 Zu den Unterschieden der "Demokratie" (Isonomie) und der "Republik" Roms W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff., 319 ff., 372 ff., zum römischen Verständnis von "res publica res populi"; dazu auch K. Meister, Die Tugenden der Römer, in: H. Oppermann (Hrsg.), Römische Wertbegriffe, 3. Aufl. 1983, S. 6 f.; S. Miarka, Degeneration politischer Werte in der Agonie der Republik, 1993. 340 I.d.S. auch W. Henke, Recht und Staat, S. 332 f., freilich mit wechselndem Freiheitsbegriff, einmal als Ordnung, einmal als Möglichkeit. 333

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

65

" A l l e Staatsgewalt geht v o m V o l k e aus" ( A r t . 20 Abs. 2 S. 1 G G ) , welcher als Fundamentalsatz der D e m o k r a t i e g i l t 3 4 2 , v e r w i r f t das G r u n d gesetz nicht nur jede andere als die freiheitliche u n d als solche demokratische Rechtfertigung staatlicher G e w a l t , sondern jede F o r m der Herrschaft, i m Gegensatz zur herrschenden Herrschaftsideologie, welche i n A r t . 20 A b s . 2 S. 1 G G Herrschaft legitimiert sieht, eben d e m o k r a t i s c h e 3 4 3 . Das V o l k kann zwar die Staatsgewalt selbst ausüben oder v o n Vertretungsorganen ausüben lassen, w i e S. 2 des A b s . 2 es z e i g t 3 4 4 ; es kann aber n i c h t herrschen. Das V o l k kann (und soll) v i e l m e h r frei s e i n 3 4 5 . A r t . 20 A b s . 2 S. 1 G G schreibt d a m i t die Unabhängigkeit des Volkes v o n jeder A r t der Herrschaft v o r u n d gibt d e m V o l k das Recht, sich jeder Herrschaft

341

BVerfGE 5, 85 (205); 44, 125 (139); i.d.S. auch BVerfGE 69, 315 (Ls 1, S. 343 ff.); J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 43 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Diirig, Rdn. 6 ff., 26 ff. zu Art. 20 GG; M. Kriele, HVerfR, S. 129 ff., zu Freiheit und Gleichheit; ders., Die demokratische Weltrevolution, S. 49 ff.; ders., VVDStRL 29 (1971), S. 47 ff., noch stärker gleichheitsorientiert; KA. Schachtschneider, JA 1979, 563 ff.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff.; ders., HVerfR, S. 178 ff.; auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 30; ders., HStR, Bd. I, S. 909 ff.; auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 954, 970 f.; auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 641, 655 f.; ders., HStR, Bd. III, S. 35; vgl. auch W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff., 318 (für Athen). Hinter den Hinweisen verbergen sich jeweils mit den Begriffen Freiheit und Gleichheit verbundene unterschiedliche Lehren von der Dembkratie oder der Republik; vgl. schon die auf der Idee der Freiheit gegründete, aber diese Idee um der Realität willen mißachtende Demokratielehre H. Kelsens, Vom Wesen und Weit der Demokratie, S. 3 ff.; allein auf die Gleichheit hat demgegenüber C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 224 f., 226 ff., die Staatsform der Demokratie gestellt; so auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 594 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 6 ff. zu Art. 20; siehe auch 1. Teil, 1. Kap., S. 1 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff. 342 BVerfGE 83, 37 (50); 83, 60 (71), ("Grundsatz der Volkssouveränität"); M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46 ff. (kritisch zum Begriff Volkssouveränität, S. 53 ff.); E. Benda, Demokratie, Sp. 1194; K. Stern, Staatsrecht I, S. 593 ff., 599 ff.; ders., Staatsrecht II, S. 20 ff.; KA. Schachtschneider, JA 1979, 513 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 888 ff., der aus dem Prinzip der Volkssouveränität lediglich das Prinzip der Legitimation der Herrschaft durch das Volk herleitet, weil er in der "Demokratie als Staats- und Regierungsform" "nicht die Aufhebung oder Überwindung staatlich organisierter politischer Herrschaft, sondern eine bestimmte Organisation dieser Herrschaft" sieht (S. 893 Rdn. 9); P. Badura, HStR, Bd. I, S. 954, 986 f. ("Legitimationsprinzip der Volkssouveränität"); J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 652 ("demokratische Legitimation"), vgl. auch oben 1. Teil, 1. Kap., S. 2 f.; dazu auch 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff. 343

Vgl. die Hinweise in der vorigen Fußnote, insb. P. Badura, HStR, Bd. I, S. 954, 968 f., 972; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 888 ff., 893. 344 Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., insb. S. 650 ff., 707 ff. 345 Dazu 2. Teil, 7. und 11. Kap., S. 124 ff., 153 ff.; auch 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff. 5 Schachtschneider

66

1. Teil: Republikanische Orientierung

zu erwehren. Dementsprechend räumt Art. 20 Abs. 4 GG allen Deutschen das Recht des Widerstandes zum Schutze dieser freiheitlichen Ordnung" ein, "wenn andere Abhilfe nicht möglich ist" 3 4 6 . Die Verfassung des Grundgesetzes ist im Sinne der uralten Dreiteilung der Staatsformen demokratisch, nämlich weder monokratisch noch im oligarchischen Sinne aristokratisch. Die politische Form der Freiheit, das ist die Unabhängigkeit von Herrschaft, nämlich von anderer nötigender Willkür 3 4 7 , ist die Republik. Demokratisch heißt darum im freiheitlichen Gemeinwesen, wie schon gesagt, bürgerschaftlich. 2. Das (territorial gegliederte 348 ) Wahlprinzip für die Vertreter des Volkes spricht S. 2 des Art. 20 Abs. 2 GG eigenständig an 3 4 9 . Daß alle Amtswalter zumindest mittelbar vom Volk in ihr Amt berufen sein müssen 350 , ist weder praktizierbar, noch vom Prinzip der Republik gefordert. Das fragwürdige Institut des beliehenen Unternehmers 351 , der staatlich verwaltet, aber nicht vom Volk mit dem Amt betraut sein muß, macht die praktischen Grenzen des genannten Prinzips deutlich. Die Verwaltungskompetenz räumt dem sogenannten beliehenen Unternehmer in der Regel das Gesetz ein. In der Republik geht es um die Gesetzlichkeit, die jeder

346

Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff. Dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; auch 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff. 348 Art. 28 Abs. 1 S. 2, 3 GG; etwa §§ 12, 20 Abs. 2 S. 2, 21, 27 Abs. 5 BWahlG, § 7 ParteienG; BVerfGE 83, 37 (53); R. Wolf rum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974, S. 86 ff.; K.-H. Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 200; für die parteiinterne Gliederung klar Kammergericht vom 21.1.1968, 6 U 946/67, unveröffentlicht. 349 Dazu S. 45 ff.; vgl. auch 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 674 ff., 788 ff. 350 I.d.S. schon J. Locke, Über die Regierung, S. 101 ff.; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215 ff.; vgl auch Kant, Metaphysik der Sitten, S. 439, für die Parlamentsdeputierten; heute: R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 46 ff. zu Art. 20 GG; K. Stern, Staatsrecht I, S. 606; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 894 ff.; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 877; E. Benda, Demokratie, Sp. 1194; klar BVerfGE 47, 253 (275); 52, 95 (112, 120, 130); 77, 1 (40); relativierend BVerfGE 83, 60 (72 f.); R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 168, 175 ff.; VerfGH Nordrhein-Westfalen, JZ 1987, 242, für die Verwaltungsräte von Sparkassen, in denen Vertreter der Angestellten nach Mitbestimmungsprinzipien nicht vertreten sein dürfen. 347

351 Dazu grundlegend U. Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975, S. 9 ff.; K. Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, 1959, S. 46 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 317 ff., 874 ff., kritisch; H.J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht II, § 104, S. 411 ff.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 1988, S. 500 ff.; KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 204, und Fn. 174 mit Hinweisen und Kritik, auch S. 190 ff., 198 ff.; BVerwGE 17, 371 (377 ff.).

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

67

Bürger, der dazu befähigt ist, gewährleisten kann. Weil der beliehene Unternehmer nicht Statusbeamter ist, bleibt er in seinem durch Gesetz oder auch Verwaltungsakt verliehenen Amt nicht schon Privater. Ein Prinzip demokratischer Legitimation aller Amtswalter, welches breit vertreten wird und vom Bundesverfassungsgericht anerkannt war 3 5 2 , gerät schon mit dem Prinzip der Lebenszeitigkeit der Anstellung von Beamten (Art. 33 Abs. 4 und 5 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 BRRG) und von Richtern (Art. 97 Abs. 2 GG) in Widerspruch. Diese Lebenszeitigkeit ist um der republikanischen Sachlichkeit willen, welche Professionalität und Unabhängigkeit erfordert, unverzichtbar 353 . Eine demokratische Legitimation der Amtswalterschaft aber verlangt nach der Periodizität der Wahl 3 5 4 . Die volkslegitimierte Anstellung eines Beamten oder Richters verliert mit jedem Jahr der Amtswaltung ihren demokratischen Glanz 3 5 5 . Auch Amtswalter ändern ihre Persönlichkeit, wechseln gegebenenfalls ihre Parteizugehörigkeit, usw.

3. Das Postulat, "daß alle so gleichmäßig als möglich an der Regierung teilhaben", hat bereits Aristoteles aus der mit der Freiheit verbundenen Gleichheit geschlossen356. Im Sinne der demokratischen Legitimation der Amtswalter der Politie empfiehlt Aristoteles, daß die Beamten zu wählen seien, als einem oligarchischen Element, und daß dafür die "Steuereinschätzung keine Rolle spiele", als einem demokratischen Element 357 . "Eine gute Mischung von Demokratie und Oligarchie" zeige sich daran, meint Aristoteles, "daß man denselben Staat ebensogut so wie anders benennen könne" 358 .

352

BVerfGE 47, 253 (275); zu Recht korrigierend und relativierend BVerfGE 83, 60 (71 ff.); 89, 155 (182); vgl. E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 894 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 606; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 46 ff. zu Art. 20; weitere Hinweise in Fn. 342, S. 65; dazu 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff. 353 Dazu H. Lecheler, Der öffentliche Dienst, HStR, Bd. III, S. 737; K. Stern, Staatsrecht I, S. 335 ff., 363 ff., 374.; BVerfGE 9, 268 (286). 354 Zur Periodizität der Wahlen als demokratisches Prinzip Hinweise in Fn. 120. 355 E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 900 ff., will den Legitimationsmangel, der mit der langdauernden Unabhängigkeit verbunden ist, zu Recht durch die Gesetzes- und Weisungsgebundenheit in Verbindung mit einer Verantwortlichkeit, durch die "sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation" ausgleichen; diese Bindung ist die republikanische Gesetzlichkeit, die als Wahrheitlichkeit und Richtigkeit, als Recht, "legitim" ist; dem ist BVerfGE 83, 60 (72) gefolgt; auch BVerfGE 89, 155 (182); dazu 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff. 356 Politik, S. 143, 1291 b 35 ff. 357 Politik, S. 149, 1294 b 6 ff. 358 Politik, S. 149 f., 1294 b 14 ff. '

68

1. Teil: Republikanische Orientierung

Wie schon gesagt, begreift Aristoteles die Politie als "eine Mischung von Demokratie und Oligarchie" 359 . Die Beobachtung des Aristoteles macht verständlich, warum es Streit geben kann, für welche Form des Politischen sich die Verfassung entschieden habe, für die der Republik oder die der Demokratie. Die Wahlprinzipien klären das nicht. Sie sind nicht spezifisch demokratisch, sondern spezifisch für eine demokratische Republik als der politischen Form der Freiheit 360 . 4. Eine Lehre von der Republik, welche den Widerspruch zum grundgesetzlichen Freiheitsbegriff meidet, führt vor allem zur Kritik des demokratistischen Parteienstaates. Diese Kritik führt in die gegenwärtig brisante verfassungspolitische Problematik. Die Parteienoligarchie des entwickelten Parteienstaates widerspricht der Idee der Gleichheit aller in der Freiheit und damit der Republik, widerspricht der politischen Freiheit 361 . Jedenfalls muß das demokratische Prinzip im Rahmen der republikanischen Freiheitsform entfaltet werden. Wenn die Verfassungsprinzipien, die in diesem Kapitel skizziert worden sind, überzeugen sollen, bedarf das einer genaueren Begründung. Diese wird in den folgenden Teilen versucht werden. 5. Dem Grundgesetz wird es nicht gerecht, wenn der Begriff der Republik zum Synonym für die "gute Staatsform" heruntergespielt wird 3 6 2 , zumal im Europa des zwanzigsten Jahrhunderts sich keine Form des gemeinsamen Lebens mehr legitimieren kann, welche die "Staatsgewalt nicht vom Volke ausgehen" läßt 363 , wie es Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG formuliert. Die Freiheit bedarf keiner Rechtfertigung. Sie ist darum die einzig mögliche Grundlage von Recht und Staat, die dem Prinzip Recht zu genügen vermag. Eine republikanische Form des Politischen muß jeder Art der Herrschaft von Menschen über Menschen abschwören. Die Ausübung von Staatsgewalt ist nicht schon Herrschaft 364 . Die Anstrengung des Begriffs ist nötig,

359

Politik, S. 148, 1293 b 34 ff. Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 674 ff. 361 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 362 Dazu 1. Teil, 2. Kap., S. 11 ff. 363 Dazu etwa die Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte vom 28.2.1986, und die Charta von Paris für ein neues Europa vom 21.11.1990. 364 Dazu 2. Teil, 9. Kap., S. 139 ff., auch 11. Kap., 153 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff.; anders für die herrschende Lehre und Praxis etwa E.-W. Böckenförde, HStR I, S. 893; P. 360

3. Kap.: Die demokratische Republik als Form des Politischen

69

wenn die Verfassungslehre sich nicht damit begnügen will, die Verfassungswirklichkeit zu beschreiben.

Badura, HStR, Bd. I, S. 954, 986 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 593 f., 604 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 299 f., 387 ff.; BVerfGE 83, 37 (52); 83, 60 (73).

Zweiter Teil Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik "Herrschaft ist ursprünglich nicht für das Verhältnis von Mensch zu Mensch, sondern für das Verhältnis des Menschen zum Tiere bestimmt gewesen." - Augustinus

1. Kapitel Die Herrschaftsideologie der deutschen Staatslehre "Im Stile des Thomas von Aquin, des heiligen Aristotelikers", sagt Dolf Sternberger, ein Lehrer der Republik: "Respondeo, quod dominium hominis supra hominem, si non destructum, destruendum sit;" 'ich antworte, daß Herrschaft von Menschen über Menschen in der Tat abzubauen sei, soweit sie nicht schon abgebaut ist', "sed civitas liberorum vel res publica semper est restituenda atque praeservanda" - zu deutsch: 'aber der Staat der Freien oder das Gemeinwesen soll immer wieder neu hergestellt und bewahrt werden.' 1 Die Republik ist wie die Politie keine Staatsform der Herrschaft, sondern die politische Form der Freiheit und damit die der Liebe unter den Menschen. Das Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber bereits im SRPUrteil 1952 in BVerfGE 2, 1 (12 f.) die "freiheitliche demokratische Grundordnung" als eine Ordnung definiert, "die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt". Das Gericht hat damit dem Grundgesetz ein liberalistisches, widersprüchlich Herrschaft und Freiheit verbindendes, nach wie vor dualistisches Verfassungsverständnis unterschoben, welches von der grundgesetzlichen Idee der Republik ablenkt. Im KPD-Urteil 1956 in BVerfGE 5, 85 (197) hat das Bundesverfassungsgericht selbst ausgeführt: "Das Grundgesetz bezeichnet die von ihm geschaffenen Staatsordnung als eine freiheitliche Demokratie. Es knüpft damit an die Tradition des 'liberalen bürgerlichen Rechtsstaates' an, wie er sich im 19. Jahrhundert

1

Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, 1977, S. 26 f.

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

72

a l l m ä h l i c h herausgebildet hat u n d w i e er i n Deutschland schließlich i n der Weimarer Verfassung v e r w i r k l i c h t worden ist." D i e Verfassung des deutschen Reiches v o m 11. A u g u s t 1919 hat laut A r t . 1 Abs.

1 "eine R e p u b l i k "

verfaßt,

nicht einen liberalen

bürgerlichen

Rechtsstaat, der ein herrschaftliches, etwa das monarchische, Prinzip voraussetzt, das i n der Verfassung v o n W e i m a r nicht aufzufinden ist 2 . N a c h w i e v o r versteht das Bundesverfassungsgericht die A u s ü b u n g der Staatsgewalt durch die Organe des deutschen Volkes als "staatliche Herrschaft" 3 . D i e ganz überwiegende Staatsrechtslehre folgt diesem, d e m monarchischen K o n s t i t u t i o n a l i s m u s verhafteten liberalistischen Staats Verständnis des B u n desverfassungsgerichts 4 . Dieses prägt den bundesdeutschen Parteienstaat 5 .

2 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 224 f., sieht genau umgekehrt in der Entscheidung der Weimarer Verfassung für die Demokratie als politische Form die Entscheidung für die Herrschaft des Volkes, nicht freiheitlich, sondern gleichheitlich, d.h. durch Führer und Akklamation, die liberal-rechtsstaatlich, also bürgerlich, durch den Schutz einer privaten Sphäre gemäßigt sei. 3 BVerfGE 83, 37 (52); 83, 60 (72) (zum Ausländerwahlrecht); im Maastricht-Urteil, BVerfGE 89, 155 (188 ff.) hat das Gericht den Begriff Herrschaft vermieden und insoweit von Souveränität gesprochen. 4 Etwa E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910, 919 ff. ("Demokratie ist politische Herrschaft", gekennzeichnet durch "Über- und Unterordnung, Befehl und Gehorsam"); R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 102 ff., 160 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 968, 972 f. ("Da eine herrschaftslose Organisation der Gesellschaft nicht möglich ist."; "Nur eine repräsentative Ausübung politischer Gewalt ermöglicht eine Herrschaft nach Rechtsgesetzen", S. 973); K. Hesse, Staat und Gesellschaft, S. 497 ("... weil auch Demokratie Herrschaft von Menschen über Menschen ist"); ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 134, S. 53, trotz republikanischer Tendenz, etwa Rdn. 118 ff., S. 48 f.; Rdn. 133, S. 52, Rdn. 138, S. 54; ebenso O. Stammer, Politische Soziologie, S. 256 ff., insb. S. 261; auch im Widerspruch zu seinem Republikanismus W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, HVerfR, 1983, S. 173 ff., 178 ff., 183 ff.; W. Henke, Die politischen Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 376; ders., Recht und Staat, S. 251 ff., 299, 387 ff., 610 ("Handeln im Amt ist Herrschaft", S. 389; "Illusion der Herrschaftsfreiheit", S. 610); R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 70 ("Staatsgewalt ist immer Herrschaft über Menschen"); auch J. Isensee, JZ 1981, 3 ("Res publica bedeutet Herrschaft für das Volk"); ders., HStR, Bd. I, S. 640 f., beschreibt die Verfassungswirklichkeit, dogmatisiert aber nicht das Verfassungsprinzip der Republik; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rdn. 112, S. 85; W. Schmitt Glaeser, HStR Bd. II, S. 61 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 15 f.; auch K.A. Schachtschneider, JA 1979, 513 ff.; letztlich auch H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1201, 1204 f., 1206; i.d.S. wie hier mit Berufung auf Rawls und Habermas, H.H. v. Arnim, Der Staat 26 (1987), S. 490 ff.; scharf 1890 und noch 1919 E. Bernatzik, Republik und Monarchie, S. 33 f. ("Herrschaft gibt es auch in der Republik", denn ein "Staat ohne Herrschaft" sei eine "anarchistische" "Geisteskrankheit", verrate eine Vorstellung, bei der "die Jurisprudenz aufhöre"); prägnant C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 5, aber anders S. 139 für den bürgerlichen Rechtsstaat; ders., Legalität und Legitimität, S. 8, stellt den Widerspruch von Gesetzlichkeit und Herrschaft klar heraus. Richtig D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 9 ff.; ders., Herrschaft und Vereinbarung, S. 113 ff.;

1. Kap.: Die Herrschafts ideologie der deutschen Staatslehre

73

D i e Verfassungswirklichkeit ist nicht n o t w e n d i g A u s d r u c k der Verfassungsprinzipien. D e r B e g r i f f der Freiheit ist i m 3. und 4. K a p i t e l des 5. Teils 6 als die A u t o n o m i e des W i l l e n s vorgestellt. D e r B e g r i f f der Herrschaft ist überaus vieldeutig, w i e das S t u d i u m seiner Begriffsgeschichte erweist 7 . Herrschaft ist k e i n B e g r i f f des grundgesetzlichen Textes, aber auch k e i n B e g r i f f der grundgesetzlichen Verfassung. D i e Begriffe "Staatsgewalt" i n A r t . 20 A b s . 2 S. 1 G G u n d "staatliche G e w a l t " i n A r t . 1 A b s . 1 S. 2 G G lassen sich wegen der durch das Grundgesetz verfaßten R e p u b l i k , aber auch begriffsgeschichtlich nicht als Herrschaft begreifen 8 . D e r republikanische Staat hat nicht "Herrschergewalt", w i e es Georg Jellinek

für den monarchi-

schen Staat sagen konnte, den er "als die m i t ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Verbandseinheit seßhafter M e n s c h e n "

definiert hat 9 .

ders., Das angebliche Unrecht der Parteienregierung, 1962, in: Der Parlamentarismus, K. Kluxen, 3. Aufl. 1971, S. 374 ff., 389; ders., Drei Wurzeln der Politik, durchgehend; für die Polis Η. Arendt, Vita Activa, S. 28 ff., 33; Ch. Meier, Demokratie, S. 827 ff., für die Politie als gute Form der Demokratie; anders ders., Freiheit, S. 426 ff.; J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 327 ff.; zum kantianischen Republikverständnis, das Herrschaft überwinde, W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 279 ff., 291 ff; die Idee der Herrschaftslosigkeit reklamiert H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., 12 u.ö., für die Demokratie. I.S.d. Textes G. und E. Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 6. Aufl. 1967, S. 54 ff., 78 ff.; G. Küchenhoff, Naturrecht und Liebesrecht, 2. Aufl. 1962, S. 7 ff., 101 f.; richtig jetzt auch W. Leisner, Staatseinung, S. 139 ff., 160 ff.; richtig unterscheidet auch F.A. Hermens, Verfassungslehre, 1968, S. 30 ff., 38 ff., zwischen demokratischer Führung und Herrschaft; dagegen M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 127; zu dem "Ideal des staats- oder herrschaftslosen Zustandes" insbesondere christlicher, liberaler und sozialistischer Art, das aber im Gegensatz zur hier vertretenen Lehre auf politische Gesetzlosigkeit ausgerichtet sei, H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 654 ff., 662 ff., 669 ff. 5 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 6 S. 275 ff., 325 ff. 7 Vgl. die Abhandlung zum Begriff Herrschaft von H. Günther, D. Hilger, K.-H. Ilting, R. Koselleck und P. Moraw, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, 1982, S. 1 ff.; vgl. auch W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., der auf die Unterschiedlichkeit der Menschen hinweist und darin eine Herrschaft legitimierende Ungleichheit sieht, so daß er sogar das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern als Herrschaftsverhältnis einstuft (S. 259), wodurch er den antiken, despotischen oder patemalistischen Charakter seines Herrschaftsbegriffs deutlich macht; gegen dieses alte Argument schon M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, 1967, S. 139 ff., 150 f., der die Abhängigkeit des Gleichheitsprinzips von der Freiheitsidee zu Recht gegen diesen Versuch, Herrschaft zu legitimieren, einbringt. 8 Anders E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 893; anders auch BVerfGE 83, 37 (52) ("staatliche Herrschaft"); ebenso BVerfGE 83, 60 (73); zum Verhältnis und Unterschied von Staatsgewalt und Herrschaft in der Staatslehre des monarchischen Prinzips P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 72 ff.

74

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

"Staatsgewalt ist" nicht " i m m e r Herrschaft über M e n s c h e n " , w i e Hesse, Roman Reinhold

Herzog,

Zippelius,

stoph Link,

Klaus

Stern, Josef Isensee, Hans

Ernst-Wolfgang

j a sogar Werner Maihofer,

n i c h t anders als C a r / Friedrich C a r / Schmitt,

Hans

Kelsen,

Böckenförde,

Peter Häberle

von Gerber,

Hermann

Wilhelm

Heller

Rupp,

Henke,

u n d Paw/

Paw/ Laband,

Konrad

Heinrich

Georg

CVin-

Kirchhof Jellinek,

lehren bzw. gelehrt haben 1 0 .

Das Verdikt, Herrschaftslosigkeit sei utopisch, stammt v o n M a x Weber u n d hat die W i r k u n g , welche Webers Lehren nun einmal i n Deutschland entfalten, seien sie wahr oder unwahr, richtig oder falsch, begründet oder unbegründet, ein besonderes soziopsychologisch reizvolles T h e m a der deutschen Staatswissenschaft. Was ist schon der Text einer Verfassung gegen Webers Texte, v o r a l l e m dem v o n "Wirtschaft und Gesellschaft" 1 1 , vielleicht wegen dessen gesetzeshaften Definitionen? Robert

Michels

Weber

hat i n einem B r i e f

an

verlautbart:

"Jeder G e d a n k e , . . . durch noch so ausgetüftelte F o r m e n der ' D e m o k r a t i e ' die Herrschaft des Menschen über den Menschen zu beseitigen, ist eine Utopie."12

9

Allgemeine Staatslehre, S. 180 f., auch S. 427 ff. K. Hesse, Staat und Gesellschaft, S. 497; i.d.S. ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 131, 134, S. 52, 53; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 102 ff., 160 ff.; Κ . Stern, Staatsrecht I, S. 592 ff., 962 u.ö.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 655 f. u.ö.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1201; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 70, im Anschluß an H. Heller, Staatslehre, S. 238 f., dessen Lehre von "der Staatsgewalt als politischer Wirklichkeit" sich als Herrschaftslehre versteht (a.a.O., etwa S. 175 f., 181, 191 f., 228 ff., 237); E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 893 u.ö.; W. Henke, Recht und Staat, insb. S. 299, in der Sache; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 15 f.; W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., 178 ff. (als herrschaftliche Herrschaft des Gesetzes); ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff.; R Häberle, HStR, Bd. I, S. 846 (i.d.S.); P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 864, 920; C.F. v. Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts, 2. Aufl. 1869, S. 1 ff., 21 f.; G. Jellinek, Allgemeines Staatsrecht, S. 429 f.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 4 f., 204 ff., 224 ff. u.ö.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 10, 98 ff., 321 u.ö.; H. Heller, Staatslehre, S. 175 f., 181, 191 f., 228 ff., 237 ff., für die große Mehrheit der deutschen Staatsrechtslehrer; durchaus kritisch W. Leisner, Staatseinung, S. 139 ff.; kritisch K. Dicke, Menschenrechte und europäische Integration, S. 37 ff. 11 5. Aufl. 1972, besorgt von J. Winkelmann. 12 Zitiert bei W. Mommsen aus einem Brief an Robert Michels aus dem Jahre 1908, Römisches Staatsrecht, II, S. 392; vgl. D. Sternberger, Max Weber und die Demokratie, S. 154, der Webers Herrschaftsfixierung vor Augen führt ("Da treffen wir auf den Kern seiner Gesinnung, und sie macht sich im gelehrten Werk ebenso geltend wie in seinen politischen Äußerungen." vgl. auch S. 137 ff.); zu den Utopien der Herrschaftslosigkeit als Gesetz- und Staatslosigkeit H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 654 ff.; den Utopievorwurf erhebt wirkungsvoll R. Spaemann, Die Utopie der Herrschaftsfreiheit, in: ders., Zur Kritik der politischen Utopie, 10

1. Kap.: Die Herrschaftsideologie der deutschen Staatslehre

75

Nicht anders hat sich Hans Kelsen eingelassen: "Denn soziale Realität ist Herrschaft und Führerschaft." 13 Für die Wissenschaft von der Politik sei Manfred Hättich genannt, dessen Lehre von der "Demokratie als Herrschaftsordnung" auf der Position, "Herrschaftslosigkeit sei utopisch", aufbaut. "Politische Herrschaft und Staat synonym genommen, wird man all denen recht geben müssen, welche die Notwendigkeit von Herrschaft betonen, was mit einer Verwerfung des Demokratiebegriffs als herrschaftslose Ordnung gleichbedeutend ist."... "Staat ist auf jeden Fall immer Herrschaftsordnung"... "Politische Willensbildung ist die auf die politische Herrschaft hingeordnete Willensbildung. Immer mündet sie in einen Herrschaftsakt, und es ist der Sinn, in diesen zu münden." - Manfred Hättich 14 Herbert Krüger hai die "Staatsgewalt" durch ihre "Unwiderstehlichkeit, Einzigkeit und Einseitigkeit", vor allem gegründet auf "Untertanengehorsam", gekennzeichnet. Er identifiziert "Herrschaftslosigkeit" mit Anarchie, Herrschaftlichkeit, die er durch die "Überordnung-Unterordnung" kennzeichnet, als Staatlichkeit 15 . Manfred Hättich versteht den Staat als die "politische Herrschaft", die er als seinsmäßige "totale und dominierende Herrschaft", als "die institutionalisierte Ordnungsmacht der Gesellschaft" kennzeichnet. Das Politische und der Staat seien "vor allem Macht und Herrschaft" 16 . Das lehrt Landshut nicht anders: "Mögen die Menschen sonst in jeder anderen Hinsicht gleich sein, als Mitglieder des politischen Gemeinwesens sind sie es nicht. So ist der gewählte Repräsentant vor anderen Bürgern auch dadurch herausgehoben, daß für ihn besondere Rechtsregeln gelten (Immunität). Denn hier ist das Gemeinwesen nicht aufgefaßt als ein Verband von Gleichen, in dem der

1977, insb. 104 ff.; dagegen J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 327 ff. 13 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 79. 14 Demokratie als Herrschaftsordnung, 1967, S. 25 ff. (Zitate S. 34, 35, 97, 129, mit weiteren Belegen und Zitaten S. 64, 147), S. 88 ff., 94 ff., 97 ff., der Gewalt, Zwang und schließlich Ordnung mit Herrschaft identifiziert (S. 139, 176); ebenso W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 61. 15 Allgemeine Staatslehre, S. 188 f., 671, 818 ff., 837 ff., 847 ff., 879 ff., 908 ff., 940 f., zur Idee und Utopie der Herrschaftslosigkeit, S. 654 ff.; A. Randelzhofer, HStR, Bd. I, S. 705 f., schließt sich Krüger im wesentlichen an; ebenso sieht M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 36, "im Staat wesentlich die Herrschaftsordnung der Gesellschaft", auch S. 49, 55, 82 f., 88, 94, 97 f. 16 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 88 ff., 94 ff., 97 ff., 129 u.ö.; zum sog. Gewaltmonopol des Staates 7. Teil, 3. Kap., S. 548 ff., das zwar Zwangsbefugnisse enthält, aber nicht Herrschaft sein muß.

76

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

jeweilige Wille der Mehrheit durch Beauftragte ausgeführt wird, sondern als ein Herrschafts verband, in dem es Herrschende und Beherrschte gibt." - Siegfried Landshut 17 Aus der Logik eines "HerrschaftsVerbandes" schließt Landshut auf die politische Ungleichheit, gegen jede Demokratielehre, ebenso fiktiv wie zirkulär. Vorsichtiger, aber ähnlich argumentiert Henke: "Keine Ideologie oder Utopie und keine staatspolitische Deutung kann die Tatsache aus der Welt schaffen, daß das Verhältnis zwischen den Amtsträgern und den anderen Bürgern ein Verhältnis der Unterordnung ist, in dem Befehl und Gehorsam, mögen sie auch im Alltag meist weit hinausgeschoben oder ganz vermieden werden, die Beziehung am Ende bestimmen." - Wilhelm Henke 18 Das ist nicht einmal empirisch richtig, jedenfalls kann es und nach dem Grundgesetz soll es anders sein; denn Gesetzgebung und Gesetzesvollzug sind nicht Herrschaft, sondern Verwirklichung der Freiheit 19 . Für Henke jedoch hat die Gesetzlichkeit nur eine instrumenteile Funktion für das Recht, die "Allgemeinheit des Gesetzes" keinen "Vorrang vor der Entscheidung des Einzelfalles"; der Streit wird durch einen "Akt der Herrschaft" des Richters, wenn es gut geht, der Lage der Streitparteien gerecht, also despotisch, wenn und weil mangels Gesetzes rechtlos, befriedet 20 . Herrschaft unter Menschen und damit auch im Staat kann empirisch nicht bestritten werden. Sie kann als Vergewaltigung des Willens, eben als Heteronomie desselben, bestimmt werden 21 . Der "uralte Kampf der Geschichte" ist der "zwischen Gesetzlichkeit und Gewaltsamkeit... Machtwille und Gewalt sind ständig auf dem Sprung einzugreifen" (Karl Jaspers) 22. "Denn soziale Realität ist Herrschaft und Führerschaft ... Die besondere Funktion der demokratischen Ideologie ist: die Illusion der in der sozia-

17

Der politische Begriff der Repräsentation, S. 490. Recht und Staat, S. 389, auch S. 567 u.ö. 19 Dazu 2. Teil, 7., 10. und 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; .9. Teil, 2., 6., 7. und 10. Kap., S. 858 ff., 963 ff., 989 f., 1027 ff. 20 Recht und Staat, S. 217 ff., 620 ff., 648 ff., durchgehend gegen Rousseaus Lehre von der volonté générale (vgl. auch S. 399 ff. u.ö.). 21 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 19 ff.; 2. Teil, 2. Kap., S. 79 f.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 f. 22 Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1948, S. 202 bzw. 218. 18

1. Kap.: Die Herrschaftsideologie der deutschen Staatslehre

77

len Wirklichkeit unrettbaren Freiheit aufrecht zu erhalten." - Hans Kelsen23 Herrschaft ist aber nicht das Sollen des Staates. Als staatsrechtlicher Begriff ist Herrschaft eine das Prinzip der demokratischen Republik verzerrende, ja leugnende Ideologie. Es ist logisch, daß Herrschaftslehren gegen den freiheitlichen Demokratiebegriff den Ideologievorwurf erheben. Sie stärken damit die These der Unvereinbarkeit von Freiheit und Herrschaft. Freiheit und Herrschaft sind Prinzipien des Sollens 24 . Als solche sind sie widersprüchlich. Die Sollenswidrigkeit des Seins, sowohl republikwidrige Herrschaft als auch gegebenenfalls ein herrschaftswidriger Republikanismus, ist das ewige Schicksal der Menschen, dieses vernunftbegabten Tieres. Diese Wirklichkeit legitimiert Herrschaft nicht; denn Herrschaft ist der Würde des Menschen zuwider. Keine Herrschaftsdogmatik hält die freiheitliche Unterscheidung der "respublica noumenon" von der "respublica phainomenon" durch 25 , deren Notwendigkeit Kant klargestellt hat 26 . Die meist empiristischen Herrschaftslehren stilisieren das ewige Phänomen der Herrschaft von Menschen über Menschen zu einer legitimierenden oder auch denunzierenden Ideologie von Herrschaft. Dem Begriff Herrschaft gebührt jedoch neben dem der Freiheit keine normative Kraft (des Faktischen) 27 . Vielmehr darf keine

23 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 325; i.d.S. nicht anders die Utopiethese, etwa M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 25 ff. u.ö.; F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 21 ff., 54 ff.; R. Spaemann, Die Utopie der Herrschaftsfreiheit, S. 104 ff.; zu M. Webers Utopievorwurf vgl. das Zitat oben S. 107. 24 Zum Faktum der Freiheit 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff.; auch 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 311 ff., 332 ff., 434 ff. 25 Typisch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, 1987, passim. 26 Dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 288 ff.; Kant etwa, Der Streit der Fakultäten, S. 364. 27 Zu diesem verfehlten Argumentationsgesichtspunkt G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 337 ff.; auch W. Henke, Die politischen Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 374 ff., will die "Staatsrechtslehre" als "Wirklichkeits"-wissenschaft betreiben, deren "Gegenstand" "Erfahrungen auf dem Gebiete des menschlichen Daseins, das man Staat nennt", seien, nicht "Normen oder Werte"; das führt zur Kontingenz der Erkenntnisse, die denn auch der Lehre vom Parteienstaat zugute kommen; ebenso ders., Recht und Staat, S. 51 ff., passim, ohne daß Henke auf Imperative der Liebe verzichtet, wie vor allem den, "der Lage des anderen zu entsprechen", "hinzusehen und vernünftig zu urteilen", wenn "Gerechtigkeit" erreicht werden soll (S. 173 ff.), ohne damit das im kategorischen Imperativ Kants formelhaft erfaßte christliche Liebesgebot zu erreichen (dazu 2. Teil, 8. Kap., S. 135 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 277 f.); Staatslehre ist auch WirklichkeitsWissenschaft (//. Heller, Staatslehre, S. 37 ff.), Staatsrechts-

78

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Mühe gescheut werden, die Wirklichkeit dem Recht, also der allgemeinen Freiheit, anzupassen, d.h. Herrschaft von Menschen über Menschen zu bekämpfen 28 . Das aber erfordert eine Lehre von einem herrschaftsfreien Gemeinwesen, von der Republik 29 . Jede Herrschaftsideologie gibt die Chance irrationaler Argumentation. Darin liegt ihr verführerischer Reiz. Karl Jaspers hat 1948 die Antwort gegeben: "Notwendig ist die Sorge aller für die Freiheit. ... Denn die Freiheit ist immer in der Defensive und daher in Gefahr. Wo die Gefahr in einer Bevölkerung nicht mehr gespürt wird, ist die Freiheit fast schon verloren. ... Gegen das politische Ideal der Freiheit gibt es wie gegen jedes Ideal gewichtige Gegeninstanzen aus der Realität: Freiheit habe sich als unmöglich erwiesen. ... Der Unterschied ist, ob wir aus dem Glauben an Gott und im Bewußtsein der Aufgabe der Menschenwürde den Weg der Freiheit wählen und in grenzenloser Geduld durch alle Enttäuschungen hindurch festhalten, oder ob wir im verkehrenden Triumph nihilistischer Leidenschaft uns dem Verhängnis überlassen, als Menschen durch Menschen in unserem Wesen zerstört zu werden. Das entscheidende Merkmal freier Zustände ist der Glaube an die Freiheit. Es ist genug, daß Annäherungen an das Ideal politischer Freiheit versucht, und, wenn auch mit großen Mängeln, gelungen sind. Daraus entspringt die Ermutigung für die Zunkunft." - Karl Jaspers 30 "Das utopische Ziel der Abschaffung von Herrschaft diene gerade der unkontrollierten Herrschaft selbsternannter Aufklärer zur Legitimation", wirft Robert Spaemann der Diskursethik von Jürgen Habermas vor 3 1 . Jürgen Habermas antwortet: "Aufklärung, die nicht in Einsicht, d.h. in zwanglos akzeptierten Deutungen terminiert, ist keine.... Analytische Gespräche und Ideologiekritik haben gemeinsame Strukturen - beide, so können wir sagen, organisieren Aufklärung. Aber die politische Praxis kann dem Muster der Therapie schon deshalb nicht folgen, weil Organisation der Aufklärung und strategisches Handeln zweierlei sind und niemals uno actu vollzogen werden können." - Jürgen Habermas 32 lehre macht Sollen zu ihrem Gegenstand. 28 Dazu fordert D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 26 f. (Zitat oben S. 103 am Anfang des Kapitels). 29 Ganz i.d.S. Kant, Idee, S. 40 f. 30 Vom Urspung und Ziel der Geschichte, S. 217, Herv. ν. Κ Jaspers. 31 Die Utopie der Herrschaftsfreiheit, S. 116 ff.

2. Kap.: Herrschaft und Untertänigkeit

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2. Kapitel Herrschaft und Untertänigkeit 1. Für die republikanische Freiheits-, Rechts- und Staatslehre, die Lehre von der Politik also, genügt eine begriffliche Orientierung des Aspekts Herrschaft, weil ein Begriff Herrschaft ohne verfassungsgesetzliche Verankerung keine verfassungsinterpretatorische Relevanz beanspruchen kann. Die demokratistischen Herrschaftslehren bieten auch keine Definitionen des Begriffs Herrschaft, welche rechtlichen Regelungscharakter beanspruchen könnten, und können darum auch nur von ihrer bloßen, auf Legitimationswirkung, vor allem einer solchen der Parteienoligarchie, ausgerichteten, Begriffsorientierung her kritisiert werden. Herrschaft läßt sich als Negation der äußeren Freiheit, als "nötigende Willkür" eines Menschen über einen anderen oder mehrere andere Menschen verstehen; denn Kant ähnlich John Locke definiert die äußere, negative Freiheit, als die "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" 3 3 . Manfred Hättich definiert Freiheit (u.a.) als Macht, die er, mit Max Weber, "als die Möglichkeit" versteht, "seinen Willen notfalls auch gegen den Willen anderer durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruhe" 3 4 , und stellt mit diesem schon in sich herrschaftlichen Freiheitsbegriff einen Gegensatz von Herrschaft und Freiheit heraus. "Bloße Macht verschafft mir Freiheitsraum als Begrenzung der Freiheitsräume anderer. I m zweiten Falle kann ich über andere bestimmen, sie zu einem bestimmten Verhalten zwingen, nicht nur den Spielraum ihres Verhaltens eingrenzen. Diesen zweiten Fall wollen wir Herrschaft nennen. ... Herrschaft ist immer Macht, aber Macht ist noch nicht immer auch schon Herrschaft" 35 .

32

Die Utopie des guten Herrschers, S. 336. Metaphysik der Sitten, S. 345; J. Locke, Über die Regierung, S. 19 ("nicht dem unbeständigen, ungewissen, unbekannten, eigenmächtigen Willen eines anderen Menschen unterworfen zu sein -"), auch S. 41. 33

34 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28 ff., auch S. 542; nicht anders G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 180, 427 ff.; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 175.

80

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Hättich identifiziert damit Herrschaft mit der Freiheit, einen anderen zu nötigen. Dieser positive Freiheitsbegriff nährt sich aus der Unfreiheit des anderen. Eine solche Freiheit wäre nicht nur nicht allgemein, sondern soll ausgerechnet die Herrschaft von Menschen über Menschen als Freiheit legitimieren. Diese Herrschaftslehre mißachtet den bürgerlichen Freiheitsbegriff, die Einheit der negativen äußeren und der positiven inneren Freiheit 36 . Die nötigende Willkür ist Kennzeichen der Über- und Unterordnung zwischen Menschen, von denen einer, der Herr, zu befehlen die Möglichkeit, während der andere, der Sklave, Knecht, Untertan, der Beherrschte also, zu gehorchen hat. Eine solche Ordnung ist nach Carl Schmitt politische "Herrschaft" 37 . Ernst-Wolfgang Böckenförde 0* folgt begrifflich Carl Schmitt. Die Vorstellung eines Verhältnisses der Über- und Unterordnung dürfte heute den Sprachgebrauch des Wortes Herrschaft dominieren, nachdem Max Weber Herrschaft wenig spezifisch als die "Chance" definiert hat, "für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden", "innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen" 3 9 .

35

Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 176, gestützt auf Max Weber; zu drei weiteren Freiheitsbegriffen Hättich, a.a.O., S. 145. 36 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff., insb. S. 318 f.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 344 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; M. Hättich bietet dann, S. 144 f. a.a.O., auch gleich drei verschiedene Freiheitsbegriffe zusätzlich, was den Stand seiner Freiheitslehre und die Verwirrungen seiner "demokratischen Ideenlehre", a.a.O., S. 138 ff., auch S. 25 f., aufhellt; ohne Freiheitslehre läßt sich zur Demokratielehre nichts beitragen, Hättich selbst hat die "Freiheit, nicht die Demokratie" als "Kern des Denkens über die Demokratie", provoziert durch den Totalitarismus, erkannt (S. 12); zur Kritik des Begriffs "Freiraum" 4. Teil, 2. Kap., S. 211 f.; 6. Teil, 5. Kap., S. 466 f. 37 Verfassungslehre, S. 4 f., 200 ff., 223 ff.; H. Heller, Staatslehre, S. 266 u.ö. weicht insofern nicht von Schmitt ab, vgl. auch S. 191 ff., 228 ff., 237; in der Sache ebenso M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 113, 144, 175 f.; W Henke, Recht und Staat, S. 389 u.ö. 38 HStR, Bd. I, S. 910; nicht anders in der Sache W Henke, Recht und Staat, S. 299, 389 u.ö.; in der Sache fast die ganze Staatsrechtslehre zum Grundgesetz, vgl. die Hinweise in Fn. 4, S. 72 f.; so auch G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 429 f.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 10, 98 f. 39 Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28, 182, vgl. auch S. 541 ff.; Weber folgend M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 175 f.; in der Sache nicht anders G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 180, 427 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 4 f., 200 ff., 223 ff.; auch H. Heller, Staatslehre, S. 191 ff., 228 ff., 237, 266; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 5. 188 f., 671, 818 ff., 837 ff., 847 ff., 879 ff., 908 ff., 940 f.; FA. v. Hayek , Der Verfassung

2. Kap.: Herrschaft und Untertänigkeit

81

Wer herrscht, kann seinen Willen durchsetzen, ohne auf den Willen des Beherrschten Rücksicht nehmen zu müssen 40 . Heller definiert: "Herrschaft heißt Gehorsam finden und zwar ohne Rücksicht auf die vom Gehorchenden vorgestellte Interessenförderung."... "Denn erst die Gefolgschaft macht den Führer, erst der Gehorsam den Herrscher."- Hermann Heller 41 "Herrschaft ist gerade dadurch charakterisiert, daß das Urteil des Herren darüber, was gerecht sei, nicht aber das des Beherrschten maßgebend ist." - Wilhelm Henke 42 Eindeutiger kann der Gegensatz von Freiheit als Autonomie des Willens und Herrschaft als Heteronomie des Willens nicht formuliert werden. Eine solche Herrschaftslehre kann auf das allgemeine Gesetz verzichten und ist darum weder demokratisch noch republikanisch. Sie bedarf nur des Streitschlichters, des herrschaftlichen Juristen, den Henke zur Leitfigur seiner Lehre von Recht und Staat erhebt 43 . Herrschaft ist somit Heteronomie des Willens 4 4 . Walter Leisner spricht von "Herrschaftsobjekten" ("selbst noch in der Demokratie"), "den Menschen". "Aus ihr (sc. 'dieser göttlichen Ordnung') kann gleichermaßen ein 'Recht der Personen', wie ein 'Recht der Sachen', nebeneinander, fließen, das

der Freiheit, S. 161, der den "Zwang" nennt; W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., 299 u.st., der von "Herrschaft im Sinne der Über- und Unterordnung" spricht (S. 276 u.ö.); i.d.S. auch R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 160, auch S. 168 Fn. 28; dazu begriffsgeschichtlich D. Hilger, Herrschaft, S. 98 ff.; kritisch zu Webers vagem Universalbegriff der 'Herrschaft' D. Sternbergen Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 196; ders., Max Weber und die Demokratie, S. 137 ff., insb. S. 152 ff., der "Webers generelle Fixierung an 'Herrschaft'", dessen "Vexiertheit von Herrschaft" kritisiert; ders., Herrschaft und Vereinbarung, S. 117; kritisch auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 205 ff. 40 I.d.S. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 180; ähnlich H. Heller, Die Souveränität, 1927, S. 35; Th. Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 17; so auch W. Henke, Recht und Staat, S. 253, mit Bezug auf M. Weber. 41 Staatslehre, S. 191 f., 237; vgl. auch ders., Souveränität, S. 35 ff.; ähnlich M. Imboden, Die politischen Systeme, 1962, S. 109 f. 42 Recht und Staat, S. 261. 43 Recht und Staat, S. 217 ff., 648 ff. 44 Ganz so M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 43 u.ö., der eine Menschheit ohne Fremdbestimmung für "reine Utopie" hält, die "nicht Grundlage einer klaren hic et nunc gestaltbaren Ordnung sein" könne (S. 64), aber "Mehrheitsverfahren" als "Herrschaftsverfahren" begreift, weil nur reale Einstimmigkeit herrschaftslos sei (S. 42 f.) - in Unkenntnis der Vertretungslehre (dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 641 ff., 707 ff.); nicht anders in der Sache F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 25 ff., 54 ff. 6 Schachtschneider

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

82

öffentliche Herrschaftsrecht ist, im letzten, stets als ein Sachenrecht zu begreifen, so wie man noch spät i m Staats- und noch später im Völkerrecht sagen konnte: Quidquid est in territorio est etiam de territorio eben die Herrschaftsobjekte." 45 2. Die Vorstellung von Herrschaft orientiert sich damit an der antiken Herrschaft im Hause, der Despotie oder potestas46, dem Paternalismus, welche der staatlichen Herrschaft auch noch gemäß dem monarchischen Prinzip des Konstitutionalismus Orientierung gab 47 . Die Despotie ist durch die Rechtlosigkeit gekennzeichnet. Dieser Herrschaftsbegriff ist mehr am dominium, als am imperium ausgerichtet 48. Die römische Republik kannte Herrschaft als dominium nur im Hause, nicht aber in politicis. Potestas als eigentlich private Hausherrschaft wird in das Amt eingebracht und im Politischen zur Amtgewalt, die von der auctoritas der Senatoren gestärkt sein konnte und gegebenenfalls das imperium umfaßte 49 . "Römisch gesprochen: imperium ist nicht dominium." - Dolf Sternberger 50 Wilhelm Henke begreift die staatliche Herrschaft auch heute noch wie die durch "rechtliche Bindung ... in Amtsgewalt verwandelte Herrschaft" vermeintlich der römischen Republik 51 . M i t dem grundgesetzlichen Prinzip der Gesetzlichkeit ist das unvereinbar, aber es ist auch nicht römisch-republikanisch. "Nein, das ist wahrhaftig weder griechisch noch römisch. Niemals würde ein Amtsinhaber der Republik als 'Herr' bezeichnet oder angeredet

45

Staatseinung, S. 139 f. Vgl. H. Günther, Herrschaft, S. 39 ff.; Ch. Meier, Macht, Gewalt, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, 1982, S. 820 f.; M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 86 f.; D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 26 ff.; dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 338 f. 47 Vgl. H. Günther, Herrschaft, S. 41 ff.; paternalistisch ist das Herrschaftsverständnis W. Henkes, Recht und Staat, S. 251 ff., noch heute und wohl unvermeidlich. 48 Vgl. dazu K.H. Ilting, Herrschaft, S. 36; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 398 ff., 405 f.; dazu auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 820 f.; O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 207 f. 49 W. Henke, Recht und Staat, S. 319 ff., 328 ff.; zur Begriffsgeschichte Ch. Meier, Macht, Gewalt, S. 817 ff., insb. S. 830 ff.; D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 21, 26; ders., Max Weber und die Demokratie, S. 152 f. 50 Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 26; Max Weber und die Demokratie, S. 152; ebenso Ch. Meier, Macht, Gewalt, S. 830. 51 Recht und Staat, S. 328 ff., 387 ff., Zitat S. 389; dazu 2. Teil, 8. Kap., S. 133 ff. mit wörtlichem Zitat, S. 137. 46

2. Kap.: Herrschaft und Untertänigkeit

83

worden sein. Noch Cäsar hatte es sich ganz entschieden verbeten, von Schmeichlern mit dem Titel dominus, Herr, angeredet zu werden. Er hatte gewiß eine große, bis dahin unbekannte Machtfülle auf sich vereinigt, aber das war immer noch Amtsmacht, nicht Herrschaft." - Dolf Sternberger* 1 3. Jede Art der Über- und Unterordnung widerspricht der Gleichheit aller in der Freiheit, der Bürgerlichkeit 53 und damit der Brüderlichkeit 54 . Diese Gleichheit ist das fundamentale Prinzip, auf dem alle Kritik an Herrschaft gründet 55 . Wilhelm Henke begründet denn auch seine Herrschaftslehre allein mit der Ungleichheit der Menschen, damit, daß es "überlegene und unterlegene Menschen" gebe, und weigert sich, "Ideen oder Ideale" als "Grundlagen der Jurisprudenz" anzuerkennen 56. Einer solchen Herrschaft des Stärkeren setzt die christlich fundierte Aufklärung die Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit entgegen und versucht, die Republik zu gestalten; denn die Hoffnung auf die Güte des Herren, der dem Schwachen gerecht werde 57 , hat sich allzu oft als trügerisch erwiesen. Herrschaft verletzt die Gleichheit aller in der Freiheit und fördert die Ungleichheit, die Privilegien. Ungleichheit kann aber Herrschaft nicht legitimieren, weil sie rechtlich relevant nur auf Gesetzen beruhen kann 58 . Manfred Hättich leitet aus der "politischen Gleichheit in freiheitlicher Demokratie", aus der "Idee der Gleichheit" als "abgeleitete Idee" der "sozialisierten Freiheit" her, "daß alle Mitglieder des Gemeinwesens zur politischen Herrschaft im grundsätzlich gleichen Verhältnis" stünden, daß "grundsätzlich jedes Gesellschaftsmitglied in gleicher Weise herrschaftsbefugt" sei 59 .

52

Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 21, beachtlich auch die weiteren Sätze und Seiten; Max Weber und die Demokratie, S. 152 f. (mit Hinweis auf Ovid, von Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, II, S. 769, zitiert, Fn. 18). 53 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 1 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff., insb. S. 218 ff.; 5. Teil, 4. und 6. Kap., S. 341 ff., 410 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; auch 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff.; insb. D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, S. 115 ff.; ders., Max Weber und die Demokratie, S. 137 ff. 54 Vgl. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 671, 672 f.; zum Prinzip der Brüderlichkeit 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff., insb. S. 241 ff. 55 56

Dazu D. Hilger, Herrschaft, S. 64 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 670.

Recht und Staat, S. 251 ff., 255, 275 u.ö., und der Untertitel des Buches. So W. Henkes "personale" Lehre, Recht und Staat, S. 162 ff., 251 ff., insb. S. 258 u.ö. 58 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; auch 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; 2. Teil, 10. Kap., S. 145 ff. 57

84

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Den Widerspruch des eigenen Herrschaftsbegriffs der Überordnung von Menschen über Menschen zu einer solchen Allgemeinheit der Herrschaft muß ignorieren, wer die Herrschaftsideologie zur Grundlage seiner Lehre macht. Hättich offenbart sein Allgemeinheitsdilemma mit dem frappierenden Satz: "Die Menschen sind sich also nicht zuletzt darin gleich, daß sie ungleich sind" 60 . Dieser Satz verwechselt Ungleichheit mit Unterschiedlichkeit; denn Gleichheit kann nur an Hand von Maßstäben, etwa Gesetzen, erfaßt werden. Das weiß Hättich an sich 61 , zieht aber daraus keine Konsequenzen, weil das seine Ideologie ins Wanken bringen würde. Die Gleichheit aller in der Freiheit ist das Grundprinzip einer Demokratie, die jede Art von Herrschaft zurückweist, das Grundprinzip des Politischen im bürgerlichen Sinne, der Politie und damit der Republik 62 . "Alle diejenigen nun, die meinen, daß ein Staatsmann, ein Fürst, ein Hausverwalter und ein Herr dasselbe seien, irren sich." - Aristoteles 63 Wer die Möglichkeit leugnet, die politische Herrschaft zu überwinden, leugnet zugleich die Sittlichkeit der Menschen und damit des Menschen Würde. Fast die gesamte Staatslehre steht einem Staat ohne Herrschaft skeptisch gegenüber 64 . Diese Skepsis ist empirisch wohl begründet, darf

59 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 150; in der Sache nicht anders F. Scharpf\ Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 25 f., 55, 66. 60 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 151, mit fragwürdiger Berufung auf R. Dahrendorf \ Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, 1961 (ohne Seitenangabe!). Dahrendorf vertritt einen normativen Gleichheitsbegriff und verwechselt nicht Unterschiedlichkeit mit Ungleichheit, vgl. 2. Aufl. der genannten Schrift, S. 126 ff. 61 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 151 (Beispiele); dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; auch 2. Teil, 10. Kap., S. 145 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff. 62 Dazu 1. Teil, 1. und 3. Kap., S. 1 ff.; auch 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff.; insb. Aristoteles, Politik, S. 203, 1317 b, 38 ff.; aristotelisch D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 11 ff.; ders., Max Weber und die Demokratie, S. 153 f.; ders., Herrschaft und Vereinbarung, S. 115 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 590 f. u.ö., akzeptiert die Logik der Freiheit und Gleichheit, nimmt sie aber nicht an, weil sie der Wirklichkeit der Ungleichheit der Menschen, aus der sich die Herrschaft ergebe, nicht entspräche. 63 Politik, S. 47, 1252 a, 7 ff.; darauf weist auch D. Sternberger, Max Weber und die Demokratie, S. 153 f., hin (in anderer Übersetzung); ebenso R. Marcie, Rechtsphilosophie, S. 220. 64 Vgl. Hinweise in Fn. 4, S. 72 f.; auch R. Dahrendorf, Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, S. 32 ff.; den Widerspruch von Herrschaft und Einung stellt W. Leisner, Staatseinung, S. 139 ff., heraus.

2. Kap.: Herrschaft und Untertänigkeit

85

aber die Idee der Freiheit nicht aufgeben, w e i l diese die W ü r d e des M e n schen ausmacht. D i e Lehre v o n der Freiheit muß das Sollen v o m Sein trennen. Keinesfalls darf sie ihre Idee, die Freiheit, empiristisch desavouieren u n d sich k l e i n m ü t i g i n eine Herrschaftslehre verwandeln. D a m i t w i r d z u g l e i c h das Prinzip Recht verraten. Wer den B e g r i f f Staat e i n e m Herrschaftsgefüge vorbehalten w i l l 6 5 , kann sich jedenfalls auf die Begriffsgeschichte des Wortes Staat nicht berufen 6 6 , schon gar n i c h t auf das W o r t status oder l o stato, den Stand, den Z u s t a n d 6 7 . R i c h t i g nennt Horst

Ehmke

den freiheitlichen demokratischen Staat das "politische G e m e i n w e s e n " 6 8 , das ist die P o l i t i e oder die R e p u b l i k . "Gemeinwesen" nennt auch Sternberger

Dolf

den "Staat der F r e i e n " 6 9 .

4. Herrschaft ist ein freiheitswidriger Status 7 0 . Das ist die logische F o l g e aus der Subjekthaftigkeit jedes M e n s c h e n 7 1 ; denn Herrschaft v o n M e n schen über M e n s c h e n degradiert die beherrschten Menschen, soweit die Herrschaft reicht, zu rechtlosen Objekten der herrschenden

65

Menschen72.

Hinweise in Fn. 4, S. 72 f.; insb. M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 34

u.ö. 66

Vgl. auch P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 72 ff. Dazu R. Smend, Staat und Politik, WS 1945/46 (!), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 367, im übrigen gegen die Machtlehren J. Burckhardts (S. 364 ff.) und M. Webers (370 ff.). 68 "Staat" und "Gesellschaft", S. 267 ff. 69 Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 27. 70 Aristotelisch D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 9 ff., insb. S. 24; ders., Machiavellis "Principe" und der Begriff des Politischen, S. 38, 54; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., akzeptiert das folgenlos als Idee; nicht anders M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 25 ff., 33 ff., 144 ff. ("Utopie" der "Herrschaftslosigkeit", aber "Idee der Freiheit"); KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 116 ff.; richtig im Begriff W. Leisner, Der Gleichheitsstaat, S. 23; i.d.S. ders., Staatseinung, S. 22 ff., 40 ff.; H. Arendt, Vita Activa, S. 28 ff., legt den Unterschied zwischen der freiheitlichen Politik und der herrschaftlichen Ökonomik der Griechen dar; dies., Was ist Politik?, S. 35 ff., insb. S. 39; vgl. zum Verhältnis von politischer Freiheit und Herrschaft in Athen auch W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff.; so auch für Kant W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 291 ff. 67

71 BVerfGE 5, 85 (204 f.); 50, 166 (175); st.Rspr.; dazu auch 5. Teil, 7. Kap., S. 427 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff., insb. S. 289 f. 72 Eindrucksvoll insoweit R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 216, 269 f.; i.d.S. auch Ρ Häberle, HStR, Bd. I, S. 833 ff., 839 ff., der dennoch an der Formel "Herrschaft durch das Volk und für das Volk" festhält (S. 846); i.S. des Textes auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 205 ff.

86

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

D e r Staat der praktischen Vernunft kennt keine persönlichen U n t e r t a n e n 7 3 , sondern, w e n n m a n sich v o n dem W o r t nicht lösen w i l l , nur besser: nur B ü r g e r

75

. Dolf

Sternberger

lehrt aristotelisch den

Herren 74, "Bürger-

Staat", i n d e m das "Politische" das "Staatliche, Bürgerliche, Freiheitliche u n d Gemeinschaftliche, das Geordnete u n d Gesetzliche" u n d " P o l i t i k " die "Erkenntnis ist

76

der

Grundbestimmungen

menschlichen

Zusammenlebens"

.

D e n Menschen z u m O b j e k t eines staatlichen Verfahrens zu machen, verletzt die W ü r d e des Menschen (Günter Dürig)

77

.

Konsensuale O r d n u n g ist

73 Zum Staatsbürger als Untertanen Kant, Über den Gemeinspruch, S. 146 f. ("Es ist aber alles, was unter Gesetzen steht, in einem Staate Untertan, mithin dem Zwangsrechte, gleich allen andern Mitgliedern des gemeinen Wesens, unterworfen"; damit ist keine personale Herrschaft gemeint); ebenso ders., Zum ewigen Frieden, S. 204 ff.; auch ders., Metaphysik der Sitten, S. 464 u.ö.; i.d.S. auch H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 4; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 98 ff., 321; auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 940 ff., definiert den "Untertan" der Sache nach republikanisch. Für Hobbes, Leviathan, S. 156, sind alle "Untertanen" Bürger, die nicht als "Stellvertreter des Staates" die "höchste Gewalt besitzen". Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 19 ff., 62 ff. u.ö., unterscheidet den Bürger vom Untertan. Als Bürger ist der Mensch ein Teil des Souveräns; als Untertan ist er dem Gesetz unterworfen. Sowohl als Bürger als auch als Untertan ist er frei (etwa S. 21, 64). Nach Heinrich Manns "Der Untertan", 1914/18, ist das obrigkeitliche Wort Untertan nicht mehr geeignet, die Freiheit durch Gesetzlichkeit, also auch durch die Verwirklichung des Gesetzes, sprachlich zu erfassen. Das Wort Bürger genügt den sprachlichen Anforderungen der Republik, die sowohl die Kompetenz der Menschen zur Gesetzgebung als auch deren Pflicht, den Gesetzen Folge zu leisten, erfaßt. Wenn die Beachtung des Gesetzes durch den Staat von einem Bürger erzwungen werden muß, wird er dadurch nicht Untertan; er bleibt frei. Das Wort Untertan korrespondiert mit den Worten Herrschaft der Gesetze. Diese Worte verzerren sprachlich die Freiheit der Bürger. 74 So W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 291 ff., zum kantianischen Republikverständnis; i.d.S. vor allem W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 20 ff.; ders., HVerfR, S. 186 ff., der sich selbst nicht konsequent von einem herrschaftlichen Charakter der "Herrschaft der Gesetze" als "Selbstherrschaft" löst; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910 f.; A. Schüle, Demokratie als politische Form und Lebensform, in: FS R. Smend, 1952, S. 334; auch W. Leisner, Staatseinung, S. 22 ff. 75

Zum Begriff des Bürgers 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. Herrschaft und Vereinbarung, S. 118, 121; Machiavellis "Principe" und der Begriff des Politischen, S. 54 f.; auch W. Maihofer, HVerfR, S. 187 f., spricht mit Bezug auf Montesquieu von "Bürgerstaat". 77 Maunz/Dürig, GG, Rdn. 28, 34 zu Art. 1 Abs. I (1958); ders., AöR 81 (1956), S. 117 ff.; ihm ist das Bundesverfassungsgericht in seiner Würderechtsprechung gefolgt; dazu, "Dürigs Objektformel" herausstellend, P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 822, 836, 838 u.ö.; so auch P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 806; i.d.S. auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 205 ff. 76

2. Kap.: Herrschaft und Untertänigkeit

87

keine Herrschaft 78 , auch nicht, wenn die Erkenntnisse des Wahren und Richtigen von Vertretern des Volkes verbindlich gemacht werden 79 . Übereinkunft allein vermag Recht zu begründen 80 oder, wie Dolf Sternberger sagt, die "bürgerliche Legitimität ... der Verfassungssysteme der westlichen Welt" 8 1 . René Marcie nennt ganz i m Sinne des Augustinus 82 als Urnorm: "Du sollst über Deinen Nächsten nicht herrschen." 83 "Von der Schöpfung bis zum Sündenfall war Freiheit und nichts als Freiheit. Seither ist Herrschaft und nichts als Herrschaft oder, was dasselbe ist, Knechtschaft und nichts als Knechtschaft." faßt Dolf Sternberger die augustinische Position i m alten Streit um den Ursprung der Herrschaft 84 zusammen. Das heißt aber, frei kann der Mensch nur i m Status der Sittlichkeit sein, als Vernunftwesen, das aufklärerisch frei von Sünde ist.

78

R. Dahrendorf, Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, 2. Aufl. 1966, S. 32, der sich auf M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 27, § 13 bezieht; D. Sternberger, Max Weber und die Demokratie, S. 135 ff., stellt Webers "generelle Fixierung" an "Herrschaft" heraus, S. 152, 154, und stellt selbst "Herrschaft und Vereinbarung" gegeneinander, etwa, Herrschaft und Vereinbarung, S. 115 ff., 138 f.; demgegenüber C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 4 f., für den jede Ordnung eine Form der Herrschaft ist, der aber auch die Freiheit als "politisches Formprinzip", jedenfalls der Demokratie, zurückweist, konsequent, wenn "der Staat die politische Einheit des Volkes" als ein eigenständiges Sein ist (S. 4 ff., 204 ff.); i.d.S. nicht anders M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 33 ff., 149; auch P. Kirchhof HStR, Bd. V, S. 864 ff., S. 920, versteht die notwendige Ordnung als Herrschaft; vgl. 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; auch 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 79 Dazu näher 8. Teil, 1., 2. und 3. Kap., S. 637 ff., insb. S. 644 ff., 685 ff., 707 ff. 80 Dazu 7. Teil, 1., 4. und 6. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 620 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff. 81 Max Weber und die Demokratie, S. 149, gegen dessen "charismatische Legitimität"; auch ders., Herrschaft und Vereinbarung, S. 117 f., 120 f. 82 83 84

De civitate Dei, 19. Buch, 15-16, auch 11-12. Rechtsphilosophie, S. 216; kritisch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 322 ff. S. 11 ff., Zitat S. 24.

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

88

3. Kapitel Die Lehren von der Herrschaftlichkeit des Staates 1. Daß der Staat herrsche, ist eine A n n a h m e der Staats- u n d Staatsrechtslehre, welche u n u m s t ö ß l i c h erscheint 8 5 . H i e r b e i verlegen w i r die rechtliche N a t u r der Staatsgewalt, als der W i l lensmacht des Staates, i n den B e g r i f f des Beherrschens. Beherrschung ist die umfassenste A r t der W i l l e n s f ä h i g k e i t , welche das Recht überhaupt kennt." - Carl

Friedrich

von Gerber ,

186986

"Herrschergewalt hingegen ist unwiderstehliche Gewalt. Herrschen heißt unbedingt befehlen u n d E r f ü l l u n g s z w a n g üben können."... "Herrschen ist das K r i t e r i u m , das die Staatsgewalt v o n allen anderen Gewalten unterscheidet." - Georg

Jellinek

87

W e r Staat u n d Gesellschaft trennt oder auch nur

freiheitsdogmatisch

unterscheidet 8 8 , lehrt einen Staat, zu dessen B e g r i f f die Ü b e r o r d n u n g über

85

C.F. v. Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts, 1865, S. 1 ff., 21 f.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 429 f.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 4 f., 204 ff., 224 ff. u.ö.; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 11 f., 53 ff., 84 ff., für die "reale Demokratie" entgegen der "illusionären" "Idee der Demokratie"; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 10, 98 ff., 321, 325, auch die "Belege und Verweise" S. 390 ff., der aber die bekanntlich den "Staat" auch i.S. der "Staatsgewalt", der "Staatsherrschaft" als "Rechtsordnung", als "Normunterworfenheit" begreift (etwa a.a.O., S. 99); H. Heller, Staatslehre, S. 175 f., 181, 191 f., 228 ff., 237 ff.; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 25 ff., insb. S. 34 m.w.H. und Zitaten auf politikwissenschaftliche Literatur, S. 172 ff., passim; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 655 f.; ders., Grundrechte und Demokratie. Die polare Demokratie im grundgesetzlichen Gemeinwesen, 1981, S. 9 ff. u.ö.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 893; K. Hesse, Staat und Gesellschaft, S. 497; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1201; K. Stern, Staatsrecht I, S. 592 ff. ("Volksherrschaft"), S. 962 u.ö.; W. Henke, Recht und Staat, S. 299 f., 387 ff., 610 (durch die Ämter und sei darin Republik, daß die Ämter der Gerechtigkeit verpflichet seien, dem Dienst); Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 15 f.; sogar W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., 178 ff., der zu Unrecht im Gesellschaftsvertrag Rousseaus eine demokratische "rationale: formale und materiale" Legitimation von Herrschaft von Menschen über und für Menschen" (S. 182) sucht, die er als "Herrschaft der Gesetze" vorstellt; ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff.; BVerfGE 2, 1 (12 f.); BVerfGE 83, 37 (52); 83, 60 (72); weitere Hinweise in Fn. 4, S. 72 f. 86 Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts, S. 1 ff., 7 ff. (Zitat S. 9), 21 f.; vgl. dazu P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 163 ff., 170 ff., 175 ff. 87 Allgemeine Staatslehre, S. 429, 430 mit Bezug auf C.F. v. Gerber. 88 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 162 ff., 175 ff.; auch M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 39 f., 49 f. u.ö.

3. Kap.: Die Lehren von der Herrschaftlichkeit des Staates

89

die Gesellschaft und damit über die Bürger oder Menschen als Untertanen gehören, der seinem Begriff nach herrscht, wenn die Herrschaft von Personen im Staat dem Staat als juristischer Person zugerechnet wird. Diese Begrifflichkeit ist geradezu mit den Begriffen Staatslehre und Staatsrechtslehre verbunden, welche sich eben mit dem Staat befassen, nicht mit der Gesellschaft und schon gar nicht mit dem Bürger 89 . Wenn die Bürger in den Mittelpunkt der Lehre des gemeinsamen Lebens gestellt werden, liegen die Begriffe der bürgerlichen Verfassungslehre nahe, die aber auch republikanische Verfassungslehre heißen kann; denn: "Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch sein." Kanf 0 Die Verfassung regelt das gemeinsame Leben der Bürger, also das Politische. Richtig ist der Begriff des Politischen, wenn von Freiheit, Recht und Staat die Rede ist. Die Lehre davon ist die Lehre des Politischen 91 . Der aristotelische Lehrer der "bürgerlichen Legitimität", des "Bürger-Staates", Dolf Sternberger, stellt denn auch die "bürgerliche Rechtmäßigkeit" nicht auf "Herrschaft", sondern auf "Vereinbarung", "Übereinkunft" 92 . 2. Die Menschen übertragen der Idee der Republik nach ihre Möglichkeit, andere zu beherrschen, nicht auf den Staat und auch nicht auf dessen Repräsentanten. Der Staat ist keine natürliche Person, die herrschen könnte. Der Staat ist auch nicht als "anonyme Person ... Subjekt der Herrschaft", wie Hans Kelsen meint 93 . Nur Menschen können über Menschen herrschen. Richtig erkennt Kelsen den ideologischen Charakter der Staatspersonifizierung, der "das dem demokratischen Empfinden unerträgliche Faktum einer Herrschaft von Mensch über Mensch"

89

Dazu 4. Teil, 1. Kap., S. 207 ff.; geradezu eine Wende der Staatsrechtslehre leitet W. Leisner, Staatseinung, S. 22 ff., 31 ff., 80 ff. u.ö., ein. 90 Zum ewigen Frieden, S. 204. 91 Ganz so Ch. v. Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 436 f. (auch Kritik am Begriff der Staatslehre, Staatsrechtslehre); D. Sternberger, Machiavellis "Principe" und der Begriff des Politischen, S. 31 ff., insb. S. 54 f.; i.d.S. auch H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 267 ff. ("politisches Gemeinwesen"). 92 Herrschaft und Vereinbarung, S. 113 ff., 130 f.; auch ders., Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 11 ff., 26 f. 93 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 11; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 325 ("Personifikation des Staates").

90

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

verschleiern soll 9 4 ; aber Kelsen vollendet die demokratistische Herrschaftslehre zu einer paradoxen Definition des "Freistaates" als "freiem Staat", in dem "nicht der einzelne Staatsbürger, sondern die Person des Staates frei sei", in dem "an die Stelle der Freiheit des Individuums die Souveränität des Volkes" trete 95 . Der Freistaat ist die Republik freier Bürger. Kelsen offenbart seinen demokratistischen Volksbegriff des Volkes als politischer Einheit, der freilich, wie gesagt, zur Herrschaft über den Bürger führt; denn "das Volk als Einheit" wird nach Kelsen "Subjekt der Herrschaft" 96 . Rousseaus republikanische Freiheitslehre hat Kelsen demokratistisch interpretiert 97 , Freiheit in Untertänigkeit umgewandelt und damit seiner Demokratielehre gefügig gemacht. Die Realität des Volkes und damit der Freiheit findet Kelsen schließlich in den Parteien und deren Herrschaft 98 ; denn das Volk ist frei und "das Volk integriert sich zu politischen Parteien". Auf Rousseau kann sich Kelsen dafür nicht berufen, aber dem Parteienstaat hat Kelsen die demokratistische Ideologie geliefert, die sogar die "Idee der Freiheit" vereinnahmt. Bereits Hobbes hat den Staat als "künstlichen Menschen", als eine "Vereinigung in einer Person", durch die "alle einzelnen eine Person" werden und "Staat oder Gemeinwesen" heißen, bezeichnet. Dieser "Leviathan" oder "sterbliche Gott" besitze zwar die "höchste Gewalt" 9 9 , die unbeschränkt sei, solange er den Frieden sichere, d.h. die Menschen wirksam voreinander schütze, aber diese "höchste Gewalt" ist keine Herrschaft des Einen über den Anderen, sondern der Staat ist die Form der gemeinsamen Herrschaft

94

Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 11 f.; vgl. auch ders., Allgemeine Staatslehre, S. 325. 95 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 12 f.; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 321, 325 f. 96 Zum Volksbegriff Η. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 14 ff., wo er allerdings Volk als ein "System von einzelnen menschlichen Akten, die durch die staatliche Rechtsordnung bestimmt sind", definiert und Volk dabei selbst apostrophiert; zum Volk als politischer Einheit in der Verfassungslehre C. Schmitts 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 97 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 12 f. 98 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 12 f., 18 ff., 23 ff. 99 Hobbes, Leviathan, S. 155 f., 189; nicht anders Locke, Über die Regierung, S. 73 ff. ("Gemeinschaft" wird zu "einem einzigen Körper", in dem allerdings das Mehrheitsprinzip gilt, S. 74 f.).

. Kap.: Die Lehren von der Herrschaft

des

es

91

der Menschen über sich selbst 100 . Der "Stellvertreter des Staates" sei der "allgemeine Stellvertreter" der Menschen, die "Urheber aller Handlungen dessen" seien, dem sie "höchste Gewalt" übertragen hätten. "Sich selbst aber kann niemand Unrecht zufügen" 101 . Locke ist Hobbes (auch) in dieser Dogmatik gefolgt: "In Wahrheit sind es ja seine eigenen Urteile, da sie von ihm selbst oder von seinen Vertretern gefällt werden." 102 Die Hobbessche wie die Lockesche Stellvertretung ist darum keine Herrschaft, sondern die Wirklichkeit der Freiheit, bei Hobbes Friede und Schutz, bei Locke Freiheit und Eigentum 103 . So ist die rechtliche Konstruktion des Sollens. A u f die herrschaftliche Wirklichkeit des Seins kommt es hier nicht an. Eine solche ist mit allen Kräften zu ver-, wenigstens zu behindern. 3. Carl Schmitt verzerrt die Hobbessche Stellvertretung zur Repräsentation eines Staates, welcher nicht lediglich die Vereinigung von Menschen, sondern das Volk als eine "politische Einheit", unabhängig von den einzelnen Bürgern, sei. Die Repräsentanten eines solchen Volkes sind Herrscher über das Volk als Bürgerschaft. "Das Persönliche des Staates liegt nicht i m Staatsbegriff, sondern in der Repräsentation." - Carl Schmitt 104 Die herrschaftliche Repräsentations- und damit Staatslehre Schmitts wird im Rahmen der republikanischen Vertretungslehre im 8. Teil im 4. Kapitel, aber auch im 5. und 9. (II) Kapitel dieses Teils erörtert 105 .

100 Hobbes, Leviathan, S. 155 ff., 160 ff., 189 ff.; ganz so Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22 f., 116; auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215; Kant, Über den Gemeinspruch, S. 143 ff. (zu Hobbes); so auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 21; ders., HVerfR, S. 178 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910; zur Hobbesschen Repräsentationslehre genau H. Hofmann, Repräsentation, S. 382 ff., der den Herrschaftscharakter der Stellvertretung durch den Leviathan herauszustellen unternimmt. 101 Hobbes, Leviathan, S. 156, 160, 193 f.; weitere Hinweise zu diesem republikanischen Grundsatz in Fn. 459, S. 149. 102

Über die Regierung, S. 66 f. Hobbes, Leviathan, S. 151 ff., 155 f.; Locke, Über die Regierung, S. 95 ff., 101 ff. (zum Eigentum gehört nach Locke "Leben, Freiheit und Besitz", a.a.O., S. 65, 105). 104 Verfassungslehre, S. 214, unter Berufung auf Hobbes, dessen Lehre Schmitt nicht gerecht wird; vgl. ders., Der Leviathan, 1938, S. 99 ff., insb. S. 111 ff. 103

105 S. 735 ff., bzw. S. 100 ff., bzw. S. 139 ff., vgl. zu C. Schmitt auch das 4. und 10. (2.) Kapitel dieses Teils, S. 92 bzw. S. 147.

92

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

4. Kapitel Die Lehren von der Demokratie als Herrschaft des Volkes 1. N u r w e n n m a n die D e m o k r a t i e zur Staatsform nach dem Grundgesetz deklariert 106

u n d das grundgesetzliche

Demokratieprinzip

herrschaftlich

b e s t i m m t 1 0 7 , k a n n man ein "Prinzip der Volkssouveränität"

in Art.

20

A b s . 1 u n d 2 G G verankert sehen und dieses "als politische Herrschergew a l t " , "als Herrschaft v o n Menschen über Menschen" m i ß d e u t e n 1 0 8 . D e r B e g r i f f D e m o k r a t i e muß auch wegen seiner irreführenden

Über-

setzung als Volksherrschaft seit eh u n d j e herhalten, Herrschaft zu legitimieren, o b w o h l eine Herrschaft des Volkes als Gesamtheit der Bürger u n m ö g l i c h i s t 1 0 9 . A u c h die R e p u b l i k ist demokratisch, n ä m l i c h res p o p u l i ,

106

E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 892 f. (und auch "Regierungsform"); P. Badura, HStR, Bd. I, S. 968 ff.; auch BVerfGE 83, 37 (51), wenn auch nicht auf der Grundlage einer Problemformulierung; ebenso BVerfGE 83, 60 (71 "In der durch das Grundgesetz verfaßten freiheitlichen Demokratie ..."); weitere Hinweise in Fn. 110, 1. Teil, 3. Kap., S. 23; Fn. 306, 8. Teil, 2. Kap., S. 692. 107 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 40 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; auch 2. Teil, 4., 5., 6. und 7. Kap., S. 92 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 108 E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 888 ff., 893; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 968 ff., 975, der aber selbst auf das Ideal der Herrschaftslosigkeit hinweist; i.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 131, 134, S. 52, 53; vgl. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 20 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., 299, 387 ff., 607 ff. u.ö., genügen zur Begründung der Herrschaftsdoktrin durchaus kontingente Empirismen und der Vorwurf der "Ideologie", "Utopie" und "Illusion" (S. 389, 610 u.ö.) gegen die Lehre von der Herrschaftsfreiheit des gemeinsamen Lebens, deren Sollenscharakter er nicht aufgreifen kann, weil er die Unterscheidung von Sein und Sollen zurückweist (S. 88 gegen Kant u.ö.); den Utopievorwurf gegen die Idee der Herrschaftslosigkeit erhebt durchgehend auch M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, etwa S. 25 ff., 35, 64, 147 u.ö., obwohl er die Demokratie freiheitlich bestimmt sieht (S. 144 ff.), ein Widerspruch, der daraus erwächst, daß Hättich seine Freiheitsbegriffe konstruktiv nicht in seine Herrschafts lehre einbringt; F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 25 ff., 54 ff., behandelt "Partizipation aller an allen Entscheidungsprozessen" als "utopisches Modell einer Partizipation", das von "einem fundamentalen menschlichen Interesse an politischer Selbstbestimmung und von der prinzipiellen Aufhebbarkeit der Herrschaft von Menschen über Menschen" ausgehe (a.a.O., S. 59, 57), und übersieht, daß die Vertretung des Volkes nicht Herrschaft ist (dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 730 ff.); vgl. die Hinweise in Fn. 4, S. 72 f.; dazu auch 1. Teil, 3. Kap., S. 21 ff. 109 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 15 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 737 ff.; richtige Kritik daran vor allem von K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 10 ff.; so auch M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 27 f. (mit Zitaten); grundlegend D. Sternberger, Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 175 ff., insb. S. 189 ff.; herrschaftlich auch W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., 178 ff.

4. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als Herrschaft des Volkes

93

i m Sinne dessen, daß "alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht". Ein Unterschied der Lebensformen Demokratie und Republik läßt sich mit dem Volksbegriff verbinden, wie schon dargelegt ist 1 1 0 . Nur eine Demokratielehre 111 , die das Volk als Einheit und die Bürgerschaft als Vielheit unterscheidet, kann und muß eine Herrschaft des Volkes, wie auch immer durch Führer repräsentiert 112 , über die Bürgerschaft vertreten. Daß die Bürgerschaft über die Bürgerschaft herrscht, ist begriffs- und damit republikwidrig. "In der Tat wäre Demokratie in des Wortes eigentlicher Bedeutung eine herrschaftslose Ordnung." - Manfred Hättich 113 John Rawls nennt seine "wohlgeordnete Gesellschaft" eine "konstitutionelle Demokratie" 114 . Selbst Werner Maihofer benutzt diesen auch von Carl Schmitt verwendeten Begriff "konstitutionelle Demokratie", obwohl er wie John Rawls aber entgegen Carl Schmitt den Staat auf der gleichen Freiheit aller aufbaut 115 . Rousseauisch und kantianisch begreift Maihofer "den Staat als Herrschaft des Menschen über sich selbst" 116 , also eigentlich als Republik und fragt nach den "Bedingungen der Legitimität einer solchen Herrschaft in Freiheit", die er in der "Herrschaft der Gesetze" zu

110 1. Teil, 3. Kap., S. 16 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 650 ff.; vgl. E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 903 ff. ("der demokratische Begriff des Volkes: Staatsvolk als politische Schicksalsgemeinschaft", aber auch: "Staatsvolk ist die Gesamtheit von Menschen, die im Staat als politische Handlungs- und Wirkungseinheit zusammengeschlossen sind und ihn tragen"; beide Begriffe klingen durchaus republikanisch); P. Badura, HStR, Bd. I, S. 969, begreift aber den "Willen des Volkes"... "metaphorisch", in: "Analogie zur natürlichen Person", als "ideelle oder normative und zugleich reale in bestimmten Äußerungen und Verfahren wirksame Größe", somit demokratisch; seine Lehre von der "repräsentativen Demokratie", S. 972 ff., ist denn auch parteienstaatlich und i.d.S. demokratistisch geprägt. 111

Vgl. dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 43; 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.; insb. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 223 ff. 113 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 33; i.d.S. auch F. Scharpf Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 21 ff.; i.d.S. auch W. Leisner, Staatseinung, S. 31. 114 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 21, 223, 252, 275 f., 493 ff. 115 W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff.; ders., HVerfR, S. 173 ff., 183 ff.; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 140 ff., 223 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 224 f., der "Freiheit als ein liberales Prinzip", nicht aber als ein "politisches Formprinzip" in Betracht zieht, gerade weil "alle 'gleich frei' sein" würden. Zum Prinzip der Gleichheit in der Freiheit 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff.; insb. BVerfGE 5, 85 (205). 116 Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff., 21. 112

94 finden

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik m e i n t 1 1 7 . Carl

Demokratie"

Schmitt

versteht demgegenüber die "konstitutionelle

als eine Herrschaftsform

d e m Menschen, Carl Schmitt

118

.

Werner

Maihofer

spricht

v o n dem V o l k . Das V o l k ist für Carl

von

Schmitt

"die politische E i n h e i t als Ganzes", "die N a t i o n , das V o l k als Ganzes", ein eigenes existentielles S e i n 1 1 9 , während Werner

Maihofer

m i t Kant

"den

Staat als die Vereinigung einer M e n g e v o n Menschen unter Rechtsgesetzen" d e f i n i e r t 1 2 0 . Das V o l k ist für Maihofer

somit die unter

Rechtsgesetzen

vereinigte M e n g e v o n Menschen, nicht aber eine "politische E i n h e i t " , die ein v o n den einzelnen Bürgern unabhängiges Sein hat. Werner vertritt den republikanischen, Carl Schmitt

Maihofer

den demokratistischen Volksbe-

g r i f f 1 2 1 . D e r republikanische V o l k s b e g r i f f ist demokratisch i m Sinne des altgriechisehen Begriffs der Demokratie, des Volksstaates (also der Repub l i k ) , der A b w e h r jeder Herrschaft über das V o l k 1 2 2 . Herrschaftliche D e mokratielehre nenne i c h demokratistisch, w e i l sie der Idee der D e m o k r a t i e , der Herrschaftslosigkeit, untreu i s t 1 2 3 . D i e gegenwärtige Staatsrechtslehre

117 Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff.; HVerfR, S. 173 ff., 178 ff., 186 ff.; so auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910; vgl. dazu 2. Teil, 10. Kap., S. 145 ff. 118 Verfassungslehre, S. 200 ff., insb. S. 200, 216, 234 ff., 246 ff.. 119 Verfassungslehre, S. 205, 212 ff.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; ebenso heute noch K. Stern, Staatsrecht I, S. 961 ff.; vgl. ders., Staatsrecht II, S. 4 ff., differenziert zum Begriff des Volkes; ähnlich auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 969; davon löst sich, trotz gewisser Relativierung, nicht J. Isensee, Verfassungsrecht als "politisches Recht", HStR, Bd. VII, 1992, S, 159 ff. (Volk - "politische Einheit"); dagegen W. Henke, Recht und Staat, S. 370 f.; D. Sternberger, Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 175, 202, 214, 215. 120 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 22 ff.; ders., HVerfR, S. 206; i.d.S. auch Κ Stern, Staatsrecht II, S. 6 für das "Staatsvolk"; ähnlich W. Henke, Recht und Staat, S. 370 f., der von "Gesellschaft" zu sprechen vorschlägt und auf Grund seiner Gerechtigkeitslehre nicht auf die Gesetzlichkeit der Vereinigung abstellt. 121 Dieser Unterscheidung haftet die Unsicherheit der Begriffsbildung jeder Demokratie an, auf die schon 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. hingewiesen ist. 122 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; vgl. zur griechischen Begriffsgeschichte des Wortes Demokratie, Ch. Meier, Demokratie, S. 821 ff.. I.d.S. D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 18 ff. 123 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 23 ff.; vgl. insb. den Widerspruch von Demokratieidee und Demokratielehre bei H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, passim, den Kelsen selbst herausstellt; zur Idee der Herrschaftslosigkeit und ihrer religiösen Geschichte H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 654 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., 178 ff., 186 ff., vertritt eine quasi herrschaftliche Freiheitslehre, an sich ein Widerspruch; F. Scharpf Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 21 ff., 29 ff., 54 ff., 66 ff., untersucht an Hand amerikanischer Studien, ob sich eine herrschaftslose Partizipation konzipieren läßt, ein Ansatz, der Herrschaftslosigkeit mit unmittelbarem Konsens gleichsetzt und scheitern muß; ebenso M.

. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als

errschaft

95

folgt i m Widerspruch zur breit akzeptierten Lehre von der Gleichheit aller in der Freiheit 124 in der Herrschaftsideologie überwiegend Carl Schmitt 125. Wie Carl Schmitt selbst erkannt hat 1 2 6 , kann eine Demokratie, wie er sie begreift, nicht i m politischen Sinne freiheitlich sein, weil das eine eigenständige politische Existenz 127 des Volkes als Ganzem verbietet. Politische Existenz haben in einem freiheitlichen Gemeinwesen nur die Bürger, die zur Einigkeit finden müssen und in dieser Einigkeit zur Einheit finden 1 2 8 . Wenn der demokratistische Volksbegriff Carl Schmitts zugrundegelegt wird, kann eine "freiheitliche Demokratie" nur liberale, nicht aber republikanische Prinzipien haben 129 . Schmitt ist konsequent. Er lehnt die Freiheit als "politisches Formprinzip" ab; sie sei nur ein "liberales Prinzip", nur "rechtstaatlicher Bestandteil der modernen Verfassung", während die "Gleichheit" "demokratisches Prinzip" sei 130 . "Der Staat ist der Hüter dieser freien Gesellschaft und der gesellschaftlichen Freiheit, deren einziges Ordnungsprinzip eben die Freiheit ist." Carl Schmitt 131 Aber der Staat sei eben von dieser Gesellschaft unterschieden und folge einem politischen, nicht gesellschaftlichen Formprinzip 132 . Das halten Gerhard Leibholz und Josef Isensee auch unter dem Grundgesetz für richtig: "Das Rechtsprinzip des demokratischen Staates bildet die Gleichheit, das Rechtsprinzip der Gesellschaft die Freiheit" 133 .

Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 43, 154 u.ö. 124 Dazu Hinweise in Fn. 18, 1. Teil, 1. Kap., S. 4 f.; insb. BVerfGE 5, 85 (205). 125 Vgl. E.-W. Böckenförde, in: H. Quaritsch, Complexio Oppositorium, 1980, S. 283 ff., zum Begriff der politischen Einheit bei C. Schmitt', vgl. die Hinweise in Fn. 4, S. 72; anders etwa H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 265 ff., mit seiner Lehre vom "politischen Gemeinwesen"; anders auch W. Henke, Recht und Staat, S. 370 f.; grundlegend anders vor allem D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 11 ff. 126 Verfassungslehre, S. 224 f. 127 Zu Schmitts politischem Existentialismus 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., insb. S. 748 ff. 128 Ganz so W. Leisner, Staatseinung, S. 22 ff., 139 ff. 129 So C. Schmitt selbst, Verfassungslehre, S. 224 f. 130 Verfassungslehre, S. 224 f.; S. 125 ff. (in Verkennung des republikanischen Freiheitsbegriffs Kants, auf den Schmitt sich für seinen Liberalismus S. 126 zu Unrecht bezieht, dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 743 ff.); Grundrechte und Grundpflichten, S. 189 ff., 207 ff.; so auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 139, 180 ff.; vgl. W. Maihofer, HVerfR, S. 186 f.; weitere Hinweise zu dieser Position in Fn. 133, S. 96. 131 Grundrechte und Grundpflichten, S. 192; i.d.S. auch ders., Der Hüter der Verfassung, S. 78 ff.; dem folgt M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 97, 144 f., 149. 132 Zur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, 3. Teil, S. 159 ff.

96

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Hermann Heller hat schon klargestellt: "Über den Mitgliedern (sc. des Volkes) und außerhalb ihrer gibt es kein Volk." 1 3 4 und den Staat "als organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit" vom Volk unterschieden 135 . 2. Die zur Einigkeit verfaßten Bürger sind die Bürgerschaft. Das Landesparlament der Freien und Hansestadt Hamburg ist nach Art. 6 Abs. 1 der Verfassung Hamburgs die "Bürgerschaft". Dieser Name erfaßt die, wenn man so will, repräsentative Identität 136 des Volkes und der Vertreter des Volkes (Art. 7 HambVerf) jeweils als Bürgerschaft, die der republikanischen Tradition Hamburgs entspricht. Die Bürgerschaft als Parlament ist die durch ihre Vertreter versammelte Bürgerschaft Hamburgs 137 . Versteht man aber das Volk mit Maihofer und Sternberger im Sinne des Aristoteles und dessen Schüler Marsilius von Padua ("universitas civium'VGesamtheit der Bürger) 138 als Bürgerschaft, so wird aus der "bürgerlichen Demokratie" (Jürgen Habermas) 139 eine Republik. Dennoch bleibt der Begriff Demokratie wegen seiner Vieldeutigkeit schillernd. Er vermag Verhältnisse zu legitimieren, die mit der Idee der Republik unvereinbar sind, insbesondere die Parteienstaatlichkeit und die Interessenhaftigkeit des Politischen. Die "Herrschaft des Volkes" jedenfalls ist keine Republik.

133 G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 219 ff.; ders., Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 59 ff., 62 ff.; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 149 ff., ebenso ders., Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, S. 320 f.; weitere Hinweise in Fn. 829, 5. Teil, 6. Kap., S. 426; zum Prinzip der Gleichheit in der Freiheit 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff. 134 Staatslehre, S. 161. 135 Staatslehre, S. 163 ff., 228 ff. 136 Zur Problematik der Begriffe Identität und Repräsentation 8. Teil, 1. und 4. Kap., S. 662 ff., 735 ff., 763 ff.; auch 2. Teil, 5. und 9. Kap., S. 100 ff., 142 ff. 137 Ganz so versteht D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, S. 127 f., die Formel von Sir Thomas Smyth für Repräsentation i.S. des "Bürgerstaates"; i.d.S. auch J. Locke, Über die Regierung, Nr. 88, 89, S. 66 f. 138 D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, S. 121 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 206; ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 22 ff.; Aristoteles, Politik, S. 118 ff., 1280 a 1 ff., insb. S. 125, 1284 a 40 ff.; M. v. Padua, Defensor pacis, 1324, Der Verteidiger des Friedens, ed. H. Kusch, 1958, Bd. 1, S. 119 (I, VII, § 3). 139 Die Utopie des guten Herrschers, S. 332.

. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als

errschaft

97

Bekanntlich hat Kant eine republikanische Regierungsart in der "Demokratie" für unmöglich gehalten, weil "unter den drei Staatsformen die der Demokratie, im eigentlichen Sinne des Wortes, notwendig ein Despotismus" sei, "weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider Einen (der also nicht mit einstimmt), mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch mit sich selbst und mit der Freiheit ist" 1 4 0 . Nach dem Grundgesetz soll demgegenüber die Republik demokratisch sein (Art. 20 Abs. 1 GG). Weil eine Republik keine Form der Herrschaft ist, vermag das demokratische Prinzip der Republik Herrschaft genausowenig zu rechtfertigen, wie es ein monarchisches Prinzip einer Republik vermöchte. 3. Typisch setzt sich etwa Walter Schmidt über die Bemühungen von Jürgen Habermas um den "herrschaftsfreien Diskurs" und die "Gewalt des besseren Arguments" mit der empiristischen "Einsicht in die Notwendigkeit von Herrschaft auch und gerade in der Demokratie" hinweg und zeiht Habermas gar eines "vorpolitischen Begriffs von Demokratie" und einer "tendenziell anarchistischen Utopie der herrschaftsfreien Diskussion" 141 . Walter Schmidt bekümmert dabei der Unterschied zwischen Politie, nämlich freiheitlicher Demokratie, und uneigentlicher, nämlich herrschaftlicher Demokratie, den Aristoteles gelehrt hat 1 4 2 , und der von Anarchie und Freiheit 143 nicht. "Von nun an kann Staatlichkeit nur mehr in Einungen wachsen, aus ihnen Kräfte gewinnen, der Ent-Einung der Anarchie entgehen - ..." Walter Leisner 144. Auch Walter Schmitt Glaeser y der die Volkswillensbildung durchaus kommunikations- und diskursethisch begreift 145 , sieht "in der freiheitli-

140

Zum ewigen Frieden, S. 207; dazu i.S. des Textes D. Hilger, Herrschaft, S. 70 f. Organisierte Einwirkung auf die Verwaltung, VVDStRL 33 (1975), S. 197; zu den vornehmlich sozialistischen Lehren von der Herrschaftslosigkeit i.S. der Anarchie Η Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 654 ff.; vgl. die Widerlegung des Utopievorwurfs von J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 327 ff. 141

142

Politik, S. 114, 1279 b 6, S. 143 f., 1292 a 5 ff. u.ö., dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. Dazu O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 189 ff. ("Zur Kritik des Anarchismus"); R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 133 ff.; Kant, Anthropologie, S. 686; diesen Unterschied vernachlässigt auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 654 ff. 144 Staatseinung, S. 80. 143

7 Schachtschneider

98

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

chen Demokratie unserer Verfassung Herrschaft konstituiert", welche durch das "Verfahren der Volkswahl legitimiert" sei. "Das Grundgesetz lehnt die utopische Konzeption einer Demokratie als herrschaftslose Ordnung und damit jede undifferenzierte Identifikation von Staat und Gesellschaft ab", meint Schmitt Glaeser 146. Nur verfaßt das Grundgesetz nicht eine "freiheitliche Demokratie" der Herrschaft, sondern gibt der Republik eine "freiheitliche demokratische Grundordnung". Diese Formulierung in Art. 18, Art. 21 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 1 GG kann als der die grundgesetzliche Verfassung umfassende Begriff akzeptiert werden 147 , wenn Freiheit gerade nicht als Herrschaft, sondern im Sinne eines richtig, d.h. vor allem vollständig, gelesenen Art. 2 Abs. 1 GG verstanden wird 1 4 8 . Freiheit und Herrschaft sind Widersprüche. Nur eine Republik ist freiheitlich. Sie muß, wie gesagt, demokratisch sein 149 , ist aber keine herrschaftliche Demokratie. Deren Ideologie von der (republikwidrigen) Mehrheitsherrschaft teilt auch Schmitt Glaeser 150. Die akklamierende öffentliche Meinung zur parteilichen Führung des plebiszitären Parteienstaates ist die Wirklichkeit einer solchen Demokratie (Carl Schmitt) 151. Walter Schmitt Glaeser ist wegen seines demokratistisehen Herrschaftsprinzips denn auch nicht in der Lage, die Identität der Volks- und der Staatswillensbildung zu erkennen 152 , die in Art. 21 Abs. 1 GG angesprochen ist. Politik ist der Diskurs um die Gesetze zur Verwirklichung der allgemeinen Freiheit durch Recht. In diesem Sinne sind das Politische, das

145

Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, HStR, Bd. II, S. 50 ff., 59 ff. 146 HStR, Bd. II, S. 61; den Utopievorwurf gegen die Idee der herrschaftslosen Demokratie erhebt auch M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 25 ff., 64, 97, 147 (grundlegend für seine inkonsistente Lehre von der freiheitlichen Demokratie); dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; zur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. 147 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 332 ff. 148 Dazu 5. Teil, 2. und 4. Kap., S. 259 ff., 332 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff.; insb. 9. Kap., S. 501 ff. 149 Dazu 1. Teil, 1. und 3. Kap., S. 2 ff., 64 ff. 150 HStR, Bd. II, S. 63; dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. m.H. 151 Verfassungslehre, S. 223 ff., 346 ff. 152 HStR, Bd. II, S. 63, gestützt auf BVerfGE 20, 56 (98).

4. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als Herrschaft des Volkes

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Freiheitliche, das Gesetzliche und das Staatliche identisch 153 . Politik darf nicht mit Despotie verwechselt werden, wenn auch Despoten sich gern Politiker nennen, weil allein die Mühe, das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit zu verwirklichen, zu legitimieren vermag. Politik und Despotie kennzeichnen vielmehr, griechisch und freiheitlich verstanden, die Gegensätze von Rechtlichkeit und Rechtlosigkeit. Schmitt Glaeser bleibt bei der Trennung von Staat und Gesellschaft, obwohl er richtig die Verschränkung der Willensbildung des Volkes und der des Staates anspricht 154 . Carl Schmitt hat demgegenüber darauf hingewiesen, daß "als der Dualismus von Staat und Gesellschaft und damit zugleich die dualistische Struktur der konstitutionellen Monarchie beseitigt" war, "mit demokratischer Konsequenz Staatswille und Volkswille identisch gemacht waren" 155 . Auch Manfred Hättich spricht für die Identität von politischer und staatlicher Willensbildung 156 . In der Republik ist der Einfluß der Bürger auf die Willensbildung der staatlichen Organe und Ämter kompetenz- und verfahrensmäßig zu bestimmen 157 . Das Bundesverfassungsgericht hat im übrigen die "Willensbildung des Volkes und die Bildung des staatlichen Willens durch seine verfaßten Organe" unterschieden (BVerfGE 20, 56 (98)) und durch diesen Satz klargestellt, daß die staatliche Willensbildung eine solche des Volkes ist; denn das "seine" bezieht sich auf das Volk. "Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluß auf die Politik der Regierung, sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt." - BVerfGE 83, 60 (72)

153 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; auch 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff. Ganz so D. Sternberger, Machiavellis "Principe" und der Begriff des Politischen, S. 54; J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 329 ff.; vgl. auch H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 44, der in der Logik seiner Rechtslehre sagt: "Der Staat ist diese Freiheit, weil er das Rechtsgesetz ist". 154 HStR, Bd. II, S. 63 ff., wiederum gestützt auf BVerfGE 20, 56 (99) und BVerfGE 44, 125 (139 ff.); zur Trennung von Staat und Gesellschaft 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff. 155 Legalität und Legitimität, S. 27, allerdings mit dem demokratistischen Volksbegriff, nicht dem republikanischen i.S. der Bürgerschaft; vgl. auch Verfassungslehre, S. 146; i.d.S. auch W. Leisner, Staatseinung, S. 80 ff., insb. S. 95 ff., in seiner Lehre vom "Einungsbürger". 156 Demokratie und Herrschaftsordnung, S. 129 (Zitat), 88 ff., 94 ff., 97 ff. u.ö. 157

I.d.S. auch W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 63 f., selbst, aber ohne das unverzichtbare ethische Bindeglied der bürgerlichen Pflicht zur Sittlichkeit; dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 215 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff., insb. S. 285 ff. 7»

100

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Das Bundesverfassungsgericht macht den "hinreichenden Gehalt an demokratischer Legitimation" von dem "Zusammenwirken" der unterschiedlichen "Formen der institutionellen, funktionellen, sachlich-inhaltlichen und der personellen Legitimation" abhängig. Dabei entscheide nicht "die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität; "notwendig" sei "ein bestimmtes Legitimationsniveau" 158 . Freilich ist nicht jede Willensbildung des Volkes eine solche der Staatsgewalt, wie "wenn das Volk als Verfassungs- oder Kreationsorgan durch Wahlen und Abstimmungen selbst die Staatsgewalt ausübt" (BVerfGE 20, 56 (98)). Entgegen Schmitt Glaeser sind nicht der "Volks- und der Staatswillensbildungsprozeß" und damit das Volk und der Staat gegeneinanderzustellen, sondern das Staatliche im weiteren und im engeren Sinne. Der allgemeine Diskurs um das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit ist als "politische Willensbildung des Volkes" im weiteren Sinne staatlich, nämlich politisch. Die Staatsgewalt wird demgegenüber "vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt" (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Dies ist die Staatlichkeit im engeren Sinne 159 .

158

BVerfGE 83, 60 (72), in Abkehr von BVerfGE 47, 253 (275), wo eine unmittelbare oder mittelbare personelle Legitimation durch Wahl und/oder Berufung postuliert war, vgl. auch BVerfGE 52, 95 (112, 120, 130); 77, 1 (40); bestätigt in BVerfGE 89, 155 (182). 159 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; diese ist bei W. Schmitt Glaeser, HStR Bd. II, S. 61 ff., "Staatswillenbildung".

5. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als herrschaftliche Führung

101

5. Kapitel Die Lehren von der Demokratie als herrschaftlicher Führung 1. Carl Schmitt sieht in der Demokratie, die er "als Herrschaft des Volkes über sich selber" im Gegensatz zum herrschaftslosen "parlamentarischdemokratischen Gesetzgebungs-" oder Rechtsstaat 160 definiert, das "politische Formprinzip" der "substantiellen Gleichheit" als der "Homogenität und Identität des Volkes mit sich selbst" 161 . Weil das Volk nur akklamieren könne, sei das Kennzeichen der Demokratie die "öffentliche Meinung" als die moderne Form der Akklamation und des Führertums 162 . Das "Volk", "der zentrale Begriff der Demokratie", sei "nur in der Sphäre der Öffentlichkeit existent". "Solange die demokratische Gleichartigkeit der Substanz nach vorhanden" sei, "und das Volk politisches Bewußtsein" habe, könne es "Freund und Feind unterscheiden". Es gebe "keine Demokratie ohne Parteien, aber nur, weil es keine Demokratie ohne öffentliche Meinung und ohne das stets anwesende Volk" gebe. Die "Parteiorganisationen" seien dem Parlament überlegen, weil sie "dem demokratischen Prinzip der Identität insofern" entsprächen, "als sie, wie das Volk, stets anwesend und vorhanden" seien, "ohne zu repräsentieren, während das Parlament seinen Sinn nur in der Repräsentation, seinen repräsentativen Charakter jedoch tatsächlich verloren" habe. Es sei "natürlich, daß eine echte Identität (selbst eines großen

160

Verfassungslehre, S. 200 ff., 223 ff., 234 ff., Zitat S. 235, bzw. ders., Verfassungslehre, S. 135 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff. 161

Verfassungslehre, S. 223 ff., auch S. 200 ff.; dem stimmt E.-W. Böckenförde explizit zu, HStR, Bd. I, S. 219. 162 Verfassungslehre, S. 83 f., 223 ff., 243, 246 ff., 346 f., 350 f.; auf Rousseau kann sich C. Schmitt nicht berufen, weil Rousseau die Akklamation zurückgewiesen hat, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 115; zur Illegitimität von Herrschaft, die auf Akklamation beruht, J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 57; D. Sternberger, Max Weber und die Demokratie, S. 143 f.; auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 975, warnt vor einem "plebiszitären Cäsarismus" eines "Volksführers", besonders durch die politischen Parteien; deutlich zur Würdelosigkeit der Akklamation, M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 36 ff.; gegenwärtig gerät die Vokabel "Sichwiederfindenkönnen" in den Handlungen der Repräsentation in die Nähe der Schmittschen Akklamationslehre, etwa E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 919 ff., ders., HStR, Bd. II, S. 39 f., ders., Demokratie und Repräsentation, S. 19; H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 176 (mit Bezug auf Böckenförde); dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 741 ff., 754 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 43 f.; zur Problematik der öffentlichen Meinung 7. Teil, 5. Kap., S. 602 ff.; auch 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 ff.

102

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Teiles des Volkes) einer unechten Repräsentation überlegen" sei 163 . Was kann das (wirklich versammelte) Volk? Carl Schmitt antwortet: "Es kann ... einem Führer oder einem Vorschlag zujubeln... oder durch Schweigen oder Murren die Akklamation verweigern" 164 . Auch die parlamentarische Repräsentation stuft Carl Schmitt im übrigen als Herrschaftsform ein 1 6 5 , wie Schmitt überhaupt die "Verfassung" u.a. als "die besondere Form der Herrschaft, die zu jedem Staat" gehöre "und von seiner politischen Existenz nicht zu trennen" sei, als die "konkrete Art der Über- und Unterordnung, weil es in der sozialen Wirklichkeit keine Ordnung ohne Über- und Unterordnung" gebe, begreift 166 . Die Repräsentation gilt in der gegenwärtigen Staatsrechtslehre als das Verfassungsinstitut der staatlichen Herrschaft. Diese die freiheitliche Vertretung des ganzen Volkes verzerrende Ideologie, welche die Unterwerfung des Volkes unter die Parteienoligarchie legitimieren soll, wird im 8. Teil, insbesondere in dem 2. und dem 5. Kapitel kritisiert. Die Beobachtungen Schmitts sind schlecht bestreitbar. Aristoteles hat das für die Form der Demokratie, "in der das Volk und nicht das Gesetz entscheidet", nicht anders gesehen. In dieser plebiszitären Demokratie der Volksabstimmungen gäbe es "Volksführer"; "wenn das Volk Herr über alles" sei, seien diese "Herr über die Meinung des Volkes"; "denn das Volk gehorche ihnen". Eine "solche Demokratie sei überhaupt keine Verfassung" 167 . Carl Schmitt hat Führung als die besondere Herrschaftsform der Demokratie 1 6 8 erfaßt. 163 Verfassungslehre, S. 235, 247 f.; auch G. Leiholz hat den plebiszitären Charakter der Parteiendemokratie herausgestellt, vgl. Zum Begriff und Wesen der Demokratie, in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl. 1967/1974, S. 146 u.ö.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 763 ff. 164 Verfassungslehre, S. 243 f. 165 Verfassungslehre, S. 212 ff.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 737 ff. 166 Verfassungslehre, S. 4 f., 200 ff., 223 ff.; dazu auch 2. Teil, 2. Kap., S. 80 f.; auch in dieser Erkenntnis dürfte C. Schmitt Max Weber folgen, ohne ihn zu zitieren (vgl. oben S. 80 f. mit Fn. 39). 167 Politik, S. 143 f., 1292 a 4 ff.; i.d.S. W Leisner, Der Führer, S. 170 f., der "im Namen des Bürgers" warnt vor "Führer und Volk". 168 Begriffsgeschichtlich zur Führung als Substitut von Herrschaft D. Hilger, Herrschaft, S. 94 ff.; kritisch zur "charismatischen Führerschaft", der die Demokratie nur ein "verdrehtes Nebenprodukt" sei, bei M. Weber, D. Sternberger, Max Weber und die Demokratie, S. 143 ff.; ders., Herrschaft und Vereinbarung, S. 117; dazu auch W. Henke, Recht und Staat, S. 380 ff., dessen zurückhaltende Kritik an den Parteiführern den Verzerrungen der Verfassung durch die Parteienoligarchie nicht gerecht wird, zumal er die Führung im Alltag als gute Herrschaft einstuft (S. 266 ff.).

5. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als herrschaftliche Führung

103

"Das Volk wählt seine Führer, damit sie führen, ..." - Carl Schmitt 169 Auch Hans Kelsen läßt die Freiheit des Menschen in der Demokratie im "Freistaat" untergehen, der sich als die Herrschaft der Parteiführer, mittels des Mehrheitsprinzips ideologisch legitimiert, realisiert 170 . "Der Idee der Demokratie entspricht Führerlosigkeit"; aber: "Soziale Realität ist Herrschaft und Führerschaft." - Hans Kelsen 171 Führung ist aber nur gut, wenn sie keine Herrschaft ist. "Führung ist nicht Herrschaft. Herrschaft muß nicht sein, aber Führung muß sein." - Dolf Sternberger 111 Ernst-Wolfgang Böckenförde lehrt ein herrschaftliches "Regierungsprinzip der Führerschaft", das sich auf die "Anerkennung und Zustimmung der Beherrschten" stützt 173 , also der Sache nach auf Akklamation und öffentliche Meinung. Er sieht darin "die vielberufene Einheit von Herrschern und Beherrschten, welche die Demokratie kennzeichnen" soll 1 7 4 und erweist sich als Schmittianer. Republikanisch ist Führung nur, wenn sie argumentiert, d.h. wenn sie sich auf den Diskurs um Wahrheit und Richtigkeit einläßt 175 und dadurch zur geistigen Führung in Freiheit, also zur vorbildlichen Moralität wird. Die dezisionistische Demokratie findet bei Carl Schmitt ihre spezifische Legitimationsweise in der Akklamation 1 7 6 . 169

Verfassungslehre, S. 351; vgl. auch ders., Staat, Bewegung, Volk, 1933, S. 42. Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 11 f., 14 ff., 53 ff., 78 ff., 84 ff.; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 322 ff.; kritisch zu derartigem Realismus K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 217. 170

171 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 79, auch S. 91, der, wie viele Lehren der Demokratie, republikanische, freiheitliche Aspekte in seine Demokratielehre einbezieht. 172 Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 196; i.d.S. auch F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 38 ff.; vgl. W. Leisner, Der Führer, S. 20 ff., 28 ff., passim, der Führung durch "Persönliche Gewalt" kennzeichnet, also herrschaftlich versteht; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 127, identifiziert Herrschaft und Führung weitgehend. 173 HStR, Bd. I, S. 919. 174 HStR, Bd. I, S. 919. 175 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1099 ff. 176 Zum dezisionistischen Charakter des modernen exekutivischen Staates C. Schmitt, Die Diktatur, 3. Aufl. 1963, S. 23 ("Dem Gesetz, das seinem Wesen nach ein Befehl ist, liegt eine Entscheidung über das staatliche Interesse zugrunde, aber das staatliche Interesse besteht erst dadurch, daß der Befehl ergeht. Die im Gesetz liegende Entscheidung ist, normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren. Sie wird begriffsnotwendig 'diktiert'", zu Hobbes und de Maistre); ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, 1929, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 79, 81 f.; ders., Politische Theologie, 2. Aufl. 1934/1990, S. 69 ff.; zur "Entscheidung" für die Verfassung ders., Verfassungslehre, S. 21 ff.; vgl. auch W. Leisner, Der Führer, S. 58 ff.; dazu kritisch H. Heller, Staatslehre, S. 253, 264 f.; ders., Souveränität, S. 69; H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 41 ff., 53 ff., 85 ff.; zur notwendigen Dezision M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 51, S. 191 ff.; zur Akklamation die Hinweise in Fn. 162, S.

100.

104

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Zur basisdemokratischen Konzeption sagt Jürgen Fijalkowski, vor dem "cäsaristischen Zügen ... plebiszitärer Äußerungen des Volkswillens" mit Hinweis auch auf den Hitlerismus warnend: "Ein Führer verkörpert den Volkswillen und gewinnt seine Autorität aus Akklamation" 1 7 7 . Das ist die Wirklichkeit jeder herrschaftlichen Demokratie. Der Gegensatz zur Republik als freiheitlicher Form der Demokratie, deren Charakteristikum die erkenntnishafte praktische Vernünftigkeit des Gesetzes als des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit ist, wird durch die Begriffe Carl Schmitts deutlich. Die demokratistischen Gesichtspunkte Akklamation und herrschaftliche Führung stehen im Gegensatz zu den republikanischen Gesichtspunkten Erkenntnis und Einigkeit, also im Gegensatz zum Prinzip der praktischen Vernunft oder der Sittlichkeit. Der entwickelte Parteienstaat der parteilichen Parteien ist im Sinne Schmitts demokratistisch, herrschaftlich 178 , wenn auch durch das Kräftefeld der grundgesetzlichen Verfassung moderiert, vor allem durch dessen richterstaatlichen Elemente 179 . Dieser entwickelte Parteienstaat zeigt sich in der einfachgesetzlich gestützten Verfassungswirklichkeit; er ist nicht i m Grundgesetz angelegt. Schmitts herrschaftliche Demokratielehre ist die Logik seines bellizistischen Volksbegriffs als "politischer Einheit" 1 8 0 . Das Volk als Bürgerschaft ist durch die Bürgerlichkeit oder die Sittlichkeit der Bürger bedingt und mit der Parteilichkeit und demgemäß dem Parteienstaat unvereinbar 181 . 2. Führung ist im demokratischen Parteienstaat wechselnde parteiliche Führung. Sie ist dennoch ein Widerspruch zur republikanischen Ethik. Im entwickelten Parteienstaat verlieren Wahlen ihren republikanischen Sinn, den der Auswahl der Besten. "Selbst die Wahlen sind keine eigentlichen Wahlen, sondern Akklamation zur Parteienoligarchie." - Karl Jaspers 182

177 Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung? in: A. Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, 1986, S. 249. 178 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 736 ff.; auch 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 ff. 179 Dazu näher 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 180 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., insb. S. 762. 181 Dazu 10. Teil, 3. und 8. Kap., S. 1060 ff., 1159 ff., 1169 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 17 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 94 ff.; 8. Teil, 1. und 4. Kap., S. 650 ff., 735 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 182 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 131.

5. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als herrschaftliche Führung

105

"Der Führer" hat "Persönliche Gewalt." - Walter Leisner 183 "Persönliche Gewalt" widerspricht der äußeren Freiheit als der "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" (Kant) m. Kein republikanisches Amt gibt die Aufgabe oder Befugnis, "Persönliche Gewalt" zu üben, sondern die, das Gesetz zu erkennen und zu vollziehen, die, wie Walter Leisner es nennt, zum "demokratischen Normativismus" 185 . Empirisch gibt es Führung und damit Führer, empirisch bestimmt ständig und allerorts "Persönliche Gewalt" das gemeinsame Leben. Der Imperativ ist diskursiv erzielte Einigkeit 1 8 6 , welche mit der Autonomie des Willens die Würde des Menschen, jedenfalls wie sie das Grundgesetz versteht, wahrt. In dieser Einigkeit verwirklicht sich praktisch die Vernunft 187 . Die demokratistischen Führungslehren sind eng verbunden mit den Lehren von der akklamativen Mehrheitsherrschaft in der Demokratie, die im nächsten Kapitel kritisiert werden.

183

Der Führer, S. 28 ff. Metaphysik der Sitten, S. 345. 185 Der Führer, S. 19 ff., 47, 368 ff., passim (meistens: "normative Demokratie"). 186 Eine Einungslehre entwickelt W. Leisner in: Staatseinung, Ordnungskraft föderaler Zusammenschlüsse, 1991, insb. S. 22 ff., 31 ff., 36 ff., 80 ff., 139 ff. 187 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 7. Teil, 1., 4., 5. und 6. Kap., S. 519 ff., insb. S. 560 ff., 584 ff., 617 ff.; insb. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 630 f. 184

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

6. Kapitel Die Lehren von der Demokratie als Herrschaft der Mehrheit I. Das herrschaftliche Mehrheitsprinzip 1. "Demokratie bedeutet Herrschaft der Mehrheit" 1 8 8 . "Gesetz ist in einer Demokratie der jeweilige Wille des jeweilig vorhandenen Volkes, das heißt praktisch der Wille der jeweiligen Mehrheit der abstimmenden Staatsbürger; lex est, quod populus jubet."... "Der demokratische Gesetzesbegriff ist ein politischer, kein rechtsstaatlicher Gesetzesbegriff; er geht aus von der potestas des Volkes und besagt, daß

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E. Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, VVDStRL 16 (1958), S. 16; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, 1978, Rdn. 14 zu Art. 20; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 41 ff., 114 u.ö.; so schon R. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 74; FA. v. Hayek , Die Verfassung der Freiheit, S. 125 ff. (kritisch); zum Mehrheitsprinzip, jeweils unterschiedlich moderiert gegen eine reine Mehrheitsherrschaft, aber für die notwendige Mehrheitsregel H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53 ff. (i.S. eines "Majoritäts-Minoritätsprinzips" des "Kompromisses"); K. Stern, Staatsrecht I, S. 610 ff.; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 144 (eingebettet in republikanische Verhältnisse); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 223 ff., 283 ff. (abgewogen); K.A. Schachtschneider, JA 1979, 515 ff., 570; P. Badura, Verfassungslehre, 1986, S. 9, 13; ders., HStR, Bd. I, S. 970 f.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 921 ff.; Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 19 f.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 61 f.; Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 55 f., Rdn. 140 ff.; auch W. Henke, Recht und Staat, S. 399 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 877; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 655 f. (beinahe i.S. einer Mehrheitsherrschaft); der Sache nach auch Th. Eschenburg, Der Mechanismus der Mehrheitsentscheidung, 1970, S. 15 ff., 39 ff.; M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 24, 43, versteht gar die "parteigeborenen parlamentarischen Mehrheiten als temporär begrenzte Hüter des Gemeinwohls" und markiert damit den Empirismus der parteienstaatlichen Mehrheitsideologie; ebenso G. Leibholz, u.a., Der moderne Parteienstaat, 1960, in: Verfassungsstaat - Verfassungsrecht, 1973, S. 82 ff.; zu weitgehend auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 245 f.; kritisch zum Mehrheitsprinzip i.S. einer Mehrheitsherrschaft H.H. v. Arnim, Der Staat 26 (1987), S. 484; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1199, warnt vor der "Diktatur der Mehrheitsherrschaft", legt aber das Mehrheitsprinzip zugrunde; kritisch und die Voraussetzungen und Grenzen aufzeigend W. Steffani, Mehrheitsentscheidungen und Minderheiten in der pluralistischen Verfassungsdemokratie, ZParl. 1986, 569 ff.; vgl. kritisch weiter B. Guggenberger/C. Offe (Hrsg.), An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie - Politik und Soziologie der Mehrheitsregel, 1984; kritisch auch /. Fetscher, Zum Verhältnis von Mehrheitsprinzip und Demokratie, S. 317 ff.; kritisch auch W. Maihofer, HVerfR, S. 1412 ff.; kritisch (eigenständig) W. Leisner, Staatseinung, S. 161 ff., 172 ff., 177 ff.; moderat R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 122, 260 f.; gegen einen "grenzenlosen MehrheitsRelativismus auch H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 70; grundlegende Kritik des Satzes "Mehrheit entscheidet" von C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 224 ff., 278 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 27 (ohne Kritik); vgl. auch W. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1983, S. 40; zur Begriffsgeschichte W. Jäger, Mehrheit, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, 1982, S. 1021 ff.

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Gesetz alles ist, was das Volk will; lex est quod populus jussit;" - Carl Schmitt 189 "Unter demokratischen Gesichtspunkten ist es allein die Macht, die hinter der Mehrheit steht, die die Mehrheitsentscheidung rechtfertigt." - Gerhard Leibholz 190 "Auch das Mehrheitsverfahren ist ein Herrschaftsverfahren. Es bedeutet einen Herrschaftsakt der Mehrheit gegenüber der Minderheit." - Manfred Hättich 191 Als der Staatsphilosoph des Mehrheitsprinzips gilt John Locke. Er begreift die Gemeinschaft als "einzigen Körper", der sich "notwendigerweise nur in eine Richtung bewegen" könne, also dorthin "wohin ihn die größte Kraft treibt" und das sei "die Übereinkunft der Mehrheit". "Der Beschluß der Mehrheit gelte als Beschluß aller", wenn bei Versammlungen keine "bestimmte Zahl vorgeschrieben sei" 1 9 2 . Locke konzipiert damit die richtige organschaftliche Mehrheitsregel, nicht eine Herrschaft der Mehrheit 1 9 3 . Werner Maihofer unterscheidet die, wie er meint, rousseauistische "absolute Demokratie" als die "uneingeschränkte Mehrheitsherrschaft" von der "konstitutionellen Demokratie" als der "eingeschränkten Mehrheitsherrschaft" 194 , für die er sich jedenfalls nicht auf Kant berufen kann, dessen republikanische Freiheitslehre im übrigen die Grundlage der Rechts - und Staatsphilosopie Maihofers ist. Aristoteles hat die Demokratie als die Herrschaft der wesensgemäß armen Mehrheit im Gegensatz zur Oligarchie als der Herrschaft der wesensgemäß reichen Minderheit und zur Tyrannis als der Alleinherrschaft zum Nutzen des jeweiligen Herrschers definiert 195 . Die Oligarchie sei die Fehlform der Aristokratie; denn sie sei eine Herrschaft zum Nutzen der Reichen. Die

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Legalität und Legitimität, S. 27 bzw. ders., Verfassungslehre, S. 258, vgl. auch S. 146,

224. 190 VVDStRL 29 (1971), S. 104 (Aussprache); auch F.A. v. Hayek , Verfassung der Freiheit, S. 125 ff. 191 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 41. 192 Über die Regierung, S. 74, vgl. auch S. 76 u.ö. 193 Zur Mehrheitsregel S. 119 ff. 194 Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff., 19 ff.; ebenso ders., HVerfR, S. 174; so auch schon C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 216, 258 f. 195 Politik, S. 115, 1280 a 27 ff.

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Demokratie sei eine Fehlform der Politie; denn sie sei eine Herrschaft zum Nutzen der Armen. Keine der Fehlformen denke an den gemeinsamen Nutzen aller 196 . Carl Schmitts Demokratielehre hat den ideologischen Charakter des Satzes: Mehrheit entscheidet, erwiesen. Man kann ebensogut sagen: "Mehrheit entscheidet nicht." 1 9 7 Die reine Demokratie mag eine Herrschaft der Mehrheit sein, wenn man Akklamation, insbesondere durch Schweigen, als Herrschaftsweise versteht 198 . Eine solche Demokratie kann nicht zugleich die "Herrschaft des Rechts" sein. Sie wäre weder rechtsstaatlich, nicht einmal funktionenteil i g 1 9 9 , noch republikanisch. Sie wäre nicht freiheitlich, weil Akklamation kein Verfahren ist, daß der Freiheit des Menschen genügen kann, zumal Akklamation Führer voraussetzt 200 . 2. Das Mehrheitsprinzip gilt als Fundamentalprinzip der Demokratie 201 Soll es mehr als die Mehrheitsregel besagen, soll es nämlich eine Herrschaft der Mehrheit reklamieren 202 , so hat es weder Wirklichkeit, noch läßt es sich rechtfertigen, auch nicht als Prinzip der freiheitlichen demokra-

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Politik, S. 114, 1279 b 4 ff.; auch S. 137, 1290 a 13 ff. Verfassungslehre, S. 278 ff. 198 Dazu C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 223 ff., 243, 258 f., 278 ff., 346 ff., 350 f., der nicht auf die Akklamation der Mehrheit, sondern des Volkes abstellt; zur Illegitimität von Herrschaft, die auf Akklamation beruht, J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 57; M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 37 (vgl. das Zitat S. 44 f.); auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 975, warnt vor einem "plebiszitären Cäsarismus eines "Volksführers"; besonders durch die politischen Parteien; ebenso J. Fijalkowski, Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung?, S. 249 f., 263; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 115, hat die Akklamation als Entscheidungsweise zurückgewiesen ("Man entscheidet nicht mehr, man betet an, oder verflucht"). 197

199 BVerfGE 69, 315 (347); C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 258 f.; schon deswegen hat Kant, Zum ewigen Frieden, S. 206 f., die "Staatsform der Demokratie" als "Despotie" eingestuft. 200 Dazu 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.; etwa R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 114 ff., nach de Lohne. 201 Vgl. die Hinw. in Fn. 188, S. 106 f.; vor allem Η. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53 ff.; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 41 ff.; W. Leisner, Staatseinung, S. 177 ff. 202

So insb. M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 41 ff.

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tischen Grundordnung 203 . Nicht einmal akklamativ wäre das Mehrheitsprinzip eine Mehrheitsherrschaft, weil nur selten die wirkliche Mehrheit akklamiert. Die wirkliche Mehrheit schweigt. Im Berliner Sportpalast war nur ein verschwindend kleiner Teil der deutschen Bevölkerung versammelt, als Josef Goebbels: "Wollt Ihr den totalen Krieg", bejubelt wurde. Entscheidungen wurden in einem großen Gemeinwesen niemals von der Mehrheit des Volkes getroffen, schon gar nicht auf Grund von Erkenntnissen. Das Grundgesetz lehnt derartige Kompetenzen des Volkes prinzipiell ab, weil deren kognitive Bewältigung nicht erwartet werden kann. Eine Kompetenz des Volkes, durch Mehrheitsentscheidungen zu herrschen oder auch nur zu entscheiden, würde die republikanische Sittlichkeit desavouieren. Ein Mehrheitsprinzip im Sinne einer Mehrheitsherrschaft wäre republikwidrig204.

Die Formel von der Herrschaft der Mehrheit verschleiert denen die oligarchischen, meist faktiosen (Cicero, Michels, Jaspers 205), Herrschaftsverhältnisse in der plebiszitären und damit, wie Gerhard Leibholz nachgewiesen hat 2 0 6 , parteienstaatlichen Demokratie, die nicht bedenken, daß es keine demokratische Akklamation ohne Führung gibt 2 0 7 . Kant hat die Demokratie wegen der Verletzung des republikanischen Gewaltenteilungs-

203 BVerfGE 2, 1 (12 f.); 5, 85 (198 f.) lassen sich nicht als Aussage für ein solches, akklamativisches, Mehrheitsprinzip verstehen, vielmehr soll der "Mehrheitsentscheidung die freie Diskussion vorausgehen" (BVerfGE a.a.O); BVerfGE 44, 125 (142) bettet das Mehrheitsprinzip geradezu in eine Diskursethik ein. 204 Ablehnend K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 157 ff.; die Realität einer demokratiegemäßen Mehrheitsherrschaft bestreitet auch G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 718; kritisch auch R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 114 ff.; kritisch auch W. Leisner, Staatseinung, S. 161 ff., der die "Mehrheitsentscheidung als Einung" konzipiert. 205 Cicero, De re publica, S. 170 f., 292 f.; ganz so K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik? Von der Demokratie zur Parteienoligarchie, 1966, S. 128 ff. (drastisch und richtig); R. Michels, Soziologie des Parteienwesens, 1911, 2. Aufl. 1925/1957, passim, insb. S. 351 ff.; so auch J. Fijalkowski, Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung?, S. 245, 249, 263. 206

Etwa, Der moderne Parteienstaat, S. 188 ff; auch ders., Strukturprinzipien des modernen Verfassungsstaates, S. 10 ff., 25 ff., u.st.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 983, macht sich das zu eigen; so auch H. Bethge, DVB1. 1989, 850, beide nicht unkritisch, aber doch ohne Kritik im Grundsatz; BVerfGE 11, 266 (273) hat angesprochen, daß "ein radikal zu Ende gedachter Parteienstaat" "von Art. 38 GG und ... Art. 28 GG verfassungskräftig abgewehrt" werde. 207 Dazu 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.; so auch J. Fijalkowski, Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung?, S. 249; R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 114 ff.

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

prinzips, aber auch, weil sie nicht repräsentativ sei, als Despotie eingestuft 208 . Hannah Arendt sieht "eine nahezu automatische Tendenz zu despotischen Herrschaftsformen" bei "großen Anhäufungen von Menschen", sei es "nur die despotische Herrschaft eines Mannes oder der Despotismus von Majoritäten" 209 . Auch Karl R. Popper geißelt die "zynischen, unmenschlichen, unentschuldbaren Beschlüsse der Mehrheit", von denen Thukydides berichtet 210 . Das demokratische Mehrheitsprinzip kann als Akklamation mehr oder weniger organisierter Volksteile Wirklichkeit entfalten, insbesondere wenn die Wahl der Führer des Volkes in einen Akt der Akklamation umfunktioniert worden ist. Der Hitlerismus hat das bewiesen. Zur Mehrheit eines solchen Mehrheitsprinzips gehört der Teil des Volkes, der schweigt, der nicht widerspricht, der sich der bürgerlichen Pflicht zur Politik versagt. Martin Kriele schreibt zur Akklamation: "Was im Verzicht auf demokratische Selbstbestimmung zum Ausdruck kommt, ist trotzdem nicht die dem Menschen eigene Vernunftnatur, sondern der Durchbruch der dem Menschen freilich auch zugehörigen tierischen Natur, also nicht die menschliche Würde des aufrechten Ganges, sondern die hündische Unterwürfigkeit unter den Herrn - je freudiger die Identifikation mit dem Herrn, desto eindeutiger die Würdelosigkeit des Verzichts auf freie Selbstbestimmung und desto eindeutiger auch die Mißachtung der Würde der anderen, die an dieser Identifikation nicht teilhaben und rechtlos sind." - Martin Kriele 211 Niemals wieder sollte ein solches akklamatives Mehrheitsprinzip in Deutschland wirksam sein. Dieses Mehrheitsprinzip ist aber im Laufe der vierzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zunehmend zur Ideologie des demokratischen Parteienstaates geworden, welche die oligarchische, parteiliche Herrschaft von Parteien 212 legitimieren soll, ohne daß schon von einer Mehrheitsherrschaft die Rede sein kann, weil Ergebnisse von Meinungsumfragen in die Entscheidungsfindung der Parteioligarchien eingehen 213 . Das Grundgesetz verfaßt jedoch keine Demokratie 214 , schon gar nicht aber eine Herrschaft der Mehrheit.

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Zum ewigen Frieden, S. 206 ff.; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 279 ff.; die oben skizzierte Demokratielehre C. Schmitts, Verfassungslehre, S. 223 ff., 258 f., beweist die Richtigkeit des Verdikts Kants gegen die Demokratie; dazu auch 1. Teil, 3. Kap., S. 43 ff. 209 Vita Activa, S. 43 f. 210 Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 9 f. 211 Die demokratische Weltrevolution, S. 37. 212 Dazu näher 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff. 213 Dazu 6. Teil, 10. Kap., S. 515 f.; 7. Teil, 5. Kap., S. 610 ff.

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Wer der Republik eine Chance geben will, muß bemüht sein, die Ordnung des gemeinsamen Lebens durch die Gesetze zu verfeinern, d.h. einem mehrheitsherrschaftlichen Mehrheitsprinzip entgegenzuwirken. "Was die Mehrheit will, wird jeweils in einem sorgfältig geregelten Verfahren ermittelt." - BVerfGE 5, 85 (199) "Nur wenn die Mehrheit aus einem freien offenen, regelmäßig zu erneuernden Meinungs- und Willensbildungsprozeß, an dem grundsätzlich alle wahlmündigen Bürger zu gleichen Rechten teilhaben können, hervorgegangen ist, wenn sie bei ihren Entscheidungen das - je und je zu bestimmende - Gemeinwohl im Auge hat, insbesondere auch die Rechte der Minderheiten beachtet und ihre Interessen mitberücksichtigt, ihr zumal nicht die rechtliche Chance nimmt oder verkürzt, zur Mehrheit von morgen zu werden, kann die Entscheidung der Mehrheit bei Ausübung von Staatsgewalt als Wille der Gesamtheit gelten und nach der Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger Verpflichtungskraft für alle entfalten." - BVerfGE 44, 125 (142) 2 1 5 Diese Sätze lesen sich fast wie ein Text Rousseaus, fast! 2 1 6 Die Problematik des Mehrheitsprinzips hat Hans Kelsen nicht anders gesehen: "Gerade weil der Kompromiß die reale Annäherung an die von der Idee der Freiheit geforderte Einstimmigkeit in der Erzeugung der sozialen Ordnung durch die dieser Ordnung Unterworfenen ist, bewährt sich das Majoritätsprinzip auch nach dieser Richtung im Sinne der Idee der politischen Freiheit" 217 . So richtig das ist, das Sollen muß der Freiheit entsprechen, nicht nur sich dieser nähern. Der Kompromiß ist meist die Realität des Gesetzes, nicht aber das Ideal des Rechts. Der Kompromiß als Prinzip dogmatisiert eine interessenhafte 218 Machtlehre, nicht eine Freiheitslehre des Wahren und Richtigen. Kelsens, aber auch Eschenburgs, u.a., Demokratielehre ist praktizistisch, nicht praktisch.

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Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 23 ff., 62 ff. Das übernimmt auch Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 19 f., für sein Verständnis des Mehrheitsprinzips; ebenso R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 128, auch S. 223 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 613; K. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 143, S. 56; auch P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 921. Das "Majoritäts-Minoritätsprinzip", das es um des Friedens willen der Mehrheit gebietet, den Kompromiß mit der Minderheit zu suchen, hat H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53 ff., entwickelt; ähnlich Κ Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 144. 216 Vgl. dazu 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 466 ff., 560 ff. 217 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 67. 215

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

3. I m übrigen sind die Begriffe "Mehrheit" und "Minderheiten", die das Bundesverfassungsgericht u.a. benutzen, ideologische Wortverzerrungen. Wie sollten Minderheiten zur Mehrheit werden, wenn auf die Zahl der Bürger abgestellt wird. Nationale/ethische Minderheiten können als solche nicht zur Mehrheit werden. Sie sind mit der Mehrheits-/Minderheitenideologie auch nicht gemeint. Allenfalls kann die eine oder andere Meinung der Minderheit eine Mehrheit finden. In den verschiedenen Sachfragen dürften die Meinungsmehrheiten regelmäßig unterschiedlich sein. Darauf kommt es nach Hans Kelsen 219 auch gar nicht an: "Bei voller Anerkennung des Majoritätsprinzips ... kann auch die ziffernmäßige Minderheit über die ziffernmäßige Mehrheit herrschen." Den ideologischen Charakter des Mehrheitsprinzips hebt Kelsen selbst hervor. Er reklamiert das "Majoritätsprinzip" 220 für die Demokratie, weil die Freiheit die "Ideologie" der "parlamentarischen Demokratie", nicht deren "soziale Realität" sei 221 . Das ist so, wenn man "Parteienstaatlichkeit" und "kompromißhafte" "Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit" als Notwendigkeit bzw. Prinzip der Demokratie akzeptiert, Gesichtspunkte, die von "Ideal- zu 'Realbegriffen' des Volkes", der "Herrschaft" und der "Führerschaft" "vordringen" wollen, ohne aber eine begriffliche Verbindung mit den "Ideen" "Freiheit", "Führerlosigkeit", "Herrschaftslosigkeit", "Selbstbestimmung", "Übereinstimmung" zu versuchen 222 . Überhaupt verkennt es die Bürgerlichkeit der Bürger, Gruppen derselben lagerhaft als Mehrheit oder Minderheiten zu personifizieren, als wären diese Gruppen festgefügte politische Einheiten, die gegeneinander stehen. Solche Lagertheorie bleibt dem Schmittschen Freund-Feind-Schema des Politischen verhaftet 223 , das es im Kompromiß besänftigen möchte.

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So durchgehend H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, insb. S. 53 ff.; auch Th. Eschenburg, Der Mechanismus der Mehrheitsentscheidung, S. 12 f., 45; zum Interessenund Kompromißprinzip 7. Teil, 6. Kap., S. 622 ff.; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff. 2,9 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 55 f. 220 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53 ff. 221 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 68, 78 u.ö.; weitere Hinweise zu dieser Art verfassungsrelativierenden Realismus in Fn. 704 und 717, 8. Teil, 5. Kap., S. 772, 775 f.; auch H. Heller, Staatslehre, S. 248 ff., 259 ff., räumt dem Sein relativierenden Einfluß auf das Sollen ein. 222 Η Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 18 ff., 53 ff., 78 ff.

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Carl Schmitt hat das Legalitätsargument der "gleichen Chance politischer Machtgewinnung" als "gegenstandslosen, inhaltsleeren Funktionalismus rein arithmetischer Mehrheitsfeststellungen", "als Gegenteil von Neutralität und Objektivität", "als die quantitativ größere oder geringere Vergewaltigung der überstimmten und unterdrückten Minderheit" kritisiert, wenn nicht "eine substantielle Gleichartigkeit des ganzen Volkes vorausgesetzt werden könne" 2 2 4 ; völlig zu Recht. Schmitts Satz: "Die Mehrheit befiehlt, und die Minderheit hat zu gehorchen" 225 , kritisiert jeden Dezisionismus, weil nur die moralische Kompetenz der Repräsentanten das Volk befrieden kann 2 2 6 , nicht aber eine ungewisse Chance, die Machtverhältnisse zu revidieren. Die besagte Chance ist eher das Kriterium, welches den Widerstand verbietet 227 . Heute gilt es, die Grobheiten des Parteienstaates, der modernen Form der sanften Despotie 228 , zu korrigieren. Vor allem bedarf es der Entwicklung eines Parteienrechts, welches der Herrschaft der Parteien Grenzen zieht, wie es dem Wirtschaftsrecht gelungen ist, unternehmerischer Ausbeutung Schranken zu setzen. Die Moralität der Parteioligarchien muß durch ein rechtliches Korsett gestützt werden, welches das Parteiengesetz von 1967 nur in mehr als dürftigen Ansätzen bereithält 229 .

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Vgl. C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 26 ff.; dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 116 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 748 ff.; ähnlich H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 55 ff. (Gliederung in "zwei Gruppen", "die Majorität" und die "Minorität", S. 57). 224 Legalität und Legitimität, S. 30 ff.; auch H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 65 f., weiß um die Homogenität als Voraussetzung seiner Majoritätslehre; zum Homogenitätsprinzip 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff. 225 Legalität und Legitimität, S. 31 ff. 226 Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 677 ff., 818 ff., 810 ff.; 2. Teil, 10. Kap., S. 151; auch 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 9. Teil, 6. Kap., S. 963 ff. 227 I.d.S. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 256; auch C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 30 ff., behandelt die Frage als Widerstandsproblem; W. Leisner, Staatseinung, S. 185 f., sieht im "Machtwechsel" ein "Einungsinstrument der Demokratie", richtig, wenn Macht ein Kriterium der Staatsform ist (für die Republik gilt das nicht); dazu auch 4. Teil, 3. Kap., S. 249 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff. 228 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 790 f.; 3. Teil, 3. Kap., S. 193 f.; 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 f. 229 Auch R. Herzog, HStR, Bd. III, S. 117, hält das gegenwärtige Parteienrecht für unzulänglich; weitere Hinweise dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. 8 Schachtschneider

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

3. D i e demokratistische Ideologie lautet: M e h r h e i t entscheidet, M e h r h e i t ist M e h r h e i t 2 3 0 . D e r mehrheitsideologischen, der i m

oder

aristoteli-

schen Verständnis "reinen" D e m o k r a t i e als der F e h l f o r m der aristotelischen P o l i t i e 2 3 1 mangelt es v o r a l l e m an dem aristokratischen A m t s p r i n z i p der R e p u b l i k , welches insbesondere i m Interesse des G e m e i n w o h l s die formelle v o n der materiellen K o m p e t e n z abhängig m a c h t 2 3 2 . Das vor a l l e m die römische R e p u b l i k kennzeichnende A m t s p r i n z i p 2 3 3 , das aber auch für die Verfassungslehre des Aristoteles

wesentlich war ( " d e n n die Verfassung ist

230 W. Leisner, Zur Legitimation politischen Entscheidungshandelns. Vom Mehrheits- zum Minderheitsprinzip?, in: Konsens und Konflikt, A. Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), S. 287 ff.; insb. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 278 ff. (kritisch); ders., Legalität und Legitimität, S. 27, 30 ff., übt scharfe, berechtigte Kritik an der Legalität auf Grund einer "Willensbildung durch einfache Mehrheitsfeststellung" ohne "substanzielle Gleichartigkeit des ganzen Volkes" (S. 31); i.d.S. kritisiert H.H. v. Arnim, Der Staat 26 (1987), S. 484 f., den Relativismus in der Demokratie, der zum "juristischen Positivismus" des Satzes: "Gesetz ist Gesetz" führe; kritisch auch B. Guggenberger/C. Offe, An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, Einl. S. 12; W Steffani, ZParl. 1986, 570 ff., m.w.H. auf die politologische Diskussion des Mehrheitsproblems; den ideologischen Charakter des Mehrheitsprinzips benennt außer W. Leisner, a.a.O., auch K.R. Popper, Bemerkung zur Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 10 ff., 14 ff.; kritisch im Anschluß an C. Schmitt auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 611 f.; W. Leisner, Staatseinung, S. 161 ff., versucht, der "Mehrheitsentscheidung als Einung" den rousseauschen Charakter zurückzugeben. 231 Aristoteles, Politik, S. 114 f., 1279 b 1 ff., S. 137, 1289 a 25 ff., S. 143, 1292 a 7 ff., S. 143, 1292 a 7 ff., S. 144, 1292 a 15 ff., dessen Kritik an der reinen Demokratie, weil diese zur despotischen Herrschaft der Volksführer und Schmeichler und zur Auflösung der Ämter führe, unüberholt ist; zur Aristokratie weiter Aristoteles, Politik, S. 147 ff., sub 8, 1293 b 21 ff. 232 I.d.S. Aristoteles, Politik, S. 144, 1292 a 25 ff., S. 207, 1319 a 32 ff.; W. Hennis, Amtsgedanke und Demokratiebegriff, 1962, in: ders., Die mißverstandene Demokratie, 1973, S. 9, der mit seinem richtigen Amtsgedanken seinerseits die Demokratie mißversteht, weil der Amtsgedanke genuin republikanisch ist; ähnlich K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 208, der ebenfalls die "politische Elite" demokratisch konzipiert; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 251 f., 253 ff.; W. Henke, JZ 1981, 249 f.; ders., HStR, Bd. I, S. 874, 877; ders., Recht und Staat, S. 387 ff.; H.H. v. Arnim, Der Staat 26 (1987), S. 487 f.; KA. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 81 ff., 117 ff.; ders., JA 1979, 516; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik ?, S. 139; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 19 f., 49 ff. zu Art. 20 GG, der richtig darauf hinweist, daß der Amtsbegriff nicht demokratischen Ursprungs ist, aber 'demokratisiert' worden sei, m.E. nicht zum Nutzen der Republik, weil nun jeder meint, jedes Amt unabhängig von seiner Kompetenz ausüben zu können; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 632; ders., HStR, Bd. III, S. 29 ff., 45 ff.; ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 74 (zum republikanischen Amtsethos, welches er als "schlechthinnige Unfreiheit der Amtsträger" mißversteht; auch die Amtswalter sind in ihrer Gesetzesbindung Bürger, also frei); anders H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, Ges. Schriften, 2. Aufl. 1971, S. 426 f. ("repräsentative Volksherrschaft"). 233

335 f.

Vgl. W. Henke, HStR, Bd. I, S. 869 ff., 879 f.; ders., Recht und Staat, S. 321 f., 329 ff.,

6. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als Herrschaft der Mehrheit die O r d n u n g der Ä m t e r " 2 3 4 ) , rücken mehr als andere Herbert

115

Krüger,

Wil-

helm Henke u n d Josef Isensee i n den Vordergrund der Staatslehre 2 3 5 . " A r i s t o k r a t i e scheint a m ehesten dort zu bestehen, w o die Ä m t e r nach der T u g e n d verteilt sind. D e n n Maßstab der Aristrokratie ist die Tugend, der Oligarchie der R e i c h t u m , der D e m o k r a t i e die Freiheit." -

Aristote-

les 236 A u c h Krüger,

Isensee u n d Henke heben die Tugendpflicht des A m t s p r i n z i p s

hervor 237. "Dies ist v i e l l e i c h t die größte Herausforderung der Staatseinung an die D e m o k r a t i e : daß sie i n Bürger-Aristokratisierung Rousseau u n d seine volonté générale neu entdecke." - Walter

Leisner• 238

D e r bloße B e g r i f f der D e m o k r a t i e erfaßt die E i n h e i t v o n M o r a l i t ä t u n d Legalität n i c h t 2 3 9 . Er berücksichtigt nicht, daß Freiheit nichts als Sittlichk e i t oder eben praktische Vernünftigkeit, Nächstenliebe, i s t 2 4 0 .

234 Politik, S. 139, 1290 a 7 f.; das vierte Buch der Politik, S. 136 ff., ist von der Problematik der Ämter bestimmt. 235 Vgl. die Hinw. in Fn. 232. 236 Politik, S. 148, 1294 a 9 ff.; zur Notwendigkeit einer führenden Schicht 8. Teil, 1. Kap., S. 679 ff. 237 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 265 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 632 f.; ders., HStR, Bd. III, S. 45 ff., ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 74; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 874 f., ders., Recht und Staat, S. 327 ff. 238 Staatseinung, S. 174. 239 Dazu 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 265 ff., 410 ff.; 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff. 240 Vor allem Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 532 ff.; Κ Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 197 ff.; auch J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65 ff., der freiheitsrechtlich Recht und Moral trennt, nicht aber amtsrechtlich, fügt sich empiristisch der verbreiteten Moralvergessenheit und fördert sie dogmatisch; selbst W. Henke, Recht und Staat, S. 7 ff., blendet die Moral aus seiner Freiheitslehre aus und mißversteht Freiheit als Wahl unter den unendlichen Möglichkeiten des Menschen, als unendliche Freiheit (S. 44 ff.); E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 940, gesteht dem "Staatsbürger" ("citoyen") nicht zu, ohne Einschränkung "Interessenbürger" ("homme") zu sein; dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 32 f., erkennt, daß die "formale Rationalität" "die logische Konsequenz aus der fundamentalen Prämisse der Freiheit und Gleichheit jedes Menschen" sei, welche "in der Epoche der Moderne" "die Setzung wie die Durchsetzung allen Rechts" bestimme, daß also "das Prinzip der Allseitigkeit (der sog. Kategorische Imperativ)", unverzichtbar sei, weil sich "ein als verbindendes Wollen von Freien und Gleichen aufgefaßtes Recht nicht anders juridisch konstruieren läßt", argumentiert also republikanisch, nennt aber das von ihm skizzierte politische System "konstitutionelle Demokratie" (S. 19 ff.) und meint, daß sich durch "Rationalität" "der demokratische Staat (der Mehrheitsherrschaft)" legitimiere; darin steckt ein Widerspruch; ders., HVerfR, S. 207, 224 ff., stellt die Demokratie auf die Nächstenliebe und den kategori-

8'

116

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

4. Das Bekenntnis zur Freiheit führt zur Republik als der spezifischen Form der freiheitlichen, genauer der herrschaftsfreien Demokratie 241 , wenn Freiheit, Autonomie des Willens also, nicht mit dem Recht verwechselt wird, die eigenen Interessen durchzusetzen 242 . Hans Kelsen stellt die "Idee der Demokratie" auf die "Idee der Freiheit", und zwar die "antike Freiheitsidee", "die Freiheit als politische Selbstbestimmung des Bürgers" 243 . Seine Lehre vom Kompromiß zwischen der Majorität und der Minorität 2 4 4 aber hat nur die Interessen im Auge, sucht die "Realität des Friedens" und opfert die Freiheit als "Ideologie", als "Fiktion" 2 4 5 . Das "Prinzip der absoluten Majorität" bedeute "die relativ größte Annäherung an die Idee der Freiheit", die an sich durch "Stimmeneinhelligkeit" verwirklicht würde. "Nur der Gedanke, daß - wenn schon nicht alle - so doch möglichst viel Menschen frei sein, d.h. möglichst wenig Menschen mit ihrem Willen in Widerspruch zu dem allgemeinen Willen der sozialen Ordnung geraten sollen, führt auf einem vernünftigem Wege zum Majoritätsprinzip" 246 . Alle Erfahrung der Kompromißhaftigkeit dieses "Majoritäts-Minoritätsprinzips", wie es Kelsen nennt 247 , ändert nichts daran, daß ein interessenhaftes Mehrheitsprinzip die Gleichheit aller in der Freiheit, von der auch Kelsen ausgeht 248 , aufgibt. Kelsen meint, diese Desillusionierung der Realität schuldig zu sein, löst sich selbst aber mit seiner Lagertheorie von der

sehen Imperativ; auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 514 ff. u.ö., weiß um die Unverzichtbarkeit "grundsatzorientierter Moralität", des "Gerechtigkeitssinns" (S. 493 ff.), und deren Grundlage, die "Menschenliebe" (S. 517); Aristoteles, Politik, S. 152, 1295 b 23, weist auf den "Freundschaftscharakter" der "politischen Gemeinschaft", der Politie also, hin. 241 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., insb. S. 62 ff. 242 Dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. 243 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 f., 5. 244 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 22, 53 ff. 245 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 22, 53 ff., zur Interessenhaftigkeit, S. 68, 85 zur Freiheit als Ideologie und Fiktion; dagegen mahnt K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 217, den "Glauben an die Freiheit" an. Zum Kompromiß als Interessenausgleich und dessen Politik unter republikanischen Aspekten 7. Teil, 6. Kap., S. 622 ff. 246 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 9 f., 55 (als "Ideologie" qualifiziert); das Argument wird oft wiederholt, etwa Κ Stern, Staatsrecht I, S. 459; G. Leibholz, VVDStRL 29 (1971), S. 104; kritisch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 283 ff.; ablehnend auch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 165; AT. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 216, plädiert aus Respekt vor jedem anderen für das Majoritätsprinzip, verbindet aber diese Lehre mit der von "der Notwendigkeit" einer wechselnden "aristokratischen Schicht", einer "politischen Elite", a.a.O., S. 208. 247 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 57. 248 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., 93 ff.

. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als

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Majorität und der Minorität als "Gruppen" 249 von der Realität; denn in der Demokratie, wie sie Kelsen versteht, herrschen Parteioligarchien, nicht die Mehrheit des Volkes; denn einerseits: "Die Demokratie ist notwendig und unvermeidlich ein Parteienstaat" 250 ... "Die reale Demokratie" hat eine "Fülle von Führern" 251 ; und andererseits: "Bei der nun einmal in der Erfahrung gegebenen und hier unvermeidlichen Interessengegensätzlichkeit kann der Gemeinschaftswille, wenn er nicht einseitig das Interesse nur einer Gruppe ausdrücken will, nichts anderes als die Resultante, der Kompromiß zwischen entgegengesetzten Interessen sein" 2 5 2 , zweifelhafte Empirismen des Reinen Rechtslehrers, die jedoch ihren ideologischen, aber ideenwidrigen Standpunkt selbst hervorkehren: "Man möchte glauben, daß es geradezu die besondere Funktion der demokratischen Ideologie ist: die Illusion der in der sozialen Wirklichkeit unrettbaren Freiheit aufrecht zu erhalten; so wie wenn die hell klingende, der ewigen Menschheitssehnsucht entsprungene Freiheitsmelodie das dumpfere Motto übertönen wollte, in dem die ehernen Ketten der sozialen Wirklichkeit dröhnen. Und die Freiheitsideologie der Demokratie scheint gegenüber der ihr zugeordneten Realität sozialer Bindung eine ähnliche Rolle zu spielen wie die ethische Illusion der Willensfreiheit gegenüber der durch die psychologische Erkenntnis festgestellten, unentrinnbaren kausalen Gebundenheit alles menschlichen Wollens" - Hans Kelsen 253. Dieser deterministische Realismus gibt den Kampf um das Recht auf und fügt sich in den Kampf um die Macht; denn das Prinzip Recht steht und fällt mit dem Prinzip Freiheit 254 . Das Sein nimmt dem (seinsgemäßen)

249

Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 55 ff., 67 ("zwei Gruppen als unterschiedliche Klassen"), 68. 250 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 20; ganz entgegengesetzt insb. K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff., dessen Demokratielehre aber auch republikanisch ist. 251 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 82. 252 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 22, und S. 53 ff., 58 ff.; in der Sache nicht anders Th. Eschenburg, Der Mechanismus der Mehrheitsentscheidung, S. 12 f., 45. 253 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78. 254 Zur Idee der Freiheit als der Letztbegründung des Rechts 5. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 253 ff., 278 ff., 325 ff., insb. S. 332 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; zur notwendigen Sorge aller um die Freiheit K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 217 (Zitat im 1. Kap., S. 78 f.).

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Sollen keinerlei Legitimation, wie man gerade von Hans Kelsen lernen kann 2 5 5 . In der herrschaftlichen Demokratie ist das besondere Interesse legit i m 2 5 6 . Wer das besondere Interesse durchsetzen will, kann dem kategorischen Imperativ nicht genügen. Sein Handeln nötigt oder täuscht; es verletzt die äußere Freiheit anderer, deren Unabhängigkeit von anderer nötigender Willkür 2 5 7 . In der Republik legitimiert nur das Bemühen um Wahrheit und Richtigkeit, Moralität also 258 , oder "öffentliche Tugend" 259 . Der Abgeordnete ist nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG seinem "Gewissen unterworfen", um als "Vertreter des ganzen Volkes" der Pflicht zur Sittlichkeit genügen zu können, um sein Mandat moralisch, tugendhaft ausüben zu können 260 . Diese Repräsentation ist republikanische Institution der praktischen Vernunft, vornehmlich im Gesetzgebungsverfahren 261, nicht anders als die ebenfalls repräsentierende Rechtsprechung vor allem des Bundesverfassungsgerichts mit seiner gesetzgebenden Funktion 2 6 2 . Sie finden im Begriff "mittelbare Demokratie" ebensowenig eine adäquate Erklärung wie in dem der "repräsentativen Demokratie" 263 , wenn Demokratie eine Herrschaftsform und als solche auch ein Verfahren des Ausgleichs der besonderen Interessen ist 2 6 4 .

255

Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 3 ff. Typisch die Kompromißlehre H. Kelsens, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 22, 53 ff. u.ö.; auch Th. Eschenburg, Der Mechanismus der Mehrheitsentscheidung, S. 12 ff., 45; dazu kritisch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 938 ff. ("Idealbegriff); dazu auch 8. Teil, 1. Kap., S. 658 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. 257 Zur äußeren Freiheit 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 289 ff., 332 ff., 431 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 258 Dazu 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 772 ff.; 9. Teil, 6. Kap., S. 963 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff. 259 So W Henke, HStR, Bd. I, S. 883. 260 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 526 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 657 ff., 772 ff., insb. S. 811 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff. 261 Zu Kants Repräsentationslehre W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 305 ff.; Kant, Zum ewigen Frieden, S. 206 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 464. 262 Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff. 263 Insb. E.-W. Böckenförde, Mittelbare/repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: FS Kurt Eichelberger, 1982, S. 301 ff.; ders., HStR Bd. I, S. 887 ff., 893 ff.; ders., HStR Bd. II, S. 35 ff.; weitere Hinweise in Fn. 306, 8. Teil, 2. Kap., S. 692; dazu auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff. 256

264 Dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 658 ff.; etwa Th. Eschenburg, Der Mechanismus der Mehrheitsentscheidung, S. 12 f., 45.

. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als

II.

errschaft

hr

119

Die freiheitliche Mehrheitsregel

Die Mehrheitsregel als Entscheidungsmodus ist unausweichlich, wenn gleichberechtigte Menschen eine Entscheidung treffen müssen und nicht auf die Zustimmung aller abgestellt werden kann (vgl. etwa Art. 42 Abs. 2, 63 Abs. 2 - 4, 67 Abs. 1, 52 Abs. 3, 54 Abs. 6 GG) 2 6 5 . "Daß die Mehrheit entscheidet, findet sich bei allen. Auch in der Oligarchie, der Aristokratie und der Demokratie gilt, daß die Mehrheit der Regimentsberechtigten beschließt." - Aristoteles 266 Zur "Demokratie" als "Staatsform der Freiheit", in der "man abwechselnd regiert und regiert wird", sagt Aristoteles: "..., und was die Mehrzahl billigt, das muß das Gültige und das Gerechte sein. Man sagt nämlich, es sei gerecht, daß jeder Bürger das Gleiche habe." 2 6 7 Die Mehrheitsregel ist auch das Entscheidungskriterium im Gesetzgebungsverfahren Rousseaus 268 und im Beschlußverfahren Lockes\ denn Locke begreift die von Menschen gebildete "Gemeinschaft" als einen "einzigen Körper", der sich nur "in eine Richtung bewegen", d.h. nur einen einzigen Willen haben könne 269 . "Das Mehrheitsprinzip ... ist Teil des republikanischen Amtsprinzips." Wilhelm Henke 270 Die Mehrheitsregel folgt aus der Gleichheit in der Freiheit selbst; denn die Einstimmigkeitsregel privilegiert den, der ablehnt, ein höheres Quorum als die einfache Mehrheit die Minderheit, deren Stimmen ein höheres

265 So versteht W. Henke, HStR, Bd. I, S. 877, das Mehrheitsprinzip; weniger klar ders., Recht und Staat, S. 399 f.; auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 610 ff.; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 921 ff., allerdings als demokratisches Prinzip; auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 970 ff.; nicht anders W. Stejfani, ZParl. 1986, 574 f.; i.d.S. auch BVerfGE 5, 85 (198 f.); 44, 123 (141); auch BVerfGE 1, 298 (315); 2, 1 (12 f.); BVerfGE 29, 154 (165) spricht allerdings vom "Mehrheitsprinzip" als fundamentalem Prinzip der Demokratie; wie im Text auch Kant, Über den Gemeinspruch, S. 152 f.; dazu i.d.S. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 306, der den Unterschied zum Mehrheitsprinzip nicht erkennen läßt; vgl. O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 448; auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 392 ff., handelt von der Mehrheitsregel, nicht vom Mehrheitsprinzip; vgl. auch W. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 23 ff. 266 267 268 269 270

Politik, S. 148, 1294 a 12 ff. Politik, S. 203, 1317 b 1 ff.; dazu und i.d.S. R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 205 ff. Vom Gesellschaftsvertrag, S. 116 f. Über die Regierung, S. 74 ff. HStR, Bd. I, S. 877.

120

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Gewicht für die Entscheidung entfalten als die der Mehrheit 2 7 1 . Im Mehrheitsprinzip sieht Hans Kelsen demgegenüber, wie schon berichtet, "die relativ größte Annäherung an die Idee der Freiheit" 272 . Diese Ideologie legitimiert schließlich die Herrschaft von Parteiführern als realer Demokratie 273 und gibt "die, im Grunde genommen, unmögliche Freiheit des Individuums" "als Illusion" auf, "die allmählich in den Hintergrund ... der Freiheit des sozialen Kollektivums" trete 274 . Die eigentliche Idee der Freiheit bleibt Kelsen fremd, weil er sich dem kantianischen Idealismus versagt 275 , aber wohl auch weil die Idee der Freiheit die demokratistische Apologie des Parteienstaates nicht zuläßt. Die Mehrheitsregel ist unter freien Menschen überhaupt nur akzeptabel, weil die Mehrheit im Organ, sei dies auch das Volk, keine Herrschaft ausüben, sondern das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit erkennen soll. In diesem Sinne repräsentativer Hervorbringung des Richtigen verstehen Karl Jaspers und Herbert Krüger, aber auch das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 44, 125 (142) das Mehrheitsprinzip 276 . Nur wegen dieser Erkenntniskompetenz des Volkes konnte Rousseau sagen, die Minderheit habe sich geirrt, als sie gegen das Gesetz gestimmt habe, und sei frei unter dem Gesetz, das die Mehrheit gefunden habe 277 . Irren kann nur, wer zu erkennen versucht.

271

W. Steffani, ZParl. 1986, 574 f.; i.d.S., also gleichheitsdogmatisch, auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 914 ff., 921 ff., 923; i.d.S. auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 392; zur Kritik der Satz: "Mehrheit entscheidet", C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 278 ff., vgl. auch S. 224. 272 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 9 f.; siehe das ausführliche Zitat oben S. 116. 273 H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78 ff. 274 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 11, auch S. 80 ff. 275 Daß H. Kelsen kein Kantianer war, hat G. Winkler, Rechtstheorie und Erkenntnislehre, 1990, S. 126 ff., richtig herausgestellt ("...bis in das Grundsätzliche reichende Mißverständnis von Kant bei Kelsen. Kant hat keineswegs so gedacht, wie es Kelsen annimmt. Aus Kants Lehre läßt sich kaum etwa von dem, was Kelsen erkenntnistheoretisch so eigenwillig entwikkelt hat, ernsthaft begründen."). 276 K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 144; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 232 ff., 283 ff.; den erkenntnistheoretischen Aspekt stellt auch W. Steffani, ZParl. 1986, 577, heraus. 277 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 116 f.; i.d.S. W. Leisner, Vom Mehrheits- zum Minderheitsprinzip?, S. 287 ff.; G. Leibholz, Der moderne Parteienstaat, S. 82 f. u.ö., mißversteht Rousseaus Lehre von der Republik als eine von der "plebiszitären Demokratie" und nimmt ausgerechnet Rousseau für die parteienstaatliche Demokratie in Anspruch; auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff., interpretiert Rousseau demo-

. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als

errschaft

hr

121

Erkennen ist nicht Herrschen 278 . Auch wer sich irrt, sucht die Wahrheit und w i l l das Richtige. Kein Bürger kann beanspruchen, daß seine Meinung irrtumsfrei sei. Darum kann nur darauf abgestellt werden, welche Meinung die Mehrheit gefunden hat. Voraussetzung einer solchen Regel ist die Moralität des Bemühens um die Wahrheit und die Richtigkeit, welches sich von jedem eigenen Interesse frei macht, die Tugend eben, die Anständigkeit 2 7 9 . Voraussetzung dafür ist weiter die Homogenität der Bürger 280 . Richtig hat Carl Schmitt "die Voraussetzung des parlamentarisch-demokratischen Gesetzgebungsstaates" herausgestellt: "Das Vertrauen auf gewisse, Recht und Vernunft garantierende Qualitäten des Parlaments, der Parlamentarier und des parlamentarischen, durch Diskussion und Öffentlichkeit ausgezeichneten Verfahrens" 281 , die Moralität also. Nur unter Voraussetzung des "Vertrauens auf die Übereinstimmung von Parlamentsmehrheit und homogenen Volkswillen" sei "ein 'formaler' Gesetzesbegriff denkbar und erträglich" 282 . Für die Republik kommt somit alles auf die allgemeine Moralität an, insbesondere aber die der Vertreter des Volkes in den Parlamenten, in den Ämtern und in den Gerichten. "Keine Demokratie besteht ohne die Voraussetzung, daß das Volk gut ist, und sein Wille infolgedessen genügt. II suffit qu'il veut. In der parlamentarischen Demokratie wird der Wille des Parlaments mit dem Willen des Volkes identifiziert." - Carl Schmitt 283

kratistisch; ebenso schon H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 12 f. 278 R. Marcie , Rechtsphilosophie, S. 230; Κ Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 197 ff.; W. Steffani, ZParl. 1986, 577 ("Wahrheit ist eine Frage der Erkenntnis und kein Gegenstand interessierter Beschlußfassung"); KA. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 128; so vor allem die kommunikative Diskursethik von J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, 1973, S. 344; E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 42 ff. 279 Vgl. die Hinw. in Fn. 274, 1. Teil, 3. Kap., S. 58; insb. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 118 u.ö.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 73; Aristoteles, Politik, S. 147 u.ö. 280

Dazu 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff. Legalität und Legitimität, S. 20 ff., 28; so auch ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 5 ff., 30 ff., insb. S. 41 ff.; auch ders., Verfassungslehre, S. 310 ff., insb. S. 318 f. 282 Legalität und Legitimität, S. 28. 283 Legalität und Legitimität, S. 27 f.; Carl Schmitt hat in: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 62 f., freilich diese parlamentarische Demokratie für nicht mehr herstellbar erklärt, weil deren "ratio" verloren sei, insbesondere wegen der parteilichen Parteien; nicht anders ders., Verfassungslehre, S. 318 f.; dazu unten 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 281

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

122

P r i n z i p i e l l setzt die Mehrheitsregel die A m t s h a f t i g k e i t des staatlichen Entscheidens v o r a u s 2 8 4 . B e i der W a h l zu den staatlichen Organen sind die W ä h l e r i m A m t ; denn sie entscheiden staatlich über ihre Vertreter.

Als

W ä h l e r sind sie c i t o y e n s 2 8 5 , w i e es A r t . 20 Abs. 1 S. 2 G G klarstellt, der die W a h l e n als A u s ü b u n g der Staatsgewalt regelt. Das A m t der W ä h l e r ist es, die Besten i n die Parlamente zu entsenden, die allein zu gewährleisten vermögen, daß die Parlamente jenes R i c h t i g e auf der Grundlage der Wahrheit erkennen u n d w i e d e r u m die Besten i n die staatlichen Ä m t e r berufen 286. " D e n n i n den nach dem Gesetz regierten D e m o k r a t i e n gibt es keine Volksführer, sondern den Vorsitz führen die Besten unter den Bürgern." Aristoteles

287

" D e r Idee der D e m o k r a t i e entspricht Führerlosigkeit." - Hans Karl

R. Popper

ruft die v o n Thukydides

Kelsen 288

berichtete Erkenntnis des Perikles

i n Erinnerung: " W e n n auch nur wenige v o n uns imstande sind, eine P o l i t i k zu entwerfen oder durchzuführen, so sind w i r doch alle imstande, eine P o l i t i k zu beurteilen"289.

284

So W. Henke, HStR, Bd. I, S. 877. Ganz so R. Redslob, Die Staatstheorien der französischen Nationalversammlung von 1789, 1912, S. 143; R. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 71 f.; so auch für die Demokratie C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 207; i.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 241, 250 ("Wähler als Repräsentant", nicht ein "Phainomenon", sondern ein "Noumenon"); i.d.S. auch E.W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 940; i.d.S. auch W. Leisner, Staatseinung, etwa S. 95 ff. ("Einungsbürger"), auch S. 161 ff.; a.A. etwa W. Henke, Recht und Staat, S. 388; ders., HStR, Bd. I, S. 877, rechnet die Wahlen der Amtswalter nach dem Mehrheitsprinzip zum Amtsprinzip, erklärt aber die Wähler nicht zu Amtswaltern; unklar J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 72 f., der nicht definiert, wer "der politisch handelnde Bürger" und der "Politiker" wohl seien. Den citoyen begreift auch Kant, Über den Gemeinspruch, S. 151, als den Bürger, der das Stimmrecht in der Gesetzgebung habe, und unterscheidet diesen vom Stadtbürger, den bourgois, dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 285

286 Zum aristokratischen Prinzip der echten Repräsentation, das im Parteienstaat verloren geht, C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 219 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 251 f., 253 ff.; i.d.S. auch G. Leibholz, Der moderne Parteienstaat, S. 82 f. u.ö.; deutlich vor allem K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 138 ff.; dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 662 ff., 674 ff. 287 Politik, S. 143 f., 1292 a 7 ff. 288 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 79, der allerdings dagegenstellt: "Denn die soziale Realität ist Herrschaft und Führerschaft" und das als die "reale Demokratie" bezeichnet (S. 84 u.ö.). 289 Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 17 f.

. Kap.: Die Lehren von der Demokratie als

errschaft

hr

123

Diese Erkenntnis übernimmt Montesquieu: "Die Mehrzahl der Bürger ist durchaus geeignet auszuwählen, nicht aber, gewählt zu werden. Und ebenso hat das Volk Fähigkeit genug, sich über die Amtsführung der anderen Rechenschaft zu geben, taugt aber nicht zu eigener Amtsführung" 290 . Rousseau greift diese Erkenntnis in seinen Institutionen des législateur und der volonté générale auf 2 9 1 . Die Parteien machen es den Wählern so gut wie unmöglich, ihres Amtes, die Besten auszuwählen, zu walten. Die Parteien haben faktisch ein Monopol, Kandidaten zu nominieren. Zum ewigen Gesetz der parteiinternen Oligarchie gehört auch, gemessen am Prinzip der Bestenauslese, die Negativauslese der parteilichen Mandatsbewerber 292 . Das (personalisierte) Verhältniswahlsystem ist dem Staatsamt der Wähler inadäquat, weil es die materielle Interessiertheit der Wähler und damit die Parteilichkeit der Parteien stützt2?3. Richtig bezeichnet Hans Kelsen "die Kreation dieser vielen Führer" als "Kernproblem der realen Demokratie", falsch aber das "Schlagwort von der Herrschaft der Besten" "als elende Tautologie" 294 . Der Begriff der Besten ist gegenüber den Formen des gemeinsamen Lebens neutral; in der Republik sind die Besten die Bürger mit der größten moralischen Kompetenz, die Bürger mit dem meisten Anstand. Der Parteienstaat ist darauf angelegt, bei der Auswahl der Besten zu versagen; denn Parteilichkeit ist der Sittlichkeit zuwider, Parteilichkeit ist die republikanische Unanständigkeit an und für sich. Besondere Bündnisse lassen der Moralität keine Chance 295 . Eine durch das Rechtsprinzip moderierte konstitutionelle Demokratie, die dem Mehrheitsprinzip verpflichtet bleibt, wenn sie auch die Minderheiten rechtlich schützt 296 , erreicht nicht das Prinzip der Republik, nicht die 290

Vom Geist der Gesetze, S. 106 f., auch S. 217. Vom Gesellschaftsvertrag, S. 27 ff., 43 ff. 292 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 677 ff.; 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff. 293 Dazu 10. Teil., 3. und 8. Kap., S. 1060 ff., 1147 ff. 294 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 84 ff., Zitate S. 84, 89. 295 Dazu 10. Teil, 3. und 4. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff. 296 W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff.; ebenso ders., HVerfR, S. 174 ff.; genauso J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 223, 252, 275 f., passim; schon C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 216, spricht von "konstitutioneller Demokratie" und dürfte ein gänzlich anderes Gemeinwesen im Auge haben als W. Maihofer und J. Rawls; zum Aspekt Minderheitenschutz Hinw. in Fn. 507, in 5. Teil, 4. Kap., S. 353; Fn. 338, 6. Teil, 10. Kap., S. 513. 291

124

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Staatsform der Freiheit. Die freiheitliche demokratische Ordnung vollendet sich als gemeinsames Leben ohne Herrschaft, als sittliche Republik. Die Freiheit aller ist die allgemeine Gesetzlichkeit, die es jedem ermöglicht, Herr über sich selbst zu sein. Die Herrschaft der einen über die anderen widerspricht der Logik der Republik; denn kein Bürger darf abhängig sein "von eines anderen nötigender Willkür" 2 9 7 . In der allgemeinen Gesetzlichkeit ereignet sich, wenn man so will, die bürgerliche Identität des homo noumenon und des homo phainomenon. Die Menschen als Vernunftwesen regieren sich selbst und zugleich ihre Mitmenschen als Triebwesen 298 . Nur diese Identität ist Freiheit im Sinne der Autonomie des Willens. Sie verträgt keinerlei Ideologisierung, mittels derer personale Herrschaft von Führern oder Parteioligarchien oder gar eine Parteienoligarchie legitimiert wird.

7. Kapitel Die Lehren von der Einheit von Freiheit und Herrschaft 1. "Politische Gerechtigkeit" erwächst, lehrt Otfried Höffe, aus "dem allseitigen Freiheits verzieht"; das aber sei "Herrschaft". "Gerechtigkeit" sei "die allseits vorteilhafte Freiheitseinschränkung", nicht aber der "einseitige Freiheits verzieht". Der "soziale Zwang" "zum freiheitsbeschränkenden Freiheitsverzicht" sei die unvermeidbare Herrschaft. Die "freie Zustimmung" aller sei von dem "allseitigen Vorteil der Betroffenen" getragen 299 . Einigkeit ist das Prinzip des Politischen 300 und durchaus, wie Höffe meint, Ausdruck "allseitigen Vorteils". Der Konsens jedenfalls verbietet, einem Gesetz den Vorwurf des Unrechts zu machen; denn: volenti non fit iniu-

297

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345. Zum Begriff Identität als Gegenbegriff zur Repräsentation 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 299 Politische Gerechtigkeit, S. 63 ff., 328 ff., 382 ff., 404 ff., 407, 438 ff., 440, 441 ff.; ders., Gerechtigkeit als Tausch? Zum politischen Projekt der Moderne, 1991, insb. S. 19 ff.; in diese Richtung geht auch der freilich weniger präzise Versuch M. Hättichs, Demokratie als Herrschaftsordnung, insb. S. 144 f., 152 ff., die Herrschaft freiheitlich zu begründen: "Indem Herrschaft als Freiheitsschutz für Bürger und Volk gedacht wird, findet die demokratische Legitimierung erst zu ihrem Sinn." (S. 149). 300 Dazu 7. Teil, 4., 5. und 6. Kap., S. 560 ff., 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 751, 752 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff. 298

7. Kap.: Die Lehren von der Einheit von Freiheit und Herrschaft

125

ria301. Höffe identifiziert "Rationalität" mit dem "Prinzip Vorteil" 3 0 2 . Der Gesichtspunkt "Selbstinteresse" jedoch, auf den Höffe abhebt, um "Vorteil" zu bestimmen, orientiert sich an angelsächsischem Freiheitsdenken 303 . "Vorteil" und "Interesse" sind empirische Kriterien, welche sich am homo phainomenon ausrichten, während die grundgesetzliche Ethik auf den homo noumenon abstellt, nämlich auf die Würde des Menschen 304 . Trotz des empiristischen Ansatzes sind die Begriffe Höffes empirisch nicht fundiert. Sie leugnen lediglich die transzendentale Letztbegründung der Ethik und damit des Rechts 305 . Nur wenn das Interesse im Sinne von Jürgen Habermas das an der Erkenntnis 306 , nämlich der Erkenntnis des Richtigen für die allgemeine Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit, nur wenn Politik bürgerliche Erkenntnis ist 3 0 7 , durchaus im Interesse des guten Lebens aller, dient es dem "allgemeinen Vorteil". Der allgemeine Vorteil ist das Recht, nicht die Herrschaft. Das Recht freilich kann des Zwanges nicht entsagen 308 . Höffe aber erfaßt den sozialen Zwang zum "freiheitsbeschränkenden Freiheitsverzicht", wie gesagt, als Herrschaft 309 . Recht jedoch ist Freiheitsverwirklichung. Höffe überwindet das Prinzip Herrschaft nicht, weil er Freiheit nicht formal, sondern material, nämlich als unbeschränkte materiale Handlungsmöglichkeit mißversteht 310 . Das führt zu der Vorstellung, das Gesetz schränke die Freiheit ein und verwirkliche einen "Freiheitsver-

301 Insb. Hobbes, Leviathan, S. 156, 160, 193 f.; i.d.S. Locke, Über die Regierung, S. 19, 66 f., 73 ff., 101 f., Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432; ganz so W. Leisner, Vom Mehrheits- zum Minderheitsprinzip, S. 287 f.; dazu 2. Teil, 10. Kap., S. 149 mit Fn. 459; auch 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff. 302 Politische Gerechtigkeit, S. 417. 303

Vgl. J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 68 ff. Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 6, 7 ff.; 5. Teil, 1. und 3. Kap., S. 253 ff., 275 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 504 ff. 305 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff., insb. S. 313. 306 Erkenntnis und Interesse, S. 234 ff.; vgl. i.d.S. auch ders., Die Utopie des guten Herrschers, S. 327 ff. 307 Ganz so D. Sternberger, Machiavellis "Principe" und der Begriff des Politischen, 1974, S. 54 f.; zum Verhältnis von Wille und Erkenntnis in der Philosophiegeschichte H. Heimsoeth, Die sechs großen Themen der abendländischen Methaphysik und der Ausgang des Mittelalters, 1922, 4. Aufl. 1958, S. 204 f.; zum Kognitivismus der Politik als Rechtsetzung 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 585 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 656, 657 ff., auch 3. Kap., S. 707 ff. 308 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 309 Politische Gerechtigkeit, S. 63 ff., 328 ff., 382 ff., passim; dazu kritisch 7. Teil, 3. Kap., S. 553 ff. 310 Dazu 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff., insb. 5., 6. und 9. Kap., S. 466 ff., 478 ff., 501 ff.; auch 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. 304

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

zieht". Ein solcher sei Herrschaft, weil die Willkür des Menschen letzlich gewaltbewehrt beschränkt werde. Das gemeinsame Leben soll jedoch in Liebes-, nicht in Herrschaftsverhältnissen geordnet sein: "Liebe deinen Nächsten als dich selbst", bezeichnet Kant als "jenes Gesetz aller Gesetze." 311 Nur die Liebe vermag Herrschaft zu erübrigen. Das Prinzip des Rechts oder mit Höffe der Gerechtigkeit ist die Liebe unter den Menschen. Das Liebesprinzip verwirklicht sich im Konsens, im Gesetz. "Übereinkunft" ist nicht "Herrschaft." - Dolf Sternberger* 12 Selbstgesetzlichkeit, Autonomie des Willens, ist Freiheit, auch im Zwang zur Gesetzlichkeit, wie Locke, Montesquieu, Rousseau und ihnen folgend Kant geklärt haben 313 . Wenn das Gesetz die Freiheit verwirklicht, so auch die Gesetzlichkeit, sei letztere auch erzwungen; denn wer das Prinzip der Gesetzlichkeit mißachtet, verletzt die Freiheit aller, auch die eigene, der handelt gegen die Vernunft, die in den Gesetzen ihre Verwirklichung sucht. Die Republik als freiheitliches Gemeinwesen, als Freistaat, läßt sich nur mittels des negativen äußeren und des positiven inneren Freiheitsbegriffs des Grundgesetzes, den wir Rousseau und Kant danken 314 , konstruieren. Dieser Freiheitsbegriff läßt es nicht zu, Freiheit als Herrschaft zu begreifen, weil die Pflichterfüllung erzwungen werden muß, wenn die Moralität des Verpflichteten versagt. Die Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens ist gerade die allgemeine Freiheit der Republik, im Rahmen derer sich die

311 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 205 f. und ders., Metaphysik der Sitten, S. 586 ff.; auch schon Locke, Über die Regierung, S. 5 f. (mit Bezug auf R. Hooker, 1554 - 1600); vgl. zum Ideal der Liebe als Prinzip der Herrschaftslosigkeit H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 659, 672; zum christlichen Liebesprinzip im Alten und Neuen Testament als Grundprinzip des Rechts G. Küchenhoff, Naturrecht und Liebesrecht, 2. Aufl. 1962, S. 69 ff.; dazu 2. Teil, 8. Kap., S. 135 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 277 f.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 312 Herrschaft und Vereinbarung, S. 131.; ganz so H. Arendt, Was ist Politik?, 1993, Fragment 3 b, S. 35 ff., insb. S. 39; i.d.S. auch R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 208 ff., dessen rechtliches Grundprinzip des Verbots zu herrschen (S. 216) nichts anderes ist als das christliche Liebesprinzip. 313 Locke, Über die Regierung, S. 19, 66 f., 101 ff.; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 250 f.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338 ff., 464; ders., Über den Gemeinspruch, S. 169; i.d.S. auch Hobbes, Leviathan, S. 155 ff.; vgl. dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 29 ff.; ebenso J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 271 f., im "Interesse der Stabilität der gesellschaftlichen Zusammenarbeit"; dazu 2. Teil, 9. Kap., S. 145 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff. 314

Dazu 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 275 ff., insb. S. 289 ff., 318 ff., 332 ff., 431 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.

7. Kap.: Die Lehren von der Einheit von Freiheit und Herrschaft

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besondere Freiheit, die Privatheit, entfaltet 315 . Weil aber Gesetzlichkeit auch Legalität ist, sei es aus Moralität i m Sinne des "allgemeinen ethischen Gebots": "Handle pflichtgemäß, aus Pflicht" - Kant 316, sei es erzwungen, ist auch der Zwang zur Pflichterfüllung freiheitlich. Er verwirklicht die Freiheit aller, auch derer, die zur Moralität unvermögend sind. Gesetzlichkeit ist Freiheit 317 , vorausgesetzt, das Gesetz ist Recht 318 . "Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit." - Rous319

se au Solche Gesetzlichkeit ist die christliche Nächstenliebe 320 . Sie ist das Gegenteil von Herrschaft 321 . "Imperium ist nicht dominium." - Dolf Sternberger* 22 Nächstenliebe ist nicht etwa die Gesetzlosigkeit 323 . Eine solche ist Anarchie 3 2 4 . Die politische Gesetzlosigkeit, verbunden mit der Einsicht in die empirischen Gesetzlichkeiten des gemeinsamen Lebens, also in die Möglichkeit und damit Notwendigkeit, den Menschen vom Bösen zum Guten zu führen, ist die anthropologische Ideologie des Sozialismus 325 . Selbst Ot315 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 6. Teil, 2. und 5. Kap., S. 449 ff., 466 ff. 3,6 Metaphysik der Sitten, S. 318, 324, 331 f., 521 u.ö.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 203. 317 Locke, Über die Regierung, S. 19, auch S. 101 ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338 f., 527; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertag, S. 23; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 250 f. (auch wenn die gesetzesgemäße Todesstrafe vollzogen würde). 318 Dazu 7. Teil, 1. und 4. Kap., S. 519 ff., 560 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 670, 672 ff.; 9. Teil, 1., 2., 7., 8., 10. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 982 ff., 995 ff., 1029 ff. 319 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23. 320 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 203 f.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 586 ff.; i.d.S. auch Locke, Über die Regierung, S. 5 f.; i.d.S. auch G. Küchenhojf, Naturrecht und Liebesrecht, S. 7 ff., 73, 75 ff., der das Liebesprinzip als Prinzip der Menschenliebe zum Leitgedanken der Rechtsordnung erhebt, zu Recht; dazu Fn. 120, 5. Teil, 3. Kap., S. 278; vgl. auch 2. Teil, 8. Kap., S. 135 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 321 So i.S. Kants W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 279 ff., 291 ff.; ganz so in der Sache auch D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, S. 130 f. (Zitat S. 141 f.); ders., Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 25 f. 322 Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 26; ders., Max Weber und die Demokratie, S. 152. 323 Zu derartigen Idealen H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 654 ff. 324 Vgl. Kant, Anthropologie, S. 686 ("Gesetz und Freiheit, ohne Gewalt (Anarchie))"; das gilt ohne Gesetz erst recht. 325 Dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 665 ff.

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

fried Höffe anerkennt den Zwang als eine Forderung der Moral 3 2 6 . Max Weber definiert das Recht als eine Ordnung, die "äußerlich garantiert" sei "durch die Chance (physischen und psychischen) Zwanges, durch ein auf Erzwingung der Innehaltung oder Ahndung der Verletzung gerichtetes Handeln eines eigens darauf eingestellten Stabes von Menschen". Das übernimmt Werner Maihofer m. Gewalt ist nicht schon Herrschaft, nämlich nicht, wenn sie rechtens ist 3 2 8 . 2. "Eine Rechtmäßigkeit der Herrschaft von Menschen über Menschen" läßt sich entgegen Werner Maihofer auch und gerade nicht aus dem "Vorrang des Prinzips der Freiheit ... begründen und rechtfertigen" 329 . In der Republik kann der Begriff Herrschaft nur beanspruchen, die freiheitswidrige Wirklichkeit, etwa die des Parteienstaates, zu erfassen. Derartige Feststellung ist, i m Gegensatz zu Carl Friedrich von Gerber und seiner immer noch herrschenden Lehre von der Herrschaft als Rechtsprinzip 330 , zugleich Aufforderung, die Herrschaft zu beseitigen, um die Freiheit, also das Recht, wiederherzustellen 331 . Richtig beantwortet Manfred Hättich die Frage, warum die herrschende Gruppe herrscht: "Sie tut es, weil sie kann; ..." 3 3 2 Aus dieser Erkenntnis folgt der bürgerliche Imperativ, Herrschaft unmöglich zu machen. Er ist identisch mit dem kategorischen Imperativ, der darum auch von allen Herrschaftslehren, auch von der Hättichs, gemieden wird.

326 Politische Gerechtigkeit, S. 426, auch S. 403, wo Höffe den "Anspruch" als eine "moralische Zwangsbefugnis" definiert. 327 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 17; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 18; i.d.S. auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 271 f. ("Hobbessche These"). 328 D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, S. 130 f. (Zitat S. 141 f.); ders., Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 25 f.; ders., Max Weber und die Demokratie, S. 152 ff.; viele identifizieren mit M. Weber Gewalt, Zwangsbefugnis und Herrschaft, etwa M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 154, 172 ff., auch S. 25 ff., der Weg in den ethischen Skeptizismus. 329 HVerfR, S. 191 (bei Maihofer verschwimmt der Unterschied von Liberalismus und Republikanismus). 330 Dazu die Hinw. in Fn. 4, 2. Teil, 1. Kap., S. 72 f. 331 Ganz so D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, S. 130 f.; ders., Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 26 f. (Zitat S. 71). 332 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 103.

7. Kap.: Die Lehren von der Einheit von Freiheit und Herrschaft

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Wenn sich Menschen noch so willig der Herrschaft unterwerfen, legitimiert das Herrschaft nicht 3 3 3 ; denn der Mensch darf "das Subjekt der Sittlichkeit in seiner eigenen Person", "die Menschheit in seiner Person (homo noumenon) nicht abwürdigen"; denn die Freiheit ist das "einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht." - Kant 334 "Man könnte ... zum Erwerb des bürgerlichen Standes noch die sittliche Freiheit hinzufügen, die allein den Menschen zum wirklichen Herrn seiner selbst macht; denn der Antrieb des reinen Begehrens ist Sklaverei, und der Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit."... "Auf seine Freiheit verzichten, heißt auf seine Eigenschaft als Mensch, auf seine Menschenrechte, sogar auf seine Pflichten verzichten."... "Ein solcher Verzicht ist unvereinbar mit der Natur des Menschen; seinem Willen jegliche Freiheit nehmen heißt seinen Handlungen jede Sittlichkeit nehmen." - Rousseau 335 Selten sind die Untertanen gefragt worden, ob sie ihre Freiheit aufgeben wollen. Sie akklamieren zwar den Herren, aber um (vermeintlicher) Vorteile willen, nicht als Bürger, sondern als erniedrigte, geknechtete, verlassene, verächtliche Wesen {Karl Marx 336), betrogen und belogen, heute durch die sanften Machiavellismen der herrschenden Parteien 337 . Herrschaft nimmt dem Menschen die sittliche Existenz, die Würde. 3. Die Formel: "Herrschaft des Volkes ist Herrschaft des Rechts", welche Ernst-Wolfgang Böckenförde, Martin Kriele und Hans Zacher 338 verwen-

333 Vgl. die Hinweise in Fn. 335; dazu auch 3. Teil, 2. Kap., S. 189 ff.; so aber M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 43. 334 Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 555, bzw. Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu 5. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 253 ff., 290 ff., 332 ff. 335 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23 bzw. S. 11; auch W. Maihofer, HVerfR, S. 205 und Fn. 80 nimmt diese Stellen in Bezug; i.d.S. auch W. Leisner, Staatseinung, S. 55 ("Selbstand" "der autonomen Träger" des "gemeinsamen Willens"). 336 Zur Kritik der Hegeischen Rechtshilosophie, 1843/44, MEW Bd. 1, 1964, S. 385, noch kantianisch, vor seinen ökonomistischen Irrtümern; dazu U.-J. Heuer, Marxistische Theorie und Demokratie, S. 205 f.; auf das Marx-Zitat nimmt auch Bezug W. Maihofer, HVerfR, S. 230, der den Imperativ Marxens verstärkt. 337 Dazu 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff. 338

E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 888 ff., 921 ff., 937 ff.; M. Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), S. 81, 49 ff.; ihm folgen H. Zacher, daselbst, Aussprache, S. 134 f. ("Möge Herrschaft des Volkes Herrschaft des Rechts bleiben"); J. Isensee, Verfassungsgarantie ethischer Grundwerte und gesellschaftlicher Konsens, NJW 1977, 548; i.d.S. auch R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 232 ff.; auch KA. Schachtschneider, 9 Schachtschneider

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

den, genügt dem Prinzip der demokratischen Republik, ebenso wie die Formel "Herrschaft des Rechts - Wirklichkeit der Freiheit" von Josef Isensee339, wenn mit dem Wort "Herrschaft" im Sinne der "Selbstherrschaft" 340 die noumenale Autonomie des Willens gemeint ist. Sonst widersprechen sich die Begriffe Herrschaft einerseits und Recht bzw. Freiheit anderseits. Emst-Wolfgang Böckenförde greift das kantianische Verständnis der Freiheit als Autonomie des Willens auf. Sein Versuch jedoch, Freiheit i m Sinne der Autonomie mit Demokratie zu verbinden 341 , bleibt widersprüchlich, weil "der einzelne" nicht "Herr seiner selbst", "sein eigener Gesetzgeber" und zugleich "Staatsgewalt" "Herrschaft von Menschen über Menschen" sein kann. Herrschaft löse sich nicht in herrschaftsfreien Diskurs, in "einer (falsch verstandenen) Identität von Regierenden und Regierten" auf 3 4 2 . "Für diesen Freiheitsbegriff (sc. im Sinne der "Autonomie") erscheint die Demokratie als die freiheitsgemäße Form politischer Herrschaft: Die geltende Ordnung wird, dem neuzeitlichen Autonomiedenken entsprechend, von denjenigen erzeugt, die ihr unterworfen sind. Demokratie vermag daher das Bestehen politischer Herrschaft, von Über- und Unterordnung, Befehl und Gehorsam, mit dem Prinzip individueller Freiheit und Selbstbestimmung zu vermitteln."- Ernst-Wolfgang Böckenförde 343 Wie "Autonomie" und "politische Herrschaft" im Sinne von "Über- und Unterordnung, Befehl und Gehorsam", also Heteronomie, "vermittelt" werden sollen, klärt Böckenförde nicht. Es bleibt auch ein unüberwindlicher Widerspruch. Die "Anerkennung und Zustimmung der Beherrschten" zur "Ausübung der politischen Herrschaft", in der Böckenförde unter Berufung auf Carl Schmitt und Hans Kelsen 344 die identitäre "Einheit von Herrschern und Beherrschten" sieht, ist die Unterwerfung der Untertanen unter die (heute parteienstaatliche) Obrigkeit, die schon deswegen keine Legitimation hat oder gar gibt, weil sie die Willensautonomie aufgibt und damit

JA 1979, 518. 339 HStR, Bd. I, S. 640. 340 W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 21; ders., HVerfR, S. 174 ff.; auch Kant, Metaphysik der Sitten, S. 464, benutzt dieses Wort. Zum negativen Herrschaftsbegriff 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., 35 ff.; vgl. 2. Teil, 2. Kap., S. 79 ff. 341 HStR, Bd. I, S. 910. 342 HStR, Bd. I, S. 893. 343 HStR, Bd. I, S. 910, vgl. auch S. 919 ff.; ders., Demokratie und Repräsentation, S. 21 ff.; 1.d.S. auch M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 144 ff., 152 ff. u.ö.; dazu auch 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. 344 Verfassungslehre, S. 234, bzw. ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 14.

7. Kap.: Die Lehren von der Einheit von Freiheit und Herrschaft

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die Würde verletzt 345 . Oboedientia facit imperantem ist nicht das Prinzip der Freiheit, auch nicht wenn die Herrschaft zeitlich beschränkt ist. Es ist allenfalls ein Prinzip herrschaftlicher Demokratie, zumal die Parteienoligarchie nicht auf Zeit herrscht, sondern mit wechselnden Rollen insgesamt dauerhaft. Der Einfluß der Wählerschaft hat in den Jahrzehnten des bundesdeutschen Nachkriegsparteienstaates die Herrschaft der Mehrparteienoligarchie kaum tangiert, wenn auch wohl moderiert. Ernst-Wolfgang Böckenförde sieht den Staat als "Herrschaftsordnung", der darin zugleich "Freiheitsordnung" sei 346 . Ordnung ist jedoch nicht notwendig mit Herrschaft verbunden, nicht notwendig "Über- und Unterordnung" 3 4 7 , nicht "dominierende Herrschafi'V'politische Herrschaft", wie Manfred Hättich meint 3 4 8 . "Wohlgeordnete Freiheit" nennt Wolfgang Kersting seine Schrift zur "philosophischen Rehabilitierung" von "Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie", 1984. John Rawls beruft sich für seine "Theorie der Gerechtigkeit" auf Kant und hat eine weltweit einflußreiche Lehre von der "wohlgeordneten Gesellschaft" entwickelt, welche auf den Begriff Herrschaft verzichtet 349 . "Es wird zwischen notwendiger Ordnung und Unterdrückung unterschieden." - BVerfGE 5, 84 (205) Wenn auch dieses Verdikt gegen Unterdrückung nicht schon Herrschaft inkriminiert, so zeigt doch die auf derselben Seite angesprochene Ablehnung einer für "das Wohl von 'Untertanen' noch so gut sorgenden Obrigkeit", daß das Bundesverfassungsgericht im KPD-Urteil die "freiheitliche Demokratie" entgegen der Definition i m SRP-Urteil (BVerfGE 2,1 (12 f.)) 3 5 0 nicht als Herrschaftsordnung verstanden hat.

345

Dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 189 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 290 ff.; auch 5. Teil, 7. Kap., S. 428 f., 434 ff.; i.d.S. D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 11 ff.; ders., Max Weber und die Demokratie, S. 137 ff. (vor allem zur "bürgerlichen Legitimität"). 346 Der Staat als sittlicher Staat, S. 16 f., gegen J. Habermas, mit Robert Spaemann (Die Utopie der Herrschaftsfreiheit, 1972); grundsätzlich zur demokratiehaften Lehre der freiheitlichen Herrschaftsordnung auch ders., HStR, Bd. I, S. 888 ff. 347 D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, S. 115 ff., 130 f.; anders C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 4 f.; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 34 f., auch S. 60 f. (liberalistisch), 87 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 387 ff., 609 ff., sieht nicht den Staat, sondern den Amtswalter übergeordnet, als den Herrn über den Bürger also; R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 49 ff., 119 ff., zeigt, daß die Rechtsverhältnislehre auf eine Dogmatik der Überordnung des Staates über den Bürger nicht angewiesen ist. 348 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 88 f. 349 Vor allem S. 493 ff. 350 Zitat 2. Teil, 1. Kap., S. 71. 9*

132

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

4. Die herrschaftsideologische Trennung von Staat und Gesellschaft 351 folgt auch für Manfred Hättich dem Prinzip der Über- und Unterordnung, das nach ihm Ernst-Wolfgang Böckenförde wieder in der Staatsrechtslehre etabliert hat. "Wo Freiheitsbereiche gesichert werden sollen, kann dies letzten Endes mit realer Sicherheit wiederum nur durch die Herrschaft geschehen." Manfred Hättich 352 Der Widerspruch dieses Satzes ist nur mit der Schmittschen Entpolitisierung der Freiheit zu beheben, die Hättich aber nicht zugesteht, der neben der "politischen" die "persönliche Freiheit" als die "herrschaftsfreie Lebenssphäre", aber drittens auch die "politische Freiheit des Volkes in seiner Ganzheit" kennt, die nicht "gleich der Freiheit des Menschen" sei 353 . Vor allem der dritte Freiheitsbegriff erlaubt es, darauf Herrschaft aufzubauen, wie Hans Kelsen vorgeführt hat 3 5 4 . Frei ist weder, wer sich beherrschen läßt, noch wer andere beherrscht 355 . "Dies ist die einzige bleibende Staatsverfassung, wo das Gesetz selbstherrschend ist, und an keiner besonderen Person hängt." - Kart 356 Dolf Sternberger hat den freiheitlichen Begriff des Politischen im aristotelischen Verständnis, auf dem der Republikbegriff des modernen Verfassungsstaates gründet, dem herrschaftlichen, der auf die Herrschaft im

351

Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff. Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 97, auch S. 93 ff.; E.-W. Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, S. 395 ff., 411 ff.; dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff. 353 Demokratie als Herrschaftsordnung, insb. S. 144 ff. 354 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., 12 f.; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 321, 325 f.; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 35 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff. 355 Η Arendt, Vita Activa, S. 34, für die Griechen; i.d.S. auch Ch. Meier, Freiheit, S. 428; ganz so Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 5, 28 (Zitat im Text); H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., 79 f., greift die Idee der Herrschaftslosigkeit als die Idee der Freiheit auf, läßt sie aber als demokratische Ideologie in der parteienstaatlichen, führerbestimmten demokratischen Realität verkümmern; ähnlich M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 25 ff., 144 ff., der das nicht zu akzeptieren vermag und darum das Prinzip Demokratie zu einem Prinzip der Herrschaftslegitimation (auch S. 18 f., 139 ff.) degradiert, das sich "als Unterscheidung von Staatsformen nicht eigne" (S. 33); denn Herrschaft erscheint auch ihm notwendig, etwa S. 34 mit Hinweisen und Zitaten; vgl. i.d.S. auch I. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, S. 155. 352

356 Metaphysik der Sitten, S. 464; zur "Herrschaft der Gesetze" Hinweise in Fn. 63, 7. Teil, 1. Kap., S. 528 f.; auch 2. Teil, 10. Kap., S. 145 ff.

8. Kap.: Wilhelm Henkes Lehre von der guten Herrschaft

133

Hause, die Despotie im Oikos bei Aristoteles zurückgeht, gegenübergestellt 357 . Herrschaft ist und bleibt Despotie. Herrschaft ist Rechtlosigkeit, nicht schon Gesetzlosigkeit; denn Gesetze müssen nicht Recht schaffen. Recht setzt die politische Freiheit voraus 358 . Darum sind nur Rechtsstaaten Staaten im modernen Sinne; denn Staaten müssen von gesetzeshaft organisierten Despotien unterschieden werden, wie es etwa die DDR war 3 5 9 . Das rechtfertigt einen materialen, nämlich freiheitlichen Staatsbegriff. "Gesetz und Gewalt, ohne Freiheit (Despotism)" - Kant 360 Der Begriff Herrschaft muß sich gefallen lassen, im modernen Staat, der das Gemeinwesen auf der Würde des Menschen aufzubauen versucht, jedes Legitimationspotential, um das sich Max Webers "Soziologie der Herrschaft" so erfolg- wie folgenreich bemüht hat 3 6 1 , verloren zu haben. Das Wort Despotie bringt das klar zur Sprache.

8. Kapitel Wilhelm Henkes Lehre von der guten Herrschaft Wilhelm Henke, dem die Herrschaft von Menschen über Menschen wegen deren Ungleichheit unabänderlich erscheint, unterscheidet die böse von der guten Herrschaft. Der gute Herr werde der Lage des Unterlegenen gerecht, sei "dem Beherrschten in Gerechtigkeit zugewandt" 362 .

357

Drei Wurzeln der Politik, insb. S. 87 ff.; ders., Herrschaft und Vereinbarung, S. 115 ff.; ders., Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 11 ff.; ders., Max Weber und die Demokratie, S. 137 ff.; ders., Machiavellis "Principe" und der Begriff des Politischen, S. 31 ff.; ebenso H. Arendt, Was ist Politik?, S. 35 ff.; ganz i.d.S. Ch. v. Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 438 ff.; E. Vollrath, Grundlegung einer Philosophie des Politischen, 1987. 358 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 359 Die die Lehre des Staatsbegriffs dominierende völkerrechtliche Drei-Elemente-Lehre (vgl. etwa R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, HStR, Bd. I, S. 664 f.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 603 ff., BVerfGE 2, 266 (277); 3, 58 (88 f.); 36, 1 (16 f.)) folgt dem Zweck, Kriege zu vermeiden und damit dem Nichteinmischungsdogma, dem zunehmend und zu Recht die Universalität der Menschenrechte entgegengestellt werden, für die die Weltgemeinschaft verantwortlich ist. 360

Anthropologie, S. 686. Wirtschaft und Gesellschaft, S. 19, 122 ff.; dazu kritisch D. Sternberger, Max Weber und die Demokratie, S. 137 ff. 361

362

Recht und Staat, S. 251 ff., S. 258, 266 (Zitat).

134

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

"Wer hinsieht und vernünftig beurteilt, was die Lage des anderen fordert, handelt gerecht"... "Was geschehen soll, wenn Gerechtigkeit verlangt wird, ist, daß einer mit dem, was er tut, der Lage des anderen entspricht, sonst nichts."... "Was die Lage fordert und wie man ihr entspricht, ist selten eindeutig und oft von Wünschen und Wollen getrübt. Die allgemeine Frage nach der Gerechtigkeit richtet sich aber gerade darauf zu wissen, was für beide verbindlich gerecht sei, damit der eine es wirklich verlangen kann und der andere wirklich verpflichtet ist, es zu tun." 3 6 3 Menkes Lehre von der guten Herrschaft, die sich als Lehre der Sachgerechtigkeit vorstellt, weil die Sachen, und dazu würde auch das Recht gehören, "ihren Maßstab in sich selbst trügen" 364 , führt zur Herrschaft der Juristen, "denn in der Lebenswelt" sei "die personale Wirklichkeit, in der es um Gut und Böse gehe, das von der Jurisprudenz bestellte Feld" 3 6 5 . Darum ist Henkes empiristische Lehre mit den Prinzipien eines modernen Staates, der auf der Idee der gleichen Freiheit aller gegründet ist 3 6 6 , unvereinbar, abgesehen davon, daß Henkes Vorstellungen von der personalen oder dialogischen Wirklichkeit der Lebenswelt allenfalls einen Aspekt des menschlichen Miteinanders, das jeweilige "Zwischen" sich begegnender Menschen 367 , erfassen, während das Gesetz dem gemeinsamen Leben in seiner Vielfalt und Gesamtheit gerecht werden muß, wenn man so will, der Masse 368 , besser: den "Vielen" (Walter Leisner) 369, der "Menge von Menschen", die sich unter Rechtsgesetzen zu einem Staat vereinigt haben (Kant) 310. Vor allem kommt Henke aber ohne ein formales moralisches Prinzip nicht aus, den Imperativ der Gerechtigkeit nämlich, der Lage des anderen gerecht zu werden. Die Nähe dieses Imperativs zum christlichen Liebesprinzip drängt sich auf. Die Logik des Liebesprinzips hat Kant im kategorischen Imperativ entfaltet 371 ; denn der Mensch lebt in einer vielköpfigen Gemeinschaft, bestenfalls in der Republik, welche ohne allgemei-

363

Recht und Staat, S. 173 ff., Zitate S. 180, 175, 179. Recht und Staat, S. 650 f. u.ö. 365 Recht und Staat, S. 249 ff., 651 (Zitat). 366 Dazu 5. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 253 ff., 278 ff., 325 ff., insb. S. 332 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; dazu W. Henke selbst, Recht und Staat, S. 590 ff. 367 W. Henke, Recht und Staat, S. 70 ff., 76 ff. u.ö. 368 Dazu W. Henke selbst, Recht und Staat, S. 80 f. 369 Staatseinung, S. 27, 31 f., 63 f. 370 Vgl. die Definition des Staates von Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345. 371 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 277 ff.; 2. Teil, 7. Kap., S. 124 f.; 4. Teil, 3. Kap., S. 234 f. 364

8. Kap.: Wilhelm Henkes Lehre von der guten Herrschaft

135

nes Gesetz nicht zur Gerechtigkeit finden kann. In der Republik sind alle Bürger voneinander abhängig, ohne durchgehend personale Verhältnisse zueinander zu haben. Die meisten Bürger bleiben einander unbekannt. Henke hat die Ethik Kants jedoch schroff zurückgewiesen 372 . Der Republikanismus Kants erlaubt es allerdings nicht, eine Herrschaftslehre als "Grundlage der Jurisprudenz" zu verteidigen. Die Väter des Grundgesetzes hatten das verstanden. Wilhelm Henke wirbt für die gute Herrschaft. Er muß zu diesem Zweck die Aufklärung diffamieren 373 , die jeden Menschen auffordert, aufrechten Ganges als Bürger, als Herr seiner selbst, mündig also, durch das Leben zu gehen. Nichts ist dem so abträglich wie der Paternalismus, den auch Henke lehrt 3 7 4 , die Despotie schlimmster Art in der Sicht des Aufklärers Kant: "Eine Regierung, die auf dem Prinzip des Wohlwollens gegen das Volk als eines Vaters gegen seine Kinder errichtet wäre, d.i. eine väterliche Regierung (imperium paternale), wo also die Untertanen als unmündige Kinder, die nicht unterscheiden können, was ihnen wahrhaftig nützlich oder schädlich ist, sich bloß passiv zu verhalten genötigt sind, um, wie sie glücklich sein sollen, bloß von dem Urteile des Staatsoberhaupts und, daß dieser es auch wolle, bloß von seiner Gütigkeit zu erwarten: ist der größte denkbare Despotismus (Verfassung, die alle Freiheit der Untertanen, die alsdann gar keine Rechte haben, aufhebt)." - Kant 375 "Einer hält sich für den Herrn der anderen und bleibt doch mehr Sklave als sie;"... "In dem Augenblick, in dem es einen Herren gibt, gibt es keinen Souverän mehr, und von da an ist der politische Körper zerstört." - Rousseau 376 Das christliche Liebesprinzip, das Gesetz aller Gesetze, welches Kant als den kategorischen Imperativ formuliert hat, ist das Prinzip der Herrschaftslosigkeit unter den Menschen, das Prinzip der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller 3 7 7 ; denn für den Christen gibt es nur einen Herren,

372

Recht und Staat, S. 88, 135, 591 u.ö. Recht und Staat, S. 88, 399, 591 f., 609 f., 620 f. u.ö. 374 Recht und Staat, S. 251 ff., 259 ff. 375 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 f. 376 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 5, 28. 377 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 1 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.; insb. Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 584 ff.; auch schon Locke, Über die Regierung, S. 5, 73 ("Die Menschen sind ... von Natur alle frei, gleich und unabhängig, ..."); so auch W. Maihofer, HVerfR, S. 224 ff.; vgl. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 659, 672; ganz i.S. des Textes 373

136

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Gott. Die Säkularisierung christlicher Lehre kann Gott nicht verweltlichen und darum auch nicht Stellvertreter Gottes auf Erden zu weltlichen Herren erklären, seien es Fürsten, Priester, Führer oder Richter 378 . Entgegen Hobbes ist der Staat nicht "der sterbliche Gott" 3 7 9 , sondern die Gesetzlichkeit als ein menschliches "Werk der Kunst", wie ebenfalls Hobbes sagt 380 . Die Menschen bleiben als Personen gleich. "Personales Denken", welches Herrschaft von Menschen über Menschen wie Wilhelm Henke mit einer Ungleichheit derselben zu begründen versucht 381 , mißachtet die moralische und rechtliche Unterscheidung von Mensch und Person, von homo phainomenon und homo noumenon, mißachtet letztlich die Würde aller Menschen, welche es verbietet, die einen zu den Herren, die anderen zu den Untertanen zu ordnen, schon gar nicht, weil die einen überlegen, die anderen unterlegen seien 382 . Empirismus jedoch vermag die Idee der Gleichheit in der Freiheit nicht zu erschüttern. Herrschaft, auch vermeintlich gute Herrschaft, und Aufklärung sind unvereinbar 383 . Für den aufklärerischen Menschen, die sittliche Persönlichkeit im Sinne des Humanismus also, ist Herrschaft als solche böse; denn sie entwürdigt den Menschen zum Tier. "Wen immer man zum Volke zählt, ob das Militär, die Beamten, die Politiker, die Arbeiter und Angestellten, die Priester, die Schriftgelehrten, die Terroristen, die Halbwüchsigen - wir wollen nicht ihre Macht, nicht ihre Herrschaft. Wir wollen sie nicht fürchten und schon gar nicht fürchten müssen. ... Das ist das Ziel unserer westlichen Regierungsformen, die wir aus einem verbalen Mißverständnis heraus oder aus Gewohnheit 'Demokratien' nennen und die die persönliche Freiheit schützen wollen vor allen Formen der Herrschaft, mit einer Ausnahme: der Souveränität, der Herrschaft des Gesetzes." - Karl R. Poppet

aus christlicher Sicht G. Küchenhoff, Naturrecht und Liebesrecht, S. 7 ff., 101 f., der das Argument der Ungleichheit zurückweist. 378 Zur "Stellvertretung Gottes auf Erden" anders R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 260; W. Leisner, Der Führer, S. 120 ff.; kritisch zur religiösen Herrschaftslegitimation M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 139 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 659 f. 379 Leviathan, S. 155. 380 Leviathan, S. 154; ebenso alle Lehren von der Republik, vgl. etwa 10. Teil, 10. Kap. 381 Recht und Staat, S. 70 ff., 251 ff. u.st. 382 So aber W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., 299, 389 u.ö.; dagegen schon M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 139 ff., 150 f., trotz seiner Herrschaftsideologie. 383 J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 327 ff., insb. S. 335 f.

8. Kap.: Wilhelm Henkes Lehre von der guten Herrschaft

137

Wilhelm Henke verbindet seine Lehre von der guten Herrschaft mit dem an sich republikanischen Amtsprinzip: "Handeln i m Amt ist Herrschaft", gewandelt zu "Pflicht und Befugnis;"... "Sinn des Amtes" ist die "Umwandlung von Herrschaft in Dienst."... "Nicht wer i m Namen des souveränen Volkes auftritt, sondern wer seine eigene Herrschaft zur Wahl stellt und sie in Ämter einbringt, schafft und erhält den Staat."... "Herrschaft" ist durch "das öffentliche Recht zur Amtsgewalt gewandelt."- Wilhelm Henke 385 Diese Lehre fügt weder Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG noch gar das grundgesetzliche Sittengesetz in das Prinzip der Republik ein. Henkes Beobachtung mag empirisch richtig sein; sie bleibt aber wie jede empiristische Rechtslehre beliebig. Vor allem legitimiert Henkes Lehre republikwidrige Herrschaft der Parteien. Auf die Mehrheitsideologie kann Henke denn auch nicht verzichten 386 , obwohl er die Herrschaft der Ämter durch ein Gerechtigkeitsprinzip moderieren w i l l und die Widersprüchlichkeit von Herrschaft und Gerechtigkeit einräumt 387 . Amtlichkeit und Herrschaftlichkeit widersprechen sich, jedenfalls in der Republik 3 8 8 . Für seine Gerechtigkeitslehre 3 8 9 bedarf Henke des Gesetzes nicht; selbst das Recht erreicht nach Henke die Gerechtigkeit nicht: "Das Ende des Streites, der Frieden, wird mit einer gebrochenen Gerechtigkeit erkauft, und damit beginnt das Recht. ... für den Richterspruch muß etwas von der reinen, personalen Gerechtigkeit hingegeben werden" 390 . ... "Eine höhere oder gewissere Gerechtigkeit, als die durch die Lage des einen gefordert wird und durch Hinsehen und vernünftiges Urteilen des anderen tatsächlich zustande kommt, gibt es nicht" 3 9 1 .

384

Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 14; i.d.S. Aristoteles, Politik, S. 143 f.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 464 u.ö. 385 Recht und Staat, S. 389 bzw. 398, 440, auch S. 610. 386 Recht und Staat, S. 399 ff.; dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 387 Recht und Staat, S. 387 ff., 395, 403. 388 Ganz so D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 25 f. 389 Recht und Staat, S. 162 ff. 390 Recht und Staat, S. 231. 391 Recht und Staat, S. 179.

138

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Wer Herrschaft mit der Ungleichheit der Menschen begründet 392 , kann im allgemeinen Gesetz der Bürger nicht die Gerechtigkeit verwirklicht sehen, weil die Bürgerlichkeit durch die Gleichheit in der Freiheit definiert ist 3 9 3 , welche, wie es Henke selbst einräumt, Herrschaft ausschließt 394 . Henkes Lehre vom Recht und vom Staat ist eine Herrschaftslehre, welche um ihrer Logik willen die Freiheit nicht politisch begreifen kann. Henke beschreibt sie empiristisch im Sinne einer unendlichen Freiheit der Möglichkeiten des Lebens 395 . Diese Lehre distanziert sich von der Idee der Freiheit als transzendentaler Letztbegründung des Rechts und damit von der Ethik des Grundgesetzes. Wie jeder Empirismus weist sie die Unterscheidung von Sein und Sollen zurück: "Statt dessen hat man mit Kant das pure Sollen von allem Wirklichen abgelöst und in einem ganz formalen und abstrakten 'kategorischen Imperativ' formuliert, der niemandem hilft, der nicht weiß, wie er sich verhalten soll, und auch als theoretische Begründung der guten Tat untauglich ist, beides weil er von dem, worauf es ankommt, dem Verhältnis zwischen Menschen, gänzlich absieht" 396 . Henke verkennt den kategorischen Imperativ, insbesondere dessen Imperativität, obwohl ausgerechnet sein Gerechtigkeitspostulat dem moralischen Prinzip, das Kant mit dem kategorischen Imperativ auf die bisher unüberholte Formel gebracht hat, nahekommt. Kant ging es um nichts anderes als um das Verhältnis unter den Menschen, freilich um ein würdiges, also freies Miteinander der Menschen, nicht um die Herrschaft des einen über den anderen. Das Grundgesetz ist Kant gefolgt, dem Schüler Rousseaus. Gegen beide richtet sich die Lehre Henkes 397. Vom Grundgesetz allerdings handelt Henke nur beiläufig; er lehrt nach dem Untertitel seines Buches "Grundlagen der Jurisprudenz". Rechtlichkeit ist das Gegenprinzip zur Herrschaft, zur Despotie. Der ewige Widerspruch von Sein und Sollen läßt sich mit Kant, urmenschlicher Weisheit gemäß, ausschließlich durch

392

W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff.; dazu das Zitat 2. Teil, 1. Kap., S. 75 f.; umgekehrt begründet S. Landshut, Der politische Begriff der Repräsentation, S. 490, die politische Ungleichheit unter den Menschen mit dem Herrschaftscharakter der Repräsentation. 393 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 241 ff.; 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff. 394 Recht und Staat, S. 254, 590 ff.; vgl. 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; zur Gleichheit in der Freiheit 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff. 395 Recht und Staat, S. 7 ff., insb. S. 44 ff. 396 Recht und Staat, S. 88; zum Verhältnis von Sollen und Sein 3. Teil, 1. Kap., S. 172 f.; 7. Teil, 1. und 2. Kap., S. 521 f., 540 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff. 397 Recht und Staat, S. 88, 399, 591 f., 609 f., 620 f. u.ö.

9. Kap.: Regieren ist nicht Herrschen

139

die Sittlichkeit, durch die Praxis der Vernunft, durch die Liebe unter den Menschen, überwinden. Dazu ist jeder Mensch aufgefordert. Das ethische Gesetz der Freiheit ist darum der kategorische Imperativ, das Sittengesetz, wie es die Väter des Grundgesetzes wußten 398 , aber wenige ihrer Interpreten bewahren. "Der altruistischen Tugend" sieht Josef Isensee ähnlich Wilhelm Henke die Amtsträger, nicht auch die Bürger verpflichtet 399 . Isensee läßt die tugendverpflichteten Amtsträger über die egoistischen Bürger, gestützt durch irrationale Kräfte eines "säkularisierten, politischen Mönchstums" 4 0 0 herrschen. Amtswalter sind auch Menschen mit (im Sinne Kants tierischen) Interessen. Isensee fordert die Amtswalter zur Tugend auf 4 0 1 . Henke mahnt, "Herrschaft in Dienst" zu wandeln 402 , und gibt den Amtswaltern damit einen moralisierenden Imperativ.

9. Kapitel Regieren ist nicht Herrschen 1. Regieren ist nicht Herrschen 403 . "Es geht nicht ums Herrschen ..., sondern ums Regieren." - Karl R. Popper™ Kant hat die "Form der Beherrschung" der "Form der Regierungsart", als den beiden Möglichkeiten, Staatsformen zu unterscheiden, entgegengestellt.

398

Dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 259 ff. Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 68 ff.; dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 261 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 620 ff., für die Freiheitslehre. 400 Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 76. 401 Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 68 ff. 402 Recht und Staat, S. 389, 610 u.ö. 399

403 D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 20, 25 f.; ders., Herrschaft und Vereinbarung, S. 130 f. (Zitat S. 141 f.); C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 216, 234 u.ö., identifiziert (folgenreich) Herrschen und Regieren; ebenso M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, etwa S. 28 f., 35; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 881; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 888 ff., 892, unterscheidet Herrschen und Regieren; P. Kirchhoff, HStR, Bd. V, S. 864 ff., konzipiert die Herrschaft als Ordnung der Gleichheit; zur Differenz zwischen Herrschen und Regieren in der Begriffsgeschichte D. Hilger, Herrschaft, S. 68 ff., auch K.H. llting, Herrschaft, daselbst, S. 51 ff. 404 Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 14.

140

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Wenn "die Herrschergewalt", "die oberste Staatsgewalt", "alle zusammen, welche eine bürgerliche Gesellschaft ausmachen, besitzen", spricht auch Kant von einer "Demokratie", "der Volksgewalt". Die "Form der Regierung... betrifft die auf die Konstitution (den Akt des allgemeinen Willens, wodurch eine Menge ein Volk wird) gegründete Art, wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht: und ist in dieser Beziehung entweder republikanisch oder despotisch." Kant 405 "Die Staatsform" der "Demokratie" als Regierungsform ist, wie gesagt, nach Kant "notwendig ein Despotismus" 406 . Das hat Aristoteles nicht anders gesehen 407 . Den Begriff der "Herrschergewalt (Souveränität)" bestimmt Kant als die Gewalt "des Gesetzgebers" 408 . Dieser Gesetzgeber, dieser "Beherrscher des Volkes", ist aber das Volk selbst, dessen "vereinigter Wille" 4 0 9 , repräsentativ, "im Namen des Volkes", "vermittelst ihrer Abgeordneten (Deputierten)" 410 , und darum autonom und nicht despotisch/herrschaftlich, die Gesetze gibt. Weil das Volk nicht ohne Despotie regieren kann 4 1 1 , könne um der Gewaltenteilung willen nur das Volk der Gesetzgeber sein 412 . John Locke hat das ebenso konzipiert: "Diese legislative Gewalt ist nicht nur die höchste Gewalt des Staates, sondern sie liegt auch geheiligt und unabänderlich in jenen Händen, in die die Gemeinschaft sie einmal gelegt hat. Keine Vorschrift irgendeines anderen Menschen, in welcher Form sie auch verfaßt, von welcher Macht sie auch gestützt sein mag, kann die Verpflichtungskraft eines Gesetzes haben, wenn sie nicht von der Allgemeinheit gewählt und ernannt worden ist. Ohne sie könnte das Gesetz nämlich nicht haben, was absolut

405

Zum ewigen Frieden, S. 206. Zum ewigen Frieden, S. 206 ff.; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 275 ff.; ganz so schon Aristoteles, Politik, S. 144, 1292, 15 ff.; zur Problematik der Demokratie D. Sternberger, Edmund Burkes Verteidigung der Repräsentation gegen die Demokratie, 1967, in: ders., Herrschaft und Vereinbarung, 1980, S. 229 ff.; dazu 2. Teil, 4. und 6. Kap., S. 97, 109; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. 406

407

Politik, S. 144, 1292 a 14 ff.; Zitat S. 145, 2. Teil, 10. Kap. Metaphysik der Sitten, S. 431. 409 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432, 436, 462. 410 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 464. 411 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 207. 412 Dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 274, 275 ff., der die republikanische Regierungslehre Kants für unterentwickelt hält. 408

9. Kap.: Regieren ist nicht Herrschen

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notwendig ist, um es zum Gesetz zu machen, nämlich die Zustimmung der Gesellschaft."... "Sie (sc. die Legislative) ist nichts als die vereinigte Gewalt aller Mitglieder jener Gesellschaft, die derjenigen Person oder Versammlung übertragen wurde, die der Gesetzgeber ist, und kann folglich nicht größer sein als die Gewalt, die jene Menschen i m Naturzustand besaßen, bevor sie in die Gesellschaft eintraten, und sie an die Gemeinschaft abtraten" 413 . Solange die res puplica noumenon als die "ewige Norm für alle bürgerlichen Verfassungen überhaupt" noch nicht besteht, macht Kant es "zur Pflicht der Monarchen", "ob sie gleich autokratisch herrschen, dennoch republikanisch (nicht demokratisch) zu regieren, d.i., das Volk nach Prinzipien zu behandeln, die den Geist der Freiheitsgesetze (wie ein Volk mit reifer Vernunft sie sich selbst vorschreiben würde) gemäß sind, wenn gleich dem Buchstaben nach es um seine Einwilligung nicht befragt wurde" 4 1 4 . Kant unterscheidet das Herrschen vom Regieren, um trotz der möglichen und zu seiner Zeit bestehenden monarchischen Herrschaft dem republikanischen Prinzip eine möglichst große Chance zu schaffen. Erst ohne Herrschaft ist das Gemeinwesen eine Republik. Eine solche Verfassung der Republik ist auch Kants Ziel, wie das Zitat beweist. Der Staat ist "dieses einzige Gebilde, das seinem Wesen nach von der Sünde der Herrschaft frei ist." - Dolf Sternberger 415 "Jeder Mißbrauch des anvertrauten Amtes im Sinne einer Etablierung auf Dauer führt daher einen Verlust an Legitimität herbei. Auch eine Regierung des bürgerlichen Einverständnisses und der bürgerlichen Anvertrauung erteilt Befehle und übt Zwang, aber sie tut es vermöge einer fundamentalen Vereinbarung - wir nennen sie die Verfassung. Sie herrscht nicht über Menschen. Regierung ist nicht Herrschaft. Wo immer sie in Herrschaft übergeht - was übrigens nicht notwendig im Eklat des Staatsstreiches, vielmehr auch unmerklich und allmählich sich vollziehen kann, nicht notwendig über Nacht also, sondern ebenso - wohl am hellen Tage, i m unscheinbaren Alltag -, da büßt sie ihre bürgerliche Rechtmäßigkeit unweigerlich ein. Denn diese haftet gerade nicht an der Herrschaft,

413 414 415

Über die Regierung, S. 101, 103. Der Streit der Fakultäten, S. 364 f.; dazu H. Hofmann, Repräsentation, S. 411 ff. Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 26.

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

sondern an der Vereinbarung, an der Übereinkunft." - Dolf Sternberger» 6 2. Carl Schmitt identifiziert das Regieren und das Herrschen, meist auch das Befehlen 417 . Den Staat begreift er als "den Status politischer Einheit des Volkes", die in jeder Staatsform als der "besonderen Art der Gestaltung dieser Einheit", sei es eine Monarchie, eine Aristokratie oder eine Demokratie, "repräsentiert" werden müsse 418 . "Repräsentiert" werde "die politische Einheit als Ganzes", "die Nation, d.h. das Volk als Ganzes" 419 . Ein solches Wesen Staat ist seinem Begriff nach den Menschen übergeordnet; denn die "Identität von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden", welche "die Demokratie als Staatsform wie als Regierungs- oder Gesetzgebungsform" definiere 420 , erfasse die "substantielle Gleichartigkeit des Volkes, dürfe aber nicht die "Verschiedenheit von Regierenden und Regierten" verkennen; denn es müsse, "solange überhaupt regiert und befohlen werde", d.h. "solange der demokratische Staat als Staat vorhanden" sei, zwischen den Regierten und den Regierenden, zwischen den Befehlenden und den Gehorchenden differenziert werden. Die "Herrschaft der Personen, die regieren und befehlen", könne "strenger und härter, ihre Regierung entschiedener sein, als die irgendeines patriarchalischen Monarchen oder einer vorsichtigen Oligarchie", wenn sie "die Zustimmung und das Vertrauen des Volkes, zu dem sie gehören", hätten 421 .

416

Herrschaft und Vereinbarung, S. 130 f.; ebenso in der Sache ders., Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 20, 25 f.; ganz so W. Leisner, Staatseinung, S. 22 ff., 31 ff., 80 ff. u.ö. 4,7 Verfassungslehre, S. 215 f., 234 f.; dagegen vor allem D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 25 f.; ders., Herrschaft und Vereinbarung, S. 130 f.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 418 Verfassungslehre, S. 3 ff., 205, 212 ff.; vgl. auch ders., Der Begriff des Politischen, S. 30 f., 44. 419 Verfassungslehre, S. 212, 213; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; i.d.S. schon für die Demokratie, in der nicht das Gesetz entscheide, Aristoteles, Politik, S. 144, 1292 a 11 ff. ("Demnach ist das Volk Alleinherrscher, wenn auch ein aus vielen Einzelnen zusammengesetzter. Die Menge ist ja Herr, nicht als jeder Einzelner, sondern als Gesamtheit. ... Ein solches allein herrschendes Volk ... wird despotisch"). 420 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 234 f. 421 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 236. Schmitt kennt auch den "parlamentarisch- demokratischen Gesetzgebungsstaat", der "auf Gerechtigkeit und Vernunft" ausgerichtet sei und seine Nähe zur Republik nicht verleugnen könne, Legalität und Legitimität, S. 8 f., 21 ff., aber

9. Kap.: Regieren ist nicht Herrschen

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Die "politische Einheit" Volk, die diese Art der Herrschaft legitimiere, habe nur ein "unsichtbares Sein" und müsse deswegen repräsentiert werden; denn "Repräsentieren" heiße "ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar machen und vergegenwärtigen" 422 . Carl Schmitt erkennt darin "etwas Existentielles" 423 . Carl Schmitt ist der Begriffsjurist des Rechts der Politik. Dolf Sternberger nennt ihn einen "Begriffs-Chirurgen" 424 . Seine Begriffe machen sich nicht vom Gesetz abhängig, sondern dogmatisieren Ideologie. In der nationalsozialistischen Begrifflichkeit ist denn das "Volk das organisch Gewachsene", "selbst eine Person, ein biologisches Wesen mit Gliedern, Händen und Füßen und - vor allem! einem führenden Haupt, das für alle Glieder dachte und plante", "das anbetungswürdige Über-Ich"... "Das 'Volk' setzt sich ab von der Republik, dem Weimarer System." - Hans Hattenhauer 425 Dieses 'Volk' ist nichts als Ideologie, welche Herrschaft zu legitimieren und Freiheit zu ruinieren geeignet ist. Der Staat ist kein als "politische Einheit existierendes Volk", welches "eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe hat", wie Schmitt meint 4 2 6 , sondern die Wirklichkeit gerade dieses gemeinsamen Lebens, idealiter in Freiheit, also die Gesetzlichkeit unter den Menschen. Die Lehre Carl Schmitts findet in der nationalsozialistischen Propagandaformel: "Du bist nichts - Dein Volk ist alles!" 4 2 7 ihre populistische Übersteigerung, die ihre menschenverachtende Wirkung

wegen der "geistesgeschichtlichen Lage des heutigen Parlamentarismus", vgl. die Schrift mit diesem Titel, S. 5 ff., 20 ff., 41 ff., insb. S. 62 f., keine Wirklichkeitfinden könne. 422 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 209; i.d.S. auch G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 25 ff., insb. S. 26; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; das übernimmt, K. Stern, Staatsrecht I, S. 960 f.; i.d.S. auch M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 176 ff.; gegen diesen Repräsentationsbegriff W. Henke, Recht und Staat, S. 372. 423

Verfassungslehre, S. 209; zum Schmittschen "politischen Existentialismus" 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 747 ff. 424 Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 211; dazu auch H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 85 ff. ("Begriffsbildung" als "formaler Eingriff' S. 88); W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 148. 425 Zwischen Hierarchie und Demokratie, 1971, S. 239. 426 Verfassungslehre, S. 210, gegen einen solchen Volksbegriff, der "in das Reich schlechter Metaphysik" gehöre, deutlich H. Heller, Staatslehre, S. 158 ff.; dagegen auch W. Henke, Recht und Staat, S. 370 f.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., insb. S. 759, 760 ff. 427 Vgl. mit Hinw. /. v. Münch, GG, Rdn. 2 zu Art. 1.

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

in der Hitlerischen schnellstens zur Tyrannis geworden plebiszitären Führerdemokratie 428 gefunden hat. Der Leitgedanke der grundgesetzlichen Republik, der nach dem Entwurf von Herrenchiemsee die Verfassung einleiten sollte, ist umgekehrt: "Der Staat ist um der Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen" 4 2 9 . 3. Ernst-Wolfgang Böckenförde, der die Demokratie durch Art. 20 Abs. 2 GG sowohl als Staats- als auch als Regierungsform eingerichtet sieht 430 , findet zu dem Satz: "Das Volk herrscht nicht nur, es regiert auch" 431 . Empiristisch, wie sie formuliert ist, ist diese Feststellung evident unrichtig; normativ entspricht sie nur dem Grundgesetz, wenn die Vertreter des Volkes mit dem Volk identifiziert werden 432 . Eine Regierung des Volkes wäre despotisch und die Staatsform nach dem Grundgesetz ist die Republik, die, wenn auch demokratisch, so doch keine Herrschaftsform ist. Der Grundsatz der Französischen Republik nach Art. 2 Abs. 5 der Verfassung vom 28. September 1958 ist: "Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk". Ganz anders lautet die Formel, mit der Josef Isensee den grundgesetzlichen Verfassungsstaat erfassen will, nämlich: "Die Demokratie, als Staats- und Regierungsform Herrschaft durch das Volk, weist sich in ihrer republikanischen Dimension als Herrschaft für das Volk aus" 433 . Die Formel "für das Volk" ist herrschaftlich und vermag die republikanische Repräsentation nicht zu erfassen, wenn sie auch die Wirklichkeit der parteienstaatlichen Herrschaft über das Volk richtig beschreibt. "Für das Volk" formuliert obrigkeitsstaatlich. Wolfgang Kersting weist zu Recht den

428

So bewertet auch J. Fijalkowski, Neuer Konsens duch plebiszitäre Öffnung?, S. 249, 263, den akklamativen, plebiszitären Führerstaat Hitlers. 429 Diesen Leitgedanken legt auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff.; ders., HVerfR, S. 195, seiner Lehre zugrunde. 430 HStR, Bd. I, S. 888 ff.; ähnlich P. Badura, HStR, Bd. I, S. 968; A. Mintzel, Großparteien im Parteienstaat der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/89, S. 8. 431 HStR, Bd. I, S. 892. 432 Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 809, 810 ff.; auch 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff. 433 Republik, Staatslexikon, S. 585; ebenso HStR, Bd. III, S. 43, 45; ebenso E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 14 ff., 21; ders., HStR, Bd. II, S. 41, 43.

10. Kap.: Die sogenannte Herrschaft der Gesetze

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"Irrtum, demokratische Herrschaft sei eo ipso gerechte Herrschaft" zurück 4 3 4 , und stellt mit dem Hinweis auf die Unterscheidung Kants zwischen der republikanischen Regierungsart und der Republik heraus, daß die Republik für Kant keine Staatsform der Herrschaft, sondern eine der Freiheit sei 435 . Wenn "alle zusammen" "die Herrschergewalt besitzen" ("Demokratie", "Volksgewalt"), "macht das die bürgerliche Gesellschaft aus." - Kant 436 Die bürgerliche Gesellschaft im Sinne Kants ist durch das Automomieprinzip charakterisiert. Das Gesetz ist Ausdruck der Vernunft, der Herrschaft des homo noumenon über den homo phainomenon. Diese Art der Herrschaft des Menschen über sich selbst ist die Freiheit. Eine so verstandene "Herrschaft des Gesetzes" ist in der Republik die Wirklichkeit der Freiheit. (Personale) Herrschaft ist "Hochverrat an der Vernunft" (Seume)431.

10. Kapitel Die sogenannte Herrschaft der Gesetze 1. Die sogenannte "Herrschaft des Gesetzes" 438 ist keine Herrschaft im skizzierten Sinne der Über- und Unterordnung, der nötigenden Willkür, wenn das Gesetz der Wille aller, wenn das Gesetz autonom ist. Das Konsensprinzip ist der Gegensatz zum Herrschaftsprinzip 439 . Eine "Herrschaft

434

Wohlgeordnete Freiheit, S. 310. Wohlgeordnete Freiheit, S. 275 ff.; Kant, Zum ewigen Frieden, S. 206 f.; ders., Streit der Fakultäten, S. 364 f. 436 Zum ewigen Frieden, S. 206. 437 Zitiert nach K -Η. Ilting, Herrschaft, S. 53. 438 Vgl. die Hinw. in Fn. 63, 7. Teil, 1. Kap., S. 528 f.; i.d.S. J. Locke, Über die Regierung, S. 41, 43, 65 ff., 73 ff., 101 f.; insb. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S; 464; R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 232 ff.; dazu herrschaftlich W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., 178 ff.; ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff., der Freiheit und Herrschaft in den Begriffen "Selbstherrschaft und Selbstbeherrschung" verbinden will (HVerfR, S. 187); F.A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 161 ff., insb. S. 195 ff., 246 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 104 ff., handelt richtig von der "Herrschaft des Rechts" als einem Prinzip der Freiheit. 439 Dazu 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff., auch 6. Kap., S. 625, 629 ff.. So etwa M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 27 ff., 43 ff., der das Ideal der "Einstimmigkeit" als "ideologisches Demokratieverständnis" kritisiert, aber mangels Vertretungslehre (dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.) die Realisierungschance des Ideals nicht erkennt, obwohl 435

10 Schachtschneider

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

nach Rechtsgesetzen" gar (Peter Badurä m) ist ein Widerspruch. Der Herrschaft die Gesetzlichkeit entgegenzustellen kennzeichnete gerade den deutschen Konstitutionalismus, wie überhaupt jeden Liberalismus, und ist die Idee des Rechtsstaates als Gesetzesstaat441. Bereits Aristoteles hat die Demokratien danach unterschieden, ob "nach dem Gesetz regiert" werde und damit "die Besten unter den Bürgern den Vorsitz führen" würden oder ob es "nach der Absicht der Volksführer auf die Abstimmungen ankomme und nicht auf das Gesetz."... "Wo aber die Gesetze nicht entscheiden, da gibt es die Volksführer. Denn da ist das Volk Alleinherrscher, wenn auch ein aus vielen Einzelnen zusammengesetzter. Die Menge ist ja Herr, nicht als jeder Einzelne, sondern als Gesamtheit..., ein solches alleinherrschendes Volk sucht zu herrschen, weil es nicht von Gesetzen beherrscht wird und wird despotisch, wo denn die Schmeichler in Ehren stehen, und so entspricht denn diese Demokratie unter den Alleinherrschaften der Tyrannis. Der Charakter ist auch derselbe, beide herrschen despotisch über die Besseren; die Volksbeschlüsse wirken hier, wie dort die Befehle, und der Volksführer und der Schmeichler entsprechen einander genau. Und diese beiden haben ja die größte Macht, die Schmeichler bei den Tyrannen und die Volksführer bei einem solchen Volke." - Aristoteles 442 Besser kann die Herrschaft populistischer Parteiführer kaum beschrieben werden. Herrschaft des Gesetzes darf nicht Herrschaft der Volksvertretung, d.h. der Parteienoligarchie, sein 443 . Die "vollziehende Gewalt" herrscht nicht; denn die Verbindlichkeit der Gesetze liegt im Begriff der Gesetzlichkeit; der Gesetzesvollzug ist Gesetzesverwirklichung, also Verwirklichung der Freiheit, nicht Herrschaft 444 . Die aristotelische Lehre bleibt

er den "Konsens im Herrschaftsverfahren" für möglich hält (a.a.O., S. 47 f.); ebenso F. Scharpf\ Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 25 ff., 54 ff. 440 HStR, Bd. I, S. 973. 441 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 138 ff.; vgl. P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 72 ff., 96 ff.; vgl. E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 988 ff., 997 ff., der auf die Herrschaftsproblematik nicht zu sprechen kommt; F.A. v. Hayek , Die Verfassung der Freiheit, S. 195 ff., 246 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 104 ff., 123 zur "rule of law"; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 781; zum Rechtsstaatsprinzip 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 442 Politik, S. 143 f., 1292 a 5 ff.; vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 139, der Volksführer durchaus treffend mit "Demagoge" übersetzt. 443 Vgl. schon C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 148, zu dieser Fehlentwicklung; ebenso ders., Legalität und Legitimität, S. 8, 22 ff.; auch ders., Der Hüter der Verfassung, S. 77 f. 444 Dazu 7. Teil, 1. und 2. Kap., S. 519 ff., 536 ff.

10. Kap.: Die sogenannte Herrschaft der Gesetze

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wegweisend. Freiheitlichkeit hängt davon ab, daß die Gesetze "herrschen", ohne daß Führer, Menschen also, herrschen. Das ist nur denkbar, wenn die Gesetze erkannt werden; denn Erkenntnis ist nicht Herrschaft 445 . Daß Erkenntniskompetenz zur Herrschaft mißbraucht werden kann, zwingt, das Mißtrauen zu institutionalisieren, also die Verfahren sachlicher Erkenntnis bestmöglich zu gestalten und den Besten die Erkenntnis zu übertragen. Die Idee der Freiheit durch Erkenntnis der Gesetze wird dadurch nicht zur Utopie oder gar Ideologie, wie Manfred Hättich meint 4 4 6 . Die Herrschaft der Gesetze darf nicht die Herrschaft des Gesetzgebers, d.h. heute der Parteienoligarchie, sondern muß die Wirklichkeit der praktischen Vernunft, der allgemeinen Freiheit also, sein 447 . 2. Carl Schmitt weist darauf hin, daß "die rechtsstaatliche Grund Vorstellung" der "bürgerlichen Freiheit" und damit der "Herrschaft des Gesetzes" "die Ablehnung der Herrschaft von Menschen" sei. Eigenschaften des "rechtstaatlichen Gesetzesbegriffs" seien vielmehr "Richtigkeit, Vernünftigkeit, Gerechtigkeit usw."... "Gesetz" sei nicht der Wille eines oder vieler Menschen, sondern etwas Vernünftig· Allgemeines; nicht voluntas, sondern ratio" 4 4 8 .

445 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 120 ff.; 7. Teil, 2., 4. und 5. Kap., S. 536 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 656, 657 ff. 446

Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 25 ff., 42 ff.; dagegen richtig J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 327 ff.; den Erkenntnisaspekt hat auch F. Scharpf', Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 25 ff., 54 ff., 66 ff., nicht gesehen, der darum Rousseaus Irrtumslehre mißversteht; die "Identifikation" von totalitärer Herrschaft und Freiheit, die mit Rousseaus Lehre verbunden wird, kritisiert Scharpf nicht, wenn er auch auf die Widerlegung derartiger Verfälschung der Lehre Rousseaus von der volonté générale als Lehre von der "totalitären Demokratie" durch /. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, Zur Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs, S. 259 ff., hinweist; Demokratie untersucht Scharpf ausschließlich als Interessenkampf (S. 21 ff., 29 ff., 54 ff., 66 ff.), wie es bei empiristischen Ansätzen kaum anders zu erwarten ist (dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.). 447 I.d.S. C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 22 ff.; dazu 7. Teil, 1., 2., 4., 5. und 6. Kap., S. 519 ff., 536 ff., 560 ff., 584 ff., 617 ff.; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 1. und 7. Kap., S. 819 ff., 978 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff. 448 Verfassungslehre, S. 138 f.; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 52 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 7 ff., 20 ff., jeweils zum Gesetzesbegriff des Parlamentarismus; auch H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 12, 78 ff. u.ö., weiß um die Idee der Herrschaftslosigkeit, die seine Demokratielehre nicht beeinflußt, sondern als "Illusion" (S. 78) der vermeintlichen Realität geopfert wird; vgl. zum Gegensatz von Gesetzlichkeit und Herrschaft unter dem monarchischen Prinzip P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 72 ff.; dazu 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; auch 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.

10*

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Carl Schmitt hat das "Generelle" als Charakteristikum des "rechtsstaatlichen Gesetzesbegriffs" herausgestellt 449 . Diesem "rechtsstaatlichen", durchaus "republikanischen" Gesetzesbegriff stellt Schmitt seinen "politischen Gesetzesbegriff" gegenüber. Gesetz in diesem Sinne sei "konkreter Wille und Befehl und ein Akt der Souveränität". "Gesetz in einer Demokratie ist der Wille des Volkes"; "lex est quod populus jussit". Das Volk aber äußere seinen Willen durch Akklamation; anderes könne das Volk nicht 4 5 0 . Gesetzlichkeit wird nur zur Herrschaft, wenn sie das Recht verfehlt. Herrschaft ist die Unabhängigkeit vom Recht. Herrschaft ist in der Republik nicht nur rechtlos, sondern Unrecht. Recht schaffen die Gesetze 451 . Die Rechtlichkeit der Gesetze liegt in der Verantwortung der Hüter der praktischen Vernunft, vor allem in der des Gesetzgebers und der des Bundesverfassungsgerichts, letztlich in der des Volkes als der Bürgerschaft selbst. Niemals kann sichergestellt werden, daß die Gesetze Recht schaffen; das aber ist bestmöglich zu fördern. Die Gesetze substituieren somit das Recht 4 5 2 . Der Staat ist nicht etwa unabhängig vom Gesetz. Staatlichkeit ist Gesetzlichkeit, nicht aber Herrschaft. "Der Staat ist Gesetz, das Gesetz ist der Staat" und "Recht = Gesetz; Gesetz = die unter Mitwirkung der Volksvertretung zustande gekommenen staatliche Regelung", nennt Carl Schmitt als Formel des "parlamentarischen Gesetzgebungsstaates", der "nur Legalität, nicht Autorität oder Befehl von oben" kenne 453 . Das werden republikanische Formeln, wenn die Moralität des Gesetzgebers zum Kriterium der Rechtlichkeit der Gesetze erhoben wird, die Moralität, die zwar nicht juridisch ist, aber durch jeweils geeignete Maßnahmen gefördert werden kann und muß, vor allem durch Institutionen, wie sie das Grundgesetz durch die Verantwortung der Rechtsprechung für die Richtig-

449

Verfassungslehre, S. 138 ff. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 83 f., 146, 246 ff., auch S. 350 ff.; auch W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 61 f., sieht in der "öffentlichen Meinung" als "Akklamation" mit C. Schmitt "ein Stück unmittelbarer Demokratie". 451 So auch Hobbes, Leviathan, S. 160; Locke, Über die Regierung, S. 101 ff.; darauf stellt auch C. Schmitt, Die Diktatur, S. 22, ab; ebenso ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff., für den Gesetzgebungsstaat; zu diesem Aspekt 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff. 450

452 453

Dazu 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff., insb. S. 900 ff. Legalität und Legitimität, S. 21 f.

10. Kap.: Die sogenannte Herrschaft der Gesetze

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keit der Gesetze geschaffen hat 4 5 4 . Die Achtung vor dem kategorischen Imperativ, der gute Wille des Gesetzgebers also 455 , macht aus Gesetzen Recht. Dieses Kriterium kennt auch Carl Schmitt* 56, der aber seine Identifikationen in den Vordergrund stellt. Die Sittlichkeit der Gesetze ist nicht verbindlich feststellbar. Sie folgt aus der Moralität der Gesetzgeber, des Volkes und seiner Vertreter. Letztere muß, dem Wesen des kategorischen Imperativs gemäß, gelebt werden. Allein die Moralität der Bürger und das Gewissen der Abgeordneten, der Beamten und der Richter sichert die Sittlichkeit der Gesetze und damit deren Rechtlichkeit (Art. 2 Abs. 1 und 38 Abs. 1 S. 2 GG) 4 5 7 . Wer ein Gesetz für rechtlos hält, muß die Initiative zur Änderung ergreifen. Das ist seine bürgerliche Pflicht, sein Amt als Politiker, von dem sich kein Bürger suspendieren darf. Sein Mittel ist die Meinungsäußerung, notfalls der Widerstand 458 . Das sittliche Gesetz kann in der Republik (juridisch) kein Unrecht sein. Das Gesetz ist für Hobbes, Locke, Rousseau, Montesquieu und Kant der Wille aller, also auch der Wille jedes einzelnen. Die republikanische Freiheits-, Rechts- und Staatslehre, die Lehre des Politischen also, fußt aber auf dem Satz: volenti non fit iniuria 4 5 9 . Darum ist staatliche Gesetzgebung in der republikanischen Logik keine Herrschaft, sondern Verwirklichung von Freiheit, vorausgesetzt, sie ist moralisch 460 . Eine herrschaftliche Lehre von der Freiheit, wie sie auch Werner Maihofer vertritt, führt zu einem herrschaftlichen Begriff der Herrschaft der Gesetze und verfehlt dessen eigentliche Aussage, die Entscheidung gegen die Herrschaft von Menschen über Menschen. Eine Herrschaft in Freiheit ist nicht legitimierbar, sondern

454

Dazu 9. Teil, 2., 3., 4., 6., 7., 8., 10. und 11. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 932 ff., 963 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff., 1033 ff. 455 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 18 u.ö.; dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; auch 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff. 456 Legalität und Legitimität, S. 20 ff., 24, 28. 457 Dazu 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 772 ff., insb. S. 810 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff. 458 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 249 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 f. 459 Hobbes, Leviathan, S. 156, 160, 193 f.; Locke, Über die Regierung, S. 19, 66 f., 73 ff., 101 f. (in der Sache); Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41 u.ö.; i.d.S. auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 210; grundlegend Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432 u.ö.; i.d.S. auch W. Leisner, Staatseinung, S. 44, 55 u.ö.; vgl. weitere Hinweise in Fn. 887, 5. Teil, 7. Kap., S. 436. 460 Dazu 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., insb. S. 573 ff., 584 ff.; auch 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 772 ff., insb. S. 810 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.

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2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

ein Widerspruch. Maihofer fragt vergeblich nach den Bedingungen einer solchen Legitimation 4 6 1 . Ein Staat, als Überwindung des Naturzustandes, macht institutionell die gemeinsame, allseitige Freiheit möglich, indem alle Bürger, soweit es geht, der privaten Gewalt entsagen und sich einigen, Gewalt prinzipiell nur staatlich, d.h. dem gemeinsamen Gesetz gemäß, als Rechtlichkeit zu üben 462 . Als Republik ist der Staat "die organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit", als die Hermann Heller ihn gegen alle Lehren von der Personenhaftigkeit des Staates beschrieben hat 4 6 3 . 3. Nur wenn im übertragenen Sinne die Gesetzlichkeit als "Herrschaft der Gesetze" 464 bezeichnet wird, ist nicht personale Herrschaft, sondern eben Freiheit gemeint. Das Wort Herrschaft ist auch in dieser Formulierung irreführend, weil in dem Wort sprachlich die personale Über- und Unterordnung anklingt. Carl Schmitt selbst hat klargestellt, daß im "Gesetzgebungsstaat" "die Gesetze nicht herrschen", sondern "nur als Normen gelten". Im "Gesetzgebungsstaat" "herrschen nicht Menschen und Personen."... "Der letzte, eigentliche Sinn des fundamentalen 'Prinzips der Gesetzmäßigkeit' allen staatlichen Lebens liege darin, daß schließlich überhaupt nicht geherrscht und befohlen wird, weil nur unpersönlich geltende Normen geltend gemacht werden."... "Spezifische Erscheinungsform des Rechts ist hier das Gesetz, spezifische Rechtfertigung des staatlichen Zwanges die Legalität" 4 6 5 .

461 HVerfR, S. 173 ff., 178 ff., 186 ff.; Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff. 462 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 21; Kant, Metaphysik der Sitten, § 44, S. 430 f., § 52, S. 462 ff.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 169; ders., Zum ewigen Frieden, S. 203; i.d.S. auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215, 250 f.; in der Sache schon Hobbes, Leviathan, S. 155 f., der allerdings den Aspekt Schutz, nicht den Aspekt Freiheit herausstellt; Locke, Über die Regierung, S. 19 f., 73 ff., 101 ff.; ganz so W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 17 ff., 20 ff.; V. Götz, HStR, Bd. III, S. 1019 ff., 1025 ff., 1027 ff.; zum sogenannten Gewaltmonopol 7. Teil, 3. Kap., S. 548 ff. 463 Staatslehre, S. 228 ff.; dem folgen E.-W. Böckenförde, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 405; K. Hesse, Staat und Gesellschaft, S. 489. 464 Vgl. die Hinweise in Fn. 63, 7. Teil, 1. Kap., S. 528 f.; W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., 178 ff., 186 ff., versucht, "Herrschaft der Gesetze" als Herrschaft des Volkes freiheitlich und damit gleichheitlich zu legitimieren; ebenso ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff.; auch, weniger konsistent, M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 144 ff., vgl. auch S. 25 ff. 465 Legalität und Legitimität, S. 8; vgl. auch ders., Verfassungslehre, S. 138 ff.

10. Kap.: Die sogenannte Herrschaft der Gesetze

151

Diese Sätze passen zur republikanischen Autonomielehre, sind aber im Gegensatz zu Schmitts demokratisti scher Herrschaftslehre 466 kaum rezipiert. Dolf Sternberger hat, wie schon gesagt, diesen Gedanken auch in seinem "römisch gesprochenen" Schlagwort erfaßt: "In der Tat gibt es keine Herrschaft ohne Entscheidungsmacht und Befehlsgewalt. Aber es gibt sehr wohl Entscheidungsmacht und Befehlsgewalt ohne Herrschaft und jenseits von Herrschaft, nämlich eben bei anvertrauten Ämtern. Römisch gesprochen: imperium ist nicht dominin

m

«»467

um. Carl Schmitt lehrt, daß der "Gesetzgebungsstaat" mit dem "Vertrauen auf die Gerechtigkeit und Vernunft des Gesetzgebens selbst und aller am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Instanzen" stehe und falle 4 6 8 , also mit der Moralität des Gesetzgebers, aber auch der Beamten und der Richter und überhaupt des ganzen Volkes, welche das Gemeinwesen zur Republik erhebt 469 . Dieses Moralitätsprinzip erfaßt Dolf Sternberger im Begriff der "Anvertrauung" 470 . Das Wort Herrschaft ideologisiert entgegen dem Prinzip der Republik persönliche Über- und Unterordnung, um diese zu legitimieren; denn Herrschaft im eigentlichen Sinne ist die "nötigende Willkür" des einen über den anderen 471 . In diesem Sinne wird das Wort Herrschaft in der Staatslehre auch meist gebraucht 472 . Wie im Begriff der Demokratie 473 ist der (ohnehin fragwürdige) Begriff der Herrschaft in der Formel von der Herrschaft der Gesetze negativ und weist jede Art von

466

Vgl. die Hinweise in Fn. 43, 2. Teil, 1. Kap., S. 72; auch 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 25 f.; auch D. Sternberger, Max Weber und die Demokratie, S. 152. 468 Legalität und Legitimität, S. 20 ff.; ders., zum Legalitätssystem des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates, insb. S. 24 ff.; auch ders., Verfassungslehre, S. 138 ff.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 200; ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 67. 469 Dazu 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff., insb. S. 587 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 772 ff., insb. S. 810 ff. 470 Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 25. 471 Diese Definition nutzt den kantianischen Begriff der äußeren Freiheit, Metaphysik der Sitten, S. 345: Freiheit ("Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür"); dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 79 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 298 ff. 467

472

Dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 79 ff.; etwa M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 175 f., im Anschluß an M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28 f.; W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., der explizit Herrschaft dadurch kennzeichnet, daß der Herr "das eigene Urteil über gerecht und ungerecht durchzusetzen", also seine Willkür nötigend zu gebrauchen vermag, was Henke mit dem Spruch: "streng, aber gerecht" beschönigt. 473 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.

152

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Herrschaft von Menschen über Menschen zurück 474 . Aristoteles hat schon die Demokratien danach unterschieden, ob "nach dem Gesetz regiert" werde oder nicht und letztere nicht als "eigentliche Demokratie" anerkannt, weil "keine Verfassung" sei, "wo keine Gesetze regieren" 475 . Über die Amtswalter soll das Gesetz "herrschen", d.h. es soll keine Herren geben. Dienst soll keine Herrschaft sein, auch nicht gerechte Herrschaft im Amt, wie Wilhelm Henke den Dienst begreift 476 . Dienst im Amt ist in der modernen Republik vielmehr die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit durch Gesetzlichkeit, vor allem durch pünktlichen Vollzug der Gesetze. "Regierung ist nicht Herrschaft", um diese aristotelische Position zu wiederholen 4 7 7 . Ähnlich Werner Maihofer und Karl R. Popper hat demgemäß Karl Jaspers definiert: "Die Freiheit der Menschen beginnt mit der Geltung aufgezeichneter Gesetze des Staates, in dem er lebt. Diese Freiheit heißt politische Freiheit. Der Staat, in dem Freiheit durch Gesetze herrscht, heißt Rechtsstaat" 478 . Er vertritt, nicht anders als Jürgen Habermas, eine konsequent kommunikative Rechtslehre; denn er sagt: "Freiheit fällt zusammen mit der innerlich gegenwärtigen Notwendigkeit des Wahren." 479 "Die Wahrheit hört auf ... mit dem Abbruch der Kommunikation" 4 8 0 . Das Gesetz begründet eine Verbindlichkeit, die auf Freiheit gründet; denn Freiheit ist Autonomie des Willens 4 8 1 . Ein Gesetz begründet weder eine

474

So auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 139; ders., Legalität und Legitimität, S. 8, 21 ff.; K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 10 ff. 475 Politik, S. 143 f., 1292 a 5 ff. 476 Recht und Staat, S. 387 ff.; dazu 2. Teil, 8. Kap., S. 133 ff., insb. S.137 ff. 477 Vgl. 2. Teil, 9. Kap., S. 139 ff. 478 Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 202 (Hervorhebung bei Jaspers). 479 K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 196 ff., 202; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 21; ders., HVerfR, S. 178 ff., 181 ff.; K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 14; vgl. dazu P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 72 ff., 96 ff.; vgl. auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 138 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 7 ff., 20 ff.; ebenso viele andere, vgl. Fn. 292, 7. Teil, 4. Kap., S. 570; Fn. 375, 7. Teil, 5. Kap., S. 585. 480 K. Jaspers, Wahrheit, Freiheit und Frieden, S. 161; i.d.S. J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 329 ff.

11. Kap.: Freiheit als Ordnung durch Autonomie des Willens

153

Über- noch eine Unterordnung, sondern scheidet in Erkenntnis des Guten für alle 4 8 2 zwischen Recht und Unrecht, gibt Rechte und schafft Pflichten. Der Begriff Herrschaft deckt eine freiheitswidrige Wirklichkeit mit der empiristischen Theorie, die Herrschaft von Menschen über Menschen sei unvermeidlich 483 und verzerrt als Verfassungsideologie das Verfassungsrecht.

11. Kapitel Freiheit als Ordnung durch Autonomie des Willens "Der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter anderen seiner Gattung lebt, einen Herrn nötig hat."- Kant m Diese Erkenntnis ist anthropologisch. Kant begründet seine Theorie mit dem unausrottbaren Mißbrauch der Freiheit, "verleitet" durch die "selbstsüchtige tierische Neigung" des Menschen. Nur kann im Sinne Kants der "Herr" nur der homo noumenon, der Mensch als Vernunftwesen sein, der über den Menschen als homo phainomenon, das "Tier", herrscht 485 . Kant lehrt die Autonomie des Willens, also, wenn man so will, die Herrschaft des Menschen über sich selbst. Kants Theorie von der tierischen Natur des

481 H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 54, 74; i.d.S. auch J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 127 ff.; KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 125 ff., 153 ff. mit Hinw.; i.d.S. auch W. Leisner, Staatseinung, S. 54 ff. ("Einung als Zusammenwirken von Autonomien"); dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 7 ff.; 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 5. Teil, 3. und 5. Kap., S. 275 ff., 373 ff., 400 ff. 482

Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 657 ff. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 4 f., 205 ff., 224 ff. u.ö.; der jedoch selbst den "Gesetzgebungsstaat" als "Staatswesen" ohne Herrschaft charakterisiert, Legalität und Legitimität, S. 8; in der Sache nicht anders H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 11 f., 53 ff., 84 ff. u.ö., dessen reale Demokratie trotz der sie legitimierenden "Idee der Freiheit" zur Herrschaft der Parteiführer wird; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 34 f. (mit Zitaten); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 188 f., 818 ff. ("Staatsgewalt und Untertanengehorsam"), auch S. 654 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., 299 f., 387 ff.; zu diskursgerechten Institutionen J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 330 ff.; weitere Hinweise in Fn. 4, 2. Teil, 1. Kap., S. 72 ff. 483

484

Idee, S. 40 f. Der junge Hegel wirft in seiner Lehre vom Liebesgebot Kant eine Moralität der Trennung vor, die den Menschen nach Ch. Taylor, Hegel, 1975, S. 93, zum eigenen Knecht mache, Der Geist des Christentums und sein Schicksal 1798-1800, ed. Suhrkamp, Bd. 1, 1971/1986 S 317 ff., insb. S. 324. 485

154

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

Menschen rechtfertigt nicht die Herrschaft von Menschen über Menschen, weil alle Menschen diese Natur haben und jeder, der Herr wäre, selbst einen Herren nötig hätte, wie Kant selbst darlegt 486 . Die Lösung dieses "schwersten Problems" ist die transzendentale Idee der Freiheit und damit die des Rechts und der Republik. Nur die "Annäherung zu dieser Idee" sei uns "von der Natur auferlegt"; denn "aus so krummen Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden."- Kant 4 8 7 Dennoch baut Kant auf die Hoffnung, die Idee der allgemeinen Freiheit könne verwirklicht werden, nicht anders als Karl Jaspers, Karl R. Popper und Werner Maihofer m. Alle drei setzen auf den "guten Willen" 4 8 9 . Kants Republik ist keine Form der Herrschaft, sondern die Form der Freiheit 4 9 0 , die Form des Politischen und damit des Moralischen und damit die Form der Sittlichkeit 491 . Karl Jaspers nennt den "Staat, in dem die Freiheit durch Gesetze herrscht, Rechtsstaat. ... Diese Freiheit heißt politische Freiheit." 492 Die Idee der Freiheit als "selbstauferlegtem Gehorsam" leitet auch das Repräsentationsprinzip Herbert Krügers: "Die Identität zwischen Befehlenden und Gehorchenden kann auch und gerade in der Demokratie nur darauf beruhen, daß das bessere Ich seinem natürlichen Ich befiehlt und das natürliche Ich seinem besseren Ich gehorcht" 493 .

486

Idee, S. 40 f. Idee, S. 41; dem folgt W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 39. 488 Kant, Idee, S. 41 ff.; ders. auch, Zum ewigen Frieden, S. 251; K. Jaspers, Vom Ursprung und Zeit der Geschichte, S. 196 ff. ("Wahrheit ist mit der Freiheit auf dem Wege", S. 198, "Das entscheidende Merkmal freier Zustände ist der Glaube an die Freiheit", S. 217, vgl. das ausführliche Zitat im 1. Kapitel, S. 78 f.); K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 29 ff.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 39. 489 Hinweise in Fn. 166, 5. Teil, 3. Kap., S. 286; Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 18. 490 Dazu i.d.S. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 288 ff.; dazu auch H. Hofmann, Repräsentation, S. 411 ff. 491 Vgl. vor allem, Zum ewigen Frieden, S. 228 ff.; zum Verhältnis von Moral und Politik 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 637 ff., 729 ff., 772 ff., insb. S. 772 ff.; auch 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff., 963 ff. 492 Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 202. 487

11. Kap.: Freiheit als Ordnung durch Autonomie des Willens

155

Ernst Bloch präzisiert diese Erkenntnis: "Freiheit ist Herrschaft des Gewissens." 494 Auch Carl Schmitt hat im Gesetzgebungsstaat die "Selbstorganisation der Gesellschaft" gesehen 495 . Das aristotelische Verständnis der Politie und das kantianische der Republik hat er ohne jedes Argument mit dem Hinweis auf die begriffliche Differenzierung Machiavellis zwischen Monarchie und Republik, ignorant gegenüber der reichen Begriffsgeschichte des Wortes Republik 4 9 6 , zurückgewiesen. "Republik bezeichnet heute nicht mehr (gleich "Politie") den im Sinne von Aristoteles und Thomas idealen Staat" 497 . Die Idee der Freiheit gebiert aber die Idee der Republik. Diese Freiheit ist eine solche des einzelnen Menschen und Bürgers und damit aller Bürger, nicht eine Freiheit des Volkes als "politischer Einheit". Ziel aller Ethik ist die "res publica noumenon", "die ewige Norm für alle bürgerliche Verfassung überhaupt. ... Die Wissenschaft von der Freiheit ist die Ethik", die "Sittenlehre." - Kant m Freiheit als Autonomie des Willens verwirklicht sich in der Republik, der Form der herrschaftsfreien Demokratie. "Herrschaft des Rechts" erfordert als Gesetzgebung Erkenntnis des Rechts auf der Grundlage der Wahrheit, verlangt, daß die Rechtlichkeit durch Gesetzlichkeit durchgehend kompetenzhaftig, amtshaftig, prozeßhaftig durch das Volk und die Volksver-

493 Allgemeine Staatslehre, S. 981, dessen Untertanenlehre, S. 188 f., 818 ff., zu solchen Sätzen nicht recht passen will; mit Unverständnis begegnet dieser dualistischen für die Ethik grundlegenden transzendentalen Anthropologie etwa M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 133, 182, 184. 494 Naturrecht und menschliche Würde, S. 185, der fortsetzt: "insofern wohnt sie in unserem übernatürlichen Teil, und insofern ist Kants Freiheitsbegriff ebenfalls ein religiöser". 495 Der Hüter der Verfassung, S. 78, 82 f. (kritisch) u.ö. 496 Dazu Mager, Republik, S. 549 ff. 497 Verfassungslehre, S. 223 f. 498 Der Streit der Fakultäten, S. 364, bzw. ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 11; ganz i.d.S. Κ Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 197 ff., 202 ff.; in der Tugendlehre der Metaphysik der Sitten verwendet Kant den Begriff Ethik enger als Gegenbegriff zum Jus, S. 508 ff.

156

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

treter verwirklicht wird 4 9 9 , sei es durch die Gesetzgebung, sei es durch die Rechtsprechung oder sei es durch den Gesetzesvollzug der Verwaltung. Dabei sind die Gesetzgeber (einschließlich der funktional gesetzgebenden Rechtsprechung 500 ) an das Grundgesetz, moralisch an das Sittengesetz, die Richter und die Beamten an die Gesetze und damit das Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Martin Kriele und John Rawls mahnen dafür das Ethos der Unparteilichkeit, das Ethos des Imperativs: audiatur et altera pars, an, die Richtertugend also, die im Rechtsstaat um der Gesetzlichkeit willen alle Staatswalter, also auch alle Bürger, in welcher Funktion auch immer, leiten soll 5 0 1 . In der "wohlgeordneten Gesellschaft" soll "der politisch interessierte Bürger" "ein gerechter Mensch" sein (John Rawls) 502. Das gilt der Idee der Republik nach für alle Bürger. "Bewahrung der Freiheit setzt voraus ein zur selbstverständlichen Natur gewordenes Ethos gemeinschaftlichen Lebens; den Sinn für Formen und Gesetze, natürliche humane Umgangsweisen, Rücksicht und Hilfsbereitschaft, ständige Beachtung der Rechte anderer, nie versagende Bereitschaft zum Kompromiß in bloßen Daseinsfragen, keine Vergewaltigung von Minoritäten." - Karl Jaspers 503 Jürgen Habermas* Diskursethik orientiert sich am Leitbild der "herrschaftsfreien Verständigung", die allein den "Zwang des besseren Arguments" gelten läßt 504 .

499 K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 197 ff., 205 ff. (i.S. einer demokratischen Kommunikationslehre); M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 59 ff.; ders., Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl. 1976, insb. S. 157 ff.; i.d.S. auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 31; zur Kompetenz- und Verfahrenshaftigkeit der Gemeinwohl- und damit Rechtsverwirklichung K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 247 ff., 254 f., 444 f. u.ö.; auch J. Isensee, HStR, Bd. III, insb. S. 40 ff.; Κ Hesse, HVerfR, S. 100 ff.; i.d.S. auch D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 25 f.; dazu 2. Teil, 10. Kap., S. 145 ff. 500

Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff. M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 52; ders., Die demokratische Weltrevolution, S. 93; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 211 ff., 217 ff., 513 f., 550. 502 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 514. 503 Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 211, auch S. 213, gegen die bloß "formale Demokratie". 501

504 Faktizität und Geltung, S. 127, 133, 187 ff., 206, 339, 349 ff. zur deliberativen Diskurstheorie allgemein; weitere Hinweise in Fn. 508; dem folgt auch H.H. v. Arnim, Der Staat 26 (1987), S. 493; auch M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 59 ff.; i.d.S. insb. auch K. Jaspers, Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 161; ders., Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 200 ff., 219; dagegen R. Spaemann, Die Utopie der Herrschaftsfreiheit, 1971, in: ders., Zur Kritik der politischen Utopie, 1977, S. 117 ff.; dazu J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers

11. Kap.: Freiheit als Ordnung durch Autonomie des Willens

157

"Politisch zu sein", hieß den Griechen, "alle Angelegenheiten vermittels der Worte, die überzeugen können", zu regeln, "nicht durch Zwang oder Gewalt"; "Bürger sein: Miteinander-Sprechen." - Hannah Arendt 505 "Res ist dasjenige, was in Rede steht, res publica also, was öffentlich in Rede steht, weil es alle angeht und darum res populi ist."- René Marcie 506 Die durchaus notwendigen "Institutionen" "verzerren" "die Kommunikation" und "entfremden" dadurch den Menschen; sie machen ihn "unmündig", weil sie die "ideale Sprechsituation" verhindern. In der "Selbstreflexion", die hohe moralische Kompetenz erfordere, vermag sich der Mensch zu "emanzipieren". Die "gesellschaftlichen Beziehungen" finden ihre "Versöhnung" im in "herrschaftsfreier Kommunikation erzielten Konsens." - Jürgen Habermas 507 "Freiheit ist aber auch Überwindung der eigenen Willkür. Freiheit fällt zusammen mit der innerlich gegenwärtigen Notwendigkeit des Wahren."... "Der Anspruch an die Freiheit ist daher, weder aus Willkür, noch aus blindem Gehorsam zu handeln, sondern aus Einsicht."... "Zugunsten gegründeter Einsicht schmilzt die bloße Meinung ein im liebenden Kampf zwischen den Nächsten. Zum Bewußtsein objektiver Wahrheit verwandelt sie sich im gemeinsamen gesellschaftlich-politischen Zustand durch Publizität des Meinungsstreits in Anerkennung von Meinungen, aber nur in der Bewegung der Auseinandersetzung. Die Freiheit fordert beides: die Tiefe menschlicher Kommunikation selbst seiender Einzelner,

daselbst, S. 127 ff., insb. S. 130 ff.; E.-W. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 16 f. mit Fn. 13; gegen Habermas explizit auch W. Schmidt, VVDStRL 33 (1975), S. 197; skeptisch auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 165 ff. gegen C. Schmitts Parlamentarismuskritik: "Wahrheit durch öffentliche Diskussion?", S. 324 ff., auch S. 169 ff., 172 ff., 177 ff., 181 ff., 184 ff., der seine Abwägungen zwischen den Interessen und dem Wahrheitsaspekt in seiner Parteienlehre nicht recht durchhält (S. 321 ff.); zur Diskursethik auch 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; auch 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 32 ff., 263 ff., 349 ff.; ders., Theorie der Grundrechte, S. 498 ff.; M. Kriele, Recht und praktische Vernunft, S. 30 ff. 505 Vita Activa, S. 30 f.; ganz i.d.S. D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, S. 115 ff. u.ö.; i.d.S. E. Vollrath, Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen, S. 300 ff. 506 Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 329 (nach Martin Heidegger). 507 Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, mit N. Luhmann, 1971, S. 123 ff., 136 ff.; ders., Erkenntnis und Interesse, 1973, S. 344; ders., Protestbewegung und Hochschulreform, 1969, S. 123 f.; ders., Die Utopie des guten Herrschers, S. 329 ff.; vgl. auch schon, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 127 ff., 172 ff., modifiziert als Deliberatismus, Faktizität und Geltung, S. 187 ff., 349 ff. ü.ö.; dazu E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 42 ff; zum diskursiven Deliberalismus bereits C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 58 ff.

158

2. Teil: Der Widerspruch von Freiheit und Herrschaft in der Republik

und die bewußte Arbeit an der Freiheit der öffentlichen Zustände durch die Formen gemeinschaftlicher Einsicht und Willensbildung."... "Wahrheit ist mit Freiheit immer auf dem Wege."... "Freiheit ist die Vernunft grenzenloser Offenheit und das Hörenkönnen und Freiheit ist in diesem wahrhaft offenen Raum weitesten Bewußtseins die Entschiedenheit geschichtlicher Entscheidung."... "Die Menschheit zur Freiheit zu bringen, das heißt sie zum Miteinanderreden zu bringen."... "Nur in restloser Offenheit von beiden Seiten erwächst Wahrheit in Gemeinschaft."... "Wahrheit suchen, das heißt immer, zur Kommunikation bereit sein, Kommunikation auch von anderen zu erwarten."... "Der Kampf um die Wahrheit in Freiheit ist liebender Kampf." - Karl Jaspers 508

508

Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 197 ff.

D r i t t e r Teil Die republikwidrige Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

1. Kapitel Die parteienstaatliche Herrschaft und die liberalistische Ùnterscheidung von Staat und Gesellschaft I. Die (differenzierte) Staatlichkeit des Gemeinwesens Herrschaft wird erträglich, wenn sie Freiheiten läßt. Wenn die Ausübung der Staatsgewalt, wie meist gelehrt wird 1 , Herrschaft ist, demokratisch legitimiert 2 , ist es logisch, die Grundrechte einschließlich Art. 2 Abs. 1 GG, das allgemeine Freiheitsrecht 3, liberalistisch als Freiheiten zu dogmatisieren, welche den Einzelnen, den Untertanen der Herrschaft also, diese Herrschaft in gewisser Weise abzuwehren erlauben, welche eine "private Sphäre" vor Einwirkungen des herrschaftlichen Staates schützen. Freiheiten wären in diesem liberalistischen Sinne staatsabwehrende Rechte, die durch ihren Verfassungsschutz zu Grundrechten erstarkt sind 4 . Die Logik staatlicher Herrschaft und privater Freiheiten, also die Logik des Liberalismus vor allem des 19. Jahrhunderts, gebietet eine Lehre der Trennung, jedenfalls der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 5. Diese Logik hat aber nur eine Grundlage in der Verfassung, wenn die Staatlichkeit vom Grundgesetz als Herrschaft verfaßt ist, nicht schon, wenn lediglich die Wirklichkeit des Gemeinwesens herrschaftlich ist, das Recht aber freiheitlich sein soll. Eine herrschaftliche Wirklichkeit wäre rechtswidrig, also dem Recht gemäß zu verändern. Freiheit und Herrschaft sind unvereinbar. Das wurde im 2. Teil zu begründen versucht 6. Der Parteienstaat ist herrschaftlich. Das wird vor allem im 10. Teil erörtert, ist aber auch in die Überlegungen des 3. Kapitels

1

Hinweise in Fn. 4, 2. Teil, 1. Kap., S. 72 f. Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 52 ff.; 2. Teil, 4., 5. und 6. Kap., S. 92 ff., 100 ff., 106 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 187 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 737 ff. 3 Dazu 5. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 325 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 496 ff.; vgl. auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 4 Zum unterschiedlichen Gebrauch des Wortes Freiheit, in dem sich die jeweilige Freiheitslehre widerspiegelt, 3. Teil, 2. Kap., S. 179 ff.; zum liberalistischen, herrschaftlichen Freiheitsbegriff 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff. 5 Hinweise in Fn. 89 ff., 3. Teil, 2. Kap., S. 175 f. 6 S. 71 ff., insb. S. 124. 2

.

Die r e l i e

Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

des 1. Teils und wird in das 5. Kapitel des 8. Teils einbezogen7. Die Trennung/Unterscheidung von Staat und Gesellschaft hat sich in der Wirklichkeit des bundesdeutschen Gemeinwesens erneut etabliert und wird, nachdem sie dogmatisch überwunden schien8, seit Beginn der siebziger Jahre wieder gelehrt 9 , ein Zeichen für einen Wandel der Verfassungswirklichkeit, der seine Stabilisierung im gelehrten und gelebten Verfassungsrecht findet, eine mißlungene Renaissance einer Staatsform 10 , der es entgegenzuwirken gilt. Die folgenden Aspekte der freiheitswidrigen Parteienherrschaft sollen, ohne daß sie auch nur eine Skizze des gesamten Phänomens zu sein beanspruchen, die Wirklichkeit des Gemeinwesens vor Augen führen, welche die Dogmatik der Unterscheidung/Trennung von Staat und Gesellschaft wiederbelebt hat, eine Dogmatik, welche trotz ihrer Liberalität nicht die richtige Reaktion auf den republikwidrigen Parteienstaat ist, sondern vor dem Verfassungsbruch resigniert. Die Staatsgewalt wird vom Volke außer "in Wahlen und Abstimmungen ... durch besondere Organge der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt", lautet Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. In diesen besonderen Organen wirken die Vertreter des ganzen Volkes, die Abgeordneten, die Beamten und die Richter 11 . Auch die Vertreter des ganzen Volkes sind Bürger. Die gesetzlich bestimmten Aufgaben und Befugnisse dieser Bürger machen diese nicht zu den Herren über das Volk. Vertretung

7

S. 45 ff., 772 ff. Hinweise in Fn. 79, S. 173 u. Fn. 186, 188 im 3. Teil, 3. Kap., S. 193. 9 Dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; Hinweise in Fn. 89. 10 Zur Renaissance von Staatsformen W. Leisner, Staatsrenaissance, Die Wiederkehr der "guten Staatsformen", 1987. 11 Die nichtbeamteten öffentlich Bediensteten sind ebenfalls Vertreter des ganzen Volkes, die allerdings in einem republikwidrigen Dienstverhältnis beschäftigt sind, wie Art. 33 Abs. 4 GG, in richtiger Interpretation, ergibt. "Öffentliche Ämter" (Art. 33 Abs. 2 und 3 GG) dürfen in der Republik prinzipiell nicht in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen ausgeübt werden, weil die privatrechtliche Verpflichtung der Ausübung von Staatsgewalt inadäquat ist (Art. 33 Abs. 4 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat die privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst zugelassen und mißt deren Regelungen nicht an Art. 33 Abs. 5 GG (BVerfGE 3, 162 (186)). Das hat in der Praxis auch zum Streik öffentlich Bediensteter geführt, der genauso verfassungswidrig ist wie der Streik von Beamten (BVerfGE 8, 1 (17)); denn der Vollzug der Gesetze muß jederzeit gewährleistet sein. Die Verwirklichung der Freiheit durch Gesetzlichkeit darf nicht um der Interessen der öffentlich Bediensteten willen unterbrochen oder auch nur behindert werden. Amts waltung und Arbeitskampf widersprechen sich; dazu H. Lecheler, Der öffentliche Dienst, HStR, Bd. III, S. 770 ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 1174 f. 8

1. Kap.: Die parteienstaatliche Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

161

und Organschaft sind nicht Herrschaft 12 . Die Amtswaltung der Abgeordneten, Beamten oder Richter ist nicht etwa deswegen als Herrschaft über das Volk zu begreifen, weil die Aufgaben verfehlt oder die Befugnisse mißbraucht werden, weil die Amtswalter herrschen, obwohl sie die Freiheit verwirklichen sollen. Die Verwirklichung der Freiheit kann nicht zur Herrschaft werden. Kein Bürger ist des anderen Untertan. Alle Bürger sind unabhängig davon, wer welches Amt wahrnimmt, Politiker; denn sie leben miteinander in gleicher Freiheit 13 . Wenn Amtswaltung zur Herrschaft wird, so klärt derartiges Sein nichts für das Sollen herrschaftsloser Demokratie, also der Republik 14 , des freiheitlichen Gemeinwesens. Die im engeren Sinne staatlichen Organe des Volkes lassen sich genauso unterscheiden wie jeder einzelne Bürger und jede einzelne Vereinigung oder Gesellschaft von Bürgern. Diese staatlichen Organe sind institutionell differenziert, haben Aufgaben und Befugnisse und prozedieren nach Verfahrensvorschriften. Die Gesamtheit dieser Institutionen der engeren Staatlichkeit oder der Staatsgewalt läßt sich als der Staat im engeren Sinne bezeichnen 15 . Der Begriff Staat ist aber nur eine zusammenfassende Bezeichnung für die Vielheit der Institutionen der Staatlichkeit in Bund, Ländern, Gemeinden, Körperschaften, Anstalten und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts 16 bis hin zu den Organen der Europäi-

12

Dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff. 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff. 14 Vor allem W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., 294 ff., 387 ff., beschreibt den Herrschaftscharakter aller personalen Verhältnisse und damit auch der Amtswaltung, die um Gerechtigkeit bemüht sein solle und dadurch zum Dienst werde; Henkes erklärter, wenn auch durch den moralischen Anspruch, der Lage des anderen gerecht werden zu sollen (S. 173 ff. u.ö.), moderierter Empirismus vermag eine Sollenslehre mangels einer Rechtsidee nicht zu begründen, zumal Empirismus notwendig kontingent ist; vgl. auch ders., HStR, Bd. I, S. 874 f., 877 f.; zur Kritik jedweder empiristischen Rechtslehre 7. Teil, 1. und 2. Kap., S. 520 ff., 545. 13

15

Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 175 ff.; ebenso K. Hesse, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 489 f., 498; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 5 ff., S. 5 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 651 ff.; ders., HStR, Bd. III, S. 4 ff., insb. S. 71 ff.; H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 268, die sich auf den Staatsbegriff H. Hellers als "organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit", Staatslehre, S. 228 ff., 238 ff., 242 ff., beziehen. 16

K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 175 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 653; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 10, S. 8. 11 Schachtschneider

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Die r e l i e

Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

sehen Gemeinschaft, die auch deutsche Staatsgewalt ausüben17. Das Volk findet seine Einheit durch seine Verfassung, welche auch die Staatlichkeit des Volkes in ihrer Vielfalt als Ausübung der Staatsgewalt vor allem gebietshoheitlich in den Grundzügen regelt, nicht aber einen Staat mit Eigenstand konstitutiert. Den Staat im hegelianisch-existentiellen Sinne gibt es nicht mehr 18 , sondern die Staatlichkeit des Gemeinwesens, die res publica als die "Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen"19. Josef Isensee versucht, den "Staat" als "Wirklichkeit" zu "rekonstruieren" 20 . Mehr als Verfaßtheit 21 des Gemeinwesens läßt sich jedoch nicht feststellen 22 . In diesem Sinne kennt auch Isensee "den Staat als die Einheit von Staat und Gesellschaft", die "republikanische Tradition", den Staat "im weiteren Sinne" als staatlich verbundene, integrale "Allgemeinheit", die er von dem Staat "im engeren Sinne" als die "Herrschaftsorganisation" unterscheidet 23 . Wer welche staatlichen Aufgaben, insbesondere mit welchen staatlichen Befugnissen, wer also welche staatlichen Funktionen in Vertretung des ganzen Volkes, wer somit Staatsgewalt auszuüben hat, ist durch Verfassung

17

Dazu K.A. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, S. 124 ff.; ders., Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 28/93, S. 3 ff., insb. S. 6 ff.; dersJA. Emmerich-Fritsche/Th.C.W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 751 ff., 754 f.; i.d.S. auch das Maastricht-Urteil, BVerfGE 89, 155 (190), in dem es die "Einräumung von Hoheitsbefugnissen" der Gemeinschaft demokratisch-legitimatorisch von den Völkern der Mitgliedsstaaten her konstruiert und die "Gemeinschaftsgewalt" vom "Willen zur langfristigen Mitgliedschaft" der Mitgliedsstaaten als der "Herren der Verträge" abhängig sieht; dazu K.A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, in: W. Blomeyer/ders. (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, S. 75 ff., insb. S. 87 ff. 18 So schon C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, Vorwort 1963, S. 10 f. ("Die Epoche der Staatlichkeit geht nun zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren"); E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, S. 11 ff. ("Erinnerung an den Staat"); vgl. dazu J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 688. 19 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431. 20 Staat und Verfassung, HStR, Bd. I, S. 511 ff., 602. 21 J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 616, 638 ff., 643, 658. 22 So M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 81 ff., 84 ff., 104 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 47 ff., 50 ff.; i.d.S. schon Aristoteles, Politik, S. 107, 1276 b 1 ff.; Cicero, De re publica, S. 140 ff., 1, 32. 23 HStR, Bd. I, S. 654; ders., HStR, Bd. III, S. 6 f.; ganz so auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 5 ff., S. 5 ff.

1. Kap.: Die parteienstaatliche Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

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oder Gesetze genau bestimmt, ein striktes Gebot des Rechtsstaates24. Die institutionelle und funktionelle Unterscheidbarkeit des Staatlichen ergibt keine Unterscheidbarkeit des Staates von der Gesellschaft; denn staatlich ist auch die Bürgerschaft. Das Volk ist bei Wahlen und Abstimmungen Organ des Staates im engeren Sinne; i m übrigen ist es wie die Parteien im weiteren Sinne staatlich 25 . Der Lehre von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft geht es darum, einen Bereich des Lebens auszugrenzen, den eine Herrschaft des Staates nicht erreichen kann oder den letztere nicht erobern darf 26 . Einen Bereich, der nicht auch staatlich wäre, kann es jedoch in einer Republik nicht geben, weil das Republikprinzip keinen politisch und damit rechtlich relevanten Begriff der Gesellschaft erlaubt. Ein Begriff einer staatsfreien Gesellschaft verkennt, daß es kein staatsfreies Handeln des Menschen im Staat gibt 2 7 . Jeder Vertrag ist von staatlichen Gesetzen beeinflußt, wie § 134 BGB erhellt. Jedes Arbeitsverhältnis, jedes Mietverhältnis usw. ist ein Politikum. Schließlich gibt es Ministerien, die sich um die Arbeit, das Wohnen usw., der Menschen im Lande bekümmern. Sogar der Familie nimmt sich der Staat an, bis hin zur 'Aufklärung' über die Art und Weise des ehelichen oder auch nichtehelichen Verkehrs, eine glatte Kompetenzüberschreitung, jedenfalls des Bundes 28 . Richtig spricht Josef Isensee von der "virtuellen Allzuständigkeit" des Staates im Säkularen, die gerade das

24 K. Hesse, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 198; H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 273 f.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 242 ff., 247 f., 253 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 61 ff.; zum rechts staatlichen Prinzip der Kompetenzbestimmung und Verfahrensregulierung 7. Teil, 5. Kap., S. 162, 598. 25 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 26

Typisch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 651 ff.; ders., HStR, Bd. III, S. 37 f.; E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 411 ff.; zum grundrechtlichen Schutz der Privat- oder gar Intimsphäre 4. Teil, 2. Kap., S. 222 ff. 27 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; auch 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff. 28 Diese sog. Aufklärung kann Information oder Propaganda sein. Eine Informationsaufgabe bedarf der Zuständigkeit. Der Bund hat eine solche für die Aidskampagne nicht (dazu wohl a.A. Ch. Gramm, Rechtsfragen der staatlichen Aids-Aufklärung, NJW 1989, 2917 ff., 2920). Diese Kampagne ist weitgehend Propaganda und als solche republikwidrig. Propaganda entwürdigt den Menschen. Es sollte als Warnzeichen gesehen werden, daß das Maß an Propaganda mit der Intensivierung der Parteienherrschaft zugenommen hat, erst recht mit der Gefährdung der Oligarchie der etablierten Parteien durch neue Konkurrenten. 11»

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"Subsidiaritätsprinzip" zu beachten gebiete 29 . Die grundrechtlich oder gesetzlich garantierte Privatheit dagegen wehrt den Staat (im engeren Sinne) nicht von Lebensbereichen ab, sondern verwehrt ihm bestimmte und weitgehend bestimmungsbedürftige Regelungskompetenzen, überantwortet also die Bestimmung von Handlungsmaximen den Privaten 30 . Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, welche keinesfalls identisch ist mit einer Unterscheidung des Staatlichen und Privaten als der allgemeinen bzw. besonderen Handlungsmaximen oder der Unterscheidung des Öffentlichen und Privaten oder gar der des Staates und des Bürgers 31 , hat nur einen Sinn, wenn Lebensbereiche differenziert werden, mögen die wechselseitigen Einflüsse, die niemand verkennt 32 , auch noch so intensiv sein. Niklas Luhmann hat als das Entscheidende der "Trennung im Sinne funktionaler Differenzierung eine verstärkte wechselseitige Abhängigkeit des Getrennten" bezeichnet, weil "Trennung und Abhängigkeit sich nicht gegeneinander aufhöben, sondern miteinander wüchsen" 33 . Zu Recht rügt Luhmann als Manko der Trennungsthese, nicht begrifflich zu erläutern, "was denn nun eigentlich getrennt" werde: "Handlungen oder Erwartungen, Systeme oder Institutionen, Gruppen oder Loyalitäten" 34 . Die "funktionale Systemtheorie" sieht nach Niklas Luhmann "den neuzeitlichen Staat ... als Untersystem der Gesellschaft, das eine spezifische Funktion in der Gesamtordnung erfüllt und dafür ausdifferenziert und freigestellt" sei 35 .

29

HStR, Bd. III, S. 71 ff., 75 ff.; zum Subsidiaritätsprinzip 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 220 f., 244; zum Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung 3. Teil, 3. und 4. Kap., S. 195 ff., 201 ff.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 220 f., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 386 ff.; auch 6. Teil, 2. und 5. Kap., S. 449 ff., 466 ff. 30 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 31 Derartige Gleichsetzung lehnt auch ab W. Schmitt Glaeser, HStR Bd. II, S. 50; ebenso Ch. v. Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 476; anders E.-W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 25, 31, 44; vgl. auch K. Hesse, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 491. 32 Vgl. etwa W. Brohm, HStR Bd. II, S. 233. 33 Die Legeshierarchie und die Trennung von Staat und Gesellschaft, S. 275 ff., 280. 34 Die Legeshierarchie, S. 280. 35 Die Legeshierarchie, S. 280 f.; dazu begriffskritisch E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 408; dagegen auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 612 f.

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Der Staat ist, wie es Carl Schmitt in Anlehnung an Hermann Heller formuliert hat, "die Selbstorganisation der Gesellschaft" 36 . "Organisiert sich die Gesellschaft selbst zum Staat, sollen Staat und Gesellschaft grundsätzlich identisch sein, so werden alle sozialen und wirtschaftlichen Probleme unmittelbar staatliche Probleme und man kann nicht mehr zwischen staatlich-politischen und gesellschaftlichen-unpolitischen Sachgebieten unterscheiden ... Die zum Staat gewordene Gesellschaft wird ein Wirtschaftsstaat, Kulturstaat, Fürsorgestaat, Wohlfahrtsstaat, Versorgungsstaat; der zur Selbstorganisation der Gesellschaft gewordene, demnach von ihr in der Sache nicht mehr zu trennende Staat ergreift alles Gesellschaftliche, d.h. alles, was das Zusammenleben der Menschen angeht ... In dem zur Selbstorganisation der Gesellschaft gewordenen Staat gibt es eben nichts, was nicht wenigstens potentiell staatlich und politisch wäre." - Carl Schmitt 37 "Nicht nur - wie man 'Demokratie' in den Verfassungen zu umschreiben pflegt - die Staatsgewalt, sondern vor allem der Staat selbst geht hier vom Volke aus." - Herbert Krüger 18 Horst Ehmke hat vorgeschlagen, anstelle von Staat und Gesellschaft vom "politischen Gemeinwesen" zu sprechen, das "ein menschlicher Verband" sei, "zu dessen Verdoppelung oder Teilung in 'Staat' und 'Gesellschaft' keinerlei Anlaß bestehe". Das Politische sieht Ehmke in der "guten Ordnung des Gemeinwesens", welches als eine "Wirkungs- und Entscheidungseinheit" i m Sinne Hermann Hellers organisiert sei, welche die "nach innen und außen gestellten gemeinsamen Aufgaben" zu erfüllen geschaffen sei 39 . Ehmke w i l l mit seinem Begriff des politischen Gemeinwesens den amerikanischen Begriff "government" übernehmen; zugleich knüpft er aber an die von Manfred Riedel skizzierte alteuropäische Tradition an und bietet einen deutschsprachigen Begriff für die res publica an. Heller hat den "Staat als organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit" definiert 40 . In der Sache hat das schon Aristoteles gelehrt:

36

C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 78 f.; H. Heller, Staatslehre, S. 228 ff., 238 ff. Der Hüter der Verfassung, S. 79; dazu i.d.S. 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff. 38 Allgemeine Staatslehre, S. 341. 39 "Staat" und "Gesellschaft", S. 265 ff., Zitate S. 267 f. 40 H. Heller, Staatslehre, S. 228 ff., 238 ff., 242 ff.; den Hellerschen Staatsbegriff übernimmt auch wie viele K. Hesse, Heutige Problematik von Staat und Gesellschaft, S. 489; klar ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 9 ff., S. 6 ff.; auch E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 405 f., baut seine Herrschaftslehre auf dem Hellerschen Staatsbegriff auf. 37

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"Da nämlich der Staat eine Gemeinschaft ist, und zwar eine solche von Staatsbürgern in einer bestimmten Verfassung, so scheint auch der Staat nicht mehr derselbe sein zu können, wenn die Verfassung ihrer Art nach eine andere wird und sich wandelt." 41 Niemand bestreitet mannigfache rechtlich relevante'Differenzierungen des gemeinsamen Lebens, welche sich durchgehend als Rechtsverhältnisse begreifen lassen 42 . Wenn jedoch die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft einen Sinn haben soll, kann nicht staatlich sein, was gesellschaftlich ist und umgekehrt. Lebensbereiche lassen sich so nicht unterscheiden, weil das Staatliche sich in allen Lebensbereichen entfaltet, die jedoch durchgehend zugleich auch privat bestimmt sind, wenn man einmal die Gesellschaft als die Gesamtheit der Privaten begreifen w i l l 4 3 . Alles menschliche Handeln folgt allgemeinen Gesetzen und zugleich besonderen Maximen, die nicht von allgemeinem Belang sind. Die besonderen Maximen sind Ausdruck des Privaten. Ein Beispiel möge das verdeutlichen: Es ist von allgemeinem Belang, daß jeder eine Wohnung hat. Jeder ist darum staatlich verpflichtet, eine Wohnung zu nehmen. Obdachlosigkeit ist polizeiwidrig 44 . Welche Wohnung jemand nimmt, ist nicht von allgemeinem Belang. Das ist seine private Angelegenheit. Der private Mietvertrag erfüllt zugleich eine Verpflichtung der Allgemeinheit gegenüber und ist somit auch ein staatlich relevanter Rechtsakt. Die bürgerliche Verwirklichung der staatlichen Gesetze ist staatliches Handeln der Bürger 45 . II.

Die Parteienherrschaft als Mißachtung der Republikanität (des Sittengesetzes und der Funktionenordnung) und deren liberalistische Moderierung 1. M i t dem Versagen von Amtswaltern im Amt zu rechnen, lehrt die Erfahrung. Die Pflichtwidrigkeit von Amtswaltern ist eine besondere Gefahr

41

Aristoteles, Politik, S. 107, 1276 b 1 ff. W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 58 zu Art. 21; grundlegend, ders., Das subjektive Recht im System des öffentlichen Rechts, DÖV 1980, 621 ff.; dazu R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 67 ff., insb. S. 101, der selbst einen engeren Begriff des Rechtsverhältnisses vertritt, welches erst durch einen Streit ausgelöst werde; vgl. auch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 129. 43 Zum Begriff der Gesellschaft S. 163 f.; vgl. auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 44 V: Götz, Allgemeines Polizeirecht und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 1993, S. 57, 128 ff.; K.H. Friauf, Polizei- und Ordnungsrecht, in: I. v. Münch/E.Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S. 129, 142. 45 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff. 42

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der Republik, die ohne das aristokratische Prinzip der Ehre 46 auskommen muß und wirksame Sanktionen gegen Amtsverfehlungen kaum bereit hält. Die Gefahr ist im entwickelten Parteienstaat 47 durch das Prinzip der Parteilichkeit verstärkt, zumal der Parteienstaat gegen das spezifische Unrecht der Parteilichkeit der Parteipolitiker keine Sanktionen institutionalisiert hat. Der Parteienstaat etabliert sich typisch in der Republik, aber entgegen der Verfassung der Republik, deren Lebensprinzip die Moralität der Bürger ist und die gegen das moralische Versagen dem Prinzip der Moralität 4 8 gemäß keine Sanktionen einrichten kann. Es gibt beispielsweise keine Sanktionen gegen Wahltäuschungen, soweit diese nicht tatbestandlich in Gesetzen erfaßt sind. Die Parteienherrschaft institutionalisiert die Mißachtung des Sittengesetzes in der bündnishaften Parteilichkeit. Das Bündnis verdrängt die Moralität der parteilich gebundenen Vertreter des Volkes 49 . Parteiliche Bündnisse mißbrauchen das republikanische Moralprinzip und sind darum die spezifische Gefährdung der auf Moralität angewiesenen Republik. Die Parteioligarchien treffen die Republik an ihrer verletzlichsten Stelle, nämlich der bürgerlichen Pflicht zur Moralität, weil diese ihrem Begriff gemäß nicht erzwingbar ist 50 . Parteiführer verschaffen sich Macht und herrschen, anstatt dafür zu sorgen, daß die Besten des Volkes sich mühen, die Gesetze der Freiheit zu suchen. Die Wirklichkeit der Parteienherrschaft definiert nicht den Staat, etwa als ein Herrschaftsgebilde; denn den Begriff des Staatlichen bestimmt die Verfassung, nicht die Wirklichkeit 5 1 . Das Grundgesetz ist zu Recht vom

46 Zu den spezifischen Tugenden der verschiedenen Staatsformen Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 117 ff., 124 ff., 138 ff. 47 Zum Begriff des Parteienstaates 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; auch 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 48 Dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 772 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 118, 126, 138 ff. 49 Dazu 10. Teil, 3. und 4. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff. 50 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 214 f., insb. S. 230, 810 ff. 51 Eine wirklichkeitsgemäße, das Sein und das Sollen integrierende Staatslehre hat H. Heller, Staatslehre, 1934, geschrieben, die trotz ihrer tiefen Erkenntnisse vom staatlichen Gemeinwesen wegen ihres Soziologismus für die Lehre von der Freiheit, die Ethik, und damit für die Lehre von der Republik nur begrenzt Hilfe bietet.

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Mißtrauen gegen die Volksvertreter, vor allem gegen die Abgeordneten, getragen und grenzt darum deren Kompetenzen als Gesetzgeber vor allem durch die Grundrechte, zusammengefaßt durch das institutionell judiziable Prinzip der praktischen Vernunft, das seinen Ausdruck in dem die Praxis des Bundesverfassungsgerichts bestimmenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, aber auch i m Willkürverbot findet 52, ein. Die verfassungsgerichtliche, funktional gesetzgeberische Rechtserkenntniskompetenz richtet sich vor allem gegen die Gefahr der Herrschaft und des Irrtums der parteigebundenen Parlamentarier, weil spezifisch die parteiliche Fraktionierung, die Parlamente als Institutionen der Verwirklichung der Freiheit durch Erkenntnis des Wahren und Richtigen zu ruinieren die Gefahr birgt, die sich auch unter dem Grundgesetz realisiert hat 53 . Wenn real die politischen Entscheidungen von wenigen Parteiführern getroffen werden, ist nicht nur die Gefahr des Irrtums, sondern vor allem die Gefahr der Herrschaft, aber auch die der Bestechlichkeit besonders groß. Augenscheinlich vermögen die Parteienoligarchien sich nicht von der Bevormundung durch die Industrie und die Verbände, die ihre Interessen auch mit unlauteren Mitteln zu fördern gewohnt sind (politisches Kapital/Parteispenden) zu befreien. Auch fremde Mächte können auf wenige Parteiführer allzu leicht Einfluß gewinnen. Vor allem die Industrie ködert mit Vorteilen, welche jedenfalls der Habsucht des ohnehin wenig um Moralität bemühten und noch weniger in Moralität geübten Parteigängers sehr entgegenkommt. Auf die Unbestechlichkeit der öffentlichen Amtswalter kann sich auch in Deutschland niemand verlassen 54. 2. Auch die wichtigste Institution gegen die Herrschaft, die Teilung der staatlichen Gewaltausübung/die Funktionenteilung, wird durch die Parteilichkeit der Parteien relativiert, wenn auch unter dem Grundgesetz der Judikative 55 die Unabhängigkeit von den Parteien noch weitgehend belassen wurde. Die Erfahrungen jedes Volkes und aller Zeiten mit dem Mißbrauch von Ämtern zur Herrschaft ist der Grund, die Ausübung der staatli-

52

Dazu 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., insb. 986 ff., 990 ff.; auch 5. Teil, 6. Kap., S. 412 ff. 53 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; auch 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff. 54 E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, 1992, S. 24, auch S. 67, 171 u.ö. 55 Zur zunehmenden Richterpatronage der Parteien 9. Teil, 6. Kap., S. 969 f.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 f.

1. Kap.: Die parteienstaatliche Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

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chen Gewalt unter besonderen Organen zu teilen 56 ; denn die ungeteilte Möglichkeit, Gewalt auszuüben, also das Volk in allen Funktionen der Gesetzlichkeit zu vertreten, verstärkt die Gefahr der Despotie und Tyrannei, ja kann als sicherer Weg in die Unterdrückung des Volkes gelten. Persönliche Gewalt eines Führers (Walter Leisner) 51 kann sich im Parteienstaat entfalten, wenn ein Parteiführer die gesetzes- und verfassungsgebundenen Organe beherrscht. Eine solche Führung offenbart Konstruktionsfehler der Verfassung. Der "demokratische Zentralismus" der untergegangenen D D R (Art. 47 Abs. 2 der sogenannten Verfassung von 1968), das Gegenprinzip zur Teilung der Ausübung der Staatsgewalt, hat hinreichend Anschauungsmaterial geliefert. "Republik ist also nicht, wie heute üblich, der Gegenbegriff zur Monarchie, sondern zur Gewaltenkonzentration, die die Aufklärer als 'Despotie' bezeichneten." - Martin Kriele 58 Die geteilte Ausübung der Gewalt des Staates ist für die reale Freiheit derart unverzichtbar, daß Art. 16 der Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers von 1789 ausgesprochen hat: "Eine jede Gesellschaft, in der weder die Gewährleistung der Rechte zugesichert noch die Trennung der Gewalten festgelegt ist, hat keine Verfassung" 59 . Montesquieu hat gelehrt: "Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann beziehungsweise dieselbe Körperschaft entweder der Mächtigsten oder der Adeligen oder des Volkes folgende drei Machtvollkommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen". Diderot hat gesagt: "Es gibt kein Gesetz in den Staaten, in denen legislative und exekutive Gewalt in der gleichen Hand liegen; erst recht dort nicht, wo die richterliche Gewalt mit der legislativen und exekutiven verbunden ist" 6 0 .

56 Zur Teilung der Ausübung der Staatsgewalt 1. Teil, 3. Kap., S. 17 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff. 57 Der Führer, S. 28 ff. 58 Die demokratische Weltrevolution, S. 33 ff.; vgl. ders., Einführung in die Staatslehre, S. 104 ff., 315 ff., 318 ff., 335 ff.; zur kantianischen Gewaltenteilungslehre W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 279 ff. 59 Dazu i.d.S. J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 638. 60 Zitiert bei M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 34, Fn. 1.

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

Kant hat die "Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden" zum "Staatsprinzip" des "Republikanism" erklärt und "alle Regierungsform"... "die nicht repräsentativ ist" als "eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber in ein und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens (...) sein" könne, bezeichnet 61 . Die Lehre von der geteilten Ausübung der staatlichen Gewalt (gewaltenteilige Funktionenordnung), meist irreführend angesichts der Einheit der Staatsgewalt des Volkes (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) Gewaltenteilung genannt 62 , ist, weil wesentlich in Art. 1 und Art. 20 GG verankert, nach Art. 79 Abs. 3 unverrückbares Verfassungsprinzip des Grundgesetzes 63, aber dennoch wird sie gegen den Parteienstaat nicht konsequent verteidigt. Die Macht der Parteienoligarchie, notdürftig legitimiert durch die Ideologie, die Demokratie sei notwendig ein Parteienstaat 64, ist stärker als die staatswissenschaftlichen Erkenntnisse von Jahrhunderten. Die Funktionenteilung, welche die Herrschaftsmöglichkeiten bändigen soll, versagt im Parteienstaat weitestgehend, weil die Legislative der Macht der Parteienoligarchie ausgeliefert ist. Die Freiheit, immer durch die Exekutive gefährdet, findet in der parteienstaatlichen Verfassungswirklichkeit keinen Schutz in der exekutivi61

Zum ewigen Frieden, S. 206 f.; zu den einzelnen Gewalten ders., Metaphysik der Sitten, S. 431 ff., § 45 ff. 62 Dazu Κ Stern, Staatsrecht II, S. 521 f. mit Fn. 50, der zu Recht von Funktionenteilung spricht, aber den allgemeinen Sprachgebrauch akzeptiert; K. Hesse, Grundziige des Verfassungsrechts, Rdn. 475 ff., S. 185 ff., insb. Rdn. 484 ff., S. 188 ff., stellt die Einheit der Staatsgewalt zu wenig in Rechnung, die es nicht zuläßt, die organschaftlichen Funktionsträger als Gewalten zu verstehen. 63 Zur Lehre von der Gewaltenteilung, besser: Funktionenteilung Aristoteles, Politik, S. 157, 1298 a 1 f.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 595 ff. ("Die Funktionen des Staates"); C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 182 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 918 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 298 ff.; Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 475 ff., S. 185 ff.; M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 33 ff.; ders. Einführung in die Staatslehre, S. 104, 111, 117 f.; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1009 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 792 ff.; ders., Staatsrecht II, S. 511 ff.; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 75 ff., 153 ff., 168 ff., 172 ff., 414 ff. u.ö.; KA. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, 1992, S. 44 ff., 52 ff., 63 ff.; zur Begriffsgeschichte H. Fenske, Gewaltenteilung, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, S. 923 ff.; das Bundesverfassungsgericht hat die Relevanz des Gewaltenteilungsprinzips ständig betont, etwa BVerfGE 2, 1 (Ls. 2, 13); 3, 225 (247); 5, 85 (140); 7, 183 (188); 9, 268 (279); 18, 52 (59); 22, 106 (111); zur Entstehungsgeschichte des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vgl. W. Matz, JöR N.F. Bd 1 (1951), S. 195 ff. (während der Erörterungen des Parlamentarischen Rates ist die Einheit der Staatgewalt betont, der Ausdruck Gewaltenteilung vermieden und der funktionale Charakter der unterschiedlichen Organe der "Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung" herausgestellt worden). 64

Zur Parteienstaatsideologie 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff.

1. Kap.: Die parteienstaatliche Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

171

stischen Legislative, die ihre Bürgerlichkeit und damit ihre freiheitliche Funktion eingebüßt hat 65 . Der Schutz der Freiheit ist darum ganz auf die Judikative verwiesen, solange diese die Unabhängigkeit von der Parteienoligarchie behaupten kann 66 . Das motiviert eine Dogmatik von Staat und Gesellschaft, welche die Freiheit weitestgehend dem Schutz der Judikative überantwortet, weil die Legislative als Institution des Schutzes, wie sie bürgerlich konzipiert ist, i m Parteienstaat versagt. Republikanisch ist diese Konzeption nicht, aber sie wirft einen Rettungsanker 67 . 3. Trotz aller Erfahrung von Herrschaft derer, die Möglichkeit zu herrschen haben, ist die Ausübung der Republik, die republikanische Staatlichkeit also, wie Herrschaft, sondern als Gesetzlichkeit die Wirklichkeit

durch ihr Amt die Staatsgewalt in der sie sein soll, nicht der Freiheit 68 .

Die Gesetzlichkeit erzwingen zu können, erfordert die Einzigkeit einer unwiderstehlichen Gewalt, das sogenannte Gewaltenmonopol des Staates69. Diese Gebietshoheit ist zwar Kriterium der notwendig verfaßten Staatlichkeit und damit des Staates im engeren Sinne 70 , nicht aber Herrschaft. Sie dient vielmehr als Hindernis von Unrecht der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen und ist damit, wie Kant klargelegt hat, als "Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit" nach dem Satz vom Widerspruch mit der Freiheit notwendig verbunden 71 . Die gewaltsame Erzwingung der Gesetzlichkeit ist somit Verwirklichung der Freiheit, nicht aber Herrschaft. Die Gebietshoheit oder auch nur die Wirklichkeit von Herrschaft wird von der Staatsrechtslehre fast durchgehend zu einem Herrschaftsprinzip ideologisiert 72 . Diese Ideologie ist die Grundlage der die Praxis bestim-

65

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. Ganz so M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 117 f. 67 Zur Abwehrfunktion der Grundrechte gegen Herrschaft 6. Teil, 1. und 3. Kap., S. 441 ff., insb. S. 454 ff.; auch 159 ff. 66

68

Dazu 2. Teil, 7., 10. und 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 69

Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff.; insb. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 818 ff. Dazu KA. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, S. 119 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 81 ff. 70

71 72

Metaphysik der Sitten, S. 338 f. Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.

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Die r e l i e

Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

menden Lehrgebäude des Staatsrechts, welche vor allem die demokratistische Herrschaft der Parteienoligarchie zu legitimieren versuchen und dadurch die das Prinzip des Rechts tragende Unterscheidung von Sein und Sollen 73 vernachlässigen. Die Ideologie der Herrschaft rechtfertigt die parteienstaatliche Wirklichkeit. Die Idee der Freiheit gebietet, der Herrschaft der Parteien die Legitimation abzusprechen. Auch die Entwicklung liberalistischer Freiheitsrechte/Freiheiten gegen die parteienstaatliche Herrschaft 74 stabilisiert den herrschaftlichen Parteienstaat, gerade weil sie die Herrschaftsideologie nicht nur nicht antastet, sondern zur Grundlage der Freiheitslehre macht. 4. U m die parteienstaatliche Herrschaft zurückdrängende Liberalität geht es der neueren Lehre von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, welche jedoch trotz ihrer verbalen Distanz ein Dogma der Trennung von Staat und Gesellschaft bleibt. Dieses Dogma kapituliert vor dem sollenswidrigen Sein. Dogmen dürfen aber nur auf das verfassungs- oder gesetzesbefohlene Sollen abgestellt werden. Diese Sollen kann ohne Kenntnis des Seins nicht verstanden werden 75 . Das Sein darf aber nicht empiristisch das Sollen bestimmen; denn sonst wäre ein Sollenssatz, ein Gesetz also, denkwidrig.

73 Dazu 7. Teil, 1., 2. und 6. Kap., S. 526 f., 540 ff., 621 f.; 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff.; auch 2. Teil, 8. Kap., S. 138 f. 74 Dazu 6. Teil, 3. Kap., S. 454 ff. 75 H. Heller, Staatslehre, S. 37 ff., 259 ff., hat den seiner Meinung nach "unhaltbaren Dualismus" dadurch zu überwinden gesucht, daß er "Wirklichkeitszusammenhänge" zwischen Sein und Sollen aufweist, der richtige Ansatz, der die Unterscheidung von "Sinneswissenschaft und WirklichkeitsWissenschaft, dogmatische Jurisprudenz und Staatslehre ... klar ... nach Gegenständen und Methoden ... voneinander geschieden" sieht (a.a.O., S. 46); auch G. Radbruch, HbdDStR, Bd. 1, S. 285 ff., opfert seine richtigen Erkenntnisse als "demokratische Ideologie" einer parteienstaatlichen "Soziologie der Demokratie"; nicht anders Η. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, insb. S. 14 ff., 78 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 15 ff., 38 ff.; problematisch W. Henke, Die politischen Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, in: E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft, 1976, S. 367 ff., 374; vgl. auch dessen empiristische Herrschaftslehre, Recht und Staat, S. 51 ff., 251 ff., 387 ff., gegen ein eigenständiges Sollen etwa S. 144 ff.; so auch ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 63 zu Art. 21 (für "juristisches Staatsrecht" (?) gegen "Verfassungsrecht", "Staatslehre", "Politik", "Staatstheorie", gegen "Utopie", "Ideologie", in Rdn. 67 für "juristische Sicht der wirklichen Lebensverhältnisse", "Übermaß an Willen zu Freiheit und Gleichheit ohne Rücksicht auf andere Erfordernisse des menschlichen Daseins", und damit für "Gebundenheit und Unterordnung", für parteiliche "Geschlossenheit" und "Führung" (Rdn. 268, 272, 275, 279) u.a., alles "juristisch" unausweichliche Positionen (?); zur Dichotomie von Sein und Sollen 7. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 520 f., 542 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff.

1. Kap.: Die parteienstaatliche Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

173

Das Sein k a n n d e m Sollen widersprechen. Das Sollen hingegen k a n n sinnlos sein, n ä m l i c h U n m ö g l i c h e s vorschreiben 7 6 . D i e Erkenntnisse des Sollens, die U r t e i l e v o m Richtigen, sollen die Erkenntnisse des Seins, die Theorien v o n der W i r k l i c h k e i t also, zugrundelegen; die praktische Vernunft hat sich v o n der theoretischen Vernunft abhängig zu machen. D i e Theorie selbst ist aber n i c h t praktisch. Praktisch ist nur das H a n d e l n 7 7 . Dessen M a x i m e n können nicht theoretisiert werden, sie sollen v i e l m e h r moralisch, d.h. gesetzlich u n d gesetzeshaft, sein 7 8 . Das bedarf der Lehren. 5. D o g m a t i s c h w a r geklärt, daß m i t der Entscheidung der Verfassung für die demokratische R e p u b l i k der v o m monarchischen Prinzip u n d der hegelianischen Staatslehre bestimmte D u a l i s m u s v o n Staat u n d Gesellschaft v o r a l l e m des 19. Jahrhunderts keine Grundlage mehr h a t 7 9 , w e i l der Staat eine

76

Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 757 f. und Fn. 629. πράττειν = handeln. 78 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 284 ff., 318 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 598 ff.; vgl. KA. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 100 ff., zur "Theoriehaftigkeit praktischer Vernunft". 79 C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 27 ("Identität von Staats- und Volkswille" ist "demokratische Konsequenz"); ders., Der Hüter der Verfassung, S. 73 ff., 78 f., 82; E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12 (1954), S. 27; ders., Der Staat der Industriegesellschaft, S. 21 ff.; H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, S. 5 f.; ders., "Staat" und "Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, 1962, in: E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft, S. 240 ff., insb. S. 265 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 342 ff. ("Immanenz des Staates im Volk"); M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 309 ff.; D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 89 f., 170, 173 u.ö.; auch R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 38 ff., 145 ff.; W. Henke, Die Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 369 f.; H.P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 3. Aufl. 1977, S. 64 ff., 192; E.-W. Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, 1972, in: ders., Staat und Gesellschaft, S. 395 ff., 407; Ch. v. Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, 1972, daselbst, S. 432 ff.; K. Hesse, Bemerkung zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, 1975, daselbst, S. 484 ff., 488 f.; H.H. Rupp, Verfassungsrecht und Kartelle, S. 193 ff.; ders., Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, HStR, Bd I, S. 1187 ff., 1190 ff., 1198 ff.; W. Schmitt Glaeser, Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, HStR, Bd. II, S. 50 f., 62 ff.; KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 178; weitere Hinweise in Fn. 89 ff., 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; zur "bürgerlichen Gesellschaft" als von Hegel begründeter Kategorie des modernen Staates i.S.d. Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft" und das Problem seines geschichtlichen Ursprungs, 1962/1969, in: E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft, S. 77 ff.; E. Angermann, Das Auseinandertreten von "Staat" und "Gesellschaft" im Denken des 18. Jahrhunderts, 1963, daselbst, S. 109 ff., zieht zu Recht in Zweifel, daß die Trennung, die im 18. Jahrhundert zu einem "heuristischen Prinzip" wurde, jemals der politischen Wirklichkeit gerecht wurde (S. 130); vgl. i.d.S. auch die bei H. Ehmke, 77

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Die r e l i e

Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

E i n r i c h t u n g der Bürger für deren allgemeines W o h l , besser für deren gutes L e b e n i n allgemeiner Freiheit als allgemeiner Gesetzlichkeit i s t 8 0 , w e i l es keine persönliche Differenz zwischen d e m Staat u n d den Bürgern geben kann. W e n n der Staat auch rechtstechnisch als juristische Person behandelt w i r d , so hat er doch keine Persönlichkeit 8 1 , schon gar nicht als die " p o l i t i sche E i n h e i t des Volkes" i m Sinne Carl

Schmitts* 2.

D i e juristische Person

Staat ist nicht nur nicht H e r r über Untertanen, sondern keine Person, die H e r r sein könnte. Das V o l k ist staatlich verfaßt, i n Deutschland durch das Grundgesetz. Das V o l k sind die Bürger; die Bürger sind Herren selbst

83

ihrer

. A l t e u r o p ä i s c h ist der Staat identisch m i t der bürgerlichen Gesell-

schaft. Von Aristoteles

bis Kant

ist er die politische Gemeinschaft

der

Bürger, " κ ο ι ν ο ν ί α π ο λ ι τ ι κ ή " , "civitas", "societas c i v i l a " , res p u b l i c a 8 4 . Hegel

hat demgegenüber den Staat v o n der bürgerlichen Gesellschaft, den

c i t o y e n v o m bourgeois, getrennt 8 5 .

"Staat" und "Gesellschaft", a.a.O., S. 262 f., angeführten Meinungen; zur "tendenziellen Verschränkung der öffentlichen Sphäre mit dem privaten Bereich", zum "Prozeß wechselseitiger Vergesellschaftung des Staates und einer Verstaatlichung der Gesellschaft" in eine "neue Sphäre" J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 4. Aufl. 1969, §§ 16, 23, S. 157 ff., 242 ff. 80 Zum Staatsbegriff 3. Teil, 1. Kap., S. 160, 161 ff.; zum Staatszweck 5. Teil, 4. Kap., S. 350 ff.; auch 3. Teil, 3. Kap., S. 199 ff. 81 W. Henke, Die Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 369 ff., läßt es für den Dualismus von Staat und Gesellschaft genügen, daß der Staat juristische Person sei; fragwürdig auch ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 65 zu Art. 21 (Unterscheidung des "Bereichs der Ämter, die grundsätzlich nach öffentlichem Recht, und des Bereichs der Privaten, die grundsätzlich nach privatem Recht handeln", für das Parteienrecht); ebenso J. Isensee, vgl. das Zitat S. 177 f. zu Fn. 98. 82 Verfassungslehre, S. 3 ff.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 83 Dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 598 ff., 94 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 17 ff., 35 ff.; 8. Teil, 1. und 4. Kap., S. 650 ff., 735 ff. 84 Dazu M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 80 ff.; Aristoteles, Politik, S. 107, 1276 b 1 ff.; auch S. 50, 1253 a 29 ff.; Cicero, De re publica, S. 130 f., 144 f. u.ö.; dazu K. Meister, Die Tugenden der Römer, 1930, in: H. Oppermann (Hrsg.), Römische Wertbegriffe, 3. Aufl. 1983, S. 6 f. (Die res publica ist "Eigentum" des populus romanus, nicht "Rechtssubjekt" Staat); Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431 ff.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 204 ff.; ders., Idee, S. 39 ff. u.ö.; der Sache nach auch Hobbes, Leviathan, S. 155; zum Maschinenwesen des Leviathan C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, 1938/1982, S. 47 ff., 61 ff. u.ö.; vgl. auch H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 244 ff.; dazu H. Arendt, Was ist Politik?, 1993, S. 28 ff. 85 Rechtsphilosophie, §§ 182 ff., S. 192 ff.; M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 87 ff.; kritisch zur Kritik am Hegeischen System H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 261 ff.

2. Kap.: Neoliberalistischer Dualismus

175

Wer den Staat von der Gesellschaft unterscheidet, weil der Staat herrsche und die Gesellschaft frei sei, soweit der Staat nicht herrschen dürfe 86 , blendet sprachlich aus, daß nicht die juristischen Personen des Staatlichen, der Staat im engeren Sinne also, herrscht, sondern Menschen, Amtswalter. Diese werden mit dem Staat identifiziert, um ihre Herrschaft zu legitimieren. Der Staat aber im weiteren Sinne ist die Bürgerschaft 87 . Kein Bürger darf über andere Bürger herrschen dürfen, wenn das Gemeinwesen freiheitlich und demokratisch, also eine Republik, sein soll 8 8 . Der Staat im engeren Sinne darf nur Institution der Freiheit sein, weil Herrschaft immer Herrschaft von Menschen über Menschen wäre. Die Rechtstechnik des Staates ist für die dogmatische Problematik von Freiheit und Herrschaft irrelevant und darum die Entgegensetzung von Staat und Gesellschaft eine Verschleierung des Problems der Herrschaft von Menschen über Menschen.

2. Kapitel Kritik des neoliberalistischen Dualismus von Staat und Gesellschaft I. Die liberalistische Logik der grundrechtlichen Abwehr der Herrschaft Böckenförde 89, 1. In einer neueren Lehre, geführt von Ernst-Wolfgang wird die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft wieder als notwendige Bedingung der Freiheit gesehen. Diese Auffassung hat Carl Schmitt auch schon vertreten 90 . Die neue Lehre vermeidet es, von der Trennung von Staat und Gesellschaft zu sprechen, um sich von dem alten Dualismus des ebenso monarchischen wie liberalen Konstitutionalismus zu distanzieren 91 . Sie meint als freiheitsdogmatischen Grund für die Unterscheidung von Staat

86

Dazu Hinweise in Fn. 89 ff., 3. Teil, 2. Kap., S. 175 f. Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 88 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; auch 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., 410 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff.; passim. 89 Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 395 ff., 407 ff.; ders., Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973, S. 32 f.; W Henke, Die politischen Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 369 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 45 ff. zu Art. 20 Abs. I, Rdn. 21 zu Art. 20 Abs. II; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 61 ff.; W. Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, HStR, Bd. II, S. 232 f. (vorsichtig). 90 Grundrechte und Grundpflichten, S. 192. 91 E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 407. 87

176

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: Die r e l i e

Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

und Gesellschaft die Gefahr eines freiheitseliminierenden totalen Staates gefunden zu haben 92 . Diese Gefahr besteht, wenn der Staat Herrschaftsbefugnisse hat. Das ist denn auch die Auffassung aller Anhänger der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 93 . Die Lehre ist somit Konsequenz der eigenen nicht bewiesenen Prämisse. Sie ist von der Herrschaftsideologie in die Irre geleitet und dogmatisiert eine petitio principii. Konrad Hesse hat bereits die Sorge vor einer neuen identitären Totalität des Staates mit dem Argument zerstreut, eine Identität von Staat und Gesellschaft setze zunächst deren Unterscheidung voraus, ein Aspekt, der für die durch Verfassung und Gesetz gestaltete "konkrete und differenzierte Zuordnung"... "nichts mehr beitragen" könne. Es ist beliebt, Auffassungen, die dem demokratistischen und liberalistischen Standpunkt nicht folgen, in die Nähe totalitären Denkens zu rücken. Hesse hat das zurückgewiesen 94 . Der gängige Rousseauismusvorwurf ist nicht weniger unergiebig 95 . Eine rousseausche, also kantianische, und damit grundgesetzliche Freiheitslehre zielt auf das genaue Gegenteil einer totalen staatlichen Herrschaft, nämlich auf die umfassende Wirklichkeit der Freiheit, auf eine res publica. Demgegenüber bietet die staatsrechtliche Herrschaftslehre etwa die folgenden Sätze an: "Die freiheitsstiftende rechtsstaatliche Verfassung steht und fällt mit der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft." - Ernst Forsthojf 6

92 Etwa E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 411 ff.; schon E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 2. Aufl. 1971, S. 21 ff.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 146 f.; H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 30 ff., 47; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 42 f. ("Staatszweck Freiheitssicherung"); W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 65 zu Art. 21. 93 E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 406, ("Der Staat ist vielmehr die politische Entscheidungseinheit und Herrschaftsorganisation ßr eine Gesellschaft (oder, wenn man will, "über" ihr)", S. 411 ff.; E. ForsthoffDer Staat der Industriegesellschaft, S. 11 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 16, 19 ("Herrschaftsverband Staat"); R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 146 f.; H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 42; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 61 f.; W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 69 zu Art. 21 ("utopische, herrschaftsfreie, öffentliche Ordnung"); Hinweise zur Herrschaftlichkeit des Staates in Fn. 72 im 2. Teil, 1. Kap., S. 72 f., Fn. 85 im 2. Teil, 3. Kap., S. 88. 94 Heutige Problematik von Staat und Gesellschaft, S. 493 f.; i.d.S. auch ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 5 ff., S. 5 ff.; P. Saladin, VVDStRL 35 (1977), S. 35, hat sich Hesses Kritik angeschlossen. 95 Vgl. dazu Hinweise Fn. 24, 8. Teil, 1. Kap., S. 642; etwa W. Henke, Die politischen Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 371; ders., Recht und Staat, S. 399. 96 Der Staat der Industriegesellschaft, S. 21, dem sich H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1205, anschließt.

2. Kap.: Neoliberalistischer Dualismus

177

"Die sogenannte 'Identität' von Staat und Gesellschaft bedeutet zugleich das Ende der individuellen Freiheit."... "Denn eine Allzuständigkeit der demokratischen staatlichen Entscheidungsgewalt, eben weil sie demokratisch ist, bedeutet zugleich, daß die Entscheidungsgewalt total wird. Demokratie heißt dann, daß alle über alle alles beschließen können; es gibt nur noch eine (Mitwirkungs)-freiheit im demokratischen Prozeß, nicht mehr Freiheit gegenüber dem demokratischen Prozeß. Das Ergebnis ist die totale Demokratie, in der der einzelne voll und ganz Glied des demokratischen Kollektivs ist und das eben darum notwendigerweise einen totalitären Charakter annimmt." - Ernst-Wolfgang Böckenförde 91 "Die Abstraktion der Staatsgewalt vom Staatsvolk, aus dem sie sich demokratisch legitimiert, und die Distanzierung von der Gesellschaft, in deren Dienst sie steht, ist ein verfassungsrechtlicher Kunstgriff der Freiheitsgewähr. ... Das Rechtsprinzip des demokratischen Staates bildet die Gleichheit, das Rechtsprinzip der Gesellschaft die Freiheit. Die Folge der rechtlichen Freiheit in der sozialen Wirklichkeit ist aber die faktische Ungleichheit, die damit die soziologische Struktur der Gesellschaft in dem Maße prägt, wie die Freiheit die juristische bestimmt. ... Es ist also nicht nur zwischen der Gesellschaft und der im 'Staat' geeinten Nation zu unterscheiden, sondern auch zwischen der Gesellschaft und den Organen, welche die Nation repräsentieren: dem 'Staat' als juristischer Person." - Josef Isensee 9* "Das Studium der Geschichte kann zu dieser Sicht (sc. 'öffentliche Ordnung als Prozeß, an dem grundsätzlich alle Mitglieder der Gesellschaft teilnehmen') führen und ein Übermaß an Willen zu Freiheit und Gleichheit ohne Rücksicht auf andere Erfordernisse menschlichen Daseins kann diese Sicht allein und absolut berechtigt erscheinen und auch Besonnene starr an ihr festhalten lassen. Parlament, Regierung, Justiz und Verwaltung, Verbände, Volk und Bürger erscheinen dann nur als Elemente einer freien, stets fließenden Bewegung, von der man glaubt anders wäre diese Sicht unverantwortlich -, daß sie in einer utopischen Vereinigung von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit mündet. Da die Vereinigung sich aber nicht von selbst einstellt, kann diese Sicht eine Ideologie und ein totalitäres System hervorbringen, das die Einheit mit

97

Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 407 f., 413. HStR, Bd. I, S. 653 (Zitat des ersten Satzes); ders., Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, aus ders., Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 149 ff., in: E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft, S. 320 f. (Zitat der beiden folgenden Sätze); vgl. auch dersHStR, Bd. III, S. 30, 35. 98

12 Schachtschneider

178

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

Gewalt zu erzwingen unternimmt und damit alle drei zerstört." - Wilhelm Henke" "In der dialektischen Zuordnung, die Diversität und Identität" umschließe, bilde "der Staat die Antithese zur Gesellschaft und die umgreifende einheitsstiftende Synthese"... "nähere sich wieder der Lehre Hegels, für den die 'bürgerliche Gesellschaft' keinen geschlossenen Kreis unterhalb der obrigkeitlichen Herrschaftsinstanz, sondern die Durchgangsstufe im dialektischen Aufstieg von der Familie zum Staat bildete und sich als System der Bedürfnisse zwischen den beiden sittlichen Einheiten entfaltete ..." - Josef Isensee 100 2. Hegel ist nicht der Vater des Grundgesetzes. Das ist vielmehr Kant 101. Isensee führt die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft auf quasi widerstreitende Rechtsprinzipien, nämlich die der Gleichheit und der Freiheit, zurück, die ihm unvereinbar erscheinen 102 . Er folgt darin der Lehre Carl Schmitts, von dessen ebenso herrschaftlicher wie liberalistischer Verteilungsdoktrin 103 sich die Lehre von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nicht zu lösen vermag. Carl Schmitt hat bekanntlich nur die Gleichheit als Formprinzip der Demokratie anerkannt und der Freiheit lediglich eine liberale, rechtsstaatliche Relevanz belassen 104 . Isensee macht einen die Ordnung des gemeinsamen Lebens bestimmenden Unterschied von Freiheit und Gleichheit zur Grundlage dieser staatsrechtlichen Überlegungen und begibt sich damit in einen Widerspruch zur grundgesetzlichen Entscheidung für die freiheitliche demokratische Grundordnung. 1988 schreibt Josef Isensee über "Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend" u.a. die folgenden Sätze:

99 GG, Bonner Komm., Rdn. 65 zu Art. 21 (1991), mit Bezug auf Böckenförde, empirisch und damit beliebig (dazu 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., 410 ff.; 7. Teil, 1., 4., 5. und 6. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff., 617 ff.). 100 Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, S. 323 f. mit Fn. 16; Hegel Rechtsphilosophie, §§ 181, 256. 101 Dazu 5. Teil, 1., 2. und 3. Kap., S. 253 ff., 259 ff., 275 ff. 102 Zum republikanischen Verhältnis von Freiheit und Gleichheit 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 689 f.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; zum vermeintlichen Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit Hinweise in Fn. 814 im 5. Teil, 6. Kap., S. 423 f. 103

Verfassungslehre, S. 126, 158 f., 163 f. u.ö.; J. Jsensee, HStR, Bd. I, S. 597, 653; dazu 6. Teil, 2. und 6. Kap., S. 449 ff., 478 ff. 104 Verfassungslehre, S. 224 f.; auch ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 192; zu C. Schmitts Verfassungslehre 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., insb. S. 745; dazu 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.

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"Wer die Rahmenbedingungen der Freiheit verbindlich setzt und durchsetzt, kann nicht selbst frei sein. ... Seit die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft sich durchgesetzt hat, ist die ethische Identität zerbrochen, die einst Novalis' enthusiastischer Vision vorschwebte: 'Jeder Staatsbürger ist Staatsbeamter'... Zur Grundrechtserwartung gehört, daß sich zum Wohle des Ganzen Kräfte regen, deren Quellen jenseits des rechtsstaatlichen Horizontes liegen: Religion, Moral, Tradition, Kultur. ... Damit wird ein letzter der Widersprüche sichtbar, aus denen und mit denen das freiheitliche Gemeinwesen lebt: Es legitimiert sich aus der Gleichheit, und es braucht doch den ungleichen Einsatz i m freien Dienst." - Josef Isensee 105 Isensees Lehre ist liberalistisch, nicht freiheitlich, wie sie das Grundgesetz gebietet. Freiheit vermag Isensee jedenfalls in diesem Zusammenhang nicht als Autonomie des Willens zu begreifen 106 . Darum kann er auch mit dem "Sittengesetz", das Art. 2 Abs. 1 GG zum Schlüsselbegriff der grundgesetzlichen Republik macht, nichts anfangen 107 . Die Lehre von der freiheitlichen Demokratie hat Werner Maihofer im Handbuch des Verfassungsrechts 1983 nahezu klassisch ausgebreitet 108 . Gleichheit ist politisch nur in der Freiheit denkbar 109 . Gleichheit ohne Freiheit kann nur die Gleichheit von Untertanen unter einem Herrscher oder einem Führer sein. In seinen Überlegungen zur freiheitlichen Demokratie in der zitierten Abhandlung zum Thema Staat und Verfassung konzipiert Isensee zwar das Volk, welches er von der Gesellschaft unterscheidet, legitimatorisch als Verwirklichung der "Freiheitsidee", begründet aber mit einem dezisionistisch verstandenen Mehrheitsprinzip den Herrschaftscharakter der freiheitlichen Demokratie 110 und nimmt damit der Idee der Freiheit alles Freiheitliche. Den Widerspruch w i l l Isensee dadurch überbrücken, daß

105

S. 74, 76; nicht anders ders., in der Sache, HStR, Bd. I, S. 612 f., 616 f., auch S. 633, im gewissen Widerspruch zur Lehre von der freiheitlichen Demokratie, a.a.O., S. 655 f.; auch ders., HStR, Bd. III, S. 30 f., 35 f. 106 Dazu 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; auch 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff.; passim. 107

J. Isensee, insb. Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65 f.; vgl. 5. Teil, 2. Kap., S. 259 ff. 108 S. 173 ff. 109 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 245 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff.; 990 ff. 110 HStR, Bd. I, S. 655 f.; vgl. ders., HStR, Bd. IV, S. 45; zur Kritik des Mehrheitsprinzips 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 12*

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er den Menschen als "Aktivbürger" und als "Grundrechtsträger" vorstellt, das "Volk" als in der Demokratie den Ursprung staatlicher Herrschaft, "die Gesellschaft als ihr Objekt", als "Inbegriff aller Grundrechtsträger, die der Staatsgewalt unterstehen", eine "verfassungstheoretische, keine rechtspraktische Kategorie" 111 . Damit akzeptiert Isensee politische Freiheit, mißversteht aber den grundrechtlichen Freiheitsbegriff, der ausschließlich eine politische Kategorie ist. Die Unterscheidung eines demokratischen und eines grundrechtlichen Freiheitsbegriffs 112 bleibt der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft verhaftet, weil sie die Kategorie Herrschaft nicht abweist. Isensee spaltet zu diesem Zweck, wie gesagt, sogar den Menschen in den citoyen und den bourgeois 113 . Der homme aber soll citoyen sein 114 . Das ist wesentlich seine Freiheit, jedenfalls nach der Ethik des Grundgesetzes. Dadurch ist er Bürger einer Republik. Die Gleichheit ohne Freiheit führt, wie Carl Schmitt gezeigt hat, zum Akklamationsprinzip 115 , dessen entwürdigenden, herrschaftlichen Charakter Martin Kriele als eine "hündische Unterwürfigkeit unter den Herren" gegeißelt hat 116 . Untertanen sind auch die Bürger, denen liberale Grundrechte zugestanden werden, welche nach Isensee "geradezu den Egoismus legitimieren" sollen 1 1 7 , freilich nur im Rahmen der "Freiheit", den die Amtsträger abstecken. Wenn die, welche "die Rahmenbedingungen der Freiheit verbindlich setzen und durchsetzen",... "selbst nicht frei sind", geht die Staatsgewalt nicht vom Volke aus, wie es Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG zur Grundlage des politischen Gemeinwesens Deutschland macht und Isensee, wie gesagt, an anderer Stelle in der Sache zugesteht 118 , ist die Freiheit nicht Autonomie des Willens, ist Deutschland keine Republik, die auch Isensee auf die "Einheit von Staatsgewalt und Bürgerfreiheit", auf "die Einheit von Staat (sc. im weiteren Sinne) und Gesellschaft" stellt 119 . Isensee verkennt die

111 HStR, Bd. I, S. 655; vgl. auch ders., HStR, Bd. III, S. 29 ff., 37 f.; ders., Grundrechte und Demokratie. Die polare Legitimation im grundrechtlichen Gemeinwesen, 1981, S. 9 ff., 11 ff., 13 ff. 112

Dazu 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; auch 175 ff. So explizit HStR, Bd. III, S. 37 f. (dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.). 114 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 115 Verfassungslehre, S. 83 f., 243 f., 246 f., 250, 260, 277; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 43 ff.; 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff. 116 Die Demokratische Weltrevolution, S. 37. 117 Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 71. 118 HStR, Bd. I, S. 655. 119 HStR, Bd. I, S. 654. 113

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Abhängigkeit des Gleichheitsprinzips von dem Freiheitsprinzip 120 , weil er Herrschaft dogmatisieren will, welche er durch Freiheitsräume 121 zu moderieren und zu liberalisieren bemüht ist. 3. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ist logisch, wenn Freiheit als vom Staat gewährte, wenn auch grundrechtlich geschützte, unbestimmte Vielheit materialer Handlungsfreiheiten begriffen wird. Dieser Freiheitsbegriff der Praxis des Bundesverfassungsgerichts, dem die Lehre weitestgehend folgt 1 2 2 , verbindet sich mit der Vorstellung eines metaphorisch räumlich gedachten Bezirks der gesellschaftlichen Unabhängigkeit, mit der Vorstellung einer staatsfreien Sphäre der Gesellschaft 123 . "In der Demokratie hat der Einzelne nicht nur als Bürger teil an der allgemeinen Herrschaft, sondern er ist auch als Untertan der allgemeinen Herrschaft unterworfen - diese personifiziert sich i m Staat"... "Vollends muß diese Unterscheidung durchgeführt werden, wenn es um den status negativus oder positivus der Individuen geht. Hier wird ein vom Einzelnen verschiedener Adressat seiner Abwehr- und Leistungsansprüche vorausgesetzt: Der Staat als Herrschaftsorganisation und Leistungsträger." ... "Auf dieser Unterscheidung beruhen die Grundrechte, die eine dualistische Beziehung zwischen Rechtsträgern und Rechtsverpflichteten, zwischen Individuen und 'öffentlicher Gewalt', zum Gegenstand haben. M i t der Übernahme der Institute der rechtsstaatlichen Tradition mußte auch (wenigstens in verwandelter Form) der Dualismus von Staat und Gesellschaft übernommen werden." - Josef Isensee m

120

1. Teil, 1. Kap., S. 1 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 685; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff. 121 Zur räumlichen Freiheitskategorie BVerfGE 82, 209 (223); ständig, etwa BVerfGE 46, 120 (137); J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 597, 655 u.ö., ein Beleg für eine dem monarchischliberalen Konstitutionalismus verhaftete Dogmatik, die nicht dadurch die Ethik des Grundgesetzes erreicht, daß sie an die Stelle des monarchischen das demokratische Prinzip setzt, letzteres aber unverändert als Herrschaftsprinzip dogmatisiert, zumal es sich in der Parteienoligarchie verwirklichen dürfen soll (dazu 6. Teil, 5. und 9. Kap., S. 466 ff., 501 ff.; 1. Teil, 2. Kap., S. 11 ff.; 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff.). 122

Dazu 6. Teil, S. 441 ff., insb. 1., 3., 5., 6. und 9. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff. 123 So W. Henke, Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 369 f. ("Bezirke privater Freiheit"); E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 401 f.; dabei bleibt in der Sache auch H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1198 ff., trotz seiner Kritik an diesem Begriff (S. 1190); H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 265; kritisch auch K. Hesse, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 486 f.; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 5 ff., S. 5 ff.; kritisch R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 70 ff.; weitere Hinweise im 6. Teil, 3., 5. und 6. Kap., S. 454 ff., 466 ff., 478 ff.

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Rechtsverhältnisse schaffen keine Untertanenverhältnisse 125 . Vor allem aber überzeugt das Argument von der tradierten Grundrechtsdogmatik nicht. Überzeugender ist es, nach der Revolution von 1918 auch die Grundrechtsdogmatik zu revolutionieren, d.h. diese der Verfassung gemäß zu republikanisieren. Die Praxis hat das längst durch eine Rechtsprechung der praktischen Vernunft, orientiert an den politischen Leitentscheidungen der Grundrechte, vollzogen 126 . Die Lehre ist die republikanische Grundrechtsdogmatik bisher schuldig geblieben. Eine Ausnahme macht die Wesensgehaltslehre Peter Häberles 121. Isensee schleppt wie die herrschende Meinung die tradierte Grundrechtsdogmatik mit, welche ohne das monarchische Prinzip auch ihren eigentlich liberalen Status eingebüßt hat 1 2 8 . Er konstituiert einen Staat, der zu der liberalistischen Freiheitsdogmatik paßt, die nicht nur nicht mehr begründbar ist, sondern den Nachweis ihrer praktischen Relevanz schuldig bleibt und bleiben muß. Der Grundrechtsliberalismus mag der bundesverfassungsgerichtlichen Lehre von den Grundrechten als Abwehrrechten gegen den Staat 129 genügen, nicht aber der grundrechtlichen Werterechtsprechung des Gerichts, die einen republikanischen Status beanspruchen kann 1 3 0 . Mehr als eine Kompetenz zu funktional gesetzgebenden Rechtserkenntnissen der Verfassungsrechtsprechung, die sich an den Leitentscheidungen der Grundrechte orientieren, läßt sich, wenn die Grundrechte die Gesetzgebung des Staates nicht subsumibel begrenzen, nicht dogmatisieren 131 . Die Gesetzesvorbehalte lassen eine aus allein interpretativ entfalteten Grundrechtsbegriffen mittels Subsumtion begründbare Abwehr des Staates durch den Bürger nicht zu. Das praktizierte Verhältnismäßigkeitsprinzip dient der Ausformung der dem Bundesverfassungsgericht

124

Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, S. 321 f.; Isensee hat diese Meinung wenn auch abgeschwächt, so doch nicht aufgegeben, vgl. 6. Teil, 9. Kap., S. 505 f.; 3. Teil, 1. Kap., S. 162. 125 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 325 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; zur bürgerlichen Identität 8. Teil, 2. Kap., S. 688 ff.; auch 2. Teil, 6., 9. und 11. Kap., S. 106 ff., 139 ff., 153 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff. 126 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., insb. 2., 3. und 7. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 978 ff. 127 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. 128 Dazu 6. Teil, 3., 6. und 9. Kap., S. 454 ff., 478 ff., 501 ff. 129 Dazu 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff., insb. 3., 4., 5. und 6. Kap., S. 454 ff., 461 ff., 466 ff., 478 ff. 130 Dazu 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., insb. 2. und 3. Kap., S. 858 ff., 909 ff. 131 Dazu 9. Teil, S. 819 ff., insb. 1., 2., 7. und 9. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 978 ff., 1002 ff.

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vom Volk durch das Grundgesetz aufgebenen stellvertretenden praktischen Vernünftigkeit, nicht anders als das Abwägungsprinzip und das Willkürverbot. Alle sind Aspekte gesetzgeberischer Sachlichkeit 132 . Derartige Rechtserkenntnis sind institutionell Rechtsprechung, wie die Art. 92 ff. GG beweisen. Sie ist aber zumindest auch funktional gesetzgeberisch 133. Dogmatische Traditionalismen dürfen die grundgesetzliche Verfassung des Gemeinwesens nicht verfälschen. Es ist nur konsequent, daß der demokratisch-liberale, also der konstitutionelle Freiheitsbegriff, welcher die politische Freiheit ausklammert 134 , zur ebenfalls demokratisch-liberalen und damit konstitutionellen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft führt. Das demokratische tritt dabei an die Stelle des monarchischen Herrschaftsprinzips. Die politische Freiheit wird neben der liberalen als die andere Freiheit, die demokratistische, dogmatisiert, weil Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, schlechterdings nicht auf eine bloße Deklaration demokratischer Legitimität der Staatsgewalt reduziert werden kann 1 3 5 , sondern das Volk als den Träger der Staatsgewalt, also die Bürger als die Subjekte der Staatlichkeit und damit als den Verfassungs- und insbesondere den Gesetzgeber konstituiert, der etwa durch seine "Organe der Gesetzgebung" die Staatsgewalt ausübt 1 3 6 .

132 Dazu 5. Teil, 4. und 6. Kap., S. 362 f., 412 ff.; 9. Teil, 2., 7. und 8. Kap., S. 895 ff., 986 ff., 990 ff. 133 Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 566 ff. 134 EtwaJ. Isensee, Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, S. 321 f.; ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 68 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 651 ff., 655 (neben der "persönlichen demokratischen Freiheit" der "Aktivbürger"); ders., HStR, Bd. III, S. 36 f., 52; vgl. dazu auch E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 403 f.; auch H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1198 ff., entwickelt trotz seines autonomie-dogmatischen Ansatzes (S. 1188, 1203, 1207 f., 1212) keinen politischen, nämlich wirklich bürgerlichen Freiheitsbegriff; seine Lehre bleibt vielmehr pluralistisch und dualistisch (S. 1199 ff.), weil herrschaftlich (S. 1204 f., 1206 f.); insb. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 224 f. u.ö.; weitere Hinw. in Fn. 1 ff. im 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff.; zur Freiheit des Untertanen nach dem monarchischen Prinzip H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 257 f., 264 f. 135

So insb. E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 411 f.; auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 641, 652 ff., insb. S. 655 (krass dualistisch); ders., HStR, Bd. III, S. 52; ders., Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, S. 320, noch anders; weitere Hinweise in Fn. 279 ff., 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. 136 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 64 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff.; so selbst J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 654, für die von ihm nicht vertretene "republikanische Sicht".

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"Die Verfassung ist nicht Beschränkung, sondern Quelle und Legitimation aller Staatsgewalt. Was dem Staat nicht übertragen ist, ist ihm verboten." - Hans Heinrich Rupp 137 II. Die politische Freiheit in herrschaftslosen Gemeinwesen 1. Die Gesetzgebung des Volkes ist logisch autonom, also freiheitlich und somit demokratisch 138 . Der republikanische Freiheitsbegriff ist demgemäß politisch und unterscheidet nicht trennend zwischen einer liberalen und einer demokratischen Freiheit 139 . Das "politische System" ist nicht nur ein "Teilsystem des Sozialen", wie es Heinz-Christoph Link für den "Staatszweck Freiheitsicherung" voraussetzt 140 . Eine solche Lehre dogmatisiert den Staat des monarchischen Prinzips und die liberale Gesellschaft des Bildungs- und Besitzbürgertums des 19. Jahrhunderts, für die Hegel den Begriff der "kleinbürgerlichen Gesellschaft" geprägt hat 1 4 1 . Vielmehr ist das gesamte gemeinsame Leben der Bürger politisch, und soll darum bürgerlich oder frei sein 142 . "Alle Bereiche personaler Lebensgestaltung" sind "autonome Bereiche selbstverantwortlicher Lebensgestaltung", nicht nur ein Teil derselben, wie Link meint 1 4 3 . 137 HStR, Bd. I, S. 1207, auch S. 1208; dazu 6. Teil, 5. Kap., S. 472 f.; i.d.S. M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 112; auch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 22 f., 41 f., 256, 262; J. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 210 ff., Ls. 8, S. 244; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 332. 138 Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff. 139 Dazu 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; i.d.S. auch K. Hesse, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 496 f., der allerdings Demokratie auch als "Herrschaft von Menschen über Menschen" begreift (S. 497); schwankend J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 641 ("der Verfassungsstaat ist die Wirklichkeit der Freiheit", aber Trennung von Staat und Gesellschaft, vgl. die Zitate S. 177, 181 f., und "parlamentarische Demokratie" als Organisation "staatlicher Herrschaft", HStR, Bd. I, S. 644 u.ö.). 140 VVDStRL 48 (1990), S. 42; i.d.S. J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 654 (keine societas perfecta"). 141 Dazu H.Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 259 ff.; P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 107 ff., 323 ff., 345 ff., 356 ff.; M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 77 ff.; Ch. v. Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 448 ff., 476, der in Fn. 51 die "eigentümliche Nähe des Stalinismus zur Staatsund Gesellschaftskonstruktion Hegels" anspricht; der Sache nach löst sich davon auch nicht H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1204 f., 1209 ff. 142 Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 3. und 11. Kap., S. 909 ff., 1033 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; ganz so Ch. v. Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 434 ff., 454 ff.; M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 77 ff. (bis Hegel); H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 267 ff.; so im Prinzip auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 651 ff.; ders., HStR, Bd. III, S. 71 ff. 143 VVDStRL 48 (1990), S. 42 f. mit Hinweisen in Fn. 170.

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Die "Sphärentrennung von Staat und Gesellschaft" beruht auf der "spezifisch deutschen Freiheit", "der Freiheit des unpolitischen Seins", die "eben nicht politisch-gesellschaftlich konturiert" war. - Christian Graf von Krockow UA Die Verteidigung der "Trennung von Staat und Gesellschaft" durch Bökkenförde bezeichnet von Krockow zu Recht als "Irrweg", als "eine ganz und gar unzeitgemäße Übertragung", ... "so daß man wider Willen genau in das hineingerät, was man vermeiden möchte: in die vollendete Unfreiheit der totalen Gewalt", ja, explizit gegen Bökkenfördes Versuch, sie "als einen Schutz wall der Freiheits Währung aufzurichten oder zu restaurieren", als "ein Residuum antidemokratischer Potentiale" 145 . Ganz in diesem Sinne sagt Hans Heinrich Rupp: "So endet auf deutschem Boden die Freiheitslehre des Westens in der kläglichen Identifizierung der Freiheit mir einer 'staatsfreien Sphäre' des Individuums und der Gesellschaft, also in einer Freiheit vom Staat, der nicht derjenige des Bürgertums war, eine Entwicklung, die im Schwanken zwischen unpolitischer Staatsfremdheit und ebenso unpolitischer Machtanbetung bereits Entwicklungen des folgenden Jahrhunderts andeutete" 146 . Rupp selbst hat jedoch den Schritt zu einer republikanischen Freiheitslehre, welche jede Art von Herrschaft zurückweist, noch nicht getan. Die Entpolitisierung der Bürger i m Namen der Freiheit w i l l den Namen Freiheit dem in der Parteienoligarchie ohnmächtigen und enttäuschten Volk bewahren, wiederum liberalistisch in einem vermeintlichen Bereich der Gesellschaft, ähnlich der Entwicklung in der nachnapoleonischen Restauration. Die Hoffnung der Nachkriegszeit, zur allgemeinen Freiheit finden zu können, von der das Grundgesetz getragen ist, droht im Parteienstaat zu ersticken. Die Lehre von der allgemeinen Handlungsfreiheit 147 , von benannten und unbenannten Freiheiten also, ist ohne einen herrschaftlichen Staat undenkbar. Staat und Gesellschaft müssen also unterschieden werden, um zum einen die Herrschaftsideologie zu wahren und um zum anderen der Logik des (irrigen) Begriffs der allgemeinen Handlungsfreiheit gerecht

144 145 146 147

Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 460. Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 458 f. bzw. 433 f. HStR, Bd. I, S. 1190. Dazu 6. Teil, S. 441 ff., insb. 1. Kap., S. 441 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.

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werden zu können. Die freiheitsdogmatische Verteilungslehre 148 ist auf einen herrschaftlichen Staat angewiesen, welcher die materiale Handlungsfreiheit geben oder nehmen kann, und sei es ein Staat, in dem die Herren "frei" gewählt und abgewählt werden können, eine "gewählte Obrigkeit" (jErwin K. und Ute Scheuch 149). Diese Lehre meint, die Herrschaftlichkeit in der demokratischen Staatsgewalt entdeckt zu haben, ein circulus vitiosus, der von einem (irrigen) Freiheitsbegriff ausgeht, welcher die herrschaftsfreie Sittlichkeit nicht kennt und darum die Kategorie Herrschaft kreiert, weil dem liberalistischen Begriff der Freiheit sonst die logische Voraussetzung fehlt, der Staat, gegen den die Freiheit verteidigt werden kann. Diese Lehre läßt sich von ihrer demokratischen Freiheitsidee 150 nicht (noch nicht) irritieren, weil ihr sonst das Herrschaftliche verloren gehen würde. Die Lehre von der materialen allgemeinen Handlungsfreiheit verliert ihre logische Grundlage, wenn die Staatlichkeit nicht als Herrschaft, sondern als Verwirklichung der Freiheit erkannt wird. Staatlichkeit ist jedoch Gesetzlichkeit und Gesetzlichkeit ist Freiheitlichkeit, wenn sie die Sittlichkeit wahrt 1 5 1 . Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft widerspricht dem Begriff der Republik. 2. Wer die Legitimation der Staatsgewalt nicht dogmatisch, d.h. folgenreich, und nicht lediglich propagandistisch, auf das Prinzip der allgemeinen, politischen Freiheit stellt, muß angesichts Art. 1 Abs. 2 GG, der das "Bekenntnis des deutschen Volkes zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" ausspricht, einen Dualismus von Staat und Gesellschaft lehren, weil diese Menschenrechte das gemeinsame Leben der Menschen in seiner Gesamtheit erfassen. Sonst könnten sie nicht "Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" sein. Wie auch immer das Staatliche definiert und legitimiert sei, herrschaftlich oder freiheitlich, zumindest der nichtstaatliche Bereich muß einem Freiheitsprinzip genügen 152 . Sonst wäre sogar die im 19. Jahrhundert gewonnene Liberalität verloren, ein Minimum an

148 Dazu 6. Teil, 2. und 6. Kap., S. 449 ff., 486 ff.; insb. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126, 158 ff., 163 f. 149 Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 147, auch S. 121. 150 Dazu 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; insb. Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 3 ff. 151 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; auch 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., 410 ff. 152 Zur freiheitlichen Privatheit 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.

2. Kap.: Neoliberalistischer Dualismus

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Bürgerlichkeit, das niemand missen möchte 153 . Das Grundgesetz verfaßt das Gemeinwesen aber insgesamt durch seine freiheitliche demokratische Grundordnung als freiheitlich und verwirklicht gerade dadurch die Würde des Menschen. Das Staatliche, das Allgemeine, ist nach dem Grundgesetz nicht minder frei als das Private, das Besondere. Das Staatliche und das Private sind nämlich durch die Menschen als Bürger, gemeinsam bzw. allein, jeweils aber selbstbestimmt, die einzig mögliche Logik der Gleichheit aller in der Freiheit 154 . Der Republikanismus geht dadurch über den Liberalismus hinaus, daß er auch das Staatliche als Verwirklichung der Freiheit begreift, d.h. eine Demokratie ohne Herrschaft entfaltet 155 . Der Republikanismus ist ohne einen Begriff der politischen Freiheit, also einer Freiheit, die das gemeinsame Leben in seiner Gesamtheit erfaßt, nicht denkbar. Diesen Freiheitsbegriff bringt Art. 2 Abs. 1 GG in Materialisierung des Menschenwürdeprinzips des Art. 1 Abs. 1 GG vor allem dadurch zum Ausdruck, daß er die Freiheit durch die definitorische Einbindung des Sittengesetzes als Prinzip der allgemeinen Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens, als Autonomie des Willens eben, definiert 156 . Keine Verfassung, die nicht Herrschaft von Menschen über Menschen etablieren will, kann die Freiheit anders definieren. Es gibt keine mögliche Legitimation der Herrschaft, auch nicht eine legitimierende Erklärung der Herrschaft aus einer empirischen Ungleichheit der Menschen, wie sie Wilhelm Henke anbietet 157 . Amtlichkeit dient der Verwirklichung der Freiheit und kann nicht in legitimierte Herrschaft umgedeutet werden, weil sie mit der freiheitlich unverzichtbaren Zwangsbefugnis verbunden sein kann und muß 1 5 8 . Wenn also die Staatlichkeit nicht auf die politische, also die i m eigentlichen Sinne bürgerliche, die republikanische Freiheit gestellt wird, muß ein Prinzip der Legitimation des Staatlichen genannt werden, weil die liberalistischen Freiheiten dieses nicht sein können; denn sie sind Kennzeichen einer vom Staat unterschiedenen Gesellschaft. Derartige Freiheiten

153

Zur Nähe und Distanz des Republikanismus zum Liberalismus 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff. Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff. 155 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., insb. S. 25 ff.; 2. Teil, 4. und 11. Kap., S. 96 ff., 153 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 156 Dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 157 Recht und Staat, S. 251 ff., 294 ff., 387 ff. 158 7. Teil, 1. und 3. Kap., S. 519 ff., 545 ff.; auch 2. Teil, 6. und 8. Kap., S. 113 ff., 137 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff. 154

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

können nämlich nur vom Staat als materiale Rechte, als Freiheitsrechte (Grundrechte) anerkannt werden 159 . Wer die Grundrechte (allein oder wesentlich) als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat dogmatisiert 160 , hat in der Sache den Dualismus von Staat und Gesellschaft bereits anerkannt 1 6 1 . Auch wenn verschiedene Lebensbereiche legitimatorisch differenziert werden, sind sie unterschieden und erlauben die Überordnung des einen über den anderen. Das gilt nicht nur, wenn die demokratische Staatlichkeit auf das Gleichheitsprinzip gestützt wird 1 6 2 , sondern dafür genügt auch eine Differenzierung des Freiheitsbegriffs, der sich für die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nutzen läßt. So spiegelt auch der neue freiheitsrechtliche Dualismus einer liberalen/grundrechtlichen und einer demokratischen Freiheitsidee 163 die alte Unterscheidung von Staat und Gesellschaft wider. "Die Freiheit wird also 'doppelt genäht': zur politischen Freiheit der Mitwirkung und Mitbeteiligung aller an den Entscheidungen der Staatsgewalt tritt hinzu die bürgerliche Freiheit der einzelnen und der Gesellschaft vor bestimmten Zugriffen der Staatsgewalt überhaupt." - ErnstWolfgang Böckenförde 164

159 Deutlich i.d.S. W. Brohm, HStR, Bd. II, S. 232 f. ("rechtlich anerkannte und gewährleistete Handlungsmöglichkeiten", die Brohm für "verfügbare 'subjektive Rechte'" hält); J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 651 ff.; ders., HStR, Bd. III, S. 35 ff.; i.d.S. auch H.-Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 42 ff.; so der Sache nach die rechtsstaatlich-liberale Verteilungsdoktrin, deren prominentester Vertreter C. Schmitt ist, vgl. Hinweise in Fn. 207 im 6. Teil, 6. Kap., S. 486; dazu 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff. 160 Hinweise in Fn. 58, 6. Teil, 3. Kap., S.454 ; auch 6. Teil, 1. und 3. Kap., S. 441 ff. u. 454 ff.; auch 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; auch 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; etwa J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 36 f. 161 Etwa J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 655; ders., HStR, Bd. III, S. 37 f.; ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 71 ff.; dazu auch H.-Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 43, unter Hinweis auf "die bei Grotius, Pufendorf und Locke ausgeformte zweistufige Vertragsgestaltung", deren Konsequenzen das Grundgesetz "durch die primäre Ausgestaltung der Grundrechte als Abwehrrechte übernommen" habe; die politische Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG jedenfalls ist ein solches Abwehrrecht gegen den Staat nicht; dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 2., 8. und 9. Kap., S. 449 ff., 494 ff., 501 ff.; auch 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff. 162

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 43 ff.; 8. Teil, 2. und 4. Kap., S. 689 ff., 739 f. Dazu 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; vor allem E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 421 ff.; Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 3 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 655 f., 660 u.ö.; ders., HStR, Bd. III, S. 52; ders., Grundrechte und Demokratie, S. 9 ff.; weitere Hinweise in Fn. 279 im 6. Teil, 9. Kap., S. 501. 163

2. Kap.: Neoliberalistischer Dualismus

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Diese Lehre sieht sich immerhin genötigt, die staatliche Herrschaft freiheitlich zu legitimieren 165 , und findet damit in die Nähe eines republikanischen Freiheitsbegriffs. Eine Logik freiheitlicher Herrschaft gibt es jedoch nicht. Freiheit im politischen Sinne, also republikanische Freiheit, und Herrschaft sind ein Widerspruch 166 . Das Grundgesetz gibt keinen Ansatzpunkt für eine Unterscheidung einer politischen von einer unpolitischen Freiheit. Das gemeinsame Leben ist durchgehend zugleich staatlich als auch privat bestimmt, nämlich durch allgemeine Gesetze und besondere, eben private, Maximen 1 6 7 . Es ist insgesamt bürgerlich, also politisch. Das hindert die Verfassung nicht, dem staatlichen Gesetzgeber Gesetzgebungskompetenzen zu verweigern, um der privaten Lebensbewältigung den Vorrang zu belassen 168 . Die besonderen Grundrechte lassen sich nicht danach differenzieren, ob sie die politische oder die nicht-politische Freiheit schützen. 3. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, welche die Freiheit auf ihre Fahne geschrieben hat, ist der letzte Versuch, Herrschaft von Men-

164

Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 412. So schon G. Anschütz, WRV, Komm., Anm. 1 zu Art. 114; dazu C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126 f., 130, 158 f., 163, 166 f., 168 f., 223 ff., der die Freiheit nicht als politisches Formprinzip akzeptiert hat; demgegenüber konzipiert H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., die Demokratie aus der Idee der Freiheit heraus (dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.). 166 Dazu 2. Teil, 1. und 7. Kap., S. 71 ff., 124 ff.. Wenn man auch Sicherheit als Freiheit begreift, wie W. Henke, Recht und Staat, S. 260 ("Es gibt aber auch Freiheit in und durch Herrschaft, näriilich Freiheit von Gefahren und Lasten, die die Selbständigkeit mit sich bringt und die die Kleinen, Schwachen und Unvernünftigen oft nicht tragen können"), besteht kein begrifflicher Gegensatz zur Herrschaft, aber eine solche Lehre des Patemalismus setzt sich dem Vorwurf der Despotie aus, den Kant zu Recht erhoben hat (Über den Gemeinspruch, S. 145 f.). Die allgemeine Selbständigkeit ist ein Gebot des Freiheitsprinzips (dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 213 ff.), die Unselbständigkeit aber keine Rechtfertigung von Herrschaft. "Die Zuwendung zu dem Unterlegenen", also "die Gerechtigkeit des Überlegenen" macht die Herrschaft nicht zur guten Sache (so Henke, a.a.O., S. 260 f.); sie ist allemal Despotie, wenn auch nicht Tyrannis. Nur das allgemeine Gesetz nimmt der Hilfe den entwürdigenden Charakter. Herrschaft charakterisiert Henke gerade dadurch, "daß das Urteil des Herrn darüber, was gerecht sei, nicht aber das des Beherrschten maßgebend" sei (a.a.O., S. 261). Damit spricht Henke ausgerechnet dem "Unterlegenen" die Freiheit, die Autonomie des Willens, ab und vertritt ein Recht des Stärkeren, das seit Hobbes in der Rechtslehre überwunden schien (vgl. Leviathan, S. 112 ff.). 165

167

Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff., insb. S. 230 ff.; vgl. 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 298 ff.,

348 ff. 168 Dazu 3. Teil, 3. und 4. Kap., S. 195 ff., 201 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 220 ff., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. 385 ff.

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

sehen über Menschen zu legitimieren. Die demokratistische Parteienherrschaft gerät ohne eine staatsrechtliche Rechtfertigung in legitimatorische Bedrängnis. Legitimation, wenn man diesen Begriff überhaupt benutzen will, kann in der freien Welt nur noch die Freiheit geben 169 . Die Raffinesse der neuen Lehre von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ist ihre freiheitsdogmatische Grundlegung. Diese Lehre scheint die Freiheit zu verteidigen, stabilisiert aber die Herrschaft. Das Grundgesetz läßt einer Herrschaftsideologie jedoch keine Chance. Das monarchische Prinzip kennt es nicht mehr. Das Parteienprinzip verfaßt es nicht als Herrschaftsprinzip; denn Art. 21 Abs. 1 GG erlaubt es den Parteien (nur), "bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken". Das legitimiert keine Herrschaft über das Volk 1 7 0 . Das Verharren im herrschaftlichen Liberalismus entspricht nicht nur nicht dem Grundgesetz, sondern birgt mehr Gefahren als Chancen, weil nur ein politisches Bürgertum die Freiheit sichert, nicht aber Rechte, welche die Parteienoligarchie geben aber auch wieder nehmen kann. Christian Graf von Krockow hat mit Hinweis auf Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen vor der spezifisch deutschen "Freiheit des Unpolitischseins - eine Freiheit, die auf der Sphärentrennung von Staat und Gesellschaft" beruhe, gewarnt 171 . Humanität ist es nicht, den sogenannten Bürgern den Egoismus zu lassen, sie aber zum Wohl des Ganzen zu beherrschen, gekräftigt aus "Quellen jenseits des rechtsstaatlichen Horizontes, der Religion, Moral, Tradition, Kultur" - das Konzept Josef Isensees 112. Isensees Staatskonzept löst sich nicht vom hegelianischen "sittlichen Reich" des monarchischen Prinzips 173 . Ein solches Reich war niemals Wirklichkeit und konnte das nicht sein, weil nur die Moralität von Menschen Sittlichkeit zu verwirklichen vermag. Allein schon das demokratisch unverzichtbar allgemeine Wahlrecht macht die allgemeine Moralität zum unentbehrlichen Prinzip des freiheitlichen Ge-

169

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; auch 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 170

171

Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 458 ff. (Zitat S. 460). Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 71, 75 f.; ders., HStR, Bd. I, S. 616 f.; vgl. auch ders., HStR, Bd. III, S. 15 f., 37 ("Egoismus" "als Vehikel des Gemeinwohls"). 172

173

HStR, Bd. I, S. 616 f.; dazu H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 257 f.

2. Kap.: Neoliberalistischer Dualismus

191

meinwesens, der res publica, der "Verfassung der Freiheit", wie Isensee selbst einräumt 174 . Gerechtigkeit ist auch der Paternalismus nicht, das Konzept Wilhelm Henkes für das Miteinander der "Ungleichen" 175 , sondern die Brüderlichkeit, welche die Ungleichheit überwindet 176 . Die Würde des Anderen achtet nur, wer von ihm Moralität erwartet; denn mit dieser Erwartung gesteht er dem Anderen auch den guten Willen zu. Der Skeptizismus, der die Herrschaftsideologie motiviert, war immer antiaufklärerisch (Jürgen Habermas) 111. Die republikanische Freiheit steht aber auch nach der Freilassung des östlichen Teils Europas aus der tyrannischen Herrschaft nicht auf der Tagesordnung. In Deutschland läßt man sich die Führung eines Parteivorsitzenden gefallen, der den Deutschen keine Gelegenheit gibt, die alle Deutschen betreffenden Fragen zu erörtern, bevor sie entschieden sind, weder die Fragen der Einheit Deutschlands noch die Fragen der Einheit Europas. Nach der politischen Freiheit der Bürger zu fragen, wird wieder einmal zum Tabu, weil der Versuch großer Lösungen, zum einen der deutschen und zum anderen der europäischen Frage, den allgemeinen Diskurs zu verbieten scheint 178 . So wird aus dem Willen der deutschen Bürger zur deutschen Einheit das Murren der deutschen Untertanen über deren Kosten und Risiken. Als Bürger darf man jedoch nicht in Anspruch nehmen, wen man politisch entmündigt 179 . Den Verzicht der Bürger auf das Politische läßt die sogenannte politische Klasse gern zu, ja sie drängt danach, um in ihrer Macht ungestört zu sein. Die Bürger entkleiden sich durch diesen Verzicht ihrer politischen Freiheit und damit ihrer eigentlichen Bürgerlichkeit. Freiheit pflegen sie wie Sklaven als Freizeit zu definieren, als wäre die Arbeit Unfreiheit. Ohne Bürger kann keine Republik entstehen. Die Parteienoligarchie kann es sich erlauben, die Menschen, welchen die Verfassung die Bürgerlichkeit garantiert, als Untertanen zu behandeln, solange Brot und Spiele gesichert sind. Neu ist das alles nicht.

174

HStR, Bd. I, S. 616, 641, 660. Recht und Staat, S. 251 ff. u.ö. 176 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 177 Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 108 f.; i.d.S. auch J. Fetscher, Aufklärung und Gegenaufklärung in der Bundesrepublik, S. 522 ff. 175

178

Im Verfassungsbeschwerdeverfahren um den Vertrag über die Europäische Union (Maastricht) hat die Bundesregierung vortragen lassen, daß das Grundgesetz politische Freiheit der Bürger nicht grundrechtlich schütze (S. 59 der Stellungnahme vom 18.1.1993 zur von mir vertretenen Verfassungsbeschwerde M. Brunners vom 15.12.1992). 179 Dazu 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff.

192

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

Der irrtümliche liberalistische Freiheitsbegriff, der Art. 2 Abs. 1 GG verfehlt 1 8 0 , führt dogmatisch in die herrschaftlich-liberale Verfassung zurück, die Staat und Gesellschaft gegeneinander stellt. Um derartige Freiheit zu ermöglichen, sucht die hier kritisierte Lehre einen Herren, der Freiheiten läßt. Freiheit ist aber "die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" 1 8 1 . Der Büger duldet keinen Herren. Darin ist er frei. Ausgerechnet die Freiheit muß herhalten, um Herrschaft zu legitimieren. Der jüngeren Lehre der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, welche die Freiheit zu stützen vorgibt, liegt die Annahme zugrunde, Staatsgewalt sei Herrschaft, Demokratie notwendig eine Form staatlicher Herrschaft 182 . Das Grundgesetz jedoch konstituiert die Staatsgewalt freiheitlich, nicht aber herrschaftlich 183 . Der demokratistische Parteienstaat ist freilich herrschaftlich und legitimiert den liberalistischen Schutz gesellschaftlicher Freiheit 1 8 4 ; aber dieser Parteienstaat selbst ist nicht legitim. Die Reaktion auf den entwickelten Parteienstaat muß es sein, die Parteien auf die "Mitwirkung bei der politschen Willensbildung des Volkes" zurückzudrängen, welche Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG genügt, nicht aber deren Herrschaft durch einen kompensatorischen Liberalismus zu stabilisieren. Das wäre wiederum der "klägliche" (Hans Heinrich Rupp x%5) Weg des deutschen Konstitutionalismus der meist oktroyierten Verfassungen nach Metternichs Restauration, der Weg der sanften Despotie, nicht der des aufrechten Ganges der Freiheit.

180

Dazu 6. Teil, 1. und insb. 9. Kap., S. 441 ff., 501 ff. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 275 ff., insb. S. 275 ff., 431 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff. 182 So insb. E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 406, 411 f.; ders., Demokratie und Repräsentation, S. 14 f., 18, 20 f., 27; ders., HStR, Bd. I, S. 893 u.ö.; J. Isensee, Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, S. 322, 328 f. u.ö.; ders., HStR, Bd. I, S. 655 u.ö.; ders., HStR, Bd. III, S. 43, 45; auch H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1204 f. u.ö.; W. Henke, GG, BonnerKomm., Rdn. 69 zu Art. 21; so auch Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 134, S. 53 (Demokratie - "Herrschaft von Menschen über Menschen, allerdings nicht aus eigenem Recht"), der aber dennoch die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft bekämpft, Rdn. 5 ff., S. 5 ff., eine unklare Position, die auch freiheitsdogmatisch trotz eines ausgesprochen politischen Begriffs der Freiheit noch nicht ganz zum Republikanismus vorgedrungen ist (Rdn. 277 ff., S. 111 ff.); auch R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 38 ff., 145 ff.; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1., 4., 5. und 6. Kap., S. 71 ff., 92 ff., 100 ff., 106 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 183 Dazu 1. Teil, 1. und 3. Kap., S. 4 ff., 14 ff., 64 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 64 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 184 Dazu 6. Teil, 3. Kap., S. 454 ff. 185 HStR, Bd. I, S. 1190. 181

3. Kap.: Die Totalität des Politischen des gemeinsamen Lebens

193

Die Republik jedoch steht und fällt mit der Moralität ihrer Bürger und vor allem deren Vertreter in den Ämtern. Solange der Moralität vor allem durch die Parteienoligarchie der Weg versperrt ist, hat die traditionelle grundrechtliche Abwehrdogmatik mit ihrer Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, richtiger von Herrschaft und Freiheit, eine kompensatorische Funktion und damit Legitimation aus der Not 1 8 6 . Sie wahrt wenigstens die liberalen Errungenschaften, freilich wegen der veränderten Lage mehr dogmatisch als praktisch. Die durch Wahlen legitimierte Parteienoligarchie ist etwas anderes als die Monarchie. Die grundgesetzliche Freiheit kann erst Wirklichkeit werden, wenn die Herrschaft der Parteien gebrochen ist und vor allem dadurch die Sittlichkeit eine Chance hat.

3. Kapitel Die Totalität des Politischen des gemeinsamen Lebens 1. Die Differenzierung in eine liberale und eine demokratische Freiheitsidee verkennt trotz ihrer Nähe zur republikanischen Freiheitslehre nicht nur das Grundgesetz; sie verkennt vor allem den durchgehend politischen Charakter der Lebenswirklichkeit. Die Wirtschaftsbetätigung der Bürger ist nicht minder politisch wie deren Meinungsäußerungen, das Familienleben nicht minder als das Hochschulleben. Politisch ist die Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens, sowohl die Gesetzgebung als auch der Gesetzesvollzug. Alles äußere Handeln der Menschen ist politisch, weil es der gesetzlichen Regelung fähig ist. Vor allem ist die Kompetenzordnung zwischen dem Staatlichen und dem Privaten, sei sie grundrechtlich oder organisationsrechtlich, mit Verfassungsrang oder nicht, gefaßt, politisch. Alles Staatliche ist politisch 187 . Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft bleibt hinter der Erkenntnis des alles umfassenden politischen Charakters des gemeinsamen Lebens zurück. Das haben bereits Horst Ehmke und Christian Graf von Krockow gerügt 188 . Den allpolitischen Charakter des

186

Dazu 6. Teil, 3. Kap., S. 454 ff.; auch 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff. 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. 188 H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 267 ff.; vgl. dazu auch J. Isensee, Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, S. 317 ff., der Ehmkes Lehre mittels seines Mißverständnisses von Freiheit und Gleichheit (dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 187

13 Schachtschneider

194

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

gemeinsamen Lebens hat Carl Schmitt auch schon herausgestellt, der diesen allerdings durch seinen konfliktorientierten Politikbegriff relativiert 189 . Ein Haus, in dem kein öffentliches Recht gilt, sondern in dem allein ein Despot herrscht, gibt es nicht mehr. Spätestens seit der Gleichberechtigung der Männer und Frauen (Art. 3 Abs. 2 GG), die unter dem Grundgesetz Wirklichkeit geworden ist, ist alles gemeinsame Leben politisch, also zugleich staatlich und privat, wie im 2. Kap. des nächsten Teils zu skizzieren versucht werden wird 1 9 0 . Die Emanzipation der Familie aus der Gewalt des männlichen Despoten, des patris familias, hat ihren nicht nur sprachlichen Ausdruck auch in der Umgestaltung der elterlichen Gewalt in die elterliche Sorge gemäß §§ 1626 ff. BGB gefunden. Die Einheit staatlicher und privater Bestimmung selbst des Familienlebens zeigt Art. 6 Abs. 2 GG, der in S. 1 die Pflege und Erziehung der Kinder zwar als "das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht" bezeichnet, aber in S. 2 das Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft zum Wohle der Kinder institutionalisiert. Dieses Wächteramt kann schlechterdings nicht ohne staatliche Maximen richtiger Pflege und Erziehung der Kinder ausgeübt werden. Folglich haben die Eltern bei ihrer elterlichen Sorge trotz der eigenen Verantwortung staatliche Regeln zu beachten. Diese Regelungen sind vielfältig und tiefgreifend und wirken vor allem auch in das Haus hinein. "Politisch" heißt "staatlich"; "im Begriff des Politischen hat man bereits den Begriff des Staates gedacht." - Georg Jellinek 191

6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff.) und einer "Sozialstaatsklausel" (dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.) zu kritisieren versucht; Isensee ist aber auch die republikanische Sicht des weiten Staatsbegriffs, die res publica, geläufig, HStR, Bd. I, S. 654; auch HStR, Bd. III, S. 6; er spricht richtig von "virtueller Allzuständigkeit" des Staates, HStR, Bd. III, S. 71 f.; Ch. v. Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 432 ff.; i.d.S. auch U.K. Preuß, Der Staat als bewußt produziertes Handlungszentrum, 1969, in: E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft, S. 330 ff., vor allem gestützt auf H. Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften im Sozialstaat, 1960, daselbst, S. 221 ff. 189

Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 56 f.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 110 f.; vgl. zu Schmitts Politikbegriff insb. Der Begriff des Politischen, 1932/1963 (dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 749 ff.); kritisch etwa H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 681 f., der selbst einen alles Staatliche umfassenden Politikbegriff vertritt, a.a.O., S. 679 ff.; so auch W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 24 zu Art. 21. 190 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. und 5. Kap., S. 346 ff., 370 ff. 191 Allgemeine Staatslehre, S. 180; zu diesem aristotelischen Begriff des Politischen, J. Isensee, Verfassungsrecht als "politisches Recht", HStR, Bd. VII, 1992, S. 107 f.

3. Kap.: Die Totalität des Politischen des gemeinsamen Lebens

195

"Denn politisch ist alles, was sich auf einen Staatszweck bezieht." Heinrich Triepel 192 "Politik ist dadurch gekennzeichnet, daß sie eine spezifisch dem Sinn des Staates um seiner selbst willen gewidmete Haltung und Tätigkeit ist." Herbert Krüger 193 Weil das Staatliche die Gesetzlichkeit ist, alle Handlungen des Menschen aber der gesetzlichen, also der allgemeinen Bestimmung, fähig sind 1 9 4 , ist das gemeinsame Leben ohne jede Einschränkung politisch, ganz gleich, ob staatliche Gesetze gegeben werden oder nicht. Politisch ist es insbesondere, auf staatliche Gesetze zu verzichten, wie es bestimmte Grundrechte um der Privatheit willen voschreiben, so daß von negativen Kompetenzen des Staates gesprochen wird 1 9 5 . Das erhält die Vielfalt der Persönlichkeitsentwicklung, aber auch den Antagonismus, darf aber nicht mit der Freiheit selbst verwechselt werden 196 . Die Entscheidung für die Privatheit, die Besonderheit der Lebensbewältigung, ist selbst politisch. Meist führt sie, weil die Menschen nach ihrem besonderen Glück zu streben pflegen, zum Wettbewerb um die vielfach knappen Ressourcen des Lebensglücks. Das ist gewollt; denn es motiviert mehr denn jedes andere Mittel die Leistungen der Menschen. Wenn der Wettbewerb dem Gemeinwohl abträglich ist, wird er durch allgemeines Gesetz unterbunden. Selbst der Wettbewerb erweist sich als eine staatliche Veranstaltung, als Willen der gesamten Bürgerschaft 197 . 2. Ernst-Wolfgang Böckenförde spricht die Totalität der Staatlichkeit, welche den Unterschied zur Gesellschaft einebnet, i m Modell der "totalen Demokratie" an 1 9 8 , verkennt aber, daß diese Totalität des Staatlichen in der Logik des gemeinsamen Lebens liegt. Die Intensität des Staatlichen, also die der allgemeinen Gesetzgebung, ist eine Frage der Politik des Gemeinwesens und vor allem von der Kompetenz- und der Grundrechtsordnung des Gemeinwesens abhängig. Dabei wirken die Kompetenzgrenzen

192

Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern, in: FG W. Kahl, 1923, Neudruck 1965, S.

17. 193

Allgemeine Staatslehre, S. 684, 679 ff. zum "Begriff des Politischen". Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. und 5. Kap., S. 346 ff., 370 ff. 195 Dazu 5. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 353 ff., 370 ff.; 6. Teil, 2. u. 5. Kap., S. 449 ff., 476 f. 196 Dazu 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 5. Teil, 4. und 5. Kap., S. 325 ff., 370 ff. 197 Dazu Fn. 696, 5. Teil, 5. Kap., S. 396; insb. F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 1933/1964, S. 210 ff.; E.-J. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, 1984, S. 3 ff., 78 ff.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1214 f. 194

198

13*

Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 412, 413 f.

196

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

grundrechtlich, weil sie der privaten Lebensbewältigung den Vorrang lassen müssen, und die Grundrechte wirken kompetenziell, weil sie die staatliche Lebensbewältigung entweder unterbinden oder dieser eine bestimmte materiale Orientierung vorschreiben 199 . Die Gewähr, welche die Grundrechts- und die Kompetenzverfassung der Privatheit der Lebensbewältigung gibt, ist allein schon wegen der Dynamik der Lebenswirklichkeit schwach. Die Politik läßt eine Verfassungsstatik nicht zu. Notfalls wird die Verfassung geändert oder gar eine neue Verfassung gegeben 200 . Die Gegenwart zeigt, daß die Bewältigung der Lage allemal dem Bestand einer Verfassung vorgezogen wird. Zur Zeit ist die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im geeinten Deutschland, aber auch die politische Union Europas zu bewerkstelligen aufgegeben. Die durch gefestigte verfassungsgerichtliche Praxis definierte und dadurch näher materialisierte Verfassung stabilisiert die Kompetenzverhältnisse gerade in dem Maße, welches auch die Opposition will. Die aber beugt sich regelmäßig nicht weniger den (oft nur vermeintlichen) Notwendigkeiten der Lage als die Regierung und deren parlamentarische Koalition, kritisch gesagt: Die Parteienoligarchien beugen sich Notwendigkeiten, deren wichtigstes Kriterium die von den Meinungsforschern signalisierten Wahlchancen sind. Die Totalität des Politischen läßt die Totalität der demokratistischen Herrschaft der Parteien besorgen. Die verfassungsbefohlene Antwort muß sein, die Rechtsgrundlagen, welche den Parteien die Herrschaft ermöglichen, auf die Freiheit hin zu reformieren. Vor allem das Wahlrecht, das Parlamentsrecht und das Parteienrecht stützen verfassungswidrig die Parteienoligarchie. Diese Rechtsgebiete müssen um der Freiheit willen republikanisiert werden 201 . Eine Änderung des Grundgesetzes ist für die Verwirklichung des Republikprinzips nicht von nöten, aber vom Parteienparlament ist keine derartige Reform zu erwarten. Weil die parteilichen Abgeordneten in dieser ihrer eigenen Sache befangen sind, ist ein insofern neutraler Gesetzgeber zu suchen. In Frage kommt die Abstimmung durch das Volk selbst 202 .

199

Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. Zur Dynamik der grundrechtlichen Begriffe und damit Entscheidungen 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff. 201 Dazu 10. Teil, 4. und 8. Kap., S. 1086 ff., 1147 ff. 202 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1154 f. 200

3. Kap.: Die Totalität des Politischen des gemeinsamen Lebens

197

Die plurale Herrschaft des Parteienstaates ist trotz aller Grundrechte tendenziell nicht nur total, sondern auch totalitär oder, mit Kant, despotisch. Vor allem fehlt ihr die effektive Teilung der Gewalt 2 0 3 . Die Freiheit ist somit immer nur die politische Freiheit der Bürger 204 . Die liberalistische Freiheit vermag der Politik der Parteienoligarchie nicht mehr entgegenzusetzen als die praktische Vernunft des Bundesverfassungsgerichts, orientiert an den Leitentscheidungen der Grundrechte, die aber um des Friedens willen selbst die öffentliche Meinung respektieren muß 2 0 5 . Dieser Schutz vor der Despotie oder dem Totalitarismus hängt von der normalen, friedlichen Lage ab. In der Krise kommt es nicht auf die Gerichte an. Nur wenn die Bürger ihre bürgerliche Freiheitlichkeit bewahren, führt die Totalität des gemeinsamen Lebens, also die Totalität des Politischen 206 , nicht zur Totalität der Herrschaft, sondern wird bestenfalls zur Totalität der Freiheit, nämlich zur Sittlichkeit des gemeinsamen Lebens durch eine herrschaftslose Gesetzlichkeit, soweit das gute Leben aller das erfordert 207 . Dahin gehen auch die sozial- und wirtschaftsstaatlichen Überlegungen von Böckenförde 208. Christian Graf von Krockow sieht das nicht anders 209 . Wilhelm Henke hält ein Leben in "Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit" für ideologisch/utopisch und zieht die "unvollkommene wirkliche Freiheit" der "vollkommenen unwirklichen Freiheit" vor 2 1 0 . Der despotische Charakter eines Paternalismus, der den Menschen vorschreibt, wie sie glücklich wenden sollen, ist eine gesicherte Einsicht des

203

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 17 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 168 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff. 204 Ganz so Κ Hesse, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 494 ff. 205 Dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. 206 Ganz so Ch. v. Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 432 ff., insb. S. 457, der von "Fundamentalpolitisierung" spricht, auch S. 472, 474, 476; i.d.S. auch KA. SchachtSchneider, Das Sozialprinzip, S. 64 f. ("Denn der Staat ist mittels des Sozialprinzips prinzipiell totaler Staat."). 207 I.d.S. Ch. v. Krochow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 474; auch Κ Hesse, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 491 ff., zur Abwehr der Gefahr des Totalitarismus durch "konkrete und differenzierte Zuordnung"... "durch Verfassung und Gesetz" (S. 493, 494); i.d.S. auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 71 ff. ("virtuelle Allzuständigkeit"... "des Staates im säkularen Bereich."). 208 Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 420 ff., 424 ff. 209 Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 455, Fn. 26. 210 GG, Bonner Komm., Rdn. 65, 342 zu Art. 21, und Rdn. 69 daselbst.

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

Republikanismus 211 . Der Lehre von der Republik jedenfalls muß die Gefahr der Entwürdigung des Menschen durch einen totalen Staat nicht vor Augen geführt werden. Ganz im Gegenteil ist es das Anliegen der Lehre von der politischen Freiheit aller, dieser Gefahr um der Würde aller Menschen willen entgegen zu wirken. Freilich läßt das nicht zu, daß demokratistische Begriffe, inbesondere der der voraussetzungslosen Legitimität von Mehrheitsentscheidungen 212 , in die Lehre von der Freiheit einbezogen werden. Alle Begriffe der Lehre von der Republik sind für den Republikanismus essentiell. Es kommt, wenn man das Kunstwerk einer Republik errichten will, alles darauf an, daß die Gesetzgebung dem Rechtsprinzip und damit dem Sittengesetz folgt 2 1 3 . 3. Der politische Charakter allen gemeinsamen Lebens wird nicht dadurch aufgehoben, daß ein herrschaftlicher, staatlicher, von einem anderen Bereich, dem gesellschaftlicher Freiheit, funktional unterschieden wird. Es gibt zum einen kein bürgerliches Handeln, welches nicht durch staatliche Gesetze determiniert wäre 2 1 4 ; zum anderen sind die staatliche und die private Bewältigung von Aufgaben des gemeinsamen Lebens austauschbar 2 1 5 . Einen materialen Begriff der staatlichen Aufgabe gibt es nicht. Der staatliche Aufgabenbereich wird durch die Gesetze definiert 216 . Es gibt Aufgaben, die typisch staatlich bewältigt werden, nicht aber Aufgaben, die begrifflich staatlich sind. Spezifisch staatlich ist die Befugnis, Gewalt einzusetzen, um die Gesetzlichkeit zu erzwingen; aber nicht einmal diese Befugnis ist ausschließlich dem Staat vorbehalten, wie verschiedene privatrechtliche Institutionen, etwa

211

Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 f., auch S. 159; ebenso K. Hesse, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 498 f.; KR. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 19 f., im Anschluß an Kant; ders., Auf der Suche nach einer besseren Welt, 3. Aufl. 1988, S. 169 f.; dazu 2. Teil, 2. und 8. Kap., S. 82 ff., 133 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 240 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 709 f. 212 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 213 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 772 ff., insb. 810 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff. 214 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. 215 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S.346, 353 ff. 216 KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 189 ff., 235 ff., 265 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 63 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff., 353 ff.

3. Kap.: Die Totalität des Politischen des gemeinsamen Lebens

199

die der Notwehr und die der Selbsthilfe, beweisen 217 . Freilich muß die Gewalt des Staates um des Friedens und damit der Freiheit willen unwiderstehlich und darum einzig in einem Gebiet sein 218 . Weil Staatlichkeit Gesetzlichkeit ist 2 1 9 , muß die staatliche Gewaltanwendung gesetzliche Grundlagen haben. Darum ist Staatlichkeit unabdingbar mit allgemeiner Gesetzgebung verbunden, ohne daß damit die Materien der Gesetze festgelegt wären. Auch die Vertragsverbindlichkeiten können und sollen um des Friedens willen aufgrund allgemeiner Gesetze staatlich mit Gewalt erzwungen werden. § 305 BGB ist ein solches Gesetz. Das nähere regeln die Prozeß- und Vollstreckungsordnungen. So sehr das gemeinsame Leben in Frieden und Freiheit und damit der Staat auf Gesetze angewiesen ist, so wenig sind materiale Aufgaben aus dem Begriff des Staates herzuleiten. Der Staatszweck des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit, zu dem insbesondere der Staatszweck der Sicherheit gehört 220 , ist offen. Die jeweilige Gesetzlichkeit ist abhängig von den Gesetzen. Es muß Gesetze geben. Welche Gesetze aber um des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit notwendig sind, bestimmt die Bürgerschaft, nicht der Staatsbegriff. Die Erfahrung jedoch lehrt, daß ein Gemeinwesen ohne bestimmte Gesetze in Not gerät. Dazu gehört insbesondere der größte Teil der Strafgesetze. Essentiell für die Staatlichkeit ist das Rechtsprinzip, etwa das Prinzip, daß Verträge und Gesetze einzuhalten sind, und daß der Staat die Gesetzesund Vertragstreue nach Maßgabe der praktischen Vernunft durchzusetzen hat 2 2 1 . Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsprinzip erfordert die weiteren Regelungen. Die gemeinsame Lebensbewältigung läßt es geraten erscheinen, eine Fülle von Aufgaben um des guten Lebens aller willen dem Staat zu übertragen 222 . Die Gesetze, welche dem Staat Aufgaben zuweisen, sollen den Grundsatz privater Lebensbewältigung wahren 223 . Die staatli-

217

Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 551. Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 219 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 328 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 220 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff., insb. S. 553; auch 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff. 221 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff., 553 ff. 222 Dazu 4. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 211 ff., 234 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff., 353 ff. 223 Dazu 3. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 195 ff., 201 ff.; 4. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 220 ff., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. 385 ff.; insb. J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 75 ff., 77 f. 218

200

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

chen Gesetze aber, welche das Handeln der Bürger regeln oder gemeinsame Aufgaben dem Staat zu bewältigen übertragen, sind allemal politisch. Für die Verwirklichung des guten Lebens und der Freiheit aller kommt es auf die jeweilige Politik an, welche das öffentliche Recht/das Staatsrecht 224 oder auch das Privatrecht 225 instrumentalisieren kann und darf. Die Begriffe Staat und Gesellschaft lassen sich für eine begrifflich und damit rechtlich relevante materiale Unterscheidung des Staatlichen und des Privaten/Gesellschaftlichen nicht aktivieren 226 . 4. Politisch ist es im übrigen auch, wenn das gemeinsame Leben unter das Prinzip Wettbewerb - einem "Strukturmodell und Arbeitsprinzip der modernen Gesellschaft" (Herbert Krüger) 211 - gestellt wird. Wenn auch das Staatliche allenfalls ausnahmsweise unter das Prinzip des Wettbewerbs gestellt werden sollte, so lassen sich doch nicht etwa Staat und Gesellschaft mittels eines modalen Kriteriums der Wettbewerblichkeit unterscheiden; denn zum einen ist alles gemeinsame Leben auch staatlich bestimmt, selbst wenn es wesentlich privaten, also besonderen Entscheidungen zugänglich ist, zum anderen zwingt die Privatheit/Besonderheit der Entscheidungen nicht dazu, daß Wettbewerb entsteht. Das Staatliche und das Private sind im übrigen, wie das Schulwesen zeigt, derart miteinander verbunden, daß auch das institutionell Staatliche nicht ausschließlich vom allgemein bestimmten Wohl geleitet wird. Weil Staatlichkeit Gesetzlichkeit ist, ob mit oder ohne Entscheidungsspielräume, die i m Interesse der Sachlichkeit nicht vom Gesetzgeber determiniert sind, dürfen freilich die Dienste des Staates nicht dem Prinzip Wettbewerb ausgesetzt werden 228 . Zu bedenken ist immer, daß der Staat im engeren Sinne ausschließlich Gesetzlichkeit ist, während das Private sowohl von allgemeinen/staatlichen Gesetzen als auch von privaten Maximen bestimmt ist und dadurch zum Staat im weiteren Sinne gehört 229 .

224

Zum institutionellen Begriff des Staatsrechts K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 255 f.; dazu 2. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 89 ff., 96 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 175 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 10. Teil, S. 1045. 225 Auch die allgemeinen Gesetze des Privatrechts sind staatliches, öffentliches Recht. Ihre Besonderheit ist es, die Verhältnisse unter Privaten zu regeln (K. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 1967, S. 1 ff.). 226 Ganz so K. Hesse, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 493; i.d.S. auch ders Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 5 ff., S. 5 ff. 227 Allgemeine Staatslehre, S. 454 ff. 228 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 288 f., 357 ff.

. Kap.:

p s Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

201

4. Kapitel Hans Heinrich Rupps Lehre von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft Hans Heinrich Rupp ist daran gelegen, dem Besonderen, dem Privaten, der "pluralistischen Vielfalt" Chancen zu lassen 230 . Diesen Grundsatz privater Lebensbewältigung, den Rupp i m Anschluß an Josef Isensee als das "Gebot staatlicher Zurückhaltung", als "Subsidiaritätsprinzip", befürwortet 2 3 1 , ergeben bestimmte Grundrechte und insbesondere die entwickelte Staatszweckformel 232 . Danach ist Sache des bürgerlichen Staates die Verwirklichung des guten Lebens aller Bürger in allgemeiner Freiheit. Das gebietet allerdings nicht, soviel Privatheit der Lebensbewältigung wie möglich zu lassen, weil dadurch wichtige staatliche Aufgaben der Daseinsvorsorge ihre Rechtfertigung verlören, etwa die staatliche Versorgung mit Wasser, Energie, Verkehrswegen u.a., aber auch die staatliche Entsorgung in mancherlei Hinsicht 2 3 3 . Konrad Hesse hat auf die besonderen dogmatischen Schwierigkeiten der Daseinsvorsorge und die "Ambivalenz des Sozialstaats als Bedingung und Bedrohung von Freiheit" hingewiesen und deutlich gemacht, daß weder die "abstrakte Unterscheidung von Staat und Gesellschaft" noch das "Verteilungsprinzip des Rechtsstaats" Hilfe für die Lösung dieser dogmatischen Problematik verspricht 234 . Auch die Daseinsvorsorge als eine Frage des gemeinsamen guten Lebens ist freiheitlich zu bewältigen. Sie ist nicht anders als die anderen Fragen des gemeinsamen Lebens der Willensautonomie der Bürger überantwortet. Immer muß die staatliche Lebensbewältigung auf einem Gesetz beruhen; denn ohne Gesetz

229 Dazu l Teil, 3. Kap., S. 14; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 85 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 21 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 230 HStR, Bd. I, S. 1204 f. 231 J. Isensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, insb. S. 313 ff., der das Subsidiaritätsprinzip als Rechtsprinzip entfaltet; ders., HStR, Bd. III, S. 36, 75 ff., 77 f.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1219 ff.; vgl. auch H.-Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 26; zum Grundsatz privater Lebensbewältigung auch 3. Teil, 3. Kap., S. 195 ff.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 220 ff., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 386 ff. 232 3. Teil, 3. Kap., S. 551; auch 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 346 ff. 233 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff. 234 Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 498 f.

202

3. Teil: Die republikwidrige Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

hat der Staat nicht nur keine Kompetenz, er existiert vielmehr nur durch und nach Maßgabe des Gesetzes. Staatlichkeit ist rechtliche Gesetzlichkeit 2 3 5 . Das ist die Logik der mit der allgemeinen Freiheit untrennbar verbundenen ultra-vires-Lehre des Staatlichen 236 . Individualismus und Pluralismus, für die auch Rupp plädiert, schützt das Grundgesetz durch die besonderen Grundrechte, welche als negative Kompetenzen staatliche Gesetzgebung und damit staatliche Lebensbewältigung ausschließen oder begrenzen, jedenfalls näher orientieren 237 . Sie haben aber ihre wesentliche Verfassungsgrundlage im Prinzip der allgemeinen Gesetzgebung, dem Prinzip der Autonomie des Willens also 238 , welches freilich durch das parteienstaatliche Mehrheitsprinzip, das auch Rupp Sorge bereitet 239 , verfälscht wird. Sie sind eigenständige ethische, also freiheitliche, Aspekte, die sich nicht in einer Freiheiten sichernden Unterscheidung von Staat und Gesellschaft erfassen lassen, weil diese Unterscheidung den Staat, auch begrifflich, von der Willensautonomie der Bürger löst und Staatlichkeit als Herrschaft über Bürger, als Heteronomie also, versteht 240 . Die kritisierte Unterscheidung verkennt aber auch, daß staatliche Gesetze der Freiheit nur das Allgemeine als das Richtige regeln und damit der privaten, besonderen Vielfalt, die Rupp zu Recht bewahrt wissen will, nicht entgegenstehen. Im Gegenteil ermöglichen die Gesetze erst die freiheitliche Existenz von je eigenständigen Persönlichkeiten. Zweck der Staatlichkeit ist gerade die "freie Entfaltung" jedes Menschen zu "seiner Persönlichkeit"

235

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 328 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 236 Diese Lehre teilt H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1208; vgl. schon K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 22 f., 41 f., 256, 262; auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 348, S. 139; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 335 ff.; J. Burmeister, Verträge und Absprachen zwischen Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 (1993), S. 210 ff., Ls 8, S. 244; dazu auch 3. Teil, 2. Kap., S. 183; 6. Teil, 5. Kap., S. 466 f. 237 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 353 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 476 f.; auch 6. Teil, 3. Kap., S. 454 ff.; vgl. J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 35 ff., 77 f. (negative Kompetenzen); K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 291, S. 118. 238 Dazu 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 239 HStR, Bd. I, S 1203 ("Minderheiten unterliegen bei kollektiven Entscheidungsprozessen immer"); zur Kritik dieses Mehrheitsprinzips 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 240 So auch H.H. Rupp, HStR Bd. I. S. 1204 f. u.ö., selbst; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 608, 654 u.ö.; ders., HStR, Bd. III, S. 43; E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 406, 411 ff.; dazu weitere Hinweise in Fn. 4 im 2. Teil, 1. Kap., S. 72 f.; zum Widerspruch von Freiheit und Herrschaft 2. Teil, 1. Kap., S. 75 ff.; auch 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

(Art. 2 Abs. 1 GG) 2 4 1 . Weil das nur in staatlicher und damit friedlicher Gemeinschaft möglich ist, gewährleistet ausschließlich die Republik die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen. Die größtmögliche Privatheit, welche praktisch vernünftig ist, ist ein Grundsatz der Repub l i k 2 4 2 , der die Vielfalt der Lebensweisen ermöglicht. Der Wettbewerb der Bürger ist, wenn die allgemeine Gesetzlichkeit gewahrt bleibt, nicht staatswidrig, sondern dem Gemeinwohl förderlich 243 . Staatliche Gestaltung des gemeinsamen Lebens zu Lasten der besonderen, privaten Lebensverwirklichung ist regelmäßig durch das Prinzip der allgemeinen Freiheit nicht gefordert. Eine solche tendiert im Gegenteil zur Bevormundung und damit zur Despotie. Staatliche Lebensbewältigung muß die Selbständigkeit der Bürger wahren und fördern; denn diese Selbständigkeit ist Grundlage der Gleichheit in der Freiheit. Ohne Selbständigkeit geht die bürgerliche Autonomie des Willens verloren. Das grundgesetzliche Sozialprinzip verpflichtet, wiederum nur institutionell judiziabel, den Staat, aber auch alle Bürger, die Selbständigkeit aller Bürger zu entfalten. Erst selbständige Bürger sind Brüder, wie es das republikanische Prinzip der Brüderlichkeit postuliert 244 . Rupps Anliegen ist freiheitlich, greift aber auf den liberali s ti sehen und damit herrschaftlichen Aspekt der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zurück. Dieser Gesichtspunkt ist inadäquat, die Republik als Form des Politischen zu erfassen. Die Republik ist aber die vollendete Form der Freiheit. Die republikanische Lehre von der Freiheit erfaßt die Bürgerlichkeit des Bürgers in dem Begriff der Willensautonomie, welche, wie gesagt, ohne Selbständigkeit nicht besteht, nicht mit dem liberalistischen Begriff einer vom Staat unabhängigen Gesellschaft, die es nicht geben kann, weil

241

Zur "Freiheitsgewährleistung als Staatszweck des Verfassungsstaates" H.-Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 42 ff., der zu Recht der Lehre von einer "objektiv-rechtlichen Normierung einer staatlichen Freiheitsvorsorge" mit Zurückhaltung begegnet (a.a.O., S. 44 mit Hinw. in Fn. 177); vgl. auch P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 104 u.ö., der in den Grundrechten eine "Gemeinwohlaufgabe der res publica" objektiv-rechtlich normiert sieht. Zweck des Staates ist, das gute Leben aller in Freiheit zu ermöglichen (dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.; 7. Teil, 4. und 6. Kap., S. 573 ff., 625 ff.), nicht durch paternalistische Vorsorge, sondern durch allgemeine Gesetze der Freiheit; vgl. zum Staatsziel des guten Lebens in Freiheit auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 12 ff., 22 f., 34 f., 35 f., 51 ff. 242 Zur freiheitlichen Privatheit 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 386 ff.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 211 ff., 222 ff., 244; auch 3. Teil, 3. Kap., S. 195 ff. 243 Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 200 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 388 f. 244 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.

204

3. Teil: Die republikwidrige Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

der Staat nicht unabhängig von den Bürgern, sondern vielmehr die Einrichtung der Bürgerschaft für die allgemeine Gesetzlichkeit um der Freiheit aller willen ist. Eine Unabhängigkeit der Gesellschaft vom Staat setzt eine Eigenständigkeit des Staates gegenüber der Gesellschaft, also eine herrschaftliche Personalität, voraus. Ein freiheitlicher Staat, eine Republik also, ist nichts anderes als die Wirklichkeit der bürgerlichen Freiheit als die allgemeine Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens der Bürger. Die Allgemeinheit der Gesetze als Richtigkeitsprinzip, welche der bürgerlichen Freiheit Wirklichkeit gibt, hat mit einer Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nichts zu tun. Der amtswalterliche Mißbrauch der Ämter zur Herrschaft über die Bürger ist kein Thema des Staatsbegriffs. Eine bloß "verfassungstheoretische" Kategorie der Gesellschaft ohne "rechtspraktische" Bedeutung, wie Josef Isensee sie empfiehlt 245 , wäre ohne Sinn. Diese Kategorie ist jedoch für die Praxis höchst bedeutsam, nämlich als die "theoretische", besser: dogmatische Etablierung von Herrschaft trotz allgemeiner Freiheit, welche die Unterscheidung des Staates von der Gesellschaft notwendig macht. Auch Rupps Plädoyer dogmatisiert, um es zu wiederholen, liberalistisch, nicht republikanisch, wenn auch bürgerlich 246 . Der bürgerliche Liberalismus setzt allerdings ein Herrschaftsprinzip voraus. Die vollendete Form der Bürgerlichkeit ist die Republik, das politische Gemeinwesen ohne Herrschaft, welches Kant gelehrt hat 247 . In der Republik kann eine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nicht dogmatisiert werden, weil das republikanische Prinzip die für diese Unterscheidung wesentliche Gesellschaft als die Gemeinschaft der Bürger 248 , die Bürgerschaft, erfaßt, nicht aber als Vielheit bürgerlicher Untertanen, wie der liberal-monarchische Konstitutionalismus, dem die gegenwärtige, hier kritisierte liberalistische Herrschaftslehre verhaftet bleibt. Das Grundgesetz steht in der geistigen Tradition nicht des restaurativen 19., sondern des republikanischen 18. Jahrhunderts, in der Tradition der großen Französischen Revolution, aber auch der deutschen Freiheitsbewegungen im 19. Jahrhundert, welche eben nicht zur Revolution

245

HStR, Bd. I, S. 685. Zur Nähe der liberalistischen zur republikanischen Konzeption der Freiheit, des Rechts und des Staates 3. Teil, 1. Kap., S. 159; 6. Teil, 1. Kap., S. 441; insb. 9. Kap., S. 501 ff. 247 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 248 Ganz i.d.S. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 5 ff., S. 5 ff., insb. Rdn. 11, S. 8 f. 246

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Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

erstarkt sind, so daß das monarchische Prinzip auch ohne Monarchen noch heute Wirkung hat. In die Rolle des Monarchen hat sich die Parteienoligarchie geschlichen. Das Grundgesetz bietet die Chance, ohne Revolution zur Republik zu finden; denn es verfaßt wie schon die Weimarer Reichsverfassung die Republik. Das Grundgesetz muß nur noch seinem Text gemäß, also republikanisch, begriffen werden.

Vierter Teil D e r republikanische

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"Ich wünschte ein Bürger zu sein." - Theodor Mommsen

1. Kapitel Die Vernachlässigung des Bürgerbegriffs in der Staatslehre Der Begriff des Bürgers hatte im deutschen Staatsrecht der Gegenwart bis vor kurzem nicht gerade Konjunktur. Das großangelegte Lehrbuch von Klaus Stern zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland enthält in den ersten drei Bänden das Stichwort Bürger nicht, geschweige denn, daß dem Bürger ein Paragraph gewidmet wäre, wenn auch von "Bürgerinitiative", "staatsbürgerlichen Rechten" u.ä. gehandelt wird. Einen ähnlichen Befund bietet das Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, das Josef Isensee und Paul Kirchhof herausgegeben haben. RolfGrawert behandelt aber knapp den "Staatsbürgerstatus" als den "citoyen" und Hans Heinrich Rupp die "Doppelrolle des Individuums als citoyen und bourgeois" 1 ; Wilhelm Henke widmet in seiner Abhandlung der Republik dem Bürger genausowenig ein Stichwort wie das Handbuch bis 1989. Walter Schmitt Glaeser allerdings rückt den Bürger ins Zentrum seiner Lehre von der Volkwillensbildung 2 . Erst in dem Ende 1992 erschienenen Band V zu den "Allgemeinen Grundrechtslehren" taucht der Begriff "Bürger" im Stichwortverzeichnis auf, geradezu überraschend, aber doch den Paradigmenwechsel im Staatsrecht offenbarend. 3 Auch die Allgemeine Staatslehre von Reinhold Zippelius , die Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland von Konrad Hesse, aber auch das Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts von Theodor Maunz und Reinhold Zippelius thematisieren den Begriff Bürger nicht. In seiner großen Allgemeinen Staatslehre befaßt sich allerdings Herbert Krüger in § 38 substantiell mit dem "Untertan und dessen Gehorsam". Erhard Denninger hat sich 1967 auf der Grundlage der

1

HStR, Bd. I, S. 684 f. bzw. S. 1199 ff. Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, HStR, Bd. II, S. 59 ff. 2

3 Verwendet haben den Begriff "Bürger" vor allem J. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, S. 115, 353 ff.; W. Loschelder , Grundrechte im Sonderstatus, S. 123, 805 ff.; P. Kirchhof , Der allgemeine Gleichheitssatz, S. 124, 837 ff.

208

. Teil: Der republikanische

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Sozialtheorie Max Schelers der Problematik "Rechtsperson und Solidarität" gewidmet und das Verhältnis des Bürgers zum Staat, eingebettet in die Problematik des subjektiven Rechts, in Kritik an der Statuslehre Jellineks (S. 289 ff.) und an der Lehre von der "qualitativen Allgemeinheit" des citoyen als "sittlichem Vernunftwesen" (S. 299 ff.) erörtert. Peter Häberle allerdings spricht den Bürger und dessen "öffentlichen Status öffentlicher Freiheit und eigener Gemeinwohlzuständigkeit" an4. Er begreift die Demokratie des Grundgesetzes nicht als "Volks-", sondern als "Bürgerdemokratie". Walter Schmitt Glaeser folgt ihm 5 . Das Menschenwürdeprinzip konzipiert Häberle von der sogenannten Objektformel Günter Dürigs her kantianisch und bürgerlich 6 . Häberles kulturwissenschaftliche Rechtslehre stellt seit langem den Bürger und Menschen in den Mittelpunkt des Staatsrechts 7. Ich habe 1974 im "Sozialprinzip" den Untertanen, dem der Staat Grundrechte als "Als-Ob-Freiheiten" gewähre, als "Als-Ob-Bürger" kritisiert, weil er weder über ökonomische noch über politische Selbständigkeit verfüge 8 . Auch das Bundesverfassungsgericht verwendet die Worte Bürger und Staatsbürger verschiedentlich. Meist ist damit nicht viel mehr gesagt als mit den Worten "der einzelne" 9 , wenn auch die Objektformel, die das Gericht praktiziert 10 , den Menschen als Bürger konzipieren muß. Liberalistisch begriffen ist sie widersinnig. Zunehmend verwendet das Gericht jedoch den Bürgerbegriff im substantiellen Sinne der politischen Freiheit und spricht von einem "Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung des Volkes" 11 und sogar von der "Freiheit der politischen Betätigung der Bürger, die durch die vom Grundgesetz verfaßte Demokratie konstituiert und gewährleistet wird"

4 Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 138; auch in: Die Verfassung des Pluralismus, daselbst, S. 56 ff., 59, 63; ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 710, 719. 5 P. Häberle, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zwischen Parteien- und Bürgerdemokratie, JZ 1977, 361 ff.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 65. 6 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 325 ff.; vgl. ders., Staatsrechtslehre im Verfassungsleben - am Beispiel Günter Dürigs, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus, 1980, S. 110 ff. 7 Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 708 ff., 716 ff.; Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. I, S. 815 ff., zur Objektformel S. 821, 836, 838, 848, 860, zum Bürger insb. S. 845 ff. 8

S. 61 ff., insb. S. 64. Etwa BVerfGE 7, 198 (204 f.); 60, 329 (329); 65, 1 (43 f.); 69, 315 (LS 1, 343 ff.); vgl. auch BVerfGE 83, 30 (50 ff.); 83, 60 (70 ff.). 9

10 11

BVerfGE 9, 85 (95); 27, 1 (6 f.); 50, 166 (175); 63, 133 (143). BVerfGE 52, 63 (88); 69, 92 (107); 73, 40 (80 ff.); vgl. 83, 60 (75); 85, 264 (284 ff.).

1. Kap.: Die Vernachlässigung des Bürgerbegriffs in der Staatslehre

209

(BVerfGE 73, 40 (82)). Im Maastricht-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht dem "Bürger", den es auch den "wahlberechtigten Deutschen" nennt, ein subjektives Recht zuerkannt, "an der Wahl des Deutschen Bundestages teilzunehmen und dadurch an der Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk auf Bundesebene mitzuwirken und auf ihre Ausübung Einfluß zu nehmen" (BVerfGE 89, 155 (171 f., 182)). Dadurch ist der Bürger als zentrale Institution der Republik und der Grundrechtsschutz der politischen Freiheit zu einem wesentlichen Teil dogmatisiert. 12 Die breite literarische, auch staatsrechtliche, Erörterung der Partizipationsbewegung der frühen siebziger Jahre ist nicht zur Entwicklung eines Begriffs vom Bürger vorgedrungen, obwohl das Wort Bürger der Bewegung die Legitimation verschafft hat ("bürgerliche Partizipation"- Walter Schmitt Glaeser) 13. Vor allem das Wort Bürgerinitiative bestimmte das politische Reden und Handeln 14 . Die Bewegung war von Willy Brandts Aufforderung, mehr Demokratie zu wagen, geleitet und somit plebiszitär 15 . Sie hat den Bürger gar nicht ins Auge gefaßt, sondern typisch Gruppen von Bürgern, deren Charakteristikum die allgemeine Betroffenheit war. Der Begriff der Betroffenheit wurde zwar auch für den allgemeinen Rechts-

12 Dazu K.A. Schachtschneider, Das Maastricht-Urteil. Die neue Verfassungslage der Europäischen Gemeinschaft, Recht und Politik 1994, S. 1 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75 ff., insb. S. 111 ff. zur Problematik der europäischen Integration. 13 W. Thieme, Verwaltungslehre, 3. Aufl. 1977, S. 118 ff.; W. Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 179 ff, 191 ff., 259 ff.; zu derselben Thematik R. Walter, ebenda, S. 147 ff.; auch W. Schmidt/R. Bartlsperger, Organisierte Einwirkung auf die Verwaltung. Zur Lage der zweiten Gewalt, VVDStRL 33 (1975), S. 183 ff., 192 ff.; J. Jekewitz, Beteiligung des Bürgers an Verwaltungsentscheidungen, insbesondere an der Planung, in: D. Posser/R. Wassermann (Hrsg.), Freiheit in der sozialen Demokratie, 1975, S. 271 ff.; W. Schmidt, Verfahrensrechtlich gesicherte Beteiligung an der Entscheidungsvorbereitung, daselbst, S. 291 ff.; E. Franssen, Bürgerschaftliche Beteiligung an der Planung als demokratischer Prozeß, daselbst, S. 297 ff.; A. v. Heyl, Bürgerbeteiligung und Entwicklungsplanung, daselbst, S. 309 ff.; Th. Rasehorn, Bürgerintiativen und Gemeinwohl, daselbst, S. 317 ff.; auch F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, S. 54 ff., auch S. 66 ff. 14 Dazu Th. Rasehorn, Bürgerinitiative und Gemeinwohl, S. 317 ff.; G.F. Schuppert, Bürgerinitiative als Bürgerbeteiligung an staatlichen Entscheidungen, AöR 102 (1977), S. 396; K. Stern, Staatsrecht II, S. 773 ff. 15 Dazu i.d.S. W. Schmitt Glaeser, VVDStRL 31 (1973), S. 179 ff.; so insb. J. Burmeister, Das Petitionsrecht, HStR, Bd. II, S. 74 f.; auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 226 f.; kritisch W. Thieme, Verwaltungslehre, S. 119 f.; auch P. Badura, Die parlamentarische Demokratie, HStR, Bd. I, S. 976.

14 Schachtschneider

210

. Teil: Der republikanische

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schütz folgenreich erweitert, aber dennoch meist an Interessen festgemacht 16 . Die (logische) Voraussetzung der Partizipationsforderung war die Trennung von Staat und Gesellschaft, die gemildert werden sollte 17 . Das war nicht republikanisch, sondern gewissermaßen konstitutionell-demokratistisch. Zu republikanischen, also kompetenz- und amtsorientierten, Diskursverfahren ist die Bewegung nicht fortgeschritten, wenn sie auch das Diskursethos kräftig angestoßen haben dürfte 18 . "Es ist an der Zeit, den Begriff des Bürgers zu rehabilitieren." - Dolf Sternberger, dessen republikanisches Werk den Bürger in den Mittelpunkt stellt. Er weist auf Aristoteles hin: 1 9 "Da nun der Staat ein Zusammengesetztes ist, so wie irgendein anderes Ganzes, das aus vielen Teilen zusammengesetzt ist, so ist es klar, daß man zuerst nach den Staatsbürgern fragen muß. Denn der Staat besteht aus einer bestimmten Anzahl von Staatsbürgern. Also fragen wir, wen man Bürger nennen soll und wer ein Staatsbürger ist. Auch darüber gibt es vielfache Zweifel. Denn nicht alle bezeichnen denselben als Staatsbürger, und wer in der Demokratie ein solcher ist, ist es oft in der Oligarchie keineswegs." - Aristoteles 20 Walter Leisner hat 1991 in seiner Studie über die "Staatseinung" die "staatseinende Demokratie - das neue Bürgerreich" konzipiert. Seine Einungslehre ist eine Lehre von den "Vielen", von den Menschen und den Bürgern, ganz rousseauisch. "Heute läuft dennoch nur Neues ab: eine besonders mächtige, vielleicht für lange Zeit endgültige Renaissance der Sozialvertraglichkeit" (S. 23). "Gefordert ist heute das Staatsrecht der Bürger" (S. 29). 16

Typisch etwa F. Scharpf\ Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 54 ff., 66 ff. (auf der Basis amerikanischer Demokratieforschung, ohne grundgesetzlichen Bezug); R. Bartlsperger, VVDStRL 33 (1975), S. 251 f., der richtig auf den Zusammenhang von Betroffenheit und der Funktion des Begriffs subjektives Rechts hinweist; auch W. Thieme, Verwaltungslehre, S. 122; richtig gegen die Betroffenenpartizipation E. Franssen, Bürgerschaftliche Beteiligung, S. 298 ff.; vgl. auch Κ . Stern, Staatsrecht II, S. 747 f.; auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 226 f. 17

Vgl. W. Schmitt Glaeser, VVDStRL 31 (1973), S. 236 ff., 263; klar K. Stern, Staatsrecht II, S. 550 f.; zur Trennung von Staat und Gesellschaft 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff. 18 Etwa J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 78 ff. 19 Insb. die Aufsätze in: "Ich wünschte ein Bürger zu sein", Neun Versuche über den Staat, 1967 (Zitat S. 7), Hinweis auf Aristoteles, S. 8 und in: Herrschaft und Vereinbarung, Schriften III, 1980. 20 Politik, S. 103, 1274 b 39 ff.; Aristoteles definiert: "Der Staatsbürger schlechthin läßt sich nun durch nichts anderes genauer bestimmen als dadurch, daß er am Gericht und an der Regierung teilnimmt," a.a.O., S. 104, 1275 a 23 f.

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik A u c h Jürgen

Habermas

211

e n t w i c k e l t seine "Diskurstheorie des Rechts und

des demokratischen Rechtsstaates" als eine Lehre v o n freien u n d gleichen " B ü r g e r n " u n d v o m "Staatsbürger" 2 1 .

2. Kapitel Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik I.

D e r Bürger als c i t o y e n

D e r Bürger ist die zentrale Gestalt der R e p u b l i k . N a c h Kant "Untertan"

in

der

Republik

"Staatsbürger"

und das

w i r d der

"Staatsoberhaupt"

"Staatsgenosse"; der "Bürger" ist der "Mitgesetzgeber" 2 2 . D e r Bürger ist H e r r seiner selbst, nicht aber U n t e r t a n 2 3 . Er ist ein freier M e n s c h ; denn "der Gehorsam gegen das selbst gegebene Gesetz ist Freiheit." - Rousseau24 u n d macht den Bürger nicht, w i e Kant formulieren,

21

aber auch noch Herbert

Krüger

z u m " U n t e r t a n e n " 2 5 . Das Gesetz zu achten ist Pflicht

aus

Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 324 ff. und S. 632 ff. u.ö.

22

Über den Gemeinspruch, S. 150; ders., Zum ewigen Frieden, S. 204 ff.; auch ders., Metaphysik der Sitten, S. 432 ff.; i.d.S. auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, ed. Wiegand, Reclam, 1965, S. 104 ff.. Das galt schon für Cicero, De re publica, S. 144 f.: "Quid est enim civitas nisi iuris societas civium?"; ebenso i.d.S. Aristoteles, Politik, S. 104, 1275 a 23 f. (Zitat in Fn. 20, S. 210); ganz so R. Thoma, HbdDStR, Bd. 1, S. 186 f.; vgl. auch K. Low, DÖV 1979, 821. 23 Der Bürger muß nach Kant, Über den Gemeinspruch, S. 151 (u.ö.), "sein eigener Herr (sui iuris)" sein. Der Bürger ist in der Antike Herr eines Hauses und als solcher Mitgesetzgeber (dazu unten S. 225 f.), aber zur Herrschaft gehört der Beherrschte. Der Status des Bürgers ist am "aufrechten Gang" (E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, 1961, 2. Aufl. 1980, S. 178, 199, 215 u.ö.) des Herrn orientiert; dazu auch 3. Teil, 1. Kap., S. 160 ff.; 2. Teil, 2. und 11. Kap., S. 85, 153 ff. 24 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23, der allerdings die Gesetzesunterworfenheit auch mit dem Wort "Untertan" begreift, a.a.O., S. 62 ff.; i.S. der Freiheit durch Gesetz auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215; dazu 2. Teil, 7., 10. und 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff., insb. 3. Kap., S. 545 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff. 25 Kant, (u.a.), Metaphysik der Sitten, S. 435 ff., der den Untertan als den definiert, "der zum Volk gehört, mithin mit keiner Gewalt bekleidet ist" (im Gegensatz zu den "drei Gewalten im Staate"); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 940 ff., der die "Unbeschriebenheit", "Einzigkeit" und "Einseitigkeit" der "Unterworfenheit" des Bürgers unter die Staatsgewalt darlegt und den Untertanenbegriff nicht verächtlich meint; vgl. auch Montesquieu, Vom Geist

1

212

. Teil: Der republikanische

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Freiheit. Zum ,Gesetzesgehorsam , zwingt die Verbindlichkeit des Gesetzes; denn "Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden." - Kant 26 Diese Zwangbefugnis folgert Kant selbst aus der Freiheit als einer "Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit" 27 . Wenn alle Bürger Herren ihrer selbst sind, herrscht keiner über andere 28. Das ist der Zustand der Freiheit, die Republik. Die Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens in Freiheit ist das "Allgemeine Gewaltverhältnis", welches Herbert Krüger als die "staatliche Seite" des Bürgers begreift, nämlich die als "Untertan, sofern er sich dem Staat unterordnet und dessen Befehle befolgt", sich "unterordnet" und "Gehorsam" leistet 29 . Es geht nicht um untertänigen Gehorsam; denn: oboedientia facit imperantem 30 , also den befehlenden Herren 31 , sondern um bürgerliches Handeln, welches das selbstgegebene Gesetz achtet. Das "Allgemeine Gewaltverhältnis", das mit Untertänigkeit nicht republikanisch beschrieben ist, ist Charakteristikum des Bürgers, des citoyen. Hans Heinrich Rupp mißt dem Bürger die "Doppelrolle als bourgeois und als citoyen" bei 3 2 . Der bourgeois war der Stadt-, der citoyen war und ist der Staatsbürger. Die deutsche Rechtssprache kennt nur das Wort Bürger und nutzt differenzierende Wortzusätze 33 . Seit es rechtlich keinen Unterschied mehr für den bürgerlichen Status des Menschen bedeutet, ob er in

der Gesetze, S. 105: "In der Demokratie ist das Volk in einer Hinsicht der Monarch, in anderer Hinsicht der Untertan". 26 Metaphysik der Sitten, S. 338 f. 27 Metaphysik der Sitten, S. 338 f., 527; auch, ders., Über den Gemeinspruch, S. 169; dazu näher 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff., insb. S. 548 ff., 553 ff. 28 Dazu 2. Teil, 2. und 11. Kap., S. 79 ff., 153 ff. 29 Allgemeine Staatslehre, S. 940 ff.; so auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 70; i.d.S. auch Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 f.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 434. 30 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 53, 70; H. Heller, Staatslehre, S. 238 f. 31 Dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 79 ff. 32 HStR, Bd. I, S. 1199 f.; ähnlich W. Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, HStR, Bd. II, S. 232 ff., zur "Verschränkung von Staat und Gesellschaft"; der Sache nach auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 597, 651 ff., 655 f.; ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 171 ff.; ders., HStR, Bd. III, S. 29 ff., 37 f.; auch die grundrechtliche Verteilungsdoktrin C. Schmitts, Verfassungslehre, S. 126, 158 ff., 163 f. (dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 178 f.; 6. Teil, 2. und 6. Kap., S. 449 ff., 478 ff.); anders die Unterscheidung von P. Badura, HStR, Bd. I, S. 980, zu Rousseau, S. 211 in Fn. 24; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 276 f. 33 Dazu M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 672 ff.

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

213

der Stadt oder auf dem Land lebt, ist diese Differenzierung der Begriffe bourgeois und citoyen obsolet. Das Wort citoyen hat seine begrifflichen Gehalt bewahrt, weil jeder Bürger Staatsbürger, wenn auch nicht Stadtbürger ist, weil er auf dem Lande wohnt 34 . Das Wort bourgeois kann folglich nur noch einen begrifflichen Gehalt aus dem Zusammenhang seines jeweiligen Gebrauchs gewinnen. Die marxistische Entgegensetzung der Bourgeoisie und des Proletariats 35 dominiert das Verständis des Wortes bourgeois 36 . Zugleich aber spricht das Wort den Aspekt der ökonomischen Selbständigkeit des Bürgers als den an, der Herr eines Hauses ist, der im 19. Jahrhundert über Besitz und/oder Bildung verfügte 37 . Hegel hat den Staatsbürger als den citoyen dem Privatbürger als dem bourgeois entgegengestellt38. In der Republik gibt es den Gegensatz von Staat und Gesellschaft nicht, den Hegel begrifflich, der Restauration seiner Zeit gemäß, geprägt hat 39 . Damit ist auch die staatsrechtliche Relevanz des Begriffs bourgeois entfallen, wenn auch in der durch subjektive Rechte gestützten Privatheit 40 wesentliche Elemente des bourgois, insbesondere im Institut allseitigen Eigentums, erhalten sind. Rupp hält den Versuch, das "Politische" oder "Öffentliche" vom "Privaten" abzugrenzen, für vergeblich; zu Recht, wenn dadurch Lebensbereiche geschieden werden sollen, die ausschließlich privat oder staatlich

34

I.d.S. auch R. Grawert, HStR, Bd. I, S. 684 f., der den republikanischen Aspekt des citoyen sieht; vgl. schon i.d.S. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 151. 35 Vgl. M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, S. 716 ff.; zum "dialektischen Höhepunkt der Spannung: Bourgeoisie und Proletariat" im Marxismus C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 71 ff. 36

So insbesondere bei E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 198 f. Vgl. zu diesem Begriffsaspekt M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, S. 672 ff., 685 ff., 695 ff., 716 ff.; ders., Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft" und das Problem seines geschichtlichen Ursprungs, in: E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft, 1976, S. 77 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 310 ff., zu "Bildung und Besitz" als Charakteristika des "liberalen Bürgertums"; in der Sache dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff., insb. 242 ff. 38 Rechtsphilosophie, § 190, S. 199; dazu M. Riedel, Der Begriff der "bürgerlichen Gesellschaft", S. 90 ff. 37

39 Vgl. M. Riedel, Der Begriff der "bürgerlichen Gesellschaft", S. 77 ff.; H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, in: E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft, S. 241 ff.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1198 ff.; C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 78 f., 82; dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff., m.w.H. und zur republikwidrigen Wiederbelebung des Dualismus von Staat und Gesellschaft; 6. Teil, 9. Kap., S. 504 ff. 40 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.

214

. Teil: Der republikanische

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wären 41 . Er begreift den "bourgeois" oder "homme" im Sinne der Deklaration von 1789 als die "Rolle des einzelnen", "als Alleininhaber individueller Entschließungsfreiheit und damit seiner Selbstbestimmung", im Gegensatz zu seiner Rolle "als Mitinhaber hoheitlicher Gewalt", also als citoyen 42 . Die Privatheit läßt sich in der Republik mit dem Wort bourgeois genauso wenig erfassen wie die Selbständigkeit des Bürgers, die nach Kant Bedingung der Republik ist 43 . Weder die republikanische Verfassung des Grundgesetzes noch die ökonomischen Gegebenheiten der Bundesrepublik Deutschland als sogenannter moderner Industriegesellschaft lassen es noch zu, den Menschen und Bürger als bourgeois zu bezeichnen. Es gibt keine Bourgeoisie mehr, weil alle Mitglieder des Volkes bürgerliche citoyens sind, deren Lebenssituation sich vor allem in der geförderten Privatheit, auch durch die Sozialhilfe, der der Bourgeoisie genähert hat 44 . Es gilt, die Privatheit und die Staatlichkeit des Bürgers sowie dessen Selbständigkeit rechtlich, d.h. als republikanische Begriffe, zu erfassen. Josef Isensee w i l l den "bourgeois" nicht verpflichten, "citoyen" zu sein. Das bereite den "staatsethischen Boden für den totalitären Staat." ... "Der liberale Staat fordert nicht Tugend, sondern gewährleistet Freiheit". Angesprochen sind damit die "Bürger" und nicht die Amtsträger und die sogenannten Politiker 45 . Isensees herrschaftliche und zugleich liberalistische, also konstitutionalistische Trennung der "Bürger" von den "Politikern" und Amtswaltern wird dem republikanischen Bürgerbegriff und damit dem Grundgesetz nicht gerecht. Vor allem verkennt Isensee den moralischen Charakter der Bürgerlichkeit, der den Vorwurf des moralischen Versagens

41

Dazu 6. Teil, 2. und 5. Kap., S. 449 ff., 466 ff.; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. HStR, Bd. I, S. 1200. 43 Über den Gemeinspruch, S. 150 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 432 f.; vgl. M. Kriele, HVerfR, S. 141 f.; W. Leisner, Demokratie, Selbstzerstörung einer Staatsform, 1979, S. 43 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 143 ff. 44 I.d.S. auch M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, S. 672 ff., 722 ff.; dahin präzisiere ich meinen Satz: "Wer nicht 'bourgeois' ist, kann nicht 'citoyen' sein", in Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 143, der die ökonomische Selbständigkeit zum Kriterium des bourgeois erhoben hat. 45 HStR, Bd. III, S. 37 f., 29 ff.; ebenso ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65 ff., 71 ff.; vgl. auch ders., HStR, Bd. I, S. 651 ff., 655 f.; ähnlich W. Henke, Recht und Staat, S. 289, 611 ff., der ebenfalls mit einem Antirousseauismus für seine Herrschaftslehre, a.a.O., S. 399, 587, 591 f., 609 f., 620 f. u.ö., wirbt. 42

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

215

ausschließt, moralisch und erst recht juridisch; denn der Gerichtshof der Sittlichkeit ist allein das Gewissen 46 . Das schließt gestufte Instanzen der Vertretung des Volkes in der Autonomie des Willens und damit der Sittlichkeit nicht aus 47 . Ein äußerer Zwang zur Tugend ist mit dem republikanischen Prinzip unvereinbar. Die Tugendpflicht unterliegt dem Prinzip des Selbstzwanges48. Das Menetekel des totalitären Staates gelingt nicht. Die Totalität des Staatlichen als der Gesetzlichkeit allen Handelns folgt der Logik der allgemeinen Freiheit 49 . Den Bürgern gestattet Isensee, auf die Würde, nämlich die Autonomie des Willens, zu verzichten. Das Sittengesetz des Art. 2 Abs. 1 GG blendet er aus seiner Lehre aus 50 , nicht anders als Wilhelm Henke: "Im übrigen sind sie (sc. die Grundrechte der Bürger) aber persönliche, in Freiheit beliebig zu nutzende Berechtigungen, und deshalb nicht wie die Rechte des Staates Befugnisse."..." Befugnisse sind öffentliche Rechte, die Personen in Ämtern zustehen und nur in den Bindungen des Amtes ausgeübt werden können."... "Das Recht der Ämter" ist es, "Recht zu setzen"; denn "Handeln im Amt ist Herrschaft, wenn auch zu Amtsgewalt und damit zu Pflicht und Befugnis gewandelt."... "Es ist der Sinn des Amtes, Herrschaft in Dienst zu verwandeln."... "Das Recht ist nicht in erster Linie Gesetz und Gesetzesanwendung, sondern Berechtigung einer Person gegenüber einer anderen." - Wilhelm Henke sx Autonomie des Willens ist gerade nicht das Charakteristikum des Henkesehen Bürgerbegriffs, dessen Lehre allenfalls liberalistisch, also konstitutionalistisch-herrschaftlich ist. Henkes Amtslehre ist römisch-republikanisch, nicht aber zugleich griechisch-demokratisch, also nicht politisch im

46 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 572 ff.; dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 665 ff., 810 ff.; zum Amtsgewissen i.d.S. J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 45. 47 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 932 ff., insb. S. 943 ff. 48 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 508 ff.; vgl. dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 214 f., 230 ff. 49 Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; i.d.S. C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 79. 50 Explizit in: Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65; vgl. auch ders., HStR, Bd. I, S. 612, wo er sich auf Kants empirische Erkenntnis des Antagonismus der Menschen beruft, ohne an das transzendental begründete Sittengesetz Kants zu erinnern; vgl. auch ders., HStR, Bd. III, S. 15 f. 51 Recht und Staat, S. 612 f. bzw. 389 bzw. 623; Henke stellt die Fallgerechtigkeit über das gesetzliche Recht, a.a.O., S. 615 ff., 620 ff.: "Ausgangspunkt und Endpunkt des Rechts und sein dauerndes Maß ist um der personalen Gerechtigkeit willen nicht die Norm, sondern der Fall." (a.a.O., S. 620); die objektive Dimension der Grundrechte läßt Henke außer Acht, dazu 6. Teil, 4. Kap., S. 461 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff.

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. Teil: Der republikanische

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freiheitlichen, herrschaftlosen Sinne 52 . Zum demokratischen Prinzip im Sinne rousseauischer Gleichheit in der Freiheit wahrt Henke merkliche Distanz 53 . Richtig ist, daß die Grundrechte subjektive Rechte der Willkür/Beliebigkeit entweder begründen oder zu begründen gebieten, nämlich den allgemeinverträglichen Status der Privatheit 54 . Ob die Polis Zweck des Privaten oder Selbstzweck war, dem die Häuser, deren Ökonomie, zu dienen hatten, soll hier offen bleiben. "Das vollkommene und selbständige Leben" als das "edle Leben in Häusern und Familien" ist das "Ziel des Staates." - Aristoteles 55 Die christlich geprägte republikanische Lehre respektiert die Besonderheiten des Einzelnen in der Gemeinschaft 56 und läßt nur dadurch die Würde des Menschen, jedes einzelnen Menschen, unangetastet. Darum hat "jeder das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit ..." (Art. 2 Abs. 1 GG). "Eigene Vollkommenheit - fremde Glückseligkeit" sind folglich "die Zwecke, die zugleich Pflichten sind ... denn eigene Glückseligkeit ist ein Zweck, den zwar alle Menschen (vermöge des Antriebs ihrer Natur) haben, ..." - Kant 57 Der freie Mensch, l'homme, ist nach Maßgabe der Verfassung und der Gesetze, weitgehend durch die Menschenrechte gesichert 58 , Privater. Zugleich ist er Teil des Staates (i.w.S.) 59 , eben Staatsbürger. Als homme,

52

Dazu W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff., 319 ff., 387 ff., auch S. 386. Recht und Staat, S. 318, 376, 399, 587, 620 f. u.ö.; das Demokratische reduziert Henke auf bestimmte Wahlen, insb. auf die Wahl der Herrschaft, a.a.O., S. 386, 398. 54 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 379 ff.; 6. Teil, 2. und 5. Kap., S. 449 ff., 466 ff. 55 Politik, S. 117 f., 1280 a 30 ff. 56 H. Heimsoeth, Die sechs großen Themen der abendländischen Metaphysik, S. 172 ff. zum "Individuum"; zum "personalen Denken" W. Henke, Recht und Staat, S. 70 ff.; zur grundgesetzlichen Anthropologie in der Sicht des Bundesverfassungsgerichts vgl. Fn. 82, 5. Teil, 2. Kap., S. 268; dazu auch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 99 ff., 116 ff., 122 ff. 53

57 Metaphysik der Sitten, S. 515 ff. (Tugendlehre); dazu D. Sternberger, Das Menschenrecht nach Glück zu streben, S. 135 f., 140 f. 58

Dazu 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff.; auch 3. Teil, 3. und 4. Kap., S. 195 ff., S. 201 ff.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 220 ff., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 385 ff. 59 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 174 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff.

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

217

n i c h t aber als bourgeois, ist er c i t o y e n 6 0 . So hat die E r k l ä r u n g der Rechte des M e n s c h e n u n d des Bürgers v o n 1789 den Menschen, der i n sich die Rechte des Naturzustandes u n d des Bürgers vereinigt, verstanden 6 1 . D e r M e n s c h ist i n jeder Beziehung Subjekt des Handelns, also Person u n d d a r u m Bürger. Dieser Bürger ist "die letzte Instanz der M e n s c h e n w ü r d e " ; denn er ist m ü n d i g u n d verantwortlich (Peter Häberle) L o g i k des Satzes: Res publica

res populi.

62

.

Das ist heute die

D i e res p u b l i c a ist nicht anders

als die res privata Sache des Bürgers. D e r Staat ist die E i n r i c h t u n g der Bürger für das, was ihnen allgemein ist, v o r allem die Freiheit, die u m ihrer A l l g e m e i n h e i t w i l l e n das Gesetz u n d damit den Staat n o t w e n d i g m a c h t 6 3 . Person ist der M e n s c h nur unter Menschen u n d nur durch das Gesetz. Person ist der freie u n d darum selbständige M e n s c h i n seinen Verhältnissen zu i h m gleichen Menschen, seien diese Verhältnisse staatlich oder privat b e s t i m m t . Person ist der M e n s c h als rechtliches S u b j e k t 6 4 .

60 Vgl. E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 198 f.; auch J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 135 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 143 ff.; ders., JA 1979, 569; dazu R. Smend, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht, 1933, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Auflage 1968, S. 309 ff., 316 ff., der allerdings den verächtlichen (S. 311) Bourgeois und den Bürger, der sittlich verpflichtet sei, unterscheidet; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 940 ff.; i.d.S. auch W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 50; auch H.H. v. Arnim, Der Staat 26 (1987), S. 488 ff.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1199 f., der von den Rollen des bourgeois und des citoyen spricht und das "Politische" vom "Privaten" für nicht abgrenzbar hält, zu Recht; i.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 8 f.; zum Verhältnis von Privatheit, Öffentlichkeit und Staatlichkeit in der Entwicklung J. Habermas, a.a.O., S. 172 ff. u.ö.; dazu auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 335 ff. m.w.H. in Fn. 97; dazu auch G. Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 122 ff. mit Hinweisen. 61 I.d.S. H. Hofmann, JuS 1988, 84; dazu M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, S. 689 ff., 697 f. 62 HStR, Bd. I, S. 849, auch S. 842. 63 KA. Schachtschneider, JA 1979, 571 f.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 265 ff.; zum Begriff des Staates (i.e.S.) als Gesamtheit der Institutionen des Staatlichen 3. Teil, 1. Kap., S. 160 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 59, S. 216. 64 Zum Personbegriff Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 60 f., 72; ders., Metaphysik der Sitten, S. 329 f. (dazu das folgende Zitat im Text); dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 89 ff., 93 f.; W. Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 17 ff., 33, 47 ff., 62 f., 70 f.; ders., HVerfR, S. 195 ff.; dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 99 ff., 116 ff., 122 ff.; auch BVerfGE 1, 159 (161); dazu i.S.d. materialen Wertethik Max Schelers E. Denninger, Rechtsperson und Solidarität, 1967, S. 53 ff., 138 ff., insb. S. 200 ff., 229 ff.; vgl. auch die Hinw. in Fn. 109, 5. Teil, 2. Kap., S. 274. Zur Einheit der personalen und dialogischen Wirklichkeit W. Henke, Recht und Staat, S. 64 ff., 72 ff., 87 ff.; M. Buber, Das Problem des Menschen, 1954, S. 165 ff.; dazu R. Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz, insb. S. 57 ff.; i.d.S. auch D. Suhr, Entfaltung der Menschen durch

218

. Teil: Der republikanische

rgr

"Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anderes, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen (...), woraus dann folgt, daß eine Person keinen anderen Gesetzen, als denen, die sie (entweder allein oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst gibt, unterworfen ist." - Kant 65 "Daß jeder Deutsche mit der Geburt Rechtsfähigkeit und Staatsbürgerschaft erhält, ist eine unbedingte Forderung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)." - Wilhelm Henke 66 Das (rechtliche) Gesetz und der Staat ermöglichen die Freiheit aller in Frieden. Sie sind das allen Bürgern Gemeinsame des je besonderen, privaten Lebens. Die Freiheit des Menschen als Einzelnem, des l'homme, ist notwendig allgemein, also gemeinschaftlich, nämlich ein status als citoyen 67 ; denn der Mensch nimmt Lebensmöglichkeiten für sich in Anspruch, welche auch andere Menschen ihrem Glück/ ihren Zwecken dienlich machen könnten. Das ist die Wirklichkeit des gemeinsamen Lebens. Das Handeln des Bürgers ist insofern äußerlich und damit des Gesetzes, also der Politik, fähig und bedürftig, als der Bürger als Einzelner zu anderen in ein Verhältnis tritt. Insofern ist der Bürger citoyen 68 ; denn diese Verhältnisse sind politisch, weil rechtlich. Wer Recht auf die Freiheit aller stellt, also auf

die Menschen, S. 78 ff., 105 ff., passim; vgl. auch ders., Gleiche Freiheit, S. 5 f.; dazu auch 5. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 275 ff., 328 f., 370 ff. 65 Metaphysik der Sitten, S. 329 f. 66 Recht und Staat, S. 611, der aber die Subjekthaftigkeit des "einzelnen Bürgers als natürlicher Person" durch die beiden folgenden Sätze wieder aufhebt: "Innerhalb des staatsbürgerlichen Grundverhältnisses bestehen kraft Verfassung Rechte. Auf der Seite der Ämter ist es vor allem das Recht, gegenüber den Bürgern im allgemeinen oder im einzelnen, durch Gesetz oder Einzelakt, einseitig zu bestimmen, was für sie rechtens sein soll". Das ist die Logik der Herrschaftslehre Henkes (a.a.O., S. 251 ff., 299 ff., 387 ff. u.ö.), welche die vorstaatliche politische Freiheit als Würde des Menschen, wie sie in dem zitierten Satz Kants zum Ausdruck kommt, nicht anerkennt, sondern, wenn auch rechtsverhältnishaft, einen Gegensatz von Staat und Bürger dogmatisiert (a.a.O., S. 612 u.ö.). 67 Vgl. zu jedes "besondern und Privatwillen in einem Volk zu einem gemeinschaftlichen und öffentlichen Willen (zum Behuf einer bloß rechtlichen Gesetzgebung)" Kant, Über den Gemeinspruch, S. 153, für die Begründung der bürgerlichen Verfassung; vgl. zur freiheitlichen Staatlichkeit und Privatheit K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 138 ff. 68 Ganz so E. Denninger, Rechtsperson und Solidarität, S. 289 ff., 294 f., der die Statuslehre G. Jellineks zu Recht als monarchisch konstitutionell kritisiert (S. 291 f.); dazu 6. Teil, 3. Kap., S. 457 ff.

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

219

die Autonomie des Willens, muß jeden Bürger als Politiker begreifen 69 . Es gibt kein Handeln, welches ohne Verhältnis zum Handeln anderer wäre, jedenfalls kein äußeres, und darum des juridischen, auf die Moralität gegründeten, Gesetzes entbehren könnte. Unter der allgemeinen Freiheit und Gleichheit, der Würde aller Menschen, sind alle Verhältnisse unter Menschen Verhältnisse des Rechts, mithin politisch; denn das Politische ist die Verwirklichung des Rechtsprinzips oder der allgemeinen Freiheit. Das ergibt die egalitäre und libertäre Einheit des homme und des citoyen im modernen Staat, der nichts anderes ist, als die totale Verrechtlichung aller Lebensverhältnisse oder die vollständige Überwindung von Herrschaftsverhältnissen aus der Logik der allseitigen Gleichheit in der Freiheit 70 . Nur unter Gleichen kann es Gesetze geben (Aristoteles) 11. Auch die Privatheit beruht auf Gesetz und ist dadurch Rechts Verwirklichung. II. Staatlichkeit und Privatheit als Maximen des Handelns Jedes äußere Handeln des Bürgers ist also staatlich, nämlich im Maße seines Verhältnisses zu anderen Menschen durch Gesetze regelbar und zumeist geregelt. Freiheitlichkeit ist Staatlichkeit 72 . Jedes äußere Handeln des Bürgers, jede seiner Sachen also, ist aber auch im Rahmen des Staatlichen privat 73 . Freiheit verwirklicht sich auch in der Privatheit, weil

69 I.d.S. auch K.R. Popper, Bemerkungen zur Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 3; ganz so die alteuropäische, vorhegelianisch, griechisch geprägte Begrifflichkeit, vgl. M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 77 ff. 70 Das Prinzip ist politisch im griechischen Sinne, vgl. H. Arendt, Vita Activa, S. 33 f.; M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 77 ff.; vgl. i.d.S. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 78 f.; auch W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff., 311 (Isonomie); geändert haben sich die ökonomischen Verhältnisse, und die Bürgerlichkeit ist auf alle Angehörigen des Volkes ausgedehnt, insb. auch auf die Frauen (Art. 109 Abs. 2 WRV, Art. 3 Abs. 2 GG). 71

Politik, S. 125, 1284 a 12 ff.; ders., Nikomachische Ethik, S. 169, 1134 b 12 ff. Dazu auch 2. Teil, 7., 10. und 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 6. Teil, 6. und 8. Kap., S. 484 ff., 494 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; vgl. auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 79. 73 Wenn der Bürger als Amtswalter handelt, ist das nach außen im Verhältnis zu den betroffenen Menschen nicht seine Sache, sondern Sache des Volkes/des Staates (i.e.S.), das/den er vertritt. Diese Handlungen sind im Außenverhältnis ausschließlich staatlich bestimmt, nämlich Vollzug der allgemeinen Gesetze. Das Fiskusdogma, das die Privatrechtsfahigkeit des Staates lehrt, ist verfassungswidrig (dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht; J. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 210 ff., 244; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, 1989, insb. S. 77 ff.). Der Amtswalter übt zugleich seinen Beruf aus. Insoweit folgt er auch privaten Maximen, aber entfaltet staatlich seine besondere Eigenheit, deretwegen ihm gegebenenfalls das Amt übertragen wurde. Er verwirklicht sich in seinem 72

. Teil: Der republikanische

220

rgr

diese allgemein, d.h. staatlich, g e w o l l t i s t 7 4 . Soweit das äußere H a n d e l n n i c h t durch die allgemeinen Gesetze, die Gesetze aller Bürger, also die staatlichen Gesetze, geregelt ist, können die Menschen ihre Verhältnisse durch private Regelungen, also Verträge u n d besondere guten

Sitten75,

regeln (§ 134 B G B ) . Diese privaten Vereinbarungen sind keine Gesetze, w e i l i m B e g r i f f des Gesetzes die A l l g e m e i n h e i t angesprochen ist. Was durch private Vereinbarungen, das k a n n auch durch staatliches Gesetz geregelt werden, w e n n das die Verfassung zuläßt. D i e durch das Grundgesetz, insbesondere durch den grundsätzlichen Vorrang privater L e b e n s b e w ä l t i g u n g 7 6 , privater

Regelung

vorbehaltenen

Zwecke

betreffen

äußeres

welches regelmäßig mehr oder weniger auch durch staatliche

Handeln, Gesetze

Beruf als Amtswalter auch selbst (dazu auch S. 234 ff.). 74 Dazu KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 138 ff., 140 ff., 143 ff., 145 ff.; dazu 5. Teil, 4. und 5. Kap., S. 222 ff., S. 332 ff., S. 370 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff. 75 Zur Dogmatik der guten Sitten K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 421 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: FS W. Thieme, 1993, S. 195 ff., 206 ff., insb. S. 220 ff.; i.d.S. auch Η. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 501 f.; W. Maihofer, HVerfR, S. 227. 76 Dazu m.H. K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 189 f., 272 f. mit Fn. 184 (zum Subsidiaritätsprinzip), S. 317; insb. J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 215 f., 313 ff.; ders., HStR, Bd. III, S. 75 ff.; R. Herzog, HStR, Bd. III, S. 99 (zurückhaltend); H.H. v. Arnim, Staatslehre, S. 474 ff.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1219 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 26. Der Grundsatz und Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung ist gegenüber dem Subsidiaritätsprinzip eigenständig, wenn auch beide Prinzipien verwandt sind, weil sie die Wirkung negativer Kompetenz haben; während aber das Subsidiaritätsprinzip über die Kompetenz unter konkurrierenden staatlichen Kompetenzen entscheidet (typisch Art. 3 a Abs. 2 EGV, Maastricht), begrenzt der Grundsatz der Privatheit die Staatlichkeit der Lebensbewältigung überhaupt. Privatheit als Verwirklichung der Freiheit ist zwar kompetenzhaft, aber keine Kompetenz. Der Mensch ist Person, aber nicht wesentlich Kompetenzträger, der eine Aufgabe hat. Eine solche Sicht würde die Selbstzweckhaftigkeit des Menschen verkennen. Es konkurriert nicht die Kompetenz des Staates mit der des Menschen, schon deswegen nicht, weil das Staatliche das Allgemeine der Bürgerschaft verwirklicht, das (besondere) Private aber nicht allgemein ist, auch nicht, wenn der Staat eine Aufgabe aufgibt oder nicht übernimmt. Das Staatliche und das Private sind auch wegen der unterschiedlichen Rechtsprinzipien, die die Maximen und Maximenbildung bestimmen, in anderer Weise unterschiedlich als verschiedene staatliche Institutionen, deren Kompetenzen konkurrieren. Die Privatheit des Lebens ist ein notwendiges Humanum, die Kompetenz des Landes anstelle der des Bundes oder des Mitgliedstaates anstelle der der Europäischen Gemeinschaft nicht. Insoweit den Privaten durch die allgemeinen Gesetze der Vollzug des Staatlichen übertragen ist, kommt ein Subsidiaritätsprinzip in Betracht (so etwa J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 75 ff.), das hier aber nicht reklamiert werden soll, wenn auch die Privatheit vielfach, wenn nicht meist mit modaler Staatlichkeit verbunden ist (dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 379 ff.). Der Grundsatz der Privatheit aber betrifft nicht die modale Staatlichkeit, sondern die modale Privatheit der Maximen des Handelns; siehe auch 3. Teil, 3. Kap., S. 195 ff., 201 ff.

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

221

geregelt ist 7 7 . Die privaten Übereinkünfte sind nicht autonom 78 , weil sie in ihrer Materie nicht der allgemeine Wille sind. Vielmehr ist ihr Geltungsgrund der besondere Wille der beteiligten Privaten, dessen Verbindlichkeit auf dem allgemeinen, staatlichen Gesetz, also auf der Willensautonomie der Bürgerschaft, beruht. Die staatlichen Gesetze definieren das Gemeinwohl 79 . Die Rechte der Privatheit ermöglichen die jeweilige Besonderheit der Verhältnisse der einzelnen Menschen. Auch die besonderen Verhältnisse können von allgemeinem Interesse sein. Sie werden nicht staatlich geregelt, wenn sie das Gemeinwohl nicht tangieren oder das Grundgesetz die staatliche Regelung untersagt, weil die privaten Maximen sich behaupten können sollen 80 . In den Grenzen der Grundrechte ist jedes äußere Handeln staatlich regelbar. Es wird staatlich, also allgemein geregelt, wenn die Allgemeinheit, die Bürgerschaft also, das will, weil es der allgemeinen Freiheit mehr dient als die Privatheit des Handelns. Soweit staatliche Gesetze oder private Vereinbarungen nicht bestehen, soll der Mensch sein äußeres Handeln von den Tugendpflichten bestimmen lassen. Auch dies gebietet das Sittengesetz oder das Liebesprinzip 81 . Dies gilt bereits für die privaten Vereinbarungen, aber auch die staatliche

77 R. Herzog, HStR, Bd. III, S. 98, spricht von einer "fast unentwirrbaren Gemengelage von staatlicher und privater Aufgabenerfüllung". 78 Insofern anders K.A.Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 421 ff., wo der besondere Wille der Beteiligten auch als Autonomie begriffen ist; Autonomie ist aber allgemeine Gesetzgebung, weil angesichts der alle betreffenden Wirkungen der Handlungen nur die allgemeine Gesetzgebung sicherzustellen vermag, daß niemandem Unrecht geschieht (dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.) und weil Privatheit ohne allgemeine Gesetzgebung der mit der Zwangsmöglichkeit des Staates zu identifizierenden Verbindlichkeit entbehren würde (dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.). Es gibt neben den repräsentativen allgemeinen Gesetzen aber auch unmittelbar von der Bürgerschaft gegebene Gesetze, nämlich das Gewohnheitsrecht (dazu KA. Schachtschneider, a.a.O., S. 429 ff.) und die guten Sitten, soweit sie allgemein gelten; vgl. ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 220 ff. 79 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 247 ff.; i.d.S. für die Offenheit des Gemeinwohls als "Objekt der politischen Entscheidung" J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 17; zum formalen Gemeinwohlbegriff auch 7. Teil, 4. Kap., S. 574 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 657 ff. 80

Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 508 ff., 584 ff.; dazu 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 230 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 308 ff., insb. S. 320 ff. 81

222

. Teil: Der republikanische

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Gesetzgebung, die ohne Moralität nicht Recht schaffen können 82 . Darin, daß der Mensch sein äußeres Handeln moralisch bewältigt, ist er innerlich frei. Nur eine solche Freiheit schützt das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG, wie dessen Wortlaut beweist 83 . Alles äußere Handeln ist somit dem Sittengesetz verpflichtet. Das gilt für die Gesetzgebung wie für die Gesetzesverwirklichung. Das Sittengesetz verpflichtet, durch Gesetzlichkeit die allgemeine Freiheit zu verwirklichen 84 . Im Rahmen der Gesetzlichkeit gebietet es die Tugend, die materiale Pflichten kennt, aber nicht erzwungen werden kann. Die Tugendpflichten der fremden Glückseligkeit, aber auch die der eigenen Vollkommenheit sind ihrer Materie nach offen, also wenig bestimmt oder, wie Kant sagt, "breit"; denn sie sind gerade nicht durch Gesetz definiert, dessen Erzwingbarkeit möglichste Bestimmtheit erfordert 85 . Die Verletzung der Tugendpflichten hindert die Legalität des Handelns nicht, die sich allein nach dem allgemeinen Gesetz bestimmt. Jede res privata ereignet sich im Maße ihrer allgemeinen Regelbarkeit auch als res publica. In diesem (kantianischen) Sinne nennt das Bundesverfassungsgericht den Menschen das "nicht isolierte und selbstherrliche Individuum, sondern die gemeinschaftsbezogene und gemeinschaftsgebundene Person" 86 . Dem Bürger wird eine sogenannte Intimsphäre (forum internum) zugestanden, die nicht in den Bereich des "Öffentlichen", des Staatlichen also,

82 Dazu 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff.; 9. Teil, 1. und 2. Kap., S. 819 ff., S. 858 ff. 83 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff., insb. S. 289 ff., 318 ff. auch 4. Kap., S. 344 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. 84 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff. mit den Hinweisen in Fn. 72, S. 219, insb. 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 85 Kant, Metaphysik der Sitten S. 325, 508 ff. (bloßer "Selbstzwang"); denn die "Ethik" ist eine "Lehre der Zwecke, weil dazu (sie zu haben) ein Zwang sich selbst widerspricht"; zur "weiten Verbindlichkeit" der Tugendpflichten, die nicht bestimmte Handlungen vorschreiben, daselbst S. 522, 524. 86 BVerfGE 4, 7 (15 f.); 12, 45 (51); 27, 1 (7); 30, 173 (193); 32, 98 (108), 33, 303 (334); st.Rspr.; BVerfGE 45, 187 (227); 50, 166 (175); 50, 290 (353); BVerfG NJW 1979, 706; vgl. KA. Schachtschneiden JA 1979, 571; zum Persönlichkeitsbegriff des Art. 2 Abs. 1 GG ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 122 ff.; /. v. Münch, GG-Komm., Bd. 1, Rdn. 12 ff. zu Art. 2; Ρ Häberle, HStR, Bd. I, S. 839; W. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, HStR, Bd. VI, S. 42, 63; vgl. auch H.-U. Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 1186 ff., 1191 ff.; dazu auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 323 ff., der die Freiheit als bloß "negative Freiheit", diese allerdings "formal" in dem Sinne versteht, daß deren Einschränkungen hinreichender Gründe bedürfen würden.

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

223

r e i c h e 8 7 , geschützt als "unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung", "menschlicher Freiheit", "der der E i n w i r k u n g der gesamten öffentlichen G e w a l t entzogen" sei, dessen Grenzen j e d o c h die v o m Gesetz geregelten äußeren "sozialen" Verhältnisse seien 8 8 . Eine w i r k l i c h e Intimsphäre n o t w e n d i g der Besonderheit des einzelnen Menschen vorbehalten,

ist

weil

mangels W i r k u n g auf einen anderen ein Rechtsverhältnis nicht besteht 8 9 . Grundrechte, insbesondere A r t . 2 Abs. 1 G G , verböten, meint das Bundesverfassungsgericht,

aber

auch

die

unverhältnismäßige

staatliche

Re-

87 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 539 ff. u.ö.; P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, insb. S. 335 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 22 f. (auch für die Beziehung Mensch zu Mensch (?)); vgl. auch E. Denninger, Rechtsperson und Solidarität, S. 294, der "dem einzelnen Privatmann, dem bourgeois, eine Sphäre der Beliebigkeit" belassen will, ob anderen gegenüber, bleibt offen; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1, Rdn. 11, S. 158 f.; auch Κ Hesse, HVerfR, S. 93; für einen durch die Individualsphäre bestimmten Begriff der Gesellschaft, in die der Staat nicht einwirken dürfte; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1199 ff., der den Begriff "Privatsphäre" kritisiert, S. 1200; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 326 ff., bietet auch für die Lösung dieser Fälle der "Sphärentheorie" sein "Abwägungsgesetz" an, im Erg. zu Recht, denn mittels Abwägung wird die praktische Vernunft materialisiert (dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 895 ff.). 88

Etwa BVerfGE 6, 32 (41); 6, 389 (433); 27, 1 (6); 27, 344 (350 ff.); 32, 373 (379); 34, 238 (245); 35, 202 (220); 54, 148 (153); 60, 123 (134 f.), 65, 1 (41); 67, 213 (228); 71, 183 (201); 72, 153 (170), gestützt auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 103 ff., 243 f., 254 f.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 148 f.; dazu K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 646 f.; kritisch v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1, Rdn. 11, S. 158 f.; dazu näher R. Scholz, Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Rechtsprechung der Bundesverfassungsgerichts, AöR 100 (1975), S. 80 ff., 265 ff.; D. Rohlf Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, 1980, insb. S. 76 ff., 226 ff., der nicht zu einer Ethik vordringt; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 41 ff.; H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1208 ff. (insb. zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht); sozial wissenschaftlich geprägt G. Rüpke, Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit, 1976, insb. S. 21 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 326 ff.; kritisch zur Sphärentheorie D. Merten, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, JuS 1976, 349; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 314 ff., der zu Recht die relevante Unterscheidbarkeit einer "Privatsphäre" und einer "Sozialsphäre" bestreitet; einen "unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung" bestreitet zu Recht auch A. Podlech, Das Recht auf Privatheit, in: J. Pereis, Grundrechte als Fundament der Demokratie, 1979, S. 68 in Fn. 12. 89 Im Erg. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 327 ff., der das allerdings auf das Abwägungsgesetz als extremsten Fall stützt; zum Begriff des allgemeinen und besonderen Rechtsverhältnisses R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 141 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 607 ff.( Zitat S. 609), der das Rechtsverhältnis davon abhängig macht, daß ein Anspruch etwa durch Verletzung eines Gesetzes, daß also ein Streit entstanden ist, Gröschner (a.a.O.) verlangt eine "streng korrelative Bindung".

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glementierung der sogenannten Privatsphäre 90 . Bei diesem relativen Schutz kann man von verfassungsgebotenen res privatae sprechen, die wegen der Formalität der allgemeinen Freiheit von der Gesetzgebung nach dem Prinzip der praktischen Vernunft und gemäß dem Grundsatz privater Lebensbewältigung, der in der mit der Formalität der Freiheit erfaßten und im Wortgebrauch des Art. 2 Abs. 1 GG zum Ausdruck gebrachten Selbstheit der Persönlichkeit begründet ist, materialisiert werden müssen. Diese Materialisierung leistet das Bundesverfassungsgericht mit dem Versuch, Sphären unterschiedlicher Abwehrintensität zu dogmatisieren. Die Grenze zwischen einer Intim- und der sogenannten Privatsphäre kann nur die schwer bestimmbare Grenze zwischen Innen- und (insbesondere kommunikativem) Außenhandeln sein 91 . Eine Bereichsgrenze zwischen der sogenannten Privatsphäre und der des sogenannten Öffentlichen, die als die "Sozialsphäre" bezeichnet wird 9 2 , gibt es nicht 93 . Der "soziale" Bezug des Handelns macht das Handeln zu einem (freiheitlichen) Rechtsfall und verpflichtet zur staatlichen Regelung, sei es, indem ein Recht zur Privatheit der Handlungsmaximen eingeräumt wird (eventuell werden muß), oder sei es, daß die Handlungsmaximen allgemein bestimmt werden. Der Grundsatz privater Lebensbewältigung rechtfertigt die prinzipielle Dispositivität des bürgerlichen Rechts als Ausdruck der freiheitlichen praktischen Vernunft

90 Vgl. BVerfGE 6, 389 (433 ff.); 27, 1 (7 f.); 27, 344 (351); 32, 373 (379); 33, 367 (376); 34, 238 (246); 34, 238 (245 f.); 35, 202 (220 f.); 51, 97 (107); vgl. dazu R Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 355 ff., 339; ders., Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 140; D. Rohlf; Privatsphäre, S. 76 ff.; kritisch zum Begriff "Privatsphäre" zu Recht H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1200; kritisch auch J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 314 ff. 91 Dazu D. Rohlf, Privatsphäre, S. 78 ff., insb. kritisch zum Lebach-Urteil BVerfGE 35, 202 (220), S. 226 ff.; i.d.S. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 327 ff. 92 R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 266 ff., 273 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 327; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 61 f., stellt auf die "Intensität" "des Sozialbezuges" ab. 93 Eine solche sucht D. Rohlf, Privatsphäre, insb. S. 76 ff., 87 ff., 135 ff., 192 ff., stark räumlich gegenständlich; auch A. Podlech, Das Recht auf Privatheit, S. 50 ff., 60 ff.; Sphären ablehnend G. Riipke, Privatheit, S. 20, 30 f., insb. i.S. räumlicher Vorstellung; ablehnend auch J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 314 ff.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 47 ff., 57 ff., stellt die Differenzierungsbemühungen dar und bietet selbst solche an, die aber "der Lösung von Fall zu Fall" bedürfen würden (so auch BVerfGE 34, 238 (248)), d.h. nicht ohne Gesetz rechtsstaatlich handhabbar sind; gegen die "unjuristischen philosophischen Vorstellungen", "das Recht grenze die privaten Sphären der einzelnen voneinander ab", W. Henke, Recht und Staat, S. 613 in Fn. 6 (die Kritik ist berechtigt, der Vorwurf des Philosophischen aber mangels eines Hinweises unverständlich); die Einheit des privaten und öffentlichen Aspekts grundgesetzlicher Freiheit spricht auch P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 140, an; skeptisch gegenüber der Differenzierung privater und öffentlicher Verbände zu Recht G. Teubner, Organisationsdemokratie, S. 122 ff.

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

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ebenso wie den Rechtsgrundsatz der Verbindlichkeit privater Verträge und gruppenhafter guter Sitten. Eine eigentliche res privata im Sinne der römischen Republik oder gar ein οΙκος/Haus im Sinne der griechischen Antike, die politischer, also staatlicher, Regelung nicht zugänglich wären, gibt es in der demokratischen Republik des bürgerlichen Gemeinwesens nicht mehr. Das Ökonomische ist i m industriellen Gemeinwesen nicht mehr häuslich, sondern national, ja international. Auch im Hause ist der Mensch auf den anderen angewiesen. Er lebt auch dort in äußeren, also rechtlichen Verhältnissen, ganz im Gegensatz zu den ökonomischen Verhältnissen der Griechen und vor allem der Römer, deren Häuser despotisch beziehungsweise patriarchalisch geführt wurden, also unabhängig von staatlichem Recht. Das hinderte sittliche Verhältnisse unter Menschen in den Häusern nicht 9 4 , freilich nicht im Sinne einer Sittlichkeit der gleichen Freiheit aller Menschen, insbesondere auch der Frauen und Kinder. Im Hause gibt es keinen pater familias, keine erlaubte Despotie mehr, sondern nur noch rechtliche, also sittliche, nicht aber herrschaftliche Verhältnisse. Das heißt nicht, daß alles Handeln im Hause durch Maximen der allgemeinen Gesetze bestimmt wäre, aber alles Handeln im Hause untersteht dem Recht, das den allgemeinen Gesetzen zu entnehmen ist, sogar die Liebe der Ehegatten, wie das Rechtsinstitut der Zerrüttung der Ehe (§ 1565 BGB) erweist. Das Haus ist kein rechtsfreier Raum mehr, wenn es auch vor dem Eindringen von Menschen, auch von Amtswaltern, als ein Hort vor allem der Familie, aber auch der Arbeit usw., als ein Raum intensiver Privatheit, besonders geschützt ist (vor allem durch Art. 13 GG) 9 5 . Die Wirkung des allgemeinen Gesetzes macht an der Haustür nicht halt. Die Wohnung ist kein Bereich ohne "sozialen Bezug" 96 .

94 Th. Mommsen, Römische Geschichte I, Könige und Konsuln, Von den Anfängen bis zum Untergang der Republik, 1856, Kap. 29, S. 399 ff.; H. Arendt, Vita Activa, S. 28 ff.; A. Bürgin, Polis und Ökonomik zur Zeit des Aristoteles, Vortrag, Hamburg 1989; M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, S. 672 ff.; D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, S. 88 ff.; dazu auch W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff.; auch G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 424 (Scheidung der "häuslichen" und der "staatlichen Gewalt" in der "antiken Staatslehre"); S. Miarka, Degeneration politischer Werte in der Agonie der Republik, S. 29. 95 Dazu D. Rohlf,, Privatsphäre, S. 152 ff., 228 ff.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 68 ff.; A. Podlech, Das Recht auf Privatheit, S. 60 f. (Wohnung: "räumliche Privatsphäre"); M. Gentz, Die Unverletzlichkeit der Wohnung, 1968, S. 24 ff., 30 (weiter Begriff); BVerfGE 32, 54 (70 ff.); vgl. auch BVerfGE 31, 255 (268); 51, 97 (107); 65, 1 (40). 96 W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 69 f.; zu Recht weist Λ. Podlech, Das Recht auf Privatheit, S. 51 mit Fn. 12, S. 65 auf den sozialen Charakter der Privatheit hin.

15 Schachtschneider

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III. Staatlichkeit der Amtswaltung und Privatheit der Amtswalter Der Staat (i.e.S.) 97 ist nicht frei; denn er ist keine Person. Vielmehr dient der Staat der Verwirklichung des Staatlichen, also dessen, was die Bürgerschaft (durch ihre Vertreter) für das allgemeine gute Leben in Freiheit als notwendig erkannt und damit als allgemeines Gesetz verbindlich gemacht hat. Als Republik ist der Staat (der Idee nach) die verwirklichte Sittlichkeit des Volkes als der Gesamtheit der Bürger 98 , die jeweilige Bürgerlichkeit also. Die Amtswaltung der Bürger ist staatlich, d.h. staatsrechtlich (öffentlich-rechtlich), bestimmt 99 . Amtswalterliche Unabhängigkeit gibt nicht das Recht zur Privatheit, wie die Unabhängigkeit der Richter nach Art. 97 Abs. 1 G G 1 0 0 zeigt. Der Richter soll nicht sein eigenes Glück suchen, nicht die eigenen Interessen verwirklichen, nicht privat handeln, sondern ist Vertreter des Volkes in dessen Sittlichkeit, indem er auf der Grundlage der Wahrheit das Recht erkennen soll. Darum ist der Richter gesetzesgebunden; denn das Recht soll um der Freiheit willen in den Gesetzen stehen. Soweit die Gesetzesbindung nicht reicht, ist der Richter funktional gesetzgebend, auch wenn er einen Einzelfall zu entscheiden hat 1 0 1 . Die amtswalterliche Unabhängigkeit dient der spezifischen Sachlichkeit, die wegen ihrer Eigenart die Unabhängigkeit des Amtswalters erfordert, damit dieser bestmöglich seine besondere Eignung und Befähigung zur Verwirklichung des gemeinen Wohles, der Staatlichkeit, einbringen kann. Der Richter und insbesondere der Richter bringt durchaus seine Persönlichkeit in sein Amt ein und soll das auch. Er benötigt für sein Amt die Befähigung zum Richteramt und soll für seine Amtswaltung seine zunehmende richterliche Erfahrung nutzen. In diesem Sinne ist richterliche 97 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff., 174 f.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 98 Vgl. dazu K.A.Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 241 ff., 438 ff.; dazu 1. Teil, 1. und 3. Kap., S. 1 ff., S. 28 ff.; zur sittlichen Identität der Bürger 8. Teil, 1., 2. und 3. Kap., S. 668 ff., 688 ff., 719 ff., 728 ff., 730 ff.; auch 2. Teil, 6., 9. und 11. Kap., S. 123, 142 ff., 153 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 528 ff.; zur Pflicht zur Sittlichkeit auch 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 799 ff., 810 ff.; 9. Teil, 1. und 2. Kap., S. 819 ff., 858 ff. 99 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, insb. S. 253 ff. mit Hinw.; für die Fiskuslehre, die privatrechtsförmiges Verhalten des Staates zuläßt, etwa G. Püttner, Öffentliche Unternehmen, 2. Aufl. 1985, S. 79 ff., insb. S. 84, 85; D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 75 ff.; auch M. Ronellenfitsch, Wirtschaftliche Betätigung des Staates, HStR, Bd. III, S. 1184 f., 1198 f., ohne Bewußtsein für das staatsrechtliche Problem Fiskus; kritisch B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 77 ff.; J. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 210 ff. 100 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2., 3., 6. und 10. Kap., S. 863 ff., 909 ff., 963 ff., 1027 ff. 101 Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff., insb. S. 880 ff.

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

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Amtswaltung Persönlichkeitsentfaltung, freilich gesetzesgebunden und ausschließlich dem Wohl des Volkes, nämlich der Wahrheitlichkeit und Richtigkeit der Richtersprüche, die im Namen des Volkes ergehen, verpflichtet 102 . Der Richter ist der persönliche Richter, also der Richter als Persönlichkeit. Die Verfassung schützt dieses Prinzip als das des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Unabhängig ist insbesondere die wissenschaftliche Amtswaltung der von staatlichen Universitäten beschäftigten Wissenschaftler, deren Amtswaltung unter dem Schutz der Freiheit der Wissenschaft, der Freiheit von Forschung und Lehre, steht (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) 1 0 3 . Die Amtsführung der staatlichen Wissenschaftler ist aber nicht privat, sondern staatlich; denn sie geschieht im Namen des Volkes, das diesen Amtswaltern um der Wissenschaft willen die größtmögliche Unabhängigkeit einräumt. Die Freiheit der Wissenschaft des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gibt dem staatlichen Wissenschaftler ein subjektives Recht, eigenverantwortlich seine Forschung und seine Lehre nach Maßgabe seines Amtes auszuüben. Das Freiheitsrecht des Art. 5 Abs. 3 GG gestaltet somit eine staatliche Aufgabe und eine staatliche Institution, weil diese Freiheit mit der Sache der Wissenschaft untrennbar verbunden ist. Diese Freiheit ist die Freiheit der Erkenntnis der Wahrheit und des Richtigen 104 . U m der allgemeinen Freiheit willen ist der Staat darauf angewiesen, freies Handeln in das Staatliche zu integrieren. Nicht jedes subjektive Recht ist ein Recht der Privatheit; denn Handeln im Namen des Volkes ist definitorisch nicht privat, sondern staatlich. Amtlichkeit und Privatheit schließen sich aus, weil das Private als das Nichtstaatliche definiert ist 1 0 5 . Dennoch sind das Staatliche und das Private menschlich und bürgerlich und folgen gegebenenfalls gleichen Sachgesetzlichkeiten, wie das Beispiel der Wissenschaft zeigt. Die Wissenschaft in den staatliche Universitäten ist frei, aber nicht privat. Wie alles staatliche Handeln ist auch die Wissenschaft den Gesetzen verpflichtet, aber um der bestmöglichen Sachlichkeit willen sind es die Gesetzlichkeiten des jeweiligen Faches, die der Staat der Erkenntnis der Wissenschaftler überträgt und übertragen muß, wenn er seine aufklärerische Pflicht zur bestmöglichen Sachlichkeit nicht verletzen will. Unabhängigkeit ist kein Widerspruch zur Freiheit als der

102 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; auch 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 103 104 105

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Dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff. Dazu allgemein 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff., 222 ff. Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.

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bestmöglichen Gesetzlichkeit, sondern die richtige Institution der Freiheit, wenn die Sachlichkeit sie erfordert, wie die Unabhängigkeit der Richter, der Abgeordneten, u.a. Amtswalter, insbesondere der Bürger, jeweils im Rahmen der Gesetze der Freiheit, es erweisen. Sachlichkeit aber heißt in der Republik bestmögliche Wissenschaftlichkeit 106 . Jede Amtshandlung als res publica ist jedoch auch eine res privata des Amtswalters, der seine Persönlichkeit in seinem Amt, das er "uneigennützig nach bestem Gewissen verwalten" soll (§ 36 S. 2 BRRG, § 54 S. 2 BBG), entfaltet, der als seinen Beruf ein Amt innehat, dem er sich "mit voller Hingabe widmen" soll (§ 36 S. 1 BRRG, § 54 S. 1 BBG). In diesem Beruf ist der Amtswalter gemäß Art. 33 Abs. 5 GG nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums bestens geschützt 107 . Das Berufliche des Amtswalters ist wesentlich eine res privata, wenn auch die beruflichen Verhältnisse des Amtswalters die bestmögliche Amtsführung gewährleisten sollen. Auch der Amtswalter ist Bürger wie alle Bürger. Der Soldat wird richtig als "Bürger in Uniform" charakterisiert 108 . So trägt der Amtswalter die "volle persönliche Verantwortung" für "die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen" (§ 38 Abs. 1 BRRG, § 56 Abs. 1 BBG), u.a.m. Auch das zeigt, daß die Amtsführung (auch) eine res privata des Amtswalters ist. Das gilt in besonderem Maße für die Amtswaltung des Wissenschaftlers. Der Staat gibt Gesetze durch Abgeordnete, er verwaltet durch Beamte und er richtet durch Richter, er verteidigt sich durch Soldaten und er forscht und lehrt durch Wissenschaftler. Alle diese Amtswalter handeln im Namen des Volkes, also in ihrem Amt amtlich, d.h. staatlich, und nicht privat. Alle Amtswalter haben aber spezifische Eignungen und Befähigungen, die sie mehr oder weniger selbstbestimmt in ihr Amt einbringen und einbringen sollen. Im Interesse bestmöglicher Erfüllung ihrer Aufgaben, also im Interesse bestmöglicher Staatlichkeit, sind die Amtswalter entweder unabhängig oder nicht unabhängig. Wenn eine Aufgabe wissenschaftlich bewältigt werden soll oder die Wissenschaft die Aufgabe selbst ist, muß um der Erkenntnisaufgabe willen die Amtswaltung unabhängig sein. Die Aufgabe des Richters kann nicht ohne Rechtswissenschaftlichkeit bewältigt

106 107

Dazu 8. Teil, 1. Kap., VII, S. 674 ff.; 9. Teil, 4. und 6. Kap., S. 943, 965 ff.

Dazu H. Lecheler, Der öffentliche Dienst, HStR, Bd. III, S. 736 ff. 108 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 538 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff., Κ Stern, Staatsrecht II, S. 885; vgl. auch F. Kirchhof Bundeswehr, HStR, Bd. III, S. 1000.

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

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werden, aber zugleich ist der Richter wegen des Vorrangs von Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) an die (rechtlichen) Gesetze gebunden (Art. 97 Abs. 1 GG) 1 0 9 . Folglich ist der Richter nicht nur an die Gesetze gebunden, sondern auch unabhängig. Im übrigen setzt sein Amt die rechtswissenschaftliche Befähigung voraus (§ 5 Abs. 1 DRiG) 1 1 0 . Auch der Abgeordnete soll sein Amt unabhängig und nur seinem Gewissen verpflichtet ausüben, weil er anders nicht Vertreter des ganzen Volkes sein kann (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) 1 1 1 . Der Beamte ist im Grundsatz weisungsgebunden (§ 37 BRRG, § 55 BBG), weil und insoweit die Einheit der Verwaltung und die demokratische Legitimation die Hierarchisierung der Verwaltung erfordert und nicht andere Prinzipien, wie insbesondere die Wissenschaftlichkeit der Amtsaufgabe, dem entgegenstehen112. Amtlichkeit als Staatlichkeit des Handelns und Selbstbestimmtheit, etwa als Wissenschaftlichkeit, sind kein Widerspruch, sondern je nach den Erfordernissen der Aufgaben integriert. Immer sind es Menschen, die dem Staat, d.h. dem gemeinen Wohl, dienen, Menschen also, denen wegen ihrer Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG) die staatlichen Ämter übertragen werden. Es sind immer persönliche Leistungen, die das Gemeinwesen für das Staatliche nutzt. Immer übernimmt der Staat Aufgaben des gemeinsamen Lebens, also des Lebens von Menschen, die durch Menschen bewältigt werden müssen, sei es staatlich oder sei es privat gestaltet und bestimmt. Die Vorlesung des Professors etwa ist Amtswaltung und als solche selbstbestimmte Verwirklichung des Staatlichen; denn allgemeine Gesetze bestimmen die Aufgabe des Professors, nämlich die bestmögliche Lehre, welche bestmögliche Forschung voraussetzt 113 . Gleichzeitig verwirklicht der Professor seine Persönlichkeit nicht nur, aber auch als res privata. Im Amt zeigt sich die bürgerliche Einheit des Staatlichen und des Privaten in besonderer Weise, nämlich die persönliche Einheit, die die Konsequenz eines Gemeinwesens ist, welches Staat und Gesellschaft nicht trennt und nicht trennen kann, weil das Staatliche Teil der Persönlichkeit jedes Bürgers ist, nämlich das, was allen Bürgern gemein ist; denn: res publica res populi 1 1 4 .

109

Dazu 9. Teil, 6. Kap., S. 974 ff. Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 670 ff., 810 ff.; auch 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff. 111 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 682 f. 112 Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 837 ff.; auch 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff.; zur demokratischen Funktion der Hierarchie BVerfGE 83, 60 (72). 113 Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 11. Kap., S. 153 ff., 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff. 110

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Die Praxis verwischt, gestützt durch das Fiskusdogma 115 , zunehmend die institutionelle Unterscheidung des Staates (i.e.S.) von dem Privaten, insbesondere durch sogenannte öffentliche Unternehmen, also Unternehmen des Staates, die in Privatrechtsform betrieben werden. Die organisatorische Privatisierung ändert nichts an der Staatlichkeit der Unternehmen, die dadurch dem Recht des Staates nicht entzogen werden dürfen, nicht nur den Grundrechten nicht, sondern auch nicht der kompetenziellen Ordnung und auch nicht der Ordnung der Ämter. Die institutionelle Unterscheidung des Staates von den Privaten ist wegen des vielfältigen staatstypisehen und privattypischen Rechts, das entweder nur für den Staat oder nur für Private gilt, unverzichtbar 116 . Die institutionelle ist von der modalen Staatlichkeit zu unterscheiden, weil der Wille des Bürgers als institutionell Privater sowohl modal staatlich als auch modal privat bestimmt ist, während das institutionell Staatliche als solches ausschließlich modal staatlich bestimmt ist, nämlich vom allgemeinen Willen des Volkes. Das Handeln im Amt und das private Handeln kann denselben Sachgesetzlichkeiten folgen, weil die Amtswaltung bestmöglich, d.h. im Grundsatz wissenschaftlich, sein soll. Dennoch folgt die Amtswaltung ausschließlich einem anderen formalen Prinzip als die private Lebensbewältigung, nämlich dem Prinzip des durch die allgemeinen Gesetze definierten Gemeinwohls, während der Private sein besonderes Glück allein zu bestimmen das Recht hat. IV. Zwei Sollensordnungen des Menschen Der Mensch muß sein Handeln von Rechts wegen und moralgeboten den staatlichen Gesetzen, den privaten Vereinbarungen, sowie, ethisch verpflichtet, dem Sittengesetz unterwerfen. Das Sittengesetz gebietet, die Gesetze um der Gesetze willen zu verwirklichen und die Tugendpflichten zu erfüllen 117 . Die Bindungsweisen, die das Handeln des Menschen bestimmen, sind die allgemeinen Gesetze, welche die allgemeine Freiheit zu verwirklichen suchen und alle Handlungen oder die Maximen aller Handlungen betreffen, und die vielfältigen besonderen, privaten Maximen. Verbindlichkeit erlangen die privaten Maximen nur durch die allgemeinen

114

Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. Das Fiskusdogma ist verfassungswidrig, K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, insb. S. 261 ff. 116 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 173 ff., 281 ff., 438 ff. 117 Dazu S. 214 f., 221 f.; 5. Teil, 3. Kap., S. 308 f., 320 ff.; 2. Teil, 7. Kap., S. 126 ff. 115

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

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Gesetze, also durch den Staat, insbesondere als Vertrag oder als gruppenhafte gute Sitte. Alle Handlungen sind mehr oder weniger staatlich geregelt, können aber privatim, d.h. im eigenen Interesse/willkürlich näher gestaltet werden. Es gibt nicht spezifisch zwei Bindungsbereiche des Handelns, sondern zwei Bindungsweisen, nämlich die allgemeine, staatliche, und die besondere, private 118 . Letztere ist ausschließlich moralisch, nämlich die Unterwerfung unter die Tugendpflichten, deren Kriterium die Unerzwingbarkeit ist 1 1 9 . Wenn private Verpflichtungen begründet werden, vor allem also Vertragspflichten, ist deren Verbindlichkeit staatlich; denn sie beruht auf dem allgemeinen Gesetz und ist nichts anderes als die Zwangsmöglichkeit des Staates 120 . In der Republik können (äußere) Verbindlichkeiten nur auf allgemeinem Gesetz beruhen, weil nur das allgemeine Gesetz den Zwang der Allgemeinheit rechtfertigt. Zwang besonderer Einzelner ist grundsätzlich republikwidrig, weil er den allgemeinen Frieden verletzt. Er ist nur als Notmaßnahme vom Staat durch allgemeine Gesetze erlaubt, die den Einzelnen quasi zum staatlichen Organ/Nothelfer machen 121 . Der Bürger existiert in der modernen Republik nicht wie bei den Griechen in zwei "Seinsordnungen", der des Eigenen und der des Gemeinsamen 122 ; vielmehr unterliegt sein Handeln zwei Sollensordnungen des Lebens mit den anderen Menschen, nämlich den Rechtspflichten aus den staatlichen Gesetzen, also dem "Ius", und den Tugendpflichten, der "Ethik", deren Verbindlichkeit auf Selbstzwang beruht, weil sie Zwecke zu haben vorschreibt 123 . Beide Sollensordnungen gehören zur Sittenlehre 124 . "... so, daß jetzt das System der allgemeinen Pflichtenlehre in das der Rechtslehre (ius), welche äußerer Gesetze fähig ist, und der Tugendlehre (ethica) eingeteilt wird, die deren nicht fähig ist; ..." - Kant 125 Das Sittengesetz, der kategorische Imperativ, ist beider Sollensordnungen Grundgesetz. Das Sittengesetz bindet juridisch und moralisch, schafft aber wegen seiner Formalität keine materiale rechtliche Sollensordnung.

118 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 125 ff., 129, wo drei Bindungsbereiche unterschieden sind und als dritter Bindungsbereich neben dem der staatlichen und dem der privaten Gesetze der der Moralität genannt ist. 119 Dazu S. 214 f.; auch 5. Teil, 2. Kap., S. 271 ff. 120 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 404, 410 ff.; zum Zwangsprinzip 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 121 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 551. 122 H. Arendt, Vita Activa, S. 28. 123 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 508 ff., 519 ff. 124 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 309, 508. 125 Metaphysik der Sitten, S. 508.

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Vielmehr formuliert das Sittengesetz die Pflicht, deren Achtung die freie Erkenntnis der rechtlichen Sollensordnungen möglich macht und damit erlaubt, in Freiheit statt unter Herrschaft zu leben. Das Sittengesetz gebietet, sich über die allgemeinen Maximen des Handelns mit den Menschen zu einigen, die vom eigenen Handeln verletzt werden könnten 126 . Die juridische Bindung an das Sittengesetz verwirklicht sich in der staatlichen Gesetzgebung und im staatlichen Gesetzesvollzug, die unausweichlich, also zwanghaft, sind; denn jeder Bürger hat wegen seiner Freiheit ein Recht auf Recht 127 . Betroffen von den Handlungen der Menschen sind alle Menschen des Gemeinwesens; denn alles Handeln hat Wirkung auf alle. Hans Heinrich Rupp spricht darum von dem "Umfeld der Freiheit" als Voraussetzung der Freiheit 128 . Wenn das Gemeinwesen wächst, muß das politische System des Rechts, der Staat also, dem folgen. Das ist die Lage der Europäischen Union 1 2 9 . Die Tugendpflichten: "Eigene Vollkommenheit - Fremde Glückseligkeit," 130 binden den Menschen um der Sittlichkeit des gemeinsamen Lebens willen und dienen auch der Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens als Wirklichkeit der allgemeinen Sittlichkeit im Recht. Die "eigene Vollkommenheit" befähigt den Menschen, "der Menschheit, die in ihm wohnt, würdig zu sein"; befähigt ihn, "das Gesetz zugleich zur Triebfeder seiner pflichtmäßigen Handlungen" zu machen und "ihm aus Pflicht zu gehorchen". - Kant 131 "Fremde Glückseligkeit" sich zum Zweck zu machen, "die Maxime des Wohlwollens (die praktische Menschenliebe) ist aller Menschen Pflicht gegen einander; man mag diese nun liebenswürdig finden oder nicht, nach dem ethischen Gesetz der Vollkommenheit: Liebe deinen Nebenmenschen als dich selbst. - Denn alles moralisch-praktische Verhältnis

126 Dazu 7. Teil, 4. und 6. Kap., S. 560 ff., 620 ff.; auch 5. Teil, 2. und 3. Kap., S. 269, 275 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff. 127

Dazu 7. Teil, 3. und 4. Kap., S. 545 ff., insb. S. 551 ff., 560 ff.; auch 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., insb. S. 304 ff., 325 ff., insb. S. 332 ff. 128 HStR, Bd. I, S. 1211 f. 129 Das Postulat der allgemeinen Freiheit verbietet darum, daß Ausländer, definitionsgemäß Nicht-Bürger, die an der Gesetzgebung nicht beteiligt sind, dauerhaft zum Gemeinwesen gehören. Sie müssen entweder Bürger werden oder das Gemeinwesen verlassen. Fremde müssen Gäste bleiben, eben ξένοι (dazu 11. Teil, 5. Kap., S. 1201 ff.). 130 131

Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 515 ff. Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 515 ff., Zitat S. 517.

2. Kap.: Die staatliche und private Bürgerlichkeit in der Republik

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gegen Menschen ist ein Verhältnis derselben in der Vorstellung der reinen Vernunft, d.h. der freien Handlungen nach Maximen, welche sich zur allgemeinen Gesetzgebung qualifizieren, die also nicht selbstsüchtig (ex solipsismo prodeuntes) sein können". - Kant 132 Es heißt aber, dem die "Freiheit rauben", dem die "Herrschaft" nach ihrem "Begriff von Glückseligkeit", "gleichsam väterlich", wohltun w i l l 1 3 3 . "Die Pflicht der Nächstenliebe kann also auch so ausgedrückt werden; sie ist die Pflicht, die Zwecke anderer (so fern diese nur nicht unsittlich sind) zu den meinen zu machen: die Pflicht der Achtung meines Nächsten ist in der Maxime enthalten, keinen anderen Menschen bloß als Mittel zu meinen Zwecken abzuwürdigen" 134 . Weil diese Tugendpflicht für alle gilt, niemand also andere für seine Zwecke entwürdigen darf 135 , verwirklicht sich die allseitige Tugend in der Sittlichkeit der Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens, also in der Autonomie des Willens. Seit die allgemeine Gleichheit in der Freiheit die Grundentscheidung des gemeinsamen Lebens aller Bürger ist, gibt es keinen Bereich des Lebens, der nicht politisch wäre, sondern nur ökonomisch. Es gibt kein Haus mehr, in dem die Politik keine Stätte hätte. Überall soll Freiheit sein, nirgends Herrschaft. Folglich sind alle Verhältnisse des gemeinsamen Lebens Rechtsverhältnisse 136 , die des Gesetzes fähig und bedürftig sind. Die Sittlichkeit zielt auf die Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens. Einen Bereich des Lebens mit anderen Menschen, der nicht dem Prinzip der freiheitlichen Gesetzlichkeit unterliegt, sondern herrschaftliche Tugendhaftigkeit, gibt es nicht mehr.

132 Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 584 ff., (Zitat S. 587); vgl. zum Liebesprinzip als der Grundlage des Rechts 2. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 124 ff., 133 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 277 f. 133 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 590 f.; dazu 9. Teil, 1. und 8. Kap., S. 819 ff., 990 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 240 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 709 f., 732 ff. 134 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 586. 135 Vgl. zu diesem auch grundgesetzlichen Prinzip 5. Teil, 3. Kap., S. 308 ff., 318 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 570, 598; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff., insb. S. 980 f., mit Hinweisen. 136 Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.

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3. Kapitel Die Selbständigkeit und die Brüderlichkeit nach dem republikanischen Sozialprinzip I.

Bürgerlichkeit, Brüderlichkeit, Selbständigkeit

"So ist es auch für den Staat das größte G l ü c k , w e n n die Bürger einen mittleren u n d ausreichenden Besitz haben". " W e n n einem das M a ß u n d die M i t t e anerkanntermaßen das Beste sind, so ist auch i n bezug auf die Glücksgüter der mittlere Besitz v o n allen der beste. D e n n i n solchen Verhältnissen gehorcht man am leichtesten der Vernunft." -

Aristote-

les 137 Voraussetzung der Sittlichkeit des Bürgers ist dessen (auch u n d v o r allem ö k o n o m i s c h e ) Selbständigkeit 1 3 8 . Diese zu fördern ist durch das Sozialp r i n z i p 1 3 9 (moralische) Verpflichtung auch des Staates 1 4 0 .

137 Politik, S. 152, 1295 b 40 f.; S. 151, 1295 b 1 ff., vgl. auch S. 143, 1292 a 30 ff. für die gleichheitliche Demokratie u.ö.; i.d.S. noch heute H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, S. 1086 ff. ("Die ökonomische Mitte des 'Sozialen'"). 138 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432 ff.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 150 ff., hat die Selbständigkeit als Voraussetzung der Staatsbürgerschaft herausgestellt; dazu I. Fetscher, Zum Verhältnis von Mehrheitsprinzip und Demokratie, S. 317 ff.; so auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, ed. Weigand, S. 216, der wie Kant (a.a.O.) das Sozialprinzip des ökonomischen Ausgleichs vertritt (S. 138 ff.); vgl. dazu auch J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 135 ff., der von daher Kant nachsagt, seine Autonomie sei der "Sphäre des Warenverkehrs" verhaftet. Zur ökonomischen Sozialfrage K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip. Zu seiner Stellung im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 40 ff.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 143 f.; H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, S. 1078 ff.; vgl. auch H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1199 ff. i.S. einer Doppelrolle des Individuums; vgl. auch M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, S. 672 ff. (Bürger ist seit dem Altertum, wer Herr über ein Haus ist), insb. S. 672 ff., 685 ff., 695 ff., auch der Bourgeois des 19. Jahrhunderts ist Besitz- oder Bildungsbürger, S. 716 ff.; zur Trias Freiheit, Gleichheit, Sicherheit U.K. Preuß, Die Risiken der Sicherheit, in: P. Brückner, Freiheit, Gleichheit, Sicherheit. Von den Widersprüchen des Wohlstands, 1989, Vorwort, S. 7 ff. 139 Das Wort Sozialprinzip ist dem üblichen verengenden Terminus Sozialstaatsprinzip vorzuziehen, vgl. K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 31 f.; H.F. Zacher spricht vom "sozialen Staatsziel", HStR, Bd. I, S. 1045 ff.; im Völkerrecht wird ebenfalls vom "Sozialprinzip" gesprochen, B.-O. Bryde, Von der Notwendigkeit einer neuen Weltwirtschaftsordnung, in: ders./Ph. Kunig/Th. Oppermann, Neuordnung der Weltwirtschaft, 1986, S. 37; ebenfalls im Zivilrecht (vgl. H. Lehmann/H. Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuch, 15. Aufl. 1966, S. 31). 140 BVerfGE 5, 84 (197 f.); i.d.S. P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 121 f.; ders., Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 90 ff.; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 421 f.; ebenso M. Kriele, HVerfR, S. 146; W. Maihofer, HVerfR, S. 221, 233 f., der das Prinzip der Brüderlichkeit

3. Kap.: Selbständigkeit und Brüderlichkeit nach dem Sozialprinzip

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"Ein leitendes Prinzip aller staatlichen Maßnahmen" ist "der Fortschritt zu 'sozialer Gerechtigkeit'." - BVerfGE 5, 84 (198) Das Sozialprinzip folgt aus der Idee der allgemeinen Freiheit, die erst in der allgemeinen Selbständigkeit republikanische Wirklichkeit findet. "Die Sozialstaatsklausel dient der Schaffung materieller Grundrechtsvoraussetzungen (dies ist ihre freiheitsschaffende Kraft)." - Peter Häberle 141 "Das Freiheitsrecht (sc. das Recht, die Ausbildungsstätte frei zu wählen) wäre ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos." - BVerfGE 33, 303 (331) Hannah Arendt weist darauf hin, daß die Griechen Freiheit zunächst einmal als die Unabhängigkeit von physischen Notwendigkeiten verstanden haben 1 4 2 . In den Wohlfahrtsstaaten haben die industriellen Produktionsverhältnisse allen Menschen die Möglichkeit bürgerlicher, also politischer Mündigkeit geschaffen. Maschinen haben die Sklaven, welche der griechischen Polis als der Gemeinschaft freier Männer die ökonomische Basis gegeben haben 143 , ersetzt. Die ökonomischen Verhältnisse der römischen Republik waren differenzierter, jedenfalls aber auch durch die politische Ungleichheit unter den Römern und zudem zwischen den Römern und den in Rom lebenden Nichtrömern gekennzeichnet 144 . Die moderne

sozialpolitisch fruchtbar macht; ders. so, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 28 f., 34 ff.; i.d.S. auch G. Ellscheid, Das Problem von Sein und Sollen in der Philosophie Immanuel Kants, 1967, S. 105 ff. ("Prinzip realer Freiheit aller", aus der Unbedingtheit des Sollens deduziert, S. 36 ff.); so auch H.U. Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 1193 (allerdings: "objektivrechtlicher Verfassungsauftrag"); R. Herzog, HStR, Bd. III, S. 94 f., 114 (i.S. einer "Freiheitsvorsorge"); wesentlich H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1078 ff. ("soziale Erfüllung" "der Freiheitsrechte"), S. 1096; auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 77; dazu K.A. Schachtschneider, Frei-sozial-fortschrittlich, in: Symposium zu Ehren von Werner Thieme, Hamburg, 24. Juni 1988, Die Fortentwicklung des Sozialstaates, 1989, S. 7 ff.. Den Fortschrittsgedanken hat auch Carlo Schmid mit dem sozialen Gedanken verbunden, vgl. Erinnerungen, 1979, S. 374; zur Verbindung des Republikbegriffs mit sozialer Programatik im 19. Jahrhundert W. Mager, Republik, S. 629 ff.; dazu auch H.E Zacher, a.a.O., S. 1095; zum sozialen Aspekt der Brüderlichkeit in der Arbeiterbewegung begriffsgeschichlich W. Schieder, Brüderlichkeit, S. 573 ff. 141 VVDStRL 30 (1972), S. 95; so auch E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 421 f.; i.d.S. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 219, 334 ("Sicherung der Realbedingungen der Freiheit"). 142 Vita Activa, S. 33 ff.; vgl. M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, S. 672 ff.; i.d.S. für die Gegenwart M. Kriele, Befreiung und politische Aufklärung, Plädoyer für die Würde des Menschen, 1980, S. 66 f.; ders., HVerfR, S. 146. 143 Dazu W. Henke, Recht und Staat, S. 24 ff., 301 ff. 144 Dazu W. Henke, Recht und Staat, S. 319 ff.

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industrielle Ökonomie ist die Chance zur Republik i m Sinne allseitiger Willensautonomie als der Würde der Menschen. Der Ausgleich von arm und reich schafft die materielle Gleichheit und ermöglicht die Brüderlichkeit als die fraternité der Französischen Revolution (Emst Bloch) 145. "Denn diese Gemeinschaft (sc. "der Mittleren") hat Freundschaftscharakter."- Aristoteles 146 "Demokratie als Ordnung der Gleichheit in Freiheit", aber auch als "Ordnung der Brüderlichkeit in Freiheit" ist nach Werner Maihofer "soziale Demokratie" der "größtmöglichen und gleichberechtigten Wohlfahrt des einzelnen bei notwendiger Gerechtigkeit für Alle" 1 4 7 . "Soziale Gleichheit ist eine Form der Freiheit."- Peter Häberle m "Es gibt keine Brüderlichkeit ohne Freiheit und Gleichheit.... Die Sozialstaatlichkeit gewinnt ihren Charakter der Brüderlichkeit erst unter den Vorraussetzungen von Freiheit und Gleichheit." - Martin Kriele 149 "Klar ist das Ziel, Ungleichheiten auch innerhalb der Bandbreite der Normalität zu mindern und die mit den Ungleichheiten korrespondierenden Abhängigkeiten unter die Kontrolle des Rechts zu bringen. Aber das Gebot, dies zu tun, unterliegt vielfältiger Relativierung." - Hans F. Zacher 150 Den mit der allgemeinen Gesetzgebung untrennbar verbundenen Wohlfahrtseffekt und Wohlfahrtszweck stellt Jürgen Habermas im Sinne Kants

145

E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 187 ff.; H. Krüger, Brüderlichkeit - das dritte, fast vergessene Ideal der Demokratie, in: FS Th. Maunz, 1971, S. 249 ff.; i.d.S. P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 121 f., auch S. 8 ff. zur "soziale Funktion der Grundrechte"; ganz i.S. der Brüderlichkeit W. Maihofer, HVerfR, S. 220 ff., 224 ff., 233f.; M. Kriele, HVerfR, S. 145 ff.; ders., Die demokratische Weltrevolution, S. 49 ff.; i.d.S. auch H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1083 ("Vision der sozialen Normalität"). 146 Politik, S. 152, 1295 b 23 f. 147 HVerfR, S. 212 ff., 224 ff.; ders. auch so, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 28 f., 37, 39; dem folgend H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1096; i.d.S. auch P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 90 ff., insb. S. 96 ff.; J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 22 ff., 233, 291 ff., 308 ff., löst die soziale Frage der Brüderlichkeit durch "Umverteilung" gemäß seinem "Unterschiedsprinzip", grundsätzlich marktwirtschaftlich (S. 298 ff.), aber mit zugeteiltem Existenzminimum (S. 311, 319 ff.). 148

VVDStRL 30 (1972), S. 96 f. Die demokratische Weltrevolution, S. 50; ders. i.d.S. auch, Einführung in die Staatslehre, S. 229, 334. 150 HStR, Bd. I, S. 1091. 149

3. Kap.: Selbständigkeit und Brüderlichkeit nach dem Sozialprinzip

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heraus 151 . Kant hat die "Glückseligkeit", das gute Leben also, als "allgemeinen Zweck des Publikums", als die "eigentliche Aufgabe der Politik" bezeichnet. Diese sei nur durch die Publizität der Maximen der Politik erreichbar; denn nur solche Maximen seien der "Vereinigung der Zwecke aller" fähig 1 5 2 . Den bloßen "Staatsgenossen" oder "Schutzgenossen" hat Kant wegen ihrer Unselbständigkeit das Wahlrecht abgesprochen 153 . Nach dem Grundgesetz haben prinzipiell alle Deutschen das Wahlrecht (Art. 20 Abs. 2 S. 2, 28 Abs.l S. 2, 38 Abs. 1 S. 1 GG). Auch deswegen ist die allgemeine Selbständigkeit Aufgabe der Republik als sozialem Gemeinwesen. "Die egalitäre Demokratie als wichtigste Prämisse und Garantie des 'Sozialen' und das soziale Staatsziel als materielle Direktive sind einander zugeordnet." - Hanz F. Zacher 154 Das allgemeine Wahlrecht ist die wirksamste Institution fortschreitender Verwirklichung des Sozialprinzips 155 , die aber auch, wenn die Wähler ihr sittliches Amt verfehlen, die größte Gefahr für die allgemeine Freiheit, die Sittlichkeit des Staates, birgt. Institutionen sind für die Verwirklichung der Freiheit, welche nur im Staat denkbar ist 1 5 6 , unverzichtbar 157 . Alle Institutionen können aber mißbraucht werden, weil sie ihrem Zweck nur genü-

151 Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 138 f.; so auch W. Maihofer, HVerfR, S. 236; ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 28, 37, 39; M. Kriele, HVerfR, S. 145f.; i.d.S. auch H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1078 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 35, meint, das "Glückseligkeits" - Ideal sei "seit Kant als Eudämonismus abgetan". Kant argumentiert an der von Link zitierten Stelle, Über den Gemeinspruch, S. 159, gegen die Heteronomie der Glückseligkeit, die als solche selbstverständlicher Zweck jedes Menschen sei, Metaphysik der Sitten, S. 515 ff., vgl. auch S. 505 f.; wie hier i.d.S. J. Hruschka, Rechtsstaat, Freiheitsrecht und das "Recht auf Achtung von seinen Nebenmenschen", S. 204. 152 Zum ewigen Frieden, S. 250 f.; vgl. auch ders., Über den Gemeinspruch, S. 155 (Förderung "der Wohlhabenheit zur Stärke und Festigkeit sowohl innerlich, als wider äußere Feinde"). 153 Metaphysik der Sitten, S. 433 ff.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 150. 154 HStR, Bd. I, S. 1096. 155 H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1096 ff., zur Verschränkung des Demokratie- und Sozialstaatsprinzips; M. Kriele, Staatslehre, S. 327 ff.; ders., HVerfR, S. 145 ff.; auch G. Leibholz, Staat und Verbände, Aussprache, VVDStRL 24 (1966), S. 123; KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 146 f.; ders., Frei-sozial-fortschrittlich, S. 13; zur und für die Einheit von Menschenwürde und freiheitlicher Demokratie P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 845 ff., insb. S. 898 f. 156

Dazu 6. Teil, 6. Kap., S. 484 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 7. Teil, S. 519 ff., insb. S. 562 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; jüngst insb. KR. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, 1988, S. 17. 157 O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 342 ff.

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gen, wenn die Bürger ihrer sittlichen Pflicht folgen. Die Institutionen müssen der Moralität die Chance der Verwirklichung lassen, wenn der Staat eine Republik sein soll. Die Republik steht und fällt aber auch mit der Sittlichkeit der Bürger, mit ihrer Brüderlichkeit, ihrer Liebe 1 5 8 . Zur bürgerlichen Moralität gehört es auch, das sogenannte soziale Netz nicht zu mißbrauchen und nicht etwa unberechtigt Leistungen in Anspruch zu nehmen. Der sogenannte Sozialbetrug kostet das Gemeinwesen, die Steuerzahler, jährlich viele Milliarden Mark und zerstört die Solidarität. Die Legalität des Vollzuges ist für die Republik essentiell. Zacher zeigt das Geflecht sozialer Interessen und demokratischer Macht der Parteien auf, welches die "Mitte" begünstige 159 . Die politischen Leitentscheidungen 160 der Grundrechte, erlauben es, die soziale Komponente des Freiheitsprinzips auch in der funktional gesetzgebenden Rechtsprechung zur Geltung zu bringen 161 . Als unmittelbare Anspruchsgrundlagen auf Sozialleistungen, als soziale Grundrechte, lassen sich die Freiheitsrechte nicht interpretieren. Das widerspräche ihrem kompetenziellen, autonomierechtlichen, wenn auch material orientierenden, Charakter 162 . Wenn auch das Sozialprinzip aus dem Freiheits-

158 Dazu näher 2. Teil, 7. und 8. Kap., S. 124 ff., 133 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 277 f.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff.; 9. Teil, 1. und 2. Kap., S. 819 ff., 858 ff. 159 HStR, Bd. I, S. 1097 f., auch S. 1106 f. 160 Dazu 9. Teil, 1. und 11. Kap., S. 819 ff., S. 1033 ff.; vgl. insb. BVerfGE 7, 198 (204 ff.); 33, 303 (329 ff.); H.U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1193. 161 Das befürworten P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 121 f., auch 58 ff.; ders. grundlegend, Grundrechte als Leistungsrechte, VVDStRL 30 (1972), S. 90 ff., 103 ff.; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 201 ff.; vorsichtig i.d.S. auch H.H. Rupp, Vom Wandel der Grundrechte, AöR 101 (1976), S. 176 ff.; ebenso H.U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1187 ff.; Grenzen der Funktionenteilung reklamiert H.E Zacher, HStR, Bd. I, S. 1109 f., der zwischen dem grundrechtsgeprägten Rechtsstaat und dem Sozialstaat nach wie vor Spannungen ausmacht, S. 1101 ff., die aber in der leitentscheidungsorientierten Rechtsetzung nicht aufkommen können. 162 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 353 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 476 f.; 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 847 ff.; zur Lehre von den sozialen Grundrechten R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 454 ff. (sehr weitgehend, aber durch sein prinzipienorientiertes Abwägungsgesetz (S. 71 ff., 465 ff.) stark relativierend und lediglich kompetenzverschiebend); W. Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 11 ff. (zu Recht ablehnend); H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1104 (überzeugend ablehnend); G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 104 f. (ablehnend); P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff., 69 ff. (sehr fördernd, aber S. 110 f. zurückhaltend gegenüber unmittelbaren Ansprüchen aus der Verfassung); v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 115 ff. zu Art. 1 Abs. 3 (zu Recht zurückhaltend); M. Sachs, in: K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, § 67, S. 687 ff. (zurückhaltend, S. 722 ff.); kritisch H.H. Rupp, AöR 101 (1976), S. 176 ff.; K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 17 f., 19 f.; BVerfGE 33, 303 (329 ff.), das aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot u.U. ein Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium nach Wahl des die Zulassungsvoraussetzungen erfüllenden

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prinzip folgt, so sind doch die Freiheitsrechte tatbestandlich keine Rechtsgrundlagen auf soziale Leistungen; denn das Sozialprinzip bedarf, um der jeweiligen Lage genügen zu können, der Verwirklichung durch Gesetze 163 , deren Richtigkeit allerdings auch in der Verantwortung der Hüter der praktischen Vernunft, vor allem der des Bundesverfassungsgerichts, liegt 1 6 4 . Auch dem Menschen, der mangels moralischer Kompetenz nicht befähigt ist, durch das Gesetz Recht zu setzen, also frei zu sein, der Bürger ist, aber nicht wie ein Bürger handelt, steht das Recht zur Wahl als Essentiale seiner Freiheit zu; denn die Freiheit ist das jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht (Kant) 165. Die Bürger sind moralisch verpflichtet, Vollkommenheit anzustreben 166 . Sie dürfen dazu nicht mittels des Terrors, wie es Maximilien Robespierre versucht hat 1 6 7 , gezwungen werden, sondern müssen die Vollkommenheit aus sich heraus, nur ihrem Gewissen verpflichtet, erstreben. Zwang ist der Freiheit als Moralität, der inneren Freiheit also, zuwider 168 . Darum gründet eine Republik notwendig auf dem sittlichen Imperativ als kategorischer Aufforderung an jeden einzelnen Menschen. Vor dem ständigen moralischen Versagen der Menschen, vor ihrer Hab-, Ehr- und Machtsucht, die ebenfalls mit dem Menschen geboren sind, müssen die Institutionen des Rechts schützen, wie die vielfältige Teilung der staatlichen Gewalt, der periodische Wechsel mächtiger Amts-

Staatsbürgers abgeleitet hat (S. 332), wird als Beweis einer allgemeinen Dogmatik sozialer Grundrechte überschätzt, weil tragender Gesichtspunkt der Entscheidung das Ausbildungsmonopol des Staates war (S. 331 f.); kritisch zu Recht H.H. Rupp, a.a.O.; H.F. Zacher, a.a.O., Fn. 409; G. Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 205 ff., dogmatisiert Leistungen und Leistungsverweigerung als Eingriffe in bestimmte grundrechtliche Wirkungen undfindet jedenfalls für das Subventionswesen zu einem Gesetzesvorbehalt (S. 310), der bereits aus dem Freiheitsprinzip der Republik folgt (dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 891 mit Fn. 395, und 9. Kap. S. 1013 ff.; auch S. 247 ff.). 163 Vgl. dazu die Hinw. in Fn. 209, S. 247 f. 164 Dazu 9. Teil, 1., 2., 4. und 10. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 932 ff., 1027 ff. 165 Dazu oben 5. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 253 ff., 290 ff., 332 ff. 166 So insb. Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 516 f.; dazu näher S. 214 f., 221 f., 230 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 308 f., S. 320 ff; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 126 ff. 167 Vgl. seine Rede: Über die Tugend und den Terror, in: J. Musselin, Proklamation der Freiheit, 1962, S. 80 ff.; dazu H. Lübbe, Freiheit und Terror, in: W. Oelmüller, (Hrsg.), Normenbegründung-Normendurchsetzung, 1978, S. 126 ff. ("Die Instanzen des Terrors haben kein Gewissen; sie sind es", in Anlehnung an Udo Marquard, S. 129); berühmt das Kapitel in Hegels Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister, 6. Aufl. 1952, S. 414 ff.: "Die absolute Freiheit und der Schrecken", zur Herrschaft der Jacobiner. 168 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 508 ff., 512 ff. u.ö.; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 29 ff.

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waiter, usw. Der ewige Kampf des Guten gegen das Böse ist das Schicksal der Menschen. "Der Böse wird von der Liebe zur Ungerechtigkeit bewegt: Er hat seine Freude an der Machtlosigkeit und Erniedrigung der ihm Unterworfenen, und er genießt es, wenn er von ihnen als der willentliche Urheber ihrer Erniedrigung erkannt wird." - John Rawls 169 Die Menschen müssen es wagen, Bürger, d.h. mit allen anderen zusammen Politiker zu sein. Das Grundgesetz ist die dafür erforderliche bürgerliche Verfassung. Die Wirtschaft des grundgesetzlichen Gemeinwesens gibt die ökonomischen Voraussetzungen. Der Hedonismus der Gegenwart widerspricht jedenfalls der Bürgerlichkeit der Bürger, weil die Eigenliebe die allgemeine Sittlichkeit als die Freiheit aller verhindert. Die allgemeine Freiheit ist die politische Verantwortung aller für das gemeinsame Leben. Wer einer sogenannten Politikerklasse, meist Partei-, Verbands- und Unternehmensführer, aber auch manche Journalisten, Professoren und Geistliche, die allgemeinen Angelegenheiten überläßt, unterwirft sich deren Herrschaft und entwürdigt sich, der wird, mit Brot und Spielen bestens versorgt, ja korrumpiert, zum Untertan, wenn auch im Wohlstand; denn er ist nicht Herr seiner selbst 170 . Bürgerlichkeit ist notwendig Moralität. Darum erfüllt sich das Prinzip der bürgerlichen Brüderlichkeit im Fortschritt zur sozialen Homogenität der allseitigen Selbständigkeit. Paternalismus ist herrschaftlich, despotisch (Kant, von Humboldt, Mill , Maihofer, Popper) 171.

169

Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 479, 472 ff. gibt Rawls eine "Definition des guten Menschen". 170 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 153; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 478, auch S. 205 ff. u.ö.; i.d.S. BVerfGE 5, 85 (204); so auch die Kritik des paternalistischen Wohlfahrtsstaates von KR. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 21 ff., der für die Konzeption des "Ministaates" eintritt; dazu schon W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 21, 34 (gegen "Zwangsbeglükkung"), S. 32 (gegen die Konzeption des "Minimalstaates" bei Nozick); so auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 345 f.; zur allgemeinen Selbstherrschaft 2. Teil, 2. Kap., S. 85, 153 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 160; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 171 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 159; v. Humboldt, Ideen, zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, 1851, S. 28 ff., 211; J.St. Mill, Über die Freiheit, 1859, übersetzt v. F. Wentscher, (1928, ed. Kiepenhauer, 1991, S. 7 ff., 17 f. und S. 113 f.) von v. Humboldt und Kant geprägt; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 34; K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 18 ff., 21 ff.; vgl. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 48; wie der Text auch J. Hruschka, Rechtsstaat, Freiheitsrecht und das "Recht auf Achtung von seinen Nebenmenschen", S. 204 f.

3. Kap.: Selbständigkeit und Brüderlichkeit nach dem Sozialprinzip

241

"Der Souverän will das Volk nach seinen Begriffen glücklich machen, und wird Despot; das Volk w i l l sich den allgemeinen menschlichen Anspruch auf eigene Glückseligkeit nicht nehmen lassen und wird Rebell." - Kant 112 Die besorgte Vision des vormundschaftlichen, paternalistischen Staates hatte bereits Tocqueville™ . Kant hat den "bürgerlichen Zustand" "als rechtlichen Zustand" auf die "Prinzipien apriori" Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit gestellt 174 , und damit das Prinzip der Brüderlichkeit als das der Selbständigkeit aller herausgestellt 175 . In dieser Selbständigkeit als Voraussetzung der Sittlichkeit findet die Brüderlichkeit ihre Verwirklichung; denn wer des anderen Herr oder Knecht ist, wer nicht "Eigner seiner Selbst", nicht "sein eigener Herr" 1 7 6 ist, kann nicht brüderlich sein. "Auf diese Weise gibt es denn einen Staat von Herren und Knechten, aber nicht von Freien; die einen beneiden und die anderen verachten, und beides widerstrebt im höchsten Maße der Freundschaft und politischen Gemeinschaft." - Aristoteles 177 Autonomie des Willens als äußere und innere Freiheit kann nur unter substantiell Gleichen in vor allem wirtschaftlich homogener Selbständigkeit Wirklichkeit finden 178. Die kantianisch verstandene Selbständigkeit ermög172

Über den Gemeinspruch, S. 159. Über die Demokratie in Amerika, 1835/1840, dt. von H. Zbinden, 1959, II, 4. Kap., S. 220; darauf weist R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 346, hin. 174 Über den Gemeinspruch, S. 145 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 432 ff.; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 248 ff.; darin folgt Kant J. Locke, Über die Regierung, S. 73, 95, der von "frei, gleich und unabhängig" spricht; nach E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 83, ist Kants Apriori das der allgemeinen Freiheit, 175 So auch W. Schieder, Brüderlichkeit, S. 568 f.; i.d.S. auch G. Ellscheid, Das Problem von Sein und Sollen in der Philosphie Immanuel Kants, S. 105 ff.; J. Hruschka, Rechtsstaat, Freiheitsrecht und das "Recht auf Achtung von seinen Nebenmenschen", S. 204, weist auf Kants sozialstaatliche Aspekte hin. 176 Über den Gemeinspruch, S. 149, 151. 177 Politk, S. 152, 1295 b 20 ff. 178 Dazu auch unten 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff.; ganz i.d.S. «BVerfGE 5, 85 (206); E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 205 ff., 237; P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 90 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 190, 212 ff., 224 ff., 235 f., gestützt auf Rousseau, Gesellschaftsvertrag, S. 26, 73; vor allem in der Sache Aristoteles, Politik, S. 116 ff., 125 ff., 151 f., 166 ff.; i.d.S. auch M. Kriele HVerfR, S. 146; auch P. Kirchhof HStR, Bd. I, S. 811; insb. Η Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, 1928, S. 423 ff.; ders., Staatslehre, 1934, S. 158 ff.; auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 52; i.d.S. interpretiert vorsichtig auch W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 254 ff., 257; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432 ff. ("bürgerliche Selbständigkeit"); ders., Über den Gemeinspruch, S. 151 f. 173

16 Schachtschneider

242

. Teil: Der republikanische

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licht die Brüderlichkeit des gemeinsamen Lebens in Freiheit, also die Liebe unter den Menschen oder die Sittlichkeit 179 . Die republikanische "Identifikation des Bürgers mit dem Gemeinwesen ... unterstreicht Wesentliches, was der 'Sozialstaat' in der Sache meint": "Die Solidarität der Bürger mit den Bürgern - vermittelt durch das Gemeinwesen und zugleich gelebt in der Gesellschaft." - Hans F. Zacher 180 "Die Freiheit ist eine wirkliche erst in dem, der die Bedingungen derselben, den Besitz der materiellen und geistigen Güter, als die Voraussetzung der Selbstbestimmung, besitzt." - Lorenz von Stein m "Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern." - Friedrich Schiller 182 Kant hat mit seinem Kriterium der Selbständigkeit dem sogenannten Sozialstaat den Weg gewiesen. Das Kriterium Selbständigkeit ist autonomiegemäßer als das Mittlere zwischen arm und reich des Aristoteles oder als die soziale Homogenität Hermann Hellers m und die "ökonomische Mitte des Sozialen" Hans F. Zachers, aber über die ökonomische Bedingtheit der Freiheit besteht Einigkeit 1 8 4 . Sozial ist das ständige gemeinsame Bemühen um die allgemeine materiale Freiheit als der Realität allgemeiner Autonomie

179 Ganz so P. Bertaux, Der vergessene Artikel. Keine Revolution ohne Fraternité, in: H.J. Schulz, Brüderlichkeit, 1976, S. 59 ff., 62; i.d.S. auch G. Ellscheid, Das Problem von Sein und Sollen in der Philosophie Immanuel Kants, S. 105 ff., der aus dem unbedingten Sollen u.a. das Liebesprinzip herleitet. 180 HStR, Bd. I, S. 1095. 181 Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, Bd. 3, ed. Salomon, 1921, 1959, S. 104; auf L. v. Stein beruft sich auch E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 421 f., für die freiheitliche Bestimmung des Sozialstaats; ebenso G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 102, für die "Daseinsvorsorge". 182 Wilhelm Teil, Rösselmann, Zweiter Aufzug, Zweite Szene. Zu F. Schillers Thema der Ablösung der Vaterordnung durch die Brüderordnung, D. Borchmeyer, Kritik der Aufklärung im Geiste der Aufklärung: Friedrich Schiller, in: J. Schmidt (Hrsg.), Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart, 1989, S. 361 ff., 375 f. 183

Aristoteles, Politik, insb. S. 151 f., 1295 b 1 ff.; H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 123 ff.; ders., Staatslehre, S. 158 ff.; H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1086 ff.; i.d.S. auch J. Fetscher, Zum Verhältnis von Mehrheitsprinzip und Demokratie, S. 317 ff.; ders., Rousseaus politische Philosophie, S. 144, 212 ff.; i.d.S. jetzt auch BVerfGE 89, 155 (186) mit Bezug auf H. Heller, zum kantianischen Apriori der Selbständigkeit ebenso W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 256; i.S. des Textes auch W. Henke, Recht und Staat, S. 386. 184

Etwa Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 34 ff.; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 101 ff.

3. Kap.: Selbständigkeit und Brüderlichkeit nach dem Sozialprinzip des W i l l e n s , also die B r ü d e r l i c h k e i t Maihofer

243

oder die N ä c h s t e n l i e b e 1 8 5 .

Werner

spricht v o m Z i e l der i n d i v i d u e l l e n u n d gesellschaftlichen H u m a n i -

tät186. Bürgerlichkeit und A r m u t

sind unvereinbar 1 8 7 . D e r M e n s c h

muß

erst e i n m a l " w a r m w o h n e n u n d satt zu essen haben", ehe m a n bei i h m m i t d e m " A u f k l ä r u n g s w e r k " beginnen kann (Friedrich

Schiller)

relativ z u m R e i c h t u m , "relative Subnormalität"(Hans

m

.

A r m u t ist

F. Zacher) m.

Ohne

R e i c h t u m gibt es keine A r m u t . D e r B e g r i f f A r m u t bringt die Verletzung der iustitia distributiva zur Sprache. D e r lagegemäße allgemeine W o h l s t a n d ist jedenfalls i n s o w e i t Verfassungsprinzip, als der ständige A u s g l e i c h v o n arm u n d reich zu b e w i r k e n i s t 1 9 0 . D i e soziale H o m o g e n i t ä t hat, w i e zitiert, schon Aristoteles

als Vorausset-

zung des friedlichen Gemeinwesens e r k a n n t 1 9 1 , w e i l " m a n i n solchen Verhältnissen a m leichtesten der Vernunft g e h o r c h e " 1 9 2 . 185

Ganz so G. Ellscheid, Das Problem von Sein und Sollen in der Philosophie Immanuel Kants, S. 105 ff., der ebenfalls das soziale Prinzip in der Ethik Kants ausgearbeitet sieht, ohne daß seine Deduktion konkreter Sollensinhalte, insbesondere der der Pflicht zur Einheit der Gemeinschaft (S. 99 ff.), aus der alle anderen Pflichten, die zur tätigen Liebe, die zur Achtung der anderen, die zur Selbstachtung, die zur Toleranz, aber auch die Prinzipien Gleichheit und Freiheit folgen würden (S. 105 ff.), aus der "Negation der Realität" als die "Unbedingtheit des Sollens" gegenüber der "Bedingtheit des Seins" ganz überzeugt; diese Prinzipien folgen aus der Allgemeinheit der Freiheit, wie das Sollen selbst. 186

HVerfR, S. 221 f. Aristoteles, Politk, S. 123, 1283 a 15 ff. ("Nur aus Armen kann ein Staat ebensowenig bestehen wie nur aus Sklaven") u.ö.; i.d.S. auch Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 26, Fn. 57, 63. 188 Über die ästhetische Erziehung des Menschen, ed. W. Henckmann, 1967, S. 29 f.; dazu D. Borchmeyer, Kritik der Aufklärung im Geiste der Aufklärung, S. 370 f. 189 HStR, Bd. I, S. 1084, auch ff. 190 W. Maihofer, HVerfR, S. 212 ff., 220 ff.; H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1065 ff., 1084 ff., für die "ökonomische Mitte des Sozialen", der "Offenheit" und "Prozeßhaftigkeit" (S. 1086); M. Kriele, HVerfR, S. 145 ff.; auch E. Benda, HVerfR, S. 544; i.d.S. R. Zippelius, Bonner Komm., Rdn. 102 zu Art. 1 GG; E. Denninger, Rechtsperson und Solidarität, S. 293; K.A. Schachtschneider, Frei-sozial-fortschrittlich, S. 14 f.; i.d.S. auch Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 36 f. zurückhaltend (das Grundgesetz habe den "Wohlfahrtsstaat zum Sozialstaat domestiziert"); G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 101 ff., insb. zu den internationalen Texten der sozialen Verpflichtung; i.d.S. schon Aristoteles, Politik, S. 116 ff., 125 ff., 166 ff.; ders., Die Nikomachische Ethik, ed. Gigon, S. 91 f., zum Mittlerem als dem Guten; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 26, 57, 63; E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 175 ff., 187 ff. 187

191 Vgl. das weltrechtliche Sozialprinzip in Art. 55, 56 Charta der Vereinten Nationen und im Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. II, 1973, S. 1570), die erklärtermaßen dem Frieden und der Freundschaft unter den Nationen dienen (dazu B.-O. Bryde, Von der Notwendigkeit einer neuen Weltwirtschaftsordnung, S. 33 ff.).

16'

244

. Teil: Der republikanische

rgr

"So ist es auch für den Staat das größte Glück, wenn die Bürger einen mittleren und ausreichenden Besitz haben; wo dagegen die einen sehr viel haben und die anderen nichts, da entsteht entweder die äußerste Demokratie (sc. die Herrschaft zum Nutzen der Armen) oder eine reine Oligarchie (sc. die Herrschaft zum Nutzen der Reichen) oder aus beiden Extremen eine Tyrannis." - Aristoteles 193 Im 5. Kapitel des sechsten Buches seiner Politik entwickelt Aristoteles das auf die automomiegemäße Selbständigkeit ausgerichtete Sozialprinzip: "Der wahrhafte Demokrat muß also vielmehr darauf schauen, daß das Volk nicht gar zu arm werde. Denn dies ist die Ursache, wenn eine Demokratie schlecht wird. Man muß es also so einrichten, daß eine dauernde Wohlhabenheit entstehe; denn dies nützt auch den Wohlhabenden. Man soll den Ertrag der Staatseinkünfte sammeln und aufhäufen und ganz den Armen verteilen, und zwar womöglich auf jeden so viel, daß es zum Ankauf eines Grundstückes reicht, oder doch wenigstens als Anfangskapital für ein Geschäft oder einen Bauernbetrieb." - Aristotele,sm Gleiche Freiheitlichkeit verbietet eine Sozialhilfe, welche nicht, soweit das möglich ist, zur Selbständigkeit, zur Mündigkeit führt. Aus dem Primat der Selbstverantwortung (Nachrang der Sozialhilfe, § 2 Abs. 1 BSG) erwächst das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe, welche das Sozialrecht richtig zu seinem Leitprinzip (Subsidiaritätsprinzip, besser: Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung 195 ) gemacht hat (§ 1 Abs. 1 S. 2; 9 SGB AT) 1 9 6 . Republikanisch macht § 1 Abs. 2 BSHG der Sozialhilfe ein Leben der

192

Politk, S. 151 f., 1295 b 4 ff. Politik, S. 152 f., 1295 b 40 ff.; zu den Herrschaftsformen, a.a.O., S. 114 u.ö.; dazu unten 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff. 194 Politik, S. 210, 1320 a 31 ff. 195 Dazu 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 385 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff. 196 I.d.S. schon Kant, Metaphysik der Sitten, S. 434; ganz so H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1062 f., 1083 ff.; R. Herzog, Subsidiaritätsprinzip und Staatsverfassung, Der Staat 2 (1963), S. 399 ff., 411 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 811 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 233 f.; E. Benda, HVerfR, S. 541; D. Merten, Sozialrecht, Sozialpolitik, HVerfR, S. 779 ff., 790 f., 797 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 83, Rdn. 215; P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 65; KA. Schachtschneider, Sozialprinzip, S. 62 f.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 145 ff., 149 f.; ders., Frei-sozial-fortschrittlich, S. 15 f., 19 ff.; i.d.S. auch W Henke, Recht und Staat, S. 386; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 104; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 26 (zurückhaltend: "Klugheitsreger); grundsätzlich zum subsidiären Sozialstaat M. Spieker, Legitimationsprobleme des Sozialstaates, 1986; vgl. auch O. Kimminich, Die Subsidiarität in der Verfassungsordnung des freiheitlichen 193

3. Kap.: Selbständigkeit und Brüderlichkeit nach dem Sozialprinzip

245

Hilfsbedürftigen zur Aufgabe, "das der Würde des Menschen entspricht", und gibt § 9 SGB AT u.U. einen Anspruch auf "persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die die Teilnahme am Leben der Gemeinschaft ermöglicht und die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichert." 197 Bereits Art. 151 Abs. 1 S. 1 WRV lautete: "Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen." 198 Ziel des Sozialhilferechts ist die Sicherung und Förderung der Willensautonomie der Bürger, also deren Bürgerlichkeit als Mitgesetzgeber. Diese sozialhilferechtlichen Prinzipien zielen auf den materiellen Bürger und setzen darum den formellen Bürger voraus. Der materielle Bürger ist wie alle anderen Bürger, also gleich frei und selbständig. Der formelle Bürger ist Mitgesetzgeber, insbesondere durch sein Wahlrecht. Erst der materielle Bürger ist der socius, der brüderliche Geselle. Die freiheitsbezogene, republikanische Interpretation des Sozialprinzips führt den Begriff an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes: sozial = gesellig, kameradschaftlich verbunden, heran 199 . Weder der Herr noch der Knecht sind socii. Günter Ellscheid hat die "dialektische Einheit von Achtung und Liebe", die "achtende Liebe" das kantianische "Prinzip der Gemeinschaft" genannt. "Die tätige Liebe vergewaltigt und bevormundet nicht." - Günter Ellscheid 200 II. Das freiheitswidrige Sozialismusprinzip Während das Sozialprinzip zur Brüderlichkeit der in ihrer Freiheit gleichen Bürger verpflichtet, übersteigert das Sozialismusprinzip die Genossen-

demokratischen Rechtsstaates, in: ders. (Hrsg.), Subsidiarität und Demokratie, 1981, S. 30 ff., 61; grundlegend J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, insb. S. 313 ff.; vgl. auch ders., HStR, Bd. III, S. 36; dazu auch Hinweise in Fn. 76, 4. Teil, 2. Kap., S. 220 f.; auch 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff. 197 198

Vgl. i.d.S. BVerfGE 1, 97 (105); Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 34. Zur Programmatik der WRV und zu weiteren Texten H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1046

ff. 199

H. Ridder, Die verfassungsrechtliche Stellung der Gewerkschaften im Sozialstaat, S. 224 f., übersetzt "gesellschaftlich", "die Gesellschaft betreffend"; i.d.S. auch H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1058 f.; M. Spieker, Legitimationsprobleme des Sozialstaates, S. 228 ff.; dazu auch K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 41 f.; W. Schieder, Sozialismus, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, S. 924 f. 200 Das Problem von Sein und Sollen in der Philosophie Immanuel Kants, S. 105 ff., insb. S. 110.

246

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schaftlichkeit der dann sogenannten Bürger zum Prinzip einer materialen Gleichheit, für das die ökonomische Selbständigkeit und vor allem die politische Freiheit jedes Bürgers irrelevant sind. Das Sozialprinzip ist abhängig von der Idee der allgemeinen formalen Freiheit, das Sozialismusprinzip von der der allgemeinen materialen Gleichheit 201 . Darum kann der Sozialismus die politische Freiheit nicht zulassen. Sie ist seiner Idee zuwider. Das bewies die sogenannte 202 Verfassung des "sozialistischen Staates" (Art. 1 Abs. 1 S. 1 u.ö.) DDR, die ein Prinzip politischer Freiheit nicht kannte 203 . Obwohl das Prinzip der Demokratie freiheitlich oder herrschaftlich sein kann 2 0 4 , entbehrt das Prinzip der sozialistischen Demokratie der freiheitlichen Komponente und widerspricht damit dem Grundgesetz 205 . Das Godesberger Programm der SPD von 1959 bekennt sich mehrfach ausdrücklich zur Freiheit. Die SPD versteht darum ihr Programm des "demokratischen Sozialismus" im Sinne einer freiheitlichen Demokratie und muß das wegen Art. 21 Abs. 2 GG. Der Begriff "Sozialismus" hat in der SPD zwar Tradition, aber dem Grundgesetz gemäß den freiheitswidrigen Begriffsgehalt abgelegt 206 . Ein Übermaß an Staatlichkeit der Lebensbewältigung bedeutet sozialistische Lebensweise, nicht nur nach der Erfahrung, sondern auch nach der Logik. Ohne Privatheit werden die Unterschiede der Menschen nivelliert, weil die Handlungsmaximen allgemein sind und vor allem aus Gründen des gleichheitlichen Vollzuges der Gesetze, der Bürokratie also, Differenzierungen nur begrenzt möglich sind. Der Sozialismus ruiniert nach der Erfahrung mit der Selbständigkeit die Bereitschaft zur Leistung und damit langfristig den allgemeinen Wohlstand 207 . 201

Zum Verhältnis von Freiheit und Gleichheit 1. Teil, 3. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff. 202 Zur Problematik des Verfassungscharakters von Verfassungen J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 638 ff. 203 Vgl. K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 24 ff.; G. Brunner, Das Staatsrecht der Deutschen Demokratischen Republik, HStR, Bd. I, S. 385 ff., 432 ff. 204 Zum Gegensatz von Freiheit und Herrschaft 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff.; zum Begriff der Republik als freiheitlicher Demokratie 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., auch S. 34 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 178 ff. 205 Vgl. U.-J. Heuer, Überlegungen zur sozialistischen Demokratietheorie, 1987, S. 5 ff.; W. Eichhorn, Anmerkungen zum Demokratiebegriff, daselbst, S. 41 ff. ("Wenn 'Demokratie' in erster Linie, zunächst und vor allem ein Klassenbegriff, ein Begriff des Klassenkampfes ist und das ist eben meiner Meinung nach conditio sine qua non des marxistischen Herangehens an die Problematik -, dann ist und bleibt sie inhaltlich wesensgleich mit 'Diktatur': mit realer Macht von Klassen", S. 43 f.). 206 Vgl. zum Verhältnis des Sozialprinzips zum Prinzip des Sozialismus K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 24 ff., zum Sozialismusprinzip im Godesberger Programm S. 26 f.; dazu W. Schieder, Sozialismus, S. 970 ff., 976 ff.

3. Kap.: Selbständigkeit und Brüderlichkeit nach dem Sozialprinzip III.

247

Fortschrittlichkeit u n d Gesetzlichkeit

D i e "positiven Gesetze" dürfen dem "nicht zuwidersein", daß sich die "Staatsgenossen" "aus diesem passiven Zustand zu dem aktiven", d e m der "Staatsbürger" emporarbeiten können (Kant)

20

*.

Das Verfahren des Fort-

schritts zur allgemeinen Selbständigkeit, zur sozialen H o m o g e n i t ä t , ist die Gesetzgebung; w i e das Sozialprinzip schon wegen der sich ständig ändernden L a g e der j e w e i l i g e n V e r w i r k l i c h u n g durch das Gesetz b e d a r f 2 0 9 . Sozialrecht ist n o t w e n d i g i m m e r i n B e w e g u n g . Besitzstandsdenken ist d e m Sozialprinzip Christoph

z u w i d e r 2 1 0 . Hans Link

F. Zacher

spricht v o m

v o n der " D y n a m i k " des Sozialstaats

" A l l e s Recht hängt n ä m l i c h v o n Gesetzen ab." -

211

"Prozeßcharakter",

.

Kant 112

u n d v e r w i r k l i c h t damit der Idee der Freiheit nach die E i n i g k e i t aller auch i n der sozialen Frage als der nach der materialen Freiheit. D a r u m ist die

207

Dazu F.A. v. Hayek , Die Verfassung der Freiheit, S. 323 ff. Metaphysik der Sitten, S. 433 f.; i.d.S. auch ders., Über den Gemeinspruch, S. 147 ff.; so auch schon Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 26; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 531 f., 810; H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1045 ff., 1062 ff.; KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 138 ff. m.w.H.; ders., Frei-sozial-fortschrittlich, S. 10 f. mit Fn. 39; M. Kriele, Befreiung und politische Aufklärung, S. 57 ff., 66; ders., HVerfR, S. 146 f.; ders., Staatslehre, S. 229, 334 f.; auch G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 69 ff. zu Art. 3 Abs. I; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 204 ff.; auch H. Kelsen, Wesen und Wert der Demokratie, S. 12 f., 92 ff. 209 BVerfGE 1, 97 (105); 33, 303 (331 ff.); 43, 213 (226); 50, 57 (108); 53, 164 (184); 65, 182 (193); 69, 272 (314); 70, 278 (288); auch BVerfGE 5, 85 (197 f., 206); P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 98 ff., 110 f.; W. Maihofer, HVerfR, S. 221 f.; M. Kriele, HVerfR, S. 145 ff., 151; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 816 f.; H.H. Rupp, AöR 101 (1976), S. 179 ff.; W. Martens, VVDStRL 30 (1972), S. 30 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 714 f., 726; K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 722 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 119 zu Art. 1 Abs. 3; H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1085 ff., 1109; K.A. Schachtschneider, Sozialprinzip, insb. S. 71 ff.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, insb. S. 135 ff., 267; ders., Frei-sozialfortschrittlich, S. 12 f., 17; J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 51 f.; auch R. Stober, Zur wirtschaftlichen Bedeutung des Demokratie- und Sozialstaatsprinzips, GewArch 1988, 145 ff., 152 ff.; H.U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1193; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 36; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 104 f.; zum Begriff der Lage H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 17 ff. 208

210 H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1086; K.A. Schachtschneider, Sozialprinzip, S. 42 f.; ders., Frei-sozial-fortschrittlich, S. 13 f.. Die sozialpolitische Diskussion ist freilich von Besitzstandsinteressen dominiert, vgl. Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 36 f. ("Der progressiven sozialstaatlichen Dynamik entspricht ein regressiver Immobilismus."). 211 H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S, 1085 f.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 36. 212 Über den Gemeinspruch, S. 150; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 379 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.

248

. Teil: Der republikanische

rgr

soziale Grundpflicht aus Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 28 Abs.l S. 1 GG eine moralische Pflicht; denn eine juridische setzt ein subsumibles Gesetz voraus 213 . Das Sozialprinzip ist als hochallgemeines Prinzip nicht subsumibel. Das schließt die institutionelle Judiziabilität nicht aus 214 , welche kompetenzgerecht die Vertretung des Volkes in dessen sozialer Moralität, letztverantwortlich im ordentlichen Verfahren, dem Bundesverfassungsgericht überträgt, das funktional gesetzgebend das Sozialprinzip verwirklicht. Es sollte dabei große Zurückhaltung üben, aber der Rang des Sozialprinzips beansprucht eine hinreichende Verbindlichkeit. Die Moralität eines Amtswalters ist nicht erzwingbar; aber der Moral verpflichtete Entscheidungen können von verschiedenen Organen getroffen werden und nur die höchstrangige Entscheidung kann das Volk verbinden. In diesem Sinne begründet das Sozialprinzip eine Rechtspflicht 215 . Der Satz: Recht und die Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei 216 , wirkt sich als die Verbindlichkeit der funktional gesetzgebenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für alle anderen staatlichen Stellen, "alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden" (§ 31 Abs. 1 BVerfGG), aus 217 . Die Gesetzgebung stellt in dem Maße, in dem das Gesetz Recht gibt 2 1 8 , indem es allgemein, also autonom, repräsentativ-konsensual 219 , praktisch

213

Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150. Dazu noch anders KA. Schachtschneider, Sozialprinzip, S. 38 ff., 71 ff., 75 ff., 82 ff.; auch M. Kriele, HVerfR, S. 147 ("nur Pflicht des Staates"); W. Martens, VVDStRL 30 (1972), S. 30 ("leges imperfectae"); so auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 51 f.; so im Prinzip auch H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1108 ff. (Hinw. dazu in Fn. 440); allgemein zur Subsumibilität republikanischer Gesetze, 9. Teil, 2. Kap., S. 878 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 454 ff., räumt auch den Gerichten die "auf das definitiv Gesollte" begrenzte Kompetenz ein, soziale Grundrechte durch Abwägung zu entwickeln (S. 465 ff.). 214

215 A.A. E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtstaates, VVDStRL 12 (1954), S. 8 ff., 19 ff., der S. 10 auch die fraternité als die Idee des Sozialen anspricht; zum Rechtscharakter der Sozialklausel differenziert mit Hinw. P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 94 ff., 112 ff.; H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1108 ff.; dazu auch KA. Schachtschneider, Sozialprinzip, S. 35 ff. 216 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338 ff., (Zitat S. 340), auch S. 464; ders., Über den Gemeinspruch, S. 169; i.d.S. auch Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23, 216; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 450 f. 217 Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 951 ff. 218 Zum Unterschied von Gesetz und Recht, 8. Teil, 1. Kap., S. 672 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 884, 887, 902, auch 7., 8. u. 10. Kap., S. 978 ff., insb. S. 986 ff., 995 ff., 1027 ff.; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 497 ff.; 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 519 ff., 560 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 672 ff.

3. Kap.: Selbständigkeit und Brüderlichkeit nach dem Sozialprinzip

249

vernünftig, richtig ist, d.h. dem Sittengesetz genügt, den Fortschritt zur sozialen Homogenität sicher 220 . Die Brüderlichkeit verwirklicht sich somit in der Moralität der Gesetzgebung, in der republikanischen Freiheitlichkeit des Volkes. Die Sittlichkeit des staatlichen Gemeinwesens, die im Rechtsgesetz ihren Ausdruck findet, ist die Brüderlichkeit des Volkes. Der kategorische Imperativ bringt auch die soziale Grundpflicht des Gemeinwesens auf den Begriff. I m Maße unserer Sittlichkeit verwirklichen wir das Sozialprinzip des Grundgesetzes, in dem Maße sind wir Brüder, in dem Maße lieben wir unseren Nächsten wie uns selbst 221 . Im kategorischen Imperativ ist das Sozialprinzip logisch einbezogen 222 . In dem Maße aber, in dem der Staat sich der sittlichen Pflicht, die Freiheit aller als deren Selbständigkeit stetig herzustellen, versagt, in dem also wir uns versagen, wächst die Legitimation des Kampfes um die Befreiung aus der Not der Unfreiheit, die Legitimation des Widerstandes 223 , weil die Brüderlichkeit nicht mehr empfunden wird, weil die Liebe erstickt ist. "Überall entsteht die Revolution durch die Ungleichheit." - Aristoteles 224 Der Widerstand wäre nichts anderes als die gewaltsame Wiederherstellung der verlorengegangenen bürgerlichen Verfassung, die zu erzwingen das

219 Dazu unten 7. Teil, 1., 4. u. 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 672 ff., 810 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 9. Teil, 1., 2., 7., 8. u. 10. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 901 ff., 982 ff., 995 ff., 1029 ff. 220 Vgl. zu dieser "Schlußkette des konstitutionellen und parlamentarischen Glaubens" an den Fortschritt unter Bezug insb. auf Eugene Forcade, 1853, C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 61.; i.d.S. auch H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1096 ff., zur "sozialen Demokratie". 221 Zur Identität des kategorischen Imperativs und des christlichen Liebesgebots 5. Teil, 3. Kap., S. 277; R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 416; zum Liebesrecht G. Küchenhoff, "Naturrecht und Liebesrecht". 222 Vgl. den Neukantianer H. Cohen, Ethik des reinen Willens, 2. Aufl. 1907, S. 303 f., der im Sittengesetz das Prinzip des Sozialismus gesehen hat; ähnlich L. Nelson, System der philosophischen Rechtslehre und Politik, 1924, Ges. Schriften, Bd. 6, S. 81 ff., 90; ders., System der philosophischen Ethik und Pädagogik, 1932, Ges. Schriften, Bd. 5, S. 143, 147; ders., Kritik der praktischen Vernunft, 1927, Ges. Schriften, Bd. 4, S. 133 f., 136, der das Sittengesetz material als Gleichheitsprinzip interpretiert hat; vgl. dazu R. Dreier, Recht-MoralIdeologie, S. 287, 303, 316 mit Fn. 4. 223 Dazu K.A. Schachtschneider, Sozialprinzip, S. 55 f., 84 f.; ders., Frei-sozial-fortschrittlich, S. 10. 224 Politik, S. 167, 1302 a 26.

250

. Teil: Der republikanische

rgr

natürliche Recht jedes Menschen, ja seine moralische Pflicht ist (Kant) 225. Die Republik ist so zu formen, daß Widerstand nicht nötig ist. Das erfordert die stetige Möglichkeit von Reformen 226 , "geduldiger Reformarbeit" 227 , vor allem aber den dynamischen Schutz der praktischen Vernünftigkeit der Gesetze des gemeinsamen Lebens, den die Einrichtung der Verfassungsrechtsprechung in hohem Maße gewährleistet 228 . Immer muß der öffentliche Diskurs um das Richtige auf der Grundlage der Wahrheit, gerade um das sozial Richtige, immer muß die Kritik an den Repräsentanten (und deren periodische Ablösung) möglich sein, immer muß das Gesetz zur Disposition stehen 229 , wenn das kantianische Verbot des Widerstandes gelten soll 2 3 0 . "Offenheit und Prozeßhaftigkeit sind dem Sozialen wesentlich." - Hans F. Zacher 231 Der stetige Fortschritt zur ständig durch den Menschen, den homo phainomenon, bedrohten allgemeinen Freiheit ist Pflicht der Bürger und damit der Republik aus dem Sozialprinzip. Der aufklärerischen Verfassung ist das Fortschrittsprinzip immanent 232 , auch dem Grundgesetz 233 . Gegen das Böse hilft nur das Recht 234 , das Recht als die allen verbindlichen allgemeinen Erkenntnisse vom Richtigen für das gute Leben aller in Freiheit aller auf der Grundlage der Wahrheit, die allgemeinen Gesetze also 235 . So

225

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 366 u.ö.; dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 425 f.; 7. Teil, 3. und 4. Kap., S. 551 ff., 562 ff. 226 Ganz so Kant, Der Streit der Fakultäten, ed. Weischedel, Bd. 9, S. 366 f.; i.d.S. ders., Zum ewigen Frieden, S. 233 f. 227 BVerfGE 5, 85 (206 f.). 228 Dazu 9. Teil, 2., 4., 6., 10. und 11. Kap., S. 858 ff., 932 ff., 963 ff., 1027 ff., 1033 ff. 229 Ganz i.d.S. BVerfGE 5, 85 (197 ff., 204 ff.); auch BVerfGE 59, 231 (263). 230 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 f.; i.d.S. C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 30 ff., "zur Legalität und gleichen Chance politischer Machtgewinnung". 231 HStR, Bd. I, S. 1085 f.; ihm folgt Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 36 f. 232 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 251; ders., Idee zu einer allgemeinen Geschichte, S. 47; ders., Der Streit der Fakultäten, S. 362 ff.; auch J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 343 ff.; M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 19 ff.; K.A. Schachtschneider, Frei-sozialfortschrittlich, S. 18 ff.; vgl. auch W. Schüder, Sozialismus, S. 927. 233 W. Maihofer, HVerfR, S. 194 ff., 212 ff.; i.d.S. M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), Aussprache, S. 131; ders., HVerfR, S. 146, 151; K.A. Schachtschneider, Sozialprinzip, S. 31 ff., 40 ff.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 133; klar BVerfGE 5, 85 (198); i.d.S. auch H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1078 ff., 1083 ff.; kritisch E. Benda, Der soziale Rechtsstaat, HVerfR, S. 521. 234 I.d.S. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 228 ff., 244; ders., Über den Gemeinspruch, S. 144; ders., Der Streit der Fakultäten, S. 262 ff.; auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 479, sieht in der "Liebe zur Ungerechtigkeit" das "Böse". 235 Vgl. die Hinweise in Fn. 219.

3. Kap.: Selbständigkeit und Brüderlichkeit nach dem Sozialprinzip

251

veränderlich die Wirklichkeit menschlicher Bosheit ist, so veränderbar muß das Recht sein. Das Sozialprinzip ist Ausdruck der Sittlichkeit der grundgesetzlichen Verfassung und zugleich Bestätigung des kantianisch verstandenen Sittengesetzes236.

236

Dazu 5. Teil, 2., 3. und 4. Kap., S. 259 ff., 275 ff., 325 ff.

Fünfter Teil Der republikanische Freiheitsbegriff "Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben." Johann Wolfgang von Goethe

1. Kapitel Die alteuropäische republikanische Freiheitsidee des Grundgesetzes Die Freiheit ist nicht ein Recht, welches der Staat durch die Verfassung oder Gesetze gewährt, sondern in der aufklärerischen praktischen Philosophie 1 die Idee der menschlichen Vernunft, die Idee des Vermögens des Menschen zum Guten (Kant) 1.

1

Kants praktische Philosophie ist keine Naturlehre, also keine Anthropologie, sondern eine Sittenlehre, die auf a priori in der reinen Vernunft gegebenen Prinzipien beruht, Kant , Metaphysik der Sitten, S. 345, auch daselbst die Tugendlehre, S. 515; richtig W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 83 ff., 92 f. (zu Kants Menschheitsbegriff), auch 0. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 102 ff., 104, 108 ("transzendentales Vernunftrecht"); L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", 2. Aufl. 1985, S. 20. 2 Kritik der reinen Vernunft, ed. Weischedel, Bd. 4, S. 495 ff., 506; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, ed. Weischedel, Bd. 6, S. 82 ff.; Kritik der praktischen Vernunft, ed. Weischedel, Bd. 6, S. 174 ff.; zu den Apriori des "bürgerlichen Zustandes", der Freiheit, Gleichheit und Selbständigkeit, Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 ff.; in der Nachfolge Kants K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 196 ff. (Das Ziel: Die Freiheit), 218 f.; L.W. Beck , Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 169 ff., 180, 195 u.ö. J. Schwartländer , Die Menschenrechte und die Notwendigkeit einer praktischen Weltorientierung, S. 166 ff., insb. S. 178 ff.; zu Kants Menschheitsbegriff; W. Kersting , Wohlgeordnete Freiheit, S. 89 ff., der richtig daraufhinweist, daß die Vernunftnatur des Menschen keine Anthropologie ist (S. 32 f.); R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 84 (die Freiheit sei das Vermögen zum Guten und zum Bösen, Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, 1809, Neuabdruck, in: O. Braun, Schellings Philosophie, Berlin 1918, S. 215 ff.); J. Habermas , Erkenntnis und Interesse, 1968, 2. Aufl. 1973, insb. S. 234 ff.; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 1983, S. 53 ff., 127 ff.; zu den gegenwärtig einflußreichen Anthropologien vorzüglich E. Meinberg, Das Menschenbild der modernen Erziehungswissenschaft, 1988, insb. zum Rationalismus S. 27 ff. und zum Soziologismus S. 75 ff., der die Normativität jeder Anthropologie, ihre philosophische, erkenntnistheoretische Grundlegung und ihre praktische oder praktizistische Relevanz herausstellt; KA. Schachtschneider , Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 99 ff., zum Menschenbild des Grundgesetzes und zur rechtlichen Fragwürdigkeit empiristischer Menschenbilder; H.H. v. Arnim, Zur normativen Politikwissenschaft, Der Staat 26, (1987), S. 477 ff., 487 ff.; i.S.d. Textes mit religiöser Begründung auch W. Leisner, Das Ebenbild Gottes im Menschen - Würde und Freiheit, in: ders., Staatsethik, 1977, S. 81 ff., 84 f.; zur vor allem skeptizistischen Gegenaufklärung außer J. Habermas die Beiträge in J. Schmidt (Hrsg.), Aufklärung und Gegenaufklärung in der

254

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

"Eine Verfassung von der größten menschlichen Freiheit nach Gesetzen, welche machen, daß jedes Freiheit mit der anderen ihrer zusammen bestehen kann (nicht von der größesten Glückseligkeit, denn diese wird schon von selbst folgen), ist doch wenigstens eine notwendige Idee, die man nicht bloß im ersten Entwürfe einer Staatsverfassung, sondern auch bei allen Gesetzen zum Grunde legen muß, und wobei man anfänglich von den gegenwärtigen Hindernissen abstrahieren muß, die vielleicht nicht sowohl aus der menschlichen Natur unvermeidlich entspringen mögen, als vielmehr aus der Vernachlässigung der echten Ideen bei der Gesetzgebung." - Kant 3 Diese "Idee der Freiheit" 4 ist die Grundlage der grundgesetzlichen wie jeder Republik und damit auch die Grundlage des Freiheitsschutzes durch die Grundrechte 5 . Diese Freiheit ist die Botschaft vom "alteuropäischen Menschen"; republikanisch ist die "personale, subjektbezogene Anthropologie", wie deren systemtheoretischer Kritiker Niklas Luhmann diese "Superanthropologie" bezeichnet6. Zur "moralischen Anthropologie" Kants gehört die platonische "Idee des schlechthin Guten" (Otfried Höffe) 1. "Nach dem Naturrecht werden alle frei geboren; Freilassung war nicht bekannt, weil Sklaverei unbekannt war." - Ulpian 8

europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart, 1989, insb. /. Fetscher, Aufklärung und Gegenaufklärung in der Bundesrepublik, S. 522 ff. (vor allem in Kritik an Adorno, Horkenheimer, Gehlen) und J. Mittelstraß, Kant und die Dialektik der Aufklärung, S. 431 ff.; auch O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, 1990, S. 90 ff., insb. S. 100 ff., 111 ff. 3 Kritik der reinen Vernunft, S. 323 f. 4 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 82 f., 84 ff., 96 ff. 5 Ganz so, kantianisch, W. Maihofer, HVerfR, S. 205 ff.; J. Isensee, JZ 1981, 8; ders., Staat und Verfassung, HStR, Bd. I, S. 641 f., 660; i.d.S. auch Ch. Starck, Vom Grund des Grundgesetzes, 1979, S. 46 f.; i.d.S. auch M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 36 ff.; ders., HVerfR, S. 129 ff.; P. Häberle, Ethik "im" Verfassungsrecht, Rechtstheorie 21 (1990), S. 272 ff.; zur Freiheit als Prinzip der griechischen Polis und der römischen Republik Ch. Meier bzw. J. Bleicken, Freiheit, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 426 ff. bzw. 430 ff. 6 Etwa Gesellschaftstruktur und Semantik, 1980, S. 234 ("Superanthropologie" ist die "Anthropologie der transzendentalen Subjektivität", richtig!); dazu kritisch E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 212 ff., 219 ff.; auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 171 ff., wirft N. Luhmann "Übervereinfachung" (S. 175) und "eine Theorie der Gerechtigkeit ohne Gerechtigkeit" (S. 185), sowie " Geltung allein kraft Entscheidung" (S. 173) vor, zu Recht; auch i.d.S. ders., Kategorische Rechtsprinzipien, S. 53 ff.; Kants praktische Philosophie ist keine Anthropologie im Sinne einer Naturlehre, vgl. Fn. 1, S. 253. 7 Kategorische Rechtsprinzipien, S. 111 ff.; J. Schwartländer, Die Menschenrechte und die Notwendigkeit einer Weltorientierung, S. 175 ff.; vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 18.

1. Kap.: Die alteuropäische republikanische Freiheitsidee des Grundgesetzes

255

" D e r M e n s c h ist frei geboren und überall liegt er i n Ketten." - Rousseau? " A l l e Menschen sind v o n N a t u r aus gleichermaßen frei u n d unabhängig u n d besitzen gewisse angeborene Rechte." - A r t . 1 der B i l l o f Rights o f Virginia 177610 "Freiheit (Unabhängigkeit v o n eines anderen nötigender W i l l k ü r ) , sofern sie m i t jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, j e d e m Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht." -

Kant n

" D i e M e n s c h e n werden frei u n d gleich an Rechten geboren u n d bleiben es." - A r t . 1 S. 1 Erklärung der Rechte des Menschen u n d des Bürgers 178912 "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige O r d n u n g oder das Sittengesetz verstößt." - A r t . 2 A b s . 1 GG D i e gleiche Freiheit aller ist das abendländische Rechtsfundament, uralt u n d i m m e r g ü l t i g 1 3 . Carlo Schmid , einer der geistigen Väter des Grundgesetzes, schreibt i n seinen Erinnerungen, 1979, S. 360 u n d S. 372:

8

Digesten 1, 1, 4. (...»"utpote cum iure naturali omnes liberi nascerentur nec esset nota manumissio, cum servitus esset incognita"); Übersetzung von mir. 9 Vom Gesellschaftsvertrag, 1. Kap., S. 5. 10 Der Artikel lautet weiter: "deren sie, wenn sie den Status der Gesellschaft annehmen, ihre Nachkommenschaft durch keine Abmachung berauben oder entkleiden können; nämlich das Recht auf Leben und Freiheit und dazu die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu behalten und Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen". Übersetzung aus J. Musulin (Hrsg.), Proklamation der Freiheit, 1962, S. 60. Der Artikel ist im Anschluß an Locke formuliert; vgl. H. Hofmann, JuS 1988, 843. 11 Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu i.d.S. W. Maihofer, HVerfR, S. 201; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 89 ff., 92. 12 J. Musulin, Proklamationen der Freiheit, S. 75. Zum Einfluß der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung auf die französische Deklaration H. Hofmann, JuS 1988, 844; dazu viel beachtet G. Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 1885, 3. Aufl. 1919 (W. Jellinek), S. 8 ff.; dazu auch W. Mager, Republik, S. 589 ff., 596 ff. 13 Vgl. Aristoteles, Politik, S. 116, 1280 a 23; Cicero, De re publica, S. 140 f.; John Locke, Two Treaties of Government, II, Über die Regierung, ed. Mayer-Tasch, Reclam, 1974, 1983, S. 19, 79 u.ö.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 5; i.d.S. auch Hobbes, Leviathan, S. 187 ff.; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 210 f., 212 ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 204; ders., Über den Gemeinspruch, S. 145, 150; H. Arendt, Vita Activa, S. 34 zur griechischen Polis; D. Sternberger, Das Menschenrecht nach Glück zu streben, S. 145 f.; zur Isonomie der Griechen auch W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff., 311; CÄ. Meier, Freiheit, S. 426 ff.; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 376; ders., Geschichte der Rechtsphilosophie, 1971, S. 73 ff., dazuA. Verdross, Statisches und dyna-

256

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

"Für die von uns angestrebte demokratische Ordnung sollten Gleichheit und Freiheit der Bürger die oberste Leitlinie sein." Und "... daß dieses Volk einen freiheitlichen Volksstaat will". Werner Maihofer lehrt: Die "freiheitliche Demokratie muß als Ordnung der Gleichheit in Freiheit aufgefaßt werden. ... Die Forderung nach Gleichheit geht aus der vorgängigen Ordnung der Freiheit hervor..." 14 . Die politische Entscheidung des Grundgesetzes für die Freiheit als der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) und damit für die Gleichheit aller in der Freiheit ist der abendländischen Geschichte gemäß normativ; denn die Freiheit ist transzendental begründet, nicht empirisch bewiesen. Sie folgt der Idee, auf die das Grundgesetz das gemeinsame Leben aufbaut, der Idee der Republik. Die Entscheidung reklamiert nicht eine empirische Freiheit und Gleichheit der Menschen; denn diese sind nicht nachweisbar {Kant, Jaspers, Bloch) 15. Der Vorwurf Ernst Blochs, es "sei nicht haltbar, daß der Mensch von Geburt an frei und gleich sei, ... es gebe keine angeborenen Rechte, sie seien alle erworben oder müßten im Kampf noch erworben werden" 16 , ist empirisch und damit für die transzendentale Freiheitslehre ohne Stachel. Ein empirisches Naturrecht ist fragwürdig 17 .

misches Naturrecht, 1971, S. 17, 19 f. (zu Aristoteles), insb. S. 25 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 323 f.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 17 ff.; ders., grundlegend HVerfR, S. 173 ff., insb. 205 ff., 212 ff.; H. Hofmann, JuS 1988, 841 ff.; ders., Menschenrechtliche Autonomieansprüche, JZ 1992, 168; dazu umfassend K. Stern, Staatsrecht III, 1, § 59, S. 47 ff.; Ch. Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 131; auch R. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 39 ff.; auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, passim, insb. S. 223 ff., baut seine "Theorie der Gerechtigkeit als Fairneß" darauf auf; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 135 ff., 349 ff., insb. 364, 638 u.ö. 14 HVerfR, S. 213. 15 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 323 ff., 500, 505, 674; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 89 ff., 94 ff. (u.ö.); ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 217 ff., 230 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 326 ff., 347, 361 f.; (dazu auch Fn. 310, Fn. 311, 5. Teil, 3. Kap., S. 312) K. Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 275; dazu D. Heinrich, Selbstverhältnisse, S. 11 ff.; E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 184 f., vgl. auch S. 81 ff. zur Allgemeinheit der Freiheit im kantischen Verständnis; dazu O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 318 ff., in Kritik an Rawls; L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 169 ff., insb. zur "Auflösung der dritten Antinomie", S. 177 ff. 16

Naturrecht und menschliche Würde, S. 215.

1. Kap.: Die alteuropäische republikanische Freiheitsidee des Grundgesetzes

257

"Die 'Naturrechtsrenaissance ' der ersten Nachkriegsjahre war Episode. Es gibt kein Zurück hinter Kant mehr." - Arthur Kaufmann 18 Die Rechtsprinzipien a priori folgert Kant aus der Ethik als der Freiheitslehre 19 . Kant leitet sie nicht aus der empirischen Natur des Menschen, dem homo phainomenon, ab, die er für gänzlich determiniert hält 20 , sondern aus der Idee des homo noumenon, der Idee der Freiheit, der Idee der Vernunft, die sich uns allerdings i m Faktum des Sollens, im Gewissen, offenbare 21 . Das "sittliche Gesetz" sei in der "reinen Philosophie zu suchen; ohne diese "Metaphysik" könne es keine "Moralphilosophie" geben 22 . "Deshalb hebt Kant zu guter Letzt selbst den Begriff Naturrecht auf; seine Rechtsphilosophie handelt vom Urrecht rein als Vernunftrecht." ... "Ur-recht ist daher nicht sowohl Freiheit des kreatürlichen Individuums (Willkür) als der Gedanke der allen uranfänglich und gleichmäßig beschränkten Freiheit; dies Rechtsgesetz a priori besteht vor allem als Gesellschaftsvertrag." ... "Kant lehnt, wie in seiner Ethik, so in seiner Rechtsphilosophie, den empirischen Trieb als methodisch unrein ab, er verlangt Deduktion des Deduktionsprinzips selber, das heißt Fundierung des naturrechtlichen Bestimmungsgrundes in einem Grundsatz a priori. Dieser Grundsatz aber ist nicht individuelle Freiheit (mit empirischer

17 O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 88 ff., 102 ff., 108 (auch bei Kant hat das Naturrecht normativen Charakter), 178; i.d.S. auch W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 92 f.; dazu E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 81 ff.; zur "Frage nach dem Naturrecht" G. Küchenhoff,\ Naturrecht und Liebesrecht, 1948, 2. Aufl. 1962, S. 7 ff. mit Hinw. in Fn. 1, der von "einer neuen Blüte" des Naturrechts "in unserer Zeit" spricht und auf J. Messner , Das Naturrecht, 3. Aufl. 1958, hinweist; vgl. auch A. Verdross, Statisches und dynamisches Naturrecht, S. 9 f., 11 ff., 59 ff. (gegen H. Kelsens Kritik des Naturrechts), S. 73 (zum Wesen des Menschen). 18

Rechtsphilosophie in der Nach-Neuzeit, 1990, S. 8. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 13 ff.; dazu ders., Metaphysik der Sitten, S. 337 f.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 144 f., 148 (dazu 6. Teil, 9. Kap., III, S. 506 ff.); O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 108; ders., Kategorische Rechtsprinzipien, S. 135 ff.; E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 81 ff. ("Kants und Fichtes Naturrecht ohne Natur", "Vernunftrecht a priori"), insb. S. 86 f. 20 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 495 ff., 500, 505; K. Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 175 f.; E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 184; D. Henrich, Selbstverhältnisse, S. 11 ff. 21 Kritik der reinen Vernunft, S. 498 ff., auch S. 323 ff., auch 674 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 139 f., 155, 217 ff., 230 ff. u.ö.; L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 159 ff., 179 ff., 189. 22 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 14; dazu (zustimmend) O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 90 ff., insb. S. 100 ff., 111 ff. 19

17 Schachts chneid er

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

258

G l ü c k s e l i g k e i t als Z w e c k ) , sondern ausschließlich eingeschränkte oder allgemeine Freiheit als das Prinzip jeder m ö g l i c h e n menschlichen K o e x i stenz." - Ernst

Bloch 23

D i e kantianische E t h i k u n d d a m i t Rechtslehre erlaubt es nicht, v o n e i n e m Sein auf ein Sollen zu schließen 2 4 . " D e n n i n Betracht der N a t u r gibt uns Erfahrung die Regel an die H a n d u n d ist der Q u e l l der Wahrheit; i n Ansehung der sittlichen Gesetze aber ist Erfahrung (leider!) die M u t t e r des Scheins, und es ist höchst verwerfl i c h , die Gesetze über das, was i c h tun soll, v o n demjenigen herzunehmen, oder dadurch einschränken zu w o l l e n , was getan w i r d . " D e m muß j e d e Rechtslehre f o l g e n

26

Kant 25

. I n diesem Sinne nennt Kant

die

Freiheit ein " R e c h t " , das "jedem Menschen kraft seiner M e n s c h h e i t " , "ursprünglich"

"zustehe",

insofern

also

"angeborenes

Recht"27.

Mit

dem

Terminus " M e n s c h h e i t " ist der M e n s c h als Vernunftwesen, die " v o n physischen B e s t i m m u n g e n unabhängige Persönlichkeit ( h o m o n o u m e n o n ) " angesprochen 2 8 . D e m "Naturrechts"charakter der Freiheit m i ß t Kant

die F u n k -

23

Naturrecht und menschliche Würde, S. 86, 84, 83, dessen distanzierende Formulierung der richtigen Interpretation Kants in seinem marxistischen Ökonomismus begründet ist, der ihn kantianische Formalität als Inhaltslosigkeit verkennen und damit die Imperativität des kantianischen Moralprinzips und deren Bedeutung für die Gesetzgebung mißachten läßt (a.a.O., S. 85 ff.). 24 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 324 ff.; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 33 ff. u.ö.; dazu K. Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 179 ff., 212 ff., 263 ff.; L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 77, 123, 153; R. Marcie , Geschichte der Rechtsphilosophie, S. 304, 308; ders., Rechtsphilosophie, S. 117 ff.; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, S. 8, 25 ff., 27 ff., 29 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 101; O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 77, 102 ff., 481 f.; G. Winkler, Rechtstheorie und Erkenntnislehre. Kritische Anmerkungen zum Dilemma von Sein und Sollen in der reinen Rechtslehre aus geistesgeschichtlicher und erkenntnistheoretischer Sicht, 1990, S. 126 ff. 25 Kritik der reinen Vernunft, S. 325. 26 O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 11, 102 ff., 481 f.; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, S. 25 ff., 27 ff., 29 ff.; auch M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 127 ff., 142 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 101; gegen den Soziologismus in der Jurisprudenz auch N. Luhmann, Rechtsoziologie, S. 354; zur Humeschen Distinktion von Sein und Sollen auch 2. Teil, 1. Kap., S. 77 f.; 3. Teil, 1. Kap., S. 171 f., 7. Teil, 1., 2. und 6. Kap., S. 519 ff. (insb. S. 520), 540 ff., 621 f.; auch 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff., 9. Teil, 2. Kap., S. 880 ff. 27 Metaphysik der Sitten, S. 345. 28 Vgl. etwa Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 61 ("die Menschheit "... "in deiner Person"), 73, 74 ("Würde der Menschheit"); ders., Metaphysik der Sitten, S. 345, 347, 517; vgl. W Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 89 ff., 92 ff.

2. Kap.: Das "Sittengesetz" als der republikanische Schlüsselbegriff

259

tion zu, die Beweislast zugunsten des "angeborenen Rechts der Freiheit" zu verteilen 29 .

2. Kapitel Das f,Sittengesetz,f als der republikanische Schlüsselbegriff I. Die Vernachlässigung des Sittengesetzes in der Freiheitslehre 1. Die Stabilität des monarchisch-liberal geprägten, konstitutionellen Staatsrechts 30 in dem zur Republik verpflichteten grundgesetzlichen Gemeinwesen findet ihren dogmatischen Ausdruck darin, daß der republikanische Schlüsselbegriff des Grundgesetzes, das Sittengesetz, vernachlässigt oder mißverstanden wird 3 1 . In dem umfangreichen ersten Teil des Werkes von Klaus Stern und Michael Sachs über die "Allgemeinen Lehren der Grundrechte" (Staatsrecht III, 1, 1988) kommt der Begriff Sittengesetz genausowenig vor wie in den "Allgemeinen Grundrechtslehren" des von Josef Isensee und Paul Kirchhof herausgegebenen Handbuchs des Staatsrechts (Band V, 1992), obwohl er den Freiheitsbegriff und damit den Schutzgegenstand der wichtigsten Grundrechte bestimmt. Hans-Uwe Erichsen behandelt in seiner Erörterung der "Allgemeinen Handlungsfreiheit" in § 152 des Bandes V I dieses Handbuches ("Die Freiheitsrechte", 1989), Rdn. 40 - 42 das Sittengesetz, ohne die Formalität und die systembestimmende Relevanz des (kantianischen) Begriffs zu erkennen. In dem Band I des Handbuchs über die "Grundlagen von Staat und Verfassung" (1987) hat das

29

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 346. Dazu 1. Teil, 2. Kap., S. 11; 2. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 72 f. (mit Fn. 4), S. 88 ff.; 3. Teil, 1., 2. u. 3. Kap., S. 159 ff., 175 ff., 193 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff., insb. 6. Teil, 3. u. 9. Kap., S. 457 f., 501 ff.; auch 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff. 31 Beispielhaft Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, 4. Aufl. 1992, Rdn. 26 ff. zu Art. 2, der das Sittengesetz liberalistisch material fassen will, vergebens, und darum "verfassungspolitisch" die Streichung der gesonderten Schranke "Sittengesetz" empfiehlt (Rdn. 27), in Verkennung des Republikprinzips des Grundgesetzes und in Unkenntnis des Kantianismus und der kantianischen Lehre vom grundgesetzlichen Begriff des Sittengesetzes; ähnlich J. Schwabe, Anmerkungen zum Verfassungshandwerk, ZRP 1991, 362 ("Mit der Schranke des Sittengesetzes, hat bislang kaum jemand etwas anfangen können, insbesondere das BVerfG in einigen tausend Entscheidungen nicht"; Schwabe ignoriert nicht nur mein Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff., obwohl er es kennt (Vorwort), er verkennt, daß das BVerfG fast in jeder Entscheidung das Sittengesetz als Prinzip der praktischen Vernuft praktiziert, meist genannt Verhältnismäßigkeitsprinzip, dazu im 9. Teil, 7. Kap., S. 978); zum materialen Verständnis des Sittengesetzes, S. 271 ff. 30

17»

260

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Sittengesetz, das eigentliche Grundprinzip des freiheitlichen Gemeinwesens, keine Erwähnung gefunden. Nur beiläufig, als rechtliche Grundrechtsschranke erwähnen den Begriff in seiner Grundrechtsdogmatik Jürgen Schwabe und in seiner "Theorie der Grundrechte" Robert Alexy 32. Die Hinweise sind exemplarisch. Als bloße Schranke eines aus Art. 2 Abs. 1 GG herausgelesenen Grundrechts einer allgemeinen Handlungsfreiheit 33 wäre das Sittengesetz verkannt. Eine "Theorie" beschreibt ihrem Begriff nach die Wirklichkeit 3 4 , also empirische und damit kontingente Forschungsergebnisse. Nur entwickelt Alexy keine "Theorie", sondern stellt eine Lehre von den Grundrechten des Grundgesetzes vor, eine "dogmatische Theorie" 35 . Eine am Grundgesetz orientierte Lehre der Grundrechte, vor allem aber eine solche der Freiheit, darf den grundgesetzlichen Freiheitstext nicht übersehen. Unter den Juristen schenken Franz Wieacker, Werner Maihofer, Dieter Suhr und Peter Häberle dem Sittengesetz die nötige Beachtung 36 . Eberhard Grabitz stützt seine Freiheitslehre nicht auf das Sittengesetz, obwohl er die Eingriffs-Schranken-Dogmatik zurückweist 37 . Er erwähnt es nur beiläufig 38 . Peter Häberle hat das Sittengesetz entgegen seiner Grundrechtslehre als Schranke behandelt 39 , jetzt aber die fundamentale Bedeutung der Ethik der "'regula aurea'" bzw. des "'Kategorischen Imperativs

32

J. Schwabe, etwa S. 52 f., dem "schreckliche Gewissenskämpfe" Ausdruck der Sittlichkeit sind; R. Alexy, S. 123. 33 Dazu näher 5. Teil, 3. Kap., S. 312 ff.; 6. Teil, 1., 5. u. 6. Kap., S. 441 ff., 466 ff., 478 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; insb. BVerfGE 6, 389 (434); 49, 286 (298); auch BVerfGE 6, 32 (36). 34 Darin liegt auch die philosophische Problematik der "Theorie der Gerechtigkeit" von J. Rawls, insb. S. 70 f., der ohne Metaphysik auskommen will, obwohl sich im "Gerechtigkeitssinn" Rawls (S. 493 ff.), den Rawls empirisch zu belegen versucht, das kantianische Sittlichkeitspostulat des Sollens wiederfindet; vgl. die Kritik an Rawls von O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 318 ff, auch S. 114 f. 35

S. 21 ff. F. Wieacker, Rechtsprechung und Sittengesetz, JZ 1961, 377 ff., 340; W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., über die "Prinzipien der freiheitlichen Demokratie"; auch schon ders., Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 64 f.; D. Suhr, Entfaltung der Menschen, S. 60 f., 151 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff., 107 ff., 125 ff., 412 ff., dort weitere Hinweise in Fn. 44, S. 106 f.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: FS W. Thieme, 1993, S. 195 ff.; P. Häberle, Ethik "im" Verfassungsrecht, S. 276 ff. 36

37 38 39

Dazu 6. Teil, 1., 5. u. 6. Kap., S. 441 ff., 466 ff., 478 ff. E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 129. P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 21, 24, 28, 37, 405.

2. Kap.: Das "Sittengesetz" als der republikanische Schlüsselbegriff

261

Kants'" für den weltweit wirksamen Freiheitsbegriff erkannt 40 . Die Moralität der sittlichen Pflicht erschien der Rechtswissenschaft wohl rechtlich wenig ergiebig, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1957 ein mit dem formalen Begriff des Sittengesetzes unvereinbares Verständnis desselben als materiale "rechtliche Schranke" diktiert hatte. "Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz. Auch auf dem Gebiet des geschlechtlichen Lebens fordert die Gesellschaft von ihren Mitgliedern die Einhaltung bestimmter Regeln; Verstöße hiergegen werden als unsittlich empfunden und mißbilligt. Allerdings bestehen Schwierigkeiten, die Geltung des Sittengesetzes festzustellen.... Nicht darauf kommt es an, auf Grund welcher geschichtlichen Erfahrung ein sittliches Werturteil sich gebildet hat, sondern nur darauf, ob es allgemein anerkannt wird und als Sittengesetz gilt." BVerfGE 6, 389 (434 f.) 4 1 Es gibt nur ein (formales) Sittengesetz, nicht (materiale) Sittengesetze. Arno Baruzzi tauscht den hegelianischen materialen Begriff der Sittenordnung oder der Sittlichkeit und der Sitte gegen den kantianischen formalen Begriff des Sittengesetzes42, eine Vergewaltigung des Grundgesetzes, welche der Republik als Gesetzgebungsgemeinschaft die freiheitliche Grundlage entzieht 43 . 2. Josef Isensee schiebt das Sittengesetz als "vorliberales, atavistisches Beiwerk einer alten Handschrift" beiseite 44 . Dem französischen Freiheitskonzept der "altruistischen Tugend" stellt er das "angelsächsische" Freiheitskonzept des "eigennützigen Interesses" entgegen. Das "Interessenmodell" bestimme die Freiheit der "Bürger", das "Tugendmodell" den

40

Ethik "im" Verfassungsrecht, S. 277. Dazu unten, S. 267 ff. 42 Freiheit, Recht und Gemeinwohl, S. 149, 150 ff. ("Ich spreche hier bewußt von Sittenordnung, obwohl in Artikel 2 von Sittengesetz die Rede ist", S. 151), ohne Blick auf die Entstehungsgeschichte und ohne Versuch einer systematischen Interpretation des Grundgesetzes, insb. im Widerspruch zur eigenen Autonomielehre (S. 8 ff., 32 ff., 176 ff. u.ö.), die er als die "Würde",... "vernünftige Gesetze zu machen", "die Vernunft" als "Voraussetzung dieser Selbstsetzung" erkennt (S. 176), nicht aber, daß die Pflicht zur praktischen Vernünftigkeit in Art. 2 Abs. 1 GG mit dem Wort "Sittengesetz" formuliert ist. 41

43 Dazu 5. Teil, 1., 3., 4. u. 7. Kap., S. 253 ff., S. 278 ff., S. 332 ff., S. 434 ff.; 7. Teil, 1., 4. u. 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; auch 6. Teil, 8. u. 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff. 44 J. Isensee, JZ 1981, 1 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 633, auch 640 f.; die zitierte Distanzierung von der allgemeinen Relevanz des Sittengesetzes nimmt J. Isensee in: Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65 ff., vor, dazu im folgenden Text.

262

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

"Dienst" im "Amt" 4 5 . Notwendig herrschen die tugendverpflichteten Amtsträger, die Walter des Gemeinwohls, über die eigennützigen 'Bürger', vor allem ziehen sie deren Wettbewerb Grenzen. "Zum Wohle des Ganzen" müssen sich "Kräfte regen, deren Quellen jenseits des rechtsstaatlichen Horizontes liegen: Religion, Moral, Tradition, Kultur" 4 6 ... Tugend ist "säkularisiertes, politisches Mönchstum, Askese und Hingabe an die Sache des Gemeinwesens. Das Modell der Republik hat die Härte und Kargheit des antiken Sparta." 47 Auch so kann man die politische Freiheit diffamieren, letztlich mit der Warnung vor der Gefahr freiheitlicher Politik für das fröhliche Leben. Für sein "Grundrechtskonzept" der "allgemeinen Handlungsfreiheit", nach dem "die Grundrechte geradezu den Egoismus legitimieren" würden, reklamiert Isensee Modernität und Liberalität, die den Text zu "vernachlässigen" geböten 48 . Was vermag schon ein Verfassungstext gegen die Attitüde von Modernität? Wenn der Verfassungstext sich dem Interpreten nicht beugen will, wird er, wie das Sittengesetz, eben "vernachlässigt" 49 . Das Konzept hat Vorrang 50 . Das republikanische Prinzip des Grundgesetzes ist jedoch nicht nur moderner, sondern auch richtiger als der Liberalismus des 19. Jahrhunderts, der untrennbar mit dem monarchischen Konstitutionalismus verbunden ist 5 1 . Dessen Herrschaftlichkeit bleibt Josef Isensee verhaftet. Immerhin hat er die verfassungsgerichtliche Praxis und fast die gesamte deutsche Staatsrechtslehre auf seiner Seite. Den vielen Bürgern ohne Ämter spricht Isensee die Willensautonomie und damit letztlich die Würde ab. M i t dem Sittengesetz eliminiert er die Gleichheit in der Freiheit aus der

45

Grundrechtliche Freiheit-Republikanische Tugend, S. 68 ff.; vgl. ders. noch anders, HStR, Bd. I, S. 660; ders., auch zum republikanischen Rechtsprinzip, HStR, Bd. III, S. 45 ff. 46 J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 76. 47 J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 68. 48 Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65 f.; liberalistisch auch ders., Grundrechte und Demokratie, S. 7 ff. 49 J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit-Republikanische Tugend, S. 65. 50 Das Konzept, nämlich das des Klassenkampfes, bestimmt auch das marxistischsozialistische Demokratieverständnis und ermöglicht es, die Diktatur (des Proletariats) als Prinzip der Demokratie auszugeben (dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 48 ff.); die "Theorie" des Parteienstaates, die G. Leibholz entwickelt hat (dazu 8. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 763 ff., 772; 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff.), hat die grundgesetzliche Verfassung gebeugt (so W. Hennis, Der 'Parteienstaat' des Grundgesetzes. Eine gelungene Erfindung, in: Der Spiegel. Dokument, Oktober 1992). 51 Dazu E.R. Huber, Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung, HStR, Bd. I, S. 51 ff.; R. Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates bis 1866, HStR, Bd. I, S. 7 ff., 24 ff.; dazu auch die Hinweise in Fn. 30, S. 259.

2. Kap.: Das "Sittengesetz" als der republikanische Schlüsselbegriff

263

Verfassung. Er entbiirgerlicht die Bürger, anstatt diese an ihr republikanisches Amt zu erinnern. Die "Bürger" dürfen, wenn man Isensee recht liest, machen, was sie wollen, wenn die Amtswalter das zulassen. Solche Dogmatik muß den Staat der Gesellschaft entgegenstellen52. Auch als Wähler spricht Isensee dem Bürger die Amtlichkeit und damit die politische Kompetenz ab 53 . Der "ökonomische Egoismus" der Bürger diene "kraft einer List liberaler Vernunft dem Gemeinwohl" 54 . Das "Interessenmodell" sollte trotz seines empirischen Realismus in Zeiten der Umweltzerstörung, der Ausbeutung der armen durch die reichen Länder und der massenhaften Abtreibung, also des Verlustes an Mütterlichkeit in den Industrienationen, hinreichend desavouiert sein. Im Rahmen ihrer Privatheit, die durch subjektive Rechte materialisiert ist, dürfen die Bürger ihren besonderen Interessen folgen, aber diese Privatheit, der Tugend ethisch verpflichtet, beruht auf den allgemeinen Gesetzen der autonomen, d.h. sittlich verpflichteten Bürgerschaft 55 . Dem Gemeinwohl dienen die Gesetze und deren Vollzug 5 6 , die allerdings allein auf das eigene Glück bezogenes Handeln des Menschen ermöglichen und um der Menschenrechte willen

52

Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 74; ähnlich schon ders., Grundrechte und Demokratie, S. 7 ff., i.S. liberalistischen Grundrechtsverständnisses; so schon ders., Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 149 ff.; das widerspricht deutlich dem republikanischen Geist, den BVerfGE 5, 85 (197 ff., 204 ff.) atmet; zur nicht mehr tragfähigen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 2. Teil, 3. Kap., S. 88 ff.; 3. Teil, 1., 2., 3. u. 4. Kap., S. 159 ff., 175 ff., 193 ff., 201 ff. 53 Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 74, gegen den Satz von Novalis: "Jeder Staatsbürger ist Staatsbeamter" (Novalis, Glauben und Liebe oder König und die Königin, 1798, in: Sämtliche Werke, ed. Minor, 2. Bd., 1923, S. 150); ebenso in der Sache W. Henke, Recht und Staat, S. 388; ganz anders etwa K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, 1988, S. 3; anders auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 251 ff. ("Grundsatz der (gleichen) Teilnahme"); dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 160; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 214, 226 ff.); 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 8. Teil, 5. Kap., 5. 790 f.; zu den Bürgern als Politiker auch 9. Teil, 1., 3. u. 4. Kap., S. 821 ff., 929 ff., 934 ff., zu den Bürgern als Hütern der Verfassung. 54 Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 71; das ist die "invisible hand" von Adam Smith, Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776, Book IV, Chapter II, S. 9 ff., 456, ed. W.B. Todd, 1976; Kritik am Topos "List der Vernunft" der Lehren vom psychologischen Egoismus auch bei J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 495; kritisch auch H. Krüger, Allgemeine Saatslehre, S. 467 ff. 55 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 386 ff.); 6. Teil, 2., 4. u. 5. Kap., S. 449 ff., 461 ff., 466 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 9. Teil, 9. Kap., 1023 ff. 56 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 236 ff., 247 ff.; zur Gemeinwohlproblematik J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, HStR, Bd. III, S. 3 ff., insb. S. 40 ff.

264

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

größtmögliche Privatheit des Lebens einrichten dürfen und sollen 57 . Isensee läßt sich vom Empirismus, von "den Menschen, wie sie sind" bestimmen 58 . Den homo phainomenon muß jede Rechtsordnung, jede praktische Vernunft in Rechnung stellen. Das ist ihr Sinn. Der homo noumenon, das Vernunftwesen, benötigt kein Recht, dessen Zweck es ist, die Menschen zu einem Handeln zwingen zu können, welches alle frei sein läßt, das niemandem schadet. Vernunft bedarf keines Zwanges. Die Zwangsnotwendigkeit folgt der (empirisch unbestreitbaren) Fähigkeit des Menschen zur Unvernunft 59 , eigentlich ein "Unvermögen" (Kant) 60. Die aufklärerische Hoffnung auf das sittliche Gemeinwesen, den Rechtstaat im eigentlichen Sinne, die Republik also, teilt Isensee nicht, obwohl er die konstitutionelle Bedeutung der Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Prinzipien der demokratischen Republik an anderer Stelle selbst herausstellt 61 . Der transzendental begründeten Freiheitslehre, der Ethik Kants also, erspart Josef Isensee seine Polemik nicht. Auf das Tugendmodell ließe sich Freiheit nur "für Menschen, wie sie nach den Wünschen politischer Avantgadisten sein sollten", gründen; das tauge, um "eine Erziehungsdiktatur zugunsten einer Machtelite zu etablieren, die nach ihrem Selbstverständnis über die notwendigen Tugenden bereits verfüge". 62 Es geht aber der kantianischen Ethik nicht um Wünsche und Macht, sondern um die Logik von gleicher Freiheit aller, um die Logik von Republik und damit Recht, um eine philosophisch begründete Ethik oder Sittenlehre a priori 6 3 . Im übrigen hat Kant die moralische Befähigung gerade der

57 Dazu 3. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 195 ff., 201 ff.; 4. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 220 f., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 386 ff.); 6. Teil, 2. u. 5. Kap., S. 449 ff., 475 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 859 f. 58 Gegen die empiristischen Zweifel an der Autonomiefähigkeit der jeweils Anderen als verfassungswidrigem Argument K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 135 ff., 138 ff., 152; i.d.S. schon Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 89 ff.; auch ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 324 f.; auch E. Benda, HVerfR, S. 114; M. Kriele, HVerfR, S. 129 f. 59 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 310 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 60 Metaphysik der Sitten, S. 333; dazu 6. Teil, 3. Kap., S. 316 f., 319 mit Fn. 342. 61 HStR, Bd. III, S. 35, 43 u.ö. in seinen Schriften. 62 Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 69. 63 Kant, Grundlegung zur Methaphysik der Sitten, S. 11 ff.; in der Metaphysik der Sitten teilt Kant die Sittenlehre in die Rechtslehre (ius) und die Tugendlehre (ethica) und bezeichnet nur letztere als Ethik, S. 508 ff.

2. Kap.: Das "Sittengesetz" als der republikanische Schlüsselbegriff "einfachen

Leute"

als

Vorbild

hingestellt 6 4 .

Isensee

warnt

265 vor

"der

G u i l l o t i n e " als Ende des "moralischen R i g o r i s m u s " . E r w i l l m i t d e m N a m e n Robespierre

ängstigen 6 5 , verkennt aber w i e dieser Tyrann das Wesen der

Tugend, die U n v o r w e r f b a r k e i t des moralischen Versagens, w e i l allein das Gewissen über die S i t t l i c h k e i t

richtet66.

W e r Recht u n d M o r a l n i c h t unter-

scheidet, verzerrt M o r a l i t ä t zur erzwingbaren Rechtspflicht 6 7 u n d i n s t i t u t i o nalisiert die Tyrannei. So hat denn Hitler

d e m Juristentag 1933 das Ende

des D u a l i s m u s v o n M o r a l u n d Gesetz u n d d a m i t sein Verbrechertum, den Terror, a n g e k ü n d i g t 6 8 . "Die

Tugendpflicht

ist

von

der

Rechtspflicht

wesentlich

darin

unterschieden, daß zu dieser ein äußerer Z w a n g moralisch m ö g l i c h ist, j e n e aber auf d e m freien Selbstzwang allein beruht." -

Kant 69

Das Sittengesetz als A u s d r u c k des Menschenwürdeprinzips normiert die spezifische

Grundpflicht

des freiheitlichen

Gemeinwesens, n ä m l i c h

die

bürgerliche Pflicht zur praktischen Vernünftigkeit, zur repräsentativ-konsensualen Gesetzgebung, d.h. zur Rechtsetzung durch E i n i g k e i t 7 0 . Das ist i m

64

L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 220. Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 68 f.; antirousseauistisch bereits ders., Grundrechte und Demokratie, S. 12 f. 66 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 223; ders., Methaphysik der Sitten, S. 531 f., 572 ff. u.ö. 67 Zum Widerspruch von Zwang und Tugend/Moralität Kant, Metaphysik der Sitten S. 508 ff., 512, 527 u.ö.; vgl. G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 115 f. 68 Vgl. G. Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, 1971, S. 16, Fn. 25; auch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 137. 69 Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 512, vgl. auch die Rechtslehre, S. 338 f. 70 Dazu 7. Teil, 2. , 4., 5. u. 6. Kap., S. 536 ff., 560 ff., 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1., 3. u. 5. Kap., S. 662 ff., 670 ff., 728 ff., 799 ff., 810 ff.; 9. Teil, 1., 2., 7., 8. u. 10. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 1027 ff., 978 ff., 990 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 370 ff. (insb. 306 ff.); 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; O. Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, 1988, S. 461 f., leitet richtig aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG, gestützt auf C. Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat, S. 42, eine ethische "Pflicht zum Staat" ab, deren Lehre er aber nur rudimentär entfaltet (vgl. a.a.O., auch S. 423, 575 f.), weil er das Sittengesetz nicht in den gebotenen Zusammenhang zum Menschenwürdeprinzip stellt, der ihm durch seine, wenn auch nicht unkritische, freiheitsdogmatische Außenlehre (a.a.O., S. 43 f., 530 f.) trotz mancher richtiger Ansätze (a.a.O., S. 425, 530 f.) verstellt ist, zumal er die Freiheit nicht konsequent politisch begreift, wie u.a. seine Kritik an H. Krüger zeigt (a.a.O., S. 42 f.); V. Götz, VVDStRL 41 (1983), S. 21, vermag im Grundgesetz keine "Inkorporation von staatsethischen Bürgerpflichten" zu erkennen, faßt aber auch das Sittengesetz als solches nicht ins Auge; W. Leisner, Staatseinung, 1991, insb. S. 22 ff., 31 ff., hat jetzt einen Entwurf des "neuen Bürgerreichs" konzipiert. 65

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

266 aristotelischen

Sinne die Pflicht zur P o l i t i k . Diese Grundpflicht ist u m der

äußeren Freiheit w i l l e n moralisch u n d j u r i d i s c h 7 1 . Sie ist i n der Verfassung der Gesetzgebung v e r w i r k l i c h t ; denn die Gesetze der Vertreter des Volkes b i n d e n das V o l k 7 2 . A u f diese Verfassung gemeinschaftlicher Zwangsgesetzl i c h k e i t hat jeder Bürger ein erzwingbares Recht, das Recht auf Recht, die bürgerliche F r e i h e i t 7 3 . D i e n o t w e n d i g sittliche Qualität der formalen Pflicht des Gesetzgebers aus d e m Sittengesetz 7 4 , die nur durch M o r a l i t ä t erfüllt werden kann, hat die Suche nach einer materialen Grundpflicht provoziert, die vergeblich sein muß75. fizierung

Die der

Überprüfung

71

vom

Sittengesetz

praktischen der

nur

in

geforderte

Vernünftigkeit und

durch

Moralität

hindert

der Gesetze Moralität

die

und damit

Juridieine

verfassungsgemäßen

H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 54 ff., hält sie für "bloß" "moralische Pflichten" (S. 55); i.d.S. auch H.H. Klein, Der Staat 14 (1975), S. 159, 167 f. 72 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 399 ff., 529 ff.; 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 529 ff., 563 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 247 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 717 f., zur Verbindlichkeit; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., 5. 668 ff., 687 f., 719 ff., 728 ff.; auch 2. Teil, 6., 9. u. 11. Kap., S. 123, 142 ff., 153 ff., zur bürgerlichen Identität. 73 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 144 f.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 338; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 299; J. Schwartländer, Die Menschenrechte und die Notwendigkeit einer praktischen Weltorientierung, S. 166 ff., 185 ff. ("Es gibt im Grund nur das eine Recht des Menschen: ein Recht zu leben", und "der Staat als Dasein der politischen Freiheit"); G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 119 f.; dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 304 ff.; auch 5. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 325 ff. (insb. S. 332 ff.), 425 f.; 7. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 545 ff. (insb. S. 551 ff.), 560 ff. 74 Zur Formalität der Freiheit 5. Teil, 3., 4., 6. u. 7. Kap., S. 275 ff., 325 ff. (insb. S. 356 ff.), 410 ff. (insb. S. 437); 6. Teil, 1. u. 8. Kap., S. 441 ff., 494 ff.; 9. Teil, 5., 7. u. 8. Kap., S. 956 ff., 978 ff., 990 ff., zur sittlichen/bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 73. 75 Vgl. die Hinweise in Fn. 122, S. 278. Typisch /. v. Münch, in: ders., GG, Rdn. 33 ff. zu Art. 2; H. Hofmann hat sich über die Relevanz einer Tugendlehre für die Verfassung mokiert, VVDStRL 41 (1983), S. 48, 73, 80; kraß gegen eine bürgerliche Tugendpflicht J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65 ff.; kritisch zum juridischen, mit der Ethik als der Lehre von der Freiheit unvereinbaren Verständnis des Sittengesetzes mit Hinw. K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 125 ff., auch S. 97 ff.; wie im Text insb. K. Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 263 ff.; ders., Das Sittengestz und die guten Sitten, S. 204 ff.; eine Tugendlehre entwickelt J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, insb. S. 433 ff. ("Das Gute als das Vernünftige"), S. 493 ff. ("Der Gerechtigkeitssinn"), auch S. 368 ff. ("Pflicht und Verpflichtung"), passim, weil für die "wohlgeordnete Gesellschaft" die Tugend notwendig sei (etwa S. 21 f., 557 f. u.ö.); auch die Repräsentationslehre H. Krügers, Allgemeine Staatslehre, S. 232 ff., ist eine Tugendlehre (dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 200 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 221 f., 230 f.; 1. Teil, 3. Kap., S. 56 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 308 ff., 320 ff.; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 126 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 566 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 805 ff., 810 ff.; zur Tugendpflicht 8. Teil, 1. Kap., S. 673 ff.).

2. Kap.: Das "Sittengesetz" als der republikanische Schlüsselbegriff

267

Rechtserkenntnisse des Gesetzgebers insbesondere durch das Bundesverfassungsgericht nicht. Aus der Logik der Moralität kann diese nur eine eigenverantwortliche, der praktischen Vernunft/der Sittlichkeit verpflichtete, funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis der Hüter der Verfassung, insbesondere in der Rechtsprechung, sein 76 . Die Juridität ist damit verbunden, daß die vom Gesetz geregelten oder zu regelnden Handlungen äußerlich sind, d.h. daß Streit unter Menschen besteht oder entstehen kann. Deswegen kann die Rechtlichkeit des Handelns von jedem durch das Handeln Betroffenen erzwungen werden, gegebenenfalls durch Richtersprüche 77 . II. Formalität, nicht Materialität des Sittengesetzes 1. Die verfassungsändernde, aber irrige Lehre von der materialen Sittlichkeit verantwortet das Bundesverfassungsgericht. In dem Homosexuellen-Urteil von 1957 (BVerfGE 6, 389 (434)) hat es das Sittengesetz "als eine rechtliche Schranke des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit" eingestuft und den Gesetzgeber in die tradierte materiale Sittlichkeit einbinden wollen: "Die verfassungsmäßige Ordnung darf selbst dem Sittengesetz nicht widersprechen - unsittliche Gesetze gehören nie zur verfassungsmäßigen Ordnung". Das Sittengesetz könne "sonst unzulässige oder doch in ihrer Zulässigkeit zweifelhafte Eingriffe des Gesetzgebers in die menschliche Freiheit legitimieren." Diese Materialisierung des Sittengesetzes zu einer den Gesetzgeber, also die Vertreter des ganzen Volkes und damit das vertretene Volk 7 8 , bindenden material-rechtlichen Schranke 79 gipfelte in dem schon zitierten 80 Ausspruch: "Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz", 76 Dazu 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2., 4., 5. u. 6. Kap., S. 536 ff., 560 ff., 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 657 ff., 707 ff., (insb. S. 710 ff.); 9. Teil, 2. u. 10. Kap., S. 858 ff., insb. S. 863 ff., 870 ff., 885 ff., 895 ff., 1027 ff. 77 Zum Recht auf Recht Hinweise in Fn. 73, S. 266. Zum Justizgewährungsanspruch 5. Teil, 4. Kap., S. 361 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 551 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 872 ff.; 10. Teil, 9. Kap., 5. 1169 ff. 78 Dazu Hinweise in Fn. 72, S. 266 (zur bürgerlichen Identität). 79 Hinweise in Fn. 70, S. 265, zur Verbindlichkeit der Moralität für den Gesetzgeber, die zur letzten ordentlichen Verantwortung des Bundesverfassungsgerichts für die praktische Vernünftigkeit der Gesetze, deren Richtigkeit oder Rechtlichkeit führt, über die letztlich das Volk als Hüter der Verfassung wacht; (dazu 9. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 181 ff., 929 ff.). 80 5. Teil, 2. Kap., S. 261 f.

268

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

der dann konfessionell und rechtsgeschichtlich belegt wurde. Die Reform des Sexualstrafrechts hat bereits 1969 das Gericht widerlegt. Das Sittengesetz bindet jeden Bürger und damit jeden Abgeordneten und jeden Richter. Es bindet moralisch die Willkür. Der Gerichtshof der Sittlichkeit ist das Gewissen, sowohl das des Bürgers als auch stellvertretend für die Bürgerschaft das der Amtswalter, der Vertreter des Volkes 81 . Dennoch ist, weil es um äußere Handlungen geht, die verbindliche Rechtserkenntnis, nämlich das ius, unverzichtbar, welche die autonome Materialisierung notwendig macht. Das erfordert das Gesetz, notfalls den dieses surrogierenden Richterspruch, jedenfalls die erzwingbare Handlungsregelung, welche die allgemeine Freiheit wahrt. Dem Menschenbild, welches das Bundesverfassungsgericht seiner Rechtsprechung zugrundezulegen pflegt, nämlich dem des autonomen, sozialgebundenen Individuums, gemeinschaftsgebunden und gemeinschaftsverpflichtet 82 , entspricht eine vorgesetzliche Materialisierung der Sittlichkeit nicht 8 3 . Erst die gesetzgeberischen Erkenntnisse des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit, also die Gesetzgebung oder die funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis der Rechtsprechung als Verwirklichung der praktischen Vernunft, orientiert an den materialen Leitentscheidungen des Grundgesetzes, schaffen gesetzliche Materialität als Recht. Das Recht ist somit immer positiv, nicht aber vorpositiv aus materialen Sittengesetzen ableitbar. Ohne Gesetzgebung gibt es kein Recht, abgesehen von dem Recht der Freiheit auf Recht und den damit verbundenen Rechten des Menschen, insbesondere dem der politischen

81 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff.; 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 664 ff., 810 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 833 ff.; zur (sittlichen) bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, S. 266; dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 98 ff., 104 ff. , 114 ff., 116 ff., 122 ff., 124 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff. 82 BVerfGE 4,7 (15 f.); 7, 198 ( 205) ; 24, 119 (144) ; 27, 1 (6 f.); 27, 344 (351 f.); 33, 303 (334); 48, 127 (163); 49, 286 (298); 50, 166 (175); 50, 290 (353); 56, 37 (49); 65, 1 (44); vgl. auch die neue Formulierung in BVerfGE 80, 367 (373 f.), nämlich: "Der Mensch als Person, auch im Kern seiner Persönlichkeit, existiert notwendig in sozialen Bezügen"; i.d.S. D. Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, S. 87 ff., 105 ff.; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 313 ff.; auch E. Benda , HVerfR, S. 109 ; W. Maihofer, HVerfR, S. 196; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 98 f. mit Fn. 6. 83 Vgl. K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 98 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 204 ff.

2. Kap.: Das "Sittengesetz" als der republikanische Schlüsselbegriff

269

Gleichheit und dem, die Meinung in der Politik zu äußern 84 . Den Irrtum aus der Hochphase bundesrepublikanischer Restauration obrigkeitlicher Anschauungen schleppen wir noch mit 8 5 . Er behindert die Entwicklung zur Republik. Die Materialität der in dem Begriff Sittengesetz hineingelesenen sittlichen Schranke ist aber die dogmatische Konsequenz der Materialität des Begriffs der allgemeinen Handlungsfreiheit, welche das Bundesverfassungsgericht durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sieht 86 . Die deutsche Staatsrechtslehre ist dieser verfassungsändernden, restaurativen Interpretation des Freiheitsprinzips weitestgehend gefolgt 87 . Die Lehre, die allgemeine Handlungsfreiheit sei prinzipiell unbegrenzt, "offen, aber nicht gegenstandslos" (Walter Schmitt Glaeser %%), Art. 2 Abs. 1 GG schütze in seiner Materialität gar "unbenannte Freiheitsrechte" 89 , ist das liberalistische Mißverständnis der Freiheit, deren Formalität nicht erkannt wird, und zugleich die logische Folge der Trennung von Staat und Gesellschaft. Sie war richtig, solange die Staatsgewalt vom monarchischen Prinzip bestimmt war 9 0 und liegt in der Logik einer Staatslehre, welche sich von der Ideologie, Staatlichkeit sei notwendig Herrschaft, nicht zu lösen weiß 9 1 . Die Definition der Freiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG, welche die

84 Zum Recht auf Recht aus der Freiheit Hinweise in Fn. 72, S. 266; zur Gleichheit aller in der Freiheit 1. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 4 ff., 38 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 1. u. 6. Kap., S. 253 ff., 410 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 998 ff.; zur Meinungsäußerungsfreiheit 7. Teil, 5. Kap., S. 588 ff., 602 ff., 605 ff.; auch 9. Teil, 1. Kap., S. 836 f. 85 So immer noch BVerfGE 49, 286 (298); H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1202 f.; so auch noch (hegelianisch und vermeintlich aristotelisch) A. Baruzzi, Freiheit, Recht und Gemeinwohl, S. 150 ff., freilich ohne Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (dazu kritisch in Fn. 42, S. 261, Fn. 114, 5. Teil, 3. Kap., S. 275). 86 BVerfGE 6, 32 ( 36 ff.); stetige Rechtssprechung, dazu mit weiteren Hinweisen in Fn. 165, 6. Teil, 6. Kap., S. 478, weitere Hinweise in Fn. 33, S. 259; für alle H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1186 ff. 87 Dazu näher 3. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 1., 5., 6. u. 9. Kap., S. 441 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; vgl. auch für den Begriff Sittengesetz für alle H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1186 ff. 88 HStR, Bd. VI, S. 54 ff. 89

Dazu mit Hinweisen 5. Teil, 4. Kap., S. 331 ff. (insb. Fn. 407); auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978; für alle W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. III, S. 56 ff.; H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1195 ff., 1208 ff. 90 Dazu 1. Teil, 2. Kap., S. 11 ff.; weitere Hinweise zum monarchisch-liberalen Staatsrecht in Fn. 30. 91 Dazu 2. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 71 ff. (mit Fn. 4, S. 72), 88 ff. (mit Fn. 85); 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; zur Trennung/Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; zur staatsrechtlichen Herrschaftslehre 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; 8. Teil, 2. u. 4. Kap.,

270

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

sittliche Bindung des Menschen einbezieht, beweist aber die republikanische Formalität des Freiheitsprinzips. Nur diese Innenlehre läßt die Würde des Menschen als dessen Willensautonomie 92 unangetastet. Der Mensch bestimmt die Maximen seines Handelns. Die Maximen müssen so sein, daß das Handeln niemandem schadet; darin sind sie vernünftig. Diesem Kriterium können die Maximen nur genügen, wenn sie einem allgemeinen Gesetz, also einem Gesetz aller, entsprechen oder entsprechen können 93 . Derartige Maximen seines Handelns selbst, aber gemeinsam mit den anderen Menschen, mit denen er zusammenlebt, also ein (bürgerliches) Gemeinwesen bildet, als Gesetze zu bestimmen, ist die Freiheit des Menschen, des Bürgers. Darin und dadurch ist der Mensch Bürger; denn res publica res populi. In dem Maße, in dem Vernunft praktiziert wird, ist das Gemeinwesen republikanisch. Die verschiedenen grundgesetzlich verankerten Pflichten 94 sind nicht freiheitsdogmatisch, d.h. für die Republik, konstitutionell, wenn sie auch in der Republik durchaus essentielle Grundpflichten sind. Die Pflicht zur Rechtsverwirklichung 95 ist dem republikanischen Freiheitsbegriff immanent; denn die Freiheit wird durch Gesetze und deren allseitige

S. 685 ff., 735 ff. (insb. S. 743 f.). 92 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69 u.ö.; W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., 199; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 101, mit weiteren Hinweisen; dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 275 ff. (insb. S. 280 ff.), 325 f. (insb. S. 332 ff.); 6. Teil, 9. Kap., S. 504. 93

Dazu 2. Teil, 6. u. 10. Kap., S. 107 f., 149 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 672 ff.); 5. Teil, 3., 4. u. 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff. (insb. S. 670 ff.), 707 ff.; zum Gesetzgebungsstaat auch 9. Teil, 2., 7., 8. u. 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit 2. Teil, 7., 10. u. 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 2., 7., 8. u. 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; zum kategorischen Imperativ insb. 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff. 94 Vgl. zu diesen insb. R. Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, S. 23 ff.; V. Götz, VVDStRL 41 (1983), S. 21 ff., zu den Grundpflichten der WRV S. 9 ff.; dazu C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 174; dazu umfassend O. Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, 1988, insb. S. 432 ff.; vgl. auch die Hinw. in Fn. 75, S. 266. 95 Dazu R. Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, S. 28 ff.; H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 62 f., 66 f.; H. Bethge, NJW 1982, 2150; O. Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 560, stützt sie wie den Verfassungsstaat auf Art. 1 und 20 GG.

2. Kap.: Das "Sittengesetz" als der republikanische Schlüsselbegriff

271

B e f o l g u n g , notfalls deren E r z w i n g u n g , v e r w i r k l i c h t 9 6 . E i n e nicht auf die Freiheit gegründete Rechtsgehorsamspflicht

schafft den Untertanen.

Sie

entspricht monarchistisch geprägter, herrschaftlicher D o k t r i n 9 7 . " W e n n daher das V o l k einfach verspricht zu gehorchen, löst es sich durch diesen A k t auf u n d verliert seine Eigenschaft als V o l k ; ..." 2. M e i s t

wird

der

Begriff

Sittengesetz

im

Sinne

einer

Rousseau 98 materialen

Sittlichkeit, überwiegend gar zu dem der guten Sitten, n i v e l l i e r t 9 9 , die eine w i c h t i g e regelnde F u n k t i o n unter den Bürgern haben, aber als staatliche

96

Vgl. 5. Teil, 3. Kap., S. 311 zum Zwangsprinzip; zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit Hinweise in Fn. 93, S. 270; insb. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23, 116; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215, 250 ff.; Kants Pflichtethik (vgl. u.a. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 22 ff.) ist von diesem Gedanken bestimmt; etwa i.d.S. H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 61 ff., 69, 74 f.; schief//. Bethge, NJW 1982, 2150, der diese Pflicht "als notwendiges Korrelat der Gewährleistung der Grundrechte durch den Verfassungsstaat" sieht; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 386 ff., 392 ff., stellt richtig den Zusammenhang der "Pflicht, einem ungerechten Gesetz zu gehorchen", mit der "Mehrheitsregel" (dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 119 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 641, 648 ff.; auch 7. Teil, 4. Kap., S. 579 f.) heraus; zum Zwangsaspekt des Rechts 5. Teil, 3. Kap., S. 311 f. 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 97 Ganz so H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 61 ff., 68; i.d.S. auch H. Bethge, NJW 1982, 2150; vgl. R. Thoma, Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze der deutschen Reichsverfassung im allgemeinen, in: H.-C. Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Band II, 1930, S. 2; zur Gehorsam- und Treuepflicht im monarchischen Konstitutionalismus O. Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 109 ff.; F.W. Stahl, Das monarchische Prinzip, 1845, S. 11 ff., 18 ff. 98

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 28. BVerfGE 6, 389 (434 ff.); 49, 286 (299); BGHSt 5, 46(52 ff.); BGHZ 5, 76(97); in der Sache auch BVerwG NJW 1982, 664 f.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Rdn. 16 zu Art. 2 Abs. I GG, anders Rdn. 74 ebd. (i.S. der regula aurea); i.d.S. auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 21, 24, 28, 37, 405 (jedenfalls i.S. einer grundrechtsbegrenzenden materialen Sittlichkeit; anders jetzt ders., in: Ethik "im" Verfassungsrecht, S. 277); P. Badura, Staatsrecht, 1986, S. 161; i.d.S. auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1202 f.; R. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 27. Aufl. 1988, S. 181; A. Bleckmann, Staatsrecht II, Die Grundrechte, 3. Aufl., 1989, S. 501 ff.; B. PierothJB. Schlink, Grundrechte, S. 99, Rdn. 445 ("Sittengesetz"... "keine praktische Bedeutung"); W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 67; F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, S. 92 f. (materiale "Blankettformel"); i.S. der "katholischen Soziallehre" versteht die Menschenwürde und damit die Sittlichkeit E. Fechner, JZ 1986, 654 f.; vgl. nicht unkritisch, /. v. Münch, Rdn. 34 zu Art. 2 GG, der selbst aber bei einem materialen Begriff, Ch. Starck folgend, bleibt; kraß liberalistisch Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, 4. Aufl. 1992, Rdn. 26 ff. zu Art. 2; A. Baruzzi, Freiheit, Recht und Gemeinwohl, S. 150 ff., i.S. von Sittenordnung (Sittlichkeit), Sitte; dazu kritisch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 107 ff., 243, 363 ff., insb. 412 ff. mit weiteren Hinweisen in Fn. 48, S. 108; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 204 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 425 ff., S. 164 ff., gibt keine Definition des Begriffs Sittengesetz. 99

272

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

(i.w.S.) Gesetze oder private Übereinkünfte 100 einer "Rechtssetzung von Unten aus der Gesellschaft" (Werner Maihofer) { 0\ die gesetzgeberische Freiheit des Volkes keinesfalls begrenzen. "Als die überlieferten sittlichen Vorstellungen", "tradiert in den sehr allgemeinen naturrechtlichen Prinzipien", "nachgewiesen in der Gesetzgebung etwa der letzten 200 Jahre, die sich weitgehend in den Handbüchern der Ethik und Moraltheologie spiegele", w i l l Christian Starck das Sittengesetz rechtsdogmatisch brauchbar machen 102 . Auch er materialisiert das formale Pflichtprinzip der allgemeinen Freiheit, der Ethik. Das Verhältnis "der Bürger untereinander und zum Staat" sieht Hans-Uwe Erichsen "den sittlichen Vorstellungen der Zeit überantwortet" ... "In Betracht" kämen "nur diejenigen sittlichen Werturteile, die als Teil der tatsächlichen feststellbaren Sozialmoral anerkannt" seien 103 ; das sind die guten Sitten 104 . "Vornehmlich seien die im Grundgesetz selbst enthaltenen ethischen Wertentscheidungen zugunsten der Menschenwürde, Menschenrechte und Sozialstaatlichkeit einschlägig". Diese "verfassungsimmanente Ethik" hat Günter Erbel entwickelt 105 . Ein solches Verständnis vom Sittengesetz steht dem ethischen Gesetz der Freiheit hilflos gegenüber, wenn auch die genannten Prinzipien erst durch die Ethik des Grundgesetzes ihren verfassungsprägenden Gehalt gewinnen. Ohne Kantstudien ist dem Definiens der grundgesetzlichen Freiheit, dem Sittengesetz, nicht näher zu kommen. Das Sittengesetz ist entgegen dem herrschenden material-ethischen Verständnis das formal-ethische Konstituens von Freiheit und Republik. Her-

100 Dazu KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 363 ff., 421 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 206 ff.; vgl. auch i.d.S. J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 132; Kant selbst spricht im Gegensatz zu den öffentlichen Gesetzen, den staatlichen also, von den "privaten Gesetzen". 101 HVerfR, S. 227. 102 FS Geiger, 1974, S. 259 ff., 276; ebenso v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 24 ff. zu Art. 2 Abs. 1, gestützt auf BVerfGE 6, 389 (434 ff.); kritisch schon K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 109 ff. 103 HStR, Bd. VI, S. 1202 f. 104 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 363 ff., 421 ff., 431 ff. 105 G. Erbel, Das Sittengesetz als Schranke der Grundrechte, 1971, S. 177, 192 ff., 261, 263 ff., 270 ff., 332 ff., 341 ff., 378 f., 390 f.; H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1202 f.; Kritik an Erbeis Interpretation schon bei K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 113 f.

2. Kap.: Das "Sittengesetz" als der republikanische Schlüsselbegriff

273

mann von Mangoldt (CDU) nannte es im Grundsatzausschuß des parlamentarischen Rates, wie schon gesagt, richtig das "ethische Grundgesetz" 106 . Carlo Schmid (SPD) schreibt in seinen Erinnerungen (1979) S. 372: "Es gelang mir auch, meine Kollegen zu überzeugen, daß im Bewußtsein unseres Volkes ein Sittengesetz lebt, das wir für verbindlich halten, weil die Deutschen im Laufe ihrer Geschichte erkannten, daß Freiheit, Selbstverantwortung und Gerechtigkeit die Würde des Menschen ausmachen und daß diese Würde gebietet, daß jeder die Freiheit und die Selbstachtung eines jeden anderen achtet und sein Leben nicht auf Kosten der Lebensmöglichkeiten des anderen führt. In diesem Moral Verständnis können Christen und Nichtchristen sich im Freiheitsraum des Staates vereinigen." Diese allgemeinverständliche Umschreibung des kategorischen Imperativs von Carlo Schmid , dem Kantianer, wie S. 37 der Erinnerungen erweist: "Damals nahm ich eine Vorstellung in mein Denken auf, die mich nie mehr verlassen hat: Den kategorischen Imperativ der Mitmenschlichkeit, der mich verstehen ließ, was im politischen Leitspruch der Französischen Revolution das Wort Brüderlichkeit bedeutete, nicht eine schale und unterschiedslose Brüderei und humanitäre Phrase, sondern das Gebot, sich bei allem Tun so einzurichten, daß der andere im Persönlichsten, in den Bereichen der Gesellschaft, in der staatlichen Gemeinschaft zu bewahren und zu entfalten vermag, was das Menschliche am Menschen ist", verbietet jede nicht-kantianische, nicht-republikanische Interpretation des Wortes "Sittengesetz" in der Verfassung "dieses Volkes", das "einen freiheitlichen Volksstaat" (Carlo Schmid S. 372) wollte und will, die Republik also. Dem "Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit", das nach Art. 2 Abs. 1 GG "jeder hat", das somit niemand vom Staat erhält, wird nur eine Lehre von der sittlichen Persönlichkeit, vom Menschen als Vernunftwesen, gerecht, weil nur eine solche Lehre die Würde des Menschen nicht anta-

106 23. Sitzung vom 29.11.1948, JöR, Bd. 1, S. 57; i.d.S. auch die Erinnerungen von Carlo Schmid , S. 379; dazu v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1, Rdn. 25, S. 168; zum Sittengesetz als "ethischer Grundnorm" des Grundgesetzes K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff., 125 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff.; i.d.S. D. Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, S. 151 ff., insb. S. 156.

18 Schachtschneider

274

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

stet 107 . Darum muß dieses "Recht" auf seinen für das gemeinsame Leben von Menschen, die gleich frei sind, denkbaren Gegenstand beschränkt werden, auf die Autonomie des Willens. Der Soweitsatz des Art. 2 Abs. 1 GG definiert demgemäß das "Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. "Ein "Recht", das über "die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz" hinausginge, ließe sich in einer Verfassung der Freiheit nicht begründen. Eine "Entfaltung der Persönlichkeit", welche die im Soweitsatz genannten Grenzen mißachtet, wäre nicht "frei". Weder die Umdeutung des grundrechtlichen Freiheitsschutzes des Art. 2 Abs. 1 GG in ein Grundrecht der allgemeinen, materialen Handlungsfreiheit 108 noch die Restriktion des Grundrechts auf den Schutz der Entfaltungsmöglichkeiten einer material-ethisch bestimmten Persönlichkeit im Sinne einer material-pragmatischen Werthaftigkeit, auf den Schutz eines Kerns der Persönlichkeit 109 , wird der Freiheit des Menschen als Autonomie des Willens gerecht 110 . Die sogenannte Persönlichkeitskerntheorie hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht zurückgewiesen 111 . Es hat aber nicht zur Ethik des Grundgesetzes gefunden. Das Grundgesetz verfaßt das gemeinsame Leben von Personen, von Bürgern, die sich in Freiheit auf Gesetze der Freiheit einigen sollen und können, deren Willen autonom ist. 107 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, insb. S. 122 ff.; dazu Hinweise in Fn. 93, S. 270; zum Begriff der Person 5. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 275 ff,, 318 ff., 328 f., 370 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 217 f.); 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 666 ff., 725 ff. zur Persönlichkeit; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, S. 266. 108

Dazu ablehnend 6. Teil, 1. u. 6. Kap., S. 441 ff., 478 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 341 ff. 109 Vor allem H. Peters, Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Verfassungsziel, in: FS R. Laun, 1953, S. 669, 673; ders., Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 1963, S. 47 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 426 ff., S. 165 f.; Fr. Klein, in: v. Mangoldt/Klein, GG, Bd. I, Anm. III 6c zu Art. 2; G. Erbel, Das Sittengesetz als Schranke der Grundrechte, 1971, S. 161 ff., 173 f., 177; D. Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, S. 62 ff.; dazu W. Schmidt, Die Freiheit vor dem Gesetz, AöR 91 (1966), S. 42 ff.; noch offen gelassen in BVerfGE 4, 7 (15). 1,0

K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff., zum "Autonomieprinzip des Grundgesetzes"; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff.; auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, inbs. S. 557 ff., stellt die "wohlgeordnete Gesellschaft" auf den Begriff "Autonomie" neben den der "Objektivität" (S. 560 ff.); D. Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, S. 78 ff., 105 ff., 129 ff., 151 ff.; dazu im nächsten Kapitel. 111 BVerfGE 6, 32 (34 ff.); R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 86 ff.; D. Merten, JuS 1976, 345 f.; H.U. Evers, Zur Auslegung von Art. 2 Abs. I des Grundgesetzes, insb. zur Persönlichkeitskerntheorie, AöR 90 (1965), S. 90 f.; /. v. Münch, GG, Rdn. 19 zu Art. 2; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, insb. S. 116 ff.; H.U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1194.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

275

"Anders gesagt: A l l e Staatsgewalt geht v o n den i n W ü r d e verbundenen Bürgern

aus. Rousseaus

V o l k s - D e m o k r a t i e 'ist auf die W ü r d e der M e n g e

v o n Menschen unter Rechtsgesetzen'(i.S. Kants)

umzudenken. Kant

ist -

neben J. Locke - überhaupt die kulturelle Status-quo-Garantie, hinter die der Verfassungsstaat nicht zurückgehen darf." - Peter

Häberle

112

3. Kapitel Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch I.

D i e T r a d i t i o n des aufklärerischen Freiheitsbegriffs

Das Grundgesetz hat den Freiheitsbegriff der antiken u n d modernen Aufklärung,

den kantianischen B e g r i f f der Freiheit, übernommen.

grundgesetzliche Freiheitsprinzip ist durchaus "alteuropäisch", u m Luhmanns

Das

Niklas

distanzierende Vokabel positiv aufzugreifen 1 1 3 u n d die h u m a n i -

stische, aufklärerische T r a d i t i o n des Grundgesetzes zu benennen. Dieses Freiheitsprinzip akzeptiert den Menschen als Person, die der A u t o n o m i e des W i l l e n s fähig u n d zur W i l l e n s a u t o n o m i e berechtigt i s t 1 1 4 . Diese Person kann, darf u n d soll sich b i l d e n 1 1 5 ; sie hat n ä m l i c h "das Recht auf freie

112

Föderalismus, Regionalismus, Kleinstaaten - in Europa, Die Verwaltung 25 (1992), S. 13. Etwa N. Luhmann/K.E. Schnorr, Personale Identität und Möglichkeiten der Erziehung, 1982, S. 227; ders., Der Gleichheitssatz als Form und als Norm, 1991, S. 435 f.; kritisch zu Luhmanns "Systemmenschen" E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 212 ff.; kritisch O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, 1990, S. 53 ff. ("Entmoralisierung: eine übereilte Diagnose"). 113

114

Dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 92 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 138 ff.; so auch A. Baruzzi, Freiheit, Recht und Gemeinwohl, S. 32 ff., der allerdings das Sittengesetz in Art. 2 Abs. 1 GG nicht autonomiegemäß formal als kategorischen Imperativ begreift, sondern material als "Sittenordnung" (a.a.O., S. 150 ff.), ein Hegelianismus, der mit dem Konzept des Grundgesetzes unvereinbar ist und den Rechtsstatus der guten Sitten verkennt (dazu Schachtschneider, a.a.O., S. 363 ff.); vgl. zum Personenbegriff Hinweise in Fn. 107, 5. Teil, 2. Kap., S. 274; zur Autonomiefähigkeit 5. Teil, 2. Kap., S. 264 mit Fn. 58. 115

Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 516 f. ("Pflicht: sich aus der Rohigkeit seiner Natur, aus der Tierheit (quoad actum), immer mehr zur Menschheit, durch die er allein fähig ist, sich Zwecke zu setzen, empor zu arbeiten: seine Unwissenheit durch Belehrung zu ergänzen und seine Irrtümer zu verbessern, und dieses ist ihm nicht bloß die technischpraktische Vernunft zu seinen anderweitigen Absichten (der Kunst) anrätig, sondern die moralisch-praktische gebietet es ihm schlechthin und macht diesen Zweck ihm zur Pflicht, um der Menschheit, die in ihm wohnt, würdig zu sein.", im Interesse der moralischen Kompetenz, 18'

276

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

E n t f a l t u n g ihrer Persönlichkeit, soweit..." ( A r t . 2 Abs. 1 G G ) . Gemäß der ethischen G r u n d n o r m des Sittengesetze hat sie das Recht, eine sittliche Persönlichkeit zu sein, also die F r e i h e i t 1 1 6 . D e r grundgesetzliche ist schon der Freiheitsbegriff der Französischen Revolution, "alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet", w e i l die "Grenzen" der "natürlichen Rechte jedes Menschen" nicht nur allgemein sein müssen, sondern auch "nur durch Gesetz b e s t i m m t werden können" - A r t . 4 C o n s t i t u t i o n Francaise 1 7 9 1 1 1 7 Dieser Freiheitsbegriff ist republikanisch. Rousseau

hat Gerechtigkeit, Sittlichkeit u n d Vernunft als Errungenschaf-

ten der B ü r g e r l i c h k e i t herausgestellt.

"moralisch-praktische Vollkommenheit", Fähigkeit zur Pflicht); E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 212 ff., in Kritik an N. Luhmann; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 218 ff.; die Notwendigkeit der "moralischen Erziehung", der "Erziehung zur Autonomie", zum "Gerechtigkeitssinn" stellt J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 128, 282, 498 ff., 559 f. u.ö., heraus; zu Friedrich Schillers "ästhetischer Erziehung des Menschen" D. Borchmeyer, Kritik der Aufklärung im Geiste der Aufklärung: Friedrich Schiller, in: J. Schmidt (Hrsg.), Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart, 1989, S. 361 ff.; zur Grundpflichtfrage Fn. 75, 5. Teil, 2. Kap., S. 266, auch 270. 116

Zur wertorientierten Persönlichkeitslehre i.d.S. insb. W. Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 44 ff., 54, 62 f. u.ö.; ders., HVerfR, 173 ff., 198; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff., 122 ff.; i.d.S. auch BVerfGE 6, 32 (41); 27, 1 (6 ff.); 48, 127 (163); 49, 286 (298); 50, 166 (175); zur Persönlichkeitskerntheorie Fn. 109, 5. Teil, 2. Kap., S. 274 f. 117 "La liberté consiste à pouvoir faire tout ce, qui ne nuit pas à autrui; ainsi l'exercice des droits naturels de chaque homme n'a de bornes que Celles, qui assurent aux autres membres de la société la jouissance de ces meme droits. Ces bornes ne peuvent etre déterminées que par la loi."; dazu Η. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 538; ganz so Kants Definition des Unrechts, Zum ewigen Frieden, S. 204; zur Problematik der Gleichheitstugend bei Montesquieu und Rousseau W. Maihofer, HVerfR, S. 186 ff., der selbst die Sittlichkeit als Nächstenliebe, Brüderlichkeit, Solidarität, als Humanität, erfaßt (S. 224 ff.). Diesen politisch seit 1789 etablierten Freiheitsbegriff greift O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, vor allem S. 382 ff., für sein "Prinzip einer Freiheitsgemeinschaft" nicht auf; obwohl er die Notwendigkeit der Bestimmung und Anerkennung der "aus dem Freiheitstausch resultierenden Ansprüche" erkennt (S. 407 ff., 428 ff, 435); R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 337, läßt den entscheidenden letzten Satz des Art. 4 weg; darin erweist sich u.a. sein "formal-materialer Freiheitsbegriff 1, der nicht zur Autonomielehre findet, weil er die "Gesetzlichkeit der Freiheit" nicht sieht; richtig erfaßt i.d.S. Ο. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 429, das "Bestimmtheitsprinzip der Gerechtigkeit", wonach "der wechselseitige Freiheitsverzicht sowohl genau als auch gemeinsam umgrenzt werden" müsse, also eine "Positivierung" durch eine "öffentliche Gewalt", eine "allgemeine Macht" vorgenommen werden müsse.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

277

"Dieser Übergang v o m Naturzustand z u m Bürgerlichen Zustand erzeugt i m M e n s c h e n eine sehr bemerkenswerte Veränderung, w e i l dadurch i n seinem Verhalten die Gerechtigkeit an die Stelle des Instinkts tritt u n d seinen H a n d l u n g e n die Sittlichkeit verliehen w i r d , die ihnen zuvor mangelte. Erst jetzt, w o die S t i m m e der Pflicht an die Stelle des körperlichen Triebs u n d das Recht an die des Begehrens tritt, sieht sich der M e n s c h gezwungen, der bislang nur sich selbst i m A u g e hatte, nach anderen Grundsätzen zu handeln u n d seine Vernunft zu befragen, bevor er seinen N e i g u n g e n Gehör schenkt.... M a n könnte nach d e m Vorhergehenden z u m E r w e r b des bürgerlichen Standes noch die sittliche Freiheit hinzufügen, die allein den M e n s c h e n z u m w i r k l i c h e n Herrn seiner selbst macht; denn der A n t r i e b des reinen Begehrens ist Sklaverei, u n d der Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit." -

Rousseau 118

D i e j a k o b i n i s c h e (nicht i n K r a f t getretene) Verfassung von 1793 greift darüber hinaus die auch v o n Friedrich

dem Großen als oberste Bürgerpflicht

bezeichnete biblische lex aurea 1 1 9 auf, die Kant

m i t d e m kategorischen

I m p e r a t i v auf die philosophisch gültige F o r m e l gebracht hat, w o h l wissend, daß er das mosaische u n d christliche Liebesgebot, "jenes Gesetz aller Gesetze", das Prinzip der Z e h n Gebote, t r a d i e r t 1 2 0 .

118

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22, 23, Hervorhebung von mir; i.d.S. läßt sich auch der Freiheitsbegriff Montesquieus verstehen: "In einem Staat, das heißt einer mit Gesetzen ausgestatteten Gesellschaft, kann Freiheit lediglich bedeuten, daß man zu tun vermag, was man tun soll, und man nicht zu tun gezwungen wird, was man nicht wollen soll." ... "Freiheit ist das Recht, all das zu machen, was die Gesetze gestatten." Vom Geist der Gesetze, S. 210; vgl. i.d.S. W. Maihof er, HVerfR, S. 187 f., der auf das essentielle gesetzgeberische Gleichheitsprinzip bei Montesquieu als Prinzip der Demokratie hinweist, aber eindeutig ist die Formulierung nicht. 119 Regierungsformen und Herrscherpflichten, 1777, in ed. Volz, Die Werke Friedrichs des Großen, Bd. 7, 1912, S. 226; Bergpredigt, Matthäus 7, 12; auch Hobbes, Leviathan, S. 151. 120 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 25 f.; Kritik der praktischen Vernunft, S. 205 f.; Metaphysik der Sitten, S. 533 ff., 584 ff.; vgl. 3. Mose 19, 18; Matthäus, 5, 6, 43; 22, 37 40; Römer 13, 9 und 10; H. Arendt, Wahrheit und Lüge in der Politik, S. 66; zum Verhältnis der lex aurea zum kategorischen Imperativ als Formel des christlichen Liebesprinzips Th. Nisters, Kants Kategorischer Imperativ als Leitfaden humaner Praxis, 1989, S. 31 ff., 239 ff.; Die Sittlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft, Hegels zum Liebesrecht G. Liibbe-Wolff, Wegweisung durch das Nadelöhr, ARSP 1982, 223 f.; eine Verwandtschaft der lex aurea mit seinem Legitimationsprinzip des "Vorteils für jeden" reklamiert O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 86 f; auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 219, 517 u.ö., stellt seine Lehre auf das Prinzip der "Menschenliebe"; P. Häberle, Ethik "im" Verfassungsrecht, S. 277, nennt die "regula aurea" und den "kategorischen Imperativ Kants" in einem Atemzug; vgl. auch J. Hruschka, Die Konkurrenz von Goldener Regel, JZ 1987, 541 ff; zur "Menschenliebe" als christlich weiterentwickelte naturrechtliche Grundlage des Rechts G. Kiichenhoff, Naturrecht

278

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

D i e B i l l o f Rights v o n V i r g i n i a v o n 1776 hat die moralische B e d i n g u n g der Freiheit i n Section 15 material beschrieben: " E i n e freie Regierung u n d die Segnungen der Freiheit können einem V o l k e nur durch strenges Festhalten an den Idealen der Gerechtigkeit, M ä ß i g u n g , Enthaltsamkeit, Bescheidenheit u n d T u g e n d und durch ein ständiges Besinnen auf die grundlegenden

Prinzipien bewahrt

blei-

ben"121. D i e republikanische Grundpflicht hat A r t . 163 Abs. 1 W R V i n ihrer E i n h e i t m i t der Freiheit w i e folgt herausgestellt: "Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner persönlichen Freiheit die sittliche Pflicht, seine geistigen u n d körperlichen Kräfte so zu betätigen, w i e es das W o h l der Gesamtheit e r f o r d e r t " 1 2 2 . I n A r t . 163 A b s . 1 W R V wäre die "persönliche Freiheit" des A r t . 114 A b s . 1 W R V m i t der sittlichen Pflicht gegenüber der A l l g e m e i n h e i t verbunden gewesen, w e n n erstere m i t Gerhard

Anschütz

als "Freiheit v o m Staat", als

"rechtliche M ö g l i c h k e i t , alles tun zu dürfen, was k e i n Gesetz verbietet", hätte verstanden werden m ü s s e n 1 2 3 .

und Liebesrecht, 1962, S. 8 ff., 69 ff., 77 ff. 121 "That no free government or the blessings of liberty can be preserved to any people, but by a firm adherence to justice moderation, temperance, frugality and virtue and by frequent recurrence to the fundamental principles" (Übersetzung aus Proklamationen der Freiheit, ed. Janko Musulin, 1962, S. 62). 122 Dazu i.S. republikanischer Sittlichkeit H. Preuß, Deutschlands republikanische Reichsverfassung, S. 94; kritisch wegen der bloßen Sittlichkeit der Pflicht R. Thoma, Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze der deutschen Reichsverfassung, S. 1 ff. (29). G. Anschütz, WRV-Komm., Anm. 2 zu Art. 163, reduziert die Regelung auf eine sittliche Pflicht zu arbeiten (dagegen H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 53, 61 f., 67). Allgemein zur Frage von Grundpflichten, R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 332 ff.; V. Götz u. H. Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, VVDStRL 41 (1983), S. 7 ff., 42 ff., zu Art. 163, Götz, S. 11, Hofmann, S. 46 f, 58 ff.; zum grundrechtlichen Pflichtethos R. Smend, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 318 f.; R. Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, 1979, der eine "sittliche Bürgerpflicht zur Erhaltung der Demokratie" anerkennt (S. 63 ff.), aber das Sittengesetz nicht in seine Überlegungen einbezieht; ebensowenig H. Bethge, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, NJW 1982, 2145 ff.; auch D. Merten, Grundpflichten im Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland, BayVBl. 1978, 554 ff.; H.H. Klein, Über Grundpflichten, Der Staat 14 (1975), S. 153 ff.; J. Isensee, Die verdrängten Grundplichten, Ein grundgesetzliches Interpretationsvakuum, DÖV 1982, 609 ff.; O. Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, 1988; G. Radbruch, Republikanische Pflichtenlehre, 1929. Ganz ähnlich Art. 117 S. 2 Verf. Bayern; dazu P. Häberle, Erziehungsziele, S. 237 f. 123 Komm, zur WRV, 14. Aufl. 1933, Anm. 1 u. 2 zu Art. 114, gegen die herrschende Lehre (a.a.O. Fn. 1/2) und gegen den Wortlaut und Sinn insb. S. 2, der Schranke des Grundrechts; anders heute H.U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1186 f., der auf die Gegenposition nicht hinweist. Die wortgleiche Nachfolgevorschrift Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG: "Die Freiheit der Person ist unver-

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch II.

279

Freiheitlichkeit, Sittlichkeit, Gesetzlichkeit als die Prinzipien des christlichen Liebesprinzips

Kants

allgemeines Prinzip des Rechts:

" E i n e j e d e H a n d l u n g ist recht, die oder nach deren M a x i m e die Freiheit der W i l l k ü r eines jeden m i t jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann e t c . " 1 2 4 , läßt sich nur v e r w i r k l i c h e n , w e n n alle d e m kategorischen I m p e r a t i v gemäß, also sittlich, i n n e r l i c h frei handeln w o l l e n ; denn anders kann das allgemeine Gesetz als das Gesetz aller nicht i n Freiheit hervorgebracht w e r d e n 1 2 5 . " A l s o ist ein freier W i l l e u n d ein W i l l e unter sittlichen Gesetzen einerlei." - Kant 126

... "Reine Vernunft ist für sich allein praktisch, u n d gibt ( d e m

Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches w i r das Sittengesetz nennen." -

Kant 121

letzlich", wird richtig, wie herrschend Art. 114 Abs. 1 S. 1 WRV, auf das Recht der körperlichen Bewegungsfreiheit als einem Habeas-Corpus-Recht restringiert, wenn auch der Wortlaut eine andere Interpretation zuläßt; dazu zwingt das Verhältnis der Abs. 1 und 2 des Art 2 GG (E. Grabitz, Freiheit der Person, HStR, Bd. VI, S. 120 ff.). 124 Metaphysik der Sitten, S. 337; vgl. auch Über den Gemeinspruch, S. 144 f.; Hegel, Rechtsphilosophie, ed. Fischer, K. Löwith/M. Riedel, 1968, S. 70 (§ 29), kritisiert bekanntlich Kants Freiheits- und Rechtsprinzip als bloß "formelle Allgemeinheit", die den "Willen des Einzelnen" zugrundelege, nicht aber den Willen "als an und für sich seyenden"; gegen den Vorwurf des leeren Formalismus gegen Kants Moralprinzip K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104 ff., 109 ff. mit Hinweisen; dazu auch 5. Teil, 7. Kap., S. 432, mit Fn. 863; 7. Teil, 5. Kap., S. 598 mit Fn. 437. 125 Zur Problematik der allgemeinen Moralität als Voraussetzung der Legalität G. Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, 1974, insb. S. 55 ff., der diese Einheit ablehnt; wie im Text J. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 7 ff.; dersFaktizität und Geltung, 1992, insb. S. 109 ff., 349 ff., verschiebt die republikanische, auf der Moralität aufbauende, Korruption der Politik auf eine sich der liberalen kompromißorientierten nähernden Konzeption "deliberativer Politik", der er seine Diskurstheorie zugrunde legt; in der Sache wie der Text auch J. Isensee, JZ 1981, 8 ("Freiheit ist immer sittliche Autonomie."... "Der demokratische Rechtsstaat lebt aus der ethischen Kultur"); genau R. Dreier, Zur Einheit der praktischen Philosophie Kants, Kants Rechtsphilosophie im Kontext seiner Moralphilosophie, 1979, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, 1981, S. 286 ff., 289 ff., 296 ff.; vgl. auch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff., 116.; ganz im Sinne des Textes Art. 6 Bill of Rights von Virginia 1776; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 556 u.ö., "behauptet", ... "daß in einer wohlgeordneten Gesellschaft ein wirksamer Gerechtigkeitssinn zum Wohl eines Menschen gehört" (vgl. auch S. 423 ff.) und lehrt damit der Sache nach den kategorischen Imperativ. 126 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 82, vgl. S. 81 ff.; vgl. ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 141 ff., 191 ff., 218; ders., Metaphysik der Sitten, S. 318, auch S. 332 ff.; ganz i.d.S. die "Staats-Sittenlehre" M. Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften, 2. Aufl. 1872, S. 504; dagegen G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 99 Fn. 1; vgl. zu Kant R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 289 ff.; K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 101 f.

280

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Die freiheitliche Sittlichkeit als Pflicht, sich selbst und zugleich allen anderen das Gesetz zu geben, ist Würde des Menschen, welche kein Republikaner antasten will (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) 1 2 8 . Diese Würde ist die innere Freiheit, die "Autonomie" (Kant) 129, die die äußere Freiheit voraussetzt 130 " M i t der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden, mit diesem aber das allgemeine Prinzip der Sittlichkeit, ..." - Kant 121 "Ich habe durchweg vorausgesetzt, daß die Menschen im Urzustand vernünftig sind. ... Nach der Vertragstheorie sind nun die Begriffe der Autonomie und der Objektivität verträglich."..."Es gibt keinen Gegensatz zwischen Freiheit und Vernunft."- John Rawls 132 "Kant macht später die von Hobbes implizit mitgefühlten normativen Annahmen explizit und entwickelt seine Rechtslehre von Anbeginn im Rahmen der Moraltheorie. Das allgemeine Rechtsprinzip, das aller Gesetzgebung objektiv zugrundeliegt, ergibt sich aus dem kategorischen Imperativ. ... Während für Hobbes das positive Recht letztlich ein Organisationsmittel der politischen Herrschaft ist, behält es für Kant einen wesentlich moralischen Charakter." - Jürgen Habermas 133

127

Kritik der praktischen Vernunft, S. 142; ebenso i.d.S. ders., Metaphysik der Sitten, S. 318. Zur Menschenwürde Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; zum Sittengesetz als ethnischer Grundsatz der Republik vor allem 5. Teil, 2. Kap., S. 259 ff., weitere Hinweise in Fn. 435. Teil, 2. Kap., S. 261; zur Pflicht zur Sittlichkeit, passim, insb. 288 ff., 318 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 344 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; 7. Teil, 4., 5. u. 6. Kap., S. 560 ff., 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1., 3. u. 5. Kap., S. 655 ff., 670 ff., 728 ff., 799 ff., 810 ff.; 9. Teil, 1. u. 2., 7. u. 10. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 978 ff., 1027 ff. 129 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67 ff., 69, passim; vgl. ders., auch in der Sache, Metaphysik der Sitten, S. 317 ff.; K. Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 276 ff.; W. Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 48, 67; zur inneren Freiheit vgl. K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104 ff., 111, 116 ff., 125 f., 154 ff., 161, 171; vgl. auch W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 16 ff., 42 ff., der der hier vertretenen Einheit der äußeren und inneren Freiheit kritisch gegenübersteht. 130 Dazu S. 289 ff., 320 ff.; 5. Teil, 4. u. 7. Kap., S. 332 ff., 344 ff., 431 ff.; 6. Teil, 8. u. 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff. 128

131

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 88 f.; dazu D. Henrich, Ethik der Autonomie, in: ders., Selbstverhältnisse, S. 6 ff.; J. Mittelstraß, Kant und die Dialektik der Aufklärung, S. 341 ff.; L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 109 ff., 121 ff., 185 ff., 187 ff. 132 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 166, 560; Rawls "Theorie" geht von dem Menschen als Vernunftwesen aus, passim, insb. S. 166 ff., 433 ff., 454 ff., und ist darum eine Lehre.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

281

"Freiheit des W i l l e n s ist als Gesetzgebung der reinen praktischen Vern u n f t w i r k l i c h . " - Ralf

Dreier™

D i e allgemeine Freiheit liegt i n der allgemeinen Erkenntnis des Wahren u n d Richtigen. D i e Erkenntnisse anderer kann frei nur hinnehmen, w e r dem, der kompetent ist, das A m t gegeben hat, i h n i n der Erkenntnis zu vertreten. " W e n n auch nur wenige v o n uns imstande sind, eine P o l i t i k zu entwerfen oder durchzuführen, so sind w i r doch alle imstande, die P o l i t i k zu beurteilen." -

Perikles

Ä h n l i c h hat Montesquieu

ns

gesagt:

" D i e M e h r z a h l der Bürger ist durchaus geeignet auszuwählen, nicht aber, gewählt zu werden. Ebenso hat das V o l k Fähigkeit genug, sich über die A m t s f ü h r u n g der anderen Rechenschaft zu geben, taugt aber nicht zu eigener A m t s f ü h r u n g . " 1 3 6

133

Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 7; Habermas führt fort: "Aber auch in diesen ausgereiften Versionen tut sich das Vernunftrecht schwer mit der selbstgestellten Aufgabe, die Legitimitätsbedingungen legaler Herrschaft vernünftig zu erklären. Hobbes opfert die Unverfügbarkeit des Rechts seiner Positivität auf, bei Kant gewinnt das aus praktischer Vernunft apriori abgeleitete natürliche moralische Recht so sehr die Oberhand, daß Recht in Moral überzugehen droht: Recht wird zu einem defizienten Modus der Moral herabgestuft. Kant baut das Moment Unverfügbarkeit in die moralischen Grundlagen des Rechts derart ein, daß das positive Recht dem Vernunftrecht subsumiert wird"; Recht ist in der Ethik Kants schon deswegen kein "defizienter Modus der Moral", weil das Moralprinzip gebietet, Recht hervorzubringen, aber den Gegenstand des positiven Rechts nicht bestimmt, vielmehr den Diskurs um das richtige Recht impliziert, der nur sittlich geführt werden kann. Die Habermassche Diskursethik ist im kategorischen Imperativ Kants angelegt, der formal ist und mit dem Begriff "Vernunftrecht", das material sein muß, nicht erfaßt werden kann. Der kategorische Imperativ gebietet praktische Vernunft, um Recht durch Gesetze zu schaffen (dazu vor allem 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 519 ff., 560 ff.; zum Verhältnis der Gesetze zum Recht 7. Teil, 2., 4. u. 5. Kap., S. 536 ff., 560 ff., 584 ff.; 5. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 308 ff., 325 ff., 370 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 1., 3. u. 5. Kap., S. 637 ff., 728 ff., 810 ff.; 9. Teil, 1., 2., 7., 8. u. 10. Kap., S. 819 ff., 858 ff. (insb. S. 901 ff.), 982 ff., 995 ff., 1027 ff.), ist aber nicht Quelle von Vernunftrecht. Habermasens Vorwurf, Kants Unterscheidung von Legalität und Moralität sei "höchst widerspruchsvoll", folgt einem Mißverständnis W. Kerstings, Wohlgeordnete Freiheit, S. 16 ff., der Kant ein räumliches Denken der Freiheit unterstellt (dazu 6. Teil, 5. Kap., S. 466 mit Fn. 115) und damit Kants Formalität als Offenheit verkennt; zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 74, 5. Teil, 2. Kap., S. 266; zum Unterschied von Formalität und Offenheit 9. Teil, 1. Kap., S. 852 ff. 134 Recht-Moral-Ideologie, S. 289; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 47 ff., 50 f. 135 Darauf weist nach einem Bericht von Thukydides K.A. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 15 f., hin und macht sich das zu eigen. 136 Vom Geist der Gesetze, S. 106 f.

282

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

D i e innere Freiheit ist die Pflicht zur P o l i t i k i m aristotelischen Sinne, die Pflicht zur Sittlichkeit, zur praktischen Vernunft also, oder die Pflicht, ein Bürger zu sein. Das ist die Pflicht, die Gesetze m i t allen anderen Bürgern zusammen zu g e b e n 1 3 7 . Diese Pflicht ist der Baustein des "Reichs der Zwecke" (.Kant) k e i t " (Ralf

Dreier)

m

, der R e p u b l i k , des "Zustandes bürgerlicher Gerechtig-

139

.

D e r B e g r i f f der inneren Freiheit ist somit auf das

gemeinsame L e b e n bezogen, auf die äußeren Verhältnisse 1 4 0 und keineswegs i m lutherischen Sinne wesentlich auf den Glauben u n d somit innerlich, unpolitisch141.

Das

Recht

zur

Autonomie

des W i l l e n s

ermöglicht

die

innere Freiheit, die E r f ü l l u n g der Pflicht zur S i t t l i c h k e i t 1 4 2 . " D i e Freiheit der W i l l k ü r aber kann nicht durch das Vermögen der W a h l , für oder w i d e r das Gesetz zu handeln (libertas indifferentiae), definiert werden . . . " 1 4 3 . "Was kann denn w o h l die Freiheit des W i l l e n s

sonst

sein, als A u t o n o m i e , d.i. die Eigenschaft des W i l l e n s , sich selbst ein

137 I.d.S. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 51, 64 ff., 70 ff.; dersKritik der praktischen Vernunft, S. 140 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 332, 503 ff. (Tugendlehre); K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104 ff.: ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff. 138

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 66 ff.; dazu R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 299 f. 139

Recht-Moral-Ideologie, S. 299. R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, 1981, S. 289 ff. 141 Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, in: F. Lau, Der Glaube der Reformatoren; Luther-Zwingli-Calvin, 1964, S. 113 ff.; dazu G. May, Freiheit (Reformation), S. 443 ff.; zur christlichen Freiheit "des im Glauben von der Welt freien Menschen" W. Henke, Recht und Staat, S. 30 ff. (Zitat S. 35); i.S. "sittlich gebundener Autonomie" auch W. Weber, Der Mensch: Ein soziales Wesen, in: W. Leisner, Staatsethik, 1977, S. 24 ff., zur Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils über "Die Kirche in der Welt von heute"; L. Scheffczyk, Das Ebenbild Gottes im Menschen - Würde und Freiheit -, in: W. Leisner, Staatsethik, 1977, S. 77 ff., sieht die "Freiheit des Menschen" auf die "Gottebenbildlichkeit" ausgerichtet und darin das "Vernunftsein des Menschen" begründet; ebenfalls gestützt auf die Pastoralkonstitution über "Die Kirche in der Welt von heute" ("Es ist darum letztlich eine Freiheit, die den Menschen zur Wahrheit, zum Guten, zur Liebe und das heißt zuletzt: zu Gott ruft"); i.S. religiöser Begründung der Würde des Menschen auch W. Leisner, daselbst zum nämlichen Thema, S. 81 ff. ("Menschenwürde" ist... "Freiheit zu Höherem"); nicht anders Karl Rahner SJ, Demokratie als staatsethisches Prinzip, daselbst, S. 159 ff.; zu Kant problematisch H. Mandt, Historisch-politische Traditionselemente im politischen Denken Kants, in: Zwi Batscha (Hsg.), Materialien zu Kants Rechtsphilosophie, 1976, S. 292 ff., 299 ff.; richtig R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 291. 140

142 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff., 104 ff.; zur Einheit der äußeren und inneren Freiheit Hinweise in Fn. 130, S. 280. 143 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 332 f., der dies damit begründet, daß die Freiheit eine "negative Eigenschaft in uns" sei, "nämlich durch keine sinnliche Bestimmungsgründe zum Handeln genötigt zu werden"; ebenso ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 88 f.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

283

Gesetz zu sein? ... Denn Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe ... M i t der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden, mit diesem aber das allgemeine Prinzip der Sittlichkeit, welches in der Idee allen Handlungen vernünftiger Wesen zum Grunde liegt, als Naturgesetz allen Erscheinungen." 144 "..., daß man praktische Freiheit auch durch Unabhängigkeit des Willens, von jedem anderen, außer allein dem moralischen Gesetze, definieren könnte." - Kant H5 "Moralität besteht also in der Beziehung aller Handlung auf die Gesetzgebung, dadurch allein ein Reich der Zwecke möglich ist." - Kant ue Darum gilt der kategorische Imperativ Kants, der in der bekanntesten Formulierung lautet: "Handele so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." 1 4 7 Dieser kategorische Imperativ ist das Sittengesetz 148 , welches das Grundgesetz in Art. 2 Abs. 1 nennt, um das mit dieser Vorschrift geschützte "Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" näher zu bestimmen 1 4 9 . Freiheit, die sich nur im Recht mittels der allgemeinen Gesetze verwirklicht, befiehlt vernünftiges Verhalten jedermanns, also die Praxis von

144 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81 bzw. S. 86, bzw S. 88 f.; dazu ders., Kritik der praktischen Vernunft, nach § 8, S. 144 ff., passim. 145 Kritik der praktischen Vernunft, S. 218. 146 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67. 147 Kritik der praktischen Vernunft, S. 140; in der Sache nicht anders; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 51, 69 ff. (3 Formeln); auch Metaphysik der Sitten, S. 331, 526 u.ö.; zu den weiteren Formeln, der Naturgesetzformel, der Mensch/Zweck-Formel und der Autonomieformel mit der Zweckreichformel (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 51, 61, 67, 72); R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 290 f. 148 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 142, 144 u.ö.; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 64 ff. u.ö. 149 W. Maihofer, HVerfR, S. 194 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff.; P. Häberle, Ethik "im" Verfassungsrecht, S. 277; auch J. Isensee, JZ 1981, 6, 8, der es aber in Grundrechtliche Freiheit-Republikanische Tugend, S. 65, glaubt vernachlässigen zu dürfen, weil es eine "atavistische Handschrift" sei; a.A. Ch. Starck, Das "Sittengesetz" als Schranke der freien Entfaltung der Persönlichkeit, in: FS Geiger, 1974, S. 259 ff.; ebenso v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, zu Art. 2 Abs 1, Rdn. 24 ff., S. 167 ff.; ders., Vom Grund des Grundgesetzes, S. 44, der das Sittengesetz material, orientiert an der Moraltheologie, versteht; material i.S. der grundgesetzlicher Grundentscheidungen G. Erbel, Das Sittengesetz als Schranke der Grundrechte, 1971, insb. S. 192 ff., 263 ff., 270 ff., 332 ff., 341 ff., 378 f., 390 f. (dazu K.A. Schachtschneider, a.a.O., S. 107 ff., 113 f.); zur Vernachlässigung des Sittengesetzes in der Staatspraxis und Staatslehre 5. Teil, 2. Kap., S. 259 ff.

284

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Vernunft. Praktische Vernünftigkeit als Autonomie des Willens oder eben Sittlichkeit läßt sich nicht "vernünfteln" (Kant) 150 , sondern eben nur durch die allseitige moralische Willenspraxis, also nur durch sittliche Gesetzgebung erreichen 151 . Die Rechtlichkeit im Staat oder deren Maß hängen somit von der Moralität der Bürger und deren Vertreter in den Ämtern 1 5 2 ab, deren freier Wille im positiven Sinne dem Gesetz die Rechtsqualität verschafft. Die auf "Autonomie" und "Objektivität" gebaute "wohlgeordnete Gesellschaft", der John Rawls die Chance der Gerechtigkeit gibt, bedarf der "guten Menschen", vor allem aber des "Gerechtigkeitssinns" der Bürger 153 , also der kantianischen Moralität. Rawls läßt sich auf den Dualismus von äußerer und innerer Freiheit nicht ein 1 5 4 , konstruiert aber kantisch seine "Theorie", seine "Kantische Deutung der Gerechtigkeit als Fairneß" 155 . Nur das gemeinsame Leben kann praktisch vernünftig sein; denn das gemeinsame gute Leben ist die Praxis 156 . "Das Leben wiederum ist ein Handeln und kein Produzieren." -Aristoteles 157

150

Etwa, Kritik der praktischen Vernunft, S. 141; vgl. auch ders., Metaphysik der Sitten, S.

320. 151 Das sieht auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 18 f., 26 f., 34 ff., der sich für den Imperativ, das Gemeinwohl hervorzubringen, richtig auf Kants Postulat der praktischen Vernunft beruft und von der "gemeinsamen Sache aller Bürger" spricht, so daß ein Widerspruch zu Isensees interessenorientierten Grundrechtsverständnis, welches die Gemeinwohlverantwortung den Amtsträgern vorbehält, bleibt (S. 29 ff., 38, 45 ff., insb. ders., Grundrechtliche Freiheit Republikanische Tugend, S. 71 ff.); i.S. des Textes R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 289 ff., 299 f. 152 Zum Verhältnis der Gesetze zum Recht Hinweise in Fn. 133, 5. Teil, 3. Kap., S. 281; zur Pflicht zur Sittlichkeit Hinweise in Fn. 128, 5. Teil, 3. Kap., S. 280; auch Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265. 153 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 433 ff., 472 ff., 493 ff., 557 ff., passim. 154 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 229 ff., 289 f. 155 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 283 ff.; zu Recht "differenzierend" zum Kantianismus Rawls Ο. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 306 ff., 329 f., der darauf hinweist, daß Rawls "Metaphysik ausdrücklich ablehne", Rawls suche eine Gerechtigkeitstheorie ohne Metaphysik und mit Anthropologie, (a.a.O. S. 309, 318 ff.). 156 A. Baruzzi, Freiheit, Recht und Gemeinwohl, S. 3 f., zu Aristoteles. 157 Politik, S. 52, 1254 a 7 f.; ders., Nikomachische Ethik, S. 186, 1140 b 1 ff. ("Handeln und Hervorbringen verschiedene Gattungen").

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

285

"Praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist." - Kant 158 Die Praktizität der (gesetzgeberischen) Moralität liegt in der Logik der Formalität der Idee der Freiheit. Niemand kann den Willen des anderen ersetzen, niemand kann seine Vernunft an die Stelle der Vernunft des anderen (den er gar der Vernunft für nicht fähig hält) stellen. Gerade das wäre der Vernunft zuwider, nämlich despotisch. Es würde die Gleichheit in der Freiheit leugnen, welche logisch die Vernunftfähigkeit jedermanns postuliert oder eben jedermanns Würde als Mensch, jedermanns Willensautonomie akzeptiert 159 . "Die Fähigkeit zur moralischen Persönlichkeit" ist nach John Rawls , der diese Fähigkeit prinzipiell allen Menschen wegen ihres natürlichen Gerechtigkeitssinns zuspricht, "eine hinreichende Bedingung für den Anspruch auf gleiche Gerechtigkeit" 160 . Das Sittengesetz ist darum ein Imperativ ("Handle so, daß ...") und kann unter Menschen nichts anderes sein 161 . Es ist notwendig ein moralischer Imperativ; denn als rechtlicher wäre er juridisch und würde das Gesetz voraussetzen, welches als Recht erst in gleicher Freiheit zu geben ist. Recht und (juridisches) Gesetz verlangen Materialität 162 , also Zwecke außer dem der Subjekthaftigkeit jedermanns 163 . Dem Imperativ genügt, wer sein Handeln von der Liebe zum Nächsten leiten läßt. Das verlangt die Liebe zur Republik (Montesquieu) oder eben, weder zu herrschen noch sich beherrschen zu lassen. Die Nächstenliebe ist die Brüderlichkeit unter den Menschen, die "humane Solidarität", also vorrangig die Sittlichkeit des gemeinsamen Lebens ohne Herrschaft 164 , nachrangig auch die Tugend in der

158 Kritik der reinen Vernunft, S. 673; vgl. auch Kritik der praktischen Vernunft, S. 139 ("Freiheit und unbedingtes praktisches Gesatz weisen also wechselweise aufeinander zurück."), auch S. 161 ff. 159 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 99 ff., 138 ff.; zur Autonomiefähigkeit 5. Teil, 2. Kap., S. 264 mit Fn. 58. 160 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 548 ff., auch 565 ff., und 572 u.ö. 161 L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 116, 120, 212 f. 162 Dazu schon 5. Teil, 4. Kap., S. 328 ff.; zur Materialität der praktischen Vernünftigkeit 5. Teil, 2. u. 4. Kap., S. 265 ff., 325 ff.; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 163 Diese Materialität berechtigt als Recht auf Freiheit allerdings, die bürgerliche Verfassung zu erzwingen, i.d.S. R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 298 f.; dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 332 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 551 ff.; weitere Hinweise in Fn. 73, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 164 I.d.S. G. Küchenhoff, Naturrecht und Liebesrecht, S. 101 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 224 ff., 228, 231; W. Schieder, Brüderlichkeit, S. 563 ff., 573 ff., 578 ff.; E. Denninger, Rechtsperson und Solidarität, 1967, insb. S. 200 ff., 212 ff. (i.S. der materialen Werteethik Max Schelers und somit in Kritik an Kants Formalismus); ebenso A. Schafft, Brüderlichkeit, S. 78,

286

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Privatheit 165 . Die Liebe wahrt die Freiheit des anderen, der durch sie als Bruder geachtet wird. Das Gesetz der Brüderlichkeit ist Kants kategorischer Imperativ. Gemeinsame Freiheit ist Brüderlichkeit, brüderliche (schwesterliche) Liebe. Sie bedarf vor allem des "guten Willens" aller 1 6 6 . "Durch das Wort Recht ist nichts anderes bezeichnet als die Freiheit, die jeder hat, seine natürlichen Vermögen gemäß der rechten Vernunft zu gebrauchen." - Hobbes 167 "Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille." -Kant m "Der freie Mensch fühlt sich selbst nur frei, wenn auch die anderen frei sind." - Karl Jaspers 169 Aus der Formalität oder der (durch die materialen Leitentscheidungen der Verfassung materialisierten) Offenheit des Gemeinwohls 170 , dessen also, was dem Zweck des guten Lebens in allgemeiner Freiheit genügt, des allgemeinen Besten, folgt die Pflicht, daß jedermann sich für die Erkenntnisse jedermanns davon öffnet, was auf der Grundlage der Wahrheit richtig sei, um diesen Zweck zu erreichen. Ohne diese Offenheit gibt es keine Einigkeit. Offenheit für alle Meinungen und Pflicht zur Einigkeit für alle sind die

K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 17 ff.; vgl. auch das Grundsatzprogramm der CDU vom 23.-25. Oktober 1978, Nr. 21 ff.; aus psychosoziologischer Sicht H.E. Richter, Lernziel Solidarität, 1974; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 363, nennt neben Geld und administrativer Macht die Solidarität eine der drei Ressourcen, "aus denen moderne Gesellschaften ihren Interpretations- und Steuerungsbedarf befriedigen" ("sozialintegrative Kraft der Solidarität"). 165 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 214 f., 221 f., 230 ff.); 7. Teil, 4. Kap., S. 566 ff.; weitere Hinweise zur Tugendpflicht in Fn. 74, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 166 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 18, 30, 70, 80; ganz so K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 18; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 45; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 210; vgl. auch L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 166 u.ö. 167

De cive/Vom Bürger, ed. mit Scholien von G. Geismann/K. Herb, Hobbes über die Freiheit, 1988, S. 119 ff. mit Scholie 193. 168 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 18. 169 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 206. 170 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 236 ff., 247 ff. mit Hinw.; zur Gemeinwohlproblematik J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 3 ff., 10 ff., insb. 16 ff., 34, 39 ff., (zur Offenheit und Ungewißheit). Von dem "Grundsatz der Offenheit der Positionen" spricht J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 185; zur Offenheit der materialen Leitentscheidungen der Verfassung, insb. der besonderen Grundrechte 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 847 ff.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

287

Verfassung der allseitigen Freiheit, d.h. der Subjekthaftigkeit jedermanns oder der unantastbaren Menschenwürde. D i e Kompetenzen u n d Verfahren, Entscheidungen171

aber auch die materialen vor a l l e m grundrechtlichen

werden damit zur j u r i d i s c h e n Substanz konsensual-repräsentativer Verfassung172. Die

Das

Offenheit

faire für

Verfahren die

wird

Meinungen

Teil des republikanischen des

anderen

ist

die

Ethos173.

prozedurale

Moralität174. D e r repressionsfreie D i a l o g , i n d e m Interesse u n d Erkenntnis zur E i n h e i t verschmelzen, der emanzipatorische Diskurs, dessen M ü h e Freiheit, Wahrheit u n d Gerechtigkeit gilt, respektiert den Anderen als M i t m e n s c h e n , u m i n idealer Sprechsituation z u m Konsens, z u m Vernünftigen, (Jürgen

Habermas) 115.

zu

finden

Das ist der

"liebende K a m p f u m Wahrheit i n Freiheit." - Karl

Jaspers 176

I h n gebietet das biblische Gebot, das "Gesetz aller Gesetze"; "das ethische Gesetz der V o l l k o m m e n h e i t "

(Kant):

" D u sollst deinen Nächsten lieben w i e d i c h selbst; denn i c h b i n der Herr." (3. M o s e 19, 1 8 ) 1 7 7 .

171 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 598; 8. Teil, 1. Kap., S. 674 ff., 684 f. (Kompetenzen und Verfahren); 9. Teil, 1., 2., 7., 8., 9., 10. u. 11. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1002 ff., 1027 ff., 1033 ff. 172 J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 43 ff.; ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 14 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 170, 242 f., 247 f., 254 f., 265; vgl. ders., "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 111 f.; ganz so für das Gemeinwohlprinzip J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 17, 39 ff., 65 f.; zu den "prozeduralen Theorien der Gerechtigkeit" A. Kaufmann, in der gleichnamigen Schrift, 1989, S. 7 ff. (kantianisch); ders., Rechtsphilosophie in der Nach-Neuzeit, 1990, S. 24 ff. 173 Ganz i.d.S. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 105 ff. (zur "vollkommenen und unvollkommenen Verfahrensgerechtigkeit"), auch S. 396 ff.; die freiheitliche Relevanz der Institutionen, "institutionalisierter öffentlicher Rechtsmacht" stellt auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 324 ff., 428 ff., 431 f., heraus; vgl. ders., Kategorische Rechtsprinzipien, S. 320, zum Prozeduralismus bei Rawls. 174 Zu den prozeduralen Gerechtigkeitslehren A. Kaufmann, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 1989; ders., Rechtsphilosophie in der Nach-Neuzeit, 1990, S. 24 ff., 32 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 498 ff.; ders., Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 405 ff., insb. S. 416 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 324 ff., 468 ff., 519 ff. 175 Vor allem: Erkenntnis und Interesse, 1973, S. 234 ff., 253 ff., 334 ff.; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 127 ff., 144 ff.; vgl. auch ders., Faktizität und Geltung, S. 135 ff., 151 ff., 166 ff., 272 ff., 292 ff., 516 ff.; auch E. Meinberg, Das Menschenbild der modernen Erziehungswissenschaften, S 42 ff., 61 ff.; ganz so im griechischen Sinne H. Arendt, Vita Activa, S. 30 f; zum Dialog als Verfahren der Erkenntnis des Rechts R. Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz, insb. S. 293. 176 Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 201.

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

288

" D i e M i t t e des Staates muß die L i e b e sein." - Günther hojf

u n d Erich

Küchen-

78

W e r H e r z u n d Verstand für den/die M i t m e n s c h e n öffnet, ist ein Bürger seiner R e p u b l i k . Innere Freiheit als M o r a l i t ä t heißt zudem, das Gesetz aus Pflicht zu befolgen, d.h. d e m Gesetz zu gehorchen, w e i l es das Gesetz ist, nicht aus N e i gung, etwa Furcht v o r Strafe 1 7 9 . " H a n d l e pflichtmäßig, aus Pflicht." -

Kant m

Das ist der I m p e r a t i v der Tugend, der die Pflicht zur Legalität einschließt. D i e Legalität, d.h. die A c h t u n g der allgemeinen Gesetze ist ein kategorischer Imperativ, der (logisch) i n dem kategorischen I m p e r a t i v enthalten ist; denn w e n n jeder bei seinem Handeln den kategorischen I m p e r a t i v ohne Rücksicht

auf die allgemeinen Gesetze, also subjektiv,

materialisieren

w o l l t e , wäre eine allgemeine Gesetzgebung nicht m ö g l i c h ; sie w ü r d e der Verbindlichkeit

entbehren,

die i m

Begriff

des Gesetzes

liegt181.

Eine

H a n d l u n g also, deren W i l l e n s m a x i m e nicht die Legalität ist, kann nicht

177 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 203 ff., bezeichnet das Gebot der Nächstenliebe so und identifiziert es mit dem kategorischen Imperativ, etwa ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 25; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 113; insb. ders., Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 586 ff., auch S. 532 ff.; vgl. Th. Nisters, Kants kategorischer Imperativ als Leitfaden humaner Praxis, S. 239 ff.; dazu und i.d.S. W. Maihofer, HVerfR, S. 231 f., 224 ff.; auch J. Habermas in seinem Prinzip der Versöhnung, vgl. E. Meinberg, Das Menschenbild der modernen Erziehungswissenschaften, S. 65 ff.; H. Arendt, Vita Activa, S. 52 f., weist auf Augustin hin, der empfohlen hat, alle menschlichen Beziehungen aus der Nächstenliebe zu verstehen und auf sie zu gründen; i.d.S. auch das Prinzip der "Menschenliebe" bei J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 219, 517. 178 Allgemeine Staatslehre, 6. Aufl. 1967, S. 80; dazu wesentlich G. Kiichenhojf, Naturrecht und Liebesrecht, S. 7 ff., 101 ff., 115 ff. 179 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 26 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 191 ff., 203, 207, 295; ders., Metaphysik der Sitten, S. 323 ff., 326, 517, 521, 523; dazu R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 293 f., 301 ("allgemein ethische Tugendverpflichtung"); L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 199, 212 ff.; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 16 ff., 75 ff; zur Kontroverse zwischen Kant und Schiller über die Frage nach der Pflicht oder Neigung als moralischem Antrieb D. Henrich, Selbstverhältnisse, 1982, S. 6 ff. (Ethik der Autonomie), S. 28 ff; zur Frage der "Pflicht, einem ungerechten Gesetz zu gehorchen", J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 386 ff. (insb. zum "zivilen Ungehorsam", S. 399 ff.); dazu S. 305 ff.; 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 519 ff., 560 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 418 ff. 180 Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 521 u.ö., vgl. Fn. 179. 181 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 13; auch ders., Metaphysik der Sitten, S. 334.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

289

" P r i n z i p der allgemeinen Gesetzgebung" sein, mag die M a x i m e auch n o c h so sehr v o n der Überzeugung des Handelnden v o n ihrer W a h r h e i t l i c h k e i t u n d R i c h t i g k e i t getragen sein. Derartige H a n d l u n g e n würden die allgemeine Gesetzlichkeit als das Prinzip der bürgerlichen Verfassung aufheben. Das Recht zur freien W i l l k ü r ist u m der Subjekthaftigkeit jedes M e n s c h e n w i l l e n die rechtliche Grundlage der M o r a l i t ä t . D i e äußere, negative Freiheit also ist die B e d i n g u n g der inneren, positiven; letztere aber die der ersteren. Freiheitliche R e c h t l i c h k e i t u n d Sittlichkeit korrelieren m i t e i n a n d e r 1 8 2 . D i e "positivistische Antithese v o n Recht u n d M o r a l " 1 8 3 vermag keinen G r u n d des Rechts zu benennen als den der Herrschaft, also der Despotie. "Legalität soll aus M o r a l i t ä t hervorgehen." 1 8 4 ' " D e r entscheidende Gedanke ist, daß sich das D e m o k r a t i e p r i n z i p der Verschränkung v o n D i s k u r s p r i n z i p

u n d Rechtsform

verdankt." -

Jürgen

Habermas 185

182 I.d.S. K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 205 f.; G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 116; so verstehe ich auch die Kanterörterung von J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 127 ff., 133 ff.; anders ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 7 ff., wo er meint, Recht werde bei Kant zu einem defizienten Modus der Moral (dazu das Zitat und die Kritik in Fn. 133, S. 281 f.); vgl. ders. diskurstheoretisch, Faktizität und Geltung, insb. S. 109 ff., 135 ff.; das bestreitet W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 42 ff., weil er juridisch eine Fremdverpflichtung zur Grundlage des subjektiven Rechts erhebt (S. 75 ff., 89 ff.), gegen Kants Konsensprinzip, wonach der Wille gesetzgebend ist, also selbst - und notwendig zugleich fremdverpflichtend ist; zum Text K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff., 104 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff.; i.d.S. auch Hobbes, De Cive/Vom Bürger, S. 119 ff. mit Scholie 193; vgl. auch K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 9 f.; dazu auch v. Mangoldt/Klein/Starck, Rdn. 1 ff. zu Art. 1 Abs. 1, S. 25 ff.; vgl. auch die Hinw. in Fn. 183, 184. 183 Dagegen auch H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 80; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 286 ff., 296 ff.; Ch. Ritter, Der Rechtsgedanke Kants nach den frühen Quellen, 1971, S. 15 ff., 22 ff., 78 ff., 225 ff., 268 ff. (Das Moralprinzip ist zuerst Rechtsprinzip, Prinzip der Legalität); G. Römpp, Moralische und rechtliche Freiheit, Rechtstheorie 22 (1991), S. 287 ff., 297 ff.; i.d.S. auch G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 113 ff.; sie ist noch heute das wesentliche Argument gegen eine republikanische Rechtslehre, vgl. Fn. 74, 5. Teil, 2. Kap., S. 266, Fn. 125, S. 279; auch dasselbst, S. 261 ff.; auch 9. Teil, 3. u. 7. Kap., S. 909 ff., 978 ff.; vgl. auch Kant, Über den Gemeinspruch, S. 144 f. 184 I.d.S. R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 296 ff.; vgl. J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 133 ff., 142; ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 1 ff., 7 ff., wo er das materialisiert; ders., Faktizität und Geltung, S. 135 ff., insb. S. 154 f., der zu Recht auf das Diskursprinzip hinweist, das im übrigen in der Logik gesetzgeberischer Moralität liegt, vgl. auch S. 109 ff.; Kant, Zum ewigen Frieden, S. 228 ff., zur Einheit von Moral und Politik; Probleme bereitet das W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 42 ff., 78 ff. u.ö.

19 Schachtschneider

290

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

III. Freiheit als Recht auf Recht und Recht als Wirklichkeit der Freiheit Die Freiheit selbst ist mit dem Menschen (als Vernunftwesen) geboren 1 8 6 . "Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht." - Kant m Als "Urrecht" 1 8 8 , als das "einzige" dem Menschen "angeborene Recht", als "Naturrecht, das auf lauter Prinzipien a priori beruht", ist auch die Freiheit ein Recht, nämlich "(moralisches) Vermögen, andere zu verpflichten, d.i. als einen gesetzlichen Grund zu den letzteren (titulum)" (sc. das "erworbene Recht", wozu ein "rechtlicher Akt" erfordert wird) und zwar ein "angeborenes", nämlich "dasjenige Recht", "welches, unabhängig von allem rechtlichen Akt, jedermann von Natur zukommt." - Kant m "Dieses Recht der Freiheit (sc. "die Rechte derselben" ((sc. "eines jeden i m Staat))" durch Gesetze des gemeinsamen Willens zu schützen") kömmt ihm, dem Gliede des gemeinen Wesens, als Mensch zu, so fern dieser nämlich ein Wesen ist, das überhaupt der Rechte fähig ist." - Kant 190

185

Faktizität und Geltung, S. 154. Hobbes, Leviathan, S. 193; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 5; Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145; ders. Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 89 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 641; H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 54 u.ö., spricht vom "Urrecht der Freiheit", vom "Verfassungsprinzip der Freiheit"; J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 1, 66 ff., 560 u.ö., geht von der "Freiheit und Vernunft" im "Urzustand" als dem "Zustand der Gleichheit" (S. 140 ff.) aus. Konsequent werden die Rechte des Menschen und des Bürgers nicht in den Verfassungen Frankreichs konstituiert, sondern separat deklariert, i.d.S. W. Leisner, Volk und Nation als Rechtsbegriff der französischen Revolution, FS H. Liermann, 1964, S. 96 ff., 114, 122 ff.; zum apriorischen Vernunftcharakter des 'Naturrechts' auf Freiheit O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 88 ff., 102 ff.; dazu 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff. mit Fn. 2; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 332; zur Freihheit als Urrecht auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 187 Metaphysik der Sitten, S. 345; vgl. A. Enderlein, Der Begriff der Freiheit als Tatbestandsmerkmal der Grundrechte, Diss. 1993, S. 75 ff.; dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; weitere Hinweise in Fn. 186. 188 E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 84, 86; H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 54; Hinweise auch in Fn. 186. 189 Metaphysik der Sitten, S. 345. 190 Über den Gemeinspruch, S. 146. 186

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

291

Auch die Freiheit ist wie jedes Recht, "mit der Befugnis zu zwingen verbunden" 1 9 1 . Dieses apriorische Recht der Freiheit, aus der Idee der Freiheit geboren und jedenfalls die Grundannahme einer Republik 1 9 2 , gibt jedermann die Befugnis, von allen anderen, mit denen er in Gemeinschaft lebt, die gemeinsame/allgemeine Gesetzlichkeit zu fordern und diese Forderung durchzusetzen; denn sonst ist ein gemeinsames Leben in allgemeiner Freiheit nicht möglich 1 9 3 . "Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der alle moralische Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d.i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann." - Kant m Aus dem (provisorischen) Rechtscharakter des Mein und Dein folgert Kant die Erlaubnis des Subjekts, "jeden anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein solches Objekt kommt, zu nötigen, mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten," ... "worin jenes (sc. "das äußere Mein und Dein") gesichert werden kann." 1 9 5 Dieses Recht der Freiheit auf die bürgerliche Verfassung, auf die allgemeine Gesetzlichkeit oder eben die Republik/den Rechtsstaat, das Recht auf Recht also, bleibt immer mit dem Menschen verbunden; denn das ist sein Leben als homo noumenon, seine Würde also 196 . Der "bürgerlich-gesetzliche Zustand" gibt "die erforderliche Sicherheit", lehrt Kant im Anschluß an Hobbes, Locke und Rousseau 191. "Der Mensch aber (oder das Volk) im bloßen Naturzustande benimmt mir diese Sicherheit, und lädiert mich schon durch eben diesen Zustand, indem er neben mir ist, obgleich nicht tätig (facto), doch durch die Gesetzlosigkeit seines Zustandes (statu iniusto), wodurch ich beständig

191 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338 ff., 464, auch S. 365 f., 527; ders., Über den Gemeinspruch, S. 144, 169; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 29 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 45 ff.; dazu S. 253 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 192 Dazu 1: Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; zum Apriori der Freiheit Hinweise in Fn. 186, 290, S. 290. 193 Vgl. die Hinweise in Fn. 73, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 194 Metaphysik der Sitten, S. 347. 195 Metaphysik der Sitten, S. 366. 196 I.d.S. Kanu Metaphysik der Sitten, S. 366; dazu 1. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 4 ff., 14 ff.; 5. Teil, 2., 3. u. 4. Kap., S. 259 ff., 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. 197 Kanu Zum ewigen Frieden, S. 203; Hobbes, Leviathan, S. 118 f., 115 f., 156 ff.; Locke, Über die Regierung, S. 42 f., 73 ff., 101 ff.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22 f.; vgl. auch Fn. 186; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff.

1

292

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

von ihm bedroht werde, und ich kann ihn nötigen, entweder mit mir in einen gemeinschaftlich-gesetzlichen Zustand zu treten, oder aus meiner Nachbarschaft zu weichen. - Das Postulat also, was allen folgenden Artikeln zum Grunde liegt, ist: Alle Menschen, die aufeinander wechselseitig einfließen können, müssen zu irgendeiner bürgerlichen Verfassung gehören." - Kant m Die Gesetze verwirklichen, wenn sie Recht setzen, ihrer republikanischen Idee nach die Freiheit und beschränken diese nicht 1 9 9 ; denn: "Der Begriff aber eines äußeren Rechts überhaupt geht gänzlich aus dem Begriffe der Freiheit im äußeren Verhältnisse der Menschen zu einander hervor;" - Kant 100 "Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, in so fern diese nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist; und das öffentliche Recht ist der Inbegriff der äußeren Gesetze, welche eine solche durchgängige Zusammenstimmung möglich machen. Da nun jede Einschränkung der Freiheit durch die Willkür eines anderen Zwang heißt: so folgt, daß die bürgerliche Verfassung ein Verhältnis freier Menschen ist, die (unbeschadet ihrer Freiheit im Ganzen ihrer Verbindung mit anderen) doch unter Zwangsgesetzen stehen:" ..." Denn, da alles Recht bloß in der Einschränkung der Freiheit jedes anderen auf die Bedingung besteht, daß sie mit der meinigen nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, und das öffentliche Recht (in einem gemeinen Wesen) bloß der Zustand einer wirklichen, diesem Prinzip gemäßen und mit Macht verbundenen Gesetzgebung ist, vermöge welcher sich alle zu einem Volk Gehörige, als Untertanen, in einem rechtlichen Zustand (status iuridicus) überhaupt, nämlich der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung einer dem allgemeinen Freiheitsgesetze gemäß einander einschränkenden Willkür (welcher der bürgerliche Zustand heißt) befinden: so ist das angeborne Recht eines jeden in diesem Zustande (d.i. vor aller rechtlichen Tat desselben) in Ansehung der Befugnis, jeden andern

198

Zum ewigen Frieden, S. 203. Nach K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 200, verwirklichen und beschränken sie die Freiheit.; so auch D. Suhr, Gleiche Freiheit, S. 32 u.ö.; i.S. des Textes H. Krüger, Allgmeine Staatslehre, S. 536 ff., weil der Staat, der Bedingung der Freiheit sei, durch Gesetze der Lage gemäß hervorgebracht werde; dazu 2. Teil, 7., 10. u. 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; 5. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 325 ff., 410 ff.; 6. Teil, 6., 7., 8. u. 9. Kap., S. 484 ff.; 490 ff., 494 ff., 498 ff., 501 ff.; 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 519 ff., 560 ff.; weitere Hinweise zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. 200 Über den Gemeinspruch, S. 144 199

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

293

zu zwingen, damit er immer innerhalb den Grenzen der Einstimmung des Gebrauchs seiner Freiheit mit der meinigen bleibe, durchgängig gleich." Kant 201 Kant erläutert den Begriff des Rechts und notwendig zugleich den der äußeren Freiheit. Die Freiheit, die in der menschlichen Gemeinschaft äußerlich ist, ist ihrem Begriff nach durch das Recht beschränkt. Äußere Freiheit und Rechtlichkeit sind somit identisch. Dementsprechend definiert Kant: "Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht." 2 0 2 Unrecht kann nicht frei sein; denn: volenti non fit iniuria; d.h. Unrecht ist die Verletzung des Willens des Menschen. "Von dem Willen gehen die Gesetze aus;" - Kant 203 Das "Allgemeine Prinzip des Rechts" definiert Kant demgemäß in der Metaphysik der Sitten, S. 337: "Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann etc." Darauf folgert Kant: "Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich, ganz um dieser Verbindlichkeit willen, meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle, sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von andern auch tätlich eingeschränkt werden dürfe; und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist." 2 0 4 Diese Erkenntnis legitimiert die Vertretung in der allgemeinen Gesetzgebung 2 0 5 . Die Gesetze müssen (erzwingbares) Recht schaffen, um die Freiheit zu verwirklichen, aber die Freiheit verlangt begrifflich nach der allgemeinen Gesetzlichkeit, also nach den Gesetzen, die der Wille aller sind. 201 Über den Gemeinspruch, S. 144 f., 148; dazu O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 135 ff.; G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 113 ff. 202 Metaphysik der Sitten, S. 345. 203 Metaphysik der Sitten, S. 332. 204 Metaphysik der Sitten, S. 338; dazu O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 135 ff. 205 Dazu 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff. (insb. S. 728 ff.).

294

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

"Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen. Denn, da von ihr alles Recht ausgehen soll, so muß sie durch ihr Gesetz schlechterdings niemand unrecht tun können. Nun ist es, wenn jemand etwas gegen einen anderen verfügt, immer möglich, daß er ihm dadurch unrecht tue, nie aber in dem, was er über sich selbst beschließt (denn volenti non fit iniuria). Also kann nur der übereinstimmende und vereinigte Wille aller, so fern ein jeder über alle und alle über einen jeden ebendasselbe beschließen, mithin nur der allgemein vereinigte Volkswille gesetzgebend sein." - Kant 206 Diese an Klarheit nicht zu überbietende Formulierung läßt es nicht zu, Freiheit als ein Recht zu begreifen, welches durch Gesetze beschränkt wird. Vielmehr sind die Gesetze Notwendigkeit der Freiheit unter den Menschen. Die Gesetzlichkeit ist die Wirklichkeit der Freiheit. Richtig ist die Formel: Ohne Gesetze keine verwirklichte Freiheit 207 , nicht die Formel: Je mehr Gesetze, desto weniger Freiheit. Freiheit ist also Autonomie des Willens und gibt darin dem Menschen Würde 2 0 8 . Die Gesetze beschränken die Alternativen des äußeren Handelns und ermöglichen dadurch das gemeinsame Leben in allgemeiner Freiheit, die Existenz des Menschen in Würde 2 0 9 . Nicht die empirisch erfaßbaren Möglichkeiten des Handelns machen ethisch und damit auch rechtlich die Freiheit aus, sondern die Willensautonomie, deren Letztbegründung die transzendentale Moralphilosophie leistet, die aber im Sollen erfahrbar ist 2 1 0 . Das allgemeine Gesetz, also das

206

Metaphysik der Sitten, S. 432; weitere Hinweise auf das Konsensprinzip Kants S. 304 ff. zur Gesetzlichkeit der Freiheit bei Kant; zum Konsensprinzip allgemein 7. Teil, 4. u. 6. Kap., 5. 560 ff., 620 ff.; 8. Teil, 1., 2. u. 3. Kap., S. 668 ff., 688 ff., 719 ff., 728 ff., 730 ff. 207 Dazu 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 519 ff.; 560 ff.; weitere Hinweise zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. 208 Dazu S. 280 ff.; auch 5. Teil, 4., 5., 6. u. 7. Kap., S. 325 ff., 370 ff., 410 ff., 427 ff.; 6. Teil, 2., 8. u. 9. Kap., S. 449 ff., 494 ff., 501 ff.; auch 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637, 719 ff., 719 ff., 728 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; etwa Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67, 72 u.ö. 209 Das stellt W. Maihof er, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 22 ff., als die Rechtfertigung des Staates heraus; i.d.S. auch R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 298 f.; L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 203 ("Die wohlgeordnete Freiheit" besteht in der Einheit aller Handlungen unter allgemeinen Gesetzen und bedeutet dasselbe wie Sittlichkeit). 210 Dazu S. 312; 5. Teil, 7. Kap., S. 427 ff.; auch 5. Teil, 1. Kap., S. 256 ff.; insb. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, passim. I.d.S. der Einheit von äußerer und innerer Freiheit versteht J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 560, Autonomie ("Autonom handeln heißt also nach Grundsätzen handeln, denen man als freies und gleiches Vernunftwesen zustimmen würde und die man in diesem Sinne auffassen soll"), also als formale Freiheit, im

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

295

R e c h t 2 1 1 , kann die Freiheit nicht verletzen, w e i l Freiheit die W i l l e n s a u t o n o m i e jedes Bürgers ist. D e r A u t o n o m i e l e h r e Kants ist es nicht adäquat, v o n der "Rechtsordung" als d e m gesetzlichen Schutz der "äußeren Freiheitssphäre", als "Schutzzone" zu sprechen. I n diesem Sinne meint Günther "Hegels

Maluschke,

K a n t "antizipiere"

B e g r i f f des Eigentums als einer äußeren Sphäre der F r e i h e i t " 2 1 2 .

Das k l i n g t w i e eine liberalistische D o k t r i n 2 1 3 , die durch ihren n o t w e n d i g ( r ä u m l i c h ) materialistischen Sphärenbegriff H a n d l u n g e n erlaubt, die rechtens sind, ohne d e m W i l l e n des v o n der H a n d l u n g Betroffenen zu entsprechen. D e r B e g r i f f Sphäre trägt als Rechtsbegriff ohnehin nicht zur K l a r h e i t bei. E i n Recht zur W i l l k ü r i m Rahmen der Gesetze entspricht d e m B e g r i f f der äußeren Freiheit Kants Willkür,

..."

214

nur,

als "Unabhängigkeit v o n eines anderen nötigender wenn

es

auf

allgemeinen

Gesetzen

beruht,

also

Gegensatz zu dem materialen Freiheitsbegriff, in dem er "Freiheit" "als ein Gefüge von Rechten und Pflichten, die durch Institutionen festgelegt werden" begreift (S. 270 f.); das sind auch für J. Rawls "verschiedene Freiheiten", die richtigerweise Freiheitsrechte oder Rechte sind (dazu 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff.). Das Verhältnis von Freiheit und Gesetz, dem Kant die volle Aufmerksamkeit geschenkt hat (dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 304 ff.), bleibt bei Rawls begrifflich ungeklärt (S. 265 ff. zur "Gesetzesherrschaft"), weil die Frage nach der Repräsentation nicht näher erörtert wird. Vielmehr begnügt sich Rawls mit der Erörterung der Mehrheitsregel (S. 392 ff.), βτ gibt einen gegenständlichen Begriff der Gesetze ("Ein Gesetzessystem ist ein System öffentlicher Zwangsregeln, die sich an vernunftbegabte Menschen wenden, um ihr Verhalten zu regeln und einen Rahmen für die gesellschaftliche Zusammenarbeit zu schaffen", S. 266 ff.) und sieht die "Übereinkunft vernünftiger Menschen, sich die größtmögliche gleiche Freiheit zu sichern" durch "den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit" (S. 271 u.ö.) erfüllt, nicht aber notwendig durch Gesetze dieser Menschen, eine Lehre, zu der ein materialer Freiheitsbegriff führt. Rawls lehrt freilich die "konstitutionelle Demokratie" (S. 223, 252, 275 f.), so daß das Volk und damit die Mehrheit, der Gesetzgeber, also der Herrscher, und somit das Problem des Mehrheitsprinzips zu bewältigen ist (S. 392 ff.), das Rawls republikanisch im Sinne eines "idealen Verfahrens" zu mildern bemüht ist (Minderheitenschutz, Kommunikationsfreiheit, "vernunftgeleitete Abgeordnete", " unparteiischer Gesetzgeber", kein "Interessenkampf"ideale Diskussion", "Schleier des Nichtwissens"); Kritik daran, daß Rawls Kants "Unterscheidung von Recht und Tugend" nicht aufnehme, äußert O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 329, vgl. auch S. 306 ff. 211 Zum allgemeinen Gesetz Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; zum Verhältnis der Gesetze zum Recht Hinweise in Fn. 133, S. 281; 9. Teil, 7. u. 10. Kap., S. 978 ff., 1027 ff. 212 Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 117, 119, 120, für das Eigentum; auch S. 129, 130. 213 Dazu 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff., insb. 6. Teil, 3., 5., 6. u. 9. Kap., S. 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff. 214 Metaphysik der Sitten, S. 345

296

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

freiheitlich/autonom begründet ist 2 1 5 . Richtig erfaßt dagegen Maluschke das "Kantische Rechtsprinzip als Abwehrprinzip" 2 1 6 , wenn er damit meint, daß jeder Eingriffe anderer in seine Freiheit abwehren dürfe. Derartige Eingriffe sind die Handlungen, die der äußeren Freiheit als der "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" (Kant) 211 widersprechen, wenn und weil sie gegen oder ohne den Willen des anderen vollzogen werden. Der Unterlassungsanspruch des Menschen gegen derartige Handlungen, die auf ihn einwirken 2 1 8 , ohne daß er sie will, folgt der Logik der Freiheit und hat seinen gesetzlichen Ausdruck vor allem in den §§ 823, 1004 BGB gefunden. Der allgemeine Wille ist in den allgemeinen Gesetzen beschlossen. Im Streit muß der Richter, wenn die Gesetze den Fall nicht durch bloße Interpretation und Subsumtion zu entscheiden erlauben 219 , eine praktisch vernünftige Lösung des Konflikts, funktional rechtsetzend 220 , finden; denn die unerlaubte Handlung ist nur verboten, wenn und weil sie "widerrechtlich" ist. Keinesfalls führt diese Überlegung zur Dogmatik eines Abwehrrechts der Bürger gegen die Gesetze des Staates, um eine staatsfreie Sphäre zu schützen 221 . Im Gegenteil können die Bürger eine Gesetzlichkeit verlangen, welche die allgemeine Freiheit Wirklichkeit sein läßt. "Die Gerichte müssen bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen Rechtsgrundlagen ableiten, die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind. Das gilt auch dort, wo eine gesetzliche Regelung, etwa wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht, notwendig wäre (...). Nur so können die Gerichte die ihnen vom Grund-

215 Dazu S. 320 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 374 ff.); zur Einheit privater und politischer Autonomie J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff, insb. S. 123. 216 Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 129 217 Metaphysik der Sitten, S. 345. 218 Dazu S. 318 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 5. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 346 ff., 370 ff.; 6. Teil, 6. Kap., S. 478 ff. (insb. S. 479 ff.). 219

Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 894 ff., 897 ff. Zum Richterrecht, zu dessen Notwendigkeit, dessen Grenzen und dessen Legitimation 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. mit Fn. 106; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff., insb. 864 ff., mit Fn. 245, 246; vgl. auch die Hinweise zur Funktion der Rechtsprechung in Fn. 76, 5. Teil, 2. Kap., S. 267 ; vgl. insb. BVerfGE 66, 116 (138); 81, 242 (256); BVerfGE 84, 212 (228 f.). 220

221 Dazu 6. Teil, 1., 3., 5., 6. u. 9. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff.; auch 3. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 9. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 819 ff. (insb. S. 822), 932 ff.; so aber G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 129.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

297

gesetz auferlegte Pflicht erfüllen, jeden vor sie gebrachten Rechtsstreit sachgerecht zu entscheiden." - BVerfGE 84, 212 (226 f.) 2 2 2 IV. Glücksgerichtete Zweckverwirklichung und freies Handeln Freisein ist menschenwürdiges Leben auch im Besonderen. Es gibt kein (freies) Handeln ohne (materiale) Zwecke 2 2 3 . "Menschliche Handlung ist Ausübung der Zwecktätigkeit." - Hans Welzel m "Eine jede Handlung hat also ihren Zweck und, da niemand einen Zweck haben kann, ohne sich den Gegenstand seiner Willkür selbst zum Zweck zu machen, so ist es ein Akt der Freiheit des handelnden Subjekts, nicht eine Wirkung der Natur, irgend einen Zweck der Handlungen zu haben. ... Keine Handlung kann zwecklos sein." - Kant 125 Die Zwecke sind die besonderen Interessen der Menschen, die jeweiligen Materialisierungen ihres selbst- und alleinbestimmten Wegs zum Glück 2 2 6 . Die Zwecke sollen pflichtgemäß sein 227 . Das gilt auch für das sogenannte Unterlassen. Dieses ist Handeln, welches eine Pflicht, nämlich die, in bestimmter Weise zu handeln, mißachtet. Wer ein Handeln pflichtwidrig unterläßt, hat seinem Handeln pflichtwidrige Zwecke gesetzt. Kausalität hat nur das Handeln 228 . Das Unterlassen möglichen Handelns ist selbst Handeln, nur eben ein anderes Handeln, als es auch möglich wäre. Menschliches Leben ist, jedenfalls unter rechtlichen Aspekten, Handeln. Unterlassen ist pflichtwidriges Handeln, dessen Eigenart in der juridisch und/oder moralisch

222

I.d.S. schon BVerfGE 81, 242 (256). Kant, Metaphysik der Sitten, S. 514 f., 519 f.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 144 ff.; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 66 ff.; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 296 ff.; L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 94, 115; G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 117; dazu K. Larenz, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 1967, S. 68 ff.; der auch "zweckfreies und unbedachtes Tun eines Menschen" zu erkennen glaubt, aber kein willenloses Verhalten; das ist widersprüchlich, richtig die finale Handlungslehre von H. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 33 f. 224 Das Deutsche Strafrecht, S. 33. 225 Metaphysik der Sitten, S. 514 bzw. S. 515. 226 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 54 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 216 ff.; 5. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 350 ff., 370 ff.; 7. Teil, 5. u. 6. Kap., S. 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 660 ff. 227 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 514 f., 519 ff.; dazu R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 297 ff. 228 Η Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 200 ff.; G. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1983, S. 637 ff.; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Bd., 1989, S. 173; R.-D. Herzberg, Unterlassung im Strafrecht, 1972, S. 170 ff.; Λ. Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 46 ff., 57 ff., 201 ff. 223

298

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

pflichtvergessenen Zwecksetzung der Handlung(en) liegt. Während eine Handlung empirisch beschrieben werden kann, läßt sich eine sogenannte Unterlassung nur dadurch feststellen, daß die Handlungen des Menschen daraufhin untersucht werden, ob sie alle Handlungspflichten erfüllt haben. Darum ist der kategorische Imperativ als Handlungsaufforderung: "Handle so, ...", ebenso wie das Prinzip der Moralität: "Handle pflichtgemäß, aus Pflicht", formuliert 229 . Der meist gebrauchte Ausdruck "Verhalten", der Tun und Unterlassen zusammenfassen soll 2 3 0 , weicht der exakten Analyse menschlichen Lebens aus. Er unterscheidet insbesondere nicht die empirische und die normative Seite freiheitlichen Handelns. Immer bleibt das Handeln und damit auch das freiheitlich relevante sogenannte Unterlassen zweckgerichtet. Die Zwecksetzung ist der eine Teil des Handelns. Der andere Teil des Handelns ist der Zweckvollzug 2 3 1 . Die empirisch mit jeder Handlung verbundene subjektive, also selbstbestimmte, Zwecksetzung, das besondere Interesse 232 , folgt einer Maxime des Handelns. Die Maxime besagt, wie der Mensch handeln will. "Maxime aber ist das subjektive Prinzip zu handeln, was sich das Subjekt selbst zur Regel macht (wie es nämlich handeln will)." - Kant 233 Auch diese Maxime bestimmt der Mensch selbst. Das ist seine Willkür. "Eine Willkür nämlich ist bloß tierisch (arbitrium brutum), die nicht anders als durch sinnliche Antriebe, d.i. pathologisch bestimmt werden kann. Diejenige aber, welche unabhängig von sinnlichen Antrieben, mithin durch Bewegursachen, welche nur von der Vernunft vorgestellet werden, bestimmet werden kann, heißt die freie Willkür (arbitrium liberum), und alles, was mit dieser, es sei als Grund oder Folge, zusammenhängt, wird praktisch genannt." - KanP 4 Frei ist diese Willkür also, wenn die Maxime des Handelns es ausschließt, daß andere Menschen zu einem bestimmten Handeln genötigt werden, das

229

Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 203; ders., Metaphysik der Sitten, S. 521; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 197 ff.; R. Dreier, Recht-MoralIdeologie, S. 301. 230 Etwa H. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 200. 231 H. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 34 ff.; auch Kant, Metaphysik der Sitten, S. 514 f. 232 Vgl. L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 94, auch S. 115; G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 117. 233 234

Metaphysik der Sitten, S. 332. Kritik der reinen Vernunft, S. 675.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

299

nicht deren freier Willkür entspricht; denn Freiheit kann nur allgemein, als Freiheit aller also, gedacht werden, weil sie jedem Menschen zu eigen ist. Das ist die politische Freiheit im eigentlichen Sinne, die Freiheit in der Polis, also die republikanische Freiheit 235 . Wenn der Mensch sich selbst das Gesetz gibt, ist er autonom, frei. Das ist wegen der Freiheit der anderen nur möglich, wenn die anderen sich dasselbe Gesetz geben. Anders ist die allseitige "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" als die äußere Freiheit 236 nicht denkbar. Gesetze sind ihrem Begriff nach allgemein und setzen darum die allgemeine Gesetzgebung, die Gesetzgebung aller, voraus. Die Allgemeinheit der Gesetze ist die Notwendigkeit der allgemeinen Freiheit, weil alle Handlungen allgemeine Wirkung haben 237 . Nur wenn die Maximen des Handelns den Gesetzen entsprechen, kann somit wegen der allgemeinen Wirkung von Handlungen die Nötigung anderer vermieden, also die allgemeine Freiheit verwirklicht werden. Folglich müssen alle Maximen des Handelns gesetzmäßig sein, d.h. eine Grundlage in den allgemeinen Gesetzen finden. "Der oberste Grundsatz der Sittenlehre ist also: handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann. - Jede Maxime, die sich hierzu nicht qualifiziert, ist der Moral zuwider." - Kant 238 Der Mensch strebt nach Glück, nach gutem Leben. Darin schützt ihn die Republik, das freiheitliche Gemeinwesen, das ist ihr Zweck 2 3 9 . "Welches ist das oberste aller politischen Güter? Im Namen stimmen wohl die meisten überein. Glückseligkeit nennen es die Leute ebenso wie die Gebildeten, und sie setzen das Gut-Leben und das Sich-gut-Verhalten gleich mit dem Glückseligsein." - Aristoteles 240

235 Ganz so K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 129, 169, 206 u.ö.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., insb. S. 127 u.ö. 236 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345 237 Dazu S. 318; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 218 ff.); 5. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 346 ff., 370 ff. 6. Teil, 6. Kap., S. 478 ff. (insb. S. 479 ff.). 238 Metaphysik der Sitten, S. 332. 239 D. Starnberger, Das Menschenrecht nach Glück zu streben, S. 131 ff., insb. zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 ("pursuit of happiness" / "Bewerbung um Glückseligkeit", Kant)', ganz i.d.S. J.St. Mill, Über die Freiheit, 1859, S. 21; dazu auch 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f., 242 ff.; 5. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 346 ff.; 423 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 573 ff.; zum Prinzip des eigenen Gesetzes Hinweise in Fn. 226, S. 297. 240

Nikomachische Ethik, S. 58, 1095 a 15 ff.

300

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

"Denn eigene Glückseligkeit ist der Zweck, den zwar alle Menschen (vermöge des Antriebes ihrer Natur) haben, nie aber kann dieser Zweck als Pflicht angesehen werden, ohne sich selbst zu widersprechen. Was ein jeder unvermeidlich schon von selbst will, das gehört nicht unter den Begriff von Pflicht; denn diese ist eine Nötigung zu einem ungern genommenen Zweck. Es widerspricht sich also zu sagen: man sei verpflichtet, seine eigene Glückseligkeit mit allen Kräften zu befördern." Kant 241 Die Vorstellungen des einzelnen Menschen von seinem Glück, seinem guten Leben, bestimmen die Zwecke seiner Handlungen, seine besonderen Interessen. Seine Handlungen sind dem "Prinzip der Selbstliebe" gemäß klug 2 4 2 , wenn sie diese Zwecke zu erreichen erlauben. Pragmatische Imperative raten das zweckgerechte Handeln an 2 4 3 ; vernünftig oder moralisch sind die Zwecke, wenn sie dem Sittengesetz gehorchen. Das gebietet der kategorische Imperativ, das Gesetz der Sittlichkeit 244 . Die jeweiligen Zwecke/Interessen des einzelnen Menschen sind subjekt i v 2 4 5 . Der Mensch bestimmt sie also selbst. In dieser Selbstbestimmung sieht der monarchisch geprägte, konstitutionelle Liberalismus, der die Freiheitslehre unter dem Grundgesetz dominiert, die Freiheit selbst. Danach ist die Freiheit des Menschen das Recht, zu tun und zu lassen, was ihm zu bezwecken beliebt. Das ist die sogenannte allgemeine Handlungsfreiheit, die als materiales, wenn auch offenes Recht begriffen wird 2 4 6 . Wenn alle Menschen gleich frei sind, kann kein Mensch dem anderen das Recht einräumen, glücklich sein, gut leben zu dürfen. Die Menschen können sich nur verpflichten, sich in ihrem Streben nach Glück, nach gutem Leben, so 241

Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 515 f.; dazu ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 47; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 127 ff., insb. S. 133 ff., 145 ff., 218 ff., 230 ff.; ders. Zum ewigen Frieden, S. 250 f.; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 99 ff.; zum Glücksprinzip in der Moral-Theorie Kants H. Lübbe, Dezisionismus in der Moral-Theorie Kants, FG C. Schmitt, 1968, S. 567 ff. 242 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 44 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 128 ff., 146 ff.; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 99 ff., 102 ff. 243 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 45 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 146 ff.; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 87 ff. 244 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 45 ff., 81 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 142 ff., ders., Metaphysik der Sitten, S. 326 ff. 245 G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 117; L.W. Beck, Kants Kritik der praktischen Vernunft, S. 94, 115. 246 Vgl. dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 342; 6. Teil, 1. u. 6. Kap., S. 441 ff., 478 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

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wenig als möglich zu stören, d.h. sich gegenseitig verpflichten, die Freiheit, "dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht" - Kart 241, nicht zu verletzen. Darin liegt der republikanische Schutz des Strebens aller Menschen nach gutem Leben, nach Glück. Der freie Mensch hat das Recht, um des eigenen Glücks, des eigenen guten Lebens, willen, seine Interessen, die Zwecke seines Handelns selbst zu bestimmen, also selbstbestimmt zu handeln. Diese äußere oder negative Freiheit ist sein Recht zur freien Willkür 2 4 8 . "Es wird jedermanns freier Willkür überlassen, welchen Zweck er sich für seine Handlung setzen wolle." - Kant 249 Des einen Willkür kann sich nicht von des anderen Willkür abhängig machen müssen, wenn die äußere Freiheit das Recht zur freien Willkür, d.h. das Recht, die Zwecke des Handelns selbst zu setzen 250 , ist. Darum ist diese äußere, negative Freiheit, wie gesagt, die "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür." - Kant 251 Die freie Willkür aller und damit aller Recht zur freien Willkür, die negative oder äußere Freiheit also, kann nur durch eine allgemeine Gesetzgebung Wirklichkeit finden. Diese allgemeine Gesetzgebung muß, um nicht nötigend, d.h. um nicht herrschaftlich, zu sein, Einigung aller über die richtigen Maximen für das gute Leben aller sein. "Das Sittengesetz als Vernunftprinzip impliziert hinsichtlich jeder möglichen wie jeder wirklichen äußeren Gesetzgebung das Konsensprinzip." Ralf Dreier 252 Eine solche Einigung verwirklicht die Freiheit aller; denn die Zwecke jedes einzelnen sind, wenn sie nur, als Handlungen vollzogen, dem Gesetz nicht widersprechen, selbstbestimmt, welches die Zwecke auch sein mögen. Das allgemeine Gesetz allerdings hervorzubringen, erfordert den guten Willen/

247

Metaphysik der Sitten, S. 345. K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104 ff. mit Hinweisen; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 297. 248

249 Metaphysik der Sitten, S. 511, vgl. auch S. 337 ff. daselbst; vgl. auch ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 144 ff.; i.d.S. W. Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 69; dazu i.d.S. auch R. Dreier, Recht - Moral - Ideologie, S. 296 ff., S. 331 f. 250 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 511, auch S. 337, 338, 339; vgl. R. Dreier, Recht-MoralIdeologie, S. 296. 251 Metaphysik der Sitten, S. 345; vgl. auch ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 144 ff., 218. 252

Recht-Moral-Ideologie, S. 300.

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

die praktische Vernunft aller, also die allgemeine innere Freiheit 253 , wenn man so will, den Interessenausgleich 254. Ein Recht zur Willkür 2 5 5 würde die Freiheit noch nicht in ihrem ganzen Begriff erfassen, weil der Begriff der Willkür den anderen Menschen in seiner Gleichheit in der äußeren Freiheit nicht berücksichtigt. Die Willkür bestimmt die Maximen der Handlungen und damit deren Zwecke oder die subjektiven Interessen nach dem Prinzip des eigenen Glücks, unabhängig von der Willkür anderer. Nach Kant gehen von "der Willkür die Maximen" aus 256 ; die Maxime aber ist "das subjektive Prinzip des Wollens" 2 5 7 . Die Willkür des einen kann mit der Willkür des anderen in Widerspruch geraten. Dementsprechend kann der Zweck/das Interesse des einen mit dem Zweck/dem Interesse des anderen unvereinbar sein. Die freie Willkür ist dagegen ohne Widerspruch. Freiheit kann nämlich wegen des gemeinsamen Lebens der Menschen, politisch und damit republikanisch, nur allgemein, d.h. für alle gleich, sein 258 . Einen Widerspruch der Willkür des einen und des anderen muß der Freiheitsbegriff selbst ausschließen. Das freie Handeln aller Menschen muß miteinander vereinbar sein. Alle selbstbestimmten, also freien Zwecke müssen vollzogen werden können. Sonst wäre der Begriff der

253 Dazu 2. Teil, 10. u. 11. Kap., S. 149 f., 153 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 278 ff.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; vgl. auch die Hinweise auf die Sittlichkeit der Rechtserkenntnis in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 254 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 343 f.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 659 f.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1151 f. 255 Die Unverwertbarkeit und Unerzwingbarkeit der inneren Freiheit, der Moralität, rechtfertigt es nicht, die äußere Freiheit als Recht zur Willkür zu definieren (so noch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104 ff.), weil das Recht nur das zur positiven Freiheit, also zur Autonomie, ist. 256 Metaphysik der Sitten, S. 332. 257 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 27, vgl. auch S. 298 und Kritik der praktischen Vernunft, S. 125 (§1 Erklärung); Metaphysik der Sitten, S. 331 ("Die Regel des Handelnden, die er sich aus subjektiven Gründen zum Prinzip macht, heißt Maxime, daher bei einerlei Gesetzen doch die Maximen der Handelnden sehr verschieden sein können."), auch S. 332 (Zitat oben S. 298); dazu Th. Nisters, Kants Kategorischer Imperativ als Leitfaden humaner Praxis, S. 83 ff., 157 ff., der sittliche Maximen von praktischen Gesetzen unterscheiden will, also eine "Klasse nicht moralischer praktischer Gesetze" reklamiert (S. 176 ff.), gegen die Äußerungen Kants, Metaphysik der Sitten, S. 331 f., die Nisters allerdings bei seiner Analyse der "Definitionsversuche des Begriffs 'Maxime' durch Kant" (S. 157 ff.) nicht berücksichtigt. 258

Zur grundsätzlichen fundamentalen Entscheidung für die gleiche Freiheit aller Bürger 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; mit Hinweisen in Fn. 17, 19; weitere Hinweise in Fn. 84, 5. Teil, 2. Kap., S. 269.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

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Freiheit von dem des guten Lebens oder dem des Glücks gelöst, weil das Leben nicht von allen Menschen selbstbestimmt, nach eigenen Zwecken also, gelebt werden könnte. Die Allgemeinheit der äußeren Freiheit aller zwingt zu dem Begriff der inneren Freiheit, der notwendig Imperativisch ist und auf die Form des allgemeinen Gesetzes ("die gesetzgebende Form" (Kant)), des Gesetzes aller, ausgerichtet ist 2 5 9 . Die äußere und innere Freiheit erfaßt der Begriff der Willensautonomie, die politische Freiheit. V.

Das Recht zur freien Willkür, die allgemeine Gesetzlichkeit und die Verwirklichung der Freiheit aller Einem Freiheitsbegriff, der auf das Element der inneren Freiheit verzichtet, muß ein Herrschaftsbegriff korrespondieren. Ohne die innere Freiheit als der Pflicht zur Sittlichkeit kann nur Herrschaft ein Miteinander der Menschen sicherstellen, welches nicht im Chaos, in dem Naturzustand des bellum omnium contra omnes 260 , ausartet. Frieden ist ein solcher Zustand allseitiger Untertänigkeit unter einer Ruhe und Ordnung schaffenden Obrigkeit nicht 2 6 1 . Herrschaft ist das Gegenteil der selbstbestimmten Maximenund Zwecksetzung 262 . Die Hobbessche Konzeption der Freiheit wirkt insoweit liberalistisch, also herrschaftlich, als sie es den Untertanen erlaubt, zu tun und zu lassen, was sie wollen, soweit der Oberherr das zuläßt 263 . Der Hobbessche Freiheitsbegriff ist zwiespältig und hat auch eine republikanische Variante, die sich in seiner Vertretungslehre zeigt. Das Gesetz, welches der Oberherr gibt, ist das Gesetz jedes Bürgers, dem der Oberherr durch das Gesetz kein Unrecht tun kann. Die Übertragung der Gesetzgebung an den Stellvertreter, den Oberherrn, ist die Begründung des Staatlichen. Sie ist für die Wirklichkeit der Freiheit notwendig. Der Stellvertreter herrscht nicht, sondern verwirklicht die allgemeine Freiheit. Das herrschaftliche

259

Zur Form des Gesetzes als Bestimmungsgrund des freien, also sittlichen, Willens oder der praktischen Vernunft, Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 70, 81 ff., passim; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 125 ff., 135 ff., insb., 138 ff., 144 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 318; dazu 5. Teil, 3. u. 6. Kap., S. 282 ff., 410 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 497 ff.; 7. Teil, 1., 4. u. 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; zum allgemeinen Gesetz und zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. 260

Hobbes, Leviathan, S. 151; weitere Hinweise dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. Dazu S. 327; 2. Teil, 2. u. 8. Kap., S. 79 ff., 133 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 192 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 f.; 8. Teil, 2., 3. u. 5. Kap., S. 685 ff., 707 ff., 794 f. 262 Zum Widerspruch von Freiheit und Herrschaft 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 7., 10. u. 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 8. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 263 Leviathan, S. 187 ff., S. 189 f., 193 f., 196. 261

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Element, das Hobbes zu lehren scheint, ist nichts anderes als das Zwangselement der Gesetzlicheit 264 . Ein herrschaftlicher, liberalistischer Freiheitsbegriff 2 6 5 jedoch löst sich von dem Prinzip der Vernunft, weil diese dem jeweils anderen Menschen ungern zugestanden wird. Ein herrschaftlicher Freiheitsbegriff kann dem Friedenszweck des Staates nicht genügen, weil der allgemeine Frieden nicht erreicht ist, wenn der eine sich die nötigende Willkür des anderen gefallen lassen muß, wenn der eine der Zwecksetzung des anderen zu folgen hat. Frieden ist die Wirklichkeit der allgemeinen Freiheit, nicht die Unterwerfung unter die Herrschaft anderer, nicht die Untertänigkeit, sondern die Bürgerlichkeit als die Brüderlichkeit 266 . Die allseitige Autonomie des Willens verwirklicht sich in den allgemeinen Gesetzen. Der Wille gibt die Gesetze 267 . Die Freiheit ist die Autonomie des Willens, "was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d.i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein?" Kant 268 "Denn reine, an sich praktische Vernunft ist hier unmittelbar gesetzgebend." - Kant 269 "..., so ist der Wille nichts anders als praktische Vernunft." - Kant 270 Kant definiert darum in der Kritik der praktischen Vernunft, S. 218: "praktische Freiheit auch durch die Unabhängigkeit des Willens, von jedem anderen, außer allein dem moralischen Gesetze." Der Wille aber wird durch die Willkür, die frei oder unfrei sein kann, gesteuert 271 . Das Recht zur freien Willkür ist also die äußere/rechtliche Frei-

264 Dazu O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 130 ff., 332 ff., 403 ff. u.ö.; ders., Gerechtigkeit als Tausch?, S. 19 ff.; dazu S. 307, 311; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. (insb. S. 551 ff., 553 ff.). 265 Dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff., insb. 3., 5., 6. u. 9. Kap., S. 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 266 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 241 ff. 267 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 332; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 47 ff. 268 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81; vgl. die Fortsetzung des Zitats S. 315. 269 Kritik der praktischen Vernunft, S. 141. 270 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 41; vgl. L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 49 ("Der Wille ist praktische Vernunft.") 27 1 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, passim, inb. S. 59 ff., 63 ff., 71 , 74 ff., 81 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 317 f., 332; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 42 ff., 75 ff. u.ö., sieht als Grund der (Selbst)Verpflichtung nicht die Autonomie, sondern meint, subjektive Rechte seien auf Fremdverpflichtung gestützt.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

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heit, welche Art. 2 Abs. 1 GG schützt, damit der Mensch sich selbst die Gesetze geben kann, die die Zwecke seines Handelns bestimmen sollen. Diese Gesetze müssen um der Allgemeinheit der Freiheit willen das Recht zur freien Willkür aller Menschen wahren, die negative Freiheit aller als die Unabhängigkeit aller von anderer sie nötigender Willkür 2 7 2 . Folglich muß die Gesetzgebung jedermanns das "Sittengesetz", den kategorischen Imperativ, verwirklichen, wie es Art. 2 Abs. 1 GG auch klarstellt. Die Freiheit ist darum nichts anderes als das Recht zur allgemeinen Gesetzgebung, d.h. das Recht des Menschen, sich mit allen anderen Menschen über die Gesetze zu einigen 273 , nach denen alle miteinander leben können, ohne daß einer die anderen zu Zwecken nötigt, die diese nicht wollen. Ohne allgemeine Gesetze, ohne Recht also, d.h. ohne die allgemeine Gesetzgeberschaft, kann die Entfaltung der Persönlichkeit nicht "frei" sein; denn die Handlungen sind durch die Gesetze bestimmt. Wenn die Gesetze nicht freiheitlich sind, ist auch die Entfaltung der Persönlichkeit nicht frei, insbesondere nicht sittlich. Von einem Gemeinwesen der Freiheit kann nicht gesprochen werden, wenn die Gesetze nicht autonomer, d.h. allgemeiner Wille sind. Die Privatheit, welche der Liberalismus als Freiheit identifiziert 2 7 4 , macht nicht schon ein freiheitliches Gemeinwesen aus, zumal die Privatheit mehr oder weniger eingeschränkt oder ausgedehnt werden kann, wenn sie auch als Recht zur Willkür ein unverzichtbares Element des freiheitlichen Gemeinwesens ist, nämlich des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit. Art. 2 Abs. 1 GG umfaßt die (politische) Freiheit als Willensautonomie und die Privatheit. Weil jede allgemeine Gesetzgebung auch die Privatheit regelt, sind beide Elemente des gemeinsamen Lebens, das Staatliche und das Private, notwendig in dem Grundrecht der allgemeinen Freiheit enthalten. Der Staat kann nur die allgemeinen Gesetze geben. Diese

27 2

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345, vgl. auch S. 317 ff., 332 ff.; auch ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81 ff.; ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 489: "Die Freiheit im politischen Verstände ist die Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit"; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 218; zum Mißverständnis von der Freiheit als "Freiheitssphären" oben 6. Teil, 3. u. 5. Kap., S. 454 ff., 466 ff. 273 Ganz so R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 300 (Zum "Konsensprinzip", dazu die Hinweise in Fn. 206, S. 294); J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., insb. S. 127, 135 ff., insb. 154 f., der das als "diskursive Ausübung der politischen Autonomie" erfaßt, auch S. 349 ff. 274 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 6. Teil, 2., 5. u. 9. Kap., S. 449, 466, 501 ff.; auch 3. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; zum liberalistischen Freiheitsbegriff Hinweise in Fn. 265, 5. Teil, 3. Kap., S. 304.

20 Schachtschneider

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

müssen praktisch vernünftig sein, also Privatheit weitestgehend konstituieren 2 7 5 . Das Grundrecht regelt jedoch logisch das allgemeine Gesetz und schützt die Autonomie des Willens; denn das Private kann es nicht regeln, sonst wäre das nicht mehr privat. Freiheit ist somit wesentlich das Recht auf Recht. Recht aber ist die Wirklichkeit der allgemeinen Freiheit durch allgemeine Gesetze als Gesetze aller. Gesetze können dem Handeln des Menschen bestimmte Zwecksetzungen/die Verwirklichung bestimmter besonderer Interessen gebieten oder verbieten. Die Zwecksetzungen sind subjektive Sollgebungen. Die Maximen der Handlungszwecke müssen, wenn die Freiheit aller verwirklicht werden soll, dem Gesetz gemäß sein. Darin liegt keine Freiheitsbeschränkung, weil die Freiheit nicht etwa die Willkür der handelnsimmanenten Zwecksetzung ist, sondern als Willensautonomie die Gesetzgebung für diese Zwecksetzung einschließt; denn "mit der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden," - Kan? 16 Freiheit als Begriff umfaßt somit die allgemeine Gesetzgebung zur Bestimmung der Zweckfestsetzungen aller Menschen für deren Handeln oder, anders formuliert, zum allgemeinverträglichen Ausgleich der besonderen Interessen 277 . Das Handeln ist, wie gesagt, außer Zweckfestsetzung immer auch Zweckvollzug. Nur wenn die Zweckfestsetzung und folglich auch der Zweckvollzug dem Recht, also dem Prinzip der allgemeinen Gesetzlichkeit, entspricht, ist das Handeln Pflichterfüllung und zugleich Freiheitsverwirklichung 2 7 8 . Die "Gesetzmäßigkeit" des Handelns ist die "Legalität". Die "Moralität" der Handlung hängt davon ab, daß die Gesetzmäßigkeit um der Gesetzmäßigkeit willen angestrebt wird (Kant) 119. Die Legalität wird verfehlt, wenn die Gesetze, sofern sie durch ihre Moralität Recht geschaffen haben 280 , mißachtet werden. Die Rechtlichkeit der Gesetze zu fördern, ist

275 Zum Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung Hinweise in Fn. 57, 5. Teil, 2. Kap., S. 264. 276 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 88 f. 277 Dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 659 f.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1151 f. 278 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 514 f., 519 ff. 279 Metaphysik der Sitten, S. 318, auch S. 521; ebenso ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 203; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 197 ff., insb. S. 199; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 301; G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 115 f. 280

Zum Verhältnis der Gesetze zum Recht Hinweise in Fn. 133, S. 281.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

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Sache jedes Bürgers, vor allem ist es Sache der Vertreter des Volkes im Parlament und in den Verfassungsgerichten 281. Handeln verwirklicht als Vollzug von Zwecken nicht notwendig die Gesetze. Das Handeln als solches ist gegenüber der Kategorie Freiheit neutral. Es kann im übrigen Gesetze unabhängig davon erfüllen, ob diese frei oder nicht frei gegeben, ob diese autonom oder heteronom bestimmt sind, ob diese Recht schaffen oder nicht. Die allgemeine Freiheit ereignet sich in der konsensual-repräsentativen Gesetzlichkeit 282 . Die Verbindlichkeit der Gesetze erweist sich empirisch in dem Maße, in dem sie die Handlungszwecke der Menschen bestimmen, also in ihrer Wirksamkeit. Die normative Verbindlichkeit, die Geltung, der Gesetze ist für die allgemeine Freiheit notwendig. Daraus folgt der Grundsatz, daß die Einhaltung des Rechts erzwungen werden darf, ohne daß die Freiheit dadurch verletzt würde. "Das Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden." - Kant 283 Dieser Grundsatz ermöglicht die Staatlichkeit des Gemeinwesens und damit den Frieden 284 . Seine Rechtfertigung aus der Freiheitslehre als "Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit"... "nach dem Satz des Widerspruchs" (Kant) 2* 5 ist grundlegend, bedeutet aber nicht, daß es ohne gesetzliche Zwangsbefugnis keine juridische Pflicht gebe. Die Juridität der Pflichten ist mit der Äußerlichkeit der Handlungen verbunden 286 . Die Sanktionen, die ein Gesetz oder im Rahmen der Gesetze ein Vertrag definiert, um dessen Vollzug bzw. dessen Erfüllung zu sichern, sind eine Frage des richtigen Maßes, nicht eine solche der freiheitlichen Lehre des Rechts überhaupt, die das Problem des Zwanges klären muß 2 8 7 . Kant macht mit dem zitierten Satz die Juridität und damit das Ius nicht davon abhängig, daß das positive Recht zwangsbewehrt ist, sondern klärt die grundsätzliche moralische Befugnis zur Erzwingbarkeit des Rechts unter dem Prinzip der Freiheit 288 .

281

Dazu die Hinweise in Fn. 128, S. 280; auch Fn. 53, 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 263, 265. Dazu die Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; zur Verantwortung der Hüter der Verfassung, insb. des Bundesverfassungsgerichts, für die Rechtlichkeit der Gesetze. 283 Metaphysik der Sitten, S. 338; vgl. auch ders., Über den Gemeinspruch, S. 147 f. 284 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. (insb. S. 551 ff., 553 ff.); auch S. 311. 285 Metaphysik der Sitten, S. 338 f.; dazu G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 126. 282

286 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 318, 508 ff.; G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 115 ff. 287 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 553 ff. 288 Dazu i.d.S. O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 140 ff.

308

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Die Handlungen der Menschen sind dadurch frei, daß die deren Zwecke bestimmenden Gesetze der freien Willkür aller entsprechen. Das ist nur denkbar, wenn die Willkür aller frei, autonom, sittlich ist. Darin liegt die Logik der Selbstzweckhaftigkeit jedes Menschen, seine Subjekthaftigkeit als Person, die Kant in der Zweckformel des kategorischen Imperativs erfaßt 289 . Selbstzweckhaftigkeit jedes Menschen "ist das sittliche Programm der neuen Zeit und aller Zukunft der Weltgeschichte." - Hermann Cohen290 Die allgemeine Autonomie des Willens ermöglicht im (repräsentativen) Konsens das "Reich der Zwecke" (Kant) 291. "Ich verstehe aber unter einem Reiche die systematische Verbindung verschiedener vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze. ... Es gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche der Zwecke, wenn es darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen Gesetzen selbst unterworfen ist." -Kant 292 Unter Menschen ist dieses "Reich der Zwecke" die Republik. Frei ist, wer dem "ethischen Gesetz der Vollkommenheit: Liebe deinen Nebenmenschen als dich selbst" genügt. "Denn alles moralisch-praktische Verhältnis gegen Menschen ist ein Verhältnis derselben in der Vorstellung der reinen Vernunft, d.i. der freien Handlungen nach Maximen, welche sich zur allgemeinen Gesetzgebung qualifizieren, die also nicht selbstsüchtig (ex solipsismo prodeuntes) sein können. ... Die Maxime des Wohlwollens (die praktische Menschenliebe) ist aller Menschen Pflicht gegen einander." - Kant 293 Die Handlungen müssen den Rechts- und Tugendpflichten genügen, um frei, d.h. sittlich zu sein. Sie können aber nur frei sein, wenn die Rechtspflichten autonom begründet sind. Das wiederum setzt die Sittlichkeit der

289

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59 ff., 61, Zitat S. 320; zur Selbstzweckhaftigkeit des Menschen auch S. 318 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 359 f.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 570, 598. 290 Ethik des reinen Willens, 2. Aufl. 1907, S. 303 f. 291

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 66; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 299

f. 292

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 66. Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 587 (die Satzfolge ist verändert), vgl. i.d.S. auch daselbst S. 318; vgl. zum "Gesetz aller Gesetze", auch ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 205 f.; dazu auch S. 277 f., 230, 285 f.; auch 2. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 124 ff., 135 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.; zum Liebesprinzip bei Kant, Th. Nisters, Kants Kategorischer Imperativ als Leitfaden humaner Praxis, S. 239 ff. 293

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

309

Gesetzgebung voraus 294 . Die Tugend ist freilich ihrem Begriff nach nicht erzwingbar 295 . Handlungszwecke des Menschen, die den (rechtlichen) Gesetzen widersprechen, sind empirisch möglich, aber pflichtwidrig. Unrecht zu tun, ist nicht die Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Der Wortlaut ist eindeutig. Handeln wird nicht erst dadurch Unrecht, daß ein Gesetz das Handeln verbietet. Vielmehr ist das Handeln, auch wenn ihm kein positives Gesetz entgegensteht, nicht frei, wenn und weil es dem Sittengesetz widerspricht; denn die Maxime des Handelns könnte, wie ein positives Gesetz erweisen würde, nicht Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein, sofern das positive Gesetz richtig wäre, also Recht schüfe. Auch die Gesetzlosigkeit ist Unrecht; denn es achtet die Freiheit des anderen nicht. Dieses Unrecht ist der Mißbrauch der äußeren Freiheit, des Rechts zur freien Willkür; denn dieses besteht um der Pflicht zur Sittlichkeit willen, also nur, wie Art. 2 Abs. 1 GG klarstellt, nach Maßgabe des Sittengesetzes296. Erst die allgemeinen Gesetze schaffen die Legalität. Im Sinn des republikanischen Regel-Ausnahme-Prinzips begründen erst die allgemeinen Gesetze subjektive Rechte der Privatheit, die dem Einzelnen seinen besonderen Interessen ohne Rücksicht auf die Interessen anderer zu folgen erlauben, also Zwecke zu vollziehen, welche anderen den Vollzug ihrer Zwecke unmöglich machen 297 . Das Unrecht führt allerdings nur zu Rechten anderer, wenn Gesetze oder Verträge diese vorsehen; denn auch die Rechtsfolgen, insbesondere die Sanktionen des Unrechts, bedürfen des allgemeinen Gesetzes 298 . Die Gesetzlosigkeit ist keine allgemeine Erlaubnis zur nötigenden Willkür, sondern eine Lage, in der die Freiheit das Recht auf das allgemeine Gesetz, auf Recht also, begründet. Wenn die Gesetze kein Recht für bestimmte Handlungen bereithalten, muß im Streitfall der Richter funktional gesetzgebend, also auf Grund von Richterrecht, entscheiden. Das Versagen des Gesetzgebers, der eine Gesetzgebungspflicht hat, nämlich die allgemeine Pflicht zur Verwirklichung der Freiheit, entlastet den Staat nicht von der Pflicht, das Recht zu verwirklichen, also Rechtsschutz zu gewähren 299 .

294

Dazu die Hinweise in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265; Fn. 128, Fn. 133, S. 280, 281. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 214 f.; 5. Teil, 2. Kap., S. 265. 296 Dazu S. 289 ff., 318 ff.; 5. Teil, 4. u. 7. Kap., S. 332 ff., 344 ff., 434 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; weitere Hinweise zur Einheit der äußeren und inneren Freiheit in Fn. 130, 5. Teil, 3. Kap., S. 280. 297 Dazu 6. Teil, 6. Kap., S. 489; auch zum Interessenausgleich 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. 298 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 557 f. 295

310

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Keinesfalls klärt der Satz: in dubio pro liberiate, die Rechtslage, weil die Freiheit gerade das allgemeine Gesetz zu beanspruchen das Recht gibt. In der Republik hat niemand das Recht zur Willkür, wenn damit nicht alle einverstanden sind, also nicht ohne allgemeines Gesetz. Freiheit ist kein Recht gegen den Staat, sondern wesentlich das Recht auf alle befriedende, also allgemeine Gesetze. Nur allgemeine Gesetze, also das Recht, ermöglichen Handlungen, die frei sind; denn Handlungen, die dem Recht entsprechen, entsprechen dem Willen aller, der volonté générale. Sie tun niemandem Unrecht 300 . Das Recht ist die Bedingung der Freiheit aller und damit der Freiheit überhaupt, freilich als bürgerliche Freiheit (Rousseau), nicht als "wilde, gesetzlose" Freiheit begriffen. "Der Akt, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat konstituiert, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der ursprüngliche Kontrakt, nach welchem alle (omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d.i. des Volks als Staat betrachtet (universi) sofort wieder aufzunehmen, und man kann nicht sagen: der Staat, der Mensch im Staate, habe einen Teil seiner angebornen äußeren Freiheit einem Zwecke aufgeopfert, sondern er hat die wilde gesetzlose Freiheit gänzlich verlassen, um seine Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d.i. in einem rechtlichen Zustande unvermindert wieder zu finden; weil diese Abhängigkeit aus seinem eigenen gesetzgebenden Willen entspringt." - Kant 301 Noch Kants "Allgemeines Prinzip des Rechts": "Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann etc." 3 0 2 setzt für freie Handlungen das allgemeine Gesetz voraus und läßt es nicht etwa genügen, daß die Maxime einer Handlung sich für eine allgemeine

299

Ganz so BVerfGE 66, 116 (138); 81, 242 (256); BVerfGE 84, 212 (226 ff.) (Zitat oben 5. 296). 300 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432; ders., Über den Gemeinspruch, S. 150; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 35, 41; i.d.S. auch Hobbes, Leviathan, S. 160, 189 ff.; i.d.S. auch Locke, Über die Regierung, S. 19, 67, 101 ff.; dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 386 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 500 ff. 301 Metaphysik der Sitten, S. 434; vgl. so Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22; vgl. auch Locke, Über die Regierung, S. 19, 101 ff.; Hobbes, Leviathan, S. 118 ff. 302 Metaphysik der Sitten, S. 337.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

311

Gesetzgebung qualifiziere. Diese Qualifizierung ist das Kriterium tugendhaften Handelns und gehört zur Ethik 3 0 3 . Das FLecht erfordert das geltende allgemeine Gesetz, den realen allgemeinen Willen. Folgende Sätze aus der Schrift Kants "Über den Gemeinspruch..." klären das: "Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, in so fern diese nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist; und das öffentliche Recht ist der Inbegriff der äußeren Gesetze, welche eine solche durchgängige Zusammenstimmung möglich machen.... Alles Recht hängt nämlich von Gesetzen ab. Ein öffentliches Gesetz aber, welches für alle das, was ihnen rechtlich erlaubt oder unerlaubt sein soll, bestimmt, ist der Actus eines öffentlichen Willens, von dem alles Recht ausgeht, und der also selbst niemand muß Unrecht tun können. Hierzu aber ist kein anderer Wille als der des gesamten Volks (da alle über alle, mithin ein jeder über sich selbst beschließt), möglich: denn nur sich selbst kann niemand unrecht tun." - Kant 304 Die Ethik muß sich mit Maximen begnügen, deren "einschränkende Bedingung" nur "die Habilität zu einer allgemeinen Gesetzgebung" ist, weil die Tugend nicht erzwingbar ist 3 0 5 . Die allgemeine Gesetzlichkeit aber ist erzwingbar und muß erzwingbar sein, wenn ein Gemeinwesen die allgemeine Freiheit, also den Frieden gewährleisten soll 3 0 6 . Keinesfalls genügt die einseitige Tugendhaftigkeit dem Rechtsprinzip. Die allgemeine Freiheit und damit das allgemeine Gesetz ist ohne den allgemeinen gesetzgebenden Willen nicht denkbar 307 . Das "kann" in der Definition des allgemeinen Rechtsprinzips darf nicht verwirren. Es hat seinen Grund darin, daß Kant dieses Prinzip abstrakt formuliert. Demgemäß sagt Kant zur Rechtslehre, um diese von der Tugendlehre, "die nicht die äußere Freiheit, sondern die innere unter Gesetze bringt", zu unterscheiden:

303

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 519 f. Über den Gemeinspruch, S. 144 bzw. 150, vgl. ganz so auch S. 148. 305 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 519 f., 508 ff.; dazu S. 309 mit Fn. 295. 306 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338 f., auch S. 365 f.; ebenso dersÜber den Gemeinspruch, S. 144 f., 148; so auch Hobbes, Leviathan, S. 151 ff., 156 ff.; Locke, Über die Regierung, S. 103 ff.; vgl. oben S. 307 f.; 5. Teil, 2. Kap., S. 265 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 230 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 307 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22 f. (Zitat oben S. 277), 30 ff., 39 ff., 103 f.; Kant, Metapysik der Sitten, S. 432 u.ö.; i.d.S. auch Hobbes, Leviathan, S. 118 ff.; Locke, Über die Regierung, S. 19, 67, 101 ff.; vgl. dazu zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit und zur allgemeinen Gesetzgeberschaft Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. 304

312

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

"Die Rechtslehre hatte es bloß mit der formalen Bedingung der äußeren Freiheit (durch die Zusammenstimmung mit sich selbst, wenn ihre Maxime zum allgemeinen Gesetz gemacht wurde), d.i. mit dem Recht zu tun." 3 0 8 Weiterhin benennt Kant als "unabtrennliches Attribut" des Staatsbürgers vor der "Gleichheit" und der "Selbständigkeit" die "gesetzliche Freiheit, keinem anderen Gesetz zu gehorchen, als zu welchem er seine Beistimmung gegeben hat." 309 Um es zu wiederholen: Die republikanische/bürgerliche Freiheit setzt allgemeine Gesetze voraus. Freiheitlichkeit ist in der Republik Gesetzlichkeit. Die Gesetze müssen allerdings selbst freiheitlich, d.h. der Willen aller, sein. Das kommt in dem Begriff der Allgemeinheit der Gesetze zum Ausdruck. Nur allgemeine Gesetz sind Gesetze der Freiheit. Durch allgemeine Gesetze sind die gesetzesgemäßen Handlungen frei. Eine Freiheit, gegen die richtigen/allgemeinen/rechtlichen Gesetze zu handeln, schützt kein Grundrecht. Wären die Gesetzgebung und deren Vollzug als solche eine Einschränkung der Freiheit, also freiheitswidrig, so wäre es ein Widerspruch, von einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu sprechen. Empirisch ist die Freiheit genausowenig wie die ihr erwachsenen Gesetze notwendig der bestimmende Aspekt der Handlungen des homo phainomenon, des Menschen, wie er nun einmal ist. Freiheit und Gesetze sollen das sein. Die Freiheit ist als Kausalität der Vernunft oder eben der Freiheit selbst 310 und trotz der Erfahrung des Sollens keine empirische Kategorie, sondern transzendentale Idee 311 . Das zwingt zu dem Imperativischen Charakter sowohl des Sittengesetzes als auch des positiven Gesetzes.

308

Metaphysik der Sitten, S. 509 (Hervorhebung von mir). Metaphysik der Sitten, S. 432 (Hervorhebung von mir); ebenso ders., Zum ewigen Frieden, S. 204; ebenso i.d.S. ders., Über den Gemeinspruch, S. 148, 150; ganz so Hobbes, Leviathan, S. 156 ff., 193 ff.; Locke, Über die Regierung, S. 65 ff., 101 ff.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 30 ff., 39 ff., 103 f. u.ö.; i.d.S. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 151 ff., insb. S. 154. 310 Kant, etwa, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 83, 95; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 141 f., 161, 162, 193 ("intellektuelle Kausalität"); ders., Metaphysik der Sitten, S. 326 ff., 361; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 58 f., 169 f., 177 ff. (zur Auflösung der dritten Antinomie), auch S. 179 ff.; G. Römpp, Moralische und rechtliche Freiheit, S. 293 ff.; dazu 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff.; auch 5. Teil, 4. u. 7. Kap., S. 332 ff., 434 ff. 311 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 385 f., 492 ff.; vgl. auch ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 217 ff., 230 ff.; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 89 ff., 94 ff. (u.ö.); ders., Metaphysik der Sitten, S. 331 ff., 347, 361; dazu 5. Teil, 1., 4. u. 7. Kap., S. 253 ff. (insb. S. 256 ff.); 332 ff., 434 ff.; Kant unterscheidet die Freiheit im praktischen Verstände von der in "transzendentaler Bedeutung", Kritik der reinen Vernunft, S. 674 f. 309

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

313

Zugleich wird daraus klar, daß sich Freiheit auf die allgemeine Gesetzgebung bezieht. Eine Handlung ist erst in dem Maße frei, als der Handlungszweck dem Gesetz entspricht. "Kants wichtigste Entdeckung ist, daß das Gesetz nicht eine bloße Beschränkung der Freiheit, sondern selbst ein Produkt der Freiheit ist." ... "Dies ist Kants kopernikanische Wendung in der Ethik.", seine "Rousseauistische Wende." - Lewis White Beck 312 VI.

Formalität der allgemeinen Freiheit als Selbstzweckhaftigkeit jedes Menschen, nicht Materialität einer allgemeinen Handlungsfreiheit als des Untertanen als Recht zur Beliebigkeit

1. Das politische Element der menschlichen Handlung ist die ihrer Zwecksetzung innewohnende Maxime, weil diese Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein können soll. Das gebietet das Sittengesetz als das Prinzip des Politischen einer Republik 3 1 3 . Die politische Freiheit in diesem Sinne, also die Freiheit zur Gesetzgebung, schützt Art. 2 Abs. 1 GG 3 1 4 . Dieses Grundrecht garantiert nicht etwa das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit, sondern das auf "freie" Entfaltung derselben und zwar nach Maßgabe des Sittengesetzes. Darum gibt es keine "allgemeine Handlungsfreiheit", die material begriffen werden könnte und benannte oder unbenannte Freiheiten als irgendwelche Handlungsweisen mit irgendwelchen Handlungszwecken schützt 315 . Ein solcher Freiheitsbegriff stellt republikwidrig die Freiheit und das Recht gegeneinander und verweigert dem Volk entgegen Art. 20 Abs. 2 GG die Ausübung der Staatsgewalt, den Bürgern die Bürgerlichkeit. Er entpolitisiert die Bürger und verschiebt die Staatsgewalt des Volkes auf die Obrigkeit, im Parteienstaat auf die Parteien-

312

Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 172, 189. Zum Begriff des Politischen 2. Teil, 3. u. 7. Kap., S. 89 f., 132 f.; 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 749 ff. (C. Schmitt). 314 Zum Begriff der politischen Freiheit 1. Teil, 3. Kap., S. 37, 54; 2. Teil, 10. u. 11. Kap., S. 152, 154; 3. Teil, 2. Kap., S. 179, 184, 187; 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 8. u. 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 686 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 315 So aber das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Freiheitslehre; vgl. 5. Teil, 4. Kap., S. 342; 6. Teil, 1. u. 6. Kap., S. 441 ff., 478 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. zur allgemeinen Handlungsfreiheit; 5. Teil, 4. Kap., S. 331 f. mit Fn. 407 zu den "unbenannten Freiheitsrechten", insb. BVerfGE 6, 32 (36). 3,3

314

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

oligarchie 316 . Eine demokratische Grundlage kann das Recht nach einer solchen republikwidrigen Herrschaftslehre nur reklamieren, wenn das demokratische Prinzip des Grundgesetzes zum parteienstaatlichen Mehrheitsprinzip ideologisiert wird, welches es legitimiert, daß eine Minderheit, die Parteienoligarchie nämlich, herrscht 317 . Heteronomie läßt keine Persönlichkeit, schon gar nicht eine freie Entfaltung derselben zu. "Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen (...), woraus dann folgt, daß eine Person keinen anderen Gesetzen, als denen, die sie (entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst gibt, unterworfen ist." - Kan? x * Freiheit ist unter dem Grundgesetz nicht nur dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 nach, sondern ihrem Begriff nach, wenn dieser dem Konzept dieser Verfassung entsprechen soll, das Recht und die Pflicht zur Autonomie des Willens. Art. 2 Abs. 1 GG schützt den Menschen als Gesetzgeber für seine sein Handeln bestimmenden Maximen und damit Zwecke, schützt ihn also als Person 319 , die niemandes Untertan ist 3 2 0 . Dadurch und darin ist die Freiheit formal; denn Formalität ist die Selbstzweckhaftigkeit jedes Menschen 321 oder die Lösung von "allen subjektiven Zwecken" einzelner Menschen, der besonderen Interessen, oder von den "Maximen der Selbstliebe" bei der Gesetzgebung 322 . Formalität erweist sich in der allgemeinen Gesetzlichkeit. Die Materialität des üblichen Freiheitsbegriffs setzt den Menschen der wenn auch eingeschränkten, so doch auch einschränkenden

316

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 4., 5. u. 6. Kap., S. 92 ff., 100 ff., 106 ff.; 3. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 159 ff., 197 f.; 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 637 ff., 685 ff., 772 ff.; 10. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. 317

Dazu vor allem 2. Teil, 5. u. 6. Kap., S. 100 ff., 106 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 10. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff.; weitere Hinweise in Fn. 316, S. 314. 318 Metaphysik der Sitten, S. 329 f.; vgl. i.d.S. auch G. Römpp, Moralische und rechtliche Freiheit, S. 291, 297. 319 Vgl. die Hinweise in Fn. 64, 4. Teil, 2. Kap., S. 217; weitere Hinweise in Fn. 107, 5. Teil, 2. Kap., S. 274. 320 Die staatliche Gesetzgebung ist den Staatsbürgern vorbehalten; dazu 11. Teil, 5. Kap., S. 1202 ff. 321 Zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 75, 5. Teil, 2. Kap., S. 266; zur Selbstzweckhaftigkeit des Menschen S. 318; 9. Teil, 7. Kap., S. 981; i.d.S. G. Römpp, Moralische und rechtliche Freiheit, S. 288 ff., 297 f., der den Zusammenhang von Personalität und der Formalität des guten Willens herausstellt. 322

Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 125 ff., 128 ff., 135 ff., 138 ff., 144 ff.; zur Selbstliebe und eigenen Glückseligkeit L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 99 ff., 102 ff., 117 ff.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

315

Herrschaft derer aus, die das gemeine W o h l gegen die Z w e c k e der E i n z e l nen durchzusetzen die Aufgabe haben. 2. A u c h i n der Formel: "Jeder kann (oder darf) tun und lassen, was er w i l l " , w e l c h e üblicherweise als die Freiheit nach d e m Grundgesetz ausgegeben w i r d 3 2 3 , weist das W o r t " w i l l " z u m

richtigen

Verständnis, w e n n aufgegrif-

fen w i r d , daß der W i l l e die Gesetze g i b t 3 2 4 . Es heißt eben nicht: Jeder darf nach Belieben tun oder lassen 3 2 5 . M e i s t w i r d freilich die republikanische Identität v o n Freiheit u n d Gesetzlichkeit verkannt. "..., was kann denn w o h l die Freiheit des W i l l e n s sonst sein, als A u t o n o mie, d. i. die Eigenschaft des W i l l e n s , sich selbst ein Gesetz zu sein? D e r Satz aber: der W i l l e ist i n allen H a n d l u n g e n sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Prinzip, nach keiner anderen M a x i m e zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz z u m Gegenstande haben kann. Dies ist aber gerade die F o r m e l des kategorischen Imperativs u n d das Prinzip der Sittlichkeit: also ist ein freier W i l l e u n d ein W i l l e unter sittlichen

Gesetzen einerlei."..."Freiheit

und unbedingtes

Gesetz weisen also wechselweise auf einander zurück." -

praktisches Kant 126

323 Insb. BVerfGE 6, 32 (36), dazu kritisch 6. Teil, 1. u. 8. Kap., S. 441 ff., S. 494 ff; auch 6. Teil, 5., 6. u. 9. Kap., S. 466 ff., 478 ff., 501 ff.; i.d.S. auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 265 ff., 270, der damit die innere Freiheit außer acht läßt und die Gesetze nur mit der (zu Recht) kommunikationstheoretisch (S. 251 ff., 254 ff.) moderierten Mehrheitsregel bei prinzipiell gleicher Teilnahme aller an der Gesetzgebung (S. 251 ff.) rechtfertigt (S. 392 ff.). Rawls definiert Freiheit a.a.O., S. 270 so: "Freiheit ist ein Gefüge von Rechten und Pflichten, die durch Institutionen festgelegt werden. Die verschiedenen Freiheiten geben etwas an, was wir tun dürfen, wenn wir wollen, und woran uns, falls es dem Sinn dieser Freiheit entspricht, andere nicht hindern dürfen". Damit wird die Sinnhaftigkeit des Freiheitsgebrauches der Entscheidung Dritter ausgeliefert und die innere Freiheit verfehlt. Die Definition ist die von Rechten, deren innere Grenze das Verbot ihres Mißbrauches ist. Vor allem klärt dieser Freiheitsbegriff nicht, inwiefern die Rechte und Pflichten freiheitlich begründet sind, also auf Gesetzen der Freiheit beruhen. Mit dem "Grundsatz der Gesetzmäßigkeit,"... "der seine Grundlage in der Übereinkunft vernünftiger Menschen hat, sich die größtmögliche gleiche Freiheit zu sichern", ist das, so richtig dieser den Zweck des Staates definierende Grundsatz ist, nicht auf den Begriff gebracht. Das leistet nur der Begriff der inneren Freiheit, die Pflicht zur Sittlichkeit (dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3., 4. u. 7. Kap., S. 275 ff. (insb. S. 289 ff., 301 ff., 318 ff.), 332 ff., 431 ff.; 6. Teil, 8. u. 9. Kap., S. 494 ff., 509 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.), die Rawls als den Gerechtigkeitssinn (S. 493 ff., 513 ff.) und als Prinzip der Menschenliebe (S. 517 u.ö.) erfaßt. Ohne die dualistische Begrifflichkeit Kants wird eine Lehre von der Freiheit fragwürdig, eine "Theorie der Gerechtigkeit" hat ohnehin keine hinreichende empirische Grundlage. 324

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 332, dazu das folgende Zitat u. 5. Teil, 3. Kap., S. 293

325

Vgl. dazu Kant, Metaphysik der Sitten, S. 317.

ff.

316

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Kant klärt: "Die Freiheit der Willkür aber kann nicht durch das Vermögen der Wahl, für oder wider das Gesetz zu handeln definiert werden - wie es wohl einige versucht haben -, obzwar die Willkür, libertas indifferenti ae, als Phänomen davon in der Erfahrung häufige Beispiele gibt. ... Die Freiheit, in Beziehung auf die innere Gesetzgebung der Vernunft, ist eigentlich allein ein Vermögen; die Möglichkeit, von dieser abzuweichen, ein Unvermögen." 327 Locke hatte die Freiheit in wesentlichen Aspekten nicht anders konzipiert als Kant: "Die Freiheit des Menschen in der Gesellschaft bedeutet, daß er keiner anderen gesetzgebenden Gewalt untersteht als der durch Übereinkunft in dem Staatswesen begründeten noch unter der Herrschaft eines Willens oder der Beschränkung irgendwelcher Gesetze als lediglich derjenigen, die von der Legislative gemäß dem in sie gesetzten Vertrauen beschlossen werden. Freiheit ist folglich nicht...: die Freiheit eines jeden, zu tun, was ihm beliebt, zu leben, wie es ihm gefällt, und durch keinerlei Gesetze gebunden zu sein, sondern: Die Freiheit des Menschen unter einer Regierung bedeutet, unter einem feststehenden Gesetz zu leben, welches für alle in jener Gesellschaft gültig ist und der in ihr errichteten Legislative geschaffen wurde. Es ist die Freiheit, überall dort meinem eigenen Willen zu folgen, wo jene Regel nichts vorschreibt; und nicht dem unbeständigen, ungewissen, unbekannten, eigenmächtigen Willen eines anderen Menschen unterworfen zu sein - so wie die natürliche Freiheit bedeutet, keiner anderen Einschränkung unterworfen zu sein als der des Naturgesetzes." - Locke 328 Die Einheit von Freiheit und Gesetzlichkeit hat Locke klar herausgestellt: "Denn der Begriff des Gesetzes bedeutet im Eigentlichen nicht so sehr die Beschränkung, sondern vielmehr die Leitung des frei und einsichtig Handelnden in seinem eigenen Interesse, und seine Vorschriften reichen nicht weiter, als sie dem allgemeinen Wohl derer, die ihm unterstehen, dienen. So ist das Ziel des Gesetzes, mag es auch mißverstanden werden,

326 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81 f.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 139, vgl. auch i.d.S. S. 125 ff., 138 ff., 144 ff. u.ö.; ebenso i.d.S. ders., Metaphysik der Sitten, S. 318, 332 ff. (wo Kant von "freier Willkür" spricht); vgl. dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 169 ff., auch S. 172, 187 ff. 327

Metaphysik der Sitten, S. 332 f.; auch die Sätze zwischen diesen Zitaten lohnen das Studium. 328 Über die Regierung, S. 19.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

317

nicht, die Freiheit abzuschaffen oder einzuschränken, sondern sie zu erhalten und zu erweitern. Denn bei allen Geschöpfen, die zu Gesetzen fähig sind, gilt: Gibt es kein Gesetz, so gibt es keine Freiheit. Freiheit nämlich bedeutet frei sein von Zwang und Gewalttätigkeit anderer, was nicht, wie man uns sagt, die Freiheit für jeden, zu tun, was ihm einfällt (denn wer könnte frei sein, wenn ihm die Laune jedes anderen tyrannisieren dürfte), sondern die Freiheit innerhalb der erlaubten Grenzen jener Gesetze, denen er untersteht, über seine Person, seine Handlungen, seinen Besitz und sein gesamtes Eigentum zu verfügen, damit zu tun, was ihm gefällt, und dabei niemandes eigenmächtigem Willen unterworfen zu sein, sondern frei dem eigenen folgen zu können." Locke 329 Die Gesetze der "bürgerlichen Gesellschaft" begreift Locke "als seine eigenen Beschlüsse" des Menschen, der sich mit anderen zu einem "Volk", einer "Gesellschaft" "vereinigt" hat 3 3 0 . "Keine Vorschrift irgendeines anderen Menschen, in welcher Form sie auch verfaßt, von welcher Macht sie auch gestützt sein mag, kann die Verpflichtungskraft eines Gesetzes haben, wenn sie nicht durch jene Legislative sanktioniert ist, die von der Allgemeinheit gewählt und ernannt worden ist. Ohne sie könnte das Gesetz nämlich nicht haben, was absolut notwendig ist, um es zum Gesetz zu machen, nämlich die Zustimmung der Gesellschaft." - Locke 331 Der Liberalismus Lockes und der Republikanismus Rousseaus und Kants, die meist in einen Gegensatz gestellt werden 332 , haben zumindest große Nähe, der hier jedoch nicht nachgespürt werden muß. Der Mensch handelt frei nach "subjektiven Prinzipien", eigenen "praktischen Regeln" seines Willens, also nach "Maximen" 3 3 3 . Das ist seine Willkür, die nur frei ist, wenn er die Allgemeinheit der Freiheit wahrt, wenn die Maximen vernünftig sind; "denn die Freiheit (so wie sie uns durchs moralische Gesetz allererst kundbar wird) kennen wir nur als negative Eigenschaft in uns, nämlich

329 Über die Regierung, S. 43; Locke gibt an dieser Stelle zugleich eine Definition der freiheitlichen Privatheit; dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff. 330 Über die Regierung, S. 67, vgl. auch S. 76, 101. 331 Über die Regierung, S. 101. 332 Etwa J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 324 f. 333 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 27, 51 (Definition des Begriffs Maxime); ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 125 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 331 f., 511, 519 f.; dazu (fragwürdig) Th. Nisters, Kants Kategorischer Imperativ, S. 83 ff., 157 ff.

318

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

durch keine sinnliche Bestimmungsgründe zum Handeln genötigt zu werden."- K a n P A Das zweckhafte Handeln im Besonderen hat (im Sinne transzendentaler Kausalität) Teil an der Verwirklichung der Freiheit, indem es wählend die Handlungsmöglichkeiten beschränkt, sich für diesen und nicht für den anderen Zweck entscheidet, das Glück in alleinbestimmter Weise, privat also, sucht 335 . Ohne materiale Zwecke ist freies Handeln nicht denkbar 3 3 6 . Die Verwirklichung der Freiheit ist immer zugleich die Selbstverwirklichung im Sinne der Suche nach dem Glück, freilich im Vertrag mit der Selbstverwirklichung aller anderen 337 . 3. Nur lebt der Mensch i m Gemeinwesen mit anderen Menschen. Darum wirkt sein Handeln sich auf andere Menschen aus. Es ist immer äußeres Handeln, schon weil er anderes Handeln unterläßt. Die Wirkung auf andere ist mit der Existenz des Menschen unter Menschen verbunden. Richtig erfaßte das Bundesverfassungsgericht den Menschen als "gemeinschaftsbezogene/n und gemeinschaftsverpflichtete/n Person/Bürger", als "eigenverantwortliche Persönlichkeit, die sich innerhalb der Sozialgemeinschaft frei entfaltet", als Person also 338 . Daraus folgt der auf den/die Menschen

334 Metaphysik der Sitten, S. 317 ff., 332 f. (Zitat S. 333); ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 489 (auch das Zitat Fn. 272, S. 305); ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 218 (Zitat oben S. 304); ganz so schon Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22 ff; vgl. auch Hobbes, Leviathan, S. 118 ("Freiheit begreift ihrer ursprünglichen Bedeutung nach die Abwesenheit aller äußeren Hindernisse in sich."), auch S. 187 f. im Sinne räumlicher Kategorie; zum negativen Freiheitsbegriff auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 300 ff., 313; L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 169 ff., auch S. 180. 335 In dieser Wahlmöglichkeit sieht W. Henke, Recht und Staat, S. 44 ff., die "unendliche Freiheit", die er ohne immanente Bestimmungen bezüglich der anderen Menschen begreift; zur Selbstliebe als "oberste materiale Maxime" L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 118, 1488; i.d.S. auch R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 298. 336 Dazu S. 297 ff; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 5. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 275 ff., 346 ff., 370 ff. 337 Dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 99 ff., 112 ff. 338 BVerfGE 4, 7, (15); 7, 198 (205); 24, 119 (144); 27, 1 (7); 30, 173 (193); 33, 303 (334); 48, 127 (163); 49, 286 (298); 50, 166 (175); dazu ΚΛ. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 99 ff.; zu dem entsprechenden Personenbegriff Kants, Metaphysik der Sitten, S. 329 f., dazu Hinweise in Fn. 107, 5. Teil, 2. Kap., S. 274.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

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bezogene Handlungsbegriff 339 . U m der allgemeinen Freiheit willen, also ethisch notwendig, muß das Handeln sich auf den Vollzug von Zwecken beschränken, die einer Maxime folgen, die alle frei sein läßt, also die Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein kann. Die besonderen Interessen der Menschen müssen durch Gesetz oder Vertrag ausgeglichen werden 340 . Die Willkür muß frei sein oder, das ist dasselbe, sich dem Sittengesetz unterwerfen. Der "positive Begriff" der "freien Willkür'Vder "Freiheit der Willkür" ist: "das Vermögen der reinen Vernunft, für sich selbst praktisch zu sein. Dieses ist aber nicht anders möglich, als durch die Unterwerfung der Maxime einer jeden Handlung unter die Bedingung der Tauglichkeit der ersteren zum allgemeinen Gesetze." - Kant 341 "Die Möglichkeit, von dieser (sc. "der Freiheit") abzuweichen" ist "ein Unvermögen." - Kanf* 42, nämlich des zum Vernunftwesen, also des zum gemeinsamen Leben in der Republik. In der genannten Formalität erreicht die Maxime die Qualität praktischer Vernunft, eben Sittlichkeit 343 , und damit das Handeln, welches dem praktischen Gesetz folgt, Legalität und gegebenenfalls Moralität. Nicht der Zweck der Handlung als solcher ist auf seine Sittlichkeit hin zu prüfen, sondern die Maxime, die mit der Zwecksetzung notwendig verbunden ist, also die subjektiven Prinzipien, die eigenen praktischen Regeln, die Interessen, deren Gesetzesbedürftigkeit sich aus der Außenwirkung der zweckverwirklichenden Handlung ergibt. Wer einen Zweck/ein Interesse verfolgt,

339

Der juristische Handlungsbegriff ist auf äußeres Handeln zu beschränken; das Verhältnis zum anderen ist dem Rechtsverhältnis begriffsimmanent; ganz so K. Larenz, Allgemeiner Teil, S. 68 ff.; das Handeln ist auf das Politische bezogen, H. Arendt, Vita activa, S. 164 ff.; dazu W. Henke, Recht und Staat, S. 607 ff. (zur Rechtsordnung als Verhältnisordnung); zur Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung N. Achterberg, Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung: Grundlegung der Rechtsverhältnistheorie, 1982; R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 67 ff., 142 ff., auch S. 152 und passim. 340 Dazu S. 343 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 659 f.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1151 f. 341

Metaphysik der Sitten, S. 318, 519; weitere Hinweise in Fn. 326, S. 316. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 333; vgl. dagegen R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 84, der mit Schelling ein "Vermögen des Menschen zum Guten und Bösen" annimmt; ebenso L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 191, der die "böse Willkür" ebenfalls für "frei" hält, S. 192 ff. zum "moralisch Bösen" bei Kant in der ReligionsSchrift. 342

343 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59 ff., 70, 81 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 125 ff., 135 ff., 140 ff., 144 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 318, auch Tugendlehre, S. 511.

320

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

mutet anderen bestimmte Wirkungen zu. Das ist nur erlaubt, wenn diese Wirkungen allgemein akzeptiert sind, d.h. einem Gesetz aller entsprechen. 4. Die Sittlichkeit ist zugleich der Gegenstand der Tugendpflichten der Tugendlehre: "Eigene Vollkommenheit - Fremde Glückseligkeit." 344 Dafür spricht, daß die immer zu verwirklichende "fremde Glückseligkeit" nichts als die Freiheit des anderen ist, also das allgemeine Gesetz erfordert. Das sieht Wolfgang Kersting anders 345 , dem darum die ethische Einheit von innerer und äußerer Freiheit, von Tugendlehre und Rechtslehre Probleme bereitet, obwohl doch beide zur Pflichtenlehre gehören 346 . "Nur ein Zweck, der zugleich Pflicht ist, kann Tugendpflicht genannt werden. Das oberste Prinzip der Tugendlehre ist: handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann." - Kant 347 Dieses Gesetz der inneren Freiheit, diese Tugend, setzt die äußere Freiheit voraus und verwirklicht sie zugleich. Kant bringt den aus der Freiheit folgenden kategorischen Imperativ 348 auf die Formel, mit welcher Günter Dürig der Sache nach das grundgesetzliche Menschenwürdeprinzip kommentiert, die sogenannte Objektformel 349 besser: Subjektformel: "Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest." - Kant 350 344

Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 515 ff. Wohlgeordnete Freiheit, S. 75 ff., 84 ff., der m.E. den Begriff der Maxime nicht berücksichtigt, vgl. dazu Fn. 271, S. 304. 346 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 508. 347 Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 512 bzw. 526. 348 Insbesondere in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, insb. S. 28 ff., 41 ff., 51 ff., 81 ff., passim; auch ders., Metaphysik der Sitten, S. 315 ff., 331 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 138 ff., 140 ff., passim. 349 Hinweise in Fn. 338, S. 318; auch Fn. 64, 4. Teil, 2. Kap., S. 217; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 34 zu Art. 1, Abs. I; ganz i.d.S. vor allem der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts J. Wintrich, Die Bedeutung der "Menschenwürde" für die Anwendung des Rechts, BayVBl. 1957, S. 139; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 313 ff.; P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 836 u.ö.; dazu auch E . Fechner, JZ 1986, 654; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 99 ff. 345

350

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 61; ders. so auch, Kritik der praktischen Vernunft, S. 210. Diese von ihnen zitierte Formel hat K. Stern/M.Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 8 f., nicht vor dem Mißverständnis bewahrt, Kant messe nicht "den (einzelnen) Menschen Würde" zu, sondern nur "der Menschheit schlechthin", einem "objektiven Prinzip"; ihre Berufung

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

321

Die die Freiheit aller berücksichtigenden Maximen des Einzelnen verwirklichen sowohl die allgemeine als auch die besondere Freiheit; denn niemand wird unter solchen Maximen fremdbestimmt. Alle bleiben frei. Allerdings bedarf das des allgemeinen Gesetzes. Das besondere Glück kann es nicht ohne Vergewaltigung von anderen geben, wenn diese, wie meist, dem Glück eines Menschen dienen müssen. Die Einschränkung der Willkür, also die der Maximen, nach denen der Mensch zu handeln sich zur Regel macht 3 5 1 , und damit der möglichen Zwecke, für die sich ein Mensch entscheiden darf, liegt im Begriff der Freiheit selbst 352 ; denn diese ist, weil mit dem, also mit jedem Menschen geboren, für alle gleich und somit allgemein 353 . Diese begriffsimmanente Einschränkung der Freiheit hat Kant selbst als "Einschränkung" angesprochen und in der positiven/inneren Freiheit als Pflicht zur Sittlichkeit entwickelt 354 . Das meint Karl Jaspers, wenn er sagt, die Gesetze verwirklichen und beschränken die Freiheit 355 . Sie beschränken die äußere, das Recht der freien Willkür, und verwirklichen die innere, die Pflicht zur Sittlichkeit, die aber als Autonomie des Willens eine untrennbare Einheit sind. Ein Recht zur Willkür schützt das Grundgesetz nicht als Freiheit, sondern nach Maßgabe der Gesetze als freiheitliche

auf E. Fechner, Menschenwürde und generative Forschung und Technik, JZ 1986, 654 ff., genügt nicht, um Kants Ethik aus dem Grundgesetz zu verbannen, weil Fechner sich ohne nähere Auseinandersetzung gegen die "Kantsche Vernunftslehre" und für die vorkantische "katholische Soziallehre" als für des Bundesverfassungsgerichts und damit das Menschenbild prägend ausspricht, gegen die Entstehungsgeschichte (vgl. 5. Teil, 2. Kap., S. 272 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 542 f.) und insbesondere gegen die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG, ja gegen die gesamte republikanische Verfassung des Grundgesetzes; das Grundgesetz ist nicht katholisch (dazu unten 5. Teil, 4. Kap., S. 343 f.). 351 Zum Begriff der Maxime S. 298 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 230 ff.); 5. Teil, 4. Kap., S. 348 ff. 352 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 329, 338; ders., Idee, S. 409; i.d.S. auch R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 313 ff.; dazu auch 5. Teil, 3. Kap., S. 292 ff. 353 Zur Gleichheit in der Freiheit Fn. 84, S. 269; zur Freiheit als Urrecht 5. Teil, 1., 3. u. 4. Kap., S. 253 ff., 288 ff., 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; so etwa J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, passim, insb. S. 223 ff.; ebenso K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 18 ff.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 147 zu Art. 1 Abs. III GG. 354 Über den Gemeinspruch, S. 148 (Zitat oben S. 311); ders., Metaphysik der Sitten, S. 338; auch ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 146; Kritik der reinen Vernunft, S. 513; vgl. dazu G. Römpp, Moralische und rechtliche Freiheit, S. 301, der darauf hinweist, daß Kant mit Freiheit nicht "unbeschränkte Handlungsmöglichkeiten" meint; dazu 5. Teil, 7. Kap., S. 427 ff.; zur allgemeinen Handlungsfreiheit Hinweise in Fn. 315, 5. Teil, 3. Kap., S. 313. 355 Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 200. 21 Schachtschneider

322

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Privatheit 356 . Eine solche Freiheit wäre, wenn sie nicht unter einem (notwendig herrschaftlichen) Gesetz steht, wie es der Liberalismus ja auch versteht, das Recht, andere zu beherrschen 357 , das Recht zur Despotie. Freiheit ist ihrem Begriff nach praktische Vernunft, allgemeine Gesetzlichkeit 3 5 8 . Auch der Interessenausgleich darf nicht zur Herrschaft entarten. Das verlangt den bestmöglichen Diskurs 359 . Im freiheitlichen, also republikanischen Staat ist jeder Subjekt der Gesetze, auch im repräsentativen Konsens 360 . Jeder ist Bürger, dem nicht (beschränkende) Gesetze gegeben werden, sondern der die Gesetze selbst gibt, freilich mit allen anderen Bürgern zusammen. In dieser Gesetzgebung ist er frei wie alle anderen Bürger auch, die mit ihm die Gesetze geben. Im Freiheitsbegriff der Republik ist die Verwirklichung der besonderen Persönlichkeit in der Allgemeinheit der anderen besonderer Persönlichkeiten, die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit, erfaßt. Die bürgerliche, republikanische ist die politische Freiheit 361 . 5. Wenn ein übergeordneter Staat die Handlungsmöglichkeiten der untergeordneten Gesellschaft durch Gesetze einschränken darf, so ist das eine,

356

Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 385 ff.); weitere Hinweise in Fn. 55, 5. Teil, 2. Kap., S. 263. 357 So in der Tat W. Henke, Recht und Staat, S. 299 ff., 387 ff., 610, sowie im Ergebnis alle, die den Staat als Herrschaftssystem begreifen (oben Fn. 4, 2. Teil, 1. Kap., S. 72 f.; Fn. 85, 2. Teil, 3. Kap., S. 88); denn Herrschaft muß von Menschen ausgeübt werden, ist somit personal. O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 328 ff., 382 ff., passim, sieht umgekehrt in dem sozialen Zwang, zu dem die Konflikte wegen der allgemeinen Freiheit im "allseitigen Vorteil" als "Freiheitsverzicht" führen, die unausweichliche Herrschaft unter Menschen; dazu 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff.; 5. Teil, 7. Kap., S. 428 f., 434 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 20 ff. 358

I.d.S. J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 271, der das Verbot, andere zum Objekt eigener Zwecke zu degradieren, zur Grundlage seiner Gerechtigkeitslehre macht, a.a.O., S. 205 ff.; zu Kant i.d.S. L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 169 ff.; auch G. Römpp, Moralische und rechtliche Freiheit, S. 301 f. 359 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 120 f.; 7. Teil, 5. u. 6. Kap., S. 584 ff., 617 ff.; auch 8. Teil, 1., 2., 3. u. 5. Kap., S. 648 ff., 659 ff., 668 ff., 701, 714 ff., 810 ff.; 9. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 942, 956 ff.; 10. Teil, 4., 7. u. 8. Kap., S. 1086 ff., 1141 ff., 1158 ff. 360 Zur allgemeinen Gesetzgeberschaft Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, S. 266; zum Konsensprinzip Hinweise in Fn. 206, S. 294; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 251 ff., erfaßt das als "Grundsatz der (gleichen) Teilnahme"; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 300; so insb. Hobbes, Leviathan, S. 160 u.ö.; Locke, Über die Regierung, S. 19, 67, 101 ff.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22 f. u.ö.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432, 464; ders., Über den Gemeinspruch, S. 148, 150 u.ö. 361

Dazu Hinweise in Fn. 314, S. 313.

3. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - kantianisch

323

wenn auch konstitutionalistische, so doch hoheitliche Staatlichkeit 362 . Josef Isensee und Wilhelm Henke nehmen dafür den Begriff Republik in Anspruch 363 . Begnügt sich der Mensch mit einem Handeln, das die Freiheit aller anderen nicht antastet, und gibt er zu diesem Zweck mit allen anderen die Gesetze der allgemeinen Freiheit, so ist das republikanische, freiheitliche Staatlichkeit. Die Hoheitlichkeit macht den Menschen zum wahrhaft Betroffenen der Amtsausübung, zum Untertan der Obrigkeit i m Sinne des Römerbriefes des Paulus (13, 1) in Luthers Übersetzung. Die Freiheitlichkeit anerkennt den Menschen als Bürger, denn: "Die eigene Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft ist die Freiheit im positiven Verstände", die "Autonomie des Willens." - Kant ;64 Das Grundgesetz ist Aristoteles, nicht Paulus, und Kant, nicht Treitschke gefolgt 3 6 5 . Die Subjekthaftigkeit jedes Menschen als dessen Würde verbietet es, ihn als Gegenstand, als Objekt staatlichen Handelns zu betrachten. Dieser Grundsatz ist (war jedenfalls) die Grundlage der Freiheitslehre des Bundesverfassungsgerichts 366, die somit kantianisch geprägt ist (zumindest war)

362 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 34; 2. Teil, 1., 2. u. 3. Kap., S. 71 ff., 79 ff., 88 ff.; auch 3. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff.; das hat vor allem E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff., 158 ff., kritisiert; aber auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 150 ff., 154 ff., 335 ff.; auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 536 ff. 363 J. Isensee, Republik, Staatslexikon, Sp. 886 ("Republikanische Dimension der Demokratie: Herrschaft für das Volk"); ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65 ff.; ders., HStR, Bd. III, S. 43; W. Henke, Recht und Staat, S. 610; ebenso R. Marcie, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 89 f., für die naturrechtlich begründete, Gott vertretende Herrschaft der Richter. 364 Kritik der praktischen Vernunft, S. 144; ebenso ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67, 72 u.ö.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 318, 333. 365 Den Gegensatz zwischen Vernunft- und Machtstaat plakatiert mit diesen Namen (zusätzlich zu Aristoteles noch Piaton) W. Eiert, Das christliche Ethos, Grundlinien der lutherischen Ethik, 2. Auflage 1961 (E. Kinder), S. 141. Zu den unterschiedlichen paradigmatischen Beiträgen Piatons und Aristoteles zur Herrschaftslehre O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 222 ff. 366 BVerfGE 5, 85 (204 f.); 48, 127 (163); 49, 286 (298); 50, 166 (175); 63, 133 (143); st. Rspr.; v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Komm., GG, Rdn. 7 zu Art. 1 Abs. 1, S. 30; so vor allem J. Wintrich, der erste Präsident des Gerichts, BayVBl. 1957, 137 ff., 139; P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 821 f., 836, 839; die sog. Objektthese hat G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S. 117 ff., gefördert; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 17 ff., 34 zu Art. 1, Abs. 1.

1

324

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

u n d dies wegen des "ethischen Grundgesetzes" 3 6 7 i m Grundgesetz, d e m Sittengesetz, sein m u ß 3 6 8 . " I c h kann nur frei sein i n d e m Maße, w i e die anderen frei sind." - Karl Jaspers 369 Das ist die L o g i k des freiheitlichen Staates, der R e p u b l i k , die A r t . 2 A b s . 1 G G exakt i n seinem Soweitsatz formuliert hat. Das " M a ß " der Freiheit geben die Gesetze, die aber nur freiheitlich, also Recht sind, w e n n es allgemeine Gesetze, also die Gesetze jedermanns für jedermann s i n d 3 7 0 , w e n n es Gesetze der praktischen Vernunft s i n d 3 7 1 . Sonst wäre die A u t o n o m i e des W i l l e n s als die W ü r d e des Menschen v e r l e t z t 3 7 2 . D i e Verantwortung für seine Freiheit, also für das Recht, trägt das V o l k / d i e Bürgerschaft. Es/sie ist der H ü t e r der praktischen Vernunft und damit der Verfassung, darin v o r a l l e m vertreten durch das Bundesverfassungsgericht 3 7 3 .

367

Η. v. Mangoldt, Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates, JöR, Bd. 1 (1951), S. 57; v. Mangoldt wollte den sittlichen Gehalt der Rechtsnormert zur Geltung bringen, vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 25 zu Art. 2 Abs. 1, S. 168. 368 Grundlegend W. Maihofer, HVerfR, S. 194 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 107 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff.; K. Dicke, Menschenrechte und europäische Integration, S. 101; dazu 2. Kap., S. 259 ff. mit Fn. 36; P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 836, mißt der Dürigschen Objektformel "Selbstand" bei; sie ist eine Kulturleistung des griechisch und christlich geprägten Abendlandes. Wer das Sittengesetz aus der Verfassung eliminiert, wie J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65, kann dem Grundgesetz nicht gerecht werden. Die meisten Staatsrechtslehrer ignorieren diese Grundnorm oder verzerren sie zu einer material verstandenen Sittenklausel; auch noch R Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 21, 27 f., 37, 405, der jetzt in, Ethik "im" Verfassungsrecht, S. 277, den kategorischen Imperativ als grundgesetzlichen Begriff des Sittengesetzes erkannt hat; ders., Die Verwaltung 25 (1992), S. 13. 369 Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 198; dazu auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 538; schon Hobbes, Leviathan, S. 119 f., 151, weist für das Prinzip der Gegenseitigkeit oder besser: Allseitigkeit auf die lex aurea hin; i.d.S. auch Kant, Über den Gemeinspruch, S. 148 (Zitat oben, S. 292 f.). 370 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 40 ff., 113; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432; ders., Zum ewigen Frieden, S. 204; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 153 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff. 371 Dazu Hinweise zur allgemeinen Gesetzgeberschaft und zum Gesetzgebungsstaat in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; zur Sittlichkeit der Gesetzgebung in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265; Fn. 128, 5. Teil, 3. Kap., S. 280. 372 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 138 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 186 ff., 194 ff.; zur Menschenwürde Hinweise in Fn. 92, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; zur Autonomie des Willens in Fn. 208, 5. Teil, 3. Kap., S. 294. 373 Dazu Hinweise in Fn. 53, 5. Teil, 2. Kap., S. 263 für die Bürger; zur Hüterschaft des Bundesverfassungsgerichts 9. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 909 ff. (insb. Fn. 471 ff.), 932 ff., 959.

. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens -

atisch

325

Ein Recht des Einzelnen, welches über die Willensautonomie hinausführte, wäre i m übrigen ein freiheitswidriges Privileg. Rechte kann der Bürger nur aus den Gesetzen herleiten, die die Allgemeinheit der Freiheit wahren. Privatheit als Recht, besondere Interessen zu verfolgen, das besondere Eigene zu entfalten, kann nur auf allgemeinen Gesetzen der Freiheit beruhen, sei es daß derartige subjektive Rechte im Grundgesetz stehen, sei es daß diese vom Gesetzgeber, grundrechtsgeleitet, begründet werden. Jedenfalls ist diese Privatheit nicht Willensautonomie im Sinne der republikanischen Freiheit; denn diese verwirklicht sich nur in den allgemeinen Gesetzen. Die Privatheit ist aber freiheitlich, weil das private Handeln die allgemeinen Gesetze verwirklicht. Insofern bleibt auch die Willkür des Privaten freie Willkür, nämlich gesetzesgemäße Willkür 3 7 4 .

4. Kapitel Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch I. Die Freiheit als formales Urrecht auf Recht Die Grundrechtsdogmatik, die den republikanischen Begriff der Freiheit nicht kennt, differenziert nicht zwischen der grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG als Recht geschützten formalen Freiheit und grundrechtlich geschützten materiellen Rechten, etwa dem Schutz des Rechts auf Leben durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, insbesondere aber den in subjektiver oder objektiver Dimension grundrechtlich gewährleisteten 375 Rechten freiheitlicher Privatheit, die im nächsten Kapitel erörtert werden 376 . Die Freiheit wird, dem liberalen Paradigma gemäß 377 , als (subjektives) Recht, wie es andere Rechte sind, (miß-)verstanden 378 , obwohl sie als Recht einen 374

Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 373 ff.; zur Privatheit auch die Hinweise in Fn. 55, 5. Teil, 2. Kap., S. 263; i.d.S. schon Locke, Über die Regierung, S. 19 (Zitat oben, S. 316). 375 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 831 ff.; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 385; 6. Teil, 1., 2. u. 5. Kap., S. 443 f., 454 ff., 466 ff. 376 Dazu S. 370 ff.; auch 6. Teil, 2. u. 5. Kap., S. 449 ff., 466 ff.; die dualistische Lehre von der demokratischen und der grundrechtlichen Freiheit (dazu 6. Teil, 9. Kap., S. 501; auch 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.) kommt der republikanischen Einheit von politischer Freiheit und freiheitlicher Privatheit nahe. 377

J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 328 ff. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 194 ff., der zwar die Freiheitsproblematik aufzeigt, aber für seine "Grundrechtstheorie" die "rechtliche Freiheit" mit der "rechtlichen Erlaubnis" identifiziert (S. 195) und die "Freiheit einer Person als die Summe ihrer einzelnen Freiheiten" definiert; M. Sachs, in: K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 632 f. (Identifizierung von 378

326

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

besonderen Charakter hat; denn sie ist das Recht auf Recht. N o r m a l e Rechte setzen Gesetze oder (nach Maßgabe der Gesetze) Verträge v o r a u s 3 7 9 , die v e r b i n d l i c h sind. V e r b i n d l i c h k e i t schafft v o r allem die bürgerliche Verfassung 3 8 0 , das Grundgesetz. Das g i l t auch für das grundgesetzliche Recht der Freiheit, welches das vorstaatliche Recht der Freiheit, dessen Verb i n d l i c h k e i t als A p r i o r i der Vernunft aus der Menschheit des Menschen f o l g t , i n die staatliche Verfassung a u f n i m m t , schützt u n d befriedet. Das Widerstandsrecht erlaubt die Verteidigung der bürgerlichen Verfassung, "dieser O r d n u n g " ( A r t . 20 Abs. 4 G G ) des Rechts auf Recht, also die Freiheit381.

D i e R e p u b l i k erfüllt

das Urrecht

auf die bürgerliche

Ver-

fassung u n d schützt die Freiheit als Recht. A u s dem vorstaatlichen, dem apriorischen und damit provisorischen, ethischem Recht w i r d das politische, das

staatliche,

das

gesetzliche,

das

"positive

(statutarische)" 3 8 2 ,

das

peremptorische, juridische, Recht, das Grundrecht, i m Grundgesetz A r t . 1 A b s . 1 S. 1 u n d 2 i n Verbindung m i t A r t . 2 A b s . 1. Das Menschenwürde-

"Freiheiten" und "Grundrechtsbestimmungen"); G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 75 ff., 103 ff., passim, handelt von "konstituierten Freiheiten" und behandelt diese als Rechte; i.d.S. auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1186 ff. ("Grundgesetzlich gewährleistete Freiheit ist daher stets rechtlich gestaltete und begrenzte Freiheit." (S. 1188)); wohl auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 282, S. 114 f., der Freiheit und Freiheitsrecht/Grundrecht nicht klar unterscheidet und, Rdn. 425, S. 164 f., eine "natürliche" Freiheit nicht durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet sieht; differenziert J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 9 ff., 67 ff., der die Freiheit als "Beliebigkeit des Verhaltenkönnens" (S. 14) von dem "Darf-Recht" der Freiheit als "Befugnis" (S. 68, vgl. auch S. 37 ff.) unterscheidet, aber die Freiheit nur als äußere Freiheit begreift; zur Struktur des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 113 ff., auch S. 209 ff., zu Recht kritisch zur Lehre, Art. 2 Abs. 1 GG sei lex generalis gegenüber den speziellen Grundrechten; zum "Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts" R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 80 ff., der, S. 104 ff., freilich bestreitet, daß Art. 2 Abs. 1 GG ein Grundrecht der "allgemeinen Handlungsfreiheit", einen "allgemeinen Freiheitsstatus" gebe, zur Generalität des Grundrechts ebenfalls kritisch, S. 112 ff.; als Rechte versteht Freiheiten auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 223 ff., 230 ff., 271 u.ö., sein Bruch mit Kant. 379 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 338 ff., 379 ff., 385 ff.; 6. Teil, 4. Kap., S. 461 ff.; auch 9. Teil, 1. Kap., S. 821 ff.; insb. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150; Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 168, 1134 a 30 ff. 380 Dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 717 f., 718 ff.; weitere Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266 auch zur bürgerlichen Identität. 381 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 304 ff.; weitere Hinweise in Fn. 73, 5. Teil, 2. Kap., S. 266; zum Widerstandsrecht 4. Teil, 3. Kap., S. 249 f.; 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 ff. 382 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345.

. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens -

atisch

327

prinzip gebietet eine freiheitliche demokratische Ordnung, eine bürgerliche Verfassung, eine Verfassung der Freiheit, also eine Republik. "In der freiheitlichen Demokratie ist die Würde des Menschen der oberste Wert. Sie ist unantastbar, vom Staate zu achten und zu schützen. Der Mensch ist demnach eine mit der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung begabte 'Persönlichkeit'. Sein Verhalten und sein Denken können daher durch seine Klassenlage nicht eindeutig determiniert sein. Er wird vielmehr als fähig angesehen, und es wird ihm demgemäß abgefordert, seine Interessen und Ideen mit denen der anderen auszugleichen. U m seiner Würde willen muß ihm eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner Persönlichkeit gesichert werden. Für den politischsozialen Bereich bedeutet das, daß es nicht genügt, wenn eine Obrigkeit sich bemüht, noch so gut für das Wohl von 'Untertanen' zu sorgen; der einzelne soll vielmehr in möglichst weitem Umfange verantwortlich auch an den Entscheidungen für die Gesamtheit mitwirken." - BVerfGE 5, 85 (204 f.) 3 8 3 Wegen der Grundsätzlichkeit des Zusammenhangs der Würde des Menschen, der Freiheit des Menschen und der Verfassung der Bürgerschaft als Republik, sei das Zitat des Art. 1 der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948, das Grundprinzip des Weltrechts, wiederholt: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernuft und Gewissen begabt und sollen einander i m Geiste der Brüderlichkeit begegnen." "Die 'universal' und kulturspezifisch umrissene 'Kultur der Menschenwürde' und die sie konkretisierende 'Kultur der Freiheit' entfalten deshalb unmittelbar demokratiebegründende Kraft. Sooft, und in Deutschland besonders erfolgreich, Spielarten des Liberalismus, des Positivismus und die den Traditionen des 'bourgeois' bzw. der Leitbilder des dem deutschen Konstitutionalismus verpflichteten Denkens die Demokratie als bloße 'Staatsform' von den Grundfreiheiten unpolitisch trennen wollen, so unmißverständlich muß heute der Zusammenhang zwischen Menschenwürde bzw.. Grundfreiheiten und freiheitlicher Demokratie betont werden." - Peter Häberle m

383 Ganz so P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. I, 1987, S. 845 ff.; i.d.S. auch die Verschränkung des Demokratieprinzips mit dem Diskursprinzip und der Rechtsform, die auf der "politischen Autonomie" gründet, bei J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 151 ff., insb. S. 154. 384 HStR, Bd. I, S. 848, mit Hinweis auf die Demokratie- Denkschrift der EKD vom 1.10.1985.

328

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Das Urrecht der Freiheit ist mit dem Menschen geboren und damit unabhängig von dessen Willen. Die positiven Rechte beruhen auf dem Willen, dem allgemeinen Willen als staatlichen Gesetzen und dem besonderen Willen der privaten Übereinkünfte, insbesondere der Verträge 385 . Kant nennt es: "... das positive (statutarische) Recht, was aus dem Willen eines Gesetzgebers hervorgeht." 386 Alle Gesetze und damit auch die Rechte, die aus den Gesetzen, die der Staat gibt, folgen, sind material. Die Freiheit, das Urrecht, aber ist formal und bleibt es auch im Staat, in dem es material durch ein Grundrecht geschützt wird 3 8 7 . Formalität ist aber nicht Leere, wie Hegel Kant vorgeworfen hat 3 8 8 , sondern nichts anderes als der Ausdruck von Autonomie des Willens auf Grund des Rechts auf allgemeine Gesetzlichkeit, des Rechts auf die Republik/die bürgerliche Verfassung, das jeder Mensch als Mensch, als Person, hat, die Subjekthaftigkeit des Menschen also, seine Würde. Die Freiheit ist (ihrer Idee nach) Wesen des Menschen als Menschen (als homo noumenon) 389 . Die Freiheit ist der Grund, auf dem Recht und Staat gründen, ohne daß sie identisch mit dem sie als Recht schützenden Grundrecht wäre. Die Freiheit liegt allem objektiven Recht und allen subjektiven Rechten zugrunde 390 . Die Formalität der Freiheit bestimmt aber kein Gesetz in seiner Materie. Diese wird vielmehr in den Akten der Gesetzgebung als Erkenntnisse des Rechts beschlossen und entfaltet aus dem Willen des Volkes als der Bürgerschaft allgemeine Verbindlichkeit 391 . Die Freiheit findet also im Staat ihre Wirklichkeit 3 9 2 . Freiheit ist nicht nur, aber, wie gesagt, auch eine rechtliche Kategorie, ja mittels des Staates 385 Zur Verbindlichkeit der Verträge aus dem allgemeinen Willen, also dem allgemeinen Gesetz 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 404 ff. 386 Metaphysik der Sitten, S. 345. 387 Dazu auch 6. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 441 ff.; 449 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 388 Dazu Fn. 124, 5. Teil, 3. Kap., S. 279; auch 5. Teil, 7. Kap., S. 432; 7. Teil, 5. Kap., S. 598 mit Fn. 437; zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 75, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 389 Dazu 5. Teil, 1., 3. u. 4. Kap., S. 253 ff., 290 ff., 332 ff.; auch 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. (Urrecht der Freiheit). 390 Dazu 5. Teil, 1., 3. u. 4. Kap., S. 253 ff., 279 ff., 332 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit Hinweise auch in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. 391 Dazu die Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 392 Dazu 6. Teil, 6. Kap., S. 484 ff; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff., insb. Kap. 4., S. 562 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; insb. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22 f.

. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens -

atisch329

ein (grund)gesetzliches Recht, aber ein formales, nämlich das Recht zur Autonomie des Willens und gemäß den allgemeinen (autonomen) Gesetzen das Recht zur Privatheit als das Recht zur Willkür, ethisch verpflichtet zur Tugend 3 9 3 . Sie ist das Vermögen des Menschen zur Praxis, d.h. das Vermögen, von Imperativen, insbesondere von dem des Sittengesetzes, bestimmt zu werden 3 9 4 . Freiheit ist praktische Vernünftigkeit 3 9 5 . Dieses Vermögen ist auch ein rechtliches Vermögen, nämlich "das Vermögen, andere zu verpflichten"(tfaAzf), d.h. das Vermögen, die anderen, mit denen man zusammenlebt, zur allgemeinen Gesetzgebung oder zur bürgerlichen Verfassung zu verpflichten 396 . Das grundrechtlich geschützte Recht der Freiheit schützt dieses Vermögen des Menschen zur Praxis eben als Recht; es schützt das Recht, sich selbst und zugleich allen anderen das Gesetz als Recht geben zu dürfen. Art. 2 Abs. 1 GG spricht darum von einem "Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit". Ohne allgemeine Gesetze ist allgemeine Freiheit nicht denkbar, auch nicht als Privatheit. Darum sind die Willensautonomie und die Privatheit als Teile der Freiheit in Art. 2 Abs. 1 GG geschützt 397 . In der Republik ist jedes Handeln ohne gesetzliche Grundlage Unrecht, weil es nicht vom allgemeinen Einverständnis getragen ist. Der grundrechtliche Schutz des Rechts der Freiheit macht die Freiheit selbst zu einem Schutzgegenstand des Rechts, eines Rechtsgesetzes, also zu einem Rechtsgut. Die allgemeine Freiheit ist Zweck des Staates 398 und Gegenstand des Rechts. Der Staat dient somit dem Schutz oder eben (als Rechtsstaat/als Republik) der Wirklichkeit der Freiheit. Das Staatliche ist die Gesetzlichkeit als der Versuch der Wirklichkeit der Freiheit und damit des

393 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 308 f., 320 ff.; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 126 ff.; 4. Teil, 2. Kap., 5. 214, 221 f., 230 ff.; 5. Teil, 2. Kap., S. 265. 394 Kant, vor allem: Kritik der reinen Vernunft, S. 488 ff., 495 ff.; dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 315 ff., 318 ff., 434 f.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 56 f.; zur Autonomie des Willens Hinweise in Fn. 208, 5. Teil, 3. Kap., S. 294. 395 Kanu Kritik der praktischen Vernunft, S. 107 ff., 120 ff., 138 ff., 140 ff., 144 ff., 155 ff. 396 Kanu Metaphysik der Sitten, S. 345, 347, 366; i.d.S. ders., Zum ewigen Frieden, S. 203 (Zitat oben S. 291) u.ö.; dazu die Hinweise auf das Recht auf Recht (auf bürgerliche Verfassung) in Fn. 73, 5. Teil, 2. Kap., S. 266; dementsprechend kann freies Handeln moralisch und juridisch legal oder illegal sein, vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, 318 f., 323 ff. 397 Zur freiheitlichen Privatheit 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 6. Teil, 2., 4. u. 5. Kap., S. 449 ff., 461 ff., 466 ff.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1022 ff. 398 Dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 573 ff.; zum Staatszweck weitere Hinweise in Fn. 239, 5. Teil, 3. Kap., S. 299; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 42 ff.; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 98 ff.

330

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Rechts 399 . Auch die Freiheit findet im Gesetz, nämlich dem Grundgesetz, Schutz und wird dadurch zusätzlich ein gesetzliches/staatliches Recht, ohne den menschheitlichen apriorischen Charakter einzubüßen. Sie/es ist als Recht zur Autonomie des Willens das Recht auf (rechtliche) Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens, welches der Staat, d.h. die Bürger und deren staatliche Vertreter, zu achten haben. Dieses Recht steht nicht zur Disposition des Staates und seiner Gesetze. Der Gesetzgeber kann das Prinzip der Gesetzlichkeit nicht aufheben, ohne die republikanische Staatlichkeit aufzugeben. Er würde die Freiheit durch Herrschaft verdrängen und damit seinem Zweck widersprechen 400 . Ein das Prinzip der Gesetzlichkeit aufhebendes Gesetz hätte keinen Geltungsgrund. Ein solcher muß jedoch dem Gesetz zugrundeliegen, wenn es gelten soll. Der Geltungsgrund aller republikanischen Gesetze ist die Freiheit als Autonomie des Willens. Wenn auch nur einem Menschen die Willensautonomie genommen ist, ist das Gesetz nicht mehr sein freier Wille und bindet ihn nicht 4 0 1 . Menschen, denen die Willensautonomie verweigert wird, werden unterdrückt. Herrschaft über die, die nicht wollen, oder über die, denen der (freie) Wille, die Autonomie des Willens als ihre Würde, genommen ist, ist Verfassungsbruch. Nicht minder verfassungsbrüchig ist es, sich der Gesetzlichkeit durch Einigung zu verweigern, die sittliche Pflicht zu verleugnen 402 . Die Pflicht zur Staatlichkeit als allgemeiner Gesetzlichkeit ist allgemein. Die Freiheit als Autonomie des Willens ist wegen ihrer Formalität auch nicht einschränkbar. Nur materiale Rechte sind einschränkbar und veränderbar, wie die Rechte zur Privatheit, weil dieses von den allgemeinen Gesetzen abhängt und notwendig material ist. Die Willensautonomie ist das formale Prinzip des Rechts. Seine Relativierung wäre die Relativierung des Rechtsprinzips.

399 I.d.S. auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 265 ff., 271; auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 324 ff.; dazu zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; zum Verhältnis der Gesetze zum Recht Hinweise in Fn. 133, 5. Teil, 3. Kap., S. 281. 400 Zum Widerspruch von Freiheit und Herrschaft 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 7., 9., 10. u. 11. Kap., S. 124 ff., 139 ff., 145 ff., 153 ff. 401 Zur Verbindlichkeit und zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266; zur Autonomie des Willens in Fn. 208, 5. Teil, 3. Kap., S. 294; i.d.S. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 366. 402 Zur sittlichen, bürgerlichen Pflicht, zur allgemeinen Gesetzgebung beizutragen, 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff. weitere Hinweise in Fn. 70, 128, 5. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 265, 280.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

331

D i e schon herausgestellte Formalität richtiger G e s e t z l i c h k e i t 4 0 3 erweist den Wesensunterschied der Freiheit als A u t o n o m i e des W i l l e n s u n d d a m i t des Rechts zur allgemeinen Gesetzgebung einerseits u n d der auf den allgemeinen Gesetzen beruhenden Rechte andererseits, insbesondere derer zur P r i v a t h e i t 4 0 4 . I n diesem Sinne mag m a n A r t . 2 A b s . 1 G G als M u t t e r grundrecht b e z e i c h n e n 4 0 5 . Das durch dieses Grundrecht geschützte Recht der Freiheit ist nicht als "Auffanggrundrecht"

der generelle,

subsidiäre

Grundrechtstatbestand gegenüber den sogenannten Spezialgrundrechten 4 0 6 . D i e Lehre v o n den sogenannten unbenannten Freiheitsrechten 4 0 7 legt w i e die einer Garantie einer I n t i m - u n d Privatsphäre, insbesondere die eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, durch A r t . 2 A b s . 1 G G 4 0 8 ein monarchisch-liberales, also konstitutionalistisches Freiheitsverständnis zugrunde, welches

seine L e g i t i m a t i o n

im

entwickelten

Parteienstaat

zunehmend

z u r ü c k g e w i n n t 4 0 9 . D i e "unbenannten Freiheitsrechte" sind eine A r t Verfas-

403

Dazu Hinweise in Fn. 74, 5. Teil, 2. Kap., S. 266, zur Formalität der Freiheit; zur Formalität des Gemeinwohls 7. Teil, 4. Kap., S. 573 f.; 8. Teil, 1. Kap., S. 657 ff.; auch 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; 5. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 346 ff., 410 ff. 404 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 386 ff.); auch 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; 6. Teil, 2., 5. u. 6. Kap., S. 449 ff., 466 ff., 478 ff. 405 Kritisch zum materialen Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG als Muttergrundrecht R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 114; vgl. auch /. v. Münch, GG, Rdn. 3 zu Art. 2 GG; kritisch auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1196 f. 406 Im Ergebnis so auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 113 ff., 209 ff.; vgl. zur Problematik auch R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 112 ff., anders die st.Rspr., soweit Art. 2 Abs. 1 GG material als allgemeine Handlungsfreiheit begriffen wird, vgl. die Hinweise bei R. Scholz, a.a.O., in Fn. 178; dazu allgemein und zu den Konkurrenzen im Einzelnen v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 34 ff. zu Art. 2 Abs. 1; nicht unkritisch auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1196 f.; ablehnend auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 425 ff., S. 164 ff. 407 Kritisch W. Schmidt, Die Freiheit vor dem Gesetz. Zur Auslegung des Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, AöR 91 (1966), S. 42 ff., 73 ff.; R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 81 ff., 266 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 425 ff., S. 164 ff. (ablehnend); v. Mangoldt/KleinJStarck, GG, Rdn. 11 f. zu Art. 2 Abs. 1; H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1195 ff., 1208 ff.; etwa BVerfGE 27, 1 (26); 27, 344 (351); 54, 143 (146); 54, 148 (153); 65, 1 (41 ff.), BVerfG NJW 1989, 2525; dazu auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 330 ff., der richtig die unbenannten Freiheitsrechte als durch das "allgemeine Freiheitsrecht" (309 ff.) geschützt sieht, aber wegen der Materialität seines Begriffs der Freiheit, den er "formal-material" nennt ("formal", weil er von der "negativen Freiheit" ausgehe, S. 326), keine substantielle Kritik vortragen kann; zu Recht kritisch und restriktiv gegenüber der Dogmatik von den unbenannten Freiheitsrechten die abweichende Meinung des Richters D. Grimm zum Beschluß des BVerfG v. 6.6.1989, NJW 1989, 2528 ff.( Reiten im Walde). 408 Dazu die Hinweise in Fn. 88, 4. Teil, 2. Kap., S. 223; vgl. H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1195 ff., 1208 ff.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 45 ff.; BVerfG NJW 1989, 2525. 409 Dazu 3. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 3. u. 10. Kap., S. 454 ff., 513 ff.

332

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

sungsgebung des Bundesverfassungsgerichts, das dem Gesetzgeber, also dem Volk, Vorschriften über seine Kompetenzen macht. Das Grundgesetz hat diese Rechte eben nicht genannt. Die Freiheit als Autonomie des Willens ist der Grund, auf dem Recht und Staat gründen, ohne daß sie identisch mit dem sie als Recht schützenden Grundrecht wird. Die Freiheit liegt allem objektiven Recht und allen subjektiven Rechten zugrunde 410 . II.

Die äußere Freiheit als das Recht der Autonomie des Willens, die Materialisierung der Handlungsmaximen durch Rechtsgesetze und die gesetzesbedürftigen Handlungen "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" - Kant 411 verfaßt das gemeinsame Leben und ist damit das eigentliche Prinzip des Politischen in der Republik. Die äußere Freiheit ist das Recht zur Autonomie des Willens als das Recht zur freien W i l l k ü r 4 1 2 und nach Maßgabe der die allgemeine Willensautonomie verwirklichenden Gesetze das Recht zur Privatheit. Die private Willkür ist frei, weil sie legal ist und darum niemandem Unrecht tut. Das Prinzip der Freiheit ist im privaten Handeln verwirklicht, weil die Privatheit auf allgemeinen Gesetzen gründet 413 . Das Recht zur Autonomie des Willens ist das Recht zur gemeinsamen Gesetzgebung. Es ist (auch) Kompetenz, Gesetzgebungskompetenz414. Die Freiheit ist das "einzige, ursprüngliche Recht", das "jedem Menschen kraft seiner Menschheit zusteht," klärt, das sei wiederholt, Kant 415. "Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur." - Kant 416

410

Dazu Hinweise in Fn. 390, S. 328 f. Metaphysik der Sitten, S. 345; ganz so Locke, Über die Regierung, S. 19, 43; dazu Hinweise in Fn. 130, 5. Teil, 3. Kap., S. 280. 412 Zur "freien Willkür" Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 73 f., 75 f.; Metaphysik der Sitten, S. 332 f.; so auch K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 205; vgl. K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 97 ff., 104 ff. 413 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 386 ff.); auch 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff. 414 Zum Kompetenzcharakter der Autonomie des Willens S. 341; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; zu den Grundrechten als negativen Kompetenzen S. 353 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 476 ff.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1030 f. 415 Metaphysik der Sitten, S. 345. 411

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - d o g m a t i s c h 3 3 3

Die Freiheit ist in Art. 2 Abs. 1 GG kantianisch definiert. Freiheit wird geschützt als ein Recht, ist aber i m Grunde ein (transzendentales) Apriori, nämlich die "Idee ... eines Vermögens absoluter Spontaneität" als "Kausalität durch Freiheit" unter dem "moralischen Gesetz" als "einem Faktum der reinen Vernunft" (Kant) 417 . Die Freiheit legt den natürlichen W i l l e n 4 1 8 und das in den Grundrechtsschutz des Art. 2 Abs. 1 GG einbezogene Recht jedermanns zugrunde, sein Glück zu suchen, "the right to pursuit of happiness" (Bill of Rights von Virginia 1776; Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1786), seine Persönlichkeit zu entfalten 4 1 9 , wenn er dabei niemanden schadet 420 . Nur die "freie" Persönlichkeitsentfaltung ist geschützt. Diese Freiheit ist vor aller Privatheit die Autonomie des Willens, also die Autonomie des Willens bei der Entfaltung der Persönlichkeit und somit die Autonomie des Willens im gemeinsamen Leben mit den anderen Menschen; denn nur Autonomie des Willens als die allgemeine Gesetzgebung/als die Gesetzgebung aller ermöglicht die allseitige Freiheit und ist damit die logische Bedingung der allgemeinen Freiheitsgrundrechte 421 . Ohne das Recht zur Entfaltung der Persönlichkeit ist die Willensautonomie ohne mögliche Materialität, die unvermeidbar empirisch bedingt ist 4 2 2 . Das Recht, das eigene Glück zu suchen, also die eigene Persönlichkeit zu entfalten, Interessen zu haben und zu verwirkli-

416 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69; Kritik der praktischen Vernunft, S. 144 ff., 148 ff., 155 ff. 4,7 Kritik der praktischen Vernunft, S. 163 bzw. S. 161, vgl. daselbst S. 141 f., 144 ff., 155 ff., 218 ff., 230 ff.; dazu L.-W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 169 ff., 177 ff., 184 ff.; dazu 5. Teil, 1., 3. u. 7. Kap., S. 256 ff. (insb. Hinweise in Fn. 15), 312 f. (mit Hinweisen in Fn. 310, 311), 435 ff. 418 Dazu Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 144 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 515 ("Denn eigene Glückseligkeit ist ein Zweck, den zwar alle Menschen (vermöge des Antriebes ihrer Natur) haben,"), auch S. 517, 587 u.ö.; vgl. auch ders., Über den Gemeinspruch, S. 145, 154 ff.; dazu L.-W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 99 ff., 102 ff.; H. Lübbe, Dezisionismus in der Moral-Theorie Kants, S. 507 ff. 419 Dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 273 ff.; auch 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; vgl. zum Prinzip Person auch die Hinweise in Fn. 107, 5. Teil, 2. Kap., S. 274. 420 So lautete der Entwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee zu Art. 2: "(1) Alle Menschen sind frei. (2) Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Rechtsordnung und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet." (Matz, JöR Ν F Bd 1 (1951) S. 54). 421

Dazu die Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; auch 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 145; L.-W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 98, auch S. 132 f., 187 f. 422

334

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

chen, zu leben, wie man will, also die freiheitliche Privatheit und die als Autonomie des Willens begriffene soziale Freiheit sind somit eine Einheit, die aber die Unterscheidung der Elemente persönlichen Glücksstrebens als individuale Komponente zum einen und Freiheit in ihrer sozialen Komponente zum anderen nicht vermissen lassen darf. Es gibt aber keine Freiheit als Autonomie des Willens, die sich anders als material, also in der Selbstverwirklichung/im Glücksstreben/in der Interessenverwirklichung, meist näher privat, also alleinbestimmt, materialisiert, realisieren könnte 423 . "Nun ist freilich unleugbar, daß alles Wollen auch einen Gegenstand, mithin eine Materie haben müsse;"..."und sie drehen sich insgesamt um das Prinzip der eigenen Glückseligkeit." - Kant 424 Wenn die Autonomie des Willens als die allgemeine, also freie Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens verwirklicht ist, ist die Entfaltung der Persönlichkeit jedes Menschen, auch die private, frei, d.h. beim allgemeinen Streben nach Glück ist die Gleichheit als ein Element der allgemeinen oder sozialen Freiheit 425 gewährleistet und niemand kann einem anderen durch sein (glücksbezogenes) Handeln Unrecht tun ("schaden") und dadurch dessen Freiheit verletzen 426 ; denn Freiheit besteht nach Nr. 4 der Deklaration von 1789 "darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet" ..."Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden." klärt die Deklaration richtig. Die Art und Weise der Persönlichkeitsentfaltung ist material gänzlich indeterminiert. Jede materiale Bestimmung der Persönlichkeit würde die Freiheit einschränken, ohne daß diese Einschränkung um der Freiheit der anderen willen nötig wäre. Materiale Bestimmungen der Persönlichkeit durch Dritte, insbesondere durch den Staat, sind nach aller Erfahrung die

423 Ganz so Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 145 ff.; ders., Zum ewigen Frieden , S. 250; ders., Über den Gemeinspruch, S. 154 ff.; L.-W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 98, 132 f., 187 f.; dazu auch 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; zur Zweckhaftigkeit allen Handelns auch 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 297 ff., 318 ff., 346 ff.; zum Prinzip des eigenen Glücks Hinweise in Fn. 226, 5. Teil, 3. Kap., S. 297. 424 Kritik der praktischen Vernunft, S. 145. 425 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; auch 8. Teil, 2. Kap., S. 689 f.; 4. Teil, 3. Kap., S. 241 ff.; zur Gleichheit aller in der Freiheit Hinweise in Fn. 84, 5. Teil, 2. Kap., S. 269. 426 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 385 ff.; zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit weitere Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - d o g m a t i s c h 3 3 5

Grundlage der Despotie, wie es die Ausrichtung der sogenannten Verfassung der früheren D D R vom 6. April 1968 auf die Gestaltung einer "entwickelten sozialistischen Gesellschaft" (Präambel, Art. 2) erweist. Zwar gab auch diese "Verfassung" vor, "Achtung und Schutz der Würde und Freiheit der Persönlichkeit" seien "Gebot für alle staatlichen Organe, alle gesellschaftlichen Kräfte und jeden einzelnen Bürger" (Art. 19 Abs. 2), aber damit sollte nur "die sozialistische Lebensweise der Bürger" (Art. 4), "das Zusammenleben aller Bürger in der sozialistischen Gemeinschaft nach dem Grundsatz, daß jeder Verantwortung für das Ganze trage" (Art. 3 Abs. 2) ermöglicht werden. "Freiheit und Würde seiner Persönlichkeit" sollte der Bürger nach dieser "Verfassung" dadurch verwirklichen, daß er "seine Kräfte aus freiem Entschluß zum Wohle der Gesellschaft und zu seinem eigenen Nutzen in der sozialistischen Gemeinschaft ungehindert entfaltet" (Art. 19 Abs. 3). Schließlich schuf diese "Verfassung" den Begriff der "Grundsätze sozialistischer Moral", welche die Beziehungen der Bürger zu prägen habe (Art. 19 Abs. 3 S. 3). Der materiale, ja klassenkämpferische, Begriff des Sozialismus, den näher zu erläutern der Zusammenbruch des sogenannten real existierenden Sozialismus im Jahre 1989 erübrigt, hebt die Freiheit in ihrer unverzichtbaren Formalität auf, weil die Bestimmung dessen, was sozialistisch ist, Sache der "marxistisch-leninistischen Partei" "der Arbeiterklasse" (Art. 1 Abs. 1) war. "Führung" (Art. 1 Abs. 1 S. 2) und dementsprechend den "demokratischen Zentralismus" (Art. 47 Abs. 2) hatte diese "Verfassung" zu den "tragenden Prinzipien des Staatsaufbaus" (Art. 47 Abs. 2) erklärt und sich damit offen zu einem freiheits- und entgegen dem Namen dieses sogenannten Staates republikwidrigen Herrschaftssystem bekannt, welches sich vierzig Jahre lang als Tyrannei präsentiert hat. Die Persönlichkeit darf also nicht durch Verfassung oder Gesetz material bestimmt sein, wenn sie frei sein soll 4 2 7 .

427 Dazu G.Erbel, Das Sittengesetz, S. 160 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 116 ff.. Im übrigen hatten die Sätze der "Verfassung" der DDR keinen Rechtscharakter, weil sie nicht gerichtlich durchsetzbar waren; dazu Ch. Starck, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, VVDStRL 51 (1992), S. 14 ff.; W. Berg, daselbst zum nämlichen Thema, S. 49 ff., 63 ff.; B. Pieroth, daselbst zum nämlichen Thema, S. 95 ff., der es, S. 97, fertigbringt, die "Endlösung der Judenfrage" als "legal" hinzustellen und schreibt: "Wie der Todesschuß eines eine Sonderbehandlung ausführenden GestapoMannes war in systemimmanenter Betrachtung der Todesschuß des Vopo an der innerdeutschen Grenze legal" (S. 98), ein Positivist, ein "schrecklicher Jurist", der jetzt die Umwertung empfiehlt, das Recht also der Beliebigkeit der Macht ausliefert, eine Verhöhnung des Rechts; vgl. auch K.A. Schachtschneider, daselbst, Aussprache, S. 152 f.

336

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Freiheit ist somit auch das Recht, die Zwecke des Handelns selbst zu bestimmen, aber nur so, daß das Handeln nicht die Freiheit anderer verletzt, also deren Willensautonomie, deren Recht, die Zwecke ihres Handelns selbst zu bestimmen. Freiheit ist auch das Recht, Interessen zu haben und zu verwirklichen, wenn dies anderen nicht Unrecht tut. Das zwingt zum Interessenausgleich durch Gesetz 428 . Näheres regeln in Privatheit die Verträge, die zu schließen jeder nach Maßgabe der die allgemeine Freiheit verwirklichenden Gesetze das Recht hat. Der Begriff der Freiheit umfaßt diese Rechte. Wegen des Rechts jedermanns und damit aller, das eigene Glück selbst zu bestimmen, ist die Freiheit Autonomie des Willens, die sich logisch im Gesetz verwirklicht, und Privatheit, die die Freiheit durch ihre Gesetzlichkeit verwirklicht und vor allem durch Verträge Rechtsbindungen erzeugt. Gegenstand der gemeinsamen Gesetzgebung sind nicht spezifisch die jeweiligen Zwecke des Handelns selbst, die ein Mensch verfolgt, seine Art und Weise, sein Glück zu suchen. Es sind vielmehr die Maximen zu erkennen und als Gesetz verbindlich zu machen, die getroffen werden müssen, um ein gemeinsames Leben aller in allgemeiner Freiheit zu ermöglichen. Alle müssen, wie gesagt, das tun dürfen, was sie wollen, wenn sie nur keinem anderen (im Sinne des Unrechts) schaden. Das erfordert Vorschriften, welche Außenwirkungen von Handlungen als dem Zweckvollzug ausschließen, die der von den Handlungen Betroffene nicht will. "Freiheit des einzelnen Menschen ist, wenn alle Einzelnen frei sein sollen, nur soweit möglich als sie mit der Freiheit der anderen zugleich bestehen kann. Rechtlich bleibt dem Einzelnen ein Spielraum seiner Willkür (negative Freiheit), durch die er sich gegen andere auch abschließen kann. Sittlich ist Freiheit aber gerade durch die Aufgeschlossenheit im Miteinander, die sich ohne Zwang aus Liebe und Vernunft entfalten kann (positive Freiheit). Erst mit der Verwirklichung positiver Freiheit auf dem Grunde rechtlicher Sicherung der negativen Freiheit gilt der Satz: Der Mensch ist frei in dem Maße, als er Freiheit um sich sieht, das heißt in dem Maße, als alle Menschen frei sind." - Karl Jaspers 429 Die Handlungslehre des Autonomieprinzips ist schon dargelegt 430 . Sie ist noch einmal zu bedenken, um das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG zu klären.

428

Dazu S. 340 f., 343 f.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 659 f.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1151 f. 429 Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 205 f. (Hervorhebung von Jaspers). 430 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 297 ff., 318 ff.; auch 5. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 346 ff., 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - d o g m a t i s c h 3 3 7

Weil die Persönlichkeitsentfaltung als solche beliebig ist, ist das Essentiale der Freiheitlichkeit die rechtliche Gesetzlichkeit. Gesetzlichkeit kann die Freiheit nicht verletzen, wenn sie die Verwirklichung des Willens aller ist; denn: volenti non fit iniuria. Alles kommt also auf die richtige Gesetzlichkeit an. Darum verwirklicht sich die Freiheit als Autonomie des Willens; denn die Beliebigkeit des guten Lebens, des persönlichen Glücks, der Interessen, welche die (rechtliche) Gesetzlichkeit wahrt, ist in der negativen Freiheit als die "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" 4 3 1 erfaßt. Das allgemeine Gesetz ermöglicht die Beliebigkeit des guten Lebens aller. Es ist damit positiver Ausdruck der allgemeinen Willkür oder der Maximen aller für die Zwecke ihres guten Lebens in der Allgemeinheit der Gemeinschaft. Wegen der Allgemeinheit ist die allgemeine Willkür notwendig, die freie Willkür aller. Darum ist Freiheit negativ und positiv zugleich zu begreifen und als Willensautonomie und gesetzesabhängige Privatheit zu identifizieren. Diese Freiheit gibt es nur in der menschlichen Gemeinschaft. Freiheit ist folglich, das sei erneut hervorgehoben, ein sozialer Begriff 4 3 2 . Darum kann die Freiheit (nur) durch Gesetzlichkeit verwirklicht werden. Das allgemeine Gesetz korrespondiert auch begrifflich der allgemeinen Freiheit. Die aber ist in der Moderne die Idee der Menschheit des Menschen; denn Gott hat die Aufklärung politisch nicht überlebt. Die Freiheit des Menschen ist darum heute die politische Grundannahme/Grundentscheidung des Gemeinwesens. Die Dezision der Menschheit für die Freiheit ist der bestmögliche Weg, das allgemeine Glück, das gute Leben aller zu fördern 433 . Sie ist mit dem Sittengesetz untrennbar verbunden, weil das Glücksprinzip formal ist. Die allgemeine Freiheit ist die Würde und das höchste Gut der Menschheit und jedes Menschen in der Not des Diesseits. Freiheitlich sind durchaus auch Handlungen, welche ohne störende Wirkung auf andere sind und darum keines Gesetzes bedürfen. Der rechtliche Handlungsbegriff sollte auf die Kausalität durch Freiheit 434 beschränkt

431

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345. Zur Gleichheit in der Freiheit Hinweise in Fn. 84, 5. Teil, 2. Kap., S. 269; zum Sozialprinzip auch 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 432

433

I.d.S. H. Lübbe, Dezisionismus in der Moral-Theorie Kants, S. 576 f. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 495 ff., 505 f., 679; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 158 ff., insb. S. 163 f.; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 170, 178 u.ö.; dazu auch 5. Teil, 1., 3. u. 7. Kap., S. 253 ff., 311 ff., 434 ff. 434

22 Schachtschneidcr

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

werden, welche Wirkung auf andere Menschen hat (Außenwirkung), weil nur solche Handlungen anderen Schaden zufügen können und einer den Frieden stiftenden Einigung bedürfen 435 . Wenn Handlungen (mit Außenwirkung also) nicht stören, bedürfen sie auch keiner politischen Befriedung. Ob sie allerdings stören, ist zu entscheiden und zwar von den einzelnen Menschen, die ein Gesetz einfordern dürfen und sollen; denn die Interessen des Menschen als Materialisierung seines Glücks/seines guten Lebens kann er nur selbst definieren 436 . Das Gesetz erübrigt sich, wenn (private) Verträge befrieden. Verträge aber können nicht erzwungen werden, wenn dies das Gesetz nicht anordnet und damit den Vertrag als Instrument des Gesetzesvollzugs nutzt, das der Privatheit nur geringe Entfaltungsmöglichkeit läßt, ein Beispiel der Einheit von Staatlichkeit und Privatheit des bürgerlichen Lebens 437 . Die Notwendigkeit freiheitsverwirklichender Gesetze hängt somit von der Beurteilung dessen ab, ob menschliches Handeln störende Außenwirkung hat, Interessen anderer beeinträchtigt. Auch dies entscheidet stellvertretend für das ganze Volk der Gesetzgeber. Die Beurteilung des Einigungsbedürfnisses, der Notwendigkeit eines Interessenausgleichs, ist angesichts der unterschiedlichen menschlichen Lagen unsicher 438 . Die Erkenntnis der erforderlichen allgemeinen Gesetze setzt die Offenheit des Diskurses im ganzen Volk voraus 439 . Ob der Gesetzgeber seiner mit dem Freiheitsprinzip des modernen Staates untrennbar verbundenen Schutzpflicht genügt, entscheiden im ordentlichen Verfahren letztendlich die Verfassungsgerichte 440. Auch die nicht störenden Handlungen sind des Menschen "freie Entfaltung seiner Persönlichkeit". Die freiheitliche Gesetzlichkeit verwirklicht sich, wenn es mangels relevanter Außenwirkung des Handelns keines Gesetzes bedarf, gerade darin, daß kein Gesetz gegeben wird. Nur die politische Lage kann frei oder unfrei sein. Die (innen-) politische Lage entsteht durch die Handlungen der Bürger, durch deren Wirkungen aufeinander, durch deren Interessen. Wenn eine Handlung keine Außenwirkung

435

Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 318 ff.; 6. Teil, 6. Kap., S. 479 ff.; vgl. auch die weiteren Hinweise in Fn. 423, S. 334. 436 N. Luhmann, ARSP 1991, 436; dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617. 437 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff., insb. S. 222 ff. 438 Ganz so Kant, Über den Gemeinspruch, S. 154 f. 439 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; weitere Hinweise in Fn. 359, 5. Teil, 3. Kap., S. 322. 440 Zur Schutzpflichtdogmatik 7. Teil, 3. Kap., S. 552 mit Fn. 199; 8. Teil, 1. Kap., S. 669, 670 mit Fn. 187; 9. Teil, 1. Kap., S. 821; zur gesetzgeberischen Funktion der Verfassungsrechtsprechung 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.; weitere Hinweise in Fn. 76, 5. Teil, 2. Kap., S. 267.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

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hat, also andere Menschen (als Bürger) nicht berührt, ist sie des allgemeinen Gesetzes nicht bedürftig; denn sie wirkt nicht in der Polis. Sie gehört zu den privaten Handlungen, deren Legalität sich aus der bloßen Innerlichkeit ergibt 4 4 1 . Freiheit war den Griechen kein Begriff des Hauses. Das Haus war der Bereich der Herrschaft, der Despotie 442 . "Das Recht des Herrn und dasjenige des Vaters sind diesem politischen Recht nicht gleich, sondern ähnlich. Denn man kann nicht ungerecht sein gegen das, was schlechthin eigener Besitz ist; der Besitz aber und das Kind, solange es noch klein und nicht selbständig ist, ist wie ein Teil der eigenen Person. Niemand aber hat die Absicht, sich selbst zu schädigen. ... Darum gibt es eher ein Gerechtes der Frau gegenüber als den Kindern oder dem Besitz gegenüber. Dieses ist das Recht der Hausverwaltung, und auch es ist vom staatlichen verschieden." - Aristoteles 443 Ein Gesetz, welches nicht die Verhältnisse von Menschen zueinander regelt, sondern allein die innere Befindlichkeit, das reine Innenleben des Menschen, ist unnötig und darum freiheitswidrig. Ein solches Gesetz kann nicht vollzogen werden und darum auch nicht zum Recht gehören. Die inneren Pflichten können nur Tugendpflichten sein 444 . Für die bloße Selbstverwirklichung des Menschen ohne Wirkung auf andere Menschen verwirklicht sich die Freiheit in der Gesetzlosigkeit. Aber bereits dieser Aspekt setzt die Freiheitslage, also den anderen Menschen, voraus. Robinson wird erst durch Freitag frei 4 4 5 . Ohne den Mitmenschen gibt es eine "Entfaltung der Persönlichkeit", aber keine "freie". Das Gebet in der Einsamkeit dürfte keine Außenwirkung haben, jedenfalls nicht, wenn der Betende wegen des Gebets nicht die Erfüllung von Verpflichtungen unterläßt. Das Gebet in der Öffentlichkeit hat Außenwirkung und ist damit gesetzlicher Regelung zugänglich. Es ist also Sache des Gesetzgebers, des Volkes also, einzuschätzen, welche Gesetze um der Freiheit willen notwendig sind. Diese Notwendigkeit ist wiederum nur institutionell judiziabel; denn sie ist nicht begrifflich hinreichend bestimmt vorentschieden 446 . Auch das ist eine Konsequenz der Formalität der Freiheit. 441

Zum rechtlichen Handlungsbegriff, der mit der Außenwirkung der Handlung verbunden werden kann, Hinweise in Fn. 423, S. 334. 442 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 389, 390; H. Arendt, Vita activa, S. 27 ff. (insb. S. 30), S. 31 ff.; D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, S. 102 f. 443 Nikomachische Ethik, S. 168 f., 1134 b 9 ff., 16 ff. 444 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 508 ff. u.ö. 445 So auch J. Hruschka, Zum Lebensrecht des Foetus in rechtsethischer Sicht, JZ 1991, 507; dazu auch D. Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, S. 78 ff., 105 ff. 446 Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 2

340

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

III.

Die allseitige Zweckverwirklichung und der Interessenausgleich durch allgemeine Gesetze Die Handlungszwecke sind material, aber dennoch schützt Art. 2 Abs. 1 GG nicht eine materiale allgemeine Handlungsfreiheit. Gegenstand der Freiheit ist spezifisch, daß der Mensch, wenn er die (materialen) Zwecke seiner Handlung bestimmt, unabhängig von anderer nötigender Willkür ist, welche Zwecke er auch immer für sein (gutes) Leben wählt. Die jeweiligen Zwecke sind der Übereinkunft mit anderen Menschen nur bedürftig, wenn der Zweckvollzug sie beeinträchtigen/stören, d.h. den Vollzug der Zwecke dieser Menschen ver- oder auch nur behindern, also andere in deren Unabhängigkeit von fremder nötigender Willkür verletzen würde. Im Verhältnis der Menschen zueinander sind somit nicht die jeweiligen Zwecke der Menschen bedeutsam, sondern die Möglichkeit des allseitigen Vollzuges aller Zwecke. Die Zwecke folgen den Interessen der Menschen; die Interessen deren Glück, wie sie es wünschen 447 . Der Interessenausgleich ist nur nötig, wenn die Interessenverwirklichung zu Interessenkollisionen führen kann; denn sonst kann jeder sein Glück finden. Darum müssen die Zwecke aller Menschen Maximen folgen, nach denen alle ihre Zwecke richten, wenn und insoweit der Vollzug der Zwecke aller unvereinbar wäre. Nur das stellt sicher, daß die selbstbestimmten Zwecke aller vollzogen werden können. Diese Maximen zu erkennen und verbindlich zu machen, ist die innere, die positive Freiheit des Menschen, weil die Freiheit begrifflich, wie gesagt, ein Verhältnis zum anderen Menschen ist. Die Maximen, welche den Vollzug der selbstbestimmten, subjektiven Zwecke aller möglich machen, ohne daß einer von einem anderen genötigt wird, sind die allgemeinen Gesetze. Diese Gesetzgebung ist der autonome Wille der Menschen, ihre Freiheit. Nur die Bürgerschaft kann wissen, welche Maximen von welchen Zwecken des allgemeinen Gesetzes bedürfen, weil nur die Bürger ihre Zwecke, ihre besonderen Interessen und damit die möglichen Wirkungen ihrer Handlungen aufeinander kennen können. Der mit der allgemeinen Gesetzgebung notwendig verbundene Interessenausgleich bedarf der bestmöglichen Information der Vertreter des Volkes durch das Volk über die Interessen und damit des allgemeinen Diskurses, der in jeder Weise gefördert werden muß, wenn das Gemeinwesen eine

447

Zum Prinzip des eigenen Glücks Hinweise in Fn. 391, 5. Teil, 3. Kap., S. 328.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

341

Republik sein soll. Vor allem muß er die Publizität wahren 448 . Wenn die Vertreter des Volkes, welche stellvertretend für das Volk die richtigen Gesetze zu beschließen haben, die Notwendigkeit bestimmter Gesetze verkennen, können sie um des Rechts willen von den Verfassungsgerichten zur praktisch vernünftigen Gesetzgebung verpflichtet werden. Das Bundesverfassungsgericht dogmatisiert dieses republikanische Prinzip als Schutzpflicht, die, zu Recht, aus der objektiven Dimension der Grundrechte abgeleitet wird 4 4 9 . Art. 2 Abs. 1 GG schützt als Grundrecht um der "freien Entfaltung seiner Persönlichkeit", um der Bürgerlichkeit der Bürger willen die Willensautonomie der Bürger 450 , welche sich in den allgemeinen Gesetzen verwirklicht. Wirklich allgemeine Gesetze, also sittliche und damit Rechtsgesetze, können somit die Autonomie des Willens als die bürgerliche Freiheit nicht verletzen. Art. 2 Abs. 1 GG kann sich darum nicht gegen die gesetzgebenden Organe des Volkes 451 richten, soweit diese in Moralität das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit verbindlich zu machen bemüht sind, also Recht setzen. Art. 2 Abs. 1 GG schützt somit den Bürger/die Bürgerschaft in seiner/in ihrer Rechtsetzungskompetenz. Dieses Grundrecht wäre verletzt, wenn die Bürger Verbindlichkeiten erfüllen müßten, die nicht auf ihrem Willen beruhen, wenn insbesondere das Prinzip der Gesetzlichkeit mißachtet würde. Dadurch wäre der Bürger in seinem Recht auf freie Willkür, in seinem Anspruch auf Unabhängigkeit von anderer nötigender Willkür gekränkt. Der Wille der Bürger wird notwendi-

448 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff. (insb. S. 596 ff.), 602 ff.; zum öffentlichen Diskurs Hinweise in Fn. 359, 5. Teil, 3. Kap., S. 322. 449 Etwa BVerfGE 49, 89 (142); 53, 30 (57); 56, 54 (73 ff.); BVerfG JZ 1994, 408 ff.; dazu J. Isensee, HStR, Bd. V, S. 181 ff., 184 ff., 186 ff., der die "Staatsaufgabe Sicherheit" in Verbindung mit den Grundrechten als Grundlage der Schutzpflichten dogmatisiert; dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 821; 7. Teil, 3. Kap., S. 552 mit Fn. 199; 8. Teil, 1. Kap., S. 670 mit Fn. 187. 450 Dazu S. 329 ff.; 6. Teil, 2., 8. u. 9. Kap., S. 449 ff., 494 ff., 501 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.. Die Willensautonomie der Nichtbürger schützt Art. 2 Abs. 1 GG nicht, sondern nur das zur Privatheit nach Maßgabe der staatlichen Gesetze, weil Art. 20 Abs. 2 GG, ein "wesentlicher Teil der verfassungsgemäßen Ordnung", die Ausübung der Staatsgewalt, also auch die der Gesetzgebung, dem Prinzip der Republik gemäß, auf das deutsche Volk, also auf die Bürgerschaft (dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 17, 35; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 f.; 8. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 650, 656, 741) beschränkt, BVerfGE 83, 37 (50 ff.); 83, 60 (71, 75 f.); zum Ausländerwahlrecht 11. Teil, 5. Kap., S. 1201 ff. 451

Dazu gehören im Rahmen der funktional rechtsetzenden Kompetenzen auch die Organe der Rechtsprechung, insbesondere das Bundesverfassungsgericht (dazu 9. Teil, 2., 3., 4. u. 10. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 932 ff., 1027 ff.).

342

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

ger Weise in organschaftlicher Vertretung erkannt 452 . Das Grundrecht wird aber auch verletzt, wenn die Gesetze mangels Moralität des Gesetzgebers (im weitesten Sinne) nicht Recht setzen 453 . Bürger können andere Bürger ohne deren Willen nicht verbinden. Das kann auch die vollziehende Gewalt nicht, weil Staatlichkeit spezifisch wegen des allgemeinen Freiheitsprinzips nur durch die und nach Maßgabe der Gesetze existiert 454 . Wenn aber der Bürger unangreifbar beschieden oder verurteilt wird, ohne daß der Verwaltungsakt oder das Urteil auf seinen Willen, sei es ein Gesetz, sei es im Rahmen der Gesetze ein Vertrag, zurückgeführt werden kann, ist seine Willensautonomie aufgehoben. Der bürgerliche Wille ist aber der gute Wille, also der Wille zum Recht 455 . Die Autonomie des Willens ist auch unterlaufen, wenn die verfassungsgewollten oder auch nur die gesetzesgeregelten Kompetenzen, Verfahrensweisen oder' politischen Leitentscheidungen 456 ignoriert werden, weil die Bürger in derartige Willensbildung gerade nicht (durch ihre Verfassung) eingewilligt haben. Der Verfassungsverstoß liegt spezifisch in der Mißachtung der Willensautonomie und damit des verfassungsmäßigen Konsenses der Bürgerschaft, nicht aber in der Verletzung einer allgemeinen Handlungsfreiheit, also in einer Freiheit, die Zwecke des Handelns selbst zu bestimmen, d.h. anders zu bestimmen, als es der Gesetzgeber vorschreibt. Einen Gegensatz von Freiheit und Recht als richtige Gesetzlichkeit gibt es nicht. Eine andere als eine der richtigen Gesetzlichkeit, dem Recht, genügende Bestimmung der Handlungszwecke ist nicht frei, so daß das Gesetz die Freiheit nicht verletzen kann, vorausgesetzt, das Gesetz ist ein Gesetz der Republik, also ein Rechtsgesetz. Freiheitlichkeit ist eben in der Republik moralische/richtige/praktisch vernünftige Gesetzlichkeit. Herrschaft, die es den Untertanen vorschreiben dürfte, wie sie zu leben haben, welche Interessen sie zu haben und welche Zwecke sie folglich zu 452

Dazu 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 643 ff., 707 ff. Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 309 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; zum Verhältnis der Gesetze zum Recht Hinweise in Fn. 133, 5. Teil, 3. Kap., S. 281. 454 Zur ultra-vires-Lehre 3. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 183 ff., 202; 6. Teil, 2. u. 5. Kap., S. 451 f., 472 f.; zur Gesetzlichkeit der Staatlichkeit 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 328 ff. 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 455 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; zum guten Willen des Gesetzgebers 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff., insb. S. 728 ff.; auch 2. Teil, 10. Kap., S. 148 f. 456 Dazu 9. Teil, 1., 7. u. 10. Kap., S. 819 ff, 978 ff., 1027 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 453

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - d o g m a t i s c h 3 4 3

vollziehen haben, kann demgegenüber eine liberal konzipierte allgemeine Handlungsfreiheit, welche durch ein Grundrecht gegen die Herrschaft geschützt wird, beeinträchtigen und gegebenenfalls verletzen. Die liberalistische Dogmatik der allgemeinen materialen Handlungsfreiheit, der benannten oder unbenannten Freiheiten, die das Bundesverfassungsgericht zu praktizieren pflegt 457 , setzt somit logisch Herrschaft voraus, den Gegensatz nämlich des herrschaftlichen Staates und der freiheitlichen Gesellschaft 458 . Die Gesetze eines solchen Staates können die verfassungsgeschützte Freiheit als einen Bereich des Privaten beeinträchtigen und verletzen. Wer die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Freiheit material versteht, kommt wie ErnstWolf gang Böckenförde logisch zur Notwendigkeit des Gegensatzes von Staat und Gesellschaft 459 . Seine Überlegungen bleiben aber liberalistisch, nämlich konstitutionell-herrschaftlich. Böckenförde geht denn auch davon aus, daß der Staat herrsche 460 . Wer herrschen darf, darf dem Untertan die Zwecke der Handlungen vorschreiben. Willensautonomie als Freiheit gebietet die Einigkeit, sucht den allgemeinen Willen, die volonté générale, die es möglich macht, daß niemand des anderen Herr oder Untertan ist 4 6 1 . Die Republik kommt um der allgemeinen Freiheit willen ohne den staatlichen Interessenausgleich nicht aus, kann aber nicht zulassen, daß der Staat die Interessen/die Zwecke der Handlungen bestimmt, wenn diese nicht in Widerstreit geraten. Der Interessenausgleich darf nicht zur Despotie werden, die den Menschen vorschreibt, wie sie glücklich zu werden haben 462 . Der Interessenausgleich ist freiheitlich, wenn die auszugleichenden Interessen der Menschen selbstbestimmt sind. Die die Interessen ausgleichenden Vertreter des Volkes müssen für diese Aufgabe nicht nur interessenneutral sein, sie dürfen auch das Volk nicht nach ihren Vorstellungen beglücken wollen, eine Gradwanderung zwischen der Republik und der Despotie, die vor allem der deutschen Sozialdemokratie, aber auch den kirchlich gebundenen

457 Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; 6. Teil, 1. u. 6. Kap., S. 441 ff., 478 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 331 f. mit Fn. 407 zu den unbenannten Freiheitsrechten. 458 Dazu 3. Teil, 1., 2. u. 3. Kap., S. 159 ff., 175 ff., 193; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. (insb. S. 511 ff.). 459 Dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff. 460 HStR, Bd. I, S. 893 u.ö. 461 Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 11. Kap., S. 153 ff.; zum Konsensprinzip Hinweise in Fn. 206, 5. Teil, 3. Kap., S. 294. 462 So Kant, Über den Gemeinspruch, S. 146, 157, 159; zum Interessenausgleich 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 659 f.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1151 f.

344

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Christdemokraten, zu mißlingen pflegt, aber auch wegen Art. 4 GG als Entscheidung für das laizistische Gemeinwesen 463 jede kirchlich orientierte Politik verbietet, überhaupt die materiale Führung des Volkes, die Herrschaft also. Die Erkenntnisaufgabe des Organs der Gesetzgebung verlangt nach untadeliger Moralität der Abgeordneten. IV.

Die Idee der Freiheit als aufklärerisches Paradigma der Rechtslehre unter dem Grundgesetz Die "freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" des Art. 2 Abs. 1 GG, die Selbstverwirklichung des Menschen in der menschlichen Gemeinschaft, gründet in der Selbstzweckhaftigkeit des Vernunftwesens, also auch des Menschen 464 , und kann sich nur in der Herrschaftslosigkeit des gemeinsamen Lebens verwirklichen. Diese Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung, dieses Selbstsein und Selbstseindürfen in der Gemeinschaft, das Recht, selbstbestimmte Interessen zu verfolgen, und damit zentral die Autonomie des Willens macht die Würde des Menschen aus und erzwingt, wie dargelegt ist, die demokratische Lebensform der Republik 4 6 5 . Wenn die Staatlichkeit herrschaftslose, also moralische und damit rechtliche Gesetzlichkeit ist, ist die äußere Freiheit als die Unabhängigkeit von anderer nötigender Willkür Wirklichkeit. Die innere Freiheit als die Pflicht zur Sittlichkeit dient, wie gesagt, der äußeren Freiheit 466 und damit dem allgemeinen Glück, weil dessen Kern diese Unabhängigkeit ist; denn die Alternative, daß sich nach "dem Urteile des Staatsoberhaupts" bestimme, wie die Menschen glücklich werden sollen, ist nach Kant der "größte denkbare Despotismus" 4 6 7 . Die Idee der allgemeinen Freiheit ist der Baustein des allgemeinen Glücks im aufgeklärten Gemeinwesen, dessen Lebenswirklichkeit nicht eschatologisch bestimmt ist. Dieser Baustein ist freilich selbst eine

463 Dazu P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, HVerfR, 1983, S. 1064 ff.; Κ Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, vornehmlich im Kulturverfassungsund Staatskirchenrecht, 1972, S. 154 ff., 192 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 48 ff.; vgl. W. Maihofer, Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, HVerfR, 1983, S. 954, 976, 990 ff., zum Neutralitätsprinzip des Kulturstaates. 464 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59 ff. 465 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 (insb. S. 34 ff.), 68 ff.; 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 7. Teil, 1., 4. u. 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; zur Würde des Menschen Hinweise in Fn. 92, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. 466 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 289 ff., 318 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 130, 5. Teil, 3. Kap., S. 280. 467 Über den Gemeinspruch, S. 146 ("Verfassung, die alle Freiheit der Untertanen, die alsdann gar keine Rechte haben, aufhebt."); dazu 2. Teil, 2. u. 8. Kap., S. 82 ff., 133 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 240 f.; 5. Teil, 3. Kap., S. 277 f.; 8. Teil, 3. Kap., S. 709 f., 732 ff.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

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politische Entscheidung, nicht die unausweichliche Natur des Menschen. Nach Kant ist die Freiheit ein tranzendentales Apriori und nicht eigentlich ein von Natur gegebenes Recht 468 . Diese Erkenntnis der bloßen Ideenhaftigkeit der Freiheit 469 ermöglicht gerade die politische Entscheidung für ein Gemeinwesen der Freiheit. Diese Entscheidung ist um der Würde des Menschen willen unausweichlich, aber doch nur, wenn und weil die menschliche Existenz aufklärerisch konzipiert wird 4 7 0 . "Im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt." - BVerfGE 65, 1 (41) Der Glaube an einen Gott kann und muß zu einer anderen Lehre vom Menschen und dessen Recht führen, die jedenfalls eine freiheitliche und damit formale Ethik und somit einen repräsentativ-konsensualen Positivismus der Gesetzlichkeit 471 nicht vertreten kann; denn die aufklärerische und damit republikanische Lehre setzt voraus, daß der Mensch kein Wesen über sich akzeptieren muß, dessen Weisungen ihm durch eine heilige Schrift oder in anderer Weise, vor allem durch Priester, vermittelt werden 472 . Doch das ist ein anderes Feld, das einer theologischen Rechtslehre, die im Grundgesetz keine Grundlage findet 473. Eine solche kann zum Gottesstaat führen, wie ihn Augustinus gelehrt hat, nicht zur Republik, einem Gemeinwesen, das Gott nicht will. 468

Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu 5. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 253 ff., 333; auch 8. Teil, 3. Kap., S. 733 ff.; zum Urrecht der Freiheit auch 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 290 ff., 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 469 Dazu 5. Teil, 1., 6. u. 7. Kap., S. 253 ff., 410 ff., 434 ff. 470 Ganz so die Menschenwürdelehre P. Häberles, HStR, Bd. I, S. 815 ff., insb. S. 839 ff.; so auch in der Sache W. Maihofer, HVerfR, S. 962 ff.; i.d.S. auch BVerfGE 5, 85 (204 f.); 65, 1 (41). 471 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 7., 8. u. 10. Kap., S. 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; zum Gesetzgebungsstaat auch die Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. 472 Dazu P. Kirchhof Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, HStR, Bd. VII, 1992, S. 867. 473 Zur politischen Relevanz der Erwähnung Gottes in der Präambel des Grundgesetzes (argumentum aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG) etwa A. Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, HStR, Bd. VI, 1989, S. 517 f., der der Präambel als legitimierender und leitender Interpretationsregel rechtliche Bedeutung beimißt;richtigv. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 25 ff. zur Präambel ("Mit der Formel als Motivation ist weder eine Verpflichtung auf das Christentum oder auf einen persönlichen Gott zum Ausdruck gebracht noch die Bundesrepublik als christlicher Staat charakterisiert.", Rdn. 25); P. Häberle, "Gott" im Verfassungsstaat?, in: FS W. Zeidler, Bd. I, 1987, S. 3 ff.

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

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Das aufklärerische Menschenbild 474 , die menschliche Personalität verabschiedet Niklas Luhmann als "alteuropäisch" 475 . Die Moral sei außer Kraft gesetzt 476 . Er konzipiert das Recht systemtheoretisch, den Menschen als Bündel von Rollen und Funktionen und ignoriert damit die Verfassung des Grundgesetzes, mit Recht, wenn sein Empirismus nicht nur die Wirklichkeit schematisiert, sondern theoretisiert. Das darf bezweifelt, kann aber hier nicht untersucht werden 477 . Wenn man der für die aufklärerische Rechtslehre grundlegenden Unterscheidung von Sein und Sollen folgt 4 7 8 , darf und muß sich die Verfassungslehre von der Verfassung abhängig machen. Daß die Verwirklichung der Verfassung, auch einer republikanisch interpretierten Verfassung, unmöglich sei und damit auf unüberwindliche, systemtheoretisch erfaßte, Grenzen stößt, ist nicht erkennbar. Otfried Höffe antwortet Niklas Luhmann: "Die Moral - das wiederaufgefundene Paradigma." 479 V.

Offenheit der Staatsaufgaben, staatliche Daseinsvorsorge, der Vorrang der privaten Lebensbewältigung und dessen grundrechtlicher und verfassungsgerichtlicher Schutz 1. Der Verfassung der Freiheit kann keine Staatszweckbegrenzung abgewonnen werden, welche im überallstisehen Sinne die Aufgaben auf die Verwirklichung der Zwecke begrenzt, welche unverzichtbar sind, um die gesellschaftliche Freiheit sicherzustellen. M i t jeder Aufgabe, die der Staat übernimmt, geht Privatheit verloren. Die Lehre von der Staatszweckbegren-

474

Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 99 ff. Etwa, Gesellschaftsstrukturen und Semantik, S. 234; auch ders., ARSP 1991, 435 f.; dazu 5. Teil, 1. Kap., S. 254 f. 476 N. Luhmann, Paradigm Lost. Die ethische Reflexion der Moral, 1988. 477 Kritik an Luhmanns Ansatz etwa E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 212 ff., 219 ff.; O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 171 ff.; ders., Kategorische Rechtsprinzipien, S. 53 ff. 478 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 171 f.; 5. Teil, 1. Kap., S. 258 f.; 7. Teil, 1., 2. u. 6. Kap., S. 519 ff., 540 ff., 621 f.; 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 880 ff.; auch 2. Teil, 1. u. 8. Kap., S. 77 f., 138 f. 479 Kategorische Rechtsprinzipien, S. 62; zur Relevanz der Moral für das Recht J. Habermas, Faktizität und Geltung, insb. S. 109 ff., 135 ff., 349 ff., 541 ff., der die Moralität diskursethisch konzipiert. 475

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

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zung 4 8 0 , die ihre Höhepunkte in der Schrift Wilhelm von Humboldts: "Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen", 1792, veröffentlicht 1851, und in dem Kreuzberg-Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 1882 gefunden hat 4 8 1 , hat das die Staatlichkeit bestimmende monarchische Prinzip 4 8 2 , die Herrschaftlichkeit des Staates also, vorausgesetzt. Aus dem Republikprinzip als solchen ist eine solche Begrenzung des Staatlichen nicht begründbar, weil die Gesetze, wenn die Verfassung und deren Sittengesetz eingehalten werden, die Freiheit aller verwirklichen 483 . Die Republik ist Rechtsstaat durch staatliche Rechtlichkeit. Die konstitutionelle, liberale Monarchie war Rechtsstaat durch Begrenzung des Staatlichen auf das Rechtsprinzip 484 . In der Republik verwirklicht das Recht die allgemeine Freiheit 485 . Das Recht beanspruchte unter dem monarchischen Prinzip jedenfalls nach den liberalen Lehren des frühen Konstitutionalismus eine von herrschaftlicher Willkür unabhängige, eigentlich göttlich legitimierte, Objektivität 4 8 6 und damit einen anderen Geltungsgrund und ein anderes Richtigkeitskriterium als die formale Freiheit und die Moralität des Rechts der Republik. Das sei nur am Rande vermerkt. Auch in der Republik ist unverzichtbarer Zweck des Staates die Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens, also die Verwirklichung des Rechts-

480

Dazu J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, HStR, Bd. III, S. 3 ff., 52, 75 f.; Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat - Nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 48 (1990), S. 10 ff.; ders., Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 132 ff.; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 63 ff. 481 PrOVG Preußisches Verwaltungsblatt (1) 1881/82, S. 36l ff.; wiederabgedruckt in DVB1. 1985, 219 ff.; dazu Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 28, S. 5 ff., zur "liberalen Tradition des Gewerbepolizeirechts." 482 Dazu E.R. Huber, HStR, Bd. I, S. 51 ff.; R. Wahl, HStR, Bd. I, S. 24 ff., die die lebhafte Verfassungsentwicklung im 19. Jhd. herausstellen; grundlegend F.J. Stahl, Das monarchische Princip, 1845, der sich vehement gegen den "westlichen" Republikanismus, gegen "Volkssouveränität" und "Theilung der Gewalt", gegen "das parlamentarische Princip" als "eigentlichen Gegensatz zum monarchischen Prinzip" wehrt, CS. IX, S. 1 ff. 483 I.d.S. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 196; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 10 ff., 17 ff.; dazu G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 63 ff., der S. 70 ff. "Staatsbegrenzungen" durch "Staatszwecke" für möglich hält; zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. 484 Dazu E.R. Huber, HStR, Bd. I, S. 59 f., 77 ff.; R. Wahl, HStR, Bd. I, S. 9 f. ("Grundvorstellung der formellen Verrechtlichung des bestehenden monarchischen Staates"); dazu P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, insb. § 5, S. 96 ff. (zu Mohl, Rönne u. Bähr). 485 Dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff., insb. S. 183 f.; R. Wahl, HStR, Bd. I, S. 9 f. 486 Dazu P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 72 ff., 96 ff., 155 f., 164 u.ö.

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

prinzips. Im übrigen ist ein Mehr oder Weniger an Staatlichkeit möglich, nicht aber eine Trennung der Zwecke des guten Lebens von einem Rechtszweck. Jedes Gesetz verbietet oder gebietet den Vollzug von Zwecken und regelt damit Interessen und somit das Glück der Menschen. Es ist nicht republikwidrig, wenn die Bürger das gemeinsame Leben staatlich zu bewältigen suchen, das sie auch privatim bewältigen könnten. Das republikanische Prinzip der Freiheit verlangt nur, daß die staatliche Lebensbewältigung gesetzlich bleibt; denn das Gesetz verwirklicht die Freiheit aller. Wenn der Republik auch nicht notwendig der Wohlfahrtszweck 487 eigen ist, so ist es doch der Republik nicht verwehrt, sich um die Wohlfahrt der Bürger zu bekümmern, wenn die Bürger dies wollen. Das Gemeinwesen ist auch Wirtschafts- und Kulturstaat 488 . Die sogenannte Daseinsvorsorge 489 des Staates ist i m sogenannten technisch-industriellen Zeitalter nicht nur unverzichtbar, sie befindet sich auch im Einklang mit der Verfassung der Republik, gerade weil das Staatliche in der Republik Sache aller Bürger ist, denn: Res publica res populi. Im Gegensatz zur nationalsozialistischen Herrschaft, für die Ernst Forsthoff das Prinzip der staatlichen Daseinsvorsorge entwickelt hat, ist in der Republik die gemeinschaftliche, staatliche Daseinsvorsorge gesetzliche Verwirklichung gemeinsamer Interessen und damit der allgemeinen Freiheit, nicht Versorgung der Untertanen

487 Zum Wohlfahrtszweck des Staates CA. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 34 ff.; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 101 ff. (nach dem Grundgesetz "nur ein limitierter Wohlfahrtszweck" als "Sozialstaatsprinzip"); dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 241 ff.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 358; zum Staatszweck des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit S. 350 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 299 ff.; 7. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 573 ff., 625 ff.; auch 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f.; 7. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 573 ff., 633f. 488 Zum Kulturstaat P. Häberle, Vom Kulturstaat zum Kulturverfassungsrecht, in: ders. (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit und Kulturverfassungsrecht, 1982, S. 1 ff.; W Maihofer, HVerfR, S. 953 ff.; D. Grimm u. U. Steiner, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 7 ff., S. 46 ff.; U. Steiner, Kulturpflege, HStR, Bd. III, 1988, S. 1235 ff. 489 Der Begriff stammt bekanntlich von E. Forsthoff\ Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 5 f., teilweise wieder abgedruckt in: ders., Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 22 ff.; die Forsthoffsche Lehre von der Daseinsvorsorge war eine Lehre vom totalen Staat, der das Prinzip der bürgerlichen Freiheit überwunden zu haben glaubte; der Kernsatz dieser Schrift zur vermeintlich "legalen"... "nationalsozialistischen Revolution" (S. 9) ist: " Die Grundrechte gehören der Geschichte an." (ähnlich S. 1, auch S. 44, 46); dennoch hat Forsthoff die Lage des Menschen im modernen Staat richtig erkannt, welche staatliche, also gemeinschaftliche Vorsorge für die Bewältigung des Lebens unverzichtbar macht, weil die technischindustrielle Lebensweise des modernen Menschen die private Versorgung allenfalls für einen kleinen Teil der Bevölkerung ermöglichen würde; dazu R. Herzog, HStR, Bd. III, S. 83 ff.; CA. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 35, dem "die umfassende Daseinsvorsorge als öffentliche Aufgabe", als den "eigentlichen Beitrag des Luthertums zur modernen Staatsidee" herausstellt.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

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nach den Maximen der Herrscher. Wenn die Herrscher paternalistisch bestimmen, wie die Untertanen glücklich zu sein haben, ist das Despotie (Kant) 490. In der Republik ist die gemeinsame Lebensbewältigung brüderlich. Die Pflicht zur staatlichen Förderung der Selbständigkeit aller Bürger folgt aus dem das Autonomieprinzip materialisierenden Sozialprinzip, weil nur der auch ökonomisch selbständige Bürger autonom ist 4 9 1 . Der Grundsatz und Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung ist grundrechtlich begründet und bedarf lagegerechter dynamischer Entfaltung der Privatheit 4 9 2 . Der Vorrang ist nur insoweit im Prinzip der Republik verankert, als die genannte Selbständigkeit der Bürger ihn erfordert. Die Aufgaben der Daseinsvorsorge, welche dem Staat zur gemeinschaftlichen Bewältigung übertragen werden, gehen über diese soziale Aufgabe hinaus. Sie sind darum nicht Zweck des Staates, aber eine verfassungsgemäße Aufgabe, wenn das Gesetz sie dem Staat überträgt. Das Gesetz ist auch insofern Mittel zur Verwirklichung der allgemeinen Freiheit, nämlich des guten Lebens aller nach Maßgabe der allgemeinen Gesetze. Das mag an der gemeinschaftlichen Wasserversorgung erläutert werden, welche auch Roman Herzog als Beispiel dafür angeführt hat, daß die Menschen seit alters das Leben gemeinschaftlich, staatlich, zu bewältigen suchen 493 . M i t Wasser können sich die Menschen notfalls auch aus jeweils eigenen Brunnen versorgen. Sache des Staates wäre zumindest die Brunnenpolizei. Dennoch wird die Wasserversorgung überwiegend gemeinschaftlich organisiert, nämlich meist kommunal. Wie auch immer die Bürger über die Art und Weise ihrer Wasserversorgung entscheiden mögen, diese Entscheidung verwirklicht die allgemeine Freiheit, wenn sie gesetzlich, d.h. einvernehmlich erfolgt. Die staatliche Bewältigung des Lebens ist nicht weniger freiheitlich als die private. Der Zweck, den alle Bürger verfolgen, ist ihre Wasserversorgung. Die Verwirklichung dieses Zwecks wird schon dadurch zu einer Frage des gemeinsamen Lebens und damit der Freiheit, daß auch nur ein Bürger die gemeinschaftliche Wasserversorgung vorschlägt, weil er daran Interesse hat und eine solche für das gute Leben aller für vorteilhaft hält. Wenn auch dieser Bürger eine solche Empfehlung

490

Über den Gemeinspruch, S. 146, 157, 159. Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff., insb. 240 ff.; 5. Teil, 7. Kap., S. 438 ff. 492 Dazu 3. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 195 ff., 201; 4. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 220 ff., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 386 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff.; auch 9. Teil, 7. u. 11. Kap., S. 978 ff., 1033 ff. 493 HStR, Bd. III, S. 90 f. 491

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

aus Gründen der Sittlichkeit nur geben darf, wenn er sie für gut begründet hält, so hat doch diese Maxime auch nur eines Bürgers Wirkungen auf alle. Das ist augenscheinlich, wenn der Bürger seine Maxime eigenmächtig durchsetzen will. Aber auch wenn seine Maxime von allen anderen abgelehnt wird, besteht ein Wirkungsfeld unter den Bürgern, weil die Ablehnung die pflichtwidrige Unterlassung der richtigen Wasserversorgung aller Bürger sein kann, aber auch, weil ein Bürger nicht so leben kann, wie er will. Die anderen Bürger versorgen sich aus eigenen Brunnen mit Wasser und machen es dadurch dem Bürger, der gemeinschaftliche Wasserversorgung vorschlägt, unmöglich, diesen Plan durchzuführen. Das Handeln der Selbstversorger hat damit auch Außenwirkung. Auch dieser Konflikt ist durch Einigung, also freiheitlich durch Gesetz zu lösen. Das Gesetz schafft einen Interessenausgleich und wahrt die Freiheit aller bei ihrer Versorgung mit Wasser. Auch wenn die Bürger sich dahin einigen, daß jeder sich selbst mit Wasser versorgt, ist die Freiheit gewahrt. Die Freiheitsdogmatik bleibt in allen Bereichen des gemeinsamen Lebens dieselbe. Daß das enge Zusammenleben der heutigen Menschen die gemeinsame Lebensbewältigung im höheren Maße als richtig erscheinen läßt, als es in Zeiten großräumigen Lebens richtig gewesen sein mag, bleibt freiheitsdogmatisch ohne Konsequenz. Immer geht es um das gute Leben aller ohne Herrschaft des einen über den anderen. Zweck des Staates ist das gute Leben aller Bürger. A n diese Feststellung hat bereits Aristoteles seine Ethik aufgebaut 494 . Der Staat ist nicht nur eine Einrichtung der Bürger zur Verwirklichung der allgemeinen Freiheit, sondern eine Einrichtung der Bürger für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit. Die Menschen suchen ihr Glück. Dem dient auch ihr Staat, dem sie alle Aufgaben übertragen dürfen, von denen sie meinen, daß es ihr gutes Leben fördert, wenn der Staat sie erledigt 495 . Die Freiheit fordert nur die Zustimmung aller zur Übertragung von Aufgaben auf den Staat, das Gesetz also. Eine derartige Aufgabenübertragung ist kein Unrecht; denn: volenti non fit iniuria. In der Gesetzlichkeit verwirklicht sich das Gemeinwohlprinzip. Der Begriff des Gemeinwohls ist formal 4 9 6 und erlaubt es nicht,

494 Politik, S. 230, 1328 a 36 (Der Staat ist die "Gemeinschaft... zum Zweck eines möglichst guten Lebens"); vgl. auch ders., Nikomachische Ethik, S. 55 ff., insb. S. 58 (1095 a 13, 17 ff.), auch S. 64 ff. zur Glückseligkeit; i.d.S. auch Kant, Zum ewigen Frieden, S. 158 f. 495 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 236 ff. 496 Dazu S. 346 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 574 f.; 8. Teil, 1. Kap., S. 657 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 236 ff., 242 ff., 247 ff.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

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Aufgaben aus dem staatlichen Bereich auszugrenzen, genausowenig, wie Aufgaben für den Staat zu reklamieren, ohne daß ein Gesetz besteht 497 . Hinter allen Zwecken der Menschen steht der Zweck des guten Lebens, des selbstbestimmten Glücks jedes und damit aller Menschen. Das Gemeinwohl ist das gute Leben aller Menschen in der staatlichen Gemeinschaft. Welche Vorkehrungen dafür erforderlich sind, ob insbesondere Aufgaben staatlich oder privat bewältigt werden sollen, ist Sache der das Gemeinwohl konkretisierenden Gesetze. Die Aufgaben des Staates sind darum nicht weniger material offen, als es die Zwecke des guten Lebens aller sind. Die nähere Materialisierung haben die Verteilung der Kompetenzen zwischen dem Staat und den Privaten vor allem durch die selbst offenen Grundrechte mit ihrer negativen Kompetenzwirkung für den Staat erfahren 498 . Die private Lebensbewältigung ist im übrigen unvermeidbar in die allgemeine, staatliche Lebensbewältigung eingebettet. Das folgt aus der sowohl staatlichen als auch privaten Bestimmtheit jeder Handlung 499 . Auch wer sich eigenständig mit Wasser versorgt, bedarf des Schutzes vor der Brunnen Vergiftung, den am besten der Staat gibt. Die staatliche Polizei ist, wenn private Gewalt soweit als möglich zurückgedrängt werden soll 5 0 0 , auch in die privateste Wasserversorgung einbezogen. Wenn nur die gemeinsame Wasserversorgung trinkbares Wasser verfügbar zu machen sicherstellt, ist die staatliche Bewältigung dieser Aufgabe sittlich geboten. Staatliche Lebensbewältigung muß jedoch um der Willensautonomie willen die Selbständigkeit der Bürger wahren, aber auch fördern. Das gebietet das Sozialprinzip 501 . Die Selbständigkeit des Bürgers erfordert aber nicht, daß er einen eigenen Wasserbrunnen hat. Die Selbständigkeit ist auch gewahrt, wenn das Gesetz dem Bürger subjektive Rechte auf Versorgung mit Wasser einräumt. Unselbständig wird der Mensch, wenn es von der Willkür der Beamten abhängt, ob er seine Zwecke verwirklichen kann oder nicht. Die Teilhaberechte, von denen Ernst Forsthojf gesprochen

497

Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 237 ff. Dazu S. 353 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 476 f.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1030 f.; zur Offenheit der Grundrechte 9. Teil, 1. u. 11. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 847 ff., 1033 ff. 499 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 470 ff. 500 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff., insb. S. 548 ff. 501 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff., 241 ff.; 5. Teil, 7. Kap., S. 438. 498

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

hat 5 0 2 , sind ein Instrument der Verwirklichung der Freiheit als der Selbständigkeit im sogenannten Leistungsstaat, in dem Staat also, der Aufgaben der Daseinsvorsorge hat. Wenn die bürgerliche Gesetzgebung dem freiheitlichen Prinzip der Einigkeit genügt, wenn die Gesetze somit durch Moralität, d.h. praktische Vernünftigkeit, Recht sind, fügt sich staatliche Daseinsvorsorge dem republikanischen Prinzip der Freiheit. Dennoch bleibt die Sorge vor dem totalen Staat, welcher den Menschen die Freiheit nimmt, sich aber um deren Dasein sorgt. Das ist der Staat, den Ernst Forsthoff im Auge hatte. In einem solchen paternalistischen Staat droht auch eine Republik zu verfallen, wenn die Vertreter des ganzen Volkes, vor allem die, welche die Gesetze zu geben haben, das Sittengesetz mißachten, wenn sie, um Herrschaft aufzubauen und/oder zu festigen, den Menschen, mit Brot und Spielen besänftigt, die Bürgerlichkeit nehmen und zu Untertanen degradieren. Diese Gefahr verwirklicht sich im entwickelten Parteienstaat, in dem die Parteioligarchien sich vom Volk lösen und die Herrschaft über das Volk usurpieren. Die Gesetze der paternalistischen Parteienoligarchie sind nicht die Verwirklichung der bürgerlichen Freiheit, sondern herrschaftliche Ordnungen. Einem parteilichen Gesetzgeber kann es darum nicht überlassen werden, die Entscheidungen darüber zu treffen, ob die Lebensbewältigung staatlich oder privat sein soll. Weil die Parteien herrschen, muß ihnen eine Dogmatik der Staatszweckbegrenzung entgegengehalten werden. Der entwickelte Parteienstaat entspricht der konstitutionellen, monarchisch-liberalen Verfassung, welche gerade durch die Trennung von Staat und Gesellschaft für die Bürger tragfähig wurde 5 0 3 ; denn deren Logik ist die Begrenzung des Staates auf begrenzte Zwecke, möglichst auf die der Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaft. Die Republik gebietet, die Parteilichkeit im Staat mit allen Mitteln zurückzudrängen, damit die Gesetze Recht sein können. Dem dienen auch die Grundrechte als negative Kompetenzen und als Delegation der Kompetenz zur praktischen Vernünftigkeit namens des Volkes an das Bundesverfassungsgericht 504.

502

Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 15 ff.; dazu grundlegend P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 90 ff., 109 ff., 112 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 850; H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1078 ff. (allgemeine Teilhabe am allgemeinen Wohlstand), S. 1104 f. (soziale Grundrechte auf Teilhabe, abwehrend). 503 Dazu 3. Teil, 1., 2. u. 3. Kap., S. 159 ff., 175 ff., 193 ff.; 6. Teil, 3., 5., 6. u. 9. Kap., S. 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

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In der parteienstaatlichen Verfassungswirklichkeit begrenzt zusätzlich der Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung 505 die parteiliche Herrschaft. Ein solcher Grundsatz würde auch den Minderheitenschutz stärken, den ein Prinzip der Mehrheitsherrschaft, wenn es ein solches gäbe 506 , unerläßlich machen würde 5 0 7 . In der notwendig repräsentativen Repub l i k 5 0 8 kann der Grundsatz der Privatheit dem herrschaftlichen Mißbrauch der Vertretungsmacht der Abgeordneten, aber auch dem Irrtum des Parlaments über das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit Wirkungsgrenzen ziehen. Die Grundrechte haben auch eine Abwehrfunktion gegen Herrschaft und Irrtum der Vertreter des Volkes 509 . Die liberalistische Funktionsverschiebung der Grundrechtswirkungen im entwickelten Parteienstaat gibt dem Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung eine zusätzliche dogmatische Grundlage. 2. Die besonderen Grundrechte des Grundgesetzes formulieren verfassungskräftig subjektive Rechte und/oder Leitentscheidungen des gemeinsamen Lebens 510 . Sie wirken gegebenenfalls als negative Kompetenzvorschriften zu Lasten einer Politik des Gesetzgebers 511. Das ist Schutz

504 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 353 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 476 f.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1030 f. 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., insb. 5., 7., 8. u. 10. Kap., S. 963 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. 505 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 158; i.d.S. auch BVerfGE 5, 85 (197); G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 104; dazu die Hinweise in Fn. 55, 5. Teil, 2. Kap., S. 263. 506 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 507 Dazu insb. H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53 f., 75 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 536; Th. Eschenburg, Der Mechanismus der Mehrheitsentscheidung, 5. 39 ff.; W. Zeidler, Ehe und Familie, HVerfR, 1983, S. 563 f.; E. Benda , HVerfR, S. 1351; so auch BVerfGE 5, 85 (197 ff.); 44, 125 (142); vgl. K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 158; weitere Hinweise zum Prinzip des Minderheitenschutzes in Fn. 338, 6. Teil, 10. Kap., S. 513; Fn. 296, 2. Teil, 6. Kap., S. 123. 508 Dazu 8. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 644 ff., 703 ff. 509 Dazu 6. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 441 ff., 454 ff.; 9. Teil, 2. u. 4. Kap., S. 862 f., 946 ff., 948 ff. 510 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 847 ff. 511 H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, S. 29 ff.; ders., Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRl 20 (1963), S. 89 ff.; J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 291; E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, 1529 f.; E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12 (1954), S. 18 ff. ("Ausgrenzung"); R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 223 f., 407 ff., 466 u.ö.; K. Stern/M.

2

Schachtschneider

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

vor den Vertretern des Volkes 512 , vor allem aber verfassungsgesetzlich verbindlich gemachte Erkenntnis dessen, was für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit richtig ist, etwa die Kunst nicht zu reglementieren. Sowohl die Verfassung und die Gesetze als auch die guten Sitten und die Verträge verwirklichen die Freiheit, wie schließlich jede Handlungsmaxime eines Menschen. Es geht um die Kompetenz zur verbindlichen Erkenntnis von Handlungsmaximen. Die Kompetenzordnung ist freilich für die Persönlichkeitsentfaltung des Menschen und das gemeinsame Leben, also für die Politik, von Relevanz, weil kein repräsentierendes Verfahren die Moralität der Gesetzgebung und damit die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit zweifelsfrei sicherzustellen vermag 513 . Die negativen Kompetenzen der Gesetzgeber entfalten sich als subjektive Rechte (Ansprüche) der Grundrechtsberechtigten 514 , in dem jeweiligen Regelungsbereich nicht von staatlichen Entscheidungen bestimmt zu werden. "Sie (sc. die Grundrechte) schützen die Freiheit, über die eigene Freiheit entscheiden zu können." - Hans Heinrich Rupp 515 Die besonderen Grundrechte haben gegen eine Staatlichkeit der Lebensbewältigung entschieden, soweit sie sich als negative Kompetenzen des legislativen Gesetzgebers auswirken. Diese negativen Kompetenzen sichern i m Sinne eines Nachranges staatlicher Lebensbewältigung die Privatheit der Handlungsmaximen 516 . Freilich ist das nur ein Schutz gegen die Politik des einfachen Gesetzgebers. Kompetenzverschiebungen durch Verfassungs-

Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 12 57 f.; J. Isensee, HStR , Bd. III, S. 35 f.; dazu auch Ch. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 535 ff. (in Auseinandersetzung mit der Lehre H.H. Rupp); kritisch zur Lehre von den Grundrechten als negativen Kompetenznormen G. Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 26 in Fn. 47; kritisch auch H. Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, S. 20.; dazu 6. Teil, 5. Kap., S. 476; 9. Teil, 1. u. 10. Kap., S. 821, 1030 f. 512 Dazu 9. Teil, 10. Kap., S. 1030 f.; zur herrschaftsabwehrenden Funktion der Grundrechte Hinweise in Fn. 221, 5. Teil, 3. Kap., S. 296. 513 Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 628; zur sittlichen Pflicht der Abgeordneten Hinweise in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265. 514 Zum subjektiv-rechtlichen Charakter der zugleich objektiv-rechtlichen Grundrechte J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 11 ff., 286 ff., passim; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 159 ff.; für die sog. allgemeine Handlungsfreiheit H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1189 f.; R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 78 ff., 204 ff.; dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., 385 ff.; 6. Teil, 4. Kap., S. 461 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 821 ff. 515

HStR, Bd. I, S. 1200. Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 220 ff.; weitere Hinweise zum Grundsatz der Privatheit in Fn. 55, 57, 5. Teil, 2. Kap., S. 263, 264. 516

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

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änderung können nur insoweit abgewehrt werden, als der Schutz der Menschenwürde und das Bekenntnis zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (Art. 1 Abs. 1 und 2 GG) die Privatheit der Lebensbewältigung sichert. Das Bundesverfassungsgericht leitet demgemäß aus Art. 2 Abs. 1 GG her, daß der oder ein Intimbereich jeder staatlichen Regelung entzogen sei 517 . Im übrigen ist die Schutzwirkung der Grundrechte, soweit die Tatbestandsmerkmale derselben material offene Begriffe enthalten, von der Politik der Hüter der Verfassung abhängig 518 . Die vom Bundesverfassungsgericht (neben einem subjektiv-rechtlichen Gehalt 519 ) als Vernunftprinzip, geleitet durch ihre material offenen Leitentscheidungen, praktizierten Grundrechte 520 sind für die Entwicklung des Staatlichen keine unüberwindliche Schranke. In die Entwicklung des Staatlichen ist aber, wie noch näher zu zeigen sein wird 5 2 1 , das Bundesverfassungsgericht vermittels gerade dieser Grundrechte verantwortlich einbezogen. Der Anteil des Staates am Bruttosozialprodukt, mehr als 50%, und dessen Anstieg in den letzten Jahrzehnten zeigt die Entwicklung zu einer mehr und mehr Lebensbereiche erfaßenden Staatlichkeit 522 , zum totalen Staat, der erreicht wäre, wenn die Selbständigkeit der Bürger durch die Staatlichkeit der Lebensbewältigung derart ausgehöhlt sein sollte, daß sie gänzlich auf die Daseinsvorsorge des Staates angewiesen sind und die schon genannte erschreckliche Erkenntnis Ernst Forsthoffs sich erneut bewahrheiten sollte, daß "die Grundrechte völlig unbezweifelbar der Vergangenheit angehören" 5 2 3 . Wenn auch die besonderen Grundrechte ihre materiale Orientierung gänzlich eingebüßt haben und auf das Prinzip der Gesetzlichkeit reduziert sein sollten, ist dem Parteienstaat auf dem Weg zum totalen Staat ein weiteres

5,7

Hinweise dazu in Fn. 87, 88, 4. Teil, 2. Kap., S. 223, 223. Dazu 9. Teil, 1., 2., 3., 7., 9., 10. u. 11. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 909 ff., 978 ff., 990 ff., 1002 ff., 1027 ff., 1033 ff.; zu den Hütern der Verfassung 9. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 909 ff. (mit Fn. 471 ff.), 936, 958 (BVerfG); Hinweise in Fn. 53, 5. Teil, 2. Kap., S. 263 (Bürger). 519 Dazu 6. Teil, 1., 3., 4., 5. u. 6. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 461 ff., 466 ff., 478 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 821 ff.; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 379 ff., 385 ff. 520 Dazu 9. Teil, 1., 7., 10. u. 11. Kap., S. 819 ff., 847 ff., 978 ff., 1027 ff., 1033 ff. 521 Dazu 9. Teil, 2., 3., 4., 7., 8., 10. u. 11. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 932 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff., 1033 ff. 522 Vgl. K. Vogel, Der Finanz- und Steuerstaat, HStR, Bd. I, S. 1183. 523 E. Forsthoffj, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, teilweise wieder abgedruckt in: ders., Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959. 518

23*

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Hindernis aus dem Weg geräumt. Die Freiheit der Bürger wäre dann ohne begrifflichen Halt in der Verfassung allein von der praktischen Vernunft des Bundesverfassungsgerichts abhängig, dessen Einbindung in die Parteienoligarchie darum eine Gefahr für die Republik ist. Die Institution Bundesverfassungsgericht mit dessen Praxis, die praktische Vernunft des Gesetzgebers mittels des Verhältnismäßigkeitsprinzips oder des Prinzips wertender Abwägung, aber auch mittels des Willkürverbots zu überprüfen 524 , bildet nur solange ein Gegengewicht gegen den totalen Parteienstaat, als die Richter nicht der parteilichen Führung folgen; denn diese Prinzipien enthalten keine voraussehbare Entscheidungen bestimmenden und damit die Entwicklung beherrschenden Maßstäbe, sondern sind nur institutionell judiziabel 5 2 5 . Wenn die Maßnahmen der Parteienoligarchie der öffentlichen Meinung entsprechen, kann eine Gegenpolitik vom Bundesverfassungsgericht kaum erwartet werden 526 . Das zeigt die Praxis des Gerichts, zuletzt in der Frage der Ostgrenze Deutschlands. Eine derartige Praxis ist auch nicht zu rügen, soweit das Gericht gesetzgeberische Funktionen hat. Eine solche bedarf einer institutionellen Grundlage, seien es kompetenzielle oder seien es materiale Regelungen. Die kompromißhafte Judikatur des Bundesverfassungsgerichts in streitigen Lebensfragen hat immerhin Befriedungsfunktion. Sie nimmt der Unzufriedenheit die Legitimation und wirkt einem Widerstand entgegen 527 . Nachdem das Gericht das territorial reduzierte Deutschland als Vollendung der Einheit Deutschlands ohne nähere Erörterung akzeptiert hat (BVerfGE 82, 316 ff.), ist der Diskurs um das Schicksal des deutschen Ostens 528 so gut wie tabuisiert. VI.

Die Unbeschränkbarkeit der Freiheit und des Rechts der Freiheit wegen der Formalität der Freiheit Der grundrechtsdogmatische Unterschied des Rechts der Freiheit etwa zum "Recht auf Leben", welches Art. 2 Abs. 2 GG schützt, besteht in der

524 Dazu S. 362 ff. mit Fn. 558; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 986 ff., 990 ff.; auch 5. Teil, 6. Kap., S. 411 ff. 525 Dazu 6. Teil, 8. Kap., S. 498; 8. Teil, 1. Kap., S. 673; 9. Teil, 4., 7. u. 8. Kap., S. 936 f., 982 ff., 990 ff. 526 Dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 960 ff. 527 Dazu 9. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 942, 960; weitere Hinweise in Fn. 381, S. 326. 528 Dazu J. Isensee, Schlußbestimmung des Grundgesetzes: Art. 146, HStR, Bd. VII, 1992, S. 284 f.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - d o g m a t i s c h 3 5 7

Formalität der Freiheit im Gegensatz zur Materialität dieses subjektiven Rechts auf Leben, das zugleich eine (objektiv-rechtliche) Leitentscheidung für das Leben der Menschen ist. Die Formalität der Freiheit wird nicht dadurch aufgehoben, daß Art. 2 Abs. 1 GG "das Recht" auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und damit die Freiheit schützt; denn der eigentliche Gegenstand des geschützten Rechts, die Freiheit, bleibt formal. Der Rechtscharakter dieses Rechts der Freiheit ist identisch mit dem Prinzip der Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens; denn Freiheit ist Autonomie des Willens 5 2 9 . Die Willensautonomie schließt logisch die Privatheit ein, soweit allgemeine Gesetze diese ermöglichen und damit die Freiheit verwirklichen 5 3 0 . Dieses Prinzip ist Ausdruck der bürgerlichen Verfassung, die das Grundgesetz gibt. Es garantiert nicht nur Gesetze der Freiheit, sondern auch deren Verwirklichung als Schutz der Freiheit. Material ist allerdings der spezielle Freiheitsschutz durch die in besonderen Grundrechten definierten Freiheitsrechte 531 . Die formale Freiheit wird durch die gesetzliche Rechtsetzung, wie gesagt, nicht eingeschränkt, sondern verwirklicht 5 3 2 . Rechte aber können durch Gesetze eingeschränkt werden; denn sie sind material. Das gilt auch für das Recht der Freiheit, welches allerdings das Wesen der Menschenwürde und damit das der Republik ist und darum unter dem Grundgesetz nicht zur Disposition steht; denn es ist die politische Grundentscheidung der Verfassung 533 . Die Freiheit selbst kann kein Gesetzgeber geben; denn sie ist wesentlich Autonomie des Willens, sittliches Vermögen, allgemeine Gesetzgebung. Sie ist das Urrecht und bleibt es trotz des staatlichen Grund-

529

Dazu die Hinweise in Fn. 208, 5. Teil, 3. Kap., S. 294. Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 373 ff., 386 ff. 531 Vgl. dazu schon C. Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 ff., insb. S. 167 ff.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 199 ff., 206 ff.; dazu auch Ch. SteinbeißWinkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatsrechtliche Freiheitsordnung, S. 33 ff. u.ö.; R. Gröschner y Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 73 f. mit Fn. 26, S. 78 ff., 204 ff., unterscheidet die "große Freiheit" der Person als "Vernunftwesen" und die "kleinen materiellrechtlichen Freiheiten" als die Freiheitsrechte, die er material versteht, und sieht auch in Art. 2 Abs.l GG ähnlich D. Grimm "Freiheiten" neben der "großen Freiheit" geschützt; es fragt sich nur, welche Freiheiten aus dem Text des Grundgesetzes, der doch keine eingrenzende Definitionen bereithält, hergeleitet werden können sollen; dazu 9. Teil, 1. u. 7. Kap., S. 847 ff., 978 ff.; zu den unbenannten Freiheitsrechten S. 331 mit Fn. 407; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 979; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 313. 530

532

Dazu Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. Dazu S. 325 ff.; 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff.; zum Urrecht der Freiheit auch S. 332 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 290 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 533

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

rechtsschutzes, der ihrer Verwirklichung dient, nicht ihrer Einschränkung. Der Staat kann die Freiheit allerdings mißachten, verletzen, wenn nämlich seine Gesetze mangels Moralität des Gesetzgebers nicht zur Sittlichkeit des Rechts finden 534. Insbesondere beschränkt jede Herrschaft das Recht der Freiheit. Herrschaft verlangt darum nach Legitimation. Überzeugen konnte und könnte nur eine religiöse Legitimation, eine von Gott befohlene Herrschaft 535 . Der "säkularisierte ... Moderne Staat" stützt sich auf "Rationalität" und "Aktivität", nicht auf Gott (Herbert Krüger) 536. "In einer säkularisierten Welt tritt letztlich der Wohlfahrtsstaat an die Stelle Gottes." - Herbert Krüger* 31 Die Aufklärung hat darum jede mögliche Legitimation von Herrschaft ruiniert. "Die Verbindlichkeit der obersten Prinzipien des Rechts kann freilich von keiner anderen Instanz festgestellt werden als dem Rechtsgewissen." Konrad Hesse 538 Die wissenschaftliche Legitimation der Diktatur des Proletariats mußte fehlschlagen, weil historizistische Spekulation als historische Gesetzlichkeit ausgegeben wurde, einer der geschichtlich folgenreichsten Mißbräuche der Wissenschaft 539 , der heute gescheitert ist. Dürfte der Gesetzgeber das Recht der Freiheit beschränken oder dieses gar aufheben, so bestünde dieses Recht nur noch beschränkt oder gar nicht mehr. Das wäre die gesetzliche, also quasi-freie Beschränkung oder Aufgabe des Rechts der Freiheit. Ein solches Gesetz wäre republik- und menschenwürdewidrig. Es würde das Urrecht der Freiheit verletzen und zum

534 Dazu die Hinweise in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265; zum Verhältnis der Gesetze zum Recht Hinweise in Fn. 133, 5. Teil, 3. Kap., S. 281. 535 Dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 32 ff., insb. S. 43 ff.; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 139 ff.; dazu auch S. 345; 1. Teil, 3. Kap., S. 60; zum Problem der Legitimität allgemein M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 19 ff.; N. Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 2, S. 259 ff. 536 Allgemeine Staatslehre, S. 32 ff. (zur Säkularisation), S. 53 ff. (zum Rationalismus), S. 62 ff. (zur Aktivität); i.d.S. auch (gegen H. Krüger kritisch S. 129 ff.) M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 138 ff.; vgl. auch M. Weber, Wissenschaft als Beruf, 1930, Nachdruck 1950, S. 21; ders., Wirtschaft und Gesellschaft, S. 124, 815 ff., insb. S. 822; vgl. P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, S. 867 f. 537 538 539

Allgemeine Staatslehre, S. 33 (mit Hinweisen auf Burdeau und Blackham). Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 35, S. 15. Vgl. KR. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2, S. 102 ff.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - d o g m a t i s c h 3 5 9

Widerstand verpflichten. Es hätte keinen Geltungsgrund. Es wäre der Pflicht zur Sittlichkeit zuwider, die zur allgemeinen Gesetzgebung verpflichtet. Ein die Freiheit beschränkendes Gesetz wäre politikwidrig und umstürzlerisch. Würden derartige gesetzliche Freiheitsbeschränkungen wieder rückgängig gemacht, so hätte das keine freiheitliche und damit auch keine demokratische Grundlage, sondern wäre eine Art von herrschaftlicher Freilassung. Der Aspekt Beschränkung des Rechts der Freiheit ist somit genauso freiheitsund republikwidrig wie der der Beschränkung von Freiheit. Beide führen den monarchisch-liberalen, konstitutionalistischen Charakter der freiheitsdogmatischen Eingriffs- und Schrankenlehre vor Augen, die den Staat gegen die Gesellschaft stellt 540 . Eine Lehre staatlicher Beschränkung der Freiheit gar ist begriffswidrig, weil der Staat das Vermögen des Menschen zur praktischen Vernunft nicht beeinträchtigen kann, geschweige denn, daß der Staat das darf. Der Zweck des Staates ist es allein, die praktische Vernunft, das sittliche Gemeinwesen der allgemeinen Freiheit, das Reich der Liebe, zu ermöglichen. Das bestimmt auch seinen Begriff. Rechte können beschränkt werden, weil sie material sind, die Freiheit schon aus der Logik ihrer Formalität nicht. Das Recht der Freiheit kann nicht beschränkt werden, ohne die Republik zu verraten. In der Autonomie des Willens als der Freiheit, also im bürgerlichen Status als Mitgesetzgeber, zeigt sich die Formalität der Freiheit. Der Staat kann das Recht der Autonomie des Willens rechtens auch deswegen nicht beschränken, weil sein Gesetz dann kein Recht mehr geben könnte 5 4 1 . Die Selbstzweckhaftigkeit des Menschen, die in der Formalität der Freiheit ihren Ausdruck findet 542, ist unteilbar und folglich uneinschränkbar. Der Mensch ist in der Republik nicht zum Teil Bürger und zum Teil Untertan der Obrigkeit. Wer die Freiheit der anderen mißachtet, wird Despot und muß um der Freiheit willen an der Despotie gehindert werden. Jede FreiheitsVerkürzung verletzt entgegen Art. 1 Abs. 1 GG die Würde des Menschen, nicht aber bereits eine Kompetenz ver Schiebung zwischen der

540 Dazu 6. Teil, 6. Kap., S. 478 ff.; auch 6. Teil, 5. u. 9. Kap., S. 466 ff., 501 ff.; 3. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. 541 Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; weitere Hinweise zum Verhältnis der Gesetze zum Recht in Fn. 133, 5. Teil, 3. Kap., S. 281. 542 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 63 ff., 71 ff.; dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 308 ff., 318 ff.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 570, 598; 9. Teil, 7. Kap., S. 986 f. zur Selbstzweckhaftigkeit; zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 74, 5. Teil, 2. Kap., S. 266.

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

staatlichen und der privaten Bestimmung der Handlungen; denn auch die Staatlichkeit verwirklicht die Freiheit 543 . V I I . Freiheitsverletzung durch Gesetzesverletzung, Rechts- und Grundrechtsschutz gegen Gesetzesverletzung, grundrechtswidrige Gesetze und die Grundrechtsbindung der Gesetzesrichter 1. Die Mißachtung der Gesetze verletzt die äußere Freiheit. Sie macht von "anderer nötigender Willkür" abhängig 544 . Die Gesetzesverletzung greift in die Freiheit ein 5 4 5 ; denn die Willensautonomie ist verletzt, wenn das Gesetz nicht beachtet wird. Die Einigkeit, die im Gesetz ihren Ausdruck findet, hat i m Gesetz auch ihre Grenze. Das gebietet den uneingeschränkten Vollzug der Gesetze als Wirklichung der Freiheit, sofern die Gesetze Recht sind. Gesetzwidrigkeit verletzt die allgemeine Freiheit. Die allgemeine Willensautonomie ist jedoch gewahrt, wenn sich niemand durch die Gesetzesverletzung betroffen fühlt. Niemand kann für andere entscheiden, ob sie betroffen sind oder nicht 5 4 6 . Durch das Gesetz ist die Freiheit materialisiert und dadurch rechtlich verletzbar. Die Bürger, die Verwaltungen, die Gerichte, aber auch die Gesetzgeber können die Freiheit dadurch verletzen, daß sie (materiale) Gesetze mißachten. Die Gesetze, welche die Wahrheit und das Richtige verfehlen, verletzen die Freiheit moralisch. Sie schaffen kein Recht. Über die Moralität, also die praktische Vernünftigkeit, die Rechtlichkeit der Gesetze wachen die Hüter der Verfassung, das Volk und seine Vertreter, insbesondere das Bundesverfassungsgericht 547. 2. Dennoch rechtfertigt die Gesetzesverletzung die Verfassungsbeschwerde, die eine Grundrechtsverletzung voraussetzt, nicht. Die Freiheit und auch

543 Dazu S. 325 ff.; 6. Teil, 6. Kap., S. 484 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff., insb. 4. Kap. S. 580 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; zur Freiheitlichkeit der Gesetzlichkeit Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270, auch zum Gesetzesstaat. 544 So Kants Metaphysik der Sitten, S. 345, Begriff der äußeren Freiheit; i.d.S. auch ders., Zum ewigen Frieden, S. 204; dazu 5. Teil, 3., 4. u. 7. Kap., S. 289 ff., 332 ff., 431 ff.; weitere Hinweise in Fn. 130, 5. Teil, 3. Kap., S. 280. 545 Dazu R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 95 ff.; J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 27 f., 79 ff.; G. LUbbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffs abwehrrechte, S. 103 ff., 118 ff.; auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1192 f.; allgemein zur Grundrechtsbindung von Verwaltung und Rechtsprechung K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, § 74, S. 13 ff., § 75, S. 1422 ff.; dazu auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 546

Zu den Konsequenzen dieser Überlegung für den Begriff des subjektiven Rechts und des Rechtsschutzes vgl. zum subjektiven Recht auch 5. Teil, 5. Kap., S. 379 ff. 547 Dazu insb. 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; zu den Hütern der Verfassung Hinweise in Fn. 518, S. 355.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

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die Grundrechte sind nur mittelbar verletzt. Gegen die Gesetzesverletzung hat der Staat Rechtsschutz zu geben, wenn ein Rechtsschutzbedürfnis besteht (Justizgewähranspruch) 548 . Den Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt garantiert Art. 19 Abs. 4 GG 5 4 9 . Die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit einschließlich des lückenlosen Rechtsschutzes verwirklicht die Freiheit, aber auch die politischen Leitentscheidungen der besonderen Grundrechte 550 . Ein irriger rechtskräftiger Richterspruch ist keine freiheitswidrige Gesetzesverletzung, wenn die Gesetze, sowohl die materiellen als auch die prozeduralen, die Freiheit verwirklichen; denn zu diesen Gesetzen gehört auch die Regelung über die Rechtskraft, die von der Richtigkeit des Richterspruches nicht abhängt 551 . Eine Έingriffsfreiheit , 5 5 2 gegen Gesetzesverstöße gibt es nicht, sondern eine Rechtsschutzgarantie 553 . Grundrechtswidrig ist dagegen die Gesetzeslosigkeit einer staatlichen Maßnahme wegen der Verletzung des Prinzips des Gesetzesvorbehalts 554. Wenn die Grundrechte materiale Rechte schützen, scheint die Gesetzesverletzung eines grundrechtsgeschützten Handlungsbereiches zugleich eine Grundrechtsverletzung zu sein, weil die gesetzesverletzende Maßnahme nicht durch einen Gesetzes- oder Regelungsvorbehalt gedeckt ist. Dem steht aber das Institut der Rechtskraft entgegen. Die Gesetzesverletzung ist kein (eigentlicher) Grundrechtsverstoß, weil, wie gesagt, der Rechtsschutz bereitgestellt ist, der die Gesetzlichkeit grundrechtsbefohlen schützt. Mehr als grundrechtsgemäße Gesetze und gesetzesmäßigen Rechtsschutz garantieren

548 Vgl. K. Stern, Staatsrecht I, S. 838 ff., 841 f., 854; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1024 ff.; H.-J. Papier, Justizgewährungsanspruch, HStR, Bd. VI, S. 1222 ff., 1226 ff.; K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 73; 9. Teil, 2. Kap., S. 872 ff.; 10. Teil, 9. Kap., S. 1169 ff. 549 Dazu H.-J. Papier, Rechtsgarantie gegen die öffentliche Gewalt, HStR, Bd. VI, S. 1233 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Komm, des Art. 19 Abs. IV GG, 1985. 550 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 831 ff.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff. 551 Dazu K.A. Schachtschneider, Neubescheidung nach Rechtskraft, VerwArch 63 (1972), S. 309 ff. 552 Dazu R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 95 ff.; H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1192 f. 553 G. Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 105, hält den Eingriffscharakter der Mißachtung des "einfachen Gesetzesrechts" für eine "anerkannte Selbstverständlichkeit"; H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1192 f., lehnt eine "allgemeine Eingriffsfreiheit" ab, weil die Grundrechte nur "den optimalen Ausgleich zwischen Allgemeinwohl und individuellem Freiheitsinteresse"... "determinieren" sollen und nur verletzt sein würden, wenn dieser Ausgleich durch einen Hoheitsakt mißachtet werde; dieser "Ausgleich" ist aber gerade Sache des Gesetzgebers und institutionell judiziabel (dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 673 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 944 f., 982 ff., 990 ff.). 554 Dazu Hinweise in Fn. 145, 6. Teil, 5. Kap., S. 473; zum Gesetzgebungsstaat Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; vgl. E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1020 ff.; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 176 ff., 316 ff. (kritisch).

362

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

die Grundrechte nicht, jedenfalls keinen Schutz vor Irrtümern der Richter. Das ist die Logik des unverzichtbaren Verfassungsinstituts der Rechtskraft 5 5 5 . Das Bundesverfassungsgericht verlangt allgemein für den Erfolg einer Verfassungsbeschwerde die Mißachtung "spezifischen Verfassungsrechts" und überläßt den Schutz des einfachen Rechts der allgemeinen Gerichtsbarkeit 556 , zu Recht. Wenn ein Grundrecht als negative Gesetzgebungskompetenz557 vor dem kompetenzüberschreitenden Gesetzgeber schützt, kann die Verfassungsbeschwerde nur das Gesetz selbst angreifen, nicht die Gesetzesverletzung. Obwohl der Richterspruch wegen der richterlichen Normprüfungspflicht auf der inzidenten Erkenntnis der Verfassungsmäßigkeit des angewandten Gesetzes aufbaut, bleibt dieses Gesetz und damit der Richterspruch trotz Rechtskraft wegen der Außergewöhnlichkeit des Rechtsbehelfs der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG angreifbar, aber nur hinsichtlich des spezifischen Grundrechtsverstoßes durch das Gesetz in dessen Interpretation durch den Fachrichter. 3. Grundrechtswidrig kann aber auch ein richtig vollzogenes einfaches Gesetz sein, wenn dieses gegen materiale oder auch formale Verfassungsprinzipien, wie die grundrechtlichen Leitentscheidungen oder die das Prinzip der praktischen Vernunft näher bestimmenden Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Willkürverbots 558 , aber auch gegen unmittelbar in den

555

Dazu Hinweise in Fn. 277, 9. Teil, 2. Kap., S. 871, 872. BVerfGE 1, 418 (420); 18, 85 (92); 21, 209 (216); 42, 20 (27 f.); 51, 77 (89 ff., 95 ff.); vgl. auch BVerfGE 6, 32 (43); 7, 198 (207); dazu R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 95 ff., 111 ff. mit Fn. 174, mit demselben Ergebnis; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 427, S. 165 f.; G. Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 112 ff.; H.-J. Papier, "Spezifisches Verfassungsrecht" und "einfaches Recht" als Argumentationsformeln des Bundesverfassungsgerichts, in: Starck (Hrsg.) FS BVerfG 1976, Bd. I, S. 435 ff.; kritisch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1204 f.; vgl. auch W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 840; E. Benda/E. Klein, Verfassungsprozeßrecht, S. 248 ff. 557 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 821 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 353 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 476 ff.; 9. Teil, 1. u. 10. Kap., S. 821, 1030 f. 558 Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als Eingriffsschranke des Art. 2 Abs. 1 GG: v. Mangoldt/Klein/StarcK GG, Rdn. 19 zu Art. 2 Abs. 1, S. 164 f.; Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 317 ff., S. 127 f., i.S. der "Herstellung praktischer Konkordanz"; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 84 ff., 89 ff., 254 f.; P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 134 ff. u.ö.; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 350 ff., 357 ff.; BVerfGE 7, 377 (405 f.); 17, 306 (313); 19, 342 (348 f.); 27, 1 (8); 27, 344 (350 ff.); 38, 281 (298); 69, 315, LS 2b, (354) u.ö.; H. Ridder, Verfassungsrecht oder Staatsrecht, S. 9, kritisiert, daß mittels des Verhältnismäßigkeitsprinzips Zweckmäßigkeitserwägungen eine fragwürdige 556

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

363

Grundrechten festgeschriebene subjektive Rechte, verstößt. Logisch modifiziert die Gesetzesbindung des Richters die Grundrechtsbindung des gesetzesanwendenden Richterspruchs. Der Richter hat das Gesetz anzuwenden. Die inzidente Normenkontrolle des Richters ist jedoch grundrechtsgebunden, wenn nicht ausnahmsweise die Normenfrage principaliter zu entscheiden ist. Das aber ist in der Regel dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Art. 1 Abs. 3 GG, der auch die Rechtsprechung an die Grundrechte "als unmittelbar geltendes Recht" bindet, begründet darum in Verbindung mit Art. 100 Abs. 1 GG die Kompetenz, also die Pflicht, der Richter, die Gesetze an den Grundrechten zu messen und sie grundrechtsgemäß auszulegen 559 . "Der Richter hat kraft Verfassungsgebots zu prüfen, ob die von ihm anzuwendenden materiellen zivilrechtlichen Vorschriften in der beschriebenen Weise grundrechtlich beeinflußt sind; trifft das zu, dann hat er bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften die sich hieraus ergebende Modifikation des Zivilrechts zu beachten. Dies ist der Sinn der Bindung auch des Zivilrechts an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG). Verfehlt er diese Maßstäbe und beruht sein Urteil auf der Außerachtlassung dieses verfassungsrechtlichen Einflusses auf die zivilrechtlichen Normen, so verstößt er nicht nur gegen objektives Verfassungsrecht, in dem er den Gehalt der Grundrechtsnormen (als objektive Normen) verkennt, er verletzt durch sein Urteil das Grundrecht, auf dessen Beachtung auch durch die rechtsprechende Gewalt der Bürger einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat. Gegen ein solches Urteil kann, unbeschadet der Bekämpfung des Rechtsfehlers im bürgerlich-rechtlichen Instanzenzug, das Bundesverfassungsgericht im Wege der Verfassungsbeschwerde angerufen werden." - BVerfGE 7, 198 (206f.) 560 Wäre nur der Gesetzgeber an die Grundrechte gebunden, bliebe offen, ob der Richter die Grundrechtstreue des Gesetzgebers prüfen dürfte; denn die Nichtigkeit grundrechtswidriger Gesetze ist keine Selbstverständlichkeit. Das

rechtliche Verbindlichkeit erhalten, so daß das Prinzip ein Instrument der verfassungsgerichtlichen Gesetzgebung sei (dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 986 ff.; auch 9. Teil, 8. Kap., S. 990 zum schwesterlichen Willkürverbot); i.d.S. auch K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 64, 69 (nicht subsumibel); kritisch auch K.A. Bettermann, Hypertrophie der Grundrechte, S. 13; i.S.d. Textes konzipiert das "Objektivitätsgebot" P. Kirchhof,, HStR, Bd. V, S. 943 ff., insb. S. 951; zum gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der Gemeinschaftsrechtsetzung. 559 Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 898, 902 ff., 906 f. 560 Vgl. i.d.S. auch BVerfG JZ 1994, 408 ff.

364

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Grundgesetz schreibt vor allem mittels Art. 100 Abs. 1 S. 1 eine institutionelle, funktionelle und prozedural anspruchsvollere Reaktion auf die fachgerichtliche Erkenntnis gesetzgeberischer Grundrechtsverletzung vor. Die Praxis des Bundesverfassungsgerichts behandelt verfassungswidrige Gesetze bekanntlich ebenfalls differenzierter als mit der bloßen Nichtigkeitsfolge, nämlich auch mit verfassungskonformer Interpretation des Gesetzes oder der Verpflichtung des Gesetzgebers, die Gesetzeslage zu novellieren 561 . Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG bestätigt, daß jeder Richter die Aufgabe der Normenkontrolle hat. Der Richter darf grundrechtswidrige Gesetze nicht anwenden, weil die Grundrechte sowohl den Gesetzgeber als auch ihn, den Richter, binden. Dadurch hat der Richter die Verantwortung dafür, daß der Gesetzgeber die Grundrechte beachtet hat. Die Rechtsfolge ist, daß der Richter grundrechtswidrige Gesetze nicht gelten lassen darf. Die Gesetzesbindung des Art. 97 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Grundrechtsbindung des Art. 1 Abs. 3 GG macht den Fachrichter zum Verfassungsrichter, allerdings wegen und im Rahmen des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ohne die sogenannte Verwerfungsfunktion. Der Richter ist an die Gesetze gebunden, aber nur wenn diese Recht setzen. Folglich darf er das Gesetz auch nicht grundrechtswidrig auslegen; denn die richterliche Auslegung klärt, was das Gesetz vorschreibt. Die richterliche Gesetzesauslegung bringt das Gesetz zur Sprache 562 . Der Richter darf den Rechtsstreit nicht auf Grund verfassungswidriger Gesetze entscheiden; vielmehr muß er nach Maßgabe des Art. 100 GG das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des zuständigen Verfassungsgerichts einholen. Eine Grundrechtsverletzung des Richters im Bereich seiner Gesetzesbindung ist somit logisch die Anwendung eines grundrechtswidrigen Gesetzes; denn das Gesetz gilt in der Interpretation des Richters 563 . Die Verfassungsbeschwerde gegen gesetzesabhängige Richtersprüche stellt somit das Gesetz in seiner jeweiligen Auslegung zur Prüfung des Verfassungsgerichts, nicht die übrigen Erkenntnisakte, die der Richter zur Rechtsfindung zu leisten hat.

561 Dazu W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 808 f.; J. Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt, 1980, insb. S. 211 ff.; E. Benda/E. Klein, Verfassungsprozeßrecht, S. 492 ff.; dazu auch 9. Teil, 2. Kap., S. 897, 905 ff. 562 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215, 221. 563 Dazu i.d.S. Κ Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 136 f. zu Art. 100; differenzierend für die Zulässigkeit und die Begründetheit im Verfahren der konkreten Normenkontrolle E. Benda/E. Klein, Verfassungsrecht, 1991, S. 345; vgl. BVerfGE 36, 126 (131, 135 ff.); 138, 154 (162, 165 ff.).

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

365

4. Diese Lehre gebietet, die Unterwerfung des Richters unter das Gesetz durch strikte Wahrung des Bestimmtheitsprinzips zu ermöglichen. Wenn der Richter ermächtigt wird, abwägend Gerechtigkeit aus der Eigenart des Einzelfalles zu gewinnen, wenn das Gesetz für den Richter nur noch eine Erkenntnismaxime unter vielen ist 5 6 4 , kommt auch der Grundrechtsverstoß durch den prinzipalen Erkenntnisakt des Richters in Betracht, weil die Grundrechte für ihn zu Gesichtspunkten der abwägenden Erkenntnis, besser: der Streitentscheidung, werden 565 . Auch der Fachrichter kann zur funktional gesetzgebenden Rechtserkenntnis ermächtigt werden, insbesondere durch die Billigkeitsklauseln 566 . Der ermächtigende Gesetzgeber muß die grundrechtliche Abwägung an Hand der Leitentscheidungen selbst vornehmen, d.h. dem Fachrichter den Weg der näheren Erkenntnis weisen. Die Grundrechtsverwirklichung ist Sache des Gesetzgebers und der Verfassungsrechtsprechung. Wenn sie dem Fachrichter übertragen wird, verletzt das die grundrechtlichen Gesetzes- und Regelungsvorbehalte, aber auch die verfassungsimmanenten Schranken der vorbehaltlosen Grundrechte, die ebenfalls gesetzlich zu bestimmen sind. Zu dieser Dogmatik zwingt wiederum Art. 100 Abs. 1 GG; denn die richterlichen funktional gesetzgebenden Rechtserkenntnisse sind nicht vorlagefähig. Die Verfassungsgerichte würden in ihrer Verantwortung für die Rechtlichkeit der Gesetze eingeschränkt werden, wenn die Gesetzgebung funktional auch insoweit den Richtern delegiert würde, daß diese die Materialisierung der formalen oder material offenen Grundrechte zu praktizieren hätten. Der Gesetzgeber wäre nicht nur durch die Verfassungsrechtsprechung relativiert, ein Stück der vom Grundgesetz ausweislich Art. 100 Abs. 1 GG verfaßten Funktionenteilung, sondern auch durch die Fachgerichte, wenn auch diese ihrerseits der Kontrolle der Verfassungsgerichte unterlägen (Art. 1 Abs. 3 GG). Der Gesetzgeber muß zumindest das erste Wort bei der Materialisierung der grundrechtlichen Leitentscheidungen haben. Er darf es durch ermächtigende Generalklauseln nicht aus der Hand geben. Das zumindest verlangt auch Art. 97 Abs. 1 GG, wenn die Unterwerfung der Richter unter das Gesetz und damit das Auto-

564

Dazu kritisch 9. Teil, 2. Kap., S. 880 ff., 895 ff. (mit Fn. 412). Zur Unterscheidung von Beurteilungs- und Handlungsnormen, die für die Dogmatik der Justizgrundrechte bedeutsam ist, A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren, 1963, S. 3, 344, 442 ff.; K.A. Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, GS W. Jellinek, 1955, S. 372 ff., 385; ders., Rechtsprechung, rechtsprechende Gewalt, EvStLex, 2. Aufl., Sp. 2027 ff.; ders., Die rechtsprechende Gewalt, HStR, Bd. III, 1988, S. 790 f.; K.A. Schachtschneider, VerwArch 63 (1972), S. 147. 566 Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 881 ff., 890 ff. 565

366

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

nomieprinzip 567 nicht übermäßig an Substanz einbüßen sollen. Diese Überlegungen zeigen die Grenzen für das Richterrecht 568 auf, die die Arbeitsgerichtsbarkeit überschritten haben dürfte, aus Not, weil der Gesetzgeber ihr das Arbeitsgesetzbuch verweigert 569 . Art. 1 Abs. 3 GG findet somit u.a. eine nähere Ausgestaltung in Art. 100 Abs. 1 GG. 5. Die Notwendigkeit, durch Kammern und die Senate des Bundesverfassungsgerichts ohne mündliche Verhandlung vorprüfen zu lassen, ob eine Verfassungsbeschwerde angenommen werden könne, weil "von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage zu erwarten sei oder dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstehen würde" (Art. 94 Abs. 2 GG, § 93a BVerfGG), erweist die Fragwürdigkeit des Rechtsbehelfs Verfassungsbeschwerde gegen grundrechtsverletzende Gesetzesverstöße, zumal die Ablehnung der Annahme nicht begründet zu werden braucht 570 . Die Gesetzesverletzung verdient nämlich nur selten den Vorwurf des Verfassungsbruchs, weil sie meist nur ein Gesetzesbruch ist 5 7 1 . 6. Der Vorwurf, das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, setzt logisch die Gesetzesverletzung voraus, weil das Prinzip der Gleichbehandlung dem Prinzip der Gesetzlichkeit immanent ist 5 7 2 . Aber dieser Vorwurf kann nicht schon damit begründet werden, daß das Gericht den streitigen Sachverhalt verkannt oder begrifflich falsch zugeordnet, das Gesetz irrig interpretiert oder auch fehlerhaft den Tatbestand, den begrifflich erfaßten Sachverhalt also, unter das interpretierte Gesetz subsumiert habe, typische Fehler bei der Gesetzesanwendung, sondern nur damit, daß das Gericht einen Bürger anders als den anderen behandeln w i l l oder ihm die Gesetzlichkeit seines Spruches gleichgültig ist

567 568

Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 895 ff., 897 ff., 900 ff., 904 ff. Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. (mit Fn. 106); auch 9. Teil, 2. Kap., S. 864 (mit Fn.

246). 569

Das vom Bundesarbeitsgericht geschaffene Richterrecht akzeptiert das Bundesverfassungsgericht explizit wegen des Verbots der Justizverweigerung (BVerfGE 84, 212 (226 f.)); dazu Hinweise in Fn. 77, 5. Teil, 2. Kap., S. 267. 57 0 W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 84 ff. 571 Dazu E. Denninger, AK-GG, Rdn. 33 zu Art. 1 Abs. 2, 3 (kritisch); i.d.S. auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1192 f. 572 Deutlich schon C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S.211; G. Diirig, in: Maunz/Diirig, GG, Rdn. 52 ff. zu Art. 3 GG; dazu 6. Kap., S. 536 ff.; auch 9. Teil, 8. Kap., S. 1284 ff.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - d o g m a t i s c h 3 6 7

oder doch erscheint. Willkürlich handelt das Gericht, welches sich nicht von dem Gesetz abhängig macht, sondern die Unterwerfung unter das Gesetz (Art. 97 Abs. 1 GG) abstreift. Insofern ist die Willkür des Richters (oder Beamten), nicht aber die Vernunftwidrigkeit des Gesetzgebers, die spezifische Verletzung des Gleichheitssatzes 573 . Die Mißachtung des Prinzips der Rechtsanwendungsgleichheit, nicht die irrige, aber im Prinzip gesetzestreue Rechtsanwendung, ist die spezifische Verletzung des Grundrechts des Art. 3 Abs. 1 G G 5 7 4 . Auch wenn der Richter Rechtsanwendungsmethoden grundsätzlich verkennt, ist Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Die allgemeine Rechtsanwendungsgleichheit aber sichert der Rechtsschutz, der durch den Justizgewährleistungsanspruch 575 und, gegen die öffentliche Gewalt, durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet ist. Der Schutz gegen gewöhnliche Gesetzesverletzungen ist abschließend geregelt. Der Gleichheitsverstoß liegt in der Mißachtung des Prinzips der Gesetzlichkeit, nicht i m Rechtsirrtum. Auch Art. 3 Abs. 1 GG macht das Bundesverfassungsgericht nicht zur Superrevisionsinstanz 576 . Diese Dogmatik des gesetzgebungsstaatlichen, also republikanischen, Grundrechtsschutzes wird durch die Dogmatik der grundrechtsunmittelbaren Einzelfallgerechtigkeit, die das Bundesverfassungsgericht insbesondere in seiner Judikatur zur Garantie der Kunstfreiheit praktiziert, beiseite geschoben, zum Nachteil der Freiheit 577 . Wenn etwa der Instanzrichter die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nicht erkennt und darum die konkrete Normenkontrolle durch das zuständige Verfassungsgericht nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG einleitet, verletzt

573

Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 411 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff. I.d.S. BVerfGE 18, 85 (92 f.); 18, 224 (240); 34, 293 (301 f.); 71, 354 (362); vgl. auch 70, 93 (97); 71, 202 (204), wo ein Gleichheitsverstoß bei schechthin unvertretbarer und für willkürlich gehaltener unrichtiger Anwendung einfachen Rechts angenommen wird; P. Kirchhof, Objektivität und Willkür, FS W. Geiger, S. 109; ders., HStR, Bd. V, S. 951 f. ("Objektivitätsgebot"); dazu W.-R. Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 1987, S. 38; R. Herzog, Das Bundesverfassungsgericht und die Anwendung einfachen Gesetzesrechts, FS G. Dürig, 1990, S. 431 ff.; vgl. B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 5. Aufl. 1989, S. 302 f. 575 Dazu die Hinweise in Fn. 77, 5. Teil, 2. Kap., S. 267. 576 Seit BVerfGE 18, 85 (92 f.); st.Rspr.; auch schon BVerfGE 3, 213 (219 f.); 7, 198 (207); vgl. aber auch die Ausdehnung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Gesetzlichkeit der Rechtsprechung seit BVerfGE 35, 202 (219); 42, 143 (148 f.); 42, 163 (168 f.) - "Intensivere Nachprüfung" gemäß einer "je - desto" "Gleitklausel" (je stärker der Grundrechtseingriff, desto intensiver die Nachprüfung); dazu R. Herzog, Das Bundesverfassungsgericht und die Anwendung einfachen Gesetzesrechts, S. 431 ff. 574

577 Dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff., insb. S. 1009 ff.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 365 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 880 ff.

368

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

er das vom Gesetzgeber mißachtete Grundrecht, weil er die "verfassungsrechtliche Verflechtung seiner Entscheidung" verkannt hat 5 7 8 . Die richterliche Auslegung der Gesetze ist dementsprechend auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten zu überprüfen, so als wäre die Interpretation des Textes der Text selbst 579 . Nicht jedes Fehlurteil ist jedoch ein Willkürakt. VIII.

Das Recht auf Leben in subjektiver und objektiver Dimension als Verwirklichung der Freiheit Die Verfassung schützt durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG u.a. das Recht auf Leben. Allerdings erlaubt es Satz 3 des Art. 2 Abs. 2 GG, daß "in diese Rechte" "auf Grund eines Gesetzes eingegriffen" werde. Das grundgesetzliche Recht auf Leben darf somit einfachgesetzlich beschränkt werden. Soweit die Beschränkung des Rechts auf Leben 5 8 0 durch das einfache Gesetz reicht, besteht kein Recht auf Leben mehr. Das ist ein Eingriff in das grundgesetzliche Recht auf Leben, welches als Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nur durch die Grundrechtsschranke 581 des S. 3 beschränkt geschützt ist. Das das Recht auf Leben einschränkende Gesetz darf dieses Recht nicht aushöhlen, sondern hat orientiert an der politischen Leitentscheidung des Grundrechts für das Leben die praktisch vernünftige, also die für das Gemeinwohl richtige Gesetzeslage zu schaffen, also Recht zu setzen. Das gebietet Art. 1 Abs. 3 GG und vor allem Art. 19 Abs. 2 GG 5 8 2 . Der objektiv-rechtliche Gehalt des Grundrechts verbietet es, den subjektivrechtlichen Gehalt des Grundrechts leerlaufen zu lassen, wenn auch

578

I.d.S. R. Herzog, Das Bundesverfassungsgericht und die Anwendung einfachen Gesetzesrechts, S. 440 f.; vgl. BVerfGE 67, 213 (228 f.). 57 9 R. Herzog, Das Bundesverfassungsgericht und die Anwendung einfachen Gesetzesrechts, S. 442; i.d.S. auch K. Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 136 f. zu Art. 100; wohl wegen der Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung anders E. Benda/E. Klein, Verfassungsprozeßrecht, S. 345. 580 Zu dem Problem des "Leerlaufs" der Grundrechte unter Gesetzesvorbehalt C. Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 ff.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 191 ff.; dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 857 (mit Fn. 201); zum Recht auf Leben 9. Teil, 1. Kap., S. 831 ff. 581 Der einfache einschränkende Gesetzgeber muß die sog. Schranken-Schranken, nach der Praxis etwa das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wahren. Zu den Schranken-Schranken knapp K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 463; zur Eingriffs- und Schrankendogmatik genau G. Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, insb. S. 25 ff., zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als materialem Grundrechtschutz S. 29 (dazu in Fn. 558, S.362; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 986 ff.). 582 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 832 ff.

4. Kap.: Republikanische Freiheit als Autonomie des Willens - dogmatisch

369

vernünftige Gesetze das subjektive Recht auf Leben aufheben dürfen. Das subjektive Recht zu leben steht unter dem Vorbehalt des einfachen, der objektiven Dimension des Lebensgrundrechts gerecht werdenden Gesetzes. Diese Dogmatik der subjektiven Dimension ist möglich, weil das Recht auf Leben klar bestimmt ist und als solches keiner gesetzlichen Materialisierung bedarf 583 . Ohne das das Recht auf Leben einschränkende einfache Gesetz würde das Recht auf Leben auch in den vom Tatbestand des einschränkenden Gesetzes erfaßten Fällen das Leben schützen. Das einfache Gesetz schränkt das Recht zu leben ein, aber verwirklicht die allgemeine Freiheit, etwa als Verpflichtung des Polizisten, sein Leben zur Verteidigung der Rechtsordnung einzusetzen. U m der allgemeinen Freiheit willen muß das Recht auf Leben zurückstehen und darum dessen grundrechtlicher Schutz unter den Gesetzesvorbehalt gestellt sein. Die Schranken des grundrechtlichen Lebensschutzes werden freiheitlich realisiert. Grundrechtsgeschüt'zte Freiheitsverwirklichung durch Gesetz und grundrechtsgeschützte Rechtsverteidigung gegen das Gesetz sind zu unterscheiden. Sie finden ihre Einheit in der grundrechtsgeleiteten praktischen Vernünftigkeit der Gesetze, über die die Hüter der Verfassung wachen 584 . Das Leben ist natürliche Bedingung menschlicher Freiheit; aber selbst das Recht auf Leben hat seinen Grund in der Freiheit. Es ist politisch anerkannt als Menschenrecht (Art. 1 Abs. 2 GG; Art. 3 Allg. Erkl. Menschenrechte; Art. 2 Abs. 1 S. 1 E M R K ) 5 8 5 . Die Pflicht, das Leben zu schützen, leitet das Bundesverfassungsgericht unmittelbar aus der Garantie der Menschenwürde ab 5 8 6 . Das Leben ist "vitale Basis der Menschenwürde" (BVerfGE 39, 1(42)). Gegenüber Art. 1 Abs. 1 GG garantiert Art. 2 Abs. 2 GG aber ein eigen583

Zur grundrechtsdogmatischen Relevanz des Bestimmtheitsprinzips 9. Teil, 2. Kap., S. 866 ff., 882 ff., 887 ff., 890 ff., 896 ff., 900 ff.; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 386 ff.; zur Problematik eines Rechts auf Leben des nasciturus gegenüber der Mutter BVerfGE 39, 1 (44 ff.); BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993, dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 1244 f. 584

Dazu Hinweise in Fn. 518, S. 355. Ganz i.d.S. Carlo Schmid , Erinnerungen, S. 373. I.d.S. auch BVerfGE 39, 1 (41 ff.); 46, 160 (163); 49, 98 (141); 53, 30 (57); 56, 54 (73); dazu v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 128 zu Art. 2 Abs. 2. 585

586

BVerfGE 46, 160 (164); vgl. auch BVerfGE 39, 1 (42); BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 128, 138, 144 zu Art. 2 Abs. 2; D. Lorenz, HStR, Bd. VI, S. 5 f. 24 Schachtschneider

370

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

ständiges G r u n d r e c h t 5 8 7 . Das Recht auf L e b e n kann u m des gemeinsamen Lebens w i l l e n n i c h t w i e die W ü r d e des Menschen jeder gesetzlichen E i n schränkung entzogen werden, w i e A r t . 2 A b s . 2 S. 3 G G erweist. W ä r e das Recht auf L e b e n ein Naturrecht, wäre also die N a t u r der "Gesetzgeber" dieses Rechts, so stünde es doch zur D i s p o s i t i o n des freiheitlichen Gesetzes. Das Naturgesetz erwiese sich als u n v e r b i n d l i c h gegenüber dem v o m M e n schen gesetzten Gesetz u n d wäre dadurch falsifiziert. D e r Staat als das bürgerlich, also freiheitlich, verfaßte Gemeinwesen e r m ö g l i c h t den rechtlichen Schutz des Lebens u n d die V e r w i r k l i c h u n g der Freiheit. Beides ist schließl i c h G r u n d u n d Z w e c k des Staates 5 8 8 .

5. Kapitel Die freiheitliche Privatheit in der Republik I.

D i e institutionelle u n d die modale Privatheit u n d Staatlichkeit des Bürgers

D e r Z w e c k des Staates ist das gute L e b e n aller Bürger i n allgemeiner F r e i h e i t 5 8 9 . D a r i n liegt die allgemeine " G l ü c k s e l i g k e i t " , die somit (auch) Z w e c k der R e p u b l i k i s t 5 9 0 . Z u i h r gehört die bürgerliche Privatheit. Frei

587

Richtig D. Lorenz, HStR, Bd. VI, S. 6; M. Kloepfer, Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranken in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - dargestellt am Beispiel der Menschenwürde, in: FG BVerfG II, S. 412. 588 Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 27 ff., 42 ff.; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 83 ff., 98 ff.; auf den gegenseitigen Vorteil des Verzichts, den anderen zu töten, baut O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 307 ff., 332 ff.; ders., Gerechtigkeit als Tausch? Zum politischen Projekt der Moderne, 1991, S. 19 ff., seine hobbesianische Gerechtigkeits- und damit Rechtslehre auf; dazu auch 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff. mit Hinweisen in Fn. 299; auch 7. Teil, 3. Kap., S. 553 ff.. Bedeutsam ist die Unterscheidung von Freiheit und Recht auch für die Arbeitskampfverfassung. Art. 9 Abs. 3 GG garantiert die Arbeitskampffreiheit; denn der Arbeitskampf ist als Tarifverfahrensinstrument institutionalisiert, S. 3 des Art. 9 Abs. 3 GG (dazu für alle R. Scholz, Koalitionsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 1170 ff.; vgl. insb. BVerfGE 84, 212 (224 ff.). Dieses Grundrecht gibt aber kein subjektives Arbeitskampfrecht, weder ein Recht zum Streik noch eines zur Aussperrung. Diese Rechte werden grundsätzlich erst durch den Tarifvertrag begründet (dazu näher K.A. Schachtschneider, Streikfreiheit und Streikrecht, Vortrag, 1989; a.A. für die herrschende Meinung R. Scholz, HStR, Bd. VI, S. 1177.). 589

Dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 299 ff., 346 ff., 350 ff.; auch 3. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 199, S. 201 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f., 241 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 573 ff. 590 Ganz so D. Sternberger, Das Menschenrecht nach Glück zu streben, S. 131 ff., 143 ff.; zum Wohlfahrtszweck des Staates H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1078 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 34 ff.; ders., Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 136 ff., zum Wohlfahrtszweck in der Geschichte der Staatszwecke; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 101

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

371

ist der Bürger sowohl als staatliche Persönlichkeit, als einer, der zur Bürgerschaft, zur Allgemeinheit also, gehört, als auch als Privater in seiner Privatheit. Als staatliche Persönlichkeit hat der Bürger einen autonomen Willen; er ist nämlich selbst Gesetzgeber als ein Bürger mit allen anderen Bürgern zusammen. Das Private ist das, was der Bürger allein bestimmt, das, was nicht staatlich ist, wenn man so will, sein besonderes Glück. Dieser Begriff der Privatheit entspricht dem lateinischen Wort privatus, welches als Gegenbegriff zum Staatlichen, zum Allgemeinen, zum Öffentlichen fungiert. Alle Versuche, das Private durch andere Begriffe zu erläutern, führen in die Irre, weil das Spezifische des Privaten das ist, was, wie schon gesagt, nicht allgemein und damit nicht staatlich ist. Erläuternde und damit die Grenzziehung zwischen dem Staatlichen und dem Privaten festschreibende Begriffe scheitern, weil diese Grenzziehung variabel und dynamisch, nämlich politisch ist. Was die Bürger gemeinsam, also staatlich, bestimmen und bewältigen, regeln die Gesetze; denn alles menschliche Handeln kann von allgemeinem Interesse sein und darum als res publica res populi werden. Weil alles Handeln alle betrifft, müssen alle bestimmen, wer die Maximen des Handelns materialisieren soll, die staatliche Bürgerschaft oder der einzelne Bürger allein, der Private. Wie das Staatliche so ist auch das Private als Begriff formal definiert und findet seine Materialität in den jeweiligen Gesetzen. Daraus folgt, daß es keine den Gesetzen vorgängigen materialen Begriffe des Staatlichen und des Privaten geben kann. Die Lebensbewältigung ist staatlich, wenn sie dem Staat übertragen, sie ist privat, wenn sie den Privaten überlassen ist 5 9 1 . Diese Formalität der Begriffe zwingt zu institutionellen Begriffen des Staates und des Privaten. Der Staat ist die Einrichtung der Bürger für ihr gemeinsames Leben. Vor allem hat die Bürgerschaft ihrem Staat im Grundsatz die Ausübung der Gewalt vorbehalten 5 9 2 . Weil Verbindlichkeit gewaltsame Erzwingbarkeit des Handelns, aber Bedingung des Rechts ist, gibt es in der Republik außerhalb der Staatlichkeit kein Recht. Die Bedingung des Rechts ist die Verfassung des Volkes als Staat. Darum ist alle Staatsgewalt und

ff., insbesondere zu den Grenzen aus dem "Freiheits- und Autonomiegedanken des Liberalismus"; dazu auch S. 346 ff.; 3. Teil, 3. Kap., S. 199; 4. Teil, 3. Kap., S. 241 ff.; 7. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 576 ff., 633 f. 591 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 173 ff., 253 ff. 592 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 548 ff. mit Fn. 180, 182. 24*

372

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

damit das Recht Sache des Volkes, wie es Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG als Fundamentalprinzip der grundgesetzlichen Verfassung der deutschen Republik zugrundelegt 593 . Alle staatlichen Einrichtungen sind Einrichtungen des Volkes in dessen Staatlichkeit. Wegen der Formalität des Staatlichen folgt daraus, daß alle Handlungen dieser Einrichtungen staatlich sind, vor allem die Rechtsakte dieser staatlichen Einrichtungen. Privatheit staatlicher Einrichtungen, wie sie das Fiskusdogma lehrt und wie sie (zunehmend) praktiziert wird, scheidet damit schon begrifflich aus 594 . Diese Begrifflichkeit ist aber in dem Fundamentalprinzip, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe, verankert; denn alles, was das Volk unternimmt, ist logisch Sache des Volkes und damit staatlich, weil Volk und Staat identisch sind. Der Staat ist nämlich das für die Verwirklichung des Allgemeinen verfaßte Volk 5 9 5 . Gerade deswegen können Handlungen der Privaten staatlich, nämlich durch die allgemeinen Gesetze, bestimmt sein. Wenn das Volk als Staat durch die allgemeinen Gesetze die Maximen des Handelns definiert, ist das Handeln der Menschen, welches den Maximen folgt, durch Rechtsakte des Staates bestimmt, also Verwirklichung des Staatlichen als des Allgemeinen und damit staatlich. Es gibt somit einen institutionellen Begriff des Staatlichen und des Privaten 596 . Weil aber institutionell Private in ihrem Handeln weitgehend staatlich, nämlich durch allgemeine Gesetze, bestimmt sind, gibt es auch einen modalen Begriff des Staatlichen. Institutionell staatliches Handeln darf jedoch niemals modal privat sein, weil die Maximen ausschließlich Maximen der Bürgerschaft in ihrer Allgemeinheit, des Volkes also, sein dürfen; denn alle Staatsgewalt geht vom Volke aus 597 . Wenn aber nicht die gesamte Lebensbewältigung staatlich materialisiert, sondern Privatheit ermöglicht werden soll, muß, um das Staatliche, nämlich das Gemeinwohl, bei privatem Handeln durchsetzen zu können, institutionelle Privatheit modal staatlich bestimmt sein können. Das modal Private der institutionell Privaten besteht darin, daß die Privaten in dem Umfang, in dem die Gesetze

593

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., 64 ff. K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 5 ff., 253 ff., 261 ff.; J. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 210 ff. 595 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 16 f.; 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 160 f., 165 f.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 653; auch 3. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 160 ff., 175 f., 186 ff.; 10. Teil, 1. u. 7. Kap., S. 1045 ff., 1143 f., zum Begriff des Staates im weiteren Sinne. 596 Vgl. K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 175 ff. 597 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 253 ff., 261 ff. 594

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

373

das erlauben, die Handlungsmaximen privat, also allein materialisieren dürfen. Der Private ist somit bei allem Handeln zugleich staatlich bestimmt, wenn man so will, in dem Maße, in dem er die allgemeinen Gesetze vollzieht, Amtswalter des Staates. Sowohl das Staatliche als auch das Private gehört zur Persönlichkeit der Bürger. Beides ist selbstbestimmt, das Staatliche allgemein durch Autonomie des Willens, das Private allein, das Staatliche in freier, allgemein gesetzgebender/praktisch vernünftiger, Willkür, das Private in Willkür, allein dem eigenen Glück verpflichtet. Das Staatliche ist wie das Private integraler Bestandteil des Lebens jedes Bürgers, also seiner Persönlichkeit. Auch das Staatliche ist das Eigene des Bürgers; denn: res publica res populi. Als Privater ist der Bürger durch die allgemeinen Gesetze, die auch seine Gesetze sind, frei. Wegen ihrer Gesetzlichkeit ist die Privatheit freiheitlich. Privatheit ist äußere und innere Freiheit, wenn und weil sie wegen ihrer Gesetzlichkeit die Persönlichkeit entfaltet/nach Glück strebt, ohne anderen Unrecht zu tun. Die private Willkür ist frei, weil sie legal ist. Das Prinzip der Freiheit ist in der Privatheit verwirklicht, wenn und weil die Privatheit auf den allgemeinen Gesetzen gründet, spezifischer, die allgemeinen Gesetze vollzieht. Immer verbleiben dem Privaten rechtlich geschützte Möglichkeiten, subjektive Rechte 598 , die Maximen des Handelns allein zu bestimmen, ohne sich mit anderen Privaten vertragen zu müssen. Diese Möglichkeiten gehen mehr oder weniger weit und sind mehr oder weniger von den Grundrechten geschützt. Die Allgemeinverträglichkeit der privaten Maximen ergibt sich aus den allgemeinen Gesetzen. Die Alleinbestimmung unterscheidet sich von der Willensautonomie dadurch, daß Alleinbestimmung nicht allgemein gesetzgebend ist, sondern lediglich (subjektive) Maximen des eigenen Handelns des Menschen wählt. Wegen der Allgemeinheit der Freiheit ist die Autonomie des Willens zwar selbst-, aber zugleich allgemeinbestimmt; denn die Gesetzgebung ist repräsentativ-konsensual, nämlich allgemein 599 . Die Allgemeinheit der Gesetzgebung liegt i m Begriff des Gesetzes selbst 600 . 398

Dazu S. 385 ff.; 6. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 447 ff., 449 ff.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1023 ff. Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 298, 304 ff.; 7. Teil, 1., 4., u. 6. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 639 ff., 745 ff. (C. Schmitt); 9. Teil, 2. Kap., S. 867 ff.; zur allgemeinen Gesetzgeberschaft Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 73, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 599

374

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

II.

Privatheit als berechtigte Willkür; auch Kants Begriff des äußeren Mein und Dein Das Private entfaltet sich auf der Grundlage der Rechte zur Willkür, welche die Gesetze geben und begrenzen. § 903 BGB, die Definition des Sacheigentums, ist das klassische Modell des Rechts zur Privatheit: "Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen." 601 Willkür ist nicht als solche negativ, wie der Begriff des Willkürverbots 6 0 2 suggeriert. Das Unrecht verbotener Willkür liegt i m Verbot derselben. Das Verbot reagiert auf den Mangel an praktischer Vernünftigkeit einer Entscheidung. Praktische Vernünftigkeit fehlt den Entscheidungen, die nicht allgemein oder allgemeinheitsfähig sind, also den Entscheidungen, welche die innere Freiheit oder eben das Sittengesetz verletzen. Weil das Sittengesetz formal ist 6 0 3 , ist die Materialisierung der praktischen Vernunft und damit des Willkürverbots notwendig persönlich, d.h. ein sittlicher Akt einer Persönlichkeit. Dieser Akt setzt bestmögliche Kenntnis der Welt, also Wissenschaftlichkeit, voraus. Willkür kann und soll frei, also sittlich, sein. Das verlangt Moralität 6 0 4 . Die freie Willkür schafft Recht 605 . Die Verletzung der allgemeinen Freiheit inkriminiert die Willkür und führt zum Vorwurf

600

Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 298; vgl. auch die Hinweise in Fn. 599, S. 373. Diese Privatheit wird vielfach als Freiheit verstanden, während die staatliche Freiheit, die Autonomie des Willens, als Herrschaft, etwa als Demokratie, freiheitlich oder herrschaftlich, dogmatisiert wird, vgl. 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. (insb. S. 34 ff.); 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 3., 4., 5. und 6. Kap., S. 88 ff., 92 ff., 100 ff., 106 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 8. Teil, 2. und 5. Kap., S. 685 ff., 772 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; eine solche Dogmatik ist liberalistisch, nicht republikanisch; schon Hobbes, Liviathan, S. 191 f., definiert Privatheit wie der Text und nennt das Freiheit, obwohl er auch die Freiheit als Gesetzlichkeit dogmatisiert, S. 187 ff. 602 Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 982 ff., 986 ff. 603 Dazu Hinweise in Fn. 74, 5. Teil, 2. Kap., S. 266; insb. 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 604 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 418 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 566 ff., 584 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff.; weitere Hinweise zur Pflicht zur Sittlichkeit in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265; Fn. 128, 5. Teil, 3. Kap., S. 280; vgl. insb. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 332 f., 508 ff., 519 ff. 605 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff., insb. S. 298 ff. auch 6. Teil, 1. Kap., S. 442 f.; 7. Teil, 4. Kap., S. 566 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 601

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

375

des Willkürverbots. Das Willkürverbot ist darum auf Art. 2 Abs. 1 GG, nicht auf Art. 3 Abs. 1 GG zu stützen 606 . Die private Willkür ist nicht etwa unsachlich, sondern alleinbestimmt und darum nicht geeignet, das allgemeine Gesetz zu geben. Die Gesetzgebung setzt die Vertretung des ganzen Volkes voraus, um repräsentativ-konsensual zu sein 607 . Die Willkür als solche bestimmt die Maximen (Kant) 60*, und kann als solche nicht mit Unsachlichkeit identifiziert werden. Das Willkürverbot ist das Verbot der nötigenden, also der freiheitswidrigen Willkür; denn äußere Freiheit ist die "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" (Kant) 609. Wenn das Recht zur Privatheit als Recht zur Willkür definiert wird, bringt das nichts anderes zum Ausdruck als das Recht, Maximen des Handelns allein materialisieren zu dürfen und unabhängig von allgemeiner/staatlicher Bestimmung der Maximen des Handelns zu sein. Das Recht zur Willkür ist somit das Recht zur Alleinbestimmung. Das Wort Selbstbestimmung ist republikanisch für die private Bestimmung der Maximen unspezifisch, weil auch die allgemeine Gesetzgebung Selbstbestimmung ist. Die Üblichkeit des Wortes Selbstbestimmung folgt dem Liberalismus, der die Staatlichkeit herrschaftlich begreift und darum die Privatheit selbstbestimmt nennen kann. Das Wort Willkür besteht aus den positiven Worten Wille und Kür (Wahl). Die Negativierung des Wortes Willkür ist sprachlich nicht gerechtfertigt. Es ist die herrschaftliche Willkür, welche die Inkriminierung verdient und die das Wort Willkür mit vielerlei Unrecht des Staates belastet. Unrecht ist die nötigende, nicht die freie Willkür. Auf den sachgerechten Gebrauch des Wortes Willkür kann in einer kantianisch geprägten Lehre von der Freiheit nicht verzichtet werden. Die private Willkür ist frei, wenn sie auf allgemeinen Gesetzen beruht und diese achtet. Die private Willkür ist von Rechts wegen sachlich; denn die Handlungen sind (im Rahmen der allgemeinen Gesetze) von den Maximen des einzelnen

606

Dazu 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff. (insb. S. 986 ff.), 990 ff. Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 643 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 981; zur bürgerlichen Identität durch Vertretung Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 608 Metaphysik der Sitten, S. 332, 508 ff., 519 f.; vgl. auch ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 144; dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 298 ff., 348 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 230 ff. 609 Metaphysik der Sitten, S. 345. 607

376

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Menschen gemäß seinen Interessen, um seines Glückes willen, alleinbestimmt. Die Sachlichkeit ergibt sich aus der Kompetenz, genauer aus dem Recht zur Privatheit. Die juridische Sachlichkeit ist die logische Konsequenz der Formalität der Freiheit und damit der freiheitlichen Privatheit. Die Tugendhaftigkeit des Handelns ist Sache des Einzelnen. Die Verletzung der Tugendpflichten rechtfertigt den Vorwurf verbotener Willkür nicht, eben weil das Handeln vom Recht erlaubt ist. Kant hat die Privatheit in seiner Lehre vom "Privatrecht" nicht anders konzipiert und als ein "Postulat a priori" der "praktischen Vernunft" eingestuft 6 1 0 . Das Recht zur Willkür, nicht zur freien Willkür, und der Unterlassungsanspruch sind von Kant in der "Definition des Begriffs des äußeren Mein und Dein" herausgestellt 611 . Äußere Gegenstände meiner Willkür können, neben den "körperlichen" Sachen außer mir und "drittens dem Zustand eines anderen im Verhältnis auf mich" insbesondere "zweitens die Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat (praestatio)" sein, also Leistungen, die ein anderer versprochen hat, d.h. zu dem Meinen gehört auch der Leistungsanspruch, und zwar, wie Kant sagt, "nach Freiheitsgesetzen" 6 1 2 . Kant definiert: "Das äußere Meine ist dasjenige außer mir, an dessen mir beliebigen Gebrauch mich zu hindern Läsion (Unrecht) sein würde." 6 1 3 Daß "etwas Äußeres als das Seine zu haben, mir in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande möglich" sei, klärt Kant in § 8 des Privatrechts, nämlich: "Wenn ich (wörtlich oder durch die Tat) erkläre, ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle, so erkläre ich jeden anderen für verbindlich, sich des Gegenstandes meiner Willkür zu enthalten: eine Verbindlichkeit, die niemand ohne diesen meinen rechtlichen Akt haben würde. In dieser Anmaßung aber liegt zugleich das Bekenntnis: jedem anderen in Ansehung des äußeren Seinen wechselseitig zu einer gleichmäßigen Enthaltung verbunden zu sein; denn die Verbindlichkeit geht hier aus einer allgemeinen Regel des äußeren rechtlichen Verhältnisses hervor. Ich bin also nicht verbunden, das äußere Seine des anderen unangetastet zu lassen, wenn mich nicht jeder andere dagegen auch sicher stellt, er werde in Ansehung des Meinigen sich nach eben demselben Prinzip verhalten;

610 611 612 613

Metaphysik Metaphysik Metaphysik Metaphysik

der der der der

Sitten, Sitten, Sitten, Sitten,

S. S. S. S.

353 ff., 355. 357 (§ 5 des Privatrechts). 355 f. (§ 4 des Privatrechts), vgl. auch S. 382 ff., §§ 18 ff. 357.

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

377

welche Sicherstellung gar nicht eines besonderen rechtlichen Akts bedarf, sondern schon im Begriffe seiner äußeren rechtlichen Verpflichtung, wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reziprozität der Verbindlichkeit aus einer allgemeinen Regel, enthalten ist. Nun kann der einseitige Wille in Ansehung eines äußeren, mithin zufälligen, Besitzes nicht zum Zwangsgesetz für jemanden dienen, weil das der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen Abbruch tun würde. Also ist nur ein jeden anderen verbindender, mithin kollektiv-allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille derjenige, welcher jedermann jene Sicherheit leisten kann. Der Zustand aber unter einer allgemeinen äußeren (d.i. öffentlichen) mit Macht begleiteten Gesetzgebung ist der bürgerliche. Also kann es nur im bürgerlichen Zustand ein äußeres Mein und Dein geben. Folgesatz: Wenn es rechtlich möglich sein muß, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben: so muß es auch dem Subjekt erlaubt sein, jeden anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein solches Objekt kommt, zu nötigen, mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten." - Kant 6U Kant weist auf die Abhängigkeit persönlicher Rechte von der Einstimmung aller, also von den allgemeinen Gesetzen, auch im § 18 des Privatrechts hin: "Die Erwerbung eines persönlichen Rechts kann niemals ursprünglich und eigenmächtig sein (denn ein solches würde nicht dem Prinzip der Einstimmung der Freiheit meiner Willkür mit der Freiheit von jedermann gemäß, mithin Unrecht sein)." - Kant 615 Kant begreift das Privatrecht somit als das Recht zur Beliebigkeit und das äußere Mein und Dein, also die subjektiven Rechte in der gegenwärtigen Rechtssprache, als Gegenstände der Willkür. Diese Willkür muß sich nicht um des Rechts willen vom Sittengesetz leiten lassen, weil die privaten Rechte den bürgerlichen, also den sittlichen Zustand einer allgemeinen Gesetzgebung voraussetzen, so daß die Willkür wegen ihrer Gesetzlichkeit niemanden verletzten kann, also freiheitlich ist. Das Recht zur Willkür ist nicht identisch mit der Unabhängigkeit, wenn auch die Unabhängigkeit von der Willkür anderer logisch mit dem Recht zur Willkür als der Alleinbestimmtheit verbunden ist. Unabhängig ist auch der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG), der aber bei seinen Rechtserkenntnissen kein Recht zur Willkür hat. Vielmehr ist der Richter den Gesetzen unterworfen, soweit er nicht funktional gesetzgebend judiziert und insoweit wie der

614 615

Metaphysik der Sitten, S. 365 f. Metapyhsik der Sitten, S. 382.

378

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Abgeordnete (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) freie Willkür, nämlich praktische Vernünftigkeit/Sittlichkeit, walten lassen soll. Der Richter, der Abgeordnete und der Beamte sind Vertreter des ganzen Volkes. Ihre Amtshandlungen können unabhängig sein, sind aber durchgehend vom allgemeinen Willen des Volkes bestimmt, also den allgemeinen Gesetzen oder der allgemeinen Gesetzlichkeit verpflichtet. Sie haben das Gemeinwohl zu verwirklichen, nicht das alleinbestimmte oder gar solipsistische Glück des Amtswalters 616 . Privatheit kann unterschiedliche Rechte zur Willkür zum Gegenstand haben, je nachdem welche Zwecke die allgemeinen Gesetze verfolgen. Die subjektiven Rechte der Privatheit können unterschiedlich materialisiert sein. Grundsätzlich sind die Rechte der Privatheit aber subjektive Rechte des Menschen, sein Glück zu suchen, die nicht zweckbestimmt und damit einer funktionalen Begrenzung nicht fähig sind. Diese Rechte machen den Lebensbereich aus, der vielfach als "Privatsphäre" oder auch "Freiheitssphäre" dogmatisiert wird 6 1 7 . Auch in diesem Bereich muß der Mensch vielfältige allgemeine Gesetze achten. Ein dogmatisches Spezifikum ergibt diese durch einen allgemein gesetzten, also staatlichen Zweck, nicht determinierte Privatheit nicht. Alles Handeln von Privaten ist nämlich staatlich durch allgemeine Gesetze und privat durch allein bestimmte Maximen zugleich materialisiert 618 . III.

Subjektive Rechte der Privatheit, Legalität und Sittlichkeit berechtigter Privatheit und Entlastung des gemeinsamen Lebens durch Privatheit Die Privatheit ist als Grundsatz grundrechtlich geschützt, bedarf aber meist gesetzlicher Regelung, um vor allem durch Bestimmtheit ihrer Grenzen der allgemeinen Freiheit gerecht zu werden 619 . Die allgemeinen Gesetze bestimmen die Rechte der Bürger zur Privatheit als subjektive Rechte.

616

Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; 7. Teil, 5. u. 6. Kap., S. 612 ff., 621; 10. Teil, 3., 8., 10. Kap., S. 1077, 1159, 1175; auch 2. Teil, 6. u. 8. Kap., S. 113 ff., 137 ff. zum Amtsprinzip; zum Gemeinwohl Hinweise in Fn. 403, 5. Teil, 4. Kap., S. 331; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 660 ff., 668 ff. 617 Vgl. die Hinweise in Fn. 90, 4. Teil, 2. Kap., S. 224; Fn. 58, 84, 115, 6. Teil, 3. u. 5. Kap., S. 454, 459, 466. 618 Dazu auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 230 ff.). 619 Dazu 6. Teil, 2. u. 5. Kap., S. 449 ff., 466 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; zum Bestimmtheitsprinzip allgemeine Hinweise in Fn. 583, 5. Teil, 4. Kap., S. 369.

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

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Subjektive Rechte setzen objektive Gesetze 620 (oder im Rahmen und nach Maßgabe der Gesetze Verträge 621 ) voraus, abgesehen von der Freiheit, die auch ein subjektives Recht ist, nämlich das Recht auf Recht 6 2 2 , und abgesehen von den aus der Freiheit folgenden Tochterrechten, wie dem Recht auf Gleichheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung 623 , also abgesehen von der Menschenwürde als Recht mit den aus dieser folgenden Menschenrechten 624 . Es gibt keinen subjektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte, der material über den objektivrechtlichen hinausgehen könnte. Subjektive Rechte sind Rechte des einzelnen Bürgers oder Menschen, die gerade ihm die Möglichkeit geben, die Pflichterfüllung, die dem Recht korrespondiert, mit den Mitteln, die der Rechtsstaat zur Verfügung stellt, zu erzwingen 625 . Diese Pflichterfüllung kann eine sogenannte Unterlassung sein, zu der vornehmlich die grundrechtlichen Abwehrrechte verpflichten, die negative Kompetenzen des Staates schaffen 626 . Die Zwangsmöglichkeit des subjektiv Berechtigten ist identisch mit dem (im Grundsatz ausschließlichen) staatlichen Schutz seines Rechts; denn im Friedensinteresse verbietet es der Rechtsstaat weitestmöglich, daß der Berechtigte seine Rechte mittels eigener Gewaltmaßnahmen durchsetzt 627 . Die Rechtlichkeit, welche die

620

Prononciert J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 286 ff., der die objektive Dimension auf diesen Aspekt reduziert und dadurch seiner Kritik preisgibt. 621 Zur Unterscheidung von Verträgen und Gesetzen P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 14 f.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 128 ff., 162 f.; N. Luhmann, Die Geltung des Rechts, Rechtstheorie 22 (1991), S. 282; dazu auch unter X, S. 404 ff. 622 Dazu Hinweise in Fn. 73, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 623 Dazu Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345 f.; vgl. A. Enderlein, Der Begriff der Freiheit, S. 86 ff.; dazu 9. Teil, 1. u. 9. Kap., S. 834 ff., 1005 f.; 7. Teil, 5. Kap., S. 588 ff., 609 ff. 624 Dazu v. Mangoldt/Klein/Slaick, GG, Rdn. 84 ff. zu Art. 1 Abs. 2, S. 68 ff., Rdn. 107 zu Art. 1 Abs. 3, S. 81 f.; P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 843 ff. 625 Dazu i.d.S. R. Alexy, Der Staat 29 (1990), S. 60 ff.; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 13; zum Begriff des subjektiven Rechts auch 5. Teil, 7. Kap., S. 430 f.; 6. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 446 ff., 461 ff.; auch 9. Teil, 1. Kap., S. 821 ff.; vgl. auch 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff., insb. S. 553 ff. 626

Vgl. J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 13 ff., der genauer von "Nichtbeeinträchtigungspflichten" zu reden vorschlägt (S. 15), S. 17 ff., kritisch zum "Recht des Dürfens" und damit zur "Befugnis" S. 37 ff., die Schwabe nicht als Bestandteil des subjektiven Grundrechtes ansieht (zusammenfassend S. 53); zu Schwabe kritisch Λ. Enderlein, Der Begriff der Freiheit, S. 101 ff.; zum Aspekt der negativen Kompetenz 9. Teil, 1. u. 9. Kap., S. 821 ff., 821, 1013 f.; 5. Teil, 4. Kap., S. 353 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 476 f. 627

Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 270, 548 ff.

380

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Freiheitlichkeit ausmacht, wäre ohne das grundsätzliche Verbot, Privatgewalt auszuüben, nicht gesichert. Es wäre zu erwarten, daß anstelle der Rechte überwiegend Interessen durchgesetzt werden würden. Der bürgerliche Zustand, der Rechtsstaat oder die Republik ist die Überwindung der privaten Gewaltsamkeit, nämlich die Unabhängigkeit aller von der nötigenden Willkür anderer oder die allgemeine Gesetzlichkeit 628 . Subjektive Abwehrrechte sind somit identisch mit dem individuellen Rechtsschutz, den Grundrechtsberechtigte vor allem nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG genießen 629 . Das Abwehrrecht ist der vor allem von Jürgen Schwabe herausgestellte Unterlassungsanspruch 630 . Subjektive Rechte können Rechte geben, in bestimmter Weise zu handeln, oder auch Rechte, bestimmtes Handeln oder bestimmtes Unterlassen von anderen beanspruchen zu dürfen. Der Unterlassungsanspruch des einen korrespondiert mit dem Verbot bestimmter Handlungen an den anderen. Dieser andere kann der Staat sein. Subjektive Unterlassungsrechte verpflichten entweder andere, Handlungen des Berechtigten zu dulden, oder geben dem Berechtigten das Recht, Handlungen anderer nicht zu dulden. Diese Dualität folgt aus der Außenwirkung von Handlungen 631 . Das subjektive Recht, welches logisch auf objektivem Recht, also auf dem allgemeinen Willen des Volkes 632 , beruht, klärt die Legalität der Handlung 6 3 3 . Das Handeln, welches dem subjektiven Recht entspricht, kann nach dem Satz: "Volenti non fit iniuria", niemanden verletzen; denn alle haben, wenn das Gesetz allgemein, also Recht ist, den gesetzlichen Maximen des Handelns (durch ihre Vertreter) zugestimmt. Das objektive Recht ergibt die Legalität des Handelns dessen, dem es ein Recht zum

628

Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit und zum Gesetzgebungsstaat Hinweise in Fn 93, 178, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. 629 Ganz so Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 335 ff., S. 135 ff. 630 Grundrechtsdogmatik, S. 13 ff., 17 ff., 37 ff., 53 (zusammenfassend). 631 Dazu Hinweise in Fn. 423, 5. Teil, 4. Kap., S. 334; insb. 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 318 ff., 346 ff. 632 Dazu zur Allgemeinheit der Gesetze Hinweis in Fn. 599, S. 373; zum gesetzgebenden allgemeinen Willen des Volkes 5. Teil, 3. Kap., S. 293 ff.; 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 519 ff., 560 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff.; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 633 Nicht die Moralität des Gesetzesgehorsams; denn diese hängt davon ab, daß das Gesetz um des Gesetzes willen befolgt wird (Kant, Metaphysik der Sitten, S. 521 u.ö.: "Handle pflichtgemäß, aus Pflicht"); dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 288 ff. und Hinweise in Fn. 179. Die Legalität der Handlung schließt nicht schon die Tugendhaftigkeit derselben ein, wenn unterschiedliche Handlungen legal sind (vgl. Kant, a.a.O., S. 508 ff., 529 ff.).

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

381

Handeln, also ein subjektives Recht, gegenüber dem, der das Handeln dulden muß, dem Verpflichteten, gibt. Meist sind alle Menschen im Gemeinwesen durch das Handeln betroffen und verpflichtet, die Handlungen des subjektiv Berechtigten zu dulden. Oft sind manche in besonderer Weise betroffen, etwa wenn sie als Eigentümer Eingriffe in ihr Eigentum dulden müssen. Der Rechtsschutz wird in der Praxis entgegen dem republikanischen Freiheitsprinzip auf die besonders in ihren Interessen Betroffenen beschränkt, vorausgesetzt sogar, daß die Gesetze diese ihre Interessen schützen sollen 634 . Die Legalität des Handelns verwirklicht die allgemeine Freiheit und damit die Sittlichkeit des gemeinsamen Lebens 635 . Es gibt kein subjektives Recht, das nicht dem allgemeinen Gesetz entspricht, genauer dem allgemeinen Gesetz entstammt. Subjektive Rechte können wegen der Veränderung der Lage moralisch, also in der objektiven Dimension ihrer gesetzlichen Grundlage, fragwürdig werden. Jederzeit sind die Bürger und Menschen verpflichtet, zu bedenken, ob die Gesetze noch dem kategorischen Imperativ entsprechen oder ob sie nicht vielmehr reformiert werden müßten. Solange aber die Rechtslage nicht geändert ist, ist das subjektiv berechtigte Handeln legal und auch moralisch nicht vorwerfbar. Moralisch vorwerfbar ist die Verweigerung der Rechtsänderung, die allen als den Hütern des Rechts, vor allem den Vertretern des Volkes obliegt. Das subjektive Recht verwirklicht die Freiheit; denn es ist material. Handlungsbefugnisse, die der Mensch aus der Verfassung oder den Gesetzen hat, sind die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit, deren soziale Verträglichkeit in den jeweiligen subjektiven Rechten ausgesprochen ist. Die Verfassung und die Gesetze können Handlungsmaximen verbieten, gebieten oder auch erlauben. Handlungen, deren Maximen sich im Rahmen subjektiver Rechte halten, können das Sittengesetz nicht verletzen, weil das objektive Recht, das die subjektiven Rechte begründet, die Verwirklichung des

634

Zu diesem praktizierten und meist gelehrten (Schutzzwecklehre) restriktiven Begriff des subjektiven Rechts BVerwGE 1, 83 (83 f.); 22, 129 (132); 75, 285 (286 ff.); 77, 70 (73); 78, 40 (41 ff.); u.st.; H.-U. Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S. 210 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 128 zu Art. 19 Abs. IV; weitergehend macht W. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 40 ff., 57 ff., das subjektive Recht allein von der Betroffenheit in eigenen Angelegenheiten durch eine Verletzung des objektiven Rechts abhängig; vgl. ders., DÖV 1980, 621 ff. 635 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 282 ff., 305 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 500 f. mit Fn. 274; zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270.

382

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Sittengesetzes ist. Das Sittengesetz verpflichtet, vor einer Handlung das Einverständnis all derer herbeizuführen, die von der Handlung verletzt werden könnten, weil nur deren Einverständnis das Unrecht zu vermeiden vermag. Das subjektive Recht stellt aber das allgemeine Einverständnis mit der Handlung klar. "Das Rechtsmedium als solches setzt Rechte voraus, die den Status von Rechtspersonen als Trägern von Rechten überhaupt definieren. Diese Rechte sind auf die Willkürfreiheit von typisierten und vereinzelten Aktoren zugeschnitten, d.h. auf subjektive Handlungsfreiheiten, die konditional eingeräumt werden. Der eine Aspekt, die Entbindung der interessengeleiteten Willkür erfolgsorientiert eingestellter Aktoren von den verpflichtenden Kontexten verständigungsorientierten Handelns, ist nur die Kehrseite des anderen Aspekts, nämlich der Handlungskoordinierung über zwingende Gesetze, die die Optionsspielräume von außen begrenzen. Daraus erklärt sich der fundamentale Stellenwert von Rechten, die individuell zurechenbare subjektive Freiheiten zugleich sichern und untereinander kompatibel machen. Sie gewährleisten eine private Autonomie, die auch als Befreiung von den Verpflichtungen kommunikativer Freiheit beschrieben werden kann." - Jürgen Habermas 636 Den subjektiven Rechten entsprechen, wie schon gesagt, Pflichten. Den Handlungsrechten entsprechen Duldungspflichten und den Unterlassungsrechten Handlungsverbote 637 . Vielfach müssen Menschen Störungen und Lasten hinnehmen, also dulden, weil die Gesetze anderen Menschen Handlungsrechte eingeräumt haben. Ohne solche Duldungspflichten läßt sich das gemeinsame Leben nicht gestalten. So müssen Menschen um des (allgemeinen) subjektiven Rechts willen, die eigene Meinung äußern zu dürfen, auch grobe und unsachliche Kritik ertragen 638 . Insbesondere müssen es Menschen hinnehmen, wenn ihre Vertragsangebote abgelehnt werden. Das nötigt oft zu anderem Handeln, nämlich zu veränderten Angeboten oder zur Suche nach anderen Vertragspartnern, ist aber weder illegal noch moralwidrig. Das subjektive Recht, Vertragsangebote abzulehnen, führt zu anderen Verträgen, als sie die sittengesetzliche Pflicht

636 Faktizität und Geltung, S. 151 f. (Habermas differenziert sprachlich Privatheit nicht hinreichend von Freiheit und versteht erstere als "private Autonomie" (etwa S. 153); das beeinflußt aber die sachliche Übereinstimmung nicht). 637 Dazu J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 13 ff., 17 ff., 37 ff., 86 f. 638 Etwa BVerfGE 42, 163 (170 ff.); 60, 234 (240 ff.); vgl. auch BVerfGE 62, 230 (244 f., 247 f.).

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

383

zum Konsens hervorbringen würde, wenn ein Vertragsangebot die Konsenspflicht zur Folge hätte. Der wettbewerbliche Markt, den die Wirtschaftsordnung verfaßt 639 , beruht geradezu darauf, daß Angebote alleinbestimmt angenommen oder abgelehnt werden dürfen, ohne daß bei der Ablehnung des Angebots die Interessen des Anbietenden berücksichtigt werden müßten. Diese Willkür ist nach den allgemeinen Gesetzen, also nach dem Recht, verwirklichte Freiheit; denn die Menschen haben (im Rahmen der Gesetze) ein subjektives Recht, Vertragsangebote anzunehmen oder abzulehnen, nämlich die Vertragsfreiheit. Die solipsistische Interessenhaftigkeit der Markthandlungen garantiert nach den Erfahrungen in hohem Maße die Effizienz der durch die Vertragsfreiheit bestimmten Marktwirtschaft für die allgemeine Wohlfahrt und ist darum, wenn diese ökonomische Annahme stimmt, gut, also den Tugendpflichten gemäß 640 . Ob der Solipsismus am Markt auch ökologisch das Gemeinwohl fördert, ist fragwürdig. Es ist Sache der allgemeinen Gesetze, die Rechte zur vertraglichen Willkür um des Gemeinwohls willen einzuschränken. Auch ein Vertrag rechtfertigt die Handlung gegenüber dem Vertragspartner und kann darum Rechtsgrundlage eines subjektiven Rechts sein, ohne daß der Vertragsschluß um des Rechts und damit der allgemeinen Freiheit willen das Sittengesetz beachten muß. Das Recht, Verträge zu schließen, soweit diese das Gesetz nicht verletzen, ist bereits Verwirklichung der allgemeinen Freiheit, welche Art. 2 Abs. 1 GG schützt, wenn dieses Recht auf Gesetzen beruht. Das Einverständnis aller mit dem Vertrag ergibt sich aus dem subjektiven Recht, den Vertrag zu schließen. Der Vertrag kann trotz seiner Willkür wegen der Gesetzlichkeit niemandem Unrecht tun, weil das allgemeine Gesetz das Einverständnis aller mit dem gesetzesgemäßen Vertrag ist. Die Verträge als gelebte Privatheit sind wegen ihrer Gesetzlichkeit Freiheitsverwirklichung.

639 Dazu S. 388 f., 395 ff.; 3. Teil, 3. Kap., S. 200 f.; zu den Tugendpflichten allgemeine Hinweise in Fn. 454, 5. Teil, 4. Kap., S. 342. 640 Denkbar wäre es auch, die Sittlichkeit um des Wettbewerbs willen in der Vertragswillkür zu erblicken, die als solche das Gemeinwohl verwirklicht, so daß die Vertragsfreiheit doch als unmittelbar in Art. 2 Abs. 1 GG verankert angesehen werden könnte. Eine solche Dogmatik geriete aber bei der Rechtfertigung der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen des Vertragswesens und dem Vorrang der Gesetze vor den Verträgen in Schwierigkeiten, Probleme, welche sich der Dogmatik der allgemeinen Handlungsfreiheit im Rahmen der (verfassungsgemäßen) Gesetze nicht stellen, weil diese ein anderes Regel-Ausnahme-Prinzip zugrundelegt als die republikanische Freiheitslehre. Insbesondere ist das Prinzip Wettbewerb nicht identisch mit dem der Sittlichkeit, sondern entspricht praktischer Vernunft nur, wenn das allgemeine Gesetz es vorschreibt.

384

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Die subjektiven Rechte, insbesondere die Rechte zum willkürlichen Vertragsschluß, die es erlauben, das Handeln ausschließlich von den eigenen Zwecken und damit den eigenen Interessen bestimmen zu lassen 641 , genauer das Handeln privat zu bestimmen, sind für das gemeinsame Leben unverzichtbar, weil es schlechterdings nicht leistbar wäre, daß vor jedem Handeln mit allen, die durch die Handlung betroffen sein könnten, ein Diskurs bis zum allgemeinen Einverständnis in die Handlung geführt würde. An die Stelle eines Konsenses kann aber nicht die eigene Meinung davon treten, ob eine Handlung allgemein verträglich ist, wenn das Sittengesetz respektiert werden soll 6 4 2 . Die subjektiven Rechte machen den Alltag gerade deswegen lebbar, weil sie anderen Nötigungen zu ertragen gebieten. Der Mensch kann sich ohne solche subjektiven Rechte nicht entfalten. Ohne Rechte der Privatheit müßte das gemeinsame Leben ohne Einschränkung verstaatlicht werden. Wenn das um des Rechts willen erforderliche Einverständnis aller Betroffenen mit den Handlungen eines Menschen nicht erzielt werden kann, müßte um des Friedens willen das allgemeine Einverständnis staatlich ersetzt werden dürfen. Das wäre der Regelfall, der die Notwendigkeit des Staates für ein gemeinsames Leben in Frieden erneut beweist. Die überlegene Technik des Rechtsstaates ist das allgemeine Gesetz, welches nicht nur das Gesetz aller ist, sondern das Leben auch durch allgemeine Vorschriften gestaltet. Das Wort allgemein ist bekanntlich doppeldeutig und wird meist, wie soeben, im Sinne der weiten Tatbestandlichkeit der Gesetze benutzt. Daß der Staat über alle Handlungsmaximen eine Entscheidung trifft, ist nicht nur undurchführbar, sondern auch unmenschlich. Die weitestmögliche Privatheit ist eine praktische Notwendigkeit des gemeinsamen Lebens. Das Experiment des sogenannten realen Sozialismus hat dies vor Augen geführt.

641 Das subjektive-öffentliche Recht wird als die "einem Rechtssubjekt in öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingeräumte Rechtsmacht, mit Hilfe der Rechtsordnung eigene Interessen zu verfolgen" definiert; BVerfGE 27, 297 (307); vgl. auch BVerfGE 31, 33 (39 f.); H.-U. Erichsen, Das Verwaltungshandeln, S. 210, unter Berufung auf O. Bachhof \ Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12 (1954), S. 72 ff.; ders., Reflexwirkungen und subjektive Rechte im öffentlichen Recht, in: GS W. Jellinek, 1955, S. 287 ff.; vgl. E. SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 118 ff. zu Art. 19 Abs. IV; vgl. kritisch G. Roellecke, Subjektive Rechte und politische Planung, AöR 114 (1989), S. 589 ff.; vgl. schon G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 418; grundlegend O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 42 ff.; kritisch W. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 59 ff. 642 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 280 ff., 321 ff.; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff., 617 ff.

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

385

Dieser ist auch an seinem übermäßigen Bürokratismus gescheitert. Die praktische Vernunft fordert Toleranz der Bürgerschaft und damit jedes einzelnen Bürgers, die in den allgemeinen Gesetzen durch ein größtmögliches Maß an Rechten der Privatheit zum Ausdruck kommt. Die geforderte Toleranz beruht auf allgemeinen Gesetzen und ist darum, wenn das Gesetz Recht schafft, rechtens. Die Toleranz ist aber eine Frage der Lage 6 4 3 . Das Umweltschutzrecht ist gegenwärtig zu tolerant. Das Interesse an kostengünstiger Industrieproduktion und noch mehr das Interesse am motorisierten Verkehr ist so groß, daß Umweltschäden toleriert werden, welche nicht nur nicht hinnehmbar sind, sondern die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 GG zugunsten des Lebens und der Gesundheit verletzten 644 . Dennoch bestimmen die Grenzwerte in den Vorschriften des Umweltrechts, soweit diese nicht verfassungswidrig sind, ob emittierendes Handeln legal ist, selbst wenn die Emissionen die Gesundheit oder das Leben beeinträchtigen. Selbstverständlich darf der Unternehmer die Emissionsgrenzwerte unterschreiten. Dadurch erfüllt er seine Tugendpflicht gemäß dem kategorischen Imperativ. Das objektive Recht und das subjektive Recht bilden eine Einheit verwirklichter Freiheit in der Gemeinschaft. Der letzte Grund des Handlungsrechts bleibt die Freiheit, die im subjektiven Recht verwirklicht ist. Spezifisch als subjektive Rechte sind die Grundrechte wegen der notwendigen Bestimmtheit der individuellen Handlungs- und Unterlassungsrechte nicht mit einer Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung verbunden. Gesetze, welche den subjektiven Grundrechten widersprechen, sind verfassungswidrig, aber die Erkenntnis des Verstoßes gegen ein subjektives Grundrecht ist nicht funktional gesetzgebend645. Gesetze, welche die subjektiven Grundrechte mißachten, verletzen auch die objektiv-rechtlichen Grundrechtssätze. Wenn die Grundrechte material offen oder gar formal sind, können die grundrechtsgemäßen Gesetze wegen der lagebedingten Variabilität und Dynamik dieser Grundrechte unterschiedlich sein 646 . Die durch die grundrechtsgeleiteten Gesetze eingeräumten subjektiven Rechte sind einfachgesetzlich begründet. Die Grundrechte in ihrer objektiven Dimension können aber den Gesetzgeber verpflichten, subjektive Rechte 643 Zu den "Verschiedenheiten der Lage" Kant, Metaphysik der Sitten, S. 522; zu Begriff und Problematik der Lage H.Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 15 ff. 644 Dazu Hinw. in Fn. 199, 7. Teil, 3. Kap., S. 552; Fn. 187, 8. Teil, 1. Kap., S. 670; auch 9. Teil, 1. Kap., S. 821. 645 646

Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff. Dazu 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff.

25 Schachischneider

386

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

einfachgesetzlich zu begründen. Das gilt vor allem für die Eigentumsgarantie 6 4 7 . Das subjektive Grundrecht auf grundrechtsgemäße Gesetze ist selbst kein subjektives Recht auf bestimmte Handlungen 648 . IV.

Der Grundsatz und Vorrang privater Lebensbewältigung, insbesondere der unternehmerischen Wirtschaft und der Berufswahl, sowie dessen Judiziabilität Die Privatheit bedarf in der Republik einer gesetzlichen Grundlage, welche die Legalität privat bestimmten Handelns begründet 649 . Eine wesentliche Rechtsgrundlage der Privatheit ist die (unterschiedlich bemessene) Vertragsfreiheit 650 . Diese ist nicht naturrechtlich begründet, sondern beruht auf den allgemeinen Gesetzen. Die Rechtstechnik der Verteilung von Staatlichkeit und Privatheit im institutionellen Sinne ist, geprägt durch den Liberalismus des Bürgerlichen Gesetzbuches und dessen Grundsatz der Verbindlichkeit jedweden Vertrages, der mit den Gesetzen und den guten Sitten vereinbar ist (§§ 134, 138 BGB), das Regel-Ausnahme-Prinzip, wonach die private Lebensbewältigung soweit erlaubt ist, als sie nicht verboten ist. Dieses Prinzip ist freilich nicht das Prinzip der Freiheit 651 , sondern ein Prinzip der einfachen Rechtsordnung. Das Schmittsche Verteilungsprinzip 652 findet im Grundsatz der Privatheit eine einfachgesetzliche Bestätigung. Wegen der unermeßlichen Vielfalt menschlicher Handlungen ist eine andere Rechtstechnik als die eines Grundsatzes privater Lebensbewältigung auch nicht tragfähig, weil es Staatlichkeit (i.e.S.) wegen des grundrechtlichen und grundsätzlichen Schutzes der Privatheit, sei es in subjektiver oder auch nur in objektiver Dimension, nur auf Grund von Gesetzen geben darf, die hinreichender Bestimmtheit bedürfen. Während dem Staat die Aufgaben so zweckbestimmt als möglich zu übertragen sind, muß die Privatheit zweckoffen übertragen werden, wenn sie ihre Eigenart wahren soll. Das aber ist zuträglich zum einen, weil Verbindlichkeiten, die nicht schon aus dem Gesetz folgen, nur durch Vertrag begründet werden können und dadurch ein jedenfalls die Interessen der Vertragspartner ausgleichendes

647

Dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1023 ff. Dazu S. 389; 9. Teil, 1. Kap., S. 828. 649 Dazu S. 378 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; auch 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff. 650 Dazu S. 404 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff. 651 Zum Regel-Ausnahme-Prinzip als Freiheitsprinzip 5. Teil, 3. Kap., S. 309; 6. Teil, 6. Kap., S. 478 ff. (insb. S. 489 ff.). 652 Dazu 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff.; auch 6. Teil, 6. Kap., S. 486 ff. mit Fn. 216, 217; 9. Teil, 2. Kap., S. 859. 648

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

387

Regulativ haben 653 , und zum anderen die Privatheit, wenn sie nicht allgemeinverträglich erscheint, durch Gesetz eingeschränkt werden darf. Weil die einschränkenden allgemeinen Gesetze zugleich staatlich sind, bedürfen sie wiederum der hinreichenden Bestimmtheit. Insofern ist Richard Thoma zuzustimmen, der ein Regel-Ausnahme-Schema dieser Art für rechtstechnisch unvermeidbar erklärt hat 654 . Im Gegensatz zum Schmittsehen Liberalismus ist das republikanische Prinzip des Grundsatzes und daraus folgend des Vorranges der Privatheit aber nicht die Logik der Freiheit, sondern die Logik der freiheitlichen Staatlichkeit, nämlich die Logik des Bestimmtheitsprinzips. Der Grundsatz der Privatheit der Lebensbewätigung folgt formal aus der Gesetzlichkeit des Staatlichen. Der Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung muß und kann grundrechtlich begründet werden 655 . Der Grundsatz und der Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung findet eine Verfassungsgrundlage objektiver Dimension in den besonderen Grundrechten. Eine Verfassung der Eigentumsgarantie, der Berufsfreiheit, der Vereinigungsfreiheit, usw., ist eine Verfassung der größtmöglichen Privatheit. Die grundrechtlichen Leitentscheidungen der Verfassung verpflichten die Gesetzgeber, eine Rechtsordnung zu gestalten, welche den Bürgern und Menschen die größtmögliche Vielfalt der Persönlichkeitsentfaltung, der alleinbestimmten Wege zum Glück, ermöglichen, wenn sie dadurch nur anderen nicht schaden, d.h. wenn ihr Leben, ihr Handeln also, allgemeinverträglich bleibt. Das gewährleisten die allgemeinen Gesetze, das Recht. Insbesondere Eigentum, welches Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG garantiert, ist nur als Recht zur Privatheit denkbar, wie Abs. 2 des Art. 14 GG, die sogenannte Sozialpflichtigkeit des Eigentums, beweist. Diese ist nur denkbar, wenn das Eigentum im Grundsatz aus Rechten der Privatheit besteht 656 . Eine privatrechtliche Eigentumsverfassung zwingt aber insgesamt zu einer Rechtsordnung der bestmöglichen Privatheit, weil das Eigentum sonst nicht

653

Dazu S. 404 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. Das System der subjektiven öffentlichen Rechte und Pflichten, HbdDStR, Bd. 2, 1932, S. 607 ("rechtslogische Notwendigkeit"). 655 So J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 215 f., 313 ff.; ders., HStR, Bd. III, S. 75 ff.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1219 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 272 f. mit weiteren Hinw. in Fn. 184 (wie Isensee und Rupp dem Subsidiaritätsprinzip zugerechnet, von dem aber der Grundsatz der Privatheit zu unterscheiden ist, vgl. 4. Teil, 2. Kap. in Fn. 76; auch 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 389. 5 Dazu . Teil, . Kap., S. ff. 654

2*

388

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

p r i v a t n ü t z i g sein kann. Fast jedes Gesetz ist für das E i g e n t u m bedeutsam. A u c h die Arbeitsverhältnisse konzipiert A r t . 9 Abs. 3 G G privatrechtlich. Sonst wären Tarifverträge

nicht d e n k b a r 6 5 7 . D e r Grundsatz

privatrecht-

licher Unternehmensformen läßt sich aus A r t . 9 A b s . 1 G G h e r l e i t e n 6 5 8 , u.a.m. Insgesamt folgt aus den besonderen Grundrechten der Wirtschaft ein Grundsatz der Privatheit unternehmerischer Wirtschaft, der untrennbar verbunden ist m i t den Grundsätzen der M a r k t l i c h k e i t u n d W e t t b e w e r b l i c h k e i t dieser

Wirtschaft 659.

Gefestigt

wird

dieser

Grundsatz

durch

das

Europäische Gemeinschaftsrecht, das eine Verfassung des Marktes i n der Gemeinschaft geschaffen h a t 6 6 0 . D e r Vertrag über die Europäische U n i o n v o m 7. Februar 1992 (Maastricht) verpflichtet i n A r t . 3 a E G V die M i t g l i e d staaten " d e m Grundsatz einer offenen M a r k t w i r t s c h a f t m i t freiem Wettbew e r b . " Dieser Grundsatz macht m i t Verfassungsrang 6 6 1

die

prinzipielle

Privatheit der unternehmerischen Wirtschaft verbindlich, w e i l M a r k t l i c h k e i t u n d W e t t b e w e r b l i c h k e i t nur privatwirtschaftlich m ö g l i c h s i n d 6 6 2 . D i e nichtwirtschaftlichen Lebensbereiche sind erst recht der bestmöglichen Privatheit

657

Dazu S. 401 ff. Dazu H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, 1983, S. 632 ff.; R. Breuer, HStR, Bd. VI, S. 920 f. 659 Zum grundgesetzlichen Prinzip der Marktlichkeit und Wettbewerblichkeit der Wirtschaft R. Schmitt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, 1990, S. 3, 66 ff. (zurückhaltend); vgl. auch Peter Badura, VVDStRL 23 (1966), S. 77 ff. 658

660 Vgl. Art. 2 und 3 lit t h EGV ("Gemeinsamer Markt"), sowie die Grundfreiheiten, insbesondere der freie Wahrenverkehr (Art. 9 ff. EGV), aber auch die verschiedenen Politiken, insbesondere die des Wettbewerbs (Art. 85 ff. EGV). Dazu P. Badura, Bewahrung und Veränderung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassungsstrukturen in den internationalen Gemeinschaften, VVDStRL 23 (1966), S. 77 ff., der das Wirtschaftssystem der Europäischen Verträge eine "geordnete" oder "gerechte" Wettbewerbswirtschaft nennt; J. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 26 ff. 661 Zum Verfassungsrang des primären Gemeinschaftsrechts M. Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Gemeinschaft, in: W. Blomeyer/K.A. Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1994, S. 11 ff., 15 ff., 22 ff., 33 ff.; dersDie Europäische Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft, NJW 1994, 545 f.; K.A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th.C.W. Beyer, JZ 1993, 757 f.; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, daselbst, S. 86 f.; i.d.S. das Maastricht-Urteil BVerfGE 89, 155 (171 ff., 181 ff.); vgl. auch BVerfGE 22, 293 (296); EuGH, Gutachten zum Entwurf eines Abkommens über die Schaffung des europäischen Wirtschaftsraumes, Slg. 1991, 1/6079 (6102): "Gründungsverträge - Verfasssungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft", auch für den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht. 662 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 281 ff.. Die Einbindung staatlicher Unternehmen in die Marktlichkeit und Wettbewerblichkeit stellt die These von deren Privat Wirtschaftlichkeit nicht in Frage, weil der Staat durch diese Einbindung dem Fiskusdogma gemäß privatisiert wird (vgl. Schachtschneider, a.a.O., S. 5 ff., 281 ff., 438 ff.).

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

389

zu überlassen. Das Bundesverfassungsgericht hat der Sache nach den Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung aus dem Menschenwürdeprinzip und aus der sogenannten allgemeinen Handlungsfreiheit hergeleitet, im Ergebnis zu Recht 663 . Insgesamt ist dieser Grundsatz gut nachweisbar. Er ist aber gesetzlich gemäß der praktischen Vernunft, geleitet durch die Leitentscheidungen der besonderen Grundrechte, zu verwirklichen. Art. 2 Abs. 1 GG definiert keine subjektiven Rechte der Privatheit; denn dieses allgemeine Recht der Freiheit ist formal. Es verpflichtet aber den Gesetzgeber und damit auch die funktional gesetzgebende Verfassungsrechtsprechung, derartige subjektive Rechte zu begründen, welche die beliebige Entfaltung der Persönlichkeit der Menschen ermöglichen, freilich in den Grenzen der gesetzlich bestimmten Allgemeinverträglichkeit. Ein freiheitliches Gemeinwesen muß Privatheit zuteilen. Das Bundesverfassungsgericht kreiert "unbenannte Freiheitsrechte" 664 . Das sind der Sache nach die subjektiven Rechte der Privatheit, welche die von Art. 2 Abs. 1 GG aufgegebene praktische Vernunft, zu der der Grundsatz und der Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung gehört, verwirklichen. Die Grundrechtsverwirklichung ist aber gesetzgeberisch, nicht etwa interpretative Entfaltung einer Materialität des Freiheitsgrundrechts als vermeintlicher allgemeiner Handlungsfreiheit 665 . Die besonderen Grundrechte sollen je nach ihrem Regelungs- und dessen Wesensgehalt vor einer totalen Staatlichkeit der Lebensbewältigung schützen. Die Erfahrungen der Menschen mit der Herrschaft, die sich des Staates bedient und bedienen muß, wenn sie herrschen will, gebieten es, Grundrechte in die Verfassung des gemeinsamen Lebens zu schreiben, welche der Staatlichkeit von Handlungsmaximen Barrieren entgegenstellen. Die überaus materiale Offenheit der besonderen Grundrechte vergrößert die Gefahr staatlicher Kompetenz, stärkt zugleich aber die politische Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts als des i m ordentlichen Verfahren wesentlichen Hüters der Verfassung, welches angesichts der überaus geringen Grundrechtssicherheit die Substanz des Schutzes der Privatheit ausmacht. A u f die

663

Vgl. die Hinw. in Fn. 76, 4. Teil, 2. Kap., S. 220; Fn. 152, 6. Teil, 5. Kap., S. 475; Fn. 196, 4. Teil, 3. Kap., S. 244. Hinweise in Fn. 57, 5. Teil, 2. Kap., S. 264; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 664

Vgl. die Hinweise in Fn. 407, 5. Teil, 4. Kap., S. 331 f.; 9. Teil, 7. Kap., S. 979. Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; 6. Teil, 1. u. 6. Kap., S. 441 ff., 478 ff.; weitere Hinweise in Fn. 315, 5. Teil, 3. Kap., S. 313. 665

390

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Verteilung der Staatlichkeit und der Privatheit des Lebens haben jedoch die Bürger Einfluß, der in dem Maße schwindet, in dem sie diesen Einfluß nicht in Anspruch nehmen. Die erfolgreiche Privatheit der Lebensbewältigung ist der beste Garant der Privatheit als der Rechte zur Willkür (im Rahmen der allgemeinen Gesetze). Aber auch der Protest gegebenenfalls bis zum Widerstand gegen eine unerträgliche Verstaatlichung des Lebens schützt vor der Überwältigung des Privaten durch das Staatliche. Das wichtigste besondere Grundrecht ist auch insofern die Meinungsäußerungsfreiheit 666 . Die sogenannte Unternehmensfreiheit erweist die skizzierte Verfassungslage; denn sie ist stabil, obwohl sie sich trotz mancher rechtswissenschaftlicher Bemühungen nicht auf ein besonderes Grundrecht stützen läßt, sondern allenfalls als zusammenfassende Bezeichnung einzelner Rechte der Privatheit gelten kann 6 6 7 . Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung ist judiziabel. Die Entscheidung darüber, ob eine Aufgabe dem Staat übertragen werden soll, ist lagebedingt und muß darum vom Gesetzgeber getroffen werden. Die Rechtsprechung hat es bisher nicht übernommen, das mit dem Grundsatz der Privatheit verwandte Subsidiaritätsprinzip zu judizieren, etwa zu überprüfen, ob die Kommunen das gemeindewirtschaftsrechtliche Subsidiaritätsprinzip einhalten 668 . Auch die im Grundgesetz in Art. 72 Abs. 2 angeordnete Subsidiarität der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes hat das Bundesverfassungsgericht bisher zu kontrollieren abgelehnt 669 . Christoph Link bezeichnet das Subsidiaritätsprinzip als eine bloße "Klugheitsreger 6 7 0 . Der Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung oder das Gebot der Zurückhaltung gegenüber der gesetzlichen Begründung staatlicher Aufgaben ist als ein politisches, nicht nur morali-

666

Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 588 ff., 605 ff.; auch 9. Teil, 1. u. 9. Kap., S. 836 f., 1005. Dazu S. 394 ff.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1021 mit Fn. 1047. 668 Vor allem der BayVGH BayVBl. 1959, 90 f.; 1976, 628; VGH Mannheim NJW 1984, 251 ff., vgl. auch BVerfGE 39, 329 (330 ff.); dazu richtig G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 132 f. 669 Dazu BVerfGE 2, 213 (224 f.); vgl. BVerfGE 13, 230 (233 f.); dazu nicht unkritisch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 240, S. 93 f. 670 VVDStRL 48 (1990), S. 26; Η Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 772 ff., weist eine Relevanz des Subsidiaritätsprinzips für den Staat deutlich zurück; zurückhaltend auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 119; grundlegend und weitergehend insb. J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 313 ff., passim; ders., HStR, Bd. III, S. 36, 75 f.; kritisch zum Subsidiaritätsprinzip wegen des Sozialprinzips K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 62 f.; weitere Hinweise in Fn. 76 in 4. Teil, 2. Kap., S. 220 f.; Fn. 196 in 4. Teil, 3. Kap., S. 244 f. 667

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

391

sches, sondern rechtliches Prinzip bzw. Gebot 671 von großer Relevanz für die Republik, das lagegemäß verwirklicht werden muß. Angesichts der Tendenz des parteilichen Gesetzgebers, das gesamte Leben zu verstaatlichen, muß größte Sorge um den Vorrang privater Lebensbewältigung bestehen, weil die staatliche Verantwortung den Bürgern zunächst als finanzielle Entlastung erscheint. Die Schwierigkeit, staatliche Hilfestellungen zurückzunehmen (Besitzstandswahrung), erweist sich in dem oft vergeblichen Bemühen, Subventionen abzubauen. Die Staatlichkeit oder die Privatheit der Lebensbewältigung, die Entscheidung also, ob die Maximen des Handelns allgemein durch Gesetze des Staates oder in besonderer Weise privat durch Verträge oder auch besondere gute Sitten oder auch durch solipsistische Maximen des Einzelnen 672 bestimmt werden sollen, ist Sache der praktischen Vernunft des Gemeinwesens, der res publica, die durch allgemeine Gesetze verbindlich gemacht wird. Dabei sind die vor allem in den Grundrechten festgelegten politischen Leitentscheidungen, aber auch die grundrechtlichen subjektiven Rechte zu wahren. Weil die letzte ordentliche Verantwortung für die praktische Vernunft des gemeinsamen Lebens das Bundesverfassungsgericht trägt und der Grundsatz der privaten Lebensbewältigung Ausdruck der praktischen Vernünftigkeit der Kompetenzordnung ist, ist das Bundesverfassungsgericht auch dafür verantwortlich, daß der mit dem Prinzip der praktischen Vernunft in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz eingehalten werde. Entgegen der herrschenden Meinung 6 7 3 folgt daraus die institutionelle Judiziabilität dieses Grundsatzes 674 , die sich wie überhaupt die verfassungsgerichtliche Grundrechtsrechtsprechung als funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis darstellt. Das letzte Wort über die praktische Vernünftigkeit der allgemeinen Gesetze hat im ordentlichen Verfahren durchgehend das Bundesverfassungsgericht, dem um der demokratischen Legitimation der Gesetze und damit um der Teilung der Ausübung der Staatsgewalt willen Zurückhaltung bei der Durchsetzung seiner Erkenntnisse des praktisch Vernünftigen aufgegeben ist 6 7 5 . Der außerordentliche Hüter auch des Verfassungsgrundsatzes der Privatheit, der richtigen Zuteilung von Staatlichkeit und Privatheit der Lebensbewältigung, ist

671

Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 244; 6. Teil, 5. Kap., S. 475. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 421 ff. 672

673

Dazu Hinweise in 4. Teil, 3. Kap., S. 244. Vgl. i.d.S. schon K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 71 ff., 75 ff., 82 ff.; dazu auch 4. Teil, 3. Kap., S. 244; 6. Teil, 5. Kap., S. 475; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 675 Dazu 9. Teil, 4. u. 8. Kap., S. 955 ff. mit Fn. 723, 724, S. 1000. 674

392

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

das Volk selbst, das alle Entscheidungen seiner Vertreter zu ertragen und zu verantworten hat 6 7 6 . V. Die berufsfreiheitsrechtlich geschützte Privatheit der Berufswahl Höchstpersönliche Entscheidungen dürfen dem Menschen nicht durch den Gesetzgeber aus der Hand genommen werden, weil die Gesetze eben doch von Vertretern des ganzen Volkes und nicht vom Volk in seiner Gesamtheit beschlossen werden, wenn auch das Gesetz wegen der Vertretung allgemein ist und allgemein gilt 6 7 7 . Schlechterdings kann es dem repräsentativen Gesetzgeber nicht überlassen werden, zu entscheiden, welchen Beruf ein Bürger ausübt. Der Beruf ist allzu wesentlich Teil der Persönlichkeit des Menschen 678 . Darum schützt Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG (u.a.) das Recht, den Beruf frei zu wählen. Entgegen der Praxis 679 ist das Recht der freien Berufswahl gesetzlicher Regelung unzugänglich. Der Wortlaut des Grundrechts ist eindeutig. Es formuliert klassisch ein subjektives Recht, ein Abwehrrecht des Bürgers 680 , also eine negative Kompetenz des staatlichen Gesetzgebers, die das Bundesverfassungsgericht nicht verteidigt hat. Das Gericht hat vielmehr entgegen dem Text des Grundrechts den Gesetzes vorbehält des S. 2 dieser Vorschrift auf deren S. 1 und damit auf das Recht aller Deutschen, "Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen" ausgedehnt (BVerfGE 7, 377 (400 ff.). Das Grundrecht ist durch den Gesetzesvorbehalt relativiert und büßt dadurch seine subjektiv-rechtliche Qualität als Abwehrrecht gegen den Staat (i.e.S.) ein; denn ein solches setzt eine bestimmte, d.h. eine interpretativ bestimmbare, Materialität voraus. Wegen des Gesetzesvorbehalts bestimmt aber, wenn auch objektiv-rechtlich der Leitentscheidung

676

Dazu Hinweise in Fn. 518, 5. Teil, 4. Kap., S. 355. Dazu 8. Teil, 1. u 3. Kap., S. 643, 707 ff.; zur Allgemeinheit des Gesetzes Hinweise in Fn. 599, 5. Teil, 5. Kap., S. 373; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 678 So im Grundsatz auch BVerfGE 50, 290 (362); i.d.S. etwa H.-P. Schneider, Freiheit des Berufs - Grundrecht der Arbeit, VVDStRL 43 (1985), S. 19. 679 Insb. BVerfGE 7, 377 (400 ff.); H.-J. Papier, HVerfR, S. 628; vgl. R. Breuer, Die Freiheit des Berufs, HStR, Bd. VI, S. 918 ff.; H. Lecheler, Freiheit des Berufs - Grundrecht der Arbeit, VVDStRL 43 (1985), S. 51 ff. (nicht unkritisch); H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 18, 27 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 421 ff., S. 163 f.; auch H.H. Rupp, Das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 92 (1967), S. 212 ff.; i.S. des Textes J. Lücke, Die Berufsfreiheit. Eine Rückbesinnung auf den Text des Art 12 Abs. 1 GG, 1994, S. 8 ff., 57 ff., der die Berufswahlfreiheit unter verfassungsimmanente Schranken stellt, S. 29 ff. 680 Dazu 6. Teil, 1., 3., 4., 5. u. 6. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 461 ff., 466 ff., 478 ff. 677

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

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für die Berufsfreiheit verpflichtet 681 , der Gesetzgeber, unter welchen Voraussetzungen der Beruf (usw.) frei gewählt werden kann. Es bleibt nur, aber immerhin das Recht auf eine vernünftige Gesetzgebung über die Wahl des Berufes (usw.). Dieses Recht ist nicht identisch mit dem Recht, den Beruf usw. frei zu wählen 682 . Der Begriff der Berufswahl des subjektiven Grundrechts muß allerdings restriktiv interpretiert werden und nicht extensiv dahin, daß Berufszulassungsvoraussetzungen, etwa Prüfungen, nicht staatlich vorgeschrieben werden dürfen. Deren Regelung fällt vielmehr unter S. 2 der Vorschrift, die es erlaubt, durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes auch die Voraussetzungen für die Ausübung des gewählten Berufes zu regeln 6 8 3 . Das Wort "frei" in S. 1 des Art. 12 Abs. 1 GG gibt dem Staat nicht die Regelungskompetenz, wie das mit dem Begriff frei im allgemeinen verbunden ist. Eine solche Interpretation verbietet nicht nur der Rang des Berufs und damit der Berufswahlfreiheit für die Persönlichkeit des Menschen, sondern sie widerspricht auch dem Wortlaut des Grundrechts selbst, das die Wahl freistellt. Eine staatliche Regelung der Berufszulassung schließt aber die Wahl und damit auch die freie Wahl aus. Freilich muß die Wahl frei i m Sinne des Art. 2 Abs.l GG sein, insbesondere dem Sittengesetz genügen. Die Sittlichkeit der Wahl ist aber Gewissenssache. Die Kompetenz zur Wahl steht nach Art. 12 Abs. 1 GG allein dem einzelnen Deutschen zu, der allerdings die staatlich regelbaren Voraussetzungen für die Berufsausübung erfüllen muß. Nur müssen diese Voraussetzungen für alle gleich sein. Bedürfnisprüfungen sind grundsätzlich verfassungswidrig 684 . Die Versuche des Grundgesetzes, Privatheit zuzuteilen, hat das Bundesverfassungsgericht dadurch desavouiert, daß es Begriffe wesentlicher Grundrechte, beispielsweise den des Berufs in Art. 12 Abs. 1 GG, bis zur Unbestimmtheit ausgedehnt hat. Folglich mußte es die Verteilung der Staatlichkeit und der Privatheit selbst als stellvertretender Hüter der prakti-

681

Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., insb. S. 845 f. Zum subjektiv-rechtlichen Charakter von Grundrechten S. 385; 9. Teil, 1. Kap., S. 822 ff.; auch 6. Teil, 1., 2., 3., 4. u. 9. Kap., S. 444 f., 449 ff., 454 ff., 461 ff., 501 ff. 683 Die Auswirkungen von Berufsausübungsregelungen auf die Berufswahl sind evident. Das gebietet die Zurückhaltung des Gesetzgebers bei derartigen Regelungen oder deren Verhältnismäßigkeit; auch BVerfGE 7, 377 (400 ff.) geht von diesem Zusammenhang aus; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 422, S. 163; H. Lecheler, VVDStRL 43 (1985), S. 59 f. 682

684

Vgl. BVerfGE 7, 377 (397 ff.) für die Apotheken; BVerfGE 11, 168 (178 ff.) für den Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen und Droschken; H.-J. Papier, HVerfR, S. 629 f.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, 1981, Rdn. 351 ff. zu Art. 12.

394

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

sehen Vernunft des Volkes, funktional rechtsprechend und zugleich gesetzgebend, übernehmen. Das hat etwa zum Numerus-clausus-Urteil 685 geführt, welches das Recht der Berufswahl, die Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG eindeutig dem einzelnen Bürger zuweist, empfindlich einschränkt, obwohl auch andere Regelungen eine tragfähige Steuerung der Berufswünsche zu leisten vermöchten, ohne daß die Privatheit in dem Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung, der Berufsentscheidung, eingeschränkt würde, etwa durch angemessene Gebührenregelungen für Ärzte und Zahnärzte. V I . Die Sicherung unternehmerischer Pivatheit durch Erfolg Es sind vor allem ökonomische Gegebenheiten, insbesondere die wirtschaftlichen Erfolge hinreichend unabhängigen Unternehmertums in einer wettbewerblichen Marktwirtschaft, aber auch die Macht der Gewerkschaften, welche noch intensivere staatliche Reglementierung des gemeinsamen Lebens verhindern, nicht wesentlich die Grundrechte. Es wäre ein Irrtum anzunehmen, daß den Unternehmern die Privatheit auf Grund einer grundrechtsgeschützten Unternehmer- oder Unternehmensfreiheit 686 als einem Recht zur unternehmerischen Willkür, belassen wird. Einzelne Grundrechte, wie die Eigentumsgarantie, die Berufsausübungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, gebieten dem Gesetzgeber, sachgerechte subjektive Rechte unternehmerischer Privatheit zu begründen, insbesondere das Recht, Verträge zu schließen, jeweils nach Maßgabe der allgemeinen Gesetze 687 , Vielfalt und (in Grenzen) Eigeninteresse der Unternehmer haben sich wegen des damit verbundenen Wettbewerbs als effizient für den allgemeinen Wohlstand erwiesen. Die Beteiligung des Gemeinwesens an den Früchten des unter-

685 BVerfGE 33, 303 ff.; vgl. auch BVerfGE 39, 258 ff.; 43, 291 ff.; 66, 155 ff. u.ö.; dazu (kritisch) R. Breuer, Freiheit des Berufs, HStR, Bd. VI, 1989, S. 934 ff. 686 Dazu (a.A.) H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, 1983, S. 637 ff.; ders., Unternehmen und Unternehmerfreiheit in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, VVDStRL 35 (1977), S. 99 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 115, 130, 136 f. zu Art. 12; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 353 ff.; wer die Unternehmer"freiheit" aus Art. 12 Abs. 1 GG herauslesen will, verwechselt entgegen Art. 55 Abs. 2 und Art. 66 GG Beruf und Gewerbe (vgl. dazu die Hinweise in Fn. 1047, 9. Teil, 9. Kap., S. 1022); insb. BVerwG, etwa BayVBl. 1992, 504 (505) unter überdehnter Berufung auf BVerfGE 32, 311 (317); 46, 120 (137 f.); Art. 14 Abs. 1 GG regelt im übrigen das Eigentum, nicht das Unternehmen oder ein Recht am Unternehmen (vgl. BVerfGE 51, 193 (221 f.); 66, 116 (144); 68, 193 (222 f.); 77, 84 (118); 84, 212 (232); weitgehend aber BVerfGE 22, 380 (383), das es in ständiger Praxis offenläßt, ob Art. 14 Abs. 1 GG ein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbe schützt); vgl. K.A. Schachtschneider, Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 130 in Fn. 178. 687 Dazu S. 404 ff.

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

395

nehmerischen Schaffens mittels vielfältiger Rechtsinstitute, vor allem mittels der Steuern, zeigt, daß es keine grundrechtlich geschützte allgemeine Unternehmerfreiheit als materiales subjektives Grundrecht gibt; denn das unternehmerische Handeln steht zur Disposition des Gesetzgebers und die Früchte der Unternehmer können von dem Gemeinwesen weitestgehend (wenn sie die unternehmerische Tätigkeit nicht erdrosseln) in Anspruch genommen werden 688 . Art. 14 Abs. 1 GG, die Eigentumsgarantie, schützt allenfalls vor einer übermäßigen Minderung der Unternehmenssubstanz 689 . Der Gesetzgeber hält sich aber zurück, weil das Gemeinwesen bestmögliche Leistungen der Unternehmer benötigt und darum daran interessiert ist, die Unternehmer nicht zu demotivieren. Die jeweilige Grenzziehung zwischen unternehmerischer Privatheit und staatlicher Ingerenz durch Gesetz, also zwischen privatem Willkürrecht und staatlicher Kompetenz zur Gemeinwohlverwirklichung ist allein eine Frage der praktischen Vernunft, wenn man so will, der Verhältnismäßigkeit 690 , der Zweckmäßigkeit also, somit eine Frage der Politik. Grundrechte, jedenfalls in dem lebenswichtigen Bereich der Wirtschaft, die der Politik für das gemeine Wohl Kompetenzen verwehren könnten, sind Illusion. Das Gemeinwesen ist für den Erfolg der Wirtschaft, eine res publica, verantwortlich. Es teilt diese Verantwortung mit den Unternehmern und mit den Arbeitnehmern, die privat tätig sind. Die Privatheit der unternehmerischen Wirtschaft in staatlicher Verantwortung ist ein bewährtes Erfolgsrezept der Volkswirtschaft, aber (bisher) keine grundrechtliche Leitentscheidung, folgt aber aus der heute verfassungskräftigen Entscheidung für die Marktlichkeit und damit Wettbewerblichkeit der unternehmerischen Wirtschaft, wie auch dem Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung 691 . Eine Ausnahme scheint die sogenannte Tarifautonomie (richtig: das Tarifvertragsrecht 692 ), zu sein. Zum einen ist diese jedoch nicht gegen eine für

688 Vgl. BVerfGE 38, 61 (81 ff.); dazu R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 415 ff. zu Art. 12; H. J. Papier, Die Beeinträchtigungen der Eigentums- und Berufsfreiheit durch Steuern vom Einkommen und Vermögen, Der Staat 11 (1972), S. 483 ff. 689 Dazu H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 156 ff. zu Art. 14; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 347 ff., 353 ff.; vgl. gegen die Relevanz des Art. 14 GG gegenüber dem Steuerstaat BVerfGE 4, 7 (17); 8, 274 (330); st. Rspr.; offener aber BVerfGE 50, 57 (104 f.). 690 So BVerfGE 7, 377 (397 ff.); 77, 84 (105 ff.); zum Verhältnismäßigkeitsprinzip 5. Teil, 4. Kap., S. 362 (mit Fn. 558); 9. Teil, 7. Kap., S. 986 f. 691 Zur Privatheit des Lebensbewältigung Hinweise in Fn. 57, 5. Teil, 2. Kap., S. 264.

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

die Gesamtwirtschaft notwendige Politik geschützt 693 , zum anderen wird sie quasi-hoheitlich, d.h. gewerkschaftsstaatlich, konzipiert 694 , freilich zu Unrecht 695 . Daß die Mächtigen, vor allem die Unternehmer und Gewerkschaften, Grundrechtsschutz für ihre Macht reklamieren und darin mannigfache Unterstützung in (oft bezahlten) Grundrechtslehren erfahren, steht auf einem anderen Blatt. V I I . Wettbewerb als res publica und res privata Der Wettbewerb zwischen den Bürgern kann nur hingenommen werden, wenn er durch staatliche Gesetze moderiert wird. Dem dient das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Zum anderen muß der Wettbewerb gefördert, ja geradezu erzwungen werden. Dem dient das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Ernst-Joachim Mestmäcker spricht zu Recht vom "verwalteten Wettbewerb" 696 . Der verwaltete Wettbewerb ist ebenso eine private wie eine staatliche Angelegenheit des gemeinsamen Lebens. "Für dieses Denken (sc. den "Neoliberalismus") ist der Wettbewerb nicht ein Naturvorgang, sondern eine Veranstaltung des Staates, d.h. einer die Wirtschaft beobachtenden und in ihr den unverfälschten Wettbewerb notfalls interventionistisch herstellenden Wirtschaftspolitik." - Peter Badura 697 Weil der Wettbewerb Leistungen hervorragend zu motivieren vermag, kann er die richtige Einrichtung für die Bewältigung des gemeinsamen Lebens sein. Wettbewerb ergibt sich als Faktum menschlichen Miteinanders, der

692

Dazu S. 401 ff.. Man kann die Tarifprivatheit auch in Anlehnung an den Sprachgebrauch des Art. 18 GG Tariffreiheit nennen. 693 Dazu K.A. Schachtschneider, Imperative Lohnleitlinien unter dem Grundgesetz, Der Staat 16 (1977), S. 493 ff., 509 ff.; i.d.S. auch BVerfG JZ 1992, 48 ff.; dazu S. 401. 694 Dazu Fn. 718. 695 K.A. Schachtschneider, Der Staat 16 (1977), S. 509 ff.; dazu S. 401 ff. 696 Der verwaltete Wettbewerb, 1984; so auch H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1214 f.; F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf 1933/1964, S. 210 ff.; E. Hoppmann, Zum Schutzobjekt des GWB, in: Wettbewerb als Aufgabe, 1968, S. 61 ff.; B. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, 1978, S. 173 ff., 176 ff., 182 mit Fn. 523; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 355, 393 f. 697 VVDStRL 23 (1966), S. 78 für das "Konzept der Europäischen Verträge"; vgl. ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: v. Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S. 193 ff., 199 ff., 201 ff., insb. S. 204 ff.

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

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"ungeselligen Geselligkeit" (Kant) m. Im Wettbewerb wahren die Wettbewerber die Freiheit dadurch, daß sie die Gesetze und i m Sinne des § 1 U W G die guten Sitten einhalten; denn die allgemeinen Gesetze, die den Wettbewerb ermöglichen, verwirklichen die allgemeine Freiheit und dienen dem guten Leben aller, wie die Erfahrung zeigt 699 . Das Wettbewerbsprinzip erlaubt nur begrenzt die Kooperation der Wettbewerber, weil diese zu Lasten Dritter gehen kann. Darauf reagiert das Kartellverbot des § 1 GWB und des Art. 85 EWGV. Wettbewerb sichert nicht notwendig das gute Leben aller. Das Gemeinwohl sieht Josef Isensee aus "dem offenen Wettbewerb der privaten Egoismen ... nach liberaler Erwartung hervorgehen, als objektiven Effekt" 7 0 0 . Richtig ist das Gemeinwohl die verwirklichte Gesetzlichkeit, aber der Wettbewerb verwirklicht das Rechtsprinzip Wettbewerb, wie Art. 3 a EGV in der Fassung vom 7. Februar 1992 (Maastricht) expliziert, der die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft (u.a.) "dem Grundsatz einer offenen Martkwirtschaft mit freiem Wettbewerb" verpflichtet. I m Wettbewerb gewinnt der Leistungsnachfrager die Kompetenz, zu entscheiden, welches Leistungsangebot das für ihn bessere ist 7 0 1 . Das hat Vor- und Nachteile. Insbesondere kann der Wettbewerb staatlicher Dienste deren Niveaus nivellieren, wenn die Einrichtungen von der Nachfrage und damit von den Interessen der Bürger abhängen. Das zeigen die sogenannten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, aber auch die kommunalen Theater, die staatlichen Schulen, usw. Keinesfalls sichert dieser Wettbewerb den bestmöglichen Dienst des Staates für das gemeine Wohl, weil die Kompetenz zu dessen Definition den vielen Nachfragern mit ihren besonderen Interessen überantwortet und der Einfluß derer, denen das Amt übertragen ist, das Gemeinwohl für alle zu bestimmen, wesentlich geschmälert ist. Nicht Schüler und deren Eltern etwa sollten das Anforderungsprofil der

698

Idee, S. 37, vgl. das Zitat Kants zur Natur des zwieträchtigen Menschen, der Eintracht will und "mißgünstig wetteifert", Idee S. 38; 1. Teil, 3. Kap., S. 55; dazu i.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 454 ff., 461 ff. 699 Dazu 3. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 200 f., 203 f.; auch S. 388 f. 700 HStR, Bd. III, S. 15. 701 Zur Schiedsrichterfunktion des Nachfragers B. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 153; F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, S. 274; R. Knöpfte, Der Rechtsbegriff "Wettbewerb" und die Realität des Wirtschaftslebens, 1966, S. 57; zum Prinzip des Leistungswettbewerbs V. Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 2. Aufl. 1987, S. 46 ff.; ders., Kartellrecht, 6. Aufl. 1991, S. 122 ff.; W. Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, Komm.,16. Aufl. 1990, S. 33 f., 133 ff., 719 ff.

398

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Schulen bestimmen, sondern der Staat, w e i l u n d insoweit das v o n allgemein e m Interesse ist. A r t . 6 A b s . 2 G G ergibt eine schulische Sorgekompet e n z 7 0 2 der E l t e r n als ein Stück Privatheit, die v o m Schulrecht zu gestalten u n d zu beachten i s t 7 0 3 . Dabei darf nicht übersehen werden, daß die K l a s sen- u n d Schulgemeinschaften

weitestgehend zufällig

sind, sodaß

der

Einfluß jedenfalls v o n interessenbestimmten Elternmehrheiten demokratisch u n d d a m i t freiheitlich/republikanisch Bedenken auslöst 7 0 4 . W e n n der W e t t bewerb unter den staatlichen Diensten zugelassen w i r d , werden diese i n gewisser Weise e i n e m privatwirtschaftstypischen Leistungsprinzip ausgeliefert, ohne daß dies auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt. E i n Wettbewerb des Staates m i t Privaten j e d o c h ist m i t republikanischen Staatsprinzip i e n u n v e r e i n b a r 7 0 5 , w e i l ein Gesetz, welches einen solchen Wettbewerb vorschreibt oder auch nur ermöglicht, den Staat privatisiert u n d d a m i t dessen A l l g e m e i n h e i t a u f h e b t 7 0 6 . Nirgends ist das Prinzip Wettbewerb uneingeschränkt nützlich, nirgends ist es aber auch uneingeschränkt eingesetzt oder auch nur akzeptabel 7 0 7 .

702

Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 194; 8. Teil, 3. Kap., S. 709; 9. Teil, 1. Kap., S. 840 ff. Dazu Th. Oppermann, Schule und berufliche Ausbildung, HStR Bd. VI, S. 369 f.; H.F. Zacher, Elternrecht, HStR Bd. VI, S. 286 ff., 306 ff.; vgl. insb. BVerfGE 34, 165 ff.; 47, 46 ff.; auch BVerfGE 52, 223 (236); 53, 185 (195 ff.); 59, 360 (380 ff.). 704 I.d.S. auch H.F. Zacher, HStR Bd. VI, S. 307 f., der auf den "individuellen Charakter des Elternrechts" hinweist, auch S. 271; ebenso W. Zeidler, Ehe und Familie, HVerfR, 1983, S. 565 ff.; BVerfGE 47, 46 (76): "Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG ist ein Individualrecht, das jedem Elternteil einzeln zusteht. Es kann nicht durch Mehrheitsbildung ausgeübt werden." 70 5 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, insb. S. 281 ff. 706 Das Postverfassungsgesetz vom 8. Juni 1989 hat die Deutsche Bundespost als drei Unternehmen verfaßt, die sich in Wahrnehmung ihrer Aufgabe am Wettbewerb beteiligen (§ 4 Abs. 1 S. 3). Es differenziert nach § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 zwischen "politischen und hoheitlichen Aufgaben", die der Bundesminister für Post und Telekommunikation wahrnimmt und "unternehmerischen und betrieblichen Aufgaben des Post- und Fernmeldewesens", welche der Deutschen Bundespost obliegen. Dieses Gesetz verkennt die Staatlichkeit des Staates und die Privatheit der Unternehmen. Es gehört zu einer Fülle vori Maßnahmen, durch die die Bundesrepublik Deutschland sich vornehmlich um der Veränderung der Gehaltsstrukturen willen, aber auch um vermeintlichen gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen (Art. 90 Abs. 1 EWGV) zu genügen, entgegen dem Grundgesetz formell privatisiert. Die Verzerrung der Begriffe des Politischen, des Hoheitlichen, des Unternehmerischen und des Wettbewerblichen haben diesen Irrweg ermöglicht, von dem man nur hoffen kann, daß er der Weg zur materiellen Privatisierung bislang staatlicher Institutionen wie der der Bundespost ist. Das setzt freilich eine Verfassungsänderung voraus. Eine "bundeseigene Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau" hat das Postverfassungsgesetz nicht verfaßt; denn Unternehmen sind keine Verwaltung (dazu a.A. G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl., 1985, S. 217 ff.). 703

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

399

Die Rechtsprechung beispielsweise arbeitet gänzlich ohne Wettbewerb und muß um des Rechts willen auch unabhängig von wettbewerblichen Elementen bleiben. Es ist somit eine Frage der Politik, in welchem Maße das Prinzip Wettbewerb Wirkung entfalten soll, zumal das Grundgesetz eine Wettbewerbsfreiheit nicht schützt 708 . VIII.

Privatheit, nicht Privatautonomie; Tarifprivatheit, nicht Tarifautonomie (Kritik der Delegationslehre) 1. Der hier kritisierte Sprachgebrauch von der privaten Autonomie oder der Privatautonomie ist trotz seiner großen Tradition 7 0 9 in einer vom republikanischen Freiheitsbegriff bestimmten Dogmatik nicht tragfähig, wenn nicht die Verfassung oder Gesetze ausnahmsweise Private ermächtigen sollten, allgemeine Verbindlichkeit durch ihre Entscheidungen zu begründen. Das reklamiert in der Tat die tarifrechtliche Delegationslehre 710 . Auf dem liberalistisehen Begriff der Privatautonomie baut auch die Lehre von der Autonomie der Vertragspartner auf. Vertragsfreiheit ist aber nicht Vertragsautonomie, sondern freiheitliche Privatheit beim Vertragsschluß. Die Autonomie des Willens kann, weil sie die eigene, aber zugleich allgemeine Gesetzgebung durch den allgemeinen Willen ist 7 1 1 , nicht als private Willkür begriffen werden. Im Begriff des freiheitlichen Gesetzes liegt nicht nur

707

Zur Kritik des Modells Wettbewerb H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 467 ff., 473 ff., der sich richtig gegen die "Vergötzung des Modells" ausspricht (S. 473). 70 8 R. Scholz, Wettbewerbsrecht und öffentliche Hand, ZHR 132 (1969), 105; ders., Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1971, S. 25, 128 f., 172; vgl. BVerfG NJW 1972, 573; BVerwGE 30, 191 (198); BVerwG NJW 1969, 522; BVerwG DVB1. 1982, 692; BVerwGE 65, 167 (174); a.A. etwa H.-J. Papier, HVerfR, S. 638 f.; R. Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1988, S. 35; dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 38 ff., 396 f. 709 Vgl. W. Flume , Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Das Rechtsgeschäft, S. 1 ff.; ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, FS 100 Jahre DJT, Bd. I, 1960, S. 135 ff.; K. Larenz, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 1967, S. 91 ff.; BVerfGE 81, 242 (254 ff.); BVerfG JZ 1994, 408 ff. 7,0 Vgl. BAGE 1, 258 (262 f.); 4, 240 (250 f.); gestützt von BVerfGE 4, 96 (108); 18, 18 (26 ff.); 28, 295 (304 f.); 34, 307 (317 ff.); 44, 322 (341 ff.); 55, 7 (21); A. Hueck/H.C. Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Zweiter Band, Kollektives Arbeitsrecht, 7. Aufl. 1967, S. 346 ff.; F.J. Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, 1972, S. 241 ff., 265, 267 f., 348; ablehnend R. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 54 ff.; ders., Koalitionsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 1171; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 181 ff.; K.A. Schachtschneider, Der Staat, 16 (1977), S. 509 ff. 711 Zur Allgemeinheit der Gesetze Hinweise in Fn. 599, S. 373; zur allgemeinen Gesetzgeberschaft und zum Gesetzgebungsstaat Hinweise in Fn. 92, 5. Teil, 2. Kap., S. 270.

400

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

die allgemeine Verbindlichkeit des Gesetzes, sondern die Allgemeinheit der Gesetzgebung; denn nur die Bürgerschaft in ihrer Allgemeinheit kann um der allgemeinen Freiheit willen allgemeine Verbindlichkeit begründen. Die die allgemeine Verbindlichkeit begründenden Rechtsakte sind die allgemeinen Gesetze. Die Allgemeinheit der Gesetze ist im Begriff der Autonomie des Willens eingeschlossen. Freiheit bedeutet, daß der Wille, der gesetzgebend ist, sich selbst das Gesetz gibt, d.h. unabhängig ist von anderer nötigender Willkür. Diese Freiheit läßt sich, weil sie allgemein ist, nur durch die allgemeine Gesetzgebung verwirklichen. Die Gesetzgeberschaft der Allgemeinheit und damit jedes einzelnen Bürgers in Gemeinschaft mit allen anderen Bürgern ist vom Begriff der Autonomie des Willens umfaßt 712 . Die Privatheit ist diese Autonomie des Willens nicht; denn sie bringt keine allgemeinen Gesetze hervor. Private Entscheidungen verpflichten nicht die Allgemeinheit. Das wäre die Nötigung vieler oder aller anderen Bürger durch die Willkür eines Bürgers. Private Rechtsakte erlangen vielmehr nur auf Grund des allgemeinen Willens, der Gesetze also, Verbindlichkeit, wenn die tatbestandliche Voraussetzung dieser Gesetze erfüllt sind. Die privaten Maximen eines Bürgers, welche, um tugendlich zu sein, dem kategorischen Imperativ genügen müssen, sind nicht die allgemeinen staatlichen Gesetze, sondern subjektive Prinzipien des Handelns 713 ; denn die allgemeinen Gesetze kann nur der allgemeine Gesetzgeber beschließen, also nur das Volk selbst oder das Volk durch seine Vertreter in der Gesetzgebung. Die freiheitliche Autonomie des Willens beruht auf dem Recht zur freien Willkür, während die Privatheit aus Rechten zur Willkür besteht. Der Begriff der Privatautonomie ist wie der der Vertragsautonomie republikanisch ein Widerspruch in sich. Autonomie des Willens bringt in der Republik allgemeine Gesetze hervor, nicht Verträge, mögen die Gesetze auch besondere Fälle regeln. Wer freilich Autonomie als Selbstbestimmung versteht, mag von privater Autonomie, also von der Selbstbestimmung des Privaten sprechen 714 . Wenn auch die Autonomie des Willens Selbstbestim-

712 Dazu die Hinweise in Fn. 711; zur Autonomie des Willens Hinweise in Fn. 208, 5. Teil, 3. Kap., S. 294. 713 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 298 ff., 317. 714 I.d.S. BVerfGE 81, 242 (254 f.), wonach die "Privatautonomie auf dem Prinzip der Selbstbestimmung" beruhe, oder voraussetze "daß auch die Bedingungen freier Selbsbestimmungen tatsächlich gegeben" seien.

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

401

mung ist, so ist sie doch in der Republik spezifisch die eigene und zugleich allgemeine Gesetzgebung, nicht die alleinige Selbstbestimmung, die Alleinbestimmung. Das freiheitliche Leben ist durchgehend selbstbestimmt, entweder staatlich durch allgemeine Gesetze, also autonom, oder privat im Rahmen der allgemeinen Gesetze alleinbestimmt. Das Wort Privatautonomie verbindet unter Freiheitsprinzipien, sich dekuvrierend, Unvereinbares, nämlich Privatheit und die Kompetenz, allen das Gesetz zu geben. Das scheint die allgemeine Richtigkeit privater Rechtsakte in Anspruch nehmen zu wollen. Bürger sind autonom, aber als solche staatlich. Autonom können die Bürger nur in ihrer Allgemeinheit, also nur als Bürgerschaft sein, jeder Bürger selbst, aber nur mit allen anderen Bürgern gemeinsam. Auch der Begriff des kategorischen Imperativs beweist, daß die Autonomie des Willens, die dem Sittengesetz verpflichtet ist, allgemeine Gesetzgebung erfordert. Private Willkür kann nicht beanspruchen, allgemein gesetzgebend zu sein. Weil Willkür, zu Recht, mit Privatheit verbunden wird, spricht man vom staatlichen Willkürverbot. Das heißt nicht anderes, als daß der Staat nicht handeln darf wie ein Privater, nämlich nach Maximen, die nicht auf allgemeinen Gesetzen beruhen oder, im Rahmen der Gesetze, Materie allgemeiner Gesetze sein könnten 715 . Autonom ist das staatliche, allgemeine Gesetz, soll es jedenfalls sein, nämlich freiheitlich-demokratisch, republikanisch also 716 . Ein "staatsfreier Bereich" der Privatheit wäre somit gerade i m freiheitlichen Sinne nicht autonom. Er ist freiheitlich nicht konzipierbar, weil er die allgemeine Freiheit nicht sichern würde. Privatheit kann nur freiheitlich sein, wenn sie auf allgemeinen Gesetzen beruht, wenn sie also durch den autonomen Willen der Bürger begründet ist. 2. Die republikanische Fragwürdigkeit des Begriffs der Privatautonomie teilt der Begriff der Tarifautonomie. Art. 9 Abs. 3 GG gebietet, in seiner objektiven Dimension, den Tarifpartnern ein bestmögliches Recht einzuräumen, nach ihrer Willkür Tarifverträge zu schließen, um ihre Interessen auszugleichen. Sonst wäre die sogenannte Koalitionsfreiheit verletzt. Das Tarifvertragsgesetz erfüllt diese Verpflichtung des Staates. Praxis und Lehre begreifen das Recht der Tarifpartner, ihre Tarife vertraglich zu vereinbaren, als Tarifautonomie, die sie in ihrem Kernbereich als Koalitionsbetätigung grundrechtlich geschützt sehen 717 . 715

Zum Willkürverbot 5. Teil, 6. Kap., S. 412 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 986 ff., 990 ff. Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 60 ff.; vgl. der Hinweis in Fn. 711, S. 399; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 716

26 Schachtschneider

402

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Der Begriff Tarifautonomie fügt sich in die sogenannte Delegationslehre ein, welche die Tarifpartner quasi zu staatlichen Gesetzgebern macht, die dem Gemeinwohl verpflichtet seien, also kompetent seien, namens der Allgemeinheit die richtigen Tarife zu erkennen und verbindlich zu machen 7 1 8 . Eine solche Dogmatik verfehlt die Verfassung, die nicht pluralistisch private Verbände damit betraut, mit allgemeiner, also staatlicher Wirkung das Gemeinwohl zu definieren 719 . Eine Gemeinwohlkompetenz haben nur die Organe des Staates als die Vertreter des ganzen Volkes. Nur diesen ist, demokratisch legitimiert, die Kompetenz übertragen, im Namen des Volkes das allgemeine Interesse zu erkennen und durch Gesetze verbindlich zu machen. Wenn diese Kompetenz Privaten übertragen würde, wäre das demokratische Prinzip und damit die Freiheit verletzt. Weil das Gemeinwohl formal ist 7 2 0 , kann es verbindlich nur staatlich definiert werden. Ein Recht Privater, das allgemeine Wohl zu definieren, ist begriffswidrig; denn das Private ist durch die Rechte zur Willkür auf die Verwirklichung des besonderen Glücks ausgerichtet, das gerade dadurch definiert ist, daß es nicht allgemein, nicht staatlich ist. Diese Begrifflichkeit ist durch die Entscheidung für die allgemeine Freiheit begründet, weil sie die Selbstzweckhaftigkeit, die Bürgerlichkeit jedermanns also, erfaßt 721 . Den Privaten ist durch subjektive Rechte zugestanden, die eigenen Interessen/das eigene Glück alleinbestimmt zu verfolgen. Wenn sie beanspruchen, durch ihre Verträge das Gemeinwohl zu verwirklichen, verletzen sie die politische

717 BVerfGE 4, 96 (106); 18, 18 (28 ff.); 20, 312 (317); 50, 290 (369); 58, 233 (248 f.); BVerfG JZ 1992, 48 ff.; BAGE 21, 201 (205); R. Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 299 ff. zu Art. 9 Abs. III; ders., Koalitionsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 1157 ff., 1170 ff.; I. v. Münch, in: ders., GG, Rdn. 45 zu Art. 9; K.A. Schachtschneider, Imperative Lohnleitlinien unter dem Grundgesetz, Der Staat 16 (1977), S. 493 ff., 505 ff. 718 K.A. Schachtschneider, Der Staat 16 (1977), S. 509 ff., 516 ff. (kritisch); kritisch zur Delegationsdogmatik auch R. Scholz, HStR, Bd. VI, S. 1171; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 301 zu Art. 9 Abs. III; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 181 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 717. 719 K.A. Schachtschneider, Der Staat 16 (1977), S. 509 ff.; C.-J. Bruhn, Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Autonomie, 1993, S. 134 ff. 720 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 235 ff., 247 ff. 721 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 318 ff., 341 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; zu dem politischen Status der Bürger auch Hinweise in Fn. 518, 5. Teil, 4. Kap., S. 355, zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266.

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

403

Kompetenz der Bürgerschaft. Richtig ist nur, daß private Verträge dem Gemeinwohl nicht widersprechen, wenn und weil sie sich im Rahmen der Gesetze bewegen. Das Vertragsrecht, welches die Gesetze den Privaten einräumen, ist eine besondere Art, das Gemeinwohl zu verwirklichen und insofern, aber auch nur insofern, verwirklichen die Verträge in ihrer Privatheit das allgemeine Wohl. Entgegen ihrem Begriff, der eine Kompetenz zur allgemeinen Gesetzgebung reklamiert, ist die Tarifautonomie, die Tarifsetzung nämlich, nicht freiheitlich-demokratisch legitimiert. Vielmehr sind die Tarifpartner nur Arbeitgeber oder Verbände von Arbeitgebern einerseits und (mächtige 722 ) Gewerkschaften andererseits (§ 2 Abs. 1 TVG), nicht aber das Volk. Die allgemeine Gesetzgebung im Sinne der Autonomie des Willens ist aber Sache des Volkes als Bürgerschaft. Die Tarifverträge beeinflussen die Lebensverhältnisse aller, ohne daß alle Bürger mit den Verträgen einverstanden sein müssen, um deren Verbindlichkeit zu begründen. Das verfassungsgeschützte Recht, nach Maßgabe einer näheren gesetzlichen Tarifordnung Tarifverträge zu schließen, verschafft den Tarifvertägen zwar die Verbindlichkeit, die nur das Volk geben kann, gibt den Tarifverträgen aber nicht materiell die demokratische Legitimation, die es erlauben würde, die Regelung der Tarifverträge als allgemeinen Willen des Volkes zu dogmatisieren. Den Tarifpartnern ist Tarifprivatheit zugestanden, soweit die allgemeinen Gesetze diese nicht um des gemeinen Wohls willen einschränken. Wegen ihrer allgemeinen ökonomischen Wirkung ist das Recht, Tarifverträge zu schließen, ein subjektives Recht, die Allgemeinheit zu belasten, folglich Privatheit, die nur erträglich ist, wenn die Tarifpartner das Gemeinwohl i m Auge behalten, d.h. ihre Tugendpflichten achten, ohne daß sie deswegen eine Kompetenz hätten, verbindlich für alle das Gemeinwohl zu definieren. Das Grundgesetz grenzt die Tarifvertragsfreiheit i m übrigen nicht selbst von der staatlichen Verantwortung für die Tarifpolitik ab. Der Begriff "Kernbereich", in dem die sogenannte Tarifautonomie durch die Koali-

722 BVerfGE 58, 233 (249); dazu C.-J. Bruhn, Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Autonomie: Eine Kritik der Mächtigkeitslehre des Bundesarbeitsgerichts, der dieses Kriterium zu Recht für verfassungswidrig erklärt, S. 189 ff., 207 f. (Darstellung der Rechtsprechung daselbst, S. 21 ff.).

26*

404

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

tionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sein soll 7 2 3 , ist schlechterdings ungeeignet, die Vertragsfreiheit der Tarifpartner von der tarifpolitischen Kompetenz der staatlichen Organe abzugrenzen. Das bedarf vielmehr jeweiliger gesetzlicher oder notfalls gerichtlicher Materialisierung in praktischer Vernunft, orientiert an der Leitentscheidung des Grundgesetzes für die Koalitionsfreiheit einschließlich ihres Kerns, dem durch Gesetze näher zu bestimmenden Recht der Tarifpartner, Tarifverträge privatim zu schließen 724 . Die Tarifpartner jedenfalls sind Vertragspartner mit dem Recht zur Willkür. Sie sind entgegen der herrschaftlichen Konzeption der "sozialen Vormundschaft" 725 nicht (privatrechtlich organisierte) Organe des Staates; denn als solche müßten sie (gewählte) Vertreter des Volkes sein. Ihre Kompetenz ist kein Recht zur Autonomie des Willens, sondern eines der Privatheit. Gerade darum ist der Staat dafür verantwortlich, daß die Tarifverträge allgemeinverträglich sind 726 . IX. Die Vertragsfreiheit, republikanisch konzipiert Ein zentrales Institut der freiheitlichen Privatheit ist die Vertragsfreiheit, d.h. das Recht, Verträge zu schließen, welche auf Grund der allgemeinen Gesetze verbindlich sind. Dieses Recht, privat Verträge zu schließen, muß der Gesetzgeber je nach dem Lebensverhältnis wegen aller Grundrechte einräumen, insbesondere wegen der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, wegen der sogenannten Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, aber auch wegen der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG, der sogenannten Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG und der sogenannten Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG 7 2 7 . Wenn die besonderen materialen Freiheitsrechte nicht eingreifen, ist die objektive Verfassungsgrundlage des Rechts auf ein Recht, private Verträge zu schließen, das formale Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG, weil zur freien Entfaltung der Persönlichkeit das Recht der Privatheit, insbesondere das, privat durch

723

Vgl. dazu die Hinweise in Fn. 717, S. 402. I.d.S. BVerfGE 84, 212 (228), das die "Tarifautonomie" durch die Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte, die der Gesetzgeber abwägen müsse, eingeschränkt sieht und erkennt, daß die "Koalitionsfreiheit der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung" bedürfe, "soweit das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zueinander berührt" werde, "die beide den Schutz des Art. 9 Abs. 3 genießen würden." 724

725 Dazu T. Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, insb. S. 84 ff.; dazu kritisch C.-J. Bruhn, Tariffägigkeit von Gewerkschaften und Autonomie, S. 99 ff. 726 Dazu K.A. Schachtschneider, Der Staat 16 (1977), S. 493 ff. 727 I.d.S. BVerfGE 81, 242 (254 ff.); dazu W Höfling, Vertragsfreiheit, 1990, S. 6 ff.

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

405

Verträge das Leben zu gestalten, gehört 728 . Art. 2 Abs. 1 GG ist nach Maßgabe praktischer Vernunft zu materialisieren; denn die allgemeine Freiheit verlangt nach gesetzlicher Lebensbewältigung. Das gute Leben aller wird nach der Erfahrung bestmöglich durch weitgehende Rechte der Bürger und Menschen als Privater, Verträge zu schließen, gefördert. Diese Vertragsfreiheit wird aber keineswegs grenzenlos gewährt und sollte das auch nicht 7 2 9 . Schon deswegen können subjektive Rechte, Verträge zu schließen, nicht unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet werden; denn das formale Prinzip der Freiheit gibt keinen Anhaltspunkt für bestimmte Materialisierungen und schon gar nicht für bestimmte Schranken einer Vertragsfreiheit. Auch wenn Art. 2 Abs. 1 GG material als allgemeine Handlungsfreiheit begriffen wird, wie vom Bundesverfassungsgericht 730, ist kein differenzierender Ansatz in dem Grundrecht zu erkennen 731 , so daß das Grundrecht unter uneingeschränktem Gesetzesvorbehalt stünde und damit als subjektives Grundrecht gegenüber dem Gesetzgeber leerliefe 732 . Der eigentliche Gehalt des materialen Handlungsrechts ist allemal nur den Gesetzen zu entnehmen 733 . Daß die Vertragsfreiheit nicht als Privatautonomie begriffen werden kann, ist schon dargelegt 734 . Wegen der vielfältigen dogmatischen Probleme des Rechtsinstituts des Vertrages genügt es aber nicht, um die Verbindlichkeit des Vertrages aus den allgemeinen Gesetzen zu wissen. Vielmehr ist eine Lehre erforderlich, die klärt, warum der Gesetzgeber die Verbindlichkeit an den Vertragsschluß und im Grundsatz nicht an das bloße Versprechen knüpft.

72 8 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, 1958, Rdn. 53 ff. zu Art. 2 Abs. I; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 99 ff. zu Art. 2 Abs. 1; BVerfG JZ 1994, 408 ff.; vgl. auch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 337 ff. 729 I.d.S. BVerfGE 8, 274 (329); 12, 341 (347); 70, 115 (123); 81, 242 (255 f.); BVerfG JZ 1994, 408 ff.; dazu i.d.S. W. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 55 ff., auch S. 32 ff., 44 ff. 730 Vgl. die Hinweise 5. Teil, 4. Kap., S. 331 (mit Fn. 407), 342; 6. Teil, 1. u. 6. Kap., S. 441 ff., 478 ff. (mit Fn. 165). 731 I.d.S. auch BVerfGE 81, 242 (255); W. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 57 f. 732 Zum Leerlaufargument C. Schmitts, welche für die unmittelbare subjektive Dimension der Grundrechte überzeugt, 9. Teil, 1. Kap., S. 824, 857 (mit Fn. 201). 733 Ganz so BVerfGE 81, 242 (255 f.) für eine "Schutzaufgabe des Gesetzgebers"; W. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 57 f. 734 5. Teil, 5. Kap., S. 399 ff.

406

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Jeder darf sich selbst verpflichten; denn er darf handeln, w i e es i h m beliebt, w e i l u n d i n s o w e i t i h m die Gesetze das erlauben. Sein Versprechen schließt es aus, daß er sich gegenüber dem, der sich auf sein Versprechen beruft u n d das versprochene H a n d e l n einfordert, auf sein Recht zur W i l l k ü r , den Wechsel seiner H a n d l u n g s m a x i m e , beruft; denn der Vertragspartner wäre i n seinem rechtlich geschützten Vertrauen auf das angenommene Versprechen u n d damit i n seiner freien Entfaltung der Persönlichkeit verletzt, w e n n das angenommene Versprechen, der Vertrag also, gebrochen würde. Es ist der das Privatrecht einer R e p u b l i k bestimmende Grundssatz des

Vertrauensschutzes 7 3 5 ,

welcher

die

Verbindlichkeit

verpflichtender

Versprechen t r ä g t 7 3 6 . Rechtssoziologisch beruht das Institut solcher Versprechen auf der rechtlichen Sicherung v o n Handlungserwartungen, w e l c h e die Vertragspartner selbst gesetzt haben, w e i l das gemeinsame Leben, insbesondere i m Wirtschaftsverkehr, wegen der weitgehenden B e l i e b i g k e i t der Vertragsmaterien ohne einen solchen die Materialität des Rechts ersetzenden Vertrauensschutz nicht friedlich lebbar w ä r e 7 3 7 . Privatheit w i r d den B ü r gern v o n den allgemeinen Gesetzen nur insoweit eingeräumt, als sie das Vertrauen anderer n i c h t mißbrauchen. Z u r bürgerlichen Privatheit gehört es, v e r b i n d l i c h den W i l l e n erklären, etwas versprechen zu dürfen, w e n n das

735

Zum rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip kritisch Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 208 ff., 215 ff., 416 ff.; K.A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 89 ff., 101. 736 Dazu C.-W. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 411 ff., der das Vertrauensschutzprinzip als Grundlage der Geltung von Rechtsgeschäften zurückweist, weil der Geltungsgrund im Prinzip der Privatautonomie zu sehen sei. Die "Privatautonomie" als privates Recht, Verbindlichkeit zu begründen, kann sich jedoch nur aus dem staatlichen Gesetz herleiten, weil (im Grundsatz) nur der Staat Zwang ausüben darf. Canaris (wie die meisten Zivilisten) diskutiert den Begriff der Privatautonomie, der widersprüchlich ist, weil kein Privater allein allgemeine Gesetze geben darf, nicht staatsrechtlich. Das Recht, Verträge zu schließen, beruht auf den allgemeinen Gesetzen; so H. Lehmann/H. Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 16. Aufl. 1966, S. 142, im Widerspruch zu S. 233, wo die "Vertragsfreiheit" als vom Gesetzgeber anvertraute "autonome Rechtssetzung" dogmatisiert wird; richtig W. Flume , Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, Das Rechtsgeschäft, 1965, S. 5 ff., mit Savigny, der in der "privatautonomen Gestaltung von Rechtsverhältnissen" keine "Rechtsetzung" sieht, weil der "einzelne nicht in eigener Sache ... Gesetzgeber sein" könne, vielmehr würde die "Selbstbestimmung" die "Selbstherrlichkeit" von der Rechtsordnung anerkannt; auch K. Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1967, S. 80 ff., lehnt den Vertrauensschutzgedanken als Vertragsprinzip ab, hält den Vertrag für "einen apriorischen rechtlichen Sinnbegriff' und stützt die Vertragsbindung (Vertrag als zweiseitiger Akt) auf die Freiheit und den Willen der Vertragsschließenden, aber auch auf die positive Rechtsordnung (S. 83); Larenz berücksichtigt nicht das Wesen der Verbindlichkeit, die befriedete Erzwingbarkeit; richtig F. Bassenge, Das Versprechen, 1930, S. 14, 17 ff., 29 f. u.ö. 737 Dazu N. Luhmann, Vertrauen, 2. Aufl., 1973; ders., Rechtssoziologie, 1972, S. 74 ff., 327 ff. zum Vertrag; S. 114 f. zum Vertrauen.

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

407

Versprechen angenommen wird, also auch der Willkür des Vertragspartners entspricht. Der Vertrag ist als Kriterium der Verbindlichkeit des Versprechens, welches der Gesetzgeber regelmäßig fordert (§ 305 BGB), nur für wechselseitige Versprechen unverzichtbar, wie das Beispiel der Schenkung zeigt (§§ 516 Abs. 2, 518 Abs. 2 BGB). Ein Prinzip der Richtigkeitsgewähr, wie es Walter Schmidt-Rimpler mit großem Erfolg gelehrt hat 7 3 8 , rechtfertigt das Vertragsprinzip nicht, weil dies der Privatheit als Recht zur Willkür widerspräche. Die Rechtmäßigkeit des Vertrages hängt davon ab, daß der Vertrag den allgemeinen Gesetzen und damit den allgemeinen und besonderen guten Sitten entspricht 739 . Tauschgeschäfte finden allerdings im Vertrag wegen der wechselseitigen Abhängigkeit der Versprechen das adäquate Rechtsinstitut. Das Prinzip des do ut des wird im Vertrag durch Verbindlichkeiten Wirklichkeit. Die hinreichende Gleichheit der Vertragspartner als deren bürgerliche Selbständigkeit 740 ist die Voraussetzung dafür, daß das formelle Äquivalenzprinzip akzeptiert werden kann, daß also die Verträge hinreichende Richtigkeit des gegenseitigen Interessenausgleichs gewährleisten, welche die staatliche Verbindlichkeit nicht zum Unrecht macht, weil freiheitliche Privatheit zwar Rechte zur Willkür gibt, nicht aber Rechte, andere zu übervorteilen. Die hinreichende Äquivalenz wird material durch die Gesetze und guten Sitten und formal durch die hinreichende Gleichheit oder Selbständigkeit der Vertragspartner, die gesetzlich insbesondere durch das Wettbewerbsrecht gestützt wird, gewährleistet 741 . Dennoch ist es nicht der besondere Konsens, der die Verbindlichkeit des Vertrages spezifisch begründet, also nicht eine lex contractus, die als besonderes Gesetz, als besondere Sittlichkeit, unter den Vertragspartnern

738 Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrecht, AcP 147 (1941), S. 130 ff., 138 ff.; zum Vertragsproblem, in: FS Raiser, 1974, S. 3 ff., 8 ff.; dazu B. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftordnung, 1977, S. 220 ff.; kritisch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 338 ff., 341 ff.; kritisch auch W. Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S. 44 f. 739 BVerfGE 81, 242 (254 ff.); zum Begriff der guten Sitten K.A. Schachtschneider, Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 206 ff.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 367 ff. 740 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 741 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 322 ff.; W. SchmidtRimpler, AcP 147 (1941), S. 152 ff.; E.J. Mestmäcker, AcP 168 (1968), S. 240, S. 248; ders., Macht-Recht-Wirtschaftsverfassung, ZHR 137 (1973), 97 ff., 101; B. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 176 f.; jetzt weitreichend BVerfGE, JZ 1994, 408 ff.

408

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

besonderes Recht schafft. Recht setzt Gesetze voraus, die allgemein sein müssen. Die Konzeption der legis contractus ist die der liberalistischen Privatautonomie. Es ist vielmehr das Versprechen als Ausdruck des Willens, sich zu binden, den das allgemeine Gesetz als wesentlichen Bestandteil der Privatheit anerkennt. § 305 BGB verankert nur einen Grundsatz des Schuldrechts, der vor allem rechtstechnisch um der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit willen gut begründet ist. Die Annahme des Versprechens klärt (im Prinzip öffentlich), daß das in das Versprechen gesetzte Vertrauen in Anspruch genommen wird, daß Erwartungen begründet sind, die, wenn sie enttäuscht werden sollten, den Vertragspartner verletzten, genauer, daß der Vertragspartner Rechtsschutz in Anspruch nehmen wird, wenn das Versprechen nicht erfüllt werden wird, weil dessen Erfüllung auch für sein Leben wichtig ist. Die Vielfalt der Lebensbeziehungen, in die ein Versprechen hineinwirkt, drängen zur stabilisierenden Klärung der Erwartungen und damit zur Restriktion der Verpflichtungen zugunsten derer, die das Versprechen angenommen haben, nachdem es ihnen gemacht wurde. Die mannigfachen Durchbrechungen des Vertragsprinzips in der Praxis belegen das grundlegende Vertrauens schütz- und Versprechensprinzip 742 . Das Bürgerliche Gesetzbuch gibt der Verbindlichkeit der privaten Verträge Rechtsgrundlagen, die als solche auch unabhängig von dem Vertrauensschutzprinzip genügen würden, die Verbindlichkeit der Versprechen zu dogmatisieren, schon weil der Vertrag ein unverzichtbares Rechtsinstitut privater, also von Staat unabhängiger, Wirtschaft, insbesondere einer Wettbewerbswirtschaft, ist 7 4 3 . Der Vertrag ist als ein Rechtsinstitut zivilisierten gemeinsamen Lebens ausdifferenziert. Er ermöglicht die Vielfalt rechtsverbindlicher Entscheidungen, die es erlauben, das Leben interessengerecht zu planen, vor allem unternehmerisch tätig zu sein. In dem jeweiligen Weg zu eigenem Glück sichert der Mensch seine Interessen, die er ohne die Menschen, in deren Gemeinschaft er lebt, nicht verwirklichen kann, durch Verträge. Deren Allgemeinverträglichkeit ergibt sich aus den allgemeinen Gesetzen. Die allgemeinen Gesetze sind der verbindliche allgemeine Wille 7 4 4 . Besondere Willkür kann und darf aufgrund und nach Maßgabe der

742 Dazu C.-W. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; insb. S. 411 ff., 491 ff.; G. Böhmer, Einführung in das bürgerliche Recht, 2. Aufl. 1965, S. 331 ff.; vgl. auch G. Püttner, Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht, VVDStRL 32 (1974), S. 200 ff. 743 Dazu B. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 162 ff., der den Vertrag als Institut zur Koordinierung dezentraler Planung vorstellt. 744 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 311 ff.; vgl. die weitere Hinweise in Fn. 711, S. 399.

5. Kap.: Die freiheitliche Privatheit in der Republik

409

allgemeinen Gesetze verbindliche Versprechen begründen. Verträge schaffen jedoch nicht Recht, aber auf Grund des Rechts Rechte, nämlich Ansprüche (§ 194 Abs. 1 BGB). Wollte die Rechtsordnung nicht die Verbindlichkeit zumindest der Verträge, wenn schon nicht die bloßen Versprechen, schützen, so wäre nicht nur Privatheit als eine um der freien Entfaltung der Persönlichkeit willen unverzichtbare alleinbestimmte Lebensweise unmöglich, weil diese darauf angewiesen ist, daß der Verbindlichkeit von Versprechen vertraut werden kann, sondern die Willkür des Menschen 745 , die wesentlich die Fähigkeit ist, sich zu binden, wäre (als freie Willkür) auf die allgemeine Gesetzgebung reduziert, d.h. die Privatheit wäre weitestgehend beschnitten. Das würde nicht nur die Menschheit des Menschen verletzen, sondern wäre auch nicht fähig, die erforderliche Vielfalt verbindlicher Entscheidungen im gemeinsamen Leben einer offenen Gesellschaft zu gewährleisten. Eine vornehmlich bürokratische Gestaltung des gemeinsamen Lebens erstickt an der notwendig zu geringen Leistungsfähigkeit einer Bürokratie. Die (vermeintlich) sozialistischen Versuche der Planwirtschaft, welche spezifisch die Privatheit eleminiert haben, sind jämmerlich gescheitert. Das Vertragsprinzip aktiviert jeden einzelnen Menschen im Gemeinwesen bei der Verwirklichung der Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten. Jeder Mensch in einem Gemeinwesen, das bestmöglich Privatheit läßt, vollzieht durch seine Verträge die staatlichen Gesetze und materialisiert zugleich für seinen Bereich das gute Leben. Das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit ist der Staatszweck einer Republik. Dieser wird bestmöglich durch allgemeine Gesetze, welche das allgemeine Interesse verbindlich machen, und durch Verträge, welche das jeweils alleinbestimmte Besondere der Vertragspartner und damit das Private derselben festlegen, verwirklicht. Der Vorrang privater Lebensbewältigung ist durch die größere Leistungsfähigkeit der dem Grundsatz privater Lebensbewältigung folgenden Verteilung des Staatlichen und des Privaten 746 begründet, mehr aber noch durch die Humanität größtmöglicher Privatheit. Sie ist aber auch rational, wenn die Privatheit klug zugemessen ist.

745 Das liberalistische Bürgerliche Gesetzbuch spricht vom "Willen", ein Begriff, der zur Privatautonomie paßt. 746 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 244 ff.; auch 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff.; weitere Hinweise zur Privatheit in Fn. 55, 57, 5. Teil, 2. Kap., S. 263, 264.

410

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

6. Kapitel Das Recht zur Autonomie des Willens als Gleichheit in der Freiheit I. Gleichheitsdogmatische Skizze einer allgemeinen Republiklehre Das Autonomieprinzip läßt sich auch vom Gleichheitsgedanken her erfassen. "Vernünftig erscheint die Annahme, daß die Menschen im Urzustand gleich seien"- John Rawls 747. Die Idee der Gleichheit (notwendig in der Freiheit als Autonomie des Willens) folgt logisch, wie Kant klarstellt 748 , aus der der Freiheit und ist darum wie diese "angeboren", also ein Apriori der Vernunft 749 . Jedenfalls läßt sie sich mit der Überlegung stützen, daß eine Ungleichheit unter den Menschen, welche es rechtfertigt, daß der eine den anderen beherrscht, sich nicht begründen, schon gar nicht, etwa eschatologisch, legitimieren läßt. Darum ist die Republik keine Herrschafts-, sondern eine Freiheitsform. Wilhelm Henke erklärt die Herrschaft von Menschen über Menschen demgegenüber mit der Ungleichheit von Menschen: "Herrschaft hat es immer gegeben und sie bildet sich aufgrund der Ungleichheit unter den Menschen immer von Neuem. Diese Ungleichheit ist offenbar das eigentlich Beunruhigende an der Herrschaft, das, was ihre Gegner treibt und was die Herren zur Rechtfertigung ihrer Herrschaft drängt. Unter Gleichen braucht es nicht nur, sondern kann es keine Herrschaft geben." - Wilhelm Henke 750 Gerade darum läßt sich Herrschaft nicht rechtfertigen; denn der ohnedies kontingente Empirismus der Ungleichheit unter den Menschen ignoriert die Idee der Freiheit und damit die Logik der Gleichheit in der Freiheit. A u f die bloße Beschreibung von Herrschaft kann eine Verfassung der Herrschaft nicht gegründet werden 751 . Hannah Arendt hat auf den griechischen Freiheitsbegriff hingewiesen: "Gleichheit, die in der Neuzeit immer eine Forderung der Gerechtigkeit war, bildete in der Antike umgekehrt das eigentliche Wesen der Freiheit:

747

Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 36, näher S. 34 ff., S. 223 ff. Metaphysik der Sitten, S. 345. 749 Zur Rechtsidee der Gleichheit aller Menschen, P. Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, HStR, Bd. V, S. 855 ff.; zum transzendentalen Prinzip 5. Teil, 1., 3., 4. u. 7. Kap., S. 256 ff., 312, 333 ff., 435 ff.; zum Urrecht der Freiheit auch 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 290 ff., 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 748

750 751

Recht und Staat, S. 254. Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 2. u. 3. Kap. S. 79 ff., 88 ff.

6. Kap.: Gleichheit in der Freiheit als Recht zur Autonomie des Willens

411

Freisein hieß, frei zu sein von der allen Herrschaftsverhältnissen innewohnenden Ungleichheit, sich in einem Raum zu bewegen, in dem es weder Herrschen noch Beherrschtwerden gab." - Hannah Arendt 75 2 Gleichheit ohne Gesetz, also Gesetzgebungsgleichheit, ist, wenn das Gemeinwesen verfaßt ist, wenn der Staat eine Republik ist, nichts anders als die allgemeine Freiheit, die Freiheit nämlich zur allgemeinen Gesetzlichkeit. Wegen der Formalität der Freiheit ist auch die Gleichheit formal und die Gleichheit aller darum nichts anderes als die gesetzgebende Allgemeinheit. Die Allgemeinheit der Freiheit und die Gleichheit aller sind im Prinzip der Gleichheit in der Freiheit identisch 753 . Beide führen zum Prinzip der praktischen Vernunft. Paul Kirchhof entwickelt ein "Objektivitätsgebot", das sich davon nicht unterscheidet, wenn Kirchhof auch die Formalität nicht formuliert, aber für die Rechtserkenntnislehre doch ins Auge faßt. Kirchhof konzipiert das Objektivitätsgebot als Prinzip des allgemeinen Gleichheitssatzes, das er aber letztlich im Rechtsstaatsprinzip verwurzelt sieht 754 , also der Sache nach in der Freiheit 755 . Formalität schließt eine Dualität von Prinzipien logisch aus. Nur unterschiedliche materiale Prinzipien können in Widerspruch treten und somit in Spannung stehen. Die formale Idee der

75 2

Hannah Arendt, Vita Activa. S. 34; diese Erkenntnis hat W. Henke, der über Athen und Rom schreibt, Recht und Staat, S. 301 ff., 319 ff., nicht beeindruckt. 753 I.d.S. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; ders., Zum ewigen Frieden, S. 204 f.; i.d.S. wohl auch W. Maihofer, HVerfR, S. 220 ff.; das kantianische Apriori der "eingeschränkten oder allgemeinen Freiheit als das Prinzip jeder möglichen menschlichen Koexistenz" stellt E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 87 f., heraus; vgl. so auch M. Kriele, Befreiung und politische Aufklärung. Plädoyer für die Würde des Menschen, 1980, S. 59 ff.; ders., HVerfR, S. 133 ff., mit nicht ganz konsistenter Begründung; ders., Einführung in die Staatslehre, S. 228 ff., 331 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 135 ff., 153 u.ö.; i.d.S. auch G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 8 ff. zu Art. 3 Abs. 1 ("Freiheitsgleichheit"); klar i.S. des Textes Ch. Dicke, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln im Völkerrecht, 1978, S. 45 (mit Berufung auf Kant), für das Verhältnis von Selbstbestimmung und Gleichheit im Völkerrecht, Dickes Lehre ist deswegen bemerkenswert, weil das Völkerrecht die Verzerrung der Begriffe Freiheit und Gleichheit nicht zuläßt, weil kein Volk ein anderes zu beherrschen beanspruchen kann; auch N. Luhmann, Der Gleichheitssatz als Form und Norm, ARSP 1991, 435 ff., stellt heraus, daß der Gleichheitssatz nicht das "oberste Prinzip", nicht die "oberste moralische Idee", nicht "die höchste materielle Norm" sei (S. 445). 754 Objektivität und Willkür, FS W. Geiger, 1989, S. 82 ff.; ders., Der allgemeine Gleichheitssatz, HStR, Bd. V, S. 882 ff., 943 ff., insb. S. 949. 75 5 P. Kirchhof selbst spricht in Bezug auf M. Kriele den "inneren Zusammenhang von Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit" an, sieht Gleichheit und Freiheit als Gegensätze und bildet den Satz: "Jeder hat gleichen Anspruch auf Freiheit", HStR, Bd. V, S. 882; ähnlich: Objektivität und Willkür, S. 99 ff.

412

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Freiheit v e r w i r k l i c h t

sich i m allgemeinen Gesetz ebenso w i e die n i c h t

w e n i g e r formale Idee der Gleichheit; denn es gibt keine Gleichheit ohne allgemeines G e s e t z 7 5 6 . " D u r c h die Gesellschaft verlieren sie (sc. die Menschen) ihre Gleichheit. Erst durch die Gesetze werden sie wieder gleich." -

Montesquieu 757

D i e Selbstzweckhaftigkeit des Menschen findet ihren A u s d r u c k s o w o h l i n der Formalität der Freiheit als auch der der Gleichheit. Gemäß d e m tradierten Verständnis des A r t . 3 Abs. 1 G G : " A l l e Menschen sind v o r dem Gesetz g l e i c h " 7 5 8 , setzt dieses Grundrecht ein Gesetz voraus, das tatbestandsgemäß anzuwenden

dieser

Gleichheitssatz

gebietet 7 5 9 .

Dieses

Gesetzmäßigkeitsprinzip,

diese Rechtsanwendungsgleichheit, darf der Gesetzgeber n i c h t relativieren;

756

Dazu näher unten 9. Teil, 8. Kap., S. 998 ff.; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1027 ff.; i.d.S. M. Kriele, HVerfR, S. 145; ders., Einführung in die Staatslehre, S. 331 ff., 334; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 153; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 8 ff. zu Art. 3 Abs. I; P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 846, 850 ff.; i.d.S. auch N. Luhmann, ARSP 1991, 435, der zurecht darauf hinweist, daß auch die Ungleichheit Recht voraussetzt. 757 Vom Geist der Gesetze, S. 183. 758 Diese Formel entstammt Art. 3 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung der französischen Verfassung von 1793. Diese sog. Jakobinerverfassung ist nicht in Kraft getreten. Art. 6 der Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers von 1789 lautete: "Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Staatsbürger sind befugt, zur Feststellung desselben persönlich oder durch ihre Repräsentanten mitzuwirken. Es soll für alle das gleiche sein, es mag beschützen oder bestrafen. Da alle Bürger vor seinen Augen gleich sind, so können sie gleichmäßig zu allen Würden, Stellen und öffentlichen Ämtern zugelassen werden und auf Grund ihrer Fähigkeiten und ohne anderen Unterschied, als den ihrer Tugenden und ihrer Talente." Die Formel ist von Art. 137 Abs. 3 der Reichsverfassung von 1849 und von Art. 109 Abs. 1 WRV für "alle Deutschen" übernommen worden; Art. 4 S. 1 der Preussischen Verfassungsurkunde lautete: "Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich". Art 20 Abs. 1 S. 3 Verfassung der DDR von 1968 lautet: "Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich", vgl. dazu v. Mangoldt/Klein/Stark, GG, Rdn. 1 zu Art. 3 Abs. 1. 75 9

G. Anschütz, WRV-Komm., Anm. 1, 2 zu Art. 109; HP. Ipsen, Gleichheit, in: Die Grundrechte, hrsg. von Neumann/Nipperdey/Scheuner, Bd. 2, 1954, S. 115 f.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 8 ff. zu Art. 3 Abs. I; K. Schweiger, Zur Geschichte und Bewertung des Willkürverbots, in: FS 25 Jahre BayVGH, 1972, S. 57 ff.; N. Luhmann, Grundrechte als Institution, 2. Aufl. 1974, S. 167 ff.; E. Eyermann, Gleichheitssatz, Wurzel des Willkürverbotes?, in: FS 25 Jahre BayVGH, 1972, S. 45 ff.; E. Forsthoff,, Der Staat der Industriegesellschaft, 2. GG, Rdn. 1 zu Art. 3 Abs. 1; vgl. R. Alexy, Aufl. 1971, S. 134 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, Theorie der Grundrechte, S. 357 ff., der die unzureichende Kritik an diesem Verständnis skizziert.

6. Kap.: Gleichheit in der Freiheit als Recht zur Autonomie des Willens

413

denn er ist durch Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden 760 . Spezifisch das Prinzip der Gleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber jedoch nicht, gleichheitliche Gesetze zu geben. Die Formel "vor dem Gesetz" gibt eine solche Verpflichtung nicht her, wenn sie auch einer Interpretation des Gleichheitssatzes in diesem Sinne nicht entgegensteht 761 . Die Judikative hat darum nicht spezifisch zu kontrollieren, ob der Gesetzgeber eine Rechtsetzungsgleichheit gewahrt habe, sei dieser Gleichheitssatz das Willkürverbot oder nach der sogenannten neuen Formel des Bundesverfassungsgerichts ein Begründbarkeitsgebot 762 . Ein Willkürverbot und ein Begründbarkeitsgebot sind nichts anderes als das Sachlichkeitsgebot, die Pflicht zur praktischen Vernunft also, oder eben die Pflicht des Gesetzgebers zu dem Volk vertretenden Sittlichkeit. Das Gesetz, welches die Freiheit aller verwirklicht, das allgemeine Gesetz also, ist gleichheitlich 763 , weil es seinem Begriff nach moralisch, praktisch vernünftig ist. Ohne Gesetz gibt es keinen Maßstab für Gleichheit und Ungleichheit. M i t dem Willkürvorwurf gegen den Gesetzgeber praktiziert das Bundesverfassungsgericht nicht anders als mit dem Begründbarkeitsgebot seine Kompetenz der funktional gesetzgebenden Rechtserkenntnis, die es als das Volk vertretender Hüter der Verfassung hat 7 6 4 . Allerdings ist die Rechtsgrundlage dieser

760 Art. 1 Abs. 3 GG zwingt nicht, ein Prinzip der Gesetzgebungsgleichheit in Art. 3 Abs. 1 GG hineinzulesen, wie die umfangreiche Kommentierung der Rechtsanwendungsgleichheit von G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 21 ff. zu Art. 3 Abs. I erweist; das verkennt wie viele R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 357; auch v. Mangoldt/Klein/Stark, GG, Rdn. 20 zu Art. 3 Abs. 1 GG. 761 Dazu P. Kirchhof HStR, Bd. V, S. 874 ff., insb. 876 f. 762 So aber die Praxis und die herrschende Meinung; zum Willkürverbot etwa BVerfGE 1, 14 (52); 12, 341 (348); 18, 38 (46); 27, 364( 371 f.); die praktizierte Lehre stammt von H. Triepel, Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien, 1924, S. 26 ff., und ist von G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1925, 2. Aufl. 1959 (erweitert), S. 34 ff., dogmatisiert worden; zur "neuen Formel" BVerfGE 75, 108 (157); 78, 249 (287); dazu G. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 1, 2 zu Art. 3 Rdn. 303 ff., 331 ff. zu Art. 3 Abs. I GG; v. Mangoldt/Klein/Starck, Abs. 1; dazu auch R. Zippelius, Der Gleichheitssatz, VVDStRL 47 (1989), S. 8 ff.; G. Müller, Der Gleichheitssatz, VVDStRL 47 (1989), S. 37 ff.; vgl. auch die Aussprache der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, VVDStRL 47 (1989), S. 63 ff., die sich vorwiegend um die neue Formel bemühte, insb. E.-W. Böckenförde, S. 95 f.; P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 943 ff.; dazu 9. Teil, 8. Kap. S. 1284 ff. 763 So auch v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 1 zu Art. 3 Abs. 1 GG; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 8 ff. zu Art. 3 Abs. I; dazu 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 7., 8. u. 10. Kap., S. 989 ff. (insb. S. 998), 1027 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 245 ff. 764 Ganz so P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 877, der die Reduzierung der Unrichtigkeitskontrolle auf den Willkürvorwurf (nur ein gradueller Unterschied) zu Recht damit begründet, daß sonst der "Oberste Gerichtshof' zum "eigentlichen Gesetzgeber" würde; nichts anderes ergibt Kirchhofs Objektivitätsgebot, das gegen grobes Unrecht eingewandt werden darf, a.a.O.,

414

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Kompetenz Art. 2 Abs. 1 GG vor allem in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 2 GG und den Normenkontrollkompetenzen des Gerichts 765 . Der Gleichheitssatz hat für die Verwirklichung der praktischen Vernunft eine dienende Funktion, nämlich die, die Gesetzlichkeit des Gesetzesvollzuges zu sichern. Die Sittlichkeit des Gesetzes ist zwar eine Gewissenssache der Abgeordneten 766 , aber weil es um die Erkenntnis des Rechts geht, institutionell von der Rechtsprechung überprüfbar 767 . Das Gesetz, welches "allgemein und nicht für den Einzelfall" gilt, fordert die Gleichheit als Allgemeinheit der Freiheit. "Eine Norm hat den Charakter eines für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geltenden generellen Rechtssatzes - und ist also kein Einzelfallgesetz -, wenn sich wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht genau übersehen läßt, auf wie viele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet, wenn also nicht nur ein einmaliger Eintritt der vorgesehenen Rechtsfolge möglich ist." - BVerfGE 25, 371 (396) 7 6 8 Diese Allgemeinheit des Gesetzes soll Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG nach seinem Wortlaut für die Gesetze fördern, welche einschränkbare Grundrechte einschränken. Der Sache nach sind alle Grundrechte außer den formalen der allgemeinen Freiheit und der allgemeinen Gleichheit bis zum Wesensgehalt material einschränkbar, besser: zu größerer Bestimmtheit materialisierbar oder, wie meist gesagt wird, konkretisierbar 769 , sodaß Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG für alle materialen, also besonderen Grundrechte praktisch wird 7 7 0 . Außer dem skizzierten formalen kann es in der Republik des Grundgesetzes

S. 943 ff. 765 Dazu 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. zum Willkürverbot; 9. Teil, 1., 2., 3. u. 4. Kap., S. 820 ff., 870 ff., 879 ff., 909 ff., 932 ff., 937 ff., zur Normenkontrollbefugnis. 766 Dazu Hinweise in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265; Fn. 128, 5. Teil, 3. Kap., S. 280. 767 Dazu 9. Teil, 1., 5., 6., 7., 8. u. 10. Kap., S. 854 ff., 963, 963 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; weitere Hinweise in Fn. 76, 5. Teil, 2. Kap., S. 267; zum Verhältnis der Gesetze zum Recht auch Hinweise in Fn. 133, 5. Teil, 3. Kap., S. 281. 768 Ebenso BVerfGE 10, 234 (242); 13, 225 (229); vgl. auch BVerfGE 24, 33 (52). 769 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 847 ff. Die formale Prinzipien schützenden Grundrechte der Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG erfordern ebenfalls die gesetzliche Materialisierung, ohne aber durch die Gesetze eingeschränkt zu werden. Die Freiheit und die Gleichheit werden vielmehr durch die Gesetze verwirklicht (dazu 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; auch 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 526 ff., 560 ff.; zum Prinzip der Gesetzlichkeit der Freiheit Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270.). 770

Dazu W. Krebs, in: v. Münch/Kunig, GGK, 4. Aufl. 1992, Rdn. 5 zu Art 19; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, 1981, Rdn. 18 ff., insb. Rdn. 21 zu Art. 19 Abs. I; Ch.-R Menger, GG, Bonner Komm., Zweitbearbeitung 1979, Rdn. 83 ff., insb. Rdn. 87 zu Art. 19 Abs. 1 S. 1.

6. Kap.: Gleichheit in der Freiheit als Recht zur Autonomie des Willens

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kein Prinzip der Gesetzgebungsgleichheit geben, weil ein solches eines verbindlichen Maßstabes bedürfte, den aber nur der Gesetzgeber selbst bilden könnte. Die besonderen Grundrechte geben derartige verbindliche, wenn auch offene Leitlinien der gesetzgeberischen Politik 7 7 1 , nicht aber der formale Gleichheitssatz. Das Gesetz fördert, wie gesagt, die Gleichheit durch seine gegenständliche Allgemeinheit. Vor allem aber die praktische Vernünftigkeit der gesetzgeberischen Erkenntnisse sichert die Gleichheit als personale Allgemeinheit. Diese personale Allgemeinheit ist die Sittlichkeit der Gesetzgebung, verwirklicht durch die Vertretung des Volkes in der praktischen Vernunft 772 . Die gelungene personale Allgemeinheit erfüllt zugleich das Gebot des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, die gegenständliche Allgemeinheit zu wahren; denn sie differenziert praktisch vernünftig, richtig. Sie schafft Recht. Die Gesetzgebung der Vertreter des Volkes 773 kann die personale Allgemeinheit verfehlen, aber die Hüter der Verfassung sollen über diese Richtigkeit der Gesetze wachen, vor allem das Bundesverfassungsgericht 774 . Die Verbindlichkeit eines Gesetzes von der Zustimmung aller Bürger abhängig zu machen, um die Allgemeinheit des Gesetzes zu sichern, wäre nicht praktisch 775 . Die Gesetze müssen Handlungen oder Lebensumstände von Menschen tatbestandsmäßig derart beschreiben, daß jedermann die Tatbestandsmerkmale erfüllen kann, d.h. die Gesetze müssen für alle verbindlich sein können. Jedenfalls dürfen die Gesetze nicht nur für benannte Personen gelten. Das regelt das Verbot des Einzelpersonengesetzes 776. Die gegenständliche Allgemeinheit der Tatbestandsmerkmale ist überprüfbar, das verdeckte Individualgesetz feststellbar, der Mißbrauch der Formulierung zur Umgehung des Verbots des Einzelfallgesetzes also justitiabel 777 . Art. 19 Abs.

771

Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 847 ff. Ganz so M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 334; dazu 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 773 Dazu 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 774 Dazu Hinweise in Fn. 518, 5. Teil, 2. Kap., S. 355; insb. 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff. mit Fn. 471 ff. 775 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 643 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 981. 776 So E. Denninger, GG, AK, Rdn. 10 ff. zu Art. 19 Abs.l; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 32 ff., 35 zu Art. 19 Abs. I; Ch. Menger, GG, Bonner Komm., Zweitbearbeitung, 1977, Rdn. 93 ff. zu Art. 19 Abs. 1; A. v. Mutius, Rechtsnorm und Verwaltungsakt, in: FS H.J. Wolff, 1973, S. 171; F. Ossenbühl, HStR, Bd. III, S. 286 f. 777 Vgl. BVerfGE 10, 234 (244); vgl. E. Denninger, GG, AK, Rdn. 12 zu Art. 19 Abs. 1. 772

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5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

1 S. 1 GG ist das grundgesetzliche Instrument gegen gesetzgeberische Willkür zu Lasten bestimmter Personen, also ein Instrument zur Verwirklichung der Gleichheit aller in der Freiheit im repräsentativen Gesetzgebungsstaat 778 , wenn man so will, ein "Unterfall des allgemeinen Willkürverbots" 7 7 9 . Der Form des Gesetzes genügt im übrigen nur eine Vorschrift, die allgemein verbindlich ist, welche also ihre Gesetzlichkeit nicht selbst aufhebt. Die Gleichheit der Freien ist vorgesetzlich, weil vorstaatlich 780 . Dennoch sind diese in der Freiheit Gleichen der Gesetzgeber, das Volk nämlich. Irgendeine rechtliche Materialität für ein Gesetz läßt sich daraus nicht gewinnen, weil die Freiheit praktisch nur durch das Gesetz verwirklicht werden kann. Das hindert nicht, daß der Gesetzgeber durch einen Richter ersetzt wird, der insoweit nicht dem Gesetz unterworfen ist 7 8 1 . Art. 97 Abs. 1 GG gilt uneingeschränkt für den Gesetzesrichter, relativiert aber die Aufgaben der Rechtsprechung, insbesondere die des Bundesverfassungsgerichts, als Hüter der Verfassung nicht. Die aber ist gerade nicht durch unterwerfende Gesetze gekennzeichnet, sondern durch das Prinzip der praktischen Vernunft, orientiert an den politischen Leitentscheidungen der materialen Grundrechte 782 .

778 I.d.S. grundsätzlich H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 296 ff., der im Allgemeinheitsprinzip die Richtigkeit, Vernünftigkeit gesichert sieht, weil Gesetze verallgemeinerbar sein müßten (S. 306 f.); das Gesetz ist aber schon Ausdruck des Allgemeinen; folglich kann die gegenständliche Allgemeinheit des Gesetzes nur an der Allgemeinheit der Gesetzesbegriffe gemessen werden, die personale nur an den Kompetenzen und Verfahren, während die rechtschaffende Moralität als solche nicht überprüfbar ist, wohl aber das Ergebnis des Erkenntnisprozesses, das Gesetz, das durch eine andere gesetzgeberische Erkenntnis ersetzt werden kann; vgl. zu Allgemeinheit des Gesetzes im Gesetzgebungsstaat auch C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 8 f. 779 So aber E. Denninger, AK-GG, Rdn. 14 zu Art. 19 Abs.l. 78 0 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 34 ff. (36), 223 ff.; i.d.S. schon Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 183; zu diesem Apriori Kants auch E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 83 f.; P. Kirchhof\ HStR, Bd. V, S. 857 ff. sieht den Ursprung des "fundamentalen Gleichheitssatzes von der jedem Menschen gleichermaßen eigenen, vom Recht vorgefundenen und unveräußerlichen Würde und Personalität" im Christentum; dazu Hinweise in Fn. 84, 5. Teil, 2. Kap., S. 269; zum Urrecht der Freiheit 5. Teil, 1., 3., u. 4. Kap., S. 253 ff., 290 ff., 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 781 Dazu 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 858 ff. (insb. 870 ff., 885 ff.), 909 ff.; auch 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; auch 9. Teil, 7., 8. u. 10. Kap., S. 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; für eine Identität von Richterlichkeit und Gesetzesunterworfenheit C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff. u.ö. 782 Dazu 9. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 819 ff., 858 ff.; weitere Hinweise in Fn. 781, S. 416.

6. Kap.: Gleichheit in der Freiheit als Recht zur Autonomie des Willens

417

Moralisch erinnert der kantianische Probierstein den repräsentativen Gesetzgeber an das Volk in dessen allgemeiner Gleichheit und Freiheit, also dessen bürgerlichen Status als eigentlichen Gesetzgeber, nämlich: "Was ein Volk über sich selbst nicht beschließen kann, das kann der Gesetzgeber auch nicht über das Volk beschließen." - Kant 1%2> "Die Idee des Staats Vertrages: daß nämlich jeder Gesetzgeber seine Gesetze so zu geben habe, als sie aus dem vereinten Willen eines ganzen Volkes hätten entspringen können - gilt nur 'für das Urteil des Gesetzgebers, nicht des Untertans'" - Ernst Bloch m. Das Volk ist nach dem Grundgesetz jedoch selbst Hüter der Verfassung in deren durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten politischen Grundentscheidungen, also der föderalistisch geprägten freiheitlichen demokratischen Grundordnung 785 . Der breite Widerspruch gegen ein Gesetz macht den Mangel der bürgerschaftlichen Akzeptanz dieses Gesetzes offenkundig. Wenn der Widerspruch dennoch die Verbindlichkeit des kritisierten Gesetzes respektiert, ist er legal und legitim 7 8 6 . Wenn jedoch die Gesetze, weil sie nicht akzeptiert werden, verletzt werden, wird der Widerspruch zum Rechtsbruch oder gar zum Widerstand und büßt dadurch nicht nur die Legalität, sondern auch die Legitimität ein, jedenfalls, solange nicht das Bundesverfassungsgericht über die Richtigkeit des Gesetzes entschieden hat 7 8 7 ; denn bis dahin ist "andere Abhilfe möglich" (Art. 20 Abs. 4 GG). Der Widerstand gegen ein Gesetz, welches vom Bundesverfassungsgericht gutgeheißen worden ist, kann aber von der Verfassung gefordert sein, jedoch nur, wenn das Gesetz und der Richterspruch Ausdruck der Verfassungsfeindlichkeit sind. Eine solche zeigt sich in Unternehmen, welche die durch Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG konzipierte Ordnung, die freiheitliche, demokratische Grundordnung, die Republikanität des Gemeinwesens,

783 Über den Gemeinspruch, S. 162 u. 153; ders., Was ist Aufklärung?, S. 58; ders., Metaphysik der Sitten, S. 450; so auch E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 82; vgl. dazu R. Dreier, Recht- Moral- Ideologie, S. 299 f.; W. Maihofer, HVerfR, S. 1415; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 155. 784 Naturrecht und menschliche Würde, S. 82. 785 Dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 700 ff., S. 263 ff.; H. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, 1953, S. 99; B.O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 235 ff. 786 I.d.S. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Demonstrationsrecht in BVerfGE 69, 315 (344 ff.), das die Ohnmacht der Bürger im Parteienstaat deprimierend offenlegt; dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 589 ff. 787 Zum zivilen Ungehorsam 9. Teil, 5. Kap., S. 960 ff.; zum Widerstandsrecht weitere Hinweise in Fn. 381, 5. Teil, 4. Kap., S. 326.

27 Schachtschneider

418

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

beseitigen wollen, nicht schon im Verfassungsverstoß und nicht schon in dem Defizit an praktischer Vernünftigkeit des Gesetzes 788 . Solange die Republikanität der Verfassung gewahrt bleibt, besteht nämlich die Chance, Gesetze, die das Recht verfehlen, zum Recht hin zu reformieren, ohne die Ordnung, die Legalität also, zu verletzen. Diesen Weg des Friedens nicht zu verlassen, ist Bürgerpflicht oder republikanische Moralität. Das kann zur Pflicht werden, rechtswidrige Gesetze zu tolerieren, und ist zugleich die Pflicht zur Politik. Die Berechtigung zum Widerstand ist i m ordentlichen Verfahren nicht entscheidbar und liegt in der Verantwortung des außerordentlichen Hüters der Verfassung, der des Volkes. Die bürgerliche Verfassung, die Republik, die Verfassung der Autonomie des Willens also, darf das Volk nicht aufgeben. Die Autonomie des Willens selbst kann der Bürger nicht entäußern; denn sie ist seine Würde 7 8 9 . Die Bürger sollen das Gemeinwesen vor dem sogenannten Unrechts-Staat (der eben kein Staat, nämlich kein Rechtsstaat, ist) schützen. Nicht einmal das vom Bundesverfassungsgericht akzeptierte Gesetz rechtfertigt einen Opportunismus, der die Republik verrät. Die Moralität der Bürger soll der Fels sein, auf dem die Republik ruht. Alles kommt letztlich auf die Moralität, auf den guten Willen der Bürger und ihrer Vertreter an, die für das Kunstwerk der Republik verantwortlich sind 7 9 0 . Der politische Diskurs muß weitestgehend gesichert werden, um die moralische Gesetzgebung zu fördern und schärferen Formen der Auseinandersetzung um das Recht vorzubeugen. Die meisten Parteien betreiben entgegen ihrer Pflicht aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, das Gegenteil, insbesondere in ihren Bündnissen. Sie behindern, ja verhindern den politischen Diskurs, weil

788

Ganz so K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 757 ff., S. 284 ff.; vgl. J. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, 1969, S. 21 ff.; H. Schneider, Widerstand im Rechtsstaat, 1969. 789 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 5. Teil, 1., 2., 3. u. 4. Kap., S. 253 ff., 259 ff., 280 ff., 325 f., 332 f.; auch 6. Teil, 9. Kap., S. 504 ff.; zum würdelosen Freiheitsverzicht 1. Teil, 3. Kap., S. 20 ff., 43 f.; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff.; 5. Teil, 7. Kap., S. 428 f., 433 ff. 790 Zum guten Willen des Gesetzgebers 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff. (insb. S. 728 ff.); auch 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; zur Sittlichkeit der Gesetze Hinweise in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265; zur Hüterschaft der Bürger Hinweise in Fn. 53, 5. Teil, 2. Kap., S. 263; auch Fn. 518, 5. Teil, 4. Kap., S. 355.

6. Kap.: Gleichheit in der Freiheit als Recht zur Autonomie des Willens

419

er ihrer Herrschaft gefährlich sein kann und auch sein soll 7 9 1 . Der Parteienstaat hat die Verfassung der Republik längst aufgegeben. Die Widerstandlage jedoch ist nicht entstanden, weil die Bürger die Chance zur Umkehr in der Hand haben. Sie brauchen der Parteienoligarchie nur die Gefolgschaft zu verweigern. Das Bundesverfassungsgericht hat die Defizite der parteienstaatlichen Rechtsetzung weitgehend kompensiert und damit das Volk vor dem Unrecht geschützt 792 . Eine Pflicht des Gesetzgebers, Differenzierungen der Tatbestände zu begründen, läßt sich rechtfertigen 793 . Dieses folgt jedoch schon aus dem Sachlichkeitsprinzip des Modernen Staates 794 , der sich der Wissenschaft zu bedienen hat. Wissenschaft muß begründen, um kritisierbar zu sein 795 . Ob jedoch der Gesetzgeber seine Gesetze, die der republikanischen Idee nach Erkenntnisse des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit sind, gerichtskontrollierbar zu begründen verpflichtet ist, ist nicht nur zweifelhaft, weil derartige Begründungen i m Parlament abgestimmt werden müßten 796 , sondern widerspricht dem Prinzip des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, wonach die Abgeordneten "nur ihrem Gewissen unterworfen" sind.

791

Dazu 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff.; auch 8. Teil, 5. Kap., S.

772 ff. 792 Dazu 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff.; auch 9. Teil, 3., 4., 6. u. 10. Kap., S. 909 ff., 956 ff., 963 ff., 1027 ff. 793 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 357 ff., 377 ff., materialisiert auch den Gleichheitssatz bis hin zu einem Grundrecht auf "faktische Gleichheit". Dem Abwägungsgesetz (S. 71 ff., 143 ff., passim) beugt sich jedes Prinzip, weil es über eine Pflicht zur Begründung der Willkür (S. 145 ff., 380 u.ö.) nicht hinausführt und sich damit vom Willkürverbot nicht unterscheidet. Im übrigen verschwinden unter dem Abwägungsgesetz auch die Unterschiede der Prinzipien "faktischer Gleichheit" und "faktischer Freiheit" (S. 458 ff.); denn diese Prinzipien verlieren sich in der Pflicht zur Rationalität durch Abwägung (S. 71 ff., 145 ff. u.ö.).Funktional ist die Gesetzgebung, die auch R. Alexy den Verfassungsrichtern zuweist, um sie der "einfachen Mehrheit" zu nehmen (S. 407 ff., 223, 466 u.ö.); nicht die Mehrheit wird spezifisch vom Bundesverfassungsgericht überprüft, sondern der Gesetzgeber, aber die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle hat auch parteienstaatliche Kompensationswirkung. 794 P. Kirchhof,\ HStR, Bd. V, S. 943 ff., spricht vom "Objektivitätsgebot", dessen Gehalt die Sachlichkeit ist, insb. S. 920 f., 943, 951. 795 Vgl. K.R. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 270 ff. (u.ö.); auch K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 111 ff.; zur Begründbarkeit als Vernunftsaspekt auch G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Rdn. 339 zu Art. 3 Abs. I GG; i.d.S. auch das Abwägungsgesetz von R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff., 380 u.ö.; ders., Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 407 ff.; zur Begründungspflicht des Gesetzgebers J. Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987, S. 11 ff., 33 ff., 37 ff. 796 Diese Bedenken teilt J. Lücke, Begründungszwang und Verfassung, S. 36.

27'

420

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

"Das Bewußtsein eines inneren Gerichtshofes im Menschen ('vor welchem sich seine Gedanken einander verklagen oder entschuldigen') ist das Gewissen." - Kant 797 Die "Freiheit des Gewissens", die Art. 4 Abs. 1 GG für "unverletzlich" erklärt, erfaßt auch das Gewissen des Abgeordneten, welches Art. 38 Abs.l S.2 GG anspricht 798 . Das Grundgesetz schützt damit, wie es das Autonomieprinzip des Art. 2 Abs. 1 GG erzwingt, die Unabhängigkeit des inneren Richters über die Sittlichkeit und damit die Unerzwingbarkeit der Moralität, ein Grundrecht, dessen Notwendigkeit spätestens seit dem Terror Robes-

797

Metaphysik der Sitten, S. 573, vgl. auch 573 ff.; ebenso, Kritik der reinen Vernunft, S.

630 ff. 798

Zur Gewissensfreiheit H. Bethge, Gewissensfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 435 ff., der das Gewissen "allgemein zu definieren" für unmöglich hält (ohne freilich bei Kant um Rat zu suchen), aber dennoch einen Grundrechtsschutz "der Freiheit des Lebensbereichs Gewissen" sucht (S. 439), weil er die Gewissensfreiheit materialisiert und folglich Hilfe beim Abwägungsprinzip sucht (S. 450); Bethge dringt sogar zur "negativen Gewissensfreiheit" vor und kreiert damit das Recht zur Gewissenlosigkeit, von dem gerade Abgeordnete Gebrauch zu machen geübt sind (dazu 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 665 ff., 810 ff.). Die Gewissensentscheidung kann nach Bethge auch die Rechtsverletzung rechtfertigen, wenn auch nur bei einem identitätsgefährdenden Gewissenskonflikt (S. 442 f., 458); demgegenüber entspricht es allein dem Gewissen, "aus Pflicht pflichtgemäß" zu handeln (Kant, Metaphysik der Sitten, S. 521, 523, 531 f.). Tiefschürfend, aber ähnlich fragwürdig E.-W. Böckenförde, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, VVDStRL 28 (1970), S. 33 ff., der ebenfalls "das Gewissen" nur "den Konfliktfall, nicht den Normalfall" regieren läßt und "die Gewissensinstanz" erst "in Aktion treten läßt", wo die Persönlichkeit als solche, in ihrer Identität, kritisch bedroht sei (S. 66 ff.; LS 22, S. 85 f.); ähnlich ("nur Fälle echter Gewissensnot") R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 179 f. Der Versuch einer Materialisierung einer Gewissensfreiheit als einer besonderen Handlungsfreiheit muß angesichts der Formalität des Prinzips des Gewissens scheitern; in den Grundlagen überzeugend dagegen R. Bäumlin, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, VVDStRL 28 (1970), S. 3 ff., der Gewissen als "con-scientia" versteht und den Begriff Gewissen auf das freiheitliche Gemeinwesen hin als Toleranzprinzip definiert (S. 7 ff.), insb. gegenständliche Differenzierungen materialer Art zurückweist. Toleranz und Sittlichkeit sind zwar nicht identisch, aber doch verwandt, insbesondere in der Formalität; auch Bäumlin verirrt sich jedoch in eine "Schrankenlehre" einer "Gewissensverwirklichungsfreiheit" (S. 16 ff.), die es nicht gibt und die sich wiederum in ein Prinzip des Schutzes der personalen Identität und aus der dann unvermeidlichen Not der Grenzziehung in die hilfreiche Abwägung zu retten sucht (S. 17, 18 ff.). Vgl. zur Gewissensproblematik weiter N. Luhmann, Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, AöR 90 (1965), S. 257 ff.; H. Scholler, Die Freiheit des Gewissens, 1958, S. 110 ff.; U. Steiner, Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit, JuS 1982, 157 ff.; auch U.K. Preuß, Politische Verantwortung und Bürgerloyalität, 1984, S. 193 ff., der das "Gewissen des Politikers" nicht als "normative Orientierungsinstanz, sondern als 'entscheidungstheoretischen Prozessor'" ethisch neutralisiert, um die Gewissenlosigkeit der "Politiker" dogmatisieren zu können; R. Herzog, Die Freiheit des Gewissens und der Gewissensverwirklichung, DVB1. 1969, 718 ff.; H. Hohn, Die Freiheit des Gewissens, Gewissensfragen in Gesellschaft, Politik und Recht, 1990 (i.S. der katholischen Kardinaltugenden).

6. Kap.: Gleichheit in der Freiheit als Recht zur Autonomie des W i l l e n s 4 2 1

pierres erwiesen ist 7 9 9 . Das Bundesverfassungsgericht hat freilich mit einem Begriff der Gewissensentscheidung, welcher Formalität und Materialität vermengt, einem Dezisionismus Vorschub geleistet, der sich um des gemeinsamen Lebens willen in ein Abwägungsprinzip, das der Richter in Einzelfallentscheidungen umsetzen soll, auflösen muß. Es hat definiert: "'Gewissen' i m Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs und auch im Sinne des Art. 4 Abs. 3 GG ist als ein (wie immer begründbares, jedenfalls aber) real erfahrbares seelisches Phänomen zu verstehen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für den Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind". Es fährt weiter unten aber fort: "Als eine Gewissensentscheidung ist somit jede ernste sittliche, d.h. an den Kategorien von 'Gut' und 'Böse' orientierte Entscheidung anzusehen, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte" 800 . Das relativiert die Verbindlichkeit des Rechts und widerspricht damit der Willensautonomie des Bürgers, der "autonomen, sittlichen Persönlichkeit", auf die auch das Bundesverfassungsgericht abstellt 801 . Das Recht zu verwirklichen, sei es durch die Gesetzgebung oder sei es durch den Vollzug der Gesetze, kann der Idee der Republik nach nicht mit dem Gewissen in Konflikt geraten, weil die (richtige) Gesetzlichkeit die Sittlichkeit des gemeinsamen Lebens in Freiheit sichert 802 . Die Abgeordneten sind diesem ihrem "inneren Richter", nicht dem Bundesverfassungsgericht verantwortlich. Nur dadurch sind sie Vertreter des ganzen Volkes in dessen Sittlichkeit (der Idee nach!) 8 0 3 .

799 800

Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 230 ff.; 5. Teil, 2. Kap., S. 265 f.

BVerfGE 12, 45 (55). 801 BVerfGE 12, 45 (54). 802 Dazu der Hinweis zur Sittlichkeit des Rechtserkenntnis in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265, und zur Rechtlichkeit der Gesetze in Fn. 133, 5. Teil, 3. Kap., S. 281; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 374 ff.; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 803 Dazu die Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266, zur bürgerlichen Identität, insb. 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 666 ff., 728 ff.

422

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

II.

Die politische Identität der allgemeinen Freiheit und der Gleichheit aller im Gegensatz zur despotischen Diversität von Freiheiten und Gleichheit Die Identität der Allgemeinheit der Freiheit und der Gleichheit aller und damit die Richtigkeit des "uralten Naturrechtsgrundsatzes" der Gleichheit aller in der Freiheit 804 zeigt sich im allgemeinen Gesetz als beider Wirklichkeit im Staat. Das heißt nicht, daß die Freiheit in der Gleichheit aufgeht. Gleich ist auch eine Menge von Sklaven oder sich amüsierenden Wohlständlern 8 0 5 . Die Freiheit hat den Vorrang. Die Idee der rechtlichen Freiheit ist es, daß jeder er selbst sein und seine Vollkommenheit nach seinem Bilde anstreben darf. Ihr Zweck ist jedermanns Entfaltung der eigenen Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) in den vielfältigen Möglichkeiten seines Lebens inmitten der anderen Menschen mit der gleichen Freiheit 806 . Freiheit ist die Bedingung des gemeinsamen guten Lebens, der Glückseligkeit aller 8 0 7 . Dieser freiheitliche Grundzweck, der allein menschenwürdig ist, ist im Prinzip Gleichheit als solchem nicht enthalten 808 . Kant stellt darum klar, daß die "angeborene Gleichheit" ... "schon im Prinzip der angeborenen Freiheit" liege und von "ihr (als Glieder der Einteilung unter einem höheren Rechtsbegriff) nicht unterschieden" sei 809 . 804 M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 153; H. Hofmann, JuS 1988, S. 843; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Rdn. 18, 134 zu Art. 1 Abs. I GG; W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., insb. S. 205 ff., 212 ff.; M. Kriele, HVerfR, S. 129 ff.; D. Suhr, Entfaltung des Menschen durch den Menschen, S. 139 ff.; P. Kirchhof Objektivität und Willkür, S. 99 ff.; ders., HStR, Bd. V, S. 855 ff., 882 ff.; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 34 ff., 223 ff., passim, stellt seine "Theorie der Gerechtigkeit als Fairneß" allein auf diesen Grundsatz; E . Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 83, sieht das als ein nicht mehr naturrechtliches Apriori Kants; Hinweise in Fn. 84, 5. Teil, 2. Kap., S. 269. 805

G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 153 zu Art. 3 Abs. I, warnt (mit Hinweis auf Dostojewski) deutlich vor einem solchen materialen Gleichheitsverständnis; i.d.S. auch W. Maihofer, HVerfR, S. 220; ebenso P. Kirchhof HStR, Bd. V, S. 882 ff.; zur Sklavenartigkeit des Genußlebens Aristoteles, Nikomachische Ethik, I, 3, S. 59; vgl. O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 286. 806 W. Maihofer, HVerfR, S. 213; i.d.S. auch G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 134 ff. zu Art. 3 Abs. I ("Präponderanz der Freiheit"); i.d.S.auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910. 807 Vgl. Ο. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 262 ff., 270 ff., 276 ff., 281, zur Lehre des Aristoteles vom guten Leben in der Polis; Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 59 ff.; ders., Politik, S. 230 ff.; Hinweise zum Prinzip des eigenen Glücks in Fn. 226, 5. Teil, 3. Kap., S. 297. 808 Daraufhat insb. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 120 ff. zu Art. 3 Abs. III, eindringlich hingewiesen, insb. Rdn. 135, 153 ("Präponderanz der Freiheit"). 809 Metaphysik der Sitten, S. 345 f.

6. Kap.: Gleichheit in der Freiheit als Recht zur Autonomie des Willens

423

Das w i r d v o n der F o r m e l der Gleichheit i n der Freiheit erfaßt 8 1 0 . " D i e G l e i c h h e i t hat der Freiheit gegenüber eine dienende F u n k t i o n . " Günter

Dürig

m

John Rawls g i b t d e m "Grundsatz der gleichen Freiheit für alle" den Vorrang " v o r d e m zweiten Gerechtigkeitsgrundsatz", der die faktische,

vor

a l l e m wirtschaftliche U n g l e i c h h e i t v o m Vorteil jedermanns abhängig mache812. "Damit

aber stehen i n einer freiheitlichen

D e m o k r a t i e Freiheit

und

G l e i c h h e i t n i c h t nebeneinander als z w e i erst nachträglich zu vermittelnde Forderungen an die O r d n u n g eines solchen Staates. V i e l m e h r geht i n i h m die Forderung nach Gleichheit aus der vorgängigen O r d n u n g der Freiheit hervor, unter deren Vorzeichen u n d Vorrang die freiheitliche D e m o k r a t i e westlicher Prägung, i m Unterschied zu anderen als D e m o k r a t i e bezeichneten F o r m e n der Volksherrschaft steht." - Werner

Maihofer

813

D i e v i e l beschworene Spannung zwischen Freiheit u n d G l e i c h h e i t 8 1 4 gibt es i n der R e p u b l i k genausowenig w i e i n der griechischen Polis. 810 Belege für diese Formel in Fn. 17, 1. Teil, 1. Kap., S. 4; auch G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 134 zu Art. 3 Abs. I, übernimmt diese Formel als "Freiheits-Gleichheit", wenn auch im Widerspruch zu seiner materialen Lehre von der Spannung zwischen Freiheit und Gleichheit. 811 In: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 135 zu Art. 3 Abs. I. 812 Eine Theorie der Gerechtigheit, S. 274 ff.; die beiden Gerechtigkeitsgrundsätze von Rawls lauten (a.a.O., S. 81): "1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist. 2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen." Der erste Grundsatz ist der "der gleichen Freiheit", der zweite im zweiten Teil der "der fairen Chancengleichheit" (S. 409). 813 HVerfR, S. 213. 814 BVerfGE 5, 85 (206); insb. G. Leibholz, Strukturprinzipien des modernen Verfassungsstaates, 1963, in: ders., Verfassungsstaat - Verfassungsrecht, 1973, S. 19 f.; E.-W. Böckenförde, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 421 ("Dialektik von Freiheit und Gleichheit"); G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 120 ff. zu Art. 3 Abs. I, explizit Rdn. 121, 127 ff., 139, der Freiheit und Gleichheit als Wertbegriffe und diese material verstehen muß; das zwingt zur Spannungsdogmatik, etwa H.P. Ipsen, Gleichheit, S. 126; vgl. auch G. Luft, Freiheit und Gleichheit, 1978, S. 4, 7 ff.; M. Greiffenhagen, Freiheit gegen Gleichheit?, 1975, der den Gegensatz von Freiheit und Gleichheit zwar bestreitet, aber Gleicheit mit sozialer Gleicheit, also Selbständigkeit, verwechselt (S. 60); für viele typisch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 336 f.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 971; in der Sache auch die Prinzipientheorie von R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff., 380 ff., die eine Abwägung zwischen Freiheits -und Gleichheitsprinzipien (insb. S. 388) erfordert und logisch darum Materialität voraussetzt, die Alexy bis zu den Prinzipien "faktischer Freiheit" und "faktischer Gleichheit" vorantreibt; die alle auf eine Gesetzgebungsfunktion der Gerichte (im Ergebnis zu Recht, dazu Hinweise in Fn. 76, 5. Teil, 2. Kap., S. 267) hinauslaufenden Topoi der Abwägung reichert Alexy noch mit vielen um den der "sozialen Grundrechte" an, welche wiederum die Freiheit faktisch sichern

424

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

"Gleichheit... bildete in der Antike ... das eigentliche Wesen der Freiheit: Freisein hieß, frei zu sein von der allen Herrschaftsverhältnissen innewohnenden Ungleichheit, sich in einem Raum zu bewegen, in dem es weder Herrschen noch Beherrschtwerden gab." - Hannah Arendt 815 "Vernunft ist Selbstbeherrschung." - Aristotele s816 Gerhard Leibholz hat dagegen mit großer Wirkung für das politische und (damit) juristische Konzept der Praxis gelehrt: "Zwischen Freiheit und Gleichheit besteht ein inneres Spannungsverhältnis. Je mehr Gleichheit verwirklicht wird, um so fragwürdiger wird die Freiheit. Und je mehr Freiheit gesichert ist, um so problematischer wird die Gleichheit" 8 1 7 . Das Bundesverfassungsgericht ist ihm, seinem Mitglied, gefolgt: "Die freiheitliche Demokratie ist von der Auffassung durchdrungen, daß es gelingen könne, Freiheit und Gleichheit der Bürger trotz der nicht zu übersehenden Spannungen zwischen diesen beiden Werten allmählich zu immer größerer Wirksamkeit zu entfalten und bis zum überhaupt erreichbaren Optimum zu steigern." - BVerfGE 5, 85 (206) Ein solches Spannungsverhältnis setzt einen sowohl die Freiheit als auch die Gleichheit gewährenden Staat voraus. Der Staat ist aber eine Vereinigung in der Freiheit gleicher Menschen 818 . Der Gesetzgeber kann die Freiheit und Gleichheit durch Gesetze verletzen, die nicht der allgemeinen Freiheit

sollen (S. 395 ff., 458 ff., 465 ff.); gegen einen Gegensatz von Freiheit und Gleichheit P. Kirchhof; HStR, Bd. V, S. 882 ff.; zum sozialen Aspekt der Brüderlichkeit oben 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.; Ch. Dicke, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln im Völkerrecht, S. 39 ff. hat dieses Dogma, welches die Gesetzlichkeit verkennt, für das Völkerrecht, aber mit allgemeiner Bedeutung widerlegt. 815 Vita Activa, S. 34; i.d.S. Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 168 f., 1134 b 2 (Identifizierung des Gerechten mit der Gleichheit), 1134 b 14 f.; vgl. dazu auch Ch. Meier, Freiheit, S. 426 ff.; O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 283 f.; dagegen auch in anderer Sichtweise D. Suhr, Gleiche Freiheit, S. 5 ff., 32; vgl. schon ders., Entfaltung des Menschen durch die Menschen, S. 112 f., 139; i.S. der Identität von Freiheit und Gleichheit läßt sich auch H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 74, verstehen, mit Hinw. in Fn. 120 zu dem besagten Spannungsverhältnis. 816

Nikomachische Ethik, I, 1, 3, 1102 b 7 25 ff., S. 79; ders., Politik, I, 5, 1254 b 4 ff., S.

53. 817

Etwa, Strukturprinzipien des modernen Verfassungsstaates, S. 19 und ff., der Freiheit als Liberalität begreift, worauf seine Herrschaft voraussetzende Lehre beruht; kritisch zu Leibholz M. Kriele, HVerfR, S. 133 ff.; ders., Einführung in die Staatslehre, S. 331 ff. 818 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 16 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 160 f., 165 f.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 653.

6. Kap.: Gleichheit in der Freiheit als Recht zur Autonomie des W i l l e n s 4 2 5

dienen und dadurch notwendig die Gleichheit mißachten, weil der Gesetzgeber über das Wahre und/oder Richtige i m Irrtum ist 8 1 9 . Martin Kriele hat "die Alternative Freiheit oder Gleichheit" richtig als "Scheinalternative" kritisiert, dies aber mit den Wirkungen nicht "rechter Balance" zwischen Freiheit und Gleichheit begründet 820 und damit die Formalität der republikanischen Begriffe nicht erreicht. Richtig stellt Kriele klar: "Freiheit und Gleichheit können nur auf der Grundlage einer gewaltenteiligen, demokratischen Verfassungsordnung bestehen und fortentwickelt werden" 821 , also nur in einer Verfassung der Republik verwirklicht werden. Das "Optimum" an Freiheit und Gleichheit ist eine Gesetzlichkeit, die das Rechtsprinzip verwirklicht, also die moralische Gesetzlichkeit oder die Liebe unter den Menschen. Der Staat kann Freiheit und Gleichheit aber weder nehmen noch geben; denn diese sind, wie das humanistische Abendland seit alters weiß, mit dem Menschen geboren 822 . Den Staat errichten die in der Freiheit gleichen Menschen, um das Recht durch Gesetze zu verwirklichen; denn die Möglichkeit von Recht folgt aus dem "Postulat der praktischen Vernunft," ist also ein Apriori, erzwingt aber den Staat, in dem durch die staatliche Gewaltordnung Recht als die Wirklichkeit der Freiheit aller entgegen dem Naturzustand erst möglich ist, weil "Recht und die Befugnis zu zwingen einerlei ist." - Kant 823

819

Dazu 6. Teil, 3. Kap., S. 454 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. Befreiung und politische Aufklärung, S. 59 f.; ebenso ders., HVerfR, S. 133 ff. (insb. begründet M. Kriele den materialen Willkürbegriff des Bundesverfassungsgerichts mit dem formalen, negativen Freiheitsbegriff Kants, S. 134 f., und zeigt damit, daß das Willkürverbot eigentlich in Art. 2 Abs. 1 GG geregelt ist, der auch die Gleichheit schützt (Kriele, a.a.O., S. 134; dazu 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; i.d.S. auch ders., Einführung in die Staatslehre, S. 228 ff., 331 ff.; jede Fremdbestimmung verletzt im übrigen nach Kant die Autonomie des Willens, nicht nur die unsachliche; denn: "volenti non fit iniuria", Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432; weitere Hinweise in Fn. 887, 5. Teil, 7. Kap., S. 436); ihm folgt W. Maihofer, HVerfR. S. 220. 821 HVerfR, S. 135.; i.d.S. auch R Kirchhof HStR, Bd. V, S. 883 f. 822 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345 f.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 204; vgl. W. Conze/Ch. Meier/J. Bleicken/G. May, Freiheit, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 425 ff.; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 34 ff. (36); 223 ff.; i.d.S. auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 102 ff., der die Transzendentalität dieses Naturrechts, das Vernunftrecht a priori ist, herausstellt; ebenso E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 83; zum Urecht der Freiheit Hinweise in Fn. 780, S. 416. 820

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

426 John

Rawls

nennt das z u s t i m m e n d die "Hobbessche T h e s e " 8 2 4 .

Daraus

folgt, daß es j e d e m erlaubt ist, j e d e r m a n n zu "nötigen, m i t i h m i n eine bürgerliche Verfassup^ zu treten." -

Kant 825

Z w e c k des Staates ist es, die gleiche Freiheit aller w i r k l i c h zu m a c h e n 8 2 6 . F ü r das "gute L e b e n " bedarf es einer "Gemeinschaft v o n Freien" (Otfried Höffe)*

21

, der "wohlgeordneten Gesellschaft" (John

Rawlsf

1%

.

Das demokratische Prinzip, w i r d entweder auf die Freiheit oder auf die G l e i c h h e i t oder auch auf beide Prinzipien gestützt 8 2 9 . A u f beide Prinzipien greift schon Aristoteles

z u r ü c k 8 3 0 . D i e Erklärung für die Kontroverse ist

die oben dargelegte Identität beider Prinzipien, w e n n die Freiheit politisch, republikanisch verstanden w i r d . D i e Grundlage der R e p u b l i k als einer F o r m der D e m o k r a t i e ist m i t der F o r m e l v o n der Gleichheit i n der Freiheit

richtig

benannt831.

823

Metaphysik der Sitten, S. 339 f.; ganz so auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 271 f.; i.d.S. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 120, 144, 148, 154 u.ö.; dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff., insb. S. 551 ff., 553 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 307 f., 311 f. 824 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 271 f. 825 Metaphysik der Sitten, S. 365 f.; auch ders., Zum ewigen Frieden, S. 203; ders., Der Streit der Fakultäten, S. 364; i.d.S. auch J. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 7; dazu Hinweise in Fn. 73, 5. Teil, 2. Kap., S. 266 (Recht auf Recht). 826 So für Kant E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 86, und für Fichte, S. 88. 827 Politische Gerechtigkeit, S. 281. 828 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 21, 493 ff., passim, die Rawls so definiert: "Wir wollen nun eine Gesellschaft wohlgeordnet nennen, wenn sie nicht nur auf das Wohl ihrer Mitglieder zugeschnitten ist, sondern auch von einer gemeinsamen Gerechtigkeitsvorstellung wirksam gesteuert wird" (S. 21). 829 Etwa H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., leitet die Idee der Demokratie aus der der Freiheit her; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 243 f., läßt allein die Gleichheit als politische Formprinzip der Demokratie gelten, nicht jedoch die bloß liberale, rechtstaatliche Freiheit; ebenso M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 164; so auch J. Isensee, Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, S. 320; vgl. auch ders., HStR, Bd. III, S. 35, wo er allein die Freiheit als Konstituens des Gemeinwohls herausstellt; auch P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 920 f., verbindet mit der "Demokratie" wesentlich die "formale Gleichheit". E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 909 ff., 914 ff., greift Freiheit und Gleichheit auf; ebenso P. Badura, HStR, Bd. I, S. 954, 970 ff., der aber von einem Gegensatz zwischen der "politischen Freiheit und der staatsbürgerlichen Gleichheit" ausgeht, indem er eine Spannung zwischen diesen Prinzipien feststellt; vgl. weitere Hinweise in Fn. 814, S. 423 f. 830 Politik, S. 109, S. 143, 1292 a 30 ff., S. 203, 1317 b 39 ff. u.ö. 831 E.-W. Böckenförde, HStR Bd. I, S. 914, für die Demokratie; ebenso M. Kriele, HVerfR, S. 131 f.; ders., Einführung in die Staatslehre, S. 228 ff., insb. S. 232, 335 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 183, 212 ff.; weitere Hinweise in Fn. 84, 5. Teil, 2. Kap., S. 269.

7. Kap.: Freiheiten als Möglichkeiten?

427

" U n d die demokratische Freiheitsidee i m p l i z i e r t die Gleichheit". "Freiheit des M e n s c h e n als Bürger heißt aber d e m Sinne nach: gleiche politische Freiheit." - Manfred

Hättich

832

" D e m o k r a t i e setzt Freiheit u n d deshalb den Verfassungsstaat voraus." Martin

Kriele

833

7. Kapitel Freiheit als Autonomie des Willens, nicht Freiheiten als Möglichkeiten 1. D i e "Freiheiten" müßten, fordern Dieter Robert

Alexy,

Wilhelm

Henke, Hans-Uwe

Suhr,

Erichsen,

Reinhold

Zippelius,

aber auch John

Rawls ,

u.a., gerecht "verteilt" w e r d e n 8 3 4 . Diese Forderung identifiziert Freiheit m i t d e m staatlich zuteilbaren Recht des Einzelnen, M ö g l i c h k e i t e n des Lebens,

832

Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 153, der allerdings weitere Freiheitsbegriffe, nämlich einen "persönlichen" und einen der Freiheit "des Volkes in seiner Ganzheit", aber auch noch einen Machtbegriff der Freiheit (a.a.O., S. 173 f.; dazu kritisch 2. Teil, 2. Kap., S. 79 ff.; 5. Teil, 7. Kap., S. 429 f.) kennt (a.a.O., S. 145), so daß sein Begriff der "politischen Freiheit" den logischen Standort in seiner Herrschafts lehre einbüßt. 833 Einführung in die Staatslehre, S. 232. 834 D. Suhr, Gleiche Freiheit, S. 9, 18; (ders., Entfaltung der Menschen durch die Menschen, S. 105 ff., vertritt demgegenüber die "Allgemeinheit und Unteilbarkeit der Freiheit" im "kontrafaktischen", normativen Sinne des Textes des Art. 2 Abs. 1 GG, weil die "Freiheit faktisch selbstverständlich teilbar und situativ verteilbar" sei, nämlich zwischen dem "Entfaltungsherrn" und dem "Entfaltungsdiener"; dieses "interaktive Freiheitsverständnis", etwa S. 117, die zur Forderung "kompensatorischer Ungleichheit" führt, S. 140, verkennt die spezifische "Allgemeinheit der Freiheit", nämlich die allgemeine, weil gleiche Autonomie des Willens jedermanns, im Ansatz, die auch keiner faktischen Verteilung und damit Ungleichheit fähig ist, und bleibt im übrigen material; R. Zippelius, Allg. Staatslehre, S. 332 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 194 ff., 222, passim; W. Henke, Recht und Staat, S. 42; H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1188, 1992 f. u.ö.; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 223 ff., 291 ff., 308 ff. (i.S. des "fairen Werts der gleichen Freiheiten"); i.d.S. auch K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 61 ff. (Grundrechte als "kollektiv-soziale Rechtspositionen", als "Als-ObFreiheiten"); kritisch zu einer "sozialstaatlichen Grundrechtstheorie" E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1536; von diesem Ansatz ist die sog. Verteilungslehre zu unterscheiden, welche die Spähre der Privatheit/Freiheit von der des Staates/der Gesetze (konstitutionell) trennt; vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 125 f., auch S. 223 ff.; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, etwa S. 20 f., 183, 187, 201 ff., 245; G. Lübbe-Wolff\ Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 67 f.; Ch. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 33 ff.; auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 400 f. u.ö., handelt von "Freiheiten", die aus gegenseitigem und allseitigem Freiheitsverzicht erwachsen (S. 392 ff.) und nennt sein Grundprinzip das der "destributiv vorteilhaften Freiheitskoexistenz" (S. 382).

428

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

die sich dem Menschen bieten, zu nutzen 835 . So spricht Wilhelm Henke von der "unendlichen Freiheit" 836 . Nach Robert Alexy vermag das Recht gar "aktiv Freiheiten zu schaffen", schaffe "allerdings stets auch Unfreiheiten" 8 3 7 . Das begreift Freiheiten als Handlungsmöglichkeiten. Die aber werden nicht einmal durch das Recht geschaffen, sondern allenfalls durch Verwirklichung des Rechts. Der Begriff "Unfreiheiten" soll das Fehlen einer Möglichkeit bezeichnen. Das Maß der "Unfreiheiten" der Menschen ist danach unermeßlich. "Freiheit kann nicht mehr als Abgrenzung aus dem Staat, sondern muß als eine von der Verfassung dem einzelnen in dem von ihr geordneten Gemeinwesen bemessener Freiraum und ein dem Staat zur Verwirklichung aufgegebener Zweck begriffen werden." - Hans-Uwe Erichsen m Ein solcher Staat wäre nicht freiheitlich verfaßt, weil er über den Bürgern stünde, denen er "Freiräume" 839 zumißt. Otfried Höffe sieht die politische Gerechtigkeit in den zwangsbewährten, auf Freiheitsverzicht und Freiheitstausch beruhenden Freiheiten als "einer allseits vorteilhaften Freiheitseinschränkung", die ohne moralische Gesinnung wegen des Selbstinteresses möglich sei 840 . Verbindlichkeit gründe auf der Gegenseitigkeit, auf einen "Ringtausch" von Freiheitsverzichten 841 , nicht im "Willen", nicht also in der "freien Willkür" des Menschen 842 . Auch Höffe erfaßt die Freiheit nicht

835 Ganz so J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 271: "Die Freiheit ist ein Gefüge von Rechten und Pflichten, die durch die Institutionen festgelegt werden". 836 Recht und Staat, S. 44 ff.. Henke lehrt vielfältige Aspekte der Freiheit, der "großen Freiheit", eben der "unendlichen Freiheit", und "kleiner Freiheit" (S. 7 ff., insb. S. 38 ff., 44 ff.) und kennt Freiheit auch als Autonomie (S. 44), ohne daß dieser Aspekt seine aus der empirischen Ungleichheit der Menschen abgeleitete Herrschaftslehre (S. 251 ff.) beeinflußt; eine "große" und "kleine Freiheit" unterscheidet auch Henkes Schüler R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 73 f. in Fn. 26 und passim. 837

Theorie der Grundrechte, S. 222, allgemein zu den "Freiheiten" oder "zum Begriff der Freiheit" S. 194 ff. 838 HStR, Bd. VI, S. 1188. 839 Zur Kritik der Kategorie vom Freiheitsraum 6. Teil, 5. Kap., S. 466 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 840 Politische Gerechtigkeit, S. 382 ff., 405 f., 407 u.ö.; ebenso ders., Gerechtigkeit als Tausch? Zum politischen Projekt der Moderne, 1991, insb. S. 19 ff., auch zum Folgenden. 841 Politische Gerechtigkeit, S. 382 ff., 386, 393 ff. 842 So aber Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, passim, S. 63 ff., 81 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 332 ("von dem Willen gehen die Gesetze aus"); dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 153 ff., 337 ff., insb. S. 162, zur Kritik eines

7. Kap.: Freiheiten als Möglichkeiten?

429

als Autonomie des Willens, sondern als materiale Handlungsfreiheit 843 , die richtig als Handlungsrecht begriffen werden muß und damit ein Gesetz voraussetzt; denn Rechte außer das "angeborene" Recht der Freiheit, können nur auf Gesetzen oder (nach Maßgabe der Gesetze) Verträgen beruhen 844 . Gesetze aber beruhen auf der Willensautonomie der Menschen 845 . Manfred Hättich sieht gar "Freiheit und Macht... als zwei verschiedene Aspekte ein und derselben Situation." ... "Die Realisierung meiner Freiheit bedeutet ... Machtäußerung gegenüber anderen. Freiheit als die Möglichkeit, etwas nach eigenem Willen zu tun, ist stets auch Macht. An der Verwirklichung meiner Freiheit stoßen die Möglichkeiten anderer Menschen auf Grenzen. Macht im allgemeinsten Sinne erweist sich als Aspekt der Freiheit. Macht als Vermögen, als Machen können, setzt einen Freiheitsraum voraus, innerhalb dessen man vermag. Der Bereich, innerhalb dessen einer nach seinem Ermessen handeln kann, in dem er also mächtig ist, findet seine Grenze am Freiheitsbereich des anderen. Wir verstehen also einmal Macht als Selbstmächtigkeit, dann ist sie mit der Freiheit des Subjekts identisch" 846 .

Prinzips des "do ut des" als Grundlage vertraglicher Verbindlichkeit; zum Problem der Verbindlichkeit bei Kant W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 26 ff., 89 ff., auch S. 144 ff., 183 ff. (zur Vertragstheorie Kants). 843 Politische Gerechtigkeit, S. 382 ff. u.ö.; zur Kritik der Lehre von der allgemeinen Handlungsfreiheit 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 331, 342; 6. Teil, 1. u. 6. S. 441 ff., 478 ff. 844 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150; ders., Metaphysik der Sitten, S. 345, 347; ebenso Hobbes, Leviathan, S. 160, 162; C. Schmitt, Die Diktatur, S. 22; schon Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 69, 1134 c 3 ff.; dazu 5. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 320 ff., 325 ff., 385 ff.; 6. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 447 ff., 461 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 821 ff., zur Vertragslehre 5. Teil, 5. Kap., S. 404 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 157 ff. 845

Dazu 7. Teil, 1., 4. u. 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; zur allgemeinen Gesetzlichkeit, zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit, zum Gesetzgebungsstaat weitere Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 72, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 846 Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 173 (Hervorhebung von mir), zitierend aus ders., Wirtschaftsordnung und katholische Soziallehre, 1951, S. 136; und ders., Das Ordnungsproblem als Zentralthema der Innenpolitik, in: Wissenschaftliche Politik (Hrsg. D. Oberndorfer), 1962, S. 230 f., mit Bezug auf C.J. Friedrich, Die politische Wissenschaft, 1961, S. 13 ("Daß nur der frei ist, ob Einzelwesen oder Gemeinwesen, der Macht besitzt, scheint evident"), weitere Freiheitsbegriffe Hättichs, a.a.O., S. 144 ff., deren Widerspruchslosigkeit Hättich nicht untersucht.

430

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Diese Sätze mögen Macht beschreiben; die Freiheit verkennen sie gründlich. Freiheit als Autonomie des Willens ist das Recht, an der Erkenntnis des allgemeinen Gesetzes teilzuhaben, nicht Macht zum Handeln 847 . Die Selbständigkeit des Menschen ist im Prinzip der allgemeinen Freiheit angelegt 848 ; man mag sie und die gesetzlich oder vertraglich begründeten Rechte vor allem der Privatheit als Macht 8 4 9 begreifen. Die Freiheit aber ist Sittlichkeit, die mit dem Begriff Macht nicht nur nicht erläutert werden kann, sondern in das Gegenteil verkehrt wird; denn Macht ist nach Max Weber, die Möglichkeit, andere fremdzubestimmen 850 . Das sieht Hättich nicht anders. Frei ist auch der Mensch, der aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur über wenige Möglichkeiten verfügt, sein Glück zu finden. Würde und damit Freiheit können dem Menschen nicht genommen werden. Das transzendental fundierte Naturrecht der Freiheit allerdings kann verletzt werden, wenn die Gleichheit (in der Freiheit) mißachtet wird, d. h. wenn jemand die Menschen beherrscht, indem er ihnen die Gesetze befiehlt. Gesetzesbefehle verletzen die Autonomie des Willens. Wolf gang Kersting 851 sieht die rechtliche Verpflichtung auf eine "rechtliche Fremdverpflichtung" gegründet, der Verpflichtete sei "Objekt", der Verpflichtende "Subjekt", der "als äußerer Gesetzgeber" auftrete, aber "mein alter ego" sei, dessen "Fremdverpflichtung stets mögliche Selbstverpflichtung" sei 852 . Kersting bezieht sich auf einen Begriff des "subjektiven Rechts", den Kant als "(moralische) Vermögen, andere zu verpflichten" definiere. Kant spricht jedoch nicht vom subjektiven Recht, sondern teilt die "Rechte" ein: "Der Rechte, als (moralischer) Vermögen, andere zu verpflichten, d.i. als einen gesetzlichen Grund zu den letzteren (titulum), von denen die 847 Dazu der Hinweis in Fn. 845, S. 429; zu den Bürgern als Politikern und Hütern der Verfassung Hinweise in Fn. 53, 5. Teil, 2. Kap., S. 263. 848 Dazu 3. Teil, 4. Kap., S. 203 ff.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 213 ff., 234 ff., insb. S. 244 ff. 849 Zur freiheitlichen Privatheit 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 6. Teil, 2., 4. u. 5. Kap., S. 449 ff., 461 ff., 466 ff.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1022 ff. 850 Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28 ("Macht bedeutet die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht."), S. 542 ("Macht" ... "die Möglichkeit, den eigenen Willen dem Verhalten anderer aufzuzwingen.") u.ö.; dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 88 ff. 851 Wohlgeordnete Freiheit, S. 75 ff., 89 f. 852 Wohlgeordnete Freiheit, S. 89 f.

7. Kap.: Freiheiten als Möglichkeiten?

431

Obereinteilung die in das angeborene und erworbene Recht ist, deren ersteres dasjenige Recht ist, welches unabhängig von allem rechtlichen Akt, jedermann von Natur zukommt; das zweite das, wozu ein solcher Akt erfordert wird" 8 5 3 . Das angeborene Recht ist nur das der Freiheit 854 . Alle anderen Rechte beruhen auf einem "rechtlichen Akt", also auf "äußerer Gesetzgebung"; denn "das positive (statutarische) Recht" ... "geht aus dem Willen eines Gesetzgebers hervor 855 . Ein subjektives Recht außer dem der Freiheit setzt also ein Gesetz bereits voraus. Das Gesetz verpflichtet, nicht das subjektive Recht, welches aus der Pflicht des durch das Gesetz Verpflichteten folgt und dem Berechtigten erlaubt, die Pflichterfüllung des Verpflichteten im Wege des Rechts zu erzwingen 856 . Der Autonomielehre und damit dem Prinzip Konsens wird Kersting nicht gerecht. Der "Verpflichtende" ist nicht der "äußere Gesetzgeber", sondern das Gesetz gründet im "vereinigten Willen beider" - Kant* 51. 2. Allein der negative Begriff der äußeren Freiheit, der den positiven der inneren Freiheit, den der Pflicht zur Sittlichkeit, impliziert 8 5 8 , genügt der Allgemeinheit der Freiheit. Freiheit besteht nicht in den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten des Handelns. Diese determinieren den Menschen. Freiheit ist vielmehr das Vermögen der freien Willkür, also das Vermögen, die Maximen des Verhaltens selbst zu bestimmen. Das aber ist die "Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür." - Kant 859

853

Metaphysik der Sitten, S. 345. Metaphysik der Sitten, S. 345 f. 855 Metaphysik der Sitten, S. 345. 856 Dazu auch 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 857 Metaphysik der Sitten, S. 383 f. (zur Vertraglehre). 858 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 41 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 318, 332 f.; vgl. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 37 ff. (gegen die Unabhängigkeitsthese von Ebbinghaus und Geismann), S. 42 ff. (gegen die Einheit von Moralität und Rechtlichkeit, wie es Kersting nennt, die "moralteleologische Rechtsauffassung"); J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 229 ff., will sich auf diese begrifflichen Fragen nicht einlassen, das mißlingt, weil es keine Rechtsphilosophie ohne Begriffe gibt, die nicht lediglich überreden will, sondern zu überzeugen versucht; die begriffliche Weichheit Rawls ist gar nicht Kant abgeschaut, mag aber populärwissenschaftlich opportun sein; zur Einheit von Recht und Moral, die er politisch als Diskursprinzip konzipiert, J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 135 ff., der, S. 78 ff., kritisch Rawls Konzept einer "wohlgeordneteten Gesellschaft" unter der Überschrift: "Wiederkehr des Vernunftrechts und Ohnmacht des Sollens" vorstellt; zur Einheit der äußeren und inneren Freiheit Hinweise in Fn. 130, 5. Teil, 3. Kap., S. 280 f.; insb. 5. Teil, 3. Kap., S. 289 ff.; zur Einheit von Recht und Moral Hinweise in Fn. 179, 5. Teil, 3. Kap., S. 854

288.

432

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Nur in dieser Unabhängigkeit ist auch eine Gleichheit in der Freiheit denkbar. Wenn aber die Unabhängigkeit allgemein sein soll, kann sie nicht zugleich ein positive materiale Handlungsfreiheit sein, die jeden berechtigt, zu tun und zu lassen, was er w i l l 8 6 0 , auch wenn sein Handeln andere verletzt, etwa anderen das Leben nimmt. Die anderen nämlich sind dann nicht unabhängig von der nötigenden Willkür des Handelnden und somit nicht frei. Sie sind nicht Subjekte des Geschehens, sondern Objekte des irrtümlich frei genannten Handelns 861 . Darum kann die gemeinsame, allgemeine Freiheit nur in der Einheit von äußerer und innerer Freiheit bestehen. Wenn alle sich dasselbe Gesetz geben, sind alle unabhängig von der Nötigung anderer. Die Autonomie des Willens ist damit der einzig denkbare Begriff einer gleichen Freiheit aller. Ein solcher Freiheitsbegriff ist zwingend formal. "Nur ein formales Gesetz, d.i. ein solches, welches der Vernunft nichts weiter als die Form ihrer allgemeinen Gesetzgebung zur obersten Bedingung der Maximen vorschreibt, kann a priori ein Bestimmungsgrund der praktischen Vernunft sein." - Kant 862 Die Formalität ist weder Offenheit noch Inhaltslosigkeit, der ewige Vorwurf gegen Kants Ethik, den Hegel erhoben hat und den noch Ernst Bloch aufgreift 8 6 3 . Allein die Formalität der praktischen Vernunft schafft eine bürgerliche Verfassung, weil die Bürger sich selbst die Gesetze geben, die sie in der jeweiligen Lage, der in der Theorie erfaßten Wirklichkeit gemäß,

859

Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 37 ff. So aber das BVerfG in st.Rspr. seit BVerfGE 6, 32 (36) und die überwiegende Freiheitslehre; dazu Hinweise 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 315 (mit Fn. 323), 331 (mit Fn. 407), 342; 6. Teil, 1., 5. u. 6. Kap., S. 441 ff. (mit Fn. 5), 466 ff., 478 ff. (mit Fn. 165); 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 861 Zur Zweckformel des kategorischen Imperativs, welche auf dem substantiellen Grund der allgemeinen politischen Freiheit, der Selbstzweckhaftigkeit jedes Menschen, der Personenhaftigkeit jedermanns, beruht, Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59 ff., 61; dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 308 ff.; auch 7. Teil, 5. Kap., S. 598. 862 Kritik der praktischen Vernunft, S. 182; ebenso ders., Metaphysik der Sitten, S. 318. 863 Hegel, Rechtsphilosophie, § 29, S. 70; ders., Vorlesung über die Geschichte der Philosophie, ed. E. Moldenhauer/K. M. Michel, Suhrkamp, Werk 20, 1971/1986, S. 366 ff.; E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 85; dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104 ff., 109 ff.; K. Dicke, Menschenrechte und Europäische Integration, S. 101; dazu auch 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 279 (mit Fn. 124), 328; zur Unterscheidung von Formalität und materieller Offenheit 9. Teil, 1. Kap., S. 853 ff. 860

7. Kap.: Freiheiten als Möglichkeiten?

433

für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit für sachgerecht halten 864 . Jede Materialität der Ethik oder des Rechtsprinzips hebt die politische Freiheit auf und bereitet den Weg für die Herrschaft von Priestern, Richtern, u.ä. Die Gesetzgebung durch den einheitlichen Willen aller, der Konsens, verlangt die Moralität aller, die allgemeine Beachtung des kategorischen Imperativs 865 . "Die bürgerliche Freiheit" ist "durch den Gemeinwillen begrenzt." ... "Zum Erwerb des bürgerlichen Standes" gehört "die sittliche Freiheit", "die allein den Menschen zum wirklichen Herrn seiner selbst macht." ... "Der Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit." - Rousseau* 66 3. Die "Bedingung der Möglichkeit einer Koexistenz von Freiheit mit Freiheit", das Problem Höffes* 61, löst die Autonomielehre mit dem auf das Rechtsprinzip ausgerichteten Freiheitsbegriff. Exakt im Sinne dieses republikanischen Freiheitsbegriffs, welcher die notwendige Gesetzlichkeit gemeinsamer Freiheit ausweist, ist Art. 2 Abs. 1 GG formuliert. Wer andere nicht tötet, verzichtet nicht um seines Vorteils willen auf Freiheit, wie Otfried Höffe i m Sinne eines "transzendentalen Tauschs" annimmt 8 6 8 , sondern achtet mit dem Gesetz die allgemeine Freiheit, der ist frei, weil er sein Gesetz respektiert 869 . Die Parole: Freiheit ist immer die Freiheit des anderen 8 7 0 , folgt dieser Logik. Höffe, Rawls und viele andere 871 verkennen

864 Dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.; 7. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 573 ff., 625 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 74, 5. Teil, 2. Kap., S. 266; zum Verhältnis der Theorie zur praktischen Vernunft K.A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 100 ff. 865 Dazu der Hinweis in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265; Fn. 128, 5. Teil, 3. Kap., S. 280; zur Rechtlichkeit der Gesetze Hinweise in Fn. 133, 5. Teil, 3. Kap., S. 281; dem steht W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 42 ff., kritisch gegenüber, weil er den Begriff der Verbindlichkeit aus Autonomie des Willens verzerrt, indem er die Verbindlichkeit aus dem subjektiven Recht des anderen herleitet und die Fremdverpflichtung juridisch für möglich erachtet, S. 75 ff.; K. Dicke, Menschenrechte und Europäische Integration, S. 100 f.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 135 ff., konzipiert die "politische Autonomie" als Einheit von "Diskursprinzip" und "Rechtsform", in deren Verschränkung sich das "Demokratieprinzip" verwirkliche (S. 154). 866

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22 f. Politische Gerechtigkeit, S. 63 ff., 328 ff., 382 ff., 441 ff., Zitat S. 449. 868 Politische Gerechtigkeit, S. 382 ff.; ders., Gerechtigkeit als Tausch?, S. 19 ff., 24 ff. 869 Dazu näher 5. Teil, 3. Kap., S. 304 ff.; zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270. 867

870 Vgl. P. Bertaux, Der vergessene Artikel, S. 60; vgl. auch Fn. 593, 9. Teil, 3. Kap., S. 930 f.; auch 5. Teil, 1. u. 4. S. 253 ff., 336.

28 Schachtschneider

434

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Handlungsmöglichkeiten der Menschen als deren Freiheit oder eben Freiheiten. Diese Möglichkeiten bieten sich gegebenenfalls vielen Menschen, so daß der Streit ohne Gesetz unvermeidlich ist. Die Formel des Naturzustandes: Jeder hat ein Recht auf alles 872 (tutto e subito), ist gerade nicht der Freiheitsbegriff einer bürgerlichen Verfassung, ja nach Kant nicht einmal eine Formel für die Freiheit im Naturzustand, welche das Recht gibt, zur bürgerlichen Verfassung zu nötigen 873 . Jene Formel formuliert vielmehr das Prinzip eines vorstaatlichen Chaos. Höffe hat Kant und dessen Wegbereiter, insbesondere Rousseau, der Sache nach ignoriert. Höffes Lehre vom allseitig vorteilhaften Tausch von Freiheitsverzichten müht sich um eine Legitimation des Zwanges ohne die transzendentale Idee der Freiheit. Diese Lehre ist wie jeder Utilitarismus 874 empiristisch und muß sich darum empirisch kritisieren lassen. Empirisch aber ist Höffes Prinzip oberster Gerechtigkeit "der allseits vorteilhaften Freiheitseinschränkung", das er aus dem moralfreien Selbstinteresse herleitet 875 , evident unrichtig. Für alle ist diese Freiheitsbeschränkung, also der Verzicht auf die Unterdrückung anderer, nicht vorteilhaft, wie der menschliche Alltag erweist. Höffes "Bestimmtheitsdilemma" 876 zeigt, daß seine empiristisch angelegte Freiheitslehre, die der Sache nach doch rein begrifflich bleibt, ohne eine gesetzliche Bestimmung des menschlichen Miteinanders nicht auskommt. Das aber zwingt zu einer Lehre freiheitlicher Gesetzlichkeit, welche ohne logische Schwächen nur die kantianische Ethik anbietet. 4. Die Freiheit ist das dem Menschen "angeborene Recht" 877 . Die äußere Freiheit, um es zu wiederholen, ist die "Unabhängigkeit von eines

871

Belege in Fn. 834, S. 427. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22, 39, 119 ("die Menschen selbst nicht ausgenommen"). 873 Metaphysik der Sitten, S. 353 ff., zum Privatrecht, Vom äußeren Mein und Dein überhaupt, insb. S. 366 ff.; dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 304 ff., weitere Hinweise in Fn. 73, 5. Teil, 2. Kap., S. 266. 874 Auch J. Habermas, Otfried Höffes politische Fundamentalphilosophie, in: Politische Vierteljahresschrift, 30. Jg., Heft 2, S. 320 ff., 323, stuft Höffes Lehre als utilitaristisch ein; O. Höffe, Gerechtigkeit als Tausch?, S. 21 ff., wehrt sich gegen diesen Vorwurf mit der These vom "transzendentalen Tausch"; Kritik an Höffes "empiristischer Fragestellung" übt J. Habermas auch in Faktizität und Geltung, S. 121. 87 2

875

Politische Gerechtigkeit, S. 382 ff., 407. Politische Gerechtigkeit, S. 409 ff. 87 7 Kant, Metapysik der Sitten, S. 345 f. ("ein Recht", nicht Rechte!); J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 36, stellt demgegenüber auf die Gleichheit der Menschen im Urzustand ab, ein folgenreicher Unterschied. 876

7. Kap.: Freiheiten als Möglichkeiten?

435

anderen nötigender Willkür", die innere Freiheit, "die Idee des Vermögens des Menschen zum Guten", also die Pflicht zur Sittlichkeit 878 . Weder als ethische noch als nur rechtliche Kategorie sind die vielfältigen Möglichkeiten, die der Mensch rechtens hat, sein Leben allein und/oder mit anderen zu gestalten, Freiheit 879 . Man kann derartige Möglichkeiten Freiheiten nennen, darf für diese aber nicht den grundgesetzlichen Freiheitsbegriff reklamieren, vor allem nicht den des Art. 2 Abs. 1 GG. Die Freiheit wird nicht erweitert, wenn die Möglichkeiten vermehrt werden; denn die Freiheit ist das apriorische Vermögen des Menschen zum Guten, seine praktische Vernunft und damit seine Willensautonomie 880 . Die Vernunft erweist sich in der Sittlichkeit der Maximen, denen der Mensch folgt, in der Achtung vor dem Sittengesetz. Das Sittengesetz bindet den Menschen als Gesetzgeber. Wenn die rechtlichen oder auch nur tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten Freiheiten oder gar die Freiheit wären, könnte man frei sein, ohne das Sittengesetz zu beachten. Eine solchen Freiheit schützt das Grundgesetz seinem unzweideutigen Wortlaut nach nicht. Die handelnde Wahl einer der Möglichkeiten, die ein Mensch hat, verändert die Welt. Das ist die von Kant herausgestellte (nicht empirische, sondern intelligible) Kausalität der Freiheit oder der praktischen Vernunft für die Erscheinungen, hergeleitet aus dem moralischen Gesetz, den Imperativen, erfahrbar im Faktum des Sollens 881 .

878

Dazu, insb. zur Philosophie Kants, 5. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 253 ff., 290 ff.; weitere Hinweise zum Urrecht der Freiheit in Fn. 780, 5. Teil, 6. Kap., S. 416; so auch Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23; ganz so mit Bezug auf Schelling, Philosophische Untersuchngen über das Wesen der menschlichen Freiheit, 1809; Neuabdruck in: O. Braun, Schellings Philosophie, Berlin 1918, S. 215 ff. (Freiheit ist das Vermögen zum Guten und zum Bösen) R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 84; vgl. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 17 ff., 42 ff. u.ö. 879 Darum kann der Freiheitsbegriff auch nicht auf die soziale Realisation zentriert werden, wie von E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, insb. S. 235 ff.; vgl. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 194 ff. u.ö.; irrig auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 223 ff., 230 ff., 271; tendenziell auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1187 ff. 880 Dazu der Hinweis in Fn. 208, 5. Teil, 3. Kap., S. 294. 881 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 495 ff., 505 f., 674 ff.; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 89 ff., 94 ff. (u.ö.); ders., Metaphysik der Sitten, S. 326 ff., 347, 361 u.ö.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 139 f., 155 ff., 218 ff., 230 ff. (dazu 5. Teil, 1. Kap., S. 256 (mit Fn. 15), 5. Teil, 3. Kap., S. 312 (mit Fn. 310, 311)); zur Herleitung der Freiheit aus dem Sollen, K. Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 275 ff.; dazu G. Ellscheid, Das Problem von Sein und Sollen in der Philosophie Immanuel Kants, S. 7 ff., 35 ff., insb. S. 49 f.; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 24 ff.; L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 169 ff., insb. 185, 189; diesen Kantianismus übernimmt auch J. Rawls,

28'

436

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

"Er urteilt also, daß er etwas kann, darum, weil er sich bewußt ist, daß er es soll, und erkennt sich in der Freiheit, die ihm sonst ohne das moralische Gesetz unbekannt geblieben wäre." - Kant 882 "Daß die Vernunft nun Kausalität habe, wenigstens wir uns eine dergleichen an ihr vorstellen, ist aus den Imperativen klar, welche wir in allem Praktischen den ausübenden Kräften als Regeln aufgeben." Kant m Die Kausalität freien, also praktisch vernünftigen Handelns, also die Möglichkeit der Tat 8 8 4 , ist als Idee der Freiheit logische Voraussetzung der Pflicht zur Sittlichkeit, die i m Gewissen erfahrbar ist. Die transzendentale Kausalität der Freiheit hat Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft dargelegt 8 8 5 . Zum Problem des empirischen Determinismus mag man stehen, wie man will, die politische Freiheit jedenfalls ist seit der Aufklärung (eigentlich schon der griechischen) die einzig denkbare Würde des Menschen. Kant hat demgemäß die Lehre vom volonté générale übernommen, sein Rousseauismus 886 , und mit dem kategorischen Imperativ die Formel der Willensautonomie als dem Prinzip des Modernen Staates definiert, deren politische Richtigkeit von der Kausalität der Freiheit unabhängig ist; denn: "Volenti non fit iniuria." 8 8 7

Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 267 f., der auch auf die Grenzen hinweist. 882 Kritik der praktischen Vernunft, S. 140.; i.d.S. auch ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 678 f. 883 Kritik der reinen Vernunft, S. 498.; i.d.S. auch ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 155 ff., 230 ff. 884 K. Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 276; ganz so R. Marcie, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 80 ff. (der sich auf Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, 1809, Neuabdruck in O. Braun, Schellings Philosophie, 1918, S. 215 ff.: "Aber eben jene innere Notwendigkeit ist selber die Freiheit, das Wesen des Menschen ist wesentlich seine eigene Tat", bezieht); K.A. Schachtschneider, Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 102. 885 S. 488 ff., 495 ff.; vgl auch Kritik der praktischen Vernunft, insb. S. 155 ff., 217 ff., 230 ff.; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 169 ff., 175 ff. 886 L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 189; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 112 ff., insb. S. 123, 130, der bei Kant eine "liberale", bei "Rousseau eher eine republikanische Lesart der politischen Autonomie" nahegelegt sieht. 887

Hobbes, Leviathan, S. 189 ff. (i.d.S.); Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432; ders., Über den Gemeinspruch, S. 150; dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 497 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 523 ff. mit Fn. 26; weitere Hinweise in Fn. 208, 5. Teil, 3. Kap., S. 294, zur allgemeinen Gesetzlichkeit in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270.

7. Kap.: Freiheiten als Möglichkeiten?

437

"Alle Menschen denken sich dem Willen nach als frei." - Kant m Wer sollte dem anderen die Freiheit absprechen dürfen. Ohne Gott geht das nicht. Der Rest ist Logik. Die Freiheit ist eine ethische und damit auch rechtliche, wenn man w i l l eine soziale, besser: eine sittliche Kategorie. Der Begriff der Freiheit unter Menschen bestimmt sich damit aus der Allgemeinheit der Freiheit. Dadurch gewinnt der Freiheitsbegriff die Formalität 889 , welche die gleiche Freiheit aller nicht nur zu erfassen erlaubt, sondern überhaupt möglich macht. Niemand ist frei, wenn nicht alle "unabhängig von anderer nötigender Willkür" sind; denn auch wer herrscht, ist nicht frei 8 9 0 . Das führt zur Autonomielehre, die die Allgemeinheit der Freiheit in den Freiheitsbegriff aufnehmen muß, wenn das gemeinsame Leben, das Leben aller, freiheitlich sein soll. Sonst kann das Gemeinwesen nicht zu einer freiheitlichen Ordnung, zum Recht, finden, welches erst die allgemeine Freiheit ermöglicht 8 9 1 . Die allgemeinen Gesetze als verbindliche Erkenntnisse des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit ordnen die soziale Homogenität, die gerechte Verteilung der Lebensmöglichkeiten und geben allen die Chance zum guten Leben, zum Glück 8 9 2 . Wenn die Gesetze verwirklicht sind, ist die Freiheit aller verwirklicht, sofern die Gesetze zum Recht gefunden haben 893 . Gegebenenfalls sind auch die Lebensumstände von Menschen umzugestalten. Das aber ist die Wirkung der allgemeinen

888

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 91. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 70 u.ö.; Kritik der praktischen Vernunft, S. 140 ff., 144, 182, 184, 237; Metaphysik der Sitten, S. 318; (Hinweise in Fn. 74, 5. Teil, 2. Kap., S. 266); i.d.S. W. Weischedel, Recht und Ethik, passim; Κ Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 270 ff.; W. Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 69 ff.; G. Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, S. 93 ff.; K. Vogel, VVDStRL 24 (1966), S. 137 ff.; KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104. 890 Dazu 2. Teil, 7., 9. u. 11. Kap., S. 124 ff., 139 ff., 153 ff., 891 Zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit und zum Gesetzgebungsstaat Hinweise in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; dazu Κ Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 275 ff., 279. 892 Dazu 5. Teil, 3. Kap., IV, S. 297 ff.; das Prinzip Chancengleichheit folgt bei J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 81, 309, 299 ff., aus dem zweiten verteilungsorientierten Gerechtigkeitsgrundsatz; zum Topos Chancengleichheit R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 208; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 531 f.; H. Scholler, Die Interpretation des Gleichheitssatzes als Willkürverbot oder als Gebot der Chancengleichheit, 1969, S. 148 f.; eindrucksvolle Kritik an dem Topos von W. Leisner, Der Gleichheitsstaat, insb. S. 143 ff.; näher mit weiteren Hinweisen K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 144 f., 322 f., 330, 344 f., 347.; i.S. des Textes auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1193. 889

893 Dazu Hinweise zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit in Fn. 93, 5. Teil, 2. Kap., S. 270; zur Rechtlichkeit der Gesetze in Fn. 133, 5. Teil, 3. Kap., S. 281.

438

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

Freiheit. Diese Freiheit selbst ist die allgemeine Gesetzgebung, welche ihre Verbindlichkeit begrifflich einschließt. 5. Die Ordnung muß, wenn nicht von den Bürgern, von einem Herren geschaffen werden, um das gemeinsame Leben zu ermöglichen 894 . Der Herr wäre ein Staat, der über der Gesellschaft steht, nicht "der Staat" als "die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen" (Kant), 8 9 5 nicht die res publica als res populi 8 9 6 . Empirisch wären die Menschen Herren, welche das Staatliche verwirklichen. I m vorigem Jahrhundert waren es Adlige, Offiziere und Beamte, heute sind es zum einen parteiliche und verbandliche Funktionäre und zum anderen staatliche Amtswalter, Abgeordnete, Beamte (öffentlich Bedienstete) und Richter, aber auch Verleger und Chefredakteure, nicht alle, aber bestimmte, die classa politica. Viele von ihnen sind zugleich Partei- oder Verbandsfunktionäre. Diese sind unsere Herren, sie sollen es aber nicht sein. 6. Die Autonomie des Willens erfordert aber empirisch, nicht transzendental, die homogene Selbständigkeit des Bürgers, der auch ökonomisch sein eigener Herr sein muß. Dahin fortzuschreiten, gibt das Sozialprinzip auf 8 9 7 , das sich in einer allgemeinen, also praktisch vernünftigen Gesetzgebung, also in Rechtsetzung durch Freiheitsgesetze, von selbst verwirklicht.

894

Hobbes, Leviathan, S. 118 ff., insb. S. 184 f., S. 151 ff., insb S. 160 f., auch S. 196 ff.; das scheint W. Henke, Recht und Staat, S. 399, unausweichlich, so daß der Staat für ihn notwendig ein Herrschaftssystem ist, nicht ohne Seitenhieb gegen den Rousseauismus derer, welche "die Gemeinschaft der Freien anstelle jeglicher Herrschaft zur alleinigen Substanz des Staates machen"; so aber Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431; auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910 f., der diesen republikanischen Ansatz aber durch eine demokratische Herrschaftslehre relativiert; ähnlich W. Schmidt, VVDStRL 33 (1975), S. 197 (gegen Habermas); auch J. Isensee beruft sich für seine polare (Grundrechte und Demokratie) Legitimations-und Kompetenzlehre zu Unrecht auf Ciceros "res publica res populi", etwa, Grundrechte und Demokratie, S. 7 ff., 26 u.ö., vgl. Fn. 1.; ciceronisch insoweit R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 328 ff. (gestützt auf M. Heideggers Vorträge und Aufsätze, S. 173 ff., Erläuterung des Begriffs res); bei J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, insb. S. 21, 493 ff., entsteht die "wohlgeordnete Gesellschaft" als "konstitutionelle Demokratie" (S. 283, 252, 275 f.), durch die Bürger, nicht durch einen Herren. Hinweise auf die Herrschaftsideologie in Fn. 4, 2. Teil, 1. Kap., S. 72 f.; auch Fn. 5, 6. Teil, 1. Kap., S. 441 f. 895

Metaphysik der Sitten, S. 431. Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 84 f., 92 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 165 f.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 653; zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft Hinweise in Fn. 53, 5. Teil, 4. Kap., S. 263 f., insb. 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff. 897 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff., insb. S. 247 ff. 896

7. Kap.: Freiheiten als Möglichkeiten?

439

Das Sozialprinzip ist sedis materiae der Pflicht, die Möglichkeiten im gemeinsamen Leben gerecht (i. S. der iustitia commutativa) 898 zu verteilen. Das Sozialprinzip ist darum am Freiheitsprinzip orientiert und zielt auf die homogene Selbständigkeit aller Bürger 899 . Diese freiheitliche Sozialität wird durch den "Totalstaat" der "perfekten Sekurität", den Wohlfahrtsstaat, der den Menschen jede Sorge nimmt, ruiniert. Davor hat René Marcie schon 1957 eindringlich gewarnt 900 . Der "verhausschweinte" Mensch (Konrad Lorenz 901) vor dem Bildschirm ist das Gegenteil des Bürgers. Schon Aristoteles hat den viehischen Charakter vieler Menschen herausgestellt: "Die Mehrzahl der Leute und die rohesten wählen die Lust. Darum schätzen sie auch das Leben des Genusses: ... Die große Menge erweist sich als völlig sklavenartig, da sie das Leben des Viehs vorzieht" Aristoteles 902 Auch Rousseau nennt den "Antrieb des reinen Begehrens Sklaverei", "instinkthaft", und stellt die Freiheit dagegen 903 . Die Nivellierung des guten Lebens durch die industrielle Marktwirtschaft und unter der plebiszitären Parteienherrschaft zum Massenkonum haben Bürgerlichkeit zu würdeloser Saturiertheit verkommen lassen. Zu dieser Entwicklung hat das staatliche und private Versicherungswesen beigetragen, welches schon lange nicht mehr das freiheitlich verstandene Sozialprinzip verwirklicht, sondern nur

898

Dazu D. Suhr, Gleiche Freiheit, S. 110 ff.; so auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1193; das Sozialprinzip oder (kantianisch) das Prinzip der homogenen Selbständigkeit nimmt R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 194 ff. u.ö., in seinem Freiheitsbegriff der Möglichkeiten (nicht explizit) auf; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, insb. S. 291 ff., entfaltet seinen sozialorientierten zweiten Grundsatz der Gerechtigkeit (S. 81) in seiner Wertungslehre. 899 M.Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 229, 334; K.A. Schachtschneider, Frei - sozial - fortschrittlich, S. 11 ff.; auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 121; i.d.S. E . Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 205 ff., 335 ff.; die Sozialbezogenheit der grundrechtlichen Freiheit betont H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1187 ff.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 28, 37, 39, greift diesen Aspekt eigenständig als den der "gleichen" oder "größten Wohlfahrt eines Jeden" auf; ebenso ders., HVerfR, S. 212 ff.; auch G. Ellscheid, Das Problem vom Sein und Sollen in der Philosophie Immanuel Kants, S. 105 ff.; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 274 ff., 282 f. u.ö., gibt der Freiheit den Vorrang vor der Verteilung, die über die Sicherung des "angemessenen Existenzminimums durch Umverteilung" hinausgeht (S. 308 ff., 311) und bemüht sich (damit) um materiale Maßstäbe insbesondere eines fairen Wirtschaftssystems (S. 298 ff.). 900

Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 397 ff. Fernsehgespräch anläßlich seines 80. Geburtstages am 7.11.1983; ders., Der Abbau des Menschlichen, 2. Aufl. 1983, etwa S. 52, 224 ff.; ders., Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, 21. Aufl. 1981. 901

902 903

Nikomachische Ethik, S. 59, 1095 b 15 ff. Vom Gesellschaftsvertrag, S. 28 f.

440

5. Teil: Der republikanische Freiheitsbegriff

noch das der Sekurität. Vollkommene Sekurität gefährdet nach der Erfahrung die Moralität. Man kümmert sich nicht mehr um den Diebstahl, sondern um die Ersatzleistung der Versicherung. Das Sozialprinzip ist demgegenüber ein bürgerliches, republikanisches Postulat und erlaubt es nicht, die Freiheit als die Autonomie des Willens in Freiheiten als verteilbaren Rechten auf Chancen guten Lebens umzudefinieren; denn die Freiheit ist nicht vom Gesetz, auf dem doch alles Recht beruht 904 , abhängig. Das Gesetz verletzt sittlich die Freiheit in dem Maße seiner Rechtswidrigkeit, also auch, wenn es das Sozialprinzip mißachtet. Freiheit ist die rechtsverwirklichende Sittlichkeit, nicht das Rechtsgesetz selbst. Sonst wäre die Freiheit material und hätte als solche einen subsumiblen Maßstab, der i m Widerspruch zur Sittlichkeit als allgemeiner Würde des Menschen stünde.

904

Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150.

Sechster Teil Nähe und Distanz des republikanischen zum liberalistischen Freiheitsbegriff 1. Kapitel Der Grundrechtsschutz der herrschaftslosen Freiheit 1. D i e Praxis u n d herrschende Lehre halten am monarchisch-konstitution e l l geprägten, u n d zugleich i m 19. Jahrhundert liberalen, i n einer demokratischen R e p u b l i k aber liberalistischen Freiheitsbegriff 1 fest, o b w o h l dieser nachhaltig kritisiert w o r d e n ist, insbesondere v o n Herbert Ehmke , Konrad Grabitz: 2.

Hesse, Peter Häberle ,

Hans Heinrich

Krüger ,

Horst

Rupp u n d Eberhard

Dieser Freiheitsbegriff dogmatisiert noch i m m e r die T r e n n u n g

des Staates v o n der Gesellschaft u n d damit ein quasi-monarchisches, jedenfalls ein herrschaftliches P r i n z i p 3 . Heute stützt die Ideologie der Herrschaft

1

Vgl. P. Laband , Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, Bd. 1, 5. Aufl. 1911, S. 150 f.; Friedrich Giese , Die Grundrechte, 1905, insb. 27 ff., 57 ff., 76 ff.; E. Eckhardt , Die Grundrechte vom Wiener Kongress bis zur Gegenwart, 1913, insb. S. 96 ff. (zur Kontroverse in der Paulskirche), S. 120 ff. (zur Auffassung in der Erfurter Unionsverfassung); dazu genau E. Grabitz , Freiheit und Verfassungsrecht, S. 158 ff.; dazu auch K. Hesse, HVerfR, S. 24, 81, 92 f.; H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 259 ff.; vgl. auch C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 207 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 ff.; ders., Verfassungslehre, S. 157 ff., insb. S. 164. 2 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, insb. S. 536 ff.; H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 259 ff.; K. Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, 1976, S. 484 ff., insb. S. 494 ff.; P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, passim, insb. S. 335 ff.; E. Grabitz , Freiheit und Verfassungsrecht, passim, insb. S. 158 ff., 192 ff.; H.H. Rupp, Privateigentum an Staatsfunktionen?, 1963, S. 230, Fn. 54; ders., Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 228, Fn. 425; ders. auch HStR, Bd. I, S. 1187 ff., der aber selbst den Freiheitsbegriff auch material i.S. eines subjektiven Grundrechts verwendet (S. 1209 ff., 1215 ff., 1217 ff.); vgl. auch W. Schmidt, Der Verfassungsvorbehalt der Grundrechte, AöR 106 (1981), S. 522. 3

So auch die Kritik von H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 536 ff., 539; den Wegfall des Dualismus von Staat und Gesellschaft hat schon E. Forsthoff, VVDStRL 12 (1954), S. 27 konstatiert; H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 241 ff., 265 ff.; K. Hesse, Zur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 484 ff., 488 ff.; H.H. Rupp, Privateigentum an Staatsfunktionen?, S. 32, Fn. 54; ders., Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechts lehre, S. 238 in Fn. 425; ders., HStR, Bd. I, S. 1187 ff., 1190 ff. (neu differenzierend); wesentlich E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 158 ff., 187 ff., 192 ff., 201 ff. (all diese Autoren lösen sich aber zu wenig oder gar nicht von der Annahme der staatlichen Herrschaft); anders K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 177 ff.; vgl. auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 654 f., der

442

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

der M e h r h e i t , v e r w i r k l i c h t v o r allem als Herrschaft parteilicher

Oligar-

c h i e n 4 , diese D o g m a t i k . Herrschaftlich-liberal, also konstitutionell, ist die Freiheit eine durch die Grundrechte der Verfassung i n den Grenzen der Gesetze v o m Staat gewährte "staatsfreie Privatsphäre", ein den M e n s c h e n garantierter Bereich der B e l i e b i g k e i t . "Freiheit des Verhaltenkönnens" meine die " B e l i e b i g k e i t des Verhaltenkönnens." - Jürgen

Schwabe,

Klaus

Stern/Michael

Sachs 5

Dieser Satz ist richtig, w e n n Freiheit m i t den materialen subjektiven G r u n d rechten identifiziert w i r d , w i e v o n den meisten eben v o m Liberalismus

in: Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 74, die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft weiter dogmatisiert, weil "die ethische Identität zerbrochen" sei; in der Sache auch so ders., HStR, Bd. III, S. 25 ff., 35 ff.; deutlich schon ders., Grundrechte und Demokratie, S. 7 ff.; so schon ders., Subsidiarität und Verfassungsrecht, S. 149 ff.; P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 842, sieht die Unterscheidung im Schwinden, kategorisiert aber noch ihr gemäß "Privatheit" und " Öffentlichkeit"; ders., Wesensgehaltsgarantie, S. 335 ff., 343 u.ö. ; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 50, sieht die Trennung von Staat und Gesellschaft als überwunden an; dazu auch Ch. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 542 ff., die den staatstheoretischen Kern der Kritik nicht recht aufgreift; vgl. auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1186 ff., der mehr als die liberale Funktion der sog. allgemeinen Handlungsfreiheit sieht. Den Dualismus von Staat und Gesellschaft haben im Interesse der liberalen/liberalistischen Freiheit, den wegweisenden Unterscheidungen C. Schmitts, Verfassungslehre, S. 157 ff.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 207 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 ff., folgend, erneut dogmatisiert: E. Forsthoff; Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 21 ff., 25 ff.; E.-W. Böckenförde, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 395 ff., 407 ff.; ders., Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973; H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 9 ff., insb. S. 32 ff., 52, 53 ff.; W. Henke, Die politischen Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 367 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 42 ff.; u.a.; dazu 2. Teil, 3. Kap., S. 88 ff.; 3. Teil, 1., 2., 3. und 4. Kap., S. 159 ff., 175 ff., 193 ff., 201 ff.; 6. Teil, 5. und 9. Kap., S. 466 ff., 501 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff. 4 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 2. Teil, 3., 4., 5. und 6. Kap., S. 88 ff., 92 ff., 100 ff., 106 ff.; 3. Teil, 1. und 3. Kap., S. 159 ff., 197 f.; 8. Teil, 2. und 5. Kap., S. 685 ff., 772 ff.; 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1080 ff., 1086 ff., 1113 ff. 5 J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 14, 67 ff., auch S. 37 ff., 52 u.ö.; K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 628 (auch S. 632), die die Entwurfsfassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses für das Grundgesetz nämlich: "Jedermann ist frei, zu tun und zu lassen,..." unvollständig und mißverstanden an die Stelle des Verfassungstextes setzen; i.d.S. auch H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 53 ff., 57 ff., 70; auch A. Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, 2. Aufl. 1985, S. 175 f.; genau G. Liibbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffs ab wehrrechte, S. 8, insb. S. 98 ff.; vgl. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte , S. 194 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 110-112 zu Art. 1 Abs. 3, S. 83 ff.; Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 11; ebenso W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 54 f.; auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 409, baut auf dem materialen Begriff der allgemeinen Handlungsfreiheit (S. 387 f. u.ö.) seine (irrtümliche) Gerechtigkeitslehre auf, die sich vom Utilitarismus trotz dessen Kritik (etwa S. 398) nicht lösen kann; kritisch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff., 158 ff., 201 ff., 207, 209 ff., 235 ff.

1. Kap.: Der Grundrechtsschutz der herrschaftslosen Freiheit

443

geprägten Grundrechtslehren 6. Die Freiheit ist aber formal, wie ihr positiver Begriff als sittliche Pflicht zum Guten, den Art. 2 Abs. 1 GG übernommen hat und in einer Republik übernehmen mußte, beweist 7 . Die die formale Freiheit mit Verfassungsrang verwirklichenden besonderen Grundrechte sind material. Soweit sie subjektive Rechte schützen oder begründen, können diese nach Belieben ausgeübt werden. Die subjektiven materialen Grundrechte sind bestimmte verfassungskräftige, meist menschenrechtlich begründete, Rechte zur Willkür, die von der äußeren Freiheit als dem Recht zur freien Willkür, als dem Recht zur Autonomie des Willens, zu unterscheiden sind 8 . Nur das Recht zur freien Willkür oder eben das zur Autonomie des Willens ist die politische Freiheit, die der Liberalismus nicht kennt, weil er die Politik herrschaftlich begreift 9 . Die Rechte zur Willkür ermöglichen die freiheitliche Privatheit der Menschen 10 . Wer die materialen Grundrechte als Freiheiten begreift, legt das Konzept eines herrschaftlichen Staates zugrunde und leugnet damit die politische Freiheit, wie die Lehre von der Parteiendemokratie als politischer Herrschaft 11 . Herrschaft ist nun einmal der Gegenbegriff zur Freiheit; denn

6 Auch H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1209 ff., 1215 ff., 1217 ff., obwohl er von "autonomer Freiheit" (S. 1210), "autonom-subjektiver Bestimmungsfreiheit" (S. 1212) spricht, die man aber "zum eigenen Vorteil nutzen" dürfe (S. 1214), also subjektive materiale Grundrechte meint; weitere Hinweise in Fn. 20, S. 445; dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 325 ff. 7 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218, 821 ff., 230 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 275 ff. (insb. S. 289 ff., 301 ff., 318 ff.), 332 ff., 431 ff.; 6. Teil, 8. und 9. Kap., S. 494 ff., 509 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; zur Formalität der Freiheit 5. Teil, 3., 4., 6. und 7. Kap., S. 275 ff., 325 ff. (insb. S. 356 ff.), 410 ff., 437; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 f.; 9. Teil, 5., 7. und 8. Kap., S. 956 ff., 978 ff., 990 ff. 8 5. Teil, 3., 4., 5. und 7. Kap., S. 289 ff., 318 ff., 332 ff., 386 ff., 431 ff.; 6. Teil, 2., 8. und 9. Kap., S. 449 ff., 494 ff. 501; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 9 Ganz i.d.S. J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 324 ff.; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275, 346 f., 410 ff.; 6. Teil, 6. und 9. Kap., S. 478 ff., 501 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 10 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 6 ff., 97 ff., 261 ff., 283 ff. u.ö., wo die Privatheit noch als "Autonomie" bezeichnet, wenn auch ohne substantiellen Unterschied zur hier vertretenen Dogmatik als Recht zur Willkür begriffen wurde; dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. 219); 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 6. Teil, 2., 4. und 6. Kap., S. 449 ff., 461 ff., 466 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 1023 ff. 11 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 3. Teil, 1. und 3. Kap., S. 159 ff., 193 ff.; 8. Teil, 2. und 5. Kap., S. 685 ff., 772 ff.; 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff.; weitere Hinweise zur Parteienoligarchie in Fn. 4, S. 442.

444

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Herrschaft ist die Abhängigkeit, (äußere) Freiheit die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür 1 2 . Auch das Grundgesetz spricht in Art. 18 GG von "Freiheiten" 13 . Diese sogenannten Freiheiten bezeichnet das Grundgesetz aber in anderen Artikeln als "Menschenrechte" (Art. 1 Abs. 2) oder als "Grundrechte" (Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 1, 2 und 3), auch in Art. 18 selbst. Der Begriff Freiheit hat (auch) eine liberale Tradition. Das ist schließlich der Grund des geradezu paradigmatischen Dogmenstreits 14 . Im republikanischen Kontext des Grundgesetzes, der mit dem Prinzip der unantastbaren Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG und vor allem mit der Definition der grundgesetzlichen Freiheit durch das Sittengesetz in Art. 2 Abs. 1, aber auch durch die Bezeichnung des Gemeinwesens als Republik festgelegt ist, muß der Freiheitsbegriff der älteren und allein freiheitlichdemokratischen Tradition des republikanischen Freiheitsparadigmas folgen 15 . Darum sind die sogenannten Freiheiten der Grundrechte in ihrer subjektiven Dimension Rechte, subjektive Rechte. Auch in ihrer objektiven Dimension begründen sie Rechte, nämlich Rechte auf Verwirklichung der politischen Leitentscheidungen. Die subjektiven Rechte räumen um der Lebbarkeit des Rechts willen Privatheit als Rechte zur Willkür ein 16 . Diese Rechte haben die Materialität liberaler Freiheiten, gründen aber auf der republikanischen Freiheit, nämlich den allgemeinen Gesetzen, nicht auf herrschaftlicher Freistellung. Der substantielle Unterschied der republikanischen und der liberalistischen Freiheitslehre ist der Unterschied von politischer Freiheit und Herrschaft 17 . Die republikanische Freiheitslehre erst führt zum freiheitlichen Gemeinwesen. Es versteht sich, daß das Maß an Privatheit anders bemessen sein kann, wenn die Privatheit auf dem allgemeinen Gesetz der Bürgerschaft, auf der volonté générale, auf der praktischen Vernünftigkeit aller also, beruht, als wenn sie von einem Herrscher aus

12

Dazu 2. Teil, 2. und 7. Kap., S. 79 ff., 124 ff.; 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 168 ff., 175 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 13 Zu diesem wenig glücklichen Sprachgebrauch kritisch J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 55 ff. 14 Den freiheitsdogmatischen Paradigmenwechsel zwischen Liberalismus und Republikanismus thematisiert auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, insb. S. 324 ff. 15 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 2. Teil, 10. und 11. Kap., S. 152, 153 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; 5. Teil, 1. und 2. Kap., S. 253 ff., 259 ff.; auch 5. Teil, 3., 4., 6. und 7. Kap., S. 275 ff., 325 f., 410 ff., 434 ff.; 6. Teil, 8. und 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 16 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. 373 ff., 385 ff.); 6. Teil, 2., 5. und 6. Kap., S. 449 ff., 466 ff., 488 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. 220 ff.). 17 I.d.S. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 135 ff., 324 ff.

445

1. Kap.: Der Grundrechtsschutz der herrschaftslosen Freiheit

K l u g h e i t gewährt w i r d , selbst w e n n dieser Herrscher der parteiendemokratische Staat, der Sache nach die Parteienoligarchie, ist. A u c h die allgemeinen Gesetze sind frei, n ä m l i c h autonom, v e r b i n d l i c h als W i l l e des Volkes erkannt u n d beschlossen v o n den Vertretern des Volkes i n der praktischen Vernunft, v o r a l l e m dem Gesetzgeber, aber auch überprüft v o m Bundesverfassungsgericht, letzte W o r t

das i n ordentlichen Verfahren das

über die praktische Vernünftigkeit

F o r m u l i e r u n g e n w i e die v o n Schwabe Herrschaft u n d kategorisieren

des Gesetzes

u n d v o n Stern/Sachs

spricht18.

implizieren

Staatlichkeit als H e r r s c h a f t l i c h k e i t 1 9 .

Die

Grundrechte sollen i n dieser D o g m a t i k wesentlich A b w e h r r e c h t e des M e n schen gegen den Staat entfalten 2 0 .

18 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 362 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2., 3., 4., 6., 7. und 8. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 932 ff., 963 ff., 978 ff., 990 ff.; zum BVerfG als Hüter der Verfassung vor allem 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff. mit Fn. 488, 909 ff. 19 So K. Stern, Staatsrecht I, S. 512, 594, explizit; implizit J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 37 ff., 60 ff.; vgl. die Hinweise dazu im 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff. und in Fn. 443, sowie insb. Fn. 72. 20 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126, 130, 158 f., 160, 163 f., 175 ff.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 207 ff.; auch H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 155; vgl. K. Hesse, HVerfR, S. 24, 81, 91 f.; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 281, S. 114 (kritisch zu einer Grundrechts lehre des status negativus i.S. G. Jellineks, welcher den omnipotenten Staat vorausgesetzt habe); W. Henke, Die politischen Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 369 f. ("Bezirke privater Freiheit"); ., Ossenbühl, NJW 1976, 2100 ff.; auch E.-W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 32 f.; ders., NJW 1974, 1529 ff.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 146; H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 32 ff., 47 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 42 ff.; zur Dogmatik der grundrechtlichen Abwehrfunktion J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 11 ff., 23 ff., 37 ff., 52 ("freies Belieben" "grundrechtlich geschützt", S. 31); G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingrifsabwehrrechte, 1988, S. 25 ff.; um die Rehabilitation der Eingriffsabwehrdogmatik bemüht sich B. Schlink, Freiheit durch Eingriffsabwehr - Rekonstruktion der klassischen Grundrechtsfunktion, EuGRZ 1984, S. 457 ff.; zu Recht kritisch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 536 ff. mit Hinw. auf die Abwehrdogmatik in Fn. 36; kritisch auch R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 95 ff.; kritisch i.S. seiner institutionellen Grundrechtslehre insb. P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 128 ff., 134 ff., 145 ff., 150 ff., der aber insb. S. 335 ff. eine "öffentliche und private Freiheit" unterscheidet und die "Privatheit", "unantastbare private Grundrechtsbereiche", in der res publica konstitutionalisiert sieht (S. 340); ähnlich ders., Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 69 ff.; kritisch H.H. Rupp, Privateigentum an Staatseigentum?, S. 32 ff., 54; ders., AöR 101 (1976), S. 173 u.ö.; ders., HStR, Bd. I, S. 1190 ff., vgl. aber auch S. 1209 ff.; kritisch vor allem E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff., 158 ff., 187 ff., 201 ff., 209 f., 235; vgl. zur liberalistischen, konstitutionellen Grundrechtsdogmatik U. Scheuner, Die rechtliche Tragweite der Grundrechte in der demokratischen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, in: FS E.R. Huber, 1973, S. 139 ff.; E.R. Huber, Grundrechte im Bismarckschen Reichssystem, in: FS U. Scheuner, 1973, S. 163 ff.; R. Wahl, Rechtliche

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

2. Eine Abwehrwirkung haben die Grundrechte, wie immer man sie dogmatisiert; denn sie verwehren dem Staat jedenfalls eine beliebige Gesetzgebung und erst recht gesetzloses Vorgehen gegen die Bürger und Menschen 21 . Grundrechte können unmittelbar subjektive Rechte schützen oder begründen, insbesondere subjektive Rechte gegenüber dem Staat (i.e.S.) 22 . Dabei können die subjektiven Rechte Unterlassungsansprüche gegen den Gesetzgeber und die Verwaltung oder auch nur Unterlassungsansprüche gegenüber der Verwaltung ergeben. Das beweist Art. 2 Abs. 2 GG, der das Recht auf Leben gegenüber dem Gesetzgeber nicht als unmittelbar materiales subjektives Recht, sondern nur in der objektiven Dimension als Recht auf dem Leben verpflichtete vernünftige Gesetzgebung schützt. Art. 11 Abs. 1 GG schützt das Recht des freien Zuges, soweit nicht der (enge) Gesetzesvorbehalt des Abs. 2 dieser Vorschrift reicht. Dieses Grundrecht gibt damit ein subjektives Recht, welches näherer Materialisierung durch den Gesetzgeber nicht bedürftig ist. 3. Die Grundrechte schützen gemäß dem Schutzzweck und nach den Möglichkeiten des Staates insbesondere die "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte", zu dem sich nach Art. 1 Abs. 2 GG das "deutsche Volk als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekennt", weil das die Würde des Menschen gebietet (Art. 1 Abs. 1 GG, argumentum aus dem Wort "darum") oder, kantianisch gesprochen, weil "das Recht der Menschheit", die "Menschheit des Menschen" nicht zur Disposition der Gesetze, schärfer der Freiheit, steht 23 . Diese Grundrechte, insbesondere die Freiheit, die Gleichheit, das Eigentum, die Sicherheit und das Widerstandsrecht 24 , aber auch und vor allem das Grundrecht, eine eigene Meinung zu haben und äußern zu dürfen, werden nicht etwa vom Staat gegeben, sondern sind mit dem

Wirkungen und Funktionen der Grundrechte im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, Der Staat 18 (1979), S. 321 ff.; richtig zum liberalen Konzept des Staatsbürgers J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 324 ff., insb. S. 327 f. 21 I.d.S. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 288, S. 116; ders., HVerfR, S. 24, 91 f. 22 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 2., 3., 4., 6. und 9. Kap., S. 449 ff., 454 ff., 461 ff., 488 ff., 501 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 821 ff., 947 ff.; etwa K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 283 ff., S. 115 ff. 23 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 63; ders., Metaphysik der Sitten, S. 381 f., auch S. 345. 24 Die Orientierung für den Kanon der Menschenrechte geben die französische Deklaration von 1789 und die amerikanischen Bills vom 4.7.1776; dazu v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 90 zu Art. 1 Abs. 2, S. 71 f.

1. Kap.: Der Grundrechtsschutz der herrschaftslosen Freiheit

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Menschen geboren 25 . Der Staat kann diese Rechte schon deswegen nicht geben, weil er erst durch die Verfassung mit deren Grundrechten begründet wird 2 6 . Die Menschenrechte eignen den Menschen auch ohne Staat. Sie sind Teil der Persönlichkeit des Menschen, die der Staat anzuerkennen hat. Die Menschenrechte sind, wenn man so will, vorstaatlich. Der Staat dient dem Schutz der Menschenrechte. In der kantianischen Konzeption sind die Menschenrechte ohne den Staat provisorische Rechte des Menschen 27 , die das Recht auf den Staat, auf "die bürgerliche Verfassung" begründen, auf den Staat, dessen Zweck der Schutz der Menschenwürde und damit der Menschenrechte ist. Diesen Schutz leisten die Grundrechte des Grundgesetzes mit dem grundgesetzgemäßen Rechtsschutzsystem. Durch die Verfassung des Gemeinwesens, welche die Bürger zu einem Staat verfaßt, werden die Menschenrechte "peremptorische" Rechte im Sinne Kants 2*. Als solche sind sie subjektive Rechte in dem staatlich verfaßten Gemeinwesen nach dessen Gegebenheiten. Sie erfahren Rechtsschutz als Staatsschutz und Staatsschutz als Rechtsschutz 29 . Das ist ihre staatliche Realität, so daß der vorstaatliche Charakter dogmatisch nur die, allerdings wesentliche, Relevanz hat, daß nur einem Gemeinwesen, welches die Menschenrechte schützt, die Qualität eines Staates zugesprochen werden kann. Weil mit der Menschheit des Menschen, mit seiner Freiheit, aus der die anderen Menschenrechte folgen 30 , das Recht auf den Staat, auf die bürgerliche Verfassung (gestiftet durch ein "wirkliches Rechtsgesetz der Natur", Kant), verbunden ist 3 1 , ist ein Gemeinwesen, welches die Menschenrechte nicht schützt, kein Staat, sondern eine Despotie, ein latrocinium (Augusti -

25 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345 f.; dazu 5. Teil, 1. und 7. Kap., S. 258 f., 430 f.; 9. Teil, 1. Kap., S. 827 f.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 216 f.; zum Urrecht der Freiheit 5. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 253 ff., 290 ff., 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 26 Dazu 6. Teil, 3. Kap., S. 454 f.; zum republikanischen Staatsbegriff 1. Teil, 3. Kap., S. 16 f.; 2. Teil, 4. Kap., S. 93 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 160 f., 165 f.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 827. 27

Metaphysik der Sitten, S. 365 f., 374 ff.; dazu zum Recht auf Recht 5. Teil, 3. Kap., S. 304 ff.; 5. Teil, 4. und 6. Kap., S. 325 ff. (insb. 328 ff., 896 ff.), 425 f.; 7. Teil, 3. und 4. Kap., S. 545 ff. (insb. 551 ff.), 560 ff. 28 Metaphysik der Sitten, S. 374 ff. 29 I.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 282, S. 114. 30 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345 f. 31 Dazu Hinweis in Fn. 27, S. 447; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 365 f., 374 f. (Zitat), 430.

448

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

nus)32. Diese Definition des Staates verbindet den Staat mit dem Recht und akzeptiert als Staat nur den Rechtsstaat. Das ist freiheitlich begründet. Der Staatsbegriff kann aber von der Rechtfertigung des Staates nicht gelöst werden, wenn nicht auch Despotien die Legitimität beanspruchen können sollen, die vor allem das Völkerrecht den Staaten nach der Drei-ElementeLehre 33 vermittelt. 4. Subjektive verfassungskräftige Rechte können aus Grundrechten nur hergeleitet werden, wenn sie bestimmt formuliert sind 34 , so daß sie durch (klassische) Interpretationen entfaltbar sind. Ansonsten formulieren die Grundrechte zugleich oder nur politische Leitentscheidungen, deren gesetzliche (nähere) Materialisierung erst subjektive Rechte begründet, wenn auch gegebenenfalls, wie zur Materialisierung der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, begründen muß. Der Begriff des subjektiven Rechts soll hier nicht in allen Aspekten entwickelt werden 35 , jedenfalls verlangt er eine (intersubjektive 36 ) Rechtsgrundlage, die material bestimmt ist, die klärt, unter welchen Voraussetzungen ein (allgemeinverträglicher) Handlungs(oder Unterlassungs-) anspruch besteht. Ohne derartige Bestimmtheit kann nur ein Recht auf vernünftige, grundrechtsgeleitete, Gestaltung der Rechtsordnung durch den Gesetzgeber

32

Der Gottesstaat (De Civitate Dei), hrsg. v. H.H. v. Balthasar, o.J., S. 115 ("Was anders sind also Reiche, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden?"); dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 526. 33 Dazu J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 603 ff.; R. Grawert, HStR, Bd. I, S. 664 f.; vgl. BVerfGE 3, 58 (88 f.); 36, 1 (16 f.); vgl. auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 47 ff. 34 I.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 289, S. 117; dazu auch 5. Teil, 5. Kap., S. 381 ff.; vgl. auch 9. Teil, 1. Kap., S. 847 ff. zur Bestimmtheitsfrage der offenen Grundrechte; zum Bestimmtheitsprinzip 9. Teil, 2. Kap., S. 866 ff., 882 ff., 887 ff., 896 ff., 900 ff. 35 Dazu im Rahmen der Grundrechtslehre R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und objektive Normen, Der Staat 29 (1990), S. 49 ff., insb. S. 53; vgl. H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1209 ff., 1215 ff., 1217 ff., der dabei den Begriff Autonomie solipsistisch benutzt; zu den subjektiven Rechten als interessenausgleichenden Materialisierungen der Freiheit 5. Teil, 5. Kap., S. 389 ff., 392 ff., 404 ff.; auch 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff; zu der freiheitlichen Funktion der subjektiven Rechte der Privatheit 5. Teil, 5. Kap., S. 385 ff.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1022 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff.; zur Privatheit weitere Hinweise in Fn. 444, S. 444. 36 Zur Reziprozität und damit gesetzeshafter Allgemeinheit der "äußeren rechtlichen Verpflichtungen" Kant, Metaphysik der Sitten, S. 365 f., auch S. 374 f.; i.d.S. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 112 ff., insb. S. 116 ff., 135 ff., der die Intersubjektivität der subjektiven Rechte klärt.

2. Kap.: Freiheit als Willensautonomie und als Privatheit

449

bestehen 37 . Auch dieses Recht, der Sache nach die Freiheit als das Recht auf durch die Grundrechte in ihrer objektiven Dimension geleitetes Recht, also auf grundrechtsgemäße Autonomie des Willens 3 8 , ist ein subjektives Recht, aber ein wesentlich formales, das seine offene, also wenig bestimmte Materialität aus den grundrechtlichen Leitentscheidungen erfährt 39 . Dieses Recht kann mit den verschiedenen Rechtsbehelfen, vor allem mit der Verfassungsbeschwerde, verfolgt werden. Es ist kein spezifisches Abwehrrecht des Bürgers/Menschen gegen den Staat, welches eine bestimmte Privatheit gegen Staatlichkeit zu verteidigen erlaubt. Soweit etwa die Gesetzesvorbehalte reichen, begründen die Grundrechte derartige materiale subjektive Abwehrrechte nicht; denn der Staat kann das grundrechtsgeschützte Recht, etwa das Recht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, relativieren. Die Menge der aus den Grundrechten unmittelbar folgenden materialen subjektiven Rechte ist klein. Weitaus bedeutender ist die sogenannte objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte als politische Leitentscheidungen, die jedoch ebenfalls mit prozeduralem Rechtsschutz bewehrt ist.

2. Kapitel Die republikanische Verteilung von Freiheit als Willensautonomie und als Privatheit 1. "Rechte, welche dem Belieben eines absoluten Fürsten oder einer einfachen oder qualifizierten Parlamentsmehrheit ausgeliefert sind, können ehrlicherweise nicht als Grundrechte bezeichnet werden. Grundrechte im eigentlichen Sinne sind also nur die liberalen Menschenrechte der Einzelperson. Die rechtliche Bedeutung ihrer Anerkennung und 'Erklärung' liegt darin, daß diese Anerkennung die Anerkennung des fundamentalen Verteilungsprinzips des bürgerlichen Rechtsstaates bedeutet: eine prinzipiell unbegrenzte Freiheitssphäre des Einzelnen und eine prinzipiell

37 Ähnlich dem Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Verwaltungsrechts; dazu Η. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 130 f.; H.-U. Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: ders/W Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S. 213; E. SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 135 zu Art. 19 Abs. IV; i.d.S. BVerfGE 7, 198 (206 f.). 38 Dazu 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; zur Autonomie des Willens Hinweise in Fn. 8, S. 443; zum Recht auf Recht Fn. 27, S. 447. 39 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 847 ff.

29 Schachtschneider

450

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

begrenzte, meßbare und kontrollierbare Eingriffsmöglichkeit des Staates. Daraus, daß es sich um vorstaatliche Menschenrechte handelt, folgt weiter, daß diese echten Grundrechte für jeden Menschen ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit gelten. Es sind Individualrechte, d.h. Rechte des isolierten Einzelmenschen. Grundrechte im eigentlichen Sinne sind daher nur individualistische Freiheitsrechte und soziale Forderungen." Carl Schmitt 40 Eine Verteilungslehre hat auch in der Republik ihre Richtigkeit, nämlich in dem durch die Grundrechte in ihrer subjektiven Dimension vorgeschriebenen Grundsatz privater Lebensbewältigung, der als judiziables Subsidiaritätsprinzip der Staatlichkeit dogmatisiert wird 4 1 . Jeder darf nach Art. 4 Abs. 1 GG seine Religion, jeder Deutsche nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG seinen Beruf "frei" bestimmen 42 u.a. Diese Entscheidungen müssen dem Einzelnen verbleiben und dürfen nicht durch allgemeines Gesetz getroffen werden, so vernünftig ein solches Gesetz auch erscheinen mag. Das Grundgesetz schützt um der Persönlichkeit des Menschen bzw. des Bürgers willen dahingehende subjektive Rechte, Privatheit, und folgt damit einer Erkenntnis der praktischen Vernunft, die in Sachen Religionsfreiheit über Jahrhunderte gereift und in Sachen Berufsfreiheit seit dem Ende des Ständestaates eine Errungenschaft der bürgerlichen Gleichheit ist. Die Privatheit der Lebensbewältigung muß eine Grundlage in der Verfassung oder in den Gesetzen haben, weil aus der Freiheit das Recht auf Gesetzlichkeit und damit Staatlichkeit folgt. Dieses Recht ist uneingeschränkt und nur praktische Vernunft, materialisiert etwa in den subjektiven Grundrechten, kann es rechtfertigen, den Bürgern oder Menschen Privatheit zu lassen, die schließlich ihrem Begriff nach ihre Legalität aus den subjektiven Rechten erfährt, ohne daß die konkrete Handlung selbst erneut durch diskursiv erreichten Konsens gerechtfertigt sein muß. Das allgemeine Einverständnis mit der Handlung ist in dem weiten, gegebenenfalls auch andere und andersartige Handlungen umfassenden, subjektiven Recht ausgesprochen. Ihre Legalität

40

Verfassungslehre, S. 164 f.; ebenso i.d.S. ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 207

ff. 41 Dazu 3. Teil, 3. und 4. Kap., S. 195 ff., 201 ff.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 220 f., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. 386 ff.); 6. Teil, 5. Kap., S. 475 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.; auch 6. Teil, 6. Kap., S. 478 ff., 486 ff. zum Regel-Ausnahmeprinzip; insb. J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 264 ff., insb. S. 281 ff., 313 ff., der seinem Werk den bezeichnenden Untertitel gegeben hat: "Eine Studie über das Regulativ des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft"; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1219 ff. 42

Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 392 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 845 ff.

2. Kap.: Freiheit als Willensautonomie und als Privatheit

451

klärt die Übereinstimmung der Handlung mit der allgemeinen Freiheit, unabhängig von ihrer Moralität 4 3 . "Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann etc." - Kant 44 Die Legalität der Handlung verschafft dieser die Sittlichkeit der allgemeinen Freiheit. 2. Der Zweck des Staates ist das Recht. Die Verwirklichung des Rechtszwecks kann keinem Subsidiaritätsprinzip unterliegen. Die Staatlichkeit des Gemeinwesens in ihrem eigentlichen Zweck der Verwirklichung der Freiheit darf nicht relativiert werden. Darum kommt ein nicht eigens subjektivrechtlich begründeter Vorbehalt und Vorrang der Privatheit, wie er der Schmittschen Verteilungslehre entspricht, nicht in Betracht. Die ultra-viresLehre 45 vermag die Kompetenz des Staates zur Rechtsetzung nicht einzuschränken. Ein Staat, der nur begrenzt kompetent wäre, das Recht zu verwirklichen, wäre kein freiheitlicher Staat; denn er würde die Verwirklichung der Freiheit den Menschen in einer staatsfreien Sphäre überlassen, in der sich Recht mangels staatlichen Zwanges nicht durchsetzen könnte. Der Vertrag ist kein Ersatz für das Gesetz, weil er nicht durch Autonomie des Willens, also freie Willkür, begründet ist 4 6 ; denn seine Moralität kann nicht sichergestellt werden. Der Vertrag beruht vielmehr auf dem subjektiven Recht, Verträge (privat, nach eigenen Interessen) zu schließen. Ohne das allgemeine Gesetz ist ein freiheitliches Gemeinwesen nicht denkbar. Die allgemeine Gesetzlichkeit und damit Staatlichkeit ist das Rechtsprinzip aller Handlungen. Darum lehrt Rousseau die Verwirklichung der Freiheit durch

43

Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 374 ff., 378 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 500 f. Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 337, Tugendlehre, S. 511 ("Die Rechtslehre geht auf dem ersten Wege. So wird jedermanns freier Willkür überlassen, welchen Zweck er sich für seine Handlung setzen wolle. Die Maxime derselben aber ist a priori bestimmt: daß nämlich die Freiheit des Handelnden mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne."). 45 Dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 184 f., 202; 6. Teil, 5. Kap., S. 472 f. (mit Fn. 145); 10. Teil, 7. Kap., S. 1143 f.; insb. H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1207 ("Was dem Staat nicht übertragen ist, ist ihm verboten"); K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 22 f., 41 f., 256, 262; J. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 210 ff., Ls. 8, S. 244. 46 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 337 ff., wo die Vertragslehre noch auf das Autonomieprinzip gestellt ist, letzteres aber als Prinzip der Privatheit begriffen wurde; dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 382 ff., 399 ff., 404 ff. 44

29

452

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

die volonté générale 47 . Die ultra-vires-Lehre hat ihre Richtigkeit darin, daß sie es dem Staat verbietet, Aufgaben zu übernehmen, die ihm nicht das Gesetz übertragen hat, etwa privatistisch Unternehmen zu betreiben 48 . Die Verwirklichung des Rechtszwecks ist aber die uneinschränkbare Aufgabe des Staates. Das Recht zu verwirklichen ist nicht nur Pflicht des Staates, sondern Recht und Pflicht jedes Bürgers und Menschen gegenüber dem Staat und seinen Mitmenschen. Dem Zweck des Staates kann nicht entgegengehalten werden, daß es keine allgemeinen Gesetze gibt, die diese zweckgemäßen Aufgaben begründen müßten. Vielmehr begründet die Verfassung die Aufgabe des Staates, das Recht zu verwirklichen. Dadurch ist der Staat Rechtsstaat. 3. Keinesfalls kennt eine Republik eine grundrechtliche Verteilung von privatistisch konzipierter Freiheit und von als Herrschaft verstandener Staatlichkeit, die Schmitts liberalistische Verteilung lehrt und die noch heute in der Lehre dominiert 49 . Das Grundgesetz verfaßt die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland mit der um der Freiheit willen umfassenden Kompetenz zur Verwirklichung des Rechts. Materiale Rechtsverwirklichung leisten die Grundrechte sowohl in ihrer objektiven als auch in ihrer subjektiven Dimension. Letztere begründet meist Privatheit 50 . Staatlichkeit ist nicht beliebig, sondern dem Recht in seiner jeweiligen Materialität verpflichtet. Dieses Rechtsprinzip läßt sich nicht liberalistisch teilen, etwa in einen Aufgabenbereich des Staates und der Gesellschaft 51 .

47

Dazu 2. Teil, 7., 10. und 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; 7. Teil, 1., 2. und 4. Kap., S. 519 ff. (insb. 534 ff.), 536 ff., 560 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. 218 ff.); 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff. (insb. 293 ff.), 349 f.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff. (insb. 719 ff., 728 ff.); 9. Teil, 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff. zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit und zur allgemeinen Gesetzlichkeit, wie zum Gesetzgebungsakt. 48

Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 261 ff. Dazu Hinweise in Fn. 207 und 208, S. 487. 50 Subjektive Grundrechte können die besondere Eigenheit und Selbstbestimmtheit auch amtlichen, also staatlichen, Handelns schützen, etwa die Freiheit der Wissenschaft (Art. 5 Abs. 3 GG), die staatsuniversitäre Forschung und Lehre (dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 837 ff., 1002 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 229 f.). Besondere Eigenheit und Alleinbestimmtheit sind zwar Charakteristika der Privatheit, nicht aber ihr Kriterium; denn sie können auch staatlich genutzt werden. Die Staatlichkeit ist wie die Privatheit institutionell definiert. Der Private ist aber Teil des Staatlichen. Privates Handeln kann weitestgehend staatlich bestimmt sein und die besondere Eigenheit und Alleinbestimmtheit dadurch einbüßen, nicht aber die Privatheit, wie die (regelmäßige) Verantwortlichkeit für rechtswidrige Handlungen zeigt. 49

51 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., (insb. S. 162 ff.), 175 ff.; 6. Teil, 5. und 9. Kap., S. 466 ff., 501 ff.

2. Kap.: Freiheit als Willensautonomie und als Privatheit

453

Die Gefahr des Mißbrauchs und Irrtums, welche die Ausübung der konstituierten Staatlichkeit mit sich bringt, ist unbestreitbar 52 . Ihr ist vor allem das Rechtsschutzsystem (insb. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG), vor allem aber die Verfassungsgerichtsbarkeit, entgegengestellt. Letztlich ist das ganze Volk Hüter der Verfassung 53. Die Republik gewährt aber nicht Freiheit oder eine Freiheitssphäre wie der herrschaftliche Staat, sondern dient der Verwirklichung der Freiheit. Die Grundrechtsdogmatik der Republik darf sich keine liberalistischen, d.h. herrschaftlichen, Formeln genehmigen. Die Kritik der herrschenden Freiheitslehre ist eine Kritik an ihrer herrschaftlichen Grundlage, bestreitet aber nicht die Bestimmung verfassungsgemäßer Staatlichkeit durch die Grundrechte, die freilich in ihrer lagebedingten Dynamik dogmatisiert werden muß 54 . Die durch subjektive Rechte ermöglichte Privatheit ist somit eine spezifische Art, die allgemeine Freiheit zu verwirklichen. Wenn die bürgerliche Verfaßtheit mit der Staatlichkeit identifiziert wird, ist Privatheit eine Form der Staatlichkeit, nämlich der Staatlichkeit im weiteren Sinne, des Gemeinwesens also 55 . Dennoch darf das Besondere der Privatheit nicht aus dem Auge verloren werden, nämlich, daß Privatheit (dem Recht nach) erlaubt, ohne Rücksicht auf andere (deren Interessen das Gesetz sichert) die eigenen Interessen zu verfolgen. Derartige Privatheit schädigt im Rechtssinne nicht; denn sie ist kein Unrecht. Nur diese Privatheit ermöglicht auch die Tugend 56 und sollte dafür genutzt werden. Privatheit ist Verwirklichung der allgemeinen Freiheit, wenn und soweit sie auf Gesetze beruht. In der Republik ist gesetzliche Privatheit freiheitlich 57 .

52

Dazu 6. Teil, 3. Kap., S. 457 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 567 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 946 ff. Dazu 9. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 819 ff., 929 ff., 934 ff. 54 Dazu 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff.; so insb. P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 69 ff. 55 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff., 174 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff.; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. 56 Zu den Tugendpflichten 4. Teil, 2. Kap., S. 214 f., 221 f., 230 ff.; 5. Teil, 2. und 3. Kap., S. 265, 308 f., 320 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 566 ff.; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 126 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 805 ff., 810 ff. 57 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 3. und 5. Kap., S. 323, 370 ff. 53

454

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

3. Kapitel Die herrschaftsabwehrende Notfunktion einer staatsabwehrenden grundrechtsgeschützten Freiheitssphäre I. Die überallstisehe grundrechtliche Abwehrdogmatik 1. I m Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht: "Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat." - BVerfGE 7, 198 (204) 58 Diese liberalistische Formulierung ist bedenklich. "Abwehrrechte" schaffen in der Republik keine "Freiheitssphäre"; denn die Staatlichkeit der Republik ist insgesamt frei. Grundrechte schützen als subjektive Rechte auch die Menschheit des Menschen, die Menschenrechte, die die Verfassung nicht begründet, sondern schützt. Auch Art. 2 Abs. 1 GG schützt, der durch Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG für unantastbar erklärten Menschenwürde gemäß, die allgemeine Freiheit als die Autonomie des Willens, ohne sie etwa zu begründen 59 . Die Grundrechte sind eigentlich auch keine Abwehrrechte gegen den Staat, weil solche Rechte einen Staat voraussetzen würden, der das Recht hätte, das Leben der Bürger entgegen den Grundrechten zu regeln. Eine solche Dogmatik verkennt die bürgerliche Verfassung der Staatlichkeit 6 0 , welche in den Grundrechten sowohl in deren objektiver wie in deren subjektiver Dimension eine Materialisierung findet. Der Staat ist das in bestimmter Materialität verfaßte Gemeinwesen der Bürger, welches entgegen dem Recht weder Existenz noch gar Kompetenz hat.

58 Auch BVerfGE 13, 318 (325 f.); 50, 290 (337 f.); zum Abwehrcharakter der Grundrechte etwa J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 11 ff.; F. Ossenbühl, NJW 1976, 2100 ff.; K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, S. 558 ff. ( den zentralen Satz des Urteils BVerfGE 7, 198 (204) falsch zitierend; auch zu den zunehmend vorsichtigen Formulierungen des Gerichts); v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 110-112 zu Art. 1 Abs 3, S. 83 ff.; Κ Hesse, HVerfR, S. 24, 81, 91 f.; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 281 ff., S. 114 ff.; auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 37, 75; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 42 f.; kritisch und genau E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff., 158 ff., 201 ff.; dem liberalen Freiheitsparadigma stellt das republikanische gegenüber J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 135 ff., 292 ff., 324 ff. u.ö. 59 Dazu 5. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 253 ff., 290 ff., 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. zum Urrecht der Freiheit; zur Freiheit als Grundrecht vor allem 5. Teil, 4. Kap., S. 325 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 60 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 160 ff.; zum republikanischen Staatsbegriff Hinweise in Fn. 26; zur ultra-vires Lehre in Fn. 45, 451.

3. Kap.: Die Funktion einer grundrechtsgeschützten Freiheitssphäre

455

2. Dem Volk selbst als freiheitlicher Gemeinde können Grundrechte der Verfassung die Kompetenz zur Gesetzgebung, notfalls in der Form der Verfassungsänderung, nicht beschneiden. Art. 79 Abs. 3 GG engt auch nur die Kompetenz des verfassungsändernden Gesetzgebers, also des gesetzgeberischen Vertretungsorgans, ein 61 . Die Rechtsetzungskompetenz des Volkes durch Verfassungsgebung, also des Volkes als pouvoir constituant/als verfassungsgebende Gewalt, wird durch das transzendentale Naturrecht, also das Apriori der Freiheit 62 (und die daraus folgenden Menschenrechte 63 ), beschränkt. Das verpflichtet zur bürgerlichen Verfassung, zur Republik 64 , aber hindert nicht bestimmte Arten, den Staatszweck, das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit 65 , zu verwirklichen. Eine im eigentlichen Sinne staatsabwehrende Grundrechtsfunktion ist also ein republikwidriger Aspekt. Eine solche Funktion wäre konstitutionalistisch, im Sinne des Liberalismus des monarchischen Prinzips 66 . Die freiheitliche, also menschenrechtliche Rechtlichkeit muß die Republik bereits wahren, um ein Rechtsstaat und damit ein menschenwürdiger Staat zu sein. 3. Hugo Preuss, der die Weimarer Reichs Verfassung wesentlich beeinflußt hat, hatte der Nationalversammlung zunächst vorgeschlagen, auf einen Grundrechtskatalog zu verzichten, weil Grundrechte in der Republik funktionslos seien 67 . Das war ideengerecht, aber ein solcher Verzicht wäre allzu

61

Κ Stern, Staatsrecht I, S. 153 ff., 159 ff., insb. S. 167; K.A. Schachtschneider, Gesetzgebung und Verfassungsänderung durch das Volk in Berlin, JR 1975, 221 ff.; dazu W. Henke, Staatsrecht, Politik und verfassungsgebende Gewalt, Der Staat 19 (1980), S. 181 ff.; P. Kirchhof , Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, HStR, Bd. I, S. 775 ff., insb. S. 776, 781 ff.; P. Badura, Verfassungsänderung, Verfassungswandel, Verfassungsgewohnheitsrecht, HStR, Bd. VII, 1992, S. 65 ff., 69 ff.; grundlegend C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 101 ff.; ders. Legalität und Legitimität, S. 40 ff., der als geistiger Vater des Art. 79 Abs. 3 GG gelten darf, dazu H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 45 f. 62 Dazu 5. Teil, 1., 3., 4. und 7. Kap., S. 256 ff., 312, 332 ff., 435 ff.; auch 8. Teil, 3. Kap., S. 728. 63 Dazu 6. Teil, 1. Kap., S. 446 ff., mit Hinweisen in Fn. 25. 64 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; zum Recht auf bürgerliche Verfassung, auf Recht vgl. Hinweise in Fn. 26, 27, S. 447; i.d.S. auch P. Kirchhof HStR, Bd. I, S. 787 f. (freiheitliche Demokratie). 65 Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 201 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 304 ff., 346 ff., 423 ff.; 7. Teil, 4. und 6. Kap., S. 573 ff., 625 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 66 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 346 f.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff., 501 ff.; weitere Hinweise zum herrschaftlichen Liberalismus in Fn. 9, S. 443. 67 Dazu C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 189 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 ff.; K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 120 ff.

456

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

idealistisch

und

zu

wenig

realistisch.

Die

Freiheit

wäre

ohne

ein

Verfassungsgericht, welches den Gesetzgeber i n den Z w e c k seiner K o m petenzen, die V e r w i r k l i c h u n g des guten Lebens aller i n allgemeiner Freiheit n ä m l i c h , z w i n g e n kann, i n größter Gefahr. Verfassungsrechtsprechung setzt aber grundsätzlich einen Verfassungstext voraus, der die Rechtssprüche als Erkenntnisse

des Verfassungsrechts

legitimiert,

nämlich

als Recht

des

Volkes, das als solches einer irgendwie gearteten textlichen V e r m i t t l u n g b e d a r f 6 8 . Gegen den reinen Gesetzgebungsstaat spricht die Erfahrung, heute v o r a l l e m die m i t der m o r a l w i d r i g e n pluralen Parteiendemokratie. 4. D i e Grundrechte können schon deswegen nicht den Staat abzuwehren erlauben, w e i l nicht nur ihr Schutz, sondern v o r allem auch die lagebedingte Entwicklung

ihrer

Entscheidungen

vom

Grundgesetz

den

Organen übertragen ist u n d übertragen werden mußte, i m Verfahren letztlich dem Bundesverfassungsgericht.

staatlichen ordentlichen

A l l e r d i n g s haben die

Grundrechte als verbindliche Leitentscheidungen orientierende W i r k u n g für die Gestaltung des Gemeinwesens i n der j e w e i l i g e n Lage. Sie verbieten oder gebieten eine Staatlichkeit der L e b e n s w i r k l i c h k e i t , die nicht beliebig ist, w e n n sie auch erst v o n dem Gemeinwesen entfaltet werden muß.

Die

68 Diesen legitimatorischen Bedarf zeigt der Rückgriff des Europäischen Gerichtshofs auf die verschiedenen Grundrechtstexte in der Gemeinschaft, etwa auf die gemeinsamen grundrechtlichen Überlieferungen der Mitgliedstaaten oder die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 als allgemeine Rechtsgrundsätze, um die (um der Einheit des Gemeinschaftsrechts willen unverzichtbare) Grundrechtsrechtsprechung zu rechtfertigen, obwohl nicht zweifelhaft sein kann, daß die unterschiedlichen Texte angesichts der noch unterschiedlicheren mitgliedstaatlichen Grundrechts lehren und Grundrechtspraktiken keinerlei textliche Bindung zu schaffen vermögen. Der Gerichtshof praktiziert eine europäische Grundrechtskultur als europäisches Recht, ohne dafür einen verbindlichen Text zu haben oder auch nur zu benötigen. Der Gerichtshof hat aber die Verantwortung für das Recht in der Gemeinschaft (Art. 164 EWGV). Die materiale Offenheit der Grundrechte wird durch die eigentliche Textlosigkeit der praktizierten Grundrechte unbestreitbar; denn ohne Text ist Interpretation nicht mehr denkbar. Dennoch ist die Grundrechtsjudikatur des Gerichtshofs der textbezogenen Grundrechtsrechtsprechung des Bundesverfassungerichts gleichwertig und konnte das deutsche Grundrechtsgericht, das Bundesverfassungsgericht, als gesetzlichen Richter des Grundrechtsschutzes i.S. des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG gegenüber dem Gesetzgeber der Gemeinschaft ersetzen (Solange Ii-Beschluß, BVerfGE 73, 339 (366 ff.)); der Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992 hat der Grundrechtsjudikation in Art. F Abs. 2 eine explizite Rechtsgrundlage gegeben, obwohl Art. L des Vertrages dies zu konterkarieren scheint; zur Grundrechtsjudikatur des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften etwa P. Pescatore , Die Menschenrechte und die europäische Intgration, 1969; J. Schwarze, Schutz der Grundrechte in der EG, EuGRZ 1986, 293 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, S. 160 ff.; die "klassischen" Entscheidungen des Gerichtshofs sind: EuGHE 1969, 425 - RS 29/69 (Stauder/Ulm); EuGHE 1970, 1135 - RS 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft); EuGHE 1974, 507 - RS 4/73 (Nold).

3. Kap.: Die Funktion einer grundrechtsgeschützten Freiheitssphäre

457

Grundrechte verfassen das staatliche Gemeinwesen, aber wehren im eigentlichen Sinne den Staat nicht ab 69 . Sie formulieren Grundsätze des gemeinsamen Lebens. Das Staatliche findet in den Grundrechten eine wenn auch offene, so doch materiale oder materialisierbare Bestimmung. Der Staat i m weiteren Sinne ist das bürgerliche Gemeinwesen 70 . Der Staat, das sind wir. Res publica res populi. Der Staat als Republik kann schon deswegen nicht abgewehrt werden, weil jeder Bürger als solcher mit dem Staat identisch ist; denn seine Persönlichkeit ist staatlich und privat zugleich 71 . Alle Bürger sind Hüter der praktischen Vernunft des gemeinsamen Lebens, Hüter des gemeinsamen Wohls und damit auch Hüter der Verfassung. Dieser Zweck der Republik, der freiheitlichen Demokratie, ist dargelegt 72 . Der Bürgerschaft kann niemand Vorschriften machen. Vielmehr macht die Bürgerschaft ihren Vertretern durch die Verfassung Vorschriften, um die Gefahr der Herrschaft und des Irrtums zu bannen. Kein Bürger soll sich von seinen Vertretern beherrschen lassen wollen 7 3 . Vielmehr geht nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG alle Staatsgewalt vom Volke aus. Die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung haben die Staatsgewalt nach Maßgabe der Verfassung auszuüben, also auch nach Maßgabe der Grundrechte. Vertreter werden nicht abgewehrt, sondern angewiesen. Die eigentliche grundrechtliche Abwehrdogmatik bleibt dem monarchisch-liberalen Staatsbegriff verhaftet 74 . II.

G. Jellineks status negativus und die grundrechtliche Abwehr der Parteienherrschaft Georg Jellineks liberaler, abwehrrechtlich dogmatisierter, status negativus des Bürgers als Untertan des monarchischen Staates war konstitutionali-

69 I.d.S. auch J. Wintrich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 217 f., der den "positiven Gehalt" der Grundrechte als "Höchstwerte" für das "staatliche Gemeinschaftsleben" betont, allerdings von "FreiheitsSphäre" und "der Freiheit vom Staat" spricht, mit Berufung auf Kant. 70 Dazu Hinweise in Fn. 55, insb. 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 71 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; zur bürgerlichen Identität 8. Teil, 1., 2. und 3. Kap., S. 668 ff., 688 ff., 719 ff., 728 ff., 730 ff.; auch 2. Teil, 6., 9. und 11. Kap., S. 123 ff., 142 ff., 153 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 530 ff. 72 Hinweise in Fn. 53, S. 453; zum bürgerlichen Politiker auch 3. Teil, 1. Kap., S. 160; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 214, 226 ff.); 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 790 f. 73 Dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 84 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff.; zur bürgerlichen Identität weitere Hinweise in Fn. 71; zum Bürger als Politiker in Fn. 72. 74 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; weitere Hinweise in Fn. 66, S. 455.

458

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

stisch, ja spätabsolutistisch (Peter Häberle) 15. Heute ist dieser status parteienstaatlich hilfreich, in seiner Jellinekschen Substanz aber nicht republikanisch begründet. Die Parteienoligarchie bemächtigt sich der staatlichen Kompetenzen, ohne daß sie angesichts ihrer Parteilichkeit die Verwirklichung der Freiheit sicherstellen könnte 76 . Als materiale Leitentscheidungen schränken die Grundrechte die Mißbrauchsmöglichkeiten der Parteienoligarchie dadurch ein, daß die Verfassungsrechtsprechung das Recht des Gemeinwesens in praktischer Vernunft orientiert an den Leitentscheidungen entfaltet 77 . Das schützt die allgemeine Freiheit, die ihre höchstrangige Verwirklichung in den Grundrechten gefunden hat. Auch die kompetenzielle Wirkung der Grundrechte reduziert die Herrschaftsmöglichkeiten der Parteienoligarchie. In dem Maße, in dem der Parteienstaat den Dualismus von Staat und Gesellschaft 78 als den der classa politica und der politisch ohnmächtigen massa inpolitica praktiziert, gewinnt der status negativus erneut eine quasi-freiheitliche Funktion, nämlich die der Abwehr von Entscheidungen der Parteienoligarchie, die der Verfassungsgerichtsbarkeit als unerträglich vernunftwidrig erscheinen. Die Vernunftwidrigkeit offenbart sich darin, daß die Gesetze keine hinreichende öffentliche Akzeptanz finden, ohne daß die Öffentlichkeit das Recht definieren könnte. Die Nähe von empirischer Akzeptanz und aufgegebenem repräsentativem Konsens ist allerdings nicht zu leugnen und hat praktizistische Relevanz 79 . In der Wirklichkeit von Herrschaftverhältnissen bieten die Grundrechte Schutz der "Untertanen" vor der "Obrigkeit" (BVerfGE 5, 85 (204 f.)) 8 0 .

75

G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 418 ff.; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte, insb. S. 81 ff., 94 ff.; dazu i.S. Jellineks K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 107 ff.; J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 10 ff., 201 ff., 278 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 229 ff., 233 ff.; kritisch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 281, S. 114; P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 150 ff., 154 ff.; ders., VVDStRL 30 (1972), 5. 80; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff., 139 ff., 158 ff.; dazu auch die Hinweise in Fn. 66, S. 455. 76 Dazu 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 655 ff., 534, 672 ff., 710 ff., 779 ff., 810 ff.; 10. Teil, 3., 4., 5. und 6. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff., 1131 ff.; auch 9. Teil, 6. Kap., S. 963; zur Parteienoligarchie auch Hinweise in Fn. 4, S. 442. 77 Dazu 9. Teil, 2., 3., 4., 6., 7., 8., 10. und 11. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 932 ff., 963 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff., 1033 ff.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 78 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff. 79 Zu den Akzeptanzlehren 8. Teil, 2. Kap., S. 695 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 43 f.; 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 958 ff.; zur Akklamation auch 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 741 ff. 80 Zum Begriff der Herrschaft 2. Teil, 2. Kap., S. 79 ff.

3. Kap.: Die Funktion einer grundrechtsgeschützten Freiheitssphäre

459

Durch die Abwehr der Parteienoligarchie, für die die Grundrechte genutzt werden, wird Freiheit im eigentlichen Sinne nicht verwirklicht; denn Freiheit ist Autonomie des Willens 8 1 und kann nur bürgerlich, politisch, also prinzipiell nur durch parlamentarische Gesetzgebung verwirklicht werden 82 . Wenn das Bundesverfassungsgericht, durchaus republikgemäß, die Parteienoligarchie in Schranken weist, ist die Gesetzgebung nicht schon republikanisch. Ein Parteienstaat ist kein freiheitliches Gemeinwesen und kann es nicht dadurch werden, daß seine Herrschaft gerichtlich, orientiert an freiheitlichen Leitentscheidungen, begrenzt wird. Die Verfassungsgerichtsbarkeit verwirklicht den Verfassungsstaat, nicht aber schon die Republik, wenn sie auch im Parteienstaat republikanische Relevanz hat. Die Republik verlangt nach der Moralität der Bürger und ihrer Vertreter im Parlament. Freiheit ist nur die allgemeine Sittlichkeit. Einen echten status negativus im Sinne Jellineks kann es somit in der Republik nicht geben. Die republikanische Konzeption der Privatheit kann die konstitutionelle Lehre Georg Jellineks 83 vom "status negativus" nutzen. Dieser Status nämlich würde die rechtlichen Möglichkeiten des Privaten erfassen, die Maximen des Handelns allein zu bestimmen, ohne durch staatliche Gesetze zu einem bestimmten Handeln gezwungen zu sein. Dieser Status setzt eine Grundlage in der Verfassung oder in Gesetzen voraus, unabhängig davon, ob die Verfassung um der Menschheit des Menschen willen den Status gewährleisten muß. Daß Jellinek mit seinem Begriff status negativus einen Lebensbereich benannt hätte, in den der Staat nicht eindringen dürfe, daß er also eine raumhafte Kompetenzgrenze definiert hätte, ist nicht recht klar, obwohl Jellinek auch räumliche Metaphern benutzt hat, wie den der "Freiheitssphäre" 84 . Normativ wird der status negativus erst durch das Gesetz. Dieses Gesetz kann auch ein Grundrecht sein, das dem staatlichen Gesetzge-

81

Dazu Hinweise in Fn. 8, S. 443. Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 772 ff. (insb. S. 805 ff.). 83 Vgl. i.d.S. P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 80 mit Fn. 156; ders., Wesensgehaltsgarantie, S. 150 ff., 154 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 111 zu Art. 1 Abs. 3, S. 84; i.d.S. kritisch auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff., 139 ff., 158 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 281, S. 114; zur Privatheit Hinweise in Fn. 16, S. 444. 82

84

Allgemeine Staatslehre, S. 418 ff., 419: "Die Unterordnung des Individuums unter den Staat reicht nur so weit, als das Recht es anordnet. Jeder staatliche Anspruch an den einzelnen muß rechtlich begründet sein. Was nach Abzug der rechtlichen Einschränkung für den einzelnen an Möglichkeit individueller Betätigung übrig bleibt, bildet seine Freiheitssphäre."; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1905, S. 81 ff.: "Die Unterordnung des ...".

460

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

ber eine w i e auch i m m e r definierte K o m p e t e n z zur allgemeinen Gesetzgeb u n g verwehrt. D e r sogenannte Abwehrcharakter v o n Grundrechten w i r d demgemäß als negative K o m p e t e n z des Staates d o g m a t i s i e r t 8 5 . Derart läßt sich f r e i l i c h n i c h t A r t . 2 A b s . 1 G G dogmatisieren; denn ein A b w e h r r e c h t setzt Materialität voraus 8 6 . M i t der F o r m e l v o m status negativus hat Jellinek n i c h t mehr als das Gesetzesprinzip, "eine allgemeine u n d abstrakte Freiheit v o n ungesetzlichem Z w a n g " (Konrad Hesse),

z u m A u s d r u c k ge-

b r a c h t 8 7 . D i e Gesetze v e r w i r k l i c h e n die Freiheit, bestimmen aber allgem e i n v e r b i n d l i c h die M a x i m e n . D e r status negativus umschreibt i n dem Sinne die grundrechtlich gesicherte Privatheit des Bürgers, die "Freiheitsrechte", w i e sie Georg

Jellinek

genannt h a t 8 8 , daß der Staat nicht alles

H a n d e l n der Bürger i n jeder Weise (total) determinieren dürfe.

Christian

Starck spricht v o n "den Rechten des status negativus", die "Grundrechte der Abwehr

gegen staatliche Machtansprüche"

seien 8 9 . Jellineks

sphäre" ist republikanisch die M e n g e der Rechte der Privatheit

85

"Freiheits90

.

Etwa K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 291, S. 118; vgl. P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 103, der zu Recht darauf hinweist, daß "Grundrechte nicht bloß GG, Rdn. negative, sondern auch positive Kompetenznormen" seien; v. Mangoldt/Klein/Starck, 112 zu Art. 1 Abs. 3 mit Fn. 47, S. 85; H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, S. 29 f.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 511, 5. Teil, 4. Kap., S. 353 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 476; 9. Teil, 1. und 10. Kap., S. 821, 1030 f. 86 Dazu 9. Teil, 1., 7. und 8. Kap., S. 831 ff., 978 ff., 990 ff.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 331, 342; 6. Teil, 1. und 6. Kap., S. 441 ff., 478 ff.; anders etwa Κ Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 639 in Fn. 43, die Art. 2 Abs. 1 GG als maßgeblich für den status negativus ansehen, für eine Dogmatik, welche eine allgemeine Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG verankert, die logisch die Materialität der in diesem Grundrecht geschützten Freiheit voraussetzt, konsequent; so auch im Erg., wenn auch die neue Verfassungslage sehend, v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 110 zu Art. 1 Abs. 3, S. 83 f.; auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1186 f., 1191; Kritik von P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 124 ff. u. passim; ders., VVDStRL 30 (1972), S. 80 ff., der einen "Umbau der Statuslehre" vorstellt; auch schon von H.H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechts lehre, S. 108 ff. u.ö.; ders. auch, AöR 101 (1976), S. 173; zur Jellinekschen Statuslehre auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 229 ff.; kritisch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 281, S. 114; kritisch insb. E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff., 139 ff., 158 ff., 192 ff., 201 ff. 87 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 281, S. 114; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 103 f. 88 Allgemeine Staatslehre, S. 419. 89 V: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 111 zu Art. 1 Abs. 3, S. 84, durchaus vorsichtig gegenüber der Statuslehre G. Jellineks, weil diese in das 19. Jahrhundert (Rdn. 110, S. 83) gehöre; kritisch zur Lehre von status negativus, zur Außentheorie des Verständnisses von Freiheit und Recht, insb. P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 150 ff.; auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff., 158 ff., 187 ff., 235 ff., S. 242, gegen die Formel "status negativus vel libertatis", für die Formel "status libertatis" für das Verfassungsprinzip der Freiheit.

4. Kap.: Die objektive und die subjektive Dimension der Grundrechte

461

Freilich ist die rechtliche Materialisierung der Verfassung zu verwirklichen und soll darum von den Hütern der Verfassung verteidigt werden. Auch dem dienen die subjektiven Rechte, nicht etwa nur die Privatheit, welche eine Institution legalen Eigeninteresses, kantianisch gesprochen: der Selbstliebe 91 , ist. Insofern hat der subjektive Rechtsschutz Abwehrcharakter. Die subjektiven Rechte schützen die Privatheit, insbesondere aber das Recht. Sie erlauben, Unrecht sowohl in der subjektiven als auch in der objektiven Dimension der Grundrechte abzuwehren. Dem dienen die verschiedenen Institutionen des Rechtsschutzes. Dogmatisch ist die Abwehr des Unrechts die Abwehr des Fehlgebrauchs und des Mißbrauchs staatlicher Kompetenzen, die Abwehr der amtswaltlichen Verfassungs- oder Gesetzesverletzung.

4. Kapitel Die objektive und die subjektive Dimension der Grundrechte 1. An sich etabliert das Bundesverfassungsgericht im Lüth-Urteil seine Praxis, die Grundrechte, die "nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat seien", als "Wertsystem objektiver Normen", als verfassungsrechtliche Grundentscheidungen, als politische Leitentscheidungen, wie sie im Teil 9 näher konzipiert sind 92 , für alle Bereiche des Rechts zur Geltung zu bringen 93 : "Ebenso richtig ist aber, daß das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will (...), in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und daß gerade hierzu eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt." BVerfGE 7, 198 (205) 94

90 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 6. Teil, 2. und 5. Kap., S. 449 ff. (insb. S. 452 ff.), S. 466 ff.; dazu auch Hinweise in Fn. 16, S. 444; zum Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung Hinweise in Fn. 41, S. 450. 91 Metaphysik der Sitten, S. 587 u.ö. 92 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. 93 BVerfGE 7, 198 (205); so schon BVerfGE 5, 85 (204 ff.); 6, 32 (40 f.); ebenso BVerfGE 21, 362 (371 f.); 33, 303 (330); st.Rspr.; Kritik von H.H. Rupp, AöR 101 (1976), S. 176 ff.; E.-W. Böckenförde NJW 1974, 1535; Hinweise zur Frage der sozialen Grundrechte im 4. Teil, 3. Kap., S. 238 f., in Fn 162.

462

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

"Er (sc. Art. 5 Abs. 1 GG) begründet insoweit subjektive Rechte; im Zusammenhang damit normiert er die Meinungsfreiheit als objektives Prinzip der Gesamtrechtsordnung, wobei Subjekt- und objektivrechtliche Elemente einander bedingen und stützen (vgl. BVerfGE 7, 198 (204 f.) Lüth)" - BVerfGE 57, 295 (319 f.) Die politischen Entscheidungen der Grundrechte bestimmen die Staatlichkeit als Gesetzlichkeit und damit zugleich die Grenzen zwischen staatlicher und privater Lebensbewältigung. Sie leiten die gesetzlichen Regelungen, welche entweder allgemeinverbindliche Maximen des Handelns festlegen oder aber die Bestimmung der Handlungsmaximen den einzelnen Bürgern oder Menschen überlassen, also subjektive Rechte der Privatheit einräumen. Die subjektiven Grundrechte der Privaten bewirken negative Kompetenzen des Staates. Diese sind, soweit sie nicht mit Bestimmtheit aus dem Grundrechtstext folgen, aus den grundrechtlichen Leitentscheidungen variabel und dynamisch, also material wenig bestimmt und damit vor allem lagebedingt, von der Gesetzgebung zu entfalten 95 . 2. Kein subjektives Recht vermag über die mit jedem objektiven Rechtssatz verbundene Bestimmung von Rechten und Pflichten im weitesten Sinne, also auch von Kompetenzen 96 , hinauszugehen97. Die Materie der subjektiven Rechte können Rechte zum zweckbestimmten, etwa wissenschaftlichen, oder zum willkürlichen Handeln, aber auch Rechte auf grundrechtsgemäße staatliche Gesetzgebung sein 98 . Dem Staat (und den sonst Grundrechtsverpflichteten) ist verwehrt, was die Grundrechte (auch kom-

94 Ganz so auch BVerfGE 50, 290 (337) zum Verhältnis der Grundrechte als "individueller Rechte" ("in erster Linie") und "objektiver Prinzipien"; ebenso BVerfGE 57, 295 (319 f.); v. Mangoldt/Klein/Stark, GG, Rdn. 122 ff. zu Art. 1 Abs. 3, S. 90; K. Stern, HStR, Bd. V, S. 68 ff.; ders./M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 473 ff., 751 ff. u.ö.; dazu R. Alexy, Der Staat 29 (1990), S. 60 ff.; kritisch zur Wertelehre J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 309 ff., der richtig Werte von Rechtsprinzipien unterscheidet. 95 Dazu 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff.; zur subjektiv-rechtlichen Privatheit Hinweise in Fn. 16, S. 444; zu den Grundrechten als negative Kompetenzen Hinweise in Fn. 85, S. 460. 96 Zur Charakterisierung von Kompetenzen als Rechten vgl. H.-J. Wolff \ Verwaltungsrecht I, § 41, S. 270 ff., insb. S. 273; W. Rudolf Verwaltungsorganisation, in: H.-U. Erichsen/W. Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S. 717. 97 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 112 ff., klärt: "In diesem Sinne sind die subjektiven Rechte mit dem objektiven Recht gleich ursprünglich ..." (S. 117). "Diese (sc. die "subjektiven Rechte") beruhen nämlich auf der reziproken Anerkennung kooperierender Rechtssubjekte." (S. 116). 98 Dazu 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; weitere Hinweise zum Recht auf Recht in Fn. 27, S. 447.

4. Kap.: Die objektive und die subjektive Dimension der Grundrechte

463

petenziell) verbieten. Es ist ihm aufgegeben, was die Grundrechte gebieten". Das folgt aus der Verbindlichkeit der Grundrechte 100 . Diese Verbindlichkeit kann geltend machen, wer grundrechtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, wer also aus den Grundrechten subjektive Rechte, mit welcher Materie auch immer, herleiten darf. Das hängt vom Rechtsschutzsystem ab, das enger oder weiter gestaltet sein kann. In der Republik ist der weitestgehende Rechtsschutz sachgerecht, weil jede Verletzung objektiven Rechts die Freiheit aller Bürger verletzt; denn die Gesetze verwirklichen die allgemeine Freiheit, also die Freiheit aller 1 0 1 . Anders wäre es, wenn die vom objektiven Recht formulierten subjektiven Rechte verzichtbar wären. Die Grundrechte sind aber nicht verzichtbar 102 . Wird etwa die Freizügigkeit eines Bürgers entgegen Art. 11 GG beschränkt, so sind alle Bürger betroffen. Zum einen ist die allgemeine Ordnung verletzt, zum anderen macht ein Beispiel Schule, d.h. die Unterdrückung beginnt. Wenn viele Bürger das Unrecht hinnehmen, ist das Recht schnell versiegt. Das Exempel DDR wirft ein grelles Licht auf diese Erfahrung. "Die eigentliche Schuld war die Selbstentmündigung." - Horst-Eberhard Richter 103 Jeder Bürger muß die "Umwelt der Freiheit" (Hans Heinrich Rupp) 104 verteidigen können. Das bedeutet nicht etwa, daß die Bürgerschaft oder einzelne Bürger das private Handeln anderer zu bestimmen hätten. Es geht um die Verteidigung der Privatheit, weil diese allgemein ist. Zwar können die grundrechtlichen subjektiven Rechte wie auch andere subjektive Rechte jedermann zustehen, aber sie sind nicht Rechte aller, also nicht Rechte der

99

Zu den Gesetzgebungs-, insb. den Schutzpflichten 7. Teil, 3. Kap., S. 552 mit Fn. 199; 8. Teil, 1. Kap., S. 669 mit Fn. 187; 9. Teil, 1. Kap., S. 821; dazu E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1980), S. 12 ff.; M. Kriele, Grundrechte und demokratischer Gestaltungsspielraum, HStR, Bd. V, 1992, S. 127 ff.; J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, 1992, S. 145 ff., 181 ff.; vgl. etwa BVerfGE 24, 119 (144); 39, 1 (41 ff.); 46, 160 (164 f.); 49, 89 (140 ff.); 53, 30 (57 ff., 65 ff.); 56, 54 (73 ff., 78 ff.); 77, 381 (402 ff.); 79, 174 (202); 81, 242 (256); 84, 212 (227). 100

Dazu 9. Teil, 1., 2. und 10. Kap., S. 819 ff., 847 ff., 858 ff., 1027 ff. Dazu Hinweise in Fn. 47, S. 452, auch zur allgemeinen Gesetzgeberschaft und zum Gesetzgebungsakt. 102 Dazu J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 92 ff., 127; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 123 f., 126 zu Art. 1 Abs. 3, S. 91 ff.; K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 1379 f. 103 Talkshow am 29. März 1992. 104 HStR, Bd. I, S. 1211 ff., 1212, 1214 (Zitat). 101

464

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

zum Staat verfaßten Bürgerschaft. Vielmehr sind die subjektiven Rechte Rechte einzelner Bürger oder Menschen, die es dem Einzelnen erlauben, sein Handeln so zu bestimmen, wie er es will. Aber diese Alleinbestimmtheit des privaten Handelns verwirklicht die allgemeine Freiheit und damit das verteidigenswerte Interesse aller. 3. Die subjektive Dimension der Grundrechte, die sich in den subjektiven Grundrechten und den subjektiven Rechten aus den grundrechtsgeleiteten Gesetzen verwirklicht, hat eine gegenüber der objektiven Dimension der Grundrechte als den politischen Leitentscheidungen eigenständige, ja das gemeinsame Leben als Gemeinschaft des Rechts überhaupt erst ermöglichende Funktion. Während die objektive Dimension die Gesetzgebung zum Recht leiten soll und darum eine Materialisierung der praktischen Vernunft ist 1 0 5 , findet in der subjektiven Dimension vor allem die Privatheit des Menschen oder Bürgers ihren Schutz, aber auch ihre Grenzen 106 . Subjektive Grundrechte müssen nicht Rechte der Privatheit begründen, wie das Beispiel der Freiheit der Wissenschaft zeigt, die auch amtlich, also staatlich, wahrgenommen werden kann 1 0 7 . Diese Privatheit, welche dadurch gekennzeichnet ist, daß die Maximen des Handelns nicht staatlich, allgemein, nicht gesetzlich, sondern allein, eben privat, bestimmt sind, darf Verwirklichung der jeweils eigenen Interessen/ Zwecke, des jeweils allein bestimmten Glücks des Einzelnen sein, das keine Rücksicht auf die Interessen/die Zwecke/das Glück anderer nehmen muß; denn die Verträglichkeit der subjektiven Rechte, deren Sittlichkeit, hat, wenn das gelungen ist, bereits das allgemeine Gesetz erkannt und verbindlich gemacht. Christian Starck nennt den "status negativus ... eine Sphäre privater Beliebigkeit", in der "sich die Bürger gegen den Staat abgrenzen und abschirmen", und meint, daß die "Grundrechte des status negativus ... zugleich rechtliche Möglichkeiten für die Bürger eröffnen" würden, "die frei an den Angelegenheiten des Gemeinwesens mitwirken" würden 108 . Dabei ist das Wort "Sphäre" fragwürdig. Richtig lehrt Starck aber zum Verhältnis der "Rechte des status negativus vel libertatis":

105

Dazu 6. Teil, 1. Kap., S. 444 f.; 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. auch 7. Kap., S. 978 ff. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 378 ff., 385 ff.); 6. Teil, 2., 5. und 6. Kap., S. 449 ff., 466 ff., 478 ff.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1023 ff. 107 Dazu 9. Teil, 1. und 9. Kap., S. 838 ff., 1002 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 227 f. 108 v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 112 zu Art. 1 Abs. 3, S. 85. 106

4. Kap.: Die objektive und die subjektive Dimension der Grundrechte

465

"Das entscheidende Kriterium dieser Rechte (sc. "der Grundrechte der Abwehr gegen staatliche Machtansprüche") ist die eigene Entscheidung des Bürgers i m Rahmen eines gesetzlich festgelegten Gemeinverträglichkeitsrechts." 109 4. Die subjektiven Rechte sind jedenfalls keine (eigentlichen) Freiheiten, als welche sie gern bezeichnet werden 110 , sondern materiale Rechte aus Gesetzen, gegebenenfalls auch aus dem Grundgesetz, die die allgemeine Freiheit verwirklichen. Es gibt keinen Begriff der Freiheit, der sich vom Sittengesetz lösen und als Recht zur Willkür definiert werden könnte. Rechte zur Willkür können vielmehr nur materiale subjektive Rechte der (freiheitlichen) Privatheit sein. Ohne derart rechtlich gewährleistete Privatheit wäre allerdings das gemeinsame Leben in Freiheit und damit im Recht nicht möglich. Das Leben würde ersticken. Die allgemeine Freiheit erfordert ein hinreichendes Recht zur Privatheit, ja darüber hinaus läßt sich aus der Freiheit als der Menschheit des Menschen ein Grundsatz privater Lebensbewältigung herleiten 111 . Die grundrechtsgeschütze Privatheit hat einen material freiheitlichen Effekt im Sinne der Unabhängigkeit von den Anderen, von der staatlichen Allgemeinheit, im Sinne der Alleinbestimmung, im Interesse des eigenen Glücks, wenn sie auch als Recht zur Willkür andere zu beeinträchtigen berechtigt. Es ist Sache der Tugend, solche Rechte im Sinne der "fremden Glückseligkeit" auszuüben 112 . Die Privatheit auf Grund der subjektiven Rechte ist freiheitlich, sie ist aber nicht die Freiheit selbst. Die Freiheit ist die Autonomie des Willens, die sich staatlich und privat in jedem Handeln verwirklicht, sofern dies durch seine Gesetzlichkeit dem Sittengesetz genügt. Es gibt nur die eine Freiheit, nicht verschiedene Freiheiten. Eine Mehrheit von Freiheiten sind liberalistische Handlungsrechte. Wenn das Grundgesetz Freiheiten benennt, wie Art. 18 GG etwa die Meinungsäußerungs-, die Presse-, die Lehr-, die Versammlungs- und die Vereinigungsfreiheit, so sind 109

GG, Rdn. 111 zu Art. 1 Abs. 3, S. 84. V. Mangoldt/Klein/Starck, Etwa J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 14, passim, der "die Freiheit als Schutzgut von Abwehrrechten" und diese als "undeterminierte Freiheit zur Beliebigkeit" dogmatisiert; das ist material und nur für die subjektiven Grundrechte richtig, gerade nicht für die Freiheit; wie Schwabe schon H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 53 ff.; weitere Hinweise auf die Identifizierung von subjektiven Grundrechten mit Freiheiten in Fn. 5, S. 442 f., auch in Fn. 20, S. 445. 111 Dazu Hinweise in Fn. 41, S. 449. 112 Dazu Kant, Metaphysik der Sitten, S. 515 ff.; dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 230 ff.; zu den Tugendpflichten Hinweise in Fn. 56, S. 453. 110

30 Schachischiieider

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

466

verschiedene Lebens- oder Handlungsbereiche, aber i m m e r dieselbe Freiheit angesprochen 1 1 3 . A r t . 18 G G identifiziert die Worte Grundrechte u n d Freiheiten u n d m e i n t f o l g l i c h die materialen Grundrechte, welche spezifische Regelungen z u m Schutz der Freiheit allgemein oder i n bestimmten Lebensu n d Handlungsbereichen treffen. Freiheit ist i m m e r u n d nur die A u t o n o m i e des

Willens

oder

die

allgemeine

Gesetzlichkeit

des

gemeinsamen

Lebens114.

5. Kapitel Die gemeinsame Lebensbewältigung in Staatlichkeit und (vorrangiger) Privatheit (ohne einen ausgegrenzten Freiheitsraum der Gesellschaft) I.

D i e verräumlichende Freiheitsdogmatik einer v o m Staat geschiedenen Gesellschaft

1. D e r A u s d r u c k "Freiheitssphäre" w i r d der Freiheit genausowenig gerecht w i e der häufig benutzte A u s d r u c k

113

" F r e i h e i t s r a u m " 1 1 5 , w e i l die Freiheit

Dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff., insb. S. 1009 mit Fn. 993. Zur Autonomie des Willens Hinweise in Fn. 8, S. 443; zur allgemeinen Gesetzlichkeit Hinweise in Fn. 47, S. 452. 115 BVerfGE 50, 290 (339); 68, 193 (222); 69, 279 (300); 83, 201 (208); u.st.; so selbst Kant verpflichtete Lehrer der Philosophie, etwa O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 409 ff.; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 7, 15, 45 f., 92 f. u.ö., der räumliches Freiheitsdenken sogar Kant nachsagt, damit aber nur sein Mißverständnis der Idee der Freiheit präsentiert; ebenso G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 119 f. ("Äußere Freiheitssphäre"; "Freiheit eine Schutzzone"; "Abwehrrechtsprinzip"); auch HM. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 86; A. Verdross , Statisches und dynamisches Naturrecht, S. 27; etwa auch K. Hesse, HVerfR, S. 22; J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 46 ff. u.ö., der zwar die Rechtsfreiheit eines Raumes zu Recht für nicht denkbar hält, aber Freiheit in der räumlichen Kategorie, also material, begreift; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 233 f. sieht "die Klasse dieser unbewehrten Freiheiten" als "den Freiheitsraum ... in Relation zum Staat" an und beruft sich dafür auf Jellineks "FreiheitsSphären"(S. 235); das ist zwar nicht räumlich kategorisiert, wahrt aber die sinnliche Vorstellung und setzt diese zudem falsch ein, abgesehen von der Verwechslung von "Freiheiten" (die es als solche nicht gibt; der Ausdruck muß jedoch als Synonym für die verschiedenen Freiheitsrechte wegen Art. 18 GG hingenommen werden) und freiheitsschützenden Rechten; von "gesellschaftlichen Freiräumen" spricht auch W. Schmidt, AöR 106 (1981), S. 522; auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1188, 1194 (Art. 2 Abs. 1 GG "eröffnet einen Freiraum zu eigener, bewußter und gestaltender Selbstentfaltung", d.h. außerhalb dieses Freiraums sind wir nicht frei, sondern Untertanen der Obrigkeit?!); Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 11, spricht vom "status negativus" als "Privatraum", von einer "Sphäre privater Beliebigkeit"; vgl. auch H.H. Klein, Die Grundrechte 114

5. Kap.: Freiheitliche Lebensbewältigung in Staatlichkeit und Privatheit

467

schlechterdings keine räumliche Kategorie, kein "Reservat individueller Beliebigkeit", etwa geschützt vor dem Recht, ist 1 1 6 . "Diese Freiheit ist Freiheit vom Staat; sie ist Recht im negativen Sinne, Ausdurck des status negativus." ... "Diese Freiheitsrechte sind prinzipiell unbegrenzt, d.h. Inhalt und Umfang liegen ganz i m Belieben des Individuums." ... "Immer ist daran festzuhalten, daß Inhalt und Umfang der Freiheit sich nicht aus dem Gesetz ergeben dürfen. Eine Freiheit 'nach Maßgabe der Gesetze' ist überhaupt keine Freiheit im liberalen Sinne." Carl Schmitt 117 Unbegrenzte Freiheitsrechte kann es schon deswegen nicht geben, weil Rechte notwendig bestimmt, also begrenzt sind. Richtig ist, daß Willensautonomie als äußere Freiheit Recht zur freien Willkür, also normative Formalität nach außen ist, aber nur um der Richtigkeit, der inneren Freiheit, willen 1 1 8 . Gesetzlich unbegrenzt sind die sich ständig ändernden Handlungsmöglichkeiten des Menschen, während die des Staates durch die Gesetze begründet werden und dadurch begrenzt sind (ultra-viresLehre) 119 . "Es könnte sich leicht zeigen, daß unsere Individualrechte vornehmlich dazu dienen, Freiräume für die verschiedenen Heteronomien, für Ver-

im demokratischen Staat, S. 38; H. Bethge, DVB1. 1989, 849; W. Henke, Die politischen Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 370, spricht von "Bezirken privater Freiheit"; kritisch H. Hofmann, JZ 1992, 173. 116 So aber C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126, 130, 158 f., 163 f.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 207 ff.; auch ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 167 f.; jüngst so etwa H. Bethge, DVB1. 1989, 849; die "verräumlichende Denkweise" kritisiert auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 145 f., auch S. 150 ff., 157; auch F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, S. 23, Fn. 47 ("Im übrigen sei daran erinnert, daß auch weniger naiv erscheinende Termini, wie 'Immanenz', 'Polarität', 'Zuordnung', 'Abwägung' ihr Dasein umgangssprachlich 'räumlicher' Begriffsbildung verdanken"); ders., Strukturierende Rechtslehre, S. 207 ("fragwürdige Verräumlichung der Grundrechtssicht"), aber S. 222 ("'Rechtsraum'"); richtige Kritik an der freiheitsdogmatischen Raumkategorie auch von H.H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 238 in Fn. 424; ders., Vom Wandel der Grundrechte, AöR 101 (1976), S. 173; ders., Privateigentum an Staatsfunktionen?, S. 32 in Fn. 54; gegen "einen räumlich verstandenen Freiheitsbereich" E. Hesse, Die Bindung des Gesetzgebers an das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG bei der Verwirklichung einer verfassungsmäßigen Ordnung, 1968, S. 95; dazu Ch. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 548, 551 f.; richtig stellt / Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 46 ff., klar, daß es keinen "rechtsfreien Raum", also keinen Raum ohne "Imperativ" gibt; dazu auch 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 117 118 119

30*

Grundrechte und Grundpflichten, S. 207, 208 f., kursiv bei C. Schmitt. Zur Einheit der äußeren und der inneren Freiheit Hinweise in Fn. 8, S. 443. Dazu Hinweise in Fn. 45, S. 451.

468

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

bandsautonomien und gesellschaftliche Machtkonzentrationen, für die diversen 'Gehäuse' unserer sozialen Gruppen, 'Hörigkeiten' zu schaffen. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit schützt de facto vornehmlich die Freiheit, nach kirchlichen Lehren - also heteronom - zu leben". - Hasso Hofmann 120 Das liberalistische und damit monarchisch-konstitutionalistisch geprägte Verständnis der Freiheit wird bereits in dem Begriff "Freiheitssphäre" des zitierten Satzes des Bundesverfassungsgerichts aus dem Lüth-Urteil 1 2 1 klar; denn von dieser Sphäre sollen die Grundrechte den Staat abzuwehren erlauben. Das Bundesverfassungsgericht spricht gar von "Abwehrrechten des Bürgers gegen den Staat". Das ist schon kritisiert 122 , aber dennoch als zentrale Lehre von den Grundrechten weiter zu bedenken. "Der Staatszweck Freiheitssicherung setzt voraus, daß das politische System sich nur als Teilsystem des Sozialen versteht, daß es nicht eine potentielle Regelungskompetenz für alle Bereiche personaler Lebensgestaltung beansprucht. Freiheitsgewährleistung im Sinne des Verfassungsstaats westlicher Prägung beruht m.a.W. auf der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und damit auf der Anerkennung eines staatsfreien autonomen Bereichs selbstverantwortlicher Lebensgestaltung." - Christoph Link 123 Diese beiden Sätze Links skizzieren sowohl das herrschende als auch das herrschaftliche, also liberalistische Freiheitsverständnis. Dessen Konstruktionsfehler liegt in den räumliche Bereiche kategorisierenden Begriffen der staatlichen wie auch der privaten Kompetenz, welche gewissermaßen einer Impermeabilitätslehre der Bereiche des Staates und der Gesellschaft folgt. Die Kompetenzen des Staates zur allgemeinen Gesetzgebung sind materiell, etwa europarechtlich, bundesstaatsrechtlich oder auch grundrechtlich differenziert. Die Grundrechte sind aber bereits ein Teil der verfaßten Staatlichkeit, j a einer der unverzichtbaren Teile eines freiheitlichen Gemeinwesens, einer Republik. Das "politische System" kann als "Teilsystem des Sozialen" nur begreifen, wer den Staat und die Gesellschaft trennt und der Gesellschaft Schmittianisch einen "autonomen Bereich selbstverantwortlicher

120

JZ 1992, 173 mit Hinweisen auf U. Klug, Autonomie, Anarchie und Kontrolle, in: W. Maihofer, 1988, S. 248; ähnlich warnen auch H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1213 und P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 70 ("individuelles Grundrechtsdefizit"). 121 BVerfGE 7, 198 (204). 122 Dazu 6. Teil, 3. Kap., S. 454 ff. 123 VVDStRL 48 (1990), S. 42.

5. Kap.: Freiheitliche Lebensbewältigung in Staatlichkeit und Privatheit

469

Lebensgestaltung" vorbehält, wie es Link klar formuliert. Nur fragt sich, welchen Status das Recht hat, das diesen gesellschaftlichen Bereich befriedet und wie die Freiheit dieses Bereichs ohne Staat gesichert werden sollte. Politisch ist das gesamte Leben, alles "Soziale". Welches sollte der Unterschied zwischen dem "Politischen" und dem "Sozialen" sein? Die kompetenzbestimmende Materie kann auch räumlich definiert sein, etwa durch Landesgrenzen, aber auch durch Grundstücksgrenzen. Das an sich neutrale Wort "Bereich" verführt zum räumlichen Denken, das in Worten wie Freiheitsraum und Freiheitssphäre zum Ausdruck kommt und eine verräumlichte Trennung von Staat und Gesellschaft 124 suggeriert. Wer subjektive Rechte der Willkür/Beliebigkeit meint, sollte im übrigen weder von Autonomie und eigentlich auch nicht von Freiheit, sondern von Privatheit sprechen 125 . So formuliert aber auch Hans Heinrich Rupp: "Grundrechtliche Rollenautonomie bedeutet also nicht Freiheitsausübung nach festgelegten Weisungen, sondern nach eigenem Geschmack." 126 Der Sache nach beschreibt Rupp das subjektiv berechtigte Belieben. Für seine Definition paßt aber das Wort Autonomie nicht, weil Autonomie in der Republik die allgemeine und jedermanns eigene Gesetzgebung bezeichnet, "eigener Geschmack" aber das Gegenteil von Allgemeinheit ist. Fast durchgehend wird das Gesetzliche im Wort Autonomie übersehen, insbesondere in der Dogmatik von der "Privatautonomie" 127 , die zwar privat ist, aber gerade nicht autonom 128 . Bürgerliche Autonomie ist zwar Selbst-, aber nicht Alleinbestimmung, weil Gesetze der Freiheit auf dem Willen aller beruhen 129 . Freiheitliche Gesetze sind dem Begriff der Freiheit gemäß allgemein 130 .

124

Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff., 175 ff., insb. S. 181. Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 399 ff.); 6. Teil, 1., 2. und 4. Kap., S. 443 ff., 449 ff., 465 f.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 126 HStR, Bd. I, S. 1209 ff., 1215 ff., 1217 ff., etwa S. 1213, vgl. auch S. 1212 ("Autonomsubjektive Bestimmungsfreiheit"). 127 Etwa W. Flume , Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Das Rechtsgeschäft, 1965, S. 1 ff. ("Privatautonomie nennt man das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen. Die Privatautonomie ist ein Teil des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung des Menschen.", S. 1). 128 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 399 ff.; auch 6. Teil, 4. Kap., S. 465 f. 129 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 399 ff.; zur allgemeinen Gesetzgeberschaft Hinweise in Fn. 47, S. 452; insb. 2. Teil, 10. Kap., S. 149; 5. Teil, 3. Kap., S. 304 ff. 130 Dazu 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 304 ff., 410 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 129. 125

470

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Es gibt jedoch keine prinzipielle räumliche Begrenzung der Staatlichkeit des Staates gegenüber seinen Bürgern 131 , wie es eine des Politischen in der griechischen Polis gab, deren Kompetenzen vor dem Oikos endeten, weil in diesem eine andere Ordnung des gemeinsamen Lebens, die der Despotie, der Herrschaft des Hausherrn also, bestand 132 . 2. Der Staat als die Institutionen des Staatlichen 133 bestimmt um der Freiheit willen ohne Ausnahme alles Handeln der Menschen staatlich. Das gilt allerdings auch für das Private der Privaten. Alles private Handeln ist nämlich zugleich von staatlichen, d.h. allgemeinverbindlichen, Vorschriften für die Maximen des Handelns bestimmt wie von besonderen, subjektiven des einzelnen Menschen. Immer verwirklicht das private Handeln auch die allgemeinen Gesetze und damit die allgemeine Freiheit, immer dient es dem Gemeinwohl und dem besonderen, privaten Wohl, schon weil die Privatheit auf staatlichen, d.h. allgemeinen Gesetzen beruht. Jedes Unternehmen ist auch eine allgemeine Angelegenheit, eine res publica; denn der Unternehmer ist ein Bürger, dessen Handeln staatlich und privat bestimmt ist. Der Staatsdienst allerdings ist zwar auch eine besondere, private Angelegenheit, eine res privata; denn der Staatsdiener ist ein Mensch, aber das Staatliche als solches ist ausschließlich staatlich, ist durch allgemeine Gesetze bestimmt, ist ausschließlich dem gemeinen Wohl verpflichtet. Der Staatsdienst ist nämlich immer Vertretung des Volkes, also Verwirklichung des dem Volk Allgemeinen. Das ist oben erörtert 134 . Hans Heinrich Rupp hat die Relevanz gelebter Privatheit für das allgemeine Wohl, für eine "Umwelt der Freiheit", also für die Allgemeinheit als Zweck des Staates, vor allem für "einen freien Markt - als Herzstück der Gesellschaft -", herausgestellt: "Grundrechte lassen sich niemals nur als objektive Prinzipien, als institutionelle Garantien oder als Funktionen verstehen. Doch von einer solchen grundrechtlichen Entleerung und Entpersonalisierung der Grundrechte kann hier nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Individuelle Freiheitsrechte bedürfen zu ihrer Entfaltung einer Umwelt der Freiheit und sie verkümmern in einer Gesellschaft der Unfreiheit. Die Freiheit des 131 Richtig J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 46 ff., insb. S. 51, der auf den Rechtsschutz aller menschlichen "Verhaltensweisen" hinweist. 132 Dazu die Hinweise in Fn. 46, 2. Teil, 2. Kap., S. 82; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 225. 133 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 161 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; zum republikanischen Staatsbegriff Hinweise in Fn. 26, S. 447. 134 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.

5. Kap.: Freiheitliche Lebensbewältigung in Staatlichkeit und Privatheit

471

einen lebt zugleich von der Freiheit des anderen und die Freiheit aller stehen in einem dynamischen Bedingungszusammenhang, der die einzelnen Individualfreiheiten erst zur Entfaltung bringt. Umgekehrt ist jede Individualfreiheit ein unverzichtbares Stück Freiheit der Gesellschaft und es gibt keine Freiheit der Gesellschaft ohne die Pluralität der Individualfreiheiten." - Hans Heinrich Rupp 135 Die Erkenntnis überzeugt, nicht die Begrifflichkeit. Die subjektiven materialen Grundrechte, die Rupp mit den "Individualfreiheiten" meinen dürfte, machen auch in ihrer Pluralität keine vom Staat zu sondernde Gesellschaft aus; denn der Staat ist das um der Freiheit willen mittels des Rechts geordnete Gemeinwesen 136 . Die Freiheit ist die Idee der Menschheit des Menschen 137 . "Freiheiten" i m substantiellen Sinne kann nur ein Herrscher gewähren. Sie wären der Sache nach Selbstbeschränkungen des Herrschers unterschiedlicher Bestimmung, (gnädigst) gewährte subjektive Rechte, Als-ob-Freiheiten 138 . Stern/Sachs vermissen denn auch bei den Griechen den "grundrechtlichen Urgedanken einer Rechts- und Freiheitssphäre des Menschen ... gegenüber dem Staat", sehen aber, daß "der Einzelne in seine Polis eingebaut, aktives Staatsmitglied war, dessen Denken um die Teilnahme am politischen Geschehen, also um die Freiheit im Staat, aber nicht vom Staat kreiste" 139. Gerade in diesem griechischen, also politischen, Sinne ist Freiheit republikanisch zu verstehen. Stern/Sachs wie alle liberalistischen Grundrechtslehrer identifizieren Freiheiten mit subjektiven Grundrechten, die den Menschen vom Staat distanzieren, die somit die Trennung von Staat und Gesellschaft voraussetzen, also den Staat nicht als Sache der Bürger betrachten, sondern jenen gegen und über diese stellen. Voraussetzung derartiger Freiheiten wäre ein Staat als quasi-personale, substantielle Existenz 140 , der den Menschen gegenübersteht. Einen solchen Staat gibt es nur, wenn die Menschen nicht frei, sondern Untertanen sind. Bürger können sich nicht Freiheiten gewähren

135

HStR, Bd. I, S. 1211 f. (kursiv bei Rupp), ähnlich S. 1214. Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 161 ff.; zum republikanischen Staatsbegriff Hinweise in Fn. 26, S. 447; zum Staatsbegriff i.e.S. und i.w.S. Hinweise in Fn. 55, S. 453. 137 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 5. Teil, 1. und 6. Kap., S. 253 ff., 410 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 446 ff.; zum Urrecht der Freiheit Hinweise in Fn. 25, S. 447. 138 Dazu K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 64 ff. 139 Staatsrecht III, 1, S. 58, bei K. Stern/M. Sachs gesperrt. 140 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 740 ff., insb. zum Staatsbegriff C. Schmitts. 136

472

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

lassen, weil die Freiheit ihre mit ihrer Menschheit verbundene Würde

3. Liberalistische Grundrechtslehren folgen mit der These von der "Freiheit vom Staat" dem Hegelianer Carl Schmitt, der die "innerpolitische Freiheit" auf "das Prinzip des bürgerlichen Rechtsstaates" reduziert hat, welches "zu den politischen Formprinzipien - mögen sie nun monarchisch, aristokratisch oder demokratisch sein - modifizierend hinzuträte", aber der Freiheit, die doch das politische Prinzip des Grundgesetzes und schon das der Weimarer Reichsverfassung schlechthin ist bzw. war, abgesprochen hat, "politisches Formprinzip" zu sein 142 . Als bloß "liberales, rechtsstaatliches Prinzip" ist die Freiheit der Bürger von der Gesetzgebung des Volkes/Staates für die Bürger abgekoppelt. Nur der politische Begriff der Freiheit ist aber republikanisch. Die Verfassungsbegriffe der Freiheit und des Staates sind eine untrennbare Einheit. Wer dem Staat Herrschaft zumißt 1 4 3 , muß auf einen Freiheitsbegriff kommen, der Handlungsweisen aus dem staatlichen Herrschaftsbereich herausnimmt. Die herrschende freiheitsrechtliche Schrankenlehre ist dem republikanischen Prinzip zuwider,

141

Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 280 ff., 325 ff., 332 f.; 6. Teil, 9. Kap., S. 504. 142 Verfassungslehre, vor allem S. 224 f.; vgl. 8. Teil, 2. und 4. Kap., S. 685 mit Fn. 261, S. 37; zur politischen Freiheit 3. Teil, 1. Kap., S. 37, 54; 2. Teil, 10. und 11. Kap., S. 152, 153; 3. Teil, 2. Kap., S. 179, 187; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 8. und 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; zur liberalistischen, letztlich hegelianischen Trennung von Staat und Gesellschaft 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; vgl. dazu insb. M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 87 ff.; zum Hegelianismus C. Schmitts vgl. B. Rüthers, Entartetes Recht, 2. Aufl. 1989, S. 78 f. 143 Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff.; so K. Stern, Staatsrecht I, S. 592, 594; typisch E.-W. Böckenförde, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 395 ff., 407 f.; ders., HStR, Bd. I, S. 888 ff., der aber die demokratische Funktion der Grundrechte, S. 909 ff., 941 ff., hervorhebt und damit seiner vielfach rezipierten Lehre von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft die Grundlage entzieht; auch v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 112 zu Art. 1 Abs. 3, S. 85; davon kann sich auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, etwa S. 188 ff., nicht lösen, dessen Verfassungsprinzip der Freiheit trotz der substantiellen Kritik der Jellinekschen konstitutionellen Lehre von status negativus (passim, S. 3 ff., 139 ff., 158 ff., 192 ff., 201 ff.) nicht zum republikanischen Freiheitsverständnis der Französischen Revolution zurückfindet, sondern Freiheit positiv in der offenen Sozialpflichtigkeit des Gemeinwesens (S. 205 ff., 235 ff.) aufgehen läßt; das bleibt material und erreicht die republikanisch-demokratische Formalität der inneren Freiheit noch nicht.

5. Kap.: Freiheitliche Lebensbewältigung in Staatlichkeit und Privatheit

473

daß die Gesetze die Freiheit verwirklichen 1 4 4 und dem Staat den Gesetzesvollzug aufgeben. Für die vollziehende Gewalt folgt daraus die ultra-viresLehre 1 4 5 . Für die Gesetzgebung kann es in der Republik keine ultra-viresLehre geben, weil das die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit konterkarieren würde. Die grundrechtsgeschützte Privatheit 146 beruht auf politischen Entscheidungen der Verfassung, ist also in diesem Sinne

144

Zu dieser aufklärerischen Lehre Hinweise in Fn. 47, S. 452 (Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit, allgemeine Gesetzgeberschaft, Gesetzgebungsstaat), insb. J. Locke, Über die Regierung, S. 19, 43, 101 ff.; K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 200, der aber auch eine Freiheitsbeschränkung in der Freiheitsverwirklichung sieht, wegen der notwendigen Materialisierung der formalen Freiheit zu Recht (dazu insb. 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 7, S. 443); i.d.S. M. Kriele, HVerfR, S. 145 ff.; auch W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff., 205 ff. (kantianisch und republikanisch, wenn er die "freiheitliche" auch "konstitutionelle Demokratie" nennt, S. 174); ders. auch konstitutionell demokratisch, wenn auch mit kantianischem Freiheitsbegriff, in: Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 17 ff., 22 ff.: wohl auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 616, 630 f., 640 f., 660; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104 ff., 162 f.; H. Krüger kritisiert die sog. liberale abwehrrechtliche Grundrechtstheorie, die verkenne, daß der Staat Voraussetzung der Freiheit sei; er deutet die Grundrechte eher kompetenziell als Aufgaben zur Hervorbringung des Staates, insb. in: Die Verfassung als Programm der nationalen Integration, in: FS F. Berber, 1973, S. 247 ff.; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 537 ff., 542 ff.; dazu kritisch H.H. Klein, Der Staat 14 (1975), S. 160 ff., der den ethischen Anspruch in Krügers Repräsentationslehre übersieht, obwohl er selbst die Tugendpflicht herausstellt; eher i.S. Krügers H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1198 ff.; P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 126 ff., 180 ff., institutionelle Grundrechtslehre sieht die unverzichtbare Aufgabe, das Leben durch Gesetze zu gestalten, als Erfüllung der Grundrechte, erfaßt aber das Autonomieprinzip nicht als sittliches und darum rechtliches Prinzip; diesen Schritt hat ders. aber in: Ethik "im" Verfassungsrecht, S. 276 ff., getan. 145

I.d.S. E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 198 ff.; explizit K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 22 f., 41 f., 176, 256, 262; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1206 ff. ("Was dem Staat nicht übertragen ist, ist ihm verboten"); im Prinzip schon G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 149 (jedenfalls für "die Unterordnung des Individuums unter den Staat"); Kompetenzen/Aufgaben sollten dem Staat, jedenfalls solange dieser eine Parteienherrschaft ist, nur unter Wahrung des Vorrangs der Privatheit, des sog. Subsidiaritätsprinzips, der durch Gesetze realisiert wird, eingeräumt werden, dazu Hinweise in Fn. 41, S. 449; vgl. zum Subsidiaritätprinzip J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 215 f., 313 ff.; K.A. Schachtschneider, a.a.O., S. 272 mit Hinw. auch auf die herrschende Gegenmeinung in Fn. 184, S. 317 ff.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1219 ff.; auf den kompetenziellen Charakter der Grundrechte (dazu Hinweise in Fn. 85, S. 460) weist J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 78 hin; ders. auch, Grundrechte und Demokratie, S. 7 ff. (aber liberalistisch); vgl. i.d.S. H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, S. 29 ff.; ders., VVDStRL 20 (1963), S. 89 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 291, S. 118; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 291; E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1530; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 223; W. Henke, Recht und Staat, S. 394, sieht die Relevanz der ultra-vires-Lehre, hält sie aber nicht für geltendes Recht; vgl. M. Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, 1977; für dieses Prinzip auch J. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 210 ff., Ls. 8., S. 244. 146

Dazu Hinweise in Fn. 16, S. 444; auch in Fn. 10, S. 443.

474

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

gesetzlich/staatlich begründet, jedenfalls geschützt. Z u dieser Staatlichkeit gehört auch u n d v o r allem anderen die Verfassung. D i e Erfahrungen der Geschichte u n d die N o t w e n d i g k e i t e n der L a g e n sind der G r u n d der unterschiedlichen Verteilung der Kompetenzen zur Volksvertretung

u n d der

Rechte der P r i v a t h e i t 1 4 7 . II.

D i e gemeinsame Lebensbewältigung i n Staatlichkeit u n d Privatheit

P r i n z i p der R e p u b l i k ist die gemeinsame Lebensbewältigung; denn der Staat hat zumindest den Z w e c k , die Freiheit aller u m des Glückes jedes einzelnen w i l l e n zu e r m ö g l i c h e n 1 4 8 ; denn es "ist der N a t u r z w e c k , den alle Menschen haben, ihre eigene G l ü c k s e l i g keit" -

Kant m

147

BVerfGE 6, 32 (37); dazu 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff.; zum Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung in Fn. 41, S. 449; auch 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff. 148 Darum plädiert H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1198 ff., trotz seiner konsequenten Kritik konstitutioneller Elemente im gegenwärtigen Staatsrechtsdenken für die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 196, bestreitet zwar, daß eine Lehre vom Staatszweck möglich sei, sieht aber dessen Tätigkeit in der "Existenzerhaltung und Existenzförderung", die der jeweiligen Lage angepaßt werden müsse; i.S. des Textes W. Leisner, Staatsethik, 1977, S. 84; ganz i.d.S. W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 20 f.; zu den Lehren vom Zweck des Staates G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 230 ff., zu den begrenzenden Lehren insb. 246 ff.; Staatsziele als "Belange des Gemeinwohls" unterscheidet J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 51 ff., von den Staatszwecken; die Staatszwecklehren hält Isensee, a.a.O., S. 52, für beendet; Staatszwecke hält W. Schmidt, AöR 106 (1981), S. 520, für demokratiewidrig; ähnlich ders., Organisierte Einwirkungen auf die Verwaltung, VVDStRL 33 (1975), S. 196 f. (gegen J. Habermas). Im Verständnis der Deklaration von 1789 sollen die Gesetze nur den Zweck haben, die droits naturels zu erhalten, so E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 153 f.; i.S. einer Staatszweckbegrenzung mit Kant, Fichte, v. Humboldt, Mill auch K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 21 ff. (für den "Ministaat"; für den "Minimalstaat" vor allem R. Nozick , Anarchie, Staat, Utopia, 1974/76, S. 38 ff., 141 ff., 269 ff.); zur Staatszweckbegrenzung auf die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit bei Kant und Fichte, E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 86, 88; zur Geschichte der Staatszwecklehren umfassend Ch. Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 132 ff.; vgl. auch die Hinweise ders., Staatszwecke im Verfassungsstaat, VVDStRL 48 (1990), S. 10, Fn. 2; vgl. auch K. Hespe, Zur Entwicklung der Staatsrechtslehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, 1964; P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, 1974; zur Lehre von den Staatszwecken und Staatsaufgaben 3. Teil, 3. und 4. Kap., S. 198 f., 201 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 573 ff. 149 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 62 f., auch S. 44 ff.; ebenso ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 128 ff., 133 ff., 145 ff., 149, 216 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 515 ff.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 145, 149 (zum Prinzip des eigenen Glücks 1. Teil, 3. Kap., S. 54 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 216 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 297 ff., 333, 350 ff., 370 ff.; 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 612 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 660 ff.); für die Einheit von Glück und Freiheit, allerdings material verstanden, R. Marcic, Vom Gesetzesstaat

5. Kap.: Freiheitliche Lebensbewältigung in Staatlichkeit und P r i v a t h e i t 4 7 5 D e r privaten, besonderen, eigenständigen Lebensbewältigung gebührt der Vorrang. E i n solcher Grundsatz ist eine politische M a x i m e , die der Gesetzgeber zu beachten hat. W e n n dieser Grundsatz der Privatheit der Lebensb e w ä l t i g u n g 1 5 0 auch nicht subsumibel ist, so ist doch seine V e r w i r k l i c h u n g i n s t i t u t i o n e l l j u d i z i a b e l 1 5 1 . E i n persönlicher Entfaltungsspielraum v o n Substanz müsse erhalten bleiben, pflegt

das Bundesverfassungsgericht

zu

p o s t u l i e r e n 1 5 2 . E r w i r d näher durch die letztlich v o m Bundesverfassungsgericht i n praktischer Vernunft zugemessene Privatheit der Bürger u n d M e n schen abgesteckt, solange das V o l k das a k z e p t i e r t 1 5 3 . D i e Bürger sind freie M e n s c h e n u n d geben sich mittels ihrer Vertreter die Gesetze ihrer gemeinsamen F r e i h e i t 1 5 4 .

zum Richterstaat, S. 84, 271, 397 ff., der auf das Wort des Perikles hinweist: "Glück ist Freiheit, Freiheit Entschlossenheit!". 150 Dazu Hinweise in Fn. 41, S. 449, insb. zum Unterschied zum Subsidiaritätsprinzip, Hinweise in Fn. 76, S. 220. 151 Vgl. dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.;,anders, allerdings als Subsidiaritätsprinzip dogmatisiert, Ch,. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 26 ("Klugheitsregel"); ablehnend auch R. Scholz, HStR, Bd. VI, S. 1137; juridisches Gewicht messen dem Subsidiaritätsprinzip bei: R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 271, 334, 397 ff., der eindringlich auf die Gefahren des "totalen Staates" "der perfekten Sekurität" in Ost und West hingewiesen hat (1957 !); K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 148 f., 189 f., 317 ff.; vgl. anders noch ders., Das Sozialprinzip, S. 62 f., 66, 72; i.d.S. auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 77 f.; ders. schon, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 281 ff., 313 ff. (Judiziabilität "nur über die Grundrechte"); insoweit ist ein Regel-Ausnahme-Prinzip, das zu einer Begründungspflicht für die staatliche Lebensbewältigung führt, diskutabel, vgl. die Hinw. in Fn. 207, 208, S. 486 zum Regel-Annahme-Prinzip. 152

BVerfGE 27, 1 (6 ff.); 27, 344 (350 ff.); 32, 373 (378 f.); 38, 281 (298), hergeleitet aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG in Verb, mit der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG; auch BVerfGE 6, 32 (41); 34, 269 (280 ff.); 51, 97 (105); 54, 148 (153); 65, 1 (41 ff.); 67, 213 (228); 71, 183 (201); 72, 155 (170); P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, insb. S. 286 ff., 335 ff.; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 103 ff. (zur Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG); K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 148 f.; dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 425 ff., S. 164 ff.; ders. i.d.S. HVerfR, S. 93; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 271, 397 ff.; zum "Schutz der Privatsphäre" umfassend W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, 1989, S. 41 ff., insb. S. 45 ff., 52 ff.; dazu auch zurückhaltend H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1195 ff., 1208 ff.; dazu auch 4. Teil, 2. Kap., S. 222 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 153. 153 Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; weitere Hinweise in Fn. 10, 16, S. 443 f.; Fn. 41, S. 450. 154 Dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff. zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit und zur allgemeinen Gesetzgeberschaft weitere Hinweise in Fn. 47, S. 452; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 71, S. 457.

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Das "Recht des Menschen" ist "der einzige Zweck" des Staates, "dessen Verwirklichung alle Staatsordnung und Staatsgewalt als ein bloßes Mittel zu dienen hat." - Werner Maihofer 155 Diesen seinen Satz präzisiert Maihofer zu Recht durch die Wohlfahrtsaufgabe des modernen Staates 156 . Eine materiale Staatszweckbegrenzung, welche die Aufgaben des Staates bestimmen soll, ist mit dem Rechtszweck des Staates, den dieser nicht verfehlen darf, nicht verbunden 157 . Grundrechtliche Begrenzungen staatlicher Gesetzgebungskompetenzen definieren, welche Handlungsmaximen allgemein bestimmt werden dürfen und welche nicht. Die Grundrechte als negative Kompetenzregelungen verbieten es dem staatlichen Gesetzgeber nach Maßgabe ihrer Politik sowie deren näherer Materialisierung durch die Gesetze alles Handeln total zu determinieren. Der Polizist muß, wenn es seine Aufgaben verlangen, Uniform tragen, der Richter in der Verhandlung eine Robe, der Anwalt vor bestimmten Gerichten auch; der Lehrer und der Professor im öffentlichen Dienst dürfen in Jeans unterrichten bzw. lehren, nicht aber in Bhagwankleidung 1 5 8 . Auch diese Kleidervorschriften bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, um verbindlich zu sein 159 . Die Kleidung kann somit eine Sache der Staatlichkeit, eine res publica, sein oder auch nicht und auch im Staatsdienst eine res privata bleiben. Der Staat ist freiheitlich, wenn und weil das gemeinsame Leben freiheitlich ist. Der Begriff "staatsfrei" reklamiert eine Sphäre der Freiheit vom Staat, die es im freiheitlichen Staat, im "Freistaat", der Republik, nicht geben kann; denn gerade das widerspricht dem Sicherheitszweck des Staates 1 6 0 , der dafür Sorge tragen muß, daß die allgemeinen Gesetze, die jedes Handeln bestimmen, in allen Lebensbereichen wirken, d.h. durchgesetzt werden. Das ist die republikanische Gesetzlichkeit. Hobbes hat das gelehrt 161 . 155

IV. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 21. W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 38 f. 157 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 451 ff. 158 OVG Hamburg NVwZ 1986, 406 ff., das auf die Neutralitätspflicht, VGH München NVwZ 1986, 405 f., das auf die Neutralitätspflicht und die Toleranzpflicht abstellt; BVerfG NVwZ 1988, 937 f., das die Grenzen der Religionsfreiheit aus dem Toleranzgebot herleitet. 159 Dazu die Hinweise in Fn. 158; kirchliche Vorschriften schreiben sogar die Kleidung unter der äußerlich sichtbaren Amtstracht vor. 156

160

Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 27 ff. mit Hinweisen; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 27 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff., Hinweise in Fn. 168, 170, 199, S. 546, 547, 552. 161 Leviathan, S. 151 ff.

5. Kap.: Freiheitliche Lebensbewältigung in Staatlichkeit und Privatheit

477

Ein Blick auf § 823 Abs. 1 BGB zeigt die alles Handeln erreichende Relevanz staatlicher Gesetze, also auch diese Allgemeinheit der Gesetze. Schließlich sind auch die subjektiven Rechte staatlich und damit ein Element erzwingbarer Freiheit. Es kommt alles auf die Freiheitlichkeit der Gesetze an, erstens darauf, daß die Gesetze autonom sind, und zweitens darauf, daß sie nicht mehr regeln als nötig, um das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit möglich zu machen 162 . Das wahrt einen, wenn man so will, staatlichen status negativus, der jedem größtmöglich die "Entfaltung seiner Persönlichkeit" läßt, aber doch nur in dem Maße, in dem er anderen nicht schadet. Was aber schadet oder schaden kann, definieren die Gesetze, wie es schon die Deklaration von 1789 in ihren Artikeln 4 und 5 klarstellt. Nicht jede Störung oder jeder Nachteil muß vom Gesetzgeber als Schaden eingestuft werden. Es kommt darauf an, was für das gemeinsame Leben praktisch vernünftig ist. Eine andere Rechtslehre würde die modernen Lebensverhältnisse, etwa den Straßenverkehr und erst recht die umweltbelastenden Produktionsverhältnisse, für illegal erklären müssen. Ohne Opfer und Lasten ist das gemeinsame Leben nicht denkbar. Eine Freiheits- und Rechtslehre kann derartiges nicht konzipieren. Sie kommt folglich nicht ohne Rechte zur Willkür, notgedrungen auf Kosten anderer, aus, die ihre Rechtfertigung durch die allgemeinen Gesetze finden, so daß die Ausübung dieser Rechte, weil die Rechte dem Willen aller entsprechen, niemanden Unrecht tun kann 1 6 3 .

162 Zu diesem Staatszweck 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.; 7. Teil, 4. und 6. Kap., S. 573 ff., 625 ff. 163 Zum allgemeinen Gesetz 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; zur Privatheit weitere Hinweise in Fn. 10, 16, S. 443 f., Fn. 41, S. 449.

478

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

6. Kapitel Kritik der freiheitsdogmatischen Außenlehre (Schranken-Eingriffs-Schema) und des Regel-Ausnahme-Prinzips des Liberalismus 1. "Schranken" und "Eingriff" 1 6 4 sind die charakteristischen Begriffe der Lehre von der materialen allgemeinen Handlungsfreiheit 165 . Danach sei erlaubt, was nicht verboten ist 1 6 6 . Das ist die Lehre des Leviathan:

164 Gegen das Schranken- und Eingriffsdenken wendet sich, gestützt vor allem auf A. Haenel und E. Kaufmann, grundlegend P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 126 ff., 134 ff., insb. 150 ff., auch S. 154 ff. (Kritik an dem Gesetzes- und Rechtsbegriff von G. Anschütz); so auch die Kritik von H.H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre, S. 238, Fn. 427; ders., AöR 101 (1976), S. 173; ders., HStR, Bd. I, S. 1190 ff., 1212; den monarchisch-konstitutionellen Charakter des Schrankendenkens legt auch H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 259 ff., 265, kritisch dar; kritisch auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 24 ff.; prononciert i.S. der Gegenüberstellung von "Grundrechtstatbestand" und "Grundrechtsschranken" v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rdn. 170, S. 118; dazu J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 60 ff., 64 ff.; so spricht auch J. Isensee, HStR Bd. III, S. 36 f.; ausführlich dogmatisiert das G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 25 ff., 75 ff., mit Kritik an P. Häberle, S. 63 ff.; auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1198 ff.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 55 f., 63; dazu Ch. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 542 ff., 546 ff., die das Eingriffsschema auch zu verteidigen sucht, ohne immer den erkannten Unterschied von Freiheit und Freiheitsrecht durchzuhalten; auch P. Lerche, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsprägung und Grundrechtseingriff, HStR, Bd. V, S. 766 ff., insb. S. 771, verteidigt das "Eingriffsdenken"; auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 382 ff. ("Freiheitseinschränkungen"), S. 409 u.ö., benutzt seiner materialen Freiheitslehre gemäß diese Sprache. 165 Seit BVerfGE 6, 32 (36 f.) st.Rspr., etwa BVerfGE 54, 145 (146); 55, 159 (165 ff.); 59, 275 (278); R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 86 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 6 ff. zu Art. 2 Abs. 1; dazu (ohne Kritik) H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1185 ff., 1191 ff.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 52; dazu S. 452, 480 ff., weitere Hinweise in Fn. 86, S. 460. Auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 382 ff., versteht Freiheit material als allgemeine Handlungsfreiheit, sein wesentlicher Irrtum; nicht besser J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 229 ff., der "den Streit um den Freiheitsbegriff zu umgehen" versucht, zum Schaden seiner Philosophie, zumal er nicht einmal Freiheit und Freiheiten begrifflich hinreichend differenziert; S. 270 identifiziert Rawls die Freiheit mit einem "Gefüge von Rechten und Pflichten" und von "dem Sinn der jeweiligen Freiheit" macht Rawls abhängig, "was man tun darf', sibyllinisch! 166 Extrem F. Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 57 ff. ("Staatsallmacht und Individualsphäre"); G. Anschütz, Die gegenwärtigen Theorien über den Begriff der gesetzgebenden Gewalt, 2. Aufl. 1901, passim; ders., Komm, zur WRV, Anm. 1 zu Art. 114; das nicht verbotene Handeln ist der status negativus G. Jellineks, Allgemeine Staatslehre, S. 419 ff.; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 81 ff.; i.d.S. BVerfGE 6, 32 (36 ff., 42); vgl. insb. J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 13 ff., 46 ff. (zum "rechtsfreien Raum"), S. 60 ff.

6. Kap.: Freiheitsdogmatische Außenlehre und das Regel-Ausnahme-Prinzip

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"Diese künstlichen Bande (sc.: die "bürgerlichen Gesetze") sind das, wodurch die bürgerliche Freiheit eingeschränkt wird; denn da die Gesetze unmöglich auf alle und jede Handlung ausgedehnt werden können, schreibt man dem Bürger eine Freiheit nur hinsichtlich derjenigen Handlungen zu, über welche die Gesetze nicht bestimmen. Bezüglich dieser Handlungen steht es einem jeden frei, das zu tun, was ihm gutdünkt." ... "Außer den angeführten Fällen hängt die Freiheit von dem Stillschweigen der Gesetze ab. Das, was durch die Gesetze nicht bestimmt ist, kann jeder Bürger tun oder lassen; und diese Freiheit wird, wie der Oberherr es für gut findet, bald ausgedehnt, bald eingeschränkt sein." - Hobbes 167 Wenn der Staat herrschaftlich (konstitutionalistisch) und das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG als Grundlage der liberalistischen Freiheit begriffen wird, folgt, der Staat habe seinen Untertanen (der Gesellschaft) alles zu tun oder zu unterlassen erlaubt, was er nicht verboten habe 168 . Richard Thoma dogmatisiert: "Der Satz, was nicht rechtlich verboten ist, ist rechtlich erlaubt, ist nicht etwa eine Maxime des Liberalismus, sondern eine denknotwendige Ableitung aus der Existenz einer staatlichen Rechtsordnung." 169 Mitnichten! Handlungen, die nicht durch Gesetze geregelt sind, aber andere beeinträchtigen können, bedürfen einer Regelung, um legal zu sein. Das folgt logisch aus der Allgemeinheit der Freiheit, weil die Freiheit kein Recht ist, anderen zu schaden, vielmehr die Rechte anderer, also vor allem die Freiheit der anderen, respektieren muß. Nichts anderes gebietet das Sittengesetz 170 . Wenn eine Regelung, wie sie der Liberalismus und auch entgegen seiner abwehrenden Äußerung Thoma konzipiert, in Art. 2 Abs. 1 GG als einem Grundrecht der materialen allgemeinen Handlungsfreiheit getroffen wäre, so würde dieses Grundrecht die staatliche Erlaubnis nicht verbotener Handlungen zu Lasten anderer geben. Dadurch wäre nicht nur das Sittengesetz aus der Definition der allgemeinen Freiheit in Art. 2 Abs. 1 GG herausgedrängt, sondern auch "die Rechte anderer", welche dieses Grundrecht als immanen167

Leviathan, S. 189 f., 196; wesentlich anders, nämlich für die Freiheit durch Gesetze und die Privatheit im Rahmen der Gesetze Locke, Über die Regierung, S. 19, 43 (Zitate 5. Teil, 3. Kap., S. 316); dazu 6. Teil, 2., 3. und 5. Kap., S. 449 ff., 454 ff., 466 ff. 168 So in der Tat Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 10 ff., ("negatorischer Freiheitsbegriff - vom Staat aus gesehen - bedeutet, daß der Staat Freiheit läßt, die der einzelne nach eigenen Plänen und Ideen positiv ausfüllt.", S. 11). 169 Das System der subjektiven öffentlichen Rechte und Pflichten, HbdDStR, Bd. II, S. 619. 170 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 297 ff., 318 ff., 346 ff., 370 ff.

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

te, also begriffliche, Begrenzung des "Rechts auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" des Menschen formuliert. Eine andere Konzeption der Freiheit gibt es in keinem der klassischen Menschenrechtstexte, weil sie die Logik der Allgemeinheit der Freiheit ist. Die Freiheit des einen ist untrennbar mit der Freiheit des/der anderen verbunden. Freies Handeln ist darum nur nach Handlungsmaximen eines allgemeinen Gesetzes denkbar, weil Handeln, welches die Rechtsfrage aufwirft, nur äußeres Handeln ist. Äußeres Handeln ist jedoch dadurch definiert, daß es das Leben anderer betrifft. Deren Handeln ist nicht unabhängig von anderer nötigender Willkür, wenn sie dem sie betreffenden Handeln des anderen nicht zugestimmt haben, wenn dieses Handeln nicht ihrem Willen entspricht. Weil Handlungen auf das gesamte Gemeinwesen wirken, läßt sich die Freiheit nur durch das allgemeine Gesetz verwirklichen. Nur das allgemeine Gesetz kann Recht und Rechte geben. Nicht nur Rousseaus Lehre von der volonté générale, sondern auch Kants kategorischer Imperativ lehrt diese Erkenntnis, die auch schon Locke und eigentlich auch Hobbes hatten, wenn auch letzterer die Staatlichkeit der Freiheit und den Begriff der Freiheit nicht widerspruchsfrei konzipiert hat 1 7 1 . Jürgen Habermas weist für "den inneren Zusammenhang zwischen subjektivem und objektivem Recht auf der einen, zwischen privater und öffentlicher Autonomie auf der anderen Seite" auf die "intersubjektive Struktur von Rechten und die kommunikative Struktur der Selbstgesetzgebung" hin 1 7 2 . Kein Freiheitsbegriff, der die Gleichheit der Menschen in der Freiheit zugrunde legt, kann anders gedacht werden. Jeder andere Freiheitsbegriff ist liberalistisch und dogmatisiert Herrschaft. Die Rechtlichkeit des Handelns im Rahmen der Rechte zur Beliebigkeit, die der Herrscher einräumt, gründen auf der Herrschaft, so daß das Recht nicht auf Freiheit, sondern auf Herrschaft beruht. Das ist die Dogmatik, die meist vertreten wird 1 7 3 . M i t dem Grundgesetz als einer aufklärerischen Verfassung der Menschenwürde ist diese Lehre unvereinbar. 2. Ein materiales Prinzip der allgemeinen Freiheit ist mit der Logik freiheitlicher Staatlichkeit unvereinbar; denn letztere muß, wenn das gemeinsame Leben vom Recht bestimmt sein soll, umfassend sein. Die Republik muß Rechtsstaat sein, d.h. jeder muß unabhängig von eines anderen nötigender

171 Zur allgemeinen Gesetzgeberschaft Hinweise in Fn. 47, S. 452; Hobbes, Leviathan, S. 160, 196, (Zitate S. 481 f.); Locke, Über die Regierung, S. 19, 43, 101 ff. 172 Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 135 (Zitat). 173 Vgl. die Hinweise in Fn. 4, 2. Teil, 1. Kap., S. 72 f., sowie 3. Kapitel, Fn. 85, S. 88.

6. Kap.: Freiheitsdogmatische Außenlehre und das Regel-Ausnahme-Prinzip

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Willkür leben können. Das ist ohne allgemeine Gesetzlichkeit, ohne umfassende Rechtlichkeit also, nicht denkbar 174 . Es gibt durchaus Handlungen und kann jedenfalls Handlungen geben, die (noch) nicht vom Gesetz geregelt sind. Beispiele bilden die umweltschädlichen Entsorgungen radioaktiver Abfälle und gentechnische Produktionen vor den diese regelnden Gesetzen 175 . Diese Entsorgungen waren nicht etwa deswegen erlaubt, weil es keine Verbotsgesetze gab. Sie waren vielmehr ohne Gesetz freiheitswidrig, weil sie geschadet haben oder zu schädigen drohten. Soweit derartige Handlungen die Gesundheit der Menschen verletzt oder gefährdet haben, waren sie auch Unrecht im Sinne des § 823 BGB. Daß alles, was nicht verboten ist, erlaubt sei, wie das Hobbes formuliert hat 1 7 6 , ist ein die allgemeine Freiheit mißachtendes Schema. Privates Handeln muß vielmehr eine Rechtsgrundlage, eine Erlaubnis, nämlich das allgemeine Einverständnis für sich haben, um nicht Unrecht zu sein 177 . Nach Jürgen Schwabe ist aber "Freiheit... der Begriff für das, was durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes eingeschränkt" werde, so daß die "Freiheit erweitert werde", wenn ein beschränkendes Gesetz entfalle 178 . Das scheint der Hobbessche Freiheitsbegriff zu sein: "Das, was durch die Gesetze nicht bestimmt ist, kann jeder Bürger tun oder lassen; und diese Freiheit wird, wie der Oberherr es für gut findet, bald ausgedehnt, bald eingeschränkt sein", würde aber mit dessen Stellvertretungslehre nicht übereinstimmen: "Viertens, weil in einem Staate, welcher freiwillig errichtet wurde, jeder von denen, die dem einen die höchste Gewalt übertragen, sich als der Urheber aller Handlungen dieses einen ansehen muß, ist klar, daß der Oberherr keinem von diesen Unrecht tun kann; denn was er tut, tun sie selbst. Sich selbst aber kann niemand Unrecht zufügen." 179

174 Ganz so Locke, Über die Regierung, S. 19, 43; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 337 f., 345 u.ö.; zur Freiheitlichkeit durch Gesetzlichkeit und zum Gesetzgebungsstaat Hinweise in Fn. 47, S. 452; zur republikanischen Rechtsstaatlichkeit 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 175 Dazu M. Kloepfer, Umweltrecht, 1989, S. 501 f., 802 ff.; H. Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981; vgl. Hess. VGH JZ 1990, 88 ff., der die Genehmigung gentechnischer Anlagen ohne gesetzliche Grundlage als Verletzung der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG abgelehnt hat (mit kritischer Anmerkung von H.H. Rupp). 176 Leviathan, S. 189 f., 196. 177 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. 178 Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 67; genauso R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 155; so auch H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1186 f. (neben dem gemeinschaftsbezogenen Freiheitsaspekt (S. 1188 f.)); zur Schmittschen Verteilungslogik vgl. Fn. 207, 208, S. 486; 6. Teil, 2. Kap., S. 449.

31 Schachischneider

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

In der Hobbesschen Konstruktion ist vielmehr die Lehre, daß die Gesetze die Freiheit verwirklichen, weil es die Gesetze der Bürger selbst sind, weit entwickelt. Michael Sachs und Klaus Stern fassen "Freiheit... auch unter veränderten Grundbedingungen" immer noch "nach der Substraktionsmethode G. Jellineks": "Nach wie vor besteht 'Freiheit', insbesondere 'Verhaltensfreiheit' lediglich dort, wo das Gesetz keinen Zwang kennt;..." 180 Wo in der Welt mag der Ort dieser Freiheit sein, "wo das Gesetz keinen Zwang kennt", also der Staat ohne Gewalt auskommt? 181 An einem solchen Ort bedarf es keines Gesetzes. Den Bereich äußerer Verhältnisse der Menschen, in dem keine Gesetze gelten, gibt es im Staat nicht. Das erweist, wie schon angesprochen, § 823 Abs. 1 BGB, der bestimmte sogenannte absolute Rechte für alle Bereiche des gemeinsamen Lebens festschreibt und zum Schutze von Leben, Eigentum usw. festschreiben muß 1 8 2 . Sonst würde der Staat seinen Friedens- und seinen Sicherheitszweck 183 , die nichts anderes gebieten als die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit, verfehlen. Sachs und Stern ermitteln, wie andere auch, "Freiheiten", die sie mit den verschiedenen Grundrechten identifizieren 184 und verwechseln die freiheitsschützenden Grundrechte, die sogenannten Freiheitsrechte oder die

179

Leviathan, S. 196 bzw. S. 160. K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 633; zur "Freiheit als Negation gesetzwidrigen Zwanges" E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff., 201 ff., 243 ff., der die Statuslehre G. Jellineks als Element einer grundgesetzlichen Freiheitslehre zurückweist; dazu auch S. 486 ff. 181 Zur notwendigen Zwangsbefugnis des Staates 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 182 Zur Dogmatik der Freiheitsgrundrechte als absolute Rechte und der Freiheiten als Rechtsverhältnisse R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 209 ff., bzw. S. 67 ff., insb. S. 111 ff. 183 Dazu Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 27 ff.; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 83 ff.; weitere Hinweise in Fn. 32, 1. Teil, 3. Kap., S. 9 f.; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 mit Fn. 168, 170, 199. 184 K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 633, gegen G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 103 f.; richtig E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 113, 124; auch G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 75 ff., 103 ff., handelt von "konstituierten Freiheiten"; ebenso D. Suhr, R. Zippelius, W. Henke, R. Alexy und auch J. Rawls, vgl. Fn. 834, 5. Teil, 7. Kap., S. 427, vgl. auch die folgende Fn. 185; auch R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, durchgehend, etwa S. 73,78 ff., 206 ff., spricht von Freiheiten und meint die Freiheitsrechte Fn. 26 S. 73 f.; Art. 18 GG ermöglicht diesen Sprachgebrauch (dazu 6. Teil, 1. Kap., S. 444). 180

6. Kap.: Freiheitsdogmatische Außenlehre und das Regel-Ausnahme-Prinzip

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subjektive Rechte der Privatheit schützenden Grundrechte, und die geschützte Freiheit selbst 185 . Ähnlich setzt John Rawls , der Definitionsfragen höchstens eine Nebenrolle beimißt, voraus, daß sich jede Freiheit mittels dreier Begriffe erklären ließe, nämlich: "Der Handelnden, die frei sein sollen, der Beschränkungen, von denen sie frei sein sollen, und dessen, was ihnen freigestellt sein soll. ... Die allgemeine Bestimmung einer Freiheit hat also folgende Form: Dieser oder jener Mensch (oder Menschen) ist frei (oder nicht frei) von dieser oder jener Einschränkung (oder Einschränkungen) und kann das und das tun (oder unterlassen). ... Die Einschränkungen können von gesetzlichen Pflichten und Verboten bis zum Druck der öffentlichen Meinung und sonstigen sozialen Einflüssen reichen." 186 Dieser Freiheitsbegriff ist material und würde auch die Privatheit als subjektive Rechte zu willkürlichem Handeln umfassen. Rawls findet nicht zur Kantischen Formalität des Begriffs der Freiheit der Autonomie des Willens. Rawls macht viele Anleihen bei Kant, ist aber kein Kantianer 187 . Die innere Freiheit, die Sittlichkeit, das Kernstück der Sittenlehre Kants, erfaßt Rawls in seinem Begriff der Freiheiten nicht, obwohl in Rawls "Theorie"

185 Diese Verwechselung ist häufig und zu Recht von J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 73, gerügt, der aber selbst die materialen subjektiven Grundrechte nicht von der formalen Freiheit unterscheidet (S. 13 ff., 60 ff., passim), der grundsätzliche Irrtum seiner Überlegungen; richtig auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff., 19; P. Häberles, Wesensgehaltsgarantie, insb. S. 126 ff., 180 ff., institutionelle Grundrechtslehre, welche die Grundrechte durch Gesetze "auszugestalten" aufgibt, um sie zu erfüllen, klärt nicht hinreichend das Verhältnis der grundrechtsgeschützen Freiheit zum freiheits-verwirklichenden Gesetz; richtig Ch. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 33 ff., 551 u.ö.; auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 229 ff., 270, 275, passim, handelt von "verschiedenen Freiheiten", u.a. auch von der, "gleichberechtigt am politischen Leben mitzuwirken", S. 230, die demokratische Freiheit also, und definiert die Freiheit als ein "Gefüge von Rechten und Pflichten" (S. 270), eine Begriffsschwäche seiner "Theorie"; zu den hier vertretenen Begriffen Hinweise in Fn. 10, S. 443; Fn. 8, S. 8 zur äußeren und inneren Freiheit; insb. 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 186

Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 230 (Herv. von mir), vgl. S. 223 ff., 271. So J. Rawls selbst, Kantische Konstruktivismus in der Moraltheorie, 1980, in: ders., Die Idee des politischen Liberalismus, (hrsg. W. Hinsch) 1992, S. 81 ff. ("Gerechtigkeit als Fairneß ist streng genommen offenkundig nicht Kants Auffassung: sie weicht in vielen Hinsichten von seinen Texten ab. Doch das Adjektiv 'kantisch' bezeichnet Analogie, nicht Identität;...", S. 82), der Kants Dualismen zu überwinden sucht; so auch O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 306 ff. 187

31*

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Tugenden, insbesondere der Gerechtigkeitssinn 188 , integriert sind, aber ohne begrifflichen Standort. Rawls Freiheiten sind Rechte, die den Gesetzgeber voraussetzen, also nicht die kantianische Freiheit als Autonomie des Willens. Rawls verharrt wie auch die überwiegende deutsche Staatsrechtslehre in demokratistisch konstitutionellem Denken 1 8 9 und findet nicht zur Freiheitslehre einer Republik. Gesetze engen die Freiheit weder ein noch erweitern sie die Freiheit. Gesetze machen vielmehr verbindlich, was für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit als richtig erkannt ist 1 9 0 . Die Gesetze verwirklichen, wie schon dargelegt ist 1 9 1 , in dem Maße ihrer Richtigkeit/praktischen Vernünftigkeit die Freiheit. Es gibt keinen Gegensatz von Freiheit und Recht. Nach Schwabes Logik müßte die Freiheit riesengroß sein, wenn alle Gesetze entfallen sind 1 9 2 . Das aber ist der Zustand des Chaos, des vorstaatlichen Krieges aller gegen alle (Hobbes), der staatslose Naturzustand, jedenfalls der "Zustand der Rechtlosigkeit" ohne "öffentlich gesetzlichen Zwang" (Kant) m, der nur mittels des Staates und damit der Gesetze überwunden werden kann 1 9 4 . Staatlichkeit ist als rechtsgemäße Gesetzlichkeit die Wirklichkeit der Freiheit 195 .

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Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 493 ff. Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 223, 252, 275 f. 190 Ganz so Locke, Über die Regierung, S. 43 ("... und den Namen der 'Beschränkung' verdient wohl kaum, was uns von Sümpfen und Abgründen fernhält."). 191 Siehe Hinweise in Fn. 47, S. 452; insb. 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 192 So J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 68, selbst; auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 155; diese Dogmatik folgt der liberalen Lehre des monarchischen Konstitutionalismus und insb. dem Begriff C. Schmitts, Verfassungslehre, S. 126, 130, 158 f., 163 f., 166 f., 175 f.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 207 ff.; zu dieser liberalistischen Lehre von der "grenzenlosen Freiheit" m.w.H. Ch. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 33 ff. (nicht unkritisch). 193 Hobbes, De ci ve, S. 128 f. (status hominum naturalis est bellum omnium in omnes); Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 22 f.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 430; vgl. auch ders., daselbst, Die Religion, S. 755 f. (... est status belli ...); ders., Zum ewigen Frieden, S. 203, 208; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 199 ff.; M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 89; zum Naturzustand auch 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 194 Richtig weist H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 536 f., auf den Staat als Voraussetzung der Freiheit hin; ebenso P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 150 ff., 154 ff., der dem Gesetzgeber die Aufgabe zumißt, die Grundrechte "auszugestalten", S. 126 ff., 157, 159, 161, 163, 165 und 180 ff., passim; auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, insb. S. 194 ff., 228 ff. (kritisch zu Häberle), 235 ff., stellt die institutionelle Relevanz des Staates für die Freiheit heraus; ebenso W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff., 22 ff.; das ist die Logik der freiheitsrechtlichen Innenlehre; auch Ch. SteinbeißWinkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, insb. S. 75 ff., 642 ff., 189

6. Kap.: Freiheitsdogmatische Außenlehre und das Regel-Ausnahme-Prinzip

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"Die Garantie der Rechte des Menschen und des Bürgers macht eine öffentliche Gewalt notwendig." - Art. 12 der Deklaration 1789 196 Die Gesetze verwirklichen die Freiheit, freilich nur, wenn sie autonom, wenn sie Freiheitsgesetze, nicht aber, wenn sie Herrschaftsgesetze sind 197 . Die kritisierte liberalistische Lehre ist in sich widersprüchlich, weil sie die republikanische Einheit freiheitlicher Staatlichkeit und Rechtlichkeit nicht herstellt, um die sich Herbert Krüger, Horst Ehmke, Konrad Hesse, Peter Häberle, Hans-Heinrich Rupp und Eberhard Grabitz, aber auch andere, bemühen 198 . Gertrude Lübbe-Wolff weist auf die Erkenntnis Hegels hin: "Alle wirkliche Freiheit ist konstituiert." 199 Wenn nicht Hegels Trennung von Staat und Gesellschaft 200 , sondern die republikanische, die politische, die bürgerliche Identität der allgemeinen Freiheit mit der Staatlichkeit als allgemeine Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens, die allein dem Grundgesetz entspricht, zugrundegelegt wird 2 0 1 , ergibt sich daraus die Einheit von Freiheitlichkeit, Gesetzlichkeit und Staatlichkeit. Das Grundgesetz folgt Kant, nicht Hegel; denn: "Der Staat ist um der Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen", aber Hegel ist selbst in vielen Erkenntnissen Kantianer 202 . Der zitierte Satz sollte ursprünglich das Grundgesetz einleiten 203 . Seine Einsicht hat die sucht im Gesetz die Verwirklichung der grundrechtsgeschützten Freiheit, ohne freilich zur Autonomielehre vorzudringen. 195 Dazu 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; zur Staatlichkeit als Gesetzlichkeit 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 328 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit 6. Teil, 6. Kap., S. 484 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff., insb. S. 560 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit Hinweise in Fn. 47, S. 452. 196 "La garantie des droits de 1'homme et du citoyen nécisste une force publique ...", Übersetzung vom Verf.; dazu i.d.S. E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 151 ff., 153. 197 Dazu 2. Teil, 10. und 11. Kap., S. 145 ff., 153 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 195; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 71, S. 457. 198 Vgl. die Hinweise in Fn. 2, S. 441. 199 Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 82 f.; Hegel, Rechtsphilosophie, § 57, S. 92: "daß die Idee der Freiheit wahrhaft nur als der Staat ist", auch § 258, S. 241, § 260, S. 243: "Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit". 200 Rechtsphilosophie, §§ 182 ff., S. 192 ff., §§ 257, 258, S. 237 ff.; vgl. vor allem M. Riedel, Bürgerliche Gesellschaft und Staat, Grundprobleme und Struktur der Hegeischen Rechtsphilisophie, 1970; ders., Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 88 ff.; dazu E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 167, zur Trennung von Staat und Gesellschaft allgemein, S. 160 ff.; dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff., Hinweise auch in Fn. 3, S. 441 f. 201 202

Dazu die Hinweise in Fn. 195 und 197. Dazu Siep, Hegel, Staatslexikon, 2. Bd., 7. Aufl. 1986, Sp. 1218 ff.

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Väter des Grundgesetzes bestimmt. Viele kennen den Satz, wenige ziehen dogmatische Konsequenzen aus ihm. Werner Maihofer spricht von einer "kopernikanischen Wende", von der die Väter des Grundgesetzes ausgegangen seien, und meint die kopernikanische Wende der Ethik und damit der Rechtslehre durch den Rousseauianer Kant. 204 3. Jürgen Schwabe greift wie viele das Hobbessche liberale Freiheitsprinzip auf: "Diesem Prinzip folgt auch das GG; Regel ist die Freiheit, staatlicher Eingriff die Ausnahme." 205 Das Bundesverfassungsgericht spricht von einer "grundsätzlichen Freiheitsvermutung" des Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfGE 6, 32 (42)) 2 0 6 . Richtig ist, daß die Republik uneingeschränkt Verwirklichung der Freiheit sein soll. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Hans-Hugo Klein, Josef Isensee, Bernhard Schlink, Robert Alexy, Walter Schmitt Glaeser u.a., dogmatisieren alle nicht formal wie Hobbes, sondern material im Gefolge Carl Schmitts dessen "rechtsstaatliches Verteilungsprinzip, nach welchem die Freiheit des Einzelnen prinzipiell unbegrenzt, die Befugnis des Staates prinzipiell begrenzt" sei 2 0 7 , das "Regel-Ausnahme-Prinzip" (Jürgen Schwabe) 208 also. 203

Vgl. Art. 1 Abs. 1 HChE, JöR N.F. 1 (1951), S. 48, im Gegensatz zur Ideologie des sog. Dritten Reichs: "Du bist nichts, Dein Volk ist alles"; vgl. /. v. Münch, GG, Rdn. 2 zu Art. 1 mit Hinw.; H. Hattenhauer, Zwischen Hierarchie und Demokratie, S. 238 ff.; auf den im Text zitierten Satz stützt auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 20 ff., seine Rechts- und Staatslehre; ebenso ders. seine Lehre vom Kulturstaat, HVerfR, S. 953 ff., 976; vgl. auch zur Menschenwürde Hinweise in Fn. 141, S. 472; zum republikanischen Staatsbegriff Hinweise in Fn. 26, S. 447. 204 HVerfR, S. 976 bzw. 963; i.d.S. auch L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 31 ff., 124, 172, insb. S. 188. 205 Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 60. 206 Zum Vermutungssatz: in dubio pro libertate, kritisch J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 62 ff. 207 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126, 130, 158 f., 163 f., 166, 175 f. (Zitat, S. 175); ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 201, 207 ff.; auch ders., Legalität und Legitimität, S. 25 f.; auch ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 167 ff.; vgl. auch ders., HbdDStR, Bd. II, S. 591; F. Forsthoff, Zur heutigen Situation der Verfassungslehre, in: Epirrhosis, FS C. Schmitt, 1968, S. 186 ff., 207 ff.; H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 71; vgl. ders., Öffentliche und Private Freiheit, in: Der Staat 10 (1971), S. 145 ff.; E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 ff.; D. Merten, VerwArchiv 73 (1982), S. 104; J. Isensee, etwa, HStR, Bd. I, S. 653; B. Schlink, EuGRZ 1984, 467; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 155, auch S. 202 ff., 321 ff.; W. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatspähre, HStR, Bd. VI, S. 54 f.; dazu i.d.S. auch G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 67 f.; dazu J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 47, 60 ff., der al-

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D i e Grundrechte w ü r d e n "eine n i c h t v o n vornherein begrenzte Freiheit der B e l i e b i g k e i t " , eine "unbegrenzte Freiheit" schützen. - Gertrude

Lübbe-Woljf

09

Sie w ü r d e n es d e m Staat verwehren, alles zu verbieten; der Staat müsse sich i m R a h m e n der Schranken-Schranken halten, insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahren ( W i l l k ü r / S c h r a n k e n - P r i n z i p ) 2 1 0 . D i e Grundrechte seien " v o m Vorbehalt des Gesetzes z u m Vorbehalt des verhältnismäßigen Gesetzes" geworden. - Bernhard

Schling 11

" N e g a t i v formulierte Freiheit ... reduziert den Grundrechtsschutz ... i m wesentlichen auf das Übermaß verbot." - Eberhard

Grabitz:

212

lerdings sein "formales Regel-Ausnahme-Prinzip" von der "historischen und ideologischen Dimension C. Schmitts" unterscheidet; zu dieser Schmittschen Verteilungsdogmatik m.w.H. Ch. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 33 ff.; kritisch zu diesem Verteilungsprinzip etwa K. Hesse, Heutige Problematik von Staat und Gesellschaft, S. 486 f., 493, 498; dazu auch 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff. 208 Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 47, 60 ff., der dieses "rechtsformale" "rechtstechnische Grundprinzip" zugunsten der Freiheit als Regel für jede Rechtsordnung als notwendig ansieht und damit die innere Freiheit als Pflicht zur Sittlichkeit genauso ausblendet wie die Erkenntnis der Deklaration von 1789, daß die Freiheit darin bestehe, alles tun zu können, was einem anderen nicht schade, daß aber die Grenze der natürlichen Rechte des Menschen die sei, den übrigen Gliedern der Gesellschaft den Genuß dieser nämlichen Rechte zu sichern, daß diese Grenzen nur durch Gesetz bestimmt werden könnten (Art. 4) und daß das Gesetz Ausdruck des allgemeinen Willens sei (Art. 6); im übrigen sieht Schwabe diese "rechtsformale Normierungstechnik" "materiell, rechtsinhaltlich" umgedreht, so daß "Freiheit die Ausnahme, Beschränkung aber die Regel" sei, S. 60 (!); wie Schwabe hat schon Hobbes, Leviathan, S. 189 f., 196, argumentiert, nämlich mit der Unmöglichkeit, alles Handeln durch Gesetze zu regeln; dieses Argument überzeugt, die Rechtsordnung reagiert damit mittels der Privatheit begründenden subjektiven Rechte. 209

Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 98 f.; so auch J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 34 f., 52. 210 BVerfGE 6, 32 (36 ff.); 32, 54 (72); st.Rspr.; K. Hesse, HVerfR, S. 92 f. (Staat als "potentieller Feind der Freiheit", der auch ihr "Helfer und Beschützer werden" müsse); v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 4 ff. zu Art. 2 Abs. 1, zur Schrankenlehre Rdn. 13 ff., gar zum Sittengesetz als Schranke Rdn. 24 ff.; Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 10 ff. ("Der Staat läßt Freiheit."); /. v. Münch, GG, 3. Aufl. 1985, Rdn. 17, 25 ff. zu Art. 2; J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 60 ff., 64 ff.; B. Schlink, EuGRZ 1984, 459 f.; K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 632 f. ("Freiheit von gesetzlichem Zwang" - ein Widerspruch); krass i.S. des Willkür/Schranken-Prinzips etwa Yvo Hangartner, Zweckbindung der Freiheitsrechte, in: FS H. Huber, 1981, S. 377 ff., der, wie viele, die innere Freiheit gar nicht kennt und sogar Autonomie verwirft, weil sie keine "Individualfreiheit" sei (S. 381); Kritik bei P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 126 ff., u. passim; zum Verhältnismäßigkeitsprinzip 5. Teil, 4. Kap., S. 362 f. mit Fn. 558; 9. Teil, 7. Kap., S. 986 f. 211

EuGRZ 1984, 459 f.

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

"Diese Argumentationsweise vermeidet es, notwendige Gemeinwohlbezüge der Freiheit dogmatisch bereits in den Grundrechtstatbestand zu verlagern." - Christian Starci Die herrschaftliche Lehre von der Zuteilung der Freiheit durch den Staat, wenn auch nach dem Regel-Ausnahme-Schema, ist auch oben schon kritisiert 214 . Hans Heinrich Rupp hat das Nötige zu dieser die Bürger entpolitisierenden "Freiheitslehre" gesagt: "So endet auf deutschem Boden die Freiheitslehre des Westens in der kläglichen Identifizierung der Freiheit mit einer "staatsfreien Sphäre" des Individuums und der Gesellschaft, also mit einer Freiheit vom Staat, der nicht derjenige des Bürgertums war, eine Entwicklung, die ein Schwanken zwischen unpolitischer Staatsfremdheit und ebenso unpolitischer Machtanbetung bereits Entwicklungen des folgenden Jahrhunderts andeutete." 215 Horst Ehmke bringt den liberalistischen Begriff des Gesetzes auf die Formel: "Die Aufgabe des an die Stelle des Rechts tretenden Gesetzes wird die Schrankenziehung." 216 Soweit die Grundrechte materiale subjektive Rechte schützen oder begründen, ist die Eingriffs-/Schrankendogmatik richtig217. Wenn der Gesetzgeber einen Gesetzesvorbehalt nutzt, muß er dessen Grenzen, vor allem aber

212

Freiheit und Verfassungsrecht, S. 205, kritisch. v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 170 zu Art. 1 Abs. 3, S. 118; ebenso BVerfGE 32, 54 (72 f.); dazu M. Kloepfer, in: FS BVerfG, Bd. II, 1976, S. 405 ff.; A. Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, S. 263 ff., 277 ff.; prononciert i.d.S. auch G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 63 ff., 87 ff., 98 ff.; gegen die Innenlehre prononciert auch W. Leisner, Situationsgebundenheit des Eigentums - eine überholte Rechtssituation, 1990, S. 19 f.; dieser sog. Außentheorie stellt P. Häberle die allein republikanische Innentheorie entgegen, Wesensgehaltsgarantie, S. 126 ff., 150 ff., 154 ff., passim, der allerdings in dieser Schrift nicht zur kantianischen Lehre von der inneren Freiheit als Moralität vordringt; diesen Schritt hat Häberle getan in, Ethik "im" Verfassungsrecht, S. 276 ff.; vgl. auch schon recht kantianisch ders., HStR, Bd. I, S. 833 ff.; den Gemeinwohlbezug des Freiheitsprinzips berücksichtigt auch, allerdings der Relevanz des Sittengesetzes für diese Lehre nicht bewußt, H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1188 f. 213

214

Dazu 6. Teil, 6. Kap., S. 478 ff. HStR Bd. I, S. 1190. 216 "Staat" und "Gesellschaft", S. 265. 217 Dazu v. Mangoldt/Klein/Starck, Hinweise in Fn. 164, S. 478. 215

GG, Rdn. 170 ff. zu Art. 1 Abs. 3, S. 118 ff.; weitere

6. Kap.: Freiheitsdogmatische Außenlehre und das Regel-Ausnahme-Prinzip

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die sogenannten Schranken-Schranken, wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip 2 1 8 , beachten. Dabei hat er insbesondere die objektive Dimension der Grundrechte, deren Politik, zu respektieren. Darüber wachen die Hüter der Verfassung, insbesondere die Verfassungsgerichte. Der verfassungsgemäße Eingriff verkürzt das subjektive Recht, insbesondere das auf Willkür, also auf Privatheit, welches das Grundrecht schützt oder begründet, freilich nur gegenüber der Verwaltung und den Gerichten, welche die subjektiven Rechte zu beachten haben. Dem Gesetzgeber gegenüber gibt das Grundrecht von vornherein nur das subjektive Recht, die negative Kompetenz 219 zu respektieren, soweit die Eingriffsmöglichkeiten des Gesetzgebers nicht reichen. Diese subjektive Grundrechtsmenge ist, wie schon gesagt, klein. Das Regel-Ausnahme-Prinzip kehrt sich in der Republik gewissermaßen um. Die Freiheit ist nicht Gesetzlosigkeit, sondern verwirklicht sich in der Gesetzlichkeit, besser: in Rechtlichkeit, d.h. vernünftiger, sittlicher Gesetzlichkeit 2 2 0 . Alles Handeln bedarf um der Legalität (und der Moralität) willen des allgemeinen Einverständnisses durch allgemeine Gesetze. Die Gesetze aber können und sollen, um das gemeinsame Leben lebbar zu machen, weitestmöglich Privatheit, also das Recht zur Willkür, einräumen. Das Recht zur Beliebigkeit des Einzelnen ist somit rechts technisch die Ausnahme, die Gesetzlichkeit und damit die Bindung an allgemein-verbindliche Maximen die Regel. Es ist logisch, daß ein materialer Freiheitsbegriff, der Freiheiten als Rechte versteht, die durch Gesetze eingeschränkt werden können, das umgekehrte Regel-Ausnahme-Prinzip dogmatisieren muß. Nur ist die Freiheit kein materiales Recht, sondern formal die Autonomie des Willens und als Recht das Recht auf Recht 221 . Das ist die Regel der Republik. Als materiales subjektives Recht läßt sich die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Freiheit schon deswegen nicht verstehen, weil das allen drei Kriterien in dem Soweit-Satz widerspräche. Privatheit als Recht zur Willkür läßt sich so nicht umschreiben.

218 GG, Rdn. 170, 178 ff. zu Art. 1 Abs. 3, S. 118, 123 ff.; Dazu V. Mangoldt/Klein/Starck, J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 23; zum Verhältnismäßigkeitsprinzip Hinweise in Fn. 558, 5. Teil, 4. Kap., S. 362 f.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 986 f. 219 Dazu Hinweise in Fn. 85, S. 460. 220 Dazu Hinweise in Fn. 47, S. 452, auch zum Gesetzgebungsstaat und zur allgemeinen Gesetzgeberschaft; zur Sittlichkeit des Gesetzgebers Hinweise in Fn. 70, 5. Teil, 2. Kap., S. 265; zum Verhältnis der Gesetze zum Recht Hinweise in Fn. 133, 5. Teil, 3. Kap., S. 281. 221 Dazu zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 7, S. 443; zur Autonomie des Willens Hinweise in Fn. 8, S. 443; zum Recht auf Recht Fn. 27, S. 447.

490

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

4. Die Doktrin der Verteilung privater Freiheit und staatlicher Herrschaft entpolitisiert liberalistisch die Bürger 222 . Sie ist nicht nur wirklichkeitsfremd, sie ist vor allem der Verfassung der demokratischen Republik, der Verfassung der Freiheit, zuwider. Entgegen seinem Dogma schützt dieser Liberalismus den reklamierten "Freiheitsraum" nicht einmal; denn der herrschaftliche Staat dringt in diesen ein, wenn es das grundrechtsgeleitete Gemeinwohl erfordert und dies praktisch vernünftig, d.h. zweckmäßig, erscheint 223 . Der Staat muß ein Gesetz erlassen, dem auch das Bundesverfassungsgericht, der richterliche Senat bundesdeutscher Gesetzgebung 224 , den grundrechtlichen Leitentscheidungen verpflichtet, zustimmt, falls es gefragt wird. Diese Lehre ist die Logik der Formalität oder materialen Offenheit der Grundrechte mit ihren lagebedingten, variablen und dynamischen Begriffsgehalten, die in der die meisten, jedenfalls die wichtigsten Grundrechte, insbesondere die Berufsfreiheits- und die Eigentumsgarantie, allein bestimmenden Dogmatik der Verhältnismäßigkeit liegt 2 2 5 . Nur die geringe Menge verfassungsfester subjektiver Rechte, wie das Recht der Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG, soweit die Schranken von dessen Abs. 2 nicht greifen, hindert den Gesetzgeber an einer variablen Politik.

7. Kapitel Die gesetzgeberische Verwirklichung der Politik der Grundrechte durch grundrechtsgeleitete Rechtserkenntnisse 1. Das Bundesverfassungsgericht hat, dogmatisch formuliert, das im ordentlichen Verfahren letzte Wort funktional gesetzgebender, an den Entscheidungen der Grundrechte orientierter Rechtserkenntnis 226 . Alle liberalistischen Grundrechtslehren vermögen nicht mehr zu leisten, als einen Vorbehalt des Gesetzes zu etablieren, wie auch immer dieser in den Grundrechtstexten formuliert sei. Nicht einmal die vorbehaltlose Textformulierung

222 Zur Trennung von Staat und Gesellschaft 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff., Hinweise auch in Fn. 3, S. 441. 223 Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 978 f. mit Hinweisen zum Freiheitsraum in Fn. 115, 116, S. 466. 224 Dazu 9. Teil, 2., 3. und 10. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 1027 ff. 225 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. zur Variabilität und Dynamik; zur Verhältnismäßigkeit Hinweise in Fn. 558, 5. Teil, 4. Kap., S. 362 f., auch 9. Teil, 7. Kap., S. 986 f.; zur Berufsfreiheit 9. Teil, 1. Kap., S. 844 f.; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 392 ff.; zur Eigentumsgarantie 9. Teil, 9. Kap., S. 1023 ff. 226 Dazu 9. Teil, 2., 3., 4. und 10. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 932 ff., 1027 ff.

7. Kap.: Politik durch grundrechtsgeleitete Rechtserkenntnisse

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vermag Politik zu verhindern, wenn diese auch durch eine funktionale Gesetzgebung der Verfassungsrichter betrieben wird, notfalls durch restriktive Interpretation der Textbegriffe und damit gemeinverträgliche Reduzierung der subjektiven Grundrechte 227 . Vorzuziehen ist eine Dogmatik des allgemeinen Gesetzesvorbehalts auch der sogenannten vorbehaltlosen Grundrechte, wie vor allem der Grundrechte des Art. 5 Abs. 3 GG 2 2 8 . Die an den material offenen Grundrechten ausgerichtete praktische Vernunft des Gesetzgebers verantworten alle, die ja oder nein zu dem Gesetz sagen können, also vor allem das Bundesverfassungsgericht, das schließlich in die Herrschaft des Parteienstaates integriert ist, moderierend und stabilisierend, aber als Vertreter der praktischen Vernunft der Bürgerschaft noch immer Vertrauen verdient 229 . Letztlich verantwortet das Volk selbst seine Gesetze und seine Freiheit, was immer die Grundrechte festzulegen versuchen, zumal deren Bestimmtheit gering ist und sein muß 2 3 0 . Jedenfalls ist der Gesetzgeber der primäre Vertreter des Volkes für die gesetzgebende Rechtserkenntnis 231 . Die Dogmatik, die Rechtserkenntnisse der Gerichte, welche die Verfassungsschranken der vorbehaltlosen Grundrechte praktizieren, würden durch Interpretation gewonnen 232 , ist eine um Legitimation bemühte Ideologie; denn diese Erkenntnisse sind funktional gesetzgeberisch. Die Grundrechte leiten die praktische Vernunft des Gesetzgebers, jedenfalls wenn die gesetzeskontrollierende Verfassungsgerichtsbarkeit zur Gesetzgebung, die sie funktional ist 2 3 3 , gerechnet wird. Die Grundrechte nehmen das Bundesverfassungsgericht in die Verantwortung für die prakti-

227

Dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff., insb. S. 912 ff. GG, Dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff., insb. S. 1021 ff.; etwa v. Mangoldt/Klein/Starck, Rdn. 176 zu Art. 1 Abs. 3, S. 122; Rdn. 261 ff. zu Art. 5 Abs. 3, S. 630 ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 335 ff.; vgl. ders., in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 11 ff., 52 ff. zu Art. 5 Abs. III; Rdn. 348 f. zu Art. 9 Abs. III; ders., HStR, Bd. VI, S. 1181; a.A. BVerfG (st.Rspr.) etwa 28, 295 (306); 30, 173 (192 f.); 50, 290 (368); 81, 278 (292 f.); 83, 130 (142); vgl. für Art. 9 Abs. 3 GG die durchaus modifizierte Dogmatik in BVerfGE 84, 212 (225 ff., 228); Hinweise in Fn. 993, 1021, 9. Teil, 9. Kap., S. 1009 f., 1017. 228

229 Dazu 9. Teil, 6. Kap., S. 963 ff., insb. S. 967 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 230

Dazu Hinweise in Fn. 34, S. 448. Dieses Primat versucht J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 292 ff., 301 ff., 324 ff. zu verteidigen, ohne die Diskursunfähigkeit der die Legislative beherrschenden Parteien (dazu 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.) hinreichend in Rechnung zu stellen. 231

232 233

I.d.S. etwa BVerfGE 84, 212 (224 ff.); dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 921 ff., S. 1010 f. Dazu 9. Teil, 2. und 10. Kap., S. 858 ff., 1027 ff.

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

sehe Vernunft des gemeinsamen Lebens, vermögen aber angesichts ihrer materialen Offenheit und Formalität und angesichts der daraus folgenden und ermöglichten Variabilität und Dynamik ihrer Begriffe eine Grenze zwischen dem Privaten und dem Staatlichen nicht zu fixieren, soweit nicht ausnahmsweise uneinschränkbare subjektive Rechte in den Grundrechten formuliert sind. Vielmehr entfalten die Grundrechte eine (positive) kompetentielle Wirkung, die es dem Gesetzgeber erlaubt, variabel und dynamisch der Politik der Grundrechte und der praktischen Vernunft gemäß, den grundsätzlichen Vorrang privater Lebensbewältigung respektierend, die subjektiven Rechte zur Privatheit, also die Rechte zur Willkür, der Lage anzupassen. Daß die Grundrechte die Politik nicht zu behindern vermögen, hat Carl Schmitt gewußt 234 . An der Politik ist jetzt wesentlich die Verfassungsrechtsprechung beteiligt, das ist die Wirkung der Grundrechte in ihrer vom Grundgesetz geforderten Verbindlichkeit, die vor allem in der objektiven Dimension der Grundrechte zum Ausdruck kommt. Der von Schmitt befürchtete Leerlauf der Grundrechte gegenüber der Politik wird durch die institutionelle Wirkung der Beteiligung der Verfassungsrechtsprechung an der Definition der Politik kompensiert 235 . Die praktische Vernunft, die Politik also, wie sie sein soll, gilt es freiheitlich, republikanisch zu organisieren. Den Bürgern darf die politische Freiheit nicht verwehrt werden. Die demokratische Freiheitsidee akzeptiert das 236 . Der Wesensgehalt der Grundrechte, den Art. 19 Abs. 2 GG schützt, ist schlechterdings auch nicht mehr als die praktische Vernünftigkeit der Gesetze, orientiert an den grundrechtlichen Leitentscheidungen. Das lehrt Peter Häberles institutionelle Grundrechtsdogmatik 237 . Schon im monarchischen Konstitutionalismus realisiert sich die Liberalität nicht grundrechtlich, sondern durch das Gesetz, das nicht ohne Zustimmung der Repräsentanten der Bürger erlassen werden darf, jedenfalls nicht, wenn es in Freiheit und Eigentum eingreift, was immer das heißen mag 2 3 8 .

234

Vgl. Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 ff.; ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 73 ff.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 189 ff. 235 Dazu 9. Teil, 1., 2., 3. und 10. Kap., S. 824, 831, 858 ff., 909 ff., 1027 ff. 236 Dazu Hinweise in Fn. 314, S. 508. 237 Der Wesensgehalt der Grundrechte insb. S. 70 ff., 180 ff., 234 ff., 322 ff.; dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., insb. S. 830 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff., 1033 ff., insb. S. 1042 f. 238 Dazu 9. Teil, 1. und 9. Kap., S. 845 f., 1023 ff.; i.d.S. auch C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 200.

7. Kap.: Politik durch grundrechtsgeleitete Rechtserkenntnisse

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2. Mehr als Kompetenzen, Verfahren und orientierende politische Leitentscheidungen lassen sich, abgesehen von Ausnahmen, in einer Verfassung nicht festschreiben, wenn diese der praktischen Vernunft dienen will. Die materialen Leitentscheidungen sind derart offen, daß ihre Begriffe eine lagegemäße Variabilität und Dynamik zulassen. Sie müssen so offen sein, um die Verfassung des Gemeinwesens zu stabilisieren 239 . Die Werterechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere dessen Abwägungsregel 240 , beweisen diesen Befund; denn diese kennen keine Tatbestandlichkeit der Grundrechte, welche die Subsumibilität zu gewährleisten vermöchte. Die Grundrechtsjudikatur ist also keine gewöhnliche, durch die Gesetzesunterworfenheit (Art. 97 Abs. 1 GG) gekennzeichnete Rechtsprechung, die ein hinreichendes Maß an Bestimmtheit der gesetzlichen Begriffe voraussetzt 241 . Immerhin müssen den Grundrechten, wie gesagt, negative Kompetenzen des Gesetzgebers abgewonnen werden, die als subjektive Rechte vor allem die dem einzelnen Bürger vorbehaltene Privatheit zu verteidigen erlauben 242 . Subjektive verfassungskräftige Rechte, die nicht erst durch Gesetz eingeräumt werden, setzen eine Bestimmtheit der Texte voraus, welche derart interpretierbar sind, daß sie gesetzgeberischer Politik, wie es auch die Verfassungsrechtsprechung zur objektiven Dimension der Grundrechte ist 2 4 3 , nicht zugänglich sind. Wenn das Bundesverfassungsgericht die subjektiven Rechte, durchaus in Rechtserkenntnis, gibt, wie das sogenannte informationelle Selbstbestimmungsrecht 244 , sind das keine Verfassungsgrundrechte, sondern allenfalls Verfassungsgerichtsgrundrechte. Das Verfassungsgericht ist aber nicht der Verfassungsgeber 245.

239

Dazu 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff. BVerfGE 7, 198 (210, 215); 19, 342 (349); 24, 119 (146); 30, 292 (315 f.); 81, 278 (293 f.); 83, 130 (143); st.Rspr.; vgl. zur Abwägungsproblematik insb. B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 79 ff., 84 ff., 143 ff., 403 ff., 468 f.; dazu 9. Teil, 2. Kap., V, Fn. 419. 240

241

Dazu Hinweise in Fn. 34, S. 448, insb. 9. Teil, 2. Kap., S. 868 ff., 890 ff. Dazu Hinweise in Fn. 85, S. 460; (negative Kompetenz) Fn. 10, 16, S. 443, 444 (Privatheit); subjektive Rechte sind nicht auf Rechte der Privatheit beschränkt, sondern können auch amtswalterliche Rechte geben, wie die Rechte der Wissenschaftler in staatlichen Universitäten aus Art. 5 Abs. 3 GG (dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 227 ff.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff.). 243 Dazu 9. Teil, 1., 2. und 10. Kap., S. 218, 821 ff., 858 ff., 1027 ff. 244 BVerfGE 68, 1 (Ls 2, S. 34 ff.); dazu v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 80 zu Art. 2 Abs. 1, S. 196 ff. 245 Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 951 ff.; auch 2. Kap., S. 869 ff. 242

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Fixierte Ausgrenzungen sind nur ausnahmsweise durchhaltbar. Wenn die Lage es erfordert, würden derartige Grundrechte durch Verfassungsänderung oder auf einem sonst gangbaren Weg, etwa eine europäische Rechtsetzung, beiseite gedrängt. Das Schicksal des Asylgrundrechts (Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG) beweist das. Wenn ein solches Recht behauptet werden soll, wird Schaden angerichtet. Ein Recht, das Schaden ermöglicht, ist nicht mehr praktisch vernünftig. Es wird zum Privileg, welches der Verfassung der Freiheit widerspricht. Wenn derartige Privilegien nicht zugelassen werden sollen, muß das gemeinsame Leben stetig und umfassend durch Gesetze geregelt werden können. Handlungen, die der Gesetzgeber wegen der negativen Kompetenzen nicht regeln darf, sind tolerabel, wenn sie ganz unabhängig von ihrer Moralität geringe Wirkung für das Gemeinwesen haben. Die materialen Grundrechte stehen weitgehend zur Disposition der Lage, auch in der Dogmatik der Praxis, die nicht mehr als das Zweckmäßigkeitsprinzip, vorgestellt als das Verhältnismäßigkeitsprinzip, etabliert hat, den Zwängen des gemeinsamen Lebens gehorchend, das sich entwickelt und entwickeln können muß, ohne daß unbewegliche Verfassungsvorschriften schwer zu überwindende Hindernisse aufbauen, die die Gefahr unvernünftiger Verteilungen von Chancen heraufbeschwören würden. Eine starre Verfassung kann leicht zu Privilegien führen, die den Frieden gefährden 2 4 6 . Insoweit hat sich gegenüber der Weimarer Verfassungssituation nichts geändert. Nicht einmal die bundesstaatliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen hat ihre Substanz behaupten können 247 .

8. Kapitel Die Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG als Grundrecht auf allgemeine Gesetzlichkeit 1. Als Autonomie des Willens ist die Freiheit notwendig auf die Allgemeinheit bezogen; denn sie ist das Recht, sich und zugleich allen anderen das Gesetz zu geben, das Recht auf Recht 248 . Art. 2 Abs. 1 GG definiert demgemäß die Freiheit im Sinne der Einheit von äußerer und innerer Freiheit, von Legalität und Moralität. Das Grundrecht umfaßt tatbestandlich 246

Dazu 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff. Dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 240, S. 93 (ausschließlich Vorrang der Bundesgesetzgebung), auch Rdn. 221, S. 87; H.-W. Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, HStR, Bd. IV, S. 742. 248 Dazu Hinweise in Fn. 27, S. 447. 247

8. Kap.: Die Freiheit als Grundrecht auf allgemeine Gesetzlichkeit

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den, wenn man so will, Gemeinwohlbezug, d. i. die Ausrichtung der Freiheit des einzelnen auf die Freiheit aller, und kennt überhaupt keine Schranken 2 4 9 . Der Wortlaut dieses Grundrechts: "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." nimmt mit dem Nebensatz die juridische und moralische Gesetzlichkeit der Freiheit in den Tatbestand auf, wie es dem Prinzip der Autonomie des Willens gemäß ist. Ein praktisch vernünftiges, ein sittliches, also richtiges und darum verbindliches Gesetz, ein Rechtsgesetz also, kann in das durch dieses Grundrecht geschützte Recht der Freiheit nicht eingreifen, weil eine Freiheit von verbindlichen Gesetzen explizit nicht geschützt ist. Die geschütze Freiheit ist ganz im Gegenteil das Recht auf die allgemeine Gesetzlichkeit, d.h. die Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens. Sonst wäre die Entfaltung der Persönlichkeit nicht "frei". Der Wortlaut des Grundrechts ist insofern nicht bestmöglich, als der Soweitsatz wiederholt, was das Wort "frei" schon klärt; denn Freiheit kann in der Republik der gleichen Freiheit aller Bürger nur die sittlich bestimmte Unabhängigkeit von anderer nötigender Willkür sein, also die Autonomie des Willens. Immerhin versucht der Wortlaut zweifach dem liberalistischen Mißverständnis der grundgesetzlichen Freiheit vorzubeugen, bisher weitestgehend vergeblich. Keinesfalls läßt es die unnötige Wiederholung 250 der inneren Freiheit im Wortlaut des Grundrechts zu, diese aus dem Freiheitsbegriff des Grundgesetzes zu eliminieren 251 . Ein Recht zur Beliebigkeit wollte auch der Entwurf des Allgemeinen Redaktionsausschusses für Art. 2 Abs. 1 GG mit dem Wortlaut vom 16.11.1948: "Jedermann ist frei, zu tun und zu lassen, was nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt" 252 ,

249

So G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 50 zu Art. 2 Abs. I. Kritik am sogenannten Soweitsatz des Art. 2 Abs. 1 GG übt G. Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, S. 65 ff. 251 So aber die Praxis und herrschende Lehre, vgl. die Hinweise in Fn. 5, 20, S. 442, 445. 252 Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 56; dazu richtig D. Suhr, Entfaltung des Menschen durch den Menschen, S. 52; /. v. Münch, in: GG, Bd. 1, 3. Aufl. 1985, Rdn. 18 zu Art. 2; H.-U. Erichsen, HStR Bd. VI, S. 1187, beruft sich für das "bürgerlich-liberale, vor- und antistaatliche Freiheitsverständnis" auf Art. 2 Abs. 2 HChE:" Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Rechtsordnung und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet." 250

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

nicht einräumen. Die sittliche und moralische Bindung der Freiheit ist aus diesem Satz nicht wegzudiskutieren. Das Bundesverfassungsgericht hat zur Begründung seiner irrigen, aber die Praxis und weitgehend die Lehre bestimmenden Freiheitsdogmatik denn auch den folgenden Wortlaut, vermeintlich der 42. Sitzung des Hauptausschusses vom 18.1.1949, als "ursprüngliche" Fassung" reklamiert: "Jeder kann tun und lassen was er w i l l . " 2 5 3 Eine solche Fassung hat es nie gegeben, auch nicht als ersten Teil des Satzes - ein politisch folgenreiches wissenschaftliches Versagen. Das "allgemeine Freiheitsrecht" (.Richard Thoma) 254 versteht Carl Schmitt als das "Urgrundrecht", das "allgemeine Grundrecht... auf Gesetzmäßigkeit aller staatlichen Willensäußerungen. ... Die Freiheit dieses Freiheitsgrundrechts ist eine Freiheit, die dem Gesetz entspringt. Sie verdient den Namen Freiheit aber nur solange, als das Gesetz einen glaubwürdigen und zuverlässigen Zusammenhang mit Vernunft und Gerechtigkeit hat, der Begriff des Gesetzes also nicht in einem rein formalen, d.h. rein politischen Sinn gebraucht wird. Versteht man unter 'Gesetz' jeden Befehl, der von einer bestimmten Stelle ausgeht oder in einem bestimmten Verfahren zustande kommt, so ist das Prinzip der Gesetzmäßigkeit reiner Absolutismus. Daher muß in der Beschaffenheit der gesetzgebenden Stelle oder in der Eigenart ihres Verfahrens eine Garantie jenes Zusammenhangs mit Vernunft, Gerechtigkeit und Freiheit gefunden werden.... Die mit den Grundrechten bezweckte Garantie verlegt sich dadurch ganz in den organisatorischen Teil, der die zuständigen Stellen und das von ihnen einzuschlagende Verfahren der Gesetzgebung oder Regierung angibt." - Carl Schmitt 155 Richtigerweise gibt die (grundrechtlich geschützte) Freiheit das Recht auf allgemeine Gesetzlichkeit, also Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens. Schmitts reduzierter Freiheitsbegriff ist die Folge seiner liberalistischen Verteilungslehre 256 .

253 BVerfGE 6, 32 (36 f.); in der als Beleg vom Bundesverfassungsgericht angeführten Sitzung des Hauptausschusses hat der zitierte Wortlaut nicht zur Erörterung gestanden, sondern der Wortlaut, der jetzt im Grundgesetz steht, und der des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13.12.1948: "Jedermann hat die Freiheit, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt" (vgl. Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 59, 61). 254 Grundrechte und Polizeigewalt, S. 184 ff.; vgl. auch in Nipperdey I, S. 15 f. 255 Grundrechte und Grundpflichten, S. 199 f.; vgl. i.d.S. auch ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff., insb. S. 24.

8. Kap.: Die Freiheit als Grundrecht auf allgemeine Gesetzlichkeit

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Die Freiheit, die durch Gesetze verwirklicht wird, die Autonomie des Willens, entspringt zwar nicht dem Gesetz, sondern ist der Rechtsgrund der allgemeinen Gesetzlichkeit und damit des Rechts. Man nennt diese Freiheit das "Urrecht" 2 5 7 . Richtig ist, daß die Gesetze der Freiheit das Recht verfehlen, wenn der Gesetzgeber das Sittengesetz, d.h. die praktische Vernunft, verletzt. Die Sittlichkeit, die praktische Vernünftigkeit, die Richtigkeit erst zeichnet die Gesetze als Verwirklichung der Freiheit aus. U m diese Qualität der Gesetze, mit der die Republik steht und fällt, zu fördern, wenn sie auch wegen ihrer Voraussetzung, nämlich der Moralität der Rechtserkenntnis, insbesondere der des Gesetzgebers, nicht sichergestellt werden kann, hat das Grundgesetz das Bundesverfassungsgericht namens des Volkes als letzten stellvertretenden Hüter der praktischen Vernunft, als Hüter der Sittlichkeit der Gesetzgebung, eingerichtet und vor allem mit der Normenkontrolle betraut 258 . Die Eigenart der Kompetenz zur Sittlichkeit, der Willensautonomie also, die Mißbrauchs- und Irrtumsgefahr, schließt es aus, die Übereinstimmung von Gesetz und Recht zu gewährleisten. Folglich ist die Identifizierung von Gesetz und Recht genausowenig republikanisch wie die Distanzierung vom Gesetz mit dem Vorwurf, es verwirkliche nicht das Recht, wenn das ordentliche Rechtserkenntnisverfahren einschließlich der verfassungsrechtlichen Überprüfung durchgefühlt worden ist 2 5 9 . Das ändert nichts an der letzten Verantwortung des Volkes für das richtige Gesetz, das Recht, welches, wenn das Bundesverfassungsgericht versagt, auf das Widerstandsrecht zurückgreifen darf (Art. 20 Abs. 4 GG) 2 6 0 . Es obliegt der moralischen Erkenntnis jedes einzelnen Bürgers, ob die Rechtserkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts der Sittlichkeit genügen oder nicht. Diese Erkenntnis des Bürgers soll vom Gebot des allgemeinen Frieden geleitet sein; denn der ist Ausdruck der allgemeinen Freiheit und ihn zu fördern ist moralische Pflicht jedes Bürgers 261 . Richtig ist dennoch oder deswegen die

256

Dazu 6. Teil, 2. und 6. Kap., S. 449 ff., 486 ff. Dazu Hinweise in Fn. 25, S. 447. 258 Dazu 9. Teil, 3. und 5. Kap., S. 909 (mit Fn. 471 ff.), 928, 958 (zum Hüter der Verfassung vgl. auch die Hinweise in Fn. 72, S. 457); zur Normenkontrollbefugnis 9. Teil, 1., 2., 3. und 4. Kap., S. 820 ff., 870 ff., 879 ff., 909 ff., 932 ff., 937 ff. 259 Dazu 9. Teil, 5., 6. und 10. Kap., S. 957 ff., 963 ff., 1027 ff. 260 Dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 961 ff.; zur Verantwortung des Volkes Hinweise in Fn. 53, 72, S. 453, 457. 261 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 9 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff.; zur Pflicht zur Sittlichkeit Hinweise in Fn. 70, 128, 5. Teil, 2. und 3. Kap., S. 265, 280. 257

32 Schachischneider

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Formalität der Gesetzlichkeit der allgemeinen Freiheit 262 . Prinzipiell können richtige Gesetze das Urrecht der gleichen Freiheit aller nicht verletzen, aber die Richtigkeit ist eine Frage der Formalität. Die Formalität selbst ist jedoch Ausdruck der Subjekthaftigkeit/der Persönlichkeit aller Bürger, der Würde des Menschen und fordert darum die Moralität 2 6 3 . 2. Unrecht sind darum Gesetze, welche die Prinzipien der Gesetzlichkeit aufheben oder einengen; denn solche Gesetze verletzen die bürgerliche Willensautonomie und damit das Recht jedermanns "auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" 264 . Wenn Gesetze Verfassungsvorschriften irgendwelcher Art, etwa Kompetenzen, besondere Grundrechte oder auch sogenannte Schranken-Schranken, seien es die des Art. 19 Abs. 1 und 2 GG oder das vom Bundesverfassungsgericht praktizierte, vor allem und zu Recht als Verwirklichung der dem Gericht aufgegebenen Verantwortung für die praktische Vernunft auf das Rechtsstaatsprinzip gestützte Verhältnismäßigkeitsprinzip 265 oder auch das Verbot der Willkür 2 6 6 , mißachten, ist das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG verletzt 267 . Zwar definiert Art. 2 Abs. 1 GG keinen materialen Maßstab für die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, weil das allgemeine Freiheitsrecht wie das Prinzip der Freiheit durch Formalität bestimmt ist, aber dieses Grundrecht ist in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 2 GG und den verfassungsrechtlichen Kompetenzvorschriften die Rechtsgrundlage für das auch subjektive Recht aller Bürger auf richtige Gesetze, auf Recht. Der Vollzug unrichtiger Gesetze oder auch nur der Schein der Verbindlichkeit solcher Gesetze verletzt die Autonomie des Willens, welche durch dieses Grundrecht geschützt wird. Verfassungswidrige Gesetze verwirklichen die Freiheit nicht. Zu den verfassungswidrigen Gesetzen gehören im Verfassungsgerichtsstaat auch die wegen praktischer Vernunftwidrigkeit unrichtigen Gesetze; denn sie sind

262 Zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 7, S. 443; zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit Fn. 47, S. 452. 263 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 286 ff.; 9. Teil, 3. Kap., S. 923; weitere Hinweise in Fn. 7, S. 443, auch zur inneren Freiheit. 264 Dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 273 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; zur Autonomie des Willens Hinweise in Fn. 8, S. 443. 265 Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip vgl. 5. Teil, 4. Kap., S. 362 mit Fn. 558; 7. Teil, 3. Kap., S. 557 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 986. 266 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 412 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 986 ff., 990 ff. 267 So in der Sache das Bundesverfassungsgericht seit dem Elfes-Urteil in BVerfGE 6, 32 (36 ff.); dazu m.w.H. v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 16 ff. zu Art. Abs. 1, S. 161 ff.; dazu 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.

8. Kap.: Die Freiheit als Grundrecht auf allgemeine Gesetzlichkeit

499

vom Bundesverfassungsgericht zu verwerfen. Die Formalität des Richtigen, welche die Moralität als einzigen Weg zum Richtigen ausweist, hat rechtstechnisch zur Folge, daß das moralwidrig beschlossene Gesetz unrichtig und als rechtswidrig einzustufen ist. Die Moralität wird dadurch zur juridischen Kategorie, notwendig zu einer formalen, die sich in der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts verwirklicht, seine praktische Vernünftigkeit, seine Moralität, stellvertretend für das Volk, in Rechtserkenntnissen materialisiert, für das Gemeinwesen verbindlich zu machen 268 . Man kann von einer institutionellen Judiziabilität sprechen, die keine material subsumiblen Begriffe voraussetzt. Art. 2 Abs. 1 GG als das Prinzip der Gesetzlichkeit teilt sich jedoch nicht in einen materialen Freiheitstatbestand und dessen Schranken. Herbert Krüger hat demgemäß ein grundrechtsgeschütztes Belieben im Bereich des Öffentlichen zurückgewiesen 269 . 3. Die die Privatheit des einzelnen Bürgers vor staatlicher Gesetzgebung schützenden besonderen subjektiven Grundrechte können durch staatliche Gesetze beschränkt werden, wie deren Gesetzesvorbehalte beweisen, weil erstere material sind, nicht aber das Recht, welches Art. 2 Abs. 1 GG schützt, nämlich nicht die formale Freiheit. Das beschränkende Gesetz macht von der Kompetenz Gebrauch, die das Grundrecht dem Gesetzgeber überträgt. Soweit dem Gesetzgeber aufgegeben wird, das Nähere zu regeln (z. B. Art. 4 Abs. 3 S. 2 GG, aber auch Art. 12 Abs. 1 S. 2, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG), ist die Privatheit von dem Grundrecht noch nicht bemessen, sondern der grundrechtsgeleiteten Gesetzgebung aufgetragen, auf die ein subjektives Recht aus dem Grundrecht besteht 270 . Letztlich bedürfen alle Grundrechte in ihrer objektiven Dimension mehr oder weniger der näheren Materalisierung durch Gesetze einschließlich der näheren Bestimmung der subjektiven Dimension der Privatheit, über deren praktische Vernünftigkeit/Richtigkeit die Hüter der Verfassung wachen 271 . Zumindest die immer irgendwie offenen Grundrechtsbegriffe müssen näher bestimmt werden.

268 Dazu 9. Teil, 4. und 7. Kap., S. 944 f., 982 f.; auch 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 673. 269

Allgemeine Staatslehre, S. 543 (Verallgemeinerungspflicht); i.d.S. auch R Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 126 ff., insb. S. 150 ff., 154 ff.; auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 201, 209 ff., 235 ff. 270 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 379 ff., 385 ff.); 6. Teil, 2., 5. und 7. Kap., S. 449 ff., 466 ff., 490 ff. 271 Dazu Hinweise in Fn. 53, 72, S. 453, 457.

32*

500

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Auch dadurch wird die Materie der Privatheit eingeschränkt oder ausgedehnt 272 . Die Schranken auch der subjektiven Grundrechte sind variabel und dynamisch 273 . Wenn das staatliche Gesetz erlassen ist, hat sich das Handeln des Bürgers nach diesem Gesetz zu richten; denn es verwirklicht auch seine Willensautonomie. Der Bürger darf sein Handeln nicht mehr an Maximen ausrichten, die er zwar für allgemein richtig hält, die aber dem Gesetz widersprechen. Moralität ist zunächst einmal Legalität 274 . Die durch das Grundrecht mit dem Recht der Freiheit geschützte Freiheit selbst als die Autonomie des Willens ist durch Gesetze nicht beschränkbar, weil sie, wie gesagt, durch Gesetze verwirklicht wird. Aber dem Gesetzgeber ist durch den besonderen grundrechtlichen Schutz des Rechts zur Privatheit, insbesondere durch sogenannte vorbehaltslose Grundrechte, wie etwa die sogenannte Kunstfreiheit 275 , die Gesetzgebungskompetenz in einem der Lage gemäßen, variabel und dynamisch zu bestimmenden, die grundrechtliche Leitentscheidung respektierenden, Umfang 2 7 6 verwehrt 277 .

272 Dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 303 ff., S. 122 ff., Rdn. 308 ff., Rdn. 124 ff.; zur "Konkretisierung" des grundrechtlichen "Normbereichs" insb. F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 201 ff.; ders., Die Positivität der Grundrechte, 2. Aufl. 1990, S. 11 ff., 40 ff., passim. 273 I.d.S. zu Art. 19 Abs. 2 GG BVerfGE 50, 290 (368); R. Scholz, HStR, Bd. VI, S. 1181. 274 Dazu 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 306 ff., 419 ff.; 7. Teil, 1. und 4. Kap., S. 519 ff., 560 ff.; vgl. insb. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 70 ff., zum Verhältnis von Legalität und Moralität bei Kant; J. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 6 ff., der die Moralität zu materialisieren scheint und darum befürchtet, daß bei Kant "Recht in Moral aufzugehen drohe"; ders., Faktizität und Geltung, S. 135 ff., 541 ff.; auch E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 85 f., verkennt die Moralität der Legalität, die aus der moralischen Gesetzgebung folgt. ("Legalität und Moralität sind demnach völlig getrennt, ..."; aber: Zweck der Gesetze ist "die Aufrechterhaltung der äußeren allgemeinen Freiheit", die Legalität aber setzt den "vereinigten Willen des Volkes" voraus, der ohne Moralität nicht erreichbar ist.). 275 Dazu insb. BVerfGE 30, 173 ff. - Mephisto-Beschluß, vorher schon BVerfGE 28, 243 (260 f.) zur Kriegsdienstverweigerung; vgl. zur Dogmatik der vorbehaltslosen Grundrechte v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 176 f. zu Art. 1 Abs. 3, S. 122 ff., Rdn. 206 ff. zu Art. 5 Abs. 3, S. 603 ff.; dazu auch W. Schmidt, AöR 106 (1981), S. 498 f., 506 f.; dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff. 276 277

Dazu 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff. Dazu Hinweise in Fn. 85, S. 460; 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.

9. Kap.: Die dualistische Lehre von der liberalen und demokratischen Freiheit

501

9. Kapitel Die dualistische Lehre von der liberalen und demokratischen Freiheit 1. Die überwiegende deutsche Staatsrechtslehre, welche die Demokratie als Staats- und Regierungsform des Grundgesetzes ansieht 278 , dogmatisiert neben der "bürgerlichen Freiheit der einzelnen und der Gesellschaft vor bestimmten Zugriffen der Staatsgewalt überhaupt" die "politische Freiheit der Mitwirkung und Mitbeteiligung aller an den Entscheidungen der Staatsgewalt". Für diese "doppelt genähte" Freiheit habe sich das Grundgesetz entschieden, das "die Demokratie als rechtsstaatliche, freiheitliche Demokratie erfaßt" habe. - Ernst-Wolfgang Böckenförde 279 Diese "doppelte Sicherung der Freiheit" ist die Konsequenz der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, die sich vom monarchisch tradierten herrschaftlichen Staatsprinzip genausowenig löst wie von Hegels Begriff der "bürgerlichen Gesellschaft" 280 . Das Politische bleibt vom Bürgerlichen getrennt, während in der "alteuropäischen" res publica das Politische und das Bürgerliche und damit das Freiheitliche und das Staatliche dasselbe sind 2 8 1 . Daß das so verstandene Politische ohne monarchisches Prinzip als demokratische Herrschaft verstanden wird 2 8 2 , ist Anlaß für eine 278

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. (insb. S. 23 ff.); 2. Teil, 9. Kap., S. 144 f. ff. mit Fn. 307.

279

Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 412; krass dualistisch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 625 ff.; ders., Grundrechte und Demokratie - die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, 1981; nicht anders R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 331; H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 32 ff., insb. S. 45; P. Kirchhof\ HStR, Bd. I, S. 788, der richtig die demokratische Freiheit als "individuelle Selbstbestimmung in ethischer Verantwortung, nicht Herrschaft über andere" vorstellt, im Gegensatz zur "Individualität und Privatheit" der "Freiheit des Individualhandelns"; auch BVerfGE 69, 315 (343 ff.); weitere Hinweise auf den dualistischen Freiheitsbegriff in Fn. 285, 286, 314, S. 502 f., 508; auch 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff. 280 Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 182 ff., S. 192 ff.; dazu M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 77 ff.; zur Kritik der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 3. Teil, 1., 2. und 4. Kap., S. 159 ff., 175 ff., 201 ff.; auch Fn. 3, S. 441 f. 281 Vgl. M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 77 ff.; nicht anders H. Ehmke , "Staat" und "Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, S. 265 ff., der darum richtig vom "politischen Gemeinwesen" anstelle vom Staat zu sprechen vorschlägt; so schon Kant, Metaphysik der Sitten, S. 429; zum Paradigma des Alteuropäischen kritisch N. Luhmann, vgl. 5. Teil, 1. Kap., S. 254 f. 282 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 4 f., 223 ff. u.ö.; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 85 ff.; insb. E.-W. Böckenförde, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 412; ders., HStR Bd. I, S. 910 ff., sieht eine "Metamorphose der individuellen zur demokratischen

502

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

herrschaftsabwehrende herrschaftslegitimierende

"bürgerliche"

Freiheit,

wie

für

eine

"politische" Freiheit. A l l e Staatsgewalt bedürfe

schließlich der demokratischen L e g i t i m a t i o n ( A r t . 2 0 A b s . 2 S. 1 G G ) 2 8 3 . D i e L e g i t i m a t i o n der Herrschaft durch die W a h l e n des Volkes w i r d als diese "politische Freiheit" des Volkes begriffen, o b w o h l es weder Freiheit ist zu herrschen, noch sich beherrschen zu lassen 2 8 4 . D e n Widerspruch v o n Herrschaft u n d Freiheit übersieht diese D o g m a t i k . Christian

Starck unterscheidet

diesem D o g m a gemäß die "demokratische Freiheitsidee" v o n der "grundrechtlichen F r e i h e i t s i d e e " 2 8 5 , die ihren A u s d r u c k i n den Menschenrechten finde 286.

Bereits Gerhard

Anschütz

trennt die

Freiheit" und kommt damit der Autonomielehre nahe, obwohl er den Herrschaftscharakter der Demokratie zur Grundlage seiner Lehre macht (S. 893); J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 605, 628, 644, 652 ff. u.ö.; auch H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, S. 273, bleibt dabei, auch in der Demokratie werde Herrschaft ausgeübt, weil "die Nicht-Identität von Regierenden und Regierten zur Struktur unseres politischen Gemeinwesens" gehöre, er schwächt damit seine Kritik der Trennung von Staat und Gesellschaft und nimmt seinem Begriff des "politischen Gemeinwesens" empiristisch die Substanz; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 112 zu Art. 1 Abs. 3, S. 85; weitere Hinweise zur Herrschaftsideologie 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff. mit Fn. 4, S. 72; vgl. auch Fn. 85, 2. Teil, 3. Kap., S. 88 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; auch 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff. 283 Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG legitimiert nicht Herrschaft, sondern verfaßt fundamental das Volk zum Staat; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 17 ff., 64 ff.; (vgl. Hinweise in Fn. 344); kritisch zur umgekehrten Abhängigkeit der Wähler vom Staat H. Meyer, HStR Bd. II, S. 250 f. 284 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1., 7. und 9. Kap., S. 71 ff., insb. S. 124 ff., 139 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 344 ff., 410 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 285 HStR, Bd. II, S. 4 f., 9 ff., 17 ff., ders. auch, v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3, Rdn. 113, S. 85 f.; ähnlich H.H. Klein, Öffentliche und private Freiheit, Der Staat 10 (1971), S. 167 f.; ders., Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 32 ff., insb. S. 43 ff.; J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, passim; ders., HStR, Bd. I, S. 652 ff.; in der Sache auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 909 ff. (politische Freiheit/demokratische Mitwirkungsfreiheit), S. 945 f. (rechtsstaatliche Freiheit); i.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 153 ff., S. 60 ff., Rdn. 287 f., S. 116 f., der trotz kritischer Ansätze an dem Herrschaftscharakter der Demokratie festhält; so auch P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 29 f., 53, 59 f.; dazu A. Enderlein, Der Begriff der Freiheit, S. 120 ff. 286 H.Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., passim, stützt die "Idee der Demokratie" auf die "Idee der Freiheit" und spricht von der "Loslösung des Demokratismus vom Liberalismus" (S. 10); C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 168 ff. ("demokratische Staatsbürgerrechte" "der citoyens"), S. 224 f., zur Freiheit als liberalem Prinzip des bürgerlichen Rechtsstaates, ohne politisches Formprinzip zu sein; i.d.S. auch J. Isensee, Grundrechte und Demokratie, S. 7 ff.; auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff.; ders., HVerfR, S. 174, 178, 191, 216; E. Benda, Demokratie, Sp. 1194 f. (in der Sache); R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 330 ff., auch S. 292; auch H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1199 f.; auch H. Bethge, DVB1. 1989, 849, stellt "Liberalismus und Volks-

9. Kap.: Die dualistische Lehre von der liberalen und demokratischen Freiheit

503

"persönliche Freiheit", die "Freiheit v o m Staat" v o n der "politischen Freiheit", der "Freiheit i m Staat", " w e l c h e den A n t e i l des Bürgers an der B i l d u n g des Staatswillens i n sich b e g r e i f e " 2 8 7 . Diesen dualistischen Freiheitsbegriff haben auch Carl Schmitt Kelsen

vertreten

288

. Manfred

Hättich

u n d Hans

hat i h n i n seine demokratische Herr-

schaftslehre i n t e g r i e r t 2 8 9 . D i e Differenzierung taucht beispielhaft bei HansUwe Erichsen

auf. E r unterscheidet die

"Freiheit v o m Staat", i n deren Bereich Recht als "Beschränkung der Freiheit" begriffen

werden müsse u n d " i n einen Gegensatz zur Freiheit

gerate", v o n der "Teilhabe a m Staat", die dem "einzelnen die M ö g l i c h k e i t eröffne",

"die

Erscheinung

...

des

Gemeinwesens

...

mitzubestim-

men I m B r o k d o r f - B e s c h l u ß hat das Bundesverfassungsgericht die dualistische Freiheitslehre deutlich herausgestellt:

Souveränität" nebeneinander; i.d.S. auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 230; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 42 ff.; H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 250 ff., kritisch; weiterführend W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 50 ff., der die freiheitliche politische Willensbildung des Volkes fast republikanisch beschreibt, aber an der Herrschaftlichkeit der Demokratie festhält (S. 61), obwohl er die "hartknäckige Trennung von 'Staat' und 'Gesellschaft' als überwunden" erkennt; ders. schon, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 221 ff.; demokratisch im republikanischen Sinne schon K. Hesse, Staat und Gesellschaft, S. 494 ff.; deutlich zur "demokratischen Funktion der Grundrechte" auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 971, 976; etwa auch BVerfGE 27, 71 (81); i.S. einer demokratischen Demonstrationsfreiheit BVerfGE 69, 315 (343 ff.); auch noch K.A. Schachtschneider, JA 1979, 569 ff.; dualistisch konzipiert demokratische Teilhabe auch D. Murswieck, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, HStR, Bd. V, 1992, S. 249 ff.; kritisch zur "demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie" E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1535; kritisch zur Entgegenstellung eines liberalen und eines demokratischen Freiheitsbegriffs insb. E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 139 ff., insb. S. 152 in Fn. 67, S. 194 ff.; mit einem "Prinzip eigenständiger, sinnhafter und verantwortlicher Lebensführung" will W. Brugger, Elemente verfassungsliberaler Grundrechtstheorie, JZ 1987, 633 ff., 640 "alle wesentlichen grundrechtlichen Positionen und grundrechtstheoretischen Anliegen ... integrieren", ohne die innere Freiheit als Pflicht zur Sittlichkeit präzise zu erfassen; zur Geschichte der Idee der Menschenrechte H. Hofmann, Zur Herkunft der Menschenrechtserklärungen, JuS 1988, 841 ff.; zur "Universalität der Menschenrechte" M. Kriele, Die Menschenrechte zwischen Ost und West, 1977, in: ders., Recht Vernunft - Wirklichkeit, 1990, S. 103 ff.; vgl. auch ders., Einführung in die Staatslehre, S. 149 ff. 287 Komm, zur WRV, Anm.l zu Art. 114. 288 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126, 130, 158 f., 163, 166 f., 168 f., 223 ff.; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff. 289 Demokratie als Herrschaftsordnung, 1967, S. 144 ff., 164 f. 290 HStR, Bd. VI, S. 1186 f.

504

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

"In ihrer Geltung für politische Veranstaltungen verkörpert die Freiheitsgarantie (sc. des Art. 8 GG) aber zugleich eine Grundentscheidung, die in ihrer Bedeutung über den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung hinausgeht. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis war die im naturrechtlichen Gedankengut verwurzelte Versammlungsfreiheit schon früh als Ausdruck der Volkssouveränität und demgemäß als demokratisches Bürgerrecht zur aktiven Teilnahme am politischen Prozeß verstanden worden (...). Diese Bedeutung des Freiheitsrechts wird ... im Schrifttum durchgängig anerkannt"... "Namentlich in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten hat die Versammlungsfreiheit die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselements." - BVerfGE 69, 315 (343 f., bzw. 347) Peter Häberle stellt den Zusammenhang von Menschenwürde und Demokratie heraus und erkennt die Grundrechte als "Volksrechte", "Volksfreiheiten", weil das Volk weder eine "antigrundrechtliche noch antistaatliche Größe" sei 291 . Das ist republikanisch, wie Häberles Menschenwürdelehre überhaupt, der allerdings die unverzichtbar formale Ethik nicht fehlen darf 2 9 2 . Auch Konrad Hesse sieht "die Freiheitsproblematik von vornherein verfehlt oder verkürzt", "wenn es (sc.: das Verständnis der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft) Demokratie eher als Gefährdung denn als Gewähr der Freiheit versteht" 293 . 2. Diese freiheitsdogmatische Unterscheidung in eine politische Freiheit, die demokratische, und eine bürgerliche/liberale, die sogenannte grundrechtliche, bleibt dem hegelianischen Begriff der "bürgerlichen Gesellschaft" 294 verhaftet, welcher die Identität des Politischen und des Bürgerlichen 295 , 291

HStR, Bd. I, S. 847; ders. zur demokratischen Komponente der Grundrechte, Wesensgehaltsgarantie, S. 17 ff., auch S. 180 ff., 335 ff., 340 f., 363 f. u.ö., dazu auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 187 ff., 201 ff.; ganz so schon i.S. der res publica R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 328 ff.; i.d.S. auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff. 292 Diese greift P. Häberle in: Ethik "im" Verfassungsrecht, Rechtstheorie 1990, S. 270 ff., insb. S. 276 ff., auf. 293 Staat und Gesellschaft, S. 497; vgl. auch ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 153 ff., S. 54 ff., auch Rdn. 287 f., S. 116 ff., wo er sich dennoch vom Herrschaftscharakter der Demokratie nicht löst. 294 Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 182 ff., S. 192 ff. 295 M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 77 ff.

9. Kap.: Die dualistische Lehre von der liberalen und demokratischen Freiheit

505

die res publica also, verdrängt hat. Hegel hat der nachnapoleonischen Restauration und damit dem monarchischen Prinzip, welches das Gottesgnadentum der absoluten monarchischen Souveränität abgelöst hat 2 9 6 , gedient und die Restauration staatsphilosophisch stabilisiert. Hegels Begriffe haben bisher stärker gewirkt als die Weimarer Reichsverfassung und das Grundgesetz, vor allem wohl, weil sie Herrschaft legitimieren, welche seit der Aufklärung nicht mehr begründbar ist. A m Ende dieses 20. Jahrhunderts sollte endlich auch begrifflich die Staatslehre Hegels zugunsten der Freiheitslehre Kants aufgegeben werden. Den Republikanismus des 18. Jahrhunderts hat Napoleon im Blut Europas ertränkt. Der neue, hoffentlich ewige, Frieden in Europa gibt die Chance eines europäischen "Föderalismus freier Staaten", Kants Vision 2 9 7 . Hegels Epigonen haben genug Schaden angerichtet. Karl R. Popper hat eindringlich vor den Feinden der offenen Gesellschaft, zu denen neben Piaton auch Hegel, vor allem aber Marx gehören, gewarnt und die deutsche Ausgabe des 1944 erschienenen Werkes "dem Andenken des Philosophen der Freiheit und Menschlichkeit Immanuel Kant" gewidmet 298 . Welcher Staatslehrer wollte sich nicht gern auf die Seite des Staates stellen, wenn dieser "die Wirklichkeit der sittlichen Idee" (.Hegel, Rechtsphilosophie, § 257) ist, "die bürgerliche Gesellschaft" aber "das System der Bedürfnisse" CHegel, Rechtsphilosophie, § 188 u.ö.)? Die Verachtung des Volkes ist die Grundlage jeder Herrschaftsideologie. Josef Isensee sieht ganz hegelianisch "die ethische Identität zerbrochen, seit die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft sich durchgesetzt" habe 299 . Dem Bürger gesteht er grundrechtlich legitimierten Egoismus zu, während "zum Wohl des Ganzen sich Kräfte regen" müssen würden, "deren Quellen jenseits des rechtsstaatlichen Horizontes liegen: Religion, Moral, Tradition, Kultur" 3 0 0 .

296 Dazu H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 257 ff.; grundlegend E. Kaufmann, Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzips, 1906; P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, 1974, insb. S. 72 ff. 297 Zum ewigen Frieden, S. 208 ff. 298 Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, I, Der Zauber Piatons, und II, Falsche Propheten, Hegel, Marx und die Folgen, 6. Aufl. 1980. 299 Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 74; ders., in der Sache ähnlich, aber in der Formulierung bedeckter, HStR, Bd. I, S. 633, 652 ff.

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Meint er das Opus Dei? 3 0 1 Wer das Volk von der Moral entbindet, nimmt ihm nicht nur die Bürgerlichkeit, sondern spricht ihm die Freiheit ab; denn eine Freiheit ohne sittliche Bindung gibt es nicht, jedenfalls nicht unter dem republikanischen Grundgesetz. Freiheit ist politisch; Liberalität duldet begrenzte Willkür der Untertanen. Darin liegt die paternalistische Entwürdigung des Volkes, welche meint, die Wirklichkeit zu erkennen, jedenfalls aber die Verfassung verkennt. Wenn die Waffen schweigen, schaffen die Begriffe die politischen Verhältnisse. Noch dominieren die Herrschaftsbegriffe im Staats- und Verwaltungsrecht. Isensee schreibt selbst: "Die rechtliche Freiheit ist notwendig formal und damit offen zum materialen Ethos des Bürgers; sie ist sogar darauf angewiesen" 302 . 3. Das Grundgesetz schließt an die alteuropäische Tradition des politischen Denkens an. Die politische Wissenschaft, einschließlich der sogenannten Staatsrechtslehre 303, sollte ihm folgen, um der Gefahr zu wehren, daß eine neue deutsche Verfassung die Verfassungswirklichkeit in Deutschland zum Prinzip erhebt, nämlich den Parteienstaat. Der Parteienstaat steht in der Tradition des monarchischen Prinzips; denn er sucht seine Legitimation in der Unausweichlichkeit von Herrschaft 304 . Der letzte große alteuropäische Lehrmeister ist Kant. Werner Maihofer, aber auch andere mühen sich seit langem, die politische Wissenschaft mit der alteuropäischen Tradition zu verbinden. Auch Ernst Vollrath hat dazu einen Beitrag geleistet 305 . Die Staatsrechtslehre muß, um auf den Stand der Ethik, der "Sittenlehre", der "Wissenschaft von der Freiheit" also 306 , zu gelangen, den das 18. Jahr-

300 Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 71 bzw. S. 76; vorsichtiger ders., HStR, Bd. I, S. 633, wo er aber vom "vordemokratischen" Prinzip des Amts spricht (das Amt aber ist griechisch/römisch, politisch/republikanisch und hat damit beste freiheitliche Reputation). 301 Dazu P. Hertel, "Ich verspreche euch den Himmel", Geistlicher Anspruch, gesellschaftliche Ziele und kirchliche Bedeutung des OPUS DEI, 3. Aufl. 1991. 302 HStR, Bd. I, S. 633; das "materiale Ethos" kann das Sittengesetz nicht meinen; denn das gehört zur formalen Ethik. 303 Zu dem deutschen Konstitutionalismus verhafteten Begriff der Staatsrechtslehre 2. Teil, 3. Kap., S. 88; insb. Ch. v. Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 436. 304 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. (insb. S. 45 ff.); 2. Teil, 1. und 3. Kap., S. 71 ff., 88 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 (insb. S. 171 ff.); 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff., 1054 ff. 305 Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen, 1987. 306 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 11.

9. Kap.: Die dualistische Lehre von der liberalen und demokratischen Freiheit

507

hundert an seinem Ende erreicht hat, ein Opfer bringen,· nämlich die Ideologie von der Herrschaftlichkeit jedes Staates. Diese Ideologie verzerrt die Verfassung mit einer Kraft, die keiner der Verfassungssätze des Grundgesetzes entfaltet. Insbesondere erlaubt diese Ideologie, jedwedes Verfassungsprinzip zu etablieren, welches für die Herrschaft notwendig erscheint. Von dieser Ideologie lebt der entwickelte Parteienstaat 307. Ohne Hegel ist Staatlichkeit als Herrschaftlichkeit nicht zu begründen, weil die Verfassungen das monarchische Prinzip verworfen haben. M i t der Aufklärung und ihrer Lehre von der Republik hat die restaurative Staatslehre des 19. Jahrhunderts erfolgreich gebrochen 308 . Die staatsrechtliche, durchaus rechtsstaatliche, Restauration wirkt bis heute. M i t dem Kantianismus, der seit Mitte der achtziger Jahre unseres Jahrhunderts auch die Rechtslehre wieder bestimmt und sich wesentlich auch in der Diskursethik 309 etabliert, erlebt die Lehre von der Republik eine Wiederkehr, die endlich an die Revolution von 1918 anzuschließen die Chance hat. Diese Entwicklung w i l l auch dieses Buch fördern. Allgemeine Freiheit realisiert sich nur in einer demokratischen Republik. Grundrechte schützen oder verwirklichen die Freiheit in unterschiedlicher Weise 310 , auch durch subjektive Rechte der Privatheit. Die personale Einheit des Menschen i m Allgemeinen/ Staatlichen und Besonderen/Privaten 3 1 1 und als bürgerliche Einheit, die durch die genannten dualistischen Freiheitslehren nicht eingelöst wird, folgt der oben dargelegten personalen

307 Dazu Hinweise in Fn. 704, 8. Teil, 5. Kap., S. 772; Fn. 1, 49, 10. Teil, 1. und 2. Kap., S. 1045, 1054. 308 Dazu P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 72 ff. 309 Dazu Hinweise in Fn. 504, 2. Teil, 11. Kap., S. 156 f.; 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff. (insb. Fn. 375), S. 598 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 349 ff., 541 ff., dessen Lehre von der "deliberativen Politik" sich als Weiterentwicklung der Autonomielehre Kants versteht; vgl. insb. O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 331 ff. (zu Apel), auch S. 351 ff. (zu Habermas). 310

E . Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 243 ff. u.ö.; dazu 6. Teil, 10. Kap., S. 515 ff., mit Fn. 362, 363; 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. 311 Zur Besonderheit des Privaten H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 501 f., 541; ΚΛ. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 239, 269, 329, 421 ff.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1203 ff.; zum Schutz der "Privatheit" als Funktion der Grundrechte auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 286 ff., insb. S. 335 ff.; dem Bundesverfassungsgericht folgend differenziert die überwiegende Lehre nach Intensität des Schutzes vor dem Staat abgestufte Freiheitssphären des Art. 2 Abs. 1 GG; vgl. H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1195 ff., 1208 ff.; dazu auch W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 57 ff.

508

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

E i n h e i t des Bürgers als h o m m e u n d c i t o y e n 3 1 2 . Diese personale E i n h e i t ist z u g l e i c h eine politische E i n h e i t ; denn alles Handeln, auch das private, ist p o l i t i s c h u n d kann, w e n n es n ö t i g w i r d , allgemeinen Gesetzen unterworfen w e r d e n 3 1 3 . D i e subjektiven Grundrechte geben davor w e n i g Schutz u n d sind selbst politische Entscheidungen. D i e monarchisch-liberal geprägte, also konstitutionalistische Unterscheid u n g v o n Staat u n d Gesellschaft muß i n der D e m o k r a t i e , die das V o l k , e i g e n t l i c h nur dessen vermeindliche M e h r h e i t , z u m H e r r n ideologisiert, unterschiedliche Freiheitsbegriffe hervorbringen, n ä m l i c h einen, der den gesellschaftlichen Bereich des Menschen schützt (liberaler Freiheitsbegriff), u n d einen, der seine Herrschaft begründet (demokratischer F r e i h e i t s b e g r i f f ) 3 1 4 . Gegen die demokratistische Herrschaft

müssen sich die

liberalistischen

Freiheiten behaupten. D e r republikanisch verstandene Bürger j e d o c h herrscht n i c h t über andere, sondern ist frei, i n d e m er sich selbst beherrscht 3 1 5 .

312

4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; vgl. zu diesem "alteuropäischen" Begriff des Bürgers vor allem M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", S. 77 ff.; ders., Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, S. 672 ff., insb. S. 695 f., 697 f. 313 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 219 ff.); auch 5. Teil, 4. und 5. Kap., S. 346 ff., 370 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff. 314 I.d.S. schon die Differenzierung von C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126, 130, 158 f., 163 f., 166, 168 f., der freilich die Gleichheit, nicht die Freiheit als "politisches Formprinzip" versteht (insb. S. 223 ff.); i.d.S. auch H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., passim; auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 230, 309 u.ö., stellt als eine Freiheit heraus, "gleichberechtigt am politischen Leben mitzuwirken", und lehrt eine "konstitutionelle Demokratie" (S. 223, 252, 275 f. u.ö.).; typisch etwa W. Schmitt Glaeser, VVDStRL 31 (1973), S. 191 f., 221 ff., 259 ff., 263, der den Herrschaftscharakter der freiheitlichen Demokratie, ohne den Widerspruch zu bemerken, betont und auf dem Begriff Republik als dem Gemeinwesen der Bürger gar nicht kommt, obwohl er die "bürgerliche Partizipation" zu seinem Zentralbegriff erhebt (dazu oben 4. Teil, 1. Kap., S. 209 f.); näher am Republikanischen ders., HStR, Bd. II, S. 50 ff.; beide Aspekte verschränkt i.S. einer "Einheit von Freiheit und Verantwortung", also fast republikanisch trotz seines republikwidrigen Mißverständnisses des Sittengesetzes ( S. 1202 f.) H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1126 ff., 1989. Die Salzburger (1972) Partizipationserörterung der Deutschen Staatsrechtslehrer zur Hochzeit der Demokratisierungsbemühungen (Willy Brandt: "Wir wollen mehr Demokratie wagen") erweist die Konjunkturen staatsrechtlicher Überlegungen; das Wort Republik wurde nicht gesprochen; gegen das "Auseinanderreißen von Liberalismus und Demokratie" M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 317, 318 ff.; vgl. weiter die Hinw. in Fn. 279, 285, 286, S. 501 ff. 315 Ganz so W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 17 ff.; ders., HVerfR, S. 178 ff., 186 ff.; näher zum Widerspruch von Freiheit und Herrschaft 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; 7. Teil, 1., 2. und 4. Kap., S. 519 ff., 536 ff., 560 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff.

9. Kap.: Die dualistische Lehre von der liberalen und demokratischen Freiheit

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"Der Staat ist die Herrschaft des Menschen über sich selbst." - Werner Maihofer 316 Alle Bürger geben einander die allgemeinen/staatlichen Gesetze, deren Verbindlichkeit ihr gemeinsamer Staat sichert. Nach Maßgabe dieser das äußere Handeln regelnden, die Freiheit aller verwirklichenden Gesetze ist der Bürger er selbst und sucht sein persönliches, besonderes Glück, ist er privat und berechtigt, seine Vollkommenheit allein oder mit anderen (nach Maßgabe privater Gesetze und Verträge) anzustreben 317 . Herbert Krüger hat die wertorientierende Funktion der Grundrechte (Werttafel) für die Hervorbringung des Staates dem Mißverständnis entgegengestellt, die Grundrechte würden die Beliebigkeit i m Bereich des Öffentlichen schützen, durch und durch republikanisch 318 . I.d.S. formulieren die Grundrechte, den Ideen von einem gemeinsamen guten Leben, die regelmäßig aus Erfahrungen geboren sind, folgend, politische Leitentscheidungen, die das staatliche Gemeinwesen verwirklichen soll 3 1 9 . Der liberalistisch demokratistische Interessensubjektivismus, der nur eins kennt: das eigene Ich, ist Ausdruck des Verlustes an Republikanität 320 . "Die Individuen sind als Bürger dieses Staates Privatpersonen, welche ihr eigenes Interesse zu ihrem Zwecke haben." - Hegel 321 So lehrt Walter Leisner. "Vernünftig ist vielmehr der Eigentümer stets dann, wenn er seine eigenen Interessen gegen den Staat vertritt und durchzusetzen versucht, dies ist die Grundlage der freiheitlichen Demokratie." 322

316 Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 21; ganz so zu Kant W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 89 ff., 93 f.; so auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 271, 274 ff. (Vorrang der Freiheit), S. 493 ff. (zur "wohlgeordneten Gesellschaft"). 317 Dazu oben 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; zum Prinzip des eigenen Glücks Hinweise in Fn. 149, S. 474. 318 Allgemeine Staatslehre, S. 539 ff., 545 ff. (Grundrechte als Integrationsfaktoren); in diese Richtung gehen auch die Bemühungen P. Häberles, Wesensgehaltsgarantie, S. 126 ff., 180 ff., die Grundrechte durch Gesetze ausgestalten zu lassen; auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 139 ff., 194 ff.; dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., insb. S. 830 ff. 319 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 847 ff. 320 Ganz i.d.S. R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 328 ff., 333. 321 Rechtsphilosophie, § 187, S. 195; M. Riedel, Der Begriff der "Bürgerlichen Gesellschaft", 5. 99 ff., stellt die Interessenhaftigkeit des bourgeois, der "Bürger als Privatpersonen", die das politische Denken noch heute bestimmt und von Hegel auf den Begriff gebracht ist, heraus; i.d.S. auch J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 69 ff., der durch die Grundrechte den Egoismus geschützt sieht (S. 71); anders insofern K. Hesse, Staat und Gesellschaft, S. 494 ff.; gegen das Hegeische System, für das "politische Gemeinwesen" auch H. Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft", S. 257 ff.; zum interessengeleiteten Pluralismus 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Das Grundgesetz schützt diese Interessen ausweislich Art. 2 Abs. 1 GG gerade nicht, sondern die Autonomie des Willens und eine gewisse eigeninteressierte Privatheit nach Maßgabe der allgemeinen Gesetze 323 . Vernünftig ist nur die Sittlichkeit. M i t dem Abs. 2 des Art. 14 GG ist Leisners Eigentumslehre schwerlich vereinbar: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen". Diese Verpflichtung ist Ausdruck praktischer Vernunft, wie sie im Kontext mit Art. 2 Abs. 1 GG nicht anders sein kann. Der Gesetzgeber materialisiert sie zu juridischen Pflichten 324 , deren Richtigkeit/praktische Vernünftigkeit die Hüter der Verfassung, vor allem das Bundesverfassungsgericht, zu verantworten haben 325 . Privatheit, welche den eigenen Interessen zu folgen erlaubt, eignet den Bürgern und Menschen, soweit dies gemeinverträglich ist, also dem allgemeinen Willen, den staatlichen Gesetzen, entspricht. Dabei sind die besonderen Grundrechte auch Ausdruck des allgemeinen Interesses. Der Eigentümer darf seine Interessen gegenüber den anderen Privaten zu behaupten versuchen. Das ergibt vor allem den Wettbewerb, der eine mögliche Verwirklichung der praktischen Vernunft ist und wegen seiner Effizienz für die allgemeine Wohlfahrt die Tugendpflichten nicht verletzt. Ein Gegeneinander von Eigentümer und Staat aber zu dogmatisieren, verkennt den grundgesetzlichen Eigentumsbegriff, insbesondere die Abhängigkeit der Eigentumsrechte von den allgemeinen Gesetzen 326 . Die das Eigentum materialisierende allgemeine Gesetzgebung aber soll das Ergebnis der praktischen Vernunft, der allseitigen Liebe, der Sittlichkeit eben, sein, nicht das Ergebnis eines Interessenkampfes, schon gar nicht gegen den Staat. Wer sollte dieser Staat sein, seit es keinen Monarchen mehr gibt? 4. Die innere Freiheit gehört zur Freiheit ihrem einzig möglichen Begriff nach; denn sie folgt logisch aus der äußeren Freiheit, der Unabhängigkeit

322

Situationsgebundenheit des Eigentums, S. 20. Dazu Hinweise in Fn. 8, S. 443 (Autonomie des Willens); Fn. 10, 16, 41, S. 443 f., 449. 324 Vgl. i.d.S. BVerfGE 52, 1 (29); vgl. auch BVerfGE 37, 139 (140); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Rdn. 279 ff. zu Art. 14 GG; W. Leisner, Situationsgebundenheit des Eigentums, S. 5 ff., 18 ff., sieht das Problem der Verdrängung des versagenden Gesetzgebers durch den Richter, "der der einzig letztlich Vernünftige" sei; vgl. auch ders., HStR, Bd. VI, S. 1044 ff.; D. Ehlers, Eigentumsschutz, Sozialbindung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt, VVDStRL 51 (1992), S. 224 ff. 325 Dazu Hinweise in Fn. 53, 72, S. 453, 457. 326 Dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1023 ff., auch 1. Kap., S. 849 ff. 323

9. Kap.: Die dualistische Lehre von der liberalen und demokratischen Freiheit

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von eines anderen nötigender Willkür 3 2 7 . Privatheit als Rechte zur Willkür 3 2 8 ist freiheitlich, aber nicht die Freiheit, weil sie nicht allgemein und gleich ist, wie die Freiheit um der Würde aller Menschen willen begriffen werden muß. Freiheit ist Bürgerlichkeit (im Sinne Kants, nicht im Sinne Hegels). Die Ungleichheit der Privatheit erweist sich im Eigentum. Die Eigentumsordnung ist kraft der allgemeinen Gesetze der Freiheit gleich, nicht aber das Eigentum, das von Möglichkeiten 3 2 9 abhängt. Wäre Eigentum Freiheit, so wäre die Freiheit ungleich verteilt. Die Konsequenz wäre um der Gleichheit willen das Postulat des gleichen Eigentums für alle oder der Kommunismus des allgemeinen Eigentums. Wer Freiheit mit Liberalität verwechselt, setzt einen Herrscher voraus. Solche Liberalität stößt schnell an die Grenze allgemeiner Interessen, die vom Herrscher im Interesse des Gemeinwohls durchgesetzt werden können müssen. Der herrschaftliche Parteienstaat beweist mit seiner zunehmenden Staatlichkeit des gemeinsamen Lebens die Chancenlosigkeit einer "bürgerlichen Gesellschaft", in die der Staat nicht eingreift. Alles gemeinsame Leben ist politisch. Daran vermag eine Lehre von nicht-politischen, vermeintlich privaten Freiräumen 330 nichts zu ändern. Die Parteienoligarchie kümmert sich um jede Angelegenheit, die im Interesse ihrer Herrschaft erledigt werden muß, sogar um die Umwelt, seit es eine Umweltpartei, Die GRÜNEN, gibt. Richtig spricht Horst Ehmke vom "politischen Gemeinwesen". Er w i l l damit die Kategorien "Staat" und "Gesellschaft" im Sinne des amerikanischen "government" überwinden 331 . Die "gute Ordnung des Gemeinwesens" hält Ehmke zu Recht für eine "politische Aufgabe der Gesetzgebung" 332 . Das akzeptiert die Willensautonomie der Bürgerschaft. Konrad Hesse überantwortet es ebenfalls "Verfassung und Gesetz, das Gemeinwesen so auszugestalten, daß Freiheit möglich ist" 3 3 3 .

327

Dazu Hinweise in Fn. 7, 8, S. 443, insb. 5. Teil, 3. Kap., S. 288 ff., 318 ff. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 374 ff., 385 ff.; weitere Hinweise in Fn. 10, 11, S. 443 f. 328

329

Zum Verständnis von Freiheit als Möglichkeiten 5. Teil, 7. Kap., S. 427 ff. Vgl. 6. Teil, 5. Kap., S. 466 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 331 "Staat" und "Gesellschaft", S. 267 ff. 332 "Staat" und "Gesellschaft", S. 270; ders., Wirtschaft und Verfassung, S. 3 ff. 333 "Staat" und "Gesellschaft", S. 492 f.; ganz so C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 199 f. (Zitat 6. Teil, 8. Kap., S. 496); ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff. 330

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Die freiheitsverwirklichende, d.h. herrschaftsverhindernde, Gestaltung der Organe der Bürgerschaft, von deren Kompetenzen und Verfahren muß ständig zur Änderung bereit auf die Erfahrungen des Mißbrauchs der gesetzlich eingeräumten Aufgaben und Befugnisse reagieren. In keinem Fall rechtfertigt persönliche Herrschaft ihre institutionelle Stabilisierung. Der Parteienstaat hat sich als ungeeignet erwiesen, die Freiheit gegen die Herrschaft der Parteiführungen zu verteidigen. Ganz im Gegenteil hat der parteiliche Gesetzgeber zunehmend die Herrschaft (die Parteienoligarchie) stabilisiert. Das Bundesverfassungsgericht hat nur wenig Widerstand geleistet 334 . Begrenzte Privatheit ist der Freiheit nicht zuwider, sondern eine Art, letztere zu verwirklichen, weil sie der allgemein erkannten praktischen Vernunft entspricht 335 . 5. Wenn gelten soll: Res publica res populi, wenn also das Gemeinwesen i m eigentlichen Sinne der Herrschaftslosigkeit freiheitlich-demokratisch sein soll, ist der Freiheitsbegriff Kants unumstößlich, ob nun das Sittengesetz im Text der Verfassung genannt ist oder nicht. Die Ethik als die Lehre von der Freiheit hängt nicht von ihrer Anerkennung durch den Verfassungsgeber ab. Freilich rechtfertigt es die Realität republikwidriger Herrschaft, insbesondere die der politischen Parteien 336 , den liberalen, Herrschaft abwehrenden, Grundrechtsbegriff 337 zu bewahren, der in dem Maße funktionslos wird, in dem diese Herrschaft überwunden wird, in dem*die Gesetze durch Moralität zu Recht zu werden pflegen. Gesetze des Rechts werden jedoch immer das höchstmögliche Maß an Privatheit der Menschen begründen oder/und schützen, um dem Glück des einzelnen die größtmögliche Chance zu geben, welche den anderen zumutbar ist.

334

Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff. 336 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 2. Teil, 4., 5. und 6. Kap., S. 92 ff., 100 ff., 106 ff.; 8. Teil, 2. und 5. Kap., S. 685 ff., 772 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 335

337 Etwa BVerfGE 7, 198 (204); "Die Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat", nicht nur, aber wesentlich, vgl. etwa auch BVerfGE 69, 315 (343 ff.); dazu ausführlich M. Sachs, in: K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, § 66, S. 619 ff. (Grundrechte als Abwehrrechte); v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rdn. 111 ff., 196, S. 84 f., 134 f.; P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 134 ff., 150 ff., 154 ff.; dazu 6. Teil, 1. und 2. Kap., S. 441 ff., 449 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 947 ff.; auch 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.

10. Kap.: Grundrechtlicher Minderheitenschutz in der Republik?

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10. Kapitel Grundrechtlicher Minderheitenschutz in der Republik? 1. Grundrechte, meint, wie viele, Herbert Krüger, könnten in der Demokratie nur vor Mehrheiten oder auch Minderheiten schützen 338 . So hat das auch Carlo Schmid bei der Erarbeitung der Grundrechte im Parlamentarischen Rat gesehen 339 . Mehrheiten und Minderheiten des Volkes sind mangels plebiszitärer Abstimmungen nicht rechtserheblich. Der Minderheitenschutz setzt nicht nur ein Prinzip der Mehrheitsherrschaft voraus, welches das Grundgesetz nicht kennt 3 4 0 , sondern auch die Annahme, die Mehrheit würde die Grundrechte ignorieren dürfen, wenn es die Minderheit nicht gäbe. Es geht jedoch um die Richtigkeit der Gesetze für alle, um das Gemeinwohl, um die praktische Vernünftigkeit, um das Recht 341 . Die Grundrechte sollen eine variabel und dynamisch bestimmte Richtigkeit der Gesetze gewährleisten. Sie bezwecken nicht den Minderheitenschutz, selbst wenn ihre Wirkung so erscheinen mag. Minderheitenschutz setzt im übrigen stetige Minderheiten voraus. Die gibt es in der Republik im Prinzip nicht. Im Sinne des Rechts gibt es nur Menschen und Bürger in der Republik. Einem Aspekt Minderheit widerspricht die allgemeine Freiheit, die Gleichheit der Bürger in der Bürgerlichkeit, das Verbot der Herrschaft 342 . Das freiheitsrechtliche Vertretungsprinzip, die

338 Allgemeine Staatslehre, S. 536 f.; so auch H.H. Rupp, AöR 101 (1976), S. 167; ders., HStR, Bd. I, S. 1199 ff. ("Bürgerliche Freiheitsgrundrechte" gegen "die Diktatur der Mehrheitsherrschaft"); R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 536 ff.; W. Zeidler, Ehe und Familie, HVerfR, 1983, S. 563 f.; W. Leisner, Konsens und Konflikt, S. 289 f.; Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 10 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 923 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 156 ff., 163 ff.; BVerfGE 5, 85 (197 ff.); 44, 123 (140 ff.); auch 69, 315 (347); so auch schon C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 47 ff.; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53 ff., 75 f.; richtiger lehrt R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 223 f., 407 ff., 466, daß Grundrechte festlegen würden, was nicht der einfachen Mehrheit überlassen werden solle. 339

Erinnerungen, S. 372. Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 341 Dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. 340

342

Zur Gleichheit aller in der Freiheit 1. Teil, 1. und 3. Kap., S. 4 ff., 38 ff.; 3. Teil, 2. Kap., 5. 177 ff.; 5. Teil, 1. und 6. Kap., S. 253 ff., 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 998 ff.; zum Herrschaftsverbot 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., 410 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 33 Schachtschncidcr

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6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

Notwendigkeit der Repräsentation also 343 , verbietet es, stetige Mehrheiten und stetige Minderheiten zu unterscheiden. Die vereinfachende minderheitsschutzideologische Unterscheidung stimmt weder empirisch noch gar rechtlich; denn die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) 3 4 4 . Die freiheitliche Demokratie ist nicht die Herrschaft der Mehrheit, sondern die allgemeine Sittlichkeit. Die vermeintliche Mehrheit ist im übrigen nicht berechtigt, auf die Wirkung der Grundrechte zu verzichten 345 . Die grundrechtlichen Leitentscheidungen sind für alle verbindlich; denn sie verwirklichen die Freiheit aller. Minderheitenschutz sind die Grundrechte auch nicht als Schutz der Privatheit; denn die Rechte zur Privatheit stehen, je nach dem Tatbestand, jedem Bürger oder Menschen zu. Die politische Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts steht nicht zur Disposition von Mehrheiten oder Minderheiten, wenn auch wegen des Grundsatzes der Passivität der Rechtsprechung das Gericht nicht aus eigener Initiative zu entscheiden hat (Ne procedat iudex ex officio. Wo kein Kläger, da kein Richter) 346 . Jeder Richter aber hat nicht nur das Normenkontrollinitiativrecht, sondern auch die Initiativpflicht, wenn er ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei seiner Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG) 3 4 7 . Die Parteien vermitteln nicht dadurch Mehrheiten für Sachentscheidungen, daß ihre Kandidaten bei den Parlamentswahlen die Mehrheit der Sitze errungen haben. Die republikwidrige Fraktionierung 348 des Parlaments erweckt den Eindruck eines herrrschaftlichen Mehrheitsprinzips, welches durch einen Minderheitenschutz kompensiert werden soll. Man kann tatsächlich im Parteienstaat wegen der parteilichen Fraktionierung von parlamentarischen Mehrheiten und Minderheiten sprechen, die von Fall zu Fall vermuten lassen, daß sie sich an mehr oder weniger fragwürdig ermittelten Mehrheiten des Volkes orientieren 349 .

343

Dazu 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 644 ff., 703 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 981. Dazu 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 655 ff., 707 ff., 772 ff. (insb. S. 810 ff.); zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 71, S. 457. 345 Zum Verbot des Grundrechtsverzichts allgemein B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, S. 39 ff. 346 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, Erkenntnis verfahren, 1963, S. 63 ff. 347 Dazu W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 781 f.; zur Normprüfungspflicht der Gerichte 9. Teil, 2. Kap., S. 901 ff., insb. S. 902. 348 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 779 f.; 10. Teil, 2., 3. und 4. Kap., S. 1057, 1060 f., 1086 ff. 344

10. Kap.: Grundrechtlicher Minderheitenschutz in der Republik?

515

2. Meinungsumfragen können Abstimmungen nicht ersetzen. Sie sind mangels rechtlich geregelter Verfahren nicht rechtlich repräsentativ, sondern verletzten das republikanische Vertretungsprinzip, insbesondere dessen moralischen Imperativ. Die Demoskopie stellt Herrschaftswissen bereit und schadet dadurch der Freiheit 350 . Die Öffentlichkeit der Umfrageergebnisse könnte das republikanische Defizit der Meinungsausforschung mindern. Es ist schon dargestellt, daß die öffentliche Meinung, welche nicht identisch mit der immer unbekannten Meinung der Mehrheit ist, für die Politik der praktischen Vernunft des Bundesverfassungsgerichts durch dessen Moralität vermittelte Relevanz entfaltet 351 , aber trotz aller Orientierung an Meinungsumfragen bestimmen nicht Mehrheiten der Bürger oder auch nur der Wähler die Entscheidungen des Parlaments, sondern Parteienoligarchien, d.h. die extreme Minderheit der classa politica. Die Grundrechte schützen somit (u.a.) die große Mehrheit im Volk vor den wenigen, die sich mittels der Parteien in die Herrschaft eingeschlichen haben 352 . 3. Die Abwehrfunktion der Grundrechte ist somit ein dem Herrschaftsprinzip verhafteter Gesichtspunkt, der auf dem Mißverständnis der Demokratie als parteienstaatlicher Herrschaft der Mehrheit beruht 353 . Die Lehre vom grundrechtlichen Minderheitenschutz folgt der Logik des demokratistischen Prinzips der Mehrheitsherrschaft, das es nur als Ideologie gibt 3 5 4 . Zugleich schaffen die verfassungsgesetzlichen Grundrechte einen je nach ihrem Tatbestand bestimmten Hort des Privaten, insbesondere im Hause 355 , und einen Grundstock von Rechten 356 . Diese sind für die Vertreter

349

Zur Kritik des demokratistischen Prinzips der Mehrheitsherrschaft 2. Teil, 6. Kap., S. 106

ff. 350

Zur Kritik an der politischen Relevanz der Demoskopie 7. Teil, 5. Kap., S. 610 ff. Dazu 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. 352 Zur Parteienoligarchie 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 2. Teil, S. 71 ff., insb. 4., 5. und 6. Kap., S. 92 ff., 100 ff., 106 ff.; 3. Teil, 1. und 3. Kap., S. 159 ff., 196 f.; 8. Teil, 2. und 5. Kap., S. 685 ff., 772 ff.; 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. 353 Zur herrschaftsabwehrenden Grundrechtsfunktion Hinweise in Fn. 337, S. 512. 354 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 355 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 539; auch H.H. Rupp, HStR Bd. I, S. 1199 f.; R. Scholz, AöR 100 (1975) S. 89 ff., 265 ff.; i.d.S. auch J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 47; Ch. Starck, HStR Bd. II, S. 11; P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 335 ff.; D. Rohlf,; Privatsphäre, S. 76 ff., 152 ff., 228 ff.; dazu 6. Teil, 2. Kap., S. 222 ff., mit Hinwei351

33'

516

6. Teil: Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff

des Volkes, wenn diesen nur das Entscheidungsmittel des einfachen Gesetzes zur Verfügung steht, unzugänglich bzw. nicht einschränkbar und dadurch der Politik entzogen, eine Konsequenz des Mißtrauens des Verfassungsgebers gegen die zukünftigen Gesetzgeber. Die Substanz der Rechte ist jedoch lagebedingt. Das muß offen formulierte Grundrechte in orientierende Leitentscheidungen der praktischen Vernunft überleiten 357 . 4. Grundrechte bezwecken auch, repräsentative Entscheidungen über die Menschen zu unterbinden, die nicht mitbestimmen können, wie die Kinder, deren 'Naturrecht' auf Pflege und Erziehung durch die (beiden) Eltern geschützt wird (Art. 6 Abs. 2 GG), die noch nicht geborenen Menschen, wenn man Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG mit dem Bundesverfassungsgericht auf diese anwendet 358 , sowie die politisch Verfolgten, die notwendig aus dem Ausland kommen und denen das Asylrecht gewährt ist (Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG). Grundrechte legen des weiteren den Bereich fest, für den Einigkeit besteht, daß er den Entscheidungen der Vertreter des Volkes nicht ausgesetzt werden soll, zumal das in praxi oft nur als Mehrheitswillen ideologisierte Minderheitsentscheidungen sind. Man spricht von der Einigkeit über die Unregelbarkeit. Dazu gehört weitgehend das Religiöse 359 . Der Schutz auch dieser Grundrechte ist der praktischen Vernunft des Bundesverfassungsgerichts überantwortet, welches etwa das Recht der Kinder aus Art. 6 Abs. 2 GG dadurch eingeschränkt hat, daß es die Scheidung der Eltern allein wegen der Zerrüttung der Ehe, in der Praxis also oft ohne triftigen

sen auf die Rechtsprechung in Fn. 88; insb. BVerfGE 27, 1 (6 ff.). 356 Dazu dogmatisch 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 379 ff., 385 ff.); auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff. 357 So schon K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 69; vgl. insb. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 53 ff., 71 ff., 117 ff.; ders., Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 405 ff.; das hat zur Abwägungsdogmatik geführt (vgl. die Hinweise in Fn. 412, 9. Teil, 2. Kap., S. 895 f., auch S. 880 ff.), liegt aber auch P. Häberles "institutioneller Grundrechtslehre", Wesensgehaltsgarantie, S. 126 ff, 180 ff. u.ö., zu Grunde; deutlich B. Schlink, EuGRZ 1984, 460 ("vom Vorbehalt des Gesetzes zum Vorbehalt des verhältnismäßigen Gesetzes", 466; ebenso B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte/Staatsrecht II, 6. Aufl. 1990, S. 70 ff.; vgl. auch Ch. SteinbeißWinkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 561 ff. (zu H.H. Rupp i.d.S.); dazu 9. Teil, 1., 2., 7., 8., 10. und 11. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff., 1033 ff. 358

BVerfGE 39, 1 ff. (nasciturus-Urteil). H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 541; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 930 f.; i.d.S. auch J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 47; auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 223, 407 ff., 466. 359

10. Kap.: Grundrechtlicher Minderheitenschutz in der Republik? G r u n d , zugelassen h a t 3 6 0 , ein Beispiel dafür, daß die breite

517 Akzepzanz

eines Gesetzes i m V o l k d e m Bundesverfassungsgericht die Z u s t i m m u n g zu diesem Gesetz aufdrängt. Insofern scheint auch dieses Gericht nur Streit schlichten zu w o l l e n , den Streit des einen Teiles des Volkes m i t

dem

anderen u m das bessere Gesetz. Das ist auch die eigentliche A u f g a b e eines Verfassungsgerichts, welches wegen der n o t w e n d i g formalen oder material offenen

Leitentscheidungen f u n k t i o n a l

gesetzgeberische P o l i t i k

machen

muß361. V o r a l l e m sollen die Grundrechte dem Bürger die B ü r g e r l i c h k e i t e r m ö g l i chen, also das D i s k u r s p r i n z i p sicherstellen, insbesondere durch die K o m munikationsgrundrechte, usw.

362

die Parteienfreiheit,

die

Wahlrechtsgrundsätze,

.

Das alles kann hier genausowenig ausgebreitet werden, w i e eine K r i t i k der vielfältigen weiteren Grundrechtswirkungen nach den mannigfachen Grundrechtslehren 3 6 3 . 360

BVerfGE 53, 224 (245 ff.); kritisch auch H. Lecheler, Schutz von Ehe und Familie, HStR, Bd. VI, S. 247 f. 361 Dazu 9. Teil, 1., 2., 3., 7., 8., 10. und 11. Kap., S. 819 ff., 824, 831 ff., 847 ff., 858 ff., 909 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff., 1033 ff., zur Relevanz der öffentlichen Meinung für die Rechtserkenntnisse der Verfassungsrichter 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. 362 I.d.S. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 536 ff.; P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 17 ff.; ders., Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 138 ff. ("öffentliche Freiheit"); E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1534 f.; ders., HStR, Bd. I, S. 914 ff.; Ch. Starck, HStR, Bd. II, insb. S. 17 ff. (demokratische Freiheitsidee); so auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 971, 976 f.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1199 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 43; BVerfGE 7, 198 (208); 57, 295 (319 f.) für Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG; i.d.S. auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 251 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 333 ff. 363 Zur variantenreichen Grundrechtsdogmatik in Lehre und Rechtsprechung, die notwendig abhängig vom jeweiligen Freiheits- und Staatsbegriff ist, E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, 1529 ff., der zu Recht den Wechsel zwischen Grundrechtstheorien kritisiert, weil nur eine dem Grundgesetz entsprechen könne, wenn verschiedene zu unterschiedlichen Ergebnissen führen (1536); E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik; K. Hesse, Grundrechte, Bestand und Bedeutung, HVerfR, S. 79 ff., 90 ff.; A. Bleckmann, Staatsrecht II, Allgemeine Grundrechtslehren, 3. Aufl. 1991, insb. S. 171 ff.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, S. 23 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 28 ff., passim; Μ. Sachs, in: K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, Allgemeine Lehren der Grundrechte, §§ 63 ff., S. 316 ff., insb. § 67, S. 690 ff., § 68, S. 754 ff., § 69, S. 890 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, S. 79 ff.; G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, insb. S. 205 ff.; eigenständig die "institutionelle Grundrechtlehre" P. Häberles, Wesensgehaltsgarantie; kritisch H.H. Rupp, Vom Wandel der Grundrechte, AöR 101 (1976), S. 161 ff.; Ch. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung. Funktion und Regelungsgehalt verfassungsrechtlicher Freiheitsgarantien im Lichte neuer Grundrechtstheorien, 1986.

Siebter Teil Die republikanische Rechtsstaatlichkeit 1. Kapitel Republikanische Staatlichkeit als gesetzliche Rechtlichkeit I.

Freiheitlichkeit, Rechtlichkeit, Staatlichkeit durch praktische Vernunft

1. D i e Staatlichkeit der R e p u b l i k darf nicht als Herrschaft dogmatisiert werden, w e n n i h r Z w e c k die V e r w i r k l i c h u n g der Freiheit ist 1 . D i e Freiheit als A u t o n o m i e des W i l l e n s v e r w i r k l i c h t sich i n der allgemeinen Gesetzl i c h k e i t , also der Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens. A l s W i r k l i c h k e i t des Rechts durch freiheitliche Staatlichkeit ist die R e p u b l i k Rechtsstaat. " Q u i d est e n i m civitas nisi iuris societas c i v i u m ? " -

Cicero

2

" D e r Staat ist die Vereinigung einer M e n g e v o n M e n s c h e n unter Rechtsgesetzen." - Kant* B e i d e D e f i n i t i o n e n des Staates stellen auf E i n i g k e i t u n d Recht u n d d a m i t auf Freiheit, n i c h t etwa auf Herrschaft ab. Entgegen Wilhelm

Henke ist die

"Gemeinschaft der Freien" ohne jede A r t v o n Herrschaft die "alleinige Substanz" des republikanischen Staates 4 . Otfried

Höffe

sieht l e g i t i m e

1

Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175; 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., 410 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 2 De re publica, S. 144. "Was ist denn der Staat, wenn nicht die Rechtsgemeinschaft der Bürger?", Übersetzung Büchner, S. 145. 3 Metaphysik der Sitten, S. 431; in der Sache nicht anders Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 210 ("Staat, das heißt eine mit Gesetzen ausgestattete Gesellschaft"); i.d.S. auch Locke, Über die Regierung, S. 76; das übernimmt W. Maihofer, HVerfR, S. 206, zu Recht für die freiheitliche Demokratie des-Grundgesetzes, die er als Republik, Freistaat, Bürgerstaat versteht, S. 205; ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 22 ff., baut auf diesem Satz seine Lehre von der "konstitutionellen Demokratie" auf, die weitgehend republikanisch ist; R Häberle, HStR, Bd. I, S. 846, greift Kants Formel für den Volksbegriff auf; in der Sache schon Aristoteles, Politik, S. 49 ff.; i.d.S. auch Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 149 u.ö.; die Einigkeit als Verfassungsprinzip des modernen Staates (i.S. der Herrschaft des Rechtsgesetzes) stellt auch J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 129 ff. (zu Kant), heraus; klar i.d.S. ders., Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 43 ff.; i.d.S. auch Κ . Hesse, Verfassungsrecht, S. 5 ff.; zu Kants Staatsbegriff W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 258 ff. 4 W. Henke, Recht und Staat, S. 399, gegen einen "perennierenden Rousseauismus"; nur genügt die Attitüde gegen Rousseau nicht allen als hinreichendes Argument.

520

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

"institutionalisierte öffentliche Rechtsmacht" als "positive Rechtsordnung mit Staatscharakter" im "universalen Konsens" "im transzendentalen Freiheits -und Rechts vertrag" gegründet 5 , löst sich aber ähnlich Henke nicht von der Kategorie Herrschaft 6. Das irritiert auch an der Staatslehre Hermann Hellers 7. Heller begreift den Staat als "organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit", nennt das Recht die "ethisch notwendige Entscheidungsform des Staates", definiert "politische Macht als rechtlich organisierte Macht" und sieht "das Schicksal einer herrschenden Klasse besiegelt, sobald sie an ihre Rechtsgrundsätze selbst nicht glaubt und nicht mit gutem Gewissen der Meinung ist, ihre Gerechtigkeitsprinzipien hätten allgemeine, auch den Beherrschten sittlich zumutbare Verpflichtungskraft." 8 In diesen Sätzen kommt kantianische Sittlichkeit zum Ausdruck, die nur soziologisch als Herrschaft verstanden werden kann. Vor allem aber ist Heller an einer Wirklichkeitslehre des Staates interessiert 9, die es erlaubt, das Sein von Herrschaft in einen soziologischen Herrschaftsbegriff einzubeziehen, obwohl das staatsrechtliche Sollen Herrschaft nicht zuläßt. Von der rechtlichen Kategorie Herrschaft löst sich die Diskursethik. "Tatsächlich spricht sich aber in der Sollgeltung die Autorität eines allgemeinen, von allen Betroffenen geteilten Willens aus, der jede Imperativische Qualität abgestreift und moralische Qualität angenommen hat, weil er sich auf ein diskursiv feststellbares, also kognitiv greifbares, auf ein aus der Teilnehmerperspektive einsehbar allgemeines Interesse beruft." - Jürgen Habermas 10 Die Ethik als die Lehre vom Sollen ist die Lehre von der Freiheit (.Kant) l\ weil Sollen und damit die Verbindlichkeit der Gesetze nur auf die durch das Sittengesetz definierte Freiheit und damit auf den Willen aller, der

5

Politische Gerechtigkeit, S. 423 ff., 441 ff., 448 f. Politische Gerechtigkeit, S. 63 ff., 328 ff., 382 ff., passim; dazu 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 553 ff. 7 Etwa Staatslehre, S. 191 ff., 235, 237. 8 Staatslehre, S. 228 ff., 182 ff., 192 f. (Zitate). 6

9

Staatslehre, S. 37 ff., 59 ff., passim. Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 84; zur Allgemeinheit des Moralischen ders., Theorie des kommunikativen Handelns, 2. Bd., S. 141 ff. (zu Mead). 11 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 11. 10

1. Kap.: Republikanische Staatlichkeit als gesetzliche Rechtlichkeit

521

volonté générale, (transzendental) gegründet werden kann 12 , jedenfalls seit durch die Aufklärung ein religiöser Geltungsgrund der Gesetze nicht mehr begründbar ist. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" ist die Logik der Freiheit. A u f dieses Fundament stellt Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG die demokratische Republik und nimmt damit jeder Herrschaft und jeder Herrschaftslehre die Legitimation 13 . Empirisch soll und kann nicht bestritten werden, daß im staatlichen Gemeinwesen Herrschaft ausgeübt wird, im entwickelten Parteienstaat besonders infam, weil dieser die Verwirklichung des Prinzips der Demokratie vortäuscht 14 . Hans Kelsen hat gar den führerbestimmten Parteienstaat als die durch die Idee der Freiheit und damit die Idee der Demokratie ideologisch legitimierte reale Demokratie dargestellt 15 . Die Idee der Republik verlangt aber die transzendentale und positiv-rechtliche Betrachtung, die es vermeidet, Gegebenheiten zu rechtfertigen, sondern sich müht, das Recht zum Gesetz zu erheben, das Sein dem Sollen anzupassen16. Hans Kelsen hat wie kein anderer die Eigenständigkeit des Sollens gelehrt, aber in seiner Demokratielehre keinen Versuch unternommen, das Sein, die parteienstaatliche Herrschaft, ideologisiert als reale Demokratie, dem Sollen, der von der Weimarer Reichsverfassung vorgeschriebenen, auf die Idee der Freiheit gestützten demokratischen Republik, anzunähern. Bereits Hermann Heller hat kritisiert, daß der von Kelsen vertretene Normlogismus "das rechtliche Sollen dem gesellschaftlichen Sein völlig beziehungslos gegenüberstellt", und die Einheit der "Gegensätze von Sollen und Sein" und von "Sollen und Wollen" herausgestellt 17. Kant hat den Willen als gesetzgebend definiert und erkannt, daß der Wille dem Sollen, nämlich dem kategorischen Imperativ unterworfen ist, weil er der Wille eines Vernunftwesens ist.

12 Dazu 5. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 253 ff., 278 ff., 325 ff., insb. S. 332 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff. 13

Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 189 ff. Dazu unter 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 352 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff.; auch 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. 15 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., 14 ff., 53 ff., 78 ff. 16 I.d.S. auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 481 f., dessert Herrschaftsbegriff nicht von mißbräuchlichen Verhältnissen abgeleitet ist, sondern aus seinem Begriff der Freiheit als unbeschränkter Handlungsmöglichkeit und den unter Menschen notwendigen Freiheitsbeschränkungen als Zwang, S. 63 ff., 328 ff., 382 ff., 399 ff.; i.S.d. Textes auch J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 83 f.; zum Verhältnis von Sein und Sollen 3. Teil, 1. Kap., S. 172 f.; 7. Teil, 2. Kap., S. 540 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff.; auch 2. Teil, 8. Kap., S. 138 f. 14

17

Staatslehre, S. 182 ff., 184 ff., 189 ff.

522

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

"Der Wille ist die praktische Vernunft selbst." - Kant 18 Nur diese Ethik erlaubt es, eine Republik freier Bürger zu konstruieren. Sollenssätze aus Tatsachenfeststellungen herzuleiten, ist eine logische Unmöglichkeit (Hasso Hofmann 19). Humes Prinzip oder Humes Distinktion ist: "Aus Tatsachen lassen sich keine Normen herleiten." - Karl-Otto Apel 20 Apel baut seine sprachphilosophisch-transzendentale Ethik der Kommunikationsgemeinschaft auf der Unterscheidung von Sein und Sollen auf. Es gilt, die Republik zu versuchen. Der homo noumenon darf nicht vor dem homo phainomenon resignieren. Republikanische Verhältnisse sind die Hoffnung der Menschheit 21 und die Forderung des Grundgesetzes. I m Gesetz findet die Freiheit aller als Autonomie ihres Willens Realität 22 . Die Freiheit jedes anderen, also die Selbstzweckhaftigkeit jedes Menschen als Person 23 , ist Notwendigkeit der Freiheit, die nicht anders als formal und damit allgemein gedacht werden kann; denn sie ist in ihrer Idee die vorgesetzliche Rechtsnatur des Menschen. Gerade darum kann Freiheit sich unter Menschen nur im Staat mittels des Gesetzes verwirklichen; denn das allgemeine Gesetz tut niemanden Unrecht und läßt, anders gesagt, jedem die Freiheit 24 .

18 Metaphysik der Sitten, S. 317, 332 f.; so auch Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 41 ff., 63 ff.; dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 304 ff. 19 Repräsentation, S. 383 (auf Hume gestützt). 20 Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, S. 278, 363 ff., Zitat S. 378. 21 Für Kants Prinzip Hoffnung vor allem, Der Streit der Fakultäten, S. 365 f., auch S. 449; dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff. 22

Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 84 ff.; ganz so J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 640 f., 660; H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 69; dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; auch 2. Teil, 7., 10. und 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 978 ff., 990 ff., 1027 ff. 23 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59 ff.; K. Jaspers, Plato, Augustin, Kant, 1957, S. 263 ff.; ders., Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 198, 205 ff.; W. Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, 1968, S. 17 ff., 33, 47 ff., 62 f., 70 f.; ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 21, 22 ff.; ders., HVerfR 1983, S. 195 ff.; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, 1981, S. 296 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 116 ff.; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 92 ff.; i.d.S. auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 205 ff.; zum Begriff Person 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff., insb. S. 211; 5. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 275 ff., 328 f., 370 ff. 24 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 365 f., 429 f.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 203 ff.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 143 ff.; so vor ihm insb. Hobbes, Leviathan, S. 151 ff., 155 f., 160; J. Locke, Über die Regierung, S. 74 ff., 101 ff.; so W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 22 ff.; vgl. auch die Hinw. in Fn. 23.

1. Kap.: Republikanische Staatlichkeit als gesetzliche Rechtlichkeit

523

"Weil ... ist klar, daß der Oberherr keinem von diesen Unrecht tun kann; denn was er tut, tun sie selbst. Sich selbst aber kann niemand Unrecht zufügen." - Hobbes 25 "Volenti non fit iniuria." - Hobbes, Rousseau, Kant 26 "Alles Recht hängt nämlich von Gesetzen ab." - Kant 27 "Darum gibt es auch kein Unrecht sich selbst gegenüber, also auch nicht das politisch Ungerechte oder Gerechte." - Aristoteles 28 Das Gesetz scheidet Recht vom Unrecht 29 . Im Recht des Gesetzes verwirklicht sich die Freiheit praktisch als Vernunft 30 . Es ist "die Rechtsordnung, die Freiheit schafft." - Peter Häberle 31 Ohne Gesetze gibt es keine Republik, d.h. keine Freiheit in Frieden als rechtlich, also staatlich geschützte Freiheit. In dem "Sozialvertrag" (Rousseau), in der "bürgerlichen Verfassung" (Kant) 32 verpflichten sich die Bürger zur gemeinsamen, allgemeinen Gesetzgebung und zur allseitigen, durch die staatliche Gewalt (einschließlich der vis) 3 3 garantierten Verbindlichkeit ihrer Gesetze um ihrer allgemeinen Freiheit willen. Wegen der Allgemeinheit der Freiheit muß auch das Gesetz allgemein, d.h. ein Gesetz jedermanns sein. Sonst kann es nicht Recht setzen. Die Allgemeinheit des Gesetzes ist identisch mit dessen Moralität; denn ohne daß das Sittengesetz beachtet wird, ist die Allgemeinheit des gesetzgeberischen Willens nicht

25

Leviathan, S. 160.; i.d.S. auch Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 35. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432; auch schon Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 40 ff.; Hobbes, Leviathan, S. 193 ("Wozu man seine Einwilligung nicht gab, dazu kann man wegen der natürlichen Freiheit aller Menschen nicht als verpflichtet gelten"); ders., De cive, S. 186 f.; Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 4. Juli 1776; i.d.S. schon Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 169, 1134b 13 f. 27 Über den Gemeinspruch, S. 150. 28 Nikomachische Ethik, S. 169, 1134 b 11 f. 29 Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 168, 1134 a 30 ff.; dazu auch 5. Teil, 3. Kap., S. 302 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 30 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 7. Teil, 2., 4. und 5. Kap., S. 536 ff., 584 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff. (insb. S. 309 ff.), 325 ff., 418 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 677 ff., 728 ff., 810 ff.; zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit weiter die Hinweise in Fn. 22, S. 522; 9. Teil, 1., 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 819 ff., 858 ff. (insb. S. 901 ff.), 982 ff., 995 ff., 1027 ff. 26

31

Wesensgehaltsgarantie, S. 146. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 21; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 366; ders., Idee zu einer allgemeinen Geschichte, S. 41 ff.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 203; ähnlich, wenig begriffsscharf, J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 271. 33 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff.; zur Freiheit als Recht auf Recht 5. Teil, 3. Kap., S. 304 ff.; auch 5. Teil, 4. und 6. Kap., S. 325 ff. (insb. S. 332 ff.), 425 f.; 7. Teil, 3. und 4. Kap., S. 551 ff., 560 ff. 32

524

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

herstellbar 34 . Deswegen gebietet die Staatsform der Republik das demokratische Prinzip 35 . Eine derartige demokratische Republik heißt auch Freistaat 36 . Ein Freistaat ist die Wirklichkeit der allgemeinen Freiheit als die dem Recht verpflichtete Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens oder eben die Staatlichkeit 37 . Das demokratische Prinzip des Freistaats postuliert die Allgemeinheit als die Einigkeit der Vielen in allgemeinen Gesetzen, das also der Wille aller sein muß 38 . Carl Schmitt hat die Substanz des "rechtsstaatlichen Gesetzesbegriffs", der "Herrschaft des Gesetzes", welche "den bürgerlichen Rechtsstaat" kennzeichne, in dem "generellen Charakter" des Gesetzes gesehen39, aber diese als "ratio" im Gegensatz zur "voluntas", als "Richtigkeit, Vernünftigkeit, Gerechtigkeit usw." vorgestellt 40 . Diese Begriffe gewinnen jedoch nur dann republikanischen Gehalt, wenn die Allgemeinheit der allgemeine Wille ist, wenn die Allgemeinheit formal ist. Das setzt die politische Freiheit voraus, die Schmitt als politisches Formprinzip der Demokratie ablehnt 41 . Ohne diese Freiheit verwandeln sich die Kriterien der Richtigkeit in materiale Legitimationsformeln von Herrschaft. Praktisch vernünftig ist nur das allgemeine Gesetz, dessen Allgemeinheit die Einigkeit der Vielen ist, dessen Gesetzgeber alle Bürger sind, notwendig in

34

Dazu die Hinweise in Fn. 30, S. 523; insb. 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. Klar schon E. Bernatzik, Republik und Monarchie, S. 34; W. Henke, JZ 1981, 251; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff.; auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 43; ganz so auch W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 305 ff., zu Kants "repräsentativem System der Demokratie"; zur Einheit des republikanischen mit dem demokratischen Prinzip W. Mager, Republik, S. 697 ff., 618 ff., insb. im deutschen Vormärz, S. 629 ff.; dazu näher oben 1. Teil, 1. Kap., S. 2 ff., 14 ff. (insb. S. 64 ff.). 35

36 Insb. lautet Art. 1 Abs. 1 der "demokratischen Verfassung" (Präambel) des Freistaates Bayern: "Bayern ist ein Freistaat." Art. 17 Abs. 1 Satz 1 WRV bestimmte: "Jedes Land muß eine freistaatliche Verfassung haben", und regelte in S. 2 demokratische Wahlprinzipien; dazu G. Anschütz, WRV, Komm., Anm. 2 zu Art. 17. Vgl. W. Mager, Republik, S. 618 ff., 639 ff.; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 13, definiert "Freistaat" demokratistisch gegen die republikanische "Freiheit des Individuums", die er für eine "Illusion" (S. 78), für "im Grunde genommen unmöglich" (S. 11) hält. 37

Zu den Begriffen Staat und Staatlichkeit 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 4. Teil, 2. Kap., II, S. 219 ff.; i.S.d. Textes W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff., 20 ff.; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 145. 38 I.d.S. W. Leisner, Staatseinung, S. 22 ff., 80 ff., 160 ff. 39 Verfassungslehre, S. 318 ff. und S. 142, 146 (im Gegensatz zum "politischen Gesetzesbegriff), S. 156 f. 40 Verfassungslehre, S. 139; vgl. auch S. 138 ff. 41 Verfassungslehre, S. 224 f.

1. Kap.: Republikanische Staatlichkeit als gesetzliche Rechtlichkeit

525

der Erkenntnis des Richtigen vertreten 42 . Schmitts "bürgerliche Freiheit" ist nicht die politische Freiheit der Republik, ist gerade nicht die allseitige Autonomie des Willens, sondern die grundrechtsgeschützte Freiheitssphäre, das Abwehrrecht 43 . "Gesetz ist nicht der Wille eines oder vieler Menschen, sondern etwas Vernünftig - Allgemeines, nicht voluntas, sondern ratio." - Carl Schmitt 44 Das Gegenteil ist richtig. Die ratio des Gesetzes folgt aus der voluntas, freilich aus der aller, als volonté générale. "Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen"; "denn volenti non fit iniuria" 4 5 . "Also kann nur der übereinstimmende und der vereinigte Wille aller, sofern ein jeder über alle und alle über einen jeden ebendasselbe beschließen, mithin nur der allgemeine vereinigte Volkswille gesetzgebend sein." - Kant 46 "Der Staat der Vernunft ist ein demokratischer Gesetzgebungsstaat", "die Republik ist keine demokratische Herrschaftsform", "keine republikanische Demokratievariante", faßt Wolfgang Kersting die rousseausche Lehre Kants zusammen 47 . Richtig korrigiert Carl Schmitt die für den Gesetzgebungsstaat meist benutzte Formel von der 'Herrschaft der Gesetze': "Die Gesetze herrschen nicht, sie gelten nur als Normen." 48

42

Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 644 ff., 707 ff.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584

ff. 43

Verfassungslehre, S. 139, 157 ff. Verfassungslehre, S. 139. 45 Wie in Fn. 26, 30. 46 Metaphysik der Sitten, S. 432; ders., Über den Gemeinspruch, S. 150; so auch J. Locke, Über die Regierung, S. 101 ff., zum Zustimmungserfordernis, der die Repräsentation unmittelbar einbezieht, auch S. 73 ff.; vgl. i.d.S. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41 f.; dazu J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 127 ff.; i.d.S. auch ders., Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 43 ff.; ganz i.d.S. E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910 f.; vgl. K.A. Schachtschneider, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die Demokratie, JA 1979, 514, 518; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 153 ff., zur konsensual-repräsentativen Gesetzgebung. 44

47 Wohlgeordnete Freiheit, S. 305, 292, der aber Kant ein "Mehrheitsprinzip" nachsagt; dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 48 Legalität und Legitimität, S. 8.

526

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

II. Gleichheit in der Freiheit durch allgemeine Gesetzlichkeit Nur die allgemeine Gesetzgebung wahrt die Gleichheit der Freiheit als Autonomie des Willens 4 9 . Die Einheit aller gesetzgeberischen Willen, der gesetzgeberische Konsens, die "Einung" (Walter Leisner) 50, stiftet das freiheitliche Gesetz. "Die Idee der Vereinbarung, die unter allen, und zwar als Freien und Gleichen, zustande kommt, bestimmt den prozeduralen Legitimitätstypus der Neuzeit, der nicht mit Dezisionismus verwechselt werden darf." Jürgen Habermas 51 Das Konsensprinzip bestimmt jedoch schon den Gesetzesbegriff des Aristoteles: "Denn dieses (sc. "das politisch Ungerechte oder Gerechte") beruhte ja auf dem Gesetz unter solchen, unter denen es der Natur nach ein Gesetz geben kann, also dort, wo eine Gleichheit des Regierens und des Regiertwerdens besteht" 52 . Die Gesetzgebung eines Fremden wäre Herrschaft, nicht Freiheit, wie die eines nicht zum Volk gehörenden Monarchen. Die volksvertretende Gesetzgebung ist nur allgemein, wenn sie von allen Bürgern, vom ganzen Volk als der Bürgerschaft durch die wiederkehrenden, unmittelbaren, allgemeinen, gleichen und freien, aber auch geheimen Wahlen des Gesetzgebers (Art. 38 Abs. 1 GG), also demokratisch im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG legitimiert ist. Die Parlamentswahlen sind ein wesentliches Element des demokratischen Prinzips 53 . Die Wahlen allein sichern jedoch nicht die Allgemeinheit der Gesetze. Ohne die Moralität der gewähl49 I.d.S. auch H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 69: "Die gleiche Freiheit aller kann nur gesetzmäßige Freiheit sein", S. 79; so auch W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 305 ff.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 15 ff., 22 ff.; i.d.S. auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 146 (Zitat oben S. 523); i.d.S. auch BVerfGE 5, 84 (204 ff.). 50 Staatseinung, S. 22 ff., 80 ff., 139 ff., 145 ff., 160 ff. 51 J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 43 ff.; ders., Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 127 ff., 134, 141 f. (zu Kant); E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 914 ff.; i.d.S. auch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 153 ff. m. w. H.; dezisionistisch etwa R. Weber- Fas, Grundgesetz und Verfassungsentwicklung, S. 23, in seiner flachen Rousseaukritik. 52 Nikomachische Ethik, S. 169, 1134 b 12 ff. 53 BVerfGE 44, 125 (140); 47, 253 (275); M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 63 f.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 894; H. Maier, HStR, Bd. II, S. 250 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 593 ff., 604 ff.; K.A. Schachtschneider, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die Demokratie, JA 1979, 513, 518; H. Bethge, DVB1. 1989, 849; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 187.

1. Kap.: Republikanische Staatlichkeit als gesetzliche Rechtlichkeit

527

ten Abgeordneten sind die Gesetze nicht praktisch vernünftig, nicht richtig, und schaffen kein Recht 54 . Voraussetzung der Moraliät der gesetzgeberischen Rechtserkenntnis ist damit die moralische Kompetenz der Abgeordneten. Die "Anständigen" die durch ihre hervorragende Tugend ausgezeichnet sind, die "Besten" also, sollen regieren, lehrt Aristoteles 55. Diese kann man als Repräsentanten bezeichnen; denn der Staat ist nach Aristoteles "eine Gemeinschaft von Ebenbürtigen zum Zwecke eines möglichst guten Lebens." 56 Die allgemeine Gesetzlichkeit ist die sittliche Gesetzlichkeit. Die Sittlichkeit folgt aus der Allgemeinheit des Willens, der volonté générale, als der Rechtlichkeit der Gesetze. Die Allgemeinheit oder Rechtlichkeit der Gesetze ergibt sich aber im Falle der Repräsentation auch aus der Moralität der Vertreter des Volkes; denn deren Moralität ist das Volk vertretende Sittlichkeit in der Erkenntnis des richtigen, d.h. des allgemeinen Gesetzes, des Rechts, dessen Verbindlichkeit das Volk w i l l 5 7 . Staatlichkeit ist diese rechtliche oder allgemeine Gesetzlichkeit, nicht etwa jede beliebige Gesetzlichkeit, etwa die herrschaftliche. Herrschaft kann kein Recht hervorbringen. Ein herrschaftlicher Staat ist eine Despotie. Staat ist nur der Staat des Rechts, der Rechtsstaat. Darum definiert Kant, um es zu wiederholen, "den Staat als die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsκ SR

gesetzen. Weder das sogenannte Dritte Reich noch die DDR waren im Sinne der Ethik Staaten. Sie waren vielmehr Despotien. Die Despotie ist durch die Rechtlosigkeit definiert 59 . Das Instrument Gesetz garantiert noch nicht das

54 Dazu 7. Teil, 2., 4. und 5. Kap., S. 536 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 662 ff., 664 ff., 728 ff., 799 ff., 810 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 306, 662 ff., 410 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1027 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 28, 64; vgl. auch die Hinweise in Fn. 30, S. 523. 55 Politik, S. 207, 1319 a 33 ff. u.ö.; zum Tugendprinzip des Aristoteles, u.a. Politk, S. 50, 218 ff., 230 ff., 238 ff. 56 Politik, S. 230, 1328 a 36 f. 57 Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 648 ff., 655 ff., 717 ff.; zur bürgerlichen Identität 8. Teil, 2. und 3. Kap., S. 685 ff., 688 f., 719 ff., 728 ff., 730 ff.; auch 2. Teil, 6., 9. und 11. Kap., S. 106, 139 ff., 153 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 58 Metaphysik der Sitten, S. 431; Hinweise dazu in Fn. 3, S. 901. 59 Der Begriff "Unrechtsstaat", der meist benutzt wird, zielt in diese Richtung, ist aber ethisch widersprüchlich. Er akzeptiert mit dem Wortteil "Staat" die Völkerrechtssubjektivität, nach der Drei-Elemente-Lehre (dazu J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 603 ff.; R. Grawert, HStR, Bd. I, S. 664 f.; vgl. BVerfGE 2, 266 (277); 3, 58 (88 f.); 36, 1 (16 f.)), die aber den ethischen Staatsbegriff nicht determiniert, wenn sie auch legitimierende Wirkung hat, weil sie das Prinzip der Nichteinmischung aktiviert.

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

528

Recht. Es kann ein Instrument der Herrschaft sein und ist das m e i s t 6 0 . Gesetze sind n i c h t ohne weiteres Recht. " H e i l i g ist nicht das Gesetz, h e i l i g ist nur das Recht; das Gesetz steht unter d e m Recht." - Heinrich

Triepel

61

Das Grundgesetz hat diese Grundeinsicht i n A r t . 20 Abs. 3 aufgegriffen. I m Sinne dieser F o r m e l sind insbesondere die Grundrechte nicht sondern A u s d r u c k des " R e c h t s "

62

"Gesetz",

.

I n der R e p u b l i k g i b t es keine personale Herrschaft der einen über die anderen, sondern die sogenannte Herrschaft Martin

Kriele

des Gesetzes 6 3 oder, nach

richtiger, die Herrschaft des Rechts (rule o f l a w ) i m Sinne der

S i t t l i c h k e i t 6 4 . I n der R e p u b l i k w i r d jeder als Herr seiner selbst (sui iuris), n ä m l i c h als Vernunftwesen, m i t autonomen W i l l e n begabt, anerkannt. D a r i n liegt die W ü r d e des M e n s c h e n 6 5 . I n der allgemeinen Gesetzlichkeit ereignet

60

Zum Widerspruch von Freiheit und Herrschaft 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 7. und 10. Kap., S. 124 ff., 145 ff.; i.S.d. Textes C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 138 ff. 61 FG Kahl, 1923, S. 93; vgl. dazu C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 142. 62 Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 901 ff. 63 Für die Politik, Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, S. 168; ders., Politik, S. 49 ff.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 3, 41; Cicero, De re publica, S. 170 f.; Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 431 ff., 464; dazu J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 133 ff.; K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 200; R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 205 ff., 219, 227; ders. schon, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 89, der durchgehend den Rechtsstaat als Richterstaat herausstellt; D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 35; J. Isensee, JZ 1981, 4, 6, weist dafür auf Orosius' Satz: "Leges - sine quibus res publica non est res publica", (Gesetze - ohne welche die Republik keine Republik ist) hin; ders., HStR, Bd. I, S. 640 f., 660; K. Stern, Staatsrecht I, S. 764 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, HStR, Bd. I, S. 1017 ff.; H.H. v. Arnim, Der Staat 26 (1987), S. 489 f.; so auch K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 14; K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, S. 3 ff.; i.S.d. republikanischen Charakters des Rechtsstaates R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 154; zum Rechtsstaatsprinzip umfassend Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, insb. S. 316 ff., zum Gesetzesprinzip des Rechtsstaates. C. Schmitt hat diese Formel richtig korrigiert, Legalität und Legitimität, S. 8; ders., Verfassungslehre, S. 138 ff., grundlegend zur "Herrschaft des Gesetzes" als Prinzip des "bürgerlichen Rechtsstaats"; dazu auch oben 2. Teil, 10. Kap., S. 145 ff. 64

Einführung in die Staatslehre, S. 104 ff., 123 ff. Dazu näher oben 2. Teil, 2. Kap., S. 85 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; zum Bürger als Politiker 3. Teil, 1. Kap., S. 160; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 (insb. S. 214); 5. Teil, 5. Kap., S. 370 f.; 8. Teil, 5. Kap., S. 790 f.; als Hüter der Verfassung, 9. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 819 ff., 929 ff., 934 ff.; insb. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 3; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215 f.; Kant, Über den Gemeinspruch, S. 151; i.d.S. auch ders., Zum ewigen Frieden, S. 204 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 432 f., 464 u.ö.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 20 ff.; ders., HVerfR, S. 186 ff.; ders. schon, Demokratie im Sozialismus, 1968, S. 20 f.; P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 821 f., 839 ff., 65

1. Kap.: Republikanische Staatlichkeit als gesetzliche Rechtlichkeit

529

sich, wenn man so will, die repräsentative Identität von "Regierten und Regierenden" 66 . Der Mensch als Vernunftwesen beherrscht den Menschen als Triebwesen in sich. Nur diese Identität ist Freiheit im Sinne der Autonomie des Willens. Sie verträgt keinerlei Ideologisierung, mittels derer personale Herrschaft von Führern oder Parteioligarchien legitimiert wird 6 7 . "Der letzte, der eigentliche Sinn des fundamentalen 'Prinzips der Gesetzmäßigkeit' alles staatlichen Lebens liegt darin, daß schließlich überhaupt nicht mehr geherrscht oder befohlen wird, weil nur unpersönlich geltende Normen geltend gemacht werden." - Carl Schmitt 68 Als Staats- und Regierungsform verfaßt das Grundgesetz nicht etwa eine Demokratie, schon gar nicht eine Volksherrschaft, sondern eine Republik 69 , in der nicht geherrscht, sondern regiert wird. Die Regierung erfolgt nicht "durch das Volk", sondern durch staatliche Organe, die im Namen des Volkes die Staatsgewalt ausüben (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Nur die Wahlen sind Ausübung der Staatsgewalt unmittelbar durch das Volk, abgesehen von Abstimmungen des Volkes, die das Grundgesetz vor allem in den Ländern zuläßt (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) 7 0 . Das Konzept der demokratischen Republik, in der "die Amtsträger ohne Fehler regieren und das Volk nicht zu kurz kommt", in der man sich "am besten von überhaupt niemandem regieren läßt, oder doch nur abwechslungsweise", in der "alle Ämter aus allen besetzt werden", in der "alle herrschen über jeden und jeder abwechslungsweise über alle", stammt von Aristoteles, der darin einen Beitrag "zur Freiheit im Sinne der Gleichheit" erkannt hat 71 . Der Amtswechsel ist das aristotelische Instru-

insb. S. 842. 66 Dazu vor allem C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 204 ff., der Identität und Repräsentation für die beiden eigentlichen politischen Formprinzipien hält; dazu Κ Stern, Staatsrecht I, S. 69 f.; H. Hofmann, Repräsentation, S. 24 f., 190 ff., zur "Repraesentatio identitatis"; dazu näher die Hinweise in Fn. 57, S. 527. 67 Dazu 2. Teil, 5. und 7. Kap., S. 100 ff., 124 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 186 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; 8. Teil, 2. und 5. Kap., S. 685 ff., 648, 763 ff.; 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff. 68 Legalität und Legitimität, S. 8.; ganz so auch ders., Verfassungslehre, S. 139. 69 A.A. E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 892 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 968 ff.; dazu näher 1. Teil, 1. und 3. Kap., S. 2 ff., 14 ff., insb. 32 ff., 35 ff.; 2. Teil, 4. und 9. Kap., S. 92 ff., 144 ff. mit Fn. 307. 70 Dazu K. Stern, Staatsrecht I, S. 607 f.; K.A. Schachtschneider, fassungsänderung durch das Volk in Berlin, JR 1975, 221. 71 Politik, S. 203 ff., 1317 b 12 ff., 1319 a 30 ff.

34 Schachts chneid er

Gesetzgebung und Ver-

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

530

ment w i d e r die Herrschaft,

welche der entwickelte Parteienstaat

nicht

einzusetzen bereit ist, ein B e w e i s für die M a c h t u n d Herrschaft v o n O l i g a r chien. III.

A m t s m ä ß i g e Repräsentation als Vertretung i n der S i t t l i c h k e i t

Das V o l k läßt sich nach Maßgabe der Verfassung vertreten, u m die allgemeine Freiheit durch die (Recht schaffende) Gesetzlichkeit zu v e r w i r k l i chen. Diese vertretungsmäßige

Repräsentation 7 2 ist keine Identität

von

Regierenden u n d Regierten; denn Vertreter u n d Vertretener können n i c h t identisch sein. W e i l aber die Vertreter die Staatsgewalt i m N a m e n des Volkes ausüben, w i r d das V o l k verpflichtet u n d berechtigt. D i e Erkenntnisse (vom

richtigen

Gesetz) der Vertreter binden das V o l k , w e i l das der W i l l e

des Volkes i s t 7 3 . D a d u r c h w i r d der Grundsatz der R e p u b l i k : v o l e n t i n o n fit iniuria,

den

schon

Hobbes

seiner

Staatslehre

zugrunde

gelegt

hat74,

b e s t m ö g l i c h v e r w i r k l i c h t . Republikanische Entscheidungsverfahren z w i n g e n n i c h t nur aus Gründen der freiheitssichernden Funktionenordnung, sondern v o r a l l e m u m der freiheitsverwirklichenden E r k e n n t n i s m ö g l i c h k e i t e n w i l l e n

72

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 464; ders., Zum ewigen Frieden, S. 206 ff.; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 275 ff.; auch Hobbes, Leviathan, S. 155 ("eines jeden einzelnen Stellvertreter"), S. 160; gegen das vertretungsmäßige Verständnis der Repräsentation C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 208 ff., 213, konsequent, wenn der Staat als "politische Einheit des Volkes", als "Nation", als "Volk als Ganzes", als ein quasi-personales "Sein" "repräsentiert" werden soll, das als solches Vertretungsmacht gar nicht erteilen kann; K. Stern, Staatsrecht I, S. 960 ff., folgt C. Schmitt. Das Grundgesetz kennt eine solche Repräsentation nicht, aber auch nicht ein solches "Sein" als Staat. Zur Repräsentation als Vertretung umfassend H. Hofmann, Repräsentation, S. 28 f., 116 ff., passim; dazu näher 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., (insb. S. 644 ff.), 707 ff. 73

Zur Dogmatik der Vertretung im Willen zwischen Repräsentation und Identität H. Hofmann, Repräsentation, S. 15 ff., 29 ff., 156 ff., 165; vgl. C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 28, für die "parlamentarische Demokratie", in der "der Wille des Parlaments mit dem Willen des Volkes identifiziert" werde; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 15. Kap., S. 103, 104 f., hat die Vertretung im Willen für unmöglich gehalten, zu Recht; denn die Vertretung ist auf die Erkenntnis begrenzt; Abbé Sieyès hat die Repräsentationsmöglichkeit richtig erkannt (dazu H. Hofmann, a.a.O., S. 406 ff.). Grundlegend H.-J. Wolff, Organschaft und juristische Person, 2. Bd., Theorie der Vertretung (Stellvertretung, Organschaft und Repräsentation als soziale und juristische Vertretungsformen), 1934/1968, S. 143 ff., insb. S. 148 ff.; dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 647 ff., 655 ff., 717 ff.; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 57, S. 527. 74 Leviathan, S. 160, 193; ebenso Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432; vgl. weitere Hinw. in Fn. 26, S. 523.

1. Kap.: Republikanische Staatlichkeit als gesetzliche Rechtlichkeit

531

zur amtsmäßigen Repräsentation 75. Damit die Vertretung in der Sittlichkeit nicht zur Fiktion anstelle der Wirklichkeit der Herrschaft wird, wie Wilhelm Henke warnt 76 , kommt alles darauf an, daß die Vertreter, allen voran die Abgeordneten, über die moralische Kompetenz verfügen, die ihr Amt erfordert 77 . Die Republik ist das Kunstwerk der Freiheit und damit der Sittlichkeit. Nur die parlamentarische Vertretung des Volkes in der auf Erkenntnis gegründeten staatlichen Willensbildung durch Abgeordnete, die dieser moralischen Aufgabe genügen, vermeidet die demokratistische, aber republikwidrige parteienstaatliche Oligarchie 78 , welche die Idee verletzt, daß allein der "vereinigte Wille des Volkes" als der "vereinigte Wille aller" die Gesetze gibt 7 9 . Das Denkmodell der Repräsentation gibt das Vertretungsrecht des § 164 B G B 8 0 . Die Vertretungsmacht der staatlichen Organe ist im Grundgesetz, nämlich in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, geregelt. Die staatlichen Vertreter des ganzen Volkes als der Bürgerschaft definieren die Erkenntnisse von den richtigen Gesetzen, vom Recht also, im Namen des Volkes. Die Entscheidung, daß diese Erkenntnisse verbindlich sein sollen, hat das Volk bereits in der Verfassung getroffen. Die Erkenntnisaufgabe der Abgeordneten entlastet jedoch die Bürgerschaft nicht von der eigenen Verantwortung für das Recht. Das Volk ist der Hüter der praktischen Vernunft, auch darin entlastend vertreten durch Organe, vor allem das Bundesverfassungsgericht 81 . Das ganze Volk hat schließlich die Irrtümer seiner Vertreter zu verantworten, insbesondere unter den Gesetzen zu leben und zu sterben. Die Bürgerschaft hat sich in der Verfassung mit den Gesetzen der Legislative identifiziert. Gelungene Repräsentation erweist sich darin, daß sie diesem Vertrauen gerecht wird. Das setzt das Höchstmaß an Moralität voraus und verlangt nach den Besten. Das moralische Mittelmaß der Volksvertreter ist bereits untragbare Negativauslese 82 .

75

Dazu näher 2. Teil, 5. und 9. Kap., S. 101 ff., 139 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 644 ff., 703 ff.; auch 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff., insb. S. 724 ff., 728 ff., 730 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 981 ff. 76 HStR, Bd. I, S. 881. 77 Ganz so schon Aristoteles, Politik, S. 207, 1319 a 41 ff., S. 224, 1325 b 10 ff. u.ö. 78 Dazu näher 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. 79 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432. 80 Dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff. 81 Dazu 9. Teil, 1., 5., 6., 7. und 8. Kap., S. 854, 963, 963 ff., 978 ff., 990 ff.; zum Volk als Hüter der Verfassung, Hinweise in Fn. 65, S. 528; zum BVerfG als Hüter der Verfassung, 9. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 909 f. mit Fn. 471 ff., S. 936, 963. 82 Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 676 ff., 818 ff.; 10. Teil, 3., 5. und 8. Kap., S. 1064 ff., 1077 ff., 1083 f., 1113 ff. mit Fn. 315. 34»

532

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

D i e R e p u b l i k ist Gesetzesstaat und damit funktionenteiliger

Rechts-

staat 8 3 . " D e r Staat ist Gesetz, das Gesetz ist der Staat. Es gibt nur Legalität, n i c h t A u t o r i t ä t u n d Befehl v o n oben." - Carl

Schmitt 84

F ü r "das große Z i e l " der "Gesellschaft: E i g e n t u m i n Frieden u n d Sicherheit", ist "das große Werkzeug u n d M i t t e l die Gesetze ... der Gesellschaft." - John

Locke 85

D a r u m gründet Rousseau den Staat nicht auf einen Herrschafts-, sondern auf einen Gesellschaftsvertrag 8 6 . " M i t der R e p u b l i k endet die Geschichte der Herrschaft u n d ihrer rechtsstaatlichen M i l d e r u n g ; m i t der R e p u b l i k beginnt die Geschichte der Vernunft." - Wolf gang Kerstings

Kantinterpretation 8 7 .

Das ist die L o g i k der Gleichheit i n der Freiheit, die L o g i k des Satzes: Res p u b l i c a res p o p u l i . IV.

Das demokratische Prinzip der R e p u b l i k

D i e D e m o k r a t i e ist nicht schon eine R e p u b l i k , aber die R e p u b l i k muß demokratisch i m Sinne des A r t . 20 Abs. 2 G G sein 8 8 . " D e r Republikanismus ist n o t w e n d i g demokratisch,..." - Friedrich

Schle-

gel 89

83

Zum Rechtsstaatsprinzip in seinen besonderen Institutionen Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip; K. Stern, Staatsrecht I, § 20, S. 759 ff.; ders., Staatsrecht II, S. 513 ff.; E. SchmidtAßmann, Der Rechtsstaat, HStR, Bd. I, S. 987 ff.; auch K.A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatprinzip der Republik, 1992; zur Rechtsstaatslehre Kants als einer herrenlosen Republik W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 291 ff., der den kantianischen Unterschied von "republikanischer Regierungsart" und "wahrer Republik" herausstellt; C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 7 ff., spricht vom "Gesetzgebungsstaat" als einer Art des Rechtsstaates neben der des Jurisdiktionsstaates und, S. 20, vom "parlamentarischen Gesetzgebungsstaat" und handelt unter diesem Begriff in der Sache von der Republik. 84 Legalität und Legitimität, S. 21 f.; vgl. auch zum "rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff ' ders., Verfassungslehre, S. 138 ff. 85 Über die Regierung, S. 101. 86 Dazu O. v. Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien, 3. Aufl. 1913, S. 201; vgl. R. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 30 ff.; dazu auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 441 ff., der das Prinzip der Herrschaftsfreiheit allerdings wegen seines irrigen Freiheitsbegriffs nicht versteht (dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 553 ff.; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff.); vgl. auch W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 279 ff., 291 ff., 305 ff., der richtig den Unterschied der republikanischen Regierungsart und der herrschaftslosen Republik im Sinne Kants herausarbeitet; ebenso H. Hofmann, Repräsentation, S. 411 ff. 87 Wohlgeordnete Freiheit, S. 293. 88 Dazu näher 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., (insb. S. 64 ff.).

1. Kap.: Republikanische Staatlichkeit als gesetzliche Rechtlichkeit

533

Die Staatsgewalt muß vom Volke ausgeübt werden, sei es unmittelbar oder mittelbar (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG), sei es durch das Volk selbst oder durch dessen Vertreter im Namen des Volkes 90 . Das demokratische Prinzip der Republik darf diese nicht zu einer Herrschaftsform verzerren. Nur wenn das ganze Volk, jeder Bürger mit allen anderen Bürgern gemeinsam, "herrscht", wenn somit alle über sich und zugleich über alle anderen "herrschen", wäre die Demokratie republikanisch. Ein solcher Begriff der Demokratie aber kennzeichnet keine eigene Staatsform, sondern ist ein sprachlicher Fehlgriff. I m Sinne Kants kann eine Demokratie nicht republikanisch sein, weil sie die ausführende Gewalt nicht von der gesetzgebenden trennt 91 . Darum ist auch der parteienstaatliche sogenannte neue Dualismus 92 republikwidrig, jedenfalls nach Kants Republikbegriff; denn die Regierung vermag wegen ihrer parteilichen Führerschaft den Gesetzgeber zu bevormunden 93 . Den Herrschaftscharakter der Demokratie, deren auf Akklamation gestütztes Führertum, hat Carl Schmitt begrifflich erfaßt 94 . Auch Hans Kelsen sieht die "reale Demokratie" als die Herrschaft vieler parteilicher Führer 95 . Die Grundordnung des Grundgesetzes versteht sich als "freiheitlich" und "demokratisch" (Art. 18, 21 Abs. 2, 91 Abs. 1 GG u.ö.). Eine freiheitliche Ord-

89 Versuch über den Begriff des Republikanismus, veranlaßt durch die Kantische Schrift Zum ewigen Frieden, 1796, SW Bd. 7 (1966), S. 17, Schlegel fügt aber hinzu: "und das unerwiesene Paradoxon, daß der Demokratismus notwendig despotisch sei, kann nicht richtig sein" - das hängt von der Definition der Demokratie ab, ob sie nämlich mit der Freiheit verbunden ist (so Aristoteles für eine Variante, Politik, S. 203 ff., VI, 2; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., passim, als Idee und Ideologie, für die "reale Demokratie" kommt er zu Ergebnissen, die sich von denen C. Schmitts, der die Freiheit als "politisches Formprinzip" leugnet, kaum unterscheiden; heute W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff.) oder nicht (etwa C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 224 f.); dazu auch D. Hilger, Herrschaft, S. 70 ff. 90 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., (insb. S. 64 ff.); 3. Teil, 1. Kap., S. 160 ff.; auch 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 464; i.d.S. auch W. Maihofer, HVerfR, S. 182; vgl. auch K.A. Schachtschneider, JA 1979, 513 ff. 91 Zum ewigen Frieden, S. 206 f.; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 279 ff., 291 ff., 305 ff.; ebenso D. Hilger, Herrschaft, S. 70 ff. 92 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff.; 10. Teil, 5. Kap., S. 1130 mit Fn. 384. 93 Dazu 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 710 ff., 772 (insb. S. 799 ff., 803, 810 ff.); auch 10. Teil, 4. und 5. Kap., S. 1086 ff., 1113 ff.; K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 188 ff.; ders., Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 48 ff.; zur parteienstaatlichen Relativierung der sogenannten Gewaltenteilung E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1022 f. (beschwichtigend); H.H. v. Arnim, Aus Politik und Zeitgeschichte, B21/90, S. 26. 94 95

Verfassungslehre, S. 223 ff., 243 ff., 246 ff. Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78 ff.

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

534

nung ist keine Herrschaftsordnung, wie dargelegt ist 96 . Der grundgesetzliche Freiheitsbegriff ist durch Art. 2 Abs. 1 GG definiert. Er läßt es nicht zu, dem Grundgesetz wegen des demokratischen Elements der Grundordnung eine zudem republikwidrige Herrschaftsform zu entnehmen. Das demokratische Prinzip muß sich dem der Freiheit unterordnen, weil nur eine Verfassung der Freiheit der Würde des Menschen genügt, welche Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG für unantastbar erklärt 97 . Auch Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, der die "verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern" "den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne dieses Grundgesetzes" verpflichtet, verbietet eine interpretatori sehe Dominanz des demokratischen Prinzips über die anderen Prinzipien. Die Grundsätze des modernen Staates seit der Französischen Revolution, nämlich Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, verwirklicht die Republik, nicht die Demokratie, wie es Art. 2 Abs. 1 S. 1 der Verfassung der Französischen Republik 1958 zeigt. Die Republik ist freiheitlich und u.a. demokratisch. Nur wenn der Begriff der Demokratie als solcher freiheitlich gefaßt wird, kann man den Begriff "freiheitliche Demokratie" und den der Republik identifizieren 98 . Wenn der Begriff "freiheitliche Demokratie" besagen soll, daß eine herrschaftliche Demokratie freiheitsrechtlich/rechtsstaatlich moderiert wird, das Schmittsche Konzept 99 , so ist eine solche Staatsform nicht die Republik. Die Republik ist die Staatsform der Gesetzlichkeit. Die Gesetzlichkeit ist die Verwirklichung der Freiheit 100 . Die Demokratie kann die Staatsform der Volksherrschaft sein oder sie ist als Form der Freiheit identisch mit der Republik. Herrschaft des Volkes ist die Herrschaft von Führern; denn: "Wenn es ein Volk von Göttern gäbe, würde es sich demokratisch regieren. Eine so vollkommene Regierung paßt für den Menschen nicht." Rousseau 101

96

Dazu oben 2. Teil, 9., 10. und 11. Kap., S. 139 ff., 145 ff., 153 ff.; auch 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff. 97 So W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff., 22 ff.; ders., HVerfR, S. 173 ff., 194 ff.; P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 848; vgl. auch H.F. Zacher, Freiheitliche Demokratie, 1969, S. 81 ff.; dazu näher 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. 98 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., insb. S. 34 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 178 ff.; i.d.S. etwa P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 845 ff. 99

Verfassungslehre, S. 138 ff., 157 ff. Dazu die Hinweise in Fn. 22.

100

1. Kap.: Republikanische Staatlichkeit als gesetzliche Rechtlichkeit

535

Weil die Republik die Lebensform der Freiheit ist, kann "demokratisch" nicht als volksherrschaftlich verstanden werden, sondern heißt: bürgerschaftlich 102 . Der Gesetzgebungsstaat, die Republik also, steht und fällt mit der Moralität des Gesetzgebers, der praktischen Vernunft des Gesetzes. Der allseitige gute Wille, durch die Gesetze das erkannte Recht verbindlich zu machen, ist die Verfassung der Republik. Ohne dieses vereinte Bemühen verliert das Gesetz seine Funktion, die Freiheit aller zu verwirklichen und wird zum Instrument der Herrschaft 103 . Wenn das Vertrauen in die Moralität des Gesetzgebers verlorengegangen ist, ist die Republik und mit ihr der innere Frieden in Gefahr. "Ein Rechtssystem, das in der Gesellschaft den moralischen Kredit verliert, pflegt auf die Dauer auch seine Effektivität einzubüßen." - KarlOtto Apel 104 Die Stabilität hängt dann an der Wohlfahrt, welche die Freiheit als Garanten des inneren Friedens weitgehend zu ersetzen vermag. Die parteilichen Parteien haben das Vertrauen in die Moralität des Gesetzgebers längst ruiniert 1 0 5 . Die Bundesrepublik Deutschland ist realiter keine Republik, sondern ein parteilicher Wohlfahrtsstaat, dessen Stabilität vom industriellen Export und dessen Wohlstand auch vom Elend anderer Völker abhängt. "Uns geht es doch gut", war der alle praktische Kritik erschlagende Slogan Westdeutschlands.

101 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 74, Rousseau spricht wohlgemerkt die Regierungsart an, nicht die Staatsform; denn er handelt nur von der Republik als Staatsform der Gesetzlichkeit (vgl. a.a.O., S. 41). 102 Dazu 1. Teil, 1. und 3. Kap., S. 2 ff., 14 ff. (insb. S. 17 ff., 35 ff.); 2. Teil, 4. Kap., S. 94 ff.; zum Volksbegriff der Republik auch 8. Teil, 1. und 4. Kap., S. 650 ff., 735 ff., 763 ff., 751; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 103 C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 24 f., 28, hat das klar gesehen; ebenso ders., Verfassungslehre, S. 138 ff., wo er allerdings als Minimum des rechtsstaatlichen Gesetzesbegriffs dessen "generellen Charakter" herausstellt (S. 139, 142, 156 f.), aber mit keinem Wort auf die eigentliche Bedingung des Rechtsgesetzes eingeht, die Moralität des Gesetzgebers, also der Bürger und ihrer Vertreter. 104

Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, S. 375. Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. (insb. S. 818 ff.); auch 9. Teil, 6. Kap., S. 967 ff.; 10. Teil, 10. Kap., S. 1173 ff. 105

536

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

2. Kapitel Freiheitliche Gesetzlichkeit statt herrschaftlicher Richterlichkeit D e r überaus stark verdichtete Rechtsschutz sichert weitestgehend die streitentscheidende u n d auch

rechtsklärende Gerichtlichkeit, führt ( f u n k -

t i o n a l ) aber auch zu einer A r t Gesetzgebung durch die Gerichte,

zum

sogenannten R i c h t e r r e c h t 1 0 6 . D u r c h die Richterlichkeit w i r d das Interesse an R e c h t l i c h k e i t i n nicht geringem M a ß e befriedigt; denn "Recht ist" d e m V o l k , "was der Richter s a g t " 1 0 7 . Vor allem die Verfassungsrechtsprechung dient der R e c h t l i c h k e i t der Gesetze 1 0 8 .

106

BAGE 23, 222 (320) - "gesetzes vertretendes Richterrecht"; dazu auch BAG NJW 1980, 1646 f. (Druckerstreik in Hessen) zum Arbeitskampfrecht; i.d.S. auch BVerfGE 3, 225 (243); 13, 318 (328); 18, 224 (237); 26, 327 (337); 32, 311 (316); 34, 269 (287); 49, 304 (318); insb. 66, 116 (138); BVerfGE 84, 212 (226 f.); vgl. auch BVerfGE 65, 189 (190 f.); 69, 315 (371 ff.); 75, 223 (243 f.); 81, 242 (256); BVerfG NJW 1985, 2315 ff.; dazu (kritisch: "vom Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, in: FS Rechtsstaat zum Justizstaat") E. Forsthoff\ C. Schmitt, 1959, S. 35 ff., 58 ff.; KP. Schneider, Richterrecht und Verfassungsrecht, 1969; G. Roellecke, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, VVDStRL 34 (1976), S. 31 ff.; ders., Aufgaben und Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge, HStR, Bd. II, S. 675 (kritisch); Ch. Starck zum nämlichen Thema daselbst, S. 69 ff., 74 ff. ("Kontinuität der Gerichtsentscheidungen gewährleistet faktische Geltung" des Richterrechts, ohne daß dieses Rechtsquelle sei); K. Schiaich, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktionen, VVDStRL 39 (1981), S. 113 ff. (kritisch); H.H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, S. 228 ff. ("Ersatzgesetzgebung", zustimmend); K. Stern, Staatsrecht II, S. 581 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 385 ff. (ablehnend); grundsätzlich F. Bydlinski, Hauptpositionen zum Richterrecht, JZ 1985, 149 ff.; ders., Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 501 ff.; K.-H. Fezer, Die Pluralität des Rechts, JZ 1985, 762 ff.; auch M. Kriele, Recht und Politik in der Verfassungsrechtsprechung, 1976, in: Legitimationsprobleme der Bundesrepublik, 1977, S. 191 ff. (NJW 1976, 777 ff.); ders., Theorie der Rechtsgewinnung, S. 243 ff., zur "judiziellen Rechtsentwicklung"; P. Kirchhof, Richterliche Rechtsfindung gebunden an "Gesetz und Recht", NJW 1986, 2275 ff.; F. Ossenbühl, Die Quellen des Verwaltungsrechts, in: H.-U. Erichsen/W. Martens (Hrsg,), Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S. 154 ff., auch S. 151 ff. zum Gewohnheitsrecht; ders., Gesetz und Recht - Die Rechtsquellen im demokratischen Rechtsstaat, HStR, Bd. III, S. 298 ff. Das sogenannte Richterrecht ist im übrigen nicht Recht wie das Gesetzesrecht; denn dafür fehlt ihm die Verbindlichkeit über den jeweils zu entscheidenden Fall hinaus. 107 R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 225 f., 244 ff.; ders., Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, vor allem S. 241 ff., der das Recht wesentlich in einer "präpositiven" "Ordnung der Dinge", in der "Natur der Sache", das der Richter schöpferisch, jedem das Seine zubilligend, zu erkennen habe, als "Stellvertreter Gottes" (S. 260); H.H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 221 ff., 228 ff.; das ist für W. Henke, Recht und Staat, S. 525 ff., 620 ff., noch immer das Wesen des Rechts.

2. Kap.: Freiheitliche Gesetzlichkeit statt herrschaftlicher Richterlichkeit

537

Richterlichkeit allein ist nicht schon republikanische Rechtlichkeit. Eine solche setzt die demokratische Gesetzlichkeit als Verwirklichung der allgemeinen Freiheit voraus 109 . Die Gesetzes-, nicht die Verfassungsrichter 1 1 0 , sind nur insoweit funktional gesetzgebende Vertreter des Volkes, als sie vom Gesetzgeber dazu ermächtigt werden und werden dürfen, weil der Gesetzgeber eine nähere, bestimmtere Regelung sinnvoll nicht zu treffen vermag. Das Bundesverfassungsgericht räumt aber den Richtern eine weitergehende Rechtssetzungsbefugnis ein: "Das, was das Gesetz offen läßt, ist durch Richterrecht auszufüllen." BVerfGE 66, 116 (138) "Die Gerichte müssen bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen Rechtsgrundlagen ableiten, die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind. Das gilt auch dort, wo eine gesetzliche Regelung, etwa wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht, notwendig wäre. (...) Nur so können die Gerichte die ihnen vom Grundgesetz auferlegte Pflicht erfüllen, jeden vor sie gebrachten Rechtsstreit sachgerecht zu entscheiden." - BVerfGE 84, 212 (226 f.) 1 1 1 Diese Dogmatik des unmittelbaren Verfassungsvollzuges durch die Richter ebnet in Verbindung mit der verfassungskonformen Auslegung und der Dogmatik von der Einzelfallgerechtigkeit 112 angesichts der materialen Offenheit der wesentlichen Verfassungsentscheidungen, vor allem der Grundrechte 113 , den Weg zum Richterstaat. Dem republikanischen Gesetzesstaat muß das (ordentlich) letztentscheidende Bundesverfassungsgericht die Entfaltungschancen lassen 114 . Die Sachgerechtigkeit der

108

Dazu 9. Teil, 2., 3. und 10. Kap., S. 858 ff. (insb. S. 889 ff., 897 ff.), 909 ff., 1027 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 30, S. 523. 109

Dazu die Hinweise in Fn. 22, S. 522 Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 895 ff., 897 ff., 900 ff., 907 ff. 111 Vgl. auch BVerfGE 75, 223 (243 f.). 112 Dazu 9. Teil, 2. und 9. Kap., S. 881 ff., 895 ff., 1009 ff.; 5. Teil, 4. KapM S. 365 ff. zur Einzelfallgerechtigkeit; 9. Teil, 2. Kap., S. 905 ff., zur verfassungskonformen Auslegung. 110

113

Dazu 9. Teil, 1., 2. und 11. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 847 ff., 1033 ff. So auch in der Sache das Bundesverfassungsgericht selbst, BVerfGE 36, 1 (14 f.); 45, 187 (237 f.); auch 59, 360 (377) und ständig, das aber vor allem in der Dogmatik der Garantie der Kunstfreiheit eben mit dem Bemühen um Einzelfallgerechtigkeit nicht gerecht wird (dazu 9 Teil, 4. Kap., S. 954 ff.). 114

538

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

richterlichen Entscheidungen hängt gerade vom Gesetz ab, weil die Sachlichkeit eine Frage der Sittlichkeit und damit der allgemeinen Gesetzgebung als der Gesetzgebung aller ist 1 1 5 . In der Republik gibt es kein materiales Prinzip der Sachlichkeit, das die Richter ohne Gesetz umsetzen könnten. Die Grundrechte orientieren meist nur und bestimmen selten. Ein Rechtsinstitut des Richterrechts, welches über das gesetzlich bestimmte unvermeidbare Maß hinausgeht, verletzt Art. 97 Abs. 1 GG. Auch Art. 80 Abs. 1 GG, der die Möglichkeit der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen zu ermächtigen eng begrenzt, erweist das Gesetzlichkeitsprinzip der Republik. Die Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts 116 weist den richtigen Weg. Sie muß zumindest auch die richterliche Rechtsetzung begrenzen. Die Verfassungsrichter haben die Rechtlichkeit der Gesetze zu prüfen und sind darum wegen der materiellen Offenheit oder der Formalität der Leitentscheidungen der Verfassung weitgehend mit funktional gesetzgebender Rechtserkenntnis betraut 117 . In jedem Fall sind die Richter Vertreter des Volkes bei der Erkenntnis des Rechts 118 . Die Gesetzlichkeit muß in der Republik soweit als möglich den Vorrang vor der Richterlichkeit behaupten. So schreibt es Art. 20 Abs. 3 GG vor. Das bestätigt Art. 97 Abs. 1 GG, wonach die Richter "unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen" sind. Wenn auch die Rechtsprechung nicht begrifflich von Gesetzen abhängig ist 1 1 9 , so orientiert doch das Grundgesetz durch diese Vorschriften die Funktion der Gesetzes-, nicht der Verfassungsrichter, auf die gesetzesabhän-

115 Dazu 2. Teil, 6. und 10. Kap., S. 107 f., 149 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff. (insb. S. 670 ff.), 707 ff.; zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit Fn. 21, 8. Teil, 1. Kap., S. 522; zum Gesetzgebungsstaat 2. Teil, 10. Kap., S. 150 ff.; 9. Teil, 2., 7., 8., 9. und 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1002 ff., 1027 ff. 116 BVerfGE 34, 165 (192 f.); 40, 237 (248 f.); 45, 400 (417); 47, 46 (78 f.); 48, 210 (221); 49, 89 (126 f.); 57, 295 (320 f.); 58, 257 (268 f.); BVerfG JZ 1992, 49; dazu C.-E. Eberle , Gesetzes vorbehält und Parlamentsvorbehalt, DÖV 1984, 485 ff.; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1020 f. 117 Dazu 9. Teil, 2. und 10. Kap., S. 858 ff. (870 ff., 884 ff., 895 ff.), 1027 ff.; auch 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 118 Nicht etwa die "Stellvertreter Gottes" in der Verwirklichung der naturgegebenen "Ordnung der Dinge", wie R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 248 ff., 260, meint, der sich, hochrestaurativ, gegen die volonté générale als subjektivistischen Voluntarismus und den vermutlich neukantianischen Positivismus stellt (S. 145 ff., 241 ff., 279 ff. u.ö.); zum Antirousseauismus Hinweise in Fn. 24, 8. Teil, 1. Kap., S. 642; Fn. 933, 9. Teil, 8. Kap., S. 997. 119 Dazu 9. Teil, 2. und 3. Kap., S. 870 ff., 874 ff., 885 ff., 909 ff.; auch 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.

2. Kap.: Freiheitliche Gesetzlichkeit statt herrschaftlicher Richterlichkeit

539

gige Rechtserkenntnis hin, die weitestmöglich subsumible Gesetze voraussetzt 120 . Ohne die strikte Bindung an das Gesetz als prinzipiell alleinigem Entscheidungsmaßstab der Streitfälle geht den Gesetzesrichtern die verfassungsgemäße Legitimation verloren; denn eine demokratische Legitimation haben die Richter allein durch ihre Bestellung 121 nicht, weil sie (i.d.R.) auf Lebenszeit gewählt werden. Demokratische Legitimation verlangt aber Periodizität der Wahl 1 2 2 . "Auch in einem demokratischen Staat ist der Richter unabhängig, wenn er Richter und nicht politisches Instrument sein soll. Die Unabhängigkeit der Richter kann aber niemals etwas anderes sein als die andere Seite ihrer Abhängigkeit vom Gesetz." - Carl Schmitt 123 Diese Formel verkennt die Einheit von Recht und Politik 1 2 4 und läßt sich insbesondere nur sehr unvollkommen verwirklichen. Sie ist aber der Leitgedanke der grundgesetzlichen Konzeption der Rechtsprechung, der dem Prinzip der aus der Idee der Gewaltenteilung übernommenen rechtsstaatlichen Teilung der staatlichen Funktionen folgt 1 2 5 . Der darum bestmöglich zu verwirklichende Vorrang des Gesetzes geht im entwickelten Parteienstaat zunehmend verloren, weil die Verantwortungsscheu die populistischen Parteienoligarchie an verbindlichen Entscheidungen hindert, aber auch weil die "politische Willensbildung", schon gar die "des

120

Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 895 ff., 897 ff., 900 ff., 907 ff. In der Sache ebenso G. Roellecke, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, VVDStRL 34 (1981), S. 30 ff. ("Eine Wahl - und sei es eine unmittelbare Volkswahl - kann die Legitimation des Richters, verbindlich zu entscheiden, nicht verstärken", S. 30); i.d.S. jetzt BVerfGE 83, 60 (72); über die demokratische Legitimation eines "verfassungsgerichtlichen Juridiktionsstaates" auch mit Hinweis auf E.-W. Böckenförde und in Kritik an der mangelnden Differenzierung zwischen Werten und Rechtsprinzipien J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 292 ff., insb. S. 310 und ff.; dazu auch 9. Teil, 3. und 6. Kap., S. 924 ff., 971 ff. 121

122

Vgl. BVerfGE 18, 151 (154); 44, 125 (139); K. Jaspers, Vom Ursprung, S. 206 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 608 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 53 f., Rdn. 134, 139, S. 61, Rdn. 155; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 970, dazu auch 1. Teil, 3. Kap., S. 67 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 675 ff.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. 123 Verfassungslehre, S. 274; ebenso, ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 79, 83 f., 87; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; auch ders., Legalität und Legitimität, S. 22; ebenso etwa K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 788; dazu mit Hinweisen in Fn. 294, 9. Teil, 2. Kap., S. 874, Fn. 352; 9. Teil, 2. Kap., S. 883; auch Fn. 489, 9. Teil, 3. Kap., S. 914; dazu weiter die Hinweise in Fn. 119, S. 538. 124 Dazu 9. Teil, 3. und 10. Kap., S. 909 ff., 1027 ff. 125 Dazu die Hinweise wie in Fn. 119, S. 538; zur gewaltenteiligen Funktionenordnung 3. Teil, 1. Kap., S. 168 ff.; auch 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff.; 9. Teil, 2., 3. und 10. Kap., S. 863 ff., 866 ff., 871 ff., 882 ff., 919 ff., 1027 ff.

540

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

Volkes", die Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG und § 1 Abs. 1 S. 2 ParteienG den Parteien aufgibt, an den parteiinternen oligarchischen Verhältnissen scheitert 126 , u.a.m. Ohne parteiinterne materiale Demokratie, d.h. ohne realen politischen Diskurs in den Parteien, leidet die politische Willensbildung des Volkes Not und versagt folglich der parteienbestimmte Gesetzgeber bei der ihm aufgetragenen Repräsentation der praktischen Vernunft/der Sittlichkeit des Volkes 127 . Wilhelm Henke leugnet mit der auch empirisch fragwürdigen Erkenntnis, "das Gericht", nicht wesentlich das Gesetz, sorge "unter Freien um des Friedens willen für Gerechtigkeit" 128 , seiner Lehre von der unausweichlichen Herrschaft gemäß, (auch) damit die Idee der allgemeinen Freiheit 129 , die ihre Wirklichkeit in den allgemeinen Gesetzen eines das Volk vertretenden Gesetzgebers findet 130. Nach Henke sind die Richter die Herren unseres Lebens; denn sie entscheiden den Streit 131 . Das soll so nicht sein. Die Streitentscheidung darf nicht zur Herrschaft entarten. Sie soll den Willen der Streitparteien verwirklichen, den diese als ihre gemeinsame Freiheit im allgemeinen Gesetz durch die Vertreter des ganzen Volkes oder als ihren gemeinsamen privaten Willen im Vertrag definiert haben 132 , deren Verbindlichkeit oder Materie aber in Streit geraten ist. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG wird auch durch Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG materialisiert. Henke unterscheidet Sollen nicht sub-

126

Dazu 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. Dazu 8. Teil, 2. und 3. Kap., S. 688 f., 707 ff. (insb. S. 719 ff., 728 ff., 730 ff.); auch 2. Teil, 6., 9. und 11. Kap., S. 123 f., 142 ff., 153 ff.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. (insb. S. 799 ff., 810 ff.). 128 Recht und Staat, S. 531; ganz so schon R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 258 ff. 129 Henke vertritt allerdings eine Lehre materialer "unendlicher Freiheit", Recht und Staat, S. 44 ff. (dazu 5. Teil, 7. Kap., S. 427 ff.), in der auch "alle Schranken, Gesetze, Autoritäten wurzeln" würden; zu Henkes Herrschaftslehre, a.a.O., S. 251 ff. (dazu 2. Teil, 8. Kap., S. 133 ff.). 130 Dazu die Hinweise in Fn. 21, 8. Teil, 1. Kap., S. 522 (zur Freiheitlichkeit als Gesetzlichkeit), Fn. 115, S. 538 (zum Gesetzgebungsstaat); zur allgemeinen Gesetzlichkeit Hinweise in Fn. 115, S. 538; vgl. auch die Hinweise in Fn. 130. 131 Recht und Staat, S. 520 ff., 525 ff., 620 ff.; das ist bei R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 248 ff., seinsmäßig, "mythisch", gegeben (S. 261). 132 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 401 ff.). 127

2. Kap.: Freiheitliche Gesetzlichkeit statt herrschaftlicher Richterlichkeit

541

stantiell v o m S e i n 1 3 3 u n d gelangt wegen der Z u f ä l l i g k e i t des Seins, aber auch der B e l i e b i g k e i t nicht gesetzlich positivierter Gesichtspunkte Sollens u n a u s w e i c h l i c h zur rhetorischen T o p i k 1 3 4 , die Aristoteles

des

durch die

L o g i k ü b e r w u n d e n h a t 1 3 5 . Diese T o p i k stellt die M ö g l i c h k e i t gesetzlichen Rechts u n d d a m i t die M ö g l i c h k e i t einer R e p u b l i k 1 3 6 letztlich i n Frage. Henke

vernachlässigt den I r r t u m als die Gefahr allen Erkennens u n d als

wesentlichen G r u n d der P r o z e ß m a x i m e n 1 3 7 . D e n I r r t u m hat Paul

Laband

als den G r u n d juristischer Meinungsverschiedenheiten herausgestellt; die Irrtumslehre Viehweg,

ist der Schlüssel z u m Verständnis

Martin

Kriele

u n d Rolf Gröschner

Rousseaus m.

Theodor

haben den wesentlich rhetori-

schen Charakter der T o p i k dargestellt 1 3 9 . E i n Topos ist darum k e i n A r g u ment des Rechts. Rhetorische T o p i k haben Kant u n d Hegel die M e t h o d e des "Geschwätzes" geziehen: "Schein v o n Vernünftigkeit zu vernünfteln oder w o r t r e i c h zu schwatzen."Kant 140

133 Gegen den Dualismus von Sollen und Sein W. Henke, Recht und Staat, S. 145 ff. ("Sieht man die Dinge in dieser Weise, dann zeigt sich, daß Sein und Sollen, Bestand und Wert einer Sache nicht unüberbrückbar, sondern im Wesen der Sache eins ist", S. 147); zu diesem Dualismus 2. Teil, 1. und 8. Kap., S. 77 f., 138 f.; 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff.; auch 3. Teil, 1. Kap., S. 159 f.; 7. Teil, 6. Kap., S. 621 f.; 9. Teil, 2. Kap., S. 803 f. 134

Dazu Henkes Schüler R. Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz, S. 189 ff., 199 ff. (insb. zu Ciceros Topica, S. 194 ff.); ebenso R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 275 ff., 277; zur Topik grundlegend Th. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1953; G. Struck, Topische Jurisprudenz, 1971; kritisch M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Auflage 1976, S. 144 ff.; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 1981, Rdn. 85 ff., S. 43 ff. 135 Etwa Metaphysik, ed. Schwarz, Reclam, 1970/1984, S. 276 ff.; vgl. M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 133 ff., 149 ff.; dazu auch R. Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz, S. 70 ff. (insb. zur Analytik und zum Syllogismus). 136 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 334, 336. 137 Dazu K.A. Schachtschneider, Neubescheidung nach Rechtskraft im Sozialversicherungsrecht und im allgemeinen Verwaltungsrecht, VerwArch. 63 (1972), S. 306 ff. 138 Zum Irrtum 7. Teil, 4. Kap., S. 567 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 641, 649; P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, 4. Auflage 1903, S. 163 ff.; W. Henke distanziert sich durchgehend von Rousseau, etwa, Recht und Staat, S. 620 ff., und damit von der kognitivistischen Rechts- und Staatslehre; zum Antirousseauismus Hinweise in Fn. 24, 8. Teil, 1. Kap., S. 642; Fn. 933, 9. Teil, 8. Kap., S. 998. 139 Th. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 1 ff., 6 ff.; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 125 ff.; R. Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz, insb. S. 165 ff., 189 ff., 199 ff.; vgl. auch H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 46, Rdn. 91. 140 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 268 f., vgl. auch S. 104 f.; darauf verweist selbst Th. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 23; Hegel, ed. Glockner, Bd. 18, S. 409, zitiert nach M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 115 f.; zum schlechten Ruf der Rhetorik, insb. der Sophistik, R. Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz, S. 165 ff.

542

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

Ernst Forsthoff wirft derart topisch argumentierender Wertjurisprudenz die "Auflösung klarer Begrifflichkeit in Gerede" vor 1 4 1 . Topische Verfahrensweisen des Richters fordert René Marcie denn auch ähnlich Henke wegen des wesentlich ontischen, präpositiven Charakters des Rechts, das in der natürlichen "Ordnung der Dinge" liege 1 4 2 . Den Ausgangspunkt der bürgerlichen Freiheits-, Rechts- und Staatslehre, die Unterscheidung von Sein und Sollen, von Naturgesetz und Sittengesetz 143 , stellt auch René Marcie in Abrede, wie jeder religiös bestimmte Rechtsdenker: "Das Sein ist das Sollen, das Sein begründet und bewirkt das Sollen, durch das Sein geschieht das Sollen." - René Marcie 144 Marcie 145 stützt sich (u.a.) auf Josef Pieper: "Das Wirklichsein macht den Begriff des Guten aus." 146 ... "Omne ens est verum." 1 4 7 ... "Im Akt der Klugheit wird ja das Sollen bestimmt durch das Sein. Der Moralismus sagt: das Gute ist das Gesollte, weil es gesollt ist. Die Lehre von der Klugheit sagt: das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße, es ist gesollt, weil es so der Wirklichkeit entspricht."... "Weise ist der Mensch, wenn ihm alle Dinge so schmecken, wie sie wirklich sind." ... "Das Gute setzt die Wahrheit voraus, und die Wahrheit

141

Der Staat der Industriegesellschaft, 2. Aufl. 1971, S. 69. Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 109 ff., 145 ff., 241 ff., 258 ff., 277, zum "präpositiven und positiven Recht"; ders. auch im objektivistischen Sinne, Rechtsphilosophie, S. 117 ff., 127 ff. 143 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 33 ff.; vgl. auch S. 81 ff.; dazu Κ Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 263 f., 275 ff.; eigenständig G. Ellscheid, Das Problem von Sein und Sollen in der Philosophie Kants, 1967, passim; F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, 1984, S. 308 ff., 328 ff., will den "Dualismus" von Sein und Sollen rechtsphilosophisch überwinden; kritisch zur rigiden Trennung von Sein und Sollen durch H. Kelsen G. Winkler, Rechtstheorie und Erkenntnislehre, 1990, S. 126 ff., S. 129 ff., zu Kants Kausalitätslehre; ders., Sein und Sollen. Zur Anwendbarkeit der transzendentalen Logik auf das rechtstheoretische Denken, Rechtstheorie, Beiheft 1, 1979, S. 177 ff.; vgl. auch R. Gröschner, Stichwort "Rechtsfindung", Lexikon des Rechts, 1988, 2/430; O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 107 f.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 101,151; weitere Hinweise in Fn. 76, 3. Teil, 1. Kap., S. 173. 142

144

Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 158. Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 154 ff., 158; vgl. auch ders., Rechtsphilosophie, S. 117 ff., 127 ff. 145

146

Thomas-Brevier, Lateinisch-Deutsch, 1956, S. 65 (zitiert nach R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 158 Fn. 134); ebenso in der Sache ders., Über das christliche Menschenbild, S. 23 ff. 147

J. Pieper, Verteidigungsrede für die Philosophie, S. 82, 86.

2. Kap.: Freiheitliche Gesetzlichkeit statt herrschaftlicher Richterlichkeit

543

setzt das Sein voraus. Was nämlich bedeutet inhaltlich der Vorrang der Klugheit? Er bedeutet nichts anderes, als daß die Verwirklichung des Guten das Wissen um die Wirklichkeit voraussetzt. Das erste, das von einem Wirkenden gefordert wird, ist, daß er wissend sei, sagt Thomas. Wer nicht weiß, wie die Dinge wirklich sind und liegen, der kann auch nicht das Gute tun; denn das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße. 'Wissen' ist dabei natürlich nicht, wie ich schleunigst hinzusetze, im szientistischen Sinne der modernen Erfahrungswissenschaften zu verstehen. Es ist gemeint der wirkliche Kontakt mit der objektiven Wirklichkeit. Dieser Kontakt wird zum Beispiel durch die Offenbarung auf eine höhere als 'wissenschaftliche' Weise begründet; und zur Klugheit gehört auch die 'Gelehrigkeit', das ist die hörende Verbundenheit mit dem echten Wirklichkeitswissen des überlegenen Geistes." - Josef Pieper 14* Henkes Postulat der "Gerechtigkeit", "der Lage des anderen zu entsprechen", aber auch auf die "Forderung der Sache" zu "hören", klingt wie ein säkularisierter Thomismus 149 . Piepers Wirklichkeitsbegriff meint die Wirklichkeit Gottes: "Der Christ ist ein Mensch, der - im Glauben - der Wirklichkeit des dreieinigen Gottes inne wird." 1 5 0 Auch Hegels die Dichotomie von Sollen und Sein verwirrender Kernsatz der Vorrede der Philosophie des Rechts (S. 39): "Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig." stärkt den Antikantianismus, aber vermag eine religiös bestimmte Rechtslehre nicht zu tragen. Auch Marcics Rechtslehre ist · antiaufklärerisch 151 . Aus dem Sein ein Sollen zu schließen, ist der Fehlschluß des Naturrechts

148

Über das christliche Menschenbild, S. 27 bzw. 23 f., in seiner thomistischen Lehre von den "Kardinaltugenden", insb. der der "Klugheit"; zur Verbindlichkeit der Wahrheit, freilich der empirischen Wahrheit, nicht einer Ideologie oder, freundlicher, eines Glaubens, für die Politik H. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 59 ff. ("Denn vom Standpunkt der Politik gesehen ist Wahrheit despotisch" S. 61); dazu 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 567 ff., 584 ff. (insb. S. 598 ff. mit Fn. 441); auch 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 945 ff. 149

Recht und Staat, S. 173 ff., 144 ff. (die "Sache" ist auch die "Regeln des Handelns", usw., das Sollen also, S. 147 f.). 150 Vgl. J. Pieper, Verteidigungsrede für die Philosophie, S. 78 ff.; ders., Über das christliche Menschenbild, S. 13 (Zitat, Hervorhebung von mir), S. 24 f., passim. 151 Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 145 ff., 154 ff., 283 f. u.ö.

544

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

wie auch der empiristischen Rechtslehren 152 . Auch die Herrschaftslehren, einschließlich der Lehre von der Parteienoligarchie, schließen vom Sein auf das Sollen 1 5 3 und verleugnen auch darum das Prinzip Recht. Im kategorischen Imperativ Kants vermag Wilhelm Henke für Streitverhütung keine Hilfe zu finden, weil der kategorische Imperativ durch den Gedanken an den Gesetzgeber von "der Lage des anderen gerade ablenke", auf die es aber ankomme, weil der kategorische Imperativ wegen seiner Formalität "die Frage, was man denn tun solle, um gut und gerecht zu handeln, unbeantwortet" lasse 154 . Nur die "freiwillige Einigung" könne den Streit beenden, nur "vernünftiges Sprechen", schließlich "Rhetorik", könne überzeugen 155 . Henke findet nicht zu einem Prinzip des Rechts und kann das ebensowenig wie andere empiristische, notwendig ideologisierende 156 , Rechtslehren, die sich auf die Natur der Sache berufen und notgedrungen in dieser ihre subjektive Sicht der Dinge verbergen. Eine solche Lehre muß zur Heteronomie derer führen, welche die Sache zu erkennen die Kompetenz haben, zur Herrschaft also. Der Streitfall trägt seine gerechte Befriedung nicht in sich. Recht ist, abgesehen vom "Apriori des Rechts der Freiheit" 1 5 7 ohne Gesetz nicht denkbar, jedenfalls nicht als Verwirklichung

152

So richtig O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 77, 102 ff., 481 f.; insb. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 13, 33 ff., 76 f.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 336; W. Weischedel, Recht und Ethik, S. 14 ff., 18; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 100 m. w. H., siehe auch die Hinweise in Fn. 133, S. 541. 153 Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71; S. 116 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff. 154 Recht und Staat, S. 185, 167 (Zitate); zur Kritik der Formalität des Sittengesetzes als Mangel an Materialität 5. Teil, 2. Kap., S. 259 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 278 ff., 321 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff.; immer ein Hinweis, daß die Materialität der Gesetze und die Formalität der die Gesetze gründenden Freiheit nicht angenommen wird, weil das Herrschaft, aber auch jede religiöse Rechtslehre, ausschließt; zur Formalität der Freiheit 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff., 325 ff. (insb. S. 356 ff.), 410 ff.; 6. Teil, 1. und 8. Kap., 5. 441 ff., 494 ff.; 9. Teil, 5., 7. und 8. Kap., S. 956 ff., 978 ff., 990 ff. 155 Recht und Staat, S. 185, 190. 156 Zum Begriff Ideologie M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 166 ff., m. w. H. und Zitaten; N. Luhmann, Wahrheit und Ideologie, Der Staat 1 (1962), S. 431 ff.; HJ. Lieber, Ideologie, EvStLex, 3. Aufl. 1987, Sp. 1303-1309; K. Lenk (Hrsg.), Ideologie, Ideologiekritik, Wissenssoziologie, Bd. 4 der soziologischen Texte, 1961. 157 Dazu 5. Teil, 1., 3., 4. und 6. Kap., S. 253 ff., 279 ff., 290 ff., 325 ff., 431 ff., 434 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.

3. Kap.: Der staatliche Zwang zur Verwirklichung des Rechts und der Freiheit

545

der Freiheit 158 . Henkes Begriff der "unendlichen Freiheit" stellt empiristisch die Möglichkeiten der Willkür 1 5 9 , die "tierische" Willkür (.Kant) 160, an die Stelle der Freiheit. "Der Begriff der Freiheit ist der Stein des Anstoßes für alle Empiristen, aber auch der Schlüssel zu den erhabensten praktischen Grundsätzen für kritische Moralisten, die dadurch einsehen, daß sie notwendig rational verfahren müssen."- Kant 161

3. Kapitel Der staatliche Zwang zur Verwirklichung des Rechts und der Freiheit I.

Die Gefährdung der Rechtlichkeit durch Gewaltsamkeit, Ungesetzlichkeit und Parteilichkeit "Homo homini Deus. Homo homini Lupus." - Hobbes 162 Reine Vernunftwesen bedürfen der Sicherung ihrer Freiheit als ihrer Sittlichkeit durch einen Staat nicht. Die Menschen jedoch, die "ungeselligen Gesellen", "habsüchtig, machtsüchtig und ehrsüchtig" (Kant, nicht anders Aristoteles, Cicero, Hobbes, Maihofer, u.a.) 163 gefährden die Freiheit anderer, weil sie Gewalt ausüben können und nach aller Erfahrung auszuüben pflegen. Vor allem bedrohen die Menschen einander mit dem Tod (Hobbes,

158

Dazu 5. Teil, 2. und 3. Kap., S. 270, 275 ff. (insb. S. 306 ff.); zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit Hinweise in Fn. 22, 7. Teil, 1. Kap., S. 522. Richtig kritisiert es auch G. Teubner, Organisationsdemokratie, S. 163, Normen aus vorrechtlichen Faktizitäten herzuleiten. 159 Recht und Staat, S. 44 ff.; dazu 5. Teil, 7. Kap., S. 427 ff.; 2. Teil, 8. Kap., S. 133 ff., zu Henkes Herrschaftslehre. 160 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 675, nennt diese Willkür "tierisch" im Gegensatz zur "freien Willkür". 161

Kritik der reinen Vernunft, S. 112. De ci ve, Epistola dedicatoria; dazu G. Geismann/K Herb , Hobbes über die Freiheit, 1987, S. 40 ff. 162

163

Kant , Idee, S. 37 f. (aber auch des Nächsten bedürfend und diesen liebend); Aristoteles, Politik, S. 50, 1253 a 29 ff.; Cicero, De re publica, S. 158 f.; Hobbes, Leviathan, 17. Kap., S. 153; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 27 f.; dazu u.a. D. Suhr, Gleiche Freiheit, 1988, S. 5 ff.; auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, insb. S. 223 f., 342 ff., legt seiner Lehre diese Anthropologie zugrunde. 35 Schachtschiieider

546

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

Höffe) m. Vor der Lebensgefährdung des Menschen durch den Menschen soll der Leviathan schützen. Das "bellum omnium inter 1 6 5 omnes", der Naturzustand, in dem der "homo homini lupus" ist, soll so weit als möglich unterbunden werden. Aus Furcht vor dem gewaltsamen Tod verbinden sich die Menschen zum Staat, zum Friedenszustand, in dem der "homo homini deus" sein kann 1 6 6 . "Der Mensch ... ist von Natur ein Staaten bildendes Lebewesen." Aristoteles 167 Der Staat soll Schutz geben und Frieden schaffen 168 . Nur wenn für niemanden entgegen dem Recht Gewalt gegen andere zu üben ratsam ist, d. h. wenn die Nachteile, Interessen rechtlos mit Gewalt durchzusetzen, die Vorteile derart überwiegen, daß es sich verbietet, ohne Recht Gewalt für seine Zwecke zu nutzen, hat der Frieden als die allgemeine Freiheit, hat die Sicherheit der Menschen vor der rechtlosen Gewalt anderer Menschen eine Chance. Die alteuropäische Anthropologie, welche auch noch der modernen, vor allem der grundgesetzlichen Staatslehre zugrunde liegt, umschreibt Aristoteles: "Alle Menschen haben also von Natur den Drang zu einer solchen Gemeinschaft (sc. den Staat), und wer sie als erster aufgebaut hat, ist ein Schöpfer größter Güter. Wie nämlich der Mensch, wenn er vollendet ist, das Beste der Lebewesen ist, so ist er abgetrennt von Gesetz und Recht das Schlechteste von allen. Das Schlimmste ist die bewaffnete Ungerechtigkeit. Der Mensch besitzt von Natur als Waffen die Klugheit und Tüchtigkeit, und gerade sie kann man am allermeisten im verkehrten

164 Hobbes, Leviathan, 13. Kap., S. 112 ff.; O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 307 ff. (zu Hobbes), 342 ff., 382 ff.; ders., Gerechtigkeit als Tausch? Zum politischen Projekt der Moderne, S. 23, 24 ff. (zu Hobbes). 165 Vielfach wird zitiert: bellum omnium contra omnes, etwa C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 47. 166 C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 47 f. 167 Politik, S. 49, 1253 a 3 f. 168 Hobbes, Leviathan, 13. Kap., S. 112 ff., 17. Kap., S. 151 ff.; 18. Kap., S. 156 ff.; dazu O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 307 ff.; A. Randelshofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. I, S. 694, 706; V. Götz, Innere Sicherheit, HStR, Bd. III, S. 1008 ff., 1012 f.; W. Corize , Sicherheit, Schutz, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, 1984, S. 831 ff.; zu den Staatszwecken vgl. die Verhandlungen der Deutschen Staatsrechtslehrer 1989 in Hannover, insb. die Berichte von Ch. Link und G. Ress, Staatszwecke im Verfassungsstaat; Nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 48 (1990), S. 7 ff., 27 ff., bzw. S. 56 ff., 83 ff.; vgl. auch HP. Bull, Staatszwecke im Verfassungsstaat, NVwZ 1989, 801 ff.; H. Bethge, Staatszwecke im Verfassungsstaat - 40 Jahre Grundgesetz, DVB1. 1989, 841; zum Friedenszweck vgl. die Hinw. in Fn. 32, 1. Teil, 1. Kap., S. 9.

3. Kap.: Der staatliche Zwang zur Verwirklichung des Rechts und der Freiheit

547

Sinne gebrauchen. Darum ist der Mensch ohne Tugend das gottloseste und wildeste aller Wesen und in Liebeslust und Eßgier das Schlimmste. Die Gerechtigkeit dagegen ist der staatlichen Gemeinschaft eigen. Denn das Recht ist die Ordnung der staatlichen Gemeinschaft, und die Gerechtigkeit urteilt darüber, was gerecht sei." 169 Der Staat ist für die äußere und innere Sicherheit verantwortlich 170 . Der Rechtsbruch darf in keiner Weise den Rechtsbrechern oder Dritten von Nutzen sein. Die Sanktionen des Rechtsbruchs müssen geeignet sein, wirksam vor dem Rechtsbruch abzuschrecken. Keinem Bürger kann zugemutet werden, den Rechtsbruch hinzunehmen; denn der Rechtsbruch verletzt seine Freiheit, der Bruch des allgemeinen Rechts die allgemeine Freiheit. Die Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens darf nicht angetastet werden. Auch pädagogische Zwecke rechtfertigen nur sehr begrenzt Opfer an Freiheit, um dem Rechtsbrecher die Chance zu geben, sich zu bewähren, u.a. Staatlichkeit ist rechtliche Gesetzlichkeit, "Gerechtigkeit", wie wir gerade bei Aristoteles lesen konnten. Die Staats waiter haben nicht die Kompetenz, das Gesetz zu ignorieren (Prinzip der Legalität). Volkmar Götz spricht richtig vom "Untermaßverbot" 171 . Große Sorge macht der Verfall der Gesetzlichkeit. Die Korruption unten und oben nimmt zu. Viele hinterziehen die Steuern, betrügen die Versicherungen, mißbrauchen das soziale Netz, verletzen die Arbeitspflichten u.s.w., im öffentlichen Dienst nähert sich die Vorteilsnahme auch italienischen Verhältnissen. Die Schäden sind immens und werden auf alle umgelegt, sozialisiert. Das Gesetz wird zunehmend häufig nicht durchgesetzt, wenn das nicht zweckmäßig erscheint 172 . Auch diese republikwidrige Schwäche ist Ausdruck des Parteienstaates 173; denn dessen Wesen ist im Wider-

169

Politik, S. 50, 1253 a 29 ff. J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 3 ff.; V. Götz, HStR, Bd. III, S. 1007 ff.; dazu G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987; H. Bethge, DVB1. 1989, 848 f.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 27 ff., Ls 10; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 83 ff., Ls 3, 4, S. 14 ff., 23 f.; zur Schutzpflicht des Staates BVerfGE 39, 1 (41 ff.); 46, 160 (164 f.); 49, 49 (141 f.); 53, 30 (57 f.); 56, 54 (73 ff.); vgl. auch BVerfGE 77, 170 (214); auch Ch. Link, a.a.O., S. 31; dazu S. 552 mit Fn. 199. 170

171

HStR, Bd. III, S. 1025 f.; i.d.S. auch H. Bethge, DVB1. 1989, 849; auch Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 31. 172 Kritisch G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 85; auch Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 32 f.; vgl. H. Sendler, Der Rechtsstaat im Bewußtsein seiner Bürger, NJW 1989, 1761 ff. 173 Dazu 10. Teil, 3. Kap., S. 927 f.

35*

548

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

spruch zur Moralität der Gesetzlichkeit die Parteilichkeit, die ihre kriminelle Wirklichkeit vor allem in der verfassungsbrecherischen (Art. 33 Abs. 2 GG) Ämterpatronage findet 174. Wenn Amtswalter ihre Ämter dem Rechtsbruch danken, ist eine gesetzesgemäße Amtsführung nicht zu erwarten, vor allem nicht, wenn der Einfluß der Parteien auf die Amtsstellung bleibt, wie etwa in dem lukrativen Bereich der Staatsunternehmen. Daß die Hypertrophie der Gesetze eine Hypotrophie an Gesetzlichkeit zur Folge hat, weil es schlicht nicht mehr zu leisten ist, alle Gesetze pünktlich zu verwirklichen, zeigt die Erfahrung 175 ; erst recht gelingt es nicht mehr, effektiven, d.h. rechtzeitigen, Rechtsschutz zu geben 176 . Das ist eine andere Schwäche des parteilichen Verwaltungsstaates, der den Anspruch des Gesetzes verkennt, auf der Grundlage der Wahrheit das Richtige für die allgemeine Freiheit verbindlich zu machen, also praktisch vernünftig, d.h. Recht zu sein 177 , nicht aber schnell wechselnde Zwecke zu verfolgen, welche selten durch den Zweck der Freiheit, sondern meist durch den der Herrschaft geboren sind. Die Zwecke, die einem parteilichen Lager nützlich erscheinen, verbinden das andere Lager trotz ihrer äußeren Gesetzlichkeit innerlich nicht; letzteres trachtet danach, das Gesetz zu ändern und, soweit als möglich, dem Gesetz die Wirkung zu nehmen, selbst wenn es noch gilt. Das Gesetz genügt innerlich nicht der befriedenden, freiheitlichen Allgemeinheit; es findet nicht zum Recht im Sinne der republikanischen Sittlichkeit. Der Wechsel der Oligarchien in der Herrschaft legitimiert die rechtlose Interessenverfolgung mittels der Gesetze nicht, nur weil die Interessen des benachteiligten Lagers nach dem Wechsel verwirklicht werden können 178 . Auch auf Zeit ist das Unrecht nicht gerechtfertigt, zumal es durch neues Unrecht abgelöst wird; denn Recht ist von der Moralität des Gesetzgebers abhängig. II. Das Gewaltprinzip der Freiheitlichkeit und Gesetzlichkeit Die äußere Freiheit ist "die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür." - Kant 179

174

Dazu 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff. Dazu K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, 1986, S. 3 ff. 176 Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 31; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 92 f.; H. Sendler, 40 Jahre Rechtsstaat des Grundgesetzes: Mehr Schatten als Licht?, DÖV 1989, 482 ff., 489. 177 Dazu die Hinweise in Fn. 30, 54, 6. Teil, 1. Kap., S. 523, 527; auch 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 306 ff., 418 ff.; 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff. 178 Anders etwa W. Leisner, Staatseinung, S. 185 f.; vgl. auch BVerfGE 44, 125 (142); zum republikanischen Interessenausgleich 8. Teil, 1. Kap., S. 617 ff. 175

3. Kap.: Der staatliche Zwang zur Verwirklichung des Rechts und der Freiheit

549

A l l e gemeinsam als Staat sollen j e d e m Einzelnen überlegen sein, d a m i t das Recht als die V e r w i r k l i c h u n g der allgemeinen Freiheit erzwungen werden kann. Das sogenannte G e w a l t m o n o p o l des Staates ist ein fundamentales Prinzip der R e p u b l i k 1 8 0 . G e w a l t gegen den Staat zu üben oder auch nur vorzubereiten, e t w a Festungen zu bauen, w i e i n den achtziger Jahren i n einigen

Häusern

der

Hamburger

Hafenstraße,

ist

staatswidrig181.

Die

Prinzipien des staatlichen Gewaltvorrangs und auch des staatlichen G e w a l t vorbehalts gehören zu den grundlegenden Erkenntnissen v o m modernen Staat CBodin, 1576/7, Hobbes,

1 6 4 7 ) 1 8 2 . A u f dieser Erkenntnis baut Rous-

seau seine Lehre v o m Gesellschaftsvertrag, " D a die Menschen nun keine neuen Kräfte hervorbringen, sondern nur die vorhandenen vereinen u n d lenken können, haben sie k e i n anderes M i t t e l ,

179

Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 289 ff., 332 ff., 431 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff. 180 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 818 ff., insb. S. 847 ff. (zur "Einzigkeit der Staatsgewalt"); Κ Stern, Staatsrecht II, S. 513 ff. (insb. zur Teilung und Hemmung staatlicher Gewalten"); M. Kriele, HVerfR, S. 136 f.; J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. I, S. 617 ff., 621 ff.; D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, 1975, S. 29 ff., 32 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 52 ff., 119 ff.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 29 f., 31; V. Götz, HStR, Bd. III, S. 1025 ff., der richtig den Ausdruck "Monopol" kritisiert und durch "Hoheit" zu ersetzen vorschlägt (Fn. 101); H. Bethge, DVB1. 1989, 844 f.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 28 ff.; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 83 f. 181

D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 42 f.; ders., Konstruktionsprinzipien staatlicher Gewalt im Verfassungsstaat der Bundesrepublik, in: A. Randelzhofe r/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, 1986, S. 324 ff., 332 ff.; i.d.S. auch K. Kröger, Die vernachlässigte Friedenspflicht des Bürgers, JuS 1984, 172 ff.; H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 56; M. Kriele, HVerfR, S. 136 f.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 621; V. Götz, HStR, Bd. III, S. 1026 f.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 28 f., Ls 11; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 86, Ls 14; zur Unentbehrlichkeit der Gewalt für das Recht auch N. Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 106 ff. 182 J. Bodin, De republica libri sex, ed. Mayer-Tasch, Beck, 1981, I 8, S. 205 ff.; Hobbes, Leviathan, S. 151 ff.; M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 29 f.; R. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 25 ff.; Η Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 818 ff.; H. Quaritsch, Staat und Souveränität, 1970, S. 234; E.-W. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 15; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 620 ff.; A. Randelzhofer HStR, Bd. I, S. 695 ff. (auch zu den Vorläufern von Bodin); D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 29 ff., 32 ff.; D. Willoweit, Die Herausbildung des staatlichen Gewaltmonopols im Entstehungsprozeß des modernen Staates, in: A. Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, S. 313 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 52 ff., 119 ff.; V. Götz, HStR, Bd. III, S. 1012; O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 307 ff. (zu Hobbes), S. 428, zum "Staat der Gerechtigkeit" mit öffentlicher Zwangsgewalt; dazu auch K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, Glanz und Elend des Rechtsstaats, S. 18 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 28 ff., Ls 11.

550

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

sich zu erhalten, als durch Zusammenschluß eine Summe von Kräften zu bilden, stärker als jener Widerstand, um diese aus einem einzigen Antrieb einzusetzen und gemeinsam wirken zu lassen." - Rousseau 183 Kant erfaßt diesen modernen Staat als den "bürgerlichen Zustand", als "eine allgemeine äußere (d.i. öffentliche) mit Macht begleitete Gesetzgebung", als "bürgerliche" oder auch "staatsbürgerliche Verfassung" 184 . Kant bildet "viererlei Kombinationen" der Gewalt mit Freiheit und Gesetz, nämlich: A. Gesetz und Freiheit, ohne Gewalt (Anarchie). B. Gesetz und Gewalt, ohne Freiheit (Despotismus). C. Gewalt, ohne Freiheit und Gesetz (Barbarei). D. Gewalt, mit Freiheit und Gesetz (Republik) 185 . Die Formel D für die Republik antwortet auf die Aufgabe, die Rousseau gestellt hat und selbst mit seiner republikanischen Freiheits-, Rechts- und Staatslehre gelöst hat: "Finde eine Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor." Rousseauf u Die Sicherheit ist die "Gewißheit der gesetzmäßigen Freiheit." - Wilhelm v. Humboldt 187 "..., und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben."- Johann Wolf gang v. Goethe m "Ich genieße die Gesetze, Sire, ich bin zufrieden."- Friedrich Schiller 189 "Recht kann nicht Recht bleiben, wenn die physische Gewalt auf der Seite steht."- Niklas Luhmann190

183

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 16 f. Metaphysik der Sitten, S. 365 f.; auch ders., Idee, S. 39 ("unwiderstehliche Gewalt"); auch ders., Über den Gemeinspruch, S. 148, 156, auch S. 169; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 199 ff., 205 ff., insb. S. 209 ff., auch S. 215 ff. 185 Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, ed. Weischedel, Bd. 10, S. 686. 186 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 17. 187 Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, 1851 (1792), S. 100 ff., 103. 188 Epigramm "Natur und Kunst", Goethes Werke, Insel Verlag, Erster Band, S. 153; darauf weist K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, S. 9, hin. 189 Marquis von Posa zu König Philip in Don Carlos; darauf weist K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, S. 9, hin. 184

3. Kap.: Der staatliche Zwang zur Verwirklichung des Rechts und der Freiheit

551

"Spezifische Erscheinungsform des Rechts ist hier (sc. im Gesetzgebungsstaat) das Gesetz; spezifische Rechtfertigung des staatlichen Zwanges die Legalität."- Carl Schmitt 191 Wenn ein Staat noch nicht oder nicht mehr besteht, darf der Weg zum Frieden, die Staatlichkeit nämlich oder eben die bürgerliche Verfassung, erzwungen werden. "Wenn es rechtlich möglich sein muß, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben: so muß es auch dem Subjekt erlaubt sein, jeden anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein solches Objekt kommt, zu nötigen, mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten."- Kant m Nur im Staat finden die Menschen Frieden und Freiheit. Gesetzgebung, Gesetzesvollzug und Rechtsprechung sind darum Pflicht des Staates. "Der Satz: Salus publica suprema civitatis lex est, bleibt in seinem unverminderten Wert und Ansehen; aber das öffentliche Heil, welches zuerst in Betrachtung zu ziehen steht, ist gerade diejenige gesetzliche Verfassung, die jedem seine Freiheit durch Gesetze sichert: ..." Kant 193 Die bürgerliche Verfassung/der Staat ist erst erzwungen, wenn jeder mögliche Streit einer befriedenden, also gesetzesgebundenen Entscheidung durch Gerichte zugeführt werden kann (Justizgewährungsanspruch) 194. Dem (so-

190

Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 109. Legalität und Legitimität, S. 8. 192 Metaphysik der Sitten, S. 365 f.; i.d.S. auch ders., Zum ewigen Frieden, S. 203; auch ders., Der Streit der Fakultäten, S. 364; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 205 ff.; anders insofern Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 115 f., der für den Gesellschaftsvertrag, "seiner Natur nach einstimmige Annahme" fordert, weil "die bürgerliche Vereinigung der freieste Akt der Welt" sei; "da jeder Mensch frei und als Herr seiner selbst geboren" sei, könne "ihn niemand ohne seine Einwilligung zum Untertan machen, unter welchem Vorwand auch immer", der aber "Andersdenkende" "als Fremde unter den Bürgern" einstuft, d.h. sie aussondert und ihnen damit auch Zwang antut. 191

193

Über den Gemeinspruch, S. 154 f., weiter heißt es dort klärend: "wobei es ihm unbenommen bleibt, seine Glückseligkeit auf jedem Wege, welcher ihm der beste dünkt, zu suchen, wenn er nur nicht jener allgemeinen gesetzmäßigen Freiheit, mithin dem Rechte anderer Mituntertanen, Abruch tut". 194 So insb. Hobbes, Leviathan, S. 162; heute: K. Stern, Staatsrecht I, S. 838 ff.; E. SchmidtAßmann, Der Rechtsstaat, HStR, Bd. I, S. 1024 ff.; H.-J. Papier, Justizgewähranspruch, HStR, Bd. VI, S. 1221 ff.; Η Bethge, DVB1. 1989, 846 f.; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 92 f.; BVerfGE 54, 277 (291 f.); dazu auch 5. Teil, 4. Kap., S. 361 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 872 ff.; 10. Teil, 9. Kap., S. 1169 ff.

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

552 genannten)

Gewaltmonopol

korrespondiert

der

umfassende

Rechts-

s c h u t z 1 9 5 . D i e G e w a l t k o m p e t e n z des Staates verbietet p r i n z i p i e l l

Gewalt

P r i v a t e r 1 9 6 , soll aber private G e w a l t nach M ö g l i c h k e i t erübrigen,

indem

Streit unter den Bürgern nach Gesetzen, also staatlich, befriedet w i r d . Diese Friedensfunktion

ist

die

eigentliche

Rechtfertigung

des

Staates 1 9 7 . M a n muß sich i m m e r wieder erinnern, w i e Hobbes

modernen gemahnt

hat, "daß Friede u n d Schutz der allgemeine E n d z w e c k der Errichtung eines Staates s i n d . " 1 9 8 . . . " D e r Z w e c k des Gehorsams ist Schutz. ... D i e Verpflichtung der Bürger gegen den Oberherrn kann nur solange dauern, als dieser imstande ist, die Bürger zu schützen; denn das natürliche Recht der Menschen, sich selbst zu schützen, falls es kein anderer tun kann, w i r d durch keinen Vertrag vernichtet." -

Hobbes 199

" Z w i s c h e n d e m Rechtsgehorsam und dem staatlichen Schutz besteht ein unauflöslicher Zusammenhang. D e r Satz: 'Subiectio trahit p r o t e c t i o n e m ' ,

195

Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 31; dazu die Hinweise in Fn. 194. K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, S. 20, geht mit dem folgenden Satz zu weit: "Für private Gewalt ist im Rechtsstaat kein Platz", richtig ist aber sein Verdikt gegen "Gegengewalt" gegen die Staatsgewalt; so auch Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 27, 28 f., Ls 11; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 84 und ff., Ls 13; H. Bethge, DVB1. 1989, 845. Zum Recht auf private Gewalt vgl. Fn. 182, S. 549. 197 Siehe die Hinweise oben in Fn. 168, S. 546; Fn. 182, S. 549; BVerfGE 54, 277 (292); insb., Hobbes, Leviathan, S. 115 ff., 155 f., 160, 162; J. Locke, Über die Regierung, S. 73, 101 ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 429 f.; heute: E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1024 f.; V: Götz, HStR, Bd. III, S. 1012; A. Randelzhofer, HStR, Bd. I, S. 694, 706; K.A. BettermannDer totale Rechtsstaat, S. 3 ff., 20 f.; H. Bethge, DVB1. 1989, 842 f., 844 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 27 ff., Ls 5; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 83 ff., Ls. 5. 198 Leviathan, S. 193. 199 Leviathan, S. 197. Die Pflicht des Staates, insb. das Leben und die körperliche Unversehrtheit zu schützen, muß darum nicht erst aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG herausgelesen werden; so aber die Schutzpflichtdogmatik des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 39, 1 (41 ff.); 46, 160 (164); 49, 24 (53); 49, 89 (140 ff.); 53, 30 (57); 56, 54 (73 ff.); 77, 170 (214 ff.); 88, 203 (251 ff.); dazu Vi Götz, HStR, Bd. III, S. 1013 ff.; D. Lorenz, HStR, Bd. VI, S. 26 ff.; E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates, NJW 1989, 1633 ff.; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 90; H. H. Klein, Die grundrechtliche Schutzpflicht, DVB1. 1994, 489 ff.; G. Hermes, Das Grundrecht von Schutz auf Leben und Gesundheit, 1987, S. 50 f., 261 ff. u.ö.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987; vgl. auch K.A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 83 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 156 ff. zu Art. 2 Abs 2; D. Rauschning, Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38 (1980), S. 177 ff. (zurückhaltend); H. Bethge, DVB1. 1989, 848 f.; kritisch zur Schutzpflichtdogmatik J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 211 ff.; ders., Grundrechtlich begründete Pflichten des Staates zum Schutz gegen staatliche Bau- und Anlagengenehmigungen ?, NVwZ 1983, 523 ff. 196

3. Kap.: Der staatliche Zwang zur Verwirklichung des Rechts und der Freiheit

553

gehört zum Grundbestand des modernen Staates (Grundverhältnis)." Georg Ress200 "Schutzpflicht des Staates und Schutzanspruch des Bürgers für die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Eigentum bilden den Kern der mit der modernen Staatlichkeit unabdingbar verbundenen Friedens- und Sicherheitsgewährleistung. Traditionell bildet ihre Erfüllung die Legitimationsgrundlage des staatlichen Anspruchs auf Loyalität und Rechtsgehorsam." - Christoph Link 201 Streit unter den Menschen ist eine conditio humana; aber im Staat bedarf es entgegen der Sorge Wilhelm Henkes für den Frieden keiner Herrschaft 202 , sondern eben der Gesetzlichkeit, die freiheitlich sein kann und soll. Die staatliche Bewältigung der Konflikte nach den Gesetzen der Freiheit ist entgegen auch Otfried Höffes Sprache keine "Herrschaft", selbst nicht, wenn Zwang erforderlich ist 2 0 3 . III. Das Zwangsprinzip freiheitlichen Rechts Recht kann des Zwanges nicht entsagen. "Die Gewalt ist unumgänglich." - Karl Jaspers 204 Die Legitimation des Zwanges ist für Otfried Höffe die Kernfrage der politischen Gerechtigkeit, die er in der "allseits vorteilhaften Freiheitseinschränkung" sieht. "Fundamental rechtens ist ein Zwang von Menschen gegen Menschen nur so weit, wie die distributiv verteilten Freiheitsverzichte, die Grundfreiheiten, reichen." - Otfried Höffe 205 Kant hat den Zwang freiheitlich mit dem Satz des Widerspruchs als "Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit" erklärt und daraus den Schluß gezogen, daß "das Recht mit der Befugnis zu zwingen verbunden" sei 206 . 200

VVDStRL 48 (1990), Ls 4, S. 83 ff., 90 ff. VVDStRL 48 (1990), S. 83 ff., 98 ff., Ls 10. 202 W. Henke, Recht und Staat, S. 399. 203 O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 63 ff., 204 ff., 289 ff., 328 ff.; dazu 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff. 204 K. Jaspers, Vom Ursprung, S. 202; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 838 f. (zum Zwecke der staatsnotwendigen "Unwiderstehlichkeit"); so auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 621 ff.; D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 29 ff., 54 f.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 17 f. (mit Bezug auf Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe Winckelmann, 1964, S. 22 ff., 29 f., 31); V: Götz, HStR, Bd. III, S. 1025; U. Matz, Zur Legitimation staatlicher Gewaltenanwendung, S. 336 ff. 205 Politische Gerechtigkeit, passim, S. 328 ff., 382 ff., 403 ff., Zitat S. 405; ebenso ders., Gerechtigkeit als Tausch?, S. 19 ff., 24 ff. 201

554

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

Jedenfalls widerspricht Zwang nicht der Freiheit und ist eine unentbehrliche Art, die Rechtlichkeit des menschlichen Handelns sicherzustellen. Staatlicher Zwang ist also durch das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gerechtfertigt, ja mit dem Prinzip Recht angesichts des Menschen, wie der nun einmal ist, notwendig verbunden. Die Zwangsbefugnis läßt sich auch als Begriffsmerkmal des Rechts konzipieren, so daß die nicht erzwingbaren Handlungsmaximen unter die bloß moralische Verbindlichkeit fallen, selbst wenn sie gesetzlich oder vertraglich festgelegt sind und ein Gericht sie zu klären die Kompetenz hat. Angesprochen sind mit dieser Bemerkung vor allem die Verbindlichkeiten aus Verträgen der Völker, die hier nicht geklärt werden sollen 207 . Den Zwang zum rechtlichen Handeln jedoch als Herrschaft zu begreifen, widerspricht der Freiheitlichkeit des Rechts. Die Republik jedenfalls muß um der Freiheit willen die Gesetzlichkeit und damit die Rechtlichkeit gewährleisten und folglich zu diesem Zweck Zwang ausüben, wenn dieser erforderlich ist. Otfried Höffe erreicht die Logik Kants nicht, weil er von einem positivmaterialen Begriff der Handlungsfreiheit ausgeht, nicht wie Kant von einem negativ-formalen Begriff äußerer Freiheit 208 . Höffe sieht folglich in jeder "Freiheitseinschränkung", auch in der durch "Freiheitsverzieht", Zwang und damit Herrschaft, weil sie "von außen komme". "Die aus der bloßen Koexistenz in derselben Außenwelt drohenden Konflikte haben als solche die Bedeutung eines "sozialen Zwanges."Otfried Höffe 209

206 Metaphysik der Sitten, S. 338 ff., 464, auch S. 527; ders., Über den Gemeinspruch, S. 144, 169; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 29 ff.; dazu auch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 127, Fn. 137; J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 266 f. ("Ein Gesetzessystem ist ein System öffentlicher Zwangsregeln, ..."); J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 45 ff.; H. Heller, Staatslehre, S. 188, ist skeptisch, daß der Zwang Begriffsmerkmal des Rechts sei, weil der Zwang auch Konventionen nicht unbekannt sei; auch Konventionen haben als private Übereinkünfte Rechtschrakter (K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 421 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: FS W. Thieme, 1993, S. 206 ff., 220), aber richtig ist, daß es Recht gibt, dessen Verbindlichkeit nicht mit Zwang durchgesetzt werden kann, insb. im Völkerrecht, aber auch im völkerrechtlich geprägten Europarecht (dazu O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 4. Aufl. 1990, S. 475 ff.; A. Verdross , Völkerrecht, S. 107 ff., 186 ff., 122 ff.). 207 Zum Rechtscharakter des Völkerrechts etwa A. Verdross, Völkerrecht, S. 107 ff., zu den "Leugnern des Völkerrechts"; O. Kimminich, Völkerrecht, S. 475 ff. 208 Politische Gerechtigkeit, u.a. S. 338 ff., 382 ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 318, 333, 345; dazu die Hinweise in Fn. 180, 7. Teil, 2. Kap., S. 544; Fn 179, 7. Teil, 3. Kap., S. 549.

3. Kap.: Der staatliche Zwang zur Verwirklichung des Rechts und der Freiheit

555

Die conditio humana gemeinsamen Lebens führt zur Ethik der Autonomie des Willens als der Lehre von der Freiheit als allgemeiner Freiheit 210 . Höffes Freiheitsbegriff bleibt liberalistisch 211 , so daß er jede Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen als Zwang begreift, der gerechtfertigt werden müsse. Höffe hat ausgearbeitet, was viele, einschließlich des Bundesverfassungsgerichts, ihrer freiheitsrechtlichen Dogmatik zugrundelegen: Jeder darf tun und lassen, was er will. Gesetze nehmen ihm die Freiheit 212 . Art. 2 Abs. 1 GG hat die Freiheit so gerade nicht definiert 213 . Der Zwang ist die körperliche Gewalt, vis 2 1 4 , auf die wegen der Neigung des Menschen zum Bösen, zum Unrecht also, nicht verzichtet werden kann. In der Republik ist Zwang "ultima ratio, wenn andere Mittel versagen" 215 . Der Zwang, der die Rechtsverletzung unterbindet oder kompensiert, ist somit die Verwirklichung der Freiheit 216 , nicht Herrschaft. In der Sache ist das auch das Konzept Hobbes, der freilich in der uneingeschränkten Gewalt des Leviathan, des Staates, die Notwendigkeit des Friedens, des Schutzes und der Freiheit sieht; sonst wäre seine Vertretungslehre unerklärlich 217 . Auch Hobbes w i l l die Selbstherrschaft und gründet seine Lehre auf den Grundsatz allgemeiner Freiheit: volenti non fit iniuria 2 1 8 . Otfried Höffe sieht demgegenüber in dem unentrinnbaren

209

Politische Gerechtigkeit, S. 63 ff., 168 ff., 438 ff., insb., S. 67, 71, 332 f., 403 ff. u.ö. Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4., 38 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 1., 3., 4., 5. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 370, 410; 6. Teil, 2., 8. und 9. Kap., S. 449 ff., 494 ff., 501 ff.; auch 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 211 Dazu 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff.; 5. Teil, 7. Kap., S. 427 ff., 433 ff. 212 Dazu 6. Teil, 1., 3., 5., 6. und 9. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff. 213 Dazu 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 211. 214 Dazu D. Merten, Konstruktionsprinzipien staatlicher Gewalt, S. 324 ff., der richtig Herrschaft und Zwang unterscheidet (S. 325). 210

215

M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 29 (für "politische Verbände"); D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 30 f.; ders., Konstruktionsprinzipien staatlicher Gewalt, S. 329 ff., 331 ff., 335; i.d.S. auch H. Bethge, DVB1. 1989, 849. 216 Nicht anders Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 21, 116; i.d.S. auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 250 f.; dazu J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 127 f.; so Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338 ff., 464, 527; ders., Über den Gemeinspruch, S. 144, 169; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 29 ff. 217 Leviathan, S. 156 ff., 187 ff., für die Vertretungsdogmatik etwa S. 155. 218 Leviathan, S. 155, 193.

556

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatichkeit

Zwang zur Freiheitsbeschränkung, dem die Menschen als soziale Wesen unterliegen, den Herrschaftscharakter jeder "politischen Gemeinschaft" 219 . Die "öffentliche Zwangsordnung" identifiziert er mit "politischer Herrschaft" 220 . Der Zwang ist jedoch kein "Freiheitsverzicht" 221 , sondern verwirklicht die Freiheit, weil er den Verbindlichkeiten den unverzichtbaren juridischen Charakter gibt, den alle wollen, der somit ein Anspruch ihrer Freiheit ist, der freilich nur in Gegenseitigkeit und damit Allseitigkeit freiheitlich ist; denn die Idee der Freiheit führt zur allgemeinen Freiheit, zur Freiheit aller 222 . Wäre die Freiheit und damit der Zwang als eine "Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit" (Kant) 223 nicht allgemein, d.h. die Gesetzlichkeit nicht bestmöglich gesichert, so würden die einen allerdings über die anderen herrschen. Die Defizite des Gesetzesvollzugs sind somit Herrschaft, aber illegal und verwerflich, vielfach korrupt. Das Gesetz ist Höffe Ausdruck der Herrschaft 224 , obwohl es, wenn es Recht setzt, die Wirklichkeit der Freiheit ist 2 2 5 . Dennoch sind die Lehren Höffes und Hobbes, auf den sich Höffe wesentlich stützt, verwandt. Kant hat in der Einleitung der Rechtslehre in § D klargestellt, daß "das Recht mit der Befugnis zu zwingen verbunden ist". "Der Widerstand, der dem Hindernis einer Wirkung entgegengesetzt wird, ist eine Beförderung dieser Wirkung und stimmt mit ihr zusammen. Nun ist alles, was Unrecht ist, ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen; der Zwang aber ist ein Hindernis oder Widerspruch, der der Freiheit geschieht. Folglich: wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d.i. unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Geset-

219

Politische Gerechtigkeit, S. 348 ff. Gerechtigkeit als Tausch?, S. 30 u. ff. 221 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 11, hat den Verzicht auf Freiheit als den Verzicht auf die Eigenschaft als Mensch kritisiert (!); dazu Fn. 99, 3. Teil, 1. Kap., S. 178; auch 5. Teil, 7. Kap., S. 428 ff., 434 ff. 220

222 I.d.S. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 365 f.; vgl. dazu auch S. 347, wonach der "Begriff des Rechts" als "das Vermögen, andere zu verpflichten" definiert wird, d.h. die "bürgerliche Verfassung" und damit die Zwangsmöglichkeit zu schaffen. 223 Metaphysik der Sitten, S. 338. 224 Politische Gerechtigkeit, S. 63 ff., 168 ff., 332 ff., 438 ff., 441 ff. zum "Gerechtigkeitsbegriff des Gesellschaftsvertrages"; ders., Gerechtigkeit als Tausch?, S. 30 ff. 225 Dazu die Hinweise in Fn. 22, 7. Teil, 1. Kap., S. 522; zum Verhältnis der Gesetze zum Recht vgl. die Hinweise in Fn. 177, S. 548.

3. Kap.: Der staatliche Zwang zur Verwirklichung des Rechts und der Freiheit

557

zen zusammen stimmend, d.i. recht: mithin ist mit dem Rechte zugleich eine Befugnis, den, der ihm Abbruch tut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft." 226 Das Recht aber ist die Wirklichkeit der Freiheit, nicht jedoch Herrschaft. Der Zwang unterliegt selbst dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit, welches das freiheitliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit einbezieht 227 . Das Gesetz muß auch die Mittel des Zwanges als Befugnisse regeln. Der Zweck des Zwanges, das Gesetz und damit die Freiheit zu verwirklichen, rechtfertigt nicht jedes Mittel. Allerdings müssen die Vollzugsinstrumente Effektivität ermöglichen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wäre mißverstanden, wenn es dafür herhalten sollte, daß Unrecht geduldet werde müsse, weil die Verteidigung des Rechts Opfer kostet, welche die notwendige Folge körperlicher Gewalt sind. Den mächtigen Rechtsbruch hinzunehmen, verrät den Staat, das Recht und damit die Freiheit. Das Recht darf privater Gewalt nicht weichen müssen 228 . Die Verwirklichung des Rechts ist im Verhältnis zu den Opfern, die das kostet, niemals übermäßig. Allerdings widerspricht ein Gesetz, dessen Vollzug übermäßige Opfer kostet, der praktischen Vernunft und ist deswegen verfassungswidrig. Die Zweck-Mittel-Relation ist vom Gesetzgeber einzuschätzen und abwägend zu entscheiden. Ihre praktische Vernünftigkeit wird von den Verfassungsgerichten überprüft und verantwortet. Wenn der allgemeine Vollzug eines Gesetzes nicht ohne übermäßige Opfer möglich erscheint, darf das Gesetz nicht etwa wegen seiner begrenzten Wirkung, insbesondere der der Illegalisierung praktisch geduldeter Handlungen, gegeben werden. Art. 3 Abs. 1 GG, das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz, wäre verletzt 229 .

226

Metaphysik der Sitten, S. 338 f.; zustimmend J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 45

ff. 227 D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 62 ff.; ders., Konstruktionsprinzipien staatlicher Gewalt, S. 329, 331 ff.; K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, S. 20; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 622 f.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 28, Ls 10; auch O. Höffe, Gerechtigkeit als Tausch?, S. 34. 228 D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 62 ff.; ders., Konstruktionsprinzipien staatlicher Gewalt, S. 323; K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, S. 20; V. Götz, HStR, Bd. III, S. 1025 f. ("Untermaßverbot"); H. Bethge, DVB1. 1989, 849; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 83 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 27, 28 ff., Ls 11; i.d.S. auch O. Höffe, Gerechtigkeit als Tausch?, S. 39 ff.; vgl. auch Fn. 197, S. 552. 229 Zur Rechtsanwendungsgleichheit 5. Teil, 4. und 6. Kap., S. 366 ff., 412 ff. (mit Fn. 759, 760); 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.

558

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

Notwendig ist es nicht, das Recht unverzüglich durchzusetzen, wenn es geringere Opfer kostet, das Recht zögerlich, aber ohne körperliche Gewalt zu verwirklichen. Insbesondere muß die Gesetzlichkeit des Gesetzesvollzugs hinreichend sichergestellt sein. Dem dienen angemessene Verfahren. Prozesse kosten Zeit. Das Recht muß warten, bis es geklärt ist. Eiligkeit rechtfertigt nicht, Recht durch Unrecht zu verdrängen. Der Rechtsstaat vor allem als Gerichtsstaat hat unter dem Grundgesetz einen derart hohen Standard erreicht, daß Karl August Bettermann dessen früherem Glanz nachtrauert und dessen heutiges Elend beklagt 230 , nicht ganz zu Unrecht. Nur liegen die Gründe des Elends in der republikwidrigen Parteienherrschaft, welche auch das Gerichtswesen in Not gebracht hat 2 3 1 . Keinesfalls darf Unrecht dauerhaft geduldet werden. 1987 etwa, als eine gewaltsame Auseinandersetzung um die Räumung der besetzten Häuser der Hamburger Hafenstraße drohte, hat sich der evangelische Bischof Hamburgs angeboten, zwischen den Straftätern und dem Senat Hamburgs zu vermitteln, wenn beide Seiten auf Gewalt zu verzichten zusagen würden. Der Bischof hat mit diesem Ansinnen den weltlichen Rechtsstaat in Frage gestellt und darüber hinaus kirchliche Hoheit über den Staat und damit das Volk beansprucht. Der Zwang nach dem Recht und für das Recht ist, wie gesagt, keine Herrschaft, sondern Vollzug der Freiheit; "denn der Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit." 232 Der "Gesellschaftsvertrag" schließt, "um keine Leerformel zu sein", "stillschweigend jene Übereinkunft ein, die allein die anderen ermächtigt, daß, wer immer sich weigert, dem Gemeinwillen zu folgen, von der gesamten Körperschaft dazu gezwungen wird, was nichts anderes heißt, als daß man ihn zwingt, frei zu sein." - Rousseau 233 230

Der totale Rechtsstaat, Glanz und Elend des Rechtsstaats, S. 18 ff. Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 939 ff.; auch 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff.; K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, S. 24 ff., ist einzuräumen, daß die Verfassungsbeschwerde angesichts der material offenen oder formalen Grundrechtstatbestände (dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 847 ff.) die Entwicklung vom Gesetzes- zum Richterstaat (a.a.O, S. 15) fördert, aber ganz i.S.d. allgemeinen Verantwortung der ganzen Bürgerschaft und vor allem der Richterschaft für Vernunft und Verfassung, nicht beklagenswert, sondern verfassungsgewollt. 231

232 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 21, spricht von "Selbstbeherrschung", das aber ist Freiheit als Autonomie des Willens; i.d.S. auch K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, S. 20, der freilich den Gewaltbegriff in dem folgenden Satz nicht differenziert: "Die öffentliche Gewalt ist Rechtsmacht, ihr Gebrauch also Ausübung von Recht, nicht Gewalt". 233 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 21; i.d.S. auch Kant, Über den Gemeinspruch, S. 144 f.; vgl. auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 441 ff.; i.d.S. schon Hobbes, Leviathan, S. 193 ff. ("Ich bin der Urheber aller Handlungen dessen, dem wir die höchste Gewalt übergeben haben",

3. Kap.: Der staatliche Zwang zur Verwirklichung des Rechts und der Freiheit

559

Kant vermeidet in seiner Definition der republikanischen Verfassung, "die aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffs entsprungen sei" 2 3 4 , das Wort ' herrschen \ "Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen); zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen); und drittens, die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung - die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volkes gegründet sein muß - ist die republikanische." - Kant 235 Otfried Höffe widerlegt schließlich seine Lehre von der unvermeidlichen Herrschaft wegen des freiheitsbeschränkenden Zwanges menschlicher Koexistenz mit dem "Paradoxon" des "zwangsfreien Zwanges" der "legitimen Herrschaft... öffentlicher Zwangsmacht", wegen des "Freiheitsverzichts aus Freiheitsinteresse" 236 . Höffes Lehre erreicht Kants kategorischen Imperativ, den Höffe bestens kennt 2 3 7 , nicht, weil sie den utilitaristischen Ansatz des "Vorteils" nicht aufgibt und nicht zum formalen Freiheitsbegriff findet. Der staatliche Zwang ist eine Notwendigkeit des Rechts und damit der Freiheit, die sich in den Rechtsgesetzen verwirklicht. Auch eine Republik kann des Zwangs nicht entsagen. Republikanische Rechtsstaatlichkeit ist wegen des Rechtsinstituts des Zwangs aber nicht Herrschaft. "Rechtsnormen sind unter jeweils verschiedenen Aspekten zugleich Zwangsgesetze und Gesetze der Freiheit."- Jürgen Habermas 238

S. 194, oder: "Alles, was er (sc. der Oberherr) vermöge der höchsten Gewalt fordert, fordert er als Bevollmächtigter des Bürgers selbst", S. 196). Die Logik Rousseaus, mit der er den Zwang freiheitlich begründet, erreicht H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 13, nicht, der Rousseaus Erkenntnis für seine herrschaftliche Lehre von der Demokratie reklamiert. 234 Zum ewigen Frieden, S. 205. 235 Zum ewigen Frieden, S. 204. Im Ergebnis legitimiert auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 441 ff., 446 ff., Zwang und Herrschaft aus der "Selbsteinschränkung der Freiheit" aus der "Selbstverpflichtung", aus "einem universalen Vorteil bzw. Konsens" (auch S. 395); nicht anders ders., Gerechtigkeit als Tausch?, S. 24 ff.; zum Aspekt Herrschaft bei Kant, 2. Teil, 9. Kap., S. 139 ff. 236 237 238

Politische Gerechtigkeit, S. 395 f., 438 ff., 440. Etwa: O. Höffe, Immanuel Kant, Leben, Werk, Wirkung, 1983 u.ö. Faktizität und Geltung, S. 47.

560

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

4. Kapitel Die Republikanität der Rechtsgesetze I.

D i e Verfassung freiheitlicher Gesetzlichkeit und das Ethos des K o n senses

D i e grundsätzliche E i n i g k e i t aller Bürger über eine freiheitliche Gesetzl i c h k e i t ist die politische Grundentscheidung und d a m i t die eigentliche Verfassung der R e p u b l i k 2 3 9 . Sie ist das uneingeschränkte Bekenntnis zur " W ü r d e des M e n s c h e n " , auf die h i n das gemeinsame L e b e n durch das Grundgesetz verfaßt i s t 2 4 0 . Das M e n s c h e n w ü r d e p r i n z i p ist i n A r t . 2 A b s . 1 G G als äußere u n d innere Freiheit e x p l i z i e r t 2 4 1 . Diese Entscheidung für die allgemeine Freiheit u n d damit für die bürgerschaftliche Gesetzlichkeit definiert den modernen Staat als R e p u b l i k . D i e allgemeinen Gesetze zu achten, ist ein kategorischer Imperativ, der i n d e m kategorischen I m p e r a t i v enthalten i s t 2 4 2 . D i e R e p u b l i k ist Verfassungsstaat i m Sinne des A r t .

16

der E r k l ä r u n g der Rechte des Menschen u n d des Bürgers v o n 1789: "Jede Gesellschaft, i n der weder die Gewährleistung der Rechte zugesichert noch die Trennung der Gewalten festgelegt ist, hat keine Verfas-

239

J. Locke, Über die Regierung, S. 73 ff., i.d.S.; Hobbes, Leviathan, S. 155, 161, 193; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 15 ff., 39, 112 ff.; Kant, Zum ewigen Frieden, S. 205; R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 228; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 640 f., 660; H. Heller, Politische Demokratie, S. 423 ff., stellt die Einigkeit als das Prinzip des Politischen heraus; klar auch J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 43 ff.; i.d.S. auch ders. zu Kant in: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 127 ff.; ganz so auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 271; die Einigkeit als Leitgedanken der rousseauschen Jakobinerverfassung stellt W. Leisner, Volk und Nation als Rechtsbegriff der französischen Revolution, in: FS Hans Liermann, 1964, S. 96 ff., 116 f., heraus; ganz in diesem rousseauschen Sinne ders., Staatseinung, passim, insb. S. 174; auch E.-W. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 20, richtig auf die Selbstbestimmung gestützt; ders., HStR, Bd. I, S. 893 ff., 909 ff., insgesamt im Widerspruch zu seiner Herrschaftslehre. Zum Begriff der Verfassung C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 3 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 638 ff. 240 Hinweise zur verfassungsbestimmenden, konstitutionellen Bedeutung des Art. 1 Abs.l GG in Fn. 25, 1. Teil, 1. Kap., S. 7; insb. P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. I, S. 839 ff. 241 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 280 ff., 325 f.; 6. Teil, 9. Kap., S. 504; zur Einheit von äußerer und innerer Freiheit Hinweise in Fn. 179, 7. Teil, 3. Kap., S. 549; insb. 6. Teil, 8. und 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 242 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 305 ff.; auch 5. Teil, 6. Kap., S. 418 ff.; vgl. auch die Hinweise zum Verhältnis der Gesetze zum Recht in Fn. 177, 5. Teil, 3. Kap., S. 548; auch Fn. 30, 7. Teil, 1. Kap., S. 523.

4. Kap.: Die Republikanität der Rechtsgesetze

561

R e c h t l i c h k e i t bedingt G e s e t z l i c h k e i t 2 4 4 , Gesetzlichkeit die institutionelle

Trennung

der

Funktionen

der

möglichste

Gesetzgebung,

der

vollziehenden G e w a l t u n d der Rechtsprechung ( A r t . 1 Abs.3 u n d A r t . 20 Abs.

3 GG)245.

Freiheitlich

u n d d a m i t politisch, rechtlich

und

damit

staatlich ist der Konsens. D e r Konsens bedarf keiner weiteren L e g i t i m a t i o n ; denn er v e r w i r k l i c h t

m i t der A u t o n o m i e

des W i l l e n s

die W ü r d e

des

Menschen. I n einer republikanischen Freiheits-, Rechts- u n d Staatslehre ist eine Legitimationslehre entbehrlich. Herrschaft bedarf der L e g i t i m a t i o n 2 4 6 , nicht

jedoch

die

Freiheit

als

die

Würde

des

Menschen247.

V e r b i n d l i c h k e i t der Gesetze gründet i n der freiheitlichen E i n i g k e i t ,

Die im

Konsens. D i e E t h i k des Konsenses ist die L o g i k des gemeinsamen Lebens aufgeklärter M e n s c h e n 2 4 8 .

243

Dazu J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 638; zum Begriff "Verfassungsstaat" 1. Teil, 3. Kap., S. 25, 29, 40; 2. Teil, 9. Kap., S. 144; 9. Teil, 4. Kap., S. 950 mit Fn. 696. 244 Dazu 2. Teil, 10. und 11. Kap., S. 145 ff., 153 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3., 4., 5. und 6. Kap., S. 275 ff.; 325 ff., 370 ff., 410 ff.; 6. Teil, 7. und 8. Kap., S. 490 ff., 494 ff.; 7. Teil, 1. und 7. Kap., S. 519 ff., 536 ff.; auch 9. Teil, 2., 3., 7., 8. und 10. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff. 245 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 206 f.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 431 ff., insb. S. 457; zur Funktionenteilung Hinweise in Fn. 125, 7. Teil, 2. Kap., S. 539; insb. 3. Teil, 1. Kap., S. 168 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1027 ff. 246 Zur Herrschaftslegitimation M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 19 f., 122 ff. (Rationale, traditionale, charismatische Herrschaft); Th. Wiirtenberger, Die Legitimation von Herrschaft im Laufe der Geschichte, JuS 1986, 344 ff.; ders., Legitimität und Gesetz, in: B. Rüthers/K. Stern (Hrsg.), Freiheit und Verantwortung, 1984, S. 533 ff.; ders., Legitimation, Legalität, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Band 3, S. 677 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 972 ff., zur Rechtfertigung und Erwirkung des Gehorsams; U. Matz, Zur Legitimation staatlicher Gewaltanwendung in der Bundesrepublik Deutschland, in: A. Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, S. 336 ff., stellt den Friedensaspekt des Gewaltmonopols heraus, übersieht aber den Freiheitsaspekt, so daß er ein Rechtfertigungsproblem hat; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, insb. §§ 16, 17, S. 110 ff., 116 ff. (kritisch zum kanonischen Formalismus, S. 115 f.); bemerkenswert N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969; dazu, insb. zur Aussichtslosigkeit von Versuchen Herrschaft zu legitimieren, 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 211 ff., (insb. S. 189 f.); auch 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; zum Widerspruch von Freiheit und Herrschaft 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., 410 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 247

Zur Legitimität der Legalität C. Schmitt, Legalität und Legitimität, insb. S. 14, 21 f., der sich richtig auf Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 19 f., bezieht: "Diese Legalität ... kann (den Beteiligten) als legitim gelten"; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 843, Fn. 122, weist auf F.J. Stahl, Philosophie des Rechts II, 2, 5. Aufl. 1878, S. 3 hin: "Autorität, d.i. Anspruch auf Gehorsam und Ehrfurcht, welcher nicht bloß dem Gesetz, sondern einer realen Macht außer ihm, der Obrigkeit (Staatsgewalt), zukommt (Prinzip der Legitimität im Gegensatz zur Volks Souveränität)"; zur Freiheit als Würde des Menschen Hinweise in Fn. 241, S. 560.; insb. P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 848. 36 Schachischneider

562

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

"Das Sittengesetz als Vernunftprinzip impliziert hinsichtlich jeder möglichen wie jeder wirklichen äußeren Gesetzgebung das Konsensprinzip." Ralf Dreier 149 Der allgemeine Wille zur Einigkeit, die bürgerliche Freiheit also, wird durch die jeweiligen bürgerlichen Gesetze, die Gesetze der Freiheit, die Rechtsgesetze, verwirklicht. Diese Gesetze sind die praktische Vernunft der Bürgerschaft als die Freiheit jedes Bürgers oder die volonté générale Rousseaus250. Praktisch vernünftig ist der Konsens, denn: volenti non fit iniuria251. Die gesetzgeberische Einigkeit ist Verfassungspflicht aller Bürger, weil anders das gemeinsame Leben in Freiheit nicht wirklich werden kann. Die allseitige Pflicht zur gemeinsamen Verfassung der Einigkeit folgt aus der Freiheit als einem Recht auf allgemeine Gesetze und ist mit der Befugnis, eine bürgerliche Verfassung zu erzwingen, verbunden 252 . "Zwar durfte sein natürlicher Zustand nicht eben darum ein Zustand der Ungerechtigkeit (iniustus) sein, einander nur nach dem bloßen Maße seiner Gewalt zu begegnen; aber es war doch ein Zustand der Rechtlosigkeit (status iustitia vacuus), wo, wenn das Recht streitig (ius controversum) war, sich kein kompetenter Richter fand, rechtskräftig den

248 Zur kantianischen Begründung der Autonomielehre 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; vom sprachphilosophischen Paradigma aus kommt K.-O. Apel, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, S. 220 ff., 358 ff., 405 ff., 415 ff., ebenfalls zur Konsensethik, etwa S. 426: "Damit scheint mir das Grundprinzip einer Ethik der Kommunikation angedeutet zu sein, das zugleich die - eingangs vermißte - Grundlage einer Ethik der demokratischen Willensbildung durch Ü b e r e i n k u n f t ('Konvention') darstellt... Die angedeutete Grundnorm gewinnt ihre Verbindlichkeit nicht etwa durch die faktische Anerkennung derer, die eine Übereinkunft treffen ('Vertragsmodell'), sondern sie verpflichtet alle, die durch den Sozialisationsprozeß "kommunikative Kompetenz" erworben haben, in jeder Angelegenheit, welche die Interessen (die virtuellen Ansprüche) anderer berührt, eine Übereinkunft zwecks solidarischer Willensbildung anzustreben; und nur diese Grundnorm - und nicht etwa das Faktum einer bestimmten Übereinkunft sichert den einzelnen normgerechten Übereinkünften moralische Verbindlichkeit". Apel reklamiert die Überwindung des bewußtseinsphilosophischen Paradigmas, auf das er Kant restringiert; i.S.d. Textes auch O. Weinberger, Moral zwischen Autonomie und Heteronomie, in: W. Krawietz/G.H. v. Wright (Hrsg.), Öffentliche oder private Moral?, 1992, S. 243 ff. 249

Recht - Moral - Ideologie, S. 300. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 39 ff., 112 ff. 251 Hinweise auf diesen Leitgedanken der Republik in Fn. 26, 838, 7. Teil, 1. Kap., S. 523. 252 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338, 347, 430 f.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 148; R. Dreier, Recht - Moral - Ideologie, S. 299; G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 118 ff.; dazu die Hinweise in Fn. 33, 7. Teil, 1. Kap., S. 523. 250

4. Kap.: Die Republikanität der Rechtsgesetze

563

Ausspruch zu tun, aus welchem nun in einem rechtlichen zu treten ein jeder den anderen mit Gewalt antreiben darf; weil, obgleich nach jedes seinen Rechtsbegriffen etwas Äußeres durch Bemächtigung oder Vertrag erworben werden kann, diese Erwerbung doch nur provisorisch ist, so lange sie noch nicht die Sanktion eines öffentlichen Gesetzes für sich hat, weil sie durch keine öffentliche (distributive) Gerechtigkeit bestimmt, und durch keine dies Recht ausübende Gewalt gesichert ist." - Kant 253 Die Pflicht zur Einigung auf Rechtsgesetze, wie diese auch materialisiert seien, ist moralisch und juridisch. Die Rechtspflicht ist im Freiheitsprinzip begründet; denn ohne die Rechtsgesetze sind legale äußere Handlungen nicht möglich. Äußere Handlungen unterliegen dem Recht 254 . Das Rechtsgesetz zu geben ist allgemeine Pflicht der Bürger als der Gesetzgeber 255 , die um der allgemeinen Freiheit willen erzwungen werden kann 2 5 6 . M i t der Freiheit ist die Gesetzgebungspflicht untrennbar verbunden; denn materiale Verbindlichkeiten können nur auf dem eigenen Willen beruhen 2 5 7 . "Denn ich kann mich gegen andere nicht verbunden erkennen, als nur so fern ich zugleich mich selbst verbinde; weil das Gesetz, kraft dessen ich mich für verbunden achte, in allen Fällen aus meiner eigenen praktischen Vernunft hervorgeht, durch welche ich genötigt werde, indem ich zugleich der Nötigende in Ansehung meiner selbst bin." - Kant 258 Die Verfassung der Gesetzgebung und die der Förderung der Rechtlichkeit der Gesetze 259 dient der Erfüllung der Gesetzgebungspflicht der Bürger.

253 254

Metaphysik der Sitten, S. 430 f. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 297 ff., 318 ff., 346 ff.,

370 ff. 255

Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150 ff.; dazu die Hinweise in Fn. 57, 65, 7. Teil, 1. Kap., S. 527, 528; insb. 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370. 256 Vgl. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 148; ders., Metaphysik der Sitten, S. 347 ("Vermögen andere zu verpflichten"), S. 430 f.; dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 560 ff.; weitere Hinweise auf das Recht auf Recht in Fn. 33, 8. Teil, 1. Kap., S. 523. 257 I.d.S. G. Römpp, Moralische und rechtliche Freiheit, S. 302, unter Hinweis auf Kant, Reflexion 6954; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 89 ff., der ein subjektives Recht zur Fremdverpflichtung bei Kant konzipiert sieht (?), auch S. 75 ff. 258

Metaphysik der Sitten, S. 549 f.; vgl. auch daselbst S. 432; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 78 mit Fn. 165, der trotz dieses Zitats eine Lehre der "Fremdverpflichtung" "juridischer Gesetzgebung" zu etablieren versucht und dabei die Willensautonomie übersieht, etwa S. 76: "Ein Recht haben bedeutet: Gesetzgeber für andere zu sein." Ein solches Recht wäre der Freiheit zuwider. 36*

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

564

Die Organe der rechtlichen Gesetzgebung dürfen sich ihrer Aufgabe nicht verweigern, wenn die allgemeine Freiheit verwirklicht werden soll. Die Verfassung soll die geeigneten Einrichtungen und Verfahren bestmöglicher Erkenntnis richtiger Gesetze zur Verfügung stellen. Deren Verbindlichkeit folgt aus dem Willen der zu diesem Zweck verfaßten Bürgerschaft 260 . Der kategorische Imperativ verpflichtet alle Bürger moralisch zum stetigen Diskurs um die richtigen Gesetze und zur Einigung, wenn diese erkannt sind, zur Autonomie des Willens also 261 . Heteronomie führt nicht zum Konsens. "..., denn Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe." ... "Jene Unabhängigkeit aber ist Freiheit im negativen, diese eigene Gesetzgebung aber der reinen, und, als solche, praktischen Vernunft ist Freiheit im positiven Verstände." Kant 262 Den gesetzgeberischen Willen kann nur der Gesetzgeber selbst haben. Der Gesetzgeber ist das Volk als Bürgerschaft, als die Vereinigung autonomer Menschen, der Bürger 263 . Die Erkenntnisse, die als Gesetze verbindlich sein sollen, beschließen (in der Regel) die Vertreter des Volkes 264 . II.

Die gesetzgeberischen Erkenntnisse des Rechts in diskursiver Moralität Materielle Gesetzgebung macht die Erkenntnis dessen, was für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit richtig ist, verbindlich. Die Kognitivität der Materie des Gesetzes zeigt sich in der

259 Insb. die Verfassungsrechtsprechung, dazu 9. Teil, 2., 3., 4., 7., 8. und insb. 10. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 932 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff. 260 Dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 717 f.; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 399 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 247 ff.; zur bürgerlichen Identität Fn. 57, 7. Teil, 1. Kap., S. 527. 261 Dazu 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 584 ff., 617 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; zum öffentlichen Diskurs auch 8. Teil, 1., 2., 3. und 5. Kap., S. 644 ff., 662 ff., 669 ff., 701 ff., 810 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 932 ff.; 2. Teil, 6. Kap., S. 106 f.; 10. Teil, 4., 7. und 8. Kap., S. 1086 ff., 1141 ff., 1158 ff. 262 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 86 bzw. Kritik der praktischen Vernunft, S. 144; dazu näher 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 275 ff., insb. S. 288 ff., 332 ff., 427 ff.; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; zur Einheit von innerer und äußerer Freiheit Hinweise in Fn. 154, 7. Teil, 2. Kap., S. 544. 263 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 434, 464. 264 Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 644 ff., 648 ff., 655 ff., 717 ff.; zur bürgerlichen Idnetität Hinweise in Fn. 57, 7. Teil, 1. Kap., S. 527.

4. Kap.: Die Republikanität der Rechtsgesetze

565

Unterscheidung der Gesetzesregelung, welche vorschreibt, was man soll, vom Gesetzesgebot, das vorschreibt, daß man dieses soll, also die rechtliche Verbindlichkeit des Gesollten begründet 265 . Rousseau hat für die Erkenntnis der "besten Gesellschaftsregeln" den Gesetzgeber (législateur), "einen in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Mann im Staat", eingeführt, der selbst keine Gesetzgebungsbefugnis hat, weil das Volk sich dieser nicht begeben könne; denn (eigentlich) "bedürfte es der Götter, um den Menschen Gesetze zu geben." ... "Nicht jedem Menschen ist es gegeben, die Götter sprechen zu lassen oder Glauben zu finden, wenn er sich als ihr Deuter bezeichnet". Es "bedürfte einer höheren Vernunft, die alle Leidenschaften der Menschen sieht und selbst keine hat, ..." - Rousseau 166. Die "höhere Vernunft" wird bestmöglich surrogiert durch die Rechtserkenntnisse auf Grund des kompetenten Diskurses, der ohne Moralität nicht denkbar ist 2 6 7 . Die Unterscheidung der Form des Gesetzes und der Materie desselben ist für die Freiheitslehre Kants grundlegend: "Pflicht ist diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist. Sie ist also die Materie der Verbindlichkeit, und es kann einerlei Pflicht (der Handlung nach) sein, ob wir zwar auf verschiedene Art dazu verbunden werden können." - Kant 268 Die Verbindlichkeit kann rechtens nur auf der formal als Autonomie des Willens verstandenen Freiheit beruhen, auf dem Willen des dem Gesetz verbundenen Bürgers 269 .

265 C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 25 (Unterscheidung von Norm und Befehl); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 303, mit Hinweis auf H.G. Scheidemantel, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den vornehmnsten Sitten der Völker, Bd. I, 1770, S. 168: "Ein Gesetz hat zwei wesentliche Merkmale, die Vorschrift der Handlungen (materiale legis) und die damit verknüpfte Verbindlichkeit (formale legis)". 266 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 43 ff.; eine Variante des rousseauschen Gesetzgebers ist J. Rawls Lehre vom "Schleier der Unwissenheit", der Neutralität und Objektivität der Grundsatzgesetzgebung, "vollständige Autonomie", sichern soll, Kanonischer Konstruktivismus in der Moraltheorie, S. 94; ders., Theorie der Gerechtigkeit, S. 159 ff.; kritisch dazu A. Kaufmann, Rechtsphilosophie in der Nach-Neuzeit, S. 29 f.; ders., Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 14 f.; M. Bielefeldt, Neuzeitliches Freiheitsrecht und politische Gerechtigkeit, S. 138 ff.; i.d.S. auch O. Weinberger, Moral zwischen Autonomie und Heteronomie, S. 251 (zum Universalismus). 267 Dazu unten 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; weitere Hinweise zum öffentlichen Diskurs um das Recht in Fn. 261, S. 564. 268 Metaphysik der Sitten, S. 328; vgl. auch Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59, 63, 99 f.; Kritik der praktischen Vernunft, S. 129, 135 ff., 138, 144 ff., 182, 237 u.ö.

566

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

Die Art und Weise der Verbindlichkeit des Gesetzes stuft wiederum der Gesetzgeber nach ihrer Notwendigkeit für die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit als der allgemeinen Gesetzlichkeit ab. Die Ge- und Verbotstechnik ist vielfältig. Der gesetzliche Imperativ kann durch subjektive Rechte interessenbetroffener Bürger 270 , seien dies primäre Ansprüche, etwa auf Erfüllung, oder sekundäre, etwa auf Schadensersatz, eine von der Willkür des Berechtigten abhängige Verbindlichkeit erlangen, aber auch strafbewehrt sein, so daß der Staat die Gesetzlichkeit sicherzustellen die Aufgabe hat. Republikanisch überlegen ist die Popularklage gegen jede Gesetzesverletzung, weil jede Gesetzesverletzung die allgemeine Freiheit, den allgemeinen Konsens, verletzt 271 . Jedes Gesetz verlangt um der Freiheit willen Beachtung, unabhängig von der Technik des Zwanges zur Legalität; denn (uneingeschränkte) Legalität ist Gebot des Ius, aber auch der Ethik 2 7 2 . Ohne die freiheitliche Moral, ohne die innere, die positive Freiheit, ohne diese Tugend, diesen "Gemeinsinn", ist die allgemeine äußere Freiheit, die sich als Gesetzgebung aller realisiert, nicht denkbar 273 . Notwendig defi-

269

Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; 7. Teil, 1. und 5. Kap., S. 519 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 57, 65, 8. Teil, 1. Kap., S. 527, 528; zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 154, 7. Teil, 2. Kap., S. 544. 270 Zur Problematik des subjektiven Rechts vgl. 5. Teil, 4. und 5. Kap., S. 325 ff., 379 ff., 385 ff.; 6. Teil, 1. und 4. Kap., S. 448 ff., 461 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. 271 Dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 931. 27 2 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 324 f.; vgl. auch S. 508 ff. zu den Unterschieden der Rechts- und der Tugendlehre; dazu auch 5. Teil, 3. Kap., S. 306 f.; auch 5. Teil, 6. Kap., S. 417 f. 27 3 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23, 39, 46 ff., 73, 112 ff., 151, für den Gemeinsinn; dazu I. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, 1960, 5. Auflage 1988, S. 83 ff., 118 ff., 129 ff., 96 ff.; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 118; i.d.S. J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 129 ff., 132; H. Krings, Der Preis der Freiheit, Zum Verhältnis von Idee und Wirklichkeit der Freiheit im 20. Jahrhundert, in: Werte-Rechte-Normen, 1978, S. 23 f.; i.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 275 ff., insb. S. 302 ff., 981; ganz i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 36 ff. ("geistig-sittliche Grundhaltung", "Orientierung an Vernunft", "sittliche Grundpflicht"); ders., Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, 1967, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60; H.H. Klein, Über Grundpflichten, Der Staat 14 (1975), S. 167 f.; auch P. Häberle, Verfassungsprinzipien als Erziehungsziele, in: FS H. Huber, 1981, S. 237 f., der zu Recht die Erziehungsaufgabe insb. der Schule herausstellt; vgl. auch ders., HStR, Bd. I, S. 850; K.A. Schachtschneider, JA 1979, 514; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 633; ders., Grundrechtliche Freiheit

4. Kap.: Die Republikanität der Rechtsgesetze

567

niert sich die republikanische Tugend, die "Liebe zur Republik", "demokratisch" die "Liebe zur Gleichheit" (Montesquieu) 214, aus der Idee der allgemeinen Freiheit, aus der Idee der Gleichheit in der Freiheit 275 . "Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille." - Kant 276 "Die sittliche Stufe, worauf der Mensch (...) steht, ist Achtung fürs moralische Gesetz und sein moralischer Zustand, darin er jedesmal sein kann, ist Tugend, d.i. moralische Gesinnung im Kampfe, und nicht Heiligkeit im vermeinten Besitze einer völligen Reinigkeit der Gesinnungen des Willens." - Kan? 11 "Alle kognitivistisehen Ethiken knüpfen nämlich an jene Institution an, die Kant im Kategorischen Imperativ angesprochen hat." - Jürgen Habermas™ "Es braucht..., mehr als alles andere, einen guten Willen." - Karl R. Popper* 179 III.

Die theoretische und praktische Vernünftigkeit der gesetzgeberischen Rechtserkentnisse Die Bürger und deren staatliche Vertreter können sich bei der Erkenntnis der Gesetze über das Sein und das Sollen irren 280 . Nur die Kenntnis aller

- Republikanische Tugend, S. 65 ff., 72 f., verlangt diese Tugend nur von "dem Politiker und dem politisch handelnden Bürger", jeder Bürger ist aber Politiker, jedenfalls als Wähler. Zur inneren Freiheit 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 275 ff., (insb. 280 ff., 288 ff., 302 ff.), 318 ff., 332 ff., 544 ff.; 6. Teil, 8. und 9. Kap., S. 494 ff., 509 ff.; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 274 Vom Geist der Gesetze, S. 138 ff.; ihm folgt W. Maihofer, HVerfR, S. 187 f.; dazu und i.d.S. H.H. Klein, Der Staat 14 (1975), S. 154, 167. 27 5 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 138 ff., der allerdings die Gleichheit materiell meint und das Sozialprinzip in den Gleichheitsbegriff einbezieht; W. Maihofer, HVerfR, S. 205 ff.; zur Gleichheit in der Freiheit als Grundidee der Republik Hinweise in Fn. 210, 7 Teil 3 Kap., S. 555. 276 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 18, auch S. 80; dazu L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 166, 192 u.ö.; J. Schwartländer, Die Menschenrechte und die Notwendigkeit einer praktischen Weltorientierung, S. 178 f.; Th. Nisters, Kants Kategorischer Imperativ, S. 193 ff., 232 ff., der allerdings mangels Autonomie- und Konsenslehre weder die Rechts- noch die Tugendlehre Kants erreicht; weitere Hinweise in Fn. 166, 5. Teil, 3 Kap S

286. 277 278 279

Kritik der praktischen Vernunft, S. 207. Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73. Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 17 f.

568

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

für die Gesetzgebung relevanten Tatsachen, nur das Wissen u m die W i r k l i c h k e i t , die Theorien also, ermöglichen die richtigen Regelungen. Gesetze vermag nur der sapiens u n d iustus zu geben (Cicero) 2* 1.

N a c h Kant

sind

die "Gesetze v o n m i r durch bloße Vernunft e r k e n n b a r " 2 8 2 . Jedermann könnte die Gesetze erkennen, w e n n er "nur Verstand hat", "selbst ein V o l k v o n T e u f e l n " 2 8 3 . A l l e s menschliche Erkennen ist der Gefahr des Irrtums ausgesetzt. Errare h u m a n u m est. D e r I r r t u m über die R i c h t i g k e i t der Regelung für das gute L e b e n aller i n Freiheit stellt die V e r b i n d l i c h k e i t des Gesetzes i n Frage, o b w o h l dieses auf dem "vereinigten W i l l e n des Volkes" und d a m i t auf " m e i n e r B e i s t i m m u n g " beruht (Kant)

2S4

.

D e r I r r t u m ist ein W i l l e n s m a n g e l ,

w i e § 119 B G B zeigt. Das allgemeine Gesetz als das Gesetz aller k a n n i m P r i n z i p n i e m a n d e m Unrecht t u n 2 8 5 . Das Sollen des allgemeinen Gesetzes

280 Die Irrtumslehre ist der Schlüssel zum rousseauschen Staatsrecht, etwa: Vom Gesellschaftsvertrag, S. 43 ff., 116 f.; dazu auch Kant, Über den Gemeinspruch, S. 161; vgl. i.d.S. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 84 f.; nicht anders die Diskursethik von J. Habermas, etwa, Erkenntnis und Interesse, 1968, S. 343 ff., i.S. der "Logik von Versuch und Irrtum" der "herrschaftsfreien Kommunikation"; ders., auch zur Erkenntnishaftigkeit der Rechtsetzung, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., für "realen Diskurs" und "reale Argumentation"; dazu E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 42 ff.; das Verfahren von "Versuch und Irrtum" bei der Gesetzgebung befürwortet im Anschluß an K.R. Popper auch R. Zippelius, Die experimentierende Methode im Recht, 1991; ders., Allgemeine Staatslehre, 12. Aufl. 1994, S. 346 ff.; die Erkenntnishaftigkeit der Vernunft, die allerdings nicht Sache des Volkes sei, stellt auch die Erkenntnishaftigkeit der Vernunft, die allerdings nicht Sache des Volkes sei, stellt auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 298, heraus; zum philosophischen Paradigmenwechsel von "Verstand und Wille" H. Heimsoeth, Die sechs großen Themen der abendländischen Methaphysik und der Ausgang des Mittelalters, S. 204 ff. 281

Büchner, Einleitung zu De re publica, S. 79. Zum ewigen Frieden, S. 205; zur Relevanz der theoretischen für die praktische Vernunft L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 49 f.; vgl. auch K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 105 ff.; für die Erkenntnishaftigkeit der Gesetzgebung auch H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 352 ff., auch S. 106 ff.; dazu auch 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2., 4., 5. und 6. Kap., S. 536 ff., 560 ff., 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff., (insb. S. 657 ff.); 9. Teil, 2. und 10. Kap., S. 858 ff., (insb. S. 884 ff.), 1027 ff.; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 125; vgl. auch die Hinweise in Fn. 177, 7. Teil, 3. Kap., S. 548 zum Verhältnis der Gesetze zum Recht und in Fn. 54, 7. Teil, 1. Kap., S. 527 zur Sittlichkeit der Abgeordneten. 283 Zum ewigen Frieden, S. 224, dazu mit Zitat und Hinweisen unten, S. 571 mit Fn. 296. 284 Metaphysik der Sitten, § 46, S. 432; Zum ewigen Frieden, S. 204 f.; dazu J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 132; zur Konsenslehre K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 153 ff. u.ö.; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910 f. 285 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204; weitere Hinweise in Fn. 26, S. 523. 282

4. Kap.: Die Republikanität der Rechtsgesetze

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ist jedoch nicht fraglos, wenn es das Glück aller oder einzelner verfehlt, weil die Wirklichkeit verkannt wurde. Die Autonomie des Willens schließt die Kompetenz zur relevanten Erkenntnis der Wirklichkeit ein. Die Verwirklichung der Freiheit mißlingt einem Gesetz, das auf einer irrigen Theorie beruht. Die Wahrheitlichkeit ist ein Imperativ der Sittlichkeit, weil das Richtige die Wahrheit voraussetzt. Die Wahrheitlichkeit und Richtigkeit der Gesetze verantworten die Hüter der praktischen Vernunft, alle Bürger und ihre Vertreter, vor allem aber das Bundesverfassungsgericht, dessen Rechtserkenntnisse sich auf Grund der grundgesetzlichen Kompetenz- und damit Funktionsordnung durchsetzen 286 . Solange jedoch der Irrtum nicht geklärt ist, muß die Verbindlichkeit des Gesetzes respektiert werden. Das entspricht der allgemeinen Irrtumslehre 287 . Trotz des allgemeinen Willens kann das Gesetz auch keine Verbindlichkeit beanspruchen, wenn es die Menschheit der Menschen, die Menschenwürde, verletzt, etwa die Freiheit aufhebt 288 . Auch das bedarf allerdings der verbindlichen Klärung im ordentlichen Verfahren. Auch um des guten Lebens aller willen muß der gesetzgeberische Diskurs die Wahrheit zugrundelegen 289 ; denn das gesetzesgemäße Handeln der Menschen verändert die Welt. Es kann Wirkungen haben, die der Gesetzgeber nicht erkannt und nicht gewollt hat. Der gesetzesgemäße Einsatz der Technik macht das anschaulich. Die Wahrheit ist mit Karl R. Popper die "bestmögliche Annäherung der Theorie an die Tatsachen" 290 . Praktisch vernünftig ist es, den Theorien von der Wirklichkeit zu folgen und auf deren

286 Dazu 9. Teil, 3., 4., 5. und 10. Kap., S. 909 ff., (mit Fn. 471 ff.), 932 ff., 956 f., 1027 ff.; 9. Teil, 1. und 3. Kap., S. 819 ff., 929 ff.; vgl. auch Fn. 65, 7. Teil, 1. Kap., S. 528 zum Bürger als Politiker. 287 Vgl. zur Irrtumslehre 8. Teil, 1. Kap., S. 641 f., 649; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 541. 288 Dazu 6. Teil, 1. Kap., S. 441; zur Unverfügbarkeit der Menschheit des Menschen Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu i.d.S. G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 117; zur Unverfügbarkeit der Freiheit Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 11 ff. ("Auf seine Freiheit verzichten heißt auf seine Eigenschaft als Mensch, auf seine Menschenrechte, sogar auf seine Pflichten verzichten ... Ein solcher Verzicht ist unvereinbar mit der Natur des Menschen; seinem Willen jegliche Freiheit nehmen heißt seinen Handlungen jegliche Sittlichkeit nehmen."). 289 K. Jaspers, Vom Ursprung, S. 197 ff.; dazu K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 105 ff.; i.d.S. schon Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 43 ff. 290 Objektive Erkenntnis, 4. Aufl. 1984, S. 44 ff., 332 ff. (gestützt auf Tarski); i.d.S. schon Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 688; dazu K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 106; zum kritischen Rationalismus E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 20 ff.; ablehnend W. Henke, Kritik des kritischen Rationalismus; kritisch auch K.-O. Apel, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, S. 220 ff., 358 ff. u.ö.

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7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

Grundlage nach Maßgabe des Sittengesetzes das Richtige für das gute Leben in Freiheit zum Gesetz zu machen; denn "praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist." - Kan? 91 Die Einigung über das Sollen kann nicht gelingen, wenn keine Einigkeit über das Sein besteht. Nur die Theorie als Abbild der Wirklichkeit gibt diese Einigungschance. Einer darf den anderen nicht täuschen oder ihn in einem Irrtum belassen, weil dem anderen dadurch die Möglichkeit genommen wird, das Gesetz seines Handelns autonom zu bestimmen, so nämlich, daß sein Handeln die erwartete Wirkung hat. Praktische Vernunft oder eben Sittlichkeit verwirklicht sich somit in den Prinzipien der Wahrheitlichkeit und der Richtigkeit der Maximen des menschlichen Handelns und damit der staatlichen Gesetze und privaten Übereinkünfte. Wer frei sein will, darf die Wahrheit nicht verleugnen 292 . Die Sittlichkeit ist personal, d.h. der Mensch handelt sittlich und damit frei, wenn er er selbst oder eben mit sich eins ist. Einigkeit der Menschen setzt Einheit jedes Menschen mit sich selbst voraus. Der Mensch muß Herr seiner selbst sein, er muß innerlich frei sein, um nicht von anderen beherrscht zu werden. Erst die innere Freiheit macht den Menschen zum Subjekt der Vernunft, welches befähigt ist, Gesetzgeber, autonom, zu sein 293 . In der Lüge kann der Mensch seine Willensautonomie genausowenig finden wie als Objekt anderer Menschen. "Sei ein rechtlicher Mensch (honeste vive)...; 'mache dich anderen nicht zum bloßen Mittel, sondern sei für sie zugleich Zweck/ ... Diese Pflicht" ist "Verbindlichkeit aus dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person." - Kant 294

291 Kritik der reinen Vernunft, S. 673; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 83; Kritik der praktischen Vernunft, S. 155 ff. u.ö.; zur "praktischen Freiheit" L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 49 f., 179 ff. zum Verhältnis von theoretischer und praktischer Vernunft. 292 K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 105 ff.; i.d.S. auch M. Kriele, Recht und praktische Vernunft, S. 41; auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 481 f.; so versteht auch BVerfGE 49, 89 (143) den Begriff der praktischen Vernunft, vgl. K.A. Schachtschneider, a.a.O. 293 So etwa H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 302 ff., 981; zur Selbstherrschaft 2. Teil, 2. und 11. Kap., S. 84 ff., 153 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 289 ff.; zur inneren Freiheit die Hinweise in Fn. 273, S. 566; zur Autonomie des Willens 5. Teil, 3., 4., 5. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 370 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff., 494 ff., 501 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 294 Metaphysik der Sitten, S. 344.

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Der Diskurs um das Richtige kann ohne Wahrheitlichkeit nicht gelingen. Die privaten und staatlichen Einrichtungen müssen den erfolgreichen Diskurs fördern. Jürgen Habermas hat die Relevanz der Institutionen für eine erfolgreiche Kommunikation herausgestellt, ohne die nicht zum diskursiven Konsens zu finden sei, der Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit sicherstelle 295 . Bereits Kant hat darauf hingewiesen, "daß es nur auf eine gute Organisation des Staats ankommt (die allerdings im Vermögen der Menschen ist), jener (sc. der selbstsüchtigen Neigungen) ihre Kräfte so gegen einander zu richten, daß eine die anderen in ihrer zerstörenden Wirkung aufhält, oder diese aufhebt: so daß der Erfolg für die Vernunft so ausfällt, als wenn beide gar nicht da wären, und so der Mensch, wenngleich nicht ein moralisch-guter Mensch, dennoch ein guter Bürger zu sein gezwungen wird". Daran hat er seinen berühmten und oft mißverstandenen Schluß geknüpft: "Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben) auflösbar ..296

Kant hat an dieser Stelle die substantielle Begründung der Funktionenteilung gegeben. Von der Weiterentwicklung der Regeln, welche es dem Menschen erschweren, ihren "selbstsüchtigen Neigungen" zu folgen, hängt der Erfolg des Versuchs Republik ab. Das gilt vor allem für das Parteienrecht 297 . Der allgemeine in der Verfassung erklärte Wille macht, wie schon gesagt, das verbindlich, was auf der Grundlage der Wahrheit als für das gute Leben aller in Freiheit als richtig erkannt und als Gesetz beschlossen wurde.

295 Erkenntnis und Interesse, S. 343 ff.; Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 78; vgl. E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 42 ff. 296 Zum ewigen Frieden, S. 223 f.; mißverstanden etwa von K.-O. Apel, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, S. 404 f., der vom Teufel und von Teufeln spricht, während Kant von einem "Volk von Teufeln" schreibt und auf das "Verlangen" nach "allgemeinen Gesetzen für ihre (sc. der Menge von vernünftigen Wesen) Erhaltung" abstellt. Das Prinzip der praktischen Vernunft, welches sich aus der Allgemeinheit der Vernunftwesen ergibt und deren gesetzgeberische Moralität ist, hat Apel ohnehin nicht als Begründung einer Ethik genügt. Die kantianische Sittenlehre gründet nicht spezifisch auf Logik, wenn sie auch ohne Ausnahme mit dem Satz vom Widerspruch argumentiert, sondern auf dem Apriori des gemeinsamen Lebens freier Menschen, auf deren Selbstzweck, welches die Logik zur Folge hat (vgl. Apel, a.a.O., S. 373 ff., 397 ff., 405 ff.); mißverstanden auch von G. Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, S. 62 f. 297 Dazu näher 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff.; i.d.S. auch R. Herzog, HStR, Bd. III, S. 117 ("Unzulänglichkeiten des geltenden Parteienrechts").

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Veritas, non auctoritas facit legem 298 . "Daß einzig Vernunft Gewalt hat", ist der "äußerste Gegenschlag" Kants gegen die Hobbessche Lehre: auctoritas, non Veritas facit legem, meint Jürgen Habermas 299. Hobbes läßt sich freilich ein Vorrang der auctoritas vor der Veritas des Gesetzes nicht entnehmen. Hobbes hat im Gegenteil das gesetzgeberische Vernunftprinzip mehrfach betont, etwa: "Die Vernunftmäßigkeit eines Gesetzes beruht nicht auf der Vernunft der unteren Richter, sondern auf der des Staates oder des Oberherrn" 300 . Hobbes weist lediglich auf die Positivität der Gesetze hin: "Doch die bloße Erkenntnis eines Gesetzes reicht noch nicht aus; der Bürger muß auch wissen, daß es vom Oberherrn komme" 3 0 1 . Hobbes macht die Verbindlichkeit des Gesetzes nicht von dessen Wahrheit abhängig, sondern von dem Gesetzgebungsverfahren 302. Darin unterscheidet sich die Hobbessche Lehre durch nichts von der Kants. Die Wahrheitlichkeit des Gesetzes, die zu dessen Moralität, welche das Gesetz zum Recht macht, gehört, kann schlechterdings nicht Kriterium der Verbindlichkeit sein 303 . Die Verzerrungen der Hobbesschen Gesetzeslehre als "Totalitarismus", vor allem wegen des Bildes vom Leviathan, sollten nicht Hobbes unterschoben werden, dessen Beitrag zur Lehre von der Republik sich ohnehin gröbste Mißverständnisse gefallen lassen muß 3 0 4 . Josef Isensee reklamiert den Satz: "Auctoritas, non Veritas facit legem", als demokra-

298

I.d.S. die Repräsentationslehre H. Krügers, Allgemeine Staatslehre, S. 236 f.,275 ff., 302 ff.; C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 5 ff., 30 ff., 52 ff., sieht das als den rationalistischen, rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff; ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff.; ders., Verfassungslehre, S. 138 ff., insb. S. 140; i.d.S. J. Habermas, u.a. Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 128; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff. u.ö.; E. Meinberg, a.a.O., S. 42 ff.; dazu i.S. seines objektivistischen Wahrheitsbegriffs R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 144 ff. 299 Sturkturwandel der Öffentlichkeit, S. 128; Hobbes, Leviathan, S. 228 ff., 234 f.; dazu auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 303, der dem Satz von Hobbes nur geringe "praktische Wirksamkeit" beimißt; dazu auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 140. 300 Leviathan, S. 229; zur Rechtserkenntnisfunktion der absoluten Herrscher H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 373 ff. 301 Leviathan, S. 233, 234. 302 Leviathan, S. 234 f. 303 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 399 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 247 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 717 f. zur Verbindlichkeit der Gesetze; zur Wahrheitlichkeit der Gesetze 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 584 ff., 617 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 945 ff. 304 C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Hobbes, S. 110 ff., stellt Hobbes auch als "Theoretiker des positiven Rechtsstaates" (im Anschluß an F. Tönnies) vor; vgl. aber auch ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 54; G. Geismann, Kant als Vollender von Hobbes und Rousseau, Der Staat 21 (1982), S. 161 ff.

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tisches Prinzip 3 0 5 . Das vernachlässigt die Unterscheidung der Gesetzesregel von dem Gesetzesgebot. Gesetze einer Republik jedenfalls werden nur durch ihre praktische Vernünftigkeit zu Recht. Auctoritas ohne Veritas wäre Herrschaft. Die Vernünftigkeit muß durch Kompetenzen und Verfahren gesichert werden. Dazu gehört auch die verfassungsrichterliche Überprüfung der praktischen Vernünftigkeit der Gesetze 306 . Die "Sollgeltung" hat keine "imperati vische", sondern eine "moralische Qualität."- Jürgen Habermas 307 Diese moralische Qualität, die aus der materiellen Kompetenz erwächst, bewirkt die moralische Verbindlichkeit, aber auf die formelle Verbindlichkeit durch das richtige Verfahren und die formell kompetente Entscheidung kann nicht verzichtet werden. Veritas schafft auctoritas, Wahrheitlichkeit und Richtigkeit Verbindlichkeit, aber die Verbindlichkeit ist nicht von der Wahrheitlichkeit und der Richtigkeit des Gesetzes abhängig, solange der Irrtum nicht kompetent festgestellt ist. Der Irrtum rechtfertigt nicht den Widerstand; denn ihm kann friedlich abgeholfen werden. Immer aber steht die Wahrheit, also die Theorie von der Wirklichkeit, zur Bewährung (Karl R. Popper) 308. Von diesem Prinzip darf es keine Ausnahme geben, wenn die Freiheit nicht an Ideologien ersticken soll - und sei die Wahrheit noch so verheerend für die, welche sich auf den Irrtum eingerichtet haben. IV.

Das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit als Richtigkeitsprinzip der Gesetzgebung Richtig ist das Gesetz, welches ausschließlich dem alleinigen Zweck freiheitlicher Gesetze genügt, dem guten Leben aller in allgemeiner Freiheit; denn das gute Leben in Freiheit ist der Zweck republikanischer Staatlichkeit 3 0 9 . "Der Satz: Salus publica suprema civitatis lex est, bleibt in seinem unverminderten Wert und Ansehen; aber das öffentliche Heil, welches zuerst in Betracht zu ziehen steht, ist gerade diejenige gesetzliche Verfassung,

305

HStR, Bd. III, S. 40. Dazu näher 9. Teil, 7., 8. und 10. Kap., S. 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; auch 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff. 307 Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 84. 308 Objektive Erkenntinis, S. 270 ff. u.ö.; ders., Kogik der Forschung, S. 8, 73, 93, 114, 198 ff., 211 ff. u.ö.; Κ Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 197 ff.; K.A. Schachtschneider. t "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 105 ff., insb. S. 111 f.; i.d.S. auch BVerGE 49, 89 (143); mit diesem Prinzip bricht BVerfG BvR 23/94, SZ v. 27.4.1994, 1,7 um die Strafbarkeit der sogenannten Ausschwitz-Lüge zu ermöglichen. 309 Dazu näher 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff. 306

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die jedem seine Freiheit durch Gesetze sichert: wobei es ihm unbenommen bleibt, seine Glückseligkeit auf jedem Wege, welcher ihm der beste dünkt, zu suchen, wenn er nur nicht jener allgemeinen gesetzmäßigen Freiheit, mithin dem Rechte anderer Mituntertanen Abbruch tut." - Kamr 310 Das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit ist das Gemeinwohl. Der republikanische Gemeinwohlbegriff ist um der allgemeinen Freiheit willen formal 3 1 1 . Der Zweck des allgemeinen guten Lebens ist material, aber offen. Das stellt auch Kant heraus: "In Ansehung der ersteren (der Glückseligkeit) kann gar kein allgemein gültiger Grundsatz für Gesetze gegeben werden. Denn, sowohl die Zeitumstände, als auch der sehr einander widerstreitende und dabei immer veränderliche Wahn, worin jemand seine Glückseligkeit setzt (worin er sie aber setzen soll, kann ihm niemand vorschreiben), macht alle feste Grundsätze unmöglich, und zum Prinzip der Gesetzgebung für sich allein untauglich." - Kart 312 U m der Formalität der Freiheit willen aber auch um der materialen Offenheit des guten Lebens willen kann das Gemeinwohl nur durch die Gesetze material bzw. näher bestimmt werden 313 . Die staatliche Bewältigung des gemeinsamen Lebens widerspricht der allgemeinen Freiheit nicht, wenn sie auf allgemeinen Gesetzen beruht; denn das richtige Gesetz verwirklicht die Freiheit aller. Der Mensch darf sich beliebige Zwecke setzen, wenn deren Verwirklichung anderen Menschen nicht schadet. Die Menschen dürfen ihre Zwecke gemeinschaftlich, auch als Staat vereinigt, verwirklichen 314 . Die Gesetzlichkeit der staatlichen Zweck-

310

Über den Gemeinspruch, S. 154 f. Zum Begriff der Formalität 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 847 ff.; zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 154, 7. Teil, 2. Kap., S. 544; zur Formalität des Gemeinwohlbegriffs auch 8. Teil, 1. Kap., S. 574 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff. 312 Über den Gemeinspruch, S. 154 (Fortsetzung des Zitats zu Fn. 310, S. 574). 3,3 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 235 ff., 247 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 3 ff., 16 ff., 20 ff., 25 ff., 39 ff.; H.P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 33, 199 ff., 202 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 196, 256, 674 ff., insb. 763 ff.; weitere Hinweise in Fn. 310, S. 574. 314 Dazu auch 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 311

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Verwirklichung soll sicherstellen, daß diese niemanden Unrecht tut 3 1 5 . Wenn auch die Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens der einzige notwendige Zweck des Staates ist, so zwingt doch der Zweck des Staates, die Freiheit aller zu verwirklichen, sein Rechtszweck also, nicht, die staatlichen Aufgaben auf diesen Zweck zu begrenzen 316 . "Das Recht des Menschen" ist der "einzige Zweck des Staates."- Werner Maihofer 317 Eine solche Formel muß die staatliche Wohlfahrtspolitik unter das "Recht des Menschen" subsumieren. Dementsprechend bestimmt Maihofer das Prinzip einer "republikanischen Verfassung" im Sinne Kants, die wir heute eine freiheitliche Demokratie nennen würden und können 318 , als "Ordnung der Gleichheit in Freiheit", "als: Ordnung größtmöglicher und gleichberechtigter Wohlfahrt des Einzelnen, bei notwendiger Gerechtigkeit für Alle." 3 1 9 Die Idee der Brüderlichkeit ist wie die der Gleichheit eine Tochter der Idee der Freiheit und damit integraler Bestandteil des "Rechts des Menschen". Die Idee der Brüderlichkeit hat das Grundgesetz als das Sozialprinzip in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verankert 320 . Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind die Leitideen der Republik und damit des Rechts in einem Gemeinwesen, das allen Menschen dient 321 . Der Grundsatz der Privatheit der Lebensbewältigung 322 trägt zur Staatsaufgabenbegrenzung bei 3 2 3 . Das Gesetz, welches das Gemeinwohl materialisiert und dem Staat (i.e.S.) Aufgaben überträgt, ist nicht freiheitswidrig, weil die Aufgaben auch anders als staatlich bewältigt werden könnten, aber

315 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150; weitere Hinweise in Fn. 24, 26, 30, 7. Teil, 1. Kap., S. 522 f. 316 Dazu J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 61 ff. 317 Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 20 f. 318 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 28 ff.; auch 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff. mit Fn. 261. 319 HVerfR, S. 212 ff., insb. 216. 320 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 321 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 4 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.; 5. Teil, 1. und 3. Kap., S. 253 ff., 284 ff. 322

Dazu 3. Teil, 3. und 4. Kap., S. 195 ff., 201 ff.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 220 ff., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., (insb. 386 ff.); 6. Teil, 2. und 5. Kap., S. 449 ff., 475; 9. Teil, 7. Kap., S. 859; insb. J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 75 ff., der wie die meisten vom Subsidiaritätsprinzip spricht. 323 Dazu J. iseensee, HStR, Bd. III, S. 75; KA. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 62 f., 66, 72.

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es muß den Grundsatz privater Lebensbewältigung wahren 324 . Dieser Vorrang moderiert die unvermeidbare Repräsentation und konkretisiert dadurch die überprüfbare Pflicht der Vertreter des Volkes zur praktischen Vernünftigkeit 3 2 5 . Zur Milderung der Herrschaft des entwickelten Parteienstaates den Grundsatz privater Lebensbewältigung zu aktivieren ist sinnvoll. Sinnvoller ist es, den Parteienstaat als solchen zu überwinden 326 . Kant hat Gesetze, die "zunächst auf die Glückseligkeit ( die Wohlhabenheit der Bürger, die Bevölkerung u. dgl.) gerichtet sind" nicht verworfen, sondern dadurch legitimiert, daß sie "den rechtlichen Zustand vornehmlich gegen äußere Feinde des Volkes zu sichern" geeignet seien 327 . Kant hat darüberhinaus als "allgemeinen Zweck des Publikums" die "Glückseligkeit" genannt, "womit zusammenzustimmen (es mit seinem Zustande zufrieden zu machen) die eigentliche Aufgabe der Politik" sei 328 . Wenn auch Kant der Verwirklichung des Rechtsprinzips den Vorrang vor der staatlichen Beförderung der allgemeinen Glückseligkeit eingeräumt hat 3 2 9 , so kann man doch eine Aufgabenbegrenzung des Staates auf den Rechtszweck der Lehre Kants nicht entnehmen. Kant kann nicht mit Fichte und v. Humboldt in einem Atemzug genannt werden, wie es Karl August Bettermann tut, der meint, mit seiner Definition des Staates als "Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen" habe Kant den Staat auf den "einzigen Zweck" beschränkt,

324

Dazu die Hinweise in Fn. 322, S. 575. Dazu die Hinweise in Fn. 30, 54, 57, 7. Teil, 1. Kap., S. 523, 527; insb. 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff., 728 ff., 730 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 326 Dazu 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff., insb. 8. und 10. Kap., S. 1147 ff., 1173 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 327 Über den Gemeinspruch, S. 155. 328 Zum ewigen Frieden, S. 250, wofür die "Publizität" unentbehrlich sei, i.d.S. auch ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 62 ("Naturzweck, den alle Menschen haben, ihre eigene Glückseligkeit"); ders., Metaphysik der Sitten, S. 515 ("eigene Glückseligkeit ist ein Zweck, den zwar alle Menschen (vermöge des Antriebs ihrer Natur) haben"...); ders., Über den Gemeinspruch, S. 144 ("Zwecke, den alle Menschen natürlicher Weise haben (die Absicht auf Glückseligkeit)"); zur Glückseligkeitslehre Kants L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 99 ff., 102 ff.; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 298. 325

329

Über den Gemeinspruch, S. 144 f., 154 f., 159.

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"Gesetze zu schaffen und durchzusetzen, das Recht zu verwirklichen" 3 3 0 . Damit ist die Autonomielehre Kants grob vereinfacht. Der Gesetzgeber darf "das Volk nicht gleichsam wider seinen Willen glücklich machen", aber die "die Wohlhabenheit des Volkes", die es ermögliche, daß das Volk "als gemeines Wesen sich erhalte", hat Kant durchaus der staatlichen Sorge anheimgegeben 331 . Es gibt im übrigen keine Gesetze ohne Materie. Das republikanische Gesetz schließt es aus, daß staatliche Bemühungen um das gemeinsame gute Leben wider den Willen des Volkes geschehen. Die Republik ist keine liberale Demokratie (Demokratie herrschaftlich begriffen) 332 . V.

Interessiertheit und Irrtümlichkeit bei der gesetzgeberischen Rechtserkenntnis Der Gesetzgeber darf sich nicht von Interessen, von privater Besonderheit, irreführen lassen. Er muß unparteiisch sein und ohne Ausnahme dem Rechtsprinzip gehorchen 333 . Die Neutralität gegenüber besonderen, insbesondere den eigenen Interessen, ist die republikanische Moral, welche die Allgemeinheit des Willens ermöglicht. Sie ist ein kategorischer Imperativ der Republik. Herbert Krüger nennt ihn das Prinzip der Nicht-Identifikati-

330

Der totale Rechtsstaat, S. 3 f.; i.d.S. auch G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 130 f. ("Votum zugunsten des Liberalismus der klassischen Nationalökonomie eines Adam Smith"); vgl. R. Nozick , Anarchie, Staat, Utopia, 1974, insb. S. 17 ff., 141 ff., 269 ff., der eine Lehre vom Minimalstaat entwickelt. 331 Über den Gemeinspruch, S. 155; dazu G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, S. 130 ff., der das "Kantische Prinzip" für wohlfahrtsstaalich nutzbar hält, im Widerspruch zu seiner Auffassung, Kant habe dem "Nachtwächterstaat" das Wort geredet; Grund dürfte sein, daß Maluschke Kants Rechtsprinzip als den Schutz einer "Freiheitssphäre" (a.a.O., S. 117, 119 f.), als ein "Abwehrrechtsprinzip" (a.a.O., S. 129) mißversteht; zu diesem liberalistischen Freiheitsbegriff 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff., insb. 3., 5., 6. und 9. Kap., S. 454 ff., 466 ff., 478 ff., 370 ff. 332

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; auch 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff. mit Fn. 261. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 30 ff., 43 ff.; so auch das allgemeine Rechtsprinzip Kants, Metaphysik der Sitten, S. 336 ff.; i.d.S. ders. auch, Zum ewigen Frieden, S. 241 f.; deutlich ders., Über den Gemeinspruch, S. 155, auch S. 151; vgl. auch ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 80; M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, 1987, S. 93 ff.; ders., VVDStRL 29 (1971), S. 49 ff.; K.A. Schachtschneider, JA 1979, 569; zur Frage der Unparteilichkeit auch J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 80 ff.; ebenso O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 41 ff., 83 ff.; zum Begriff "Interesse" im Sinne der Neigungen 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff. 333

37 Schachtschneider

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on 3 3 4 . Der freie, also moralische, Konsens über das genannte Richtige ist ein Ideal 3 3 5 . Verfassung und Gesetz müssen die Verfahren, es bestmöglich zu realisieren, einrichten 336 . Hobbes hat den großen Leviathan, den sterblichen Gott, als Stellvertreter des Volkes vorgeschlagen, der über den Interessen der Einzelnen stehe und dadurch befähigt sei, das Richtige im Namen des Volkes zu erkennen und zu verordnen 337 . Ein Mensch mit der Macht des Leviathan, ein Autokrat in Kants Terminologie, wird jedoch allzuleicht Tyrann 338 . Die Verfassung vermag seine Interesselosigkeit und Unparteilichkeit nicht sicherzustellen. Weil es den Gott nicht gibt, der den Menschen das Gesetz geben könnte, soll nach Rousseau das Volk die volonté générale in der Volksversammlung durch die Mehrheit der Stimmen feststellen. Die irrende Minderheit bleibe frei; denn auch sie wolle "den Gemeinwillen", also das Wahre und Richtige; ihr "Sonderwille" war eine Täuschung über den Gemeinwillen 3 3 9 . Der Lehre Rousseaus von der volonté générale wird gern der Vorwurf gemacht, sie sei das Konzept des Totalitarismus. Exemplarisch ist der Satz von René Marcie : "Das theoretische Gerüst zum totalitären Willkürstaat richtet Jean Jacques Rousseau mit seiner Lehre von der volonté générale auf." 3 4 0

334 Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff., passim; dazu auch K. Schiaich, Neutralität als Staatszweck, insb. S. 236 ff. 335 I.d.S. auch Kant, Über den Gemeinspruch, S. 153 ("bloße Idee der Vernunft"). 336

So schon Kant, Zum ewigen Frieden, S. 223 f.; ebenso in der Sache ders., Über den Gemeinspruch, S. 152 f.; so auch J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 43 ff.; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff.; zur "Grundrechtsverwirklichung und -Sicherung durch Organisation und Verfahren" K. Hesse, HVerfR, S. 100 f.; dazu H. Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981; P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 86 ff., 112 ff.; zum Verfahrensaspekt des Sozialprinzips K.A. Schachtschneider, Sozialprinzip, S. 39, 53, 55 f., 69 f.; H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1201 u.ö. 337 Leviathan, S. 151 ff., 155 ff.; Kant, Über den Gemeinspruch, S. 161, hat eine solche Institution wegen der Irrtumsmöglichkeit kritisiert; i.d.S. auch H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 373 ff.; zur Hobbesschen Stellvertreterlehre H. Hofmann, Repräsentation, S. 382 ff., insb. S. 389 ff. 338 Die Sorge hat schon Kant, Über den Gemeinspruch, S. 161, geäußert; ebenso ders., Metaphysik der Sitten, S. 462; zu diesem Bilde des Leviathan C. Schmitt, S. 9 ff., 41 ff., 61 ff.; vor der Tyrannei der Mehrheit des Volkes warnt R. Weber-Fas, Grundgesetz und Verfassungsentwicklung, in: ders., Freiheitliche Verfassung und sozialer Rechtsstaat, S. 23; zur Kritik der Mehrheitsherrschaft oben 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 339 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 43 ff., 116 f.

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Dieses Verdikt ignoriert fast alle Aspekte Rousseaus und wirft diesem Gründer der modernen Republiklehre despotische Institutionen vor, die sich nicht auf Rousseau stützen lassen, insbesondere den Einparteienstaat. Auch Werner Maihofer kennzeichnet und verwirft Rousseaus Lehre als "absolute Demokratie", als "uneingeschränkte Mehrheitsherrschaft" 341 . Rousseau kennt im "notwendigen" législateur 342 , vor allem aber in der Volksversammlung kompetenzsichernde, republikanische Repräsentanten. Keinesfalls überantwortet Rousseau das Volk mittels des Instituts der volonté générale der Herrschaft, sondern klärt die Verbindlichkeit der Erkenntnis des allgemein Richtigen. Rousseau lehrt als Staatsform die Republik 3 4 3 , nicht die Demokratie. Er behandelt die Regierungsform der Demokratie 344 und lehnt diese ab, weil es ihr an der Gewaltenteilung fehle. Auch insoweit folgt ihm sein Schüler Kart 345. Rousseau konzipiert, nicht anders als Hobbes, ein, wenn man so will, repräsentatives Konsensprinzip der Erkenntnis des Richtigen. Ein Repräsentationsorgan ist neben dem "Gesetzgeber" auch die Volksversammlung 346 . Auch Kant lehrt die repräsentative Verwirklichung der allgemeinen Gesetzgebung, der "Einheit des Willens aller" 3 4 7 . Wer Rousseau zurückweist, muß auch Kant ablehnen. Das ist weniger populär. Irrtümer und Meinungsverschiedenheiten sind Realitäten von Erkenntnisprozessen 348 . Die Meinung der Minderheit kann unter rechtlich Gleichen,

340

Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 279 ff., objektivistisch gegen den Subjektivismus der Gesetzgebung durch den allgemeinen Willen, gegen den vermeintlichen Voluntarismus Rousseaus gerichtet; Hinweise zur antirousseauistischen Attitüde in der Staatsrechtslehre, die meist religiöse Legitimationen der Herrschaft verteidigen will, in Fn. 24, 8. Teil, 1. Kap., S. 642; Fn. 933, S. 998; dazu schon F. Schillers Gedicht Rousseau. 341 Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19, 35 f.; ähnlich R. WeberFas, Grundgesetz und Verfassungsentwicklung, S. 23; abgewogen äußert sich H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 306 u.ö.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 125 f., kritisiert Rousseaus Irrtumslehre, ohne den republikanischen Erkenntnisaspekt Rousseaus aufzugreifen; genauso K. Stern, Staatsrecht I, S. 612, in seiner Kritik an Rousseaus Lehre. 342 Vom Gesellschafts vertrag, S. 42, 43 ff. 343 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41. 344 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 70, 72 ff. 345 Zum ewigen Frieden, S. 206 f. 346 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 102 ff.; den repräsentativen Charakter der volonté générale Rousseaus hat Η. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 248, herausgestellt. 347 Etwa Über den Gemeinspruch, S. 150 ff.; Metaphysik der Sitten, S. 439, 441, 464 f.; vgl. dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 638, 640. 348 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 42; Kant, Über den Gemeinspruch, S. 152. 37*

580

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

weil alles Freien, nicht gegen die der Mehrheit Richtigkeit und daraus folgend Verbindlichkeit beanspruchen 349 . Das ergibt die repräsentative, organschaftliche Mehrheitsregel, die nicht mit der kritisierten Mehrheitsherrschaft verwechselt werden darf 350 . Wer überstimmt wird, hat idealiter über die Wirklichkeit eine andere Theorie und/oder zum Richtigen ein anderes Urteil als die Mehrheit, realiter sieht er oft durch das Gesetz seine Interessen nicht gewahrt und mißbraucht sein Stimmrecht, um seine Eigeninteressen durchzusetzen. Wer interessenabhängig stimmt, verletzt seine Bürgerpflicht 351 , der w i l l anderen seine Interessen aufzwingen, andere willkürlich nötigen, sie beherrschen 352 . Das Eigeninteresse ist seit alters Zweck und zugleich Kriterium der Tyrannis, ein summum malum der Politik 3 5 3 . Eigeninteressen politisch, also mittels des Gesetzes, zu verfolgen, verletzt die gleiche Freiheit aller und ist der Republik zutiefst zuwider 354 , wenn auch neuzeitlich als summum malum das naturzustandliche Chaos, die Anarchie, gesehen wird 3 5 5 . Der Kampf um die eigenen Interessen, der in geordneten Grenzen geführt wird und dadurch für die Beteiligten und die Allgemeinheit erträglich bleibt, ist der Anarchie allemal vorzuziehen, eben weil über dem Kampf die Ordnung steht, zumal der Interessenausgleich, der Kompromiß 3 5 6 , angestrebt wird, der den Frieden jedenfalls vorübergehend sichern soll. Modell sind die

349 Vgl. H. Hof mann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 186 ff.; zur gleichheitlichen Begründung der Mehrheitsregel oben 2. Teil, 6. Kap., S. 119 ff. 350 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 152 f., hat klar auf die Mehrheit der Repräsentanten des Volkes abgestellt; richtig auch Κ Stern, Staatsrecht I, S. 610; i.d.S. auch W. Henke, HStR, Bd. I, S. 877; weitere Hinweise oben 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff., 119 ff.; W. Leisner, Konsens und Konflikt, S. 287 f., sieht ebenfalls durch Rousseau den Konsensgedanken verwirklicht, für viele, aber auch gegen viele; vgl. auch ders., Staatseinung, S. 160 ff., insb. S. 174. 351 Ganz i.d.S. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 250 ff., auch S. 306 ff., der richtig den Wähler als Repräsentanten begreift. 352 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 65 f., rechnet interessenbedingte Imperative zur Heteronomie. 353

Aristoteles, Politk, S. 114, 1279 b 5 ff.: "Tyrannis ist die Alleinherrschaft zum Nutzen des Herrschers", auch S. 113, 1279 a 32 ff.; i.d.S. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 334. 354 Dazu 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 584 ff. (insb. 614 ff.), 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff.; zur Gleichheit aller in der Freiheit Hinweise in Fn. 210, 7. Teil, 3. Kap., S. 555. 355 W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 334; dazu auch 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff.; zum Recht auf Recht aus der Freiheit Hinweise in Fn. 33, 7. Teil, 1. Kap., S. 523. 356 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff.; 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 612 ff., 617 ff.

4. Kap.: Die Republikanität der Rechtsgesetze

581

Tarifkämpfe 357 . Dennoch bleibt der Kampf diskurs- und damit republikwidrig 3 5 8 . U m seiner Effizienz für die allgemeine Wohlfahrt willen veranstaltet der Staat den Wettbewerb 359 , ebenfalls eine Form des Kampfes, etwa um Marktanteile. Nur in staatlich moderarter Weise ist er der Gemeinschaft nützlich. Immer wird das Eigeninteresse die Moralität mächtig bedrängen 360 . Auch wer sich irrt, will, daß das Gesetz das Richtige vorschreibt 361 . Sein allgemeiner Wille als Bürger ist die Verbindlichkeit des Richtigen. Er w i l l die bürgerliche Verfassung, auf Grund derer die Gesetze verbindlich sind, die in verfassungsgeregelter praktischer Vernünftigkeit, in Moralität also, als richtig erkannt und beschlossen worden sind. VI.

Die Pflicht zur Verteidigung der Freiheit und das Recht zum Widerstand Der Irrtum des Gesetzgebers über das Wahre und Richtige rechtfertigt weder den Widerstand noch den Ungehorsam; denn Zweifel an der Rechtlichkeit des Gesetzes kann ohne Allgemeinheit keine rechtliche Relevanz, also keine allgemeine Verbindlichkeit, beanspruchen. Der Zweifel vermag aber die Initiative zur kompetenzgerechten Überprüfung der Rechtlichkeit des Gesetzes etwa durch eine Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG) auszulösen oder auch zu verpflichten, die Normenkontrolle des Bundesverfassungsgerichts zu beantragen (etwa Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). Alle Bürger und alle ihre Vertreter sind Hüter der Rechtlichkeit der Gesetze. Das erübrigt den Widerstand, solange der Schutz des Rechts durch den Staat, insbesondere durch die Verfassungsgerichte, erwartet werden kann. Kant, der ein Widerstandsrecht in der Republik oder auch in einem Staat,

357

Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 402 ff. Dazu K.A. Schachtschneider, Streikfreiheit und Streikrecht, Vortrag, 1989. 359 Dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 454; differenziert E.-J. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, 1984, S. 3 ff., der den geschützten "freien" vom "verwalteten Wettbewerb" unterscheidet, vgl. auch S. 78 ff.; dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 388 f., 395 ff.; auch 3. Teil, 3. Kap., S. 200 f. 358

360 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 113, 173 f.; dazu auch 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff. 361 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 116 f.; zur Irrtumslehre Rousseaus 8. Teil, 1. Kap., S. 641 f., 641, 642 und Fn. 24; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 541.

582

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

der sich zur R e p u b l i k zu e n t w i c k e l n auf d e m Wege ist, zurückgewiesen h a t 3 6 2 , hat doch "die Freiheit der Feder", die "Befugnis", die " M e i n u n g über das", was "Unrecht gegen das gemeine Wesen zu sein scheint, öffentlich bekannt zu machen", der "Vergünstigung des Oberherrn selbst" anempfohlen, w e i l dieser sich "auch e i n m a l irren oder der Sache u n k u n d i g sein k ö n n e " 3 6 3 . Kants

V e r d i k t gegen das Widerstandsrecht folgt der L o g i k , daß über d e m

Gesetz k e i n Gesetz besteht, welches Maßstab für die U n r i c h t i g k e i t des Gesetzes sein k ö n n t e 3 6 4 . Quis iudicabit? ist das Problem. D e n Z w e i f e l an der R e c h t l i c h k e i t eines Gesetzes kennt ausweislich der zitierten Stelle auch Kant.

E i n e Verfassungsrechtsprechung ist die verfassungsstaatliche Weiter-

362 Über den Gemeinspruch, S. 156 f.; Metaphysik der Sitten, S. 438 ff., 440 f.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 234; zustimmend H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 947; dazu auch R. Dreier, Widerstandsrecht und ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, in: Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, P. Glotz (Hrsg.), 1983, S. 54 ff.; ders., Recht-Moral-Ideologie, 1981, S. 180 ff., 198 ff.; ders., Widerstandsrecht im Rechtsstaat? Bemerkungen zum zivilen Ungehorsam, in: FS H.U. Scupin, 1983, S. 573 ff.; ders., Rechtsgehorsam und Widerstandsrecht, in: FS R. Wassermann, 1985, S. 299 ff.; ders., Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis zwischen Gesetz und Recht, JZ 1985, 359 ff.; R. Wassermann, Zum Recht auf Widerstand nach dem Grundgesetz, in: A. RandelzhoferAV. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, 1986, S. 348 ff. (zurückhaltend); zu Kants Widerstands verbot W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 336 ff., der richtig als Voraussetzung des Verbots den "rechtlichen Zustand" herausstellt; vgl. K. Stern, Staatsrecht II, S. 1487 ff., 1494 ff.; richtig gegen das "unstaatliche Widerstandsrecht in der demokratischen Normalität" J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 660, der, S. 631, aber "den Gehorsam des Bürgers unter dem Vorbehalt des Widerstandsrechts" gestellt sieht, wenn die "Macht" nicht "ethisch gebundene Macht" sei; ders. schon, Das legalisierte Widerstandrecht, 1969, S. 13 ff.; zu Recht auch skeptisch D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 58, mit weiteren Hinweisen in Fn. 271; vgl. auch J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 399 ff.; weiter zur Widerstandsproblematik B. Streithofen (Hrsg.), Frieden im Lande, Vom Recht auf Widerstand, 1983; auch K. Kröger, Die vernachlässigte Friedenspflicht des Bürgers, JuS 1984, 172 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 19 II, S. 144 ff., insb. S. 146 ("Widerstand im demokratischen Staat"); C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 32 ff., zum Widerstandsrecht im Falle der formalisierten Mehrheitsfeststellung ohne materiale Gleichartigkeit auf Grund eines "inhaltslosen funktionalistischen Legalitätsbegriffs"; kritisch zum Recht auf "zivilen Ungehorsam" auch Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 29; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 86 ff. 363 Über den Gemeinspruch, S. 161, gegen Hobbes, der dem Leviathan die "Beurteilungen aller Meinungen und Lehren" zugestanden hat, weil diese "nicht selten Grund und Ursprung von Uneinigkeit und Bürgerkrieg sind" (Leviathan, S. 161); dazu R. Dreier, in: FS R. Wassermann, S. 300 ff., 303 f.; wie hier auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 37 mit Fn. 22; zur aufklärerischen Wurzel der freiheitlichen öffentlichen Meinung M. Klopfer, HStR, Bd. II, S. 178. 364 Metaphysik der Sitten, S. 440; i.d.S. auch ders., Über den Gemeinspruch, S. 158.

4. Kap.: Die Republikanität der Rechtsgesetze

583

entwicklung des Rechts zum Widerstand gegen das Unrecht 365 . Keinesfalls kann aus Kants Verbot des Widerstandes hergeleitet werden, Kant sei ein platter Positivist nach der Formel: Gesetz ist Recht, gewesen. Das widerspräche seiner Ethik zutiefst. Wenn die Meinungsäußerungsfreiheit und auch die anderen Kommunikationsfreiheiten, die Freiheit des Diskurses also, unterdrückt werden, ist mit der Möglichkeit, zur Sittlichkeit der allgemeinen Freiheit zu finden, die Entwicklung zur Republik am Ende und die Pflicht, ihr wieder eine Chance zu verschaffen, lebt auf. Darum ist es Pflicht, den Diskurs in den Parteien gegen das Herrschaftsinteresse der Parteioligarchien, das sich hinter dem Geschlossenheitspostulat und anderen Parteimaximen 366 verbirgt, zu verteidigen. Dieser Diskurs muß sich öffentlich machen, weil sonst Wahrheit und Richtigkeit in Gefahr sind. Der sogenannte Widerstand ist nichts anderes als die Verteidigung der Freiheit, der bürgerlichen Verfassung, der Kampf um Recht und Staat 367 . Er ist "Verfassungshilfe" (Hans Schneider) 36*. Den "bürgerlichen Zustand" zu wahren und zu fördern, ist dauernde Pflicht jedes Bürgers, des Hüters der Verfassung und der praktischen Vernunft. Art. 20 Abs. 4 GG versucht, den zur Verteidigung verpflichtenden Verfall der Republik tatbestandlich zu erfassen. Ein subjektives Recht gegenüber dem Staat zum Widerstand kann es jedoch auch in der Republik nicht geben, weil der Widerstandsfall davon ausgeht, daß der Schutz des Rechts versagt 369 . Ohne Rechtsschutz gibt es aber kein subjektives Recht 370 . Jeder Bürger hat jedoch die moralische Grundpflicht, die Republik zu wahren und zu fördern. Deren Erfüllung

365

Dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 961 f.; G. Maluschke, Philosophische Grundlagen des demokratichen Verfassungsstaates, S. 137, vermißt bei Kant diese Konzeption und wirft Kant in der realen Staatslehre eine "Hobbessche Sichtweise" vor. 366 Dazu 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff.; zur Geschlossenheitsmaxime S. 1069, 1076, 1100, 1112. 367

Ganz i.d.S. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 336 ff., zu der Voraussetzung des Widerstandsverbotes bei Kant, nämlich den Bestand des "rechtlichen Zustandes". Widerstand im Rechtsstaat, 1969, S. 13; D. Merten, Konstitutionsprinzipien staatlicher Gewalt, S. 334; i.d.S. auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 148; auch R. Wassermann, Zum Recht auf Widerstand, S. 356 ff. ("nur im Bürgerkrieg" oder "bürgerkriegsähnlicher Situation"); vgl. auch J. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, S. 53 ("Konterrevolution"). 369 Skeptisch auch R. Wassermann, Zum Recht auf Widerstand, S. 359 ("Es wird offenbar, daß mit der Etablierung des Widerstandsrechts das im Rechtsstaat Unmögliche versucht würde"); so auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 945 ff. 370

Dazu 6. Teil, 4. Kap., S. 461 ff.

584

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

verantwortet jeder Bürger persönlich 371 . M i t dem Widerstand macht der Mensch sein Recht der Freiheit geltend, das ihm einen Anspruch gegen jedermann auf eine bürgerliche Verfassung gibt 3 7 2 . Dieses Recht besteht gegenüber den anderen Menschen; denn der Staat existiert nur durch die bürgerliche Verfassung 373 , die im Widerstandsfall beseitigt oder aber derart gefährdet ist, daß der Staat sie nicht mehr schützen kann. Maxime dieser bürgerlichen Grundpflicht, die Verfassung zu verteidigen, ist: Wehret den Anfängen! Das demokratische Mehrheitsprinzip akzeptiert Karl Jaspers nur unter der Vorausssetzung, daß "die Freiheit der Abstimmung die Freiheit selber nicht vernichtet", nämlich: "Wenn man nicht mehr miteinander reden kann, wenn der republikanische Weg des Überzeugens und der Entwicklung der Dinge durch ein Miteinander- und Gegeneinanderreden der in legalen Formen kämpfenden Mächte aufgegeben wird, wenn Politik im eigentlichen Sinne aufhört, dann bleibt Selbstpreisgabe (Ermächtigungsgesetz 1933) oder Bürgerkrieg" 374 . Solange noch die Chance besteht, friedlich zum Recht zu finden, müssen die Waffen schweigen, aber auch nicht länger. Die Verantwortung trägt jeder selbst. Dieses Recht steht und fällt mit der Moralität der Bürger. Res publica res populi.

5. Kapitel Der Rechtsdiskurs der Republik I. Rechtlichkeit der Gesetze durch (diskursive) Moralität in der Politik Der Fortschritt zur Moralität der Politik und damit der vom Gesetz zum Recht ist Sache der republikanischen Gesetzgebung. Das Verfahren dieses Fortschritts ist der öffentliche Diskurs, das allseitige Gespräch über das

371 Dahin zielt auch das Plädoyer von R. Wassermann, Zum Recht auf Widerstand, S. 361 ff., der ebenfalls die Gefahren für das Gemeinwesen in "einem selbstzufriedenen Parteienstaat, der sich als Oligarchie einer zynischen politischen Klasse darstellt", sieht; i.S. einer Gewissensentscheidung in letzter Not auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 948. 372 Dazu die Hinweise in Fn. 33, 7. Teil, 1. Kap., S. 523. 373 Dazu 2. Teil, 1. und 4. Kap., S. 72 f., 93 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 165 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 374 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 144.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

585

R i c h t i g e für das gute L e b e n aller i n allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit, das Gespräch über die zuträgliche P o l i t i k a l s o 3 7 5 . "Rechtlicher Fortschritt ist ein unendlicher Prozeß v o n D i s k u s s i o n D e z i s i o n . " - Martin

Kriele

und

m

I m Parlament soll dieses Gespräch die Vertreter des ganzen Volkes zur Erkenntnis der richtigen P o l i t i k des Volkes führen, die i m allgemeinen Gesetz ihre für das ganze V o l k verbindliche F o r m

findet.

" Z w i s c h e n d e m monarchischen Absolutismus

u n d der

unmittelbaren

D e m o k r a t i e , der erstere als 'bloße M a c h t u n d Befehl, W i l l k ü r u n d Desp o t i s m u s ' , die zweite als ' d i e Herrschaft einer v o n Leidenschaften u n d Interessen

getriebenen M a s s e ' 3 7 7 ,

steht als die wahre M i t t e

375

das

in

LS. "öffentlichen Gebrauchs der Vernunft" Kant, Zum ewigen Frieden, S. 244 ff.; so auch J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 127 ff., "zur Publizität als Prinzip der Vermittlung von Politik und Moral", nach Kant; ders., Theorie des kommunikativen Handelns, 2. Bd., S. 141 ff. (nach Mead); ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 78 ff., 83 f.; ders., Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 187 ff., 340 ff., dessen deliberative Lehre Moral und Politik entgegen Kant differenzieren will; dazu M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 165 ff. (selbst allzu skeptisch und allzu prozedural, "dialektisch"); Κ Jaspers, Wahrheit, Freiheit, Frieden, S. 158 ff.; ders., Vom Ursprung, S. 197 ff., 201; O. Weinberger, Moral zwischen Autonomie und Heteronomie, S. 245 ff., 255 ff. (zur Transsubjektivität der Moralität); vgl. auch C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 20 ff., 28; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 5 ff., 43 ff., 61 ff. (gestützt vor allem auf Guizot); ders., Verfassungslehre, S. 315 ff.; auch G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 213, 227 u.ö., sieht den "liberalen, repräsentativen Parlamentarismus" durch die öffentliche Diskussion charakterisiert und den Parteienstaat durch eine parteiinterne Demokratie legitimiert, S. 246 ff.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff., 71 ff.; diskurshaft sieht die staatliche Willensbildung auch D. Grimm, HVerfR, S. 322, der richtig alle Grundrechte "für eine angstfreie Teilnahme am politischen Prozeß" für konstitutiv hält (S. 321); bei H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 362 ff., ist das Öffentlichkeitsprinzip zur Öffentlichkeitsarbeit von Parlament und Regierung denaturiert, ein Ausdruck der Parteienherrschaft; nahe an "Bürgerdemokratie" rückt die Öffentlichkeitsarbeit W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 59 ff., 64; zur Öffentlichkeitsarbeit der Regierung vgl. BVerfGE 44, 125 (147 ff.); 63, 230 (243 f.); P. Häberle, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zwischen Parteien- und Bürgerdemokratie, JZ 1977, 361 ff.; die Herrschaftslehren pflegen die Chancen, Wahrheit und Richtigkeit durch die öffentliche Diskussion zu erreichen, zu verwerfen, etwa W. Henke, Recht und Staat; zur Diskursethik vgl. die Hinw. in Fn. 38, 7. Teil, 1. Kap., S. 644; zum Prinzip der Publizität auch S. 587 ff., 596 ff., 602 ff. 376 Theorie der Rechtsgewinnung, S. 191 ff.; VVDStRL 29 (1971), S. 52 (Zitat), S. 56 ff. mit wenig eindrucksvoller Kritik am echten Parlamentarismus, der durch Diskussion und Öffentlichkeit gekennzeichnet ist (dazu Hinweise in Fn. 375; auch 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 716, 817), genährt durch eine prozeßorientierte Parteienlehre (S. 69 f.); kantianisch ders., Die demokratische Weltrevolution, S. 79 ff., wo "Vernunft und Moral", "praktische Vernunft", "Unparteilichkeit" für seine Lehre bestimmend sind (etwa S. 38, 89 ff., 93 ff., 192 ff.), welche logisch zur Diskursethik führen. 377

Burke und Bluntschli, von C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 315, zitiert.

586

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

öffentlicher Diskussion die vernünftige Wahrheit und die gerechte Norm findende Parlament. Die Diskussion ist das Humane, Friedfertige, Fortschrittliche, der Gegensatz zu jeder Art Diktatur und Gewalt." - Carl Schmitt 378 Guizot, den Carl Schmitt den "absolut typischen Repräsentanten des Parlamentarismus" nennt, zählt zu den Garantien der Herrschaft des Rechts als den Gegensatz zur Macht: 1. "Daß die 'pouvoirs' immer gezwungen sind, zu diskutieren und dadurch die Wahrheit zu suchen; 2. daß die Öffentlichkeit des ganzen staatlichen Lebens die 'pouvoirs' unter die Kontrolle der Bürger stellt; 3. daß die Preßfreiheit die Bürger veranlaßt, die Wahrheit zu suchen und sie den 'pouvoirs' zu sagen" 379 . Darum ist der allseitige autonomiegemäße Diskurs zur konsensmäßigen Einigkeit im Gesetz und das gesetzesgemäße, legale Handeln aller Bürger das Kriterium eines freiheitlichen Gemeinwesens, einer Republik. Wer den Diskurs behindert oder gar die Kommunikationsfreiheit beschneidet, verrät die Republik. Wer diese unterbindet, schafft die Widerstandssituation 380 ; denn er verhindert den verfassungsgewollten Fortschritt bloßer Gesetzlichkeit zur Rechtlichkeit als der Einheit von Moral und Politik CKant) 3* 1, von Moral und Gesetz, den bürgerlichen Zustand also. Wenn die Bürger nicht Politiker sein dürfen, besteht keine Republik. "Die Demokratie des Grundgesetzes ist im strengen Sinne des Wortes nicht 'Volksdemokratie', sondern 'Bürgerdemokratie'" - Peter Häberle, Walter Schmitt Glaeser 382.

378 Verfassungslehre, S. 315; in der Sache nicht anders ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 7 ff., 41 ff., 61 ff.; auch ders., Legalität und Legitimität, S. 7 ff., 20 ff., 88 ff. 379 Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 243 f., der seinen Repräsentationsbegriff, der auf das Volk als Ganzes, als politische Einheit, als Nation, abhebt, entgegenstellt (dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.). 380 Dazu 7. Teil, 4. Kap., S. 580 ff. und Fn. 362; auch 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 249 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 ff. 381 Der Streit der Fakultäten, S. 362 ff.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 228 ff.; dem folgt auch M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 79 ff., zur "Fortschrittshoffnung der politischen Aufklärung"; i.d.S. auch W. Maihofer, HVerfR, S. 224 ff.; ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 39; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 187 ff., unterscheidet politische von moralischen Fragen, weil er das Recht auf "Rechtsgemeinschaften" bezieht, die Moralnorm aber universell konzipiert.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

587

Die Republik ist Polis, der "Bürger-Staat". "Mit anderen Worten: der Bürger ist ein potentieller Staatsmann - wenn ich das griechische Wort 'Politikos' so übersetzen darf." "Alle diese Merkmale - der Bürger als Teilnehmer an Gericht und Regierung, der Wechsel von Regieren und Regiertwerden, die Gleichheit der Freien und die Ermöglichung von Gerechtigkeit aus ihrer Genossenschaft -, all diese Merkmale stecken vereint wie in einer Nuß in einer berühmten Formel des Aristoteles, der Mensch sei ein Zoon politikon, das heißt ein Wesen, das der Stadtgenossenschaft zustrebt, oder einfacher: ein bürgerliches Wesen." - Dolf Sternberger** 3 Diese "Bürgerdemokratie" ist die demokratische Republik, die Staats- und Regierungsform von Bürgern, besser deren Form, die Freiheit zu verwirklichen, die Form des Politischen also. "'Politik' - das ist, wenn man es ernst und griechisch buchstäblich nimmt, alles das, was zur Stadt gehört, nämlich zur bürgerlichen Selbstregierung der autonomen Stadt." - Dolf Sternberger** 4 "Demokratisch" steht für bürgerschaftlich; denn das Volk kann in einer Republik nur die Menge der Bürger sein und Herrschaft kann in der Republik nur die Herrschaft der Bürger über sich selbst heißen. Das ist dargetan 3 8 5 . "Alle Maximen, die der Publizität bedürfen (um ihren Zweck nicht zu verfehlen), stimmen mit Recht und Politik vereinigt zusammen" ..." So verhindert das Verbot der Publizität den Fortschritt eines Volkes zum Besseren ..." - Kant** 6 Wer an den Fortschritt zum Besseren in der Politik glaubt, hofft auf das Recht, wie Kant 387.

382 P. Häberle, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zwischen Parteien- und Bürgerdemokratie, JZ 1977, 361 ff.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 59 ff., 65. 383 Herrschaft und Vereinbarung, S. 118 bzw. 119 bzw. 120. 384 Herrschaft und Vereinbarung, S. 118. 385 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 2. und 11. Kap., S. 85, 153 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; weitere Hinweise in Fn. 65, 7. Teil, 1. Kap., S. 528. 386 Zum ewigen Frieden, S. 250, bzw., ders., Der Streit der Fakultäten, S. 363. 387 Zum ewigen Frieden, S. 251; ders., Der Streit der Fakultäten, S. 362 ff., insb. S. 365 ff.; so auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 39; M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 79 ff. (Kant folgend); dazu auch K.A. Schachtschneider, Frei - sozial - fortschrittlich, S. 19 ff.; dazu auch 4. Teil, 3. Kap., S. 247 ff. (insb. S. 250 ff.).

588

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

"Nicht ein immer wachsendes Quantum der Moralität in der Gesinnung, sondern Vermehrung der Produkte ihrer Legalität in pflichtmäßigen Handlungen, durch welche Triebfeder sie auch veranlaßt sein mögen; d.i., in den guten Taten der Menschen, die immer zahlreicher und besser ausfallen werden, also in den Phänomenen der sittlichen Beschaffenheit des Menschengeschlechts wird der Ertrag (das Resultat) der Bearbeitung desselben zum Besseren allein gesetzt werden können." - Kartf 388 Der Kampf um das Recht 3 8 9 ist ständige Aufgabe der Menschen; denn es ist der Kampf gegen das Böse, vor allem das Böse in uns selbst. II. Diskursive Kommunikation und akklamative Demonstrationen Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die konstitutionelle Relevanz der Kommunikationsgrundrechte, insbesondere des der Meinungsäußerungsfreiheit, aber im Brokdorf-Beschluß auch der Versammlungsfreiheit, für das grundgesetzliche Gemeinwesen und dessen freiheitliche demokratische Staatsordnung herausgestellt 390 . Das Recht, die Meinung frei zu äußern, ist Gegenstand der grundrechtlich geschützten Willensautonomie, der politischen Freiheit, der Bürgerlichkeit also; denn die gemeinsame Gesetzgebung ist nur allgemein, wenn alle Bürger ihren Beitrag zur Wahrheit und Richtigkeit leisten, das aber heißt, die Meinung äußern dürfen 391 . Die Bürger sind in dem Maße äußerlich frei, in dem sie ihre Meinung äußern dürfen und in dem ihre Meinung gehört wird. Sie sind in dem Maße innerlich frei, in dem ihre Äußerungen Beiträge zur Wahrheit und Richtigkeit sind. Die Ignoranz gegenüber der Meinungsäußerung derer, die ihre Meinung nicht durchzusetzen die Macht haben, ist einer der Machiavellismen der sanften Despotie des entwickelten Parteienstaates 392. Nach Kant liegt die

388

Der Streit der Fakultäten, S. 365. I.d.S. R. Ihering, Der Kampf ums Recht, 1872, S. 1, 2; E.-J. Mestmäcker, Der Kampf ums Recht in der offenen Gesellschaft, in: Recht in der offenen Gesellschaft, 1993, S. 11 ff. 390 BVerfGE 5, 85 (134, 199, 206 f.); 7, 198 (208, 212); 10, 118 (121); 20, 56 (97 ff.); 20, 162 (174); 27, 71 (81); 44, 125 (139, 141 ff.); 57, 295 (319 ff.); 59, 231 (257 ff.); 69, 315 (342 ff.); U. Scheuner, Pressefreiheit, VVDStRL 22 (1965), S. 1 ff.; dazu i.d.S. W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 51 ff., 59 ff.; E. Schmidt-Jortzig, Meinungs- und Informationsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 639 ff.; D. Grimm, HVerfR, S. 321; M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 65; ders., Die demokratische Weltrevolution, S. 99; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 976; K. Stern, Staatsrecht I, S. 615; dazu auch S. 590 ff.; mit weiteren Hinweise in Fn. 395, S. 605. 389

391

Ganz so D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, S. 115 ff.; zum Meinungsbegriff S. 602 ff., 608 ff.; 2. Teil, 11. Kap., S. 156 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1095 ff. (mit Fn. 233); auch 8. Teil, 5. Kap., S. 799 ff.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1158 ff., 1164 ff. 392 Dazu 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff., 1095 ff., 1099 ff., 1108 ff., 1141 ff.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

589

"Befugnis, ihnen (sc. "den anderen") bloß seine Gedanken mitzuteilen, ihnen etwas zu erzählen oder zu versprechen, ... schon im Prinzip der angeborenen Freiheit, ..." 3 9 3 . Die Meinungsäußerungsfreiheit ist somit Teil der politischen Freiheit als Willensautonomie, nämlich Diskursfreiheit. Eine Demonstrationsfreiheit 394 findet als solche in den Grundrechten der Republik keine Grundlage 395 ; denn sie würde weniger plebiszitäre als vielmehr plebejische Einflußnahme auf die Politik, den Druck der Straße, nicht aber den Beitrag zur Wahrheit und Richtigkeit schützen. Demonstrationen sind genausowenig wie Akklamationen eine Form der Erkenntnis. Alternative Erkenntnisse, die i m argumentativen Diskurs gewonnen sind, können ohne Verletzung des Republikprinzips zur unmittelbaren, also plebiszitären Entscheidung des Volkes gestellt werden, weil die Sachlichkeit der Entscheidungsvorschläge gewährleistet ist 3 9 6 . Das Recht zu demonstrieren ist aber wegen der oligarchischen Herrschaftsverhältnisse des demokratistischen Parteienstaates legitim, weil der allgemeine gesetzgeberische Diskurs im Parteienstaat nicht gepflegt wird und die Parteienoligarchie selbst Legitimation in den akklamativen Effekten hoher Wahlbeteiligung, öffentlicher Meinung oder auch nur von Meinungsumfrageergebnissen sucht 397 . Eine Demonstrationsfreiheit ist ein parteienstaatliches Rechtsinstitut, das seine Rechtfertigung im Versagen des republikanischen Parlamentarismus findet, institutionell aber den Parteienstaat, ähnlich dem Institut des Minderheitenschutzes, zu stabilisieren geeignet ist. Der entwickelte Parteienstaat legitimiert ein plebiszitäres Korrektiv, weil er entgegen der Wesensschau Gerhard Leibholzens gerade nicht plebiszitär, sondern eher

393

Metaphysik der Sitten, S. 346. BVerfGE 69, 315 (342 ff.); dazu M. Kloepfer, Versammlungsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 752 ff.; vgl. auch BVerwGE 56, 56 ff.; 56, 63 (69 f.); 64, 55 (65 f.). 395 Kritisch auch R. Samper, Rechtsfragen zum "Demonstrationsrecht", BayVBl. 1969, 77 ff.; D. Merten, Gedanken zur Demonstrationsfreiheit, MDR 1968, 621 ff.; H.A. Stöcker, Das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit - eine ochlokratische Fehlinterpretation, DÖV 1983,993 ff.; Kritik auch von V. Götz, Versammlungsfreiheit und Versammlungsrecht im BrokdorfBeschluß des Bundesverfassungsgerichts, DVBl. 1985, 1347 ff.; auch nicht unkritisch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 976 f. 394

396

Einen ähnlichen Vorschlag macht Th. Baumann, Demokratie auf dem Abstellgleis, S. 100, 112 (Ein Expertengremium schlägt vor, das Volk stimmt ab). 397 Dazu S. 610 ff.; 6. Teil, 10. Kap., S. 515 ff., zur Meinungsumfrage; 10. Teil, 6. Kap., S. 1141, zur Wahlbeteiligung; zur öffentlichen Meinung 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 ff.; zur Akklamation auch 1. Teil, 3. Kap., S. 43 f.; 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff ; 8. Teil, 4. Kap., S. 741 ff., 754 ff.

590

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

akklamativ und damit caesaristisch ist 3 9 8 . Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Sinne im Brokdorf-Beschluß 399 die Versammlungsfreiheit als ein Grundrecht der "politischen Meinungs- und Willensbildung ... für den Minderheitenschutz" aktiviert und eine "stabilisierende Funktion der Versammlungsfreiheit für das repräsentative System" herausgestellt, welche es "Unzufriedenen gestatte, Unmut und Kritik öffentlich vorzubringen und abzuarbeiten" und "als Frühwarnsystem fungiere, das Störpotentiale anzeige, Integrationsdefizite sichtbar und damit auch Kurskorrekturen der offiziellen Politik möglich mache." - BVerfGE 69, 315 (347) Damit ist ein parteienstaatliches Gegeneinander der Bürger und der sogenannten politischen Klasse, von der selbst der Bundeskanzler Kohl gesprochen hat 4 0 0 , in die freiheitsrechtliche Dogmatik einbezogen, welche die monarchisch-liberale, also konstitutionelle Trennung von Staat und Gesellschaft fortführt 401 . In der Republik lassen sich politische Willensbildung des Volkes, des Staates i.w.S., und "offizielle Politik", also doch wohl Willensbildung des Staates (i.e.S.), nicht trennen 402 . Die Argumentation akzeptiert die politische Kompetenz der Demonstranten im eigentlichen Sinne nicht, sondern w i l l diese ganz im Sinne der sanften Despotie des Parteienstaates besänftigen, ruhigstellen, durch und durch paternalistisch. "Die ungehinderte Ausübung des Freiheitsrechts (sc. der "Versammlungsfreiheit für Demonstrationen") wirkt nicht nur dem Bewußtsein politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur Staatsverdrossenheit entgegen." - BVerfGE 69, 315 (346) Das Gegenteil dürfte empirisch richtig sein, aber empirische Einschätzungen geben selten Argumente für die Interpretation von Rechtssätzen. Überzeugender ist die Einordnung der Versammlung als plebiszitärem Element, die Konrad Hesse gegeben hat und die das Bundesverfassungsgericht aufgreift:

398

Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 763 ff.; auch 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 991 mit Fn. 898.; zur Leibholzschen Lehre vom plebiszitären Charakter der "modernen Parteiendemokratie" u.a. G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 94, 98 ff., 114 ff., 224 ff., 252 ff., 269 ff.; Der moderne Parteienstaat, S. 62 ff., 72 ff., 79 ff.; dazu 8. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 735 ff., 772 ff. 399 BVerfGE 69, 315 ff. 400 Etwa in einem Fernsehinterview mit Pariser Journalisten Ende März 1990. 401 Dazu 3. Teil, 1. und 3. Kap., S. 159 ff. (insb. S. 167 ff.) 175 ff.; kritisch auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 976 f. 402 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 173 ff.; zu den Begriffen des Staates im weiteren und im engeren Sinne 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 160 ff., 174 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

591

"Sie bieten ... die Möglichkeit zur öffentlichen Einflußnahme auf den politischen Prozeß, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest ...; sie enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren" 4 0 3 . Nur verfaßt das Grundgesetz ausweislich Art. 20 Abs. 1 und 2 GG keine Demokratie und schon gar nicht eine unmittelbare, wesentlich plebiszitäre, aber, wie es Art. 21 GG erweist, erst recht nicht einen entwickelten Parteienstaat, sondern, konkretisiert in Art. 38 Abs. 1 GG, die repräsentative Republik. Das Gericht ist freilich nicht so weit gegangen, eine Demonstrationsfreiheit zu kreieren, wie viele meinen. Es dogmatisiert vielmehr die Versammlungsfreiheit als grundrechtliche Grundlage des Demonstrationsrechts, also das Rechtsinstitut Demonstration 404 . Demonstrationen haben 1989/1990 die Befreiung der Mitteldeutschen von der realsozialistischen Despotie und die deutsche Einheit gefördert 405 . Eine Gewähr für sachliche Politik sind sie dennoch nicht. Vielfach wird demonstriert, um Meinungsäußerungen und damit den republikanischen Diskurs unmöglich zu machen. Oft haben Demonstrationen zu Despotie und Tyrannei geführt. Beispiele sind das Ende der Weimarer Republik und, vor allem, das Ende der Herrschaft des Schahs von Persien. Demonstrationen für eine Verfassung der Republik, wie die im damaligen Mitteldeutschland, benötigen keine grundrechtliche Rechtfertigung. Sie sind bürgerliche Pflicht, die Art. 20 Abs. 4 G G ausspricht 406 .

403 Grundzüge des Verfassungsrechts, 14. Aufl. 1984, S. 157, ebenso 16. Aufl. 1988, S. 158; BVerfGE 69, 315 (346 f.). 404 BVerfGE 69, 315 (342 ff.); zum Topos Demonstrationsfreiheit vgl. die Hinweise in Fn. 394, 395, S. 589. 405 Einen revolutionären Charakter dieser Demonstrationen ("eine friedliche und demokratische Revolution") stellt die Präambel des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschand und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18.5.1990 (Staatsvertrag) fest, eine fragwürdige Einordnung der Freilassung der DDR durch die Sowjetunion, aus der im übrigen keine Konsequenzen gezogen werden. Weitgehend hat der Vertrag und der folgende Einigungsvertrag vom 31.8.1990 (Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands) die vermeintlich revolutionierten Verhältnisse aufrechterhalten, obwohl sie Akte des Unrechts waren, etwa die Enteignung von 1945 - 1949 durch Art. 143 Abs. 3 GG in der Fassung des Art. 4 Nr. 5 Einigungsvertrag (vgl. BVerfGE 84, 90 ff.) und die Altkredite durch Art. 232 § 1 EGBGB, die gemäß Art. 10 Abs. 5 Staatsvertrag in DM-Forderungen umgewandelt worden sind (vgl. BGH, Urteil v. 26.10.1993, Az. XI ZR 222/92).

592

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

III. Der Verlust des diskursiven Parlamentarismus im Parteienstaat Carl Schmitt hat den "Wegfall der ideellen Voraussetzungen des Parlamentarismus in der heutigen Demokratie" plakatiert, nämlich: "a) die Diskussion entfällt" "b) die Öffentlichkeit entfällt" "c) der repräsentative Charakter des Parlaments und der Abgeordneten entfällt." Als Grund für die Lage des Parlamentarismus, in der dessen Wesensmerkmale entfallen seien, nennt Carl Schmitt den Parteienstaat 407. Der echte Parlamentarismus ist Lebenselement der Republik. Auch Gerhard Leibholz hat, wie schon ausgeführt, konstatiert, daß der, wie er meint, durch Art. 21 GG institutionalisierte demokratische Parteienstaat mit dem, wie er es nennt, "liberalen, repräsentativen Parlamentarismus" unvereinbar sei 408 . Parteien sind durch Führung und Gefolgschaft, die Parteiendemokratie durch Führung, Gefolgschaft und vornehmlich akklamative Wahlen einer oder mehrerer der sich anbietenden parteilichen Führungen gekennzeichnet 409 . Der Parteienstaat kann somit akklamativ-demokratisch sein. Er kann aber nicht parlamentarisch-republikanisch sein 410 . Dem hat Martin Kriele widersprochen: "Parteien haben nicht den Parlamentarismus in sein Gegenteil verkehrt und sind überhaupt dem repräsentativen Prinzip nicht entgegengesetzt" 411 .

406 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 249 f.; 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 ff.; zum Recht auf Recht auch bürgerliche Verfassung, Hinweise in Fn. 33, 7. Teil, 1. Kap., S. 523. 407 Verfassungslehre, S. 318 f.; i.d.S. schon H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 11 ff.; ganz so G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 98 ff., 211 ff., 249 ff.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 71, 76 u.ö.; kritisch dazu M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 56 ff., in dem Bemühen, den Parteienstaat zu rechtfertigen (S. 69 f.); ders., Einführung in die Staatslehre, S. 321 ff., vgl. auch S. 165 ff.; kritisch berichtet W. Manti, Repräsentation und Identität, S. 121 ff., insb. S. 136 ff., 149 ff.; dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 775 mit Fn. 719. 408 Etwa, Das Wesen der Repräsentation, S. 235 ff., 254 f.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff., 84; so schon ders., VVDStRL 7 (1932), S. 164 ff.; ebenso unter dem Einfluß von G. Leibholz als Bundesverfassungsrichter BVerfGE 2, 1 (72); dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff.; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 775 f. m.w.H. 409 Dazu 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff. (insb. S. 1074 ff.), 1086 ff., 1113 ff. (insb. S. 1121 ff.); auch 8. Teil, 2. und 4. Kap., S. 691 ff., 797 ff.; 2. Teil, 5. und 6. Kap., S. 100 ff., 116 ff. 410 K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 188 ff.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

593

Trotzdem setzt sich kaum ein Staatsrechtslehrer stärker für das Prinzip der Unparteilichkeit ein als Kriele: "Unparteilichkeit ist der Kern der Gerechtigkeit - mit ihr steht und fällt die Möglichkeit rationaler Legitimität" ... "Um die Chance der demokratischen Weltrevolution von ihrer Wurzel her zu verstehen, muß man sich die Natürlichkeit und Universalität des ihr zugrundeliegenden Rechtsgedankens der Unparteilichkeit vergegenwärtigen, die i m modernen Territorialstaat allein noch Legitimität zu begründen vermag" 412 . Das trifft auch die parteilichen Parteien, die Kriele selbst auf das "Amtsethos der Repräsentation", die Vertretung des ganzen Volkes und die bloße Gewissensunterworfenheit verweist 413 . Dennoch vertritt Kriele auch 1990 in der 4. Auflage seiner Einführung in der Staatslehre noch immer die Parteilichkeit des Parlamentarismus 414 . Das Grundgesetz verbietet es, wie Gerhard Leibholz, dem die Staatsrechtslehre, wenn auch meist und zunehmend mit Zurückhaltung, folgt 4 1 5 , den "Entfall" des Parlamentarismus hinzunehmen. Trotz der Erkenntnisse aus der Weimarer Zeit hat der Verfassungsgeber die parlamentarische Republik im Grundgesetz verankert. Er mußte dies um der Würde des Menschen, also um der Freiheit willen; denn der republikanische Parlamentarismus folgt der Logik der allgemeinen Freiheit und ist somit zwingend in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG, wie er durch Art. 2 Abs. 1 GG expliziert wird, angelegt 4 1 6 . Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG bestätigt durch seine Entscheidung für den echten Parlamentarismus das republikanische Prinzip im Grundgesetz 417 .

411

VVDStRL 29 (1971), S. 69. Die demokratische Weltrevolution, S. 93, 99. 413 Die demokratische Weltrevolution, S. 105. 414 S. 321 ff., auch S. 165 ff.; dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 774 f. mit Zitaten. 415 Vgl. die Hinweise in Fn. 667, 8. Teil, 4. Kap., S. 766; Fn. 704, 8. Teil, 5. Kap., S. 772; etwa D. Grimm, HVerfR, S. 331 ff. (kritisch); ablehnend M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 69 f.; ders., Einführung in die Staatslehre, S. 321 ff., und S. 165 ff. 416 Ganz i.d.S. P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 848 f.; vgl. auch ders., Wesensgehaltsgarantie, S. 16 ff., 21, 336 f., 339 f. 417 So in der Sache G. Leibholz selbst, etwa, Das Wesen der Repräsentation, S. 211 ff., 224 ff., 254 u.ö.; Der moderne Parteienstaat, S. 83 ("antiplebisizitäre, repräsentative Demokratie"), der ständig auf den Widerspruch seiner Parteienstaatslehre zu Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG hingewiesen und das als den "Struktur"- oder "Gestaltwandel der Demokratie" herausgestellt hat; dazu kritisch W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 159 ff.; D. Sternberger, Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 179, 202; dazu 8. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 655 ff., 672 ff., 710 ff., 763 ff., 775 ff., 810 ff.; 10. Teil, 1. und 4. Kap., S. 1045 ff., 1092 ff. mit 412

38 Schachtschneider

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7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

Wer den Parteienstaat stützen will, muß darum den echten Parlamentarismus 4 1 8 genauso wie das Sittengesetz aus dem Grundgesetz eliminieren 4 1 9 . Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist aber unverbrüchlich und läßt nicht mehr als die Mitwirkung der Parteien bei der "politischen Willensbildung des Volkes" zu, wie es Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG richtig und keinesfalls "revolutionär", wie Leibholz diese Vorschrift aufzuwerten versucht hat 4 2 0 , formuliert. Das Grundgesetz hat keinen "Strukturwandel... von der repräsentativ-parlamentarischen zur parteienstaatlichen Demokratie" vollzogen, schon gar nicht "mit Hilfe der 'Vernunft', ohne - wenn nicht gar gegen - den Willen der beteiligten Politiker und Staatsmänner", wie Gerhard Leibholz seine verfassungsverzerrende Lehre ideologisiert hat 4 2 1 . Das faktische Politikmonopol der Parteioligarchien ist keine "politische Willensbildung des Volkes", "an der die Parteien mitwirken", sondern Herrschaft einer Oligarchie über das Volk 4 2 2 . Diese zu legitimieren zwingt denn auch, die allgemeine Freiheit der Bürger zur Politik, deren Willensautonomie, die Art. 2 Abs. 1 GG schützt, liberalistisch zur allgemeinen

Fn. 227. 418 Etwa P. Badura, Bonner Komm, zum GG, Rdn. 35 ff., 65 ff. zu Art. 38; ders., Staatsrecht, S. 179; ders., Die parteienstaatliche Demokratie und die Gesetzgebung, 1986; ders., HStR, Bd. I, S. 972 ff., der selbst von "demokratisch und parteienstaatlich verwandelter parlamentarischer Repräsentation" spricht (S. 974) und die "Volkssouveränität" als Herrschaftslegitimation versteht; ihm folgt argumentations los H. Dreier, AöR 113 (1988), S. 483; nicht anders ders./H. Hofmann, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 183 ff.; extrem U.K. Preuß, GG, Alt.-Komm., 53 ff., insb. 56 ff. zu Art. 21; auch M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 56 ff., 67 f.; ders., Einführung in die Staatslehre, S. 165 ff., 321 ff. 419

Dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 259 ff.; auch 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff., 810 ff.; insb. J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65 f.; H. Dreier, AöR 113 (1988), S. 450 ff., erwähnt das Sittengesetz nicht, obwohl er von der Staatsphilosophie Kants zu handeln verspricht und dazu Relevanz für die Interpretation des Grundgesetzes im Auge hat. 420 Der moderne Parteienstaat, S. 83. 421 Der moderne Parteienstaat, S. 77; ders., Das Wesen der Repräsentation, S. 211 ff. ("Der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert"), S. 224 ff.; kritisch etwa W. Manti, Repräsentation und Identität, S. 159 ff. 422 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 4., 5. und 6. Kap., S. 92 ff., 100 ff., 106 ff.; 3. Teil, 1. und 3. Kap., S. 159 ff., 197 f.; 8. Teil, 2. und 5. Kap., S. 685 ff., 772 ff.; 10. Teil, 3. und 4. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

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Handlungsfreiheit von Untertanen zu degradieren 423 oder zumindest die politische Freiheit dogmatisch auf bestimmte, vornehmlich egalitäre Rechte auf Teilnahme am staatlichen Willensbildungsprozeß oder an der Willensbildung des Volkes, wie vor allem das Wahlrecht bzw. die Kommunikationsrechte, zu beschränken, welche die Herrschaft der Herrschenden, der Sache nach die Parteienoligarchie, nicht ausschließt, sondern legitimiert und moderiert 424 . Die Lehre von der allgemeinen Handlungsfreiheit vermeidet einen Widerspruch der parteienstaatlichen Herrschaft zur "persönlichen Freiheit". Führung als "Persönliche Gewalt" (Walter Leisner) läßt eine politische Freiheit der Bürger nicht zu, wohl aber deren geschützte und vom Staat gepflegte persönliche Freiheit, Liberalität also, nicht aber Republikanismus 425 . Persönliche Freiheit ist nicht schon bürgerliche, nämlich politische Freiheit. Durch nichts sind die Verfassungsinterpreten berechtigt, die Freiheit und die Republik den Parteien auszuliefern. Das einfache Recht, das Wahl-, Parteien- und Parlamentsrecht, nicht das Grundgesetz, stützt den Parteienstaat. Das Bundesverfassungsgericht hat sich der Republik versagt, als die Parteien die Herrschaft usurpiert haben. Die Entscheidungen im demokratistischen Parteienstaat fällen die Parteiführer, die 'Elefanten', vorbereitet von Gefolgsleuten in den Parteizentralen und Beamten in den Ministerien, beraten von Sachverständigen und Interessenten 426 , orientiert an demoskopisch ermittelten Meinungen in der Bevölkerung, ausgerichtet auf die Chance bei den jeweils anstehenden Wahlen, bisweilen beeinflußt von Parteitagen, also Mehrheiten von delegierten

423 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 1., 3., 5., 6. und 9. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.. Einen derartigen kompensatorischen Liberalismus stelltrichtigW. Manti , Repräsentation und Identität, S. 186 ff., bei Leibholz als Unterschied zu C. Schmitt heraus; etwa G. Leibholz, Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 63 ff.; demgegenüber sieht W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 51 ff., den Bürger als eine politisch/staatliche Persönlichkeit; so vor allem auch D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 11 ff.; ders., Herrschaft und Vereinbarung, S. 115 ff. u.ö; BVerGE 89, 155 (171 ff.) - Maastricht-Urteil - hat die politische Freiheit der Bürger durch ein subjektives Recht aus Art. 38 Abs. 1 GG auf substantielle Kompetenzen des Deutschen Bundestages auch in Angelegenheiten der Europäischen Union gestärkt; dazu K.A. Schachtschneider, Recht und Politik 1994, 1 ff. 424

So etwa K. Stern, Staatsrecht II, S. 22 ff.; ders., Staatsrecht I, S. 293, 604 ff., der "Staatsgewalt" mit "Herrschaftssystem" identifiziert und dieses durch "Befehl und Gehorsam" charakterisiert sieht (S. 605); auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 970 f., 972 f.; Hinweise auf die herrschaftliche sog. demokratische Freiheitsidee 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. mit Fn. 279, S. 502. 425 W. Leisner, Der Führer, S. 307 ff.; dazu 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff. (insb. S. 104). 426 Zur Funktion des Rates für Führer W. Leisner, Der Führer, S. 319 f.; zur Beratung durch Sachverständige W. Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, HStR, Bd. I, S. 207 ff. 3'

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7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

Parteifunktionären. Die parteiendemokratische Funktionsverzerrung des Parlaments ist oft und richtig beschrieben worden. "Die wesentlichen Entscheidungen werden außerhalb des Parlaments getroffen." - Carl Schmitt 427 "Der Konsequenz der gekennzeichneten Entwicklung von der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie zur parteienstaatlichen Massendemokratie entspricht es, daß in der letzteren das Parlament den ihm früher eigenen ursprünglichen Charakter in zunehmendem Maße verliert und mehr und mehr zu einer Stätte wird, an der sich gebundene Parteibeauftragte treffen, um anderweitig, z. B. in Ausschüssen, Fraktionen oder Parteikonferenzen, bereits getroffene Entscheidungen registrieren zu lassen." - Gerhard Leibholz m Auch die Ausschüsse des Parlaments haben nur noch eine parteienstaatliche Funktion. Keinesfalls substituieren sie das Parlament in dessen Diskussionsfunktion 4 2 9 , vor allem nicht, weil die Ausschüsse (grundsätzlich) geheim verhandeln (§ 69 Abs. 1 S. 1 GeschOBT) und die Ausschußmitglieder von ihren Fraktionen benannt, d.h. auch abberufen werden dürfen (§ 57 Abs. 2 GeschOBT). Einem Abgeordneten ohne Fraktionszugehörigkeit hat das Bundesverfassungsgericht gar das Stimmrecht in den Ausschüssen verweigert, weil er nicht für eine Fraktion spreche, obwohl die Ausschüsse "in die Repräsentation des Volkes durch das Parlament einbezogen" seien 430 . Ohne Öffentlichkeit verlieren die Bemühungen um die Erkenntnis des richtigen Gesetzes ihre republikanische Repräsentationsfunktion. "Gegen die Verselbständigung illegitimer Macht dient als 'Palladium der Freiheit' in letzter Instanz wiederum nur eine mißtrauische, mobile, wache und informierte Öffentlichkeit, die auf den parlamentarischen Komplex einwirkt und auf den Entstehungsbedingungen legitimen Rechts beharrt." 431 - Jürgen Habermas

427

Verfassungslehre, S. 307 ff., Zitat S. 319; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 5 ff., 41 ff.; so auch W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 57 f.; K. Sontheimer, Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 1974, S. 111 f.; N. Holzer, Politische Realitäten im Zeichen des Art. 21 GG, ZRP 1990, 60; dazu auch 10. Teil, 4., 5. und 8. Kap., S. 1086, 1122 ff., 1164 ff.; auch 8. Teil, 2., 3. und 5. Kap., S. 685 ff., 712 ff., 772 ff., insb. S. 810 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff. 428

Das Wesen der Repräsentation, S. 226 u.ö. ähnlich. Bedenklich BVerfGE 44, 308 (319), das die parlamentarische Repräsentation in die Ausschüsse und Fraktionen "vorverlagert" sieht; so auch BVerfGE 80, 188 (221 ff.): "Ausschüsse nehmen damit zugleich einen Teil des Entscheidungsprozesses entlastend vorweg."; vgl. auch BVerfGE 84, 304 (321 ff.). 429

430

BVerfGE 80, 188 (221 ff.); vgl. auch BVerfGE 84, 304 (323).

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

597

Die Ausschußarbeit wandelt sich in eine Technik der Herrschaft, der Arkanität durchaus nützt 4 3 2 . Die Ausschußerörterungen entbehren der die Wahrheit sichernden Publizität 433 . Carl Schmitt hat auch die parteienstaatliche Funktion der Ausschüsse richtig definiert, nämlich als "geschäftliche Berechnungen und Verhandlungen", nicht als "Diskus•»434

sionen

.

Der Versuch, die Vertraulichkeit der Ausschüsse mit der Kompromißfunktion der Verhandlungen zu rechtfertigen 435 , erweist die öffentliche Verlogenheit der Parteien und ihrer Ausschußvertreter, die den Widerspruch der in den Ausschüssen geltend gemachten Interessen zu den Argumenten verbergen müssen, welche sie der Öffentlichkeit zur Rechtfertigung ihrer parlamentarischen Abstimmung nennen. Die Öffentlichkeit ist aber nichts anderes als die Bürgerschaft, in deren Namen die Vertreter des ganzen Volkes die Gesetze durch Erkenntnis und Entscheidung verbindlich zu machen haben. Wer die wirklichen Argumente für oder gegen ein Gesetz nicht kennt, kann nicht kritisch in den Diskurs eingreifen. Die bürgerliche, politische Freiheit, die Autonomie des Willens, gibt aber das Recht und begründet die Pflicht, an der Erkenntnis des richtigen Gesetzes mitzuwirken. Das ist der eigentliche, nämlich der politische, Sinn der Meinungsäußerungsfreiheit. Das beansprucht nicht etwa ein Rederecht im Ausschuß, welches die Vertretung des Volkes verzerren würde. Im entwickelten Parteienstaat mag die Vertraulichkeit klug sein, vernünftig ist sie nicht, weil sie den Bürger vom politischen Willensbildungsprozeß ausschließt. Im entwickelten Parteienstaat jedoch würden öffentliche Verhandlungen der Ausschüsse diesen die letzte Chance zur Sachlichkeit nehmen, weil die Entscheidungen regelmäßig parteilich festgelegt sind. Republikanität verlangt Ehrlichkeit, Moralität eben. Die Pflege der parteilichen Wahlchancen hat keinerlei Legitimation.

431

Faktizität und Geltung, S. 532, vgl. auch S. 532 ff. So M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 68, der es genügen läßt, wenn die "Entscheidungen öffentlich gerechtfertigt" werden. 432

433 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff., auch S. 602 ff.; insb. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 244 ff., 248 ff. 434

Verfassungslehre, S. 319. Vgl. W. Zeh, HStR, Bd. II, S. 454 f.; i.d.S. insb. N. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 681. 435

598 IV.

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit D i e Formalität der D i s k u r s e t h i k u n d die gesetzgeberische Rechtserkenntnis der Vertreter des Volkes

1. A u s d e m prozeduralen Charakter der D i s k u r s e t h i k 4 3 6 w i e jeder formalen u n d d a m i t w i e jeder m ö g l i c h e n Freiheitsethik folgt logisch die Z w e c k offenheit des Freiheitsprinzips, der seit Hegel

gern u n d zu Unrecht ein

M a n g e l an M a t e r i a l i t ä t angelastet w i r d 4 3 7 . Das Materiale der Freiheit u n d d a m i t Z w e c k der R e p u b l i k ist die Selbstzweckhaftigkeit jedes Bürgers oder die A l l g e m e i n h e i t der F r e i h e i t 4 3 8 . D i e K o m p e t e n z - u n d Verfahrenshaftigk e i t 4 3 9 freiheitlicher mas " (Jürgen

Sittlichkeit des "prozeduralistischen

Habermas 440)

Rechtsparadig-

schließt ein, daß die Erkenntnis des Wahren,

die theoretische Vernunft, Grundlage der praktischen Vernunft als der ( k o n sensual-repräsentativen) Erkenntnis des R i c h t i g e n i s t 4 4 1 . Vernünftig ist es,

436

J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., insb. S. 151 ff., 324 ff., 349 ff., 516 ff. Hegels Kritik an Kants Formalismus, Rechtsphilosophie, § 29 Anm., S. 70; i.d.S. etwa Ch. Starck, Das "Sittengesetz" als Schranke der freien Entfaltung der Persönlichkeit, in: FS W. Geiger, 1974, S. 264 ff., 268 ff., 270; richtig gegen Hegels Kant-Kritik M. Weber, Der Sinn der "Wertfreiheit" der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften, 1917, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 4. Aufl. 1973, S. 504 ff.; K. Jaspers, Plato, Augustin, Kant, S. 263 f., 270 ff.; W Weischedel, Recht und Ethik, 2. Aufl. 1959; J. Habermas, etwa: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 113 f., 133; ders., Faktizität und Geltung, S. 536; W Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 61 ff., 70 ff.; ders., HVerfR, S. 195 ff.; R. Dreier, Recht - Moral - Ideologie, S. 302 ff.; G. Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, S. 93 ff.; D. Heinrich, Ethik der Autonomie, S. 20 ff.; K. Vogel, VVDStRL 24 (1966), S. 139 f.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 109 ff.; zur Offenheit des Gemeinwohls wegen der Formalität der Freiheit oben 7. Teil, 4. Kap., S. 574 ff. m.w.H. in Fn. 311. 438 Etwa Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81 f., 86 u.ö.; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 93 f.; dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 109 ff.; zur Selbstzweckhaftigkeit 5. Teil, 3. Kap., S. 308 ff., 318 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 570. 439 Zur Relevanz der Kompetenzen und Verfahren für Freiheit und Demokratie M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 49 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 43 f.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 60 f.; auch H. Bethge, NJW 1982, 1 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 248, 255; ders., JA 1979, 571; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 57 f.; 8. Teil, 1. Kap., S. 674 ff., 684, 884 f. 440 Faktizität und Geltung, S. 516 ff., auch S. 324 ff. u.ö. 441 Zum Begriff der praktischen Vernunft Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 107 ff., 142, 144, 157, 174, 213; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 26 ff.. Zum Verhältnis der theoretischen zur praktischen Vernunft R. Dreier, Recht - Moral - Ideologie, S. 289 ff.; KR. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 22; K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 101 ff.; i.d.S. auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 20; so auch M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 111 f., 174; kritisch gegenüber einer Vernunft als Rationalität gemäß seiner religiös-naturrechtlichen Rechtslehre R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 127 ff., vor allem gegen den Willen als 437

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

599

wenn die Praxis der Theorie folgt; denn die Theorie gilt als Substitut der Wirklichkeit als die Wahrheit 442 . "Keine 'Weltanschauung' darf maßgebend sein als nur die des Willens zur Vernunft, zur Wahrheit, zur Tatsächlichkeit." - Karl Jaspers 443 Durch Institutionen verzerrte Kommunikation findet nicht zum diskursiven Konsens, der Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit sichert (Jürgen Habermas]) 444. Das Richtige kann nur im "praktischen Diskurs" hervorgebracht, nicht aber verbindlich theoretisiert werden. Möglich sind Meinungen über das Richtige. "Das moralisch urteilsfähige Subjekt kann nicht je für sich allein, sondern nur in Gemeinschaft mit allen übrigen prüfen, ob eine bestehende oder eine empfohlene Norm i m allgemeinen Interesse ist und gegebenenfalls soziale Geltung haben soll." - Jürgen Habermas 445 "Die Denkungsart ist die des Prüfers in der Bewegung von Gründen und Gegengründen. Ein offenes Denken hört, was der Gegner denkt, und kommt ihm noch zu Hilfe, um seine Gedanken konsequent und stark zu machen. Sie kann sich auf den Standpunkt des Anderen versetzen. Sie hat die Besonnenheit, die eigene zunächst eingenommene Position versuchsweise suspendieren zu können." - Karl Jaspers 446 Praktisch richtig ist erst die Erkenntnis der Vertreter des ganzen Volkes, welche das ganze Volk bindet 447 . Darum kann es keinen Richter über die Moralität als der Rechtlichkeit des Gesetzgebers geben. Es gibt aber Richter über die Moralität des Gesetzes, nämlich die Verfassungsrichter. Diese

Quelle des Rechts; grundlegend diskutiert das Problem von Rationalität und Vernunft J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. 442 Dazu K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 105 ff., 109 ff.; zum hier verwendeten Theoriebegriff K.R. Poppers dieser, Logik der Forschung, S. 214, 219; ders., Objektive Erkenntnis, S. 44 ff., 100, 276, 332 ff.; vgl. i.d.S. Kants Wahrheitsbegriff, Kritik der reinen Vernunft, S. 688. 443 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 208. 444 Erkenntnis und Interesse, S. 343 ff.; vgl. ders., Faktizität und Geltung, der in seine Lehre von der deliberativen Politik institutionelle Aspekte integriert, etwa S. 151 ff., 208 ff., 292 ff., 329 ff., 516 ff. 445 Theorie des kommunikativen Handelns, 2. Band, S. 145 (nach Mead); ebenso O. Weinberger, Moral zwischen Autonomie und Heteronomie, S. 245 ff., 254 ff. 446

Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 206. J. Habermas, etwa: Erkenntnis und Interesse, S. 234 ff., 257 (nach Fichte); ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 113, 132 ff.; D. Sternberger, Machiavellis "Principe" und der Begriff des Politischen, S. 54 f.; i.d.S. K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 105 ff.; auch Th. Baumann, Demokratie auf dem Abstellgleis, S. 100, 112. 447

600

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

haben die Aufgabe, die praktische Vernünftigkeit der Gesetze, orientiert an den Leitentscheidungen des Grundgesetzes, insbesondere der Grundrechte, zu überprüfen. Das verlangt ihre Moralität; denn Prüfungsmaßstab kann nur eine funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis sein, auch wenn nur ein Rahmen richtigen Rechts abgesteckt wird 4 4 8 . Im Namen des Volkes hat der Richter das Recht zu erkennen, soweit er formell kompetent ist, regelmäßig nur inter partes und abhängig vom Gesetz (Art. 97 Abs. 1 GG). Judikate, die inter omnes wirken, wie die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über die Gültigkeit von Gesetzen mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG), können wegen der materialen Offenheit der politischen Entscheidungen des Grundgesetzes und vor allem wegen der Formalität des Prinzips der praktischen Vernunft nicht ausschließlich gesetzlich bestimmt sein. Der Begriff der Rechtsprechung hängt nicht von der Gesetzesabhängigkeit der Rechtserkenntnis ab 4 4 9 . In der Republik, die prinzipell Gesetzgebungsstaat ist, hat auch der Richter gesetzgeberische Funktionen, weil Rechtserkenntnis aus praktischer Vernunft gesetzgeberisch ist. Einzelfallentscheidungen allerdings, welche sich nicht vom Gesetz abhängig machen, sondern abwägend das Recht im Fall suchen, legitimieren sich aus dem Amt des Richters 4 5 0 , sind nicht Richterrecht 451 , sondern Richterherrschaft 452 . Sie lösen sich von der bürgerschaftlichen Legitimation des Richteramtes, welche von der strikten Bindung des Fallrichters an das Gesetz abhängt. Notfalls muß der Richter für ein (Rechts)gesetz Sorge tragen. Letztlich entscheiden die Verfassungsgerichte darüber, welche Gesetze Recht schaffen. Der Fallrichter hat das Normenkontrollinitiativrecht (Art. 100 Abs. 1 GG). Der Streitfall jedoch ist immer nach einem Gesetz zu

448 Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; weitere Hinweise zur gesetzgeberischen Rechtserkenntnisfunktion der Verfassungsrichter 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. und 10. Kap., S. 858 ff., 1027 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 115, 7. Teil, 2. Kap., S. 538. 449 Dazu die Hinweise in Fn. 119, 7. Teil, 2. Kap., S. 538; R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, insb. S. 241 ff., sieht die Aufgabe des Richters aus der Logik präpositiven Naturrechts ähnlich. 450 W. Leisner, Der Führer, S. 238 ff.; prononciert i.d.S. R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 250, 251; dazu auch 9. Teil, 2. Kap., S. 895 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. 451 Ganz so BVerfGE 66, 116 (138); zum Richterrecht 7. Teil, 2. Kap., S. 536 mit Fn..l06; 9. Teil, 2. Kap., S. 864 mit Fn. 246; H. Hattenhauer, Zwischen Hierarchie und Demokratie, S. 227, vermißt für "ein richterliches Gestaltungsrecht", für "Richterrecht" "bis heute eine verfassungsrechtliche und soziale Legitimation". 452 Ganz so W. Henke, Recht und Staat, S. 217 ff., 266, 648 ff.; Bedenken auch bei 7. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 292 ff., insb. S. 310; zur Kritik der Dogmatik von der gesetzlosen Einzelfallgerechtigkeit 9. Teil, 2., 8. und 9. Kap., S. 880 ff., 895 ff., 1009 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 365 ff.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

601

entscheiden, aber die Rechtsprechung trägt auch die Verantwortung für das richtige Recht und ist insofern logisch nicht gesetzesabhängig. Die Gerichte gehören aber nicht zu den "Organen der Gesetzgebung" (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) in der Republik 4 5 3 . Als "Organe der Rechtsprechung" sind sie für das Recht verantwortlich. Das schließt gesetzgeberische Funktionen ein, die mit der Erkenntnis des Rechts untrennbar verbunden sind. Die Gerichte dürfen aber weder den Gesetzgeber verdrängen noch auch nur ersetzen. Ihre gesetzgeberische Funktion muß auf das unvermeidliche Maß beschränkt bleiben. 2. Die gesetzgeberische Moralität ist wegen der Formalität der Ethik eine Gewissenssache 454 . Dieser Logik folgt Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Wegen der Formalität muß sich jeder Bürger an dem praktischen Diskurs beteiligen dürfen; denn die Formalität ist Ausdruck der Willensautonomie jedes Bürgers. Autonome Personalität, freiheitliche Bürgerlichkeit, welche die Würde des Menschen ausmacht, zeigt sich in der größtmöglichen Beteiligung an der allgemeinen, öffentlichen Erkenntnis des Wahren und Richtigen. Wer sich beteiligt, muß die Grenzen seiner Kompetenz respektieren 455 . Sonst verletzt er das Sittengesetz. Wer sein freiheitliches Recht, an dem allgemeinen Erkenntnisprozeß teilzunehmen, Schutzgut vor allem des Art. 5 GG, mißbraucht, um seine besonderen Interessen durchzusetzen 456 , ist genausowenig Republikaner wie der, der die Meinung anderer unterdrückt oder ignoriert. Er verhält sich nicht als Bürger. Ohne die beiden "formalen Prinzipien der Gegenseitigkeit (der sog. Goldenen Regel) und der Allseitigkeit (dem sog. Kategorischen Imperativ) läßt sich ein als verbindendes Wollen von Freien und Gleichen aufgefaßtes Recht nicht juridisch konstituieren." - Werner Maihofer 451

453

Dazu 9. Teil, 2. und 3. Kap., S. 863 ff., 866 ff., 870 ff., 909 f. mit Fn. 475 für das BVerfG. 454 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 531 f., 572 ff.; so auch W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 309, der richtig darauf hinweist, daß dies aus der Verdrängung des klassischen Naturrechts folgt; D. Sternberger, Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 214 f. (zu S. Landshut, aber nicht ablehnend); S. Landshut, Der politische Begriff der Repräsentation, S. 490, der allerdings in der "gemeinverbindlichen Entscheidung" auf Grund "sittlich gereiften Urteils im Hinblick auf das Wohl der politischen Gemeinschaft" "herrschaftliche Verantwortung" "als Gewissen" sieht; dazu auch 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 664 ff., 810 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 833 ff. 455

K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 147. Dagegen schon Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 113;' vgl. W. Kersting, geordnete Freiheit, S. 308, unter Hinweis auf Hegel. 457 Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 32. 456

Wohl-

602

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

Größtmögliche Beteiligung heißt die Rechtserkenntnis der Vertreter des ganzen Volkes zu fördern, die verbindlich i m Namen des Volkes erkennen und entscheiden, was rechtens sein soll, was also der Wille des Volkes ist, die volonté générale 458 . Das Staatliche ist die Freiheit aller, die sich im Gesetz aller und in der Gesetzlichkeit allen Handelns verwirklicht. A m Staatlichen müssen darum prinzipiell alle teilhaben können; denn: Res publica res populi. V. Öffentliche Meinung, eigene Meinung und politische Willensbildung Das Staatliche verlangt nach Öffentlichkeit 459 ; denn das Staatliche ist allen gemein. "Alle auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht." nennt Kant "die transzendentale Formel des öffentlichen Rechts" 460 und schlägt als Formel "ein anderes transzendentales und bejahendes Prinzip des öffentlichen Rechts vor": "Alle Maximen, die der Publizität bedürfen (um ihren Zweck nicht zu verfehlen), stimmen mit Recht und Politik vereinigt zusammen." Kant m Carl Schmitt versteht die Demokratie als "Herrschaft der öffentlichen Meinung", der "modernen Art der Akklamation" 4 6 2 . Jürgen Habermas hat auf den ideologischen Charakter von Hegels Begriff der öffentlichen Meinung, bei Hegel das "öffentliche Bewußtsein als empirische Allgemeinheit der An-

458 Zur bürgerlichen Identität die Hinweise in Fn. 57, 7. Teil, 1. Kap., S. 527; auch oben S. 584 ff.; zum vereinigten Willen des Volkes als Gesetzgeber 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff. 459 Für die griechische Polis Η. Arendt, Vita Activa, S. 49 ff.; Kant vor allem in: Zum ewigen Frieden, S. 244 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 243 ff., für die Demokratie, S. 315 ff., für den Parlamentarismus; Κ Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 194; zur "Öffentlichkeit" der "öffentlichen Meinung" H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 440 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 190 f., 618, 962; i.d.S. auch KR. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 17; vgl. auch W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969; zur Öffentlichkeit des Staates H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 362 ff.; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 285, 310 f. u.ö.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 532 ff., zum Aspekt Öffentlichkeit auch S. 584 ff., 596 ff.; auch 10. Teil, 3. Kap., S. 909 f.; zur öffentlichen Meinung 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 ff. 460 461 462

Zum ewigen Frieden, S. 244 f. Zum ewigen Frieden, S. 250. Verfassungslehre, S. 246 f.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

603

sichten und Gedanken der Vielen" 4 6 3 , gegenüber der bürgerlichen Idee der Öffentlichkeit hingewiesen 464 . Die demokratische Relevanz der öffentlichen Meinung 4 6 5 ist zu Recht ein zentraler Aspekt der kommunikationsrechtlichen Rechtsprechung vor allem des Bundesverfassungsgerichts 466. Republikanisch ist Öffentlichkeit die Sphäre des allseitigen Diskurses um Wahrheit und Richtigkeit. "Voraussetzung für einen freien Staat ist ein Maximum an Öffentlichkeit. Nur sie ermöglicht das Maximum von Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Es darf keine wesentliche und dauerhafte Geheimhaltung geben. Der Bürger kann politisch nur dann mitdenken, wenn er zuverlässig informiert wird und seine Urteilskraft schult in der öffentlichen Diskussion." - Karl Jaspers ·467 Verbindlich aber kann nur kompetenz- und verfahrensmäßig, also amtsmäßig, erkannt werden 468 . Erkenntnis von Wahrheit und Richtigkeit ist die öffentliche Meinung nicht 4 6 9 ; sie kann darum keine Verbindlichkeit begründen oder auch nur legitimieren. Das wäre eine Art demokratistische Akklamation im Sinne Carl Schmitts 470, nicht aber republikanische Gesetzlichkeit als Verwirklichung des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit durch Erkenntnis des Rechts. Verbindlich für alle ist nur die verfahrensgeregelte Entscheidung der Volksvertreter, welche um die bestmögliche Erkenntnis bemüht sein soll. Diese entscheidende Erkenntnis der Vertreter des ganzen Volkes repräsentiert die Erkenntis der Bürgerschaft. Die Einig-

463

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 301, S. 289 ff. Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 143. 465 Zur Problematik des Begriffs M. Kloepfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, HStR, Bd. II, S. 172 ff. 466 Etwa BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (125); 20, 56 (97 ff.); 20, 162 (174); 27, 71 (81); 42, 163 (169); 44, 125 (139); 57, 295 (319 ff.); 59, 231 (257 ff.); 69, 315 (342 ff.); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 437 ff.; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 975 ff.; M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 23; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 51 ff.; auf die inneren Grenzen der Meinungsfreiheit durch "Meinungsmode" in der "volksherrschaftlichen" "normativen Demokratie" weist richtig W. Leisner, Der Führer, S. 323 ff., hin. 467 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 194 f. 468 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 57 f.; 8. Teil, 1. Kap., S. 674 ff., 684 f., zum Kompetenzprinzip; zum Amtsprinzip 2. Teil, 6. und 8. Kap., S. 113 ff., 137 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; auch 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 612, 621; 10. Teil, 3., 8. und 10. Kap., S. 1159, 1175; zur Elite 8. Teil, 1. Kap., S. 674 ff., 679 ff. 464

469

Dazu auch 608 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 743; 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 f.; vgl. 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. 470 Verfassungslehre, S. 246 f., 315 ff.; dazu auch 8. Teil, 4. Kap., S. 741 ff., auch 754 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 43 f.; 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.

604

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

keit der Volksvertreter oder auch der Beschluß der Mehrheit derselben im Parlament, weil das Organ entscheidet 471 , substituiert die Einigkeit der Bürger. Deren Einigkeit definiert das Richtige, weil es allgemein ist und somit niemandem Unrecht tun kann. Einigkeit setzt aber eigene Meinungen dieser Volksvertreter über das Wahre und das Richtige, deren bürgerliche Erkenntnis also, voraus 472 . Nur eine solche Einigkeit in Moralität schafft Recht. "Der Abgeordnete ist Herr seiner eigenen Meinung. Und am besten ist es, wenn er sich seine Meinung erst bildet in der Beratschlagung mit anderen. Aus der freien Diskussion ergibt sich die eigene Meinung ... Diese Anschauung, die Carl Schmitt mit Recht als die geistesgeschichtliche Grundlage des modernen Parlamentarismus überhaupt genannt hat, beherrscht die ganze liberale Doktrin. Wir finden sie bei Burke, Bentham und John Stuart M i l l , wie bei Guizot und Benjamin Constant. ... Das ist von vornherein und in erster Linie als eine scharfe Absage an alle Parteigebundenheit, an alle Parteidisziplin gemeint gewesen." - Heinrich Triepel 473 Parlamentarismus dieser Art ist nicht nur liberal, sondern auch republikanisch, nämlich bürgerlich. Öffentliche Meinungsbildung ist als diskursive Amtshilfe der einzelnen Bürger für die staatlichen Amtswalter, die Vertreter aller Bürger, Lebenselixier einer Republik, die nicht auf demokratistische Akklamation ausgerichtet ist, sondern auf den Beitrag jedermanns zum Wahren und Richtigen 474 .

471

Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 637 f., 715 ff.; auch 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. Dazu auch S. 608 ff., 588, 660 ff.; 2. Teil, 11. Kap., S. 156 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1095 ff.; 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 710 ff., 799 ff.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1158 ff. 473 Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 11 f., mit eindrucksvollen Hinweisen auf die Geistesgeschichte der Lehre vom Vertreter des ganzen Volkes; dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., 647, 810 ff.; zu Diskussion und Öffentlichkeit als den bestimmenden Prinzipien des liberalen, repräsentativen Parlamentarismus C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 5 ff., 41 ff., 58 ff., 63; ders., Verfassungslehre, S. 318 f.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 98 ff., 211 ff., 249 ff. u.st.; vgl. dazu die Hinweise zum öffentlichen Diskurs in Fn. 261, 7. Teil, 4. Kap., S. 564; insb. 8. Teil, 5. Kap., S. 775 mit Fn. 719. 472

474 I.d.S. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 31, 115; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 194 f.; i.d.S. auch H. Arendt, Wahrheit und Politik, in: dies., Wahrheit und Lüge in der Politik, 2. Aufl. 1987, S. 52 f. (mit Bezug auf Kant); ganz so auch K.R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 3, 17; i.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 294 ff. ("Allgemeinheit als Gesetzgeber"). Die empirisch begründete Skepsis W. Leisners, Der Führer, S. 323 ff., ist begründet, genügt aber nicht, das Prinzip in Frage zu stellen.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

605

"In einem demokratischen Staatswesen muß sich insbesondere die Willensbildung des Volkes frei, offen und unreglementiert vollziehen." ... "Der permanente Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes mündet ein in den für die Willensbildung im Staat entscheidenden Akt der Parlamentswahl. Willensbildung des Volkes und Bildung des staatlichen Willens durch seine verfaßten Organe müssen unterschieden werden. Von dieser Unterscheidung geht das Grundgesetz aus. Es handelt in Art. 21 Abs. 1 GG von der Willensbildung des Volkes, in Art. 20 Abs. 2 GG von der Bildung des Staatswillens: Nur dann, wenn das Volk als Verfassungs- und Kreationsorgan durch Wahlen und Abstimmungen selbst die Staatsgewalt ausübt (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG), fällt die Äußerung des Volkswillens mit der Bildung des Staatswillens zusammen. Das Volk bringt jedoch seinen politischen Willen nicht nur durch Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck. Das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußert sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung, der Bildung der 'öffentlichen Meinung'. Die öffentliche Meinung, deren Entstehung hier nicht näher zu charakterisieren ist, beeinflußt die Entschlüsse der Staatsorgane. Weiterhin versuchen Gruppen, Verbände und gesellschaftliche Gebilde verschiedener Art, auf die Maßnahmen der Regierung und die Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaften im Interesse ihrer Mitglieder einzuwirken. Vor allem aber sind es die politischen Parteien, die zwischen den Wahlen i m Sinne der von ihnen mitgeformten Meinung des Volkes die Entscheidungen der Verfassungsorgane, insbesondere die Beschlüsse der Parlamente, beeinflussen; sie wirken auch auf die Bildung des Staatswillens ein. Über die Parteien, deren innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen muß, nimmt das Volk auch zwischen den Wahlen Einfluß auf die Entscheidungen der Verfassungsorgane. Zwischen den Faktoren und Medien des komplexen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung wirken mannigfache Beziehungen, Abhängigkeiten und Einflußnahmen. Willensbildung des Volkes und staatliche Willensbildung sind auf vielfältige Weise miteinander verschränkt. In einer Demokratie muß sich diese Willensbildung aber vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen. Die Staatsorgane werden durch den Prozeß der politischen Willensbildung des Volkes, der in die Wahlen einmündet, erst hervorgebracht (Art. 20 Abs. 2 GG). Das bedeutet, daß es den Staatsorganen grundsätzlich verwehrt ist, sich in bezug auf den Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes zu betätigen, daß dieser Prozeß also grundsätzlich 'staatsfrei'

606

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

bleiben muß. Einwirkungen der gesetzgebenden Körperschaften und von Regierung und Verwaltung auf diesen Prozeß sind nur dann mit dem demokratischen Grundsatz der freien und öffentlichen Meinungs- und Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen vereinbar, wenn sie durch einen besonderen, sie verfasungsrechtlich legitimierenden Grund gerechtfertigt werden können." - BVerfGE 20, 56 (98) 4 7 5 "Die Meinungsfreiheit ... gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselemente dieser Staatsform." - BVerfGE 69, 315 (344) 4 7 6 In BVerfGE 12, 113 (125) hat das Gericht noch hinzugefügt: "Nur die freie öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung sichert die freie Bildung der öffentlichen Meinung, die sich im freiheitlich demokratischen Staat notwendig 'pluralistisch' im Widerstreit verschiedener und aus verschiedenen Motiven vertretener, aber jedenfalls in Freiheit vorgetragener Auffassungen, vor allem in Rede und Gegenrede vollzieht. Jedem Staatsbürger ist durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG das Recht gewährleistet, an dieser öffentlichen Diskussion teilzunehmen". Diese meist empiristischen, kontingenten Sätze des Bundesverfassungsgerichts bleiben der herrschaftlichen Parteienstaatsdoktrin verhaftet, trennen Volk und Staat 477 , und bleiben damit liberalistisch. Sie beschreiben einen Willensbildungsprozeß von Volk und Staat, den es so nicht gibt, und verkennen den Erkenntnischarakter der parlamentarischen Willensbildung des Volkes durch seine Vertreter. Dennoch gestehen sie der bürgerlichen Meinungsbildung beachtenswert freiheitliche und demokratische Relevanz, ja Substantialität zu. In den meinungsfreiheitsrechtlichen Sätzen kommt die Diskursethik zum Ausdruck, die aber in den parteien- und staatsrechtlichen Sätzen nicht durchgehalten wird, der liberalistische Widerspruch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Für die Vertreter des ganzen Volkes im

475

Mit verschiedenen Verweisen auf die eigene Rechtsprechung, insb. auf BVerfGE 8, 104 (112 ff.), die hier im Text nicht zitiert sind, ganz so auch BVerfGE 69, 315 (346); u.ö. 476 So schon BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (125); 20, 56 (97 ff.); 42, 163 (169); u.ö. 477 Dazu 2. Teil, 4. Kap., S. 97 ff.; 3. Teil, 1., 2. und 4. Kap., S. 159 ff., 175 ff., 201 ff.; 6. Teil, 5. und 9. Kap., S. 466 ff., 501 ff.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

607

Parlament, für die Abgeordneten, ist genau diese stellvertretende öffentliche Diskussion Pflicht. Die Demonstration ist kein Beitrag zur (relativ) "richtigen politischen Linie als Resultante und Ausgleich zwischen den i m Staat wirksamen politischen Kräften", für die das Gericht noch im KPD-Urteil, "in der ständigen geistigen Auseinandersetzung, gegenseitigen Kontrolle und Kritik die beste Gewähr" gesehen hat, weil "der richtige Weg zur Bildung des Staats willens ... a process of trial and error" sei (BVerfGE 5, 85 (135) 4 7 8 . I m Brokdorf-Beschluß wird neben der "geistigen Auseinandersetzung" auch die "körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen" als "Meinungskundgabe" eingestuft (BVerfGE 69, 315 (345)). Im Anschluß an den oben 4 7 9 zitierten Satz aus diesem Urteil heißt es: "Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten. Dem steht nicht entgegen, daß speziell bei Demonstrationen das argumentative Moment zurücktritt, welches die Ausübung der Meinungsfreiheit in der Regel kennzeichnet. Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen". Derartige Demonstrationen sind kein öffentlicher Diskurs, keine argumentative, also geistige, d. h. kritische Auseinandersetzung; denn eine solche erfordert zunächst die Kenntnis des Meinungsstandes, den Stand des Wissens. Einen Beitrag zum Wahren und Richtigen leistet eine Demonstration nicht, im Gegenteil, sie emotionalisiert und ideologisiert. Sie verfehlt republikanische Moralität genauso wie die Gewissenlosigkeit der parteilichen Abgeordneten. Die Demonstration ist eine Waffe des Volkes gegen die parteienstaatliche Herrschaft. Sie ist zu ertragen, wenn sie von einer Minderheit genutzt wird, als die sie das Gericht auch etabliert (S. 347). Wenn aber alle Bürger derart ihre Überzeugungen sichtbar machen wollten,

478 In BVerfGE 69, 315 (345 f.) wird das zitiert und in etwa übernommen; i.d.S. auch BVerfGE 12, 113 (125). 479 S. 590.

608

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

wäre die Republik ruiniert. Die deutsche Geschichte gibt leidvolle Beispiele. Folglich kann die Demonstration kein Rechtsinstitut einer Republik sein, welche der Demagogie, der Emotionalisierung und Ideologisierung keine Chance geben darf; denn die Republik ist die Staatsform der praktischen Vernunft. M i t der Institutionalisierung eines politischen durch die Versammlungsfreiheit geschützten Rechts auf Demonstration hat das Bundesverfassungsgericht, wie die Zitate belegen, dem Toleranzprinzip eine weitere Rechtsgrundlage geschaffen; doch Toleranz ist obrigkeitlich. Tolerante Herrschaft ist nicht schon Freiheit 480 . Als Motto des Brokdorf-Beschlusses bietet sich der Satz an, den Kant dem aufgeklärten Herrn, gemeint ist Friedrich der Große, der ein "wohldiszipliniertes zahlreiches Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat" und "ein Freistaat nicht wagen" dürfe, vorgeworfen hat: "Räsoniert, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht!" 481 . Politische Meinung ist, republikanisch begriffen, die selbstverantwortete Theorie von der Wirklichkeit und/oder das selbstverantwortete Urteil über das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit 482 . Nicht jeder ist in jeder Sache einer Theorie oder eines Urteils, also einer Meinung, fähig 4 8 3 . Wer nicht kompetent ist, darf die Erforschung des Wahren und Richtigen nicht behindern oder verzerren. Die Einschätzung seiner Kompetenz zum Diskurs ist Sache des Bürgers selbst, also eine Frage der Moralität. Wer in einer Verhandlung seine Interessen benennt oder in der Öffentlichkeit für seine Interessen wirbt, indem er nur Gründe für aber keine gegen sein Interessen gelten läßt, wer also nicht argumentiert, sondern verhandelt, äußert keine Meinung. Die Verhandlung ist ihrem Wesen nach parteilich. Freilich sind Meinungsäußerungen oft, wenn nicht meist, in die

480

Ganz so M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 29 ff. Was ist Aufklärung?, S. 61, auch S. 55. 482 Zum Begriff der Meinung i.d.S. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 439 f.; BVerfGE 54, 208 (219 f.); 61, 1 (7 ff.), vertritt einen auf die Wahrheit ausgerichteten, also Lügen ausschließenden, aber weiten Meinungsbegriff ("Jeder soll frei sagen können, was er denkt", so BVerfGE 42, 163 (170 f.)), der zu Recht Werturteile umfaßt; Kant, Logik, ed. Weischedel, Bd. 5, S. 494 f., beschränkt den Begriff "Meinen" auf vorläufige empirische Urteile; mangels hinreichender Begriffe abwägend, d.h. schwankend, E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd. VI, S. 644 f.; zum Meinungsbegriff auch Hinweise in Fn. 391, S. 588. 483 So auch W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 68; auf die "Meinungsmoden" als Schwäche der "volksherrschaftlichen" Willensbildung weist richtig W. Leisner, Der Führer, S. 323 ff., hin. 481

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

609

Interessenauseinandersetzung untrennbar e i n g e w o b e n 4 8 4 . M o r a l i s c h ist es gerade, das A r g u m e n t v o n d e m besonderen Interesse, den N e i g u n g e n des h o m o phainomenon, freizuhalten. Dabei h i l f t der kritisierbare Begriff. U m Interessen

wird

verhandelt,

über

Meinungen

wird

diskutiert

(Carl

Schmitt) 4* 5 " I m praktischen Diskurs versuchen sich die Beteiligten über ein gemeinsames Interesse klar zu werden, b e i m Aushandeln eines Kompromisses versuchen sie einen A u s g l e i c h zwischen partikularen, einander widerstreitenden Interessen herbeizuführen." - Jürgen

Habermas 486

Das Recht, seine M e i n u n g frei zu äußern, ist m i t der Freiheit als W i l l e n s autonomie untrennbar verbunden, ist Teil des Rechts zur A u t o n o m i e des W i l l e n s u n d d a m i t als T e i l der inneren Freiheit sittliche Pflicht jedes B ü r gers. W e i l die A u t o n o m i e des W i l l e n s zur gemeinsamen Gesetzgebung berechtigt u n d verpflichtet, die Gesetze aber das R i c h t i g e für das gute L e b e n aller i n allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit v e r b i n d l i c h machen, welches nur i m allgemeinen Diskurs erkannt werden kann, ist W i l l e n s a u t o n o m i e Diskursfreiheit u n d Diskurspflicht, aus der L o g i k der E t h i k sittliche Pflicht. A r t . 5 A b s . 1 S. 1 G G ist somit uneinschränkbare

484 So etwa M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 57: "Meinungen sind untrennbar verknüpft mit Interessen, mit Machtfragen, mit Autoritäten, mit Traditionen, die man oft nur geistes- und religionsgeschichtlich verstehen kann. Freiwillige Optionen für politische Gruppen oder Parteien kann man heute im Zeitalter der Tiefenpsychologie an individuai-, gruppen-, alterspsychologischen und anderen Strukturen und Konstellationen erklären. Politische Meinungen sind wie die Spitzen von Eisbergen, was sie letztlich bestimmt, bleibt unter der Oberfläche des Bewußtseins. Das Argument aber bleibt über der Oberfläche und kann sie deshalb nicht unmittelbar bewegen". Diese Sätze sind bestimmt von der metajuristischen Relativierung der Rechtsprinzipien, welche nach 1968 hohe Konjunktur hatte,» aber deren Kontingenz spätestens seit Ende der 70er Jahre zur Renaissance der Philosophie in der Rechtswissenschaft geführt hat, an der Kriele sich wirkungsvoll beteiligt, etwa: Die demokratische Weltrevolution, 1987. Empiristische Fragwürdigkeiten haben dem Sollen, dem Recht, immer kräftig zugesetzt. Die von Kriele 1971 reklamierte Tiefenpsychologie, wohl als Lehre von den "unbewußten Wünschen und Konflikten" angesprochen, hat heute als Wissenschaft einen schweren Stand, vgl. T.R. Miles , in: Arnold, Eysenck, Meili, Lexikon der Psychologie, 1980, Sp. 2372 ff. Auch der Soziologismus in der Jurisprudenz hat schnell die Grenzen seiner Relevanz erreicht. Zur Zeit mühen sich manche um einen Ökonomismus der Jurisprudenz, dem es nicht anders ergehen wird. 485 Über die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 9 f., auch S. 41 ff.; ders., Verfassungslehre, S. 315 ff.; ders. in der Sache auch, Legalität und Legitimität, S. 20 ff. 486 Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 82 f.; ders., Faktizität und Geltung, S. 187 ff., 349 ff., kombiniert den Diskurs und den Interessenausgleich im Begriff "deliberative Politik"; vgl. schon C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 56 ff., zum Deliberalismus; zum Kompromiß als Interessenausgleich auch 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. (insb. S. 622); 8. Teil, 1. Kap., S. 659 f.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1151 f.

39 Schachtschneider

610

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

Verfestigung des Grundrechts der Willensautonomie des Art. 2 Abs. 1 GG und damit der unantastbaren Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) 4 8 7 . Der Schutz der geistigen Freiheit, dem Art. 5 GG insgesamt dient, bildet mit dem Schutz der politischen Freiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG eine Einheit. Es gibt keine politische ohne eine geistige Freiheit 488 . Daß die allgemeinen Gesetze keine Einschränkung des Rechts zur gemeinsamen Gesetzgebung sind, sagt die Logik der Autonomie des Willens. Das Verfahren der Willensautonomie, der Diskurs, darf nicht behindert werden. Diskursbehindernde Gesetze wären nicht allgemein i m Sinne des Art. 5 Abs. 2 G G 4 8 9 , aber der Diskurs ist auch auf Wahrheit und Richtigkeit ausgerichtet. Ein Recht, seine Meinung zu verschweigen, also die sogenannte negative Meinungsäußerungsfreiheit 490 , kann der Bürger in der Republik nicht haben. Niemand darf aber den Bürger zwingen, seine Meinung zu äußern, weil die Diskurspflicht moralisch ist. Jeder Bürger ist Herr seines Diskursverfahrens, seines Erkenntnisprozesses. "Frei" in Art. 5 Abs.l GG heißt, in äußerer und innerer Freiheit, also sittlich, auf die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit in einem gemeinsamen guten Leben ausgerichtet, darf und soll die Meinung geäußert werden. Die (sittliche) Verantwortung für die Wahrheitlichkeit seiner Meinung hat jeder selbst. Ein Recht zu lügen gibt es nicht, aber ein Recht, sich zu irren, wenn man sich um die Wahrheit bemüht. VI.

Meinungsumfragen als Technik inkompetenter Akklamation und sanfter Despotie Heute übernehmen Meinungsumfragen, die raffinierteste Art identitärer Legitimation i m Schmittschen Sinne, die Funktion der Akklamation 4 9 1 . Die 487

R Häberle, HStR, Bd. I, S. 845 ff.; i.d.S. schon Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345 f. Ganz so M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 108; i.d.S. K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 201 ff.; W. Maihofer, Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, HVerfR, S. 953 ff.; ganz so Kant, Was ist Aufklärung?, ed. Weischedel, Bd. 9, S. 53 ff., insb. S. 60 f. ("Geist der Freiheit"); aber auch BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (125); 20, 56 (97 ff.); 42, 163 (169); 69, 315 (343 ff.) u.ö., in der Sache. 489 Zum Begriff der allgemeinen Gesetze E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd. VI, S. 657 ff.; maßgeblich die Wechselwirkungslehre des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 7, 198 (208 ff.), st.Rspr., etwa BVerfGE 69, 257 (269 f.). 490 Zur fragwürdigen Dogmatik von den negativen Freiheiten D. Merten, Zur negativen Meinungsfreiheit, DÖV 1990, 761 ff.; ders., Handlungsgrundrechte als Verhaltensgarantien zugleich ein Beitrag zur Funktion der Grundrechte, VerwArch 73 (1982), S. 103 ff.; auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 198 ff., 203; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 171 zu Art 1 Abs. 3, S. 119; Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 288, S. 123; auch G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 10 zu Art. 2 Abs. I; kritisch M. Schuhmann, Kritik der Lehre von der negativen Koalitionsfreiheit, 1994. 488

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

611

Verwendung der Erkenntnisse von Meinungsumfragen ist in einer Republik besonders verwerflich, wenn die Auftraggeber nur noch die Legitimation der lediglich statistisch ermittelten Mehrheit der Wähler suchen und die Unterdrückung der Minderheit nicht einmal mehr durch eine parlamentarische Diskussion zu verschleiern bemüht sind. Die Demoskopie ist ein Mittel, die Herrschaft zu stabilisieren. Die Parteienoligarchie paßt ihre Entscheidungen den stichprobenartig erfragten Meinungen der zu erwartenden Mehrheit an, um ihre Wahlchancen zu optimieren. Dadurch werden die selten diskursiv erarbeiteten anonymen Äußerungen einer Menge von Menschen maßgeblich, nicht die Meinung derer, die kompetent das Richtige auf der Grundlage der Wahrheit beurteilen können, der Besten also, die für die Aufgabe gewählt/auserlesen sind. Bürger werden auf ihre berechnete und berechenbare Stimme reduziert. Die Meinungsumfragen erkunden in den seltensten Fällen politische Meinungen, nämlich Theorien über die Wahrheit und Urteile über das Richtige 492 , für die die Befragten schon wegen des Zufallsprinzips der Umfragen meist gar nicht kompetent sind. Es soll auch nur erforscht werden, wie die Wählerschaft stimmen wird, wenn die Partei diese oder jene Maßnahme offeriert. Die durch Umfragen gefestigten Erwartungen des Wahlverhaltens bestimmen dann in einem gewissen Maße die Politik oder jedenfalls deren Propagierung. Politik wird zu einem Produkt am Markt im Wettbewerb um die Wählerstimmen. Die Parteienoligarchie, die sich am besten den Wählererwartungen anpaßt, wird mittels eines Wahlsieges mit der Herrschaft betraut und mit der Chance, Beute (Ämter/Pfründen) zu machen, belohnt. Es läßt sich nicht bestreiten, daß dadurch Stimmungen in der Wählerschaft Einfluß auf die Politik gewinnen, aber die ermittelten Auffassungen sind allenfalls in Ausnahmefällen Erkenntnisse des Wahren und Richtigen. Die Meinungsumfragen sind, wie gesagt, eine Technik der Akklamation, die allerdings nicht in der Volksversammlung stattfindet, sondern in vereinzelten Befragungen, ähnlich dem Wahlvorgang. Das macht die Äußerungen nicht kompetenter. Vor allem werden nicht wie bei der Wahl alle befragt. Die Meinungsumfragedemokratie verfehlt die um des Rechts willen unverzichtbare Repräsentation der Bürgerschaft in der Sittlichkeit. Der Konsens wird nicht gesucht, sondern die Akzeptanz der Mehrheit. Meinungsumfragen sind dadurch ein

491

Kritisch zur Relevanz von Meinungsumfragen H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 334 f.; W. HenniSy Meinungsforschung und repräsentative Demokratie, 1957; weitere Hinweise dazu 6. Teil, 10. Kap., S. 515. 492 Zum Meinungsbegriff Hinweise in Fn. 391, S. 588. 39'

612

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

Instrument der ideologistischen Herrschaft der Mehrheit ohne Rücksicht auf Wahrheit und Richtigkeit 4 9 3 . Eine Meinungsumfragedemokratie mißachtet die Prinzipien der Republik, insbesondere deren Amtsprinzip, noch mehr als eine plebiszitäre Demokratie. Sie ist die Despotie der in sich vereinzelten Mehrheit, die den Parteienoligarchien den Vorteil bringt, die Ämter und Pfründen zu behaupten. Sie ist eine Form der sanften Despotie, weil sie ohne äußere Unterdrückung das Prinzip der Sachlichkeit ignoriert, das ohne wohlgeordneten Diskurs nicht verwirklicht werden kann. M i t dem Sittengesetz verletzten politische Meinungsumfragen die Würde des Menschen. Das zwingt zum republikanischen Amtsprinzip, welches sicherstellt, daß Erkenntnisse des Wahren und Richtigen Verbindlichkeit nur erlangen können, wenn sie kompetent und verfahrensgerecht gefunden sind 4 9 4 . Verwirklicht ist das Amtsprinzip etwa in der Aufgabenstellung, der Besetzung und dem Verfahren des Bundesverfassungsgerichts 495, aber auch des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank 496 . Plebiszitäre, unmittelbar demokratische Entscheidungsverfahren in Sachfragen sind in dem Maße freiheitswidrig, als sie den erkenntnishaften Charakter der Freiheitsverwirklichung durch Gesetze mißachten 497 . Ohne die mögliche Erkenntnis ist eine Entscheidung, die für andere Verbindlichkeit schafft, despotische Dezision. Das Amtsprinzip wird durch das faktische Politikmonopol der Parteien 498 verletzt, zumal die Parteien weder fachliche noch gar moralische Kompetenz gewährleisten 499 V I I . Besondere Interessen und das allgemeine Interesse Wenn es demokratisch wäre, den Parteien und "deren" Abgeordneten zu gestatten, im Parlament besondere Interessen durchzusetzen, jedenfalls das zu versuchen, oder auch nur sich im Interessenausgleich zu behaupten, wie

493

Dazu 6. Teil, 10. Kap., S. 515 ff. Zum Amtsprinzip 2. Teil, 8. Kap., S. 137 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; insb. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, § 19, S. 253 ff. 495 Dazu 9. Teil, 6. Kap., S. 963 ff., auch 4. Kap., S. 932 ff. 496 Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 940 f. mit Fn. 648. 497 Dazu näher 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 644 ff., 703 ff., auch 4. Kap., S. 763 ff.; auch 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff., zur Stabilität des Politischen. 498 Dazu S. 594 f.; zum faktischen Nominationsmonopol der Parteien 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 mit Fn. 312, 1147 ff.; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 677 ff.; etwa W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 57. 499 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; zur Negativauslese der Parteien Hinweise in Fn. 82, 7. Teil, 1. Kap., S. 531. 494

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

613

es die ganz überwiegende M e i n u n g i n der Staatsrechtslehre v e r t r i t t 5 0 0 , so könnte eine solche D e m o k r a t i e nicht das bestimmende Prinzip des grundgesetzlichen Gemeinwesens sein. Das Sittengesetz jedenfalls verbietet, das besondere eigene Interesse zu Lasten D r i t t e r durchsetzen zu w o l l e n . I n der D e m o k r a t i e erscheinen vielen, w e n n nicht den meisten M e n s c h e n besondere Interessen l e g i t i m . U m des friedlichen Zusammenlebens w i l l e n solle die D e m o k r a t i e als Staatsform dem befriedenden Interessenausgleich dienen. Das besondere Interesse ist i n der Parteiendemokratie ein das Politische bestimmender B e g r i f f 5 0 1 u n d damit demokratistisch. I n der R e p u b l i k als der freiheitlichen D e m o k r a t i e hat das besondere Interesse demgegenüber p o l i t i s c h keine L e g i t i m i t ä t . Es widerspricht der die R e p u b l i k kennzeichnenden M o r a l i t ä t , besondere Interessen durchsetzen zu w o l l e n ; denn das geht b e g r i f f l i c h nur zu Lasten der Mitbürger. Das R i c h t i g e für das gute L e b e n aller i n Freiheit ist, w e n n man so w i l l , das allgemeine bürgerliche Interesse 5 0 2 . Dieses allgemeine bürgerliche Interesse ist A u s d r u c k der N ä c h stenliebe, der Brüderlichkeit, der M o r a l i t ä t , der V e r w i r k l i c h u n g des kategorischen

Imperativs als des Sittengesetzes i m freiheitlichen

aristotelischen

500 Extrem U.K. Preuß, GG, Alt.-Komm., Rdn. 56 zu Art. 21; I. v. Münch, GG, Rdn. 59 zu Art. 38; H.-P. Schneider, GG, Alt.-Komm., Rdn. 18 zu Art. 38; H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 344, 377; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 69 f. (zurückhaltend); auch BVerfGE 5, 85 (135); 12 113 (125); 20, 56 (101) u.ö., gibt den besonderen Interessen dogmatische Relevanz. 501 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 866, hat bereits den Kampf um die "materiellen Interessen" als für den Parlamentarismus einer Demokratie bestimmend herausgestellt; dem ist C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 9 f., 41 ff.; ders., Verfassungslehre, S. 310 ff.; ders. auch, Legalität und Legitimität, S. 20 ff.; ebenso ders., Der Hüter der Verfassung, S. 88, in der Sache gefolgt, der den Begriff der Meinung als Kriterium des Parlamentarismus und den des Interesses als Kriterium des Parteiendemokratismus herausstellt; i.d.S. auch H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 17 ff., 25; die machiavellistische Wurzel dieses Begriffes des Politischen, welcher dem eigentlich Politischen, dem "Freiheitlichen und Gemeinschaftlichen", der auf Aristoteles gründet, entgegengesetzt ist, stellt D. Sternberger, Machiavellis "Principe" und der Begriff des Politischen, S. 31 ff., 55, heraus; ebenso ders., Drei Wurzeln der Politik, S. 87 ff., 159 ff. 502 Ganz so J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 2. Bd., S. 141 ff. (nach Mead); ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 82 f. u.ö.; vgl. ders., Faktizität und Geltung, S. 187 ff., 349 ff., wo er "Diskurse und Verhandlungen" in der Lehre von der "deliberativen Politik" verbindet (S. 388 f.); i.d.S. durchgehend D. Sternberger, etwa Machiavellis "Principe" und der Begriff des Politischen, S. 31 ff.; vgl. E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 929, 937 ff., der von "gemeinsamen Interessen aller", von "Belangen der Allgemeinheit der Bürger" spricht und ein "demokratisches Ethos" entwickelt, das Nähe zur republikanischen Moralität hat, aber den Topos "Demokratie als Staats- und Regierungsform" nicht aufgeben will.

614

7. Teil: Die republikanische Rechts Staatlichkeit

Sinne. Der Pluralismus akzeptiert die Interessenhaftigkeit der Demokratie und w i l l sie mildern. Er bleibt aber demokratistisch 503 . Die "eigentliche Politik ... kann nur Politik der Freiheit sein." - Karl Jaspers™ Die Neigungen, die Interessen der Menschen, der homines phaenomenoi, sind das Problem jeder Lehre von der Freiheit und damit von der Politik. Wer es aufgibt, die Pflicht, die Moralität, den homo noumenon dem homo phaenomenon entgegenzusetzen, hat nicht etwa den Menschen, wie er ist, entdeckt, sondern vernachlässigt die Menschheit des Menschen, dessen Würde, das Vernunftprinzip. Die Idee der Republik erhält uns die Freiheit und Würde. Die Parteiendemokratie ist das politische System des Eigensinns, das vor allem dessen Bündnissen, vornehmlich den Parteien, Chancen einräumt, ihren Vorteil zu Lasten anderer zu suchen. Aristoteles hat die Demokratie bereits in diesem Sinne definiert, nämlich als "Herrschaft der armen Mehrheit... zum Nutzen der Armen". Auch Heinrich Triepel hat den "Eigennutz" als "Natur" der Parteien angesprochen und es darum als "rechtlich unhaltbare Behauptung" abgewiesen, daß "der moderne Staat auf den Parteien aufbaue" 505 . Dabei kann es hier dahinstehen, ob sich der Staat der parteilichen Parteien nicht längst zu einer Oligarchie entwickelt hat, die Aristoteles die "Herrschaft der reichen Minderheit ... zum Nutzen der Reichen" nennt, oder in eine Mischform zum Nutzen der einen oder anderen, nur eben nicht "zum gemeinsamen Nutzen aller", zur Politie 5 0 6 . Es geht um die Sonderinteressen, die so oder so der Republik zuwider sind. VIII. Die Mündigkeit des Bürgers und dessen Wahlamt Es ist Sache jedes Bürgers, selbst zur Mündigkeit zu finden und die Anstrengung der Freiheit nicht zu scheuen. Freiheit ist immer in Gefahr. Jeder Bürger ist Hüter der praktischen Vernunft. Das ist jeden Bürgers Amt. "Im Alltag kämpft ständig Gewalt mit freier Vernunft." - Karl Jaspers™. "Was ist Aufklärung?" fragt Kant 1783 und gibt die berühmte Antwort: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist 503 504 505 506 507

Dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff., 622 ff.; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 662 ff. Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 206. Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 25. Politik, S. 114 f., 1279 b 5 ff., 1280 a 26 ff. Vom Ursprung, S. 217 f.; i.d.S. ders., Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 206 f.

5. Kap.: Der Rechtsdiskurs der Republik

615

diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung."... "Es ist so bequem, unmündig zu sein" 508 . Wenn die Menschen bürgerwidrig nach ihren besonderen Interessen wählen oder auch nicht wählen, gar verbandlich organisiert, werden die Parteien versprechen, die Wünsche, wenn möglich, zu erfüllen. I m Wahlkampf vor der ersten freien Wahl am 18. März 1990 in dem Teil Deutschlands, der als DDR bis 1989 fremdbestimmte Despotie war, sind den Wählern von Bundeskanzler Helmut Kohl im Interesse der Wahlchancen der CDU-Ost währungspolitische Versprechungen gemacht worden. Diese Versprechungen haben zu einem überragenden Wahlerfolg dieser Partei geführt, die noch wenige Monate zuvor als eine der Blockparteien an der Unterdrückung des Volkes teilgenommen hat, sicher meist opportunistisch, jedenfalls ohne moralische Ansprüche. Den geschundenen Deutschen in der D D R haben die bundesdeutschen Parteien als erstes nach der Befreiung von der Tyrannei der Blockparteien, vor allem der SED, aber auch der CDU-Ost, den Parteienstaat der Bundesrepublik oktroyiert; denn nichts war ihnen wichtiger, als ihre Herrschaft auch auf diesen Teil Deutschlands auszudehnen. Nur so konnte die Oligarchie der Parteiführungen gesichert werden. Die vorläufigen Interessen der meisten DDR-Deutschen haben die bürgerliche Moral, die viele in den Monaten der Wende bewiesen haben, schnell überlagert. Die meisten Wähler haben nur für ihr Glück gestimmt, nicht aber für die Freiheit. Das Mittel, das Volk in den Parteienstaat zu zerren, waren Versprechen von Parteipolitikern auf Kosten anderer, der Menschen in allen Teilen Deutschlands, ein moralisch-politisches Versagen, dessen Schaden alle zu tragen haben. Solange die meist bescheidenen Interessen der Menschen an Brot und Spielen bedient werden, ist die Herrschaft der Parteiführungen nicht in Gefahr. Die Parteiführer nehmen und geben um ihrer Herrschaft willen. Die politische Unmündigkeit der Menschen sichert den Parteiführern die Herrschaft. Wenn der Untertan sich einbilden kann, ihm gehe es gut, vor allem besser als anderen, erträgt er willig die Herrschaft,

508 Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, S. 53; dazu weiter E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 71 ff.; dazu auch J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 128 f.; vgl. auch W. Leisner, Staatsethik, S. 84 ("Der würdige Mensch bleibt der mündige Bürger - mündig auch zum Verderben"); i.S.d. Textes auch M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 36 ff.

616

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

von wem auch immer. Der Bürger jedoch richtet sein Wahlverhalten an dem Zweck des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit aus; denn durch seine Wahl nimmt er an der Gesetzgebung teil. Als Bürger ist er Mitgesetzgeber 5 0 9 . "Bürger ist im allgemeinen der, der am Regieren und Regiertwerden beteiligt ist, in jeder Verfassung ein anderer, in der besten Verfassung aber derjenige, der fähig und willens ist, zu regieren und sich regieren zu lassen im Sinne des tugendgemäßen Lebens." - Aristoteles 510 Ein anderes Recht als das zur Willensautonomie hat der Bürger als Wähler wie als NichtWähler ausweislich Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG nicht. Die Pflicht zur Sittlichkeit, die Liebe zur Republik, ist seine Freiheit 5 1 1 . In der richtigen Wahl, nicht schon in der Wahl ist der Bürger frei 5 1 2 . Das ist die Logik der Herrschaft aller Bürger über sich selbst und damit die des Satzes: Res publica res populi. Es ist das Amt des Bürgers, die Kandidaten in das Parlament zu entsenden, die am besten für die Vertretung des ganzen Volkes geeignet sind. Das sind die Amtsbewerber mit der höchsten Erkenntnisfähigkeit, also die mit der größten moralischen Kompetenz, die "Anständigen" 514 , welche praktische Vernünftigkeit, d.h. die Freiheit als Wahrheitlichkeit und Richtigkeit,

509 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150; ders., Metaphysik der Sitten, S. 432; i.d.S. die Lehre von der demokratischen Freiheitsidee, etwa Ch. Starck, Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, HStR, Bd. II, S. 4 ff., 17 ff.; auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910 ff.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 50 ff.; H. Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem, HStR, Bd. II, S. 250 ff. (zur Verfassungswirklichkeit mit Recht skeptisch); i.d.S. auch P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 127 ff., 132 ff. ("Öffentliche Freiheit ist der Garant der Demokratie", S. 137); auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 968 ff. 510 Politik, S. 125, 1284 a 42 ff.; dazu im aristotelischen Sinne D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, S. 115 ff., näher S. 130 f. 511 Ganz i.d.S. W. Maihofer, HVerfR, S. 186 ff., zur Demokratielehre Montesquieus; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 118 ff., 126, 129, 136 ff., 138 ff. 512 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 116 f., auch S. 113 gegen "Sonderinteressen"; i.d.S. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 278 ff., der den Wähler als repräsentative Figur versteht; so auch Karl Rahner SJ, Demokratie als staatsethisches Prinzip, in: W. Leisner, Staatsethik, 1977, S. 159 ff., mit der Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils Nr. 75. 513 Dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 85 ff., 153 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 160; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; auch 4. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 234 ff.; zum Autonomieprinzip 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff. 514 Ganz so Aristoteles, Politik, S. 207, 1319 a 32 ff. u.ö.; Cicero, De re publica, S. 96 ff., fordert die Gelehrten und Weisen auf, sich der res publica anzunehmen, S. 148 ff.; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 139, 208 ("die Besten des Volkes").

617

6. Kap.: Der republikanische Interessenausgleich

besser als andere gewährleisten. I n der W a h l der R i c h t i g e n erweist sich der "Gemeinsinn"

(Rousseau) 5 1 5 ,

der

"Geist

der

Freiheit"

(Kant)

516

,

die

politische T u g e n d als der allseitige u n d jederzeitige W i l l e z u m G e m e i n w o h l , die bürgerliche Sittlichkeit, die P r i n z i p der R e p u b l i k i s t 5 1 7 .

6. Kapitel Der republikanische Interessenausgleich I.

Interessenausgleich u n d gruppenhafter Pluralismus

1. W i e sie sind, verfolgen die M e n s c h e n nach " d e m Prinzip der Selbstliebe" i h r eigenes G l ü c k , ihre besonderen Interessen 5 1 8 . " G l ü c k s e l i g k e i t , d.i. Zufriedenheit m i t seinem Zustande, sofern m a n der Fortdauer derselben gewiß ist, sich zu wünschen u n d zu suchen ist der menschlichen N a t u r u n v e r m e i d l i c h ; ... " -

Kant 519

515

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23, 39, 46 ff., 154. Über den Gemeinspruch, S. 163. 517 Aristoteles, Politik, S. 122 ff., für die Politie; Cicero, De re publica, S. 148 ff.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 23, 39, 46 ff., 154; Kant, Über den Gemeinspruch, S. 163; ders., Zum ewigen Frieden, S. 243; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 118 f., 129, 138 ff.; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 208; so auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 241, 250, 367 ff., 373 ff.; ganz i.d.S. J. Isensee, JZ 1981, 4, 6; ders., HStR, Bd. I, S. 633; ders., Republik, Staatslexikon, Sp. 855, ohne dort dies als für die Republik notwendige Pflicht anzuerkennen; in: Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 68 ff., stellt ders. die Bürger von Tugendpflichten frei; auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 939 f., für ein "demokratisches Ethos" der Förderung "der gemeinsamen Interessen aller"; vgl. ders., Der Staat als sittlicher Staat, S. 16 ff.; auch P. Badura, HStR, Bd. I, 970; den Tugendaspekt sieht auch /. Fetscher, Mehrheitsprinzip und Demokratie, S. 317 ff.; so auch W. Weber, Der Mensch: Ein soziales Wesen, S. 26 f., mit Bezug auf die Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute" des II. Vatikanischen Konzils; nicht anders in der Sache W. Leisner, Das Ebenbild Gottes im Menschen, S. 81 ff. 516

518

Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 128 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 515, 587 f. u.ö.. Hier wird nicht der auf die praktische Vernunft bezogene Begriff des (reinen) Interesses Kants, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 97, benutzt, sondern der "vernunftlose", empiristische i.S. "sinnlicher Antriebe"; kantianisch auch J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 234 ff.; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 82 ff.; J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 71, sieht "den Egoismus" durch die Grundrechte als "legitimiert" an; dazu auch 1. Teil, 3. Kap., S. 54 f.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 216 ff., 243 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 297 ff., 350 ff., 370 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 660 ff. 519 Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 517.

618

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

Z u diesem Z w e c k verbünden sich die Menschen i n Gruppen, i n Verbänden u n d auch i n Parteien. Eigeninteressen u n d Bündnisse sind Charakteristika der parteilichen Parteien 5 2 0 . A u f diese anthropologische Sicht sind die verschiedenen L e h r e n des U t i l i t a r i s m u s " v o m größtmöglichen G l ü c k der größtm ö g l i c h e n Z a h l " (Jeremy

Bentham 521

) u n d des Pluralismus des gruppen-

haften Interessenausgleichs 5 2 2 gegründet. Beide suchen den o p t i m a l e n oder wenigstens erträglichen Interessenausgleich, i n d e m sie wesentlich auf den h o m o p h a i n o m e n o n abstellen, der eben i m Gegensatz z u m h o m o noumenon, d e m Vernunftwesen,

sich v o r n e h m l i c h

s t i m m e n läßt. Otfried

Höffe

v o n seinem eigenen G l ü c k

be-

erfaßt "Rationalität" als das "Prinzip V o r t e i l "

u n d argumentiert m i t d e m allgemeinen V o r t e i l des "Freiheitsverzichts" aller. D e r " V o r t e i l " aller, nicht getötet zu werden, ist ein allgemeines Interesse, n ä m l i c h das Interesse jedes Menschen. A l s derart gemeinsames Interesse w i r d es durch das Verbot zu töten allgemein verbindlich. Dieses Verbots-

520

Dazu 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 ff. Dazu O. Höffe, Einführung in die utilitaristische Ethik, 1975, mit dem Abdruck des Aufsatzes von Bentham: Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung, 1789, 1823, S. 35 ff., zu Bentham auch W. Theimer, Geschichte der politischen Ideen, 2. Aufl. 1959, S. 238 ff.; in: Politische Gerechtigkeit, insb. S. 15 ff., 74 ff., 81 ff., 398, spricht sich Ο. Höffe gegen diesen Utilitarismus aus, aber mit seinem "obersten Gerechtigkeitsprinzip" der "allseits vorteilhaften Freiheitseinschränkung" behält er mit dem "Selbstinteresse" einen empiristischen, utilitaristischen, insb. egoistischen Ansatz bei (S. 328 ff., 382 ff., 407), der nicht durchhaltbar ist und schließlich in Höffes "transzendentalem Freiheits- und Rechts vertrag" (S. 449) aufgegeben wird; mit dem Legitimationsprinzip "für jeden vorteilhaft" (S. 85, 217, 328 ff., 382 ff.) meint Höffe, sich der lex aurea und dem kantianischen Universalitätsprinzip zu nähern (S. 81 ff., 86 f.), bringt aber die kantianische freiheitliche Staatszweckbegrenzung mit dem interessenhaften Vorteil nicht auf den Begriff; auch J. Habermas rügt in seinem Besprechungsessay: Otfried Höffes politische Fundamentalphilosophie, Grenzen des vernunftrechtlichen Normativismus, ΡVS-Literatur, S. 198, 320 ff., den Utilitarismus Höffes (S. 322); auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 17 ff., 26 ff., argumentiert mit dem Topos Vor- und Nachteil, begrifflich ebenfalls fragwürdig. 521

522

Vor allem E. Fraenkel, Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-demokratischen Demokratie, 45. DJT, Β 5 ff.; ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, 5. Aufl. 1973, S. 197 ff.; dazu grundlegend W. Steffani, Pluralistische Demokratie, 1980, insb., Vom Pluralismus zum Neopluralismus, S. 13 ff.; J. Detjen, Neopluralismus und Naturrecht. Zur politischen Philosophie der Pluralismustheorie, 1988; auch H.H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 130 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 220 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 41; ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 69 ff. (''Interessenmodell"); auch K.A. Schachtschneider, JA 1979, 574; auch P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 134; ders. eindringlich, Die Verfassung des Pluralismus Der Pluralismus in der Verfassung, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus, S. 56 ff., ein Konzept, das die Vielfältigkeit des Lebens in der Kultur usw. zum Ausdruck bringt und von dem gruppenhaften Interessenpluralismus abweicht; kritisch zur Pluralismustheorie ("der frühen Nachkriegszeit") J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 399 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 178 ff.

6. Kap.: Der republikanische Interessenausgleich

619

gesetz materialisiert das Glück aller und ist zugleich eine Materialisierung der Freiheit aller; denn die Tötung ist, wenn nicht besondere Tatbestände eingreifen, die intensivste Verletzung des Menschen in seiner Würde und damit seiner Willensautonomie, weil sie beides beendet. Das Interesse des homo phainomenon und die praktische Vernunft des homo noumenon führen zu demselben Gesetz, weil das Interesse allgemein ist wie das Sittengesetz. Allgemein ist auch der Interessenausgleich unter den Menschen, nicht aber die besonderen Interessen derselben in ihrer Vielfalt. Das Höffesche "Selbstinteresse" ist letztlich das Interesse aller am Recht, das Interesse an allgemeinen Gesetzen für das friedliche Zusammenleben, das Interesse am gemeinsamen Leben in Freiheit, das ohne Interessenausgleich nicht denkbar ist. Wie der Vertrag die Interessen der Vertragsparteien ausgleicht und zugleich als Konsens die freiheitliche Privatheit (im Rahmen der allgemeinen Gesetze) derselben verwirklicht, so verwirklicht das Gesetz repräsentativ konsensual die allgemeine Freiheit und gleicht die Vielfalt der Interessen aus. Jede Handlung ist Zweckvollzug und damit Interessenverwirklichung. Soweit Handlungen mit den Interessen anderer Menschen kollidieren können, können alle Interessenten nur mittels des Vertrages bzw. des Gesetzes "unabhängig von anderer nötigender Willkür", also frei im Sinne der äußeren Freiheit, sein 523 . Gesetze wie Verträge regeln das Handeln und materialisieren notwendig interessenbestimmend die Handlungsmaximen. Als interessenverwirklichender Zweckvollzug ist Handeln Vollzug des jeweils eigenen Entwurfs eines Menschen von seinem Glück, vorausgesetzt, es ist frei. Freiheitliche Gesetzgebung ist damit wegen der Materialisierung notwendig Interessenausgleich. Sie kann angesichts der Individualität der Menschen und wegen des Rechts der Menschen, das eigene Glück zu finden, nicht auf die Materien beschränkt werden, in denen die Interessen der Menschen gleich sind, wie die, nicht getötet zu werden. Vielmehr sind die unterschiedlichen, vor allem die gegenläufigen, Interessen zu befrieden, also auszugleichen. Freiheitlichkeit verlangt dafür den Konsens, der notgedrungen repräsentativ hervorgebracht werden muß 5 2 4 . Dieses gemeinsame Interesse ist das Interesse am allgemeinen Gesetz, das an der Erkenntnis des Wahren und Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit. Dieses ist das Interesse, welches allein durch Autonomie des Willens befriedigt werden kann, durch "Selbstgesetzgebung in

523

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu die Hinweise in Fn. 179, 8. Teil, 2. Kap., S. 549; insb. 5. Teil, 3. Kap., S. 289 ff., 332 ff. 524 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 644 ff.; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 57, 8. Teil, 1. Kap., S. 527.

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

620

streng prozeduralistischer Fassung" (.Jürgen Habermas) 515.

Das ist darge-

tan526. 2. D e r Pluralismus ist auf das Wettbewerbsmodell angewiesen u n d k a n n w i e dieses der "fundamentalen regulativen Ideen der Gerechtigkeit

und

B i l l i g k e i t " , zusammengefaßt des " G e m e i n w o h l s " , nicht entbehren (Ernst Fraenkel

521

).

Josef Isensee stellt den vielfältigen "eigennützigen Interessen" u n d d e m daraus erwachsenden " K o n k u r r e n z p r i n z i p " , welches i m Sinne eines "angelsächsischen Freiheitskonzepts" der "parlamentarischen D e m o k r a t i e w i e den Grundrechten zugrundeliege", das aus "französischem Freiheitskonzept" stammende,

"altruistischer

Tugend"

verpflichtete

"Prinzip

des

Amtes"

entgegen. E r sucht einen "pragmatischen A u s g l e i c h v o n Tugend u n d Interesse" u n d begreift entgegen der Gleichheit i n der Freiheit aller die Bürger v o m Interessenmodell u n d die Amtsträger v o m T u g e n d m o d e l l her. D a m i t stellt er r e p u b l i k - u n d auch d e m o k r a t i e w i d r i g den Staat gegen die Gesells c h a f t 5 2 8 . U m diese Lehre zu ermöglichen, hat er das freiheitsbestimmende

525 Vgl. 7. Teil, 5. Kap., S. 598 ff.; J.Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 235 ff.; ders., Otfried Höffes politische Fundamentalphilosophie, S. 320 ff., 326 (Zitat); ders., Faktizität und Geltung, S. 187 ff., der "Moralnormen" und "Rechtsnormen", sowie "Gerechtigkeitsdiskurse" und "Selbstverständigung" und "Interessenausgleich" unterscheidet, weil "Moralnormen sich an jedermann richten", "Rechtsnormen nur an die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft" (S. 190 f.), vgl. auch S. 344, 357, 359. 526 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 325 ff., 410 ff.; 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff., vgl. dort die Hinweise in Fn. 892. 527 45. DJT, Β 7 ff., 21, 29; W. Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 48 ff.; i.d.S. die Kritik von E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 32 f., 45, der zu Recht die hinreichende Allgemeinheit der "Interessenbeteiligung" in Frage stellt und den "Ort für die Austragung von Fundamentalkonflikten" vermißt; abgewogen auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 619 f.; auch J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 82 f., stellt richtig heraus, daß die "Grundsätze der Kompromißbildung ihrerseits in praktischen Diskursen gerechtfertigt werden" müßten, auch S. 108 ff.; so auch ders., Faktizität und Geltung, S. 205 ff., der S. 357 f. den "Wettbewerbspluralismus" erörtert (zu Becker); Kritik am Utilitarismus i.d.S. auch ders., Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, S. 244 (nach M. Weber), Bd. 2, S. 141 f. (nach Mead); kritisch auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 178 ff.; zum "Wettbewerb" als Strukturmodell und Arbeitsprinzip der modernen Gesellschaft H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, § 27, S. 454 ff., zum Wettbewerb als "Verfahren der Repräsentation", kritisch S. 481 ff. 528 Dazu 3. Teil, 1., 2. und 3. Kap., S. 159 ff., 175 ff., 193 mit Fn. 188.

6. Kap.: Der republikanische Interessenausgleich

621

Sittengesetz ausgeblendet 529 . Er spricht damit skeptisch, antiaufklärerisch, den Bürgern die Fähigkeit zur Vernunft, die zur Moral, ab, im Widerspruch zu Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. "Die Vernunft setzt der an sich gesetzlosen Freiheit Schranken." W

3 0

,

wie es Art. 2 Abs. 1 GG mit der Bindung der Entfaltung der Persönlichkeit an das Sittengesetz, dem Prinzip der praktischen Vernunft, klassisch normiert. Katholisch ist Klugheit, nicht Vernunft; denn eine Vernünftigkeit des Menschen stellt die Allmacht Gottes in Frage 531 . "Im Akt der Klugheit wird ja das Sollen bestimmt durch das Sein: Der Moralismus sagt: das Gute ist das Gesollte, weil es gesollt ist. Die Lehre von der Klugheit sagt: das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße; es ist gesollt, weil es der Wirklichkeit entspricht." - Josef Pieper* 31 Das Wirkliche ist für eine katholische Tugendlehre Gott. Die Trennung von Sollen und Sein ist demgegenüber eine Kategorie von Freiheit und Recht, eine republikanische Kategorie also 533 . Sein freiheitsdogmatisches Zugeständnis eines grundrechtlich "legitimierten" Egoismus" zwingt Josef Isensee zur Lehre von der freiheitswidrigen "Herrschaft für das Volk" durch, wie er es versteht, republikanische Ämter 5 3 4 , die jedoch nichts als konstitutionalistische Behörden eines von den

529

Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 65 ff.; auch HStR, Bd. III, S. 41

u.ö. 530

Kritik der reinen Vernunft, S. 513.

531

Vgl. die Tugendlehre von J. Pieper, Über das christliche Menschenbild, 6. Aufl. 1955, S. 23 ff., zur Tugend der Klugheit. Piepers Tugendlehre orientiert sich an Thomas von Aquin; sie macht besonders deutlich, daß die aufklärerische Ethik säkularisiertes Christentum ist; wie J. Pieper auch R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, der sich ebenfalls auf Thomas von Aquin stützt, insb. S. 248 ff., 279 ff.; aus protestantischer Sicht zum durch Gottes Gesetz gebundenen Willen W. Ebert, Das christliche Ethos, S. 43 ff., 188 ff., 194 f.; dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 542 ff.; auch zum Verhältnis von Sein und Sollen, zur Moral als Geltungsgrund von Normen J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 83 f. 532 Über das christliche Menschenbild, S. 27. 533 Dazu 7. Teil, 1. und 2. Kap., S. 519 ff. (insb. S. 520), 540 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff.; auch 2. Teil, 1. und 8. Kap., S. 77 f., 138 f.; 3. Teil, 1. Kap., S. 172 f.; 9. Teil, 2. Kap., S. 880 ff. 534

HStR, Bd. I, S. 595, 632 f.; HStR, Bd. III, S. 15, 43, 45 ff.; ders., Republik, Staatslexikon, Sp. 885; i.d.S. ebenso ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 69 ff., 74; ähnlich W. Henke, Recht und Staat, S. 387 ff.; in der Sache nicht anders E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 30 ff., 37, 39, der dort eine herrschaftliche Repräsentationslehre "im Namen des Volkes und für das Volk" vertritt, dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 29 f.; auch 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff.

622

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

Bürgern wesentlich unabhängigen, hoheitlichen, wenn auch durch demokratisch legitimierte Amtsträger handelnden Staates sind. Die "Sinneinheit" der "Amtsgewalt (res publica) und der Sache des Volkes (res populi)", die Isensee reklamiert 535 , wird durch eine amtliche "Herrschaft für das Volk" nicht gestiftet. Res publica res populi heißt: Das Gemeinwesen (der Staat) ist Sache des Volkes. Es (er) läßt sich nicht ohne den Gemeinsinn der Bürger verwirklichen. "Die Idee der gemeinsamen Sache aller Bürger" ist nicht material, wie Isensee meint 5 3 6 , sondern formal und bedarf darum der sachlichen Gemeinsamkeit aller Bürger, damit die freiheitliche Materialisierung i m gemeinsamen Leben als dem allseitigen Versuch, glücklich zu sein, gelingen kann. Das lehrt die Diskursethik 537 und ist die Logik des kategorischen Imperativs. 3. Der Bürger wird in der Pluralismustheorie durch die Interessengruppe ersetzt, transzendental gegründeter, ideengebundener Kognitivismus durch empiristischen Skeptizismus 538 , der Konsens der Meinungen, die Einigkeit, durch den "Kompromiß" der an der Willensbildung partizipierenden Interessenten 539 , den "Ausgleich der Gruppeninteressen" 540 . Der Pluralismus er-

535

HStR, Bd. I, S. 654; vgl. auch HStR, Bd. III, S. 27.

536

HStR, Bd. III, S. 26 f. Dazu vor allem 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff., 598 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; weitere Hinweise in Fn. 261, 7. Teil, 4. Kap., S. 564; vgl. insb. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 630 f. 538 E. Fraenkel, 45. DJT, Β 15 ff., gegen Rousseau Β 21; gegen den Empirismus in der Rechtslehre Kant, Metaphysik der Sitten, S. 336 ("Eine bloß empirische Rechtslehre ist (wie der hölzerne Kopf in Phädrus' Fabel) ein Kopf, der schön sein mag, nur schade, daß er kein Gehirn hat"); auch G. Teubner, Organisationsdemokratie, S. 163; dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 100 mit Hinw. in Fn. 10, 11; gegen den Skeptizismus J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 108 ff. ("Skeptiker" - "Gegenaufklärer"); ebenso I. Fetscher, Aufklärung und Gegenaufklärung in der Bundesrepublik, S. 522 ff. 537

539

E. Fraenkel, 45. DJT, Β 20 ff.; W. Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 41 ff.; 53 ff.; P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 134; ders., Verfassung der Pluralismus, S. 7, 60; Kritik von J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, S. 244 (Unterscheidung von Interesse und Wert, orientiert an Max Weber), Bd. 2, S. 141 ff. (nach Mead); ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 82 f.; ders., Faktizität und Geltung, S. 187 ff., lehrt selbst den Kompromiß und den Interessenausgleich im Rahmen "deliberativer Politik", deren Verfahren diskursiv erarbeitet werden müßten, S. 205 ff.; scharf gegen Sonderinteressen und Parteiungen Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 31, 113; vgl. auch C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 9 ff.

6. Kap.: Der republikanische Interessenausgleich

623

strebt nach Ernst Fraenkel ein "Maximum an Heterogenität" der Gesellschaft, ein "Minimum an Homogenität". Ein "Grundkonsens" über die Werte bleibe jedoch unverzichtbar 541 . Die Toleranz ist die Kardinaltugend der Bürger in der pluralistischen Verfassung 542 , die Autonomie des Willens die der Verfassung der Republik; denn sie ist die Tugend der Freiheit und des Rechts. "Toleranz ist nur eine Form der Willkür; sie wird gegeben und genommen." - Martin Kriele 543 Toleranz ist ein herrschaftliches Prinzip, ein Prinzip der sanften Despotie. Dennoch ist die Toleranz eine Vorstufe der Freiheit, der Weg zur Anerkennung des Rechts des Menschen, seiner Willensautonomie 544 . Der Einzelne wird pluralismustheoretisch in seinen besonderen Interessen durch Gruppen repräsentiert 545 , die Gruppen durch Gruppenführer. Die Persönlichkeit des Einzelnen in ihrer Vielfalt auch und insbesondere der Interessen wird politisch auf die durch die Gruppen vertretenen Interessen reduziert, wenn der verbandsmäßige Pluralismus zur Form des Politischen wird. Wer seine Interessen nicht in eine relevante Gruppe einzubringen vermag, kann nicht erwarten, daß diese Berücksichtigung finden. Er wird entgegen dem republikanischen Prinzip der Vertretung des ganzen Volkes bei der Gesetzgebung nicht vertreten. Ihm bleiben die subjektiven Grundrechte und die grundrechtsgeleiteten subjektiven Rechte aus den Gesetzen, im Rahmen derer er seine Interessen verwirklichen, d.h. sein Glück suchen,

540

W. Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 48 ff.; auch W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 26 ff., spricht vom "Ausgleich der Ungleichgewichte der Abhängigkeiten, der Macht, von den Ungleichgewichten der Vorteile und Nachteile", von "Gegensätzen von Interessen", auch von "gleicher Wohlfahrt", ohne aber einen eigentlich pluralistischen Standpunkt einzunehmen. 541

E. Fraenkel, 45. DJT, Β 8, 17, 21, überaus scharf gegen die Homogenitätslehre C. Schmitts, aber auch Rousseaus; W. Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 43,48 ff.; J. Detjen, Neopluralismus und Naturrecht, S. 120 ff.; zur allgemein anerkannten Notwendigkeit des Grundkonsenses Hinweise in Fn. 17 im 10. Teil, 1. Kap., S. 1180 f.; etwa P. Badura, HStR, Bd. I, S. 971. 542 P. Häberle, Verfassung des Pluralismus, S. 59, 61, 63; zum Toleranzprinzip kritisch M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 29 ff., auch S. 34, 35, der aufklärerisch der Toleranz das "Menschenrecht" entgegenstellt; vgl. i.d.S. auch ders., Einführung in die Staatslehre, S. 177 ff.; vgl. schon Kant, Was ist Aufklärung?, S. 59 f. 543 Die demokratische Weltrevolution, S. 34. 544 Ganz so Kant, Was ist Aufklärung?, S. 61. 545 E. Fraenkel, 45. DJT, Β 23; IV. Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 48 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 401 f.

624

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

seine Persönlichkeit entfalten kann 5 4 6 . Das Gemeinwesen aber entwickelt sich in eine Richtung, die die Entfaltungsmöglichkeiten der Persönlichkeit, die nicht in Verbände paßt, zu ersticken vermag, vor allem wegen einer Verteilung der Mittel, die ihn nicht bedenkt 547 . Die Reduktion der "Menge von Menschen" des kantianischen Staatsbegriffs 548 auf eine Vielheit von Gruppen resigniert vor der eigentlich republikanischen, individualen Pluralität der einzelnen Bürger. Eine begrenzte Vielheit von Gruppen, insbesondere von großen Verbänden, erscheint überschaubar, untereinander verhandlungsund ausgleichsfähig. Der sogenannte Verbändestaat existiert als "Pluralismus der Oligarchien" autonomer Verbände 549 . Die kleine Zahl macht die Einheiten auch ohne Repräsentation fähig zu Kompromissen, die, von Lobbyisten vermittelt, durch den Gesetzgeber (zu Lasten aller) verbindlich werden 550 . Die kleine Zahl ist der Rest an Rousseauismus des Pluralismus. Es ist schließlich die kleine Zahl, die ohne Vertretung konsensfähig ist 5 5 1 . Das "Gesetz der kleinen Zahl" (Max Weber) 552 ist unausweichlich. Es geht darum, diesem republikanisch zu genügen, also das Amtsprinzip zu entfalten.

546 Dazu 5. Teil, 4. und 5. Kap., S. 332 ff., 370 ff.; zum Prinzip des eigenen Glücks weitere Hinweise in Fn. 518, S. 617. 547 I.d.S. W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 68 ff. 548 Siehe 1. Teil, 3. Kap., S. 16 ff.; auch 2. Teil, 4. Kap., S. 93 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 165 f.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 653; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431. 549 W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 69 (mit Bezug auf Werner Weber); i.d.S. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 401 ff. 550 Dazu J.H Kaiser, Verbände, HStR, Bd. II, S. 152, 157 f., 163 ff.; H.H v. Arnim, Der Staat 26 (1987), S. 492, kritisiert die Schwierigkeit, die "Allgemeininteressen" gegen die "konzentrierten Eigeninteressen" der Verbände durchzusetzen; ders. grundsätzlich in: Gemeinwohl und Gruppeninteressen. Die Durchsetzungsschwächen allgemeiner Interessen in der pluralistischen Demokratie, 1977, insb. S. 130 ff., 390; kritisch auch K.A. Schachtschneider, JA 1979, 572 f. 551 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 31 f., 55, der selbst eine Vielheit von Gruppen präferiert hat, wenn sich die Gruppenbildung schon nicht vermeiden lasse; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 61, der ohne Fundstelle auf H. Heller verweist; vgl. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 180; auch die Polis setzte nach H. Arendt, Vita Activa, S. 43 f., die kleine Zahl voraus. Der griechische Bürger repräsentierte ein Haus in der Polis, auch das ermöglichte die kleine Zahl der Bürger. Heute wird die kleine Zahl durch Repräsentation erreicht, die ihre Rechtfertigung immer schon in der Unmöglichkeit der Konsensbildung großer Menschenmengen gefunden hat (Kant, Zum ewigen Frieden, S. 207; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 160 mit Hinw.; A. Podlech, Repräsentationen, S. 525; dazu 8. Teil, 1., 2. und 3. Kap., S. 637 ff., 644 ff., 703 ff.). 552

Wirtschaft und Gesellschaft, S. 548, 853, 856, 868.

6. Kap.: Der republikanische Interessenausgleich

625

Nur das Prinzip der Repräsentation als Vertretung des ganzen Volkes wahrt die allgemeine Freiheit, genügt einer bürgerlichen Verfassung 553 , auch im gesetzeshaften Ausgleich aller Interessen. Der Pluralismus gibt einer Republik im Sinne Ciceros, Rousseaus und Kants und schon im Sinne der aristotelischen Politie wenig Chancen. Deren Grundlage ist die Idee der Freiheit, deren anthropologische Erfahrung das Gewissen des Menschen, in dem sich die Idee der Freiheit, die Fähigkeit des Menschen zum Guten, als "Faktum der Vernunft" (Kant) offenbart 554 . Die Erfahrung des Sollens lehrt aber, daß jeder kann, weil er soll, daß "die Vernunft wirklich Kausalität in Ansehung der Erscheinungen" habe (Kant) 555. Martin Kriele kritisiert das "Konzept des Interessenpluralismus" als "liberalistisch" 556 . II.

Konsensual-repräsentative Rechtserkenntnis als notwendig kompromißhafter Interessenausgleich 1. Weil das gute Leben der Menschen nichts anderes ist, als die Wirklichkeit ihres selbstbestimmten Glücks 5 5 7 , die besonderen Interessen aber die jeweiligen Materialisierungen des Glücks des einzelnen Menschen, können auch die Interessen nur selbstbestimmt werden. Wenn ein Dritter die Interessen eines Menschen bestimmt, schreibt er ihm (paternalistisch) ein Glück vor und ist Despot 558 . Weil das gute Leben in allgemeiner Freiheit Zweck

553

Kant, Zum ewigen Frieden, S. 206 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 439, vgl. auch R. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 59 ff.; zu diesem insb. von Sieyès entwickelten Aspekt A. Podlech, Repäsentation, S. 524 ff.; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn 57, 7. Teil, 1. Kap., S. 527; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 649, 657 (mit Fn. 69), 711; 10. Teil, 2. Kap., S. 1186 ff.; zu C. Schmitt, 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; kritisch zum Plüralismuskonzept E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 32 ff., der freilich eine herrschaftliche Repräsentation "im Namen des Volkes und für das Volk" (S. 39) als freiheitlich und demokratisch versteht. 554 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 97 ff. (im moralischen Gefühl); zur freiheitlichen Kausalität ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 495 ff.; J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 247 ff.; L.W. Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 138 f., 159 ff. u.ö.; vgl. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 26, zu Kants Lehre vom Faktum der reinen Vernunft; vgl. auch R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 84 f., gestützt auf Schelling, der jedoch einen "ontologischen Freiheitsakt", "der sich außerhalb des Menschen vollzogen" habe, voraussetzt. 555 Kritik der reinen Vernunft, S. 495 ff., 498 ff.; Kritik der praktischen Vernunft, S. 139 f.; vgl. zu und in Fn. 881, 5. Teil, 7. Kap., S. 435, 1. Kap., S. 253 ff., 3. und 4. Kap., S. 312 ff., 332 ff. 556 Einführung in die Staatslehre, S. 178. 557 Zum Prinzip des guten Lebens, 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 573 ff.; zum Prinzip des eigenen Glücks Hinweise in Fn. 518, S. 617. 558 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 146, 159; dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 348; auch 2. Teil, 2. und 8. Kap., S. 82 ff., 133 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 240 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 709 f., 732 ff.

40 Schachtschneider

626

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

des Staates ist, die Gesetze aber auf repräsentativem Konsens beruhen sollen, um freiheitlich und damit Recht zu sein 559 , darf und muß, wenn nicht die Vertretung des Volkes doch Herrschaft sein soll, die Bestimmung der Interessen, die staatlich, d.h. gemeinsam, verwirklicht werden sollen, Erkenntnis des bestmöglichen Interessenausgleichs sein. Die Individualität der besonderen Interessen, deren Unterschiedlichkeit, Vielfalt und Gegenläufigkeit, schließen aus, daß die Interessen, die staatlich verwirklicht werden, Interessen jedes einzelnen Bürgers sind. Das gemeinsame Interesse aller aber ist der Interessenausgleich. Dieser ist, wenn auch als Kompromiß, konsensfähig. Auch diesen Konsens gebietet der kategorische Imperativ, der auch die Erkenntnis der staatlichen Maßnahmen für das gute Leben aller steuern muß, wenn die allgemeine Freiheit nicht verletzt sein soll. Auch der Interessenausgleich ist eine Erkenntnisaufgabe 560 . Die Erkenntnis der Gesetze der Freiheit ist untrennbar mit dem Interessenausgleich verbunden; denn die Verwirklichung der Freiheit eines jeden und damit der Freiheit aller vollzieht sich i m Leben, das ein gutes Leben aller sein und immer die pluralen Interessen der Menschen, nämlich deren selbstbestimmtes Glück, soweit als möglich verwirklichen soll. Die gemeinsame Verwirklichung des guten Lebens zwingt zum Interessenausgleich und damit zur Erkenntnis desselben, die dem Sittengesetz folgen muß. Diese das Volk vertretende Erkenntnis können am besten die Vertreter des Volkes leisten, die die vielfältigen Interessen der Menschen so gut als möglich kennen und sich selbst bestmöglich von Eigeninteressen lösen, sich neutralisieren "Es bedürfte der Götter, um den Menschen Gesetze zu geben." - Rousseau561. Die Aufgabe muß aber von Menschen bewältigt werden. Parteiliche oder verbandliche Bindungen der Abgeordneten, wie der Richter, aber auch der Beamten, verbieten sich wegen dieser Erkenntnisaufgabe. Jeder Abgeordnete muß den Interessenausgleich namens des ganzen Volkes, das er vertritt (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG), leisten. 559 Dazu 7. Teil, 1., 4. und 6. Kap., S. 525 ff., 560 ff., 617 ff., zum Konsensprinzip; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; zur bürgerlichen Identität (durch Repräsentation) Hinweise in Fn. 57, 7. Teil, 1. Kap., S. 527. 560 Dazu 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 657 ff., 707 ff. (insb. S. 719 ff., 728 ff., 730 ff.); auch 2. Teil, 7. Kap., S. 125; i.d.S. insb. H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 352 ff., 106 ff. ("Richtige" Gesetze durch "Erkenntnis" des "besseren Rechts"); J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 187 ff., sieht den Interessenausgleich als Verhandlungsaufgabe; das überzeugt für den Vertrag im Rahmen der Privatheit; das interessenausgleichende allgemeine Gesetz darf nicht verhandelt werden, weil die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes sind, jeder Abgeordnete. 561

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 43.

6. Kap.: Der republikanische Interessenausgleich

627

"Dies Denken (sc. der "Prozeß der Meinungsbildung") bleibt der Welt und damit dem Gemeinsinn, der es ermöglicht, an der Stelle jedes anderen zu denken, verhaftet, und die einzige Bedingung für das Inkrafttreten dieses Gemeinsinns ist jenes Desinteressement, das wir aus Kants 'uninteressiertem Wohlgefallen' kennen, d.h. die Befreiung aus der Verstrickung in Privat- und Gruppeninteressen. Natürlich kann man sich weigern, von diesem Vermögen (sc. 'der erweiterten Denkungsart', auf dem die Urteilskraft im Sinne Kants dritter Kritik beruht) Gebrauch zu machen, und, im wahren Wortsinn, eigensinnig darauf bestehen, nichts und niemanden in Betracht zu ziehen als die eigenen Interessen oder die Interessen der Gruppe, zu der man gehört. Nichts ist in der Tat verbreiteter als Mangel an Einbildungs- und Urteilskraft, selbst bei hoch differenzierter Intelligenz. Dies ändert aber nichts daran, daß die eigentliche Qualität einer Meinung wie auch eines Urteils durchaus von dem Grad der 'erweiterten Denkungsart', der Unabhängigkeit von Interessen, abhängt." - Hannah Arendt 2 Der Ausgleich von im Parlament vertretenen Interessen vermag den sittlichen Interessenausgleich nicht zu ersetzen, weil die Parteien etwa nur einen Teil der Interessen vertreten, wenn man überhaupt von Interessenvertretung sprechen will, die den Abgeordneten nicht zusteht. Kein Vertreter des ganzen Volkes darf Vertreter besonderer Interessen sein. Vielmehr soll er sich gegenüber allen besonderen Interessen neutralisieren, um seiner Aufgabe, das gemeinsame Interesse zu erkennen, den Interessenausgleich zu finden, genügen zu können. Dem Amtswalter ist die Identifizierung mit besonderen Interessen, insbesondere mit seinen eigenen, verboten 563 . "Nicht-Identifikation auf Seiten des Staates erweist sich damit als gleichbedeutend mit Freiheit auf der Seite des Bürgers." - Herbert Krüger 564 2. Vielfach ist behauptet worden, die Parteien würden den Interessenausgleich in sich bewerkstelligen 565 . Davon kann keine Rede sein. Das Bemühen um die Wiederwahl bringt es zwar mit sich, daß Interessen von Grup-

562

Wahrheit und Politik, S. 62. So insb. H. Krügers, Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff., Lehre von der staatlichen NichtIdentifikation; auch K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 236 ff. 564 Allgemeine Staatslehre, S. 181. 565 Vgl. die Hinweise in Fn. 812, 8. Teil, 5. Kap., S. 793; auch 10. Teil, 8. Kap., S. 1151 f.; 7. Teil, 5. Kap., S. 608 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 658 ff. 563

40*

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7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

pen berücksichtigt werden, aber stellt nicht sicher, daß die Interessen aller beachtet werden. Insoweit geben die Parteien keinerlei Sicherheit, zumal ihre Mitgliedschaft nicht nach Prinzipien der Freiheit und Gleichheit oder der Allgemeinheit gewonnen ist, schon gar nicht die Parteioligarchie 566 . Der sittlich und damit verfassungsbefohlene Interessenausgleich muß durch das Amtsprinzip gesichert werden, das dafür die Auswahl kompetenter Amtswalter verlangt 567 . Zwar hat jeder Wähler als solcher das Amt, die richtigen Abgeordneten zu wählen, also die Besten in das Parlament zu entsenden. Das sind Bürger, die der Erkenntnis des gemeinsamen Interesses fähig sind, d.h. den Interessenausgleich bestmöglich hervorzubringen gewährleisten, also die Bürger, die erwarten lassen, sich von besonderen Interessen frei zu machen, aber auf diese Sittlichkeit des Wählers ist allzu wenig Verlaß. Noch weniger allerdings ist Verlaß auf die Sittlichkeit von Parteimitgliedern, die meist ein illegitimes Amtsinteresse in die Parteien führt. Die Sittlichkeit der Abgeordneten muß auch um des freien Interessenausgleiches willen durch geregelte Persönlichkeitsmerkmale gefördert werden 568 . Letztlich verantwortet den Interessenausgleich das Volk, stellvertretend, wenn er dem Gesetzgeber mißlingt, im ordentlichen Verfahren die Verfassungsrechtsprechung 569. Wer den Interessenausgleich bewerkstelligen soll, muß bestens über die Interessen der Menschen informiert sein. Dieser Information dienen die Verbände, die Wissenschaft, die Menschen selbst, die sich an dem Diskurs um das richtige Gesetz beteiligen. Auch darum muß der Diskurs die Öffentlichkeit in jeder Weise suchen 570 . Keinesfalls ist es Aufgabe der Vertreter des Volkes, diesem Interessen vorzuschreiben, diesem verbindlich zu erklären, welche die Interessen der Menschen zu sein haben. Die Aufgabe ist die ganz andere, die vorhandenen und wechselnden Interessen derart auszugleichen, daß, gemäß dem Probierstein Kants 51\ jedermann i m Volk seine Zustimmung zu dem Ausgleich, dem Gesetz, geben könnte. Diese

566 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 792; 10. Teil, 3. und 8. Kap., S. 1060 ff., 1147 ff., 1158 ff., 1165 ff. 567 Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 679 ff., auch 805 ff.; zum Amtsprinzip 2. Teil, 6. und 8. Kap., S. 113 ff., 137 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff., 5. und 6. Kap. S. 612 ff., 621; 10. Teil, 3. Kap., S. 1077, 1159, 1175; zur Negativauslese der Parlamentarier Hinweise in Fn. 82, 7. Teil, 1. Kap., S. 531. 568 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 650 ff., 676, 679 ff. 569 Dazu 9. Teil, 3., 4. 7. und 10. Kap., S. 909 ff., 932 ff., 978 ff., 1027 ff. 570 Dazu die Hinweise in Fn. 261, 7. Teil, 4. Kap., S. 564. 571 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 417 f.

6. Kap.: Der republikanische Interessenausgleich

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Aufgabe ist schwer zu lösen. Die Ethik des Grundgesetzes fordert das ständige Bemühen um deren bestmögliche Bewältigung und die dem förderlichen Institutionen, also insbesondere die Auflösung der parteilichen Parteien. Demgegenüber muß ein bestmöglicher Diskurs um das Richtige auf der Grundlage der Wahrheit in den öffentlichen und privaten Medien eingerichtet oder wiederbelebt werden, d.h. vor allem den Parteienoligarchien muß der Einfluß auf die Medien genommen werden. 3. Das besondere Interesse des Menschen ist nicht ohne weiteres Ausdruck des Wahren und Richtigen in der Gemeinschaft. Beides unterscheidet sich somit begrifflich; denn die Menschen leben als homines phainomenoi, nicht notwendig als homines noumenoi. Der ausgehandelte Interessenausgleich definiert, selbst wenn wesentliche Gruppen befriedigt sind, nicht notwendig das Richtige für alle 5 7 2 . Der Vertrag ist empirisch meist das Ergebnis eines Kompromisses, ohne dadurch den konsensualen Charakter zu verlieren; denn die Vertragsparteien definieren ihre Meinungen 5 7 3 und damit ihre Einigung eigenständig und gestalten ihr gemeinsames Recht material derart, daß der Vertrag keinem Partner schadet, vielmehr beiden oder allen Vertragspartnern nützt. Voraussetzung ist insbesondere die hinreichende Gleichheit des Einflusses aller Vertragspartner auf den Vertrag 5 7 4 . Der Kompromiß ist richtig, weil er vollständiger Konsens ist (formales Äquivalenzprinzip). Es läßt sich keine Meinung formulieren, die richtiger wäre als der Kompromiß, ohne die Willkür der Vertragspartner 5 7 5 , zu verletzen; denn nur der zum Vertrag Berechtigte kann seine Interessen, die durch ihre Subjektivität gekennzeichnet sind, definieren.

57 2 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 30 ff., 113 f.; i.d.S. auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 41; gegen partikulare Kompromisse als Moralkonzeption J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 82 f.; ders. schon, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, S. 141 ff. (nach Mead); anders ders., Faktizität und Geltung, S. 187 ff., wo er Verhandlungen im Interesse des Interessenausgleichs als deliberative Politik dogmatisiert; i.S.d. Textes auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 307. 573 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., 382, 404 ff. 574 Dazu, insb. zum vertraglichen Interessenausgleich, K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 322 ff., 337 ff.; W. Schmidt-Rimpler, Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941), S. 152 ff.; ders., Zum Vertragsproblem, 1974, S. 13 f., 24 f.; B. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, 1978, S. 173 ff.; E.-J. Mestmäcker, Über das Verhältnis des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen zum Privatrecht, AcP 168 (1968), S. 240, 246 ff.; L. Raiser , Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, in: FS zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 1860-1960, Bd. I, S. 119, 133; V. Emmerich, Wettbewerbsrecht, Eine Einführung, 2. Aufl. 1976, S. 124; ganz so als Kriterium der Vertragsverbindlichkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB BVerfG JZ 1994, 408 ff. 575 Zur Vertragslehre 5. Teil, 5. Kap., S. 382 ff., 404 ff.

630

7. Teil: Die republikanische Rechtstaatlichkeit

Dementsprechend wäre der Gesetzeskompromiß richtig, wenn er unmittelbarer Konsens aller Bürger wäre; denn jeder Bürger hätte sein besonderes Interesse selbst definiert 576 . Das muß dem Prinzip nach auch für das Gesetz gelten, das die Vertreter des ganzen Volkes als richtigen Interessenausgleich erkennen. Die Meinung eines Volksvertreters definiert den Vorschlag eines möglichen Interessenausgleichs. Diese Meinung ist richtig, wenn sich ein besserer Vorschlag nicht machen läßt, wenn jeder Bürger als homo noumenon, als freier, also dem Sittengesetz verpflichteter Mensch die Verwirklichung seiner Interessen genau so beschränken würde, wie es der Vorschlag des Volksvertreters definiert; denn er will, wenn er Bürger ist, niemandem schaden. Er ist guten Willens, sich in seiner Interessenverwirklichung um der allgemeinen Interessen willen zu bescheiden. Die Vertreter des ganzen Volkes sind untereinander i m eigentlichen Sinne nicht kompromißfähig, weil unterschiedliche Interessen in die Verhandlung einzubringen, ihrem Amt widerspricht 577 . Alle haben dasselbe, nämlich das allgemeine, Interesse zu haben, das Richtige für alle auf der Grundlage der Wahrheit verbindlich zu machen. Dieses Gemeinwohl aber muß erkannt werden. Dem dient nur der Diskurs um die richtige Meinung. Das Richtige setzt die Kenntnis der Wahrheit als der Wirklichkeit des Gemeinwesens und folglich auch die Kenntnis der unterschiedlichen Interessen im Gemeinwesen voraus, die schließlich befriedet werden sollen. "Politisches Denken braucht Wissen." - Karl Jaspers 578 Die besonderen Interessen als besondere glücksbezogene Zwecksetzungen der Privaten 579 sollen gelebt werden können, ohne anderen und damit auch dem gemeinsamen guten Leben aller zu schaden. Das bedarf der auf diese Interessen bezogenen allgemeinen Gesetze, die ohne Kenntnis (aus Erfahrung oder Vorausschau) der vielfältigen Interessen nicht erkannt werden können. "Denn, wenn sie (sc. die Maximen) nur durch die Publizität ihren Zweck erreichen können, so müssen sie dem allgemeinen Zweck des Publikums (der Glückseligkeit) gemäß sein, womit zusammen zu stimmen (es mit seinem Zustand zufrieden zu machen) die eigentliche Aufgabe der Politik ist." - Kant 580

576

I.d.S. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 30 ff. Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 658 ff.; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn 57, 7. Teil, 1. Kap., S. 527; das übersieht J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 187 ff. 578 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 207; ebenso H. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 49 ff., 72 ff.; so auch H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 106 ff., 352 ff. 579 Dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. mit Fn. 518; insb. 5. Teil, 3. Kap., S. 617 ff. 577

6. Kap.: Der republikanische Interessenausgleich

631

Es ist legitim, venn die Interessenvertreter den Vertretern des ganzen Volkes die unterschiedlichen Interessen bekannt machen, mehr aber nicht. Wenn nicht alle möglichen besonderen Interessen/Zwecke berücksichtigt werden, nötigen die Gesetze ohne Not zu einem Handeln und verletzen damit die praktische Vernunft/die Sittlichkeit, in der Sprache des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Erforderlichkeit 581 . Sie unterdrücken, statt die allgemeine Freiheit zu verwirklichen. Eigen- und Gruppeninteressen sind privatim legitim und müssen sich in die allgemeinen Gesetze einfügen, die den Interessenausgleich und damit das gemeinsame Interesse verbindlich machen. Das Amtshandeln dürfen sie nicht leiten 582 . "Der Staat erfüllt hier durch seine gesetzgebende Gewalt die Aufgabe, Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen zu sein." - BVerfGE 33, 125 (159) 5 8 3 4. Das Recht ist positiv und damit wandelbar (Niklas Luhmann)5U. 5 5 "Alles Recht hängt nämlich von Gesetzen ab." - Kant * Die Idee der Republik, die Freiheit aller, wird von einer gruppenpluralistischen Staats- und damit Rechtslehre mißachtet. Kant drückt das Prinzip "der Freiheit als Mensch ... für die Konstitution eines gemeinen Wesens in der Formel" aus: "Niemand kann mich zwingen, auf seine Art (wie er sich das Wohlsein anderer Menschen denkt) glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit anderer, einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die mit der Freiheit von jedermann nach einem möglichen allgemeinen Geset-

580

Zum ewigen Frieden, S. 250, zum Prinzip des öffentlichen Rechts. Dazu P. Lerche, Grundrechtsschranken, HStR, Bd. V, S. 783 ff. (mit Hinw. in Fn. 44 ff.); v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rdn. 178, S. 123; E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 98 (1973), S. 568 ff., insb. S. 586 ff.; etwa BVerfGE 39, 156 (165); 50, 290 (341). 582 H. Krüger, "Die Lebensluft" des Öffentlichen Dienstes, in: W. Leisner, Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975, S. 101 ff.; so auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 41, der deswegen den "Widerstand" des "republikanischen Prinzips des Amtes" dagegensetzt (die Formulierung dekuvriert); i.d.S. auch ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 74; i.d.S. auch W. Henke, Recht und Staat, S. 387 ff. 583 J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 27, übernimmt diesen Satz. 584 ARS Ρ 1991, 436. 585 Über den Gemeinspruch, S. 150; dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff. (insb. S. 292 ff., 309 ff.); auch 9. Teil, 8. Kap., S. 995 ff.; zum Verhältnis der Gesetze zum Recht Hinweise in Fn. 30, 177, 7. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 523, 548. 581

632

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

ze zusammen bestehen kann, (d.i. diesem Rechte des anderen) nicht Abbruch tut." 5 8 6 Die Politik muß der formalen, d.h. gesetzgeberischen, Sittlichkeit genügen 5 8 7 , der es um die allgemeine Freiheit, die Würde aller, um die Willensautonomie jedermanns als seiner Personenhaftigkeit geht. Jeder muß in der Republik Bürger bleiben, Politiker sein können 588 . Das ist er aber nur, wenn er sein Glück und damit seine dieses Glück materialisierenden Interessen selbst definiert und in die Politik einzubringen berechtigt ist. Politik als Verwirklichung der Freiheit ist somit Ausgleich aller notwendig selbstbestimmten Interessen, weil die Entfaltung der Persönlichkeit, das Leben des einzelnen Menschen, das im Recht, im freiheitlichen Gesetz also, seine Bestimmung findet, material ist. Diese Materialität, in der sich die Freiheit als Autonomie des Willens verwirklicht, ist im Gesetz allseits verbindliche Erkenntnis der Interessen oder Zwecke, die zu verwirklichen niemanden die Freiheit nimmt, niemandem schadet, weil alle Betroffenen ausweislich des Gesetzes einverstanden sind. Nach Maßgabe und im Rahmen der Gesetze verwirklichen die Menschen durch Verträge ihre Zwecke/Interessen. Die Gesetze geben ihnen die erforderlichen subjektiven Rechte der Privatheit, durch die die Gemeinverträglichkeit der privaten Verträge sichergestellt und deren Verbindlichkeit ermöglicht ist 5 8 9 . Auch Kant hat den Interessenausgleich der Sache nach konzipiert: "Die Materie sei z.B. meine eigene Glückseligkeit. Diese, wenn ich sie jedem beilege (wie ich es denn in der Tat bei endlichen Wesen tun darf), kann nur alsdenn ein objektives praktisches Gesetz werden, wenn ich anderer ihre in dieselbe mit einschließe. Also entspringt das Gesetz, anderer Glückseligkeit zu befördern, nicht von der Voraussetzung, daß dieses ein Objekt für jedes seine Willkür sei, sondern bloß daraus, daß die Form der Allgemeinheit, die die Vernunft als Bedingung bedarf, einer Maxime der Selbstliebe die objektive Gültigkeit eines Gesetzes zu geben,

586

Über den Gemeinspruch, S. 145. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 228 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 137, erklärt das Glück der Einzelnen, also die besonderen Interessen, als Maxime praktischer Gesetze für ungeeignet, weil alle etwas anderes und eben nicht dasselbe wollen; das schließt den Kompromiß als Institut des Interessenausgleichs nicht aus (vgl. das Kant-Zitat im folgenden Text). 587

588 Dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 85 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 160; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 214); 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 790 f. 589 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 404 ff.

6. Kap.: Der republikanische Interessenausgleich

633

der Bestimmungsgrund des Willens wird, und also war das Objekt (anderer Glückseligkeit) nicht der Bestimmungsgrund des reinen Willens, sondern die bloße gesetzliche Form war es allein, dadurch ich meine auf Neigung gegründete Maxime einschränkte, um ihr die Allgemeinheit eines Gesetzes zu verschaffen, und sie so der reinen praktischen Vernunft angemessen zu machen, aus welcher Einschränkung, und nicht dem Zusätze einer äußeren Triebfeder, alsdenn der Begriff der Verbindlichkeit, die Maxime meiner Selbstliebe auch auf die Glückseligkeit anderer zu erweitern, allein entspringen könnte." - Kant 590 5. Wenn auch der Staat um des guten Lebens aller willen durch Gesetz Aufgaben und Befugnisse erhalten darf und muß, wenn diese der Sicherheit oder auch der Wohlfahrt dienen 591 , so gebietet doch die Not des Interessenausgleichs die möglichste Zurückhaltung bei der Institutionalisierung staatlicher Lebensbewältigung. Die besonderen Interessen als das jeweilige Glück des Menschen sollen sich bestmöglich entfalten können. Das ergibt der Grundsatz und Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung 592 , der als Leitprinzip der Republik institutionell judiziabel ist 5 9 3 . Der Interessenausgleich muß besondere Interessen zurückstellen, also der Sache nach Menschen und ihrem Glück Vorschriften machen. Die interessenausgleichenden Gesetze erlauben es den Menschen, besondere Interessen zu verwirklichen. Anders wäre das gemeinsame Leben nicht zu gestalten, weil nicht alles Handeln vom Einverständnis der durch das konkrete Handeln Betroffenen abhängig gemacht werden kann. Die Verwirklichung besonderer Interessen der Privatheit, ermöglichen die subjektiven Rechte 594 . 6. Wenn auch das Bundesverfassungsgericht i m Brokdorf-Beschluß (BVerfGE 69, 315 (346)) pluralistisch erklärt, die ungehinderte Ausübung der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen liege "auch deshalb im wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse, weil sich im Kräfteparallelogramm der politischen Willensbildung im allgemeinen erst

590 591

Kritik der praktischen Vernunft, S. 146.

Zu den Staatszwecken 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 346 ff.; auch 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f.; 7. Teil, 4. Kap., S. 574 ff. 592 Dazu die Hinweise in Fn. 322, 7. Teil, 4. Kap., S. 575. 593 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 386 ff. (insb. S. 391 f.); 4. Teil, 3. Kap., S. 244 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 944 f., 982 f.; auch 9. Teil, 1. und 8. Kap., S. 850, 990 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 673. 594 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 385 ff.; 6. Teil, 2., 4. und 5. Kap., S. 449 ff., 461 ff., 466 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.

634

7. Teil: Die republikanische Rechtsstaatlichkeit

dann eine relativ richtige Resultante herausbilden" könne, "wenn alle Vektoren einigermaßen kräftig entwickelt" seien, so begründet es doch den Beschluß in herrschaftlicher Toleranz damit, daß diese Ausübung des Freiheitsrechts "nicht nur dem Bewußtsein politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur Staatsverdrossenheit" entgegenwirke 595 . Damit räumt es ein, daß der Pluralismus von Parteien und Verbänden die befriedende Wirkung, welche die Gesetze der Freiheit haben sollen, nicht leistet. Empirisch ist eine solche Wirkung auch durch nichts erwiesen, wenn auch pluralistischen Verhältnissen eine machthemmende und damit freiheitliche Wirkung nicht abgesprochen werden kann. Zu welcher Gruppe gehören die Kinder, die im Mutterleib getötet werden, zu welcher Gruppe unsere Nachfahren, zu deren Lasten heute (dem Gesetz gemäß) die Lebenswelt vergiftet wird? Frieden schafft nur die Sittlichkeit. Zum Volk gehören im weiteren Sinne der Repräsentation auch die Vorfahren und die Nachfahren 596 . Wir Deutsche erfahren das nach den Verbrechen der Parteiherrschaft Hitlers einerseits und durch die Umweltzerstörung unserer Tage, vor allem in der ehemaligen DDR wiederum durch eine reine Parteiherrschaft (SED mit abhängigen Blockparteien) 597 andererseits existentiell. Winfried Steffani hat den Neopluralismus denn auch zur "demokratischen Oppositionstheorie" weiterentwickelt, der es um Institutionen geht, die das Wahre und Richtige hervorbringen, nicht aber gruppenhafte Interessen durchzusetzen erlauben 598 und damit die Pluralismuslehre in die

595

Daß das Gericht "die stabilisierende Funktion der Versammlungsfreiheit für das repräsentative System" anerkennt (S. 347), ist Ausdruck toleranter Herrschaftlichkeit, sanfter Despotie; denn eine befriedende Wirkung "der offiziellen Politik" des Parteienstaates wird gar nicht mehr erwartet. Daß aber die politischen Verhältnisse mathematisiert werden, entfernt sich allzu weit von praktischer Vernunft der Einigkeit, die kein Gegeneinander von Kräften erfordert; aber vielleicht finden wir noch zur mathematischen Verfassungslehre. 596 Zum Volksbegriff i.d.S. vgl. A. Podlech, Repräsentation, S. 524 ff.; vgl. zum repräsentativen Charakter des Volksbegriffs H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 247 ff., wonach die wahlberechtigten Staatsbürger das ganze Volk (auch in zeitlichen Dimensionen) repräsentieren. 597 Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 676, 796 f. 598 Pluralistische Demokratie, S. 68 f.; ders., Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 244; vgl. ΚΑ. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 192 ff., zur erkenntnishaften republikanischen Oppositionstheorie.

6. Kap.: Der republikanische Interessenausgleich demokratisch-republikanische "Mittelding

eines

Staatslehre

eingebettet.

pragmatisch-bedingten

N u t z e n ) " die notwendige Absage e r t e i l t

599

Rechts

635 Kant

(zwischen

hat

dem

Recht

und

.

599 Zum ewigen Frieden, S. 244; ebenso gegen den Pluralismus J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 46; der Sache nach auch ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 82 f.; auch ders., Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, S. 141 ff. (nach Mead).

Achter Teil Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes 1. Kapitel Bestmögliche Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung I. Das Prinzip der Stellvertretung des Volkes in der Gesetzgebung Staatlichkeit ist allgemeine Gesetzlichkeit. Diese Gesetzlichkeit verwirklicht die Freiheit 1 . Eine Republik muß den Weg zur bestmöglichen Verwirklichung der Freiheit durch Gesetzlichkeit ebnen. Dieser Weg der Staatlichkeit ist die Form der Politik. Das Grundgesetz hat sich nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 für die Ausübung der Staatsgewalt (neben der durch Wahlen und Abstimmungen) durch besondere Organe des Volkes entschieden. Organschaft i m Sinne des Grundgesetzes ist, wie Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG beweist, Vertretung des ganzen Volkes 2 . Das Vertretungsorgan des ganzen Volkes in der Gesetzgebung des Bundes ist vor allem wesentlich der "Deutsche Bundestag" 3 (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG in Verbindung mit Art. 76 ff. GG). Der Deutsche Bundestag ist der Idee des Parlamentarismus nach eine Einrichtung der Freiheit; denn er beschließt gemäß Art. 77 Abs. 1 GG die "Bundesgesetze"4. Deutschland hat viele Parlamente, etwa das des Bundes, den Deutschen Bundestag, die Parlamente der Länder, die Landtage und Bürgerschaften, in den Kommunen und Kommunalverbänden die Räte und Tage u.a. Der Deutsche Bundestag ist wegen der weitreichenden Gesetz-

1 Dazu 2. Teil, 7., 10. und 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; 7. Teil, S. 519 ff., insb. S. 562 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 6. Teil, 6. und 8. Kap., S. 484, 528 ff., 494 ff.; 9. Teil, 2., 7. und 8. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff. 2 Dazu näher II, S. 26, 644 ff. und 3. Kap., S. 707 ff. 3 Die Vertretung des Bundestages als allgemeine Vertretung des Volkes, nicht als dessen Repräsentant, stellt H. Meyer , Die Stellung der Parlamente, S. 119 ff., heraus, freilich extrem parteienstaatlich. 4

An der Bundesgesetzgebung ist vor allem auch der Bundesrat beteiligt (Art. 76 ff. GG). Die föderale Verwirklichung der Freiheit bleibt bei den folgenden Überlegungen unberücksichtigt; dazu J. Isensee , Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, HStR, Bd. IV, S. 650 ff., 655 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 223 ff., S. 87 ff.. Zur gesetzgeberischen Funktion der Rechtsprechung, insb. des Bundesverfassungsgerichts, als des wesentlichen stellvertretenden Hüters der praktischen Vernunft 9. Teil, 2., 3., 4. und 10. Kap., S. 858 ff., insb. S. 870 ff., 884, 909 ff., 920 ff., 932 ff., 1027 ff.; auch 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.

638

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

gebungsbefugnisse des Bundes (Art. 72 ff. GG) das wichtigste Gesetzgebungsorgan. Ohne ein Parlament aus den Vertretern des ganzen Volkes aber ist die allgemeine Autonomie des Willens, also die Freiheit aller Bürger, nicht realisierbar. Die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit ist die einzige und zugleich die unabweisbare Rechtfertigung moderner Staatlichkeit 5 . Die Gesetzgebung ist autonom, wenn sie die Erkenntnisse des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit verabschiedet 6. Für diese Aufgabe ist ein Parlament als die Versammlung der für die Bewältigung insbesondere dieser Aufgabe gewählten Vertreter des ganzen Volkes das bestmöglich konzipierte Organ 7 . Folglich ist ein Parlament als zentrales Organ der Gesetzgebung für ein freiheitliches Gemeinwesen, eine Republik, notwendig. In kaum einem Staat wird heute auf ein Parlament verzichtet. Oft dienen diese Parlamente nur der Legitimierung herrschaftlicher Gesetzgebung, weil sie keine wirkliche Entscheidungskompetenz haben. Das ist auch die Verfassungswirklichkeit Deutschlands, weil die wirklichen gesetzgeberischen Entscheidungen von Parteienoligarchien getroffen werden und die parlamentarischen Mehrheiten sich an die Entscheidung der Parteien binden lassen8. Hobbes hat das Prinzip der politischen Stellvertretung auf den Begriff gebracht: "Indem die Menschen sich freiwillig vereinigen und sich insgesamt dahin vertragen, dem einen oder mehreren gemeinschaftlich zu gehorchen, welchem oder welchen die Stimmenmehrheit das Recht überträgt, ihr allgemeiner Stellvertreter zu sein, wird ein Staat errichtet. Jeder von ihnen wird dadurch verpflichtet, er mag demselben seine Stimme gegeben haben oder nicht, dem zu gehorchen, den die größere Anzahl gewählt hat; und er muß von der Zeit an dessen Handlungen als seine eigenen ansehen".9 Nach Kant geschieht dem, der dem Gesetz seine "Beistimmung" nicht gegeben habe, Unrecht 10 . Die Gesetzgebung müsse aber repräsentativ sein;

5

Ganz so O. Höffe, Gerechtigkeit als Tausch?, S. 30 ff. Dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 346 ff.; auch 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff., 573 ff. 7 Dazu unten S. 662 ff. 8 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. 9 Leviathan, S. 156, vgl. auch S. 155, 160, 194 u.ö., Hobbes Lehre von der Stellvertretung zwingt nicht zu einer Herrschaftslehre, dazu 6. Teil, 6. Kap., S. 481 f.; 2. Teil, 3. Kap., S. 90 f.; 8. Teil, 3. Kap., S. 727 ff. 6

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

639

i m Namen des Volkes "besorgen dessen Abgeordnete (Deputierte) dessen Rechte"; denn: "Alle wahre Republik ist und kann nichts anders sein, als ein repräsentatives System des Volkes, um i m Namen desselben, durch alle Staatsbürger vereinigt, vermittelst ihrer Abgeordneten (Deputierten) ihre Rechte zu besorgen." - Kant n Das hat Montesquieu nicht anders beurteilt: "In einem freien Staat soll jeder Mensch, dem man eine freie Seele zugesteht, durch sich selbst regiert werden: daher müßte das Volk als Gesamtkörper die legislative Befugnis innehaben. Da dies in den großen Staaten unmöglich ist und in den kleinen Staaten vielen Nachteilen unterliegt, ist das Volk genötigt, all das, was es nicht selbst machen kann, durch seine Repräsentanten machen zu lassen.... Die Repräsentanten sind in der Lage, die Angelegenheiten zu erörtern. Das ist ihr großer Vorteil. Das Volk ist dazu durchaus nicht geeignet. Das ist eines der großen Gebrechen der Demokratie." 12 Kant und Montesquieu haben das hobbessche Prinzip der Stellvertretung befürwortet 13 . Rousseau hat die Vertretung des Willens zurückgewiesen: "Ich behaupte deshalb, daß die Souveränität, da sie nichts anderes ist, als die Ausübung des Gemeinwillens, niemals veräußert werden kann und

10 Zum ewigen Frieden, S. 204 f.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 432; nichts anderes folgt aus dem allgemeinen Prinzip des Rechts, ders., Metaphysik der Sitten, S. 336 f.; ebenso ders., Über den Gemeinspruch, S. 150; ebenso Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 35,41; ebenso schon Hobbes, Leviathan, S. 160, 193; ders., De cive, S. 186 f.; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910 f.; J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 80 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, insb. S. 153 ff., zur Konsenslehre. 11 Metaphysik der Sitten, S. 439, 464; ders., Über den Gemeinspruch, S. 152; des., Zum ewigen Frieden, S. 206 ff., für die "Regierungsart" einer Republik; Λ. Podlech, Repräsentation, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. V, S. 529, bezeichnet die Formulierung Kants zu Recht als "klassisch"; i.d.S. auch J. Isensee, JZ 1981, 7; zu Kants Lehre von der Regierungsart (Republikanismus versus Despotismus) W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 275 ff., 305 ff. (zur Repräsentation); auch D. Hilger, Herrschaft, S. 70; H. Dreier, Demokratische Repräsentation und vernünftiger Allgemeinwille - Die Theorie der amerikanischen Federalists im Vergleich mit der Staatsphilosophie Kants, AöR 113 (1988), S. 450 ff., der die Arbeit von B. Haller, Repräsentation. Ihre Bedeutungswandel von der hierarchischen Gesellschaft zum demokratischen Verfassungsstaat, 1987, präsentiert, dem aber Kant fremd bleibt. 12 Vom Geist der Gesetze, S. 215 f. 13 Hobbes, Leviathan, S. 151 ff.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 27, 102 ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 464; dazu A. Podlech, Repräsentation, S. 521; H. Hofmann, Repräsentation, S. 382 ff.; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 305 ff., eher kritisch.

640

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

daß der Souverän, der nichts anderes ist, als ein Gesamtwesen, nur durch sich selbst vertreten werden kann; die Macht kann wohl übertragen werden, nicht aber der Wille." ... "Die Souveränität kann aus dem gleichen Grund, aus dem sie nicht veräußert werden kann, auch nicht vertreten werden, sie besteht wesentlich i m Gemeinwillen, und der Wille kann nicht vertreten werden: er ist derselbe oder ein anderer; ein Mittelding gibt es nicht. Die Abgeordneten des Volkes sind also nicht seine Vertreter, noch können sie es sein, sie sind nur seine Beauftragten; sie können nicht endgültig beschließen. Jedes Gesetz, das das Volk nicht selbst beschlossen hat, ist nichtig; es ist überhaupt kein Gesetz." ... "Da das Gesetz nur die Bekundung des Gemeinwillens ist, ist es offenbar, daß das Volk als Legislative nicht vertreten werden kann; aber es kann und muß vertreten werden als Exekutive, die nur die gemäß dem Gesetz angewandte Kraft ist." ... "Von dem Augenblick an, wo ein Volk sich Vertreter gibt, ist es nicht mehr frei; es ist nicht mehr." - Rousseau 14 Kant hat sich Rousseau weitgehend angeschlossen: "Das Recht der obersten Gesetzgebung im gemeinen Wesen ist kein veräußerliches, sondern das allerpersönlichste Recht. Wer es hat, kann nur durch den Gesamtwillen des Volks über das Volk, aber nicht über den Gesamtwillen selbst, der der Urgrund aller öffentlichen Verträge ist, disponieren." - Kant l5, aber, wie soeben zitiert, die Repräsentation des Volkes befürwortet. Rousseaus Ablehnung der Vertretung des Volkes durch Abgeordnete war durch die autonomiegerechte, prinzipiell überzeugende Lehre gestützt, daß eine Vertretung im Willen unmöglich 16 , Gesetzgebung aber nichts anderes als allgemeine Willensbekundung, eben volonté générale, sei 17 . Aber die Willensautonomie wird nicht verletzt, wenn der Wille der Bürger darauf gerichtet ist, daß das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit Gesetz werde, und die Abgeordneten als Vertreter des ganzen Volkes dieses Richtige zu erkennen haben.

14

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 27, 102, 104, 105; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 84 f., hat sich der richtigen These, daß der Wille weder übertragen noch vertreten werden könne, angeschlossen (dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 530 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 720 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.). 15 Metaphysik der Sitten, S. 465; ebenso ders., Zum Ewigen Frieden, S. 207 f.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 152 f. 16 Zur Lehre von der Unmöglichkeit der Vertretung H.J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 129 ff., insb. zur Willenslehre Savignys S. 148 ff.; dazu auch 8. Teil, 3. Kap., S. 712, 722 f. 17 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 104.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

641

Diese konsensual-repräsentative Vertretungslehre wahrt die Freiheit, ja verwirklicht sie bestmöglich 18 . Sie bleibt Rousseau verbunden. Das Gesetz bleibt die volonté générale. Rousseaus Argumentation hat alles für sich, wenn die Abgeordneten parteilichen Interessen dienen und nicht allein um das gemeinsame gute Leben in allgemeiner Freiheit bemüht sind. Solche Abgeordneten sind der Sache nach "Parteibeauftragte" 19 . Dennoch hat Rousseau eine repräsentative Gesetzgebung befürworten müssen, wie Herbert Krüger gezeigt hat 20 . Die Irrtumslehre Rousseaus ist eine Art Repräsentationsdogmatik, welche der Dogmatik der Vertretungsrepräsentation, wie die hier vorgestellte Lehre genannt werden kann, keineswegs überlegen ist. Letztere gibt die Chance kompetenter Vertretung des Volkes. Das war das wesentliche Anliegen der Repräsentationslehre des (Kantianers 21 ) Abbé Sieyès 22. In Gemeinwesen mit vielen Menschen ist die Vertretung unverzichtbar. Rousseau muß die Größe des Gemeinwesens seiner Dogmatik anpassen, weil diese nur für kleine Gemeinwesen stimmig ist. Die demokratische Regierung einer Republik setze "viele schwer zu vereinigende Dinge voraus": "Erstens einen sehr kleinen Staat, in dem das Volk einfach zu versammeln ist und jeder Bürger alle anderen leicht kennen kann; zweitens ..." 23 . Im übrigen vertritt in Rousseaus Lehre die erkennende Mehrheit die irrende Minderheit. In einem derart kleinen Gemeinwesen wird das Mehrheitsprinzip zur tragfähigen Mehrheitsregel, weil eine Organschaft des Volkes

18

Dazu unten 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 644 ff., 707 ff., 717 ff., 728 ff. I.d.S. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 217, 219; ders., Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 43, 45 ff.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 98 f.; H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 10 ff., in der Sache; zur Lehre vom rahmengebundenen, parteigebundenen Mandat, die einen derartigen Status der Abgeordneten parteienstaatsrechtlich dogmatisiert, 8. Teil, 2. und 5. Kap., S. 702 ff., 814 ff. 19

20 Allgemeine Staatslehre, S. 239, 248; zustimmend M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 182 f.; in der Sache auch E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 12; ders., HStR, Bd. II, S. 30 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 243 ff.; auch H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 173. 21 O. Dann, Einleitung zu E.J. Sieyes, Was ist der Dritte Stand?, 1789, 1988, S. 22 ff., zum Einfluß Kants auf Sieyes. 22

Vgl. die Hinw. in Fn. 515, S. 649 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 73, auch S. 50, 55, 105; dazu M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 244 ff. 23

41 Schachtschneider

642

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

gelebt werden k a n n 2 4 . A b e r auch die "gesellschaftliche Stellung u n d die V e r m ö g e n " sollten gleich u n d die Sitten sehr einfach sein, meint seau25.

Rous-

D i e Erkenntnis des Gesetzes soll dadurch keiné Schwierigkeiten

machen u n d d e m schlichten Anstand überlassen bleiben können. Verfassungspolitik konkurriert m i t staatlicher Einheit, sei diese national oder international, e t w a europäisch 2 6 . A u c h der Verfassungsstaat muß das gemeinsame freie u n d gute L e b e n einer Bürgerschaft, die als V o l k zusammenleben w i l l , sei es aus nationalen, sei es aus ökonomischen oder aus anderen Gründen, e r m ö g l i c h e n 2 7 . D i e Freiheit der Lebensgemeinschaft, welche sich als Rechtsgemeinschaft/als

Staat verfaßt, muß b e s t m ö g l i c h

verwirklicht

werden. D i e Grundentscheidung für die Freiheit zieht der Verstaatlichung der Lebensgemeinschaften Grenzen, das aktuelle Problem der Europäischen U n i o n 2 8 . Kant

hat den "Föderalism freier Staaten" vorgeschlagen 2 9 ,

die

24 Das übersieht die Rousseaukritik, die Erkenntnis und Dezision nicht unterscheidet, insb. R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 279 ff.; R. Weber-Fas, Grundgesetz und Verfassungsentwicklung, S. 23; R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 110 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 591 f., der die Personalität der volonté générale verkennt und durchgehend Rousseaus Freiheitslehre als idealistisch und darum illusorisch verfemt, a.a.O., S. 289 f., 399, 607 u.ö.; aber auch der Rousseauist W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff., 35, mit dem Gesichtspunkt "absolute Demokratie" als "uneingeschränkter Mehrheitsherrschaft", der sich nicht auf Rousseau stützen läßt, weil Rousseau sich gegen jede Art von Herrschaft ausspricht (Vom Gesellschafts vertrag, S. 28; D. Hilger, Herrschaft, S. 66 ff. (bei Rousseau " Herrschaft ohne Herren"); richtig W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 266; rousseauisch begründet ist das "Staatsrecht der Bürger", das W. Leisner, Staatseinung, insb. S. 22 ff., 161 ff., konzipiert, vgl. etwa S. 174. 25

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 73. Dazu 10. Teil, 1. Kap., S. 1046 f.; auch 11. Teil, 2. Kap., S. 1186 ff. 27 Die Entwicklung Deutschlands in den Jahren 1989/90 bietet ein Beispiel. Die unterschiedliche Verfassungspolitik in beiden Teilen Deutschlands hat es nie gerechtfertigt, die deutsche Nation staatlich zu trennen. Es bestand vielmehr die Pflicht aller Deutschen, eine gemeinsame Verfassung zu geben. Dieser Pflicht konnten die Deutschen im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands nicht genügen, ihnen war "mitzuwirken versagt" (Präambel des Grundgesetzes). Die bislang zur DDR verfaßten Teile Deutschlands sind der Bundesrepublik Deutschland beigetreten, so daß das Grundgesetz dort gemäß Art. 23 GG "in Kraft gesetzt werden konnte" (dazu G. Ress, Grundlagen und Entwicklungen der innerdeutschen Beziehungen, HStR, Bd. I, S. 503 f.). Die Deutschen dort haben damit ihrer Pflicht zur gemeinsamen Verfassungsgebung mit den Deutschen hier genüge getan. Jetzt gilt eine einheitliche Verfassung in Deutschland, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949. 26

28 Dazu KA. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, S. 83 ff., Beyer, Der Vertrag über die Europäische 90 ff., 96 ff.; dersJA. Emmerich-Fritsche/Th.C.W. Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 751 ff., 754 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, 1994. 2 Zum ewigen Frieden, S. 20 f .

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

643

bestmögliche Lösung des weltbürgerlichen gemeinsamen Lebens. Rousseau räumt ein: "Von selbst w i l l das Volk immer das Gute, aber es sieht es nicht immer von selbst. Der Gemeinwille ist immer richtig, aber das Urteil, das ihn leitet, ist nicht immer aufgeklärt. ... Daraus entsteht die Notwendigkeit eines Gesetzgebers" 30. Dieser Gesetzgeber ist der Repräsentant an und für sich, ein "in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Mann im Staat" 31 . Die überstimmte Minderheit werde, der Not gehorchend, von der Mehrheit vertreten. Sie müsse deren Erkenntnis folgen, um frei zu sein; denn sie habe sich über das Richtige geirrt 32 . Dem Irrtum ist nach Kräften vorzubeugen. Auch Rousseau hat sich darum bekümmert. Er hat den législateur und für die Gesetzgebung eine Mehrheit der Meinungen empfohlen, welche sich "der Einstimmigkeit nähern" solle 33 . Die bestmöglichen Institutionen der Gesetzgebung sind noch immer die Parlamente, wenn in ihnen die Besten des Volkes 34 das Volk in der Erkenntnis des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit vertreten und sich um diese Erkenntnis in geeigneten Verfahren, nämlich in öffentlicher Diskussion der Sachprobleme, bemühen 35 . Carl Schmitt hat die Idee des repräsentativen Parlamentarismus in seiner Lehre vom "Gesetzgebungsstaat" beschrieben 36. Ihm ging es nicht darum, diese Idee zu fördern. Den republikanischen Aspekt dieser Repräsentation, nämlich die Vertretung der Bürgerschaft in ihrer Sittlichkeit, den Herbert Krügers Vergütungslehre aufgreift 37 , hat er, nicht anders als 30

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 42, auch S. 30 f. Vom Gesellschaftsvertrag, S. 43 ff.; dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 723 f., 732. 32 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 116 f., auch S. 21; dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 281 f., 283 ff. 33 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 43 ff., bzw. S. 117 f. 34 So H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 251 f.; zum aristokratischen Prinzip 1. Teil, 3. Kap., S. 27, 64; 2. Teil, 6. Kap., S. 115; 7. Teil, 1. und 3. Kap., S. 662 ff., 674 ff., 679 ff. 35 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; auch 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 648 ff., 662 ff., 669 ff., 716 ff.; 10. Teil, 4. und 5. Kap., S. 942 ff., 956 ff. 36 Vor allem in: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 5 ff., 41 ff.; aber auch ders., Legalität und Legitimität, S. 7 ff., 20 ff.; vgl. auch ders., Verfassungslehre, S. 138 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 75 ff.; so auch H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 10 ff.; auch G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 211 ff. ("liberal-demokratisches Denken"); grundlegend H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 232 ff., zur Idee der Repräsentation, S. 252 f., für den Abgeordneten, S. 283 ff., zum Mehrheitsprinzip um der Richtigkeit willen, S. 296 ff., zur Allgemeinheit als "Verallgemeinerungsfähigkeit"; dazu auch K.A. Schachtschneider, Das Hamburger Oppositionsprinzip, Der Staat 28 (1989), S. 188 f. 31

37

4

Allgemeine Staatslehre, S. 232 ff.

644

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Gerhard Leibholz, vernachlässigt. Ohne die Moralität als das Prinzip der politischen Freiheit büßt aber der Republikanismus seine Substanz ein 3 8 . II.

Die Notwendigkeit der parlamentarischen Vertretung des Volkes für die Sittlichkeit der Rechtserkenntnisse des Gesetzgebers und deren Möglichkeit durch die Homogenität der Bürgerschaft 1. Auch die vom Grundgesetz verfaßte Republik hat in diesem Sinne repräsentative Erkenntnis- und Entscheidungsverfahren (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) 3 9 , ohne daß Abstimmungen des Volkes ausgeschlossen sind 40 . Letztere gelten zwar als unmittelbar demokratisch, sie sind aber dennoch gewissermaßen repräsentativ; denn alle staatlichen Entscheidungen sind für das ganze Volk in der Gegenwart und vor allem für die Zukunft verbindlich 4 1 . Zu erwarten, daß alle Bürger einer Entscheidung beistimmen oder sich auch nur an einem Erkenntnis- und Entscheidungsverfahren beteiligen, ist derart irreal, daß auf ein solches Verfahren Staatlichkeit nicht gestellt werden kann. Staatliche, also allgemeine Verbindlichkeit, kann schlechterdings ohne Vertretung nicht begründet werden. Was immer Repräsentation im Erkenntnis- und Entscheidungsverfahren bedeuten mag 42 , jedenfalls sind

38

Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 2., 3. und 4. Kap., S. 259 ff., 275 ff., 325 ff.; 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 527 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 657 ff., 772 ff., insb. S. 810 ff.; 9. Teil, 6. Kap., S. 963 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff. 39 Zur Einheit des repräsentativen und des republikanischen Prinzips W. Mager, Republik, S. 54 ff., 607 ff.; A. Podlech, Repräsentation, S. 509 ff., 520 ff., 528 ff.; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 879; J. Isensee, JZ 1981, 7; ders., Republik, Staatslexikon, Sp. 885; ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 74. 40 Dazu Κ Stern, Staatsrecht I, S. 607 f., 959 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 972 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 159 ff.; ders., Gesetzgebung und Verfassungsänderung durch das Volk in Berlin, JR 1975, 221 ff. 41 I.d.S. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 244 ff. 42 Grundlegend für die verwirrende, weithin Herrschaft ideologisierende Repräsentationslehre C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 204 ff. u.ö.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentationssystems, 1929, S. 25 ff., 2. Aufl. 1960, unter dem Titel: Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 3. Aufl. 1966, 1973 Neudruck unter dem Titel: Die Repräsentation in der Demokratie; entideologisierend H.-J. Wolff, Organschaft und Juristische Person, II, Theorie der Vertretung, 1934, S. 16 ff., 303 ff.; für eine moralische und damit politische Repräsentationslehre grundlegend H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 232 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 240 ff., auch S. 165 ff.; D. Sternberger, Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, 1971, in: ders., Herrschaft und Vereinbarung, Schriften III, 1980, S. 173 ff.; zur gegenwärtigen Diskussion der Repräsentation K. Stern, Staatsrecht I, S. 959 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, 1983; ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, HStR, Bd. II, S. 29 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 992 ff., H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: H.P. Schneider/W. Zeh

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

645

diese nicht ausschließlich Erkenntnisse und Entscheidungen derer, welche durch die Beschlüsse verbunden werden. Herbert Krüger hat auf den repräsentativen Charakter auch der volonté générale Rousseaus hingewiesen 43 . Es kommt alles darauf an, die sogenannte Repräsentation so zu gestalten, daß der Zweck des Staates, das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit, bestmöglich verwirklicht werden kann. Dieses republikanische Prinzip hat der Abbé Sieyès in die Französische Revolution und damit in alle republikanischen Verfassungen der Neuzeit eingebracht 44 . Die Notwendigkeit der Vertretung ergibt sich aus der Irrealität höchstpersönlichen Vertragsschlusses aller Bürger mit allen Bürgern in allen Angelegenheiten 45 . Auch Kant hat, nicht anders als Montesquieu, dieses Argument benutzt 46 , aber als weiteres Argument nicht nur das der Gewaltenteilung 47 , sondern auch das einer differenzierten Funktionenordnung 48 hinzugefügt. Die Wirklichkeit ist gebieterisch. Der Zwang zur Vertretung gibt die Chance, die Erkenntnis- und Entscheidungsverfahren so zu ordnen, daß moralischer Kompetenz die größtmögliche Chance gegeben wird. Das beste Modell zur Bewältigung des Problems allgemeinverbindlicher Erkenntnisse

(Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, S. 165 ff.; H. Pollmann, Repräsentation und Organschaft, 1969, S. 14 ff.; W. Manti , Repräsentation und Identität, 1975; V. Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, 1979; H. Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, 1979; K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, 1982, S. 119 ff., 179 ff., 234 ff., 270 ff.; J. Kimme, Das Repräsentativsystem unter besonderer Beachtung der historischen Entwicklung der Repräsentation und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1988; auch H. Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973, S. 152 ff.; vgl. weiter die von H. Rausch gesammelten Beiträge in: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, 1968; zur Begriffsgeschichte außer der soeben genannten Literatur W. Mager, Republik, S. 54 ff., 607 ff.; H. Hofmann, Repräsentation, Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 1974, zu Kants Repräsentationslehre, S. 411 ff., 2. Aufl. 1991; A. Podlech, Repräsentation, S. 509 ff., 520 ff., 528 ff. 43 Allgemeine Staatslehre, S. 248; ganz so auch E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 12; ders., HStR, Bd. II, S. 30 ff.; Η Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 173. 44 E.J. Sieyès , Politische Schriften, 1788 bis 1790, ed. E. Schmitt/R. Reichardt, 2. Aufl. 1981, S. 225 ff.; dazu H. Hofmann, Repräsentation, S. 406 ff., 414 f.; dersJH. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 170, 179 f. 45 E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 6 ff., 8 ff.; ders., HStR, Bd. II, S. 30 ff., 46; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 244 ff. 46 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 207; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215 f. (Zitat oben S. 639 f.). 47 48

Zum ewigen Frieden, S. 207. Zum ewigen Frieden, S. 223 f.

646

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

und Entscheidungen ist die Vertretung, wenn das ganze Volk gebunden werden muß, die Vertretung des ganzen Volkes. Das ist ausweislich Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG die Konzeption des Grundgesetzes, welches sich auch damit in die republikanische Tradition einfügt. Diese Vertretung muß freiheitlich begriffen werden, damit die Verfassung der Freiheit 49 , das Grundgesetz, nicht zu einer Verfassung der Herrschaft verfälscht wird. Die Definition der Vertretung des ganzen Volkes bestimmt das politische Prinzip des Gemeinwesens. Es gibt keine Vertretung, welche zur Herrschaft berechtigt. Der dem Verfassungstext fremde Begriff der Repräsentation muß die Vertretung des ganzen Volkes im Sinne des Grundgesetzes, also im Sinne der Gleichheit aller in der Freiheit 50 , zum Ausdruck bringen. Keinesfalls darf ein Begriff der Repräsentation das freiheitliche Gemeinwesen in einen herrschaftlichen Parteienstaat verwandeln. Das aber ist die herrschende Verfassungsrechtslehre, wie es denn auch die herrschende Verfassungspraxis ist, die im folgenden kritisiert werden wird. Verbindliche Erkenntnis und Entscheidung durch Vertreter des Volkes ist das republikanische Verfahren der Erkenntnis und Entscheidung des Volkes. Die Stellvertretung des Volkes wahrt der Rechtstechnik nach das Höchstmaß an Selbständigkeit, wenn man so will, an Identität 51 der Bürger, d.h. deren Willensautonomie, welches empirisch praktisch ist. Die Wirklichkeit würde ein Entscheidungsverfahren, welches übereinstimmende Erkenntnisse aller Bürger verlangt, also einen Konsens der Meinungen, ad absurdum führen. Wenn Gesetze nur aus der Übereinkunft aller mit allen erwachsen dürften und jeder Bürger zu jedem Gesetzesvorhaben seine gesetzgeberische Willenserklärung abzugeben hätte, könnte nicht erwartet werden, daß auch nur ein Gesetz verabschiedet werden würde. Ein solches Gesetzgebungsverfahren würde die Verwirklichung der Freiheit durch Gesetze konterkarieren. Eine Verfassung der Freiheit kann so nicht geformt sein. Weil immer einer dissentieren könne, hat Kant die demokratische Regierungsform despotisch genannt 52 . Kant spitzt damit das Argument zu, welches gegen die Legitimi-

49

Dazu Hinweise im 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 5. Teil, 1. Kap., S. 253. Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; 5. Teil, 1. und 6. Kap., S. 253 ff., 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 51 Zur Problematik der Begriffe Identität und Repräsentation S. 666 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 763 ff.; zur Repräsentation auch 2. Teil, 5. und 9. Kap., S. 100 ff., 139 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 529 ff.; 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 707 ff., 772 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 997 ff. 52 Zum ewigen Frieden, S. 206 f.; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 306. 50

1. Kap.: Freiheitserwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

647

tat der Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit steht 53 . Immer wird es unterschiedliche Meinungen darüber geben, welche Regelung für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit richtig sei, schon weil die Theorien von der Wirklichkeit, welche jeder Gesetzgebung als Wahrheit zugrundezulegen sind 54 , regelmäßig kontrovers bleiben. Derartige Erkenntnisse sind ihrer empirischen Eigenart gemäß kontingent; dennoch müssen sie berücksichtigt werden. Die Freiheit selbst gebietet eine Verfassung der Verfahren, insbesondere der Gesetzgebung, welche die Freiheit zu verwirklichen bestmöglich fördert und sie nicht größtmöglich gefährdet, wie das Vetorecht jedes Bürgers. Wer die formelle und materielle Kompetenz aller Bürger für die Gesetzgebung ideologisiert, nimmt nach aller Erfahrung die Despotie von Führern, die sich akklamieren lassen 55 , in Kauf oder will gar derartiger Führung den Weg ebnen. Diesen Vorwurf muß sich auch gefallen lassen, wer plebiszitäre Gesetzgebungsverfahren ohne die Wahrheitlichkeit und die Richtigkeit der unmittelbar vom Volk getroffenen Entscheidungen sichernde Erkenntnisverfahren postuliert 56 . Das Prinzip der Mehrheitsherrschaft ist eine Gefahr für die allgemeine Freiheit, selbst wenn es durch grundrechtlichen Minderheitenschutz und die organisationsrechtliche Chance zur Änderung der Mehrheitsverhältnisse moderiert ist 5 7 . Das gilt für einen parteiendemokratischen parlamentarischen Plebiszitismus, wie ihn Gerhard Leibholz gelehrt hat 58 , aber verstärkt für unmittelbare Abstimmungen des Volkes, also den Plebiszitismus im eigentlichen Sinne. 2. Das Parlament ist in seiner Gesamtheit als Verfassungsorgan die Vertretung des ganzen Volkes. "Der Deutsche Bundestag ist unmittelbares Repräsentativorgan des Volkes. Er besteht aus den als Vertreter des ganzen Volkes gewählten Abgeordneten, die insgesamt die Volksvertretung bilden. Der durch Art. 38 Abs. 1 GG gewährleistete repräsentative verfassungsrechtliche Status

53

Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. Dazu näher 7. Teil, 4., 5. und 6. Kap., S. 567 ff., 584 ff., 617 ff.; vgl. K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 100 ff., insb. S. 105 ff. 55 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 43 f.; 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 741 ff., 754 ff.; klar schon Aristoteles, Politik, S. 143 f., 1292 a 5 ff. 54

56 57 58

Dazu 8. Teil, 2. Kap., S. 703 ff. Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 112 ff., 123 f.; 6. Teil, 10. Kap., S. 513 ff. Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 759 ff.

648

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

der Abgeordneten ist Grundlage für die repräsentative Stellung des Bundestages, der als 'besonderes Organ' (Art. 20 Abs. 2 GG) die vom Volk ausgehende Staatsgewalt ausübt." - BVerfGE 80, 188 (217) 59 Das Bundesverfassungsgericht hat mit diesem Satz richtig die Repräsentation als Vertretung des ganzen Volkes gekennzeichnet und nicht etwa einen eigenständigen, vertretungsfremden Repräsentationsbegriff aufgegriffen. Das Parlament, welches nur als Organ entscheiden kann, vermag nicht zwischen der Mehrheit und der Minderheit des Volkes zu unterscheiden 60. Das Parlament entscheidet immer im Namen des ganzen Volkes; seine Entscheidungen sind denn auch für das ganze Volk verbindlich. Das folgt schon aus Art. 20 Abs. 2 GG, wonach das Volk auch durch "besondere Organe der Gesetzgebung, ... die Staatsgewalt ausübt". Solche Organschaft ist Vertretung des ganzen Volkes 61 . Die republikanische Rechtfertigung der Verbindlichkeit der Parlamentsbeschlüsse für das ganze Volk ergibt sich aus der zentralen Erkenntnis Hobbes' zur Stellvertretung: "Viertens, weil in einem Staat, welcher freiwillig errichtet wurde, jeder von denen, die dem einen die höchste Gewalt übertrugen, sich als den Urheber aller der Handlungen dieses einen ansehen muß, ist klar, daß der Oberherr keinem von diesen Unrecht tun kann: denn was er tut, tun sie selbst. Sich selbst aber kann niemand Unrecht zufügen" 62 . Die Stellvertretung des Volkes ist das republikanische Optimum, weil sie die Verwirklichung der Freiheit aller durch Gesetze möglich macht. Die Vertretungsorgane des Volkes sind immer entscheidungsfähig. Das sichert die Mehrheitsregel 63 . Die Vertretung bei der Gesetzgebung ist entgegen der Lehre Rousseaus 64 gerade deswegen möglich, weil der Abgeordnete wie prinzipiell jeder Bürger aufgrund seiner Willensautonomie befähigt ist, das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit zu erkennen. Die

59 So auch BVerfGE 84, 304 (321); vgl. auch BVerfGE 4, 144 (149); 44, 308 (316); 56, 396 (405). 60 K.A. Schachtschneider y Der Staat 28 (1989), S. 193 ff., 196; dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 717 f.; auch 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 61 Dazu näher 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff. 62 Leviathan, S. 156 bzw. 160, ähnlich S. 194, vgl. auch S. 155 u.ö.; genau zur Repräsentationslehre Hobbes H. Hofmann, Repräsentation, S. 386 ff., der insbesondere auch auf Hobbes Verbindung der Vetretungs- mit der Souveränitätslehre eingeht. 63 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 119 ff. 64 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 27, 103 f.; dazu auch S. 639 ff.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

649

Abgeordneten sind für das allgemeine Wohl verantwortlich. Die Moralität des Abgeordneten, sein Gewissen, sichert die Richtigkeit der Erkenntnis. Das besondere Wohl, als das Private gekennzeichnet, ist Sache der besonderen Bürger, denen entweder die besonderen Grundrechte subjektive Rechte der Privatheit vorbehalten, die lagegemäß, orientiert an den grundrechtlichen Leitentscheidungen, verantwortet von den Hütern der Verfassung, zu entfalten sind 65 , oder denen der Grundsatz privater Lebensbewältigung, ebenfalls grundrechtlich, nämlich durch Art. 2 Abs. 1 GG, gesichert, subjektive Rechte der Privatheit einzuräumen gebietet 66 . In der allgemeinen äußeren und vor allem inneren Freiheit, also in der allgemeinen, vom konstitutionellen Menschenwürdeprinzip anerkannten Fähigkeit aller Bürger zur Vernunft (Art. 1 Allg. Erkl. Menschenrechte), liegt die Homogenität der Bürger und ihrer Abgeordneten, welche zu Recht als Voraussetzung der Repräsentation gilt 6 7 . Diese formale Homogenität erlaubt die vertretungsmäßige Repräsentation in der Gegenwart der Volksstaaten, weil und insoweit deren Bevölkerungen material homogen sind 68 . Die materiale Homogenität ist die Bedingung der Vertretung des ganzen Volkes durch unabhängige Abgeordnete, zumal der einzelne Abgeordnete nicht vom ganzen Volk gewählt wird, sondern jeweils nur von gebietlichen Teilen des Volkes. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG fußt auf dieser Lehre von der Nationalrepräsentation 69 . Rousseau hat die materiale Homogenität als Bedingung der Republik herausgestellt 70 , aber nicht erkannt, daß gerade diese Homogenität die repräsentative Vertretung möglich macht. Wenn die Mehrheit das Richtige

65 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 6. Teil, 2., 4. und 5. Kap., S. 449 ff., 461 ff., 466 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 9. Teil, 9. und 11. Kap., S. 1004 ff., 1023 ff., 1033 ff. 66 Dazu 3. Teil, 3. und 4. Kap., S. 193 ff., 201 ff.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 220 ff., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 386 ff.); 6. Teil, 2. und 5. Kap., S. 449 ff., 475 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 867 ff. 67 H.-J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 70 ff. u.ö.; auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 214 ff., 228 ff., 247 ff.; dazu G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 28, Fn. 3, zur demokratischen Gleichheit S. 218 ff.; i.d.S. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 132, 632 ff.; ders., Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 42, 47. 68 Zum republikanischen Homogenitätsprinzip 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff. 69 Abbé Sieyès, etwa: Was ist der Dritte Stand?, in: J. Musulin, Proklamationen der Freiheit, S. 69 ff.; Η Hofmann, Repräsentation, S. 406 ff., A. Podlech, Repräsentation, S. 524 ff., auch S. 541; W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 91 ff.; auch P. Badura, Bonner Komm., Rdn. 3 ff., 12, 13 zu Art. 38; ders., HStR, Bd. I, S. 974; K. Stern, Staatsrecht I, S. 963; H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 170,179 f.; dazu Hinweise in Fn. 122; auch 11. Teil, 2. Kap., S. 1186 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., zu C. Schmitts nationalistischer Repräsentationslehre. 70

132.

Vom Gesellschaftsvertrag, S. 55, 56 f., 73; dazu J. Habermas, Faktizität und Geltung, S.

650

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

für die allgemeine Freiheit erkennt und die Minderheiten deren Erkenntnisse akzeptieren müssen, weil sie sich über dieses Richtige geirrt haben, so erkennt die Mehrheit das Richtige auch im Namen der jeweiligen Minderheit 71 . Wie die Mehrheit des Volkes so können auch die Parlamentarier und deren Mehrheit aufgrund ihrer Moralität das Richtige erkennen. Die Parlamentarier in ihrer Gesamtheit können es sogar besser, solange sie ihrer Menge nach diskursfähig sind. Daß ein Parlament mit mehr als 600 Abgeordneten die Diskursfähigkeit verloren hat, ist augenscheinlich. Die Verlagerung des Diskurses in die Ausschüsse verletzt das für den Parlamentarismus essentielle Publizitätsprinzip 72 . Ein Parlament stellvertretender Willensautonomie der Bürgerschaft, also ein republikanisches Parlament, das im Parteienstaat funktionslos ist 7 3 , ist damit auch äußerlich entinstitutionalisiert. Ein Parlament der Parteifunktionäre vermag wegen der Legitimation aus den Wahlen die Partei(en)regierung zu legitimieren, nicht aber Gesetzen die Qualität von Recht zu geben. Außerdem werden die Abgeordneten durch die Parteienoligarchie an dem ihrem Amt gemäßen Diskurs insoweit gehindert, als sie ihre Erkenntnisse von Parteiführern, Parteitagen und auch Fraktionen fremdbestimmen lassen74. Die Richtigkeitsgewähr der gesetzgeberischen Erkenntnisse und damit der Rechtscharakter der Gesetze ergibt sich spezifisch aus der Moralität oder eben der Gewissensbindung der Abgeordneten 75 . III.

Der repräsentationsrechtliche Begriff des Volkes als die Vielheit der Bürger Die Abgeordneten sind "Vertreter des ganzen Volkes" (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). Volk ist der Schlüsselbegriff jeder Repräsentationslehre 76. Der

71 Dazu näher 2. Teil, 6. Kap., S. 120 ff., auch oben S. 641 mit Hinweisen auf die Erkenntnis, daß die Lehre Rousseaus von der volonté générale auch eine Repräsentationslehre ist, vor allem H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 239, 248 f. 72 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; insb. S. 587 ff., 596 ff., 602 ff. 73 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; auch 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff. 74 Dazu näher 10. Teil, 4. und 5. Kap., S. 1086 ff., 1095 ff., 1099 ff., 1113 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 75 Ganz so H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 26; dazu näher 7. Teil, 1., 2., 4. und 5. Kap., S. 530 ff., 536 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 662 ff., 670 ff., 728 ff., 799 ff., 810 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 9. Teil, 1. und 2. Kap., S. 819 ff., 858 ff., auch 6., 7. und 8. Kap., S. 963 ff., 978 ff.; zur Rechtsprechung S. 1027 ff., 1033 ff.; vgl. auch 1. Teil, 3. Kap., S. 27, 64; 2. Teil, 6. Kap., S. 115. 76 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. (insb. S. 35 ff.); 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 751 ff., 763 ff.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

651

Volksbegriff einer Republik muß, wie schon dargelegt ist 7 7 , jeden einzelnen Bürger erfassen, muß also bürgerschaftlich sein. Der republikanische Volksbegriff ist von dem politischen Amt jedes Bürgers bestimmt, von dessen politischer oder bürgerlicher Freiheit. Das republikanisch verstandene Volk ist die Gesamtheit, die Vielheit der Bürger, die Bürgerschaft. Diese Bürgerschaft ist das "ganze Volk", von dem Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG spricht. Jeder andere Begriff des Volkes ignoriert die politische Freiheit der Bürger und nivelliert diese zu liberalistischen Abwehrrechten der persönlichen Freiheit gegen den Staat, der dann der Logik gehorchend von der Gesellschaft unterschieden, ja getrennt wird 7 8 . Weil dieses liberalistische Verständnis der Grundrechte in der gegenwärtigen Staatsrechtslehre (noch) dominiert 79 , ist verständlich, daß der Unterschied zwischen einer herrschaftlichen und einer freiheitlichen Definition des Volksbegriffs trotz der "demokratischen Freiheitsidee" 80 wenig erörtert ist 81 . Dieses Schicksal teilt der Volksbegriff mit dem Begriff des Bürgers 82 ; denn das Volk ist die Gesamtheit, die Menge oder auch die Vielheit der Bürger 83 . Obwohl der demokratische Freiheitsaspekt etabliert ist 8 4 , sind die Definitionen des Begriffs des Volkes darauf ausgerichtet, das Volk quasi außenpolitisch von den Fremden, prinzipiell mittels des Kriteriums der Staatsangehörigkeit, zu unterscheiden 85 . Ohne einen Begriff des Bürgers ist denn auch der innen-

77 Dazu S. 656, auch 1. Teil, 3. Kap., S. 16, 35 f.; auch 8. Teil, 4. Kap., S. 736 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 f. 78 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. mit Fn. 89 ff. 79 Vgl. 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; 6. Teil, 1., 3., 5., 6. und 9. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff. 80 Dazu 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 36 f., 61; 2. Teil, 6. Kap., S. 116 f. 81 Vgl. aber die republikanische Definition W. Maihofers, HVerfR, S. 206; ders., Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 23, auch S. 37 ff.; auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 247; weitere Hinweise im 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., 35 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff. 82 Dazu 4. Teil, 1. Kap., S. 207 ff. 83 Demgegenüber begreift eine konsequente demokratische Herrschaftslehre das "Volk als Einheit", welches dem "Volk als Vielheit" der Untertanen gegenübergestellt wird, insb. G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 57; dazu die Hinweise in Fn. 76, 77. 84 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; zur Gleichheit aller in der Freiheit vgl. die Hinweise in Fn. 50, S. 646. 85 Dazu R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, HStR, Bd. I, S. 664 ff., insb. S. 668, 675 ff., zum Begriff des Deutschen nach Art. 116 GG und der deutschen Staatsangehörigkeit, 5. 684 ff., zum Staatsbürgerstatus; auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 917 f., der auch das Prinzip der Homogenität als "substantieller ... demokratischer Gleichheit" herausstellt, ganz in Gefolgschaft C. Schmitts, Verfassungslehre, S. 224 ff.; dazu Fn. 109, S. 655; auch 11. Teil,

652

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

politische Begriff des Volkes nicht definierbar. Walter Leisner jedoch hat die Vielheit (οϊ πολλοί) als das Wesen des Volkes, des δήμος, im Begriff der Demokratie herausgestellt 86. Ernst-Wolfgang Böckenförde 87 formuliert eine herrschaftsgeprägte Lehre von der "demokratischen Repräsentation", die ein "eigenes Selbst des Volkes" kennt, aber auch ein "Handeln für das Volk" und ein "Handeln auf das Volk hin" 8 8 . Auch solche Begriffe leisten die gewünschte Verbindung von Herrschaft und Freiheit nicht 89 . Heteronomie läßt sich nicht als Autonomie reklamieren, auch nicht, wie Böckenförde das versucht, als "Anerkennung und Zustimmung der Beherrschten" zur Herrschaft 90 . "Zustimmung und Vertrauen des Volkes" hat schon Carl Schmitt als die Grundlage seiner demokratischen Herrschaft benannt 91 . Das bleibt Unterwerfung, wenn auch nur auf Zeit, unter die "Führerschaft". Führung und Gefolgschaft sind zwar Realität der parteienstaatlichen Herrschaftsklasse, nicht aber Ausdruck von Willensautonomie der Bürger 92 . Böckenförde identifiziert das "eigene Selbst" des Volkes durch einen Klammerzusatz mit der volonté générale, dem autonomiegemäßen Begriff Rousseaus 93. Die Identifizierung hebt den Widerspruch zwischen dem herrschaftlichen Volksbegriff und dem Begriff des freiheitlichen Gemeinwillens nicht auf. Die Böckenfördische Lehre erweist sich als Rhetorik, welche die Sprache der Freiheit mit der vermeintlichen Notwendigkeit von Herrschaft zu verbinden sucht. Klaus Stern versteht ähnlich das Volk als "überindividuell-ideelle Einheit" und lehrt: "Repräsentation ist Handeln für andere, anstelle anderer. ... Der Repräsentant vergegenwärtigt eine Nation, ein Volk, den Staat. ... Es (sc. "das

5. Kap., 1201 ff.; insb. in Fn. 122 Hinweise zum Kriterium der Staatsangehörigkeit. 86 Staatseinung, S. 27 f., 63 f., auch S. 161 ff. u.ö. 87 HStR, Bd. II, S. 35 ff. 88 Demokratie und Repräsentation, S. 14 ff., insb. S. 21, auch "für das Volk und im Namen des Volkes" und die Verpflichtungskompetenz der Repräsentanten i.S. C. Schmitts, Verfassungslehre, S. 212 ff., als "befehlend" begreift, a.a.O., S. 20; ders., HStR, Bd. II, S. 41, 43. 89 So aber E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 909 ff. (unter Berufung auf die identitäre Demokratiedefinition Carl Schmitts, a.a.O., S. 919); ders., HStR, Bd. II, S. 43 f. 90 91 92 93

HStR, Bd. I, S. 921 f.; Demokratie und Repräsentation, S. 21 ff., in der Sache. Verfassungslehre, S. 236; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., insb. 740 f. Dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 10. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 1074 ff., 1120 ff. Demokratie und Repräsentation, S. 25; ebenso HStR, Bd. II, S. 43.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

653

Repräsentationsorgan") soll die Herrschaft des Volkes in seiner Gesamtheit verwirklichen" 94 . Das bedarf hier keiner zusätzlichen Kritik, weil die Lehre vom repräsentativen Volksbegriff dogmatisch noch vertieft werden wird 9 5 . Walter Leisner hat sich in seiner Lehre vom Führer gegen einen bürgerschaftlichen Volksbegriff ausgesprochen. Ein solcher wäre mit der Lehre von der "Persönlichen Gewalt" eines "Führers" auch unvereinbar 96 . "Persönliche Gewalt" schließt politische Freiheit des Volkes aus; letztere ist nämlich "Staatsgewalt" des Volkes oder eben dessen allgemeine Gesetzlichkeit. Diese aber ist die politische Grundentscheidung des Grundgesetzes für die demokratische Republik: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) 9 7 . "Persönlicher Gewalt" eines staatlichen Führers läßt das Grundgesetz keine Legitimation. Walter Leisner beruft sich denn auch für seine Führerlehre im Gegensatz zu Ernst-Wolfgang Böckenförde für sein "Regierungsprinzip der Führerschaft" 98 nicht auf das Grundgesetz. In seiner Lehre von der Staatseinung demgegenüber faßt Leisner mit Blick auf Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG das Volk als die Vielen, der Sache nach als die vielen Bürger 99 "Die Bürgerschaft kommt herauf als eine namenlose Viel-MenschenKraft, mit der ganzen Macht des, im wahren Sinne des Wortes, Anonymen, in dem aber auch ungeahnte Kräfte liegen, die zur Einung drängen." - Walter Leisner 100 Kant hat den Begriff des Volkes für eine Republiklehre gültig definiert: "Volk, d.i. eine Menge von Menschen, ... die, im wechselseitigen Einflüsse gegen einander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung (constitutio) bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden" 101 .

94

Staatsrecht II, S. 38; ders., Staatsrecht I, S. 960 ff.; so sogar M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241, der auch von der "politischen Einheit des Volkes" spricht. 95 Dazu S. 735 ff., 673 ff., 763 ff. 96 W. Leisner, Der Führer, S. 171. 97 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., insb. S. 64 ff.; zur freiheitlichen Staatlichkeit als Gesetzlichkeit Hinweise in Fn. 1, S. 637; i.d.S. schon Kant, Metaphysik der Sitten, S. 464; dazu die Zitate S. 639. 98

HStR, Bd. I, S. 920 f. S. 22 ff., 27 f., 63 f.; vgl. auch S. 161 ff. 100 Staatseinung, S. 27. 101 Metaphysik der Sitten, S. 429.

99

654

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Dem entspricht die kantianische Definition des Staates: "Ein Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechts gesetzen" 102 , auf die sich neben Herbert Krüger vor allem Werner Maihofer stützt 103 . Die kantianischen Volks- und Staatsbegriffe erfassen die Bürgerlichkeit des Bürgers, dessen Freiheit als Autonomie des Willens, dessen Gesetzgeberschaft. "Dieser Zustand der einzelnen im Volke, in Verhältnis untereinander, heißt der bürgerliche (status civilis), und das Ganze derselben, in Beziehung auf seine eigene Glieder, der Staat (civitas)."- Kant m M i t einem derart bürgerlichen Volksbegriff ist ein herrschaftliches Repräsentationsprinzip und erst recht ein Führerprinzip, sei es auch nur auf Zeit, unvereinbar, schon gar nicht, wenn die Führung durch öffentliche Akklamation legitimiert sein soll. Die Schmittsche Volks- und Demokratielehre, zu der noch näher Stellung genommen werden wird 1 0 5 , läuft demgegenüber auf die akklamativ legitimierte Führung der "politischen Einheit" Volk hinaus 106 , den Demokratismus des Hitlerismus 107 . Kant aber hat, der Logik seines republikanischen Volks- und Staatsbegriffs folgend, die Repräsentation als Vertretung begriffen 108 .

102

Metaphysik der Sitten, S. 431. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 247; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 22 und ff.; ders., HVerfR, S. 206; auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 903 f., definiert das Volk im bürgerlichen Sinne, widerspricht sich aber S. 916 mit der Formulierung: "Volk als Einheit zu repräsentieren"; zum Staatsbegriff auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff., 96 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 103

104

Metaphysik der Sitten, S. 429. Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 106 Verfassungslehre, S. 214 ff., 238 ff., 258 ff., insb. S. 243, 247. 107 Zum demokratischen Selbstverständnis der nationalsozialistischen totalitären Herrschaft G. Leibholz, Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 48, 67. 108 Metaphysik der Sitten, S. 464; vgl. das Zitat S. 639; H. Bielefelds Neuzeitliches Freiheitsrecht und politische Gerechtigkeit, 1990, S. 121 ff., meint bei Kant auch eine nicht vertretungsmäßige Repräsentation in dem Imperativ republikanischer Regierungsart in nicht republikanischen Herrschaftsverhältnissen, in denen die Idee des allgemeinen Willens (die Sittlichkeit also) vom Herrscher vergegenwärtigt werden solle, nachweisen zu können; Kant behandelt aber in der Schrift Zum ewigen Frieden, S. 206 f., den Weg zum Republikanismus; Bielefeldt beruft sich auf G. Luf Freiheit und Gleichheit. Die Aktualität im politischen Denken Kants, 1978, S. 138; vgl. auch W Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 306. 105

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

655

Das "ganze Volk" ist somit die Menge/die Vielheit der Bürger; das "ganze Volk" sind alle Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 G G 1 0 9 . In diesem Sinne versteht Rolf Grawert das Volk, das er als "staatlich geordnete Volksgemeinschaft", als "Republik", anspricht, die auf den "Staatsbürgerstatus" des "citoyen" gründe 110 . Die Bürger sind nicht "unsichtbar" 111 , sondern leben in gleicher Freiheit. Sie sind die Politiker der Republik 1 1 2 , welche die Gesetze in der verfassungsgeregelten Weise, also vertreten durch die Abgeordneten in den Parlamenten des Bundes und der Länder, aber beteiligt am Diskurs um das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit, geben 113 . Der "Staatsbürger" ist als "Glied des Souveräns Teilhaber staatlicher Gewalt", als "Autor und Mitinhaber staatlicher Gewalt" ist er "Regierender", aber auch zugleich Regierter." - Hans Heinrich Rupp U4 "...; nun gilt es zu entdecken, daß nur Individuen der Einung fähig sind; die Schweizer haben es vorgelebt." - Walter Leisner 115 IV.

Die Formalität des Gemeinwohlbegriffs und die Materialisierung des Gemeinwohls durch Gesetze des Rechts Die Vertretung des ganzen Volkes bezweckt die Wahrung des Gesamtinteresses aller Bürger 116 , aber die Vertreter des ganzen Volkes vertreten

109

E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 903 f.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 634; klar Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 110; so verstehe ich auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 163, der den Volksbegriff an dem der Nation der Französischen Revolution ausrichtet, dessen Zweck es war, die Abgeordneten als Vertreter des Volkes in seiner Gesamtheit, nicht aber als Vertreter von Ständen auszuweisen; so auch /. v. Münch, GG, Rdn. 57 ff. zu Art. 38 GG; P. Badura, Bonner Komm., Rdn. 1 ff. zu Art. 38 GG; i.d.S. auch H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1199 ff., 1203 f.; i.d.S. BVerfGE 83, 37 (50 ff.); 83, 60 (71 ff.), für die Problematik des Ausländerwahlrechts, nicht für die Repräsentationsproblematik; weitere Hinweise zum Prinzip der Nationalrepräsentation in Fn. 69, S. 649, Fn. 122, S. 657; zum Ausländerwahlrecht 11. Teil, 5. Kap., S. 1201 ff. 110 HStR, Bd. I, S. 684 f., wenig klar a.a.O., S. 670, wo er den Begriff des Volkes als bloße "Legitimationsmetapher" nicht eindeutig zurückweist; vgl. ders., Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft, Der Staat 23 (1984), S. 184 f. 111 Zu der ein unsichtbares Volk mystifizierenden Repräsentationslehre vor allem Carl Schmitts und Gerhard Leibholzens näher im 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 112 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 160; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 586; 8. Teil, 5. Kap., S. 790 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 214); zur classa politica 8. Teil, 5. Kap., S. 790 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 240 f.; 10. Teil, 3. und 8. Kap., S. 1079 f., 1155; zu den Bürgern als Hütern der Verfassung 9. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 819 ff., 929 ff., 934 ff. 113 Dazu näher 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; auch 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. 114 HStR, Bd. I, S. 1199, vgl. auch daselbst ff. 115 Staatseinung, S. 28.

656

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

spezifisch nicht das Gesamtinteresse, sondern das ganze V o l k , die Bürgerschaft. E i n e Interessenvertretung 1 1 7 würde vorgängige materiale Gesamtinteressen voraussetzen, die es nicht g i b t 1 1 8 . D i e Gesetze v e r w i r k l i c h e n das P r i n z i p des Gesamtinteresses. Das Gesamtinteresse ist das Interesse aller an d e m gemeinsamen guten Leben aller i n allgemeiner Freiheit u n d kann k e i n anderes Interesse sein. Es ist das G e m e i n w o h l , ein jedenfalls

in

Republik

richtiger

formaler

Begriff,

dessen

Materialisierung

Sache

der

Gesetzgebung, praktischer Vernünftigkeit, orientiert an den grundgesetzlichen materialen Leitentscheidungen, i s t 1 1 9 . Interessen lassen sich wahrnehmen; vertreten werden i m Rechtssinne nur Personen 1 2 0 , also auch das V o l k als eine M e n g e / V i e l h e i t v o n Personen, die Bürgerschaft. Sieyès hat für den dritten Stand als einer "vollständigen N a t i o n ... ebensoviele Stellvertreter w i e für die beiden anderen Stände zusammen" gefordert, die N a t i o n aber als "eine Gesellschaft v o n Verbundenen, welche unter einem gemeinschaftlichen Gesetz leben, u n d deren Stände durch ein u n d dieselbe gesetzgebende V e r s a m m l u n g vertreten w i r d "

116 Das bonum commune, das Gemeinwohl, ist seit eh und je "allgemeinster Staatszweck"; CA. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 19; G. Ress, daselbst, S. 70; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 268 ff.; BVerfGE 42, 312 (332): "... Zweck des Staates materialiter auf die Wahrung des Gemeinwohls beschränkt, in dessen Mitte Freiheit und soziale Gerechtigkeit stehen". 117 Der Begriff der "Interessenvertretung" lenkt, manchmal bewußt, von dem personalen Aspekt ab; richtig H.J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 165; vgl. auch K. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 1967, S. 531, 533; K.A. Bettermann, Vom stellvertretenden Handeln, 1937/1964, S. 49; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 182 ff., stellt einen "Gegensatz" der "berufsständischen" oder "wirtschaftlichen", "partikularen" "Interessenvertretung" zur Repräsentation heraus; i.d.S. auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 211, 310 ff. 118 Dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. 119 Zur Formalität des Gemeinwohls vgl. die Hinweise in Fn 175, S. 668; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 236 ff., 242 ff., 247 ff., 253 ff., 265 ff. u.ö.; J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 10 ff., 16 ff., 39 ff. u.ö.; i.d.S. auch CA. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 25 f. ("Offenheit" - "demokratischer Konsens"). 120 Zur allgemeinen Vertretungslehre H.-J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 163 ff.; K. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, S. 529 ff.; umgekehrt meint Κ Stern, Staatsrecht I, S. 961, Interessen ließen sich vertreten, nicht aber repräsentieren; S. Landshut, Der politische Begriff der Repräsentation, S. 493 f., meint, Personen würden sich nicht repräsentieren lassen, sondern "Das Prinzip des Allgemeinen und Gemeinsamen", was wiederum zeigt, daß der Begriff der Repräsentation nahezu beliebig ist, anders nämlich insoweit C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 204 ff.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, 28 ff., insb. S. 32 f., auch S. 79 ff.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung d e f i n i e r t 1 2 1 . Diese D e f i n i t i o n National-

657

der N a t i o n schließt einen Gegensatz

u n d Volksrepräsentation jedenfalls

bei Sieyès

aus122,

von

dessen

Repräsentation v i e l m e h r Volksvertretung i s t 1 2 3 . Das G e m e i n w o h l als das allgemeine Interesse ist s o m i t das W o h l oder Interesse aller, welches durch die allgemeinen Gesetze als die Gesetze aller v e r w i r k l i c h t w i r d 1 2 4 . " D a n n ist die Sache, über die man bestimmt, so allgemein w i e der W i l l e , der bestimmt. Diesen A k t nenne i c h ein Gesetz." -

Rousseau 125

D i e F o r m a l i t ä t des G e m e i n w o h l b e g r i f f s folgt der L o g i k der allgemeinen B ü r g e r l i c h k e i t . Das G e m e i n w o h l p r i n z i p ist A u s d r u c k der praktischen Vern u n f t des ganzen V o l k e s 1 2 6 . Es

findet

somit seine j e w e i l i g e Gestalt

im

121 Was ist der dritte Stand?, S. 70; diese Definition der Nation unterscheidet sich in der Substanz nicht von Kants Definition des Staates als "die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen", Metaphysik der Sitten, S. 431; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 16 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 165 f.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 122 Zu den Begriffen National- und Volksrepräsentation W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 91 ff., 101 ff., mit Bericht der Untersuchung von H. Gangl, Verfassungsfragen der Fünften Republik, 1964; und E. Schmitt, Repräsentation und Revolution, 1969, die einen Begriff der Nationalrepräsentation der Französischen Revolution herausgearbeitet haben, der einen vom "sozialen Substrat losgelösten Nationbegriff' zugrundelegt und in einen Gegensatz zur Volksrepräsentation gestellt wird, was angesichts des Zitats aus der Rede des Abbé Sieyès über den dritten Stand nicht überzeugt, aber hier nicht weiter verfolgt wird. 123 Vgl. dazu A. Podlech, Repräsentation S. 524 (wenig klärend); H. Hoffmann, Repräsentation, S. 406 ff. ("Vertreterversammlung", "Stellvertretung"). 124 Dazu KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 235 ff., 253 ff., 375 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 10 ff., 39 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 672; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 912 f. 125 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 40. 126 Zum "Postulat der praktischen Vernunft" bei der Gemeinwohlbestimmung J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 16 ff., der das Gemeinwohl "voluntaristisch" reguliert, aber keinen "schroffen Gegensatz" zum "erkenntnisoptimistischen Intellektualismus" der "Tradition" sieht; auch die Erkenntnis des Richtigen ist jedoch kognitiv (dazu 2. Teil, 7. Kap., S. 125, auch 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 718 ff.), freilich unterscheidet sich die Erkenntnisweise des Richtigen von der der Wahrheit, die praktische von der theoretischen Vernunft, die metaphysische von der physischen Wissenschaft, Sittlichkeit durch Achtung von der Theorienbildung durch Falsifikation. Freie Willkür, nämlich gesetzgebende Sittlichkeit, ist nicht voluntativ, sondern irrtumsgefährdet (vor allem Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 30 ff., auch S. 21, 116 f.; dazu S. 641, 642 f., mit Fn. 24, S. 649; auch 7. Teil, 2. und 4. Kap., S. 541, 567 ff.). Die Methode der Erkenntnis des Richtigen ist der politische Diskurs, die Liebe unter den Menschen (dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584; weitere Hinweise in Fn. 36, S. 643). "Offenheit" (7. Isensee, a.a.O., S. 17 u.ö.; auch Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 25 f.; auch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 237 ff., 242 ff., 247 ff. u.ö.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 573 f.; auch 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff.) des Gemeinwohls bedeutet nicht schon Dezisionismus der Gemeinwohlmaterialisierung; denn diese sogenannte Offenheit ist richtig Formalität, diese aber Ausdruck der allgemeinen Autonomie

42 Schachtschneider

658

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Gesetz, welches die Vertreter des ganzen Volkes im Namen des Volkes als die Erkenntnis des Richtigen verbindlich machen. Das Gemeinwohl gewinnt seine Materialität erst durch die staatlichen Gesetze 127 . Das verbietet es allen anderen, das jeweilige Gemeinwohl zu bestimmen, als den Vertretern des Volkes, die das Volk der Verfassung gemäß durch Wahl mit dieser Aufgabe betraut hat, die Abgeordneten der Gesetzgebungsorgane also. Die Richter, vor allem das Bundesverfassungsgericht, haben im Rahmen der formalen oder offenen Entscheidungen der Verfassung und auch der Gesetze, nach Maßgabe ihrer Kompetenzen, ebenfalls die Aufgabe, das Gemeinwohl zu erkennen, also die praktische Vernunft stellvertretend für das Volk zu verwirklichen. Gesetze, die das Gemeinwohl materialisieren, sind Erkenntnisakte der praktischen Vernunft, über die jeder Richter verfügt, jedenfalls verfügen sollte. Die Richter sind durch das Amt der Rechtsprechung vom Volk mit der Aufgabe betraut, funktional gesetzgebend das Recht zu erkennen, sei es mit Bindung für den Gesetzgeber wegen der Verbindlichkeit der Grundrechte (Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 2 GG) das Bundesverfassungsgericht, seien es im Rahmen der Gesetze, diesen gemäß Art. 97 Abs. 1 GG unterworfen, die Gesetzesrichter, soweit eine nähere Bestimmung der Gesetze dem Gesetzgeber nicht möglich ist. Die praktische Vernunft erfordert ohne Einschränkung, die Verfassung und die Gesetze zu achten. Dabei zieht die Bestimmtheit der Begriffe Grenzen, ohne daß dies die richterlichen Erkenntnispflichten in den Rechtsstreitigkeiten begrenzt oder begrenzen muß. Maßgeblich sind die von Verfassung und Gesetz zugewiesenen Rechtsprechungsaufgaben. Kompetenzwidrige Erkenntnisse allerdings sind eine Vergewaltigung des Volkes, Herrschaft, weil das Volk nur von Vertretern mit Vertretungsmacht gebunden werden kann 1 2 8 . Wenn der Abgeordnete seine Interessen oder die einer besonderen Gruppe i m Volk, etwa einer Partei, im Parlament durchzusetzen versucht, ist er nicht

des Willens oder der Würde jedes Menschen, welche herrschaftliche Willkür verbietet. Was aller Wille ist, festzustellen, bedarf der praktischen Vernünftigkeit, die nicht nur die theoretische Vernunft voraussetzt (dazu 7. Teil, 4. und 6. Kap., S. 567 ff., 598 ff., mit Fn. 441, 617 ff.) und schon insoweit nicht voluntaristisch ist, sondern die durch das Sittengesetz geleitet, also (i.S.d. inneren Freiheit) nicht beliebig ist. 127

K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 265 ff. u.ö.; i.d.S. auch Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 25 f. 128 Dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 709 ff.; 3. Teil, 2. und 4. Kap., S. 183, 202; 6. Teil, 5. Kap., S. 472 f., zur Ultra-vires-Lehre; i.d.S. M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241; zur gesetzesfunktionalen Aufgabe der Rechtsprechung noch kritisch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 375 ff., 379 ff., auch S. 385 ff.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

659

"Vertreter des ganzen Volkes" 1 2 9 . Jede Interessiertheit der Abgeordneten, nicht anders als die anderer Amtswalter, außer der an der Gesetzlichkeit als dem Gemeinwohl 1 3 0 , widerspricht ihrem republikanischen A m t 1 3 1 . "Der Amtsinhaber hat in der Demokratie also die Interessen des Volkes wahrzunehmen, nicht die Interessen einer Gruppe oder Regierung. M i t der demokratischen Repräsentation ist also der Begriff des Amts verbunden, der sich in Amtsethos und Amtseid niederschlägt." - Martin Kriele 132 Aristoteles hat gefordert, daß, wer auch immer den Staat beherrsche, an "den gemeinsamen Nutzen aller" denken müsse 133 . Die Verpflichtung der Abgeordneten, das Gemeinwohl zu verwirklichen, hat in der staatsrechtlichen Literatur, soweit ich sehe, nur Ulrich Κ Preuß bestritten, der aus der vermeintlichen Herrschaftsbefugnis der gewählten Minderheiten deren Legitimation herleitet, ihre Interessen der Allgemeinheit verbindlich zu machen, und demgemäß die Abgeordneten an Stelle ihres Gewissens den Beschlüssen ihrer Partei verpflichtet sieht, ohne wie die übrigen Lehren vom parteigebundenen Mandat die Parteien auf das Gemeinwohl hin zu orientieren 134 . Das ist konsequenter parteienstaatlicher Demokratismus, der

129 So auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 252; klar schon H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 9 ff.; ebenso M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241; G. Leibholz hat das nicht anders gesehen und darum einen Strukturwandel zur parteienstaatlichen Demokratie herausgestellt, etwa: Das Wesen der Repräsentation, S. 218 ff., 249 ff., u.st.; zur Gegenlehre, insbesondere der vom parteigebundenen Mandat 8. Teil, 3. Kap., S. 712 mit Fn. 383; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 814 ff., zum rahmengebundenen Mandat. 130 Zur Identität von Gemeinwohl und Gesetzlichkeit K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 253 ff., gegen einen materialen Gemeinwohlbegriff S. 247 ff.; vgl. J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 10 ff., 39 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 672, der zwar die Kompetenzund Verfahrenshaftigkeit der Bestimmung des Gemeinwohls akzeptiert, dieses aber letztlich doch als "material-ethische Frage" versteht; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 912 f. 131 Klar i.d.S. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 252 f.; J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 82 f.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241 f.; so auch im Ergebnis R. Scholz, Krise, S. 38; J. Isensee, JZ 1981, 8; ders., HStR, Bd. I, S. 632 f.; ders., HStR, Bd. III, S. 45 ff.; i.d.S. auch W. Henke, Recht und Staat, S. 387 ff.; zum Amtscharakter des Abgeordnetenmandats H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 368 ff.; auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 40; auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 38; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 22 f. 132 Einführung in die Staatslehre, S. 241. 133 Politik, S. 114, 1279 b 9 f. 134 Alt.-Komm. GG, Rdn. 34, 56, 57 zu Art.21; ders., Politische Verantwortung und Bürgerloyalität, 1984, S. 193; extrem parteienstaatlich ist auch die Lehre H. Meyers, VVDStRL 33 (1975), S. 93 ff.; ähnlich, aber auch parteienkritisch M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 22 ff., insb. S. 24.

4

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

offen der Unterdrückung des Volkes das Wort redet. Ein Vorbild hatte der Marxist Preuß i m sogenannten realen Sozialismus in dem Prinzip der "Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei" (Art. 1 Abs. 1 S. 2 der sogenannten Verfassung der D D R von 1968). Im Interessenausgleich, von dem man annimmt, daß ihn die Parteien unter ihren Mitgliedern, aber auch untereinander bewirken würden, liegt die Gemeinwohlverwirklichung, wenn beide Begriffe formal konzipiert werden 135 . Interessen im parteilichen Sinne haben in der republikanischen Gesetzgebung jedoch keinerlei Legitimation. Interessen und Interessenausgleich können demokratistisch oder aber republikanisch im Sinne der Wahrheitlichkeit und der Richtigkeit der Politik begriffen werden 136 . Das Gemeinwohl muß um der gleichen Freiheit der Bürger willen gegen die besonderen Interessen durchgesetzt werden; das Gemeinwohl ist durch die Gesetze definiert, die es ermöglichen sollen, daß jeder weitestmöglich seinen besonderen Interessen, seinen besonderen Zwecken, nachgehen kann, soweit nämlich, daß er anderen nicht schadet. Dies bestimmen die Gesetze, wenn sie Recht setzen wollen, abgesehen davon, daß sie außer diesem allgemeinen Freiheitsinteresse auch andere gemeinsame Interessen, etwa solche der Daseinsvorsorge, gemeinsam, d.h. staatlich, zu verwirklichen regeln können, ohne daß dies die Freiheit verletzt 137 . Wer die Gesetze, soweit sie Recht setzen, d.h. auch seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt, schadet anderen durch sein Handeln nicht, mögen sie auch in ihren Zwecken/Interessen beeinträchtigt sein; denn unter Rechtsgesichtspunkten ist rechtmäßiges Handeln keine Schädigung 138 . Wenn man Gemeinwohl und Interesse republikanisch konzipiert, kann man Ernst Fraenkel, dem Vater des Pluralismus, zustimmen: "Das Bekenntnis zur 'westlichen Demokratie' erfordert gleicherweise die Anerkennung der Befugnisse der Bürger, ihre Interessen frei und unge135

E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 10 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 939 f.; ders., Bd. II, S. 44 ff., kann sich trotz richtigen "ethisch-normativen" Aspekts nicht vom empiristischen Interessenausgleich i.S. von "gemeinsamen Interessen aller" lösen, sieht aber die "Fundamentalkonflikte", die vom "Interessenpluralismus" nicht befriedet werden; ähnlich P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 134; so auch H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 344, 375; /. v. Münch, GG, Rdn. 59 zu Art. 38 ("weil politische Parteien von Art. 38 Abs.l vorausgesetzt" seien); H.-P. Schneider, GG, Alt.-Komm., Rdn. 3 vor Art. 38 GG; D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 200, 202; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 187 ff. 136 Dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 718 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. und 5. Kap., S. 584 ff. 137 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff. 138 Dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 619 ff., 629 ff.; 5. Teil, 5. Kap. S. 370 ff., insb. S. 373 ff.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

661

hindert vertreten zu können, w i e die A n e r k e n n u n g der Befugnis

der

Gesamtheit, den Primat des G e m e i n w o h l s gegenüber allen Interessengruppen durchzusetzen. D i e A u f d e c k u n g der dialektischen zwischen Interessenrepräsentation

Spannung

u n d volonté générale, das niemals

endende B e m ü h e n , mittels freier u n d offener Auseinandersetzungen einen A u s g l e i c h zwischen diesen beiden Prinzipien herzustellen, bildet eines der kennzeichnenden M e r k m a l e Fraenkel

der

'westlichen D e m o k r a t i e ' " ,

die

nach

durch "eine A n g l e i c h u n g englischen u n d französischen Staats-

denkens u n d staatlicher Institutionen der beiden Länder zustandegekommen" s i n d 1 3 9 . S i t t l i c h k e i t kennt keine Parteien, Klassen oder Verbände. D e r moralische P o l i t i k e r bedient nicht Interessenten. A l s Interessenvertreter ist er nicht neutral u n d unparteiisch, sondern i n einer Weise befangen, die einen Beamten oder Richter v o n der A m t s w a l t u n g ausschließen würde. D e r Gesetzgeber hat die Gesetze zu geben, die allen ein gutes Leben i n Freiheit erm ö g l i c h e n . Das ist das allgemeine Interesse, welches den Staat trägt u n d das Staatliche d e f i n i e r t 1 4 0 . M i t

besonderen Interessen darf sich der

Volks-

vertreter nicht i d e n t i f i z i e r e n 1 4 1 .

139 Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 40; zum Einfluß des "angel-sächsischen Verfassungsdenkens" und der "französischen Verfassungstradition" auf das Grundgesetz G.W. Ehrlich, Einfluß des angelsächsischen Verfassungsdenkens auf die Entwicklung des Grundgesetzes, in: K. Stern, 40 Jahre Grundgesetz, 1990, S. 23 ff.; bzw. M. Fromont, Die französische Verfassungstradition und das Grundgesetz, daselbst, S. 33 ff.; dazu auch H. Steinberger, Bemerkungen zu einer Synthese des Einflusses ausländischer Verfassungsideen auf die Entstehung des Grundgesetzes mit deutschen verfassungsrechtlichen Traditionen, daselbst, S. 41 ff.; vgl. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 149 ff. zur Kontroverse um den Ursprung der Menschen- und Grundrechte, repräsentiert durch die Beiträge von G. Jellinek und E. Boutmy, in: R. Schnur (Hrsg.), Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, 1964. 140 Dazu 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 573 ff.; vgl. zu den dahingehenden Staatszwecken Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 27 ff., 34 ff., 42 ff.; G. Ress, daselbst, S. 83 ff. 141 Zum Prinzip der Nicht-Identifikation grundlegend H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff. und passim, für Wähler S. 205 f., für Abgeordnete S. 251 f.; zur "innerpolitischen Neutralität", ins. zur Frage der "Nicht-Intervention" C. Schmitt, Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 41 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 100 ff., 111 ff.; K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Problem, 1972, insb. S. 236 ff.; i.d.S. auch £.W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 10 f., 29 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 940; so auch J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 34 ff., der die Parteilichkeit mittels des "Schleiers des Nichtwissens" der eigenen Interessen ausschalten will; das übernimmt H.H. v. Arnim, Der Staat 26 (1987), S. 493, der eine Verwandtschaft der Gerechtigkeitstheorie von Rawls mit der Diskursethik J. Habermas herausstellt; Habermas selbst allerdings distanziert sich

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

"Die Parlamentarier müssen citoyens sein, Patrioten" - Kant 142, "keine in den Belangen ihrer Partikularität verfangenen politischen Nullitäten." - Hegel 143 Den republikanischen "Interessenausgleich" kann nur das allgemeine Gesetz, welches die Freiheit aller verwirklicht, leisten. V.

Republikanischer Aristokratismus und dessen Schädigung durch die parteilichen Parteien Der Parlamentarismus, gelobt und gescholten, ist die einzig republikanische Institution, welche eine Chance bietet, die Freiheit durch Gesetze zu verwirklichen. Allerdings muß der Parlamentarismus republikanisch sein. Das verbietet die Vertretung des Volkes durch Abgeordnete, welche ihren Parlamentssitz einer parteilichen, also interessengebundenen, Auslese verdanken 144 . Nur die Besten dürfen das Volk als Gesetzgeber vertreten. Die Besten sind die, deren moralische Kompetenz zweifelsfrei ist. Das setzt die Fähigkeit zur eigenständigen Erkenntnis voraus. Diese verlangt vor allem die Unabhängigkeit von inneren und äußeren Zwängen. Der Vertreter des Volkes muß es besser als alle anderen Bürger leisten, den homo phainomenon in sich zu überwinden, um uneingeschränkt als homo noumenon wirken zu können 145 . Nur als Vernunftwesen soll der Abgeordnete das Volk vertreten. Seine Aufgabe ist es, der Sittlichkeit des Volkes als der Freiheit aller Bürger durch die stellvertretende Erkenntnis Recht schaffender Gesetze Wirklichkeit zu geben 146 . Dieses Postulat bleibt für den Republikanismus trotz aller Enttäuschungen essentiell.

von der mangelnden Formalität der normativen Theorie Rawls' in: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 133, daselbst, S. 73 ff., 80 ff., auch für Unparteilichkeit und gegen bloßen partikularen Interessenausgleich; in Faktizität und Geltung, S. 187 ff., 349 ff. u.ö., verbindet Habermas die Diskursethik und den Interessenausgleich in der Lehre von der "deliberativen Politik". 142 Über den Gemeinspruch, S. 146. 143 Vgl. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 308 f., kritisch ("Vernunftrecht ... illusionär"). 144 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 682 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 780 ff.; 10. Teil, 3., 4., 5. und 8. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff., 1147 ff.; zur Negativauslese 8. Teil, 1. Kap., S. 676 ff., 801 ff.; 10. Teil, 3. und 5. Kap., S. 1064 ff., 1077 ff., 1080 ff., 1083 ff., 1113 ff. mit Fn. 315. 145 Zur transzendentalen Anthropologie Kants 5. Teil, 1., 2., 3. und 4. Kap., S. 253 ff., 264 ff., 275 ff., 333 ff. 146 Zur Repräsentation der Sittlichkeit des Volkes durch dessen Vertreter auch Hinweise in Fn. 75, S. 650; 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 728 ff., 810 ff.; auch 7. Teil, 1., 2. und 4. Kap., S. 530 ff., 536 ff., 560 ff., 570 ff.; 9. Teil, 6., 7., 8., 10. und 11. Kap., S. 963 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff., 1033 ff., zur Vertretung des Volkes in der praktischen Vernunft durch die Richter.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

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"Der Repräsentant soll sich um die Hebung des wahren und richtigen Volkswillens bemühen." - Herbert Krüger 147 Schon Aristoteles lehrt: "An andere gebunden zu sein und nicht alles tun zu dürfen, was man will, ist nämlich zuträglich; denn die Freiheit, zu tun, was man will, vermag nicht das Schlechte, das sich in jedem Menschen findet, zu zügeln. So muß also eintreten, was für die Verfassungen das Nützlichste ist, daß die Anständigen ohne Fehler regieren und das Volk nicht zu kurz kommt." In den Sätzen davor äußert Aristoteles: "Eine solche Staatsverfassung muß gut sein (denn die Ämter werden immer durch die Besten verwaltet, und das Volk w i l l es so und beneidet die Anständigen nicht), und für die Anständigen und Angesehenen genügt diese Ordnung. Denn sie werden nicht von anderen regiert, die schlechter sind als sie, und sie werden gerecht regieren, da andere das Recht haben, sie zur Rechenschaft zu ziehen" 148 . Später setzt Aristoteles fort: "Also nur wenn ein anderer überlegen ist in der Tugend und in der Fähigkeit, das Beste zu vollbringen, so ist es schön, diesem zu folgen, und gerecht, ihm zu gehorchen. Es muß freilich nicht nur die Tugend vorhanden sein, sondern auch die Fähigkeit, zu handeln." 149 Diese Staatsverfassung, die Politie des Aristoteles, gibt das Modell der demokratischen Republik, in der die Anständigen das Volk vertreten, ohne daß sie als eine besondere Klasse aus dem Volk heraustreten, zumal Aristoteles für den guten Staat die Homogenität des Mittleren fordert 150 , in der "die Gemeinschaft Freundschaftscharakter hat" 1 5 1 , in der "politische Herrschaft" abwechselnd (regierend und regiert) "über Gleichartige und Freie ausgeübt wird 1 5 2 , unter denen es allein Gesetze gebe 153 . "Der

147

Allgemeine Staatslehre, S. 252; i.d.S. H.-J. Wolff , Theorie der Vertretung, S. 340 ff. Politik, S. 207, 1319 a 32 ff. 149 Politik, S. 227, 1325 b 10 ff., zum Prinzip, daß die Besten das Volk vertreten sollen, auch daselbst S. 143 f., 1292 a 5 ff. 148

150

Politik, S. 151 f., insb. 1295 b 25 f. Politik, S. 152, 1295 b 22 f. 152 Politik, S. 109, 1277 b 7 ff.; die Übersetzung von πολιτικήν άρχήν durch Ο. Gigon als "politische Herrschaft" überzeugt nicht, besser ist mit "politischer Führung" zu übersetzen. 153 Nikomachische Ethik, S. 169, 1134 b 13 ff.: "Niemand aber hat die Absicht, sich selbst zu schädigen. Darum gibt es auch kein Unrecht sich selbst gegenüber, also auch nicht das politisch Ungerechte oder Gerechte. Denn dieses beruhte ja auf dem Gesetze unter solchen, unter denen es der Natur nach ein Gesetz geben kann, also dort, wo eine Gleichheit des 151

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

gute Bürger aber muß sich sowohl regieren lassen, wie auch regieren können, und dies ist die Tugend des Bürgers: die Regierung von Freien in beiden Richtungen zu verstehen." - Aristoteles 154 Der ständige Wechsel der Vertreter des Volkes jedenfalls ist für die Republik unverzichtbar 155 . Wer sich zu einer Partei verbündet, ist nicht schon anständig, im Gegenteil: Das Bündnis als Weg zu den Ämtern ist der republikanischen Sittlichkeit zuwider und die (durch das parteienstaatliche Verhältniswahlsystem erzwungene) Anbiederung an die Wähler zutiefst unanständig 156 . Allein die moralische Kompetenz des Gesetzgebers, vor allem also die der Abgeordneten, sichert die Chance, daß das Gesetz Recht schafft 157 . Letztverantwortlicher Hüter des Rechts als der praktischen Vernünftigkeit der Gesetze im ordentlichen Verfahren ist das Bundesverfassungsgericht, im außerordentlichen, ultima ratio im Widerstand, das Volk 1 5 8 . Im Parteienstaat verliert die Labandsche Identifizierung von Recht und Gesetz 159 ihren materialen Gehalt. Carl Schmitt hat Gesetz und Staat im Anschluß an Paul Laband formelhaft identifiziert und selbst über die materialen Voraussetzungen der Legitimität der Formel: "Der Staat ist Gesetz, das Gesetz ist der Staat" 160 . aufgeklärt 161 . Die Formeln behalten aber Legitimationswirkung, weil sie Formeln der demokratischen Republik sind. Sie lassen sich bestens für die herrschaftliche Parteiendemokratie mißbrauchen. Der freiheitliche Gehalt der

Regierens und Regiertwerdens besteht". Das ist insgesamt das repräsentative Konsensprinzip, das ohne Tugend nicht denkbar ist (Aristoteles, Politik, S. 50, 218 ff., 230 ff., 238 ff.). 154 Politik, S. 110, 1277 b 13 ff. 155 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 530 f.; 8. Teil, 5. Kap., S. 805 ff. 156 Dazu 10. Teil, 3. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1113 ff. 157 Dazu S. 672 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 810 ff.; auch 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 5. Teil, 3. und 5. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 353 ff.; 9. Teil, 1., 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 819 ff., 858 ff., insb. S. 902 ff., 982 ff., 1027 ff. 158 Dazu 5. Teil, 6. Kap., I; auch 7. Teil, 4. Kap., VI; 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 3., 4. und 5. Kap., S. 909 ff. mit Fn. 471, 936 (Volk), 956 ff. (BVerfGE). 159 P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, S. 1 ff., 67 ff.; dazu P. ν. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 254 ff., insb. S. 259; zum Rechtspositivismus kritisch R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 15 ff. 160 Legalität und Legitimität, S. 21, für den "parlamentarischen Gesetzgebungsstaat". 161 Verfassungslehre, S. 138 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 21 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 75 ff. (unter Berufung auf J.C. Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, 4. Aufl. 1868, Bd. I, S. 561 f.; R. Thoma, Grundrechte und Polizeigewalt, in: FG Preuß. OVG, 1925, S. 223); in der Sache nicht anders G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 224 ff., 235 ff., der allerdings die Frage nach dem richtigen Recht nicht stellt, sondern einen Strukturwandel der Demokratie und damit einen Legitimations Wechsel herausstellt.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

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Formeln steht und fällt mit der Moralität der Politiker 162 . Politiker ist jeder Bürger 163 . Diese Moralität ist nicht erzwingbar 164 . Das eröffnet dem Mißbrauch der Form des Gesetzes als Form der Freiheit zum Instrument der Herrschaft entscheidende Möglichkeiten. Alles kommt auf die Gewissenhaftigkeit der Abgeordneten an, wenn die Gesetze des Gesetzgebers Recht setzen sollen. Diese aber werden von den Parteiführungen im Interesse ihrer Herrschaft beharrlich korrumpiert, und die Abgeordneten, meist mäßigen persönlichen Zuschnitts, lassen sich ihre Unabhängigkeit mit den für sie attraktiven Diäten und vor allem mit dem hoffähigen Status, den sie erlangen, gern abkaufen. Die Gewissenlosigkeit von Abgeordneten zu kaschieren dient auch eine übermäßige Restriktion des Gewissensbegriffs, der das Gewissen erst berührt sieht, wenn vom Abgeordneten verbrecherische Handlungen verlangt werden 165 . Das Gewissen soll aber jede politische Erkenntnis leiten, wie Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 GG beweist 166 . Das Recht muß der Gewissenlosigkeit stärker entgegenwirken. Der gesetzlich erzwungene ständige Wechsel der Mandatsträger wäre nach aller Erfahrung hilfreich. Niemand darf dauerhaft Abgeordneter sein, damit er nicht zum Höfling der neuen Fürsten, der Parteiführer, wird. Wir erleben das Gegenteil, nämlich eine parteienstaatliche Feudalisierung des Ämterwesens 167 . Die schon angesprochene Verantwortung der Hüter der praktischen Vernunft für die Rechtlichkeit der Gesetze kompensiert nicht nur die Defizite des parteienstaatlichen Gesetzgebers in

162 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 228 ff.; K. Jaspers, Kants "Zum ewigen Frieden", in: ders., Mitverantwortlichkeit, S. 255 ff., 264 f., 272; i.d.S. auch CA. v. Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung, S. 462 ff.; K.A. Schachtschneider, Ethik und Politik, Ein Vortrag im deutschen November; die "gebildete Persönlichkeit", der "objektiven", "unparteilichen" "Erkenntnis des Wahren und Richtigen" fähig, beschreibt auch M. Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, S. 30 ff., als das "Idealbild des rechten Volksvertreters", dem er aber keine Chance einräumt, weil es solche Persönlichkeiten zu selten gebe; dazu S. 674 ff., 679 ff. 163 Dazu Hinweise in Fn. 112, S. 655; insb. 4. Teil, 2. Kap., S. 216 ff. 164 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 214 f., 230 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 308 f., 320 ff.; 2. Teil, 7. Kap., S. 126 ff., zu den Tugendpflichten; zur bürgerlichen Moralität Hinweise in Fn. 38, S. 644. 165 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 419 ff. mit Fn. 797; 8. Teil, 5. Kap., S. 810 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 833 ff. 166

Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff. mit Fn. 798; auch S. 675 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 810 ff.; auch 9. Teil, 1. Kap., S. 833 ff. 167 Auf den Feudalismus des pluralistischen Parteienstaates hat schon C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 84, (unter Berufung auf M.J. Bonn) S. 99, hingewiesen; ders. auch, Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 43; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 116 ff. u.ö.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

erheblichem Maße, sondern ermöglicht diese auch durch ihre befriedende Wirkung. Sie ist ein Baustein der grundgesetzlichen Republik 1 6 8 . Der Abgeordnete ist durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG seinem Gewissen unterworfen, weil er als Vertreter des ganzen Volkes die sittliche Aufgabe hat, das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit durch Gesetze zu verwirklichen. Das Gewissen ist der Gerichtshof der Sittlichkeit. "Das Bewußtsein eines inneren Gerichtshofes im Menschen (vor welchem sich seine Gedanken einander verklagen oder entschuldigen) ist das Gewissen." - Kant 169 Das republikanische Prinzip des Grundgesetzes erzwingt Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, der, wie schon gesagt, den Abgeordneten zum Repräsentanten der Sittlichkeit des Volkes oder eben der praktischen Vernunft aller Bürger erklärt. In diesem Verständnis verfälscht der Begriff Repräsentation nicht die Verfassung der Freiheit in eine solche der Herrschaft und wahrt zugleich die Vornehmheit des Verfahrens, welche das Wort Repräsentation beansprucht 170 . VI.

Die bürgerliche Identität im Staatlichen durch die Repräsentation des Sittlichen Diese Repräsentation ist möglich, weil die Gesetze wegen ihrer Allgemeinheit und damit Notwendigkeit prinzipiell von jedem Bürger erkannt werden können, wenn er guten Willens ist, vorausgesetzt, er hat die erforderliche Kompetenz 171 . Repräsentation und Identität sind, wenn man den Worten eine republikanische Begrifflichkeit beimessen will, eine Einheit 1 7 2 . Wenn die Willensautonomie aller Bürger, also das Prinzip der Republik, gewahrt bleiben soll, repräsentieren die Vertreter des ganzen Volkes jeden einzelnen Bürger als Vernunftwesen. Als solche sind die Bürger nicht nur gleich, sondern haben einen einheitlichen oder allgemeinen Willen, den Willen nämlich zum allgemeinen Gesetz, die volonté générale, welcher in der Verfassung ausgesprochen ist, den Willen zur staatlichen 168

Dazu die Hinweise in Fn. 158 (Hüter); 9. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 909 ff., 932 ff., 941 ff., insb. S. 963 ff.; auch 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 169 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 531 f., 572 ff. u.ö., Zitat S. 573; dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff. mit Fn. 798; 8. Teil, 5. Kap., S. 810 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 833 ff. 170 Vgl. i.d.S. C Schmitt, Verfassungslehre, S. 210; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 32, 73, 140 f.; S. Landshut, Der politische Begriff der Repräsentation, S. 488 ff.; dazu W. Manti, Repräsentation und Identität, S. 140 f. 171 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 718 ff. (zur identitären Repräsentation); S. 728 ff., vgl. auch die Hinweise in Fn. 171 (zur identitären Pflicht zur Sittlichkeit). 172 I.d.S. auch W. Manti, Repräsentation und Identität, S. 146 ff.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

667

Bewältigung des gemeinsamen Lebens, zum staatlich Allgemeinen. Das staatliche Gesetz ist für alle Bürger identisch. Weil aber das Gesetz Handlungsmaxime jedes Bürgers, jede Handlungsmaxime aber Teil der Persönlichkeit eines Bürgers ist 1 7 3 , gibt es in der Republik eine teilweise Gleichheit aller Bürger, nämlich die in ihrer Staatlichkeit, die im staatlich Allgemeinen. Diese ist die politische Einheit der Republik. Alle Bürger wollen dasselbe, das Gesetz, das allen ein gutes Leben in allgemeiner Freiheit ermöglicht, also eine solche Staatlichkeit des gemeinsamen Lebens. Zur bürgerlichen Identität gehört die staatliche Allgemeinheit des Bürgerlichen. Sittliche Pflicht der Bürger ist es, sich mit dem staatlich Allgemeinen zu identifizieren, d. h. im staatlich Allgemeinen eine solche Identität wie alle anderen Bürger zu gewinnen. Das ist die sittliche Forderung des kategorischen Imperativs 174 . Diese Identität, die staatlichen Gesetze als eigene Handlungsmaximen zu achten, ist übereinstimmendes Persönlichkeitselement aller Bürger als Bürger. Die innere Freiheit ist Teil der Persönlichkeit, nicht etwa von der Persönlichkeit gelöste Pflicht. Die sittliche Persönlichkeitsentfaltung ist ein Erkenntnisprozeß. Erst die Vertretung des ganzen Volkes im Parlament macht die erforderlichen Erkenntnisse in ihrer Allgemeinheit und damit die notwendig einheitliche Persönlichkeitsbildung aller Bürger in ihrem staatlich Allgemeinen möglich. Darum sind die Volksvertreter zugleich Repräsentanten aller Bürger in deren Identität als Bürger. Die allgemeine Autonomie des Willens bleibt gewahrt, weil die Abgeordneten selbst eine solche bürgerliche Identität zu entwickeln die Pflicht haben wie jeder Bürger, soweit das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit das erfordert. Die Abgeordneten sollen das erkennen, was jeder Bürger zu erkennen sittlich verpflichtet ist. Das macht autonomiegerechte Repräsentation möglich. Die Bürger sind erst Bürger in ihrer Sittlichkeit, also in ihrer ihnen stets aufgegebenen politischen Einheit. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe werden sie repräsentiert und können repräsentiert werden, weil von allen Gleiches erwartet wird, das identische Gesetz. Repräsentation schafft somit die Bürgerlichkeit der Bürger im staatlich Allgemeinen. Rechts technisch wird die bürgerliche Identität durch die Vertretung aller Bürger in deren staatlich Allgemeinem erst möglich. Dadurch ist die Vertretungsrepräsentation eine notwendige Einrichtung einer bürgerlichen Verfassung.

173 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 333 ff.; zu den Maximen insb. 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 298 ff., 348 ff. 174

Dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 718 ff., 728 ff.

668

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Das Gemeinwohl gehört zum Wohl jedes einzelnen Bürgers, ist allgemeines Wohl, das Wohl aller. Es bedarf daher der allgemeinverbindlichen Erkenntnis. Diese wollen der Verfassung nach alle Bürger. Sie haben darum ihre Vertreter mit der Erkenntnis dessen, was das allgemeine Wohl erfordert, ermächtigt 175 ; denn das ist der einzig erfolgversprechende Weg zu einer Materialisierung des Gemeinwohls, welche jeder Bürger als sein Wohl, als seine eigene Sache (sua res), als Wirklichkeit seines Lebens, als "Entfaltung seiner Persönlichkeit" will. M i t dem derart erkannten gemeinen Wohl vermag sich ein Mensch ohne Verlust seiner Würde zu identifizieren; denn er ist dadurch frei, nämlich autonom. Als derart dem Gemeinwohl verbundene Person gewinnt der Mensch bürgerliche Identität; denn: Res publica res populi. Tua res agitur. Entscheidend ist begrifflich, daß mit der Idee der Freiheit die der Sittlichkeit untrennbar verbunden ist. Freiheit ist Autonomie des Willens 1 7 6 . Die Würde des Menschen anzuerkennen heißt, ihn der Willensautonomie für fähig zu halten 177 . Die Formalität der Freiheit ist Ausdruck der Würde jedes Menschen und damit der allgemeinen bürgerlichen Fähigkeit, sich selbst die Gesetze zu geben, also der Autonomie des Willens 1 7 8 . Folglich können die richtigen Gesetze prinzipiell von jedem Bürger erkannt werden. Aus diesem Grunde kann, wie gesagt 179 , die Bürgerschaft in dieser Erkenntnis vertreten werden. Das folgt logisch aus der Allgemeinheit bürgerlicher Gesetze, also aus der Logik der Autonomie des Willens. Der öffentliche Diskurs um das richtige Gesetz ist nicht etwa erforderlich, weil nicht jeder Bürger prinzipiell befähigt wäre, das richtige Gesetz zu erkennen, sondern weil die vom kategorischen Imperativ durchaus jedem einzelnen Bürger aufgegebene Erkenntnis keine Richtigkeitsgewähr für die übrigen Bürger hat. Die von Rousseau in den Mittelpunkt seiner politischen Philo-

175

Zur Formalität des Gemeinwohls oben S. 657 f., auch 7. Teil, 4. Kap., S. 574; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff. 176 Dazu näher 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; zur Einheit der äußeren und inneren Freiheit 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 289 ff., 325 ff., 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; etwa Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81, 86, 88 f.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 144. 177 Dazu 5. Teil, 1., 2. und 5. Kap., S. 253 ff., 264 f. mit Fn. 58, 333 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 138 ff.; vgl. insb. Art. 1 Allg. Erkl. Menschenrechte. 178 Dazu 5. Teil, 1., 2. und 4. Kap., S. 253 ff., 263, 333 ff.; zur Formalität der Freiheit 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff. (mit S. 356 ff.), 410 ff.; 6. Teil, 1. und 8. Kap., S. 441 ff., 494 ff.; 9. Teil, 5., 7. und 8. Kap., S. 956 ff., 978 ff., 990 ff. 179 S. 666; dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 718 ff., 728 ff.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

669

sophie gestellte Irrtumsgefahr 180 gebietet den öffentlichen Diskurs und in Vertretung des ganzen Volkes den Parlamentarismus. Es geht der Institutionalisierung des staatlich Allgemeinen um das optimale Verfahren der Erkenntnis des Richtigen. Die kompetentielle Differenzierung folgt der unterschiedlichen Befähigung (vgl. Art. 33 Abs. 2 GG), findet aber ihre Rechtfertigung selbst i m Vertretungsprinzip. Wenn schon vertreten werden muß und weil vertreten werden muß, sollen es die Besten sein, die vertreten, damit das Kunstwerk der Republik möglichst gelinge. Das gilt auch und vor allem für die Abgeordneten 181 . Der allgemeine Konsens würde die Richtigkeit außer Frage stellen, selbst wenn alle sich im Irrtum befinden sollten, etwa über die Theorien von der Wirklichkeit. Würde eine Entscheidungsregel jedoch die Zustimmung aller Bürger für ein Gesetz fordern, so wäre die staatliche Bewältigung des gemeinsamen Lebens nicht sichergestellt, weil die Zustimmung nicht erzwungen werden könnte 182 . Erst recht läßt sich die allgemeine Erkenntnis des Richtigen nicht garantieren. Die bürgerliche Verfassung und damit die Staatlichkeit sind aber erzwingbare Pflicht jedes Menschen in einem Gemeinwesen, also der Menschen, deren Handlungen einander verletzen können 1 8 3 . Nur die organschaftliche Vertretung des ganzen Volkes stellt die Staatlichkeit als Gesetzlichkeit und damit die Verwirklichung der Freiheit aller sicher; denn das Gesetzgebungsorgan ist durch die Mehrheitsregel einerseits immer entscheidungsfähig und entscheidet niemals gegen eine Minderheit, sondern immer im Namen aller, also allgemein; denn es trifft eine eindeutige Entscheidung 184 . Wenn das Gesetzgebungsorgan keine Gesetze erläßt, spricht das zunächst dafür, daß es ein allgemeines Gesetz, also die staatliche Lebensbewältigung, nicht als erforderlich ansieht 185 . Den Bürgern bleiben die privaten Übereinkünfte, etwa durch Verträge 186 . Diese aber sind nicht erzwingbar. Folg-

180

Dazu S. 641 ff., 642 mit Fn. 24; 7. Teil, 2. Kap., S. 541, auch S. 568 ff. Dazu S. 662 ff., 674 ff., 679 ff. 182 Dazu S. 644 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 214 f., 224 f., zur Unerzwingbarkeit der Tugend. 183 Dazu 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 304 ff., 325 ff. (insb. S. 332 ff.), 425 ff.; 7. Teil, 3. und 4. Kap., S. 545 ff., 560 ff.; insb. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 366, auch S. 347. 184 Dazu S. 655 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff., insb. S. 714 ff., 718 ff.; zur Mehrheitsregel 2. Teil, 6. Kap., S. 119 ff. 181

185

Zum Grundsatz und Vorrang privater Lebensbewältigung Hinweise in Fn. 66, S. 649. Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 400 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 421 ff. 186

670

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

l i e h k a n n der staatliche Gesetzgeber zur Gesetzgebung verpflichtet sein. Das lehrt

die

Schutzpflichtdogmatik

des

Bundesverfassungsgerichts 1 8 7 .

Die

Schutzpflicht f o l g t aus d e m Z w e c k des Staates, das Leben, die Freiheit u n d d a m i t auch das E i g e n t u m usw. zu s i c h e r n 1 8 8 . D i e Verletzung der Schutzpflicht ist j u d i z i a b e l . Sie gehört zu den grundrechtlichen

Gewährleistun-

g e n 1 8 9 . D i e A r t u n d Weise des Schutzes ist Sache des Gesetzgebers 1 9 0 . D i e wesentlichen Güter der Menschen sind geschützt durch das Strafrecht, durch das Polizeirecht, durch das Z i v i l r e c h t , insbesondere durch die §§ 823, 1004 B G B , usw. U m der bestmöglichen Erkenntnis des R i c h t i g e n auf der Grundlage der W a h r h e i t w i l l e n sind die Abgeordneten unabhängig, "an Aufträge u n d Weisungen nicht gebunden" u n d "nur i h r e m Gewissen unterworfen" ( A r t . 38 A b s . l S. 2 G G ) 1 9 1 . D i e Vertreter des ganzen Volkes sind verpflichtet, die Gesetze i n praktischer Vernunft

zu

geben,

also,

nicht

anders

als jeder

Bürger

selbst,

das

187 BVerfGE 39, 1 (42 ff.); 46, 160 (164); 49, 89 (142); 53, 30 (57 ff., 73 ff.); 56, 54 (73 ff.); 77, 170 (214 f.); 79, 174 (201 f.); 88, 203 (251); BVerfG JZ 1994, 408 ff.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 16 zu Art. 1 Abs. I; 102, 131 zu Art. 1 Abs. III; 22 zu Art. 2 Abs. II; v. Mangold/Klein/Starck, GG, Rdn. 156, 157, 158 zu Art. 2 Abs. 2; dazu K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 83 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 139 ff.; kritisch J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 214 ff., 229 ff.; E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates, NJW 1989, 1633 ff. 188 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 551 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 821; J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 3 ff., 33 f.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 13 ff., 27 ff.; E. Klein, NJW 1989, 1633 ff.; Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 27 f.; G. Ress, daselbst, S. 90 ff. 189 Vgl. in dieser Streitfrage die Hinweise in Fn. 186, 187. 190 BVerfGE 39, 1 (44 ff.); 46, 160 (164 f.); 79, 174 (201 f.); Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 140; vgl. auch die Hinweise in Fn. 186, 187. 191 Dazu näher H.H. Klein, Status der Abgeordneten, HStR, Bd. II, S. 367 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 1069 ff.; ders., Staatsrecht II, S. 37 ff., der die moralische Pflicht des Abgeordneten allenfalls als "Pflicht, das ganze Volk und nicht Sonderinteressen zu repräsentieren", anspricht. Zur Logik dieser Gewissensbindung aus dem "neuzeitlichen Souveränitätskonzept, das das klassische Naturrecht aus seinem politisch-rechtlichen Geltungsbereich verdrängt habe", W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 309. Der Naturrechtler R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 159, etwa, stellt das (präpositive) Recht über die Ethik. Zum freien Mandat unten 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 710 ff., 780 ff., 810 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; zum Gewissensbegriff S. 664 f.; 8. Teil, 5. Kap., S. 810 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff. mit Fn. 798; auch 9. Teil, 1. Kap., S. 833 ff.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

671

Sittengesetz zu v e r w i r k l i c h e n 1 9 2 . D i e U n a b h ä n g i g k e i t ist die äußere Freiheit des Abgeordneten, die unverzichtbar ist, w e n n er seiner A u f g a b e zur stellvertretenden Sittlichkeit n a c h k o m m e n können soll. D i e

Gewissens-

b i n d u n g spricht die Pflicht zur S i t t l i c h k e i t des Abgeordneten an, der er n i c h t genügen könnte, w e n n er n i c h t als Bürger ohnehin der S i t t l i c h k e i t fähig u n d zur S i t t l i c h k e i t verpflichtet wäre. W e i l das V o l k sich durch seine Vertreter die Gesetze gibt, muß jeder entscheiden

Vertreter

entscheiden, w i e jeder

Bürger

sollte, n ä m l i c h autonom, sittlich. D i e S i t t l i c h k e i t ist, w i e

dargetan 1 9 3 , die B e d i n g u n g der allgemeinen Freiheit. Das ganze V o l k ist aufgerufen, an d e m gesetzgeberischen Erkenntnisprozeß teilzunehmen, aber v e r b i n d l i c h w i r d nach der Verfassung, vorbehaltlich der Verantwortung der H ü t e r der praktischen Vernunft für das R e c h t 1 9 4 , die Erkenntnis der Gesetzgebungsorgane durch deren Beschlüsse; denn diese sind der Gesetzgeb u n g s w i l l e des Volkes, die volonté générale. " I n der D e m o k r a t i e hat die unerläßlich ethisch - normative Orientierung ihre V e r f o r m u n g i n der demokratischen Repräsentation." - Ernst-Wolf gang

Böckenförde

-

195

192

Prinzipiell i.d.S. die Repräsentationslehre H. Krügers, Allgemeine Staatslehre, S. 232 ff. (dazu unten S. 673 ff.), die H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 169, zu Recht, aber sich distanzierend, als "im Kern moralisch" bezeichnen; Krüger eher folgend E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 26 ff., 29 ff.; i.d.S. auch J. Isensee, Republik, Staatslexikon, Sp. 885, als "metarechtliche Erwartung des republikanischen Bürgerethos eines gemeinwohlgerichteten Freiheitsgebrauchs,... und der Bereitschaft, die Sache des Gemeinwesens zur eigenen Sache zu machen"; anders ders., HStR, Bd. I, S. 632 f. (allerdings i.S. einer Angewiesenheit auf ein "materiales Ethos des Bürgers") und mit der Unterscheidung von "privater Freiheit" und "Gemeinwohlkompetenz, die vom Amtsgewissen geleitet werden" solle, die der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft folge (dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; Isensee selbst a.a.O., S. 652 ff., 655), aber dem Bürger politische Freiheit nicht zugestehe; vgl. auch ders., Grundrechtliche Freiheit Republikanische Tugend, S. 68 ff., 71 ff., wo er entgegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG die Tugendpflichten auf die "Politiker und die politisch handelnden Bürger" beschränkt und damit die anderen 'Bürger' entpolitisiert, entbürgerlicht, deren Egoismus er gar grundrechtlich legitimiert sieht; i.S.d. Textes K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 125 ff., 153 ff., 159 ff., 237 ff.; ebenso W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 308, i.S. Kants und Hegels; die Sittlichkeit der Repräsentation, die ihr Verfahren im öffentlichen Diskurs hat, kennt etwa H. Meyer, Die Stellung des Parlaments, S. 119, überhaupt nicht, der diesen Ansatz in seiner parteienstaatlichen Herrschaftsideologie als eine "Mißdeutung" des Parlamentarismus verhöhnt; zur sittlichen Bindung 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 662 ff., 728 ff., 799 ff., 810 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 219, 662 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 9. Teil, 1. und 2. Kap., S. 819 ff., 858 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 75, 71, 146, S. 650, 662. 193 Dazu 5. Teil, 2. und 3. Kap., S. 259 ff., S. 301 ff.; zur Einheit der inneren und äußeren Freiheit Hinweise in Fn. 176, S. 668. 194 Dazu 9. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 909 ff. mit Fn. 471 ff., 936, 958 (BVerfG); 9. Teil, 1. und 3. Kap., S. 819 ff., 929 (Bürger).

672

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Die stellvertretende Sittlichkeit der Abgeordneten ist die Bedingung allgemeiner und als solcher freiheitlicher Gesetze, also des Rechts 196 . Gesetze sind Recht, wenn die Vertreter des ganzen Volkes bei der Gesetzgebung sich ausschließlich vom Sittengesetz haben leiten lassen, seien diese Vertreter Abgeordnete, Beamte oder Richter. Parteienstaatliche Gesetze schaffen kein Recht, wenn und insoweit die Abgeordneten sich bei ihrer Beschlußfassung von ihren Parteien haben bestimmen lassen. Der Parteienstaat ist kein Rechtsstaat, wenn er auch rechtsstaatliche Elemente kennt, die seine Herrschaft kompensatorisch stabilisieren 197 . Das moralische Versagen der Abgeordneten ist geradezu Bedingung des Parteienstaats 198. Recht können die Gesetze des Parteienstaates nur in dem Maße geben, in dem sie dem Gewissen der Abgeordneten entsprechen. Die materiale Rechtlichkeit der Gesetze ist jedoch mangels eines verbindlichen Maßstabes des Rechts, der material sein müßte, unüberprüfbar. Erst die Gesetze selbst können j a Recht schaffen. Die formale Rechtlichkeit hängt von der Sittlichkeit der Abgeordneten ab und ist demgemäß ebensowenig wie diese juridisch. Darum ist der Abgeordnete durch die Gesetze vor jeder parteilichen oder verbandlichen Einflußnahme zu schützen. Gepflegt werden muß außerdem der allgemeine Diskurs um das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit 1 9 9 ; denn dieses Richtige sollen die Abgeordneten zum Gesetz machen. Ganz in diesem Sinne wird der Konsens des Parlaments im englischen

195 Demokratie und Repräsentation, S. 31, beachte S. 29 ff., wo Böckenförde die Pflicht zur Sittlichkeit der Bürger und ihrer Vertreter deutlich herausstellt, ohne den Widerspruch zu seiner Herrschaftslehre zu erkennen; vgl. ders., Der Staat als sittlicher Staat, 1978, S. 9 ff., insb. S. 38 ff.; ders. auch, HStR, Bd. II, S. 43 ff. 196

K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 160, 163 ff.; vgl. dazu J. Isensee, JZ 1981, 8; ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 74; ders., HStR, Bd. I, S. 632 f.; HStR, Bd. III, S. 45 ff., der in der Amtlichkeit freilich keine Stellvertretung sieht (dazu in Fn. 192, S. 671 f.); eher i.S. des Textes E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 26 ff., 29 ff.; ders., HStR, Bd. II, S. 43 ff.; i.S. des Textes zu Kant W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 308; dazu die Hinweise in Fn. 157, S. 664. 197 Dazu 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff.; 7. Teil, 2. und 6. Kap., S. 536 ff., 627 f.; auch 9. Teil, 3. und 10. Kap., S. 909 ff., 1027 ff.; 6. Teil, 3. und 6. Kap., S. 454 ff., 478 ff.; so schon C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 100 ff.; ders., Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 41 ff. 198 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. (insb. 802 ff.); 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. 199 Dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; weitere Hinweise in Fn. 34, S. 643.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

673

Parlamentsrecht als Konsens jedermanns begriffen 200 . Der bürgerliche Diskurs ist gesetzgeberische Amtshilfe. Die materiale Unüberprüfbarkeit der Rechtlichkeit der Gesetze schließt die institutionelle/instanzielle Judiziabilität nicht aus, die in der abstrakten und konkreten Normenkontrolle aufgegeben ist und aus der Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) und aus deren Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) folgt. Diese institutionelle Judiziabilität ist, orientiert an den material offenen Leitentscheidungen des Grundgesetzes, eigenständige, funktional rechtsetzende Rechtserkenntnis vor allem des Bundesverfassungsgerichts, die auf Grund der Funktionenordnung des Grundgesetzes allgemeine Verbindlichkeit erlangt. Wenn der Gesetzgeber in Moralität das Gesetz gegeben hat, also Recht gesetzt hat, wird quasi besseres Recht an die Stelle des guten Rechts gesetzt, falls das Bundesverfassungsgericht zu einer anderen Erkenntnis als der Gesetzgeber kommt. Das dürfte im Falle der Moralität schon wegen des öffentlichen Diskurses und dessen Befriedungswirkung äußerst selten sein und kann vor allem an einer anderen Theorie von der Wirklichkeit liegen. Ein sittlicher Vorwurf wäre mit einer anderen Rechtserkenntnis des Gerichts gegenüber dem moralischen Gesetzgeber keinesfalls verbunden 201 . Herbert Krügers auf die "Richtigkeit" ausgerichtete Repräsentationslehre, das Kernstück seiner allgemeinen Staatslehre, baut auf dem Prinzip der Moralität, der Herrschaft des "besseren" Ich über das "natürliche" Ich auf und stellt die "Bürger" in den Mittelpunkt 2 0 2 : "Richtig gewürdigt ist der Wähler eine repräsentative Figur, die Wahl ein repräsentierendes Verfahren. Gleichgültig, ob man den Wähler als Staatsorgan anzusehen hat oder nicht, sicher ist jedenfalls, daß er sich nicht als Mensch, so wie er von Natur ist, verstehen muß und daß er nicht dergestalt verstanden werden darf. Dies zeigt sich als erstes darin, daß schon vom Bürger das gleiche gilt -, eine normative Figur, dessen Normativität vor allem auf den vornehmsten Akt staatsbürgerlicher Verantwortung gemünzt ist -, auf die Wahl. Vor allem als Wähler hat sich daher der Bürger von allen natürlichen, beruflichen und weltanschaulichen Deter-

200 A. Podlech, Repräsentation, S. 522. Ganz so stellt C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 43 f. mit Fn. 3, Guizot "als den absolut typischen Repräsentanten des Parlamentarismus" mit dem "absolut typischen Gedankengang" vor, dessen "Repräsentation" "Vertretung des (vernünftigen) Volkes im Parlament bedeute". 201 Dazu 9. Teil, 1., 7. und 8. Kap., S. 850 ff., 982 ff., 990 ff. 202 Allgemeine Staatslehre, S. 234 ff., 247 ff. (bei Krüger Anführungsstriche, S. 249).

43 Schachtschneider

674

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

miniertheiten innerlich zu befreien -, positiv ausgedrückt: im qualitativen Sinne zu verallgemeinern".... "Trotz alledem darf das Bewußtsein nicht verloren gehen, daß der Wähler nicht ein "Phainomenon", sondern ein "Noumenon" ist". "..., denen zufolge es dem Wähler obliegt, einen besseren Mann zu wählen, als er selbst ist. In dieser Linie liegt auch die vielfach vertretene Auffassung, es sei der Sinn der Wahl zum Parlament, eine Aristokratie hervorzubringen" 203 . Herbert Krüger argumentiert hier ganz kantianisch. Ohne die Dualismen Kants, ohne seine Lehre von der äußeren und inneren Freiheit, seine Lehre vom homo phainomenon und homo noumenon, ohne seine Ethik, ohne den kategorischen Imperativ also, bleibt das Gemeinwesen immer herrschaftlich. Ohne Moralität gibt es keinen Weg zur Freiheit. Man mag die Herrschaftslehren als realistisch empfinden, der Würde des Menschen entsprechen sie nicht. "Wenn er (sc. der Abgeordnete) für diese seine ursprüngliche Willensbildung an sein Gewissen gebunden ist, so ist damit doch nicht gemeint, daß er irgendeine Subjektivität zum Maßstab seiner Entscheidungen machen soll. M i t dem Appell an das Gewissen soll vielmehr die bessernde Funktion der Repräsentanten angesprochen und eingeschärft werden. In welcher Hinsicht der Abgeordnete einen neuen, besseren Willen bilden soll, ergibt sich aus den Worten: Vertreter "des ganzen Volkes". Damit ist gesagt, der Repräsentant solle nicht Höchstpersönliches hervorbringen, sondern sich um die Hebung des wahren und richtigen Volkswillens bemühen. ..., auf jeden Fall ist sicher, daß der Abgeordnete ein Anderer und Besserer sein soll als seine Wähler, die Volksvertretung aber ein anderes und besseres "Volk" als das wirkliche Volk selbst." - Herbert Krüger 204 V I I . Formelle Kompetenz, materielle Kompetenz, moralische Kompetenz der Vertreter des Volkes als vorbildliche Bürger Republikanisch ist allein eine Sachlichkeit, die ein Höchstmaß an Wissenschaftlichkeit leistet 205 . Es ist wesentlich das Kompetenzprinzip, welches i m Regelfall die Repräsentation gebietet 206 ; denn die alle verbindene Er-

203 204 205

Allgemeine Staatslehre, S. 250 ff., mit Bezug auf Kant und Hegel in Fn. 80 bzw. 84. Allgemeine Staatslehre, S. 252 f. So E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 933 f.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

675

kenntnis des Wahren u n d Richtigen, insbesondere die Gesetzgebung, ist A u s ü b u n g v o n Staatsgewalt 2 0 7 . Erkenntnis setzt Erkenntnisfähigkeit

vor-

aus, Gewissenhaftigkeit W i s s e n (conscientia scientia). D i e W a h l des Volkes qualifiziert niemanden z u m Besten, schafft keine Befähigung, keine materielle

K o m p e t e n z , sondern eine formelle Kompetenz. Sie g i b t ein A m t .

M a t e r i e l l e K o m p e t e n z , Befähigung also, ist Voraussetzung der W a h l , die nur A u s w a h l sein kann. N u r die Besten k o m m e n als Vertreter des ganzen Volkes i n F r a g e 2 0 8 , gerade w e i l es u m die Sache aller geht, die bestmögl i c h b e w ä l t i g t werden muß. " W e i l u n d soweit die W a h l aber nur die Bezeichnung eines geeigneten Repräsentanten der Gesamtheit bezweckt, k o m m t es auf M e h r h e i t e n oder M i n d e r h e i t e n insofern n i c h t an, als die W a h l den Kandidaten j a n i c h t z u m Repräsentanten macht, sondern nur die Chance gibt, daß eine ohnehin

repräsentative

Woljf

Persönlichkeit

Organwalter

wird."

-

Hans-Julius

09

D i e R e p u b l i k steht u n d fällt m i t den Verfahren, welche die materielle K o m petenz der A m t s w a l t e r sicherstellen. Hans Kelsen

hat

206

H. Hellen Politische Demokratie, S. 426 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 253 ff.; J. Isensee, JZ 1981, 8; ders., Öffentlicher Dienst, HVerfR, S. 1152 f. (sehr klar); ders., HStR, Bd. I, S. 632; HStR, Bd. III, S. 54 ff.; ders., Republik, Staatslexikon, Bd. 4, S. 885; ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 74; W. Henke, JZ 1981, 249 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 874, 877; ders., Recht und Staat, S. 387 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 19 f., 49 ff., 61 ff., insb. 64 zu Art. 20 GG; K.A. Schachtschneider, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die Demokratie, JA 1979, 513 ff.; auch H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 368 ff., zum Amtscharakter des Abgeordnetenstatus; klar E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 40 f.; i.d.S. auch ders., Demokratie und Repräsentation, S. 8 ff.; so auch H.H. v. Arnim, Zur normativen Politikwissenschaft, Der Staat 26 (1987), S. 487 f.; ders. i.S. der repräsentativen "wert- und erkenntnisorientierten Gemeinwohlverfahren" in: Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 388 ff. 207

I.d.S. IV. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 20, passim; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 52 f.; A. Randelzhofer, HStR, Bd. I, S. 705 f.; grundlegend H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 818 ff., 837 ff. zum Gewaltbegriff, S. 840 ff. zur Autorität, S. 847 ff. zur "Einzigkeit", S. 879 ff. zur "Einseitigkeit"; D. Merten, Konstitutionsprinzipien staatlicher Gewalt, S. 324 ff.; K.A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat, S. 20. Enger benutzt den Begriff "staatliche Gewalt", nämlich nur i.S. von vis etwa U. Matz, Zur Legitimation staatlicher Gewaltanwendung, S. 336 ff. (das ist angesichts Art. 20 Abs. 2 GG für den grundgesetzlichen Begriff nicht vertretbar, klar D. Merten, a.a.O., S. 325). Zum Begriff der Staatsgewalt auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., 64 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; zum Staat i.e.S. und i.w.S. auch 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 174 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 208

Dazu S. 662 ff., 674 ff., 679 ff.; 10. Teil, 3. Kap., S. 1080 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 249 ff.; auch IV. Leisner, Staatseinung, S. 174; dagegen H. Meyer, Die Stellung des Parlaments, S. 119 (gegen H. Krüger). 209

43'

Theorie der Vertretung, S. 341.

676

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

"die Kreation dieser viejen Führer" als" Kernproblem der realen Demokratie, die - in Widerspruch zu ihrer Ideologie - nicht eine führerlose Gemeinschaft" sei, herausgestellt 210 . Der materiell Kompetente muß seine formelle Kompetenz, sein Amt, prinzipiell vom Volk, nicht etwa von den Parteien haben, um demokratisch legitimiert zu sein (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) 2 1 1 . Das gilt jedenfalls für die Abgeordneten, die das Amt der Gesetzgebung haben. Aus dem materiellen Kompetenzprinzip folgt das Amtsprinzip, also die Vertretung des ganzen Volkes durch Amtswalter (vgl. Art. 48 Abs. 2 GG), die befähigt sind, ihrer Aufgabe zu genügen und denen Verfahren zur Verfügung stehen, welche die Bewältigung der Aufgaben gewährleisten 212 . Rousseau wußte, daß es für eine "demokratische Regierung" eines "Volkes von Göttern" bedürfte 213 . Diese Erkenntnis ist auch für eine demokratische Gesetzgebung im unmittelbaren Sinne von Demokratie richtig. Art. 33 Abs. 2 GG reagiert auf diese Einsicht: "Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte." Dieser republikanische Grundsatz hat prinzipiell auch für das passive Wahlrecht zu gelten. In der Praxis und Lehre ist dieser Ansatz nicht bekannt 2 1 4 . Das Problem ist, wie diese Amtskompetenz definiert und in welchem Verfahren sie festgestellt wird. Die Nomination der Kandidaten durch Parteien, das wesentliche Verfahren nach den Wahlgesetzen, hat sich als unzulänglich erwiesen, die materielle Kompetenz der Amtswalter zu gewährleisten. Nicht die Besten werden nominiert, sondern die Nützlichsten aus der Sicht der Parteienoligarchien, also meist Opportunisten ohne viel Gewissen 215 . Das Bündnis qualifiziert, nicht die Kompetenz 216 . Gerade

210

Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78 ff. (Zitat S. 84). Zur demokratischen Legitimation der Amtsinhaberschaft vor allem R. Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Rdn. 46 ff. zu Art. 20; vgl. BVerfGE 83, 60 (72); dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 18, auch S. 40, 67 f.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 538 f. 212 Zum Amtsprinzip vgl. die Hinw. 2. Teil, 6. Kap., S. 114 in Fn. 232; auch 2. Teil, 6. u. 8. Kap., S. 113 ff., 137 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; auch 7. Teil, 5. u. 6. Kap., S. 612 ff., 621. 213 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 74. 214 Vgl. H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 274 f. 215 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 801 ff.; 10. Teil, 3. und 5. Kap., S. 1080 ff., 1077 ff., 1083 ff., 1113 ff. mit Fn. 315. 216 Dazu S. 682 f.; 10. Teil, 3. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1113 ff. 211

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

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diese bündnishafte Negativauslese machte die Verbundenheit etwa der C D U in West und Ost nach der Wende in der früheren DDR erklärlich, obwohl die CDU-Ost eine "Blockflöte" des SED-Staates war. Die passive Wahlgleichheit, die von allen materiellen Kompetenzkriterien absieht, spielt den Parteien die Verantwortung für die Kompetenz der Mandatsbewerber zu. Das Volk ist im Verhältniswahlsystem mit starren Listen nicht in der Lage, personelle Fehlentscheidungen der Parteien zu korrigieren, ohne die Parteien insgesamt abzulehnen und damit andere Parteilisten, die auch nicht besser sein müssen, zu begünstigen 217 . Das faktische Nominationsmonopol der Parteien im Wahlvorschlagswesen wirkt sich in diesem Wahlsystem weitgehend wie ein Recht der etablierten Parteien aus, Abgeordnete in die Parlamente zu entsenden 218 . Nicht der Kompetenzgesichtspunkt, also die Erkenntnisfähigkeit des Parlaments, bestimmt die Kandidatenvorschläge der Parteien, sondern der Machtgesichtspunkt der Parteienoligarchie, die Sicherung der Herrschaft. Die Zusammensetzung der Parlamente beweist, daß die Auswahlverfahren für die Parlamentarier ein Mißgriff sind. Ausnahmen lassen sich nicht bestreiten. Alles kommt auf die moralische Kompetenz der Vertreter des ganzen Volkes an. Sie ist die Amtsbefähigung der Abgeordneten. Wer jedoch zur Oligarchie einer parteilichen Partei gehört, setzt sich schon durch seine parteiliche Macht Zweifeln an seiner moralischen Kompetenz aus, weil diese Macht regelmäßig von Bündnissen und Machiavellismen abhängt, die zu Lasten anderer Bürger gehen, deren Amtskompetenz überlegen wäre. Das republikanische Prinzip, daß die Besten regieren sollen, hat im Parteienstaat keine Chance 219 . Wer herrschen will, ist für ein republikanisches Amt ungeeignet. Er verbricht sich gegen die Bürgerlichkeit der Bürger und

217 H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 31, der das Kumulieren und Panaschieren allgemein einzuführen vorschlägt. 218

So schon G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 114 ff.; vgl. schon ders., VVDStRL 7 (1932), S. 164 ff.; vgl. auch H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 16 ff. (zu den Vorwahlen); H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 21; H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 252 f.; D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 199; dazu auch 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff. mit Fn. 312 f. 219 Dazu näher S. 662 ff., 674 ff., 679 ff.; 10. Teil, 3. Kap., S. 1080 f.; zum republikwidrigen Parteienstaat 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 3., 4., 5. und 8. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff., 1147 ff.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

verdient darum keinerlei Achtung 2 2 0 . Meist möchten solche Leute, die ihre Herrschsucht nicht bezähmen können, jedoch wie einst Monarchen geliebt werden. Längst wird den führenden Politikern wieder ein monarchistisches Gehabe gestattet. Nur ihre Kleidung ist bürgerlich geblieben. Das fordert der Schein der Gleichheit. Das Treffende dazu hat wiederum Karl Jaspers gesagt. Einerseits: "Aus dem Jahrhunderte währenden Obrigkeitsstaat sind, ohne helles Bewußtsein, Gesinnungen geblieben, die heute noch mächtig sind: Respekt vor der Regierung als solcher, wie und woher sie auch sei, - Bedürfnis nach Verehrung des Staates in Gestalt repräsentativer Politiker als Ersatz für Kaiser und König, - die Gefühle der Untertanen gegenüber der Obrigkeit in allen ihren Gestalten bis zum letzten Amt am Schalter der staatlichen Büros -Bereitschaft zum blinden Gehorsam, - das Vertrauen, die Regierung werde es schon recht machen. Die Untertanen denken: Wir brauchen uns um die Regierung nicht zu kümmern; sie sorgt für unseren Wohlstand und für unsere Sicherheit in der Welt; sie gibt uns unseren Stolz, einem mächtigen Staat anzugehören, gerechte und wirksame Forderung gegenüber dem Ausland haben zu dürfen. Für Untertanen haben die faktisch Regierenden einen Glanz. Mögen sie sich noch so toll gebärden, sie sind kraft ihres Amtes gleichsam geheiligt, und sie selber fühlen sich so. Sie dürfen sich alles erlauben, untereinander in persönlichen Feindschaften liegen, denen sie das Staatsinteresse opfern, intrigieren und ihre Niedrigkeit noch in politischen Reden zeigen. Immer noch bleiben sie Gegenstand der Verehrung. Kurz: Staatsgesinnung ist bei uns vielfach noch Untertanengesinnung, nicht demokratische Gesinnung des freien Bürgers. Zwar schimpft der Untertan, wo es für ihn ohne Gefahr ist und folgenlos bleibt, aber er gehorcht und hat Respekt und handelt nicht." ... "Das Selbstbewußtsein der Parlamentarier und der Regierung ist von Jahr zu Jahr gewachsen. Sie werden anerkannt als Vertreter einer großen, in der Welt geltenden Macht, die sie weit überschätzen, und als vom Volk erwählte Herrscher, die man umschmeichelt." Das Selbstbewußtsein der Parlamentarier hat seit 1966, als Karl Jaspers die zitierten Sätze geschrieben hat, zugenommen; denn die Macht der Parteienoligarchie hat sich weiter stabilisiert. Karl Jaspers schreibt andererseits:

220

W. Henke, Recht und Staat, S. 387 ff. u.ö., fordert die Wandlung der Herrschaft im Amt durch Gerechtigkeit im Dienst und erwartet für solch gute Herrschaft wegen der Notwendigkeit der Herrschaft tiefe Achtung, verhaftet der vorrepublikanischen Lebenswelt von Herren und Knechten im edlen, von Tolstoi in "Herr und Knecht" klassisch erfaßten Sinne.

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

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"Die Regierenden umwittert keine Art von Heiligkeit. Es ist umgekehrt erwünscht, daß sie der schärfsten Kritik ausgesetzt werden. Wer es wagt, solche Stellungen zu übernehmen, muß sich bewußt sein, daß hohe politische und sittliche Anforderungen an ihn gestellt werden, daß er sich der hellen Belichtung all seines Tuns aussetzt und darin bestehen muß, daß von ihm mehr verlangt wird als von anderen, nicht aber daß er in einen geschützten Raum eintritt." 2 2 1 VIII. Die republikanische Elite 1. Die formelle Kompetenz, das Amt, begründet nicht die materielle Kompetenz, die Amtsbefähigung, sondern setzt diese voraus. Die Amtsbefähigung muß erarbeitet werden. Für die Beamten und die Richter sind die Laufbahnvoraussetzungen gesetzlich geregelt (§§ 4,11 ff. BRRG, §§ 5 7 DRiG). Die Kriterien der Gesetze sind anspruchsvoll, jedenfalls in der Regel amtsangemessen. Für das anspruchsvollste Amt in der Republik, das des Vertreters des ganzen Volkes im parlamentarischen Gesetzgebungsorgan, machen die Gesetze, wie gesagt 222 , keine entsprechenden Vorschriften. Die Verantwortung für die Amtbefähigung der Abgeordneten hat das Grundgesetz in die Hand der Wähler gelegt (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) 2 2 3 . Das Verhältniswahlsystem verhindert es, daß das Volk seiner Verantwortung, die Besten mit seiner Vertretung zu betrauen, gerecht werden kann 2 2 4 . Dennoch können willkürliche Bündnisse die Befähigung zum Abgeordneten nicht erübrigen. Schon gar nicht qualifiziert eine führende Funktion in einer parteilichen Partei zum Abgeordneten. Diese ist oft nur Ausdruck von Herrschsucht, Habsucht oder Ehrsucht und entbindet nicht von der Prüfung, ob der Funktionär für das zentrale republikanische Amt des Abgeordneten geeignet ist. Oft haben solche Leute Bessere daran gehindert, ihre Kompetenz der Republik zur Verfügung zu stellen. Durch nichts empfiehlt die sogenannte Ochsentour in einer parteilichen Partei für das parlamentarische Amt, die richtigen Gesetze stellvertretend für das Volk zu erkennen. Das setzt vielmehr Bildung voraus, vor allem die innere Unabhängigkeit, dem Gewissen folgen zu können 225 . Diese Befähigung hat

221

Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 146, 150, 147. Dazu S. 675 ff. 223 Dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 358; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78 ff. ("Die Führerauslese"); R. Smend, Maßstäbe des parlamentarischen Wahlrechts in der deutschen Staatstheorie des 19. Jahrhunderts, 1912, S. 5. 224 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. 225 Dazu S. 664 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 810 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff.; auch 3. Teil, 1. Kap., S. 164 ff.; auch 10. Teil, 3. und 4. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff. 222

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

nur die bürgerliche Elite. Die Republik steht und fällt mit ihrer "Führenden Schicht" (Herbert Krüger) 226. Adel ist für ein Gemeinwesen unverzichtbar. Freilich muß er bürgerlich sein, "die Bürger-Aristokratisierung" (Walter Leisner) 221. Den Adel der Vertreter des ganzen Volkes, und nur diesen, sollen die Wahlen des Volkes sicherstellen. Erbfolge leistet das keinesfalls. "Nun ist offenbar: daß, wenn der Rang mit der Geburt verbunden wird, es ganz ungewiß ist, ob das Verdienst (Amtsgeschicklichkeit und Amtstreue) auch folgen werde; mithin ist es eben so viel, als ob er ohne alles Verdienst dem Begünstigten zugestanden würde (Befehlshaber zu sein); welches der allgemeine Volkswille in einem ursprünglichen Vertrage (der doch das Prinzip aller Rechte ist) nie beschließen wird. Denn ein Edelmann ist darum nicht sofort ein edler Mann." - Kant 228 Der bürgerliche Adel ist die moralische Kompetenz, die den Menschen aller Erfahrung nach in unterschiedlichem Maße eignet. Jeder hat das Recht und die Pflicht zur Sittlichkeit. Das ist die bürgerliche Freiheit 229 . Die vollkommene bürgerliche Persönlichkeit ist Tugendpflicht jedermanns 230 . Die Sittlichkeit ist aber nicht erzwingbar 231 . Daraus kann aber nicht hergeleitet werden, daß jeder Bürger in gleicher Weise befähigt wäre, das ganze Volk zu vertreten. Für die Ämter der Republik kommen zum einen nur die besten Republikaner in Frage, zum anderen müssen die Amtswalter der jeweiligen Aufgabe, welche das Volk ihnen überantwortet, bestmöglich gewachsen sein. Jedes Gemeinwesen, wie auch immer verfaßt, bedarf der Elite, die sich durch ihre Fähigkeit auszeichnet, die Ämter des Gemeinwesens zu übernehmen. Das Optimum ist die homogene Amtsbefähigung aller Bürger, welche es erlaubt, im Losverfahren die Ämter zu verteilen, wie das Aristoteles u.a. in gewissen Grenzen empfohlen haben 232 . Eine solche republikanische Homogenität 233 ist in Gemeinwesen mit vielen Millionen Bürgern

226

Allgemeine Staatslehre, S. 351 ff. Staatseinung, S. 174. 228 Zum ewigen Frieden, S. 205. 229 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 2. und 3. Kap., S. 259 ff., 234 ff., insb. 289 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 344 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. 230 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 214 f., 216, 221, 230 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 320 ff.; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 126, 318 ff. 231 Dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 265 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 214 f., 221, 230 ff. 232 Vgl. Fn. 899 im 8. Teil, 5. Kap., S. 809, 942; vgl. auch das Zitat 8. Teil, 5. Kap., S. 806. 233 Dazu 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff. 227

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

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angesichts der Unterschiedlichkeit der Menschen vor allem in deren moralischer Kompetenz irreal. Die "Staatspflege" (Herbert Krüger) muß darum eine republikanische Elite heranziehen, welche die Staatlichkeit des Gemeinwesens zu bewältigen leisten kann 2 3 4 . Das Elitenprinzip ist immer erkannt und meist auch anerkannt worden 235 . Friedrich August von Hayek hat eine senatsähnliche Körperschaft neben den herkömmlichen Volksvertretungen, die ihre Kontrollaufgabe gegenüber den Regierungen weitestgehend verloren hätten, befürwortet: "Sie sollte daher aus Personen bestehen, die nach Betrauung mit dieser Aufgabe von jeder Unterstützung durch bestimmte Gruppen unabhängig sind - Männer und Frauen, die die Probleme langfristig betrachten und nicht von den schwankenden Moden und Leidenschaften der Masse abhängen. Eine solche Einstellung scheint vor allem Unabhängigkeit von Parteien und damit auch Unabhängigkeit von dem Wunsche, wiedergewählt zu werden, vorauszusetzen. Aus diesem Grunde stelle ich mir eine Versammlung von reifen Menschen vor, die, nachdem sie sich im normalen Erwerbsleben Erfahrung und Ruf erworben haben, für eine einzige lange Periode, von sagen wir fünfzehn Jahren, gewählt würden. U m zu gewährleisten, daß sie genügend Erfahrung und Ansehen erworben haben, würde ich das Wahlalter verhältnismäßig hoch ansetzen, etwa mit 45 Jahren." 236 Unschwer erkennt man in diesem Senatorentyp den Richter am Bundesverfassungsgericht, der nach dem Grundgesetz auch Senatorenfunktion hat, die aus der mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbundenen gesetzgeberischen Funktion folgt 2 3 7 . Hayeks Kriterien erinnern auch an den Senator der römischen Republik, der (nach freilich nicht unbestrittenem Wissen) 46 Jahre alt sein mußte, um senatsfähig zu sein 238 . Gerd-Klaus Kaltenbrunner hat auch auf ein Zitat von Heinrich Mann aus dem Jahre 1927 hingewiesen: "Die richtig verstandene Demokratie muß das Mittel zur Züchtung der Besseren und Besten sein. Die richtig verstandene Demokratie allein kann

234 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 214, 363 (zur "Staatspflege"), S. 351 ff. (zur "Führenden Schicht"). 235

Dazu G.-K Kaltenbrunner, Elite, 2. Aufl. 1990. Zitat nach G.-K. Kaltenbrunner, Elite, S. 67 f. 237 Dazu 9. Teil, 2., 3., 4., 6. und 10. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 938 ff., 963 ff., 1027 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. 236

238 Brockhaus, Conversations-Lexikon, 13. Aufl., 14. Bd., 1886, S. 694 f.; auch 27 und 30, später 28 Jahre werden genannt.

682

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

den neuen Adel formen - denn seinen Adel braucht jeder Staat. Dieser aber w i l l nicht den ein für allemal verankerten in Geburt und Besitz, er w i l l die immer wieder erneuerte Aristokratie derer, die sich auszeichnen für die Nation" 2 3 9 . Auch Carl Schmitt hat die Bildung als Voraussetzung des bürgerlichen Parlamentarismus herausgestellt und u.a. Bluntschli und Hegel zitiert 2 4 0 : "Das wichtigste Erfordernis für alle Repräsentanten ist die Bildung des Geistes; denn nur der gebildete Mann ist fähig, zwischen seinen persönlichen Interessen und dem Interesse des Ganzen sorgfältig zu unterscheiden und jenes diesem unterzuordnen." - Johann Caspar Bluntschli "Zum Volksrepräsentanten werden deswegen nicht die ersten besten aus dem Volk aufgegriffen, sondern es sollen die Weisesten genommen werden, weil nicht jenes (das Volk) es weiß, aber sie (die Repräsentanten) es wissen sollen, was sein wahrhafter und wirklicher Wille, d.h. was ihm gut ist." - Hegel 242 Die Aussagen der Zitate entsprechen ganz der Repräsentationslehre Herbert Krügers, aber auch der republikanischen Amtslehre Josef Isensees und Wilhelm Henkes 243, aber auch der Lehre Walter Leisners von der demokratischen "Staatseinung" des "Bürgerreichs" 244 . Eine Elite muß nicht herrschen. Sie darf das auch nicht. Nur die republikanische Elite kann Herrschaft vermeiden, die schon begrifflich in der Amtsführung von Ungeeigneten liegt, zumal von denen, die sich an amtsfremde Führer binden. Niemand ist dadurch ausgezeichnet, ein Amt der Republik zu übernehmen, daß er sich mit anderen verbündet, um seine Amtseinsetzung durch Mißbrauch der wahlrechtlichen Mehrheitsregel zu ertrotzen. Im Gegenteil beweist das Bündnis die republikanische Inkompetenz. Es desavouiert das Ausleseprinzip und führt vor allem darum zur Negativauslese 245 . Herrschaftsbündnisse

239

Elite, S. 69. Verfassungslehre, S. 311. 241 Das Volk und der Souverän, 1831, S. 62; dazu auch ders., Allgemeines Staatsrecht I, 1852, 6. Auflage, 1886, S. 551 ff. 242 Abhandlungen zur Politik und Rechtsphilosophie, hrsg. v. Lasson, S. 219. 243 H. Krüger y Allgemeine Staatslehre, S. 232 ff., 351 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 632 f., 640 f.; ders., HStR, Bd. III, S. 45 ff.; ders., Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 68 ff.; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 877 f.; ders., Recht und Staat, S. 389, 398, 440, 610 ff., 623; vgl. auch die Hinweise in Fn. 45, 4. Teil, 2. Kap., S. 214 ff., zu Henkes Rechtslehre 2. Teil, 8. Kap., S. 133 ff., insb. S. 137 ff. 244 Staatseinung, S. 174, bzw. S. 34. 245 Dazu auch S. 677; 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff.; weitere Hinweise in Fn. 144, S. 662. 240

1. Kap.: Freiheitsverwirklichung durch bestmögliche Volksvertretung

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sind das Gegenteil republikanischer Eliten 2 4 6 ; denn republikanische Amtsbefähigung ist Fähigkeit zur wissenschaftlichen Bewältigung des Amtes 2 4 7 . Wissenschaftlichkeit und Abhängigkeit sind unvereinbar. Wer sich an fremden Willen bindet, verweigert die wissenschaftliche Amtsführung. Das Institut der Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG) lehrt das. Eine Hierarchie der Ämter ist dadurch nicht ausgeschlossen, aber jede Art von Fraktionismus 248 . Wer formell ausgewählt ist, ist nicht schon materiell Elite 2 4 9 . Immer haben Herrscher das Eliteprinzip mißachtet, meist um ihre Herrschaft zu stabilisieren, regelmäßig zum Schaden des Volkes, meist (langfristig) auch zum Schaden ihrer Herrschaft. Das jüngste Beispiel ist der Zusammenbruch des sogenannten realen Sozialismus in Mittel- und Osteuropa. Wer sich von sachfremden Einflüssen abhängig macht, hat ein Defizit an moralischer Kompetenz. Auch und vor allem im Parteienstaat sind solche Leute der Oligarchie meist nützlicher als kompetente Amtsträger, die ihre Unabhängigkeit so zu wahren imstande sind, wie sie es sollen. Freilich hat die Ämterpatronage 250 ungeeigneter Bewerber Grenzen, welche vor allem die Gesetze ziehen. Sie ist aber die Regel der Mandatspatronage. Die Auswahl der Abgeordneten geht i m pluralistischen Parteienstaat 251 an der Elite des Volkes vorbei 252 . Nur die parteilichen Abgeordneten selbst reklamieren, Elite zu sein. Sie werden in einem solchen Sprachgebrauch von manch einem Soziologen unterstützt 253 , weil sie die Elite des Volkes sein sollten, eine allzu normative Betrachtung, die sprachlich aber nicht inkorrekt ist. Die aus den Berufspolitikern bestehende classa

246 Dazu in der Wertung unklar G.-K. Kaltenbrunner, exemplarische Eliten"). 247

227 ff.

Elite, S. 81 ff. ("Geheimbünde als

Dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 965; zur Amtswaltung von Wissenschaftlern 4. Teil, 2. Kap , S

248

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 778 ff., 799 ff., 812 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff., auch 3. Kap., S. 1060 ff. 249

Ganz so C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 12. Dazu 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff.; 9. Teil, 6. Kap., S. 972 f.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 f., zur Richterpatronage. 250

251

Zum Pluralismus 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. Dazu die Hinweise in Fn. 144, S. 662; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 788 ff ; 9 Teil 3 KaD S. 1080 f. ' ' 252

253 Hinweise in Fn. 171, 10. Teil, 3. Kap.; etwa E.K. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 42 ff.

684

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

politica 2 5 4 ist gerade nicht die "Führende Schicht", schon gar nicht die Elite, zumal sie die Politik ihren berufsmäßigen Etablierungsinteressen unterwirft und dadurch der Chance zur Moralität entzieht. Noch immer ist es unanständig, sich selbst vorzuschlagen und die Bürger, die amtsgeeignet sind, durch Bündnisse an dem Dienst für das Volk zu hindern. 2. Das Kompetenzprinzip legt vielfältige Funktionenteilung nahe, die sich nicht auf die Trias der Teilgewalten Legislative, Exekutive und Judikative beschränken muß 2 5 5 . Die Funktionen der Gesetzgebung, des Gesetzesvollzugs und der Rechtsprechung sind zwar unverzichtbar und von Kant mit der Analogie zum syllogistischen Schluß begründet 256 ; sie müssen aber nicht von einheitlichen Gewalten, von "moralischen Personen" (Kant) 257, 258 ausgeübt werden . Das ist schon wegen des Föderalismus nicht die Verfassungslage unter dem Grundgesetz, wird aber auch von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nicht vorgeschrieben, wie der Wortlaut "durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung" beweist. Die vielfältigen Gerichte sind keine einheitliche Gewalt. Es gibt keinen obersten Gerichtsherrn. Die Gerichte haben lediglich eine übereinstimmende Aufgabe, die verbindliche Klärung strittigen Rechts 259 .

254 Dazu Hinweise im 10. Teil, 3. und 8. Kap., S. 1077 ff., 1165 ff.; auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 357. 255 Dazu grundlegend W. Steffani, Gewaltenteilung und Demokratie, S. 9 ff.; zur Gewaltteilung 1. Teil, 3. Kap., S. 17 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff.; auch 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 863 ff., 866 ff.; 1027 ff.; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1009 ff.; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 792 ff.; ders., Staatsrecht II, § 36, S. 511 ff. 256 Metaphysik der Sitten, S. 431 f.; kritisch dazu W. Steffani, Gewaltenteilung und Demokratie, S. 13 ("Prokrustesbett des Syllogismus"). 257 Metaphysik der Sitten, S. 434 ff. 258 Demokratisch ist die Einheit der Staatsgewalt, wie sie auch der Parlamentarische Rat gesehen und bis in das Grundgesetz hinein (Art. 20 Abs. 2 GG) formuliert hat (vgl. Matz in: JöR N.F. Bd. 1, (1951), S. 195 ff.); die Lehre von der Gewaltenteilung ist "der Kernpunkt in der Ideologie der konstitutionellen Monarchie", welche dem Monarchen "die Gleichwertigkeit und die Unabhängigkeit gegenüber der Gesetzgebung" verschaffen sollte; so H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 81 ff.; dazu E.R. Huber, Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung, HStR, Bd. I, S. 51 ff.; R. Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates bis 1866, HStR, Bd. I, S. 24 ff. 259

Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 885 ff.

2. Kap.: Repräsentative Demokratie als liberale Herrschaftsform?

685

2. Kapitel Repräsentative Demokratie als liberale Herrschaftsform? I.

Republik als Form der Freiheit, Demokratie als Form der Herrschaft und Liberalität als grundrechtlicher Schutz von Freiheiten Nach dem Grundgesetz ist die Form des gemeinsamen Lebens, die Form des Politischen also, nicht unspezifisch die Demokratie, weder die plebiszitäre noch die repräsentative, sondern spezifisch die Republik als Form der freiheitlichen, also herrschaftslosen Demokratie, der Demokratie im griechischen Sinne als Volksstaat. Demokratie kann, wie schon erörtert, 260 eine Form der Herrschaft sein, die Staats- und Regierungsform der herrschaftlichen Demokratie. Die Republik ist die Form der allgemeinen Freiheit und damit der Liebe unter den Menschen. Liberale grundrechtliche Grenzen der Herrschaft rechtfertigen es entgegen einer breiten Übung nicht schon, von einer freiheitlichen Demokratie zu sprechen, wenn die Demokratie selbst herrschaftlich verstanden wird 2 6 1 . Der Liberalismus setzt die politische Herrschaft voraus; denn er wirkt als ein Begriff des vom monarchischen Prinzip geprägten Konstitutionalismus, jedenfalls in Deutschland 262 . Eine herrschaftliche Demokratie kann somit nur eine totalitäre oder eine liberale Demokratie sein 263 . Die Grundrechte als formale oder materiale politische Leitentscheidungen, vor allem das

260

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4., 5. und 6. Kap., S. 92 ff., 100 ff., 106 ff. Richtig BVerfGE 5, 84 (204 ff.); auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 572 f., 589, der aber Demokratie an anderer Stelle herrschaftlich definiert, S. 604 ff.; auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 42 u.ö., zu Art. 20; republikanisch ist der Begriff "freiheitliche Demokratie" von W. Maihofer, HVerfR, S. 173 ff.; auch M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 36 ff.; ders., Einführung in die Staatslehre, S. 318 ff., 335 ff., auch S. 104 ff., zum freiheitlichen Verfassungsstaat; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., insb. S. 118; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 224 f., hat das richtig gesehen und die Freiheit als politisches Formprinzip der herrschaftlichen Demokratie zurückgewiesen, denn politische Freiheit wäre ein Widerspruch zu seiner Lehre von der identitären Repräsentation als Form des Politischen (dazu unten 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.); ebenso G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 218 ff.; widersprüchlich W. Leisner, Staatseinung, S. 31 ff., 145 ff. u.ö., der die Demokratie als "Bürgerreich", aber die "Staatseinung" als Repräsentation und diese als "Herrschaft" vorstellt ("Subjektivierung als Substitut von Herrschenden und Beherrschten"). 261

262 R. Vierhaus, Liberalismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, S. 741 ff., insb. S. 779 ff., 782 ff.; L. Gall , Liberalismus, in: Staatslexikon, 3. Bd. 1987, Sp. 916 ff.; dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 72 f. mit Fn. 4; auch 3. Teil, 1., 2. und 3. Kap., S. 159 ff., 175 ff., 193 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. 263

I.d.S. G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 218 f.

686

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

grundrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip und mehr noch das mit der Materialisierung der Grundrechte verbundene Abwägungsprinzip 264 , können zu einer Brücke von der liberalen zur totalitären Parteiendemokratie werden, wenn die Hüter der Verfassung versagen, vor allem wenn das Bundesverfassungsgericht sich in die Parteienherrschaft einbinden lassen sollte. Die Grundrechte würden dann lediglich das Bundesverfassungsgericht an der Herrschaft beteiligen, wie nach dem Grundgesetz die Rechtsprechung und insbesondere dieses Gericht wesentliche Verantwortung für die Verwirklichung der Freiheit durch funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis hat. Die Grundrechte hätten sich wieder als ungeeignet erwiesen, der Herrschaft Grenzen zu ziehen 265 . Alles kommt auf die Moralität der Richter des Bundesverfassungsgerichts an. Letztlich liegt die Verteidigung der Freiheit jedoch in der Hand des Volkes; denn niemand kann den Bürgern das Urrecht des Menschen, die Freiheit, nehmen 266 . Res publica res populi; aber die Erfahrung lehrt: Oboedientia facit imperantem. Der Dezisionismus des Bundeskanzlers Helmut Kohl in der Deutschlandpolitik 1990 macht es diskutabel, ob der von Karl Jaspers erwartete Schritt von der "Parteienoligarchie zur Diktatur" 2 6 7 in Teilbereichen der Politik bereits gegangen wurde, erst recht sein Oktroy des Vertrages über die Europäische Union von Maastricht, der Versuch eines Staatsstreichs 268. Wenn Freiheit

264

Dazu 9. Teil, 2. und 7. Kap., S. 880 ff., 895, 940 ff., 852 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 362 f. mit Fn. 558. 265 Zum grundrechtsdogmatischen Leerlaufargument C. Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, S. 140; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 189 ff.; zur Gefährdung der Grundrechte durch Souveränität M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 116 ff.; dazu 9. Teil, 1. und 10. Kap., S. 819 ff. mit Fn. 201, S. 1027 ff.; auch 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff.; auch 6. Teil, 3., 5., 6. und 9. Kap., S. 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff. 266 Dazu 5. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 253 ff., 290 ff., 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 852; zur Hüterschaft der Bürger 9. Teil, 1. und 3. Kap., S. 819 ff., 909 ff. 267 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 141 ff., 146 ff., 194 ff. 268 Dazu K.A. Schachtschneider, Der Vertrag über die Europäische Union, die Verfassung Deutschlands und die Dezember-Änderungen des Grundgesetzes, EG-Magazin 1993, 1-2, S. 40 ff.; ders., Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 28/93, S. 3 ff.; dersJA. Emmerich-Fritsche/Th.C.W. Beyer, JZ 1993, 751 ff.; J.H. Kaiser, Die politische Klasse verhält sich pflichtwidrig, FAZ v. 4.8.1993, Nr. 178, 8: "Die Verwerfung von Maastricht wäre die Befreiung von einem Akt der Arroganz der Macht, die unsachverständig und gegen den Willen des Volkes eine Integration meinte fortschreiben zu können."; dazu P.M. Huber, Maastricht - ein Staatsstreich?, 1993; das Bundesverfassungsgericht hat den Umsturzversuch auf die Verfassungsbeschwerde M. Brunners hin, vertreten durch K.A. Schachtschneider, abgewehrt und weitgehend das Recht, insbesondere das demokratische Prinzip verteidigt; vgl. BVerfGE 89, 155 (181 ff.); zu diesem Urteil vom 12.10.1993 K.A. Schachtschneider, Das Maastricht-Urteil. Die neue Verfassungslage der Europäischen

2. Kap.: Repräsentative Demokratie als liberale Herrschaftsform?

687

als Autonomie des Willens verstanden wird, steht sie zur Herrschaft in einem unauflösbaren Widerspruch 269 . Ernst-Wolfgang Böckenförde w i l l jedoch autonomiegemäß verstandene Freiheit mit Herrschaft vermitteln: "Demokratie vermag daher das Bestehen politischer Herrschaft, von Über- und Unterordnung, Befehl und Gehorsam, mit dem Prinzip individueller Freiheit und Selbstbestimmung (sc. "dem neuzeitlichen Autonomiedenken entsprechend") zu vermitteln" 270 . Das entbehrt der Logik und verliert sich in einem Sozialpsychologismus, der es genügen läßt, daß die herrschaftsunterworfenen "Bürger" sich im "Handeln der Repräsentanten ... irgendwie wiederfinden" 271 , also gehorchen, ohne zu Murren, etwa weil es ihnen gut geht. Untertanen identifizieren sich gerne mit ihrer Obrigkeit. Karl Jaspers hat darauf hingewiesen, daß "die Staatsgesinnung bei uns vielfach noch Untertanengesinnung, nicht die demokratische Gesinnung des freien Bürgers" sei 272 . Die meisten Deutschen haben sich auch in der 'Politik' Hitlers wiedergefunden, wenn auch nicht in dem Massenmord. M i t Autonomie des Willens hat das Sichwiederfinden nicht notwendig zu tun, eher mit "würdeloser Akklamation" 2 7 3 , wenn auch das Schweigen der Bürger Ausdruck des Einverständnisses der Hüter der praktischen Vernunft und vor allem der Verfassung mit der Politik ihrer staatlichen Vertreter sein kann. Die empirische Analyse mag die Meinungsforschung leisten, deren Ergebnisse allerdings publiziert werden müssen, wenn sie dem Prinzip der Republik genügen w i l l 2 7 4 .

Gemeinschaft, Recht und Politik 1/94, S. 1 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75 ff. 269 Dazu 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 344 ff., 410 ff.; 2. Teil, 1., 7. und 11. Kap., S. 71 ff., insb. S. 124 ff., 153 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. 270 HStR, Bd. I, S. 910; dazu auch 2. Teil, 7. Kap., S. 129 f. 27 1 E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 19, 25 f., 29; ders., HStR, Bd. I, S. 43; ders., HStR, Bd. II, S. 40, 43, unter Berufung auf D. Suhr, Repräsentation in Staatslehre und Sozialpsychologie, Der Staat 20 (1981), S. 817 ff., eine empiristische Studie mit eher kontingenten Erkenntnissen; ebenso schon H. Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 238 ff., 25 ff. (dazu S. 695, 696 ff.), so auch H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 176. 272

Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 146. Vgl. dazu M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 37; i.d.S. auch J. Fijalkowski, Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung?, S. 249. 274 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 611 ff. 273

688

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Auch Peter Badura verbindet die "politische Freiheit" mit einer als "herrschaftlich" verstandenen "repräsentativen Demokratie" 275 . Derartige Widersprüche belassen vor allem der Parteienherrschaft eine verfassungsrechtliche Basis. Die begriffliche Konfusion erwächst dem freiheitsrechtlichen Dualismus, der liberale und demokratische Freiheitsrechte unterscheidet, folglich trotz des Grundgesetzes Herrschaft ideologisiert, vermeintlich um der Liberalität willen, und sich, konsequent, nicht von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft löst 2 7 6 . Erst die Republik jedoch ist ein politisches Gemeinwesen der Freiheit aller Menschen als der eigentlichen, nämlich der herrschaftslosen Demokratie. Der Republik ist ihrer freiheitlichen Idee und damit ihrer Verfasssung nach Herrschaft fremd 277 . Die Autonomie des Willens kann man, wenn man will, als die identitäre Herrschaft des Menschen über sich selbst, als die Identität des homo phainomenon mit dem homo noumenon erfassen 278 . Die republikanische Autonomielehre dogmatisiert die Herrschaftslosigkeit als die Gesetzgebung des Bürgers über sich als Menschen. Der Mensch muß um der allgemeinen Freiheit willen Bürger sein, d.h. zur Verwirklichung der allgemeinen Gesetzlichkeit beitragen. Dazu gehören die konsensual-repräsentativen Erkenntnis- und Entscheidungsverfahren, welche ohne Vertretung des ganzen Volkes nicht auskommen 279 . Die Republik ist somit die vollendete Form der Identität der Menschen mit sich selbst als Herren ihrer selbst 280 , als Bürger, eine Form, welche die Demokratie als Herrschaftsform nicht erreicht, nicht erreichen will und nicht erreichen kann, weil sie die Herrschaft von Menschen über andere Menschen ideologisiert und dogmatisiert. In der Republik ist jeder Mensch Herr seiner selbst, weil niemand Herr eines anderen ist 2 8 1 . Jeder Mensch ist in der Republik Bürger, vorausgesetzt, er gehört dem Volk an 2 8 2 . 275

HStR, Bd. I, S. 972. Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. 277 Dazu 1. Teil, 1. und 3. Kap., S. 1 ff., 14 ff., insb. 29 ff., 34 ff.; 2. Teil, 1., 3. und 7. Kap., S. 71 ff., 88 ff., 124 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 750 ff. 278 Dazu 2. Teil, 6., 9. und 11. Kap., S. 123, 142 ff., 153 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 719 ff., 728 ff., 730 ff.; zur Identitätslehre C. Schmitts u. G. Leibholz' 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 763 f. 279 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 423 ff. 280 Das benennt auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910, als Forderung der Freiheit; vgl. zur "Demokratie" als "Selbstbeherrschung des Volkes" auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 244 ff., der allerdings die "Identität von Herrschenden und Beherrschten" nicht als "Herrschaftslosigkeit" begreift. 276

281

Dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 85 ff., 123, 124 ff., 153 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.

2. Kap.: Repräsentative Demokratie als liberale Herrschaftsform?

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Hans Kelsen sieht die Demokratie idealiter als die Verwirklichung der Idee der Freiheit 283 . Weil aber die Sittlichkeit als innere Freiheit seiner Demokratielehre fremd ist, vermag Kelsen diese Idee nicht zu einer Rechtslehre zu dogmatisieren, sondern versucht sie als Illusion zu denunzieren und erklärt realiter die Herrschaft von parteilichen Führern als Freiheit 284 . Carl Schmitt weist demgegenüber Freiheit in der monarchisch-konstitutionellen Tradition der Trennung des politischen Staates von der unpolitischen Gesellschaft 285 als politisches Formprinzip der Demokratie, wie er sie definiert, zurück. Freiheit begreift er liberal-rechtsstaatlich, der Logik seines Volksbegriffs als "politische Einheit" folgend 286 . Das Prinzip der Demokratie sei die Gleichheit, verstanden als Gleichartigkeit, Homogenität 2 8 7 , lehrt Carl Schmitt. Dem folgt Gerhard Leibholz: "Hieraus ergibt sich, daß die Gleichheit zur eigentlichen Substanz der Demokratie gehört, weil sie es ist, durch die im Grunde genommen erst die Herrschaft des Volkes 'verwirklicht' wird". Leibholz begreift aber die politische Gleichheit "rechtlich egalitär" 288 . Das überzeugt für einen herrschaftlichen Demokratiebegriff, weil Freiheit und Herrschaft sich widersprechen, so daß die Freiheit lediglich liberal die Herrschaft begrenzen kann 2 8 9 . Leibholzens Lehre von der Spannung zwischen

282

Zur republikanischen Staatsangehörigkeit 11. Teil, 5. Kap., S. 1201 ff. Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., 78 ff., passim. 284 Vom Wesen und Wert der Demokratie, vor allem S. 14 ff., 53 ff., 78 ff. 285 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 286 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 224 f.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 191 ff., 206 ff. 287 Verfassungslehre, S. 224 ff.; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 13 ff.; dazu W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 143 ff.; V Hartmann, Repräsentation, S. 207 ff.; zur Gleichheit als alleinigem Prinzip des Demokratischen 1. Teil, 3. Kap., S. 43 ff.; auch 2. Teil, 10. Kap., S. 145 ff.; 9. Teil, 8. und 10. Kap., S. 990 ff., 1027 ff. 288 Das Wesen der Repräsentation, S. 218 ff., Zitat S. 219. 289 Die widersprüchliche Lehre, welche die demokratische Herrschaft freiheitlich durch demokratische Grundrechte konstituiert sieht ("demokratische Freiheitsidee"), etwa P. Badura, HStR, Bd. I, S. 972 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910 ff.; H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, insb. S. 12, 77 f.; richtige Kritik von M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 335 ff.; dazu 2. Teil, 4. Kap., S. 94 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. m.w.H. in Fn. 285, 286; 6. Teil, 9. Kap., S. 502; haben C. Schmitt und G. Leibholz nicht vertreten; diese Lehre verteidigt eine Herrschaftsideologie, der sie selbst schon die Basis entzogen hat; zur Gleichheit in der Freiheit vgl. die Hinweise in Fn. 50, 8. Teil, 1. Kap., S. 646. 283

44 Schachtschneider

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Freiheit und Gleichheit 2 9 0 dürfte ihren Grund in der Unvereinbarkeit seiner Parteienstaatsdoktrin mit einer politischen Freiheit haben. Liberal verstandene Freiheit steht unvermeidbar zur staatlichen Herrschaft in einem gespannten Verhältnis, das sich aus dem Widerspruch von Autonomie und Heteronomie ergibt. Die Unterscheidung eines Bereichs des Unpolitischen vom Politischen erzwingt eine Grenzziehung, welche willkürfrei nicht möglich ist, weil das gesamte gemeinsame Leben in welcher Form auch immer politisch ist 2 9 1 . Eine gesetzliche Grenzziehung ist unvermeidbar willkürlich; denn die Unterscheidung ist ohne Logik. Die Diskussion des monarchisch-liberalen Staatsrechts um den Begriff des Gesetzes erweist das Dilemma 2 9 2 . Die Herrschaft erfaßt das gesamte Leben, wie auch die Freiheit das Prinzip des gesamten Lebens zu sein beansprucht. Eine liberalistische Begrenzung der Freiheit ist begriffswidrig. Gegenüber der Herrschaft bleiben nur Rechte, nicht Freiheit 293 . Ein Volk als (existentielle) Einheit 2 9 4 ist der Freiheit im politischen, republikanischen Sinne nicht fähig, weil die Freiheit als Sittlichkeit die Personalität von Bürgern ist 2 9 5 . Gleichheit als Homogenität ist kein Prinzip der politischen Willensbildung und stört dadurch eine Ideologie der Herrschaft nicht wie das Prinzip politischer Freiheit. Eine Gleichartigkeit des Volkes ist empirisch feststellbar. Es bedarf eines Maßstabes, nach dem die

290 Etwa Strukturprinzipien des modernen Verfassungsstaates, S. 19, u.st., vgl. die Hinweise in Fn. 814, 5. Teil, 6. Kap., S. 423 f.; dagegen M. Kriele, HVerfR, S. 133 ff.; ders., Einführung in die Staatslehre, S. 331 ff.; dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff., insb. S. 240 ff. zur bürgerlichen Selbständigkeit; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff., zur Freiheit als allgemeiner Gesetzlichkeit. 291

Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. P. Laband, Das Budgetrecht nach den Bestimmungen der preußischen Verfassungsurkunde unter Berücksichtigung der Verfassung des Norddeutschen Bundes, 1871; ders., Das Staatsrecht des deutschen Reichs, Bd. II, 5. Aufl. 1911, S. 1 ff.; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887 (Neudruck), 1964; A. Haenel, Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne, 1888; E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1958, S. 226 ff., 330 ff.; D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 9 ff., 74 ff.; H.H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 104 ff.; CA. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 77 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 825 ff.; ders., Staatsrecht II, S. 9, 561 ff. 293 Zum Unterschied von Freiheit und Rechten 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 6. Teil, 1. und 4. Kap., S. 441 ff., 461 ff. 294 Zu diesem Begriff 2. Teil, 3. Kap., S. 90 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 763 ff. 295 Dazu 5. Teil, 1., 2. und 3. Kap., S. 253 ff., 259 ff., 280 ff., 320 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 292

2. Kap.: Repräsentative Demokratie als liberale Herrschaftsform?

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Homogenität auch gepflegt werden kann 2 9 6 . Die Homogenität der Bürger ist eine Bedingung der Republik 2 9 7 , aber die Homogenität der Untertanen als Menschen ist politisch irrelevant, zumal die Untertanen als solche homogen sind. Letzteres erlaubt, ihnen egalitäre politische Rechte einzuräumen, wenn diese nur nicht, wie das Prinzip politischer Freiheit, die Herrschaft in Frage stellen. Herrschaftlichkeit läßt sich, wenn die Freiheit auf eine liberalistische Funktion zurückgedrängt ist, gar mit ihrer vermeintlichen Notwendigkeit für diese herrschaftsbedingte Freiheit rechtfertigen, ein circulus vitiosus 298 . Werner Maihofer und Martin Kriele 299 sprechen zu Recht von der "freiheitlichen Demokratie" und meinen damit die Republik: "Sein (sc. Kants) Begriff der Republik deckt sich mit dem, was wir heute unter dem gewaltenteilenden demokratischen Verfassungsstaat verstehen." - Martin Kriele 300 Was Demokratie auch sein kann, nämlich Volksherrschaft i m eigentlichen Sinne, hat Carl Schmitt gelehrt: Führung und Akklamation 3 0 1 . Hans Kelsen hat nicht vermocht, dem zu widersprechen 302 . Vor allem hat Kelsen die "unmögliche Freiheit des Individuums" zu Gunsten der "Freiheit des sozialen Kollektivums" zurückgestellt und den Staat freier Bürger durch die "Souveränität des Volkes", durch den "Freistaat", wie er ihn versteht, ersetzen wollen 3 0 3 . Dieser "Freistaat" realisiert sich bei Kelsen als die Herrschaft von Parteiführern 304 . "Wenn man einmal den Begriff Demokratie aus seiner Verbindung mit dem liberal-rechtsstaatlichen Gedanken gelöst hat, läßt sich schließlich für jede Art von Repräsentation, sogar für die durch einen im Wege der

296 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 235 ff., insb. S. 241 ff., zur homogenen Selbständigkeit; 11. Teil, 1. und 3. Kap., S. 1177 ff., 1194 ff. 297

Dazu 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff. Dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff. 299 W. Maihofer, vor allem HVerfR, S. 173 ff. ("Prinzipien freiheitlicher Demokratien"); M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, insb. S. 36 ff. ("Menschenrechte und Demokratie"), ders., Freiheit und Gleichheit, HVerfR, S. 128 ff.; i.d.S. auch ders., Einführung in die Staatslehre, S. 318 ff., 335 ff.; i.d.S. auch J. Habermas Faktizität und Geltung, S. 118. 300 Die demokratische Weltrevolution, S. 79. 301 Verfassungslehre, S. 243 ff., 211 u.ö.; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 22 f.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 741 ff., 754 ff. 298

302

Vom Wesen und Wert der Demokratie, vor allem S. 78 ff. Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 11 ff. 304 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 20, 78 ff.; kritisch dazu V. Hartmann, Repräsentation, S. 193 ff. ("Demokratie wird reduziert zur Elitenrotation", S. 196). 303

44*

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Akklamation von den Volksmassen bestätigten 'Führer', noch die Bezeichnung 'Demokratie' in einem formalen Sinne in Anspruch nehmen. Es wird dann eben dem jeweiligen Repräsentanten die Fähigkeit und die Berechtigung zugesprochen, den 'wahren' Volkswillen zum Ausdruck zu bringen. So haben denn auch die faschistischen Führer ihre Diktatur gern als 'reinste Form der Demokratie' bezeichnet, auch Lenin konnte sagen, daß 'nicht der geringste prinzipielle Widerspruch zwischen dem sowjetischen (d.h. dem sozialistischen) Demokratismus und der Anwendung der diktatorischen Macht einzelner Personen' besteht" - BVerfGE 5, 85 (196). Martin Kriele hat die Würdelosigkeit der Akklamation als "Akzeptanz der Fremdbestimmung", "Durchbruch der dem Menschen freilich auch zugehörigen tierischen Natur ... die hündische Unterwürfigkeit unter den Herrn", die den "aufrechten Gang" vermissen lasse, dargelegt 3 0 5 . Rousseau hat es schon gesagt: "Dann verwandeln Furcht und Schmeichelei die Abstimmungen in Beifallskundgebungen; man entscheidet nicht mehr, man betet an oder verflucht" 306. II.

Kritik des Begriffs repräsentative Demokratie unter dem Grundgesetz Der Begriff der repräsentativen Demokratie klärt darum entgegen der meistvertretenen Meinung der gegenwärtigen deutschen Staatsrechtslehre 307 die Staats- und Regierungsform, die das Grundgesetz vorschreibt,

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Die demokratische Weltrevolution, S. 37. Vom Gesellschaftsvertrag, S. 115.; W. Leisner, Staatseinung, S. 29, spricht von den "alten, guten oder meist schlechten Formen der Akklamation ... die wir auf dem besten Wege" seien "zu ersetzen". 307 R. Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 61 ff. zu Art. 20; K. Stern, Staatsrecht I, S. 600, 608, 628, 955 ff.; H.-P. Schneider, Das parlamentarische System, HVerfR, S. 253; Th. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 27. Aufl. 1988, S. 67; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 23, S. 170 ff. (allgemein zur "repräsentativen Demokratie als oligarchischdemokratischer Mischform"); E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 6 ff., der in dieser Schrift das Grundgesetz nicht erwähnt, aber vom Grundgesetz handelt; ders., Mittelbare/repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, S. 301 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 887 ff., 893 ff.; ders., HStR, Bd. II, S. 30 (vgl. auch ff.), bezeichnet die "repräsentative Demokratie" als "Grundform der Demokratie als Volksherrschaft" u.ö.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 172 ff.; P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 23 ("parlamentarisch-repräsentative Demokratie"); W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 62, 63; P. Kunig, HStR, Bd. II, S. 126; auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 235, 249 f. u.ö.; vgl. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 240 ff., zur "Repräsentation und Identität", der allerdings nicht von "repräsentativer Demokratie" spricht; R. Scholz, Podiumsdiskussion, in: A. 306

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nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Begriff eine Relevanz für die parlamentarischen Rechte der Bundestagsabgeordneten, die über den Regelungsgehalt des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG hinausgehe, zu Recht abgesprochen (BVerfGE 80, 188 (211)), ohne freilich den weiteren Schritt zur notwendig amtsmäßigen Republik zu erwägen. Angesichts der Begriffsgeschichte der Worte Repräsentation und Demokratie 308 erlaubt es der Begriff repräsentative Demokratie, jedwede Verfassungswirklichkeit zu rechtfertigen, wenn sie nur nicht i m Widerspruch zum verfassungspolitischen Grundkonsens steht. Der aber ist gegenwärtig mit dem Schlagwort Demokratie plakatiert. Das Wort Demokratie als Synonym für die gute Verfassung zu benutzen ergibt nicht nur "größte Unklarheit" (Carl Schmitt) 309, sondern deckt die jeweils eigene Verfassungskonzeption, meist die Deskription der Verfassungswirklichkeit, unter dem Grundgesetz die des Parteienstaates 310. "Es bleibt die Frage, wie dieser zur Wirklichkeit gewordene demokratische Parteienstaat verfassungstheoretisch zu erfassen und verfassungssystematisch einzuordnen ist." - Gerhard Leibholz m Vor allem der Begriff repräsentative Demokratie läßt eine herrschaftliche Staatsrechtslehre zu, wenn Demokratie nicht freiheitlich oder/und Repräsentation herrschaftlich verstanden werden. Das ist denn auch der regelmäßige Zweck dieser Begriffsbildung 312 , die aufgegeben werden sollte, um von der Verfassung der Freiheit nicht abzulenken. Repräsentative Demokra-

Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, S. 7 ff., spricht von "repräsentativer Demokratie in parteienstaatlicher Form"; J. Fijalkowski, Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung?, S. 240 ("parlamentarische Repräsentativdemokratie"), S. 248 f., m.w.H. auf das politologische Schrifttum; H. Hofinann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 169 f. (zu den Federalist Papers von 1787/88), S. 175 ff.; H. Dreier, Demokratische Repräsentation und vernünftiger Allgemeinwille, AöR 113 (1988), S. 450 ff.; schon C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 218; vgl. auch G. Leibholz, Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 56; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 82, der freilich den demokratischen Parteienstaat als plebiszitär - identitär davon unterscheidet (dazu unten 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff.); auch BVerfGE 20, 56 (113); 80, 188 (211, 217, 221); 84, 304 (324). 308 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., 36 ff., 42 f.; 2. Teil, 4. Kap., S. 92 ff., 97 f.; 8. Teil, 1. und 4. Kap., S. 638 ff.; 735 ff. (Repräsentationslehre C. Schmitts); vgl. auch die Hinweise in Fn. 51, 8. Teil, 1. Kap., S. 646. 309 Verfassungslehre, S. 225; i.d.S. auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 587. 310 Exempel bieten etwa P. Badura, etwa HStR, Bd. I, S. 968 ff., 982 ff.; H. Hofmann/H.Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 176 ff. 311 Der moderne Parteienstaat, S. 79. 312 Vgl. die Hinweise in Fn. 307, S. 692.

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tie, freiheitlich verstanden, und demokratische, also bürgerschaftliche, Republik sind nicht zu unterscheiden, weil ein politisches Element Freiheit den Begriff repräsentative Demokratie als eine Form der Freiheit ausweist 3 1 3 , wenn ihm nicht jeder definitorische Gehalt genommen werden soll. Im übrigen ist jede wirkliche Verfassung eine Mischform strukturierender Formprinzipien 314 . "Was in der Realität begegnet, sind ja nicht Idealtypen, sondern Mischsysteme aus repräsentativ-indirekten wie plebiszitär-direkten Elementen" Jürgen Fijalkowski 315 Schon Aristoteles wußte das und hat in der Politie die Mitte zwischen der Oligarchie und der Demokratie gesehen 316 , eine Mitte, die nicht exakt bestimmt werden kann. Dem folgt Reinhold Zippelius in der Sache. Er sieht die repräsentative Demokratie als oligarchisch-demokratische Mischform 3 1 7 . U m die Verfassung der grundgesetzlichen Republik zu verstehen, ist man auf die einzelnen Regelungen verwiesen, welche aber durchaus ein in sich geschlossenes System ergeben, nur nicht das einer herrschaftlichen, sondern das einer freiheitlichen Demokratie, einer Republik, die notwendig demokratisch und somit bürgerschaftlich ist. Isoliert lassen die grundgesetzlichen Leitbegriffe die unterschiedlichsten Aussagen zur Verfassung zu, die das Grundgesetz nicht interpretieren, sondern modifizieren. Die systematische Interpretation, die das Prinzip der Einheit der Verfassung wahrt, ist unver-

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Weil er seiner freiheitlichen, sogar ethischen, Argumentation mit dem herrschaftlichen Verständnis des Staates widerspricht, führt die Lehre von der repräsentativen Demokratie bei E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation; HStR, Bd. I, S. 887 ff.; HStR, Bd. II, S. 29 ff., zu Widersprüchen, bei denen man wechselnd an Kant und Hegel erinnert wird; das ist ähnlich bei R Badura, HStR, Bd. I, S. 968 ff., 972 ff.; auch bei H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 171 f., 176 ff. 314 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 200, jedenfalls im Falle des "bürgerlichen Rechtsstaates"; dazu kritisch W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 146 ff., 188 ff.; zum Prinzip "gemischter Verfassung" R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 152 ff., ein wichtiges Beispiel ist der "deutsche Konstitutionalismus", dazu E.R. Huber, HStR, Bd. I, S. 51 ff. ("Monarchisches Prinzip, Nationalrepräsentation und Parteienstaat"). 315 Neuer Konsens und plebiszitäre Öffnung?, S. 250. 316 Politik, S. 148, 1293 a 32 f.; auch S. 202 f.; vgl. auch 1. Teil, 3. Kap., S. 64 ff., 67; 9. Teil, 6. Kap., S. 963. 317 Allgemeine Staatslehre, S. 175 ff.; ähnlich schon E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 71 ff. ("Komponenten eines gemischten plebiszitär-repräsentativen, demokratischen Regierungssystems", S. 75); U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: FS H. Huber, 1961, S. 233, 246; W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 188 ff.

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zichtbar 318 . Wer aber die Demokratie einerseits als Herrschaft, andererseits aber das Volk als Bürgerschaft definiert, verwirrt nicht nur die Begriffe, sondern auch die Verfassungswissenschaft 319. Eine Formel wie die der repräsentativen Demokratie, die das Grundgesetz, wie gesagt, weder ganz noch in ihren Teilen benutzt, ist für die Interpretation dieser Verfassung nicht hilfreich. Das Grundgesetz spricht weder von einer "Demokratie", noch von "repräsentativ". Es benutzt nur das Wort "demokratisch" 320 , vor allem in Art. 20 Abs. 1, aber auch in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, handelt in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG davon, daß "alle Staatsgewalt" die nach S. 1 dieses Absatzes vom Volk ausgeht, "vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt" werde, und schreibt in Art. 38 Abs. 1 S. 2 vor, daß die "Abgeordneten des Deutschen Bundestages ... Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" seien. Die genannte Formel kann allenfalls die aus dem Verfassungstext gewonnene Interpretation zu plakatieren versuchen. III.

Kritik der empiristischen, insbesondere soziopsychologischen Verfassungsdogmatik der repräsentativen Demokratie Typisch offeriert etwa Ernst-Wolfgang Böckenförde, dessen Name gegenwärtig für diese Formel steht, seinen Begriff der repräsentativen Demokratie als Kennzeichnung sowohl der grundgesetzlichen wie jeder demokratischen Verfassung, ohne auch nur einmal den Text des Grundgesetzes zu bemühen, eben als das "Wesen der Demokratie" 321 . Methodisch heißt das: Was ver-

318

So auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 588 ff. Etwa H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 171 f., 176 ff.; in der Sache nicht anders P. Badura, HStR, Bd. I, S. 968 ff., 972 ff.; unklar auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 244 ff., zur "Identitätsdemokratie", der der Sache nach "Fremddurchsetzung der Gesetze", also den Zwang, als Herrschaft versteht (zur Freiheitlichkeit des Zwanges 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff., insb. 551 ff., 553 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 307 f., 310 f.). 319

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Auch Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG n.F. (vom 2./18.12.1992, Europaartikel), selbst wegen Art. 20 und 79 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich bedenklich, benutzt das Adjektiv "demokratisch"; dazu die Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag über die Europäische Union vom 18.12.1992. 321 Demokratie und Repräsentation, S. 6 ff.; ders., HStR, Bd. II, S. 30 ff., entwickelt sein Modell der repräsentativen Demokratie als Staats-, nämlich als Herrschaftsform des Grundgesetzes; vgl. auch ders., HStR, Bd. I, S. 887 ff., wo er als "Staats- und Regierungsform" die Demokratie vorstellt, insb. S. 893 ff., 926 ff.

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fassungspolitisch richtig ist, muß auch unter dem Grundgesetz Geltung beanspruchen. Damit ist die Verfassungsrechtslehre beliebig, weil textunabhängig. Verfassungspolitik verdrängt das Verfassungsrecht in der irrigen Annahme, es gebe eine allein richtige Verfassung, deren Wesen man nur zu erkennen habe. Wiederum wird die Wesensschau, die schon Gerhard Leibholz vorgeführt hat 3 2 2 , genutzt, um eine verfassungswidrige Herrschaftslehre zu etablieren 323 ; denn schulgerechte Verfassungsinterpretation vermag das nicht zu leisten. Ernst-Wolfgang Böckenförde sieht die "formale Repräsentation ... in einem Autorisations- und Legitimationszusammenhang, der den Leitungsorganen die Macht verleiht, durch ihr Handeln das Volk zu verpflichten", ohne daß es "auf den Inhalt des Handelns" ankomme 324 . Dieser Repräsentationsbegriff trennt das Volk von seinen Repräsentanten, die, auf eine Amtsethik verwiesen, über das Volk herrschen 325 , wie es der Lehre Böckenfördes von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft entspricht 326 . Eine Herrschaftslehre muß diese Trennung vornehmen; denn sie vermag das Gesetz nicht als Willen des Volkes zu begreifen. Das "Sichwiederfinden-können" soll das Volk, auf dessen Willen es nicht ankommt, zufrieden stellen 327 - eine Lehre von der guten Herrschaft, die sich auch

322

Das Wesen der Repräsentation, S. 13 ff. ("Und zwar tendiert das phänomenologischanalysierende Bewußtsein dahin, das Wesen einer im Sein verwurzelten, empirischen Gestalt, das Objekt, durch eine auf sie gerichtete, material-intuitive Schauung in synoptischer Analyse evident zu machen, sie damit zugleich der ihr historisch anhaftenden Zufälligkeiten zu entkleiden und sie in ihrer außerhistorischen Wesensnotwendigkeit zu erweisen", S. 18 f.); vor allem auf Nicolai Hartmanns Phänomenologie gestützt (Grundzüge der Metaphysik der Erkenntnis, 1925); dazu mit Recht kritisch V. Hartmann, Repräsentation, S. 259 ff. 323

Zur Herrschaftslehre von G. Leibholz 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff. Demokratie und Repräsentation, S. 18 ff., insb. Fn. 27, mit Bezug auf J.C. Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, Bd. 1, S. 478 ff.; ders., HStR, Bd. II, S. 39. 325 Demokratie und Repräsentation, S. 14 ff., 26 ff., 29 ff.; ders., HStR, Bd. II, S. 40 f., 44 f. (zu Amt und Ethos), S. 30 ff. (zum Herrschaftscharakter); auch ders., HStR, Bd. I, S. 893 ff.; i.d.S. auch J.H. Kaiser, Die Dialektik der Repräsentation, in: FS C. Schmitt, 70. Geb., 1959, S. 75 ff.; nicht anders W. Henke, Recht und Staat, insb. S. 387 ff.; dazu 2. Teil, 8. Kap., S. 133 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 214 ff. 326 Dazu 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; auch 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 128 ff.; E.-W. Böckenförde, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 395 ff.; vgl. auch J.H. Kaiser, Die Dialektik der Repräsentation, in: FS C. Schmitt, S. 75 ff. 324

327 Demokratie und Repräsentation, S. 19, 25, 29; HStR, Bd. II, S. 43 (jeweils mit Berufung auf D. Suhr, Repräsentation in Staatslehre und Sozialpsychologie, Der Staat 20 (1981), S. 517 ff.), auch S. 40; i.S. solcher "Identifikation" der "Beherrschten" mit den "Herrschern" M. Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, S. 292 ff. (296), auf den sich Böckenförde stützt; dem folgt auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 960; ebenso H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 176.

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bei Wilhelm Henke findet 328. Ob der Bürger sich wiederfindet, sich "identifiziert", läßt sich schlechterdings nicht entscheiden, wenn man nicht den Meinungsumfragen staatliche, also rechtliche Relevanz geben will. Die Stabilität des politischen Lebens, die sich durch derartige Umfragen bemessen ließe, würde mit solchen Formeln zu dessen Legitimität, wie auch immer sie hervorgebracht sei, vor allem doch wohl nach dem alten Rezept: Brot und Spiele. Nach solchen Kriterien war, wie gesagt, abgesehen von den verbrecherischen Auswüchsen, auch der Hitlerismus demokratisch. Eine rechtliche Verfassungslehre läßt sich nicht durch eine sozialpsychologische ersetzen, i m Gegenteil, jede empiristische Verfassungslehre gefährdet, weil sie vom Recht absieht, die Freiheit. Demokratistisch stellt denn Böckenförde auch der "formalen" seine "inhaltliche Repräsentation" zur Seite, welche die dogmatische Verletzung der politischen Freiheit, der Autonomie des Willens, "sozialpsychologisch" moderieren will: "Demokratische Repräsentation bedeutet die Aktualisierung und Darstellung des in den Bürgern angelegten eigenen Selbst des Volkes sowie des Bildes, das in der Vorstellung der Bürger von der Art der Behandlung der allgemeinen Fragen sowie der Vermittlung der Bedürfnisse und Interessen auf das Allgemeine hin lebendig ist. Sie kommt zustande, wenn die einzelnen ihr eigenes Ich als Bürger (Citoyen in sich) und das Volk sein eigenes Selbst (volonté générale) im Handeln der Repräsentanten, ihren Überlegungen, Entscheidungen und Fragen an das Volk wiederfinden. Sie zeigt sich so als Vorgang der Vermittlung auf das von den Bürgern getragene Allgemeine, dessen Charakter als volonté générale im Unterschied zur volonté de tous hier augenfällig ist. Demokratische Repräsentation kann in dieser Weise Zustandekommen, sich befestigen, aber auch sich auflösen und zerfallen." - Ernst-Wolfgang Böckenförde 329 Der Begriff "das eigene Selbst des Volkes" läßt an die Begriffe von Carl Schmitt und Gerhard Leibholz "politische Einheit" bzw. "ideelle - politische Einheit" 3 3 0 denken. Böckenförde spricht von einem "geistig - politischen Prozeß" und distanziert sich von dem vermeintlich statischen Sinn des Repräsentationsbegriffs bei Carl Schmitt, der in der Repräsentation das Sichtbarmachen des unsichtbaren Seins gesehen hat 3 3 1 . Desto näher rückt der

328 329 330 331

Recht und Staat, S. 151 ff., 387 ff. Demokratie und Repräsentation, S. 25 f.; wortgleich ders., HStR, Bd. II, S. 43. Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 763 ff. Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; auch 2. Teil, 9. Kap., S. 143 f.; 8. Teil, 3. Kap., S. 708.

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Sozialpsychologismus Böckenfördes an die identitäre Variante in Schmitts politischer Formenlehre, nämlich an die von Führung und Akklamation 3 3 2 . Jedenfalls ist die Repräsentationslehre Böckenfördes paternalistisch, also nach Kant despotisch 333 , und vermittelt nicht Autonomie, wie Böckenförde verspricht 334 . Seine Beschreibung der parteienstaatlichen Realität ist wirklichkeitsnah. Die meisten Bürger werden sich in der Politik der "Repräsentanten" des Volkes, zu denen Böckenförde "in der Parteiendemokratie" auch "die Führungsorgane der politischen Parteien" rechnet 335 , "wiederfinden", wenn sie sagen können: Uns geht es doch gut. Die Schäden parteilicher Politik für andere, insbesondere für die Bürger der Zukunft, werden dabei selten bedacht. Die vermeintlichen parteilichen Repräsentanten verstehen sich längst als die Politiker und sprechen bereits damit den übrigen Bürgern die politische Kompetenz ab. M i t dem Grundgesetz, vor allem mit Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, hat Böckenfördes Repräsentationslehre nichts gemein. Böckenförde reklamiert das auch nicht explizit. Der Begriff "Vertreter des ganzen Volkes" hat keinen Einfluß auf diese Lehre. Böckenförde ist es aber gelungen, den Populismus im Staatsrecht zu institutionalisieren, ohne das freilich auszusprechen. Den Weg zu einer populistischen Repräsentationslehre haben Politologen gewiesen, etwa Heinz Rausch, der Repräsentation als "dynamischen Prozeß" der "Integration" im Smendschen Sinne, als "sozialpsychologisch" zu erfassende Legitimierung der Herrschaft durch die "Herrschaftsunterworfenen" begreift 336 . Rausch stützt sich vor allem auf Marek Sobolewski, der die " Angleichung von Meinungen der Regierten und Entscheidungen der Regierenden" als Repräsentation vorstellt 337 und dabei lediglich einen Aspekt der politischen Willensbildung im demokratisch-pluralistischen Parteienstaat

332

Dazu schon 8. Teil, 3. Kap., S. 707, 732 ff., 4. Kap., S. 741 ff., 754 ff., auch 2. Kap., S. 687 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 43 f.; 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff. 333 Vgl. 2. Teil, 2. und 8. Kap., S. 82 ff., 133 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 240 ff.; dazu Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 f. 334 HStR, Bd. I, S. 908, 909 ff. 335 Demokratie und Repräsentation, S. 30; ders., HStR, Bd. II, S. 44. 336 Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 238 ff., 257 ff.; vgl. R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S. 142 ff., 160 ff.; dazu i.d.S. J.H. Kaiser, Die Dialektik der Repräsentation, S. 77 ff. (Integration und dialektische Desintegration). 337 Politische Repräsentation im modernen Staat der bürgerlichen Demokratie, in: H. Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 419 ff. 429 ff.

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beschreibt. Sobolewski erreicht nicht einmal die Fragestellung der Repräsentationslehren westlicher Demokratien, nämlich die nach der Verwirklichung der Freiheit oder wenigstens die nach der demokratischen Legitimation von Herrschaft, meint aber die "juristischen Fiktionen und imaginären Begriffe" wie 'volonté générale', 'Mandat' usw. in seiner "soziologischen Verfassungstheorie" eliminieren zu dürfen 338 . "Demgemäß ist die Beziehung zwischen Repräsentant und Repräsentiertem eine sozialpsychologische, die in der gegenseitigen Anerkennung wurzelt. Sie unterliegt einem fließenden dynamischen Prozeß, der stets neuer Aktualisierung bedarf. Der Vorgang der Repräsentation ist also nicht ein einmaliger Akt, sondern muß stets neu begründet werden. Man kann ihn als psychologische Relation umschreiben, da aus ihm stets zu aktualisierende geistige Bande zwischen Repräsentanten und Repräsentierten erwachsen. ... Die inhaltliche Beziehung ist Voraussetzung bei der Anerkennung seiner (sc. des Repräsentanten) Handlungen und Entscheidungen; sie ist identisch mit seiner Legitimierung ... Es (sc. "das Repräsentationsverhältnis") kommt erst zustande, wenn die 'Repräsentierten' (lies: Herrschaftsunterworfenen) damit einverstanden sind, repräsentiert zu werden, so daß die Handlungen der Repräsentanten von ihnen akzeptiert und damit ihnen zugerechnet werden können.... Die Repräsentation hat nur dort Bestand, wo der Repräsentierte sich i m Repräsentanten erkennt und beide dazu beitragen, dieses geistige Band herzustellen." Heinz Rausch 339 Ein derartig kommunikatives Repräsentationsverhältnis kann allenfalls zwischen den Parteiführern und ihrer Wählerschaft gepflegt werden, nicht aber zwischen den vielen Abgeordneten und der Bürgerschaft. Folglich ist die Repräsentationslehre Rauschs eine Lehre der Parteienoligarchie, die im Grundgesetz keine Grundlage hat. Empirisch ist der Sozialpsychologismus Rauschs nicht überzeugend. Viele Wähler identifizieren sich mit einem Parteienlager nach dem Rechts-Links-Schema und akzeptieren alles, was von den Führern dieses Lagers unternommen wird, ohne auch nur einen Versuch zu machen, deren Entscheidungen moralisch zu kritisieren, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Diese Identifizierung hängt von der Zufriedenheit mit der eigenen Lebenslage ab und ist meist blind für weiterreichende Zusammenhänge und Entwicklungen. Allzugern redet sich der

338

Politische Repräsentation im modernen Staat der bürgerlichen Demokratie, S. 441. Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 249,251,255; ähnlich auch die Identifikationslehre von M. Draht, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, S. 292 ff. 339

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Mensch Zufriedenheit ein. Er müßte sonst etwas tun, nämlich seine Sache selbst in die Hand nehmen. Es ist die alte Untertänigkeit, welche die Obrigkeit hinnimmt, solange deren Herrschaft nicht unerträglich ist, geboren aus dem von Aristoteles verhöhnten sklavischen Charakter vieler Menschen 340 . Die Herde folgt dem Hirten, jedes Schaf wie die anderen. Eines kann allein den Weg des Hirten nicht ändern. Dessen Hund wird es in die Herde zurücktreiben. Viele Völker sind gegenüber ihrem Herrn fast grenzenlos tolerant. Das Maß des Erträglichen ist relativ. Öffentliche Kritik führt allzuleicht die persönliche Verantwortung für das Gemeinwesen vor Augen und stört damit die kleinbürgerliche Zufriedenheit. Wehe denen, die sich mit den Maßnahmen der Repräsentanten nicht identifizieren! Deren Freiheit geht in der allgemeinen Ignoranz gegenüber ihrer Kritik unter. Die Kritik wird durch Propaganda tabuisiert. Propaganda der Oligarchie ist ein sicheres Zeichen des Unrechts. Der rechtsstaatlichen Republik ist Propaganda fremd, weil sie kein Mittel der Erkenntnis des Wahren und Richtigen ist. Meist leidet die Freiheit der Besten. Sie müssen die Herrschaft der Mittelmäßigkeit erdulden, weil letztere die Masse der Wähler nicht recht bemerkt, und wenn, kaum stört. Die Ignoranz der Vielen erlaubt den Wenigen die Herrschaft auch über die Besseren. Diese Ignoranz macht harte Mittel der Despotie überflüssig. Eine solche Haltung gegenüber der res publica mag man Akzeptanz nennen, Identifikation ist sie nicht. Identifikation setzt Erkenntnis voraus, also den Diskurs. Dazu ließe sich mehr sagen, was aber nicht wesentlich mehr als den Hinweis auf die Kontingenz aller empiristischen Verfassungslehren ergibt. Niemand kann unter Untertanen frei sein; denn Freiheit ist ihrem Begriff nach allgemein. Wie Böckenförde die "formale" und die "inhaltliche" Repräsentation 341 , unterscheidet Rausch die "psychologische Beziehung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten, ... die jeglicher Normierung entgegenstehe, ... von der durch diesen Vorgang verliehenen Handlungsbefugnis, ... die normierbar und damit auch juristisch faßbar" sei. "Anders ausgedrückt, in Bezug auf das Handeln ist der Repräsentant immer Stellvertreter" 342 .

340

Nikomachische Ethik, S. 59, 1095 b 19 f. Demokratie und Repräsentation, S. 18 ff.; ders., HStR, Bd. II, S. 39 ff. 342 Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 226, 257; durch den Vorgang der Repräsentation wird eine Handlungsbefugnis schlechterdings nicht verliehen, vielmehr beruht die Repräsentationsmöglichkeit auf der Vertretungsmacht; das sieht Rausch, a.a.O., S. 262, selbst: "Der psychologische Vorgang der Repräsentation, der sich einer Normierung entzieht und allenfalls einer dauernden Aktualisierung bedarf, wird durch organisatorische Institutionen erst 341

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Rauschs Deskription kommt der Wirklichkeit der parteienstaatlichen Herrschaft durchaus nahe, findet aber nicht zur Ethik des Grundgesetzes, welche die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit, also die Sittlichkeit, aufgibt. Trotz aller deskriptiven Nähe des Aspekts kommunikativer pluralistischer Integration zum Prozeß öffentlicher Diskussion verfehlt eine solche Repräsentationslehre die Diskursethik, welche mit Jürgen Habermas auf den Zwang des besten Arguments abstellt, also die wissenschaftliche Bewältigung der Politik gebietet 343 . Anerkennungslehren, wie die Rauschs, begnügen sich mit der akklamativen Akzeptanz und bleiben dadurch demokratistisch. Sie beschreiben den mit sanften Machiavellismen erschlichenen Gehorsam von wählenden Mehrheiten gegenüber den Befehlen der Parteienoligarchie, der unvermeidbar mit der Unterdrückung der dissentierenden Minderheiten verbunden ist. Zur Rechtslehre vermag ein Sozialpsychologismus nur als empirische Theorie von Wirklichkeit beizutragen. Der Ethik als der Lehre von der Freiheit hilft er nicht weiter. Opportunismus und schweigende Zufriedenheit sind schwer zu unterscheiden. Immerhin läßt sich die Ruhe der Bürger dahin deuten, daß sie als Hüter der praktischen Vernunft mit den gesetzgeberischen Rechtserkenntnissen ihrer staatlichen Vertreter einverstanden sind. Qui tacet consentire videtur. Peter Badura begreift die "parlamentarische Demokratie ... als egalitäre Selbstregierung des Volkes, ... die Volksvertretung als ein Element der verfassungsrechtlich geordneten Selbstorganisation der Gesellschaft" und nennt "Repräsentation ... das politische Prinzip der Anerkennung der Gesetze und sonstigen Entscheidungen, die nach den Regeln der Verfassung von der Volksvertretung verabschiedet werden" 344 . Das hat, wenn die vorgängige Anerkennung in der Verfassung gemeint ist, Nähe zur hier dargelegten politischen Vertretungslehre 345 , wie schon die Repräsentationsdefinition Ernst Fraenkels: "Repräsentation ist die rechtlich autorisierte Ausübung von Herrschaftsfunktionen durch verfassungsmäßig bestellte, im Namen des Volkes,

begründet". 343 Dazu 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 567 ff., 598 ff. mit Fn. 440 f.; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 682 f.; 9. Teil, 4. und 5. Kap., S. 943, 965. 344 Staatsrecht, S. 296; wortgleich ders., Die Stellung des Abgeordneten, in: H.P. Schneider/W. Zeh, Parlament und Parlamentsparteien, S. 493; vgl. auch ders., HStR, Bd. I, S. 972 ff. 345 Im Gegensatz zu Baduras herrschaftlicher Lehre von der demokratischen Repräsentation, die er in HStR, Bd. I, S. 972 ff., ausbreitet; dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff., insb. S. 719, 728, 730 ff., zur bürgerlichen Identität; 2. Teil, 6., 9. und 11. Kap., S. 123, 141 ff., 153 ff.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

jedoch ohne dessen bindenden Auftrag handelnde Organe eines Staates oder sonstigen Trägers öffentlicher Gewalt, die ihre Autorität mittelbar oder unmittelbar vom Volke ableiten und mit dem Anspruch legitimieren, dem Gesamtinteresse des Volkes zu dienen und dergestalt dessen wahren Willen zu vollziehen." 346 Beiden Definitionen fehlt die moralische Komponente, welche die Ethik als die Lehre von der Freiheit ausweislich Art. 2 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG für die Dogmatik von einer die Freiheit verwirklichenden Gesetzgebung unverzichtbar macht 347 . Den geringen Nutzen, der sich aus der verfassungsfremden Formel von der demokratische Repräsentation ziehen läßt, führt die Definition vor, die Hasso Hofmann und Horst Dreier, weitgehend im Anschluß an Böckenförde und Badura, anbieten: "Demokratische Repräsentation im Sinne des Grundgesetzes soll daher verstanden werden als die in einem rechtlich gesicherten Umfeld freier, also auch vielfältig organisierter politischer Kommunikation durch Wahlen nach demokratischen Grundsätzen begründete und ständig erneuerte Beziehung der Autorisierung und Anerkennung sowie der Kontrolle und Kritik zwischen dem durch die Wahlberechtigten verkörperten Staatsvolk und der aus den gewählten Abgeordneten als Grundlage und Zentrum des Regierungssystems gebildeten Volksvertretung." - Hasso Hofmann/Horst Dreier 348 Diese Definition, welche Repräsentation als einen Prozeß versteht 349 , erfaßt nicht das repräsentierende Handeln der Repräsentanten, sondern nur das die gesamte Repräsentation legitimierende Verhältnis zu den Repräsentierten. Auch diese Definition bemüht sich um Herrschaftslegitimation und bekümmert sich um eine rechtliche Klärung der repräsentativen Freiheitsverwirklichung nicht. Die Definition ist deskriptiv und dementsprechend rechtlich nichtssagend. Wer sich von der Skepsis gegenüber der Sittlichkeit der Bürger bestimmen läßt, mag eine Lehre von der Republik nicht entwickeln wollen; denn das Kunstwerk Republik steht und fällt mit der

346 Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 71; dazu W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 239 ff. 347 Dazu die Hinweise in Fn. 75, 146, 8. Teil, 1. Kap., S. 650, 662; insb. 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 2. Kap., S. 506 ff. 348 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 176; vgl. P. Badura, HStR, Bd. I, S. 972 ff. 349 H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 176.

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2. Kap.: Repräsentative Demokratie als liberale Herrschaftsform?

allgemeinen Freiheit, der M o r a l i t ä t der Bürger. W e r aber Herrschaft lehrt, g i b t der Freiheit u n d d a m i t der R e p u b l i k keine Chance. E r sucht i n E m p i rismen u n d d a m i t i n I d e o l o g i e n L e g i t i m a t i o n für die Herrschaft u n d reklam i e r t Realismus, der nichts anderes ist als die M i ß a c h t u n g der W ü r d e der anderen Bürger, also ein Verstoß gegen die A l l g e m e i n e E r k l ä r u n g der M e n schenrechte der Vereinten N a t i o n e n u n d gegen das Grundgesetz. Jede Herrschaftslehre verachtet das V o l k , rechtfertigt aber die verachtenswerte Herrschaft über das V o l k . I n der R e p u b l i k m u ß "der T r a u m der Herrschaftslosigkeit" Krause

n i c h t "an der rauhen N o t w e n d i g k e i t zerschellen", w i e

Peter

diesen Realismus z u m A u s d r u c k bringt; denn eine R e p u b l i k ist das

Gemeinwesen, das die N o t w e n d i g k e i t e n der allgemeinen Freiheit besorgt u n d gerade darum auf Herrschaft verzichtet. Es bedarf des Versuches, der n o c h nie gewagt wurde. IV.

K r i t i k plebiszitärer D e m o k r a t i e

Schon gar nicht verfaßt das Grundgesetz eine plebiszitäre D e m o k r a t i e . Sachplebiszite m ö g e n i m herrschaftlichen Sinne demokratisch, also demokratistisch, sein. D i e unmittelbare D e m o k r a t i e m a g m a n als demokratischer als die mittelbare, w e n n m a n so w i l l , die repräsentative D e m o k r a t i e bewert e n 3 5 0 . Republikanisch, also demokratisch i m freiheitlichen

Sinne,

sind

Sachplebiszite nur insoweit, als sie die die W a h r h e i t l i c h k e i t u n d die R i c h -

350 Grundsätzlich i.d.S. schon C. Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, 1927; ders., Verfassungslehre, S. 258 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 62 ff., der die "gesetzgebungsstaatliche Legalität" durch die "plebiszitäre Legitimität" verdrängt, jedenfalls überlagert sieht; W. Maihofer, HVerfR, S. 205 ff., der, S. 1411, den wenig klärenden Grundsatz aufstellt: "Soviel Plebiszit: Partizipation wie möglich, soviel Repräsentation wie nötig und nicht umgekehrt"; E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 6 ff.; ders., HStR, Bd. II, S. 30, der irrig zugesteht, die repräsentative Demokratie habe einen höheren Legitimationsbedarf als die unmittelbare. Die Institutionalisierung direkter Demokratie fordert Ch. Pestalozza, Der Popularvorbehalt - Direkte Demokratie in Deutschland, 1981, S. 13 ff., u.a. mit Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip; dazu mit Recht kritisch R. Scholz, Krise, S. 8; zur Verwirklichung des Sozialprinzips im Kräftefeld der Verfassung K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 48 ff.; zur "sozialen Demokratie" H.F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, S. 1096 ff.; zu verschiedenen Gestaltungsformen "gemischt plebiszitär-repräsentativ verfaßter Regierungssysteme" J. Fijalkowski, Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung?, S. 250 ff.; zum Vorrang unmittelbarer vor mittelbarer Demokratie K.A. Schachtschneider, Anspruch auf Demokratie, JR 1970, 408 f.; wohl auch U.-K. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 184 ff., 198 ff., der politische "Kontrolle als Surrogat in der mittelbaren Demokratie" damit legitimiert, daß die unmittelbare, eigentliche Demokratie als "unmittelbare Selbstentscheidung" nicht möglich sei. Den plebiszitären unmittelbar demokratischen Charakter der Parteienherrschaft hat G. Leibholz zur Kernthese seiner Parteienstaatsdoktrin gemacht, Das Wesen der Repräsentation, S. 118 ff., 224 ff. u.ö.; vgl. die Hinweise in Fn. 657, 8. Teil, 4. Kap., S. 764; dazu auch 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

tigkeit sichernden Erkenntnisprinzipien nicht mißachten müssen 351 ; denn nicht alle Bürger können in allen politischen Fragen sachkundig sein 352 . Eine "plebiszitäre Öffnung ... würde nur vertiefte Effizienzprobleme aufwerfen, d. h. die Regierbarkeit des Gemeinwesens noch mehr erschweren, als dies ohnehin ist, und damit hinterrücks eher genau den cäsaristischautoritären Lösungen zuarbeiten, denen die antioligarchische Option vordergründig doch gerade widerstrebt.... Basisdemokratische Konzepte" haben "einen stark ideologieverdächtigen Charakter. Sie machen den pouvoir constituant sozusagen zur Alltagsgröße und übertragen die Primärgruppenmoral auf die Großgesellschaft, vor deren Komplexität sie dann aber zum Scheitern verurteilt sind, so daß sie de facto zur bloßen ideologischen Bemäntelung für neue Elitenherrschaft werden können. Die Idealisierungen der Konsensdemokratie und der vorrangig direkten Entscheidung des Volkes über alle seine öffentlichen Angelegenheiten ergibt keine realistisch funktionsfähigen Formen der Willensbildung und Entscheidungsfindung in der komplexen Großgesellschaft. So ist unmittelbar einleuchtend, daß sie nur in kleineren Gemeinwesen praktizierbar ist, d.h. umgekehrt dort, wo ein direkter Austausch zwischen Menschen nicht mehr möglich ist, auch die Bestimmung öffentlicher Belange allein durch direkten Volksentscheid nicht mehr realisierbar erscheint." - Jürgen Fijalkowski 353

351 I.d.S. verwirft Sachplebiszite P. Krause, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie, HStR, Bd. II, S. 313 ff., 333 ff.; auch E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 8 ff., der vor allem auf die Fragekompetenz hinweist; ders., HStR, Bd. II, S. 30, 46; ähnlich auch Ρ Badura, HStR, Bd. I, S. 975; ebenso i.d.S. N. Achterberg, Das Parlament in modernen Staat, DVB1. 1974, 699 f.; R. Scholz, Podiumsdiskussion, in: A. Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, S. 9, der richtig die mangelnde Allgemeinheitsfähigkeit plebiszitärer Elemente anspricht; J. Fijalkowski, Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung?, S. 236 ff., 254 ff., auch zu den Weimarer Erfahrungen; i.d.S. auch schon E. Burke, 1782, zitiert bei A. Podlech, Repräsentation, S. 527; dazu O. Jung, Volksgesetzgebung, 1990. 352 Die leistungssteigernde Arbeitsteilung ist das Hauptargument des Abbè Sieyès für die Repräsentation, Politische Schriften, S. 225 ff.; dazu A. Podlech, Repräsentation, S. 525; H. Hofmann , Repräsentation, S. 407 ff.; ders JH. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 170, 179 f.; i.d.S. auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 127, 173 f.; dazu auch 8. Teil, 1. Kap., S. 675 ff., 679 ff.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1012 f. 353 Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung?, S. 250, bzw. S. 248 f.; für den "Einbau demokratischer Elemente in den Staat des Grundgesetzes", um daraus einen "freieren Staat" zu machen, plädiert etwa J. Agnoli , Auf dem Weg zur unmittelbaren Demokratie?, in: A. Randelzhofer/W. Süß, Konsens und Konflikt, S. 299 ff., der richtig als "demokratisch" plebiszitäre Demokratie und Basisdemokratie, die er nach der Zentralität unterscheidet, bezeichnet; ähnlich H. Meyer, Wahlsysteme und Verfassungsordnung, S. 200.

2. Kap.: Repräsentative Demokratie als liberale Herrschaftsform?

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Fijalkowskis Sätze bestätigen das Sieyèssche Argument. Bereits Aristoteles hat auf die kompetentielle Schwäche unmittelbarer Demokratie hingewiesen: "Denn keine Abstimmung (sc. des Volkes) kann Allgemeines feststellen". Volksabstimmungen hat Aristoteles nicht anders als Kant als einen Weg in die Despotie gesehen, Aristoteles in die der Volksführer 354 . Auch Rousseau hat um die praktische Unmöglichkeit einer Regierung durch Volksabstimmungen, also einer "echten Demokratie", gewußt 355 , obwohl er vielen als radikal demokratisch gilt. Montesquieus Einsicht dazu ist oben zitiert 3 5 6 . Plebiszitäre Verfahren der Sachentscheidung haben, weil der unmittelbare Diskurs aller mit allen praktisch nicht möglich ist, unvermeidbar repräsentative Effekte, wenn Repräsentation und Identität mit Carl Schmitt und Gerhard Leibholz als ein Gegensatz konzipiert werden 357 . Freilich verfährt diese Repräsentation ohne eine die Sachlichkeit der Entscheidung, also deren Erkenntnishaftigkeit, sichernde oder wenigstens fördernde Ordnung 3 5 8 . Sie verzichtet vor allem auf den gleichheitlichen Einfluß aller Bürger, den Wahlen weitgehend ermöglichen. Die Moralität der Gesetzgebung hängt davon ab, daß die Bedingungen der Erkenntnis des Wahren und des Richtigen eingehalten werden, insbesondere die Kompetenz zur Erkenntnis und erkenntnisgeeignete Verfahren. Beides gewährleisten Plebiszite als solche nicht. Wenn durch Sachplebiszite zwischen praktisch gleichwertigen Alternativen entschieden wird, etwa ob auf Straßen rechts oder links gefahren werden soll, sind sie unter republikanischen Aspekten unbedenklich. Sie setzen freilich sittliche, also wissenschaftliche, Gesetzesvorschläge voraus, welche deren Wahrheitlichkeit und Richtigkeit nach Kräften sicherstellen 359 .

354 Politik, S. 143 f., 1292 a 5 ff., Zitat 1292 a 37 f.; Kant, Zum ewigen Frieden, S. 207; vgl. auch J. Fijalkowski, Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung?, S. 249. 355 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 72 ff.; i.d.S. auch M. Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, S. 293; K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 188 in Fn. 34. 356 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 639 f. 357 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 763 ff.; ganz so H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 234 ff., 238 ff.; zur Dichotomie von Repräsentation und Identität, vor allem bei C. Schmitt und G. Leibholz, W. Manti, Repräsentation und Identität, S. 121 ff., bzw. S. 149 ff.; V: Hartmann, Repräsentation, S. 203 ff., 259 ff.; i.d.S. M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 244 f. 358 I.d.S. auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 30 ff.; kritisch auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 244.

45 Schachtschneider

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Aristokratische Erkenntnis- und Entscheidungsverfahren durch die Vertreter des ganzen Volkes müssen sich nicht gegenüber plebiszitären, vertretungslosen rechtfertigen, wenn die Vertreter die Besten, aristokratisch, sind und ihre Erkenntnis verfahren deren Moraliät so weit als möglich sicherstellen, d. h. wissenschaftlich sind. Umgekehrt bedürfen plebiszitäre Verfahren der Sachentscheidung der Rechtfertigung, weil derartige Verfahren prinzipiell für die Erkenntnis des Wahren und Richtigen nicht geeignet sind. Die jeweilige Form der Vertretung des Volkes steht immer zur Bewährung. Ihre Eignung, die Gesetze zu erkennen und verbindlich zu machen, welche bestmöglich das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit gewährleisten, steht ständig zur verfassungspolitischen Disposition, wie Art. 79 GG beweist, dessen Abs. 3 auch die richtigen Grenzen aufzeigt, welche die Idee der Freiheit als die der Menschheit der Menschen sichern. Eine demokratische Herrschaft, die Legitimität in der (dezi sionisti sehen) voluntas, im Mehrheitsprinzip, nicht Legalität in der ratio, in der Sittlichkeit, sucht, findet im Plebiszit das adäquate Entscheidungsverfahren. Carl Schmitt hat darauf hingewiesen 360 . Es versteht sich von selbst, daß eine solche Demokratie despotisch ist; denn sie ist die ständige Nötigung der vermeintlichen Minderheiten 361 . Die meisten Lehrer des Staatsrechts heißen dieses (herrschaftliche) Mehrheitsprinzip gut, weil sie der Herrschaft das Wort reden, wohl wissend, daß das Mehrheitsprinzip die Herrschaft weniger Führer legitimiert 3 6 2 . M i t der Verfassung der Freiheit, dem Grundgesetz der deutschen Republik, sind solche Lehren unvereinbar. Über die Verfassungsgebung ist mit diesen Bemerkungen nichts gesagt. Sie ist Sache des Volkes (in einem geeigneten Verfahren), nicht der Vertreter des Volkes in der Gesetzgebung, die allenfalls die Verfassung in den Grenzen der Grundprinzipien ändern dürfen, wie Art. 79 GG zeigt.

359 Dazu Th. Baumann, Demokratie auf dem Abstellgleis, S. 100, 112, der sich für "unabhängige Expertenstäbe" einsetzt, deren "GesetzesVorschläge durch endgültige Beschlußfassungen von Seiten eines wiederholt zusammentretenden Bürgerkollektivs mehrheitlich approbiert oder negiert werden", ganz i.S. Rousseaus, dem Baumann nicht gerecht wird, a.a.O., S. 75 ff. 360 Legalität und Legitimität, S. 40 ff. ("Gesetz ist der jeweilige Wille der jeweiligen Mehrheit", S. 47), 62 ff., insb. S. 65 f. (Zitat unten 8. Teil, 4. Kap., S. 745 f.); vgl. auch Verfassungslehre, S. 243 ff. 361 I.d.S. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 207. 362 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff., insb. S. 116 ff.; auch 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

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3. Kapitel Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes I. Republikanische Repräsentation als organschaftliche Vertretung Unter dem Grundgesetz ist Repräsentation, wie es der Wortwahl des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG entspricht, Vertretung. Nicht anders formuliert Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG: "In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus .... Wahlen hervorgegangen ist". Diese Vertretung gestaltet die Verfassung nach dem allgemeinen Vertretungsmodell, das auch § 164 Abs. 1 S. 1 BGB zugrundeliegt 363 . Nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird die Staatsgewalt vom Volke durch "besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt". Die Vertretung des ganzen Volkes ist somit organschaftlich. Klaus Stern schreibt dagegen: "Das Grundgesetz verwendet den Ausdruck Vertretung, obwohl es sich unzweifelhaft nicht um Vertretung im Sinne des Privatrechts, sondern um Repräsentation handelt. Dies ergibt sich eindeutig aus der Formulierung, daß die Mitglieder des Deutschen Bundestages, die Abgeordneten, "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sind - sogenanntes freies Mandat. Sie sind Repräsentanten, die anstelle des Volkes handeln. Ebensowenig wie die Abgeordneten privatrechtlich Vertreter des Volkes sind, ist es der Bundestag, der sich aus den Abgeordneten zusammensetzt" 364 .

363 R. H. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 54 ff., 59 ff., 67 f.; H.J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 312, 340 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 159 ff.; H. Meyer, Die Stellung des Parlaments, S. 119 ff., insb. 121; a.A. G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 32 ff., 173; K. Stern, Staatsrecht I, S. 961; ders., Staatsrecht Π, S. 37 f., dezidiert; H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 369; P. Radura, HStR, Bd. I, S. 973; I. v. Münch, GG, Rdn. 57 zu Art. 38; a.A. insb. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 213, wegen seiner Volks-, Demokratie- und Repräsentationslehre; offen bleibt N. Achterberg, DVB1. 1974, 701; a.A. auch U.K. Preuß, AK-GG, Rdn. 56 zu Art. 21.

4

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Angesichts des Eingeständnisses Sterns, daß "die Repräsentation des Verfassungsrechts zu den schwer erklärbaren, aber eigentümlichen Techniken der Struktur des demokratischen Verfassungsstaates gehöre", welches für seine Ansicht ohne weiteres einleuchtet 365 , stärken die Worte "unzweifelhaft" und "eindeutig" die Überzeugungskraft seiner Lehre nicht. Stern greift denn auch auf den "dialektischen", ihm logisch nicht nachvollziehbaren, Repräsentationsbegriff Carl Schmitts und Gerhard Leibholzens zurück : "Besagt Repräsentation nicht privatrechtliche Vertretung, so bedeutet sie aber auch nicht Identität des Repräsentativorgans mit den Repräsentierten, sondern Vergegenwärtigung, Präsentsein des zwar existenten, aber nicht gegenwärtigen und zum Handeln formierten Volkes" 366 . Das Grundgesetz spricht trotz oder wegen der auch in der Nachkriegszeit geläufigen Schmittschen und auch Leibholzschen Lehre nicht von Repräsentation, sondern benutzt die bewährte Formel von der Vertretung des ganzen Volkes 367 . Neben der privatrechtlichen gibt es auch eine staatsrechtliche, wenn man so will, öffentlich-rechtliche Vertretung, wie alle Gerichtsurteile, die im Namen des Volkes ergehen, beweisen. Auch im Privatrecht gibt es im übrigen Vertretungsregelungen, welche Weisungsrechte des Vertretenen ausschließen. Man muß nicht auf die elterliche Sorge hinweisen, die zur Vertretung des Kindes berechtigt und verpflichtet (§ 1629 Abs. 1 BGB), wegen der Unmündigkeit der Kinder ein Sonderfall, der nicht recht in die

364 Staatsrecht II, S. 37; BVerfGE 80, 188 (217); 84, 304 (321), hat entgegen Sterns Lehre sowohl die Abgeordneten als Vertreter als auch den Bundestag als Vertretungsorgan bezeichnet (Zitat S. 714; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 647), freilich nicht als "privatrechtliche"; diese abwegige Ansicht hat auch noch niemand geäußert; kritisch dazu auch H. Meyer, Die Stellung des Parlaments, S. 121 Fn. 19; vgl. insofern richtig auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241. 365

Diese Kritik übt auch H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 100 mit Fn. 16. Staatsrecht II, S. 37 f.; ebenso ders., Staatsrecht I, S. 961; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 209 f., 213; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 25 ff., 32 ff. u.ö.; auch H.-J. Wolff \ Theorie der Vertretung, S. 16 ff. (für die soziale Repräsentation); J.H. Kaiser, Die Dialektik der Repräsentation, S. 72; zu C. Schmitts Repräsentationslehre 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; i.d.S. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241. 367 Dazu H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 10 ff.; zur Wortgeschichte von "Repräsentation und Stellvertretung" H. Hof mann, Repräsentation, S. 116 ff. 366

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

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vertretungsdogmatische Willenslehre paßt 368 . Auch dem Vorstand einer Aktiengesellschaft kann prinzipiell niemand Weisungen erteilen; denn "der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten" (§ 76 Abs. 1 AktG). Die weisungsunabhängige Vertretungsmacht ist ein Rechtsinstitut, welches dem Privatrecht nicht fremd ist 3 6 9 . Klaus Stern übernimmt denn auch den leibholzschen Begriff des Volkes "als überindividueller-ideeller Einheit", der dem Volksbegriff Carl Schmitts verpflichtet ist, wenn er auch nicht dessen Begriff des Politischen einbezieht 370 . Jede Vertretungsregelung muß sich der Aufgabe anpassen, welche die Vertreter für die Vertretenen bewältigen sollen. Vor allem ist die Eigenart des Vertretenen bedeutsam. Das zeigt sich bei der Vertretung der Kinder genauso wie bei der Vertretung des ganzen Volkes. Die erstere ist notwendig parentalisch, während die letztere weder paternalistisch noch matriarchalisch sein darf, obwohl es Tradition hat, beide Vertretungsfälle nach dem Familienmodell als soche der notwendigen Hilfe für Unmündige, also notwendiger Despotie des pater familias im klassischen Sinne, einzuordnen 3 7 1 . Das Gerede vom Landesvater, der Sache nach eine Beleidigung der Bürger, gibt Zeugnis von dem republikwidrigen Paternalismus. Die Verfassung der Vertretung des ganzen Volkes oder, wenn man so will, die Repräsentativverfassung, ist wesentlicher Teil der Verfassung des gemeinsamen Lebens des Volkes. Sie muß in ihren Grundsätzen i m Grundgesetz des Volkes festgelegt sein, weil das Volk jedenfalls die Vertretungsmacht zur Gesetzgebung schlechterdings nur in der Verfassung erteilen kann. Das Grundgesetz erteilt den Gesetzgebungsorganen die Gesetzgebungsvollmacht oder Gesetzgebungsgewalt durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. 368 Dazu grundsätzlich F.K. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 3, 1840, S. 21 ff.; vgl. dazu auch N. Brieskorn, Stellvertretung - zur Rolle einer Rechtsinstitution, ARSP 1990, 296 ff. 369 Vgl. W. Flume , das Rechtsgeschäft, S. 792; so schon G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 33 Fn. 3, mit Hinweis auf Planck und v. Thür; so auch H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 121; problematisch auch P. Badura, GG, Bonner Komm., Rdn. 33 Art. 38. 370

Staatsrecht II, S. 38; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 209 ff. (Volk als "politische Einheit"); G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 29, 78, 142 (Volk als "politisch ideelle Einheit"), auch S. 167, 183 u.ö.; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 763 ff. 371 N. Brieskorn, Stellvertretung - zur Rolle einer Rechtsinstitution, ARSP 1990, S. 301 f. ("Im Vormund-Mündel-Verhältnis konnte der Vormund sich weigern, aus seinem Amte auszuscheiden; zur Rechtfertigung für das Verbleiben im Amt bekam das Mündel, etwa das Volk, dauernde Unmündigkeit bescheinigt"); gegen das herrschaftslegitimierende Familienmodell Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 6 f.; Kant, Was ist Aufklärung?, S. 53 ff.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Zur Vertretungsverfassung gehört auch das Verfahren der Wahl der Volksvertreter. Es ist und bleibt ein Manko des Grundgesetzes, daß es das Wahlsystem offen läßt. Das hat die einfachgesetzliche Einführung des (begrenzt personalisierten) Verhältniswahlsystems ermöglicht, welches als Parteienwahlsystem die Entscheidung für den Parteienstaat ist 3 7 2 und schon deswegen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. II.

Das freie Mandat als Bollwerk der Freiheit gegen die Parteienherrschaft Das ganze Volk kann seinen Vertretern keine Weisungen für deren Entscheidungen geben 373 . Zum einen sollen die Entscheidungen der Abgeordneten auf deren gewissensgebundenen, also höchstpersönlichen Erkenntnissen beruhen. Die Erkenntnisaufgabe verbietet Weisungen. Wer erkennen soll, muß unabhängig sein 374 . Die Weisungen müßten aber auch einstimmig erfolgen, weil jeder Abgordnete nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Vertreter des ganzen Volkes ist. Einstimmige Beschlüsse des Volkes würden die Vertretung erübrigen. Weil das unrealistisch ist, hat das Grundgesetz die Vertretungsverfassung, oder, wenn man so will, die Repräsentativverfassung vorgesehen. Oben ist die Überlegenheit derart repräsentativer Erkenntnisund Entscheidungsverfahren über unmittelbar-demokratische Sachplebiszite unter dem republikanischen, also freiheitlichen Aspekt dargelegt 375 . Die Unabhängigkeit der Vertreter des ganzen Volkes von Aufträgen und Weisungen folgt der Logik der Vertretung des ganzen Volkes und rechtfertigt

372 Vgl. dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 788 ff.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff.; vgl. i.d.S. schon H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 27; C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 28; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 85 f.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 114 ff.; ders., VVDStRL 7 (1932), S. 164 f.; ganz so in der Sache K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff.; weitere Hinweise in Fn. 468, 469, 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 f. 373 So schon G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 74 f. 374 Vgl. die Parallele in Art. 97 Abs. 1 GG, wonach die Richter, die das Recht zu erkennen haben, unabhängig sind, dazu K.A. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 95 ff., 100 ff., 123 f.; auf diese Parallele weist auch N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, S. 12, hin; zur richterlichen Unabhängigkeit Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 158 ff.; KA. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 791 f.; G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 827 ff.; dazu auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 669 ff., 810 ff.; 9. Teil, 2. und 9. Kap., S. 874 ff., 1002 ff.; zur Erkenntnis 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 657 ff.; 2. Teil, 7. Kap., S. 125. 375 Dazu 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 644 ff., 703 ff.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

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es nicht, diese besondere Vertretung zu irgendeiner Art herrschaftlicher Repräsentation umzudeuten 376 . Schon gar nicht darf diese für die Vertretung des ganzen Volkes in der Erkenntnis der richtigen Gesetze unverzichtbare Unabhängigkeit 377 zur Abhängigkeit der Abgeordneten führen, insbesondere nicht zu einer solchen von Parteiführern 378 . Der repräsentative Vertreter ist so unabhängig wie jeder repräsentierte autonome Bürger. Die einheitliche Willensautonomie aller Bürger ermöglicht gerade die Repräsentation der Bürgerlichkeit aller Bürger 379 . Weisungen von Teilen des Volkes an einzelne Abgeordnete, etwa Weisungen der Wahlkreise oder der Parteien an "ihre" Abgeordneten, das imperative Mandat also, behindert die Erkenntnis des Richtigen in Vertretung des ganzen Volkes, die eigentliche Aufgabe des Parlaments, und verletzt darum die allgemeine Freiheit. Die Abgeordneten können das ganze Volk vertreten, obwohl sie in Wahlkreisen oder nach Landeslisten in Ländern, also jeweils nur von Teilen des Volkes, gewählt wurden, gerade weil sie die allen gleiche Erkenntnisaufgabe haben 380 . Ein imperatives Mandat von Teilen des Volkes würde nicht nur zu diesem, wesentlich William Blackstone und Abbé Sieyès zu dankenden, Prinzip der sogenannten Nationalrepräsentation 381 im Widerspruch stehen, sondern wäre auch nicht praktizierbar. Christoph Müller hat das 1965 dargelegt 382 .

376 H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 119 ff., begreift zwar die Vertretung des ganzen Volkes richtig als Vertretung, aber dennoch als Herrschaft (S. 118 f.), wohl weil er Vertretung als Identität der Abgeordneten mit dem Volk mißversteht; vgl. auch kritisch zum Begriff der Repräsentation (ein " Kampfbegriff') ders., VVDStRL 33 (1975), S. 73 ff. 377 G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 72; C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 99 u.ö. 378 Dazu 8. Teil, 4. und 5. Kap., S. 741 ff., 754 ff., 798 ff., 810 ff.; 10. Teil, 3. und 4. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff. 379 Dazu S. 718 ff., 724 ff., 728 ff., 730 ff.; auch 8. Teil, 2. Kap., S. 688 f.; 2. Teil, 6., 9. und 11. Kap., S. 123, 142 ff., 153 ff. 380

Zu diesem Problem schon Sieyès; vgl. A. Podlech, Repräsentation, S. 524 f.; H. Hofmann, Repräsentation, S. 406 ff. 381 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 649, 657; zu C. Schmitts Repräsentationslehre 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; W. Blackstone, Commentaries on the laws of England, 1765, Book I, Chap. II (Ausgabe 1925), S. 159: "Every member, though chosen by one particular district, when elected and returned, serves for the whole realm. For the end of his coming thither is not particular, but general."; zitiert von K. Stern, Staatsrecht I, S. 963; vgl. G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 55; zur Repräsentationsverfassung der Französischen Revolution H. Hofmann, Repräsentation, S. 406 ff.; vgl. auch die Revolutionsverfassung von 1791, Sektion III Art. 7 (vgl. G. Leibholz a.a.O., S. 56).

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

712

Das Grundgesetz hat, dem republikanischen Prinzip gemäß, unmißverständl i c h gegen j e d e A r t v o n i m p e r a t i v e m M a n d a t entschieden ( A r t . 38 A b s . 1 S. 2 G G ) . A l l e A n g r i f f e auf das freie M a n d a t , insbesondere dessen Verhöhn u n g als realitätsfern, u m das praktizierte imperative M a n d a t des Parteienstaates als "parteigebunden", "rahmengebunden" o.ä. etablieren zu können, scheitern an diesem B o l l w e r k der F r e i h e i t 3 8 3 . Gerhard

Leibholz

hat i m m e r

akzeptiert, daß der Parteienstaat an A r t . 38 Abs. 1 S. 2 G G seine Grenze finden

m ü s s e 3 8 4 , aber nicht eingesehen, daß das freie M a n d a t i n jeder

Weise gefördert

werden muß, w e n n die Freiheit, die das Grundgesetz

verfaßt, nicht i n die Herrschaft der Parteiführer verwandelt werden soll. Es genügt

nicht,

äußerste

Grenzen

zu

wahren,

sondern

die

Ethik

des

Grundgesetzes gebietet, Herrschaft i n jeder Erscheinungsform zu bekämpfen.

382 Das imperative und das freie Mandat, S. 5 ff. einführend, S. 50 ff. empirisch-geschichtlich, S. 210 ff. dogmatisch-schlußfolgernd, insb. S. 212 ff., 234 f.; dazu auch N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, S. 23 ff.; D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 204 ff.; Ρ: Badura, GG, Bonner Komm., Rdn. 65 zu Art. 38; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 250 ff.; Η. Rausch, Repräsentation und Repräsentativ Verfassung, S. 264, hält das Prinzip der Nationalrepräsentation für fiktiv, weil Meinungen repräsentiert würden (?); das Mandat sei wegen der "psychologischen Natur der Repräsentation" frei, das ist wenig überzeugend. 383 Dazu näher 8. Teil, 5. Kap., S. 779 ff., 810 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; insb. H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 14, 26; vgl. dazu CA. Müller, Das imperative und das freie Mandat, S. 28 ff.; i.S.d. Textes sogar G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 224 ff., insb. S. 228 f., 262 f.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 72 ff., 79 f. u.ö.; P. Badura, der ein "parteibezogenes" parlamentarisches Mandat lehrt, sieht im "freien Mandat ... das Bollwerk seiner (sc. des Abgeordneten) Unabhängigkeit", Die Stellung des Abgeordneten, S. 494 u. ff.; vgl. auch ders., Bonner Komm., Rdnr. 65 ff. zu Art. 38; D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 204 ff.; schon G. Radbruch, HbdDStR, Bd. I, S. 292, sprach davon, daß "im Parteienstaat das imperative Mandat zur soziologischen Wirklichkeit" geworden sei; so auch H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 40, 42 f.; F. Morstein Marx, Rechtswirklichkeit und freies Mandat, AöR 50 (1926), S. 439, hat das parteienstaatliche imperative Mandat als "gesunde Rechtsentwicklung" gegen das freie Mandat als "fossiles Requisit aus der verfassungsgeschichtlichen Steinzeit" abgesetzt (Morstein - Marx wird heute noch gerne mit dieser ebenso kräftigen wie wissenschaftsfernen Formulierung zitiert, weil eine Ideologie, die dem Begriff nach der sachlichen Begründung entbehren muß, auf tabuisierende verbale Kraftakte angewiesen ist; Beispiele geben H. Dreier, AöR 113 (1988), S. 465; H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 178; //. Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 93; zu den ideologischen Positionen 1. Teil, 3. Kap., S. 28 f.; 2. Teil, 1. und 6. Kap., S. 71 ff., 106 ff.; 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff.). 384 Das Wesen der Repräsentation, S. 238 f., 271; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 85; ders., Der Strukturwandel der modernen Demokratie, S. 117 u.ö.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

713

Leibholzens Irrtum war das Vertrauen in die innere Demokratie der Parteien 385 , die es nicht gibt 3 8 6 , aber geben könnte und geben soll (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG). Eine wirklich parteiinterne Demokratie hat der parteienoligarchische Gesetzgeber bisher nicht erzwungen. Die Gerichte haben sich den Bemühungen um die Verwirklichung des Verfassungsgebots des Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG, mit der die Legitimität und auch Legalität der Parteien steht und fällt, nämlich: "Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen." weitestgehend verweigert 387 . Die materielle parteiinterne Demokratie wäre das Ende der Parteienoligarchie. Sie würde an die Stelle von Herrschaftsbündnissen Gesprächskreise zur Erkenntnis des Richtigen auf der Grundlage der Wahrheit in das politische Leben einbringen. Carl Schmitt hat in seinem "liberalen Parteibegriff" derart "luftige Gebilde" beschrieben, die denn auch in die "Sphäre der öffentlichen Meinung" passen 388 . Nur solche Parteien meint Art. 21 Abs. 1 GG; denn nur deren "innere Ordnung ... entspricht demokratischen Grundsätzen", und nur solche Gesprächskreise fördern den Diskurs 3 8 9 , d.h. "wirken bei der Willensbildung des Volkes mit". Die "festgefügten Parteien" (Carl Schmitt 39°), die § 2 PartG konzipiert, entsprechen nicht dem Grundgesetz 391 . Ihre innere Struktur ist oligarchisch und nicht demokratisch, wenn auch durch parteiinterne Wahlen ein Minimum an

385

Das Wesen der Repräsentation, S. 246 ff.; ders., Der moderne Parteinstaat, S. 91 f. u.ö.; auch darin folgt ihm die Parteienstaatslehre, etwa D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 203, 205, 210. 386 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 792 ff.; 10. Teil, 3., 4., 5. und 9. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff., 1158 ff., 1169 ff. 387 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff., 6. Kap., S. 1131 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 776 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 385; eine rühmliche Ausnahme macht das VerfG Hamburg, NVwZ 1993, 1083 ff., welches bestimmte, die Parteioligarchie der CDU Hamburgs sichernde Satzungsregelungen als "schwere Verstöße gegen die Grundsätze innerparteilicher Demokratie und der Wahlfreiheit" gekennzeichnet hat. 388

Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; dazu 10. Teil, 3., 5. und 8. Kap., S. 1062, 1117, 1158 ff.; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 389 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 325, hält nicht einmal argumentative Diskussion im Parlament für möglich, sein Bruch mit der Idee der Republik und damit der Freiheit; so auch H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 119. 390 Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; den Weg hat den festgefügten Parteien bereits der StGH RGZ 121 Anhang, S. 8, Lammers-Simons I, S. 309 f., geebnet; dazu kritisch C. Schmitt, a.a.O., S. 84 f.; dazu (wenig kritisch) auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 321 ff. 391 Sie waren schon mit der WRV unvereinbar, C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 22 ff., insb. S. 26 ff.; dazu 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff.; insb. 2. Kap., S. 1056 ff.; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.

714

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

formaler Demokratie gewahrt wird 3 9 2 . Die Entscheidungen der Parteien, meist sind es solche der engsten Parteiführung, sind nicht der vom Volk gebildete Wille, so daß die ideologische Identifizierung des Partei- mit dem Volkswillen herhalten muß, wenn man den Verfassungsverstoß nicht zugeben w i l l 3 9 3 . Machiavellisten können an machtlosen Parteien kein Interesse haben. Wissenschaftlicher Bewältigung des Politischen wäre jedenfalls ein imperatives Mandat fremd. M i t dem Begriff freies Mandat ist richtig die Pflicht zur Sittlichkeit als die innere Freiheit des Abgordneten, als Bürger nämlich, der er bleibt, zum Ausdruck gebracht. Die Pflicht zur Sittlichkeit verweist ihn ausschließlich an sein Gewissen und verpflichtet ihn darum moralisch zum allgemeinen Diskurs 394 . III.

Die Vertretung des ganzen Volkes durch das gesamte Vertretungsorgan "Die Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen" (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG). Die Abgeordneten haben somit nur gemeinsam Vertretungsmacht 3 9 5 . Im Parlament vereinigt, organschaftlich verfaßt, vertreten die Abgeordneten nur gemeinschaftlich das Volk, weil ihre Vollmacht keine andere ist, als die zur gemeinschaftlichen, organschaftlichen Vertretung des Volkes 396 . Die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit als das Organ Parlament 3 9 7 sind die Vertretung des ganzen Volkes.

392

Dazu 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 762 ff., vgl. auch 7. Teil, 5. Kap., S. 604 ff.; für die Identifizierungsdogmatik vor allem G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 224; ders., Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 56 ff.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 81 ("In dieser 'sc. "der modernen Demokratie"' haben die Parteien die Tendenz, sich mit dem Volk zu identifizieren; noch pointierter ausgedrückt, sie erheben den Anspruch, das Volk zu sein"), S. 82 f., der sich gar noch auf Rousseau beruft. 393

394 Dazu 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 650 ff., 810 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 10. Teil, 4. und 9. Kap., 1158 ff., 1164 ff., 1169 ff. 395 A. Podlech, Repräsentation, S. 527, weist auf diese Erkenntnis Edmund Burkes hin. 396 So im Erg. H.-P. Schneider, Alt.-Komm. GG, Rdn. 18 zu Art.38 ("Grundsatz der parlamentarischen Repräsentation"); K. Stern, Staatsrecht II, S. 40, 43; P. Badura, Die Stellung der Abgordneten, S. 490, 501; U.K. Preuß, Alt.-Komm. GG, Rdn. 56 zu Art. 21 (allerdings in eine extrem parteienstaatliche Herrschaftsdogmatik eingebettet); H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 93; ders., Die Stellung der Parlamente, S. 119 f.; im Erg. auch H.H. Klein, HStR, Bd. I, S. 369, der den Gesamtvertretungscharakter der Parlamentsbeschlüsse nicht berücksichtigt und es darum ablehnt, den einzelnen Abgeordneten als Stellvertreter nach dem Modell des BGB zu begreifen; vgl. auch BVerfGE 44, 308 (316); 80, 188 (217, 221); bestätigt in BVerfGE 84, 304 (321). 397 Zur inneren Organisation des Staatsorgans Bundestag, H. Steiger, Selbstorganisation und Unterbesetzung, in: H.-P. Schneider/W. Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 763 ff.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

715

"Der Deutsche Bundestag besteht aus den als Vertreter des ganzen Volkes gewählten Abgeordneten, die insgesamt die Volksvertretung bilden." BVerfGE 80, 188 (217) 3 9 8 Kein Abgeordneter allein ist ermächtigt, das Volk zu verpflichten. Er hat lediglich das Mandat, an den Erkenntnissen und Entscheidungen des Bundestages als der Gesamtheit der Bundestagsabgeordneten mitzuwirken. Nur als Mitglied des Parlaments und damit nur nach Maßgabe des Parlamentsrechts 399 ist der Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes. Er ist ein Gesamtvertreter. In diesem Sinne ist das Amt des Abgeordneten die Mitgliedschaft im Parlament als Organwalter des ganzen Volkes 400 . In ihrer verfahrensmäßig geordneten Gesamtheit, als Organ 401 , beschließen die Abgeordneten, etwa als Bundestag nach Art. 77 Abs. 1 S.l GG die Bundesgesetze, i m Namen des Volkes 402 . Die Richter einer Kammer oder eines Senats erkennen als das Gericht im Namen des Volkes das Recht (Art. 92 GG, zweiter Teilsatz). Die gemeinschaftliche/organschaftliche Vertretung des Volkes durch mehrere Organe/Organwalter ist i m Prinzip nicht anders gestaltet als bei der Gesetzgebung durch die Parlamente. "Das Organ ist stets Vertreter" 403 , wie §§ 26 ff. BGB beweisen. "Dabei kommt der Repräsentationsgedanke dann am reinsten zum Ausdruck, wenn die Gewählten auch im Amt nicht Stellvertreter oder Organwalter irgendwelcher einzelner Träger oder Träger-Gruppen (z.B. von Ständen), sondern nur Repräsentanten der Gesamtheit sind. Daß die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes sind, ergibt sich freilich schon daraus, daß sie Organwalter einer Körperschaft und als solche von Amts wegen zur Verfolgung der gemeinsamen Interessen der Träger verpflichtet sind.

398

Bestätigt in BVerfGE 84, 304 (321). Dazu W. Zeh, HStR, Bd. II, S. 425 ff.; so auch H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 348, 351 ("Willensäußerung des Parlaments"); N. Achterberg, Parlamentsrecht, insb. S. 259 ff.; P. Badura, Die Stellung der Abgeordneten, S. 490, 501 ff. 400 K. Stern, Staatsrecht I, S. 1051; ders., Staatsrecht II, S. 40, 43 f.; H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 368; H.-J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 340; P. Badura, Die Stellung der Abgeordneten, S. 490, 495, 507 f.; Art. 39 Abs. 1 WRV sprach richtig von "... Ausübung ihres Amtes als Mitglieder des Reichstages oder eines Landtages ...". 399

401 W. Zeh, Gliederung und Organe des Bundestages, HStR, Bd. II, S. 392; i.d.S. BVerfGE 80, 188 (217 f.); grundsätzlich zur organschaftlichen Vertretung H.-J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 1 ff., 91 ff., 224 ff., 280 ff.; auch H. Pollmann, Repräsentation und Organschaft, 1969, S. 45 ff., der freilich die Repräsentation in einen scharfen Gegensatz zur Stellvertretung stellt, a.a.O., S. 90 ff.; E.-W. Böckenförde, Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, 1978, S. 519 ff. 402 Dazu H.H. Klein, Aufgaben des Bundestages, HStR, Bd. II, S. 341 ff. 403 H.-J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 95 f., 280 ff.

716

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Wenn es aber heißt, sie seien 'nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden', so bedeutet das nicht etwa individualistische Schrankenlosigkeit, sondern begründet ihre repräsentative Stellung und bestätigt die früher dargelegte Eigenständigkeit des Repräsentanten, seine Unabhängigkeit von funktionellen Bindungen durch die eigene Wesensart, um deren Repräsentanz willen der Abgeordnete Organwalter geworden ist." - Hans-Julius Woljf 04 Das Parlament beschließt, erkennt und entscheidet, nicht die Parlamentsmehrheit 405 . Wenn die Parlamentsmehrheit (im Sinne des neuen Dualismus 4 0 6 ) zu entscheiden hätte, bräuchte die Parlamentsminderheit an der Beschlußfassung nicht teilzunehmen. Ein Parlamentsbeschluß ist aber nichtig, wenn nicht alle Mitglieder des Hauses geladen worden sind 4 0 7 . Alle Mitglieder des Parlaments sollen auf die Erkenntnis des richtigen Gesetzes Einfluß nehmen und müssen zumindest Gelegenheit dazu haben, wenn der allgemeine Diskurs um das Gesetz, jedenfalls die öffentliche Diskussion desselben im Parlament, die Richtigkeit des Gesetzes gewährleisten soll 4 0 8 . Die Regierungsmehrheit im Parlament pflegt auf die Argumente der Opposition 409 wenig zu hören, solange diese nicht in dem anderen Gesetzgebungsorgan, dem Bundesrat, die Mehrheit hat. Das gehört zu den ruinösen Fehlentwicklungen des Parlamentarismus im Parteienstaat, ändert aber nichts an der grundgesetzlichen Dogmatik der Volksvertretung. Herrschaftliche Dezision ist mit freiheitlichem Diskurs unvereinbar.

404

Theorie der Vertretung, S. 340 f. K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 164 f.; H.-P. Schneider, AK-GG, Rdn. 18 zu Art. 38 (sonst nicht im Textsinne); auch U.K. Preuß, AK-GG, Rdn. 56 zu Art. 21 GG; i.d.S. auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 955; vgl. auch BVerfGE 44, 308 (316); 56, 396 (405); 80, 188 (217 ff.); 84, 304 (321). 406 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff. mit Fn. 867, 868; auch 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff. 407 Zur Einberufung des Parlaments N. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 596 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 69 ff., 79 ff. 408 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff. (insb. S. 596 ff.); 8. Teil, 1. Kap., S. 648 ff., 662 ff., 668 ff., 810 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 942 ff., 956 ff.; auch 2. Teil, 6. Kap., S. 120 f.; i.d.S. durchaus auch P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten, S. 501 ff., der freilich nicht einem freien Diskurs das Wort redet, sondern dem fraktionierten Parlamentarismus Grenzen setzen will, die aus dem Amt des einzelnen Abgeordneten folgen; dazu W. Zeh, Theorie und Praxis der Parlamentsdebatte, in: H.-P. Schneider/W. Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 917 ff., insb. S. 923 ff., der sich ausgerechnet auf Treitschke beruft; J.Ch. Besch, Rederecht und Redeordnung, daselbst, S. 939 ff.; das lehnt als "Mißdeutung" des Parlaments ab H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 119; ebenso M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 325. 405

409

Zum neuen Dualismus des Parteienstaates, 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff. mit Fn. 867, 868.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

717

Die Mehrheit der Volksvertreter ist weder rechtlich noch moralisch Vertreter der Mehrheit des Volkes im Sinne einer Mehrheitsherrschaft; denn jeder Abgeordnete ist trotz der fraktionellen Gliederung des Parlaments "Vertreter des ganzen Volkes 410 . Hans-Julius Wolff hat, wie schon zitiert 4 1 1 , darauf hingewiesen, daß es bei der Wahl der Repräsentanten nicht auf die Mehrheiten oder Minderheiten ankomme, weil jeder Kandidat eine "repräsentative Persönlichkeit" sei. Weder der einzelne Abgeordnete noch das Parlament können bei den parlamentarischen Willensakten zwischen der Mehrheit und der Minderheit des Volkes unterscheiden. Für eine solche Unterscheidung fehlt es, abgesehen von der empirischen Unmöglichkeit, an der rechtlichen Grundlage. Gäbe es sie, würde sie das Volk spalten. Jedenfalls binden die Beschlüsse des Parlaments das ganze Volk. Die Gesetze werden im Namen des Volkes erlassen und entfalten nur wegen der grundgesetzlichen Vollmacht des Volkes für die Vertreter des ganzen Volkes für das ganze Volk Verbindlichkeit 412 . Wenn die Abgeordneten Vertreter der Parteien in der staatlichen Organisation sind, wie Hans Meyer meint 4 1 3 , so wäre die vertretungsdogmatische Rechtfertigung der Verpflichtung des ganzen Volkes durch die Beschlüsse dieser vermeintlichen Parteivertreter ausgeschlossen. Meyers Lehre, daß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG die Vertreter der Parteien das ganze Volk zu verpflichten erlaube, ist eine Dogmatik der Fremdbestimmung, ja der Unterdrückung des Volkes durch die Parteien, die konsequente Lehre von der Parteienherrschaft. Diese ehrliche Deskription der Verfassungswirklichkeit versäumt es, das Verfassungsrecht zu verteidi-

410 BVerfGE 80, 188 (217 ff.); i.d.S. auch BVerfG 84, 304 (321 ff.); H.-J. Wolff ,Theorie der Vertretung, S. 341; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 164 f.; zum Mehrheitsprinzip 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff.; zum Prinzip der Volksvertretung auch 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff., insb. S. 644 ff., auch S. 675 ff.; abweichend etwa H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 178 mit Hinw. in Fn. 69; H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 93 ff.; auch G. Leibholz, Der moderne Parteienstaat, S. 81, hat aus der Identifizierung der Parteien mit dem Volk geschlossen, daß die CDU nicht die Wähler der SPD und umgekehrt die SPD nicht die Wähler der CDU vertreten können würden; das ist die konsequente Lehre der Mehrheitsherrschaft (dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff.; 6. Teil, 10. Kap., S. 513 ff.; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 648 ff.). 411 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 675 ff.; H.-J. Wolff , Theorie der Vertretung, S. 341. 412 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 648 ff., 655 ff.; darauf reduziert H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 94, die Relevanz des Passus "Vertreter des ganzen Volkes"; E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 18 ff., spricht insoweit von "formaler Repräsentation". 413 VVDStRL 33 (1975), S. 95; anders ders., Die Stellung der Parlamente, S. 120 ff. (Vertretung des Volkes, aber widersprüchlich parteienstaatlich i.S. des neuen Dualismus bis hin zur Spaltung des Volkes in Lager konzipiert, S. 126); gegen die Teilung des Volkes in Lager durch den dualistischen Parteienstaat K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 194, 196.

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

718

gen. Es ist logisch, daß der Bundestag weder nur die Mehrheit noch gar nur die Minderheit des Volkes vertritt 414 . IV.

Der vorgängige Rechtsetzungswille des Volkes und die Erkenntnis der Rechtsmaterie durch die Vertreter des Volkes 1. Vertretung ermöglicht die allgemeine Autonomie des Willens. "Der Vertretene ist dominus negotii." - Werner Flume 415 Die Bürger bleiben, wenn sie sich vertreten lassen, Herren ihrer selbst 416 ; denn sie haben schon in der Verfassung die allseitige, gemeinsame Verbindlichkeit des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit begründet. Dieses Richtige soll, so regelt es die Verfassung, nachdem das Parlament (und die anderen an der Gesetzgebung beteiligten Organe) es erkannt hat 4 1 7 , in Gesetzen beschlossen werden. Das Parlament hat somit wie der législateur Rousseaus 41* lediglich die Aufgabe, das richtige Gesetz zu erkennen. Die Verfassung des Volkes macht verbindlich, was das Parlament als richtig erkennt. Darin liegt die Logik der Lehre Rousseaus von der volonté générale des Volkes, welches immer das Gute wolle, aber dem Irrtum ausgesetzt sei, welcher den législateur empfehlenswert mache 419 . Carl Schmitt hat Rousseaus Begriff der volonté générale nicht anders verstanden: "In der Demokratie stimmt der Bürger auch dem Gesetz zu, das gegen seinen Willen geht; denn das Gesetz ist die volonté générale, und das ist wiederum der Wille der freien Bürger; der Bürger gibt also eigentlich niemals einem konkreten Inhalt seine Zustimmung, sondern in abstracto dem Resultat, dem aus der Abstimmung sich ergebenden Gesamtwillen, μ 420

414 Zum Prinzip der Mehrheitsherrschaft 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff.; gegen den parteienstaatlichen Dualismus insb. als Herrschaftsmethode K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 192 ff., 194, 196; vgl. dazu die Hinweise in Fn. 409. 415 Das Rechtsgeschäft, S. 754. 416 Dazu S. 728 ff., 730 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 688 ff., 655 ff.; auch 2. Teil, 6., 9. und 11. Kap., S. 123 ff., 142 ff., 153 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 530 ff. 417 Zum Kognitivismus der Politik in der Republik 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 590 ff., 560 ff. 418 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 43 ff.; vgl. i.d.S. C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 7 f. 419 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 42, 43 ff.; vgl. das Zitat 8. Teil, 1. Kap., S. 643. 420 Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 34; zu widersprechen ist Schmitts Verdikt mit der "Jakobinerlogik", weil "der Generalwille der wahren Freiheit entspreche, so sei der Überstimmte nicht frei" gewesen, daher könne man "die Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit rechtfertigen und zwar gerade unter Berufung auf die Demokratie"; denn Rousseau hat die Mehrheit entscheiden lassen und Rousseaus Homogenitätsprinzip zielte auf Konsens, im übrigen ergeht das Gesetz nicht "gegen seinen Willen"; denn der Bürger

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

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Das Volk, das sich auf die Verbindlichkeit der Gesetze, die der Gesetzgeber für richtig hält, verständigt, kann nicht wollen, daß der Gesetzgeber sich irrt oder gar seine Gesetzgebungskompetenz, die eine Erkenntniskompetenz ist, mißbraucht. Das in der Verfassung ausgesprochene Vertrauen in die bestmögliche Erkenntnis des Richtigen, in die praktische Vernünftigkeit der Vertreter des ganzen Volkes, trägt diesen Gesetzgebungsstaat (Carl Schmitt) 421, die Republik. Dementsprechend sind die Abgeordneten zur praktischen Vernunft, zur Sittlichkeit also, verpflichtet. Darum sind sie nur ihrem Gewissen unterworfen 422 . Das als richtig Erkannte bedarf, um der Erklärung des nun mehr Verbindlichen willen, des Beschlusses. Auf diesen Akt der Erklärung ist das Parlament i m Parteienstaat meist reduziert 423 . Auch der Richter erkennt, bevor er spricht. Wollte der Richter als Urteil oder Beschluß aussprechen, was er nicht selbst als wahr und richtig, als Recht also, erkannt hat, so wäre das kein Richterspruch, sondern rechtsbeugender Mißbrauch der Kompetenz zur Rechtsprechung. Dementsprechend mißbrauchen die Parteienoligarchien das Parlament zur Gesetzgebung und jeder Abgeordnete läßt sich mißbrauchen, der nicht aus eigener Wissenschaft für oder gegen einen Gesetzesvorschlag stimmt. Martin Kriele hat immer wieder darauf hingewiesen, daß der gesetzgeberische Parlamentarismus aus dem (dialektischen) gerichtlichen Prozeß erwachsen ist 4 2 4 . Der Gesetzesstaat ist die logische Weiterentwicklung des Gerichtsstaates in einem freiheitlichen Gemeinwesen, weil alle Bürger um der Freiheit willen an der Rechtserkenntnis teihäben müssen. Dem Parlamentsbeschluß muß aber die Erkenntnis des Rechts durch jeden Abgeordneten vorangehen, wenn das Parlament eine Institution des Rechts und damit der Freiheit, nicht eine der Herrschaft sein will. I m Namen des Volkes bilden dessen Vertreter in den Organen, den Parlamenten, Ämtern oder Gerichten den verbindlichen Willen des Volkes in

hat seinen Willen auf das Richtige gerichtet, das im Parlament beschlossen werden soll. 421 C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 41 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 76 f.; ders., Verfassungslehre, S. 138 ff., insb. S. 156. 422 Dazu 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 657 ff., 662 ff., 670 ff., 728 ff., 799 ff., 810 ff.; auch 9. Teil, 1. und 2. Kap., S. 819 ff., 858 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 75, 8. Teil, 1. Kap., S. 650, 662. 423

Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 648 ff., 772 ff., insb. 798 ff., 813 ff. Einführung in die Staatslehre, S. 106 f.; schon ders., Theorie der Rechtsgewinnung, S. 60 f., 191 ff. u.ö. 424

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Gesetzen, Verwaltungsakten und Richter Sprüchen. Die Vertreter des Volkes und das vertretene Volk bilden eine Willens-, Erkenntnis- und Entscheidungseinheit, deren Elemente zu unterscheiden sind 4 2 5 . Der Willensbildungsprozeß des Volkes ist gewissermaßen identitär-repräsentativ. Eine Willenserklärung sagt zum einen, was man will, und zum anderen, daß man dies w i l l 4 2 6 . Was gewollt wird, erkennen die Vertreter und entscheiden und erklären es im Namen des Volkes. Die maßgebliche Erkenntnis ist die der Vertreter des ganzen Volkes, die im Erkenntnisprozeß die Bürger in ihrer einheitlichen Identität als Vernunftwesen repräsentieren 427 . Daß dieses gewollt wird, also die Verbindlichkeit dessen, was die Vertreter erkannt, entschieden und erklärt haben, hat das Volk entschieden und in der Verfassung erklärt, nämlich: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." - Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. Das Volk hat darum in der Verfassung seinen jeweiligen Organen Vertretungsmacht gegeben (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) 4 2 8 . Darum lautet Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG wie folgt: "Sie (sc. "die Abgeordneten des Deutschen Bundestages") sind Vertreter des ganzen Volkes ...". Der Inhalt der Vertretungsmacht bestimmt sich nach weiteren Vorschriften des Grundgesetzes, auch nach den Grundrechten als negativen Kompetenzvorschriften 429 . Insbesondere haben die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit als Deutscher Bundestag die als richtig erkannten Gesetze zu beschließen (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG), die dann gemäß Art. 82 GG, wenn sie auch im übrigen "nach den Vorschriften dieses Grundgesezes zustandegekommen

425

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 798 ff.; zur bürgerlichen Identität Hinweise in Fn. 416, S. 718. Zu dieser Unterscheidung 7. Teil, 5. Kap., S. 564 ff.; sie kommt bei Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 39 ff., 43 ff., in der Institution des législateur zum Ausdruck (Rousseau hat richtig zwischen dem Vorschlag eines Gesetzes und der allgemeinen Zustimmung zu diesem Vorschlag unterschieden, a.a.O., S. 45); i.d.S. auch Kant, Über den Gemeinspruch, S. 162; ders., Zum ewigen Frieden, S. 205. 427 Zu dieser Einheit von Identität und Repräsentation S. 724 ff. 428 Organe des Volkes können auch die Organe der Europäischen Gemeinschaft sein, wenn nach Art. 24 Abs. 1 GG "Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen" wurden. Diese Hoheitsrechte sind Kompetenzen der Ausübung der Staatsgewalt in Vertretung des Volkes. Die Gemeinschaftsorgane üben somit deutsche Staatsgewalt i.S.d. Art. 20 Abs. 2 GG aus. Diese Konzeption behält Art. 23 GG bei; zur Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft K.A. Schachtschneider, S. 83 ff.; ders., Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, S. 4 ff.; dersVA. Emmerich-Fritsche/Th.C.W. Beyer, JZ 1993, 754 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 87 ff. 429 Dazu 6. Teil, 5. Kap., S. 476 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 353 ff.; 9. Teil, 1. und 10. Kap., S. 821, 1014 f. 426

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

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sind, ... v o m Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt u n d i m Bundesgesetzblatt verkündet" w e r d e n 4 3 0 . D i e V e r b i n d l i c h k e i t des Gesetzes beruht ausschließlich auf d e m i m Grundgesetz erklärten W i l l e n des Volkes, n i c h t auf d e m W i l l e n der Abgeordneten, also auch n i c h t auf d e m W i l l e n des Parlaments u n d schon gar n i c h t auf d e m W i l l e n einer Partei oder gar d e m einer oder mehrerer Parteiführungen; denn die Gesetze sind autonom. D e r W i l l e ist identitär der jedes Bürgers, der die Verfassung a k z e p t i e r t 4 3 1 , also der, w e n n m a n so w i l l , identitäre W i l l e des V o l k e s 4 3 2 . Dies dogmatisiert die

Geschäftsherrenlehre

430

Savignys

433

.

Diese

Dogmatik

wahrt

mit

der

Zum Prüfungsrecht des Bundespräsidenten vgl. K. Stern, Staatsrecht II, S. 230 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 666 f., S. 249 f.; B.-O. Bryde, Stationen, Entscheidungen und Beteiligte im Gesetzgebungsverfahren, in: H.-P. Schneider/W. Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 878 f.; K. Schiaich, HStR, Bd. II, S. 553, 554 ff.; K.H. Friauf, Zur Prüfungszuständigkeit des Bundespräsidenten bei der Ausfertigung der Bundesgesetze, in: FS K. Carstens, 1984, S. 545 ff.; R. Herzog, Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht, daselbst, S. 604 ff.; gegen das materielle Prüfungsrecht noch E. Friesenhahn, Zum Prüfungsrecht des Bundespräsidenten, in: FS G. Leibholz, Bd. 1, 1966, S. 679 ff. 431 Wer die Verfassung nicht akzeptiert, verletzt seine Pflicht als Mensch, in den bürgerlichen Zustand mit den anderen Menschen zu treten (Kant, Metaphysik der Sitten, S. 366), mit denen er zusammenlebt, und kann von den anderen um der allgemeinen Freiheit und um des Friedens willen unter die Gesetze gezwungen werden, welche die Bürger, d.h. die Menschen, die unter einer gemeinsamen Verfassung zu leben bereit sind, gegeben haben. Die Verfassung wirkt auch für die, welche diese nicht akzeptieren, freilich nicht autonom, sondern heteronom (dazu 5. Teil, 3. Kap., V). Wer sich weigert, Bürger zu sein, kann seinen vom jeweiligen Staatsakt abweichenden Einzelwillen der Verbindlichkeit des Staatsaktes nicht entgegenhalten; denn dieser Einzelwille ist kein staatlicher Wille, der sich nur nach der Verfassung bilden kann, also deren Akzeptanz voraussetzt. Ein solcher Mensch mag Staatsangehöriger sein, aber er stellt sich spezifisch gegen das Volk. Er will seine Bürgerlichkeit aufgeben, was er um seiner Würde willen, seiner Willens autonomie nämlich, nicht darf. Er wird behandelt, als wäre er ein Fremder; er wird beherrscht. Auch in dieser Frage erweist sich, daß die Republik von der Moralität des ganzen Volkes abhängt, der Moralität, welche nicht überprüfbar ist. Das "angeborene Recht" der Freiheit als "Vermögen, andere zu verpflichten" (Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345), erlaubt, jeden, mit dem man in Gemeinschaft lebt, zu zwingen, sich unter eine gemeinsame Verfassung zu stellen (vgl. Kant, a.a.O., S. 366); auch 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 304 ff., 325 ff., insb. S. 332 ff.; 7. Teil, 3. und 4. Kap., S. 545 ff.(insb. S. 551 f.), 560 ff. 432 Der "Wille des Parlaments gilt" nicht "als (hypothetischer) Volkswille", auch nicht "der eigene, freie und unabhängige Willensakt der Repräsentanten"; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 39; H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 342, sondern die beschlossene Erkenntnis des Parlaments ist der Wille des Volkes, nicht nur hypothetisch. Gälte der Wille des Parlaments als der des Volkes, so wäre das in der Tat eine "Entmündigung des Volkes", wie H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 120 f., rügt. 433 Obligationenrecht II, §§ 54 ff., insb. S. 59; vgl. auch, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 3, § 113; dazu H.-J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 148 ff.; W. Flume , Das Rechtsgeschäft, § 43, 2, S. 751 f., der in der Sache Savigny folgt, indem er das Rechtsgeschäft als "eine Regelung des Vertretenen und nicht des Vertreters" begreift, obwohl "der Stellvertreter das Rechtsgeschäft vollzieht, d.h. in seiner Person den Tatbestand des Rechtsgeschäfts 46 Schachtschneider

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Willensautonomie der Bürger deren Würde. So soll es wegen Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG nach dem Grundgesetz sein. Dieses Sollen muß gelebt werden. Jedenfalls läßt sich die Verbindlichkeit der Gesetze freiheitlich anders schwerlich erklären. Dezidiert anders lehrt Klaus Stern: "Die Willensbildung des Repräsentativorgans ist rechtlich unabhängig vom wirklichen oder fiktiven Willen des Volkes; sie wird durch einen eigenen Willensakt geschaffen, der nicht Willensakt der Repräsentierten ist. Er ist nicht nur der eigene, sondern auch der freie und unabhängige Willensakt des Repräsentanten" 434 . Wenn Stern Freiheit innerlich als Sittlichkeit verstünde, wäre der letzte Satz akzeptabel; allerdings müßte der "Willensakt" als Erkenntnisakt begriffen werden. Ein "freier ... Willensakt der Repräsentanten" des Volkes aber ist ein Widerspruch, weil Freiheit nur als allgemeine Freiheit gedacht werden kann, jedenfalls politisch-republikanisch. Der Wille aber, der Gesetze gibt, ist Ausdruck der Freiheit 435 . Folglich muß der Wille allgemein sein. Stern dogmatisiert Herrschaft der Repräsentanten. Eine Parlamentssouveränität hat das Grundgesetz ausweislich Art. 20 Abs. 2 nicht geschaffen, sondern den Gesetzgebungsorganen eine gesetzgeberische Ausübungsfunktion der Staatsgewalt überantwortet 436 . Peter Badura erkennt "im Gedanken der parlamentarischen Repräsentation" keine "rechtliche Beziehung zwischen Wählern und Gewählten oder zwischen Volk und Volksvertretern" mehr, besorgt um "die selbständige Herrschaftsfunktion ... des Parlaments und der parteienstaatlichen Demokratie" 437 .

verwirklicht" (a.a.O., S. 755); Flume differenziert nicht, wie der Text, zwischen dem Willen, der die Verbindlichkeit begründet, und dem Gegenstand der Verbindlichkeit, den der Vertreter im Rahmen der Vertretungsmacht festlegt; der Textposition nahe auch N. Brieskorn, Stellvertretung - zur Rolle einer Rechtsinstitution, S. 296 ff. 434 Staatsrecht II, S. 39, mit Berufung auf F. Stier-Somlo, HbdDStR I, S. 384, und, nicht zu Recht, auf Η. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 238, 981. 435 Dazu 2. Teil, 6. und 10. Kap., S. 106 ff., 149 f.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; zur Gesetzlichkeit als Freiheitlichkeit Hinweise in Fn. 1, 8. Teil, 1. Kap., S. 637. 436 Vgl. zum parlamentarischen Gesetzgebungsstaat 2. Teil, 10. Kap., S. 151 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; auch 9. Teil, 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; zur Gewaltenteilung 1. Teil, 3. Kap., S. 17 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; auch 9. Teil, 2. und 10. Kap., S. 858 ff., 866 ff., 1027 ff. 437 HStR, Bd. I, S. 973 f., auch S. 982; vgl. auch ders., Bonner Komm., Rdn. 33 zu Art. 38; dagegen H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 119 mit Fn. 20.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

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Vertreter und Vertretene sind aber höchst lebendige Personen mit einer innig gelebten Vertretungsbeziehung, wie die alltägliche politische Diskussion und insbesondere jede Wahl beweisen. Auch Badura versucht, die Vertretungslehre aus der Verfassungsdogmatik herauszuhalten, weil Vertretung und Herrschaft sich widersprechen. Das dürfte überhaupt der Grund sein, warum die Vertretung des ganzen Volkes zu einer eigenständigen Art der Repräsentation verfälscht, aber als Vertretung im Sinne der allgemeinen Vertretungslehre so gut wie nicht erörtert wird 4 3 8 . Hans Meyer sagt dazu: "Weiter läßt sich die Tabuisierung des Verfassungstextes nicht treiben". 4 3 9 Rousseaus Lehre bleibt insofern unangefochten: "Die Souveränität kann .... nicht vertreten werden; sie besteht wesentlich im Gemeinwillen, und der Wille kann nicht vertreten werden: er ist derselbe oder ein anderer; ein Mittelding gibt es nicht." ... "Da das Gesetz nur die Beurkundung des Gemeinwillens ist, ist es offenbar, daß das Volk als Legislative nicht vertreten werden kann" 4 4 0 . Es ist bei der Interpretation der Vertretungslehre Rousseaus zu bedenken, daß in seiner Zeit eine autonomiedogmatische Lehre von der Vertretung nicht zur Verfügung stand. Die Rechtslehre bestritt in römisch-rechtlicher Tradition überwiegend die Möglichkeit der Vertretung. Auch der Code civil

438 P. Badura, Bonner Komm., Rdn. 23, 33 zu Art. 38; ders., HStR, Bd. I, S. 972 ff., 982 ff.; ders., Die Stellung der Abgeordneten, S. 434 ff. ("Zurechnungszusammenhang" sibyllinisch); /. v. Münch, GG, Rdn. 57 zu Art. 38; E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 14 ff.; ders., HStR, Bd. II, S. 31 ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 1 f. zu Art. 38; K. Stern, Staatsrecht I, S. 961; ders., Staatsrecht II, S. 37 ff.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 34 ff., auch S. 149 ff.; U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: FS H. Huber, 1961, S. 220 ff., 227; alle im Gefolge C. Schmitts, Verfassungslehre, S. 208 ff., meist ohne das zu erklären; vgl. auch BVerfGE 4, 144 (149 ff.); 44, 125 ff., 44, 308 ff.; auch 80, 188 (217 ff.); 84, 304 (321 ff.); anders und richtig H.-J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 312, 340 ff.; vgl. auch H. Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 45 ff.; H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 119 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241, erkennt die Repräsentation zwar als einen "Sonderfall der Vertretung", aber als "Vergegenwärtigung einer institutionellen Einheit", ein Widerspruch; dazu auch oben 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; zur Repräsentation vgl. die Hinweise in Fn. 51, 8. Teil, I. Kap., S. 646. 439 Die Stellung der Parlamente, S. 122 Fn. 25 (an derartigen Tabuisierungen, etwa des Sittengesetzes, beteiligt sich Meyer selbst eifrig). 440 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 103 f.; dem schließt sich H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 84 f., an.

46*

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

von 1804 kannte die Stellvertretung als solche nicht 4 4 1 . Als Rechtsinstitut ist die Vertretung praktisch unverzichtbar. Sie wirft dogmatische Schwierigkeiten auf, weil die personale Identität nicht durchgehalten werden kann, die Prinzip der Autonomielehre ist. Vertretung ist ohne personale Duplizität nicht denkbar. Darin liegt das Problem der Repräsentation. Rousseau bezieht in sein Verdikt gegen die Vertretung die Erkenntnis des Gesetzes, den Gesetzesbeschluß also, ein, im Gegensatz zu der Institution des Gesetzgebers/législateurs, die er empfiehlt 442 . Dafür spricht ein Hinweis darauf, daß "das englische Volk nur frei während der Wahl der Parlamentsmitglieder" sei, "sobald diese gewählt" seien, sei "es Sklave", sei "es nichts" 4 4 3 . Allerdings wird das englische Parlament als Souverän gesehen 444 . 2. Die Erklärung, die ein Vertreter abgibt, ist der erklärte Wille des Vertretenen, dessen Regelung, um mit Werner Flume zu sprechen 445 . Voraussetzung dafür ist, daß die Erklärung des Vertreters den Rahmen der Vertretungsmacht, den der Vertretene gegeben hat, nicht überschreitet, also den Willen des Vertretenen verwirklicht. Dieser Wille ist autonomiegemäß für den Vertreter verbindlich. Spezifikum der Vertretungsdogmatik ist, daß der Vertreter aufgrund und im Rahmen seiner Vertretungsmacht den Vertretenen binden kann, weil der Vertretene das will. Die Bindung des Volkes hängt somit vom Willen des Volkes, also dem Willen aller Bürger ab, wenn sie auch eine Notwendigkeit des gemeinsamen Lebens in einem Volke und damit Pflicht, nämlich die Pflicht zur gemeinsamen bürgerlich verfaßten Staatlichkeit, ist 4 4 6 . Jede Vertretung hat den identitär-repräsentativen Charakter. Es ist die Logik der Vertretung, daß der Vertretene sich an die Erklärung bindet, die der

441

Dazu H.-J. Wolff, \ Theorie der Vertretung, S. 110 ff., 129 ff.; W. Flume , Das Rechtsgeschäft, § 43, 2, S. 750 f. 442 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 43 ff. 443 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 103. 444 Dazu M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 113 f. 445 W. Flume , Das Rechtsgeschäft, § 43, 2, 3, S. 752 ff., der (a.a.O., S. 755) die "Vertretung im Willen" der "Willenslehre des 19. Jahrhunderts" als einen "Mystizismus" ansieht; das überzeugt, nur handelt es sich bei der vertretungsrechtlichen Autonomielehre nicht um eine solche Vertretung im Willen, sondern um die Erkenntnis und Erklärung des besonderen Richtigen, welches dem Willen des Vertretenen entspricht, weil er im Rahmen der Vertretungsmacht das Richtige allgemein will; anders, aber auch autonomiedogmatisch Κ Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, S. 529 ff. 446 Dazu mit weiteren Hinweisen Fn. 804, S. 721.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

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Vertreter abgeben wird, also an eine Erklärung, die er mehr oder weniger noch nicht kennt, weil deren Gegenstand noch nicht erkannt ist. Was als richtig erkannt werden wird, soll verbindlich sein. Logisch wird der gegenständlich noch offene Bindungswille erklärt, bevor der Gegenstand, die Materie der Verbindlichkeit, geklärt ist. Wenn der Gegenstand der Verbindlichkeit geklärt, das Richtige erkannt ist, bedarf es keines Vertreters mehr, sondern des Boten, der die Entscheidung übermittelt. Die Rechtstechnik der Vertretung ermöglicht dem Vertretenen bei der Auswahl des Vertreters und bei dessen gegenständlicher Bevollmächtigung den größtmöglichen Einfluß auf dessen, den Vertretenen bindende, Willenserklärung. Diesen Einfluß nehmen die Bürger durch ihre Wahl 4 4 7 . Weil die Abgeordneten das ganze Volk vertreten, kommen, wie gesagt, materiale Einflußnahmen des Volkes auf die Beschlüsse des Parlaments nicht in Betracht 448 , abgesehen von denen, die in der Verfassung stehen, die Grundlage der Vollmacht ist, insbesondere die Verpflichtung aller Vertreter des Volkes auf das Gemeinwohl, aber auch die verbindlichen politischen Leitentscheidungen, insbesondere die Grundrechte 449 . V.

Die identitär-repräsentative Dogmatik der bürgerlichen Persönlichkeit im Sittlichen (Allgemeinen, Staatlichen) 1. Rechtstechnisch wird die bürgerliche Identität erst durch die bürgerschaftliche Vertretung möglich. Vertretung leistet als Instrument des Rechts die Identifizierung der Erkenntnisse der Vertreter vom gemeinsamen Bür-

447

Zum personalplebiszitären Charakter der Wahlen Hinweise in Fn. 935, 5. Kap., S. 816; auch 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. 448 P. Badura begreift die "parlamentarische Demokratie ... als egalitäre Selbstregierung des Volkes, ... die Volksvertretung als ein Element der verfassungsrechtlich geordneten Selbstorganisation der Gesellschaft", HStR, Bd. I, S. 974 f.; das mag auch die skizzierte Vertretungslehre decken, ist aber beispielhaft in seiner Unklarheit; denn Badura will in seinen Äußerungen "die demokratisch und parteienstaatlich verwandelte Repräsentation" erfassen, die er als "Herrschaft" (S. 972 ff.) "ohne rechtliche Beziehung zwischen Wählern und Gewählten oder zwischen Volk und Volksvertretung" versteht (S. 973); der Wortlaut des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG wird hinter den Begriffen "parlamentarische Repräsentation" und "parteienstaatliche Demokratie" (S. 972 ff.) versteckt. Badura nennt "Repräsentation ... das politische Prinzip der Anerkennung der Gesetze und sonstigen Entscheidungen, die nach den Regeln der Verfassung von der gewählten Volksvertretung verabschiedet werden" (Staatsrecht, 1986, S. 296; vgl. i.d.S. auch ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 493 ff.). Das hätte Nähe zur hier dargelegten politischen Vertretungslehre (vorausgesetzt, daß die Anerkennung vorgängig ist), wenn die Repräsentationslehre Baduras freiheitlich und nicht herrschaftlich wäre. 449

Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff.; zum formalen Gemeinwohlbegriff Fn. 175, 8. Teil, 1. Kap., S. 668.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

gerlichen mit der Persönlichkeit jedes Bürgers als des notwendig mit allen anderen Bürgern gemeinsam Vertretenen. Bürger machen, wenn sie vernünftig handeln, wie es ihnen das Sittengesetz gebietet, das als richtig Erkannte zum Bestandteil ihrer Persönlichkeit. Was richtig ist, sagt das für alle identische, nämlich allgemeine Gesetz, welches die verbindlichen Erkenntnisse formuliert. Diese Gesetze zu achten, haben sich die Bürger in der Verfassung verpflichtet. Sie mußten sich dazu verpflichten, wenn sie Bürger einer gemeinsamen Republik sein wollen; denn anders können sie nicht frei sein. Art. 2 Abs. 1 GG definiert diese republikanische Freiheit, indem die freie Entfaltung der Persönlichkeit dem Sittengesetz verpflichtet wird. Das ist ausgeführt 4 5 0 . Was kompetenz- und verfahrensgemäß als richtig für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit von den Vertretern des ganzen Volkes erkannt wird, hat jeder Bürger als für ihn verbindlich zu achten versprochen, als wäre es seine eigene Erkenntnis. Er will sein Handeln nach den Maximen bestimmen, welche in dem bestmöglichen Erkenntnis verfahren als richtig für das gemeinsame Leben in der Republik ausgemacht werden. Freie Persönlichkeiten können die Bürger nur sein, wenn die Bürgerschaft insgesamt frei ist 4 5 1 . Bedingung dieser Freiheit, also der Republik, ist die Vertretungsmacht der Vertreter des ganzen Volkes; denn ohne diese Vertretung hat kein Bürger die Möglichkeit, sein Handeln gegenüber den anderen Bürgern so zu bestimmen, daß alle Bürger unabhängig von anderer nötigender Willkür sind. Die bürgerliche Verfassung gibt darum den Vertretern des ganzen Volkes keine weitere Vollmacht, als sie die bürgerliche Existenz aller Bürger erfordert, die bürgerliche Existenz, die nicht allein durch die allgemeine Freiheit, sondern auch durch das allgemeine gute Leben definiert ist 4 5 2 . Repräsentation bringt in der Technik der Vertretung Identität der Persönlichkeit des Vertretenen mit sich selbst hervor. Das gilt auch, wenn ein Vertreter nicht eine, sondern mehrere oder auch viele Personen vertritt. Verträge und Gesetze binden als Handlungsmaximen die Zwecksetzung der

450 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff. (insb. S. 289 ff., 318 ff.), auch 4. Kap., S. 344 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; zur Einheit von innerer und äußerer Freiheit Hinweise in Fn. 176, 8. Teil, 1. Kap., S. 668; zur Formalität der Freiheit Fn. 178, 8. Teil, 1. Kap., S. 668. 451 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 341 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; zur Gleichheit aller in der Freiheit vgl. die Hinweise in Fn. ?, 8. Teil, 1. Kap., S. 646. 452 Dazu 7. Teil, 4. und 6. Kap., S. 573, 646 ff., 625 ff.; 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

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Menschen. Sie sind dadurch Teil der Persönlichkeit 453 . Die persönlichkeitsbildende Wirkung haben Verträge und Gesetze auch, wenn sie von Vertretern im Namen des oder der Vertretenen abgeschlossen bzw. beschlossen werden; denn die Verträge oder Gesetze sind, wie gezeigt, der Wille des Vertragspartners bzw. des Volkes. Für alle, die gebunden sind, gelten übereinstimmende, also einheitliche Maximen. Die allgemeinen Gesetze erzeugen die Handlungs- und Persönlichkeitshomogenität der Bürger, die politische Einheit als Einheitlichkeit der Maximen der Handlungszwecke aller Bürger, die das gemeinsame gute Leben aller in Freiheit und damit den Frieden ermöglichen, die "Staatseinung" (Walter Leisner) 454. In der Verfassung überträgt es damit jeder Bürger den jeweiligen Vertretern des ganzen Volkes, seine Identität oder seine Persönlichkeit insoweit zu definieren, als dies für die politische Einheit der Bürgerschaft, den Frieden aller in allgemeiner Freiheit also, notwendig ist. Die Vertreter des ganzen Volkes sind damit Repräsentanten jedes Bürgers als Bürgers. Das ist die Logik der Hobbesschen Stellvertretungslehre 455 . Nur derartige Repräsentation ermöglicht die republikanische Identität jedes Bürgers und damit die der Bürgerschaft; denn die unmittelbar konsensuale Identitätsbildung aller Bürger hat nach aller Erfahrung keine Realisierungschance 456 . Diese Persönlichkeitshomogenität durch die einheitlichen, die Persönlichkeiten aller Bürger identifizierenden Maximen ist die Bedingung des Gemeinwesens freier Menschen, von Bürgern, die Bedingung der Republik. Nur so kann die res publica res populi sein. Dadurch gewinnt der Satz von Friedrich Naumann: "Der Staat, das sind w i r " 4 5 7 , seinen rechtsdogmatischen Gehalt. Diese, wenn man so will, i m republikanischen Sinne identitäre Repräsentation wahrt die Willensautonomie aller Bürger, weil die Vertreter des ganzen Volkes die gleiche Persönlichkeit entfalten müssen wie alle anderen, um frei zu sein. Sie sind ideale Repräsentanten, weil sie die gleiche Identität gewinnen müssen wie alle Bürger, sofern sie die erforderliche Erkenntnis bestmöglich zu leisten vermögen 458 . Der Begriff Identität wird hier im

453 454 455 456 457 458

Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 298 ff., 333 ff. Staatseinung, insb. S. 22 ff., 31 ff., 36 ff., 80 ff., 160 ff. Leviathan, S. 155, 156 ff.; vgl. das Zitat S. 638 f. Dazu 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 644 ff., 703 ff.; auch 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff. Beleg in Fn. 2, 1. Teil, 1. Kap., S. 1. Dazu die Hinweise in Fn. 416, S. 718; Fn. 146, 8. Teil, 1. Kap., S. 662.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Sinne der Logik verwendet, nicht im Sinne ideologischer Identifizierung, wie ihn vor allem Gerhard Leibholz benutzt hat 4 5 9 . Im Sinne der Ethik gibt es nur eine Identität des Bürgers mit sich selbst. Zu dieser Identität gehören, wie gesagt, die gegebenenfalls gesetzlich bestimmten Handlungsmaximen. Wenn alle Bürger übereinstimmende Handlungsmaximen haben, so sind diese gleich oder einheitlich, nicht aber identisch; denn Maximen sind ihrem Begriff nach subjektiv, d.h. Regeln des einzelnen Menschen 460 . Sie können allgemein sein, wenn sie nämlich die Regeln auch der anderen Menschen sind. Demgegenüber eignet den Gesetzen Identität in ihrer Verbindlichkeit für alle Bürger. Diese Identität wird durch den einheitlichen, allgemeinen Willen der Bürger, die volonté générale, geboren, obwohl der Wille jedes einzelnen Bürgers nicht identisch ist mit dem Willen der anderen Bürger. Es ist dasselbe Gesetz, welches allen Bürgern Vorschriften über ihre subjektiven Maximen bei der Zwecksetzung für ihr Handeln macht, das allgemeine Gesetz nämlich 4 6 1 . Politik in der Republik ist diese allgemeine Gesetzgebung, welche die Einheitlichkeit der Maximen aller Bürger hervorbringt. Politik leistet somit die einheitliche bürgerliche Identität. Politik ist freie Entfaltung der Persönlichkeit, wenn sie republikanisch ist 4 6 2 . 2. Identisch ist auch die Pflicht zur Sittlichkeit aller Bürger, wie Art. 2 Abs. 1 GG beweist. Diese Pflicht gewinnt ihre Verbindlichkeit nämlich nicht aus dem einheitlichen Willen aller Bürger, sondern aus der Logik der Würde des Menschen. Wenn die Würde des Menschen dessen Willensautonomie ist 4 6 3 , ist die Pflicht zur Sittlichkeit unabweisbarer Kern der menschlichen Würde. Es gibt keine andere Freiheit als die allgemeine Pflicht zur Sittlichkeit, welche die Unabhängigkeit von anderer nötigender Willkür voraussetzt, wie Kant nachgewiesen hat 464 . Die Pflicht zur Sitt-

459

Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 737 ff., 763 ff., zur Identitätslehre C. Schmitts, etwa, ders., Der moderne Parteienstaat, S. 81 ff. 460 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 331. 461 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 303 ff., auch 5. Kap., S. 370 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; zum Gesetzgebungsstaat Hinweise in Fn. 436, S. 722. 462 Zum Begriff des Politischen 1. Teil, 3. Kap., S. 40; 2. Teil, 3. Kap., S. 88 f.; 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 749 ff.; auch 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; 2. Teil, 7. Kap., S. 132; 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff. 463 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 668, mit Hinweisen in Fn. 178. 464 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff. (insb. S. 289 ff.); zur Einheit der inneren und äußeren Freiheit Hinweise in Fn. 176, zur Formalität der Freiheit in Fn. 178, 8. Teil, 1. Kap., S. 668.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

729

lichkeit ist die logische Folge der Entscheidung für die gleiche Freiheit aller Bürger 4 6 5 , das Sittengesetz die Logik der freiheitlichen Gemeinwesen. Es ist das Prinzip jeder Republik, völlig unabhängig davon, ob es in ein Gesetz geschrieben ist oder nicht. Freilich ist es als die Freiheit immer in Gefahr, der Herrschsucht, der Habsucht und der Ehrsucht zum Opfer zu fallen. Deswegen ist es auch ständig durch Lehrer des Staatsrechts bedroht, die lieber den Herren dienen, als die Freiheit der Menschen und der Bürger zu verteidigen, insbesondere durch Empiristen, die das Recht mit dem verwechseln, was die Herren davon übriggelassen haben. Die allgemeine Pflicht zur Sittlichkeit ist aus diesem Grunde durch die Verfassung selbst, sei sie geschrieben oder nicht, begründet und damit für alle Bürger identisch, d.h. ihre Geltung hängt nicht vom Willen des einzelnen Bürgers ab. Vielmehr ist jeder Bürger verpflichtet, mit allen anderen Bürgern in ein bürgerlich verfaßtes Gemeinwesen einzutreten 466 . Die Pflicht zur Sittlichkeit ist Ausdruck der Bürgerlichkeit, deren transzendentales Apriori 4 6 7 . Die Pflicht zur Sittlichkeit der Vertreter des ganzen Volkes folgt somit aus dem Sittengesetz, welches für alle Bürger Identität hat. Das gerade ermöglicht die Repräsentation der bürgerlichen Sittlichkeit. Was die Abgordneten als richtig für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit erkennen, kann beanspruchen, als allgemein richtige Erkenntnis zu gelten, weil diese Erkenntnis dem vom identischen Sittengesetz geleiteten homogenen oder einheitlichen Willen zum allgemeinen Gesetz folgt, vorausgesetzt, die Abgeordneten wahren die Moralität, die ihnen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG aufgibt. Die homogene Pflicht zur Sittlichkeit setzt die hinreichende materielle Homogenität der Menschen voraus, weil die Sittlichkeit sonst nicht lebbar ist. Das wird im 11. Teil erörtert 468 . Der Verfassungsstaat des Grundgesetzes hat als ordentlich letzten Hüter der Sittlichkeit und damit der Rechtlichkeit der Gesetze Verfassungsgerichte eingesetzt, deren Rechtserkenntnisse den Gesetzgeber binden 469 .

405 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; zur Gleichheit aller in der Freiheit Hinweise in Fn. 50, 8. Teil, 1. Kap., S. 646. 466

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 366; dazu Hinweise in Fn. 431, S. 721. Dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 259 ff. (insb. S. 273 ff.), 279 ff., 312, 321 ff.; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 467

468

Dazu 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff. Dazu 9. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 909 ff., 932 ff., auch 2. u. 10. Kap., 858 ff. (insb. 866 ff., 885 ff., 895 ff.), 1027 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536. 469

730

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Diese politische Einheit als die Einheitlichkeit der Handlungsmaximen, welche durch die freiheitlichen, also allgemeinen Gesetze ermöglicht werden, ist nicht das Volk als "politische Einheit" im Schmittschen Sinne, welches eine eigene Existenz, geschieden von der Bürgerschaft, hat 4 7 0 . Repräsentiert wird in der Republik nur, was allen Bürgern gleich ist, die Pflicht zur Sittlichkeit nämlich, die durch die Erkenntnis der richtigen Gesetze erfüllt wird. Repräsentiert wird die Bürgerlichkeit der Bürger. Identisch ist nämlich, um es zu wiederholen, allen, außer dem Sittengesetz, das dieses Sittengesetz verwirklichende allgemeine Gesetz oder das Staatliche. Das Besondere, das Private, kann nicht allgemein, also staatlich repräsentiert werden, sondern nur in besonderer Weise durch private Vertreter. Es ist oben ausgeführt, daß der Bürger eine allgemeine und zugleich eine besondere Persönlichkeit ist 4 7 1 . Eine mit allen anderen Bürgern homogene Identität oder Persönlichkeit hat der Bürger nur soweit zu entfalten, als es für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit erforderlich ist. Die Ethik ist keine Lehre von der Nivellierung der Vielfalt der Menschen; sie ist keine politische Lehre eines menschlichen Ameisenhaufens. Der Abgeordnete selbst wird wie jeder andere Bürger durch das Gesetz, an dessen verbindlicher Erkenntnis er als Vertreter des ganzen Volkes repräsentativen Anteil hat, verpflichtet, weil der Beschluß des Parlaments den Willen des ganzen Volkes zum Ausdruck bringt, nicht etwa, weil er selbst das Gesetz für richtig erkannt hat. Er wird durch das Gesetz auch verbunden, wenn er gegen das Gesetz gestimmt hat. Verbindlich wird der Beschluß des Vertretungsorgans; denn wegen der Gesamtvertretung durch das Parlament wird auch der einzelne Abgeordnete als ein Bürger vertreten. VI.

Repräsentation als Herrschaft und die antiaufklärerische Sehnsucht nach einer Legitimation von Herrschaft 1. Republikanische Identität ist die Bürgerlichkeit der Bürger, also deren Willensautonomie. Diese Identität verbietet jede Herrschaft von Menschen über Menschen und erzwingt damit die allgemeine Gesetzlichkeit aus dem allgemeinen Willen der Bürger, der, wie gezeigt, nur durch die Vertretung des ganzen Volkes konkretisiert werden kann. Republikanische Repräsentation kann somit keine Herrschaft konstituieren, sondern ermöglicht die Entfaltung der bürgerlichen Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft ohne Identitätsverlust. Als Vertretung des ganzen Volkes ist Repräsentation 470 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. VII, S. 159 ff., bleibt unklar, scheint aber den Schmittschen Volksbegriff zu präferieren. 471 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff., insb. S. 218 ff.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

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freie Entfaltung der Persönlichkeit von Bürgern, also Verwirklichung von Freiheit i m sittlichen Gemeinwesen, wie es das Grundgesetz vor allem durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 verfaßt. Die Vertetung des ganzen Volkes ist insbesondere keine "Herrschaft für das Volk" 4 7 2 . Die Vertreter des ganzen Volkes werden nicht zu Herren des Volkes, wenn sich viele von ihnen auch als dessen Herren gerieren und als solche akzeptiert werden. Die Rechtslehre hat sich durch den Soziologen Max Weber in die Irre führen lassen, der geschrieben hat: "Ein Repräsentant ist der 'von den Wählern gekorene Herr derselben, nicht: ihr Diener'": 473 Vor allem Carl Schmitt und Gerhard Leibholz sind Max Weber gefolgt und haben daraus konsequent einen Gegensatz der Repräsentation und der Vertretung hergeleitet 474 . "So wie jeder, vor allem aber der unmittelbar tätige und dezidierende Repräsentant innerhalb seines konkreten Zuständigkeitsbereiches im eigentlichen Sinne des Wortes 'Herr' ist, so ist jede Repräsentation personeller Einheiten, vor allem die einer Gemeinschaft ... 'Herrschaft' und jedes Wirken der zur Repräsentation einer Gemeinschaft Berufenen ... Herrschaftsausübung." - Gerhard Leibholz 415 In seiner soziologischen Analyse der sozialen Repräsentation hat HansJulius Wolff eine Herrschaftlichkeit der Repräsentation nicht ausgewiesen 476 . Legitime Herrschaft mag repräsentiert werden können und müssen. Jürgen Habermas hat das beschrieben 477 . Eine "Herrschaft für das Volk", eine 472 So aber J. Isensee, JZ 1981, 3; ders., HStR, Bd. I, S. 640 f.; ders., Republik, Staatslexikon, Sp. 885; i.d.S. auch G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 64, 73, 140 ff. u.ö.; als Herrschaftsorgan der "parteienstaatlichen Demokratie" begreift P. Badura, HStR, Bd. I, S. 972 ff., die "parlamentarische Repräsentation"; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 39, der die Demokratie als "eine Form politischer Herrschaft", "eine Form der Herrschaftsorganisation" versteht, formuliert: "im Namen des Volkes für das Volk"; ders., Demokratie und Repräsentation, S. 20 ("Herrschaft auf das Volk hin"). 473

Wirtschaft und Gesellschaft, S. 172; so auch Weber folgend J.H. Kaiser, Die Dialektik der Repräsentation, S. 75 f. 474 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 208 ff., der sich gern auf Max Weber stützt, ohne diesen zu zitieren; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 34, 140, auch S. 64, 73 (dort Berufung auf Max Weber); vgl. auch H.-J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 16 ff.; H. Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 87 ff., 234 ff.; dazu näher 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 763 ff. 475 Das Wesen der Repräsentation, S. 140. 476 Theorie der Vertretung, S. 16 ff.; Wolffs Buch enthält nicht einmal das Stichwort Herrschaft, weil diese mit Vertretung nichts zu tun hat.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

"Herrschaft auf das Volk hin", eine "Regierung des Wohlwollens gegen das Volk" ist paternalistisch und damit der bürgerlichen Freiheit zuwider, ja nach Kant der "größte denkbare Despotism" 478 . Jeder vormundschaftliche Staat beweist das. Eine Herrschaftslehre läßt sich mit dem Vertretungsprinzip schlechterdings nicht begründen, wenn auch Hobbes das versucht hat, der den "Stellvertreter des Staates" als "Oberherrn" bezeichnet hat 4 7 9 . Er hat dadurch selbst seine richtige Vertretungslehre zu einer republikwidrigen Herrschaftslehre verzerrt. Herrschaft des Vertreters ist ein Widerspruch, weil der Vertretene Herr seiner selbst bleibt. Darum kennt die Republik Vertretung, aber keine Herrschaft. Repräsentanten lassen sich als Politiker, distanziert von den Bürgern, zu Herren stilisieren 480 . Auch insoweit ist Repräsentation ein säkularisierter Begriff der Theologie 481 . Die Inkarnation des Repräsentanten ist der Papst, der Stellvertreter Gottes auf Erden 482 . Er verwaltet die Herrschaft Gottes und ist dadurch ein Herr. Wenn der Repräsentant Vertreter der Bürger wird, läßt sich seine Herrschaft nur noch empiristisch beschreiben und als Notwendigkeit ideologisieren. Weil das nicht überzeugt, scheitert ein solcher Legitimationsversuch. 2. Die Lehre Carl Schmitts, welche eine bürgerschaftliche Legitimation der Repräsentation gar nicht erst versucht, sondern einen anderen Irrationalismus an die Stelle Gottes setzt, nämlich das "Volk als politische Einheit" 4 8 3 , hat gerade damit die Staatsrechtslehre in seinen Bann gezogen,

477 Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 17 ff.; vgl. auch H. Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 51 ff.; i.d.S. auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 208 ff.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 140 ff. u.ö.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 98. 478 Über den Gemeinspruch, S. 145 f.; dazu G. Leibholz, Der moderne Parteienstaat, S. 92. 479 Leviathan, S. 156 ff. 480 Vgl. die Hinweise in Fn. 105, 106, 107. 481 Dazu H. Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 39 f.; zu diesem Aspekt C Schmitt, Politische Theologie, S. 49; vgl. auch ders., Römischer Katholizismus und politische Form, 2. Aufl. 1925/1984, S. 14, 49 ff. 482 Vgl. G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 145, Fn. 3, zum "Kampf um die Repräsentation der Kirche zwischen Papst und Konzil"; dazu H. Hofmann, Repräsentation, S. 248 ff. zur Repräsentation Gottes; dazu M. Werner, Die Entstehung des christlichen Dogmas, 2. Aufl. 1953, S. 651 ff., insb. zur Lehre des Ignatius von Antiochien, die den Bischof als "in jeder Hinsicht Stellvertreter Gottes und Christi" aus dem Martyrium heraus dogmatisiert; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241, sieht den Papst als Repräsentanten der Kirche. 483 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff.

3. Kap.: Die Dogmatik der organschaftlichen Vertretung des ganzen Volkes

733

welche sich nach einer Legitimation der Herrschaft sehnt, die in der Republik verlorengegangen ist. "Jede Herrschaft strebt nach Legitimation, d.h. technisch juristisch gesehen danach, sich dem Grunde nach als zu Recht bestehend zu erweisen." - Gerhard Leibholz m Freiheit bedarf keiner Legitimation; denn sie ist die Natur des Menschen (als transzendentales Apriori) 4 8 5 . Freiheit legitimiert aber auch keine Herrschaft. Herrschaft wird in der Republik zum nicht legitimierbaren Unrecht 486 . Wer das Unrecht der Herrschaft begrifflich zu rechtfertigen vermag, darf der Gefolgschaft herrschaftsorientierter Staatsrechtslehre sicher sein 487 . In der Not der Herrschaftswissenschaft, welche ihr die republikanischen Begriffe bereiten, hat Carl Schmitt begriffliche Rettungsanker geworfen, welche auch ohne Monarchen die Herrschaft von Menschen über Menschen festzumachen erlauben. Dafür haben diesem überzeugenden Staatslehrer alle die Dankbarkeit erwiesen, die sich ein herrschaftsfreies Gemeinwesen nicht denken wollen oder auch nur können, die, aktiv und vor allem passiv autoritär geprägt, kognitiv nicht aushalten können, was sie emotional nicht zu erfassen vermögen 488 . Das Bedürfnis, sich einem Herrn unterzuordnen, das hündische Verhalten also, ist mit der tierischen Natur des Menschen verbunden und allenfalls durch eine menschheitswidrige genetische Manipulation änderbar. Gerade darum ist Kants aufklärerischer Imperativ: Sapere aude! 489 eine für viele, wenn nicht für die meisten Menschen kaum erträgliche Zumutung. Sie ist die Zumutung der Freiheit, die das Grundgesetz zum Leitprinzip des Gemeinwesens erklärt hat, die Würde des Menschen. Niemals wird ein Volk nur aus freien Menschen, aus Bürgern, bestehen. Immer aber ist der Kampf gegen die Herrschaft sittliche Pflicht. Das Recht geht dem Sein voraus; denn

484 Das Wesen der Repräsentation, S. 140; zur Legitimationsproblematik 1. Teil, 3. Kap., S. 17 f., 38, 66 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 203 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. 485 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu 5. Teil, 1. und 3. Kap., S. 253 ff., 290 f., 332 ff. 486 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., 410 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 487 Dazu KA. Schachtschneider, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Wende, 1991. 488 Zu diesem sozialpsychologischen Aspekt der kognitiven Dissonanz vgl. G. Hartfield/KH. Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, 3. Aufl. 1982, S. 385; Λ. Schmidt-Mummendey, Lexikon der Psychologie, hrsg. v. W. Arnold/H.J. Eysenck/R. Mali, 1. Bd., 1971/1980, Sp. 382 f. 489 Was ist Aufklärung?, S. 53.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

es folgt einer Idee, der Idee der Freiheit aller, der Idee der Würde aller Menschen. Darum darf das Recht nicht dem Sein gebeugt werden. Ohne die Idee der Freiheit büßt das gemeinsame Leben der Menschen seine Würde ein. Wehret den Ideologien, die sich als Realismus ausgeben! M i t dem Idealismus der Freiheit ist auch die Idee des Rechts, die Vision der Gerechtigkeit unter den Menschen, empiristischer Ideologie der Ungleichheit der Menschen geopfert, als wäre die Unterschiedlichkeit der Menschen eine Ungleichheit, welche die Herrschaft der einen über die anderen rechtfertigen könnte. Herrschaft ist immer rechtswidrige Gewalt, mag sie auch durch Gesetze geregelt sein. Die Ethik als die Lehre von der Politik oder der Freiheit darf die Schwächen des homo phainomenon nicht dogmatisieren. Sie muß sich vielmehr an dem homo noumenon, dem Vernunftwesen oder dem Bürger, orientieren. Nur das macht die Kritik an den Herrschaftsverhältnissen und deren jeweilige Überwindung möglich. Die Aufforderung Wilhelm Henkes an die Herren, Gerechtigkeit zu üben 490 , genügt nicht. Vielmehr ist mit Karl Jaspers die stetige Kritik an denen gefordert, die ihr Amt zur Herrschaft mißbrauchen 491 . Diese Kritik wird immer schmerzen. Sie muß auch jeweils vom homo phainomenon ertragen werden. Die heile Welt kann die republikanische Ethik nicht versprechen. Die herrschaftliche Repräsentationslehre ist die Suche nach einer solchen heilen Welt; denn sie möchte die Herrschaft über das Volk legitimieren, damit die Untertanen ihre Obrigkeit lieben können. Die Republik aber ist das Gemeinwesen der Kritik; denn nur Kritik schützt vor Irrtum 4 9 2 . Der Vertreter muß Kritik ertragen, die der Herr als unverschämt zurückweisen darf. "Meine erste These ist also, daß wir vom Alltagsverstand ausgehen und daß das mächtige Instrument des Fortschritts die Kritik ist." - Karl R. Popper 493 "Die Vernunft muß sich in allen ihren Unternehmungen der Kritik unterwerfen, und kann der Freiheit derselben durch kein Verbot Abbruch tun, ohne sich selbst zu schaden und einen ihr nachteiligen Verdacht auf sich zu ziehen. Da ist nun nichts so wichtig, in Ansehung des Nutzens, nichts

490

Recht und Staat, S. 260 ff., 387 ff., 394 ff. Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 147. 492 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; insb. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 630 f.; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 147; KR. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 29 ff., 33 ff., 58 ff. u.ö.; auch C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 9; vgl. insb. zur Popperschen Kritiklehre KA. Schachtschneider, "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 100 ff.; ders., Der Staat 28 (1989), S. 200. 491

493

Objektive Erkenntnis, S. 34.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

735

so heilig, das sich dieser prüfenden und musternden Durchsuchung, die kein Ansehen der Person kennt, entziehen dürfte. Auf dieser Freiheit beruht sogar die Existenz der Vernunft, die kein diktatorisches Ansehen hat, sondern deren Ausspruch jederzeit nichts als die Einstimmung freier Bürger ist, deren jeglicher seine Bedenklichkeiten, ja sogar sein Veto, ohne Zurückhalten muß äußern können." - Kant* 94

4. Kapitel Repräsentation und Identität in den Lehren von Carl Schmitt und Gerhard Leibholz I.

Repräsentation und Identität in der existentialistischen Staatslehre Carl Schmitts Carl Schmitt hat die Repräsentation und die seiner Meinung nach die Demokratie kennzeichnende Identität als die beiden einzigen, prinzipiell entgegengesetzen politischen Formen des Staates herausgestellt und gelehrt, daß es "keinen Staat ohne Repräsentation", aber auch "keinen Staat ohne Strukturelemente des Prinzips der Identität" gebe, daß vielmehr jeder Staat die Strukturelemente Identität und Repräsentation mische 495 . Seither bestimmen diese Begriffe Carl Schmitts die Diskussion der Staatsformen. Ihre republikanische Kritik ist unausweichlich, wenn auch Schmitts Begriffe schon vielfach zurückgewiesen worden sind 496 . Die Schmittschen Begriffe der Repräsentation und der Identität sind von seinem Begriff des "Staates als der politischen Einheit eines Volkes" bestimmt 497 und können und sollen wohl auch nur in dieser Begrifflichkeit ihre Richtigkeit finden. Identität des Volkes ist nur denkbar, wenn das Volk als "Nation, d.h. als politisch 494

Kritik der reinen Vernunft, S. 630 f.; vgl. H. Arendt, Über Kants Politische Philosophie, S. 56 ff. 495 Verfassungslehre, S. 204 ff., 206, 208, 218; zur Identität als Prinzip der Demokratie auch ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 30 ff., 35 ff.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, S. 19 ff., begreift die Identität als Prinzip der absoluten Demokratie, als die er die rousseausche Republik versteht; ähnlich H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 6 f.; kritisch zu C. Schmitts Lehre von der Mischung der politischen Formprinzipien etwa W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 146 ff.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 199 ff., 211 ff., beide m.w.H. 496 Vgl. die kritische Erörterung von W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 121 ff.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 199 ff., jeweils mit Hinweisen; dazu auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 240 ff., 244 ff. 497 Verfassungslehre, S. 3, 91, 205, 213 u.ö.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

geeintes Volk", als "Volk als Ganzes" 498 verstanden wird. Ein solcher Begriff gibt nicht nur der Nation "etwas Existentielles", sondern auch der Repräsentation, die Schmitt nicht als "normativen Vorgang", nicht als "Verfahren" und nicht als "Prozedur", sondern eben als "etwas Existenzielles" vorstellt 499 . Carl Schmitt definiert: "Repräsentieren heißt, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar machen und vergegenwärtigen. Die Dialektik des Begriffs liegt darin, daß das Unsichtbare als abwesend vorausgesetzt und doch gleichzeitig anwesend gemacht wird. Das ist nicht mit irgendwelchen beliebigen Arten des Seins möglich, sondern setzt eine besondere Art Sein voraus. Etwas Totes, etwas Minderwertiges, etwas Wertloses, etwas Niedriges, kann nicht repräsentiert werden. Ihm fehlt die gesteigerte Art Sein, die einer Heraushebung in das öffentliche Sein, einer Existenz, fähig ist. Worte wie Größe, Hoheit, Majestät, Ruhm, Würde und Ehre suchen diese Besonderheit gesteigerten und repräsentationsfähigen Seins zu treffen. Was nur Privatsache oder nur privaten Interessen dient, kann wohl vertreten werden; es kann seine Agenten, Anwälte und Exponenten finden, aber es wird nicht in einem spezifischen Sinne repräsentiert. Es ist entweder real gegenwärtig oder es wird durch einen abhängigen Beauftragten, Geschäftsträger oder Bevollmächtigten wahrgenommen. In der Repräsentation dagegen kommt eine höhere Art des Seins zur konkreten Erscheinung. Die Idee der Repräsentation beruht darauf, daß ein als politische Einheit existierendes Volk gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat. Wenn der Sinn für diese Besonderheit der politischen Existenz entfällt und die Menschen andere Arten ihres Daseins vorziehen, entfällt auch das Verständnis für einen Begriff wie Repräsentation." - Carl Schmitt 500 Vor allem Gerhard Leibholz folgt weitgehend der Begrifflichkeit Carl Schmitts. 501

498

C. Schmitt,Verfassungslehre, S. 213, 217 u.ö. Verfassungslehre, S. 209. 500 Verfassungslehre, S. 209 f.; kritisch zu diesem vielzitierten Begriff (Hinweise in Fn. 42, 1. Kap., S. 644) W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 139 ff.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 203 ff. 501 Das Wesen der Repräsentation, S. 25 ff.; auch H.-J. Wolff, 1 Theorie der Vertretung, S. 16 ff., für die "soziale Repräsentation", aber kritisch gegenüber der Auffassung von C. Schmitt und G. Leibholz, daß nur "eine höhere Art Sein" repräsentierbar sei; ähnlich auch H. Triepel, Die Hegemonie, Ein Buch von führenden Staaten, 2. Aufl. 1943, S. 66 ff.; ders., Delegation und 499

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

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"Dem Begriff der Repräsentation ist die Duplizität der personellen Existenz immanent." - Gerhard Leibholz 502 Repräsentiert werde die "politische Einheit des Volkes - nicht das Volk in seinem natürlichen Vorhandensein" (Carl Schmitt) 503. Die Repräsentation gehe "stets der Idee nach vom Volk als Einheit und nicht als Vielheit aus." Gerhard Leibholz m Eine solche Repräsentation kann nicht als Vertretung begriffen werden 505 . Derartige Repräsentation ist in der Republik genausowenig denkbar wie derartige Identität; denn in der Republik ist gerade im Gegensatz zum Volksbegriff Carl Schmitts und auch Gerhard Leibholzens das Volk "eine Menge von Menschen" im "bürgerlichen Zustand"(ATani) 506 Wenn man wie Carl Schmitt die "Demokratie (als Staatsform wie als Regierungs- oder Gesetzgebungsform) als Identität von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden", versteht 507 , kann es Demokratie "als eine Herrschaft des Volkes über sich selber" 508 nur geben, wenn ein demokratistischer Volksbegriff zugrunde

Mandat, 1942, S. 129; für die gegenwärtige Staatsrechtslehre vor allem Κ Stern, Staatsrecht I, S. 962 u.ö.; ders., Staatsrecht II, S. 37 ff.; E. Forsthoff, Zur heutigen Situation der Verfassungslehre, S. 196 ff.; vgl. auch U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: FS H. Huber, 1951, S. 222 ff., 227; sogar M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241 ("Vergegenwärtigung einer institutionellen Einheit"); kritisch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 235 f.; nicht unkritisch P. Badura, Bonner Komm., GG, Rdnr. 25 ff. zu Art. 38. 502

Das Wesen der Repräsentation, S. 28. Verfassungslehre, S. 212; kritisch dazu W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 97 f., 130 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 176 f.; auch W Henke, Recht und Staat, S. 372; V. Hartmann, Repräsentation, S. 203 ff. 504 Das Wesen der Repräsentation, S. 142, 167, 183; kritisch W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 99 f.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 262 ff., der dies und den ideologischen Charakter der "Wesensschau" der "Schmittnahen" Lehre von G. Leibholz richtig kritisiert ("das konkrete Volk, durch ein ideelles entmachtet, ...", S. 273); die Gegenüberstellung des "Volkes als Einheit" und des "Volkes als Vielheit" geht auf H. Heller zurück, Die Souveränität, 1927, S. 75. 505 Konsequent C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 213 f.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 34 ff. u.ö.; unentschieden M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241; dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff., auch 1. Kap., S. 647 ff. 506 Metaphysik der Sitten, S. 429; zum Volksbegriff auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., 35 ff.; 8. Teil, 1. und 4. Kap., S. 651 ff., 763 ff.; zum Begriff des Volkes als Bürgerschaft 1. Teil, 3. Kap., S. 17, 34 f.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 8. Teil, 1. und 4. Kap., S. 650, 741 f. 507 Verfassungslehre, S. 234. 503

47 Schachtschneider

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8. Teil: Die renuMiVamcrViA XL·****—

gelegt wird. Begreift man das Volk republikanisch als Bürgerschaft, so ist eine Verfassung der Herrschaft denkwidrig. Bürger lassen sich nicht beherrschen, sondern sind frei 5 0 9 . Das Demokratische sieht Carl Schmitt in der "substantiellen Gleichheit", in der "Homogenität", in der "demokratischen Gleichheit", welche es ausschlösse, daß "Herrschaft oder Regierung auf einer Ungleichheit beruhe", auf "einer Überlegenheit der Herrschenden oder Regierenden", darauf, "daß die Regierenden etwas qualitativ Besseres seien als die Regierten. ... Dadurch, daß einer herrscht oder regiert, darf er nicht aus der allgemeinen Identität oder Homogenität des Volkes heraustreteten. ... Die Macht oder Autorität derer, die herrschen oder regieren", dürfe "nicht auf irgendwelchen höheren, dem Volk unzugänglichen Qualitäten beruhen, sondern nur auf dem Willen, dem Auftrag und dem Vertrauen derer, die beherrscht oder regiert werden, und die sich auf diese Weise in Wahrheit selbst regieren" würden. Dabei soll das Wort "Identität" die "Regierenden wie Regierte einschließende Identität des homogenen Volkes bezeichnen und die in anderen Staatsformen bestehende Verschiedenheit zwischen Regierenden und Regierten verneinen. M i t dem Wort 'Identität' ist das Existentielle der politischen Einheit des Volkes bezeichnet zum Unterschied von irgendwelchen normativen, schematischen oder fiktiven Gleichheiten. Demokratie setzt im Ganzen und in jeder Einzelheit ihrer politischen Existenz ein in sich gleichartiges Volk voraus, das den Willen zur politischen Existenz hat." - Carl Schmitt Derartige Identität kann nur das Volk als Einheit, nicht die Bürgerschaft als Vielheit haben. Die Identität des Volkes als politischer Einheit führt nicht notwendig zur Demokratie; denn nach Carl Schmitt ist "die Verfassung des Staates, d.h. der politischen Einheit des Volkes ... die besondere Form der Herrschaft, die zu jedem Staat gehöre und von seiner politischen Existenz nicht zu trennen sei, z.B. Monarchie, Aristokratie oder Demokratie oder wie man die Staatsformen einteilen wolle" 5 1 1 . Zum spezifisch Demokratischen des Volkes als politischer Einheit wird bei Carl Schmitt somit die Gleichartigkeit oder Homogenität der Herrscher und

508 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 235; i.d.S. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 244. 509 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. und 11. Kapitel, S. 85 ff., 153 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., 410 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff. 510 Verfassungslehre, S. 235. 511 Verfassungslehre, S. 3, 5.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

739

Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden; denn deren Unterscheidung, auf die trotz aller "Identität" auch Carl Schmitt nicht verzichten kann 5 1 2 , dürfe keine "qualitative Verschiedenheit" ausdrücken oder bewirken 513 . Die "Identität" in der Schmittschen Definition der Demokratie dürfte somit nichts anderes als die "Homogenität", die "substantielle Gleichheit" der "Herrscher und Beherrschten", deren völkische Einheit, sein 514 , während die Identität des Volkes als politischer Einheit einen anderen Gegenstand zu haben scheint, nämlich das "Volk als Ganzes" selbst. Der Begriff "Identität" in der Demokratiedefinition ist somit sprachwidrig, nämlich gegen die Sprache der Logik, der der Begriff der Identität angehört, gebraucht; denn Unterscheidbares ist nicht identisch. Es kann höchstens gleich sein 515 . Die suggestive Vokabel "Identität" hat freilich ihre legitimierende Wirkung 5 1 6 , die ihre Faszination für alle Lehrer der Politik ausmacht, welche das Schmittsche demokratistische Vokabular darin bestärkt, die Herrschaftsideologie zu verteidigen. "Grundsätzlich beruht jede Demokratie, auch die parlamentarische, auf der vorausgesetzten, durchgehenden, unteilbaren Homogenität. ... Es ist der in seiner Tiefe unüberwindliche Gegensatz von liberalem Einzelmensch - Bewußtsein und demokratischer Homogenität."Carl Schmitt 511 Nicht bestreitbar ist, daß ein Grundprinzip der Demokratie die politische Gleichheit ist, welche "qualitative Unterscheidung und Absonderung der regierenden Personen", "Autorität aus besonderem Sein", die Anerkennung von "Eigenschaften einer qualitativ besseren Oberschicht gegenüber einer minderwertigen Unterschicht", verbietet 518 . Die politische Gleichheit ist die logische Konsequenz der politischen Freiheit 5 1 9 , die Carl Schmitt freilich als politisches Prinzip der Demokratie verwirft 5 2 0 .

512

Verfassungslehre, S. 235 ff. Verfassungslehre, S. 235. 514 So auch kritisch H. Hof mann, Legitimität gegen Legalität, S. 147 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 919. 515 Dazu B. Freytag-Löringhoff, Logik, 3. Aufl. 1955, S. 13 ff., 16 ff. 516 Etwa G. Leibholz, Der moderne Parteienstaat, S. 81 ff. u.st.; dazu unten S. 763 ff.; vgl. nicht unkritisch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 919. 513

517 Legalität und Legitimität, S. 43 (auch S. 42 u.ö.); ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 23, auch S. 13; dazu 11. Teil, S. 1177 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 241 ff. 518

47'

I.d.S. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 137; zum Eliteprinzip 8. Teil, 1. Kap., S. 679 ff.

740

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Schmitt intensiviert die Herrschaftslegitimation der Demokratie über die anderer Staatsformen hinaus. Auch die Demokratie ist für Carl Schmitt eine "Form der Herrschaft, die zu jedem Staat gehöre und von seiner politischen Existenz nicht zu trennen" sei, eine "konkrete Art der Über- und Unterordnung, weil es in der sozialen Wirklichkeit keine Ordnung ohne Über- und Unterordnung" gebe 521 . "Staatsgewalt und Regierung gehen in der Demokratie vom Volke aus. Das Problem der Regierung innerhalb der Demokratie liegt darin, daß Regierende und Regierte sich nur innerhalb der gleichbleibenden Gleichartigkeit des Volkes differenzieren dürfen. Denn die Verschiedenheit von Regieren und Regiert wer den, Befehlen und Gehorchen bleibt bestehen, solange überhaupt regiert und befohlen wird, d.h. solange der demokratische Staat als Staat vorhanden ist. Eine Differenzierung von Regierten und Regierenden kann deshalb nicht entfallen. Die Demokratie ist auch hier, als echter politischer Begriff, von der Auflösung solcher Unterscheidungen in ethische Normativitäten oder ökonomisches Funktionieren weit entfernt. Die Verschiedenheit von Regierenden und Regierten kann sogar im Vergleich zu anderen Staatsformen in der Sache ungeheuer verstärkt und gesteigert werden, sofern nur die Personen, die regieren und befehlen, in der substantiellen Gleichartigkeit des Volkes verbleiben. Finden sie die Zustimmung und das Vertrauen des Volkes, zu dem sie gehören, so kann ihre Herrschaft strenger und härter, ihre Regierung entschiedener sein als die irgendeines patriarchalischen Monarchen oder einer vorsichtigen Oligarchie." - Carl Schmitt 522 Die zitierten Sätze sind das Kernstück der Schmittschen Lehre von der herrschaftlichen Demokratie, mit welchen Schmitt die Grundlage für den Erfolg seiner Lehre gelegt haben dürfte; denn sie befriedigen die Sehnsucht nach Herrschaftslegitimation in einer Verfassungsform, welche wegen ihrer Grundsatzentscheidung für die Freiheit jede Art von Herrschaft in Gefahr

519 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; zur Gleichheit aller in der Freiheit Hinweise in Fn. 50, 8. Teil, 1. Kap., S. 646. 520 Verfassungslehre, S. 224 f. 521 Verfassungslehre, S. 4 f.; zur Herrschaftsideologie der Staatsrechtslehre Hinweise in Fn. 4, 2. Teil, 1. Kap., S. 72. 522 Verfassungslehre, S. 236.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

741

bringt 5 2 3 . M i t diesen Sätzen hat der Katholik und Etatist Carl Schmitt 524 vielen die Befürchtung genommen, Demokratie könne republikanische Züge annehmen, also die allgemeine politische Freiheit verwirklichen. Die gegenwärtige deutsche Staatsrechtslehre, welche die liberale von der demokratischen Freiheitsidee unterscheidet 525 , steht in der Tradition Carl Schmitts, weil sie es immer noch erlaubt, Demokratie als Herrschaftsform vorzustellen 5 2 6 . Carl Schmitt reduziert also das demokratische Prinzip auf die Homogenität des Volkes und ermöglicht dadurch, daß aus dem Prinzip der Demokratie keinerlei weitere Konsequenzen gezogen werden. Homogenität hat keine spezifische politische Gestalt. Sie besteht oder besteht nicht. Ein Imperativ der Homogenität kann nach der Lehre Carl Schmitts allenfalls nationalistisch zur "Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen" genutzt werden 527 . Die Differenzierung von Herrschern und Beherrschten usw., verbietet den Ausdruck "Identität" für die Demokratiedefinition. In dieser Verwendung dieses Begriffs ist auch kein Gegensatz von "Identität" zur "Repräsentation" erkennbar 528 . Nachvollziehbar spricht Carl Schmitt von "dem möglichen Höchstmaß von Identität", wenn das Volk "anwesend, wirklich versammelt" sei, weil "nicht repräsentiert werden" könne, was "anwesend" sei 529 . Ein solches "wirklich versammeltes Volk" freilich könne nur "einem Führer" "akklamieren" 530 . Konsequent stuft Carl Schmitt die "geheimen Einzelabstimmungen", also auch die Wahlen, als Zeichen des "liberalen Individualismus" ein, welcher "dem politischen Prinzip der Demokratie" widerspreche; denn dabei "verwandle sich der Staatsbürger, der citoyen, also die spezifisch demokratische, d.h. politische Figur, in einen Privatmann, der aus der Sphäre des Privaten heraus ... eine Privatmeinung äußere und seine Stimme abgebe." 531

523

Zur Unvereinbarkeit von Freiheit und Herrschaft 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; insb. 7. und 11. Kap., S. 124 ff., 153 ff.; auch 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff. 524 Dazu H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, 1989, insb. S. 25 ff., 35 ff. 525 Dazu 6. Teil, 9. Kap., S. 501; auch 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. 526 Dazu die Hinweise in Fn. 108, 2. Teil, 4. Kap., S. 92; Fn. 188, 2. Teil, 6. Kap., S. 106 (Herrschaft der Mehrheit); auch 1. Teil, 3. Kap., S. 40 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 527 Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 14; zum republikanischen Homogenitätsprinzip 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff. 528 I.d.S. auch Η. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 152 ff. 529 Verfassungslehre, S. 243; vgl. auch ders., Legalität und Legitimität, S. 66. 530 Verfassungslehre, S. 243.

742

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

"Die Versammlung des anwesenden Volkes und jede Akklamation ist auf diese Weise unmöglich geworden, die Verbindung von versammeltem Volk und Abstimmung völlig zerrissen. Das Volk wählt und stimmt nicht mehr als Volk. Die Methoden der heutigen Volkswahl und des heutigen Völksentscheids in der modernen Demokratie enthalten keineswegs das Verfahren einer wirklichen Volkswahl und eines wirklichen Volksentscheids, sondern organisieren ein Verfahren der Einzelabstimmung mit Addition der Einzelstimmen." - Carl Schmitt 532 "Ganz elementare Wahrheiten sind dadurch (sc. die "undemokratische" geheime Stimmabgabe) in Vergessenheit geraten und der heutigen Staatslehre anscheinend unbekannt. Volk ist ein Begriff des öffentlichen Rechts, Volk existiert nur in der Sphäre der Publizität. Die einstimmige Meinung von 100 Millionen Privatleuten ist weder der Wille des Volkes, noch öffentliche Meinung. Der Wille des Volkes kann durch Zuruf, durch acclamatio, durch selbstverständliches, unwidersprochenes Dasein ebensogut und noch besser demokratisch geäußert werden als durch den statistischen Apperat, den man seit einem halben Jahrhundert mit einer minutiösen Sorgfalt ausgebildet hat." - Carl Schmitt 533 Die politische Freiheit des wählenden Staatsbürgers, welche durch die Geheimheit der Wahl geschützt wird, vermag Carl Schmitt nicht als bürgerlich zu erkennen. Er sieht "in der modernen Demokratie", in der die "Summe aller Einzelwillen" ermittelt werde, den "Staat und die Öffentlichkeit restlos privatisiert" und erkennt, in der "noch so übereinstimmenden Meinung von Millionen Privatleuten ... keine öffentliche Meinung", "keinen Gemeinwillen, keine volonté générale", aber in den "Methoden der heutigen Völkswahl und des heutigen Volksentscheids" auch keine "wirkliche Volkswahl" und keinen "wirklichen Volksentscheid" 534 . M i t der Geheimheit der Wahl wird der Wähler vereinzelt. Das Volk tritt nicht in seiner Identität in Erscheinung, vielmehr wählt die Bürgerschaft, d.h. jeder einzelne Bürger als citoyen. Die Wahlprozedur, insbesondere die Briefwahl, ist Ausdruck der Selbständigkeit jedes Bürgers, der nicht subjektloses Teil eines Volkes als Ganzem ist, sondern Subjekt der Republik,

531

Verfassungslehre S. 245; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 22. 532 Verfassungslehre, S. 244 f. 533 Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 22, vgl. auch S. 36. 534 Verfassungslehre, S. 245 f.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

743

Politiker in Gemeinschaft mit allen anderen Bürgern. Das Prinzip der Geheimheit der Wahl (Art. 38 Abs 1 S. 1 GG) definiert auch den Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, entgegen Schmitts Begriff vom Volk als Versammlung von Menschen. Schmitts herrschaftliche Demokratielehre ist dem republikanischen Prinzip, welches der Logik der Freiheit jedes Einzelnen folgt, entgegengesetzt. Schmitts Lehre hat Logik, die aber mit einem Volksbegriff, der das Volk als Bürgerschaft begreift, brüchig werden muß. Es ist konsquent, wenn Carl Schmitt schließlich "die Demokratie als Herrschaft der öffentlichen Meinung" bezeichnet, weil "die öffentliche Meinung die moderne Art der Akklamation" sei 535 . I m republikanischen Sinne ist die öffentliche Meinung überhaupt keine Meinung; denn eine Meinung ist die Theorie von der Wirklichkeit oder das Urteil über das Richtige oder das Schöne, die ein einzelner Bürger hat 5 3 6 . Carl Schmitt hält seinen herrschaftlichen Demokratiebegriff, der untrennbar mit seinem Volksbegriff verbunden ist, durch. Alle Facetten der Schmittschen Lehre können hier nicht vorgeführt werden. Für die Kritik dieser Lehre muß es genügen, die republikwidrigen Begriffe des Volkes und der Demokratie nachzuweisen, weil vor allem diese Begriffe noch die gegenwärtige herrschaftsideologische Staatsrechtslehre dominieren 537 . Den Staat definiert Carl Schmitt, wie gesagt, als den "Zustand eines Volkes", nämlich den der "politischen Einheit" 5 3 8 . Weil aber "die politische Einheit des Volkes als solche niemals in realer Identität anwesend sein" könne und "daher immer durch Menschen persönlich repräsentiert werden" müsse 539 , sind Identität und Repräsentation in der Lehre Schmitts nicht nur "zwei entgegengesetze Gestaltungsprinzipien", der "politischen Einheit" 5 4 0 , sondern als die beiden möglichen Formprinzipien des Staates Formen desselben Prinzips, nämlich des Prinzips der Herrschaft; denn eine "beson-

535

Verfassungslehre, S. 246; dem folgt W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 62 f. Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 602 ff., 608 ff.; auch 2. Teil, 11. Kap., S. 156 ff. 537 Dazu die Hinweise in Fn. 108, 2. Teil, 4. Kap., S. 92; Fn. 188, 2. Teil, 6. Kap., S. 106; auch Fn. 85, 2. Teil, 3. Kap., S. 88; Fn. 162, 2. Teil, 5. Kap., S. 100. 536

538 Verfassungslehre, S. 204 ff., 214 ff.; Der Begriff des Politischen, S. 20 ff., 30, 33, 44, 46; dazu kritisch vor allem W. Manti Repräsentation und Identität, S. 128 ff., 146 ff.; H. Hofmann, Legalität gegen Legitimität, S. 101 ff., 131 ff. 539 540

C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 205. Verfassungslehre, S. 214 u.ö.

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

744

dere F o r m der Herrschaft" gehöre "zu j e d e m Staat" u n d sei " v o n seiner politischen Existenz nicht zu t r e n n e n " 5 4 1 . " D i e G l e i c h z e i t i g k e i t v o n Herrschen u n d Beherrschtwerden, v o n Regieren u n d Regiertwerden, bedeutet eine Verbindung der beiden Prinzipien: Repräsentation u n d Identität, ohne welche ein Staat u n m ö g l i c h ist." - Carl Schmitt 542 W e r das V o l k nicht als Bürgerschaft begreift, kann P o l i t i k nur noch als Herrschaft erfassen; denn Freiheit ist b e g r i f f l i c h die Eigenart des M e n s c h e n als Person u n d damit als B ü r g e r 5 4 3 . Herrschaft entfaltet sich freilich auch bei Carl

Schmitt

gegenüber dem einzelnen Menschen, der z u m Untertan

w i r d ; denn Schmitt

kennzeichnet Herrschaft r i c h t i g durch Über- u n d Unter-

ordnung544.

herrschaftsunterworfene

Schmitt

Der

Mensch

findet

sich bei

Carl

nur i n der Lehre v o m "bürgerlichen Rechtsstaat", den er liberali-

stisch k o n z i p i e r t 5 4 5 , Interesse. D e n Staatsbürger behandelt er als politische

541

Verfassungslehre, S. 5 u.ö. Verfassungslehre, S. 216. Schmitt beruft sich darauf, daß Aristoteles "den wahren Staat als eine Verbindung von Herrschen und Beherrschtwerden, von Λρχειν und &ρχεσϋ αι erkannt" habe, ohne die Fundstelle bei Aristoteles zu nennen. Aristoteles hat die beiden Begriffe des öfteren in einem Satz verwandt. Schmitt könnte die Stelle im 6. Buch der Politik, 1317 b 2, gemeint haben. Dort heißt es in der Übersetzung von O. Gigon, S. 203: "Zur Freiheit gehört aber erstens, daß man abwechselnd regiert und regiert wird." Vorher stellt Aristoteles den Grundsatz der Demokratie wie folgt klar: "Grundlage der demokratischen Staatsform ist die Freiheit" (1317 a 39). Schmitt hat die Freiheit als politisches Formprinzip der Demokratie verworfen (Verfassungslehre, S. 224 f.) und beruft sich schon deswegen zu Unrecht auf Aristoteles. Es wird insbesondere der Lehre des Aristoteles von der Politie nicht gerecht, &ρχειν und &ρχεσϋ αι mit Herrschen und Beherrschtwerden zu übersetzen; denn das widerspricht deren Prinzip der Freiheit. Für den Umgang Schmitts mit Klassikern und auch anderen Autoren, die er zum Beleg seiner Lehren herbeizerrt, ist diese Stelle aufschlußreich. Insbesondere geht es Aristoteles nicht um eine irgendwie geartete "Verbindung von Herrschen und Beherrschtwerden", sondern um den Wechsel im Regierungsamt, weil das der Gleichheit in der Freiheit gemäß sei. Von diesem Freiheitsaspekt ist bei Schmitt nichts mehr übrig geblieben. 543 Dazu die Hinweise in Fn. 509, S. 738. 544 Verfassungslehre, S. 4 f.; dazu S. 739; 2. Teil, 2. Kap., S. 79 ff. 545 Verfassungslehre, S. 125 ff., 224; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 167 ff.; auch, ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; tendenziell republikanisch aber in ders., Legalität und Legitimität, S. 60 f. (im Anschluß an M. Hauriou); 1943/44 entdeckt C. Schmitt auch die "Person", Die Lage der europäschen Rechtswissenschaft, in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 422: "Wir können uns die wechselnden Machthaber und Regime nicht nach unserem Geschmack aussuchen, aber wir wahren in der wechselnden Situation die Grundlage eines rationalen Mensch-Seins, das der Prinzipien des Rechts nicht entbehren kann. Zu diesen Prinzipien gehört eine auch im Kampf nicht entfallende, auf gegenseitige Achtung beruhende Anerkennung der Person; Sinn für Logik und Folgerichtigkeit der Begriffe und Institutionen; Sinn für Reziprozität und für das Minimum eines geordneten Verfahrens, einen 542

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

745

Figur vor allem unter verschiedenen Gesichtspunkten der Gleichheit 546 . Aber wenn geherrscht wird, wird auch beherrscht. Der einzelne Mensch hat bei Schmitt nur als Teil des Volkes als "politischer Einheit", also als Gleicher unter Gleichen politische Relevanz, nicht als eigenständige Persönlichkeit; denn er genießt nach Schmitt in der Demokratie keine politische Freiheit 547 . Wie das Volk bei Schmitt nicht die Bürgerschaft ist, so ist der einzelne Mensch bei ihm nicht Bürger. Als Untertanen treten die Menschen als Persönlichkeiten nicht in Erscheinung. Sie haben politisch keine Existenz; denn "politische Einheit" sei nur der Staat. Die liberalistisch verstandenen Freiheiten sollen den Untertanen die Herrschaft in einer "Privatsphäre" erträglich machen. Darauf reduziert Schmitt den "bürgerlichen Rechtsstaat" mit der Konsequenz der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 548 . Schmitt unterscheidet den "spezifisch bürgerlich-rechtsstaatlichen" von dem "spezifisch politischen Bestandteil" des Staates 549 und begreift den "bürgerlich rechtsstaatlichen Bestandteil" als den der "bürgerlichen Freiheit" 5 5 0 . Von der Freiheit als nicht politischem Bestandteil der Verfassung her definiert Schmitt den Rechtsstaat, den er dadurch gegen das Republikprinzip liberalistisch verkürzt 551 . Dem "rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff" 5 5 2 setzt Schmitt den "politischen Gesetzesbegriff" 553 entgegen, der sich als der stärkere erweise 554 . "Gesetz in einer Demokratie ist der Wille des Volkes; lex est quod populus jussit."..."Gesetz ist in einer Demokratie der jeweilige Wille des jeweilig vorhandenen Volkes, das heißt praktisch der Wille der jeweiligen

due process of law, ohne den es kein Recht gibt." 546 Verfassungslehre, S. 253 ff. 547 Verfassungslehre, S. 224 f., vgl. auch S. 259 ff. 548 Verfassungslehre, S. 224 f., auch S. 123 ff.; nicht anders der., Legalität und Legitimität, S. 25 f., 93; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 192, 207 ff.; vgl. auch ders., Der Hüter der Verfassung, S. 78 f., 82; zur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 2. Teil, 3. Kap., S. 88 ff.; 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff., insb. S. 175. 549 Verfassungslehre, S. 125, 224 f.; ebenso ders., Legalität und Legitimität, S. 25 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 141. 550 Verfassungslehre, S. 126 ff.; ebenso ders., Legalität und Legitimität, S. 25 ff.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 192, 207 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 167 ff. 551 Verfassungslehre, S. 129 ff.; auch ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 167 ff. 552 Verfassungslehre, S. 138 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff. 553 Verfassungslehre, S. 146 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 26 ff. 554 Verfassungslehre, S. 150; i.d.S. auch ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff., 26 ff.

746

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Mehrheit der abstimmenden Staatsbürgerschaft; lex est, quod populus jubet." - Carl Schmitt 555 Der Wille dieses politischen Gesetzesbegriffs ist "konkreter Wille und Befehl", "ein Akt der Souveränität" 556 , keinesfalls Erkenntnis des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit im Sinne des republikanischen Gesetzesbegriffs 557 . Die "ratio", die Schmitt von solchem Willen gerade unterscheidet 558 , ist kein Kriterium des politischen Gesetzesbegriffs, der auch nicht auf "Allgemeinheit" ausgerichtet ist, welche gerade den Rechtscharakter des Gesetzes sichern soll 5 5 9 . "Der in Normierungen gipfelnde Gesetzgebungsstaat erscheint wesensgemäß und adäquat 'reiner' in einer Form des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates als in den Formen der unmittelbaren Demokratie, die Äußerungsformen einer voluntas und nicht einer ratio sind, Legitimität und nicht Legalität beanspruchen. Ebenso ist die Folgerichtigkeit eines auf dem Gedanken der Repräsentation aufgebauten Systems eine andere, als die plebiszitär-demokratische Folgerichtigkeit des mit sich selbst identischen, unmittelbar präsenten souveränen Volkes." - Carl Schmitt 560 Das Gesetz als Wille des Volkes als "politischer Einheit", nicht das liberalerechtsstaatliche Gesetz bestimmt jedoch in der Schmittschen Demokratiekonzeption die Grenzen der bürgerlichen Freiheit im liberalistischen Verständnis, das auch C. Schmitt teilt. Sein "Verteilungsprinzip", wonach "die Freiheit des Einzelnen prinzipiell unbegrenzt", während die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt" sei 561 , und alle anderen äußeren Prinzipien des Gesetzesstaates, die auch Schmitt aufzeigt 5 6 2 , werden wertlos, wenn der "rechtsstaatliche" durch den "politischen" Gesetzesbegriff verdrängt wird. 555

Verfassungslehre, S. 146 bzw. ders., Legalität und Legitimität, S. 27. Verfassungslehre, S. 146; nicht anders ders., Legalität und Legitimität, S. 26 ff. 557 Dazu 2. Teil, 10. Kap., S. 147 f.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. (insb. S. 524 ff.), 560 (insb. S. 564 ff.); zum Gesetzgebungsstaat Hinweise in Fn. 436, 8. Teil, 3. Kap., S. 722. 558 Verfassungslehre, S. 142; ders., Legalität und Legitimität, S. 40 ff., 65 f. 559 So C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 138 ff., selbst; i.d.S. auch ders., Legalität und Legitimität, S. 40 ff., 65 ff.; dazu 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 304 ff., 410 ff.; 6. Teil, 8. Kap., 494 ff.; 7. Teil, 1. und 4. Kap., S. 519 ff., 560 ff.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1027 ff. 556

560

Legalität und Legitimität, S. 65 f. (kursiv bei C. Schmitt). Verfassungslehre, S. 126, 158, 164, 166, 175, 181 u.ö.; Grundrechte und Grundpflichten, S. 208 f.; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff.; auch 6. Teil, 6. Kap., S. 478 ff. 562 Verfassungslehre, S. 129 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 7 f., 20 ff., 40 ff., insb. S. 59 f., passim; auch ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff. 561

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

747

"Es g i b t eine republikanische Legalität, u n d das eben ist i n der R e p u b l i k die einzige F o r m der L e g i t i m i t ä t . A l l e s andere ist für den echten Republikaner ein republikfeindlicher Sophismus." - Carl D i e v o n Carl Schmitt

Schmitt 563

selbst genannten Eigenschaften des rechtsstaatlichen

Gesetzes, n ä m l i c h " R i c h t i g k e i t , Vernünftigkeit, G e r e c h t i g k e i t " 5 6 4 , vermag das demokratische Gesetz, das seine L e g i t i m a t i o n i m Mehrheitsp r i n z i p sucht, nicht zu entfalten. D e r liberal verstandene Bürger m u ß sich dem befehlenden W i l l e n des Volkes als politischer E i n h e i t , d.h. den Führern des Volkes fügen, ohne daß das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip es i h m erlaubt, der P o l i t i k Grenzen zu setzen 5 6 5 . Trotz seiner Freiheiten bleibt der M e n s c h nach diesem liberalen Prinzip Untertan. Das ist die L o g i k der Herrschaft. Politisch ist i n der liberalen D e m o k r a t i e Schmitts

das V o l k alles, der einzelne M e n s c h nichts.

Bürger gibt es erst gar nicht. D e r ideologische, fiktive Charakter der Schmittschen, aber auch der Leibholzschen D i c h o t o m i e v o n Identität u n d Repräsentation ist schon oft her-

563 Theorie des Partisanen, 1963, S. 85; zur Frage einer Legitimität der Freiheit 6. Teil, 1. Kap., S. 441 f., eine überflüssige, weil irrige Kategorie; dazu kritisch H. Heller, Staatslehre, S. 221. 564 Verfassungslehre, S. 139; ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff., insb. S. 24, 27 auch S. 68; vgl. auch ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 41 ff.. C. Schmitt gründet diese Eigenschaften auf Identifizierungen, fügt aber eine formale Moralität nicht in seine Lehre vom Gesetzgebungsstaat ein, ein Manko, das dem Gesetzgebungsstaat die Legitimation nimmt, wenn das "Vertrauen auf den Gesetzgeber, auf die Harmonie von Recht und Gesetzesbeschluß aufhört" (Legalität und Legitimität, S. 23, auch S. 47 ff.); dazu V. Hösle, Carl Schmitts Kritik an der Selbstaufhebung einer wertneutralen Verfassung in Legalität und Legitimität, S. 4 ff. 565 Wenn die qualifizierte Mehrheit im Parlament die Verfassung ändern darf und auch die Grundrechte als programmhafte Wertentscheidungen dem Gesetzgeber keine Schranken zu setzten vermögen, weil die organisatorische Verfassung die materiale dominiert, so C. Schmitt, vor allem, Legalität und Legitimität, S. 40 ff.; auch ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 141 ff.; ist der Bürger der Politik des Gesetzgebers gänzlich ausgeliefert, obwohl er mangels politischer Freiheit nicht selbst der Gesetzgeber ist. Unter dem Grundgesetz hat das Bundesverfassungsgericht mittels der Grundrechts] udikatur eine "justizstaatliche" Gesetzgebungsfunktion erlangt, 9. Teil, 2., 3. und 10. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 1027, deren Entscheidungen über die praktische Vernünftigkeit der Gesetze ist nicht Verfassungsgebung (C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 73 ff.), sondern auch den Gesetzgeber bindenden Rechtserkenntnis in praktischer Vernunft (dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. und 10. Kap., S. 858 ff., insb. S. 885, 1027 f.).

748

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

ausgestellt worden 566 . Dennoch wird diese Dichotomie weiter rezipiert. Der Schein ihrer Wissenschaftlichkeit scheint Rationalität sonst nicht legitimierbarer Herrschaft zu suggerieren 567 . "Diese beiden Möglichkeiten, Identität und Repräsentation, schließen sich nicht aus, sondern sind nur zwei entgegengesetzte Orientierungspunkte für die konkrete Gestaltung der politischen Einheit. Das eine oder andere überwiegt in jedem Staate, aber beide gehören zur politischen Existenz eines Volkes." - Carl Schmitt 56* Damit reduziert Schmitt seine angeblich gegensätzlichen Formprinzipien selbst zu Aspekten der Herrschaft, welche allenfalls Phänomene dieser Herrschaft zu analysieren erlauben, aber ohne verfassungsrechtliche Relevanz sind; denn verfassungsrechtliche Begriffe sollten nach Möglichkeit ausschließende Bestimmtheit aufweisen. Identität und Repräsentation haben sich dennoch eine geradezu mythisch legitimierende Begriffskraft bewahrt. Sie haben intensive ideologische Potenz. Das zeigt vor allem die Lehre von Gerhard Leibholz 569. Die Legitimationswirkung des Begriffs Repräsentation scheint der des Begriffs Identität nicht nachzustehen, vermutlich weil beide Begriffe Herrschaft zu ideologisieren erlauben, indem sie das Volk begrifflich von der Bürgerschaft trennen. Beide Begriffe stehen nicht im Grundgesetz. Das erleichtert es, sie zur Grundlage von verfassungsfremden Herrschaftslehren zu benutzen. Schließlich hat sie eine "Koryphäe", nämlich Carl Schmitt ( Wolfgang Manti 57°), zu Grundbegriffen der Verfassungslehre erhoben. Die "politische Einheit des Volkes" versteht Carl Schmitt in existentieller Weise material. Er sieht sie bekanntlich in der Fähigkeit des Volkes, "Freund und Feind zu unterscheiden" 571 .

566 W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 121 ff., 139 ff., (insb. S. 148), 175 ff., 188 ff.; i.d.S. auch J. Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat. Ideologische Komponenten in der politischen Philosophie Carl Schmitts, 1958, S. 174 ff.; H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 153 f.; Ch. Müller, Das imperative und das freie Mandat, S. 44; V. Hartmann, Repräsentation, S. 203 ff., 211 ff., 216 ff., 287 ff.; vgl. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 240 ff., 244 ff. 567

I.d.S. die Kritik von V. Hartmann, Repräsentation, S. 220 ff., 285 f. Verfassungslehre, S. 206, vgl. auch S. 216 f. 569 Dazu S. 763 ff.; auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 228 ff., nutzt diese im Begriff "Identitätsdemokratie" als einem "Ideal". 568

570

Repräsentation und Identität, S. 129.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

749

"Der politische Feind ... ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sein existentiell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteiischen' Dritten entschieden werden können. ... Die Möglichkeit richtigen Erkennens und Verstehens und damit auch der Befugnis mitzusprechen und zu urteilen ist hier nämlich nur durch das existentielle Teilhaben und Teilnehmen gegeben. Den extremen Konflikt können nur die Beteiligten selbst unter sich ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktsfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekämpft wird, um die eigene, seinsmäßige Art von Leben zu bewahren." - Carl Schmitt 512 Repräsentation begreift Schmitt folglich als "Darstellung der politischen Einheit durch die Regierung" 573 . "Nur wer regiert, hat teil an der Repräsentation." - Carl Schmitt 1* Konsequent macht Carl Schmitt seine Repräsentationslehre von dem FreundFeind-Kriterium abhängig, das seinen Hauptbegriff des Politischen 575 und damit seinen Begriff des Staates bestimmt; denn der Staat ist in der Lehre Schmitts, wie gesagt, "die politische Einheit eines Volkes" 576 . "Daß der Staat eine Einheit ist, und zwar die maßgebende Einheit, beruht auf seinem politischen Charakter."... "Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus." - Carl Schmitt 577 Carl Schmitts Begriff des Politischen ist nationalistisch 578 . In republikanischer Sicht ist das Politische das ständige Bemühen aller Bürger, Einigkeit zu finden, Einigkeit über allgemeinverbindliche Maximen des Handelns, welche es ausschließen, daß das Handeln des einen den anderen verletzt,

571

Verfassungslehre, S. 214 u.ö.; ders., Der Begriff des Politischen, S. 20 ff., 26 ff.; scharfe Kritik von H. Heller, Staatslehre, S. 206 f., der Schmitt den "einflussreichen Advokaten des dunklen Faschismus" nennt; dazu auch S. 749, 752, 754, 760. 572 Der Begriff des Politischen, S. 27. 573 Verfassungslehre, S. 214. 574 Verfassungslehre, S. 212. 575 Verfassungslehre, S. 214 ff., passim; ders., Der Begriff des Politischen, S. 26 ff.; dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 681 ff. 576 Verfassungslehre, S. 3 u.ö.; ders., Der Begriff des Politischen, S. 20 ff., 44. 577 Der Begriff des Politischen, S. 20, 44. 57 8 H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 56 ff.

750

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Einigkeit über die allgemeinen Gesetze also. Das Politische in der Republik ist die Erkenntnis der für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit richtigen Gesetze 579 . Republikanisch ist das Politische somit ethisch definiert; denn Ethik ist die Lehre von der Freiheit (Kant) 580 . Die Schmittsche Unterscheidung von Identität und Repräsentation kann wegen seiner mit diesen Begriffen immanenten Lehre vom Politischen nicht die Unterscheidung einer Republik sein; denn Republiken sind auf den Frieden unter den Völkern angelegt und kennen prinzipiell keine Feindschaft. Feindschaft ist kein Prinzip, nach welchem Menschen oder Völker miteinander leben sollten. Dieses Prinzip ist vielmehr das der Liebe 5 8 1 . "Der Sinn des Politischen ... ist, daß Menschen in Freiheit, jenseits von Gewalt, Zwang und Herrschaft, miteinander verfahren, Gleiche mit Gleichen."... "Was also ist Politik? Angewandte Liebe zur Welt!" - Hannah Arendt 2 Eine Republik greift nicht an, aber ist bereit, die Freiheit zu verteidigen. Auch dieses republikanische Prinzip 5 8 3 hat das Grundgesetz durch sein Verbot des Angriffskrieges in Art. 26 aufgenommen und in der Verteidigungsverfassung der Art. 87 a und 115 a ff. vervollständigt. Die Welt ist in Staaten geteilt. Das nationale Prinzip, das von den Vereinten Nationen ohne Ausnahme hervorgehobene Prinzip der inneren und äußeren Selbstbestimmung der Völker, aus dem das des (grundsätzlichen) 584 Interventionsverbotes folgt 5 8 5 , zwingt, den Begriff des Volkes zu definieren. Ungeeignet

579

Dazu 2. Teil, 3. Kap., S. 89 f.; 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; auch 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 2. Teil, 7. Kap., S. 132 ff. 580 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 11. 581 Dazu die Hinweise 2. Teil, 7. und 8. Kap., S. 124 ff., 135 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 277 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 325. 582 Was ist Politik?, 1993, zitiert nach Κ Naumann, Ein prekäres Gut, Die Zeit, Nr. 14/ 2. 4. 1993, S. 19; dieses Zitatfindet sich nicht in der von U. Ludz besorgten Ausgabe der Fragemente aus dem Nachlaß von H. Arendt unter dem Titel Was ist Politik?, 1993. 583 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 197 f.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 470 ff. 584 Das Prinzip der Nichteinmischung ist (zu Recht) zugunsten der elementaren Menschenrechte, deren (zumindest sittliche) Verbindlichkeit die Völker in der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. August 1948 bekannt haben, relativiert. Rechtspflichten begründet für die Staaten die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarats vom 4. November 1950 (dazu A. Verdross , Völkerrecht, 5. Aufl. 1964, S. 127 f., 562 ff.). 585

Etwa Art. 1 Nr. 2 Charta der Vereinten Nationen v. 26.6.1945 i.d.F. vom 20.12.1971; Art. 1 Nr. 1 des Internationalen Paktes über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte v. 19.12.1966; Art. 1 Nr. 1 des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

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ist aber das Schmittsche Kriterium des Politischen, weil es den Frieden unter den Völkern als allgemeines Rechtsprinzip verneint. Die Verfassung der Republik kennt keine Identität des Volkes als "politische Einheit", kein "politisches Bewußtsein", keinen "nationalen Willen, Freund und Feind zu unterscheiden" 586 , sondern Bürger, welche den Frieden friedlich sichern, nämlich durch gemeinsame allgemeine Gesetze der praktischen Vernunft, durch gegenseitige Liebe. Der Bürger ist niemandes Feind. Die Republik ist nicht nur die moderne aristotelische Polis wie schon die ciceronische res publica 5 8 7 , sondern die Vollendung der christlichen Revolution 5 8 8 , die ihre notwendige Wiederholung 1789 erlebt hat. Die Republik ist die irdische Verwirklichung der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit 589 , nach innen und nach außen. Republiken sind freiheitlich lebende Völker, die keine Feinde kennen. Keine Republik bedroht eine andere. Republiken sind kein Makroanthropos (Novalis) 5 9 0 . Das Grundgesetz begreift das Volk gänzlich unabhängig von derartiger "politischer Existenz" 591 als Bürgerschaft 592 , als die vielen Bürger, wenn auch dieses bürgerschaftliche Volk um der Republik willen in seiner vorerst noch nationalen Homogenität definiert werden muß 5 9 3 . Die politische Einheit, wenn man so will, in der Republik ist die allgemeine Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens der Bürger oder eben die Staatlichkeit, durchaus

Rechte v. 19.12.1966; Schlußakte von Helsinki v. 1.8.1975, Prinzipien I, VI, VIII; D.Ch. Dicke, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln im Völkerrecht, 1978, S. 53 ff.; R. Grawert, HStR, Bd. I, S. 670 f.; A. Verdross , Völkerrecht, S. 227 ff. 586 Zu diesen Kriterien des Politischen C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 213, 217; ders., Der Begriff des Politischen, S. 26 ff.; dazu kritisch vor allem H. Heller, Staatslehre, S. 203 ff., 219 f. 587 Dazu Hinweise in Fn. 338, 1. Teil, 3. Kap., S. 64; etwa W. Henke, Recht und Staat, S. 301 ff., 319 ff.; vgl. i.d.S. auch W. Maihofer, HVerfR, S. 956 f. (zum Kulturstaat). 588 Dazu etwa E. Fromm, Das Christusdogma, 1930, 1965, S. 28 ff. 589 I.d.S. J.G. Fichte, WW. IV, S. 423, 523; vgl. H. Heller, Staatslehre, S. 219; dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 590

Vgl. O. Kimminich, VVDStRL 25 (1967), S. 11. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 215; ders., Der Begriff des Politischen, S. 20 ff., 44 ff. 592 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 17, 34 f.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 f.; 8. Teil, 1. und 4. Kap., S. 651, 656, 736 f., 763 ff. 593 Dazu 11. Teil, 2. Kap., S. 1186 ff. 591

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

i m Sinne der Hellerschen Staatslehre 594 . Ein solcher Begriff politischer Einheit folgt der formalen Ethik, der es um das gemeinsame Leben in Freiheit geht. Republikanisch gibt es nur die Identität des homo noumenon mit dem homo phainomenon, des Bürgers mit dem Menschen, wie es die Deklaration von 1789 lehrt 595 . Eine einheitliche Feindschaft der Bürgerschaft gegenüber anderen Bürgerschaften widerspricht dem Begriff des Bürgers, dessen Sittlichkeit immer höchstpersönlich ist. Die ideologische Kraft aller identitären Volksbegriffe, die das Volk als Einheit der Bürgerschaft als Vielheit gegenüberstellen, ergibt sich aus der moralischen Schwäche der Menschen, welche ihre Identität nicht in sich selbst zu stabilisieren, besser gesagt, ihre Persönlichkeit nicht zu entfalten vermögen und Geborgenheit für ihre oft erbärmliche Einzelheit in der Gemeinschaft des Volkes suchen. Dieses Wir-Gefühl läßt sich leicht erzeugen. Es ist gut, wenn es die gemeinsame Verantwortung für das gute Leben in Freiheit bewußt macht, böse, wenn es sich gegen die anderen, die Fremden, richtet. Die Ablehnung des Fremden, oft zum Haß gesteigert, ist im Schmittschen Sinne das spezifisch politische Bewußtsein. "Er (sc. "der politische Feind") ist eben der andere, der Fremde, ..." Carl Schmitt 596 Das kämpfende Volk kann zu einer "politischen Einheit" im Sinne Carl Schmitts werden, zumal es regelmäßig durch seine Repräsentanten dazu gezwungen wird. Carl Schmitt hat die Verfassung eines kriegerischen Volkes konzipiert 597 . "Oberstes Gesetz des Staates ist mithin Oswald Spenglers 'Bereitschaft zum Kriege'." M i t diesem Satz kennzeichnet Hasso Hofmann Schmitts "bellizistischen" "Politizismus" 598 . Schmitts Begriff des Politischen ist nicht geeignet, das Grundgesetz als eine Verfassung der Freiheit und des Friedens zu verstehen.

594 Η. Heller, Staatslehre, S. 203 ff., 228 ff., 238 ff., 242 ff., 249 ff.; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 7. Teil, 1. und 4. Kap., S. 519 ff.; 560 ff.; 5. Teil, 3., 5. und 6. Kap., S. 275 ff., 370 ff., 410 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1027 ff.; zum GesetzgebungsStaat die Hinweise in Fn. 436, 8. Teil, 3. Kap., S. 722; zur Gesetzlichkeit der Freiheitlichkeit Hinweise in Fn. 1, 8. Teil, 1. Kap., S. 637. 595 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 123. 596 Der Begriff des Politischen, S. 27. 597 I.d.S. H. Heller, Staatslehre, S. 206; auch H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 101 ff., 114 ff.; auch W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 126, 147. 598 Legitimität gegen Legalität, S. 101 ff., Zitat S. 116; W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 126, 147, Fn. 110, schließt sich dem an.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

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Die Freiheit als Autonomie des Willens setzt auf die Persönlichkeit des einzelnen Menschen und Bürgers, ohne etwa solipsistisch zu sein. Art. 2 Abs. 1 GG stellt beides klar. Carl Schmitt verhöhnt die Republik, deren "gesetzgebungsstaatliche" Prinzipien er gut kennt: Wenn ein "Volk aus dem Zustand politischer Existenz in den unterpolitischen Zustand zurücksinkt" (d.h. doch wohl, daß es nicht mehr zum Krieg bereit ist), "ist die Folge", daß es" ein bloß kulturelles, bloß ökonomisches oder bloß vegetatives Dasein führt und einem fremden politisch aktiven Volke dient." - Carl Schmitt 599 Aus Schmitts Demokratielehre können nicht einzelne Begriffe herausgebrochen werden, um in einer demokratischen Republik 6 0 0 die Verfassung zu interpretieren. Die Lehre Schmitts ist eine in sich geschlossene Ideologie. Sie ist nicht mystifizierend, sie ist vielmehr kriegerisch, "bellizistisch" 601 . Der republikanischen Verfassung von Weimar ist Carl Schmitt mit dieser Demokratielehre nicht gerecht geworden 602 ; denn seine Begriffe des Volkes, der Repräsentation und der Identität, aber auch die der Freiheit und auch des Rechtsstaates widersprechen dem Prinzip der Republik; denn die einen sind herrschaftlich und darüber hinaus kriegerisch und die anderen dementsprechend liberalistisch und privatistisch. Schmitts Herrschaftsbegriffe sind vor allem existentiell, staatsontologisch und verfehlen schon deswegen die Weimarer Verfassung, weil diese sich als Gesetz in der Dichotomie von Sollen und Sein verstand 603 .

599

Verfassungslehre, S. 215; i.d.S. auch ders., Der Begriff des Politischen, S. 45 ff. Auch C. Schmitt kennt diesen Begriff, etwa, Grundrechte und Grundpflichten, S. 191, Fn. 19 für die WRV, aber auch den der "republikanischen Demokratie", a.a.O., S. 212. 601 H. Heller, Staatslehre, S. 206 f.; H. Hofmann , Legitimität gegen Legalität, S. 101 ff.; H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 63 ff., legt dar, daß Schmitt "die iusta causa belli auf den schlechterdings existentiellen Fall beschränkt" habe, daß nach Schmitt der "Krieg nur gegen den eigenen Feind geführt werden" dürfe und daß "kriegerischer Feind nur" sei, "wer uns die Freiheit nehmen oder eine andere Verfassung aufzwingen" wolle (Zitat S. 65). 600

602 Das wertet H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 67 ff., anders. Quaritsch hat in diesem Buch die geistige Persönlichkeit C. Schmitts gezeichnet und die populistischen, moralisierenden Angriffe auf diesen politischen Denker (etwa B. Rüthers, Carl Schmitt im 3. Reich, 1989) zurechtgerückt. Es ist niemals moralisch, moralische Vorwürfe gegen Handlungen anderer in der Vergangenheit oder auch Gegenwart oder gar in anderen Ländern zu erheben. Moralisch ist es vielmehr, in der jeweiligen Lebenssituation selbst das Sittengesetz zu beachten. 603 Dazu C. Schmitts Lehre vom Unterschied der Verfassung als existentieller "politischer Entscheidung" zum Verfassungsgesetz selbst, Verfassungslehre, S. 20 ff.; dazu unten S. 762.

4

Schachtschneider

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Wenn auch kaum jemand wagt, den nationalistischen Begriff des Politischen von Carl Schmitt zu übernehmen, ohne daß dieser Begriff deswegen seine Faszination verloren hätte, so legitimieren doch nach wie vor die Schmittschen Begriffe der Repräsentation und der Identität das herrschaftliche Handeln des Parteienstaates. Vor allem Gerhard Leibholz hat das (scheinbar) legitimierende Prinzip der Identität zur ideologischen Grundlage seiner Parteienstaatsdoktrin gemacht 604 . Als Form identitären Handelns des Volkes nennt Carl Schmitt die Akklamation 6 0 5 . Diese aber setzt den Führer, also, im Schmittschen Sinne, den Repräsentanten an und für sich, voraus 606 . "Ein Führer verkörpert den Volkswillen und gewinnt seine Autorität aus Akklamation." - Jürgen Fijalkowski 607 Die Akklamation sieht Schmitt als politisches Handeln von Volksgenossen, die selbst repräsentieren würden 608 . Meist akklamiert nur ein kleiner Teil der Staatsangehörigen. Wer nicht derart repräsentierend akklamiert, gehört eigentlich nach Schmitt nicht zum Volk. "Erst das wirklich versammelte Volk ist Volk und nur das wirklich versammelte Volk kann das tun, was spezifisch zur Tätigkeit dieses Volkes gehört: es kann akklamieren, d.h. durch einfachen Zuruf seine Zustimmung oder Ablehnung ausdrücken, Hoch und Nieder rufen, einem Führer oder einem Vorschlag zujubeln, den König oder irgend einen anderen hochleben lassen, oder durch Schweigen oder Murren die Akklamation verweigern." - Carl Schmitt 609 In der Konsequenz dieser Identitätslehre liegt es, daß Gerhard Leibholz schließlich die Parteien mit dem Volk identifiziert 610 und damit mehr als 95% der Bürger politisch aus dem Volk eliminiert hat. Dabei folgt auch Leibholzens Lehre von der Legitimation identitär-plebiszitärer Willens-

604

Dazu 8. Teil, 4. und 5. Kap., S. 763 ff., 772 ff. Etwa Verfassungslehre, S. 243 ff. u.ö.; dazu G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 47 f., auch S. 30, Fn. 3; dazu S. 741 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 43 f.; 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff. 606 Verfassungslehre, S. 243 ff. u.ö. 607 Neuer Konsens durch plebiszitäre Öffnung?, S. 249. 608 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 242 ff. 609 Verfassungslehre, S. 243 f. 610 Das Wesen der Repräsentation, S. 240 f.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 81 ff.; ders., Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 58 f. u.ö.; kritisch dazu W. Manti, Repräsentation und Identität, S. 175 ff.; P. Haungs, Die Bundesrepublik - Ein Parteienstaat?, ZParl., 1973, 523; V. Hartmann, Repräsentation, S. 262 ff. 605

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

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bildung, welche den Parteien zukomme 611 , der Schmittschen Unterscheidung zwischen der gesetzgebungsstaatlichen, parlamentarischen Legalität und der plebiszitären, identitären Legitimität, die zugleich eine Unterscheidung "zweier Arten dessen, was Recht ist," sei 612 . Die "moderne Art der Akklamation" sieht Carl Schmitt in der "öffentlichen Meinung". "Es gibt keine Demokratie und keinen Staat ohne öffentliche Meinung, wie es keinen Staat ohne Akklamationen gibt." 6 1 3 Die Schmittschen Begriffe entfalten ihre legitimierende Wirkung für eine Herrschaft, welche wegen der existentiellen Feindschaft zu einer kriegsnotwendigen Intensität führen kann 6 1 4 , aus ihrem wissenschaftlichen Anspruch; denn auf einen Verfassungstext lassen sie sich nicht stützen. "Die Verfassungsgesetze dagegen gelten erst auf Grund der Verfassung und setzen eine Verfassung voraus. Jedes Gesetz als normative Regelung, auch das Verfassungsgesetz, bedarf zu seiner Gültigkeit im letzten Grunde einer ihm vorhergehenden politischen Entscheidung, die von einer politisch existierenden Macht oder Autorität getroffen wird. Jede existierende politische Einheit hat ihren Wert und ihre 'Existenzberechtigung' nicht in der Richtigkeit oder Brauchbarkeit von Normen, sondern in ihrer Existenz. Was als politische Größe existiert, ist, juristisch betrachtet, wert daß es existiert. Daher ist ihr 'Recht auf Selbsterhaltung' die Voraussetzung aller weiteren Erörterungen; sie sucht sich vor allem in ihrer Existenz zu erhalten, 'in suo esse perseverare' (Spinoza); sie schützt 'ihre Existenz, ihre Integrität, ihre Sicherheit und ihre Verfassung' - alles existentielle Werte." - Carl Schmitt 615

611 Hinweise in Fn. 657, S. 764; etwa, Das Wesen der Repräsentation, S. 94, 98 ff., 114 ff., 224 ff., 246 ff., 252 ff., 269 ff. 612 Legalität und Legitimität, S. 62 ff., Zitat S. 68. 613 Verfassungslehre, S. 246; kritisch zur Akklamation 1. Teil, 3. Kap., S. 43 ff.; 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff.; auch S. 741 ff.; insb. M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 37; W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 128 ff.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 210 ff.; zur öffentlichen Meinung 7. Teil, 5. Kap., S. 602 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 ff.; insb. H. Heller, Staatslehre, S. 173 ff., der sie als "Bedingung der staatlichen Einheit" vorstellt; die "bloße Nachahmung und massenpsychologische Ansteckung" nicht als "öffentliche Meinung" akzeptiert (a.a.O., S. 174) und die "Einheit und Aktionsfähigkeit der öffentlichen Meinung" als Fiktion herausstellt (a.a.O., S. 180 ff.). 614

Der Begriff des Politischen, S. 45 ff.; dazu i.d.S. V. Hartmann, Repräsentation, S. 231 ff., insb. S. 235; H. Laufer, Das Kriterium politischen Handelns, 1961, passim, insb. S. 156 ff. 615 Verfassungslehre, S. 22; dazu kritisch H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 124 ff., 128 f.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

"Der Krieg, die Todesbereitschaft kämpfender Menschen, die physische Tötung von anderen Menschen, die auf der Seite des Feindes stehen, alles das hat keinen normativen, sondern nur einen existentiellen Sinn, und zwar in der Realität einer Situation des wirklichen Kampfes gegen einen wirklichen Feind, nicht in irgendwelchen Idealen, Programmen oder Normativitäten. Es gibt keinen rationalen Zweck, keine noch so richtige Norm, kein noch so vorbildliches Programm, kein noch so schönes soziales Ideal, keine Legitimität oder Legalität, die es rechtfertigen könnte, daß Menschen sich gegenseitig dafür töten." - Carl Schmitt 616 M i t ihrem Anspruch, das Wirkliche, das Existentielle, zu erfassen 617 , relativieren Schmitts Begriffe die geschriebene Verfassung. Das Existentielle hat eine existentielle Verfassung, eine Ordnung, eine Normalität 6 1 8 , gegen die der Verfassungsgeber vergeblich den Text der Verfassung setze. "Verfassung - der konkrete Gesamtzustand politischer Einheit und sozialer Ordnung eines bestimmten Staates."... "Der Staat hat nicht eine Verfassung, 'der gemäß' ein staatlicher Wille sich bildet und funktioniert, sondern der Staat ist Verfassung, d.h. seinsmäßig vorhandener Zustand, ein status von Einheit und Ordnung. ... Die Einheit und Ordnung liegt in der politischen Existenz des Staates, nicht in Gesetzen, Regeln und irgendwelchen Normativitäten." - Carl Schmitt 619 Die Ordnung, die Verfassung, erwachse einer "politischen Entscheidung", sei Dezision des Volkes, nicht etwa Gesetz 620 . "Der Wille des deutschen Volkes, also etwas Existenzielles, begründet, über alle systematischen Widersprüche, Zusammenhangslosigkeiten und

616

Der Begriff des Politischen, S. 49 f. Wie viele zweifelt W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 121 ff. mit Hinweisen, an der reinen Wissenschaftlichkeit dieser Erkenntnisse; ebenso V. Hartmann, Repräsentation, S. 213 ff., 223, 236 f. 617

618 Kritisch H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 85 ff.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 241 f.; kritisch gegenüber Schmitt und grundlegend zum Verhältnis von Normativität und Normalität als Problem der "wirklichkeitswissenschaftlichen" Staatslehre H. Heller, Staatslehre, S. 249 ff., insb. S. 264 f. 619 Verfassungslehre, S. 4, 10; Η Heller, Staatslehre, S. 228 ff. u.ö., begreift den "Staat als organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit" und unterscheidet sich in dieser soziologischen Betrachtungsweise von der "existentiellen" Schmitts dadurch, daß seine Erkenntnis der Wirklichkeit als solche kein Sollenselement enthält, welches vielmehr der "Normativität" zukomme, welche "Normalität" bewirken wolle (a.a.O., S. 216 ff., 249 ff., 259 ff.). 620

C Schmitt, Verfassungslehre, S. 1 ff., 22 ff., 76 ff., 82 ff., 91 ff.; dazu H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 124 ff., 131 ff., 142 ff., 161 ff.; W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 130 ff.; richtige Kritik des Schmittschen Antinormativismus schon von H. Heller, Staatslehre, S. 264 f.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

Unklarheiten des einzelnen Verfassungsgesetzes hinweg, die politische und staatsrechtliche Einheit." - Carl Schmitt 621 Man denkt an Hegel: "Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig" 6 2 2 . "Alle wesentlichen Vorstellungen der geistigen Sphäre des Menschen sind existentiell und nicht normativ." - Carl Schmitt 623 Dagegen hat Hermann Heller richtig gesagt: "Ohne Normativität vermag keine Entscheidung Normalität und damit Kontinuität des Verhaltens hervorzurufen. Insofern ist die Entgegensetzung von Norm und Entscheidung nicht weniger verkehrt als die Antithese von Normativität und Existentialität." 624 Existentielle Begriffe fordern auf, das Wirkliche nicht nur zu erkennen, sondern auch in der Wahrheit zu leben, zu existieren. "Die Seinsbehauptung" formuliert die "Sollensforderung" besonders intensiv 625 . Der Begriff vom Existentiellen formuliert, ja definiert eine Wahrheit. "Der Begriff wird zum Eingriff, die Reflexion zur Aktion - Wissenschaft und Politik fließen ineinander. Da aber die Politik nach Schmitt wesentlich auf den Feind ausgerichtet ist, wird auch die Wissenschaft polemisch." - Wolf gang Manti 626 Dem Christen ist die Wahrheit die Wirklichkeit Gottes, welcher sein Leben leitet 627 . Das Sollen folgt dem Sein. Die aufklärerische Dichotomie von Sollen und Sein 628 vermag derart "geistige" "Existentialität" nicht zu erfassen 629 . Recht als Verwirklichung der Freiheit setzt die transzendental621

Verfassungslehre, S. 10.

622

Rechtsphilosophie, Vorrede, S. 39. 623 Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, 1929, in: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles, 1923 - 1939, 1940, Nachdruck 1988, S. 124; dazu i.d.S. H.J. Wolff, ; Organschaft I, S. 333; Η. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 119, 128; W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 127 ff. 624 Staatslehre, S. 265. 625 So H. Heller, Staatslehre, S. 261, der das aus dem Verhältnis der "Normalität" zur "Normativität" herleitet. 626 Repräsentation und Identität, S. 125 f., i.d.S. auch schon H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 88. 627

Vgl. zur katholischen, thomistischen, Tugendlehre i.d.S. J. Pieper, Über das christliche Menschenbild, 6. Aufl. 1955. 628 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 172 f.; 7. Teil, 1. und 2. Kap., S. 519 ff., 540 ff.; auch 2. Teil, 1. Kap., S. 77 f., 138 f.; 9. Teil, 2. Kap., S. 880 ff. 629 Zu Schmitts Verhältnis zur Dichotomie von Sein und Sollen H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 44 ff., 52 f., 107, 233, 244.

758

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

philosophische Trennung von Sein und Sollen voraus 630 . Schmittsche politische Existentialität hält sich in unüberwindlicher Distanz zur politischen Freiheit, die er, wie schon hervorgehoben, als Formprinzip der Demokratie zurückweist 631 . Rechtsbegriffe müssen (von ungeschriebenen Gesetzen einmal abgesehen) ihre Grundlage in Verfassungs- oder Gesetzestexten nachweisen, wenn sie wissenschaftlich sein wollen. Empirische, vor allem soziologische, Begriffe können normative Relevanz nicht beanspruchen, solange sie nicht die Unmöglichkeit nachweisen, nach den Gesetzen zu leben 6 3 2 . Das gilt auch für Begriffe, die die "geistige Sphäre des Menschen" existentiell erfassen wollen. Rechtliche Relevanz jedenfalls können im Rahmen des Möglichen nur gesetzesgestützte Sollenssätze haben. Alle anderen Begriffe schaffen, gegebenenfalls "mystifizierende", Ideologien 633 . "... er ist mit seltener Überzeugung Ideologe...", schreibt Hugo Ball bereits 1924 über Carl Schmitt 634. Nur die Idee der Freiheit, die nicht empirisch nachweisbar ist, ist als der letzte Grund des Rechts vorgesetzlich 635 , wenn man so will, für die Republik existentiell. Solange politische Begriffe nicht im Verfassungs- oder Gesetzestext stehen und damit einer vor allem systematischen Interpretation nicht zugänglich sind, dürfen sie nur verwendet werden, um verfassungsrechtliche Erkenntnisse, die nach wissenschaftlichen Methoden gewonnen sind, zu benennen. Der Begriff der Repräsentation kann darum unter dem Grundgesetz nur zur Bezeichnung der sittlichen Komponente der Vertretung des ganzen Volkes, welche die grundgesetzliche Ethik vorschreibt, verwendet

630

Dazu 2. Teil, 8. Kap., S. 138 f.; vgl. auch 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; 5. Teil, 7. Kap., S. 435 ff.; etwa H. Heller, Staatslehre, S. 216 ff., insb. S. 222, der den "sittlichen Geltungsgrund" des Rechts und damit des Staates herausstellt. 631

Verfassungslehre, S. 224 f.; vgl. H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 121 ff., 127; V. Hartmann, Repräsentation, S. 220. 632 Zum Grundprinzip: "ultra posse nemo obligatur" oder: "impossibilium nulla obligatio est", A. Brecht, Politische Theorie, 1961, S. 503 ff., insb. zur "Unmöglichkeit als Einwand gegen moralische Vorwürfe", S. 507 ff. 633 I.d.S. W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 125 ff.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 223, 236 f.; auch H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 86 f., 126 f., 155; P. Schneider, Ausnahmezustand und Norm, Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, 1957, S. 20 ff. 634 Carl Schmitts Politische Theologie, in: Hochland, 1923/24, Bd. II, S. 263; H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 86 f., weist darauf hin. 635 Dazu 5. Teil, 1., 3., 4., 6. und 7. Kap., S. 253 ff., 275 ff., 325 ff., insb. S. 356 ff., 431 f., 434 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 36 f., 61; 2. Teil, 6. Kap., S. 116, 119 (zu H. Kelsen); zur Gleichheit aller in der Freiheit vgl. die Hinweise in Fn. 50, 8. Teil, 1. Kap., S. 646.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

759

werden. Die Interpretation der Verfassungsbegriffe muß einer demokratischen Republik (Art. 20 Abs. 1 S. 1 GG), einer durch das Sittengesetz definierten Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), der Bindung der Abgeordneten nur an ihr Gewissen (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) u.a. genügen, weil die Interpretation nur dadurch der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 u. 2 GG) entspricht. Gerade im wortlautgerechten Verständnis entfaltet im übrigen die sogenannte Repräsentation ihren republikanischen Sinn, also als Vertretung des ganzen Volkes. Jeder Begriff von Repräsentation, der sich nicht vom Text des Grundgesetzes abhängig macht, verfälscht das Verfassungsrecht und soll das wohl auch, vor allem um die republikwidrige Herrschaft der Parteien zu rechtfertigen. Insbesondere wird zu diesem Zweck der Schlüsselbegriff des Grundgesetzes, das Sittengesetz, beiseite gedrängt 636 . Seine Wirkung konnte das Sittengesetz im Parteienstaat auch deswegen nicht entfalten, weil es nicht mit der verfassungsgebotenen Intensität gelehrt wird. Die Einheit der Verfassung kann nur als systematisches Argument genutzt werden, wenn nicht verfassungsfremde Begriffe mit systembestimmender Relevanz an die Verfassung herangetragen werden. Die Treue zum Wortlaut der Verfassung muß die Leitmaxime der Verfassungsinterpretation sein. Ideologien legitimieren und sollen das auch. Dadurch gefährden sie nicht nur die Interpretation von Verfassung und Gesetz, sondern auch die Theoretisierung der Wirklichkeit; denn dem Vorwurf des Verfassungsverstoßes kann man dadurch zu entgehen versuchen, daß man entweder die Wirklichkeit oder die Verfassung verzerrt. Die Parteienstaatslehre führt das vor. Die methodologischen Aspekte gelten für die parteienstaatliche Identitätslehre Gerhard Leibholzens in besonderem Maße 6 3 7 . Wenn die Parteien demokratisch existentiell sind 6 3 8 , so stehen die Vorschriften des Grundgesetzes unter dem Vorbehalt der Existenz von Parteien, jedenfalls in dem Maße, in dem das Grundgesetz das demokratische Prinzip verankert. Um einem existentiellen Begriff der Demokratie als Parteienstaat zu genügen, müssen folglich diese Vorschriften parteienstaatlich interpretiert werden. Das Grundgesetz wäre dann die Verfassung eines Parteienstaates, was immer diese vorschriebe. Das ist der eigentliche Schmittianismus der

636 Dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 259 ff.; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 810 ff.; zur Pflicht zur Sittlichkeit vgl. die Hinweise in Fn. 467, 8. Teil, 3. Kap., S. 729; zum Sittengesetz als ethischem Grundgesetz auch 5. Teil, 3. Kap., S. 280 ff., 321 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff. 637 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff. 638 Vgl. die Hinweise auf die vermeintliche Notwendigkeit der Parteien für die Demokratie in Fn. 49, 10. Teil, 2. Kap., S. 1054; Fn. 704, 8. Teil, 5. Kap., S. 772.

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

760

Parteienstaatsdoktrin und weitestgehend der Demokratierechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. " V o r jeder N o r m steht die konkrete Existenz des p o l i t i s c h geeinten Volkes." - Carl Gerhard

Leibholz

Schmitt 539 m a g den Gestaltwandel der modernen D e m o k r a t i e derart

existentiell erlebt haben. D i e heutige Parteienstaatslehre argumentiert j e d o c h n i c h t existentialistisch, sondern empiristisch, d.h. sollensvergessen.

Der

"politische Existentialismus" Carl S c h m i t t s 6 4 0 ist j e d o c h nicht mehr als eine Ideologie, welche i n irgendeinem Bereich des Existentiellen die M ö g l i c h k e i t gesetzten Rechts l e u g n e t 6 4 1 ; denn Recht verträgt keinen Vorbehalt. E i n i g e der Aspekte des "politischen Existentialismus" Carl Schmitts

sind

hier skizziert u n d kritisiert, ohne daß damit beansprucht würde, die "Positionen und Begriffe Carl haben642.

Katholiken,

Schmitts"

Etatisten,

i n i h r e m ganzen R e i c h t u m erfaßt zu Nationalisten643,

aber

auch

Hegelianer

639

Verfassungslehre, S. 121; dazu kritisch W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 129 ff.; auch V Hartmann, Repräsentation, S. 205 ff.; auch H. Heller, Staatslehre, S. 249 ff., stellt die "Normativität" unter einen allerdings sehr zurückhaltenden Vorbehalt der "Normalität", insb. S. 255 f. ("Eine gewisse Normalität ist gewiß die dauernde Voraussetzung der Normativität, und zweifellos gibt es keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre. ... Deshalb kann der einzelne Rechtssatz grundsätzlich erst aus der Totalität der politischen Gesamtverfassung voll begriffen werden. ... Neben den zahlreichen, jeder Normierung oft völlig entzogenen, den Norminhalt der Verfassung aber wesentlich bestimmenden Seinsregeln, sind es diejenigen außerrechtlichen Normativitäten, die als Rechtsgrundsätze für die Geltung und den Inhalt der Verfassungsnormen entscheidend sind." - alles sehr fragwürdige Erkenntnisse, welche auf der Heller sehen soziologistischen Relativierung der Dichotomie von Sollen und Sein beruhen, S. 250 ff.). 640

Dazu H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 85 ff.; dazu auch W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 121 ff.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 213 ff.; kritisch schon Η Heller, Staatslehre, S. 264 f. 641 Ganz so die Kritik von V. Hartmann, Repräsentation, S. 214 ff., 223. 642 Für die Sekundärliteratur zu Carl Schmitt etwa J. Fijalkowski, Die Wendung zum Führerstaat - Ideologische Komponenten in der politischen Philosophie Carl Schmitts, 1958; H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität; W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 121 ff.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 199 ff., jeweils m.w.N.; V. Holzhauser, Konsens und Konflikt Die Begriffe des Politischen bei Carl Schmitt, 1990; auch die Vorträge und Diskussionsbeiträge, die H. Quaritsch 1986 unter dem Titel: Complexio Oppositorum, über Carl Schmitt, herausgegeben hat; H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, 1989. 643 Vgl. die Charakterisierung Schmitts durch H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 25 ff., als "Katholik", "Etatist" und "Nationalist".

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

761

und Marxisten lassen sich von der prononciert polemischen 644 Staatsontologie Carl Schmitts faszinieren. Eine kantianisch gegründete Lehre von der Republik muß sie abweisen; denn Carl Schmitt lehrt nicht das Recht. Dennoch kann die Ethik (Lehre von der Freiheit) vielfachen Nutzen aus den Beiträgen Schmitts, vor allen aus denen zum "bürgerlichen Rechtsstaat" ziehen. Allerdings hat die Schmittsche Lehre vom "Gesetzgebungsstaat" trotz mancher Hinweise auf das Prinzip Vernunft 645 die republikanische Ethik, die Pflicht zur Sittlichkeit als die innere Freiheit, den kategorischen Imperativ also, aus dem Blickfeld gerückt 646 . Schmitt ist nicht nur kein Kantianer 6* 1, er ist kein Republikaner 648 . Eine Rechtslehre kann nur auf der Idee der allgemeinen politischen Freiheit aufbauen. Die aber ist Schmitt, dem Etatisten, geradezu existentiell fremd. Schmitts Ideologie stützt, explizit oder implizit, die grundgesetzwidrigen, demokratistischen Herrschaftslehren in Deutschland und behält darum ihre republikfeindliche Relevanz. Wer Herrschaft lehrt und wohl auch Herrschaft will, wird in Schmitts existentieller Verleugnung der politischen Freiheit und auch in seiner Polemik gegen den Frieden Bestätigung, ja Befriedigung finden, die Bestätigung nämlich seiner Zweifel an der Gleichheit aller in der Freiheit und damit an der Allgemeinheit der Würde des Menschen, Befriedigung seiner autoritären Sehnsucht nach dem Unrecht, der Herrschaft des Menschen über den Menschen. Schmitts politischer Existentialismus ist eine verschleierte Sollenslehre, die sich als Erkenntnis des Existentiellen, ja wohl mehr als existentielle Er-

644 Diese Einschätzung wird meist geteilt, etwa H. Hofmann, Legitimität gegn Legalität, S. 107, 114 ff., 156; V. Hartmann, Repräsentation, S. 236 ff.; W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 121 ff.; auch H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 21 ff.; i.d.S. auch schon H. Heller, Staatslehre, S. 206. 645 Etwa, Grundrechte und Grundpflichten, S. 200; ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 67; ders., Legalität und Legitimität, S. 24, 27. 646 Ganz so U. Scheuner, Carl Schmitt - heute, in: Neue Politische Literatur, 1956, Sp. 188; dem folgt W. Manti, Repräsentation und Identität, S. 128 Fn. 20. 647 Der sicherlich zu Recht oft behauptete Hegelianismus Schmitts wird in dieser Arbeit, die Hegel wegen dessen Bedeutungslosigkeit für die grundgesetzliche Verfassung der Freiheit, aber auch wegen dessen irrationalen Historizismus (K.R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, I, S. 31 ff., II, S. 125 ff., 243 ff., 320 ff.) weitgehend unberücksichtigt läßt, nicht vorgeführt, wenn auch Hegel vor allem über Carl Schmitt die Verfassungswirklichkeit unter dem Grundgesetz und entgegen dem Grundgesetz noch intensiv beeinflussen dürfte. 648 Anders die Einschätzung eines Prof. Dr. Neuß, von der H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 75, berichtet, der aber wohl nur den Gegensatz zum Monarchisten im Auge hatte.

762

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

kenntnis, jedenfalls aber als verpflichtende Seinslehre präsentiert. Sie kann allein mit dem Hinweis auf das Gesetz einschließlich des Verfassungsgesetzes nicht kritisiert werden, weil sie sich über das Gesetz stellt. Der existentielle Wille des Volkes hat Vorrang vor dem gesetzlichen, auch dem verfassungsgesetzlichen, Willen, sei es der Wille der Mehrheit oder der einer Minderheit 6 4 9 . Die originäre Verbindlichkeit des parlamentarisch gebildeten Willens des ganzen Volkes akzeptiert Schmitt nicht 6 5 0 . "Alles was es innerhalb des Deutschen Reiches an Gesetzlichkeit und Normativität gibt, gilt nur auf der Grundlage und nur im Rahmen dieser Entscheidungen."... "Sie (sc. die Verfassung) bedarf keiner Rechtfertigung aus einer ethischen oder juristischen Norm, sondern hat ihren Sinn in der politischen Existenz."... "Die Verfassung gilt kraft des existentiellen politischen Willens desjenigen, der sie gibt."... "Die Verfassungsgesetze dagegen gelten erst auf Grund der Verfassung und setzen eine Verfassung voraus." - Carl Schmitt 651 Als Verfassungsvorbehalt, dem sich Auslegung und Anwendung des Verfassungsgesetzes fügen müssen, als das Existentielle erweisen sich die Verfassungslehren oder besser die Schmittschen Erkenntnisse, welche nämlich die Verfassung, die eigentliche Ordnung, verstehen. Die Rechtswissenschaft, "das erstgeborene Kind des modernen europäischen Geistes", wird zum "letzen Asyl" vor der "gesetzesstaatlichen Legalität ... in einer Zeit, in der die Legalität zu einer vergifteten Waffe geworden ist, die eine Partei der anderen in den Rücken stößt." - Carl Schmitt 652 Die begriffliche Erfassung des als existentiell Erkannten ermöglicht rechtstechnisch das Sollen, welches mangels subsumibler Tatbestände quasisittliche Verpflichtungen kreiert. Schmitt schafft eine nationalistische Sittlichkeit, die im Gegensatz zur bürgerlichen Sittlichkeit steht. Mangels Gesetzlichkeit ist deren Sollen Ideologie 653 , welche jedoch kraft ihrer Existentialität intensiver ist als die Verbindlichkeit von Gesetzen, welcher

649

C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 1 ff., 9 ff., 20 ff., 76 f., 79, 82 ff., 97 ff., 242; dazu H. Heller, Staatslehre, S. 249 ff., 259 ff., insb. S. 264 f.; H. Hofmann, Legitimität gegen Legaliät, S. 85 ff., 124 ff., 131 ff., 142 ff.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 214 f.; W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 130 ff. 650

Hinweise auf seine Distanzierung vom Parlamentarismus in Fn. 719, 8. Teil, 5. Kap., S.

775 f. 651

Verfassungslehre, S. 22, 24, 87. Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, S. 420 ff., Zitat S. 426, im übrigen mutige Worte in den Jahren 1943/44. 653 Hinw. in Fn. 671, S. 767; vgl. auch Fn. 566, S. 748; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 786 f. 652

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

763

Qualität auch immer. Jede Ideologie hat Imperativischen Charakter. Meist ist dieser unerbittlich. Als Sanktion verletzter Ideologie droht der Verlust an Existenz, die Sinnlosigkeit des Seins. Das Volk etwa verliert nach Carl Schmitt seine politische Existenz und "führt ein bloß kulturelles, bloß ökonomisches oder bloß vegetatives Dasein und dient einem fremden politisch aktiven Volke." 6 5 4 Die Sanktion existentiellen Versagens des Volkes, ideologiewidriger Politik also, erscheint unausweichlich, der Verlust der Würde des Volkes als Nation. Einen Republikaner kann das nicht schrecken; denn ihm geht es um die Würde des Menschen. Carl Schmitt spricht nicht von Sanktion, sondern nennt Kriterien des Existentiellen. Die Sanktion ist selbst existentiell und damit in intensivster Weise angedroht 655 . Vielleicht aber wollte Schmitt mit seinem politischen Existentialismus die Verfassung vor dem Gesetz hüten. Dazu bestand aller Grund. Recht aber hatte Schmitt nicht im Sinn; denn das ist ohne die politische Freiheit nicht denkbar. II.

Repräsentation und Identität in der phänomenologischen Parteienstaatslehre Gerhard Leibholzens Gerhard Leibholz formuliert in aller Klarheit die Frage, auf welche die Repräsentationslehren Antworten anbieten: "Wie kommt es, daß in der Demokratie die Herrschaft des Volkes als Einheit über das Volk als Vielheit sichergestellt und das Volk willensmäßig zu einer politischen Einheit integriert wird?" 6 5 6 Leibholz selbst findet für die "Demokratie des 20. Jahrhunderts" zu einer auf das "Identitätsprinzip" gestützten plebiszitär-demokratischen, prononciert parteienstaatlichen, gerade nicht repräsentativ-demokratischen Antwort: "Der moderne demokratische Parteienstaat ist seinem Wesen wie seiner Form nach nichts anderes als eine rationalisierte Erscheinungsform der plebiszitären Demokratie oder - wenn man w i l l - ein Surrogat der direkten Demokratie im modernen Flächenstaat. ... Aus dieser Einsicht ergibt sich, daß der durch die Parteien gebildete Volks- und Gemeinwille in der parteienstaatlichen Demokratie nicht mit Hilfe des politischen Prinzips der Repräsentation, sondern mit Hilfe des Prinzips gebildet wird, das

654

Verfassungslehre, S. 215. Besonders deutlich Verfassungslehre, S. 319: "Die Diskussion entfällt. ... Die Öffentlichkeit entfällt.... Der repräsentative Charakter des Parlaments und der Abgeordneten entfällt.". 656 Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 56. 655

764

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

auch in der plebiszitären Demokratie zur volonté générale führt. Wie in der plebiszitären Demokratie der Wille der Mehrheit der Aktivbürgerschaft mit dem jeweiligen Gesamtwillen des Volkes identifiziert wird, wird in einer funktionierenden parteienstaatlichen Demokratie der Wille der jeweiligen Parteienmehrheit in Regierung und Parlament mit dem Volks- und Gemeinwillen identifiziert. Anders ausgedrückt: Der Gemeinwille kommt in der parteienstaatlichen Demokratie des 20. Jahrhunderts mit Hilfe des Identitätsprinzipes ohne Beimischung repräsentativer Strukturelemente zur Geltung." 657 Leibholzsche Identität ist "geistig", "geisteswissenschaftlich" zu verstehen. Sie entsteht durch Identifizierung, welche zur "Einheit" im Gegensatz zur "Zweiheit" der Repräsentation führe 658 . Identität wird nicht als Phänomen erkannt, obwohl Leibholz phänomenologisch zu forschen vorgibt 6 5 9 . Leibholz identifiziert vielmehr zu einer "Identität", nämlich den "Willen der jeweiligen Parteimehrheit in Regierung und Parlament mit dem Volks- und Gemeinwillen". Leibholz trägt nicht empirische Erkenntnisse vor, wie er selbst klarstellt 660 , sondern offenbart eine Art "Wesensschau", die Wolfgang Manti und Volker Hartmann zu Recht als unwissenschaftlich, ideologisch kritisiert haben 661 . Eine solche das Wesen schauende Identifikation ist die Konsequenz der Leibholzschen Wesensschau des Volkes als "politischer ideeller Einheit", als ein "höchstes Sein, eine konkrete Totalität", als "konkrete Wertgemeinschaft", als "eine real wirkende, ideelle Einheit", die

657 Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 58 f.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 82 ff., 87; ders., schon für die Weimarer Verfassungslage, Das Wesen der Repräsentation, S. 117 ff., 225 f., 258 f.; auch ders., VVDStRL 7 (1932), S. 164 ff.; kritisch dazu W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 175 ff.; P. Haungs, Die Bundesrepublik - ein Parteienstaat?, ZParl. 1973, 523; D. Grimm, HVerfR, S. 332 f.; V. Hartmann, Repräsentaion, S. 262 ff.; nicht unkritisch P. Badura, Bonner Komm., GG, Rdn. 26 ff. zu Art. 38; dazu m.w.H. K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 188 ff. 658

Das Wesen der Repräsentation, S. 28 f.; i.d.S. auch ders., Der moderne Parteienstaat, S. 81 ff.; ders., Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 58 f.; dazu kritisch W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 157 ff.; K.-JJ. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 262 ff.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 274 ff. 659 Das Wesen der Repräsentation, S. 18 ff.; D. Sternberger, Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 202, hat Leibholz eine "Phänomenologie ohne Phänomene" vorgeworfen; dem folgt W. Hennis, Der Parteienstaat des Grundgesetzes. Eine gelungene Erfindung, 1992, S. 8. 660 Das Wesen der Repräsentation, S. 13 ff., 18, 30, Fn. 1. 661 W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 188; V. Hartmann, Repräsentation, S. 285 f.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

765

er prononciert von der "atomistischen Betrachtungsweise" abhebt 662 . Eine Wesensschau ist beliebig, wenn sie kein Objekt der Betrachtung hat. Das von Gerhard Leibholz geschaute Volk mag es als sozialpsychologisches oder sonstwie empirisch erfaßbares Phänomen geben, eine politische Existenz könnte es nur beanspruchen, wenn es durch die Verfassung konstituiert wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Der Volksbegriff des Grundgesetzes ist bürgerschaftlich, wenn man das Leibholzsche, wenig treffende Wort aufgreifen will: "atomistisch". Leibholz hat Phänomene der Verfassungswirklichkeit in den begrifflichen Dualismus Carl Schmitts von der Identität und der Repräsentation gepreßt. Einen Beitrag zur Verfassungsinterpretation leisten die "geisteswissenschaftlichen" Erkenntnisse Leibholzens schon deswegen nicht, weil das Grundgesetz diesen Begriffsdualismus nicht kennt. Leibholz nutzt die fragwürdige demokratistische Legitimität von Identität, die Carl Schmitt gelehrt hat 6 6 3 , um die vermeintlich plebiszitäre Parteienherrschaft zu rechtfertigen. Carl Schmitt hat nämlich das Phänomen der Parteien in der Demokratie ebenfalls identitär gedeutet: "Es gibt keine Demokratie ohne Parteien, aber nur, weil es keine Demokratie ohne öffentliche Meinung und ohne das stets anwesende Volk gibt. ... Die heutige Überlegenheit der Parteiorganisationen gegenüber dem Parlament beruht darauf, daß sie dem demokratischen Prinzip der Identität insofern entsprechen, als sie, wie das Volk, stets anwesend und vorhanden sind, ohne zu repräsentieren, während das Parlament seinen Sinn nur in der Repräsentation, seinen repräsentativen Charakter jedoch tatsächlich verloren hat. Es ist natürlich, daß eine echte Identität (selbst eines bloßen Teiles des Volkes) einer unechten Repräsentation überlegen ist." 664 ... "Die Parteien suchen die Legalität des jeweiligen Machtbesitzes, vor allem dessen politische Prämien und Mehrwerte nach Kräften auszunutzen, aber sie stoßen in dem gleichen Maße, in welchem sie eben dadurch das Legalitätssystem des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates untergraben, auf das dem Legalismus eines Gesetzgebungsstaates entgegengesetzte System einer plebiszitär-demokratisehen Legitimität." Carl Schmitt 665

662

Das Wesen der Repräsentation, S. 44 ff., Zitate S. 45 (mit zustimmenden Bezug zur "staatstheoretischen Auffassung des Fascismus" mit Hinweis auf seine Arbeit: Zu den Problemen des fascistischen Verfassungsrechts, 1928, S. 11 f.), 46, 48, 52. 663 664

Dazu oben 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. Verfassungslehre, S. 247 f.

766

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Volker Hartmann hat herausgestellt, daß die Leibholzsche Lehre ihre "Autorisation" ausschließlich im Schmittschen Begriffshaushalt sucht 666 . Nachdem Gerhard Leibholz jedoch seine Lehre zur Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gemacht hatte 667 , konnte er sich auch auf die Praxis des Bundesverfassungsgerichts stützen. Leibholz hat die Lehre Carl Schmitts nicht unwesentlich verändert. Vor allem hat Leibholz den Schmittschen Begriff des Politischen, dessen Freund-Feind-Kriteriu m 6 6 8 , nicht aufgegriffen. Leibholz sieht aber auch in der Repräsentation und der Identität strukturbestimmende Gegensätze 669 , während Carl Schmitt den Staat als "politische Einheit des Volkes" erklärt hat, in dem unvermeidbar beide Formprinzipien wirken würden. Einen wirklichen Halt hat die Lehre Leibholzens somit nicht einmal an der Verfassungslehre Schmitts, wenn auch die oben zitierten Sätz Carl Schmitts zur identitären Legitimität der Parteien in der Demokratie die dualistische Einheit von Identität und Repräsentation zu verlassen scheinen. Es bleibt die Legitimation der bloßen Worte Identität und Repräsentation, die freilich ihre ideologische Wirkkraft gerade ihrer begrifflichen Offenheit danken. Der Begriffsgehalt der Worte Identität und Repräsentation ist ja nahezu beliebig, wie die Einstufung des Parteienstaats sowohl als Verwirklichung des Prinzips der Identität als auch des Prinzips der Repräsentation erweist. Diese Begriffe sind, weil sie keine Gesetzesbegriffe sind, als Verfassungsrechtsbegriffe zwangsläufig ideologisch, jedenfalls wenn sie nicht als bloße Benennungen von mit klassischen Methoden interpretierten Rechtsinstituten genutzt werden. Das Wort Identität reklamiert mehr oder weniger demokratische, das Wort Repräsentation mehr oder weiniger aristokratische Legitimation. Gerhard Leibholz selektiert und reduziert die politische Wirklichkeit und ordnet seine Theorie von der Wirklichkeit dem legitimierenden Begriff der

665 666

Legalität und Legitimität, S. 92, auch S. 62 ff.

Repräsentation, S. 266 ff., 286; zu Leibholzens Nähe zu C. Schmitt auch W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 149 ff. 667 Vgl. etwa BVerfGE 1, 208 (233 f.); 2, 1 (10 ff., 72 ff.); 4, 27 ff.; 4, 144 (149 ff.); auch 44, 125 (148 ff.), insb. S. 181 ff. (Sondervotum Rottmann); 80, 188 (219); in Distanz zu G. Leibholz, aber ohne wesentliche Wende BVerfGE 20, 56 (98 ff.); dazu (kritisch) M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 321 ff.; D. Grimm, HVerfR, S. 331 ff.; vgl. dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 775 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 668 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 748 ff. 669 Vgl. die Hinweise in Fn. 657, 658, S. 764.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

767

Identität zu, wirklichkeits- und verfassungsfremd, ja angesichts der Art. 20 Abs. 2 und Art 38 Abs. 1 S. 2 GG verfassungswidrig 670 . Leibholz hat eine empiristische Ideologie legitimer Parteiendemokratie entworfen, die als geradezu klassische Ideologie weder die Wahrheit noch gar das Recht für sich hat 6 7 1 . Als Ideologie ist Leibholzens Lehre aber auch nicht an die Wirklichkeit oder an Gesetze gebunden. Gerade dadurch ist sie vielen nützlich und dementsprechend erfolgreich. Sie bindet nämlich niemanden. Jede Art der Umgestaltung der parteienstaatlichen Verhältnisse läßt sich mit der Ideologie Leibholzens rechtfertigen. Es ist der Willkür der Hüter der parteienstaatlichen Ideologie, den Richtern des Bundesverfassungsgerichts, überlassen, welche parteienpolitischen Maßnahmen der Parteienoligarchie sie stützen oder verwerfen. Wie jede Ideologie ist auch die Ideologie vom Parteienstaat, legitimiert als (vermeintlich) eigentliche, identitäre Verwirklichung von etwas Gutem, der Demokratie nämlich 6 7 2 , nichts anderes als ein Instrument der Herrschaft. An der Parteienherrschaft ist auch das Bundesverfassungsgericht beteiligt 673 . Die Ideologie dient den Begründungen der Entscheidungen, die keine wissenschaftlichen Begründungen mehr sind und sein können·. Solche müßten auf Wahrheit und Recht beruhen. Die parteienstaatlichen Richtersprüche sind Herrschafts-, nicht Rechtssprüche. Wenn sie schon nicht den Verfassungstext für sich haben, dürften sie wegen Art. 1 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG wenigstens der praktischen Vernunft nicht widersprechen 674 . Der entwickelte Parteienstaat ist aber wegen der ihn kenn-

670 Hinweise zur Kritik an Leibholzens Identitätslehre in Fn. 657, 658, S. 764 f., etwa D. Grimm, HVerfR, S. 332 f.; auch Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 144. 67 1 Leibholz hat sich gegen diesen Vorwurf verwahrt, Das Wesen der Repräsentation, S. 16 u.ö.; zum Begriff der Ideologie i.d.S. M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 166 ff.; E. Topitsch, Ideologie, Staatslexikon, Bd. 4, Sp. 193; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 172 ff., der den Begriff der Ideologie nicht in einen Gegensatz zu dem der Wahrheit stellt, sondern zu dem der "Bereitschaft, mit sich reden zu lassen" (das wäre nach der Konsenstheorie der Wahrheit (7. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was kostet die Systemforschung, 1971, S. 101 ff., 123 ff., 136 ff., 222; dazu K.A. Schachtschneiden "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 106 mit Fn 76, S. 113) kein Unterschied) und Ideologie als von "Interessen", nicht von "Gründen" bestimmt kennzeichnet. 672 Hinweise in Fn. 704, 8. Teil, 5. Kap., S. 772; auch Fn. 49, 10. Teil, 2. Kap., S. 1054. 673 Dazu 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 674 Zum verfassungsrichterlichen Maßstab der praktischen Vernunft 9. Teil, 2., 6., 7., 8. und 10. Kap., S. 858 ff., insb. S. 866 ff., 885 ff., 895 ff., 963 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; zur sittlichen Pflicht der Richter vgl. die Hinweise in Fn. 146 8 Teil 1. Kap., S. 662.

768

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

zeichnenden Bündnishaftigkeit und damit strukturellen Gewissenlosigkeit der Parteifunktionäre mit dem die grundgesetzliche Verfassung bestimmenden Sittengesetz unvereinbar 675 . Das Richteramt wird zur Festigung der parteilichen Herrschaft mißbraucht, weil das Grundgesetz nicht nur keine Rechtfertigung des entwickelten Parteienstaates hergibt, sondern mit jeder seiner Vorschriften gegen die Herrschaft der festgefügten Parteien steht, insbesondere auch mit Art. 21 Abs. 1 GG 6 7 6 . Das Bundesverfassungsgericht hat aber die sogenannte Parteiendemokratie nicht nur geduldet, sondern intensiv gefördert, anstatt die Chance zur Republik zu verteidigen, die das Grundgesetz eröffnet hat 6 7 7 . Als (das Volk vertretender) Hüter 6 7 8 der Republikanität der grundgesetzlichen Verfassung hat das Bundesverfassungsgericht versagt und die Verfassung der Freiheit als eine Verfassung liberalistischer Herrschaft praktiziert, die Republik zur liberalistischen Parteiendemokratie degradiert 679 . Das darf nicht verwundern; sind doch die Richter dieses Gerichts überwiegend Parteigänger 680 . Die Parteienrechtsprechung ist parteilich. Das Verfahren der Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts (§§ 5 ff. BVerfGG) führt angesichts der Relevanz dieser Richter für die Parteienherrschaft zur Besetzung der Richterstellen nach Parteienproporz 681 . Gerade die Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht unbestreitbar, aber in aller Zurückhaltung der Herrsch-, Hab-, und Ehrsucht der Parteienoligarchie gezogen hat, haben den Parteienstaat stabilisiert. Das weitere Instrument richterlicher Verwirklichung praktischer Vernunft hat Gerhard Leibholz dem Bundesverfassungsgericht mit dem Willkürverbot, welches er, einen Gedanken Triepels entfaltend, in den Gleichheitssatz hin-

675

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 799 ff., 810 ff.; 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. 676 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 778 ff. 677 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 778 ff.; 10. Teil, 2. und 8. Kap., S. 1054 ff., 1147 ff., 1168 ff. 678 Dazu 9. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 909 ff. (mit Fn. 471 ff.), 936, 958. 679 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 778 ff.; 10. Teil, 2. und 8. Kap., S. 1054 ff., 1168 ff.; 6. Teil, 1., 5., 6. und 9. Kap., S. 441 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff.; auch 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff.; eine Wende zu einer bürgerstaatlichen Demokratiedogmatik läßt das Maastricht-Urteil BVerfGE 89, 155 (171 ff., 181 ff.) erhoffen, welches den Deutschen Bundestag verpflichtet, seine Kompetenzen wahrzunehmen und jedem Bürger ein subjektives Recht auf echten Parlamentarismus aus Art. 38 Abs. I GG zuerkennt. 680 Dazu 9. Teil, 4. und 6. Kap., S. 236, 939 ff., 964 f., 975 ff. 681 D. Grimm, HVerfR, S. 363 (heute selbst ein solcher Proporzrichter); dazu die Hinweise in Fn. 680; auch 9. Teil, 4. Kap., S. 939 ff.

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

769

eingelesen hat, an die Hand gegeben 682 . Richtigerweise ist das Willkürverbot ein Prinzip der politischen Vernunft, der die Vertreter des Volkes wegen der durch das Sittengesetz definierten Freiheit verpflichtet sind und findet damit seine Rechtsgrundlage in Art. 2 Abs. 1 GG 6 8 3 . Das Willkürverbot erlaubt es immerhin dem Bundesverfassungsgericht, parteienstaatliche Gesetze kompensatorisch zu moderieren; denn das Bundesverfassungsgericht ist ein verfassungsgewollter Hüter des Gemeinwohls, der wichtigste 684 . Dafür aktiviert das Bundesverfassungsgericht auch und vor allem das Verhältnismäßigkeitsprinzip, dessen Maßstäbe sich nicht von denen des Willkürverbots unterscheiden. Beides sind andere Worte für das Sachlichkeitsgebot oder das 'Objektivitätsgebot" (P. Kirchhof) 685, die das Prinzip der praktischen Vernunft vorschreibt 686 . Leibholzens Wesensschau wird viel kritisiert 687 , sie hat aber erfolgreich den Blick vieler deutscher Staatsrechtslehrer für die Verfassungswidrigkeit des Parteienstaates getrübt. Seine Lehre von der Parteiendemokratie ist radikal zu verwerfen. In der gegenwärtigen deutschen Staatsrechtslehre dominiert Repräsentation als Vokabel für die Legitimation der grundgesetzwidrigen Parteienherrschaft. M i t dem Prinzip Repräsentation läßt sich jedoch die den republikanischen Parlamentarismus verzerrende Parteienstaatlichkeit 688 genausowenig legitimieren wie mit dem Prinzip Identität. Die Beliebigkeit der Legitimationsversuche zeigt sich darin, daß ausgerechnet der einflußreichste Lehrer des Parteienstaates unter dem Grundgesetz,

682 Grundlegend in: Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1925, S. 72 ff.; H. Triepel, Goldbilanzverordnung und Vorzugsaktien, 1924, S. 26 ff.; die justizstaatlichen Wirkungen solchen Gleichheitsverständnisses hat schon C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 211, aufgezeigt; ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 93; dazu grundlegend P. Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, HStR, Bd. V, S. 839 ff., insb. S. 874 ff., 943 ff. zum wesentlich rechtsstaatlich begründeten 'Objektivitätsgebot". 683 Dazu 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 986 ff., 990 ff. 684 Dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 960 ff. (insb. S. 963); auch 9. Teil, 3., 4., 7. und 8. Kap., S. 909 ff., 936, 978 ff., 990 ff. 685 HStR, Bd. V, S. 943 ff. 686 Dazu 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 986 ff., 990 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 362 mit Fn. 558; schon H. Triepel, Goldbilanzverordnung und Vorzugsaktien, S. 29 f., hat von dem Gebot der "verhältnismäßigen Gleichheit" als dem Willkürverbot gesprochen. 687 Dazu Hinweise in Fn. 657 ff.; W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 153 f.; V. Hartmann, Repräsentation, S. 262 ff.; weitere Hinweise auf Kritik an G. Leibholz in Fn. 721 ff., S. 764 ff., 8. Teil, 5. Kap., S. 775 ff. 688 Dazu K.A. Schachtschneider, Das Hamburger Oppositionsprinzip, Der Staat 28 (1989), S. 188 ff.

49 Schachtschneider

770

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Gerhard Leibholz, dasselbe Phänomen der Verfassungswirklichkeit, den Parteienstaat, mit dem vermeintlichen Gegenprinzip zur Repräsentation, dem der Identität, zu rechtfertigen versucht 689 . Wesensschau ist keine Methode der Erkenntnis des Rechts. "Geisteswissenschaftlichkeit erwies sich als schlichter Behauptungsmodus, vorgetragen in Eigentlichkeitsdiktion, als Methode der Erstellung von Ideologie." - Volker Hartmann 690 Leibholz folgt zwar nicht dem Schmittschen politischen Existentialismus 6 9 1 , steht dem aber nahe. Die "geisteswissenschaftliche" "Wesensanalyse", die Gerhard Leibholz betreibt 692 , ist irgendwie begriffstheoretisch und zugleich irgendwie seinsmäßig phänomenologisch. "Staatslehre ist Soziologie und als solche Wirklichkeitswissenschaft, nicht Geisteswissenschaft."... "Sinneswissenschaft und Wirklichkeitswissenschaft, dogmatische Jurisprudenz und Staatslehre sind also nach Gegenständen und Methoden klar von einander geschieden." - Hermann Heller 693 Allerdings trifft Leibholz die Kritik an Schmitts Vorrang der existentiellen Verfassung vor dem Verfassungsgesetz 694 in entsprechender Weise; denn "die theoretische Erkenntnis" des "Wesens bestimmter publizistischer Begriffe oder ideenbezogener Institutionen" 695 , die "apriorischen", "evidenten Schauungen sozialer Wesenheiten" in "phänomenologischer Geisteshaltung", die aber "seinsmäßig gebunden ... nur anhand empirischer Erkenntnisgegenstände", aber doch "ohne umfassendes Material" anhand des "konkreten Erkenntnisgegenstandes" als "Repräsentant" der besonderen "Ganzheit, ... gewonnen werden" könnten 696 ,

689

Hinweise in Fn. 657, S. 764 f. Repräsentation, S. 262 ff., Zitat S. 285, vgl. auch S. 291. 691 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., insb. S. 748 ff., 755 ff. 692 Das Wesen der Repräsentation, S. 13 ff. u.ö. 693 Staatslehre, S. 37 ff., 46. Ethik als Lehre von der Freiheit ist Lehre (wesentlich) vom Recht, also Dogmatik. 694 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 755 ff. 695 Das Wesen der Repräsentation, S. 16. Die Leibholzsche Erkenntnis weise ist nicht recht nachvollziehbar; denn schlechterdings lassen sich weder Begriffe theoretisch erkennen, noch deren Wesen, sondern nur die Wirklichkeit, die durch Begriffe erfaßt werden kann; die Ideen von Institutionen schauen zu wollen, setzt die Institutionen voraus, wenn nicht Verfassungspolitik betrieben wird; eine theoretische Erkenntnis des Wesens von Ideen ist nicht denkbar, weil Ideen gerade nicht die Wirklichkeit sind. 690

4. Kap.: Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt und Gerhard Leibholz

Iii

darf das Verständnis der Verfassungsbegriffe keinesfalls determinieren, weil sie, "die Wesensanalyse", sich nicht von diesen abhängig macht. Letztlich ist nicht zu erkennen, daß die "methodischen Grundlagen", die Gerhard Leibholz vorstellt, für die handfeste Parteienstaatsideologie erheblich waren, zumal das Bundesverfassungsgericht die Leibholzsche Parteienstaatsdoktrin, nicht aber dessen Methode der "Wesensanalyse" übernommen hat 6 9 7 . Der einzelne Mensch ist gegenüber dem Volk weder nach der Repräsentations- noch nach der Identitätsideologie, sei es die von Carl Schmitt oder die von Gerhard Leibholz, ein Bürger, weil das Volk als "politische Einheit" bzw. als "politische ideelle Einheit" 6 9 8 begriffen wird. Gerhard Leibholz ideologisiert den Parteienstaat, eine Abart des von Carl Schmitt konzipierten Führerstaates 699, dessen Besonderheit im Mehrparteienprinzip liegt, mit Schmittschen Kategorien, ohne deren existentielle Relevanz zu übernehmen. Vor allem die Identität hat bei Leibholz nur noch legitimierende Wirkung. Leibholz, wohl von dem Erfolg seiner Lehren in der von ihm selbst weitestgehend bestimmten Praxis zu deren nicht endenden Wiederholung beflügelt, setzt sich über die Entscheidung des Grundgesetzes für die freiheitliche Demokratie, für die Republik also, hinweg. U m das zu ertragen, übersieht er geflissentlich die demokratiewidrige Wirklichkeit der innerparteilichen Verhältnisse. Die Identifizierung der Parteien mit

696 Das Wesen der Repräsentation, S. 18 f., unter Berufung auf Husserl, Scheler, Litt und auch N. Hartmann; V. Hartmann, Repräsentation, S. 262 ff., 265 ff., 285 f., hat das Nötige zu dieser "subjektiven", "der Schmittschen Eigentlichkeitsbehauptungen verwiesenen" "Wesensanalyse" gesagt, daß sie nämlich nichts als Ideologie sei; scharfe methodische Kritik schon von D. Sternberger, Zur Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 197 ff.; auch von W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 153 ff. 697 So auch V: Hartmann, Repräsentation, S. 263 Fn. 19, S. 265, 267. 698 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 213; ders., Der Begriff des Politischen, S. 30 u.ö.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 29, 78, 142 f., 167, 183 u.ö. 699 Verfassungslehre, S. 325; i.d.S. auch H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78 ff. ("Die Idee der Demokratie entspricht Führerlosigkeit ... Denn die soziale Realität ist Herrschaft und Führerschaft", S. 79); W. Leisner, Der Führer, S. 183 ff. ("Die Partei zwischen normativer Demokratie und Führung"); auch K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 127 ff., 141 ff.; U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, 1961, in: H. Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, 1968, S. 409; vgl. auch W. Henke, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung, 1991, Rdn. 263 zu Art. 21, der die Oligarchisierungskritik zurückweist und Führung in den Parteien befürwortet; dazu 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff. (insb. S. 1074 ff.), 1086 ff., 1113 ff. (insb. S. 1120).

49*

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

dem V o l k 7 0 0 ist nicht mehr, wie bei Carl Schmitt, existentiell, sondern legitimatorisch, ohne freilich irgend jemanden überzeugt zu haben, wohl nicht einmal die Parteienoligarchie. Leibholzens Lehre ist schlicht Verfassungsbruch, den er selbst erkannt hat 7 0 1 . Art. 21 Abs. 1 GG ist nicht "revolutionär", wie Leibholz meinte 702 , sondern die Parteienstaatsdoktrin mißachtet die Grenzen der Lehrfreiheit, nämlich die Pflicht "der Treue zur Verfassung" (Art. 5 Abs. 3 GG), weil Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, aber auch die sittliche Bestimmung der Freiheit als Grundprinzipien der grundgesetzlichen Republik verdrängt werden. "Die Parteienoligarchie will die Sicherung ihrer selbst. Sie identifiziert sich mit dem Staat an sich und mit dem Volk. ... Die Sicherung der Parteienoligarchie tötet schließlich das politische Leben der bundesdeutschen Bevölkerung." - Karl Jaspers 703

5. Kapitel Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus I.

Die Lehre von der Parteiendemokratie als Apologie des verfassungswidrigen Parteienstaates Es ist etabliert, die moderne Demokratie als Parteiendemokratie zu identifizieren und gar den Parteienstaat als Verwirklichung des demokratischen Prinzips zu legitimieren 704 . Parteien dieses Parteienstaates sind die "fest-

700

Das Wesen der Repräsentation, S. 240 f.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 81 ff.; Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 58 f.; u.ö.; zur Kritik Hinweise in Fn. 657 ff., S. 764 ff., 703; mit Hinweisen W. Manti , Repräsentation und Identität, S. 158 f., 169 ff.; D. Grimm, HVerfR, S. 331 ff. 701 Dazu die Hinweise in Fn. 702. 702 Das Wesen der Repräsentation, S. 94, 98 ff., 224 ff., 254 ff.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff., 83; ders., Strukturprinzipien des modernen Verfassungsstaates, S. 25 ff.; ders., Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 53 ff. u.ö. 703 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 143 f. 704 Deutlich H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 14 ff., 20 ff., 53 ff., 78 ff., 106 ff. (gegen Triepel); R. Thoma, HbdDStR, Bd. I, S. 190; G. Radbruch, HbdDStR, Bd. I, S. 288; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 122, 224 ff., 235 f., 245 ff., 254 f.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff. u.st.; P. Badura, Die parteienstaatliche Demokratie und die Gesetzgebung, S. 17 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 982 ff. (mit Einschränkungen); H.-P. Schneider, HVerfR, S. 252 ff.; D. Grimm, Die politischen Parteien, HVerfR, S. 318 ff., 359, 370 u.ö.; ders., Parlament und Parteien, S. 199 ff.; H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 117 ff., insb. S. 141 ff., 153 f.; H. Dreier, AöR 113 (1988), S. 482 f.; vgl. i.d.S. schon StGH RGZ 118, Anh. 29; st.Rspr. mit gewissen Nuancierungen BVerfGE 1, 208 (224 ff.); 2, 1 (10 ff., 72 ff.);

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

773

organisierten", die "festgefügten Parteien", nicht die "liberalen Parteien", die Carl Schmitt gegenüberstellt 705 . "Repräsentation kann im Staat der Gegenwart nicht ohne Parteien auskommen", lehrt Klaus Stern, der dem Leibholzschen Repräsentationsbegriff folgt 7 0 6 . "Die parlamentarische Demokratie ist notwendig ein Parteienstaat", meint Peter Badura und spricht von der "nun demokratisch und parteienstaatlich verwandelten parlamentarischen Repräsentation", von "einer mehr radikal-egalitären parteienstaatlichen Demokratie." 707 Roman Herzog hat erwogen, die Führungen der politischen Parteien als Repräsentationsorgane einzustufen 708 ; Karl-Ulrich Meyn lehrt die "Repräsentationsfunktion der politischen Parteien" 709 . Als "repräsentative Leitungsorgane" behandelt auch Ernst-Wolfgang Böckenförde "die Führungsorgane der politischen Parteien", weil die "parlamentarische Demokratie zugleich die Form der Parteiendemokratie (Art. 21 GG)" habe 710 . Hans-Peter Schneider lehrt: "Während mit der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts das System der Nationalrepräsentation (Parlamentssouveränität) durch die egalitären Formen der Parteienrepräsentation (Volkssouveränität) abgelöst worden ist, hat sich auch das parlamentarische System gewandelt: Die

4, 27 ff.; 4, 144 (149 ff.); in erschreckender Deutlichkeit BVerfGE 80, 188 (219); auch BVerfGE 84, 304 (322); E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S. 29 ff., 39 ff., allerdings lehrt eine "demokratische Repräsentation", welche die Parteien nicht integriert, aber auch nicht ausschließt; differenzierend und kritisch gegenüber der Parteienstaatslehre Ph. Kunig, Parteien, HStR, Bd. II, S. 104 ff., 145 f.; scharfe Kritik am "pluralistischen Parteienstaat", dem "labilen Koalitions-Parteienstaat" der Weimarer Zeit hat geübt C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 246 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., 100 ff.; ders., Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 41 ff.; H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, 5. 8 ff.; weitere Hinweise in Fn. 49, 10. Teil, 2. Kap., S. 1054. 705 Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; dazu M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, der S. 322, 327, "keine prinzipielle Frage" erkennt; dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1158; 8. Teil, 3. Kap., S. 713 f., wo die Schmittschen "liberalen Parteien" als politische Gesprächskreise vorgestellt werden. 706 Staatsrecht I, S. 964. 707 HStR, Bd. I, S. 982, 974; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 490. 708 Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 216 f., 296. 709 Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 252 ff., 370 ff. 710 HStR, Bd. II, S. 44; ähnlich schon, ders., Demokratie und Repräsentation, S. 30.

774

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Parlamente stellen demokratische "Volksvertretungen", die Kabinette "Parteiregierungen" dar." 711 Martin Kriele, der Lehrer der Unparteilichkeit 712 , steuert eine wiederum empiristische Wesensschau bei, wie immer, wenn die Verfassung gefügig gemacht werden soll: "Partei- und Fraktionsbildung ist eben dem Parlamentarismus wesensimmanent."... "Vernunft ist ihrem Wesen nach dialektisch und kann sich nicht anders verwirklichen als durch Parteien und Parteienkampf."..." Der Parteienkampf gehört zum Wesen des Parlamentarismus." 713 Krieles Parteienstaatslehre bricht mit seiner von Kant beeinflußten Lehre von der freiheitlichen Demokratie des Verfassungsstaates 714. Dieter Grimm schließt seine parteiendemokratische Lehre vom Parlament mit einer resignierenden Erkenntnis ab: " A m Beispiel von Parlament und Parteien zeigt sich daher erneut, daß die Parteien, wiewohl für die repräsentative und pluralistische Demokratie unersetzbar, doch eine der wesentlichen Schwachstellen des Systems bilden, gegen die überzeugende Abhilfen bisher nicht entdeckt worden sind" 7 1 5 . Diese Sätze akzeptieren die parteienstaatliche Verfassungswirklichkeit und sind Ausdruck der herrschenden deutschen Staatsrechtslehre. M i t dem Prinzip Republik läßt sich weder eine Parteiendemokratie, wenn der Begriff eine durch Parteien bestimmte Demokratie definieren und legitimieren soll, noch gar ein Parteienstaat vereinbaren 716 . Die Lehre vom parteienstaatlichen Charakter der "modernen Demokratie" und damit des "heutigen Parlamentarismus" war die empirische Entdeckung der Weimarer Staatsrechtslehre und ihre folgenschwere Auslieferung des

711

HVerfR, S. 253, vgl. auch S. 256 ff.; dagegen etwa Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 130. Die demokratische Weltrevolution, S. 93, 99 (Zitat 7. Teil, 5. Kap., S. 593). 713 Einführung in die Staatslehre, S. 322, 327; vgl. ders., VVDStRL 29 (1970), S. 69. 714 Kriele analogisiert die politischen Parteien mit Prozeßparteien (Einführung in die Staatslehre, S. 324 ff.) und idealisiert diese Gliederungen der pluralen Parteienoligarchie (dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 3. Teil, 3. Kap., S. 197 f.; 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1080 ff., 1086 ff., 1113 ff.) als Elemente des "dialektischen" Prozesses der "Vernunft." 715 Parlament und Parteien, S. 216; ähnlich empirisch resignierend M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 325 f.; zu den "Abhilfen", die längst bekannt sind, vgl. 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 f. 716 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. (insb. S. 23, 45 ff.); 5. Teil, 4. Kap., S. 352 f.; 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; auch 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 655 ff., 672 ff., 710 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 7,2

775

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus Sollens an dieses S e i n 7 1 7 , d e m v o r a l l e m Heinrich gegengetreten i s t 7 1 8 . Carl

Schmitt

Triepel

engagiert ent-

hat feststellen müssen, daß wegen der

"festorganisierten Parteien" "die ideellen Voraussetzungen des Parlamentarismus

i n der heutigen

D e m o k r a t i e " weggefallen seien, n ä m l i c h die ' D i s k u s s i o n ' u n d die ' Ö f fentlichkeit'" 719. Gerhard

Leibholz,

Leibholz

aber hat

der Schüler Triepels,

h a t , Schmitt

darin

bestätigt 7 2 0 .

"den Strukturwandel der D e m o k r a t i e v o n der repräsentativ-parlamentarischen zur parteienstaatlichen D e m o k r a t i e " zur Grundthese seiner verfassungsändernden Lehre g e m a c h t 7 2 1 : "Zusammenfassend kann m a n hiernach sagen, daß, o b w o h l die V ä t e r des Grundgesetzes eine antiplebiszitäre, repräsentative D e m o k r a t i e haben ins

717 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 247 f., 318 f.; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 5 ff., 41 ff., 62 f.; ders., Legalität und Legitimität, S. 7 ff., 20 ff.; ; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., 100 ff.; ders., Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 41 ff. (differenzierend kritisch); vor allem G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 98 ff., 114 ff. mit Hinweisen, S. 224 ff., 249 ff.; ders., Verfassungsrechtliche Stellung und innere Ordnung der Parteien, Verh. des 38. DJT (1950), C, S. 2 ff.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 62 ff., 72 ff. u.st.; auch O. Koellreutter, Die politischen Parteien im modernen Staate, 1926, S. 62 ff.; R. Thoma, HbdDStR, Bd. I, S. 186 ff.; G. Radbruch, HbdDStR, Bd. I, S. 285 ff.; F. Morstein-Marx, AöR 50 (1926), S. 430 ff.; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 14 ff., 20 ff., 28 ff., 38 ff., 53 ff., 78 ff., 106 ff.; vgl. auch M. Weber, Parteiwesen und Parteiorganisation, in: Staatssoziologie, 2. Aufl. 1966, S. 50. 718 Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 8 ff., der die vielfältigen nicht parteienstaatlichen Erscheinungsformen des Parlamentarismus darlegt, selbst allerdings den "atomistischen Individualismus" für die Entwicklung zum Parteienstaat verantwortlich macht. 719 Verfassungslehre, S. 318 f.; dazu ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 27 ff., 41 ff., 52 ff., 63; ders., Legalität und Legitimität, S. 28; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 89 f. u.ö.; H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 119, erklärt es als eine "Mißdeutung", daß "das Parlament die Stätte des öffentlichen und zugleich rationalen Diskurses, ..." sei, und verzichtet damit von vornherein auf eine freiheitliche Lehre vom Parlament, das er als ein "Organ auch der Herrschaft" vorstellt (S. 118 f.), aber auch einräumt, daß ihm das "Grundgesetz ... einer adäquaten Erfassung von Stellung und Funktion des Bundestages ... im Wege" stehe (S. 117). 720

Das Wesen der Repräsentation, S. 103, 174 ff., 213 ff.; ders., VVDStRL 7 (1932), S. 164

ff. u.ö. 721 Das Wesen der Repräsentation, S. 94, 98 ff., 114 ff., 224 ff., 246 ff., 252 ff., 269 ff.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 62 ff., 72 ff., 79 ff.; ders., Strukturprinzipien des modernen Verfassungsstaates, S. 25 ff. u.st.; so aber auch schon C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; vgl. dazu kritisch W. Manti, Repräsentation und Identität, S. 159 ff., 164 ff.; kritisch etwa D. Grimm, HVerfR, S. 331 ff. m.w.H. in Fn. 44; dazu KA. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 198; dazu auch 8. Teil, 5. Kap., S. 763 ff.

776

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Leben rufen wollen, der heutige Parteienstaat in Wirklichkeit eine rationalisierte Erscheinungsform der plebiszitären Demokratie ist." 7 2 2 Leibholz hatte keinen Zweifel, daß der Parteienstaat mit der Weimarer Verfassung unvereinbar sei, und hat darum Art. 21 GG als parteienstaatliche Revolution bewertet 723 . Leibholz ist mit dieser These den Konsequenzen seiner Erkenntnis, daß die parteienstaatliche Demokratie und der republikanische Parlamentarismus unvereinbar seien, dem Verdikt nämlich, der Parteienstaat sei verfassungswidrig, ausgewichen. Nichts dürfte ihn mehr zum Richter des Verfassungsgerichts des bundesdeutschen Parteienstaates qualifiziert haben als diese umstürzlerische Lehre; denn das Bundesverfassungsgericht hatte die Kompetenz und hat sie noch heute, das republikanische Verfassungsrecht gegen die parteienstaatliche Verfassungswirklichkeit zu verteidigen. Noch immer setzt sich Macht gegen das Recht durch, heute nur weniger gewaltsam. Die Parteienoligarchie nutzt dafür die Ämter, vor allem die Richterämter, und besetzt sie mit Juristen, deren Einbindung in die Parteienoligarchie sie sicher sein kann 724 . Die parteienfreundliche Rechtsprechung ist durch bindende Texte nicht gefährdet, seit das Verfassungsrecht durch die parteienstaatliche Verfassungsrechtslehre aufgeweicht ist. Hans Meyer leitet seine parteienstaatszentrierte Lehre von der "Stellung der Parlamente in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes" mit einem ehrlichen Satz ein, der das Versagen der Staatsrechtslehre gegenüber der Verfassungsrechtsbeugung durch den Parteienstaat dekuvriert: "Grundgesetz, Tradition und eine idealisierende Vorstellung stehen einer adäquaten Erfassung von Stellung und Funktion des Bundestages gleichermaßen im Wege." 725 Was heute politische Wirklichkeit sei, sei letztlich mit den traditionellen Grundlagen der liberal-repräsentativen, parlamentarischen Demokratie im

722 Der moderne Parteienstaat, S. 83 u.ö.; zum plebiszitären Charakter der parteienstaatlichen Listenwahlen nach dem Verhältniswahlsystem auch schon C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 85 ff. 723 Das Wesen der Repräsentation, S. 94, 98 ff., 224 ff., 254 ff.; ders., Strukturprinzipien des modernen Verfassungsstaates, S. 25 ff.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff., 83 ("etwas Revolutionäres..."); ders., Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 53 ff. u.ö.; die These der Unvereinbarkeit "des fest organisierten Parteiensystems mit den Normierungen und Voraussetzungen der Verfassung", der WRV also, hat auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., herausgestellt, im Anschluß an H. Triepel (S. 84). 724 Dazu 9. Teil, 6. Kap., S. 969 f.; 10. Teil, 5. und 6. Kap., S. 1113 ff., 1131 f.; auch 7. Teil, 3. Kap., S. 548. 725 S. 117.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

Sinne des Art. 38 Abs. 1 GG nicht mehr vereinbar, klärt Leibholz richtig auf. Der Abgeordnete sei nicht mehr im Sinne des parlamentarischen Repräsentativsystems ein "Vertreter des ganzen Volkes, der an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen ist." 7 2 6 ... "Insoweit ist der Abgeordnete heute fremdem Willen unterworfen; insoweit kann er nicht mehr als Repräsentant im Sinne des Art. 38 GG, der in Freiheit im Parlament unter Einsatz seiner Persönlichkeit und nur seinem Gewissen unterworfen seine politischen Entscheidungen für das Volksganze fällt, angesprochen werden." 727 ... "In dieser Demokratie fehlt dem Abgeordneten i m Grunde genommen die letzte Legitimität, eine von den Parteien und Fraktionen abweichende Linie in Fragen von politischer Wichtigkeit zu verfolgen. In ihr sind nicht die Abgeordneten, sondern die Parteien in ihren Entschließungen frei und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden." 7 2 8 ... "Ohne Übertreibung kann man sagen, daß, wenn man die politische Wirklichkeit heute näher analysieren will, sie mit der Verfassungsnorm des Art. 38 GG schlechthin unvereinbar ist." - Gerhard Leibholz 129 Leibholz genügt Legitimität, um Legalität zu verdrängen. Auch insoweit ist er Schmittianer. Schmitt hat vor allem die "plebiszitäre Legitimität" in einen Gegensatz zur "gesetzgebungsstaatlichen Legalität" gestellt und erkannt, daß es um den "Kampf zwischen zwei Arten dessen, was Recht ist", gehe 730 . Leibholz relativiert somit nicht nur Art. 38 GG, einen Stützpfeiler der republikanischen Verfassung, mit dem an sich kläglichen Hinweis auf Art. 21 Abs. 1 GG 7 3 1 , sondern wechselt das Prinzip des Rechts aus. Er rechtfertigt die parteienstaatliche und damit herrschaftliche Gesetzlichkeit, welche bürgerliche Rechtlichkeit schon deswegen nicht erreichen kann, weil sie nicht freiheitlich ist. Wenn das Grundgesetz sich für plebiszitäre Legitimität anstelle von republikanischer Legalität entschieden hätte, wäre das in der Tat ein Revolution. Nur dürfte man das grundgesetzlich verfaßte Ge-

726 Das Wesen der Repräsentation, S. 98 ff., 228 f., 262; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 76 f.; genauso C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 28; ders., Verfassungslehre, S. 319. 727 Der moderne Parteienstaat, S. 73; in der Sache nicht anders schon ders.: Das Wesen der Repräsentation, S. 98 ff., 228 ff.; ders., VVDStRL 7 (1932), S. 165, 168. 728 Das Wesen der Repräsentation, S. 228. 729 Das Wesen der Repräsentation, S. 254. 730 Legalität und Legitimität, S. 62 ff., 69. 731 Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 109 ff., legt richtig dar, daß Art. 21 Abs. 1 GG nichts für die Parteienstaatsdoktrin hergibt; so auch Ρ Badura, HStR, Bd. I, S. 983.

778

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

meinwesen dann nicht zu den westlichen Demokratien 732 rechnen. Vor allem wäre Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG, der "die Würde des Menschen für unantastbar" erklärt, reine Heuchelei. Aus dem Zugeständnis des Grundgesetzes, daß "die politischen Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken", eine angesichts der parteienstaatlichen Verhältnisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihrer Zurückhaltung wohlbegründete und besonnene Regelung, läßt sich eine Entscheidung für die Staatsform eines demokratistischen Parteienstaates, also für einen Systemwechsel gegenüber der Weimarer Reichsverfassung, welche die übrigen Grundprinzipien der Verfassung, vor allem das Prinzip der Freiheit als Verwirklichung der Würde des Menschen, nicht nur relativiert, sondern weitgehend ruiniert, schlechterdings nicht herleiten. Vor allem gilt das für das Prinzip der Republik, aber auch für die verschiedenen Prinzipien des Rechtsstaates und das Prinzip des Föderalismus, welche alle durch die Parteienoligarchie ausgehöhlt werden 7 3 3 . Ganz im Gegenteil muß die politische Betätigung der Parteien sich in die Verfassungsprinzipien einfügen, sie muß dem Prinzip des Rechts treu bleiben, dem Prinzip, wenn man so will, der Legalität, welches untrennbar mit dem Prinzip der Moralität verbunden ist 7 3 4 . Nur das läßt sich Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes nennen. Es gilt nicht nur, die Republik gegen den Parteienstaat zu verteidigen, sondern freiheitliche Legalität gegen herrschaftliche Legitimität. Das Bundesverfassungsgericht hat sich die Parteienstaatsdoktrin seines Richters Leibholz (von 1951 - 1971) weitestgehend zu eigen gemacht 735 : "Heute ist jede Demokratie zwangsläufig ein Parteienstaat." - BVerfGE 1, 208 (224). "Die moderne parteienstaatliche Demokratie ist ... durch

732

Dazu E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, insb. S. 32 ff., 69 ff. Dazu Th.F.W. Schodder, Föderative Gewaltenteilung in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, insb. S. 131 ff., 228 ff.; H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 26 ff., zu "Wandel und Auflösung der Gewaltenteilung" im Parteienstaat; i.d.S. schon C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 73 ff.; P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 811, spricht von der "gewaltenverbindenden Parteiendemokratie der Gegenwart". 734 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff. (insb. S. 306 ff.), auch 6. Kap., S. 418 ff.; 1. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; zur bürgerlichen Moralität vgl. die Hinweise in Fn. 38, 8. Teil, 1. Kap., S. 644; zum Verhältnis der Gesetze zum Recht Hinweise in Fn. 354, 9. Teil, 2. Kap., S. 884. 735 Dazu Rh. Kunig, HStR, Bd. II, S. 104 f.; D. Grimm, HVerfR, S. 331 ff.; an BVerfGE 20, 56 ff. (Parteienfinanzierung) hat G. Leibholz nicht mitgewirkt. 733

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

779

Art. 21 GG in Bund und Ländern verfassungsrechtlich sanktioniert (...)." BVerfGE 4, 144 (149). "Im Zeichen der Entwicklung zur Parteiendemokratie sind sie (sc. die Fraktionen) notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung." - BVerfGE 80, 188 (219) Das Bundesverfassungsgericht ist dem Parteienstaat so weit entgegengekommen, fraktionslosen Abgeordneten das Stimmrecht in den Ausschüssen zu verweigern, denen sie mit Rede- und Antragsrecht angehören, weil sie nicht auch für eine Fraktion stimmen würden 736 . I m Zeichen der Entwicklung zur Parteiendemokratie sieht das Gericht die Fraktionen als "heute politisches Gliederungsprinzip für die Arbeit des Bundestages, ... notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung." 737 Unter dem Grundgesetz hat Karl Jaspers die republikwidrige Parteienoligarchie zurecht ohne jede Toleranz kritisiert 738 . Die gegenwärtige deutsche Staatsrechtslehre folgt weitestgehend der Leibholzschen Parteienstaatsdoktrin, zumal diese, wie aufgezeigt, im wesentlichen vom Bundesverfassungsgericht übernommen worden ist 7 3 9 . Leibholzens These von dem Widerspruch zwischen dem Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und dem Art. 21 Abs. 1 GG und damit dem Widerspruch zweier Verfàssungsprinzipien in einem Verfassungstext wird allerdings regelmäßig zugunsten einer Relativierung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch Art. 21 Abs. 1 GG zurückgewiesen. Art. 21 Abs. 1 GG soll die Parteienherrschaft rechtfertigen 740 . Art. 38 Abs. 1

736

BVerfGE 80, 188 (217 ff.); vgl. auch BVerfGE 84, 304 (321 ff.). BVerfGE 80, 188 (219); vgl. auch BVerfGE 70, 324 (350 f.); vgl. auch BVerfGE 84, 304 (322), wo der Hinweis auf Art. 53 a Abs. 1 S. 2 GG unterblieben ist und nur noch Art. 138 Abs. 1 S. 2 GG als Rechtsgrundlage der Fraktionen genannt ist, während noch in BVerfGE 70, 324 (350) ganz anders nur Art. 21 GG zur Rechtsgrundlage der Parlamentsfraktionen erhoben wurde, wie noch in BVerfGE 10, 4 (14). Der Hinweis auf Art. 53 a Abs. 1 S. 2 GG, der vorschreibt, daß die Abgeordneten des Bundestages "entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen" für den Gemeinsamen Ausschuß bestimmt werden, trägt diese parteienstaatliche Verzerrung des republikanischen Parlamentarismus nicht nur wegen des Ausnahmecharakters (des Verteidigungsfalles) der Vorschrift nicht, sondern vor allem, weil das republikanische Prinzip in Art. 1 GG und Art. 20 GG verankert ist und somit durch Art. 79 Abs. 3 GG vor Verfassungsänderungen geschützt ist. 738 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff. 739 Vgl. die Hinweise in Fn. 667, 9. Teil, 4. Kap., S. 766; Fn. 49, 10. Teil, 2. Kap., S. 1054. 740 Etwa P. Badura, Bonner Komm., Rdn. 23 ff. Anh. zu Art. 38; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 490 ff. (moderat); ders., HStR, Bd. I, S. 983 ff. (zurückhaltend); H.-P. Schneider, HVerfR, S. 256 ff.; D. Grimm, HVerfR, S. 331 ff., 352 ff.; ders., Parlament und Parteien, S. 199 ff. (mit Zurückhaltung); H. Meyer, VVDStRL 33 (1975) Ls. 2, S. 95; ders., 737

780

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

S. 2 G G hingegen w i r d parteienstaatlich g e b e u g t 7 4 1 . E i n Beispiel bieten Hasso Hofmann

u n d Horst

Dreier,

die Gerhard

Leibholz

zwar kritisieren,

selbst aber d e m Parteienstaat extrem entgegenkommen: " F u n k t i o n a l sind freies M a n d a t u n d Parteienstaatlichkeit z w e i verschiedene D i n g e . D i e entsprechenden verfassungsrechtlichen Regelungen ( A r t . 38 A b s . 1 S. 2 u n d A r t . 21 G G ) sind also nicht e t w a ' p r i n z i p i e l l unvere i n b a r ' , sondern ergänzen sich, i n d e m sie verschiedene Aspekte desselben Problems regeln. Verfehlt ist es daher auch, freies M a n d a t u n d Parteiabhängigkeit

als

Verfassungsrecht

kontrastieren." - Hasso Hofmann/Horst

und

Verfassungswirklichkeit

Dreier

zu

742

Z u m einen verfaßt A r t . 21 G G nicht einen Parteienstaat, sondern läßt die M i t w i r k u n g der Parteien bei der politischen W i l l e n s b i l d u n g des Volkes zu; z u m anderen läßt die Parteienstaatlichkeit nichts v o m freien M a n d a t übrig, was n o c h der grundgesetzlichen Verfassung der Freiheit genügen könnte. Hofmann

u n d Dreier

"verfassungsrechtliche

preisen ihre A r g u m e n t a t i o n als "nüchtern" an, w e i l Einrichtungen

natürlich

einem

Funktionswandel

unterliegen" k ö n n t e n 7 4 3 . Sie unterwerfen die Verfassung, n ä m l i c h A r t . 38 A b s . 1 S. 2 G G , konsequent der verfassungswidrigen Realität:

Die Stellung der Parlamente, S. 119, erklärt einen an diskursiver Erkenntnis des Rechts orientierten Parlamentarismus für eine "Mißdeutung" und lehnt damit sogar eine Restriktion der Parteienherrschaft durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ab (Zitat S. 781 f., auch S. 782); K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 251 ff., 370 ff.; M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 15; H. Hofinann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 184 f.; richtig dagegen Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 130. 741 Dazu unten 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 668, 710 ff. (insb. S. 712), 810 ff.; Hinweise zum vermeintlichen Spannungsverhältnis zwischen Art. 21 und Art. 38 GG etwa BVerfGE 2, 1 (72 f.); 4, 144 (149 f.); vgl. auch 44, 125 (138 ff.); 63, 230 (242 ff.); G. Leibholz, Der moderne Parteienstaat, S. 68, 77, 84 ff.; ders., Das Wesen der Repräsentation, S. 211 ff., 235 ff.; kritisch H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 678 ff.; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 650 ff. (der für den gleichen Rang beider Vorschriften plädiert, aber den Abgeordneten scharf an die Partei bindet, S. 653 ff.); dazu K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 195. 742

H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 185, unter Berufung auf BVerfGE 2, 1 (72), die auch die Herrschaft ideologisieren (a.a.O., S. 175, 176, 179); vgl. auch H. Hofinann, Parlamentarische Repräsentation und parteienstaatliche Demokratie, in: ders., Recht - Politik - Verfassung, 1986, S. 255 ff.; so schon M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 15 f.; i.d.S. auch D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 205 f.; ders., HVerfR, S. 354 f.; auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 598 ff., S. 229 ff. 743 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 184, die ausgerechnet G. Leibholz diesen Aspekt übersehen zu haben entgegenhalten, der seine Lehren vor und nach Erlaß des Grundgesetzes vorgetragen hat; zumindest eine kurze Chance, nach der Verfassung zu leben, sollte man dem Verfassungsgeber, dem Volk, schon einräumen. Richtig geht ausschließlich vom Verfassungstext aus Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 105, der sich zu Recht von der Verfassungswirklichkeit nicht beeindrucken läßt.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

781

"Heute ist jene Formel (sc. die des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) auf den ersten Blick eher überständig und realitätsfern", aber: "Sieht man das Parlament dergestalt im Ganzen als eine repräsentative 'Teilkörperschaft', dann besteht keine Notwendigkeit, den einzelnen Abgeordneten in offenkundigem Widerspruch zur Realität als Repräsentanten der Gesamtheit zu idealisieren und die niemals erfüllbare Erwartung an ihn heranzutragen, er werde in absoluter Distanz zu allen bloß partikularen Interessen einzig und allein dem (von wem zu definierenden?) Gemeinwohl dienen." - Hasso Hofmann/Horst Dreier 744 Für eine derartig verfassungsvergessene Realität ist die Verfassungsrechtslehre mitverantwortlich. Die Verfassungswirklichkeit reklamiert auch, wie schon Gerhard Leibholz 145, Hans Meyer gegen das Verfassungsrecht: "Da die Parlamentswahl kein Personalplebiszit für den Abgeordneten, sondern ein Richtungs- und Parteienplebiszit ist 7 4 6 , wirkt jede an Art. 38 orientierte Überhöhung des Abgeordnetenmandats peinlich. Der Abgeordnete ist Abgeordneteter von Parteignaden, die Partei hat ihn nominiert und er wird um ihretwillen, nicht um seinetwillen gewählt. Die Attribute, die ihm Art. 38 GG gewährt, sind daher mit aller Nüchternheit zu betrachten." - Hans Meyer 747 Martin Kriele geht besonders weit: "Der Parteienkampf gehört zum Wesen des Parlamentarismus." Und begründet das zum einen mit einer Parlamentarismusgeschichte, die zugleich eine Parteiengeschichte war, ein fragwürdiger Empirismus, und zum anderen mit einem noch fragwürdigeren Wesensbegriff der Vernunft: "Vernunft ist ihrem Wesen nach dialektisch und kann sich nicht anders verwirklichen als durch Parteien und Parteienkampf." 748 Der gern herausgekehrte Realismus vieler Parteienstaatslehrer nimmt die wirklichen Verhältnisse des entwickelten Parteienstaates, vor allem die

744 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 178 in Fn. 69 (nicht einmal der formale Gemeinwohlbegriff scheint Hofmann und Dreier bei ihrer empiristischen Argumentation eingefallen zu sein, dazu Hinweise in Fn. 175, 8. Teil, 1. Kap., S. 668). 745 Etwa, Das Wesen der Repräsentation, S. 98 ff., 249 ff. ("Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit"); ders., Der moderne Parteienstaat, S. 79 ff.; ders., VVDStRL 7 (1932), S. 164 ff. 746 Anderer und richtiger Ansicht etwa U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, S. 386 ff., 400. 747 Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes, VVDStRL 33 (1978), S. 93; ebenso ders., Die Stellung der Parlamente, S. 141, 154. 748 Einführung in die Staatslehre, S. 327.

782

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

innere Demokratiefeindlichkeit der Parteienoligarchien 749 , selten zur Kenntnis, im übrigen im Gegensatz zu den empirischen Parteienanalysen 750 . Dieser Realismus, der schlicht den Unterschied von Sein und Sollen in der Verfassungsrechtslehre ignoriert, ideologisiert die Parteienherrschaft. Typisch für eine Ideologisierung ist es, daß die parteienstaatlichen Gegebenheiten mißachtet und der Text der Verfassung, und zwar Wortlaut und Geist derselben, beiseite geschoben, vor allem aber der verfassungsgemäße Parlamentarismus verhöhnt wird. Es scheint, man möchte den "neuen Herren" {Hans Herbert von Arnim 151) gefallen. Dieser Opportunismus versäumt es nicht nur, den republikanischen Parlamentarismus zu verteidigen, sondern ruiniert die Verfassung der Freiheit. Eine Ausnahme macht die republikanische und im Grundsatz rousseauische Repräsentationslehre Herbert Krügers 152, der allerdings die Gefahr der parteienstaatlichen Herrschaft für die Freiheit unterschätzt hat 7 5 3 . Hans Hugo Klein, Richter am Bundesverfassungsgericht, schreibt 1987: "Jedenfalls ist das (notwendiger- und legitimerweise) von den politischen Parteien beherrschte Parlament nicht der Ort einer Diskussion, 'die von dem Zweck beherrscht ist, den Gegner mit rationalen Argumenten von einer Wahrheit und Richtigkeit zu überzeugen oder sich von einer Wahrheit und Richtigkeit überzeugen zu lassen'" 754 . Hans Meyer, ohne es zu sagen, ganz Gerhard Leibholz verpflichtet, verschärft diese Entparlamentarisierung des Parlaments: "Eine vierte Mißdeutung schließlich, die mit der dritten (sc. "der kämpferischen Tradition des Parlaments", " dem monarchischen Prinzip ... Widerpart zu sein") zusammenhängt, zeigt das Parlament als die Stätte des öffentlichen und zugleich rationalen Diskurses, auf welchem Wege nachvollziehbar die richtige Entscheidung einer Angelegenheit gefunden werden soll. Die Versuche, 'das Richtige' personell durch die Auswahl

749 Dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 713 ff., 5. Kap., 792 ff.; 10. Teil, 3., 4., 5. und 8. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff., 1158 ff. 750 Dazu die Hinweise in Fn. 749; insb. 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 f. mit Fn. 86, 87, S. 1061, 1062. 751 Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.3.1990. 752 Allgemeine Staatslehre, S. 232 ff.; ebenso Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 104 ff., der texttreu argumentiert. 753 Dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 367 ff. 754 HStR, Bd. II, S. 344 (das Zitat Kleins stammt von Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 9), vgl. auch S. 363; i.d.S. schon G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 254, 258; so auch D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 199.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

783

der Besten, der aristoi, oder funktional durch Überzeugung, also mit Hilfe rationaler Argumente zu gewinnen, sind ebenso alt, wie in ihrem Lichte das Parlament schwach aussehen muß. Auch hier wird ein goldenes Zeitalter des Parlamentarismus beschworen, das nie existiert hat und dennoch als leuchtender Hintergrund dient, vor dem sich die Wirklichkeit des Parlaments der Gegenwart nur dunkel abheben kann." - Hans Meyer 75 5 So ist die Wirklichkeit der Parteiendemokratie, "dunkel", genauer: schmutzig, das schmutzige Geschäft, das die mit Recht verdrossenen Bürger 7 5 6 in der Politik sehen. Wer einen solchen Parlamentarismus legitimieren will, indem er die Ideen, die Tradition und gar das Grundgesetz beiseite schiebt, wie Meyer, w i l l die Republik jeder Chance berauben, weil er die freiheitliche Kritik an der Herrschaft nicht ertragen kann. Die Logik des republikanischen Parlamentarismus, die Ethik als die Lehre von der Freiheit, und damit dessen eigentliche Verfassungsgrundlage Art. 1 Abs. 1 GG ist Meyer fremd 7 5 7 . Die Parteienoligarchie benutzt das Parlament, um das Volk zu beherrschen. Nach dem Grundgesetz soll es aber ganz anders sein. Das Parlament soll der Freiheit und dem guten Leben des Volkes dienen. Die Verfassungswidrigkeit des entwickelten Parteienstaates hat Klein dadurch erhellt, daß er dem Parlament nur noch eine "Öffentlichkeitsfunktion" zuerkennt 758 , die in einem solchen Parteienstaat nur noch als Herrschaftsmittel eingesetzt wird, insbesondere als Mittel der Werbung um Herrschaftslegitimation. Meyer meint, die "eigentliche Gesetzgebung" finde "in den Ausschüssen statt", die nicht öffentlich tagen, so daß die Besetzung des Plenums gewaltenteilungsrechtlich nicht relevant sei 759 . Durchgehend werden rechtliche Bedenken mit dem Hinweis auf parteienstaatliche Praktiken, deren Verfassungsmäßigkeit aus ihrer bloßen Existenz geschlossen wird, zurückgewiesen, eine ganz schmittianische Argumentation: Die Existenz legitimiert 7 6 0 .

755 Die Stellung des Parlaments, S. 119; ähnlich M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 165 ff., 325 ff., dessen Parteienparlamentslehre seine sonst konsequente Rechtslehre ruiniert. 756 Dazu 10. Teil, 10. Kap., S. 1173 ff. 757 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 125 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 504 ff.; auch 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 280 ff., 325 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 662, 668 ff. 758 HStR, Bd. II, S. 362 ff.; so schon G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 254, 258. 759 Die Stellung der Parlamente, S. 130. 760 Vgl. dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 748 ff.

784

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Eine verfassungsrechtliche Spannungslage zwischen einem Prinzip parteienstaatlicher Demokratie, verankert in Art. 21 GG, und einem anderen Prinzip, eines republikanischen Parlamentarismuses, das vor allem in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zum Ausdruck kommt, gibt das Grundgesetz nicht her. Eine solche Spannung zwischen grundgesetzlichen Prinzipien setzt deren prinzipielle Unvereinbarkeit voraus, wie sie Gerhard Leibholz angenommen hat 7 6 1 . Das Prinzip der Einheit der Verfassung gebietet widerspruchsfreie Interpretationen und würde es rechtfertigen, widersprechende Prinzipien im Sinne der Verfassungseinheit zur "praktischen Konkordanz", wie sie Konrad Hesse lehrt 7 6 2 , zu relativieren. Voraussetzung wäre jedoch, daß Art. 21 GG dem Parteienstaat eine Verfassungsgrundlage verschafft. Dem steht nicht nur der Wortlaut dieser Vorschrift entgegen, sondern das grundgesetzliche Prinzip der sittlich bestimmten Freiheit, deren Logik zum Parlamentarismus i m Sinne des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG führt 7 6 3 . Die herbeigeredete Spannungslage 764 lädt zu den unterschiedlichsten Konzepten der Verhältnisse der Parteien zu den Fraktionen und den Abgeordneten ein, die allerdings angesichts der Parteienoligarchie regelmäßig parteienstaatlich dominiert sind und dementsprechend die jede Parteienstaatsdoktrin störende Gewissensbindung der Abgeordneten herunterzuspielen, ja oft die Berufung auf die systembestimmende Entscheidung in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch Hohn zu tabuisieren versuchen 765 . Die Tabuisierung eines Verfassungsprinzips

761 Dazu die Hinweise in Fn. 146, 723; vgl. auch die Hinweise in Fn. 227, 10. Teil, 4. Kap., S. 1093; diese Position Leibholzens ist viel kritisiert, etwa K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 262 ff.; P. Badura, GG, Bonner Komm., Rdn. 26 ff., 65 ff. zu Art. 38; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 19 zu Art. 21; D. Grimm, HVerfR, S. 331 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 321 ff., auch S. 165 ff.; richtig Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 104 ff., 125 ff., 143 ff. 762

Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 71 f., S. 26 f., gegen "vorschnelle 'Güterabwägung'" oder gar "abstrakte 'Wertabwägung'" (dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 880 ff., 895 ff.). 763 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 62 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff., insb. S. 668 ff.); zur Repräsentation Hinweise in Fn. 51, 8. Teil, 1. Kap., S. 646. 764 Vgl. die Hinweise in Fn. 227, 10. Teil, 4. Kap., S. 1093. 765 So schon, oft zitiert, F. Morstein-Marx, Rechtswirklichkeit und freies Mandat, AöR 50 (1926), S. 435, 439, 443 (... Satz, der "in einen Katechismus" gehöre; "fossiles Requisit aus der verfassungsgeschichtlichen Steinzeit"); auch W. Steffani, Parlamentarismus ohne Transparenz, Kritik III, 1971, S. 35, hat von einer überflüssigen "Katechismus-Sentenz" gesprochen, obwohl Steffani jedenfalls heute zu den Kritikern der Verhältnisse des Parteienstaates zu rechnen ist; ebenso ders., Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 160 f.; manch einer versucht, die Verbalinjurie von Morstein-Marx zu übertreffen, etwa H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 178 ("überständige und realitätsferne" Formel, die "vom ideologischen Ballast befreit" werden müsse); H. Dreier, AöR 113 (1988), S. 464 f.; vgl. auch H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 93; ders., Die Stellung der

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

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soll dessen Verletzung legitimieren. Obwohl das nun schon fast ein Jahrhundert lang versucht wird, gelingt es nicht, weil Parteienherrschaft keine Legitimationschance hat 7 6 6 . Die großen Lehrer der Republik haben sich vom Parteienwesen distanziert, vor allem Rousseau, aber auch schon Hobbes und später Kant, in der Gegenwart Karl Jaspers 161. "Wenn die Bürger keinerlei Verbindung untereinander hätten, würde, wenn das Volk wohlunterrichtet entscheidet, aus der großen Zahl der kleinen Unterschiede immer der Gemeinwille hervorgehen, und die Entscheidung wäre immer gut. Aber wenn Parteiungen entstehen, Teilvereinigungen auf Kosten der großen, wird der Wille jeder dieser Vereinigungen ein allgemeiner hinsichtlich seiner Glieder und ein besonderer hinsichtlich des Staates; man kann dann sagen, daß es nicht mehr so viele Stimmen gibt wie Menschen, sondern nur noch so viele wie Vereinigungen. Die Unterschiede werden weniger zahlreich und bringen ein weniger allgemeines Ergebnis. Wenn schließlich eine dieser Vereinigungen so groß ist, daß sie stärker ist als alle anderen, erhält man als Ergebnis nicht mehr die Summe der kleinen Unterschiede, sondern einen einzigen Unterschied; jetzt gibt es keinen Gemeinwillen mehr, und die Ansicht, die siegt, ist nur eine Sonderanschauung. U m wirklich die Aussage des Gemeinwillens zu bekommen, ist es deshalb wichtig, daß es im Staat keine Teilgesellschaften gibt und daß jeder Bürger nur seine eigene Meinung vertritt." - Rousseau 76 8

Parlamente, S. 119 (Zitat oben S. 782); auch W. Zeh, HStR, Bd. II, S. 398; K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 268 f. 766 Zum Machiavellismus der Wahl eines parteilichen Lagers des geringeren Übels 10. Teil, 5. Kap., S. 1126 ff. 767 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 31 f.; Leviathan, S. 209; Über den Gemeinspruch, S. 163; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff.; auch H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, passim, etwa S. 29; ein ständiger Kritiker des Parteienstaates ist H.H. v. Arnim, etwa, Entmündigen die Parteien das Volk? Parteienherrschaft und Volkssouveränität, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 21/90, 25 ff., und ders.'. Die neuen Herren des Volkes. Die Parteien sind zur stärksten Macht im Staate geworden, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.3.1990; auch ders., Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S. 1 ff.; auch C. Schmitt ist Kritiker des "pluralistischen Parteienstaates", etwa ders.. Der Hüter der Verfassung, 5. 83 ff.; Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, S. 41 ff. u.ö. (dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 122 f.; 7. Teil, 4. und 6. Kap., S. 577 f., 625 ff.), aber trotz seiner Beiträge zum Gesetzgebungsstaat (vgl. 8. Teil, 4. Kap., S. 745 ff.; zum Gesetzgebungsstaat vgl. die Hinweise in Fn. 436, 8. Teil, 3. Kap., S. 722) kein Lehrer der Republik, sondern der demokratistischen Führerschaft, also der rechtlosen Despotie (vgl. 8. Teil, 4. Kap., S. 741 ff., 754 ff.); dazu 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff. Schachtschneider

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

"Verbindungen von Bürgern, welche sonst zur gegenseitigen Verteidigung geschlossen wurden, sind in einem Staat, welcher an und für sich schon eine gemeinschaftliche Verbindung aller Bürger ist, unnötig und wegen möglichem Landesverrat verdächtig. Deshalb sind sie unerlaubt und werden gewöhnlich Parteien und Verschwörungen genannt. Sooft aber überhaupt die Absicht, mit der sich Bürger verbinden, verheimlicht wird, ist diese Absicht dem Staate gefährlich, folglich ungerecht und schon ihre Verheimlichung ein Verbrechen. Wenn eine große Gesellschaft die höchste Gewalt besitzt und einige von ihnen ohne Mitwissen der übrigen unter sich beratschlagen, wie sie die ganze übrige Gesellschaft nach Willkür beherrschen, so sind sie eine Partei und eine unerlaubte Versammlung, die zur Befriedigung ihrer Ehrsucht durch List andere zur Empörung verführen wollen." - Hobbes 769 Auch in dieser Frage hat Hobbes das Wesentliche erkannt und zum Ausdruck gebracht. Kant hat sich gegen die "geheimen Gesellschaften" ausgesprochen 770 . "Aber im allgemeinen liegt in dem Gedanken des Parteienstaates ein schwer auflösbarer Widerspruch". Das moderne Parteienwesen ist "das Symptom einer Krankheit", ein "Verfall", "eine moralische Verirrung." Heinrich Triepel 77 1 Triepels Erkenntnis vom Wesensgegensatz von Staat und Parteien mag liberal sein, Kelsen rügt sie als "biedermeierzeitlich" 772 , sie ist vor allem freiheitlich und bürgerlich. Kelsen, aber auch Leibholz reklamieren Modernität für ihre Parteienstaatslehre 773, eine Reklame, die vielen allemal reicht, um das Verfassungsrecht der jeweiligen Verfassungswirklichkeit zu unterwerfen. Sie liefert Verfassung und Gesetz kontingenter Wirklichkeits-

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Vom Gesellschaftsvertrag, S. 31 f., der auf die Parteiengegnerschaft Machiavellis, Geschichte von Florenz, 7. Buch, hinweist und hilfsweise vielfache Parteien empfiehlt, "damit der Gemeinwille immer aufgeklärt sei und das Volk sich nicht täusche." 769 Leviathan, S. 209; vgl. ganz i.d.S. die Kritik von C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 62, an der "Arkanpraxis" und den "geheimen Beschlüssen". 770 Über den Gemeinspruch, S. 163. 771 Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 25, 25 ff., auch S. 8 ff. 772 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 108, Fn. 17, auch Fn. 16 ff., mit dem schlichten, aber unergiebigen Hinweis auf die Wirklichkeit; Leibholz hingegen hat Triepels Kritik akzeptiert, Das Wesen der Repräsentation, S. 94. 77 3 H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 111; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 224 ff.; ders., Der moderne Parteienstaat, 1960, S. 68 ff. u.st.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

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schau aus, eignet sich aber bestens zur Ideologisierung von Herrschaft; denn rechtlichen Maßstäben setzt sie sich nicht aus. Wer Modernität für seine Meinungen in Anspruch nimmt, wirft abweichenden Erkenntnissen einen irrigen geschichtlichen Standort vor, ohne daß jemals eine geschichtliche Gesetzlichkeit nachgewiesen werden könnte 774 . Eine Wissenschaft, die sich von dem Dualismus von Sollen und Sein unabhängig macht, mag die Wirklichkeit beschreiben, kann aber nicht beanspruchen, das Recht zu lehren 7 7 5 . Immer ist eine solche Lehre in Gefahr, Ideologien zu produzieren, die freilich ihrem wissenschaftlichen Anspruch einerseits und ihrer Nützlichkeit andererseits ihre meist bedrückende Wirkung verdanken. Der wohl erfolgreichste polemische Ideologe der neueren Staatsrechtslehre, Carl Schmitt, hat uns gerade beschäftigt 776 . Rechtswissenschaft muß sich von den Texten der Verfassung und der Gesetze abhängig machen, selbst wenn das den Herrschern mit der Erkenntnis der Illegalität ihrer Herrschaft die Legitimation nimmt. Zu diesem Thema hat schon Rousseau geklagt: "Die Wahrheit führt aber nun einmal nicht zum Glück, und das Volk vergibt weder Botschafterposten noch Lehrstühle noch Pensionen." 777 Die Wahrheit bedarf des "revolutionären Charakters", d.h. der unabhängigen Persönlichkeit, des freien Menschen (Erich Fromm) 778, vor allem in politicis. Auch Bundesverfassungsrichter kann man nur werden, wenn die großen Parteien das wollen 7 7 9 . Warum sollte die im Bundestag und Bundesrat bestimmende Parteienoligarchie Richter wählen lassen, deren regelmäßig bekannten, weil veröffentlichten, Rechtsauffassungen parteienkritisch sind, welche gar die Gefahr heraufbeschwören, daß die milliardenschwere Beute, genannt Parteienfinanzierung, aber auch Mandate und Ämter sowie die damit verbundenen Pensionen wieder abgejagt werden. Das Grundgesetz

774 Der Historizismus hat gegenwärtig an sich keine Konjunktur; K.R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, hat das Nötige dazu gesagt, insb. Bd. 1, S. 31 ff.; ders., Bd. 2, S. 36 ff., 102 ff. gegen Hegel und Marx; gegen den Historizismus auch BVerfGE 5, 85 (197); zu den begrenzten Möglichkeiten der Geschichtswissenschaft H. Heller, Staatslehre, S. 48 ff. ("Staatslehre ist Strukturwissenschaft, nicht Geschichtswissenschaft"). 775 Zur kategorialen Bedeutung der Unterscheidung von Sein und Sollen für das Recht 3. Teil, 1. Kap., S. 172 f.; 7. Teil, 1. und 2. Kap., S. 520 f., 540 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff.; auch 2. Teil, 8. Kap., S. 138 f.; beachtenswert differenziert H. Heller, Staatslehre, S. 249 ff., 259 ff., zur "Frage nach dem Verhältnis von Normalität und Normativität in der Staatsverfassung" (S. 253). 776 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 777 Vom Gesellschafts vertrag, S. 30. 778 Der revolutionäre Charakter, in: ders., Das Christusdogma, 1963, S. 134 ff. ("Die Mehrheit hatte natürlich nie einen revolutionären Charakter", S. 151). 779 Dazu 9. Teil, 4. und 6. Kap., S. 939 f., 964 f., 975 ff.; etwa D. Grimm, HVerfR, S. 363.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

hält für die Parteienfinanzierung keine Rechtfertigung bereit 780 . Die Ämterpatronage ist verfassungswidrig 781 . Der zwölfköpfige Wahlmännerausschuß des Bundestages (§ 6 BVerfGG), der für den Bundestag die Richter des Bundesverfassungsgerichts wählt, ist eine verfassungswidrige (Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG, der Ausschuß ist nicht der "Bundestag") Einrichtung der pluralen Parteienoligarchie, die offen in stetiger großer Koaltition die wohl wichtigsten Personalentscheidungen des Parteienstaates nach den Bundestagswahlen trifft 7 8 2 . II. Die Wahlen als Chance für die Republik Demokratisches Essentiale sind die "allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen" Wahlen (Art. 38 Abs. 1 S. 1; 28 Abs. 1 S. 2 GG) 7 8 3 . Angesichts der parteienstaatlichen Verfassungswirklichkeit kann keine Rede von einer "Demokratie" sein, "in der die Bürger in voller Freiheit einige ihresgleichen in die Ämter wählen", wie Wilhelm Henke meint 7 8 4 . Das läßt die sogenannte Politikerklasse schon lange nicht mehr zu, die ihre Herrschaft mit manchen einfachgesetzlichen Instrumenten, vor allem aber mit vielfältigem Verfassungsbruch, nämlich der Ämterpatronage 785 , sichert. Die Wahlen sind nicht frei, solange Rechtsbruch den Parteien oder deren Mitgliedern Vorteile sichert. Vor allem sind die Wahlen nicht frei, solange die Sperrklauseln die etablierten Parteien gegen Konkurrenten abschotten 786 . Dazu hat wiederum Carl Schmitt das Richtige gesagt: "Denn in letzter Konsequenz führt das Verhältniswahlrecht mit seinem Listensystem dazu, daß die Masse der Wahlberechtigten überhaupt nicht

780

Dazu 10. Teil, 3. und 8. Kap., S. 1063, 1168 ff. Dazu 10. Teil, 5. und 6. Kap., S. 713 ff., 1113 f.; 7. Teil, 3. Kap., S. 548; auch 9. Teil, 6. Kap., S. 969 f. 782 Dazu 9. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 939 ff., 964, 975 ff., 783 Dazu Hinweise in Fn. 211, 1. Teil, 3. Kap., S. 41; vgl. zum Wahlwesen auch 1. Teil, 3. Kap., S. 66 f.; 7. Teil, 2. Kap., S. 539 f.; 8. Teil, 1. Kap., S. 675 f.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 f. 781

784

Recht und Staat, S. 610. Dazu 10. Teil, 5. und 6. Kap., S. 1113 ff., 1131; auch 9. Teil, 6. Kap., S. 969 f.; 7. Teil, 3. Kap., S. 548. 785

786 Dazu Hinweise in Fn. 468, 10. Teil, 8. Kap., S. 1148 f.; mit zurückhaltender Kritik H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 284 ff., der aber das Verhältniswahlsystem für verfassungsnotwendig hält, a.a.O., S. 263 ff.; ders., Die Stellung der Parlamente, S. 122, 156 mit Fn. 152, sein grundlegender Irrtum, dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

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mehr einen Abgeordneten wählt. Vielmehr geht folgendes vor sich: Aus dem Dunkel geheimer Beratungen unkontrollierbarer Komitees wird eine Pluralität von Parteilisten mit einer langen Reihe von Namen den Wählermassen vorgelegt; diese teilen sich dann bei der Wahl nach den Parteilisten auf. Es ist nicht mehr davon die Rede, daß der einzelne Wähler unmittelbar den einzelnen Abgeordneten bestimmt; es liegt nur noch eine statistische Gruppierung und Aufteilung der Wählermassen nach einer Mehrzahl von Parteilisten vor." 7 8 7 Die sich regelmäßig wiederholenden Wahlen sichern die Chance des Volkes, die Freiheit gegen Herrschaft zu verteidigen. Voraussetzung wäre, daß die genannten Wahlrechtsgrundsätze mit Leben erfüllt würden. Die Bürger müßten ihr politisches Amt als Wähler ihrer sittlichen Pflicht gemäß, also bürgerlich, erfüllen, d.h. sie müssen die Besten in die Parlamente entsenden, nicht gewissensarme Gefolgsleute von Parteiführern 788 . Nur unter dieser Voraussetzung können die Gesetze die Qualität von Recht erreichen und die Freiheit verwirklichen 789 . Das faktische Nominationsmonopol der Parteien 7 9 0 , gestützt durch das Wahl- und Parteienrecht, nimmt den Wahlen den freiheitlichen und in diesem Sinne demokratischen Charakter 791 . Gerhard Leibholz hat bereits klargestellt, daß das Verhältniswahlsystem, das Grundlage des Parteienstaates sei, mit dem Prinzip der Unmittelbarkeit der Wahl unvereinbar ist 7 9 2 . Die Wahlen sind demokratistisch, parteienstaatlich; denn sie sind nicht im republikanischen Sinne frei. Dennoch bleibt der Bürgerschaft die Chance, die Parteienoligarchien an der Herrschaft zu hindern. Die Wahlrechtsgrundsätze, jedenfalls der der freien Wahl, gehören zur Substanz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung 793 . Sie sind

787

Der Hüter der Verfassung, S. 86 f., 73 ff., grundlegend zur Kritik der "festorganisierten Parteien" des "pluralistischen Parteienstaates", dazu 10. Teil, 5. Kap., S. 1117 ff., auch 8. Kap., S. 1158 ff. 788 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 682 ff.; 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 ff. (insb. S. 1074 ff.), 1120 ff. 789 Dazu die Hinweise zur Sittlichkeit der Vertreter des Volkes in Fn. 146, 8. Teil, 1. Kap., S. 662; auch Fn. 157, 8. Teil, 1. Kap., S. 664 und Fn. 734, S. 778. 790 Dazu 10. Teil, 5. und 8. Kap., S. 1113 mit Fn. 312, S. 1147 ff.; etwa D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 199. 791

Vgl. C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 85 ff.; dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. VVDStRL 7 (1932), S. 167 f. 793 Argumentum aus dem Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG; vgl. BVerfGE 11, 351 (360) für "die Gleichbewertung aller Aktivbürger"; für den Grundsatz der freien Wahl BVerfGE 44, 125 (139); 47, 253 (283); vgl. H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 278. 792

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

aber wertlos, wenn die sittliche Chance, die sie sichern wollen, nicht genutzt wird und nicht genutzt werden kann. Noch hat das Volk in seiner Mehrheit die Herrschaft der Parteienoligarchie nicht als derart unerträglich empfunden, daß es die Wahlen genutzt hätte, die etablierten Parteien zurückzuweisen. Die Parteioligarchien pflegen sich um ihrer Herrschaft willen den vielfältigen Wählerinteressen soweit als möglich anzupassen. Dieser Populismus hat seine Gefahren für die richtige Sache. Er gibt den Meinungen von Vielen, die nicht schon die öffentliche Meinung sind 7 9 4 , einen erheblichen Einfluß auf die Politik. Politische Fehlentwicklungen hat somit, gerade weil unter dem Grundgesetz die Wahlen noch eine demokratische Chance lassen, das ganze Volk zu verantworten, vor allem die Verwandlung der Republik in eine Parteiendemokratie, in der Parteiführer herrschen, wenn auch populistisch, auf Wiederwahl bedacht, aber notfalls abwählbar. Diese populistische Demokratie hat bereits Aristoteles wie die Tyrannis als despotische Herrschaft von Volksführern eingestuft: "Der Charakter ist auch derselbe, beide herrschen despotisch über die Besseren." 795 Populistische Akzeptanz der Parteienherrschaft scheint man zunehmend als Verwirklichung der Demokratie genügen zu lassen 796 . Tua res agitur. Das Grundgesetz legt durch Art. 20 Abs. 2 GG die Sache in die Hand des Volkes, d.h. in die Hände aller Bürger. Res publica ist Sache des Volkes, res populi, weil anders diese Sache, das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit nämlich, keine gerechte Chance hat. Die Sache verlangt nach Sachlichkeit. Die Republik hat eine Verfassung, die keinen Bürger von der Politik ausschließt und somit alle Bürger als Mitgesetzgeber, als Politiker also, begreift 797 . Diese Bürgerlichkeit nennt das Grundgesetz

794 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 602 ff., 611 ff.; auch 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 ff. 795

Politik, S. 144, 1292 a 15 ff. Vgl. etwa E.-W. Böckenförde, Repräsentation und Demokratie, S. 19, 21 ff., 25, 29; ders., HStR, Bd. II, S. 43; ders., HStR, Bd. I, S. 921 f.; H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 176; H. Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 25 ff., 238 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 695 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 959 f. 796

797 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. (insb. S. 214); 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 584 f.; auch 9. Teil, 1. und 3. Kap., S. 820 ff., 929 ff.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

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demokratisch; denn die Bürger in ihrer Vielheit als Einzelne sind das Volk 7 9 8 . Art. 20 Abs. 1 GG lautet: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat". Oben ist darauf hingewiesen, daß eine Republik demokratisch sein kann und soll, aber nicht sein muß 7 9 9 . Das demokratische Element muß sich in die Verfassung der Republik einfügen und muß folglich bürgerlich, popularisch, verstanden werden. Es umfaßt, wie gesagt, vor allem die Wahlen des ganzen Volkes. Reinhold Zippelius sucht weitere "demokratische Faktoren" "der repräsentativen Demokratie", erwartungsgemäß ohne Erfolg 8 0 0 . Die Bürger wählen, nicht etwa das Volk als "politische Einheit" (Carl Schmitt 801). Das Volk in einem derart etatistischen Sinne kann ja nach Schmitt nur akklamie-

Zur Sachlichkeit zu finden, wird dem Volk im Parteienstaat schwer gemacht, weil die Propaganda der Parteien parteilich und vor allem entpolitisierend ist. Hans Meyer bezeichnet die Wahl als "Endpunkt einer lange dauernden kommunikativen Pression." 803 Die Bürger dürfen die Politik dennoch nicht aus der Hand gleiten lassen. Die Politik bleibt unvermeidbar ihre Sache, weil es um ihr gemeinsames Leben geht. Quod omnes tangit, ab omnibus approbatur. Noch hat das Volk die vom Grundgesetz garantierte Möglichkeit, sich der Parteienoligarchie zu entledigen, wenn es auch für das Volk schon schwierig geworden ist, sich auf den bürgerlichen Weg der Freiheit zu begeben. Die Parteienoligarchie hat die Instrumente zur Stabilisierung ihrer Herrschaft zunehmend erweitert, insbesondere durch die staatliche Parteienfinanzierung 804 .

798 Ganz so W. Leisner, Staatseinung, S. 31 f., 63 f. u.ö.; zur Identität des Volkes mit der Menge der Bürger oder Staatsbürger, der Bürgerschaft also, 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. (insb. S. 18 ff., 35 f.); 2. Teil, 4. Kap., S. 94 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 650 ff., 735 ff., 741 f. 799 1. Teil, 2. Kap., S. 12 f.; vgl. auch 1. Teil, 3. Kap., S. 34 ff., 64 ff.; insb. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 41. 800

Allgemeine Staatslehre, S. 175 ff. Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff. 802 Verfassungslehre, S. 25 ff., 83 f., 143, 277; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 22 f., 36 u.ö.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 741 ff., 754 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 43 f.; 2. Teil, 5. Kap., S. 100 ff. 803 HStR, Bd. II, S. 278. 804 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1168 ff., auch 3. Kap., S. 1064. 801

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

III.

Das Prinzip innerparteilicher Demokratie und die politikwidrige Parteienoligarchie Der entwickelte Parteienstaat ist republikwidrig 805 . Aber auch die Legitimität der Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG) steht und fällt damit, daß ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entspricht 806 . Dementsprechend hat Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG davon auch die Legalität der Parteien abhängig gemacht. U m diese innere Demokratie in den Parteien ist es schlecht bestellt, zumal der Gesetzgeber sie wenig stützt. Das Parteiengesetz ist denn auch das Gesetz der Parteienoligarchie. Allein die Instrumente der sogenannten Aufnahmefreiheit nach § 10 Abs. 1 S. 1 PartG und des Ausschlußrechts nach § 10 Abs. 4 PartG verbieten es, von freiheitlichen Parteien zu sprechen. Wer unbequem ist, wird erst gar nicht aufgenommen. "Die Ablehnung des Aufnahmeantrages braucht nicht begründet zu werden" (§ 10 Abs. 1 S. 2 PartG). Also kann sich ein Bewerber gegen die Willkür der Parteioligarchie nicht zur Wehr setzen 807 . Wer dem parteilichen Interesse der Partei schadet, etwa dadurch, daß er öffentlich Kritik an der eigenen Partei übt, wird aus der Partei herausgedrängt. Trotz allen Rechtsschutzes, der durch die Einrichtung der Parteischiedsgerichtsbarkeit gemäß § 14 PartG wirksam behindert wird 8 0 8 , ist die Aufnahme- und Ausschlußmacht der Parteioligarchie so groß, daß die freiheitswidrige Geschlossenheit einer Partei, welche nichts mit freiheitlicher Einigkeit zu tun hat 8 0 9 , durchgesetzt werden kann. Die Parteilichkeit ist auf Herrschaft, nicht auf die Verwirklichung der Freiheit ausgerichtet. Wer die Parteien als Kampfverbände erlebt und begreift und als solche nicht bekämpft, wie auch Martin Kriele 810, ist kein Lehrer der Freiheit, allenfalls ein irrender. 805

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. D. Grimm, HVerfR, S. 339 ff.; ders., Parlament und Parteien, S. 203, 205 f.; Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 115 ff.; so auch schon G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 261; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 91 f.; der Sache nach auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., zu den allein dem bürgerlichen Gesetzgebungsstaat genügenden "liberalen Parteien". 807 Vgl. dazu die ein wenig restriktive Rechtsprechung, BGH JZ 1987, 1076; dazu nicht unkritisch, W. Henke, GG, Bonner Komm., 3. Bearbeitung, Rdn. 272 zu Art 21; D. Grimm, HVerfR, S. 342 f. 808 Dazu 10. Teil, 9. Kap., S. 1169 ff. 809 Dazu 10. Teil, 3. und 8. Kap., S. 1069 ff., 1158 ff.; insofern wenig kritisch W. Leisner, Staatseinung, S. 164 ff., der die Parteien als "Einungsorganisationen" vorstellt (S. 167 ff.). 810 Einführung in die Staatslehre, S. 321 ff., insb. S. 325; so auch W. Henke, Bonner Komm., Rdn. 286 zu Art. 21; richtig in seiner Kritik H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 13; weitere Hinweise im 10. Teil, 5. Kap., S. 1128 f. in Fn. 375. 806

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

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Gerhard Leibholz hat die innerparteilichen Verhältnisse entweder nicht gekannt oder ignoriert, wie viele der gegenwärtigen Parteienstaatsideologen. Alle haben aber gewußt, daß der Parteienstaat ohne innerparteiliche Demokratie schlechterdings nicht legitimierbar ist 8 1 1 . Den immer wieder propagierten inneren Ausgleich der unterschiedlichen Meinungen oder gar Interessen im Volk leisten die Parteien nicht 8 1 2 . Auch diese Annahme soll die Parteien legitimieren und gehört zur Parteienstaatsideologie. Allenfalls leistet es die Parteienoligarchie, Meinungen und Interessen nicht zur Geltung kommen zu lassen, eine politische Funktion, weil es für die Bürger dadurch schwerer wird, an den Parteioligarchien vorbei Meinungen und Interessen in die politische Willensbildung einzubringen, wenn sie nicht Verbandsmacht haben. Den Parteimitgliedern wird noch weniger Gelegenheit zur Erörterung der Gesetzesvorhaben gegeben als den Parlamentariern 813 . Schon gar nicht werden öffentliche Diskussionen gepflegt. Keinesfalls organisieren die Parteien massenhaft die Aktivbürgerschaft, wie Leibholz angenommen hat 8 1 4 . In etwa 0,5% bis 1% der Bürger, seien es 10, 20 oder 30% der Parteimitglieder, die schwankend 4% bis 5% der Bürgerschaft ausmachen, sind aktiv in den Parteien 815 . Irgendeine Legitimation, den Rest von 99% der Bürger oder mehr zu beherrschen, können die Parteiaktiven nicht beanspruchen, zumal die Parteioligarchien niemanden zur Wirkung kommen lassen, der ihre Herrschaft zu gefährden droht. Der Parteienstaat hat demokratische Elemente, vor allem die Wahlen, ist aber nicht demokratisch. Die Parteien bestehen i m wesentlichen aus Führern und Gefolgsleuten. Den Ersteren geht es um die Herrschaft, den Ζ weiteren um Ämter 8 1 6 . Auch diese Empirismen sind grobmaschig und gelten nicht für

811 G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 261 (Tendenz zur "oligarchischen Herrschaftsorganisation"); ders., Der moderne Parteienstaat, S. 91 f.; H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 95; D. Grimm, HVerfR, S. 339 ff.; ders., Parlament und Parteien, S. 203, 205 f.; weitere Hinweise in Fn. 85, 87, 10. Teil, 3. Kap., S. 1061, 1062. 812

So aber BVerfGE 20, 56 (101); H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 183, 185; P. Badura, Bonner Komm., Rdn. 21 Anh. zu Art. 38; H.P Schneider, HVerfR, S. 256; D. Grimm, Parlamente und Parteien, S. 200, 202; dazu 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 608 ff., 628 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 658 ff. 813 A.A. G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 261; H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 185. 814 Das Wesen der Repräsentation, S. 256, 261; H. Hof mann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 174; Kritik insofern auch von D. Grimm, HVerfR, S. 332 f.; ders., Parlament und Parteien, S. 204 f. 815 Zur empirischen Analyse der "innerparteilichen Partizipation", O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, 1989, S. 32 ff., auch S. 1 ff. 816 Dazu näher 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

jeden Fall. Sie reklamieren aber auch nicht, wie die übliche empiristische Parteienstaatsdoktrin, eine Änderung der Verfassung zu legitimieren. Leibholz selbst warnt vor den "oligarchisch-autoritären Herrschaftstendenzen" in den Parteien 817 . Die Parteienoligarchie gelangt durch Parteiwahlen oder parteiliche Berufungen in die staatlichen Ämter. Die parteilichen Amtwalter sind von ihren Wählern legitimiert. Das legitimiert sie aber nicht gegenüber dem ganzen Volk, weil das Wahl-, das Parteien-, inbesondere das Parteifinanzierungsrecht, weder die innere Demokratie in den Parteien noch gar die Nomination der Besten als Vertreter des ganzen Volkes soweit als möglich sicherstellen. Das einfache Recht, vor allem das Verhältniswahlsystem, stabilisiert den Parteienstaat 818 , fördert aber nicht die freiheitliche Willensbildung des Volkes. Die Mehrheitsideologie vermag die Parteienstaatlichkeit nicht zu legitimieren 819 . Vor allem hat die Parteienherrschaft keine unausweichliche Realität; Parteienherrschaft ist nicht demokratisch essentiell 820 . Der Parteienstaat ist die Form einer republikwidrigen Oligarchie, die sich entwickeln und festigen konnte, weil sie nicht wirksam bekämpft wurde und wird. Sie entspricht der autoritären Sehnsucht wohl der meisten Menschen nach herrschaftlicher Geborgenheit. Die Parteiführer werden denn auch wie Fürsten hofiert; denn sie sind die "Herren unserer Demokratie" (Gerhard Leibholz) m. Oboedientia facit imperantem. Das Grundgesetz aber fordert die Menschen auf, Bürger zu sein, nicht Untertanen der Obrigkeit. Mag auch der Imperativ: "Sapere aude", Kants "Wahlspruch der Aufklärung" 8 2 2 , viele, wenn nicht die meisten Menschen überfordern, das Verfassungsrecht muß aufgeklärtem, also bürgerlichem, Handeln die größtmöglichen Chancen einräumen. Die Fähigkeit der Bürger zur Bürgerlichkeit darf um der Würde des Menschen willen nicht in Frage gestellt werden 823 . Die gebotene praktische Vernunft haben die Amtswalter

817

Der moderne Parteienstaat, S. 91 f.; ders., Das Wesen der Repräsentation, S. 261 (Tendenz zur "oligarchischen Herrschaftsorganisation"). 818 Dazu mit Hinweisen 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff.; vor allem C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 85 ff.; G. Leibholz, VVDStRL 7 (1932), S. 164 ff. 819 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 820 Zu dieser ebenso ideologisierenden wie legitimierenden Position vgl. die Hinweise in Fn. 704, S. 772; Fn. 49, 10. Teil, 2. Kap., S. 1054. 821 822 823

Das Wesen der Repräsentation, S. 255. Was ist Aufklärung?, S. 53. Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 138 ff.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

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zu repräsentieren 824 . Sie müssen die Besten des Volkes sein 825 . Dem widerspricht ihre Parteilichkeit. Freiheit und Recht hängen davon ab, daß die Abgeordneten das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit erkennen. Das setzt ihre Unabhängigkeit voraus, damit sie allein ihrem Gewissen gemäß entscheiden können 826 . Nur wenn Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG mit Leben erfüllt wird, sind wir frei. Richtig nennt Klaus Stern diese Vorschrift die "Magna Charta" des Abgeordneten 827 . Sie legt wie Art. 2 Abs. 1 GG die Ethik des Grundgesetzes fest, die Pflicht der Bürger und ihrer Vertreter zur Sittlichkeit 828 . M i t der Erfüllung dieser Pflicht steht und fällt die Freiheit. Der Widerspruch gegen die parteiliche Abhängigkeit der Abgeordneten ist die Verteidigung der Freiheit gegen die Herrschaft. Die Parteien können für die parlamentarische Vertretung des ganzen Volkes nützliche Dienste leisten, wenn sie die öffentliche Diskussion, den republikanischen Diskurs um das Richtige, fördern 829 . Dann dürften sie nicht herrschen wollen. Insbesondere müßten sie die Ämterpatronage aufgeben. Das ist viel verlangt und kann darum nur durch Gesetze erzwungen werden. Zur republikanischen Repräsentation tragen die Parteien, so wie sie sich seit eh und je darstellen, nichts bei. Die Gesetze, ihre Gesetze nämlich, lassen den parteilichen Amtswaltern die Möglichkeit des Mißbrauchs der Vertretungsmacht, die ihnen die Verfassung gibt, weil sie nun einmal gewählt sind. Solange die Parteiführer erfolgreich die höchsten Ämter im Staate beanspruchen, ist die res publica nicht res populi. Die innerparteilichen Verhältnisse können das parteienstaatliche Legitimationsdefizit gegenüber dem Prinzip der Republik nicht kompensieren, wie Leibholz es propagiert hat 8 3 0 .

824

Dazu die Hinweise in Fn. 75, 8. Teil, 1. Kap., S. 650. Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 662 ff., 674 ff., 679 ff.; 10. Teil, 3. Kap., S. 1080 f. 826 Dazu S. 710, 810; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. 827 Staatsrecht I, S. 1074, auch S. 604 ff., 608 ff., 959 ff., 1069 ff.; i.d.S. auch N. Achterberg, DVB1. 1974, 702 f.; ders., Das rahmengebundene Mandat, S. 12, der diese Magna Charta dann arg zerzaust und S. 19 zur Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers stellt, im Gegensatz zur Enquete-Kommission Verfassungsreform, Zwischenbericht, Zur Sache 1/73, S. 109; Schlußbericht, BT-Drucksache 7/5924, Kap. 2, Abschnitt 3. 825

828 Dazu 5. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 253 ff., S. 273 ff.; 4. Teil, 1. Kap., S. 207 ff.; 6. Teil, 8. u. 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 7. Teil, 1., 4. u. 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; weitere Hinweise in Fn. 824. 829 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 10. Teil, 4. u. 8. Kap., S. 1095 ff., 1099 ff., 1108 ff., 1158 ff., 1169 ff.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

IV.

Die plurale Parteienoligiarchie in den Institutionen des republikanischen Parlamentarismus und der neue Dualismus Die Institutionalisierung der parteilichen Parteien 831 in den westlichen Verfassungsstaaten hat sich als Fehlgriff bei der Suche nach der freiheitlichen Repräsentationsform erwiesen. In der Bundesrepublik Deutschland haben die sogenannten Volksparteien nicht das Vertrauen des Volkes. Sie werden als scheinbar notwendiges Übel, aber eben als Übel, akzeptiert 832 Nichts stabilisiert den Parteienstaat so sehr wie das vermeintliche Gegeneinander der parteilichen Lager. Viele Wähler sehen sich genötigt, das geringere gegen das größere Übel zu verteidigen und wählen darum ein gemeinsames Übel, die Parteienherrschaft. Sie übersehen dabei, daß sie von einer pluralen Parteienoligarchie beherrscht werden 833 . Viele Bürger aber haben die Fehlentwicklung erkannt. Nichtwahl und Protestwahl 834 entziehen der Parteienoligarchie die Legitimation und lassen hoffen, daß die Bürgerschaft sich der Republik entsinnt. Die rasante Entwicklung des Parteienstaates im 1989 von der sowjetischen Besatzungsmacht freigelassenen Teil Deutschlands, welche die bundesdeutschen Parteien mit ihren weitestgehend staatsfinanzierten Ressourcen forciert haben, verschärft die Vertrauenskrise des Parteienstaates. Die Integration der ehemaligen SED, die ihren Namen, Symbol für parteiliche Verachtung des Volkes, in PDS geändert hat, vor allem aber die Integration der ehemaligen Blockparteien, deren Mitglieder in der Regel nicht weniger versagt haben als die der SED, ist im Interesse der Stabilität der bundesdeutschen Parteienherrschaft gefördert worden. Auch diese Krise des Partei-

830

Hinweise in Fn. 811, S. 793. Zum Begriff der parteilichen Partei 10. Teil, 2., 3., 4. u. 8. Kap., S. 1057 f., 1060 ff., 1086 ff., 1158 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff. 832 Dazu die Erörterung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, 1985: Parteienstaatlichkeit - Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaats?, mit den Berichten von M. Stolleis, H. Schäfer und R.A. Rhinow, S. 7 ff., 46 ff., 83 ff. Aussprache, S. 114 ff; R. Stöss, Parteikritik und Parteiverdrossenheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 21/90, S. 15 ff., m.w.H. zu politologischen Untersuchungen; H. Rattinger, Abkehr von den Parteien? Dimensionen der Parteiverdrossenheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/93, S. 24 ff.; dazu die resignierende Schlußbemerkung von D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 216 (Zitat zu I); dazu 10. Teil, 2., 5. u. 10. Kap., S. 1054 ff., 1126 ff., 1173 ff. 833 Dazu 10. Teil, 5. Kap., S. 1126 ff. 834 Dazu J.W. Falter/S. Schumann, Nichtwahl und Protestwahl, zwei Seiten einer Medaille, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B. 11/93, S. 36 ff. 831

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

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enstaates drängt nach grundgesetzgemäßer Form der Repräsentation, welche den Einfluß von Parteien auf das Maß beschränkt, welches einer Republik nicht schadet. Dieses Maß hat Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG formuliert, der eine Parteienherrschaft nicht rechtfertigt 835 . Dennoch dürften in den ost- und mitteleuropäischen Staaten Mehrparteiensysteme ein deutlicher Fortschritt zur Freiheit gegenüber der Unterdrückung der Völker durch Einheits- oder Blockparteien sein. Es ist zu wünschen, daß die lange geknechteten Menschen zur bürgerlichen Freiheit finden, daß ihnen das Kunstwerk der Republik gelinge. Der Parteienstaat ist dieses Kunstwerk nicht. Nach vielen Dezennien der Herrschaft von parteilichen Parteien in aller Welt, immer dann menschenverachtend und zerstörerisch, wenn der parteilichen Herrschaft nicht hinreichende Grenzen gezogen werden konnten 836 , sollten Verfassungs- und Rechtslehre bemüht sein, den politischen Einfluß der parteilichen Parteien zurückzudrängen. Eine Republik jedenfalls kann Herrschaft parteilicher Parteien nicht dulden. Ein Parteienstaat ist keine Republik. Die parteienstaatliche Wirklichkeit unter dem republikanischen Grundgesetz dürfte wesentlich Grund dafür sein, daß eine grundgesetzliche Republiklehre so gut wie nicht entwickelt ist 8 3 7 . Die auch von Carl Schmitt mit dem Hinweis auf die Unterscheidung Machiavellis zwischen der Republik und der Monarchie als den beiden Staatsformen 838 etablierte und weitgehend rezipierte Lehre, das Prinzip der Republik verbiete lediglich das monarchische Prinzip, weicht dem Problem der republikwidrigen, demokratistischen Parteienherrschaft aus 839 .

835 Anders vor allem G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 224 ff., 254 ff. u.ö., und die gesamte Parteiens Staatslehre in unterschiedlicher Relativierung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, etwa P. Badura, Bonner Komm., Rdn. 30, 70 zu Art. 38; ders., HStR Bd. I, S. 974 f., 982 ff.; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 490 ff., 495; K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 234 ff., 296 ff., 370 ff.; H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 183, 185; H. Dreier, AöR 113 (1988), S. 464 f. 836 Zum grundgesetzlichen Gegengewicht gegen die Parteienoligarchie, die funktionalgesetzgebende Rechtsprechung, 9. Teil, 2., 4., 6. u. 10. Kap., S. 858 ff., 932 ff., 963 ff., 1027 ff.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 837 Vgl. zu den Ansätzen die Hinw. in Fn. 1, 1. Teil, 1. Kap., S. 1; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 838 II Principe, 1. Kap., S. 3 ("Alle Staaten, alle Gewalten, die Macht über Menschen gehabt haben und noch haben, sind entweder Freistaaten oder Alleinherrschaften"), gegen den aristotelischen Politie-Begriff, dazu 1. Teil, 2. Kap., S. 11 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 223 f. 839 Vgl. 1. Teil, 2. Kap., S. 11 ff.; Schmitt selbst hat den "pluralistischen Parteienstaat" als unvereinbar mit der Weimarer Reichsverfassung angegriffen, insb., Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; ebenso ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 62 f.; ders., Verfassungslehre, S. 318 f.; dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 775, auch 3. Kap., S. 713 f.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Wer im modernen Staat herrschen will, muß den Schein legitimierender Freiheit wahren. Er muß somit das dem Prinzip der Freiheit verpflichtete Parlament beherrschen. Noch schreibt die republikanische Verfassung auch dem entwickelten Parteienstaat den Parlamentarismus vor. Das parlamentarische Verfahren muß eingehalten werden; parlamentarische Mehrheiten sind für die Herrschaft unverzichtbar. Das Parlament ist jedoch weitgehend auf eine Art Notarfunktion reduziert. Die Entscheidungen werden von Parteigremien 840 , vor allem von Parteiführern und Parteitagen, aber auch, vorbereitet von den Ministerien 841 , in Parlamentsausschüssen getroffen. Ausschußberatungen sind kein Ersatz für Diskussionen im Parlament, weil sie (grundsätzlich) nicht öffentlich sind (§ 69 Abs. 1 S. 1 GeschO B T ) 8 4 2 , zumal sie noch mehr als das Parlament fraktionär gestaltet sind (§§ 60 ff. GeschO BT). Die Verfassungsänderung des Gesetzgebers im Dezember 1992 hat für Angelegenheiten der Europäischen Union den Schein der parlamentarischen Demokratie und damit der bürgerlichen Freiheit im Parteienstaat zerstört. Durch Art. 23 Abs. 2 und 3 n.F. GG wird der Bundestag auf das Recht zur Stellungnahme beschränkt, wenn Gemeinschaftsrechtsakte zu beschließen sind und dieses Recht soll nach Art. 45 GG n.F. auf ein Europaausschuß übertragen werden können. Die Bundesregierung hat die Stellungnahme lediglich zu berücksichtigen 843 . Das parteienstaatliche Führerprinzip wird damit, vermutlich um der Effizienz der Gemeinschaften willen, zum Verfassungsprinzip, das Parlament, entmachtet. Das aber wäre der von Karl Jaspers erwartete Schritt "von der Parteienoligarchie zur Diktatur" 8 4 4 gewesen, wenn nicht das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil den demokratischen und zugleich nationalen Parlamentarismus durch das Prinzip der begrenzten Ermächtigung der Europäischen Gemeinschaften als Kehrseite des demokratisch-rechtsstaatlichen Wesent-

840 Dazu 10. Teil, 4. u. 8. Kap., S. 1086 ff., 1164. Das haben die Weimaraner Staatsrechtslehrer schon klar gesehen: H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 14; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 319; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 62; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 98 ff., noch deutlicher seit der 2. Aufl. 1960, S. 224 ff., 254 ff. 841 Dazu F. Wagener, VVDStRL 39 (1979), S. 233 ff. 842 Zur Diskussion um den Auschluß der Öffentlichkeit der Parlamentsausschüsse vgl. W. Zeh, HStR, Bd. II, S. 454 f.; W. Steffani, Vom halböffentlichen zum öffentlichen Parlament, in: ders., Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 169 ff.; vgl. auch D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 219 ff. zur Bedeutung der Ausschüsse. 843 Dazu K.A. Schachtschneider, Die europäische Union und die Verfassung der Deutschen, S. 3, 6 f.; ders./A. Emmerich-Fritsche/Th.C.W. Beyer, JZ 1993, 755. 844 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 141 ff., 146 ff.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

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lichkeitsprinzips verteidigt hätte, so daß die Gemeinschaftskompetenzen dem Recht nach nur ausnähme- und ausführungshaft sind 8 4 5 . Immer werden sich Abgeordnete zur gemeinsamen parlamentarischen Willensbildung zusammenfinden, sich also gruppieren. Das darf aber nicht zu einem Gegeneinander der Abgeordneten im Parlament führen, die alle zusammen als Verfassungsorgan eine gemeinsame Aufgabe haben, die repräsentative Vertretung des ganzen Volkes vor allem bei der Gesetzgebung 8 4 6 . Schon gar nicht läßt sich irgendeine Abhängigkeit der Abgeordneten von den Beschlüssen der Fraktion oder gar der Partei rechtfertigen. Gruppierung kann die Parlamentsarbeit disziplinieren, um die Willensbildung des Parlaments zu fördern, darf diese aber nicht behindern. Jede Meinung muß zur Sprache kommen können. In den Gruppen dürfen die Abgeordneten ihre Meinungen erarbeiten, aber sie dürfen nicht fraktionieren. Fraktionen bestimmen die Meinungen der Abgeordneten durch Beschlüsse. Das geht über die diskursive Meinungsbildung hinaus und verfälscht den offenen Willensbildungsprozeß des Parlaments 847 . Jeder Abgeordnete, der i m Plenum nicht seiner eigenen Meinung gemäß stimmt, handelt gewissenlos 848 . Ein Fraktionsbeschluß kann seine eigene Erkenntnis des Richtigen nicht ersetzen. Der Abgeordnete darf sein Mandat nicht an die Fraktion und schon gar nicht an die Parteiführung delegieren. Der entwickelte Parteienstaat bemüht sich kaum noch um den Schein von freiheitlichem Parlamentarismus, sondern minimiert den Parlamentarismus unverdeckt auf dessen Verfahrensmechanik. Die Art und Weise, wie der Deutsche Bundestag vom Bundeskanzler Kohl an dem Vertragsverfahren zur Vorbereitung des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland beteiligt worden ist, macht augenscheinlich, daß das Parlament für die parteienstaatliche Willensbildung bedeutungslos ist. Die Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten hätte die Stunde auch des bundesdeutschen Parlaments sein müssen. Das Parlament hat sich aber den Diktaten des

845 BVerfGE 89, 155 (182 ff.); dazu K.A. Schachtschneider, Recht und Politik, 1994, 1 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75 ff., insb. S. 87 ff. 846 So auch BVerfGE 80, 188 (217 f.); BVerfGE 84, 304 (321); vgl. K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 188 ff. 847

Dazu auch 8. Teil, 5. Kap., S. 778 ff., 812 ff.; 10. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 1060 ff., 1086

ff. 848

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 810 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff., 1095 ff., 1108 ff., 1164 ff.; zum Gewissen auch 5. Teil, 6. Kap., S. 420 mit Fn. 798; 9. Teil, 1. Kap., S. 833 ff.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Kanzlers gefügt, nachdem auch die Oppositionsführung, soweit das erforderlich war, zugestimmt hatte. Mag es in dem Ausschuß "Deutsche Einheit" Einflußmöglichkeiten einiger Abgeordneter auf den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 gegeben haben, öffentlich ist dieser Einfluß nicht geworden. Eine öffentliche Diskussion hat das Parlament nicht veranstaltet. Das deutsche Volk ist durch die Auseinandersetzung um die strafrechtliche Regelung der Abtreibung von der eigentlichen Entscheidung des Einigungswerkes abgelenkt worden, nämlich von der Aufgabe des grundgesetzlichen Zieles, "die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden" (Präambel) 8 4 9 . Das Grundgesetz hatte bis zum Einigungsvertrag das gesamte Deutschland, "das Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937" 8 5 0 , auch die Gebiete jenseits der Oder-Neiße also, mit dem Begriff "Deutschland" im Einigungsgebot der Präambel S. 3 gemeint 8 5 1 . Parteiliche Parteien bewegen sich in den republikanischen Institutionen, weil diese ihnen vorgeschrieben sind. Sie haben diese ausgehöhlt und nutzen die institutionellen Hülsen für ihre Herrschaft. In parteilichem Mißbrauch des grundgesetzlichen Rechts der Politik hat der Bundeskanzler Kohl 1982 die Vertrauensfrage nach Art. 68 GG gestellt und sich das Vertrauen auch von den Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion absprechen lassen, die ihn kurz zuvor mittels konstruktiven Mißtrauensvotums nach Art. 67 GG zum Kanzler gewählt hatten und bereit waren, ihn nicht nur bei der manipulierten Wahl als Kanzlerkandidaten zu unterstützen, sondern, wenn möglich, auch wieder zum Bundeskanzler zu wählen, von den Gefolgsleuten des

849

Die Präambel ist durch das EinigungsVertragsgesetz vom 23. September 1990 in Verbindung mit Kap. II Art. 4 des Einigungsvertrages dahin geändert worden, daß "die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet" sei, eine Geschichtsfälschung. Richtig ist, daß das Ziel der ursprünglichen Präambel aufgegeben worden ist. Scharfe Kritik an dem "lügen- und stümperhaften Trauerspiel" mit der Präambel im Einigungsprozeß übt zu Recht H. Meyer, Das ramponierte Grundgesetz, KritV 1993, 399 ff., 422 ff. 850 Arg. aus Art. 116 Abs. 1 GG. 851 E. Klein, Bundesverfassungsgericht und Ostverträge, 2. Aufl., 1985, S. 46 ff., mit genauer Darstellung des Streitstandes, Erg. S. 53, 58; ebenso R. Bernhardt, Die deutsche Teilung und der Status Gesamtdeutschlands, HStR, Bd. I, S. 322 ff., 338, 344; i.d.S. auch BVerfGE 40, 141 (166 ff.); dazu nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland Th. MaunzJR. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 28. Aufl. 1991, S. 431, die sich auf den Standpunkt des Zweiplus-Vier-Vertrages vom 19.7.1990 (Art. 1) stellen, wonach es "andere Teile Deutschlands", außer der DDR, die nach Art. 23 GG hätten beitreten können, nicht gegeben habe, vielmehr Deutschland und Polen die zwischen ihnen bestehende Grenze "in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag" bestätigen werden.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

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Parteiführers also. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses unehrliche Verfahren, welches der Bundespräsident Carstens durch die fragwürdige Auflösung des Bundestages nach Art. 68 GG möglich gemacht hatte, mit Erwägungen der Regierungsstabilität toleriert (BVerfGE 62, 1 ff.) und damit dem Moralprinzip der Republik Schaden zugefügt 852 . Den Bürgern hat das Gericht Rechtsschutz gegen den Verfassungsbruch verweigert 853 , obwohl sie ein Grundrecht darauf haben, daß das von ihnen gewählte Parlament seine Aufgaben erfüllt und nicht manipuliert durch ein anderes ersetzt wird (argumentum aus Art. 38 Abs. 1 in Verb, mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) 8 5 4 . Das moralische Versagen der parteilichen Parteien, welches ihrem Begriff entspricht, ist das Charakteristikum der parteienstaatlich entarteten Republik. Carl Schmitt und Gerhard Leibholz haben die Verzerrung des Weimarer Gesetzgebungsstaates beschrieben 855 , ohne sich um die Verteidigung des Parlamentarismus zu bemühen, ganz im Gegensatz zu Heinrich Triepel 856. Der Vorwurf trifft, wie schon gesagt 857 , auch andere Staatsrechtslehrer der Weimarer Republik. Die Abgeordneten jedenfalls sind nach der Verfassung "Vertreter des ganzen Volkes" (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). Nur deswegen verpflichten die Beschlüsse des Parlaments das Volk 8 5 8 . Die von Ernst-Wolfgang Böckenförde genannte "formale Repräsentation" 859 ist oben schon erörtert 860 . In

852

Dazu wenig kritisch M. Schröder, Bildung, Bestand und parlamentarische Verantwortung der Bundesregierung, HStR, Bd. II, S. 618 f.; abgewogen H.H. Klein, Die Auflösung des Deutschen Bundestages nach Art. 68 GG, ZParl 14, 402 ff.; H.-R Schneider, AK-GG, Rdn. 2 ff. zu Art. 68 GG; ders., HVerfR, S. 272 f.; ders./W. Zeh, Koalition, Kanzlerwahl und Kabinettsbildung, in: dies., Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 1309 f. (unkritisch). 853 BVerfGE 62, 397 (399); 63, 73 (75). 854 I.d.S. hat BVerfGE 89, 155 (171 ff.) ein subjektives (Grund)recht auf substantiellen Parlamentarismus, gestützt auf Art. 38 Abs. 1 GG, anerkannt, ein wesentlicher Erfolg des Maastricht-Prozes ses. 855 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 318 f.; ders., Legalität und Legitimität, S. 7 ff., 20 ff.; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 5 ff., 41 ff., insb. S. 62 f.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 98 ff., 224 ff., 254 ff. 856 Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 9 ff., 26 ff. 857 Vgl. die Hinw. in Fn. 717 ff., 8. Teil, 5. Kap., I. 858 Dazu 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 647 ff., 655 ff., 707 ff. (insb. 714 ff., 718 ff.). 859 Demokratie und Repräsentation, S. 18 f.; ders., HStR, Bd. II, S. 39. 860 8. Teil, 2. Kap., S. 695 ff. 5

Schachtschneider

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

der Verfassungswirklichkeit des Parteienstaates ist die Vetretung des ganzen Volkes nur noch formal im negativen Sinne diese Begriffs. Die Abgeordneten folgen nicht mehr ihrem Gewissen, wie sie bevollmächtigt sind, und bringen darum nicht mehr den Willen des Volkes zum Ausdruck 8 6 1 , sondern den Willen der Parteioligarchien oder schärfer, mit Karl Jaspers, der Parteienoligarchie 862 . Das ist der klassische Fall des Mißbrauchs der Vertretungsmacht. Die Abgeordneten mißachten die innere Bindung ihrer äußeren Vertretungsmacht 863 . Die Abgeordneten sollen nicht etwa ihre Partei oder/und deren Wähler vertreten, wie oft zu lesen ist 8 6 4 ; denn nicht diese werden durch die Entscheidungen der Abgeordneten in besonderer Weise verpflichtet, sondern das ganze Volk. Die Wirklichkeit des moralischen Versagens der parteilichen Abgeordneten vermag an dem Amt der Abgeordneten nichts zu ändern, sondern beweist nur die Amtsunfähigkeit von Parteivertretern in Parlamenten, welche deren Negativauslese von den Parteiführern gepflegt wird; denn die Parteiführer pflegen subalterne Gefolgsleute selbständigen Persönlichkeiten, die Konkurrenten um die Macht werden könnten, vorzuziehen 865 . Das Wahlwesen vermag die Instrumentalisierung des Parlaments für die Herrschaft der Parteiführer nicht zu verhindern, sondern bewirkt lediglich, daß die Wähler einzelnen Parteien oder Parteienbündnissen die Regierungsverantwortung verschaffen können, während die konkurrierenden Parteien die Oppositionsrolle übernehmen müssen 866 . Dieser neue Dualismus 867 ändert aber nichts daran, daß das

861

Dazu die Hinweise in Fn. 848, S. 799, insb. S. 810 ff. Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff. 863 Zum Mißbrauch der Vertretungsmacht vertretungsdogmatisch W. Flume , Das Rechtsgeschäft, S. 788 ff.; Κ . Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 543. 864 H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 93 ff.; H. Dreier/H. Hofmann, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 178 (in der Sache); dazu K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 194. 865 Dazu 10. Teil, 3. u. 5. Kap., S. 1077 ff., 1113 ff. mit Fn. 315; 8. Teil, 1. Kap., S. 676 ff. 866 Ganz i.d.S. C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 85 ff. 867 Carlo Schmid, Die Opposition als Staatseinrichtung, 1955, in: H.-G. Schumann (Hrsg.), Die Rolle der Opposition in der Bundesrepublik Deutschland, 1976, S. 59 ff.; D. Sternberger, Opposition des Parlaments und parlamentarische Opposition. Eine Studie zum Problem der Gewaltenteilung, 1956, S. 76; W. Steffani, Parteienstaat und Opposition, 1965, in: ders., Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 207 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 1022 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 962 f., 984 f.; H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 358 f.; H.-P. Schneider, Verfassungsrechtliche Bedeutung und politische Praxis der parlamentarischen Opposition, in: H.-P. Schneider/W. Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 1055 ff.; H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 144, 147, 161; dazu K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 177 f. mit Hinweisen in Fn. 14; vgl. auch die Hinweise in Fn. 384, 10. Teil, 5. Kap., S. 1130 . 862

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

803

Volk i m entwickelten Parteienstaat von Parteiführern beherrscht wird, ohne daß diese Parteiführer als solche "Vertreter des ganzen Volkes" wären. Für den neuen Dualismus gibt es keinen rechtlichen Ansatzpunkt in der grundgesetzlichen Verfassung der Republik 8 6 8 . Der neue Dualismus ist eine politologische Beobachtung, welche die Wirklichkeit des Parteienstaates beschreibt. Die einheitliche Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) und das parlamentarische Regierungssystem (Art. 63, 67 G G ) 8 6 9 lassen es unter dem Grundgesetz nicht mehr zu, von einem Dualismus der Staatlichkeit zu sprechen, welcher im Gegensatz des bürgerlichen Parlaments zur monarchischen Regierung die Eigenart des monarchisch-liberalen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts bestimmte (alter Dualismus) 870 . Der Dualismus von Regierungsmehrheit und Opposition ist i m übrigen für die Verfassungswirklichkeit des Parteienstaates weniger bedeutsam, als die Herrschaft der Parteien selbst; denn die Parteioligarchien teilen sich die vielfältigen Möglichkeiten und Vorteile der Herrschaft weitgehend gütlich. Karl Jaspers erfaßt das Herrschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland darum auch als Parteienoligarchie 871 . Symptomatisch ist etwa die Vereinbarung der Bundestagsparteien über die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts872. Der neue Dualismus wirkt sich auf das Wahlwesen, wie schon mit dem Hinweis auf die die Parteienherrschaft stabilisierenden parteilichen Lager angedeutet wurde 8 7 3 , aus. Die Lehre vom neuen Dualismus ist von einer Hoffnung auf eine neue Gewaltenteilung getragen, weil die alte des 19. Jahrhunderts mangels monarchischen und dem folgenden liberalen Prinzips nicht mehr möglich ist und die Teilung der Ausübung der Staats-

868 Zum Widerspruch des neuen Dualismus zur republikanischen Repräsentation K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), insb. S. 188 ff.; H.-P. Schneider, Die parlamentarische Opposition, S. 1062 ff., sucht Ansatzpunkte im "DemokratieprinzipM, insb. im "Mehrheitsprinzip", das mit dem "Minderheitenschutz" verbunden sei, in der "Alternanzdemokratie", im "Verfassungsgrundsatz des Rechtsstaates", zu dem die "Gewaltenteilung" gehöre, und schließlich in der "bundesstaatlichen Ordnung", alles Aspekte, welche die Parteienstaatlichkeit zugrundelegen und darum im Grundgesetz nicht nachweisbar sind. 869

Dazu K. Stern, Staatsrecht I, S. 939 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 957 f., 958 ff.; Th. Oppermann, H. Meyer, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes, VVDStRL 33 (1975), S. 8 ff. bzw. 69 ff. 870 Dazu N. Gehring, Parlament - Regierung - Opposition, Dualismus als Voraussetzung für eine parlamentarische Kontrolle der Regierung, 1969; W Steffani, Parteienstaat und Opposition, S. 207 ff.; R. Wahl, HStR, Bd. I, S. 24 ff.; E.R. Huber, HStR, Bd. I, S. 51 ff. 871 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff. 872 Dazu 9. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 939 ff., 975 ff., 964. 873 S. 796 f.; dazu 10. Teil, 5. Kap., S. 1125 ff. 51*

804

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

gewalt jedenfalls zwischen der E x e k u t i v e u n d der L e g i s l a t i v e 8 7 4 i m Parteienstaat, wesentlich stem875,

gestützt durch

unterminiert

ist876.

Die

das parlamentarische Abgeordneten

der

Regierungssy-

Regierungsmehrheit

oder der O p p o s i t i o n nutzen das Parlament für ihre W a h l w e r b u n g 8 7 7 , nicht nur gegen das andere Lager, sondern mehr noch gegen A l t e r n a t i v e n zur gemeinsamen Herrschaft. D e n n o c h ist d e m Oppositionsprinzip, der V o l l endung des Parteienstaates, eine die Parteienherrschaft mildernde W i r k u n g n i c h t abzusprechen, die aber schon i m Mehrparteienprinzip angelegt ist, welches i m Parteienstaat unverzichtbar ist, damit er wenigstens "pluralistisch" ist, einen Rest an Freiheit b e w a h r t 8 7 8 . E i n diskursives, also republikanisches, Parlament bedarf keiner Opposition, w e n n u n d w e i l alle A b g e ordneten k r i t i s c h u m die bestmögliche Erkenntnis des R i c h t i g e n bemüht sind, eben w e i l es keine festgefügten Fraktionen i m Parlament g i b t 8 7 9 .

874 Die Rechtsetzung des Rates der Europäischen Gemeinschaften, welche das gemeinsame Leben weitgehend und zunehmend bestimmt, ist exekutivisch. Die Parlamente haben keine echten Gesetzgebungsbefugnisse, das Europäische Parlament hat in bestimmten Bereichen nach Art. 189b EGV (Maastricht) ein negatives Veto, somit ist es nur mit geringem Einfluß beteiligt, der Deutsche Bundestag hat nur (noch) das Recht zur Stellungnahme (Art. 23 Abs. 2 und 3 GG n.E). Das ist mit der gewaltenteiligen Funktionenordnung des Art. 20 Abs. 3 GG, die Essentiale der Republik ist, wegen der Kompetenzfülle der Gemeinschaft unvereinbar, vgl. K.A. Schachtschneider, Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, S. 6 ff.; dersJA. Emmerich-Fritsche/Th. C. W Beyer, JZ 1993, 754 ff. 875 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147, Fn. 468; zum alten Dualismus 3. Teil, 2. Kap., S. 175; etwa H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 125 f., 127 ff. 876 Dazu W. Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, S. 154 ff. ("Parlamentarisches System mit Kanzlerhegemonie"); K. Stern, Staatsrecht I, S. 1034 ff., der selbst der "alten Frontenstellung" noch in Grenzen nicht zu bestreitende Relevanz beimißt; ders., Staatsrecht II, S. 513 ff., insb. S. 538 f., auch S. 546 ff.; U. Scheuner, DÖV 1974, 43 f., 47; Th. Oppermann, VVDStRL 33 (1975), S. 64; H.-P. Schneider, HVerfR, S. 244 f.; ders., Die parlamentarische Opposition, S. 1064 f.; klar E. Stein, Staatsrecht, S. 155; vgl. K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 188 ff. 877 Vgl. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 243, gegen die Meinungsumfragedemokratie; gegen Demoskopie anstelle von Repräsentation auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 41; dagegen auch P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 139; vgl. auch H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 362 f.; H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 161; zur Problematik staatlicher Information und parteilicher Werbung BVerfGE 44, 125 (147 f.). 878 Dazu Hinweise in Fn. 354, 10. Teil, 5. Kap., S. 1123; 1. Teil, 3. Kap., S. 50 f.; auch 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff.; i.d.S. K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 137 f.; K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 188 ff. 879 Zur Fraktionierung als Bedingung des Oppositionsprinzips K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 175 ff.; i.d.S. auch die Definition der Opposition im Parlament von H.-P. Schneider, Die parlamentarische Opposition, S. 1070 f.; zum republikanischen Verbot der Fraktionierung 8. Teil, 5. Kap., S. 778 ff., 799 ff., 812 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff., auch 3. Kap., S. 1060 ff.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

805

V. Institutionelle Förderung eines echten Parlamentarismus Die republikanische Institution des Parlaments hält der Kritik nach wie vor stand. Der Parlamentarismus allein erlaubt es, die Freiheitslehre Rousseaus zu verwirklichen. Richtig ist, daß der entwickelte Parteien Staat, schon und vor allem wegen seiner herrschaftlichen Verhältnisse, mit Prinzipien, welche der Idee der Republik genügen, unvereinbar ist 8 8 0 . Eine Idee wird durch eine widrige Wirklichkeit nicht aufgehoben. Die Idee der Republik ist identisch mit der Idee der Freiheit. Sie findet Wirklichkeit nur im Parlamentarismus. Dieser muß von der Rechtsordnung verteidigt werden. Das Wahl-, Parteien- und Parlamentsrecht müssen in einer Weise verfeinert werden, daß das Parlament seine republikanische Relevanz wiedererlangt 8 8 1 . Das Parlament darf nicht Vehikel persönlicher Herrschaft sein. Das wichtigste Mittel, um das Parlament zum herrschaftlichen Instrument zu degradieren, ist es, die Abgeordneten abhängig zu machen. Das gelingt, solange verhindert werden kann, daß Abgeordnete mit moralischer Kompetenz kandidieren. Solange die Parteiführer wesentlichen Einfluß auf die Kandidatenaufstellung und wegen der Möglichkeit der Wiederwahl auf das Handeln der von ihnen in das Parlament beförderten Abgeordneten, aber auch auf deren weitere Karriere haben, wird die Wirklichkeit des Parlamentarismus Not leiden. Dem läßt sich jedoch abhelfen, indem das Wahlsystem, vor allem das Nominationswesen, geändert wird 8 8 2 . Keinesfalls dürfen die Parteien durch staatliche Finanzierung stabilisiert werden; denn das stabili-

880 So auch H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 24 ff.; i.d.S. auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; ders., Verfassungslehre, S. 319 u.ö.; insb. G. Leibholz, Triepels Schüler, Das Wesen der Repräsentation, S. 94, 98 ff., 224 ff., 235 ff., 254 f.; ders., ständig, etwa, Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff., 76 f., 84 ff., dazu unten S. 774 ff., 785 ff. Zitate; K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 190 ff. 881 I.d.S. R. Herzog, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts (bis 1994), HStR, Bd. III, S. 117, spricht von "Unzulänglichkeiten des geltenden Parteienrechts"; ganz i.d.S. schon H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 16 ff. (insb. zu Strategien, die "Nominierung korrupter Kandidaten zu verhindern"); Vorschläge i.d.S. unterbreitet K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 194 ff.; auch H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 31 ff.; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 688 ff.; dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. 882 Das hat schon H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 17 ff., vorgeschlagen; dafür plädiert auch H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk ?, S. 31 f.; dazu auch 809 ff.; zum Nominationsmonopol der Parteien 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 mit Fn. 312, auch 8. Kap., S. 1147 ff.

806

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

siert die Parteienoligarchie 883 . Die Stabilität des politischen Systems ist zu fördern, aber so, daß dabei die Freiheit nicht verloren geht. Die Verfassung der Freiheit ist das Grundgesetz, nicht das Parteiengesetz. Der regelhafte Wechsel der Abgeordneten und Inkompatibilitäten zwischen staatlichen Ämtern und parteilichen Funktionen dürften ein Schritt zur Wiederbelebung des Parlamentarismus sein. Den regelmäßigen Amtswechsel hat schon Aristoteles unter den Gleichen für unverzichtbar gehalten, um der Ungleichheit, also der Herrschaft, zu wehren: "Ferner werden die Ämter durch Los besetzt, entweder alle oder doch jene, die nicht der Erfahrung und Kenntnis bedürfen. ... Keiner darf sein Amt zweimal bekleiden, oder nur wenige Male oder in wenigen Fällen, abgesehen von den Kriegsämtern. Die Ämter sind alle kurzfristig, oder doch alle, bei denen es möglich ist." ... Denn für jene, "die einander gleich stehen, liegt das Schöne und Gerechte im Abwechseln; nur dies ist gleich und gleichmäßig. ... Also nur wenn ein anderer überlegen ist in der Tugend und in der Fähigkeit, das Beste zu vollbringen, so ist es schön, diesem zu folgen, und gerecht, ihm zu gehorchen. Es muß freilich nicht nur die Tugend vorhanden sein, sondern auch die Fähigkeit, zu handeln." 884 Das parteienstaatlich geprägte parlamentarische Regierungssystem 885 hat zur parteilich vermittelten Abhängigkeit der Abgeordneten der Regierungsparteien von der Regierung geführt, weil die maßgeblichen Regierungsmit-

883

Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1167 ff.; so auch K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 135 f.; i.d.S. auch H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 28 ff.; ders., Die neue Parteienfinanzierung, 1989, S. 113 ff.; ders., Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1991, S. 1 ff., 230 ff. 884 Politik, S. 204, 1317 b 20 ff., S. 223, 1325 b 5 ff. 885 Dazu etwa P. Badura, HStR, Bd. I, S. 958 ff., 972 ff., 982 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 939 ff., 954, 964 ff.; W. Steffani, Strukturtypen präsidentieller und parlamentarischer Regierungssysteme, in: Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 37 ff.; ders., Strukturprobleme parlamentarischer Demokratie, daselbst, S. 141 ff.; H.-P. Schneider, Das parlamentarische System, HVerfR, S. 239 ff.; dazu die von K. Kluxen herausgegebenen Beiträge zum Parlamentarismus, 3. Aufl. 1971; dazu auch die Beiträge vor allem des Siebten Teils: Das parlamentarische Regierungssystem, in dem von H.-P. Schneider und W. Zeh herausgegebenen Handbuch: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, S. 1297 ff.; auch H. Meyer, Die Stellung der Parlamente in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, daselbst, S. 117 ff.; D. Grimm, Parlament und Parteien, daselbst, S. 165 ff.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

807

glieder regelmäßig die Parteiführer sind 8 8 6 . Die Dominanz des Bundeskanzlers wird durch Art. 67 GG gestützt, der lediglich zuläßt, den Bundeskanzler und mit ihm die ganze Regierung durch die Wahl eines Nachfolgers zu stürzen 887 . Dieses sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum stabilisiert die Regierung und soll das auch. Die an sich für die Republik nützliche Einrichtung verstärkt im Parteienstaat die Macht des Parteiführers, der "Parteiregierung M (Dolf Sternberger***), wenn der Parteiführer zugleich Kanzler ist, jedoch republikwidrig, zumal darunter die Kontrollfunktion des Parlaments leidet 8 8 9 und das politische Leben gelähmt wird 8 9 0 . Die "Kanzlerhegemonie" (Winfried Steffani* 91) wird im Parteienstaat zur Kanzlerdemokratie, die allerdings meist zugleich eine Koalitionsdemokratie ist und dadurch den Parteikanzler vom Vertrauen der Parteiführung des Koalitionspartners abhängig macht 892 . In Angelegenheiten der Europäischen Union hat Art. 23 GG n.F. führerstaatliche Elemente in das Grundgesetz aufgenommen, die mit dem Prinzip einer demokratischen Republik, also der allgemeinen politischen Freiheit, unvereinbar sind. Dieses DezemberGesetz (1992) schreibt das parteienstaatliche Führerprinzip, welche die Verfassungswirklichkeit seit langem prägt, in den Text der Verfassung, ein Zeichen des krisenhaften Wechsels von der Freiheit zur Diktatur, Diktatur

886

Dazu W. Steffani, Strukturtypen präsidentieller und parlamentarischer Regierungssysteme, S. 37 f., 52 ff.; ders., Strukturprobleme parlamentarischer Demokratie, S. 154 ff., 160 ff.; H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 129. 887 Dazu H.-P. Schneider/W. Zeh, Koalitionen, Kanzlerwahl und Kabinettsbildung, S. 1308 f.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 960 ff. 888 Das angebliche Unrecht der Parteiregierungen, 1962, in: K. Kluxen (Hrsg.), Parlamentarismus, S. 374 ff. 889 Dazu W. Steffani, Formen, Verfahren und Wirkungen der parlamentarischen Kontrolle, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 1325 ff.; ders., Strukturprobleme parlamentarischer Demokratie, S. 154 ff.; K. Loewenstein, Zum Begriff des Parlamentarismus, 1964, in: K. Kluxen (Hrsg.), Parlamentarismus, S. 69, spricht vom "gemäßigten" oder "disziplinierten" Parlamentarismus der Bonner Regierungsform, die er als "autoritäre, mit einem demokratischen Feigenblatt" einstuft. 890

K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 134, 194. Strukturprobleme parlamentarischer Demokratie, S. 154 ff.; ders., Strukturtypen präsidentieller und parlamentarischer Regierungssysteme, S. 43 f. m K. Stern, Staatsrecht I, S. 25, 591, 978, 1011 f. ("Moderiertes Kanzlersystem"); P. Badura, HStR, Bd. I, S. 960 f.; dazu grundlegend R. Marcie , Die Koalitionsdemokratie, 1966; dazu H.-P. Schneider/W. Zeh, Koalition, Kanzlerwahl und Kabinettsbildung, S. 1316 f., 1322 ff.; vgl. schon C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 87 f., der vom "labilen KoalitionsParteien-Staat" gesprochen hat, der durch Art. 67 GG und möglicherweise auch durch die Sperrklauseln (dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 f. mit Fn. 468) zu einem stabilen KoalitionsParteien-Staat geworden ist. 891

808

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

nicht römisch als Einrichtung der Republik verstanden 893 , sondern als etabliertes Wort für Despotie, weil der/die Führer auf Grund seiner/ihrer Macht, "Recht" zu setzen, über der Verfassung und dem Gesetz stehen 894 . Ohnehin ist das Prinzip, daß eine Persönlichkeit die Politik leiten und verantworten soll, als ein tradierter Caesarismus republikanisch fragwürdig. Der Mythos vom begnadeten Führer des Volkes paßt nicht zum Diskursprinzip der Aufklärung. Ohne echten Parlamentarismus in der Gesetzgebung ist bereits die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers nach Art. 65 S.l G G 8 9 5 freiheitswidrig. Nichts würde die Unabhängigkeit der Abgeordneten so fördern, wie eine rechtlich gesicherte Begrenzung der Mandatszeit. Der verfassungsgewollten Teilung der Verantwortung zwischen Parlament und Regierung würde wieder ein wenig Leben eingehaucht. Der Moralität der Abgeordneten muß institutionell eine Chance verschafft werden. Wenig kompetente Parteifunktionäre dürfen sich nicht jahrzehntelang in staatlichen Ämtern behaupten dürfen, weil sie vor allem durch die Ämterpatronage stabilisierte Macht 8 9 6 in den allenfalls formal demokratischen 897 Parteien erkämpft haben. Das aber ist seit langem die bedrückende Realität unseres Gemeinwesens. Die Institutionen der Verfassung müssen zur vollen Entfaltung gebracht werden, damit sie ihren freiheitlichen Zweck nicht verfehlen. Die Chance vor allem der Abgeordneten, ihrer Pflicht zur Sittlichkeit genügen zu können, muß der Gesetzgeber in jeder Weise stützen. Der parteiliche Gesetzgeber sichert

893 894

Dazu C. Schmitt, Die Diktatur, S. 1 ff.

Dazu K.A. Schachtschneider, Maastrichter Verfallserscheinungen der Demokratie, EGMagazin Nr. 1-2, 1993, 40 ff. 895 Dazu M. Schröder, Aufgaben der Bundesregierung, HStR, Bd. II, 1987, S. 586 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 301 ff.; H. Maurer, Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, in: FS W. Thieme, 1993, S. 123 ff. 896 Dazu kritisch Th. Eschenburg, Ämterpatronage, 1961; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 139, 196; R. v. Weizäcker, Wird unsere Parteiendemokratie überleben?, in: ders., Die deutsche Geschichte geht weiter, 1983, S. 157; auch G. Leibholz, Der moderne Parteienstaat, S. 91 (für "parteifreien Raum" des Berufsbeamtentums); W. Steffani, Strukturprobleme parlamentarischer Demokratie, S. 161; H.H. v. Arnim, Ämterpatronage durch politische Parteien; ders., Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 26 f. u.ö.; D. Grimm, HVerfR, S. 362 f.; M. Wichmann, Parteipolitische Patronage, ZfB 1988, 365; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 133 ff.; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 72 ff., 116 ff.; auch H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 132 ff., für die "gekauften" Parlamentarischen Staatssekretäre; deutlich schon H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 23, 26; H.-P. Vierhaus, Die Identifizierung von Staat und Parteien eine moderne Form der Parteidiktatur?, ZRP 1991, 458, 470; 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff. 897 Dazu 10. Teil, 3. Kap., S. 1063.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

809

jedoch die Parteienoligarchie, vornehmlich durch eine unverschämte Parteienfinanzierung mit den Mitteln aller Bürger, den Steuern. Erste Aufgabe einer republikanischen Politik wäre es, die staatliche Parteienfinanzierung zu beenden 898 . Freilich darf die staatliche nicht durch eine undurchsichtige private Finanzierung von Parteien oder Parteiführern ersetzt werden. Dem steuert schon Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG entgegen. Der parteilichen Kandidatenaufstellung durch die großen Parteien wäre selbst das von Aristoteles, Rousseau, Montesquieu u.a. empfohlene Losverfahren 899 überlegen, wenn nur kompetente Bürger kandidieren dürften. M i t der Befähigung zum Richteramt 900 und zum höheren Verwaltungsdienst für die Vertreter des Volkes in der Rechtsprechung und in der Verwaltung sind vorbildliche Einrichtungen geschaffen, welche es den Parteien erschweren, Gefolgsleute in wichtige Ämter des Staates zu befördern, die nicht ein Mindestmaß an Kompetenz in parteiunabhängigen Verfahren nachgewiesen haben. Der Einfluß der Parteien hat dem höheren Verwaltungsdienst geschadet. Die Parteien haben ihre Versuche, auch die Justiz zu ihrer Beute zu machen, intensiviert 901 . "Sie sind ausnahmslos illegitim." - Dieter Grimm 902 Damit der Republik nicht auch noch ein solcher Schaden zugefügt werden kann, sollte den Richtern die Mitgliedschaft in Parteien verboten werden, solange die Parteien nicht republikanische Einrichtungen sind 9 0 3 . Das Prinzip der funktionellen Teilung der Ausübung der staatlichen Gewalt, welches

898 Dazu Hinweise in Fn. 555, 10. Teil, 8. Kap., S. 1168 und Fn. 94, 3. Kap., S. 1063; insb. K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 135 f., 194; i.d.S. auch H.H. v. Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S. 5. 899 Aristoteles, Politik, S. 204, 1317 b 20 f.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 118; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 106 ff. 900

§§ 5 ff. DRiG. Die Befähigung zum Richteramt sollte außer vom rechts wissenschaftlichen Studium und vom Vorbereitungsdienst zusätzlich (wie in anderen Ländern) von der langjährigen Bewährung in der Praxis, etwa als Rechtsanwalt, Verwaltungsbeamter, Wirtschaftsjurist, Staatsanwalt, abhängen. Nach der Ausbildung fehlt den Juristen, auch wenn sie nicht mehr jung sind, die hinreichende Lebenserfahrung für das Richteramt. 901 Dazu kritisch etwa R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 137 f.; W. Henke, Wider die Politisierung der Justiz, DRiZ 1974, 173 ff.; ders., NVwZ 1985, 616; Zitscher, ZRP 1991, 100; auch H.-P. Vierhaus, ZRP 1991, 470; W Schmidt-Hieber/E. Kieswetter, Parteigeist und politischer Geist in der Justiz, NJW 1992, 1790 ff.; kritisch zur Wahl der Verfassungsrichter auch H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 152 f.; M. Stolleis, VVDStRL 44 (1985), S. 25; E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974. 902 HVerfR, S. 363; dazu M. Stolleis, VVDStRL 44 (1985), S. 25. Dazu 10. Teil, . Kap., S. 113 f.

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8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

eine die Wählbarkeit auch von Richtern einschränkende Konkretisierung in Art. 137 Abs. 1 GG gefunden hat, macht ein solches Verbot diskutabel. Ohnehin erreichen nur wenige Bürger die Befähigung zum Richteramt oder auch zum höheren Verwaltungsdienst. Ein Demokratieprinzip, welches von der Gleichheit der Bürger bestimmt ist, rechtfertigt diese die Amtskompetenz der Amtswalter sichernden Institutionen nicht. Desto mehr entsprechen sie dem Prinzip der Republik. Art. 33 Abs. 2 GG, wonach "jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte" hat, ist eine zentrale Regelung des republikanischen Amtsprinzips 904 . Daß Parteifunktionären alle Ämter offen stehen, ist keineswegs vom demokratischen Gleichheitsprinzip gefordert. VI.

Das freie Mandat als Institution der Sittlichkeit und die parteiliche Bindung der Abgeordneten Das freie Mandat der Abgeordneten ist Ausdruck des republikanischen Prinzips und für die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit unverzichtbar. Der Abgeordnete ist seinem Gewissen unterworfen (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). Die Unterwerfung der Abgeordneten unter ihr Gewissen ist die Verbindlichkeit des Sittengesetzes für diese Vertreter des ganzen Volkes 905 . Wie der Richter unabhängig sein muß, damit seine Unterwerfung unter Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG) keine Beeinträchtigung erleidet 906 , so muß der Abgeordnete unabhängig sein, um ausschließlich dem Sittengesetz gerecht werden zu können 907 , nicht etwa, um sich fraktionell oder parteilich binden zu können 908 . Anders kann er seine

904

Dazu 2. Teil, 6. u. 8. Kap., S. 113 ff., 137 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; 7. Teil, 5. u. 6. Kap., S. 612 ff., 620 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 674 ff., 679 ff. (zur Elite). 905 Dazu die Hinweise in Fn. 75, 146, 8. Teil, 1. Kap., S. 650, 662; insb. 3. Kap., S. 718 ff., 728 ff.; 10. Teil, 3., 8. u. 10. Kap., S. 1077, 1159, 1175. 906 C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 78 f., 83, 84; ders., Legalität und Legitimität, S. 22; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; G. Barbey, HStR, Bd III, S. 827 ff.; K.A. Bettermann, Rechtsprechung, rechtsprechende Gewalt, EvStLex 2, Sp. 2796; zur Gesetzes- und Gewissensbindung der Richter 9. Teil, 1. Kap., S. 776 ff., 972 ff., 1027 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536; vgl. auch die Hinweise in Fn. 75, 8. Teil, 1. Kap., S. 650, 662. 907 Die Parallele stellt auch N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, S. 12, heraus, der allerdings die Gewissensbindung gründlich verkennt (dazu im Folgenden S. 814). 908 So aber die parteienstaatliche Beugung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG: etwa W. Steffani, Strukturprobleme parlamentarischer Demokratie, S. 160 f.; P. Badura, GG, Bonner Komm., Rdn. 72 zu Art. 38; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 491 ff. ("parteibezogenes", nicht "parteigebundenes" parlamentarisches Mandat); N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, S. 36 ff.; H.-P. Schneider, HVerfR, S. 254 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

811

Funktion als Vertreter des ganzen Volkes in dessen Willensautonomie nicht wahrnehmen; denn jeder Akt der Gesetzgebung ist ein Akt innerer Freiheit oder eben der Sittlichkeit. Sittlichkeit steht jeder Bindung außer der an das allgemeine Gesetz entgegen. Sie ist als praktische Vernünftigkeit Erkenntnis des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit, die sich ausschließlich dem Sittengesetz unterwerfen darf, dies aber auch muß und jede Art von Heteronomie verbietet 9 0 9 . Während die Unabhängigkeit der Richter ohne jede Toleranz durch die Prozeßgesetze gesichert ist, tolerieren die Parteien im Parteienstaat die politische Unabhängigkeit der Abgeordneten nicht und machen ihnen die Pflicht zur repräsentativen Sittlichkeit streitig. Der Begriff "Gewissen" in der Verfassung des Parlamentarismus ist der Stachel im Fleisch der Parteienstaatslehre. Die Gewissenlosigkeit der Abgeordneten zu kaschieren dient die übermäßige Restriktion des Gewissensbegriffs, die das Gewissen erst berührt sieht, wenn von Abgeordneten Entscheidungen verlangt werden, die eigentlich als Verbrechen bestraft werden müßten 910 . Das Gewissen soll aber jede politische Erkenntnis leiten, wie Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG beweist 911 . Das Grundgesetz stellt den Begriff "Gewissen" jedweder Herrschaft entgegen; denn die verfassungsgebotene Sittlichkeit des Abgeordneten setzt dessen geschützte und gepflegte Unabhängigkeit voraus 912 . Alle Versuche, die ausschließliche Gewissensunterworfenheit des Abgeordneten oder, anders formuliert, die Freiheit des Mandats einzuschränken 913 , dienen der Herrschaft der Parteien, insbesondere der der Parteiführer.

598 ff., S. 229 ff.; D. Grimm, HVerfR, S. 354 f.; ders., Parlament und Parteien, S. 205; ähnlich H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 184 f.; G. Leibholz., Das Wesen der Repräsentation, S. 226, 228, 262 (Parteibeauftragte, u.ä.); so schon C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 319; weitere Hinweise in Fn. 191, 192, 8. Teil, 1. Kap., S. 670 f.; vgl. auch 3. Kap., S. 710 ff. 909 Dazu 5. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 259 ff., 280 ff., 321 ff.; 6. Teil, 8. u. 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; zur Pflicht und Sittlichkeit Hinweise in Fn. 467, 8. Teil, 3. Kap., S. 729. 910 Dazu mit Hinw. 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff. mit Fn. 798; 8. Teil, 1. Kap., S. 664 ff.; auch 9. Teil, 1. Kap., S. 833 ff. 911 Dazu 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 670 ff., 718 ff., 728 ff. 912 Dazu 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 670 ff., 710 ff., 743 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff.; 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff. zu den Bündnissen. 913 Dazu Hinw. S. 814, auch Fn. 929.

812

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

Meist werden solche Lehren damit begründet, daß ein Abgeordneter nicht in der Lage und nicht fähig sei, unabhängig Wahrheit und Richtigkeit zu erkennen und sich danach zu richten, also sittlich zu handeln 914 . Damit wird nicht nur den Vertretern des Volkes meist mit starken, oft mit herabsetzenden Worten, welche die empiristische Schwäche der Aussage ausgleichen sollen 915 , die Freiheit und damit die Würde abgesprochen, sondern die politische Freiheit der Bürger überhaupt geleugnet. Die parteienstaatlichen Parlamentarismuslehren pflegen die Einheit der allgemeinen politischen Freiheit mit der freiheitlich notwendigen Regelung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zu übersehen. Meist reduzieren sie die Freiheit liberalistisch auf die begrenzte Abwehr der parteienstaatlichen Herrschaft 916 . Den Vertretern des Volkes wird die Fähigkeit zur Vertretung des Volkes aberkannt, um sie den Parteiapparaten gefügig machen zu können. Kein Abgeordneter darf in das Parlament gewählt werden, wenn er die Amtskompetenz eines Vertreters des ganzen Volkes nicht hat. Die Wahl befähigt, wie Hans-Julius Wolff schon gelehrt hat 9 1 7 , nicht zur Repräsentation, sondern gibt dem eine formelle Kompetenz, der materiell kompetent ist, jedenfalls sein soll. Der Einfluß der Parteienoligarchie ist von den Gesetzen abhängig. Das beweist das Gerichtswesen, das man auch der Parteienherrschaft öffnen kann, wie das Beispiel der DDR erweist 918 . Das zeigt aber auch die Geschichte der Universitäten und anderer Institutionen mehr. Nicht einmal das Wahlvorschlagswesen bedarf festgefügter Parteien 919 . Der Wahlerfolg der Statt-Partei/Die Unabhängigen in Hamburg (5,6% der Stimmen), einer Gruppe, die sich in nur wenigen Wochen vor der Wahl am 12.9.1993 zusammengefunden hatte, beweist das. Den institutionalisierten Mißbrauch der Freiheit zu Herrschaft und Gehorsam, genannt Fraktionsdisziplin 920 , verkennt die Parteienstaatsdoktrin als

914

Etwa N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, S. 16 ff.; H.-P,: Schneider, HVerfR, S. 254. 915 Etwa H.-P. Schneider, HVerfR, S. 254 f. ("Beliebige Manadatsführung nach eigenem Gutdünken", "Freibrief für willkürliches Handeln"). 916 Dazu 3. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 1., 3., 5., 6. u. 9. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 947 ff. 917 Theorie der Vertretung, S. 341. 918 Dadurch verlieren freilich die Gerichte den Charakter von Rechtsprechungsorganen, die Gesetze den des Rechts und das Gemeinwesen den des Rechtsstaates, also den des Staates. Wenn die Parteien auch das Gerichtswesen beherrschen, ist die Despotie vollendet. 919 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

813

u n v e r m e i d l i c h e parlamentarische W i r k l i c h k e i t i n einer D e m o k r a t i e , deren Parteienstaatlichkeit ebenfalls als unbeeinflußbare Gegebenheit gesehen, k r i t i s c h gesprochen, ideologisiert w i r d 9 2 1 . L e d i g l i c h krasseste A b h ä n g i g keiten w i e der Mandatsverlust bei Fraktions- oder Parteiwechsel konnten bisher n i c h t durchgesetzt

werden922,

z u m a l die

Fraktionsmitgliedschaft

eine Entscheidung jedes Abgeordneten i s t 9 2 3 u n d entgegen § 10 Abs. 1 S. 1 GeschO des Bundestages rechtlich keinesfalls v o n der Parteizugehörigkeit abhängt. "Das Erscheinungsbild des Bundestages w i r d v o n den i n Gestalt v o n Fraktionen vertretenen politischen Parteien b e s t i m m t . " . . . " D i e Fraktionen sind die parlamentarischen Repräsentanten der Parteien." M i t diesen Sätzen schildern Hans

Hugo

parteienstaatlichen Status der Fraktionen

Klein richtig;

u n d Wolfgang

Zeh 924

den

nur entspricht das nicht

d e m Grundgesetz; denn jeder Abgeordnete ist Vertreter u n d d a m i t Repräsentant des ganzen Volkes ( A r t . 38 A b s . 1 S. 2 G G ) , nicht einer P a r t e i 9 2 5 .

920 Dazu 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff., auch 3. Kap., S. 1060 ff.; P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten, S. 497, der ebenso typisch wie falsch die Fraktionsdisziplin mit ihrer "Notwendigkeit" "für die Arbeitsfähigkeit des Parlaments" begründet; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 650 ff., 654; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 680 ff., kritisch gegenüber der Praxis der Fraktionsdisziplin, S. 690 ff., bei der "Buchstaben und Geist des Art. 38 Abs. 1 GG vergessen und verdrängt" würden, und mit Reformvorschlägen, S. 698 ff.; dazu H.-H. Kasten, Möglichkeiten und Grenzen der Disziplinierung der Abgeordneten durch eine Fraktion, ZParl 1985, 475 ff. 921 Insb. Η Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 20; weitere Hinw. in Fn. 704, S. 772; Fn. 49, 10. Teil, 2. Kap., S. 1054. 922 P. Badura, Bonn Komm., Rdn. 79, 80 zu Art. 38; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 497 f., 500 f.; D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 205; a.A. M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 71 f., 83, 116 (mit guten Gründen, die freilich nur im Parteienstaat des Verhältniswahlsystems überzeugen können); a.A. auch insofern N. Achterberg, Das parteigebundene Mandat, S. 42, bei Parteiaustritt oder Parteiwechsel; tendenziell auch K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 381 ff. mit Hinw. in Fn. 25, der das "Wahlprogramm zur Grundlage der Kontrollaufgabe der Parteien" macht, unhaltbar, wie gerade die jüngste deutschlandpolitische Entwicklung gezeigt hat. 923

BVerfGE 43, 142 (149); 70, 324 (354); 80, 188 (218); auch BVerfGE 84, 304 (321 ff.). HStR, Bd. II, S. 344 bzw. 397; ebenso in der Sache P. Badura, Bonner Komm., Rdn. 77 zu Art. 38; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 653 f.; D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 199, 201, 210 ("Fraktion" - "Parteien im Parlament"); H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 153 f. (differenzierend); K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 175 f. 925 K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 173 ff.; eindrucksvoll H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 12 ff., 26; H.J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 312, 340 ff.; a.A. etwa H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 178. 924

814

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

D i e Parteiraison hat für die Parteifunktionäre u n d d a m i t für die A b g e o r d neten einer Partei intensive V e r b i n d l i c h k e i t 9 2 6 . D i e Abgeordneten sind i n der W i r k l i c h k e i t des e n t w i c k e l t e n Parteienstaates nicht d e m Sittengesetz, sondern ihrer Partei u n t e r w o r f e n 9 2 7 . I m parteilichen Parteienstaat ist der Parlamentarismus seiner republikanischen Substanz b e r a u b t 9 2 8 . Verschiedentlich w i r d die B i n d u n g der Abgeordneten an die Parteien entgegen der I n s t i t u t i o n des freien Mandats zu dogmatisieren Insbesondere Norbert

Achterberg

versucht.

hat sich 1975 u m eine Lehre des "rah-

mengebundenen M a n d a t s " , das den Abgeordneten an das Parteiprogramm bindet, b e m ü h t u n d Gefolgschaft gefunden, namentlich v o n Meyn 929.

A u c h Achterberg

u n d Meyn

Karl-Ulrich

w o l l e n , w i e viele, u n d insbesondere

926 Vgl. H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 344 f.; W. Zeh, HStR, Bd. II, S. 397 ff.; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 654 ff.; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 688 ff.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 120 ff.; D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 205 f.; dazu auch 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 ff., auch 4. Kap., S. 1086 ff., 1113 ff.; zur geschlossenen Rechtsmaxime insb. S. 1069, 1076, 1100, 1112. 927 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 796 ff.; 10. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. 928 Dazu R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 400 ff.; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 958, 982 ff., der den parteienstaatlichen Verzerrungen des Parlamentarismus sehr entgegenkommt; nach M.Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 327, gar gehört der " Parteienkampf ' zum "Wesen des Parlamentarismus"; dagegen K.A. Schachtschneider, Der Staat 28 (1989), S. 188 ff. 929 N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, S. 36 ff. (de lege ferenda); ders., Parlamentsrecht, S. 222 ff.; K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 252 ff., 266 ff., 286 ff., vgl. auch S. 371 ("generelles Mandat"); mit demselben Zweck, den Verfassungsbruch zu rechtfertigen, argumentieren auch, aber anders H.-P. Schneider, HVerfR, S. 254 ff.; ders., Grundgesetz, Alt-Komm., Rdn. 18, 20 zu Art. 38; vgl. auch P. Badura, Bonner Komm., Rdn. 30, 72 zu Art. 38; ders., Die parteienstaatliche Demokratie und die Gesetzgebung, S. 17 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 974, 982 ff.; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 491 ff.; H. Dreier, AöR 113 (1988), S. 464 ff., 483; H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 184 f.; D. Grimm, HVerfR, S. 354 f.; ders., Parlament und Parteien, S. 204 ff. (Parteibindung in der Verfassung angelegt?)); K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 598 ff., S. 229 ff.; richtige Kritik von H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 370 f.; auch W. Henke, Parteien und der Ämterstaat, NVwZ 1985, 620; ders., Bonner Komm., Rdn. 85 zu Art. 21 ("freies Mandat des Parteigebundenen Abgeordneten"); auch H. Steiger, Organisatorische Grundlagen des Parlamentarischen Regierungssystems, S. 192 ff., lehnt das "gebundene" Mandat in Kritik an Bermbach ab, fordert aber entgegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG parteienstaatlich die Abgeordneten auf, das Programm ihrer Partei, aber auch Fraktionsbeschlüsse in ihrer Gewissensentscheidung zu berücksichtigen; auch W. Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, S. 160 f., sieht durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG die "rechtlich erzwingbaren Bindungen an außerparlamentarische Befehle verneint" und "den Abgeordneten damit befähigt zu freiwilligen politischen Bindungen, vor allem gegenüber Fraktionen und Partei", also zur Mißachtung des Sittengesetzes oder seines Gewissens, das zu erwähnen Steffani als eine "überflüssige Befrachtung" mit einer "Katechismus-Sentenz" kritisiert.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

815

schon Gerhard Leibholz, den Widerspruch von Verfassungswirklichkeit zum Verfassungsrecht beheben 930 - eine Methode, das Verfassungsrecht unter den Vorbehalt der Verfassungswirklichkeit zu stellen und ihm damit die Verbindlichkeit abzusprechen. Achterberg sieht die Gewissensbindung des Abgeordneten bereits dadurch relativiert, daß dieser auch an Gesetz und Recht gebunden sei 931 . Krasser kann man die Pflicht zur Sittlichkeit nicht mißverstehen. Die Legalität ist Maxime der Tugend und damit Kern der Gewissensbindung 932 . M i t seinem (irrigen) Ansatz versucht Achterberg die zusätzliche Bindung des Abgeordneten an das Parteiprogramm zu rechtfertigen, zumal die politische Partei ohnehin nicht anders als das Gemeinwesen insgesamt dem Gemeinwohl verpflichtet sei 933 . Das Gemeinwohl wird jedoch ausschließlich durch die Gesetze definiert 934 . Parteiprogramme können dem verbindlich definierten Gemeinwohl entgegengesetzt sein, was sich logisch erst an dem Gesetz selbst messen läßt. Die Verpflichtung des Abgeordneten, das Gemeinwohl zu verwirklichen, also seine Pflicht zur Sittlichkeit oder zur praktischen Vernunft, verwirklicht er durch die Erkenntnis des Richtigen i m öffentlichen und offenen parlamentarischen Diskurs, d.h. er muß allen Argumenten im Diskurs offen sein, er muß sich vom Richtigen überzeugen lassen können und wollen, und zwar vor allem in dem Verfahren, das zum verbindlichen Gesetz führt, im Parlament also. Gerade deswegen darf er nicht gebunden in den parlamentarischen Diskurs treten. Auch die Argumente der Abgeordneten, mit denen er nicht verbündet ist, muß er hören wollen. Die parteilichen Abgeordneten aber wollen die Argumente anderer nicht hören, die parlamentarische Erörterung erscheint ihnen überflüssig. Das erweist sich darin, daß der größere Teil der Abgeordneten den Plenarsitzungen regelmäßig fernbleibt. Parteiprogramme sind für die Abgeordneten ohne jede Verbindlichkeit; denn es sind nicht die Programme des ganzen Volkes. Die Wahl ist in der Republik ausschließlich eine Entscheidung über die Personen, die das Volk vertreten

930 N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, S. 18; K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 268 f.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 249 ff.; weitere Hinw. dazu S. 772 ff. 931 Das rahmengebundene Mandat, S. 33. 932 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 520 f., 525 f., 572 ff., 758; dazu 5. Teil, 3 Kap., S. 306 ff. 933 Das rahmengebundene Mandat, S. 33; in Erg. ebenso K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 286 ff., 371 ff. 934 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 247 ff., 253 ff · dazu 7 Teil, 4. Kap., S. 573 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff.; weitere Hinweise in Fn. 175 , 8 Teil 1 Kap., S. 668.

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

816

sollen, und rechtens in keiner Weise eine Entscheidung über Sachfra935

Nach den weltpolitischen Veränderungen 1989/90, die niemand bei der Wahl im Januar 1987 vorausgesehen hat, dürfte das jedem einleuchten. Die gewählten Abgeordneten müssen eine Politik verantworten, die in keiner Weise programmiert war. Es gab keine Pläne oder Programme für eine Politik der deutschen und der gesamteuropäischen Einheit, sondern nur das grundgesetzliche und (gegebenenfalls) parteiprogrammatische Bekenntnis zur Einheit Deutschlands. Wären die Abgeordneten an dieses Programm gebunden, hätten sie dem Vertrag über die deutsche Einheit vom 31. August 1990 nicht zustimmen dürfen; denn dieser Vertrag beschränkt entgegen dem Grundgesetz und dem bisherigen Begriff der deutschen Einheit 9 3 6 Deutschland auf das Gebiet diesseits der Oder-Neiße. Das parlamentarische Erkenntnis verfahren muß der jeweiligen Lage gerecht werden. Eine parteiprogrammatische Bindung widerspricht der Pflicht zur praktischen Vernunft. Achterberg muß für seine Apologie der Parteienherrschaft, um die es bei jeder Institutionalisierung parteilicher Bindung des Abgeordnetenmandates geht, den zentralen Begriff des Grundgesetzes, den der Freiheit, und zwar den der äußeren und den der inneren Freiheit, der Sittlichkeit, beiseite schieben. Freiheit erscheint Achterberg "im Grunde überhaupt unmöglich". "Die Alternative lautet nicht "Freiheit" oder "Unfreiheit", sondern "mehr" oder "weniger" an Freiheit. So gesehen ist Freiheit kein Zustand, sondern ein Ziel, das nur approximativ erreichbar ist" 9 3 7 . Diese Aussage leugnet nicht nur die politische Freiheit, die sich in der Gesetzlichkeit verwirklicht 9 3 8 , sondern ignoriert das Autonomieprinzip des Grundgesetzes, vor allem Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Das Sittengesetz versteht Achterberg als "eine metarechtliche Quelle", die mittels Art. 2 GG "von der Rechtsordnung rezipiert" werde. Auch diese (wiederum irrtümliche) "Parallele" soll die Verbindlichkeit der Parteiprogramme als "außer-

935

Ganz so U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, S. 398 ff., insb. S. 400; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 251 ff.; i.d.S. auch Κ Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 131 f., 139 f.; a.A. K-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 270 ff., 211 ff.; auch H. Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 86; vgl. R Badura, Bonner Komm., Rdn. 39 f. zu Art. 38; dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 674 ff. 936 937 938

Vgl. Fn. 851, 800. Das rahmengebundene Mandat, S. 17. Dazu Hinweise in Fn. 1, 8. Teil, 1. Kap., 637.

5. Kap.: Kritik des parteienstaatlichen Parlamentarismus

817

rechtliche, autonome Determinante" rechtfertigen 939 . Das Sittengesetz ist aber ein formales Prinzip, das nämlich der inneren Freiheit, und keine Rechtsquelle 940 . Achterberg versucht, systematisch zu argumentieren, doch das hilft nur, wenn die systembestimmenden Begriffe der Verfassung bekannt sind. Für Karl-Ulrich Meyn ist das "Element der Freiheitlichkeit, das mit dem materiell verstandenen Rechtsstaatsprinzip in Gestalt der Grundrechte verwirklicht" wurde, ohne Relevanz für die Lehre des "Demokratieprinzips mit seiner legitimatorischen Wirkung für die Entscheidungen im staatlichen Willensbildungsprozeß", weil das dafür "Primäre der grundgesetzlichen Verfassungsordnung nicht die begrenzende Funktion des Rechtsstaatsprinzips" sei 941 . Dieser Liberalismus verbindet sich regelmäßig mit den parteienstaatlichen Herrschaftslehren, ja deren Voraussetzung ist die Verdrängung der allgemeinen politischen Freiheit, das Prinzip der Republik 9 4 2 . Ebensowenig vermag die Konkordanz des freien Mandats und der Parteienbildung der Abgeordneten, die Konrad Hesse, Dieter Grimm und Hasso Hofmann/Horst Dreier vorstellen, die Verfassungsnot des Parteienstaates zu lindern: Das freie Mandat solle dem Abgeordneten eine "Selbständigkeit gegenüber der Partei" verleihen, ihm die Möglichkeit verschaffen, die "parteiinterne Diskussion voranzutreiben und den Kampf um die innerparteilichen Führungspositionen aufzunehmen" (Konrad Hesse). Das freie Mandat schütze die "parteiinterne Freiheit", "sei Garantie der innerparteilichen Demokratie", "Gegengewicht gegen die Oligarchisierungstendenzen" der Parteien (Dieter Grimm) und ziehe der "Fraktionsdisziplin gewisse Gren-

939

Das rahmengebundene Mandat, S. 35 f. Dazu 5. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 259 ff. (insb. 267 ff.), 280 ff., 321 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494; 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff.; zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 178, 8. Teil, 1. Kap., S. 668. 940

941

Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 186 f., unter Berufung auf H.-J. Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, 1973, S. 93 f.; zum Schmittschen Verteilungsprinzip vgl. auch die Hinw. in Fn. 207, 6. Teil, 6. Kap., S. 487, auch 2. Kap., S. 449. 942

Dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 2., 8. u. 9. Kap., 449 ff., 494 ff., 501 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 11. Kap., S. 153 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff. (insb. 184 ff.); zur Gleichheit aller in der Freiheit Hinweise in Fn. 50, 8. Teil, 1. Kap., S. 641, 646. 52 Schachtschneider

818

8. Teil: Die republikanische Vertretung des ganzen Volkes

zen" 9 4 3 . Diese Konkordanz drängt die stellvertretende Sittlichkeit des Vertreters des ganzen Volkes in die Parteien und Fraktionen, um diesen den äußeren Schein von Einigkeit, die Geschlossenheit also, zu ermöglichen, obwohl gerade in den Parteien und Fraktionen die oligarchischen Strukturen den Diskurs verhindern, zumal die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Der Abgeordnete soll in der Öffentlichkeit mit der Allgemeinheit diskutieren, vor allem aber i m Parlament mit den anderen Vertretern des Volkes. Diese Funktion des Parlaments leugnet Hesse allerdings 944 . Das ist die schlichte Unterwerfung unter die Verfassungswirklichkeit. Jede Parteibindung oder auch nur Parteibezogenheit (Peter Badura) 945 des Abgeordneten verletzt das Grundgesetz, das keinen Parteienstaat verfaßt. Alle Versuche, den Verfassungsbruch der parteiabhängigen, also ihr Gewissen verdrängenden Abgeordneten wegzuargumentieren, scheitern am republikanischen Prinzip des Grundgesetzes.

943 K. Hesse, Abgeordneter, EvStLex, Sp. 14; ebenso ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 229 ff., 598 ff.; D. Grimm, HVerfR, S. 354 f.; ders., Parlament und Parteien, S. 205 f.; H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, S. 185 (die im Text nicht benannten Zitate). 944 Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 599, S. 229 f. 945 Die Stellung des Abgeordneten, S. 491 ff.

Neunter Teil Die republikanische Gesetzgebungsfunktion der grundrechtlichen Verfassungsrechtsprechung 1. Kapitel Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte I.

Die Grundrechte als politische Leitentscheidungen und der richterliche Schutz ihres Wesensgehalts Eine Republik kann ihrem Begriff nach nicht grundrechtlich abgewehrt werden. Ihre Gesetzlichkeit verwirklicht die Freiheit und beschränkt diese nicht 1 . Das ist ihre Idee, nicht notwendig ihre Wirklichkeit; denn das Maß der Rechtlichkeit oder eben der Freiheitlichkeit ihrer Gesetze hängt von dem Maß der Moralität des Gesetzgebers, von dessen praktischer Vernünftigkeit, ab 2 . Moralität ist ihrem Begriff nach nicht erzwingbar. Der Gerichtshof der Sittlichkeit ist allein das Gewissen3. Das rechtfertigt nach wie vor aus der Erfahrung des Mißbrauchs der Gesetzgebungskompetenz zur Herrschaft 4 den Grundrechtskatalog 5, der im Verfassungsstaat zur gesetzgeberischen Funktion der Verfassungsrechtsprechung führt. Wer über die praktische Vernünftigkeit der Gesetze, über deren Moralität zu Gericht sitzt, kann nur seine Erkenntnisse des Richtigen verbindlich machen. Wenn die Erkenntnisse des Richters vom praktisch Vernünftigen von denen des Gesetzgebers abweichen, hat sich nach der Logik des Rechtsprinzips entweder der Gesetzgeber oder der Richter geirrt oder seine Kompetenz mißbraucht; denn Recht ist das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf

1 Dazu 2. Teil, 7., 10. und 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff. 2 Dazu 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 772 ff., insb. S. 810 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; i.d.S. für den GesetzgebungsStaat C. Schmitt , Grundrechte und Grundpflichten, S. 199 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff., insb. S. 24. 3 Kant , Metaphysik der Sitten, S. 508 ff., 572 ff.; vgl. auch ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 630 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 223; dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 665 ff., 810, 819 ff. 4 Dazu 2. Teil, 2. und 9. Kap., S. 79 ff., 139 ff. 5 Dazu 6. Teil, 1., 3. und 9. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 501 ff.; auch 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.

52·

820

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

der Grundlage der Wahrheit 6 . Dieses R i c h t i g e kann v i e l f ä l t i g sein, aber für das praktisch Vernünftige gibt es Grenzen. Wessen Erkenntnisse des praktisch Vernünftigen v e r b i n d l i c h sein sollen, b e s t i m m t v o r n e h m l i c h die Verfassung. Grundsätzlich sind es die des Gesetzgebers. Dessen Gesetze binden den Richter ( A r t . 20 Abs. 3, A r t . 97 A b s . 1 G G ) . S o w e i t aber die Verfassung es der Verfassungsgerichtsbarkeit

überträgt, die praktische Ver-

n ü n f t i g k e i t der Gesetze u n d damit deren Sittlichkeit zu überwachen, sind es die Erkenntnisse der richterlichen Hüter der praktischen Vernunft des gemeinsamen Lebens. D i e Grundrechte binden nach A r t . 1 A b s . 3 G G auch die Gesetzgebung "als unmittelbar geltendes R e c h t " 7 . N a c h A r t . 19 Abs. 2 G G darf " i n kein e m F a l l ein Grundrecht i n seinem Wesensgehalt angetastet

werden"8.

Diese beiden Vorschriften i n Verbindung m i t den j u d i k a t i v e n K o m p e t e n z e n zur N o r m e n k o n t r o l l e aus A r t . 100 Abs. 1, A r t . 93 Abs. 1 Z i f f . 2 u n d Z i f f . 4a G G , §§ 80 ff., 76 ff., 90 ff. B V e r f G G u.a., begründen die Verantwortung v o r a l l e m des Bundesverfassungsgerichts für die praktische Vernünftigkeit der Gesetze. D i e R e p u b l i k , welche das Grundgesetz konzipiert hat, verbindet gesetzgebungsstaatliche m i t

6

richterstaatlichen

Elementen 9 . D i e H ü t e r der

Dazu 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 527 f., 560 f., insb. S. 573 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 995 ff. Dazu G. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 91 ff., auch 103 ff. zu Art. 1 Abs. 3, 1958; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 103, 141, 169 ff. zu Art. 1 Abs. 3. 8 Dazu grundlegend P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl. 1983; vgl. auch P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 34 ff., 79 f., 235 ff., 239 ff. u.ö.; ders., Grundrechtsschranken , HStR, Bd. V, 1992, S. 791 ff.; allgemein dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 329 ff., S. 132 ff.; A. Bleckmann, Staatsrecht II, Die Grundrechte, 3. Aufl. 1989, S. 380 ff.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, S. 76 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 183 zu Art. 1 Abs. 3; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 1 ff. zu Art. 19 Abs. 2, 1977; K. Stern, Idee und Elemente eines Systems der Grundrechte, HStR, Bd. V, S. 95 f.; L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts von Grundrechten nach Art. 19 Abs. 2, 1983; auch die Grundrechtsrechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist von dem Prinzip des Wesensgehaltsschutzes bestimmt, etwa EuGH Slg. 1989, 2609 Tz. 18 - Wachauf; EuGH Urt. v. 10.1.1982 - Rs C - 177/90, EuZW 1992, 155 f., Tz. 16; dazu demnächst A. Emmerich-Fritsche, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Schranke und Maßstab der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft. 9 Dazu durchaus kritisch zur jurisdiktionsstaatlichen Entwicklung der Grundrechtsdogmatik E.-W. Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, mit Nachwort von P. Lerche, 1990, insb. S. 67 ff.; ders., Grundrechte als Grundsatznormen. Zur gegenwärtigen Lage der Grundrechtsdogmatik, Der Staat 29 (1990), insb. S. 24 ff., 26 ff.; kritisch P. Lerche, a.a.O.; ders., schon für den Vorrang der Gesetzgebungsstaatlichkeit, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 130 ff. ("Grundrechtsprägung"); kritisch auch die Besprechung von Böckenfördes erstgenannter Schrift P.M. Huber, AöR 116 (1991) S. 145 ff.; dazu auch M. Kriele, HStR, Bd. V, S. 102 ff.; zum Prinzip des Gesetzgebungsstaates 2. Teil, 10. 7

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

821

Verfassung sind dafür verantwortlich, daß die Gesetze Recht schaffen. Diese Hüter sind die Bürger und alle ihre staatlichen Vertreter. "Demokratie ist vollendet, wenn das Volk Richter über alles ist." - René Marcie 10 Das verbindliche letzte Wort hat im ordentlichen Verfahren namens des Volkes das Bundesverfassungsgericht 11, aber: "Die Aufmerksamkeit und das Verantwortungsbewußtsein des Staatsbürgers, der Mißstände nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sich auch für deren Abstellung einsetzt, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Ordnung." - BVerfGE 28, 191

(202)12

Das allgemeine Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG, das grundgesetzliche Autonomieprinzip, garantiert die Verwirklichung der Freiheit durch Gesetze, welche durch ihre Moralität Recht setzen. Das Sittengesetz als das Prinzip der inneren Freiheit verpflichtet den Gesetzgeber als Vertreter des ganzen Volkes zur Sittlichkeit, verpflichtet ihn also, Gesetze zu geben, die das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit verwirklichen 13 . Die Sittlichkeit des Gemeinwesens ist durch Art. 2 Abs. 1 GG auch grundrechtlich geschützt. Gerade dadurch hat das grundgesetzliche Gemeinwesen eine freiheitliche demokratische Grundordnung und genügt seiner Verpflichtung, die Menschenwürde zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 und 2 GG) 1 4 . Die besonderen Grundrechte verbieten oder gebieten es dem durch Art. 1 Abs. 3 GG grundrechtsgebundenen Gesetzgeber, bestimmte Gesetze zu erlassen. Sie binden den Gesetzgeber an politische Entscheidungen. Das

Kap., S. 150 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff., 525 ff.; auch 9. Teil, 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; grundsätzlich R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, 1957, passim; ders., Rechtsphilosophie, 1969, S. 237 ff. ("Der Richter: Bürge der Gleichheit und Freiheit."); scharfe Kritik bei E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, 1959, 1976, in: P. Häberle, Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 273 ff; dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff. zur Verfassungsgerichtsbarkeit im vermeintlichen Dualismus von Recht und Politik. 10 Rechtsphilosophie, S. 246. 11 Dazu 9. Teil, 2., 3., 4., 6. und 10. Kap., S. 858 ff., 909 ff., 932 ff., 963 ff., 1027 ff. 12 So auch BVerfGE 12, 113 (124 f.). 13 Dazu 7. Teil, 1. und 4. Kap., S. 522 ff., 560 ff., 573 ff.; 9. Teil, 7. und 10. Kap., S. 978 ff., 1027 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 2. 14 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff., insb. S. 186 ff.; 5. Teil, 2. und 4. Kap., S. 259 ff., 325 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.

822

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

k a n n man als negative kompetenzielle W i r k u n g erfassen 1 5 , w e n n m a n die gesetzgeberische Vertretungsmacht als K o m p e t e n z u n d die Weisungen des vertretenen Volkes an seine Vertreter als K o m p e t e n z b e s t i m m u n g oder auch Kompetenzbeschränkung

begreift.

Spätestens die

zeigt, daß die Grundrechte Gesetzgebungspflichten

Schutzpflichtdogmatik auferlegen 1 6 . A r t .

2

A b s . 1 G G v e r w i r k l i c h t grundrechtlich die allgemeine Idee der F r e i h e i t 1 7 . D i e besonderen Grundrechte v e r w i r k l i c h e n bestimmte besondere Freiheitsideen, die durch die Grundrechte zu Rechtsgütern, zu Verfassungsinstitutionen werden, w i e das Peter Häberle

l e h r t 1 8 . D i e grundrechtlichen Entschei-

dungen sollen das gemeinsame Leben u n d damit die dieses gestaltenden staatlichen Gesetze leiten. Sie gehören m i t Verfassungsrang zur " o b j e k t i v e n Ordnung"19.

Meist

wird

von

einer

"objektiv-rechtlichen

Funktion

Grundrechte", v o n i h r e m "objektiv-rechtlichen Gehalt", v o n Prinzipien",

der

"objektiven

v o n " o b j e k t i v e n Grundentscheidungen der Grundrechte", v o n

ihrer " o b j e k t i v e n D i m e n s i o n " gesprochen 2 0 . Dies w i r d v o n einer "primären"

15 Vgl. C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 47 f.; Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 291, S. 118; J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 35 f., 77 f.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, S. 24 f.; dazu auch 5. Teil, 4. Kap., S. 353 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 436 ff.; 9. Teil, 4. und 7. Kap., S. 932 ff., 978 ff. 16 BVerfGE 39,1 (42); 46, 160 (164); 49, 24 (53); 53, 30 (57); 56, 54 (73, 78, 80); 77, 170 (214 f.); 88, 203 (251 ff.); BVerfG JZ 1994, 408 ff. u.ö.; P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, insb. S. 180 ff., hat die "Grundrechtsausgestaltung" als die wesentliche Funktion der Gesetzgebung im Grundrechtsbereich herausgestellt; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 12 f.; vgl. auch H. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidung bzw. objektiv-rechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 110 (1985), S. 378; K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 931 ff.; J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, S. 181 ff.; dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 551 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 670 f. 17 I.d.S. auch Η Hofmann, JZ 1992, 168 f. 18 Die Wesensgehaltsgarantie, insb. S. 70 ff.; ders., Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. I, S. 844, 849, wonach die Grundrechte auf Erfahrungen mit Menschenwürdeverletzungen reagieren würden; i.d.S. auch H. Hofmann, JZ 1992, 169. 19 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 290 ff., S. 118; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 15; vgl. ders., Die Wesensgehaltsgarantie, S. 70 ff. 20

BVerfGE 7, 198 (205); 49, 89 (142); 50, 290 (337); 53, 30 (57); 56, 54 (73 ff.); 81, 242 (256); u.ö.; E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 29 (1990), S. 1 ff.; H.D. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen, AöR 110 (1985), S. 378 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 126 ff. zu Art. 1 Abs. 3, S. 92 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 290 ff., S. 118 ff.; ders., HVerfR, S. 93 ff.; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 286 ff. (selbst kritisch: "Ein Nebelbegriff'); K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 65, 68 ff., 473 ff., 751 ff.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, S. 24 f.; R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, Der Staat, 29 (1990), S. 49 ff., 65, 68 ff., 473 ff., 751 ff.; K. Stern, HStR, Bd. V, S. 68 ff., 75 ff.

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

823

"subjektiv-rechtlichen" Abwehrwirkung der Grundrechte, von den Grundrechten als "subjektiven Rechten" des Einzelnen, von dem "individualrechtlichen Aspekt" der Grundrechte, von ihrer "subjektiven Dimension" unterschieden 21 . Die objektive Dimension der Grundrechte charakterisiert die Teilung der Gesetzgebungsfunktion zwischen der Gesetzgebung und der Verfassungsrechtsprechung, weil die Gesetzgebung von den Grundrechten geleitet wird, für deren Verwirklichung die Verfassungsrechtsprechung verantwortlich ist. Die materiale Offenheit oder Formalität der Grundrechte, insbesondere die materiale Offenheit der Wesensgehalte, die unabhängig von der subjektiven Dimension der Grundrechte die objektive Dimension charakterisiert, bestimmt wesentlich die Verfassung der grundgesetzlichen Republik und ist Gegenstand der folgenden Überlegungen dieses Teils. Wegen dieser Offenheit oder Formalität der Grundrechte, nicht aller, aber der meisten und wesentlichen, insbesondere der Eigentumsgarantie und der allgemeinen Freiheit, sind die Grundrechte im Wesentlichen politische Leitentscheidungen. Für eine dirigierende (Peter Lerche) 22 Materialität der Grundrechte sind deren unterschiedliche Gesetzesvorbehalte logisch irrelevant. Formalität oder materiale Offenheit bedarf notwendig der gesetzlichen Materialisierung bzw. näheren Materialisierung. Weil diese nicht als Eingriff begriffen werden kann, sind ihr auch nicht spezifisch Schranken gesetzt23. Die vom Verfassungsgeber sorgfältig unterschiedenen Schranken haben bestimmende Relevanz für die durch die Grundrechte unmittelbar geschützten oder begründeten subjektiven Rechte. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG etwa schließt es aus, das Recht auf Leben, welches S. 1 dieses Grundrechts schützt, als subjektives Recht mit dem Gehalt einzustufen, daß

21 BVerfGE 6, 55 (72 ff.); 7, 198 (203 ff. 205); 50, 290 (337); K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 279 ff., S. 112 ff.; ders., HVerfR, S. 24, 79 ff., 91 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 122 ff., zu Art. 1 Abs. 3, S. 90 ff., der einen "Vorrang der subjektivrechtlichen vor der objektiv-rechtlichen Seite der Grundrechte" lehrt; ebenso K. Stern, HStR, Bd. V, S. 68 ff., 75 ff.; HD. Jarass, AöR 110 (1985), S. 363 ff.; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 13 ff., 286 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 159 ff.; ders., Der Staat 29 (1990), S. 49 ff., der auf S. 59, 60 ff. das Verhältnis der objektiven zur subjektiven Dimension i.S. einer "Subjektivierungsthese", die mit den Argumenten des "Grundrechtsindividualismus" und der "Grundrechtsoptimierung" arbeitet, erörtert; kritisch H. Hofmann, JZ 1992,166 ff., 173; dazu auch B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, S. 24 f.; dazu auch 6. Teil, 4. Kap., S. 461 ff.; 9. Teil, passim. 22

Übermaß und Verfassungsrecht, S. 61 ff. u.ö. Ganz so P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 126 ff., 134 ff. insb. S. 150 ff., S. 154 ff.; dazu 6. Teil, 5. Kap., S. 472 ff. 23

824

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

der Gesetzgeber es unterlassen müsse, in dieses Recht einzugreifen. Dieses Grundrecht schützt vielmehr erstens den Anspruch auf vernünftige, das Leben möglichst schützende Gesetzgebung, zweitens den Anspruch, das Leben nicht zu beeinträchtigen oder beeinträchtigen zu lassen, soweit die Gesetze das nicht vorsehen 24 . Ohne die objektive Dimension wäre das Leerlaufargument Carl Schmitts berechtigt, soweit Grundrechte einem umfassenden Gesetzesvorbehalt unterliegen 25 . Die subjektive Dimension der Grundrechte hat eine von der objektiven Dimension unabhängige Relevanz, welche für die republikanische Freiheitslehre unverzichtbar ist, nämlich als materiale Verwirklichung der Freiheit, welche dem Bürger oder Menschen Handlungen erlaubt, ohne daß vor der Handlung erneut der Konsens mit den von der Handlung Betroffenen gefunden werden muß, weil dieser Konsens bereits materialisiert ist. Die Legalität und Moralität der Handlungen, die subjektive Rechte ausüben, ergibt sich aus der subjektiv berechtigenden Verfassung oder einem subjektiv berechtigenden Gesetz, gegebenfalls auch aus einem Vertrag. Für die Bewältigung des gemeinsamen Lebens sind subjektive Rechte unverzichtbar. Die Verankerung von subjektiven Rechten in der Verfassung reagiert auf schlechte Erfahrungen mit den Gesetzgebern 26. Weil subjektive Grundrechte ein allgemeines Gesetz über die Verträglichkeit der Handlungen erübrigen und besonderns schwer änderbar sind (Art. 79 GG), war der Verfassungsgeber gut beraten, die Grundrechte, welche subjektive Rechte formulieren, weitgehend unter Gesetzesvorbehalt zu stellen. Dadurch wird die Wirkung dieser Grundrechte gegenüber dem Gesetzgeber auf die objektive Dimension reduziert. Zumindest der französischen Tradition der Menschenrechtserklärungen entspricht die Subjektivierung der Grundrechte nicht 2 7 . Die subjektiven Grundrechte und deren Schranken i m einzelnen zu

24

Dazu v. Mangoldt/Klein/Starcky GG, Rdn. 127 ff. zu Art 2 Abs. 2, S. 225 ff.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 8 ff.; insb. 14 ff. zu Art. 2 Abs. II; zu den Schutzpflichten Hinweis in 8. Teil, 1. Kap., S. 670 f. in Fn. 187, auch 7. Teil, 3. Kap., S. 551 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 821. 25 Grundrechte und Grundpflichten, S. 191; Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 940 f.; vgl. auch Verfassungslehre, S. 164; Legalität und Legitimität, S. 74 ff. 26 Ρ Häberle, HStR., Bd. I, S. 843 ff. 27 Dazu H. Hofmann, Menschenrechtliche Autonomieansprüche, JZ 1992, 166 ff.; W. Brugger, Menschenrechte im modernen Staat, AöR 114 (1989), S. 537 ff., 551; D. Grimm, Rückkehr zum liberalen Grundrechts Verständnis?, 1988, in: ders., Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 221 ff.; K. Stern, Idee der Menschenrechte und Priorität der Grundrechte, HStR, Bd. V, 1992, S. 8 ff., 32 ff.; dersJM. Sachs, Staatsrecht ΠΙ, 1, S. 47 ff., insb. S. 86, 508 ff.; dazu

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

825

analysieren ist nicht Aufgabe dieser Schrift. Vielmehr geht es i m Folgenden um die objektive Dimension der Grundrechte, weil diese für die Republik des Grundgesetzes durch die Funktionsverbindung von Gesetzgebung und Verfassungsrechtsprechung typbestimmend ist. Robert Alexy erfaßt die objektive Dimension wie viele mit dem Begriff "Prinzipien", und spricht nicht, wie i m Anschluß an das Bundesverfassungsgericht die meisten Autoren 28 , von "Werten", weil Werte sagen würden, was gut sei, Prinzipien aber, was gesollt sei 29 . Er unterscheidet "Prinzipien" nicht "dem Grade nach", etwa als "Normen relativ hohen", von den "Regeln", etwa als "Normen relativ geringen Generalitätsgrades" 30 , sondern "qualitativ" als 'Optimierungsgebote", die "in unterschiedlichem Grade erfüllt werden könnten", von "Normen, die stets nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden könnten." "Jede Norm" sei "entweder eine Regel oder ein Prinzip." 31 Auch Konrad Hesse und Jürgen Habermas benutzen den Ausdruck Prinzipien 32 . Josef Wintrich hat die Grundrechte "klassische, richtungsweisende Grundsätze", Hans Kelsen hat sie "Grundsätze, Richtlinien, Schranken für den Inhalt der Gesetze", genannt 33 . Peter Lerche hat eine Lehre von der "dirigierenden Verfassung" entwickelt und das "Übermaßverbot" als Grundrechtsschranke in diese einbezogen 34 . Jürgen Habermas sieht in dem

S. 855 ff. mit Hinweisen in Fn. 201. 28 Etwa J. Wintrich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, in: P. Häberle (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 214 ("oberste Rechtswerte"); auch E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, S. 1 ff.; G. Diirig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S. 117 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 3, 16 zu Art. 1; so für die Grundrechte der Weimarer Verfassung R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 264 ff. ("Kultur- und Wertsystem"); zur Sprachpraxis des Bundesverfassungsgerichts vgl. die Hinweise in Fn. 41. 29 Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.; Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 409 f.; Gundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, S.54 ff.; ebenso E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 13, 21, 23 u.ö., im Anschluß an R. Alexy; dazu, kritisch zum Wertekonzept, nahe der Lehre Alexys, J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 292 ff., insb. S. 309 ff. 30

Dazu Hinweise in: Theorie der Grundrechte, S. 73. Theorie der Grundrechte, S. 75 ff.; Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, S. 54. 32 K. Hesse, HVerfR, S. 93 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 292 ff. 33 J. Wintrich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, in: P. Häberle (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 217; H. Kelsen, VVDStRL 5 (1929), S. 39. 34 Übermaß und Verfassungsrecht, S. 61 ff., 134 ff., vgl. ders., Grundrechtsschranken, HStR, Bd. V, 1992, S. I I I ff., insb. S. 783 f. 31

826

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

" o b j e k t i v - r e c h t l i c h e n Charakter der Grundrechte" "elementare Ordnungsp r i n z i p i e n " 3 5 . Es werden auch viele andere A u s d r ü c k e für die grundrechtl i c h e n Leitentscheidungen b e n u t z t 3 6 . N a c h d e m Grundgesetz ist das (für alle) Gute g e s o l l t 3 7 . I n dem Sinne ergeben die Prinzipien eine Wertordn u n g 3 8 . Prinzipien sind d e m lateinischen Sprachsinn nach Anfänge, U r sprünge. I n diesem Sinne ist das Prinzip der R e p u b l i k die allgemeine Freiheit, nichts anderes. D i e politischen Leitentscheidungen kann man aber als "Optimierungsgebote" erfassen, w i e Alexy siert

39

selbst die Prinzipien charakteri-

. Sie k ö n n e n auch Grundsätze genannt werden, z u m a l die W o r t e

Prinzip u n d Grundsatz vielfach ausgetauscht, jedenfalls i n j e eigener Relat i o n gebraucht w e r d e n 4 0 . I n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das aus den "Wertentscheidungen der Grundsatznormen" gebildete "Wertsystem", "die o b j e k t i v e Wertordnung" der " o b j e k t i v e n Wertentscheidungen"

eine hervorragende

Bedeutung41.

Unterschiedliche

Worte

sollten m i t unterschiedlichem Begriffsgehalt benutzt werden, aber n i e m a n d k a n n dazu gezwungen werden.

35

Faktizität und Geltung, S. 302. Vgl. R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, S. 51, der einige Ausdrücke des Bundesverfassungsgerichts aufführt; ders., Theorie der Grundrechte, S. 32 ff.; vgl. auch den vielfältigen Sprachgebrauch von E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 ff. 37 I.d.S. J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 311 ("(...): das Gesollte beansprucht, gleichermaßen gut für alle zu sein."), auch S. 311 ff. 38 Zum Unterschied und Verhältnis von Prinzipien als "deontologischen" und Werten "als teleologischen" Maximen J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 309 ff. 39 Theorie der Grundrechte, S. 75 ff.; kritisch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 309 ff., 316 f. 40 Etwa Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 125 ff., wo Kant von "den Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft" handelt und "Prinzipien" nennt, etwa das "Prinzip der Selbstliebe" (S. 128); nach R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 23, 138, Fn. 56, S. 331, muß ein Prinzip als Optimierungsgebot ausnahmslos verwirklicht werden, während der Grundsatz Ausnahmen zuläßt; diese Unterscheidung ist sachlich richtig, sprachlich aber nicht zwingend. 41 BVerfGE 7, 198 (205); 10, 302 (322); 12, 1 (4); 21, 73 (85); 30, 173 (188); 31, 58 (69 f.); 35, 79 (112,114); 39, 1 (47); 53, 30 (57); 56, 54 (73); 77, 170 (214); u.ö.; dazu H. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektiv-rechtliche Prinzipien in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 110 (1985), S. 363 ff.; K. Hesse, HVerfR, S. 93ff.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, S. 25, 40 f.; E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 ff.; ders., Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, 1990; kritisch etwa H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, 1973; kritisch auch P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 126; kritisch wegen der Funktion von Werten in der Verfassungsrechtsprechung J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 309 ff. 36

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der G r u n d r e c h t e 8 2 7

Das Grundgesetz hat jedoch keinen der vielfältigen Ausdrücke aufgegriffen und dadurch deren beliebigen und synonymen Gebrauch ermöglicht. Es spricht in Art. 1 Abs. 2 GG von den "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" und in Art. 1 Abs. 3, Art. 18, Art. 19, Art. 93 Abs. 1 Ziff. 4a GG von "Grundrechten". Es hat es damit der Rechtslehre in Praxis und Wissenschaft überlassen, diesen Begriff zu klären, eine politische Aufgabe von größter Tragweite, zumal der Begriff des Grundrechts Tatbestandsmerkmal des systembestimmenden Verfassungssatzes des Art. 19 Abs. 2 GG ist. Dieser lautet: "In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden." Der Wesensgehalt eines Grundrechts ist mit dessen Menschenwürdegehalt i m Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG das jeweilige "unverletzliche und unveräußerliche Menschenrecht" des Art. 1 Abs. 2 GG 4 2 . Kant hat das unaufgebbare "Recht der Menschheit in unserer eigenen Person" und die "unverlierbaren Rechte ... jedes Menschen" konzipiert 43 . Art. 19 Abs. 2 GG garantiert die grundrechtlichen Rechtsinstitute und schützt diese als Verfassungsgüter 44. Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG ist durch die Lehre von der institutionellen Garantie, die Carl Schmitt entwikkelt und scharf von den echten Grundrechten der "Freiheitssphäre" unter-

42 I.d.S. wohl BVerfGE 80, 367 (373 f.); so G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S. 1 ff., 46 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 81c zu Art. 1; so auch W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1033, für die Eigentumsgewährleistung; dazu L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts, 1983, S. 77; ablehnend B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, S. 78; kritisch schon P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 40, 255 f., 236 ff.; ebenso ders., HStR, Bd. V, S. 793. 43 Metaphysik der Sitten, S. 348 u.ö., bzw., Über den Gemeinspruch, S. 161; dazu M. Kriele, Die Universalität der Menschenrechte, ARSP-Beiheft 51 (1993), S. 47 ff. 44 I.d.S. W. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 87 ff.; ders., HStR, Bd. VI, S. 1030 f., 1033, für das Eigentum, der der "Institutsgarantie" "kein eigenes Gewicht" beimißt, sie aber gegenüber dem Gesetzgeber der Sache nach zum eigentlichen Grundrechtsgehalt entfaltet, S. 1044 ff.; vgl. P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 239 ff. ders., HStR, Bd. V, S. 792 f.; dazu L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts, 1983, S. 81 ff. ("objektive Theorie"), S. 100 ff.; insb. P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, insb. S. 70 ff.; i.d.S. auch BVerfGE 58, 300 (348) für die Eigentumsgarantie.

828

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

schieden hat 45 , angeregt. Die Wirkung dieser Garantie ist die Kompetenz der Hüter der Verfassung, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts, das grundrechtliche Verfassungsgut zu verteidigen. Das subjektive Recht, das daraus prozedural erwächst, ist sekundär, wenn auch für die Verteidigung der grundrechtsgemäßen politischen Freiheit und freiheitlichen Privatheit nach aller Erfahrung unverzichtbar 46 . Die Grundrechte sind mehrfach als "Rechte" formuliert oder als Rechte konzipiert, selbst wenn das Wort Recht im Grundrechtstatbestand nicht benutzt ist. Auch derartige Grundrechte werden in Art. 18 GG als Freiheiten bezeichnet, etwa die "Freiheit der Meinungsäußerung", die "Versammlungsfreiheit" und die "Vereinigungsfreiheit". Das Grundgesetz kennt auch Formulierungen bestimmter Freiheitsbereiche, wie etwa in Art. 5 Abs. 3 GG mit der Formulierung: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei." Auch das sind Freiheiten, wie die Nennung der "Lehrfreiheit" in Art. 18 GG und in Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG die Worte "Freiheit der Lehre" zeigen. Manche Grundrechte sind von vornherein als Freiheiten formuliert, etwa "die Freiheit der Person" des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, "die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses" des Art. 4 Abs. 1 GG, "die Pressefreiheit" des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Auch die "Freizügigkeit" des Art 11 Abs. 1 GG ist die Freiheit des Zuges, das Recht des freien Zuges 47 . Art. 12 Abs. 1 GG schützt "das Recht" aller Deutschen, "Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen". Entweder sind die Grundrechte mit unterschiedlichen Formulierungen unter Gesetzes- oder Regelungsvorbehalt gestellt, wie etwa das "Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" und die "Freiheit der Person" durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, die Freiheit, sich unter freiem Himmel zu versammeln, durch Art. 8 Abs. 2 GG, das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis durch Art. 10 Abs. 2 GG, die Freizügigkeit durch Art. 11 Abs. 2 GG für bestimmte Fälle, die Berufsausübung durch Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, die Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13

45

C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 163 ff., 171 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 171; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 181 ff., 210 Anm. 77; i.d.S. auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 234 ff.; P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 239 ff.; vgl. mit Recht zu diesem Begriffsgebrauch zurückhaltend E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd. VI, S. 641; ders., Die Einrichtungsgarantien der Verfassung, 1979, S. 21, 27 f., 63. 46 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 379 ff., 385 ff.; 6. Teil, 1. und 4. Kap., S. 441 ff., 461 ff.; insb. BVerfGE 77, 170 (214 f.); 79, 174 (201 f.); 84, 242 (253, 256); 84, 212 (223); H.H. Klein, Die grundrechtliche Schutzpflicht, DVB1. 1994, 498 ff., insb. 493 f. 47 Vgl. G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 1 ff. zu Art. 11 ("freier Zug").

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

829

Abs. 2 und 3 GG bzw. die Gewährleistung des Eigentums und des Erbrechts durch Art. 14 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 GG, aber auch durch Art. 15 GG, oder auch nicht. Auch die sogenannten vorbehaltlosen Grundrechte, wie die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, die Freiheit von Kunst und Wissenschaft des Art. 5 Abs. 3 GG und die sogenannte Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG, können zu Recht in den Wirkungsbereich von Gesetzen geraten, mit welcher Dogmatik auch immer das erfaßt werden mag 48 . Die Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG "finden" (u.a.) "ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze" (Art. 5 Abs. 2 GG). Alle Grundrechte können somit durch Gesetze in ihrem Wesensgehalt angetastet werden; aber Art. 19 Abs. 2 GG verbietet das 49 . Peter Häberle hat seine Wesensgehaltslehre unabhängig von Art. 19 Abs. 2 GG entwickelt und diese Vorschrift als "aktuell deklaratorisch", aber "latent konstitutiv" bezeichnet 50 . Man kann, wie Häberle, die Wesensgehaltsgarantie auch dem Art. 1 Abs. 3 GG, der auch die Gesetzgebung an die Grundrechte bindet, entnehmen; denn wenn die Gesetzesvorbehalte usw. der einzelnen Grundrechte die Bindung der Gesetzgebung an die Grundrechte aufhöben, wäre das ein Widerspruch 51 . Jedenfalls verbietet Art. 19 Abs. 2 GG es dem Gesetzgeber, den Wesensgehalt eines Grundrechtes anzutasten, auch wenn sich dieser Verfassungsrechtssatz schon aus anderen Verfassungsvorschriften ergeben sollte.

48

Dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff. Die Relevanz der Wesensgehaltsgarantie für alle Grundrechte ist strittig; dazu i.S.d. Textes L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts, 1983, S. 39 ff., 56 ff., 69 ff.; Maunz in: Maunz/Dürig, Rdn. 1, 20 ff. zu Art. 19 Abs. 2; W. Krebs in: v. Münch/Kunig, GGK, 4. Aufl. 1992, Rdn. 19 zu Art. 19; im Erg. auch P. Lerche, HStR, Bd. V, S. 795; a.A. BVerfGE 13, 97 (122); 31, 58 (69); aber BVerfGE 58, 300 (348); 84, 212 (228); vgl. auch BVerfGE 47, 300 (357); wie der Text aber das Maastricht-Urteil BVerfGE, 89, 155(174 f.), wonach das Bundesverfassungsgericht auch gegenüber Rechtsakten der Gemeinschaften für den Schutz des Wesensgehalts der Grundrechte als dem allgemeinen Grundrechtsstandard verantwortlich ist; gegen die restriktive Interpretation spricht Art. 1 Abs. 3 GG, der den Wesensgehalt auch schützt, vgl. die Hinweise in der folgenden Fußnote; allgemein praktiziert die Wesensgehaltsgarantie der Europäische Gerichtshof, vgl. EuGH Slg. 1989, 2609 Tz. 18 - Wachauf; EuGH Urt. vom 10.1.1992 - Rs C - 177/90, EuZW 1992, 155 f., Tz. 16 für das Eigentumsrecht und das Recht auf Berufsausübung. 49

50

Wesensgehaltsgarantie, S. 234 ff.; ihm folgt Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 332, S. 134. 51 So aber C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 191; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 f.; vgl. auch ders., Verfassungslehre, S. 164; ders., Legalität und Legitimität, S. 47 ff.; richtigP. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 234 f.; i.d.S. auch IV. Krebs in: v. Münch/Kunig, Rdn. 20 zu Art. 19; kritisch P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 38 f.; jetzt aber i.S.d. Textes ders., HStR, Bd. V, S. 795.

830

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Es gibt keine Auslegungen des Wesensgehalts einzelner Grundrechte, w e l c h e überzeugen könnten. D i e relativierenden Lehren zur Wesensgehaltsgarantie 5 2 ersetzen diese durch allgemeine Sachlichkeitsprinzipien, w i e v o r a l l e m das Verhältnismäßigkeitsprinzip 5 3 ,

das variabel auf die L a g e

zu

reagieren erlaubt. Lehren, die einen absoluten Wesensgehalt der G r u n d rechte, einen unantastbaren K e r n derselben zu erkennen m e i n e n 5 4 , haben es nicht vermocht, diesen aus dem Text der Grundrechte abzulesen. Sie müssen i h n der Lebenslage gemäß definieren, also doch relativ, abwägend, f u n k t i o n a l gesetzgebend 5 5 .

52 Dazu P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 34 ff. (insb. zur Rechtsprechung), S. 79 f., 235 ff.; ders., HStR, Bd. V, S. 795, mißt Art. 19 Abs. 2 GG lediglich "Signalbedeutung" bei; Ρ Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 58 ff.; dazu L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts, S. 158 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 269 ff., 332 ff. 53 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 133 f., Rdn. 332 ff., und S. 127 f., Rdn. 318 f.; auch P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 34 ff., 79 f. (für das Kriterium der Verhältnismäßigkeit, nicht das der Erforderlichkeit), S. 235 ff. (zum "institutionellen Gehalt" und zum "Abwägungsfaktor"); i.d.S. schon G. Dürig; AöR 81 (1956), S. 146 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 267 ff., insb. S. 269 ff. mit einer Analyse der Rechtsprechung; vgl. auch L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts, S. 263, für Abwehrrechte; vgl. jeweils vorsichtig in der Dogmatik, insb. BVerfGE 22, 180 (219 f.); 30, 47 (53 f.); 34, 330 (353); 58, 300 (348); vgl. auch Ρ Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 67 ff.; dazu M. Stelzer, Das Wesensgehaltsargument und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1991. 54

Vgl. zur Kernbereichslehre insb. H. Krüger, Der Wesensgehalt der Grundrechte im Sinne des Art. 19 GG, DÖV 1955, 597 ff.; auch R Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 235 ff., der als "absolut geschützten 'Wesensgehalt'" den "institutionellen Gehalt" auffaßt, aber "Abwägungsfaktoren" i.S. des Verhältnismäßigkeitsprinzips einbezieht (S. 239 ff.); W. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 152 ff.; vgl. auch ders., HStR, Bd. VI, S. 1044 ff.; H.J. Papier in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 273 zu Art. 14; L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts, S. 182 ff. mit Hinweisen, der selbst eine absolute Kernbereichslehre vertritt (S. 193 ff.) und sich in grundrechtlichen "Rechtsräumen" verirrt; gegen die absoluten Lehren überzeugend P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 58 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 269 ff.; das Bundesverfassungsgericht, etwa BVerfGE 22, 180 (219 f.); 30, 47 (53 f.); 34, 330 (353), will "den unantastbaren Wesensgehalt eines Grundrechts (...) für jedes Grundrecht aus seiner Bedeutung im Gesamtsystem der Grundrechte ermitteln" und sieht "das Grundrecht der persönlichen Freiheit" durch die Unterbringung von Bürgern, um diese zu "bessern" als "in seinem Wesensgehalt angetastet", weil "besonders gewichtige Gründe", etwa solche des "Schutzes der Allgemeinheit" nicht bestünden (BVerfGE 22, 180 (219 f.)); das ist eine höchst relative Lehre, wie schon Häberle und Alexy (a.a.O.) gezeigt haben, zumal sich das Bundesverfassungsgericht für die Begründung seiner Entscheidung zusätzlich auf "den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" beruft; den Wesensgehalt des Art. 14 Abs. 1 GG sieht das Bundesverfassungsgericht ganz i. S. Lerches gewahrt, wenn die "Instituts- und Bestandsgarantie" und der "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" eingehalten sind (BVerfGE 58, 300 (348)). 55 So auch die Kritik von P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 64 ff., und R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 269 ff.; i.d.S. auch P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 239 ff.

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der G r u n d r e c h t e 8 3 1

"Als Gegenstand des Art. 19 Abs. 2 fassen wir daher das Kernstück der unterverfassungsgesetzlichen Normenkomplexe auf, die den einzelnen freiheitlichen Grundrechten zugrunde liegen." - Peter Lerche 56 Während die Freiheit, die das Grundgesetz schützt, formal ist, sind die Grundrechte selbst notwendig material wie jedes Recht 57 . Ihre Materialität ist aber im Regelfall wenig bestimmt. Ernst-Wolfgang Böckenförde spricht sogar von "inhaltlicher Unbestimmtheit der objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte" 58 , Christian Starck richtig von "relativer Offenheit" 59 . Erst recht folgt daraus die materiale Offenheit des Wesensgehalts der Grundrechte. Ohne daß die besonderen Grundrechte hier en detail abgehandelt werden könnten 60 , soll der plakative Hinweis auf einige Grundrechte zeigen, daß jedenfalls deren Wesensgehalte nur den Charakter von Leitentscheidungen und der Wesensgehaltsschutz jedenfalls auch den Zweck institutioneller Garantien haben.

II.

Die materiale Offenheit des Wesensgehalts der besonderen Grundrechte 1. In das durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte "Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit", wie auch in die "Freiheit der Person", ebenfalls durch S. 3 dieses Absatzes als Recht definiert, darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden 61 . Die grundrechtliche Entscheidung für das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit der Person legt nicht

56

Übermaß und Verfassungsrecht, S. 240 (kursiv von P. Lerche); ders, HStR, Bd. V, S. 795, ist noch zurückhaltender, zieht aber nicht die funktionalen Konsequenzen aus der Wesensgehaltsgarantie. 57 Dazu 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., insb. S. 356 ff., 410 ff.; 6. Teil, 1. und 8. Kap., S. 441 ff., 494 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 58 Der Staat 29 (1990), S. 14, vgl. auch S. 25 u.ö.; so auch O. Bachof,\ VVDStRL 34 (1976), S. 105 (Aussprache). 59 VVDStRL 34 (1976), S. 75. 60

Zur Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG und zur Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG werden im 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff., 1022 ff. einige exemplarische Überlegungen vorgestellt. 61 Dazu D. Lorenz, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, HStR, Bd. VI, S. 4 ff., der das Grundrecht auch als "negatives Abwehrrecht im klassischen Sinne eines Eingriffsverbotes an den Staat" vorstellt, als wenn das Grundgesetz einen Staat schüfe, der ohne gesetzliche Grundlage töten dürfte, S. 22 ff. zur "Beschränkung des Grundrechts"; E. Grabitz, Freiheit der Person, Bd. VI, S. 110 ff., 116, 125 f., zum Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als "subjektivem Recht auf Abwehr staatlicher Eingriffe" und als "Element objektiver Ordnung"; vgl. zur Schutzpflicht die folgende Fußnote.

832

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

fest, in welchen Fällen der Gesetzgeber die Grundrechte einschränken darf, bestimmt nicht, welche Regelungen der Gesetzgeber treffen muß, um die Rechte, aber auch die Verfassungsgüter zu schützen, wie etwa das Umweltund Technikrecht gestaltet sein muß, um den Entscheidungen der Verfassung für das Leben und die körperliche Unversehrtheit gerecht zu werden 62 . Keinesfalls kann angesichts der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG der Gesetzesvorbehalt dem Gesetzgeber jede Art von Regelung gestatten, so daß das Grundrecht gegenüber dem Gesetzgeber leer liefe 63 . Gegen diese (Schmittsche) Dogmatik richten sich sowohl Art. 1 Abs. 3 GG als auch Art. 19 Abs. 2 GG. Die Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte bedeutet nicht lediglich, daß der Gesetzgeber das Gesetzlichkeitsprinzip zu wahren hat. Das Prinzip der Gesetzlichkeit ergibt sich schon aus dem Freiheitsprinzip des Art. 2 Abs. 1 GG. Die grundrechtlichen Entscheidungen für das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit der Person sind somit material offene Leitentscheidungen 64 , die einem der wesentlichen Staatszwecke, dem der allgemeinen Sicherheit 65 , folgen, ohne dessen Ausgestaltung festzulegen. Die Verfassungsgüter sind so benannt wie in herkömmlichen einfachen Gesetzen, etwa § 823 Abs. 1 BGB, aber der grundrechtliche Schutz derselben, also das Recht, welches Art. 2 Abs. 2 GG gestaltet und mit subjektiven Schutz verbindet 66 , steht der gesetzlichen Gestaltung offen. Der Gesetzgeber kann und darf die Rechte, die Art. 2 Abs. 2 GG unmittelbar schützt, nämlich das einfachgesetzliche Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und (Bewegungs-) freiheit 67 , sowohl schwächen

62 Zur Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG BVerfGE 39,1 (42); 46, 160 (164); 49, 24 (53); 53, 30 (57); D. Lorenz, HStR, Bd. VI, S. 26 ff.; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 50 f., 261 ff.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, insb. S. 121 ff.; E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 12 ff.; dazu auch 7. Teil, 3. Kap., S. 551 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 670 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 821; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 368 ff. 63 Dazu D. Lorenz, HStR, Bd. VI, S. 24 ff., insb. zum Verhältnismäßigkeitsprinzip, der den Wesensgehalt des Grundrechts, S. 24 f., mit dem Menschenwürdegehalt identifiziert, der durch die Todesstrafe verletzt wäre.; E. Grabitz, HStR, Bd. VI, S. 117 f.; zum Leerlaufargument C. Schmitts Hinweise in Fn. 201. 64 Zum "objektiv-rechtlichen Gehalt der Gewährleistung" D. Lorenz, HStR, Bd. VI, S. 26 ff.; BVerfGE 39,1 (41); 53, 30 (57); v. Mangoldt/Klein/Starck,, GG, Rdn. 137 zu Art. 2 Abs. 2; G. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 26 zu Art. 2 Abs. II. 65 Vgl. Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat, VVDStRL 48 (1990), S. 27 ff.; G. Ress, daselbst zum nämlichen Thema, S. 83 ff. 66 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 368 ff. 67 Dazu E. Grabitz, Freiheit der Person, HStR, Bd. VI, S. 110 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 131 zu Art. 2; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 49 zu Art. 2 Abs. II; BVerfGE 10, 302 (322); 58, 208 (220); 65, 317 (321).

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

833

als auch stärken, um dem allgemeinem Interesse an Sicherheit zu genügen, aber er muß eine Rechtsordnung schaffen, welche das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die (Bewegungs-)freiheit bestmöglich, also nach Maßgabe praktischer Vernunft schützt 68 . Die Grenzen seiner Gesetzgebungsbefugnis zieht der Wesensgehalt des Grundrechts. 2. Der Gleichheitssatz wird besonders erörtert 69 . 3. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erklärt vorbehaltlos die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses für unverletzlich und gewährleistet ebenso vorbehaltlos die ungestörte Religionsausübung. Auch diese Freiheiten, zusammengefaßt die Religionsfreiheit 70 , bedürfen schon um ihres Schutzes willen der gesetzlichen Regelung. Solche Regelungen können die Freiheiten in ihrem Wesensgehalt verkennen. Keinesfalls berechtigen die Freiheiten des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu beliebigem Handeln, welches als Glaubens-, Gewissens- oder Bekenntnisübung reklamiert wird und auch anerkannt werden kann. Nicht jedes Handeln wird grundrechtlich als ungestörte Religionsausübung geschützt, weil es einem religiösen Antrieb folgt. Wenn auch die Grundrechte des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht unter Gesetzesvorbehalt stehen, so sind sie doch in die "Schranken" der "allgemeinen Wertordnung des Grundgesetzes" verwiesen 71 und folglich gesetzlich oder zumindest richterlich im Interesse anderer Verfassungsgüter regelbar 72 . A m schärfsten zeigt das der Begriff des Religionskrieges. Den Religionskrieg von vornherein aus dem Regelungsbereich des Art. 4 GG auszuklammern, wäre genausowenig überzeugend, wie diesem auch nur den geringsten Verfassungsschutz zu geben; denn die Verfassung dient dem Frieden 73 . Auch die Entscheidungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bedürfen somit der näheren Ausgestaltung durch Gesetze, wie auch immer diese Gesetze vor der Verfassung gerecht-

68

I.d.S. Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 27; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 90 ff. 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; auch 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff. 70 Vgl. A. v. Campenhausen, Religionsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 370, 392, 395 ff.; P. Mikat y Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, HVerfR, 1983, S. 1064 ff. 71 BVerfGE 12, 1 (4). 72 A. v. Campenhausen, HStR, Bd. VI, S. 418ff.; P. Mikat, HVerfR, S. 1076; insb. BVerfGE 12, 1 (4 f.); 32, 18 (107f.); auch BVerfGE 33, 23 (29); 41, 29 (50); 44, 37 (49 f.); zur Dogmatik der vorbehaltlosen Grundrechte vgl. 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff., 1021 ff.; 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff. 73 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 9 f. 69

53 Schachtschneider

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

fertigt werden mögen 74 . Gerade die Religion soll nicht ein Bereich des Chaos sein, ein Bereich ohne Gesetzlichkeit 75 . Die Grundrechte, die Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gibt, sind ebenfalls Leitentscheidungen. Der Schlüssel zur Dogmatik der vorbehaltlosen Grundrechte liegt i m Begriff der Freiheit. Freiheit ist immer die Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG 7 6 . Weil Freiheit durch Gesetze verwirklicht wird, enthält der Begriff der Freiheit in Art. 4 Abs. 1 GG den, wenn man so will, Gesetzesvorbehalt. Die ungestörte Religionsausübung, welche Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistet, muß sich auf die Freiheit der Religion beschränken, wie sie die Gesetze gestalten. Es gibt keine Freiheit, welche sich ohne Gesetze zu entfalten vermag; denn Freiheit ist Autonomie des Willens 7 7 . Freiheit ist das Prinzip der Gemeinschaft. Ob die Gesetze den politischen Entscheidungen, die Art. 4 Abs. 1 und 2 GG getroffen haben, gerecht werden, ist die jeweils zu entscheidende Verfassungsfrage. Gerade die Religionsfreiheit zeigt diese Problematik. Das Gebet in der Schule ist der Fall der Freiheit, nicht das Gebet im Stillen 78 . 4. Die Meinungsäußerungs-, die Informations-, die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film, die Art. 5 Abs. 1 GG schützt, sind nicht nur Rechte, wie Abs. 2 dieser Vorschrift zeigt, sondern Freiheiten (argumentum aus Art. 18 GG) und zum Teil auch explizit als Freiheiten bezeichnet 79 . Freiheiten sind Freiheitsrechte, also Rechte, welche die allgemeine Freiheit in besonderer Weise verwirkli-

74

Dazu A. v. Campenhausen, HStR, Bd. VI, S. 419 ff., der gegen einen religionsfreiheitsrechtlichen Vorbehalt der allgemeinen Gesetze i.S. des Art. 5 Abs. 2 GG (anders aber S. 421 unter Hinweis auf Art. 136 WRV in Verb, mit Art. 140 GG) und gegen die Anwendung der sogenannten Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG plädiert; ebenso P. Mikat, HVerfR, S. 1076; vgl. BVerfGE 32, 98 (107 f.); 33, 23 (49); 44, 37 (49 f.); 44, 59 (67); 52, 223 (246); vgl. auch BVerfGE 12, 1 (4 f.); v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 45 zu Art. 4. 75

I.d.S. auch A. v. Campenhausen, HStR, Bd. VI, S. 418 ff. Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; auch 5. Teil, 4. und 6. Kap., S. 325 ff.; 410 ff.; 6. Teil, 8. und 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff. 76

77 Dazu 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., S. 410 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff., insb. 2., 8. und 9. Kap., S. 449 ff., 494 ff., 501 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 78 Dazu A. v. Campenhausen, HStR, Bd. VI, S. 429 ff., insb. zu den Schulgebetsurteilen; dazu vor allem BVerfGE 41, 29 (49 ff.); 41, 65 (78 f.); 41, 88 (107 f.); 52, 223 (235 f.); dazu auch Ch. Link, Das Schulgebetsurteil des Bundesverfassungsgerichts, JZ 1980, 564 ff. 79 Dazu E. Schmidt-Jortzig, Meinungs- und Informationsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 636 ff.; M. Bullinger, Freiheit von Presse, Rundfunk, Film, HStR, Bd. VI, S. 672 ff., 696 ff., 698 ff., S. 680 ff. zur "institutionellen Garantie für die periodische Presse".

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

835

chen 80 , insbesondere durch den Vorbehalt der Privatheit 81 , allgemein durch die den Gesetzgeber orientierende Leitentscheidung. Art. 5 Abs. 2 GG formuliert, was richtigerweise für alle besonderen Grundrechte gilt, wenn das auch vom Bundesverfassungsgericht nicht akzeptiert wird, nämlich die Schranke der allgemeinen Gesetze82 oder das Prinzip der Freiheitlichkeit durch Gesetzlichkeit. Rudolf Smend hat die Allgemeinheit der Gesetze in ihrer Sachlichkeit und in ihrem sachlichen Vorrang vor dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung der Weimarer Reichsverfassung erkannt 83 und damit die praktische Vernunft zur Maxime der Grundrechtsgesetzgebung erhoben: "Seit den Menschenrechten ist eine derartige < allgemeine , Schranke der Grundrechtsausübung stets anerkannt und nur immer von neuem anders formuliert; die 'Allgemeinheit', um die es sich dabei handelt, ist aber selbstverständlich die materiale Allgemeinheit der Aufklärung, die Werte der Gesellschaft, die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die konkurrierenden Rechte und Freiheiten der Anderen, Sittlichkeit, öffentliche Ordnung, Staatssicherheit - an ihnen haben die Grundrechte ihre Schranke, deren Ziehung im einzelnen die Aufgabe ausführender Gesetze ist. Das ist auch die Allgemeinheit des Art. 118: die Allgemeinheit derjenigen Gemeinschaftswerte, die als solche den ursprünglich individualistisch gedachten Grundrechtsbetätigungen gegenüber den Vorrang haben, so daß ihre Verletzung eine Überschreitung, ein Mißbrauch der Grundrechte ist." - Rudolf SmencP* Smends Lehre hat dem republikanischem Grundrechtsverständnis die Weiche gestellt. Die Unterscheidung von allgemeinen Gesetzen, welche andere Rechtsgüter schützen als die Verfassungsgüter des Art. 5 Abs. 1 GG, von besonderen Gesetzen, welche verfassungswidrig die Grundrechte dieser Vorschrift einschränken 85 , ist unergiebig, weil jedes Gesetz in fast alle

80 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 5. Teil, 7. Kap., S. 427 ff.; 6. Teil, 1., 5. und 6. Kap., S. 441 ff., 471 ff., 483 ff. 81 Dazu 3. Teil, 3. und 4. Kap., S. 193 ff., 201 ff.; 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 220 ff., 244; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 385; 6. Teil, 2. Kap., S. 449 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 859 f. 82 BVerfGE 30, 173 (191 ff.); 47, 327 (368 ff.) für Art. 5 Abs. 3 GG; BVerfGE 32, 98 (107 ff.); 33, 23 (29); 44, 37 (49 f.) für Art. 4 Abs. 1 und 2 GG; dazu richtig R. Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung, VVDStRL 4 (1928), S. 51 ff. 83 VVDStRL 4 (1928), S. 51 ff., 73. 84 VVDStRL 4 (1928), S. 51 f. 85 So noch K.A. Bettermann, Die allgemeinen Gesetze als Schranken der Pressefreiheit, JZ 1964, 601 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 399, S. 155 f.; anders vor allem R. Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 51 ff., dessen Grundrechtslehre für die bundesver-

53*

836

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Lebensbereiche hineinwirkt. Die Steuergesetze etwa, ein klassischer Fall allgemeiner Gesetze, dürften für die Wirtschaftlichkeit eines Presseunternehmens von größter Bedeutung sein und damit die Pressefreiheit berühren. Das Bundesverfassungsgericht praktiziert die Wechselwirkungslehre, welche den Gesetzgeber anhält, den Wertgehalt der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG bei der allgemeinen Gesetzgebung, gegebenenfalls auch zu Lasten anderer Verfassungsgüter, zu berücksichtigten 86 . Voraussetzung dieser Lehre ist die Annahme, daß die allgemeinen Gesetze auf diese Verfassungsgüter einwirken. Keinesfalls wäre eine Dogmatik überzeugend, welche wegen der Pressefreiheit ein Presseunternehmensrecht, ein Pressearbeitsrecht usw. verböte. Auch das Pressewesen bedarf der gegebenfalls spezifischen gesetzlichen Gestaltung über die allgemeinen Gesetze hinaus. Ähnliche Aspekte lassen sich für die anderen durch Art. 5 Abs. 1 GG geregelten Grundrechte aufzeigen. Wiederum ergibt sich: So sehr gesetzliche Regelungen die Handlungsmaximen im Bereich der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG bestimmen und bestimmen dürfen, so wenig dürfen die Gesetze die politischen Entscheidungen der Grundrechte oder die praktische Vernunft verletzen, wenn der grundrechtliche Wesensgehalt unangetastet bleiben soll 8 7 . Anerkannt ist, daß die Meinungsfreiheit und auch die anderen Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG "objektive Prinzipien der Gesamtrechtsordnung" seien 88 , die, so das Bundesverfassungsgericht, "für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend" sind 89 .

fassungsgerichtliche Praxis wegweisend sein dürfte, gegen G. Anschütz, WRV, Komm., Anm. 3 zu Art. 118; dazu E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd. VI, S. 657 ff.; vgl. BVerfGE 7, 198 (209 ff.); 28, 175 (185 ff.); 33, 52 (66). 86

BVerfGE 7, 198 (205, 208 ff.); 12, 113 (124 ff.); 28, 175 (185 ff.); 28, 191 (202); 54, 129 (138 f.); 61, 1 (11); 62, 230 (244); 64, 108 (115); 66, 116 (150); 68, 226 (231 f.); 69, 257 (269 f.); dazu E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd. VI, S. 658 f., der gegen die Wechselwirkungslehre zu Recht kritisch auf Art. 19 Abs. 2 GG und das Obermaßverbot hinweist; so auch schon R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 262 zu Art. 5 Abs. I, II; dazu auch M. Bullinger, HStR, Bd. VI, S. 681 f.; vgl. W. Schmitt Glaeser, Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 97 (1972), S. 60 ff., 276 ff. 87 I.d.S. auch E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd. VI, S. 659, insb. zur Relevanz des Obermaßverbots, also eines Aspekts praktischer Vernünftigkeit (dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 362 ff. mit Fn. 558); auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 262 zu Art. 5 Abs. I, II; i.d.S. auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. die Hinweise in Fn. 53 und 54. 88 BVerfGE 57, 295 (319 f.); vgl. auch BVerfGE 7, 198 (204 f.); E . Schmidt-Jortzig, HStR Bd. VI, S. 640, der den Charakter der Grundrechte als "subjektive Freiheitsrechte" hervorhebt, ohne daraus materielle Schlüsse zu ziehen.

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

837

5. Für die Freiheit der Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre, welche Art. 5 Abs. 3 GG schützt, gelten wiederum die Überlegungen zu den sogenannten vorbehaltlosen Grundrechten 90 . Der vornehmlich staatliche Wissenschaftsbetrieb ist durch Bundes-, Landes- und Universitätsrecht eng geregelt. Diese Regelungen sind ausgesprochene Spezialgesetze, welche in keinem anderen Handlungs- oder Lebensbereich anwendbar sind. Die Unabhängigkeit der Universitäten und vor allem die Unabhängigkeit der Wissenschaftler ist auf das unerläßliche Maß dessen reduziert, welches um der Wissenschaft willen erforderlich ist 9 1 . Rudolf Smend hat die Freiheit der Wissenschaft des Art. 142 WRV auf das Wesen der Wissenschaft, die "idealistische" Suche nach der Wahrheit, hin entfaltet. U m der Wahrheit willen müsse die Wissenschaft unabhängig sein, aber der Wille zur Wahrheit sei die den Wissenschaften aufgegebene "sittliche Haltung" 9 2 . "In diesem Sinne ist die Lehrfreiheit kein Anwendungsfall des Prinzips der gesetzmäßigen Verwaltung, sondern eine öffentliche Institution zum Schutz einer der höchsten Formen des deutschen geistigen Lebens. Eine Schranke für den Gesetzgeber, ein tief verpflichtendes Privileg unseres Standes, das Grundrecht der deutschen Universität." - Rudolf Smend* 3 Dieses Grundrecht ist ein Grundsatz, eine Leitentscheidung im Interesse der Wahrheit, im Interesse der Freiheit, im Interesse des guten Lebens, im Interesse der Republik. Es ist ein Gesetz mit Verfassungsrang, ein Gesetz, das jedes Gemeinwesen gibt, welches eine Republik verfassen will, nicht aber die Ausgrenzung einer Sphäre des Privaten oder gar der Beliebigkeit, wohl aber die Bestimmung einer Kompetenz zur Autonomie, nämlich der der Gelehrten und der ihrer Republik, der Universität 94 . Dem Wahrheits-

89 BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (124 f.); 20, 56 (97); 69, 315 (344 f.); i.d.S. auch BVerfGE 28, 191 (202); E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd VI, S. 639 f.; dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 588 ff., 605 ff. 90 Dazu 6. Teil, 7. Kap., S. 490 f.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff. 91 Dazu Th. Oppermann, Freiheit von Forschung und Lehre, HStR, Bd. VI, S. 822 ff., 830 ff., 837 ff.; W. Maihofer, Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, HVerfR, 1983, S. 990 ff.; vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 99, 110, 130 ff., 172 ff. zu Art. 5 Abs. III.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 239 ff. zu Art. 5 Abs. 3; auch BVerfGE 35, 79 (116 ff.). 92 VVDStRL 4 (1928), S. 56 ff. unter Berufung (S. 61 f.) auf K. Jaspers, Die Idee der Universität, 1923, S. 67; vgl. auch K. Jaspers, Die Idee der Universität, S. 113 ("Die Lehrfreiheit besteht in Bindung an Wahrheit"). 93 VVDStRL 4 (1928), S. 73. 94 Dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

prinzip verpflichtet definiert § 3 HRG die Freiheit der Forschung und die Freiheit der Lehre. Bemerkenswert ist vor allem dessen Abs. 5, der klarstellt, daß die Wahrnehmung der Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG "nicht von der Rücksicht auf die Rechte anderer und von der Beachtung der Regelungen, die das Zusammenleben der Hochschule ordnen, entbinde". Die Freiheit wird durch dieses Gesetz so begriffen, wie sie in Art. 2 Abs. 1 GG definiert ist. Schlechterdings darf ein allgemeines Gesetz, der praktischen Vernunft, der Sittlichkeit also, verpflichtet, die Wahrheitspflicht und damit die Wahrheitssuche nicht behindern, wenn es die Republik nicht verraten will. Die allgemeinen Gesetze und die Rechte anderer muß auch der Wissenschaftler achten; aber der Gesetzgeber muß diese so formulieren, daß die Wissenschaft bestmöglich gefördert wird. Sonst verletzt er den Wesensgehalt der Wissenschaftsfreiheit, eines "Kulturwertes", wie Smend sagt 95 . Jedenfalls ist der Gesetzgeber im Hochschulrahmengesetz der Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts, daß die sogenannten Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG nicht auch die Schranken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG seien, nicht gefolgt 96 . Ein staatlicher Wissenschaftsbetrieb ohne gesetzliche Regelung ist schlechterdings nicht vorstellbar. Ein solcher würde der republikanischen Gesetzlichkeit aller Staatlichkeit widersprechen 97 . M i t Entscheidungen im Einzelfall, welche die Einzelfallgerechtigkeit durch Abwägung der verschiedenen grundrechtlichen Wertungen sucht 98 , läßt sich der staatliche Wissenschaftsbetrieb nicht bewältigen. Die Wissenschaft, welche Art. 5 Abs. 3 GG meint, ist unbestritten der Geschichte dieses Grundrechts gemäß 99 auch die Wissenschaft der staatlichen Hochschulen, wie § 1 HRG klarstellt. Für die Wissenschaftsfreiheit entfaltet das Wort frei seine allgemeine Bedeutung. Das muß entgegen der Dogmatik des Bundes-

95

VVDStRL 4 (1928), S. 46 f., 73; i.d.S. auch W. Maihofer, HVerfR, S. 990 f. So auch Th. Oppermann, HStR, Bd. VI, S. 823, für die Wissenschaftsfreiheit, die aber auch er wegen der Einheit der Verfassung nicht für schrankenlos hält und der für eine Verfassungskonkretisierung im Einzelfall plädiert, der die allgemeinen Gesetze widersprechen würden; zu den Schranken der Wissenschaftsfreiheit auch W. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 2. Auflage 1986, S. 69 ff.; W. Maihofer, HVerfR, S. 993, plädiert für eine zurückhaltende Anwendung der "Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG", nämlich deren "Essentialia", die "Rechte anderer" (Fn. 106). 96

97

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 333 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 98 So die Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts zur Kunstfreiheit, vgl. BVerfGE 30, 173 (193 ff.); dazu 9. Teil, 2. und 9. Kap., S. 880 ff., 895 ff., 1002 ff. 99 Dazu R. Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 58 ff., i.S. des Textes.

839

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

Verfassungsgerichts auch für die Kunstfreiheit g e l t e n 1 0 0 . D i e Entscheidungen für die Freiheit v o n K u n s t u n d Wissenschaft erweisen sich d a m i t auch als politische Leitsätze, welche der gesetzlichen Entfaltung bedürfen u n d deren Wesensgehalt unangetastet bleiben soll. 6. Ehe u n d F a m i l i e stellt A r t . 6 Abs. 1 G G unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dieses Grundrecht definiert weder die Ehe n o c h die F a m i l i e , deren Begriffe eine bewegte E n t w i c k l u n g hinter sich haben, ohne

daß

das Bundesverfassungsgericht

der M e i n u n g

wäre,

daß

die

Veränderungen v o r allem des Scheidungs- u n d Scheidungsfolgenrechts ein Rechtsinstitut geschaffen hätten, welches nicht mehr Ehe i m Sinne des A r t . 6 A b s . 1 G G s e i 1 0 1 . D i e E n t w i c k l u n g tendiert dahin, die Gruppe M u t t e r , K i n d , Partner der M u t t e r , sei es der Vater des K i n d e s oder nicht, w i e die Gruppe

Mutter

und

Kind

als

Familie

einzustufen 1 0 2 .

Die

staatliche

Schutzpflicht, welcher der Staat nur durch gesetzliche Ordnungen genügen kann, ist i n d e m Grundrecht

selbst angesprochen. A r t . 6 A b s .

1 GG

f o r m u l i e r t geradezu klassisch eine grundrechtliche Leitentscheidung u n d die A u f g a b e des Gesetzgebers, die P o l i t i k der Verfassung zu entfalten 1 0 3 . D i e

100

Dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff. BVerfGE 53, 224 (245); dazu H. Steiger, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel. Das Beispiel von Ehe und Familie, VVDStRL 45 (1987), S. 58 ff. ("Denn es gibt kein allgemeinverbindliches Ehebild mehr, und darf es im Staat der Nichtidentifikation auch nicht geben"; eine solche Meinung macht den besonderen Schutz der Ehe unmöglich); A. v. Campenhausen, zum nämlichen Thema, daselbst, S. 47 ff. (kritisch zur Gesetzgebung); kritisch H. Lecheler, Schutz von Ehe und Familie, HStR, Bd. VI, S. 213 ff., der auf die "Freiheitsbedrohung" durch die Schutzgarantie hinweist, weil der Schutzgegenstand vom Staat bestimmt werde, nachdem nur noch die staatliche Ordnung gelte, S. 218 ff. zu den Begriffen, S. 247 f. zum Zerrüttungsprinzip. 102 Für die Gruppe Mutter und Kind BVerfGE 18, 97 (105 f.); A. v. Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel. Das Beispiel Ehe und Familie, VVDStRL 45 (1987), S. 16 ff.; H. Steiger, VVDStRL 45 (1987), S. 61, 63, 80, der auch den "in der Lebensgemeinschaft mitlebenden" nichtehelichen Vater in die Familie einbezieht; dazu H. Lecheler, HStR, Bd. VI, S. 227 ff., der das selbst, S. 232 f., zu Recht ablehnt; die Partnerschaft ist aber noch nicht als Ehe anerkannt, BVerfGE 9, 20 (34 f.); 36, 146 (165); H. Lecheler, a.a.O., S. 223, 250 ff.; H. Steiger, a.a.O., S. 47 ff. (kritisch zur Gesetzgebung), S. 78; W. Zeidler, Ehe und Familie, HVerfR 1983, S. 579. 101

103

BVerfGE 10, 59 (66); 25, 104 (109); 28, 324 (361); 31, 58 (69 f.); 68, 324 (361); vgl. auch BVerfGE 15, 328 (332); 31, 58 (82); 36, 146 (163); 53, 224 (245); H. Lecheler, HStR, Bd. VI, S. 218 f., kritisch; Η. v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Komm. 1952, Anm. 2 zu Art. 6, hat dementsprechend Art 6 Abs. 1 GG als "Institutsgarantie" wie Art. 119 Abs. 1 WRV gesehen; dazu H. Steiger, VVDStRL 45 (1987), S. 65, 66 ff. zur Subjektivität der Ehe und Familie, zum "Verlust der Verbindlichkeit" der Leitbilder von Ehe und Familie und zu den durch das Prinzip der Nichtidentifikation gesetzten Grenzen staatlicher Ausbildung und

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Einheit privater und staatlicher Lebensbewältigung zeigt sich auch in Art. 6 Abs. 2 GG, der die Pflege und Erziehung der Kinder als das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht nennt, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wache. In welchem Maße die staatliche Gemeinschaft auf die Pflege und Erziehung der Kinder Einfluß nehmen darf, haben die Gesetze zu bestimmen. Sie müssen den Wesensgehalt des natürlichen Rechts der Eltern und der diesen zuvörderst obliegenden Pflicht wahren 104 . Das auf das scheidungsrechtliche Zerrüttungsprinzip der §§ 1565 ff. BGB aufgebaute Recht der elterlichen Sorge in §§ 1671 f. BGB verletzt jedenfalls den Wesensgehalt dieses Grundrechts, wenn ein Elternteil das natürliche Recht, seine Kinder zu pflegen und zu erziehen, einbüßt oder sich seiner dahingehenden Pflicht entledigen kann, weil sein Ehepartner bzw. er selbst grundlos die Scheidung begehren. Vor allem verlieren die Kinder einen Elternteil ohne hinreichenden Grund, so daß ihr grundrechtlich geschütztes natürliches Recht an beiden Eltern wertlos wird 1 0 5 . Zumindest muß das gemeinschaftliche Sorgerecht beider Eltern gewahrt bleiben, wenn diese oder einer von ihnen die Ehe nicht fortsetzen w i l l 1 0 6 . Zerrüttung einer Ehe heißt nicht mehr, als daß der Wille zur Ehe fortgefallen ist und darum die Ehe in beiderseitigem Einverständnis aufgelöst oder einseitig aufgekündigt wird; denn die Zerrüttung einer Ehe läßt sich nicht objektivieren. Das scheidungsrechtliche Verschuldensprinzip hatte wenigstens dem Gesetz nach an einem objektivierbaren Sachgrund für die Scheidung und die Scheidungsfolgen festgehalten und damit letztere der Verantwortung beider Ehepartner übertragen, entweder in der Scheidungsvereinbarung, der Normalfall der Praxis, oder im ehegemäßen Handeln, welches keinerlei Rechtsverlust befürchten lassen mußte. Nach dem zerrüttungsrechtlichen Scheidungsfolgenrecht kann etwa der Vater die wesentlichen Rechte hinsichtlich seines Kindes einbüßen, weil die Mutter die Ehe mit ihm, dem Vater, nicht fortsetzen w i l l und die elterliche Sorge ihr, der Mutter, allein, wie zumeist, zugesprochen wird. Außerdem hat das

Durchsetzung von Leitbildern. 104 Dazu H.F. Zacher, Elternrecht, HStR, Bd. VI, S. 286 ff., der den 'Ordnungsauftrag" des Gesetzgebers herausstellt. 105 K.A. Schachtschneider, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel. Das Beispiel Ehe und Familie, Aussprache, VVDStRL 45 (1987), S. 136 f.; H. Steiger, VVDStRL 45 (1987), S. 61, vermag in der Scheidung nur noch das "funktional gegenbildliche Formelement der Eheschließung im verweltlichten bürgerlich-rechtlichen Institut der Ehe" zu erkennen, ohne an die Kinder zu denken; vorsichtig mahnt H.F. Zacher, HStR, Bd. VI, S. 318 f., einen besonderen Schutz der Elternehe an. 106 I.d.S. BVerfGE 61, 358 (371).

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

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Zerrüttungsprinzip den Ehen die rechtliche Stabilität genommen. Das ist wegen der Kinder von grundrechtlicher Bedeutung, nicht wegen der Ehepartner; denn ein Anspruch auf lebenslange Ehe kann nur auf eine religiöse Gründung des ehelichen Lebenszeitprinzips gestellt werden. Absatz 2 des § 1353 BGB hebt denn auch der Sache nach den Lebenszeitgrundsatz des Absatzes 1 S. 1 auf. Die Not, das richtige Gesetz zu finden, ist groß; denn Kinder sollte man nicht von ihrer Mutter und Mütter nicht von ihren Kindern trennen - aber die Väter?! 7. Auch das Recht aller Deutschen, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, das Art. 8 Abs. 1 GG gibt, muß sich zumindest um des Schutzes anderer Verfassungsgüter willen in die Rechtsordnung einfügen 107 . Schließlich können sich nicht alle gleichzeitig in demselben Raum versammeln, schon gar nicht ungestört. Zumindest bedarf es der privatrechtlichen Regelungen, aber auch der Regelungen über die Benutzung öffentlicher Gebäude, welche der Versammlungsfreiheit genügen müssen. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht nach Art. 8 Abs. 2 GG durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Dieser Gesetzesvorbehalt rechtfertigt es wiederum nicht, die politische Entscheidung für die Versammlungsfreiheit auszuhöhlen, weil das Art. 19 Abs. 2 GG verletzten würde 1 0 8 . Das Bundesverfassungsgericht hat die Versammlungsfreiheit insbesondere als Demonstrationsrecht zu Lasten, aber auch zugunsten anderer Rechtsgüter entfaltet 109 . 8. Das Recht aller Deutschen, Vereine und Gesellschaften zu bilden (Art. 9 Abs. 1 GG), stellt Abs. 2 dieser Vorschrift unter besondere Gesetzesvorbehalte. Die Strafgesetze kann der Gesetzgeber ändern 110 ; insbesondere aber ist die verfassungsmäßige Ordnung entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die gesamte verfassungsgemäße Rechtsordnung und nicht nur die freiheitliche demokratische Grundordnung 111 , so daß dieses Grundrecht der Sache nach unter dem Gesetzesvorbehalt steht. Die

107 Dazu M. Kloepfer, Versammlungsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 761 ff., der für eine vorsichtige Analogie zu Art. 9 Abs. 2 GG plädiert. 108 M. Kloepfer, HStR, Bd. VI, S. 762, S. 763 ff. zu den versammlungsfreiheitlichen Beschränkungen. 109 BVerfGE 69, 315 (348 ff.); dazu M. Kloepfer, HStR, Bd. VI, S. 752 ff.; dazu auch 7. Teil, 5. Kap., S. 588 ff., 604 ff., 609 ff. 110 Dazu D. Merten, Vereinsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 805 f. 111 BVerfGE 6, 32 (38); so auch D. Merten, HStR, Bd. VI, S. 805.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Gesetze regeln ohnehin das Recht der Vereine und insbesondere das der Gesellschaften detailliert. Die Leitentscheidung für die Vereins- und Gesellschaftsfreiheit muß aber die Gesetzgebung bestimmen. 9. Einen anderen Charakter als den einer der gesetzlichen Regelung fähigen und bedürftigen Leitentscheidung hat auch die sogenannte Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG nicht 1 1 2 . Das erweist schon die praktizierte Kernbereichslehre, die etwa die sogenannte Tarifautonomie in Undefinierten Grenzen, im "Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung" nämlich, unter den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG stellt 113 und ihre Rechtfertigung in Art. 19 Abs. 2 GG zu finden vermag 114 . Aus der Koalitionsfreiheit hat sich das differenzierte kollektive Arbeitsrecht, insbesondere das Tarif- und Arbeitskampfrecht entwickelt 115 , obwohl auch dieses Grundrecht vorbehaltlos formuliert ist 1 1 6 . Die Berechtigung des Gesetzgebers, die Koalitionsfreiheit auszugestalten, ist anerkannt 117 . 10. Das Briefgeheimnis, sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind nach Art. 10 Abs. 1 GG unverletzlich, stehen aber unter dem Gesetzesvorbehalt des Abs. 2 S. 1 dieser Vorschrift 118 . Die schmerzlichste Verletzung hat dieses Grundrecht durch eine Verfassungsänderung, nämlich Art. 10 Abs. 2 S. 2, Art. 19 Abs. 4 S. 3 GG, erfahren, die im Interesse des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes den Rechtsschutz des Grundrechtes, den Art. 19 Abs. 4 GG garantiert, beseitigt und an die Stelle des Rechtsweges ausgerechnet die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane eingeführt hat, ohne daß

112

Dazu R. Scholz, Koalitionsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 1115 ff.; vgl. i.S.d. BVerfGE 20, 312 (317); 28, 295 (306); 50, 290 (367 ff.); 58, 233 (247 ff.); 84, 212 (223 ff.). 113 BVerfGE 4, 96 (106, 110); 17, 319 (321 f.); 18, 18 (27); 19, 303 (321f.); 20, 312 (317); 28, 295 (304 ff.); 50, 290 (367 ff.); 53, 233 (247 f.); 57, 220 (245 f.); 58, 233 (248 f.); 84, 212 (228); dazu R. Scholz, HStR, Bd. VI, S. 1157 ff., 1170 ff.; dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 401 ff. 114 So auch R. Scholz, HStR, Bd. VI, S. 1159; i.d.S. wohl BVerfGE 84, 212 (228). 115 Dazu R. Scholz, HStR, Bd. VI, S. 1170 ff. 116 Dazu R. Scholz, HStR, Bd. VI, S. 1180 ff., selbst gegen die Anwendung der "Schrankentrias" des Art. 2 Abs. 1 GG und für den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze und die Anwendung der Schranke aus Art. 9 Abs. 2 GG; ders., Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 335 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 348 f. zu Art. 9 Abs. III. 117 In der Sache BVerfGE 28, 295 (306); 50, 290 (368); 57, 220 (245 ff.); 84, 212 (226, 228); klar R. Scholz, HStR, Bd. VI, S. 1181. 118 Dazu W. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, HStR Bd. VI, S. 77 ff.

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

843

die Beschränkungen, die ein solches Gesetz ermöglicht, dem Betroffenen mitgeteilt werden müssen 119 . Diese Regelung verlangt ein Vertrauen in die Organe der Volksvertretung, welches der entwickelte Parteienstaat in keiner Weise rechtfertigt. Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG zeigt, daß die Grundrechte von den Bürgern gelebt werden müssen; denn sie stehen immer zur politischen Disposition. Die verfassungsändernde Mehrheit im Bundestag und i m Bundesrat sind kein Bollwerk, welches die Grundrechte gegen den parteienstaatlichen Gesetzgeber zu schützen vermag. Das Bundesverfassungsgericht hätte die Novellierung des Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG für verfassungswidrig erklären müssen, weil sie den Wesensgehalt des Art. 10 antastet 120 . Der Wesensgehalt eines Grundrechts muß sich auch gegen den verfassungsändernden Gesetzgeber behaupten, nämlich als dessen unverletzlicher und unveräußerlicher Menschenrechtsgehalt, welchen Art. 1 Abs. 2 GG als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bezeichnet 121 . Art. 79 Abs. 3 GG verbietet eine Änderung des Art. 1 GG, der darum auch nicht ausgehöhlt werden darf. Zu den Menschenrechten gehören das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis allemal 1 2 2 . Außenpolitische Rücksichten haben sich in der Praxis als stärker erwiesen als der Wesensgehalt eines Grundrechts. 11. Die Freizügigkeit aller Deutschen dagegen hat sich in schwierigster Lage behauptet, weil die Mehrheit der Deutschen in Ost und West sie nicht in Frage gestellt wissen wollte. Ohne das Grundrecht der Freizügigkeit, welches auch das Recht zur Einreise umfaßt 123 , hätte die deutsche Einheit scheitern können. Art. 11 GG hat eine Politik gegen die deutsche Einheit unmöglich gemacht. Auch dieses Grundrecht steht unter einem Gesetzesvorbehalt, der allerdings wenn auch weit, so doch eingeengt ist. Der politische Wille, allen Deutschen die Freizügigkeit zuzugestehen, der in Deutschland seit der Wiener Bundesakte 1815 mit den verbrecherischen Ausnahmen des

119

Dazu W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 83 f. mit Hinweisen auf die Kritik. Das Gericht hat freilich mit verfassungskonformer Auslegung umgekehrt entschieden, BVerfGE 30, 1 (17 ff.); 67, 157 (171 ff.); wie der Text etwa K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 376 ff., S. 148 f.; P. Häberle, Die Abhörentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1970, JZ 1971, 145 ff.; vgl. W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 83 f. 120

121

Dazu Hinweise in Fn. 42. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 377, S. 149; vgl. Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 12 Allg. Erkl. MenschenR. 123 BVerfGE 2, 266 (272 ff.); K. Hailbronner, Freizügigkeit, HStR, Bd. VI, S. 150, 152, 155 ff.; D. Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts; Art. 11 des Grundgesetzes, 1970, S. 89. 122

844

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Hitler- und des DDR-Regimes ungebrochen ist 1 2 4 , leitet auch die Politik des Freizügigkeitsrechts, die von den Einschränkungsmöglichkeiten des Art. 11 Abs. 2 GG nur zurückhaltend Gebrauch macht 125 , aber die Leitentscheidung für den freien Zug etwa auch bei berufsrechtlichen Regelungen berücksichtigt 126 , wie es die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit der Art. 48 ff. EGV vorschreibt 127 . Das Grundrecht der Freizügigkeit zeigt im übrigen seinen subjektiv-rechtlichen Gehalt exemplarisch darin, daß es einen uneinschränkbaren, also von der Lage unabhängigen, tatbestandlich exakt definierten materialen Gehalt hat, das verfassungskräftige subjektive Recht jedes Deutschen zum freien Zug, soweit der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 nicht reicht. 12. Art. 12 GG hat sich in der Praxis des Bundesverfassungsgerichts zum berufsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip entwickelt 128 . Jedenfalls behandelt das Bundesverfassungsgericht das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstelle frei zu wählen, welches es wie die Berufsausübung unter Gesetzesvorbehalt gestellt sieht 129 , als eine das Berufswesen regelnde Leitentscheidung. 13. Auch das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung des Art. 13 Abs. 1 GG ist unter besonderen Voraussetzungen einschränkbar 130 . Die

124 Eindrucksvoll G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 1 ff. zu Art. 11; vgl. auch Κ . Hailbronner, HStR, Bd. VI., S. 138 ff. 125 I.d.S. BVerfGE 2, 266 (278 ff.); vgl. K. Hailbronner, HStR, Bd. VI, S. 151, 168 ff. 126 Dazu K. Hailbronner, HStR, Bd. VI, S. 160 ff. zu "indirekten Beschränkungen der Freizügigkeit". 127 Vgl. EuGHE 1974, 1299 (anwaltschaftliche Residenzpflicht); vgl. K. Hailbronner, HStR, Bd. VI, S. 161. 128 BVerfGE 7, 377 (400 ff.); st.Rspr.; kritisch H. Lecheler, Artikel 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, VVDStRL 43 (1985), S. 52 ff., insb. S. 55 ff., der darauf hinweist, daß der reale Freiheitsgehalt dieser Grundrechtsgarantie von der Liberalität des Staates und insbesondere seiner Richter abhängt und daß "von der Sicherheit des Freiheitsschutzes da wenig bleibe"; das zeigt die Gesetzgebungsfunktion, die das Bundesverfassungsgericht berufsrechtlich praktiziert (dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.); vgl. auch HP. Schneider, daselbst zum nämlichen Thema, S. 36 ff.; R. Breuer, Die staatliche Berufsregelung und Wirtschaftslenkung, HStR, Bd. VI, S. 961 ff. 129

BVerfGE 7, 377 (409 ff.); 33, 303 (329 f.); u.ö.; H. Lecheler, VVDStRL 43 (1985), S. 55 ff.; HP. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 16 ff., 27 ff.; R. Breuer, HStR, Bd. VI, S. 902. 130 W. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, HStR, Bd. VI, S. 68 ff., der die Wohnung als "Privatsphäre", als "Herrschaftsbereich" statt als eine Art der Freiheitsverwirklichung, welche durch die Mauern Einwirkungen von außen und Außenwirkungen von innen abschirmt und dadurch die Wirkung von Handlungen auf andere beschränkt, vorstellt. Eine "Privatsphäre"

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der G r u n d r e c h t e 8 4 5

Wohnungszwangswirtschaft hat von dem Schrankenvorbehalt des Abs. 3 dieser Vorschrift ("Behebung von Raumnot") intensiv Gebrauch gemacht 1 3 1 . Das Bundesverfassungsgericht billigt reinen Geschäftsräumen einen geringeren Schutz zu als Wohnungen im engeren Sinne 1 3 2 und behandelt damit das Grundrecht als Leitentscheidung, nicht als subsumtionsfähigen Rechtssatz, der eine weitere Differenzierung nicht zuläßt, sondern nur die Alternative: Geschäftsräume sind Wohnungen und werden wie solche behandelt oder sind es nicht 1 3 3 und genießen folglich keinen Grundrechtsschutz. Die gesetzlichen Regelungen dienen aber auch der Verwirklichung der politischen Leitentscheidung, daß jeder eine Wohnung haben soll, damit er in den Genuß des elementaren Grundrechts des Art. 13 Abs. 1 GG kommen kann 1 3 4 . Die ausformulierten Eingriffs- und Beschränkungsvorbehalte des Grundrechtes leisten bereits eine gemeinwohlgemäße Gestaltung des freiheitlichen Wohnungswesens, welche sonst der Gesetzgeber vornehmen müßte. Der Wesensgehalt des Grundrechts hat in den Abs. 2 und 3 des Art. 13 GG bereits eine nähere Materialisierung erfahren. 14. Die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG ist schon der Formulierung des Grundrechts nach ein klassischer Fall einer Leitentscheidung, welche der gesetzlichen Regelung bedarf. S. 2 des Abs. 1 stellt klar, daß Inhalt und Schranken des Eigentums, aber auch des Erbrechts durch die Gesetze bestimmt werden 135 . Die Gemeinwohlpflichtigkeit des

gibt es nicht, sondern Handlungen mit mehr oder weniger intensiven Außenwirkungen, die staatlich oder privat geregelt sind. Gilt etwa das staatliche Strafrecht nicht in der Wohnung? Sogar der intimste Verkehr ist staatlichen Regelungen unterworfen. 131 Dazu Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 21a zu Art. 13. 132 BVerfGE 32, 54 (69 ff., 75); so auch Ph. Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, 4. Aufl. 1992, Rdn. 11 zu Art. 13; dazu W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 71 f.; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 3c, 13a zu Art. 13. 133 So M. Gentz, Die Unverletzlichkeit der Wohnung, 1968, S. 24 ff.; E. Stein, Staatsrecht, 10. Aufl. 1986, S. 216; P. Dagtoglou, Bonner Komm., Zweitbearbeitung, Rdn. 22 zu Art. 13; so auch EuGHE 1989, 2859, 2924 (Hoechst). 134 Dazu W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. VI, S. 68 f.; Ph. Kunig in: v. Münch/Kunig, GG Rdn. 1 ff., insb. Rdn. 5 zu Art. 13 (zurückhaltend). 135

Dazu W. Leisner, Eigentum, HStR, Bd. VI, S. 1027, der es selbst ablehnt, "Eigentum als ein Grundrecht nach Eigentumsordnung" zu verstehen und den Anspruchscharakter des Rechts hervorhebt; welches aber sollte der Anspruch sein, wenn nicht der auf eigentumsgemäße Gesetze?, so Leisner, a.a.O., S. 1046, selbst, S. 1029 ff., 1044 ff. kritisch zur Gewährleistung des Rechtsinstituts Eigentum; dazu BVerfGE 20, 215 (222); 50, 290 (339); u.ö.; dazu H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, 1983, Rdn. 11 ff., 35 ff. zu Art. 14.; O. Kimminich, GG, Bonner Kommentar, 1992, Rdn. 119 ff., 133 ff. zu Art. 14.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Eigentums spricht Art. 14 Abs. 2 GG explizit an, wohl in der Erkenntnis, daß die Eigentumsverfassung zu den politisch folgenreichsten Entscheidungen des Grundgesetzes gehört. Der Sache nach ist das Eigentumswesen der Verantwortung des Gesetzgebers übertragen, der aber den Wesensgehalt der Eigentumsgarantie nicht antasten darf 136 . Demgemäß dogmatisiert das Bundesverfassungsgericht Eigentum als Freiheit, als Freiheitsrecht 137 . Freiheit aber verwirklicht sich in den Gesetzen 138 . Unten wird auch am Beispiel der Eigentumsgarantie skizziert, daß die Wesensgehaltsgarantie der Grundrechte als politische Kompetenz der Hüter der Verfassung, vor allem des Bundesverfassungsgerichts, dogmatisiert werden muß, Kriterien richtigen Rechts unter dem Grundgesetz zu bestimmen 139 . 15. Den inneren Gesetzesvorbehalt des Asylrechts, das nach Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG politisch Verfolgte genießen, hatte der Gesetzgeber nicht genutzt 140 . Die Weite der Begriffe dieses Grundrechts lassen einen unmittelbaren Verfassungsvollzug desselben nicht zu. Das Grundrecht ist eine politische Entscheidung für das Asylrecht politisch Verfolgter, gebietet aber nähere gesetzliche Regelungen, welche das Asylrecht nach rechtsstaatlichen Prinzipien der Gesetzlichkeit verwaltbar und insbesondere judiziabel machen 141 . Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat 1993 das Asylgrundrecht in Art. 16 a GG neu gefaßt und aus dem klassisch formulierten Grundrecht ein Verwaltungsgesetz gemacht, weil die Rechtsprechung keinen Gesetzesvorbehalt zu lassen schien.

136 Dazu i.d.S. W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1033, 1044 ff.; O. Kimminich, GG, Bonner Kommentar, Rdn. 147 zu Art. 14 (gegen die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 2 GG); H.-J. Papier in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 272 zu Art. 14 (für die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 2 GG); ganz i.S.d. Textes EuGH Urt. v. 10.1. 1992 - Rs. C-177, 90, EuZW 1992, 155 f., Tz. 16. 137 BVerfGE 24, 367 (389); 50, 290 (339); 53, 257 (290); u.ö.; vgl. W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1028, 1033; H.-J. Papier in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 1 ff. zu Art. 14 ("Eigentumsfreiheit"); O. Kimminich, GG, Bonner Kommentar, Rdn. 18 ff. zu Art 14. 138 Dazu Fn. 1, S. 819. 139 Dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1023 ff. 140 Anders die Rechtsprechung, grundlegend BVerwGE 49, 202ff., das Schranken des Asylrechts aus der Einheit der Verfassung und der von ihr geschützten gesamten Wertordnung herleitet; vgl. auch das Asylgrundrecht eingrenzend BVerfGE 54, 341 (357); 74, 51 (57 ff.); 80, 315 (333 ff., 342 ff.); 81, 142 (149 ff.); dazu zustimmend A. Randelzhofer, Asylrecht, HStR, Bd. IV, S. 203 ff. 141

I.d.S. A. Randelzhofer, HStR, Bd. VI, S. 188 f., 203 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 100 ff. zu Art. 16 Abs. II; H. Sendler, Gesetzes- und Richtervorbehalt im Asylrecht, in: FS W. Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 871 ff.; vgl. auch H.-J. Papier, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen einer Änderung des Asylgrundrechts, Der Staat 87 (1988), S. 33 ff.; R. Schwartz , Wirtschaftliche Grenzen und Schranken des Asylgrundrechts, 1992, S. 26 ff., 161 ff., 191 ff.

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

847

III.

Die Verbindlichkeit der material offenen oder formalen grundrechtlichen Leitentscheidungen Die Grundrechte formulieren Menschen- oder Bürgerrechte, zu denen das deutsche Volk sich in der europäischen und damit nordamerikanischen Freiheitstradition als "Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" bekennt (Art.l Abs. 2 GG) 1 4 2 . Die Grundrechte sind abendländischer Erfahrung nach für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit unverzichtbar und in der Gegenwart von den meisten Völkern zur Grundlage ihres gemeinsamen Lebens gemacht worden, wie die weltweite Anerkennung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 zeigt. Auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften praktiziert, angelehnt an die Grundrechtstexte der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 und der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 sowie der Verfassungen und Gesetze der Mitgliedstaaten (Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 1986), Grundrechte als allgemeine, gemeinschaftlich überlieferte, Grundsätze des Rechts, ohne die die Gemeinschaft nicht Teil der europäischen und deutschen Rechtsstaatlichkeit sein könnte 143 . Insbesondere gelten die Leitentscheidungen für die "Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit" (Präambel der EEA), also die Grundsätze der Französischen Revolution, die den modernen freiheitlichen Staat, die Republik, leiten, nämlich Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit 144 . Dieser Praxis hat der Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 (Maastricht) in Art. F Abs. 2 eine textliche Grundlage gegeben.

142

Dazu G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 55 ff. zu Art. 1 Abs. II; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 2, Rdn. 86 f., S. 69 f.; K. Stern, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, HStR, Bd. V, 1992, S. 4 ff., 8 ff.; dazu auch 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff. 143 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.11.69, EuGHE 1969, 425 (Stauder-Ulm); EuGH, Urteil vom 17.12.70, EuGHE 1970, 1126, 1135 (Internationale Handelsgesellschaft); EuGH, Urteil vom 14.5.1974, EuGHE 1974, 507 (Nold); EuGH, Urteil vom 15.6.1978, EuGHE 1978, 1365,1379 (Defrenne); BVerfGE 37, 271 (280 ff.) - Solange I; BVerfGE 73, 339 (366 ff.) - Solange II; BVerfG NJW 1990, 974; BVerfGE 89, 155 (171 ff., 181 ff.); vgl. auch die gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates der Europäischen Gemeinschaften und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 5.4.1977 (Abi C 103/1 v. 27.4.1977) über den Grundsatz der Achtung des Rechts, d.h. die "allgemeinen Grundsätze und insb. die Grundrechte, Prinzipien und Rechte,"...; vgl. desweiteren die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12.4.1989 zur Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten mit einem Grundrechtskatalog (Abi C 120/51 vom 16.5.1989); dazu Th. Oppermann, Europarecht, S. 160 ff.; J. Schwarze, Schutz der Grundrechte in der EG, EuGRZ 1986, 293 ff. 144 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4.

848

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Die Grundrechte sind in gewissem Maße lagebedingt und nur teilweise durch die Logik der Freiheit erzwungen. Die republikanischen Grundentscheidungen wären nicht verletzt, wenn etwa die Privatschulfreiheit des Art. 7 Abs. 4 und 5 GG, die sogenannte Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG, das Asylgrundrecht des Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG nicht im Grundgesetz verankert wären, so politisch bedeutsam diese Entscheidungen auch sein mögen. Ob insbesondere Freiheit Eigentum voraussetzt, ist streitig 145 , obwohl Eigentum eine besondere geschützte Freiheit, also ein Freiheitsrecht, ist 1 4 6 . Sinnvoll kann die Frage nicht für irgendein Eigentum beantwortet werden, sondern nur für eine bestimmte Rechtsordnung. Das Eigentum aber ist unterschiedlich verteilt, ohne daß dadurch die Allgemeinheit der gleichen Freiheit 147 aufgehoben wäre. Jedes Eigentum steht auch institutionell zur Disposition der Politik, wenn auch in den Grenzen der positiv-grundrechtlichen Eigentumsgewährleistung. Vorhergehend zu II. sind nicht alle Grundrechte angesprochen und von den Grundrechten nur rudimentäre Aspekte, welche den Charakter der Grundrechte als politische Leitentscheidungen erweisen sollen 148 . Die Grundrechte sind vor allem Leitsätze der Republik, deren Dogmatik derart konzipiert werden muß, daß sie eine republikgerechte Wirkung zu entfalten vermögen. Eine Republik ist ein politisches Gemeinwesen; denn die Bürger der Republik sind frei 1 4 9 . Dem Volk, welches sich als Republik verfaßt

145 Dazu D. Ehlers, Eigentumsschutz, Sozialbindung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt, VVDStRL 51 (1992), S. 247 ("Ohne Freiheit kein Eigentum"); KA. Schachtschneider, Aussprache, daselbst, S. 336; H.-J. Papier in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 1 ff. zu Art. 14; vgl. W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1028, 1033, dessen Satz: "Eigentum ist Freiheit", sich nicht umdrehen läßt, zumal wenn das Eigentum als Herrschaftsrecht konzipiert wird, obwohl es freiheitlicher Privatheit eine gesetzliche Grundlage gibt (dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1023 ff., auch 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff. ; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.). 146 BVerfGE 24, 367 (389); 50, 290 (339); 53, 257 (290); u.ö.; W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1028, 1033; vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 1 ff. zu Art. 14; O. Kimminich, GG, Bonner Kommentar, Rdn. 18 ff. zu Art. 14. 147 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff.; auch 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff. 148 Zur grundrechtlichen Abwehrwirkung 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 1. und 3. Kap., S. 441 ff., 454 ff.; zum grundrechtlichen Schutz der Privatheit des Einzelnen 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 6. Teil, 2. und 5. Kap., S. 449 ff., 466 ff.; auch 9. Teil, 9. Kap., S. 1023 ff. 149 Zum Verhältnis von Freiheit und Gesetzlichkeit Fn. 1, S. 819.

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

849

hat, kann niemand eine Politik verwehren. Das Volk ist lediglich an die eigene Verfassung gebunden, die es aber auch ändern kann. Auch das unterscheidet die Republik wesentlich von der konstitutionellen Monarchie. Freilich muß die Republik ihrem Apriori der allgemeinen Freiheit treu bleiben. Die gleiche Freiheit aller ist ihr Wesen 150 . Sie zu verwirklichen ist Sache der Politik und Zweck des Rechts. Der Blick auf die wichtigsten besonderen Grundrechte hat deren programmatischen Gehalt zeigen sollen. Eine materiale Verfassung kann, gerade wenn sie wie das Grundgesetz dem gemeinsamen Leben mit wenigen Sätzen eine Orientierung geben will, nur ein Programm aufstellen. Carl Schmitt hat die Grundrechte als bloße Programme kritisiert 151 . Der programmatische Charakter liegt in der Natur materialer Leitentscheidungen. Besonders deutlich kommt dieser Charakter im Sozialprinzip zum Ausdruck 152 . Der Programmcharakter der Grundrechte folgt im übrigen bereits aus der Logik von Rechtssätzen 153 . Diese programmieren Rechtserkenntnisse, allgemein verbindliche Maximen. Jedes Gesetz ist ein Programm; denn es bestimmt Maximen des Handelns. "Insofern sind Gesetze Programme für die Rechtsprechung und ist die Verfassung als Gesetz ein Programm für die Gesetzgebung." - Gerd Roellecke 154. Die Gesetze sind somit ein Programm des Lebens in der menschlichen Gemeinschaft. Peter Häberle hat den Charakter der Grundrechte als Leitbilder, die der gesetzlichen Ausgestaltung bedürfen, zur Grundlage seiner Grundrechtsdogmatik gemacht 155 . Robert Alexy hat diese Erkenntnis

150 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff. 151 Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 ff.; Grundrechte und Grundpflichten, S. 199 ff.; vgl. auch Verfassungslehre, S. 163, insb. zum grundrechtlichen Verteilungsprinzip (dazu 6. Teil, 2. und 6. Kap., S. 449 ff., 486 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.). 152 Dazu K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 26 ff., 31 ff.; so auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 188 ff.; HF. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1096 ff., 1108 ff.; vgl. auch 4. Teil, 3. Kap., S. 247 ff. 153 N. Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 1, 1972, S. 85, 88, 179 f.; Bd. 2, 1972, S. 227 ff. zur "konditionalen Programmierung" durch Rechtsnormen; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 1981, S. 118 ff.; F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, 1984, S. 184 ff., 201 ff. 154 HStR, Bd. II, S. 688 ("Insofern", als die Gesetze "den Richter nicht nur rechtlich binden, sondern auch faktisch orientieren" würden). 155 Die Wesensgehaltsgarantie, S. 70 ff., 104 ff., 126 ff., 180 ff., 210 u.ö.

54 Schachtschneider

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

zu seiner grundrechtlichen Prinzipienlehre ausgebaut 156 . In meiner Arbeit zum Sozialprinzip ist auf die Verbindlichkeit programmatischer Rechtssätze hingewiesen und die Dogmatik der Verwirklichung derartiger Programme zu erläutern versucht 157 . Der programmatische Gehalt der materialen, aber mehr oder weniger offenen Grundrechte einerseits und deren Verbindlichkeit andererseits ist mit dem Begriff der politischen Leitentscheidung sachgerecht erfaßt. Dieter Grimm spricht ähnlich von "obersten Leitprinzipien der Sozialordnung" 158 , Peter Häberle von "Leitbildern" und "Ideen mit ihrer verpflichtenden Kraft, die den einzelnen Grundrechten zugrunde liege", mit Hauriou von einer "idée d'oeuvre", einer "idée directrice", welche "dem jeweiligen Lebensbereich - 'milieu social' - eingepflanzt" sei, die "in diesem ihre soziale Wirklichkeit" habe, "diesen präge" 159 , Jürgen Habermas von "elementaren Ordnungsprinzipien" 160 . Vom "Wertsystem" der Grundrechte würden, sagt das Bundesverfassungsgericht, "Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung ... Richtlinien und Impulse" empfangen 161 . Der programmatische Charakter der grundrechtlichen Entscheidungen steht deren Verbindlichkeit nicht entgegen. Verbindlich sind auch moralische Imperative. Verbindlichkeit heißt nicht notwendig Judiziabilität 162 . Im übrigen läßt auch der Begriff der Judiziabilität unterschiedliche Arten der Verbindlichkeit zu. Die Verbindlichkeit des Gesetzes ist von der Bestimmtheit der Gesetzesbegriffe nicht abhängig. Nur wenige Gesetzesbegriffe erreichen ein Maß an Bestimmtheit, welches ohne weitere Aufbereitung des jeweiligen Begriffes die Subsumtion zuläßt 163 . Wenn auch die republikanische Gesetzlichkeit ein Höchstmaß an Bestimmtheit anzustreben hat 1 6 4 , so darf doch nicht eine Bestimmtheit gefordert werden, die der politischen Aufgabe widerspricht, welche das Gesetz oder insbesondere die Verfassung

156 Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.; ebenso, Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 407 ff., 412 ff.; auch, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, S. 54 ff. 157 Das Sozialprinzip, S. 35 ff., 48 ff., 71 ff.; ähnlich HF. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1096 ff., 1108 ff., zur Verwirklichung des "sozialen Staatsziels". 158 Rückkehr zum liberalen Grundrechtsverständnis?, Recht 1988, S. 41 ff., 43. 159 Wesensgehaltsgarantie, S. 104 ff., Zitate S. 105 f. 160 Faktizität und Geltung, S. 302. 161 BVerfGE 7, 198 (205); K. Hesse, HVerfR, S. 95; K. Stern, HStR, Bd. V, S. 79. 162 Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 399 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 563 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 247 ff. 163 Sprachwissenschaftlich gibt es keinen Begriffsgehalt von Worten ohne semantische Deutung, vgl. K.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 22 ff., 126 ff. 164 Zum Bestimmtheitsprinzip des Rechtsstaates 5. Teil, 5. Kap., S. 386 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 866 ff., 882 ff., 887 ff., 897 ff., 900 ff.

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

851

zu bewältigen hat 1 6 5 . Auch offene Begriffe schaffen Verbindlichkeit. Sie können auch juridische Verbindlichkeit begründen, wenn die Erkenntnisse von Gerichten an diese gebunden sind. Verfassungsbegriffe sind nicht nur unter der Voraussetzung verbindlich, daß sie des unmittelbaren Vollzuges durch Verwaltung und Rechtsprechung fähig sind. Dem republikanischen Gesetzgeber kann die Verwirklichung der Freiheit auch ohne grundrechtliche Bindungen überlassen werden, wenn er nur moralisch zu sein erwarten läßt. Kant hat besondere Grundrechte nicht ausgearbeitet, wenn auch die Grundlagen der Freiheit definiert und unverlierbare Menschenrechte konzipiert, vor allem aber die Unverfügbarkeit der Menschheit des Menschen gelehrt 166 . Noch Hugo Preuss, der die Weimarer Reichsverfassung wesentlich beeinflußt hat, und auch andere Mitglieder der Weimarer Nationalversammlung haben jedoch Zweifel geäußert, daß die Verfassung der Republik einen Grundrechtsteil enthalten müsse 167 . Wenn aber eine Verfassung Grundrechte formuliert, sollte sie aller Erfahrung nach deren Verbindlichkeit durch ein Grundrechtsgericht, also ein Verfassungsgericht, stärken. Das Grundgesetz ist dieser Erfahrung gefolgt 168 . In der allgemeinen Verantwortung des Gesetzgebers werden die Grundrechte leicht zu einem unverbindlichen Programm, wie Carl Schmitt deutlich gemacht hat 1 6 9 . Die grundrechtlichen Leitentscheidungen haben selbst den Staatszweck des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit 1 7 0 in bestimmter Weise materialisiert und insoweit weiterer Politik entzogen, als diese Entscheidungen bestimmende Wirkung entfalten. Die Grundrechte formulieren dadurch einen Grundkonsens des Gemeinwesens 171 , dessen Verbindlichkeit nicht an der Offenheit der Begriffe scheitern darf 172 .

165 Zur Verfassungsstabilisierenden Wirkung des dynamischen Programmcharakters der Grundrechte 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff. 166 Etwa Metaphysik der Sitten, S. 348; Über den Gemeinspruch, S. 161. 167 Dazu K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 120 ff.; vgl. C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 195. 168 Zur Vollendung des Verfassungsstaates durch die Verfassungsgerichtsbarkeit 9. Teil, 4. Kap., S. 932 ff. 169 Grundrechte und Grundpflichten, S. 191 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 f. 170 Dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.; 7. Teil, 4. und 6. Kap., S. 573 ff., 625 ff.; auch 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 6. Teil, 3. Kap., S. 236 f. 171 Zur Lehre vom Grundkonsens 7. Teil, 6. Kap., S. 622; 11. Teil, 1. Kap., S. 1180 f. insb. Fn. 17. 172 Dazu 9. Teil, 1., 2. und 11. Kap., S. 819 ff., 868 ff., 1033 ff.

5*

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Die materiale Offenheit der besonderen grundrechtlichen Leitentscheidungen drückt den Gegensatz zur Formalität aus, die das Kennzeichen des grundgesetzlichen Freiheitsprinzips und daraus logisch folgend des grundgesetzlichen Gleichheitsprinzips ist 1 7 3 . Diese formalen Prinzipien können nur durch Gesetze materialisiert werden, welche durch das Freiheitsbzw. das Gleichheitsprinzip nicht material programmiert sind, wenn auch das Freiheitsprinzip als das Recht und die Pflicht zur Autonomie des Willens oder aber als die Bürgerlichkeit die Möglichkeit moralischer Gesetzgebung zu schützen gebietet 174 . Die Formalität ist somit nicht gegenstandslos, sondern hat kompetenz- und verfahrensrechtliche Konsequenzen, die sich aber ausschließlich auf die, kantianisch gesprochen, Form der Gesetzgebung bezieht 175 . Die Formalität wird in der praktischen Vernünftigkeit des bürgerlichen Gemeinwesens materialisiert 176 . Rechtliche Materialität setzt das Gesetz oder den Vertrag voraus, die in irgendeiner Weise binden. Jedes Recht, objektiv oder subjektiv, ist irgendwie material. Die Freiheit aber ist kein "positives (statutarisches) Recht, was aus dem Willen eines Gesetzgebers hervorgeht", sondern das "einzige ... angeborene Recht" 1 7 7 , das "Urrecht" 178 . Durch positi vierte Rechte kann die Freiheit geschützt werden. Diese Schutzrechte sind material und damit irgendwie begrenzt 179 . Offenheit setzt im Gegensatz zur Formalität diese Materialität und damit Begrenztheit voraus. Formalität erreicht den höchstmöglichen Grad begrifflicher Bestimmtheit, ist aber ohne materiale Bestimmung, d.h. die Formalität der Freiheit und Gleichheit als solche gibt kein Argument für die

173

Dazu 5. Teil, 2., 3., 4. und 6. Kap., S. 264 ff., 275 ff., 325 ff., insb. 356 ff., 410 ff.; 6. Teil, 1., 2., 8. und 9. Kap., S. 441 ff., 449 ff., 494 ff., 501 ff., passim; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 174 Dazu 5. Teil, 4. und 6. Kap., S. 325 ff., 410 ff.; 6. Teil, 1. und 8. Kap., S. 441 ff., 494 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; dazu i.d.S. J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 319 ff. mit Bezug auf J.A. Ely. 175 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff., insb. 282 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 497 ff.; 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff. 176

Dazu 5. Teil, 2., 3. und 4. Kap., S. 265 ff., 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 9. Teil, 7. und auch 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 177 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345. 178 Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 84, 86; dazu 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff., 290 ff., 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. 179 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 325 ff., insb. 329 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff.

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

853

Materie von Gesetzen oder Verträgen 180 , soweit diese also nicht das Prozedere der Autonomie des Willens und deren Voraussetzung, die Selbständigkeit 181 , betreffen; denn die Menschheit des Menschen, die Menschenwürde, muß unangetastet bleiben (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) 1 8 2 . Offenheit ist nicht Unbestimmtheit. Kein Begriff kann unbestimmt sein 183 . Offenheit spricht an, daß der Begriff wegen seiner geringen Bestimmtheit mehr als andere der näheren Bestimmung bedarf, um als subsumtionsfähige Erkenntnis- und Entscheidungsgrundlage fungieren zu können. Ein offener Begriff wird somit erst durch seine Entfaltung subsumibel. Eine unmittelbare Subsumibilität in dem Sinne, daß begrifflich erfaßte Sachverhalte ohne weiteres unter ihn subsumiert werden könnten, hat der offene Begriff nicht 1 8 4 . Demgemäß erklärt Robert Alexy Prinzipien als "Optimierungsgebote" 185 . Alle Gesetzes- und Vertragsbegriffe sind mehr oder weniger bestimmt und damit mehr oder weniger offen. Die Worte, bestimmt und offen, erlauben es, die Begriffe auf einer Skala der Bestimmtheit und der Offenheit unten oder oben einzuordnen, unten die höchstmögliche Bestimmtheit, etwa im Sinne einer maschinenhaften Rechenhaftigkeit, oben eine Offenheit, die ohne Gesetzgebung die exekutive oder judikative Praktizierung des Begriffs ausschließt. Offenheit ist somit ein Grad auf der Skala der Bestimmtheit, welche mehr oder weniger zur Unbestimmtheit tendiert. Ein Beispiel ist der Begriff "sozial" in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG im richtigen Verständnis von Praxis und Lehre 1 8 6 . Offene Rechtsbegriffe erlauben aber die Erkenntnis darüber, ob ein Begriff in den Begriffsbereich des offenen Begriffs fällt oder nicht. Sonst wäre der Begriff nicht material und würde seine Begriffsqualität verlieren. Die Begriffe der besonderen Grundrechte und auch ihr Wesensgehalt können zumindest beanspruchen, dem Gemeinwesen eine politische Orientierung zu geben. Zu

180

Dazu 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 182 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 446 ff. 183 Zum absurden Begriff "unbestimmter Rechtsbegriff' etwa E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 14, der den "objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten" "inhaltliche Unbestimmtheit" und "universale Reichweite" beimißt; schon C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 39 in Fn. 2; ablehnend K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 38; auch 9. Teil, 3. Kap., S. 922 f. 181

184

Dazu K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 38 ff., 71 ff. Theorie der Grundrechte, S. 75 ff.; Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, S. 54. 185

186 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 245 ff.; K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 31 ff., 71 ff.; H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1108 ff.

854

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

diesem Zweck sind sie in die Verfassung geschrieben. Die jeweilige Materialität ist in geeigneter Weise zu entfalten und zu einer entscheidungsfähigen Bestimmtheit zu führen, die der Republik als Rechtsstaat genügt. Das ist Rechtserkenntnis und bedarf grundsätzlich der Gesetzgebung 187 . Der Wille des deutschen Volkes, den das Grundgesetz durch seine kompetenziellen, prozeduralen und materialen Entscheidungen formuliert hat, ist es, daß die an den Leitentscheidungen orientierten Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts von der richtigen Politik für das Gemeinwesen verbindlich für den Gesetzgeber sein sollen. Wie die Verbindlichkeit der Gesetze auf dem Willen des Volkes beruht, weil alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) 1 8 8 , so ist auch die Verbindlichkeit der Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts der Wille des Volkes. "Im Richter erkennt das Volk sich wieder." - René Marcic m Das Bundesverfassungsgericht ist Vertreter des Volkes in dessen praktischer Vernünftigkeit, in dessen Sittlichkeit. Es kann seiner Aufgabe nur dienen, wenn es dem kategorischen Imperativ genügt, wenn es in nichts an Moralität fehlen läßt. Das Volk hat diesem Gericht in seiner Verfassung das größtmögliche Vertrauen entgegengebracht. Das Bundesverfassungsgericht ist dem bisher weitestgehend gerecht geworden. Es hat sein Vertrauen nicht verspielt. Die letzte Verantwortung für Verfassung und praktische Vernunft verbleibt dem Volk, wie das Widerstandsrecht belegt 190 . Das Gericht soll das Programm des Grundgesetzes durch seine Rechtserkenntnisse verwirklichen, das Programm, welches wegen seiner Offenheit unterschiedliche Politiken zuläßt. Die nähere Bestimmung, die, wie meist gesagt wird, Konkretisierung 191 des Programms ist damit im ordentlichen Verfahren unvermeidbar der letzten Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts überantwortet und soll diesem überantwortet sein 192 . Anders kann die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG keine Wirkung entfalten. Wenn der

187

Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 247. Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., insb. S. 648, 707 ff., insb. S. 717. 189 Rechtsphilosophie, S. 247. 190 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 249 f.; 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961. 188

191

F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 184 ff., 201 ff. u.ö.; ders., Juristische Methodik, 2. Aufl. 1976, S. 133 ff. u.ö.; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989, S. 28 ff., 128 f., 157 f., 301 ff. u.ö.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 46, S. 18; Rdn. 60 ff., S. 24 ff. ("Verfassungsinterpretation ist Konkretisierung"); J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 316 f. 192 Ganz so R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 520 f.

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

855

Gesetzgeber die Wesensgehaltsgarantie nicht antasten darf, so muß nach der Konzeption des Grundgesetzes das Bundesverfassungsgericht bestimmen, welche Politik diesen Wesensgehalt eines Grundrechts antastet. Die Wesensgehaltsgarantie wirkt im wesentlichen kompetenziell. Die Verbindlichkeit der Grundrechte in ihrem Wesensgehalt ist identisch mit der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts, auszusprechen, welches der Wesensgehalt eines Grundrechts ist, ohne daß das Grundgesetz selbst diese Rechtserkenntnis außer durch die orientierenden Leitentscheidungen bindet. Die Wesensgehaltsgarantie begründet zugleich die Pflicht aller Verfassungsorgane des Bundes und der Länder, aller Gerichte und Behörden, die Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts zu respektieren, wie, es § 31 Abs. 1 BVerfGG klarstellt 193 . Die Bestimmung des Wesensgehalts ist eben funktional gesetzgeberische Rechtserkenntnis. Die grundrechtlichen Programme verwirklicht das Bundesverfassungsgericht am besten dadurch, daß es klärt, ob ein Gesetz den Grundrechten entspricht oder nicht, gegebenenfalls durch klarstellende Formulierungen grundrechtsgemäßer Politik. Das setzt freilich Anträge eines der anderen Hüter der Verfassung, seien dies Bürger, seien dies deren Vertreter, je nach den verfassungsprozeßrechtlichen Möglichkeiten, voraus. Diese Initiativmöglichkeiten zeigen die allgemeine Verantwortung des Gemeinwesens für die Wirklichkeit der Verfassung 194 . Alle besonderen Grundrechte haben materialen Gehalt, weil sie entweder Rechte formulieren oder aber die Freiheit besonderer Handlungsbereiche zu besonderen Verfassungsgütern erheben, die der Gesetzgeber achten und schützen soll, wenn er das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit im Sinne des Grundgesetzes gestalten will. Diese Freiheitsgrundrechte formulieren besondere Freiheiten, wie es der Wortlaut einiger Grundrechte, etwa die des Art. 4 Abs. 1 GG, des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, auch des Art. 5 Abs. 3 GG explizit formulieren, wie es auch die des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, des Art. 8 GG und des Art. 9 GG vorsehen, weil das Art. 18 GG, der die Verwirkung von Grundrechten regelt, so formuliert, wie es aber auch für die anderen Freiheitsrechte, insbesondere für die Eigentumsgewährleistung gilt 1 9 5 . Diese Freiheiten haben ihre Besonderheit ausschließlich in den durch das

193

Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 951 ff. Vgl. so schon C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 63, 83; so K. Hesse, HVerfR, S. 19 f.; i.d.S. auch P. Häberle, JZ 1975, 279 ff.; auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 520, Fn. 187; dazu auch 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 929 ff. 195 Zum Sprachgebrauch von Freiheiten, Freiheitsrechten und Freiheitsgrundrechten 6. Teil, 1. Kap., S. 562 ff.; dazu auch 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. 194

856

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

jeweilige Grundrecht geregelten Materien, nicht etwa in dem Begriff der Freiheit. Die Freiheit ist in Art. 2 Abs. 1 GG definiert und kann in einer Verfassung der Republik nicht anders begriffen werden denn als Autonomie des Willens 1 9 6 . Das Grundgesetz kennt nicht verschiedene Arten der Freiheit, sondern besondere Materien des Lebens und damit des Rechts, in denen die Gesetze als die Verwirklichung der Freiheit den im Grundgesetz als Leitentscheidungen verbindlich gemachten Ideen/Werten folgen sollen. Die Gesetze haben ausnahmslos der Freiheit zu dienen 197 . Die Verfassung hat für den einfachen Gesetzgeber verbindliche Leitentscheidungen für die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit getroffen, deren Änderung dem Freiheitszweck nach der Erkenntnis des Verfassungsgebers nicht genügen kann. Solche Leitentscheidungen geben nicht nur die Grundrechte, sondern auch andere materiale Verfassungssätze, wie das genannte Sozialprinzip der Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 S.l GG, die Entscheidung für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht vor allem in Art. 109 Abs. 2 GG u.a. Auch diese Leitentscheidungen selbst lassen jedoch eine Variabilität und Dynamik der Gesetzgebung zu 1 9 8 . Die Freiheit als solche verpflichtet zur bürgerlichen Gesetzgebung, die aus dem Begriff der Freiheit keine materialen Handlungsmaximen zu gewinnen vermag außer der Persönlichkeit aller Menschen, deren Selbstzweckhaftigkeit, ihrer Würde. Die Sittlichkeit als die innere Freiheit allerdings ebnet den Weg der Gesetzgebung der selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Menschen, der Bürger 199 . Die Allgemeinheit oder eben die Formalität der freiheitlichen Gesetzgebung ist vielmehr der Garant der Freiheit 200 . Empirisch führt eine allgemeine, eine bürgerliche, also freiheitliche Gesetzgebung zu anderen Gesetzen als jede Art herrschaftlicher Gesetzgebung. Dennoch können freiheitliche Gesetze das gemeinsame Leben unterschiedlich gestalten. Unterschiedliche Rechtsordnungen können dem Freiheitsprinzip genügen. Die Rechtsordnung des

196 Dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 1., 2., 8. und 9. Kap., S. 441 ff., 449 ff., 478 ff., 501 ff. 197 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; vgl. weiter Fn. 1. 198 Dazu 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 245 ff. 199 Zur Formalität der Freiheit und deren materiale Relevanz 5. Teil, 2., 3. und 4. Kap., S. 265 ff., 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 1. und 8. Kap., S. 443 ff., 494 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff., 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; vgl. die Hinweise bei K.A. Schachtschneiden Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104 ff., 109 ff., 117 ff. Dazu . Teil, . Kap., S. 9 ff.; . ei 1 .

1. Kap.: Der formale oder material offene Wesensgehalt der Grundrechte

857

Grundgesetzes soll aber nicht nur freiheitlich, sondern von den Leitentscheidungen der besonderen Grundrechte bestimmt sein. Alle Grundrechte sollen eine politische Wirkung entfalten. Sie sollen Gesetze verbieten oder gebieten, also dem Gesetzgeber Vorschriften machen. Sie entscheiden dadurch weitgehend die Politik des Gemeinwesens. Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG ist darum für die Politik des grundgesetzlichen Gemeinwesens elementar. Carl Schmitt hat das "Dilemma" von Grundrechtsgewährleistungen in der "einfachen Alternative" gesehen: "Bedeutungslosigkeit auf der einen, Leerlauf auf der anderen Seite", Bedeutungslosigkeit als "bloße Programme", Leerlauf wegen des "Vorbehalts des Gesetzes" 201 , aber auch die Konstituierung einer höheren Legalität, die zur Disposition qualifizierter Mehrheiten oder auch der Verfassungsjustiz stehe, erkannt 202 . Zum Zwecke eines solchen Leerlaufs sind die Grundrechte erklärtermaßen nicht in das Grundgesetz geschrieben worden 203 . Dem soll Art. 1 Abs. 3 GG genauso entgegenwirken wie Art. 19 Abs. 2 GG, die Bindung auch des Gesetzgebers an die Grundrechte einerseits und die Unantastbarkeit der Wesensgehaltsgarantie der Grundrechte andererseits 204. Die Verbindlichkeit der Grundrechte hat das Grundgesetz auch erreicht, freilich, wie Carl Schmitt es schon gesehen hat 2 0 5 , indem eine funktional gesetzgeberische Verfassungsrechtsprechung eingerichtet worden ist. Carl Schmitts Erkenntnis hat ihre Wirkung nicht verfehlt und zur verfassungsgerichtsstaatlichen Ausrichtung der grundgesetzlichen Republik beigetragen. Robert Alexy begründet seine Lehre von der Umwandlung der Grundrechte in Prinzipien

201 Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 f.; auch ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 191 ff.; vgl. schon R. Thoma, Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze der Deutschen Reichsverfassung im allgemeinen, in: H.C. Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. I, 1929, S. 33, auf den sich C. Schmitt stützt; zur Weimarer Dilemmathese M. Nierhaus, Grundrechte aus der Hand des Gesetzgebers? - Ein Beitrag zur Dogmatik des Art. 1 Abs. 3 GG, AöR 116 (1991), S. 76; zu den "Einrichtungsgarantien" historisch und dogmatisch K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 68, 751 ff.; K. Stern, HStR, Bd. V, S. 75 ff. 202 Legalität und Legitimität, S. 47 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; ders., Verfassungslehre, S. 164. 203 Vgl. i.d.S. zur Entstehungsgeschichte: U. Matz, JöR N.F., Bd. 1, 1981, S. 48 ff. 204 BVerfGE 6, 32 (40 f.); 6, 386 (387); 7, 377 (403 f.); M. Nierhaus, AöR 116 (1991), S. 73 ff.; kritisch R. Herzog, in: FS Zeidler, Bd. II, 1987, S. 1415 (Zirkelthese). 205 Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

mit dem Schmittschen Leerlauf argument, auf das Art. 1 Abs. 3 GG reagiere 2 0 6 . Peter Häberle gründet seine Wesensgehaltslehre auf die Grundrechte selbst und erklärt darum Art. 19 Abs. 2 GG für bloß deklaratorisch 207 .

2. Kapitel Die funktional gesetzgebende Grundrechtsverwirklichung durch die Verfassungsrechtsprechung I. Das grundrechtsgeleitete gemeinsame Leben in Freiheit Grundrechte wehren nicht das Recht ab, sondern orientieren es, um allen ein gutes Leben in Freiheit zu ermöglichen. Soweit Grundrechte rechtliche Regelungen verbieten, sind sie keine Freiheitsrechte im eigentlichen Sinne, sondern (materiale) Rechte der Privatheit, die Carl Schmitt als "absolute Grundrechte" begreift 208 . Das Wort "frei" hat in den Grundrechten die Funktion, auf die Tugendpflichten i m Rahmen der berechtigten Privatheit hinzuweisen 209 . Jedenfalls sind die Handlungsmaximen zu bestimmen, weil jede Handlung Außenwirkung hat 210 . Bedeutsam ist es, wer die Handlungsmaximen zu bestimmen die Kompetenz bzw. das Recht hat, allgemein der Staat, der diese vielfach durch Generalklauseln an die Gerichte delegiert 211 , oder die Privaten, die von ihrem durch das allgemeine Gesetz eingeräumten oder geschützten Recht zur Will-

206 Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 411; vgl. auch ders., Theorie der Grundrechte, S. 106 ff. 207 Wesensgehaltsgarantie, S. 234 ff., 341; ebenso K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 332, S. 134; auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 269, für seine "subjektive, relative Theorie"; a.A. wegen der Relativierung der Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte durch Art. 1 Abs. 3 GG durch die Gesetzes vorbehalte in den besonderen Grundrechten P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 38 f. 208 Verfassungslehre, S. 165 ff., 175 in Anschluß an K. Häntzschel, ZföR, V (1926), 18 f.; kritisch auch H. Hofmann , JZ 1992, 173. 209 Zur Freiheitsverwirklichung durch gesetzliche Rechtlichkeit Fn. 1 im 9. Teil, 1. Kap., S. 819, insb. 7. Teil, 4. Kap., S. 562 ff.. Eine Handlung, die nicht durch Gesetz verboten ist, ist nicht schon erlaubt, so aber J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 13 ff., 46 ff., 60 ff.; Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 10 ff.; R. Thoma, HbdDStR, Bd. II, S. 619; auch K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 628, 632; dazu 6. Teil, insb. 1. u. 6. Kap. 210 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 5. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 297 ff., 318 ff., 346 ff., 370 ff.; 6. Teil, 6. Kap., S. 525 ff. 211 Dazu S. 887 ff.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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kür/Besonderheit vor allem durch verbindliche Verträge Gebrauch machen 212 . Keinesfalls grenzen die Grundrechte einen "Freiheitsraum" 213 aus, in dem Menschen einander beherrschen dürfen, wenn sie dazu die Möglichkeit haben 214 . Die Privatheit kann nötigend sein, wenn etwa der eine auf die Wünsche des anderen nicht eingeht. Sie ist aber berechtigt und darum allseitig frei, weil sie auf allgemeinen Gesetzen beruht. Sie ist keine Herrschaft, weil sie auf dem allgemeinen Willen beruht. Die Privatheit unterliegt den nicht erzwingbaren Tugendpflichten 215 . Die grundrechtliche Verteilungslehre Carl Schmitts, die den staatlichen Eingriff in die FreiheitsSphäre des Einzelnen nur als (begrenzte) Ausnahme dogmatisieren w i l l 2 1 6 , läßt dem Menschen einen vermeintlich unpolitischen Handlungsbereich, den es aber unter Menschen nicht gibt 2 1 7 . Die Schmittsehe Verteilungslehre bleibt dem Liberalismus verpflichtet, der Herrschaft voraussetzt 218 . Ein vermeintlich herrschaftsfreier Bereich wäre nur dogmatisierbar, wenn nicht jede Handlung Außenwirkung hätte 219 . Die Handlungen können unterschiedlich regelungsbedürftig sein, je nach der allgemeinen Einschätzung, also der Einschätzung der Allgemeinheit, je nach praktischer Vernünftigkeit. Der grundrechtliche Vorbehalt privater Lebensbewältigung ist variabel und dynamisch 220 . Die Entwicklung der Sozialisierung des vormals liberalen Privatrechts (soziales Arbeitsrecht, soziales Mietrecht, soziales Kauf- und Preisrecht) zeigt das ebenso wie die zunehmende Dichte staatlicher Regelungen etwa im Familienrecht. Schließlich regeln die staatlichen Grundrechte selbst alle Lebensbereiche als politische Leitentscheidungen, als, wenn man so will, Werte des gesamten gemeinsamen Lebens und bestimmen dadurch (in der geeigneten Technik material offener Sol-

212

Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff., 5. Teil, 5. Kap., S. 404 ff. Dazu 6. Teil, 5. Kap., S. 466 ff. 214 So auch i.d.S. H. Hofmann, JZ 1992, 173 ("Individualrechte" als "Freiräume für die verschiedensten Heteronomien"). 213

215 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 214 f., 221 f., 230 ff.; 5. Teil, 3. und 5. Kap., S. 308 ff., 320 ff., 374 ff.; 2. Teil, 7. Kap., S. 126 ff. 216 Vor allem Verfassungs lehre, S. 157 ff., dazu 6. Teil, 2. und 6. Kap., S. 449 ff., 486 ff. 217 Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff., 4. Teil, 2. Kap., S. 233; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. 218 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 6. Teil, 2. und 6. Kap., S. 449 ff., 486 ff. auch 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff. 219

Vgl. die Hinweise in Fn. 210. Dazu 3. Teil, 3. und 4. Kap., S. 195 ff., 201 ff., 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 220 ff., 244 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 385 ff.; 6. Teil, 2. und 5. Kap., S. 449 ff., 475 ff. 220

860

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

lenssätze 221 ) auch die der Privatheit vorbehaltenen Regelungsbereiche 222 . Das ist die Logik der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte 223 . Das staatliche Recht, welches das Handeln unter Privaten regelt, muß den grundrechtlichen Leitentscheidungen genügen, um nicht dem Grundgesetz zu widersprechen. Weil die Generalklauseln Grundlage staatlicher Erkenntnisse der Grenzen der Privatheit sind, müssen die den Generalklauseln abgewonnenen staatlichen Rechtssätze den Grundrechten in deren objektiver Dimension gerecht werden. Die Schmittsche Grundrechtsdogmatik verkennt auch die Staatlichkeit des Rechtsschutzes, der nicht nur den privaten Verträgen im Interesse des Friedens Verbindlichkeit verschafft, sondern auch materialen Regeln über die Richtigkeit der Verträge, die der Staat, meist durch seine Gerichte, gibt 2 2 4 . Auch die guten Sitten wurden und werden als staatliche, nämlich richterliche, Handlungsmaximen praktiziert, entgegen ihrem Begriff als private Übereinkünfte 225 . Sie erfassen spezifisch die vermeintlich grundrechtlich ausgegrenzte Privatsphäre. Den von staatlicher Gesetzgebung "freien" Bereich des Handelns gibt es nicht 2 2 6 . In ihrer Liberalität verkennt die Schmittsche Verteilungsdoktrin vor allem aber die Herrschaftslosigkeit republikanischer Gesetzlichkeit 227 . Die Grundrechte verfassen (u.a.) den Vorbehalt privater Lebensbewältigung, dem Grenzen zu ziehen jedoch der Politik der praktischen Vernunft in grundrechtlicher Orientierung übertragen ist 2 2 8 . Private Lebensbewältigung heißt, die Handlungsmaximen, soweit

221

Zum Verhältnis von Werten und Sollenssätzen/Prinzipien 9. Teil, 1. Kap., S. 825 ff. Dazu Hinweise in Fn. 220. 223 BVerfGE 7, 198 (204); 34, 269 (280); 73, 261 (269); 81, 242 (256); BVerfG JZ 1994, 408 ff.; vgl. BAG 1, 185 (193 f.), welches die unmittelbare Drittwirkung praktiziert; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 127 ff., 131 ff. zu Art. 1 Abs. III; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 191 ff. zu Art. 1 Abs 3; dazu Κ Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 1509 ff., insb. S. 1543 ff.; Κ Stern, HStR, Bd. V, S. 79 f.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, 8. Aufl. 1992, S. 49 ff.; kritisch vor allem J. Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 10 ff., 63 ff., 88 ff. u.ö.; zur Drittwirkungslehre auch W. Rüfner, Grundrechtsadressaten, HStR, Bd. V, S. 550 ff. 222

224

BVerfGE 81, 242 (254 ff.); dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 404, auch S. 399. Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 363 ff., 421 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: FS W. Thieme, 1993, S. 206 ff. 226 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. 227 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff., insb. 10. und 11. Kap., 145 ff., 153; 7. Teil, 1., 2. und 4. Kap., S. 519 ff., insb. 534 ff., 536 ff., 560 ff.vgl. auch die Hinweise im 9. Teil, 1. Kap., S. 819 in Fn. 819. 228 Vgl. Hinweise in Fn. 220. 225

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

861

das die Gesetze erlauben, privat, also in besonderer Willkür, zu bestimmen. Immer aber müssen die Handlungen die staatlichen Gesetze beachten, um legal zu sein. Das schließt eine Privatsphäre aus, die nur als eine dem staatlichen Gesetz impermeabler Bereich konzipiert werden kann 2 2 9 . Privatheit und Staatlichkeit sind Merkmale der Handlungsmaximen, nicht der Handlungen, die sowohl den staatlichen als auch den privaten Maximen folgen sollen bzw. dürfen 230 , noch gar ein Merkmal von Lebens- oder Handlungsbereichen. Ziel der republikanischen Verfassung ist die Sachgerechtigkeit, die praktische Vernünftigkeit des gemeinsamen Lebens, welche die allgemeinen Gesetze gewährleisten sollen. Das schließt die Privatheit nicht aus, sondern macht Privatheit um der Lebbarkeit des Alltags, aber auch um der effizienzsteigernden Wirkung durchsetzbarer Eigeninteressen (Prinzip Wettbewerb) willen unverzichtbar. Privatheit ist in den Grenzen der Gemeinverträglichkeit Humanität. I m Rahmen des Staatlichen schafft Privatheit eigenständige Verbindlichkeit im Besonderen, die keine Allgemeinheit hat, nämlich durch gute Sitten 231 oder durch Verträge. Kein Grundrecht aber schützt die Herrschaft der einen über den anderen, welche das Ergebnis rechtsfreier Räume wäre 2 3 2 . Die Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens ist unausweichlich. Es geht um die bestmögliche Ordnung im Interesse des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit, also auch um die sachgerechte Verteilung von Staatlichkeit und Privatheit, aber auch um die sachgerechten Verfahren, die zur grundrechtsgeleiteten praktischen Vernünftigkeit führen. Die Grundrechte leiten die Moralität und die Legalität des Gemeinwesens. Sie materialisieren das Gemeinwohl und dürfen diesem nicht entgegengestellt werden. Die Grundrechtsverfassung soll beeinflussen, wie die Gesetze das gemeinsame Leben materialisieren. Wegen der Formalität oder materialen Offenheit ihrer Leitentscheidungen bedürfen sie für die Praxis des gemeinsamen Lebens und damit für die Verwaltung und insbesondere für die Rechtsprechung der bestimmenden Materialisierung bzw. der näheren Bestimmung ihrer Mate-

229

Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 222 ff.; 6. Teil, 2. und 5. Kap., S. 449 ff., 466 ff. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff., 230 ff. 231 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 363 ff., 421 ff., wo die guten Sitten und Verträge auf die Autonomie gestützt worden sind, obwohl nur die allgemeinen guten Sitten, nicht die besonderen und nicht die Verträge die Allgemeinheit, die Kriterium der Gesetzlichkeit ist, aufweisen; vgl. jetzt ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: FS W. Thieme, 1993, S. 206 ff.; vgl. N. Luhmann, Die Geltung des Rechts, Rechtstheorie 22 (1991), S. 282, der gegen Savigny die Verträge zu den "Rechtsquellen" zählt. 232 So auch H. Hofmann, JZ 1992, 173. 230

862

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

rialität. Dazu gehört es auch, subjektive Rechte der Privatheit zu begründen. Das haben die Gesetze als grundrechtsgeleitete Rechtserkenntnisse zu leisten. Aufschlußreich sind die Äußerungen des zweiten Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zur Verwirklichung "der der Verfassung zugrundeliegenden obersten Rechtswerte" von 1955 als Aufgabe des "Hüters der Verfassung", des Verfassungsgerichts in "seiner Eigenschaft als oberstes Gericht, d.h. als unabhängige, neutrale, normgebundene Instanz", welches "unmittelbar, und zwar durch seine Rechtsprechung, an dem Prozeß der staatlichen Willensbildung auf höchster Ebene teilnimmt": "Aus diesem Grunde und in diesem Sinne ist es 'Integrationsfaktor' für das Entstehen, das Bestehen und die Entfaltung der staatlichen Einheit." ... "Die Auslegung einer Rechtsnorm, die Feststellung ihres Sinngehalts, insbesondere wenn er zweifelhaft und umstritten ist, ist selbstverständliche Aufgabe jeder Art von Rechtsprechung. Darin liegt notwendig ein wertendes und rechtsschöpferisches Element beschlossen, das zum Wesen der Rechtsprechung gehört. Sie erfüllt darin ihren Anteil an der Fortbildung des Rechts. Dieses rechtsschöpferische Element gewinnt allerdings für die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts eine so überragende Bedeutung, daß der Übergang von der Sinndeutung einer Norm zur Sinngebung flüssig wird. Diese Eigenart verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung wird namentlich durch zwei Momente bestimmt: 1. Bei der Feststellung des Sinngehalts der Grundrechte mischen sich überpositive und zeitgeschichtlich bedingte Elemente. 2. Die Grundrechte und andere Verfassungsrechtssätze haben vielfach den Charakter elastischer, richtungsweisender Grundsätze, die der Konkretisierung durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts bedürfen." - Josef Wintrich™ Der spezifische Zweck der Grundrechte ist nicht die Abwehr eines herrschaftlichen Staates, den das Grundgesetz nicht verfaßt und der folglich als Staat des Rechts nicht abgewehrt werden kann 2 3 4 . Herrschaft verletzt alle Prinzipien des Grundgesetzes, nicht nur, aber auch die Grundrechte, die alle die Freiheit voraussetzen und in jeweils besonderer Weise freiheitlich verwirklicht werden. Jede Art von Herrschaft verletzt die allgemeine Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG 2 3 5 . Wenn die Amtswalter ihre Ämter zur Herrschaft

233

Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 214, 216 f. Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 1., 3., 5. und 9. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 466 ff., 501 ff. 235 Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., 410 ff.; 8. Teil, 1. und 2. Kap., S. 637 ff., 685 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 234

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

863

mißbrauchen, entfalten die Grundrechte zwar Schutzwirkung, weil das Bundesverfassungsgericht dem Mißbrauch wehren kann 2 3 6 , aber Herrschaft der Amtswalter ist spezifisch die Verletzung der allgemeinen Freiheit, die Art. 2 Abs. 1 GG schützt, wenn auch zugleich die besonderen materialen Grundrechte und die durch diese geschützte oder begründete Privatheit mißachtet sein kann. II.

Rechtlichkeit durch funktionsteilige Gerichtlichkeit und Gesetzlichkeit 1. Der Frieden wird nicht allein schon dadurch gewahrt, daß im Streitfall ein Gericht über das Recht entscheidet 237 , sondern vor allem dadurch, daß der Streitfall durch die Gesetze vermieden wird. Freies Handeln ist nur möglich, wenn die freiheitlichen Maximen vor dem Handeln bestimmt sind, weil sie des Konsenses aller bedürfen, die durch das Handeln betroffen werden können, also das ganze Gemeinwesen. Die Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens läßt sich nicht durch den grundsätzlich repressiven richterlichen Rechtsschutz ersetzen. Eine Republik ist jedenfalls um des repräsentativen Konsenses, der allein die allgemeine Freiheit zu verwirklichen vermag 238 , unverzichtbar Gesetzesstaat239. Die wesentliche Verfassungsentscheidung ist die Übertragung der Kompetenz, im Namen des Volkes das Recht zu erkennen. Diese Kompetenz der bürgerlichen Rechtsetzung ist zwischen den Organen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung, vor allem der Verfassungsrechtsprechung, geteilt 240 ; aber auch die Organe der vollziehenden Gewalt, vor allem die Regierungen, sind daran beteiligt 241 . Den gesetzgeberischen Vorrang haben die Organe der Gesetzgebung, wie es Art. 20 Abs. 3 GG vorschreibt. Die Gesetze sollen möglichst von der Legislative gegeben werden. Die Gesetze der verschiedenen Organe zur Ausübung der Staatsgewalt haben den unterschiedlichen Funktionen gemäß eine unterschiedliche Rechtsnatur, insbesondere eine unterschiedliche Wirkung oder Verbindlichkeit. Sie teilen aber die gesetzgeberische Funktion

236

Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 946 ff.; auch 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; 6. Teil, 1., 3. und 9. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 501 ff. 237 So aber W. Henke, Recht und Staat, S. 412 f., 651 f. 238 Dazu 7. Teil, 1., 4. und 6. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff. 239 Dazu Hinweise im 9. Teil, 1. Kap., S. 819 in Fn. 1; insb. 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff., 532. 240 Dazu 9. Teil, 10. Kap., S. 1027 ff. 241 I.d.S. auch F. Ossenbühl, HStR, Bd. III, S. 300; ders., Die Quellen des Verwaltungsrechts, S. 154 ff.; Hinweise zum Richterrecht im 7. Teil, 2. Kap., S. 536 in Fn. 106.

864

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

der Rechtserkenntnis, w e i l sie v e r b i n d l i c h zu erkennen die F u n k t i o n haben, was auf der Grundlage der Wahrheit für das gute L e b e n aller i n allgemeiner Freiheit

richtig

ist. Gesetze, welche der Richter g i b t 2 4 2 , o b w o h l sie auch

v o m Gesetzgeber hätten gegeben werden können, verletzen das Prinzip der A u t o n o m i e des W i l l e n s u n d des aus ersteren folgenden Vorranges Gesetze. I n s o w e i t jedenfalls ist der Gesetzesrichter

243

der

nicht demokratisch

l e g i t i m i e r t 2 4 4 . D i e B i n d u n g der Richter an Gesetz u n d Recht, die A r t . 20 A b s . 3 G G d e m A u t o n o m i e p r i n z i p gemäß anordnet, wäre konterkariert, w e n n es keine Gesetze mehr gäbe, an die die Richter gebunden w ä r e n 2 4 5 , w e n n die Richter v i e l m e h r ausschließlich oder auch nur weitgehend die Gesetze selbst zu geben hätten. Das Prinzip des Vorrangs gebietet somit einen Vorbehalt des legislativen Gesetzes. D i e Rechtsprechung k a n n die umfassende Aufgabe/die V o l l k o m p e t e n z der Gesetzgebung schon wegen ihrer Verfahrensmaximen n i c h t übernehmen, w e n n auch die Erkenntnisse jedenfalls der Obergerichte oft als Präjudizien die handlungsorientierende W i r k u n g v o n Gesetzen entfalten, die i n d e m B e g r i f f Richterrecht z u m A u s d r u c k gebracht w i r d 2 4 6 . D e r legislative Ge-

242 Gesetze geben heißt Erkennen des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit und kompetenzgemäße Feststellung dieses Richtigen, sei es principaliter oder incidenter, so daß das als richtig Erkannte und Festgestellte nach Maßgabe der Funktionen des jeweiligen Organs zur Ausübung der Staatsgewalt auf Grund des im Grundgesetz erklärten Willens des Volkes Verbindlichkeit erlangt; i.d.S. H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 352 ff., auch S. 106 ff.; i.S. der Erkenntnis des Rechts durch die Gestzgebung E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 3 ff., 20 ff., eine naturrechtliche Position; zum Richterrecht vgl. die Hinweise in Fn. 246. 243 Der Begriff des Gesetzesrichters ist funktional dem des Verfassungsrichters gegenüber zu stellen. Auch der Fachrichter ist Verfassungsrichter, wie Art. 100 Abs. 1 GG beweist; denn er hat Verfassungsfragen zu klären; aber auch die Verfassungsgerichte sind Gesetzesrichter, insbesondere in Prozeßfragen des eigenen Verfahrens. 244

Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 538 ff.; 9. Teil, 3. und 6. Kap., S. 923 ff., 971 ff. I.d.S. Η. Kelsen, VVDStRL 5 (1929), S. 41, zu "gesetzlosen" Vollzugsakten. 246 Dazu M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl. 1976, S. 243 ff., zur Relevanz der Präjudizien, S. 161, 164 ff., 269 ff.; zum sogenannten Richterrecht vgl. J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 3. Aufl. 1974, S. 120 f.; ders., Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung. Rationalitätsgarantien in der richterlichen Entscheidungspraxis, 1970, S. 187 f.; ders., Richterrecht, Gerichtsgebrauch und Gewohnheitsrecht, in: FS F. v. Hippel, 1967, S. 95 ff.; R. Dreier, Probleme der Rechtsquellenlehre, in: FS H.J. Wolff, 1973, S. 3ff.; H.-P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, 1969, insb. S. 30 f.; G. Roellecke, VVDStRL 34 (1978), S. 8 ff.; Ch. Starck, VVDStRL 34 (1978), S. 76 ff.; F. Bydlinski, Hauptpositionen zum Richterrecht, JZ 1985, 149 ff. (zurückhaltend); J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975; ders., Rechtsprechung im Grenzbereich zur Gesetzgebung, in: N. Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, 1986, S. 435 ff.; Th. 245

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

865

setzgeber ist für die Befriedung des gemeinsamen Lebens nicht i m gleichen M a ß e unverzichtbar w i e der R i c h t e r 2 4 7 , aber für die staatliche Lebensbew ä l t i g u n g i n Freiheit, insbesondere für die Besteuerung u n d für die Vert e i l u n g der Lebensgüter, v o r a l l e m also für die staatlichen Haushaltsangelegenheiten, die der Richter n i c h t durch i n Einzelfällen gewonnene Rechtserkenntnisse ordnen kann. Das Gesetz der Legislative ist typisch ein Instrument des modernen Staates 2 4 8 , der wesentlich Finanz- u n d

Steuerstaat

i s t 2 4 9 . M e i s t w i r d das Gleichheitsprinzip zur Rechtfertigung des Gesetzgebungsstaates herangezogen 2 5 0 . Das Gleichheitsprinzip f o l g t aus der Entscheidung für die Freiheit, die allgemein ist u n d als allgemeine W i l l e n s autonomie W i r k l i c h k e i t

findet 251.

D a r u m ist der Gleichheitsgedanke nicht

die spezifische Rechtfertigung der allgemeinen Gesetze. Das wäre er nur i n e i n e m Herrschaftssystem, das die Untertanen gleich behandeln w i l l ; denn für die

Gleichbehandlung

ist

das

allgemeine

Gesetz

das

bestmögliche

I n s t r u m e n t 2 5 2 . Durchgehend i n allen Lebensbereichen verlagert aber der

Raiser , Richterrecht heute, daselbst, S. 627 ff.; P. Kirchhof\ Richterliche Rechtsfindung, gebunden an "Gesetz und Recht", NJW 1986, 2275 ff.; F. Müller, "Richterrecht", 1986, kritisch zur richterrechtlichen Rechtsquellendogmatik, S. 53 ff., 102 ff.; ders., Strukturierende Rechtslehre, 1984, S. 26 f., 191 f., 201 f., 273 f.; ders., Richterrecht - rechtstheoretisch formuliert, in: FS 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1986, S. 65 ff.; F. Ossenbühl, Richterrecht im demokratischen Rechtsstaat, 1988; ders., Gesetz und Recht - Die Rechtsquellen im demokratischen Rechtsstaat, HStR, Bd. III, S. 298 ff.; ders., Die Quellen des Verwaltungsrechts, 154 ff.; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989, S. 161 ff., 164 ff. u.ö.; ablehnend K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 788 f.; kritisch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 388 ff, 429; wesentlich zur Lückenschließung durch "schöpferische Rechtsfindung nach den Maßstäben der praktischen Vernunft" BVerfGE 3, 225 (243 f.); 13, 318 (328); 18, 224 (237 f.); 26, 327 (337); 34, 269 (286 ff.), zum Persönlichkeitsschutz durch § 823 Abs. 1 BGB; vgl. auch BVerfGE 38, 386 (396 f.); 49, 304 (318 f.); 57, 220 (248); 59, 330 (334); 65, 182 (190 ff.); 66, 116 (138); 69, 315 (371 ff.); 71, 354 (362 ff.); Β AGE 23, 292 (319 f.) zum "gesetzes vertretenden Richterrecht" im Arbeitskampf. 247

Dazu Hinweise im 7. Teil, 2. Kap., S. 536 in Fn. 107 (dazu auch S. 876ff.). H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 66 ff.; C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 98 f. 249 K. Vogel, Der Finanz- und Steuerstaat, HStR, Bd. I, S. 1173 ff.; J. Isensee, Steuerstaat als Staatsform, in: FS H.P. Ipsen, 1977, S. 409 ff.; C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 99. 250 Etwa H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 293 ff., 330 ff.; dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 8. und 10. Kap., S. 990 ff., 1027 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 43 ff.; 2. Teil, 10. Kap., S. 145 ff.; 8. Teil, 2. und 4. Kap., S. 689 ff., 739 ff. 251 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff. 248

252 I.d.S. M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 293 ff.; dazu auch 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; auch 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.

SS Schachtschneider

866

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Gesetzgebungsstaat die Rechtserkenntniskompetenz im Grundsatz von der Richterschaft auf die Gesetzgeber. "Der heutige parlamentarisch-demokratische Staat hat seinen Schwerpunkt in der Gesetzgebung." - Carl Schmitt 253 Das hat legitimatorische Gründe, mindert aber auch und vor allem den Einfluß der Rechtsgelehrten, den diese in der Neuzeit durch die Institutionalisierung des gelehrten Richtertums gewonnen hatten 254 . Der politische Einfluß der Rechtsgelehrten wird in dem Maße, in dem der Gesetzgeber das Recht bestimmt, durch den der nicht spezifisch qualifizierten Abgeordneten zurückgedrängt, heute durch den von Parteiführern 255 . Freilich kann sich auch die parteienoligarchische Legislative nicht oder nur in geringem Maße von den Erkenntnissen der Rechtswissenschaft emanzipieren. Es gibt aber i m parteienstaatlich geprägten Gemeinwesen, das Rechtsstaat sein will, einen Dualismus der Rechtswissenschaft und der interessenorientierten Parteilichkeit. Darum wird die Interessenpolitik durch rechtswissenschaftliche Gutachten gestützt, welche den Interessen die Macht oder auch nur den Schein des Rechts geben sollen. 2. Insbesondere nach dem Grundgesetz sollen die Gerichte möglichst nicht die Gesetze geben; denn die Ausübung der Staatsgewalt teilt Art. 20 Abs. 2 GG zwischen die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. Diese Funktionenteilung 256 beruht auf der alten Erfahrung der Vorteile von Gewalt(en)teilungen für die Freiheit 257 .

253

Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 99. Dazu W. Henke, Recht und Staat, S. 649 ff., der die Jurisprudenz als ein "Handwerk, eine Kunst und eine Tugend" ansieht; zur Rechtswissenschaft als einer der drei Komponenten der Rechtserkenntnis neben der Gesetzgebung und Rechtsprechung, K.H. Fezer, Die Pluralität des Rechts, JZ 1985, 762 ff. 255 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 4. und 6. Kap., S. 1086 ff., 1131 ff. 256 Zum Begriff der Funktionenteilung, der den unrichtigen Begriff der Gewaltenteilung korrigiert, K. Stern, Staatsrecht II, S. 521 ff.; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1009 ff.; dazu N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 108 f.; G. Zimmer, Funktion Kompetenz - Legitimation, 1979, S. 55 ff. 257 Vor allem Montesquieu, Der Geist der Gesetze, 6. Kap., XI. Buch, S. 212 ff.; Η Fenske, Gewaltenteilung, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, 1979, S. 927; dazu K. Stern, Staatsrecht II, S. 513 ff., insb. S. 516 ff., 527 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 475 ff., S. 185 ff.; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1009 ff.; Η Hofmann, JZ 1992, 169 f.; dazu K.A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 45 ff., 54 ff.; zur Gewaltenteilungsproblematik der Verfassungsrechtsprechung G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 678 ff. 254

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

867

Der Logik der Funktionenteilung gemäß bindet Art. 20 Abs. 3 GG die Rechtsprechung an Gesetz und Recht und unterwirft Art. 97 Abs. 1 GG die Richter den Gesetzen258. Das verlangt nach Gesetzen, welche die Richter binden und unterwerfen. Die Gesetzlichkeit auch der Grundrechtsverwirklichung muß, um der Friedensfunktion der Gesetze gerecht zu werden, dem Bestimmtheitsprinzip genügen, welches für den republikanischen Rechtsstaat essentiell ist 259 . Eine solche unterwerfende Bindung leisten nur hinreichend bestimmte Gesetze. Eine Republik muß die Rechtsprechung institutionell von der Gesetzgebung trennen, weil sie dem Gesetzgeber strikt Rechtsprechungskompetenzen verweigert (Art. 92 GG) 260 . Die Rechtsprechung soll aber um der bürgerlichen Willensautonomie und damit der freiheitlichen Demokratie willen auch funktional weitestmöglich von der Gesetzgebung ferngehalten werden, weil nur die allgemeine Gesetzgebung die allgemeine Freiheit zu verwirklichen vermag 261. Zum einen bestimmen die Gesetze die Maximen der Handlungen allgemeinverträglich, also gemäß dem allgemeinen Willen alle befriedend (vorausgesetzt, sie finden zum Recht), bevor gehandelt wird. Das erfordert die Freiheit logisch, weil ohne die allgemeine Gesetzgebung die Sittlichkeit des Handelns nicht möglich ist; denn der Handelnde kann den Willen des von seinem Handeln Betroffenen nicht ersetzen. Dessen zustimmender Wille muß vorgängig geklärt sein262. Das leistet nur das allgemeine Gesetz, welches der Gesetzgeber in Vertretung des ganzen Volkes zu erkennen aus der Verfassung die Kompetenz und damit die Pflicht hat263. Zum anderen muß die allgemeine Gesetzgebung in Verfahren erfolgen, welche die bestmögliche Erkenntnis der richtigen Gesetze sicherstellen, also Verfahren des allgemeinen, öffentlichen

258 Zum am Begriff Recht orientierten Begriff des Gesetzes in Art. 97 Abs. 1 GG, vor allem entstehungsgeschichtlich, H. Holtkotten, Bonner Komm, Anm. 2b, S. 106 f., zu Art. 97 GG; so auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 5 zu Art. 97 I. 259 So Kant, Idee, S. 39; dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 380, 395 f., 411 ff., 426 f., 452 f.; ders. Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 114 ff.; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 200 ff., 396 ff. (Normenklarheit); K. Stern, Staatsrecht I, S. 635 ff.; für einen eingriffsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz BVerfGE 3, 255 (243); 6, 32 (42); 8, 274 (325 ff.); 9, 137 (147,149); 13, 153 (160 f.); 20, 150 (157 ff.); 21, 245 (261); 27, 1 (8); 34, 165 (199 f.); 35, 348 (359); 41, 251 (266); 41, 378 (399); 42, 263 (278); 80, 137 (161); u.ö. 260

Dazu E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1014 ff. Dazu die Hinweise im 9. Teil, 1. Kap., S. 819 in Fn. 1. 262 Dazu 5. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 275 ff., 325 ff., insb. 336 ff., 370 ff. 263 Zum republikanischen Prinzip der Gesetzlichkeit 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; weitere Hinweise im 9. Teil, 1. Kap., S. 819 in Fn. 1. 261

5

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Diskurses und des das Volk repräsentierenden Parlamentarismus 264. Beides kann durch die im Grundsatz streitfallorientierte Rechtsprechung prinzipiell nicht surrogiert werden. Deswegen, vor allem aber aus der guten Erfahrung mit der rechtsstaatlichen Gewalt(en)teilung bindet die republikanische Verfassung die Richter an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG). 3. Die Logik des Gesetzgebungsstaates fordert, den Gesetzgeber zur größtmöglichen Bestimmtheit seiner Gesetze zu verpflichten, weil die wohlbegründete Funktionenteilung zwischen der Legislative und der Judikative sonst ausgehöhlt würde. Dem widerspricht die Offenheit vieler Gesetzesbegriffe nicht. Sie ist mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, wenn sie sachgerecht ist 265 . Die grundrechtlichen Leitentscheidungen müssen somit vom Gesetzgeber zu größtmöglicher Bestimmtheit materialisiert werden, um das gemeinsame Leben in Frieden und damit in Freiheit zu ermöglichen, aber auch um die Voraussetzungen einer rechtsstaatlichen Verwaltung und Rechtsprechung zu schaffen. Nicht spezifisch der Begriff der Rechtsprechung führt zu dem Imperativ der größtmöglichen Bestimmtheit der Gesetze, sondern die Prinzipien der Autonomie des Willens und die der daraus folgenden Republik selbst, welche die Bindung der streitentscheidenden Richter an die Gesetze verlangen. Die Überlegungen zur Gesetzesbindung der allgemeinen Gerichte, der Gesetzesgerichte, müssen für das Bundesverfassungsgericht modifiziert werden. Die Besonderheiten der Verfassungsrechtsprechung ergeben sich spezifisch aus dem "Recht" (Art. 20 Abs. 3 GG), welches auch den oder die Gesetzgeber bindet (Art. 1 Abs. 3 GG), aus der "verfassungsmäßigen Ordnung", insbesondere also aus den Grundrechten. Die Verfassung ist die wesentliche Rechtsgrundlage der Verfassungsrechtsprechung, deren Besonderheit sich aus dem Rang des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan266 und aus der Offenheit der Verfassungs-, vor allem der Grundrechtsbegriffe ergibt. Die Verfassungsgerichte haben die Kompetenz, zu entscheiden, ob der Gesetzgeber seiner Bindung an die Verfassung gerecht geworden ist (Art. 20 Abs. 3 GG) und haben dadurch im ordentli-

264

Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; i.d.S. etwa H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 106 ff., 352 ff. 265 I.d.S. BVerfGE 8, 274 (326); 13, 153 (161); 18, 85 (92 f.); 24, 236 (244 f.), letztere Entscheidung für den Begriff der guten Sitten; 80, 137 (161 ff.), Planungsakte (Reiten im Walde). 266 Dazu Hinweise im 9. Teil, 3. Kap., S. 910 in Fn. 473.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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chen Verfahren das letzte Wort über die Rechtlichkeit der Gesetze, jedenfalls soweit die Verfassung dafür Erkenntnismaßstäbe bereithält. Darum ist das Bundesverfassungsgericht Verfassungsorgan, ein "Gericht sui generis" (ι Gerhard Leibholz) 261. Die Verfassungsrechtslehre darf der Verfassung nicht eine Bestimmtheit der Begriffe vorschreiben, welche die grundgesetzliche Verfassung selbst dem einfachen Gesetzgeber auferlegt 268. Die Verfassung ist so bestimmt oder offen, wie sie ist. Eine Verfassung kann auch, wenn sie ihrer Funktion, dem Gemeinwesen langfristig eine stabile Ordnung zu geben, gerecht werden will, nicht die Bestimmtheit haben, die vom einfachen Gesetzgeber gefordert werden kann und muß269. Die Offenheit der Begriffe stabilisiert die Verfassung und ist nicht zu beklagen, sondern hilfreich. Ein höheres Maß an Bestimmtheit der Verfassungsbegriffe läßt sich nicht ohne den Verfassungsgeber oder zumindest den verfassungsändernden Gesetzgeber erreichen. Der Verfassungsinterpret hat nicht die Kompetenz, die Art. 79 GG dem einfachen Gesetzgeber und Abs. 3 dieser Vorschrift sogar dem verfassungsändernden Gesetzgeber verwehrt. Andernfalls bedürfte es weitgehend der Gesetzgebung nicht mehr, welche eine Verfassung vornehmlich verfaßt. Keinesfalls ist der Verfassungsgeber um der Verbindlichkeit seiner Entscheidungen willen verpflichtet, irgendein Maß an Bestimmtheit zu erreichen. Seine Entscheidungen entfalten die Wirkungen, die sich ihren Begriffen entnehmen lassen. Diese Wirkungen hängen wesentlich von den Kompetenzen und Verfahren ab, welche die Verfassung zur Verwirklichung ihrer Entscheidungen einrichtet. Interpretation kann nur begrenzt helfen 270. Jedenfalls müssen die Entscheidungen der Verfassung, die Verbindlichkeit beanspruchen, soweit als möglich praktiziert werden. Der Verbindlichkeitsanspruch der Grundrechte aber ist fraglos. Die Verfassungsrechtsprechung, welche das Grundgesetz eingerichtet hat, ist darum gehalten, die Verfassung auch dem Gesetzgeber gegenüber soweit durchzusetzen, als die material

267 Bericht zur "Status"- Frage, S. 240; Status-Bericht des Bundesverfassungsgerichts, JöR N.F., Bd. 6 (1957), S. 144 f.; ebenso in der Sache J. Wintrich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 214 f.; M. Drath, VVDStRL 9 (1952), S. 96; G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 668 f., 686; BVerfGE 7, 1 (14); vgl. auch BVerfGE 6, 300 (304). 268 Vgl. die Hinweise im 9. Teil, 1. Kap., S. 850 in Fn. 164 . 269 Dazu 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff.; vgl. im 9. Teil, 1. Kap., S. 850, Fn. 164. 270 Dazu 9. Teil, 2. und 3. Kap., S. 888 ff., 921 ff.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

offenen, aber auch die formalen Grundrechtsbegriffe ihr das nach den Kompetenzvorschriften aufgeben. Wenn insbesondere der Schutz des Wesensgehalts der Grundrechte dem Bundesverfassungsgericht funktional gesetzgeberische Rechtserkenntnisse abfordert, kann dieser Schutz nicht mit einem Rechtsprechungsbegriff verweigert werden, der sich in Widerspruch zu den Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts als Teil der "rechtsprechenden Gewalt" (Art. 92 GG) 271 setzt. Quintessenz ist: Wenn der Gesetzgeber den Gesetzesrichtern allzu offene Gesetzesbegriffe vorgibt, welche diese Richter weniger binden, als das in praktischer Vernunft möglich wäre, so hat der Gesetzesrichter derartige Gesetze wegen Verletzung des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsprinzips der konkreten Normenkontrolle des Bundesverfassungsgerichts zu überantworten. Derartige Gesetze sind verfassungswidrig 272. Nicht minder offene Begriffe der Verfassung hingegen hat das Bundesverfassungsgericht funktional gesetzgebend zu entfalten, um dem Gesetzgeber die grundgesetzlichen, vor allem die grundrechtlichen, Leitentscheidungen für die Gesetzgebung zu vermitteln. III.

Der von einer Gesetzesbindung unabhängige Begriff der Rechtsprechung und das freiheitsrechtliche Postulat der Gesetzesbindung 1. Verfassungsrechtsprechung kann nicht funktional gesetzgebend sein, wenn Rechtsprechung ihrem Begriff nach vom Gesetz, und zwar vom Gesetz der Gesetzgebung, abhängige Rechtserkenntnis ist. Auch der Begriff der Rechtsprechung bestimmt sich nicht aus der Natur der Sache, sondern ist offen für eine Interpretation, welche der Verfassung insgesamt gerecht werden muß. Alle Gesichtspunkte der Sache einschließlich ihrer Geschichte und der Verfassung müssen berücksichtigt werden, um den Begriff der Rechtsprechung zu definieren 273, etwa die fraglosen Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts als eines Organs der "Rechtsprechung", aber auch der Begriff "Rechtsprechung", den das Grundgesetz normierend setzt, selbst; denn Art. 92 GG, der die "rechtsprechende Gewalt ... den Richtern anvertraut", zwingt zu einem materialen Begriff der "rechtsprechenden Gewalt", die als "Rechtsprechung" (Überschrift des Abschnitts) auch vom

271

Dazu Hinweise im 9. Teil, 3. Kap., S. 910 in Fn. 475. Vgl. etwa BVerfGE 20, 150 (157 ff.); 80, 137 (161 ff.), zum Verbot mit Erlaubnisvorbehalt; weiterer Hinweis auf das Bestimmtheitsprinzip in Fn. 259, S. 867. 273 So auch K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 783 f. 272

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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"Bundesverfassungsgericht ausgeübt" wird 274 . Ein institutioneller oder, wie meist gesagt wird, formeller Begriff der Rechtsprechung, der diesen auf die Kompetenzen der Gerichte nach Verfassung und Gesetz beschränkt, würde die funktionale bzw. materiale Regelung des Art. 92 GG aushöhlen275. Aber die institutionellen oder formellen Kompetenzen der Gerichte, die das Grundgesetz explizit unter der Überschrift "Die Rechtsprechung" aufführt, müssen von einem Rechtsprechungsbegriff unter dem Grundgesetz einbezogen werden, insbesondere auch die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts zur Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 4a GG und nach Art. 100 Abs. 1 GG, aber auch im Rahmen der anderen Zuständigkeiten276. Die grundgesetzliche Funktionenteilung zwingt zu einem umfassenden Begriff der Rechtsprechung schon deswegen, weil sonst die Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 97 Abs. 1 GG) und die Rechtskraft ihrer

274 BVerfGE 22, 49 (73 ff., insb. 76 ff.); K.A. Schachtschneider, Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht in Bund-Länder-Streitigkeiten, 1969, S. 8; K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 783 ff.; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstandes der Aktiengesellschaft, 1991, S. 10 ff., 30 ff.; dazu ausführlich N. Achterberg, GG, Bonner Komm, 2. Bearbeitung, Rdn. 66 ff., 74 ff., 92 ff., der selbst in Rdn. 111 zu einem formell-materiellen Rechtsprechungsbegriff kommt; a.A. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 32 ff. zu Art. 92. 275 Vgl. K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 784 ff.; a.A. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 32 ff., 42 ff. zu Art. 92, der die im Grundgesetz enummerierten Rechtswegzuweisungen und Richtervorbehalte dem Richtervorbehalt unterstellt und Art. 92 GG einen weiteren Richtervorbehalt nicht entnimmt, Rdn. 46; in der Sache ähnlich G. Zimmer, Funktion Kompetenz - Legitimation, 1979, S. 200 f., 232 ff., 292 f.; dazu auch N. Achterberg, GG, Bonner Komm, Rdn. 74 ff. zu Art. 92, der eher der materialen Begrifflichkeit zuneigt. 276

Zum Rechtsprechungscharakter der Normenkontrolle R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 31 zu Art. 92; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 704 ff., 708 (zweifelnd); K.A. Schachtschneider, Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht, S. 8; Ch. Starck, VVDStRL 34 (1976), S. 67, 74 ff., der die Normenkontrolle funktional als Gesetzgebung begreift; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 7 ff.; Μ Achterberg, GG, Bonner Komm, Rdn. 123 ff. zu Art. 92 mit weiteren Nachweisen; KA. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 789, der die gesetzgeberische Funktion kraß leugnet; ders., Richterliche Normenkontrolle als negative Gesetzgebung?, DVB1. 1982, 91 ff.; so auch Κ Schiaich, VVDStRl 39 (1981), S. 126 ff., insb. S. 132; ders., Das Bundesverfassungsgericht, S. 110 f.; entgegengesetzt H. Kelsen, VVDStRL 5 (1929), S. 54 f., der die "Gesetzgebungsfunktion" der gerichtlichen "Aufhebung eines Gesetzes" klar erkannt hat; i.d.S. auch W. Henke, Verfassung, Gesetz und Richter, Der Staat 3 (1964), S. 443 ff., 448 ff., der den Rechtsprechungscharakter der Normenkontrolle leugnet, weil kein Einzelfall entschieden werde; vgl. auch R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstandes der Aktiengesellschaft, S. 16 ff.; während BVerfGE 1, 396 (409) die gesetzgeberische Funktion der Normenkontrolle angesprochen hat, hat BVerfGE 3, 225 (235 f.) die rechtsetzende Funktion derselben bestritten; vgl. auch BVerfGE 22, 49 (77 f.), wo alle Kompetenzen nach Art. 93 und Art. 100 GG zur "Rechtsprechung im materiellen Sinn" gerechnet werden.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Entscheidungen durch staatliche Organe relativiert wäre, die nicht Rechtsprechung ausüben. Dadurch wäre die Eigenständigkeit der Rechtsprechung gegenüber den anderen Funktionen der Staatsgewalt aufgehoben, insbesondere die den Richterspruch wesentliche Rechtskraft, ein Verfassungsinstitut 277 . Nur Richtersprüche dürfen nach dem Grundgesetz Richtersprüche (im Rahmen der res iudicata) aufheben 278. Ein funktionaler/materialer Rechtsprechungsbegriff muß darum so allgemein sein, daß er die vielfältigen institutionellen/formellen Kompetenzen der rechtsprechenden Gewalt, die zum einen das Grundgesetz nennt und die zum anderen traditionell zu den Aufgaben der Richter gehören279 und vom Grundgesetz institutionell mit dem Hinweis auf die "Gerichte der Länder" (Art. 92 GG) und auf die "Gebiete der ordentlichen, der Verwaltungs-,... gerichtsbarkeit"(Art. 95 Abs. 1 GG) angesprochen sind280, als Rechtsprechung begreift und zugleich das Wesentliche der Rechtsprechung, welches die Verbindlichkeit der richterlichen Rechtserkenntnisse, deren Rechtskraft 281, rechtfertigt, erfaßt. Auch der Justizgewährleistungsanspruch 282 legt einen weiten, aber materialen, auch diese Funktion erfassenden Begriff der Rechtsprechung nahe; denn der Justizschutz oder besser: der Rechtsschutz, muß letztlich durch richterliche Rechtsprechungsakte, durch Richtersprüche, gegeben werden, wenn die Republik ein Rechtsstaat sein soll 283 . Ein solcher Begriff der Rechtsprechung ist auf die verbindliche Rechtsklärung durch Richter zu beschränken284. Rechtsklärung setzt Rechtser-

277

BVerfGE 2, 380 (403 ff.); R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 36 zu Art. 97, auch Rdn. 30 zu Art. 92; K.A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 30 f. 278 Ganz so G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 681, 687. 279 So für die Strafgerichtsbarkeit BVerfGE 8, 197 (207); 12, 264 (274); 22, 49 (76 ff.); 22, 125 (130); 22, 311 (317); 27, 18 (28); 27, 111 (126); für die "bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten" BVerfGE 14, 56 (66); 64, 261 (278); vgl. N. Achterberg, GG, Bonner Komm, Rdn. 74 ff. zu Art. 92, insb. Rdn. 106, 111. 280 I.d.S. K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 783 f., 785, 788; i.d.S. auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 44 zu Art. 92; dazu R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstandes der Aktiengesellschaft, S. 22 ff., 24 ff. 281

Dazu Hinweise in Fn. 277. 5. Teil, 4. Kap., S. 361 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 551 ff., 10. Teil, 9. Kap., S. 1169 ff.; vgl. H.-J. Papier, Justizgewähranspruch, HStR, Bd. VI, S. 1221 ff.; E. Schmidt- Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1024 ff.; K.A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 25 f. 283 Dazu E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1026; H.-J. Papier, HStR, Bd. VI, S. 1224 f., 1226; K.A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 23 ff. 282

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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kenntnis voraus 285, die jedoch nicht von Gesetzen geleitet sein muß 286 , wenn auch im republikanischen Rechtsstaat soweit als möglich geleitet sein soll. Der Rechtsprechungsbegriff muß daher auch die gesetzgeberischen Funktionen der verfassungsgerichtlichen Rechtserkenntnisse als Rechtsprechung begreifen. Das kann nur dem widersprüchlich erscheinen, der einen Gegensatz von Politik und Rechtserkenntnis, sei diese Gesetzgebung oder Rechtsprechung, dogmatisiert 287. Der Begriff der Rechtserkenntnis ist damit wesentlich für den der Rechtsprechung. Wer umgekehrt in der Gesetzgebung keine Rechtserkenntnis sieht288, sondern bloß Rechtsentscheidung, also politische Dezision289, verkennt den Freiheitsbegriff der grundgesetzlichen Republik und verfehlt den Zugang zur Funktionenteilung

284

I.d.S. K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 791, 793; auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 548, S. 210 f.; P. Häberle, Grundprobleme des Verfassungsrechts, S. 7 f.; Ch. Starck, VVDStRL 34 (1976), S. 65 f.; U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, in: FS R. Smed, S. 278 f., Anm. 66; vgl. R. Thoma, HbdDStR, Bd. II, S. 129; vgl. m.w.H. auch i.d.S. N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Rdn. 81 ff. zu Art. 92; vgl. i.d.S. R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstandes der Aktiengesellschaft, S. 30 ff., 40. 285

I.d.S. R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 244 f.; K.A. Bettermann, Rechtsprechung, EvStLex, Sp. 2776; K.A. Schachtschneider, VerwArch 63 (1972), S. 307; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstandes der Aktiengesellschaft, S. 31. 286 Diesem Problem entziehen sich all die Meinungen, welche material bis zur Unbestimmtheit offene Prinzipien, wie etwa die Zweckmäßigkeitsmaxime, zu Rechtsprinzipien erklären, die gesetzesabhängiger Rechtsanwendung fähig seien, wie etwa E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 362; J. Wintrich, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 215 ff., 220; U. Scheuner, Probleme und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik, S. 203 ff., der als Beispiele "erforderliche Maßnahmen, öffentliche Ordnung, sozial" nennt; K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 799 ff.; vgl. auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 23, 26 zu Art. 92, auch Rdn. 19 zu Art. 97; auch N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Rdn. 123 ff. zu Art. 92; ders., Funktionenlehre, S. 85 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 894; zur funktional gesetzgeberischen Interpretation S. 888 ff. 287

Dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff., 918. Dazu 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 4., 5. und 6. Kap., S. 560 ff., 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff.; richtig H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 1981, S. 352 ff., auch S. 106 ff.; vgl. i.d.S. auch (naturrechtlich) E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 3 ff., 20 ff. 289 Zum Dezisionismus C. Schmitt, Die Diktatur, S. 23; vgl. F. Ossenbühl, HStR, Bd. III, S. 299, der die "Konkretisierung" von "unbestimmten Rechtsbegriffen" und "unbestimmten Generalklauseln" "unzweifelhaft" nicht als "Akt bloßer Erkenntnis, sondern als einen Vorgang, der auch bewertende volitive und dezisive Elemente enthält", einstuft und damit, wenn auch zurückhaltend, einen Gegensatz von Gesetzgebung und Rechtserkenntnis anspricht; dazu M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, § 51, S. 191 ff.; dazu 2. Teil, 5. Kap., S. 143; dazu auch 9. Teil, 3. Kap., S. 912 ff. 288

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

des Grundgesetzes. In der Rechtserkenntnisfunktion haben somit Gesetzgebung und Rechtsprechung eine Gemeinsamkeit290, die ihrer gemeinsamen Wurzel und Aufgabe, der ewigen Suche nach Gerechtigkeit, entspricht 291. "Die Grenze zwischen den Tätigkeiten des Richters und des Gesetzgebers fällt nicht mit der derjenigen zwischen Rechtsanwendung und Rechtsschöpfung zusammen, sondern führt mitten durch letztere." Gustav Radbruch 292 "Um das Wesen und zugleich die Schranken dieses Prüfungsrechts zu erkennen, dürfte es vor allem darauf ankommen, daß wir uns wieder darauf besinnen, daß die richterliche Tätigkeit der gesetzgeberischen nicht so scharf gegenübersteht, wie die Lehre von der Gewaltenteilung, auf der unsere positivistische Rechtswissenschaft aufgebaut ist, annimmt." - Erich Kaufmann 293 2. Die Prinzipien der Unabhängigkeit des Richters und der Unterwerfung der Richter unter das Gesetz sind nicht identisch, wie das Carl Schmitt gelehrt hat 294 . "In der Sache gibt es keine andere als eine gesetzesgebundene Justiz." Carl Schmitt 295 "Die meisten Vorschläge, die mit großer Selbstverständlichkeit einen Gerichtshof zur Entscheidung solcher Fragen (sc. von Verfassungswidrigkeiten des Gesetzgebers) fordern, verkennen den untrennbaren Zusammenhang von richterlicher Unabhängigkeit und richterlicher Bindung an eine generelle, tatbestandsmäßige, Subsumtion ermöglichende Norm." - Carl Schmitt 296

290

Ganz so K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 548, 549, S. 210 f. Ganz so E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 3 ff., S. 19 ff. 292 Rechtswissenschaft als Rechtsschöpfung. Ein Beitrag zum juristischen Methodenstreit, ASSP 22 (1906), S. 364. 293 VVDStRL 3 (1927), S. 19 f. 294 Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 79, 83 f.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 37 f.; ders., Verfassungslehre, S. 274; ebenso K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 788; G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 828, 829 f., der das aus dem "funktions-rechtlichen Richterstatus" herleitet, welcher jedoch von Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG geprägt ist, nicht von dem Begriff Rechtsprechung; weitere Hinweise zu dieser wirkungsvollen und folgenreichen Lehre in den Belegen zum Rechtsprechungskriterium der Rechtsanwendung in Fn. 489 ff. im 9. Teil, 3. Kap., S. 914 ff., auch S. 919 ff., vgl. auch S. 870 ff. 295 Der Hüter der Verfassung, S. 38 in Fn. 2. 296 Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 79. 291

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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"Die Rechtsetzung ist jedenfalls keine Recht-Sprechung. Recht-Setzung und Rechts-Anwendung sind nicht nur Urtypen abendländischen Rechtsdenkens; ihre Unterscheidung gehört zu den Essentialien der Gewaltenteilungs-Doktrin. In der 'Unterwerfung' des Art. 97 Abs. 1 GG unter das 'Gesetz' findet der Ausschluß der Richter von der Rechtsetzung seinen schärfsten Ausdruck." - Karl August Bettermann 297 Durchhaltbar ist diese ideologische Fiktion nur, wenn man die rechtsetzende Funktion des Richters, etwa die Zweckmäßigkeitserwägung der Verfassungsrechtsprechung oder die Billigkeitserwägung der Zivilgerichte als "Rechts-Anwendung" ausgibt, wie Bettermann 29*. Diese beruhen aber auf Ermächtigungen der Gerichte durch den Verfassungs- oder Gesetzgeber zur Rechtsetzung, weil sie den Richter nicht durch interpretatorisch entfaltbare Begriffe binden. Carl Schmitt hat den Charakter derartiger "unbestimmter Begriffe" als "Zuständigkeitsanweisungen" herausgestellt299. Immer dient der Richter dem Recht. Dem Gesetz ist er aber nur unterworfen, wenn es ihn zu binden vermag. Im übrigen ist die Rechtsprechung, nicht aber die Rechtsetzung ein "Urtyp abendländischen Rechtsdenkens". Erinnert sei nur an den mittelalterlichen Rechtsbewahrungsstaat300. Recht und Rechtsprechung sind so alt wie die Menschheit. Gesetzgebung und die logisch daraus folgende Unterwerfung des Richters unter das Gesetz sind Entwicklungen des modernen aufklärerischen Staates301. 3. Richtig ist, daß von allen fremden Einwirkungen unabhängig sein muß, wer nur dem Gesetz unterworfen ist 302 , aber umgekehrt gilt nicht, daß nur unabhängig ist, wer seine Entscheidungen ausschließlich vom Gesetz abhängig macht. Das Gesetz ist schließlich Ausdruck der Unabhängigkeit aller Bürger, nämlich Ausdruck ihrer Freiheit 303. Sonst gäbe es keine unabhängige Gesetzgebung, die aber den Abgeordneten des Deutschen Bundestages durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG aufgetragen ist. Carl Schmitt sieht

297

HStR, Bd. III, S. 788. HStR, Bd. III, S. 799, 802. 299 Der Hüter der Verfassung, S. 39 Fn. 2; dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 923 ff. 300 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 66 ff.; dazu F. Kern, Gottes Gnadentum und Widerstandsrecht, 2. Aufl., 1954, S. 122 ff.; ders., Recht und Verfassung im Mittelalter, o.J., S. 73. 301 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 66 ff.; so auch C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 98 f.; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 194, 331. 302 Zur richterlichen Unabhängigkeit (sachlich, organisatorisch, persönlich) R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 8 ff. zu Art. 97; G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 828 f. 303 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff., insb. 522 ff.; weitere Hinweise in Fn. 1 im 9. Teil, 1. Kap., S. 819. 298

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

die Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit der Richter allein dadurch gerechtfertigt, daß der Richter "eben aufgrund eines Gesetzes entscheidet und seine Entscheidung inhaltlich aus einer anderen, meßbar und berechenbar im Gesetz bereits enthaltenen Entscheidung abgeleitet" sei304. Diese Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit der Richter (Art. 97 Abs. 2 GG) begründet in der Tat das Postulat, die Rechtsprechung weitestmöglich den Gesetzen zu unterwerfen. Dieses Postulat ist aber legitimatorisch begründet, nicht Ausfluß des Begriffs der Rechtsprechung. Ohne hinreichend bestimmte Gesetzesbindung sind die Richtersprüche nicht demokratisch, nämlich nicht freiheitlich legitimiert, weil die Richter eine gesetzgebende Funktion haben, aber nicht, wenn und weil sie lebenszeitig angestellt sind, periodisch gewählt werden. Die demokratische Legitimation funktional gesetzgebender Organe setzt die Periodizität der Wahlen voraus 305. Dem entsprechend wird für die demokratische Legitimation der Rechtsprechung vielfach die Bindung der Richter an die Gesetze reklamiert 306. Die Legitimation der Ausübung der Staatsgewalt durch Rechtsprechung oder Gesetzgebung ist jedoch von den Begriffen dieser Funktionen zu unterscheiden. Carl Schmitt hat jedoch ein legitimatorisches Postulat in den Rechtsprechungsbegriff integriert und mit diesem Begriff die gesetzgeberische Funktion der Verfassungsrechtsprechung kritisiert, welche jedoch legitimiert ist, wenn die Verfassungsrichter periodisch gewählt werden 307. Auch der Richter bleibt im übrigen trotz aller Gesetzesbindung seinem Gewissen unterworfen 308. Die Moralität des Richterspruchs ist allerdings dessen Legalität, wie im übrigen jedes moralische Handeln in der Republik zunächst und allem voran Gesetzestreue voraussetzt309. Sonst wäre die Rechtsprechung nicht freiheitlich. 304 305 306 307

Der Hüter der Verfassung, S. 37 f. Dazu Hinweise in Fn. 122 im 7. Teil, 2. Kap., S. 539. Dazu Hinweise in Fn. 121 im 7. Teil, 2. Kap., S. 539.

Zur Wahl und zur Amtszeit der Richter des Bundesverfassungsgerichts im 9. Teil, 4. und 6. Kap., S. 939 ff., 964 f., 975 ff. 308 Demgemäß sollte Art. 97 Abs. 1 GG ursprünglich lauten: "Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz und ihrem Gewissen unterworfen." (Art. 132 HChE); vgl. v. Doemming, JöR N.F., Bd. 1, S. 716 f.; Η. Holtkotten, GG, Bonner Komm., Anm. 2 zu Art. 97, der das Gewissen des Richters für unmaßgeblich hält; ganz entgegengesetzt und richtig E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 22, der vom "Rechtsgewissen" der "gerechten Rechtspersönlichkeit" spricht. 309 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 306 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 429 im 9. Teil, 2. Kap., S. 899.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

877

4. Ein Richter bedarf aber keines Gesetzes, um einen Streit zu entscheiden310. Das auffälligste Beispiel der Gegenwart bietet das Arbeitskampfrecht, welches das Bundesarbeitsgericht ohne Gesetz entwickelt hat 311 , im übrigen eine Entlastung des Gesetzgebers, welche die Grenzen vor Augen führt, die der sogenannte Gewerkschaftsstaat dem politischen Mut der Parteienoligarchie zieht. Eine andere Frage ist, ob der Richter einen Streit entscheiden darf, wenn die Gesetze eine streitentscheidende Vorschrift nicht bereithalten. Keine Kompetenzvorschrift der rechtsprechenden Gewalt macht die Zulässigkeit eines Streites davon abhängig, daß streitentscheidende Gesetzesvorschriften vorliegen. Richter, Gerichte und Rechtsprechung gab es, bevor die Menschen sich Gesetze gegeben haben312. "Man hat mit Recht vom Richterstande gesagt, er gehöre zu den Urberufen, die bereits in nichtstaatlich verfaßten Ordnungen vorhanden waren." - Rudolf Smend m Kennzeichen des Richterstaates ist die Gesetzgebungskompetenz der Gerichte314, wenn man so will, die Souveränität der Richter oder die Richterdespotie (Jefferson). René Marcie hat seiner Rechtsontologie gemäß den Richterstaat verherrlicht. Der Richter solle das "Recht schöpfen, ... aus der

310

I.d.S. R. Marcie , Rechtsphilosophie, S. 244 ("Der Richter sagt, was hier und jetzt Rechtens ist.") und ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 217 ff., 220 ff., 649 ff. (vielmehr müsse er, der Richter, "der Lage der Streitenden gerecht werden."); H.-M. Paw low ski, Methodenlehre für Juristen, S. 36 ff. 311 Zum Richterrecht etwa P. Lerche, Koalitionsfreiheit und Richterrecht, NJW 1987, 2465 ff.; J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, insb. S. 73 ff., 80 ff., 91 ff., 104 ff., 178 ff.; G. Müller, Gedanken zum Richterrecht, AuR 1977, 129; R. Scholz, Arbeitsverfassung und Richterrecht, DB 1972, 3 ff.; ders., Koalitionsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 1142, 1173 f.; F. Ossenbühl, HStR, Bd. III, S. 299; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 168 ff.; weitere Hinweise zum Richterrecht in Fn. 106 im 7. Teil, 2. Kap.; auch Fn. 246 auf S. 864. 312 R. Smend, Festvortrag zur Feier des zehnjährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts am 26. Januar 1962, in: R Häberle (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 331; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 66 ff. m.w.H.; zur Geschichte des Rechts auch W. Henke, Recht und Staat, S. 524 ff., 532 ff., 544 ff., 561 ff., zur Präponderanz des Richters für die Streitentscheidung S. 217 ff.; dazu auch oben S. 819 ff.; auch S. 864 ff., 870. 313 Festvortrag 26. Januar 1962, S. 331, unter Berufung auf Fritz Werner, Das Problem des Richterstaates, 1960, S. 3, Anm. 5. 3,4 Dazu vor allem R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 248 ff., 251; weitere Hinweise bei Κ Stern, Staatsrecht I, S. 841 in Fn. 488; wie im Text C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 77 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 175, 176 ff., der vom "Justizstaat" (S. 165) spricht; ebenso E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, 1959/1976, in: P. Häberle (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 272 ff. ("Hier wird mit dem Übergang vom Rechtsstaat zum Justizstaat ernst gemacht.", S. 275); dazu auch S. 884, 885 ff., S. 920 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Ordnung der Dinge". Seine Unabhängigkeit gewinne der Richter aus dem "präpositiven Wesen des Rechts". "Der Richterstand" sei "staatspolitische Elite der Gegenwart", sie seien "Richterkönige" und endlich: "Das Richtertum ist Platzhalter und Stellvertreter Gottes."315 Das mag Richtern gefallen, die sich vom Hüter der Verfassung zu den Herren des Volkes aufschwingen, aber damit ihre republikanische Richterlichkeit verlieren, die jedenfalls in der grundgesetzlichen Republik durch ihre möglichste "Unterwerfung" unter das Gesetz gekennzeichnet ist (Art. 97 Abs. 1 GG) 316 . Die Moralität der Verfassungsrichter entscheidet, ob die Verfassungsrechtsprechung zum Mittel der Herrschaft wird oder die Freiheit verwirklicht. Hüter der Verfassung ist letztlich das Volk selbst, dem der Widerstand gegen eine Despotie der Verfassungsrichter obliegt317. 5. Den Richtern vorbehaltene Rechtsprechung ist die (rechtskräftige oder rechtskraftfähige) Entscheidung eines Streitfalls 318, ohne daß derartige Streitentscheidungen alle den Richtern durch Art. 92 vorbehaltenen Aufgaben der "rechtsprechenden Gewalt" ausmachen würden 319. Ein Streitfall wird durch die Subsumtion des begrifflich erfaßten Sachverhalts unter das allgemeine Gesetz, sei dies ein Gesetz des Gesetzgebers oder auch eines der Verwaltung, sei dies funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis des Richters, entschieden320. Gesetzgebung ist demgegenüber allgemeine und all-

315 Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 248 ff. (orientiert an Thomas von Aquin), insb. S. 251, 258, 260, 268; in diese Richtung tendiert auch die Richterlehre W. Henkes, Recht und Staat, S. 217 ff., 251 ff., 525 ff., 648 ff.; ähnlich, aber zurückhaltender, ebenfalls naturrechtlich, E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 3 ff., 9 ff., 20 ff.; kritisch etwa O. Massing, Recht als Korrelat der Macht?, S. 223 u.ö.; zurückhaltend auch E Werner, Das Problem des Richterstaates, S. 3 ff. (Werner, selbst eine bemerkenswerte Richterpersönlichkeit). 3,6 Dazu S. 865 ff., 884, 885 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 538 ff. 317 Dazu 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff. 318 Kant hat den Richter als die "Person, welche rechtskräftig zuzurechnen die Befugnis hat", und die "Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt" als "Zuerkennung des Seinen eines jeden nach dem Gesetz" bezeichnet, Metaphysik der Sitten, S. 334 bzw. 431. 319 Dazu S. 870 ff.; 3. Kap., S. 909 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. 320 Das Kriterium der Subsumtion hat C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 79, 84, 87; u.ö., zum bestimmenden Begriffsmerkmal von Rechtsprechung überhaupt gemacht; allgemein zum Subsumtionsmodell der Rechtsfindung H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 32 ff., 40, 205 ff., der das auch als Methode der Entscheidungsbegründung vorstellt; H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 14 ff.; hier interessiert der Aspekt des unverzichtbaren Syllogismus wegen der Dualität von Sollen und Sein; dazu Pawlowski, a.a.O., S. 261 ff., der eine Lehre von der "juristischen Qualifikation" (S. 265 ff., insb. S. 290 ff.) vertritt; kritisch E Müller,

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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gemeinverbindliche Rechtserkenntnis, sei diese Streit schlichtend oder Streit vermeidend. Der Streitrichter hat den Sachverhalt und das Recht zu erfassen und durch Subsumtion das Recht im Streitfall zu erkennen, welches der Richterspruch verkündet. Der Gesetzgeber soll die Streitfälle, für die er das Gesetz gibt, ebenfalls kennen, aber er hat nicht verbindlich zu subsumieren, ob der tatbestandlich formulierte Streitfall gegeben ist oder nicht. Wenn der Richtervorbehalt des Art. 92 GG einen Sinn haben soll, muß ein Kriterium benannt werden, welches die "rechtsprechende Gewalt" von der Gesetzgebung und der Verwaltung unterscheidet, d.h. eine richterliche Aufgabe, welche der Gesetzgebung und Verwaltung durch das Grundgesetz vorenthalten wird; denn was ein Gericht entscheiden kann, kann auch ein Parlament oder eine Behörde entscheiden. Die Geschichte beweist das. Dieses Kriterium ist durchaus mit Carl Schmitt die verbindliche Subsumtion 321 , also die rechtskräftige Klärung des Streitfalls. Diese Aufgabe läßt sich als Rechtsprechung im engeren Sinne bezeichnen322. Freilich geht der grundgesetzliche Richtervorbehalt über den Vorbehalt der verbindlichen Streitentscheidungen hinaus323. Art. 92 GG schließt jedoch andere Aufgaben als Streitentscheidung der Gerichte nicht aus, auch nicht funktional gesetzgebende Rechtserkenntnisse ohne Streitentscheidungen. Derartige Rechtsprechung ist mit der Normenkontrollbefugnis der Verfassungsrechtsprechung übertragen 324, die nicht als Subsumtion einer Norm unter eine andere Norm begriffen werden kann, sondern nur als Widerspruch von Normen 325. Das zeigt sich erst recht, wenn die Rechtserkenntnis nicht tatbestandlich gebunden, sondern allein dem Prinzip der praktischen Vernunft verpflichtet ist, also, wenn man so

Strukturierende Rechtslehre, insb. S. 328 ff., zur Unterscheidung von Sein und Sollen im strukturierenden Normkonzept. 321 Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 79, 84, 87; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 39, 42. 322 Diesen engen Justizbegriff vertritt C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 73 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; zu eng identifiziert E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, in: FS C. Schmitt, 1959, S. 41, die Jurisprudenz überhaupt mit der Subsumtion im Sinne des syllogistischen Schlusses. 323 Dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff., 870 ff. 324 Zu deren Rechtsprechungscharakter Hinweise in Fn. 276 auf S. 871. 325 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 15 f., 36 ff., insb. S. 42 ff.; ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 79 ff.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 189 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 165.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

will, Recht erst schafft 326. Als prinzipale Normenkontrolle zielt diese Rechtsprechung, wie die Gesetzgebung, auf allgemeine Verbindlichkeit, Gesetzeskraft, wie § 31 Abs. 2 BVerfGG zeigt. Weil mit jedem Richterspruch funktional gesetzgebende Erkenntnisse verbunden sind, kann man die Normenkontrolle als Rechtsprechung im weiteren Sinne bezeichnen, die nicht den Richtern vorbehalten ist 327 ; denn die Gesetzgebung ist ebenfalls Rechtserkenntnis, wenn auch mit anders definierter Wirksamkeit. Entgegen der Lehre von Carl Schmitt 328, die noch heute bestimmend ist 329 , ist der Begriff der Rechtsprechung, jedenfalls in der Republik, nicht mit der Abhängigkeit des Richters vom Gesetz verbunden. Die Einrichtung der Verfassungsgerichtsbarkeit beweist, daß Rechtsprechung nicht notwendig dem Gesetz unterworfen ist. Die Schmittsche Erkenntnis, im "bürgerlichen Rechtsstaat" gäbe es "Justiz nur als Richterspruch auf Grund eines Gesetzes"330, setzt die monarchisch-liberal geprägte Trennung von Staat und Gesellschaft 331 voraus, weil der Richter nur durch die Gesetzesunterworfenheit neutral zwischen dem Bürger und dem Staat entscheiden konnte, zumal das Gesetz der vorgängigen Zustimmung der Bürgerschaft, im Parlament repräsentiert, bedürfte. 6. Ohne Subsumtion sind dem Recht gemäße Einzelfallentscheidungen nicht denkbar; denn die Subsumtion durch den syllogistischen Schluß entscheidet, daß die Begriffe, welche den Lebenssachverhalt als Fall definieren, die ebenfalls in Begriffe gefaßte am Gesetz orientierte Fallnorm erfüllen. Die Logik der Trennung von Sollen und Sein332 führt zur Logik der Subsumtion. Selbst wenn die Einzelfallgerechtigkeit in abwägender Wertung gesucht wird, führt diese Abwägung333 zu einem Sollenssatz, zur Fallnorm. Abwägung ist eine Methode, das richtige (objektive) Recht zu

326

Dazu S. 884 ff., auch S. 895 ff., 7. Kap., S. 978 ff. CA. Starck, VVDStRL 34 (1976), S. 74 ff., stuft die Rechtssatzkontrolle nicht als Rechtsprechung ein; zur entgegengesetzten herrschenden Meinung vgl. die Hinweise in Fn. 276 auf S. 871 f. 327

328

Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff. u.ö. Hinweise in Fn. 352 auf S. 883 und Fn. 489 auf S. 914. 330 Der Hüter der Verfassung, S. 37 ff. u.ö. 331 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. 332 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 171 f.; 7. Teil, 1. und 2. Kap., S. 527 f., 540 ff.; 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff.; auch 2. Teil, 8. Kap., S. 138 f.; kritisch insb. F. Müller, Strukturierende Rechtslehre! S. 24 ff., 328 ff. (zu H. Kelsen) u.ö., der die Unterscheidung aber für "in mancher Hinsicht sinnvoll" hält (S. 330). 329

333

Zur Abwägungspraxis der Gesetzesgerichte kritisch V., S. 895 ff.

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erkennen 334. Ihr kann praktische Vernünftigkeit/Rationalität nicht abgesprochen werden 335, aber sie gerät in Konflikt mit dem Prinzip der republikanischen Gesetzlichkeit, wenn ein Lebenssachverhalt aus sich heraus ohne die Bildung eines Rechtssatzes entschieden wird. Das wäre reiner Dezisionismus, der den Richtern nicht zusteht336. Der Sollenssatz schreibt vor, wie der Einzelfall zu entscheiden ist, und der Richter entscheidet, daß er so zu entscheiden sei. Kein Fall trägt das Recht in sich, wenn Recht überhaupt als Recht gedacht werden soll; denn die praktische Vernunft, also das Sollen, ist transzendental begründet337. Eine Fallentscheidung ohne Rechtssatz, geschrieben oder gedacht, ist Dezision und damit rechtlos, despotisch. Die Intensität der Bindung des Richters an die Gesetze oder die Gesetzestexte, wie Ralph Christensen im Anschluß an Friedrich Müller sagt, ist ein anderes Problem. Sie hängt davon ab, wie intensiv der Gesetzestext die Definition der Fallnorm/Entscheidungsnorm leitet 338 . Der Richter muß in bestmöglicher Bindung an die Gesetze die Fallnorm, den Rechtssatz, nach dem er den Einzelfall entscheiden will, definieren. Diese Gesetzlichkeit führt zur Einzelfallgerechtigkeit 339. Das Problem eines Prinzips der Einzelfallgerechtigkeit, welches sich in einen Gegensatz zum Gesetzlichkeitsprinzip stellt, ist aus der Problematik der Billigkeitsklauseln bekannt340. Kant hat als den Sinnspruch der Billigkeit den Satz "summum ius summa iniuria" genannt und in "einem

334 I.d.S. E. Kaufmann, VVDStRL 9 (1952), S. 9 f.; dazu V., S. 895 ff.; auch 9. Teil, 9. Kap., S. 1002 ff. 335 Dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 151 ff.; ders., Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 406, 417 ff.; kritisch insofern R Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 129 ff., 244 f.; insb. E. Forsthoff, in: FS C. Schmitt, S. 35 ff.; vgl. dazu auch die Hinweise in Fn. 793 im 5. Teil, 6. Kap., S. 419 f.; dazu auch S. 900. 336 Vgl. R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 33 ff., 211 f., 270 f., 276 f., 310 f. 337 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 757 ff.; 5. Teil, 1., 3., 4. und 7. Kap., S. 253 ff. (insb. S. 256), 275 ff. (insb. S. 294 f., 312), 332 ff., 435 ff. 338 Dazu R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 182 ff. ("Theorie der Praxis: Die Bindung an den Text des Gesetzes im Rahmen einer Rechtserzeugungsreflexion"); F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 263 ff. u.ö. 339 Dazu S. 879 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 365 ff.; auch 9. Teil, 9. Kap., S. 1009 ff. 340 Die Billigkeit bezeichnet bereits Kant, Metaphysik der Sitten, S. 341 f., als "zweifelhaftes Recht", "zu deren Entscheidung kein Richter aufgestellt werden kann." Dem Fall gibt Vorrang vor dem Gesetz i.S. "des gerechten Rechts" W. Henke, Recht und Staat, S. 620 ff.; für das Prinzip Einzelfallgerechtigkeit BVerfGE 30, 173 (188 ff.); 75, 369 (378 ff.); 83, 130 (146 f.); dazu kritisch K.A. Schachtschneider, Neubescheidung nach Rechtskraft, VerwArch 63 (1972) S. 306 ff; dazu S. 890 ff., 879 ff.; auch S. 895 ff. zur Abwägung. 5

Schachtschneider

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Gerichtshof der Billigkeit ... einen Widerspruch" gesehen341. In diese Erkenntnis ist die Gesetzlichkeit der Rechtsprechung einbezogen. Auch die Billigkeitsklauseln delegieren dem Richter gesetzgeberische Funktion für die Einzelfallentscheidung 342. Dennoch bleibt es bei der Subsumtion, aber die der Subsumtion vorausgehende funktional gesetzgebende Rechtserkenntis verfährt abwägend343. Die Billigkeitsklauseln delegieren den Richtern die Kompetenz zur Rechtsetzung, nicht etwa die Kompetenz, Streitfälle rechtlos zu entscheiden. Die Richter sollen nicht quasi-väterlich helfen. Paternalismus ist der "größte denkbare Despotismus"344. Republikanisch ist allein eine Rechtsprechung, die sich soweit als möglich mit der aristotelischen Logik dem Gesetz fügt, aber auch fügen kann. Sonst werden die "Privatmeinungen der Richter" maßgeblich (Montesquieu) 345. René Marcie hat demgegenüber "die natürliche Billigkeit als die ewige Norm der Rechtskunst" gefeiert, und die Richter "als Platzhalter und Stellvertreter Gottes" begriffen, die "jedem das Seine zuteilen"346. Das Bekenntnis Marcics stellt die Rechtssatzhaftigkeit der Billigkeitsentscheidungen nicht in Frage. Vielmehr teilen die Richter billig, also in praktischer Vernünftigkeit, jedem das Seine zu, indem sie als Fallnorm einen Rechtssatz bilden, den sie ihrer Streitentscheidung zugrunde legen. 7. Das rechtsstaatliche Prinzip der Funktionenteilung, welches dem Autonomieprinzip der Republik erwächst und in Art. 20 Abs. 3 GG verankert ist 347 , fordert die möglichste Bindung der Richter an das Gesetz. Dieses Prinzip kann nur soweit verwirklicht werden, als das möglich ist. Die offenen Begriffe haben sich als unentbehrliches Mittel der Rechtsetzung

341

Metaphysik der Sitten, S. 341 f. Dazu S. 890 ff. 343 Dazu R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstandes der Aktiengesellschaft, S. 33 f. 344 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 f., 159; ders., Metaphysik der Sitten, S. 435; zur Kritik Friedrich Schillers an der Väterlichkeit im Politischen D. Borchmeyer, Kritik der Aufklärung im Geiste der Aufklärung, S. 375; dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 82 ff., 133 ff.; 4 Teil 3. Kap., S. 240 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 709 f., 732 ff. 342

345

Vom Geist der Gesetze, S. 215. Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 248 ff., 258 ff., 263 ff., 275 ff, Zitate S 253 260, 276. 346

347

Dazu S. 863 ff., 866 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 17 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 168 ff.; 7. Teil, 4 Kap., S. 560 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1027 ff.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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erwiesen 348. Sie übertragen alle mehr oder weniger funktional gesetzgebende Rechtserkenntisse dem Richter 349, die als Interpretation von Rechtsbegriffen zu deklarieren 350 die gerichtsstaatlichen Elemente der gesetzesstaatlichen Republik nicht recht wahrhaben will. "Wird die 'Norm' aber so weit und inhaltlos, daß eine tatbestandsmäßige Subsumtion nicht mehr möglich ist, oder liegt nur eine Zuständigkeitsanweisung vor, so entfällt in gleichem Maße mit der justiziablen Norm die Grundlage für eine mögliche Justizförmigkeit." - Carl Schmitt 351 Richtig ist, daß die Richter nur dem Gesetz unterworfen sind, wenn die Gesetze unterwerfen. Das hängt von ihrer Bestimmtheit ab. Keinesfalls kann der Verfassung verwehrt werden, Verfassungsrechtsprechung einzurichten, nur weil die maßgeblichen Verfassungsbegriffe dem Wesen einer Verfassung gemäß ein hohes Maß an Offenheit haben oder formal sind. Die damit verbundenen funktionalen Konsequenzen sind zu dogmatisieren, ohne daß institutionelle Begriffe, wie der der Rechtsprechung, entgegen der Verfassung verzerrt werden. Das wäre der Versuch, die Verfassung zu ändern und muß sich den Vorwurf der Ideologisierung von Verfassungsbegriffen gefallen lassen. Eine Methodologie der richterlichen Rechtserkenntnis soll hier nicht erarbeitet werden. Jedenfalls hängt angesichts der ohnehin unterschiedlichen Bestimmtheit der Gesetze der Begriff der Rechtsprechung weder von irgendeinem Maße der Bindungswirkung der Gesetze noch überhaupt von der Bindung an Gesetze ab 352 . Die Bestimmtheit der Gesetzesbegriffe ist vielmehr ein ebenso freiheitlich-demokratisches, wie ein rechtsstaatliches,

348

Das anerkennt auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 39 in Fn. 2 ("ein Spielraum unbestimmter Begriffe kann bleiben;"); dazu S. 887 ff., 1. Kap., 819 ff., 11. Kap., 1033 ff. 349 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 375 ff., insb. S. 388 ff., in kritischer Distanz zur "politischen Funktion gesetzesunterworfener Richter"; dazu S. 870 ff., 885 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; auch 3. Kap., IV, S. 920 ff. 350 Dazu S. 645, 888 ff., 3. Kap., V, 921 ff. 351 Der Hüter der Verfassung, S. 39 in Fn. 2. 352 A.A. K.A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzlichen Richter, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte III, 2, S. 523; ders., "Rechtsprechung, rechtsprechende Gewalt", EvStLex, Sp. 1712 ff.; ders., HStR, Bd. III, S. 788 f.; vgl. K. Stern, Staatsrecht I, S. 16 f., 30, 632; Ch. Starck, VVDStRL 34 (1976), S. 85 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 23 zu Art. 92; kritisch noch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 388 ff., vgl. aber auch ders., VerwArch, 63 (1972), S. 307; G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 31 ff., 39, leitet die Bindung des Richters an das Gesetz aus Art. 20 Abs. 2 her, das ist ein überzeugendes Argument; weitere Hinweise in Fn. 286 auf S. 873, Fn. 294 auf S. 874; Fn. 489 auf S. 914. 5

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also ein republikanisches, dem Autonomieprinzip erwachsendes Postulat an den Gesetzgeber, damit die gesetzgebende Funktion der Rechtsprechung soweit als möglich zurückgedrängt wird. Die Anforderungen an die Bestimmtheit der Gesetze hängen nicht von den Begriffen "Richter", "rechtsprechende Gewalt" oder "Rechtsprechung" ab, sondern von dem Autonomieprinzip. Wegen dieses Prinzips der Republik sind die Richter nach Art. 97 Abs. 1 GG dem Gesetz unterworfen, nicht weil Rechtsprechung begrifflich der Bindung an das Gesetz bedürfen würde 353. Durch die Gesetze nimmt das Volk mittelbar selbst auf das Recht Einfluß, soweit die Gesetze die Erkenntnisse des Richters zu bestimmen vermögen. Insoweit kann der Richterspruch den Bürger nicht in seiner Freiheit verletzen, weil die Gesetze der Wille der Bürgerschaft sind, vorausgesetzt die Gesetzgebung genügt dem Sittengesetz354. Das macht die freiheitlich-demokratische, also republikanische, Legitimation der Gesetzesrechtsprechung aus355. Bestmögliche republikanische Bestimmtheit erreicht ein Gesetz, wenn seine Begriffe dauerhaft die gleichen Rechtsfolgen bei gleichen Sachverhalten sicherzustellen erlauben, wenn es für die Rechtserkenntnisse nur von untergeordneter Bedeutung ist, welchem Richter die Erkenntnis der jeweiligen gesetzesabhängigen Rechtslage übertragen ist. Dieser Maßstab kennzeichnet die Idee republikanischer Gesetzesrechtsprechung, die in der Praxis die Notwendigkeit mehr oder weniger offener Gesetzesbegriffe genauso respektieren muß wie die "rechtslinguistischen" Grenzen der gesetzlichen Beeinflussung der Rechtserzeugung356. Die Erkenntnisse des Richters sollen im Sinne Montesqieus möglichst vom Gesetz bestimmt sein. "Die Urteile" sollen "nie mehr als ein genauer Gesetzestext" sein. - Mon157

tesquieu Diese Möglichkeiten sind jedoch begrenzt. Auch die Praxis des Bestimmtheitsprinzips muß sich dem Prinzip der praktischen Vernunft beugen. Bestimmtheit muß sachlich sein. Der Gesetzgeber ist aber nicht in der Lage, jedem Fall, der sich ereignet, ein eigenes Gesetz zu geben, von den sprachlichen Grenzen, die Richter zu binden, ganz abgesehen. Immerhin bemüht

353

Dazu Hinweise in Fn. 352. Dazu 7. Teil, 1., 4. u. 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 637 ff., 672 ff., 810 ff.; auch 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 9. Teil, 1., 2., 7., 8. u. 10. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 902 ff., 982 ff., 995 ff., 1029 ff. 355 Dazu S. 876 ff.; so auch G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 32 Fn. 74. 356 Dazu R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 182 ff., 290 ff., in Auseinandersetzung vor allem mit positivistischen und dezisionistischen Rechtsfindungsmethoden. 357 Vom Geist der Gesetze, S. 215. 354

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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sich das Prozeßrecht um die größtmögliche Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Art. 95 Abs. 3 GG hat dafür den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes eingerichtet. Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung soll angesichts der gesetzgeberischen Funktion jeder Rechtsprechung die Allgemeinheit des Gesetzes surrogieren. Sie ist ein Element der freiheitlichen Gleichheit des Gemeinwesens. Einen anderen Ausdruck findet dieses Prinzip in der Rechtsanwendungsgleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG 358 . IV. Die gesetzgebende Funktion richterlicher Rechtserkenntnisse 1. Das Wesentliche der Rechtsprechung ist die verbindliche Rechtsklärung durch einen unabhängigen Richter 359. Der Richter ist durch seine Friedensaufgabe, nicht durch die Gesetzesbindung definiert 360. Rechtsklärung setzt keine Gesetze voraus, wenn auch das Recht (außer dem Urrecht der Freiheit 361) in der Republik durch Gesetze bestimmt wird. "Man sieht: der Staat schafft nicht Recht, der Staat schafft Gesetze; und Staat und Gesetze stehen unter dem Recht." - Erich Kaufmann 362 Art. 97 Abs. 1 GG bindet die Rechtsklärung der Gesetzesrichter an das Gesetz, nicht der Begriff der Rechtsprechung. Rechtsetzung und Rechtsprechung unterscheiden sich nicht durch die Gesetzesbindung, die freilich unterschiedlich ist, weil der Gesetzgeber nur an die Verfassung gebunden ist, der Richter auch an die Gesetze. Die Verfassung aber leitet die Gesetzgebung intensiv, weil sie diese zur Setzung von Recht, zur Verwirklichung der Freiheit in praktischer Vernunft, verpflichtet. Die Logik ist die, daß gesetzeslose Rechtsklärung durch den Richter dessen funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis impliziert. Nicht nur der Gesetzgeber kann Gesetze geben, sondern auch, freilich mit anderer Wirkung, der Richter und die Verwaltung. Richtigerweise ist jede Rechtsprechung funktional auch gesetzge-

358

Dazu 5. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 366 ff, 411 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff. So auch Κ. A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 783 f., 785, 788, 794 ff.; G. Barbey, HStR, Bd. II, S. 827 f., 832 ("sachbezogene Unvoreingenommenheit"); R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstandes der Aktiengesellschaft, S. 30 ff., 40; vgl. BVerfGE 3, 377 (381); 4, 331 (346); 14, 56 (69); 18, 241 (255); 21, 139 (145 f.); 67, 65 (68), wo der Richter als nicht beteiligter Dritter definiert wird; BVerfGE 26, 141 (154) hebt die "Unparteilichkeit" des Richters hervor; BVerfGE 21, 139 (146), die "Neutralität und Distanz". 360 R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 250 f.; W. Henke, Recht und Staat, S. 217 ff., 412 f., 651 f.; i.d.S BVerfGE 75, 223 (244 ff.) zur richterlichen Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof. 359

361

Dazu 5. Teil, 1., 3. u. 4. Kap., S. 253 ff., 290 ff., 332 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. VVDStRL 3 (1927), S. 20, dessen eher naturrechtlich begründete Erkenntnis (a.a.O., S. 3) auch republikanisch richtig ist; denn Freiheit erfordert Recht, dies zu verwirklichen ist Sache des Staates; allerdings ist die republikanische Lesweise formal. 362

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

bend363. Ralph Christensen hat das auf der Grundlage der "Strukturierenden Rechtslehre" Friedrich Müllers noch einmal nachgewiesen364. Für diese Erkenntnis muß die Diskussion um das sogenannte Richterrecht nicht nachgezeichnet werden 365. Die gesetzgebende Funktion der richterlichen Rechtserkenntnisse liegt darin, daß der Richter, nicht anders als der Gesetzgeber, das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit zu erkennen und seinen Streitentscheidungen zugrundezulegen hat. Das ist die Erkenntnis des (objektiven) Rechts, die auch dem Gesetzgeber aufgegeben ist 366 . Der Gesetzgeber allerdings entscheidet mit allgemeiner Wirkung, wie auch das Bundesverfassungsgericht, dessen Entscheidungen § 31 Abs. 1 BVerfGG allgemeine Verbindlichkeit zumißt367. 2. Der Gesetzesrichter ist bei seiner Rechtserkenntnis an die Gesetze gebunden, die ihn freilich nur insoweit binden können, als sie bestimmt, d.h. mit den richtigen, also den klassischen, Interpretationsmethoden ausgelegt werden können368. Die Auslegungsfähigkeit der Gesetzesbegriffe kennt Grenzen, die nicht identisch sind mit der Grenze der Funktion des Richters, das objektive Recht zu erkennen. Überwiegend wird die Grenze dieser Rechtserkenntnis der Richter mit der Grenze der Auslegungsfähigkeit der Gesetze identifiziert, um dem Prinzip der Gesetzesabhängigkeit der Rechtsprechung zu genügen, ohne daß praktische Unterschiede der unterschiedlichen Dogmatik für die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung auffällig

363 Allzu kritisch zu dieser gesetzes- und richterstaatlichen Gegebenheit noch K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, insb. S. 388 ff., zur gesetzgebenden Funktion der wettbewerbspolitischen Rechtserkenntnisse der Wettbewerbsrichter gemäß § 1 UWG, gestützt auf den Begriff der guten Sitten; richtig bleibt, daß das staatliche Gesetz und die privaten Übereinkünfte die Rechtserkenntnisse des Richters binden und nach § 1 UWG binden sollen. 364 Was heißt Gesetzesbindung?, insb. S. 182 ff., 290 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 421, 10. Teil, 6. Kap., S. 1137 f.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 870 ff., 920 ff. 365

Dazu Hinweise in Fn. 106, 7. Teil, 2. Kap.; Fn. 246, S. 864. Dazu 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 4., 5. u. 6. Kap., S. 560 ff., 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 643 ff., 707 ff.; weitere Hinweise in Fn. 354, S. 884. 367 Dazu W. Lower, HStR, Bd. II, S. 794 ff.; dazu 9. Teil, 4. Kapt„ S. 951 ff. 368 Dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 921 ff.; etwa G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 38 f.; Ch. Starck, Die Verfassungsauslegung, HStR, Bd. VII, 1992, S. 199 ff.; kritisch zu den "canones" F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 43 ff. 366

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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wären, jedenfalls nicht für die des Bundesverfassungsgerichts 369. Soweit die Aufgabe des Richters, das objektive Recht zu erkennen, über die Auslegung der Gesetze hinausgeht, hat er gesetzgeberische Funktion370. In der Praxis lassen sich Interpretation und Politik nicht trennen. Der Normtext hat integrative Relevanz für die Erkenntnis des Rechts371, jedenfalls soll er diese entfalten. Das Bestimmtheitsprinzip postuliert, die gesetzgeberische Funktion der Richter soweit als möglich einzuschränken372. Sachgerechte Gesetzgebung läßt das aber nicht uneingeschränkt zu, wie die vielen offenen Begriffe, die sogenannten Generalklauseln, erweisen. Die gesetzgeberische Funktion des Bundesverfassungsgerichts ist angesichts der oben skizzierten Offenheit der politischen Entscheidungen der Verfassung nicht nur ungleich umfangreicher als die der Gesetzesrichter, sondern auch nicht weiter einschränkbar. Sie entspricht vielmehr der Funktion des Verfassungsgerichts in einem Verfassungsstaat 373. 3. Angesichts der Vielfalt und Veränderlichkeit des gemeinsamen Lebens müssen die Begriffe der Gesetze allgemein sein. Nicht alle möglichen Streitfälle können gesetzlich geregelt werden, ohne Generalklauseln wie vor allem die der Billigkeit zu nutzen374. Die Bestimmtheit der Begriffe ist unumgänglich relativ 375 . Eine Gesetzgebung, welche die Richter ohne Ausnahme strikt bindet, so daß die Richter sich auf die Subsumtion von Begriffen, welche die relevanten Sachverhalte erfassen, unter die durch Interpretation zur Subsumibilität entfalteten Tatbestandsmerkmale der Gesetze beschränken könnten, ist nach aller Erfahrung nicht möglich. Das Bundesverfassungsgericht räumt dem Richter die "Aufgabe und Befugnis zu 'schöpferischer Rechtsfindung'" ein, weil die "Lückenlosigkeit der positiven staatlichen Rechtsordnung ... praktisch unerreichbar" sei:

369

Vgl. die Hinweise zu den Interpretationsprinzipien in Fn. 541, 9. Teil, 3. Kap., S. 922. I.d.S. M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 60 ff.; F.-J. Säcker, BGB, Münchner Kommentar, Einl., S. 60 ff.; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 36 ff. (Richterliche Ersatzgesetzgebung). 371 Dazu insb. F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, insb. S. 147 ff., 168 ff., 234 ff., 240 ff.; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 182 ff., 290 ff.; zur geringen Relevanz der "geschriebenen und ausdrücklich vom Gesetzgeber formulierten Rechtssätze" auf "unsere Rechtsentscheidungen" E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 20. 372 Dazu die Hinweise in Fn. 164, 9. Teil, 1. Kap., S. 850. 373 Dazu Hinweise in Fn. 471, 9. Teil, 3. Kap., S. 909; Fn. 603, 9. Teil, 4. Kap., S. 932. 374 Dazu S. 890 ff. 375 G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 831 f.; P. Kirchhof NJW 1986, 2277 ff. 370

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

"Richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsgemäßen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren. Der Richter muß sich dabei von Willkür freihalten; seine Entscheidung muß auf rationaler Argumentation beruhen. Es muß einsichtig gemacht werden können, daß das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt. Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den 'fundierten allgemeinen GerechtigkeitsVorstellungen der Gemeinschaft'." - BVerfGE 34, 269 (287) 376 Diese mit der Formel "Gesetz und Recht" in Art. 20 Abs. 3 GG begründeten Sätze sind das Programm eines verfassungsgebundenen Richterstaates, den das Grundgesetz dem GesetzgebungsStaat zur Seite gestellt hat, aber durch Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG nur soweit, als die Gesetzgebung die Rechtsetzung nicht zu leisten vermag. Die "praktische Vernunft" ist die sittliche Maxime jeder Rechtserkenntnis. Die "fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft" finden sich in den politischen Leitentscheidungen vor allem der Grundrechte 377. Eine gesetzgeberische Funktion der Richter ist unausweichlich. Allein schon die Notwendigkeit, die Vorschriften zu verstehen/zu interpretieren 378, ganz abgesehen von der Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und dessen gesetzesbezogene begriffliche Erfassung, erweist, daß Richter nicht nur logische Schlußfolgerungen zu leisten haben379. Der Probleme einer 376 Mit Bezug auf BVerfGE 9, 338 (349); vgl. auch BVerfGE 49, 304 (318); 65, 182 (190); weitere Hinweise zur richterlichen Rechtsschöpfung in Fn. 246, S. 864. 377 Dazu 9. Teil, 1., 2. u. 11. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 1033 ff. 378 K. Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 43 ff.; dazu H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 32 ff., 38 ff.; A. Kaufmann, Rechtsphilosophie in der NachNeuzeit, S. 11, 12, 17, 18, 26 (zur Notwenigkeit der Hermeneutik); H.-J. Koch/H.Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 14 ff., 119 ff., 126 ff. 379 Κ Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 43 ff.; vgl. R. Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz, S. 199 ff., 210; R. Alexy, Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 410 ff., der von "Offenheitslücken" spricht; ders., Theorie der juristischen Argumentation, S. 17 f., 273 ff.; H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 119 ff., 126 ff.; grundsätzliche Kritik, weil diese Methode den Parteien nicht gerecht werde, übt an der gesetzesstaatlichen Rechtsfindung W. Henke, Recht und Staat, S. 527 ff., der Recht und Staat von der (vermeintlichen) Methode lebensweltlicher, dialogischer Streitentscheidung durch die Richter als Dritte her zu verstehen sucht, orientiert an den Lehrbüchern der Relationstechnik,

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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Methode der richterlichen Rechtserkenntnis widmet sich die juristische Methodologie380, die notwendig vom materiellen Recht abhängig ist. Gesetzesklärende und gesetzgebende Interpretation gehen dabei ohne scharfe Grenzen ineinander über. Beispielsweise ist es weitgehend anerkannt, daß der Rechtsprechung etwa durch § 1 UWG, der den Wettbewerb unter das Regime der guten Sitten stellt, eine Gesetzgebungsaufgabe delegiert sei381. Der Einzelfall ist nur gerecht entschieden, wenn die den Sachverhalt richtig erfassenden Begriffe unter hinreichend bestimmte Begriffe eines gesetzlichen Tatbestandes subsumiert wurden 382. Die gesetzlichen Tatbestände müssen zu dieser Subsumibilität hin vom Gesetzesrichter entwickelt werden, d.h. der Richter muß eine Entscheidungsnorm erarbeiten 383. Darin hat dieser eine gesetzgeberische Funktion, welche freilich jeweils auf den zu entscheidenden Rechtsstreit begrenzt ist und keine Bindung über diesen Rechtsstreit hinaus entfaltet. wie dem Sattelmacher, der das nicht hergibt, sondern eine subsumtionsgemäße, prozeßrechtsadäquate Rechtsfindungstechnik abhandelt; richtig G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 38 f., der zu Recht für die "klassische Auslegungsmethode" eintritt; ebenso E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, S. 273, 276; dazu Fn. 368, S. 886; 10. Teil, 3. Kap., S. 922 ff.. 380 Dazu H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 1981; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982; F. Müller, Juristische Methodik, 2. Aufl. 1976; ders., Strukturierende Rechtslehre, 1984; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, insb. Bd. IV, 1977; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983; R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978, 1983; R. Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz, 1982; ders. Stichwort "Rechtsfindung" in: Luchterhand, Lexikon des Rechts, 2/430 ff. mit w. Hinw; K. Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl. 1976; N. Achterberg, Das Wesen des Richtens, FG A. Troller, 1987, S. 3 ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl. 1985; auch H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989. 381 B. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung. Zur vertragsrechtlichen Relevanz der Ordnungsfunktionen dezentraler Interessenkoordination in einer Wettbewerbswirtschaft, 1978, S. 160 (§ 1 UWG ist "Delegationsnorm zugunsten einer richterlichen Rechtsetzungsbefugnis." "Der Richter ist damit partiell zu einem dezentralen Gesetzgeber geworden."... "An die Stelle der 'guten Sitten' ist Wirtschaftpolitik getreten."); ebenso C. Ott, Systemwandel im Wettbewerbsrecht. Die Generalklauseln des § 1 UWG und ihre Rückwirkungen auf Rechtsprechung und Dogmatik, in: FS L. Raiser, 1974, S. 417 ff.; dazu V. Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 1982, S. 46 f.; dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 375 ff., 385 ff., 393 ff., selbst kritisch; allgemein C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 39, zur "Zuständigkeitsanweisung" durch "inhaltslose Normen". 382

Dazu S. 878 ff., 880 ff. E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 89, 92 f.; P. Kirchhof, NJW 1986, 2277 f.; F. Müller, Richterrecht - rechtstheoretisch formuliert, S. 78 f.; ders., Strukturierende Rechtslehre, S. 184 ff., 250 ff.; G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 831 f.; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, insb. S. 182 ff., 290 ff.; dazu S. 894 ff.; 9. Teil, 9. Kap., S. 1009 ff. 383

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

890

"Der Richter findet diese Norm zwar nur am einzelnen Fall und für den einzelnen Fall, aber zugleich mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit; und darum schafft auch er im wirklichen Sinne des Wortes Recht; das Gesetz ist nicht die einzige Erscheinungsform des Rechts." - Erich Kauf384

mann Die gesetzgeberische Rechtserkenntnis geschieht incidenter und entfaltet allenfalls die präjudizielle Wirkung aus der Vorbildlichkeit der ErkenntDie Generalklauseln, insbesondere die Billigkeitsklauseln, dürfen das Rechtsklärungsprinzip der Subsumtion nicht aufheben. Sie überantworten, auch noch in der Republik tragfähig, wenn es nicht anders, d.h. durch bestimmtere Tatbestandsmerkmale, geht, den Richtern die Erkenntnis der Rechtssätze in den nicht aufgrund der legislativen Gesetze entscheidbaren Streitfällen 386. An diesen von ihm selbst erkannten subsumiblen Rechtssatz ist der Richter gebunden. Das folgt aus der Rechtsanwendungsgleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG. Es entsteht das sogenannte Richterrecht 387. Allerdings hat der Richter weiter die ihm mit der Billigkeitsklausel delegierte Rechtsetzungskompetenz. Darum darf er, wenn er eine bessere Rechtserkenntnis gewinnt, dem neuen, aber gleichen Streit einen anderen Rechtssatz zugrundelegen388. Er muß jedoch immer einen solchen erkannt haben und im Interesse der Kritik auch benennen. Diese Kompetenz der Richter zur funktional gesetzgebenden Rechtserkenntnis zwingt zur Abwägung. Der Richter bleibt dem Recht unterworfen und zwar dem selbst in Vertretung des Volkes erkannten Rechtssatz. Ein solcher Rechtssatz ist nicht das Gesetz im Sinne des Art. 97 Abs. 1 GG, welches positiv (wenn auch nicht formell)

384

VVDStRL 3 (1927), S. 21. Dazu M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, §§ 66-78, S. 243 ff.; ders., Recht und praktische Vernunft, 1979, §§ 21-25, S. 91 ff.; ders., HStR, Bd. V, S. 116 ff.; N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Zweitbearbeitung, Rdn. 133 zu Art. 92. 385

386

F.J. Säcker, Münchener Kommentar, Einl. Rdnr. 60 ff.; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 60 ff.; vgl. H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 36 ff.; R. Alexy, Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 406 ff., erfaßt die nicht regelhaften Klauseln als Prinzipien, die er als "Optimierungsgebote" vorstellt; ders., Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13 ff.; i.d.S. auch KA. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, 1974, S. 35 ff., 38 ff., 40 ff. 387 388

Zum Richterrecht vgl. die Hinweise in Fn. 106, 7. Teil, 2. Kap., S. 536; Fn. 246, S. 864. So auch in der Sache KA. Bettermann, HStR, Bd III, S. 788 f.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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sein muß 389 . Aber Art. 97 Abs. 1 GG als Ausdruck der republikanischen Funktionenteilung steht unter dem Vorbehalt des Möglichen390 und vermag ohnehin die Verfassungsrechtsprechung nicht zu begrenzen391. Ralph Christensen hat das Zusammenwirken des Gesetzgebers und des Richters bei der Rechtserzeugung theoretisiert 392. Eine solche Dogmatik wendet die Not (vor allem) unvorhersehbarer Streitfälle, die auch eine republikanische Gesetzgebung nicht vermeiden kann. Die Erkenntnismöglichkeiten des Gesetzgebers sind begrenzt. Im übrigen sollte der Gesetzgeber Fälle prinzipiell nicht regeln, wenn sie schon im Streit sind 393 , weil damit unvermeidbar Einzelfälle entschieden werden (arg. aus Art. 19 Abs. 1 GG) 394 . Der Gesetzgeber darf jedoch keinesfalls die Gesetzgebungskompetenz an die Richter delegieren, wenn er das Gesetz selbst geben kann, weil er den Konflikt kennt. Den Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) darf der Gesetzgeber nicht selbst aushöhlen. Auch aus dem Prinzip des Vorranges des Gesetzes folgt ein Vorbehalt des Gesetzes395, das ersteren erst praktisch werden läßt. Das Bundesverfassungsgericht folgert demgemäß aus dem Rechtsstaatsprinzip, daß der Gesetzgeber die wesentlichen Regelungen treffen müsse, um einen Lebensbereich zu ordnen (Wesentlichkeitslehre) 396.

389 BVerfGE 18, 52 (59); 19, 17 (31 f.); R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, 1977, Rdn. 5, 32 zu Art. 97; H. Holtkotten, GG, Bonner Kommentar, 1968, 2a zu Art. 97; KA. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, in: Die Grundrechte, Bd. III, 2, 1959, S. 532. 390 Dazu allgemein die Hinweise in Fn. 632, 8. Teil, 4. Kap., S. 758. 391 Dazu S. 886 f.; 9. Teil, 3. u. 10. Kap., S. 909 ff., insb. 921, 1027 ff. 392 Was heißt Gesetzesbindung?, S. 182 ff., 290 ff.; dazu S. 881 f., 884 ff., 889, 894 ff. 393 Zur Frage retrospektiver Rückwirkung von Gesetzen vgl. BVerfGE 11, 139 (145 f.); 14, 288 (297 f.); 25, 269 (290); 27, 231 (238); 30, 250 (267); 30, 367 (386); 33, 265 (293); 36, 73 (82); 39, 128 (143 f.); 43, 291 (391); KA. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 89 ff., 94 ff. 394 Dazu R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, 1988, Rdn. 40 zu Art. 19 Abs. I; Ch.F. Menger, GG, Bonner Komm., 1979, Rdn. 104 ff., zu Art. 19 Abs. 1 S. 1; P. Lerche, HStR, Bd. V, S. 796 ff. 395 Zum Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes allgemein Κ Stern, Staatsrecht I, S. 802 ff.; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 176 ff., 316 ff.; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1019 ff.; F. Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, HStR, Bd. III, S. 316 ff., 320 ff.; W. Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte; Vergleich des traditionellen Eingriffsvorbehalts mit den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes, 1975; i.S.d. Textarguments BVerfGE 34, 369 (288); 40, 237 (249); K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 201, S. 78; auch Κ Stern, a.a.O., S. 805; a.A. Ph. Kunig, a.a.O., S. 316 ff.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Auch mittels anderer Generalklauseln als den Billigkeitsklauseln überträgt der Gesetzgeber mehr und mehr den Gerichten die Rechtsetzung und delegiert damit entgegen der republikanischen Verfassung zunehmend seine Kompetenz zur Vertretung des ganzen Volkes in der Gesetzgebung auf die Gerichte, funktional auf die letztinstanzlichen397. Als Beispiel sei auf § 24 Abs. 2 BDSG hingewiesen, der die Übermittlung gespeicherter Daten für ein breites Anwendungsfeld verbietet, wenn "dadurch schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt werden". Es ist gerade Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Belange schutzwürdig sind, ob etwa den Mitgliedern einer Partei die Listen mit den Namen und Adressen der anderen Parteimitglieder vorenthalten werden müssen, weil viele Mitglieder daran interessiert sind, daß ihre Parteimitgliedschaft nicht bekannt wird. Viele Parteiverbände, wie die Hamburger CDU, reklamieren derartigen Datenschutz, obwohl ein solcher mit den demokratischen Grundsätzen der Offenheit und Öffentlichkeit, vor allem der Mitgliedschaft einer Partei, unvereinbar ist. Der Gesetzgeber hat keine Entscheidung getroffen und diese den ratlosen Gerichten überantwortet 398. Schutzwürdigkeit ist ein Begriff, welchen der Gesetzgeber ebenso wie den der Billigkeit zum Tatbestandsmerkmal republikanischer Gesetzgebung nur machen darf, um für Konflikte, die er nicht zu prognostizieren vermochte, ein Entscheidungskriterium zu geben. Wenn jedoch der parteienbestimmte Gesetzgeber die datenschutzrechtliche Regelung über die Parteienmitgliedschaft unterläßt, deren Notwendigkeit ihm geläufig sein muß, so versagt er sich seiner Gesetzgebungspflicht. 4. Die gesetzgebende Rechtserkenntnisfunktion der Rechtsprechung bleibt eine Funktion der rechtsprechenden Gewalt. Sie ist nicht Legislative im Sinne der besonderen Organe gesetzgebender Gewalt (Art. 20 Abs. 2 S. 2

396

BVerfGE 33, 1 (10 f.); 47, 46 (78 ff.); 49, 89 (126 ff.); 57, 295 (320 f.); 58, 257 (268 ff.); 84, 212 (226); vgl. Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 178 f., 321 ff.; Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 260 ff., S. 77 f., Rdn. 508 ff., S. 197. 397 Dazu kritisch mit Hinweisen K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 378 ff., 383 ff., 386 ff., 426 ff., 429 ff., 449 ff., 451 f.; kritisch auch K. Korinek., VVDStRL 39 (1981), S. 31 ff., 50, gegenüber "unscharfen und programmatischen Formulierungen" im Verfassungstext. 398

Vgl. OLG Hamburg, in einem Eilverfahren vom 20.1.1989, Az. 14B/89; LPG CDU Hamburg vom 16.1.1989; BPG CDU vom 7.9.1992, NVwZ 1993, 1127 f.; richtig OLG Hamm MDR 1973, 929.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

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GG). Die gesetzesfunktionalen Rechtserkenntnisse sind auf den jeweils zu entscheidenden Rechtsstreit bezogen und in ihrer Rechtswirkung auf diesen begrenzt 399, wenn nicht besondere Regelungen eine weitere Wirkung anordnen, wie vor allem § 31 Abs. 1 BVerfGG für die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 400. Die Relevanz richterlicher Erkenntnisse als Präjudizien ist keine Verbindlichkeit, wenn der präjudiziellen Wirkung von Richtersprüchen auch das sogenannte Richterrecht erwächst 401. Selbst der Richter ist an seine Erkenntnisse, die einer anderen Entscheidung zugrundeliegen, nur gebunden, soweit die Bindungswirkung seiner Entscheidung, insbesondere die Rechtskraft, aufgrund der Prozeßordnungen reicht 402. Der Richter ist in jedem Prozeß zu einer neuen Erkenntnis des Rechts verpflichtet. Welche Erkenntnis in einer erneut auftretenden Rechtsfrage irrtümlich ist, die alte oder die neue, ist nicht klärbar; denn alles Erkennen ist der Gefahr des Irrtums ausgesetzt403. Unterschiedliche Gesetzesauslegung der Gerichte oder auch, wenn die Gesetze die gesetzgebende Rechtserkenntnis den Gerichten überlassen oder übertragen, unterschiedliche gesetzgebende Rechtserkenntnisse der Gerichte können nicht gleichheitswidrig sein, es sei denn, sie verkennen das Prinzip der Gesetzlichkeit und sind deswegen willkürlich 404 . Kein Richter vermag einen anderen Richter in dessen Rechtserkenntnis, sei diese gesetzesgebunden oder nicht, zu bestimmen oder zu binden, soweit das nicht durch die Prozeßordnungen zur Durchsetzung der Erkenntnisse der Rechtsmittelgerichte in einem Rechtsstreit angeordnet ist (etwa §§ 130 Abs. 2, 144 Abs. 6 VwGO, § 565 Abs. 2 ZPO). Andernfalls wäre die Unabhängigkeit der Gerichte verletzt. Die Richter sind nach Art. 97 Abs. 1 GG unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Die Erkenntnisse der anderen Richter können genauso irrtümlich sein wie die Erkenntnisse des entscheidenden Richters.

399

I.d.S. auch K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 788 f.; i.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 549, S. 211. 400 Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 951 ff.; vgl. W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 794 ff. 401 Zum Richterrecht Hinweise in Fn. 106, 7. Teil, 2. Kap., S. 536; Fn. 246, S. 864. 402 Dazu K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 789. 403 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff., 649, 668 f.; 7. Teil, 4. Kap., S. 567 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 946 ff.; BVerfGE 49, 89 (143); Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 46, 47 f.; vgl. insb. KR. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 42, 276 ff.; K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 201; K.A. Schachtschneider, VerwArch. 63 (1972), S. 306 ff., 320 ff.; ders., Der Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 111 f.; ders., Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 31 f. 404 Dazu 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.

894

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

5. Auch die streitentscheidende Rechtsprechung besteht jedoch nicht lediglich aus der Subsumtion des begrifflich erfaßten Sachverhalts unter die Begriffe eines Gesetzes, also nicht allein aus dem syllogistischen Schluß des den Sachverhalt erfassenden Untersatzes unter den gesetzlichen Obersatz405, sondern auch aus der Erkenntnis dieses Obersatzes, sei dieser mehr oder weniger klar in ein Gesetz geschrieben oder nicht 406 . Wenn dem Richter eine Rechtsklärungskompetenz übertragen ist, ohne daß er das Recht in Gesetzen finden kann, so ist er gehalten, das Recht wie ein Gesetzgeber ohne Gesetz zu erkennen, nach "Maßgabe der praktischen Vernunft", wie das Bundesverfassungsgericht richtig fordert 407. Der Richter ist in solchen Fällen auf seine eigenen gesetzesvertretende Rechtserkenntnis angewiesen, der er das Recht für die Entscheidung des Streitfalles entnimmt. In jedem Streitfall ist der Richter gezwungen, die streitentscheidende Rechtserkenntnis selbst zu formulieren, mehr oder weniger vom Gesetz geleitet. Diese gesetzgebende Funktion des Richters ist, wie schon gesagt, unausweichlich. Ihre Intensität ist von der Bestimmtheit der Gesetze abhängig. Diese Bestimmtheit und die gesetzgeberische Funktion des Richters sind umgekehrt proportional. Es gibt keine Rechtsprechung ohne Elemente funktional gesetzgebender Rechtserkenntnis des Richters. Der den Streit entscheidende Rechtssatz muß derart auf den Streitfall hin formuliert sein oder formuliert werden, daß der syllogistische Schluß möglich wird 408 . Eine solche Bestimmtheit können Gesetze, welche das vielfältige gemeinsame Leben meist mit wenigen Begriffen erfassen müssen, selten leisten und sollen sie wegen des Wandels der Lage, die sie ordnen, nicht einmal409, weil der

405

Zum Syllologismus i.d.S. G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 830 in Fn. 84; dazu III, S. 878 ff.,

880 ff. 406 Dazu G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 830 f.; vgl. die Hinweise zur Methodologie in Fn. 380, S. 889. 407 BVerfGE 34, 269 (286 ff.); vgl. auch BVerfGE 49, 304 (318); 65, 182 (190); dazu H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 36 ff.; Μ. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 60 ff. 408

Dazu G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 830 f.; grundlegend F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 147 ff., 184 ff., der den "Normtext vom Normbereich" auch von der "Rechtsnorm" und der "Entscheidungsnorm" unterscheidet, a.a.O., S. 250 ff.; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 247 ff., der erarbeitet, daß "der Richter die Rechtsnormen selbst herstellt", dabei aber verpflichtet sei, sich an den "Normtexten ... verbindlich zu orientieren" (S. 251); W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, 1977, S. 269 hat den Begriff der "Fallnorm" entwickelt. 409

G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 831; P. Kirchhof,

NJW 1986, 2277 f.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

895

Gesetzgeber nur begrenzt auf neue Lagen reagieren kann410. Auch die Formulierung der den Fall definierenden Begriffe, die dem Lebenssachverhalt gerecht werden müssen, auf die Begriffe des Gesetzes hin definiert der Sache nach einen Rechtssatz; denn die dem Gesetz entsprechenden Fallbegriffe, die den syllogistischen Schluß erlauben, haben zur Folge, daß die Rechtsfolge des Gesetzes eingreift. Die begrenzten Möglichkeiten des Gesetzgebers, den Richter zu binden, faßt Ralph Christensen in den folgenden Satz zusammen: "Die demokratische Genese der Rechtsentscheidung wird also dadurch gewährleistet, daß die Gerichte die selbstgesetzten Rechts- und Entscheidungsnormen im Rahmen der Standards einer gegebenen Argumentationskultur dem von Gesetzgeber hervorgebrachten Normtext hinzurechnen."411 V. Abwägung als Methode der Gesetzeserkenntnis Die verfassungsgerichtliche Praxis sucht Einzelfallgerechtigkeit durch Abwägung unter den verschiedenen Wertentscheidungen des Grundgesetzes oder auch anderen Sachgesichtspunkten412. Derartige Abwägung ist funk-

410 Die strukturellen Grenzen des Normtextes untersucht R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 237 ff., auf der Grundlage der "Strukturierenden Rechtslehre" F. Müllers. 411 Was heißt Gesetzesbindung?, S. 214. 412

Für viele Judikate das Mephisto-Urteil, BVerfGE 30, 173 (188 ff.); für diese Praxis auf der Grundlage der Integrationslehre seines Lehrers R. Smend, etwa: Verfassung und Verfassungsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlung, 2. Auflage 1968, S. 119 ff.; K. Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 317 ff., S. 127 ff. u.ö. (Lehre von der "praktischen Konkordanz"); insb. dessen Schüler R Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 31 ff., 39 ff., 295 f., passim; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, insb. S. 53 ff., 71 ff., 117 ff.; ders., Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 405 ff.; dazu auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 208 ff.; dazu insb. zur Rechtsprechung Ch. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Ordnung, S. 133 ff., 172 ff., 193 ff. (zur Abwägung); umfassend dazu K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, § 69, S. 477 ff., auch S. 890 ff.; gegen die Abwägungsregel K.A. Schachtschneider, zuletzt Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 122; ders. schon, Neubescheidung nach Rechtskraft im Sozialversicherungsrecht und im allgemeinen Verwaltungsrecht, VerwArch. 63 (1972), S. 306 ff.; H. Goerlich, Werteordnung und Grundgesetz. Kritik einer Argumentationsfigur des Bundesverfassungsgerichts, 1973, insb. S. 143 ff., 187 ff.; B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, insb. S. 17 ff., 127 ff.; ders., EuGRZ 1984, 461 f., 463; kritisch auch H.H. Rupp, AöR 101 (1976) S. 172 ff.; E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 ff.; anders ders., Der Staat 29 (1990), S. 1 ff.; kritisch auch E. Kaufmann, VVDStRL 9 (1952) S. 9 f., obwohl er sich für die Überprüfung der Gesetze "unter den Gesichtspunkten der materialen Gerechtigkeit", für eine "Nachprüfung"... "der Einhaltung der äußersten Schranken der gesetzgeberischen Freiheit", nämlich "ob die Entscheidung des Gesetzgebers auf vernünftigen Erwägungen beruht und die Differenzierung, die er vornimmt, der Natur der Sache entsprechen und nicht willkürlich sind", ausspricht, das aber sind die gesetzgeberischen Kriterien, die Abwägung erfordern; kritisch auch P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 129 ff., 243 ff.;

896

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

tional Gesetzgebung, die das Grundgesetz vorrangig dem institutionellen Gesetzgeber aufgetragen hat 413 . Als solche ist sie praktisch vernünftig, rational. Sie tritt im Verhältnismäßigkeitsprinzip, aber auch im Willkürverbot in Erscheinung, beides Argumentationsweisen der sachlichen Rechtserkenntnis, die funktional gesetzgeberisch ist 414 . Das Bundesverfassungsgericht hat über die Rechtlichkeit der Gesetze das ordentlich letzte Wort und ist dadurch funktional ein gesetzgeberisches Rechtsprechungsorgan, dessen gesetzgeberische Kompetenz aber aus der richterlichen erwächst, der Logik der Verfassungsgerichtsbarkeit gemäß415. Es ist darum methodisch zur Erkenntnis des richtigen Rechts durch Abwägung gehalten. Abwägung ist die Methode des Gesetzgebers, das Recht zu erkennen; denn das Gesetz soll nicht nur der Lage gerecht werden, sondern sich auch an den Leitentscheidungen der Verfassung orientieren, die jeweils für sich unterschiedliche Gesetze zu rechtfertigen vermögen. Dem Volk und seinen administrativen und richterlichen Vertretern sollen durch die Gesetze möglichst bestimmte Handlungs- und Beurteilungsmaßstäbe des Alltags gegeben werden; denn spezifisch die Bestimmtheit fördert das friedliche Zusammenleben und dadurch die Freiheit 416. Gesetzgeberische Funktionen soll der Gesetzesrichter gerade aus der Verfassung nicht herleiten können, sondern, wenn nötig, aus den einfachen Gesetzen. Den Gesetzesrichter hat das Grundgesetz ausweislich Art. 97 Abs. 1 GG nicht über die Gesetze gestellt, wenn ihm auch die Kompetenz zur Normenkontrollinitiative übertragen ist (Art. 100 Abs. 1 GG) 417 . Der Gesetzesrichter würde sonst eine Funktion gewinnen, welche Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorbehält, nämlich die, verbindlich zu entscheiden, welche Gesetze der Verfassung entsprechen. "Also überall, wo nicht (...), vielmehr eine Vielfalt von Interessen und Gesichtspunkten im Spiel ist und eine freie Abwägung dieser mannigfaltigen Interessen und Gesichtspunkte notwendig ist, hört die rechtliche und gerichtliche Prüfbarkeit auf. Hier fehlt es an der rationalen Einfachheit,

F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 207 ff. 413 Dazu 2. Teil, 10. Kap., S. 150 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; auch 9. Teil, 2., 7., 8. u. 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; zur Funktionsteilung Hinweise in Fn. 347, 9. Teil, 2. Kap., S. 882. 414

Dazu 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. Dazu 9. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 909 ff., 932 ff. 416 Dazu auch S. 866 ff., 882 ff., 887 ff., 897 ff., 900 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 386 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 850 ff. 415

417

Dazu S. 900 ff., insb. 902 ff.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

897

die für die Evidenz gerichtlicher Entscheidung notwendig ist." - Erich Kaufmann 418 2. Die Abwägungsregel ist in einer Republik, deren Grundprinzip die politische Freiheit ist, als Rechtsfindungsmethode der Gesetzesrichter wegen Art. 97 Abs. 1 GG soweit als möglich zu vermeiden 419. Die Jurisprudenz der Abwägung folgt der Logik der angesichts sich ändernder Lagen unvermeidlich nahezu in die materiale Unbestimmtheit ausgedehnten Grundrechtsbegriffe, welche politische Leitentscheidungen enthalten, die die Abwägung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände zur Erkenntnis des jeweiligen Rechts orientieren. Die Freiheit als praktische Vernunft entfaltet sich in Sachlichkeitsprinzipien, insbesondere in dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, das nichts anderes ist als das Prinzip der Zweckmäßigkeit420. Diese nicht interpretativ entfaltbaren Prinzipien können nur rechtsetzend, also nur durch Gesetze materialisiert werden 421, sei es allgemein oder sei es für den Einzelfall. Wer auch immer die Prinzipien verbindlich materialisiert, setzt Recht, selbst wenn er dieses nur in einem Fall zur Geltung bringt. Wenn Richter aus Prinzipien Regeln herleiten und durch ihre Praxis verbindlich machen, entstehen der Sache nach richterliche Gesetze. Die Abwägung, auch in Orientierung an den gesetzgebungsleitenden Entscheidungen (Prinzi418

VVDStRL 9 ( 1952) S. 9, vgl. auch das Zitat in Fn. 412. Dazu KA. Schachtschneider, Neubescheidung nach Rechtskraft, VerwArch 63 (1972), S. 306 ff.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 388 ff.; ders., Sozialprinzip, S. 79; ders., "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 122, dort auch Hinw. in Fn. 16, 138; gegen das Abwägungsprinzip auch K. Kröger, JuS 1984, 175 ff.; E.-W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 ff.; H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, 1973, S. 143 ff., 187 ff.; B. Schlinck, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, S. 17 ff., 127 ff.; E. Forsthoff\ Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, S. 41 (allgemein); ders., Der Staat der Industriegesellschaft, S. 68 f.; F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 207 ff.; P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 129 ff., 243 ff.; N. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1968, S. 156 ff.; ders., Rechtssoziologie, S. 88 f.; Minderheitenvotum Böckenförde/Mahrenholz, BVerfGE 69, 1 (63 ff.); a.A. vor allem R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 71 ff., 143 ff., passim, der auch die Abwägungsmethode des Bundesverfassungsgerichts darlegt; ders., Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 405 ff.; ihm folgend R. Dreier, Rechtsgehorsam und Widerstandsrecht, in: FS R. Wassermann, 1985, S. 313; W. Henke, Recht und Staat, S. 520 ff. (topisch); insb. Th. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1954, 5. Aufl. 1974; auch R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 277, seiner objektivistischen präpositiven rechtlichen Ordnung der Dinge folgend (S. 248 ff. u.ö.). 419

420

Hinweise 5. Teil, 4. Kap., S. 362 f., insb. Fn. 558 auf S. 362; dazu auch 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 421 Ganz i.d.S. P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 130 ff.; KA. Schachtschneider, Sozialprinzip, S. 35 ff., 38 ff., 71 ff. mit Hinweisen; dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 247 ff.; R. Alexy, Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 407 ff., läßt es genügen, wenn das "Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber Spielräume läßt" (S. 413). 57 Schachtschneider

898

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

pien/Werten) des Grundgesetzes, ist die Methode der Erkenntnis der richtigen Gesetze durch den das Volk vertretenden Gesetzgeber. Wegen der Bindung auch der Gesetzesrichter an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) und wegen der durch diese Bindung, vor allem aber durch Art. 19 Abs. 2 GG vermittelten Verantwortung aller Gerichte für die praktische Vernunft des staatlichen Gemeinwesens bleibt auch dem Gesetzesrichter nichts anderes übrig, als das jeweils richtige Gesetz durch Abwägung zu suchen, welches sie ihrer Erkenntnis im Streitfall zugrunde zu legen die Pflicht haben. Wenn das legislative Gesetz der richterlichen grundrechtsgeleiteten Abwägung des gesetzlich Richtigen, also der Regel, die der Gesetzgeber nach der Erkenntnis des Richters zum Gesetz hätte machen sollen, nicht entspricht, so ist das Gesetz nach der Logik des Gebots richtiger Abwägung sach- und damit verfassungswidrig. Es widerspricht dem Prinzip der praktischen Vernunft in dessen grundrechtlicher Materialisierung und damit den Grundrechten. Der Richter hat das konkrete Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG einzuleiten422. Das Verfassungsgericht trifft als letztinstanzlicher Vertreter des Volkes im ordentlichen Verfahren die für das Fachgericht verbindliche, funktional gesetzgeberische, Entscheidung über die Wirksamkeit des Gesetzes, also über die Richtigkeit der Abwägung des Gesetzgebers423. Das ist eine Konsequenz der höherrangigen, der Sache nach nicht ohne weitere funktional gesetzgeberische Materialisierung interpretierbaren grundrechtlichen Generalklauseln und deren Verbindlichkeit424. Die durch Abwägung gefundenen Rechtssätze der Richter entfalten die Wirkung von Gesetzen, wenn der legislative Gesetzgeber sie übernimmt, insbesondere wenn er sie zu übernehmen verpflichtet wird, oder gar die Gesetze verfassungskonform interpretiert werden 425. Das Grundgesetz hat der Verantwortung des Gesetzgebers für die Rechtlichkeit der Gesetze nicht vertraut und Kompetenzen der Verfassungsrechtsprechung geschaffen, welche dieser die letzte Verantwortung vor der des Volkes selbst für das Recht, auch das Recht in den Gesetzen, überträgt. Das ist die Vollendung des Verfassungsstaates 426. 422

Zu den Grenzen des Normverwerfungsmonopols auf nachkonstitutionelle, formelle Gesetze vgl. die Hinweise in Fn. 445, S. 903. 423 Zum Verhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung insb. 9. Teil, 3. u. 10. Kap., S. 920 ff., 1027 ff.; insbesondere K. Korinek, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktionen, VVDStRL 39 (1981), S. 31 ff.; J.P. Müller/K. Schiaich, daselbst zum nämlichen Thema, S. 87 ff. (zur Schweiz) bzw. 116 ff., 126 ff.; auch G. Roellecke, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, VVDStRL 34 (1976), S. 34 ff.; CA. Starck, daselbst zum nämlichen Thema, S. 74 ff. 424 425

Dazu 9. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 819 ff., 847 ff. Dazu S. 905 ff.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

899

Eine derart "weiche Ordnung" (Robert Alexy) ist die Logik einer verbindlichen Verfassung und damit einer Verfassungsgerichtsbarkeit, vor allem die der notwendigen Variabilität und Dynamik langwirkender Verfassungsbegriffe in sich ständig wandelnden Lagen; eine "harte Ordnung" (Robert Alexy) 4,27, eine starre Verfassung, läßt sich nicht sinnvoll materialisieren. Allenfalls die Kompetenzen und Verfahren können und müssen fixiert sein. Auch sie müssen entwickelt werden können. Das aber setzt Verfassungsänderungen voraus. Die Lebensordnung des Alltags jedoch bedarf der jeweils bestimmten Gesetze, die der Lage und der weichen Verfassung gerecht werden. Der soziale Staat, der Staat der Daseinsvorsorge, hat den Bürgern wegen der gemeinsamen Verantwortung für das gute Leben das liberale (private) Instrument des Vertrages weitgehend aus der Hand genommen428 und muß darum alle Lebensverhältnisse material bestimmen, ein Unterfangen, das formalen, wenn man so will, "prozeduralen Prinzipien" nicht ausweichen kann, nicht anders als das Vertragsmodell selbst. Im sozialen Staat ist aber die Erkenntnis des Richtigen weitgehend auf die Gesetzgeber und die Richter verlagert, weil das gemeinsame Leben weitgehend sozialisiert ist. Die Freiheitlichkeit solcher Lebensverhältnisse erfordert besondere Vorkehrungen, vor allem eine Vertretung des Volkes durch Abgeordnete und Richter, welche die Sittlichkeit der Gesetze bestmöglich sicherstellen429. Jedenfalls muß eine bürgerliche Freiheits-, Rechts- und Staatslehre die Verantwortung für die Sittlichkeit oder eben das gute Leben aller in Freiheit, die Verantwortung für die praktische Vernünftigkeit also, den Bürgern lassen. Das ergibt den Primat der legislativen Gesetzgebung und pflegt deren Verfassungsbindung durch die Verfassungsrechtsprechung. Aber nur der soweit als irgend möglich an das Gesetz gebundene Gesetzesrichter ist eine Institution der Freiheit, eine unverzichtbare im übrigen.

426

Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 932 ff., insb. 950 ff. Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 414 f. 428 Das europäische Gemeinschaftsrecht, das zur Zeit die Rechtsordnung der Mitgliedsstaaten den sogenannten Grundfreiheiten anpaßt, hat vorerst liberalisierende Effekte, weil vereinheitlichende Richtlinien und Verordnungen nicht durchsetzbar sind (vgl. Art. 100, 100 a, 100 b EGV), die Grundfreiheiten aber den Gerichtshof zwingen, das vertragswidrige, oft soziale, Wirtschaftsrecht zu kassieren. Die unterschiedliche Rechtserkenntniskompetenz für die negative und die positive Rechtserkenntis wirkt sich deregulierend aus. 427

429 Dazu 7. Teil, 2. u. 4. Kap., S. 536 ff., 560 ff., insb. 570 ff.; 8. Teil, 1., 3. u. 5. Kap., S. 662 ff., 670 ff., 674 ff., 679 ff., 728 ff., 810 ff.; 9. Teil, 6., 7. u. 8. Kap., S. 963 ff., 978 ff., 995 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 27, 64; 2. Teil, 6. Kap., S. 115. 57

900

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

3. Robert Alexy hat "zwei Grundkonzeptionen des Rechtssystems ... in einem demokratischen Verfassungsstaat vom Typ des Grundgesetzes", "die des Konstitutionalismus und die des Legalismus", gegenübergestellt und die "Gegenposition ... in vier Kurzformeln" zusammengefaßt: "(1) Norm statt Wert; (2) Subsumtion statt Abwägung; (3) Eigenständigkeit einfachen Gesetzesrechts statt Allgegenwart der Verfassung; (4) Autonomie des demokratischen Gesetzgebers im Rahmen der Verfassung statt verfassungsgeschützter Omnipotenz der Gerichte, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts" 430. Diese Formeln plakatieren den "legalistischen" Gesetzesstaat und den "konstitutionalistischen" Richterstaat treffend. Dieser "Konstitutionalismus" ist im Grundgesetz durch die Institutionalisierung der Verfassungsrechtsprechung431 angelegt. Allerdings ist er im Prinzip auf die Verfassungsrechtsprechung beschränkt. Die Gesetzesrechtsprechung ist legalistisch konzipiert (Art. 97 Abs. 1 GG), wenn dieses Konzept auch nicht uneingeschränkt verwirklicht ist und werden kann, wie insbesondere die Billigkeitsklauseln zeigen432. Die Grundrechte seien zu "Abwägungsgesichtspunkten" degradiert, "das anwendbare Recht" habe "seinen Sitz nicht mehr in der Verfassung, sondern im Abwägungsspruch des Richters", haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts Böckenförde und Mahrenholz 1985 in einem Sondervotum gerügt 433 und damit die Dynamik der Grundrechtsbegriffe beklagt. Auch der Abwägungsspruch ist ein Rechtsspruch, nämlich rechtsklärende Rechtserkenntnis434. Die Optimierung von materialen, also werthaften, Prinzipien durch Richter ist "praktisch vernünftig", wie Alexy herausstellt435. Nicht allein die legislative Gesetzgebung ist die "Prozedur" (Alexy), die praktisch vernünftig sein kann436. Die Abwägung eines Gesetzesrichters kann ein Defizit an gesetzlicher Bestimmtheit offenbaren oder auch ein Defizit an Unterwerfung des Richters

430

Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 406. Dazu 9. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 909 ff., 932 ff. 432 Dazu S. 881, 890 ff. 433 BVerfGE 69, 1 (63 ff.). 434 Zum Begriff der Rechtsprechung S. 870 ff., 884 ff.; 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff., 921 ff.; 7. Teil, 2. und 5. Kap., S. 536 f., 599 f.; zur Abwägungsmethode Hinweise in Fn. 412, S. 895 f. 431

435 436

Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 417 ff. Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 658 f.; 9. Teil, 2. Kap., S. 888 ff.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

901

unter das hinreichend bestimmte Gesetz. In beiden Fällen wäre das richterliche Abwägen verfassungswidrig. Abwägende Rechtserkenntnis obliegt dem Gesetzesrichter nur, wenn die Gesetze ihr zuträgliches, d.h. das bestmögliche, Maß an Bestimmtheit erreicht haben. Sonst sind die Gesetze rechtsstaatswidrig oder die Rechtsprechung verletzt Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG. VI. Die Verfassungsrechtsprechung über die Rechtlichkeit der Gesetze, die Fachgerichte als Verfassungsgerichte, deren Verfassungsbindung und das Bundesverfassungsgericht als Fachgericht 1. Das aus dem Autonomieprinzip folgende rechtsstaatliche Bestimmtheitsprinzip hat substantielle Unterschiede der Verfassungsrechtsprechung und der Gesetzesrechtsprechung zur Folge. Verfassungs- und Gesetzesgerichtsbarkeit sind funktionsverschieden, wie es in der Verfassungsorganstellung des Bundesverfassungsgerichts als des zentralen Organs der Verfassungsrechtsprechung zum Ausdruck kommt 437 . Auch das Verfassungsgesetz wird als Gesetz wie andere Gesetze behandelt438. Es ist aber ein besonderes Gesetz, das sich in vielfältiger Weise von den Gesetzen des einfachen Rechts unterscheidet. Nicht nur die Verfassungsgebung erfolgt in anderer Weise als die Gesetzgebung, prinzipiell ungeregelt, aber republikanisch der Allgemeinheit verpflichtet 439, sondern auch die verfassungsändernde Gesetzgebung, wie Art. 79 Abs. 2 GG zeigt, der für ein solches Gesetz die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates verlangt. Vor allem aber ist die Gesetzgebung an die "verfassungsmäßige Ordnung" gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Bindung der Rechtsprechung an die Verfassung folgt anderen Kriterien als die Bindung der Gerichte an die einfachen Gesetze 440 . Art. 1 Abs. 3 GG ordnet an, daß die Grundrechte auch die Recht-

437

Dazu Hinweise in Fn. 473, S. 910. Vgl. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 54, 72 zu Art. 20 VI; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 638, 644; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1008; a.A. richtig G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 9 f. 439 Dazu R Kirchhof \ Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, HStR, Bd. I, S. 781 ff. ("Das Entstehen des Verfassungsgesetzes ist ein Ereignis, bei dem verschiedene Geschehens ablaufe und politische Kräfte unverfaßt zusammenwirken", S. 783); W. Henke, Staatsrecht, Politik und verfassungsgebende Gewalt, Der Staat 19 (1980), S. 181 ff.; C Schmitt, Verfassungslehre, S. 44 ff., 75 ff. ("An Rechtsformen und Prozeduren ist die verfassungsgebende Gewalt nicht gebunden; sie ist 'immer im Naturzustände', wenn sie in dieser unveräußerlichen Eigenschaft auftritt", S. 79), S. 83 ff. zum Volk als Träger der verfassungsgebenden Gewalt. 440 S. 885 ff., 904 ff. 438

902

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

sprechung "als unmittelbar geltendes Recht" binden. Dieses Recht besteht aus den Rechtserkenntnissen, die das Bundesverfassungsgericht praktisch vernünftig, also dem Sittengesetz verpflichtet, orientiert an den grundrechtlichen Leitentscheidungen, beschließt und gehört zur den Gesetzgeber nach Art. 20 Abs. 3 GG bindenden "verfassungsmäßigen Ordnung" 441. Dementsprechend bindet Art. 20 Abs. 3 GG die Rechtsprechung nicht nur an die "Gesetze" (der Begriff des Art. 97 Abs. 1 GG), sondern auch an das "Recht"442. Der Begriff "Recht" erlaubt eine präzise Dogmatik, welche die Variabilität und die Dynamik des von der Verfassung, insbesondere von deren Grundrechten, geleiteten Rechtserkenntnisse erfaßt. Die Formel von "Gesetz und Recht" dient der "Idee der Gerechtigkeit, sie ist aber keinesfalls "getragen, aber unscharf" wie Eberhard Schmidt-Aßmann meint443. Darum überzeugt auch die vielfach vertretene Identifizierung des Begriffs "Gesetz" in Art. 97 Abs. 1 mit dem Begriffspaar "Gesetz und Recht" in Art. 20 Abs. 3 GG nicht 444 . Die Gesetze werden durchaus in einem anderen Verfahren verwirklicht als das Recht - die Gesetze, wenn man so will, unmittelbar, das Recht demgegenüber mittelbar, nämlich durch Gesetze, die dem Rechtsprinzip, also dem Prinzip praktischer Vernunft, genügen. Das erweist sich in den besonderen Verfahren, welche die Rechtlichkeit der Gesetze sicherstellen sollen. Vor allem trifft das Grundgesetz für verfassungswidrige Gesetze,

441 Dazu E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, HStR, Bd. I, S. 1007 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 53 f. zu Art. 20 Abs. III GG; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 796 ff. 442 Zum Begriff Recht in Art. 20 Abs. 3 GG, dessen Verständnis Aufschluß über die jeweilige Verfassungslehre gibt, vgl. etwa Th. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 28. Aufl. 1991, S. 93 ("Gewohnheitsrecht und die in der Gemeinschaft herrschenden Grundsätze der Gerechtigkeit"); Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 507, S. 197 (Gewohnheitsrecht); R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 72 zu Art. 20 VI, Rdn. 5 zur Art. 97, der die Begriffe "Gesetz und Recht" in Art. 20 Abs. 3 und "Gesetz" in Art. 97 Abs. 1 GG identifiziert; G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 9 f., der Recht mit dem Grundgesetz identifiziert, richtig, dieses aber als Grenze der gesetzlichen Gerechtigkeit dogmatisiert; dazu auch E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1007 ff., der dem Begriff des Rechts in Art. 20 Abs. 3 GG "keine präzise dogmatische, sondern eine appellative Aufgabe" zumißt und administrative Normen und Gewohnheitsrecht nicht unter den Begriff Recht subsumiert, letzteres zu Recht; richtig H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 349 ff., auch S. 105 ff.; vgl. BVerfGE 34, 269 (286 f.), wonach Gesetz und Recht sich nicht notwendig und immer decken, der Richter aber dem Recht verpflichtet sei; vgl. auch BVerfGE 65, 182 (190 ff.), nahe dem Text; grundsätzlich zur Unterstellung von "Staat und Gesetz" unter das Recht (naturrechtlich) E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 3 ff., 20 ff.; die richterliche Rechtschöpfung rechtfertigt das Bundesverfassungsgericht regelmäßig mit dem Begriff "Recht" in Art. 20 Abs. 3 GG, vgl. insb. BVerfGE 34, 269 (286 ff.); weitere Hinweise in Fn. 246, S. 864. 443

HStR, Bd. I, S. 1007. Vgl. die Hinweise in Fn. 442; insb. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 72 zu Art. 20 Absch. VI; Rdn. 5 zu Art. 97 Abs. 1. 444

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

903

jedenfalls für die formellen und nachkonstitutionellen445, die ein Gericht für verfassungswidrig hält, eine besondere Regelung in Art. 100 Abs. 1 GG, welche den Verfassungsgerichten die Entscheidung darüber vorbehält, ob das Gesetz verfassungswidrig und welche Rechtsfolge daraus herzuleiten ist 446 . Die Bindung des Gesetzesrichters an das Gesetz wird nicht einfach aufgehoben, wenn das Gesetz dem Gericht als verfassungswidrig erscheint, sondern das zuständige Verfassungsgericht muß die Verfassungsfrage entscheiden. Der Gesetzesrichter hat nur die Normenkontrollinitiative, welche die Normprüfungspflicht einschließt; das Normenverwerfungsmonopol ist den Verfassungsgerichten vorbehalten447. Gegebenenfalls muß der Richter ein Gesetz auch anwenden, wenn es verfassungswidrig ist, falls nämlich das Verfassungsgericht das Gesetz nicht für nichtig, sondern (nur) für unvereinbar mit der Verfassung erklärt hat 448 , oder das Verfassungsgericht sich über die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes irrt. Der Fachrichter ist somit in anderer Weise an die Verfassung als an die Gesetze gebunden. Wäre die Bindung dieselbe, müßte der Fachrichter wegen des Vorrangs der Verfassung das einschlägige Gesetz als unwirksam behandeln 449 und den Fall ohne Gesetz entscheiden, entweder nach der Verfassung, wenn diese hinreichend bestimmt ist, oder nach einem, orientiert an der Verfassung, selbst erkannten Rechtssatz450. Wenn zwei Gesetze einander widersprechen, kann nämlich nur ein Rechtssatz zur Anwendung kommen. Diese Logik hat bekanntlich das Reichsgericht in seiner wegweisenden Entscheidung vom 4. November 1925 (RGZ 111, 320 (322 f.)) veranlaßt, das richterliche Prüfungsrecht gegenüber einfachen Reichsgesetzen in Anspruch zu nehmen, die Entscheidung, welche der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle den Weg geebnet hat 451 .

445 Dazu BVerfGE 1, 184 (188 ff.); 2, 124 (128 ff.); 48, 40 (45); 68, 319 (326); 70, 126 (129); dazu K. Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 58 ff. zu Art. 100; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 682 ff., S. 256 ff.; W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 786 ff. 446 Dazu W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 781 ff.; K.A. Bettermann, Die konkrete Normenkontrolle und sonstige Gerichtsvorlagen, in: FG BVerfG I, S. 323 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 988 ff. 447

Dazu K. Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 10 zu Art. 100; W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 781 f.; BVerfGE 1, 184 (197 ff.); 6, 222 (232 ff.); 17, 208 (209 f.). 448 Dazu W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 789 f., vgl. auch S. 804 ff.; Η Heußner, Folgen der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ohne Nichtigerklärung, NJW 1982, 257 ff.; nur die Feststellung der "ipso-iure eintretenden Nichtigkeit" hat noch K. Stern, GG, Bonner Komm., Zweitbearbeitung 1967, Rdn. 139 ff. zu Art. 100, als Rechtsfolge der Unvereinbarkeit mit der Kontrollnorm gelehrt. 449 So in der Tat W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 789 f. 450 Zum Richterrecht S. 864 mit Fn. 246; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. mit Hinweisen in Fn.

106.

904

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

2. Das republikanische Prinzip der Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens, welches freiheitlich und damit auch gleichheitlich begründet ist 452 , wird vernachlässigt, wenn die Entscheidungsmaßstäbe für die Einzelfälle unmittelbar in der Verfassung gesucht werden, ohne daß die Leitentscheidungen der Verfassung durch hinreichend bestimmte Gesetze ausgestaltet worden sind. In der Republik soll der Gesetzgeber möglichst den fallentscheidenden Richtern die Entscheidungskriterien vorschreiben. Wenn auch kein Richterspruch die Verfassung mißachten darf, so darf doch ein Fachrichter die Verfassung seiner Entscheidung unmittelbar nur zugrunde legen, wenn die Verfassung hinreichend bestimmte, weiterer gesetzlicher Bestimmung nicht bedürftige Begriffe in den Tatbeständen und in den Rechtsfolgen der einzelnen Vorschriften enthält, wie etwa in Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG: "Eine Zensur findet nicht statt." Ein solches Maß an Bestimmtheit eignet den grundrechtlichen Begriffen selten. Ob diese begriffliche Bestimmtheit besteht, ist letztlich verfassungsgerichtlich zu entscheiden. Der Gesetzesrichter muß sich von den verfassungsgemäßen Gesetzen abhängig machen. Der Gesetzgeber ist gegenüber dem Gesetzesrichter der vorrangige Vertreter des ganzen Volkes in der Sittlichkeit, in der praktischen Vernunft 453, wie Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG belegen. Er darf nicht übergangen werden. Auch die Fachgerichte haben die Verantwortung für die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Insoweit sind sie an der Verfassungsrechtsprechung beteiligt454. Gemäß Art. 100 Abs. 1 GG spricht allerdings im ordentlichen Verfahren das letzte Wort über die Verletzung des Grundgesetzes durch ein Gesetz455 das Bundesverfassungsgericht. Die

451

Dazu kritisch C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, 1929; ders., Der Hüter der Verfassung, 1931, S. 14 ff. 452 Dazu insb. 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; weitere Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819. 453 Dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff.; 9. Teil, 7. u. 10. Kap., S. 978 ff., 1027 ff.; i.d.S. G. Roellecke, VVdStRL 34 (1976) S. 31 ff., 39; H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963) S. 67. 454

Zur Normprüfungspflicht vgl. die Hinweise in Fn. 447. Über Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft, die auch zur Staatlichkeit Deutschlands gehören {K.A. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S. 90 ff., ders., Die Europäische Verfassung und die Verfassung der Deutschen, S. 6 ff.; ders., A. Emmerich-Fritsche/Th.C. W. Beyer, JZ 1993, 754 f.), judiziert der Europäische Gerichtshof (EuGHE 1960, 1163 ff. - Rs 6160; BVerfGE 73, 339 (366 ff.); 75, 223 (233 f.); BVerfG NJW 1990, 974; im Maastricht-Urteil, BVerfGE 89, 155 (171 ff.), hat das Bundesverfassungsgericht wieder die letzte Verantwortung für das Recht auch gegenüber den Rechtsakten der europäischen Einrichtungen, die sich u.a. "in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte 455

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

905

grundrechtlichen Leitentscheidungen sind nicht derart bestimmt, daß sie dem Gesetzesrichter die Maßstäbe für die Entscheidung der Einzelfälle geben könnten456. Jeder Richter hat aber die Kompetenz, die Übereinstimmung der Gesetze mit der Verfassung, insbesondere mit den Grundrechten, festzustellen 457. Insofern ist jeder Richter Verfassungsrichter. Wenn er jedoch einen Widerspruch zwischen dem Gesetz und dem Recht erkennt, muß er die verbindliche Rechtsklärung dem Bundesverfassungsgericht überlassen458. Das Grundgesetz hat damit die Verantwortung zwischen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung sorfältig abgestimmt. Die differenzierte Regelung erschließt sich in dem Zusammenwirken der Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 und Art. 100 Abs. 1 GG. Das erlaubt eine wortlautgerechte Interpretation der Begriffe "Gesetz und Recht" und "Gesetz". Der Gesetzesrichter ist an das Recht gebunden und dennoch nur dem Gesetz unterworfen. Er hat allerdings dafür Sorge zu tragen, daß das Gesetz dem Recht entspricht. Im Prinzip ist ein Richterspruch verfassungswidrig, wenn das vom Richter angewandte Gesetz der Verfassung widerspricht. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, das Gesetz zu ändern, wenn das Bundesverfassungsgericht dessen Verfassungswidrigkeit festgestellt, aber nicht dessen Nichtigkeit ausgesprochen hat 459 . Wenn die Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit die Nichtigkeit des Gesetzes ist, hat der Gesetzesrichter den Fall nach den verbleibenden Gesetzen zu entscheiden. Bleibt das Gesetz trotz der Verfassungswidrigkeit wirksam, hat der Gesetzesrichter, falls das Verfahren

halten" müssen, in Anspruch genommen und damit die Rechtseinheit der europäischen Rechtsgemeinschaft relativiert; dazu KA. Schachtschneider, Das Maastricht-Urteil. Die neue Verfassungslage der Europäischen Gemeinschaft, Recht und Politik, 1994, 1 ff.; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 104 ff.; vgl. auch BVerfGE 58, 1 (26 ff., 37 ff., Eurokontrol); dazu Th. Oppermann, Europarecht, 1991, S. 230 ff., insb. S. 232. 456 Insofern ganz anders G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976) S. 35 ff. ("Ihre (sc. der "Gesetzgebung") Legitimation ist auch der des Bundesverfassungsgerichts weit überlegen", S. 35, gegen eine "objektive Wertordnung", mit Bezug auf C. Schmitt, S. 37). 457 BVerfGE 1, 184 (197 ff.); 6, 222 (232 ff.); 17, 208 (209 f.); vgl. Κ Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 10 zu Art. 100; dersJM. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 1475 f.; W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 770 ff., 781 ff. 458 Hinweise dazu in Fn. 446, 447; etwa Κ Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 1475 ff.; W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 781 ff. 459 Dazu W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 789 f., 804 ff.; J. Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Normen und Einzelakten, 1980, S. 125 ff.; K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 1311 ff.

906

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

nicht bis zur Gesetzesänderung auszusetzen ist 460 , nach diesem verfassungswidrigen Gesetz zu judizieren, so daß die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes nicht zur Verfassungswidrigkeit des Richterspruches führt. Die verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht461 bestimmt das einfache Gesetz und schafft dadurch dem Gesetzesrichter eine verfassungsgemäße Gesetzeslage für seine Erkenntnis. In diesen Fällen ist eine Entscheidung eines Streitfalles unmittelbar aus der Verfassung nicht nötig. Ob ein Fachrichter ein verfassungswidriges Gesetz anwendet, obwohl er nach Art. 100 Abs. 1 GG die konkrete Normenkontrolle einleiten müßte, oder ob er mangels eines Gesetzes oder gesetzeswidrig einen Fall in unmittelbarer, abwägender Anwendung der Verfassung entscheidet, ist funktionell und kompetentiell kein relevanter Unterschied. In beiden Fällen entscheidet der Gesetzesrichter verbindlich Verfassungsfragen, was ihm das Grundgesetz nur zugestanden hat, wenn seine Erkenntnisse nicht von denen des Gesetzgebers abweichen, wenn er also die Gesetze als verfassungsgemäß erkennt. Wenn der Fachrichter die Verfassungsfrage anders als der Gesetzgeber beurteilt und das Gesetz für verfassungswidrig hält, muß er die Entscheidung dem Verfassungsgerichtshof überlassen, weil das Grundgesetz ihm keine weitergehende Vollmacht eingeräumt hat 462 . Problematisch ist darum die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen durch die Gesetzesrichter 463. Das Autonomieprinzip, das sich in der Funktionenteilung zwischen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung kompetenziell auswirkt, hat zur Folge, daß kein Gesetzesrichter funktional gesetzgeberisch in Materialisierung der Verfassung Recht sprechen darf. Nur wenn ihm der Gesetzgeber, gewissermaßen notgedrungen, eine gesetzgeberische Funktion belassen hat, darf der Gesetzesrichter, in Materialisierung des Gesetzes, funktional gesetzgeberisch erkennen464.

460

Dazu W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 789. Dazu W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 808 ff.; R. Zippelius, Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, FG BVerfG I, S. 108 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 135 ff.; ders./M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 1316 ff., zurückhaltend; kritisch K.A. Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, Grenzen und Gefahren, 1986. 461

462

Dazu Hinweise in Fn. 446, 447. Dazu W. Lower, HStR, Bd. III, S. 808 ff., der diese durch die Einheit der Rechtsordnung und die Legeshierarchie für geboten hält und verkennt, daß der Gesetzesrichter Art. 97 Abs. 1 und Art. 100 Abs. 1 GG mißachtet; im Ergebnis ebenso BVerfGE 42, 91 (95); 48 40 (45); 70, 134 (137); kritisch auch K. Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 1316 ff.;'richtig K.A. Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 31 f.; BVerfGE 72, 278 (295) zu den Grenzen verfassungskonformer Auslegung am Wortlaut und Sinn des Gesetzes. 463

464

Dazu S. 866 ff., 884 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.

2. Kap.: Die funktional gesetzgebende Grundrechtsrechtsprechung

907

Die Normenkontrollpflicht zwingt auch den Fachrichter, die politischen Leitentscheidungen des Grundgesetzes abwägend, zu prüfen, ob ein Gesetz Recht hervorgebracht hat oder nicht. Wegen ihrer Normprüfungspflicht sind auch die Fachgerichte "einfache Verfassungsgerichte" 465 (Peter Häberle), allerdings mit schmalerer Kompetenz als die Verfassungsgerichtshöfe, insbesondere das Bundesverfassungsgericht. Grundrechtlich gesteuerte Auslegung der Gesetze vermeidet das Verdikt der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, welches die Fachgerichte auszulegen die Kompetenz haben, und vermeidet damit die Vorlagepflicht beim Verfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG. Allenfalls der Bürger kann die Auslegung des Fachgerichts als grundrechtswidrig mit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG angreifen und damit die gesetzgeberische Funktion des Bundesverfassungsgerichts initiieren. Die Auslegungskompetenz verschafft somit auch den Fachgerichten eine beachtenswerte Funktion bei der Erkenntnis des Rechts, also bei der Erkenntnis der richtigen Gesetze, die im Maße der Offenheit der legislativ-gesetzlichen Begriffe wächst. Die Zurückhaltung der Fachgerichte, ihre Kompetenz als einfache Verfassungsgerichte zu nutzen, ist wegen der Arbeitslast verständlich. Die Unzufriedenheit betroffener Bürger mit den Gesetzen wird regelmäßig zu Verfassungsbeschwerden führen und dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit geben, sich der Rechtsfrage anzunehmen. Praktisch relativiert die Menge der Verfassungsbeschwerden, die nicht alle entschieden werden können und darum dem Annahmeverfahren nach §§ 93 a ff. BVerfGG unterliegen, den Grundsatz der Passivität der Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht hat faktisch die Möglichkeit, zur Verwirklichung des Rechts durch praktisch vernünftige Gesetzgebung initiativ zu werden, indem es aus der Fülle der Verfassungsbeschwerden geeignete Verfahren zur Förderung des Rechts auswählt. Die funktional gesetzgeberische Erkenntnis des Rechts durch den Gesetzesrichter, die sich im Rahmen der gesetzlichen Begriffe bewegt, kann die Verfassung nicht unmittelbar verletzen. Es ist vielmehr der quasi ermächtigende Begriff des Gesetzes selbst, der der Verfassung widersprechen kann466. Dieser Begriff muß schließlich auch die Bestimmtheit erreichen, welche das republikanische Rechtsstaatsprinzip um der allgemeinen Freiheit willen dem Gesetzgeber aufgibt 467. Das ermächtigende Gesetz muß aber

465 466 467

HStR, Bd. I, S. 828. Dazu S. 867 ff., 890 ff. Dazu Hinweise in Fn. 164, 9. Teil, 1. Kap., S. 850.

908

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

auch den politischen Leitentscheidungen des Grundgesetzes entsprechen und diese überhaupt oder näher materialisieren. Auch das darf im Gesetzgebungsstaat nicht mehr als nötig dem Gesetzesrichter überlassen werden, wenn die grundgesetzliche Funktionenteilung respektiert werden soll. Wenn ein näher bestimmungsbedürftiger Gesetzesbegriff die hinreichende Materialisierung der politischen Leitentscheidungen des Grundgesetzes nicht leistet, ist er nicht hinreichend bestimmt, weil die Funktionenteilung verschoben wird. Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsprinzip erfährt dadurch selbst eine Materialisierung. Über diese Bestimmtheit der Gesetze wachen die Hüter der Verfassung. Die gesetzgeberischen Rechtserkenntnisse der Gesetzesrichter bleiben damit an das Gesetz gebunden. Sie dienen der Ergänzung des Gesetzes, um die Streitfälle entscheidbar zu machen. Sie sind von den gesetzgeberischen Rechtserkenntnissen des Bundesverfassungsgerichts zu unterscheiden, welche die Verfassung als einen Maßstab für die Richtigkeit der Gesetze entfalten und den Gesetzgeber selbst binden468. 4. Das Bundesverfassungsgericht darf im Prinzip den Einzelfall nicht (anhand der Verfassung) entscheiden; denn das Verfassungsgericht ist als solches nicht befugt, die Subsumtion im Einzelfall durchzuführen, weil kein Fall unmittelbar ohne Rücksicht auf die Gesetze und die Gesetzlichkeit aus der Verfassung heraus entschieden werden darf. Die Gesetzesrechtsprechung ist aber Sache der Gesetzesrichter. Das ist auch um der Gleichheit willen eine Wirkung des Prinzips des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) 469 . Die Funktion und Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts ist es, auf verfassungsmäßige Gesetze, auf Rechtsgesetze, auf das Recht hinzuwirken, nicht aber, abgesehen von Ausnahmen, Einzelfälle verbindlich zu entscheiden470. Insbesondere ist es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, den Lebenssachverhalt begrifflich zu erfassen und dadurch zu einem subsumtionsfähigen Fall zu formen.

468

Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 951 ff. Zur Prüfungstiefe und -dichte E. Benda/E. Klein, Verfassungsprozeßrecht, 1991, S. 248 ff., 259 ff.; zum Problem des verfassungsgerichtlichen "Hüter der Gesetzmäßigkeit" W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 834 u. S. 839; Κ Rennert, in: C. Umbach/Th. Clemens (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 1972, Rdn. 30 f., 64 ff. zu § 95 (zum "Durchentscheiden"); vgl. auch BVerfGE 18, 85 (92 f.); zur "Grenze des Eingriffsmöglichkeiten" des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des "spezifischen Verfassungsrechts". 469

470

Ganz so O. Bachof, Der Verfassungsrichter zwischen Recht und Politik, S. 287.

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

909

3. Kapitel Rechtsprechung und Politik in der Republik I.

Die politische Funktion des Bundesverfassungsgerichts als Organ der Rechtsprechung 1. Die politische Funktion des Bundesverfassungsgerichts als "Hüters der Verfassung" wird von niemandem bezweifelt 471. Die "politische" Aufgabe ist dem Bundesverfassungsgericht schon von den Vätern der Verfassung zugedacht worden 472. Sie wird freilich unterschiedlich dogmatisiert. Nicht nur die Kompetenz, die Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung

471

So das Bundesverfassungsgericht selbst im sogenannten Status-Bericht, JöR N.F. Bd. 6 (1957), S. 145; G. Leibholz, Bericht des Berichterstatters an das Plenum des Bundesverfassungsgerichts zur "Status"-Frage, JöR N.F. 6 (1957), S. 120 ff., z.T. abgedruckt in: P. Häberle (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 224 ff.; ders., Verfassungsgerichtsbarkeit im modernen Rechtsstaat, in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, 1958, S. 168 ff.; J. Wintrich, Aufgaben, Wesen und Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: FS F. v. Nawiasky, 1956, S. 191; ders., Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, 1956, in: P. Häberle (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 214; M. Drath, Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 9 (1952), S. 90 ff., 95 ff., 108 ff. ("aktive politische Funktion", S. 95); E. Kaufmann, daselbst zum nämlichen Thema, S. 5, hat nur einen "politischen Beigeschmack oder Nachgeschmack" der Verfassungsstreitigkeiten zugestanden; C. Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 105; E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, 1965, in: P. Häberle (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 355 ff., 362 f.; E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, 1959/1976, daselbst, S. 272 ff.; O. Bachof, Der Verfassungsrichter zwischen Recht und Politik, 1966, daselbst, S. 285 ff.; besonders eindrucksvoll R. Marcic, Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, 1963, daselbst, S. 314 ff.; ders., Vom Gesetzestaat zum Richterstaat, 1957, S. 350 ff.; U. Scheuner, Diskussionsbeitrag zur Verfassungsgerichtsbarkeit der Gegenwart, 1961, daselbst, S. 278 ff.; ders., Probleme und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik, 1967, daselbst, S. 194 ff., 203 ff.; ders., Der Bereich der Regierung, in: FG R. Smend, 1952, S. 294; E.-W. Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation, NJW 1976, 2099 mit Fn. 113; N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Rdn. 216 ff. zu Art. 92; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 703 ff.; P. Häberle, Grundprobleme des Verfassungsgerichtsbarkeit, in: ders., (Hrsg.) Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 2 ff.; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 941 ff., 951 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Zweitbearbeitung, 1982, Rdn. 35 ff., 47 ff. zu Art. 93; kritisch Κ Hesse, HVerfR, S. 19; ihm folgend, aber zurückhaltend P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 790; G. Röllecke, HStR, Bd II, S. 669 f., 672 ff., 685 ff.; O. Massing, Recht als Korrelat der Macht?, S. 411 ff.; vgl. i.d.S. für die Weimarer Verfassungsgerichtsbarkeit H. Triepel, Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, VVDStRL 5 (1929), S. 2 ff., insb. S. 8, 28; H. Kelsen, daselbst zum nämlichen Thema, S. 53 ff.; C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff., 108 ff.; ders., Verfassungslehre, S. 136 u.ö. 472 Vgl. v. Doemming, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 664 ff., 667 ff., 669 ff., 682 ff.; N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Zweitbearbeitung, Rdn. 40 ff. zu Art. 92; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 330 ff., 952 f., insb. S. 956 ff.; G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 666 ff., insb. S. 675 ff., 684 ff.; U. Scheuner, Probleme und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 195.

910

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

hin zu überprüfen und widrigenfalls für eine Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens Sorge zu tragen, die der Verfassung entspricht, sondern spezifisch das hohe Maß der Offenheit der Leitentscheidungen der Verfassung und gar die Formalität des Freiheitsprinzips machen das Bundesverfassungsgericht zu einem "politischen" Verfassungsorgan 473. Der Begriff "politisch" ist nicht spezifisch 474. Zugleich ist das Bundesverfassungsgericht ein Organ der Rechtsprechung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG, in dem "rechtsprechende Gewalt" durch "Richter" (Art. 92 und Art. 97 GG) ausgeübt wird, also ein Gericht 475. Art. 92 GG und

473

Die Verfassungsorganschaft des Bundesverfassungsgerichts hat vor allem das Gericht selbst in dem Status-Bericht, Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts, JöR N.F. Bd. 6 (1957), S. 144 ff., reklamiert, mit Erfolg und zu Recht; vgl. auch die Einleitung von G. Leibholz, daselbst, S. 109 ff.; vgl. auch ders., Bericht zur "Status"-Frage, S. 237 ff.; kritisch zum Status-Bericht Κ Schiaich, VVDStRL 39 (1981), S. 101 ("Mit dieser Selbsteinschätzung war das BVerfG nachgerade in das Gefüge der Staatsfunktionen nach dem Grundgesetz eingebrochen"); M. Drath, VVDStRL 9 (1952), S. 95; J. Wintrich, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 214 f.; R. Marcic, Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 314; E. Forsthoff\ Die Umbildung des Verfassungsgestzes, S. 273; U. Scheuner, Probleme und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 212 f Η . Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 67; K. Stern, Staatsrecht II, S. 341 ff., 941 ff., 946 f., 951; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 21 ff. zu Art. 93; G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 669 f.; A. Sattler, Die Rechtsstellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan und Gericht, 1955; vgl. auch BVerfGE 6, 300 (304); 7, 1 (14); für die Weimarer Staatsgerichtsbarkeit vgl. H. Kelsen, VVDStRL 5 (1929), S. 56; E . Friesenhahn, Die Staatsgerichtsbarkeit, HdbDStR Bd. 2, 1932, S. 524 f. 474

Dazu 2. Teil, 3. u. 7. Kap., S. 89 f., 124 ff.; 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; auch 8. Teil, 4. Kap., S. 749 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. VII, 1992, S. 106 ff. 475 J. Wintrich, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 215 f.; R. Marcic, Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 314; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 941 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 27 ff., insb. Rdn. 33 zu Art. 93; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 7 ff.; D. Grimm, Verfassungsgerichtsbarkeit im demokratischen System, JZ 1976, 699 ff.; G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 666, 668, 686 f.; W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 738 ff.; N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Rdn. 123 ff., 217 ff. (für die Normenkontrolle zweifelnd); kritisch M. Drath, VVDStRL 9 (1952), S. 90 ff., 96, 108; K. Schiaich, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktion, VVDStRL 39 (1981), S. 126 ff., 132 ff.; K. Korinek, zu demselben Thema, VVDStRL 39 (1981), S. 14 ff.; Ch. Starck, VVDStRL 34 (1976), S. 66 f., 74 ff., (keine Rechtsprechung, soweit Rechtssatzkontrolle); i.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 708 f.; E. Benda, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung im dritten Jahrzehnt des Grundgesetzes, DÖV 1979,469 ("Teilhaber am pouvoir constituant"); ebenso schon C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 77 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 165,169; vgl. auch R. Dolzer, Die staatstheoretische und staatsrechtliche Stellung des Bundesverfassungsgerichts, 1972, insb. S. 89 ff.; M. Sachs, Die Bindung des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 292; Ch. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, S. 119 ff.; für die Weimarer Staatsgerichtsbarkeit E. Friesenhahn, HbdDStR, Bd. 2, S. 524 ff.

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

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die Überschrift des IX. Abschnitts des Grundgesetzes: "Die Rechtsprechung", lassen insofern keinen Zweifel zu: "Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt." Art. 92 GG Dementsprechend lautet § 1 Abs. 1 BVerfGG: "Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes."476 Die Aufgaben, welche das Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht überträgt, allem voran die der prinzipalen/abstrakten oder inzidenten/konkreten Normenkontrolle 477, sind Aufgaben "der rechtsprechenden Gewalt". Rechtsprechung und Politik sind kein Gegensatz478. Die Väter der Verfassung haben das klar gesehen479. "Da die Verfassungsgerichtsbarkeit einerseits Rechtsprechung ist, andererseits aber die Gesetze kontrollieren kann, sprengt sie das klassische Gewaltenteilungsschema." - Gerd Roellecke m Das Verfassungsorgan, welchem das im ordentlichen Verfahren letzte Wort in Fragen des Rechts und damit der Politik übertragen ist, muß institutionell und funktional ein Gericht sein, weil weder der Gesetzgeber noch gar die vollziehende Gewalt allgemeine Rechtsfragen verbindlich klären können, wenn das Gemeinwesen eine Verfassung mit höchster Verbindlichkeit, insbesondere mit Grundrechten, hat, welche auch diese Organe bindet481, vor allem aber auch, weil sonst die Unabhängigkeit der Gesetzesgerichte und die Rechtskraft ihrer Entscheidungen die Einheit des politischen Ge-

476 Dazu K. Stern, Staatsrecht II, S. 341 ff.; N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Rdn. 123 ff., 125 ff. zu Art. 92; dazu auch die Hinweise in Fn. 475. 477 Zu den Begriffen vgl. W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 774 ff., 781 ff. 478 Deutlich für die Verfassungsgerichtsbarkeit M. Drath, VVDStRL 9 (1952), S. 95, 97 f.; i.d.S. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 944 f.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 35 ff., 47 ff. zu Art. 93; D. Grimm, JZ 1976, 698; J. Isensee, HStR, Bd. VII, S. 104 ff., 114 ff., 150 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 484, S. 912. 479 Vgl. v. Doemming, JöR N.F. Bd. I (1951), S. 665: ("Es (sc. das Bundesverfassungsgericht) entscheidet zwar als Gericht nur über Rechtsfragen. Seine Entscheidungen haben jedoch u.U. größte politische Auswirkungen, so daß seine Tätigkeit eine Gerichtsbarkeit mit politischem Akzent ist..."); Carlo Schmid, Erinnerung, 1979, S. 347 f. 480 HStR, Bd. II, S. 678. 481 Vgl. i.d.S. G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 681; K. Stern, Staatsrecht II, S. 943 f., 951 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 34 zu Art. 93.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

meinwesens gefährden könnte482. Die Kompetenz des ordentlichen letzten Wortes vor allem über die Rechtlichkeit der Gesetze und damit über die Rechtstaatlichkeit des Gemeinwesens charakterisiert die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, deren Rechtserkenntnisse gerade deswegen Rechtssprüche, also Rechtsprechung, sind. Die besondere Funktion des letzten Wortes in Verfassungsfragen ist unausweichlich mit der Offenheit oder Formalität der Verfassungsbegriffe verbunden und gewinnt daraus ihren gesetzgeberischen Charakter, der von der Gesetzesbindung nach Art. 97 Abs. 1 GG nicht erfaßt sein kann, wenn man nicht kompetenzielle und prozedurale Vorschriften oder eine variable und dynamische Orientierung an politischen Leitentscheidungen als Gesetzesunterworfenheit genügen lassen will 4 8 3 . II. Die Einheit von Recht und Politik in der Verfassungsrechtsprechung Zumeist wird die politische Funktion des Bundesverfassungsgerichts in einen Gegensatz von Recht und Politik gestellt484, den es jedenfalls in der

482

G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 687 (Abschirmung der Politik gegen die Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht), auch S. 681. 483 Dazu 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff.; auch 9. Teil, 3. Kap., S. 870 ff. 484 J. Wintrich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 214 ff.; E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 363; E. Kaufmann, VVDStRL 9 (1952), S. 3 ff., der "Rechtstreitigkeiten" von "politischen Streitigkeiten" danach unterscheidet, ob nach "Rechtsnormen" entschieden werde; O. Bachof Der Verfassungsrichter zwischen Recht und Politik, S. 303; abgewogen U. Scheuner, Diskussionsbeitrag, S. 281 ff.; ders., Probleme und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 195 ff.; deutlich G. Leibholz, Bericht zur "Status"-Frage, S. 224 ff., 227, 232 f.; auch K. Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 33, 34, 35 ff., 47 ff. zu Art. 93, der einerseits einen Gegensatz von Recht und Politik verneint (Rdn. 48), andererseits aber Rechtsprechung als das "Messen am Maßstab des Rechts" begreift (Rdn. 33, 34, 35, 48) während "politische Dezisionen"... "auf anderen Kriterien beruhen, andere Ziele verfolgen, anderen Maßstäben gehorchen" würden, "aus anderen Motiven gespeist" seien, "sich nach anderen Verfahren herausbilden" würden, "kurz: anders strukturiert" seien; N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Rdn. 207 ff. zu Art. 92 ("Dem Richter geht es um die Rechtslage, dem Politiker um die Machtsituation", Rdn. 220, mit Hinweis auf v.d. Heydte, in: FS Geiger, S. 923); deutlich auch W.K. Geck, Wahl und Status der Bundesverfassungsrichter, HStR, Bd. II, S. 708 f.; berechtigte Kritik am "(vermeintlichen) Dualismus von Recht und Politik und das ihm zu Grunde liegende Trennungsdenken" übt P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 2 ff., 4 (Zitat); nicht unkritisch auch J. Isensee, HStR, Bd. VII, S. 114 ff., 150 ff.; klare Analyse von O. Massing, Recht als Korrelat der Macht?, S. 415 ff. ("Befangenheit in der Dichotomie von Politik und Recht"); richtig E. Benda , Das Bundesverfassungsgericht im Spannungsfeld von Recht und Politik, ZRP 1977,2; vgl. auch G. Haverkate, Gewißheitsverluste im juristischen Denken, 1977, S. 235; auch H. Triepel, VVDStRL 5 (1929), S. 8, der den politischen Charakter der Verfassungsrechtsprechung herausstellt, trennt dennoch das Rechtliche vom Politischen, das er als Machtstreben begreift; weitere Belege auch zu den folgenden Ausführungen in den

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

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Republik nicht gibt. Carl Schmitt hat die "Trennung von (Verfassungs-) Recht und Politik" als "undurchführbar" bezeichnet485. "Man kann mit leichten und bequemen Gegenüberstellungen Politik und Recht, Politik und Wirtschaft, Politik und Kultur unterscheiden, aber man geht dabei gewöhnlich von der falschen Vorstellung des liberalen 19. Jahrhunderts aus, daß es möglich sei, ein besonderes Gebiet 'Politik' von anderen Sachgebieten wie Wirtschaft, Religion, Recht abzutrennen. Die Eigenart des Politischen liegt jedoch gerade darin, daß jedes denkbare Gebiet menschlicher Tätigkeit der Möglichkeit nach politisch ist und sofort politisch wird, wenn die entscheidenden Konflikte und Fragen sich auf dieses Gebiet begeben. Das Politische kann sich mit jeder Materie verbinden und gibt ihr (...) nur eine 'neue Wendung'. ... Alles, was irgendwie von öffentlichem Interesse ist, ist irgendwie politisch, und nichts, was wesentlich den Staat angeht, kann im Ernst entpolitisiert werden. Die Flucht aus der Politik ist die Flucht aus dem Staat." - Carl Schmitt 486 "Die Alternative Recht oder Politik trifft (hier wie anderwärts) nicht zu." - Peter Häberle 487 "Vom politischen Prozeß aus gesehen wird auch verständlich, welche Aufgabe das Bundesverfassungsgericht im Grundrechtsbereich zu erfüllen hat: letztlich, die Anschlüsse des politischen Prozesses an bestimmte gesellschaftliche Lebensbereiche zu stabilisieren. Diese Aufgabe erscheint vom Standpunkt des einzelnen aus als Grundrechtsschutz, und vom Standpunkt der Politik aus als Wahrung des objektiven Verfassungsrechts." - Gerd Roellecke m Das Politische der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtserkenntnisse ist kaum jemandem verborgen geblieben. Seine politische Wirkung solle das Gericht aber nur dadurch erzielen, daß es dem Recht diene, nur Entschei-

Hinweisen Fn. 471. 485 Verfassungslehre, S. 136; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 110 f.; i.d.S. auch H. Triepel, VVDStRL 5 (1929), S. 6 ff. (vgl. die Zitate S. 915 f.); i.d.S. an sich auch K. Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 35 ff., 47 ff. zu Art. 93. 486 Der Hüter der Verfassung, S. 111; i.d.S. auch M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 30, 514 f. 487 Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 4; i.d.S. auch D. Grimm, JZ 1976, 698; vgl. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 956 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 48, auch Rdn. 35 ff. zu Art. 93; i.d.S. E. Benda, ZRP 1977, 2. 488 HStR, Bd. II, S. 686. 5

Schachtschneider

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

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düngen treffe, welche die Verfassung rechtlich vorgegeben habe489. Die Begrenzung der Verfassungsrechtsprechung auf die Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen ist dem Begriff der Rechtsprechung verpflichtet, der die Abhängigkeit des Richters vom Gesetz zu einem wesentlichen Kriterium erhebt 490. "Ein Verfassungsgericht 'treibt' nicht 'Politik', sondern es entscheidet Rechtstreitigkeiten, die im politischen Bereich des Verfassungslebens entstanden sind. 'Politik treiben' bedeutet das Gemeinschaftsleben des Volkes schöpferisch gestalten. Das ist legitime Aufgabe der Legislative und Exekutive." ... "Immer aber muß das Verfassungsgericht sich darauf beschränken, bestehendes Recht anzuwenden; es mag es entfalten, nicht aber kann es neues Verfassungsrecht schaffen."... "Das Verfassungsgericht darf nicht seine Auffassungen über politische Zweckmäßigkeit oder Gerechtigkeit an die Stelle derer der verantwortlichen politischen Staatsorgane setzen." - Ernst Friesenhahn m Für diese geläufige, aber dogmatisch folgenreiche Position seien außerdem Josef Wintrich, Erich Kaufmann, Otto Bachof und Wilhelm Henke zitiert: "Richten heißt: einen Sachverhalt an einem bestimmten Maßstab, nämlich einer Rechtsnorm, messen." - Josef Wintrich 492 "Ich will vielmehr, ganz unabhängig von jeder konkreten Rechtsordnung, von dem Satze ausgehen, daß grundsätzlich Gegenstand der Verfassungsgerichtsbarkeit jede Frage des VerfassungsrecAte sein kann. Jede echte Verfassungsrechtsfrage kann gerichtlich entschieden werden, d.h. entschieden werden von Personen, die in dem Sinne unabhängig sind, daß sie total und exklusiv abhängig sind von Rechtsnormen." - Erich Kauf493

mann "Im Konflikt zwischen Recht und Politik ist der Richter nur dem Recht verpflichtet." - Otto Bachof 94 489 I.d.S. BVerfGE 36, 1 (14); 48, 147 (160); insb. E. Kaufmann, VVDStRL 9 (1952), S. 3 ff.; E. Friesenhahn, Die Funktionen der Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 357 ff.; auch J. Wintrich, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 214 ff.; G. Leibholz, Bericht zur "Status"-Frage, S. 227 ff.; vgl. selbst nicht unkritisch G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 674 ff.; Κ Stern, Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik, 1980, S. 18; ders., Staatsrecht II, S. 943 ff., 956 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 33 ff., 48 zu Art. 93; N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Rdn. 207 ff., 220 zu Art. 92; vgl. auch I. Ebsen, Das Bundesverfassungsgericht als Element gesellschaftlicher Selbstregulierung, 1985, S. 164 ff. 490 491 492 493

Vgl. die Hinweise in Fn. 489. Die Funktionen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 357, 363. Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 215. VVDStRL 9 (1952), S. 3.

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

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"Jenseits des Rechts und seiner verbindlichen Entscheidungen liegt der Bereich der Politik als der Auseinandersetzung im Streit oder Einigung unter Freien, aus dem jene Entscheidungen hervorgehen, auch die der Verfassung. Recht tritt an die Stelle von Politik oder begrenzt sie, ist aber selbst der Politik und dem Streit ausgesetzt. Das Recht, auch das Staatsrecht, ist und bleibt eine unsichere Sache." Aber: "Die Bundesrepublik Deutschland hat ein juristisches Staatsrecht." - Wilhelm Henke 495 Das Wort "juristisch" verbirgt mehr als es erhellt. Überzeugender sind die Sätze Heinrich Triepels: "(...) es besteht weder zwischen Zweckmäßigkeitsfragen und Rechtsfragen, noch zwischen politischen und Rechtsfragen irgendein scharfer Gegensatz"496. ... "Rechtstaatliches Denken ist nicht unpolitisches Denken, sondern eine besondere Art des politischen Denkens"497. ... "Das Wesen des Politischen steht nicht mit dem Wesen des Rechts im Widerspruch. Im Gegenteil: nach der Grundanschauung, von der ich ausgehe, ist ja das Verfassungsrecht gerade das Recht für das Politische." ... "Das Wesen der Verfassung steht bis zu einem gewissen Grade mit dem Wesen der Verfassungsgerichtsbarkeit im Widerspruch" 498. ... "Das Staatsrecht läßt sich nicht ohne Rücksicht auf das Politische betreiben" 499 . ... "Verfassungsstreitigkeiten sind immer politische Streitigkeiten. In dieser Tatsache liegt das Problematische der ganzen Einrichtung." 500

494

Der Verfassungsrichter zwischen Recht und Politik, S. 303. Recht und Staat, S. 605; vgl. auch S. 595 f. 496 Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern, in: FG Kahl, 1923, S. 15, 96, auch S. 17; das greift G. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 28, auf. 497 VVDStRL 5 (1929), S. 7 (..., "und die bürgerlich-rechtsstaatlichen Bestandteile der Verfassung gehören auch zu ihrem 'politischen System'", dagegen C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 200 ff., 225). 498 VVDStRL 5 (1929), S. 8; darauf bezieht sich auch C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 98; vgl. auch ders., Verfassungslehre, S. 136; vgl. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 957; kritisch zu diesem Satz Triepels ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 34 zu Art. 93. 499 Staatsrecht und Politik, 1927, S. 19; dem folgt etwa O. Bachof, Der Verfassungsrichter zwischen Recht und Politik, S. 289 f.; dazu kritisch K. Stern, Staatsrecht II, S. 943 f., 957; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 35 ff., 47 ff. zu Art. 93; vgl. auch die Hinweise in den vorangehenden Fußnoten. 500 VVDStRL 5 (1929), S. 28; zust. R. Thoma, daselbst, Aussprache, S. 108 f.; vgl. K. Stern, Staatsrecht II, S. 957, der die beiden letzten Sätze nur bedeutungsreduziert für seine eher restriktive Lehre nutzt; ebenso ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 35 ff., 47 ff. zu Art. 93; ein 495

5

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Triepels vielzitierte Widerspruchsthese folgt aus einer empirischen Beobachtung: "In der Welt des Politischen nämlich, die auch die Welt der Verfassung ist, drängt von Hause aus alles auf Durchsetzung des eigenen Willens durch eigene Macht." - Heinrich Triepel 501 Das läßt sich kaum bestreiten, löst sich aber von dem dogmatischen Begriff des Politischen, den Triepel richtig als "alles, was sich auf den Staatszweck bezieht" bestimmt502. Der Staatszweck aber ist die Verwirklichung des Rechts, nicht aber die Macht 503 . Macht gibt es auch in der Republik, wenn man sie mit Max Weber als Möglichkeit, "den eigenen Willen dem Verhalten anderer aufzuzwingen", definiert 504. Macht hat aber keine eigenständige Legitimität. In der Republik darf nur Sittlichkeit wirken. "Die wahre Politik kann also keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben." - Kant 505 "Was ist Politik? Liebe zur Welt." - Hannah Arendt Die Republik will "das Irrationale im staatlichen Leben" (Triepel) 501 nicht, sondern Einrichtungen zur Förderung der praktischen Vernünftigkeit/Sittlichkeit/Rechtlichkeit, wie die Verfassungsgerichtsbarkeit, die darum dem Wesen der Verfassung gerade entspricht, weil sie irrationale Macht, Durchsetzung des "eigenen Willens", ... "Unterdrückung des gegnerischen Willens" (Triepel) 50* bestmöglichst verhindert. Das Recht ist die Verbindlichkeit des für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit im vorgeschriebenen Verfahren als richtig Erkannten 509. Dem und nur dem sind der Ge-

wenig modifiziert den Triepelschen Begriff C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 136 ("Echte Verfassungsstreitigkeiten sind immer politische Streitigkeiten."). 501 VVDStRL 5 (1929), S. 8. 502 VVDStRL 5 (1929), S. 8; dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 219 ff.; 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. 503 Dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 299 ff., 346 ff.; auch 3. Teil, 3. Kap., S. 199 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f.; 7. Teil, 4. Kap., S. 573 ff. 504

Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28, 542; dazu J. Isensee, HStR, Bd. VII, S. 108 f.; dazu 2. Teil, 2. Kap., S. 79 f. 505

Zum ewigen Frieden, S. 243. Was ist Politik?, 1993, nach der Besprechung von K. Naumann, Ein präkeres Gut, Die Zeit, Nr. 14/2.4.1993, 19, der diese schöne Definition H. Arendt in den Mund legt und ihre Lehre richtig erfaßt; in dem von U. Lutz besorgten Werk (Fragmente aus dem Nachlaß) selbst habe ich den Ausspruch nicht gefunden. 506

507

VVDStRL 5 (1929), S. 8. 508 w D S t R L 5 (1929), S. 8. 509

Dazu 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 526 ff., 560 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 995 ff.

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

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setzgeber und das Bundesverfassungsgericht verpflichtet. Das läßt eine Unterscheidung des Rechtlichen und des Politischen nicht zu, wenn auch die Verfahren der Erkenntnis des Rechts unterschiedlich gestaltet sind. Klaus Stern stellt das Politische insbesondere der Verfassungsrechtsprechung heraus und sieht das Spezifische der Rechtsprechung im Anschluß an Martin Kriele in der Reflexion im Gegensatz zur Dezision510. Er hält daran fest, daß der Richter, auch der Verfassungsrichter, ohne Gesetz nicht richten könne. "Stets ist es ein Rechtssatz, der das Maß des Richtens abgibt."511 ... "Verfassungsrecht ist Recht für das Politische, ebenso wie die Verfassungsgerichtsbarkeit Gerichtsbarkeit zumindest auch über das Politische ist.... Gerichtsbarkeit über das Politische ist aber nicht gleichzusetzen mit politischer Gerichtsbarkeit, d.h. Gerichtsbarkeit nach Art und Methode politischer Dezision.... In der Verfassungsgerichtsbarkeit wird das Politische stets und allein am Maßstab von Rechtsnormen beurteilt. Verfassungsgerichtsbarkeit hört nur, aber auch immer dann auf, wenn keine Rechtsnorm besteht oder nach ihrer Interpretation (Konkretisation) den politischen Organen Handlungsfreiheit eingeräumt ist. Dies ist die funktionale und zugleich logische Grenze der Verfassungsgerichtsbarkeit." - Klaus Stern 512 Eine solche Dogmatik, wie sie oben durch verschiedene Zitate belegt ist, stimmt, wenn die praktische Vernunft der Sachlichkeit oder die Zweckmäßigkeit, sei es als Verhältnismäßigkeitsprinzip, sei es als Willkürverbot 513, als Rechtsmaßstab deklariert wird 514 . Warum nicht? Aber dann muß die

510 Κ Stern, Staatsrecht II, S. 944 ff., 951 ff., 956 ff., mit Hinw.; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, § 51, S. 191 ff. 511 Staatsrecht II, S. 943, auch S. 946 f., 950; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 33 ff., 48 zu Art. 93; weitere Hinweise zu dieser Dogmatik in Fn. 352, 9. Teil, 2. Kap., S. 883; Fn. 489, 9. Teil, 3. Kap., S. 914. 512 Staatsrecht II, S. 957. 513 Dazu 5. Teil, 4. und 6. Kap., S. 362 f., mit Fn. 558, S. 411 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 986 ff., 990 ff. 514 Sehr weitgehend insofern E. Kaufmann, VVDStRL 9 (1952), S. 9 ff.; so in der Sache auch Κ Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 35 ff., 47 ff. zu Art. 93, der etwa die Grundrechte (richtig) als "grundlegende prinzipielle Wertentscheidungen" versteht; ebenso mit denkbar weitem Begriff der Rechtsnorm J. Wintrich, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 214 ff. ("Rechtswerte", "Wertgefüge", "elastische, richtungsweisende Grundsätze", "Rechtssätze, die wegen des Mangels an Bestimmtheit einer näheren Konkretisierung bedürfen", "der Verfassung immanente Wertungen"); G. Leibholz, Bericht zur "Status"Frage, S. 227 ff., der immerhin die Auslegungsfähigkeit der Normen verlangt, S. 233, ohne

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Identität von Rechtserkenntnis und Politik akzeptiert werden. Stern verkennt damit, wie viele, die Erkenntnishaftigkeit jeder Rechtsentscheidung, sei es die des Gesetzgebers, sei es die des Richters 515. Otwin Massing äußert einen weniger durch die Gewaltenteilungsideologie bestimmten Standpunkt: "Doch nicht nur die Befangenheit in der Dichotomie von Politik und Recht verharmlost die politische Natur der Verfassungsgerichtsbarkeit, auch ihre legitimierende Festlegung auf reine Interpretationsvorgänge ist geeignet, die tatsächliche Bedeutung der richterlichen Gewalt in unserem Gemeinwesen im allgemeinen, der rechtsprechenden Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts im besonderen zu minimieren." 516 Die Entgegensetzung von Recht und Politik hat tiefe Wurzeln. Sie hat ihre Richtigkeit in einer naturrechtlichen, ja religiösen Lehre vom Recht, welches das Politische als das Weltliche und Vergängliche transzendiert, aber auch in einer machiavellistischen Lehre des Politischen, welche die Politik als den Kampf um die Herrschaft oder die Macht versteht 517, der das Recht entgegengestellt wird, wie es noch immer der Liberalismus lehrt 518 . Hinter den jeweiligen Begriffen von Recht und Politik 519 stehen umfassende Lehren von Gott und der Welt, die hier nicht kritisch vorgestellt werden können. Die Differenzierung von Recht und Politik hat selbst legitimatorisehe

dieses Postulat auch nur im Ansatz durchzuhalten, wie sein Willkürverbot zeigt (dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 411 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 986 ff., 990 ff.); weitgehend auch KA. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 799 f., der Zweckmäßigkeits- und Billigkeitsfragen je nach Rechtsmaterie oder Fallgruppe zu den Rechtsfragen rechnet; zurückhaltend und insofern konsequent O. Bachof; Aussprache, VVDStRL 9 (1952), S. 118 f.; zur Dogmatisierung der gesetzgebenden Funktion der Rechtsprechung als Interpretation 9. Teil, 2. und 3. Kap., S. 896 ff., 921 ff. 515 Dazu 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2., 4., 5. und 6. Kap., S. 536 ff., 560 ff., 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 657 ff., 707 ff., insb. S. 710 ff.; 9. Teil, 2. und 10. Kap., S. 858 ff., insb. S. 884 ff., 1027 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 354 auf S. 884. 516 Recht als Korrelat der Macht?, S. 415. 517 Etwa U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, in: FS R. Smend, 1952, S. 272 ("Politik ist auf Macht gerichtet..."); auch H. Triepel, VVDStRL 5 (1929), S. 8; vgl. auch G. Leibholz, Bericht zur "Status"-Frage, S. 227 (Zitat oben S. 925); E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 358; N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Rdn. 220 zu Art. 92. 518 Etwa C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 200 ff. 519 Zum "Begriff des Politischen" vgl. den Überblick von Η. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 679 ff.; vgl. auch J. Kokott, Der Begriff "politisch" im Normenzusammenhang nationalen und internationalen Rechts, ZaöRV 51 (1991), S. 603 ff.; zum Begriff des Politischen von C. Schmitt 8. Teil, 4. Kap., S. 749 ff.; zu den drei wesentlichen Politikbegriffen, dem aristotelischen, dem eschatologischen und dem machiavellistischen, D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, 1978.

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

919

Funktion, ist oft auch nur Attitüde von Juristen, deren Distanzierung von der Politik, dem 'schmutzigen Geschäft', Sachlichkeit reklamiert 520. Nichts ist so politisch, wie die Arbeit am Recht, niemand arbeitet so politisch wie der Rechtsgelehrte. Wenn er seine Sache gut macht, ist die Politik in guten Händen. 2. Eine Wurzel der Entgegensetzung von Recht und Politik ist die Forderung Montesquieus, daß die Richter nur aussprechen sollen, was das Gesetz sage, daß die Richter sein sollen "la bouche qui prononce les paroles de la loi", unpolitisch, machtlos "en quelque fagon nulle", ... "Wesen ohne Seele gleichsam, die weder die Stärke noch die Strenge des Gesetzes mäßigen können"521. Montesquieus Lehre von der Gewaltenteilung wirkt in der Dogmatik fort, Rechtsprechung müsse ihren Entscheidungsmaßstab einem Gesetz entnehmen, sie sei also ihrem Begriff nach von Gesetzen abhängig. Keine Rechtsprechung ist ohne gesetzgebende Funktion522; aber auch die gesetzesgebundene Rechtsprechung ist politisch523, jedenfalls republikanisch konzipiert. "Das Gericht ist der Ort der politischen Rationalität; (...)" - René Marek 524 Nur wer Gesetze gibt, genauer: in der Legislative mitwirkt, scheint Politiker zu sein. So reklamierten die Abgeordneten des Bundestages und der Landtage, aber auch die Räte kommunaler Entscheidungsorgane, die politische Klasse zu sein, lassen sich als die Politiker titulieren 525, obwohl ihre ge-

520

I.d.S. O. Massing, Recht als Korrelat der Macht?, S. 415 ff. Der Geist der Gesetze, XI, 6, S. 214 f., 221; dazu C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 97; ders., Verfassungslehre, S. 75 f.; R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 205 ff.; C.J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, 1953, S. 196 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 889 f., 946, der unter Hinweis auf O. Biilow, Gesetz und Richteramt, 1885, S. 6 f., 28 ff., lehrt, daß der Richter diese Rolle abgelegt habe, zu Recht; ebenso BVerfGE 75, 223 (243); dazu U. Lange, Teilung und Trennung der Gewalten bei Montesquieu, Der Staat 19 (1980), S. 213 ff., insb. 220. 522 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. und 10. Kap., S. 858 ff., insb. S. 863 ff., 870 ff., 885 ff., 895 ff., 1027 ff.; i.d.S. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 581 ff., 889 ff., insb. 894 f., 946 f.; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 182 ff., 290 ff. 523 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff., insb. S. 866 ff., ? ff., ? ff.; so auch K. Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 35 zu Art. 93. 524 Rechtsphilosophie, S. 245. 525 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 789 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 240 f.; 10. Teil, 3. und 8. Kap., S. 1079 f., 1155. 521

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

setzgeberische Funktion mehr und mehr geschwunden ist 526 . Die Richter dagegen werden sich kaum als Politiker, die sie nicht zuletzt wegen ihres Einflusses auf das Recht und die Gesetze sind, einstufen lassen wollen, weil das in der Tradition der Montesquieuschen Gewaltenteilungslehre ihre Rechtstreue in Zweifel ziehen könnte. Aber: "Der Richter war in Europa niemals lediglich 'la bouche qui prononce les paroles de la loi'; das römische Recht, das englische common law, das Gemeine Recht waren weithin richterliche Rechtsschöpfungen ebenso wie in jüngerer Zeit etwa in Frankreich die Herausbildung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts durch den Staatsrat oder in Deutschland das allgemeine Verwaltungsrecht, weite Teile des Arbeitsrechts oder die Sicherungsrechte im privatrechtlichen Geschäftsverkehr." BVerfGE 75, 223 (243f.). 3. Die Besonderheit des Verfassungsorgans Bundesverfassungsgericht 527 ist seine besondere Funktion für die Gesetzgebung, die sich daraus ergibt, daß es verbindlich über die Verfassungsgemäßheit der Gesetze zu entscheiden hat 528 . Das Bundesverfassungsgericht vertritt im ordentlichen Verfahren das Volk als Hüter der Verfassung und hat damit den Einfluß auf die Gesetzgebung, der notwendig ist, um die Leitentscheidungen der Verfassung zu verwirklichen. Dieser Einfluß ist wegen der Formalität oder materialen Offenheit dieser Entscheidungen, die aber zugleich das gesamte gemeinsame Leben beeinflussen, immens, ohne daß er berechenbar wäre oder im Sinne von größer und kleiner mit dem Einfluß des Gesetzgebers verglichen werden könnte. Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrichter wächst im Maße der semantischen Öffnung der grundrechtlichen Tatbestände, der "Entdifferenzierung der Grundrechte zu einem allgemeinen Freiheitsrecht. " - Bernhard Schlink 529

526

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1027 ff.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 527

Dazu Belege in Fn. 473 auf S. 910. Dazu S. 909; 9. Teil, 1., 2. und 4. Kap., S. 820 ff., 879 ff., 932 ff., 937 ff.; insb. H. Kelsen, VVDStRL 5 (1929), S. 53 ff.; N. Achterberg, GG, Bonner Komm., Rdn. 116 ff., 123 ff, 218 f. zu Art. 92; vgl. K.Stern/M. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 1292 ff., 1302 f.; zurückhaltend Ch. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 45. 528

529 Abwägung und Verfassungsrecht, S. 47; i.d.S. auch K. Korinek, VVDStRL 39 (1981), S. 49 f.; kritisch R. Wendt, Der Garantiegehalt der Grundrechte - Zur maßstabsetzenden Kraft der Grundrechte, AöR 104 (1979), S. 414 ff.; vgl. auch G. Robbers, Gerechtigkeit und Rechts-

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

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Gerhard Leibholz hat "das Bundesverfassungsgericht" deshalb als "repräsentatives Verfassungsorgan" und dessen "Mitglieder" als "Repräsentanten" eingestuft 530. Otwin Massing rechnet die Verfassungsgerichtsbarkeit zur "suprema potestas"531. Nach Martin Drath übt das Verfassungsgericht "Staatsgewalt" aus532, eine Selbstverständlichkeit, die Drath aber politisch meint. René Marcie hat das Bundesverfassungsgericht, diesen "Hüter der Verfassung", als "zweiten Gesetzgeber" bezeichnet und als an der "regierenden Gewalt beteiligt" gesehen533. "Die besondere Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu entscheiden, stellt dieses Gericht funktionell in den Gesetzgebungsprozeß hinein." - Christian Starci Starch sieht im Normenkontrollverfahren das Gesetzgebungsverfahren ergänzt und weist auf die "Vorwirkung" der "bereits entfalteten Rechtsprechung" des Gerichts hin 535 . Was andere als "politisch" bezeichnen, ist der Sache nach funktional gesetzgebend. Die Gesetzgebung ist aber an die Verfassung, also an das Recht, gebunden. Gesetzgebung ist, gebunden oder nicht, Erkenntnis des Rechts536. Das aber ist Politik. III.

Die Ideologisierung der gesetzgeberischen Politik der Verfassungsrechtsprechung als Verfassungsinterpretation Das rechtsprechungsbegriffliche Postulat der Rechtsnormabhängigkeit vermag jedoch der Verfassungsrechtsprechung das Maß an Bestimmtheit der Verfassung nicht zu erhöhen, schon gar nicht das der Wesensgehalte der

prinzip. Über den Begriff der Gerechtigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1980. 530 Bericht zur "Status"-Frage, S. 237 ff., 240 f.; so auch der Status-Bericht des Gerichts selbst, JöR N.F. 6 (1957), S. 107 ff. 531

Recht als Korrelat der Macht?, S. 425 f. (gegen F. Klein, Bundesverfassungsgericht und richterliche Beurteilung politischer Fragen, 1966, S. 26), er spricht von "Justizherrschaft" (S. 412, auch S. 426) und von der "Versuchung, sich paternalistisch gegenüber den Staatsbürgern als der neuen Spezies von Untertanen zu gebärden" (S. 423). 532 VVDStRL 9 (1952), S. 89. 533 Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 318 f., 328 (Zitat S. 968, 6. Kap.). 534 VVDStRL 34 (1976), S. 74. 535 VVDStRL 34 (1976), S. 74 f.; ebenso Κ Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 45 zu Art. 93; J. JeJcewitz, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber, Der Staat 19 (1980), S. 535 ff. 536 Dazu 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; weitere Hinweise in Fn. 515 auf S. 918; auch 8. Kap., S. 990.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Grundrechte. Das Postulat wird zur Fiktion, zur Ideologie537. Dies erzwingt, die funktional gesetzgebende Politik der Verfassungsrechtsprechung als Interpretation der Verfassung auszugeben und Interpretationsprinzipien zu benennen, die schlechterdings das Kriterium möglicher Interpretation, nämlich die Austauschbarkeit der Interpreten, nicht erfüllen können. "Das Heraustreten aus der formalen Gesetzesgebundenheit im Rahmen der klassischen Auslegungsregeln bestimmt, wenn auch gewiß nicht allein, den Stil der Entscheidungen." - Ernst Forsthojf 38 "Auslegungsbedürftige Wertbegriffe" (Ernst Friesenhahn) 539 sind ein Widerspruch in sich 540 . Die uferlose Diskussion der "Prinzipien der Verfassungsinterpretation" 541 , welche die klassischen Interpretationsmethoden 542 überwinden mußten, erweist das Dilemma des für die Verfassungsrechtsprechung inadäquaten Rechtsprechungsbegriffs. Diese Prinzipien sollen funktional gesetzgebende als gesetzesabhängige Rechtserkenntnisse legitimieren, anstatt den dogmatischen Schritt zu einem sachgerechten Begriff der

537

So richtig O. Massing, Recht als Korrelat der Macht?, S. 415 ff., 418, 422. Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, S. 273, 276. 539 Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 359, 363; ähnlich J. Wintrich, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Geamtgefüge der Verfassung, S. 214 f. ("oberste Richtwerte verwirklichen"); vgl. auch die Hinweise in Fn. 471 auf S. 909. 540 Dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 125 ff., insb. S. 138, 143 ff. (Konzept der Abwägung); kritisch E.-W. Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation, NJW 1976, 2089 ff.; ders., Der Staat 29 (1990), S. 3 ff., 21 ff., 26 ff.; H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, insb. S. 173 ff. 538

541

Vgl. insb. P. Schneider/H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 1 ff., bzw. 53 ff. m.w.N.; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 123 ff., insb. S. 130 ff.; Ch. Starck, HStR, Bd. VII, S. 200 ff.; E. Forsthoff; Zur Problematik der Verfassungsauslegung, 1961; K. Hesse, Grundzüge des Verfasungsrechts, Rdn. 49 ff., S. 19 ff.; F. Müller, Normstrukturen und Normativität. Zum Verhältnis von Recht und Wirklichkeit in der juristischen Hermeneutik, entwickelt an Fragen der Verfassungsinterpretation, 1966; ders., Juristische Methodik, 2. Aufl. 1976; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, 2. Aufl. 1976; ders., HStR, Bd. V, S. 112 ff.; H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, passim, insb. S. 173 ff.; E.-W. Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation, NJW 1976, 2089 ff.; B. Schlink, Bemerkungen zum Stand der Methodendiskussion in der Verfassungsrechtswissenschaft, Der Staat 19 (1980), S. 73 ff.; B.O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 254 ff.; H.-J. Koch, Die Begründung von Grundrechtsinterpretationen, EuGRZ 1986, 345 ff.; vgl. die noch nicht genannten Beiträge in: R. Dreier/S. Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, 1976, m.w.N.; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 34 ff. ("offene Verfassungsinterpretation", "Wirklichkeits- und Folgenorientierung"). 542

Dazu Hinweise 9. Teil, 2. Kap., S. 888 ff.

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

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Verfassungsrechtsprechung zu wagen. Interpretation setzt ein Mindestmaß an Bestimmtheit des zu interpretierenden Textes voraus 543. "Der Normtext ist dabei nicht nur Ausgangspunkt, sondern auch rechtsstaatliche Grenze der Konkretisierung ." - Ralf Christensen 544 Die Gemeinwohlprinzipien der praktischen Vernunft, die Verhältnismäßigkeit und das Willkürverbot, haben ihrer Formalität gemäß keine materiale Bestimmtheit. Sie sind im materialen Sinne tatsächlich die "unbestimmten Rechtsbegriffe", die "unbestimmten Texte", von denen vielfach gesprochen wird 545 . Als formale Begriffe, welche Moralität einfordern, sind diese Prinzipien unentbehrlich 546. Materiale Interpretationsversuche sind jedoch vergeblich. Jede Verwirklichung formaler Prinzipien ist funktional gesetzgebend. Konrad Hesses problemorientierte Konkretisierung der Verfassung 547 beschreibt die diskursive Rechtserkenntnis, die notwendig der Sache verpflichtet ist, also der Lage als der Wirklichkeit und der Verfassung, soweit diese Materialität ausweist, vor allem aber den verfassungsgemäßen Kompetenzen und Verfahren 548, läßt sich aber nicht mehr als Interpretation ausgeben549. Sie ist wesentlich funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis, weil und insoweit die Texte material offen oder formal sind. In jeder Rechtserkenntnis verbinden sich freilich gesetzgeberische und gesetzes-

543 So auch K. Hesse selbst, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 77, S. 28 f., mit Berufung auf G. Gadamer , Wahrheit und Methode, 2. Aufl. 1965, S. 312; so auch J. Wintrich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 220; G. Leibholz, Bericht zur "Status"-Frage, S. 233 f.; zur Textorientierung jeder Rechtserzeugung R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 182 ff., 290 ff. 544 Was heißt Gesetzesbindung?, S. 304; F. Müller, Juristische Methodik, 2. Aufl. 1976, S. 252, 255; ders., Juristische Methodik und Politisches System, 1976, S. 15, 27; i.d.S. auch BVerfGE 72, 278 (295) für die Grenzen verfassungskonformer Interpretation. 545 Etwa Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 45, S. 18; U. Scheuner, Probleme und Verantwortung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 202, 212; schon C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 39 in Fn. 2; weitere Hinweise in Fn. 183, 1. Kap., S. 853. 546 Dazu 5. Teil, 3., 4. u. 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., insb. 356 ff., 410 ff.; 6. Teil, 1. und 8. Kap., S. 441 ff., 494 ff.; 9. Teil, 1., 5., 7. und 8. Kap., S. 819 ff., 956 ff., 978 ff., 990 ff. 547 Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 60 ff., S. 24 ff.; ähnlich J. Wintrich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 214 ff. 548 Zum allgemeinen, öffentlichen Diskurs 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff. 549 Kritisch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 708; auch P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 4, 20, hält am Interpretationsprinzip fest ("Richtige"... "Politik durch Verfassungsinterpretation").

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

abhängige, interpretatorische Erkenntnisweisen550. Im Begriff Interpretation die Legitimation von gesetzesabhängiger Rechtsprechung zu suchen, die das demokratische Prinzip den Richtern nicht bereithält, jedenfalls nicht den Gesetzesrichtern 551, ideologisiert richtig beobachtetes "schöpferisches", ... "verfassungswandelndes ... Verstehen", der "weiten", ... "offenen" Texte der Verfassung gemäß der "Problemlage" (.Konrad Hesse) 552, also funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis, zur richterlichen Gesetzesabhängigkeit, nicht überzeugend und ohne Not. Auch die gesetzgebende Politik ist dem Recht und nur dem Recht verpflichtet, und auch die Richter machen gesetzgeberisch Politik, als Gesetzesrichter gemäß Art. 97 Abs. 1 GG allerdings dem Gesetz unterworfen 553. Die Verfassungsrechtsprechung ist zur Politik der praktischen Vernunft, orientiert an den Leitentscheidungen der Verfassung, ausreichend demokratisch legitimiert, wenn auch der entwickelte Parteienstaat die Legitimation der vom Bundestag und vom Bundesrat gewählten Richter des Bundesverfassungsgerichts bedenklich schmälert 554. Die mühsame Diskussion um die Verfassungsinterpretation ist dem vermeintlichen Gegensatz von Recht und Politik aufgesessen, vor allem einem Politikbegriff, der republikwidrig Herrschaft zu legitimieren versucht. Immerhin erweist die Diskussion um die Verfassungsinterpretationsprinzipien die Erkenntnishaftigkeit der Rechtsfindung, sei diese richterlich oder gesetzgeberisch; denn sie begreift Rechtsetzung, wenn diese Richtern obliegt, als Interpretation, die allgemein als Erkenntnis verstanden wird 555 . "Der Gesetzgeber hat m.E. aber auch im Bereich der Verfassungswandlung die Vorhand. ... Der Ausbau des Verfassungsstaates und damit des Verfassungsrechts ist Aufgabe der politischen Instanzen, vor allem des Gesetzgebers. Er liegt in seiner Initiative. Die Verfassung lebt nicht allein

550

Dazu vor allem R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 182 ff., 290 ff. Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 538 ff.; kritisch O. Massing, Recht als Korrelat der Macht? S. 415, 422. 551

552 Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 60, S. 24, auch Rdn. 46, S. 18, Rdn. 38, S 15 Rdn. 61, S. 24 f. 553

Dazu die Hinweise in Fn. 522, 523 auf S. 919; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. Dazu 9. Teil, 4. und 6. Kap., S. 939 f., 964 f., 975 ff. 555 Etwa K. Stern, Staatsrecht I, S. 124 ("Bei der Rechtsauslegung geht es nicht um ein bloßes Meinen, ein subjektives Fürrichtighalten auf Grund eines einer vorwissenschaftlichen Stufe zugehörigen Rechtsgefühls, sondern um wissenschaftlich-objektive, kritische und nachprüfbare Maßstäbe zur Erkenntnis des Rechts, zum Verstehen seines Sinnes."); K.A. Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, HStR, Bd. III, 1988, S. 793 ("Recht-Sprechen heißt jedenfalls - für Recht erkennen - entscheiden, was rechtens ist."); Ch. Starck, HStR, Bd VII S. 199 ff. 554

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

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aus sich. Erst die Gesetzgebung kann die soziale Wirklichkeit gestalten. Jedes Gesetz stellt im Grunde eine Interpretation der Verfassung dar, sei es, daß es sich für mit der Verfassung im Einklang hält, sei es, daß es sich als von der Verfassung gefordert versteht. Bei Gesetzen, die etwa den Inhalt des Eigentums oder der Berufsfreiheit bestimmen oder die zahlreichen Vorbehalte der Grundrechte ausgestalten, ist das deutlich." Horst Ehmke 556 "Vor allem ist es auch ausgeschlossen, zwischen Rechtsetzung und Interpretation zu unterscheiden, als ob der Rechtsetzungsakt als reiner Willens- und Gestaltungsakt dem Interpretationsakt als reinem Erkenntnisakt gegenübergestellt werden könnte." - Peter Schneider 351 IV. Die Einheit von Recht, Politik und Moral in der Republik Keinesfalls dient es der Klärung des Verhältnisses von Recht und Politik, wenn in einem plakativen Sprachgebrauch deren Gegensatz oder auch nur Unterschied behauptet wird, zumal der Begriff des Politischen meist offen oder wenig aussagekräftig bleibt 558 . Gerhard Leibholz sieht das "Wesen" des Politischen als "immer etwas Dynamisch-Irrationales", während "das Recht seiner grundsätzlichen Wesensstruktur nach immer etwas StatischRationales" sei 559 . Ein solches Verständnis mißachtet die Unterscheidung des Politischen vom Despotischen, die Unterscheidung der Freiheit von der Herrschaft. Herrschaft ist nicht gesetzesgebunden, sondern rechtlos, also despotisch, irrational, nämlich der Vernunft zuwider 560. Die Worte Politik oder politisch werden unterschiedlich gebraucht, sollten aber in einem freiheitlichen Gemeinwesen dem freiheitlichen, griechischen Wortverständnis folgen 561. Auch mit dem richtigen Sprachgebrauch ist aufklärerische Wirkung verbunden. Eine Dogmatik der praktischen Vernunft jedenfalls 556 VVDStRL 20 (1963), S. 68 f., mit Hervorhebung; dem schließt sich an Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 324. 557 558

VVDStRL 20 (1963), S. 40 ff., 51 (Zitat). Vgl. die Hinweise in Fn. 471, 484 auf S. 909, 912 ff.; weitere Hinweise in Fn. 474, S.

910. 559

Bericht zur "Status"-Frage, S. 227. Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; 6. Teil, 1., 3. und 8. Kap., S. 441 ff., 454 ff., 494 ff.; 8. Teil, 1., 2. und 5. Kap., S. 637 ff., 685 ff., 772 ff. 560

561 Dazu D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, insb. S. 19 ff., 24 ff., 87 ff., 440 ff.; H. Arendt, Vita activa, S. 27 ff., 164 ff.; dies., Wahrheit und Politik, S. 44 ff.; zum Begriff des Politischen bei C. Schmitt, 8. Teil, 4. Kap., S. 749 ff.; M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 30, 514, verbindet das Politische mit der "Gewaltsamkeit" und damit (zu Recht) mit dem Staatlichen.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

kennt keinen Widerspruch von Recht und Politik, der "ausübenden Rechtslehre" (Kant) 562. Sie kennt auch keinen Gegensatz von Moral und Politik, genausowenig wie einen Gegensatz des Rechts zur Moral, wie Kant nachgewiesen hat 563 . In der Republik ist die Sittlichkeit politisch; denn das Politische ist die Möglichkeit des freien Lebens im staatlichen Gemeinwesen. Politisch ist somit die Gesetzlichkeit als die Wirklichkeit der allgemeinen Freiheit im Bemühen um ein gutes Leben aller, soweit also die Gesetzlichkeit moralisch ist. Für die Politik ist folglich die Moral unverzichtbar 564. In der Republik gibt es keinen Gegensatz zwischen Politik und Recht, insbesondere keinen Gegensatz zwischen Moralität und Legalität; denn nur legales Handeln ist moralisch 565. In der Republik ist das Politische die Rechtsgesetzlichkeit. V.

Die freiheitliche Politik als Verwirklichung des Rechts durch die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung Zur Rechtsgesetzlichkeit gehört sowohl die Erkenntnis des Rechts, als auch der Vollzug der als Recht erkannten Gesetze566. Die gesetzesgebundene Rechtsprechung ist ebenso politisch wie die gesetzgebende Rechtserkenntnis des Gesetzgebers oder auch des Richters, die nicht an das Gesetz gebunden ist, weil kein bindendes Gesetz besteht. Das gemeinsame Leben in Freiheit ist in jeder Handlungsweise das besondere Streben nach Glück und zugleich die allgemeine Verwirklichung der Freiheit und damit politisch 567 . Durchgehend ist das Politische die Verwirklichung des guten Lebens aller in Freiheit, sei es durch Gesetzgebung, Vollzug der Gesetze oder Rechtsprechung. Dies ist der Zweck des Staates568. Dieser Zweck bestimmt das Politische. Heinrich Triepel definiert demgemäß das Politische als "alles, was sich auf einen Staatszweck bezieht, ... was sich auf die Staatszwecke oder deren Abgrenzung gegenüber individuellen Zwecken bezieht."569 562

Zum ewigen Frieden, S. 229. Zum ewigen Frieden, S. 228 ff.; dazu 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., insb. 306 ff., 418 ff.; 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 354 im 9. Teil, 2. Kap., S. 884 zum Verhältnis der Gesetze zum Recht. 564 Zur Einheit des Politischen und des Moralischen Kant, Zum ewigen Frieden, S. 228 ff. 565 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 306 ff. 566 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 567 Dazu 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. 568 Dazu 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; weitere Hinweise in Fn. 503, S. 916. 563

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

927

Die Ausübung der Staatsgewalt besteht, wenn sie der Verfassung entspricht, ohne Ausnahme in der Verwirklichung des Rechts, welches das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit festlegt 570. Solche Ausübung der Staatsgewalt ist immer verbunden mit der Erkenntnis des Rechts. Ähnlich lehrt Herbert Krüger, daß der "Politik"... "- ebenso wie dem Staat das Moment der Freiheit wesentlich" sei und: "Politik als Einigung zum Staat kann ... nur Einigung zur Ordnung in einem geordneten Verfahren sein." ... "Alle Gewaltpolitik erweist sich als Un-Politik oder jedenfalls als unpolitische Politik" 571 . Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, das Recht zu erkennen, der Richter hat die Aufgabe, das Recht zu erkennen, aber auch die vollziehende Gewalt hat diese Aufgabe. Der Gesetzgeber erkennt das Recht allgemeinverbindlich. Der Richter erkennt das Recht zur Entscheidung des Rechtsfalles/des Prozesses572, der Beamte erkennt das Recht, um es zu vollziehen. Wie es das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 3 GG anordnet, ist der Gesetzgeber dabei an die verfassungsmäßige Ordnung und sind die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht573 gebunden. Diese Bindung nimmt weder der Rechtsprechung noch der vollziehenden Gewalt den Charakter des Politischen, sondern folgt der Logik der Allgemeinverbindlichkeit der Gesetze. Diese Allgemeinverbindlichkeit/Allgemeinheit der Gesetze hat ihren Grund im Prinzip der Freiheit, wie dargetan ist 574 . Die Praxis zeigt die politische Funktion von vollziehender Gewalt und Rechtsprechung. Die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind ein integraler Bestandteil der Gesetzlichkeit der Republik. Sie gehören zu deren Technik und damit zur Wirklichkeit des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit, also

569

VVDStRL 5 (1929), S. 7, gegen C. Schmitt, H. Heller und auch R. Smend. Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 527 ff., 560 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 995 ff. 571 Allgemeine Staatslehre, S. 683; ganz i.d.S. W. Leisner, Staatseinung, S. 22 ff., 36 ff., 80 ff., 160 ff. 572 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 892 f.; zu den Begriffen Streitigkeit, Meinungsverschiedenheit, Prozeß K.A. Schachtschneider, Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht in Bund-Länder-Streitigkeiten, S. 2 ff. 573 Zum Unterschied der Begriffe Gesetz und Recht 9. Teil, 2. Kap., S. 900 f.; vgl. zum Verhältnis der Gesetze zum Recht die Hinweise in Fn. 354, 9. Teil, 2. Kap., S. 884. 574 Dazu 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; auch 5. Teil, 1., 3. und 4. Kap., S. 253 ff., 278 ff., 325 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff. 570

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

zur Politik der Republik oder zum Rechtsstaat. Vollzugsdefizite sind nicht nur illegal, sondern moral- und politikwidrig. Vollzugsdefizite sind entweder chaotisch, anarchisch oder despotisch, jedenfalls freiheitswidrig. Mit den Vollzugsdefiziten beginnt der Verfall des Rechtsstaates als Gleichheitsstaat575. Es gibt keine Gesetzlichkeit, also kein Recht, ohne Vollzug 576 , aber auch keine ohne Rechtsprechung, also ohne verbindliche Klärung des richtigen Rechts577. Der Rechtsstaat findet seine Wirklichkeit in der Wirksamkeit der drei Funktionen der Staatsgewalt, richtiger Gesetzgebung, richtigen Vollzugs der Gesetz und richtiger Rechtsprechung. Die Breitenwirkung der Gesetze ist nicht notwendig größer als die der Richtersprüche oder gegebenenfalls auch die der Verwaltungsakte. Die Richtersprüche entfalten vielfach exemplarische Wirkung, vor allem als sogenanntes Richterrecht 578, aber: "Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung"579. Das gilt auch für manche Verwaltungsakte; denn die Gesetze werden in der Regel von den Bürgern befolgt, ohne daß es des Verwaltungsvollzugs bedarf und ohne daß es zum Rechtsstreit kommt. Der Bürger vollzieht die Gesetze durch sein Handeln, dessen Maximen er den Gesetzen gemäß bestimmt, also legal und, wenn er aus Pflicht dem Gesetz folgt, moralisch 580, jedenfalls staatlich581. Er verwirklicht durch seine Gesetzlichkeit die allgemeine Freiheit und handelt damit staatlich (i.w.S.). Die dynamische Funktion der Gesetzgebung überragt allerdings die der vollziehenden Gewalt und die der Rechtsprechung, weil die Verfassung diese an die Gesetze bindet, wegen des sogenannten Vorranges der Gesetze

575 Ganz i.d.S. BVerfGE 84, 239 (268 ff., 285), das dem Gesetzgeber aufgegeben hat, dafür Sorge zu tragen, daß das gleichheitswidrige Vollzugsdefizit bei der Besteuerung der Kapitaleinkünfte beseitigt wird, wenn nicht das einschlägige Steuergesetz mit seiner Wirkung auch seine Geltung verlieren soll. 576 Zur Einheit von Recht und Zwang 5. Teil, 3. Kap., S. 307 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 553 ff. 577 Zum Begriff der Rechtsprechung 9. Teil, 2. Kap., S. 870 ff., 885 ff. 578 Zum Richterrecht 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. mit Fn. 106; 9. Teil, 2. Kap., S. 864 ff. mit Fn. 246; die unterschiedliche ΒindungsWirkung von Gesetzes- und Richterrecht stellt BVerfGE 66, 16 (138); 81, 242 (256); vgl. auch BVerfGE 84, 212 (227) heraus; vgl. auch (kritisch) KA. Bettermann, HStR, Bd III, S. 788 f. 579 580 581

BVerGE 82, 212 (227); klar K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 788 f. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 230 ff.; 5. Teil, 3. Kap., II. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

929

also582, der seinen Grund darin findet, daß die Gesetzgebung die spezifische Technik der Verwirklichung des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit in der Republik ist. Der Freiheitsbegriff selbst impliziert logisch den Begriff des allgemeinen Gesetzes583. Eine Änderung des Rechts bedarf wegen des Vorrangs der Gesetze im Grundsatz und auch in der Regel der Änderung der Gesetze584. Das Politische beschränkt sich aber nicht auf die Veränderungen, auf die Dynamik der Lebensverhältnisse, sondern erfaßt nicht weniger deren Beständigkeit, deren Statik, welche keiner Gesetzgebung bedarf, weil es immer schon Gesetze oder besser: eine Rechtslage gibt. Politisch ist die Wirklichkeit der Freiheit oder die Wirklichkeit des Rechts. Freilich fällt das dynamische Element des Politischen besonders ins Auge. Die vollziehende Gewalt und die Gesetzesrechtsprechung dienen aber vornehmlich dem statischen Element des Politischen. Das skizzierte republikanische Verhältnis von Recht und Politik jedenfalls gibt für eine Unterscheidung der staatlichen Funktionen nichts her. VI. Die freiheitliche Allgemeinheit des Unrechts und die Popularklage Alle Staatlichkeit betrifft als allgemeine Gesetzlichkeit das gesamte Volk als Gemeinwesen. Jede Verletzung des Rechts ist eine Verletzung jedes Bürgers; denn jedermanns Freiheit ist verletzt, wenn ein Gesetz verletzt ist. Die Freiheit ist allgemein und unteilbar 585. Die Verletzung der Rechte anderer, die Illegalität, verstößt gegen das Sittengesetz586 und damit nach dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG gegen die eigene Freiheit dessen, der das Recht verletzt, gegen dessen innere Pflicht zur Sittlichkeit. Darin liegt die Erkenntnis Rosa Luxemburgs: "Freiheit ist immer auch Freiheit des anders Denkenden",587 und die Karl Jaspers:

582

Dazu E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1019 f.; F. Ossenbühl, Der Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, HStR, Bd. ΙΠ, S. 316 ff.; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 316 ff.; K.A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 9 ff., 13 ff. 583 Dazu 5. Teil, 3., 4. und 6. Kap., S. 310 ff., 328 ff., 414 ff.; 6. Teil, 6. Kap., S. 480 ff.; auch 9. Teil, 10. Kap., S. 1027 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 1 im 9. Teil, 1. Kap., S. 819. 584 Diesen Vorrang betont H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 67; auch schon E. Kaufmann, VVDStRL 9 (1952), S. 8 ff.; i.d.S. auch P. Kirchhof Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz? S. 55 ff. 585 D. Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, S. 105 ff., auch S. 87 ff. und passim. 586 Dazu 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 288 f., 305 ff., 418 ff.; 7. Teil, 1. und 4. Kap., S. 519 ff., 560 ff.; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 500 f. mit Fn. 274. 587 Die russische Revolution, 2. Aufl. 1963, hrsg. von O.K. Flehthein, S. 73, dazu Netti , Rosa Luxemburg, 1965, S. 669. 59 Schachtschneider

930

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

"Er (sc. der Politiker) ist frei und will, daß jeder frei sei,"588 oder die John F. Kennedys: "Solange auch nur einer nicht frei ist, sind wir alle nicht frei", oder, was 1963 dasselbe sagte: "Ich bin ein Berliner". 589 Die Menschen enfalten sich durch die Menschen, hat Dieter Suhr gelehrt: "Entweder ist sie (sc. die "freie Entfaltung") wechselseitig oder sie ist nicht 'frei'." 590 Die Gesetzlichkeit ist das Wesen des Gemeinwohls, des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit. Das Unrecht ist nicht privat, auch nicht, wenn nur private Übereinkünfte, Verträge und gute Sitten, verletzt wurden; denn die Verbindlichkeit privater Übereinkünfte folgt aus dem allgemeinen Gesetz. Jedes Unrecht verletzt den allgemeinen Frieden 591. Die Rechtmäßigkeit des gemeinsamen Lebens haben alle Bürger, vor allem aber die staatlichen Behörden zu verantworten. Letztere versagen darin zunehmend, vor allem im Bereich des Umweltschutzes592, aber auch im Steuerwesen593. Das Volk muß die Verwirklichung seiner Gesetze selbst in die Hand nehmen, weil seine Vertreter versagen, eine Folge der Umwandlung des Berufsbeamtenethos in die Jobmentalität von Beschäftigten des öffentli-

588

Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 118. Rede am 26. Juni 1963 vor dem Schöneberger Rathaus Berlins anläßlich des Mauerbaus 1961; i.d.S. auch O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 350 ("..., denn wahre Freiheit manifestiert sich in der Anerkennung des anderen als freie und gleichberechtigte Person."); ebenso i.d.S. P. Kirchhof Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 59; das ist der Sinn der Zweckformel des kategorischen Imperativs, Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59 ff. (dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 308). 590 D. Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, S. 87 ff., 105 ff., passim; Zitat S. 108. 591 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 309 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 498 ff; die Verletzung vertraglicher Rechte ist polizeiwidrig, also Störung der öffentlichen Sicherheit, die allerdings wegen des polizeirechtlichen Subsidiaritätsprinzips polizeiliche Maßnahmen nur rechtfertigt, wenn andere, also justizielle, Maßnahmen nicht hilfreich sind (vgl. V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 1993, S. 42 f.). 589

592 Zum Vollzugsdefizit im Umweltschutz etwa E. Rehbinder, Argumente für die Verbandsklage im Umweltrecht, ZRP 1976,159; R. Breuer, Wirksamer Umweltschutz durch Reform des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrechts?, NJW 1978, 1559, 1562; F. Wey reuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 1 ff., 12; U. Battis/U. Dünnebacke, Die Verbandsklage nach dem Berliner Naturschutzgesetz, JuS 1990, 189. 593 BVerfGE 84, 239 (268 ff.) hat daraus die Konsequenz gezogen, dem nicht gleichheitlich vollzogenen Steuergesetz den Geltungsanspruch zu verweigern, zu Recht; denn ein Gesetz, das nicht wirkt, kann auch keine Geltung beanspruchen.

3. Kap.: Rechtsprechung und Politik in der Republik

931

chen Dienstes, die zudem mit einer Zunahme der den Rechtsstaat in seinem Kern bedrohenden Bestechlichkeit einhergeht. Es gibt keine Rechtfertigung für Unrecht von Amtswaltern; dieses ist vielmehr staatswidrig. Auch das (fast totale) Versicherungswesen mindert mit dem Interesse am Recht die Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens. In dem Maße, in dem die staatlichen Stellen die Gesetze nicht vollziehen, wächst die Notwendigkeit der Popularklage594. Art. 98 S. 4 Bay Verf. gibt jedermann das Recht, den bayerischen Verfassungsgerichtshof mit dem Vorwurf anzurufen, bayerische Gesetze oder Verordnungen würden ein bayerisches Grundrecht verletzen 595. Dieses Vorbild zu verallgemeinern, würde ein Schritt zur Verwirklichung einer Republik sein596. Angesichts der Allgemeinheit der Gesetze spricht alles dafür, daß jeder Bürger die gesetzliche Verletzung der Verfassung, d.h. die der praktischen Vernunft, durch Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führen darf 697. Das bewährte Annahmeverfahren (§§ 93a ff. BVerfGG) kann der Überlastung des Gerichts mit Verfahren, von denen eine hilfreiche Klärung von Verfassungsfragen nicht zu erwarten ist, entgegenwirken 598. Die Grundrechte sind in ihrem Wesensgehalt allgemeines Verfassungs-, ja allgemeines Lebensgut, deren überzogene Subjektivierung der allgemeinen Bedeutung praktischer Vernunft im Gemeinwesen nicht gerecht wird. Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Mißachtung der Grundrechte nicht von jedem Bürger rügen zu lassen. Die gesetzlichen Regelungen des Grundstückseigentums etwa sind für jeden bedeutsam, auch für den, der kein Grundstück sein eigen nennt. Die Grundrechte gehören jedermann oder jedem Bürger. Sie sind Teil seiner Persönlichkeit, wie das gesamte Recht; denn die Persönlichkeit besteht auch in den Rechtsverhält594 Dazu R. Breuer, NJW 1978, 1560, selbst eher ablehnend; dafür E. Rehbinder/H.-G. Bruckbacher/R. Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht, 1972; dafür W. Schmidt, Rechtsschutz gegen ein Begründungsdefizit bei Verwaltungsentscheidungen über öffentliche Interessen, DÖV 1976, 583; W. Skouris, Über die Verbandsklage im Verwaltungsprozeß - BVerfG NJW 1981, 362, JuS 1982, 104; ablehnend etwa H.H. Rupp, Popularklage im Umweltschutzrecht?, ZRP 1972, 32 ff.; F. Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände? S. 17, 82 ff.; vgl. auch J. Burmeister, Die Verbandsklage in verfassungsrechtlicher Sicht, 1978, S. 25 ff. 595 Dazu Th. Meder, HdKomm zur Verfassung des Freistaates Bayern, 4. Aufl. 1992, Rdn. 7 ff. zu Art. 98, S. 319 ff. 596 Eindrucksvoll i.d.S. R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 328 ff. 597 Dafür schon H. Kelsen, VVDStRL 5 (1929), S. 74 ("Die stärkste Garantie böte sicher die Zulassung einer actio popularis."). 598 Dazu W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 841 f.

59'

932

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

nissen der Menschen599. Die enge Begrenzung des Grundrechtsschutzes auf die Verteidigung eigener subjektiver Rechte600 muß die grundrechtliche Wirkung, die allgemein ist, reduzieren. Damit ist die Kompetenz aller Bürger, ihre Verfassung zu schützen, liberalistisch verkürzt. In der Verfassung der Republik findet die Restriktion keine Rechtfertigung; denn Staat und Gesellschaft sind nicht getrennt 601. Jedes Unrecht ist in der Republik eine res publica und damit eine res populi. Darum ist der Prozeß um das Recht auch prinzipiell öffentlich (§169 ff. GVG). Den Grundrechtsschutz verdient, wer durch die Mißachtung der Grundrechte betroffen ist. Das sind alle Bürger und, wenn es um Menschenrechte geht, alle Menschen im Lande. Verfassungswidrige Gesetzgebung verletzt jeden Bürger; denn sie ist entweder Mißbrauch oder Fehlgebrauch der Vertretungsmacht, die alle Bürger gegeben haben. Alles spricht in der Republik für die Popularklage. Gerade für den, der kein Eigentum hat, ist die Eigentumsordnung von großer Bedeutung. Es kann durchaus sein, daß er wegen dieser Ordnung nicht zu Eigentum gelangt ist. Die Popularklage ist ein Instrument in der Hand des letztverantwortlichen Hüters der Verfassung und der praktischen Vernunft, des einzelnen Bürgers 602.

4. Kapitel Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit I.

Rechtlichkeit durch Verfassungsgerichtlichkeit als Vollendung des Rechtsstaates Mit der Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts und dessen Kompetenzen zur vor allem grundrechtlichen Normenkontrolle hat das Grundgesetz gegen einen reinen parlamentarischen Gesetzgebungsstaat entschie-

599

Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 373 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. Dazu Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 322 ff., 335 ff.; dazu 6. Teil, 1., 5. und 6. Kap., S. 441 ff., auch 466 ff., 478 ff.; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 386 ff. (kritisch). 600

601

Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff. Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 820 ff.; vgl. BVerfGE 13, 132 (141) zum Bürger als "Wächter für die objektive Verfassungsordnung"; i.d.S. P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 14 f.; ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 719. 602

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

933

den 603 . Es hat die Gesetzgebungsorgane durch ein Rechtsprechungsorgan ergänzt, welches keine geringere Verantwortung für die Rechtlichkeit der Gesetze trägt als der Gesetzgeber. Carl Schmitt hat den Verfassungsrechtsschutz als ein justizstaatliches Element bezeichnet604. "Entscheidet nun statt des Gesetzgebers der Richter darüber, ob eine Ungerechtigkeit vorliegt oder nicht, so bedeutet das, auf seine letzte staatsrechtliche Formel gebracht: Der Staat, der bis jetzt ein Gesetzgebungsstaat war und wohl auch von der Weimarer Verfassung als solcher gedacht und gewollt ist, verwandelt sich in einen Justizstaat. Das ist eine fundamentale Wandlung des Staates wie der Verfassung im Ganzen." Carl Schmitt 605 Die Schmittsche Erkenntnis ist ein wenig zu korrigieren. Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist, wenn auch Rechtsprechung606, so doch nicht Justiz. Als Verfassungsorgan eigener Art hat jedenfalls das Bundesverfassungsgericht eine besondere Kompetenz zur Vertretung des Volkes, die es von den sonstigen Organen der Rechtsprechung, die vor allem durch ihre Gesetzesunterworfenheit gemäß Art. 97 Abs. 1 GG charakterisierte Gesetzesgerichte sind 607 , wesentlich unterscheidet608. Kurz gesagt: Verfassungsgerichtsstaatlichkeit ist nicht Justizstaatlichkeit. Das Grundgesetz als die Verfassung der gleichen Freiheit aller Bürger 609 ebnet den Weg zum Recht durch Ge-

603 I.d.S. E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 29 (1990), S. 21 ff., insb. S. 25 f.; R Kirchhof Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 55 ff., sieht "vielfache Bedrohung" des "unverzichtbaren" Parlamentarismus, auch die durch weitere Staatszielbestimmungen vermehrte "inhaltliche" Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts; dazu auch Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 83, S. 31; Rdn. 566 ff., S. 217 ff.; M. Kriele, HStR, Bd. V, S. 102 ff. ("Machtverschiebung von der parlamentarischen Demokratie zum Richterstaat"), Rdn. 1; zur verfassungsgerichtsstaatlichen Bedeutung der Wesensgehaltsgarantie 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.; auch 9. Teil, 1. u. 11. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 1039 f. 604 Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 73 ff., 89 ff., 97 ff.; Verfassungslehre, S. 134 ff.; Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140, 165; Legalität und Legitimität, S. 47 ff.; Grundrechte und Grundpflichten, S. 189 ff., 211; dazu auch kritisch E. Forsthoff\ Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, S. 272 ff., insb. S. 275; Η Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 707 ff.; Ch. Starck, VVDStRL 34 (1976), S. 67, 74 f.; Κ Schiaich, VVDStRL 39 (1981), S. 130 ff.; dazu auch 9. Teil, 1. u. 10. Kap., S. 819 ff., 1029 ff. 605 Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 165. 606 Dazu 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 870 ff., 909 ff. (mit Fn. 475, S. 910), 921 ff. 607 Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 897 ff., 901 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. 608 Zur Besonderheit des Bundesverfassungsgerichts Hinweise in Fn. 471, 473, 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff. 609 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 997 ff.

934

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

setzlichkeit, welche, wenn sie moralisch ist, der Gerechtigkeit nicht widersprechen kann; denn: res publica res populi. Zur freiheitlichen Gesetzlichkeit trägt auch die Rechtsprechung bei, nicht nur durch gesetzesgebundene, sondern auch durch gesetzesungebundene, also funktional gesetzgebende Rechtserkenntnisse, vor allem durch die des Bundesverfassungsgerichts 610. Verfassungsrechtsprechung üben in gewissem Maße alle Gerichte 611. Der Verfassungsgerichtsstaat ist die bestmögliche Verwirklichung des Verfassungsstaates612. Die Verfassung legt fest, wer Gesetzgeber ist, und soll die Freiheit unter Berücksichtigung der Erfahrungen bestmöglich zu verwirklichen bemüht sein. Das Grundgesetz hat die Verfassungsrechtsprechung in die gesetzgeberische Rechtserkenntnis integriert und damit angesichts der Gefahren für die Republik, vor allem durch die Parteien, das Kunstwerk Republik verbessert. Die Alternative, die Wahrung der Verfassung in der alleinigen Verantwortung des Gesetzgebers zu belassen, empfiehlt sich nach aller Erfahrung nicht. Sie würde sich nach mehr als vier Jahrzehnten zunehmend entwikkelten Parteienstaates erst recht nicht anbieten. Es bedürfte keines Verfassungsgerichts, wenn die Moralität der Abgeordneten sichergestellt werden könnte. Die Erfahrung des Weimarer Parlamentarismus verbietet ein solches Wagnis. Die republikwidrige Entwicklung der Parteienoligarchie unter dem Grundgesetzes bestätigt die Sorge des Verfassungsgebers. Vor allem die Einrichtung der Verfassungsgerichtsbarkeit kompensiert die republikanischen Defizite des Parteienstaates613, wenn auch das Bundesverfassungsgericht gerade der Entwicklung des Parteienstaates nicht den nötigen Widerstand entgegengesetzt hat 614 . Die Verfassungsrechtsprechung nimmt aber der Parteienoligarchie weitgehend die politische Führung. Unter dem Grundgesetz ist jeder Bürger und ist jeder Vertreter des Volkes Hüter der Verfassung. Alle sind für die Verfassungsmäßigkeit des gemeinsamen Lebens verantwortlich 615.

610 Zur Gesetzesbindung nach Maßgabe der Bestimmtheit der Gesetze vgl. Hinweise in Fn. 164, 9. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 850; insb. S. 868 ff., 887 ff. 611

Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 900 ff., 906 ff. Dazu S. 950 ff. 613 Dazu 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff.; i.d.S. auch R. Marcic, Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 327; den Aspekt spricht auch an K. Stern, GG, Bonner Komm., Rdn. 45 zu Art. 93. 6,4 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. 612

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

935

"Aber schließlich hat auch jeder Staatsbürger ein Prüfungsrecht und eine Prüfungspflicht und sind wir alle Hüter der Verfassung." - Carl Schmitt 616 "(...); es kommt letztlich darauf an, daß jedes staatliche Organ sich freiwillig den Bindungen der Verfassung unterwirft und daß alle ihre Verantwortlichkeit für die Befolgung der Verfassung erkennen und wahrnehmen." - Konrad Hesse 617 "Demokratie ist vollendet, wenn das Volk Richter über alles ist." - René Marcic 618 Hervorzuheben als Hüter der Verfassung ist insbesondere der Bundespräsident 619 , der zu Recht das sogenannte materielle Prüfungsrecht in Anspruch nimmt, bevor er gemäß Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG die Gesetze ausfertigt und verkündet 620. Dennoch muß die Verfassung ein Organ schaffen, welches

615 Ganz so die französische Verfassung von 1791 am Schluß und die französische Verfassung vom 4. November 1848, vgl. C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 63, insb. S. 83; ders., Verfassungslehre, S. 116; i.d.S. K. Hesse, HVerfR, S. 19 f.; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 14 f., 16, 22; ders., Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, JZ 1975, 297 ff.; i.d.S. E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 363 ("Berücksichtigung der in unserem Volk herrschenden politischen Vorstellungen"); i.d.S. BVerfGE 13, 132 (141). 616

Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 83. HVerfR, S. 19 f., kritisch zum "außerhalb dieser Immanenz stehenden 'Hüter der Verfassung'", i.S. einer "Selbstgewährleistung des Verfassungsrechts". 618 Rechtsphilosophie, S. 246. 619 A.A. etwa K. Stern, Staatsrecht II, S. 196 ff., der allerdings die Organlehre nicht republikanisch konzipiert und die Vielheit, ja Allheit der Hüter der Verfassung nicht berücksichtigt, sondern wie viele dem Bundespräsidenten eine politische Funktion, insbesondere die der Repräsentation und der Integration (S. 198 ff.), zumißt, aber doch das Bundesverfassungsgericht als den Hüter der Verfassung benennt (S. 198, 236, 952 ff., weitere Hinweise dazu in Fn. 621, 625 und 471, 3. Kap., S. 909 f.); ähnlich U. Scheuner, Das Amt des Bundespräsidenten, insb. S. 12, 45; K. Doering, Der "pouvoir neutre" und das Grundgesetz, Der Staat 3 (1964), S. 201 ff., 209; O. Kimminich, Das Staatsoberhaupt in der parlamentarischen Demokratie, VVDStRL 25 (1967), S. 81 ff.; I. Seidl-Hohenveldern, daselbst zum nämlichen Thema, S. 213 ("Theorie des Staatsnotars"); so auch Th. Eschenburg, Staat und Gesellschaft in Deutschland, 2. Aufl. 1956, S. 647 ("oberster Staatsnotar"). 617

620

Dazu K. Stern, Staatsrecht II, S. 228 ff., der selbst von einer "rechtswahrenden Prüfungszuständigkeit" spricht; dazu M. Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, 1973, insb. S. 91 ff.; K. Schiaich, Die Funktionen des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge, HStR, Bd. II, S. 554 ff.; a.A. etwa E. Friesenhahn, Zum Prüfungsrecht des Bundespräsidenten, in: FG G. Leibholz, Bd. 2, 1966, S. 679 ff.; vgl. auch O. Kimminich, VVDStRL 25 (1967), S. 85; J. Mewing , Die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten bei der Gesetzesausfertigung insbesondere beim teilnichtigen Gesetz, 1977, S. 39 ff., der von der Staatspraxis (S. 34 ff.) berichtet; K.H. Friauf, Zur Prüfungszuständigkeit des Bundespräsidenten bei der

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

das letzte Wort im ordentlichen Verfahren der Rechtserkenntnis hat, wenn der Verfassung des Gemeinwesens Schaden droht, ein Organ, das kraft seiner republikanischen Autorität den Frieden zu wahren die Kompetenz hat. Dieses Organ ist das Bundesverfassungsgericht, das wegen dieser vorletzten Verantwortung (vor der des Volkes selbst) für den Schutz der Verfassung meist als der Hüter der Verfassung bezeichnet wird 621 . Die letzte Verfassungsverantwortung des Volkes würde sich im Widerstand gemäß Art. 20 Abs. 4 GG zeigen, wenn auch der Verfassungsschutz des Bundesverfassungsgerichts versagen sollte622. Die Verantwortung des Verfassungsgerichts für die Rechtlichkeit der Gesetze rechtfertigt es, das Gericht, genauer seine beiden Senate, als eine "Dritte Kammer" zu bezeichnen623. Die Grundrechte hätten nicht die systembestimmende Relevanz im grundgesetzlichen Verfassungsstaat 624, welche Art. 1 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 2 GG unterstreichen, das Grundgesetz hätte die Verfassungsstaatlichkeit nicht vollendet625, wenn die Mißachtung der Verfassung durch den Gesetzgeber nicht abgewehrt werden könnte626. Das Rechtsprinzip läßt sich durch keine Verfassung sicherstellen; denn seine Verwirklichung hängt von der Moralität der Bürger und ihrer Vertreter ab627. Die Einrichtungen

Ausfertigung der Bundesgesetze, in: FS K. Carstens, 1984, S. 545 ff., insb. S. 556 f. 621 So schon im Erl. Teil des ChE. S. 88 - 90 (Das Bundesverfassungsgericht soll "oberste Instanz in Fragen des Bundesstaatsrechts und damit Hüter der Verfassung im wahrhaften Sinne sein"), vgl. v. Doemming, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 669; K. Stern, Staatsrecht II, S. 952 ff.; vgl. ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 31 zu Art. 93; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 3 zu Art. 94; ders., in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ullsamer, BVerfGG, Komm, Stand 1989, Rdn. 8 zu § 1; vgl. auch BVerfGE 49, 89 (125); zur Weimarer Diskussion um den Hüter der Verfassung insb. C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 63 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 12 ff., 132 ff.; bereits der Staatsgerichtshof hat sich als Hüter der Verfassung bezeichnet, RGZ 118 Anh. S. 4; vgl. dessen Präsidenten W. Simons, DJZ 1924, 246; weitere Hinweise in Fn. 471, 9. Teil, 3. Kap., S. 909 f. 622 I.d.S. G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 672; D. Grimm, Verfassungsgerichtsbarkeit im demokratischen System, JZ 1976, 697; vgl. schon J. Ρopitz, Wer ist Hüter der Verfassung? 1931, abgedruckt in: C. Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 101 ff.; dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 961 ff.; auch 5. Teil, 3. u. 6. Kap., S. 249 f., 417 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff. 623 So etwa R. Marcic, Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 323; ebenso W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1024; vgl. K. Stern, Staatsrecht II, S. 956 f.; M. Kriele, HStR, Bd. V, S. 104 ("dritte politische Kammer"). 624 Zum Begriff Verfassungsstaat 1. Teil, 3. Kap., S. 24, 29, 39. 625 Dazu Hinweise in Fn. 696, S. 950. 626 So auch J. Wintrich/H. Lechner, Die Verfassungsgerichtsbarkeit, HGrR III, 2, 1959, S. 649; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 953; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 34, 36 zu Art. 93; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, Der Staat 19 (1990), S. 21 ff.; vgl. für die neben der der USA vorbildliche österreichische Verfassungsgerichtsbarkeit A. Merkl, VVDStRL 5 (1929), S. 102. 627 Ganz i.d.S. K. Hesse, HVerfR, S. 19 f.

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

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der Verfassung sollen aber die Rechtlichkeit und dadurch die Freiheitlichkeit des Gemeinwesens bestmöglich sichern. II.

Kompensation der parteienstaatlichen Parteilichkeit durch die befriedende Rechtlichkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit Die Kontrolle der Verfassungstreue des Gesetzgebers durch ein unabhängiges Gericht ist nach aller Erfahrung die bestmögliche Einrichtung, wenn das Gericht so ausgestaltet ist, daß es dieser Verantwortung genügen kann, obwohl die Rechtserkenntnisse des Verfassungsgerichts gesetzgeberische Funktion haben. Spezifisch die von Carl Schmitt kritisierte Kompetenz des Verfassungsgerichts, "über die Richtlinien der Politik und den Inhalt der Gesetze" zu entscheiden628, hat die grundgesetzlich verfaßte Republik stabilisiert, weil die moralischen Desiderate der parteienstaatlichen Gesetzgebung dem Recht und damit dem Gemeinwesen nicht empfindlich schaden konnten. Die interessenhafte Parteiendemokratie 629 hat in dem ganz dem Recht verbundenen Verfassungsgericht eine republikanische Instanz der Kompensation630, gerade weil das Bundesverfassungsgericht ein Verfassungsorgan mit höchster politischer Kompetenz ist, der Aeropag nämlich, der Senat im eigentlichen Sinne631. Carl Schmitt wollte die Verfassungsgerichtsbarkeit wie die Justiz auf eine gesetzesabhängige Rechtsprechung beschränken und mußte demgemäß "die Verfassungsjustiz" als einen "Widerspruch in sich" empfinden 632. "Es würde nicht etwa die Politik juridifiziert werden, sondern die Justiz politisiert." - Carl Schmitt 633 Selbst Schmitt hat sein Verdikt gegen die notwendig übergesetzliche politische Kompetenz der Verfassungsgerichtsbarkeit von dem Gegensatz von Recht und Politik leiten lassen, obwohl er wußte, daß "echte Verfassungs-

628 Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 98; vgl. auch die Kritik an der gerichtlichen Normenkontrolle, in: Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; weitere Hinweise in Fn. 621 mit Fn. 471, 9. Teil, 3. Kap., S. 909; auch 9. Teil, 2. Kap., 882 ff. 629 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; auch 10. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff. 630 Dazu 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 631 Dazu G.-K Kaltenbrunner, Elite, S. 67 f., der F.A. v. Hayek zitiert (Zitat 8. Teil, 1. Kap., S. 681 zu Fn. 236); R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 336 ff.; vgl. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 956 ff.; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, Der Staat 19 (1990), S. 25. 632 Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 98; i.d.S. nicht anders in: Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 621. 633 Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 98.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Streitigkeiten immer politische Streitigkeiten sind" 634 . Die Kompetenzen eines Verfassungsorgans bestimmt die Verfassung. Sie müssen legitimiert und der Besetzung und dem Verfahren adäquat sein. Auch insofern ist die Konzeption des Bundesverfassungsgerichts gelungen635. Der Begriff der Rechtsprechung aber verdrängt nicht das Politische aus dem Kompetenzbereich des Bundesverfassungsgerichts, sondern verpflichtet das Gericht auf die Erkenntnis des Rechts, sei es gesetzesgebunden oder nicht. Daß Rechtserkenntnis nicht von Gesetzen abhängt, wußte auch Carl Schmitt, wie sein Hinweis auf den mittelalterlichen Jurisdiktionsstaat zeigt 636 , aber er wollte einen liberalen-monarchisch geprägten Rechtsprechungsbegriff bewahren, dessen logisches Kriterium die Abhängigkeit vom Gesetz ist 637 . Schmitt hat auch mit dieser Lehre Schule gemacht638, aber nicht die Väter des Grundgesetzes, die Väter der deutschen Republik, beeindruckt. "Der von uns geforderte Verfassungsgerichtshof soll auch das Recht haben zu prüfen, ob ein Gesetz seinem Inhalt nach dem Geist und den naturrechtlichen, menschenrechtlichen Grundlagen der Verfassung entspricht, wie dies z.B. beim Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten der Fall ist, welcher über den Willen des Gesetzgebers hinaus zum Hüter der Verfassung, zum Wahrer des Naturrechts und zum verkörperten Gewissen der Volksgesamtheit geworden ist. Wir haben keine Angst vor der von dem mit zwei Υ geschriebenen Namensvetter des Herrn Kollegen Carlo Schmid an die Wand gemalten Gefahr einer sogenannten justizförmigen Politik." - Adolf Süsterhenn im Parlamentarischen Rat 639

634

Verfassungslehre, S. 136; dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff., insb. S. 912 ff.; zu Schmitts Begriff des Politischen 8. Teil, 4. Kap., S. 748 ff.; vgl. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 957, der ebenfalls die "kategorialen Argumentationsfiguren Gericht oder Parlament bzw. Regierung einerseits und Recht oder Politik andererseits" als "einen prinzipiell falschen Ansatz" ablehnt; vgl. ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 35 ff., 47 ff. zu Art. 93; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, Der Staat, 19 (1990), S. 21 ff. 635

Dazu 9. Teil, 6. Kap., S. 963 ff. Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 98; dazu 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 870 ff., 885 ff., 909 ff. mit Fn. 352, 489. 637 Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 79, 83 f., 100; Verfassungslehre, S. 133; Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; dazu 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 870 ff., 885 ff., 909 ff. mit Fn. 352, 593. 638 Vgl. die Hinweise in Fn. 286, 352, 489, S. 873, 876, 883, 914. 639 Stenographischer Bericht, S. 25, 2. Sitzung vom 8.9.1948 (Hervorhebung von mir); von C. Schmitt selbst zitiert in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 105 f. 636

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

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Die, wenn man so will, herausragende politische Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts ist ein Stützpfeiler der grundgesetzlichen Republik, weil sie die politischen Möglichkeiten der pluralen Parteienoligarchie 640 auf ein erträgliches Maß schmälert. Nur auf eine politische Großtat sei hingewiesen, deren Folgen Deutschland, Europa und die Welt verändert haben: Die Verteidigung der deutschen Staatsangehörigkeit aller Deutschen und damit die Verteidigung der Freizügigkeit aller Deutschen in Deutschland641. Die besondere politische Verantwortung des Bundesverfassungsgerichts, die aus der Kompetenz, die Verfassung zu verwirklichen, erwächst, ist ein Fortschritt zum inneren Frieden, zum Recht im Gemeinwesen, die "Krönung des Rechtsstaates" (Josef Wintrich) 642. Zugleich führt die Verfassungsgerichtsbarkeit die institutionellen Schwächen des parteienstaatlichen Parlamentarismus, vor allem die der Fraktionierung des Parlaments, die mit dem Verhältniswahlsystem verbundene Negativauslese der Abgeordneten, u.a., vor Augen 643 , weil sie befriedend zur Rechtserkenntnis beiträgt, ohne parteiendemokratisch konzipiert oder verzerrt zu sein. Im Gegenteil beruht die republikanische Leistungsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts wesentlich auf seinen der Parteilichkeit fernen Organeigenschaften. Allerdings macht die etablierte Parteilichkeit der Richterwahl Sorgen, die durch die Kompetenzen des Bundestages und des Bundesrates nach Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG, § 5 Abs. 1 BVerfGG, die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts zu wählen, ermöglicht ist 644 ; denn die beiden Gesetzgebungsorgane sind zu Instrumenten der Parteienoligarchie verkommen, der

640

Dazu 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. BVerfGE 2, 266 (272 ff.); 36, 1 (16 ff., 29 ff.). 642 HGrR III, 2, S. 649; vgl. H. Jahrreiss, Die Rechtslage im Bonner Grundgesetz, Verh. des 37. DJT, 1949, 1950, S. 29 ff.; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 953 f.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 34, 36 zu Art. 93; Th. Maunz, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/KleinAJllsamer, BVerfGG, Komm., Rdn. 9, 11, zu § 1 ("Garant der Verfassung", "Hort des Rechtsstaates"); vgl. auch in und zu Fn. 696, S. 950. 643 Dazu 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 676 ff., 801 ff.; 10. Teil, 4., 5. u. 8. Kap., S. 1086 ff., 1113 ff., 1147 ff. 644 Dazu kritisch R. Thoma, Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts, S. 262 f., der § 6 BVerfGG (Wahl der Richter durch zwölf Wahlmänner, die nach den Regeln der Verhältniswahl auf Vorschlag der Fraktionen vom Bundestag gewählt werden) zu Recht für verfassungswidrig erklärt; mit berechtigter scharfer Kritik, die durchaus verbreitet ist, W.K. Geck, HStR, Bd. Π, S. 705 ff.; vgl. auch K. Kröger, Richterwahl, FG BVerfG I, S. 76 ff.; Hinweise auf Befürworter der Wahlregelungen in Fn. 819, 10. Teil, 6. Kap., S. 977. 641

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Bundestag völlig 645 , während der Bundesrat sich trotz aller unitarischer Tendenzen auch als föderalistisches Organ, als Bundesorgan der Länder, wie ihn Art. 50 GG konzipiert, behauptet646. Das ist vor allem dem Freistaat Bayern zu danken, dessen Eigenständigkeit durch eine eigenständige Partei, die CSU, der Sache nach die Bayerische Staatspartei, stabilisiert ist. Das Wahlverfahren des Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG birgt die Gefahr, daß das Bundesverfassungsgericht zu einem gemeinsamen Ausschuß der beiden wählenden Häuser degeneriert. Das Grundgesetz hat, wohl gegenüber der Entwicklung des Parteienstaates arglos, ausgerechnet die Richter des Bundesverfassungsgerichts, deren Aufgabe die Kontrolle des nunmehr parteilichen Gesetzgebers ist, dem Einfluß der Parteienoligarchie ausgeliefert. Auch den Schutz der Verfassung durch das Bundesverfassungsgericht bringt der entwickelte Parteienstaat in Gefahr, ein Argument mehr, daß diese Entwicklung durch Art. 21 GG nicht legitimiert ist. Das Wahlverfahren hat zur Stabilisierung der Parteienoligarchie beigetragen. Allerdings werden die Richter des Bundesverfassungsgerichts nach § 4 Abs. 1 und 2 BVerfGG nur einmal für zwölf Jahre gewählt. Diese Regel stützt die Unabhängigkeit der Richter auch gegenüber der Parteienoligarchie. Darum dürfte die Gefahr, welche das Wahl verfahren des Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG im Parteienstaat in sich birgt, sich jedenfalls nicht sichtbar verwirklicht haben647. Das Bundesverfassungsgericht hat es ini Lauf seiner jahrzehntelangen Praxis vermocht, neben der Bundesbank648 das politische Organ mit der größten Autorität zu sein. Das beweist, daß seine Einrichtung sich bewährt hat, obwohl der Parteienstaat auch diese gefährdet 649. Freilich wäre die Parteienoligarchie schlecht beraten, auch das Bundesverfassungsgericht mit mediokren Persönlichkeiten zu besetzen, nicht nur, weil das Gericht ver-

645 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 3. Teil, 3. Kap., S. 196 f.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. 646 Dazu Κ Stern, Staatsrecht II, S. 111 ff., insb. S. 123 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 609 ff., S. 233 ff.; O. Kimminich, Der Bundesstaat, HStR, Bd. I, S. 1147 ff. 647

Dazu 9. Teil, 6. Kap., S. 944 f., 982 ff. Dazu Κ Stern, Staatsrecht II, S. 464 ff., 467 ff., 474 ff., 481 f., 491 ff., der wie viele S. 467 ff. die Verfassungsorganqualität und S. 491 ff. die Verfassungsgarantie der Unabhängigkeit der Bundesbank zu Unrecht verneint; dazu D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 88, Anm. III, IV mit Fn. 153; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 21 zu Art. 88; O. Hahn, Währungsrecht, 1990, S. 255 ff., insb. S. 261 ff. (wie Κ Stern); H.H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 356 ff.; R. Schmidt, Geld und Währung, HStR, Bd. III, S.1123 ff., 1136 ff.; vgl. BVerGE 41, 334 (354 ff.). 648

649

Dazu W.K Geck, HStR, Bd. I, S. 705 ff.

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

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bindliche Entscheidungen mit politisch unabsehbarer Tragweite zu treffen hat, sondern weil das Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht das Mißtrauen in den Parteienstaat derart kompensiert, daß das grundgesetzliche Gemeinwesen eine hohe Stabilität erreicht hat 650. Die Parteienoligarchie kann sich um ihre Interessen, insbesondere um die Wiederwahl, kümmern, weil das Recht beim Bundesverfassungsgericht, aber auch bei den Gesetzesgerichten insgesamt in guten Händen ist. Vor allem die gesetzgebende Funktion der Rechtsprechung entlastet den Gesetzgeber und ermöglicht der die parlamentarische und auch die föderale Gesetzgebung beherrschenden Parteienoligarchie den republikwidrigen Mißbrauch der Ämter für die eigenen Interessen651. Die parteienstaatlichen Parlamente sind nicht nur durch die Parteienoligarchie ihrer republikanischen Substanz beraubt 652, sondern haben auch durch die Verfassungsrechtsprechung mit deren Verantwortung für das Recht wesentlich an Bedeutung verloren, abgesehen von der Kompetenzverlagerung auf die Europäischen Gemeinschaften. Der nivellierte Parlamentarismus ist nicht die Wirklichkeit einer entwickelten Republik. Dennoch ist die Verfassungsrechtsprechung republikanisch, weil sie der spezifischen Gefahr des Republikanismus, dem Mißbrauch der Kompetenzen für Interessen und zur Herrschaft, entgegenwirkt. Die Wirklichkeit des Republikanismus hängt von der Moralität der Bürger und vor allem der Moralität der Vertreter der Bürgerschaft im Parlament ab. Weil diese Moralität nicht erzwingbar ist, ist der Mißbrauch geradezu systemspezifisch. Die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts dient, wie hervorzuheben ist 653 , der Förderung der praktischen Vernünftigkeit der Gesetzgebung. Jedenfalls ist es ein wesentlicher Unterschied, ob die Erfüllung einer Verpflichtung, in diesem Zusammenhang die zur Verwirklichung der Verfassung, kontrolliert werden kann oder nicht. Dem parteienstaatlichen Gesetzgeber die letzte Verantwortung für die Verfassungsmäßigkeit der Politik und das heißt die Verantwortung - für die den Leitentscheidungen des Grundgesetzes gemäße praktische Vernunft im gemeinsamen Leben zu überlassen, wäre nach aller Erfahrung die Institutionalisierung des Unfriedens. Die stärkste Barriere gegen den Bürgerkrieg, die Verfassungsgerichtsbarkeit,

650

Dazu 9. Teil, 6. Kap., S. 963 ff., insb. S. 967 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff. 651 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 779 ff.; 10. Teil, 3., 5. u. 8. Kap., S. 1060 ff., 1113 ff., 1153 ff. 652 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 653 9. Teil, 2., 5., 6., 7. u. 8. Kap., S. 858 ff., 956 ff., 963 ff., 978 ff., 990 ff.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

wäre eingerissen. Die Abgeordneten haben die Pflicht zur Moralität 654 ; nichts aber stellt sicher, daß sie ihre Unabhängigkeit nicht für besondere Interessen mißbrauchen, ganz im Gegenteil, die Fraktionen sind die Bündnisse des Mißbrauchs der Abgeordneten, die sich entgegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG den Beschlüssen der Parteien, der Sache nach den Weisungen der Parteienoligarchie, unterwerfen 655. Das hängt eng mit dem Wahlsystem zusammen, welches die Sittlichkeit der Bürger nicht nur nicht fördert, sondern behindert 656. Wegen der offenen Verantwortung für das Recht ist das Bundesverfassungsgericht auch namens des Volkes Hüter der Sittlichkeit 657 . Keinesfalls sollte einem parteienstaatlichen Parlament die letzte Entscheidung über das Recht überlassen bleiben. Dafür ist es nicht eingerichtet. Weder sind die Abgeordneten geeignet, Rechtsfragen verantwortlich zu entscheiden, noch läßt die Größe des Parlaments einen rechtlichen Diskurs zu, der unabdingbar einer Rechtserkenntnis vorausgehen muß658. In jeder Weise ist das Bundesverfassungsgericht bei der Erkenntnis des Rechts dem Gesetzgeber überlegen. Es hat seiner Gestaltung nach eine weitaus höhere Chance zur Moralität 659 . Irgendein Organ muß die letzte ordentliche und allseits verbindliche Entscheidung in Sachen des Rechts treffen. Das Bundesverfassungsgericht ist dafür bestens geeignet. Immerhin können seine Entscheidungen durch verfassungsänderndes Gesetz oder notfalls durch Verfassungsänderung korrigiert werden, wenn sie der Lage nicht gerecht werden und das Gericht sie nicht selbst korrigiert. Ausdruck (nicht Kriterium) der Richtigkeit einer verfassungsgerichtlichen Rechtserkenntnis ist die Akzeptanz derselben in der öffentlichen Mei-

654 Dazu 8. Teil, 1., 3. u. 5. Kap., S. 662 ff., 670 ff., 728 ff., 799 ff., 810 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; 9. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 819 ff., 858 ff.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff. 655 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., 805 ff.; 10. Teil, 4., 5. u. 8. Kap., S. 1086 ff., 1113 ff., 1147 ff. 656 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. 657 Ganz i.d.S. A. Süsterhenn im Parlamentarischen Rat, wenn auch naturrechtlich geprägt, vgl. das Zitat S. 939. 658 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 648 ff., 668 ff., 716 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. 659 Dazu 9. Teil, 6. Kap., S. 963 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 ff.

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

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nung 660 ; denn diese zeigt, daß die Entscheidung befriedet 661. Meist ist dem Bundesverfassungsgericht die Befriedung des öffentlichen Streits um das Recht gelungen, in den Entscheidungen zur Strafbarkeit der Abtreibung 1975 (BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff.) allerdings nicht 662 . Es ist für die Erkenntnis des Rechts auch hilfreich, daß den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen nicht nur die Entscheidungen des Gesetzgebers vorausgehen, sondern auch eine oft langdauernde Diskussion in der Öffentlichkeit. Der Diskurscharakter der verfassungsgerichtlichen Erkenntnisse ist im Vergleich zu denen des Parlaments in hohem Maße gesichert. Das schützt nicht vor Irrtümern, aber vor Parteilichkeit. Die größte Gefahr für die Unparteilichkeit ist die Fraktionierung 663, die sich in einem Senat mit acht Richtern kaum realisieren kann, schon weil sie zutiefst dem richterlichen Ethos der Unabhängigkeit, aber auch der Wissenschaftlichkeit der die beiden Senate dominierenden Rechtswissenschaftler widerspräche. Eine Fraktionierung wäre mit der Persönlichkeit von Richtern des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar, geschweige denn mit deren Amt. Allein schon die Fraktionierung zeigt angesichts des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG das Persönlichkeitsdefizit der Abgeordneten. Die Sittlichkeit des Volkes, dessen praktische Vernünftigkeit, ist beim Bundesverfassungsgericht als dem wesentlichen Hüter der Verfassung in guten Händen, jedenfalls der Idee der Institution nach. III.

Das sittliche Defizit des parteienstaatlichen Parlamentarismus und die Förderung der Rechtlichkeit durch die Moralität des Verfassungsgerichts (die Mehrstufigkeit des Verfahrens der Sittlichkeit) Weil Gesetzgebung, soll sie Recht setzen, Erkenntnis des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit voraussetzt, also Moralität erfordert 664, steht unvermeidlich die Moralität des Gesetzgebers, nämlich die praktische Vernünftigkeit seiner Gesetze, auf dem Prüfstand der Gerichte. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, ob

660

Dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; so G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 686. Zur Relevanz von öffentlicher Akzeptanz im repräsentativ entscheidenden Gemeinwesen etwa E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. II, S.38, 39 f., 42 f.; dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 695 ff. 662 Dazu auch 9. Teil, 5. Kap., S. 958 f. mit Hinweisen. 663 Zur parteilichen Fraktionierung des Parlaments 8. Teil, 5. Kap., S. 778 ff., 798 ff., 812 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; auch 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 ff. 664 Dazu die Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819; Fn. 654, S. 942. 661

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

der Gesetzgeber die Grenzen des praktisch Vernünftigen überschritten oder eingehalten hat. Das ermöglicht moralische Vorwürfe, welche an sich republikanisch anstößig sind. Moralität kann nicht erzwungen werden; denn der Gerichtshof der Sittlichkeit ist das Gewissen665. Dennoch kann das Procedere der Moralität überprüft werden. Die Verletzung von Verfahrensvorschriften etwa verletzt nicht nur die Legalität, sondern auch die Moralität; denn Moralität erfordert zunächst einmal die uneingeschränkte Legalität 666 . Aber auch die Rechtserkenntnisse sind überprüfbar. Sonst wäre die Kritik der Rechtlichkeit der Gesetze nicht möglich. Jeder Bürger ist berechtigt und verpflichtet, zu prüfen, ob die Gesetze praktisch vernünftig sind. Jeder Bürger ist Hüter der Verfassung 667. Wer ein anderes Gesetz als der Gesetzgeber für richtig hält, kritisiert notwendig die Erkenntnisse des Gesetzgebers. Die Moralität ist der Jurisdiktion nicht fremd. Die Überprüfbarkeit der Moralität ergibt sich aus der Überprüfbarkeit aller Rechtserkenntnisse. Das Maß der gesetzlichen Bindung der Rechtserkenntnis ist dafür unerheblich. Das ist dargetan und wird für die Dogmatik des Art. 2 Abs. 1 GG noch einmal vorgestellt 668. In Moralität bringt der Richter eine Erkenntnis des Richtigen, eine Rechtserkenntis, hervor, deren moralischer Status keinen höheren und keinen niedrigeren Rang hat als die Erkenntnis des Gesetzgebers. Die mögliche Unterschiedlichkeit der Erkenntnisse qualifiziert sie aber als gegenseitige Maßstäbe des Richtigen. Die Erkenntnis des Richters setzt sich je nach der Kompetenzlage durch. Die Rechtlichkeit der Gesetze ist eine Funktion der Moralität des Gesetzgebers669. Nichts anderes gilt für die funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis des Richters. Trotz jeweiliger Moralität können die Ergebnisse der Erkenntnisbemühungen divergieren. Die nach der Verfassung oder den Gesetzen verbindliche Erkenntnis hat zwar nicht die höhere Moralität für sich, kann aber beanspruchen, Verwirklichung der praktischen Vernunft, des moralischen Imperativs des Gemeinwesens zu sein. Eine andere Logik der Überprüfung von Erkenntnissen, deren Richtigkeit von der Moralität des Erkenntnisorgans abhängt, gibt es

665

Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff.; 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 665 ff., 810 ff. Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 305 ff. 667 Dazu 9. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 820 f., 929 f.; 9. Teil, 1. u. 8. Kap., S. 850 ff., 990 f. 668 9. Teil, 7. Kap., S. 982 ff. 669 Dazu die Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819; Fn. 563, 9. Teil, 3. Kap., S. 926; Fn. 354, 9. Teil, 2. Kap., S. 884; insb. 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff., 672 ff. 666

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

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nicht. Es ist die Logik jeder Rechtsmittelentscheidung, wenn der Entscheidungsgegenstand sich nicht ändert. Der moralische Status einer Rechtserkenntnis ist abhängig von der Moralität dessen, der zu erkennen hat, aber dennoch gibt es Erkenntnishierachien, deren Institutionalisierung selbst vom Prinzip der praktischen Vernunft gefordert ist. Verschiedene Erkenntnisse in derselben Sache können nicht alle richtig, aber alle moralisch sein. Spezifisch diese Einsicht rechtfertigt die Überprüfung gesetzgebender Erkenntnisse, schließlich die Verantwortung aller Bürger für ihr Recht670. Die Richtigkeit eines Gesetzes hängt nicht nur vom guten Willen des Gesetzgebers, also seiner Moralität, ab, sondern auch von der empirischen Wahrheit seiner Erkenntnisse671 und der normativen Richtigkeit. Um diese hat sich zu bemühen, wer das Richtige erkennen will. Dies fordert das Sittengesetz. Sittlichkeit ist eine Erkenntnisleistung, die den guten Willen, Moralität, voraussetzt, aber dennoch irrtümlich sein kann. Kein Gesetz kann richtig sein, dessen Politik nicht auf der Wahrheit beruht 672. Die Wahrheit ist die bestmögliche Annäherung der Theorien an die Wirklichkeit. Sie hängt von der richtigen Erkenntnistheorie ab 673 . Das Autonomieprinzip der Art. 1 Abs. 1 S. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und zugleich die durch ein Gesetz betroffenen besonderen Grundrechte sind verletzt, wenn die Vertreter des Volkes sich nicht von der Wahrheit leiten lassen. Das Richtige selbst ist Gewissenssache, Ausdruck praktischer Vernunft 674, aber es ist an die grundrechtlichen Leitentscheidungen gebunden. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur die Grundrechte zu entfalten und zur Geltung zu bringen, sondern auch die Wahrheitlichkeit der Gesetzgebung zu hüten. Die grundrechtlich geleitete Sachlichkeit ist Verfassungsprinzip der Republik, verankert im Freiheitsprinzip und in den besonderen Grundrechten.

670 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 560 ff. (insb. S. 582), 584 ff.; 9. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 820 ff., 929 ff. 67 1 H. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 61 ff.; dazu 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 567 ff., 584 ff.; auch 10. Teil, 4. Kap., S. 1095 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 674 ff. 67 2

Η: Arendt, Wahrheit und Politik, S. 61 ff. Dazu K.A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 100 ff., insb. S. 105 ff.; KR. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 1 ff., 44 ff., 52 ff., 59 ff., 100, 276, 332 ff., 337, 342 u.ö.; ders., Logik der Forschung, S. 214, 219 u.ö.; vgl. auch M. Kriele, Recht und praktische Vernunft, S. 34; K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 197 ff. 674 Dazu 5. Teil, 2., 3. u. 4. Kap., S. 265 ff., 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff., insb. 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 655 ff., 810 ff. 673

50 Schachtschneider

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Die Grundrechte erlauben, auch Irrtümer der Vertreter des Volkes zu korrigieren, freilich auf die Gefahr hin, daß das Bundesverfassungsgericht als die Instanz, der die Korrektur obliegt, Richtiges durch Falsches, den vermeintlichen Irrtum durch einen wirklichen Irrtum ersetzt. Die Irrtümer nehmen den Gesetzen den Richtigkeitsgehalt. Der schwer vermeidbare Mangel an Richtigkeit relativiert die republikanische Legitimität, die praktische Vernünftigkeit der irrtumsbehafteten Entscheidungen der staatlichen Organe. Irrtümliche Entscheidungen sind material freiheitswidrig, ohne daß ihnen der Vorwurf der Herrschaft/der Despotie gemacht werden kann. Irrtümer verletzen nicht die republikanische Pflicht zur Erkenntnis, nicht die Pflicht zur Moralität. Irrtümliche Gesetze sind zu achten, als seien sie Recht, solange sie nicht korrigiert sind. Die Verteidigung der Freiheit gegen den Irrtum ist im offenen Diskurs um das Wahre und Richtige, um das Recht also, institutionalisiert 675, dessen Behinderung die republikanische Verfassung im Kern verletzt und die Widerstandslage des Art. 20 Abs. 4 GG heraufbeschwört 676. Gegen den Irrtum über den Wesensgehalt der Grundrechte soll aber auch das Bundesverfassungsgericht Schutz geben. Dieser Schutz ist nur dadurch möglich, daß das Bundesverfassungsgericht sich um irrtumsfreie Erkenntnis des praktisch Vernünftigen bemüht. Zu Recht ist das Bundesverfassungsgericht im Interesse des gegenseitigen Respekts der Organe bemüht, Vorwürfe gegen den Gesetzgeber zu verbergen, insbesondere dadurch, daß es den Willkürvorwurf objektiviert 677. Ob der Gesetzgeber sich geirrt hat oder es an guten Willen hat fehlen lassen, also seine Kompetenz um besonderer Interessen willen mißbrauchen wollte, ist schwer entscheidbar und muß meist nicht entschieden werden. Diese Unentscheidbarkeit des moralischen Versagens rechtfertigt es aber, daß die Richter das Ergebnis der Bemühungen des Gesetzgebers, das Gesetz, auf die Richtigkeit hin überprüfen und nicht nur die Moralität des Erkenntnisweges, also die Qualität des Diskurses zum Gegenstand ihrer Überprüfung machen678. Auch der Irrtum soll korrigiert werden, weil selbst der entschuldbare Irrtum die Mißachtung der Grundrechte nicht recht-

675 Ganz so BVerfGE 5, 85 (197 ff., 204 ff.); zur Diskursethik 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff., 601 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; auch 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 648 ff., 662 ff., 716 ff. 676 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 ff. 677 Vgl. etwa BVerfGE 2, 266 (281); 4, 144 (155); st.Rspr.; vgl. P. Kirchhof, Objektivität und Willkür, in: FS W. Geiger, 1989, S. 86 f. 678 Dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 982 ff.; auch 9. Teil, 1. u. 8. Kap., S. 850, 990 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 673.

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

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fertigt. Der Mißbrauch der Vertretungsmacht dagegen ist der Mangel an Respekt vor der Verfassung, insbesondere vor den grundrechtlichen Leitentscheidungen. Dieser Mißbrauch ist vorwerfbar und meist Kennzeichen der Herrschsucht, Habsucht oder Ehrsucht. Er sollte nicht sanktionslos bleiben. Abgeordnete, welche die Verfassung aus wahltaktischen Gründen verletzten, etwa die Verantwortung für eine Politik dem Bundesverfassungsgericht zuschieben, sollten ihr Mandat verlieren. Derartige Manipulationen waren in Hamburg und Schleswig-Holstein zu beobachten, als dort offenkundig verfassungswidrige Ausländerwahlgesetze verabschiedet wurden 679. Im Verfassungs- und damit Verfassungsgerichtsstaat des Grundgesetzes reagieren die Grundrechte auch auf die Gefahr interessenhafter, parteilicher Vernunftwidrigkeit, auf die Erfahrung mangelnder Moral, die zu Mißgriffen der Abgeordneten bei der Gesetzgebung führen kann, auf die Gefahr der Mißachtung der bürgerlichen Allgemeinheit durch Herrschaft oder auf die Gefahr des Irrtums über die Wirklichkeit oder über das die Leitentscheidungen des Grundgesetzes respektierende Richtige. Die parlamentarische Gesetzgebung vermag den allgemeinen Diskurs, der praktische Vernünftigkeit als Verwirklichung der Freiheit aller gewährleistet680, nach allen Erfahrungen genausowenig sicherzustellen wie eine plebiszitäre Gesetzgebung. Die Vertretung des ganzen Volkes durch die Abgeordneten ist, wenn auch notwendig681, so doch für die allseitige Unparteilichkeit auch eine Gefahr. Moralität hat ihren spezifischen Schein in der Heuchelei, die Wahrheit in der Lüge, die Richtigkeit in der Ideologie, alles tagtäglich zu beobachtende Erscheinungsformen des Parteienstaates, der typisch die Form der Republik mißbraucht 682. Im entwickelten Parteienstaat als der typischen Fehlform der Republik683 ist zu erwarten, daß das Maß an Rechtlichkeit der Gesetze ungenügend ist; denn die parteilichen Parteien pflegen den allgemeinen Diskurs, den Weg der praktischen Vernunft 684,

679

Dazu BVerfGE 83, 37 ff.; 83, 60 ff. Dazu 8. Teil, 1., 3. u. 5. Kap., S. 637 ff., 707 ff., 772 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; insb. J. Habermas, Moralbewußtsein, kommunikatives Handeln, S. 53 ff., 74 ff.; ders., Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 349 ff., 516 ff. u.ö., der die Diskursethik in eine Dogmatik "deliberativer Politik" prozeduralistischen Rechtsverständnisses einfügt; dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 597 ff. 681 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 643 ff. 682 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff, (insb. S. 805 ff.); auch 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff. 683 Dazu 10. Teil, 2. Kap., S. 1054 ff. (insb. S. 1057); 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. (insb. 792 ff., 814). 684 Dazu 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; Hinweise in Fn. 675, S. 946. 680

60*

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

zu behindern, ja soweit sie herrschen, zu verhindern 685. Wegen dieser Wirklichkeit, ideologisiert im Prinzip der Mehrheitsherrschaft 686, haben sich die Grundrechte auch dem parlamentarischen Gesetzgeber gegenüber als unverzichtbare Einrichtung zur Kompensation der moralischen Defizite des Parlamentarismus erwiesen und bewährt. Die Moralität des parteienstaatlichen Gesetzgebers scheitert jedoch schon an der Bündnishaftigkeit der Parteien und Fraktionen 687. Wer die Richtigkeit einer Erkenntnis nicht ausschließlich von seinem Gewissen abhängig macht, kann nicht moralisch handeln, selbst wenn das Ergebnis, das Gesetz, auf dem Prüfstand der praktischen Vernunft, also im Verfassungsprozeß, Bestand hat. Der parteienstaatliche Parlamentarismus ist seiner Anlage nach der in der Republik geforderten Moralität zuwider 688, weil er in der Regel den Abgeordneten weder Meinungen zugesteht, noch gar den allgemeinen Diskurs der Bürger um das richtige Gesetz fördert. Im Gegenteil sind wichtige Herrschaftsmittel Heuchelei und Lüge 689 , Tabuisierung und Stigmatisierung und darum das Defizit an Glaubwürdigkeit die Normalität des Parteienstaates, das aber schon mit der Parteilichkeit als solcher verbunden ist. Die Richtigkeitskontrolle über den parlamentarischen Gesetzgeber institutionalisiert das Mißtrauen in die Moralität der parlamentarischen Vertreter des Volkes und trifft darum auf keine republikanischen Bedenken. Das Mißtrauen entspringt der Erfahrung, die zur Grundrechtsverfassung geführt hat. Diese Institution des bürgerlichen Mißtrauens ist das Bundesverfassungsgericht, das die Bedenken gegen die Richtigkeit der Gesetze, die in wie auch immer geordneten Verfahren aus dem Volke auf das Gericht zukommen, zu einer verbindlichen Entscheidung führen soll. Die Grundrechte haben somit eine die parlamentarische Herrschaft, also heute vor allem die Parteienoligarchie, und den Irrtum des Parlaments, nicht aber eine die Staatlichkeit abwehrende Funktion690, wenn sie zu diesem Zweck auch unvermeidbar die Kompetenzen des Gesetzgebers durch deren material

685

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 805 ff.; 10. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff. Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff.; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 687 Dazu 10. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff. 688 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., insb. S. 796 ff., 805 ff., 810 ff. 689 H. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 72 ff.; dies., Die Lüge in der Politik, Überlegungen zu den Pentagon-Papieren, S. 7 ff. 690 Dazu 6. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 441 ff., insb. S. 454 ff. 686

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

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offene Bestimmung und dadurch verfasssungsgerichtliche Bestimmbarkeit begrenzen; denn die Parteienoligarchie muß die staatlichen Institutionen für ihre Herrschaft nutzen, weil den Parteien als solchen vom Volk nicht die Gewalt übertragen ist, die parteilichen Entscheidungen allgemeinverbindlich zu machen. Vorkehrungen gegen den Mißbrauch der Kompetenzen der Volksvertreter als Institutionen der Freiheit zu treffen, ist ständige Aufgabe der Republik691. Neue Mißbrauchstechniken, die der entwickelte Parteienstaat reichlich bis hin zur sogenannten Parteitags- und Koalitionsdemokratie 692 hervorgebracht hat, erfordern neue Abwehrtechniken, insbesondere solche gegen die parteilichen Berufspolitiker. Das ist eine Aufgabe des Gesetzgebers, der als Instrument der Parteienoligarchie an dieser Aufgabe scheitern muß. Darum empfiehlt es sich, die parteienrelevanten Gesetze einem besonderen, parteiunabhängigen Gesetzgeber, etwa dem plebiszitär entscheidenden Volk, zu übertragen 693. Carl Schmitt hat gewarnt: "Aber es erscheint nun bedenklich, gegen den Mißbrauch der Gesetzgebungsform einen Mißbrauch der Justizförmigkeit zu organisieren. Bei einem solchen Versuch hätte, nach einem Wort Guizots - einer der reinsten und typischen Vertreter bürgerlich-rechtstaatlichen Denkens 'die Justiz alles zu verlieren und die Politik nichts zu gewinnen'." - Carl Schmitt 694 Klaus Schiaich hat den Weg, die Moralität des parlamentarischen Gesetzgebers durch geeignete Verfahren zu stärken, gewiesen: "Der Verfassungsrichter unter dem Grundgesetz muß aber - wenn er es schon nicht liebt - das parlamentarische Verfahren zumindest wollen, es verteidigen und stärken, um so dazu beizutragen, daß Kompensation parlamentarischer Formen durch das Bundesverfassungsgericht tendenziell entbehrlich wird." - Klaus Schiaich 695 Der Verfassungsrichter sollte helfen, die Republik aufzubauen, deren Grundstein das Grundgesetz gelegt hat. Diese lebt von einem moralischen

691

Ganz i.d.S. KR. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates,

S. 17. 692

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 807; 10. Teil, 3., 4. u. 8. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1154 f. 694 Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 100 mit Zitat F. Guizots, Des conspirations et de la justice politique, 1846, S. 101; i.d.S. auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 47 ff. 695 VVDStRL 39 (1981), S. 120; i.d.S. auch P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 55 ff. 693

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Parlamentarismus, der das Vertrauen des Volkes verdient. Solange die parteilichen Parteien die Moralität des parlamentarischen Gesetzgebers verhindern, sichert die praktische Vernünftigkeit des Bundesverfassungsgerichts die bürgerliche Freiheit und verhilft dem Gemeinwesen zu Verhältnissen, die der Republik nahe sind. Die Institution des Verfassungsgerichts sollte auch erhalten bleiben, wenn ein Defizit an parlamentarischer Moralität nicht zu beklagen sein sollte. Die Gefahr des Mißbrauchs der sittlichen Kompetenz aus Habsucht, Ehrsucht und Machtsucht, das moralische Versagen also, liegt in der Eigenart des homo phainomenon. Der Mangel an die Moralität der Abgeordneten stützenden Institutionen erhöht die Gefahr, die sogar im Bündnis ihre Institution des moralwidrigen Gewissensersatzes haben. Die Moralität des Bundesverfassungsgerichts hat sich insgesamt bewährt. Sollten die Richter ihr Amt mißbrauchen, wäre das grundgesetzliche Gemeinwesen existenziell bedroht und der Widerstandsfall gegeben. Die Aufsicht über das Bundesverfassungsgericht hat ausweislich Art. 20 Abs. 4 GG das deutsche Volk. Alle Staatsgewalt geht nicht nur vom Volke aus (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG), sondern wird existenziell vom Volke verantwortet. Das Versagen der Gesetzgeber im Parlament und in den Gerichten ist ein Versagen des Volkes, weil die Parlamentarier und die Richter die Vertreter des Volkes sind. Parteiliche Parlamentarier oder gar parteiliche Richter darf ein Volk nicht dulden. Zu Recht gilt die Verfassungsgerichtsbarkeit als die Vollendung des Verfassungsstaates 696. Sie ist auch die Vollendung der Republik, weil die Moralität des Gesetzgebers niemals sichergestellt werden kann. Darum überzeugt es nicht, wenn der funktional gesetzgebenden Rechtsprechung der

696 U. Scheuner, Probleme und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 195; ders., Diskussionsbeitrag, S. 284 ("in gewissem Umfang"... "Krönung des Rechtsstaates", aber "im Grunde viel mehr"); G. Leibholz, Bericht zur "Status"- Frage, S. 224; R. Smend, Festvortrag 26. Jan. 1962, S. 331 ("im rechtsstaatlichen System des Grundgesetzes (...) die abschließende Krönung"); R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 336 ff.; K.A. Schachtschneider, Der Verfassungsgerichtshof für Berlin, JR 1975, 397 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 624 ("Schlußstein des Rechtsstaates"), S. 841 f.; ders., Staatsrecht II, S. 940 ff., 951 ff., 993 f.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 104 ff.; auch H. Quaritsch, Der fortschreitende Verfassungsstaat, Der Staat 17 (1978), S. 428; vgl. auch Isensee, HStR, Bd. I, S. 638 ff.; kritisch C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 63 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; ders., Grundrechte und Grundpflichten, S. 189 ff. u.ö.; auch H. Triepel, Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, VVDStRL 5 (1929), S. 2 ff., 28 ff.; i.S.d! Textes H. Kelsen, zum nämlichen Thema, daselbst, S. 30 ff., 78 ff. (Verfassungsgerichtsbarkeit ist "Garantie des politischen Friedens"); abgewogen K. Korinek, VVDStRL 39 (1981) S 31 ff.; dazu 9. Teil, 4., 6. u. 10. Kap., S. 932 ff., 963 ff., 1027 ff.

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

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Verfassungsgerichte ein aporetischer Charakter nachgesagt wird 697 . Die Prüfungsmacht des Bundesverfassungsgerichts nennt Klaus Schiaich "nicht Kompetenz, sondern Notkompetenz"698. Die Freiheit ist erst vollendet, wenn das Wahre und Richtige in den Parlamenten von den dafür gewählten Vertretern des Volkes erkannt wird, wenn republikanische Aristokraten allein aus Pflicht, dem Sittengesetz gehorchend, das Gesetz geben699. Nur darauf zu vertrauen, ist leichtfertig, wie die Geschichte des Parteienstaates beweist. Aporetische Sorgen nähren sich von dem vor allem durch Carl Schmitt propagierten 700 Begriff der Rechtsprechung, welcher die Bindung an möglichst bestimmte Gesetze, die für die Gesetzesrechtsprechung aus den genannten rechtsstaatlichen Gründen unverzichtbar ist 701 , auf die Verfassungsrechtsprechung überträgt. Das Bestimmtheitsprinzip ist aber für die Verfassungsrechtsprechung weder kompetenzbegründend noch gar demokratisch legitimierend 702. IV. Die Verbindlichkeit der Rechtserkenntnisse des Verfassungsgerichts Chief Justice Ch. E. Hughes hat die Logik des Verfassungsgerichtsstaates in dem folgenden Satz zum Ausdruck gebracht: "We are under a constitution, but the constitution is what the judges say it is." 703 Das amerikanische "is" ist vieldeutig. Die Sätze der Verfassungsrichter ändern die Verfassung nicht. Die Verfassungsrichter sind an ihre Sätze nicht

697

I.d.S. G. Roe lie che, VVDStRL 34 (1976), S. 34 ff.; Ch. Starck, daselbst, S. 65 ff.; H.F. Zacher, Aussprache, daselbst, S. 103; auch O. Bachof\ Aussprache, daselbst, S. 105 ff. 698 VVDStRL 39 (1981), S. 116. 699 I.d.S. auch G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 31 ff.; ganz anders H.H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 228 ff., 253 f., der dem Gesetzgeber die "überlegene demokratische Legitimation" dogmatisch abstreitet, für den entwickelten Parteienstaat völlig zu Recht (dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.). 700 Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff. u.ö.; dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 874 ff. mit Fn. 293, 294; vgl. die Hinweise in Fn. 286, 352, 489, 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 873, 883, 914. 701

Dazu vgl. die Hinweise in Fn. 700; insb. 9. Teil, 2. Kap., S. 880 ff., 885 ff., 904 ff. Dazu 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 871 ff., 886 ff., 890 ff., 921 ff.; allgemein zum Bestimmtheitsprinzip vgl. die Hinweise in Fn. 164, 9. Teil, 1. Kap., S. 850. 703 Zitat bei H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 708, mit weiteren Zitaten, selbst i.S.d. Textes; vgl. P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 2 ff., 5 ff., 16 ff. (Gesamtverantwortung des Verfassungsgerichts); auch Ch. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, Geleitwort. 702

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

selbst gebunden704. Aber die Rechtserkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts haben für den Staat im übrigen die Verbindlichkeit der Verfassung 705. Vor allem der Gesetzgeber muß sich nach diesen Erkenntnissen richten, wenn er die Verfassung nicht verletzen will. Das hindert ihn nicht, eine "inhaltsgleiche oder inhaltsähnliche Neuregelung" zu beschließen, nachdem das Bundesverfassungsgericht eine solche Vorschrift als verfassungswidrig erkannt hat, wenn "die Anpassung der Rechtsordnung an wechselnde soziale Anforderungen und veränderte Ordnungsvorstellungen" das erfordert; denn dadurch wird "einer mit der rechts- und sozialstaatlichen Demokratie unvereinbaren Erstarrung der Rechtsentwicklung" vorgebeugt (BVerfGE 77, 84 (104)). Daß das Bundesverfassungsgericht selbst an seine Erkenntnisse über die Rechtskraft hinaus706 nicht gebunden ist, folgt nicht nur der Logik der Rechtsprechung, sondern gibt auch der Dynamik der politischen Entwicklung707 die notwendige Chance708. Sonst wären die vielen Erkenntnisse, die in den Leitsätzen der Verfassungsgerichtsentscheidungen, meist die tragenden Gründe dieser Entscheidungen, stehen, die Verfassung selbst709. Das Grundgesetz darf nach Art. 79 Abs. 1 GG aber

704

BVerfGE 4, 31 (38 f.); 20, 56 (86 f.); 78, 320 (328); K. Stern, Staatsrecht II, S. 1038, 1042 f.; Ch. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, S. 235 f.; G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 668 f.; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16; W. Löwer, HStR, Bd. III, S. 798 f.; St. Korioth, Die Bindungswirkung normverwerfender Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für den Gesetzgeber, Der Staat 30 (1991), S. 555; restriktiv M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 286 ff. (nur in begründeten Ausnahmefällen). 705 I.d.S. etwa Κ Stern, Staatsrecht II, S. 950, der wie viele zu weitgehend in den Erkenntnissen des Bundesverfassungsgerichts "Verfassungsgebung", einen "abgeleiteten pouvoir constituant"... "aufleuchten sieht"; i.d.S. M. Drath, VVDStRL 9 (1952), S. 96; auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 708; W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 795 ff.; richtig G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 689 ff. 706 BVerfGE 4, 31 (38 f.); 20, 56 (86 f.); 33, 199 (203); 77, 84 (104); M. Sachs, Die Bindung des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 15 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1036 f.; K. Vogel, Rechtskraft und Gesetzeskraft der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in: FG BVerfG I, S. 584 ff.; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16.; W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 794 f. 707 Zur Dynamik der Grundrechtsbegriffe 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff.; auch 9. Teil, 1. Kap., S. 831 ff. 708 So auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 1038; ders., Bonner Komm., Rdn. 37 ff. zu Art. 93 ("in Grenzen auch entfalten, nicht aber neu schaffen"); J.P. Müller, VVDStRL 39 (1981), S. 70, 78; I. Ebsen, Das Bundesverfassungsgericht als Element gesellschaftlicher Selbstregulierung, 1985, S. 192, 218 ff.; M. Sachs, Die Bindung des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, S. 111; i.d.S. BVerfGE 40, 88 (93 f.); ganz so BVerfGE 77, 84 (103 ff.); vgl. auch die Hinweise in Fn. 704. 709

Ganz so BVerfGE 77, 84 (103 f.).

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

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nur durch verfassungsänderndes Gesetz geändert werden, welches im übrigen den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändern oder ergänzen muß 710 . Verfassungsrechtsprechung ist nicht schon "Verfassungsgebung", wie Carl Schmitt statisch dogmatisiert hat, um die Verfassungsrechtsprechung ad absurdum zu führen 711. "Jede Instanz, die einen zweifelhaften Gesetzesinhalt authentisch außer Zweifel stellt, fungiert in der Sache als Gesetzgeber. Stellt sie den zweifelhaften Inhalt eines Verfassungsgesetzes außer Zweifel, so fungiert sie als Verfassungsgesetzgeber."- Carl Schmitt 712 Das Bundesverfassungsgericht, welches den Wesensgehalt eines Grundrechts gestaltet, fungiert gerade nicht als Verfassungsgesetzgeber, sondern nur gesetzgeberisch, allerdings bindet es den Gesetzgeber, weil es das letzte ordentliche Wort in Verfassungsfragen hat und seine Erkenntnisse mit der Verbindlichkeit der Verfassung ausgestattet sind. Das Bundesverfassungsgericht formuliert nicht den Verfassungstext, sondern materialisiert den Vorrang der Verfassung 713 und bestimmt damit die jeweiligen Grenzen der Gesetzgebung, welche enger oder weiter gezogen werden können. Die Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG, die das Bundesverfassungsgericht zu Recht auf die tragenden Entscheidungsgründe auszudehnen pflegt 714, entfaltet die Verbindlichkeit der Verfassung 715. Der Gesetzge-

710

So auch St. Korioth, Der Staat 30 (1991), S. 560 f.; dieses rechtsstaatliche Prinzip wird durch Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG n.F. (Dezember 1992) zugunsten der Europäischen Union eingeschränkt, wenn gemeinschaftliches Primärrecht die grundgesetzliche Verfassung ändert, ein Verlust an Verfassungskultur; dazu K.A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th.C.W. Beyer, JZ 1993, 757 f.; K.A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 103. 711 Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff., 45 (Zitat); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 708 f.; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, NJW 1976, 2099 mit Fn. 113; ders., Der Staat 29 (1990), S. 22, 25; so auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 950; St. Korioth, Der Staat 30 (1991), S. 557 f. 712 Der Hüter der Verfassung, S. 45; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 708 f.; i.d.S. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 950 f., u.a. 713 BVerfGE 77, 84 (103 f.); G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 689 ff.; St. Korioth, Der Staat 30 (1991), S. 561 f., sieht darin ähnlich die Herausbildung von Richterrecht; dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; zum Richterrecht vgl. die Hinweise in Fn. 106, 7. Teil, 2. Kap., S. 536, auch Fn. 246, 9. Teil, 2. Kap., S. 864. 714 BVerfGE 1, 14 (37); 4, 31 (38); 19, 377 (391 f.); 20, 56 (87); 24, 289 (297); 36, 1 (3); 40, 83 (93); 79, 256 (264); zu den Grenzen der Bindungswirkung BVerfGE 22, 387 (405); 33, 199 (203); 39, 169 (181 f.); 77, 84 (103 f.); differenzierend, aber grundsätzlich zustimmend M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 290 ff. (i.S. modifizierter Präjudiziabilität); ders., Recht und Politik in der Verfassungsrechtsprechung, S. 196 f.; dazu näher M. Sachs, Die Bindung des Verfassungsgerichts an seine Entscheidungen, S. 7 f., 66 ff.; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 1038 ff.; G. Roellecke, HStR, Bd. I, S. 689 ff.; W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 795 ff. (kritisch: "Verletzung der Funktionsgrenzen", S. 797); ähnlich Κ Schiaich, VVDStRL 39

954

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

ber hat sich nach den vielen Verfassungsrechtssätzen in den Entscheidungsgründen des Bundesverfassungsgerichts zu richten, über deren Verbindlichkeit nur das Bundesverfassungsgericht befinden darf (wenn die Lage unverändert ist). Die Experten dieser Sätze sind die Verfassungsjuristen, nicht die Abgeordneten 716. "Diese Kanonisierung von Sätzen des Bundesverfassungsgerichts ist zu beenden." - Klaus Schiaich 717 Das Dilemma dieser Bindung des Gesetzgebers, die zur Logik eines entwickelten Verfassungsstaates gehört 718, ist unausweichlich. Die Praxis des Bundesverfassungsgerichts, die Bindungswirkung auf die tragenden Entscheidungsgründe auszudehnen, entspricht der Logik der gesetzgebenden Funktion der Rechtserkenntnisse des Gerichts. Die Lehre, welche diese Praxis weitestgehend ablehnt719, verkennt diese gesetzgebende Funktion des Gerichts. Für die Gesetzesrechtsprechung ist die Ausdehnung der Bindungswirkung über den Entscheidungsgegenstand hinaus auf irgendwelche Entscheidungsgründe als eine Erweiterung der Rechtskraft angesichts der Gesetzeslage (etwa § 322 Abs.l ZPO) nicht begründbar 720. In den Entscheidungsgründen des Bundesverfassungsgerichts werden aber die Leitentscheidungen der Verfassung derart materialisiert, daß der Gesetzgeber die Orientierung für seine Politik bekommt, die ihm das Bundesverfassungsgericht nach dem Grundgesetz schuldet721.

(1981), S. 138 f.; ders., Das Bundesverfassungsgericht, 1985, S. 205 ff.; K. Vogel, FG BVerfG I, S. 576 ff., 601 f.; Ch. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, 5. 236 ff.; dazu auch Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 431 ff.; kritisch auch P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16 f.; St. Korioth, Der Staat 30 (1991), S. 549 ff.; dazu auch S. 951, 952 ff. mit Fn. 704. 715 So auch G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 689 f. ("Vorrang der Verfassung"); P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 11; im Erg. auch St. Korioth, Der Staat 30 (1991), S. 561 ff. 716 K. Schiaich, VVDStRL 39 (1981), S. 138 ff. 717 VVDStRL 39 (1981), S. 138; kritisch auch St. Korioth, Der Staat 30 (1991), S. 560 f. 718 I.d.S. G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 690 f., der den politischen Spielraum durch § 31 Abs. 1 BVerfGG erweitert sieht; vgl. die Hinweise in Fn. 953. 719 Dazu Hinweise in Fn 714. 720 Dazu A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren, 1963, S. 447 f.; anders noch die Rechtskraftlehre etwa F.C. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, 1840, Bd. 6, S. 350 ff. (in den Gründen enthaltene Elemente des Urteils, also auch Verfahren). 721 Ganz so G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 690 f. (Stabilisierung der politischen Kommunikation durch das Bundesverfassungsgericht); i.d.S. auch I. Ebsen, Das Bundesverfassungsgericht als Element gesellschaftlicher Selbstregulierung, S. 218 ff. u.ö.

4. Kap.: Die Verfassungs- und Verfassungsgerichtsstaatlichkeit

955

V. Das Gebot zur verfassungsgerichtlichen Zurückhaltung Weil das Bundesverfassungsgericht das Maß seines Einflußes auf die Gesetzgebung selbst bestimmt, hat es auch die Möglichkeit, diesen Einfluß zurückzunehmen, wenn die parlamentarische Gesetzgebung ihm praktisch vernünftig zu entscheiden scheint. Das Gericht kann und soll dann die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze feststellen. Eine derartige Erkenntnis ist eine politische Entscheidung, welche das Bundesverfassungsgericht in seiner Verantwortung für das Gemeinwohl zu treffen hat. Die Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts (judicial self-restraint) mit dem Vorwurf, der Gesetzgeber habe die Verfassung verletzt, wird nicht nur vom Bundesverfassungsgericht gepflegt 722, sondern ist auch gefordert 723, weil sonst der parlamentarische Gesetzgeber, der primäre Vertreter in der praktischen Vernunft des Volkes724, desavouiert wäre. Sie ist eine Pflicht, die mit der grundgesetzlichen Funktionenteilung verbunden ist, weil die Gesetzgeber die eigentlichen Organe der Gesetzgebung sind, das Bundesverfassungsgericht jedoch ein Organ der Rechtsprechung, dessen demokratische Legitimation die des Gesetzgebers nicht erreicht 725. Das Bundesverfassungsgericht

722

Vgl. BVerfGE 36, 1 (14 f.); 35, 257 (262): "Verzicht, 'Politik zu treiben', d.h. in den von der Verfassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugreifen" ; auch BVerfGE 30, 250 (262 f.); 37, 104 (118); 43, 291 (347); 45, 187 (237 f.); 53, 185 (196); 59, 360 (377); u.st. 72 3 E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 363; G. Leibholz, Bericht zur "Status"-Frage, S. 235 (mit Bezug auf die Praxis des Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika); i.d.S. auch U. Scheuner, Probleme und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 205, 212 (gegen "reine Rechtsgestaltung" durch das Bundesverfassungsgericht trotz "schöpferischer Mitarbeit im politischen Verfassungsleben"); G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 668 f.; K. Stern, Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik, 1980, S. 25 ff.; ders., Staatsrecht I, S. 135; ders., Staatsrecht II, S. 958 f.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 54 f. mit Fn. 11; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 4 f.; G.F. Schuppert, Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Auswärtigen Gewalt, 1973, S. 159 ff., 210 ff.; i.d.S. auch Κ Korinek, VVDStRL 39 (1981), S. 32 (zur insoweit vorbildlichen Praxis des österreichischen Verfassungsgerichtshofs); zum judicial selfrestraint des Supreme Court W. Haller, Supreme Court und Politik in den USA, 1972, insb. S. 161 ff.; zur entsprechenden Praxis des schweizerischen Bundesgerichts J.P. Müller, VVDStRL 39 (1981), S. 77 f.; M. Kriele, HStR, Bd. V, S. 105 ff., auch S. 103 ff. (für das BVerfG). 724

Dazu 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff., 718 ff.; 9. Teil, 10. Kap., S. 1029 ff. Dazu H.H. Rupp, AöR 101 (1970), S. 175; E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 363, der die Grenzziehung für eine Rechtsfrage hält; i.d.S. J. Wintrich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 220 f.; G. Leibholz, Bericht zur "Status"-Frage, S. 235 f.; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 4 mit Fn. 10 (auch Hinweise auf Kritik); i.d.S. auch BVerfGE 35, 257 (262); 36, 1 (14); M. Kriele, HStR, Bd. V, S. 109 f.; kritisch O. Massing, Recht als Korrelat der Macht?, S. 415 ff., der von "Justizherrschaft" spricht. 725

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

956

formuliert zumindest nicht die Gesetzestexte. Die Möglichkeit zur Zurückhaltung erweist zusätzlich die geringe Bindungsintensität der grundrechtlichen Leitentscheidungen. Ein Gesetzesgericht ist nicht befugt, sich mehr oder weniger politisch zu mäßigen726. Es ist der Politik der Gesetze unterworfen, die der Gesetzgeber derart bestimmt zum Ausdruck bringen soll, daß den Richtern nur die unvermeidbaren Entscheidungsalternativen bleiben. Insofern bleibt die Idee Montesquieus vom Richter als "en quelque fa^on nulle" 727 vorbildlich. Den Verfassungsrichter hatte Montesquieu jedoch nicht im Auge.

5. Kapitel Die Legitimierungsfunktion der Rechtserkenntnisse des Verfassungsgerichts, die öffentliche Meinung vom Recht und die Befriedung des Gemeinwesens Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts pflegt deren Legitimität nicht zu gefährden, solange die Erkenntnisse des Gerichts sich im Rahmen der öffentlichen Meinung bewegen. Die öffentliche Meinung gewinnt spezifisch wegen der Offenheit oder Formalität der Leitentscheidungen der Grundrechte eine stabilisierende Funktion. Peter Häberle spricht vom "öffentlichen Prozeß", von "öffentlicher Gesamtverantwortung", die ein "offenes Verfassungs Verständnis" impliziere 728. "Verfassung ist öffentliche Gemeinwohlordnung und öffentlicher Prozeß." ... "Öffentlichkeit, Recht und Staat finden damit immer aufs neue in die Einheit der res publica." - Peter Häberle 729 Der kritische Diskurs der Verfassungsrechtsprechung ist nicht nur im Interesse der praktischen Vernunft, der Verwirklichung der Freiheit, Teil der Sittlichkeit des Gemeinwesens und damit moralische Pflicht, sondern fördert auch die Entwicklung der Rechtsordnung zum jeweils lagebedingten Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage

72 6

G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 668. Vom Geist der Gesetze, XI, 6, S. 214 f., 221; vgl. auch VI, 3, S. 171. 728 Grundprobleme der Verfassungsgerichtbarkeit, S. 20, auch S. 16 ff.; vgl. ders., JZ 1975, 304; ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 708 ff., 716 ff.; vgl. auch Fn. 730; dazu auch 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff. 729 Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 710 bzw. 714. 727

5. Kap.: Verfassungsgericht, öffentliche Meinung, Befriedung

957

der Wahrheit 730; denn der Diskurs hat die Chance, folgenreich zu sein. Das ermöglichen die offenen und die formalen Leitentscheidungen des Grundgesetzes, welche die Veränderungen der verfassungsgeleiteten Rechtserkenntnisse ermöglichen und aufgeben 731. Die allgemein befriedende Übereinstimmung der Grundrechtspolitik ist abhängig von der allgemeinen Moralität und das Ergebnis eines derart befriedenden Diskurses in der Öffentlichkeit, der in den Erkenntnissen des Bundesverfassungsgerichts seinen Ausdruck findet, durch diese Erkenntnisse aber auch beeinflußt wird und werden soll. Es ist Aufgabe der Grundrechtslehre, zu dem Diskurs beizutragen732. Das ist auch eine Aufgabe der Parteien und Verbände, die allerdings die öffentliche Auseinandersetzung um das Richtige zur Durchsetzung ihrer Interessen zu mißbrauchen pflegen, wenn sie überhaupt an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, wie es Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG den Parteien aufträgt, und nicht nur um des Interesses an den Ämtern willen Meinungen vortäuschen, die ihnen die Wiederwahl nach demoskopischen Untersuchungen zu sichern versprechen. Man nennt das Themenbeset733

zung . Die Richtigkeit der verfassungsgerichtlichen Rechtserkenntnisse ist nicht wesentlich eine Frage der Begriffe, weil diese formal oder material offen sind, sondern eine Frage der Moralität der Richter. Der Schutz der Grundrechte ist dem Gewissen der Verfassungsrichter überantwortet. Die richterliche Moralität erfordert die argumentative Begründung der Rechtserkennt-

730

P. Schneider, VVDStRL 20 (1963), S. 35 ("maximale Diskutierbarkeit"); i.d.S. auch G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 678 f.; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16 ff., 25,27, 34 ("pluralistische Öffentlichkeitsaktualisierung der Interpretation", "BVerfGG als Pluralismus- und abgestuftes Partizipationsgesetz"); ders., JZ, 1975, 297 ff.; ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 708 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 349 ff. 731 I.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 36 ff., S. 15 ("Offenheit und Weite der rechtlichen Normierung" im Interesse des "geschichtlichen Wandels und der Differenzierung der Lebensverhältnisse"); G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 678 f.; i.d.S. P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 708 ff. ("Öffentlichkeitsgebote" und "Gemeinwohlgehalte" insb. der Grundrechte). 732 Zur "offenen Gesellschaft der Grundrechtsinterpreten" P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 357 ff.; ders., JZ 1975, 297 ff.; ders., Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16 ff.; ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 708 ff., 716 ff., passim. 733 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 611 ff.; 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 ff.

958

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

nisse734; denn Wissenschaft muß sich öffentlich und kritisierbar machen735. Die grundrechtlichen Leitentscheidungen, seien sie material offen oder formal, ermöglichen die Begründung der Politik. Das ist ein Grundprinzip der Diskursethik. Die Argumentation muß wissenschaftlich sein, wenn sie befrieden soll. Die Praxis nutzt vor allem die Argumentationsraster der Verhältnismäßigkeit und des Verbots der Willkür, welche als Gebot der Sachlichkeit dem Prinzip der praktischen Vernunft genügen736. Die moralische Autorität der Richter hängt von der langfristigen Bewährung des Gerichts ab, die durch krasse Fehlentscheidungen erschüttert werden kann. Fehlurteile sind angesichts der Offenheit der Begriffe allenfalls selten begrifflich nachweisbar. Sie zeigen sich eher daran, daß sie sich in der öffentlichen Meinung nicht zu behaupten vermögen. Die "offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten" (Peter Häberle) 737, also alle, die sich der Verfassung verpflichtet fühlen und am politischen Diskurs, der zugleich ein Grundrechtsdiskurs ist 738 , teilnehmen, die Gemeinschaft der aktiven Hüter der Verfassung somit, urteilt über die Richtigkeit der Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts. Ihr Verfahren ist, wenn sie keine Revision einer unerträglichen Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht selbst und keine Korrektur derselben durch den verfassungsändernden Gesetzgeber zu erreichen vermögen, letztlich der Widerstand nach Art. 20 Abs. 4 GG. Schließlich gibt es keine Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Die Verfassungsgerichts-

734

Zu den Begründungspflichten J. Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987, insb. S. 37 ff.; zur diskursethischen Begründungslehre R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978, insb. S. 32 ff., 263 ff., 336 ff.; dersTheorie der Grundrechte, S. 498 ff.; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 258 ff.; ders., Recht und praktische Vernunft, S. 96 ff.; ders., HStR, Bd. V, S. 112 ff., 116 ff.; dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 418 ff. 735 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; auch 5. Teil, 6. Kap., S. 420 mit Fn. 798; vgl. insb. KR. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 17, 52 ff., 58; ders., Logik der Forschung, S. 18 ff., 31; i.d.S. auch K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 201; KA. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 113 f. 736 Dazu 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff. (insb. S. 986 ff.), 990 ff.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 362 mit Fn. 558. 737 JZ 1975, 297 ff.; ders., Wesensgehaltsgarantie, S. 357 ff.; ders., Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16; ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 708 ff. 738 I.d.S. P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 708 ff., insb. S. 710.

5. Kap.: Verfassungsgericht, öffentliche Meinung, Befriedung

959

barkeit ist die Institution, welche den Widerstand erübrigen soll 739 . Das Gericht wird im Zweifel eine Entscheidung fällen, welche die größtmögliche Akzeptanz erwarten läßt, wenn es eine solche Entscheidung sittlich verantworten kann. Darin erweist es sich als ein Organ der Vertretung des Volkes in dessen Sittlichkeit, wie dies Art. 20 Abs. 2 GG konzipiert hat 740 . Die Stabilität des Gemeinwesens ist schließlich der Ausdruck gelungener Grundrechtspolitik des Bundesverfassungsgerichts. Die Nasciturus-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts etwa, welche dem Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG die Verpflichtung des Gemeinwesens entnommen haben, die Abtreibung als Unrecht bestmöglich zu unterbinden 741, ist nicht auf allgemeine Akzeptanz gestoßen und zeigt das politische Dilemma gesetzgebender Verfassungsrechtsprechung. Dieses Dilemma liegt in der Zerrissenheit der öffentlichen Meinung, deren Diskurs eine allseits befriedende Politik nicht hervorgebracht hat. Den tiefen Graben, den das Abtreibungsrecht zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Fristenlösung zieht, konnte das Bundesverfassungsgericht auch durch seine Entscheidungen nicht überbrücken. Die soziale Indikation, die hunderttausendfach mißbraucht wurde, vermochte auch kein Argument zu finden, das in einer Gesellschaft des Überflusses die Abtreibung wegen sozialer, also vor allem wirtschaftlicher, Notlage rechtfertigen könnte. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat 1993 die Politik des Ersten Senats von 1974/75 korrigiert und zugelassen, daß das Unrecht der Abtreibung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft nach einer Beratung, die das Leben des ungeborenen Kindes möglichst schützen soll, straflos bleibt 742 . Das Problem bei der Entscheidung ist die rechtliche Trennung der Mutter von ihrem ungeborenen Kind, das wegen § 1 BGB noch nicht Person ist und darum keine Rechte haben kann743. Das schließt

739

Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 932 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 249 f.; 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff.; R. Marcie, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 344 (Zitat in Fn. 752). 740 Zur freiheitlichen Vertretungsdogmatik 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff. 741 BVerfGE 39, 1 (44 ff.) hatte dem Art. 2 Abs. 2 eine Strafpflicht des Staates entnommen, wenn nicht bestimmte Indikationen die Abtreibung rechtfertigen; a.A. bei Mindermeinung der Richterin Rupp v. Brünneck und des Richters Simon, S. 73 ff.; jetzt BVerfGE 88, 203 (251 ff.). 742 Urteil vom 28. Mai 1993, BVerfGE 88, 203 (251 ff., 264). 743 Die jüngste rechtsphilosophische Diskussion, etwa N. Hoerster, Die unbegründete Unverfügbarkeit ungeborenen menschlichen Lebens, JZ 1991, 507; ders., JuS 1989, 175 ff.; ders., ARSP 1990, 255 ff.; ders., Universitas 1991, 19 ff.; vgl. auch P. Singer, Praktische Ethik, 1984, S. 160 ff.; vgl. auch J. Hruschka, JZ 1991, 507 ff.; R. Stürner, Grenzen der Begründbarkeit von Werten, JZ 1991, 505 ff.; vgl. auch D. Lorenz, HStR, Bd. VI, S. 8 ("teil(grund)rechtsfähiges Rechtssubjekt"); Th. Burmeister, Abtreibung und Art. 6 GG. Oder: "Mamis Bauch

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

aber die auf Art. 1 Abs. 1 GG gestützte Schutzpflicht des Staates zugunsten des ungeborenen Kindes gegen die Mutter nicht aus, auf die das Gericht seine Erkenntnisse stützt, wenn auch bedacht werden muß, daß der beste Schutz der Kinder die Mütterlichkeit der Mütter ist, die der Staat bestmöglich unterstützen sollte. Die Beratungspflicht ist jedenfalls paternalistisch und mißachtet die Mündigkeit der Frauen. Die Interdependenz der öffentlichen Meinung über die Verfassungspolitik und der politischen Verfassungsrechtsprechung ist offenkundig 744. Das entspricht, um es zu wiederholen, der vornehmsten Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, der Aufgabe, das Gemeinwesen zu befrieden, Widerstand zu verhindern, der ständigen Entwicklung des Rechts die Legitimität der Verfassung zu geben. Der Widerspruch zwischen den Gesetzen und der Verfassung würde den Frieden im Gemeinwesen in Gefahr bringen. Der Widerspruch wäre ohne die klärende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unvermeidbar, weil kein staatliches Organ die Autorität hätte, mit dem Anspruch, daß die Gesetze mit der Verfassung übereinstimmen, befriedend zu überzeugen. Wichtiger noch als der Schutz vor verfassungswidrigen Gesetzen ist für den Frieden im Gemeinwesen die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, den Gesetzen die Legitimität des Rechts zu verschaffen. Das leistet das Bundesverfassungsgericht durch seinen Spruch, daß angegriffene Gesetz entspreche den Grundrechten und sei verfassungsgemäß. Wegen der Offenheit oder der Formalität der grundrechtlichen Leitentscheidungen kann die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze immer in Zweifel gezogen werden; denn jeder ist Hüter der Verfassung, Hüter der praktischen Vernunft 745, aber auch Gesetzgeber im Sinne der Aufgabe, das Richtige zu erkennen. Jeder ist Bürger. Jeder hat das Amt, das Recht zu hüten. Res publica res populi. Die Moralität der Bürger besteht darin, daß sie die Rechtserkenntnisse ihres Verfassungsgerichts so weit als möglich, d.h. soweit die Rechtssprüche erträglich sind, respektieren; denn die verbindliche Erkenntnis des Rechts ist von der Verfassung diesen Vertretern des Volkes übertragen. Der Respekt vor der Verfassungsrechtsprechung wird in Deutschland unter dem Grundgesetz gepflegt und hat das Legitima-

gehört auch mir", JR 1989, 52 ff.; eindrucksvoll G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 21 zu Art. 2 Abs. II; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 129 zu Art. 2 Abs. 2. 744 Vgl. E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 363; O. Bachof\ Der Verfassungsrichter zwischen Recht und Politik, S. 299; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 708 ff. u.ö.; vgl. Fn. 728, 730; auch 7. Teil, 5. Kap., S. 584. 745

237 ff.

Dazu 9. Teil, 1. und 3. Kap., S. 820 ff., 929 ff.; insb. R. Marcic, Rechtsphilosophie, S.

5. Kap.: Verfassungsgericht, öffentliche Meinung, Befriedung

961

tionsprinzip des Verfassungspatriotismus hervorgebracht 746. Er ist praktizierte Moralität der Bürgerschaft. Die befriedende Akzeptanz der Rechtsprüche der Verfassungsrichter ist jedoch von der wesentlichen übereinstimmenden Rechtserkenntnis der Bürgerschaft und des Verfassungsgerichts abhängig. Das Procedere der Verfassungsrechtsprechung ermöglicht es, daß alle vor der Entscheidung zur Sache reden 747. "Formell gesehen hat der Verfassungsrichter das letzte Wort, materiell gesehen haben alle das Wort, niemand, weder das Bundesverfassungsgericht noch der Gesetzgeber usw. haben 'an und für sich' das letzte Wort." - Peter Häberle 748 Res ist die Sache, über die geredet werden muß, res publica die, über die alle reden können müssen und sollen, die nämlich res populi ist 749 . Die Republik ist Wirklichkeit, wenn den Vertretern des Volkes die praktische Vernünftigkeit ihrer Gesetzesbeschlüsse von den Hütern der Verfassung, von den Bürgern und ihren Vertretern, die alle die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in irgendeiner Weise herbeiführen können, nicht abgesprochen werden kann, wenn die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts in casu die Moral verletzt. Würde jedoch der Weg zum Bundesverfassungsgericht aussichtslos, weil auch das Gericht die Wirklichkeit praktischer Vernünftigkeit vorzutäuschen pflegen würde, wenn bereits der Gesetzgeber die Moralität verfehlt hat, so verriete das Bundesverfassungsgericht seine vornehmste Aufgabe. Der Frieden des Gemeinwesens geriete dadurch in größte Gefahr. Das wäre eine Lage des Widerstandes. Umgekehrt nimmt die moralische Praxis des Bundesverfassungsgerichts dem Widerstand aus dem Volke gegen seine Vertreter im Parlament und im Bundesverfassungsgericht die Legitimation. Das Bundesverfassungsgericht leistet durch eine der praktischen Vernunft verpflichtete Rechtsprechung einen hervorragenden Beitrag zur Befriedung des Gemeinwesens, eine alte richterliche Aufgabe 750. Die Wesengehalts-

746 Dazu D. Sternberger, Verfassungspatriotismus, in:ders., Schriften, hrsg. von P. Haungs, Bd. X, 1990, S. 13 ff., 17 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 632 ff., insb. S. 642, 651; kritisch Ρ Kirchhof, HStR, Bd. VII, S. 862; dazu 11. Teil, 2. Kap., S. 1186. 747

I.d.S. P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16 ff. Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16; i.d.S. auch ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 708 ff. 749 R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 329, weist auf M. Heideggers Klärung des Begriffs res publica als der Sache, über die öffentlich geredet wird, hin; i.d.S. auch H. Arendt, Vita activa, S. 164 ff. 750 Dazu 9. Teil, 2., 4. und 11. Kap., S. 885 f., 942 ff., 1033 ff. 748

61 Schachtschneider

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Garantie steht in der alteuropäischen Tradition des Widerstandsrechts, indem sie eine Vorkehrung trifft, die den Widerstand zu erübrigen geeignet ist, wenn sie von den Hütern dieser Garantie der praktischen Vernünftigkeit moralisch gehandhabt wird. Die tiefere Wurzel der Verfassungsgerichtsbarkeit über die Gesetzgebung ist das Widerstandsrecht des Volkes gegen das Unrecht 751, ein Menschenrecht752. Praktische Vernünftigkeit ist unabänderlich eine Frage der Moralität der Vertreter des Volkes, seien das die Parlamentarier oder die Richter der Verfassungsgerichte. Jedenfalls gewinnen die Gesetze, die das Bundesverfassungsgericht akzeptiert hat, dadurch eine Stärkung ihrer Legitimation753. Verfassungsändernde Gesetze sind wegen der erforderlichen Mehrheiten im fraktionierenden, koalierenden und dualistischen Parteienstaat754 nicht nur schwer erreichbar, sie haben auch, wenn sie die Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts korrigieren sollen, ein Legitimationsdefizit, gerade deshalb, weil die Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts beanspruchen können, praktisch vernünftig zu sein. Die Erkenntnisse dieses Gerichts vom richtigen Recht haben im Parteienstaat im höheren Maße die Vermutung der Moralität für sich als die des Gesetzgebers und erst recht der Regierung. Dieses Verhältnis wird sich erst umkehren, wenn der Parteienstaat überwunden sein wird und die Rechtserkenntnisse des Parlaments das Vertrauen des Volkes verdienen. Erst der moralische Parlamentarismus wird die Republik vollenden755. Im übrigen ergibt sich die höhere Verbindlichkeit der Rechtserkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts als nicht minder moralische Rechtserkenntnisse des Gesetzgebers allein aus der verfassungsgewollten Funktionenzuordnung.

751 Dazu M. Drath, VVDStRL 9 (1952), S. 89 f.; E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 365; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 91 ff.; i.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 945 ff., insb. S. 947. 752 Vgl. Art. 2 der Deklaration von 1789, Art. 35 der Revolutionsverfassung von 1793 (Widerstandspflicht); dazu H. Hofmann, Grundpflichten und Grundrechte, HStR, Bd. V, 1992, S. 326 f.; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 91 ff. ("Freiheit als Widerstandsrecht"); S. 344 ("Die Verfassungsgerichtsbarkeit stellt sich zugleich als das von Staats wegen institutionell organisierte Widerstandsrecht vor."); dazu Hinweise in Fn. 739, S. 959. 753

I.d.S. E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 364 f.; zum Verhältnis von Legitimation und Akzeptanz P. Czybalka, Akzeptanz als staatsrechtliche Kategorie?, Die Verwaltung, 26 (1993), S. 27 ff. 754

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 755 Dazu 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 650 ff., 707 ff. (insb. S. 728 ff.), 782 ff. (insb. S. 810 ff.).

6. Kap.: Richtigkeitschance, Vertrauen und Legitimation

963

Die, wenn man so will, Weisheit des "Areopags", wie René Marcie das Verfassungsgericht nennt756, ist für das Gemeinwesen wichtiger als die Begriffe der Grundrechte, ohne daß deren Bedeutung für die legitimierende Begründung der Verfassungsgerichtsentscheidungen unterschätzt werden darf. Die grundrechtlichen Leitentscheidungen ermöglichen den Rechtsprechungscharakter der Rechtserkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts und vermitteln dadurch die Dignität von Rechtsprechung, indem sie der Verfassungsrechtsprechung vor allem ein rechtsprechungsgemäßes Verfahren ermöglichen und einen repräsentativen Status der Richter legitimieren, welchen ein dem demokratischen Prinzip verpflichtetes Parlament bisher nicht zu erreichen vermochte, schon gar nicht ein parteienoligarchisches Parlament, nämlich den der Repräsentation der Sittlichkeit des Volkes757. Das Bundesverfassungsgericht ist im Verfassungsstaat, dessen Institutionen weithin noch auf dem Wege zur Republik sind, ein Hort des Republikanismus, nämlich der kompetente Hüter der praktischen Vernunft/der Sittlichkeit oder schlicht der sachlichen Gemeinwohlentwicklung. In der Sache ist das Bundesverfassungsgericht der politische "Senat", den Friedrich August von Hayek als eine Einrichtung der Freiheit vorgeschlagen hat758.

6. Kapitel Die Richtigkeitschance verfassungsgerichtlicher Erkenntnisse, das Vertrauen des Volkes in die Verfassungsrechtsprechung und die Legitimation der Richter und Verfassungsrichter I.

Die größere Richtigkeitschance der Rechtserkenntnisse des Verfassungsgerichts gegenüber denen des Gesetzgebers Die Konsequenz der verfassungsstaatlichen Republik, die ein Verfassungsgericht als zentrales Organ zur Verwirklichung des Rechts eingerichtet hat, ist kompetenziell eine weitgehende Entlastung und damit Entmachtung des legislativen Gesetzgebers. Dabei geht es nicht nur um den Schutz vor 756

Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 321 f.; dem folgt E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, S. 25. 757 Dazu 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 531 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 637 ff. (insb. S. 662 ff.), 707 ff. (insb. S. 728 ff.); 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. (insb. S. 799 ff., 810 ff.); vgl. auch die Hinweise in Fn. 654 im 9. Teil, 4. Kap., S. 942. 758 Zitat 8. Teil, 1. Kap., S. 681, nach G.-K Kaltenbrunner, Elite, S. 67 f. 61*

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

der Herrschaft, sondern auch um den Schutz vor den Irrtümern der Volksvertreter in den Organen der Gesetzgebung. Wenn auch das Bundesverfassungsgericht sich irren kann, so sind doch die Chancen des Gerichts angesichts seiner Ausgestaltung groß, Irrtümer des Gesetzgebers zu korrigieren, zumal das Gericht zumeist repressiv entscheidet759, also über Gesetze befindet, welche das Gesetzgebungsverfahren schon durchlaufen haben und dem Diskurs der Öffentlichkeit ausgesetzt waren. Die Richtigkeitsgewähr ist größer, wenn eine Erkenntnis überprüft wird, als wenn eine solche erstmalig erarbeitet wird. Die Gefahr des Irrtums ist durch die besondere Eignung der Richter für ihre Aufgabe, durch die Chance eines intensiven Diskurses der zu entscheidenden Verfassungsfragen vor dem Prozeß und während des Prozesses, nicht zuletzt auch durch die Einbindung der Richter des Bundesverfassungsgerichts in die die Verfassungsrechtsprechung intensiv begleitende Rechtswissenschaft 760 weitaus geringer als in dem parteienstaatlichen Parlamentarismus, der durch eine tendenzielle Negativauslese der Parlamentarier, vor allem aber in Relation zur usurpierten Aufgabe der der Parteiführer, gekennzeichnet ist 761 , ganz im Gegenteil zur Auslese der Verfassungsrichter, wenn es auch für diese Aufgabe noch bessere Juristen geben mag, die wegen der parteilichen Wahl der Richter nicht zum Zuge kommen762; denn die Parteimitgliedschaft, jedenfalls die innere, disqualifiziert einen Richter, weil sie Zweifel an seiner für seine Moralität unverzichtbaren Unparteilichkeit weckt763. Die gesetzlichen Anforderungen sichern eine Mindestkompetenz der Richter des Bundesverfassungsgerichts 764, die weit über die Durchschnittskom-

759 In st.Rspr. setzt das Bundesverfassungsgericht den Abschluß des GesetzgebungsVerfahrens voraus, bevor ein Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG eingeleitet werden darf; BVerfGE 1, 396 (405 ff.); 2, 143 (175); Ausnahmen bei Zustimmungsgesetzen zu völkerrechtlichen Verträgen (einschließlich der gemeinschaftsrechtlichen), die vor der Ratifikation, nach den Beschlüssen der Legislativkörperschaften, angegriffen werden können, also vor dem Inkrafttreten, BVerfGE 1, 396 (413); 35, 257 (261 f.); 36, 1 (15); 89, 155 (171 ff.); vgl. W. Löwer, HStR, Bd. II, S. III f. 760 Dazu i.d.S. U. Scheuner, Diskussionsbeitrag, S. 283; P. Schneider, VVDStRL 20 (1963), S. 44, 52; P. Häberle, JZ 1975, 297 ff.; ders. auch, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16 ff.; ders., auch Wesensgehaltsgarantie, S. 357 ff. 761

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 676 ff., 772 ff. (insb. 818 ff.); 10. Teil, 3. u. 5. Kap., S. 1064 ff., 1077 ff., 1083 f., 1113 ff. mit Fn. 315. 762 Dazu W.K. Geck, HStR, Bd. II, S. 705 ff. 763 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 29 f.; 7. Teil, 5. Kap., S. 593 f.; 2. Teil, 11. Kap., S. 155 f.; 8. Teil, 5. Kap., S. 774 f., 810 ff. insb. für die Abgeordneten; 10. Teil, 3. Kap., S. 1083 f. 764 Dazu W.K. Geck, HStR, Bd. II, S. 698 ff.

6. Kap.: Richtigkeitschance, Vertrauen und Legitimation

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petenz der Abgeordneten hinausgeht. Insbesondere fördert die Besetzung des Wahlmännergremiums mit Vertretern aller Fraktionen (§ 6 Abs. 2 BVerfGG) 765 eine herausgehobene Qualität der Richter, weil keine Partei das Risiko eingehen möchte, unqualifizierte Richter in das wichtige politische Amt zu wählen, auf die die Parteienoligarchie nach der Wahl wegen der wirklichen Unabhängigkeit der Richter keinen Einfluß nehmen kann. Nichts drängt mehr zur Auslese materiell kompetenter Amtswalter wie deren Unabhängigkeit im Amt 766 , wenn das auch die Amtsbefähigung nicht in jedem Fall sicherstellt. Die Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts werden begründet und setzen sich dadurch der Kritik aus. Das fördert das Maß der Sachlichkeit ungemein; denn die Begründungen beanspruchen wissenschaftliche Richtigkeit, eine Art von Objektivität767. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts sind im Prinzip und in der Regel Wissenschaftler. Ihr wissenschaftliches Ethos verpflichtet sie zur Argumentation, wiederum ganz im Gegenteil zur Parteienoligarchie, die nicht zu argumentieren, sondern zu propagieren, vor allem aber zu paktieren pflegt. Für die wissenschaftliche Bewältigung der Gesetzgebungsaufgabe fehlt der Parteienoligarchie trotz aller Helfershelfer meist die materielle Kompetenz. Sie ist auch überfordert, weil zuwenige Führer zuviele Aufgaben bewältigen wollen. Die Helfer aber sind abhängig und meist auch unerfahren, jedenfalls selten kritikfähig. Die Parteienoligarchie reagiert eher auf Meinungsumfragen, auf die zu reagieren Sachkompetenz nicht erfordert. Sie besetzt Themen, stellt sich aber nicht dem Diskurs der Sachfragen. Die Oligarchie pflegt schnell zu erfassen, wenn ihre Ämter/ihre Pfründen in Gefahr sind768. Die Moralität/die Sachlichkeit des Bundesverfassungsgerichts steht und fällt mit der wissenschaftlichen Kompetenz der Richter dieses Gerichts,

765 Dazu W.K. Geck, HStR, Bd. II, S. 701 f., mit berechtigten verfassungsrechtlichen Bedenken, die schon R. Thoma, Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts, S. 262 f., geäußert hat; der Einfluß der Parteien wird gutgeheißen von G. Leibholz, Bericht zur "Status"-Frage, S. 299; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 30; M. Draht, VVDStRL 9 (1952), S. 162; H. Kelsen, VVDStRL 5 (1929), S. 57. 766 Zur umgekehrten Erfahrung der Negativauslese der von ihren Parteien abhängigen Abgeordneten vgl. die Hinweise in Fn. 761. 767 I.d.S. G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 679; zur Begründungslehre, R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S.498 ff.; H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982; weitere Hinweise in Fn. 734, 5. Kap., S. 958. 768 Dazu 10. Teil, 3. u. 5. Kap., S. 1060 ff., 1113 ff.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

jedenfalls deren Mehrheit in den Senaten. Das Amt des Richters am Bundesverfassungsgericht gibt zudem ein hohes Maß an echter Unabhängigkeit, weil es gemäß ihrer Lebenslage regelmäßig das letzte Amt der Richter ist, so daß diese sich von weiteren Amtsinteressen zu lösen vermögen. Das schafft auch ein hohes Maß an Unabhängigkeit von den politischen Parteien. Die Wahl des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Roman Herzog zum Bundespräsidenten (1994) war aus diesem Grund ein Mißgriff, der die institutionelle Moral verletzt hat. Es gehört zur Dignität eines Bundesverfassungsrichters, daß er nach dem Ausscheiden aus dem Richteramt keine Ämter mehr übernimmt, aber auch keine Gutachten mehr erstattet. Förderlich ist die Teilnahme der ehemaligen Richter an Forschung und Lehre. Das Bundesverfassungsgericht wird in der exekutivistischen Parteienoligarchie, in der das institutionelle Parlament von der Parteiregierung abhängig ist 769 , zu dem eigentlichen Organ der praktischen Vernunft des Volkes770. Das Bundesverfassungsgericht verfährt so, wie ein Parlament verfahren sollte. Es pflegt die parlamentarischen Tugenden. Es müht sich um praktische Vernünftigkeit, nicht ohne Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht kompensiert dadurch weitgehend die republikanischen Mängel des Parteienstaates. Das Gericht ist zum Gegenspieler der Parteienoligarchie geworden, obwohl diese entscheidet, wer Verfassungsrichter wird 771 . "Das Bundesverfassungsgericht... kämpft um die Herrschaft des Rechten und Guten, indem es die höchsten irdischen Werte ausdrücklich zur Grundlage seiner Entscheidungen macht." - Rudolf Smend 112 Freilich hat die kompensatorische Wirkung der Verfassungsrechtsprechung auch zur Folge, daß das Parlament von der Verantwortung für praktische Vernünftigkeit der Gesetze entlastet ist, weil die gröbsten Fehlentscheidungen vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden. Aus der persönlichen Verantwortung für die Richtigkeit der Gesetze, für die prakti-

769

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., 802 ff. I.d.S. auch P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16 ff., der etwa "das BVerfGG als Pluralismus- und abgestuftes Partizipationsgesetz" konzipiert (S. 34), allerdings den Parteieinfluß im "Parteienstaat" um der "demokratischen Legitimierung" des BVerfG für erforderlich hält (S. 30). 770

771 772

Zum Wahlmodus der Bundesverfassungsrichter 9. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 939, 975 ff. Festvortrag 26. Jan. 1962, S. 343.

6. Kap.: Richtigkeitschance, Vertrauen und Legitimation

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sehe Vernunft im Gemeinwesen, haben sich die meisten Parlamentarier längst herausgestohlen. Sonst würden sie sich nicht regelmäßig den Fraktionsentscheidungen unterwerfen. Ihre Interessen sind gänzlich andere. Sie wollen den Status, die Diäten und weitere, noch besser dotierte Ämter 773 . II.

Das Vertrauen zum Bundesverfassungsgericht und das Mißtrauen gegenüber dem parteilichen Gesetzgeber Das Vertrauen der Bürger in das Bundesverfassungsgericht 774 entlastet auch die Bürger selbst von der Verantwortung für die praktische Vernunft ihres Gemeinwesens, von ihrer Aufgabe als Hüter der Verfassung. Der Schutz der praktischen Vernünftigkeit durch das Bundesverfassungsgericht hat, gerade weil er intensiv war und ist, das Verantwortungsbewußtsein der großen Menge der Bürger für die Politik des Gemeinwesens erlahmen lassen. Die Auswahl der Abgeordneten wird nicht ernst genommen, weil die Abgeordneten in der Verfassungswirklichkeit nicht die Wichtigkeit haben, die ihnen die Verfassung beimißt und die sie behaupten sollten. Das aber würde die Überwindung des entwickelten Parteienstaates voraussetzen. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat diesen gefördert, die wesentliche Wirkung des parteienstaatlichen Auswahlverfahrens 775. "Der deutsche Glaube an die Verfassungsgerichtsbarkeit darf nicht zum Unglauben an die Demokratie umschlagen." - Peter Häberle 776 "Es ist erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit noch nach dreißig Jahren Grundgesetz in der Literatur vom Mißtrauen gegenüber dem Gesetzgeber und kompensierend vom Vertrauen in die Justiz geredet wird." -Klaus Schiaich 777 Das Mißtrauen gegenüber dem parteilichen Gesetzgeber hat zurecht zugenommen778. Er verdient kein Vertrauen, solange er das Parlament lediglich als verlängerten Arm der Partei- und Koalitionsgremien mißbraucht.

773

Dazu 10. Teil, 3., 4., 5. u. 8. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff., 1165 ff. Dazu E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 365; R. Marcic, Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 327; ders., Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 265, 337, 340 f. 775 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff.; auch 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff. 776 Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 449, der auch "vom unpolitischen Mißtrauen gegen die Demokratie" und "verhältnismäßig großem Vertrauen in die Rechtsprechung" spricht. Dieses übermäßige Vertrauen führt mehr und mehr zum Abbau rechtsstaatlicher Einrichtungen im Bereich der Rechtsprechung. 777 VVDStRL 39 (1981), S. 118. 778 Dazu 10. Teil, 10. Kap., S. 1173 ff. 774

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Die Gerichte kompensieren das im Parteienstaat angelegte Vertrauensdefizit, wenn sie die Übereinstimmung der Gesetze mit materialen Prinzipien feststellen, die das Volk kraft seiner den Parteienstaat transzendierenden Verfassung und auch empirisch weitgehend gutheißt779. "Solange nun das Vertrauen auf den Gesetzgeber und den Gesetzgebungsstaat besteht, kann man sich mit der allgemeinen Garantie der Freiheit selbst begnügen und das weitere dem Vorbehalt des (einfachen) Gesetzes überlassen; sobald dieses Vertrauen aufhört, erscheinen neue Garantien, die nicht unmittelbar die Freiheit selbst, sondern Schutznormen und -einrichtungen zur Verteidigung und Umhegung der Freiheit gewährleisten sollen780. Diese werden dann, solange kein klares Bewußtsein der verfassungstheoretischen Probleme vorliegt, unsystematisch verankert und werden schließlich kräftiger und heiliger als die fundamentalen Freiheitsrechte selbst, ..." - Carl Schmitt 781 Das Vertrauen auf die Verfassungsrichter beruht ganz wesentlich auf der oft erlösenden Aufrichtigkeit des Gerichts, die seine Autorität trägt, während die Parteienologarchie, in ihrer Parteilichkeit verfangen, typisch unaufrichtig ist 782 und dadurch ohne Chance ist, das Vertrauen des Volkes zu gewinnen. Demgemäß müssen die Parteien um Vertrauen werben. Auch für ein Gericht wäre ein solches Werben das Ende seiner Autorität. René Marcic mißt der "Ventilfunktion" des Verfassungsgerichts eine "unschätzbare Tragweite" zu: "Das unwiderstehliche Verlangen des Menschen nach einer Oase der Unparteilichkeit ..., nimmt im Vertrauen zu jener Höchstinstanz Gestalt an, die ihrer Natur nach und gemäß der ureigenen Methode ganz und gar auf das Unparteiische, das Über-den-Parteien-Stehende (supra partes), auf Neutralität (potestas neutralis, pouvoir neutre) und gewaltlose Autorität

779

I.d.S. auch E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 365. 780 Das vom Bundesverfassungsgericht praktizierte, nicht im Grundgesetz genannte Vertrauensschutzprinzip, etwa BVerfGE 13, 261 (271 ff.); 63, 152 (175); 72, 175 (196), vgl. (kritisch) B. Pieroth, Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz des Vertrauensschutzes, JZ 1990, 229 ff.; zu Recht auch kritisch K. Stern, Staatsrecht I, S.283 ff.; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 208 ff., 273 f.; K.A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 89 ff., ist Ausdruck des Vertrauensdefizits in den parteienstaatlichen Gesetzgeber. 781

Freiheitsrecht und institutionelle Garantien, S. 169 (Hervorhebung von C. Schmitt); ebenso ders., Legalität und Legitimität, S. 8, 20 ff., insb. S. 23. 782 Dazu H. Arendt, Die Lüge in der Politik, S. 7 ff.; dies., Wahrheit und Politik, S. 44 ff.; dazu 10. Teil, 3. u. 10. Kap., S. 1060 ff., 1173 ff.

6. Kap.: Richtigkeitschance, Vertrauen und Legitimation

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angelegt ist"; ... "Wer - wie das Verfassungsgericht - über keine Macht, über keine sichtbare Gewalt verfügt, kann wohl, erwägt der schlichte Bürger, der nach einem Ventil Ausschau hält, die Macht schlecht mißbrauchen. Verdrossenheit wird in Verfassungstreue übergeführt." - René Marcic 783 Die Verfassungsrechtsprechung mindert die Gefahr der Parteienherrschaft, aber auch des moralischen Versagens der Bürger, die um ihrer Interessen willen Parteienoligarchien zur Herrschaft verhelfen, wenn diese ihnen Versprechungen machen. Die Selbstentmündigung macht aus den Bürgern Untertanen und aus den Parteiführern Herren. Die Opfer sind vor allem die Wenigen, die Bürger sein wollen, es aber wegen der Untertänigkeit der Mehrheit im Parteienstaat der allgemeinen und gleichen Wahlen nicht können. Immerhin schützen ihn (begrenzt) die politischen Grundrechte, die insofern ein Schutz gegen mehrheitsgestützte Parteienherrschaft sind784. Opfer sind aber zumindest langfristig auch die untertänigen Menschen selbst, die nicht zur bürgerlichen Persönlichkeit finden, weil ihnen der (meist nur vorgetäuschte) Vorteil wichtiger erscheint. Die allgemeine Freiheit setzt die innere Freiheit, die Moralität aller, jedenfalls die der Mehrheit voraus. "Die äußere Freiheit der Vielen beruht auf der inneren Freiheit des Einzelnen." - Theodor Heuss, 1949785 In einer Demokratie, in der die Mehrheit der Stimmen Herrschaft ermöglicht, müssen Bürger, die die Republik zu verwirklichen suchen, die Vergewaltigung durch die Parteien, aber auch die Bevormundung durch die Richter ertragen. Letztere kompensiert nur, wenn sie an praktischer Vernünftigkeit überlegen ist, eine Frage der Moralität der Richter selbst, deren Unabhängigkeit insbesondere von den Parteien. Unter dem Schutz der praktischen Vernunft des Bundesverfassungsgerichts konnte sich der Parteienstaat gut entwickeln, weil spezifisch die Rechtsprechung des Gerichts zum Willkürverbot und zum Verhältnismäßigkeitsprinzip 786 die Parteienoligarchie von der letzten politischen Verantwortung für die Sachlichkeit der Gesetze entlastet. Der Richterstaat stützt den Parteienstaat spezifisch da-

783 Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 327 f.; i.d.S. ders., Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 265, 337, 340 f. 784 Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 6. Teil, 3. u. 10. Kap., S. 454 ff., 513 ff. 785 Zitiert nach H. Hamm-Brücher, Der freie Volksvertreter - eine Legende, 1990, Geleitwort. 786 Dazu 5. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 362 f. mit Fn. 558, S. 412 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff. (insb. S. 986 ff.), 990 ff.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

durch, daß die Richter die Parteien davor bewahren, ihre Oligarchie über die Maßen zu mißbrauchen, und daß die Parteiverdrossenheit 787 zur Staatsverdrossenheit wird. Die Rechtsprechung schützt die Parteien aber auch vor allzu großen Irrtümern, welche oft erst langfristig ihre verheerende Wirkung entfalten. Die Parteien sind schlecht beraten, wenn sie, wie in letzter Zeit verstärkt, die Richterpatronage aktivieren 788. Auch die Richterschaft wird zur verachteten Oligarchie, wenn sie die Moralität einbüßt. Wer sein Richteramt wesentlich Parteien zu danken hat, verdient im Zweifel kein Vertrauen in seine Moralität. III.

Die republikanische Legitimation der Gesetzesrichter aus der Gesetzesbindung und der rechtswissenschaftlichen Befähigung Jede Verfassung enthält Elemente verschiedener Verfassungstypen 789. Die richterliche Erkenntnis von Recht ist das Vorbild der republikanischen Erkenntnis der allgemeinen Gesetze im Parlament790. Insoweit ist die Institutionalisierung einer Art judikativen Parlamentarismus im Bereich der Gesetzgebung zum Schutz vor Verirrungen des legislativen Gesetzgebers, also ein Element einesrichterstaatlichen Republikanismus, wenig schmerzlich. Diese Institution ist ganz im Gegenteil angesichts der unterentwickelten Moralität der Bürgerschaft im konsumorientierten Wohlfahrtsstaat, dessen breitest akzeptierte Rationalität ökonomistisch ist 791 , geradezu eine feste Burg des Republikanismus. Es bleibt aber das Defizit der Richterschaft an demokratischer Legitimation.

787

Dazu 10. Teil, 10. Kap., S. 1173 ff. Dazu 10. Teil, 6. Kap., S. 1131 f.; insb. R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 137 f. in Fn. 76, S. 174 mit Fn. 10; W. Zitscher, Richterpatronage - Krise der Rechtspflege, ZRP 1991, 100 ff.; auch H.-P. Vierhaus, Die Identifizierung von Staat und Parteien - eine moderne Form der Parteiendiktatur?, ZRP 1991, 470; klar und deutlich W. Schmidt-Hieber/E. Kiesswetter·, Parteigeist und politischer Geist in der Justiz, NJW 1992, 1790 ff.; grundsätzliche Kritik und für ein Parteiverbot der Richter R. Marie, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 263 ff.; Bedenken auch bei Κ Stern, Staatsrecht II, S. 404 ("parteipolitischer Nepotismus"). 788

789

Dazu Hinweise in Fn. 314, 8. Teil, 2. Kap., S. 694; zur gemischten Verfassung insb. C Schmitt, Verfassungslehre, S. 216 f., 305; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 152 ff., auch S. 301 ff.; auch schon Aristoteles, Politik, S. 155, 1297 a/6, auch S. S. 148 ff., 202 ff.; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 67. 790 Dazu M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung; ders., Einführung in die Staatslehre, S. 106 ff. 791 H. Arendt, Vita activa, S. 115 ff. insb. S. 120 ff.; H. Rattinger, Abkehr von den Parteien? Dimensionen der Partei Verdrossenheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/93, S. 34 ("Wirtschaftswachstum und Wohlstand sind seit den fünfziger Jahren die 'Nationalideologie' der Bundesrepublik"); vgl. auch J. Habermas, Der DM-Nationalismus, Die Zeit v. 30.03.1990, 62 f.

6. Kap.: Richtigkeitschance, Vertrauen und Legitimation

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Allein die hinreichend demokratische legitimierte (Art 95 Abs. 2, Art. 98 Abs. 4 GG) Auswahl der Richter 792 vermag der Rechtsprechung die demokratische Legitimation nicht zu geben793, sondern erst die Unterwerfung der Richter unter bindende, also unterwerfende Gesetze, die eigentlich eine republikanische Legitimation begründet 794. Die Gesetzlichkeit der Rechtsprechung muß im übrigen bestmöglich gesichert werden. Das verlangt grundsätzlich Rechtsmittelmöglichkeiten und grundsätzlich auch Kollegialgerichte. "Wenn aber das rechtsstaatlich-demokratische Gesetz das höchste Recht für sich beanspruchen kann, dann kann es außerhalb des Gesetzes und gegen das Gesetz kein Recht geben und dann kann der Richter das Recht nur aus dem Gesetz nehmen, dann kann es nur das Gesetz sein, das die richterliche Entscheidung legitimiert. ... In der Gesetzesbindung steckt zugleich die demokratische Legitimation der Funktionsausübung." - Gerd Roellecke 795 Angesichts der um ihrer Unabhängigkeit willen unverzichtbaren lebenszeitigen Anstellung der Berufsrichter (Art. 97 Abs. 2 S. 1 und 2 GG) 796 kann nur ein Höchstmaß an Gesetzesbestimmtheit der Rechtsprechung demokratische Legitimation verschaffen 797. Zur demokratischen Legitimation gehört, als "grundlegendes Prinzip des freiheitlichen Rechtsstaates" die zeitliche Begrenzung des Amtes, wenn das Amt zur Gesetzgebung ermächtigt 798 oder mit gesetzgeberischen Funktionen erheblicher Art verbunden ist. Wenn es nicht gleichgültig ist, wer eine richterliche Aufgabe wahrnimmt, vorausgesetzt, daß er die Befähigung zum Richteramt hat, wenn der Richter die

792 Dazu K. Stern, Staatsrecht I, S. 987 f.; ders., Staatsrecht II, S. 400 ff. ("parlamentarischexekutives Zusammenwirken"), 914 f.; G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 848 f. 793 Vgl. i.d.S. BVerfGE 83, 60 (72); dazu auch E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 72. 794 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 538 f.; 9. Teil, 3. Kap., S. 923 ff.; vgl. auch die Hinweise zum gesetzesabhängigen Rechtsprechungsbegriff in Fn. 286, 352, 489, 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 873, 883, 914; vgl. G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 32; vgl. auch Ch. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, S. 135 f.; i.d.S. auch BVerfGE 83, 60 (71 f.). 795 VVDStRL 34 (1976), S. 32 mit Fn. 74, in Kritik an E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 72. 796 Zur sachlichen, organisatorischen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter/?. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 8 ff. zu Art. 97; G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 849 f., 828 f. 797 I.d.S. R. Wassermann, AK-GG, Rdn 47 ff. zu Art. 97; zum Problem auch, ohne den demokratischen Aspekt, G. Barbey, HStR, Bd. III, S. 829 ff.; zum demokratischen Legitimationsniveau, zu dem auch und gerade die Gesetzesbindung gehört BVerfGE 83, 60 (72). 798 BVerfGE 18, 151 (154) für die Volksvertretungen; 20, 56 (113); 41, 399 (414); 44, 125 (139); K. Stern, Staatsrecht I, S. 609; Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 18.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Politik wesentlich beeinflussen kann und darf, wenn insbesondere die richterlichen Erkenntnisse nicht von mit klassischen Methoden auslegbaren Begriffen abhängen, ist die Aufgabe der Richter funktional gesetzgebend, so daß die Richter wie der Gesetzgeber demokratisch legitimiert sein müssen, d.h. zumindest, daß ihre Amtsperiode zeitlich begrenzt ist. Nur gemäß ihrer materiellen Kompetenz zur Rechtsklärung nach den Gesetzen, nicht aber zur Gesetzgebung, sind die Gesetzesrichter im Grundsatz republikanisch legitimiert, genauer kompetent. Legislative Repräsentation darf nicht auf einen in bestimmter Weise, nämlich rechtswissenschaftlich, qualifizierten Teil der Bevölkerung, die Bürger im Richterämtern, beschränkt sein. Das würde die Allgemeinheit der Freiheit, die Gesetzgeberschaft des ganzen Volkes, verletzen, obwohl das Volk vertreten werden muß. Die Besten aber, die rechtens in der Republik das Volk nur vertreten können, die also, die zumindest keinen Zweifel an ihrer moralischen Kompetenz wecken, sind angesichts der politischen Freiheit und damit Gleichheit aller nicht nur die Richter oder Bürger mit richterlicher Befähigung. Das aktive Wahlrecht für die Wahl der rechtsetzenden Richter müßte den Prinzipien des Art. 38 Abs. 1. S. 1 GG genügen, also "unmittelbar, frei, gleich, geheim", vor allem aber "allgemein" sein. Das passive Wahlrecht wäre, wie auch nach dem geltenden Recht, nach Art. 33 Abs. 2 GG von der "Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung", vor allem also von der Befähigung zum Richteramt, abhängig. Es müßten Wahlperioden eingeführt werden 799. Eine lebenszeitige Gesetzgebungsmacht von Richtern, die in ihrem Amt vor der persönlichen Verantwortung durch prinzipielle Unabhängigkeit und Unversetzbarkeit geschützt sind (Art. 97 Abs. 2 GG), verletzt die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Richter unterwirft jedoch Art. 97 Abs. 1 GG "dem Gesetz" und gerade nicht wie Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG die Abgeordneten nur "ihrem Gewissen"; denn die Richter sind grundsätzlich nicht die Vertreter des Volkes in dessen (rechtsetzender) Sittlichkeit, wenn ihr Amt auch Moralität, nämlich als Legalität, gebietet und darin der Richter seine Gewissensbindung findet 800. Die Verfassungsrechtsprechung, sowohl die der Verfassungsgerichte als auch die der Fachgerichte, ist, soweit ihre Rechtserkenntnisaufgabe funktional gesetzgebend ist, nicht derart den

799 So für die Volksvertretungen BVerfGE 18, 151 (154); 20, 56 (113); 41, 399 (414); 44, 125 (139), wo die Periodizität als ein "grundlegendes Prinzip des freiheitlich demokratischen Rechtsstaates" bezeichnet wird; weitere Hinweise in Fn. 122, 7. Teil, 2. Kap., S. 539. 800 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 874 ff.; weitere Hinweise in Fn. 429, 9. Teil, 2. Kap., S. 899.

6. Kap.: Richtigkeitschance, Vertrauen und Legitimation

973

Gesetzen unterworfen, daß ihre Erkenntnisse allein durch Interpretation von Gesetzen gewonnen werden könnten. Folglich ist diese Rechtsprechung in ihrer gesetzgeberischen Funktion um ihrer Sittlichkeit willen allein vom Gewissen der Richter geleitet. Diese Dogmatik ist dargelegt 801. Sie gilt auch für die Gesetzesrechtsprechung, soweit diese nicht begrifflich gebunden ist 802 . Zu Recht lautete Art. 132 HChE demgemäß: "Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz und ihrem Gewissen unterworfen." 803 Die Rechtsetzungsfunktion der Gerichte wirft besondere Legitimationsprobleme auf und läßt sich für die Gesetzesrichter nur in engsten Grenzen unumgänglicher Ermächtigung zur nicht gesetzesgebundenen Rechtserkenntnis legitimieren, wenn die Willensautonomie der Bürgerschaft nicht verletzt sein soll 804 . Die Befähigung zum Richteramt muß jedenfalls auch gewährleisten, daß diese gesetzgeberische Funktion moralisch, praktisch vernünftig, also dem Sittengesetz gemäß, erfüllt wird. Insgesamt ist das der Richterschaft unter dem Grundgesetz, geführt vom Bundesverfassungsgericht und den obersten Bundesgerichten, gelungen. Die Leistungen der Gerichte bei der Verwirklichung der praktischen Vernunft durch die Erkenntnis des Rechts haben den Gesetzgeber aus der sittlichen Verantwortung zurückgedrängt. Ganze Lebensbereiche überläßt der Gesetzgeber der rechtsetzenden Verantwortung der Gerichte, insbesondere weitgehend das Arbeitsrecht 805. Die exekutivistische Gesetzgebung der Europäischen Gemeinschaft 806 verschiebt erneut dieses kompetenzielle und funktionale Gefüge, weil und insoweit die Einheitlichkeit des Rechts wegen der begrenzten Kompetenzen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nicht gewährleistet ist, jedenfalls noch nicht 807 .

801 Dazu 9. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 854 ff., 858 ff.; vgl. weitere Hinweise in Fn. 522, 9. Teil, 3. Kap., S. 919. 802 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 870 ff., 884 ff., 920 ff.; auch 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff. 803 Vgl. v. Doemming, JöR N.F. 1 (1951), S. 716. 804 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. u. 10. Kap., S. 874 ff., 880 ff., 1027 ff.; weitere Hinweise in Fn. 522, 9. Teil, 3. Kap., S. 919. 805 Zum Richterrecht vgl. die Hinweise in Fn. 106, 7. Teil, 2. Kap., S. 536; Fn. 246, 9. Teil, 2. Kap., S. 864. 806

Deren Exekutivität rechtfertigt mit dem Integrationscharakter H.P. Ipsen, Zur ExekutivRechtsetzung in der Europäischen Gemeinschaft, in: FS P. Lerche, 1993, S. 425 ff., der (zu Recht) dem Parlamentarismus der Europäischen Gemeinschaft keine hinreichende Legitimationswirkung zugesteht (S. 435 ff.); so jetzt das Maastricht-Urteil, BVerfGE 89, 155 (184 ff.); kritisch K.A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th.C.W. Beyer, JZ, 1993, 755.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Die Besonderheiten der Richterwahl sind mit dem republikanischen Prinzip zu rechtfertigen, welches den Amtsgedanken und damit die Beschränkung der Amtsträger auf amtskompetente Bürger nicht nur rechtfertigt, sondern gebietet. Aber das Amt der lebenszeitigen Gesetzesrichter muß soweit als möglich auf gesetzesabhängige Rechtsprechung beschränkt sein, weil sonst die allgemeine Freiheit als allgemeine Gesetzgebungskompetenz, die demokratisch gestaltet sein muß, wie prinzipiell das passive Wahlrecht der Abgeordneten 808, aufgehoben wäre. Die Amtseignung der Richter ist ihre rechtswissenschaftliche Kompetenz, welche das deutsche Richtergesetz sicherzustellen bemüht ist (§§ 5 ff. DRiG). Die strukturelle Schwäche der Regelung ist der Widerspruch zwischen dem von § 5 Abs. 1 DRiG geforderten "rechtswissenschaftlichem Studium an einer Universität" und der "ersten Staatsprüfung", die ihrem Begriff nach gerade keine Universitätsprüfung ist. Das alte Mißtrauen des Staates gegenüber den Universitäten behindert die Entwicklung der Juristen zu Rechtswissenschaftlern und damit die vom Gesetz selbst geforderte rechtswissenschaftliche Befähigung der Richter. Wer seine juristische Ausbildung lediglich beim Repetitor genossen hat, weil ihm das die größere Chance verspricht, das erste Staatsexamen zu bestehen, hat die Befähigung zum Richteramt nicht; denn er hat ein wirkliches "rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität" nicht absolviert. Ein Repetitor ist kein Professor. Ein Studium wird nicht allein durch die Immatrikulation und einige Pflichtscheine abgeleistet, sondern nur durch das eifrige Bemühen, die Lehren der Rechtswissenschaft kennenzulernen. Studieren kann man das Recht nur bei Rechtslehrern, die das Gemeinwesen als solche anerkannt hat. Wenn das sichergestellt werden soll, muß das Prüfungswesen in die Hand der Unversitäten gelegt werden. Ein Staatsexamen schafft keine Befähigung, sondern prüft diese. Das kann mißlingen und mißlingt in allen Fällen, in denen die Kandidaten nicht eigentlich studiert, sondern sich mit Examensvorbereitung begnügt haben. Meist ist in solchen Fällen den Prüfern die

807 Dazu K.A. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, S. 131 ff.; ders., Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, S. 9 f.; BVerfGE 89, 155 (171 ff., 181 ff.) hat die Kompetenz des EuGH wieder erheblich eingeschränkt; dazu KA. Schachtschneider, Das Maastricht-Urteil. Die neue Verfassungslage der Europäischen Gemeinschaft, Recht und Politik 1/94, S. 1 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 104 ff. 808 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 67 f.; 8. Teil, 1. Kap., S. 675 ff.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff.

6. Kap.: Richtigkeitschance, Vertrauen und Legitimation

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Prüfung mißlungen; denn sie haben nicht festgestellt, daß die Kandidaten die Rechtswissenschaft gar nicht kennen, sondern lediglich einiges vom Recht oder auch nur den Gesetzen wissen und deren Anwendung geübt haben. Eine Bescheinigung gibt einen Schein, mehr nicht. Staatsexamen kann man manches nennen. Republikanisch akzeptabel für ein Richteramt ist ausschließlich die Befähigung zur rechtswissenschaftlichen Bewältigung der Rechtspraxis. Diese gewährleistet die juristische Prüfungspraxis nicht mehr, seit bloße Repetitorjuristen einen wesentlichen Einfluß auf diese Prüfungen haben. Selten hat ein Student auch nur eine rechtswissenschaftliche Monographie gelesen. Die "gerechten Richterpersönlichkeiten" müssen Menschen sein, "die ihr Rechtswissen ausgebildet haben und ein reines Gefäß sind", hat Erich Kaufmann 1926 gefordert 809. "Wir sind - und darin sehe ich eine der Hauptmängel und Hauptgefahren unserer Zeit - viel zu sehr geneigt, die bloß rechtstechnische Bildung und Schulung zu überschätzen, ja juristische Bildung mit rechtstechnischer Fertigkeit gleichzusetzen und für die juristische Ausbildung der Studierenden in der Lehre und Übung dieser abstrakten Technik das alleinige Ziel des Rechts zu sehen. ... Die bloß technische Rechtswissenschaft ist eine Hure, die für alle und zu allem zu haben ist." - Erich Kaufmann, 1926810 Was würde Kaufmann wohl zur gegenwärtigen Juristenausbildung sagen? Es hat sich nichts gebessert, im Gegenteil! IV.

Die demokratische und republikanische Legitimation der Richter des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht freilich ist demokratisch legitimiert, wenn auch nur mittelbar und nur parteiendemokratisch, d.h. durch die Parteienoligarchie 811. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden nach Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG durch den Bundestag und den Bundesrat gewählt und ihre Amtszeit ist durch § 4 Abs. 1 BVerfGG auf 12 Jahre, längstens bis zur Altersgrenze beschränkt. Eine anschließende spätere Wiederwahl der Richter ist nach § 4 Abs. 2 BVerfGG ausgeschlossen. Diese gesetzlichen Regelungen erfüllen wegen der gesetzgeberischen Funktion des Bundesverfassungsgerichts, die wegen Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG der demokratischen Legitimation bedarf, ein Verfassungsgebot 812.

809 810 811

VVDStRL 3 (1927), S. 22. VVDStRL 3 (1927), S. 22. Dazu 9. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 939 f., 964 f.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Ein demokratisches Defizit besteht darin, daß zum Richter des Bundesverfassungsgerichts nur gewählt werden darf, wer die Befähigung zum Richteramt nach dem deutschen Richtergesetz besitzt (§ 3 Abs. 2 BVerfGG) 813, und daß das Mindestalter nach § 3 Abs. 1 BVerfGG 40 Jahre beträgt. Diese Qualifikationsvoraussetzungen sind zwar richtig, lassen sich aber nicht mit einem egalitären Demokratieprinzip begründen, sondern nur mit dem Republikprinzip, welches es um der Sachlichkeit der Aufgabenbewältigung willen zuläßt und geradezu erfordert, daß die politischen Aufgaben einer Kompetenzelite übertragen werden 814. Ein demokratisches Parlamentswahlrecht würde derartige Beschränkungen der Wählbarkeit nicht zulassen; denn es muß möglichst egalitär sein815. Das Grundgesetz verfaßt denn auch eine demokratische Republik, nicht etwa eine Demokratie 816. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ermöglicht nur Volljuristen die Mitgliedschaft im Bundesverfassungsgericht. Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG zwingt nicht zu dieser Auslegung. Dennoch wären verfassungsrechtliche Zweifel an § 3 Abs. 2 BVerfGG nicht begründet; denn das Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe, das Recht zu erkennen, die zu bewältigen Rechtswissenschaftler am besten geeignet sein sollten817. Die rechtswissenschaftliche Promotion dient dem ganzen Volk, wenn es eine ist, die diesen Namen verdient. Die Fachkomptenz qualifiziert. Jeder ist berechtigt, diese Kompetenz anzustreben. Er dient mit seinem Beruf auch dem Volke. Eine multiprofessionelle Besetzung eines Gerichts fördert die Rechtserkenntnis nicht, wohl aber eine rechtswissenschaftliche Kompetenz, welche sich den Schwierigkeiten des Faches öffnet und die Befähigung nicht auf die Kennt-

812 So auch E. Benda/E. Klein, Verfassungsprozeßrecht, 1991, S. 34 f., 37 ff.; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 356 ff., insb. S. 368; zur demokratischen Legitimation der Rechtsprechung allgemein E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 71 ff.; vgl. auch Ch. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, S. 132 ff.; dazu, selbst kritisch, W.K. Geck, HStR, Bd. II, S. 712. 813 Dazu W.K. Geck, HStR, Bd. II, S. 698 f., der das befürwortet; ebenso Κ Stern, Staatsrecht III, S. 356 ff., insb. S. 360 f. 814

Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 897; 8. Teil, 1. Kap., S. 662 ff., 674 ff., 679 ff. BVerfGE 4, 375 (389); 11, 266 (271 f.); 28, 220 (225); 36, 139 (141), u.st.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 303 f., 614; K.A. Schachtschneider, JR 1975, 397 ff.; dazu 8. Teil, 2. Kap., S. 1114; zur Gleichheit in der Freiheit 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 998 ff. 816 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; auch 1. Teil, 1. Kap., S. 2 ff. 8,7 So auch W.K. Geck, HStR, Bd. II, S. 698 f. 815

6. Kap.: Richtigkeitschance, Vertrauen und Legitimation

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nisse reduziert, welche Repetitoren zu vermitteln pflegen. Das ist bei den Richtern des Bundesverfassungsgerichts bisher nicht zu beklagen. Im übrigen sollten die Parteien, welche unter dem Verhältniswahlsystem dem Volk die Parlamentarier weitestgehend vorzuschreiben die Möglichkeit haben818, nicht auch bestimmen dürfen, wer Verfassungsrichter mit der gesetzgeberischen Funktion ist 819 . Das mindert die Vertrauenswürdigkeit solcher Verfassungsrichter, welche für die Stabilität der Republik als Verfassungsstaat unverzichtbar ist. Bei der Gestaltung des Wahlrechts, des Parteienrechts und des Parlamentsrechts haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts erwartungsgemäß ihre Verbundenheit mit den Parteien und dem Parteienstaat nicht überwunden und zum Schaden der Republik versagt820. Demgegenüber rechtfertigt Peter Häberle den "entscheidenden Einfluß" der Parteien auf die Richterwahl als eine Konsequenz des Parteienstaates. "Im Parteienstaat gibt es keine 'demokratische Legitimierung' des BVerfG ohne Einbeziehung der Parteien in die Richterbestellung beim Verfassungsgericht (Art. 21 i.V.m. 20 GG)."-Peter Häberle* 21 Nur verfaßt das Grundgesetz keinen Parteienstaat, sondern eine Republik 822 .

818

Dazu 10. Teil, 5. u. 8. Kap., S. 1113 mit Fn. 312, 1147 ff.; 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 677,

788. 819 Dazu 9. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 939 f., 964 f., 975 ff.; den Einfluß der Parteien befürworten M. Draht, VVDStRL 9 (1952), S. 102 ("grundsätzliche Basis des Vertrauens dieser bedeutsamen Verfassungsfaktoren"); auch schon H. Kelsen, VVDStRL 5 (1929), S. 57 (für Berücksichtigung der "verhältnismäßigen Stärke der Parteien"); R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 340 f.; G. Leibholz, Bericht zur "Status"-Frage, S. 229; tendenziell auch P. Häberle, Grundprobleme des Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 38 ("Verfassungsgerichtsbarkeit ist keine antiparlamentarische und keine Antiparteien-Institution"); auch Κ Stern, Staatsrecht II, 5. 356 ff.; dagegen R. Thoma, Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts, S. 262 f. 820 Dazu 10. Teil, 3. u. 8. Kap., S. 1079 f., 1147 ff. 821 Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 30; i.d.S. H. Kelsen, VVDStRL 5 (1929), S. 57; M. Draht, VVDStRL 9 (1952), S. 102; Κ Stern, Staatsrecht II, S. 361. 822 Dazu 1. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 1 ff., 14 ff., insb. 45 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 10. Teil, 1., 2. u. 8. Kap., S. 1045 ff., 1054 ff., 1147 ff., passim. 62 Schachtschneider

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

7. Kapitel Die Wesensgehaltsverwirklichung des Grundrechts der allgemeinen Freiheit I.

Die sachliche Materialisierung der formalen Freiheit oder der Schutz der Rechtlichkeit der Gesetze als Wesensgehalt der allgemeinen Freiheit Die allgemeine Freiheit ist durch das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Dieses Grundrecht entfaltet das konstitutionelle Prinzip der Menschenwürde, die ihrerseits nach Art. 1 Abs. 1 GG unantastbar und die zu achten und zu schützen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist 823 . Verletzungen der allgemeinen Freiheit sind somit zugleich Verletzungen der Menschenwürde. Jedenfalls genießt auch Art. 2 Abs. 1 GG den Wesensgehaltsschutz des Art. 19 Abs. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat demgemäß eine Wesensgehaltsrechtsprechung zu Art. 2 Abs. 1 GG entwickelt, nach der dieses Grundrecht einen "Kernbereich", "eine Sphäre privater Lebensgestaltung", "einen letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit... der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entziehe."824... Ein "Innenraum, ... in dem der Einzelne sich selbst besitze und in den er sich zurückziehen könne und zu dem die Umwelt keinen Zutritt habe, in dem man in Ruhe gelassen werde und ein Recht auf Einsamkeit genieße" sei unantastbar 825 . Daß es einen solchen uneindringlichen Raum nicht gibt, lehrt gerade die Umweltverschmutzung. Die materialen Begriffe, die das Bundesverfassungsgericht verwendet, haben keine, jedenfalls keine subsumtive Rechtskentnisse ermöglichende, Bestimmtheit, sondern müssen funktional gesetzgeberisch entfaltet werden. Unantastbare Bereiche des Menschen oder Bürgers lassen sich nicht empirisch ermitteln, sondern werden politisch

823 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 280 ff., 325 f.; auch 6. Teil, 9. Kap., S. 504. 824 BVerfGE 6, 32 (41); vgl. i.d.S. auch BVerfGE 27, 344 (350 f.); 32, 373 (379); 34, 238 (245 ff.); 35, 202 (232); 80, 367 (373 ff.); vgl. aber auch BVerfGE 65, 1 (42 ff.); 80, 367 (373); H.-U. Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 1201; kritisch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 425 ff., S. 173 ff.; kritisch auch B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rdn. 7435, S. 97. 825 BVerfGE 27, 1 (6); 34, 269 (281); H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1201; vgl. J. Wintrich, Die Problematik der Grundrechte, 1957, S. 15 f., den das Bundesverfassungsgericht zitiert.

7. Kap.: Die Wesensgehaltsverwirklichung des Grundrechts der Freiheit

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festgelegt. Der Versuch, Sphären oder gar Räume der Freiheit zu definieren, schleppt die Schwäche jeder räumlichen Rechtsdogmatik mit, welche vor allem verkennt, daß die Freiheit ein Prinzip richtigen Handelns des Menschen im Gemeinwesen ist, nicht aber eine empirische Kategorie 826. Das Bundesverfassungsgericht dogmatisiert das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit, die es material versteht 827. Dementsprechend leitet das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 GG besondere Freiheiten, die sogenannten unbenannten Freiheitsrechte, her 828 . Das erlaubt eine Dogmatik des Wesensgehaltsschutzes der besonderen, wenn auch unbenannten, Freiheiten, die sich in ihrer Materialität nicht von der Dogmatik der besonderen benannten Grundrechte des Grundgesetzes unterscheidet und auf die Identifizierung der Wesensgehaltsgarantie mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip hinausläuft 829. Für die praktizierte Materialisierung des Grundrechts bietet der Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG keinerlei Anhaltspunkte. Das wird als Unbenanntheit der Freiheitsrechte zugestanden. Damit ist der äußerste Grad der materialen Offenheit der Grundrechte, deren Wesensgehalt das Bundesverfassungsgericht schützt, erreicht, die Textlosigkeit. Dieser Wesensgehaltsschutz ist nur noch die praktische Vernünftigkeit und materialisiert das formale Prinzip der Sachlichkeit. Solche Rechtserkenntnis ohne textliche materiale Bindung unterscheidet sich von der vom Sittengesetz aufgegebenen Materialisierung der formalen Freiheit nicht. Im Ergebnis ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu kritisieren. Die Praxis muß sich dem einzig möglichen Begriff der Freiheit, dem formalen, dem der Autonomie des Willens, fügen, wenn auch ihre Dogmatik an einem materialen Freiheitsbegriff festhält, der seine Richtigkeit 1918 durch die republikanische Revolution verloren hat 830 . Zu Recht aber hat das Bundesverfassungsgericht seine politische Verantwortung für die Richtigkeit der Gesetze für das gute Leben aller in allgemeiner Frei-

826 Dazu 6. Teil, 3. u. 5. Kap., S. 454 ff., 466 ff.; 5. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 275 ff. (insb. S. 297 ff.), 325 ff. (insb. S. 346 ff.), 370 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; zum Empirismus 7. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 521 ff., 545. 827 Dazu 6. Teil, 1. u. 6. Kap., S. 441 ff., 478 ff. 828 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 331 f. mit Fn. 407; etwa BVerfGE 7, 89 (92); 10, 55 (59); 17, 306 (313 ff.); 65, 1 (42 ff.); 80, 367 (373). 829 Dazu S. 986 f.; 9. Teil, 1., 8. u. 9. Kap., S. 830 f. (mit Fn. 53, 54), 990 f., 1000 f. 830 Dazu 6. Teil, 9. Kap., S. 504 ff.; auch 1. Teil, 2. Kap., S. 11 ff.; 5. Teil, 2., 3., 4. u. 6. Kap., S. 259 ff., 275 ff., 325 ff., 410 ff. 62*

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

heit, für deren Rechtlichkeit also, angenommen. Die Willensautonomie wäre aufgehoben, wenn die Selbständigkeit der Bürger verloren ginge831. Dem entspricht es, wenn das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber Grenzen zieht, welche auch allgemeine Ordnungen um des guten Lebens willen nicht überschreiten dürfen. Diese Grenzen werden in subjektiven Rechten der Privatheit materialisiert 832. Die Freiheit, welche Art. 2 Abs. 1 GG als Grundrecht der politischen Freiheit, als die Autonomie des Willens, schützt, verwirklicht sich in der allgemeinen Gesetzlichkeit, in der Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens. Die Willensautonomie, die Freiheit, ist formal 833. Die Formalität bedarf in der Praxis des gemeinsamen Lebens der Materialisierung. Das Gemeinwohl ist als Prinzip formal und wird, der Logik der Formalität der Freiheit folgend, erst durch Gesetze materialisiert 834. Aber auch das Prinzip der allgemeinen Gesetzlichkeit ist ein Grundrecht, das subjektiven Rechtsschutz genießt835. Die Materialisierung der Rechtlichkeit ist Sache des Gesetzgebers und die Logik jeder Gesetzlichkeit und damit die Logik des Gesetzgebungsstaates836. Die Gesetze sind die verbindlichen Erkenntnisse des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit, vorausgesetzt die Erkenntnisse sind vom Sittengesetz geleitet und finden dadurch zum Recht. Die verbindlichen Erkenntnisse werden in den Gesetzen formuliert und dadurch öffentlich. Das ist die Voraussetzung ihres Vollzuges durch die Bürger und deren staatliche Vertreter. Wäre die Gesetzgebung unmittelbar konsensual837, käme ein materialer Wesensgehaltsschutz der allgemeinen Freiheit nicht in Betracht, weil jeder 831

Dazu 4. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 213 ff., 234 ff.; auch 3. Teil, 4. Kap., S. 203 f. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. (insb. S. 379 ff., 385 ff.); 6. Teil, 2., 4. und 5. Kap., S. 449 ff., 461 ff., 466 ff.; auch 9. Teil, 9. Kap., S. 1004 ff. 833 Dazu Hinweise in Fn. 546, 9. Teil, 3. Kap., S. 923; insb. 5. Teil, 4. Kap., S. 356 ff. 834 Dazu 7. Teil, 4. Kap., S. 569 f.; 8. Teil, 1. Kap., S. 657 ff.; auch 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff., insb. S. 350 ff. 832

835 Dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 304 ff., 325 ff., insb. 332 ff.; auch 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 545 ff. (insb. S. 551 ff.), 560 ff. 836 Zur Gesetzlichkeit der Republik einschließlich deren Verfassungsgerichtlichkeit vgl. auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 328 ff., 370 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 932 ff. 837

Derartig unmittelbar konsensuale Rechtsetzung erfolgt durch die Gewohnheitsrechtsbildung der Bürgerschaft, welche sich von der Bildung allgemeiner guten Sitten durch die Bürgerschaft nicht unterscheidet; dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 421 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, FS W. Thieme, 1993, S. 206 ff., insb. S. 220 ff.

7. Kap.: Die Wesensgehaltsverwirklichung des Grundrechts der Freiheit

981

Bürger seine Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür, seiner negativen Freiheit also838, zur Geltung zu bringen vermöchte. Darin liegt gerade die Formalität der Freiheit, die der Logik der Persönlichkeit jedes Bürgers oder, wenn man so will, seiner Herrschaft über sich selbst, seiner Selbstzweckhaftigkeit, folgt 839 . Die Wesensgehaltsgarantie überträgt dem Bundesverfassungsgericht den Schutz des Wesensgehalts der Grundrechte gegenüber dem legislativen Gesetzgeber, weil diese Gesetzgebung nicht unmittelbar konsensual sein kann, sondern mittelbar konsensual, vertretend/repräsentativ ist und sein muß 840 . Voraussetzung des Wesensgehaltsschutzes ist darum die Repräsentativst der Gesetzgebung. Der Wesensgehalt des allgemeinen Freiheitsgrundrechts folgt der Logik der Repräsentation. Nur weil die Bürgerschaft sich vertreten lassen muß, um überhaupt zur freiheitlichen Gesetzgebung, also zur Rechtsetzung, fähig zu sein841, muß sie sich nicht den Mißbrauch der Vertretungskompetenzen zur Herrschaft, das moralische Versagen der Vertreter, aber auch deren Irrtum gefallen lassen. Um dem Mißbrauch entgegenzuwirken, ist das Bundesverfassungsgericht, selbst repräsentativ 8 4 2 , eingerichtet, das in Vertretung des Volkes die Sittlichkeit der Materialisierung der bürgerlichen Freiheit durch Gesetze verantwortet. Das Bundesverfassungsgericht hat also den Anspruch der Menschen und vor allem der Bürger auf die gemeinsame Lebensgestaltung in praktischer Vernunft zu schützen, den die Bürger trotz ihrer Willensautonomie hinreichend gesichert nicht anders verwirklichen können als durch Vertreter. Die repräsentative Staatlichkeit, welche die Rechtlichkeit gewährleistet, erfüllt den Anspruch aus der Freiheit auf Recht. In der Repräsentativität der Verwirklichung des Rechtsprinzips liegt das Zwangselement, welches dem Recht auf Recht, der Freiheit also, gemäß ist 843 . Die Repräsentation dient

838 Dazu 5. Teil, 3., 4. u. 7. Kap., S. 289 ff., 332 ff., 431 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff. 839 Dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 308 ff., 318 ff., 359 f.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 570, 598. 840 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 644 ff. 841 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff., insb. 644 ff. 842 Zur Repräsentationsfunktion des Bundesverfassungsgerichts G. Leibholz, Bericht zur "Status"-Frage, S. 241; i.d.S. auch P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16 ff. ("Gesamtverantwortung"); prononciert R. Marcie , Die Bedeutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 317 ff.; weitere Hinweise 9. Teil, 3. Kap., S. 909 f. 843 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff., insb. S. 548 ff., 553 ff.

982

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

in allen Funktionen der Verwirklichung der praktischen Vernunft, die die Verfassung gestaltet. Der Wesensgehaltsschutz des allgemeinen Freiheitsgrundrechts kann sich somit nur material als Mitwirkung der Verfassungsrechtsprechung an der Erkenntnis der richtigen Gesetze, des Rechts also, als Gesamtverantwortung der Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung in der Erkenntnis richtigen Rechts durch allgemeine Gesetze entfalten. Der Wesensgehaltsschutz dient der Kompensation befürchteter Schwächen repräsentativer Gesetzgebung der Legislative. Insbesondere beugt er der Gefahr vor, daß der Gesetzgeber seine Vertretungskompetenz zur Herrschaft mißbraucht. Wenn auch Art. 2 Abs. 1 GG mangels Materialität der Freiheit kein Gesetz als unrichtig ausweist, so ist doch nicht jedes Gesetz deswegen richtig, weil es Gesetz ist 844 . Ein Positivismus, der Gesetzlichkeit und Rechtlichkeit identifizieren wollte 845 , hieße, die Formalität der Freiheit, die sich in der Sittlichkeit der Bürger und ihrer Vertreter verwirklicht, mit einem Recht zur Willkür zu verwechseln. Das Recht zur freien Willkür ist die äußere Freiheit. Die äußere Freiheit und die innere Freiheit, also die Pflicht zur Sittlichkeit, sind eine untrennbare Einheit846. Das Recht zur Willkür kennzeichnet die Privatheit, ein Rechtsinstitut, das um der Lebbarkeit des gemeinsamen Lebens willen unverzichtbar ist 847 . Nur die Gesetze, welche dem Sittengesetz genügen, also Erkenntnisse in Moralität sind, können Recht setzen. Sittlichkeit aber entfaltet sich ausschließlich in Materialität. Diese Materialität, die Richtigkeit der erkannten Gesetze also, ist überprüfbar; denn die nicht minder moralische Erkenntnis eines anderen Bürgers, Vertreters der Bürger oder Organs der Bürgerschaft kann zu einer anderen Materialisierung des Richtigen führen. Völlig unabhängig von der Gefahr des Mißbrauchs der Erkenntniskompetenz zur Herrschaft liegt diese Möglichkeit in der Natur menschlichen Erkennens, nämlich in der Möglichkeit des Irrtums 848. Der Irrtum ist nicht vorwerfbar 849, aber die Verfassung kann entscheiden, wessen Erkenntnisse Verbindlichkeit haben, d.h.

844

So schon C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 22 ff. Dazu insb. P. v. Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, 1964, S. 58 ff., 72 ff., passim; Ν. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 207 ff.; dazu 9. Teil, 7. Kap., S. 990 ff.; vgl. die Hinweise in Fn. 354, 9. Teil, 2. Kap., S. 884; insb. 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 845

846 847 848 849

Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 279 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff. Dazu 5. Teil, 3. u. 5. Kap., S. 319 ff., S. 370 ff., insb. 383 ff. Zur Irrtumslehre 7. Teil, 1. u. 4. Kap., S. 541, 567 ff. Dazu S. 986; auch 9. Teil, 4. Kap., S. 946.

7. Kap.: Die Wesensgehaltsverwirklichung des Grundrechts der Freiheit

983

wer das Vertrauen des Volkes haben soll. Nach dem Grundgesetz hat im ordentlichen Verfahren das letzte Wort in Fragen des richtigen Rechts das Bundesverfassungsgericht, weil der Moralität dieses Gerichts ein größeres Vertrauen entgegengebracht wird als der des legislativen Gesetzgebers850. Moralität des Gesetzgebers ist die Bedingung der Rechtlichkeit der Gesetze 851 . Aber auf die Moralität des Gesetzgebers, d.h. jedes einzelnen Abgeordneten, ja darüberhinaus jedes Bürgers, der an dem gesetzgeberischen Diskurs teilnimmt, ist kein Verlaß, vor allem nicht im entwickelten Parteienstaat852. Die Väter und Mütter der Verfassung waren mit ihrer Skepsis gegenüber dem demokratischen Gesetzgeber gut beraten853. Art. 19 Abs. 2 GG, der auch den Wesensgehalts des Grundrechts des Art. 2 Abs. 1 GG anzutasten verbietet, überträgt somit der Verfassungsrechtsprechung in Vertretung des Volkes die Verantwortung für die praktische Vernünftigkeit der gesamten Gesetzgebung, der Rechtsordnung, die Verantwortung also für die Sittlichkeit der Materialisierung der bürgerlichen Freiheit durch Gesetze. "Das Verfassungsgericht ist die Mitte des Gegenwartsstaates..." - René Marcie 854 Das Bundesverfassungsgericht hat seine Verantwortung vor allem in seiner Verhältnismäßigkeitsrechtsprechung, aber auch in der demselben Prinzip, nämlich dem der praktischen Vernunft, folgenden Willkürrechtsprechung855 angenommen. Die Verantwortung der Verfassungsrechtsprechung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 GG , aber auch Art. 1 Abs. 1 und Abs. 3 GG ist formal, nicht material offen, nicht anders als die sittliche Verantwortung des Gesetzgebers, der Bürgerschaft und ihrer Verteter, selbst. Die Formalität der durch das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG geschützen Freiheit hindert die Erkenntnisfunktion des Bundesverfassungsgerichts nicht; denn Rechtsprechung ist nicht begrifflich von einer Bindung an hinreichend bestimmte Gesetze abhängig856. Die Überprüfung der Gesetze durch die 850

Zum Vertrauensaspekt der Verfassungsrechtsprechung, 9. Teil, 6. Kap., S. 967 ff. Dazu die Hinweise in Fn. 1, 2, 9. Teil, 1. Kap., S. 819; Fn. 354, 9. Teil, 2. Kap., S. 884; Fn. 563, 9. Teil, 3. Kap., S. 926; auch Fn. 429, 9. Teil, 2. Kap., S. 899. 852 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., insb. S. 810 ff. 853 Dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff.; auch 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. 854 Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 322. 855 Zur Konvergenz dieser Prinzipien S. 986 ff.; auch 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; 5. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 362 f. mit Fn. 558, S. 412 ff. 856 Dazu 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 870 ff., 884 ff., 909 ff.; auch 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. 851

984

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Gerichte setzt eine materiale Politik des überprüfenden Gerichts voraus. Das Gericht muß seinen Kontrollmaßstab aus der Logik der Formalität des verantworteten Rechtsgutes, der Freiheit nämlich, materialisieren, weil es die Richtigkeit der materialisierten Freiheit, der Gesetze, überprüfen soll. Nichts anderes ist die weitestgehend akzeptierte politische Funktion der Verfassungsrechtsprechung 857. Zweck der Autonomie des Willens, die Art. 2 Abs. 1 GG schützt, sind wahrheitliche und richtige Gesetze, weil die äußere Freiheit als die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür nur durch die allgemeine innere Freiheit, die Sittlichkeit, verwirklicht werden kann858. Der Sittlichkeit dienen sowohl der Gesetzgeber als auch die Verfassungsrichter. Das Grundrecht wird durch die Sittlichkeit der Vertreter des Volkes verwirklicht; denn eine andere Freiheit als die zur Sittlichkeit schützt das Grundrecht nicht 859 . Das Versagen des Gesetzgebers bei der Verwirklichung der praktischen Vernunft, bei der Verwirklichung des Staatszwecks des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit 860, in der repräsentativen Sittlichkeit also, verletzt den Wesensgehalt des Freiheitsprinzips. Die praktische Vernünftigkeit gewährleisten die Hüter der Verfassung, indem sie die Sachlichkeit der Gesetze, deren Wahrheitlichkeit und der Richtigkeit also, überprüfen. Die Wahrheit ist empirisch, die Richtigkeit aber normativ. Die Wahrheit läßt sich anhand der empirischen Erkenntnisweisen ermitteln. Die Richtigkeit entfaltet sich durch Sittlichkeit, also in Moralität. Ein materialer Maßstab der Sachlichkeit als der Richtigkeit auf der Grundlage der Wahrheit ist somit nicht vorgegeben. Ihn gibt erst die Rechtserkenntnis, die im Gesetz formuliert sein soll 861 . Folglich ist die Verantwortung der Verfassungsrechtsprechung für die praktische Vernünftigkeit die Kompetenz, Maßstäbe der Sachlichkeit zu setzen. Die verfassungsgerichtlichen Rechtserkenntnisse haben insoweit die dargelegte formale gesetzgeberische Funktion, die in der Logik der Formalität der Freiheit und

857

Zur politischen Funktion des Bundesverfassungsgerichts 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff. Dazu 5. Teil, 3., 4. u. 7. Kap., S. 288 ff., 332 ff., 431 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; vgl. die Hinweise in Fn. 838, 9. Teil, 7. Kap. 859 Dazu 5. Teil, 2., 3. u. 4. Kap., S. 259 ff., 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 1. u. 8. Kap., S. 441 ff., 494 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 728; vgl. die Hinweise in Fn. 858. 860 Dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.; auch 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 4. Teil, 3. Kap.; 7. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 573 ff., 625 ff. 861 Dazu 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 657 ff., 707 ff.; 7. Teil, 2., 4., 5. u. 6. Kap., S. 536 ff., 560 ff., 584 ff., 617 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 515, 9. Teil, 3. Kap., S. 918; auch 2. Teil, 10. Kap., S. 148 mit Fn. 452; 9. Teil, 8. Kap., S. 995. 858

7. Kap.: Die Wesensgehaltsverwirklichung des Grundrechts der Freiheit

985

des Begriffs des gemeinen Wohls liegt 862 . Die Erkenntnis des praktisch Vernünftigen in der jeweiligen Lage, die Erkenntnis der Grenzen richtigen Rechts also, ist nicht an Gesetze gebunden, sondern an die Verfassung. Die Verfassung aber ist eine Einheit aus materialen und formalen Regelungen, welche auch Rechtserkenntniskompetenzen hierachisieren kann. Der vom Bundesverfassungsgericht in Leitsätzen und Gründen definierten Politik muß sich der legislative Gesetzgeber fügen 863, wenn er den Wesensgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG respektieren will. Spezifisch die verfassungsgebotene Materialisierung des formalen Prinzips der praktischen Vernunft durch das Bundesverfassungsgericht begründet die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG einschließlich der vernünftige Politik definierenden Entscheidungsgründe, weil ohne diese eine Grundrechtsverbindlichkeit des Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestünde. Die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls lassen es nicht zu, wegen der Formalität der Freiheit den Wesensgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG aus dem Verfassungsgerichtsschutz auszuklammern. Die materiell nicht begrenzte gesetzgeberische Funktion der Verfassungsrechtsprechung folgt damit auch aus der Logik ihrer Kompetenzen, die einer materiellen Funktionalisierung bedürfen. Das rechtfertigt nicht die Umdeutung des Art. 2 Abs. 1 GG in eine materiale allgemeine Handlungsfreiheit, welche gesetzgeberisch zu entfaltenden Schranken unterliegt 864. Das allgemeine Sachlichkeitsprinzip folgt vielmehr aus der formal begriffenen Freiheit, weil deren Verwirklichung der Vertretung bedarf. Der kategorische Imperativ erlangt mittels Art. 19 Abs. 2 GG trotz seiner moralischen Qualität eine juridische Relevanz, nämlich in der sittlichen Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts, die gesetzgeberischen Grenzen der Richtigkeit zu erkennen, aber auch die Wahrheitlichkeit der Gesetzgebung zu überprüfen. Art. 19 Abs. 2 GG macht das Bundesverfassungsgericht zum Vertreter des Hüters der praktischen Vernunft, des Volkes in seiner Freiheit 865.

862

Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.; zur Formalität der Freiheit Hinweise in Fn. 546, 9. Teil, 3. Kap., S. 923; zur Formalität des Gemeinwohlbegriffs 7. Teil, 4. Kap., S. 573 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 657 ff.; auch 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff. 863 Zur Verbindlichkeit der wesentlichen Entscheidungsgründe 9. Teil, 4. Kap., S. 951 ff. mit Hinweisen in Fn. 714. 864

Gegen die Schrankendogmatik 6. Teil, 6. Kap., S. 478 ff. Zum Gesichtspunkt Hüter der Verfassung Hinweise 9. Teil, 1., 2., 3., 4. u. 10. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 909 ff., 932 ff., 1027 ff. 865

986

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Wenn die Überprüfung der Moralität des Gesetzgebers, der praktischen Vernünftigkeit der Gesetze also, wegen der Unvorwerfbarkeit moralischen Versagens, d.h. der Unvorwerfbarkeit des Irrtums über das Richtige, hätte ausgeschlossen sein sollen, hätte Art. 19 Abs. 2 GG den Wesensgehalt der Grundrechte nicht für unantastbar erklären dürfen. Vor allem hätte jedes Gesetz als Recht akzeptiert werden müssen, obwohl erst Moralität des Gesetzgebers Recht hervorbringt 866. Gerade die materiale Ungebundenheit der moralischen Erkenntnis des Richtigen rechtfertigt die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts zur funktionalen Gesetzgebung, weil nur ein Organ der Rechtsprechung vor allem durch die im Begriff der Rechtsprechung dargelegte ordentliche Endgültigkeit des das Richtige erkennenden Rechtsspruchs die sittliche Auseinandersetzung im Volk, den Dissens also über das richtige Gesetz, zu befrieden vermag 867. Erst der Rechtsspruch, den die Verfassungsrichter im Namen des Volkes verkünden, vermag den Konsens des Volkes zu ersetzen, der unmittelbar nicht möglich ist 868 und den die Organe der Gesetzgebung allein nicht hervorzubringen fähig sind, weil das Volk aus Erfahrung der Moralität der Abgeordneten nicht zu vertrauen vermag und nicht vertrauen sollte, solange der Parteienstaat nicht durch die entwickelte Republik abgelöst ist. Gesetze werden, jedenfalls wenn ihre Richtigkeit in Streit ist, erst vom Bundesverfassungsgericht stellvertretend für das Volk als Recht akzeptiert und damit praktisch Recht. Man kann den Wesensgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG das Willkürverbot nennen, welches das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht aus Art. 2 Abs. 1 GG, sondern aus Art. 3 Abs 1 GG, aus dem Gleichheitsheitssatz, herleitet 869 . Logisch bleibt der Maßstab formal, d.h. er wird allseits verbindlich erst vom Bundesverfassungsgericht materialisiert. Das liberalistische Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit, welche durch Gesetze eingeschränkt werde 870, läßt es nicht zu, das Willkürverbot

866

Dazu vgl. die Hinweise in Fn. 851, insb. Fn. 1, 2, 9. Teil, 1. Kap., S. 819. Dazu 9. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 942 ff., 967 ff.; insb. R. Smend, Festvortrag 26. Jan. 1962, S. 343. 868 Dazu 7. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 560 ff., 620 ff. zum Konsensprinzip (auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.); 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff., insb. S. 644 zur Notwendigkeit der Vertretung. 869 Dazu 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff.; auch 5. Teil, 6. Kap., S. 411 ff.; dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 364 ff.; P. Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, HStR, Bd. V, 1992, S. 874 ff., 929 ff., 943 ff., der selbst das Willkürverbot in der positiven Form des Objektivitätsgebots wesentlich auf das Rechtsstaatsprinzip stützt, etwa S. 949. 867

870

Dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff.; insb. 6. Teil, 3., 5., 6. u. 9. Kap., S. 454 ff., 466 ff., 478 ff., 501 ff.

7. Kap.: Die Wesensgehaltsverwirklichung des Grundrechts der Freiheit

987

aus dem Freiheitsprinzip herzuleiten, weil das Freiheitsprinzip nicht als Gesetzlichkeitsprinzip dogmatisiert wird, sondern als ein materiales Prinzip, welches dem Gesetzgeber mehr oder weniger bestimmte Grenzen zieht. Das Willkürverbot ist ein Prinzip der praktischen Vernunft und darum im Autonomieprinzip zu verankern 871. Wegen der Schrankendogmatik, welche für die allgemeine Handlungsfreiheit praktiziert wird, wird das Sachlichkeitsprinzip, welches mit Art. 2 Abs. 1 GG untrennbar verbunden ist, als Verhältnismäßigkeitsprinzip begriffen 872. Das Willkürverbot und das Verhältnismäßigkeitsprinzip unterscheiden sich jedoch in ihrer Maßstäblichkeit nicht 873 . Beide Begriffe juridifizieren das Prinzip der praktischen Vernunft und damit die Pflicht des Gesetzgebers zur Sittlichkeit. Beide formulieren das Prinzip des rechten Maßes874. "Alle subjektive Willkür ist eine Sünde wider den heiligen Geist des Rechts." - Heinrich Triepel* 75 Philip Kunig hat in seiner Untersuchung der praktischen und gelehrten Prinzipien des Rechtsstaates das Fazit gezogen, daß das "Rechtsstaatsprinzip als Willkürverbot", durchaus "wandelbar", dogmatisiert werde 876. Kunig beklagt das Willkürverbot als "Leerformel" 877. Es ist jedoch formal und findet seine Materialität durch sittliche Rechtserkenntnis, also durch Autonomie des Willens. Den subjektiven Schutz der Rechtsstaatlichkeit stützt aber auch das Bundesverfassungsgericht auf Art. 2 Abs. 1 GG 878 , der damit bereits in der Praxis eine Rechtsgrundlage des Willkürverbots ist. Bekanntlich reduziert das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht auf die "allgemeine Handlungsfreiheit", sondern praktiziert es auch als den "grundrechtlichen Anspruch, durch die Staatsgewalt nicht mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsrechtlichen Ordnung begründet ist", insbesondere als "Freiheit von unbe-

871

Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff. Dazu Hinweise in Fn. 558, 5. Teil, 4. Kap., S. 362 f. 873 Ganz so R Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 911 ff., 949 f.; ders., Objektivität und Willkür, S. 101 ff.; i.d.S. schon H. Triepel, Goldbilanzverordnung und Vorzugsaktien, S. 29 f. 87 4 P. Kirchhof; HStR, Bd. V, S. 911 ff., 949 f.; i.d.S. schon K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 64, 69; vgl. N. Luhmann, Rechts Soziologie, Bd. 1, S. 188 f. 87 5 H. Triepel, Goldbilanzverordnung und Vorzugsaktien, S. 30. 876 Das Rechtsstaatsprinzip, S. 302 ff. 877 Das Rechtsstaatsprinzip, S. 305. 878 BVerfGE 74, 129 (151 ff.), wo Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG als ein Grundrecht genannt werden, vgl. auch BVerfGE 9, 83 (88); 17, 306 (313 f.); 19, 206 (215); 19, 253 (257); grundlegend BVerfGE 6, 32 (40 f.); kritisch zur "Versubjektivierung des Art. 20 Abs. 3 GG" mittels der allgemeinen Handlungsfreiheit H.-U. Erichsen, HStR, Bd. VI, S. 1192 f. 872

988

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

rechtigten - also auch von nicht rechtsstaatlichen - Eingriffen der Staatsgewalt" (BVerfGE 9, 83 (88)) 879 . Diese Praxis entspricht der republikanischen Autonomielehre, die die Freiheit als Recht auf Recht dogmatisiert 880. Paul Kirchhofs "Objektivitätsgebot", das er wesentlich auf das Rechtsstaatsprinzip, aber auch auf die "Bindung aller Staatsgewalt an die Verfassung und den Gleichheitssatz" stützt, unterscheidet sich von der hier vorgestellten Dogmatik der Sache nach nicht. Das 'Objektivitätsgebot" als positiv gewendetes Willkürverbot soll dem "groben Unrecht" wehren 881. Das Unrecht ergibt sich aber erst aus dem Gesetz. Logisch ist der Richter über das grobe Unrecht des Gesetzgebers Vertreter des Volkes als der Hüter der praktischen Vernunft, des Rechts. Kirchhof schreibt: "Das Objektivitätsgebot fordert vergleichend das Vernünftige, Einsichtige und Regelgerechte nicht als Gebot abstrakter Logik sehr übergreifender Gerechtigkeit, sondern als Ergebnis vergleichender Wertung im Binnenbereich der positiven Verfassungsordnung." 882 II.

Der allgemeine Diskurs als prozeduraler Wesensgehalt der allgemeinen Freiheit und die Unsittlichkeit der Parteienoligarchie Der Wesensgehalt des Freiheitsprinzips als des Prinzips der praktischen Vernunft im Gemeinwesen ist nicht nur verletzt, wenn die gesetzgeberische Materialisierung der Politik empörend ist und den Willkürvorwurf verdient 883 , sondern auch und vor allem, wenn die allgemeine Willensautonomie prozedural verletzt wird 884 . Der grundrechtliche Schutz der allgemeinen Willensautonomie schützt auch die allgemeine Mündigkeit der Bürger, deren politische Würde, deren republikanischen Status als Politiker.

879 So auch BVerfGE 19, 206 (215); 19, 253 (257), beide Urteile zum Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit der Besteuerung; folgend BVerwGE 30, 191 (198) zur (fragwürdigen) Begründung einer Wettbewerbsfreiheit. 880 Vgl. dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 304 ff.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 325 ff., insb. 332 ff.; 7. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 545 ff., 560 ff. 881 HStR, Bd. V, S. 943 ff.; Objektivität und Willkür, S. 82 ff., insb. S. 109. 882 Paul Kirchhof\ HStR, Bd. V, S. 951. 883 Ganz so Ρ Kirchhof HStR, Bd. V, S. 943 ff.; ders., Objektivität und Willkür, S. 109. 884 Prozedurale Gerechtigkeitslehren vertreten u.a. R. Alexy, etwa, Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 416 f., auch ders. y Theorie der Grundrecht, S. 71 ff., 445, 493 ff., im Anschluß an R. Dworkin , Bürgerrechte ernst genommen, 1984 (Taking Rights Seriously, 2. Aufl. 1978), u.a.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 324 ff., 516 ff.; Λ. Kaufmann, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 1989; dazu Hinweise in Fn. 174, 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 287, 341 f.; vgl. auch 9. Teil, 8. Kap., S. 1000 f. mit Fn. 949.

7. Kap.: Die Wesensgehaltsverwirklichung des Grundrechts der Freiheit

989

Wenn die Entscheidungswege des Gemeinwesens den allgemeinen Diskurs um das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit übermäßig behindern, ja nicht bestmöglich fördern, ist die Willensautonomie verletzt. Der materiale Schutz, den das Bundesverfassungsgericht dadurch leistet, daß es seine Erkenntnisse vom praktisch Vernünftigen dem Gesetzgeber verbindlich macht, ist nur eine notgedrungene Kompensation der Mißgriffe des Gesetzgebers. Weil aber auch optimale Verfahren die Moralität der Amtswalter nicht sicherstellen, ist die materiale Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts selbst richtig und im Sinne eines möglichst effektiven Schutzes der Sittlichkeit der Gesetzgebung durch Art. 19 Abs. 2 GG verfassungsbefohlen. Die Republik ist von der Moralität der Amtswalter abhängig und darum stetig dem Mißbrauch der Kompetenzen ausgesetzt. Die Verirrungen des Gesetzgebers zeigen sich in der Empörung der öffentlichen Meinung885. Einen materialen Maßstab halten die besonderen Grundrechte nur sehr "weit und breit" (Konrad Hesse) 886 bereit; das formale Freiheitsprinzip kennt logisch keinen materialen Maßstab des richtigen Gesetzes. Die Republik soll auch und vor allem durch faire Verfahren, wie das Rawls lehrt 887 , die Richtigkeit gewährleisten. Nur der bestmögliche Diskurs um das Richtige verwirklicht die bürgerliche Freiheit 888. Die allgemeine Sittlichkeit muß bestmögliche Chancen haben, wenn die Republik verwirklicht sein soll. Damit erweist sich der entwickelte Parteienstaat als eine Verletzung der bürgerlichen Willensautonomie in ihrem Wesensgehalt. Die Parteienoligarchie verletzt die Freiheit und damit Art. 2 Abs. 1 GG. Sie ist zugleich eine Entwürdigung der Menschen und dadurch eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 S. 1 und 2 GG. Die Würde des Menschen findet ihren Ausdruck in der Willensautonomie der Bürger. Ein menschenwürdiges Gemeinwesen ist durch die Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gekennzeichnet889. Das Bundesverfassungsgericht hat die politische Freiheit der Bürger zu hüten und kann durch Verfassungsbeschwerde dazu angestoßen werden. Das Gericht hat jedoch die Entwicklung des Parteienstaates nicht nur zugelassen, sondern auch gefördert, das

885

Dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 43, S. 17. 887 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S.19 ff. 888 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff., insb. 666 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 1, 2, 9. Teil, 1. Kap., S. 819; Fn. 429, 9. Teil, 2. Kap., S. 899; Fn. 654, 9. Teil, 4. Kap., S. 942, 981. 886

889

Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.

990

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Manko, welches sich aus der parteienstaatlichen Verzerrung der Legislativorgane ergibt, die, ein Konstruktionsfehler des Grundgesetzes, die Richter des Bundesverfassungsgerichts zu wählen haben890. Die Sachlichkeitsrechtsprechung, dogmatisiert im Verhältnismäßigkeitsprinzip und im Willkürverbot 891 , kompensieren im hohen Maße die parteienstaatliche Verletzung des Autonomieprinzips, können aber die Verletzung der politischen Freiheit und damit der Würde der Bürger nicht beheben. Das Bundesverfassungsgericht praktiziert die materiale Bestimmung des Gesetzgebers und hat sich bisher wenig darum bemüht, die Moralität des Gesetzgebers zu fördern.

8. Kapitel Die formale Gleichheit und das Willkürverbot I.

Das Willkürverbot als Freiheits- oder/und als Gleichheitsprinzip und die Gerechtigkeit als Sittlichkeit/Sachlichkeit 1. Neben dem formalen Freiheitsprinzip des Art. 2 Abs. 1 GG, vom Bundesverfassungsgericht als materialer Grundsatz der allgemeinen Handlungsfreiheit gedeutet und durch sogenannte unbenannte Freiheitsrechte entfaltet 892 , erfaßt das als Willkürverbot praktizierte Prinzip der Gesetzgebungsgleichheit893 alle denkbaren Politiken; denn jede Politik muß "willkürfrei",

890

Dazu Hinweise in Fn. 644, 765, 819, 9. Teil, 4., III, 5. und 6. Kap., IV. Dazu Hinweise in Fn. 558, 5. Teil, 4. Kap., S. 362; Fn. 893, 9. Teil, 8. Kap., S. 990. 892 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 331 f. mit Fn. 407; 9. Teil, 7. Kap., S. 979. 893 Etwa mit divergierenden Formeln BVerfGE 3,58 (135 f.); 4, 144 (155); 9, 124 (129 f.); 10, 234 (246); 12, 341 (348); 15, 167 (201); 23, 12 (24 f.); 25, 101 (105); 25, 269 (292 f.); 42, 374 (388); 48, 227 (235); 49, 192 (209); 50, 177 (186); 51, 295 (300 f.); 57, 107 (115); 60, 16 (42); 71, 202 (205); 76, 256 (329); 89, 48 (51); st. Rspr. des 2. Senats, gestützt auf G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1925, 2. erw. Aufl. 1959, S. 95 f., 216 ff. u.ö.; dazu v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 3. Aufl., Rdn. 10, 11, 12 ff. zu Art. 3 Abs. 1 GG, S. 264 ff.; M. Gubelt, in: v. Münch, GG-Komm. Bd. 1, 3. Aufl. 1985, Rdn. 9-29 zu Art. 3; grundsätzlich G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, 5.Aufl. 1978, Rdnr. 303-377 zu Art. 3; P. Kirchhof\ Der allgemeine Gleichheitssatz, HStR, Bd. V, S. 847, 874 ff., 943 ff.; dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 357 ff., S. 364 ff., zu den Formeln des BVerfG; R. Wendt, Der Gleichheitssatz, NVwZ 1988, 778 ff.; F. Schoch, Der Gleichheitssatz, DVB1. 1988, 863 ff.; G. Robbers, Der Gleichheitssatz, DÖV 1988, 749 ff.; vgl. auch die Erörterung des Gleichheitssatzes auf der Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1988, VVDStRL 47 (1989), S. 7 ff., insb. die Berichte von G. Müller, S. 37 ff. und R. Zippelius, S. 77 ff.; J.P. Müller, VVDStRL 39 (1981), S. 75 ff., weist zu Recht darauf hin, daß das Willkürverbot nicht nur aus dem Gleichheitssatz folge, sondern auch "aus dem klassischen Recht des Widerstandes gegen willkürliche Staatsmacht" und somit Eigenstand habe; K. Schweiger, Zur Geschichte und 891

8. Kap.: Die formale Gleichheit und das Willkürverbot

991

"sachlich", "vernünftig" begründet sein894. Das Bundesverfassungsgericht bestimmt den Gleichheitsverstoß insbesondere nach folgender Formel: "Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß." - BVerfGE 1, 14 (52) 895 Die sogenannte Formel des 1. Senats seit 1980 lautet: "Die Verfassungsnorm (sc. Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten."- BVerfGE 55, 72 (88) 896 Das Gericht hält dabei eine "am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise für geboten"897. Dieses gleichheitsrechtliche Willkürverbot

des Rechtsstaats", "Prinzip der allgemeinen Gerechtigkeit"; ebenso BVerfGE 84, 90 (121), sogar für einen Verfassungsgeber bindend; auch P. Kirchhof, a.a.O., S. 874, 943 ff. (Objektivitätsgebot als Teil des Rechtsstaatsprinzips); ders., Objektivität und Willkür, FS W. Geiger, 1989, S. 82 ff.; vgl. auch BVerfGE 62, 189 (192); 80, 48 (51); 83, 82 (85 ff.); 86, 59 (62 ff.); BVerfG EuGRZ 1993, 143 ff. zum Willkürverbot für richterliche Entscheidungen. 894 Alles Maximen des Bundesverfassungsgerichts, zur Willkürfreiheit die Hinweise zu Fn. 893; zur Sachlichkeit etwa BVerfGE 3, 58 (135 f.); 10, 234 (246); 12, 341 (348); 12, 326 (333); 23, 135 (143); 25, 101 (105); 25, 269 (292 f.); 55, 72 (88 ff.); 60, 16 (42); 76, 256 (329); zur Vernünftigkeit etwa BVerfGE 10, 234 (246); 23, 135 (143); 42, 374 (388); 49, 192 (209); 51, 225 (300 f.); 71, 39 (58); 76, 256 (329); vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 11 zu Art. 3 Abs. 1, S. 265 f.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 309 ff., 331 ff., 339 ff. zu Art. 3 Abs. I; P. Kirchhof HStR, Bd. V, S. 929 ff.; vgl. auch die Hinweise zu Fn. 893. 895

Vgl. auch BVerfGE 33, 367 (384); 54, 11 (25 f.); vgl. Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 438 f., S. 170; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 10 zu Art. 3 Abs. 1, S. 265; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 364 ff.; P. Kirchhof HStR, Bd. V, S. 846, 874 ff., 943 f. 896 Ebenso u.a. BVerfGE 58, 369 (374); 60, 329 (346); 70, 230 (239 f.); 71, 146 (154 f.); 74, 9 (24); 75, 284 (300); 75, 348 (357); 75, 382 (393); vgl. aber auch 2. Senat, etwa BVerfGE 71, 39 (58 f.) m.H.; dazu R. Wendu NVwZ 1988, 781; F. Schoch, DVB1. 1988, 875 ff.; G. Robbers, DÖV, 1988, 751; P. Kirchhof HStR, Bd. V, S. 934 f. 897 BVerfGE 1, 264 (275 f.); 2, 118 (119 f.); 9, 124 (129 f.); 9, 334 (337); vgl. auch BVerfGE 15, 167 (201); 23, 12 (24 f.); 25, 269 (293); 47, 168 (178); 48, 227 (235); 50, 177 (186); 57, 107 (115); 71, 39 (58); 71, 202 (205); 76, 256 (329); 80, 48 (51); vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck:, GG, Rdn. 10 zu Art. 3 Abs. 1, S. 265; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 438, S. 170; dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 373 ff.; P. Kirchhof HStR, Bd. V, S. 846, 872, 943 f.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

hat Gerhard Leibholz genauso etabliert wie das Dogma der plebiszitärdemokratischen Repräsentation im Parteienstaat898. Beide Irrtümer bilden eine Einheit; denn Leibholz stützt die Demokratie auf die Gleichheit, nicht auf die Freiheit, die er nicht als politische Freiheit begreift 899. Folglich kann er das Sachlichkeitsprinzip nicht mit der freiheitlichen Pflicht zu praktischen Vernunft begründen, wie das im vorigen Kapitel ausgeführt ist 900 . Das Willkürverbot läßt sich als der judiziable Wesensgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG, als elementare Sittlichkeit begreifen, über welche die Hüter der Verfassung zu wachen haben; denn das Grundgesetz duldet die Verletzung des Sittengesetzes durch den Gesetzgeber nicht und muß dessen Materialisierung wegen der Formalität desselben in die Hände der an der Gesetzgebung beteiligten Organe legen, vor allem in die der Gesetzgeber und der Verfassungsrichter 901. Die Identität des Willkürverbots mit dem sittlichen Prinzip der praktischen Vernunft als innerer Freiheit beweist die Definition der äußeren Freiheit als "die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" (Kant) 902. Derart willkürliche Entscheidungen können der Freiheit nicht genügen903. Sie sind das Gegenteil des Rechts904, das nur in Moralität erkannt werden kann, also freiheitlich, nicht herrschaftlich.

898 Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1925, 2. erw. Aufl. 1959, insb. S. 34 ff.; ders., Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltswandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 1929, 2. Aufl. 1960, 3. Aufl. 1966 unter dem Titel: Die Repräsentation der Demokratie; auch ders., Die Reform des Wahlrechts, VVDStRL 7 (1932), S. 164 ff.; ders., Begriff und Wesen der Demokratie, in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl. 1967/1974, auch in vielen weiteren Schriften; auf die Konsequenzen solchen Gleichheitsverständnisses für den Gesetzgebungsstaat hat schon C. Schmitt mit Bezug auf H. Triepel, den Vater des Gedankens (Goldbilanzverordnung und Vorzugsaktien, 1924, S. 26 ff.) und G. Leibholz, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 165 verwiesen; ders. so auch, Grundrechte und Grundpflichten, S. 211 ("allgemeines, den Gesetzgeber beschränkendes Gerechtigkeitsprinzip"); ders. auch, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 93, der zu Leibholzens auf Triepel zurückgehende Konzeption des Gleichheitssatzes eine im Ergebnis nicht ganz klare Stellung bezogen hat; zur Leibholzschen Lehre P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 874 ff.; dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff. 899 Dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 262 ff.; 6. Teil, 8. und 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 8. Teil, 2. und 4. Kap., S. 689 ff., 739 ff. 900

S. 978 ff., insb. S. 983 ff. Dazu 9. Teil, 10. Kap., S. 1027 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff. 901

902 Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 289 ff., 346 ff., 431 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff. 903 P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 882, "Willkür beseitigt dieser These nach: nicht nur die Gleichheit, sondern auch die Freiheit."; ders., Objektivität und Willkür, S. 99 ff. 904

In der Sache nicht anders, aber gleichheitsrechtlich P. Kirchhof, gestützt auf H. Triepel und G. Leibholz.

HStR, Bd. V, S. 876,

8. Kap.: Die formale Gleichheit und das Willkürverbot

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Fremde Willkür ist Herrschaft. Das Willkürverbot ist der Herrschaft entgegengestellt. Daß es auf den Gleichheitssatz gestützt wird, hat seinen Grund in der herrschaftsideologischen Konzeption des Politischen, die sich mit der gleichheitlichen Konzeption der herrschaftlich begriffenen Demokratie verbindet, die Lehre vor allem Carl Schmitts und Gerhard Leibholzens 905. Die freiheitliche Konzeption, aus der das Willkürverbot logisch folgt, hat sich im Liberalismus nicht durchsetzen können906. Art. 3 Abs. 1 GG bietet keinen Ansatzpunkt für ein Prinzip der Gesetzgebungsgleichheit907, weil dieses Grundrecht die Allgemeinheit der Gesetzlichkeit aus der Logik der Allgemeinheit der Freiheit formuliert. Wenn das politische System auf die Gleichheit gestellt wird, ist es konsequent, im Gleichheitsprinzip das Sachlichkeitsprinzip zu verankern, welches der Willkür des herrschaftlichen Staates als eine widerstandsrechtliche Position der Bürger entgegengestellt wird. Die Republik ist ihrer Idee nach Gesetzgebungsstaat. Vorrangig verwirklicht die parlamentarische Gesetzgebung die Bürgerlichkeit der Bürger, die allgemeine Freiheit, wenn sie moralisch ist 908 . Über die Sittlichkeit wachen die Hüter der Verfassung, vor allem die Verfassungsrichter, deren

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C Schmitt, Verfassungslehre, S. 223 ff., insb. S. 224 f.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 218 ff.; ders., Die politischen und juristischen Hauptformen der Demokratie, S. 59 f.; dazu für die gegenwärtige Lehre 1. Teil, 3. Kap., S. 30 ff.; insb. Κ Stern, Staatsrecht I, S. 594 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 6 ff. zu Art. 20 Abs. II; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 739 ff. 906 Dazu 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; auch 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff. 907 A.A. die herrschende Meinung, etwa v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 1 f. zu Art. 3 Abs. 1, S. 259 f., der entstehungsgeschichtlich argumentiert, aber die vom Allgemeinen Redaktionsausschuß vorgelegte Fassung: "Der Gesetzgeber muß Gleiches gleich, Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln" (Matz, JöR, Bd. 1 (1951), S. 68), ist nicht in den Text des Grundgesetzes aufgenommen worden, sondern die übersetzte Formel der Deklaration der französischen Verfassung von 1793 ("devant la loi"); diese Formel kann die Gesetzgebungsgleichheit nicht meinen, weil die Allgemeinheit des Gesetzes als der "volonté générale" (Art. 6 S. 1 der Deklaration von 1789) die Freiheit und damit die aus der Freiheit folgende Gleichheit verwirklicht. Das folgt bereits aus Art. 6 S. 3 und 4 der Deklaration von 1789 (vgl. i.d.S. Starck, a.a.O. selbst); im übrigen bleibt der Art. 3 Abs. 1 GG bei der Formulierung des Art. 109 Abs. 1 WRV (abgesehen von der Erweiterung von einem Deutschen- zu einem Jedermanns-Recht); herrschend wurde aber der Weimarer Gleichheitssatz auf die Rechtsanwendungsgleichheit begrenzt, vgl. G. Anschütz, WRV, Komm., Literaturübersicht und Anm. 1 und 2 zu Art. 109; vgl. die Erörterung der Deutschen Staatsrechtslehrer, 1926, mit den Referaten von E. Kaufmann und F. NawiasJcy, VVDStRL 3 (1927), S. 2 ff. bzw. 25 ff.; vgl. auch schon Art. 14 preußische Verfassung von 1850: "Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich." 908 Dazu Hinweise in Fn. 1, S. 819; Fn. 354, S. 884 zur Moralität als Bedingung der Rechtsgesetze; Fn. 413, S. 896 zum Gesetzgebungsstaat. 63 Schachischneider

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

der Sittlichkeit verpflichtete Rechtsprechung selbst funktional gesetzgebend ist 909 . Die Begriffe Willkürverbot und Verhältnismäßigkeitsprinzip 910 wandeln die Prinzipien der praktischen Vernunft, der Sachlichkeit und der Zweckmäßigkeit, der Sittlichkeit eben, in juridische Prinzipien, wenn man so will, in Rechtsprinzipien911, die aber formal bleiben und ihre Erkenntnismethode in der Abwägung haben. Ihre Judiziabilität gewinnen diese Prinzipien ausschließlich aus der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 GG, die zu materialisieren Aufgabe der Hüter der Verfassung ist. Die Verfassungsrichter, allen voran das Bundesverfassungsgericht, sind nicht nur Hüter der Verfassung, sondern Hüter der Sittlichkeit der Gesetze und damit Wächter über die Moralität des Gesetzgebers, eben Hüter der praktischen Vernunft. Das läßt sich nur dadurch praktizieren, daß die Richter Maßstäbe verfassungsgemäßer Gesetze formulieren, die nichts anderes sind als verbindliche Maximen der Sittlichkeit, die der Gesetzgeber in Vertretung des Volkes walten lassen soll, also verbindliche Vorschriften, die das Bundesverfassungsgericht oder die Landesverfassungsgerichte den Gesetzgebern machen. Recht ist materialisierte Sittlichkeit, die aus Moralität des Volkes und seiner Vertreter erwächst und als Wille des Volkes verbindlich ist. Durch die Institutionalisierung der das Volk vertretenden Hüter der praktischen Vernunft gewinnt das formale Sittengesetz Verbindlichkeit nach Maßgabe der verfassungsrichterlichen Materialisierung der Sittlichkeit. Als Pflicht der Staatsgewalt zur Materialisierung in praktisch vernünftigen Gesetzen entfaltet sich das Sittengesetz als Rechtsprinzip, dessen Verbindlichkeit juridisch als Kompetenz der Verfassungsrichter zur alle Vertretungsorgane der Staatsgewalt bindenden Erkenntnis des Rechts in Erscheinung tritt 912 . "Extrem divergierende Entscheidungen in ein und derselben Sache werden mehr und mehr gleichermaßen begründbar", "nachdem das 'Verhältnismäßigkeitsprinzip, die 'Zweckmäßigkeit' ohne große Umstände zu einem Element der 'Rechtmäßigkeit' gemacht hat."- Helmut Ridder* n

909

Dazu 9. Teil, 2., 7. und 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 1027 ff.; auch 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. 910 Zur Nähe von "Gleichmaß und Übermaßverbot" P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 911 ff., 923, 966; ders., Objektivität und Willkür, S. 85, 101 f. 911 I.d.S. KA. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 799; weitere Hinweise in Fn. 558 im 5. Teil, 4. Kap., S. 362; auch 9. Teil, 7. Kap., S. 986 ff. 912 Dazu auch 9. Teil, 4. Kap., S. 951, zur Bindungswirkung; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff., zur Juridifizierung des Sittengesetzes; auch 7. Teil, 5. Kap., S. 601 f.

8. Kap.: Die formale Gleichheit und das Willkürverbot

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Ridders richtige Beobachtung belegt die Formalität des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Ausdruck des Prinzips praktischer Vernunft. Dasselbe gilt für das Willkürverbot 914. 2. Spezifisch die Gleichheitsjudikatur ist ihrer Logik nach Ausdruck der Gesetzgebungsfunktion des Bundesverfassungsgerichts trotz aller Zurückhaltung desselben mit dem Willkürvorwurf gänzlicher Unsachlichkeit915. Das Gericht hat die letzte ordentliche Verantwortung für die Gerechtigkeit 916 . Gerechtigkeit wird in der Republik durch Gesetzlichkeit substituiert 917 . Gesetzlichkeit ist Gerechtigkeit, wenn das Gesetz Recht schafft.

913

Verfassungsrecht oder Staatsrecht? Die Realverfassungen des deutschen Nationalstaates auf dem Prüfstand der Demokratie, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sonderdruck 354, 1988, S. 9. 914 Das räumt auch v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 12 ff. zu Art. 3 Abs. 1, S. 266 f., weitgehend ein; ähnlich R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 373 ff., der allerdings aus dem Willkürverbot eine die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrichter einschränkende Materialität, eben einen Spielraum des Gesetzgebers herleitet, weil "Willkür" (mit Leibholz) "eine gesteigerte Form der Unrichtigkeit" sei (S. 375; G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 76 f.), das aber hebt die Formalität nicht auf; i.d.S. auch R. Wendt, NVwZ 1988, 778 ff.; auch G. Robbers, DÖV 1988, 755, der das Willkürverbot als "funktional-rechtlliche" Kompetenznorm begreift; in der Sache auch F. Schoch, DVB1. 1988, 873 ff., der allerdings die Formalität als Offenheit mißversteht; kompetenziell konzipiert das Willkürverbot auch P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 846 ff., 946 u.ö. 915 Klar i.d.S. Ch. Starck, VVDStRL 34 (1976), S. 74 ff.; vgl. auch v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 12 ff. zu Art. 3 Abs. 1 GG, S. 266 ff.; vgl. auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 373 ff.; P. Kirchhof HStR, Bd. V, S. 877, 951 f.; so der ewige Vorwurf gegen die Gleichheitsjudikatur, vgl. die Erörterung der deutschen Staatsrechtslehrer 1926, VVDStRL 3 (1927), S. 2 ff., 25 ff., 43 ff.; i.d.S. auch C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 211; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 165; zur Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 893 auf S. 990. 916 Für das Gleichheitsprinzip als Gerechtigkeitsprinzip grundlegend E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 9 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 438 ff., S. 169 ff.; P. Kirchhof; Objektivität und Willkür, S. 82 ff.; ders., HStR, Bd. V, S. 923 ff.; dazu für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts G. Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 87 ff. 917 I.d.S. K.A. Schachtschneider, Neubescheidung nach Rechtskraft, VerwArch 63 (1972), S. 306 f., 308 mit Hinw. in Fn. 386; ders., Das Sozialprinzip, S. 58; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 339; so auch G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 32, 39; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 291 ff.; das ist die Logik auch jeder prozeduralen Gerechtigkeitslehre, vgl. dazu Hinweise in Fn. 452, 2. Teil, 10. Kap., S. 148; Fn. 908, S. 993; i.d.S. auch K. Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL 40 (1982), S. 8 ff., insb. S. 10. 63*

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Das aber ist ausschließlich abhängig von der Moralität des Gesetzgebers, sei dieser das Parlament oder ein Gericht 918. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist an "Gesetz und Recht gebunden", wie es Art. 20 Abs. 3 GG vorschreibt; denn Recht ist nicht material, aber wegen der Formalität von Freiheit und Gleichheit919 als allgemeiner Wille zum Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit, also als Prinzip des Gemeinwohls, in jeder Lage vorhanden. Das materiale Recht muß erkannt werden. Die Erkenntnis des Rechts ist nicht scientistisch; denn das würde ein materiales Recht voraussetzen. Die Erkenntnis ist vielmehr ein Akt der prudentia, der φρόνησις. Das folgt aus der Formalität des Gemeinwohls, welches die Materialisierung im allgemeinen Gesetz erfordert. Die richtige Materialisierung verlangt nicht nur bestmögliche Theorien von der Wirklichkeit, sondern auch bestmögliche Abwägung unter allen Leitentscheidungen und sonst relevanten Belangen, verlangt den Interessenausgleich920. Der Erkenntnisweg zum allgemeinen Willen ist der Diskurs. Diskursive Erkenntnis ist praktische Vernünftigkeit 921 . Weil die Freiheit nicht dezisionistisch materialisiert wird, sondern kognitivistisch, ist die Gesetzgebung ein Erkenntnisakt politischer Art, eine republikanische Erkenntnis 922. Sie erfordert Moralität, die Moralität, die der kategorische Imperativ gebietet. Diese Moralität als der allseitige gute Wille ist das allgemeinste Prinzip des Rechts. Die Moralität ist das Essentiale der Republik. Die Verantwortung für die Sittlichkeit der Gesetze und damit für das Recht macht das verantwortliche Organ funktional zum Gesetzgeber923. Die Hüter der Verfassung sind an das Recht gebunden, welches sie selbst als richtige Gesetze in praktische Vernunft zu erkennen haben. In ihrer gesetzgeberischen Funktion sind die Richter nicht anders als die Parlamentarier dem Sittengesetz verpflichtet oder außer dem Gesetz nur

918

Dazu die Hinweise in Fn. 908, S. 993; auch Fn. 515, S. 918 und Fn. 429, S. 899; i.d.S. auch E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 9 ff., 19 ff., der zwar das Recht durch materiale Gerechtigkeitsprinzipien bestimmt, aber letztlich durch die "Gesamtpersönlichkeit und ihre Lauterkeit" gewährleistet sieht. 919

Dazu insb. 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; vgl. weiter die Hinweise in Fn. 546, S. 923. Dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. 921 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff., 599 ff. 922 So auch HM. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 106 f., 352 ff.; so auch J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2 , S. 141 ff.; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 82 f.; vgl. ders., Faktizität und Geltung, S. 187 ff., auch S. 272 ff., 301 ff., 324 ff.; vgl. dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 812 ff.; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff., 657 ff., insb. S. 707 ff.; 7. Teil, 4. u. 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff. 923 Dazu 9. Teil, 2., 7. u. 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 1027 ff. 920

8. Kap.: Die formale Gleichheit und das Willkürverbot

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ihrem Gewissen unterworfen, wie es der Herrenchiemseer Entwurf explizit formulieren wollte 924 . Das Gewissen ist der Gerichtshof der Sittlichkeit 925 , also eine Instanz der Erkenntnis. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG stellt das prototypisch für den legislativen Gesetzgeber klar 926 . Das Grundgesetz als die Verfassung der gleichen Freiheit aller Bürger 927 ebnet den Weg zum Recht durch Gesetzlichkeit, welche der Gerechtigkeit nicht widersprechen kann, wenn sie moralisch ist; denn: Res publica res populi. Diese Gesetzlichkeit wird wegen der verfassungsrichterlichen Elemente des grundgesetzlichen Verfassungsstaates auch durch die Verfassungsrechtsprechung verwirklicht. II.

Die Gleichheit als (rechtliche) Gesetzlichkeit und die Gesetzesanwendungsgleichheit Ohne Gesetze gibt es keinen verbindlichen Maßstab der Gleichheit928, genausowenig wie einen juridischen Maßstab freien Handelns. Ohne Gesetz gibt es keinen materialen Maßstab der Sachlichkeit, der einen Willkürvorwurf rechtfertigen könnte. Das Gesetz verwirklicht die Freiheit aller, also die Gleichheit, die nur eine solche in der Freiheit ist 929 . Das ist die "Ισονομία" der Griechen 930, griechischer Demokratie, die als Wirklichkeit der Freiheit gedacht war 931 . Die Rechtsgrundlage der Rechtsetzung als sachlicher Gesetzgebung ist aber die Willensautonomie des Art. 2 Abs. 1 GG. Art. 3 Abs. 1 GG normiert die Gesetzesanwendungsgleichheit, die 924

Vgl. das Zitat S. 973; dazu v. Doemming, in: JöR N.F. 1 (1951), S. 716. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 573 f. u.ö.; dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff.; auch 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 665 ff., 810 ff. 926 Dazu 8. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 665 ff., 810 ff. 927 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 38 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 1. u. 6. Kap., S. 253 ff., 410 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 928 I.d.S. auch G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 34 ff.; auch R Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 846, 850 ff.; F. Dahrendorf, Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, S. 26 ff., sieht im Gesetz den Grund der Ungleichheit; ebenso N. Luhmann, ARSP 1991, 435; auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 153; nicht anders bereits Hobbes, De cive/Vom Bürger, S. 111 ("Die jetzt bestehende Ungleichheit ist durch die bürgerlichen Gesetze eingeführt worden"); insb. J.J. Rousseau, Über den Urprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, in: ders., Kulturkritische Schriften, hrsg. von M. Fontius, 1989, Bd. 5, S. 183 ff., insb. S. 241 ff., 274, der die Ungleichheit auf die "Einführung des Eigentums und der Gesetze" zurückführt. 929 Vgl. die Hinweise in Fn. 927. 930 R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 181, 351; ders., Rechtsphilosophie, S. 261 ff., der freilich weniger aristotelisch, als vielmehr thomistisch denkt (vgl. Fn. 933); auch W. Henke, Recht und Staat, S. 311. 931 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; auch 3. Teil, 2. Kap., S. 179; 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff. 925

998

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

logisch das Gesetz voraussetzt und schon deswegen nicht das Willkürverbot enthalten kann; denn ohne Gesetz gibt es weder eine allgemein verbindliche materiale Gleichheit noch Ungleichheit932. Das Willkürverbot als (richtiges) Prinzip der Gesetzgebung ist und kann nur mit dem Recht zur Gesetzgebung verbunden sein, also mit der Freiheit als Autonomie des Willens. Entgegen der objektivistischen Lehre von René Marcic gibt es kein "präpositives Recht", keine naturrechtliche "Ordnung der Dinge", keine rechtliche "Natur der Sache", kein "Naturrecht", aus dem die Richter schöpfen könnten 933 , keine Gerechtigkeit ohne Gesetz. "Von dem Willen gehen die Gesetze aus." - KanP* Gleichheit ist Gesetzlichkeit; denn die Gleichheit ist die Tochter der Freiheit 935 . Paul Kirchhof sieht im Objektivitätsgebot die Umkehrung des Willkürverbots, das er im allgemeinen Gleichheitssatz und im Rechtsstaatsprinzip verankert sieht. Objektiv sei das "Allgemeingültige", "die Sachlichkeit", "die Verallgemeinerungsfähigkeit" 936, also die praktische Vernünftigkeit, die Sittlichkeit. Kirchhof leitet damit der Sache nach das Willkürverbot aus dem Prinzip der allgemeinen Freiheit ab; denn das "Allgemeingültige" ist das, was alle als gültig erkennen. Der Sache nach hat Kirchhof das Willkürverbot von Art. 3 Abs. 1 GG gelöst und richtig dem Prinzip des Rechtsstaates, also dem des Rechts zugeordnet937. Ein willkürliches Gesetz, ein Akt der Willkür verletzt die äußere Freiheit als die Unabhän-

932

Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff. Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 109 ff., 145 ff., 248 ff., 251, 258, 275 ff. u.ö., der sich dem restaurativen Zeitgeist in den 50iger Jahren gemäß gegen den Rousseauismus wendet (S. 279 ff.) und den aufklärerischen Subjektivismus des Willens als Voluntarismus denunziert (S. 281 ff.); ganz ähnlich W. Henke, Recht und Staat, S. 111 ff. u.ö., auch ein Antirousseauist (a.a.O., S. 289 f., 399, 591 f., 607; weitere Hinweise in Fn. 24, 8. Teil, 1. Kap., S. 642); ähnlich auch E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 2 ff., 9 ff.; vorsichtig dazu P. Kirchhof Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, HStR, Bd. VII, S. 867 f.; zum Problem Naturrecht vgl. A. Verdross, Statisches und dynamisches Naturrecht, 1971; sowie H. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1962; N. Brieskorn, Rechtsphilosophie, 1990, S. 79 ff.; vgl. auch die Abhandlungen in: W. Maihofer (Hrsg.), Naturrecht und Rechtspositivismus, 1972. 933

934 Metaphysik der Sitten, S. 332; dazu 5. Teil, 3., 4. u. 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; 8. Teil, 1., 3. u. 4. Kap., S. 637 ff., 639, 707 ff., 745; 7. Teil, 1., 4. u. 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 2. Teil, 10. Kap., S. 149. 935

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345.

936

Objektivität und Willkür, S. 83, 87; ders., HStR, Bd. V, S. 943 ff., insb. S. 947 f. (mit Bezug auf Kant und Fn. 481). 937

HStR, Bd. V, S. 943, 947 u.ö.; ders., Objektivität und Willkür, S. 82.

8. Kap.: Die formale Gleichheit und das Willkürverbot

999

gigkeit von eines anderen nötigender Willkür (Kant) m . Den Willkürvorwurf verdient es, wenn die Gesetze nicht angewandt werden. Das aber ist die klassische Verletzung des Prinzips der Gesetzesanwendungsgleichheit. 2. Der Vorwurf des gleichheitswidrigen Gesetzes bestreitet dem Gesetz die praktische Vernünftigkeit, also die Rechtlichkeit, jedoch: "Der Wille des Gesetzgebers ... ist untadelig." - KanP 9 Auch die Idee der Gleichheit ist die allgemeine Gesetzlichkeit. "Es gibt keine Gleichheit ohne allgemeine Gesetze." - Paul Kirchhof 40 Diese Allgemeinheit schützt Art. 19 Abs. 1 GG 941 , vor allem aber das republikanische Gesetzgebungsverfahren 942. Dementsprechend ist Art. 3 Abs. 1 GG auf die Gesetzesanwendungsgleichheit hin formuliert 943. Als solche ist dieses Grundrecht unverzichtbares Menschenrecht, weil dadurch das Prinzip der Gesetzlichkeit grundrechtlich geschützt wird und insbesondere mittels der Verfassungsbeschwerde durchgesetzt werden kann. Überflüssig ist ein solches Grundrecht, weil die Gesetzesanwendungsgleichheit mit dem Begriff des Gesetzes untrennbar verbunden sei, keinesfalls 944. Das Vollzugsdefizit der Gegenwart zeigt die Schwierigkeiten mit der Gesetzesanwendungsgleichheit und rechtfertigt das Postulat der Popularklage bei Gesetzesverletzungen aus Art. 3 Abs. 1 GG, vor allem im Umweltrecht 945.

938 Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu die Hinweise in Fn. 838, 9. Teil, 7. Kap., S. 942, 981. 939 Metaphysik der Sitten, S. 435; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 264 ff., insb. zur prozeduralen (besser: formalen) Unfehlbarkeitslehre, die Rousseau und Kant von Hobbes übernommen haben; auch G. Roellecke, Der Begriff des positiven Gesetzes und das Grundgesetz, 1969, S. 54 ff.; i.d.S. auch ders., VVDStRL 34 (1976), S. 39 (Zitat S. 1028 f.). 940 HStR, Bd. V, S. 906 und ff. 941 I.d.S. v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 8 zu Art. 3 Abs. 1, S. 263 f. ("Diese Formel bedeutet Freiheitsschutz durch Gleichheit."); G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, 1973, Rdn. 12 zu Art. 3 Abs. I; vgl. auch weniger grundsätzlich R. Herzog, daselbst, 1981, Rdn. 6 ff. zu Art. 19 Abs. I; grundlegend Ch. Menger, Bonner Komm., GG, 1979, Art. 19 Abs. 1, Rdn. 25 ff.; Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 195 ff.; P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 907; P. Lerche, HStR, Bd. V, S. 797. 942 Ganz i.d.S. P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 883 f., der die unparteiliche Repräsentation als Verfassungsgrundsatz heraushebt. 943 Dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 412 ff.; auch 5. Teil, 4. Kap., S. 366 ff. 944 So aber E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 6; vgl. G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 52 ff., 397 ff., 414 ff. zu Art. 3 Abs. I; vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 440, S. 171; i.d.S. etwa BVerfGE 4, 1 (7); 58, 163 (167 f.); 59, 98 (103); 62, 189 (192); 66, 199 (205 f.); 66, 324 (330); 67, 90 (94 f.); 70, 93 (97). 945 Dazu 7. Teil, 4. Kap., S. 566; 9. Teil, 3. Kap., S. 931 ff.

1000

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Ohne materiale Leitideen führt auch die Gleichheitsjudikatur zu einer Hierarchie verbindlicher Rechtserkenntniskompetenz des legislativen und des judikativen Gesetzgebers, der mangels eines Maßstabes jedes Gesetz für gleichheitswidrig erklären kann946. Freilich gebietet die Funktionenordnung der Verfassung die auch vom Bundesverfassungsgericht praktizierte Zurückhaltung, welche den Willkürvorwurf erst rechtfertigt, wenn die Unsachlichkeit des Gesetzgebers unerträglich ist 947 . Art. 19 Abs. 2 GG räumt dennoch der praktischen Vernunft der Verfassungsrichter den Vorrang vor der des Gesetzgebers ein 948 . Allerdings ist die Sittlichkeit, die Art. 2 Abs. 1 GG als innere Freiheit gebietet, die Grundlage der Pflicht zur praktischen Vernunft, die auch das Bundesverfassungsgericht als Wesensgehalt dieses Grundrechts zu verteidigen hat; denn die Gesetzgebung ist die Notwendigkeit der Freiheit. Das Gleichheitsprinzip ist von den Gesetzen abhängig, gebietet durchaus auch Gesetze, ohne die es keine Gleichheit gibt, enthält aber keinen Ansatz für eine Materialität der Gesetze, nicht einmal, wie Art. 2 Abs. 1 GG mit dem "Sittengesetz" das prozedurale Gerechtigkeitsprinzip des kategorischen Imperativs 949. Art. 3 Abs. 1 GG gibt für die gesetzgeberische Vertretungsmacht der Verfassungsrichter keinerlei textliche Grundlage her. Adalbert Podlech hat herausgestellt, daß der allgemeine Gleichheitssatz sematisch gehaltlos sei und auch deswegen verpflichtet, Gründe für Ungleichbehandlungen zu nennen950. Was die Verfassungsrichter für praktisch vernünftig halten, verwirklicht spezifisch die Freiheit, sofern die Richter bei ihrer Rechtserkenntnis Moralität gewahrt haben. Die Begründung des Willkürverbotes aus der Wesensgehaltsgarantie des Art. 2 Abs. 1 GG wird dadurch gestützt, daß Art. 3 Abs. 1 GG durch Gesetz nicht relativiert werden darf, so daß ein Schutz des Wesensgehalts des Gleichheitsprinzips nicht in Betracht kommt. Das Prinzip der praktischen Vernunft, aus dem das Willkürverbot erwächst, ist ein Prinzip der

946

So auch P. Kirchhofi HStR, Bd. V, S. 847 ff. Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 955 ff.; zur gewaltenteiligen Funktionenordnung vgl. Hinweise in Fn. 347, 9. Teil, 2. Kap., S. 882, 939; insb. Ρ Kirchhof HStR, Bd. V, S. 951 f., der in der Willkür eine gesteigerte Unrichtigkeit der Gesetze sieht, zu Recht, und "groben Rechtsbruch" als Verletzung des 'Objektivitätsgebots" (S. 943 ff.) qualifiziert; ebenso ders., Objektivität und Willkür, S. 109. 947

948

Dazu 9. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 819 ff., 858 ff.; auch 9. Teil, 7. u. 11. Kap., S. 978 ff., 1033 ff. 949 Dazu 5. Teil, 2., 3., 4. u. 6. Kap., S. 259 ff., 275 ff. (mit Hinweise in Fn. 174, S. 287), 325 ff., 410 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 598 f.; vgl. auch 9. Teil, 7. Kap. 950 Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, 1971, S. 84; in der Sache zustimmend auch H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 104 ff.

8. Kap.: Die formale Gleichheit und das Willkürverbot

1001

Freiheit, nicht eines der Gleichheit, abgesehen davon, daß auch das Gleichheitsprinzip aus der Freiheit folgt. Die Freiheit ist die politische Grundlage der Republik951. Für die Praxis macht es keinen Unterschied aus, ob das Willkürverbot auf Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 GG gestützt wird oder auf Art. 3 Abs. 1 GG. Für die Dogmatik ist der Unterschied jedoch wesentlich, weil er auf der republikanischen Freiheit aufbaut, nicht auf der paternalistischen Gleichheit in einem herrschaftlichen Gemeinwesen. Der eigentliche Gesetzgeber ist, wer definiert, was gleich und was ungleich ist. Dieser Gesetzgeber soll nach dem Grundgesetz die autonome Bürgerschaft sein, welche durch und in ihre staatlichen Organen vertreten wird. Die Pflicht der Bürger und ihrer Vertreter zur praktischen Vernünftigkeit und damit das Verbot ihrer Willkür ist nichts anderes als die innere Freiheit, nämlich die Pflicht zur Sittlichkeit, die Art. 2 Abs. 1 GG formuliert und die logisch aus der äußeren Freiheit folgt 952 . 3. Die funktional gesetzgebende Verwaltung, die gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden ist, kann Art. 3 Abs. 1 GG, das Prinzip der Gesetzesanwendungsgleichheit, verletzen. Das nicht gesetzlich bestimmte Ermessen kann unterschiedlich gehandhabt werden, ohne daß das Gesetz verletzt wird 953 . Das Gleichheitsprinzip gebietet aber die gleichheitliche Handhabung gleicher Fälle, den gleichmäßigen Vollzug der Gesetze954. Die Gleichheitswirkung von Verwaltungsentscheidungen hat ihren Grund in der Rechtssatzhaftigkeit bestimmter Verwaltungsentscheidungen, welche wegen der Einheit der Verwaltung letztlich, jedenfalls im Grundsatz, die Regierung zu verantworten hat 955 . Der unmittelbare Verfassungsverstoß ist

951

Dazu vgl. die Hinweise in Fn. 927; zur Freiheit als Grundlage des Rechts 5. Teil, 1., 3. u. 4. Kap., S. 253 ff., 278 ff., 325 ff. (insb. 332 ff.); 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; auch 3. Teil, 2. Kap., S. 189 ff. 952 Dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 289 ff., 332 ff.; weitere Hinweise in Fn. 838, 9. Teil, 7. Kap. 953 Zur Ermessenslehre i.d.S. etwa H.-U. Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: ders.,/W. Mertens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S. 186 ff.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 108 ff. 954 Dazu BVerfGE 71, 354 (362); 84, 239 (268 ff.), wonach der Gleichheitssatz "für das Steuerrecht" verlangt, daß die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 52 ff., 428 ff. zu Art. 3 Abs. I; P. Kirchhof HStR, Bd. V, S. 853 ff., 872, 918 f., 928; ders., HStR, Bd. V, S. 1007 ff.; vgl. auch 5. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 366 ff., 413 ff.; weitere Hinweise in Fn. 893, S. 990. 955 Dazu W. Loschelder, Weisungshierarchie und persönliche Verantwortung in der Exekutive, HStR, Bd. III, S. 531 ff., 537 ff., 556 ff.

1002

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

denkbar, weil und insoweit das Gesetz für die Rechtsetzung der Verwaltung 956 offen und das Gebot der Gesetzesanwendungsgleichheit wegen seiner Bestimmtheit der unmittelbaren Anwendung fähig ist. Die Überprüfung der Gleichheitlichkeit der Verwaltung ist Sache der Gesetzesgerichte 957.

9. Kapitel Die Wesensgehaltsverwirklichung der Grundrechte der Freiheit von Kunst und Wissenschaft und der Eigentumsgarantie I.

Die Gesetzlichkeit künstlerischen und wissenschaftlichen Handelns unter der politischen Leitentscheidung für die Kunst und die Wissenschaft Das Prinzip der Gesetzlichkeit gilt auch für die Grundrechte, die der Text des Grundgesetzes nicht mit einem Gesetzesvorbehalt versehen hat, etwa für die Freiheiten der "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre" (Art. 5 Abs. 3 GG). Auch Wissenschaftler und Künstler vermögen ihre Freiheit nicht darin zu finden, daß sie die Gesetze brechen oder Verträge mißachten, schon gar nicht darin, daß ihre Verhältnisse zu anderen Menschen rechtlos sind. Künstler und Wissenschaftler würden dadurch selbst rechtsschutzlos. Für keinen Lebensbereich beläßt die grundgesetzliche Republik ein Chaos oder verfaßt ein solches gar durch ein Grundrecht. Kein Handeln soll sich unter dem Grundgesetz dem Recht entziehen können; denn es wirkt auf andere Menschen958. Rechtlichkeit heißt nicht Beliebigkeit des Handelns, sondern deren praktische Vernünftigkeit als allgemeine Gesetzlichkeit. Nichts anderes heißt Freiheit 959. Nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG sind Kunst und Wissenschaft frei. Diese Grundrechte stellen somit die Künstler und die Wissenschaftler unter das Recht und gebieten in ihrer objektiven Dimension dem Gesetzgeber, durch

956

Zur Rechtssatzhaftigkeit der Verwaltungsvorschriften vgl. E. Schmidt-Aßman, HStR, Bd. I, S. 1017; E Ossenbühl, Autonome Rechtsetzung der Verwaltung, HStR, Bd. III, 1988, S. 427, 440 ff.; ders., Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968. 957

BVerfGE 80, 48 (51); P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 945 (954); zur Willkür als Grundrechtsverstoß bei der Gesetzesanwendung 5. Teil, 4. Kap., S. 366 ff. 958 Zum Handlungsbegriff 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 5. Teil, 3., 4. u. 5. Kap., S. 297 ff., 318 ff., 346 ff., 370 ff. 959

Dazu 6. Teil, 6. Kap., S. 480 ff.; weitere Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819.

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie

1003

subjektive Rechte der Künstler und der Wissenschaftler die Chance, daß Kunstwerke entstehen und daß Beiträge zur Forschung und zur Lehre geleistet werden, bestmöglich zu fördern, ohne die anderen Leitentscheidungen des Grundgesetzes zu vernachlässigen. Die Kunstfreiheit ist geschützt, damit die Künstler Kunstwerke schaffen, die Wissenschaftsfreiheit, damit Forschung und Lehre die Wahrheit und Richtigkeit fördern. Die negative Freiheit, die Unabhängigkeit von anderer nötigender Willkür 960 , dient auch im Bereich der besonderen Grundrechte der positiven Freiheit, also im Bereich des Art. 5 Abs. 3 GG der Sittlichkeit und damit der Rechtlichkeit der Kunst und der Wissenschaft durch allgemeine Gesetzlichkeit. Das Grundgesetz fördert die Kunst und die Wissenschaft, sonst wäre das Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 GG sinnlos. Art. 5 Abs. 3 GG gehört zu den grundgesetzlichen Entscheidungen für den Kulturstaat 961. Kunst und Wissenschaft erfordern nach aller Erfahrung die Unabhängigkeit der Künstler und der Wissenschaftler, deren gesetzliche Grenzen um der Kunst und der Wissenschaft willen nicht enger gezogen werden dürfen, als es die Sache zuläßt. Diese Grenzen der spezifischen Unabhängigkeit zu bestimmen, ist Sache des das Recht erkennenden Gesetzgebers. Die durch subjektive Rechte gestützte Unabhängigkeit der Künstler und der Wissenschaftler dient dem allgemeinen Interesse an deren Sachlichkeit, an deren Liebe zur Sache, an deren künstlerischer oder wissenschaftlicher Sittlichkeit. Wissenschaftlichkeit ist aber nicht als solche Privatheit 962, genausowenig wie Kunst. Als staatliche Aufgabe sind sie staatlich/amtlich, ohne daß deswegen die sogar grundrechtlich geschützte Unabhängigkeit und damit Sittlichkeit des Wissenschaftlers bzw. Künstlers aufgegeben werden muß oder auch nur darf 963.

960

Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 289 ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345. BVerfGE 34, 79 (114); 36, 321 (331); 81, 108 (116); dazu D. Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 46 ff., 63 ff.; U. Steiner, zu demselben Thema daselbst, S. 7 ff., zum Kulturauftrag zurückhaltend, S. 12 ff.; ders., Kulturpflege, HStR, Bd. III, 1988, S. 1236 ff., 1238; E. Denninger, Freiheit der Kunst, HStR, Bd. VI, 1989, S. 864 f.; M.-E. Geis, Kulturstaat und kulturelle Freiheit, 1990; vgl. weiter die Beiträge in: R Häberle (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit und Kulturverfassungsrecht, 1982; Th. Oppermann, Freiheit von Forschung und Lehre, HStR, Bd. VI, 1989, S. 820 ff. 962 Zum Begriff der Privatheit 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff.; 6. Teil, 2., 4. u. 5. Kap., S. 449 ff., 461 ff., 466 ff. 963 I.d.S. U. Steiner, VVDStRL 42 (1984), S. 12. 961

1004

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Um der Freiheit von Forschung und Lehre willen ist die akademische Selbstverwaltung unverzichtbar. Sie ist die sachgerechte Gestaltung eines staatlichen Universitätsbetriebes, in dem Wissenschaftler das Eigene ihrer Wissenschaft, ihre wissenschaftliche Persönlichkeit, einbringen. Wissenschaftlichkeit kann nur weitestgehend alleinbestimmt sein, weil sie gerade darin dem allgemeinen Gesetz der Wissenschaft folgt, der kritischen und darum notwendig alleinbestimmten Erkenntnis des Wahren und Richtigen. Wissenschaftliche Erkenntnisse können ihrer Eigenart gemäß nicht durch allgemeine Gesetze verbindlich gemacht werden. Das wäre das Ende der Kritik und damit der Widerspruch zur Wissenschaft selbst964. Die sittliche Pflichtigkeit der besonderen Freiheiten belegt explizit Art. 14 Abs. 2 GG: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Auch diese Pflichtigkeit ist eine Leitlinie, die der Materialisierung bedarf 965. Sie entspricht der inneren Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, der Verbindlichkeit des Sittengesetzes, weil das die Freiheit bestimmende Sittengesetz zum einen durch allgemeine Gesetze und zum anderen im Rahmen der Legalität durch die Tugend verwirklicht wird 966 . Die subjektiven Eigentumsrechte berechtigen aber zur Privatheit (Privatnützigkeitsprinzip) 967. Das privat bestimmte Handeln ist jedoch zugleich staatlich bestimmt, weil ein Recht zur Beliebigkeit, wie § 903 BGB belegt, nur soweit zugestanden wird, wie es dem allgemeinen Gesetzgeber praktisch vernünftig erscheint. Die Rechtstechnik, das Allgemeininteresse zu verwirklichen, kann das begrenzte Recht zur Willkür, aber auch das Recht zur begrenzten Willkür, die nämlich eine begrenzte Bestimmung der Handlungsmaximen durch allgemeine Gesetze hinnehmen muß, sein968.

964

Vgl. dazu auch 9. Teil, 1., 4. u. 6. Kap., S. 837 ff., 943, 965; 5. Teil, 2. Kap., S. 227 f. W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1079 f. (Abwägung); ebenso H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 254 ff. zu Art 14; O. Kimminich, Bonner Komm., GG, Rdn. 159 ff., 165 ff. zu Art. 14; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 226 f. 966 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 214 f., 221 f., 230 ff.; 5. Teil, 3. u. 5. Kap., S. 308 f., 320 ff., 374 ff.; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 126 f.; 7. Teil, 4. Kap., S. 566 ff.; zur Tugendpflicht 5. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 259 ff., 280 ff., 320 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff. zum Sittengesetz. 965

967 BVerfGE 37, 132 (140); 42, 263 (294), 50, 290 (339); 52, 1 (30) u.ö.; W Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1077 f.; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 273 zu Art. 14, der die Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis zu Recht zum Wesensgehalt des Eigentums rechnet; P. Badura, Eigentum, HVerfR, 1983, S. 653 ff., auch S. 672 ff.

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie1005

Es ist Erfahrung, die lehrt, daß der Begriff der Kunst nicht auf eine bestimmte, "richtige", Art der Kunst beschränkt werden sollte 969 und daß wissenschaftliche Erkenntnisse und Erkenntnisweisen nicht gesetzlich vorgeschrieben werden sollten, wenn die Wissenschaft ihrem Begriff gemäß fortschreiten können soll 970 . Die offenen und dadurch dynamischen Begriffe von Kunst 971 und Wissenschaft 972 sind Errungenschaften eines aufgeklärten, zumindest aufklärerischen Gemeinwesens, die politisch verteidigt werden müssen. Dem dienen die Grundrechte, die aus ihrem politischen Kontext nicht lösbar sind. Die Materie aller besonderen Grundrechte beruht auf Erfahrung, auf der Erfahrung mit der Verletzung der Menschen in ihrer Würde {Peter Häberle) 973, soweit sie nicht mit dem transzendentalen Apriori der Freiheit untrennbar verbunden sind, wie die Freiheit der Mei-

968 I.d.S. auch D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 226 f. ("Es ist deshalb eine umfassende Abwägung zwischen den Privatnützigkeitsinteressen des einzelnen und den Belangen der Allgemeinheit geboten." ... "Es ist deshalb nicht auf den 'vernünftigen Eigentümer' (so BGHZ 87, 66 (71 f.)) oder die 'Verkehrsanschauung' (so BVerwGE 49, 365 (372)), sondern allein auf die gesetzlichen Bestimmungen abzustellen."); vgl. W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1075 ff.; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 249 ff. ("einheitlicher Gesetzes vorbehält", Rdn. 250) zu Art. 14; P. Badura, HVerfR, S. 672 ff. 969 BVerfGE 30, 173 (190); 75, 369 (377); 81, 278 (291); 83, 130 (138 f.); dazu E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 848 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 22 ff. ("weitgehend offen", aber kein Definitions verbot) zu Art. 5 Abs. III; J. Würkner, Die Freiheit der Kunst in der Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG, NVwZ 1992, 1 ff., 7; M.-E. Geis, Josefine Mutzenbacher und die Kontrolle der Verwaltung, NVwZ 1992, 25 ff., 26 ("Die Perspektive hat sich vom Schutz der Kimstfreiheit zu dem der Kunstfreiheit verlagert"); W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, Grundrechtsauslegung zwischen amtlichem Interpretationsmonopol und privater Konkretisierungskompetenz, 1987, S. 128 ff.; ein Definitionsverbot vertritt (zu weitgehend) W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, 1967, S. 214 ff. 970 Dazu R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 99 zu Art. 5 Abs. III; Th. Oppermann, Freiheit von Forschung und Lehre, HStR, Bd. VI, S. 831 ff.; W. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 2. Aufl. 1986, S. 67 ff., insb. S. 76. 971 Vgl. W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 128 ff., der S. 130 auf U. Eco , Opera aperta/Das offene Kunstwerk, 1962/1977, S. 11 hinweist: "Offenheit im Sinne einer fundamentalen Ambiguität der künstlerischen Botschaft" ist eine "Konstante jedes Kunstwerks aus jeder Zeit" ; Höfling selbst plädiert für einen "formalen" Begriff der Kunst, der auf die Formen und Institutionen, aber auch auf die "Kommunikabilität des Selbstverständnisses" des Künstlers abstellt, S. 136 ff., 139 ff., 141 ff.; das läuft auf die Lehre sachverständiger Anerkennung des Künstlerischen hinaus; vgl. auch P. Häberle, Die Freiheit der Kunst im Verfassungsstaat, AöR 110 (1985), S. 577 ff., 597 ff.; v. Mangold/Klein/Starck, GG, Rdn. 186 zu Art. 5 Abs. 3. 972 W. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, S. 76. 973 HStR, Bd. I, S. 844.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

nungsäußerung, weil ohne diese Freiheit die allgemeine innere Freiheit, die Autonomie des Willens als (repräsentativ) konsensuale Gesetzlichkeit, nicht denkbar ist 974 . Freiheit und das Recht zur Kommunikation sind untrennbar verbunden. Der allgemeine Diskurs ist bürgerliche Pflicht 975. Weil die freiheitliche Gesetzlichkeit das Recht nur verwirklicht, wenn sie auf Wahrheit beruht und um Richtigkeit bemüht ist 976 , folgt die Freiheit der Wissenschaft als die Freiheit zur bestmöglichen Sachlichkeit ebenfalls aus dem Apriori der Freiheit. Die Freiheit der Kunst läßt sich auch aus diesem Apriori herleiten, weil sich im Kunstwerk die Menschheit des Menschen offenbart. Wenn mit Kant das Schöne nicht "rein ästhetisch" verstanden, sondern als Ausdruck des "Sittlich-Guten" idealisiert wird 977 , ist das Kunstwerk die Objektivierung des Menschen in seiner Menschheit, die zu verhindern die Würde des Menschen verletzt. Kants Kritik der ästhetischen Urteilkraft hat sich im offenen Kunstbegriff durchgesetzt, ein Beweis der Republikanität der gegenwärtigen Kunstrechtsprechung. "Es kann keine objektive Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sei, geben. Denn alles Urteil aus dieser Quelle ist ästhetisch; d.i. das Gefühl des Subjekts, und kein Begriff eines Objekts, ist sein Bestimmungsgrund. Ein Prinzip des Geschmacks, welches das allgemeine Kriterium des Schönen durch bestimmte Begriffe angäbe, zu suchen, ist eine fruchtlose Bemühung, weil, was gesucht wird, unmöglich und an sich selbst widersprechend ist." - Kant 978 Das Bundesverfassungsgericht jedenfalls pflegt die Kunsteigenschaft nicht vom "Stil, Niveau, Inhalt" oder von den "Wirkungen des Werkes" abhängig zu machen979, zu Recht.

974 I.d.S. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345 f.; ganz i.d.S. BVerfGE 5, 85 (134 f.); 20, 56 (98): "Aus dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung ergibt sich ein grundsätzliches Recht der freien politischen Betätigung."; dazu 7. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 588 ff., 605 ff.; auch 9. Teil, 1. u. 5. Kap., S. 567, 834 f., 956 ff.; 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 ff. 975 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff. 976 Dazu 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; 9. Teil, 4. Kap., S. 945 f.; weitere Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819. 977 Kant, Die Kritik der Urteilskraft, Kritik der ästhetischen Urteilskraft, ed. Weischedel, Bd. 8, S. 313 ff., 318. 978 Die Kritik der Urteilskraft, S. 313; E . Denninger, HStR, Bd. VI, S. 850, kritisiert diese Erkenntnis als "radikal-subjektivistische Deutung", weil diese "letztlich grundrechtsvernichtende Konsequenz" habe; die richtige Konsequenz ist die Formalität auch der Kunstfreiheit, welche die politische Bewältigung des Postulats des Kulturstaates einfordert. 979 BVerfGE 67, 213 (226 f.); 75, 369 (377); 81, 278 (291); 83, 130 (139).

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie

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Freiheit ist Autonomie des Willens 980 . Die Autonomie des Willens wird durch staatliche Gesetze und deren Vollzug verwirklicht 981. Dem staatlichen Gesetzgeber ist es jedoch durch Art. 5 Abs. 3 GG verwehrt, die Kunst und die Wissenschaft in jeder Weise durch Gesetze zu reglementieren. Die Sätze: "Kunst ist frei." oder: "Wissenschaft ist frei." würden ihren besonderen Sinn verlieren, wenn mit dem Wort "frei" dem staatlichen Gesetzgeber eine uneingeschränkte Kompetenz belassen wäre, die Kunst und die Wissenschaft Vorschriften zu unterwerfen. Wenn auch jede Gesetzgebung dem Prinzip der paktischen Vernunft gehorchen muß 982 , so würde das Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG doch neben dem allgemeinen Grundrecht der Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG leerlaufen, so daß Art. 1 Abs. 3 GG verletzt wäre 983. Konsequenz ist, daß die Verfassung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eine objektive Leitentscheidung getroffen hat, welche gebietet, die Kunst und die Wissenschaft bestmöglich zu verwirklichen, bestmöglich heißt, soweit das die praktische Vernunft zuläßt984. Das Bundesverfassungsgericht spricht von einer "wertentscheidenden Grundsatznorm", der es einen außerordentlich hohen Rang einräumt, so daß andere als derart schutzwürdige Güter und Interessen zurückzustehen hätten985. Vorschriften, welche die Kunst oder die Wissenschaft einschränken, sind verfassungswidrig, wenn sie nicht notwendig sind, um das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit zu ermöglichen. Das gute Leben ist spezifisch wegen der Leitentscheidung in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ein kulturelles Leben, was immer das sein mag. Das Kulturelle verbindlich zu definieren, läßt die Offenheit spezifisch des Kunstbegriffs nicht zu und ist somit der Verantwortung der Hüter der Verfassung übertragen, also der Bürgerschaft und ihren Vertretern, vor allem den Verfassungsrichtern. Der Kulturstaat ist eine

980

Dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 155 ff.; 5. Teil, 3., 4. u. 6. Kap., S, 275 ff., 325 ff., 410 ff.; 6. Teil, 8. u. 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff. 981 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; vgl. die Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819. 982 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; vgl. die Hinweise in Fn. 354, 429, 9. Teil, 2. Kap., S. 884, 899; Fn. 515, 563, 9. Teil, 3. Kap., S. 918, 926; Fn. 654, 9. Teil, 4. Kap., S. 942. 983 Zum Wesensgehaltsschutz aus Art. 1 Abs. 3 GG 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. 984 I.d.S. BVerfGE 30, 173 (188); 35, 79 (114 ff.); 36, 321 (331); 52, 339 (348); 77, 240 (253); 81, 278 (289, 292); 83, 130 (143), das allerdings nur ihrerseits verfassungsgeschützte Belange in die optimierende Abwägung einzubeziehen erlaubt; dazu J. Würkner, NVwZ, 1992, 8; vgl. auch Th. Oppermann, HStR, Bd. VI, S. 819 f.; E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 863 f.; vgl. aber R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 118 zu Art. 5 Abs. III ("liberales Freiheitsrecht"). 985 BVerfGE 30, 173 (188); vgl. i.d.S. auch BVerfGE 81, 278 (289 ff.); 83, 130 (143 ff.).

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

allgemeine politische Aufgabe, die sich gegenüber anderen Aufgaben nur behaupten kann, wenn die Bürger sie wollen. Das kulturelle Niveau eines Gemeinwesens ist eine Frage des Zeitgeistes. Das Zeitalter des "Animal laborans", die Arbeits- und Konsumgesellschaft {Hannah Arendt) 986, ist keine Hochzeit der Kunst. Die Entwicklung der Kunstpolitik zeigt das allzu deutlich. Auch im Bereich der Kunst erweist sich: Res publica res populi. Der Gesetzgeber wird der Leitentscheidung für die Kunst dadurch gerecht, daß er die Rechtsgrundlagen insbesondere künstlerischer Privatheit schafft. Ohne Rechte zur Privatheit wäre die Kunstfreiheit verletzt, wenn auch die amtliche Kunst ebenfalls "frei" ist. Aber dieses Grundrecht definiert selbst die subjektiven Rechte nicht und ist darum nicht die unmittelbare Rechtsgrundlage subjektiver Rechte des Künstlers 987. Für die Wissenschaftsfreiheit gilt Entsprechendes988. Frei sein kann nur menschliches Handeln989. Folglich schützt die Kunstfreiheit das künstlerische Handeln oder das Handeln im Bereich der Kunst, vor allem also den Künstler in seinem schöpferischen Handeln, ohne daß der Begriff Schöpfung dadurch zum Tatbestandsmerkmal würde. Das Grundrecht der Freiheit der Kunst entfaltet seine Wirkung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowohl im Werk- als auch (mit minderer Intensität) im Wirkbereich 990. In allem seinem Handeln muß der Künstler die Gesetze beachten. Es geht darum, welche Gesetze gegeben werden dürfen, ohne die Freiheit der Kunst zu verletzten. Jedenfalls bleiben die Gesetze, soweit sie Recht schaffen, auch für den Künstler verbindlich; denn die Gesetze verwirklichen die Freiheit, auch die des Künstlers. Die Freiheit ist auch in Art. 5 Abs. 3 GG die Freiheit, die Art. 2 Abs. 1 GG als Freiheit definiert 991.

986

Vita Activa, S. 76 ff., 115 ff., 312 ff. A.A. die herrschende Lehre, die der Sache nach die allgemeinen Gesetze als Schranke der subjektiven Rechte des Künstlers ansieht, aber damit auch nicht mehr Grundrechtsschutz gewinnt als aus der objektiven Dimension, welche die Subjektivierung künstlerischer Privatheit gebietet; vgl. E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 864, 872 f.; die Praxis leitet die Rechtsfolgen jedes Einzelfalles unmittelbar aus der Kunstfreiheitsgarantie ab; das wird im Folgenden kritisiert. 987

988 989

Vgl. Th. Oppermann, HStR, Bd. VI, S. 818 ff., 822 ff. Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; 5. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 297 f., 318 f., 346 f., 370

f. 990 BVerfGE 30, 173 (189); 67, 213 (224); 81, 278 (292); BVerfG NJW 1988, 325 f.; E Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, 1969, S. 97 ff.; E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 875; W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 142 f.

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie1009

II.

Die Einzelfallgerechtigkeit in der Kunstrechtsprechung und der Primat der freiheitsverwirklichenden Gesetzlichkeit Die Lehre der "Abwägung aller Umstände des Einzelfalles", insbesondere der "Spannungslage zwischen den durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützten Bereichen ... nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems" zur Ermittlung der jeweils grundrechtsgeschützten Rechte des Künstlers, der "Kunstfreiheitsgarantie" und deren "von der Verfassung selbst bestimmten Grenzen", welche das Bundesverfassungsgericht für die Kunstfreiheit entwickelt hat 992 , kann andere Ergebnisse nicht rechtfertigen; denn beide Erkenntnismethoden praktizieren offen praktische Vernunft. Allerdings verschieben sich die Kompetenzen vom Gesetzgeber zur Rechtsprechung. Die Einzelfallorientierung der bundesverfassungsgerichtlichen Praxis der Kunstfreiheitsgarantie, die in dem Postulat der Werkgerechtigkeit der jeweiligen Rechtsanwendung ihren wesentlichen begrifflichen Ausdruck findet 993, entfernt sich von der Aufgabe verfassungsgerichtlicher Gesetzeskontrolle, die dem Prinzip der Gesetzlichkeit der staatlichen Lebensbewäl-

991

A.A. wegen der Dogmatik der allgemeinen Handlungsfreiheit und der daraus folgenden Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG BVerfGE 30, 173 (192 ff.), ohne in der Sache abzuweichen, wie BVerfGE 81, 278 (292) zeigt, wonach die Grenze des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die Grundrechte Dritter und Verfassungsbestimmungen aller Art seien, weil "ein geordnetes menschliches Zusammenleben nicht nur gegenseitige Rücksichtnahme der Bürger, sondern auch eine funktionierende staatliche Ordnung" voraussetze, "welche die Effektivität der Grundrechte überhaupt erst sicherstelle"; i.d.S auch BVerfGE 83, 130 (138 ff.), wo der Jugendschutz auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gestützt wird, ein Argumentationsmodell, das fast immer genügen dürfte, um Belange des Gemeinwohls als verfassungsgeboten auszugeben; die Lehre folgt der Praxis, vgl. E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 871, ohne daß der Begriff der Freiheit in Art. 5 Abs. 3 GG ernsthaft erörtert würde; dazu A. Enderlein, Der Begriff der Freiheit als Tatbestandsmerkmal der Grundrechte, Konzeption und Begründung eines einheitlichen formalen Freiheitsbegriffs, dargestellt am Beispiel der Kunstfreiheit, S. 25 ff., 51 ff.; in der Sache R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 11 ff., 52 ff., 348 f. zu Art. 5 Abs. III; ders., für die ebenfalls vorbehaltlose Koalitionsfreiheit, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 335 ff.; ders., Koalitionsfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 1181; der Sache nach weicht auch Th. Oppermann, HStR, Bd, VI, S. 818, 824, 826, nicht von der Position im Text ab, der als Grenzen der Lehr- und auch der Forschungsfreiheit "die allgemeinen Normen des sozialen Zusammenlebens" benennt, obwohl er die "unmittelbare" Geltung der "Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG" ablehnt (S. 823); ähnlich W. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, S. 69 ff. 992 BVerfGE 30, 173 (193 ff.); 67, 213 (228); 81, 278 (289 ff.); 83, 130 (143); dazu E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 870 f.; J. Würkner, NVwZ 1992, 8 f. 993 Vgl. etwa BVerfGE 75, 369 (378 ff.); 83, 130 (146 f.); J. Würkner, NVwZ 1992, 8. 6

Schachtschneider

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

tigung gerecht werden soll 994 . Das Prinzip der gesetzesbestimmten wird durch das Prinzip der verfassungs(gerichts)geleiteten Einzelfallgerechtigkeit ersetzt. Einzelfallrechtsprechung ist dadurch nicht mehr Gesetzes-, sondern nur noch Verfassungsrechtsprechung. Der Einzelrichter ist nach dieser Dogmatik nicht mehr an das Gesetz gebunden, sondern lediglich an die offenen Verfassungsbegriffe, an denen er sich jedoch lediglich orientieren kann. Eine solche Dogmatik mißachtet den Unterschied zwischen der Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung und der Funktion der Gesetzesrechtsprechung der Fachgerichtsbarkeit, im Einzelfall das Recht aus dem Gesetz abzuleiten. Die Fachgerichte bedürfen um der republikanischen Gesetzlichkeit willen, welche allein geeignet ist, das Freiheitsprinzip zu verwirklichen 995, bestmöglich bestimmter Gesetze, die jedenfalls ein höheres Maß an Bestimmtheit aufweisen müssen, als es die Leitentscheidungen der Grundrechte bieten. Unmittelbarer Verfassungsvollzug kann dem Autonomieprinzip, auf dem der Rechtsstaat aufbaut, nicht genügen996. Welche Handlungsmaximen erlaubt sind, definiert, wenn im Einzelfall, zudem "werkgerecht", die Gerechtigkeit gesucht wird, nicht das Grundgesetz und auch nicht das Gesetz, sondern von Fall zu Fall die Rechtsprechung, vor allem, wenn es für die Rechtsentwicklung förderlich erscheint, das Bundesverfassungsgericht, geleitet von der Idee/von dem Wert Kunst. Das Grundgesetz bestimmt die Maximen nicht, weil die Leitentscheidungen der Materialisierung bedürfen, um bestimmend sein zu können. Der unmittelbare Verfassungsvollzug ist ohne gesetzgeberische Materialisierung nicht möglich. Die jeweilige Materialisierung nicht etwa der Kunst, sondern der Kunstfreiheit als politische Leitentscheidung durch die funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis macht die Einzelfallentscheidung logisch erst möglich. Wenn die Einzelfallentscheidungen nicht richterliche und damit autonomiewidrige, also verbotene Willkürakte sein sollen, müssen sie auf einer funktional gesetzgeberischen Entscheidungsnorm beruhen 997. Die Verfassungsrichter geben ihrer funktional gesetzgebenden Erkenntniskompetenz gemäß, wenn auch einzelfallbezogen, das Gesetz, welches der Einzelfallentscheidung zugrunde gelegt wird, und wenden dieses selbstgegebene

994 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; vgl. die Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819; Fn. 413, 9. Teil, 2. Kap., S. 896. 995

Dazu die Hinweise in Fn. 994. Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 904 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; zum Vollzugsdefizit 9. Teil, 3. Kap., S. 927 f. 996

997

Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 888 ff.; 7. Teil, 2. u. 5. Kap., S. 536 ff., 891 ff.

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie

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Gesetz auf den Einzelfall an. Eine Dogmatik der verfassungsunmittelbaren Einzelfallgerechtigkeit läßt dem Gesetzgeber keine Möglichkeit der Gesetzgebung und verwehrt damit dem Prinzip des Vorranges des Gesetzes, welches logisch mit dem Prinzip des Vorbehalt des Gesetzes verbunden ist 998 , keine Entfaltungschance. Konfliktlösungen "nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundgesetzlichen Wertsystems" deklariert das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 30, 173 (193) als "Verfassungsauslegung". Das war wohl notwendig, um die Einzelfalldogmatik angesichts des Art. 97 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Diese Einzelfallrechtsprechung, welche keine Gesetzesanwendung mehr ist, mißachtet die Funktionenteilung. Sie etabliert den Richterstaat, der die Funktionen der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung bei den Richtern monopolisiert 999. Das Mißtrauen des Bundesverfassungsgerichts in kunstfreiheitsgerechte, also werkgerechte, Abwägung der Behörden und Fachgerichte ist nichts anderes als das Mißtrauen in die Politik, die andere machen. Die Politik soll darum in der Republik gesetzesgeleitet sein; denn dadurch ist sie, wenn die Gesetzgebung freiheitlich ist, bestmöglich legitimiert. Unmittelbarer Verfassungsvollzug durch Behörden oder Gerichte kann nur auf Mißfallen stoßen, weil die verfassungsgemäßen Institutionen verbindlicher Erkenntnis des Wahren und Richtigen, also die Institutionen repräsentativer Sittlichkeit umgangen sind. Das kann nicht zur Befriedung des Gemeinwesens führen. Die Mißachtung der Funktionenteilung gefährdet die Autorität des Bundesverfassungsgerichts, welches allein darin Akzeptanz erwarten kann, daß seine Kulturpolitik an Liberalität nichts zu wünschen übrig läßt. Die Rechtfertigung der Kontrollintensität auch im Einzelfall mit der "präventiven Wirkung" der "intensiveren verfassungsrechtlichen Prüfung" kaschiert nur notdürftig, daß das Bundesverfassungsgericht seiner eigentlichen Aufgabe, für verfassungsgemäße Gesetze Sorge zu tragen, nicht nachkommt oder nicht nachzukommen vermag 1000. Das Dilemma ist offenkundig. Wenn die Behörden und Fachgerichte den Werken nicht gerecht werden, obwohl das verfassungsgerichtlich gegebene Gesetz die Werkgerechtigkeit zum

998

Dazu 9. Teil, 2., 3. u. 8. Kap., S. 864, 891 f. mit Fn. 395, 396 (zur Wesentlichkeitslehre), S. 928 f. 999 Dazu S. 1022; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 820 mit Fn. 8, S. 877 f., 900. 1000 Kritisch insofern auch M.-E. Geis, NVwZ 1992, 27; kritisch auch J. Würkner, NVwZ 1992, 6 ff. ("Am Ende doch im Sinne einer Super-Revisionsinstanz?"). 64"

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Tatbestandsmerkmal kunstrechtlicher Entscheidungen erklärt hat, können wegweisende Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts Vorbild sein. Die Funktionenteilung zwischen der Verfassungsrechtsprechung auf der einen Seite und der Verwaltung und der Gesetzesrechtsprechung auf der anderen Seite geht dabei jedoch verloren 1001. Der bessere Weg zu verfassungsgerechten Einzelfallentscheidungen ist die Besetzung der Ämter mit qualifizierten Amtswaltern. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch die mehr als fragwürdige Besetzung der Bundesprüfstelle nach § 9 Abs. 2 GjS der Sache nach akzeptiert 1002. Amtsträger, welche Entscheidungen in "einer gewissen Staatsferne und aufgrund einer pluralistischen Meinungsbildung" treffen sollen 1003 , sind wenig geeignet, in staatlicher Sachlichkeit die Kunst bestmöglich zu fördern, wie es die Verfassung gebietet und wie es verfassungsgemäße Gesetze vorschreiben müßten. Allein die wissenschaftliche Qualifikation, den Jugendschutz zu verwalten, kann die Befähigung und Eignung für diese Ämter begründen. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet es aber nicht, daß die einzelnen Gruppenbeisitzer keine über die Verbandszugehörigkeit hinausgehenden Qualifikationen nachweisen müssen1004. Die Konsequenz der fragwürdigen Amtsbesetzung ist das Mißtrauen in die Entscheidungen der Behörden. Das Bundesverfassungsgericht negiert einen Beurteilungsspielraum der Verwaltung 1005 und ermöglicht damit den Gerichten und sich selbst die Einzelfallentscheidungen. Adäquat besetzte Behörden könnten das gleiche Vertrauen in die verfassungsgerechte Verwaltungspraxis erwarten wie das Bundesverfassungsgericht selbst. Einzelfallentscheidungen müssen in der Republik Sache der Behörden und Fachgerichte bleiben. Das Bundesverfassungsgericht überfordert sich selbst, wenn es Kriterien wie die Werkgerechtigkeit praktizieren will; denn derartige Kriterien lassen sich für alle Grundrechte entwickeln. Nicht allein das Bundesverfassungsgericht ist Hüter der Verfassung. Vielmehr sind das alle Vertreter des Volkes, abgesehen von den Bürgern. Die Werkgerechtigkeit ist ein geeignetes Tatbestandsmerkmal eines Kunstfreiheitsgesetzes. Dieses Kriterium wäre von der Verwaltung und von den Fachgerichten zu praktizieren. Wenn und weil die

1001 Dazu 9. Teil, ff., 900, 901 ff. 1002 BVerfGE 83, 1003 BVerfGE 83, 1004 BVerfGE 83, 1005 BVerfGE 83,

10. Kap., S. 1027 ff.; auch 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff., insb. 880 ff., 895 130 (149 ff.). 130 (150). 130 (152 f.). 130 (155).

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie1013

Grundrechtsverwirklichung ohne die Ausübung der Gesetzesfunktion, sei es durch den Gesetzgeber oder sei es durch den Richter, nicht möglich ist, muß die republikanische Funktionenteilung dem Gesetzgeber die Gesetzgebung ermöglichen. Vorbehaltlose Grundrechte schließen sachgerechte Gesetzgebung nicht aus. Die Einzelfalldogmatik des Bundesverfassungsgerichts ignoriert das Normverwerfungsmonopol nach Art. 100 Abs. 1 GG ebenso wie die Unterwerfung der Gesetzesrichter unter das Gesetz durch Art. 97 Abs. 1 GG. Die Verfassungsrechtsprechung hat auf verfassungsgerechte Gesetze hinzuwirken, nicht aber Einzelfälle unabhängig von Gesetzen zu entscheiden. Die Verfassung wird nicht schon dadurch erfüllt, daß die Gerichte versuchen, die Leitentscheidungen zu beachten. Weil die Leitentscheidungen nur Orientierungsfunktion haben, können sie ohne gesetzliche Materialisierung die Praxis nicht bestimmen. Die Leitentscheidungen sind schlechterdings des unmittelbaren Vollzuges nicht fähig 1006 . Um der Freiheit willen muß die Materialisierung der Leitentscheidungen den Primat der Gesetzgebung respektieren. Das akzeptiert an sich auch das Bundesverfassungsgericht: "Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen (...). Wie weit der Gesetzgeber die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien selbst bestimmen muß, richtet sich maßgeblich nach dessen Grundrechtsbezug. Eine Pflicht dazu besteht, wenn miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinander treffen und deren jeweilige Grenzenfließend und schwer auszumachen sind. Das gilt vor allem dann, wenn die betroffenen Grundrechte nach dem Wortlaut der Verfassung vorbehaltlos gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen Lebensbereich ordnen will, damit notwendiger Weise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muß. Hier ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Schranken der widerstreitenden Freiheitsgarantien jedenfalls so weit selbst zu bestimmen, wie sie für die Ausübung dieser Freiheitsrechte wesentlich sind (...)." - BVerfGE 83, 130 (142) 1007

1006 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 848 ff. (programmatischer Charakter der grundrechtlichen Leitentscheidungen).

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Die richtige Erkenntnis, daß der Gesetzgeber den Lebensbereich grundrechtsgeleitet ordnen müsse, desavouiert das Bundesverfassungsgericht durch seine Kontrolle der Werkgerechtigkeit im Einzelfall selbst; denn die Gesetzlichkeit der Verwaltungsentscheidungen haben die Fachgerichte zu verantworten. Der republikanische Mangel wird auch nicht dadurch behoben, daß die verfassungsunmittelbare Erkenntnis der Einzelfallgerechtigkeit den Fachgerichten übertragen wird. Die Republik läßt prinzipiell die Verfassungsverwirklichung, die den demokratisch legitimierten Gesetzgeber ausschaltet, nicht zu. Die Grundrechte sind weder Ermächtigungsgrundlagen für eine unmittelbare Rechtsetzung noch für eine unmittelbare Verwaltung der Gesetzesrichter. Die Gerichte sind vielmehr als Verfassungsgerichte auf die funktional gesetzgebende Kontrolle des Gesetzgebers beschränkt, wie vor allem Art. 100 Abs. 1 GG beweist1008. Als Fachgerichte sind sie durch Art. 97 Abs. 1 GG an die Gesetze gebunden, welche einen unmittelbaren Verfassungsvollzug jedenfalls insoweit auszuschließen haben, als es um die Verwirklichung der objektiven Dimension der Grundrechte geht. Die Fragwürdigkeit einer Dogmatik der Einzelfallgerechtigkeit hat das Bundesverfassungsgericht 1984 im Zusammenhang mit Äußerungen zum sogenannten Richterrecht selbst formuliert: "Das, was das Gesetz offen läßt, ist durch Richterrecht auszufüllen. Diese Aufgabe ist nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer unvermittelten einzelfallbezogenen Güter- und Interessensabwägung. Eine solche mag zwar im besonderen Maße Einzelfallgerechtigkeit verwirklichen. Sie kann aber die Rechtsfindung nicht normativ leiten, wie es die Aufgabe der Gesetze und des ergänzenden Richterrechts ist; ebensowenig vermag sie dem rechtsstaatlichen Gebot der Berechenbarkeit des Rechts, der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit gerecht zu werden." - BVerfGE 66, 116 (138)

1007

Die Notwendigkeit der "Ausgestaltung (sc. der Rechtsverhältnisse) durch die Rechtsordnung" hat das Bundesverfassungsgericht auch für das vorbehaltlose Grundrecht der Koalitionsfreiheit anerkannt, BVerfGE 84, 212 (228). 1008 Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 2. Kap., S. 900, 901 ff.

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie

1015

III. Die Offenheit des Kunstbegriffs und die Gesetzlichkeit der Freiheit der besonders schützenswerten Kunst 1. Die Tatbestandsmerkmale des Grundrechts der Freiheit der Kunst, nämlich "Kunst" und "frei", verbunden durch den Indikativ "sind", der als "ist" zu lesen ist, lassen sich nicht trennen. Der Rechtssatz ist, daß die Kunst frei sei. Freiheit jedoch ist Handeln, welches anderen nicht schadet, Handeln also, dessen Maximen autonom, nämlich durch Gesetz, bestimmt sind 1009 . Das Recht kann nur das Handeln von Menschen bestimmen. Auch das Handeln von Künstlern wirkt auf andere Menschen ein. Kunst ist wesentlich Kommunikation1010. Sonst bedürfte es des grundrechtlichen Rechtssatzes in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nicht. Folglich ist jeder Versuch, die Kunst, die nicht durch Gesetz geregelt werden dürfe, als solche zu definieren, vergeblich. Alles künstlerische oder kunstbezogene Handeln kann Konflikte mit anderen Menschen mit sich bringen. Diese müssen durch Gesetze befriedet werden. Die Befriedung von Streit bezwecken auch die Einzelfallentscheidungen. Wenn etwa der Künstler fremde Sachen für sein Kunstwerk nutzt, muß der Streit zwischen der Freiheit der Kunst und der Garantie des Eigentums anderer gelöst werden. Im Falle des Sprayers von Zürich hat die Rechtsprechung den Konflikt zwischen Kunst und fremdem Eigentum zugunsten des Eigentümers entschieden1011. § 950 BGB hat den gleichen Konflikt zugunsten des Künstlers gelöst, dem sein Kunstwerk, wenn dessen Wert nicht erheblich geringer ist als der Wert des be- oder verarbeiteten Stoffes, das Eigentum an den vormals fremden beweglichen Sachen verschafft, freilich nur zu Lasten eines nach bereicherungsrechtlichen Regelungen zu bestimmenden finanziellen Ausgleichs (§ 951 BGB) 1012 . Wenn man bedenkt, daß die Eigentumsordnung Sache des Gesetzgebers ist, der sich an der Leitentscheidung für das Eigentum zu orientieren hat 1013 , so kann die Kunstfreiheit nicht anders dogmatisiert werden, als durch ebenfalls an der Leitentscheidung für die Kunst orientierte Gesetzlichkeit. "Praktische Konkordanz" (.Konrad Hesse) 1014 der Eigentumsgarantie und der Kunstfreiheitsgarantie kann nur das Gesetz schaffen 1015. 1009

Dazu 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; weitere Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819. 1010 So auch BVerfGE 81, 278 (289); dazu E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 858; W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 130. 1011 BVerfG NJW 1984, 1293 ff.; kritisch zu der der Kunstfreiheitsgarantie vermeintlich immanenten Grenze der "bürgerlich-rechtlichen Eigentumsordnung einschließlich ihrer strafrechtlichen Absicherung" E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 871 ff. 1012 So auch v. Mangoldt/Klein/StarcK GG, Rdn. 213 zu Art. 5 Abs. 3, S. 606 f. 1013 Dazu S. 1023 ff. 1014 Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 317 ff., S. 127 ff.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

"Die Kunst ist frei" heißt, wenn das Wort frei als Autonomie des Willens begriffen wird, gerade nicht, daß der Bereich der Kunst gesetzlichen Regelungen nicht zugänglich sei. Freiheitliche Privatheit 1016 kann das Wort "frei" nicht ausschließlich meinen, weil das den Kunstbereich der Rechtsordnung gänzlich entziehen würde. Allderdings sollen die Gesetze dem Künstler und ihren Helfern bestmögliche Privatheit einräumen. Die Gesetze dürfen den Wesensgehalt des Grundrechts der Kunstfreiheit nicht antasten (Art. 19 Abs. 2 GG). Der Wesensgehaltsschutz gilt auch für die vorbehaltlosen Grundrechte, weil und insoweit diese gesetzlicher Regelung zugänglich sind 1017 . Den Wesensgehalt auch dieses Grundrechts soll die Verfassungsrechtsprechung hüten. In der Praxis verfährt das Bundesverfassungsgericht so, wenn es, die verschiedenen grundrechtlichen Werte abwägend, einem Künstler oder all denen, die im Kunstwesen mitwirken, Handlungsmaximen als Kunstfreiheit zumißt 1018 , wobei es trotz seiner Dogmatik der Vorbehaltlosigkeit dieses Grundrechts 1019 zu Recht den Wesensgehaltsschutz dogmatisiert 1020. Das Gericht versucht, die Kunst als solche zu erfassen und zu schützen: "Sinn und Aufgabe des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist es vor allem, die auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst beruhenden, von ästhetischen Rücksichten bestimmten Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen von jeglicher Ingerenz öffentlicher Gewalt freizuhalten. ... Die Kunst ist in ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit durch 1015

So in der Sache auch BVerfGE 83, 130 (142 ff.). Zum Begriff der Privatheit 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff. 1017 So etwa BVerfGE 84, 212 (228) für die Koalitionsfreiheit; dazu L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts der Grundrechte nach Art. 19 Abs. 2 GG, S. 73 f.; dazu weitere Hinweise in Fn. 49, 9. Teil, 1. Kap., S. 829. ιοί» V g l BVerfGE 30, 173 (191, 193 ff.); 36, 321 (331); 81, 278 (289 ff.); 83, 130 (142 ff.); dazu E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 848 f., 861 f., 870 ff., der für eine "Verfassungsgüterabwägung" plädiert (S. 873). 1016

1019

Dazu BVerfGE 30, 173 (193 ff.); 81, 278 (292 f.); 83, 130 (139); vgl. schon BVerfGE 28, 243 (260 f.) zur Kriegsdienstverweigerung; weitere Hinweise in Fn. 228, 6. Teil, 7. Kap., S. 490; zu den Schranken der Kunstfreiheit E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 870 ff.; vgl. auch F. Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmati; ders., Die Positivität der Grundrechte, S. 113 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 185 f., 206 ff. zu Art. 5 Abs. 3, S. 595 f., 603 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 8, 25 zu Art. 5 Abs. III; vgl. auch J. Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, 1980, zur Problematik der subjektivistischen Auslegung der Grundrechtsbegriffe. 1020 p ü r Wesensgehalts schütz bei Einschränkung vorbehaltloser Grundrechte BVerwGE 47, 300 (357); für die richterliche Einschränkung der Koalitionsfreiheit durch die Begrenzung des Rechts zur Aussperrung BVerfGE 84, 212 (228), wo das "Richterrecht" wesensgehaltsrechtlich den Gesetzen gleichgestellt wird; anders noch BVerfGE 13, 97 (122); dazu weitere Hinweise in Fn. 49, 9. Teil, 1. Kap., S. 829.

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie

1017

Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos gewährleistet." - BVerfGE 30, 173 (190 f.) 1021 Daß dahingehende Definitionsversuche scheitern müssen und bisher gescheitert sind 1022 , erweist das Beispiel von Verbrechen, die um der Ästhetik willen verübt werden. Auch die Kunst der Sprayer gewinnt dadurch ihre künstlerische Eigenart und ihren künstlerischen Wert, daß sie fremde Gebäudewände benutzt, also durch Sachbeschädigung, die durch § 303 StGB unter Strafe gestellt ist 1023 . Das Bundesverfassungsgericht ist in der jüngeren Rechtsprechung der Lehre vom offenen Kunstbegriff gefolgt 1024 . Die Darstellung einer verunglimpfenden Handlung in einer Karikatur kann von der Strafbarkeit wegen Verunglimpfung der Bundesflagge nach § 90 a Abs. 1 Ziff. 2 StGB ausgenommen sein, wenn und weil die Karikatur ein diese Strafbarkeit verbietendes Kunstwerk ist 1025 . Das ist jedoch eine Frage der Eigenart des Kunstwerkes und der "werkgerechten Interpretation", aber auch eine Frage der Wirkungen beim "Publikum" und derer in der "Kritik und Wissenschaft", also doch eine Frage staatlicher Bewertung des Kunstwerkes 1026. Die Einzelfälle hätten jeweils auch umgekehrt entschieden werden können, ohne daß die Freiheit der Kunst verletzt worden wäre. Die Rechtsunsicherheit ist der Preis der Abwägung im Einzelfall 1027 . Keinesfalls sollte der Begriff der Kunst restriktiv interpretiert werden, um

1021

I.d.S. auch BVerfGE 75, 369 (377); 81, 278 (291); 83, 130 (145 ff.). Vgl. zum Problem E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 848 ff., der auf Kants "ästhetischen Subjektivismus" (Kritik der ästhetischen Urteilskraft, § 17, S. 313 ff.) hinweist, Kants Erkenntnis, daß ein "Prinzip des Geschmaks, welches das allgemeine Kriterium des Schönen durch bestimmte Begriffe angäbe, zu suchen, eine fruchtlose Bemühung" sei (a.a.O., S. 313), aber nicht nutzt; dazu richtig W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 129 ff., zum offenen Kunstbegriff; die Notwendigkeit einer Definition der Kunst stellen heraus R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 25 zu Art. 5 Abs. III; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 185 f., S. 596, fragwürdig, weil die Kunst unterschiedlich in Erscheinung tritt und unterschiedlich schützenswert ist, so daß differenzierte Tatbestände vom Gesetzgeber erwartet werden müssen. 1023 Vgl. i.d.S. A. Enderlein, Der Begriff der Freiheit, S. 312 f. 1024 Vgl. BVerfGE 75, 369 (377); 81, 278 (291); 83, 130 (138 f.); vgl. auch schon BVerfGE 67, 213 (226 f.); vgl. i.d.S. J. Würkner, NVwZ 1992, 4; auch M.-E Geis, NVwZ 1992, 26; die "Un-brauchbarkeit materialer Interpretationsansätze" des Kunstbegriffs zeigt W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 132 ff., der dem einen "formalen Kunstbegriff ' entgegensetzt, S. 136 ff. 1022

1025 BVerfGE 81, 278 (293 ff.); vgl. auch BVerfGE 81, 298 (304 ff.) zur Verunglimpfung der Nationalhymne. 1026 BVerfGE 83, 130 (139, 147 ff.). 1027 I.d.S. auch M.-E. Geis, NVwZ 1992, 27.

1018

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

die Kunstfreiheit einzuengen1028. Dementsprechend ist entgegen der früher herrschenden Exklusivitätstheorie, welche meinte, Pornographie und Kunstwerke unterscheiden zu können, jetzt auch vom Bundesverfassungsgericht in Distanz zu den Zweifeln in BVerfGE 30, 336 (350) anerkannt, daß Pornographie einem Roman nicht die Kunsteigenschaft nimmt (BVerfGE 83, 130 (138 f.)) 1029 . Zum Wesen der Kunstfreiheit gehört das schöpferische Element der Kunst 1030 . Zu Recht definiert das Urheberrecht das "Werk" als "persönliche, geistige Schöpfung" (§ 2 Abs. 2 UrhG) 1031 . Ob ein Kunstwerk Gegenstand einer Handlung ist, so daß der subjektive Schutz des Grundrechts des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eingreift, ist, notfalls mit Hilfe von Sachverständigen, festzustellen 1032. Solange Rechtsfolgen von dem Tatbestandsmerkmal Kunst abhängig gemacht werden, kommt nur eine wie auch immer geartete Drittanerkennung des Werkes als Kunstwerk in Betracht. Eine Dogmatik der Selbstanerkennung ist mit dem Prinzip der Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens unvereinbar und reklamiert der Sache nach die Eliminierung des Kunstbegriffs aus der Rechtsordnung1033. Kunst muß begrifflich erfasst werden, wenn es vom Gesetzgeber als Tatbestandsmerkmal benutzt wird. Damit delegiert der Gesetzgeber die Entscheidung über das, was Kunst ist, auf die Verwaltung und die Rechtsprechung und entzieht sich seiner politischen Aufgabe.

1028

So auch E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 854, im Interesse intersubjektiver Akzeptanz; i.d.S. auch W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 129 ff.; J. Würkner, NVwZ 1992, 3 ff.; i.d.S. jetzt auch BVerfGE 77, 369 (377); 81, 278 (291); 83, 130 (139). 1029 So BGH NJW 1990, 3026 f.; vgl. i.d.S. M.-E. Geis, NVwZ 1992, 26; J. Würkner, NVwZ 1992, 3; zur früheren Rechtsprechung etwa BGHSt 23, 40 (41 ff.). 1030 BVerfGE 67, 213 (226); 83, 130 (138); E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 848 ff., 855 ff. 1031 Dazu G. Bornmüller, Rechtsschutz für DV-Programme. Die immaterialgüterrechtliche Zuordnung der Programme für elektronische Datenverarbeitungsanlagen, 1986, S. 91 ff., insb. S. 96 ff. 1032 Zur Kompetenz der Sachverständigen zurückhaltend E. Denninger, HStR, Bd. VI, S. 853 f., 855, der auch das "Selbstverständnis des betroffenen Künstlers" zu berücksichtigen rät; zurückhaltend auch v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 186, S. 597; i.d.S. auch J. Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 59; dazu W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 135 ff., der einen "gestuften Konkretisierungsprozeß unter Einbeziehung privaten Grundrechtsverständnisses" vorschlägt und als Kriterium die "Kommunikabilität des künstlerischen Selbstverständnisses" aufstellt. 1033 Richtig E. Denninger, HStR, S. 848 f.; vgl. auch F. Müller, Die Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, S. 38; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 8, 25 zu Art. 5 Abs. III; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 185 zu Art. 5 Abs. 3; differenzierend W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 215, 218 f.

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie1019

Der Kunstbegriff des Grundgesetzes aber ist, wie die Grundrechtsbegriffe meist, variabel und dynamisch, nämlich material offen 1034 . Er ist nicht eindeutig mit dem Anspruch auf dauerhafte Richtigkeit definierbar. Vielmehr ist es vom Zeitgeist abhängig, was als Kunst anerkannt wird, nämlich von der Kunstwelt, von den Kunstrichtern, ja von dem ganzen kunstinteressierten Volk. Ein religiös gestimmtes Volk hat legitim einen anderen Kunstbegriff als ein profanisiertes Volk. Gegenwärtig läßt der Zeitgeist einen Begriff von Kunst nicht zu. Das mag man als Schwäche oder als Stärke empfinden. Es ist letztlich Sache des Volkes, unter welchen Gesetzen es lebt. Ein Kunstbegriff ist wegen der Rechtsfolgen ein Gesetz. Wenn das Volk die aufklärerische Verfassung nicht lebt, vermag das Wort "Kunst" im Verfassungstext wenig zu bewirken. Wirksam ist, was die Richter erkennen, d.h. meinen; denn die öffentliche Meinung und die der Richter sind interdependent1035. Ein Richtigkeit beanspruchender Kunstbegriff ist Illusion, weil Kunst ein Wert ist. Darum kann sich in einer Zeit der Wertverlorenheit nur der negative Kunstbegriff behaupten, der schließlich auch Pornographie als Kunst einstuft, irgendwann (hoffentlich nicht) Horrorfilme. Zum gemeinsamen Leben gehört der ständige Diskurs um den Kunstbegriff, der aber auch Konsens erlaubt. Keinesfalls rechtfertigt die Kunstfreiheitsgarantie die Legalität von Horrorfilmen. Es kommt auf die richtigen Gesetze an, welche der Leitentscheidung für die Kunst gerecht werden. Kunstwerke können also in der gegenwärtigen Praxis auch Pornographien sein, wenn der pornographische Charakter eines Werkes diesem die Kunsteigenschaft nicht nimmt 1036 . Folglich muß der Gesetzgeber entscheiden, inwieweit er sonst verbotene Pornographie erlauben will, wenn sie als Kunstwerk dargeboten wird 1037 . Auch das Bundesverfassungsgericht macht die Indizierung eines Kunstwerkes, im Entscheidungsfall "Josefine Mutzenbacher - Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt", von der Art und der Wirkung des Werkes abhängig1038. Der Sache nach billigt das Gericht einem Werk einen größereren Freiheitsschutz zu, wenn es eine größere Wertschätzung als Kunst verdient oder auch nur findet. Das führt zu der Formel: Je mehr Kunst im Werk, desto mehr Werkschutz. Diese Formel ist politisch akzeptabel, beweist aber,

1034 1035 1036 1037 1038

Dazu 9. Teil, 1. u. 11. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 847 ff., auch 1033 ff. Dazu 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. Vgl. die Hinweise in und zu Fn. 1029. Dazu BverfGE 83, 130 (138 ff.). BVerfGE 83, 130 (146 ff.).

1020

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

daß zwar die Kunsteigenschaft unabhängig von "einer staatlichen Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle oder von einer Beurteilung der Wirkung des Kunstwerks" anerkannt werden kann, nicht aber die staatliche Kunstpolitik unabhängig von diesen Aspekten ist 1039 . Das folgt auch aus der Dogmatik der Werkgerechtigkeit 1040. Die Differenzierung sollte der Gesetzgeber vornehmen. Nicht alle Kunstwerke haben denselben Wert und sind darum auch nicht in gleicher Weise schützenswert. Die Öffnung des Kunstbegriffs rechtfertigt es, die Rechtsfolgen nach Kriterien zu differenzieren, die die Kunsteigenschaft eines Werkes nicht in Frage stellen. Ein undifferenzierter Kunstbegriff rechtfertigt nicht schon die Gleichbehandlung aller Kunstwerke. Ein Kunstbegriff, der die Gleichbehandlung aller Kunstwerke zumutbar macht, hat sich nicht finden lassen. Noch ist niemand in der Lage, dem Gesetzgeber akzeptable Vorschläge für einen die Kunstwerke differenzierende Politik zu unterbreiten, wie gesagt, eine Frage des Zeitgeistes. Dieses Dilemma dürfte der eigentliche Grund für die werkorientierte Einzelfalldogmatik des Bundesverfassungsgerichts sein. Die Einzelfallentscheidungen finden keine Legitimation in tragfähigen Differenzierungen des Gesetzes, sondern in der Autorität des hohen Gerichts. Republikanischen Charakter hat eine solche Rechtsprechung nicht. Ein Kulturstaat, der jede Kunst gleichheitlich schützt und fördert, scheint nicht möglich. Um der Kunstfreiheit willen sollte dem künstlerischen Wirken jedenfalls nur Vorschriften gemacht werden, wenn anderen die Störung durch dieses Wirken hinzunehmen nicht zugemutet werden sollte. Das ist, weil ein Kunstwerk unterschiedlich intensiv stören, etwa die Persönlichkeit eines Menschen mehr oder weniger verletzen, kann, durchaus eine Frage des Einzelfalles. Die Entscheidungskriterien sollte in der Republik der Gesetzgeber geben und die Entscheidungen sollte die Verwaltung treffen. Der Rechtsschutz ist Sache der Fachgerichte. Die Überprüfung der Gesetze ist Sache der Verfassungsrechtsprechung anhand der grundgesetzlichen Entscheidung für die Kunstfreiheit; denn Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bietet nur eine Orientierung, nicht aber einen bestimmenden Maßstab für eine der Kunstfreiheit gemäße Gesetzgebung1041.

1039 1040 1041

Vgl. die Hinweise in Fn. 1024, insb. BVerfGE 83, 130 (139). Vgl. die Hinweise in Fn. 993, S. 1009. Dazu A. Enderlein, Der Begriff der Freiheit, S. 248 ff.

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie

1021

Der staatliche Wissenschaftsbetrieb leistet die Differenzierung haushaltstechnisch. Er finanziert die Wissenschaft in den Grenzen seiner haushaltlichen Möglichkeiten und diskriminiert damit die Wissenschaft, die er nicht fördert, ohne die Offenheit des Wissenschaftsbegriffs antasten zu müssen. 2. Die Lehre von den den vorbehaltlosen Grundrechten immanenten Schranken allgemeiner Gesetze erfaßt diese Notwendigkeit der Gesetzgebung, die zudem mit dem Tatbestandsmerkmal "frei" akzeptiert ist, weil auch der Künstler als Mensch unter Menschen handelt und seine Handlungen soweit der gesetzlichen Regelung fähig und bedürftig sind, als sie anderen Menschen schaden können1042. Der Begriff "frei" in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG fügt sich in diesem Verständnis in das formale Freiheitsprinzip des Grundgesetzes1043 ein. Freiheit wird durch Gesetze verwirklicht 1044 . An dieser Gesetzgebung ist in der Republik auch der Künstler kraft seiner bürgerlichen Willensautonomie beteiligt. Auch der Künstler wird durch die Vertreter des ganzen Volkes vertreten. Sein Künstlertum darf nicht unberücksichtigt bleiben, wenn die Gesetze allgemein sein, also durch ihre Richtigkeit Recht schaffen sollen. Dennoch gibt das Grundgesetz der Kunst im freiheitlichen Gemeinwesen einen besonderen Rang unter den vielen Tätigkeiten der Menschen, anders als etwa dem Unternehmen. Das Grundgesetz statutiert keine Unternehmensfreiheit 1045 , aber eine Kunstfreiheit. Das fördert die Kunst und damit den 1042 I.d.S. M. Kriele, Vorbehaltlose Grundrechte und die Rechte anderer, in: ders., Recht Vernunft - Wirklichkeit, 1990, S. 604 ff.; ähnlich P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 31 ff.; W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 257 ff.; kritisch zu dieser Lehre E. Denninger HStR, Bd. VI, S. 872 f. 1043 Dazu 5. Teil, 4. Kap., S. 356 ff.; 6. Teil, 1. u. 8. Kap., S. 441 ff., 494 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; weitere Hinweise in Fn. 546, 9. Teil, 3. Kap., S. 923; A. Enderlein, Der Begriff der Freiheit, S. 244 ff., für die Kunstfreiheit. 1044 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; weitere Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819. 1045 BVerfGE 21, 261 (266); 22, 380 (383); 30, 292 (312); 50, 290 (366); 65, 196 (209 f.); 74, 129 (148 f.) hat sich für eine Gewerbefreiheit juristischer Personen ausgesprochen, "soweit die Erwerbstätigkeit ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeführt werden" könne, gestützt auf Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 3 GG, aber nicht explizit für eine Gewerbefreiheit; es hat vielmehr gewerbliche Tätigkeit auf Grund des weiten Berufsbegriffs als Beruf eingestuft (BVerfGE 7, 377 (397 f.); vgl. auch BVerfG 3. Kammer des Ersten Senats NJW 1993, 1969 ff. vom BVerwGE 71, 183 (189); 87, 37 (39) und in der Lehre wird jedoch Art. 12 Abs. 1 GG auch mehr oder weniger als Grundrecht der Gewerbefreiheit begriffen, etwa E. -J. Mestmäcker, Zur gesellschaftsrechtlich organisierten Berufsfreiheit, FS H. Westermann, 1974, S. 411 ff.; R. Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 36, auch S. 70 ff., der sich auf BVerfGE 14, 263 (281 ff.) stützt, obwohl dort die Unternehmensfreiheit des Konzerns aus einfachem Gesetz hergeleitet

1022

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Künstler (u.a.), ohne daß das Grundgesetz den Tatbestand der Kunstfreiheit schon auf gesetzesrichterliche Einzelfallentscheidungen hin definiert hätte. Die sachgerechte Abwägung unter den gesetzesleitenden Maximen zu bestimmen ist wegen der Offenheit der materialen Begriffe zunächst Sache der Gesetzgebung. Das Bundesverfassungsgericht läßt nur Einschränkungen der vorbehaltlosen Grundrechte zu, die der Verwirklichung von Verfassungsschutzgütern dienen1046. Das ist angesichts der Offenheit der grundrechtlichen Leitentscheidugen und der Wirkungsbreite derselben wenig bedeutsam, zumal wenn Art. 2 Abs. 1 GG als materiale Handlungsfreiheit dogmatisiert und als Verfassungsschutzgut eingebracht wird 1047 . Etwa auch die Eigentumsgarantie ermöglicht weitgehende Einschränkungen der Kunstfreiheit, wie der Fall des Sprayers von Zürich zeigt 1048 . Die Kunst soll sich im Gemeinwesen des Grundgesetzes bevorzugt entfalten können, aber nur, soweit das angesichts der sonstigen, vor allem der verfassungsgeschützten, Belange des Gemeinwesens der Gesetzgeber in Vertretung des ganzen Volkes für tragfähig hält. Ob der Gesetzgeber die Kunst hinreichend fördert, entscheidet im ordentlichen Verfahren letztlich das Bundesverfassungsgericht. Die Hüter der Verfassung sind auch Hüter der Freiheit der Kunst. Wenn freilich die Kunstfreiheit ohne gesetzlich bestimmte Kriterien abwägend im Einzelfall von der Verwaltung und den Gerichten neben den anderen grundgesetzlichen Werten beachtet werden soll, wie es das Bun-

wurde und der Hinweis auf Art. 2 Abs. 1 GG unspezifisch bleibt; H.-J. Papier, Unternehmen und Unternehmer in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, VVDStRL 35 (1977), S. 56 ff, 87 ff., 99 ff.; ders., Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, HVerfR, 1983, S. 626 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 34, 98 ff. zu Art 12; H. Lecheler, Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, VVDStRL 43 (1985), S. 55; auch H.-P. Schneider, daselbst zum nämlichen Thema, S. 25 f. (zurückhaltend); R. Breuer, Freiheit des Berufs, HStR, Bd. VI, S. 896 f.. Die Unabhängigkeit der Unternehmen dankt ihre Anerkennung und Förderung der Effizienz unternehmerischer Unabhängigkeit für den allgemeinen Wohlstand. Einen Grundrechtsschutz bietet Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Freiheit, die die repräsentativen Gesetzgeber zur praktischen Vernunft verpflichtet, insbesondere in sachgerechter Weise den Unternehmern private Verträge zu ermöglichen (dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 386 ff., 394 ff., 405 ff.). 1046 BVerfGE 28, 243 (260 ff.); 30, 173 (193); 57, 70 (98 f.); 81, 278 (292); 83, 130 (139 ff.); BVerfGE 84, 212 (228), für die Koalitionsfreiheit (auch "Grundrechte Dritter"); zur Literatur vgl. die Hinweise in Fn. 1042. 1047

So auch Μ. Kriele, Vorbehaltlose Grundrechte und Rechte andere, S. 604 ff., 608; A. Enderlein, Der Begriff der Freiheit, S. 310 f. 1M8 BVerfGE NJW 1984, 1293 ff.

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie

1023

desVerfassungsgericht (noch immer) fordert 1049 , so ist der Versuch der

Ordnung des Gemeinwesens durch Gesetze und damit der Versuch der bürgerlichen Verwirklichung der Feiheit aufgegeben. Der Gesetzgebungsstaat ist in einen Verwaltungs- und vor allem Richterstaat verwandelt. Die Republik ist gescheitert. Der Gesetzgeber kann um der Bestimmtheit der Gesetze willen nicht die Entscheidung der Einzelfälle auf die Verwaltung und die Gerichte delegieren, ohne materiale Tatbestandsmerkmale zu formulieren. Offene Begriffe, die einzelfallgerechte Wertung ermöglichen, desavouieren das rechtsstaatliche Bestimmtheitsprinzip nicht 1050 . Zur Einzelfallentscheidung des Bundesverfassungsgerichts darf es aber rechtens nicht kommen. Sie erweist lediglich das Defizit an Gesetzlichkeit1051. IV.

Die Offenheit des in objektiver Dimension garantierten Eigentums und dessen Subjektivierung durch Rechte der Privatheit Der Wesensgehalt der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG läßt sich nicht aus dem Begriff des Eigentums gewinnen, dessen Inhalt nach S. 2 dieser Vorschrift vom Gesetzgeber bestimmt werden soll. Weitgehend ist darum das Eigentum eine "Schöpfung der Rechtsordnung" 1052. "Für demokratische Sozialisten liegt die eigentliche Eigentumsordnung im allgemeinen Wahlrecht." - Walter Leisner 1053 Dieser Satz Leisners zeigt die äußerste Offenheit des Eigentumsbegriffs der Verfassung. Das Grundgesetz überantwortet es im ordentlichen Verfahren letztlich dem Bundesverfassungsgericht, die Idee des Eigentums, den "Wert"

1049

BVerfGE 30, 173 (191 ff., 197 ff.); 44, 37 (49 f.); 67, 213 (228); 83, 130 (138 ff., 143

ff.). 1050 Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 868 ff., 890 ff.; auch 5. Teil, 5. Kap., S. 386 ff.; weitere Hinweise in Fn. 164, 9. Teil, 1. Kap., S. 850. 1051 Für einen begrenzten Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts hat sich noch BVerfGE 30, 173 (197) ausgesprochen, nämlich für den, daß die Spannungslage von Grundrechten und das Abwägungsprinzip verkannt seien und daß "grundsätzlich unrichtige Anschauungen von der Bedeutung des einen oder anderen Grundrechts, insbesondere vom Umfang ihrer Schutzbereiche", für die kontrollierte Entscheidung maßgeblich seien. 1052 So i.d.S. BVerfGE 58, 300 (335 ff., 338 f.); vgl. W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1044 ff., der diesem Begriff kritisch gegenübersteht; der Sache nach ablehnend H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 37 ff., 254 ff. zu Art. 14; O. Kimminich, Bonner Komm., GG, Rdn. 159 ff., 165 ff. zu Art. 14; ablehnend auch R. Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, 1985, S. 62 f.; noch weiter geht D. Ehlers, Eigentumsschutz, Sozialbindung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt, VVDStRL 51 (1992), S. 214 ("Schutzobjekte der Eigentumsgarantie können nur die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeräumten Rechtspositionen sein."), auch S. 217. 1053 HStR, Bd. VI, S. 1045.

1024

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Eigentum1054 gegen den Gesetzgeber zu verteidigen, was immer der Gesetzgeber beschließen mag 1055 . Die Verfassung hat Eigentum zu einer Grundlage des Gemeinwesens erklärt, ohne mit dem Wort Eigentum angesichts der Geschichte des Begriffs Eigentum1056 definieren zu können, was Eigentum unter dem Grundgesetz sei. Walter Leisner hat Orientierungen eines verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs mit den Elementen "Leistung - Sicherung - Vertrauen" angeboten1057. Dennoch bleibt offen, welche Rechtsverhältnisse den Namen Eigentum verdienen, insbesondere aber, welche "Kern des Eigentums", "Inbegriff des Eigentums", "grundlegender Gehalt der Eigentumsgarantie" seien oder wie sonst das Bundesverfassungsgericht anspricht, was Eigentum bleiben müsse1058. Mit dem Begriff Eigentum delegiert das Grundgesetz mittels der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG 1 0 5 9 die Entscheidung über die den legislativen Gesetzgeber bindende Eigentumsverfassung des Grundgesetzes wesentlich dem Bundesverfassungsgericht, diesem in besonderer Weise der Politik und damit richtiger Gesetzgebung verpflichteten Gericht. Das Bundesverfassungsgericht vertritt das Volk bei der Erkenntnis dessen, ob die Gesetze der Legislative angesichts der Entscheidung des Grundgesetzes für das Eigentum dem politischen Grundkonsens des Gemeinwesens entsprechen, der in der jeweiligen Erkenntnis erst zu einer materialen Bestimmtheit geführt wird, welche eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes ermöglicht. Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG ist ein varibaler und dynamischer Verfassungsbegriff. Peter Badura spricht von

1054 Vgl. BVerfGE 14, 263 (278); 18, 121 (132); auch BVerfGE 37, 132 (140); 58, 300 (382); 62, 169 (183), das u.a. von der "grundlegenden Wertentscheidung zu Nutzen des Privateigentums", von der "Wertentscheidung von besonderer Bedeutung" spricht; dazu W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1032 ff.; vgl. auch D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 216 ("Leitprinzip auf die Gewährleistung der Freiheit (?) im vermögensrechtlichen Sinne"). 1055

Dazu O. Kimminich, Bonner Komm., GG, Rdn. 23, 147 zu Art. 14. Dazu W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1034 ff.; D. Schwab, Eigentum, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, 1979, S. 65 ff. 1056

1057

HStR, Bd. VI, S. 1055 ff. Vgl. etwa BVerfGE 21, 73 (79 f., 82 f.); 42, 263 (295); 45, 142 (173); 45, 272 (296); 50, 290 (341); 52, 1 (30); 56, 249 (260); dazu W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1031, der der Institutsgarantie nur sekundäre Relevanz beimißt, S. 1052 ff. zu dem verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 1059 Diese gilt auch für die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts, S. 57 ff., insb. S. 65 ff.; P. Badura, Eigentum, HVerfR, S. 658; H.J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 272 ff. zu Art. 14; wohl auch W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1048; vgl. auch BVerfGE 21, 92 (98); gegen den Wesensgehalt, aber für den Institutsschutz O. Kimminich, Bonner Komm., GG, Rdn. 147 zu Art. 14. 1058

9. Kap.: Freiheit von Kunst und Wissenschaft und Eigentumsgarantie

1025

"auffälliger Plastizität" des Eigentums1060. Gestern war grundrechtsgeschütztes Eigentum etwas anderes, als es heute ist oder morgen sein wird, aber die Idee Eigentum bleibt. Sie verlangt lagegemäße gesetzliche Verwirklichung 1061 . Diese muß die Privatheit 1062, die "Privatnützigkeit" und "Verfügungsbefugnis", bestmöglich fördern 1063; denn das Eigentum ist begrifflich ein Recht des Einzelnen, also ein Recht zur Privatheit als Recht zur Willkür. § 903 BGB zeigt das1064. Staatliches Eigentum ist ein Widerspruch in sich 1065 und genießt zu Recht keinen Grundrechtsschutz 1066. "Art. 14 als Grundrecht schützt nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater" (BVerfGE 61, 82 (108 f.)). Die gesetzliche Eigentumsordnung ist ein wesentlicher Teil der Politik, die das Gemeinwohl fördern muß 1067 . Zu den orientierenden Kriterien Leisners, die überzeugen, dürfen und müssen um des Friedens im Gemeinwesen willen weitere hinzukommen, insbesondere das Soziale der Hilfe für die Schwachen1068, die nicht leistungsabhängig sein können. Auch die Bürger, die sich nicht aus eigener

1060

HVerfR, S. 655. BVerfGE 52, 1 (29 ff.); Κ . Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 445, S. 172; P. Badura, HVerfR, S. 654 ff.; vgl. auch D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 216, der das aus der "Institutsgarantie" als "dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 14 Abs. 1 GG" herleitet, die er (zu Unrecht) nicht als Grundrecht des Einzelnen einstuft, obwohl jeder ein subjektives Recht auf vernünftige Eigentumsordnung hat (dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 390 ff.; 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff.); zur "Situationsgebundenheit" des Eigentums O. Kimminich, Bonner Komm., GG, Rdn. 168 ff. zu Art. 14. 1061

1062

Dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 386 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff., 224 ff.; 6. Teil, 2., 4. u. 5. Kap., S. 449 ff., 461 ff., 466 ff.; zum Vorrang privater Lebensbewältigung vgl. Hinweise in Fn. 220, 9. Teil, 2. Kap., S. 859. 1063

BVerfGE 24, 367 (389); 26, 215 (222); 31, 229 (240, 245); 37, 132 (140); 42, 263 (294); 50, 290 (339); 52, 1 (30); i.d.S. H.-J. Papier, VVDStRL 35 (1977), S. 79, 81 ff.; ders. in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 307 zu Art 14; P. Badura, HVerfR, S. 655, 661 f.; W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1055; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 442, 444, S. 177 f.; KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 277 ff. 1064 Vgl. dazu auch oben S. 1004 f.; vgl. auch 9. Teil, 1. Kap., S. 845 f. 1065 Dazu KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 277 ff.; W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1029. 1066 BVerfGE 45, 63 (80); 61, 82 (100 ff.) KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 277 ff.; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 192 ff. zu Art. 14.; W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1029. 1067 Dazu P. Badura, HVerfR, S. 659 f. 1068 I.d.S. auch BVerfGE 30, 292 (334 f.); 41, 126 (150); 42, 64 (76 f.); 46, 325 (334); 49, 240 (246); 50, 290 (340 f.); 51, 193 (218); P. Badura, HVerfR, S. 662; dagegen W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1026 f.; zur "Sozialgebundenheit" O. Kimminich, Bonner Komm., GG, Rdn. 159 ff., 172 ff. zu Art. 14; auch H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 254 ff. zu Art. 14; dagegen W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1026 f. 65 Schachtschneider

1026

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Kraft Eigentum schaffen können, haben Anspruch auf ein Eigentum; denn: "Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet" (Art. 14 Abs. 1 GG), nicht nur den beati possidentes, sondern allen als Grundlage eines menschenwürdigen Lebens in der Gemeinschaft, deren Lebensgrundlage u.a. Eigentum ist 1069 . Die Variabilität und Dynamik des Eigentumsbegriffs hat das Grundgesetz in den Grundrechtstext selbst aufgenommen. Die Praxis der Eigentumsordnung entspricht sowohl der materialen Idee des Eigentums als auch der Offenheit dieser Idee. Die Grundrechtsdogmatik, die Art. 14 Abs. 1 und 2 GG geradezu aufdrängt, paßt grundsätzlich zu allen Grundrechten, die eben politische Leitentscheidungen sind, die von den Gesetzgebern und den Verfassungsgerichten in praktischer Vernunft zu entfalten sind. Die Verantwortung dafür, daß die Rechtsordnung Institute der Privatheit durch subjektive Rechte enthält, die den Namen Eigentum verdienen 1070, hat letztlich das Volk, dessen Diskurs, aber auch dessen Wahlen allemal mehr Einfluß auf die Eigentumsordnung haben als die Worte des Grundrechts. Die Eigentumsgarantie ist (neben der Religionsfreiheit u.a.) die Magna Charta der Privatheit. Die Änderung der Eigentumsordnung kann das Eigentum als das private Recht zur Willkür verkürzen (wenn man so will beeinträchtigen), ohne jedoch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu verletzten. Ob diese verletzt ist, entscheidet (letztlich) das Bundesverfassungsgericht durch die jeweiligen maßstabbildende Materialisierung der offenen Leitentscheidung für das Eigentum. Zur Eigentumsgewährleistung gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gehört auch der Schutz des Eigentums, wie es die jeweilige

1069 A.A. BVerfGE 4, 219 (240 f.); 40, 65 (82 ff.); 53, 257 (289 ff.); 69, 272 (300 ff.); 72, 175 (193), das öffentlich-rechtliche Ansprüche nur als Eigentum i.S.d. Art. 14 Abs.l GG einstuft, wenn sie auf eigener Leistung beruhen; dem folgt O. Kimminich, Bonner Komm., GG, Rdn. 49, 65 ff. zu Art. 14; zurückhaltend insofern Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 445, S. 173; vgl. auch P. Badura, HVerfR, S. 668; W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1069 ff.; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 215; kritisch auch H.-J. Papier, Eigentumsgarantie des Grundgesetzes im Wandel, 1984, S. 9 ff.; i.S. des Textes H. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 1975, S. 383 ff.; vgl. auch H.-J. Papier in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 119 ff., insb. 128 ff. zu Art. 14. 1070 Vgl. zur dahingehenden Institutsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG BVerfGE 24, 367 (389 f.); 31, 229 (240 f.); 83, 201 (208 f.); H.-J. Papier in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 11 ff. zu Art. 14; O. Kimminich, Bonner Komm., GG, Rdn. 119 ff. zu Art. 14; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 216.

10. Kap.: Die gleichheitliche Allgemeinheit des Gesetzgebungsstaates

1027

Eigentumsordnung gestaltet1071. Diesen Schutz hat eine eigentumsgerichtete Rechtsordnung, vor allem durch einen effektiven Rechtsschutz zu leisten1072. Die Eigentumsverletzung, etwa die Sachbeschädigung, ist aber nicht schon eine Verletzung der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes. Erst die Verweigerung des Rechtsschutzes oder die Abschaffung des Schadensersatzanspruches aus § 823 Abs. 1 BGB wäre eine solche.

10. Kapitel Die gleichheitliche Allgemeinheit des Gesetzgebungsstaates und die Gesamtverantwortung von Gesetzgeber und Verfassungsrechtsprechung für das Recht 1. Die Gesetzgebung unterscheidet sich wegen ihrer Gleichheit schaffenden Allgemeinheit 1073, welche sie durch die allgemeine Verbindlichkeit der Gesetze erreicht, wesentlich von der gesetzgebenden Rechtserkenntnis der Richter. Auch die freiheitliche und zugleich gleichheitliche Allgemeinheit der Gesetze drängt zur möglichsten Bindung der Gesetzesrichter durch Gesetze, also zu deren möglichster Bestimmtheit. Nicht einmal der Gleichheitssatz verpflichtet den Richter, seine gesetzgeberische Rechtserkenntnis in einem Fall auch in dem anderen gleichen Fall anzuwenden1074. Er kann zu einer anderen Erkenntnis gelangt sein. Der Richter ist insoweit unabhängig. Das Gesetz bindet ihn nur im Rahmen der Bindungsfähigkeit. An das Gesetz sind um der freiheitlichen und gleichheitlichen Allgemeinheit willen demgegenüber alle Richter gebunden1075, solange es nicht geändert ist.

1071 Dazu W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1025 ff., der den Abwehranspruch gegen den Staat aus dem Eigentumsgrundrecht besonders herausstellt; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 27 f. zu Art. 14. 1072 BVerfGE 49, 252 (257); H.-J. Papier in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 43 ff. zu Art. 14. 1073 Dazu 5. Teil, 3., 4., 5. u. 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 399 ff., 410 ff. (insb. 414 ff.); 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 990 ff. insb. S. 997 ff.; zum Gesetzgebungsstaat vgl. die Hinweise in Fn. 413, 9. Teil, 2. Kap., S. 896; insb. H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 293 ff., 330 ff.; Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 195 f., insb. S. 224 ff.; P. Kirchhof,, HStR, Bd. V, S. 906 ff. ("Es gibt keine Gleichheit ohne allgemeine Gesetze"); ders., HStR, Bd. V, S. 991, 1001 ff. 1074 BVerfGE 74, 129 (152 ff.) sieht allerdings die Richter bei der Änderung der ständigen Rechtsprechung an das rechtstaatliche Vertrauensschutzprinzip gebunden; zurückhaltend insofern BVerfGE 84, 212 (227); auch BVerfGE 38, 386 (396 f.); vgl. aber auch BVerfGE 72, 302 (327); dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 892 f.; i.d.S. K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 788 f. 65'

1028

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Der Unterwerfung der Richter unter das Gesetz im Sinne des Art. 97 Abs. 1 GG, aber auch gemäß Art. 20 Abs. 3 GG, dem fundamentalen Prinzip der Funktionenteilung, und damit den durch die Gesetzlichkeit bezweckten freiheitlichen und gleichheitlichen Wirkungen wird die Substanz genommen, wenn zwar der Vorrang der Gesetze1076 gewahrt bleibt, diesen Gesetzen aber mangels Bestimmtheit eine hinreichende Bindung der Richter nicht mehr abgewonnen werden kann. Die Funktionenverschiebung muß eine Ausnahme bleiben, die sich zumindest durch Plausibilität rechtfertigen läßt. Quis iudicabit? ist die unauflösbare Problematik der Freiheit durch Erkenntnis des Wahren und Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit 1077 . In der Republik soll darüber der Gesetzgeber, mittels der Gesetze also, entscheiden, nicht nur um die freiheitliche Gleichheit zu verwirklichen, sondern auch um ein gemeinsames Leben in Freiheit zu ermöglichen; denn der Richter, der den Einzelfall entscheidet, kann die Allgemeinheit der Erkenntnis nicht erreichen, welche die Verfassung dem Gesetzgeber zugesteht. Auch die Gesetzgebungsfunktion des Richters ist in die Entscheidung eines Einzelfalles eingeengt und dadurch auf diese ausgerichtet. Wenn auch der Richter im Namen des Volkes entscheidet, so ist sein Amt doch nicht das der allgemeinen Gesetzgebung. "Da nach dem Grundgesetz das Volk die einzige Quelle des Rechtes ist, muß das Recht durch das Volk definiert werden. Das höchste Recht kann deshalb nur die reale Allgemeinheit aller Bürger sein. Das Recht als reale Allgemeinheit aller Bürger ist freilich weder Rechtssatz noch die Realität, sondern nur eine heuristische Hypothese, die klären soll, welche der Staatsgewalten, von denen keine mit dem Volk identisch ist, nach positivem Verfassungsrecht den Anspruch auf größte Allgemeinheit erheben kann. Das ist unter allen denkbaren Aspekten der Gesetzgeber: unter dem Aspekt der quantitativen Beteiligung der Bürger an der Bestellung der Gesetzgebungsorgane, der Öffentlichkeit der Entscheidungsfindung und der möglichen Dauer und Breitenwirkung der Entscheidungen. Deshalb kann es im Staat Bundesrepublik Deutschland kein höheres Recht und keine vollkommenere Gerechtigkeit geben als die des rechtsstaatlich-demokratischen Gesetzes." - Gerd Roellecke 1078

1075 I.d.S. H.-M. Pawlowski, Teil, 2. Kap., S. 892 ff., 882 ff. 1076 1077

Methodenlehre für Juristen, S. 239 ff., 293 ff., 330 ff.; dazu 9.

Dazu 9. Teil, 2., 3. u. 6. Kap., S. 864 f., 891, 928 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 538 ff. Vgl. zu diesem Aspekt Kant, Über den Gemeinspruch, S. 156.

10. Kap.: Die gleichheitliche Allgemeinheit des Gesetzgebungsstaates

1029

Das Bundesverfassungsgericht jedoch hat eine allgemeine gesetzgeberische Funktion 1079 . Das Recht ist in den Gesetzen zu lesen. Diese müssen sich vor den Hütern der Verfassung behauptet haben. Den Rechtserkenntnissen des Bundesverfassungsgerichts ist entgegen Roelleckes Lehre von der Gesetzesgerechtigkeit vom Grundgesetz die verbindliche Sittlichkeit, die verbindliche praktische Vernünftigkeit, die verbindliche Rechtlichkeit und damit die praktische Gerechtigkeit zugedacht. Roellecke hat das inzwischen selbst eingesehen1080. 2. Die Republik bleibt trotz der richterstaatlichen, vor allem der verfassungsrichterlichen, Elemente Gesetzgebungsstaat1081. Sie wäre sonst nicht freiheitlich. In der Republik ist die Gerechtigkeit substituiert durch rechtliche Gesetzlichkeit, sowohl die materielle als auch die formelle/prozedurale 1082 . Die republikanische Gerechtigkeit im Einzelfall setzt das Gesetz voraus 1083. Das verfassungsmäßige, das praktisch vernünftige, das richtige, eben das rechtliche Gesetz, das Rechtsgesetz, muß notfalls mit Hilfe der Hüter der Verfassung hervorgebracht werden, letztentscheidend, freilich nur im ordentlichen Verfahren, durch das Bundesverfassungsgericht 1084.

1078

VVDStRL 34 (1976), S. 31 f.

1079

Dazu 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 858 ff. (insb. S. 870 ff., 887 ff.), 920 ff.; auch 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. 1080 HStR, Bd. III, S. 672 ff., 674 ff., 678 ff. ("Die älteren Bemühungen, die Verfassungsgerichtsbarkeit in das Gewaltenteilungsschema zu pressen, werden daher als gescheitert betrachtet."). 1081 I.d.S. P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 130 ff.; E.-W. Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, S. 63 ff.; ders., Der Staat 29 (1990), S. 21 ff., insb. S. 24 ff.; und P.M. Huber, Buchbesprechung von E.-W. Böckenförde, in: AöR 116 (1991), S. 145 ff.; Η Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 67 ff.; G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 31 ff.; dazu die Hinweise in Fn. 413, 9. Teil, 2. Kap., S. 896. 1082 I.d.S. etwa G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 35; auch R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 184 ff., 188 ff., 190 ff., 290 ff.; J. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 1 ff., 12 ff. ("prozeduralistische Gerechtigkeitstheorie"); R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 158 ff., 176 f.; vgl. auch U. Neumann, Juristische Argumentationslehre, 1986, S. 73 ff.; dazu 2. Teil, 10. u. 11. Kap., S. 148, 153 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 282 ff.; 9. Teil, 8. Kap., S. 995; vgl. auch die Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819; Fn. 354, 9. Teil, 2. Kap., S. 884; Fn. 413, 9. Teil, 2. Kap., S. 896 mit Hinweisen. 1083

Dazu 5. Teil, 4. u. 6. Kap., S. 365 ff., 410 ff.; zur Einzelfallgerechtigkeit 9. Teil, 2. u. 9. Kap., S. 880 ff., 1002 ff., 895 ff.

1030

9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Die Einrichtung der Verfassungsgerichtsbarkeit nimmt der Republik nicht den Charakter eines Gesetzgebungsstaates. Es geht vielmehr darum, wem das Grundgesetz die Verantwortung für die Richtigkeit der Gesetze übertragen hat. Zum Verfassungsstaat gehört das Verfassungsgericht, welches neben dem Gesetzgeber die Verantwortung für die praktische Vernunft im Gemeinwesen, also für die Rechtlichkeit der Gesetze, trägt 1085 . Die materiale Grundrechtswirkung wird als eine Art negativer Kompetenz des Gesetzgebers begriffen 1086. "Die material-rechtlichen Verfassungssicherungen sollen gerade vor der augenblicklichen Jeweiligkeit des ordentlichen Gesetzgebers schützen, einen bestimmten Inhalt vor einem inhaltslosen, alle sachinhaltlichen Werte an die jeweilige Mehrheit ausliefernden Mehrheitsfunktionalismus sichern, während umgekehrt das Gesetzgebungsverfahren der parlamentarischen Demokratie jedem Inhalt, jeder Meinung, jedem Bestreben und jedem Ziel offen stehen soll." - Carl Schmitt 1087 Die Schmittsche Sicht mag für die Demokratie richtig sein, die Kompetenz des republikanischen, dem Recht verpflichteten Parlaments trifft sie nicht. Richtiger ist die Dogmatik der Gesamtverantwortung (Peter Häberle) von

1084 Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 347 ff.; Zum Widerstand als Verfassungsverwirklichung 4. Teil, 3. Kap., S. 249 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 ff. 1085

I.d.S. R. Marcic, Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 317 ff., 322 ff.; E. Forsthoff; Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, S. 275, hat ein solches Gemeinwesen als "Justizstaat" kritisiert, der nicht mehr Rechtsstaat sei, ganz i.S.d. Kritik C. Schmitts an der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle, insb. in: Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff., weitere Hinweise in Fn. 600, 9. Teil, 4. Kap., S. 932; vgl. auch die Sorgen von E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 21 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 696, 9. Teil, 4. Kap., S. 950; vgl. auch 9. Teil, 6. Kap., S. 932 ff. 1086 R. Marcic, Die Deutung der Natur der Verfassungsgerichts, S. 318 f.; auch P. Häberle, Probleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 8, der das "Eingreifen"... "in die Kompetenz der Legislative" durch "Aufhebung des Gesetzes" nicht für eine "gesetzgeberische Funktion" hält (dazu Hinweise in Fn. 276, 9. Teil, 2. Kap., S. 871 f.); dieser Kompetenzaspekt ist von der negativen Kompetenzwirkung zugunsten der Privatheit zu unterscheiden, i.d.S. etwa K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 291, S. 118; vgl. i.d.S. auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 78; ders., Grundrechte und Demokratie, S. 7 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 223 f.; dazu auch 5. Teil, 4. Kap., S. 353 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 476. 1087

Legalität und Legitimität, S. 47 f.

10. Kap.: Die gleichheitliche Allgemeinheit des Gesetzgebungsstaates

1031

Gesetzgeber und Verfassungsrechtsprechung für das Recht 1088 ; denn der Gesetzgeber hat nicht weniger als das Bundesverfassungsgericht die Kompetenz, also die Pflicht, der praktischen Vernunft, immer orientiert an den grundrechtlichen Leitentscheidungen, zum Siege zu verhelfen. Das Bundesverfassungsgericht ist eine Instanz der Sittlichkeit des Volkes, das "verkörperte Gewissen der Volksgesamtheit", wie es Adolf Siisterhenn (CDU) in der 2. Sitzung des Plenums des Parlamentarischen Rates formuliert hat 1089 . Klaus Stern räumt der Verfassungsgerichtsbarkeit "Anteil an der Staatsleitung" zu, durch sie sei die "Dritte Gewalt eine wirkliche Staatsgewalt, pouvoir, geworden 1090. "Das Bundesverfassungsgericht ist... der supremus im Staat. Das Parlament hat aufgehört, der ('einzige') supremus im Staat zu sein, auch das Gesamtvolk ist nicht absolut souverän: Souverän ist das Recht, und durch das Recht ist das Verfassungsgericht der supremus im Staat. In der modernen Demokratie beginnt sich ein echtes Gleichgewicht der Kräfte zu bilden." - René Marcie 1091 René Marcie hat seine Erkenntnisse von keiner politikfernen Rechtsprechungsideologie beirren lassen: "Staaten mit eigener Verfassungsgerichtsbarkeit sehen das Verfassungsgericht als den zweiten Gesetzgeber an, dessen Entscheidung erga oder inter omnes, nicht nur inter partes wirkt."... "Die gesetzgebenden Körperschaften und das Verfassungsgericht teilen sich in die gesetzgebende Gewalt."... "Verfassungsgerichtsbarkeit ist Gesetzgebung. Wir sind Zeugen einer neuen Gewaltenteilung als Verteilung der Rechtsmacht, Gesetze zu erzeugen, auf zwei Faktoren."... "Das Verfassungsgericht ist die Mitte des Gegenwartsstaates, der von den Menschen als Isonomie, als: Demokratie und Rechtsstaat und Freistaat, in eins als Eunomie, als: Sozialstaat gedeutet wird." - René Marcie 1092

iosa £ 0 ρ Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16 ff., 31 f.; R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 347 ff., 350 f.; auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 951 ff.; E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 21 ff., 26 ff. stellt demgegenüber grundrechtsdogmatisch die Alternative des "parlamentarischen Gesetzgebungsstaates" und des "verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaates", je nach subjektiver oder objektiver Dimension der Grundrechte; vgl. auch die Hinweise zur Verfassungsorganqualität des Bundesverfassungsgerichts in Fn. 473, 3. Kap. 1089 1090 1091 1092

Sten. Ber., S. 25. Staatsrecht II, S. 951. Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 351. Die Deutung der Natur des Verfassungsgerichts, S. 317 ff., 322.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Wesentlich ist die Erkenntnis, daß die Verfassungsgerichtsbarkeit den gesetzgebungsstaatlichen Charakter der Republik nicht mindert. Vielmehr ist den Gerichten eine gesetzgeberische Funktion überantwortet, weil sie das Vertrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigen, aber auch weil ihnen die Rechtserkenntnis in mancherlei Hinsicht besser gelingt als der Legislativen. Das Gesetzlichkeitsprinzip, das mit dem Grundsatz der Republik: res publica res populi, untrennbar verbunden ist, bleibt gewahrt, ja wird durch die Verfassungsrechtsprechung bestmöglich gefördert. Der republikanische Primat des legislativen Gesetzes bleibt im Grundsatz unangefochten. Über die Leitentscheidungen der Verfassung aber soll ein gerichtliches Verfassungsorgan die schützende Hand halten. Das Bundesverfassungsgericht ist für diese Aufgabe auch besonders konzipiert, wie Art. 94 GG zeigt 1093 . Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe, im Namen des Volkes auf der Grundlage der Wahrheit unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Wesensgehalte, also der grundrechtlichen Ideen/Werte, die Grenzen des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auszusprechen, um die praktische Vernünftigkeit der Gesetze, also das Recht, zu fördern. Diese Aufgabe unterscheidet sich durchaus von der des Gesetzgebers, den das Bundesverfassungsgericht keineswegs ersetzen soll oder auch nur kann 1094 . Aber sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Gesetzgeber haben, beide der Verfassung verpflichtet, das trotz dieser Bindung weitestgehend offene Gemeinwohl zu verwirklichen, d.h. die praktische Vernünftigkeit, die durchaus unterschiedliche Gesetze zuläßt, durchzusetzen. Die Verwirklichung der Freiheit in praktischer Vernunft ist die Substanz der republikanischen Staatlichkeit, die primär die Gesetzgebung zu verantworten hat; denn die allgemeine Freiheit verwirklicht sich in der Gesetzlichkeit als dem verbindlichen Ausdruck der allgemeinen Sittlichkeit oder der praktischen Vernunft 1095. In der funktionalen Substanz ist die Verfassungsrechtsprechung, augenfällig die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle, gesetzgeberisch1096, nämlich als nicht gesetzesgebundene Erkenntnis des Rechts, dessen also, was in der jeweiligen Lage praktisch vernünftig ist. Insoweit unterscheiden sich die Aufgabe des Gesetzgebers und die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht. Beide Organe vertreten 1093

So auch Ch. Starck, VVDStRL 34 (1976), S. 75. G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 31 ff.; H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 66 ff.; i.d.S. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 956 ff. 1095 Dazu die Hinweise in Fn. 1, 9. Teil, 1. Kap., S. 819. 1096 Dazu 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 858 ff. (insb. S. 870 ff., 884 ff.), 920 ff.; 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff. 1094

11. Kap.: Variabilität und Dynamik des Rechts

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das Volk in der Erkenntnis des Rechts1097, das nach dem in der Verfassung verbindlich gemachten Willen des Volkes das Handeln der Menschen im Gemeinwesen bestimmen soll 1098 . Die Unterschiede zwischen dem Gesetzgeber und dem Bundesverfassungsgericht sind mannigfaltig 1099. Der Schutz der Verfassung, der als der Schutz der praktischen Vernünftigkeit/der Sittlichkeit/der Sachlichkeit im Gemeinwesen vorgestellt ist, begründet keine Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts, sich an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen, sondern nur die, unerträgliche Verirrungen der Legislative zurückzuweisen, gewissermaßen auszusprechen, was das Volk empören muß. Wer "ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt" verteidigt, entfaltet die Leitentscheidungen der Verfassung, bestimmt die Grenzen der Politik, erkennt und verteidigt Recht1100.

11. Kapitel Die Variabilität und Dynamik des durch die grundrechtlichen Wesensgehalte geleiteten läge- und erkenntnisbedingten Rechts Die größtmögliche Offenheit oder Formalität des Wesensgehalts von Grundrechten folgt aus der großen Offenheit oder eben Formalität der grundrechtlichen Leitentscheidungen selbst. Wenn auch die Bestimmtheit

1097 I.d.S. E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 19 ff. (Zitat oben S. 1131), der die Übertreibung der Gewaltenteilung zurückgewiesen hat; i.d.S. auch R. Marcie , Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 347 ff., 350 f. 1098 Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff. 1099 Dazu 9. Teil, 2., 3. u. 6. Kap., S. 858 ff., 909 ff. (insb. S. 920 ff.), 963 ff. 1100 Das ist nicht "verfassungsgebende Gesetzgebung", wie C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 45, gelehrt hat; so auch W. Geiger, Einige Besonderheiten im verfassungsgerichtlichen Prozeß, 1981, S. 32; die Funktion der Verfassungsrechtsprechung hat auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 707 ff., verzeichnet, der vertritt, daß das kontrollierende Verfassungsgericht, um die Verfassungskonkretisierenden Normen zu überprüfen, selbst die Verfassung normativ konkretisieren müsse; denn die Gesetze konkretisieren die Verfassung nicht, sondern verwirklichen die praktische Vernünftigkeit, orientiert an den Leitentscheidungen der Verfassung, ohne die Verfassung zu bestimmen; irrig auch E.-W. Böckenförde, NJW 1976, 2099 mit Fn. 113; ders., Der Staat 29 (1990), S. 25, 29; dazu auch P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 9 ff., 16 ff.; Ch. Starck, VVDStRL 34 (1976), S. 67, 74 ff.; schief auch St. Korioth, Der Staat 30 (1991), S. 557 f.; unklar Κ Stern, Staatsrecht II, S. 967, der von "Fortbildung" der Verfassung spricht, die "schwer abänderlich" sei.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

der grundrechtlichen Begriffe, die oben1101 grob skizziert worden sind, unterschiedlich ist, so ergibt doch vor allem die gesetzliche Regelbarkeit aufgrund von Gesetzes- oder Regelungsvorbehalten oder auch die aus dem Begriff der Freiheit der Freiheitsrechte, aber auch die aus den verfassungsimmanenten Grundrechtsschranken 1102 den hohen Grad an Offenheit der grundrechtlichen Wirkung. Die Grundrechte sind eben nicht mehr als ideenhafte Wertfestlegungen, eben Leitentscheidungen der Politik. Die Friedensaufgabe der Verfassungsrechtsprechung wäre verkannt, wenn sie auf die materiale Interpretation der grundrechtlichen Begriffe reduziert würde. Derart statisch definierte Begriffe würden angesichts der Gesetzes- und Regelungsvorbehalte keine ge- oder verbietende Wirkung entfalten, weil diese Vorbehalte wegen ihrer Formalität keine materiale Begrenzung in sich tragen oder auch nur annehmen. Daraus hat Carl Schmitt sein Leerlaufargument hergeleitet 1103. Definitorische Auslegung als solche ist statisch, weil sie sich auf den Text zentriert. Sie folgt dem Prinzip der Eindeutigkeit der Rechtslage, welches die Annahme rechtfertigt, daß jeder Richter, der lege artis auslegt, zu demselben Auslegungsergebnis kommt 1104 . Wenn das die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts wäre, so würden die vielfältigen Auslegungsergebnisse zur Stagnation der Rechtsentwicklung führen, welche eine Verfassung nicht bezweckt und nicht bezwecken darf, wenn sie dem Frieden dienen will. Aufgabe der Verfassungsrechtsprechung ist der friedliche Verfassungswandel 1105. "Als Integrationssystem hat das Verfassungsrecht die Erfüllung einer sich immerfort wandelnden Aufgabe sicherzustellen, die stets einigermaßen

1101

Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 831 ff. Dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 107 ff., 249 ff., insb. 258 ff., 263 ff., der selbst von "verfassungsunmittelbaren" Grundrechtsschranken spricht und der Kategorie verfassungsimmanenter Grundrechtsschranken keinen Eigenstand beimißt, zu Recht; ähnlich die Ausgleichslehre R Lerche, HStR, Bd. V, S. 789 f.; dazu grundlegend H. Bethge, Zur Problematik der Grundrechtskollisionen, 1977, insb. S. 291 ff. 1102

1103

Hinweise in Fn. 15, 201, 9. Teil, 1. Kap., S. 822, 857. Dazu H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 107 f., 222 ff.; H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, inb. S. 346 ff. ("Grundsatz der Gesetzesbindung"); auch M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 51, S. 191 ff. ("Reflexion und Dezision"). 1104

1105 Grundlegend R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 241 ff.; i.d.S. auch J. Wintrich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 217, 218; R Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 57 ff. ("Sinnvariabilität"), 61 ff. ("dirigierende Verfassung", "richtunggebende Normen", u.ä.), 93 ff. i.S. dynamischer Integration; U. Scheuner, Diskussionsbeitrag, S. 281, 283 ("dynamische Funktion der Rechtsprechung"), S. 284; K. Stern, Staatsrecht II, S. 967; O. Massing, Recht als Korrelat der Macht?, S. 422.

11. Kap.: Variabilität und Dynamik des Rechts

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optimal gelöst werden muß. Die Faktoren dieser Lösung verschieben sich entsprechend den veränderten Zeiten und Umständen. Diese Wandlung kann außerhalb des Verfassungsrechts vor sich gehen, (...). Sie kann die Verfassung selbst betreffen, indem sie schrittweise das Rang- und Gewichtsverhältnis der verfassungsmäßigen Faktoren, Institute, Normen verschiebt. (...) Daß diese Änderung nicht an die Erfordernisse der Gewohnheitsrechtsbildung gebunden sein kann, ist einleuchtend. Es erklärt sich aus dem Charakter der Verfassung, die ein dauernd seinen Sinn erfüllendes Integrationssystem normiert: Diese Sinnerfüllung ist das regulative Prinzip nicht nur für den Verfassungsgesetzgeber, sondern sogar für die fließende Geltungsfortbildung des gesetzten Verfassungsrechts." - Rudolf Smend U06 "Die Vorstellung, daß eine Verfassung ein perfektioniertes System starrer Regeln darstellt, muß eine Verfassungsgerichtsbarkeit notwendig in Erstarrung und Krisen führen." - Ulrich Scheuner 1107 Das Grundgesetz hat die wesentlichen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts so nicht konzipiert. Dem widerspräche vor allem Art. 19 Abs. 2 GG; denn der Wesensgehalt von Grundrechten ist nicht auslegbar 1108. Die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es vielmehr, den offenen Wesensgehalt der Grundrechte lagegerecht zu entfalten und mit den jeweiligen Erkenntnissen dessen, was nach der Verfassung in der jeweiligen Lage 1109 Recht sein kann oder auch sein soll, den Gesetzgeber zu binden. Der grundrechtliche Wesensgehalt ist somit variabel und dadurch dynamisch 1110 und verbietet eine statische Interpretation, welche die Entfaltung

1106

Verfassung und Verfassungsrecht, S. 241 f. Diskussionsbeitrag, S. 281. 1108 Zu den relativen und absoluten Wesensgehaltslehren 9. Teil, 1. Kap., S. 830 f. mit Fn. 53, 54; zur Fiktion der Auslegbarkeit der offenen Verfassungsbegriffe 9. Teil, 2. u. 3. Kap., S. 886 ff., 921 ff.; richtig zum Unterschied von Interpretation und Konkretisierung (besser Materialisierung), E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 22. 1109 Zum Begriff der Lage H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 15 ff., auch S. 17 ff. (zur "Inneren Lage"), S. 20 ff. (zur "Äußeren Lage") 1110 So BVerfGE 31, 275 (285); 52, 1 (Ls. 2, S. 29 ff.); 77, 84 (104); W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1039, zur Relevanz der "geschichtlichen Lage" gegenüber der "geschichtlichen Kontinuität", auch S. 1050 ff.; vgl. auch P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 57 ff., 61 ff. allgemein für die "dirigierende Verfassung"; so auch Κ Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, S. 9 f., der angesichts der "Weite, Unbestimmtheit, Offenheit" der "Normen des Grundgesetzes" eine "dynamische Interpretation" zuläßt, ein Widerspruch, weil Schiaich abstreitet, daß das BVerfG "funktionell Gesetzgebung" ausübe, a.a.O., S. 25 (zu dieser vom engen Rechtsbegriff geprägten Dogmatik 9. Teil, 2., 3. u. 4. Kap., S. 858 ff. (insb. 870 ff., 884 ff.), 909 ff., 942 ff.; auch 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.); grundsätzlich i.S. des Textes E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 16; W. Höfling, Offene Grundrechtsinter1107

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

des gemeinsamen Lebens zu bremsen versucht sein kann. Recht ist nicht schon das alte Gesetz. Recht ist in jeder Lage neu zu erkennen. Zu diesem Zweck ist neben der Gesetzgebung die Verfassungsrechtsprechung eingerichtet und ausgerüstet1111. In einer neuen Lage, insbesondere einer neuen sozialen Lage, kann jedoch die Verfassung eine andere gesetzliche Materialisierung erfordern 1112, so daß der Gesetzgeber, wenn er seine Politik mit einer neuen Lage begründet, die Verfassung wegen derer begrifflicher Variabilität und Dynamik nicht verletzt, falls er gegen eine frühere Rechtserkenntnis des Bundesverfassungsgerichts Politik macht und diese vom Bundesverfassungsgericht akzeptiert wird 1113 . Im übrigen hat das Bundesverfassungsgericht mancherlei Gelegenheit, die Bereitschaft zur Veränderung seiner Praxis zu signalisieren. Die Verfassung der Freiheit und damit die Verfassung der praktischen Vernunft kann nicht vorschreiben, an lagegebundenen Erkenntnissen festzuhalten, wenn die Lage sich geändert hat. Erst recht muß sie es zulassen, Irrtümer zu korrigieren, auch ohne daß die Verfassung geändert wird. Ein staatliches Organ eines sittlichen Gemeinwesens muß seine Politik ändern dürfen. Zum einen kann die Politik irrtumsbehaftet sein und zum anderen kann sie die Befriedung des Gemeinwesens verfehlen. Das gilt auch für das Bundesverfassungsgericht, dessen Erkenntnisse wegen ihrer Bindungskraft langdauernde Wirkung entfalten können und sollen. Für eine Republik ist das Verfahren von trial and error im Interesse der Entwicklung zur praktischen Vernunft unverzichtbar 1114.

pretation, S. 77 ff., 84 ff., 96 ff; P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 847 ff., auch S. 916 u.ö., spricht von einem "dynamischen Gestaltungsauftrag" des Gleichheitssatzes; vgl. auch B.O. Bryde, Verfassungsentwicklung, Stabilität und Dynamik im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1982. 1111

Zur Entstehungsgeschichte der grundgesetzlichen Konzeption der politischen Verfassungsgerichtsbarkeit v. Doemming, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 667 ff., 669 ff., auch 682 ff.; genauer K. Stern, Staatsrecht II, S. 330 ff., 967 ff. 1112

BVerfGE 77, 84 (104); i.d.S. auch BVerfGE 50, 290 (332 ff.) für den Fall neuer Erkenntnisse von den Wirkungen der Mitbestimmung; vgl. für die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers allgemein BVerfGE 77, 170 (215, 231); 77, 263 (273); 79, 174 (202); 79, 311 (343 f.); usf. 1113

Ganz i.d.S. BVerfGE 77, 84 (104); i.d.S. auch Κ Stern, Staatsrecht II, S. 1038; J. Ebsen, Das BVerG als Element gesellschaftlicher Selbstregulierung, insb. S. 218 ff.; dazu St. Korioth, Der Staat 30 (1991), S. 549 ff., insb. S. 562 ff., der die notwendige Dynamität der Verfassung mit Zurückhaltung begegnet; dagegen K. Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, S. 25 ff.

11. Kap.: Variabilität und Dynamik des Rechts

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Das Verfassungsbeschwerdeverfahren gibt Gelegenheit für die Korrektur von bindenden Rechtserkenntnissen, zumal das Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerden nach §§ 93a ff. BVerfGG annehmen darf, wenn nach näheren Voraussetzungen "mindestens zwei Richter der Auffassung sind, daß von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage zu erwarten" sei (§ 93c BVerfGG). In extensiver Interpretation könnte auch die Zuständigkeit des Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG zur prinzipalen/abstrakten Normenkontrolle genutzt werden, geplantes Bundesrecht oder Landesrecht dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen, wenn wegen der Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts Zweifel an der Vereinbarkeit des geplanten Gesetzes mit dem Grundgesetz bestehen. Auch die konkrete/inzidente Normenkontrolle sollte zulässig bleiben, obwohl die Normfrage bereits einmal vom Bundesverfassungsgericht entschieden worden ist 1115 . Das kommt freilich nur in Betracht, wenn das Bundesverfassungsgericht die Normverwerfung abgelehnt hat, nicht wenn es die Norm für nichtig erklärt, also kassiert hat; denn die letztere Entscheidung hat Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG), die Norm besteht nicht mehr 1116 . Zumindest die Veränderung der Lage aber auch der fortgesetzte Diskurs kann eine neue Erkenntnis über die Vereinbarkeit der Norm mit den

1114

Dazu R. Zippelius, Die experimentierende Methode im Recht, 1991, der der Popperschen Falsifikationslehre folgt; ders., Allgemeine Staatslehre, 12. Aufl. 1994, S. 346 ff.; dazu K.R.Popper, Objektive Erkenntnis, S. 16 ff., 24 ff., 124 ff., 173 ff., 252 ff., 260 ff., 264 ff., 300 ff.; ders., Auf der Suche nach einer besseren Welt, 1984, S. 26, 27, 37 f., 39, 82, 172; vgl. auch M. Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL 40 (1982), S. 91 ff.; Κ Α. Schachtschneider, Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 112; i.d.S. auch Steinberger, VVDStRL 50 (1991), S. 49 für die Verfassungspolitik der europäischen Gemeinschaft; G. Roellecke, HStR, Bd. II, S. 674, 690 f.; i. d. S. auch H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 106 f., 352 f.; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 194; vgl. auch BVerfGE 33, 171 (189 f.); 37, 104 (118); 54, 173 (202); 57, 295 (324); 70, 1 (34); 75, 108 (162). 11,5 Differenzierend BVerfGE 22, 387 (405); 30, 1 (3); 33, 199 (203); 39, 169 (181 f.); 41, 260 (369); im Sinne des Textes BVerfGE 77, 84 (104); vgl. W. Löwer, HStR, Bd. II, S. 798 f., der für "die Kongruenz von Prüfungsreichweite und ΒindungsWirkung" eintritt; vgl. Κ Vogel, Rechtskraft und Gesetzeskraft der Entscheidungen des BVerfG, in: Fg. BVerfG I, S. 607; M. Sachs, Die Bindung des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 329 ff.; Κ Stern, GG., Bonner Komm., Rdn. 317 zu Art. 93; dazu auch Ch. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 1991, S. 304 ff., 321 ff., 355. 1116 Dazu, insbesondere zur ex tunc-Wirkung der Nichtigerklärung, Κ Stern, Staatsrecht II, S. 1039 ff.; vgl. auch J. Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt, 1980, S. 211 ff., insb. S. 217 ff.; Ch. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, S. 304 ff.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Grundrechten erfordern. Der Bundesgesetzgeber wäre im übrigen nach Art. 93 Abs. 2 GG berechtigt, eine Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts zu schaffen, auf Antrag bestimmter Organe, insbesondere der Bundesregierung, des Bundestages und des Bundesrates zu entscheiden, ob die Rechtserkenntnisse des Gerichts aufrechterhalten werden. Nur die verfassungskräftige Regelung von Kompetenzen und Verfahren wird den offenen Entwicklungen gerecht, welche der Erfahrung nach zu erwarten sind. Das Recht ist ständig in Bewegung. Die der jeweiligen Lage verpflichtete grundrechtliche Wesensgehaltsrechtsprechung teilt mit der Gesetzgebung die Eigenschaft, geändert werden zu können1117. Die funktional gesetzgebende Rechtsprechung ist wie die Gesetzgebung variabel und dynamisch, während gesetzesgebundene Rechtsprechung grundsätzlich invariabel und statisch ist, wenn und weil das Gesetz sich nicht ändert. Zur verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle schreibt Klaus Stern: "Die Annäherung an die Rechtsetzung ist bei ihr offenkundig." 1118 Die Grundrechtsverwirklichung ist wie die Gesetzgebung positiv, d.h. änderbar 1119. Die funktional gesetzgebende Wesensgehaltsrechtsprechung bedeutet etwa, daß der grundrechtliche Eigentumsbegriff des Bundesverfassungsgerichts variabel ist, wie es übrigens nach dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 GG auch der des Gesetzgebers sein darf 1120 . Das Gericht darf ein Ge-

1117 I.d.S. BVerfGE 84, 212 (227) zur Grundrechtsgeleiteten Arbeitskampfrechtsprechung; K. Stern, Staatsrecht II, S. 586, stellt die BindungsWirkung von Richterrecht zurückhaltender "unter den Vorbehalt erneuter, besserer Rechtserkenntnis". 1118 Staatsrecht II, S. 950. 1119 Zur Positivität des Rechts als dessen Änderbarkeit, N. Luhmann, Diem Geltung des Rechts, Rechtstheorie 1991, S. 273 ff.; ders., Rechtssoziologie, Bd. I, S. 190 ff., insb. S. 198 ff., Bd. II, S. 207 ff., 340, 345 ("Positivität" ist "prinzipielle strukturelle Variabilität des Rechts"); Kant, Metaphysik der Sitten, S. 334, bezeichnet positive Gesetze als "zufällig". 1120 Dazu H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 254 ff., 272 ff. zu Art. 14, der (Rdn. 273) einen "absoluten substanziellen Wesenskern" reklamiert; ähnlich W. Leisner, HStR, Bd. VI, S. 1048; D. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 216; ganz so BVerfG NJW 1992, 36 f.; vgl. schon P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 61 ("institutionell begrenzte Generalermächtigung"), auch S. 154 f. ("Mißbrauchswehr" gleichzeitig "Grundrechtsprägung"); so auch der grundrechtliche Eigentumsbegriff des EuGH, etwa Urt. v. 10.1.1992 - Rs C-177/90, EuZW 1992, 155 ("Diese Grundrechte (sc. "das Eigentumsrecht" und das Berufsfreiheitsrecht) können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen und sind im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen . Daher kann die Ausübung dieser Rechte, insb. im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation, Beschränkungen unterworfen werden, sofern

11. Kap.: Variabilität und Dynamik des Rechts

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setz, welches es in einer bestimmten Lage als eine Verletzung der Eigentumsgarantie verworfen hat, in einer anderen Lage als der Eigentumsgarantie gemäß akzeptieren. "Aber es ist sicher, daß in der Grundrechtsrechtsprechung die Grundvorstellungen, von denen man etwa bei der Betrachtung des Eigentums ausging, infolge der sozialen Veränderungen und infolge der Veränderungen der allgemeinen rechtlichen Auffassung nicht über Jahrzehnte hin die gleichen sein können." - Ulrich Scheuner 1121 Die Verantwortung dafür, daß die Gesetzeslage ständig der Idee/dem Wert Eigentum entspricht, haben die Hüter der Verfassung, insbesondere das im ordentlichen Verfahren letztlich entscheidende Bundesverfassungsgericht. Ob der Wesensgehalt der Leitentscheidung des Grundgesetzes für das Eigentum in einer Lage, die immer auch eine bestimmte Gesetzeslage ist, angetastet ist oder nicht, entscheidet das Gericht, welches der Logik der Entwicklung der Lebensverhältnisse nach nicht an seine früheren Entscheidungen gebunden sein kann und auch nicht sein soll 1122 . Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, eine Vorschrift, die es für die Gesetzesrechtsprechung nicht gibt und wegen des gesetzesstaatlichen Bestimmtheitsprinzips nicht geben sollte, ermächtigt das Bundesverfassungsgericht also zur verbindlichen, funktional gesetzgebenden, Erkenntnis des Rechts, welche die grundrechtlichen Leitentscheidungen in der jeweiligen Lage variabel und dynamisch hervorbringen sollen. Diese Dogmatik entspricht der praktischen Vernunft einer Verfassung, die das gemeinsame Leben über lange Zeit steuern und den Frieden des Gemeinwesens dauerhaft sichern können soll. Die Verfassung muß für Entwicklungen der Rechtsordnung offen sein, wenn sie die Stabilität des Gemeinwesens bewirken und damit ihre eigene Existenz bewahren soll. Die Stabilität der Verfassung ist ein wesentlicher Beitrag zum Frieden. Der variable Wesensgehalt der Grundrechte ist logisch relativ 1123 . Das Bundesverfassungsgericht bewältigt seine Aufgabe gerade dadurch, daß es das Gemeinwesen befriedet, wie

diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet", Tz. 16 mit Hinweis auf EuGH Slg. 1989, 2609 Tz. 18. Wachauf); dazu 9. Teil, 9. Kap., S. 1023 ff. 1121 Diskussionsbeitrag, S. 283; i.S. einer dem Zeitgeist gemäßen Entwicklung der Rechtsinstitute E. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), S. 16. 1122 Dazu Hinweise in Fn. 704, 9. Teil, 4. Kap., S. 952 ff. 1123 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff., 831 ff., 847 ff.

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

auch immer es die Grundrechte begrifflich materialisiert. Das erlaubt es dein Gericht, den in den Leitentscheidungen formulierten Grundkonsens des Volkes 1124 jeweils neu zu bestimmen1125. Dieser Grundkonsens ist nicht statisch, sondern dynamisch. Diese Dogmatik widerspricht nicht der Begrifflichkeit der Verfassung, sondern nimmt die Formalität oder materiale Offenheit der Begriffe an, welche mit der Entscheidung für die Unantastbarkeit des Wesensgehalts der Grundrechte deutlich Ausdruck gefunden hat 1126 . Sprache bedarf des sachbezogenen, besser: des sachlichen Verstehens1127. Die Aufgabe, die Sprache der Grundrechte wie die der Verfassung überhaupt, immer wieder, der Lage der Zeit gemäß, politisch zu verstehen, hat das Grundgesetz den Hütern der Verfassung aufgegeben und die verbindlichen Entscheidungen dem Bundesverfassungsgericht übertragen. Die Verfassung gilt nicht, weil sie vor langen Jahrzehnten einmal beschlossen wurde, sondern weil sie tagtäglich von der Bürgerschaft als ihr Gesetz angenommen wird. Die Verfassung gilt, weil sie vom Volk gelebt wird 1128 . Die Verfassung gilt als "une plébicite de tous les jours" (Renan)™.

1124 Dazu Hinweise in Fn. 14, 9. Teil, 1. Kap., S. 1180; auch 7. Teil, 6. Kap., S. 622; etwa Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 15, S. 10; Rdn. 42 ff., S. 16 f.. 1125 Ganz so J. Wintrich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 217 (Zitat 9. Teil, 2. Kap., S. 862). 1126 Dazu 9. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 819 ff. (insb. 852 ff.), 868 ff.; auch die Hinweise in Fn. 546, 9. Teil, 3. Kap., S. 923 zur Formalität der Freiheit. 1127 J. Hruschka, Das Verstehen von Rechtstexten, 1972; zur Hermeneutik R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 127 ff, insb. S. 149 ff; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 18 ff. (der weitgehend Habermas folgt); H. Rottleuthner, Hermeneutik und Jurisprudenz, in : Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 1976, S. 7 ff., insb. S. 14 ff.; zur Bedeutung der Sprache für den Verfassungsstaat P. Kirchhof\ Deutsche Sprache, HStR, Bd. I, S. 745 ff., insb. S. 752 ff.; grundlegend zur "Neuen Hermeneutik" H.-G. Gadamer , Wahrheit und Methode, 1960, Aufl. 1975; W. Henke, Recht und Staat, S. 51 ff., insb. S. 57 f. 1128

Ganz so Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 42 ff., S. 16 f,; ders., Die normative Kraft der Verfassung, 1959, S. 9 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 75 ff, insb. S. 83 ff., auch S. 91 f.; vgl. E.-W. Böckenförde, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes - Ein Grundbegriff des Verfassungsrechts, 1986; P. Häberle, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes im Verfassungsstaat - eine vergleichende Textstufenanalyse, AöR 112 (1987), S. 54 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatsrechtslehre, S. 921 ff.; zum Verhältnis der normativen und realen Verfassung J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. I, S. 641 ff.

11. Kap.: Variabilität und Dynamik des Rechts

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Recht und Unrecht haben sich im Laufe der Geschichte des Grundgesetzes in manchen Lebensbereichen radikal gewandelt, ohne daß die Grundrechte umformuliert worden wären. Beispiele bietet das Eherecht, etwa der Wechsel vom Schuld- zum Zerrüttungsprinzip im Scheidungsrecht, das Strafrecht, insbesondere das Sexualstrafrecht, u.a.m. Die Grundrechte haben eine Entwicklung des gemeinsamen Lebens nicht gehindert und sollen das nicht, weil sie es nicht könnten. Sie sollen vielmehr dem gemeinsamen guten Leben aller in allgemeiner Freiheit eine Orientierung geben, die letztlich vom Bundesverfassungsgericht derart materialisiert werden soll, daß der Frieden des Gemeinwesens gewahrt bleibt. Die Politik, welche in den Gesetzen ihren Ausdruck findet, muß dynamisch sein können, also auch die Verfassungsrechtsprechung, weil sie trotz aller Grundrechtstexte die gesetzgeberische Funktion hat. Die Verfassungsrechtsprechung ist Praxis der Vernunft, Sittlichkeit, Politik, deren Rechtlichkeit von der Moralität der Richter abhängt. Wenn jedoch nicht die gesamte Bürgerschaft die Ideen, sprich: die Werte der Grundrechte lebt und verteidigt, vermag auch das Bundesverfassungsgericht diese nicht zu behaupten. Peter Häberle hat das ausgeführt 1130. Die Entwicklung der Rechtsinstitute Ehe und Familie des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, insbesondere die Rücksichtslosigkeit der Gesetzgebung gegenüber den Kindern, sind ein beredtes Beispiel für den Einfluß des Zeitgeistes auf die Gesetzgebung und die Verfassungsrechtsprechung. Das schon genannte Zerrüttungsprinzip im Scheidungsrecht, welches die Pflichten der Eltern gegenüber den Kindern aus Art. 6 Abs. 2 GG, wenn dieses Grund-

1129 Qu' est ce qu' une nation, 1882, S. 26 ff.; so auch H. Heller, Staatslehre, S. 160; dazu 11. Teil, 2. Kap., S. 1188 ff. mit Fn. 56. Es wäre abwegig, Mängel der Verfassungsgebung zur Rechtfertigung dafür heranzuzerren, daß die Verfassung ungültig sei. Das würde Vorschriften über eine gültige Verfassungsgebung voraussetzen, die es nicht gibt (C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 82: "Ein geregeltes Verfahren, durch welches die Betätigung der verfassungsgebenden Gewalt gebunden wäre, kann es nicht geben"; i.d.S. auch Η Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 921 f.; R Kirchhof,, HStR, Bd. I, S. 779 ff.; weitere Hinweise in Fn. 200, 1128). Derartige Entstehungskritik soll der Verfassung Legitimität absprechen und will den Boden für eine andere Verfassung bereiten. Niemand, der die Verfassung liebt, wird sie wegen irgendwelcher Mängel der Entstehung in Frage stellen wollen. Die Verfassung mit ihrem gültigen Wortlaut zur Abstimmung stellen zu wollen, mindert ihre Legitimität, jedenfalls vorübergehend. Das ist wohl auch der uneingestandene Zweck solcher Forderung. 1,30 Die Wesensgehaltsgarantie, S. 44 ff. ("Normativität" als "Normalität"); i.d.S. auch Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 42 ff., S. 16 f..

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

recht wortlautgerecht verstanden wird, vernachlässigt, wäre in den 50er Jahren undenkbar gewesen. Das Bundesverfassungsgericht mußte allerdings die Grundrechte der Kinder bei seiner Erkenntnis über die Verfassungsmäßigkeit des Zerrüttungsprinzips ignorieren, um seine Entscheidung begründen zu können1131. Vor allem die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG begründet die gesetzgeberische Funktion des Bundesverfassungsgerichts. Der Wesensgehalt der Grundrechte als Leitentscheidungen für die Politik des Gemeinwesens läßt sich nicht anders als gesetzgebend entfalten 1132. Eine Interpretation des Wesensgehalts einzelner Grundrechte, nach welchen Methoden auch immer 1133 , scheitert an der allzu großen Offenheit dieses Wesensgehalts, der nur noch mit den Ideen der Grundrechte, mit deren unverzichtbarem Wertgehalt, identifiziert werden kann. Erst recht verbietet die Formalität der allgemeinen Freiheit und der allgemeinen Gleichheit deren interpretative Entfaltung 1134. Wenn die Ausgestaltung eines Grundrechts als Rechtserkenntnis akzeptiert wird, so als ein Ergebnis funktional gesetzgebender Politik. Eine Dogmatik der Variabilität und Dynamik des Wesensgehalts der Grundrechte ist unausweichlich. Jede interpretatorische Materialisierung dieses Wesensgehalts wäre ebenfalls funktional gesetzgeberisch1135. Peter Häberle hat darum die grundrechtsbegrenzende und grundrechtsausgestaltende Gesetzgebung als die Verwirklichung des Wesensgehalts der Grundrechte herausgestellt1136. Seine "institutionelle Grundrechtslehre" postuliert die vielfältige "Ausgestaltung" der Grundrechte durch den Gesetzgeber in Abwägung der mannigfachen, auch wandelbaren, Grundrechtsinterpretationen 1137. Sie konzipiert nicht die Formalität des republikanischen Freiheitsprinzips, das durch Gesetze, die

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Vgl. BVerfGE 53, 224 (247 f., 251 ff.); 61, 358 (359). Dazu 9. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 819 ff., 847 ff., 858 ff. 1,33 Dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 921 ff.; auch 9. Teil, 2. Kap., S. 898 ff. zur Abwägungsmethode. 1132

1134 Dazu 6. Teil, 1. u. 8. Kap., S. 441 ff., 494 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; auch 5. Teil, 3., 4. u. 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 546, 9. Teil, 3. Kap., S. 923. 1135 Dazu 9. Teil, 2., 3. u. 10. Kap., S. 858 (insb. S. 870 ff., 884 ff.), 920 ff., 1027 ff.; auch 6. Teil, 7. Kap., S. 490 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff. 1136 Die Wesensgehaltsgarantie, S. 70 ff., 126 ff., 180 ff. 1137 Wesensgehaltsgarantie, S. 180 ff., 322 ff.; ders., Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten. Ein Beitrag zur pluralistischen und prozessualen "Verfassunginterpretation", JZ 1975, S. 297 ff., auch in: ders., Die Verfassung des Pluralismus, S. 79 ff.

11. Kap.: Variabilität und Dynamik des Rechts

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das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit regeln, verwirklicht wird, sucht aber in vielfältiger und zufälliger Materialität, wertend und abwägend, schließlich doch im Gesetz das grundrechtsgemäße Recht. Hinter der offenen Vielfalt relevanter Grundrechtsinterpretationen verbirgt Häberle die Formalität republikanischer Freiheit 1138, die im Gesetz ihre Wirklichkeit findet. Diese Formalität ist unausweichlich, wenn die Freiheit allgemein ist, wenn wirklich alle Bürger als Gesetzgeber akzeptiert werden. Peter Häberle hat die Formalität des Freiheitsprinzips jetzt eingeräumt und das Sittengesetz des Art. 2 Abs. 1 GG, den "Kategorischen Imperativ Kants", als die Ethik des Grundgesetzes und aller Verfassungen freiheitlicher Prägung erkannt 1139. Zur dieser freiheitlichen Formalität hat auch Robert Alexy in seiner "Theorie der Grundrechte" noch nicht gefunden, obwohl sein Abwägungsgesetz, das die grundrechtlichen Prinzipien zu Regeln zu optimieren verpflichten soll, den jeweiligen Kompetenzträgern nichts als eine Gesetzgebungsfunktion überantwortet, weil die Allgemeinheit der Kriterien Alexys eine materiale Bindung nicht zu leisten vermögen 1140. Alexys Forschungen1141 bestätigen die Gesetzgebungsfunktion der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die praktische Vernünftigkeit der legislativen Gesetze.

1138

Wesensgehaltsgarantie, S. 6, gegen die, wie er es nennt, "materiale Allgemeinheit der Aufklärung", für die Verfassung als "objektives Wertsystem" (S. 4 ff., 31 ff., 329 ff. zur Abwägungsdogmatik), das freilich einer gesetzlichen Ausgestaltung bedürfe, um Regelungswirkung in hinreichender Bestimmtheit zu entfalten. Die gleiche Kritik richtet sich gegen das Verfassungsprinzip der Freiheit von E. Grabitz, Freiheit und Verfassung, S. 255 ff., 248, 250 f. (selbst kritisch gegenüber P. Häberle, S. 228 ff.), der auch nicht zur Formalität des Freiheitsprinzips vordringt. Eine "Dogmatik offener Grundrechtsinterpretatioh" entwickelt W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 89 ff., der diese auf einem, wie er es nennt, "formalen" Begriff der Freiheit aufbaut, S. 64 ff., diesen aber "liberal" als selbstbestimmte Handlungsmöglichkeiten und gerade nicht als politische Freiheit versteht (S. 66 ff.). Weitere Kritik an der die gesetzgeberische Funktion der Rechtsprechung verschleiernden Interpretationsdogmatik 9. Teil, 3. Kap., S. 921 ff. 1139

Ethik "im" Verfassungsrecht, Rechtstheorie 1990, S. 269 ff., 277, 280 f. Vgl. insb. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff., 143 ff., 309 ff., 347 ff., 395 ff., 465 ff.; ders., Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 405 ff., insb. S. 416 f., wo er den prozeduralen Charakter der Abwägung wie des Verhältnismäßigkeitsprinzips und m.E. damit die gesetzgeberische Funktion auch der abwägenden Rechtssprechung lehrt; die Abgrenzungsschwierigkeit spricht R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, S. 62 f., an, er bleibt aber bei der Unterscheidung von "Entscheidungskompetenz als Gesetzgeber" und "der Kontrollkompetenz des BVerfG". 1141 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 825. 1140

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9. Teil: Die Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung

Nicht offen und damit nicht dynamisch ist freilich der Freiheitsbegriff, der vielmehr formal ist. Die Freiheit als Autonomie des Willens, die politische Freiheit, mit der inneren Freiheit als der Nächstenliebe ist Grundlage und Prinzip des Rechts. Diese Freiheit ist ewig, jedenfalls als Idee. Gegen diese Freiheit kann es kein Recht und keinen Frieden geben. Der Parteienstaat kann darum trotz aller Praxis gegen die Republik, die freiheitliche Demokratie als den Staat des Volkes, keine Legitimität gewinnen.

Zehnter Teil Die republikwidrige Parteienherrschaft "Die politischen Parteien sind der Verderb unserer Zeit und der Verderb unserer Zukunft." - Bismarck , 1884

1. Kapitel Die Staatlichkeit der republikanischen Parteien Das Rätseln über den Status der Parteien "zwischen Staat und Gesellschaft" 1 ist Ausdruck der noch nicht überwundenen konstitutionalistischen Lehre der Trennung von Staat und Gesellschaft 2. Raum ist "zwischen" den

1 BVerfGE 1, 208 (225); 4, 27 (30) - "Staatsorgane"; BVerfGE 20, 56 (100 f.) - "Verfassungsorgane", "freigebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen", "Zwischenglieder zwischen den Einzelnen und dem Staat", "Sprachrohr des Volkes"; BVerfGE 52, 63 (82 ff.); 73, 40 (85 f.) - "frei gebildete Gruppen von Bürgern", "institutionelle Staatlichkeit"; G. Leibholz , Das Wesen der Repräsentation, S. 242 ff.; W. Henke , Das Recht der politischen Parteien, 2. Aufl. 1972, S. 1 ff., 21 ff., 110 ff.; ders ., Die Parteien und der Ämterstaat, NVwZ 1985, 616 ff.; ders ., GG, Bonner Komm., 3. Bearbeitung, 1991, Rdn. 64, 90, 272 zu Art. 21; K. Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, VVDStRL 17 (1959), S. 11 ff., 19 ff.; K. Stern , Staatsrecht I, S. 456 ff.; auch K.A. Schachtschneider , JA 1979, 514 ff.; Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 143 ff.; W. Schmitt Glaeser , HStR, Bd. II, S. 56, 65; P. Badura , HStR, Bd. I, S. 971; auch R. Spaemann, Staat und Gesellschaft, in: W. Leisner , Staatsethik, 1977, S. 40 ff. (S. 44: "Transmissionsriemen", eine schiefe Sicht); auch, nicht unkritisch, K.H. Hasenritter , Parteiordnungsverfahren, S. 7 ff.; dazu kritisch und richtig H. Krüger , Allgemeine Staatslehre, S. 367 ff., 371 ff.; vgl. schon C. Schmitt , Verfassungslehre, S. 247 ("denn das Wesen der Partei bleibt außerhalb jeder magistratischen Organisation"); R. Wildenmann (W. Kaltefleiter), Volksparteien - Ratlose Riesen?, 1989, S. 39, 113, 119, 168 ("Staatsparteien"); tendenziell so auch/?. Wassermann , Die Zuschauerdemokratie, 1986/1989, S. 90 ff., 166 ff., 171 ff., 181 ff., 199 ff.; enge Verbindung zwischen Parteien und Staat über die aus den Parteien kommenden Amtswalter sieht D. Grimm , Parlamente und Parteien, S. 202 ff.; ders., ähnlich, HVerfR, S. 317 ff., S. 327 ff.; vgl. auch kritisch zur Wirkung des "überinterpretierten" Art. 21 GG, auf die Stellung des Abgeordneten bezogen H. Hamm-Brücher , Abgeordneter und Fraktion, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, S. 674, 678 ff., 680 ff. 2

Dazu richtig etwa G. Leibholz , Das Wesen der Repräsentation, S. 245; H. Krüger , Allgemeine Staatslehre, S. 371 ff.; H.H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, HStR, Bd. I, S. 1187 ff.; D. Jesch , Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 173; H. P. Bull , Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Auflage 1977, S. 64 ff.; H. Ehmke , "Staat" und "Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, in: FS R. Smend, 1962, S. 23 ff.; ders., Wirtschaft und Verfassung, S. 11 ff.; J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 172 ff.; D.Th. Tsatsos/M. Morlok , Parteienrecht, 1982, S. 24 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 179 f., anders E.-W. Böckenförde, Die Bedeutung der Unter-

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Bürgern und ihrem Staat nicht. Das empiristische räumliche Denken verfehlt naiv die Kategorie Freiheit3 und findet keinen Zugang zu den Fragen nach Recht und Staat. Volk und Staat sind in der Republik nicht sich gegenüberstehende Personen. Weder sind das Volk oder gar die Gesellschaft Person noch der Staat4. Personen sind allein die (rechtsfähigen) Menschen, deren "Vereinigung unter Rechtsgesetzen" der Staat ist5. Diese Vereinigung, die Hobbes als "eine Person", "einen künstlichen Menschen", Locke einen "einzigen politischen Körper", Rousseau als "öffentliche Person", alle eher im v. Gierkeschen Sinne als Analogon zum Menschen6, begreifen, benötigt nach Kant die drei Gewalten als "moralische Personen"7. Der Staat besteht allein aus Gründen der Rechtstechnik aus sogenannten juristischen Personen, vielfältig nach konkreten Zwecken gegliedert, etwa in Bund, Länder, Gemeinden usw.8, auch die Europäische Gemeinschaft 9, aber er gewinnt

Scheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, S. 395 ff.; ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 185 ff., 197 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 45 ff. zu I, Rdn. 21 ff., 54 zu II zu Art. 20 GG.; W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 1 ff.; ders., Recht und Staat, S. 398 f.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 65 zu Art. 21; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 56 ff., 63 ff.; ablehnend für den Gesetzgebungsstaat schon C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 25, 27; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 77 ff.; eine "deliberative" Differenzierung von Staat und Gesellschaft schlägt J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 360 f., vor; dazu auch 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 175 ff. 3 Die "verräumlichende Denkweise" kritisiert auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 146 u.ö.; R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, S. 70 ff.; dazu 6. Teil, 5. Kap., S. 466 ff. 4 Dazu 2. Teil, 3. Kap., S. 89 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 173 ff. 5 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 16 ff. mit Fn. 78; auch 2. Teil, 4. Kap., S. 93 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 165 f.; Kant, Metapysik der Sitten, S. 431; ähnlich Locke, Über die Regierung, S. 73 ff.; i.d.S. W. Leisner, Volk und Nation, S. 112 ff., der das als rousseauistisch und jakobinisch kritisiert; vgl. auch ders., Staatseinung, S. 22 ff., 31 ff., 160 ff., selbst rousseauistisch. 6 Genossenschaftstheorie, 1887, S. 603 ff. 7 Hobbes, Leviathan, S. 155 f., 189; Locke, Über die Regierung, S. 67, 73, 75; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 18; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 434 ff.; dazu J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 614 ff. 8

Vgl. J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 619, 653; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 90 ff.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 175 ff.; kritisch zu Recht H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 784 f.; i.S.d. Textes F.C. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, II, 1840, §§ 60 ff., 85 ff., 239 f.; dazu W. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, Teil 2, Die juristische Person, S. 1 ff., der die Lehren Savignys aufgreift und zu Recht die soziale Realität der juristischen Personen anspricht, die aber den Rechtscharakter bei Savigny nicht bestimmen. 9 Zur freiheitlichen, aus der Willensautonomie der Bürgerschaft konzipierten Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft K.A. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, in: M. Brunner, Kartenhaus Europa?, 1994, S. 117 ff.; zu der Konzeption einer eigenständigen Gemeinschaftsgewalt EuGH (Gent/Loos) Rs. 26/62, Sammlung 1963, S. 1;

1. Kap.: Die Staatlichkeit der republikanischen Parteien

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dadurch keine Persönlichkeit10. Der Staat ist eine Einrichtung der Bürger; denn: Wir sind der Staat, "die Gemeinschaft der Freien" 11, eine "konkrete Rechtsgemeinschaft" (Jürgen Habermas) 12. Die schon genannte Definition Hermann Hellers des "Staates als organisierter Entscheidungs- und Wirkungseinheit", die "aus menschlichen Leistungen" bestehe13, erfaßt auch die Republik richtig. Carl Schmitt spricht vom "Staat... als dem politischen Status eines in territorialer Geschlossenheit organisierten Volkes"14. Diese Beschreibung überzeugt gerade, wenn das Politische aristotelisch als das Gesetzliche, das Gesetzliche aber als die Verwirklichung der Freiheit verstanden wird 15 . Carl Schmitt weist eine Gleichsetzung des Staatlichen mit dem so verstandenen Politischen zurück 16, obwohl das seiner Lehre vom Gesetzgebungsstaat entspräche17, weil er das Politische mit der "Un-

(Costa/ENEL) Rs. 6/64, Sammlung 1964, 1251, 1269 ff.; BVerfGE 22, 293 (295 f.); auch BVerfGE 37, 271 (280 ff.); 73, 339 (366 ff.); P. Badura, Bewahrung und Veränderung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassungsstruktur in den internationalen Gemeinschaften, VVDStRL 23 (1966) S. 54 ff., 57; Th. Oppermann y Europarecht, S. 152 ff., 294 f.; A. Bleckmann, Europarecht, 5. Aufl. 1990, S. 297 ff.; H.P. Ipsen, Europäische Verfassung Nationale Verfassung, EuR 1987, 195 ff.; E. Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, 1966; M. Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich, 1969, S. 9 ff. 10 ΚΛ. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 261 ff., 276 ff., 280; anders insb. O. v. Gierke , u.a. Genossenschaftstheorie, 1887, S. 603 ff. (Lehre von der realen Verbandsperson mit überindividuellem Willen); dagegen auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 90 ff.; zur Diskussion des Begriffs "Nation" in der französischen Staatslehre W. Leisner, Volk und Nation, S. 96 ff., 101 ff. (gegen Carré de Malberg, der eine über den Bürgern stehende Souveränität der Nation als den Staat lehrt). 11 Gegen W. Henke, Recht und Staat, S. 399, der das als "eine Art perennierenden Rousseauismus" kritisiert und den Staat als zur Herrschaft befugt sieht (dazu oben 2. Teil, 8. Kap., S. 133 ff.); vgl. i.d.S. auch ders., Bonner Komm., Rdn. 65, 69, 92 zu Art. 21. 12 Faktizität und Geltung, S. 22, auch S. 191, 193, 365 f., 655 u.ö; so auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 12 Aufl., 1994, S. 47 ff. (im Anschluß an H. Heller) 13 Staatslehre, S. 228, auch ff. und 237 ff., 238 ff. 14 Der Begriff des Politischen, S. 21; vgl. auch Verfassungslehre, S. 3 ff. 15 Dazu 2. Teil, 7., 10. und 11. Kap., S. 124 ff., 145 ff., 153 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 2., 7., 8. und 10. Kap., S. 858 ff., 978 ff., 989 ff., 1027 ff. 16 Der Begriff des Politischen, S. 21 f.; dazu J. Isensee, Bd. VII, S. 109 ff., der den Schmittischen Begriff des Politischen für das Asylrecht des Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG aktiviert, S. 118. 17 Legalität und Legitimität, S. 20 ff. ("Der Staat ist Gesetz, das Gesetz ist der Staat"); auch Verfassungslehre, S. 138 ff.; dazu 2. Teil, 10. Kap., S. 150 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 f., insb. S. 528 ff.; auch 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

terscheidung von Freund und Feind" zu erfassen sucht18 und damit das Staatliche des gemeinsamen Lebens als prinzipiell unpolitisch, den Bürgerkrieg ausgenommen, als bloße "Polizei", definieren muß19; denn Feindschaft widerspricht der Ethik des Staatlichen als der Verwirklichung der Freiheit durch Gesetzlichkeit, nämlich dem Imperativ: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst20. Den "Gesetzgebungsstaat" begreift auch Carl Schmitt als "Selbstorganisation der Gesellschaft", in dem "jene dualistische Konstruktion von Staat und Gesellschaft, Regierung und Volk, ihre Spannung verloren" habe, und "alle auf dieser Voraussetzung aufgebauten Begriffe und Einrichtungen (...) zu neuen Problemen" würden 21. Die Sache des Bürgers gehört nur in die Partei, soweit sein Handeln res publica ist; denn der Staat hat nur den Zweck, allen ein gutes Leben in allgemeiner Freiheit möglich zu machen22. Die Verwirklichung dieses Zwecks schafft das Gemeinwohl, in das sich alles äußere Handeln einfügen muß. Jedes äußere Handeln geht in einem unterschiedlichen Maße andere an und bedarf darum im Interesse des allgemeinen oder des besonderen Friedens der staatlichen Rechtfertigung im Gesetz23. Handeln wirkt auf die Polis/die Republik ein: Handeln und Sprechen ist politisch, lehrt Hannah Arendt 24. Die Parteien sind ebenso staatlich wie der Bürger als citoyen. Sie üben jedoch ebensowenig wie der Bürger Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2, 2. Satzteil GG aus. Die Parteien sind keine "besonderen Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung"25. Sie

18

Der Begriff des Politischen, S. 26 ff.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 748 ff. Der Begriff des Politischen, S. 10, 26 ff. 20 Dazu 2. Teil, 7. und 8. Kap., S. 124 ff., 135 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 277 ff.; vgl. C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 9 ff., selbst. 21 Der Hüter der Verfassung, S. 78, auch ff.; zur republikwidrigen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff. 22 Dazu 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 350 ff.; auch 3. Teil, 4. Kap., S. 201 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f. 23 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 218 ff.; insb. zum rechtlichen Handlungsbegriff 5. Teil, 3. Kap., S. 297 ff., 318 ff.; auch 5. Teil, 4. und 5. Kap., S. 346 ff., 370 ff. 24 Vita activa, S. 16, 164 ff. 19

25

K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 177, S. 70; so auch für Art. 1 Abs. 3 GG K.H. Hasenritter, Parteiordungsverfahren, S. 24; R. Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung, S. 135; zum Begriff der Staatsgewalt 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; insb. S.

1. Kap.: Die Staatlichkeit der republikanischen Parteien

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gehören somit nicht zum Bereich des Staatlichen im engeren Sinne26, also nicht zum "System der staatlichen Ämter" i.S. eines engeren auf die repräsentative Ausübung der Staatsgewalt bezogenen Amtsbegriffs 27. Als Wähler übt der Bürger "Staatsgewalt" aus, wie Art. 20 Abs. 2 S. 2, 1. Satzteil GG beweist28. "Volks- und Staatswille" fallen in der Wahl zusammen (Walter Schmitt Glaeser) 29. In den weiteren Bereich des Staatlichen, den Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG als "politische Willensbildung des Volkes" bezeichnet30, gehören die Parteien31, die zumal durch die Kandidatenaufstellung

64 ff.; auch 3. Teil, 1. Kap., S. 168 ff. 26 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 160 ff., 175 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; auch J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 6; ders., HStR, Bd. I, S. 654, differenziert den Staat im engeren Sinne als die Einrichtungen der Staatsgewalt und den Staat im weiteren Sinne, der die Gesellschaft einschließe. 27 BVerfGE 8, 104 (112 f.); klar H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, 1927, S. 24 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 371; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 18 f., 38 ff. zu Art. 20 zu II., erfaßt diesen Bereich als den der "mittelbaren Demokratie", die organ-, amtsmäßig gestaltet sei; vgl. auch Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 145; vgl. auch W. Henke, NVwZ 1985, 616 ff.; dem Text nahe ders., Recht und Staat, S. 374 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 58, 67, 71, 73 ("Die Parteien sind als primär freie gesellschaftliche Vereinigungen nicht Teil der Ämterordnung"); auch J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit-Republikanische Tugend, S. 68 ff.; i.d.S. auch D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 203; ders., HVerfR, S. 327 ff., 357 ff.; zum Amtsprinzip 2. Teil, 8. Kap., S. 137 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; auch 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 612, 621. 28 So BVerfGE 8, 104 (112f.); dazu i.d.S. K. Stern, Staatsrecht I, S. 594 ff., 604 ff; so auch KH. Hasenritter, Parteiordungsverfahren, S. 10; allgemein zur Staatsgewalt als innerer Souveränität A. Randelzhofer, HStR, Bd. I, S. 705, der zu den Fragen des Textes nicht Stellung nimmt; grundsätzlich zur Staatsgewalt H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 818 ff., S. 250 f., zum Wähler als "öffentlicher Person", als "Repräsentanten", zum "Staatsorgan" als "Noumenon"; den Bürger und Wähler versteht auch D. Sternberger als Amtswalter, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 25. 29 HStR, Bd. II, S. 61 f. 30 Meist wird entgegen dem republikanischen Prinzip gemäß der Trennung von Staat und Gesellschaft zwischen "staatlicher" und "politischer Willensbildung" unterschieden, zwischen der des Volkes und der des Staates, der Ämter; klar BVerfGE 8, 104 (112 f.); anders jetzt BVerfGE 85, 264(284), das von einem "Prozeß der politischen Willensbildung im demokratischen Staat" spricht; E. Grawert, HStR, Bd. I, S. 673 f., auch S. 685 f., i.d.S. zu den Aktivbürgerrechten; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 69 ff., 71, 73 zu Art. 21; zur Volkswillensbildung im Verhältnis zur Staatswillensbildung überzeugend W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 59 ff.; auch J. Isensee, HStR, Bd. VII, S. 107 ff., 117, unterscheidet das Staatliche vom Politischen in Art. 21 Abs. 1 GG, das er mit M. Weber als "Streben nach Macht..." begreift, eine Dogmatik, welche die Republik in den Parteienstaat wandelt. 31 I.d.S. schon H. Heller, Staatslehre, S. 187, 205; G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 290 ("Staatsorgane" wegen der Wahl Vorschläge); vgl. H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 24 f. (kritisch); klar so G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 242 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 118 zu Art. 20 GG zu II., spricht von "einmaliger

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

an den Wahlen beteiligt sind (§§ 1 Abs. 2; 2 Abs. 2 PartG) 32. "Die politischen Parteien als die Selbstorganisierten der Aktivbürgerschaft im politischen Raum können in Wirklichkeit staatlich institutionalisiert, d.h. in den staatlichen Raum so eingebaut werden, daß ihr Wollen und Handeln in den hochpolitischen Fragen zugleich staatliches Wollen und Handeln darstellt." - Gerhard Leibholz 33 Rudolf Wildenmann nennt die "Volksparteien", gestützt auf Werner Kaltefleiter, im "wirklichen Parteienstaat" der Bundesrepublik konsequent "Staatsparteien"34. Zu Recht hat Heinrich Triepel "in dem Gedanken des Parteienstaates einen schwer auflösbaren Widerspruch" gesehen35. Triepel

'Staatsnähe' der politischen Parteien"; i.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge der Verfassungsrechts, Rdn. 177, S. 70 ("Feld politischer Einheitsbildung"); i.d.S. auch D. Grimm, HVerfR, S. 327 ff., 331 ff., 357 ff.; ders., Parlament und Parteien, S. 202 ff.; W. Leisner, Staatseinung, S. 164 ff., insb. S. 168 ff.; i.d.S. auch O.K. Flechtheim, Zur Frage der innerparteilichen Demokratie, in: Neue Kritik 2, 1961, S. 19 (Partei - "quasi-öffentlich-rechtliche, d.h. staatsverbundene, hierarchisch geführte Anstalt", die "in die Nähe der mit besonderen Staatsprivilegien ausgestatteten Großkirchen" rückt); i.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 371 ff.; E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. IV, 1969, S. 9, hat bereits den Parteien von 1878-1890 einen politisch-öffentlichen Status beigemessen; a.A. W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 65 zu Art. 21, der die Parteien "zum Bereich des Privaten" ordnet, weil er als "rechtliche Substanz des Staates das Amt" dogmatisiert, seiner Trennung von Staat und Gesellschaft folgend (Rdn. 73 u.ö.); der Lehre des Textes kommt BVerfGE 85; 264 (283 ff.) zumindest nahe. 32 Die Nominationsprivilegien der Parteien sind verfassungsrechtlich nicht unbedenklich, weil die Kandidatenaufstellung zur "Wahl" gehört und somit Ausübung von "Staatsgewalt" durch das "Volk" i.S. des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist, welche Privilegierungen nicht zuläßt. Jedenfalls läßt sich § 10 Abs. 1 S. 1 PartG, der den Parteien das Recht gibt, "frei über die Aufnahme von Mitgliedern" zu entscheiden, angesichts der Privilegien der Parteien republikanisch nicht halten (a.A. W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 89 f.; ders., Bonner Komm., Rdn. 271 f. zu Art. 21, auf Art. 9 GG gestützt; im Erg. auch BGH NJW 1987, 2503, 2504 ff.; im Erg. wie hier F. Knöpfte, Der Zugang zu den politischen Parteien, Der Staat 9 (1970), S. 321 ff; ders., Der Staat 16 (1977), S. 397 ff.; kritisch gegenüber den Nominationsprivilegien der Parteien, vor allem wegen deren Rückwirkungen auf das Mandat der Abgeordneten, überzeugend H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 697; auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 167 f. (für Briefwahl unter den Mitgliedern, Qualitätskriterien für Führungsgremien, Kompetenz); vermittelnd K. Stern, Staatsrecht I, S. 446 f. mit weiteren Hinw.; auch Rh. Kunig, HStR, Bd. II, S. 11 ; auch D.Th. Tsatsos/M. Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 58 ff.; der Widerspruch des Parteienstaates zur Republik wird hier manifest; zur politischen Willensbildung auch 10. Teil, 4. und 8. Kap., S. 1086 ff., 1147 ff.; auch 7. Teil, 5. Kap., S. 604 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., 810 ff. 33

Das Wesen der Repräsentation, S. 245 f. Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 39, 119, 168. 35 Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 25, gegen O. Koellreutter, Die politischen Parteien im modernen Staate, 1926, vgl. S. 55 ff.; G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 288; und vor allem R. Thoma, HbdDStR, 1. Bd., S. 190, 192, 196, u.a. 34

1. Kap.: Die Staatlichkeit der republikanischen Parteien

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kritisiert die Identifizierung der Parteien mit dem Staat im Sinne des Ämterstaates. Die Ämter des Staates (die Staatlichkeit im engeren Sinne) sind von den Parteien unterschieden, und trotz allen Einflusses der Parteien auf die staatliche Willensbildung ist diese rechtlich von der Willensbildung der Parteien unabhängig und muß von letzterer um der Vertretung des ganzen Volkes willen unabhängig sein. Parteibeschlüsse sind keine Gesetze, Verwaltungsakte oder Richtersprüche. Ein derartiger Parteienstaat ist Deutschland nicht. Damit ist aber die Charakterisierung Deutschlands als Parteienstaat nicht schon abgewehrt. Wilhelm Henke versucht, den Vorwurf des Parteienstaates mit derart einfacher Begrifflichkeit beiseite zu schieben36. Mit dem Begriff Parteienstaat wird nicht eine juristische Identifizierung von Volk, Partei und Staat reklamiert, sondern die übermäßige Relevanz der Parteien, insbesondere der pluralen Parteienoligarchie, bei der politischen Willensbildung des Volkes und damit des Staates. In dem Maße, in dem die Politik des Gemeinwesens substantiell von den Parteien entschieden wird, besteht ein Parteienstaat. Eine Form des Politischen ist niemals rein. Aber die Relevanz einer Form kann ein Maß erreichen, welches diese Form zum charakteristischen Merkmal erhebt, gegebenenfalls neben anderen, wie in Deutschland, das auch ein Gerichtsstaat, ein Industriestaat, ein Gewerkschaftsstaat u.a. ist. Der kritisierende Begriff wirft jeweils ein Übermaß an politischem Einfluß vor. Der Begriff des Staates im weiteren Sinne umfaßt jedenfalls die politische Willensbildung der Bürger. "Mehr als in anderen Ländern sind die Parteien Elemente der staatlichen Machtorganisation, einschließlich ihrer Fragmentierung." - Rudolf Wildenmann 37 "Die politischen Parteien sind eben doch letztlich voll auf den Staat hin konzipiert." - Walter Leisner** "Abstimmungen" im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sind im übrigen "essentiell ... Ausübung von Staatsgewalt im status activus"39, also im engeren Sinne.

36

GG, Bonner Komm., Rdn. 57, 64, 65 u.ö., zu Art. 21, der dem Leibholzschen "geisteswissenschaftlichen" Begriff der "Identifizierung" nicht gerecht wird (dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff.) 37 R. Wildenmann (WKaltefleiter), Volksparteien - Ratlose Riesen, S. 113. 38 Staatseinung, S. 168. 39 Klar BVerfGE 8, 104 (115).

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Staatlichkeit im weiteren Sinne der Republik als einem Gemeinwesen mit bürgerlicher Verfassung 40 ist die Vielfalt des Handelns41, mit dem die Bürger die allseitige Gemeinsamkeit des Lebens bewältigen, also alles, was dazu beiträgt, auf der Grundlage der Wahrheit das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit zu verwirklichen, somit das gesamte politische Handeln der Bürger, insbesondere auch das in den Parteien. Staatlich ist damit das gesamte Verfahren zum Gesetz, also der Diskurs um die Erkenntnis des Gesetzes und die Entscheidung, welche das Gesetz verbindlich macht42. Staatlich ist die Verwaltung, welche die Gesetze vollzieht. Staatlich ist schließlich die Rechtsprechung, welche das gesetzliche Handeln erzwingt und schützt. Staatlich ist insbesondere das Handeln des Bürgers, der das staatliche Gesetz achtet43. Wer das staatliche Gesetz mißachtet, verletzt alle Bürger in ihrem Recht auf das friedliche, also gesetzesgemäße gemeinsame Leben in Freiheit. Richtig kennzeichnet Walter Schmitt Glaeser den "Volks- und Staatswillensbildungsprozeß als Teile eines Ganzen, des Gesamtwillensbildungsprozesses in der Demokratie" 44. Carl Schmitt hat die "Identität des Staatswillens und Volkswillens als demokratische Konsequenz" der "Beseitigung des Dualismus von Staat und Gesellschaft und zugleich der dualistischen Struktur der konstitutionellen Monarchie" herausgestellt45. Die Parteien sind "die ersten Faktoren der Bildung des staatlichen Willens aus der Gesellschaft." - Herbert Krüger ·6 40

Kant, Über den Gemeinspruch, S. 143 ff.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 204 ff., dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; auch 2. Teil, 9. und 11. Kap., S. 140 ff.; 153 ff.; 7. Teil, 3. Kap., S. 550 ff. 41 Ganz so Η Arendt, Vita activa, S. 164 ff. 42 Dazu 7. Teil, 1., 4. u. 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; auch 8. Teil, 3. Kap., S. 707 ff. 43 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff., insb. S. 230 ff. 44 HStR, Bd. II, S. 63 (besser hätte er von Republik gesprochen). 45 Legalität und Legitimität, S. 27; ebenso ders., Der Hüter der Verfassung, S. 77 ff.; zum Dualismus von Staat und Gesellschaft 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 159 ff., 175 ff.; auch 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff. 46 Allgemeine Staatslehre, S. 371, der die "Gesellschaft" als "das Volk in öffentlicher Funktion" begreift (a.a.O.); C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, S. 653 f., meint mit der Einheit von Volks- und Staatswillensbildung die parteiliche Bindung des Abgeordnetenmandats im Sinne einer "praktischen Konkordanz" von Art. 38 und Art. 21 (S. 651 f.) rechtfertigen zu können, eine methodisch unzureichende Begündung, die zeigt, daß mit dem mißverstandenen Hesseschen Gesichtspunkt der "praktischen Konkordanz" (Κ. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 27, Rdn. 72) gewünschte Ergebnisse etabliert werden können, indem eine Spannungslage zwischen

1. Kap.: Die Staatlichkeit der republikanischen Parteien

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Der Staat kann des Mittels des Zwanges nicht entbehren47. In welchen Fällen, in welchen Verfahren und in welchem Maße wer gegen wen Zwang ausüben darf oder muß, regeln die Gesetze. Der Staat benötigt Ämter, weil verbindlich entschieden und Entschiedenes durchgesetzt werden muß48. Der Staat der Ämter und des Zwanges, die mit dem Begriff "Staatsgewalt" erfaßte Staatlichkeit, ist jedoch nicht der ganze Staat. Der Staat sind auch die Bürger und auch deren Vereinigungen, insbesondere deren Parteien; denn: Der Staat, das sind wir. Wir sind das Volk. Res publica res populi.

Grundgesetzartikeln durch Fehlinterpretation, hier vor allem des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG herbeigeführt wird, welche bei klassischer Interpretation nicht besteht; Hinweise zu dem Argumentationstopos Spannung zwischen dem Art. 38 Abs. 1 S. 2 und Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG in Fn. 740, 741 im 8. Teil, 5. Kap., S. 779 f. 47 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 48 Dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 612 f.; 7. Teil, 6. Kap., S. 620 ff., 625; auch 2. Teil, 8. Kap., S. 137 ff.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

2. Kapitel Die demokratistische Ideologie von der Notwendigkeit von Parteien Parteien gelten für die parlamentarische Demokratie als unentbehrlich49. "Parteienstaat oder was sonst?" Mit dieser Frage hat Wilhelm Grewe 1951 jede Alternative zum Parteienstaat verworfen 50. "Diese Entwicklung des Volksstaates zum Parteienstaat war aber unvermeidlich. ... So bleibt im Blick auf die soziologische Wirklichkeit unseres Staatslebens nichts anderes übrig, als anzuerkennen, daß er Parteienstaat ist und trotz aller Reformversuche Parteienstaat bleiben wird." - Gustav Radbruch , 193051

49 BVerfGE 1, 208 (223 ff.); 11, 266 (273); 20, 56 (101, 113 f.); 24, 260 (264); 41, 399 (416); 44, 125 (182); 73, 40 (81); 85, 264 (284); st. Rspr. und die überwiegende den ParteienStaat legitimierende vor allem von G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 118 ff., 240 ff.; ders., Der moderne Parteienstaat, S. 68 ff.; u.st., begründete Ideologie; dazu F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 165 ff., 191; krass D. Stammer, Politische Soziologie, S. 281 ff.; E . Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, VVDStRL (1958), S. 19; W. Henke, Bonner Komm. (Zweitbearbeitung), Rdn. 12 ff. zu Art. 21 GG (sonst wird Henkes Drittbearbeitung zitiert); so auch der Club Jean Moulin , Staat und Bürger, 1961/1964, S. 127 ff.; C.J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, S. 477; auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 368 f.; sogar D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 416 (aber nur für die Vorschläge); R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 84, 102, 166 ff.; selbst H.H. v. Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1991, S. 3; ders., Staat ohne Diener, 1993, S. 86; H. Heller, Politische Demokratie, S. 427; ders., Staatslehre, S. 187; H. Kelsen, Das Wesen und Wert der Demokratie, S. 20; G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 285 ff. ("soziologische Wirklichkeit des Parteienstaates"); K. Stern, Staatsrecht I, S. 435, 964 ("keine Repräsentation ohne Parteien"); R. Scholz, Krise, S. 39; P. Badura, GG, Bonner Komm, 1966, Rdn. 30, Art. 38; ders., HStR, Bd. I, S. 982; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 495; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 56; D. Grimm, HVerfR, S. 317 ff, 323 ff.; ders., Parlament und Parteien, S. 199 ff.; Κ.Ή. Naßmacher, Parteienfinanzierung als verfassungspolitisches Problem, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/89, S. 27, 33; grob A. Mintzel, Großparteien im Parteienstaat der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/89, S. 3 ff., 8 ff.; verfassungsfern R. Wildenmann, Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 8, 124, 157; deutlich auch die Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung vom 17.02.1993, Bundestag-Drucksache 12, 4425, S. 7,15,47; kraß auch C. Arndt, Fraktionen und Abgeordnete, S. 644 ff.; kritisch insb. H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 8 ff; weitere Hinweise in Fn. 704 im 8. Teil, 5. Kap., S. 772; dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., insb. zur aufklärerischen Parteienkritik mit Zitaten, S. 785. 50 Der Monat, VI, 51, S. 563 ff., zitiert bei R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 90, der dem folgt, a.a.O., S. 90 ff., 166 ff., 199 ff.; in der Sache ebenso D. Grimm, HVerfR, S. 317 ff., 323 ff.; ders., Parlament und Parteien, S. 199 ff. ("In dieser Vermittlungsfunktion sind sie (sc. die Parteien) daher zur Zeit ohne gleichwertige Alternative"; Grimm ist heute Richter am Β undes Verfassungsgericht ! ).

2. Kap.: Die demokratische Ideologie von der Notwendigkeit von Parteien

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"Der moderne massendemokratische Staat kann ohne die modernen straff organisierten massendemokratischen Parteien nicht existieren." - Ernst Friesenhahn 52 "Daß die parlamentarische Demokratie notwendig ein Parteienstaat ist, kann aber seit langem als geläufig gelten, ..." - Peter Badura 53 "Politische Parteien sind daher nach wie vor unersetzlich als Instrument der Synthese (sc. von Staat und Gesellschaft); hätten wir sie nicht, so müßten wir sie erfinden." - Rudolf Wassermann, selbst ein scharfer Kritiker der "Zuschauerdemokratie", der die "oligarchisierten ... deutschen Parteien" als eine "gegebene Größe" von "festorganisierten Mitgliederparteien" vorstellt 54, unterwirft sich mit dem zitierten Satz 1986/1989 dem, was die meisten denken. Die Herrschaftsideologie sitzt; Kritiker werden der Lächerlichkeit ausgesetzt, typischerweise die erste Phase allgemeiner Erkenntnis des Irrtums. Die Bundesrepublik Deutschland gilt vielen schlicht als "Parteiendemokratie" 55. Sie ist es auch, soll es aber nicht sein. Rudolf Wildenmann leitet die Studie über die Volksparteien mit einer Feststellung ein: "Wir bewegen uns innerhalb der vom Parlamentarischen Rat geschaffenen Grundstruktur, dem System der Parteienregierung als dem dominierenden - und in der Bundesrepublik bislang gut gelungenen - Konzept zur Verwirklichung des Demokratiegedankens"56,

51

HbdDStR, 1. Bd., S. 287, 288. VVDStR 16 (1958), S. 19, danach Richter am Bundesverfassungsgericht; so auch R. v. Weizsäcker, Der Parteienstaat oder Die Zukunft der liberalen Demokratie, 1992, S. 139 f. ("sechstes Verfassungsorgan", kritisch). 53 HStR, Bd. I, S. 982. 54 Die Zuschauerdemokratie, S. 166, 170 (Zitat), S. 166 ff., 199 ff.; ganz so D. Grimm, HVerfR, S. 324 f.; zum Schmittschen Begriff der "festorganisierten Partei", 8. Teil, 3. Kap., S. 713 f.; insb. Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff. 55 Etwa dem Soziologen A. Mintzel, Großparteien im Parteienstaat der Bundesrepublik, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/89, S. 8; auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 84, 87, 205 u.ö. ("parlamentarische Parteiendemokratie"); P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten, S. 491 ("sozialstaatliche Parteiendemokratie"); ders., HStR, Bd. I, S. 982 ff.; so auch BVerfGE 80, 188 (217 ff.); 84, 304 (322); dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. mit Fn. 704. 52

56 Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 8, auch S. 157, nicht belegt und nicht belegbar. Die Studie bemüht sich nicht um vom Grundgesetz geleitete kritische Analyse der von den Volksparteien geschaffenen Verfassungs Wirklichkeit, sondern zieht Herrschaftsideologisierung im Interesse der Parteienoligarchie vor, deren krasseste Verfassungsbrüche die Vorschläge sind, die Wahlkampfkostenerstattung den Parteien vorzuenthalten, welche die ohnehin verfassungswidrige (dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff.) 5%-Sperrklausel nicht überwunden haben (a.a.O., S. 137, Beitrag von K.H. Naßmachen S. 163 ff., Reformvorschläge) und den "Parteivorständen

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

die von vornherein nicht mehr als apologetische Ideologisierung der Parteienherrschaft verspricht und dieses Versprechen trotz einiger vor allem von Werner Kaltefleiter inspirierter kritischer Bemerkungen reichlich erfüllt, vor allem um eine verstärkte staatliche Parteienfinanzierung, freilich nur für die Großparteien, zu rechtfertigen 57. Der Parlamentarische Rat hat ausweislich der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes allen Versuchen, die ohnehin zu erwartende Dominanz der Parteien im politischen Leben durch Verfassungsbestimmungen zu verstärken, widerstanden, vor allem bei der klassischen Fassung des freien Mandats der Abgeordneten58. Der Sinn der zurückhaltenden, abgewogenen Formulierung des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG ist gerade, den Parteienstaat, die Gefahr des allgemeinen Wahlrechts, abzuwehren. Die Parteien sollen "bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken", diese aber nicht monopolisieren59 und nicht einmal dominieren. Von einem "System der Parteienregierung" ist an keiner Stelle die Rede. Ein solches System ist allen Prinzipien des Grundgesetzes entgegengesetzt. "Erst mit und durch die Parteien verdichtet sich der Wille des Volkes zum wirklich Politischen." - Christian Graf von Krockow 60 "Denn diese Gegenüberstellung (sc. "von Staat und Partei") übersieht, daß in der heutigen Form der Demokratie es gerade die Parteien sind, die das Volk politisch erst organisieren und aktionsfähig machen." - Gerhard

ein Vorschlagsrecht ... zumindest bei Listenkandidaten" einzuräumen (a.a.O., S. 161). Die "Parteiregierung" hält auch D. Sternberger, Das allgemeine Beste, S. 187 f., für fähig, das "allgemeine Beste" zu bewirken, insb. durch das Kabinett und das parlamentarische System von Regierungsmehrheit und Opposition, deutlich von dem britischen System der Parteiregierungen beeindruckt, aber im Widerspruch zu seiner aristotelischen Lehre von der Bürgerlichkeit oder der Politik (a.a.O., S. 170 ff.); von der Parteienregierung spricht auch D. Grimm, HVerfR, S. 351 ("Die Regierung ist eine Parteienregierung" (?!)). 57 Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 123 ff. (K.H. Naßmacher), S. 163 f. (R. Wildenmann). 58 Vgl. W. Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 195 ff. zu Art. 20, S. 202 ff. zu Art. 21; R.W. Füsslein, daselbst, S. 349 ff. zu Art. 38, insb. S. 354 f.; S. 422 ff. zu Art. 62 ff.; diese Entstehungsgeschichte greift zu Recht zur Verteidigung des freien Mandats auf H. HammBrücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 679 f.; vgl. i.d.S. E. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 22 f.; zum freien Mandat 8. Teil, 5. Kap., S. 780 ff., 810 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 710 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff. 59

Ganz so R. v. Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 146 ff.; zum Begriff des Mitwirkens W. Henke, GG., Bonner Komm., Rdn. 72 zu Art. 21 ("kein Monopol"); i.d.S. auch BVerfGE 20, 56 (114). 60 Wozu brauchen wir eigentlich Parteien?, in: v. Krockow/Lösche, Parteien in der Krise, 1986, S. 10 ff.; nicht anders ständig G. Leibholz, etwa: Das Wesen der Repräsentation, S. 240 ff.

2. Kap.: Die demokratische Ideologie von der Notwendigkeit von Parteien

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Leibholz 61, der von dem "die unmittelbare Demokratie surrogierenden Parteienstaat", von der "Identität von Partei und Staat" spricht. Diese ideologisierende These ist normativ unrichtig und für die "festgefügten Parteien" (Carl Schmitt 62) im Sinne des Parteiengesetzes von 196763, die hier auch parteiliche Parteien genannt werden, empirisch nicht erwiesen und kaum erweisbar. Sie trägt aber den entwickelten Parteienstaat, insbesondere dessen weitgehend staatliche Finanzierung, reklamiert als "Kosten der Demokratie" 64. "Es gibt keine Demokratie ohne Parteien, aber nur, weil es keine Demokratie ohne öffentliche Meinung und ohne das stets anwesende Volk gibt." - Carl Schmitt 65 Das überzeugt für die interessenhafte Demokratie, nicht aber für die Republik, die von einem anderen Volksbegriff ausgeht als diese Definition Schmitts 66 und in der die "öffentliche Meinung" keine rechtlich relevante Institution ist, weil sie weder amtlich, also kompetenz- und verfahrenshaft, ist noch sein kann67.

61

Das Wesen der Repräsentation, S. 240, 122 f. (dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff.); ganz so für viele D. Grimm, HVerfR, S. 317 ff., 323 ff.; ders, Parlament und Parteien, S. 199 ff.; vgl. dazu auch (wenig überzeugend) W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 57, 63, 64 zu Art. 21. 62 Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., differenziert zwischen den "liberalen Parteien" des "parlamentarisch-demokratischen Gesetzgebungsstaates" und den "festgefügten Parteien" des "pluralistischen Parteienstaates", noch heute richtig, dazu 8. Teil, 3. Kap., S. 713 f.; auch 10. Teil, 8. Kap., S. 1158 ff. 63 Zum Begriff derartiger Parteien W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 5 ff, 15 ff., 40 ff. zu Art. 21, der die Fragwürdigkeit des gesetzlichen, das politische System in Deutschland bestimmenden Parteibegriffs nicht erkennt, der Einstieg in eine durchgehend parteienstaatsapologetische Kommentierung, die eine vermeintlich "juristische" überaus begrenzte, methodisch nicht definierte Argumentationsweise pflegt, die Recht vom Politischen trennen zu können meint; für die oder im Sinne der Vereinbarkeit des § 2 PartG mit Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG BVerfGE 24, 260 (264 ff.); 24, 300 (361); 74, 96 (100); 79, 379 (384); K. Stern, Staatsrecht I, S. 440 f.; zurückhaltend Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 109 f. 64 So auch K -Η. Naßmacher, Parteienfinanzierung als verfassungspolitisches Problem, S. 33; ders., Parteifinanzen zwischen Bürgerbeitrag und Staatshaushalt, in: R. Wildenmann, Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 124 f. (nach Heard)] ebenso R. Wildenmann, daselbst, S. 163 f.; auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 100. 65 Verfassungslehre, S. 247 f. (i.S. der Identität); i.d.S. auch ders., Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., 87 ff.; in diesem Satz dürfte Schmitt nicht die "festgefügten Parteien" angesprochen haben. 66 Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., 763 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., 35 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 650 ff. 67 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 602 ff.; auch 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. 57 Schachtschneider

1058

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Die parteienstaatliche Fraktionierung der Parlamente hat dem vom Grundgesetz der klassischen Fassung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gemäß konzipierten republikanischen, also freiheitlich-demokratischen, Parlamentarismus die Substanz genommen68. Es gibt kein Parlament, wie es das Grundgesetz will; es gibt damit keine freiheitliche Gesetzgebung, die das Grundgesetz will. Es gibt kein Recht im Sinne des Grundgesetzes. Es gibt vielmehr eine Parteienherrschaft 69. Daß der Gesetzgebungsstaat sich parteienstaatlich nicht verwirklichen läßt, hat Carl Schmitt für den Weimarer "pluralistischen Parteienstaat" konstatieren müssen70. Der irrigen These, die Parteien seien für die Demokratie notwendig, ist die These entgegenzusetzen: Parteiliche Parteien verhindern die freiheitliche Demokratie, die Republik 71 ; denn diese bedarf des echten Parlaments, das durch öffentliche Diskussion des Wahren und Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit definiert ist. Ein solcher Parlamentarismus wird aber durch die parteilichen Parteien erstickt 72. Richtig ist die These: Parteiliche Parteien machen die Republik unmöglich. Die These, die Demokratie benötige die Parteien, ist für die Parteiendemokratie richtig und sagt nichts anderes als: Es gibt keine Parteienherrschaft ohne Parteien. Diese These beansprucht für die Parteienherrschaft das legitimierende Demokratieprinzip. Es geht ihr darum, die Herrschaft gegen die Freiheit zu verteidigen73. Es geht um die Macht im herrschaftlichen Sinne. "Wissen ist Macht", sagt man zu Recht. Folglich ist Erkenntnis eine Machtfrage. Das dürfte der Grund für die beharrliche Weigerung des überwiegenden Teils der Lehre von der Politik, von der Freiheit, vom Recht und 68 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff., insb. S. 779 ff., 800 ff., 814 ff.; auch 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff. 69

Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; auch 2. Teil, 4., 5. und 6. Kap., S. 92 ff., 100 ff., 106 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. 70 Vgl. 8. Teil, 5. Kap., S. 774 ff.; insb. Verfassungslehre, S. 318 f.; Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 27 ff., 41 ff., insb. S. 62 f.; Legalität und Legitimität, insb. S. 40 ff.; ganz i.d.S. H. Hamm-Brücher, Abgeordnete und Fraktion, S. 673 ff. 71 Zum Begriff der Republik als freiheitlich begriffene Demokratie 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., insb. S. 34 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 178 ff. 72 Das bestätigt auch G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286, für die rousseauisch "demokratische Ideologie", der er aber S. 286 ff. die "Soziologie der Demokratie" entgegensetzt, die "unvermeidlich" zum "Parteienstaat" führe (S. 287) und auf deren Grundlage er den Parteienstaat akzeptiert und dogmatisiert, Radbruch, dieser relativistische Rechtsphilosoph.; diese "Gefahr" beschreibt auch W. Löwer, Aktuelle Gefährdungen des Republikanismus durch den Parteienstaat, zu : Almanach Bd. VI des Deutschen Hochschul Verbandes, 1993, S. 47 ff. 73 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; 2. Teil, 4., 5. und 6. Kap., S. 92 ff., 100 ff., 106 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.; auch 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff.

2. Kap.: Die demokratische Ideologie von der Notwendigkeit von Parteien

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vom Staat sein, die Verfassungswidrigkeit des Parteienstaates zuzugestehen. Wer stellt sich schon gern gegen die Herren, zumal wenn er meint, zu ihnen zu gehören? Texte haben sich schon immer der herrschenden Lehre, der Lehre der Herren, beugen müssen. Was vermag ein Verfassungstext gegen das Bündnis der parteilichen Verfassungspraxis, in das maßgebliche Richter eingebunden sind? Die These, die Parteien seien für die Demokratie notwendig, ist der Sache nach der Utopievorwurf gegen die freiheitliche Demokratie, die Republik. Der Parteienstaat ist mit der Verwirklichung der Freiheit unvereinbar. Wer ihn als notwendig rechtfertigt, gibt den Versuch der Republik auf, entgegen dem Grundgesetz, entgegen der Aufklärung. Der Parteienstaat funktioniert als formale Demokratie der Wahlen. Er bleibt eine Herrschaft von Menschen über Menschen, die Parteienoligarchie "die gewählte Obrigkeit" (Erwin K. und Ute Scheuch) 1*. Im Parteienstaat entwürdigen sich die Bürger zu Untertanen. Aber es gibt Hoffnungsschimmer. Zu diesen gehört der unermüdliche Einsatz Hildegard Hamm-Brüchers für den echten Parlamentarismus, der Einsatz dieser langgedienten erfahrenen Parlamentarierin, die zu den wenigen der Art von Parlamentariern gehört, auf die ein Parlament, so wie es sein soll, nicht verzichten sollte75 und Hoffnung macht auch die beharrliche Arbeit von Hans Herbert von Arnim, der vor allem die Parteienfinanzierung, einen Stützpfeiler der Parteienoligarchie, kritisiert 76. Karl Jaspers hat schon vor einem Vierteljahrhundert eindrucksvoll den Parteienstaat angegriffen und vor dem drohenden zweiten Schritt: "Von der Parteienoligarchie zur Diktatur" nach dem "Strukturwandel der Bundesrepublik" von der "Demokratie zur Parteienoligarchie" gewarnt77. Vor allem aber hat der Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1992 in einer viel beachteten Philippika gegen den Parteienstaat dessen Fehlentwicklungen einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt und als "die erste und letzte Frage" eines "politischen Gesprächs über unsere Verhältnisse" die nach "der Zukunft

74

Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 147. Vgl. etwa H. Hamm-Brücher, Abgeordnete und Fraktion, S. 673 ff.; dies., Der Politiker und sein Gewissen, 2. Aufl. 1987; dies., Der freie Volksvertreter - eine Legende?, S. 13 ff.; vgl. zu dem republikanischen Typ des Parlamentariers das Zitat von K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 117 f., 1064 f. 76 Etwa, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1991, S. 1 ff.; Staat ohne Diener. Was schert die Politiker das Wohl des Volkes, 1993; weitere Hinweise in Fn. 552, S. 1167. 77 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff., 141 ff. 75

67*

1060

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

unserer demokratischen Bürgergesellschaft" genannt78. Erwin K. und Ute Scheuch haben mit ihrer Recherche "Über den Verfall der politischen Parteien", "Cliquen, Klüngel und Karrieren", 1992, die Öffentlichkeit heilsam aufgeregt. Causa non est finita.

3. Kapitel Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien I.

Oligarchie statt Demokratie in Parteien als Bündnissen der Herrschaft 1. Parteilichkeit der Parteien ist, wie die Menschen nun einmal sind, kaum zu vermeiden; denn die Parteien sind nicht nur, aber auch die Organisationen des menschlichen Eigensinns. Die "Patronage-Partei" ist "nur auf Erlangung der Macht für den Führer und Besetzung der Stellen des Verwaltungsstabes durch ihren Stab gerichtet." ... "Wer Politik treibt, erstrebt Macht." - Max Weber 79 Diese ewige Wahrheit wird durch die Untersuchung von Erwin K. und Ute Scheuch über "Cliquen, Klüngel und Karrieren" in den politischen Parteien Deutschlands drastisch bestätigt (1992): "Vorteilsnahmen sind die politische Voraussetzung auch für das Berufspolitikertum auf Kommunalebene; denn nur durch Vorteilsnahme wird ein Beruf als Politiker finanziell möglich und darüber hinaus attraktiv." Erwin K. und Ute Scheuch* 0 Als solche sind die Parteien parteiliche Parteien. Mittels der Parteien (und anderer Bündnisse) befriedigen Menschen ihre Machtsucht, ihre Habsucht und ihre Ehrsucht; denn die Parteien bieten im Parteienstaat dafür denen große Chancen, die sich in Führung oder Gefolgschaft klug postieren81. In der Gefolgschaft verlangt dies mediokre Selbstentmündigung, die sich mit Rollen wie der des intellektuellen Plakatklebers begnügt, Untertänigkeit also, in der Führung Bereitschaft insbesondere zur Herrschaft über Menschen, also zu deren Bevormundung, beides Arten moralischer Inkompetenz.

78

Der Parteienstaat, S. 137 ff., Zitat S. 182. Wirtschaft und Gesellschaft, S. 167, 822, auch S. 839; nicht anders in der Sache C.7. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, S. 488 ff. 80 Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 67, vgl. auch S. 72 ff., 116 ff., 148 ff., 170 ff. 81 Ganz so M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 167. 79

. Kap.: Die

atikeit der

reichen Parteien

1061

Das leninistische Prinzip der Parteilichkeit 82 ist Kennzeichen fast aller Parteien in Europa und gibt diesen den republikwidrigen, tendenziell stalinistischen Charakter 83, dessen Wirkungen im Staat von der Verfassung abhängen, insbesondere von der Möglichkeit des Volkes, zwischen verschiedenen Parteien zu wählen. Die Parteienoligarchie herrscht in dem Maße, in dem sie das kann, d.h. soweit ihr kein Widerstand entgegengesetzt wird. "Denn jede eigentliche Partei ist ein um Herrschaft im spezifischen Sinne kämpfendes Gebilde und daher mit der - wenn auch noch so verhüllten Tendenz behaftet, sich ihrerseits in ihrer Struktur ausgeprägt herrschaftlich zu gliedern." - Max Weber u 2. Die Parteien selbst müssen demgegenüber zur inneren Freiheit finden, die ihnen das Grundgesetz durch Art. 21 Abs. 1 S. 3 vorschreibt 85. Keine Partei hat Anspruch, das Volk zu beherrschen, sei sie gewählt oder nicht. Ohne die innere Demokratie entbehren die Parteien nicht nur der Legitimation; sie sind vielmehr verfassungswidrig. "Innerparteiliche Demokratie ist in Massenorganisationen allenfalls eine seltene Ausnahme, zumeist aber gar nicht zu finden." - M. Th. Greven 86 Der Wahrheitsgehalt dieser empirischen Erkenntnis hängt von den normativen Anforderungen an die innere Demokratie einer Partei ab und ist dem-

82

G. Brunner, Das Staatsrecht der Deutschen Demokratischen Republik, HStR, Bd. I, 1987, S. 392 ff.; M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 53 ff.; dazu auch D. Sternberger, Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 211 f.; R. Henrich, Der vormundschaftliche Staat, 1989, S. 60 ff.; Η Weber, SBZ - DDR, Von der SBZ zur DDR, 1945-1967, 2. Aufl. 1968, S. 48 f. 83 I.d.S. K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 141 ff.; auch E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 175 f.; H.-P. Vierhaus, ZRP 1991, 473. 84 Wirtschaft und Gesellschaft, S. 548 (Hervorhebung von Max Weber)', diese Erkenntnis legt W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 255 ff., 267 ff. zu Art. 21 seiner Dogmatik von einer inneren Ordnung der Parteien zugrunde ("politische Kampfgemeinschaft" Rdn. 268) und nennt diese militaristische Doktrin "juristisch". 85 Zur demokratischen Systemrelevanz der parteiinternen Demokratie, auf die vor allem G. Leibholz ständig hingewiesen hat, etwa: Das Wesen der Repräsentation, S. 246 ff., 8. Teil, 3. Kap., S. 713 f.; E. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 24; D. Grimm, HVerfR, S. 332, 339 ff.; ders., Parlament und Parteien, S. 205 f., für viele; kritisch zur Fehleinschätzung Leibholzens D. Sternberger, Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 195, 210 f.; dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 792 ff.; auch 10. Teil, 4., 5. und 8. Kap., S. 1086 ff., 1113 ff., 1147 ff. 86 Parteien und politische Herrschaft, 1977, S. 260, auch S. 203; dazu zurückhaltend O. Niedermayer, Innerparteiliche Demokratie, S. 39 f.; kritisch auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 90 ff., 166 ff. (für "Öffnung der Oligarchien"); nicht unkritisch sogar D. Grimm, HVerfR, S. 339 ff.

1062

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

gemäß streitig 87. Wenn man Walter Leisners Verdikt gegen die grundgesetzliche Auflage folgt, nämlich: "'Innerparteiliche Demokratie' ist ein typisches Mißverständnis des Radikaldemokratismus. " zeigt sich, daß das Grundgesetz die festgefügten, parteilichen Parteien nicht konstituiert hat, sondern politische Gesprächskreise, liberale Parteien, die Leisner "politische Diskussionsclubs" nennt, die keine (durch Führung gekennzeichnete) Parteien seien88. Das Grundgesetz verfaßt eine "Radikaldemokratie" in Leisners Sinne, nämlich eine Republik. "In den demokratischen Parteien ist heute fast alles kritikabel, kaum Gutes zu entdecken, blickt man auf sie mit den Augen einer in Staatsmoral festgefügten Ordnung." - Walter Leisner 89 87 Ganz so O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/89, S. 15 ff., 18; ders., Innerparteiliche Partizipation, 1989, S. 13 ff., 63 ff., der seinen Partizipationsuntersuchungen die von E. Wiesendahl, Parteien und Demokratie, Eine soziologische Analyse paradigmatischer Ansätze der Parteienforschung, 1980, insb. S. 103 ff., unterschiedenen "drei paradigmatischen Strukturformen der Parteienforschung, das Integrations-, Konkurrenz- und Transmissionsparadigma" zugrundelegt (S. 22 ff.), die alle, auch nicht integriert, dem "normativen theoretischen Stellenwert innerparteilicher Partizipation", wie Niedermayer das nennt (S. 13 ff., 22), also dem Grundgesetz gerecht werden (ein solches Paradigma, wie es in dieser Arbeit aus dem Grundgesetz abgeleitet und der Parteienkritik zugrundegelegt wird, könnte man freiheitlich oder republikanisch nennen). Niedermayers genaue Arbeit zeigt, daß die sozialempirische Forschung, die ihre Kriterien auf zählbare und abfragbare Aspekte reduzieren muß, nicht in der Lage ist, die Wirklichkeit in den Parteien zu theoretisieren, insbesondere weil die Moralität der Mitgliedschaft nicht erfaßt wird. Das würde die Ehrlichkeit der befragten Parteimitglieder voraussetzen, die aber über sich selbst und damit über ihr moralisches Versagen Auskunft geben müßten, ein fragwürdiges Unterfangen, das verkennt, daß das wichtigste Instrument des sanften Machiavellismus der Parteienherrschaft die Unwahrhaftigkeit ist. Zwangsläufig werden die um wahre Auskünfte gebeten, deren dominante Maxime die Unwahrhaftigkeit ist, vor allem mit der Behauptung, der Allgemeinheit zu dienen, obwohl doch nur parteiliche, vor allem eigene, Interessen sie antreiben. Die ständige Beteuerung des Gegenteils mag vielen Parteifunktionären suggerieren, sie hätten nur das Gemeinwohl im Sinn, wie sie es sollen, und ihnen ein Wahrhaftigkeitsgefühl vermitteln. Die Institution der parteilichen Partei ist dem jedoch in der Regel zuwider; niemand glaubt ihnen das (vgl. insb. H. Arendt, Wahrheit und Lüge in der Politik, 2. Aufl. 1987, S. 7 ff., 44 ff.; K. Jaspers, Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 161 ff.); R. Steininger, Soziologische Theorie der politischen Parteien, 1984, S. 118; bezeichnenderweise deuten R. Wildenmann (W. Kaltefleiter), Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 105, den Mangel der Großparteien an innerer Demokratie als Manko an koordinierter Geschlossenheit ("Die Großparteien sind, wie viele Analysen zeigen, in ihrer organisatorischen Steuerungskapazität mit dem Führungs-, Koordinations und Kontrollproblem der inneren Demokratisierung noch nicht befriedigend fertig geworden."); im Interesse der Geschlossenheitsmaxime senkt typisch W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 262 ff., 275, 278, 279, 289 zu Art. 21, die Anforderungen an die innere Demokratie zur Bedeutungslosigkeit ab. 88 Der Führer, S. 186 f.; ganz so W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 263 zu Art. 21 ("neue Form der älteren deutschen 'Parteiprüderie'").

3. Kap.: Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien

1063

Die geringen Anforderungen des Parteiengesetzes, der Wahlgesetze und der Parteisatzungen lassen eine, wie Karl Jaspers es genannt hat, "formale Demokratie" 90 zu, die aber in keiner Weise eine 'materiale Demokratie' also eine Republik, im Sinne bestmöglicher Förderung von Wahrheit und Richtigkeit, die "republikanische Regierungsart", die "Regierungsart der Freiheit" (Karl Jaspers) 91, sicherstellt. Die oligarchischen Verhältnisse in den Parteien sind herrschaftlich, nicht freiheitlich. Sie lassen sich dadurch (schein)legalisieren, daß, vermeintlich realitätsorientiert, die rechtlichen Maßstäbe für die innerparteiliche Demokratie abgesenkt werden. Derartige Rechtslehre gibt dem Versuch der Republik keine Chance, meist aus Mangel an Distanz zu den parteilichen Herrschern. Wenn und weil die Parteien als Herrschaftsbündnisse die Republik gefährden, muß ihr Einfluß auf den Staat auf das erträgliche Mindestmaß zurückgedrängt werden, welches dem Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG genügt. Dieser republikanische Imperativ verbietet insbesondere die staatliche Parteienfinanzierung92, die ihre verfassungsrechtlich mehr als fragwürdige Einrichtung der Ideologie, die Demokratie sei ohne Parteien nicht möglich, verdankt 93. Diese Parteienfinanzierung stabilisiert die Herrschaft der finanzierten, also der herrschenden, Parteien und gefährdet die Freiheit des Volkes94. Sie fördert die "Professionalisierung der Funktionsträger", den "Ausbau der Parteienorganisation", die den Bürgern entfremdete "Apparatepartei" 95.

89

Staatseinung, S. 165. Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 213; ders., Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 160, 162, 165 u.ö. 91 Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 159 f., 162 (mit Bezug auf Kant). 92 Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1167 ff. 93 Hinweise in Fn. 704 im 8. Teil, 5. Kap., S. 772 und Fn. 49, S. 1054. 94 I.d.S. D. Sternberger, Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, S. 195; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 135 f.; kritisch auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 245; K.-H. Naßmacher, Parteifinanzen zwischen Bürgerbeitrag und Staatshaushalt, S. 123 ff., plädiert für eine intensivere Instrumentalisierung der staatlichen Parteienfinanzierung für die Stabilisierung der Parteienoligarchie; ebenso R. Wildenmann, Volksparteien Ratlose Riesen?, S. 163 f.; bedenklich insofern auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 99 ff. (mit Reformvorschlag), 102 f.; H.H. v. Armin, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S. 5; kritisch zur parteifinanzierenden Wahlkampfkostenerstattung gemäß BVerfGE 20, 56 ff. D. Grimm, HVerfR, S. 351, selbst für "staatliche Finanzhilfen", die politisch neutral bleiben. 95 R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 102 f. 90

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Die Ideologisierung des Parteienstaates als Wirklichkeit der Demokratie macht die Republik gegenüber der Herrschaft von Parteioligarchien wehrlos, schlimmer noch, sie macht den Begriff der Republik mit dem schillernden Begriff Demokratie 96 schließlich von den Satzungen der Parteien abhängig, welche definieren, was innerparteiliche Demokratie sei; denn diese innerparteiliche Demokratie ist im Parteienstaat weitestgehend die Wirklichkeit der politischen Freiheit der Bürger. Um diese ist es schlecht bestellt, solange parteiliche Parteien ein faktisches Politikmonopol behaupten. II.

Das aristokratische Prinzip der Republik und die Negativauslese der Parteien Die schon von Max Weber, Robert Michels, Carl Schmitt und Karl Jaspers herausgestellte und von Hildegard Hamm-Brücher, Rudolf Wassermann, Erwin Κ und Ute Scheuch und selbst Rudolf Wildenmann, vor allem aber Richard von Weizsäcker bestätigte Negativauslese97, die auf moralische Kompetenz als dem entwickelten Willen zur Selbstreflexion verzichtet, ist den parteilichen Parteien systemimmanent. "Die Leitung der Parteien durch plebiszitäre Führer bedingt die 'Entseelung' der Gefolgschaft, ihre geistige Proletarisierung, könnte man sagen." - Max Weber** "Diese Politiker scheinen heute wie die der zwanziger Jahre (mit wenigen Ausnahmen) unsichere und ungewisse Gestalten zu sein. Ihre Gebärde täuscht. Sie möchten, was sie nicht können. Sie stehen nicht aufrecht, wenn es wirklich ernst wird. Es ist, als ob dann die Maske fiele, als die

96

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff. R. Michels, Zur Soziologie des Parteienwesens in der Demokratie, 2. Aufl. 1925, S. 349; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, 1918, Gesammelte Schriften, 2. Aufl. 1958, S. 385 ff., auch in ders., Wirtschaft und Gesellschaft, S. 838 ff.; C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 8; Κ Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 213; ders. y Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 117, 182; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 695; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 112 ff.; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 14, 37, 46, 50, 109, 115 (KU. von Hassel zitierend), 122, 127, 129, 146, 149 f.; R. Wildenmann, Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 122 f.; R. v. Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 150, 160, 165; deutlich E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen - Ihr Zerfall und ihre Ablösung durch ein Neues Reich, 1930, S. 246 (Partei - "seelenlose Maschine, die das Leben unlebendig macht, Geist und Seele ertötet, die Minderwertigkeit an die Spitze trägt."); dazu R. Stöss, Parteikritik und Parteiverdrossenheit, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 21/90, S. 16 f.; dazu auch 5. Kap., S. 1113 mit Fn. 315. 98 Wirtschaft und Gesellschaft, S. 850. 97

3. Kap.: Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien

1065

sich ihr anständiges Dasein erweist, nicht eigentlich, weil sie böse wären, sondern weil im Tiefsten eine Notwendigkeit wohnt, die das Unbegreifliche möglich macht. Anders ausgedrückt: Man findet unter ihnen nicht viele eigentliche 'Männer'. Ein Mann, damit meine ich einen Menschen, der es wagen kann, offen zu sein, der glaubwürdig spricht, sich nicht entzieht, nicht ausweicht, - der einfach und überzeugend wirkt, - der zu sich und seiner Sache steht, - der unter der Macht einer großen Sache, mit ihr identisch, ohne Eitelkeit, aber mit hohem Ehrgeiz, jene Zuverlässigkeit gewinnt, die noch angesichts der Katastrophe standhält, - der sichere Urteilskraft auch im Augenblick der Gefahr hat, - der Mut hat in hoher Besonnenheit, - der die Angst der Freiheit kennt, - der keine unnoblen Mittel anwendet. Er weiß, was er will. Er wird nicht ratlos. Er steht freien Hauptes unter dem Himmel und fest auf der Erde. Er erblickt die weitesten Horizonte und handelt im Nächsten, Gegenwärtigen. Seine Rede ist klar und einfach, und in ihr ist er selbst. Er sagt immer dasselbe, das in der Undeutlichkeit der Realität alles zusammenhält, aber selber nicht geradezu ausssagbar ist, sondern durch Denkungsart und die Urteilskraft sich in jeder Frage neu bezeugt. Mit ihm kann jeder, der er selbst, das heißt frei ist, reden und sich verstehen. Er sagt es, wenn er nicht weiß. Er erkennt, wo er geirrt hat, gibt es zu und korrigiert. Er kennt sein Maß; er überschätzt nicht seine Kräfte. Er kann verzichten, aber er ist seiner gewiß im Rahmen dessen, was er kann und aus sich nimmt. Er läßt sich nicht vergöttern, sondern will überzeugen. Er ist frei und will, daß jeder frei sei. Er erzieht durch den hohen Anspruch seines Daseins an den anderen Menschen, daß auch dieser selbst und frei sei. Er scheitert, wo diesem Anspruch nicht genügt wird. Er hat keine Gebärde persönlicher Größe, setzt sich nicht in Positur. Und bleibt ein begrenzter Mensch." Karl Jaspers 99 Die Parteien bringen "Zufallsklüngel", "statt einer Elite, routinierte 'Parlamentarier' und geistig Subalterne" an die Macht - Karl Jaspers 100. "Auch bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht verhehlen, welche Frustrationen die Entwicklung zu einem selbstzufriedenen Parteienstaat, der sich als Oligarchie einer zynisch-politischen Klasse darstellt, bei den Bürgern hervorrufen muß, die die Postulate der Demokratie ernst nehmen und meinen, daß es gerade in der Bundesrepublik Politikern gut ansteht,

99

Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 117 f. Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 213; nicht anders der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Wolf gang Zeidler in seiner Abschiedsrede 1987; auch R. Dahrendorf; Auf den Wähler kommt es an, Die Zeit vom 19.8.1988, 3. 100

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

mehr für die Politik als von der Politik zu leben." ... "Mit den institutionellen Verkrustungen, die das Parteiensystem erfahren hat, sind Prozesse einhergegangen, die die Fähigkeit der Parteien zur Heranbildung von qualifiziertem Führungspersonal merklich geschwächt haben." ... "Nur muß hier, wo es um die Verläufe von Politikerkarrieren geht, festgehalten werden, daß die meisten, die heute Abgeordnete werden, nie entfernt die Chance hätten, in anderen Berufen eine vergleichbare Position zu erreichen, insbesondere nicht in jungen Jahren." - Rudolf Wassermann101 "Der Ruf nach eigenständigen, profilierten Parlamentariern wird lauter, aber angesichts heute üblicher Formen der Kandidatenrekrutierung auch vergeblicher. ... Persönlicher Erfolg eines Abgeordneten setzt weniger Initiativ- als Anpassungsfähigkeit voraus. Die Konformität des Verhaltens beginnt bei der Kandidatenauswahl in der Partei und setzt sich - wie vorher beschrieben - in der Fraktion fort." - Hildegard HammBrücher 102 Selbst der Parteienstaatsapologet Rudolf Wildenmann räumt, gestützt auf Werner Kaltefleiter, ein: "Was im Kern bleibt, sind Personen, die in ihren Berufen oder gesellschaftlichen Einbindungen nicht jene Befriedigung ihres Aktivitätsdranges finden, den sie für sich beanspruchen - und da sind wir wieder bei 'Funktionären' aller Art", und spricht von einer "sklerotischen Lage" 103 . "Unsere wichtigste Diagnose ist: Die politischen Parteien haben in einer ihrer zentralen Funktionen versagt - in der Auswahl von Kandidaten für Führungspositionen in der Politik. Diese schlechte Personalauswahl verstärkt eine eventuell ohnehin bestehende Bereitschaft zur Geringschätzung politischer Parteien. Die Krise ist also nicht in erster Linie eine Krise der Parteien allgemein, sondern der Auswahl politischer Führungskräfte." - Erwin K. und Ute Scheuch 104

101

Zum Recht auf Widerstand nach dem Grundgesetz, S. 361; Die Zuschauerdemokratie, S. 112 ff., 114, 116, 130; vgl. auch, Ist die parlamentarische Parteiendemokratie überholt?, in: G.E. Hoffmann (Hrsg.), Schaffen wir das Jahr 2000? 1984, S. 149 ff. (R. Wassermann war lange Jahre Vorsitzender des Arbeitskreises sozialdemokratischer Juristen). 102 Abgeordnete und Fraktion, S. 695, ein Urteil, das besonders schwer wiegt, weil es von einer Abgeordneten stammt, die gut 30 Jahre lang im Bundestag gesessen hat. 103 104

Volkparteien - Ratlose Riesen?, S. 122 f. Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 37.

3. Kap.: Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien

1067

Richard von Weizsäcker faßt zusammen: "Politiker werden immer mehr von Jugend an zu parteiabhängigen Berufspolitikern, Selbständigkeit und Qualität nehmen ab." 105 Daran ändert die "Akademisierung" der Parlamente106 nichts. Sie entspricht der erweiterten Akademisierung der Berufswelt. Der republikanische Parlamentarismus verlangt die Vertretung des Volkes durch die Besten, durch die Elite der Bürger, durch bürgerliche Aristokraten, durch hervorragende moralische Kompetenz ausgezeichnet, durch die "Anständigen" und "Fähigen"107. Die sogenannten demokratischen Parteien gewährleisten das nicht nur nicht, sondern die Parteilichkeit der Parteien ist der Moralität der Abgeordneten zuwider. Diesen wird nicht einmal die Unabhängigkeit gelassen, welche Voraussetzung von Moralität wäre. Carl Schmitt, der den echten Parlamentarismus bekanntlich aufgegeben hatte, schreibt: "Aber noch schlimmer und für seine Hoffnungen (sc. auf eine parlamentarische Elite) fast vernichtend: in manchen Staaten hat es der Parlamentarismus schon dahin gebracht, daß sich alle öffentlichen Angelegenheiten in Beute- und Kompromißobjekte von Parteien und Gefolgschaften verwandeln und die Politik, weit davon entfernt, die Angelegenheit einer Elite zu sein, zu dem ziemlich verachteten Geschäft einer ziemlich verachteten Klasse von Menschen geworden ist." 108 Daran hat sich seither nichts geändert109 und wird sich nichts ändern, wenn nicht das Parteienrecht den Parteien die Herrschaftsmöglichkeiten nimmt, wenn nicht die Wahlen zu echten Wahlen unter republikanischen Aristokraten werden 110. Parteioligarchien werden, weil sie die Macht ha105

Der Parteienstaat, S. 150. Vgl. E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 42 ff. 107 Aristoteles, Politik, S. 207, 1319 a 32 ff. u.ö., für die Politie; dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 661 ff., 679 ff. 108 Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 8; i.d.S. auch ders., Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., 88 ("Verteilung der ... Stellen und Pfründen unter die Parteigänger nach irgendeinem Schlüssel der Fraktionsstärke oder der taktischen Situation"); i.d.S. auch R. v. Weizsäcker, Krise und Chance unserer Parteiendemokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 42/82, S. 3 ff.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 94 ff. 109 Vgl. die Recherche von E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, insb. S. 36 ff. ("Verdruß mit den Politikern"), S. 41 (Parteien - "eine für sich selbst sorgende Obrigkeit", "aus der Sicht einer" "erheblichen Minderheit" - "korrupt"), S. 72 ff. ("Parteipolitisierung und Vorteilsnahme als Systemeigenschaften: Das Beispiel Köln."), S. 116 ff. ("Feudalisierung des politische Systems."), S. 148 ff. ("Ein bißchen Köln ist überall.") 110 So K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 131; ders., Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 213 ff. 106

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

ben zu herrschen, behandelt, als sei ihre Herrschaft legitim, obwohl ihre Art der Einflußnahme auf den Staat das republikanische Prinzip, das vor allem in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zum Ausdruck kommt, zutiefst verletzt 111. Moralische Kompetenz ist zunächst einmal, wenn auch keinesfalls ausschließlich, die amtsgemäße fachliche Kompetenz, im Falle eines Bundestagspräsidenten etwa die sprachliche Kompetenz112. Die moralische Inkompetenz ist vor allem das Bekenntnis zur Parteilichkeit, bündnishaft die eigenen Interessen zu verfolgen, aber auch die Charakterlosigkeit, Herrschaft anzustreben und zu diesem Zweck sogar geeignetere Bürger am Dienst für das allgemeine Beste zu hindern. Wer zur Parteioligarchie der sogenannten Volksparteien gehört, hat bei den gegenwärtigen Parteigegebenheiten die Vermutung gegen sich, seine Interessen über die Allgemeininteressen zu stellen, die Vermutung moralischer Inkompetenz. Er hätte sonst die Parteilichkeit der Parteien kritisieren, er hätte, falls er, wie meist, Mandatsträger ist, die Fraktionsdisziplin ignorieren müssen und vieles mehr. Hätte er das getan, würde er höchstwahrscheinlich nicht mehr zur Parteioligarchie gehören. Er hat also im Zweifel seine Bürgerlichkeit verraten. Die Parteilichkeit verlangt jedenfalls von den Gefolgsleuten die Verleugnung des Ich 113 . Seltene, außergewöhnliche Persönlichkeiten wahren ihre innere Unabhängigkeit, ihre Freiheit, ohne zur Parteiführung im engeren Sinne zu gehören. Ich nenne Hildegard Hamm-Brücher m. Manch ein Parteifunktio-

111

Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 670 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 779 ff., 810 ff.; 2. Teil, 5. und 6. Kap., S. 100 ff., 106 ff.; 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. 112 Text und Analysen der Rede vom 10.11.1988, mit der Philipp Jenninger der Reichskristallnacht 1938 gedenken wollte und sollte und die zu seinem Rücktritt als Bundestagspräsident geführt hat u.a. in: Die Zeit, Nr. 47 vom 18.11.1988, insb. die Kritik von Walter Jens, S. 3; vgl. i.d.S. auch J. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 16. 113 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 837 ff., 857 ff.; R. Michels, Soziologie des Parteienwesens in der Demokratie, S. 88 ff., 349; ganz so, repräsentativ für die Sicht der deutschen Staatsrechtslehre, H.H. von Arnim, Patronage: Defizit der Parteiendemokratie, a.a.O., S. 209 ("vorauseilender Gehorsam"); Verständnis für das Dilemma der Abgeordneten zeigt mit Robert v. Mohl H. Hofmann, Parlamentarische Repräsentation in der parteienstaatlichen Demokratie, S. 249 ff., 251 ff., 257 ff., der den Verfall der Moralität mediokrer Abgeordneter im entwickelten Parteienstaat unterschätzt. 114 Vgl. zu ihrer Initiative "Parlamentsreform - eine demokratische Notwendigkeit" mit der Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG verteidigt werden soll; dies., Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 13/88, S. 44 f.; dies., Abgeordnete und Fraktion, S. 698 f.; dies., Der Politiker und sein Gewissen, 1983, 2. Aufl. 1987, Dokumente S. 131 ff.; bezeichnend ist die Kritik von C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 646 f., an H. Hamm-Brücher, der seinen parteienstaatlichen Realismus gar nicht erst verbirgt, etwa zur "Plenarrede", das Instrument des freiheitlichen Diskurses im Parlament, also das der repräsentativen Sittlichkeit der Vertreter des Volkes (dazu 8. Teil, 1.,

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när gewinnt auch persönliches Format, wenn er seine Parlamentskarriere beendet hat oder sakrosankt geworden ist, meist erst in höherem Alter, etwa Hans Apel 115. Wenige Bürger erreichen durch und trotz der Parteien als Parteimitglieder das ihnen angemessene Amt. Als Glücksfall wird der Bundespräsident Richard von Weizsäcker gesehen. III.

Die Geschlossenheit von Führern und Gefolgsleuten statt kompetenter Meinungsbildung in Offenheit und Öffentlichkeit 1. Vor allem parteiliche, aber auch andere Bündnisse116, die jedenfalls in Deutschland die Macht in den Parteien und damit im Staat begründen, desavouieren die republikanische Tugend, weil sie die Erkenntnis des Richtigen und vor allem die Auswahl der Richtigen an den besonderen Interessen der Verbundenen ausrichten. Bündnisse behindern die Offenheit des Diskurses um das Wahre und Richtige, die Offenheit und Kritizität der Meinungs- und Willensbildung vor allem in den Parteien und damit das Erkenntnispotential des Volkes. "Wie sich aus der freien Konkurrenz der gerechte Preis ergibt, so aus dem freien Meinungskampf die Wahrheit, und wie die Bildung des gerechten Preises durch kollektive Preisübereinkünfte, z.B. Kartelle, gestört wird, so wird die Durchsetzung der Wahrheit durch kollektive Meinungsübereinkünfte gestört - durch Parteien." - Gustav Radbruch 117 Kennzeichen der freiheitswidrigen und die Rechtlichkeit gefährdenden Bündnisse ist deren Arkanität 118. Die Geschlossenheit der Verbündeten ist

3. und 5. Kap., S. 681 ff., 729 ff., 810 ff.; auch 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.), deren einziger Sinn das Ringen um Wahrheit und Richtigkeit im Parlament ist: "Ihr Adressat ist niemand im Parlament. Sie wird vielmehr nach richtigem Parlamentsverständnis für das Protokoll und für die Öffentlichkeit, für das wahlberechtigte Volk, den eigentlichen Souverän, gehalten". Arndt hält das "altliberale" Parlamentsverständnis, wie es in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG vorgeschrieben ist, für schlicht sachwidrig; vgl. auch die Kritik des Bundestagsabgeordneten (CDU) D. Lattmann, Die Einsamkeit des Politikers, 1977/1982, der auf eine erneute Kandidatur für ein Parlamentsmandat aus Anstand verzichtet hat (dazu R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 121 f.). 115 Vgl. H. Apel, Der Abstieg, 1990, 6. Aufl. 1991; ders., Die deformierte Demokratie, Parteienherrschaft in Deutschland, 1991. 116 E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, sprechen von "Seilschaften", "lokale Cliquen" (S. 43, 63, 114, 171, 175), "Netzwerken von Berufspolitikern" (S. 63), "Kartelle der Vorteilsnahme" (S. 171). 117 HbdDStR, 1. Bd., S. 286 ("Machtkampf in der Form einer Scheindiskussion", S. 287). 118 In der Heimlichkeit hat schon Hobbes, Leviathan, S. 209, den "verschwörerischen" Charakter der Parteien gesehen.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

nicht die Einigkeit, zu der das Sittengesetz verpflichtet 119. Das Bündnis pervertiert vielmehr die Pflicht zur Einigkeit; denn Einigkeit setzt die eigene Meinung 120 und damit die Offenheit für meinungsbeeinflussende Kritik von allen Seiten voraus 121. Das Bündnis aber schottet vor Kritik ab. Republikanisch ist das Gespräch122, nicht die Absprache. "Freiheit ist die Vernunft grenzenloser Offenheit. ... Nur in restloser Offenheit von beiden Seiten erwächst Wahrheit in Gemeinschaft." ... "Wollen wir Freiheit und Frieden, so müssen wir in einem Raum der Wahrheit uns begegnen, der vor allen Parteiungen und Standpunkten liegt, vor unseren Entscheidungen und Entschlüssen. Wenn wir frei und wahrhaftig werden, kehren wir ständig zurück in diesen gemeinsamen Raum, in dem wir verbunden bleiben auch dann, wenn wir Gegner sind."Karl Jaspers 123 Die Institutionen verzerren die Kommunikation und hindern den Diskurs zur Wahrheit und Freiheit. Die Selbstreflexion hebt alle Geißeln der Bevormundung und Herrschaft auf. "In der Selbstreflexion gelangt eine

119 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 817 f.; auch 10. Teil, 4. und 5. Kap., S. 1086 ff., 1113 ff.; zum Wissensprinzip 7. Teil, 4., 5. und 6. Kap., S. 560 ff., 584 ff., insb. S. 603 ff., 617 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 724 ff.; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff.; kritisch gegenüber der Geschlossenheitsmaxime etwa H. Hasenritter, Parteiordnungsverfahren, S. 5, 33; J. Risse, Der Parteiausschluß, S. 131 f.; G.P. Strunk, Parteiausschlußverfahren wegen innerparteilicher Opposition, S. 63 ("undemokratische Tradition"); H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 690 f., für die Fraktionsarbeit; E. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 24, hat die fraktionäre Geschlossenheitsmaxime gutgeheißen, wenn der Abgeordnete in der Willensbildung in der Fraktion innerdemokratisch beteiligt sei (schon das ginge zu weit); viele folgen dieser Auffassung, ohne noch auf die Bedingung dieser Maxime Wert zu legen, die fraktionsinterne Diskursmöglichkeit; in einem solchen Sinne wollen sie aber dem Institut des freien Mandats eine parteienstaatliche und damit parteiinterne Relevanz verschaffen, etwa K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 598 ff, S. 299 ff.; G. Grimm, HVerfR, S. 352 ff.; ders., Parlament und Parteien, S. 205 f. (dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 810 ff.), die den Parteien den öffentlichen Diskurs nicht zumuten wollen. 120 Dazu näher 7. Teil, 5. Kap., S. 603 ff.; auch 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 ff.; 7. Teil, 6. Kap., S. 629 ff. 121 Zum parteienrechtlichen Offenheitsprinzip M. Reichel, Das demokratische Offenheitsprinzip und seine Anwendung im Recht der politischen Parteien, Diss. 1993, insb. 116 ff. 122 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Methodenlehre, S. 289 f.; zum Sprechen und Handeln als dem Politischen H. Arendt, Vita activa, S. 164 ff. 123 Κ Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 199, 201; vgl. auch ders., Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 161, auch ff.; gegen "geheime Gesellschaften" (wohl die Freimaurer) auch Kant, Über den Gemeinspruch, S. 163; grundsätzlich i.d.S. KR. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, 6. Auflage 1980, passim; dazu i.d.S. J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 133; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 86 ff. (zur aufkärerischen Argumentationsethik); H. Arendt, Wahrheit und Lüge in der Politik, S. 44 ff.

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1071

Erkenntnis um der Erkenntnis willen mit dem Interesse an Mündigkeit zur Deckung; denn der Vollzug der Reflexion weiß sich als Bewegung der Emanzipation." - Jürgen Habermas 124 Das Habermassche Interesse ist mit Fichte das an der "Selbständigkeit des Ich", das "Interesse an Mündigkeit", also das Interesse an der Freiheit, das "reine" oder das "Vernunftinteresse" Kants, der "Wille zur Emanzipation" 125 , nicht aber Interessen, die aus Hab-, Ehr- und Machtsucht erwachsen, wie sie hier und üblich mit dem Wort Interesse gemeint sind, die nach Kant "sinnliche Antriebe" sind, Neigungen des homo phainomenon126. Es ist das delphische "Erkenne dich selbst"127, das von Herrschaft befreit. "Alle diese politisch bedeutsamen Funktionen (sc. "das Wirkliche zu prüfen und zu meistern") spielen außerhalb des politischen Bereichs. Sie setzen Unabhängigkeit des Denkens und Urteilens voraus und sind unvereinbar mit parteipolitischen Bindungen und dem Verfolg bestimmter Gruppeninteressen." - Hannah Arendt m Allein das Bemühen um richtige Erkenntnis und richtige Auswahl legitimiert Parteien 129. Dafür Sorge zu tragen, ist die ausschließliche Aufgabe und damit Pflicht der Parteimitglieder. Wegen dieser Aufgabe sind die Parteien vom Grundgesetz "institutionalisiert", aber auch zur inneren Demokratie verpflichtet (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG) 130 . Sie müssen in jeder Weise auf diese Aufgabe hin organisiert sein, also sich ihrer Parteilichkeit begeben.

124

J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 235 ff., 244; E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 42 ff., 62. 125 E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 62; Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 97; ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 440 ff.; J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, 1973, S. 234 ff., 253 ff.; zu Fichtes Lehre von der Freiheit E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 87 ff. 126 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 97. 127 I.d.S. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 576. 128 Wahrheit und Lüge in der Politik, S. 90. 129 Ganz so D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 369 ff. 130 R. Scholz, Krise, S. 37 ff.; i.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 373 ff.; zur innerparteilichen Demokratie mit weit. Hinw. Rh. Kunig, Parteien, HStR, Bd. II, S. 115 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 444 f.; R. Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974; auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 982 ff.; K.H. Hasenritter, Parteiordnungverfahren, 1981, S. 16 ff.; H. Trautmann, Innerparteiliche Demokratie im Parteienstaat, 1975; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 255 ff. zu Art. 21, der die Anforderungen an die innere Demokratie weitestgehend der Geschlossenheitsmaxime und dem Führungsprinzip opfert (insb. Rdn. 263 ff.); vgl. auch Fn. 119, S. 1069.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

An der Willensbildung des Volkes können nur "liberale Parteien" im Sinne Carl Schmitts 131 "mitwirken", die für jeden Beitrag zur Wahrheit und Richtigkeit offen sind, deren Maxime nicht interessen- und bündnishafte Geschlossenheit sein kann, die nicht der Erkenntnis, sondern der Macht und Herrschaft dient. Streben nach Herrschaft ist in der Republik nicht legitimierbar 132. Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien verzerrt die Kommunikation institutionell wirkungsvoll und verhindert den Diskurs zum freiheitsstiftenden, also republikanischen Konsens133. Entinstitutionalisierung des kritischen Diskurses und Ignoranz gegenüber anderer Meinung ist der Machiavellismus134 der sanften Despotie135 gerade des bundesdeutschen Parteienstaates. Die Entmündigung verhöhnt den Bürger, der, dem republikanischen Prinzip gehorchend, aber heuchlerisch, "mündig" genannt wird 136 . Die selbstreflexive Mündigkeit ist demgegenüber die Bedingung herrschaftsfreier, republikanischer Kommunikation und damit des autonomen Konsenses137. Wo die Bürger wirklich mündig sind, hat der sittliche Staat seinen Ort. Vormundschaftlich ist mehr oder weniger jeder Staat, in dem

131 132

Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff. Dazu 2. Teil, 1. und 7. Kap., S. 71 ff., 128 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 189 ff.

133 Zu dem diskursethischen Aspekt unverzerrter oder sachgerecht verzerrter Kommunikation J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 344; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 108 ff., 127 ff.; auch ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 12 ff.; E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 47 ff., 57 ff.; i.d.S. auch für "die demokratische Ideologie" G. Radbruch, HbdDStR, Bd. 1, S. 286 ("Demokratie, die 'Regierung durch Diskussion'"); so auch R. von Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 170. 134 I.d.S. auch H.H. v. Arnim, Patronage, S. 209 ("Machiavelli herrscht vor"); auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 111 f. 135 K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 214: "Im günstigsten Fall entsteht so der Zufall einer menschenfreundlichen Diktatur."; E.K. u. U Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 41, 121, 147, sprechen von "Obrigkeit". 136 K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 214; ders., Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 140. 137

J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 234 ff; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 108 ff., 130 ff.; ders., i.d.S. auch, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 11 ff. (für eine "prozeduralistische Gerechtigkeitstheorie"; vgl. auch ders., Faktizität und Geltung, S. 109 ff., insb. S. 135 ff.; dazu A. Kaufmann, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 1989, insb. S. 16 ff.; ders., Rechtsphilosophie in der Nach-Neuzeit, 1990, insb. S. 24 ff.); E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 38 ff., 89 ff.; i.S. des Textes auch K. Jaspers, Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 161 f.

3. Kap.: Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien

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Parteien herrschen; das war nicht nur der SED-Staat138. Carl Schmitt hat den Typus der "festgefügten Partei" des "pluralistischen Parteienstaates" treffend charakterisiert: "Partei, Verbindung, Orden werden gleich"139. In ihrer Propaganda bekennen sich auch die parteilichen Parteien zur republikanischen, diskursethischen Moral und stärken damit immerhin den Imperativ praktischer Vernunft. Oft verletzen sie jedoch ihre ihnen bekannten Pflichten und versuchen, das in der Öffentlichkeit zu vertuschen. Auf Vorwürfe reagieren sie mit vorgetäuschter Entrüstung usw. Ihrem Begriff gemäß scheuen die parteilichen Parteien die Öffentlichkeit, soweit sie diese nicht mit ihrer Propaganda überziehen wollen, vor allem in ihren inneren Angelegenheiten; denn die Öffentlichkeit ist das Forum der Allgemeinheit. So sind die Parteigerichtsverfahren etwa nach § 27 PGO der CDU "nicht öffentlich" und "vertraulich". Was nicht allgemein ist, sondern eben parteilich, mag sich nicht der Allgemeinheit, also der Öffentlichkeit, stellen, weil diese auf das Allgemeine des Interesses, also das Interesse an Erkenntnis des Wahren und Richtigen, ausgerichtet ist, das mit dem Parteilichen im Widerspruch steht, wenn dieses ein besonderes Interesse verfolgt. Parteilichkeit verbirgt sich demgemäß vor der Öffentlichkeit 140. Publizität aber ist das Verfahren der Wahrheit und Richtigkeit141. Das griechische Wort für Wahrheit, άλήΰεια, heißt Unverborgenheit.

138

Dazu R. Henrich, Der vormundschaftliche Staat, 1989, insb. S. 9 ff., S. 258 ff.; i.d.S. auch E.K. u. U Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 175 f. 139 Der Hüter der Verfassung, S. 85. 140 Zur republikanischen Relevanz der Öffentlichkeit 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff.; 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 ff.; vgl. insb. K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 194 f.; vgl. dazu schon Hobbes, Leviathan, S. 209 (Zitat, 8. Teil, 5. Kap., S. 786). Typisch ist, daß C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 646 f., die sachliche Auseinandersetzung in die Fraktionen verlegt sehen will, die nichtöffentlich beraten, während das Plenum der Propaganda dient; das Plenum nennt er "Forum der Nation", obwohl, wenn die Fraktionen entschieden haben, die Nation vom Parlament nicht mehr gehört wird; vgl. i.d.S. auch E. Schütt-Wetschky, Parlamentsreform: Meilenstein oder Sackgasse?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 48/87, S. 3 ff.; für vornehmlich fraktionäre Diskussionen auch schon E. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 24 f.; i.d.S. auch D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 199 ("...die parlamentarische Debatte dient regelmäßig nicht mehr der diskursiven Herstellung politischer Entscheidungen, sondern nur noch der Darstellung und Verteidigung vorweg bezogener Standpunkte und der Registrierung der Mehrheitsverhältnisse, und weiter zur Fraktionsdisziplin"); teilweise für stärkere Öffentlichkeit H. Meyer, Die Stellung der Parlamente, S. 122, 152 f., der aber eine Diskurskompetenz des Parlaments für eine "Mißdeutung" hält (a.a.O., S. 119); bedenklich auch HH. Klein, HStR, Bd. II, S. 362. 141

Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff., insb. S. 596 ff.

68 Schachtschneider

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

"Alle auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht." - Kant 142 "Die Voraussetzung für einen freien Staat ist ein Maximum an Öffentlichkeit. Nur sie ermöglicht das Maximum an Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Es darf keine wesentliche und dauernde Geheimhaltung geben. Der Bürger kann politisch nur dann mitdenken, wenn er zuverlässig informiert wird und seine Urteilskraft schult in der öffentlichen Diskussion." - Karl Jaspers 143 2. Das Bündnis bedarf einer inneren Stabilität und äußeren Einflusses. Der Gefolgsmann trägt zu beidem bei. Seine Leistung ist oft nur Treue, die er willig einbringt, wenn und weil er einen Sachbeitrag nicht zu leisten imstande ist. Dadurch stützt er seinen Führer, der mehr von ihm nicht erwartet und meist auch nicht mehr zuläßt144, und stabilisiert das Bündnis im Innern. Seine Stimme jedenfalls pflegt der Gefolgsmann in der Partei und außerhalb derselben bündnisgerecht abzugeben. Damit hilft er den Einfluß des Bündnisses in Partei und Staat zu sichern, der im gemeinsamen Interesse an den Ämtern das Bündnis wesentlich trägt. Verhältnisse von Führung und Gefolgschaft sind eine conditio humana 145 . "Die politische Partei ist der Raum, in welchem persönliche Führungskräfte sich auch in der Demokratie entfalten dürfen, ja sollen; Führertum wird im Staate abgelehnt, in den Parteien jedoch gefordert, in der Hoffnung, es werde sich in deren Vielfalt neutralisieren." ... "In der demokratischen Partei ist eben noch etwas von Führer und Gefolgschaft, nur soweit vervielfacht, daß alle Monopolgefahr gebannt erscheint." ... "Sicher ist nur, daß die Partei auch in der normativen Demokratie ein Versuch wenn nicht der Führung, so doch des Auslebens persönlicher

142

Zum ewigen Frieden, S. 245. Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 194 f.; nicht anders in der Sache H. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 62 f. 144 F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 183, mit Hinweis auf Walter Bargehot ("Das Prinzip des Parlaments ist Gehorsam den Führern gegenüber"), auch S. 38 ff.; auch W. Abendroth, Innerparteiliche und innerverbandliche Demokratie als Voraussetzung der politischen Demokratie, Pol. Vierteljahresschrift 5 (1964), S. 335, 338; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 117 ("Privilegien gegen Treue", "in Seilschaften" - "unbedingte Treue"); zur konsensualen Grundlage der Führung W. Leisner, Der Führer, S. 21, 137 f. 143

145 Dazu insb. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 837 ff., 857 ff.; G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286; W. Leisner, Der Führer, 1983, insb. S. 183 ff., 186 ff.

3. Kap.: Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien

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Führungskräfte darstellt - ein wenig Führung in der Demokratie." Walter Leisner 146 Die sozialpsychischen Gegebenheiten der Führung sind nicht Gegenstand einer Republiklehre, deren Leitidee die Freiheit ist 147 . Die allgemeine Freiheit als die Würde des Menschen ist der Imperativ zur Mündigkeit. Das fordert das ständige Bemühen um die eigene Sittlichkeit, die zunächst einmal die innere Unabhängigkeit voraussetzt. "Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung." - Kant m Das Bemühen kann erfolglos bleiben. Der Imperativ ist aber die Zumutung des Grundgesetzes und damit die der deutschen, wie jeder Republik, nämlich die Forderung der Moralität. Eine Herrschaftslehre von der "Persönlichen Gewalt", welche die menschliche Inkompetenz zur Grundlage des Gemeinschaftslebens macht, kann sich unter dem Grundgesetz nicht behaupten149. Entgegen dem Grundgesetz den Neigungen der Menschen zu folgen, besser: deren Not, nicht zum aufrechten Gang finden zu können, zu mißbrauchen, wie es die Parteiführer tun, ist die Amoralität des Parteienstaates. Weil es in der Demokratie wegen deren Egalitarität allein auf die Stimme ankommt, ist die Kompetenz des Stimmenden als Person, also dessen Moralität, den Parteien, die ihre Kandidaten zur Wahl stellen, gleichgültig. Kompetenz ist nicht zählbar. Jede Stimme ist gleichwertig und muß das um des demokratischen Prinzips wegen sein (Erfolgswertgleichheit) 150. Jede Stimme verschafft in gleicher Weise Legitimation zur Herrschaft und Macht. Sogar die 'Karteileichen' können ein Machtfaktor sein, wenn die Satzung den Verbandseinfluß nach der Mitgliederzahl bemißt.

146

Der Führer, S. 183 f. (W Leisner war Ratgeber von F.J. Strauß); nicht anders in der Sache W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 263 ff., 268 zu Art. 21. 147 Dazu 1. Teil, 1. und 3. Kap., S. 1 ff.; 14 ff.; 2. Teil, 7. und 11. Kap., S. 124 ff., 153 ff.; 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff.; 6. Teil, 9. Kap., S. 501 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff. 148

Was ist Aufklärung?, S. 53; vgl. 7. Teil, 5. Kap., S. 614; auch 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff. Vgl. die vielfältigen Ansätze und Aspekte bei W. Leisner, Der Führer, 1983, passim; auch W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., stützt seine Herrschaftslehre auf "Ungleichheit" und "Überlegenheit"; ebenso S. Landshut, Der politische Begriff der Repräsentation, S. 489 f.; so schon G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286 ("weitestgehende soziologische Ungleichheit"); dazu 2. Teil, 8. Kap., S. 133 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 244 ff. 150 BVerfGE 13, 127 (128 f.); 16, 130 (139 ff.); 34, 81 (99); auch BVerfGE 47, 253 (277); vgl. /. v. Münch, GG-Komm., Rdn. 41, 45 zu Art. 38; H-R Schneider, GG, Alt.-Komm., Rdn. 49 zu Art. 38. 149

68'

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Geschlossenheit151 und Mehrheitsprinzip 152 werden ideologisiert, weil sie Stabilisatoren der Führungsmacht nach innen und außen sind. Dagegen stehen die republikanischen Werte der Eigenständigkeit und Kompetenz, eben der Mündigkeit und menschlichen Würde, der Autonomie des Willens also153. Die Maxime der Geschlossenheit engt den Diskurs im Innern ein und verschließt ihn nach außen. Die Maxime der Einigkeit dagegen bleibt nach außen und innen offen für das neue, das bessere Argument. Bündnisse jedoch sind wegen ihrer Parteilichkeit latent faschistisch 154. Die Bündnisse mißbrauchen die Formalität republikanischer Politik, indem sie Wahrheitlichkeit, die Kommunikation, Argumentation, eben Diskurs, voraussetzt, durch (oft erzwungene, oft ergebene) Widerspruchslosigkeit vortäuschen. Davor ist Karl Jaspers zu mahnen nicht müde geworden 155. Die für die freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierende Bedeutung der Kommunikation und damit der grundrechtlich geschützten Kommunikationsgrundrechte ist demgegenüber ein Grundpfeiler der demokratierechtlichen Verfassungsrechtsprechung 156. Die Folge der "Karriere-

151

B. Zeuner, Innerparteiliche Demokratie, S. 115, spricht von einer "Sehnsucht nach Geschlossenheit und autoritärer Führung" ... "vieler Mitglieder und unterer Funktionäre", weil Einfluß diese überfordere (am Beispiel der Berliner SPD); zur fraktionellen Geschlossenheitsmaxime, die der parteilichen entspringt, kritisch H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 690, 697; kritisch für viele D. Grimm, HVerfR, S. 340 ("Einigkeitsdruck"); W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 268, 272, 275, 279, legt die Geschlossenheitsmaxime seiner Dogmatik des inneren Parteienrechts zugrunde und versteht diese Methode als "juristisch". 152

Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. Dazu 5. Teil, 3., 4., 5. und 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 370 ff., 410 ff.; 6. Teil, 2., 8. und 9. Kap., S. 449 ff., 494 ff., 501 ff.; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 154 Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Tyrannei Hitlers war nicht faschistisch, richtig Golo Mann, 27.3.1989, in einem Femsehporträt. 155 Etwa, Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 162, 165 u.ö.; eindrucksvoll die Analyse der Debatte um die "Verjährung von Morden des NS-Staates" in: Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 47 ff., die von "Willen zur Einmütigkeit" (S. 83 ff.) getragen gewesen und der doch der Diskurs nicht gelungen sei; ebenso ders. daselbst, Der Strukturwandel der Bundesrepublik: Von der Demokratie zur Parteioligarchie, S. 128 ff.; ebenso H. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 61 ff.; auch W. Abendroth, Innerparteiliche und innerverbandliche Demokratie als Voraussetzung der politischen Demokratie, S. 335, 338. 153

156 BVerfGE 5, 85 (134 f., 205); 7, 198 (208); 12, 113 (125); 20, 56 (97 ff.); 35, 202 (221 f.); 59, 231 (266), 69, 315 (343 ff.); auch BVerfGE 8, 104 (112); vgl. für viele P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 138 ff., 142 ff.; K.H. Hasenritter, Parteiordnungsverfahren, S. 19 ff., 27 f., 30; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 976; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 911; E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd. VI, S. 639; weitere Hinweise in Fn. 293, 4. Kap., S. 1109; Fn. 458, 7. Kap., S. 1145; Fn. 488, 7. Teil, 5. Kap., S. 610.

3. Kap.: Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien

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muster" in den großen bundesdeutschen Parteien ist, sagt Heinrich Oberreuter, der "Verlust an Kommunikations- und Dialogfähigkeit" 157. Dieses Defizit ist zugleich die Konsequenz der machtbestimmten Geschlossenheitsmaxime, die zum Schweigen oder Heucheln verurteilt. 3. In den und durch die Parteien kann man ohne materielle Kompetenz zu hoher formeller Kompetenz aufsteigen und damit das republikanische Amtsprinzip verhöhnen158. Kein anderer Bereich des Gemeinwesens bietet solche Chancen. Wer ohne unternehmerische Befähigung versucht, in der Wirtschaft, die auch keine spezifisch unternehmensbezogenen Befähigungsvorschriften kennt, zu reüssieren, trägt ein regulativ wirksames Risiko, solange die Wirtschaft nach dem Wettbewerbsprinzip geordnet ist,wenn auch zunehmend die besondere Qualifikation der Unternehmensführer bezweifelt wird. Die parteilichen Bündnisse beschränken ähnlich Wirtschaftskartellen den parteiinternen Wettbewerb159. Den Parteiführern ist an kompetenten Mitstreitern wenig gelegen, wenn diese jener Macht zu gefährden geeignet sind und eine Chance dazu haben. Dieser Mechanismus behindert kompetente Bürger, selbst wenn diese bereit sind, sich in den etablierten Parteien von unten nach oben vorzuarbeiten. Sie müssen an Funktionären vorbei, die heute oft seit langer Zeit, vielfach seit mehreren Jahrzehnten, untere Parteiverbände beherrschen. Kompetenz, die ihre Kompetenz übertrifft, dulden diese Gruppen- und Unterführer selten160. Erwin K. und Ute Scheuch haben die demokratiewidrigen "Cliquen" und "Klüngel"

157

Parlamentarisches System der Bundesrepublik Deutschland - Stärken und Schwächen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 44/80, S. 44; vgl. auch ders., Parteien zwischen Nestwärme und Funktionskälte, 1983, S. 105; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 131; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 14, 48, 109, 112, 149, 154 f., 175, bestreiten nicht die Kommunikationsfähigkeit, sondern die Sachkompetenz, aber ohne letztere ist erstere politisch wertlos, ja schädlich. 158

R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 112 ff., auch S. 34 ff., 133; i.d.S. auch E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 149 ("Sachkompetenz scheint zu stören"), vgl. auch S. 116 ff., 122 ff. 159

So schon G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286 (Zitat oben S. 1069 f.). So auch R. Wildenmann (W. Kaltefteiter), Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 123 ("Der Quereinstieg ... gehört zu den Seltenheiten"); i.d.S. auch H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 695 f.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 167 f.; zum Einfluß der "lokalen Führungszirkel" O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, S. 53 f.; B. Zeuner, Innerparteiliche Demokratie, S. 108, der auf die Ausnahme F.D.P. hinweist, weil deren Kandidaten nur als Listenkandidaten Chancen hätten, auf die "untere Ebenen" nur geringen Einfluß hätten; P. Herzog, Politische Führungsgruppen, Probleme und Ergebnisse der modernen Elitenforschung, 1982, S. 88. 160

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

auf der Lokal- und Kreisebene und deren Machenschaften beschrieben161. Der Seiteneinstieg auf höherer Parteiebene jedoch verletzt die Karrierebündnisse, die oft seit langen Jahren die berufliche Perspektive der sogenannten politischen Klasse bestimmen, und destabilisiert damit die parteiinternen Verhältnisse. Wer sich beruflich bewährt, hat normalerweise keine Führungsrolle in einer Partei, weil beides nicht leistbar ist. Folglich haben gestandene Leute auch keine Chance zur "Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes", solange diese über Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG hinaus von parteilichen Parteien monopolisiert wird. Für den 'Beruf' des Partei Politikers muß man sich, wenn man in ihm reüssieren will, in jungen Jahren entschieden haben, möglichst schon vor dem Studium, weil sonst keine Gelegenheit besteht, sich hinreichend zu plazieren. Rudolf Wassermann spricht von "jungen Karrieristen", die "wenn sie in die Jahre kommen, meist selbst begreifen, was ihnen fehlt: die persönliche Erfahrung im Umgang mit Menschen, vor allen Dingen jene Erfahrung, die man erwirbt, wenn man mit anderen Menschen zusammen für seinen Broterwerb arbeitet." 162 Die Persönlichkeitsentwicklung ist somit von der Parteilichkeit und deren Machiavellismen geprägt, eine Stabilisierung der negativen Persönlichkeitsmerkmale 163. "Bei uns ist der Berufspolitiker im allgemeinen weder ein Fachmann noch ein Dilettant, sondern ein Generalist mit dem Spezialwissen, wie man politische Gegner bekämpft. ... Der Hauptaspekt des 'erlernten' Berufs unserer Politiker besteht in der Unterstützung dessen, was die Partei will, damit sie einen nominiert, möglichst weit oben in den Listen, und in der behutsamen Sicherung ihrer Gefolgschaft, wenn man oben ist. Man lernt, wie man die Konkurrenz der anderen Partei abwehrt und sich gegen Wettbewerber im eigenen Lager durchsetzt." - Richard von Weizsäcker' 164 Viele Mitglieder sehen in den Parteien oder jedenfalls in parteiinternen Gruppen reale Interessenbündnisse. Nach Idealität oder Moralität fragen sie

161

Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 58 ff., 116 ff., 170 ff. Die Zuschauerdemokratie, S. 117 (unter Berufung auf Günter Verheugen). 163 Ganz i.d.S. R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 112 ff.; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 109 ff., 116 ff., 126 ff., 148 ff.; auch R. v. Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 150; zur Negativauslese Hinweise in Fn. 315, S. 1115; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 676 ff. 164 Der Parteienstaat, S. 150 f. 162

3. Kap.: Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien

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wenig, solange ihr Einfluß in der Partei und der Einfluß der Partei im Gemeinwesen nicht in Gefahr ist, im Gegenteil, die Amoralität ist, wie das Zitat von Richard von Weizsäcker erweist, eingeübt und sogar Voraussetzung des persönlichen Erfolges. Die Parteien sind in dem Maße ihrer Parteilichkeit Vernunft- und damit republikwidrig. Das Hauptübel ist die ungeregelte Beruflichkeit dieser Herrschaftsklasse, die als classa politica zu bezeichnen165 den republikanischen Geschmack verletzt. "Die Berufspolitiker bilden eine Art Kaste, eine geschlossene Gesellschaft, die sich mehr oder weniger hermetisch abschließt. ... Die Profis bleiben unter sich, die Amateure draußen;" - Rudolf Wassermann 166 Das Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts, welches die "Tätigkeit des Abgeordneten" als "Beruf" eingestuft hat 167 , hat das Berufspolitikertum zum Schaden der Republik gefördert, vor allem, weil das Gehalt, das an dem von Ministerialdirektoren oder dem von Oberbürgermeistern von Großstädten orientiert ist, für die vielen Aufsteiger unter den Abgeordneten aus meist unterer Mittelschicht eine sonst unerreichbare Karriere bedeutet, der sie nach ihrer "Biographie" (Peter Glotz) selten gewachsen sind168. Vor allem erreichen die Abgeordneten einen Beruf ohne adäquate Berufsqualifikation 169.

165 F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 195; D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 399 f., 403; genauso für viele R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 112 ff., der aber die Berufsmäßigkeit dieser "Funktionseliten", der "Karrierepolitiker" ("Abklatsch von Politikern", S. 117) scharf und richtig kritisiert; E.K u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 129 u.ö. 166 Die Zuschauerdemokratie, S. 118; so auch E.K u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 171 ("Kartelle der Berufspolitiker"), vgl. auch S. 43, 63, 112, 117, 175. 167 BVerfGE 40, 296 (310 ff.) im Anschluß an BVerfGE 32, 153 (164 f.); in BVerfGE 76, 256 (341 ff.) hat das Gericht 1987 die Vollalimentierungspflicht nach dem Diätenurteil von 1975 relativiert; dazu H.H. v. Arnim, Entschädigung und Amtausstattung, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 523 ff.; ders., Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S. 135 ff.; R Badura, Die Stellung des Abgeordneten, S. 508 f.; vgl. das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (AbgG) v. 18.2.1977, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.7.1987; dazu Badura, a.a.O., S. 518 ff. 168 R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 115 f. mit Fn. 51 f.; kritisch zum Diätenurteil auch H.P. Schneider, GG, Alt.-Komm., Rdn. zu Art. 38. 169 R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 126; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 109 ff., 116 ff., 122 ff., 149 ff.; die Qualifikation der Kandidaten gemäß den "Anforderungen des Art. 38" hat schon E. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 23, angemahnt.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

IV. Parteilichkeit zu Lasten der Sittlichkeit und Rechtlichkeit 1. Die Parteilichkeit des entwickelten Parteienstaates ist der dekadente Modus der republikanischen Sittlichkeit. Juridisch ist die materielle und damit die moralische Kompetenz nicht meßbar, solange es keine tatbestandsmäßigen Kriterien gibt, wie etwa die Befähigung zum Richteramt, ein Verfassungsprinzip der Republik170. Die Auswahl der Besten ist aber durchgehend existentiell für eine Republik171. Soziologisch pflegt man die Parteienoligarchie als "Elite", wenn auch nur der Funktion nach, zu bezeichnen172. Das Wort Elite widerspricht der negativen Auslese, die den parteilichen Parteien eigen ist; denn Elite heißt (vulgär lateinisch) Auslese der Besten und der soziologische Begriff verhindert nicht den positiven Klang des Wortes. "Wie der Sinn der Demokratie geschützt wird gegen Ochlokratie und Tyrannis, gegen Parteiklüngel und Subalternität, das ist eine Lebensfrage der Freiheit. ... Demokratie bedeutet zur Geltungkommen eines jeden nach seinem Können und Verdienst; ... Demokratie ist ihrem Sinn nach zugleich aristokratisch."- Karl Jaspers 173 Die "echte Demokratie" sieht Jaspers durch die "republikanische Verfassung der Freiheit" gekennzeichnet174. In Relation zum republikanischen Prinzip der Aristokratie ist die allgemein konstatierte Mittelmäßigkeit der Abgeordneten 175 die kritisierte Negativauslese.

170

Dazu 9. Teil, 6. Kap., S. 972 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 228 ff. Aristoteles, Politik, S. 207, 1319 a 33 u.ö.; Cicero, De re publica, S. 148 ff.; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 106 f. ("Die Mehrzahl der Bürger ist durchaus geeignet auszuwählen, nicht aber, gewählt zu werden"); i.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 234 ff., 252 ff., 307, 373 ff.; Κ Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 139; ders., Vom Ursprung, S. 212 ff.; dazu D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 369 ff.; ders., Das allgemeine Beste, S. 170 ff., der auf die Relevanz der Tugend für das Gemeinwohl hinweist; zu Aristoteles' aristokratischer Lehre von der Politik A. Baruzzi, Freiheit, Recht und Gemeinwohl, S. 120 ff., insb. S. 122 f. 171

172

Etwa R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 88 ("politische Eliten - sprich: Parteiführungen"; "Regierung durch Parteieliten"), S. 167; R. Wildenmann, (G. Sjöblom), Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 98 ff.; vgl. auch E.K u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 42 ff.; zur Elitenfrage 8. Teil, 1. Kap., S. 679 ff. 173 Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 212 f.; ders., Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 140 ff., der für "Demokratie" Republik hätte sagen sollen, weil er diese meint. 174 Etwa, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 139. 175 Vgl. die Hinweise in Fn. 315, S. 1115; vgl. auch 8. Teil, 1. Kap., S. 676 ff. 176 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 637 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; auch 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 62 ff.

3. Kap.: Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien

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2. Zu den parteilichen Bündnissen, die den konsensual-repräsentativen Parlamentarismus 176 unterlaufen, gehören auch die Koalitionsvereinbarungen unter Parteien, deren verfassungsrechtlich fragwürdige politische Verbindlichkeit177 Ausdruck der parteienstaatlichen Pervertierung der demokratischen Republik ist, zumal deren 'Wirksamkeit' zunehmend von außerparlamentarischen Parteitagsbeschlüssen abhängt178. Die Macht der F.D.P. erweist den überproportionalen Einfluß einer kleinen Partei mit zudem mäßigen Wahlerfolgen im Staat, den sie allein der ohne das Verhältniswahlsystem nicht denkbaren, ja durch dieses geradezu erzwungenen Möglichkeit dankt, mittels einer Koalition, eines Bündnisses also, einer großen Partei mit einer starken Fraktion zur Regierungsmacht zu verhelfen 179. Die Parteienoligarchie umfaßt die Führungen aller an der Herrschaft beteiligten Parteien. Deren kartellartiges Bündnis, das "politische Quasi-Kartell der Etablierten" (Hans Herbert von Arnim) my ist die republik- und damit freiheitswidrige Wirklichkeit der sogenannten Parteiendemokratie 181. "Parteienoligarchie" aber "heißt: Verachtung des Volkes." - Karl Jaspers 182 Johannes Agnoli trifft die Verfassungswirklichkeit mit seiner Erkenntnis, die Volksparteien des modernen Verfassungsstaates seien die "plurale Fassung einer Einheitspartei - plural in der Methode des Herrschens, einheitlich als Träger der staatlichen Herrschaft gegenüber der Bevölkerung, ..." 183 .

177

Die rechtliche Unverbindlichkeit folgt bereits daraus, daß die Koalitionspartner diese nicht wollen, weil sie diese auch entgegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nicht wollen dürfen; dazu W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 157 ff.; ders.,GG, Bonner Komm., Rdn. 149 ff., 151 zu Art. 21, der deren Zulässigkeit im Grundsatz nicht in Frage stellt; so auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 9 zu Art. 63. 178 Kritisch Ch. Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 7; dazu M. Schröder, Bildung, Bestand und parlamentarische Verantwortung der Bundesregierung, HStR, Bd. II, S. 604; W. Henke, GG, Bonner Komm, Rdn. 153 zu Art. 21, der Koalitionsabsprachen akzeptiert, wenn die "Parteiführer die staatlichen Ämter übernehmen"; K. Stern, Staatsrecht I, S. 986 f.; kritisch auch R. von Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 158. 179 R. Wildenmann (mit Anregungen von G. Smith), Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 143 ff.; C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 88, hat vom "labilen Koalitions-Parteien-Staat" gesprochen. 180 Entmündigen die Parteien das Volk, S. 28; ders., Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S. 5 ff.; i.d.S. auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 96. 181 Ganz so K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 127 ff., 138 ff.; kritisch resignativ zu den "oligarchisch-elitären Elementen" der "repräsentativen Demokratie" auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 176 ff., zur Unvermeidlichkeit der Oligarchie, a.a.O., S. 160 ff. 182 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 140.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

"Heute sind Bürger und Parteien einander entfremdet." - Rudolf Wasser184 mann "Und wenn Politiker tatsächlich eine Bevölkerung eingeschüchtert haben, dann ist es wohl gerechtfertigt und notwendig, diese Schicht von Politikern als eine 'gewählte Obrigkeit' zu qualifizieren." - Erwin K. und Ute Scheuch 185 "Für den hier charakterisierten Zustand ist der Begriff selbstreferentiell angemessen. Selbstreferentiell heißt in der Systemtheorie (u.a. bei Luhmann), daß ein System nur noch auf Veränderungen im eigenen System reagiert, also nur sich selbst als Bezug hat. Die Politik in der Bundesrepublik ist selbstreferentiell als Koalition von verbeamteten Politikern und politisierten Beamten, umgeben von Journalisten im öffentlichrechtlichen Rundfunksystem. Selbstreferentielle Systeme haben naheliegenderweise die Tendenz, sich zunehmend zu verselbständigen - hier in der Politik gegenüber dem Gesamtsystem der Gesellschaft." - Erwin K. und Ute Scheuch m Die parteiinternen und zwischenparteilichen Bindungen institutionalisieren die Lösung von der republikanischen Pflicht zur Moralität und entbinden von der eigenständigen Verantwortung der Amtswalter für die Wahrheitlichkeit und Richtigkeit in ihrem Kompetenzbereich; sie machen die Gewissen irrelevant. Alle Aufklärer versagen den Faktionen die Achtung187.

183 Die Transformation der Demokratie, in: ders/P. Brückner., Die Transformation der Demokratie, 1968, S. 40; i.d.S. auch E. Krippendorff, Ende des Parteienstaates?, in: Die Neue Gesellschaft 13 (1966), S. 3 ff.; W.-D. Narr, Auf dem Weg zum Einparteienstaat, 1977 (Editorial); vgl. den Bericht von R. Stöss, Parteikritik und Parteiverdrossenheit, S. 17 ff.; i.d.S. auch H.H. v. Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S. 6 f., hinsichtlich der "Politikfinanzierung", ein Kernstück des Parteienstaates und der Parteienmacht ( a.a.O., S. 5); dieser Aspekt taucht bezeichnenderweise bei R. Wildenmann, Volksparteien - Ratlose Riesen? nicht auf, der vielmehr immer von einem "Machtwettbewerb" spricht, etwa S. 144. 184

Die Zuschauerdemokratie, S. 119. Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 146 f., auch S. 41. 186 Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 121. 187 Klar J.G. Fichte, Das System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre, 1798, Gesamtausgabe, Werkebd. 5, S. 73 ff.; Hobbes, Leviathan, S. 209; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 46, 151; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 136 ff.; vgl. auch H. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 44 ff; vgl. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 163 ff., zur Parteienfeindlichkeit der französischen Revolution, S. 368 f., der aber selbst "Bündnisse zur Erlangung von Ämtern zum eigenen Vorteil" als Parteien zurückweist (S. 377); gegen die "rousseauistische" Parteienkritik M. Stolleis, Parteienstaatlichkeit-Krisensymtome des demokratischen Verfassungsstaats?, VVDStRL 44 (1986), S. 18 f.; eindrucksvoll, aber nicht überzeugend i.d.S. auch D. Sternberger, Das angebliche Unrecht der Parteiregierung, in: Grund und Abgrund 185

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3. Parteilichkeit ist der Widerspruch zur allgemeinen Freiheit und damit zum Rechtsprinzip der Gesetzlichkeit188. "Die Alternative zum Rechtsprinzip ist das Machtprinzip der Parteilichkeit." - Martin Kriele 189 "Ein im moralisch-praktischen Sinne rationaler Kern rechtlicher Verfahren schält sich erst heraus, wenn man analysiert, wie sich über die Idee der Unparteilichkeit sowohl der Normbegründung wie der Anwendung von verbindlichen Regelungen ein konstruktiver Zusammenhang zwischen geltendem Recht, Gesetzgebungsverfahren und Verfahren der Rechtsanwendung herstellt. Diese Idee der Unparteilichkeit bildet den Kern der praktischen Vernunft." - Jürgen Habermas 190 Leninistische Parteilichkeit ist typisch das Prinzip von Parteien in (meist sozialistischen) Einparteienstaaten191. Sie ist mit der republikanischen Grundpflicht zur Einigkeit über die die äußeren Verhältnisse regelnden Gesetze unvereinbar 192. 1989 haben sich die Menschen in Mittel- und z.T. in Osteuropa von der Herrschaft der Parteiendespotien ganz oder teilweise befreit. Auf dem Wege zum Parteienpluralismus scheinen sie der Gefahr der Parteienoligarchie zu erliegen, die Karl Jaspers klassisch charakterisiert hat 193 . Die Völker ha-

der Macht, 1962, S. 214 ff.; zur begriffsgeschichtlichen Verbindung von Partei und factio, das immer abwertend gemeinte Wort, durchgehend K. v. Beyme, Partei, Faktion, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. IV, 1978, S. 677 ff.; dazu auch F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 165 ff., der Faktionen und "moderne politische Parteien" unterscheidet. 188 So in der Sache auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., für "festgefügte Parteien" im "bürgerlich-rechtsstaatlich verfaßten" "Gesetzgebungsstaat". 189 HVerfR, S. 129; ders., Die demokratische Weltrevolution, S. 93 ff., 105 u.ö.; i.d.S. auch J. Habermas, etwa: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 75 ff., 144 ff., zur "Perspektivenstruktur des verständigungsorientierten Handelns", die er ähnlich M. Kriele prozedural an der freilich notwendig zu verinnerlichenden Dreiheit des Prozesses Alter, Ego, Beobachter/Richter orientiert; ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 10 ff.; auch J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 34 ff., sucht den Weg zur Unparteilichkeit und Fairneß; i.d.S. auch H. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 61 ff. 190 Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 12, vgl. auch die ff. 191 Vgl. für die DDR H. Weber, SBZ - DDR, Von der SBZ zur DDR, 1945 - 1967, S. 48 f.; eindrucksvoll M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 53 ff., der die durch Parteilichkeit bestimmte "sozialistische Gegenrevolution" als den "neuen Despotismus" kennzeichnet, "der die Frage nach Wahrheit und Unwahrheit, Recht und Unrecht durch die Frage nach Beschlüssen der Parteitage und des Politbüros ersetzt", auch S. 93 ff. 192 Dazu 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff.; 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275, 425 f.; 7. Teil, 3., 4., 5. und 6. Kap., S. 551 ff., 560 ff., 584 ff., 617 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 724 ff. 193 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 128 ff.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

ben sich weitgehend den westeuropäischen, jedenfalls den bundesdeutschen Irrweg in den sogenannten demokratischen Parteienstaat zum Vorbild genommen. Die Freiheit bringt der Parteienstaat nicht; denn er bleibt die Herrschaft weniger Parteiführer, die sich auf verschiedene Parteien verteilen, die schon genannte plurale Parteienoligarchie 194. V.

Widerspruch statt Widerstand gegen die Parteilichkeit als bürgerliche Pflicht Die haßerfüllte Abwehr neuer Konkurrenten in alten oder durch neue Parteien, mit denen die Oligarchie Macht und Herrschaft fürchtet teilen zu müssen, beweist die wirklichen Herrschafts Verhältnisse. Rudolf Wassermann zeigt die üblichen drei Wege, den Wettbewerb unter den Parteien zu verfälschen, auf: "1. die Erschwerung der Start- und Entfaltungsbedingungen für neue Parteien, 2. die Benachteiligung der parlamentarischen Opposition und 3. die gemeinsame Ausbeutung des Staates durch die Parteien" 195. Die Republik ist demgegenüber jederzeit bemüht, jedes Bemühen um Wahrheit und Richtigkeit zu fördern, ganz gleich, wer den Beitrag leistet. Dennoch kann die verfassungsgesicherte Chance, zwischen verschiedenen Parlamentskandidaten zu wählen, in ihrer freiheitlichen Relevanz gar nicht überschätzt werden. Dadurch haben die Bürger auch im entwickelten Parteienstaat die Chance, Parteiführungen, also Herrschaftscliquen, abzuwählen. Karl R. Popper sieht darin das Charakteristikum der Demokratie 196. Eine Republik macht diese Wahlmöglichkeit bei weitem nicht aus, aber sie wahrt die Chance, das Gemeinwesen zur Republik zu entwickeln. Die Bürger haben es in der Hand, die Herrschaft der parteilichen Parteien zu beenden, wenn sie die Republik ernsthaft wollen. Kommunikationsgrundrechte und vor allem die Wirklichkeit des verfassungsfesten Parteienpluralismus sichern die Möglichkeit der Aufklärung. Die Parteienoligarchie mußte sich auch die vernichtende Kritik von Karl Jaspers gefallen lassen. Das Volk wird darauf zurückgreifen, wenn es nicht mehr

194 Dazu 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 87 ff., spricht vom "pluralistischen Parteienstaat"; i.d.S. auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 166 ff., der sich für die "Öffnung der Oligarchien" einsetzt. 195 Die Zuschauerdemokratie, S. 96, vgl. S. 94 ff. 196 Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 10 ff., 14 f., 17; i.d.S. auch M. Hütt ich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 113 ff., 124.

3. Kap.: Die Bündnishaftigkeit der parteilichen Parteien

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sagen will: Uns geht's doch gut 197 . Aber die verfassungsgeschützten Möglichkeiten der Aufklärung und sogar der Veränderung der Verfassungswirklichkeit verbieten eines: den Widerstand mit Gewalt, den Bürgerkrieg. Noch ist die Herrschaft der Parteioligarchien nicht "absolut", so daß "nur noch Gewalt Schutz sein" könnte, um die Freiheit des Volkes zu verteidigen, wie es Karl Jaspers klargestellt hat 198 . Noch ist es die Zeit des Wortes und der Feder, heute des PC, aber es ist die Pflicht des Volkes, die Freiheit, die bürgerliche Verfassung, zu erhalten. Die Bürger müssen Hüter ihrer, der bürgerlichen Verfassung sein. Tua res agitur 199. Damit sind sie auch "Hüter des Rechts" (Arno Baruzzi) 200. "Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, bewahret sie!" Friedrich Schiller , 1789201 Das ist die Idee, die hinter dem Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG steht202. Der Begriff "diese Ordnung" in dieser Vorschrift meint die Republik, nicht den entwickelten Parteienstaat. Der Maßstab des Widerstandsrechts sollte zur Klarheit geführt werden. Das Grundgesetz will und soll die allgemeine Freiheit sichern, vor allem die politische, nicht die gemäßigte Herrschaft, nicht die Sanftheit der Despotie. Der Parteienpluralismus schützt auch die Parteienoligarchie selbst vor einer Entwicklung ihrer sanften zur harten Despotie, welche diese selbst in die Gefahr der harten Entmachtung bringen würde, wie es das Beispiel der vermeintlich sozialistischen Parteiendespotien jenseits des nun (1989) gefallenen Eisernen Vorhangs gezeigt hat. Die parteienpluralistische Herrschaft ist, wie die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg beweisen, besonders stabil; denn sie ist eine gemäßigte, eben sanfte Herrschaftsform.

197 Zur Relevanz der wirtschaftlichen Lage für die Zufriedenheit mit dem politischen System und für das Vertrauen in die Parteien H. Rattinger, Abkehr von den Parteien?, S. 32 ff. 198 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 144. 199 P. Häberle, Zeit und Verfassungskultur, in: Peisl/Mohler (Hrsg.), Die Zeit, 1983, S. 289 ff., 318 ff.; vgl. auch ders., HStR, Bd. I, S. 849, 860; das greift auf A. Baruzzi, Freiheit, Recht und Gemeinwohl, S. 28 f.; im Sinne des Textes auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 77 ff., vgl. auch S. 56 ff., 65 ff.; zum Volk als Hüter der Verfassung, 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff. 200

Freiheit, Recht und Gemeinwohl, S. 28 f. Zitat bei P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 860. 202 Dazu J. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, 1969, S. 61 ff., 78 f., 97 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 625, 631 f.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 65 ff. ("das im Rechtsstaat Unmögliche"), auch S. 56 ff., S. 77 ("Zivilcourage: ja, Widerstand: nein"); dazu 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 581 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 249 f.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 f. 201

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Das Volk läßt sich jahrzehntelang von Berufspolitikern beherrschen, einer Obrigkeit, die sich ihrer Herrschaft sicherer sein kann als der Adel im Absolutismus, vorausgesetzt, für Brot und Spiele ist reichlich gesorgt 203.

4. Kapitel Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien I.

Die innerparteiliche Moralität der Abgeordneten und die Fraktionsdisziplin Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG macht die Tugend der Abgeordneten zum Baustein der Republik204. Das ist in der Lehre von der republikanischen Vertretung des ganzen Volkes dargelegt205. Der freiheitlichen Ethik gemäß kann Hüter der Tugend nur das Gewissen des einzelnen Abgeordneten sein; denn das Gewissen ist der Gerichtshof der Sittlichkeit206.

203

Zu dieser altbewährten Methode der Herrschaftsstabilisierung F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 129. 204 Ganz so J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit-Republikanische Tugend, S. 68 ff., 74; ders., Republik, Staatslexikon, Sp. 885; ders., HStR, Bd. III, S. 41, 43, 45 f.; auch HStR, Bd. I, S. 631 ff., dessen Entgegensetzung von "privater Freiheit" und "vom Amtsgewissen geleiteter" "Gemeinwohlkompetenz" (S. 633) nicht republikanisch ist; ähnlich auch W. Henke, Recht und Staat, S. 377, 387 ff. ("Es ist der Sinn des Amtes, Herrschaft in Dienst zu verwandeln", S. 389), der, GG, Bonner Komm., Rdn. 80 zu Art. 21, vom "gebundenen Amtsgewissen" spricht, das er vom Gewissensbegriff des Art. 4 GG unterscheidet; im Sinne des Textes H. HammBrücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 673 ff., insb. S. 688 ff., 696 ff.; i.d.S. auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 38, 202; zur Einheit von Gemeinwohl und Tugend D. Sternberger, Das allgemeine Beste, S. 170 ff.; dazu 7. Teil, 4. Kap., S. 566 ff., 574 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff. 205

Dazu 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 655 ff., 707 ff., 810 ff. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 223; ders., Metaphysik der Sitten, S. 532, 572 ff.; i.S. eines "Amtsgewissens" J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 45 f.; auch E.V. Heyen, Über Gewissen und Vertrauen des Abgeordneten, Der Staat 25 (1986), S. 35 f., 49; H. Bethge, HStR, Bd. VI, S. 441, meint ein personales Gewissen, dessen Freiheit Art. 4 Abs. 1 GG schütze, vom "Amtsgewissen" des Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG unterscheiden zu können; das übersieht den republikanischen Zusammenhang von Freiheit und Gesetzgebung; das freiheitliche Gewissen ist das Amtsgewissen des Bürgers, des Hüters des allgemeinen Gesetzes (dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 228 ff.); den Gewissensbegriff, der mit dem formalen Begriff der politischen Freiheit untrennbar verbunden ist, verkennt ähnlich auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 178 ff., der die "Gewissensentscheidungen nicht in den politischen Raum ausdehnen, sondern auf die Fälle echter Gewissensnot eingegrenzt" wissen will (S. 179), aber den Abgeordneten richtig an das "Verantwortungsgefühl gegenüber dem Volk" gemahnt; ebenso kritikwürdig R. Bäumlin, VVDStRL 28 (1970), S. 146 f., der entgegen Wort und Begriff des Gewissens aus praktizistischen Gründen meint, der Gewissens206

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

1087

Wenn den Parteien Parteilichkeit gestattet ist, wenn sie die Vertreter des ganzen Volkes in deren repräsentativer Freiheit binden dürfen, ist der Widerspruch zwischen der Republik und dem Parteienstaat, den Gerhard Leibholz zur Grundlage seiner verfassungsverändernden Lehre von der plebi szitären Demokratie mit den Identifizierungen von Volk, Aktivbürgerschaft, Parteien und Staat gemacht hat 207 , unaufhebbar. Eine rechtswirksame parteiliche Bindung der Abgeordneten wäre verfassungswidrig (Fraktionszwang) 208, die politische Bindung ist es 209 ; denn ihre

begriff sei in jeder Vorschrift des Grundgesetzes anders zu interpretieren; ebenso W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 80 zu Art. 21, der gar Rdn. 85 vom "Amtsgewissen" lehrt: "Gewissen ist nicht ein Organ der geheimen Kommunikation mit der volonté générale, ..."); zum Gewissensbegriff des Art. 4 Abs. 1 GG 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff. mit Fn. 798; 9. Teil, 1. Kap., S. 833 ff.; zu der herrschaftsideologischen Versuchung, die Gewissensbindung der Abgeordneten, das Prinzip des freien Mandats also, herunterzuspielen, 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 710 ff., 780 ff., 810 ff. 207 U.a. in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 108; grundlegend schon in: Das Wesen der Repräsentation, S. 118 ff., 224 ff., 258 ff.; (dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff.); vgl. ähnlich auch G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 292; kritisch W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 7; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 57, 64 zu Art. 21; W. Hennis, Die Rolle des Parlaments und die Parteiendemokratie, in: ders., Die mißverstandene Demokratie, 1973, S. 168, insb. Rdn. 32 ("An Leibholz' Lehre stimmt so ziemlich nichts"); P. Haungs, Die Bundesrepublik - ein Parteienstaat?, ZParl 1973, 502; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, S. 261, 325, 354; H. Hofmann, Parlamentarische Repräsentation in der parteienstaatlichen Demokratie, in: ders., Recht-Politik-Verfassung, 1986, S. 249 ff., 254 f., 258; kritisch auch D. Grimm, HVerfR, S. 332 ff. (ohne selbst substantiell von der Parteienstaatslehre abzurücken); auch M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 14 ff.; Rh. Kunig, Parteien, HStR, Bd. II, 1987, S. 146; kritisch H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 682 ff.; moderat differenzierend K. Stern, Staatsrecht I, S. 432 ff.; ebenso P. Badura, GG, Bonner Komm., Rdn. 26 ff zu Art. 38; ders., HStR, Bd. I, S. 983; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 490; zur Problematik der Repräsentation 2. Teil, 5. und 9. Kap., S. 102 ff., 139 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 529 ff.; 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 637 ff., 707 ff., 772 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 981 ff. 208

Vgl. i.d.S. BVerfGE 10, 4 (15); P. Badura, GG, Bonner Komm., Rdn 58 zu Art. 38 GG; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 497, 506; K. Stern, Staatsrecht I, S. 1075; D. Grimm, HVerfR, S. 3354 ff.; ders., Parlament und Parteien, S. 205; H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 374 f.; N. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 218 f.; Rh. Kunig, HStR, Bd II, S. 130; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 136 zu Art. 21; auch schon G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 292. 209

Richtig N. Achterberg, Vertrauensfrage und Auflösungsanordnung, DVB1. 1983, 485; ders., Parlamentsrecht, 1984, S. 218 f.; abgewogen kritisch H. Hofmann, Parlamentarische Repräsentation in der parteienstaatlichen Demokratie, S. 249 ff., 258 f.; im Sinne des Textes tendenziell H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 678 ff., 685 f., insb. S. 698 f., S. 694 f. (zu den Disziplinierungsmethoden); vorsichtig kritisch auch Ph. Kunig, HStR, Bd. Π, S. 130; a.A. die h.M., E. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 24 mit Fn. 37; P. Badura, GG, Bonner Komm, Rdn. 78 zu Art. 38; vorsichtig auch ders., HStR, Bd. I, S. 984; weitgehend jedoch ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 497; K. Stern, Staatsrecht I, S. 1075; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 136 zu Art. 21; D. Grimm, HVerfR, S. 354 ff., der dem freien Mandat innerfraktionelle und innerparteiliche Relevanz zuspricht; ebenso ders., Parlament

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

parteienstaatliche Zweckmäßigkeit ist gegen das republikanische Prinzip nicht zu legitimieren. Die rigorose Unterwerfung des Abgeordneten unter den Willen der Partei knebelt diesen persönlich derart, daß er der repräsentativen Willensautonomie nicht mehr fähig ist. Hildegard Hamm-Brücher, mehr als drei Jahrzehnte Mitglied des Deutschen Bundestages, hat die "unzumutbaren Beschränkungen der Abgeordnetentätigkeit" aufgelistet und versucht, der "partiellen Entmündigung" der Parlamentarier entgegenzuwirken: "Auch unter Respektierung des Loyalitätsarguments ist es immer mehr Abgeordneten nicht einsichtig und erscheint ihnen aus Gründen der Selbstachtung und Achtung vor dem Verfassungsgebot unzumutbar, wenn z.B: - Fraktionsführungen bzw. Ältestenrat entscheiden, ob und wann eine Abstimmung eine 'Gewissensfrage' ist und daher 'freigegeben' wird, - ob und wann ein Abgeordneter seine abweichende Meinung öffentlich zu Protokoll geben kann, - ob und wann ein Abgeordneter von seinem Rederecht Gebrauch machen darf, - ob und wann ein Abgeordneter überfraktionelle Initiativen unterstützen darf, - ob und wann bei allgemeinen politischen Diskussionen von einheitlicher und autoritär verordneter Sprachregelung abgewichen werden darf. Unzumutbar erscheint aber auch: - daß abweichendes Stimmverhalten im Plenum der Fraktion vorher gemeldet werden muß, - daß mündliche und schriftliche Anfragen der Fraktionsführung vorgelegt werden müssen und - daß parlamentarische und politische Mitsprache außerhalb des zugeordneten Arbeitsgebietes unerwünscht ist. In diesen Praktiken sind die Ursachen für die Verkümmerung der Funktionstüchtigkeit des Parlaments und für den Verlust von Offenheit, Spontaneität und Kreativität zu suchen. Alles in allem: es gibt immer weniger Freiräume für Mitwirkung, Mitgestaltung und somit für Mitverantwor-

und Parteien, S. 204 ff.; ähnlich schon K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 598 ff., S. 299 ff.; H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 370 f.; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 654 f.; eher zurückhaltend auch W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 57; zu den Disziplinierungsmethoden auch C.-Ch. Schweitzer, Anmerkung zur Diskussion um die Parlamentsreform, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 24-25/1985, S. 47; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter! S. 657, meint angesichts solcher Praktiken sagen zu müssen, daß die Abgeordenten sich "in der Sache völlig frei und von außen nicht beeinflußt" "zugunsten der Fraktionsloyalität" entscheiden würden (was bleibt ihnen auch als vorauseilender Gehorsam); ähnlich fragwürdig schon G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 292 f., der das "imperative Mandat" als "soziologische Wirklichkeit" akzeptiert und die "Parteidisziplin" als "Gewissenspflicht" gestärkt hat; richtig korrigiert E. Tatarin-Tarnheyden, Die Rechtsstellung der Abgeordneten, ihre Pflichten und Rechte, HbdDStR, 1. Bd., S. 418 diese Bewertung als "UnrechtsWirklichkeit"; zur Auseinandersetzung um das freie Mandat 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 710 ff., 780 ff., 810 ff.

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

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tung. Das ist die Kehrseite des perfektionierten Fraktionsparlaments, das um den Preis einer partiellen Entmündigung des Abgeordneten zu teuer erkauft ist." ... "Keinesfalls möchte ich die Ordnung der Fraktionen in Frage stellen. Der neue Abgeordnete muß in seiner Fraktion eine Art politische Heimat und Rückhalt finden. Negativ beginnt die Fraktionssozialisation erst dann zu wirken, wenn der Abgeordnete in die weitverbreitete Resignation des 'ich kann ja doch nichts ändern' verfällt, wenn sie auf Kosten des vom Grundgesetz aufgetragenen verantwortlichen Redens und Handelns geht." ... "So konstitutiv und vielfältig die Rechte des Abgeordneten nach dem Grundgesetz sein mögen (...), so deutlich manifestiert sich seine tatsächliche Ohnmacht - verglichen mit der Macht der Fraktion und ihrer Apparate sowie den diese letztlich prägenden politischen Parteien." - Hildegard Hamm-Brücher 210 "Es gibt ein ganzes Netz von Abhängigkeiten, das über den Abgeordneten geworfen ist, große und kleine, sichtbare und unsichtbare Zwänge, die ihn disziplinieren, in Botmäßigkeit halten, seine Eigenwilligkeit strangulieren." - Rudolf Wassermann 211 Die Vergewaltigung der Vertreter des ganzen Volkes und damit des Volkes und zugleich der Verfassung durch die Fraktionen, und damit durch die Parteien, kann kaum deutlicher werden als durch den zitierten Erfahrungsbericht einer Abgeordneten, die die Parlamentspraxis jahrzehntelang erlebt und mitgestaltet hat, zumal als Liberale.

210 Abgeordneter und Fraktion, S. 698 f., 690 f.; die Notwendigkeit der Fraktionen folgt der pluralistischen Parteienstaatlichkeit, entfällt somit mit dieser. Die Sacharbeit kann auch in nicht parteilich gegliederten Ausschüssen geleistet werden. Seine "politische Heimat" darf der Abgeordnete nur im Volk haben. Die prinzipielle Akzeptanz des Parteienstaates schwächt die Kritik Hamm-Brüchers, die lediglich Mißstände desselben beheben will; aber die Ehrlichkeit ist ermutigend; ähnliche Kritik an den Zuständen in den Fraktionen bei H. Apel, Die deformierte Demokratie, S. 188 ff.; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 654 Fn. 30, 656 f., 670 ff., auch ein langjähriger Abgeordneter, teilt die zitierten Bedenken Hamm-Brüchers nicht, sieht aber auch, in Verleugnung der Funktion des Abgeordneten, dessen Parteibindung er bejaht (a.a.O., S. 650 ff..), das Gewissen des Abgeordneten "extrem selten gefordert"; das sagt viel über diesen Volksvertreter, aber wenig zum Grundgesetz (zum Gewissensbegriff 5. Teil, 6. Kap., S. 420 ff. mit Fn. 798; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 664 ff., 810 ff.; auch 9. Teil, 1. Kap., S. 833 ff.). 2,1

Die Zuschauerdemokratie, S. 121, auch ff., unter Berufung auf H. Hamm-Brücher und D. Lattmann. Schachschneider

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

"Fraktionen aber sind die Mandatsträger einer politischen Partei im Parlament." - Peter Badura 212 "Innerparlamentarisch treten die Parteien in Gestalt der Fraktionen in Erscheinung." - Dieter Grimm 213 Mittels der Fraktionen machen die Parteien das Volk mundtot, indem dessen Vertreter von den Parteien, vor allem wegen des Wahlsystems abhängig, entmündigt werden. Die Vertreter sollen aber gerade im Namen des Volkes sprechen, das Volk in dessen Mündigkeit repräsentieren 214. Die Parteienoligarchie hat ihre Herrschaft mittels der Fraktionen erfolgreich bürokratisiert und dadurch stabilisiert; denn die Fraktionen sind als Institutionen von den einzelnen Abgeordneten unabhängig. Immer verfügen die etablierten Parteien über Fraktionen in den Parlamenten. Bürokratie verträgt sich schlecht mit Eigenständigkeit, auch nicht mit der von Abgeordneten. Der Herrenchiemseer Konvent hatte einen Satz in das Statut der politischen Parteien eingefügt, der das klarstellte, was auch unter der klassischen Fassung des Abgeordnetenstatus in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG rechtens ist: "Abreden der Parteien, durch die die Abgeordneten in ihrer Stimmabgabe so gebunden werden, als ob in der abstimmenden Körperschaft nur eine Partei vertreten sei, sind verboten" 215. Das Verbot der parteilichen Abreden, also auch die Fraktionsdisziplin, ist die Rechtsfolge, nicht lediglich deren Unverbindlichkeit. Der Parteienstaat hat geschichtlich in der Krise der Weimarer Verfassung versagt. Die Fraktionsdisziplin hat die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes vom 21. März 1933 zumindest erleichtert. Selbst ein Liberaler wie Theodor Heuss, 212 P. Badura, GG, Bonner Komm. Rdn. 71 ff., 77 zu Art. 38; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 504 f.; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 653 f., der irrig "das Recht und die Möglichkeit der Fraktion den Abgeordneten an ihre Beschlüsse und Richtlinien zu binden", aus Art. 21 GG herleiten will; zum parteienbestimmten Fraktionsbegriff K.A. Schachtschneiden Der Staat 28 (1989), S. 175 f.; H.-P. Schneider, AK-GG, Rdn. 35 zu Art. 38; ders., Die parlamentarische Opposition, S. 1070 f.; Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 129; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 119 zu Art. 21. Das entspricht der Formulierung des § 10 Abs. 1 S. 1 GO BT; vgl. i.d.S. auch BVerfGE 2,143 (160, 167); 10, 4 (14); 20, 56 (104); 43, 142 (147); 45, 1 (28), auf Art. 21 GG gestützt, aber auch BVerfGE 70, 324 (350, 362); 80, 188 (219 f.); 84, 304 (324); J. Jekewitz, Politische Bedeutung, Rechtsstellung und Verfahren der Bundestagsfraktionen, in: H.P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 1032 ff., 1036 ff., 1044, 1045 ff. 213 Parlament und Parteien, S. 207; vgl. ders., HVerfR, S. 352 ff. 214 Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 655 ff., 707 ff. 215 Art. 47 Abs. 2 S. 2; vgl. K-B. v. Doemming/R.W. Füsslein/W. Matz, JöR NF 1 (1951), S. 202; vgl. auch H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 678 ff., die die Entstehungsgeschichte richtig liest.

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

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der spätere erste Bundespräsident, hat gegen bessere und selbst formulierte Einsicht für den Umsturz Hitlers gestimmt, weil seine Fraktion aus fünf Abgeordneten das mehrheitlich so wollte 216 . Die Folgen dieses Versagens sollten das Instrument der Fraktionsdisziplin endgültig diskriminiert haben. Die Väter der Verfassung wußten das noch. Die Unterscheidung von verbotenem Fraktionszwang und erlaubter Fraktionsdisziplin, von verfassungswidriger Rechtsbindung und verfassungsgemäßer politischer Bindung217, für die die Differenz von Recht und Politik reklamiert wird 218 , mutet sophistisch an 219 . Sie verkennt die untrennbare Einheit der äußeren, der rechtlichen, und der inneren, der moralischen, Freiheit, die Einheit von Recht, Politik und Moral 220 . Die äußere Freiheit des Abgeordneten besteht um seiner inneren, repräsentativen Freiheit willen 221 . Der Abgeordnete ist äußerlich frei, also unabhängig, um allein seinem Gewissen folgen, d.h. seiner sittlichen Pflicht genügen zu können, im Namen des ganzen Volkes Gesetze zu erkennen und zu beschließen, die die

216 H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 678 f.; dazu genau H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 89. 217 Etwa W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 136 zu Art. 21. 218 Dazu 9. Teil, 3. Kap., S. 909 ff. 219 Hinweise wie soeben. 220 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 228 ff.; i.d.S. auch J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 86 ff.; ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 7, der der kantianischen Ethik trotz aller Nähe nachsagt, das "Recht" werde "zu einem defizienten Modus der Moral herabgestuft" und damit die propagierte "prozeduralistische Gerechtigkeitstheorie" (a.a.O. S. 12 ff.) selbst verkennt, die von der Formalität der gesetzgeberischen Moral abhängt und folglich den Dualismus von positivem Gesetz und Recht nicht überwinden kann; denn deren Übereinstimmung hängt von der Gewissenhaftigkeit des Gesetzgebers ab, die ihrem Begriff nach nicht überprüfbar ist; "verwirklichte Demokratie", von der auch Habermas "autonomes Recht" abhängig macht (a.a.O. S. 16), mag diese bürgerliche Sittlichkeit sein; bei Habermas bleibt das dunkel; bei Kant wird keineswegs "das positive Recht dem Vernunftrecht subsumiert" (Habermas, a.a.O., S. 7); das wäre eine materiale Zuordnung; Kant konzipiert kein Vernunftsrecht, sondern die praktische Vernunft; zum Verhältnis von Recht und Moral, ders., Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 135 ff.; vgl. auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 910 f.; dazu 5. Teil, 2., 3. und 4. Kap., S. 265 ff., 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff. 221 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 66, 74; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 144; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 104 ff.; ders., JA 1979, 514; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, 1981, S. 186 f., 296 ff., 331; i.d.S. nicht anders die Diskursethik, J. Habermas, etwa: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 86 ff., 144 ff., 195; dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 664 ff.; auch 5. Teil, 3., 4. und 7. Kap., S. 275 ff., 289 ff., 318 ff., 332 ff., 344 ff., 431 ff.; 6. Teil, 8. und 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Freiheit aller verwirklichen. Die Einheit der äußeren und der inneren Freiheit definiert das freie Mandat des Abgeordneten222. Die innere Freiheit nimmt ihm die Partei und er läßt sie sich nehmen, weil er sie geben muß, wenn er im Parteienstaat Abgeordneter sein will. Spezifisch die sittliche Repräsentation durch die Abgeordneten ist Bedingung der demokratischen Republik. Diese ist das Erkennen des Wahren und Richtigen im Namen des Volkes und duldet erkenntnistheoretisch keine persönliche Bindung. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG bindet den Abgeordneten an sein Gewissen, d.h. an das Sittengesetz, und wehrt damit jede andere Bindung desselben ab. Die Fraktionsdisziplin ist das parteienstaatliche Surrogat der von der Verfassung normierten republikanischen Gewissensbindung der Abgeordneten. Sie sichert die Entscheidungsmacht der Parteienoligarchie und ist damit gegen die Einheit des Volkes gerichtet. Dekuvrierend rechtfertigt Wilhelm Henke die Fraktionsdisziplin: "Mit dem Begriff der Fraktionsdisziplin wird die Loyalität der Parlamentsmitglieder einer Partei untereinander und gegenüber der Fraktion als ihrer Gemeinschaft bezeichnet. Sie ist die Voraussetzung für einheitliches und planmäßiges Handeln in Plenum und Ausschüssen und dafür, daß die Partei mit dem vollen Gewicht ihres Stimmergebnisses aus der letzten Wahl auf die Staats Willensbildung im Parlament im Sinne des Art. 21 Abs. 1 S. 1 einwirkt." 223 Der Abgeordnete ist aber gewählt, nicht die Partei. Der Abgeordnete soll das ganze Volk vertreten. Die Parteienstaatlichkeit erweist in Henkes Dogmatik ihre augenfällige Verfassungswidrigkeit. "Alle vier Jahre aber heißt es: Das Volk hat gewählt, das Volk kann gehen." - Karl Jaspers 224 Das republikanische Grundprinzip des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG läßt sich nicht darauf reduzieren, daß der Abgeordnete einer Rechtsbindung nicht ausgesetzt werden dürfe. Eine Rechtsbindung wäre der Sache nach die

222

Dazu 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 664 ff., 710 ff., 810 ff. GG, Bonner Komm., Rdn. 136 zu Art. 21, wo Henke auch von der "politischen Einheit der Fraktion", die gesichert werde, spricht, vgl. auch Rdn. 139 zum "Ausschluß aus der Fraktion": "Auch insoweit hat die parteipolitische Homogenität der Fraktion Vorrang vor der Selbständigkeit und Entscheidungsfreiheit des Parlamentsmitglieds", ein Satz, der die Unvereinbarkeit des Fraktionswesens mit Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG deutlich macht, gerade weil er der Logik von Fraktionen gerecht wird. 224 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 139; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 181 ff., 205, plädiert deswegen für "mehr politische Beteiligungschancen der Bürger", für "Teilhabe als Kern der Demokratie", für Referenden. 223

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

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Rechtsetzung durch die Partei oder deren Fraktion für deren Parlamentarier. Die parteiliche Verbindlichkeit der Beschlüsse der Partei oder Fraktion hat eine Wirkung, die der Verbindlichkeit von Gesetzen gleichkommt; denn sie bindet den Abgeordneten innerlich mit gleicher, wenn nicht höherer Intensität. Allerdings ist diese Bindung weder moralisch noch gar legal. Rechtlich ist die Anerkennung der parteilichen/fraktionellen oder auch koalitionären Beschlüsse als Gesetze derart abwegig, daß es nicht der alleinige Sinn des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG sein kann, eine solche Rechtsbindung abzuwehren. Dem widerspräche bereits die Institution des Parlaments und damit die der Vertreter des ganzen Volkes. Beide Institutionen wären funktional eliminiert. Sie sind aber im entwickelten Parteienstaat auch material ihrer normalen Funktion beraubt, der der Gesetzgebung. Eine Legitimationsfunktion des Parlaments und der Volksvertreter bleibt in der formalen Kompetenz erhalten; denn sie können auf ihre materiale Funktion jederzeit zurückgreifen und tragen dadurch die ihnen übertragene Verantwortung für die Politik. Freilich nützt diese, wenn man will, negative Legitimation der Republik wenig. Republikanisch ist die öffentliche Diskussion der Politik im Parlament225, nicht die Verlagerung der Entscheidung in die parteilichen Apparate. Der formell Kompetente soll nicht nur materiell kompetent sein, sondern seine Aufgabe auch erfüllen. Republikanische Legalität begründet die genannte negative, rudimentäre Legitimation der formalen Verantwortung des Parlaments und seiner Volksvertreter nicht; denn sie verstößt zutiefst gegen die Sittlichkeit der Republik, die sittliche Gesetzgebung. Diese schreibt die Erkenntnis des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit durch die Vertreter des ganzen Volkes als der Repräsentanten des Volkes in der allgemeinen Moralität oder Bürgerlichkeit vor. Gesetze der parteienstaatlichen Art schaffen kein freiheitliches, kein bürgerliches Recht226. Die kritisierte Praxis und Lehre, welche die politische Bindung der Abgeordneten zuläßt, verdrängen, Gerhard Leibholz folgend, weitestgehend Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG parteienstaatlich und überziehen republikwidrig die Wirkung des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, der es den Parteien erlaubt, "bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken", mehr nicht 227 .

225

Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 62 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 637 ff., 647 ff., 668 ff., 716 ff., 772 ff. 226 Dazu 7. Teil, 1., 4. und 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 227 Zum sog. Spannungsverhältnis zwischen Art. 21 und Art. 38 GG vgl. außer den obigen Hinweisen BVerfGE 2, 1 (72 f.); 4, 144 (149 ff.), 70, 324 (350 ff.); 80, 188 (217 ff.), wo der Status der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und die Institutionalisierung der Fraktion aus Art. 21 GG hergeleitet wird; ebenso BVerfGE 84, 304 (324) u.ö.; kritisch zum Leibholz-

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

"Der Verfassungsauftrag des Abgeordneten erleidet infolge der durchgängig omnipotenten Fraktionsdisziplin und ihren feinnervigen Disziplinierungsmechanismen dauerhaften Schaden. ... Der von der Fraktionsräson abgeschliffene Abgeordnete verzichtet nach und nach darauf, sein Kontroll- und sein Wächteramt ad personam wahrzunehmen. Seine ohnehin minimalen Rechte verkümmern, die Exekutive braucht die Volksvertretung als Kontrollinstanz nicht zu fürchten." - Hildegard Hamm-Brücher 12* sehen Ansatz des BVerfG schon E. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 22; P. Badura, GG, Bonner Komm., Rdn. 65 ff., 70 f. zu Art. 38 GG; ders., Die Stellung des Abgeordneten, S. 491 ff. ("parteibezogenes Mandat", die Gewissensunterworfenheit herunterspielend, S. 492 f.); H.H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 388 ff., für die möglichste Realisierung des Art. 38 GG; R. Scholz, Krise der parteienstaatlichen Demokratie?, 1983, S. 37 ff., für den Vorrang des Art. 38 GG; so auch K. A. Schachtschneider, Das Nominationsmonopol der Parteien in Berlin, JR 1975, 91 ff.; ders., JA 1979, 513 ff.; ders., Der Staat 28 (1989), S. 188 ff., zum Widerspruch des entwickelten Parteienstaates zur republikanischen Repräsentation; richtig weist H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 678 ff., die Relativierung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch Art. 21 GG in der Sache zurück; abgewogen H. Hofmann, Parlamentarische Repräsentation in der parteienstaatlichen Demokratie, S. 249 ff., 253 ff., 257 f.; W. Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, nennt die Gewissensbindung des Abgeordneten eine "Katechismussentenz", S. 160; im Sinne des Vorrangs des Art. 21 GG in neuerer Zeit etwa M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 6 ff., zur Parteienstaatlichkeit Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaates?, insb. S. 14 ff., 24 ff., dem die "Normalität des Parteienstaates" als Argument gegenüber den "altliberalen Leitbildern" genügt, die übliche Denunziation der Verfassungsnormen mittels der Verfassungs Wirklichkeit im Sinne eines platten Hegelianismus nach dem Satz: "Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig." (Rechtsphilosophie, Einleitung, S. 39); diese Denunziationsmethode benutzt beispielsweise schon F. Morstein Marx, Rechtswirklichkeit und freies Mandat, AöR N.F. 11 (1926), S. 439: "...ein Fossiles Requisit aus der verfassungsgeschichtlichen Steinzeit..."; gegen derartige Herabsetzung der Verfassung schon E. Tatarin-Tarnheyden, HbdDStR, 1. Bd., S. 417 f.; zum scheinbar "schroffen Widerspruch" von Art. 21 WRV und der Anerkennung der Fraktion auch G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 292; den empiristischen Skeptizismus gegen die aus Ideen geborenen Prinzipien weist J. Habermas als Gegenaufklärung zurück, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 108 ff., 131; nicht anders I. Fetscher, Aufklärung und Gegenaufklärung, S. 522 ff.; rigide auch C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 650 ff., der Art. 21 GG und Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zwar gleichen Rang einräumt, aber in Art. 21 GG den Parteienstaat verankert sieht und damit Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ruiniert; so in der Sache auch W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 78 ff., 119 ff., insb. 136 zu Art. 21, der den Amtscharakter des Abgeordnetenmandats herausstellt, aber das Fraktionswesen extrem parteienstaatlich dogmatisiert; ähnlich D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 203 ff., der Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG auf eine parteiinterne Relevanz reduziert; i.d.S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 598 ff., S. 229 ff.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 91 ff., 120 ff., 181, kritisiert Leibholzens Lehre vom Gegensatz der Art. 21 und Art. 38 GG und rät den Parteien, die er für "unersetzlich" hält (S. 166), "Selbstbeschränkung" (S. 181) und die "richtige Balance zwischen Fraktionsdisziplin und Abgeordnetenfreiheit" (S. 123), das sagt wenig; zur Verteidigung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gegen den Parteienstaat auch 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 655 ff., 672 ff., 710 ff., 772 ff.; zur Kritik an Leibholzens Parteienstaatsdoktrin 8. Teil, 4. Kap., S. 763 ff.

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

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Das kommt den Abgeordneten entgegen, die ohnhin nicht für das Mandat geeignet sind. Diese etablieren sich dann auch am reibungslosesten in den Parlamenten und finden die Förderung der Parteiführer, die auf diese Weise Schwierigkeiten vermeiden. Sie suchen den Rat ihrer Gefolgsleute nicht. Diese sollen zuverlässig stimmen, wie ihnen befohlen wird. Die meisten Abgeordneten werden "als eine Art hochbezahltes Stimmvieh von Fraktionsweisungen, Parlamentstechnokratien und Termindruck herumkommandiert." - Dieter Lattmann 229 II.

Die persönliche, unparteiliche Meinung als Bedingung republikanischer Einigkeit Rousseau fordert zum Gemeinsinn auf, der eine eigene Meinung jedes Bürgers voraussetze, und lehnt Gruppierungen und Parteiungen scharf ab 230 . "Die Garantie seiner (sc. des "einzelnen Abgeordneten") Redefreiheit setzt voraus, daß er wirklich frei redet, nämlich auf Grund einer eigenen Stellungnahme, unabhängig von Befehlen und Anweisungen und irgendwelchen, seine Freiheit gefährdenden Einflüssen." - Carl Schmitt für das parlamentarische System231 "Seine Meinung ... frei zu äußern" schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG 232 . Die Freiheit der Äußerung ist im Sinne der inneren Freiheit gewissensgebunden, also moralisch die Einigkeit zu fördern verpflichtet. Parteiische Äußerungen verstoßen gegen die grundgesetzliche Wahrheitsethik. Nur wegen der äußeren Freiheit, die es verbietet, die Parteilichkeit der Äußerung juridisch vorzuwerfen, wenn sie nicht als solche expliziert wird, genießen parteiliche Äußerungen eben als Meinungsäußerungen Grundrechtsschutz; denn die Par-

228

Abgeordneter und Fraktion, S. 698. Die Einsamkeit des Politikers, zitiert bei H. Hamm-Brücher, Der Politiker und sein Gewissen, S. 50 f. 230 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 31,46,151; dazu, insb. zur Jakobinerverfassung, W. Leisner, Volk und Nation, S. 116 ff. 231 Verfassungslehre, S. 317. 232 Das Bundesverfassungsgericht sieht in BVerfGE 60, 374 (380) die Redefreiheit des Abgeordneten nicht durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, der nur die Meinungsäußerungsfreiheit des Bürgers gegenüber dem Staat schütze, gewährleistet, sondern in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, der den repräsentativen Status des Abgeordneten regele. Die Spezialität der letzteren gegenüber der erstem Vorschrift ist gut vertretbar, nicht aber eine Trennung von Staat und Gesellschaft, die in der Erkenntnis des Gerichts anklingt (dazu 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.). 229

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

teilichkeit als Widerspruch zur Allgemeinheit ist nicht von Rechts wegen erkennbar, solange das allgemeine Gesetz nicht vorhanden ist. Meinungen sind republikanisch nur die eigenen Beiträge zur Wahrheit und Richtigkeit, also Theorien und Urteile, abgesehen von ästhetischen Urteilen zum Schönen; denn diese sind der verfassungsgeschützte Beitrag zur Einigkeit 233 . Die Wahrheit darf man (abgesehen von Verpflichtungen zur Geheimhaltung und Vertraulichkeit) immer sagen, aber man trägt die (auch strafrechtliche) Verantwortung für die Wahrheitlichkeit. Die (wissenschaftliche) Suche nach der Wahrheit ist methodisch, nicht aber gegenständlich beschränkbar (Art. 5 Abs. 3 GG). 234 Parteilich abgesprochene Äußerungen, welche die eigene Meinung unterdrücken, sind gewissenlos 235 . Sie täuschen Wahrheit und/oder Richtigkeit der Aussagen vor, von der der Redner selbst nicht überzeugt ist, sind also von Art. 5 Abs. 1 GG nicht geschützte Lügen236.

233

I.d.S. auch der Meinungsbegriff von W. Hennis, Meinungsforschung und repräsentative Demokratie, 1957, S. 25; dazu J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 278 ff.; so vor allem der Meinungsbegriff von H. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 59 ff.; tendenziell auch M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 173, 178 f., der aber den Meinungsbegriff nicht streng auf die praktische Vernunft ausrichtet, um der Egalität entgegenzukommen - das jedoch ist eine Frage der Kompetenz; tendenziell so auch E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd. VI, S. 644 f., der aber den "wertungs"-orientierten Meinungsbegriff nicht durchhält; vgl. i.d.S. auch W Hoffmann-Riem, Massenmedien, HVerfR, 1983, S. 390 f. ("liberales Konzept" der "Kommunikationsfreiheit"); vgl. dazu auch 7. Teil, 5. Kap., S. 588 ff., 602 ff., 608 ff.; 2. Teil, 11. Kap., S. 156 ff. 234

Th. Oppermann, Freiheit von Forschung und Lehre, HStR, Bd. VI, 1989, S. 823 ff. Ganz so H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 439 f.; J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 77,98; i.d.S. auch H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 690 ff., insb. S. 698; vgl. i.d.S. auch G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286; die "Gesinnungslosigkeit" der Patronageparteien spricht M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 839, 846 an; i.d.S. Art. 47 Abs. 2 S. 2 HChE ("verboten", vgl. das Zitat S. 1090). 236 Zu den Grenzen des Grundrechtsschutzes aus Art. 5 Abs. 1 GG BVerfGE 54, 208 (219 f.); 61,1 (8 f.); vgl. auch BVerfGE 66, 116 (136, 149); BGH NJW 1982, 635 ff. (zu unrichtigen Zitaten); BVerwGE 55, 232(241); dazu kritisch M. Köhler, Zur Frage der Strafbarkeit des Leugnens von Völkermordtaten, NJW 1985, 2389 ff., der denselben moralischen Vorwurf erhebt wie im Text; richtig auch /. v. Münch, in: ders., GG, Rdn. 5 zu Art. 5; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 20 zu Art. 5 Abs. 1, 2.; G. Lübbe-Woljf, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 92; anders auch W Thieme, Über die Wahrheitspflicht der Presse, DÖV 1980, 150; anders E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd. VI, S. 645, der "falschen Tatsachenmitteilungen", "wie unhaltbaren Meinungen" bei der Abwägung mit kollidierenden Rechten Dritter (praktischer Konkordanz) "ein gegen Null tendierendes Gewicht" beim Grundrechtsschutz zumessen will, ein wenig hilfreicher Vorschlag; nach R. Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Rdn. 50 ff., 55 zu Art. 5, schützt das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit ein "Recht der freien Rede"; das überzeugt, wenn die freie Rede die sittliche Rede ist. 235

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

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"Jeder Sprecher darf nur das behaupten, was er selbst glaubt."- Robert Alexy 237; aber: "Der Standpunkt des einzelnen Abgeordneten steht parteimäßig fest." Carl Schmitt "Auch das Abhängigkeitsverhältnis der Abgeordneten von den Parteihierachien, denen sich die Wähler etwa im Sinne eines Vereins zugehörig fühlen, begründet eine Einflußmöglichkeit der Aktivbürgerschaft auf die Volksvertretung." - Gerhard Leibholz 239 Kein Beschluß einer Partei oder Fraktion kann eine Meinung bilden; sie können lediglich Entscheidungen hervorbringen. Meinungen bilden sich auf Grund von Beweisen und Argumenten. Meinungen sind persönlich 240. Karl Jaspers lehrt die Ethik der Wahrheit als die der Freiheit und des Friedens: "Friede ist nur durch Freiheit, Freiheit nur durch Wahrheit möglich. Daher ist die Unwahrheit das eigentlich Böse, jeden Frieden Vernichtende. ... Die Voraussetzung des Friedens ist die Mitverantwortung eines jeden durch die Weise seines Lebens in Wahrheit und Freiheit." - Karl Jaspers 241 "Wer auf Autorität hin handelt, handelt notwendig gewissenlos." - J.G. Fichte 242 Kant postuliert die "Einheit des Willens aller", damit ein "gemeines Wesen gesetzgebend" sein könne und charakterisiert die Staatsbürger als die selbständigen Personen, die äußerlich frei und gleich sind243. 237 Theorie der juristischen Argumentation, 1978, S. 233, 236 (diese "Diskursregel... sichert die Aufrichtigkeit der Diskussion"); ebenso ders., Eine Theorie des praktischen Diskurses, in: W. Oelmüller (Hrsg.), Normenbegründung, Normendurchsetzung, 1978, S. 36 ff.; ders., Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 418; auch J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 98; ganz so schon Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 31; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 439 f. 238 239

Verfassungslehre, S. 319; so auch G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286. Das Wesen der Repräsentation, S. 118 (nur der erste Satzteil ist empirisch richtig).

240 I.d.S. für viele R. Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Rdn. 50 ff., 55 zu Art. 5; wohl auch I. v. Münch, in: ders., GG, Rdn. 11 zu Art. 5; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 439 f.; schon C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 9; ders., Verfassungslehre, S. 315 ff. 241

59 ff.

Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 169 f.; i.d.S. auch H. Arendt, Wahrheit und Politik, S

242 Das System der Sittenlehre, § 15, V, Nr. 3, ed. Medicus, S. 569; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 439 f.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

"Gegen die selbstmörderischen Tendenzen einer formalen Demokratie" bedarf es des "Ethos gemeinsamen Lebens", einer "Selbsterziehung des Miteinanderredens zur Bewältigung konkreter Aufgaben."... "Demokratie heißt Selbsterziehung und Information des Volkes. Es lernt nachzudenken. Es weiß, was geschieht. Es urteilt. Die Demokratie befördert ständig den Prozeß der Aufklärung." - Karl Jaspers 244 Sittlich ist das sokratische Gespräch245. Diskursethisch überwindet die "Selbstreflexion" die Herrschaft von Menschen über Menschen. "In der Form der ursprünglichen Selbstreflexion ist Vernunft unmittelbar praktisch." ... "Die Vernunft, die sich selbst reflektiert, hat 'alle Parteilichkeit gänzlich auszuziehen'". Die Unabhängigkeit erwächst aus dem "Interesse der Vernunft an Emanzipation und Selbständigkeit des Ich", aus der "Selbstreflexion" als "einem Akt der Vernunft." - Jürgen Habermas2' 6 Vernunft ist das Prinzip der freien Tat, der Praxis 247. "Moralität ist die einzige Maxime der Politik." - Kant 248, und Politik hat in der Republik nur einen Gegenstand, das Recht.

243 Über den Gemeinspruch, S. 150 f.; auch, Metaphysik der Sitten, S. 432 f.; dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. und 6. Kap., S. 275 ff., 410 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 998 ff. 244 Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 213; Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 144. 245 Zur Gesprächskultur der griechischen Polis, Η. Arendt, Vita Activa, S. 30 f., auch 49 ff., S. 164 ff. zum Handeln und Sprechen; Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 289; i.d.S. auch R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 376; grundsätzlich R. Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz, vor allem S. 134 ff. 246 Erkenntnis und Interesse, S. 234 ff., S. 253 ff.(Zitate) gestützt auf Kant und Fichte (Das integrierte Kantzitat entstammt der Kritik der reinen Vernunft, S. 450); auch ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 108 ff., 130 ff.; ders., Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 57, zur Illegitimität von Herrschaft und Akklamation; ebenso i.d.S. ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 10 ff.; E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 39 ff., 64. 247 K.A. Schachtschneider, Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 101 f., 105 ff.; J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 77 f., i.S. "realer" Argumentation zur gemeinsamen Überzeugung. Zum freiheitlichen Aspekt der Tat (unter Bezug auf Schelling) R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 82 f. 248 Dazu ders., Zum ewigen Frieden, S. 228 ff.; dazu näher 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 637 ff., 657 ff., 810 ff.; 9. Teil, 6. Kap., S. 963 ff.; auch 7. Teil, 1. Kap., S. 526 ff.

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

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III. Die formelle Meinungsführung der Parteioligarchie Die Einigkeit ist Ausdruck repräsentativ-konsensualen Erkenntnisses des Wahren und Richtigen, des im Konsens erfolgreichen Diskurses 249. Die Uneinigkeit in den Parteien, aber auch unter den Parteien und durch die Parteien schwächt das Vertrauen der Wähler in die Kompetenz der Parteien, das Wahre und Richtige hervorzubringen, das Volk zum Guten zu führen. Es läßt an der materiellen Kompetenz derer zweifeln, denen die Bürger, die die Last der Politik gern anderen aufbürden, formelle Kompetenzen übertragen haben. Die aufgeregte Uneinigkeit erinnert lästig an die eigene bürgerliche Verantwortung. Der ruhige Schein der Einigkeit beruhigt das Gewissen der um ihre res privatae besorgten Bürger, die sich ungern von ihren Geschäften und Beschäftigungen ablenken lassen. Die Parteien erwarten, wie schon gesagt250, von ihren Mitgliedern, daß sie in der Öffentlichkeit den stabilisierenden Schein der erwarteten Einigkeit wahren, ja fördern. Der Geschlossenheit wird der Vorrang vor dem öffentlichen Diskurs über Wahrheit und Richtigkeit, der Vorrang vor der öffentlichen Kritik gegeben251. Kritik deutet auf Krise; Kritik stört die scheinbürgerliche Ruhe. Kritik ist darum ein Imperativ der Republik. Nur Kritik vermag vor Irrtümern über das Güte zu bewahren. Der Schein des Guten aber genügt, um das Vertrauen der Wählerschaft zu stabilisieren, wenn schon das Gute, nämlich der erfolgreiche repräsentative Konsens, nicht verwirklicht werden kann, weil diesen anzustreben, Herrschaft nicht zuließe. Das Vertrauensschutzprinzip, ein fundamentales Prinzip der Rechtsordnung252, gibt differenzierte Lösungen für die Fälle, in denen der Schein von der Wirklichkeit abweicht, die regelmäßig den sanktioniert, der den Schein verantwortet. Eine

249 Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 644 ff., 710 ff., 724 ff.; auch 2. Teil, 7. Kap., S. 124 ff.; 7. Teil, 4., 5. und 6. Kap., S. 560 ff., 584 ff., 617 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 275 ff. 250 Vgl. 8. Teil, 5. Kap., S. 817 ff.; 10. Teil, 3. Kap., S. 1069 ff.; auch 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff., 1113 ff. 251 Vgl. die Hinweise in Fn. 119, S. 817; etwa W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 268, 272, 275, 279 zu Art. 21. 252 K.-H. Lenz, Das Vertrauensschutz-Prinzip. Zugleich eine notwendige Besinnung auf die Grundlagen unserer Rechtsordnung, 1968; G. Kisker u. G. Püttner, Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht, VVDStRL 39 (1974), S. 149 ff., 200 ff.; KA. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 89 ff., die Rechtsprechung berichtend; Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 208 ff., 273 ff. (zu Recht kritisch zum gesetzesbindenden Vertrauensschutzprinzip); kritisch auch W. Leisner, Das Gesetzesvertrauen des Bürgers. Zur Theorie der Rechtsstaatlichkeit und der Rückwirkung der Gesetze, in: FS F. Berber, 1973, S. 273 ff.; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 283 ff.; zum verwaltungsrechtlichen Vertrauensschutzprinzip H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 1988, S. 242 ff.; zum privatrechtlichen Vertrauensschutzprinzip C.-W. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1961.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

aufgeklärte Rechtsordung kann prinzipiell nur die Wahrheit schützen und muß den Schein bekämpfen. Das republikanisch Gute, der diskursiv erarbeitete Konsens, ist mit einer parteilichen Oligarchie unvereinbar. Dieser Widerspruch drängt die Oligarchie zur Vortäuschung von Einigkeit als dem Guten, der sogenannten Geschlossenheit253. Wenn gar die großen Parteien, d.h. deren Führer, Einigkeit zeigen, wird Kritik an dem wirklichen oder vorgetäuschten Konsens bis zur Tabuisierung hin diskriminiert, meist unterstützt von den Medien. Ein Beispiel ist der Verzicht auf die deutschen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 und den mit diesem verbundenen Änderungen der Präambel und der Aufhebung des Art. 23 des Grundgesetzes. Eine faire öffentliche Diskussion dieser Ostpolitik war im Zuge des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland, welche in der Neufassung der Präambel wahrheitswidrig, also ideologisierend, als die Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschland proklamiert wird, nicht möglich. Die Verfassungsklage von acht Bundestagsabgeordneten gegen Grundgesetzänderungen im Einigungsvertrag, welcher Ostdeutschland nicht mehr zum Staatsgebiet Deutschlands rechnet, wurde von den meisten Medien beschimpft und dem Zeitgeist gemäß vom Bundesverfassungsgericht einstimmig als "offensichtlich unbegründet" verworfen (§ 24 BVerfGG), ohne daß die eigentliche ostdeutsche Problematik in dem Beschluß auch nur erwähnt worden wäre 254, eine erfolgreiche Tabuisierung eines dem Recht gemäß unlösbar scheinenden politischen Problems Deutschlands und Europas 255. Ein weiteres Beispiel war der Versuch, die Kritik an dem

253

I.d.S. auch G. Teubner, Organisationsdemokratie, S. 87 f.; i.d.S. etwa H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 690, 697; R. Wildenmann (W. Kaltefleiter), Volksparteien Ratlose Riesen? S. 105; dazu die Hinweise in Fn. 250, S. 1099. 254 BVerfGE 82, 316 ff.; Art. 4 des Einigungsvertrages vom 31.08.1990 hat die Präambel des Grundgesetzes dahin geändert, daß nach dem Eintritt der DDR "die Deutschen in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet" hätten. Der Beitrittsartikel 23 des Grundgesetzes wurde aufgehoben und damit die Beitrittsmöglichkeit beseitigt; W. Fiedler, Die Wiedererlangung der Souveränität Deutschlands und die Einigung Europas. Zum Zwei-plusVier Vertrag vom 12.09.1990, JZ 1991, 685 ff.; D. Blumenwitz, Der Vertrag vom 12.09.1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, NJW 1990, 3041 ff. 255 Die Völker- und staatsrechtlichen Fragen sollen hier nicht aufgeworfen werden; dazu E. Klein, Bundesverfassungsgericht und Ostverträge, 2. Aufl. 1985; R. Bartlsperger, Die Rechtslage Deutschlands, 1990, S. 20 ff.; vermerkt sei nur, daß die Achtung der Selbstbestimmungsrechte der betroffenen Deutschen, also der Vertriebenen, und der Polen, die in den deutschen

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

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Maastrichter Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 zu tabuisieren, obwohl dieser Vertrag tief in das deutsche Verfassungsgefüge eingegriffen und alle Prinzipien des Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG verletzt hat, nämlich das Prinzip der deutschen Staatlichkeit, das demokratische Prinzip, das Rechtsstaatsprinzip, das Sozialprinzip und das Bundesstaatsprinzip. Dadurch war zugleich die mit der Würde des Menschen untrennbar verbundene politische Freiheit der Deutschen verletzt 256. Die gesetzgeberische Verfassungsänderung (insbesondere Art. 23 GG n.F. vom Dezember 1992) behebt den Verfassungsverstoß dieser Politik nicht. Die Intensivierung der Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft über die Entwicklung der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 hinaus hätte eine neue Verfassung Deutschlands vorausgesetzt. Die plurale Parteioligarchie, geführt von dem Bundeskanzler Kohl, wollte aber die weitere Europäisierung des gemeinsamen Lebens allein bewirken, weil sie vor allem wegen der Währungsunion, welche den Deutschen ihre vertraute DM nehmen würde, die Ablehnung des Vertragswerkes durch das deutsche Volk besorgt hat. Wegen der Verfassungsbeschwerden gegen das deutsche Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Maastricht vom 30.12.1992 (2 BvR 2134/92)257 ist die Tabuisierung der Politik nicht gelungen, wenn auch die "Schweigespirale" recht gut funktioniert hat 258 .

Ostgebieten wohnen, die Chance zu einer friedlichen, also dem Rechtsprinzip genügenden, Regelung der Gebietszugehörigkeit gegeben hätte oder noch geben würde. 256 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 37, 54 f.; 2. Teil, 10. u. 11. Kap., S. 150 ff., 153 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 175 ff.; 5. Teil, 3. u. 4. Kap., S. 275 ff., 325 ff.; 6. Teil, 8. u. 9. Kap., S. 494 ff., 501 ff.; 8. Teil, 2. Kap., S. 685 ff.; 9. Teil, 7. u. 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff. 257 Dazu KA. Schachtschneider, Maastricht: Verfallserscheinung der Demokratie, EG Magazin 1993, 1-2, S. 40 ff.; ders., Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 28/93, S. 3 ff.; ders., Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, in: M. Brunner, Kartenhaus Europa?, 1993, S.117 ff.; ders., Die Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag über die Europäische Union (Maastricht) vom 18.12.1992; ders./A. Emmerich-FritschelTh.C.W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993,751 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75 ff.; ders., Das Maastricht-Urteil. Die neue Verfassungslage der Europäischen Gemeinschaft, Recht und Politik, 1994, 1 ff.; das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Vertrag über die Europäische Union, BVerfGE 89, 155 (17 ff., 181 ff.), die gröbsten Rechtsverstöße, insbesondere das Ermächtigungsgesetz des Art. F Abs. 3 EUV abgewehrt, den nationalen Parlamentarismus um des demokratischen Prinzips willen gestärkt und damit ein Europa der Führer verhindert. 258 H.H. Rupp, Muß das Volk über den Vertrag von Maastricht entscheiden?, NJW 1993, 38 ff.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Wer den Schein zerstört, schadet der Oligarchie, wenn er auch der republikanisch verstandenen Politik als dem gemeinsamen Bemühen um das Wahre und Richtige durch das einzig förderliche Mittel, durch Kritik, einen Dienst erweist. Erziehung zur Republik muß sich zum Ziel setzen, alle Bürger zu befähigen, die Unsicherheit des Meinungsstreits, die Kritizität, auszuhalten. Die Bürger in Sicherheit zu wiegen, heißt sie zu entmündigen. Vertrauliche Kritik läßt sich trefflich ignorieren. Öffentliche Kritik wird, jedenfalls wenn sie die Parteioligarchie in Frage stellt, als Parteischädigung empfunden und kann zum Parteiausschlußverfahren führen, welches freilich der republikanischen Pflicht zur Kritik des Unwahren und Unrichtigen widerspricht 259. "Auf Kritik an Politikern folgt die Bestrafung." - Erwin K. und Ute Scheuch 260 Widerspruchslosigkeit pervertiert das republikanische Prinzip der Einigkeit und trägt damit dazu bei, nach außen Kompetenz durch inneren Konsens vorzutäuschen. Der Konsens besteht selten, schon weil er meist gar nicht gesucht wird 261 . Ihn zu erarbeiten, ist auch überaus mühsam. Ihn gar nicht erst zu wagen, erleichtert zudem, die Inkompetenz zu verbergen. Die Gefolgschaft der Parteiführer läßt sich, nicht minder moralisch inkompetent, zur Claque der parteilichen Meinungsführer degradieren. Anstatt die eigene Meinungsbereitschaft durch den Parteibeitritt zu beleben, lassen viele Parteimitglieder sie erlahmen. Die stille Verachtung dieser Haltung ist verständlich. Der Schaden für die politische Kultur des Gemeinwesens ist groß, weil das innere moralische Versagen der Parteien die republikanische Sittlichkeit ruiniert. Meist wird nur Mitgliedern der Parteioligarchie zugestanden, Meinungen in der Öffentlichkeit zu äußern, die der Partei zugerechnet werden könnten. Selten sind diese Meinungen in der Partei abgestimmt, also Beschlüsse der 259 Ganz so in der Sache K.H. Hasenritter, Parteiordnungsverfahren, S. 19 f.; R. Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordung, S. 142; J. Risse, Der Parteiausschluß, S. 126 ff., 141 ff. 260 Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 166 f. 261 O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, S. 22 ff., insb. S. 28 f., 33 ff., berichtet über die empirischen Untersuchungen, die ergeben, daß die Parteimitglieder so gut wie nicht an der "innerparteilichen Politikformulierung" beteiligt sind; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 688 ff., beschreibt den minimalen Einfluß des Abgeordneten selbst auf die Sachpolitik, deren Einflußnahme von den Fraktionsführungen um der Parteiführung willen zurückgedrängt wird ("Notarfunktion" des Parlaments); vgl. auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 90 ff., auch S. 177 ff.

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

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Partei. Die mediale Öffentlichkeit pflegt die Meinungsäußerungen der Parteiführer mit dem politischen Willen der Partei zu identifizieren, weil erwartet wird und regelmäßig erwartet werden kann, daß die von den Parteiführern geäußerten Meinungen sich als 'Willen' der Partei durchsetzen werden. In der demokratischen Republik sollte die richtige Meinung den Konsens bestimmen. So unverzichtbar die kritischen Anstrengungen insbesondere derer sind, die das können, so wenig lassen sich aus dieser materiellen Kompetenz Führungsanspruche herleiten. Dennoch legitimiert die materielle Kompetenz gerade im kommunikativen Gemeinwesen formelle Kompetenz. Wessen Meinung sich im Konsens als richtig erweist, stellt seine Amtseignung unter Beweis. Jedenfalls darf nicht formell kompetent sein, wer es nicht materiell ist. Das nötigt den, der ohne materielle eine formelle Kompetenz behaupten will, anderen die materielle Kompetenz abzustreiten oder jedenfalls diese vor der Öffentlichkeit zu verleugnen. Wer für die Partei Meinungen äußern darf, wer etwa als Fachsprecher seiner Partei formelle Kompetenz innehat, hat die Chance, materiell kompetent zu erscheinen, und läßt vermuten, daß materielle Kompetenz ihm zu seinem Amt verholfen habe. Der Schein materieller Kompetenz und damit die Amtslegitimation wird denn auch mit allen Mitteln, insbesondere dem der Entrüstung über Kritik, verteidigt. Inkompetente Parteimitglieder blockieren um ihrer eigenen Interessen willen, also sittlich minderwertig, materielle Kompetenz und unterdrücken damit die parteiinterne Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit. Sie benutzen dafür vor allem das Instrument Bündnis. Wer inkompetent Ämter besetzt, fürchtet überlegende Meinungen. Solche können in der auf Erkenntnis und damit auf Wissenschaft gegründeten Republik sachliche Positionen in Frage stellen. Das aber vermag Posten in Gefahr zu bringen; denn prinzipiell ist es republikanisch, wenn, wie gesagt, formell kompetent ist, wer materiell kompetent ist 262 . Um den Schein materieller Kompetenz der Parteioligarchie zu wahren, werden die Meinungen der Parteiführer gegen Kritik tabuisiert 263. Der Weg zur Erkenntnis des Wahren und Richtigen wird dadurch versperrt, die republikanische Tugend diskursiver, um Konsens bemühter Er-

262 Ganz so R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 126, 142, insb. S. 133 ("Das Geheimnis des Erfolges ist auch hier die Deckungsgleichheit zwischen Aufgabe und Befähigung."). 263

Dazu E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 166 f., 168 f.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

kenntnis zutiefst verletzt. Ständig ist darum einem solchen Bemühen der bloß formellen Meinungsführer aufklärerisch entgegenzutreten, um die Republik zur Existenz zu bringen. Habermasens Konsenstheorie der Wahrheit setzt nicht anders als seine notwendig formale Diskursethik des Richtigen als dem "Gerechten" die "ideale Sprechsituation" voraus 264. Breiteste Öffentlichkeit ist Bedingung des Fortschritts zum Richtigen265. Auch und gerade die Erkenntnisse des politisch, also rechtlich Richtigen müssen sich größtmöglich der Kritik aussetzen, weil auch ihre Richtigkeit wie die der Theorien immer zweifelhaft bleibt. Wenn Karl R. Poppers Satz: "Alles Wissen ist nur Vermutung." 266, auf die Empirie begrenzt wird, so sind doch die Erkenntnisse des Richtigen von den Theorien abhängig und damit schon wegen des Vermutungscharakters der Theorien selbst unsicher. Hinzu kommt die Irrtumsgefahr auch der politischen Erkenntnis selbst267. Die republikanische Erkenntnistheorie hat Sokrates mit seinem Satz: "Ich weiß, daß ich nichts weiß." auf den Begriff gebracht 268. Die republikanische Idealität der ergebnisoffenen Auseinandersetzung um das Richtige auf der Grundlage der Wahrheit 269 pervertieren die Oligarchien der parteilichen Parteien dadurch, daß sie ihren Gegnern innerhalb und außerhalb der Partei die Kompetenz zur Erkenntnis absprechen, sie dadurch als Personen herabwürdigen, anstatt deren Theorien und Urteile, deren

264

J. Habermas, Theorie der Gesellschaft und Sozialtechnologie, in: ders./N. Luhmann, 1971, 101 ff., 123 ff., 136 ff.; ders., Erkenntnis und Interesse, 1973, S. 344 f.; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 108 ff., 145 ff.; auch ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 11 ff.; E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 45 ff.; i.d.S. auch Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 201 ; ders., Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 161 ff.; K.A. Schachtschneider, Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 113.; H. Arendt, Vita Activa, S. 27 ff. für die Polis; vgl. dies., Wahrheit und Politik, S. 59 ff. 265 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff., insb. 596 ff., 602 ff. 266 Logik der Forschung, etwa S. 18 ff., 47, 76 ff. 198 ff.; ders., Objektive Erkenntnis, S. 13 ff., 270 ff.; nicht anders J. Habermas, etwa: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 5. 136. Diese Erkenntnistheorie hat sich das Bundesverfassungsgericht im Kalkar-Beschluß BVerfGE 49, 89 (143) zueigen gemacht (auch BVerfGE 53, 30 (58 f.); dazu K.A. Schachtschneider, Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 100 ff. 267 Zu den grundrechtlichen Konsequenzen der Irrtumsgefahr 9. Teil, 4. Kap., S. 946 ff.; auch 6. Teil, 3. Kap., S. 454 ff. 268 I.d.S. auch Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 46, 47 f. 269 Zur Streitkultur H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 695.

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

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Meinungen also270, zu kritisieren. Die allgemeine Würde zu respektieren heißt, die prinzipielle Fähigkeit jedermanns anzuerkennen, daß er das Wahre und Richtige zu erkennen in der Lage ist. Die Grundannahme der Republik ist die "Kognitivität, Universalität, Formalität und die Reziprozität" des Ge171 setzes . "Jeder Teilnehmer einer Argumentationspraxis muß nämlich pragmatisch voraussetzen, daß im Prinzip alle möglicherweise Betroffenen als Freie und Gleiche an einer kooperativen Wahrheitssuche teilnehmen könnten, bei der einzig der Zwang des besseren Arguments zum Zuge kommen darf." - Jürgen Habermas 272 Das ist die Logik der Gleichheit in der Freiheit 273; denn "mit der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden, mit diesem aber das allgemeine Prinzip der Sittlichkeit, welches in der Idee allen Handlungen vernünftiger Wesen eben so zum Grunde liegt, als das Naturgesetz allen Erscheinungen." - Kant 274 Empirismen dürfen diese Idee nicht relativieren, weil sie den Schutz der Grundentscheidung des Grundgesetzes genießt, weil sie die eigentliche Verfassung der Deutschen ist.

270 Zum republikanischen Meinungsbegriff 7. Teil, 5. Kap., S. 588 ff., 608 ff.; auch 2. Teil, 11. Kap., S. 156 ff. 271 I.d.S. J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 130 ff.; KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 152 ff., auch S. 138 ff. zur Autonomiefähigkeit, S. 151 fragwürdig zum Aspekt "wissenschaftlich", der als "Herrschaftsideologie" denunziert wird (vorkritisch); anders bereits ders., Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 128; richtig Η Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 241, 283 ff.; M. Kriele, HVerfR., S. 129 f.; ganz so auch M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 179; klar schon Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 89 ff. 272 Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 13; auch ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 13 ff., 144 ff.; ders., Faktizität und Geltung, S. 133, 339; i.d.S. auch J. Rawls, Kantischer Konstruktivismus in der Moraltheorie, S. 88 f., 90 ff., 108 ff. 273 Klar M. Kriele, HVerfR, S. 129 f.; auch E. Benda, Die Menschenwürde, HVerfR, S. 107 ff., 114; KA. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 138 ff., 152; P. Häberle, HStR, Bd. I, S. 843, 845; J. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 13, 16; ders., Faktizität und Geltung, insb. S. 109 ff.; J. Rawls, Kantischer Konstruktivismus in der Moraltheorie, S. 80 ff., insb. S. 88; ganz so die Griechen, die das im Losverfahren für die Amtswalter zum Ausdruck brachten, Aristoteles, Politik, S. 204, 1317 b, 20 f.; ders., Der Staat der Athener, S. 14; ebenso für die wahre Demokratie Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 118 ff.; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S.107; zur gleichen Freiheit auch 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 998 ff. 274 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 88 f.

70 Schachtschneider

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Wer mit einem anderen den Konsens sucht, muß zunächst die Konsensfähigkeit des anderen anerkennen275. Auch das ist Nächstenliebe, die uns das Sittengesetz gebietet276. Ein parteilicher oder sonstiger Paternalismus ist despotisch277, nämlich Entmündigung der Bürger 278, ist "Verachtung des Volkes"279. Würdig verhält sich umgekehrt der, der seiner Erkenntniskompetenz mit der nötigen Bescheidenheit/Selbstkritik begegnet und die Meinung anderer ernst nimmt, insbesondere auch Fachkompetenz gelten läßt. Wer kein Argument für seine 'Meinung' hat, sollte diese zurückstellen. Republikanisch ist "der Zwang des besseren Arguments" {Jürgen Habermas), nicht der der Mehrheit 280 . "Die dialektische Einheit von Achtung und Liebe ist für Kant das Prinzip der Gemeinschaft. ... Die tätige Liebe vergewaltigt und bevormundet also nicht." - Günter Ellscheid a* 1

275 Ganz so in der Sache J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 109, 132 f.; ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 16 ff, insb. S. 13. 276 Eindringlich so K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 197 ff. ("Zugunsten gegründeter Einsicht schmilzt die bloße Meinung ein im liebenden Kampf zwischen den Nächsten."); so auch J. Schuschnig SJ, Toleranz als Achtung des anderen aus eigener Überzeugung, S. 110 ff.; auch G. Ellscheid, Das Problem von Sein und Sollen in der Philosophie Immanuel Kants, S. 105 ff. 27 7 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 f., 159; Metaphysik der Sitten, S. 435; zur Ersetzung der Vater- durch die Bruderordnung bei Friedrich Schiller, D. Borchmeyer, Kritik der Aufklärung im Geiste der Aufklärung, S. 375 f. 27 8 R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 162; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 699, spricht sogar von "partieller Entmündigung der Abgeordneten", also der Vertreter des Volkes und damit erst recht des Volkes. 27 9

Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 140. K. Jaspers, Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 161 ff.; zum diskursethischen Prinzip des Arguments, J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 109, 132 f., 144 ff., passsim; ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 11 ff., insb. S. 13; ders., in: ders/N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft und Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung?, 1971, S. 136 ff. (insb. zur "idealen Sprechsituation"); ders., Faktizität und Geltung, S. 133, 339; E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 48; M. Kriele, Demokratische Weltrevolution, S. 103; kritisch zu dieser erkenntnistheoretisch begründeten Ethik mit empiristischen Aspekten, aus schlechter Erfahrung, J.P. Müller, VVDStRL 39 (1981), S. 82 ff.; vgl. auch H. Arendt, Vita Activa, S. 43 f., gegen die Despotie der Majoritäten; vgl. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 127 f.; J.W. Goethe sagt, Zur Naturwissenschaft, Werke, Weimarer Ausgabe, DTV, Nachdruck 1987, S. 137: "Nichts ist widerwärtiger als die Majorität: denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich accomodiren, aus Schwachen, die sich assimilieren, und der Masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will."; zum Mehrheitsprinzip 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. 280

281

Das Problem von Sein und Sollen in der Philosophie Immanuel Kants, S. 110.

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

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Die republikanische, also politische, Erkenntnistheorie verträgt sich nicht mit Herrschaft. Darum erweist sich die Habermassche Ethik des herrschaftsfreien Diskurses zum Richtigen als dem Gerechten als republikanische oder eben politische Erkenntnismethode, die jedenfalls insoweit der kantianischen Einheit von Moralität und Legalität im Gesetz entspricht 282. Die in der Republik illegitime und illegale Herrschaft 283 wird sich wegen der nicht zu leugnenden Idee der Freiheit auf überlegenes Wissen stützen. Parteifunktionären bleibt angesichts ihrer regelhaften fachlichen Inkompetenz284 wenig anderes übrig, als die Kompetenz der Kompetenten zu bestreiten oder, noch wirkungsvoller, nicht zur (öffentlichen) Geltung kommen zu lassen. Darum ist es für die, die in einer Republik hèrrschen wollen, unverzichtbar, die Medien im Griff zu haben285. Den kritischen, notwendig öffentlichen Diskurs müssen sie vermeiden. In vielen Verbänden der großen Parteien muß der Diskurs erst noch institutionalisiert werden. Der Diskurs ist jedoch das Verfahren der republikanischen Moral. Erst der öffentliche Diskurs über das Wahre und Richtige wird der Freiheit aller gerecht 286. 282

E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 42 ff., 57 ff.; J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 112 ff., 144 ff.; ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 7 ff., 11 ff., der allerdings Kant eine "Zwei-Reiche-Lehre" nachsagt, welche "Legalität von Moralität auf eine höchst widerspruchsvolle Weise voneinander zu unterscheiden" gezwungen sei (a.a.O., S. 7, mit Bezug auf W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 16 ff.); Habermas unterschiebt Kant ein notwendig materiales "Vernunftrecht", "Gesetze praktischer Vernunft", welche das Recht zum defizienten Modus der Moral herabstufen würden (a.a.O., S. 7); das verkennt die Formalität der "praktischen Vernunft" Kants und den kategorischen Imperativ im Kern, weil es diese materialisiert; Kants Ethik ist widerspruchsfrei; darum ist Habermassens Diskursethik im kategorischen Imperativ Kants angelegt, was auch das Studium der politischen Lehre Karl Jaspers zeigt; vgl. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 130 ff., 135 ff., 151 ff.; zur Einheit von Moralität und Legalität im freiheitlichen Gesetz K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 127 ff., 438 f.; bei Kant folgt diese Einheit aus dem abhängig vom Begriff der Freiheit, als äußerer und innerer, definierten allgemeinen Rechtsprinzip, Metaphysik der Sitten, S. 337 f. ("Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann."); dazu D. Henrich, Ethik der Autonomie, in: ders., Selbstverhältnisse, 1982, S. 6 ff., insb. 11 ff., 17 ff., 28 ff. zur "Beurteilung des Guten" bzw. zur "Macht des Guten". 283

Dazu 2. Teil, 1., 2. und 11. Kap., S. 71 ff., 124 ff., 153 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff. Zur parteienbedingten Negativauslese 8. Teil, 1. Kap., S. 676 ff.; 10. Teil, 3. u. 5. Kap., S. ?ff., 1113 ff. 285 Kritik zum "mediatisierten Dialog", R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 142 ff.; zur Aufgabe der Medien in der Republik 10. Teil, 7. Kap., S. 1141 ff.; auch 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. 286 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff., insb. S. 597 ff. 284

70*

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

"Parlamentarische Demokratie heißt nach wie vor Diskussion." - Rudolf Wassermann 287 In diesem Sinne sagt Jürgen Habermas: "Kein autonomes Recht ohne verwirklichte Demokratie." 288 Vertraulichkeit ist ein Verfahren der Interessendurchsetzung, wenn auch manchmal eines nicht illegitimen Interessenschutzes. IV. Innerparteiliche Opposition als Institutionalisierung von Kritik und Diskurs Eine innerparteiliche Opposition ist in großen sogenannten Volksparteien eine nicht zu entbehrende Einrichtung, um kritische und alternative Meinungen der Parteiführung und der dieser folgenden oft meinungslosen Anhängerschaft zu Gehör zu bringen. Kritik ist der Weg der Erkenntnis. Alternativen stellen in Frage und sind somit kritisch. "Das mächtige Instrument des Fortschritts ist die Kritik."- Karl R. Poppe "Demokratie ist als Staatsidee und Staatsideal ... ein Prinzip der Kritik und der Revisibilität von Ordnung und Herrschaft überhaupt."- Peter Badura 290 Ohne gefügte Opposition reagieren die parteilichen Führer auf Einzelmeinungen mit Ignoranz, solange das die Medien, eine andere Macht, zulassen. Wenn die Machterhaltung es erfordert, wird Kritikern auch durch Parteiausschluß die institutionelle Grundlage demokratie- und republikgemäßer Kritik entzogen, die Parteimitgliedschaft 291. Die demokratierechtliche Oppo-

287

Die Zuschauerdemokratie, S. 180, auch S. 86. Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 16. 289 Objektive Erkenntnis, 4. Aufl. 1984, S. 33 ff. u.ö.; zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule E. Meinberg, Das Menschenbild, S. 39 ff.; J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 86 ff., 145, 149; Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 630 f. (Zitat 8. Teil, 3. Kap., S. 734), 712; dazu J. Mittelstraß, Kant und die Dialektik der Aufklärung, S. 346 f. 288

290

HStR, Bd. I, S. 976; so auch W. Leisner, Der Führer, S. 139 ("normative Demokratie" "intellektuelle Staatsform der Kritik"). 291 Dieser schweren Verletzung der politischen Freiheit hat sich etwa die Hamburger CDU gegenüber Kritikern ihrer demokratiewidrigen Satzung schuldig gemacht, 1989 ff.; der verantwortliche Vorsitzende des CDU-Landesverbandes J. Echternach ist deswegen 1993/4 gestürzt, nachdem das Hamburger Verfassungsgericht die Kritik bestätigt hatte (NVwZ 1993, 1083 ff.); dazu 9. Kap., S. 1169 ff.

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

1109

sitionsfreiheit gilt kraft Art. 21 Abs 1 S. 3 GG auch innerparteilich 292. Sie erwächst als Teil der politischen Freiheit wie die parlamentarische Oppositionsfreiheit dem Recht der freien Meinungsäußerung, besser den Kommunikationsfreiheitsrechten, welche die Meinungs- und Willensbildung des Volkes sichern 293. Das Recht und die moralische Pflicht, mit der eigenen Meinung öffentlich zum Diskurs um das Wahre und Richtige, zum Staatlichen also294, beizutragen, endet nicht mit dem Parteibeitritt. Vielmehr soll die Mitgliedschaft in einer Partei nichts als die Intensivierung der politischen Pflichterfüllung eines Bürgers sein. Letztere darf um der Allgemeinheit willen die die Wahrheit und Richtigkeit fördernde Öffentlichkeit genausowenig aufgeben, wie die Methode der Kritik und das Mittel der Opposition. 292 Eine innerparteiliche Opposition läßt zu K -Η. Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 217, 267 f.; ebenso KH. Hasenritter, Parteiordnungsverfahren, 1981, S. 18 f.; G.P. Strunk, Parteiausschlußverfahren wegen innerparteilicher Opposition, 1974, S. 56 ff.; G. Teubner, Organisationsdemokratie, S. 303 ff. (zur verbandsinternen Opposition allgemein, vor allem organisationssoziologisch); vgl. auch J. Raschke, Innerparteiliche Opposition. Die Linke in der Berliner SPD, 1974; H. Trautmann, Innerparteiliche Demokratie im Parteienstaat, 1975; D. Grimm, Parlament und Parteien, S. 210; ders., HVerfR, S. 341; W. Leisner, Organisierte Opposition in Verbänden und Parteien?, ZRP 1979, 275 ff., sieht Opposition als staatsmäßig und für die Parteien entbehrlich an, die eine interessenbedingte Geschlossenheit wahren können sollen; dazu auch D.Th. Tsatsos, Ein Recht auf innerparteiliche Opposition?, in: FS Mosler, 1983, S. 997 ff.; Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 143, aber Integrität der Partei; i.d.S. P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 145 ff. ("strukturelle Homogenität"); W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 263 zu Art. 21, gegen "institutionalisierte Opposition", für Führung und Geschlossenheit, gegen "radikaldemokratische" Ideen; kritisch R. Wolfrum, Die innerparteiliche Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974, S. 145 f.; grundlegend zur Oppositionslehre W. Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 207 ff.; H.-P. Schneider, Die parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1974; vgl. auch K.A. Schachtschneider, Das Hamburger Oppositionsprinzip, Zum Widerspruch des entwickelten Parteienstaates zur republikanischen Repräsentation, Der Staat, 28 (1989), S. 173 ff.; H.-P. Schneider, Verfassungsrechtliche Bedeutung und politische Praxis der parlamentarischen Opposition, S. 1055 ff.; weiterhin die von H.-G. Schumann herausgegebene Aufsatzsammlung: Die Rolle der Opposition in der Bundesrepublik Deutschland, 1976; bei R. Wildenmann, Volksparteien - Ratlose Riesen?, taucht der Aspekt innerparteilicher Opposition nicht auf, weil er der Ideologisierung der Parteienoligarchie nicht förderlich erscheinen mag. 293

BVerfGE 20, 56 (97 ff.); P. Badura, HStR, Bd. I, S. 976 f.; P. Häberle, Die Verfassung des Pluralismus, S. 56 ff.; ders., Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 138 ff., 142 ff. zur öffentlichen Freiheit, S. 145 ff.; E. Schmidt-Jortzig, HStR, Bd.VI, S. 363 ff; H. Bethge, Gewissensfreiheit, HStR, Bd. VI, S. 458; weitere Hinweise in Fn. 156, 3. Kap., S. 1076; vgl. aber BVerfGE 60, 374 (380), wo die Redefreiheit des Abgeordneten nicht aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG abgeleitet wird. 294 Zum Begriff des Staatlichen im weiteren Sinne 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff.; 2. Teil, 4. Kap., S. 96 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 160 ff., 175 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff.

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

"In dem Maße, in dem innerparteiliche Demokratie Voraussetzung staatlicher 'republikanischer' Demokratie ist, in dem Maße ist parteiinterne Öffentlichkeit (z.B. innerparteiliche öffentliche Meinung) erforderlich."Peter Häberle 295 Auch in den Parteien ist die Opposition das Instrument der Minderheiten 296 . § 15 Abs. 3 S. 1 ParteienG hebt den Minderheitenschutz ausdrücklich hervor. Das erfordert und rechtfertigt auch die innerparteiliche Institutionalisierung der Opposition297, notfalls außerhalb der geregelten Verbandsstrukturen, wenn in diesen wegen der Mehrheitsverhältnisse das Opponieren unterdrückt wird. Parteiführer beanspruchen in hobbesianischer Sorge vor Irrtümern und Uneinigkeit298 in ihrer Gefolgschaft die Meinungsführung. Hobbes freilich ging es um die Sicherung der Wahrheit, weil diese dem Frieden nie gefährlich sei. Der parteilichen Geschlossenheitsmaxime299 ist die Wahrheit zweitrangig. Sie dient der Macht der Parteiführer; denn Meinungsführung stabilisiert in der Kommunikationsgesellschaft die Macht. Nur ist Macht nicht als solche legitim, schon gar nicht wenn sie darauf beruht, daß der Mächtige die Meinung anderer nicht nur nicht zur Geltung kommen läßt, sondern daß er gar den Diskurs be- oder verhindert. Legitim ist ausschließlich die Förderung von Wahrheit und Richtigkeit, also die Förderung des Diskurses. Das allein rechtfertigt den grundrechtlichen Schutz der freien Meinungsäußerung durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, der für Mitglieder von Parteien gegenüber ihrer Partei uneingeschränkte Wirkung entfalten muß,

295 Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 145 f., explizit für den Parteiausschluß ("spezielles Publizitätsgebot"). 296

I.d.S. für den Staat BVerfGE 20, 56 (101); H.-P. Schneider, Verfassungsrechtliche Bedeutung und politische Praxis der parlamentarischen Opposition, S. 1063; zum parteiinternen Minderheitenschutz H. Sodan, Innerparteilicher Minderheitenschutz durch "Stimmenhäufung", DÖV 1988, 828 ff., 832 ff.; K.H. Hasenritter, Parteiordnungsverfahren, S. 18 f.; vgl. weiter die Hinweise in Fn. 292, S. 1108. 297 I.d.S. K.H. Seifert, Die politischen Parteien, S. 217, 267 f.; K.H. Hasenritter, nungsverfahren, S. 19; weitere Hinw. in Fn. 292, S. 1108.

Parteiord-

298

Leviathan, S. 161 (auch vor Bürgerkrieg); das bestätigt R. Wildenmann, Volksparteien Ratlose Riesen?, S. 105, gestützt auf W. Kaltefleiter, i.d.S. auch H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 690, 697. 299

Hinweise in Fn. 119, S. 1070; vgl. auch die Hinweise in Fn. 250, S. 1099; etwa W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 268, 272, 275, 279 zu Art. 21 ("Partei als politische Kampfgemeinschaft").

4. Kap.: Oligarchisierung anstatt Diskurs in den Parteien

1111

unabhängig davon, daß sie ihre Meinung in oder außerhalb der Partei äußern300. Wilhelm Henke jedoch lehrt: "In der Partei als politischer Kampfgemeinschaft kann nicht die gleiche individuelle Freiheit und Chancengleichheit herrschen wie im pluralistischen Staat."301 Der Satz verkennt den Begriff der Partei, den des Staates, den der Gleichheit und vor allem den der Freiheit. Henke fährt fort: "Viele Grundrechte, wie freie Persönlichkeitsentfaltung, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, Pressefreiheit, Privatschulfreiheit, können um der politischen Einheit der Partei und ihres geschlossenen Auftretens willen in ihr nicht gelten, andere wie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit nur beschränkt und in bestimmter Interpretation." - Wilhelm Henke 302 Damit reduziert Henke die bürgerliche Freiheit, zur richtigen Politik beizutragen (zugleich eine sittliche Pflicht des Bürgers), auf das Recht, Parteiführern Gefolgschaft zu leisten; denn außerhalb der Parteien läßt ein Parteienstaat, wie ihn Henke "juristisch" (?) fördert, keine relevante politische Entfaltungsmöglichkeit. Henkes parteienrechtliche Grundrechtsdogmatik läßt an das überholte obrigkeitliche Gewaltverhältnis erinnern, in dem die Grundrechte keine oder nur mindere Wirkung entfaltet haben303. Jedenfalls ist (auch) Henkes Parteiendogmatik eine Rechtfertigung der Parteienoligarchie, die weder freiheitlich noch demokratisch, sondern durch die Maxime effizienter Machtentfaltung legitimiert ist. Die Oligarchiekritik ist Henke suspekt: "Nachdem die Unruhe (sc. basisdemokratische, radikaldemokratische Ideen) sich gelegt hatte und die genannten Versuche Randerscheinungen blieben oder aufgegeben wurden, ging die Oligarchiekritik auch in der Literatur zum Parteienrecht zurück. Heute wird sie kaum noch geübt.

300 Ganz so G. Dux , Meinungsfreiheit als innere Ordnung der politischen Parteien, DVB1. 1966, 553 ff.; R. Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung, S. 138 ff, 142; H. Trautmann, Innerparteiliche Demokratie im Parteienstaat, S. 158, 253 f.; K.H. Hasenritter, Parteiordnungsverfahren, S. 21 ff.; K.-H. Seifert, Politische Parteien, S. 214 ff.; G. Teubner, Organisationsdemokratie, S 295 ff.; vgl. auch W. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 381; i.d.S. auch P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 70 f.; a.A. W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 85 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 268 zu Art. 21, der meint, die "Grundsätze der freien Meinungs- und Willensbildung" müßten für die innere Parteiordnung" besonders entfaltet werden. 301

GG, Bonner Komm., Rdn. 268 zu Art. 21. GG, Bonner Komm., Rdn. 268 zu Art. 21. 303 Dazu H. Krüger und H. Ole, Das besondere Gewaltverhältnis, VVDStRL 15 (1957), S. 109 ff., 112 bzw. 133 ff.; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10 Aufl. 1973, S. 127; W. Loschelder, Grundrechte und Sonderstatus, HStR, Bd. V, S. 806 f. 302

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Vielmehr hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß Führung nicht im Gegensatz zu den demokratischen Grundsätzen steht, sondern eine notwendige politische Erscheinung ist, die durch jene Grundsätze geordnet und gestaltet wird." - Wilhelm Henke m Die breite Oligarchiekritik vor allem im soziologischen und politologischen, aber auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum, auch in jüngster Zeit, ignoriert Henke. Die Oligarchie hat sich durchgesetzt und damit scheint die Rechtslage "juristisch" geklärt. Was ist, soll sein; denn es scheint Henke notwendig. Henke beansprucht "juristisches Staatsrecht", eine weder "utopische noch ideologische, sondern juristische Sicht der wirklichen Lebensverhältnisse", zu vertreten, das/die er einer staatswissenschaftlichen Betrachtungsweise entgegensetzt305, zementiert aber in der Sache eine verfassungsferne Ideologie des Parteienstaates. Die Einheit von Politik und Recht leugnet Henke, der befürchtet, daß in der "widersprüchlichen " Formel vom "politischen Recht" für das Staatsrecht "die Politik das Recht" "korrumpieren" könne. Wer der Obrigkeit das Wort redet, steht nicht schon auf der Seite des Rechts. Walter Leisner hat ganz richtig die "normative Demokratie" die "intellektuelle Staatsform der Kritik" genannt306. Die Herrschaftsinteressen einer Partei dürfen die Wirkung der essentiellen bürgerlichen Grundrechte nicht schmälern. Grundrechte schützen (auch) vor Herrschaft, hier vor der der Parteioligarchie und der der Mehrheit 307. Zudem gehören die Parteien in den weiteren Bereich des Staatlichen308, der die Grundrechtsgeltung zumindest impliziert 309 . Harte Despoten enthaupten den Kritiker, sanfte entmündigen ihn, indem sie ihn ausschließen, ihn nicht reden lassen, ihn nicht anhören und vor allem seine Rede der Öffentlichkeit vorenthalten - immerhin ein Fortschritt an Humanität, allein nur einer des Rechts, das dem Machiavellismus Grenzen zieht, nicht einer der Menschlichkeit illegitimer Herrscher. Diese machen, was sie können.

304

GG, Bonner Komm., Rdn. 263 zu Art. 21. Etwa GG, Bonner Komm., Rdn. 59, 60, insb. 63, 66 zu Art. 21; ders., Zum "juristischen" Staatsrecht, Recht und Staat, S. 599 ff., 602 ff. 305

306

Der Führer, S. 139, freilich um auf deren "Führungsgefahr" hinzuweisen, weil "Menschen Fähigkeiten zuzuschreiben" versucht werden müsse, "die ihnen fehlen". 307 Dazu 9. Teil, 2. und 4. Kap., S. 862 ff., 948 ff.; 6. Teil, 10. Kap., S. 513 ff.; vgl. dazu G. Teubner, Organisationsdemokratie, S. 295 ff., 317 ff.; i.d.S. auch P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 69 ff. 308

Dazu 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. I.d.S. auch K. H. Hasenritter, Parteiordnungsverfahren, S. 25 ff.; J. Risse, Der Parteiausschluß, S. 125 ff. 309

5. Kap.: Machiavellismen zur Stabilisierung der Parteienoligarchien

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Manche Parteizeitungen veranstalten Propaganda und Personenkult310 und pervertieren damit die Pflicht, ad rem und ad personam das Richtige zu fördern. Sie wollen die parteiinternen Machtverhältnisse stabilisieren und ruinieren dafür die Republik. Wenn Kritik nicht mehr verschwiegen werden kann, werden die Kritiker diffamiert und aus der Partei herausgedrängt. Viele Mitglieder kehren der kritikwürdigen Partei den Rücken und geben damit die Chance, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, oft verbittert, auf. Meist war die Hoffnung auf bürgerliche Teilhabe an der Politik eine Täuschung. Der Dialog wird gern propagiert, der Diskurs aber selten organisiert. Das Ergebnis ist die allgemeine Parteienverdrossenheit 311 , aus der eine Verfassungskrise erwachsen wird, wenn sich nicht bald die Bürger in bürgerlicher Moralität ihrer politischen Verantwortung erinnern.

5. Kapitel Ämterpatronage und andere Machiavellismen zur Stabilisierung der parteilichen Oligarchie I. Die plural-proportionale Ämterpatronage der festgefügten Parteien Die Parteien haben auf Landes- und Bundesebene, aber auch weitgehend in den Kommunen, zwar kein rechtliches, aber ein faktisches Nominations-

310 Etwa die Hamburger CDU-Zeitung, jedenfalls in den Jahren 1988/89, aber auch, mit ein wenig höherem Niveau, die Politische Meinung aus dem Konrad-Adenauer-Haus, beispielsweise Nr. 274, 1992 anläßlich der 10-jährigen Kanzlerschaft von Helmut Kohl, der von J. Rovan gar in den Rang eines Bismarck oder eines Adenauer gehoben wird (S. 9 ff.), obwohl Kohls extreme Parteienstaatlichkeit verbunden mit seiner Unaufrichtigkeit (vgl. etwa R. Leicht, Die Zeit vom 2.10.1992, 47. Jg. Nr. 41, S. 1) der Republik schweren Schaden zufügt und sein Verdienst an der Deutschen Einheit, die sich während seiner Kanzlerschaft ereignet hat, gering ist, während ihm der Verzicht auf die deutschen Ostgebiete in einem verfassungs- und völkerrechtlich zweifelhaften Verfahren, dessen friedenspolitische Notwendigkeit ungeklärt ist, angelastet werden muß. Die forcierte europäische Unionspolitik Kohls hat versucht, die fundamentale grundgesetzliche Ordnung des Art. 20 GG zu beseitigen (Hinweise in Fn. 257, S. 1101) und gefährdet mit der Währungsunion weiterhin die Soldarität der Völker Europas und damit den europäischen Frieden. Dem hat allerdings auch Bismarcks kleindeutsche, preußische Einigung Deutschlands geschadet. 311

Dazu 10. Kap., S. 1173 ff. mit Fn. 580, S. 1174; jüngst etwa H. Rattinger, Abkehr von den Parteien? Dimensionen der Parteiverdrossenheit, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/93, S. 24 ff., insb. S. 30 ff., 33 ff.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

monopol312 und darüber hinaus die Macht, wegen des stabilen lagermäßigen Wahlverhaltens der Wähler, ohne wirklichen Wählereinfluß, in etwa 80% der Abgeordneten zu entsenden313. Trotz der Mehrheitsideologie herrschen auch im Parteienstaat immer Minderheiten. Die soziologische Theorie der parteilichen Parteien ist ihre (in Volksparteien durchaus unterschiedliche) Oligarchisierung und damit die der politischen Verhältnisse314 und unter republikanischem Aspekt der aristokratischen

312 BVerfGE 41, 399 (413 ff.); 44, 125 (182) - Sondervotum Rottmann; Wahlprüfungsgericht Berlin NJW, 1976, 560 ff.; D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 402; K.A. Schachtschneider, Das Nominationsmonopol der Parteien in Berlin, JR 1975, 89 ff., gegen ein rechtliches Nominationsmonopol; Rh. Kunig, HStR, Bd. II, S. I l l ; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 91 zu Art. 21; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 130; Th. Eschenburg, Der Mechanismus der Mehrheitsentscheidung, 1970, S. 38; H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 31; B. Zeuner, "Wahlen ohne Auswahl" - Die Kandidatenaufstellung zum Bundestag, in: W. Steffani (Hrsg.), Parlamentarismus ohne Transparenz, 1971, S. 165 ff.; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 697; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 87 f., 166 ff.; vgl. auch M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 124; für ein Nominationsmonopol R. Mußgnug, Das Vorschlagsmonopol der politischen Parteien bei den Parlamentswahlen, JR 1976, 353 ff. 313 H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 252 f., 275; U. Thaysen, Denken ohne Diskussion?, S. 66; R. Stöss, Parteikritik und Parteiverdrossenheit, S. 23, der die abnehmende Wählerbindung auf die zunehmende Parteiverdrossenheit zurückführt; i.d.S. auch die Analyse von J.W. Falter/S. Schumann, Nichtwahl und Protestwahl: Zwei Seiten einer Medaille, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/93, S. 36 ff.; dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 677 mit Fn. 218, zum Wahleinfluß; 10. Kap., S. 1173 ff., zur Parteiverdrossenheit. 314

R. Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens, 1911, 2. Aufl. 1925, S. 316 ff., 369 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 278 ff.; H. Heller, Staatslehre, S. 247; auch der Club Jean Moulin, Staat und Bürger, S. 114, 130 ff.; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 130 ff.; D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 411; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, passim, S. 127, (dessen Herrschaftslegitimationslehre eine Oligarchisierungsrechtfertigung ist und der Führung und Herrschaft weitgehend identifiziert); dazu F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 38 ff., 184 (mit der Untersuchung von demokratiegerechter Herrschaft und Führung); B. Zeuner, Innerparteiliche Demokratie, 1969, S. 99 ff.; G. Teubner, Organisationsdemokratie, S. 84 ff., 159 ff. (verbandssoziologisch fundiert); auch P. Badura, HStR, Bd. I, S. 975; Rh. Kunig, HStR, Bd. II, S. 112; W. Leisner, Konsens und Konflikt, S. 287 ff.; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 263 zu Art. 21, den das nicht irritiert; R. Dahrendorf, Die Zeit v. 19.8.1988, S.3; eindrucksvoll die Fallstudie zur Beherrschung der Jungen Union und später der CDU Hamburgs durch die Gruppe Jürgen Echternach von D.-E. Becker, Die Liquidation der innerparteilichen Demokratie, in: ders./E. Wiesendahl, Ohne Programm nach Bonn oder die Union als Kanzlerwahl-Verein, 1972; auch D. Preuße, Gruppenbildung und innerparteiliche Demokratie. Am Beispiel der Hamburger CDU, 1981; dazu P. Haungs, Persönliche und politische Parteien - eine Alternative?, in: Civitas (hrsg. von P. Hamps, u.a.), 1992, S. 573 ff. ("personal party"); R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 166 ff.; R. Wildenmann, Volkparteien - Ratlose Riesen?, S. 98 f., 106 (der allerdings zu Unrecht behauptet, "die Zirkulation der Eliten, (...), war groß", S. 99); O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, S. 55 ff., der die Oligarchisierung u.a. mit der "mangelnden Bereitschaft der Parteimitglieder,

5. Kap.: Machiavellismen zur Stabilisierung der Parteienoligarchien

1115

Bürgerlichkeit eine Negativauslese von Amtsbewerbern und damit auch von Amtsinhabern 315; denn die parteilichen Parteien betreiben primär die Stabilisierung von Macht und Herrschaft vor allem ihrer Führer 316. Allenfalls sekundär bekümmert sie die Erkenntnis des Wahren und Richtigen317. Das hat seine personalpolitischen Konsequenzen, weil die Parteien die Ämter vornehmlich ihren Parteigängern geben; denn die Ämterpatronage ist das wirksamste und unentbehrliche Instrument der innerparteilichen Stabilisierung der Führungsstrukturen und damit der parteilichen Parteien 318.

Funktionen zu übernehmen", zu erklären versucht (mit Hinweis auf Mayntz, Naßmacher, Lohmar, Schmitz, Kaack), irrig, weil die Oligarchisierungsthese sich auf die einflußreichen Führungsämter bezieht, nicht auf subalterne Hilfsfunktionen und spezifisch kompetente Bürger ferngehalten werden, welche Ortsvorsitzenden und Abgeordneten Konkurrenz machen könnten; wenn auch zwischen großen und kleinen Parteien Unterschiede bestehen dürften; E. Wiesendahl, Der Marsch aus den Institutionen, in: Aus Politik und Zeitgeschehen, Β 27/90, S. 13; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, 1992, passim. 315 R. Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens, S. 349; deutlich M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 839, 841, 843, 846, 850 ("geistige Proletarisierung"); Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 139 f.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 112 ff.; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 695; R. Wildenmann, Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 122 f.; R. v. Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 150; E.K. und U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 109 ff., 116 ff., 122 ff., 126 ff., 148 ff.; dazu auch Hinweise in Fn. 314 und Fn. 97, 3. Kap., III, S. 1064 f. 316

Vor allem M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 837 ff., 857 ff.; i.d.S. auch G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286 (nicht "Meinungskampf, sondern Machtkampf'); dazu 10. Teil, 3. und 4. Kap., S. 1060 ff., 1086 ff. 317 C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 11; positiv bewertet 1961 D. Sternberger, Das allgemeine Beste, 1961, S. 187 ff., die Fähigkeit der Parteiregierungen, das Gemeinwohl zu verwirklichen (wohl im Respekt vor Konrad Adenauer). 318 Analytisch insb. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 839 ff. ("reine Stellenjägerorganisationen", zu dem spoils system, S. 846); kritisch zur Ämterpatronage Th. Eschenburg, Ämterpatronage, 1961; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 274 f.; auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 227., 368 f.; H.H. von Arnim, Ämterpatronage durch politische Parteien, 1980; ders., Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 26 f.; ders., Staat ohne Diener, S. 129 ff.; M. Wichmann, Parteipolitische Patronage, ZBR 1988, 365; scharfe Kritik der Ämterpatronage bei R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 133 ff., 174 ff.; W. Zitscher, Ämterpatronage - Krise der Rechtspflege, ZRP 1991, 100 ff.; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, insb. S. 116 ff.; die stabilisierende Wirkung der Ämterpatronage räumt ein, aber begrüßt R. Lösche, Kampforganisation oder Wahlverein?, in: Parteien in der Krise, Hrsg. Ch. Krockow, 1986, S. 37 ff., 45 f., der der Parteilichkeit der Parteien gänzlich unkritisch gegenübersteht; M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 22 ff. (m.w.H.), der die Ämterpatronage keinesfalls verkennt, verteidigt sie neben dem Proporz als "Normalität des Parteienstaates", den er nicht recht zu kritisieren vermag (a.a.O., S. 16 ff.); recht kritiklos auch R. Wildenmann, Volksparteien Ratlose Riesen?, S. 121/2; sehr moderat W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 168 ff. zu Art. 21; kritisch zur Ämterpatronage schon Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 30; moderate Kritik bei D. Sternberger, Das allgemeine Beste, S. 181 f.

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

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"Die Parteigefolgschaft, vor allem der Parteibeamte und -Unternehmer, erwarten vom Siege ihres Führers selbstverständlich persönliches Entgelt: Ämter oder andere Vorteile." - Max Weber* 19 Max Weber spricht von "Patronage-Parteien", Theodor Eschenburg von "Herrschaftspatronage" 320, die ihre größte Dichte in den öffentlich-rechtlichen Medien erreicht haben dürfte, so daß Rudolf Wassermann von "der Proporzdiktatur (sc. der Parteien) über Fernsehen und Rundfunk" spricht 321. Sie ist für die Parteien die billigste Art der Korruption, nämlich eine auf Kosten der Steuer- und Gebührenzahler, die allerdings die Republik besonders teuer zustehen kommt. Das "Krebsübel der Ämterpatronage" ist eine "den politischen Parteien immanente Dynamik, also gleichsam für sie natürlich. Wer Macht hat, will mehr Macht - das ist sozusagen ein soziales Gesetz. Gefräßigkeit, wenn man so will, kennt keinen Sättigungsgrad. Je kleiner die Partei, desto größer ist ihr Appetit und auch die Chance, möglichst viele der Parteimitglieder in die Patronage einzubeziehen." - Rudolf Wasser322

mann Erwin K. und Ute Scheuch haben die "Feudalisierung des politischen Systems" recherchiert: "Auf Bundesebene und in einer Anzahl von Kommunen, auch großer Städte, haben sich die Seilschaften zu Feudalsystemen fortentwickelt. Zentral für ein jedes Feudalsystem ist der Tausch von Privilegien gegen Treue. Treue ist im Feudalsystem immer personenbezogen, wenngleich sie rechtlich dem Amt gilt." 323

319

Wirtschaft und Gesellschaft, S. 843. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 167 (neben anderen, heute nicht mehr bedeutenden, Parteitypen); Th. Eschenburg, Ämterpatronage, S. 11 ff.; i.d.S. auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 173 f. 321 Die Zuschauerdemokratie, S. 174 f., auch S. 138; vgl. auch H. Apel, Die deformierte Demokratie, S. 60 f.; E.K. u. U. ScheuchCliquen, Klüngel und Karrieren, S. 150, 170 ("Proporzdemokratie"), S. 116 zur Patronage in Rundfunk und Schulen; H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 27 f.; M. Bullinger, Freiheit von Presse, Rundfunk und Film, HStR, Bd. VI, 1989, S. 700 f. 320

322

Die Zuschauerdemokratie, S. 135. Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 117 (dort auch zum Kohl-Clan aus Rheinland-Pfalz), S. 116 ff., 175; zum Kohl-Clan auch P. Haungs, Persönliche und Politische Parteien - eine Alternative?, S. 578 ff. (Hordenführer); über die Personalpolitik dieses Bundeskanzlers im Interesse seiner Europapolitik berichtet beispielsweise Der Spiegel vom 12.4.1993, 47. Jg., Nr. 15, 114 ("Kohl stärkt die Maastricht-Lobby"). 323

5. Kap.: Machiavellismen zur Stabilisierung der Parteienoligarchien

1117

Die Logik dieser Erkenntnis ist: Der "Krebs" der Republik sind die parteilichen Parteien. Solange diese die Politik, die Sache aller Bürger ist, usurpieren, wird es insbesondere keinen grundgesetzgemäßen, also freiheitlichen, Parlamentarismus, folglich keine Gesetzgebung, die Recht hervorbringt, keine wirklich gewaltenteilige Funktionenordnung u.s.w. geben. Die Kritik an den Defiziten des Parlamentarismus bleibt so lange unfruchtbar als nicht dem eigentlichen Feind des Parlamentarismus, den parteilichen Parteien, die Macht zur Herrschaft genommen wird. Carl Schmitts Parlamentarismuskritik war denn auch eine Parteienstaatskritik 324. Die Republik ist noch nicht versucht, weil die Parteien den Versuch bisher unterlaufen haben. Die verfassungsverdrängende Grundlage des Parteienstaates ist die schon kritisierte Ideologie, diese Parteien seien in der Demokratie unverzichtbar, die auch von Parteikritikern geteilt wird 325 . Die These, die Parteien seien notwendig, kann nur für "liberale Parteien" im Sinne Carl Schmitts 326, für politische Gesprächskreise, die auch Kandidaten zur Wahl vorschlagen, gelten327, nicht für Parteien im Sinne des § 2 Abs. 1 ParteiG, den "festgefügten Parteien" im Sinne Carl Schmitts 32*. Das Parteiengesetz ist mit dem Grundgesetz schlechterdings nicht vereinbar. Carl Schmitt hatte die Demokratiewidrigkeit derartiger Parteien schon erkannt: "Auch das (sc. das "Fluktuieren" der Wechselwähler) kann man nicht Wahl nennen, obwohl es der Idee der Demokratie nicht in demgleichen Maße widerspricht, wie der Pluralismus der festorganisierten Komplexe" 329 . Der Antiparteienaffekt der Weimarer Zeit 330 rechtfertigt nicht schon deswegen die Parteienstaatsdoktrin, die unter dem Grundgesetz praktiziert wird,

324

Dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 735 ff., insb. S. 758 ff. Vgl. die Hinweise in Fn. 704 im 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.; Fn. 49, S. 1054 ff.; abgewogen D. Sternberger, Das allgemeine Beste, S. 181 ff., der aber die Leibholzsche "Lehre vom Parteienstaat" für eine "Übertreibung" hält und diese für "Verformungen und Perversionen des Verfassungslebens" verantwortlich macht (S. 184 f.). 326 Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; ders., Verfassungslehre, S. 326. 327 I.d.S. wohl auch D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 369 ff., 416; ebenso ders., Das allgemeine Beste, S. 181 ff. 328 Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; ders., Verfassungslehre, S. 319, 325 f. 329 Der Hüter der Verfassung, S. 87; ebenso i.d.S. ders., Verfassungslehre, S. 239 f., 326. 330 Etwa/?. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 89; vgl. auch K.D. Bracher, Geschichte und Gewalt, 1981, S. 76 f.; auch D. Sternberger, Das allgemeine Beste, S. 181 (auf die "Rasse der Juristen" bezogen); W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 263 zu Art. 21 ("Parteiprüderie"). 325

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

weil der Weimarer Versuch einer Republik gescheitert ist. Eine solche Tabuisierung von Argumenten kann nicht überzeugen, zumal die Weimarer Parteien wesentliche Mitschuld an der ruinösen Entwicklung Deutschlands bis 1933 auf sich geladen haben; nicht zuletzt haben sie, außer der SPD, der Machtergreifung Hitlers zugestimmt. "Parteipolitische Ämterpatronage in der Verwaltung ist ein schleichendes Gift im demokratischen Rechtsstaat, dessen Schädlichkeit auf Dauer gar nicht überschätzt werden kann. Parteibuchwirtschaft beeinträchtigt die Chancengleichheit, untergräbt die Leistungsfähigkeit im Amt, bläht die Verwaltung auf, gefährdet ihre Neutralität, preßt Beamte in die Parteien und leistet der Parteien- und Staatsverdrossenheit beim Bürger Vorschub." - Hans Herbert von Arnim 331 Diese Analyse ist durch den SED-Staat uneingeschränkt bestätigt worden. Sie beschreibt einen Wesenszug jeder Parteienherrschaft. Für die Ämterpatronage gibt es Parteienkartelle, vor allem, wie gesagt, für die Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 332. Für die Wahl der vom Bundestag zu wählenden Richter des Bundesverfassungsgerichts hat das § 6 Abs. 2 und 5 BVerfGG durch den Wahlmodus die parteiliche Patronage der Sache nach legalisiert 333. Entgegen den Gesetzen nutzen die Parteien ihren gesamten personalpolitischen Einfluß bis hin zu den sogenannten öffentlichen Unternehmen334 für eine oft abgestimmte und tendenziell ausgewogene, also proportionale, Ämterpatronage 335, welche

331

Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 27; ders., Ist die Kritik an den politischen Parteien berechtigt?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/93, S. 14 ff., insb. S. 17 ff.; ders. schon, Ämterpatronage durch politische Parteien, 1980; zunehmend richten sich auch Richter im Karriereinteresse parteipolitisch ein; dazu als Insider der (ehemalige) Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 137 f. mit Fn. 76, S. 174 mit Fn. 10; deutlich W Schmidt-Hieber/E. Kieswetter, NJW 1992, 1790 ff.; auch E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 72 ff., 116 ff., 148 ff., 170 ff. 332

Vgl. Fn. 321, S. 1116, auch Fn. 318, S. 1116.

333

Dazu kritisch W.K. Geck, Wahl und Status der Bundesverfassungsrichter, HStR, Bd. II, 1987, S. 705 ff.; zu und gegen die parteilichen Kartelle der Ämterpatronage H.H. v. Arnim, Patronage: Defizit der Parteiendemokratie, in: P. Haungs/E. Jesse, Hrsg., Parteien in der Krise?, 1987, S.202 ff.; ders., Entmachten die Parteien das Volk?, S. 28; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 133 ff., 174 ff. 334 R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 138, 175; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 74, 85, 116; vgl. dazu auch A. Kammerl, Elektrizitätswirtschaft und der Staat als Gesellschafter, 1989, S. 64 ff. 335 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 88 ("Verteilung der staatlichen, der kommunalen und anderer öffentlicher Stellen und Pfründen unter den Parteigängern nach irgendeinem

5. Kap.: Machiavellismen zur Stabilisierung der Parteienoligarchien

1119

die Rivalität wie jedes Kartell mildert. Die Organisationsprivatisierung der Staats- und Kommunalbetriebe verfolgt wesentlich den Zweck, Pfründen für Parteigänger bereitzustellen. Risiken sind mit den vermeintlich unternehmerischen Aufgaben nicht verbunden, weil sie materiell staatlich bzw. kommunal bleiben und wegen ihrer öffentlichen Aufgabe mit öffentlichen Mitteln alimentiert werden. Diese Verwaltungen, die die sogenannten öffentlichen Unternehmen eigentlich sind, werden formell in viele Betriebe privatisiert, weil das viele gut dotierte Leitungsposten schafft. Erst die materielle Privatisierung, die Funktionsprivatisierung, würde die Unternehmen dem Wettbewerb aussetzen, aber den Parteien den Zugriff auf die attraktiven Stellen nehmen. Die Verfassungswidrigkeit der Umwandlung staatlicher Verwaltungen in scheinprivate Unternehmen ergibt sich vor allem daraus, daß Staatlichkeit institutionell nicht privatisiert werden darf. Darum sind Staatlichkeit und Wettbewerblichkeit unvereinbar 336. Der Patronagezweck der formellen Privatisierungen diskriminiert diese vollends. "Das wichtigste Instrument der Vorteilsnahme sind jedoch die in einer Holding zusammengefaßten Ausgründungen städtischer Dienstleistungen als nun privatrechtlich verfaßte Betriebe." - Erwin K. und Ute Scheuch 337 Die verhältnismäßige Verteilung unter den Parteien ist den Karrieristen allemal lieber als der Wettbewerb um die Ämter, bei dem eine Seite leer auszugehen droht, das ewige Wettbewerbsproblem: die Teilung auf Kosten Dritter. Die Ämterpatronage der Parteien ist verfassungswidrig. Sie verletzt Art. 33 Abs. 2 GG 338 . Sie ist sogar strafbar 339; es wurden bisher aber keine Verfahren wegen Ämterpatronage bekannt.

Schlüssel der Fraktionsstärke oder der taktischen Situation"); vgl. M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 23 ff. mit Hinw.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 175 ("Proporzdiktatur (...)"). 336 Dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 235 ff., insb. S. 261 ff., 281 ff.; a.A. G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl. 1985, S. 276 ff.; nicht gänzlich unkritisch D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 172 ff., 251 ff., der aber den Patronageaspekt nicht sieht; unkritisch M. Ronellenfitsch, Wirtschaftliche Betätigung des Staates, HStR, Bd. III, S. 1201 ff. 337 Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 74. 338 Deutlich die Empfehlung der unabhängigen Sachverständigen zur Parteienfinanzierung, Bt.-Drs. 12/4425, S. 16 ("illegale"); H. Lecheler, HStR, Bd. III, S. 725, 758 ff.; H.H. v. Arnim, Staat ohne Diener, S. 140 ff.; eine gänzlich andere Lage bieten die neuen Bundesländer, in denen die von den Blockparteien der DDR patronisierten "Amtswalter" vielfach entlassen (technisch gekündigt) werden, gerade weil sie sich durch übermäßige Parteilichkeit schuldig gemacht haben (dazu H. Lecheler, Der öffentliche Dienst in den neuen Bundesländern - Die

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

II.

Die demokratiewidrige Sicherung der Nomination der Parteienoligarchie Auf die "Wahl" der Parlamentarier und Ratsmitglieder haben die Parteiführer der Orts-, Kreis- und Landesverbände, zwischen denen weitgehend Personalunion besteht340, durchaus Einfluß 341. Im Landesverband der Hamburger CDU etwa war dieser Einfluß lange durch verbindliche oder real nicht überwindbare Vorschlagsrechte des vorstandsdominierten Wahlausschusses nach §§ 18, 24 der Satzung, deren Verfassungswidrigkeit auf der Hand lag, abgesichert342. Die Parteibasis in den Ortsverbänden wird von deren Vorsitzenden abgeschottet, deren Position mittels einer parteienrechtswidrigen Mitgliedschaftsregel in der Satzung (§ 5 Abs. 5 S. 2) gesichert ist. Die Vorsitzenden können nämlich jedes interessierte Mitglied der CDU in ihren Ortsverband aufnehmen, unabhängig davon, wo dieses wohnt. Das verletzt das demokratierechtliche Gebietsprinzip, welches die örtliche Mitgliedschaft ausschließlich nach dem Wohnort zu bestimmen erlaubt (§ 7 PartG) 343. Die Satzung ermöglicht die wahlbezogene Manipulation der

Lösung neuer Aufgaben mit alten Strukturen, ZBR 1991,48 ff.; H.-D. Weiß, Wiedereinführung des Berufsbeamtentums im beigetretenen Teil Deutschlands - Entwicklung und Darstellung des seit dem 3. Oktober 1990 geltenden Beamtenrechts auf der Grundlage des EinigungsVertrages, ZfB 1991, 1 ff., insb. 30 ff.; zur Dominanz "unbedingter Ergebenheit zur SED" in der Haltung der "sozialistischen Staatsfunktionäre" W. Bernet, Zur normativen Regelung des Staatsdienstes in der DDR und zum Rechtsverständnis der Staatsfunktionäre, ZBR 1991, 40 ff.) 339 W. Schmidt-Hieber/E. Kieswetter, Parteigeist und politischer Geist in der Justiz, NJW 1992, 1790 f.; i.d.S. schon H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, 1927, S. 26 f.; dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 547 ff. 340 Dazu O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, S. 53 ff.; H. Apel, Die deformierte Demokratie, S. 241 f. 341 Dazu empirisch O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, S. 53 ff.; B. Zeuner, Innerparteiliche Demokratie, S. 75 ff., 82 ff.; E.K u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 58 ff., auch S. 72 ff. 342 Kritik an dieser Regelung auch von W. Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 160. Diese Regelung war in Streit zum Akz. LG Hamburg 77 0 307/88; das Landgericht hat die (meine) Klage wegen des (vermeintlichen) Rechtsschutzes vor den Parteigerichten als unzulässig abgewiesen; am 4.5.1993 hat jedoch das Hamburger Verfassungsgericht wegen dieses groben Demokratieverstoßes die Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft für ungültig erklärt (HbgVerfG NVwZ 1993, 1083 ff.), ein Erfolg der Kritiker, deren Wortführer (insbesondere der Autor dieses Buches) vorher aus der Partei gedrängt worden sind; die Wahl wurde am 12.9.1993 wiederholt; die CDU hat 10 Prozentpunkte der Stimmen eingebüßt (von 35% auf 25%); dazu 10. Teil, 9. Kap., S. 1169 ff. 343 In diesem Sinne klar KG Urteil vom 26.1.1968, 6U 94667, im Erg. bestätigt von BGH LM Nr. 23 zu § 50 ZPO. Auch diese Regelung war in Streit zum Akz. LG Hamburg 77 0 307/88.

5. Kap.: Machiavellismen zur Stabilisierung der Parteienoligarchien

1121

jeweiligen Mitgliedschaft, die sogenannten Fliegenden Bezirke 344. Die Ortsverbandsvorsitzenden werden regelmäßig mit einem Bürgerschaftsmandat bedacht. Der Bürger "wählt den, der schon gewählt ist." ... "Überall Wähler und Gewählte. Aber auch überall Macht der gewählten Führerschaft über die wählenden Massen." - Karl Jaspers 345 Die Parteiführer nehmen Gefolgsleute mit in das Parlament. Die sogenannte Parteibasis fügt sich, wenn auch oft widerstrebend, selbst bei der Kandidatenaufstellung meist der Parteiführung, weil sie hinreichend gefügig gemacht ist. Jedenfalls verfügt die Parteioligarchie faktisch über ein Veto gegen die Geschlossenheit störende, besser die Gefolgschaft verweigernde, Mandatsbewerber, sogenannte Rebellen. Derartige Konflikte sind wegen des vorauseilenden Gehorsams selten und mit sozialempirischen Methoden schwerlich zu erfassen 346. Listenkandidaten haben es nicht einmal nötig, sich den Bürgern zu präsentieren; denn ihr Mandat ist angesichts der Stabilität des Wahlverhaltens auf den vorderen, auszählbaren Listenplätzen weitestgehend sicher. Oft sind sie auch nicht vorzeigbar 347. Rudolf Wildenmann will den Parteivorständen gar ein Vorschlagsrecht für Listenkandidaten einräumen 348, verfassungsfern, aber in der Hamburger CDU wurde das jahrzehntelang, satzungsgestützt, praktiziert. "Denn in letzter Konsequenz führt das Verhältniswahlrecht mit seinem Listensystem dazu, daß die Masse der Wahlberechtigten überhaupt nicht mehr einen Abgeordneten wählt. ... Es liegt nur noch eine statistische

344

Dazu (u.a.) Der Spiegel 42. Jg., Nr. 43 vom 24.10.1988, S. 46 f.; Süddeutsche Zeitung vom 22.02.1989, Nr. 44, S. 10; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.02.1989, Nr.46, S. 4. 345 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 130; nicht anders R. Michels, Soziologie des Parteiwesens, S. 371, auch S. 381; B. Zeuner, "Wahlen ohne Auswahl", S. 165 ff.; in der Sache so auch H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 252 f., 275; ebenso U. Thaysen, Denken ohne Diskussion? (Zur innerparteilichen Demokratie in der Bundesrepublik), in: v. Krockow/Lösche (Hrsg.), Parteien in der Krise, 1986, S. 59 ff., 62 ff.; i.d.S. auch D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 369 ff., 402 f.; H. Apel, Die deformierte Demokratie, S. 185. 346 Darin liegt die Schwäche der Studie etwa von O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, 1989, der vielfach zu fragwürdigen Einschätzungen kommt, weil seine Methode (notwendig) unzureichend ist; richtig bewertet die "Machtmittel der Führer" B. Zeuner, Innerparteiliche Demokratie, S. 102 f.; ebenso E.K u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 166 f., auch S. 54, 59 (zu den Sonntagsansichten). 347 Kritisch dazu auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 326; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 117, 130; M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 72, 83; Η Meyer, HStR, Bd. II, S. 252 f., 275; F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 39, 184, 214 ff., grundsätzlich im Sinne der demokratischen Überlegenheit der Mehrheitswahl, weil sie "Persönlichkeitswähl" sei. 348 Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 161. 71 Schachtschneider

1122

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Gruppierung und Aufteilung der Wählermassen nach einer Mehrzahl von Parteilisten vor." - Carl Schmitt 349 "Bedeutet doch die Verhältniswahl letzten Endes, daß nicht die einzelnen Kandidaten gewählt werden, sondern die Partei, die sie aufgestellt hat." Gustav Radbruch 350 III. Der Parteienstaat als Führerstaat Der Parteienstaat ist Führerstaat 351. Freilich hat jede Partei ihrer vielfältigen gebietlichen (§ 7 PartG) und sachlichen (Arbeitsgemeinschaften u.a.) Gliederung zufolge 352 viele Führer 353. Es gibt faktisch ein Führerprinzip und eine hierarchische Führerstruktur. Die Gliederungen haben ihrer Eigenart gemäß machtteilenden Effekt auch in den Parteien, ändern aber nichts 349

Der Hüter der Verfassung, S. 86 f. HbdDStR, 1. Bd., S. 290; nicht anders G. Leibholz, VVDStRL 7 (1932), S. 164 f.; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 136 u.ö. zu Art. 21, weiß das nicht zu kritisieren, sondern dogmatisiert dieses Faktum im Sinne eines oligarchischen Parteienstaates. 351 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 243, 247, 314 f., 319, auch S. 325 (zum Parlamentarismus in England); M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 837 ff., 857 ff.; G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286; Κ Jaspers, Wahrheit, Freiheit, Friede, S. 166; U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: Fs. Hans Huber, 1961, S. 222 ff.; F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 38 ff., sieht in der "wirklichen Führung das Wesen der Demokratie" (S. 38); ebenso schon H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78 ff., der klarstellt, daß dies der "Idee der Demokratie" nicht entspricht (dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 36 ff.; 2. Teil, 6. Kap., S. 116 ff.); auch Η Heller, Staatslehre, S. 247 ("sehr enger Führerring zusammen mit der Parteibürokratie"); vgl. M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 126 ff. (Führung nicht immer Herrschaft); auch Κ Stern, Staatsrecht I, S. 635; KA. Schachtschneider, JA 1979, 516 f.; R. Michels, Soziologie des Parteiwesens, S. 316 ff., 351, 369 ff., zum "ehernen Gesetz der Oligarchie" in der Demokratie; i.d.S. auch U. Thaysen, Denken ohne Diskussion?, S. 62 ff.; M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 10, spricht vom "bürokratischen Zentralismus", hat aber auch die republikanische Idee als "altliberales Leitbild" abgeschrieben. Seine durchgehende Befürwortung des Parteienstaates (S. 16 ff.) gipfelt darin, daß er den "parteigeborenen parlamentarischen Mehrheiten" zugesteht, die "temporär begrenzten Hüter des Gemeinwohls" zu sein (S. 24, 43) und den "demokratischen Verfassungsstaat" dahin versteht, daß in diesem "das Volk seine Staatsgewalt über das Medium der Parteien ausübt" (S. 24, 43). Diese demokratistische, ja angesichts der parteienstaatlichen Realität faktionistische Apologie der Parteien geht nicht nur an der Wirklichkeit vorbei, sondern ignoriert das Grundgesetz in seinen republikanischen Prinzipien; vgl. auch W. Henke, Recht und Staat, S. 374 ff., 376, 386; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 263, 264 zu Art. 21, der die anhaltende Oligarchisierungskritik schlicht leugnet; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 351, zur "Führenden Schicht"; vgl. auch W. Leisner, Der Führer, S. 183 ff., 186 ff. 350

352

Vgl. P. Lösche, Kampforganisation oder Wahlverein, S. 37 ff., der darin das Oligarchisierungsproblem überwunden sieht. 353 So schon H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 78 ff., 84 ff.; vgl. E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 116 ff. zur "Feudalisierung des politischen Systems".

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am diskurs- und damit moral- und republikwidrigen parteilichen Strukturprinzip von Führung und Gefolgschaft. Auch der nationalsozialistische Führerstaat hat mit vielen Führern gearbeitet. Gliederungen sind in jedem großen Gemeinwesen unverzichtbar. Sie allein schaffen noch keine Republik. Keinesfalls können die freiheitlichen Effekte der Parteienvielheit und des Parteienwettbewerbs geleugnet werden, die das Bundesverfassungsgericht als Mehrparteienprinzip zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung rechnet 354. Es ermöglicht überhaupt eine Entscheidung der Wähler, sei dies auch nur die Auswahl unter verschiedenen, weitgehend kooperierenden und kartellierenden Führungsgruppen 355. Darin liegt der substantielle Unterschied des Mehrparteien- zum Einparteienstaat356 mit seiner Gefahr der Führertyrannei. Karl R. Popper sieht in der Möglichkeit des Volkes, ohne Blutvergießen eine Regierung durch eine andere zu ersetzen, das Wesen der Demokratie 357. Dem republikanischen Prinzip genügt das nicht, zumal meist ein Übel gegen das ander eingetauscht wird. Republikanisch ist Wahl die Auswahl unter Persönlichkeiten, die sich um ein Amt bewerben. Die Wahl ist sittlich, wenn der gewählt wird, der das Amt am besten zu verwalten, der also der beste spezifische Vertreter des ganzen Volkes zu werden verspricht, völlig unabhängig von den besonderen Interessen des Wählers 358. Ein mächtiger Parteiführer kann sich von seiner Partei emanzipieren und damit das Gemeinwesen anderen als parteilichen Personalprinzipien unterwerfen. Die Ministerberufungen Bundeskanzler Kohls in den Jahren 1987/88 haben die Erwartungen der Mitglieder der CDU-Bundestagsfraktion enttäuscht und deren offenen Unmut ausgelöst. Außenseiterkarrieren irritieren,

354 BVerfGE 2, 1 (12 f.); 5, 85 (197 ff.); vgl. auch BVerfGE 20, 56 (97 f.); BVerfGE 70, 324 (363); H. Sodan, DÖV 1988, 832; kritisch zur einheitlichen Parteienherrschaft pluraler Parteien J. Agnoli , Die Transformation der Demokratie, S. 7 ff., insb. S. 40; dazu auch 1. Teil, 3. Kap., S. 45 ff.; 3. Teil, 3. Kap., S. 197 f. 355 Dazu 10. Teil, 4. Kap., S. 1099 ff. 356 Die Relativität des Unterschiedes von Mehr- und Einparteienstaat in der Verfassungswirklichkeit ist augenscheinlich. Sie zeigt sich in der Bundesrepublik Deutschland mit dem weitgehenden Parteienkartell und galt auch in der früheren DDR wegen der Blockparteien. 357 Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 12 f. 358 Zur Neutralitätspflicht des Wählers, also Bürgers 2. Teil, 6. Kap., S. 122 f.; auch 7. Teil, 4. und 6. Kap., S. 577 ff., 625 ff.; zum aristokratischen Prinzip der Republik 1. Teil, 3. Kap., 5. 28, 64; 2. Teil, 6. Kap., S. 115; 8^ Teil, 1. Kap., S. 662 ff., 674 ff., 679 ff. .

71»

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

zeigten aber die Macht des Parteiführers. Er vermochte, so hieß es in den Medien, sogar zu bestimmen, welche Persönlichkeit der Bundestag nach dem intellektuellen Scheitern seines Präsidenten Jenninger Ende 1988 zum neuen Präsidenten wählt, nämlich Rita Süssmuth. Die Wahl wurde zum Vollzug einer Entscheidung des Parteiführers, der diese Wahl als Bundeskanzler im Interesse der Staatspflege nicht zu seiner Sache hätte machen dürfen. Die Berufungen wären Ausdruck der sogenannten Kanzlerdemokratie 359. Nach Art. 64 Abs. 1 GG werden die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen. Wesentlich beruht aber die Macht des Partei Vorsitzenden Kohl auf seiner Patronagepraxis, für die er sein Amt als Bundeskanzler nutzt, also mißbraucht. Kohl ist der Kanzler, der das parteiliche Feudalwesen voll entfaltet hat 360 . Das Prinzip Führung und Gefolgschaft ist während der Kanzlerschaft Kohls das bestimmende, durchaus stabile Verfassungsprinzip Deutschlands geworden, wenn auch nicht das alleinige. Die "persönliche Gewalt" (Walter Leisner l61) des Führers Kohl steht über der deutschen Verfassung; denn das Grundgesetz steht vor allem im Zuge der europäischen Verfassungspolitik im Verbund mit anderen Staatsführern weitgehend zur Disposition dieses Bundeskanzlers, der die erforderlichen Mehrheiten in den beiden Häusern der Legislative zu erzwingen weiß. "Die Partei kann zum zentralen Machtinstrument der Persönlichen Gewalt werden, aber auch zu ihrem Problem, zur Gefahr." - Walter Leisner 162 Im Parteienstaat verliert eine Verfassung ihre Unantastbarkeit selbst in ihren Grundentscheidungen. Im Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 ist das Prinzip der deutschen und das der demokratischen Staatlichkeit beiseite geschoben worden. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Umsturz durch sein Maastricht-Urteil 1993 verhindert 363. Parteiendemokratische Führerschaft konnte Bundeskanzler Kohl fast uneingeschränkt im Zuge der deutschen Einigung, welche das Volk im No-

359

Zum Kanzlerprinzip M. Schröder, Aufgaben der Bundesregierung, HStR, Bd. II, 1987, S. 592 f.; N. Achteberg, Innere Ordnung der Bundesregierung, HStR, Bd. II, 1987, S. 635 ff.; zur Kanzlerdemokratie, J. Küpper, Die Kanzlerdemokratie, 1985; Kh. Niclauss, Kanzlerdemokratie, Bonner Regierungspraxis von Adenauer bis Kohl, 1988. 360 Vgl. E.K u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 116 ff., insb. S. 117. 361 Der Führer, S. 28 ff. 362 Der Führer, S. 189. 363 Dazu KA. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, S. 124 ff., 131 ff.; ders., Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, S. 28 ff.; ders., E. Emmerich-Fritsche/Th.C. W. Beyer, JZ 1993 , 755 ff.; BVerfGE 89, 155 (181 ff.); dazu Fn. 257.

5. Kap.: Machiavellismen zur Stabilisierung der Parteienoligarchien

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vember 1989 entschieden hat und die am 3. Oktober 1990 vollzogen worden ist, praktizieren. Die CDU-West als die Kanzlerpartei hatte auf diesen Prozeß keinerlei Einfluß. Das Bonner Parlament hat der Bundeskanzler nur insoweit in den Einigungsprozeß einbezogen, als er wegen der Verfassungsänderungen auf die Zustimmung der SPD als der (zahlenmäßig) großen Oppositionspartei angewiesen war. Die SPD konnte der Politik des Kanzlers nicht widersprechen, weil diese ihrer eigenen langjährigen Propaganda entsprach. Manchmal haben die Maßnahmen des Kanzlers gutsherrnhafte Züge angenommen, etwa bei der Festlegung des 3. Oktobers als neuem Tag der Deutschen Einheit364. Jedenfalls ist der Diskurs der Bürger schon durch Informationsverweigerung unterbunden worden. IV.

Der Lagermachiavellismus des kleineren Übels unter den Altparteien und die Verdrängung neuer Parteien Nicht zuletzt der Machiavellismus der Lagerbildung stabilisiert die Macht parteilicher Oligarchien, weil er die Bürger hindert, auf das Versagen "ihrer" Partei durch die Wahl einer konkurrierenden Partei oder durch Stimmenthaltung zu reagieren. Vom bekämpften Lager wird Interessenpolitik zu erwarten suggeriert, wie auch dem eigenem Lager Interessenpolitik offeriert wird. Daß jede Partei das Richtige für die allgemeine Freiheit zu tun bestrebt ist, soll gar nicht erwartet werden. Käme es politisch nicht auf die parteilichen Parteien und deren Führer an, wäre es unwichtig, wer in das Parlament gewählt würde, wenn nur alle Bewerber die hinreichende freiheitliche Kompetenz besäßen. Die lagerbildende Kraft der großen Parteien hat nachgelassen und die Distanzierung von diesen Parteien durch Nichtwahl und Protestwahl erleichtert 365. Dennoch gelingt es immer wieder, für die Bundestagswahlen den Lagermachiavellismus zu praktizieren und dadurch der pluralen Parteienoligarchie die Legitimation hinreichender, wenn nicht hoher Wahlbeteiligung zu verschaffen. Die parteiliche Lagerbildung, die im Fraktionswesen aufgewertet wird, ruiniert in vielfältiger Weise den republikgemäßen Parlamentarismus 366.

364 Art. 2 Abs. 2 des Einigungsvertrages, gegen den kompetentielle Bedenken bestehen, weil der Bund keine Gesetzgebungskompetenz für Feiertage hat; richtig R. Gröschner, Der oktroyierte Dritte Oktober, staatsrechtliche und staatsphilosophische Gründe für die Streichung eines von oben verordneten Feiertages, KritV 1993, S. 360 ff.; dazu 4. Kap., S. 910, 1100 f. m.w.H. in Fn. 257. 365 Dazu J.W. Falter/S. S. 36 ff.

Schumann, Nichtwahl und Protestwahl: Zwei Seiten einer Medaille,

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Hier soll nur ein Gesichtspunkt aufgeführt werden: Jeder Abgeordnete ist verpflichtet, namens des Volkes eine Regierung hervorzubringen, gleichgültig wie die parteilichen Fraktionsstärken durch die Wahl ausgefallen sind. Diese Pflicht wird nicht mehr wahrgenommen, wie die Regierungskrisen vor 1988 in Hamburg, 1987/88 in Schleswig-Holstein und 1989 in Berlin gezeigt haben. Wenig etablierte Parteien, zunächst die Grünen/GAL/AL, dann die Republikaner, jetzt die PDS, werden in die Koalitionsbemühungen von vornherein nicht einbezogen, obwohl jeder Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes ist (etwa Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) und alle Abgeordneten von egalitär wahlberechtigten Bürgern gewählt worden sind. Bürger werden behandelt, als hätten sie falsch gewählt, obwohl die Wahl frei und damit nicht vorwerfbar ist. Wenn die Verfassungswidrigkeit von Parteien nicht durch das Bundesverfassungsgericht verbindlich entschieden ist (Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG), sind deren Kandidaten nicht weniger legitim als die der sogenannten etablierten Parteien. Jedenfalls verdienen alle Abgeordneten denselben republikanischen Respekt. Sie tragen alle zusammen die parlamentarische Verantwortung, insbesondere die für die Regierung. Die rechtliche Egalität darf nicht moralistisch unterlaufen werden; denn die Entrüstung über den anderen ist niemals Moralität. Die diffamierende Distanzierung von den nicht etablierten Parteien ist nichts als Verteilungskampf um die Ämter, "Immunisierung gegen Konkurrenz", "closed-shop" Maßnahme367, in der Sprache des Wettbewerbsrechts sittenwidriger Verdrängungswettbewerb 368, zumal die "Newcomer" schon hohe "Marktzugangsbarrieren", um in der Sprache des Wettbewerbs zu bleiben, überwinden müßten, vor allem die Sperrklausel 369, aber auch die finanzielle und publizistische Privilegierung der etablierten Parteien u.a.370. Die Republik lebt davon, daß ihr Recht und darin die Gleichheit aller in der Freiheit geachtet, ja geliebt werden. Montesquieu hat das gelehrt 371. Die Republik zu hüten und zu pflegen, ist staatspolitisch die überragende Pflicht der

366 Dazu K.A. Schachtschneider, Das Hamburger Oppositionsprinzip, Zum Widerspruch des entwickelten Parteienstaates zur republikanischen Repräsentation, Der Staat 28 (1989), S. 188 ff.; kritisch schon Κ . Jaspers, Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 166. 367 H.H. v. Arnim, Politische Parteien, DÖV 1985, 595 f.; M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 26 ff. 368

I.d.S. auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 96 ff. Dazu 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. 370 Dazu i.d.S. R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 96 ff. 371 Vom Geist der Gesetze, S. 138, 140; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 202/3, auch S. 38, erinnert zu Recht daran. 369

5. Kap.: Machiavellismen zur Stabilisierung der Parteienoligarchien

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Bürger 372 und vor allem die der Volksvertreter, aber auch die der Medien. Die Parteiraison ist die Perversion der Staatsraison. Auch die Parole vom Vorzug des geringeren Übels verschafft inkompetenten Kandidaten Wahlchancen, ohne die Wahl einer "üblen" Partei zu legitimieren. Diese ebenfalls machiavellistische Parole streitet den sittlichen Mangel der eigenen Partei erst gar nicht ab, sondern verbalisiert offen, daß sie des Guten nicht fähig ist. Die Klugheit dieser Parole liegt in der offenen Leugnung der Tugend und gewinnt dadurch eine vernunftzerstörerische Legitimation, während die moralisierenden Sonntagsreden wenigsten den Anspruch praktischer Vernunft wahren. Die Parole zersetzt allmählich das Vertrauen in die republikanische Repräsentation. Wenn sie auch einen Anflug von Ehrlichkeit zeigt, so vermag sie die zugestandene Negativauslese der Parteien373 doch nicht zu kompensieren. "Das Formprinzip" der Parteien stamme, meint Elmar Wiesendahl, "aus den Anfangsjahren des modernen Parteiwesens". Es entspreche "den damaligen Erfordernissen nach einer disziplinierten Kampforganisation und der Mobilisierung und Führung von amorphen Wählermassen"374. 'Wahlkampf' und 'Wahlsieg', Worte aus dem Freund-Feind-Schema, das Carl Schmitt als das Kriterium des Politischen herausgestellt hat 375 , passen zu diesem Formprinzip. Diese und andere Vokabeln vertiefen (weitgehend zum Schein) die Gräben zwischen den Lagern und sollen das. Sie verhetzen die anderen, insbesondere kleine Parteien, die nach links oder rechts aus der als allein legitim und damit wählbar propagierten Mitte herausgedrängt werden sollen, welche die etablierten Parteien für sich beanspruchen. Dif-

372

Dazu 9. Teil, 1. und 3. Kap., S. 820 ff., 929 ff. Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 676 ff., 818 ff.; 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff., Fn. 1115. 374 Der Marsch aus den Institutionen, S. 13, der auf dieses Defizit eine "kapitale partizipatorische Legitimationskrise", insbesondere in der jüngeren Bevölkerung, und die "schleichende Integrations- und Legitimationskrise parteiendemokratisch verfaßter politischer Willensbildung" (S. 14) zurückführt, wohl zu Recht, dazu 10. Teil, 10. Kap., S. 1173 ff.; zum Charakter der Parteien als "Kampfverbände" B. Zeuner, Innerparteiliche Demokratie, S. 100; R. Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, S. 38 f.; G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286 f.; auch M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 837 ff., 857 ff.; H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 13; den Charakter haben auch noch die sogenannten Volksparteien, wenn und weil auch "Apparatparteien", dazu R. Wildenmann, Volkparteien - Ratlose Riesen?, S. 36 ff., der den Kampfcharakter verschweigt; als "politische Kampfgemeinschaften" dogmatisiert W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 268 und passim zu Art. 21, 1991, die Parteien. 375 Der Begriff des Politischen, S. 20 ff.; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 749 ff. 373

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

famierungskampagnen, die jeden republikanischen Anstand vermissen lassen, müssen "Die Republikaner" über sich ergehen lassen, seit Mitglieder dieser Partei am 29.1.1989 in das Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen sind. Diese Kampagne selbst hat diese Partei für Kräfte attraktiv gemacht, deren Wirken die Partei insgesamt in die Nähe der Verfassungswidrigkeit rückt, so daß ihr Verbot erwogen wird und wohl auch erwogen werden muß 376 . Die CDU und CSU, aus der viele auch führende Mitglieder dieser Partei stammen, fühlen sich um einen Teil ihrer Wählerschaft betrogen, als wenn diese ihr Eigentum wären. Die martialische Sprache verrät den unrepublikanischen Herrschaftswillen. Man darf vermuten, daß die großen Parteien Konkurrenten, die in ihr Lager eindringen, dadurch zu verdrängen versuchen, daß sie Mitglieder dieser Parteien (oder Wählergemeinschaften), die sie vielleicht selbst zu diesem Zweck eingeschleust haben, veranlassen, die Geschlossenheit der Parteien zu zerstören und diese dadurch in der Öffentlichkeit zu ruinieren; denn nichts schädigt die Wahlchancen einer Partei nach aller Erfahrung so sehr wie der parteiinterne Streit. Andere Gruppen, die sich um die Republikanisieruung des Gemeinwesens, wie sie das Grundgesetz gebietet, bemühen, werden mit dem gleichen Machiavellismus bekämpft. Gegen solche Machenschaften gibt es noch keine adäquaten Strafbestimmungen, welche die Arbeit der Parteien schützen. Aber der Kampf um das Recht ist Pflicht jedes Bürgers. Die empirischen Bemerkungen verstehen sich nicht als Untersuchungen, welche Sache der Psychologen, Soziologen und Politologen ist 377 . Dennoch muß die Freiheits-, Rechts- und Staatslehre diese Phänomene ansprechen, weil es die (parteienstaatliche) res publica phainomenon ist, die der res publica noumenon widerspricht 378. Gesetze, welche den Machiavellismus der Parteienoligarchien ver- oder wenigstens behindern, sind zu entwickeln oder weiterzuentwickeln. Auf solche Gesetze der Freiheit dürfen die Parteien keinerlei Einfluß haben.

376

Vgl. etwa den Verfassungsschutzbericht Bayern 1993 des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren, S. 16 ff. (seit Dezember 1992 "von Behörden des Verfassungsschutzes beobachtet, weil tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung vorliegen."). 377 Arbeiten dieser Fächer sind zur Unterstützung der Thesen zitiert. 378

Vgl. diese Gegenüberstellung bei Kant, Der Streit der Fakultäten, S. 364.

5. Kap.: Machiavellismen zur Stabilisierung der Parteienoligarchien

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V.

Das Prinzip der Einigkeit, der neue und alte Dualismus und die gewaltenteilige Funktionenordnung Das Prinzip der Republik ist die Einigkeit, die "όμόνοια", die Eintracht (Aristoteles) 319, die keinen Kampf und keinen Sieger 380, sondern das gemeinsame Bemühen um Wahrheit und Richtigkeit kennt. Der Wettbewerb der Parteien um die Herrschaft im Staate hat den unverzichtbaren Vorteil, daß eine Parteioligarchie gegen die andere ausgetauscht werden kann381, aber den wesentlichen Nachteil, daß der Maßstab guter Politik, wiederum nur weitgehend, der Mehrheit der Wähler überantwortet ist. Im übrigen kartellieren die Parteien weitestgehend um des gemeinsamen Vorteils willen 382 . Das Glück der Mehrheit des Volkes, welche die vermeintlichen Sieger zu vertreten vorgeben, definiert nicht das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit 383. Der parteienstaatliche neue Dualismus zwischen Regierungsmehrheit und Opposition, der durch die Mehrheitsideologie legitimiert scheint, ist eine Verfallserscheinung der demokratischen Republik384,

379 Nikomachische Ethik, S. 232, 1155 a 24 f.; A. Baruzzi, Freiheit, Recht und Gemeinwohl, S. 167 f., übersetzt όμόνοια mit "Gemeinschaft der Vernunft", "das gleiche Vernehmen"; das trifft das Wesentliche, nämlich die Verwirklichung der Freiheit, der έλευϋερία, das unter "Leuten", in "einer Gemeinschaft" sein (a.a.O., S. 14), durch übereinstimmende Erkenntnis des Wahren und Richtigen (zum Homogenitätsprinzip, das daraus folgt, 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff.). 380 K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 207 ("Der politische Gegner ist nicht Feind"); richtig sieht H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 423 ff., in der Einigkeit das Wesen des Politischen; i.d.S. auch der aristotelische Begriff des Politischen, vgl. D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, S. 19 ff., 87 ff.; ders., Herrschaft und Vereinbarung, S. 173 ff.; Η Arendt, Was ist Politik?, 1993, S. 28 ff., 35 ff.; vgl. auch Κ . Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 5 ff., S. 5 ff. 381 Darin sieht K.R. Popper, Bemerkungen zur Theorie und Praxis der Demokratie, S. 12 f., 14 f., das wesentliche Prinzip der Demokratie. 382 Dazu 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 ff., 1080 ff.; auch 1. Teil, 2. Kap., S. 45 ff.; 3. Teil, 3. Kap., S. 197 ff.; 10. Teil, 3., 4. und 5. Kap., S. 1080 ff., 1086 ff., 1113 ff. 383 Anders in der Tat M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 24, 43. 384

Dazu K.A. Schachtschneider, Das Hamburger Oppositionsprinzip, Der Staat 28 (1989), S. 188 ff.; zum neuen Dualismus vgl. N. Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, Dualismus als Voraussetzung für eine parlamentarische Kontrolle der Regierung, 1969, S. 65 ff., 103 ff., 140 ff., 178 ff., 203 ff., passim; E. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 26 f.; W. Steff ani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie (Parteienstaat und Opposition), S. 207 ff.; H.H. v. Arnim, Patronage, S. 202, der die Parteien durchaus in Schranken weist, erklärt den aus dem neuen Dualismus "resultierenden Verfassungswandel für systemkonform", kritisiert aber etwa, Ist die Kritik an den politischen Parteien berechtigt?, S. 15, 17 ff., auch das "Unterlaufen der Gewaltenteilung" im Parteienstaat; M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 19, warnt vor der "Verächtlichmachung" von Parteipolitik, sorgt sich aber wenig um die Mißachtung des Grundgesetzes durch den entwickelten Parteienstaat; auch D. Sternberger, Das allgemeine

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

deren Bedingung auch die Teilung der Ausübung der Staatsgewalt ist, das Verfassungsinstitut, welches in der demokratischen Republik, deren Staatsgewalt logisch nicht geteilt sein kann, dem alten Dualismus folgt 385 . Der Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG stellt das klar. Viele Staatsrechtslehrer sprechen nach wie vor von "Gewaltenteilung", wohlwissend, daß es nur eine Staatsgewalt gibt 386 . Die Sprache von den Gewalten aber drängt aus dem Bewußtsein, daß die Organe die Gewalt, die vom Volk ausgeht, lediglich ausüben. Die Organe erscheinen selbst als Gewalten, also als Herrschaften. "Eine Gesellschaft ohne Gewaltenteilung hat keine Verfassung." - Art. 16 der Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers von 1789387. Unter dem Grundgesetz soll dieses Prinzip durch eine effektive Funktionentrennung verwirklicht werden 388.

Beste, S. 181 ff., schätzt Parteiregierungen und Oppositionen eher positiv ein, wenn das Gewissen der Abgeordneten als "altius regitivum", als "höheres lenkendes Prinzip" (a.a.O., S. 184), als Korrektiv vorhanden ist; das mag 1961 noch so gewesen sein, 1993 sind Parlamentarier, die ihr Gewissen einbringen können oder auch nur wollen, allenfalls eine Ausnahme (dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 810 ff.). 385 Insb. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 434 ff.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 206 f.; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, XI, 6, S. 212 ff., 218, gegen das parlamentarische Regierungssystem; dazu Κ Stern, Staatsrecht I, S. 939 ff.; dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 17 ff.; 3. Teil, 1. und 2. Kap., S. 168 ff., 175; 7. Teil, 4. Kap., S. 560 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 803 ff. 386 Vgl. für alle C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 182 ff.; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 792 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 922 ff. ( "(...) die einzelnen Gewalten oder Hoheiten (...) sind und bleiben vielmehr lediglich Erscheinungsformen derselben", sc. der "Staatsgewalt"). 387 In der französischen Verfassung von 1791. 388 Dazu N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970; G. Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, Gewaltenteilung in der Ordnung des Grundgesetzes, 1979; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 792; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 298 ff.; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1009 ff., 1013 ff.

6. Kap.: Richterstaatliche Kompensationseffekte der Parteilichkeit der Parteien

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6. Kapitel Richterstaatliche Kompensationseffekte der Parteilichkeit der Parteien Die Richterstaatlichkeit des vom Grundgesetz verfaßten Gemeinwesens mildert die Mängel des entwickelten Parteienstaates389, ohne die republikwidrige Parteilichkeit der legislativen Gesetzgebung kompensieren zu können390, insbesondere legitimatorisch nicht, weil die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit echten Parlamentarismus voraussetzt391. Als Gerichtsstaat ist das deutsche Gemeinwesen der materialen Republik näher als als Gesetzgebungsstaat; denn in der Legislative setzt sich die plurale Parteienoligarchie durch, deren Einfluß auf die Gerichte vor allem wegen des Instituts der Befähigung zum Richteramt begrenzt ist. Keinesfalls darf zugelassen werden, daß die Parteien über die Richterwahlausschüsse392 ihren Einfluß auf die Judikative verstärken können393. Die Rechtsprechung wird zudem zum Vorteil ihrer Sachlichkeit stärker als die Gesetzgebung durch die kommentierende und kritisierende Rechtswissenschaft unterstützt. Die sittliche Autorität der auf Wahrheitlichkeit und Richtigkeit hin eingerichteten Judikative übertrifft die Kompetenz der Parteien zur praktischen Ver-

389 H.H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 228 ff., sieht in der gesetzesfunktionalen Rechtserkenntnis der Richter gegenüber der Gesetzgebung keinen Verlust an Rationalität, weil insoweit kein substantieller Unterschied zwischen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehe (dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 858 ff., insb. S. 870 ff., 885 ff., 895 ff.); kritisch zu verschiedenen KompensationsWirkungen G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 14 ff.; kritisch K. Schiaich, VVDStRL 39 (1981), S. 115 ff. 390 Zur Kompensation des Mißtrauens gegen den Gesetzgeber durch Vertrauen in den Richter K. Schiaich, VVDStRL 39 (1981), S. 115 ff., 118; P. Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, 1979, S. 449; H. Krüger, Verfassungswandlung und Verfassungsgerichtsbarkeit, in: FS R. Smend, 1962, S. 160; vgl. auch G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 14 ff.; auch K. Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL 40 (1982), S. 19 f. 391 Dazu 8. Teil, 1., insb. 3. und 5. Kap., S. 637 ff., 707 ff., 805 ff. 392 Dazu W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 186 ff. zu Art. 21. 393 Zu der besorgniserregenden Entwicklung der parteilichen Ämterpatronage im Bereich der Justiz R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 137, 173 ff.; W. Schmidt-Hieber/E. Kiesswetter, NJW 1992, 1790 ff.; auch A.-P. Vierhaus, Die Identifizierung von Staat und Parteien - Eine moderne Form der Parteidiktatur?, ZRP 1991, 470; W. Henke, Die Parteien und der Ämterstaat, NVwZ 1985, 616 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 188 ff. zu Art. 21; Ph. Kunig, Politische Parteien im Grundgesetz, Jura 1991, 248. Die strikte leistungsorientierte, an den Beurteilungen gemessene, Bestenauslese ist ein Bollwerk gegen die Parteipatronage, richtig und wegweisend Nds. OVG, Beschluß vom 18.06.1993, DVB1. 1993, 959 ff.; und Hess. VGH, Beschluß vom 06.07.1989, ZBR 1990, 24; und Beschluß vom 26.11.1992, NVwZ 1992, 282.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

nunft schon wegen der Parteilichkeit der Parteien derart, daß die Unterwerfung der Richter unter das Gesetz, die Art. 97 Abs. 1 GG nicht anders als Art. 20 Abs. 3 GG vorschreibt, nicht mehr von Nutzen zu sein scheint394. Robert Alexy hat zwei Systeme der Rationalität gegenübergestellt, den "Legalismus" und den "Konstitutionalismus"395. In seinem "Drei-Ebenen-Modell", in dem "Regel/Prinzipien/Prozedur-Modell", welches durch offene materiale Prinzipien/Werte gesteuert werde, rangiert der einer abwägenden Rationalität verpflichtete "Konstitutionalismus" vor dem Legalismus eines Gesetzgebungsstaates, wenn auch beide Systeme miteinander verknüpft sein können und unter dem Grundgesetz verknüpft sind. Vor allem die Grundrechtsjudikatur dogmatisiert Alexy mit seinem Modell weitestgehend überzeugend. Die Verfassung der Freiheit gebietet jedoch, den gerichtsstaatlichen Konstitutionalismus soweit als möglich zu Gunsten des die Gesetzesgerichte bindenden Legalismus zurückzudrängen, zumal den Gesetzesrichtern für den notwendig funktional gesetzgeberischen Konstitutionalismus die hinreichende demokratische Legitimation fehlt 396 . Die kompetenzielle Überlegenheit der Gerichte über die Gesetzgeber hat etwa die folgenden Gründe: Die Gerichte sind im Prinzip und in der Regel unabhängig und unparteilich. Sie entscheiden im Einzelfall und rechtskraftfähig 397. Dem Gesetzgeber ermöglicht demgegenüber die Mehrheitsregel die Parteilichkeit der Mehrheitsherrschaft 398. Die Entscheidungen des Gesetzgebers fordern eher als die der Gerichte Kritik heraus, weil sie das Gesetz positivieren, welches alle betrifft. Positivität bedeutet aber Änderbarkeit 399. Auch die den Einzelfallentscheidungen zugrundeliegenden funktional gesetzgeberischen Erkenntnisse der Gerichte sind änderbar und darum kritisierbar, aber weitaus weniger augenfällig. Jedenfalls sind die Einzelfallentscheidungen der Gerichte, wenn sie rechtskräftig sind, nicht änderbar und

394

Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 3. und 6. Kap., S. 909 ff., 963 ff. Rechtssystem und praktische Vernunft, S. 405 ff., 417 f.; vgl. auch ders., Theorie der Grundrechte, S. 100 ff. 395

396

Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 538 ff. Die Rechtskraftfähigkeit erfaßt bereits Kant, Metaphysik der Sitten, S. 435, ("unabänderlich") als das Wesen des Richterspruchs; i.d.S. auch K.A. Schachtschneider, Neubescheidung nach Rechtskraft, VerwArch 63 (1972), S. 306 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 849 f.; E. SchmidtAßmann, HStR, Bd. I, S. 1031; insb. BVerfGE 2, 380 (403 f.); 13, 261 (271); 15, 313 (319); dazu mit weiteren Hinweisen R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstandes der Aktiengesellschaft, S. 12 ff. 397

398 399

Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff. N. Luhmann, etwa, Die Geltung des Rechts, Rechtstheorie 22 (1991), S. 273 ff.

6. Kap.: Richterstaatliche Kompensationseffekte der Parteilichkeit der Parteien

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im übrigen weniger von allgemeinem Interesse. Die gesetzgeberische Funktion der Gerichte entfaltet sich in der Geborgenheit der Entscheidungsbegründungen. Die richterliche Rechtssetzung erfolgt selten durch Einzelakte, welche abrupt die Rechtslage ändern, sondern durch eine Vielzahl von richterlichen Erkenntnissen, deren Richtigkeitswert sich gegenseitig stabilisiert. Die Rechtlichkeit der Richtersprüche suggeriert deren Unabänderlichkeit und ist durch das Prinzip Recht legitimiert, gerade weil die Rechtsprechung sich trotz aller Fragwürdigkeiten derselben auf die die Richter entlastende Bindung an Gesetz und Recht berufen kann400. Insgesamt stärkt die Einzelfallhaftigkeit der richterlichen Erkenntnisse die Autoritätschance der Gerichte, solange diese ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht desavouieren und dadurch ihre Richterlichkeit einbüßen. Auch die Erkenntnis verfahren der Gerichte stützen mit der Unparteilichkeit die Akzeptabilität der Richtersprüche und damit die Autorität der Gerichte. Das nur an der Wahrheit und der Richtigkeit interessierte Gespräch über Gesetz und Recht ist für die Richter, soweit diese sich der Bindung an das Gesetz fügen, nicht nur Pflicht (§ 278 ZPO), sondern Sachzwang. Die Richter finden in der die allgemeine Freiheit verwirklichenden Gesetzlichkeit zur Neutralität gegenüber den Parteien401. Das Verhängnis der parteilichen Abgeordneten ist demgegenüber das parteiliche Interesse an Besonderheiten, vor allem aber das an den Ämtern und Pfründen, das sie von den Entscheidungen der Parteiführer und mittelbar von den Wünschen der Wähler abhängig werden läßt402. Die Abgeordneten können sich für ihre Erkenntnisse nicht wie im Grundsatz die Richter auf ein sie entlastendes, weil sie konditional programmierendes 403, Gesetz berufen. Die Autorität der Gerichte können die Gesetzgeber nur erreichen, wenn die Abgeordneten sich diskursiver Tugend befleißigen. Das kann ihnen in der pluralen Parteienoligarchie nicht gelingen404. Die Begründung des Richterspruchs mit den begrenzten rechtlichen Argumenten verschafft dem Richter

400

Dazu 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; 9. Teil, 6. Kap., S. 970 ff. Zur Neutralitätspflicht der Richter K.A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, III/2, 1959, S. 525 f.; W. Heyde, Die Rechtsprechung, HVerfR, 1983, S. 1233 f.; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 181 ff. zu Art. 21; vgl. auch R. Wassermann, Der politische Richter, 1972, S. 85 f.; ders., Die richterliche Gewalt, Macht und Verantwortung des Richters in der modernen Gesellschaft, 1985; ders., AK - GG, Rdn. 81 ff. zu Art. 97. 402 Dazu 10. Teil, 3. und 5. Kap., S. 1060 ff., 1113 ff. 403 N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969, S. 129 ff.; ders., Rechtssoziologie, 1972, S. 227 ff. 404 Dazu 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 710 ff., 772 ff., 810 ff. 401

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

republikanische Legitimation und schont, ja stärkt seine Autorität 405. Das Gesetz ist wegen seiner Allgemeinheit und der weitgehend materialen Offenheit des Gemeinwohls406 nur schwer vor den vielen besonderen Interessen begründbar. Das verführt die Parteien dazu, Sachlichkeit durch ideologisierende Propaganda zu ersetzen, so daß ihre Glaubwürdigkeit verfallen muß. Die vielfältige sachliche, örtliche und instanzielle Gliederung des Gerichtswesens schließt in Verbindung mit der persönlichen Unabhängigkeit der Richter Führungsstrukturen, wie sie das bündnishafte Parteienwesen kennzeichnen407, aus. Das vermeidet die Überforderung einzelner mit Entscheidungsaufgaben, der die wenigen Führer der Parteien um ihrer Führung willen ausgesetzt sind408. Die Gerichte bearbeiten in auf Sachlichkeit hin optimierten Verfahren einzelne Projekte, die Richter sind in der Regel befähigt, ihre Aufgaben zu bewältigen, und die Erkenntnisse der Gerichte unterliegen im Rahmen der Rechtsmittel einer recht wirksamen Kontrolle. Die Parteien nutzen demgegenüber das Projekt selten als Instrument, um Sachbeiträge zu erarbeiten. Die Gliederungen der Parteien verstärken deren strukturelle Inkompetenz. Die innere Ordnung der Parteien ignoriert kompetenzielle Notwendigkeiten. Darunter leidet besonders die Opposition, der die Ministerialbürokratie wenig Hilfe gibt. Insgesamt verfehlen die Parteien ihre Aufgabe der Mitwirkung an der politischen Willensbildung (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, §§ 1, 15 Abs. 2 ParteienG)409. Sie halten aber an dieser Aufgabe fest und haben es vor allem mittels der Mandats- und Ämterpatronage vermocht, eine formelle Kompetenz der politischen Willensbildung zu behaupten. Richard von Weizsäcker hat "das

405

Dazu N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, insb. S. 129 ff., allzusehr dem Interessenaspekt verhaftet; ders., Rechtssoziologie, S. 227 ff. 406 Dazu 7. Teil, 4. Kap., S. 574 f.; 8. Teil, 1. Kap., S. 657 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 990 ff.; 5. Teil, 4. Kap., S. 346 ff.; das Gemeinwohl ist formal; die Materialität gewinnt das Gemeinwohl durch die Leitentscheidungen der Verfassung; die Gesetze bestimmen das jeweilige Gemeinwohl (dazu K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 235 ff.). 407 Dazu 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 ff.; auch 4. Kap., S. 1086 ff. 408 R. Stöss, Parteikritik und Parteiverdrossenheit, S. 19; E. Wiesendahl, Etablierte Parteien im Abseits?, in: U.C. Wasmuht (Hrsg.), Alternativen zur alten Politik? Neue soziale Bewegungen in der Diskussion, 1989, S. 87 ff. (allgemein zu "Mängelerscheinungen des Volksparteiensystems "). 409 O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, S. 29, 49, zum Defizit der "Politikformulierungspartizipation"; im Sinne des Textes auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 130 f.; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 688 ff.; H. Oberreuter, Parlamentarisches System der Bundesrepublik Deutschland - Stärken und Schwächen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 44/80, S. 44, zum Verlust an "Kommunikations- und Dialogfähigkeit"; ders., Parteien zwischen Nestwärme und Funktionskälte, S. 105; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff.

6. Kap.: Richterstaatliche Kompensationseffekte der Parteilichkeit der Parteien

1135

Wort von Hans-Peter Schwarz" aufgegriffen, der "über den Weg von der Machtversessenheit zur Machtvergessenheit in Deutschland" gesprochen habe, "Machtversessenheit in bezug auf Wahlkampferfolge, Machtvergessenheit oder, besser gesagt, Ohnmacht, was die Konzeption und den gewaltigen Orientierungsbedarf in unserer Zeit anbetrifft." 410 Die Mandatsvergabe ist faktisches Monopol der Parteien411. Die Konsequenz der formellen ohne materielle Kompetenz ist eine weitreichende Politikverweigerung gerade der Parteien selbst, welche den entwickelten Parteienstaat charakterisiert. Das schließt nicht aus, daß die Ereignisse die Parteienoligarchie zur politischen Aktivität zwingen, weil sie ihrer Herrschaft sonst verlustig zu gehen droht. Die Entwicklung zur deutschen Einheit (1989/90) war ein solcher Fall. Die zögerliche Aufnahme der Umweltpolitik, die keineswegs weniger dringlich war und ist, beweist die eigentliche Triebfeder der politischen Initiative, nämlich das Interesse an den Ämtern, aber auch das an der Herrschaft, nicht etwa das am Gemeinwohl. Die Menschen sind nicht vor der Umwelt geflohen wie vor der SED-Tyrannei. Die Fluchtbewegung hat den Bundeskanzler zur forcierten Einigungspolitik getrieben, weil die Fortsetzung der Volkswanderung von Ost nach West seine Herrschaft bedroht hätte. Die Parteien begnügen sich zunehmend republik- und damit politikwidrig mit der Verteidigung ihrer Ämter und ihrer für diese notwendigen Herrschaft. Jede Politik ist von diesem Interesse dominiert 412. Ihren Machiavellismus413 bis hin zur Wahltäuschung (etwa die Steuerlüge der Regierungsparteien 1990) halten die Parteien für nicht weniger legitim als ihr Interesse an Ämtern und Herrschaft. Die Unwahrhaftigkeit im Wahlkampf müßte den Verlust der Mandate zur Folge haben, die Unwahrhaftigkeit der Parteiführer, welche zur Wahl der Partei führt, den Verlust aller Mandate der Partei, solange die Wahlen in Wirklichkeit Entscheidungen zwischen Parteien, nicht die Auswahl der Besten sind414. Niemandes Herrschaft aber ist in der Republik legitim 415 . Niemand darf in der Republik ein Amt beanspruchen, der nicht für dieses Amt bestmöglich geeignet ist (Art. 33 Abs. 2 GG). Der

410

Der Parteienstaat, S. 164, 178. Dazu Hinweise in Fn. 312, S. 1113; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 677. 412 Μ. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 837 ff., 857 ff. 413 Dazu 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff.; auch 2. Teil, 5. und 7. Kap., S. 100 ff., 124 ff. 414 Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 674 ff., 679 ff., 789 ff. 415 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., insb. S. 24 ff.; 2. Teil, 1., 7. und 11. Kap., S. 71 ff., insb S. 124 ff., 153 ff. 411

1136

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Parteienstaat reagiert auf politische Notwendigkeiten regelmäßig zu spät. Die geschilderte Ausnahme erklärt sich aus dem weltpolitisch bedeutsamen Umbruch der Deutschlandspolitik, die ein Zögern nicht zuließ, weil die Ereignisse sich überschlagen haben. Im übrigen war der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland in den Jahrzehnten der Wiedervereinigungsmaxime in nichts vorbereitet, zum einen weil diese Maxime zwar pflichtgemäß propagiert, aber in Bonn nicht ernsthaft gewollt war, zum anderen weil auch in den Jahren vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion und damit der DDR die Lage entweder verkannt wurde oder zum vorbereitenden Handeln die Bereitschaft und Fähigkeit fehlte. Lange ist die DDR durch Finanzleistungen entgegen der Wiedervereinigungsmaxime stabilisiert worden. Der Sache nach war sogar ihre Eigenstaatlichkeit anerkannt. Ein Beweis für die These von der parteientypischen Verspätung politischer Maßnahmen ist jedenfalls das genannte Versagen in der Umweltpolitik. Die Judikative ist demgegenüber für ihre Aufgabe, die Rechtsprechung, der parteienbestimmten Legislative für deren Aufgabe, die Gesetzgebung, an materieller Kompetenz überlegen. Beider Aufgabe ist aber die Rechtlichkeit als die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit. Die Kompetenz der Gesetzesgerichte, vor allem die der obersten Bundesgerichte, für die Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens Sorge zu tragen, wächst wegen des Verfalles des Gesetzgebungsstaates416 gerade deswegen, entgegen dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1), über deren eigentliche Aufgabe, die Rechtsprechung nach Gesetzen, hinaus zunehmend in den Bereich der Gesetzgebung hinein, weil die Gerichte das können, zwar in einem anderen Verfahren, aber präjudiziell und damit gesetzesähnlich mit (faktisch) allgemeiner Wirkung 417 , zwar ohne hinreichende demokratische Legitimation, aber in unparteilicher Sachlichkeit und damit befriedend 418. Die höhere, aber auch nur rechtsprechungsspezifische, materielle Kompetenz

416 H. Jahrreiss, Größe und Not der Gesetzgebung, in: Mensch und Staat, 1957, S. 17 ff.; Κ Eichenbergen VVDStRL 40 (1982), S. 14 ff.; R. Novak , Gesetzgebung im Rechtsstaat VVDStRL 40 (1982), S. 40 ff.; M. Kloepfer, daselbst zum nämlichen Thema, S. 67 ff. ("Verlust an gesetzgeberischer Distanz"); vgl. die Aussprache der Staatsrechtslehrer, daselbst, S. 99 ff. 417 Zum Richterrecht 7. Teil, 2., 3. und 10. Kap., S. 536 ff. mit Hinweisen in Fn. 106; auch 9. Teil, 2. Kap., S. 863 ff., 885 ff., 909 ff., 1027 ff. 418

Dazu W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 189 zu Art. 21, der (fragwürdig) den Mangel an demokratischer Legitimation mit der die Unabhängigkeit erfordernden Aufgabe der "gerechten Entscheidung des Streitfalls" rechtfertigt, als ob sich beides ausschließt; vgl. auch E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 71 ff., 86 ff.

6. Kap.: Richterstaatliche Kompensationseffekte der Parteilichkeit der Parteien

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der Gesetzesgerichte und damit deren größere Akzeptanz gegenüber der der Gesetzgeber fördert formelle Kompetenzverschiebungen von der Legislative zur Judikative. Diese verkehren zunehmend deren republikanisches Verhältnis. "Betrachtet man nun die einzelnen Verfassungsorgane und das ihnen im Jahre 1949 vom Grundgesetz zugedachte Gewicht, so fällt vor allem die ständig gewachsene Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts auf. Seine Einrichtung war eine wirkliche Innovation in unserer Verfassungsgeschichte. Es hat großes Ansehen und starken Einfluß gewonnen. Dies liegt gewiß auch an der Qualität seiner Rechtsprechung, aber nicht allein. Vielmehr ist es zugleich ein Zeichen für den politischen Zustand der parteitaktischen, nicht immer rechtlich ausreichend gesicherten Kompromisse. Da wirkt das Gericht wie eine ersehnte überparteiliche Oase." Richard von Weizsäcker m Die verbindliche Klärung strittigen Rechts möglichst durch Anwendung der Gesetze auf den entscheidungserheblichen Sachverhalt, kennzeichnet die eigentliche Aufgabe des Gesetzesrichters 420. Derartige Rechtsprechung setzt zum einen das subsumible, d.h. das hinreichend bestimmte, Gesetz421

419

Der Parteienstaat, S. 159. Zum Begriff der Rechtsprechung 9. Teil, 2. Kap., S. 870 ff.; i.d.S. BVerfGE 7, 183 (188 f.); 31, 43 (46); vgl. W. Heyde, HVerfR, S. 1204; dazu restriktiv im Sinne der Gesetzesabhängigkeit der Rechtsprechung C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 77 ff., S. 83 f.; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 31 ff.; K. A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 793 ff.; vgl. auch R. Berenbrok, Der Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 12 ff. 420

421 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff., insb. S. 39, 42; ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 73 ff., insb. S. 79, 84, 87; dazu K.A. Schachtschneider, Neubescheidung nach Rechtskraft, VerwArch 63 (1972), S. 306 ff.; ders., Das Sozialprinzip, S. 38 f., 75 ff.; ders., "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 120, 122; vgl. auch Κ Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1975, S. 13 f., 53 ff., 64 ff., 232 ff., 298 ff. (zur Konkretisierung bei der Subsumtion); richtig H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 291 f., auch S. 693 ff., 707 f.; zum Ganzen, den Grundsatz der Subsumtion weiter entwickelnd, M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl. 1976, insb. S. 45 ff., 159 ff., 195 ff.; vgl. auch im Sinne des Textes M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rdn. 60 ff., S. 32 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 525 ff., 622 ff. (mit Hinw. auf topische Rechtfindungsmethoden), bestreitet, daß richterliche Entscheidungen mittels Subsumtion und Ableitung gewonnen werden könnten, gestützt auf J. Schopp, Hauptprobleme der juristischen Methodenlehre, 1983, S. 6 ff., 67 ff. (gegen Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432, auch gegen Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215); vgl. zum Fallrecht W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, 1977, S. 129 ff.; zur (begrenzten) Relevanz der Normtexte F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 147 ff., 184 ff., 225 ff., 234 ff., 263 ff., passim; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 182 ff., 290 ff., die fallbezogene Entscheidungsnormen zu erarbeiten für notwendig erachten

72 Schachtschneider

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

und zum anderen die richterliche Kompetenz im Sinne der Befähigung voraus. Gesetzlich nicht weitestmöglich bestimmte Rechtsprechung ist wegen Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Das durch die Willensautonomie der Bürger und damit durch das Rechtsstaatsprinzip geforderte Bestimmtheitsprinzip erfordert das höchstmögliche Maß an Steuerung des Gesetzesrichters durch die Gesetze des Gesetzgebers422. Verbindliche Rechtsklärung nach dem Gesetz durch gelehrte Richter definiert die republikanische Gesetzesrechtsprechung. Die Verfassungsrechtsprechung ist Rechtsklärung ohne Gesetz nach der (material offenen oder formalen) Verfassung, weitestgehend gemäß der praktischen Vernunft 423, durch gelehrte Richter. Die Befähigung zum Richteramt ist folglich im Interesse der optimalen Rechtsklärung, die ohne rechtswissenschaftliche Kompetenz nicht gelingen kann, eine verfassungsgeschützte Einrichtung der Republik424. Für die Stabilität des grundgesetzlichen Parteienstaates, der vor allem dank der Rechtsprechung immer noch ein hohes Maß an Republikanismus verwirklicht, ist es unverzichtbar, daß die Distanz der Richterschaft von den Parteien gewahrt bleibt oder vielmehr wiederhergestellt wird 425 . Das bezweckt § 39 DRiG, der dem Richter vorschreibt, "sich innerhalb und ausserhalb seines Amts, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, daß das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird". Immer öfter machen Richter Parteikarriere und übernehmen Aufgaben in der Parteienoligarchie, aber auch Mandate in Parlamenten oder Ämter in der Verwaltung.

(dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 885 ff.); für R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 248 ff., ist Rechtsprechung (mit Thomas von Aquin) "mehr als Subsumtion des Tatbestandes unter einer Norm"; denn der Richter müsse aus der "präpositiven Ordnung der Dinge" das "Recht schöpfen"; zu argumentationstheoretischen Rechtsfindungsmethoden neuerer Zeit R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978; H.-J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982; zum Rechtsprechungsbegriff 9. Teil, 2. Kap., S. 870 ff. 422

Dazu 9. Teil, 2. Kap., S. 866 ff., 882 ff., 887 ff. Dazu 9. Teil, 1., insb. 4., 7., 8., 10. und 11. Kap., S. 819 ff., 932 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff., 1033 ff. 423

424 Die besondere Kompetenz, die der Richter haben muß, macht ihn nicht zum "Stellvertreter Gottes", wie ihn R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 248 ff., 258 ff., 263 ff., 274 ff., insb. S. 260, verherrlicht (unvereinbar mit Art. 97 Abs. 1 GG und dem republikanischen Charakter des Grundgesetzes wie der österreichischen Verfassung); dazu auch 9. Teil, 6. Kap., S. 972 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 228 ff. 425

Dazu 9. Teil, 4. Kap., S. 939 ff.; auch 7. Teil, 2. Kap., S. 536 ff.; i.d.S. W. Heyde, HVerfR, S. 1236; E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, S. 87 ff.; A. Kaufmann, Richterpersönlichkeit und richterliche Unabhängigkeit, in: Fs. K. Peters, 1974, S 306.

6. Kap.: Richterstaatliche Kompensationseffekte der Parteilichkeit der Parteien

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Dieser Verfall republikanischer Sittlichkeit sollte durch Gesetz unterbunden werden, weil die innere Unabhängigkeit der Richter die Republik stabilisiert. Art. 137 Abs. 1 GG trägt restriktive Regelungen des Berufswechsels trotz Art. 12 und Art. 33 Abs. 2 GG 426 . Wenn Richter in den Parteien, solange diese festgefügt sind 427 , maßgeblich mitwirken und damit unvermeidbar in die Parteidisziplin eingebunden werden, geht mit der Unabhängigkeit der parteigebundenen/parteilichen Richter ein Stück der Kompensation des Parteienstaates und damit des republikanischen Zustandes des Landes verloren. Unabhängige Richter gehören nicht in die parteilichen Parteien. Die Mitgliedschaft schadet ihrem richterlichen Ethos der Unparteilichkeit, welches nicht nur im einzelnen Prozeß praktiziert zu werden hat, sondern zum Charaktermerkmal der richterlichen Persönlichkeit entwickelt, ja eingeübt werden sollte. Wehret den Anfängen! Ein Schritt zur Republik wäre das Verbot, Mitglieder festgefügter Parteien mit Richterämtern zu betrauen. In dem Maße jedoch, in dem der Gesetzgeber praktische Vernunft walten läßt, schwindet das Kompensationsbedürfnis 428, mit dem die Gerichte und vor allem das Bundesverfassungsgericht konfrontiert sind. Praktische Vernunft des Gesetzgebers setzt jedoch die Moralität der Abgeordneten voraus, die ein parteienstaatlich fraktioniertes Parlament nicht erreichen kann. Die Besonderheiten der Richterauswahl sind mit dem republikanischen Prinzip zu rechtfertigen, welches den Amtsgedanken und damit die Beschränkung der Amtsträger auf amtskompetente Bürger nicht nur rechtfertigt, sondern gebietet. Aber das Amt der lebenszeitigen Gesetzesrichter muß soweit als möglich auf gesetzesabhängige Rechtsprechung beschränkt sein, weil sonst die allgemeine Freiheit als die allgemeine Gesetzgebungskompetenz, die demokratisch gestaltet sein muß, wie prinzipiell das passive Wahlrecht der Abgeordneten 429, aufgehoben wäre. Die Legislative nutzt das Autoritätsgefälle zwischen den Gerichten und den Gesetzgebern und ermächtigt zunehmend die Gerichte durch bewußt

426

Dazu Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, 1960, Rdn. 1 ff. zu Art. 137. Dazu 8. Teil, 3. und 5. Kap., S. 718 f., 772 ff.; 1. Teil, 3. Kap., S. 47 ff. 428 Zu dieser Kompensationsproblematik K. Schiaich, VVDStRL 39 (1981), S. 115 ff., selbst kompensatorische Effekte abwehrend; F. Werner, Das Problem des Richterstaates, in: ders., Recht und Gericht in unserer Zeit, S. 187 ff.; G. Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 14 ff.; Ch. Starck, VVDStRL 34 (1976), S. 46. 429 Dazu 1. Teil, 3. Kap., S. 66 ff.; 7. Teil, 2. Kap., S. 538 f.; 8. Teil, 1. Kap., S. 675 ff.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1147 ff. 427

72*

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

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offene Begriffe zur gesetzgeberischen Rechtserkenntnis, ein Stück Politikverweigerung der parteilichen Parteien. Die Grundrechtsverfassung und die Organisationsverfassung führen zu einem Kompetenzkonflikt zwischen der Legislative und der Judikative, hat Carl Schmitt gelehrt 430. Jedenfalls verlieren die Grundrechte im Maße ihrer Offenheit die materiale Relevanz. Sie sind aber weder "bedeutungslos", noch "laufen sie leer", wie Carl Schmitt meinte431. Vielmehr entfalten sie kompetenzielle Wirkung zugunsten der Verfassungsrechtsprechung, die gerade, weil die Grundrechte formal oder material offen sind, eine gesetzgeberische Funktion entfalten und entfalten 432

müssen . Der entwickelte Parteienstaat hat die Grenzen des Zumutbaren für die Wählerschaft augenscheinlich noch nicht überschritten, obwohl die Parteiverdrossenheit zunimmt433. Das erweist sich in der immer noch hinreichenden434, meist hohen Wahlbeteiligung, um die die plurale Parteienoligarchie in jeder Weise bemüht ist. Die hohe Wahlbeteiligung ist die letzte Legitimationsressource der parteilichen Parteien, der pluralen Parteienoligarchie als der herrschenden Klasse. Ihren Bestand danken die parteilichen Parteien der kompensatorischen Wirkung des Gerichtswesens, vor allem der Verfassungsrechtsprechung, aber auch anderer leistungsstarker Einrichtungen des Gemeinwesens, wie den Unternehmen, den Universitäten und durchaus auch noch den Verwaltungen. Im Gesamtgefüge des komplexen Gemeinwesens wirkt sich der Schaden der Parteienherrschaft nicht so verheerend aus, daß nicht die Ideologie von der demokratischen Notwendigkeit der Parteienherrschaft dem insgesamt republikwidrigen Parteienwesen die Stabilität geben könnte, für die das Mehrparteienprinzip Existenzbedingung ist. Falls die kompensatorischen Stabilisatoren des entwickelten Parteienstaates ausfallen sollten, wird sich schnell erweisen, daß die Parteienoligarchieen

430

Grundrechte und Grundpflichten, S. 189 ff.; ebenso ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 ff. 431 Grundrechte und Grundpflichten, S. 189 ff.; Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 140 ff. 432 Dazu 9. Teil, 1., 2., 10. und 11. Kap., S. 819 ff., 858 ff., 1027 ff., 1033 ff. 433 Dazu 10. Kap., S. 1173 ff., Hinweise daselbst in Fn. 580, S. 1174. 434 Bei den Landtags wählen 1992 in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein ist die Gruppe der Nichtwähler in etwa auf 30% angestiegen; bei den Kommunalwahlen in Hessen 1993 erreichte diese Gruppe fast 40 %, bei den Europawahlen 1994 40%, bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt 46%; zum Protestwählen und zur Wahlverweigerung E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 27 ff., 32 f.; J.W. Falter/S. Schumann, Nichtwahl und Protestwahl: Zwei Seiten einer Medaille, S. 36 ff.

7. Kap.: Die Pflicht der Medien zum unparteilichen Diskurs

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den Aufgaben, die sie beanspruchen, um ihre Habsucht, Herrschsucht und Ehrsucht zu befriedigen, nicht gewachsen sind. Das freiheitliche Gemeinwesen, die Republik, wäre schnell ruiniert. Die Entwicklung der "Parteienoligarchie zur Diktatur", die Karl Jaspers prognostiziert hat 435 , wäre zu erwarten, wenn die politischen Verhältnisse des Gemeinwesens wirklich von den Parteien abhingen. Die Geschichte gibt dafür viele beklagenswerte Beispiele, vor allem in Deutschland. Die inneren Verhältnisse in einigen Parteien lassen sich längst als "diktatorisch" bezeichnen.

7. Kapitel Die republikanische Pflicht der Medien zum unparteilichen Diskurs Den republikanischen Diskurs 436, den die parteilichen Parteien behindern, können und sollen die Medien fördern 437. Die Medien bestimmen die Gegenstände, die Themen und die Art und Weise des öffentlichen Diskurses438. Vielen, insbesondere parteilichen, Kritikern scheinen die Medien in Verkennung der Verhältnisse, vor allem der neuen Vielfalt, zu mächtig geworden 439. Daß und wie 1987 der Spiegel den Skandal um den CDUBerufspolitiker U. Barschel aufgedeckt hat, dessen Verhalten symptomatisch für die parteilichen Parteien war, hat manche eine Ohnmacht der Parteien gegenüber den Medien fürchten lassen. Jedenfalls ist die Öffentlichkeit

435

Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 141 ff. Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 648 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 956 ff. 437 K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 187, der auch auf die Verantwortung der Schriftsteller für die Freiheit hinweist; ähnlich R. v. Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 181, zur Aufgabe des "Geistes" in der Politik. 438 E. Noelle-Neumann, Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung - unsere soziale Haut, 1982, S. 234 ff.; dazu M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 188 ff.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 111. 439 M. Stolleis, VVDStRL 44(1986), S. 13; skeptisch O.B. Roegele, Die Massenmedien - Weg zur Freiheit oder neue Formen der Herrschaft?, in: W. Leisner, Staatsethik, 1977, S. 114 ff.; H. Oberreuter, Übermacht der Medien, 1982, S. 56 ff.; anders D. Sternberger, Information Manipulation - Kommunikation, 1966, in: ders., "Ich wünschte, ein Bürger zu sein", 1967, S. 148 ff., der von der Wiederentdeckung der Primärgruppen in deren Relevanz für die Meinungsbildung berichtet und selbst keine Gefahr der Massenmedien für die "Öffentliche Meinung" erkennt. Mit der Bemerkung im Text wird nicht beansprucht, den Einfluß der Medien empirisch erfassen zu können. 436

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

allgemeiner Bürgerlichkeit wesentlich mediale Öffentlichkeit 440. Keinesfalls darf der Einfluß der Medien auf die wahlwirksame Meinungsbildung unterschätzt werden, zumal die Medien zunehmend weniger berichten, schon gar nicht den Tatsachen gemäß, als vielmehr Gesinnungen propagieren, d.h. gut und böse zuteilen. Hier ist nicht die Rede von einer öffentlichen Meinung441, die es nicht gibt, weil Meinungen persönlich sind442. Diese können veröffentlicht sein und mit den Meinungen anderer übereinstimmen. Meinungen können einflußreich sein, insbesondere wenn viele sie teilen. Die Öffentlichkeit aber hat keine Meinung, weil sie keine Persönlichkeit hat, genausowenig wie der Staat. In der Republik gilt es, darauf hinzuwirken, daß weder die Parteien noch die Medien ihre Macht zur Herrschaft mißbrauchen können. Die Rivalität von Medien und Parteien hilft beiden Institutionen, ihre Aufgabe zu erfüllen, die Verwirklichung der republikanischen Staatlichkeit443. "Die Parteien" versteht § 1 Abs. 1 S. 1 PartG als "verfassungsrechtlich notwendigen Bestandteil der freiheitlich demokratischen Grundordnung" und "die Presse soll" nach gemeinem Presserecht (etwa § 1 Abs. 1 S. 2 HambPresseG) "der freiheitlich demokratischen Grundordnung dienen". Die unterschiedlichen Beiträge der Medien und der Parteien können sich aufgabengerecht nur gegenseitig befruchten, wenn die Unabhängigkeit von-

440 Dazu vor allem J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 217 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 447 ff.; vgl. auch M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 188 ff.; so auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 111. 441 Dazu Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 315 ff., S. 299 ff.; C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83; ders., Verfassungslehre, S. 245 ff.; H. Heller, Staatslehre, S. 173 ff., der die öffentliche Meinung als Bedingung der staatlichen Einheit vorstellt; M. Kloepfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, HStR, Bd. II, S. 171 ff. (selbst zweifelnd, S. 172 ff.); J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 278 ff. ("staatsrechtliche Fiktion"); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 437 ff.; ders., Die öffentlichen Massenmedien als notwendige Ergänzung der privaten Massenmedien, 1965; K. Stern, Staatsrecht II, S. 617 f., insb. E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 131 ff. 442 Dazu begrifflich 7. Teil, 5. Kap., S. 602 ff., insb. S. 608 ff., auch S. 588 ff.; 2. Teil, 11. Kap., S. 156 ff. 443

I.d.S. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 451 ff., J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 249; i.d.S. H.H. v. Arnim, Patronage, S. 207 f.; M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 181.

7. Kap.: Die Pflicht der Medien zum unparteilichen Diskurs

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einander gewahrt wird. Unabhängigkeit ist ein Kriterium der Seriosität von Presse oder Rundfunk. Mit der pluralistischen Besetzung der Rundfunkräte, die vor allem den Parteien den Einfluß auf das Medium öffentlicher Rundfunk, insbesondere das Fernsehen, sichert, hat das Bundesverfassungsgericht im ersten Fernsehurteil 444 der Republik keinen Dienst erwiesen. Es hat dabei das Verhältnis der Bürger zu den Parteien wegen seiner irrigen und widersprüchlichen Parteienstaatsdoktrin verkannt 445. Nicht der Staat unterdrückt die Bürger und deren freie Meinungsbildung, sondern parteiliche und auch verbandliche Oligarchien, denen ausgerechnet der Einfluß auf eine mögliche Gegenmacht gesichert wurde 446. Der Staat kann die Bürger nach der allein republikanischen ultra-viresLehre 447 gar nicht unterdrücken; denn der Staat ist im Prinzip die in freiheitlicher Gesetzlichkeit geeinte Allgemeinheit der Bürger, also diese selbst in ihrem Allgemeinen, des durch die Gesetzlichkeit verwirklichten guten Lebens in allgemeiner Freiheit 448. Weil die Parteien im Parteienstaat herrschen, sind sie im Maße ihrer staatswidrigen Parteilichkeit die Feinde der Freiheit, gegen die sich die Abwehrwirkung der medienfreiheitlichen

444 BVerfGE 12, 205 (261 f., 262: "Art. 5 GG verlangt jedenfalls, daß dieses moderne Instrument der Meinungsbildung weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert wird"). Das Pluralismusprinzip ist in BVerfGE 57, 295 (322 ff.) und BVerfG NJW 1987, 239 ff. nicht angetastet worden, obwohl jedenfalls die technische und wirtschaftliche Rechtfertigung entfallen ist; kritisch auch M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 203; zustimmend /. v. Münch, GG-Komm., Rdn. 34 ff. zu Art. 5. 445 Dazu Hinweise in Fn. 704 im 8. Teil, 5. Kap., S. 772, insb. auch S. 779 ff.; Fn. 49, S. 1054. 446 Dazu D. Lindlau, Racket, 1990, der (verfremdet) die parteilich bestimmte Unterdrückung der Meinungsbildung in den und durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten schildert, die mit den gleichen Machiavellismen betrieben werden, wie die Unterdrückung der inneren Demokratie in den Parteien selbst (dazu 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 779 ff.), vor allem durch Ämterpatronage, ebenfalls im Interesse der Herrschaft; i.d.S. auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 175 ("Proporzdiktatur über Fernsehen und Rundfunk", "Krebsübel der Ämterpatronage"); vgl. auch H. Oberreuter, Übermacht der Medien, S. 43 ff. 447 K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 22 f., 41 f., 256, 262; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1207 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 348, S. 139; J. Burmeister, Verträge und Absprachen zwischen Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 (1993), S. 210 ff., LS 8, S. 244; W. Henke, Recht und Staat, S. 394, zählt sie wie die herrschende Lehre nicht zum geltenden Recht; vgl. M. Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, 1977. 448 Dazu 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 211 f., 236 f.; 5. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 f., 350 f.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Grundrechte wie die der Grundrechte überhaupt richtet449. Der Staat ermöglicht Freiheit. Er wird aber von Menschen zur persönlichen Herrschaft mißbraucht 450. Vielfältige Funktionenteilungen müssen um der Republik willen die Herrschaftsmöglichkeit solcher Menschen beschneiden. Die jüngeren Fernsehurteile haben die Wirkungen des Konstruktionsfehlers des ersten Fernsehurteils gemildert, indem auch privatem Rundfunk eine Rechtsgrundlage zugestanden wurde, die aber die Meinungsvielfalt in jedem Rundfunksender hinreichend sicherstellen müsse451. Der private Rundfunk hat, geschädigt durch die (alleinige) Finanzierung durch Werbeeinnahmen, die Bewährungsprobe nicht bestanden. Die Nähe zur Parteienoligarchie, insbesondere die der erfolgreichen Fernsehveranstalter SAT 1 und RTL zum mächtigen Bundeskanzler und Parteiführer Kohl, schadet der Republik nicht minder als deren entwürdigenden Programme. Die öffentlichen Rundfunkanstalten hatten eine Rest von Anstand, einen Rest von staatlicher Neutralität und Objektivität gewahrt, auch weil Gesetz und Rechtsprechung sie dazu verpflichtet haben. Kant hat das Publizitätsprinzip 452 erkenntnistheoretisch begründet, nicht anders, wenn auch mit der entgegengesetzten politischen Konsequenz, als Hobbes. "Siebentens ist mit der höchsten Gewalt auch das Recht verbunden zu entscheiden, was zur Erhaltung oder zur Störung des Friedens dienen kann; folglich auch zu bestimmen, zu welcher Zeit, unter welchen Bedingungen und wem es erlaubt sei, das Volk aufzuklären; welche Bücher verboten werden müssen und wer darüber die Aufsicht führen soll. Handlungen haben ihren Grund in Meinungen; folglich müssen diese unter Aufsicht genommen werden, wenn man Frieden und Einigkeit in einem Staat erhalten will." - Hobbes 453

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Zur Grundrechtsdogmatik 6. Teil, 1. Kap., S. 441 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. Dieses Grunddilemma ist auch Ausgangspunkt der politischen Philosophie K. R. Poppers, Bemerkungen zur Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 17 f., der außer institutionellen Vorkehrungen den "guten Willen" anmahnt; positiv dazu W. Leisner, Der Führer, S. 186 ff. 451 BVerfGE 57, 225 (322 ff.); BVerfG NJW 1987, 239 ff.; /. v. Münch, GG-Komm., Rdn. 35 zu Art. 5; M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 203 f. 450

452 Zum ewigen Frieden, S. 244 ff.; dazu J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 127 ff. ("Publizität als Prinzip der Vermittlung von Politik und Moral"); zur Publizität M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 197 ff.; zur Öffentlichkeit H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 437 ff.; dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff., insb. S. 596 ff., 602 ff. 453 Leviathan, S. 161.

7. Kap.: Die Pflicht der Medien zum unparteilichen Diskurs

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Die rundfunkrechtliche Pluralismusdoktrin ist mehr von Hobbes als von Kant inspiriert. Meinungen kann man vor allem dadurch beeinflussen, daß man Informationen vorenthält oder mit sinnlosen Informationen vom Politischen ablenkt. Ohne objektive Erkenntnistheorie läßt sich eine Republik nicht konstruieren. Die Kompetenz, mit Erkenntnissen umzugehen454, ist die republikanische Kompetenz. Diese müssen die in den Medien wirkenden Journalisten und Redakteure wie jeder Amtwalter und jeder Bürger haben, um ihrer Aufgabe in der Republik gerecht werden zu können. Die Homogenität der moralischen Kompetenz ist Bedingung einer Republik, eben die republikanische Tugend455. Unrepublikanisch ist der Kampf um Macht, Geld und Ehre, um Vorteile und besondere Interessen, die Kant "sinnliche Antriebe" nennt456, wenn auch besondere Interessen als Materialisierung des notwendig subjektiven Glücksstrebens legitim sind457. Die republikanische Kultur besteht in der offenen und öffentlichen Auseinandersetzung im Volk um das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit bei allen unvermittelten und vermittelten Gelegenheiten, vor allem aber repräsentativ im Parlament um das Wahre und Richtige, im pluralen, besser: allgemeinen Diskurs 458, auch um den sittlichen Interessenausgleich459.

454 Zur moralischen Urteilsfähigkeit als Kompetenz und zum kompetenziellen Lernprozeß J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 134 ff. 455 Dazu 11. Teil, 1. Kap., S. 1177 ff.; ganz i.d.S. KR. Poppers Bemerkungen zur Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 17, 31. 456 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 97; ganz so schon Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 113; dazu J. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, S. 65 ff., 83 ff., 118 ff., 129 ff. (amour-propre/Selbstsucht); zum Kantianischen und auch Habermasschen Interessenbegriff siehe in Fn. 460. 457 Dazu 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 612 ff., 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 660 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 216 ff.; 5. Teil, 4. und 5. Kap., S. 297 ff., 333 ff., 350 ff., 370 ff. 458 Ganz so BVerfGE 69, 315 (344 ff.); C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 5 ff., 41 ff.; i.d.S. auch ders., Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff. (zum "liberalen Parteibegriff"); klar R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 376; dazu J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, insb. S. 112 ff., 172 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 440 ff.; vgl. auch M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 178 ff., 183 ff. (zur Vorformung des politischen Willens), S. 194 f.; i.d.S. etwa BVerfGE 5, 85 (135, 197 ff.); 69, 315 (346 f.) zur Funktion der Versammlungsfreiheit für die politische Willensbildung; i.d.S. auch H. Arendt, Vita Activa, S. 27 ff., für die griechische Polis; dies., Wahrheit und Politik, S. 62 f.; für das Gespräch als Verfahren zur Klärung des "sittlichen Wertes dieser oder jener Handlung" Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Methodenlehre, S. 289 f.; auch J.P. Müller, VVDStRL 39 (1981), S. 81 ff., mit sich realistisch gebender Argumentation gegen den

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Auch den Medien gelingt es selten, den Wettbewerb der Meinungen und den mit diesem eng verzahnten Streit um besondere Interessen auseinanderzuhalten, zumal sich die Interessen wegen der republikanischen Idee gern als Meinungen verkleiden 460. Uninteressierte Erkenntnisse, zu denen Meinungen beitragen, sind möglich. Es sind dies die Bewohner der popperianischen Welt 3 4 6 1 . Der Wettbewerb der Meinungen ist der Weg der Bürger, zum Richtigen auf der Grundlage der Wahrheit, zur praktischen Vernunft, zum Allgemeinen der Allgemeinheit zu finden 462. Ein Weg der Erkenntnis ist 'a process of trial and error'. Darum muß Kritik ständig möglich sein463.

"herrschaftsfreien Diskurs" und die "Wissenschaftlichkeit des Urteilens", welche die Funktion von Imperativen, wie häufig, empiristisch zu ruinieren versucht und die Erkenntnis des Sollens nicht begrifflich von der des Seins unterscheidet; zur dialogischen Personalität W. Henke, Recht und Staat, S. 72 ff. 459 Dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 658 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 457, S. 1145. 460 Zum Meinungskampf wegen der legitimierenden Wirkung der sogenannten öffentlichen Meinung für politische Herrschaft, H. Heller, Staatslehre, S. 173 ff.; auch G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286 f.; richtig unterscheidet Meinungen und Interessen C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 9, während etwa R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 222 ff., und H.-R Zacher, HStR, Bd. I, S. 1097, beide Begriffe zu einer Einheit zusammenfassen; auch J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 70, unterscheidet nicht den "Wettbewerb um die politische Macht" von dem "der Meinungen". Zum Habermasschen Begriff des Interesses als des "Willens zur Emanzipation", als des Vernunftinteresses oder reinen Interesses i.S. Kants und Fichtes J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 234 ff., 253 ("Kritik als Einheit von Erkenntnis und Interesse"); zur republikanischen Kritik Rousseaus an Sonderinteressen (Vom Gesellschaftsvertrag, S. 113) I. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, S. 188 ff., 129 ff.. Hier ist der Interessenbegriff etwa des Pluralismus, der empirisch ist, benutzt. Das "reine Interesse" ist transzendental. Zum Meinungsbegriff 7. Teil, 5. Kap., S. 602 f., 608 f., auch S. 588 f.; 2. Teil, 11. Kap., S. 156 f. 461 K.R. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 74 ff., 109 ff., 113 ff., 159 ff., auch J. Habermas, Theorie der Gesellschaft und Sozialtechnologie, S. 221 ff., 228 f.; dazu K.A. Schachtschneider, Rechtsbegriff "Stand von Wissenschaft und Technik", S. 113 f. 462 I.d.S. K. Jaspers, Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 161 ff.; ders., Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 206 f.; auch G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286, der sich aber seine Parteienstaatsdogmatik "soziologisch" von der (Unrechts-) Wirklichkeit diktieren ließ; H. Arendt, Wahrheit und Politik, S. 59 ff.; dazu skeptisch M. Kloepfer, HStR, Bd. II, S. 178 f. 463 BVerfGE 5, 85 (134 f.); 69, 315 (345 f.); dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 733 ff.; auch 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff.; K.R. Popper etwa, Objektive Erkenntnis, S. 124 ff., 264 ff., passim; ihm folgt (z.T. weitergehend) H. Albert, Traktat über kritische Vernunft, 5. Aufl., 1991, S. 35 ff. ("Die Idee der Kritik"), insb. S. 42 ff.; ganz so J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, 1973, S. 234 ff., 343; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 112 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 12. Aufl., 1994, S. 346 ff. ("experimentierende Zukunftsbewältigung"); um "Kritik der Kritik" bemüht sich W. Henke, Kritik des kritischen Rationalismus, 1974, S. 3 ff. gegen Popper, S. 18 ff. gegen Albert;

8. Kap.: Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

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"Die Vernunft muß sich in allen ihren Unternehmungen der Kritik unterwerfen, und kann der Freiheit derselben durch kein Wort Abbruch tun, ohne sich selbst zu schaden und einen ihr nachteiligen Verdacht auf sich zu ziehen." ... "Auf dieser Freiheit beruht sogar die Existenz der Vernunft, die kein diktatorisches Ansehen hat, sondern deren Ausspruch jederzeit nichts als die Einstimmung freier Bürger ist, deren jeglicher seine Bedenklichkeiten, ja sogar sein Veto, ohne Zurückhalten muß äußern können." - Kant 464 Habermas erfaßt diese alte Lehre in der Formel vom "Zwang des besseren Arguments" bei der "kooperativen Wahrheitssuche" unter "Betroffenen als Freien und Gleichen"465. "Die ideale Sprechsituation schließt systematische Verzerrung der Kommunikation aus. Nur dann herrscht ausschließlich der eigentümliche zwanglose Zwang des besseren Argumentes, der die methodische Überprüfung von Behauptungen sachverständig zum Zuge kommen läßt und die Entscheidung praktischer Fragen rational motivieren kann." - Jürgen Habermas 466

8. Kapitel Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts I. Wider das Verhältniswahlsystem des Parteienstaates Die parteienstaatliche Verfassungswirklichkeit hat, wenn sie auch durch das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes begünstigt wird 467 , vom Bundesverfassungsgericht gestützte einfachgesetzliche

kritisch, empiristisch etwa J.P. Müller, VVDStRL 39 (1981), S. 84 ff.; vgl. auch B. Schlink, Bemerkungen zum Stand der Methodendiskussion in der Verfassungsrechtswissenschaft, Der Staat 19 (1980), S. 73 ff. 464 Kritik an der reinen Vernunft, S. 630 f. 465 Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 13; vgl. auch, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 77, 115, 140 ff.; ebenso Faktizität und Geltung, S. 133, 339. 466 J. Habermas/N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung?, 1971, S. 137; mit empiristischer Kritik dazu J.P. Müller, VVDStRL 39 (1981), S. 81 ff., insb. S. 83. 467 M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 69 f.; KA. Schachtschneider, JA 1979, 517; H. Hofmannι, Verfassungsrechtliche Sicherung der parlamentarischen Demokratie. Zur Garantie des institutionellen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses, in: Konsens und Konflikt, 1986, S. 267 ff.; zum parlamentarischen Regierungssystem Κ Stern, Staatsrecht I, S. 939 ff.; M. Schröder, Bildung, Bestand und parlamentarische Verantwortung der Bundesregierung, HStR,

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Grundlagen. Zum einen sind dies das (wenn auch personalisierte) Verhältniswahlsystem insbesondere nach § 1 Abs. 1 S. 2 BWahlG und die Sperrklauseln (i.d.R. 5%) etwa nach § 6 Abs. 6 BWahlG, aber vor allem die Reservierung der Hälfte der Bundestagsmandate für die mit den Zweitstimmen gewählten Kandidaten der parteilichen Listen durch die §§ 1 Abs. 2, 27 BWahlG, die verfassungsrechtlich bedenklich sind468. Das Verhältniswahlsystem, insbesondere das mit starren Listen, ist politikwissenschaftlich als wesentliche Stütze des Parteienstaates unbestritten 469. Das Verhältniswahlsystem entspricht der "inneren Logik" des Parteienstaates (Peter Badura) 470. Zum anderen ist es das Parteiengesetz von 1967, das den Parteienstaat legitimieren sollte und durchaus stabilisiert hat. Die Konstituierung der Parteien als

Bd. II, S. 603 ff., 604 f., zur Parteigebundenheit der Regierung; zur historischen Bedeutung des parlamentaristischen Regierungssystems für das Parteiwesen K. v. Beyme, Partei, Fraktion, S. 702 ff. 468 Für die Sperrklauseln, deren logische Voraussetzung das Verhältniswahlsystem ist, anders BVerfGE 1, 208 (247 ff.); 4, 31 (40); 4, 375 (380); 24, 300 (341); 34, 81 (98 ff.); 41, 399 (421); 51, 222 (234 ff.); 82, 322 (338); st. Rspr. und die h.L.: etwa K. Stern, Staatsrecht I, S. 311, 969; dagegen K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 134 ("Die Klausel ist eine Sicherung der herrschenden Parteien gegen neue Parteien"); kritisch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 192 f., 193 ff.; kritisch auch H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 266, 284 ff.; kritisch auch H. Hof mann, Die Entwicklung des Grundgesetzes nach 1949, HStR, Bd. I, S. 276 f.; auch R. Dahrendorf\ Die Zeit vom 19.8.88, S. 3, zur Überlegenheit des Mehrheitswahlsystems in einer homogenen Gesellschaft; kritisch auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 97 (für Senkung der Sperrklauseln); für das Landeslistenprivileg der Parteien, das herrschend nicht als Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit erfaßt wird, BVerfGE 7, 63 (67 ff.); 21, 355 (356); 47, 253 (283); /. v. Münch, GG, Rdn. 23, 24 zu Art. 38. Nicht nur das Prinzip der Unmittelbarkeit der Wahl ist durch starre Listen in Frage gestellt, sondern das Parteienprivileg läßt sich nur im Parteienstaat rechtfertigen (so in der Tat BVerfGE 7, 63 (71 f.)), der aber republikwidrig ist; für die Sperrklauseln und deren Relevanz auch für die Wahlkampfkostenerstattung aber R. Wildenmann, Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 30, 163 f. - verfassungsfern. 469 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 290; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 114 ff.; ders., VVDStRL 7 (1932), S. 164 f.; R. Smend, Die Verschiebung der konstitutionellen Ordnung durch die Verhältniswahl, 1919, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 60 ff., insb. S. 61; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 134; F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 184 (Verhältniswahl - Oligarchische Parteien), S. 219; vgl. auch Th. Eschenburg, Der Mechanismus der Mehrheitsentscheidung, 1978, S. 33 ff., 38; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 147, S. 558; H.H. von Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, S. 31; D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 369, zur Bedeutung von Parteien für das Wahl Vorschlags wesen; dazu auch der Bericht der vom Bundesminister des Inneren eingesetzten Wahlrechtskommission "Grundlagen des Deutschen Wahlrechts", 1955, S. 39 f., sowie der Bericht des vom Bundesminister des Inneren eingesetzten Beirats für Fragen der Wahlrechtsreform "Zur Neugestaltung des Bundeswahlrechts", 1968, S. 15 f., 24 f. 470 GG, Bonner Komm., Art. 38 Anh. Rdn. 21; K. Stern, Staatsrecht I, S. 295.

8. Kap.: Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

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"verfassungsrechtlich notwendige Bestandteile der freiheitlich demokratischen Grundordnung" 471 ist mit einem republikanischen Verständnis des Art. 21 GG unvereinbar, erst recht aber die oligarchische, die optimale Ämterbesetzung behindernde, Wirklichkeit des fortgeschrittenen Parteienstaates, in den die Republik degeneriert ist. Gerhard Leibholz hat durch seine Lehre vom Parteienstaat als "rationalisierter Erscheinungsform der plebiszitären Demokratie" oder als "Surrogat der direkten Demokratie im modernen Flächenstaat"472 mittels seines Einflusses im Bundesverfassungsgericht und auch als Mitglied der Parteienrechtskommission 1957 unsere Verfassungswirklichkeit geprägt, nicht zum Nutzen des republikanischen Gemeinwesens473. Heute wird diese Lehre in der reinen Form überwiegend abgelehnt, nicht aber als unterschiedlich modifizierte Parteienstaatsdoktrin, und ist praktisch vor allem durch das Parteienfinanzierungsrecht höchst wirksam 474. Es ist Aufgabe einer Lehre von der Freiheit, vom Recht und vom Staat, die Korrektur des folgenschweren Fehlers vorzuschlagen. Ein Mehrheitswahlsystem im Sinne einer direkten Wahl der verschiedenen Vertreter des ganzen Volkes in Wahlkreisen475 gäbe den Bürgern immerhin die Chance, die Verantwortung für die moralische Kompetenz der Persönlichkeiten zu übernehmen, die sie zu ihren staatlichen Vertretern

471 I.d.S. BVerfGE 1, 208 (223 ff.); 4, 144 (149); 5, 85 (388); seit 20, 56 (113 f.) wird diese Position jedoch zunehmend relativiert, etwa BVerfGE 41, 399 (416); 73, 40 (85), aber kraß noch das Sondervotum Rottmann in BVerfGE 44, 125 (182), das die Demokratie des Grundgesetzes als Parteienstaat versteht und dementsprechend konstruiert; dazu kritisch Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 104 ff.; zur Ideologie, Parteien seien für die Demokratie notwendig 4. Kap., S. 1108, auch 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. mit Fn. 704. 472

Zum Begriff und Wesen der Demokratie, in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl. 1967/1974, S. 146, daselbst auch S. 94, und ständig; dazu 8. Teil, 4. Kap., S. 754 ff., S. 763 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 772 ff. 473 Hinweise 8. Teil, 4. Kap., S. 763 f. mit Fn. 657; dazu KA. Schachtschneider, JA 1979, 514 ff.; zum Einfluß G. Leibholzens auf die parteienstaatliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts K. Stern, Staatsrecht I, S. 308; IV. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 57 zu Art. 21, spricht vom "außerordentlichen" Einfluß. 474 Hinweise Fn. 704 im 8. Teil, 5. Kap., S. 772; Fn. 49, S. 1054; auch 8. Teil, 1. Kap., S. 779 ff.; 10. Teil, 8. Kap., S. 1168 ff., zur Parteifinanzierung. 475 Dazu und dagegen H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 260, 265, der, S. 258 ff., auf das parteienstaatliche MehrheitsWahlsystem eingeht; K. Stern, Staatsrecht I, S. 295, 299 ff.; dazu und dafür R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 190 ff., 193 ff.; BVerfGE 1, 208 (246), und 34, 81 (100) erklären ein Mehrheitswahlsystem für zulässig; ebenso K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 147, S. 58; vgl. auch BVerfGE 51, 222 ff., wo davon nicht die Rede ist.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

machen wollen 476 . Verurteilte Straftäter hätten wahrscheinlich geringere Chancen, einen Parlamentssitz zu erobern, als unter dem anonymisierenden Verhältnis- und Listenwahlsystem, welches die Persönlichkeiten in den Hintergrund drängt und dadurch die Negativauslese der Abgeordneten erleichtert. Das (personalisierte) Verhältniswahlsystem477 läßt sich nicht mit dem Argument rechtfertigen, es führe zur (verhältnismäßigen) Vertretung aller Parteien im Parlament, welche 5% der Stimmen bekommen hätten, und berge nicht die Gefahr, daß mindestens eine Partei fast die Hälfte der Stimmen erzielen könne, ohne einen Parlamentssitz zu erlangen. Dieses Argument setzt den Parteienstaat voraus 478, der aber durch das Grundgesetz nicht eingerichtet ist. Nach Art. 38 Abs. 1 GG sollen Abgeordnete, nicht Parteien gewählt werden. Die Abgeordneten werden im übrigen auch bei der Listenwahl nur von einem Teil der Wähler gewählt. Weil es rechtens nur auf die Abgeordneten ankommt, nicht auf die Parteien, ist es irrelevant, wenn die Vorschläge bestimmter Parteien keinen Erfolg haben, obwohl viele Wähler für dessen Kandidaten gestimmt haben. In einem Wahlkreis kann nur einem Kandidaten die Vertretung des ganzen Volkes überantwortet werden. Das soll der/die Beste sein; der/die Zweitbeste hat genausowenig Anspruch auf einen Parlamentssitz wie deren Wähler, die bestens durch den/die Besten vertreten sind. Das obige Argument geht davon aus, daß mit der Wahl über Parteien und deren Programme entschieden werden solle oder jedenfalls könne. Das aber widerspricht der Aufgabe der Abgeordneten, das ganze Volk zu vertreten, was eine programmatische Bindung nicht zuläßt. Die Entscheidung für das Verhältniswahlsystem war und ist die für den (verhältnismäßigen) Proporz der größeren Parteien bei der Zuteilung der Parlamentssitze479, zumal die 5% Klausel kleinere Parteien von der Verteilung ausschließt.

476

Ganz i.d.S. F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 214 ff., 184, 387 ff. (Analyse der Folgen des Verhältniswahlsystems für die Weimarer Republik); i.d.S. auch R. Smend, Die Verschiebung der konstitutionellen Ordnung durch die Verhältniswahl, S. 63 mit Hinweis auf Hilty in Fn. 4, S. 64; auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 86 f.; auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 194. 477 Dazu H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 258 ff., 299 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 289 ff., 294 ff., 301 ff. 478

K. Stern, Staatsrecht I, S. 295 f.; P. Badura, GG, Bonner Komm., Rdn. 21 zu Art. 38; dazu H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 259 ff. (dessen Überlegungen parteienzentriert sind). 479 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 87; F.A. Hermens, Verfassungslehre, S. 214 ff.; i.d.S. K. Stern, Staatsrecht I, S. 295; P. Badura, GG, Bonner Komm., Rdn. 21 zu Art. 38; kritisch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 147 ff., S. 58; Rdn. 171, S. 67 f.

8. Kap.: Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

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"Bedeutet doch die Verhältniswahl letzten Endes, daß nicht die einzelnen Kandidaten gewählt werden, sondern die Partei, die sie aufgestellt hat." Gustav Radbruch m Die Entscheidung für das Verhältniswahlsystem ist die Unterwerfung des Volkes unter die Parteienoligarchie. Die personalplebiszitäre Komponente dieses Wahlsystems gibt zwar die Chance, daß Wahlen zu einem Regierungswechsel führen, ist aber ohne wesentlichen Einfluß auf die Zusammensetzung des Parlaments und damit die Verteilung der Ämter unterhalb der Regierungsebene (Proporzdemokratie). Die Wähler und NichtWähler im Verhältniswahlsystem mit Sperrklauseln und starren Listen nehmen in ihrer Gesamtheit Einfluß auf die Fraktions- und damit Koalitionsverhältnisse im Parlament 481. Die staatliche Herrschaft der Oligarchie einer Partei wird aber keinesfalls gegen die einer anderen Parteioligarchie getauscht. Vielmehr bewahrt die gesamte (plurale) Parteienoligarchie ihren herrschaftlichen Status. Die realplebiszitäre Komponente vermag das Verhältniswahlsystem nicht, jedenfalls nicht mehr, zu legitimieren, weil die großen Parteien nicht mehr bestimmte Interessengruppen des Volkes repräsentieren, sondern als sogenannte Volksparteien im Wettbewerb um die staatlichen Ämter das ganze Volk zu repräsentieren vorgeben. Nur noch kleinere Parteien sind Programmparteien im eigentlichen Sinne. Die großen Parteien unterscheiden sich programmatisch nicht wesentlich. Sie sind "Allerweltsparteien" mit "catch-all-Strategie" 482. Das kommt in den Leitprinzipien der Grundsatzprogramme der CDU und der SPD zum Ausdruck, die keinen Sachunterschied mehr aufweisen, nämlich, CDU: "Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit." (1978, Ludwigshafen) SPD: "Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität." (1959, Godesberg). Die großen Parteien, aber auch die F.D.P., sind wesentlich Herrschaftsbündnisse, "Staatsparteien" (Rudolf Wildenmannf* 3. Das Verhältniswahlsystem dient nicht (mehr) der Repräsentation des Interessenpluralismus im

480

HbdDStR, 1. Bd., S. 290. Hinweise Fn. 468, 469, S. 1148 f.; 8. Teil, 5. Kap., S. 788 ff. 482 R. Wildenmann/Th. Poguntke, Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 32 f. mit Bezug auf O. Kirchheimer; dazu auch 7. Raschke, Jenseits der Volksparteien, in : Das Argument, Vol. 25, S. 54 ff.; A. Mintzel, Die Volksparteien - Typus und Wirklichkeit, 1984; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 105 ff.; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 14. 483 Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 39 (G. Smith), S. 168; 10. Teil, 3. Kap., S. 1060 ff. 481

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Volke und dem gruppen- oder gar klassenmäßigen Interessenausgleich484, sondern der verhältnismäßigen Beteiligung der stärkeren Parteienoligarchien an der Herrschaft. Max Weber hat als zentrale Interessen von Parteien Macht und Ämter herausgestellt485. Sie dürften das bestimmende Merkmal der oligarchisierten Volksparteien geworden sein. Der Interessenausgleich ist Pflicht des Parlaments; denn der Interessenausgleich ist identisch mit dem Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit 486. Der Interessenausgleich mag auch verschiedentlich gelingen, weil Regierungsmehrheit und Opposition um diesselben Wählerstimmen werben, ist aber im parteienstaatlich fraktionierten Parlament nicht so organisiert, wie es die Verfassung der Republik erfordert. Die Ideologie vom Interessenausgleich wahrt immerhin den Respekt vor der republikanischen Pflicht des Parlaments. Die Sperrklausel ist freilich für die Proporzdemokratie unverzichtbar, weil sie es leistet, die Herrschaft auf eine begrenzte Zahl von Oligarchien zu beschränken. Das Ende der Herrschaft der Wenigen wäre die "Herrschaft" aller, die allgemeine Freiheit 487. Das Verhältniswahlsystem hat eine mehr oder weniger enge, dauernde Koalition der etablierten Parteien im Staat begründet, welche im wesentlichen gemeinsam die Bürger beherrschen, obwohl insgesamt nur etwa 4% des Volkes Mitglieder der Parteien sind, von denen erfahrungsgemäß allenfalls 10% sich aktiv am politischen Geschehen in der Partei beteiligen488. Die Zahl derer, die das Volk beherrschen, ist nicht größer, eher kleiner als in Zeiten absoluter und konstitutioneller Monarchie. Zudem ist deren Herrschaft trotz und wegen des Wechsels durch Wahlen auch personell sehr stabil. 484

Dazu 8.Teil, 5. Kap., S. 779 ff.; dazu etwa P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten, S. 491; kritisch zum Aspekt Interessenausgleich etwa R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 235 ff.; dazu A. Mintzel, Abschied von einem Phantom. Zu theoretischen Konzepten und empirischen Analysen der "Volkspartei" in vergleichender Perspektive, in: Falter/Fenner/Greven (Hrsg.) Politische Willensbildung und Interessenvermittlung, 1984, S. 61 ff.; dazu R. Wildenmann/Th. Poguntke, Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 32 ff. (A. Mintzel), S. 36 ff. 485 Wirtschaft und Gesellschaft, S. 837 ff., 852 u.ö.. (vgl. auch S. 822: "Wer Politik treibt, erstrebt Macht."); zu diesem Politikbegriff, den er weitgehend, aber zu Unrecht dem Grundgesetz, nämlich dem Artikel 3 Abs. 3, 21 Abs. 1 und 116 Abs. 2, unterstellt, J. Isensee, HStR, Bd. VII, S. 108, 117. 486

Dazu 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 655 ff. Dazu 2. Teil, 1. Kap., S. 71 ff. 488 Die Einschätzungen schwanken; vgl. das Zahlenmaterial bei E. Wiesendahl, Der Marsch aus den Institutionen, S. 3 ff., insb. S. 10 ff.; O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, S. 41 mit Hinweisen; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 168 ff.; R. Wildenmann/Th. Poguntke, Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 162 ("Aktivisten"; "Funktionärs-Parteien"). 487

8. Kap.: Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

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Auf seine einzelnen Vertreter hat das Volk jedoch im Parteienstaat durch das faktische Nominationsmonopol der Parteien und damit der Parteienoligarchie keinen wirklichen Einfluß 489. Die Verhältniswahl ist trotz ihrer Verbindung mit der Personenwahl faktisch eine Parteienwahl. Die Parteien präsentieren sich in ihren Führern und (zunehmend weniger) in ihrer Programmatik, nicht aber in den einzelnen Parlamentskandidaten. Die Wahlwerbung der großen Parteien vor der ersten gesamtdeutschen Wahl am 2. Dezember 1990 plakatiert das: "Helmut Kohl - Kanzler für Deutschland" (CDU), "Oskar Lafontaine - Der neue Weg" (SPD), "Genscher wählen F.D.P. wählen", notwendig ein wenig eigenständig: "Bayerisch wählen CSU". Nur im Rechtssinne werden die Kandidaten gewählt, faktisch werden sie von den gewählten Parteien entsandt490. "Denn in letzter Konsequenz führt das Verhältniswahlrecht mit seiner Listenwahl dazu, daß die Masse der Wahlberechtigten überhaupt nicht mehr einen Abgeordneten wählt." ... "Es ist auch nicht mehr Wahl im Sinne der überlieferten Wahl von Abgeordneten und Repräsentanten, sondern in Wirklichkeit ein plebiszitähnlicher Vorgang." - Carl Schmitt 491 Wer für eine Partei im Parlament sitzt, ist im Parteienstaat nahezu gleichgültig. "Der Abgeordnete ist ... nur ein mehr oder weniger unselbständiges Exemplar einer Fraktion, einer Partei." - Gustav Radbruch m Ihre Persönlichkeit haben die meisten Abgeordneten auf eine faktiose 493 Funktionabilität reduziert. Das wird um des parteilichen gemeinsamen

489

I.d.S. C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 86 f.; G. Radbruch, HbdDStR, 1. Bd., S. 286; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 114; vgl. R. Smend, Die Verschiebung der konstitutionellen Ordnung durch die Verhältniswahl, S. 62 ff.; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 697; dazu empirisch O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, S. 32 ff., insb. S. 39 ff. 490 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 219; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 86 f.; G. LeibholZy Das Wesen der Repräsentation, S. 226 ff., 262; H. Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 14; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 697; empirisch O. Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, S. 39 ff. 491 Der Hüter der Verfassung, S. 86 bzw. 87; ebenso G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 224 ff.; ders., VVDStRL 7 (1932), S. 164 f.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 191, 193 ff. 492 HbdDStR, 1. Bd., S. 286, der das als "soziologische Wirklichkeit" nicht recht kritisiert hat. 493 Zum Begriff der Faktion 3. Kap., S. 1082 in Fn. 187. 73 Schachtschneider

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Interesses vor allem am Zugang zu den öffentlichen Ämtern von ihnen erwartet und professionell erfüllt. Deswegen ist der Schaden, den die parteiliche Negativauslese der Mandatsträger 494 verursacht, auch begrenzt, abgesehen von dem Defizit eines republikanischen Parlamentarismus selbst, der aber in der Konsequenz des Parteienstaates liegt. Die einzelnen Kandidaten nehmen nur innerparteilich Einfluß auf ihre Wahl in das Parlament, Einfluß, der weder hinreichend rechtlich geregelt ist, noch auch nur einen Rest von republikanischer Moralität, nämlich den Versuch, den/die Besten vorzuschlagen, aufweist. Es sind vielmehr über Jahre und Jahrzehnte währende Machtkämpfe, deren Kampfmittel vor allem das Bündnis zwischen Führern und Gefolgsleuten ist 495 , verbunden durch das gemeinsame Interesse an Ämtern, die zu einer Nominierung durch eine Partei, die ohne Mehrheit in den unteren Verbandseinheiten nur selten durchsetzbar ist, führen. Insbesondere die innerparteilichen Nominationsverfahren sind das abstoßende, schmutzige Geschäft, welche einer Republik nicht würdig sind und die Negativauslese mitsichbringen 496. Diese Faktizität macht den Abgeordneten von der Parteioligarchie, zu der auch die Führer der unteren Verbände gehören, abhängig und nimmt ihm die Fähigkeit zur repräsentativen Sittlichkeit, der er nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ausschließlich verpflichtet ist 497 . Die Unabhängigkeit des Abgeordneten muß vor jeder Abhängigkeit geschützt werden, wenn er nur "seinem Gewissen unterworfen" sein soll. Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG darf keine Wirkung entfalten, die das republikanische Prinzip des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG aushöhlt. Es liegt auf der Hand, daß nicht die Parteienoligarchie mittels ihrer Gefolgsleute im Parlament über das Wahlsystem entscheiden darf, wenn das Volk Bürgerschaft sein und bleiben will. Die Versuche, das Wahlsystem für die erste gesamtdeutsche Wahl 1990 zu manipulieren, waren so unverschämt, daß sogar das Bundesverfassungsgericht, das den Parteienstaat zu stützen pflegt, diese nicht hinzunehmen vermochte 498. Ein Konstruktions-

494

Dazu 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 676 ff., 803 ff.; 10. Teil, 5. Kap., S. 1113 ff. mit Fn. 315. Dazu mit den Beispielen P. Haungs, Persönliche und politische Parteien - eine Alternative?, S. 573 ff. 495

496 Dazu E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 58 ff., 72 ff., 109 ff., 116 ff., 148 ff., 170 ff.; vgl. dazu auch 8. Teil, 1. Kap., S. 676 ff. 497 Dazu 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 662 ff., 728 ff., 799 ff., 810 ff.; auch 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff. 498

Vgl. BVerfGE 82, 322 (337 ff.).

8. Kap.: Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

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fehler des Grundgesetzes ist, daß die Parteien über das Parlament in eigener Sache Gesetze geben dürfen 499. Die parteienrelevante Gesetzgebung gehört in die Hand des Volkes oder eines Organs, das von den Entscheidungen nicht profitieren kann. Das rechtsstaatliche Prinzip, von der Entscheidung auszuschließen, wer befangen ist, muß gerade bei denen beachtet werden, deren Habsucht, Ehrsucht und Machtsucht ihren Opportunismus bestimmen, wie keinen Amtswalter sonst, den parteilichen Parlamentariern. Die sogenannten Berufspolitiker haben "über Parteigrenzen hinweggehend gemeinsame egoistische Privatinteressen, die 'solidarité parlamentaire'." - Carl Schmitt 500 "Es besteht aber bei Berufspolitikern massivstes Interesse an einer Proporzdemokratie, in der die Aufklärung von öffentlich beanstandeten Fällen zum seltenen Ereignis wird. Ein Zusammenstehen in der Verteidigung bei Publikwerden von Fehl verhalten ist die Regel." - Erwin K. und Ute Scheuch 501 Die classa politica, die Herrschaftsklasse des Parteienstaates, die alte Privilegien des Adels in veränderter Form entweder übernommen hat oder anstrebt, geriert sich auch nicht wesentlich anders als die alten Herren, selbst und besonders bei den Staatsbegräbnissen, bei denen sich die Parteiführer gegenseitig verherrlichen, zuletzt zugunsten und zulasten Willy Brandts (1992). Für das Wort Adliger steht das Wort Politiker. Diese Leute beanspruchen Volk und parteiliche Herren trennende Titel, dessen adelsmäßige Abkürzungen sind: MdB, MdL, MdA, MdEP. Die Menschen selbst distanzieren sich von ihrer Bürgerlichkeit, also ihrer politischen Kompetenz, indem sie die Mitglieder der Parlamente respekt-, ja ehrfurchtsvoll Politiker nennen. Wann wird sich das deutsche Volk emanzipieren? Jetzt folgt man erst einmal wieder Führern, insbesondere dem Parteiführer und Bundeskanzler Helmut Kohl.

499 Das kritisiert auch H.H. v. Arnim, Die Abgeordnetendiäten, 1974, S. 41 f., 49; ders., Parteifinanzierung, 1982, S. 46 ff.; ders., Entschädigung und Amtsausstattung, S. 523, 530 ff.; ders., Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S. 5; ders., Ist die Kritik an den politischen Parteien berechtigt?, S. 22 ff., der plebiszitäre Entscheidungsverfahren befürwortet; H.-P. Schneider, Gesetzgeber in eigener Sache, in: D. Grimm/W. Maihofer (Hrsg.), Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, JbRuR, 13, 1988, S. 329 f.; vgl. auch die Mahnungen in BVerfGE 40, 296 (327). 500 Der Hüter der Verfassung, S. 89. 501 Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 171; sie sprechen vom "Kartell der Berufspolitiker", vom "Kartell der Vorteilsnahme".

73*

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Wenn allerdings die Bürger ihr Wahlverhalten von ihren jeweils besonderen Interessen leiten lassen502, schützt auch das Mehrheitswahlsystem nicht vor dem Parteienstaat, wie das Beispiel des freilich durchaus anderen Prinzipien folgenden Großbritannien zeigt. Wenn Wähler sich die Befriedigung von besonderen Interessen dafür versprechen lassen, daß sie eine Partei wählen, ist das eine Art passiver bürgerwidriger Bestechlichkeit der Wähler. Untertanen sind käuflich, Bürger nicht. Den Interessenausgleich fördert der Bürger dadurch, daß er den/die Besten wählt, der durch seine Moralität, also seine Fähigkeit und Bereitschaft qualifiziert ist, dem Stand der Wissenschaft gemäß, die vielfältigen Interessen auszugleichen, dem Gemeinwohl bestmöglich zu dienen. "Wir, das Volk, tragen die Verantwortung für die Politiker, auch wenn wir sie verwerfen." ... "Es ist ungerecht, alles Unheil auf Politiker, Parteien und Regierung zu schieben. Diese Regierung wäre nicht da, wenn die Deutschen sie entschieden nicht wollten." - Karl Jaspers 503 "Es ist ein Zusammenspiel von Schwächen derer, die die Mandate suchen, und jener, die sie erteilen." - Richard von Weizsäcker- 504 In Ordnung ist es, wenn die Kandidaten Sachkompetenz präsentieren, indem sie bestimmte Gesetzesvorhaben vor der Wahl vorschlagen. Kompetent sind nicht Parteien, sondern Persönlichkeiten. Keine Partei verfügt über Erkenntnisse, die nicht auch den anderen Parteien zur Verfügung stehen. Die Wahl von Parteien, also die Listenwahlen, sind in gewissem Maße auch Programmwahlen, nicht aber Persönlichkeits wählen. Der wesentliche Grund für die negative Parlamentarierauslese dürfte im Wahlsystem liegen, welches die Faktiosität der Kandidaten begünstigt. Die gebildete Persönlichkeit, die sich nur von ihrem Gewissen abhängig macht, läßt sich parteilich nicht funktionalisieren 505. Eine Chance, den republikanischen Parlamentarismus zu stärken, wäre es, wenn den Parteien die parteiliche Nomination der Kandidaten, die den Parteienstaat wesentlich stützt, aus der Hand genommen würde und sie auch insofern auf eine "Mitwir-

502

Zur Moralvergessenheit der Interessenverfolgung 7. Teil, 5. u. 6. Kap., S. 614 f., 617 f. Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 187. 5W Der Parteienstaat, S. 165, zur "Demoskopiedemokratie", in der "die politische Aufgabe der Führung und Konzeption zu kurz" komme. 503

505

Ganz so K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 117 f.

8. Kap.: Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

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kung" beschränkt würden, die noch Art. 21 Abs. 1 GG genügt506. Dem Volk kann nur die Vertretung durch die Besten, jedenfalls durch geeignete, insbesondere politisch selbständige, Persönlichkeiten zugemutet werden 507. Die Parteioligarchien benötigen parteiinterne Stabilität, welche durch mediokre Gefolgsleute gewährleistet ist, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsdefizite keine eigenständige politische Kompetenz haben508. Die Vorkehrungen gegen den Mißbrauch der freiheitlichen Ämter zur Herrschaft sollten auch dadurch verstärkt werden, daß der Vorschlag des Aristoteles aufgegriffen wird, den ständigen Wechsel der Amtsinhaber zu institutionalisieren 509. Ein solcher Wechsel nach kurzen Amtszeiten wurde in Athen und in Rom praktiziert 510. Um der Unabhängigkeit der Beamten und Richter willen 511 wäre das Prinzip des Wechsels auf die Abgeordneten zu beschränken. Erst wenn die Abgeordneten nicht wiedergewählt werden können, gewinnen sie Unabhängigkeit von der Parteienoligarchie, so daß sie in die Lage versetzt sind, ihrem Amt gemäß Art. 38 Abs, 1 S. 2 GG zu genügen, nämlich bei ihren Erkenntnissen nur ihr Gewissen sprechen zu lassen512. Es ist für die Amtswalter aller Organe der Staatsgewalt unverzichtbar, daß sie um ihres Amtes willen unabhängig von nichtamtlicher Einflußnahme sind. Die Herrschaft der Parteien beruht auf der Verletzung des Prinzips des republikanischen Parlamentarismus, welches Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG verankert. Durch Art. 21 Abs. 1 GG ist das nicht gerechtfertigt 513.

506 I.d.S. P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 146; dahin geht auch das Plädoyer von D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 369 ff.; Vorschläge wenigstens zur stärkeren Mitwirkung aller Parteimitglieder an der Kandidatenaufstellung (Briefwahl u.a.) macht R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 166 ff.; i.d.S. auch mit weiteren Vorschlägen E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 123. 507 Dazu 8. Teil, 1. Kap., S. 662 ff., 674 ff. 508 Dazu insb. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 837 ff.; K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 117, 150, 182; R. v. Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 150; zur Negativauslese auch die Hinweise in Fn. 315, S. 1115; 8. Teil, 1. Kap., S. 676 ff., 818 ff. 509 Politik S. 240, 1332 d 20 ff. u.ö.. 510 W. Henke, Recht und Staat, S. 314 (Athen), S. 331 (Rom, wo die Amtszeit grundsätzlich ein Jahr betrug). 511 Die grundsätzlich lebenzeitige Anstellung der Beamten ist ein durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützter Grundsatz des Berufsbeamtentums (Η. Lecheler, HStR, Bd. III, S. 737); das gilt auch für Richter (Art. 97 Abs. 2 GG). 512

Dazu 7. Teil, 1. Kap., S. 527 ff.; 8. Teil, 1. und 5. Kap., S. 657 ff., 772 ff., insb. S. 811 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1086 ff. 513 Dazu 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 655 ff., 672 ff., 710 ff., 772 ff.; 10. Teil, 4. Kap., S. 1093 (mit Fn. 227), auch 1. Kap., S. 1045 ff.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Das Wahlverfahren muß so gestaltet sein, daß der Abgeordnete einen wirklich unabhängigen Status gewinnt. Erfahrungen aus der Geschichte erlauben es nicht, die Verfassung zu verbiegen, zumal Deutschland mit einer wahren Republik noch gar keine Erfahrungen gemacht hat, wohl aber mit der Herrschaft von politischen Parteien. Die Instabilität des Weimarer Parlamentarismus war die eines zerrissenen Parteienstaates514. Diese Erfahrung rechtfertigt nicht das verfassungsverzerrende Wahl-, Parteien- und Parlamentsrecht, welches das Bundesverfassungsgericht insbesondere mit dem Argument der parlamentarischen Funktionsfähigkeit stützt515, ohne insbesondere wissen zu können, wie stabil das Regierungssystem wäre, wenn im Mehrheitswahlverfahren gewählt würde und zugleich der Bundeskanzler nur durch konstruktives Mißtrauensvotum abgelöst werden könnte. Die Sorge um die Stabilität der politischen Verhältnisse ist vom Bundesverfassungsgericht nicht begründet worden. Auf Fehlentwicklungen muß der Verfassungsgeber reagieren, nicht der einfache Gesetzgeber, nicht der Richter. Das Manko des Parteien-, aber auch des Wahl- und Parlamentsrechts ist es, daß die etablierten Parteien es sich selbst gegeben haben. Das vermag die Umgestaltung der grundgesetzlichen Republik in einen einfachgesetzlichen Parteienstaat nicht zu legitimieren. Immer versuchen die Herren ihre Herrschaft durch Gesetze zu untermauern. Sie beanspruchen darüber hinaus Achtung, ja Liebe. Achtung und Liebe verdienen in der Republik die Bürger und ihr Recht; denn diese sind Ausdruck der Sittlichkeit. Die Parteien und die parteilichen Herren zu entmachten ist republikanische Pflicht.

514 Dazu vor allem unter wahlpolitischen Aspekten F.A. Hermens, Verfassungs lehre, S. 380 ff.; vgl. auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 87 ff., zum Weimarer Pluralismus festgefügter Parteien. 515 Vgl. BVerfGE 1, 208 (248 ff.); 51, 222 (236 ff., 254 ff.); 82, 322 (338) für die 5% Sperrkl au sein; BVerfGE 70, 324 (350, 362); 80, 188 (219 f.); 84, 304 (322, 324) für das Fraktionswesen; Κ Stern, Staatsrecht I, S. 311 f.; vgl. auch Fn. 229, 468, S. 1147; richtige Kritik von H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 284 ff.; BVerfGE 10, 4 (12 ff.); für die fraktionsmäßig kontingentierte Redezeit der Abgeordneten in Bundestagsdebatten; dazu W. Zeh, HStR, Bd. II, S. 440 f.; BVerfGE 8, 51 ff. für die Funktionsfähigkeit der Parteien; dazu Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 140 f.; kritisch zum Parlamentsrecht der Geschäftsordnungen H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 686 ff.; berichtend dazu C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, S. 653 ff.; P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten, S. 501 ff.; J. Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, S. 333 ff.; H. Schulze-FielitZy Parlamentsbrauch, Gewohnheitsrecht, Observanz, daselbst, S. 359 ff.; vgl. auch N. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, insb. S. 322 ff.; W. Zeh, Parlamentarisches Verfahren, a.a.O., S. 425 ff.

8. Kap.: Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

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II. Republikanische Parteien als politische Gesprächskreise Das republikanische Verfassungsrecht ist auch dadurch gegen die parteienstaatliche Verfassungswirklichkeit zu verteidigen, daß die Parteien zu republikanischer Politik gezwungen werden. Sie müssen zu diesem Zweck durch Gesetz auf den kritischen Diskurs um das Wahre und Richtige ausgerichtet werden. Die republikanische Art der Willensbildung in festgefügten Parteien (Carl Schmitt) 516, die als solche republikwidrig sind, würde den Weg zu republikgemäßen Gesprächskreisen, den liberalen Parteien im Sinne Schmitts 517, ebnen; denn sie würden die Oligarchisierung in den Parteien be-, wenn nicht verhindern. Kant hat die republikanische Regierungsart der herrschaftlichen Monarchie ebenfalls als richtigen Schritt zur Republik begrüßt 518. Die Parteien müssen genötigt werden, ihre Parteilichkeit und Cliquenhaftigkeit, ihre Faktiosität519, aufzugeben. Parteiliche Bündnisse sollten als kriminelle Vereinigungen bestraft werden, wenn sie zu Verbrechen gegen die Republik werden, weil sie besonderen Interessen, nicht aber dem Gemeinwohl dienen. In die Parteien muß das staatsmäßige Amtsprinzip, das untrennbar mit der Nicht-Identifikation, der Neutralität, verbunden ist, eingehen520. Nicht nur die Staatswalter haben ein Amt, sondern wie jeder Bürger als Person des Staates auch und erst recht jedes Mitglied einer Partei als sogenannter Aktivbürger 521. Kein Parteimitglied darf an seiner sittlichen Pflicht, selbständig zur Erkenntnis des Wahren und Richtigen beizutragen, an seiner Willensautonomie, gehindert werden. Im Gegenteil, die Parteien müssen moralische Anstalten zur Förderung der Republik werden. Das Wort Partei rechtfertigt die sich mit besonderen Interessen identifizierende Parteilichkeit nicht. Als Teil des Ganzen ist die Partei wie die anderen Teile auf das Ganze ausgerichtet. Die Partei ist in der Republik nur legitim, 516

Der Hüter der Verfassung, S. 83, 87 ff. Der Hüter der Verfassung, S. 83 und ff. 518 Zum ewigen Frieden, S. 206 ff.; dazu 1. Teil, 2. Kap., S. 11 ff. 519 Zur geschichtlichen und begriffsgeschichtlichen Differenzierung, aber auch Identifizierung von Partei und Faktion Κ v. Beyme, Partei, Fraktion, S. 677 ff.; RA. Hermens, Verfassungslehre, S. 165 ff. 520 Ganz so H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 367 ff.; zum republikanischen Amtsprinzip 2. Teil, 6. und 8. Kap., S. 113, 1148 ff., 137 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; auch 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 612 ff., 621 f. 521 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 367 ff.; D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 25; ders., Aspekte des bürgerlichen Charakters, S. 10 ff., 27; i.d.S. so auch J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit - Republikanische Tugend, S. 72 f.; dazu 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 612 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 674 ff. 517

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

wenn sie sich republikanisch verhält, d.h. sie muß diskursiv daran teilnehmen, das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit durch Gesetze zu verwirklichen 522, also dem Gemeinwohl zu dienen, den Interessenausgleich zu fördern. So steht es auch in den Parteiprogrammen 523. Aber das bedarf der adäquaten Gestaltung der Willensbildung der Parteien, die es nicht gibt 524 . Republikanische Pflicht jedes Bürgers ist es, jederzeit für die Wahrheit und das Richtige Partei zu ergreifen 525. "Parteien", denen Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG zugesteht, "an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken", sind, republikanisch begriffen, offene und öffentliche Gesprächskreise von Bürgern, die sich um die Erkenntnis des Rechts auf der Grundlage der Wahrheit bemühen526. Carl Schmitt hat die Partei im Sinne des liberalen Verfassungsstaates als offenen Gesprächskreis charakterisiert. Zu dieser gehöre es, "daß sie ein auf freier Werbung beruhendes, also nicht festes, nicht zu einem ständigen, permanenten und durchorganisierten sozialen Komplex gewordenes Gebilde ist. Sowohl die 'Freiheit' wie die 'Werbung' verbieten, der Idee nach, jeden sozialen oder ökonomischen Druck und lassen nur die freie Überredung sozial und wirtschaftlich freier, geistig und intellektuell selbständiger, eines eigenen Urteils fähiger Menschen als Motivation zu. Diese in den bürgerlich-rechtsstaatlichen Verfassungen bis auf den heutigen Staat vorausgesetzte Vorstellung von einer Partei liegt auch den Normierungen der geltenden Reichs Verfassung zugrunde."- Carl Schmitt 527 Das ist noch für den Parteibegriff unter dem Grundgesetz richtig. Als Gesprächskreise von Bürgern sind Parteien im formalsten Sinne ihres

522 Zu diesem Zweck des Staates 3. Teil, 3. Kap., S. 193 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 236 f.; 4. Teil, 3. und 4. Kap., S. 299 ff., 346 ff.; 7. Teil, 4. Kap., S. 574 ff. 523 CDU, Ludwigshafener Programm vom 23 - 25.10.1978, V, S. 115 ("Aufgabe des Staates, das Wohl des einzelnen Bürgers und der Gemeinschaft zu fördern."), S. 116 f. ("Sie (sc. 'alle Staatsgewalt') ist verpflichtet, für das Wohl des Volkes zu handeln."); SPD-Godesberger Programm vom 13. - 15.11.1959, S. 6 ("Das Interesse der Gesamtheit muß über dem Einzelinteresse stehen"), S. 9 ("Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung sind getrennt voneinander dem Wohl des Ganzen verpflichtet."). 524

Zum Defizit innerparteilicher Demokratie 8. Teil, 5. Kap., S. 779 ff.; 10. Teil, 4. Kap S. 1086 ff. 525 Ganz i.d.S. R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 334, unter Hinweis auf ein Gesetz Solons, das die Bürger verpflichtet, in einem Bürgerzwist Partei zu ergreifen. 526 W. Leisner, Der Führer, S. 187, allerdings hält "unbewegliche politische Diskussionsclubs" nicht für Parteien; zum Offenheitsprinzip M. Reichel, Das demokratische Offenheitsprinzip und seine Anwendung im Recht der politischen Parteien, 1993. 527 Der Hüter der Verfassung, S. 83.

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Begriffs, nämlich als Teile der Gesamtheit des Volkes, diskursethisch förderlich. Einer festen Organisation, wie sie § 2 Abs. 1 PartG verlangt, bedarf das nicht 528 . Eine solche wird nach aller Erfahrung besonderen Interessen dienstbar gemacht, im Falle der Parteien den Interessen der Oligarchie. Die Oligarchie will sich stabilisieren und pflegt zu diesem Zweck die Partei zu bürokratisieren. "Statt dessen sind heute die meisten größeren Parteien teils selbst feste, durchorganisierte Gebilde, teils stehen sie in einem durchorganisierten sozialen Komplex, mit einflußreichen Bürokratien, einem stehenden Heer bezahlter Funktionäre und einem ganzen System von Hilfs- und Stützorganisationen, in welchen eine geistig, sozial und wirtschaftlich zusammengehaltene Klientel gebunden ist." - Carl Schmitt 529 Offene Gesprächskreise werden einem republikanischen Parteibegriff i.S.d. Art. 21 Abs. 1 GG gerecht. Argumentierende Gruppen, die den öffentlichen Diskurs veranstalten, sind unentbehrlich 530. Bündnisse, die Abstimmungen absprechen, müssen aus ihnen verbannt werden. Jeder Gesprächsteilnehmer muß offen sein für die Argumente und seine Meinung zu seiner eigenen Sache machen531. Formelle Führung muß in den Parteien gesetzlich ausgeschlossen werden. Erwägenswert wäre die Entwicklung staatlicher Vereinigungs- und Versammlungsleiter, die zur politischen Neutralität verpflichtet sind, aber die Rechtlichkeit der politischen Willensbildung sicherzustellen haben. Wenn die Verbandsvorsitzenden die geborenen Parlamentsabgeordneten sind und damit ihre beruflichen Interessen realisieren, ist der unfaire Wettbewerb um diese Stellung geradezu institutionalisiert. Die Offenheit der Gesprächskreise verbietet ausschließende Mitgliedschaften 532 . Das Gespräch dient der Erkenntnis durch das kritische Argument.

528

A.A. Praxis und herrschende Lehre, BVerfGE 3, 383 (403); 47, 198 (222); 74, 44 (50); 79, 379 (384); vgl. auch 24, 260 (263 ff.); 24, 300 (361); W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 5 ff., 15 ff., 40 ff. zu Art. 21. 529 Der Hüter der Verfassung, S. 83. 530 I.d.S. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 368; D. Sternberger, Vorschlag und Wahl, S. 415 f.; auch C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff.; i.d.S. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 331 f.; i.d.S. schon Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Methodenlehre, S. 289; weitere Hinweise zu diesem Gesichtspunkt in Fn. 88, 3. Kap., S. 1062; 8. Teil, 3. Kap., S. 713 mit Fn. 389. 531 Dazu 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff., insb. S. 604 ff.; 8. Teil, 5. Kap., S. 799 ff. 532 Diese kritisiert M. Reichel, Das demokratische Offenheitsprinzip und seine Anwendung im Recht der politischen Parteien, S. 145 ff.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

"Politisch zu sein, in einer Polis zu leben, daß heißt, daß alle Angelegenheiten vermittels der Worte, die überzeugen können, geregelt werden und nicht durch Zwang oder Gewalt." - Hannah Arendt Die Öffentlichkeit der Gespräche soll der Allgemeinheit die Chance geben, zur Erkenntnis des Rechts beizutragen. Der Wille des Volkes ist der allgemeine Wille, der geeinte Wille aller Bürger, der gesetzgebend ist 534 . Politisch ist in der Republik allein die gemeinsame Erkenntnis des Rechts, die Einigkeit der Willen aller über das, was für das gute Leben aller und die Freiheit aller richtig ist. Diese Einheit der Willen, an deren Bildung die Parteien mitwirken dürfen und sollen, verbietet es, irgendjemandem aus dem Gespräch, dem Diskurs, aus dem Erkenntnis verfahren auszuschließen, wo immer die politische Willensbildung des Volkes stattfindet; denn Parteilichkeit kann ihrem Begriff nach nicht zur Einigkeit der Allgemeinheit finden. Autonomie des Willens, also Freiheit, kann nur durch Mitwirkung aller wirklich werden, weil die Gesetze nur Recht sein können, wenn alle ihnen zugestimmt haben oder zumindest hätten zustimmen können535. "Quod omnes tangit, ab omnibus approbatur", lehrt das Konsensprinzip 536. Parteiliche Parteien machen die Gesetzgebung zu ihrer eigenen Sache. Ihre Oligarchien bevormunden das Volk. Sie entmündigen die Bürger und entwürdigen sie dadurch 537. "Die Parteienoligarchie will die Sicherung ihrer selbst. Sie identifiziert sich mit dem Staat an sich und mit dem Volk." - Karl Jaspers 538 Die Vermittlung des Willens des Volkes mit dem des Staates, wie das parteienstaatlich ideologisiert wird 539 , gelingt nicht, abgesehen davon, daß der Wille des Volkes und der Wille des Staates, republikanisch begriffen, identisch ist und wesentlich durch organschaftliche Vertretung materialisiert 533

Vita activa, S. 30, vgl. auch S. 164 ff. zum Handeln und/als Sprechen. Dazu 7. Teil, 1., 4. u. 5. Kap., S. 519 ff., 560 ff., 584 ff.; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 637 ff., 707 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 5. Teil, 3., 4. u. 6. Kap., S. 275 ff., 325 ff., 410 ff. 535 Vgl. die Hinweise in Fn. 534; vgl. J. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 12 ff. 534

536 W. Leisner, Der Führer, S. 187, hält den (anderen) Satz: "quod omnes tangit ab omnibus decidetur", als Forderung für "den Grundfehler des Radikaldemokratismus", das "Mißverständnis der 'innerparteilichen Demokratie'". 537 H.H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 21/90, S. 25 ff., 36; ders., Ist die Kritik an den politischen Parteien berechtigt?, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/93, S. 14 ff.; ders., Volk ohne Diener. Was schert die Politiker das Wohl des Volkes?, 1988, S. 17 ff. 538 Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 143; i.d.S. auch R. v. Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 164, 178 ("Machtversessenheit"). 539

8. Teil, 5. Kap., S. 792 f. mit Fn. 812; auch 10. Teil, 2. Kap., S. 1056 f. mit Fn. 60 f.

8. Kap.: Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

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wird 540 . Institutionen, wie sie das Parteiengesetz vorsieht, dürfen die Willensbildung des Volkes nicht behindern. Die republikanische Partei müht sich um das Recht und sucht darum den allgemeinen Diskurs um das Recht. Sie versagt sich jedem Sonderinteresse und verachtet die persönliche Herrschaft. § 2 Abs. 2 PartG macht die Rechtsstellung der Partei davon abhängig, daß die Bürgervereinigung sich in gewissem Maße mit eigenen Wahlvorschlägen an Bundestags- oder Landtagswahlen beteiligt541. Für das einfache Parteienrecht ist diese Begriffsreduktion wegen der "Privilegien" der Parteien, insbesondere wegen der Parteienfinanzierung (§§18 ff. PartG), bedeutsam, im Grundgesetz findet sie keine Stütze, mit dem republikanischen Prinzip ist sie unvereinbar. Das Wahlvorschlagswesen setzt keine Parteien voraus, wie die nichtparteilichen Kandidaten beweisen542, jedenfalls nicht festgefügte Parteien im Sinne des Parteiengesetzes. III. Wider die politische Verbindlichkeit von Parteitagsbeschlüssen Gegenwärtig verlagert die Personalunion von parteilichen Funktionären und Staats waltern die Entscheidungen aus dem Staat (i.e.S.) in die Parteien, weil und soweit die Staatswalter faktisch nicht vom Volk, sondern von ihren Parteien abhängig sind. Das hat zur Parteitagsdemokratie geführt, die deutlicher Ausdruck der demokratie- und republikwidrigen Entwicklung des Parteienstaates ist 543 . Parteitage entscheiden in ihrer willkürlichen Zusammensetzung regelmäßig über Koalitionen und damit Regierungen, ohne irgendeine verfassungsgestützte Kompetenz aufweisen zu können. Sie entmachten die Parlamente und können das, weil die Abgeordneten sich von ihnen abhängig machen, indem sie ihre Pflicht dem ganzen Volk gegenüber ignorieren.

540 Dazu 8. Teil, 1. und 3. Kap., S. 650 ff., 707 ff., insb. S. 714 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; vgl. die Hinweise in Fn. 534. 541 Dazu und dafür W Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 34 f. zu Art. 21; so vor allem BVerfGE 24, 260 (263 ff.); 24, 300 (361); vgl. auch die Hinweise in Fn. 32, 1. Kap., S. 1050. 542 Dazu KA. Schachtschneider, Das Nominationsmonopol der Parteien in Berlin, JR 1975, 89 ff.; BVerfGE 41, 399 ff.; Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. I l l , S. 106 ff., kritisch zum Parteienbegriff des § 2 PartG. 543 Dazu Willy Brandt, Was soll das Gerede vom Parteitagsstaat? Vorwärts, 13.10.77, abgedruckt in: H. Kaack/R. Roth, Hdb. des deutschen Parteiensystems, Bd. 1, 1980, S. 310 ff.; keine Sorgen bereitet der "Parteitagsstaat" W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 75 zu Art. 21; dazu auch 8. Teil, 2., 3. und 5. Kap., S. 685 ff., 712 ff., 772 ff., insb. S. 810 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 14 ff., insb. S. 45 ff.; 3. Teil, 1. Kap., S. 159 ff.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Die politische Verbindlichkeit von Parteitagsbeschlüssen unterläuft die Verfassung. So vermochte es 1988 der SPD-Kandidat für das Amt des Präsidenten des Hamburger Senats (Erster Bürgermeister), Henning Voscherau, die SPD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft politisch auf die "Wahl" von SPD-Senatoren, die er vorgeschlagen hatte, auszurichten. Nach einem Anhang zum Organisationsstatut der Hamburger SPD vom 3. 6. 1988 ist der "Bürgermeisterkandidat" allein für die "Senatsbildung" "vorschlagsberechtigt". Sein "Gesamtvorschlag bedarf in offener Abstimmung der Zustimmung des Landesparteitages. Änderungsanträge sind nicht zulässig". Die Wahl des Spitzenkandidaten und der Senatsmitglieder "gilt als Empfehlung an die sozialdemokratischen Senatsmitglieder sowie die SPD-Bürgerschaftsfraktion". Diese parteiliche Verbindlichkeit unterläuft, obwohl nach Nr. 3 des Beschlusses dieser "die verfassungsrechtliche Stellung der Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft und die der Senatsmitglieder nicht berührt" und auch rechtens schlechterdings nicht berühren kann, Art. 34 der Hamburger Verfassung. Danach sollen die Senatoren von der Bürgerschaft gewählt werden und zwar einzeln. Eine bürgerschaftliche Wahl im materiellen Sinne findet nach einer Empfehlung des Landesparteitages nicht mehr statt. Die Mitglieder der SPD-Fraktion haben politisch keine Möglichkeit mehr, gegen einen von ihrem Landesparteitag gewählten Kandidaten zu stimmen. Statutarische Vorschriften der Partei setzen sich gegen die Verfassung durch. Die parteipolitische Verbindlichkeit behauptet sich gegen die Gewissenspflicht des Abgeordneten, der das ganz Volk zu vertreten hat. Die Parteiregierung ist institutionalisiert, wenn auch nur durch Parteistatut und wider die Verfassung. Die F.D.P-Fraktion hatte sich im übrigen prinzipiell, wie üblich, dem Senatsvorschlag des Koalitionspartners gefügt, allerdings im Vorfeld einen Kandidaten der SPD, Andreas von Schoeler, zurückgewiesen und damit ihr bürgerschaftliches Wahlrecht zwar außerhalb des verfassungsgemäßen Verfahrens, aber doch erfolgreich reklamiert. Die Fraktionen der CDU und der GAL wurden in die Senatorenauswahl politisch nicht einbezogen, obwohl sie zur Bürgerschaft gehören und rechtens Verantwortung für die Senatoren tragen. Der Präsident des Senats selbst wurde parteilich gekürt und entgegen Art. 41 Abs. 1 S. 1 der Hamburger Verfassung materiell nicht vom Senat "aus seiner Mitte in geheimer Abstimmung" gewählt. Die Wahl im Senat war rein formal, die Geheimheit der Abstimmung eine Farce. Diesem Ersten Bürgermeister mangelte materiell die demokratisch-republikanische Legitimation; er hatte nur die seiner Partei, der SPD, und die des Koalitionspartners, der F.D.P., und damit eine mehrheitsideologische Legitimation, ohne daß freilich die Mehrheit der Hamburger hinter ihm steht. Dieser Vorwurf, für den sich als Beispiele auch andere

8. Kap.: Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

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Regierungsbildungen anführen ließen, wäre nicht schon begründet, wenn ein Regierungsmitglied lediglich von der Mehrheit des Parlaments gewählt wird, weil dieses über die geeignete Persönlichkeit keinen Konsens erzielt hat. Der moralische Verfassungsvorwurf bloß formalen Parlamentarismus gründet in der die Unabhängigkeit der Abgeordneten verdrängenden parteipolitischen, aber rechtswidrigen Verbindlichkeit parteilicher Entscheidungen, die soweit geht, daß die Personalvorschläge der Oppositionsparteien nur noch für das parlamentarische Ritual bedeutsam sind. Die Politik muß in jeder Weise das Recht verwirklichen, formal und materiell. Vor allem Karl Jaspers hat vor der bloß "formalen Demokratie" gewarnt 544. IV. Wider die Berufs(partei)politiker Die Stabilisierung ihrer Stellung in der Partei ist für die sogenannten Berufspolitiker, deren berufliche Basis die Partei ist, unverzichtbar; denn sie haben mangels altersadäquater Qualifikation in der Regel keine angemessene berufliche Alternative 545. "Nur wenige Politiker waren etwas, bevor sie durch die Politik etwas wurden." - Heinrich Krone 546 Politik ist aber Sache aller Bürger. Die Berufspolitiker, die das Bundesverfassungsgericht im Diätenurteil 1975 gestützt hat 547 , verzerren die Republik durch ihre Berufsinteressen, die der politischen Gleichheit aller Bürger und damit der allgemeinen Sittlichkeit entgegengesetzt sind. Beruflichkeit verträgt sich schlechterdings nicht mit regelhaftem Amtswechsel548. Sie behindert die politische Willensbildung, die schon wegen ihrer sachlichen Offenheit der personalen Beweglichkeit bedarf. Der Professionalisierung der Mandatsträgerschaft muß das Recht entgegenwirken, damit die Klasse von Berufspolitikern verschwindet, welche sich den Bürgern entgegenstellt, wie es die Wirklichkeit des entwickelten Parteienstaates ist 549 . 544

Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 213; Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 162. R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 116; H.H. v. Arnim, Entschädigung und Amtsausstattung, S. 552 Fn. 81; i.d.S. auch R. v. Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 150; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 48 ff., 116 ff., 148 ff. 546 Zitiert nach R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 119. 547 BVerfGE 40, 296 (310 ff.); BVerfGE 76, 256 (341 ff.) hat die Pflicht zur Vollalimentierung 1987 relativiert, zu spät; dazu H.H. Klein, HStR, Bd. II, S. 372 ff. ("Der Beruf des Parlamentariers"), S. 386 f.; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 81 f. zu Art. 21; kritisch H.H. v. Arnim, Entschädigung und Amtsausstattung, S. 253 ff.; ders., Die Partei, der Abgeordnte und das Geld, S. 135 ff., 275 ff.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 115; dazu auch Fn. 549. 545

548

Zum Vorschlag des Aristoteles, den ständigen Wechsel der Amtsinhaber zu institutionalisieren, 8. Teil, 1. Kap., S. 663 ff.; 7. Teil, 1. Kap., S. 529.

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Die übergroßen Parlamente in Bund und Ländern bieten hinreichend vielen begehrlichen Parteigängern einträgliche Berufschancen, überaus aufwendig und zum Schaden der Erkenntnisfähigkeit der Parlamente. Ein Bundestag mit etwa 100 Abgeordneten könnte ein funktionsfähiges Parlament bilden, freilich nicht die Stabilität der Parteienoligarchie garantieren. Die Stärkung des echten Parlamentarismus würde Einsparungen jährlich in Milliardenhöhe erbringen. Die Länderparlamente haben sich durch die Verlagerung fast aller Gesetzgebungskompetenzen auf die Europäische Gemeinschaft und den Bund ohnehin weitestgehend überflüssig gemacht. Als Einrichtungen der Exekutivkontrolle versagen sie zwangsläufig im dualistischen Parteienstaat, weil die Funktionenordnung nicht wirklich gewaltenteilig ist. Der Ministerpräsident wird ohnehin plebiszitär gewählt. Die Untersuchungsausschüsse werden zur Verteidigung der Partei(en)regierung mißbraucht und versagen als Kontrollinstrumente des Parlaments usw.. Immerhin vermitteln die Parlamente die parteienstaatliche Legitimation der Wahlen für die Exekutive, insbesondere für die Regierung, und stehen unerträglichen Entwicklungen, welche die öffentliche Meinung empören, d.h. die Wiederwahl gefährden, entgegen. Ohne echten Parlamentarismus braucht man jedoch keine Parlamentarier. Professionelle Politiker tendieren zur Meinungsverweigerung, weil eigene Theorien und Urteile Kritik auf sich ziehen, angreifbar machen und damit den immer von Wahlen abhängigen Beruf in Gefahr bringen. Meinungslosigkeit disqualifiziert zwar politisch, nicht aber beruflich, wenn die berufliche Stellung stabil ist. Eine stabile, quasi-beamtete, parteiliche Oligarchie hat sich von Meinungen und damit von der Politik unabhängig gemacht. Sie verhindert demokratische politische Willensbildung des Volkes, der die Parteien dienen sollen, gerade, weil sie ständig bemüht ist, diese zu monopolisieren. Meinungsmonopol und Meinungslosigkeit schließen sich nicht aus; vielmehr schafft ihre Verbindung politische Stagnation und stabilisiert unter dem Verhältniswahlsystem die Wahlchancen, freilich nur in Zeiten ohne größere Veränderungen. Die Meinungslosigkeit verbirgt das Meinungsmonopol, welches wiederum Wahlchancen gefährdende Meinun-

549

Gegen den Typ Berufspolitiker auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 112 ff. (vgl. das Zitat von S. 117 f.); G. Hofmann, Politik als Beruf. Bonner Beobachtungen, in: J. Raschke (Hrsg.), Bürger und Parteien, Aussichten und Analogien einer schwierigen Beziehung, 1982, S. 63 ff.; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 48 ff., 116 ff., 170 ff.; H. Apel, Die deformierte Demokratie, S. 238 ff.

8. Kap.: Aspekte eines republikanischen Parteien- und Wahlrechts

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gen nicht zum Zuge kommen läßt. Die Meinungsruhe kommt dem kleinbürgerlichen Interesse an Ruhe, d.h. politischer Bewegungslosigkeit, entgegen und fördert damit, wenn es den meisten denn gut geht, die Wahlchancen. Der Diskurs in der Partei nützt somit den wirklichen Interessen der Bündnispartner nicht, ganz abgesehen davon, daß die meisten Abgeordneten überfordert wären, wenn man von ihnen eigene Theorien oder Urteile verlangen wollte; denn den Berufsparlamentariern fehlt es meist an der spezifischen Berufsqualifikation 550 . Erwin K. und Ute Scheuch haben einen Trend zu "weichen Themen" beobachtet, der der "Invasion der Kulturberufe", insbesondere der Lehrer, in den Parteien entgegenkomme, die "statt Sachkompetenz kommunikative Kompetenz" mitbrächten, zumal weiche Themen (etwa "fehlende Wärme zwischen Menschen") mit "Medienlob" bedacht würden. Sachfragen würden moralisiert, weil das kein Expertentum erfordere 551 . V. Wider die Parteienfinanzierung festgefügter Parteien Eine staatliche Parteienfinanzierung 552 läßt sich aus der "öffentlichen Aufgabe" (§ 1 Abs. 1 S. 2 PartG) der Parteien rechtfertigen. Die Parteien sollen dadurch zur allgemeinen Freiheit beitragen, daß sie Gesetze erarbeiten, die das Rechtsprinzip verwirklichen. Das ist "Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes" (§ 1 Abs. 1 S. 2, auch § 2 Abs. 1 S. 1 PartG, Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG) 5 5 3 . Die gegenwärtige Ausgestaltung der Parteienfinanzierung stößt insbesondere wegen der Höhe auf Bedenken, weil sie die Parteioligarchien von den Parteimitgliedern weitgehend finanziell unabhängig macht. Republikanisch sind die Parteien erst, wenn sie "Vereini-

550 Dazu R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 120 ff.; H. Hamm-Brücher, Der Politiker und sein Gewissen, 1983, S. 47; dies., Abgeordneter und Fraktion, S. 693 ff., mit Bezug auf D. Lattmann, Die Einsamkeit des Politikers, Zitat, a.a.O., S. 693; R. v. Weizsäcker, Der Parteienstaat, S. 150, der lediglich eine äußerst negative Qualifikation zu nennen vermag, "das Speziai wissen, wie man politische Gegner bekämpft", ein Wissen, das in einer Republik disqualifiziert. 551

Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 122 f. Dazu BVerfGE 8, 51 ff.; 20, 56 ff.; 24, 300 ff.; 52, 63 ff.; 73, 40 ff.; 84, 264 ff.; H.H. v. Arnim u.a., Parteienfinanzierung, 1982; dersVerfassungsfragen der Parteifinanzierung, JA 1985, 121 ff., 207 ff.; ders. auch, Staatliche Fraktionsfinanzierung ohne Kontrolle?, 1987, S. 9 ff.; ders., Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S. 991; ders., Ist die Kritik an den politischen Parteien berechtigt?, S. 19 ff.; kritisch H. Hofmann, HStR, Bd. I, S. 314 f.; Ph. Kunig, HStR, Bd. II, S. 136 ff.; H. Apel, Die deformierte Demokratie, S. 100 ff.;W Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 313 ff. zu Art. 21, nicht völlig unkritisch, etwa Rdn. 337; im Sinne des Textes K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 135 f. 553 Dazu 8. Teil, 5. Kap., S. 776 ff.; 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 552

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

gungen von Bürgern" (§ 2 Abs. 1 S. 1 PartG) sind, die sich um die Erkenntnis des Rechts als des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit und um die Auswahl der Richtigen für die der Freiheit dienenden staatlichen Ämter mühen. Dieses Gemeinwohl fördern vielfältige, offen und öffentlich wetteifernde Gespräche 554 . Der Wettbewerb der bürgerlichen Vereinigungen um das Richtige und die Richtigen ist republikanisch 555 . Ein solcher Wettbewerb muß die Regeln des Diskurses achten. Sein Mittel in Sachfragen ist das Argument, sein Maßstab in Personalfragen die moralische Kompetenz 556 . Feste Mitgliedschaften dienen dem Diskurs nicht. Wahrheit und Richtigkeit muß jede Chance gegeben werden. In diesem Sinne ist die Funktionsfähigkeit der politischen Willensbildung des Volkes auch finanziell zu fördern, nicht aber die republikwidrigen parteilichen Parteien, wie es die §§ 18 ff. PartG bewirken, die etwa einer parteiinternen Opposition keinerlei finanzielle Unterstützung aus den staatlichen Mitteln sichern, obwohl sie oft die eigentlichen Anreger der Willensbildung sind. Hans Herbert von Arnim hat die Mängel der Politik- und Parteifinanzierung in ihrer vielfältigen und raffinierten Form publiziert, ein dankenswerter Beitrag zur Republik, auf den ich verweise 557 . V I . Die Entparteilichung der Parteien Die Aufgabe "politischer Willensbildung des Volkes" kann es nicht rechtfertigen, daß verbündete Menschen, als Partei privilegiert, besondere Interessen durchsetzen können, schon gar nicht das formalste besondere Interesse, die persönliche Herrschaft, die schlechterdings nicht das allgemeine Interesse des Volkes sein kann. Der Wille des Volkes ist in der Republik das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit. Die Herrschaft Einzelner hebt diese allgemeine Freiheit auf.

554 In diesem Sinne R. Mohl, Enzyklopädie der Staatswissenschaften, 2. Aufl. 1872, S. 655; vgl. C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 59; ebenso i.d.S. die gemeinwohlbezogene, auf Nicht-Identifikation abgestimmte Parteienlehre von H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 367 ff., und S. 571; i.d.S. auch Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 289; dazu 2. Teil, 11. Kap., S. 156 ff.; 7. Teil, 5. Kap., S. 584 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 713, 716 f. 555

Ganz C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 83 ff., im Sinne des liberalen Verfassungsstaates. 556 So auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 369 f.; für das Argument J. Habermas, Ist Legitimität durch Legalität möglich?, S. 12 ff.; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 130 ff.; K. Jaspers, Wahrheit, Freiheit und Friede, S. 161 ff. 557 Vgl. die Hinweise in Fn. 552, S. 1167.

9. Kap.: Justizgewährungsanspruch und Parteigerichtsbarkeit

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Solange es festgefügte Parteien gibt, sollten jedenfalls Parteifunktion und Staatsamt durchgehend inkompatibel sein 558 . Die Personalunion nimmt dem parteilichen Funktionär, der zugleich staatlicher Amtswalter ist, für beide Aufgaben die Unbefangenheit. Ein Parteienrecht, das die Entparteilichung der Parteien leistet, indem es bündnishafte Verhältnisse verhindert, wäre ein Weg in die Republik 5 5 9 . Der parteienstaatliche Gesetzgeber ist damit, wie er durch sein Parteiengesetz 1967 und dessen Änderungen bewiesen hat, überfordert. Wiedereinmal ist das Bundesverfassungsgericht als der das Volk vertretende Hüter der Verfassung gefordert 560 , aber auch jeder Bürger durch seine die Parteilichkeit überwindende Politik. Die Bürgerschaft muß sich ihrer Pflicht als eigentlicher Hüter der Verfassung bewußt werden, wenn sie ihre Freiheit verteidigen will. Res publica res populi.

9. Kapitel Die Verkürzung des Justizgewährungsanspruchs durch die Parteigerichtsbarkeit Ein Schritt hin zur Republikanisierung der Parteien wäre die kompetenzielle Eingrenzung der Partei(schieds)gerichte, die jedenfalls keine Schiedsgerichte im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO sind 5 6 1 , weil es regelmäßig an der Disponibilität der strittigen Rechte, vor allem aber wegen § 14 PartG an der des parteigerichtlichen Verfahrensweges mangelt. Die staatlichen (ordentli-

558

I.d.S. auch E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 123, für Beamte und Journalisten; ganz anders W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 73 ff. zu Art. 21. 559 Gesetzgeberische Schritte im Interesse der Realisierung des Repräsentationsgebots regt auch H.H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 396 ff., an. 560 Zum Streit um den Hüter der Verfassung C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931; H. Kelsen, Wer soll Hüter der Verfassung sein?, Die Justiz 1931, 576 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 182 f., Staatsrecht II, S. 952 f.; im Sinne des Textes H. Meyer, HStR, Bd. II, S. 265 f.; auch K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 214. 561 OLG Oldenburg DVB1 1976, 941 ff. mit Anm. von W. Henke; OLG Frankfurt DVB1. 1971, 75 ff. = NJW 1970, 2250 ff.; in der Sache auch BGH NJW 1989, 1212; zur Gerichtsqualität der Parteischiedsgerichte, ablehnend, W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 102 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 310 zu Art. 21; R. Wolfrum, Die innerparteiliche Ordnung nach dem Parteiengesetz, S. 166 ff., 175 ff. 74 Schachtschneider

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10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

chen) Gerichte drängen die Parteigerichte zunehmend zurück, wenn und weil die Verzögerung des Rechtsschutzes unzumutbar wird 5 6 2 . Die Parteien sind an der Ausdehnung ihrer Kompetenz aus § 14 PartG interessiert. Auf die Parteigerichte können sie parteilichen Einfluß, jedenfalls bei der Wahl der Parteirichter, ausüben. Die Parteirichter haben sich vielfach, vor allem in den unteren Instanzen, als parteiliche Richter erwiesen. Die Parteigerichtsbarkeit erlaubt es, parteiinterne Streitigkeiten um des äußeren Scheins von Einigkeit willen vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Dem dient etwa § 27 ParteigerichtsO der CDU, der die Öffentlichkeit prinzipiell ausschließt und die Vertraulichkeit der Verhandlungen vorschreibt 563 . Die Öffentlichkeit darf nur ausgeschlossen werden, wenn die allgemeinen Gründe dafür vorliegen, die Art. 6 Abs. 1 S. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 nennt. Parteiliche Interessen rechtfertigen Geheimverfahren nicht. "Geheimgerichte sind Scheingerichte." - René Marcie 564 Die Erkenntnis des Rechts verlangt die Publizität 565 ; denn das Recht ist res publica. Die Vertraulichkeitsmaxime verkennt den staatlichen Charakter der Parteien, deren Vorgänge alle angehen 566 . Die Parteigerichte geben keinen gerichtlichen Rechtsschutz und üben keine rechtsprechende Gewalt im Sinne des Art. 92 GG 5 6 7 . Sie sind keine Gerichte im eigentlichen Sinne 568 . Ihnen fehlen dafür, wenn man Art. 97 Abs. 2 GG zum Maßstab nimmt, wesentliche Merkmale, insbesondere die hinreichende Sicherung der Unabhängigkeit der Parteirichter vor allem von der eigenen Partei. Nur eine langzeitige Aufgabenübertragung ohne die Möglichkeit der Wiederwahl und der endgültige Ausschluß von späteren Parteiämtern vermag die rechtliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Außer 562 Kammergericht, NJW 1988, 3159 ff.; Kammergericht, Urteil vom 28.11.1988, AktZ. II ZR 96/88; so schon BGH NJW 1967, 1268 f.; auch BGH NJW 1989, 1219. 563 Kritik, gestützt auf die Meinungsfreiheit, bei H.K. Hasenritter, Parteiordungsverfahren, S. 195 ff.; J. Risse, Der Parteiausschluß, S. 185 f.; auch P. Häberle, Öffentlichkeit im demokratischen Staat, S. 145 f.; auch N. Heimann, Die Schiedsgerichtsbarkeit der politischen Parteien, 1977, S. 42 ff. 564 Rechtsphilosophie, S. 245. 565 I.d.S. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 244 ff., 248 ff. 566 Dazu 10. Teil, 1. Kap., S. 1045 ff. 567 K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 810. 568 W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, S. 102 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 310 zu Art. 21; R. Wolf rum, Die innerparteiliche Ordnung nach dem Parteiengesetz, S. 166 ff., 175 ff.; J. Risse, Der Parteiausschluß, S. 167 f.; unklar K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 811.

9. Kap.: Justizgewährungsanspruch und Parteigerichtsbarkeit

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regelmäßig die Vorsitzenden haben die Parteirichter nicht die Befähigung zum Richteramt, u.a.m. Die Parteigerichte sind Parteiorgane 569 und damit parteilich und nicht neutral. Rechtsprechende Gewalt kann prinzipiell nur durch staatliche Richter, deren Richteramt auch ihr Beruf ist, ausgeübt werden (Art. 92 Abs 1 GG ) 5 7 0 . Die Parteigerichte verzögern, wenn (auch) das staatliche Recht ihr Entscheidungsmaßstab ist, den Schutz der Freiheit, deren Schutz Zweck des Staates ist, vor allem den Schutz des Rechts auf innere Demokratie der Parteien (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG) als einer Materialisierung der Freiheit. Das Grundgesetz gibt jedem ein Recht auf staatlichen Rechtsschutz, weil dieser dem Frieden dient; denn die Staatlichkeit dient dem Frieden. Nur der Staat hat das Recht, verbindliche und dadurch befriedende Entscheidungen zu treffen, wenn der Einzelne nicht zustimmt. Der Staat muß folglich das Recht effektiv schützen; denn wenn jemand auf sein Recht verzichten müßte, weil er es selbst nicht verfolgen darf, der Staat es aber nicht schützt, wäre er nicht frei 5 7 1 . Verzögerung des Rechtschutzes ist Verweigerung des effektiven Rechtschutzes, den eine rechtstaatliche Justiz zu gewähren hat 5 7 2 . "Neuntens gehört es zur höchsten Gewalt, alle Rechtshändel der Wahrheit und den Rechten nach zu untersuchen und alle Streitigkeiten zu entscheiden, mit einem Worte: das Richteramt. Gäbe es dieses nicht, wären die Bürger gegen Unrecht nicht gesichert; die Gesetze über das

569

So auch K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 811, für die Verhältnisse Mitglied/Nichtmitglied zum Verband; W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 310 zu Art. 21 ("besondere Organe der Parteien mit rechtsprechungsartigen Aufgaben"). 57 0

K. Stern, Staatsrecht II, S. 379, auch i.d.S. S. 902 ff., der die begrenzte Beteiligung von Laienrichtern mit der Tradition rechtfertigt (S. 904 f.), die aber mangels Rechtsgelehrsamkeit der Laien republikanisch nicht mehr tragfähig ist; dazu BVerfGE 27, 312 (319); 42, 206 (209) Ermessen des Gesetzgebers. 571

Zur Begründung der Justizgewährungsanspruchs i.S. des Textes E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 1025; i.S.d. Textes BVerfGE 54, 277 (297 f.); 84, 212 (227); vgl. Art. 8 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948; Art. 6 Abs. 1 S. 1 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950; zum sogenannten Gewaltmonopol, das als Grund des Justizgewährungsanspruchs genannt zu werden pflegt, 7 Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 57 2 K. Stern, Staatsrecht I, S. 838 ff., 841 f., 854; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. 1, S. 1024 ff.; W. Heyde, HVerfR, S. 1220 f.; M. Kloepfer, Verfahrensdauer und Verfassungsrecht, JZ 1979, 209 ff.; H. Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981, S. 287 ff.; dazu auch Ph. Kunig, Rechtstaatsprinzip, S. 441 f.; tendenziell so auch K.A. Bettermann, HStR, Bd. III, S. 810 ff.; vgl. BVerfGE 50, 16 (30); 53, 115 (127 f.); 54, 277 (291); 57, 9 (22); insb BVerfGE 55, 349 (369 f.); auch schon BVerfGE 46, 17 (28 f.).

74*

1172

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Dein und Mein wären ohne Kraft, und die Menschen blieben in dem Zustand des Krieges aller gegen alle." - Hobbes m So geht es praktisch den Mitgliedern von Parteien. Sie genießen keinen wirklichen Rechtsschutz. Die großen Parteien haben drei Instanzen parteilicher Gerichtsbarkeit eingerichtet ( § 2 Abs. 1 PGO-CDU, § 34 Abs. 1 S. 1 OSt SPD). Das verlängert die Prozeßdauer und verstärkt die rechtsschutzverzögernde, also republikwidrige Funktion der Parteigerichtsbarkeit. Darum sind die Kompetenzen der Parteigerichte zur verbindlichen Rechtsklärung auf Streitigkeiten 574 zu beschränken, deren Entscheidungsmaßstab allein die Satzung ist, wie es auch der Generalklausel des § 14 Abs. 1 PartG: "Streitigkeiten über Auslegung und Anwendung der Satzung", entspricht. Man kann von einer Kompetenz zur Satzungsklärung sprechen. Gegen Verletzungen des staatlichen Rechts durch die Parteien, insbesondere durch deren Satzungen, muß Rechtsschutz unmittelbar vor den staatlichen Gerichten ermöglicht werden. Der Bereich der Selbstverwaltung der Parteien wird sonst überschritten. Wenn die Satzung rechtswidrig ist, ist sie unwirksam 5 7 5 und kann nicht die Rechtsgrundlage parteigerichtlichen Satzungsschutzes sein. Parteiliche Organe dem staatlichen Rechtsschutz vorzuschalten, läßt sich durch nichts rechtfertigen. Es ist vor allem gleichheitswidrig. § 14 Abs. 1 PartG ist in diesem Sinne restriktiv zu interpretieren. Sonst genügt der Staat seiner Rechtsschutzpflicht nicht. Das schließt nicht aus, daß Parteimitglieder Rechtsklärung und Rechtsfrieden durch parteigerichtliche Entscheidungen suchen, welche auch die staatliche Rechtsordnung zum Entscheidungsmaßstab nehmen. Das wäre ein vorübergehender Verzicht auf die staatliche Justizgewährung, der jedoch nicht erzwungen werden darf 576 .

573

Leviathan, S. 162, vgl. auch S. 197. Zum Begriff Streitigkeiten K.A. Schachtschneider, Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht in Bund-Länder-Streitigkeiten, 1969, S. 2 ff.; W. Leisner, Der Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht, FG BVerfG, Bd. I, 1976, S. 262 f. mit anderer Ansicht; M. Goessl, Organstreitigkeiten innerhalb des Bundes, 1961, S. 54 ff. 575 Dazu W. Henke, GG, Bonner Komm., Rdn. 260 zu Art. 21, der das nicht auf § 134 BGB, sondern auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz stützt, daß zwingendes Recht die Privatautonomie einschränke (dazu 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., insb. S. 399 ff.; auch 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 6. Teil, 5. Kap., S. 466 ff.). 574

576

Zur Kritik der Parteigerichtsbarkeit D. Kressel, Staatsgerichtsbarkeit und Parteigerichtsbarkeit, Diss., demnächst.

10. Kap.: Die gerechtfertigte Parteiverdrossenheit der Bürger

1173

10. Kapitel Die gerechtfertigte Parteiverdrossenheit der Bürger Das Mißtrauen gegenüber der Sachlichkeit der Parteien und gegenüber der Sachgerechtigkeit des Parteiwesens wird ständig genährt. Alle Werbung der Parteien um Vertrauen ersetzt nicht Institutionen, die das Vertrauen des Volkes in die Kompetenz der Vertreter des Volkes stützen; denn dieses Vertrauen ist Stabilisator der demokratischen Republik. Regeln müssen es ausschließen, daß Inkompetenz eine Chance hat 577 . "Andererseits ist es unbestritten, daß die Regierenden sich vor den Regierten auszeichnen müssen. Worauf dieses beruhen wird, und wie sie dementsprechend an der Regierung Anteil erhalten, das hat der Gesetzgeber festzustellen." - Aristoteles 578 Der Demokratismus hat viele das Kompetenzdefizit wichtigster Amtswalter, von Abgeordneten und Ministern, zur demokratischen Normalität ideologisieren lassen. In den Parteien wirken auch Bürger, die fähig und willens sind, die Vernunft über die Klugheit 5 7 9 zu stellen, deren politische Maxime die Sittlichkeit der Freiheit ist und die ihre Kompetenz über die Partei dem Volk zur Verfügung stellen. Sie müssen den schweren Weg in die Parteien gehen, weil sie sonst den Verfall der Republik mit zu verantworten befürchten. Auch mancher Parteifunktionär hat schon amtliches Format erreicht, wenn er ein staatliches Amt zu versehen hatte, beispielsweise der Bundeskanzler Helmut Schmidt, der daran auch in seiner Partei, der SPD, gescheitert ist. In der Regel aber büßt der Parteiführer durch seine Parteilichkeit seinen bürgerlichen Status ein und verliert das bürgerliche Interesse an der Er-

577 Zur nicht unstrittigen Wirksamkeit, mittels des Rechts der parteilichen Oligarchisierung entgegenzuwirken schon R. Michels, Zur Soziologie des Parteienwesens in der modernen Demokratie, S. 316 ff.; G. Teubner, Organisationsdemokratie, S. 84 ff., 88 f., 159 ff.; auch R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 165 ff., 181 ff., 199 ff.; auch E.K u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 123. 578

Politik, S. 240, 1332 b 33 ff. Klug ist, wer weiß, wie er zu seinem Glück gelangt; vernünftig ist, wer das Sittengesetz beachtet, d.h. jederzeit die eigene Vollkommenheit und die fremde Glückseligkeit anstrebt (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 45 f.); zum auf "die Verwirklichung des Guten" ausgerichteten Klugheitsbegriff der Kardinaltugenden des Thomas von Aquin, J. Pieper, Über das christliche Menschenbild, S. 23 ff.; zu den "Tugenden der Römer", denen die Klugheit als Schlauheit negativ belegt war, K. Meister, Die Tugenden der Römer, 1930, in: H. Oppermann (Hrsg.), Römische Wertbegriffe, 3. Aufl. 1983, S. 1 ff. 579

1174

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

kenntnis der Gesetze der allgemeinen Freiheit; denn er ist nicht mehr frei, sondern herrscht. Ein Despot ist genausowenig Bürger wie ein Untertan. Die Parteiverdrossenheit des Volkes ist insgesamt gerechtfertigt 580 . Sie ist die Entrüstung über die Staatswidrigkeit parteilicher Parteien und die moraliche Inkompetenz von faktiösen Parteifunktionären. Sie ist Indikator für die Diskrepanz zwischen der demokratischen Republik, wie sie sein soll, und dem Parteienstaat, wie er ist. "Sie (sc. die Parteien) mediatisieren diese Verbindung" (sc. zwischen Volk und Staatsorganen) und "legen sich einengend und schwerfällig dazwischen." ... "Die Parteien sind nicht nur kaum noch ein Faktor der Verlebendigung und Aktivierung unserer politischen Kultur, mehr: sie tragen zu ihrer Verödung und Verkümmerung bei." - Wilhelm Hennis 581 Die reine Republik haben wir ernsthaft noch nicht versucht. Alle sind aufgerufen, dieses "Kunstwerk Republik" 5 8 2 zu schaffen. Die Dekadenz der Republik zu beweinen, erfüllt die bürgerliche Amtspflicht nicht. Ein Bürger handelt. Er trägt einen Stein zur Baustelle Republik, bevor die Parteien auch die Grundmauern der republikanischen Verfassung schleifen. Über die Französische Revolution schreibt Schiller am 13. Juli 1793 an den Prinzen von Augustusburg: "Wäre das Faktum wahr (...), daß die politische Gesetzgebung der Vernunft übertragen, der Mensch als Selbstzweck respektiert und behandelt, das Gesetz auf den Thron erhoben und wahre Freiheit zur Grundlage des Staatsgebäudes gemacht worden, so wollte ich auf ewig von den Musen Abschied nehmen und dem herrlichsten aller Kunstwerke, der Monarchie der Vernunft, alle meine Tätigkeit widmen. Aber dieses Faktum ist es eben, das ich zu bezweifeln wage." 583

580 Dazu i.d.S. E. Wiesendahl, Der Marsch aus den Institutionen, S. 11 ff.; R. Stöss, Parteikritik und Parteiverdrossenheit, S. 15 ff., insb. S. 21 ff., mit Zahlenmaterial und weiteren Hinweisen auf soziologische und politologische Analysen; ebenso H. Rattinger, Abkehr von den Parteien? Dimensionen der Parteiverdrossenheit, S. 24 ff.; J.W. Falter/S. Schumann, Nichtwahl und Protestwahl: Zwei Seiten einer Medaille, S. 36 ff.; vgl. auch M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 17; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 112; sogar R. Wildenmann/G. Smith, Volksparteien - Ratlose Riesen?, S. 39 f.; E.K u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 27 ff., 36 ff. 581

Überdehnt und abgekoppelt. In den Grenzen des Parteienstaates, in: Ch. v. Krockow (Hrsg.), Brauchen wir ein neues Parteiensystem?, 1983, S. 35, 41. 582 W. Jens, Stadt und Staat als Kunstwerk, 1977, Feldzüge, S. 167 ff., 172 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 807; schon Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 97. 583 Zitiert nach D. Borchmeyer, Kritik der Aufklärung im Geiste der Aufklärung, S. 374.

10. Kap.: Die gerechtfertigte Parteiverdrossenheit der Bürger

1175

Aus der Parteiverdrossenheit wäre längst Staatsverdrossenheit 584 geworden, wenn die Verwaltung und die Gerichte mehr als jetzt den Schwächen des Parteienstaates ausgeliefert wären. Durch die Deputationen beispielsweise ist die Hamburger Verwaltung mehr als andere parteienstaatlich geprägt (Art. 56 Hamburger Verfassung). Sie hat den Ruf, die leistungsschwächste Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland zu sein. Der Erste Bürgermeister Hamburgs von Dohnanyi hat das in einer Reformrede vor dem Hamburger Übersee-Club im Februar 1988 so analysiert und beklagt. Sein Nachfolger Voscherau teilt diese Kritik. Wir ertragen die bündnishafte Inkompetenz der parteilichen Parteien, weil die Parteien in ein Gemeinwesen eingebunden sind, das über ein dichtes und entwickeltes System republikanischer der Sachlichkeit verpflichteter Ämter und zur Sachlichkeit fähiger Amtswalter verfügt 585 . Genannt seien neben der Verwaltung mit vielen ihrer Dienstnehmer vor allem die Gerichte und die meisten von deren Richtern, genannt seien auch die Universitäten und viele von deren Professoren. Der Spielraum einzelner Amtswalter in der Sache ist eng. Das begrenzt ihre Schadensmöglichkeiten, schafft allerdings auch Raum für eine eher gefahrlose Ämterpatronage zugunsten inkompetenter Parteigänger 586 , deren fachliche Mängel von anderen Amtswaltern ausgeglichen werden können. Der Schaden durch die Negativauslese der Abgeordneten ist dadurch begrenzt, daß diese kaum nennenswerten Einfluß auf die Gesetzgebung nehmen und angesichts ihrer parteilichen

584 Zur Diskrepanz "zwischen hoher Systemunterstützung und Parteiverdrossenheit" R. Stöss, Parteikritik und Parteiverdrossenheit, S. 21 ff., Fazit S. 23 f.; E.K. u. U. Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 36 ff. 585 Zum republikanischen Amtsprinzip vor allem H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 253 ff.; W. Henke, HStR, Bd. I, S. 877 f.; ders., Recht und Staat, S. 387 ff.; ders., GG, Bonner Komm., Rdn. 73 ff. zu Art. 21 ("Parteien und staatliche Ämter"); J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 632f.; ders., HStR, Bd. III, S. 45 ff.; ders., Republik, Staatslexikon, Sp. 885; ders., Grundrechtliche Freiheit-Republikanische Tugend, S. 68 ff., 74 ; dazu auch 2. Teil, 6. und 8. Kap., S. 113 ff., 137 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 226 ff.; auch 7. Teil, 5. und 6. Kap., S. 612 ff., 621 f.; 8. Teil, 1. Kap., S. 674 ff., 679 ff. 586 Dazu H.H. v. Arnim, Patronage: Defizit der Parteiendemokratie, S. 202 ff.; insb. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 839 ff.; M. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), S. 22 ff., rechtfertigt in seiner Apologie des Parteistaates, die die Messung der Verfassungswirklichkeit an den Verfassungsnormen minimiert und das Freiheitsethos des Grundgesetzes nicht kennt, gar den parteilichen Proporz und die parteiliche Patronage, soweit "Leistungsprinzip und Diskriminierungsverbot nicht verletzt werden", als "Normalität des Parteienstaates" - ein reiner Empirismus im Sinne von: So wie es ist, so soll es sein! Weitere Hinweise zur Ämterpatronage in Fn. 318 im 10. Teil, 5. Kap., S. 1116.

1176

10. Teil: Die republikwidrige Parteienherrschaft

Bindungen nehmen können 587 . Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Parteienstaat ohne wirklichen Parlamentarismus, soll aber nach dem Grundgesetz eine demokratische Republik sein, deren Parlament als Vertretung des ganzen Volkes die zentrale Institution der Freiheit ist. Die politische Freiheit der Deutschen hat sich wieder einmal nicht behaupten können, während die Parteienoligarchie das Wohlleben im Sinne der "Lust" des "Genusses" (Aristoteles) nicht zu behindern wagen; denn das könnte sie die Herrschaft kosten. Nur ist das Wohlleben noch lange nicht das gute Leben, sondern das "Leben des Viehs", "völlig sklavenartig" (Aristoteles) 5**. Das gute Leben ist das politische Leben, das Leben in Freiheit, in Würde.

587

Dazu vor allem H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, S. 688 ff. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Erstes Buch, S. 55 ff., 59 ff.; vgl. auch ders., Politik, I, 1,2, S. 47 ff.; A. BaruzzU Freiheit, Recht und Gemeinwohl, S. 3 ff. 588

Elfter Teil Republikanische Homogenität 1. Kapitel Die Homogenität als Voraussetzung der Republik Ideen lassen sich nur verwirklichen, wenn die Realitäten das zulassen. Bedingung der Realisation des Prinzips der Republik ist die republikanische Homogenität der im Staat als Volk vereinigten Menschen. Das gegenseitige Verstehen und übereinstimmende Erkennen des Wahren und Richtigen, kommunikativer Diskurs und Konsens, die Moralität eben, sind nur möglich, wenn die Gruppe, die auf die Regelung, wie das Volk auf das Gesetz, angewiesen ist, spezifisch homogen ist. Die Homogenität ist Voraussetzung der Republik, weil deren Grundentscheidung die für die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ist 1 . Soweit die Homogenität nicht besteht, ist sie um der Republik als der allein menschenwürdigen Form des gemeinsamen Lebens willen zu fördern, nicht durch "Ausscheidung oder Vernichtung der Heterogenen" (Carl Schmitt) 1, sondern dadurch, daß allen Menschen, die i m Gemeinwesen leben, die politische Freiheit substantiell ermöglicht wird, dadurch, daß, wie Kant es formuliert hat, aus "Staatsgenossen" "Staatsbürger" werden können 3 . Aristoteles läßt Gleichheit nur unter "an Herkunft und Fähigkeit Gleichen", unter "Ebenbürtigen" als gerecht gelten und sieht "im Mittleren zwischen A r m und Reich" das Optimale für die Politie 4 . Rousseau folgt ihm

1

Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 1 ff.; auch 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 284 ff.; bzw. Gleichheit in der Freiheit 3. Teil, 2. Kap., S. 177 ff.; 5. Teil, 6. Kap., S. 410 ff.; 9. Teil, 7. und 8. Kap., S. 978 ff., 998 ff. 2 Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 14. 3 Metaphysik der Sitten, S. 432 ff. 4 Politik, S. 115 ff. (Zitat 1280 a 12 ff.), S. 125 ff. (Zitat 1284 a 11 ff.), S. 166 ff.; vgl. auch Nikomachische Ethik, S. 91 f., zur Philosophie der Mitte; zur Gleichheit als Selbstverständlichkeit der griechischen Polis Η. Arendt , Vita Activa, S. 34; W Henke , Recht und Staat, S. 25 f., 301 ff., 311, zur "politisch gleichen Freiheit" der Polis; CH. Meier , Freiheit, S. 426 ff.; die Philosophie der Mitte leitet die Interpretation der sozialen Zielsetzung H.F. Zachers, HStR, Bd. I, S. 1083 ff.

1178

11. Teil: Republikanische Homogenität

darin für die Republik 5 . Kants Lehre von der staatsbürgerlichen Selbständigkeit ist ebenfalls eine Lehre von der republikanischen sozialen Homogenität 6 . Ernst Bloch überträgt diese Erfahrung auf die wie die Gleichheit "sozialistisch" zu verstehende Brüderlichkeit des gemeinsamen "aufrechten Gangs", als "dritte Farbe der Trikolore" 7 . Nach Carl Schmitt hängt die demokratische Herrschaftsform von der substantiellen Gleichheit, der Gleichartigkeit, ab, und die demokratische Gleichheit sei wiederum Bedingung aller Gleichheiten 8 . "Da (...) jede Demokratie auf der Voraussetzung des unteilbar gleichartigen, ganzen, einheitlichen Volkes beruht, so gibt es für sie in der Sache und im Wesentlichen überhaupt keine Minderheit und noch weniger eine Mehrzahl fester, konstanter Minderheiten. Man läßt sich auf das Verfahren der Mehrheitsfeststellung ein, nicht etwa, weil man aus Relativismus oder Agnostizismus darauf verzichtete, das Wahre und Richtige zu finden - (...). Sondern man setzt voraus, daß kraft der gleichen Zugehörigkeit zum gleichen Volk alle in gleicher Weise im Wesentlichen das Gleiche wollen. Entfällt die Voraussetzung der unteilbaren nationalen Gleichartigkeit, so ist der gegenstandslose, inhaltsleere Funktionalismus rein arithmetischer Mehrheitsfeststellungen das Gegenteil von Neutralität oder Objektivität; er ist nur die quantitativ größere oder geringere Vergewaltigung der überstimmten und damit unterdrückten Minderheit. Die demokratische Identität von Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden hört dann auf; die Mehrheit befiehlt, und die Minderheit hat zu gehorchen."- Carl Schmitt*

5 Vom Gesellschaftsvertrag, S. 26, 73; dazu I. Fetscher, Zum Verhältnis von Mehrheitsprinzip und Demokratie, S. 317 ff.; ders., Rousseaus politische Philosophie, insb. S. 144, 212 ff. u.ö. zur sozialen Homogenität; dazu kritisch E. Fraenkel, Pluralismus, 45. DJT, Β 18 ff.; kritisch, als "Homogenität eines allgemeinen Willens" mißverstanden, auch P. Häberle, Die Verfassung des Pluralismus, S. 426 ff. 6 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432 ff.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 145, 150 ff.; dazu 4. Teil, 2. und 3. Kap., S. 213 ff., 234 ff.; 5. Teil, 3. und 7. Kap., S. 284 ff., 438 ff.; ganz so I. Fetscher, Zum Verhältnis von Mehrheitsprinzip und Demokratie, S. 317 ff. 7 Naturrecht und menschliche Würde, 1961, 2. Aufl. 1980, S. 187 ff., 192 ff.; M. Grebenhagen, Freiheit gegen Gleichheit?, S. 61 ff., stellt die Homogenität als Brüderlichkeit der französichen Revolution vor, freilich als soziale. 8

Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 13 ff.; Verfassungslehre, S. 228 ff., 247 ff.; Legalität und Legitimität, S. 20 ff., 28, 30 ff.; dazu 7. Teil, 4. Kap., S. 737 ff.; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 918, 929; P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 811 ("Demokratie baut auf vorrechtlicher Gleichartigkeit jedes zum Staatsvolk gehörenden Menschen auf."); vgl. auch ders., HStR, Bd. V, S. 855 ff. 9

Legalität und Legitimität, S. 31.

1. Kap.: Die Homogenität als Voraussetzung der Republik

1179

Diese Mehrheitsregel folgt d e m homogenitätstheoreti sehen Konzept Rousseaus. Ernst Fraenkel

hat Carl Schmitt

wegen dieser Lehre scharf attackiert.

Sein "Pluralismus" hält selbst ein " M i n i m u m v o n H o m o g e n i t ä t für erforderlich, ein M a x i m u m v o n H o m o genität" aber "nicht für erstrebenswert" 1 0 . Fraenkel

übersieht, daß Hans Kelsen, Herrmann

alle Widersacher Carl Schmitts,

Heller

u n d Rudolf

Smend,

ebenfalls das Homogenitätsprinzip i n ihre

Demokratielehre integriert haben 1 1 . Carl Schmitts

v o r a l l e m i n den Konse-

quenzen überzogene Homogenitätslehre dürfte zur zeitweiligen Tabuisierung des Homogenitätsprinzips beigetragen haben. I n der gegenwärtigen Demokratielehre

hat das

Homogenitätsprinzip

wieder bestimmende Beachtung gefunden 1 2 . Ernst-Wolfgang

Böckenförde

hat es als "metarechtliche Grundlage demokratischer Gleichheit" herausgestellt u n d als " W i r - G e f ü h l " erfaßt 1 3 . " D e m o k r a t i e baut auf eine vorrechtliche Gleichartigkeit jedes z u m Staatsv o l k gehörenden Menschen u n d garantiert fortbestehende

individuelle

Gleichheit i n der mehrheitlichen Teilhabe u n d trotz mehrheitlicher Entscheidungsgewalt." - Paul

Kirchhof

4

10

Pluralismus, 45. DJT, S. 17; zum Interessenpluralismus 7. Teil, 6. Kap., S. 617 ff. H. Kelsen, Wesen und Wert der Demokratie, 1929, S. 65 f. (klar); H. Heller, Staatslehre, 1934, S. 158 ff. näher zum "Volk, als Kulturbildung"; ders., Politische Demokratie und soziale Homogenität, 1928, S. 423 ff., grundsätzlich; R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 221; dazu auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 69 ff. 11

12

P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 799, 811 (Kulturgemeinschaft als Geltungsbedingung der grundgesetzlichen Verfassung); E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 917 ff., 929 ff., i.S. relativer Homogenität; ders., Mittelbare/ repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, S. 323 f.; M. Draht, in: Rausch, Hrsg., Repräsentation, S. 290 f.; R. Scholz, Krise der parteienstaatlichen Demokratie?, S. 13 f.; auch I. Fetscher, Mehrheitsprinzip und Demokratie, S. 317 ff.; K.A. Schachtschneider, 53. DJT, 1980, L 148 ff.; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 143, 150; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 655; E. Fraenkel, 45. DJT, 1964, Β 17 ff.; H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 66 f. (der Schutzpflicht wächst " die demokratische Aufgabe der Homogenitätssicherung" zu); i.d.S. auch E.W. Böckenförde, a.a.O., S. 930, 931 f.; K. Stern, HStR, Bd. V, S. 24; der Sache nach auch J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 42, auch S. 47 (ohne den Begriff Homogenität); ders., Faktizität und Geltung, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, S. 632 ff., insb. S. 638, 644; auch W. Maihof er, HVerfR, S. 190, 235 f.; D. Grimm, Der Mangel an europäischer Demokratie, Der Spiegel 43/1992 v. 19.10.1992, 57-59; D. Senghaas, Vom Nutzen und Elend der Nationalismen im Leben der Völker, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 31-32/92, S. 23 ff., zeigt Aspekte der Homogenisierung und Nationalstaatsbildung auf; dagegen H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff. 13 HStR, Bd.I, S. 917 ff., 929 ff.; vgl. auch H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 428; ders., Staatslehre, S. 234 f.; J. Isensee, HStR, Bd. III, S. 27, bezieht das "Wir-Gefühl" auf die "Idee des Gemeinwohls".

11. Teil: Republikanische Homogenität

1180

Das Bundesverfassungsgericht hat sich i m Maastricht-Urteil unter Berufung auf Hermann Heller das Homogenitätsprinzip zu eigen gemacht. 15 Der Gedanke der "vorgängigen politischen Einheit der Gesellschaft" als (Verfassungs)voraussetzung der Repräsentation 16 findet in der allgemeinen Einsicht Ausdruck, daß für die Demokratie ein Grundkonsens unentbehrlich sei 17 . Den Grundkonsens formuliert die Verfassung 18, wenn es sich um eine freie Verfassung, den Gesellschaftsvertrag, handelt. Mittels der Verfassung vereinen sich freie Menschen zu einem Staat, in dem sie repräsentativ-konsensual ihre Freiheit durch Gesetze zu verwirklichen bezwecken, zu einer Republik also. Deren Basis ist eine Homogenität der Menschen, welche mittels ihrer Verfassung Bürger eines Staates werden. Hermann Heller hat den Versuch der "Moralisierung des Rechts" für einen "Grundfehler" erklärt, weil er "die Fiktion einer völlig homogenen, von einheitlichen Gerechtigkeitsprinzipien beherrschten Rechtsgemeinschaft" zugrunde lege 19 . Damit hat er das Homogenitätsprinzip in seiner Staatslehre als Voraussetzung möglicher Rechtlichkeit der Gesetze anerkannt und trotz aller Skepsis allgemein gelehrt 20 .

14 HStR, Bd. I, S. 811; vgl. ders., HStR, Bd. V, S. 905 ff., 949 f., 952 f., insb. zur Ausgleichsfunktion des Gleichheitssatzes; i.d.S. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 331 ff. 15

BVerfGE 89, 155 (186). So P. Badura, VVDStRL 29 (1971), S. 97; ebenso ders., HStR, Bd. I, S. 971 ("Übereinstimmung in den politischen und kulturellen Wertvorstellungen"); zu den VerfassungsVoraussetzungen allgemein J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 602 ff.; ders., HStR, Bd. VII, 1992, S. 159, zur Verfassungsvoraussetzung der "politischen Einheit". 16

17 E. Fraenkel, 45. DJT, Β 8, 21 ("generell anerkannter Wertkodex"); G. Leibholz, Begriff und Wesen der Demokratie, in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 150; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 547; J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 261; M. Kriele, HVerfR, S. 132 ff.; Κ.Λ. Schachtschneider, JA 1979, 515; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 164; H. Oberreuter, Konsens und Konflikt im politischen System der Bundesrepublik, in: H. Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, S. 223; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I. S. 929 ff.; auch S. 917 ff.; W. Schmitt Glaeser, HStR, Bd. II, S. 66, in der "zentralen Frage des Gemeinwesens nach dem Menschenbild"; P. Häberle, Die Verfassung als Pluralismus, S. 60; auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 36 ff., 75 ff., 261; H.H. v. Arnim, Der Staat 26 (1987), S. 483 ff. (Grundwerte, Wertbasis); W. Steffani, ZParl. 1986, 575 ff.; Κ Stern, HStR, Bd. V, S. 39; auch BVerfGE 5, 85 (195 ff.). 18 J. Isensee, Verfassungsgarantie ethischer Grundwerte und gesellschaftlicher Konsens, NJW 1977, 546 ("Die Verfassung enthält den ethischen Grundkonsens der Nation"); U. Scheuner, Konsens und Pluralismus als verfassungsrechtliches Problem, in: G. Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens, 1976, S. 55 ff., 61; M. Kriele, HVerfR, S. 132 f.; K.A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 156 f., 164, 170. 19

Staatslehre, S. 195.

1. Kap.: Die Homogenität als Voraussetzung der Republik

1181

"Moralisierung wie Amoralisierung des Rechts verkennen die gegenseitige Bedingtheit von Rechtsbildung durch Macht und Machtbildung durch Recht; sie erstreben beide eine undurchführbare und unwahrhaftige Harmonisierung von Gerechtigkeit und Recht, von Legitimität und Legalität, von Normativität und Positivität. Selbst die homogenste Gesellschaft bedürfte des positiven Rechtes und damit einer es setzenden und sichernden Willensmacht." - Hermann Heller 21 Richtig beschreibt Heller das republikanische Sollen und dessen Voraussetzung. Seine Bedenken erlauben aber nicht das Verzagen. Das Grundgesetz verpflichtet die Bürger zur Sittlichkeit, welches die Einheit von Gesetz und Recht anstrebt 22 . M i t der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Art. 1) geht das Grundgesetz in seinem Menschenwürdeprinzip von der Vernunft- und Gewissensbegabung aller Menschen und deren Fähigkeit zur Brüderlichkeit aus. Diese Idee ist durch das Sittengesetz Ethos der Republik (nicht nur) der Deutschen, deren verpflichtende Kraft nicht an kläglicher Skepsis wegen der (vermeintlichen) Realität scheitern darf, doch nur, weil man an den guten Willen des anderen nicht glauben will, d.h. dem anderen die Freiheit abspricht. Heterogenität mündet erfahrungsgemäß in Herrschaft. Ohne Homogenität des Volkes lassen demokratische Entscheidungsstrukturen eine Despotie der Mehrheit über die ihr heterogene Minderheit erwarten 23 . Die der praktischen Vernunft verpflichteten grundrechtlichen Leitentscheidungen 24 und die verwirklichten republikanischen, insbesondere die rechtsstaatlichen Elemente des grundgesetzlichen Gemeinwesens mildern diese Gefahr. Die

20

Etwa Staatslehre, S. 158 ff., 230; Politische Demokratie, S. 423 ff. Staatslehre, S. 196; H. Hellers Begriff der Moralisierung, "die" zur "Anarchie" führe (Staatslehre, S. 196), bleibt hier unerörtert. 22 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 1 ff.; 4. Teil, 2. Kap., S. 211 ff.; 7. Teil, 4. und 5. Kap., S. 560 ff., 584 ff.; und 8. Teil, 1., 3. und 5. Kap., S. 662 ff., 728 ff., 799 ff., 810 ff.; 9. Teil, 1. und 2. Kap., S. 819 ff., 858 ff.; weitere Hinweise in Fn. 219 im 4. Teil, 3. Kap., S. 249. 23 I.d.S. C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 31; ders. y Zur geistesgeschichtlichen Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 13 f.; diese Erkenntnis verübelt E. Fraenkel, 45. DJT, Β 17 f., Schmitt; nicht anders als Schmitt jedoch H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 424, 428, 430, für die soziale Heterogenität, die zur "Revolution, zu Bürgerkrieg, Diktatur, Fremdherrschaft" führen werde; ebenso für den brüderlichen Ausgleich von arm und reich E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 187 ff., 192 ff.; auch K.A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 31 ff., 85 f.; auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd.I, S. 930 f., sieht in der Homogenität die Voraussetzung des demokratischen Mehrheitsprinzips. 24 Dazu 9. Teil, 1. Kap., S. 819 ff. 21

1182

11. Teil: Republikanische Homogenität

heterogene M i n o r i t ä t 2 5 kann aber nicht zur M e h r h e i t erstarken; für diese entfällt das oft benutzte A r g u m e n t für das M e h r h e i t s p r i n z i p , daß die übers t i m m t e M i n d e r h e i t die M e h r h e i t für ihre Sache g e w i n n e n k ö n n e 2 6 ; denn dieses A r g u m e n t legt, w i e es etwa das Bundesverfassungsgericht,

Konrad

Hesse u n d i h m folgend Klaus Stern sagen, die "reale Chance" dafür zugrunde. D i e unbenannte Basis dieses geläufigen Arguments ist die H o m o g e n i t ä t zwischen M e h r h e i t u n d M i n d e r h e i t u n d damit die Rousseausche

Annahme,

daß die M e h r h e i t u n d die überstimmte M i n d e r h e i t , die sich gemeinsam u m das R i c h t i g e bemühen, irren können, nicht aber einander beherrschen w o l len27. D e r I m p e r a t i v des freien Zusammenlebens v o n Menschen, das Sittengesetz, ist das Gebot der Nächstenliebe, der B r ü d e r l i c h k e i t 2 8 . N a c h der Erfahr u n g hat dieser Imperativ keine Chance, w e n n die anderen nicht (hinreichend) die Nächsten sind, w e n n das Gemeinwesen nicht eine Gemeinschaft i s t 2 9 . Das Sittengesetz ist als transzendental begründetes Prinzip des Soll e n s 3 0 nicht empiristisch relativierbar. Das gemeinsame Gesetz, das die

25

Zu deren Schutz, welcher das Homogenitätsprinzip erhärtet, R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 75 ff.; W. Leisner, Vom Mehrheits- zum Minderheitsprinzip?, S. 293; O. Kimminich, Rechtsprobleme polyethnischer Staatsorganisation, 1985, S. 58 f., 68 ff., 88 ff; zurückhaltend BVerfGE 1, 208 (239 ff.); auch BVerfGE 6, 84 (97 ff.); dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 111 ff. 26 BVerfGE 5, 85 (199); 44, 125 (145); G. Leibholz, Freiheitlich-demokratische Grundordnung und das Bonner Grundgesetz, in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, S.140; FA. v. Hayek , Die Verfassung der Freiheit, S. 134; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rdn. 14 zu Art. 20 GG; auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 613; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 143, S. 56; krass auch W. Kaltefleiter, Die moralische Begründung des Mehrheitsprinzips, in: W. Leisner, Staatsethik, 1977, S. 163 ff.; R Badura, HStR, Bd. I, S. 971; kritisch /. Fetscher, Zum Verhältnis von Mehrheitsprinzip und Demokratie, S. 317 ff. 27 Dazu 2. Teil, 6. Kap., S. 106 ff., insb. S. 728 ff.; 8. Teil, 1. Kap., S. 641 ff.; i.d.S. auch die in der vorigen Fußnote genannten Autoren, Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 143, S. 56; P. Badura, HStR, Bd. I, S. 971. 28 Zur Nächstenliebe 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff., insb. S. 241 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 285 ff., 308 ff.; zur Brüderlichkeit 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff., 285 ff. 29 Nach E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 187 ff., 192 ff., kann diese Gemeinschaft nur sozialistisch, nicht aber gleichmacherisch sein. Das sieht Kant nicht anders, vgl. Metaphysik der Sitten, S. 436; zur Brüderlichkeit in christlicher Sicht nicht anders W. Weber, Der Mensch: Ein soziales Wesen, in: W. Leisner, Staatsethik, S. 28; stammesgeschichtlich /. Eibl-Eibe sfeldt, Deutschlands Zukunft: Nationalstaat oder multikulturelle Gesellschaft?, in: D. Keller (Hrsg.), Nachdenken über Deutschland, 1991, S. 38 ff.; ders., Ist der Mensch paradiesfähig?, in: Berliner Debatte INITIAL, 8/1992, S. 9 ff. 30 Dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 265 ff., 280 ff., 321 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff.; und 9. Teil, 7. Kap., S. 978 ff.

1. Kap.: Die Homogenität als Voraussetzung der Republik

1183

Freiheit aller verwirklicht, hängt nicht vom homo phainomenon ab; denn es ist ein Akt der Vernunft, und keinem Menschen darf man die Fähigkeit zur Vernunft als seiner Würde absprechen (Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) 31 . Das Vernunftprinzip gebietet aber, die Wirklichkeit des Menschen, den homo phainomenon, zu beachten, wenn das Recht gesucht wird 3 2 . Die Sittlichkeit innerer Freiheit ist der ewige Imperativ der Menschheit, weil die Menschen diese Vollkommenheit der Erfahrung nach nicht erreichen. Das Gesetz selbst ist Ausdruck der menschlichen Unvollkommenheit, seiner tierischen Natur; denn reine Vernunftwesen bedürfen des Gesetzes nicht 33 . Die Gesetze, vor allem die Strafgesetze, reagieren auf den homo phainomenon und versuchen, die negative Freiheit zu sichern, um der positiven Freiheit aller eine Chance zu geben 34 . Die Gesetze können der Herrschaft des einen über den anderen, also dem Mißbrauch der Freiheit, wehren; sie können aber die Sittlichkeit nicht sicherstellen; denn die Moralität ist eine Gewissenssache. Das rechtfertigt, ja nötigt, dem Mißtrauen gegenüber der Moralität der Menschen mittels des Gesetzes Rechnung zu tragen. Die Erfahrungen sind legitime Grundlagen der praktischen Vernunft. Eine Erfahrung der Menschheit ist die, daß ein gewisses Minimum an Homogenität des Volkes Voraussetzung des gemeinsamen Lebens in Frieden und Freiheit, der Republik also, ist. "Es bleibt dabei: Die demokratische Staatsbürgerschaft braucht nicht in der nationalen Identität eines Volkes verwurzelt zu sein; unangesehen der Vielfalt verschiedener kultureller Lebensformen, verlangt sie aber die Sozialisation aller Staatsbürger in einer gemeinsamen politischen Kultur." - Jürgen Habermas 35 Der Verwirklichung der Idee der Freiheit alle Erfahrungen zu opfern, hieße die Politik aufzugeben und das Chaos des Krieges aller gegen alle heraufzubeschwören, weil die Erwartung der allgemeinen Vernunft sich als Illusion erweist. Wer den Herren und folglich den Untertanen nicht will, sondern den Bürger, muß der Bürgerlichkeit eine reale Chance geben. Diese liegt, solange die Menschheit nicht hinreichend aufgeklärt ist, in der not-

31

Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 5. Teil, 7. Kap., S. 436 f.; auch 5. Teil, 1., 2. und 3. Kap., S. 253 ff., 259 ff., 275 ff. 32 Dazu 7. Teil, 4. und 7. Kap., S. 567 ff., 617 ff. 33 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 42 f., 74; vgl. auch ders., Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 40 ff,; vgl. auch ders., Zum ewigen Frieden, S. 223 f., zum "Staat von Engeln" und zum "Volk von Teufeln". 34 Dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 35 Faktizität und Geltung , S. 643 u. 643 ff., 657 ff.

1184

11. Teil: Republikanische Homogenität

wendigen bürgerlichen oder republikanischen Homogenität der Menschen, die in einem Staat gemeinsam leben. Diese Homogenität ist zu bewahren und zu fördern, wenn auch nicht verkannt werden darf, daß Heterogenität Toleranz notwendig werden läßt und damit aufklärt. Zu leisten ist der behutsame Fortschritt zum weltweiten "Föderalismus freier Staaten" (Kant) 36, in der die Menschheit unter freiheitlichen Gesetzen und damit in Frieden miteinander leben kann. Ein Ziel! Eine Utopie? A u f dem Wege zum Ziel darf es keinen Krieg geben; denn der Krieg ist die große Katastrophe der Menschlichkeit. Auch der kategorische Imperativ, das Sittengesetz, rechtfertigt seine Ideologisierung nicht, d.h. die Ignoranz gegenüber der Realität. Die Moralität des einzelnen Menschen ist ein Imperativ, der mehr verletzt als befolgt werden mag. Aber die Gesetze, selbst wenn sie die Qualität von Recht mangels Moralität des Gesetzgebers nicht erreicht haben, sichern das Leben. Ohne hinreichende Homogenität besteht, wie die Vergangenheit und die Gegenwart heterogener Volksteile beweisen, die Gefahr der Unterdrückung oder des Bürgerkrieges. Das zu verhindern ist der primäre Zweck des modernen Staates, seine Friedensaufgabe 37. Der Gefahr des Bürgerkrieges den kategorischen Imperativ entgegenzusetzen ist verwerfliche Ideologisierung des Sittengesetzes, welches die Liebe zum Nächsten gebietet, aber auch ein Maß an Nähe voraussetzt, welches die Liebe nach aller menschlichen Erfahrung voraussetzt. Nur im Frieden kann die Freiheit wachsen. Der Staat muß das Leben schützen. Das rechtfertigt notfalls auch den Leviathan, wie es die republikanische Institution der Diktatur beweist 38 . Bereits die gemeinsame Verfassung darf um der Freiheit willen erzwungen werden. Jeder Mensch hat ein (erzwingbares) Recht auf Recht 39 . Das Ideal freiheitlicher, also allgemeiner Gesetze, das Konsensprinzip, hat ohne die republikanische Homogenität die besagte reale Chance nicht 4 0 ,

36 37

Zum ewigen Frieden, S. 208 ff.

Insb. Hobbes, Leviathan, S. 151 ff.; dazu 7. Teil, 3. Kap., S. 545 ff.; auch 1. Teil, 3. Kap., S. 8 f. 38 Dazu C. Schmitt, Die Diktatur, 3. Auflage 1964, S. 1 ff.; auch Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 135 ff. 39 Dazu 5. Teil, 3. Kap., S. 305; 5. Teil, 4. und 6. Kap., S. 325, 425 f.; 7. Teil, 3. und 4. Kap., S. 558 ff., 562 ff.; etwa Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203, 208 f.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 148; ders., Metaphysik der Sitten, S. 430. 40 Für H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 427 ff., ist die Ermöglichung der politischen Einheit der zentrale Grund der sozialen Homogenität; i.d.S. auch J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 42; ders., Faktizität und Geltung, S.

1. Kap.: Die Homogenität als Voraussetzung der Republik

1185

wenn auch die transzendentale Idee der Freiheit und damit des Rechts ihre Richtigkeit nicht durch widrige Realitäten einbüßt. Das ist Jürgen Habermas, der dem "ethischen Relativismus" zu Recht den moralischen Universalismus entgegenstellt 41 , zuzugestehen, aber gerade die zentral auf die Sprache aufgebaute Diskursethik 42 des kommunikativen Handelns wird, weil Universalität die "Inklusion aller Betroffenen" in den Prozeß des Argumentierens fordert, der realen sprachlichen und allgemeinen kulturellen Homogenität nicht entraten können; sonst kann die "ideale Sprechsituation" nicht real werden. Kant hat die Homogenität als reale Bedingung der Republik nicht nur in der staatsbürgerlichen Selbständigkeit, sondern auch in der "Verschiedenheit der Sprachen und Religionen", "in der weislichen Trennung der Völker", deren sich die "Natur bediene", angesprochen 43. Die "Definitionen kollektiver Identität (...) können sich nur auf einheitsstiftende, konsensverbürgende Strukturen, wie Sprache, ethnische Zugehörigkeit, Tradition oder eben Vernunft stützen."- Jürgen Habermas 44 "Die gemeinsame Sprache führt zum Sich ver stehen, zur Verständigung, zum Einvernehmen, damit zu einem geordneten inneren Frieden, zur Staatlichkeit." - Paul Kirchhof 5 "Auch der moderne Staat stellt eine politische Lebensform dar, die in der abstrakten Form einer Institutionalisierung allgemeiner Rechtsprinzipien nicht aufgeht. Diese Lebensform bildet den politisch-kulturellen Kontext, in dem die universalistischen Verfassungsgrundsätze implementiert sein müssen; denn nur eine an Freiheit gewöhnte Bevölkerung kann Institutionen der Freiheit am Leben erhalten." - Jürgen Habermas 46

643 ff., 657 ff., hält eine von Rechtsprinzipien bestimmte und diese sichernde "politische Kultur" für erforderlich; vgl. zur "klassischen" bürgerlichen Demokratietheorie i.d.S. /. Fetscher, Zum Verhältnis von Mehrheitsprinzip und Demokratie, S. 317 ff. 41 Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 131 f. 42 Etwa J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 234 ff.; ders., Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 42, 47, 49 f.; i.d.S. auch ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 86 ff., 108 ff., zur Ethik der realen Argumentation; zurückhaltend ders., Faktizität und Geltung, S. 632 ff., 643 ff.; im Sinne des Textes auch D. Grimm, Der Mangel an europäischer Demokratie, S. 59; P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 799; ders., Deutsche Sprache, HStR, Bd. I, S. 758 ff., 762 ff., 764 f. 43 44 45 46

Zum ewigen Frieden, S. 225 f. Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 42. HStR, Bd. I, S. 757. Faktizität und Geltung, S. 657 f.

75 Schachtschneider

1186

11. Teil: Republikanische Homogenität

2. Kapitel Die Homogenität der deutschen Nation D i e allgemeine H o m o g e n i t ä t der Menschheit kann nur die w e l t w e i t e A u f g e k l ä r t h e i t sein. Solange diese nicht erreicht ist, ist Maßstab der H o mogenität eine Gleichartigkeit, die das gemeinsame L e b e n m ö g l i c h sein läßt. Diese zeigt sich i n der j e w e i l i g e n W i r k l i c h k e i t der Menschen i n einem Gebiet u n d i n einer Z e i t als politisches Phänomen. H o m o g e n i t ä t ist ein geschichtliches Ereignis, nicht anders als N a t i o n a l i t ä t 4 7 . D i e Einwanderer i n die U S A waren als Einwanderer homogen. Sie haben den W i l l e n z u m Staat v e r w i r k l i c h t u n d sind eine N a t i o n geworden. O b das n o c h für alle E i n wanderer des 20. Jahrhunderts gilt, soll dahinstehen. D e r wichtigste T y p der H o m o g e n i t ä t ist das gewachsene V o l k 4 8 , w i e es die Deutschen N a t i o n e n sind weitgehend h o m o g e n

50

sind49.

.

D i e deutsche H o m o g e n i t ä t ist durch die einheitliche Sprache, die einheitliche Geschichte, die einheitlichen Grundwerte u n d andere Umstände mehr, zusammengefaßt: durch die K u l t u r e i n h e i t i m weiteren S i n n e 5 1 , bestimmt. D i e p o l i t i s c h u n d damit v o l k s w i r t s c h a f t l i c h bedingten

unterschiedlichen

47 F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 1907, 9. Aufl. 1969, S. 9, 20 f.; i.d.S. auch H. Heller, Staatslehre, 1934, S. 161; ders., Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 428 (epochale Frage); H.A. Winkler, Der Nationalismus und seine Funktionen, in: ders., Nationalismus, 1978, S. 27; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 634. 48 Zum soziologischen Volksbegriff R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 71 ff. 49 So für viele E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 918. 50 Nach H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 432, nur, wenn die soziale Homogenität besteht; nicht anders in der Sache E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 187 ff., 192 ff.; auch E.-W. Böckenförde, HStR Bd.I, S. 918; D. Senghaas, Vom Nutzen und Elend der Nationalismen im Leben von Völkern, S. 25 ff., zeigt den Zusammenhang von Nationalität und Homogenität insb. von "Recht, Bildung und Sprache"; dazu auch J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 48 ff.; ders., Faktizität und Geltung, S. 632 ff., der derartige Nation für die Republik nicht für erforderlich hält, sondern die einheitliche "politische Kultur" (S. 643, auch S. 643 ff.). 51 Zur Kultureinheit i.d.S. H. Heller, Staatslehre, S. 158 ff.; ders., Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 428 f.; R.M. Berdahl, Der deutsche Nationalismus in neuer Sicht, 1972, in: H.A. Winkler, Nationalismus, S.138 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 34 ff.; dazu nicht ohne Kritik H. Ehmke, Was ist des Deutschen Vaterland?, in: J. Habermas (Hrsg.), Stichworte zur "Geistigen Situation der Zeit", 1. Bd.: Nation und Republik, 1979, S. 51 ff.; i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 918; P. Kirchhof, HStR Bd. I, S. 757 f., 764, 799; schon F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 10; zum Kulturstaat grundlegend W. Maihofer, Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, HVerfR, 1983, S. 953 ff.

. Kap.: Die Homogenität der eutschen

1187

Lebensverhältnisse i n den beiden Gemeinwesen Deutschlands hatten die H o m o g e n i t ä t der Deutschen (noch) nicht aufgehoben. Deutschland w a r eine N a t i o n geblieben, w i e die Freude beweist, welche fast alle Deutschen empfunden haben, als i m Herbst 1989 der deutschen N a t i o n wieder die staatliche E i n h e i t ermöglicht wurde. D i e Westdeutschen sind i m großen u n d ganzen bereit, außerordentliche Lasten zu tragen, u m den Mitteldeutschen (jetzt Ostdeutschen) menschenwürdige Lebensverhältnisse zu ermöglichen, w e i l sie sich ihnen als Deutsche verbunden u n d verpflichtet fühlen. D e r W i l l e zur E i n h e i t ist tragfähig, o b w o h l die w e n i g aufrichtige F ü h r u n g des "Einheitskanzlers" den guten W i l l e n folgenschwer strapaziert h a t 5 2 . D i e I d e o l o g i e der D D R hatte den Grundkonsens der Deutschen nicht aufgehoben. Diese empirischen Einschätzungen können hier nur plakatiert werden. D e r allgemeine oder jedenfalls breite W i l l e der Menschen, die i n k u l t u r e l ler E i n h e i t leben, zur staatlichen Einheit, kennzeichnet die N a t i o n französischem S i n n e 5 3 . W e n n man auf Ernst

Renans

Satz:

im

"L'existence

d ' u n e nation est un plébiscite de tous les j o u r s " 5 4 , abstellt, bewahrt der

52 Den Deutschen wird von diesem um eine historische Rolle bemühten Kanzler H. Kohl die Chance verweigert, den Willen zur Einheit Europas zu entfalten und zu festigen. Ein oktroyiertes Europa wird eine vergleichbare Belastbarkeit von den Westdeutschen wie die durch die deutsche Einheit nicht erwarten dürfen, ein gefährlicher Geburtsfehler der Europäischen Union (1992/1993), den das Bundesverfassungsgericht weitgehend geheilt hat (Akz. 2 BVR 2134/92, Verfassungsbeschwerde von Manfred Brunner gegen das Zustimmungsgesetz vom 2./18./24.12.1992 zum Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992, vertreten durch K.A. Schachtschneider). Die Mittel(Ost)deutschen sind schlechterdings nicht belastbar. Das Urteil zum Vertrag von Maastricht v. 12. Oktober 1993, BVerfGE 89, 155 (171 ff., 181 ff.), hat die Ratifikation des Vertrages zugelassen, aber einen existentiellen Staat Europa abgewehrt, dazu K.A. Schachtschneider, Das Maastricht-Urteil. Die neue Verfassungslage der Europäischen Gemeinschaft, Recht und Politik, 1994, S. 1 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75 ff., insb. S. 87 ff., 111 ff. 53 H. Heller, Staatslehre, S. 161; ders., Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 428 ("Wir-Gefühl"); vgl. auch R.M. Berdahl, Nationalismus, S. 139; eher kritisch dazu R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 74 f.; wie im Text eher H. Ehmke, Was ist des Deutschen Vaterland?, S. 67 ff.; auch J. Isensee, HStR, Bd.I, S. 634; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd.I, S. 918; dazu (wohlwollend) J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 632 ff. 54 Qu'est ce qu'une nation?, 1882, S. 26 ff.; zustimmend H. Heller, Staatslehre, S. 160 ff.; ders., Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 425, allgemein für die politische Einheit; dem folgt auch H. Ehmke, a.a.O., S. 67 ff.; diesen Satz reklamiert auch R. Smend in seiner Integrationslehre ("Integration als die Wirklichkeit des Staates als Gesamterlebnis"), Verfassung und Verfassungsrecht, S. 182, auch, Integrationslehre, 1956, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 475, auch, Integration, 1966, daselbst, S. 483, der die Pflicht aller zur staatlichen Integration lehrt (etwa S. 171, 181 f.; 477, 485 f.).

75'

1188

11. Teil: Republikanische Homogenität

Begriff der Nation den republikanischen Zusammenhang, der seiner Herkunft aus der französischen Revolution genügt 55 . Die Nation beruht auf "freier Selbstbestimmung" 56 , aber sie muß sich ereignen. Sie wird nach aller Erfahrung ohne die Homogenität der Menschen, die in einem Staat frei miteinander leben wollen, nicht Wirklichkeit. In Deutschland bestand vor der nationalen die kulturelle, vor allem die literarische Einheit 57 . Das Grundgesetz ist von dem aufklärerischen französischen, republikanischen Begriff der Nation geprägt. Vom "Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren (...) hat das Deutsche Volk in den Ländern (...) kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz (...) beschlossen". "Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden." So lautete die Präambel des Grundgesetzes in ihren einschlägigen Teilen vor der (geschichtsfälschenden) Neuformulierung durch den Einigungsvertrag und die dementsprechende Verfassungsänderung des Gesetzgebers vom 31. August bzw. 23. September 1990. Den Willen zur Einheit haben die Deutschen spätestens seit den Befreiungskriegen gegen Napoleon 58 . Die Präambel hatte die Bundesrepublik Deutschland in allen ihren Ämtern, solange die Verfassung als maßgeblicher Ausdruck des Volkswillens, als der Grundkonsens des bundesdeutschen Gemeinwesens, unabgeändert war, zu einer Politik der Wiedervereinigung verpflichtet 59 . Der nationale Ein55 I.d.S. deutlich H. Preuss, Deutschlands republikanische Reichsverfassung, S. 10, 18 u. passim; dafür H. EhmJce, Was ist des Deutschen Vaterland?, S. 71 ff.; dazu R.M. Berdahl, Nationalismus, S. 138 ff.; H.A. Winkler, Der Nationalismus und seine Funktion, S. 5 ff.; K.W. Deutsch, daselbst, S. 51; auch E.-W. Bökenförde, HStR Bd. I, S. 918 (allerdings als demokratischer Topos); differenzierend zwischen Kultur- und Staatsnation E Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 7 ff., der den Zusammenhang des Nationalgedankens mit den universalistischen weltbürgerlichen Ideen zeigt; zur "tradition révolutionnaire" W. Leisner, Volk und Nation, S. 96 ff., der das rousseauische und damit bürgerliche Verständnis des Volksbegriffs vor allem in der Jakobinischen Verfassung von 1793 herausstellt, S. 112 ff.; i.d.S., nämlich als "politische Kultur" der Freiheit, auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 643 ff., 657 ff. 56 Kritisch differenzierend zwischen alten und neuen Nationen F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 9 ff., der die Nation für determiniert erklärt; dazu R.M. Berdahl, Nationalismus, S. 138 ff. 57 F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 9 ff.; zur politischen Bedeutung der Situation, insb. auch des Briefs J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 217 ff. 58

H. Heller, Staatslehre, S. 162; R.M. Berdahl, Nationalismus, S. 139, 141 f.; H. Ehmke, Nation und Republik, S. 52. 59 BVerfGE 5, 85 (126 ff.); 12, 45 (51 ff.); 36, 1 (17 ff.); BVerfG EuGRZ 1987, 483 ff., zur einheitlichen Staatsangehörigkeit in beiden deutschen Staaten; K. Stern, Staatsrecht I, S. 377, 512; R. Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, S. 22 f.; dazu R. Grawert, Staatsvolk und

. Kap.: Die Homogenität der eutschen

1189

heitswille der Deutschen hat sich 1989/1990 bewährt und seine Parole in Mittel(Ost)deutschland gefunden, als die Einheit möglich wurde: "Wir sind ein Volk." Seither wird die Belastbarkeit des deutschen Einheitswillens erprobt. Er wird zunehmend brüchig. I m Europa der Regionen kann er verlorengehen. Es ist nicht undenkbar, daß Deutschland in drei Teile zerfallen wird (Nord-, Südund Ostdeutschland). Wenn die Einigung Europas gelingt, ist das durchaus hinnehmbar, nämlich regionalpolitisch nützlich. Die Ideologie der deutschen Nation stirbt an der europäischen Ideologie. Beides ist nicht vereinbar. Diese Spekulationen beeinträchtigen aber nicht die Erkenntnisse der gegenwärtigen, spezifisch nationalen Homogenität der Deutschen. 'Politische' Verbindlichkeit vermag Rechtsverbindlichkeit nicht zu relativieren, wenn nicht der den modernen Staat und damit die Republik definierende Primat des Rechts 60 ruiniert werden soll. Letzterer gerät in unserem Land bei Bürgern und in Ämtern zunehmend in Gefahr, etwa durch die Hafenstraßenpolitik des Ersten Bürgermeisters und des Senats Hamburgs in der Mitte der achziger Jahre, die von einer Legitimation sogenannten zivilen Ungehorsams fasziniert war 6 1 , durch die große Schwierigkeit, vor allem in den neuen Bundesländern, die Gesetze zu vollziehen und noch mehr durch die (verständliche) Unfähigkeit, die vergangene Despotie der D D R rechtsstaatlich abzuarbeiten 62. Die Deutschen in der DDR hatten bis 1989 keine ihrem Selbstbestimmungsrecht gemäße Gelegenheit, ihren Willen zur staatlichen Einheit Deutschlands rechtswirksam zu bekunden. Ihnen "war es verwehrt", an der

Staatsangehörigkeit, HStR, Bd. I, S. 668 ff.; das Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts zum Wiedervereinigungsgebot kritisiert H. Ehmke, Nation und Republik, S. 63 f.; es hat seine weltgeschichtliche Relevanz 1989 erwiesen. 60 K. Stern, Staatsrecht I, S. 796 ff., 825, 829, 838; KA. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 13; E. Schmidt-Aßmann, HStR, Bd. I, S. 999 ff., 1023 ff. 61

Zum zivilen Ungehorsam etwa R. Dreier, Widerstandsrecht und ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, S. 54 ff.; weitere Hinweise in Fn. 362 im 7. Teil, 4. Kap., S. 582; vgl. auch 4. Teil, 3. Kap., S. 249 f.; 5. Teil, 6. Kap., S. 417 ff.; 9. Teil, 5. Kap., S. 961 f. 62 Dazu die Erörterung der deutschen Staatsrechtslehrer 1991 in Gießen mit den Referaten von CK Starck, W. Berg und B. Pieroth, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit, VVDStRL 51 (1992), S. 9 ff., 46 ff., 91 ff.

1190

11. Teil: Republikanische Homogenität

"neuen Ordnung (...) mitzuwirken". Dennoch, die deutsche Nation lebte 63 . Die Trennung des deutschen nach wie vor homogenen Volkes in zwei politische Gemeinwesen widersprach dessen Willen und damit dessen Recht zur staatlichen Einheit, widersprach also dem nationalen Charakter Deutschlands. Das Nationalstaatsprinzip war die Rechtsgrundlage Deutschlands für den Anspruch auf Wiedervereinigung, weil die Deutschen eine Nation sind 64 . Das Nationalstaatsprinzip gilt jedenfalls für Republiken; denn die nationale als menschlich homogene Republik ist die einfachste Form des inneren Friedens, weil sie wegen der (hinreichend) gelebten Brüderlichkeit die Gleichheit in der Freiheit vergleichsweise leichthin ermöglicht 65 . Bluntschlis Wort: "Jede Nation ein Staat. Jeder Staat ein nationales Wesen.", ist auch nach fast eineinhalb Jahrhunderten noch zugkräftig und findet seinen Ausdruck in dem allgemein anerkannten Selbstbestimmungsrecht der Völker (peoples) 66 . Man kann die Parole auch republikanisch lesen: Der Wille zur staatlichen Einheit bringt die Nation hervor. Eine solche "Staatsbürgernation" ist vom "Verfassungspatriotismus" (Dolf Sternberger, Jürgen Haber-

63 Ganz i.d.S. BVerfGE 36, 1 (17 ff., 19); BVerfG EuGRZ 1987, 483 ff.; R.Grawert, HStR, Bd. I, S. 669; moderat zur nationalen Identität der Deutschen A. Schwan, Brauchen wir eine neue Identität? Deutsche Nation, bundesrepublikanische Staatsräson, europöäische Perspektive 12 Thesen, in: A. Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, S. 509 ff.; klar E.R. Huber, Nationalstaat und supranationale Ordnung, 1964, in: Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, S. 273 ff., 284; durchaus auch H. Ehmke, Nationalstaat und Republik, S. 59 ff.; B. Willms, Die deutsche Nation, 1982, S. 127 ff. 64

E.R. Huber, Nationalstaat, 283 ff. Diese Einsicht ist in den Art. 3 S. 1 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, zu dem sich das französische Volk nach wie vor bekennt (Präambel der Verfassung von 1958), eingegangen: "Der Ursprung aller Souveränität liegt wesenhaft bei der Nation." Der Wahlspruch der Französischen Republik" lautet nach Art. 2 Abs. 4 der Verfassung von 1958: "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit." Dazu die Hinweise in Fn. 36 im 1. Teil, 1. Kap., S. 9; vgl. 1. Teil, 1. Kap., S. 1 ff.; 5. Teil, 3. Kap., S. 284 ff.; 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff. 65

66

J.C. Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, 1852, 6. Aufl. 1886, S. 107; F. Meinecke, Weltbürgertum, S. 191 f.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 26 ff.; R. Grawert, HStR, Bd. I, S. 664 f., 671 f., mit Hinw. auf die Rechtsgrundlagen; dazu insb. K. Doehring, Das Selbstbestimmungsrecht der deutschen Nation, in: FS H.U. Scupin, 1983, S. 555 ff.; H.A. Stöcker, Unvereinbarkeit der Währungsunion mit der Selbstbestimmungsgarantie aus Art. 1 Abs. 2 GG, Der Staat 31 (1992), S. 495 ff.; dagegen H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 181 f.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 75 ff., wahrt gegenüber dem Nationalstaatsgedanken Zurückhaltung.

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mas61) gemeint. Die Staatsgründung kann dieser Willensbildung nur nachfolgen, wenn sie freiheitlich und damit demokratisch sein soll. Der Willensbildungsprozeß kann langwierig sein, wie in der Europäischen Gemeinschaft, die sich (über die Europäische Union) auf den Weg zum Vereinten Europa begeben hat 68 (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG i.d.F. vom 31.12. 1992). Der Weg ist beschwerlich, so daß die in den Mitgliedstaaten erreichte politische Kultur der Freiheit unterwegs verlorenzugehen droht 69 . Nationale Republiken haben sich als Garanten des äußeren Friedens bewährt. Solange die Weltrepublik mangels (aufklärerischer) Homogenität der Menschheit nur eine Vision ist 7 0 , bleibt zumindest die Homogenität der politischen Kultur Voraussetzung der Republik. Menschen, welche frei sind, äußerlich und vor allem innerlich, können in einer Republik zusammenleben, unabhängig davon, welcher Nation sie entstammen; denn wer frei ist, liebt das Recht. Biologisch hat Irenaus Eibl-Eibesfeldt über die hinreichende Homogenität der Europäer aufgeklärt: "Bei den europäischen Nationen handelt es sich um Mischpopulationen im wesentlichen europäischer Herkunft. In der genetischen Zusammensetzung können wir nur statistische Unterschiede feststellen. Ich habe daher wiederholt betont, daß die europäische Binnenwanderung keine größeren Probleme schafft, da eine Assimilation in der Regel rasch erfolgt. Die Europäer sind durch ein gemeinsames kulturelles und biologisches anthropologisches Erbe verbunden, und die meisten von uns könnten - so wie wir aussehen - in Paris, Mailand, Berlin oder Moskau geboren sein." - Irenaus Eibl-Eibesfeldt 71

67 D. Sternberger, Verfassungspatriotismus, in: ders., Schriften Bd. X (hrsg. von P. Haungs u.a.), 1990, insb. S. 13 ff., 17 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 632 ff., 643 ff., 651 ff; dazu J. Isensee, Staatsrepräsentation und Verfassungspatriotismus, in: J.-D. Guger/J. Stagi (Hrsg.), Staatsrepräsentation, 1992, S. 223 ff., insb. S. 237 f.; kritisch P. Kirchhof,, HStR, Bd. VII, S. 862. 68 Dazu J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 643 ff. 69 Dazu K.A. Schachtschneider, Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 28/93, S. 3 ff.; dersJA. Emmerich-Fritsche/Th.C.W. Beyer, JZ 1993, S. 751 ff„ insb. S. 754 ff., 759 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 87 ff., 111 ff.; das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.10.93, BVerfGE 89, 155 (181 ff.). 70

Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte, S. 45 ff.; auch ders., Zum ewigen Frieden, S. 208 ff., 213; ganz so auch J. Isensee, JZ 1981, 7. 71 Zur Problematik einer multiethnischen Immigrationsgesellschaft, Zeitschrift für Ethnologie 115 (1990), S. 261 ff., 264; ebenso ders., Ist der Mensch paradiesfähig?, S. 13; ders., Deutschlands Zukunft: Nationalstaat oder multikulturelle Gesellschaft?, S. 49.

1192

11. Teil: Republikanische Homogenität

D e r Staat stabilisiert die kulturelle u n d politische H o m o g e n i t ä t v o r a l l e m durch seine einheitliche Lebensverhältnisse schaffende w i e sie das Sozialprinzip gebietet

73

Rechtsordnung 7 2 ,

. Nationale M i n d e r h e i t e n aber vermag

auch die einheitliche Rechtsordnung nur i n sehr langen Zeiträumen zur vollständigen H o m o g e n i t ä t zu integrieren 7 4 . D e r Staat hat keine V o l l m a c h t , die nationale H o m o g e n i t ä t des Staatsvolkes zu verändern, w e n n sich das V o l k nicht i n seiner Verfassung für eine die Nationalitäten übergreifende Staatlichkeit erklärt. Deutschland hat sich durch A r t . 24 A b s . 1 G G u n d n u n m e h r erweitert durch A r t . 23 G G n.F. weitgehend für eine gemeinschaftliche Staatlichkeit durch "zwischenstaatliche Einrichtungen" bzw. i n einer "Europäischen U n i o n " entschieden, denen "Hoheitsrechte ... übertragen" werden d ü r f e n 7 5 . Diese Vorschrift ist die Grundlage der Europäischen Gemeinschaften. D i e deutsche Staatlichkeit aufzugeben, verbietet aber A r t . 20 G G , der wegen A r t . 79 Abs. 3 G G nur durch eine neue Verfassung Deutschlands für ein z u m Staat vereintes Europa geöffnet werden d a r f 7 6 .

72

F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 14; insb. H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 427 ff.; ders., Staatslehre, S. 164 f.; vgl. auch die Integrationslehre R. Smends, Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 ff., 136 ff., 475 ff., 482 ff.; vgl. i.d.S. auch J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 48 ff. (u.a. durch die "sozialstaatliche Massendemokratie"); zur "Herstellung der Gleichheit" als Wirkung des "Gleichbehandlungsanspruchs", der auf "egalitäre Ordnungsinhalte" dränge, P. Kirchhof, HStR, Bd. V, S. 865 ff.; i.d.S. auch der soziale Gedanke bei Kant, Metaphysik der Sitten, S. 433 f., wonach die positiven Gesetze den Staatsgenossen die Chance geben müssen, zur Selbständigkeit eines Staatsbürgers "sich empor arbeiten zu können", im Interesse einer " der Freiheit ... angemessene Gleichheit aller im Volk"; so auch schon Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 57; dazu /. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, S. 211 ff. 73 Dazu 4. Teil, 3. Kap., S. 234 ff., 247 ff.; 5. Teil, 7. Kap., S. 438 ff. 74 Dazu KW. Deutsch, Nation und Welt, 1966, in: H. A. Winkler (Hrsg.), Nationalismus, S. 49 ff.; vgl. auch I. Eibl-Eibesfeldt, Zur Problematik einer multiethnischen Immigrationsgesellschaft, S. 261 ff. 75 Dazu Ch. Tomuschat, Bonner Kommentar, GG, 1981, Rdn. 14 ff., 139 ff., zu Art. 24; K. Stern, Staatsrecht I, § 15, S. 512 ff.; K.A. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, S. 88 ff.; ders., Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 28/93, S. 6 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und der staatlichen Integration der Europäischen Union, S. 87 ff., 111 ff.; BVerfGE 89, 155 (182 ff.), Maastricht-Urteil. 76 Dazu K.A. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, S. 94 ff.; ders., Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 28/93, S. 3 ff.; dersJA. Emmerich-Fritsche/Th.C.W. Beyer, JZ 1993, 757 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 111 ff.; H.H. Rupp, Muß das Volk über den Vertrag von Maastricht entscheiden?, NJW 1993, 38 ff.; vgl. i.d.S. auch P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, 1992, S. 36 ff., insb. S. 42, der dafür eine "europäische, nicht deutsche Verfassungsgebung" für erforderlich hält; i.d.S. auch BVerfGE 89, 155 (181 ff.), Maastricht-Urteil;

. Kap.: Die Homogenität der eutschen

1193

Auch in ein "System gegenseitiger kollektiver Sicherheit" darf sich der Bund "zur Wahrung des Friedens ... einordnen" und dafür in Beschränkungen seiner Hoheitsgewalt einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern (Art. 24 Abs. 2 GG). "Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten" darf der Bund Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten (Art. 24 Abs. 3 GG). Das grundgesetzliche Prinzip der deutschen Staatlichkeit, das ausweislich der ursprünglichen Präambel, die oben zitiert ist, national zu verstehen ist, verbietet ohne neue Verfassung die Entwicklung Deutschlands zum Einwanderungsland 77 . Daß etliche Bürger die kulturelle Vielfalt begrüßen, rechtfertigt noch keine Staatspolitik der Entnationalisierung des Volkes, das eine nationale Verfassung hat. Die Staatsorgane, welche diese Verfassungsentscheidung mißachten, vermögen das Volk mangels Kompetenzgrundlage nicht zu verpflichten. Ihre Politik ist vielmehr verfassungsfeindlich und schafft die Widerstandslage des Art. 20 Abs. 4 GG 7 8 . Kulturpluralismus ist das Gegenprinzip zur kulturellen Homogenität 79 . Er würde in Deutschland die nationale Identität und damit die deutsche Republik beenden. Das Deutsche ist (noch) Verfassungsprinzip der Bundesrepublik Deutschland 80 . "Das deutsche Volk ist auch als Kulturgemeinschaft vom Verfassungsgeber vorgefunden." - Paul Kirchhof 1

der Art. 23 GG n.F. Dezember 1992, der eine über eine "zwischenstaatliche Einrichtung" hinausgehende "Europäische Union" ermöglicht, verletzt wegen seiner Verfahrensweisen Art. 20 GG (K.A. Schachtschneider, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 28/93, S. 6 f.). 77 Zum Problem i.d.S. H. Quaritsch, Einwanderungsland Bundesrepublik Deutschland, 1981, insb. S. 35 ff.; i.d.S. auch P. Kirchhof,, HStR, Bd. I, S. 811, für die Pflicht des Staates zur Erhaltung der sprachlichen Homogenität. 78 Dazu K.A. Schachtschneider, Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 28/93, S. 8 ff. 79 Dazu I. Eibl-Eibesfeldt, Deutschlands Zukunft: Nationalstaat oder multikulturelle Gesellschaft?, S. 39 ff.; ders., Ist der Mensch paradiesfähig?, S. 13 ff.; dazu auch im Sinne einer homogenen politischen Kultur J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 643 ff. 80 I.d.S. auch P. Kirchhof HStR, Bd. I, S. 761; ders., HStR, Bd. I, S. 799, 806 f.; dieses Prinzip propagiert in keiner Weise Fichtesche Deutschheit; dazu voller Begeisterung 1865 (!) Η. v. Treitschke, Fichte und die nationale Idee, in: A. Reimann (Hrsg.), Essays von H. v. Treitschke und E. Mareks, (o. J.), S. 26 ff.; kritisch B. Willms, Die totale Freiheit. Fichtes politische Philosophie, 1967, S. 126 ff. 81 HStR, Bd. I, S. 799.

1194

11. Teil: Republikanische Homogenität

3. Kapitel Die sprachliche Homogenität der Deutschen Die Deutschen sind eine Sprachnation. Die deutsche Muttersprache bewirkt wie kein anderes Kriterium die deutsche Homogenität 82 . Die sprachliche Homogenität Deutschlands war und ist die stärkste Triebfeder der staatlichen Einheit Deutschlands. Sie konstituiert wesentlich das deutsche Staatsvolk 83 (nach Maßgabe des Staatsangehörigkeitsrechts). Wenn Menschen, die zusammen ein Gebiet bewohnen, dieselbe Sprache sprechen, ist die kommunikative Lage spezifisch für den republikanischen Staat optimal, weil die repräsentativ-konsensuale Rechtsetzung, ja die gesamte moderne Staatlichkeit sich sprachlich vollziehen 84 . Die moderne intellektualisierte Staatlichkeit 85 als die verbindlichen Erkenntnisse des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit, von denen die Menschen als Bürger und Amtswalter ihr Handeln bestimmen lassen, setzt, wenn sie bürgerlich, also freiheitlich sein will, die hinreichend gleiche Sprachfähigkeit aller, die allgemeine Kommunikationsfähigkeit, voraus. Soweit diese auch in einer Sprachgemeinschaft nicht besteht, muß der Staat sie gemäß dem Sozialprinzip im Interesse allgemeiner bürgerlicher Kompetenz fördern, eine bildungspolitische Aufgabe, derer sich unser Land seit zwei Jahrzehnten verstärkt angenommen hat 86 . Die Kommunikationsfähigkeit ist Bedingung der Konsensfähigkeit und damit einer Gesetzlichkeit,

82 Ganz so P. Kirchhof\ Deutsche Sprache, HStR, Bd. I, S. 745 ff.; ders., HStR, Bd. I, S. 798; ders., Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 42; i.d.S. auch J. Habermas, Legitimationprobleme im modernen Staat, S. 42, 47, 49 f.; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 86 ff., 108 ff., i.S.d. realen Argumentationsmöglichkeit (nicht explizit); zurückhaltend insofern ders., Faktizität und Geltung, S. 632 ff., 643 ff. 83

P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 746, 757. P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 746 ff.; K.W. Deutsch, Nationalismus, S. 50 ("Volk - ein ausgedehntes Allzweck-Kommunikationsnetz von Menschen"); ihm folgt H.A. Winkler, daselbst, S. 27. 84

85

D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 30 f. I.d.S. auch P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 763 ("Kulturauftrag zur Sprachpflege"); ders., HStR, Bd. I, S. 811; ders., HStR, Bd. V, S. 887 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 930, 931 ff.; vorsichtig auch H.F. Zacher, HStR, Bd. I, S. 1066 f., 1078, 1087; für einen Anspruch auf Bildung U. Karpen, Das Recht auf Chancengleichheit, insbesondere in der Bildung, JA 1985, 562 ff.; i.d.S. auch K.A. Schachtschneider, Frei-sozial-fortschrittlich, insb. S. 12 ff.; deutlich auch P. Häberle, Verfassungsprinzipien als Erziehungsziele, S. 211 ff.; zur Erziehungslehre Rousseaus I. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, S. 195 ff. 86

3. Kap.: Die sprachliche Homogenität der Deutschen

1195

die sich als Verwirklichung der allgemeinen Freiheit versteht, ist Bedingung der herrschaftslosen Staatlichkeit oder eben einer demokratischen Republik 87 . Der Habermassche "herrschaftsfreie Diskurs", der "reale Argumentation" im Prinzip unter Beteiligung aller erfordert, ist ohne sprachliche Homogenität nicht realisierbar 88 , wie keine auf dem Vernunftprinzip gründende Moral- und Rechtslehre. Sprachliche Homogenität kann in der Vielsprachigkeit des Volkes realisiert sein, wie das Beispiel der Schweiz zeigt. Das ist auch die Lage der Europäischen Gemeinschaft, in der die Gemeinschafts(Unions)bürger ihre Homogenität bestmöglich in der Mehrsprachigkeit finden müssen und werden, ein Problem der allgemeinen Ausbildung 89 . Es kommt auf die substantielle Kommunikationsfähigkeit an, die auch zwischen Menschen einer Muttersprache unterschiedlich ist und im Sinne des republikanischen repräsentativen Konsenses vor allen von den Vertretern des ganzen Volkes erwartet werden muß. Die einheitliche politische Kultur, die im Europa des säkularisierten Abendlandes besteht, ermöglicht einen hinreichenden öffentlichen Diskurs trotz der Sprachvielfalt. Dabei hilft die verbreitete Kenntnis des Englischen, mehr noch die dolmetschende Vermittlung der Kommunikation durch die Medien. Auch im übrigen ist die sachgerechte Kommunikation eine schwierige Sache. Mangelnde Sachkenntnis behindern sie mehr als die Unterschiedlichkeit der Sprachen. Der gute Wille zur politischen Einheit ist die wesentliche Homogenität der Europäer. Er hilft über Hindernisse hinweg. In jedem Land ereignet sich zudem die Homogenität geschichtlich und fügt sich nicht tatbestandlichen Regeln 90 . Sie ist schicksalhaft. Das gilt auch für die Einigung Europas. Die bundesdeutschen Einbürgerungsrichtlinien verlangen denn auch im Sinne der verfassungsbefohlenden Deutschsprachigkeit von dem, der Deutscher werden will, daß er "die deutsche Sprache in Wort und Schrift in dem Maße beherrsche, wie

87

P. Kirchhof HStR, Bd. I, S. 757; ders., HStR, Bd. I, S. 799. I.d.S. J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 73 ff., 86 ff.; ders Erkenntnis und Interesse, S. 234 ff.; ders., Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 42, 47, 49 f.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 643 ff.; auch R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, passim. 88

89

Skeptisch D. Grimm, Der Mangel an europäischer Demokratie, S. 59. Ganz so für die Nationalität F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 9 ff.; so auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 917 ff., 929 ff. 90

1196

11. Teil: Republikanische Homogenität

dies von Personen seines Lebenskreises erwartet wird" 9 1 . Der "wahlberechtigte Bürger" muß "mit der Hoheitsgewalt, der er unterworfen ist, in seiner Sprache kommunizieren" können. - BVerfGE 89, 155 (185), Maastricht.

4. Kapitel Die aufklärerische, säkularisiert christliche Homogenität in Deutschland und Europa Die religiöse (weltanschauliche) Homogenität ist Bedingung konsensualrepräsentativer Staatlichkeit, also einer Republik 92 , solange die Menschen sich ideologisch bestimmen lassen. Die Religionsgeschichte beweist dies. Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges sind die historische Erfahrung, der die Deutschen wesentlich die Toleranz zwischen Katholiken und Protestanten und damit die Bereitschaft zur Aufklärung, aber auch die Entwicklung zum Modernen Staat danken 93 . Seit den Konfessionskriegen sind die Glaubensmächte "privatisiert" (/. Habermas) 94. Hugo Grotius hat vor allem mit seinen "De iure belli ac pacis libri tres", 1625, die Einheit des Politischen und Religiösen und damit des Staatlichen und Kirchlichen staatsrechtlich lösen wollen, indem er "diesseits der Glaubensspaltung einen dem Streit der Konfessionen entrückten ethisch-juristischen Grundkonsens Europas auszumachen" suchte (Hasso Hofmann) 95. Die Glaubensspaltung durch die Reformation, ausgelöst durch die 95 Thesen, vornehmlich gegen den Ablaß, die Martin Luther 1517 an die Schloßkirche zu Wittenberg geschlagen hatte,

91 A.M. Makarov/H. v. Mangoldt, Anhang zu § 8 RuStAG, Komm. S. 113; P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 757; BVerwG NJW 1988, 2196 ff., läßt die hinreichende deutsche Verständigungsfähigkeit im Alltagsleben nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG für die "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" von ausländischen Ehegatten deutscher Staatsangehöriger genügen. 92

H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, S. 433, für die Demokratie. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 32 ff.; K. Stern, Staatsrecht III, 1, S. 68 f. 94 Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 46.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 48 ff., zeigt, daß die Trennung von Kirche und Staat in Deutschland nicht den französischen Laizismus erreicht. 93

95

H. Hofmann, JuS 1988, 842; ders. dazu und zur gleichgerichteten Bedeutung Samuel von Pufendorfs, Von den Ursprüngen deutschen Rechtsstaatsdenkens in der nachchristlichen Sozialphilosophie. Eine Erinnerung an Hugo Grotius (1583-1645) und Samuel Pufendorf (1632-1694), in: ders., Recht-Politik-Verfassung, 1986, S. 74 ff., insb. S. 82 ff.; vgl. dazu K. Stern/ Μ. Sachs, Staatsrecht III, 1, S. 73 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 34, 43.

4. Kap.: Die aufklärerische, säkularisiert christliche Homogenität hat die Resäkularisation

der christianisierten

1197

griechisch-aufklärerischen

Prinzipien des Politischen, der gleichen Freiheit aller, zumindest gefördert, w e n n n i c h t e r m ö g l i c h t 9 6 . A b e r auch Luthers

Zweischwerterlehre selbst u n d

seine strikte werkeunabhängige Lehre der Rechtfertigung des M e n s c h e n allein durch den Glauben v e r w e l t l i c h e n den Staat, w i e sie die entweltlichen

97

. Papst Johannes

Paul

Kirche

IL hat die Grundsätze der Freiheit,

G l e i c h h e i t u n d Brüderlichkeit, die Ideen der Französischen R e v o l u t i o n , als i m Grunde christliche Ideen bezeichnet 9 8 . Das Christentum hat für das Deutsche V o l k nicht anders als für die anderen V ö l k e r Europas (außer e t w a den T ü r k e n u n d Bosniern) nach w i e vor k u l t u r e l l e u n d nationale R e l e v a n z 9 9 , jedenfalls i n der aufklärerischen Säkularität des Prinzips der N ä c h s t e n l i e b e 1 0 0 welches

die

ethische

als kantianisches

Grundentscheidung

Deutschlands

Sittengesetz, und

jedes

freiheitlichen Gemeinwesens i s t 1 0 1 . D i e aufklärerische Toleranz ist nicht

96 Zur Säkularisation H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 32 ff., S. 41, bei den französischen Politikern i.d.S., vgl. auch S. 51 ff.; auch nach W. Henke, Recht und Staat, S. 30 ff., 39, ist die Freiheit christlich geprägt, aber säkularisiert, gestützt auf F. Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit. Die Säkularisierung als theologisches Problem, 1953, 1966, und ders., Der Mensch zwischen Gott und Welt, 1952, 3. Aufl. 1960. 97 M. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520; dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 39 f., 43 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 36; H. Hofmann, JuS 1988, 843 f. 98 Vgl. Η. Hofmann, JuS 1988, 843 f. 99 J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 631 f.; vgl. W. Henke, Recht und Staat, S. 30 ff. 100 Der Glaube an Christus als Gott bleibt freilich für den religiös gebundenen Christen Bedingung des Christentums, etwa J. Pieper, Über das christliche Menschenbild, 6. Aufl. 1955; ebenso der (beklagte) Befund von Kardinal Godfried Danneels, Erzbischof von MechelenBrüssel, Die Evangelisierung in einem "säkularisierten" Europa, Rom 1985, passim, insb. S. 25; so wohl auch, wenn auch unklar, das Grundsatzprogramm der CDU vom 25. Okt. 1978, bekräftigt vom 36. Bundesparteitag der CDU 1988, das "Christen und Nichtchristen" unterscheidet, aber deren "gemeinsames Handeln" auf der am "christlichen Glauben" beruhenden "ethischen Grundlage für verantwortliche Politik" als "möglich" ansieht. 101 Dazu 1. Teil, 1. Kap., S. 4 ff.; 5. Teil, 2. und 3. Kap., S. 259 ff., 280 ff., 321 ff.; 6. Teil, 8. Kap., S. 494 ff.; 8. Teil, 3. Kap., S. 728 ff.; i.d.S. schon R. Hübner, Die Staatsform der Republik, S. 42 ff., 52, für die WRV, insb. zum christlichen Charakter der Demokratie; zum Charakter der politischen Begriffe als säkularisierter Begriffe des Christentums C. Schmitt, Politische Theologie, 2. Aufl. 1934, S. 49; so auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 51 ff.; i.d.S auch J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 46, 48; dazu (nicht ohne Kritik) H. Hofmann, JuS 1988, 843; das weist zurück E. Fechner, JZ 1986, 654 f., der meint, der Menschenwürdebegriff greife auf die "seit Jahrhunderten geltende Auffassung der katholischen Soziallehre" zurück; so auch Ch. Starck, in: FS W. Geiger, S. 259 ff., 276; ebenso ν. Μangoldt/Klein/Starck, GG, Rdn. 24 ff. zu Art. 2 Abs. 1; dazu 5. Teil, 2. Kap., S. 271 f.

1198

11. Teil: Republikanische Homogenität

n u r Grundpflicht, die m i t der Religionsfreiheit verbunden i s t 1 0 2 , sondern, realisiert i m werthaften G r u n d k o n s e n s 1 0 3 , Voraussetzung des Schutzes der Religionsfreiheit durch ein Grundrecht. D i e christlich-aufklärerische H o m o genität der Deutschen i n ihrer Toleranz ist Grundlage des republikanischen Neutralitätsprinzips i n D e u t s c h l a n d 1 0 4 , ohne daß diese H o m o g e n i t ä t für die Interpretation u n d die Rechtswirkungen der Grundrechte des A r t . 4 G G v o n B e d e u t u n g wäre. Religiöse oder weltanschauliche Randerscheinungen stören die christlich-aufklärerisch geprägte deutsche H o m o g e n i t ä t nicht. Das g i l t für ganz Europa, ist jedenfalls Voraussetzung eines Vereinten Europa. W e r nicht die strikte Trennung v o n K i r c h e und Staat, v o n R e l i g i o n u n d P o l i t i k l e i s t e t 1 0 5 , verfehlt sein bürgerliches A m t i n der R e p u b l i k , deren Wesen die freiheitliche, also allgemeine, Gesetzgebung ist. "Weltanschauliche Glaubensbewegungen sind i n der P o l i t i k

freiheits-

feindlich. D e n n m i t Glaubenskämpfern läßt sich nicht gut reden." - Karl Jaspers 106

102 P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, HVerfR 1983, S. 1065; /. v. Münch, Komm. Rdn. 5 zu Axt. 4 GG, der den Sammelbegriff Religionsfreiheit für die Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, den Mikat, a.a.O., S. 1064 ff. benutzt, kritisiert, Rdn. 1 ff.; K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 209 ff. 103 So H. Krüger, Allgemeine Staatlehre, S. 540; etwa J. Isensee, NJW 1977, 545; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnrn. 28 ff. zu Art. 20 Abs. I; P. Häberle, Die Verfassung des Pluralismus, S. 59 ff.; K.A. Schachtschneider, JA 1979, 572.; H.H. Rupp, HStR, Bd. I, S. 1205; zum Grundkonsens weitere Hinweise in Fn. 17 im 11. Teil, 1. Kap., S. 1180. 104 Ähnlich P. Kirchhof, HStR, Bd. I, S. 811; allgemein i.d.S. auch E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 917 ff.; zum Neutralitätsprinzip Ρ Mikat, HVerfR, S. 1064 ff.; K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 26 ff., 120 ff., 236 ff.; grundsätzlich zum Prinzip der Nicht-Identifikation H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff., der das Homogenitätsprinzip als dem Modernen Staat nicht gemäß verwirft; ganz so K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 209 ff.; auch J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 46, 48; zum Toleranzprinzip G. Püttner, Toleranz als Verfassungsprinzip, Prolegomena zu einer rechtlichen Theorie des pluralistischen Staates, 1977; auch P. Häberle, Die Verfassung des Pluralismus, S. 59 ff. 105

Dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 48 ff. Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 211; ebenso ders., Wahrheit, Freiheit, Frieden, S. 166 ("Eine politische Partei läßt sich auf den biblischen Glauben nicht redlich gründen." Der christliche Name"bringt in diese Partei etwas existentiell Verwirrtes"); ganz i.d.S. E.K. Scheuch, Wertewandel in der Gesellschaft - Ursachen und Folgen, in: Sonde. 1986, S. 18 ff., 26 f.; W. Steffani, ZParl 1986, 586; ganz so die auch parteienrechtliche Lehre von der NichtIdentifikation H. Krügers, Allgemeine Staatslehre, S. 373 ff.; so auch J. Schuschnig SJ, Toleranz als Achtung des anderen aus eigener Überzeugung, in: W. Leisner (Hrsg.), Staatsehtik, 1977, S. 110 ff., i.S. der Pflicht zum "leidenschaftslosen (...) Gespräch" mit dem überzeugt "Andersdenkenden" und der Warnung, Toleranz als Mittel zur "Liquidation" des "Feindes" zu mißbrauchen; dazu auch J. Listi SJ, Staat und Kirche - Von der Trennung zum Dialog, daselbst, 106

4. Kap.: Die aufklärerische, säkularisiert christliche Homogenität

1199

Wer seine gesetzgeberischen Maximen dem Koran entnimmt, ist nicht in der Lage, im offenen Diskurs mit den christlich geprägten Deutschen auf der Grundlage der Wahrheit das Richtige für das gute Leben in allgemeiner Freiheit zu erkennen. Das ist die sowohl aufgeklärte und als solche i m Ideal deutsche und allgemein europäische Art der Gesetzgebung. Wer die Herrschaft von Priestern will, kann eine solche nicht mit den Deutschen und sonstigen Europäern haben. Das Religiöse ist in Deutschland res privata 1 0 7 ; res publica ist die religiöse Toleranz der Bürger und die religiöse Neutralität des Staates. Die Republik ist religiös indifferent; sie darf sich mit keiner Religion identifizieren und dazu auch von niemandem gedrängt werden 108 . Der Laizismus ist in Frankreich Verfassungsprinzip (Art. 2 Abs. 1 der Verfassung der Französischen Republik) und wird in Frankreich konsequenter durchgeführt als in Deutschland 109 . Er muß ein Grundprinzip einer Verfassung Europas sein. Die Einheit des Religiösen mit dem Politischen ist in der Republik aufgehoben 110 . Diese Entwicklung dürfte Marsilius von Padua mit seinen demokratisch-republikanischen Werk "Defensor pacis", 1324, gestützt auf Aristoteles, eingeleitet haben, das vor allem zum kirchlichen Konziliarismus geführt hat 111 . In der Trennung von Religion und Politik erfüllt sich das Christliche in der und durch die Republik. "Christentum, das als solches politisch wird, ist als Glaube fragwürdig geworden. (...) Wohl haben aber (...) fromme Christen die moderne Welt der Freiheit hervorgebracht." - Karl Jaspers 112

S. 151 ff. 107 J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 46, 48; i.d.S. auch W. Maihofer, HVerfR, S. 960 ff., insb. S. 962 f. 108 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff., allgemein zum Prinzip der Nicht-Identifikation, S. 367 ff., für die Parteien; ihm folgt R Mikat, HVerfR, S. 1064 ff.; Κ Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 209 ff.; ders., Wahrheit, Freiheit, Frieden, S. 166. 109

Dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 50 ("in Deutschland, 'hinkende' Trennung von Kirche und Staat"). 110 I.d.S. auch Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 151 ff.; zur augustinischen Eschatologik der Einheit von Religion und Politik D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, S. 307 ff.; dazu ideengeschichtlich H. Hofmann, JuS 1988, 843 ff.; die Einheit verteidigt etwa P. Eicher, Die Fragwürdigkeit des transzendentalphilosophischen Freiheitsbegriff, in: W. Oelmüller (Hrsg.), Normenbegründung Normendurchsetzung, 1978, S. 78 ff., 81, indem er "praktische Freiheit" mit der "absoluten Freiheit" theologisch legitimiert. 111 Dazu J. Habermas, Legitimationsprobleme im modernen Staat, S. 48; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 40; dazu auch W. Theimer, Geschichte der politischen Ideen, S. 71 f.; H. Hofmann, JuS 1988, 847.

1200

11. Teil: Republikanische Homogenität

Der christliche Europäer trägt in der Regel seine Religiosität nicht in einer Weise nach außen, die im Interesse der allgemeinen Freiheit staatliche Rechtsetzung provozieren könnte, sondern verinnerlicht das Religiöse; er leistet persönlich die Säkularisation des Politischen 113 . Die Pflicht zur religiösen Verinnerlichung normiert bereits Art. 10 der Deklaration von 1789: "Niemand soll wegen seiner Ansichten, auch nicht wegen der religiösen, beunruhigt werden, sofern ihre Äußerung die durch ein Gesetz errichtete Ordnung nicht stört." Religiös geleitete Gesetzgebung gefährdet diesen Laizismus nicht minder als die laizistische Gesetzgebung die Religiosität 114 , jedenfalls deren Äußerlichkeit. Die Allgemeinheit der Freiheit engt die religiösen Möglichkeiten ein. Die politische Nicht-Identifikation mit einer Religion, welche islamischen Fundamentalisten, aber auch manchen Christen nicht eigen zu sein scheint, gehört zur republikanischen Homogenität der Bürger als citoyens, wenn sie auch oft nur indifferente Religionslosigkeit ist. Hinreichende Aufgeklärtheit ist als deutsche Homogenität Bedingung der grundgesetzlichen Republik. Sie ist weitgehend, behindert von der katholischen Kirche, die sich in Europa meist mit den Mächtigen zu verbünden wußte 115 , die Lage der Europäer, eine fast unausbleibliche Konsequenz des Republikanismus als der politischen Form der Freiheit. Die homogene Aufgeklärtheit gehört zur deutschen und weitgehend europäischen Kultur, wie überhaupt eine Republik die homogene Nicht-Identifikation mit Religionen (und Weltanschauungen) voraussetzt, die nichts anderes ist als die homogene Freiheitlichkeit und damit Sittlichkeit im

112

Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 210 f. Zur Säkularisation H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 32 ff., 51 ff., für die politischen Parteien, S. 373 ff.; zur 2. Evangelisation des säkularisierten Europa ruft auf Kardinal Godfried Danneels, Die Evangelisierung in einem "säkularisierten" Europa; in diesem Sinne räumt das Grundsatzprogramm der CDU (C steht für Christlich!) vom 25. Okt. 1978, bekräftigt durch Beschluß des 36. Bundesparteitages der CDU 1988, im 2. Satz ein: "Aus christlichem Glauben läßt sich kein bestimmtes politisches Programm ableiten." 1,3

114 115

P. Mikat, HVerfR, S. 1067 ff. Dazu C. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, S. 5 ff.

5. Kap.: Die Einbürgerung anstelle eines Ausländerwahlrechts kantianischen S i n n e 1 1 6 . Das ist ohne Widerspruch zur Lehre Herbert

1201 Krü-

gers, der jede identifizierende H o m o g e n i t ä t als Mißverständnis des M o d e r nen Staates zurückweist, aber u m die Unentbehrlichkeit "gemeinsamer u n d anerkannter Wertüberzeugungen" für ein Gemeinwesen w e i ß 1 1 7 .

5. Kapitel Die Einbürgerung anstelle eines Ausländerwahlrechts E i n Ausländerwahlrecht ist i n Deutschland auch wegen des Verfassungsprinzips der deutschen S t a a t l i c h k e i t 1 1 8 abzulehnen. Es würde aus vielerlei G r ü n d e n das Grundgesetz verletzen, v o r allem aber das Homogenitätsprinzip. Es gibt darum keinen W e g z u m Ausländerwahlrecht, auch nicht den der Verfassungsänderung durch den qualifizierten Gesetzgeber nach A r t . 79 A b s . 2 G G 1 1 9 . E i n e m Wahlrecht der (europäischen) Unionsbürger

steht

wegen der D o m i n a n z der homogenen politischen N a t u r die spezifische nationale deutsche H o m o g e n i t ä t nicht (mehr) entgegen; denn Europa wächst zu einem V o l k 1 2 0 . A b e r ohne neue Verfassung kann es rechtens

nicht

116

I.d.S. K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 209 ff; zum "Bruch zwischen dem Evangelium und der Kultur (...) als Drama unserer Zeitepoche", wie auch anderer Epochen (Evangelii Nuntiandi, N. 20) Kardinal Godfried Danneels, Die Evangelisierung in einem "säkularisierten" Europa, S. 23; vgl. auch F. Gogarten, Der Mensch zwischen Gott und Welt, S. 217 ff. ("Die Katastrophe der Freiheit"); dem W. Henke, Recht und Staat, S. 30 ff., 38, folgt. 117

Allgemeine Staatslehre, einerseits S. 178 ff., 184, der die Nicht-Identifikation zu Recht zum Kriterium der "echten Parteien" macht, die allein dem Grundgesetz entspricht, S. 373 ff., andererseits, S. 547; zum Grundkonsens Hinweise in Fn. 17 im 11. Teil, 1. Kap., S. 1180. 118 So BVerfGE 83, 37 (50 ff.); 83, 60 (70 ff.); dazu Κ Stern, Staatsrecht I, S. 231 f., 238 f., 266, 511 f.; H. Quaritsch, Der grundrechtliche Status der Ausländer, HStR, Bd. V, 1992, S. 709 f. 119

K.A. Schachtschneider, 53. DJT, 1980, L 148 ff.; ders., Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, S. 103 bzw. 106; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 135 ff.; dazu eindrucksvoll H. Quaritsch, Staatsangehörigkeit und Wahlrecht, DÖV 1983, 1 ff., gegen ein Ausländerwahlrecht; vgl. auch ders., HStR, Bd. V, S. 710; dagegen auch Ch. Starck, HStR, Bd. II, S. 25; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 905, 917; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 635; R. Grawert, HStR, Bd. I, S. 686; P. Kirchhof; HStR, Bd. I, S. 807; dazu genau M. Birkenheier x Wahlrecht für Ausländer, 1976; anders H. Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem, HStR, Bd. II, S. 279, mit Hinw. auf die Gegenmeinung. 120 I.d.S. BVerfGE 83, 37 (59), in einem obiter dictum; jetzt klar BVerfGE 89, 155 (184); i.d.S. K.A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 90 f. 76 Schachischneider

1202

11. Teil: Republikanische Homogenität

eingeführt werden, weil es das fundamentale Prinzip der deutschen Staatlichkeit des Art. 20 GG verletzt. Die Entscheidung der Deutschen für den Nationalstaat sollte durch eine Entscheidung für den europäischen (föderalen) Staat ersetzt werden, der freilich ohne Verfassung der Europäer nicht begründet werden kann. Jeder Staatsangehörige darf wählen und prinzipiell auch gewählt werden. Auch umgekehrt gilt: Wer wählen darf, ist (im substantiellen Sinne) Staatsbürger 121 ; denn das Wahlrecht ist der Kern der Staatsbürgerschaft. Wer wählt, nimmt an der Gesetzgebung teil. Das aber ist das wesentliche Amt des Bürgers und darum nur des Bürgers. Keinesfalls hängt das Wahlrecht von der Homogenität des Einzelnen mit dem Volk insgesamt ab. Ein Mensch muß den anderen Staatsbürgern nicht homogen sein, um das Wahlrecht zu haben. Er muß Staatsbürger sein, also zum Volk im staatsrechtlichen Sinne gehören 122 . Wer Staatsbürger ist, muß freilich eindeutig sein, auch (aber nicht nur) weil das Wahlrecht damit verbunden ist. Es sind die Menschen, die nach Maßgabe der Gesetze durch ihre Geburt (sei es wie in Deutschland nach dem ius sanguinis, § 4 Abs. 1 RuStAG, oder wie in anderen Ländern auch nach dem ius soli) zum Volk gehören, oder die, welche wegen ihrer hinreichenden Homogenität, d.i. nach den bundesdeutschen Einbürgerungsrichtlinien u.a. auf Grund ihrer Hinwendung zu Deutschland 123 , naturalisiert, eingebürgert sind. Der administrative, formal urkundliche Einbürgerungsakt stellt mit der Staatsbürgerschaft klar, daß der naturalisierte Ausländer kein Fremder mehr ist. Seine Homogenität kann rechtlich nicht mehr in Frage gestellt werden. Ein Wahlrecht von Fremden wäre Fremdherrschaft, nicht aber Verwirklichung der Freiheit durch Gesetz; denn der Fremde wird an der Schicksalsgemeinschaft des Volkes erst dadurch beteiligt, daß er Mitglied der

121 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432; H. Quaritsch, DÖV 1983, 3 f.; zu diesem Zusammenhang auch J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 634 f.; R. Grawert, HStR, Bd. I, S. 685 f. 122 H. Quaritsch, DÖV 1983, 3 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 917; zum staatsrechtlichen Volksbegriff R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 70, 79 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. I, S. 634 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 250 ff., 260 ff.; R. Grawert, HStR, Bd. I, S. 685 f.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 643 ff., der S. 649 zu Recht die Bürgerlichkeit des Staatsbürgers einfordert. 123 Nr. 3.1 der Einbürgerungsrichtlinien, Anhang zu § 8 RuStAG, abgedruckt in: A.M. Makarov/H. v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Stand 1985, S. 113; vgl. K. Stern, Staatsrecht I, S. 260 ff.; R. Grawert, HStR, Bd. I, S. 680; dazu auch H. Quaritsch, HStR, Bd. V, S. 734 ff.

5. Kap.: Die Einbürgerung anstelle eines Ausländerwahlrechts

1203

Bürgerschaft, des Volkes, wird. Die Mitgesetzgebung von Ausländern durch Wahl und auch Teilnahme am Diskurs führt zu Gesetzen, die ihn nur verbinden, solange er nicht in die Heimat zurückkehrt. Man denke nur an das Rentenrecht oder auch an die Stadtentwicklung als einer kommunalen Angelegenheit. Der Ausländer ist als Gast, als ξένος, dem Recht des Gastlandes unterworfen 124 . Die Ausländer müssen nicht Fremde sein. Sie sind Mitmenschen, Nächste. Aber ihr Status als Bürger bedarf der Klarheit. Die Ausländer sollten ihren Aufenthalt in dem Land, in dem sie rechtlich Fremde bleiben, beenden, um in ihrer Heimat frei, autonom sein und in Würde leben zu können. Die Würde des Menschen ist ohne die politische Freiheit, insbesondere also das Wahlrecht, verletzt. Wer im Lande lebt, muß folglich mit dem Wahlrecht die Einbürgerung anstreben. Ihm muß es allerdings auch ermöglicht werden, Bürger zu sein, notfalls durch doppelte Staatsangehörigkeit. Bedenkenswert ist das ius soli oder der Anspruch auf Einbürgerung der Menschen, die im Lande aufgewachsen sind.

124 H. Quaritsch, DÖV 1983, S. 6 f.; ders., HStR, Bd. V, S. 679 ff., 729 ff.; E.-W. Böckenförde, HStR, Bd. I, S. 917; K. Stern, Staatsrecht I, S. 271 ff.; zum Ganzen R. Grawert, Staat und Staatsangehörigkeit, 1973.

76»

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Personenverzeichnis Achterberg, Norbert 814 ff. Agnoli, Johannes 1081 Alexy, Robert 260, 427 f., 486, 825 f., 849, 853, 857 f., 899 f., 1043, 1097, 1132 Anschütz, Gerhard 23 f., 278, 502 Apel, Hans 1069 Apel, Karl-Otto 522, 535 Aquin, Thomas v. 71, 155, 543 Arendt, Hannah 110, 157, 235, 410 f., 424, 627, 750, 916, 1008, 1048, 1071, 1162, 1157, 1173, 1176 f., 1199 Aristoteles 5, 11, 40, 44, 54, 64, 67 f., 84, 96 f. 102, 107, 114 f., 119, 122, 133, 140, 146, 152, 155, 165, 174, 210, 216, '219, 234, 236, 241 ff., 249, 284, 299, 323, 339, 350, 424, 426, 439, 523, 526 f., 529, 541, 545 ff., 587, 614, 616, 625, 659, 663 f., 680, 694, 700, 705, 751, 790, 806, 809, 882, 1129 Arnim, Hans Herbert v. 782, 1059, 1081, 1118,1168 Augustinus 71, 87, 345, 447 f. Bachof, Otto 914 Badura, Peter 21 f., 35, 62, 146, 396, 688, 701 f., 722 f., 773, 818, 1024, 1055, 1090, 1108, 1148 Ball, Hugo 758 Barschel, Rainer 1141 Baruzzi, Arno 261, 1085 Beck, Lewis W. 313 Bentham, 604, 618 Bettermann, Karl August 558, 576, 875 Bismarck, Otto v. 1045 Blackstone, William 711 Bloch, Ernst 156, 236, 256 ff., 417, 432, 1178 Bluntschli, Johann C. 682, 1190 so*

Bodin, Jean 22, 549 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 12, 19 ff., 35, 58, 74, 80, 103, 129 ff., 144, 175, 177, 185, 188 f., 195, 197, 343, 486, 501, 652 f., 671 , 687, 695 ff., 700, 702, 773, 801,831,900,1179 Brandt, Willy 209,1155 Burke, Edmund 604 Carstens, Karl 801 Christensen, Ralph 881, 886, 891, 895, 923 Cicero 1,12,109, 519, 545, 568,625, 751 Cohen, Hermann 308 Constant, Benjamin 604 Conze, Werner 42 Denninger, Erhard 207 Diderot 169 Dohnanyi, Klaus v. 1175 Draht, Martin 921 Dreier, Horst 702,780 f., 817 Dreier, Ralf 281 f., 301,562 Dürig, Günter 86,208,320,423 Ehmke, Horst 85, 165,193,441, 485,488, 511,925 Eibl-Eibesfeldt, Irenäus 1191 Eichhorn, Wolfgang 49 Ellscheid, Günther 245,1106 Erbel, Günter 272 Erichsen, Hans-Uwe 259, 272,427 f., 503 Eschenburg, Theodor 111,1116 Fichte, Johann Gottlieb 576,1097 Fijalkowski, Jürgen 103, 694, 704 f., 754 Flume, Werner 718, 724 Forsthoff, Ernst 176, 348, 351 f., 355, 542, 922 Fraenkel, Ernst 620,623,660 f., 701,1179 Friedrich der Große 277,608

1268 Friesenhahn, Ernst 914, 922,1055 Fromm, Erich 787 Gerber, Carl Friedrich v. 74, 88,128 Gierke, Otto v. 1046 Glotz, Peter 1079 Goebbels, Josef 109 Goethe, Johann Wolfgang 550 Götz, Volkmar 547 Grabitz, Eberhard 260,441,485,487 Grawert, Rolf 207, 655 Greven, Michael 1061 Grewe, Wilhelm 1054 Grimm, Dieter 774, 809, 817, 850, 1090 Gröschner, Rolf 541 Grotius, Wilhelm 1196 Guizot, Francois 586,604 Habermas, Jürgen 78 f., 96 f., 125, 152, 156 f., 191, 211, 236, 280 f., 287, 289 f., 382,480, 520, 526, 559, 567, 571 ff., 596 ff., 602, 609, 620, 701, 731, 825, 850, 1047, 1071, 1083, 1098, 1104 ff., 1108, 1147, 1183, 1185, 1190 f., 1195 f. Häberle, Peter 8, 30 f., 74, 182, 208, 217, 135 f., 260, 275, 327, 441, 458, 485, 492, 504, 523, 586, 822, 829, 849 f., 858, 907, 913, 956, 958, 961, 967, 977, 1005, 1030,1042 f., 1110 Hättich, Manfred 37 f., 43, 75, 79 f., 83 f., 93, 99, 107, 128, 131 f., 147, 427, 429 f., 503 Hamm-Brücher, Hildegard 1059, 1064, 1066, 1068,1088 f., 1094 Hartmann, Volker 764, 766, 770 Hattenhauer, Hans 143 Hauriou 850 Hayek, Friedrich August v. 7,681,963 Hegel, Georg W.F. 162, 173 f., 178, 184, 190, 213, 295, 328, 432, 485, 505, 507, 509, 511, 541, 543, 598, 602, 662, 682, 757,760 Heller, Hermann 74, 81, 96, 165, 242, 520 f., 752,757,770,1047,1179 ff. Henke, Wilhelm 15, 26, 42, 74, 76, 81 ff., 115, 119, 177 f., 187, 191, 197, 207, 215, 218, 323, 410, 427 f., 520, 531, 540 ff., 545 f. 553, 682, 697, 734, 788, 914 f., 1051,1092, 1111 f.

erzeichnis Hennis, Wilhelm 1174 Herzog, Roman 74, 349,773 Hesse, Konrad 15, 74, 176, 201, 207, 358, 441, 460, 485, 504, 511, 590, 784, 817 f., 825, 923 f., 935, 989, 1015, 1182 Heuer, Uwe-Jens 49 Heuss, Theodor 969,1090 Hitler 144,265,654,687,697,1091,1118 Hobbes, Thomas 9, 22, 90 f., 124 ff., 136, 149, 286, 291, 303 f., 476, 479 ff., 484, 486, 523, 530, 545, 549, 552, 555, 572, 578 f., 638 f., 648, 727, 732, 785 f., 1046, 1110, 1144 f., 1172 Höffe, Otfried 254, 346, 426, 428, 433 f., 519,546, 553 ff., 559,618 f. Hofmann, Hasso 468, 522, 702, 752, 782 f., 817,1196 Hofmann, Hasso/Dreier, Horst 702, 780 f., 817 Hughes, Christopher 951 Humboldt, Wilhelm v. 240, 347, 550,576 Humes, David 522 Isensee, Josef 15, 17, 19, 31, 36, 40, 56, 74, 95, 115, 130, 139, 144, 162 f., 177 ff., 190 f., 201, 204, 207, 214 f., 259, 261 ff., 323, 397, 486, 505 f., 572, 620 ff., 682 Jaspers, Karl 28, 47 f., 56, 76, 78, 104, 109, 120, 152, 154, 156, 158, 256, 286 f., 321, 324, 336, 553, 584, 599, 603, 614, 630, 678 f., 686 f., 734, 772, 779, 785, 798, 802 f., 928, 1059, 1063 f., 1070, 1074, 1076, 1080 f., 1083 ff., 1092, 1097 f., 1121, 1141, 1156, 1162, 1165, 1198, 1199 Jefferson, Thomas 877 Jellinek, Georg 11, 57, 73 f., 88,194, 208, 457 ff., 482 Jenninger, Philipp 1124 Johannes Paul Π. 1197 Kaltefleiter, Werner 1050,1056,1066 Kaltenbrunner, Gerd-Klaus 681 Kant, Immanuel 8, 11, 13, 17, 28 f., 31, 35,42,45,53,55 f., 59,77, 89,94,104, 107, 109, 126 f., 129, 131 ff., 138 ff., 145, 149, 153 ff., 170, 171, 174, 176, 197, 204, 208, 211 f., 214, 216, 218, 222, 231 ff., 236 f., 239 ff., 247, 250,

erzeichnis

253 ff., 264 f., 275 ff., 328 f., 332 ff., 344 f., 349, 375 ff., 397, 410, 417, 420, 422, 425 f., 430 ff., 446 f., 451, 461, 474, 483 ff., 505 f., 511 f., 519, 520 ff., 533, 541, 545, 549 ff., 553 f., 556, 559, 563 ff., 567 f., 570 ff., 574 ff., 602,608, 614, 617, 621, 624 f., 627 f., 630 ff., 638 ff., 645 f., 653 f., 662, 666, 674, 680, 684, 691, 698, 705, 728, 732 f., 735, 737, 750, 761, 774, 785 f., 794, 827, 851, 881, 916, 926, 933, 992, 998 f., 1006, 1043, 1046, 1071, 1074 f., 1097 f., 1105 ff., 1144 f., 1147, 1159, 1177 f., 1184 f., 1197 Kaufmann, Arthur 257 Kaufmann, Erich 874, 885, 890, 896, 914, 975 Kelsen, Hans 4, 37, 503, 521, 533, 675 f., 689,691,786, 825,1179 Kennedy, John F. 930 Kersting, Wolfgang 320,430 f., 525,532 Kirchhof, Paul 207, 259, 411, 769, 988, 998 f., 1179,1185, 1193 Klein, Hans Hugo 486,782, 813 Kohl, Helmut 615, 686, 799 f., 1101, 1124 f., 1144,1153,1155 Koselleck, Reinhart 42 Krause, Peter 703 Kriele, Martin 9, 21, 28 f., 36, 39, 44 f., 53, 57 f., 169, 180, 236, 425, 427, 528, 541, 585, 592 f., 623, 625, 659, 691 f., 719,774,781,792,917,1083 Krockow, Christian v. 185, 190, 193, 197, 1056 Krone, Heinrich 1165 Krüger, Herbert 22, 59, 165, 195, 200, 207, 211 f., 358, 441, 485, 499, 509, 513, 577, 627, 641, 643, 645, 654, 663, 673 f., 680 ff., 782,927,1052,1201 Küchenhoff, Erich 288 Küchenhoff, Günther 288 Kunig, Philip 987 Laband, Paul 541,664 Lattmann, Dieter 1095 Leibholz, Gerhard 46, 63, 424, 589, 592 ff., 596, 644, 647, 689, 693, 696 f., 705, 708 f., 712 f., 728, 731, 733, 735 ff., 747 f., 754, 759 f., 763 ff., 775 ff., 782,784,786,789,793 ff., 801,

1269

815, 869, 921, 925, 992 f., 1050, 1057, 1087,1093,1097,1149 Leisner, Walter 36, 169, 210, 509 f., 526, 595, 652 f., 655, 680, 682, 727, 1023 ff., 1051, 1062, 1075,1112, 1124 Lenin 692,1061, 1083 Lerche, Peter 823, 825, 831 Link, Christoph 184, 247, 390,468 f., 553 Locke, John 274, 291,316 f., 532,1046 Lorenz, Konrad 439 Luchterhandt, Otto 164, 254, 275, 346, 551,631, 1082 Lübbe-Wolff, Gertrude 485,487 Luther, Martin 323, 1196 f. Luxemburg, Rosa 929 Machiavelli, Niccolo 11, 155, 714, 797, 1072,1078,1112,1125 ff., 1135 Mager, Wolfgang 32 Mahrenholz, Gottfried 900 Maihofer, Werner 10, 28, 41 f., 74, 93 f., 96, 107,128,149 f., 152, 154, 179, 236, 240, 243, 256, 260, 272, 423, 476, 486, 506, 509,545,575,579, 601, 654,691 Maier, Hans 42 Mangoldt, Herrmann ν. 41,272 f. Mann, Heinrich 681 Mann, Thomas 190 Maluschke, Günther 295 f. Manti, Wolfgang 748,757,764 Marcie, René 4, 87, 157, 439, 542 f., 578, 821, 854, 877, 882, 919, 921, 935, 963, 968 f., 983,998,1031,1170 Marx, Karl 43,49,129,213, 505, 660,761 Massing, Otto 918,921 Maunz, Theodor 207 Meier, Christian 42 Mestmäcker, Ernst-Joachim 396 Metternich 192 Meyer, Hans 717,723,776,781 ff., 791 Meyn, Karl-Ulrich 773, 814, 817 Michels, Robert 74,109,1064 Mill, John Stuart 240,604 Mommsen, Theodor 207 Montesquieu, Charles 123, 126, 149, 169, 281, 285, 412, 567, 639, 645, 705, 809, 882, 884,919 f., 956,1127

1270

Müller, Christoph 711 Müller, Friedrich 881, 886 Napoleon 505,1188 Naumann, Friedrich 1, 727 Novalis 179,751 Oberreuter, Heinrich 1077 Padua, Marsilius v. 96,1199 Paulus 323, Perikles 122,281 Pieper, Josef 542 f., 621 Piaton 505 Podlech, Adalbert 1000 Popper, Karl R. 3, 30, 32, 110, 122, 136, 139, 152, 154, 240, 505, 567, 569, 573, 734, 1084,1104, 1108, 1122, 1146 Preuss, Hugo 455, 851 Preuß, Ulrich K. 659 f. Radbruch, Gustav 874, 1054, 1069, 1122, 1151,1153 Randelzhofer, Albrecht 22 Rausch, Heinz 698 f., 700 f. Rawls, John 10, 28, 93, 133, 156, 240, 280, 284, 410, 423, 426 f., 433, 483 f., 989 Reimann, Hans Leo 42 Renan, Ernest 1040,1187 Ress, Georg 552 Richter, Horst Eberhard 463 Ridder, Helmut 994 f. Riedel, Manfred 165 Robespierre 239, 265,420 f. Roellecke, Gerd 849, 911, 913, 971, 1028 f. Rousseau, Jean-Jacques 10, 13 f., 18, 20 ff., 28, 63 f., 90, 111, 115, 119 f., 123, 126 f., 129, 135, 138, 149, 176, 210 f., 216, 254, 271, 275 ff., 291, 310, 313, 317, 433 f., 439, 451, 480, 523, 532, 534, 541, 549 f., 558, 562, 565, 578 f., 617, 624 f., 626, 639 ff., 645, 648 f., 652, 657, 668, 676, 692, 705, 718, 723 f., 785 ff., 809, 1046, 1095, 1177,1179, 1182 Rupp, Hans Heinrich 74, 184 f., 192, 201 ff., 207, 212 f., 232, 354, 441, 463, 469 ff., 485, 488, 655 Sachs, Michael 259,442,445,471,482

erzeichnis Savigny, Friedrich Karl v. 721 Schachtschneider, Karl Albrecht 208 Scheler, Max 208 Scheuch, Erwin u. Ute 186, 1059 f., 1064, 1066, 1077, 1082, 1102, 1117, 1119, 1155, 1167 Scheuner, Ulrich 1035, 1039 Schiller, Friedrich 242 f., 550,1085 Schiaich, Klaus 949,951,954,967 Schlegel, Friedrich 532 Schlink, Bernhard 486 f., 920 Schmid, Carlo 17, 24 ff., 36, 255, 273, 513, 938 Schmidt, Helmut 1173 Schmidt, Walter 97 Schmidt- Aßmann, Eberhard 902 Schmidt-Rimpler, Walter 407 Schmitt, Carl 6, 11, 35, 42 f., 45 f., 48 f., 51, 53, 63, 74, 80, 91, 93 ff., 98 ff., 106 f., 113, 121, 130, 132, 142 f., 147 ff., 150 f., 155, 165, 174 f., 178, 180, 194, 386 f., 450, 452, 467 f., 472, 486, 492, 496, 503, 524 f., 529, 532 ff., 539, 551, 586, 592, 596 f., 602 f., 604, 609, 610, 643, 652, 654, 664, 682, 689, 691, 693, 697, 705 f., 708 f., 713, 718 f., 730 ff., 735 ff., 765 f., 770 ff., 775, 777, 783, 787 f., 791, 797, 801, 824, 827, 832, 849, 851, 857 ff., 866, 874 ff., 879 f., 883, 913, 935, 937 f., 949, 951, 953, 968, 993, 1030, 1034, 1047 f., 1052, 1057 f., 1064, 1067, 1072 f., 1095, 1097, 1117, 1122, 1128, 1140, 1153, 1155, 1159 ff., 1177 ff. Schmitt Glaeser, Walter 97 ff., 207 ff., 269,486,586,1049,1052 Schneider, Hans 583 Schneider, Hans-Peter 773 Schneider, Peter 925 Schoeler, Andreas v. 1164 Schwabe, Jürgen 260, 380, 442, 445, 481, 484,486 Seume, Johann Gottfried 145 Sieyès, Emmanuel 641, 645, 656 f., 705, 711 Smend, Rudolf 698, 835, 837 f., 877, 966, 1035,1179 Sobolewski, Marek 698 f.

erzeichnis Sokrates 1104 Spaemann, Robert 78 Spengler, Oswald 752 Spinoza 755 Stalin 1061 Starck, Christian 272, 460, 464, 488, 502, 831,921 Steffani, Winfried 634, 807 Stein, Lorenz v. 242 Stern, Klaus 15, 22, 35, 53, 74, 207, 259, 442, 445, 471, 482, 652, 707 ff., 722, 773, 795, 917 f., 1031, 1038, 1182 Sternberger, Dolf 9, 71, 82 f., 85 ff., 89, 96, 103, 126 f., 132, 141 ff., 151, 210, 587,807, 1190 Süssmuth, Rita 1124 Süsterhenn, Adolf 938,1031 Suhr, Dieter 260,427,930 Thoma, Richard 23, 387,479,496 Thukydides 110,122, Tocqueville, Alexis v. 241 Triepel, Heinrich 195, 528, 604, 614, 768, 775, 786, 801, 915 f., 926,987,1050

1271

Treitschke, Heinrich v. 323 Ulpian 254 f. Viehweg, Theodor 541 Vollrath, Ernst 506 Voscherau, Henning 1164,1175 Wassermann, Rudolf 1055, 1064, 1066, 1078 f., 1082,1084,1089,1107,1116 Weber, Max 74, 79 f., 128, 131, 624, 731, 916,1060 f., 1064,1116,1152 Weizsäcker, Richard v. 1059, 1064, 1067, 1069,1078 f., 1134,1137,1156 Welzel, Hans 297 Wieacker, Franz 260 Wiesendahl, Elmar 1127 Wildenmann, Rudolf 1050 f., 1055, 1066, 1122,1151 Wintrich, Joseph M. 825,862,914,939 Wolff, Hans-Julius 27,675,716,731, 812 Zacher, Hans F. 129, 236 ff., 242 f., 247, 250, Zeh, Wolfgang 813 Zippelius, Reinhold 15, 40, 74, 207, 427, 694, 791

Sachwortverzeichnis Abgeordnete 607, 63 ff., 662 ff., 707 ff., 714 ff., I I I ff., 799 ff., 805 f., 810, 967 - äußere und innere Freiheit 1091 f. - Entmündigung 1088 ff. - fraktionslose - 779 - Gewissen 1086 ff. - Gewissen und Wille des Volkes 802 ff., 810 ff. - Gruppierung 799 ff. - innerparteiliche Moralität 1086 ff. - parteigebundene - 47 f. - Redefreiheit 1095 - Tugend 1086 ff. - und Parteien 799 ff. Abstimmungen 1051 Abtreibungsentscheidung 959 Abwägung 419, 880 ff., 895 ff., 900 ff., 906 - der Gesetzesrichter 897 ff. Abwehrrechte 159 ff., 182, 454 ff. Achtung, gegenseitige - 1104 ff. Adel, bürgerlicher - 680 f. Adelsprivilegien, parteiliche - 1155 Akklamation 43 f., 101 ff., 589 ff., 602 ff., 647, 687, 691 ff., 741 ff., 754 ff. - und Herrschaft 44 ff. Aktivbürger 1159 ff. Akzeptanz - allgemeine - 959 ff. - bürgerschaftliche - 417 f. - der Fremdbestimmung 44 Alleinbestimmung 373 ff. Allgemeinheit 220, 494 ff. - als Grundrechts schranke 835 ff. - der Freiheit 929 ff. - der Freiheit und Gleichheit 414 ff. - der Gesetze 317, 400, 1027 ff. - der Gesetzesbegriffe 887 ff.

- des Gesetzes 414 ff. - gegenständliche - 415 f. - gleichheitliche - 1027 ff. - personale - 415 f. Amt 228 - als Beruf 219, 228 - des Bürgers 614 ff. - und Herrschaft 171 - und Tugend 139 f. Ämterpatronage 50, 548, 1113 ff., 1120 Ämterstaat 1051 ff. Ämterverfassung 50 Amtlichkeit 166 f. Amtsbefähigung 676 ff., 679 ff., 809 Amtsbegriff 1049 Amtsführung - als res privata 228 ff. - Wissenschaftlichkeit der - 683 Amtshandeln 631 Amtskompetenz 676 ff., 806, 1012 f. - der Abgeordenten 679 ff. Amtslehre - Henkes- 215 f. Amtsprinzip 57, 152, 226, 612 f., 620 ff., 621, 659 ff., 676 ff., 810 ff., 1077, 1159, 1175 - aristokratisches - 114 ff. - republikanisches - 137 ff. Amtswalter 66 - als Bürger 228 Amtswaltung 228 - der Bürger 226 - nicht Herrschaft 161 - richterliche - als Persönlichkeitsentfaltung 227 - staatliche - 228 ff. - wissenschaftliche - 227 f. Amtswechsel 664, 665 f., 806, 1157 - aristotelischer - 529 - regelhafter- 1165

S achortverzeichnis Angleichung 661 Anständigen, die 616 - als Volksvertreter 663 Anständigkeit 121 Antiparteienaffekt 1118 Antrags Willkür 383 Apriori - transzendentales - 312 f., 333, 733, 1005 Äquivalenzprinzip, formales - 629 Arbeitskampf 370 Arbeitskampfrecht 877 Argumentationsprinzip 701, 1147 Aristokratie 64, 107, 115 - politische - 28 Armut 243 ff. Asylrecht 846 Auffanggrundrecht 331 ff. Aufgaben, staatliche - 198 ff. Aufklärung 1075, 1084 - Kants Begriff der - 614 f. Aufnahme- und Ausschlußrecht der Parteien 792 f. Außenlehre - freiheitsdogmatische - (SchrankenEingriffs-Schema) 478 ff. Ausgleich, von arm und reich 242 ff. Ausländerwahlrecht 947, 1201 ff. Auslegung - verfassungskonforme - 906 ff. Auslegungsfähigkeit - der Gesetzesbegriffe 886 ff. Ausleseprinzip 682 Ausschüsse 596 ff. Autonomie 140, 280 ff. - des Willens 275 ff., 373 ff., 400 f., 410 ff., 429 ff., 443 ff., 449, 494 ff., 619, 687 ff., 979 - und Menschenwürde 332 Autonomielehre 275 ff. Autonomieprinzip 326 ff. - Handlungslehre des - 336 ff. Basisdemokratie 103 Befangenheit 661 Befehl und Gehorsam 80, 740 ff. Befreiung 1989 1083 f.

1273

Befriedungsfunktion, des Bundesverfassungsgerichts 943 Begründungspflicht, gesetzgeberische 419 Beliebigkeit 441 ff., 464, 467 ff. - Recht zur - 495 Beruf - Amt und - 219 Berufsfreiheit 392 ff., 450 f., 844 Berufspolitiker 1077 ff., 1155 ff., 1165 ff. Besitz und Bildung 213 Besitzstandsdenken 247 Besten, die 122 f., 146, 616, 643, 662 ff., 663, 675 ff., 677, 679, 681 ff., 794 f., 1067 f., 1080 f., 1154, 1156, 1157, 1173 - Wahl der Besten 1123 Bestimmtheit 887 ff., 894 f., 896, 901 ff., 1138 f. - der Gesetze 883 ff. - der Staatsaufgaben 387 f. - rechtsstaatliche - 850 ff., 867 ff. - und Autonomieprinzip 884 f. - und Gerechtigkeit 276 Betroffenheitsdemokratie 209 Bevormundung, des Volkes 54 Bezirke, fliegende - 1121 Bill of Rights von Virginia 278 Billigkeitsklauseln 881 ff., 890 ff. Bindung, an Verfassungsgerichtserkenntnisse 953 f. Blockpartei 48, 677, 796 Böse, das 240 Bourgeois 213 ff. - als homme 214 - und citoyen 212 ff. Briefgeheimnis 842 ff. Brüderlichkeit 191, 234 ff., 285 ff. Bundesbank 940 Bundeskanzler 52 Bundeskanzler, nicht Führer des Volkes 52 Bundespräsident 12 - als Hüter der Verfassung 935 Bundesprüfstelle 1012 f. Bundestag - als Vertretung des Volkes 707 ff.

1274 -

S ach orterzeichnis

Deutscher - als Vertretungsorgan 637 ff. Bundesverfassungsgericht 208, 367, 537, 819 ff., 868 ff., 909 ff., 920 ff., 932 ff., 981 ff. - als eigentliches Parlament 966 - als Fachgericht 901 - als Gericht 911 ff. - als Hüter der Sittlichkeit 963 - als Hüter der Verfassung 909 ff., 936 ff. - als Institution des Mißtrauens 948 ff. - als moralische Instanz 1031 ff. - als Verfassungsorgan 868 ff., 910 ff. - als Vertreter des Volkes in der Sittlichkeit 854 ff. - Autorität 940 - bürgerlicher Respekt vor dem - 960 - demokratische Legitimation 975 ff. - Einzelfalldogmatik 880, 1009 ff. - gesetzgebende Rechtserkenntnisse 986 ff. - Kompensation durch das - 966 ff. - Kompetenzfunktionalisierung 985 f. - Moralität 964, 965 ff. - Rechtsverantwortung 1032 f. - republikanische Legitimation 976 - und Gesetzgebung 920 ff. - und Parteienoligarchie 939 ff., 966 - und Rechtsanwendung 914 ff. - und Rechtswissenschaft 964 ff. - Vertrauen in das - 967 ff. - Wahl der Richter 975 ff. Β undes verfassungsrichter - und Parteien 787 Bündnisse 682 f., 1069, 1074 - diskurswidrige - 1069 ff. - parteiliche - 1060 ff. Bürger 16, 207 ff., 210 ff., 214, 234 ff., 263 f., 322, 371 ff., 654, 666 ff., 688 ff., 718 - als "Herren" 86 - als Gesetzgeber 371 ff. - als Hüter der Verfassung 821 ff., 932 - als Politiker 161, 790, 848 f. - egoistische - 139 f. - formeller - 245

- materieller - 245 - moralische Defizite 1156 f. - republikanischer - 207 ff. - und Menschen 208 Bürgerbegriff 207 ff., 211 ff. Bürgerdemokratie 208, 586 Bürgerinitiative 209 Bürgerkrieg 1085, 1184 Bürgerlicher Zustand - Naturzustand und - 277 Bürgerlichkeit 371 ff., 501 ff., 729, 794 f. - als Freiheitlichkeit 211 ff. - als Gesetzlichkeit 218 ff. - der Bürger 341 ff. - Pflicht zur- 721 - staatliche und private - 211 ff. Bürgerschaft 2, 16 ff., 371 ff., 736 ff., 751 ff. - als Vielheit 93 - Hamburg 96 - Volk als - 27 Caesarismus 808 Christentum 1197 ff. Citoyen 207, 212 ff. Civitas 174 Classa politica 1079 Daseinsvorsorge 201, 348 ff. Datenschutz 892 f. DDR 49, 133, 246, 335, 615, 634, 642, 812 - als Despotie 527 f. - demokratische Bewegung 44 Deklaration von 1789 217 Delegationslehre 402 ff. tarifrechtliche - 399 Demokratie 92 f., 529, 613, 681, 685 ff., 735 ff. - absolute - 107 - als Anarchie 43 - als Begriff des Klassenkampfes 246 - als Despotie 97, 110 f. - als Diktatur 49 - als Diktatur des Proletariats 43 - als Einheit von Herrschaft und Freiheit 130 ff. - als Fehlform der Politie 108

S ach Wortverzeichnis als Form staatlicher Herrschaft 15 ff., 60 ff., 192 als Herrschaft der Mehrheit 105 ff. als Herrschaft der öffentlichen Meinung 43 als Herrschaft des Volkes 32, 92 ff. als herrschaftliche Führung 100 ff. als Idealbegriff 42 als Klassenbegriff 49 als konkrete Art der Über- und Unterordnung 740 als offener Begriff 33 ff. als Staats- und Regierungsform 23 ff., 54, 144 ff. altgriechischer Begriff 94 aufgeklärte - 57 Begriff 14 ff., 37 ff., 92 ff., 96 bürgerliche - als Republik 96 des 20. Jahrhunderts 763 ff. formale - 1063 freiheitliche - 2 ff., 20 ff., 24 ff., 28, 40 ff., 95, 179, 685 ff. freiheitliche - als Herrschaft 98 ff. Fundamentalsatz 23 gute Staatsform 53 herrschaftliche - 2 ff., 15, 20 ff., 40, 42, 49, 685 ff., 738 ff. herrschaftsfreie - 116, 685 ff. Idee 37 innerparteiliche - 713 ff., 792 ff., 1061 ff. konstitutionelle - 28, 41 f., 93 f., 107, 123 liberale - 685 ff. Mischung von - und Oligarchie 68 mittelbare - 118 nicht Volksherrschaft 32 parlamentarische 21, 40, 701, 773 ff. parteienstaatliche - 763 ff., 776 ff. plebiszitäre - 703 ff., 763 ff., 776 ff. Prinzip der - 689 reale - bei Kelsen 521 f. repräsentative 21 ff., 40, 118, 685 ff., 692 ff., 763 ff., 775 ff. Republik als freiheitliche - 104 republikanische - 23, 62 ff.

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- sozialistische - 48 ff., 246 - Strukturwandel der - 594 - totalitäre - 21, 43 - und Homogenität 738 ff. - und Identität 735 ff. - und Interessen 613 ff. - und politische Gleichheit 39 ff. - unmittelbare - 703 ff. - westliche - 52 f., 660 Demokratiebegriff - Carl Schmitts 740 f. Demokratielehre - als Herrschaftslehre 49 - herrschaftliche - 15 ff. - Schmittsche - 654 Demokratismus 62, 94 ff. - konstitutioneller - 210 Demonstrationsfreiheit 417, 589 ff., 607 ff., 633, 841 Demos 36 Demoskopie 515 ff., 611 Denken, politisches - alteuropäische Tradition 506 f. Despotie 82, 110, 135, 140 ff., 169, 194 ff., 225, 339 ff., 349, 705, 732, 790, 882, 1106 - Demokratie als - 110 - der demokratischen Regierungsform und Kant 646 - fremdbestimmte - 615 f. - Politik und - 99 - realsozialistische - 591 - sanfte - 53, 192, 588 f., 590, 623, 1072 - von Führern 647 Deutsches Reich - als demokratische Republik 23 - als Republik 2, 24 Deutschland 642 - Einheit und Freiheit Deutschlands 800 Dezisionismus 103, 657, 881 f. - Schmittscher - 756 f. Diätenurteil 1165 Diktatur 48, 686 - des Proletariats 48 f. Dimension - objektive - 385 ff., 822 ff.

1276

S ach wort Verzeichnis

Diskurs 996, 1099 ff., 1108 ff., 1141 ff. - kritischer- 1159 ff. - öffentlicher - 584 ff., 669 ff., 956 ff., 1195 ff. - parlamentarischer - 650, 716, 815 - politischer - 418 f., 564 ff., 657 - republikanischer - 795 - unparteilicher - der Medien 1141 ff. Diskursethik 98, 156, 701 f., 1185 - prozedurale - 598 ff. Diskursfähigkeit - allgemeine- 1104 f. Diskurskompetenz 608 ff. Diskurslehre 279 - Kants 1147 Diskursprinzip - der Aufklärung 808 Diskussion - öffentliche - 584 ff. Diskussion und Öffentlichkeit 121 Diskussionsfunktion des Parlaments 596 Dogmen - zwischen Sollen und Sein 172 f. Drei-Elemente-Lehre - des Staates 448 Drittanerkennung 1018 Drittwirkung - mittelbare - der Grundrechte 860 Dualismus - alter- 175,803,1130 - freiheitsrechtlicher - 188 f., 688 - neoliberalistischer - von Staat und Gesellschaft 175 ff. - neuer - 50, 716, 802 ff., 1129 - von Repräsentation und Identität 765 ff. - von Staat und Gesellschaft 173 ff. Duldungsrechte - und Pflichten 380 ff. Duplizität - personale - 724 Effektivität 41 Egalität 689 Egoismus 621 f. Ehe - und Familie 839 ff.

Eigeninteressen 580 ff. Eigentum 510 ff., 1023 ff. - als Recht zur Privatheit 1025 f. - Idee 1024 ff. - Privatnützigkeit des - 387 - staatliches - 1025 - und Privatheit 374 Eigentumsgarantie 387 f., 845, 848 Eigentumsrechte - subjektive - 1004 Einbürgerung 1201 ff. Eingriff 478 ff. - und Schranken 823 ff. Einheit 586 - bürgerliche - des Staatlichen und des Privaten 229 - personale - des Bürgers als homme und citoyen 508 - politische - 104, 730 f. - politische - Volk 143 - von Herrschern und Beherrschten 130 ff. - von Legalität und Moralität 494 ff. Einigkeit 560 ff., 1099 ff., 1129 f. - als Prinzip des Politischen 124 - Pflicht zur - 562 ff. - repräsentative - 603 f. - republikanische - 1095 ff. - Schein der - 1099 ff. Einigung - deutsche- 1125 f., 1135 f. Einparteienstaat 1123 Einzelfallentscheidungen 600 f., 880 ff. - des BVerfG 908 Einzelfallgerechtigkeit 365, 367, 880 ff., 895 ff. - durch Abwägung 895 ff., 1017 ff. - kunstfreiheitliche - 1009 ff. Einzelfallgesetz 414, 415 Einzelpersonengesetz 415 Elite 1080 f. - bürgerliche - 680 ff. Emanzipation 157, 1071 f. Empirismus 434, 521 ff. - ideologisierender - 544 Entfaltungsspielraum - persönlicher - 475 f.

S ach Wortverzeichnis Entmachtung - des legislativen Gesetzgebers 963 ff. Entmündigung - der Abgeordneten 1088 Entparteilichung - der Parteien 1168 Entscheidungsnorm 889 ff. Erfahrung - des Sollens 625 Erkenntnis - Begründung der verfassungsgerichtlichen - 965 - des Richtigen 657 - des Wahren und Richtigen 1103 f. - Interesse und - 125, 287 - nicht Herrschaft 121 - optimales Verfahren der - des Richtigen 669 - plebiszitäre - 705 ff. - und Irrtum 643 f. - und Unabhängigkeit 710 Erkenntnis- und Entscheidungsverfahren - repräsentatives - 644 ff. Erkenntnis aufgabe - der Volksvertreter 710 ff. Erkenntnislehre - Rousseaus politische - 578 ff. Erlaubt, was nicht verboten 478 ff. Ethik 155,520 - als Wissenschaft von der Freiheit 506 - Formalität der - 601 f. - Ius und - 231 - Kants kopernikanische Wendung in der - 313,486 Ethos - bürgerliches - 58 f. - gemeinschaftlichen Lebens 156 - richterliches - der Unparteilichkeit 1139 Europäische Gemeinschaft - Organe 161 Europäische Union 642, 798, 807, 1101 f. Europäisches Parlament 804 Exekutiv-Gesetzgebung - der Europäischen Gemeinschaft 973 Existentialismus - bellizistischer - Schmitts 736 ff., 749, 755 ff.

1277

- politischer - Schmitts 143 Existentialität - von Parteien 759 ff. Existenz - freiheitliche - 202 - und Sollen 762 ff. Experten 954

Fachgerichte 903 ff. - als Verfassungsgerichte 364, 901 - und Grundrechte 365 f. Faktionen 1082, 1159 Faktum des Sollens 435 Fall 215 Fallnorm 880 ff. Feindschaft 750 ff. Feudalisierung 1117 f. Finanz- und Steuerstaat 865 Fiskusdogma 372, 388 Föderalismus - freier Staaten 505, 1184 Form - des Politischen 685 ff. Formalität 819 ff., 847 ff., 852 ff. - der grundrechtlichen Wesensgehalte 1033 - des Freiheits- und des Gleichheitsprinzips 852 - des Privaten und Staatlichen 371 ff. - und Richtigkeit 498 ff. Formprinzip/ien - Kampf als parteiliches - 1127 - politische - 743 ff. Fortschritt 235, 250, 586 ff. Fraktionen 779 ff., 799 ff., 813 ff., 1089 f. Fraktionierung - der Parlamente 1058 f. - der Verfassungsrichter 943 f. Fraktionsdisziplin 812 ff., 1086 ff. Fraktionszwang 1087 ff. Freiheit 11, 71 ff., 253 ff., 325 ff., 427 ff., 441 ff., 494 ff. - aller in Frieden 218 - allgemeine - 275 ff., 299 ff., 480 ff., 495 ff., 637 ff., 862, 978 ff. - allgemeine politische - 61 - Allgemeinheit der - 433 ff.

S ach wort Verzeichnis als angeborenes Recht 431, 434 als Aufgabe 78 als Ausnahme 487 als Autonomie des Willens 7 ff., 155, 275, 325 ff. als Beliebigkeit/Recht zur Willkür 315 ff., 432 ff. als das durch Gesetz Eingeschränkte 481 ff. als Faktum der reinen Vernunft 333 als Gesetzlichkeit 126 ff. als Grund und Zweck von Staat und Recht 328 ff. als Grundrecht 326 ff. als Herrschaft 79, 124 ff., 126 als Herrschaft des Gewissens 155 als Ideologie 76, 116 als Illusion 689 als Kausalität der Vernunft 312 als Macht 79, 429 als Ordnung durch Autonomie des Willens 153 ff. als politisches Formprinzip 6, 95 als politisches Formprinzip der Demokratie 689 als praktische Vernünftigkeit 115 als Recht 326 ff. als Recht auf bürgerliche Verfassung 434 f. als Recht auf Recht 306, 310 ff., 325 ff. als Rechtlichkeit 489 f. als staatsfreie Sphäre 185 als Staatszweck 451 f. als Urrecht 257, 332, 357, 497 ff., 852 f. als Vernunft 158 als Zweck der Republik 573 f. angeborene - 254, 290 ff. Apriori der - 1005 aufrechter Gang der - 193 äußere 56, 289, 295 ff., 332, 443 ff., 494 ff., 548 äußere und innere - 320 ff., 336 ff., 344, 431 ff., 494 ff., 510 ff., 560 ff. äußere und innere - der Abgeordneten 1091

-

-

-

-

bürgerliche - 34, 80, 501 ff. demokratische - 19, 501 ff. der Feder 582 der Person 831 ff. der Wissenschaft 227 f. des anderen 253 ff., 336 des Glaubens und des Gewissens 833 ff. des Unpolitischseins 190 des Volkes 65 ff. deutsche - 185 formale - 443 Formalität der - 269 ff., 325 ff., 357 ff., 411 ff., 432 f., 443 ff., 979 ff., 1043 f. gleiche - 4, 11 ff., 25 ff., 38 ff., 61 ff., 65, 83 ff., 179 f., 186 ff., 255 ff., 264, 302 ff., 321 ff., 410 ff., 426, 432 ff., 495 ff., 525 ff., 567 f., 1104 f. Gleichheit und - 67, 177 ff., 178, 690 Grundrechtsschutz der - 325 ff. herrschaftliche - 79 Idee 37, 62, 116 ff., 120, 254 ff., 410 ff., 734 f. Idee der - und des demokratischen Prinzips 61 ff. innere/positive - 280 ff., 282, 289 ff., 303 ff., 494 ff. innere/positive - als Sittlichkeit 435, 443 ff, Kausalität durch - 337, 435 f. Kultur der - 8 liberale - 501 ff. liberalistische - 478 ff. Mehrheitsregel und gleiche - 120 ff. Palladium der - 596 parteilicher Mißbrauch der - 812 persönliche - 278 f. politische - 37, 54, 152, 154, 180, 184 ff., 187 ff., 246 ff., 275 f., 325 ff., 433 ff., 472 ff., 494 ff., 501 ff., 601 ff., 686 ff., 690 ff., 739 ff., 761 politische - und Würde des Menschen 989 f. Prinzip gemeinsamer Gesetzgebung 34

S ach wort Verzeichnis -

Recht der - 331, 356, 357 ff. Sicherheit als - 189 soziale - 337 f. staatliche - 472 ff. Umwelt der - 463, 470 unbegrenzte - 486 ff. Unbeschränkbarkeit des Rechts der 358 ff. - und (allgemeines) Glück 333 ff., 422 - und allgemeine Gesetze 292 ff. - und Gemeinwohl 488 - und Gesetzesvollzug 360 ff. - und Grundrechte 312 ff. - und Herrschaft 124 ff., 343 f., 685 ff. - und Herrschaft als Einheit 124 ff. - und Schädigungsverbot 334 ff. - und Sozialprinzip 234 ff. - und unabhängiger Wille 304 - und Wahrheit 157 f. - und Willkür 157 - und Willkürverbot 1000 ff. - und Zwang 307 f. - unendliche - 428 - unendliche - der Möglichkeiten des Lebens 138 - unmögliche - 816 f. - Verfassung der - 253 ff. - Verteilung von - als Autonomie und Privatheit 449 ff. - Verwirklichung der allgemeinen 810 - vom Staat 467 ff., 503 ff. - Wesensgehalt d. Grundrechts der allgemeinen - 978 ff. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit 1 ff., 30, 135, 234 ff., 575 f. - als Selbständigkeit aller 241 ff. Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit 11 Freiheiten 427 ff., 441 ff., 471 ff., 482 - als Möglichkeiten 427 ff. - liberalistische - 159 ff. - unbenannte - 313 - Verteilung der - 427 f. Freiheitlichkeit - als Gesetzlichkeit 550 ff., 637 ff.

495 ff., 522 ff.,

-

1279

als Staatlichkeit 484 ff. durch Gesetzlichkeit 270, 306 ff. privater Willkür 373 ff. und Gesetzlichkeit 330 ff., 336 ff., 357 ff., 481 ff., 574, 834 ff., 1002 ff. - und Staatlichkeit 328 ff., 501 ff. Freiheitsbegriff - der Französischen Revolution 276 - dualistischer - 60, 180 ff., 193 ff., 501 ff. - Hobbesscher - 479 - in der Kunstfreiheit 1008 - kantianischer - 275 ff. - Kants 275 ff., 293 - liberal-rechtsstaatlicher - 689 - liberalistischer - 300 ff., 441 ff. - räumlicher - 181 - Rawls 483 f. - republikanischer - 184 ff., 441 ff. Freiheitsbewußtsein 436 Freiheitsdogmatik - liberalistische - 175 ff. Freiheitsidee 193 - alteuropäische - 253 ff. - antike- 116 Freiheitskonzepte 261 f. Freiheitslehre 260 ff. - des Westens 185 - herrschaftliche - 452 ff. - Höffes 554 Freiheitsprinzip 275 ff. - Zweckoffenheit des - 598 f. Freiheitsraum 181 Freiheitsrecht - allgemeines - als "Urgrundrecht" 496 - allgemeines - und subjektive Rechte der Privatheit 389 Freiheitsrechte - liberalistische - 186 ff. - unbegrenzte - 467 ff. - unbenannte- 331, 979 f. Freiheitssphäre 454 ff., 459, 466 ff. - staatsabwehrende - 454 ff. Freiheitstausch 433 ff. Freiheitsverwirklichung 637 ff. - zwangsweise - 545 ff.

1280

Sachworterzeichnis

Freiheitsverzicht 20, 428, 434, 554 ff., 618 - allseitiger - 124 ff. - Würdelosigkeit des Freiheitsverzichts 44 Freilassung - des östlichen Teils Europas 191 Freiräume 428 ff. Freistaat 90, 102, 524, 691 Freizeit - sklavische - 191 Freizügigkeit 843 f. Fremdbestimmung - Akzeptanz der - 44 Fremder 749 Fremdverpflichtung 430 f. Freund-Feind-Schema 749 ff. - parteiliches - 1128 Frieden 9, 497 - als politische Kategorie 9 - äußerer- 1191 Friedensaufgabe - der Richter 885 ff. - der Verfassungsrechtsprechung 960 ff., 1034 ff. Friedenszweck - des Staates 304 f. Führer 101 ff., 117, 691 ff., 741, 754 ff., 1074 f. - Mythos vom begnadeten - des Volkes 808 - und Gefolgschaft 1074 ff., 1121 ff. Führerlehre - Leisners 104, 653 f. Führerprinzip - parteienstaatliches - 45, 798, 807, 1123 Führerschaft 112 - als Demokratie 44 - demokratische - 676 Führerstaat 52 f. - parteilicher- 1122 ff. Führung - parteiliche - 104 Funktion - politische - des BVerfG 909 ff. Funktionenordnung 560 ff., 863 ff.,

866 ff., 871 ff., 882 ff., 1011 ff., 1333 ff., 1028 ff. - gewaltenteilige - 168 ff., 809 - im Parteienstaat 168 - zwischen Parlament und Regierung 808 Funktionsfähigkeit - parlamentarische- 1158 Funktionsgrenzen - der Rechtsprechung 886 ff. Funktionsprivatisierung 1119 Funktionsverbindung - von Gesetzgebung und Verfassungsrechtsprechung 825 ff. Garantie - institutionelle - 827 Gebietshoheit 162, 171 f. Gebietsprinzip 1121 Gefolgschaft, Führer und - 1074, 1121 Geheimgerichte 1170 Geheimheit - der Wahl 742 ff. Gemeinsamer Markt 388 Gemeinschaftsgrundrechte 847 Gemeinschaftsrecht - europäisches - 388 Gemeinwesen 630 - politisches - 165 f. Gemeinwille 639 ff. Gemeinwohl 221 f., 286 ff., 402 ff., 574 ff., 620, 656 ff., 668, 815 - Erkenntnis des - 668 ff. - formaler Begriff 350 f., 574 ff., 996 f. - gesetzliche Materialisierung 658 ff. - und Gesetzlichkeit 658 ff. - Wettbewerb und - 203 Gemeinwohldefinitionskompetenz - private - 402 ff. Generalklauseln 858, 887 ff. Gerechtigkeit - als Fairneß 284 - als Gesetzlichkeit 995 ff., 1029 - Begriff Henkes 543 f. - bürgerliche - 282 - Diskurse 620 - durch Herrschaft 133

Sachortverzeichnis - Grundsätze 423 - personale - 137 - Theorie der- 131 - und Recht 137 Gerichte - Autorität 1132 f. - Gesetzesbindung 1137 f. - Legitimation rechtsetzender - 973 ff. Gerichtlichkeit 863 ff. Gerichtsbarkeit - allgemeine - 362 Gerichtsstaat 1131 ff. Gesamtinteresse - aller Bürger 655 ff. Gesamtverantwortung - für das Recht 1027 ff. Geschichtsfälschung 2 Geschlossenheit 818, 1069, 1076, 1099 ff., 1110 f. Gesellschaft - Begriff 163 - bürgerliche - 145, 173, 174, 504 - kleinbürgerliche - 184 - Selbstorganisation der - 165 - wohlgeordnete - 93, 131, 284, 426 Gesellschaftsvertrag 532 Gesetz - allgemeine Verbindlichkeit 1027 ff. - allgemeines - 304, 306 ff., 371 ff., 412 ff. - als Befehl des Volkes 148 - als grundrechtsgeleitete Rechtserkenntnis 862 f. - als Maßstab für Gleichheit und Ungleichheit 413 - als Programm 849 - als ratio 147 f. - als Schranke materialer Rechte 357 ff. - als Wille aller 149 f. - als Wille des Volkes 107, 745 ff. - Bindungskraft 1028 - freiheitsbeschränkendes - 322 ff. - grundrechtswidriges - 362 ff. - Materie und Form 564 ff. - und Herrschaft 525 - und Recht 156, 497 f., 519 ff., 650,

81 Schachtschneider

1281

662 ff., 672 ff., 821 ff., 888 ff., 901 f., 902 ff., 971, 982 ff., 995 ff., 1029 ff. - und Zwang 482 f. - Wahrheitlichkeit und Richtigkeit 984 ff.- Wille und - 293 Gesetzesanwendungsgleichheit 997 ff. Gesetzesbegriff - demokratischer - 745 ff. - politischer - 745 ff. - rechtsstaatlicher - 147 f., 524 ff., 745 ff. Gesetzesbindung - der Gesetzesrichter 903 f. - der Rechtsprechung 867 ff. - der Richter 538 ff., 820 ff., 870 ff., 882 ff., 885 ff., 1137 Gesetzesrechtsprechung 901 ff. Gesetzesrichter 537, 896 ff., 903 Gesetzesstaat 532 Gesetzesverletzung 360 ff. - freiheitswidrige - 360 ff. - grundrechtsverletzende - 366 - und Rechtskraft 361 ff. Gesetzesvollzug - bürgerlicher - 928 Gesetzesvorbehalt 831 ff. - freiheitsrechtlicher - 1013 ff. Gesetzgeber - Autoritätsgefälle zwischen Gerichten und- 1132 ff. - Defizite der- 1132 ff. - parteilicher - 940 ff. - verfassungsändernder - 455, 869 f. Gesetzgeberschaft - allgemeine - 322, 399 ff. Gesetzgebung 283, 808, 819 ff., 858 ff., 864 - allgemeine - 299 f. - als allgemeiner Wille 640 ff. - Pflicht zur staatlichen - 670 Gesetzgebungsfunktion - der Verfassungsrechtsprechung 819 ff., 870 ff. - der Verfassungsrichter 920 ff. Gesetzgebungsgleichheit 411 ff., 990 ff. Gesetzgebungsstaat 150 ff., 519 ff., 525, 746 f., 820 ff., 864 ff., 933 ff., 993 ff.,

1282

S ach orterzeichnis

1023 ff., 1027 ff., 1029, 1047, 1131 ff. - parlamentarischer - 148 Gesetzlichkeit 863 ff. - allgemeine - 230 ff., 867 ff. - als Freiheitlichkeit 126 ff., 145, 149, 171 ff., 211 ff., 277 ff., 347 ff., 437 f., 445, 534 f., 540 - als Pflicht 232 - als Staatlichkeit 15 ff. - der Kunstfreiheit 1009 ff., 1015 ff., 1032 - der Republik 927 ff. - des Rechts 247 - freiheitliche - 536 ff. - Grundrecht auf allgemeine - 494 ff. - Prinzip der - 357, 904 ff. - rechtliche - 2 - Sozialprinzip und - 247 ff. - und Bestimmtheit 867 ff. - und Rechtlichkeit 334 - und Staatlichkeit 218 ff. Gesetzmäßigkeitsprinzip 412 ff. Gespräch 585 ff., 1070, 1098 - und Bürgerlichkeit 157 ff. Gesprächskreise 713 - politische - 1062 ff., 1117, 1158 ff. Gewalt 545 ff. - des Gesetzgebers 140 - persönliche - 1124 - Privater 552 - rechtsprechende - 910 ff. - und Freiheit 171 f. - und Recht 150 - vollziehende - 927 ff. Gewalt, Freiheit, Gesetz 550 Gewaltbefugnis - staatliche - 198 ff. Gewaltenteilung 169 ff., 560 f. Gewaltenteilungsbegriff 919 ff. Gewaltmonopol - sogenanntes - 549 ff. Gewaltverzicht - des Staates 558 Gewissen 228, 420 ff., 810 ff. - als Gerichtshof der Sittlichkeit 215 - als innerer Gerichtshof 420 ff.

-

Begriff 665, 811 der Abgeordneten 420 ff., 665 ff., 671 ff., 1086 - Freiheit des - 60, 420 ff. - und Wissen 675 Gewissensprinzip 59 f. Gleichartigkeit 739 ff., 1178 f. - des Volkes 142 Gleichheit 745 - allgemeine materiale - 246 ff. - als demokratisches Prinzip 6, 95 - als Formprinzip der Demokratie 43 - als Homogenität 689 f. - als personale Allgemeinheit 415 f. - demokratische- 1178 - formale - und Willkürverbot 990 ff. - Formalität der - 411 ff., 990 ff. - freiheitliche - durch Gesetzlichkeit 1028 - Idee der - 37, 83, 410 ff. - in der Freiheit 4, 34, 40 - paternalistische - 1001 - politische - 689 - politische - und Demokratie 739 - soziale - 236 - und allgemeines Gesetz 412 ff., 865 f. - und Allgemeinheit 999 ff. - und Freiheit 67, 177 ff., 178, 998 ff. - und Gesetzlichkeit 997 ff. - und Herrschaft 993 ff. - und Rechtlichkeit 663, 999 ff. Gleichheitsjudikatur 995 ff. Gleichheitsprinzip 410 ff., 990 Gleichheitssatz - als Begründbarkeitsgebot 413 - als Willkürverbot 413, 990 Glück 244, 297 ff., 318 ff., 333, 350 - eigenes - 54 ff., 617 ff. - Recht auf - 54 ff. - und Freiheit 631 - und Interessen 625 ff. Glückseligkeit 299 ff. - eigene - 216 - eigene Vollkommenheit - fremde 216 - fremde - 232

S ach Wortverzeichnis Glückseligkeitslehre - kantianische - 576 ff. Gott - Wirklichkeit Gottes 757 Gottesstaat 345 Grundgesetz - als Verfassung der Freiheit 45 ff. - Verfassungsstaat des Grundgesetzes 29 Grundkonsens 623, 1180 Grundordnung - freiheitliche demokratische 40, 98, 417, 533 f. Grundpflicht - republikanische - 278 Grundrechte 441 ff., 449 ff., 819 ff., 847 ff. - als Abwehr von Herrschaft und Irrtum 862, 948 ff. - als Abwehrrechte 441 ff., 454 ff., 819 ff. - als Erkenntnis des Richtigen 354 - als Freiheiten 466, 828 ff. - als Grundkonsens 851 - als Grundsätze 825 ff. - als Menschen- und Bürgerrechte 847 - als negative Kompetenzen 353, 476, 822 ff., 1030 - als objektive Prinzipien 822 - als politische Leitentscheidungen 353 ff., 819 ff. - als Programme 849 - als Recht 528 - als Rechte 828 ff. - als subjektive Rechte 385 f., 462 ff., 823 ff. - als subjektive Rechte der Willkür 216 - als unmittelbar geltendes Recht 820 ff. - als Werte 825 ff. - besondere - 353 ff., 821 ff. - der Freiheitssphäre 827 - Formalität 823 ff. - in der Republik 455 f. - materiale - als Freiheiten 443 ff. - materiale Offenheit 823 ff. - Materialisierung der - 823 ff.

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objektiv-rechtliche Funktion 822 ff. objektive Dimension 444 ff., 454 ff., 461 ff., 493 f., 822 ff. - Politik der - 490 ff. - soziale - 238 f. - subjektiv-rechtliche Abwehrwirkung der - 823 ff. - subjektive - 385 f., 462 ff., 824 ff. - subjektive Dimension 444 ff., 450 ff., 454 ff., 461 ff., 823 ff. - subjektive materiale - 443 ff. - und bürgerschaftliche Staatlichkeit 457 f. - und Gemeinwohl 861 f. - und Gesetzesvorbehalt 824 - und Lage 456, 493 f. - und Menschenwürde 1005 - und Politik 492 f. - vorbehaltlose - 491 ff., 1002 ff., 1021 ff. - Wesensgehalt der - 819 ff. Grundrechtsbindung - der Gesetzesrichter 898 ff. Grundrechtsinterpretation - statische - 1034 f. Grundrechtskultur - europäische - 456 Grundrechtslehren 441 ff., 517 - institutionelle - 1042 - liberalistische - 472 ff. Grundrechtspopularklage 931 ff. Grundrechtsschutz - der Freiheit 325 - der Privatheit 378 ff. Grundrechtsverletzung 360 f. Grundrechtsverwirklichung 858 ff. - durch Verfassungsrechtsprechung 858 ff. - funktional gesetzgebende - 858 ff. Grundrechtsverzicht 463 Grundsatz - der Privatheit 378 ff. - der Privatheit der Lebensbewältigung 386 ff. Grundsatzprogramme 1151 Gruppen 617, 623 f. Gut und Gesollt 825 ff.

1284

S ach orterzeichnis

Gute, das 621 - als das Wirklichkeitsgemäße 542 f. - Begriff 542 Hab-, Ehr- und Machtsucht 239 Handeln 297 ff. - als Zweckvollzug 297 ff., 319 ff. - äußeres - 218 ff., 222 ff., 318 ff., 480 f. - bürgerliches - 219 ff. - privates - 470 ff. - und Interesse 619 Handlung - und Außenwirkung 858 ff. Handlungen - Interessen/Zwecke der - 343 Handlungsfreiheit - allgemeine - 185 f., 260 ff., 269 ff., 300 ff., 313, 441 ff., 460, 979 ff. - allgemeine materiale - 343 f. - materiale - 429 ff. - materiale allgemeine - 478 ff., 985 ff. Handlungsmaximen 371 ff., 858 ff. Hedonismus 240 Herr über sich selbst 124 Herrschaft 15, 36, 71 ff., 112, 358, 410 ff., 687, 737 ff., 744 ff. - als Amtsgewalt 82 - als Despotie 82 f. - als Dienst 139 - als Form der Politik 34 - als Freiheit 21, 80, 124, 126 - als freiheitswidrige Wirklichkeit 128 ff. - als Heteronomie des Willens 81 f. - als Macht 79 - als Negation der äußeren Freiheit 79 - als Rechtsprinzip 128 - als sozialer Zwang 124 ff. - als Über- und Unterordnung 80 ff. - als Unrecht 733 ff. - als Verbrechen 49 - Amt und - 171 - begrifflich 36 f., 73 ff., 79 ff. - demokratische - 738 ff. - der Gesetze 145 ff., 528 - der Juristen 134 - der Mehrheit 106 ff.

-

der Richter 76 des Volkes als - des Rechts 129 ff. durch das Volk 144 empirisch 76 ff. Erkenntnis, nicht - 121 für das Volk 27,621 gemeinsame - von Regierungsmehrheit und Opposition 804 - gute - 133 ff., 189, 696 - Identifizierung von Staatsgewalt und 19 - Legitimationsfunktion des Begriffes 37 - legitime - 731 - Mißbrauch der Vertretungskompetenz zur - 981 f. - monarchische - 141 ff. - Notwendigkeit von - 97 - Ordnung, nicht schon - 131 ff. - parteienstaatliche - 159 ff. - personale - 528 f. - politische 80 - Repräsentation legitimer - 731 - sanfte - 51 - staatliche- 15 ff., 41, 501 ff., 519 ff. - über Menschen 15 - und Amt 137 ff.. - und Freiheiten 159 ff. - und Gesetzlichkeit 146 ff. - und Menschenwürde 77 f. - und Subjekthaftigkeit 85 - und Ungleichheit 75, 83, 424 - und Vertretung 91 ff., 730 ff. - weder legal noch legitim 34 - wegen Ungleichheit 133 ff. Herrschaftlichkeit - des Staates 72 ff., 88 ff. Herrschaftsformen - liberale - 25 ff. - vielfältige - 36 Herrschaftsfreiheit 16 ff. Herrschaftsideologie 19 ff., 38, 71 ff., 84, 171, 501 ff., 506, 688 ff. Herrschaftslegitimation 190, 358 ff., 732 ff., 755 ff. - der Demokratie 740 ff. - freiheitliche - 190 ff.

S ach Wortverzeichnis - religiöse - 60 Herrschaftslehre 14 ff. - demokratistische - 90 ff. Henschaftslosigkeit 21, 74 ff., 344 Herrschen - und Beherrschtwerden 744 - und Regieren 139 f. Herrschergewalt - des Gesetzgebers 140 Heterogenität 1177 Heteronomie 130 Hitlerismus 110, 144 - demokratischer - 697 Hobbessche These 426 Hoheitlichkeit 323 f. Homogenität 690 ff., 738 ff. - aufklärerische - 1196 ff. - bürgerliche - 649 f. - formale - 649 - Fortschritt zur sozialen - 249 ff. - nationale - 1186 ff. - säkularisierte christliche - 1196 ff. - soziale - 240 ff., 1178 - sprachliche - 1194 ff. Homogenitätsprinzip 1177 ff. Homosexuellen-Urteil 267 Hüter - der Verfassung 1169 Ich, das eigene 509 Idee - der Freiheit und der Republik 155 ff. Identifikation - Leibholzens 764 ff. - von Volk und Parteien 754 Identität 142 ff., 666 ff., 688 f., 735 ff. - als demokratisches Prinzip 101 ff. - als Ideologie 739 ff. - bürgerliche - 720, 725, 727 ff. - demokratische - 63 ff. - personale - und Vertretung 724 - rousseausche - 63 - und Demokratie 735 ff. - von Herrschern und Beherrschten 33 Identitätsideologie - parteienstaatliche - 765 Identitätslehre - parteienstaatliche - 759 ff.

1285

Identitätsprinzip 763 ff. Ideologie 52, 108, 491 - anthropologische - des Sozialismus 127 - parteienstaatliche - 947 ff. - vom Volk als Ganzem 143 ff. Ideologien 787 f. Imperativ, kategorischer 31, 138 f., 273 ff., 277 ff., 564 ff., 601 - juridische Relevanz 985 ff. - und Sozialprinzip 249 In dubio pro übertäte 310 Individualgesetz 415 Individualismus - liberaler - 739 ff. - und Pluralismus 202 Individuen 509 Industriegesellschaft - moderne - 214 Informationsfreiheit 834 ff. Informiertheit 628 Innenleben 339 f. Interesse - besonderes - 660 f. - und Erkenntnis 125, 287 Interessen 54 ff., 117 ff., 319 ff., 608 f., 617 ff., 1071 f. - besondere - 613 ff., 617 ff. - Meinungen und - 1146 - oder Zwecke 632 Interessenausgleich 340 f., 343, 609 f., 612 ff., 617 ff., 660 ff., 1152 f. - als Erkenntnisaufgabe 626 ff. - bei Kant 632 - parteilicher - 793 Interessenmodell 620 Interessenschutz 509 ff. Interessensubjektivismus 509 ff. Interessenvertretung 656 ff. Interpretation 888 - verfassungskomforme - 898 Interpretationsideologie 918 Interventionsverbot 750 Intimsphäre 222 ff. Irrtum 669 ff. - des Oberherrn 582 - gesetzgeberischer - 946

1286

S ach orterzeichnis

Irrtumslehre 568 ff., 650 - rousseausche - 541, 641 ff. Ius 268 - und Ethik 231 ff. Judikative 1131 ff. Judiziabilität 850 ff. - der praktischen Vernunft 978 ff. - des Sozialprinzips 248 f. - institutionelle - 248, 499 - institutionelle/instanzielle - 673 f. Justizgewährleistungsanspruch 296 Justizgewährungsanspruch 361, 551, 872 f., 1169 ff. Justizstaatlichkeit 933 ff. Kampf - als parteiliches Formprinzip 1127 ff. Kandidatenaufstellung 809 ff., 1049 f. Kanonisierung - von Sätzen des BVerfG 954 Kant 275 ff. - Lehre vom "Privatrecht" 376 ff. Kanzlerdemokratie 807, 1124 Kapital - politisches -/Parteispenden 168 Kausalität - der praktischen Vernunft 435 f. - durch Freiheit 333 Kausalitätstheorie 117 Kinder 634 - Pflege und Erziehung der - 840 Klasse - politische - 240 Kleidervorschriften 476 Klugheit 300 Koalitionen 47, 1080 ff. Koalitionsdemokratie 807 Koalitionsfreiheit 842 ff. Kognitivismus 109 Kommunikation 1076 f. - herrschaftsfreie - 157, 1072 f. Kommunikationsfähigkeit 1194 ff. Kommunikationsfreiheiten 583 Kommunikationsgrundrechte 588 f. Kompensationseffekte - richterstaatliche - der Parteilichkeit 937 ff., 1131 ff. Kompensationselemente - im Parteienstaat 1175

Kompetenz 812 - der Gerichte 871 ff. - materielle und formelle - 675 ff., 679 ff., 1103 ff. - moralische - 1068 f. - moralische - der Volksvertreter 677 ff. - politische - des Bundesverfassungsgerichts 937 ff. - republikanische- 1145 Kompetenzdefizite - parteiliche - 1077 f. Kompetenzen - und Verfahren 598 Kompetenzprinzip 57 - und Funktionenteilung 684 f. Kompromiß 111 f., 116 f., 622 ff. - und Konsens 626, 629 ff. - Vertreter des ganzen Volkes und 630 König - nicht notwendig Herrscher 13 f. Königtum, Herrschaft 13 Konkretisierung 854 - der Verfassung 923 ff. Konkurrenzprinzip 620 Konsens 526 ff., 1099 ff. Konsensprinzip 145 ff., 560 ff., 630 Konstitutionalismus 214 ff., 900 ff., 1132 - liberaler - 13 - monarchischer - 72 ff. Kontrolle - der praktischen Vernünftigkeit des Gesetzgebers 978 ff. Korruption 547, 1116 Kreuzberg-Urteil 347 Krieg 1184 - aller gegen alle 484 Kritik 734 f., 1099 ff., 1108 ff. - öffentliche - 1099 ff. - Prinzip 734 f. Kultureinheit 1186 Kulturstaat 1003 ff. Kulturwissenschaft 31 Kunst - Begriff der- 1017 ff. Kunst- und Wissenschaftsfreiheit 837 ff.

S ach Wortverzeichnis Kunstbegriff 1005 ff. - offener - 1006 Kunsteigenschaft - relative - 1019 f. Kunstförderung - grundgesetzliche - 1021 ff. Kunstfreiheit 1002 ff. - als objektive Leitentscheidung 1007 f. - und Privatheit 1008 Kunstwerk 1006 Lage - des anderen 134 ff. Lagen 1035 ff. Lagerbildung - parteiliche- 1125 ff. Lagerideologie 112 Lagertheorie 116 Laizismus 344, 1199 f. Leben 368 ff. - gemeinsames - 282 - gemeinsames gutes - 201 - gutes - 299 ff., 350 ff., 573 ff., 625 ff. Lebensbewältigung - Grundsatz privater - 201 ff. - Privatheit der - 202 ff., 349 ff., 355 ff., 450 ff., 475 f. - staatliche - 348 ff. - Staatlichkeit der - 354 ff. Lebenswelt - Vergiftung der - 634 Leerlaufargument 857 f. - Carl Schmitts 824 ff. Legalismus 900 ff., 1132 Legalität 288, 381 f., 417 f., 500 f. - gesetzgebungsstaatliche - 777 - Moralität und - 115 - republikanische - 747 f. - und Gewissen 815 - und Legitimität 755 - und Moralität 306 Législateur 123, 565 Legislative - exekutivistische - 171 Legitimation 190 ff. - demokratische - 41, 66 ff., 100 ff., 539

1287

- demokratische - der Richter 924 ff. - der Gesetzesrichter 539 - religiöse - von Herrschaft 38 - verfassungsgerichtliche - 962 - von Herrschaft 187 ff. Legitimierungspotential - des Prinzips Demokratie 53 Legitimität - des Widerstandes 961 f. - plebiszitäre - 777 Lehre - Theorie und - 173 Lehrfreiheit 837 ff. Leitentscheidungen - grundrechtliche - 847 ff., 860 ff., 956 ff. - material offene - 831 ff. - politische - 819 ff. Leviathan 478 Liberalismus 25 ff., 71 ff., 159 ff., 214 ff., 261 ff., 300, 315 ff., 441 ff., 478 ff., 685 ff., 745 ff., 859 ff. - kompensatorischer - 192 f. - Republikanismus und - 187 - Rupps 203 ff. - und Entpolitisierung 313 Liebe 286 - Reich der - 359 - tätige - 245 Liebesgebot - christliches - 277 Liebesprinzip - als Prinzip des Rechts 126 f. - christliches - 135 Listenwahl 1148 ff. Lobbyisten 624 Logik 219,480,541 Losverfahren - der Ämterverteilung 680 Lückenschließung - richterliche - 888 ff. Luther 282 Machiavellismen - der Parteienoligarchie 1113 ff. - sanfte - 129 Macht 429 f., 430

1288

S ach wort Verzeichnis

Mandat - freies - 712 ff., 780 ff., 810 ff., 1056 f. - imperatives - 711 f. - imperatives - des Parteienstaates 712 - parteigebundenes - 712 - rahmengebundenes - 712, 814 ff. Marktlichkeit 388 ff. Materialisierung - der Grundrechte 861 f. - der praktischen Vernunft 979 ff. - des Gemeinwohls als Rechtserkenntnis 996 Materialität 333, 819 - der Gesetze und Rechte 328 - der Grundrechte 831 - der Rechte der Privatheit 378 - von Recht und Gesetz 285 Maximen 298 ff., 340 - des Handelns 270 f. - private - 230 ff. Medien 1141 - und Parteien 1141 - unparteilicher Diskurs der - 1141 Mehrheit - stetige - 514 ff. - und Minderheit 112 ff., 116 ff., 513 ff. - wechselnde - 111 ff. Mehrheitsherrschaft 33, 717 ff. - Ideologie der - 98 - Prinzip der - 513 Mehrheitsideologie 53 Mehrheitsprinzip 105 ff., 1182 - plebiszitäres - 706 f. - volksherrschaftliches - 63 Mehrheitsregel 641 ff. - organschaftliche - 580 - und Amtshaftigkeit 122 ff. - und gleiche Freiheit 120 ff. Mehrheitsrepräsentation 650 MehrheitsWahlsystem 1149 ff. Mehrparteienherrschaft 50 Mehrparteienoligarchie 50 Mehrparteienprinzip 1123 Mehrparteiensysteme 797

Mein und Dein - äußeres - 376 Meinung 630 f. - Begriff 608,611,743, 1096 - eigene - 604 f., 799 ff. - öffentliche - 101, 103, 602, 743 ff., 956 ff., 1142 - persönliche, unparteiliche - 1095 Meinungen - und Interessen 1146 Meinungs- und Willensbildung - vom Volk zu den Staatsorganen 606 Meinungsäußerungsfreiheit 588 f., 606, 834 ff. - innerparteiliche - 1108 - und politische Freiheit 1005 Meinungsbildung - politische - 605 Meinungsmanipulation - parteiliche- 1102 Meinungsmonopol 1166 f. Meinungsumfragedemokratie 611 Meinungsumfragen 110, 515 ff., 610 f. - und Akklamation 610 f. Meinungsverweigerung 1166 f. Mensch - als Herr seiner selbst 64 - als Person 217 ff., 222 ff. - als Tier 154 - der "verhausschweinte" - 439 - und Person 136 Menschen - und Bürger 208 Menschenrechte 186, 216, 446 ff., 450 ff., 827 ff. - Schutzpflicht zugunsten der - 446 ff. Menschenwürde 8 - Kultur der - 8 - und Demokratie 504 ff. - und Lebensschutz 369 Menschheit - des Menschen 446 ff. Methode - der Erkenntnis des Richtigen 657 - geisteswissenschaftliche - 764 Methodologie - juristische - 889

S ach wort Verzeichnis Minderheiten - stetige - 513 ff. Minderheitenschutz 123, 353 f. - grundrechtlicher - 513 ff. - innerparteilicher - 1110 Mißbrauch - gesetzgeberischer - 947 ff. Mißbrauchsabwehr 947 ff. Mißtrauen - gegenüber den Abgeordneten 948 Mißtrauensvotum - konstruktives - 807 Mitteldeutschland 2 Monarch 678 Monarchie - und Republik 155 Monarchismus 214 ff. Moral - Recht und - 266, 289 Moralität - als Legalität 972 - bürgerliche - 190 ff., 418 - der Abgeordneten 526 ff., 531 ff. - der Richter und deren Unabhängigkeit 969 - der Verfassungsrichter 956 ff. - des allgemeinen Gesetzes 413 - des Volkes und seiner Vertreter 151 - innerparteiliche - der Abgeordneten 1086 - Kontrolle der gesetzgebenden 943 ff. - Legalität und - 115,306 - prozedurale - 287 - richterliche - 944 ff. - und Bürgerlichkeit 506 - und Gerichtlichkeit 819 ff. - und Recht 526 ff., 996 f. - und Rechtsstaatlichkeit 148 Moralnormen 620 Moralprinzip - kantianisches - 8, 275 ff. Mündigkeit 135, 614, 1075 - bürgerliche - 1072 f. Nachfahren 634 f. Nächstenliebe 115, 232 f., 243, 285 ff., 287, 308 f.

1289

Nation 735 ff., 1186 ff. - deutsche- 1186 ff. - französisch 1187 Nationalismus 749 Nationalrepräsentation 649, 657, 711 Nationalstaatsprinzip 1190 ff. Natur - der Sache 543 ff. Naturzustand 141, 546 Naturzweck 474 Negativauslese 802, 1064 ff., 1078, 1080, 1115 ff., 1150, 1154, 1156 - bündnishafte - 677 Neigungen 614 ff. Neoliberalismus - parteienstaatlicher - 175 ff. Neopluralismus 634 Neutralität 577, 1159 - richterliche - 1133 Neutralitätsprinzip 626 ff., 661, 1198 Nichtigkeit - des Gesetzes 905 ff. Nichtwahl - und Protestwahl 796 Nominationsmonopol 1113 - der Parteien 123 - faktisches - der Parteien 677 Nominationsverfahren - innerparteiliches - 1154 Normativität 755 ff. Normenkontrolle 820 ff., 911 f. - abstrakte - 1037 - als Rechtsprechung 871 - der Verfassungsrechtsprechung 879 ff. - Initiative 903 - inzidente 1037 - konkrete - 363 ff., 903 ff. - Materialisierung des Kontrollmaßstabes 984 ff. - Pflicht 903 ff., 907 f. - richterliche Initiativpflicht 514 Normverwerfungsmonopol 903 ff., 1013 Notfunktion - herrschaftsabwehrende - einer Freiheitssphäre 454 ff. Notwendigkeiten - der Lagen 474

1290

Sachworterzeichnis

Numerus-clausus-Urteil 394 Nutzen - gemeinsamer - aller 659 Objektformel 208, 320 Obrigkeit 327 - und Untertanen 678 Offenheit - der grundrechtlichen Wesensgehalte 1033 - der Verfassungs- und Grundrechtsbegriffe 868 ff., 1033 - materiale- 819 ff., 847 ff. - und Bestimmtheit 853 ff. - und Formalität 657, 1033 ff. Öffentlicher Dienst - privatrechtlich 160 Öffentlichkeit 586 ff., 608, 1073 ff., 1109 - demokratische - 603 ff. - der Parteigerichtsbarkeit 1170 - mediale- 1142 - und Repräsentation 596 Öffentlichkeitsfunktion - des Parlaments 783 Oikos 470 Ökologie 383 Ökonomie 216 Oligarchie - Mischung von Demokratie und - 68 - parteiinterne - 713 Oligarchisierung - in den Parteien 1086 ff. Opposition 716, 802 ff. - innerparteiliche - 1108 ff. Oppositionsfreiheit 1108 ff. Oppositionsprinzip 804 Oppositionstheorie - demokratische - 634 Opus Dei 506 Ordnung 438 - nicht schon Herrschaft 15, 86, 131 ff. - notwendige - 438 f. Ordnungsbegiff Max Webers 128 Organe 707 ff. Organisationsprivatisierung 51, 1119 f.

Organisationsstatut - und Verfassung 1164 f. Organlehre 26 ff., 715 Organschaft 707 ff. Organwalter 675 Ostgebiete -

deutsche - 1100 ff.

Papst - als Repräsentant Gottes 732 Paradigma - liberales - 325 Parlament 121 - als Organ 714 ff. - als Verfassungsorgan 647 - als Vertretungsorgan 647 ff. Parlamentarismus 586 ff., 592 ff., 637, 772 ff., 1057 ff., 1117 f. - echter - 808 - Grundrecht auf echten - 801 - judikativer - 970 ff. - parteienstaatlicher - 772 ff., 947 ff. - parteienstaatlicher Schein von 798 ff. - repräsentativer - 643 - republikanischer - 782 ff. - und Freiheit 805 ff. - und Freiheitlichkeit 662 Parlamente - Fraktionierung der - 1057 Parlamentswahl - als Parteienplebiszit 781 Partei(schieds)gerichte 1169 ff. Parteiausschluß 1108 Parteibegriff 52, 713, 772, 948 ff., 1057, 1117, 1158 ff. - liberaler - 713 Parteidistanz - richterliche - 1138 ff. Parteien 592 ff., 772, 1045 ff., 1054 ff., 1141 ff. - als Bündnisse 614, 1060 ff. - als Kampfverbände 792 - als politische Gesprächskreise 1158 ff. - Aufgaben der - 1071 f. - Beute der - 787

S ach wort Verzeichnis -

Beuteteilung der - 803 Entparteilichung der - 1168 f. etablierte - 47 festgefügte 52, 713, 773 ff., 1057 ff., 1117, 1159 - moralisches Versagen der parteilichen 801 ff. - nicht etablierte - 1126 - notwendig für die Demokratie 52 - Notwendigkeit von - 1054 ff. - parteiliche 948 ff., 1054 ff., 1060 ff., 1086 ff. - Parteilichkeit der - 1087 ff. - Politiklosigkeit in den - 793 ff. - politische - 1045 ff. - Status der - 1045 ff. - und Interessenausgleich 627 ff. - und Staatswille 605 - Versagen der - 794 ff. Parteienaufgabe - Rechtserkenntnis als - 1167 Parteiendemokratie 41, 45 ff., 772 ff., 1055 - liberale - 686 ff. - totalitäre - 686 Parteienfinanzierung 1063, 1167 ff. - staatliche - 805 ff. Parteienforschung 1062 Parteiengesetzgebung - parteiliche - 1155 ff. Parteienherrschaft 54, 1054 ff. - republikwidrige - 1045 ff. - Totalität 196 - und Liberalismus 172 Parteienkartelle 54, 1118 f. Parteienkritiker 785 ff. Parteienmitgliedschaft - und Datenschutz 892 Parteienoligarchie 48, 54, 172, 676 ff., 699, 779, 789 ff., 939 ff., 965 ff., 1110, 1113 ff., 1151 ff. - Geschlossenheitsmaxime 1110 ff. - innere Demokratiefeindlichkeit der 782 - Machiavellismen der - 1113 ff. - Stabilisierung der - 1113 ff. - und Bundesverfassungsgericht 197

1291

Parteienpropaganda 791 f. Parteienrecht - und Wahlrecht 1147 ff. Parteienregierung 1055 f. Parteienstaat 21 ff., 30, 104, 113, 167 ff., 458 ff., 506 ff., 521 ff., 589 ff., 672 f., 712 ff., 754, 763 ff., 772 ff., 1050 ff., 1054 ff., 1131 ff., 1147 ff. - als sanfte Despotie 113 - demokratistische Ideologisierung des 1054 ff. - entwickelter - 45 ff., 352 ff., 781 ff. - Gefahr für den Frieden 54 - Kompensationselemente im - 1175 ff. - liberaler - 54 - plebiszitärer - 98, 763 ff., 992 - Stabilitätsbedingung des Parteienstaates 54 - und Bundesverfassungsgericht 977 - und Widerstand 419 Parteienstaatsdoktrin - bundesverfassungsgerichtliche 778 ff. Parteienstaatsideologie 754, 763 ff., 772 ff. - als Herrschaftsinstrument 767 ff. Parteienstaatsletire 759 ff. Parteienwahlsystem 710 Parteien Wettbewerb 1123 f. Parteiführer - monarchisches Gehabe der - 678 f. - untere- 1120 ff. Parteiführungen - Abwahl von - 1084 f. Parteifunktion - Inkompatibilität von - und Staatsamt 1169 Parteigänger - als Beruf 1078 Parteigerichte - Parteilichkeit der - 1170 ff. - Rechtsschutzverzögerung durch 1170 f. Parteigerichtsbarkeit 1169 ff. - Öffentlichkeit der - 1170 f. Parteiherrschaft - Totalität der - 196

1292

S ach orterzeichnis

Parteilichkeit 167 ff., 1083 ff. - der Parteien 1087 - der Parteigerichte 1170 - richterstaatliche Kompensationseffekte der- 1131 Parteimitglieder - aktive- 1152 Parteimitgliedschaft von Richtern 964 Parteioligarchie 594 ff. - Meinungsführung der - 1099 ff. Parteiprogramm 815 ff., 816 f. Parteiregierung 807, 1164 Parteischädigung 792 f. Parteispenden - politisches Kapital/- 168 Parteitagsbeschlüsse politische Verbindlichkeit 1163 ff. Parteitagsdemokratie 1163 ff. Parteiverbot - für Richter 809 Parteiverdrossenheit 1173 ff. Partizipation 209 ff. Paternalismus 82, 135, 233, 240, 709 ff., 732 - als Despotismus 344 PDS 796 Person 217, 275 f. - juristische - 174 ff. Personalität 314 ff. Personenkult 1113 f. Persönlichkeit 228, 327, 371 ff. - bürgerliche - 667 ff., 726 ff. - freie Entfaltung der - 203, 273 ff., 326 f., 333 ff. - moralische - 218 - repräsentative - 717 Persönlichkeitshomogenität - bürgerliche - 726 f. Pflichtprinzip 288 ff. Phänomenologie 770 f. - Leibholzens 764 ff. Plebiszitismus 109, 644, 647 Pluralismus 618 ff., 622 ff., 660, 1179 - Individualismus und - 202 Pluralismusdoktrin - rundfunkrechtliche- 1145 Pluralismustheorie 618 ff.

Polemik 776 Polis 216, 339 Politie 155, 663, 694, 744, 1177 - als Form des Politischen 64 - als Mischform von Demokratie und Oligarchie 64 Politik 632 - als bürgerliche Erkenntnis 125 - als Organ der Rechtsprechung 910 - als Rechtsdiskurs 98 - als Rechtserkenntnis 909 ff. - Erkenntnis der richtigen - 585 ff. - Konzeption deliberativer - 279 - und Despotie 99 Politikbegriff - eschatologischer - 60 Politiker 214, 1155 Politikverweigerung - parteiliche- 1140 f. Politische, das 89 ff., 219, 749, 909 ff. als moralische Kategorie 29 - Begriff 132, 193 ff., 925 ff. - freiheitlicher Begriff 132 - Politisches und Privates 213 - schmittscher Begriff 749 ff. - Totalität des Politischen 193 ff. - und das Bürgerliche 501 ff. Politizismus - bellizistischer - 752 ff. Popularklage 566, 931 - bayerische - 931 Pornographie 1018 ff. Post- und Fernmeldegeheimnis 842 ff. Präambel 2 Präjudizien 893 Praxis 284 ff. - und Theorie 599 f. Presse 1142 Pressefreiheit 834 ff. Primat - des Rechts 1189 Prinzip - allgemeines - des Rechts 293 ff. - demokratisches - 3, 15 ff., 25 ff., 60, 62 - demokratisches - als Herrschaftsform 533 ff. - demokratisches - und Gleichheit 426

S ach Wortverzeichnis -

der Liebe 750 f. des Amtes 620 des Demokratischen 60 ff. Einigkeit als - des Politischen 124 monarchisches - 11 ff., 62, 204 ff., 347, 505 - nationales - 750 - republikanisches - 11 ff. - Vorteil 125 Prinzipien 825 ff. Privatautonomie 399 ff., 469 Private Rechtsakte - und Verbindlichkeit 399 ff. Private, das - Hort des Privaten 515 Privaten, die 371 ff., 858 ff. - institutionell Private 372 ff. Privatheit 164 ff., 211 ff., 263, 305, 370 ff., 442 ff., 449 ff., 466 ff., 499 ff., 509 ff., 859 ff., 1004 f. - als (Recht zur) Willkür 373 ff., 489 f. - bestmögliche - 387 ff. - der Lebensbewältigung 195 ff. - der Unternehmen 394 ff. - freiheitliche - 219 ff., 223 ff., 325, 332, 370, 443 ff. - Haus als Raum intensiver - 225 f. - institutionelle - 371 ff. - Judiziabilität des Grundsatzes der 390 - Legalität der - 332 - Notwendigkeit von - 384 ff., 409 - Schutz der - durch Verfassungsrechtsprechung 389 - Staatlichkeit und - 166 ff., 200 - und Rechtlichkeit 224 ff. Privatisierung - des Staates 742 - formelle - 51 - materielle- 1119 Privatnützigkeit - und Verfügungsbefugnis 1025 Privatnützigkeitsprinzip 1004 Privatschulfreiheit 848 f. Privatsphäre 223 ff. Privatwirtschaftlichkeit 388 Probierstein

1293

- kanonischer - 417 Programm 849 ff. Propaganda 611, 700, 965, 1113 f. - parteiliche - 1073 Proporzdemokratie 1151, 1155 Prozeß - politischer - 913 ff. Prüfungsrecht - des Bundespräsidenten 721 f., 935 Publizitätsprinzip 587 ff., 596 ff., 602, 1073 f., 1144 f. Ratio und voluntas 524 Rationalität - ökonomistische - 970 Realismus - vieler Parteienstaatslehrer 781 Rebellen 1121 Rechenschaft 663 Recht 868 ff. - allgemeines Interesse am - 619 ff. - allgemeines Prinzip des Rechts 279 - als allgemeiner Wille des Richtigen und Wahren 996 - als Sache 134 - als Zweck des Staates 451 f. - auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit 273 - auf körperliche Unversehrtheit 831 - auf Leben 368 ff., 831 ff. - Begriff 902 f., 916 ff. - bei Kant 430 - der Kinder 516 - des Widerstandes 66 - durch Gesetze 148 ff. - Erkenntnis des Rechts 640 ff. - Priorität 268,631 - subjektive Rechte und objektives 380 ff. - subjektives - 430 - und allgemeiner Wille 311 ff. - und Gesetz 1181 - und Gesetze 885 ff. - und Gewalt 545 ff. - und Moral 266, 289 ff. - und Politik 909 ff., 912 ff., 919 ff., 937 ff.

1294

S achworterzeichnis

- und Zeit 558 - und Zwang 553 ff. - und Zwang bei Kant 556 - Wandel des Rechts 1041 f. - Wille zum - 342 - zur freien Willkür 443 ff. - zur Willkür 375, 465 f. Rechte - materielle -, grundrechtlich geschützt 325 ff. - subjektive - 378 ff., 443 ff., 447 ff., 450 f. - subjektive - der Künstler und der Wissenschaftler 1003 ff. - subjektive - und allgemeine Gesetze 309 - subjektive - und Bestimmtheit 448 f. - subjektive - und Freiheit 381 ff. - subjektive - und Freiheiten 465 f. - subjektive - und objektives Recht 462 ff. - subjektive - und Sittengesetz 377 - und allgemeiner Wille/Gesetze 328 - zur Willkür 443 ff. Rechtliche, das - Totalität des Rechtlichen 233 Rechtlichkeit 536, 537 ff., 863 ff. - als Staatszweck 575 - der Gesetze 898, 912 - gesetzliche - 519 ff. - Grundrecht auf - 980 ff. - Materialisierung der - 980 ff. - Privatheit und - 224 - und Staatlichkeit 371 ff., 519 ff. Rechtlosigkeit 99 Rechts-Links-Schema 699 Rechtsakte 26 Rechtsanwendungsgleichheit 366 ff., 412 ff. Rechtsbegriff 819 ff. - Kants 292 f. - unbestimmter - 853, 923 Rechtsbindung - der Rechtsprechung 867 ff. Rechtsbruch 547 Rechtsdiskurs - öffentlicher - 943 ff.

Rechtserkenntnis 585 ff., 643, 855, 996 - als Parteienaufgabe 1167 - durch das Bundesverfassungsgericht 933 ff. - durch Gesetzgebung 155 ff. - Dynamik der verfassungsgeleiteten 957 - gesetzesabhängige - 539, 938 ff. - gesetzgeberische - 490 ff., 864 ff., 892 ff., 923 ff., 934, 943 ff. - gesetzgeberische - der Richter 599 f., 885 ff., 907, 920 ff. - grundrechtsgeleitete - 490 ff. - Kontrolle der - 944 ff. - parlamentarische - 718 ff. - parteienstaatliche - 942 ff. - richterliche - 719 - richterliche - und Gleichheitssatz 1027 - und politische Kompetenz 938 ff. - Verbindlichkeit der - 671 - Vertretung in der - 668 - Wirkung gesetzgebender - der Richter 893 ff. Rechtserkenntniskompetenz - abgestufte - 985 - gestufte - 1000 ff. Rechtsetzungskompetenz - Delegation von - an die Richter 890 ff. - Delegation von - durch offene Gesetzesbegriffe 882 ff. - der Richter 537 - unbegrenzte - des Staates 451 f. Rechtsgehorsam 553 Rechtsgelehrte 866 ff. Rechtsgemeinschaft 620 Rechtsgesetz 495 ff., 560 ff. - allgemeines - 293 - das Richtige für das gute Leben aller 34 - Kants allgemeines - 293 f. Rechtsgesetzlichkeit 926 ff. Rechtsklärung 872 ff., 885, 911 ff., 1137 ff. - der Gesetzesrichter 885 ff.

S ach Wortverzeichnis -

durch das Bundesverfassungsgericht 932 ff. - gesetzeslose - 894 f. - ohne Gesetze 877 ff., 885 ff. Rechtskraft 871 f., 1132 Rechtslehre - aufklärerische - 345 ff. - empiristische - 137 ff. - kommunikative - 152 - René Marcics 542 ff. - theologische - 345 Rechtsnormen 620 Rechtsprechung 599 ff., 892 ff., 910, 933 - als Rechtsanwendung 914 ff. - Änderbarkeit der gesetzgebenden 1036 ff. - demokratische Legitimation der 876 f. - funktional gesetzgebende - 658 f., 873 ff. - Organe der - 601 - streitentscheidende - 894 f. - und Gesetzesbindung 883 f. - und Politik 909 ff., 919 ff. - und Rechtserkenntnis 872 ff. Rechtsprechungsbegriff 870 ff., 885 ff., 1137 ff. - gesetzesabhängiger - 919, 921 ff. - und Verfassungsrechtsprechung 921 ff. Rechtsprechungscharakter - der Normenkontrolle 871 Rechtsprinzip 199 ff. - allgemeines - Kants 310 ff., 451 Rechtsschöpfung - verfassungsgerichtliche - 862 f. Rechtsschutz 361 ff. - grundrechtlicher - 463 - richterlicher - 863 ff. Rechtsschutzgarantie 361 Rechtsschutzpflicht 310 Rechtsschutzverzögerung - durch Parteigerichte 1169 Rechtsspruch - des Bundesverfassungsgerichts als Konsenssurrogat 986 Rechtsstaat 152, 154, 347 f., 379 f.,

1295

519 ff., 745 - bürgerlicher - 744 ff. - funktionenteiliger - 532 - Staat als - 448 Rechtsstaatlichkeit - subjektiver Schutz der - 987 Rechtsstaatsbegriff - Carl Schmitts 745 Rechtsverantwortung 930 f. Rechtsverhältnisse 166 Rechtsverletzung - als Freiheitsverletzung 929 ff. Rechtsverwirklichung 545 ff. Rechtswissenschaft - Bundesverfassungsgericht und - 964 Rechtszweck - des Staates 476 Redefreiheit - des Abgeordneten 1095 Reformen 250 Regel - goldene - 601 Regel-Ausnahme-Prinzip 387 f. - des Liberalismus 478 f. - freiheitliches - 486 ff. - republikanisches - 309 - umgekehrtes - 489 Regel/Prinzipien/Prozedur-Modell 1132 Regeln 825 f. Regierende - und Regierte 740 ff. Regierungsart - republikanische - 97 f. Regierungssystem - parlamentarisches - 803 f., 1147 Reich der Zwecke 282, 283, 308 f. Religion 1198 f. Religionsfreiheit 450 f., 833 ff. Repräsentanten - als Herren 732 f. - Inkarnation des - 732 Repräsentation 101 ff., 118, 140 ff., 142, 154, 639 ff., 663 ff., 707 ff., 735 ff., 981 ff. - als Herrschaft 91 - als Integration 698 f. - als Prozeß 702 f.

1296 -

S ach orterzeichnis

als Vergegenwärtigung 63 f., 736 als Vergegenwärtigung des Volkes 708 ff. - als Vergegenwärtigung eines Volkes 652 - als Vertretung 27, 647 ff., 707 ff. - als Vertretung des ganzen Volkes 63 f. - Anerkennungslehre von der - 696 ff. - demokratische - 652, 702 f. - existenzielle - 736 ff. - formale- 801 - herrschaftliche - 652 ff., 693 ff., 722 ff. - republikanische - 62 ff. - republikanische - und freiheitliche Sittlichkeit 63 - Schmittscher Begriff 708 ff., 736 - Schmittscher und Leibholzscher Begriff 708 - sittliche - 759 ff. - und Demokratie 735 ff. - und Identität 530 ff., 735 ff. - und Parteien 773 ff. - und Regierung 749 f. - vertretungsmäßige - 27 ff. Repräsentationslehre 59, 644 ff. - Böckenfördes 696 ff. - Krügers 673 f. - populistische - 698 f. - rousseausche - 579 f. Repräsentativverfassung 709 ff. Republik 20, 685 ff. - als Form der Demokratie 62 f. - als Form der Freiheit 34 - als Form des Politischen 586 ff., 685 ff. - als freiheitliche Demokratie 104 - als Freiheits-, Staats- und Regierungsform 23 ff. - als Gesetzes- und Rechtsstaat 6 ff. - als grundgesetzliche Form des Politischen 2 - als herrschaftslose Demokratie 29 ff. - als politische Form der Freiheit 68 - als Synonym für gute Staatsform 68 ff.

-

als Synonym für Staat 12 als Verfassung der Freiheit 2, 4 ff. als Verfassungsstaat 560 f. als Vollendung der christlichen Revolution 751 - Begriff 14 ff., 60 - bürgerliche Demokratie als - 96 - demokratische - 2, 97, 524, 532, 694 ff., 791 ff. - demokratische - als Form des Politischen 14 ff. - föderale, demokratische und soziale 2 - Idee 4, 154 ff. - kanonischer Begriff 29 - Kunstwerk- 1174 - römische - 235 - und Monarchie 11 - verfassungsstaatliche - 963 ff. - Verteidigung der - 4 - Zweck 4 Republikanisierung - des Rechts der politischen Willensbildung 196 Republikanismus 441 ff., 750 ff. - Renaissance des - 507 - richterstaatlicher 963 ff. - und Liberalismus 187 Republiken - nationale- 1191 Republikprinzip 797 Res privata 222 ff. Res publica 31, 174 - öffentlich in Rede stehen 157 Res publica res populi 1 ff., 62, 457, 686 Restauration 19. Jahrhundert 204 Richter 536 ff., 768, 810, 885 ff., 910 ff. - als Gesetzgeber 972 ff. - demokratische Legitimation 970 ff. - funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis 878 ff. - gelehrte- 1138 - Gesetzesbindung 971 ff., 1028 ff. - Gesetzesunterworfenheit 874 - Gewissensbindung 972 - rechtswissenschaftliche Kompetenz 974 ff.

S ach wort Verzeichnis -

republikanische Legitimation 971 ff. Unabhängigkeit 810 ff. unpolitischer - i.S. Montesquieus 919 ff. Richteramt - Befähigung zum - 971 ff., 1138 ff. Richteraus wähl 1139 Richterlichkeit 536 ff. - herrschaftliche 536 ff. Richterpatronage 970, 1131 f. Richterrecht 536 ff., 864 f., 928 Richterstaat 537, 820 ff., 877 ff., 900, 1023, 1131 ff. - und Parteienstaat 969 f. Richtervorbehalt 879 ff. - für die Streitentscheidung 878 ff. Richterwahl - Parteilichkeit 939 ff. Richtige, das - Erkenntnis des Richtigen 718 ff. Richtigkeit, Vernünftigkeit, Gerechtigkeit 147 Richtigkeitsgewähr - verfassungsgerichtlicher Erkenntnisse 964 ff. Richtlinien der Politik 52 Richtlinienkompetenz - des Bundeskanzlers 808 Rousseaukritik 642 Rundfunk- und Filmfreiheit 834 ff. Sachgerechtigkeit 861 ff. Sachlichkeit 835 - als Wissenschaftlichkeit 228 - und Kompetenz 376 - und Sittlichkeit 994 ff. Sachlichkeitsprinzip 413, 674 ff., 897 ff., 984 ff., 991 ff. Sachplebiszite 703 ff. Säkularisation 1196 ff. Satzungsstreitigkeiten 1172 f. Schädigung 660 Schicht - führende - 680 Schmittianismus 759 Schöne, das 1006 Schranken 478 ff. - allgemeiner Gesetze 1021 ff.

82 Schachtschneider

1297

Schutzpflicht 553, 670 Schutzpflichtdogmatik 822 Schutzzwecklehre - vom subjektiven Recht 381 SED 48,57,796 Sein und Sollen 77, 117, 138 ff., 172 f., 520 ff., 540 ff., 570, 621, 757 f., 880 Sekurität 440 Selbständigkeit 213 ff., 234 ff. - der Bürger 203 - homogene - 438 ff. - ökonomische - 234 ff. - staatsbürgerliche - 1178 Selbstbestimmtheit 400 f. Selbstbestimmung 300 ff. - des Volkes 16 Selbstbestimmungsrecht - der Völker 1190 Selbstentmündigung 463 Selbstherrschaft 153 ff. - Freiheit als Sittlichkeit 34 Selbsthilfe - Hilfe zur- 244 f. Selbstinteresse 619 Selbstreflexion 1098 Selbstverpflichtung 405 Selbstzweckhaftigkeit 570, 598 - des Menschen 359 - jedes Menschen 308 ff. Senatoren 681 f. Senatorenfunktion - der Verfassungsrichter 681 Sicherheit 546 ff., 633 - als Freiheit 189 Sichwiederfinden 687, 696 ff. Sitten - gute - 220 ff., 271 ff., 354, 889 - gute - als private Übereinkünfte 860 ff. Sittengesetz 7, 31, 215, 231 ff., 259 ff., 279 ff., 444 ff., 479 ff., 495 ff., 729 ff., 810 ff., 1182, 1197 ff. - als Definiens des Freiheitsbegriffs 7 - als ethisches Grundgesetz 273, 324 - als rechtliche Grundrechtsschranke 260 ff. - als Rechtsprinzip 994 ff.

1298

Sachworterzeichnis

- materiales - 267 ff. - und Freiheitsbegriff 259 ff. - und Interessen 621 f. - und subjektive Rechte 381 Sittenordnungen - privaten Handelns 231 Sittlichkeit 115, 495 ff., 510, 570 ff. - allgemeine - 232 ff., 989 f. - als Prinzip der Republik 7 ff. - äußeren Handelns 222 - bürgerliche - 60, 237 ff. - der Künstler und der Wissenschaftler 1003 f. - der Volksvertreter 729 ff. - des Eigentümers 1004 - durch Achtung 657 - freiheitliche - 63, 280 ff. - freiheitliche - und republikanische Repräsentation 63 - gesetzgeberische - 632 - Grundrechtsschutz der - 821 - materiale - 267 ff., 271 ff. - Materialität der - 982 - nationalistische - Schmitts 762 - oberster Grundsatz der - 299 - Pflicht zur - 728 ff. - Prinzip der - 57 - stellvertretende - des Abgeordneten 671 ff. - und menschliche Würde 728 ff. - und Willkürverbot 992 ff. - Vertretung in der - 662 ff. Skeptizismus 191 - empiristischer - 622 Solidarität 286 Solipsismus 8, 233, 308, 753 - am Markt 383 ff. Sollen 294 f. Sollensordnungen - zwei - 231 f. Sollenssatz 880 ff. Sorge - elterliche - 194, 708, 840 ff. Souveränität 20 ff. Sozialbetrug 238 Soziale, das - Offenheit und Prozeßhaftigkeit des Sozialen 250

Sozialhilfe 244 ff. Sozialismus 246 f., 335 f. - anthropologische Ideologie des - 127 - demokratischer - 246 Sozialprinzip 203, 438 ff., 575, 849 ff. - republikanisches 234 ff. - und Gesetzlichkeit 247 ff. Sozialpsychologismus 687 - verfassungstheoretischer - 697 ff. Sozialsphäre 224 Sozial vertrag 310 Spannungsdogmatik - parteiendemokratisch-republikanische 784 Spannungsverhältnis - zwischen Art. 21 und Art. 38 GG 1093 Sperrklausel 1148 ff. Sphäre - staatsfreie - 295 ff., 488 Sprache 1185 f. Sprachnation 1194 ff. Sprechsituation - ideale- 157,287 Staat - als "Künstlicher Mensch" 90 - als Herrschaftlichkeit 438 - als Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen 631 - als organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit 96, 165 - als Person 1046 ff. - als Selbstorganisation der Gesellschaft 165 - als Untersystem der Gesellschaft 164 - als Unwiderstehlichkeit, Einzigkeit und Einseitigkeit 75 - als Vereinigung in einer Person 90 - als verfaßte Herrschaft 34 - Freiheit vom - 472 ff. - freiheitlicher - 476 ff. - im engeren Sinne 18, 100 ff., 161 f., 175 f., 1049 - im existenziellen, hegelianischen Sinne 162 f. - im weiteren Sinne 100 - politische Formen des Staates 735 ff. - Recht auf den - 447 ff.

S achortverzeichnis -

Selbstherrschaft 93 totaler - 352, 355 f. Trennung von Wirtschaft und - 51 und Gesellschaft 210, 468 ff., 504 ff., 1045 ff. - und Menschen 144 - und Verfassung 447 f. - Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen 17 - Volk und - 1046 - Zweck des Staates 426 Staat und Gesellschaft 88 ff., 99 ff., 159 ff., 485, 501 ff. - Lehre von der Unterscheidung von 201 ff. - liberalistische Funktion der Unterscheidung 163 ff. - Unterscheidung von - im Parteienstaat 193 Staatliche, das 194 - als das Politische 1047 ff. - im weiteren Sinne 1049 ff. - modaler Begriff des - 372 - politisch alles Staatliche 193 ff. Staatlichkeit 15, 16, 211 ff., 371 ff., 466 ff., 927 - allen Handelns 231 ff., 470 ff. - als Einigung 97 - als Gesetzlichkeit 329 ff., 637 ff. - als Menschenrechtlichkeit 447 f. - als Rechtlichkeit 484 ff. - der republikanischen Parteien 1045 ff. - des Bürgers 229 - des Ökonomischen 225 - deutsche - 162, 1192 ff., 1201 ff. - Friedensfunktion der - 546 ff. - Gesetzlichkeit und - 218 - institutionelle - 371 ff. - modale - 230 - privater Handlungen 372 ff. - Totalität der - 195 - und Privatheit 166 ff., 200, 371 ff., 861 ff. Staats- und Regierungsform 23 Staatsamt - Inkompatibilität von Parteifunktion und- 1169

1299

Staatsangehöriger 36 S taatsaufgabenbegriff - formaler - 198 ff. Staatsbegriff 16 f., 161 ff., 1046 ff., 1143 f. - hegelscher - 505 - hellerscher - 520 - kanonischer - 16, 94, 519, 654 f. Staatsbürger 208 ff., 247, 655, 744, 1177, 1202 Staatsbürgernation 1190 Staatseiiiung 36, 210 f. - bei Leisner 653 Staatsformen - Dreiteilung der - 66 - und Regierungsformen 139 ff. Staatsgenossen 247, 1177 - und Staatsbürger 237 f. Staatsgewalt 15 ff., 18, 1048 ff. - Alle - geht vom Volke aus 65 ff. - als Herrschaft über Menschen 15 ff. - Ausübung der - 17 ff. - Ausübung durch organschaftliche Vertretung 160 ff. - demokratische Legitimation der 18 ff. - des Volkes als allgemeine Freiheit der Bürger 65 ff. - Identifizierung von - und Herrschaft 19 -

und Herrschaft 73 ff.

Staatslehre - als Wirklichkeitswissenschaft 770 Staatsontologie 761 Staatsparteien 1050 Staatspflege 681 Staatsprüfung - erste - 974 ff. Staatsrecht - juristisches - 172 Staatsrechtslehre - als Begriff 89 Staatssicherheit 835 Staatswille 27 ff. Staatszweck 199, 350 ff. Staatszweckbegrenzung 346 ff.

1300

S ach wort Verzeichnis

Stabilitätsbedingung - des Parteienstaates 54 Status negativus 457 ff. - und Parteienstaat 458 ff. Stellvertretungslehre - Hobbes 727 - hobbes sehe - 481 f. Steuereinschätzung - als demokratisches Element 67 Stimmengleichheit 1075 f. Streit 879 ff. - und Frieden 137 Streitfall 894 Subjektformel 320 Subjekthaftigkeit - jedes Menschen 289 ff. Subjektivierung - politischer Leitentscheidungen 448 Subjektivismus - rechtlicher - 215 Subjektivität 300 ff. Subsidiaritätsprinzip 201 ff., 220, 244, 390 Subsumibilität - subsumtionsfähige - 853 ff. Subsumtion 878, 880, 887 Superanthropologie 254 Superrevisionsinstanz 367 Systemtheorie 346 Szientismus 543 Tabuisierung 1100 ff. Tarifautonomie 401 ff. - und Gemeinwohl 401 ff. Tarifpolitik - staatliche - 403 f. Tarifprivatheit 401 ff., 403 - als subjektives Recht 403 Tarifverträge 401 ff. - demokratische Legitimation von 403 f. Themenbesetzung 957 Theorie 569, 1104 f. - und Lehre 173 Theorienbildung - durch Falsifikation 657 Tochterrechte - der Freiheit 379

Toleranz 385 f., 418, 623 f., 1184 Toleranzprinzip 608 Topik - rhetorische - 541 ff. TotalitarismusVorwurf 176 ff. - gegen Rousseau 578 f. Totalität - der Freiheit 197 - der Parteiherrschaft 196 - des Politischen 61, 511 f., 690 Trennung - von Rechtsprechung und Gesetzgebung 867 f. Treue - zur Verfassung 772 Tugend 221, 232 ff., 806 - der Abgeordneten 1086 - republikanische - 58 f., 567 Tugenden 484 Tugendlehre 320 ff. - katholische - 621 Tugendmodell 620 Tugendpflicht 56 - und Prinzip des Selbstzwangs 215 f. Tugendpflichten 230 ff., 308, 320 ff. Übel - geringeres - 1127 Über- und Unterordnung 76 f., 80, 83 ff., 102 Überprüfbarkeit - des material Richtigen 982 ff. Ultra-vires-Lehre 184, 451 f., 473, 1143 - des Staatlichen 202 Umweltpartei 511 Unabhängigkeit - amtswalterliche - 226 f. - der Abgeordneten 670 ff., 710 ff., 810 ff. - der Gerichte 871 ff. - der Künstler und der Wissenschaftler 1003 f. - der Richter des Bundesverfassungsgerichts 965 ff. - des Richters 874 ff. Unabhängigkeitserklärung der USA 55 Ungehorsam - ziviler- 1189

Sachortverzeichnis Ungleichheit 410 ff. Universalismus - moralischer - 1185 f. Unmündigkeit 614, 615 Unparteilichkeit 29, 156, 593 f., 774 - richterliches Ethos der - 1139 Unrecht 309 f., 498 ff. Unrechts-Staat 418 Uns geht es doch gut 535 Unterlassen 297 Unterlassungsanspruch 380 Untermaßverbot 547 Unternehmen - öffentliche- 1119 f. - öffentliche - in Privatrechtsform 230 f. - staatliche - 388 Unternehmensfreiheit 390, 394 ff., 1021 Unternehmer - beliehener - 66 Unterscheidung - institutionelle - des Staates (i.e.S.) von dem Privaten 230 ff. Untertan 744 ff. - und Obrigkeit 131 Untertanen 135 ff., 174, 180 ff., 191, 207, 240, 327, 1156 - die deutschen - 191 Untertanengesinnung 687 Untertänigkeit 90, 733 ff., 794 Unverletzlichkeit - der Wohnung 844 f. Unvorwerfbarkeit - moralischen Versagens 986 ff. Urteilskraft - ästhetische - 1006 f. Utilitarismus 434, 618 f. Utopie - anarchistische - der herrschaftsfreien Diskussion 97 Variabilität - und Dynamik des Rechts 1033 ff. Verbände 618 f. Verbändestaat 624 Verbindlichkeit 564 ff., 847 ff. - allgemeine - 399 ff. - auf Grund der Verfassung 718 ff.

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der Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts 952 ff. - der Gesetze 717 ff. - der Gesetze und Wille des Volkes 717 ff. - der grundrechtlichen Programme 847 ff. - der Parlamentsbeschlüsse 648 f. - des Richtigen 725 f. - von Verträgen 405 ff. Vereinbarungen private - 220 Vereinigungsfreiheit 841 Verfassung 16, 169, 1180 f. - als besondere Form der Herrschaft 738 - bürgerliche - 141, 155, 550 - der Ämter 50 - der Freiheit 14, 25 - der früheren DDR 335 - der Menschenwürde 14 f. - des Marktes in der Gemeinschaft 388 - Hüter der - 821 ff., 935 ff., 1169 - Organisationsstatut und - 1164 - Recht auf eine bürgerliche - 426, 551 ff., 562 f. - republikanische - 28 ff. - staatsbürgerliche - 550 - und Verfassungsgesetz 762 Verfassungsbegriffe 758 ff. Verfassungsbeschwerde 363, 1037 f. - Vorprüfung 366 Verfassungsbindung - der Gesetzesrichter 901 ff. - des Gesetzgebers 885 ff. Verfassungsfeindlichkeit 417 Verfassungsgeber 869 ff. Verfassungsgebung 455 - Pflicht zur gemeinsamen - 642 Verfassungsgericht - als zentrales Organ zur Verwirklichung des Rechts 963 ff. Verfassungsgerichtsbarkeit 820 ff., 933 ff. - als Vollendung des Verfassungsstaates 950 ff. - der Rechtsprechung 933 ff.

1302

Sachworterzeichnis

- und Bürgerkrieg 941 - und Widerstand 958 ff. Verfassungsgerichtsstaatlichkeit 932 ff. Verfassungsideologie 153 Verfassungsinterpretation 922 ff. Verfassungsleben - notwendige Einrichtungen 779 Verfassungslehre 6 - bürgerliche - 89 - republikanische - 89 Verfassungspatriotismus 961, 1190 Verfassungsrecht - spezifisches - 362 Verfassungsrechtsprechung 491 ff., 819 ff., 868 ff., 901 ff. - politische Funktion der - 984 ff. - und Legitimität des Rechts 960 f. - Vertrauen des Volkes in die - 963 ff. Verfassungsrichter - Legitimation der - 963 ff. - und Parteien 977 f. Verfassungsschutz 360 ff. Verfassungsstaat 25, 40, 144, 932 ff. - des Grundgesetzes 25, 29 - gewaltenteilender demokratischer - 28 Verfassungstypen 970 ff. Verfassungsverantwortung - allgemeine - 935 ff. - des parteienstaatlichen Gesetzgebers 941 ff. Verfassungsverständnis - dualistisches - 71 - offenes - 956 Verfassungsvollzug - unmittelbarer - 1010 ff. - unmittelbarer - der Richter 904 ff. Verfassungswandel - friedlicher - 1034 f. Verfassungswirklichkeit - parteienstaatliche - 774 ff., 788 ff. Verhältnismäßigkeitsprinzip 362, 557 f., 987 Verhältniswahlrecht 788 ff., 1122 Verhältniswahlsystem 48 ff., 1147 ff. - parteienstaatliches - 710 Veritas - und auctoritas 572 ff.

Vernunft - Faktum der - 625 - praktische - 304, 413 ff., 656 ff., 898 ff. - praktische - als Rechtserkenntnismaxime 888 ff. - Prinzip der praktischen - 600 ff. - theoretische - 658 - Vertretung in der praktischen 666 ff. Vernünftigkeit - grundrechtsgeleitete praktische 859 ff. - praktische - 265 ff., 495 ff., 569, 819 ff. Vernunftwesen - Selbstzweckhaftigkeit des - 344 ff. Verrechtlichung - aller Lebensverhältnisse 219 Versammlungsfreiheit 590 ff., 633, 841 ff. Versprechen 406 ff. Verständigung - herrschaftsfreie - 156 Verteilungslehre - grundrechtliche - 450 ff. - grundrechtliche - Carl Schmitts 859 ff. - liberalistische - 178, 490 - Schmittsche - 450 ff. Verteilungsprinzip - rechtsstaatliches - 449 ff., 486 Vertrag 338, 629 ff. - über die Europäische Union 388 - und Sittengesetz 383 Verträge - und Autonomie des Willens 400 Vertragsautonomie 399 ff. Vertragsfreiheit 383, 386 ff., 399 ff., 404 ff. - und allgemeine Freiheit 405 ff. - und Gemeinwohl 403 Vertragsgesetz 407 Vertragsgleichheit 629 Vertragslehre 382 ff. Vertragspflichten 231 Vertragsverbindlichkeiten 199

S ach Wortverzeichnis Vertrauen 121 - auf den Gesetzgeber 968 ff. Vertrauensdefizit - des Parteienstaates 968 Vertrauensfrage - des Bundeskanzlers 800 Vertrauensprinzip 967 ff. Vertrauensschutz 406 ff. Vertrauensschutzprinzip 1099 Vertreter - des ganzen Volkes 17, 585 ff., 811 ff. Vertretung 637 ff., 707 ff., 737 ff. - des ganzen Volkes 26, 530 ff., 655, 707 ff. - des Kindes 708 - Notwendigkeit der - 645 ff. - organschaftliche - 637 ff. - privatrechtliche - 708 f. - und allgemeine Willensautonomie 718 ff. - und Herrschaft 91 ff., 730 ff. - und Wahl 725 Vertretungslehre 648 - allgemeine - 724 ff. - freiheitliche - 646 ff. - hobbessche - 303, 555, 638 - konsensual-repräsentative - 641 ff. - politische - 724 ff. - Rousseaus 723 f. Vertretungsmacht - weisungsunabhängige - 709 Vertretungsmodell - allgemeines - 707 Vertretungsrepräsentation 641 ff. Vertretungsverfassung 707 ff. Vieldeutigkeit - des Begriffes Demokratie 96 Vielheit 652 Volk 271,634,654,751 - Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus 65 - als außerordentlicher Hüter der Verfassung 418 - als Bürgerschaft 16 ff., 27, 35 ff., 96 ff., 651 ff., 656 ff., 738 ff. - als Einheit 90, 737 ff. - als Ganzes 736 ff.

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1303

als Gesetzgeber 417 f. als politisch ideelle Einheit 763 f. als politische Einheit 93 ff., 697 f., 735 ff. - als subjekthafte Existenz 35 ff. - als Vielheit 737 ff. - Bevormundung des Volkes 54 - Herrschaft des Volkes 36 - kanonischer Volksbegriff 35 - politische Willensbildung des - 1049 - und Akklamation 741 ff. - und Öffentlichkeit 742 f. - und Repräsentation 650 ff. - und Staat 1046 ff. - von Teufeln 571 - Wille des Volkes 26 ff. Volks- und Staatswille 98 ff. Volksabstimmungen 705 f. Volksbegriff 651 ff. - atomistischer - 765 - bellizistischer - 104 - demokratistischer - 94 - entbürgerlichter - 59 - kanonischer - 35, 653 f. - organischer - 143 - republikanischer - 94 Volksbegriffe - identitäre - 752 Volksdemokratie 41, 208 Volksherrschaft 691 ff. Volksparteien 1055 Volksrepräsentant 682 Volkssouveränität 20, 21 ff. - Prinzip der- 21, 23 ff. Volksvertreter - Irrtümer der - 964 ff. - nicht Herrschaft 160 Volksvertretung 637 ff., 655 ff. Befähigung zur - 809 ff. - notwendige - 981 ff. - organschaftliche - 707 ff., 714 Volkswille allgemeiner vereinigter - 525 - Parteiwille als - 714 Vollkommenheit - eigene -, fremde Glückseligkeit 216 Vollzugsdefizit 547 ff., 928 ff.

1304

S ach wort Verzeichnis

Volonté générale 64, 123 Vorbehalt - des verhältnismäßigen Gesetzes 487 - grundrechtlicher - privater Lebensbewältigung 859 ff. Vormundschaft - soziale - 404 Vorrang - der Gesetze 863 ff., 891, 928 f. Vorteilsnahme 1060 - parteiliche- 1116 ff. Wahl - als Auswahl 675 - als Personalentscheidung 47 ff. - der Beamten 67 - der Besten 104,789,1123 - der Richter des Bundesverfassungsgerichts 939 - des Parlaments 40 - Periodizität der - 67, 539 - und Amt 675 ff. - und Repräsentation 675 f. Wahl-, Parteien- und Parlamentsrecht - Reform des - 805 ff. Wahlbeteiligung 1140 - parteiliche - 1163 f. Wahlen 788 ff. - plebiszitäre - 1151 ff. Wähler 628 - als Repräsentant 673 - Amt des Wählers 122 ff. - moralische Defizite 1156 ff. Wahlprinzip 41 - territorial gegliedertes - 66 Wahlrecht - Parteienrecht und - 1147 ff. Wahlverhalten - lagermäßiges - 1114 Wahrheit 569 - und Liebe 158 - und Richtigkeit 586 ff. - und Unabhängigkeit 787 Wahrheitlichkeit - und Richtigkeit 569 ff. - und Richtigkeit der Gesetze 945 Wahrheitsbegriff 569 f. Wahrheitsethik 1095 ff.

Wasserversorgung - gemeinschaftliche - 349 ff. Wechsel - im Prinzip des Rechts 777 f. Wechselwirkungslehre 836 Weisungsgebundenheit - der Verwaltung 40 Weltrecht 327 Werkgerechtigkeit 1009 ff. Werte 825 ff. Werterechtsprechung 826 ff., 888 ff. Wertordnung 461 ff. Wesensgehaltsgarantie 831 ff., 978 ff., 1039 ff. - als Verhältnismäßigkeitsprinzip 979 - Lehren 830 ff. - Offenheit 831 ff. - und Rechtlichkeit 983 - und Rechtserkenntniskompetenz 855 ff. - Wesensgehalt 820 ff. Wesensgehaltsrechtsprechung - als gesetzgeberische Rechtserkenntnis 855 ff. Wesensgehaltsschutz - als praktische Vernünftigkeit 979 ff. - des allgemeinen Diskurses 988 - Kompensationsfunktion 982 f. - Materialität 982 ff. - und repräsentative Gesetzgebung 981 ff. Wesensgehaltsverwirklichung - der Eigentumsgarantie 1023 ff. - der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit 1002 ff. Wesensschau 764 - Leibholzens 764, 769 ff. Wesentlichkeitslehre 891 Wettbewerb 55, 262, 388, 510 - und Gemeinwohl 203 ff. - als Prinzip 200 ff., 388 f. - der Parteien 1084 f. - politischer - 1168 f. Wettbewerbsmodell 620 Widerspruch 150 - und Widerstand 417 f. - von Freiheit und Herrschaft 71 ff.

Sachortverzeichnis Widerstand 249 f., 417 f., 1085 f. Widerstandsrecht 581 ff., 962 ff. Wille 106 ff., 724 - allgemeiner - 521 ff., 657 - bürgerlicher - 563 ff. - des Parlaments als - des Volkes 121 - des Volkes 530 - freier - 279 - guter- 154,286,567 - und Gesetz 293 ff. - und Gewolltes 720 - und Materie 334 - und Willkür 304 ff. - unübertragbarer - 20 - vereinigter - des Volkes als Gesetzgeber 140 ff., 294 f. - Vertretung des Willens 639 ff. Willens-, Erkenntnis- und Entscheidungseinheit - von Volk und Volksvertretern 720 ff. Willensautonomie 152 ff., 274 ff., 564 ff., 623, 652 - als Diskurspflicht 609 f. - als Menschenwürde 668 - der Nichtbürger 341 - prozedurale - 988 ff. Willensbildung - maßgebliche Faktoren der politischen - 779 - politische - 605 ff. - politische - des Volkes 539, 778 ff., 1049 - staatliche - 46 Willenslehre - vertretungsdogmatische - 709 ff. Willkür 298 ff., 373 ff. - freie - 298 ff., 373 ff. - private - 373 ff., 401 - Recht zur- 321, 374 ff. - Recht zur freien - 289 ff. - Sachlichkeit privater - 375 ff. - und Gesetzlichkeit 377 - und Sittengesetz 377 Willkür/Schranken-Prinzip 487 Willkürverbot 374 ff., 413 ff., 768 ff., 990 - formales - 986 ff.

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und Freiheitsprinzip 986 ff. und Verhältnismäßigkeitsprinzip 987 Wesensgehalt der allgemeinen Freiheit als - 986 ff. Wir-Gefühl 1179 Wirklichkeit - freiheits widrige - 128 Wirtschaft - Trennung von - und Staat 51 Wissenschaftler - staatliche - 227 ff. Wissenschaftlichkeit - der Verfassungsrichter 943 - und Argumentation 965 Wissenschaftsbegriff 1005 ff. Wissenschaftsbetrieb - staatlicher - 1020 ff. Wissenschaftsfreiheit 1002 ff. - als objektive Leitentscheidung 1007 ff. Wohlfahrt 236 Wohlfahrtsstaat 358, 577 f., 633 f. - parteilicher - 535 Wohlfahrtszweck 348 Wohlgefallen - uninteressiertes - 627 Wohlhabenheit - des Volkes 577 Wort - verbindliches letztes - 821 ff. Zentralismus - demokratischer - 49, 169, 335 Zerrüttungsprinzip - scheidungsrechtliches - 840 f. Zufriedenheit - kleinbürgerliche - 700 Zurückhaltung - des Bundesverfassungsgerichts 955 ff. - Gebot staatlicher - 201 Zustand - bürgerlicher - 241 ff., 654 - rechtlicher- 310 Zwang 231 f., 545 ff. - als Herrschaft 554 ff. - als ultima ratio 555 - als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit 556

1306 -

S ach orterzeichnis

des besseren Arguments 156, 1147 sozialer - 124, 125 ff. und Freiheit 553 und Legalität 150 und Recht 311 f.

- Zweck und Mittel 557 ff. Zwang und Freiheit 545 ff. Zweck 297 ff. Zweckvollzug 340 f.