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German Pages 252 Year 2001
PILAR GONZALEZ-RIVERO
Strafrechtliche Zurechnung bei Defektzuständen
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Sehnlidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Hambw-g
und Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensbw-g
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 139
Strafrechtliche Zurechnung bei Defektzuständen Zugleich ein Beitrag zur allgemeinen Zurechnungslehre
Von
Pilar Gonzalez-Rivero
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Günther Jakobs, Bonn Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Gonzalez-Rivero, Pilar: Strafrechtliche Zurechnung bei Defektzuständen : zugleich ein Beitrag zur allgemeinen Zurechnungslehre I Pilar Gonzalez-Rivero.Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Strafrechtliche Abhandlungen ; N.F., Bd. 139) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10385-8
Alle Rechte vorbehalten
© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-10385-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 €9
Meinen lieben Eltern und Geschwistern
Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die geringfügig überarbeitete Fassung des Textes dar, welcher im Wintersemester 1999 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Doktorarbeit angenommen wurde. Rechtsprechung und Literatur befinden sich mit geringfügigen Abweichungen auf dem Stand von Juli 1999. Mein Dank gilt zuvörderst meinen geliebten Eltern und Geschwistern: Sie haben mich auch während schwieriger Zeit nachhaltig und liebevoll unterstützt, mir in jeder Hinsicht und bedingungslos Rückhalt geboten und nie den Glauben an mich verloren. Ihnen sei daher diese Arbeit gewidmet. Herr Professor Dr. G. Jakobs hat nicht allein das Thema der Arbeit angeregt, deren Entstehung in vorbildlicher Weise betreut und mir die Ehre zuteil werden lassen, Mitarbeiterin des Rechtsphilosophischen Seminars sein zu dürfen. Sein wissenschaftliches Werk und seine Persönlichkeit haben nicht allein in diesem Text deutliche Spuren hinterlassen: seinem Denken fühle ich mich verpflichtet. Ihm schulde ich freilich mehr als ich mit diesen Zeilen auszudrucken vermag. Herr Richter am Tribunal Supremo, Professor Dr. Enrique Bacigalupo, weckte mein wissenschaftliches Interesse, förderte mich maßgeblich und ermöglichte mir den außerordentlich fruchtbaren Aufenthalt in Bonn. Hierfür gebührt ihm mein aufrichtiger Dank. Herrn Professor Dr. U. Kindhäuser danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die dort gezeigte Toleranz gegenüber einem aus seiner Sicht anderen systematischen Ansatz, den Herren Professoren Dr. E. Schmidhäuser und Dr. Dr. h.c. F.-C. Schroeder für die großzügige Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Herrn Rechtsreferendar Rochus Wallau schulde ich aufrichtigen und herzlichen Dank für ungezählte Diskussionen, die für mich stets fruchtbar waren. Herr Privatdozent Dr. H. H. Lesch hat sich nicht allein der mühevollen Lektüre der Endfassung unterzogen und wertvolle Hinweise gegeben. Auch für seine ständige Gesprächsbereitschaft und manche Anregung danke ich ihm aufrichtig. Insbesondere Frau Heidi Gerharz hat es verstanden, den Aufenthalt am Rechtsphilosophischen Seminar in Bonn während meiner Zeit zunächst als Magistersrudentin und dann als Doktorandin zu einem wunderschönen und unvergeßlichen Erlebnis zu gestalten. Ihr, aber auch Frau Isabell Voßgätter, genannt Niemann, Frau
Vorwort
8
Julia Kleinmanns, Frau Julia Marquier und vielen anderen gebührt hierfür mein herzlicher Dank. Ich danke schließlich der Stiftung der Universität San Pablo CEU (Madrid) für die großzügige Gewährung eines Promotionsstipendiums von November 1994 bis Oktober 1999 sowie für die ebenso großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Madrid, im Juli 2001
Pilar Gonzalez-Rivero
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Die unterschiedliche Behandlung der Zeitstruktur der Zurechnung innerhalb der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
§ 2 Die Entwicklung des Schuldbegriffs und deren Auswirkung auf das Vorverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
A. Anfange einer Normativierung des Schuldbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
I. Alle zur Schuld gehörenden Elemente sind schuldbegründend . . . . . . . . . . . . .
20
II. Differenzierung zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung . . . . . . . .
23
B. Schuld als "Andershandelnkönnen" i.S. der herrschenden Lehre . . . . . . . . . . . . . . .
25
I. Fortführung der Lehre vom normativen Charakter der Schuld - Baumann und Sehröder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
II. Fortführung der Lehre vom normativen Schuldelement . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
1. Das individuelle "Dafür-Können" Welzels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
2. Die Lehre von der Tatverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
III. Der Rückgriff auf die Lehre vom normativen Charakter der Schuld . .. . ... · 39
1. Weitere Unterscheidung zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung ...... . .. ..... . . . .. . .. ... .. ... . . . . . . . . .. . . ... ... . ... . .. . . . . . . . . .. . .
39
a) Armin Kaufmann und Hirsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
b) Jescheck und Lenckner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
c) Schmidhäuser... . . ......... . .... . ... . . . ... . . ..... . ............. .. .. .
52
2. Alle zur Schuld gehörenden Elemente sind schuldbegründend- Stratenwerth . .. .. ... .. . . . .. . . . ...... . . . . . . . .. . . . . . . . . . ... ... . .. . . . . . . . . .. . . . . .
57
10
Inhaltsverzeichnis C. Die Untauglichkeit eines auf einen materiellen Gehalt der Schuld abstellenden Kriteriums der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
I. Die Verfehlung des Begriffs der formellen strafrechtlichen Person . . . . . . . . .
62
II. Das Fehlen eines Bezugs der Schuldfähigkeit zur Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
D. Schuld und Vorverschulden nach der Lehre von der positiven Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
I. Materielle Schuld und Prävention - Das Modell Roxins . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
II. Funktion und Akzeptanz- Das Modell Jakobs' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
III. Gerechtigkeit und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
1. Das dialogische Modell Neumanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
2. "Normative" Fähigkeiten im Modell Kindhäusers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
3. Funktionaler Schuldbegriff Strengs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
E. Schlußbemerkung: Kritische Betrachtung des Gerechtigkeitsprinzips . . . . . . . . . . 101 I. Die Forderung nach Gerechtigkeit
102
II. Psychische Akzeptanz und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 III. Gerechtigkeit und Akzeptanz als das Strafrechtssystem leitende Prinzipien
107
§ 3 Unrecht und Zurechnung: Grundlagen der eigenen Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 A. Straftat und Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Das Recht und die Notwendigkeit seiner Geltung
108
II. Das Umecht als Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
1. Das Verbrechen als Verletzung der Geltungswirklichkeit der Norm . . . . . 109 2. Selbstwiderspruch: Die Selbstaufhebung durch das Verbrechen . . . . . . . . . 110 III. Die Strafe als Wiederherstellung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 IV. Zum Begriff der Person: Recht als Form der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 V. Der Begriff der strafrechtlichen Person und die strafrechtliche Zurechnung
118
Inhaltsverzeichnis B. Entwicklung einer Norrnativierung des Begriffs der Zurechnung
11 122
I. Wissenschaftliche Methode, Begriff der Person und Strafrecht . . . . . . . . . . . . 122
li. Die Zurechnung als die Einheit des Willens mit sich selbst in seiner Tat . . . 127 C. Zum Verhältnis von Straftat und Zurechnungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Norrnativierung der Zurechnung im Strafrechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 li. Die strafrechtliche Zurechnung und die ihr innewohnende Zurechnungsfä-
higkeit.................. . .................... . ... . ................... . .... 131
III. Die strafrechtliche Zurechnung zum Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
§ 4 Die Zurechnungsfähigkeit als strafrechtliches Konstrukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Zurechnungsfähigkeit als die Fähigkeit zur Sinnäußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
li. Berücksichtigung individueller Besonderheiten im Strafrechtssystem . . . . . 135 III. Beobachtungsperspektive der strafrechtlichen Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 139 IV. Zuständigkeit für die Straftat als das Recht des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 B. Momente der Zurechnungs(un-)fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Unterscheidung zwischen Handlungs- und Schuld(un-)fähigkeit? . . . . . . . . . 146
1. Individuelle Vermeidbarkeil als Kriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Ersichtlichkeit des Zustandes als Kriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 II. Die immanente Betrachtung der Kenntnis des Tatbestandes in der Kenntnis derNorrn . ... . .......... .. .... .. ..... . ....... . ... . ... . .. .. ....... .. ... . ... 151 III. Unterscheidung zwischen Schuldbegründung und Zumutbarkeit? . . . . . . . . . 151 C. Zurechnungsfähigkeit als Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Die Bedeutung des Vorverhaltens bei der strafrechtlichen Zurechnung . . . . 156
1. Zurechnungsmodelle und Koinzidenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Das Vorverhalten als Bestätigung der Nichtaufhebung des Person-Seins
162
12
Inhaltsverzeichnis II. Vorsatz und Fahrlässigkeit als Zuständigkeit
165
1. Subjektiver Tatbestand beim Vorverhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Subjektiver Tatbestand im Moment der Verwirklichung der Tat? . . . . . . . . 166 3. Zuständigkeit anstelle der Voraussehbarkeit der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4. "Vorsatz" und "Fahrlässigkeit" bzgl. der Herbeiführung des Defektzustandes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 III. Strafrechtliche Haftung des zurechnungsfähigen Tliters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Normative Interpretation des Vorsatzes nach der Schuldtheorie . . . . . . . . . 172 2. Das Maß der Zuständigkeit- Strafmilderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 IV. Spezifisch strafrechtlicher Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Kritik an der herrschenden Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Ein Vorschlag de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 V. Ausnahmsweise erfolgender Ausschluß der Zurechnung - Die Erklärung als Zufall bzw. Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Ausschluß der Zurechnung bei dauerhaften Defektzuständen . . . . . . . . . . . 178 2. Ausschluß der Zurechnung bei selten vorkommenden Defektzuständen 181 3. Ausschluß der Zurechnung bei aus vernünftigen Gründen herbeigeführten Defektzuständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4. Natur und Zufall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 VI. Konkretisierung der Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Die strafrechtliche Zurechnung der Tat im Defektzustand der Trunkenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Der Grund der Trunkenheit als Kriterium für die Zurechnung . . . . . . . 192 b) § 323a als unnötiger Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 c) Vorhersehbarkeit der Straftat als Voraussetzung der Zurechnung? . . . 198 d) Konsequenz: Unterscheidung zwischen actio libera in causa und § 323a StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. Die strafrechtliche Zurechnung der Tat im Zustand der Handlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Die strafrechtliche Zurechnung der Tat im entschuldigenden Notstand . . 204
Inhaltsverzeichnis
13
§ 5 Mögliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 A. Fiktion von Verantwortlichkeit: Homogener Personenbegriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 B. Grundsätze im Strafrecht und Strafprozeßrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 C. Verhältnis von Verantwortlichkeit und normativen Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . 219 I. Sinn und Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Die verkappte Normativierung in der herkömmlichen Lehre . . . . . . . . . . . . . . 221 § 6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Literaturverzeichnis . . . .. .. . .. . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . .. . .. . . .. . . . .. . . . . 236 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
Abkürzungsverzeichnis a.A.
andere Ansicht
a. a.O.
am angegebenen Ort
Abs. a.E.
Absatz
AK a.l.i.c.
amEnde alte Fassung Alternativkommentar actio libera in causa
Alt..
Alternative
Anm. ARSP Art.
Anmerkung Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel
AT Aufl.
Allgemeiner Teil
Bd.
Band
BGB BGBI. BGH
Bürgerliches Gesetzbuch von 18. 8. 1896, RGBL. S. 339 Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof in Strafsachen. Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft
Bsp.
Beispiel
BT BT-DrS. BVerfG
Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht
BVerfGE bzgl.
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich
a.F.
Auflage
Bzw.
beziehungsweise
ders. d. h. d.i. dies.
derselbe das heisst das ist dieselbe
Diss.
Dissertation
ebd.
ebenda
EG Ein!. etc.
Einführungsgesetz Einleitung et cetera
Fn.
Fussnote
Abkürzungsverzeichnis
15
FS f(ff)
Festschrift
GA
Archiv für Strafrecht und Strafprozess, begründet v. Th. Goltdammer, 1880-1933; Goltdammer's Archiv für Strafrecht, 1853 ff.
folgende Seite(n)
gen.
genannte(r)
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23. 5. 1949, BGBI. 1949 S. 1
ggf.
gegebenenfalls
GS
Gedächtnisschrift
h.L.
herrschende Lehre
hrsg.
herausgegeben
i.d.F.v.
in der Fassung von
i.d.S.
In dem Sinne I in diesem Sinne
i.E.
im Ergebnis
i.e.S.
im engeren Sinne
insb.
insbesondere
i.S. i. S. d.
im Sinne im Sinne des
i.S.v.
im Sinne von
i.V.m.
in Verbindung mit
i.w.S.
im weiteren Sinne
JA
Juristischer Arbeitsblätter
JR
Juristischer Rundschau
Jura
Juristischer Ausbildung
JuS
Juristischer Schulung
JZ
Juristenzeitung
KK
Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz mit Einführungsgesetz
KMR
Kommentar zur Strafprozessordnung
LG
Landgericht
LK
Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch
m.
mit
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
m.E.
meines Erachtens
MSchrfKrim
Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904-1936); Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform (1937 - 1944), Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtseeform
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
n.F.
neue Fassung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NK
Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
16 ÖStGB ÖZStr. o.ä OLG Rn. resp. RGSt
RStGB s.
s.
scil. SchwZStr SK sog. StGB
StPO StrRG u. u. a. u.a.m. u.ä.m. usw u.U. V.
vgl. Vol. Vorbem. z. B. zit. ZSchwR ZStW z.T. Zus.
Abkürzungsverzeichnis Österreichisches Strafgesetzbuch Österreichische Zeitschrift für Strafrecht oder ähnliches Oberlandesgericht Randnummer respektive Reichsgericht in Strafsachen; Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Reichsanwaltschaft Reichsstrafgesetzbuch siehe Seite scilicet Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Systematische Kommentar zum Strafgesetzbuch sogenannte(r) Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung v. 10.3. 1987 (BGBI. I S. 945, 1160), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes v. 26. 1. 1998 (BGBI. I S. 160) Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung v- 10.3. 1987, BGBI. I. S. 1074, BerichtigungS. 1319 Gesetz zur Reform des Strafrechts und unter anderem I und andere und anderen mehr und ähnliches mehr und so weiter unter Umständen von/vom vergleiche Volumen Vorbemerkung(en) zum Beispiel zitiert Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil Zusatz
§ 1 Die unterschiedliche Behandlung der Zeitstruktur der Zurechnung innerhalb der Schuld Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit der Struktur einiger Probleme bei der strafrechtlichen Zurechnung zur Schuld. Es geht um diejenigen Fälle, in denen die Zurechnung nach h.M. Probleme wegen der besonderen Zeitstruktur aufwirft und voll oder teilweise an ein Verhalten anknüpft, das vor dem unmittelbaren Vollzug des zum "Erfolg" führenden Verhaltens liegt. Die Lozierung dieser Probleme bei der Schuld ist größtenteils 1 unbestritten. So herrscht fast Einigkeit darüber2 , daß die Fälle eines "verschuldeten" Verlustes der Schuldfähigkeit und diejenigen eines "verschuldeten" Verbotsirrtums die "positiven Schuldmerkmale" betreffen3 . Alle sonstigen Fälle, namentlich der verschuldete entschuldigende Notstand (§ 35 StGB), der verschuldete Affekt4 , der minder schwere Fall des Totschlags(§ 213 StGB), die Überschreitung der Notwehr(§ 33 StGB) und die verschuldete verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) werden im Bereich der "negativen Schuldmerkmale" behandelt, d. h. bei der Frage der (Un-) Zumutbarkeit5 • Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf zwei Fallkonstellationen: auf die Schuldunfähigkeit und auf den entschuldigenden Notstand. Diese Beschränkung erfolgt jedoch nicht willkürlich; § 20 StGB wird als Beispielsfall der sog. Schuldbegründung behandelt, § 35 StGB dagegen als Beispielsfall der sog. Unzumutbarkeit. So besagt § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB, daß der Ausschluß der Schuld beim entschuldigenden Notstand nicht gilt, "soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen ...". Die strafrechtliche Zeitstruktur der Zurechnung in den Fällen des verschuldeten entschuldigenden Notstands erscheint in der heute herrschenden Lehre fast als unI Nach einer Ansicht ist der entschuldigende Notstand als Problem der Rechtfertigung anzusehen; siehe Gimbernat, Festschrift für Welzel, S. 485 ff., 496 f. 2 Siehe dazu für alle Jakobs, AT, 17/43 ff. 3 Es gibt jedoch Ausnahmen, die die Notwendigkeit der Bildung eines Schuldtatbestands bestreiten; siehe dazu Hirsch, LK, Vorbem. § 32, Rn. 175, Welzel, Strafrecht, 11. Auf!., S. 55. Aber selbst diese Autoren behandeln die Fälle der Zurechnungsfähigkeit als Frage der Schuldbegründung. 4 Siehe zum Streit über die Ansiedlung des Affekts unter der Schuldbegründung oder unter der Zumutbarkeit Jakobs, AT, 18/14 ff.; vgl. schon dens., Handlungsanalyse, S. 21 ff. , 27 ff., 30; dens., in: Der psychiatrische Sachverständige, S. 271 ff., 278 ff. 5 Siehe dazu Jakobs, AT, 18/28 ff.; Schönke /Schröder-Lenckner, 25. Auf!., § 21, Rn. 1.
2 Gonzalez-Rivero
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§ 1 Die unterschiedliche Behandlung der Zeitstruktur
bestritten6 : Zurechenbare Tat soll das Verhalten zur Zeit der in§ 35 StGB beschriebenen Situation sein. Im Gegensatz dazu enthält § 20 StGB keine Regelung hinsichtlich der Behandlung der Fälle eines verschuldeten Verlustes der Schuldfähigkeil. § 20 StGB lautet schlicht: "Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfahig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln." Aufgrund des Fehlens einer gesetzlichen Regelung herrscht in der Lehre heftiger Streit hinsichtlich der Zeitstruktur der Zurechnung in der Fallkonstellation eines verschuldeten Verlustes der Schuldfahigkeit7 . Dabei geht die herrschende Lehre davon aus, daß die zurechenbare Tat zur Zeit der Herbeiführung des die Zurechnung grundsätzlich ausschließenden Defektzustandes vorliegt8 . Es ist nun auffällig, daß die Lehre innerhalb der Schuld eine unterschiedliche zeitliche Struktur der Zurechnung für die Fälle des Vorverschuldens beim Verlust der Schuldfahigkeit und hinsichtlich des Vorverschuldens beim entschuldigenden Notstand vertritt. Denn man könnte zunächst denken, daß- da beide Konstellationen nach der herkömmlichen Lehre die Kategorie der Schuld betreffen - eine einheitliche Zurechnungsstruktur konsequent wäre. Soweit aber die herrschende Lehre für die verschiedenen Fallkonstellationen eine unterschiedliche zeitliche Zurechnungsstruktur fordert, muß das offenbar durch eine entsprechende Differenzierung innerhalb des Schuldbegriffs sein, und eine solche Differenzierung läßt sich in der Tat auch ausmachen, nämlich in Form der von der h.L. getroffenen Unterscheidung zwischen Schuldbegrundung und Entschuldigung bzw. (Un-)Zumutbarkeit9 , die offen oder verdeckt in die Lösung der oben beschriebenen Probleme hineingetragen wird - offen bei denjenigen, die eine substantielle Differenz zwischen beiden Kategorien behaupten 10 (vergleichbar etwa derjenigen zwischen Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit auf der Unrechtsebene), verdeckt von denjenigen, die für die Lösung der Fälle inhaltlich verschiedene Kriterien entwickeln. Jedenfalls ist diese Unterscheidung innerhalb der Schuld eine notwendige Folge des jeweiligen Schuldkonzepts und dieses wieder6 Es wird noch zu sehen sein, daß die Vertreter eines traditionsorientierten Schuldbegriffs die Fälle des vorverschuldeten entschuldigenden Notstands noch bei der Herbeiführung der Tat behandeln; siehe dazu unten(§ 2 B.l.) die Meinung von Baumann und Schröder. Ebenso gibt es in der heutigen Lehre noch Ansichten, die eine einheitliche Lösung des Vorverschuldens bei der Herbeiführung der Tat befürworten; siehe dazu unten die Ansicht Schrnidhäusers. 7 Siehe für alle Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Auf!.,§ 20, Rn. 32 ff., m. w. N. s Siehe zur Darstellung der herrschenden Lehre und zu den restlichen Modellen Schmidhäuser; Die actio libera in causa, passim; Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Auf!., § 20, Rn. 32 ff., 35. 9 Siehe als Annäherung Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Auf!., Vorbem. § 32, Rn. 108, m. w.N. 10 Siehe Jakobs, AT, 17 I 45, 17 I 53.
§ 1 Die unterschiedliche Behandlung der Zeitstruktur
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um eine Konsequenz aus der jeweiligen Vorstellung vom Zweck des Strafrechts in der Gesellschaft. Gegenüber der herkömmlichen Lehre zum Vorverschulden wird hier eine einheitliche Lösung der unterschiedlichen Fälle des Vorverschuldeos innerhalb der Zurechnung zur Schuld entwickelt und dabei eine Normativierung der strafrechtlichen Begriffe verfolgt, die schon beim Subjekt der Tat, genauer: bei dem Kriterium der Zuständigkeit ansetzt, dessen Inhalt wiederum vom Zweck des Strafrechts in der Gesellschaft abhängt. Dabei wird sich herausstellen, daß bestimmte "Defekte" die grundsätzliche Zuständigkeit des Subjekts nicht ausschließen, weil die Zurechnungsfähigkeit im Gegensatz zur herkömmlichen Ansicht nicht als vorgegebene natiirliche Eigenschaft des "Menschen", sondern als genuin (straf-)rechtliches Konstruktion zu begreifen ist. Angesichts dieser Normativierung aber erweist sich die herkömliehe Unterscheidung zwischen Schuldbegrundung und (Un-)Zumutbarkeit als unhaltbar und eine einheitliche Zurechnung im Moment der "Tat" als geboten; die normative Erwartung in den sog. Fällen des Vorverschuldens, d.i. die grundsätzliche Zuständigkeit des Täters für die im "Defektzustand" (auch einer "entschuldigenden" Lage) begangene strafbare Handlung, wird also im Moment der Tat beibehalten.
§ 2 Die Entwicklung des Schuldbegriffs und deren Auswirkung auf das Vorverschulden
A. Anfänge einer Normativierung des Schuldbegriffs Durch die bis heute noch nicht vollständig gelungene Normativierung der Zurechnung und der Zurechnungsfahigkeit wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts für den Bereich der Schuld das Ende der damals vorherrschenden naturalistischen Strafrechtsdogmatik eingeleitet, die allein im kausalen Lauf der Welt die maßgeblichen Vorgaben für das Recht erblickte 1 • Die Normativierung, die hierbei begann, erfolgte jedoch nur unvollkommen, denn die Schuld wurde nur teilweise normativiert und blieb dazu unverbunden mit der Straftat. Die theoretischen Grundlagen fiir die Behandlung der Schuld in der Dogmatik der Nachkriegszeit, die durch Frank- und die nachfolgenden gleichgelagerten Arbeiten insbesondere Heglers und Mezgers - auf der einen und Goldschrnidt auf der anderen Seite geschaffen wurden, sind gerade für die hier zu behandelnden Problemfelder von Bedeutung, denn der von ihnen geschaffene "normative Schuldbegrift" und die von ihnen verweigerte oder vorgenommene Differenzierung zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung spiegelt sich in allen später vertretenen Konzeptionen wieder. Aus diesem Grund sei deren Position im folgenden in ihren Grundzügen nachgezeichnet.
I. Alle zur Schuld gehörenden Elemente sind schuldbegründend Die Anfange der Normativierung des Schuldbegriffs2 lassen sich formal auf Frank und seiner Arbeit "Über den Aufbau des Schuldbegriffs" (1907) datieren. Die Franksehe Lehre vom normativen Charakter der Schuld findet das Wesen der Schuld in einer Wertung, nimmt das Werturteil selbst aber nicht in den Schuldtatbestand auf, sondern konstruiert diesen als einen in seiner Gesamtheit wertbezoge• Siehe die dazu grundlegenden Erläuterungen Welzels, Studien zum System des Strafrechts, S. 120 ff.; siehe dazu auch Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie, S. 41. Vgl. ebenso Achenbach, Schuldlehre, S. 37 ff. 2 Zu der Entwicklung des normativen Schuldbegriffs siehe die grundlegende Arbeit von Achenbach, Schuldlehre, passim.
A. Anfänge einer Normativierung des Schuldbegriffs
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nen Tatbestand. Schuld bedeutet für Frank "Vorwerfbarkeit"3 . Er setzt mit der Einführung des Begriffs der Vorwerfbarkeit an die Stelle der Schuldarten4 einander gleichrangige Schuldelemente5 , die in gleichem Maße schuldbegründend sein sollen6. Diese Schuldelemente sind nach Frank7 allesamt beim Täter festzustellende psychische Umstände. So wird die Normalität der "begleitenden Umstände" 8 oder die danach subjektivierte "normale Motivierung"9 neben den Vorsatz und die Fahrlässigkeit in den Schuldbegriff eingebracht 10: Die Zurechenbarkeit einer Handlung zur Schuld hänge von der Freiheit des Handelnden ab. Die Zurechnungsfähigkeit betreffe "die innere Freiheit, während sich die §§ 52, 54 mit der äußeren Freiheit" befaßten. Dabei sei die Zurechnungsfähigkeit nicht Schuldvoraussetzung, sondern sie gehöre zur Schuld 11 , der entschuldigende Notstand wird in der Schuld als Frage der "normalen Motivation" behandelt. Da Frank die "normale Motivierung" als ein positives Element der Schuld bezeichnet 12, konstituiert sie für ihn eine immanente Einschränkung der Schuldhaftigkeit eines Verhaltens 13 • In ähnlicher Weise ist Schuld für Regler formal Vorwerfbarkeit, material Tatherrschaft14: Das Schuldurteil konstatiere zunächst die Tatherrschaft als eine "Beziehung zwischen Tatsächlichem". Ein Wertmoment liege darin insoweit, als die Frage der Tatherrschaft nur für eine gesellschaftsschädliche Tat aufgehoben wird, 3 Frank, Festschrift der Universität Gießen, S. 529; siehe auch ders., Strafgesetzbuch, 14. Auf!., Vorbem. §51, II. 4 Frank, Festschrift der Universität Gießen, S. 528: Der Schuldbegriff sei "ein zusammengesetzter Begriff, zu dessen Bestandteilen unter anderem auch Vorsatz und Fahrlässigkeit" gehörten. s Frank, Festschrift der Universität Gießen, S. 530. 6 Für die traditionsorientierte Lehre war die Zumutbarkeit ebenso von einer Seinsstruktur abhängig wie die Zurechnungsfähigkeit. Siehe Frank und Regler, die über innere (heute Zurechnungsfähigkeit) und äußere (heute Zumutbarkeit) Freiheit gesprochen haben. 7 Frank, Festschrift der Universität Gießen, S. 528; ders., Strafgesetzbuch, 14. Auf!., Vorbem. § 51, II: "Die Tatsachen, auf die dieses Urteil griindet, sollen Schuldelemente heißen". s Frank, Festschrift der Universität Gießen, S. 528, 530. 9 In der 8./10. Auf!. seines Kommentars (1911), Nr. II Vorbem. §51, ersetzte Frank die "normalen Begleitumstände" durch die "normale Motivierung", damit sie in ihrer "subjektiven Abspiegelung" als ein Schuldelement erscheinen könnten. Kritisch zum Begriff der "begleitenden Umstände" Beling, Unschuld, S. 8 Fn. 10 Frank, Festschrift der Universität Gießen, S. 524; ders., Strafgesetzbuch, 14. Auf!.,§ 51, I. 11 Frank, Über den Aufbau des Schuldbegriffs, S. 527 f. Kritisch dagegen äußern sich von Liszt/Eb. Schmidt, 25. Auf!., S. 225 und Kohlrausch, SchwZStr 34, 1921, S. 157. 12 Frank hat diesbezüglich seine Meinung mehrfach geändert. So hat er in der 8. I 10. Auf!. seines Kommentars, Nr ll Vorbem. § 51, die "normale Motivierung" als positives Moment bezeichnet, nicht jedoch in der 11./14. Auf!., Nr II Vorbem. §51, wo "ausnahmsweise trotz Zurechnungsfähigkeit und unrichtiger Motivierung ... keine Schuld vorhanden sein" soll. Aber in der 15./17. Auf!., Nr. II Vorbem. §51, erscheint sie wieder als positives Element. 13 Dagegen kritisch Goldschmidt, Festgabe für Frank, S. 443 ff. 14 Hegler; ZStW 36 (1915), S. 184 f., Fn. 62.
§ 2 Die Entwicklung des Schuldbegriffs
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so daß deren negativer Charakter auf sie abfärbe. Nur deshalb könne diese faktische Beziehung von vornherein als "Vorwerfbarkeit" d. h., "Vorwurfsmöglichkeit", bezeichnet werden 15 . Regler bezeichet als Voraussetzungen der Tatherrschaft vier Momente 16, nämlich Handlungsfreiheit, Zurechnungsfreiheit, Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit und das Fehlen von Schuldausschließungsgründen. Sie alle seien tatherrschaftsbegründende Momente. Die von Regler bezeichnete negative Voraussetzung der "ungewöhnlichen Motivationslage" ist ein die Schuld ausschließendes Moment 17 . Als Fortsetzung der von Frank und Regler entfalteten Lehre vom normativen Charakter der Schuld ist die Lehre Mezgers zu begreifen. Schuld ist für Mezger ein bestimmter "Schuldsachverhalt", ein "Inbegriff von in der Person des Handelnden gelegenen tatsächlichen Voraussetzungen der Strafe". Schuld ist aber zugleich stets "ein Werturteil über den Schuldsachverhalt" 18. Mezgers Schuldbegriff ist im Prinzip aus zwei einheitlich zusammengesetzten Stufen aufgebaut: An einen Tatbestand rein deskriptiver (subjektiv-psychischer oder objektiver19) Elemente knüpft ein reines Werturteil an20. Die Merkmale der Schuld seien die Zurechnungsfähigkeit, der Vorsatz bzw. die Fahrlässigkeit und das Fehlen besonderer Schuldausschließungsgründe21: "Wo ein Schuldausschließungsgrund dem Täter zur Seite ist, da handelt dieser genauso schuldlos wie der geisteskranke Unzurechnungsfähige oder derjenige, bei dem die Voraussetzungen vorsätzlichen oder fahrlässigen Handeins fehlen. " 22 Daher bestehe kein Unterschied zwischen Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründen, wobei der letztgenannte Ausdruck zu vermeiden sei, denn "beim Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes wird nicht der 'an sich' schuldige Regler, ZStW 36 (1915), S. 190, mit Fn. 71. Regler, ZStW 36 (1915), S. 191 ff. 17 Regler, ZStW 36 (1915), S. 214 und Fn. 107. Unter der Bezeichnung "negative Voraussetzung" versteht Goldschmidt, Festgabe für Frank, S. 445, nicht einen Schuldausschließungs- sondern einen Entschuldigungsgrund. 18 Mezger, Strafrecht, S. 248. Vgl. ebenso von Rippel, Vergleichende Darstellung, S. 270. Der Schuldbegriff umfaßt die einzelnen vorWurfsbegründenden Momente, nicht mehr aber das daraus folgende Resultat. 19 Den Schuldsachverhalt kennzeichnet Mezger als in der Regel psychologisch, jedoch seien bei den §§ 52, 54 deutlich objektive Momente zu sehen. 20 Mezger-Blei, Strafrecht I, S. 163. Kritisch zum komplexen Schuldbegriff Mezgers: Welzel, Um die finale Handlungslehre, S. 26, der diesen Schuldbegriff als ein "Gemisch von Wertung und Gewertetem" bezeichnet. 21 Die Zurechnungsfähigkeit ist für Mezger, Strafrecht, S. 269, nicht Schuldvoraussetzung, sondern ausschließlich eines ihrer Merkmale, denn "was Voraussetzung der Schuld ist, ist damit auch notwendig ihr Merkmal"; siehe dazu dens., Persönlichkeit und Schuld, S. 16. Neben der Zurechnungsfähigkeit gehöre zur Schuld eine "bestimmte Gestaltung der inneren und äußeren Umstände der Handlung: das Fehlen besonderer Schuldausschließungsgründe", S. 269. Siehe dazu schon Mezger, Persönlichkeit und Schuld, S. 13, 16. 22 Mezger, Strafrecht, S. 363. 15
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Tater bloß 'entschuldigt', sondern es ist bei dieser Sachlage von vomherein seine Schuld 'ausgeschlossen' 23 • Die äußeren Umstände seien nicht nur auf das Maß der Schuld von Einfluß, ,ja sie vermögen die Schuld mitunter ganz zu beseitigen" 24. Wie gesehen folgt Mezger Frank in der Auffassung, daß Schuld nicht ein Oberbegriff von Arten, sondern ein Inbegriff von Elementen oder Merkmalen sei, die nur durch ihre gemeinsame Funktion zusammengefaßt würden, und daß diese spezifische Funktion in der Begründung eines persönlichen Vorwurfs gegen den Tater zu suchen sei. Die Normativierung wird von diesen Autoren aber nicht so weit geführt, daß sie schon in den Schuldtatbestand ein eigenes normatives Element einfügen, vielmehr beschränken sie sich auf die normative Qualifizierung der Schuld im Ganzen.
II. Differenzierung zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung Neben Franks Lehre vom normativen Charakter der Schuld entstand schon frühzeitig eine von Goldschmidt begründete Lehre, welche in den Schuldbegriff ein eigenes, von den psychologischen Merkmalen verschiedenes "normatives Schuldelement" einfügt25 . Goldschmidt unterscheidet grundlegend zwischen der Fähigkeit des Taters, dem gesetzlichen Sollensanspruch in Gestalt der Pflichtnorm zu genügen - also dem Können als Zurechnungsfähigkeit - von densonstigen, die Motivation zu pflichtgemäßem Handeln beeinträchtigenden Umständen. Damit beginnt er, die von Frank vorgenommene scharfe Trennung zwischen Schuldsachverhalt und -vorwurf zu verwischen, da er aus einigen - von Frank rein psychisch definierten - Elementen der Schuld solche macht, denen das normative Moment der Zumutbarkeit immanent ist. Vorsatz, Fahrlässigkeit und der entschuldigende Notstand enthalten danach einheitlich den Gedanken der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens 26• Dabei wird 23 Mezger; Strafrecht, S. 363 f. Das gleiche wird gesagt im Bereich des Tatbestands, vgl. dens., S. 205 f.: ,,Eine Handlung, der ein wirksamer Rechtfertigungsgrund zur Seite steht ( ... ), ist genauso kein Unrecht wie eine Handlung, bei welcher es von vomherein an einem zur Unrechtsbegriindung notwendigen tatbestandliehen Merkmal fehlt. Lediglich um die verschiedenen Gesichtspunkte übersichtlich zu ordnen, unterscheiden wir zwischen Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluß ( ... ).Ein 'an sich rechtswidrig' gibt es nicht, sondern nur ein 'rechtswidrig' oder ' nichtrechtswidrig' im Einzelfall"; siehe auch Mezger-Blei, Strafrecht, S. 124. 24 Mezger; ZStW 47 (1927), S. 487. 25 Goldschmidt, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht, S. 139, 162 und passim; ders. , Festgabe für Frank, passim. 26 Siehe Goldschmidt, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht, S. 162. Zur Zumutbarkeit als zentralem Merkmal der Schuld siehe v. Listzl Eb.Schmidt, Strafrecht, 25. Aufl., S. 213, 215: Schuld sei eine "auf der Voraussetzung der Zurechnungsfähigkeit beruhende Beziehung zwischen einem psychischen Sein und einem Werturteil".
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§ 2 Die Entwicklung des Schuldbegriffs
darauf verzichtet, unmittelbar auf ein Können27 , auf eine Fähigkeit des Täters zurückzugreifen. Mit der Normativierung der Schuldsbestandsteile, also des Vorsatzes, der Fahrlässigkeit und der Entschuldigungsgründe (u. a. des entschuldigenden Notstands)28 wird gleichzeitig der Begriff einer nicht nur durch psychische Momente, d. h. durch die Erschwerung der Motivation als solcher, bestimmten formellen strafrechtlichen Person29 eingeführt. Allein die Zurechnungsfähigkeit ist von dieser Normativierung nicht betroffen, sondern bildet als substantielle Grundlage der Fähigkeit zum Normverstoß eine Voraussetzung der Schuld30; dies unter expliziter Ablehnung der Ansicht Franks, der die Zurechnungsfähigkeit als Bestandteil der Schuld versteht. Dementsprechend äußert Goldschmidt, daß der Unzurechnungsfähige31 - anders als der im Notstand Handelnde - von vomherein "nicht Adressat der Pflichtnorm" sei32. Das Wesen der §§ 52, 54 a.F. StGB erblickt Goldschmidt also allein in einer Wertung: Die Entschuldigungswirkung trete in den dort beschriebenen Situationen ein33 , da dem auch hier grundsätzlich tauglichen Adressaten der Pflichtnorm aufgrund seines Selbsterhaltungswillens ausnahmsweise nicht zugemutet werden könne, dem Sollensanspruch der Pflichtnorm zu genügen; dem Täter könne "den Umständen nach nicht zugemutet werden, sich dem Pflichtmotiv zu fügen" 34• Damit wird es in der Nachfolge Goldschmidts unmöglich, den entschuldigenden Notstand weiterhin zum positiven Gehalt der Schuld zu zählen. Statt dessen wird er nunmehr dem negativen Gehalt der Schuld zugeschlagen 35, er wird Entschuldi27 Goldschmidt, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht, S. 432, der an Freudenthais Ansicht Kritik übt, daß es bei den Entschuldigungsgründe um "Können" und nicht um "Sollen" gehe. Freudenthal, Schuld und Vorwurf, S. 8: "Begrifflich fehlt, wo Notstand besteht, mit dem Können des Taters die Vermeidbarkeit der Begehung, die Vorwerfbarkeit der Tat ( ... ) kurz die Schuld". Gegen Freudenthai siehe Goldschmidt, Deutsche Strafrechts-Zeitung IX (1922), s. 250. 28 Goldschmidt, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht, S. 139 ff., 149 ff., 161 ff. 29 Zu dem Begriff der strafrechtlichen Person und seinem formellen und materiellen Sinne siehe unten § 3 A. V. 30 Goldschmidt, Festgabe für Frank, S. 443. 31 Vgl. Goldschmidt, Festgabe für Frank, S. 447, bei dem die Unzurechnungsf!ihigkeit als Schuldausschließungsgrund und nicht als Entschuldigungsgrund bezeichnet wird. 32 Goldschmidt, Festgabe für Frank, S. 447. Ebenso gegen den Ansatz Franks hat sich Eb. Schrnidt in von Liszt/Eb. Schmidt, Strafrecht, 25. Aufl., S. 215, Fn. 19, S. 225, Fn. 3 geäußert. 33 So die Ansicht Goldschmidt, Festgabe für Frank, S. 443 ff. 34 Goldschmidt, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht, S. 162. So äußert sich Goldschmidt, Festgabe für Frank, S. 452 f., daß § 54 StOB a.F. die Selbsterhaltungspflicht und den Trieb, Leib und Leben naher Angehöriger zu erhalten, als jedes Pflichtmotiv überwiegend anerkennt. 35 Die "normale Motivierung" Franks ist für Goldschmidt, Festgabe für Frank, S. 443, allein die faktische Quelle der "Selbsterhaltungsnormen", "deren Berücksichtigung zu der Begrenzung der Zumutbarkeit und folglich der Vorwerfbarkeit führt". Diese Begrenzung sei
B. Schuld als "Andershandelnkönnen" i. S. der herrschenden Lehre
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gungsgrund36. Die Normativierung des entschuldigenden Notstands und die gleichzeitige Entwicklung einer eigenständigen Kategorie der Entschuldigungsgründe nimmt also mit der Goldschmidtschen Lehre Ausgang. Wenn so einerseits die quasi natürlich verstandene Schuldfahigkeit als Voraussetzung - und nicht als Element -der Schuld verstanden wird, und die "normale Motivation" Franks nicht mehr als notwendiges Moment der Schuld anzunehmen sein soll, dann liegt hier der Grundstein für eine verschiedene Behandlung der in der Schuld zu betrachtenden Institute. Dies zeichnet die Betrachtung des bei der Schuld zur Sprache kommenden Charakters der formellen strafrechtlichen Person. Mit den vorstehend dargelegten Grundlagen sind die Konsequenzen für die in der Folgezeit entstehenden Schuldkonzepte und den darausentwickelten Lösungen der Probleme des Vorverschuldeos bereits vorgezeichnet. Gemeinsame Grundüberzeugung aller nachfolgenden Lehren wird die grundsätzliche Beibehaltung der Bestimmung der Zurechnungsfähigkeit als psychisches Faktum sein. Ein Teil der Lehre wird sich dann - trotz differierender Formulierungen des Inhalts von "Schuld" - eng an die formale Konzeption Franks halten und eine gleichwertige Behandlung aller Schuldvoraussetzungen fordern. Der überwiegende Teil wird hingegen hinsichtlich der qualitativen Trennung zwischen "Können" und "Zumutbarkeit" an Goldschmidt anschließen und hieraus auf eine Ungleichbehandlung der diese Inhalte angeblich repräsentierenden Normen schließen.
B. Schuld als "Andershandelnkönnen" i. S. der herrschenden Lehre Die Vorstellung, bei dem Täter einer Tat handle es sich um ein natürliches Subjekt, das die Fähigkeit zur Ausrichtung seines Verhaltens an den Anforderungen des Rechts und damit zum Andershandelnkönnen besitze, bildet den Hintergrund der nachfolgenden Schuldlehren. Diesen Lehren gilt die Fähigkeit zum Andershandelkönnen als enthalten in einem Motivationsapparat, dessen ordentliches Funktionieren die Voraussetzung für schuldhaftes Handeln bildet. Funktionsbeeinträchtigungen können entweder aus der Beschaffenheit des Motivationsapparates selbst oder aus externen Quellen herzurühren. Je nach der Bestimmung des Verhältnisses der störenden Einflüsse fallen die Ergebnisse dieser Lehren aus.
nicht von vornherein (wie bei der Unzurechnungsfähigkeit, S. 447) in der Pflichtnorm gegeben, sondern sei eine Ausnahme von ihr. Der gleichen Meinung ist von Liszt I Eb. Schmidt, Strafrecht, 25. Aufl., § 42. 36 Goldschmidt, Festgabe für Frank, S. 445.
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§ 2 Die Entwicklung des Schuldbegriffs
I. Fortführung der Lehre vom normativen Charakter der Schuld Baumann und Sehröder Eine einheitliche Lösung der Fälle des Vorverschuldens beim entschuldigenden Notstand und bei der Schuldfähigkeit ist notwendige Folge einer gleichwertigen Behandlung aller schuldbegründenden Elemente. Geleistet werden kann eine derartige Betrachtung auch von einem Schuldbegriff, der eine Gleichbehandlung aller Motivationsstörungen des psychophysischen Systems behauptet. Diese Auffassung wird in neuerer Zeit von Baumann und Sehröder vertreten. Nach Baumann und Sehröder ist Schuld die vorwerfbare innere Beziehung des Täters zu seiner Tat37 . Die Schuld bestehe aus verschiedenen Elementen: der Willensbeziehung des Täters zur Tat (Vorsatz und Fahrlässigkeit), der Zurechnungsfähigkeit und dem Fehlen von Schuldausschließungsgründen38 . Baumann und Sehröder stehen insoweit streng in der Tradition des normativen Schuldbegriffs von Frank. So äußert sich Baumann dazu, daß Schuld etwas "Materiales", ein Schuldsachverhalt, nicht eine bloße Relation, see9 . Daß von Baumann und Sehröder nun ausschließlich die Zurechnungsfähigkeit als Voraussetzung der Schuld genannt wird40 , bedeutet nicht, daß die anderen Momente der Schuld in ihrem Modell nicht ebenso schuldbegründenden Charakter erhalten hätten41 • Das Handeln in anormalen Situationen, in denen der normale Motivationsvorgang gestört wird, wird als Grund der Ausschließung der Schuld behandelt42 , denn strafrechtliche Verbote setzten "normale Menschen in normalen Situationen" voraus43 . Bei dieser Betrachtung behält das Fehlen von Schuldausschließungsgründen (u.a der entschuldigende 37 Baumann, Strafrecht, 8. Aufl., S. 370 ff., 379. Schönke!Schröder, 17. Auf!., Vorbem. § 51, Rn. 79, unter Berufung auf Baumann, Strafrecht, 5. Aufl., S. 346 f. 38 Baumann, Strafrecht, 8. Aufl., S. 385. 39 Baumann, JZ 1962, S. 43, bestreitet damit einen rein wertenden Schuldbegriff, wie seinerzeit von Welzel vertreten wurde. 40 Baumann, Strafrecht, 6. Aufl., S. 389; ders., Strafrecht, 7. Aufl., S. 383 f., 392. Siehe Schönke/Schröder, 17. Aufl., Vorbem. §51, Rn. 81. 41 Betrachtet man den Begriff Schuldausschließung, so versteht Baumann, die Zumutbarkeit ebenso als schuldbegründendes Element der Schuld, denn, wird die Schuld ausgeschlossen, heißt das, daß das Vorhandensein der Zumutbarkeit, wie die Zurechnungsfähigkeit, als ein konstitutives Moment der Schuld verstanden wird. Die begriffliche Lage ist bei Sehröder verwirrender, denn er verwendet die Begriffe der Schuldausschließung und der Entschuldigung unterschiedslos, wodurch die Einordung der Fälle des entschuldigenden Notstands kompliziert wird. Für die Behandlung als Schuldausschließung siehe dens., in Schönke /Schröder, 17. Aufl., Vorbem. § 51, Rn. 89; ftir die Behandlung als Entschuldigungsgrund durch Anerkennung der menschlichen Schwäche, der Rechnung getragen wird, siehe dens., Vorbem. §51, Rn. 89; dens., SchwZStr 75, S. 1 ff., 4. 42 Baumann, Strafrecht, 6. Aufl., S. 472; ders. , Strafrecht, 7. Aufl., S. 462, 468; Sehröder in: Schönke /Schröder, 17. Aufl., Vorbem. §51, Rn. 81. 43 Sehröder in: Schönke!Schröder, 17. Aufl., Vorbem. § 51, Rn. 89, unter Berufung auf Baumann, Strafrecht, 5. Aufl., S. 450.
B. Schuld als "Andershandelnkönnen" i. S. der herrschenden Lehre
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Notstand) - positiv formuliert: die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens - seine Eigenschaft als schuldbegründendes Element44; dies vergleichbar mit den Rechtfertigungsgründen im Unrechtsbereich45 . Solange man die Schuld in dieser Weise versteht, sind alle Schuldelemente schuldbegründende Elemente. Da das Subjekt der strafrechtlichen Zurechnung nicht nur durch die innere, sondern ebenso durch die äußere Bedingung der Freiheit(= das Funktionieren ihres Motivationsapparats) definiert wird, hat das Fehlen eines der beiden Elemente jeweils dieselbe Bedeutung, nämlich als Fehlen der Existenz eines Subjekts strafrechtlichen Zurechnung -; aus dem Grunde ist das verschuldete Fehlen der Schuldfähigkeit nach Baumann und Sehröder bei der Herbeiführung des Defektzustands zu behandeln46: Der Grundsatz, daß maßgebend dafür, ob jemand zurechnungsfähig sei oder nicht, die Zeit der Tat sei, erfahre eine scheinbare - Ausnahme durch die actio libera in causa. So äußert sich Schröder: "In diesen Fällen wird dem Täter die schuldhafte Herbeiführung dieser die Verantwortlichkeit ausschließenden Situationen zur Last gelegt, die Begehung der Tat also auf einen Zeitpunkt gelegt, in dem Verantwortlichkeit noch vorhanden war. " 47 Im Bereich der Schuldausschließungsgründe-also beim entschuldigenden Notstand - weiche das Strafrecht vor der "allgemeinen menschlichen Schwäche" zurück und fordere nichts Übermenschliches 48 • Für Baumann gilt, daß auch dem in Not Befindlichen das Bestehen verschuldeter Not nicht zugemutet werden könne, da dort nichts Übermenschliches gefordert werden könne49. Für das Vorverschulden sei konsequenterweise nicht der Moment der "Tat" zu betrachten, sondern der der Herbeiführung der in§ 35 StGB geregelten Notsituation. Baumann geht dementsprechend davon aus, daß die Konstruktion der actio libera in causa nicht nur beim Fehlen der Schuldfähigkeit Anwendung finde, sondern ebenso beim Fehlen von Strafvoraussetzungen50 und beim entschuldigenden Notstand51 : die Schuld werde dabei nicht ausgeschlossen52• In ähnlicher Weise vertritt Sehröder die Ansicht, daß die Konstruktion der actio libera in causa nicht auf die Konstellation der Baumann, Strafrecht, 7. Aufl., S. 465. Baumann, JZ 1962, S. 42 f.; ders., Strafrecht, 7. Aufl., S. 301; Sehröder in: Schänke/ Schröder, 11. Aufl., Vorbem. § 1, Rn. 5. 46 Baumann, Strafrecht, 8. Aufl., S. 373. 47 Sehröder in: Schönke/Schröder, 17. Aufl., §51, Rn. 36; ders., GA 1957, S. 297 ff. 48 Baumann. Strafrecht, 7. Aufl., § 29 I 2, § 29 II 2 b; Baumann/Weber, Strafrecht, 9. Aufl., § 29 I 4 c; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, 10. Aufl., § 23, Rn. 7. 49 So äußert sich diesbezüglich Baumann, Strafrecht, 8. Aufl., S. 477, folgendermaßen: "Eine höchst merkwürdige gesetzliche Regelung". 50 Baumann, Strafrecht, 8. Aufl., S. 373 f., 374; Baumann/Weber, Strafrecht, 9. Aufl., s. 362. 51 Baumann, Strafrecht, 7. Aufl., § 23 III 1, S. 370; ders., Strafrecht, 8. Aufl., S. 374; Baumann!Weber/Mitsch, Strafrecht, 10. Aufl., § 19, Rn. 52. 52 Zu der Ansicht, daß nur der Zeitpunkt der Herbeiführung für die Bestrafung maßgebend sein kann, siehe Schwinghammer, Die Rechtsfigur der actio 1ibera in causa, S. 88 ff. 44 45
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in der späteren Tatausführung aufgetretenen Zurechnungsunfähigkeit beschränkt sei53, sondern auch die Konstellation erfasse, in der der Tater eine Nötigungslage selbst herbeigeführt habe54. Hinsichtlich des Verschuldeos einer Notstandslage müßten sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit auf die Herbeiführung der Notsituation beziehen55. Das Schuldkonzept von Baumann und Sehröder ist hinsichtlich der psychischen Gegebenheiten zu kritisieren, denn die Rede von der Motivation "normaler Menschen" in "normaler Situationen" bleibt nichtssagend. Insoweit muß an das oben Ausgeführte erinnert werden: Die Welt der Kommunikation, der strafrechtlichen Zurechnung, ist eine bedeutungshaltige Welt. Die "realen" inneren und äußeren Konflikte, auf die Baumann und Sehröder abstellen, werden erst durch das Recht als relevant definiert. Bei der Zurechnungsfähigkeit und der Zumutbarkeit handelt es sich also um rein normative Kategorien, die nur dann ausgeschlossen sind, wenn kein strafrechtlicher Konflikt angenommen werden kann. Es ist also zu kritisieren, daß der Vorwurf als Zuschreibung nicht mit der Tatsache der psychischen Motivation eines Individuums, die Schuld bedeuten soll, in Einklang gebracht werden kann. Vorwurf und psychische Motivation gehören zu verschiedenen Ebenen, zu verschiedenen Welten. Der Vorwurf als Zuschreibung gehört zur Welt der Kommunikation, der formellen strafrechtlichen Personen; im Gegensatz dazu bleibt die Einzelmotivation auf der Ebene des lustgeprägten Individuums. Im Strafrecht geht es aber nur um Zuschreibungen. Wenn von Baumann und Sehröder gesagt wird, daß die Schuld etwas ,,Materielles" sei, so stehen beide Begriffe nebeneinander, ohne eine Verbindung. Warum aus einer Motivation eine Verwerflichkeit als Zuschreibung entstehen soll, bleibt fraglich, denn beide Begriffe sind aneinander nicht anschließbar. Aus dem Gesagten folgt, daß es entgegen Baumann und Sehröder keinen gesonderten Schuldsachverhalt gibt. Es geht nicht um die Wertung eines Sachverhalts, sondern um das Prozessieren der Wertung selbst, die im Einklang mit der Funktion des Strafrechts steht. Es gibt überhaupt nur eine das Strafrecht interessierende Zurechnung bzw. Schuld, die das Ergebnis einer spezifischen Interpretationleistung des Strafrechtssystems bildet. Damit wird die Geschlossenheit dieser Schuldkonzeption fraglich. Denn diese Definition der Schuld stimmt nicht mit dem Maßstab überein, anhand dessen die Schuldelemente analysiert werden sollen. Soll Schuld die Möglichkeit eröffnen, einen Vorwurf zu erheben, so müssen die einzelnen Elemente, die den Vorwurf begründen, vom Vorwurf geprägt sein; denn Vorwurf heißt immer Wertung. Dies ist gerade das, was die Lehre vom normativen Element versucht hat, nämlich einzubringen, daß die Normativierung nicht nur ein Kriterium für das Schuldurteil, sondern ebenso für den zu beurteilenden Sachverhalt sei.
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Sehröder in: Sc!Wnke/Schröder, 11. Aufl., §51, Rn. 36. Sehröder in: Schönke/Schröder, 17. Aufl., §52, Rn. 1. Sehröder in: Schönke/Schröder, 17. Aufl., §54, Rn. 8.
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II. Fortführung der Lehre vom normativen Schuldelement 1. Das individuelle "Daftir-Können" Welzels Die Lozierung und Behandlung der Schuld(un-)fähigkeit und des entschuldigenden Notstands innerhalb des finalistischen Schuldbegriffs Welzels baut auf der von Goldschmidt vertretenen Lehre des nonnativen Schuldelements auf, die inhaltlich schon durch die Wertung des gegenüber dem Täter zu erhebenden Vorwurfs konstituiert wird. Welzel unterscheidet zwischen dem Handlungswillen als dem "Objekt der Wertung", das er in den subjektiven Tatbestand verweist, und der "Wertung des Objekts", die in der Beurteilung der Motivation des Täters bestehen soll56. Die Schuld bedeutet in der Lehre Welzels den persönlichen Vorwurf gegen den Täter, daß sein Verhalten nicht so war, "wie das Recht es von ihm verlangt, obwohl er den Sollensforderungen des Rechts hätte nachkommen können: er hätte sich normgemäß motivieren können"57 . "Schuld ist 'Vorwertbarkeit' der Willensbildung"58. Sie "betrifft die aus sinnvoller Wertentscheidung hervorgehenden Handlung"59. Dies ist vor dem Hintergrund der Lehre Welzels zu sehen, daß "das bewußte menschliche Leben sinnvoll geordnet ist, daß sein Handeln sinnvoll zu lenken vermag. Damit erst betreten wir überhaupt den Lebensraum rechtlicher Wirklichkeit, während alle Kausalitätserörterungen bestenfalls 'präjudizieller' Natur sind"60• So ist die "Welt des sozialen Daseins, die die Welt des Rechts ist, ( .. . ) eine sinnhafte, bedeutungshaltige Welt"61 • Das Andershandelnkönnen soll nicht nach einem generalisierenden Maßstab, sondern individuell, nach den konkreten Eigenschaften des Täters zu bemessen sein62. Der Schuldbegriff Welzels ist dabei ein wertender Begrirt63, das Schuldurteil ein reines Werturteil64. Für diese "wertende" Schuldauffassung gilt, daß "die Schuld 56 Graf zu Dohna, Der Aufbau der Verbrechenslehre, S. 2, 19, 22, 40. Der normative Schuldbegriff erflilut nun durch die finale Handlungslehre eine weitere Vertiefung, indem mit dem Vorsatz der letzte rein psychologische Bestandteil der Tat aus dem Schuldsachverhalt entfernt wird, siehe dazu Welzel, Um die finale Handlungslehre, S. 24. 57 Welzel, Strafrecht, II. Aufl., S. 138; ders., Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, S. 339. 58 Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 139. Siehe schon dens., Die moderne Strafrechtsdogmatik und die Wertphilosophie, S. 109; dens., Studien zum System des Strafrechts, S. 120, 131, 153 ff., 155: "Schuld ist ( ... )der spezifische Unwert, der der Handlung infolge der sinnhaften Wertentscheidung des Willens zugunsten des Unrechts anhaftet"; dens., Persönlichkeit und Schuld, S. 185 ff. 59 Welzel, Studien zum System des Strafrechts, S. 132; ders., Strafrecht, 11. Aufl., S. 139. 60 Welzel, Studien zum System des Strafrechts, S. 124. 61 Welzel, Studien zum System des Strafrechts, S. 153.
Siehe schon Welzel, Das neue Bild, S. 40 f.; ders., Strafrecht, 11. Auf!., S. 139, 141. Kritisch zu einem wertenden Schuldbegriff äußern sich die Vertreter eines "komplexen Schuldbegriffs": Schönke!Schröder-Lenckner; 25. Auf!., Vorbem. § 13, Rn. 114; Hirsch, LK, 9. Aufl., Vorbem. §51, Rn. 159; ders., LK, 10. Aufl., Rn. 170; Jescheck, Strafrecht, S. 379; Kaufmann, Normentheorie, S. 180 ff., 182, 184; Stratenwerth, Strafrecht, S. 155 f.; vgl. auch 62 63
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eines Menschen nicht in seinem Kopf, sondern in dem Kopf anderer stecke"65 • Der Gegenstand des Rechtswidrigkeits- wie des Schuldurteils ist bei Welzel der gleiche: die tatbestandsmäßige Handlung wird einmal als nicht gesollt, das andere Mal als vorwerfbar bewertet66. Wird so die Schuld als reines Werturteil betrachtet, dann muß nicht neben dem Umechtstatbestand noch ein Schuldtatbestand angenommen werden67 • Das Schuldurteil beruht nach Welzel erstens darauf, "daß der Täter in seinen Geisteskräften fähig ist, sich normgemäß zu motivieren (die existentiellen Voraussetzungen der Vorwerfbarkeit: die ,,Zurechnungsfähigkeit")"; und zweitens darauf, "daß er durch die ihm mögliche Einsicht in die Rechtswidrigkeit seines konkreten Vorhabens in der Lage ist, sich normgemäß zu motivieren (die speziellen Voraussetzungen der Vorwerfbarkeit: die Möglichkeit der Umechtseinsicht)."68 Diese beide Voraussetzungen sind als echte Voraussetzungen zu verstehen und nicht als Elemente der Schuld. Um die Gleichung Schuld=Vorwerfbarkeit und den Charakter eines wertenden Schuldbegriffs69 zu wahren, hat Welzel anfangs den strafrechtlichen Notstand nicht in der Schuld thematisieren wollen, sondern die darin beschriebene Handlung als unverboten bezeichnet70• Die Unterscheidung zwischen Schuldbegrundung und Entschuldigung, die seiner Konzeption im Umeche' entsprach, zog er also nicht von Anfang an, weil im Gegensatz zum Umecht die Schuld nicht als Sachverhalt72 verstanden werden sollte, über den ein Urteil zu fällen sei; die Schuld entsteht vielmehr in der Wertung selbst. Und Voraussetzungen - nicht Elemente, da kein SachRoxin, AT, 2. Aufl., S. 540. Kritisch ebenso Jakobs, AT, 17 I 14. Dieses Verständnis beachtet nicht, daß die strafrechtliche Schuld eine Zuschreibung ist, die erst mit dem Vollzug eines Urteils entsteht. Die Schuld, die vor der strafrechtlichen Zuschreibung durch den Richter vorhanden sein soll, ist für das Strafrecht irrelevant. 64 Vgl. We[zel, Das neue Bild, S. 29 f.: "Im strengen Sinne ist Schuld nur die Vorwerfbarkeit"; ders., Strafrecht, 11. Aufl., S. 140 f. 65 Siehe Rosenfeld, ZStW 32 (1911), S. 469. 66 We[zel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 138. 67 Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 55; Siehe dazu auch Hirsch, Die Lehre von den negative Tatbestandsrnerkrnalen, S. 13, Fn. 1; dens., LK, 10. Aufl., Vorbern. § 32, Rn. 175. Zur Kritik dazu siehe an Stelle aller Jakobs, AT, 17 I 43 ff., 17 I 14. 68 Welzel, Das neue Bild, S. 42, f. ders., Um die finale Handlungslehre, S. 26 f.; ders., Strafrecht, 11. Aufl., S. 141. In den letztgenannten Werken war die Zurnutbarkeit als Bestandteil der Schuld. Vgl. ebenso dens., Studien zum System des Strafrechts, S. 155. 69 Welzel, Strafrecht, 8. Aufl., S. 122; ders., Strafrecht, S. 140. 70 Welzel, Studien zum System des Strafrechts, S. 156 ff., 158: "Mit der Schuld hat der Notstand ganz eindeutig nichts zu tun". 71 Eine äquivalente Unterscheidung hatte Welzel, Das neue Bild, S. 52, Fn., längst im Bereich des Unrechts vollzogen; ders., Strafrecht, 11. Aufl., S. 80; ders. , Vorn Bleibenden und von Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, S. 353; ders., Studien zum System des Strafrechts, S. 151. 72 Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 55.
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verhalt- dieser Wertung seien nur die Zurechnungsfähigkeit und die Unrechtseinsicht. Als Welzel dann den entschuldigenden Notstand in die Schuld einfügte73 , wurde auch sein Konzept der individuellen Motivation von einem Fremdkörper gestört74, weil diese nicht zum entschuldigenden Notstand paßte. Denn der entschuldigende Notstand regelt in typisierender Weise bestimmte Situationen; Individualität spielt hierbei keine Rolle. Mit der Aufnahme des entschuldigenden Notstands in die Schuld unterschied Welzel nun zwischen schuldbegründenden und vorwurfsaufhebenden Momenten (Entschuldigungsgründen). Die Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens solle dabei ein Element sein, bei dem lediglich der Vorwurf nicht erhoben werde: es handele sich um einen faktischen Entschuldigungsgrund75 . Bei der Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens gehe es darum, daß wegen außergewöhnlicher Motivationslagen "die Möglichkeit normgemäßer Motivation stark beeinträchtigt und somit auch die Schuld, das Dafür-Können des Täters, vermindert" sei76 . Aus diesem Grund könne das Recht mit der menschlichen Schwäche Nachsicht üben77 ; bei der Unzumutbarkeit enfalle der Vorwurf78 . Es handle sich bei der Zumutbarkeit des Rechtsgehorsams im Unterschied zur Schuldfähigkeit also "nicht um die generelle Fähigkeit zu sinngemäßer Willensbildung überhaupt ( . . . ), die ja unabhängig von der Handlungssituation bestehe, sondern um die konkrete Möglichkeit des schuldfähigen Täters, sich bei der wirklichen Willensentscheidung durch die Unrechtseinsicht bestimmen zu können"79. Das, was bei Frank und Hegler als äußere Freiheit und damit als Bedingung der formellen strafrechtlichen Person verstanden wird, gehört also bei Welzel nicht dazu. Bei Welzel ist die formell strafrechtliche Person grundsätzlich nur dadurch definiert, daß sie intellektuell - dies freilich in Abhängigkeit von ihren eigenen biologischen Grundlagen - zur inneren rechtlichen Motivation in der Lage ist. Folge der Unterscheidung zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung und Folge der Annahme eines geeigneten Adressaten zur Normbefolgung - durch die Bejahung der Fähigkeit zur Schuld ohne Inanspruchnahme eines bestimmten Kontextes Welzel, Um die finale Handlungslehre, S. 27; ders., Das neue Bild, S. 56. Die vollkommene Identität von Schuld und Vorwertbarkeit liegt bei Welzel also nur in den ersten Arbeiten vor. Denn allein in diesen früheren Arbeiten, als der entschuldigende Notstand bei ihm seinen Platz nicht in der Schuld hatte, war der Vorwurf von dem Vorhandensein der Schuld abhängig. 75 Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 178 f. 76 Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 178; siehe dazu schon dens. , Das neue Bild, S. 56; dens., Um die finale Handlungslehre, S. 27. 77 Siehe Welzel, ZStW 63 (1951), S. 54, Fn. 12. 78 Beim entschuldigenden Notstand sei die Schuld schon durch das individuell betrachtete "Dafür-Können" des Täters begründet, die Rechtsordnung habe dennoch Gründe, dem Täter seine schon begründete Schuld nachzusehen, ihn zu "entschuldigen" und von Strafe freizustellen. 79 Welzel, Das neue Bild, S. 52 f. 73
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- ist die unterschiedliche Betrachtung der Zurechnungsstruktur in den Fällen des Vorverschuldens beim entschuldigenden Notstand und beim Verlust der Schuldfähigkeit Was die Schuldfähigkeit als schuldbegründendes Element angehe, so folge auf das Fehlen der die Person konstituierenden Fähigkeiten bei deren vorverschuldetem Verlust ausnahmeweise nicht die Straflosigkeit. Es werde der Täter trotz der Schuldunfähigkeit zur Zeit der Vomahme einer Verletzungshandlung nach den Grundsätzen der "actio libera in causa" bestraft: "Der Täter benutzt sich selbst als Werkzeug zur Tat"80. Die Zurechnung zum Täter dürfe dabei also nur in einem Moment vorgenommen werden, in dem der Täter schuldfähig, also die Schuld begründet sei. Im Gegensatz dazu könne die Zurechnung beim vorverschuldeten entschuldigenden Notstand im Moment der Tat stattfinden, denn dort sei die Schuld schon begründet81 , die formell strafrechtliche Person also vorhanden. Fraglich ist zunächst die innere Konsistenz dieser Konzeption82• Denn es ist grundsätzlich nicht einleuchtend, zu sagen, die Schuld sei vorhanden, der Vorwurf werde aber - wegen der Verminderung der Schuld83 - nicht erhoben, wenn man die Schuld als eine Wertung versteht, in der ein Vorwurf gegenüber dem Täter steckt. Bedeutet die Schuld einen Vorwurf, dann ist Schuld vorhanden, und dann folgt notwendigerweise ein Vorwurf; oder die Schuld ist nicht vorhanden, und es wird kein Vorwurf erhoben. Tertium non datur. Daß aber bei bestimmten Elementen der Schuld, nämlich bei den Entschuldigungsgründen, die Schuld begründet, jedoch kein Vorwurf zu erheben sein sol184, ist nicht konsequent. Die Unterscheidung zwischen beiden Kategorien in der Lehre Welzels ist daher ein Beweis für die Heterogenität der Schuldmomente - erstens: individuelles Können, zweitens: Nachsicht des Rechts bzw. doppelte Schuldrninderung85 . Diese Unterscheidung paßt auch sonst nicht zu Welzels Verständnis eines rein wertenden Schuldbegriffs. Denn obwohl er weiterhin die Bildung eines Schuldtatbestands bestreitet, ist dieser mit der Unterscheidung zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung tatsächWelzel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 156. Nach der Meinung von Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 181, sind die Grundsätze der actio 1ibera in causa anzuwenden. In welchem Zeitpunkt die Zurechnung stattfinden soll, sagt Welzel nicht explizit. Berücksichtigt man sein Verständnis, so muß dies im Moment der Tat erfolgen, denn die Schuld ist nicht ausgeschlossen; die formelle strafrechtliche Person ist vorhanden, und insoweit kann die Zurechnung stattfinden. 82 Kritisch bzgl. der Geschlossenheit dieses Schuldbegriffs schon Maurach, Strafrecht, s. 373. 83 Der Gedanke, daß die Schuld, das Dafür-Können des Täters, vermindert sei, gehört jedoch nicht zur Schuld als Vorwurf, sondern zur Strafzumessungsschuld. 84 Vgl. dazu Welzel, Strafrecht, 8. Aufl., S. 159 f.: Dort wird Nachsicht gegenüber der menschlichen Schwäche geübt. Erst später stellt Welzel in Anlehnung an Kaufmann auf die Lehre der Doppelminderungsschuld ab, siehe Welzel, Strafrecht, 11 . Aufl., S. 178. 85 Siehe ebenso kritisch zu der Vorstellung Welzels: Maurach, Schuld und Verantwortung, S. 31 f. : ,.Das Gröbste, die Entschlankung der Schuld vom Voluntativen ist zwar unternommen und geglückt - desto peinlicher muß man aber, nachdem die Wahlstatt gesäubert ist, die absolute Unvereinbarkeit der verbleibenden 'Schuldausschließungsgründe' empfinden." 80 81
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lieh gebildet worden. Bei der ersten Kategorie geht es um die generelle, bei der zweiten um die konkrete Fähigkeit des Täters, rechtmäßig zu handeln; dies parallel zu dem, was im Unrechtstatbestand geschehen soll. Welzel hätte die Fälle des "entschuldigenden" Notstands besser nicht als Schuldausschließungs-, sondern als Strafausschließungsgründe definieren sollen, wie es bereits in der älteren Literatur vertreten worden ist86. Dies wäre auch nach der früheren gesetzlichen Regelung des § 54 a.F. StGB ohne weiteres möglich gewesen, der ja nicht anordnete, daß die Schuld ausgeschlossen, sondern, daß "eine strafbare Handlung ( . . . ) nicht vorhanden" sei. Die Überbetonung der intellektuellen Fähigkeiten zur Normbefolgung und die damit verbundene materielle Ausblendung der äußere Umstände auf dieselbe qua Schaffung einer Sonderkategorie der Zumutbarkeit als Ausnahmeregelung widerspricht auch der von Welzel in "Persönlichkeit und Schuld" vorgelegten Konzipierung des menschlichen Daseins. Dort formuliert er Schuld nämlich als das "Verharren in pathischer Antriebslage und darin liegende Nachgeben gegenüber einem der SolJensforderung widerstreitenden Antrieb"87 • Die von ihm kritisierte kantische Unterscheidung von Intellekt und Trieb ist dabei in abgeschwächter Form auch bei ihm selbst vorhanden, wenn er einseitig lediglich diejenigen Seinsstrukturen bei der Störung der Fähigkeit, dem Sollen zu entsprechen, berücksichtigt, die ihre Ursache in einem unmittelbaren So-Sein des Einzelnen haben. Denn wenn Welzel seinerseits Kant vorwirft, dieser habe mit seiner Trennung des Menschen in homo noumenon und phaenomenon die spezifische Existenz des Menschen auch als biologisches "Mängelwesen" vernachlässigt, legt er zwar gewiß grundsätzlich Wert auf die Berücksichtigung der Seinsstrukturen, die die motivatorische Fähigkeit zum Sollen beeinflussen88 . Aber es bleibt dann jedenfalls ungereimt, zu den Seinsstrukturen, die insgesamt die Grundlage für die Fähigkeit zur Motivation zum Sollen bilden89, nicht auch das von außen Kommende und nicht zum Innerlichen des Subjekts Zählende hinzuzurechnen. Ausgehend von der hiesigen Konzeption ist weiterhin problematisch, daß die Fähigkeit zur Schuld zunächst ganz unabhängig von der konkreten Situation Bedeutung erlangen soll. Denn es ist die normative Fähigkeit zur Sinnäußerung anband einer Betrachtung des konkreten Zusarnrnenhangs zu analysieren. Richter entscheiden nur über Einzelfälle; erst in der richterlichen Einzelentscheidung wird der Sinn oder Unsinn einer Einzelentscheidung des personalen Einzelnen festgestellt. Vorher gibt es keine Zurechnungs- oder Unzurechnungsfähigkeit, gibt es niemanden, der "an sich" schuldfähig handeln könnte. 86 Siehe unter anderem Beling, Unschuld, S. 10 Fn.; dens., Die Lehre vom Verbrechen, S. 51 ff., 62 ff.; Finger; Das Österreichische Strafrecht, S. 241, 418 ff., 421; Birkmayer; Enzyklopädie, S. 1156 ff., 1085, 1058 ff. 87 We[zel, Persönlichkeit und Schuld, S. 208. 88 Welzel, Persönlichkeit und Schuld, S. 205 ff. 89 Siehe zum Verhältnis von Person und Leib: Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 42 ff., 44 ff.
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Gonz~lez-Rivero
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2. Die Lehre von der Tatverantwortung
Konsequenter scheint eine Lösung, die - zur Wahrung eines homogenen Schuldbegriffs - die Fälle des entschuldigenden Notstands aus der Schuld herausnimmt, wie das etwa in Maurachs Lehre von der Tatverantwortung der Fall ist. Maurach geht - ebenso wie Welzel - von einem normativ wertenden Schuldbegriff aus90; insoweit steht er in der Tradition Goldschmidts. Maurach verfolgt aber das Ziel, die Ungereimtheiten91 hinsichtlich der unterschiedlichen, teils individualisierenden und teils generalisierenden Momente innerhalb des Welzelschen Schuldbegriffs zu bewältigen92• Der Schuldbegriff Welzels, unter dem nicht nur die Zurechnungsfähigkeit und die Kenntnis der Rechtswidrigkeit, sondern ebenso die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens falle, bedeute nicht wirklich einen "persönlichen Vorwurf'. Denn von einem solchen könne nur gesprochen werden, "wo sich das Maß an Anforderungen an die Standhaftigkeit des Täters gegenüber den zum Verbrechen treibenden Motiven ausschließlich nach der persönlichen Individualität des Handelnden" bestimme; frir die Begründung des Unwerturteils "Schuld" entscheide nur das eigene Können des Täters93 • Die Bestandteile des normativen Schuldbegriffs, bei denen eine solche Individualisierung möglich wäre, seien allein die Zurechnungsfähigkeit und das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, nicht jedoch die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens. Bei den Entschuldigungsgründen entscheide allein das "Maß der dem unpersönlichen Durchschnitt zuzutrauenden Fähigkeiten", und die danach bemessene "Grenze der Widerstandskraft" werde verallgemeinernd im Gesetz standarisiert94. Bei der Unzumutbarkeit könne es -wegen des generalisierenden, nach dem Durchschnitt der Rechtsgenossen bemessenen Urteils - eigentlich nicht um Schuldbegründung gehen, sondern um Haftungsgrenzen. Deshalb sei das, was die Lehre von normativen Schuldbegriff als einheitliches Vorwurfsurteil betrachtet habe, ein abgestufter Begriff; nicht alles, was darunter falle, lasse sich als Schuld, verstanden als persönlicher Vorwurf, begreifen. Vielmehr gehe es um die Abschichtung heterogener Bestandteile eines in Wirklichkeit auch nach h.L. nicht geschlossenen Begriffes der Schuld95 . 90 Maurach, Schuld und Verantwortung, passim. Kritisch zu der Bildung eines Schuldtatbestands ders., Strafrecht, § 24 I A, § 30 II B, S. 367, verwirft einen Schuldbegriff, der die Schuld als Sachverhalt sieht, denn diese Meinungen liefen auf die überholte Verbrechenskonstruktion hinaus. 91 Maurach, Schuld und Verantwortung, S. 31, wirft der Lösung Wetzeis vor: .,Die Heterogenität der Schuld hat sie nicht beseitigen können". 92 Das geltende Recht arbeitet nach der Ansicht Maurachs, Strafrecht, S. 361, bei§§ 35, 33 u. a. mit "Generalisierungen, Typisierungen, und daher mit Schuldflktionen". 93 Maurach, Strafrecht, S. 371. 94 Maurach, Strafrecht, S. 372. 95 Maurach, Strafrecht, S. 375. Maurach, S. 373 f., kritisiert die Vorstellung, daß die Zurechnungsf!ihigkeit vorangestellt und die Möglichkeit des Unrechtsbewußtseins nach ihr geprüft werde.
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Der Vorschlag Maurachs betrifft eine neue Bestimmung des Begriffs der Zurechenbarkeit96. Unter der Zurechenbarkeit einer Handlung sei die "Feststellung zu verstehen, daß sich der Täter durch Begehung einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Handlung nicht entsprechend den Anforderungen des Rechts geführt" habe97 . Die Zurechenbarkeit sei ein Unwerturteil; damit sei aber noch nicht entschieden, ob ein Vorwurf gegen den Täter erhoben werde. Sie sage nur aus, daß die Tat dem Täter "als die seine anzurechnen"98 sei. Das "Wie" dieser Zurechnung sei erst bei der Prüfung der Schuld festzustellen; d. h., ob die Anrechnung durch eine Strafe, dann Schuld, oder durch Maßregeln, dann keine Schuld, zu erfolgen habe. Zurechenbarkeit sei "dasjenige rechtlich mißbilligte Verhältnis des Täters zu seiner tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Tat, welches die Grundlage der verschiedenen strafrichterliehen Reaktionsmöglichkeiten" abgebe."99 Maßstab der Abgrenzung der beiden Stufen sei der Grad, nach dem der Täter für sein Tun der Gesamtheit gegenüber einzustehen habe: "Die Tatverantwortung begnügt sich mit einem den Täter belastenden UnwerturteiL Die Schuld verlangt das Hinzutreten eines persönlichen Vorwurfs". Die Mißbilligung bei der Tatverantwortung gehe dahin, "daß der Täter in der konkreten Situation sich schlechter verhalten" habe, "als die anderen es getan hätten"; Tatverantwortung werde durch den "Abfall von rechtlich präsumiertem Können des Durchschnittes" begründet 100. Die zweite Kategorie, die der Schuld, baue auf dem Fundament der Tatverantwortung auf. Das Schuldurteil verlange darüber hinaus, daß gegenüber dem Täter ein Vorwurf erhoben werden könne. Schuld sei ein Vorwurf, "der dem Täter wegen des Mißbrauches seiner Zurechnungsfähigkeit im Hinblick auf eine bestimmte Straftat gemacht" werde 101 • 96 Siehe zur Schaffung einer Zwischenkategorie ebenso Bacigalupo, Gedächtnisschrift für Arrnin Kaufmann, S. 459 ff., 462 ff. Dies jedoch nicht - wie bei Maurach - wegen der Verschiedenheit der Maßstäbe, die bei der Schuldbegründung und bei den Schuldausschließungsgeiinden anzuwenden seien, sondern aus dem Grunde, daß die sog. Schuldausschließungsgrunde nicht viel mit der Schuld zu tun hatten, sondern als Fälle der Unrechtsminderung in der Kategorie der Tatverantwortung zu behandeln seien. Sie seien "Ausschließungsgriinde, die weder die Rechtswidrigkeit gänzlich aufheben können, noch als Entschuldigungsgriinde überzeugend erkennbar sind, könnten also den Gehalt einer Zwischenkategorie von Ausschließungsgriinden bilden, bei der der Verzicht auf die Strafe keinen Verzicht auf die Ratifizierung der verletzen Nonn impliziert", S. 464. 97 Maurach, Strafrecht, S. 376. 98 Maurach, Strafrecht, S. 376. 99 Maurach, Strafrecht, S. 376. Der nonnative Schuldbegriff Welzels wäre nach Ansicht Maurachs, Schuld und Verantwortung, S. 36 ff. und passim, nur dann richtig, wenn "das einzige Machtmittel in der Hand des Strafrichters die Strafe wäre". Das Strafrecht aber könne ebenso mit dem Mittel der Maßregeln der Sicherung und Besserung vorgehen. Aufgabe des Strafrechts sei primär zu strafen, sekundär aber, den gefährlichen Tater der Sicherungsgewalt zu unterwerfen. "Seide Reaktionen setzen voraus, daß die tatbestandsmäßig-rechtswidrige Handlung dem Tater als eigenes Willenswerk zugerechnet werden kann", S. 358. 100 Maurach, Strafrecht, S. 377. 101 Maurach, Strafrecht, S. 378.
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Folge der Schaffung einer neuen Stufe innerhalb der Zurechenbarkeit ist die Unterscheidung zwischen Tatverantwortlichkeits- und Schuldbegründung. Intrasystematisch konsequent zu der individualisierenden Konzeption der Schuld als Andershandelnkönnen behandelt Maurach das vorverschuldete Fehlen der Schuldfähigkeit bei der Herbeiführung der Tat. Da die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ein konstitutives Moment der Tatverantwortung bilde, müßten ebenso die Fälle eines verschuldeten entschuldigenden Notstands nach dem Grundsatz der actio libera in causa behandelt werden. Die Fälle der actio libera in causa seien überall dort denkbar, "wo der in der 'Ausgangssituation' schuldfähige (oder auch nur vermindert schuldfahige) Tater einen Zustand oder eine Lage herbeiführt, die es nach allgemeinen Grundsätzen verbieten würde, ihn für den tatbestandsmäßigen Erfolg in vollem Umfang haften zu lassen." 102 Die Regeln der actio libera in causamüssen nach Maurachs Ansicht aber auf alle Fälle erstreckt werden, in denen die den "tatbestandsmäßigen Erfolg auslösende 'Letztursache' im strafrechtlichen Sinne irgendwie als defektes Verhalten zu werten ist, welches als solches und bei isolierter Betrachtung nicht die Grundlage einer strafrichterliehen Reaktion abzugeben vermag, sei es, daß es an der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit oder Zurechenbarkeit derselben fehlt." 103 Die freie Handlung bestehe darin, daß der Täter seine Unzurechnungsfahigkeit selbst herbeiführe oder eine gefahrbegründende Handlung vornehmeHw. Dabei verschiebe sich der Schwerpunkt des Unrechts auf den Zeitpunkt der Herbeiführung des Defekts 105• Die vorgeschlagene Trennung in zwei verschiedenen Kategorien mag zwar im Hinblick auf den von Maurach vertretenen Schuldbegriff konsequent erscheinen106. Aber in den hier vertretenen Schuldbegriff107 können beide Momente untergebracht werden. Danach gibt es keinen Unterschied zwischen Schuldbegründung und Entschuldigungsgründen, was zur Konsequenz hat, daß der anzuwendende Maßstab für die Fälle der sogenannten Schuldbegründung und der Entschuldigungsgründe jeweils der gleiche ist. Maurach, JuS 1961, S. 373; ders., Strafrecht, S. 440 f. Maurach, JuS 1961, S. 374. 104 Maurach, Strafrecht, S. 441. lOS Maurach, JuS 1961, S. 374. Praktische Ungereimheiten aber folgen aus der Behandlung des verschuldeten entschuldigenden Notstands bei Maurach - sollen diese Fälle ebenso bei der Herbeiführung der Defektlage analysiert werden - insofern, als vorausgesetzt ist, daß der Tatbestand vorsätzlich begangen wird, hat der Täter jedoch die Gefahrenlage nur fahrlässig herbeigeführt, dürfte er nicht wegen einer vorsätzlichen Tat bestraft werden, sondern allein wegen Fahrlässigkeit. So auch Rudolphi, SK, § 35, Rn. 11; ebenso Roxin, JA 1990, S. 137 und ders., Strafrecht, S. 621; Hirsch, LK, 10. Aufl., § 35, Rn. 47. 106 Die Lehre der Tatverantwortung verliert aber schon ihren Sinn, wenn gesagt wird, daß auch die Zurechnungsfähigkeit der Generalisierung bedürfte. In dieser Hinsicht haben sich Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 162, Stratenwerth, Strafrecht, Rn. 513 und Roxin, Festschrift für Henkel, S. 174 f., 179 f., geäußert. Siehe dazu auch Bacigalupo, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 462. 107 Dazu siehe unten §§ 3 und 4. 102 103
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Weiter ist gegen die Lehre der Tatverantwortung einzuwenden 108, daß es bei den genannten Gründen der Unzumutbarkeit nicht um eine Orientierung an den Anforderungen geht, denen der Durchschnitt nicht genügen könnte, sondern darum, daß die individuellen Besonderheiten des Täters bei der anormalen Lage Berücksichtigung finden, solange dies für den Erhalt des Rechtssystems erträglich bleibt: Die Grenze des § 35 StGB verläuft nicht dort, "wo der Durchschnitt 'fähig' wird, der Norm zu folgen, sondern wo eine Berücksichtigung (oder gar Präsumtion) eines Motivationsdrucks die zu stabilisierende Ordnung stört" 109• Das heißt, daß das maßgebliche Kriterium des § 35 StGB nicht durch ein Durchschnittsmaß, sondern durch die Zuständigkeit des Täters für den Konflikt gebildet wird. Dagegen scheint bei Maurach der in der Welzelschen Lehre auffallende Widerspruch bezüglich der Gleichung Schuld=Vorwurf auf den ersten Blick beseitigt worden zu sein. Maurach erreicht aber das Aufgehen dieser Gleichung nur durch die Verschiebung der Problematik der Entschuldigungsgründe in die Kategorie der Tatverantwortung. Die Gleichung Schuld=Vorwurf ist also bei Maurach - genau wie bei Welzel - insofern noch gestört, als nicht jede Feststellung eines zu verantwortenden Unwerts die Konsequenz eines Vorwurfs nach sich ziehen soll. Maurach hat nur das, was die h.L. unter Schuld versteht, als Zurechenbarkeit bezeichnet und den Begriff der Schuld allein für die Fälle des nach seiner Ansicht "persönlichen Vorwurfs" reserviert. Er hat damit die Heterogenität des Schuldbegriffs Welzels durch eine neue Heterogenität ersetzt, nämlich die des Begriffs der Zurechenbarkeit. Die begriffliche Konstruktion der Zurechenbarkeit als umfassende Grundlage der Täterbewertung, in der die Tatverantwortung und die Schuld loziert werden sollen, ist nicht tragfähig. Mit der Feststellung der Zurechenbarkeit soll allein ausgesagt werden, daß die Tat für den Täter als die "seine" zu charakterisieren sei 110. Es geht also nur um das "Ob", nicht aber um das "Wie" der Reaktion. Aber diese Charakterisierung als solche, die Feststellung der Ursächlichkeit des Täterverhaltens, diese Zuschreibung geht an der vom Strafrecht zu garantierenden Normgeltung vorbei. Es ist richtig, daß auf eine Straftat nicht nur mit Strafe, sondern ebenso mit Maßregeln reagiert werden kann; die Maßregeln aber gehören nicht zur betos Siehe schon Jakobs, AT, 17 I 42. Siehe zur Kritik an der Lehre der Tatverantwortung u. a. Kaufmann, Dogmatik, S. 160; Hirsch, LK, 10. Auf!., Vorbem. § 32, Rn. 174; Hirsch spricht davon, daß die Lehre der Tatverantwortung "die Rangfolge der Wertungsstufen" verkehre. Denn, so auch Roxin, AT, S. 553, die Rechtswidrigkeit und die Schuld seien bei den Entschuldigungsgründen durchaus zu bejahen. So sind auch nach der Ansicht Fristers, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 151, die Entschuldigungsgründe nicht als Beeinträchtigung des durchschnittlichen Könnens zu erklären. Bezüglich der Schaffung einer neuen Kategorie der Tatverantwortung gebühre Maurach der große Verdienst, eine Abschichtung der Entschuldigungsgründe von den anderen Schuldvoraussetzungen unternommen zu haben,S. 151, Fn. 186. 109 Jakobs, AT, 17 I 42. Kritisch im Hinblick auf einen Vergleich zum Durchschnitt siehe auch Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 151 f. 110 Maurach, Strafrecht, S. 376.
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stimmten Funktion des Strafrechts 111 , sie sind Regelungen des Polizei- oder des
Verwaltungsrechts 112~ Mit der strafrechtlichen Zurechnung zur Schuld wird festge-
stellt, ob das Verhalten des Täters einen fehlerhaften Sinnausdruck enthält 113 . Mit dem "Unwerturteil" wird gleichzeitig ein "Vorwurfsurteil" gefallt. Enthält das Verhalten keinen fehlerhaften Sinnausdruck, so entfallt unmittelbar das "Unwerturteil". Die Erledigungsaft der Maßregel dagegen ist rein kognitiv: bei einer strafersetzenden Maßregel, die aufgrund schuldlosen Verhaltens des Täters erfolgt, ist die zu erfüllende Funktion die Beseitigung von Gefahren für Güter 114• Als zurechenbar kann aber im Strafrecht allein ein Verhalten verstanden werden, das schuldhaft begangen worden ist, also nach der Betrachtung der formellen strafrechtlichen Person durch Zuschreibung von Schuld 115 • Eine andere Art von Zurechenbarkeit, wie die der Ursächlichkeit des Verhaltens des Täters, interessiert als solche das Strafrecht nicht. Das Entfallen der Verantwortlichkeit kann daher allein nach der Funktion des Strafrechts entschieden werden, d. h.: unter Berücksichtigung der Normgeltung und nicht der Sicherung von Rechtsgütem 116• Die Zurechenbarkeit Maurachs ist als spezifisch strafrechtlicher Begriff damit unbrauchbar. Die hier behandelten Fragen gehören nicht zu den Themen einer genuin strafrechtlichen Zurechnung.
111 Nach der allgerneinen Auffassung der Schuld als Straftat läßt sich die Erklärung Maurachs der Tatverantwortung nicht durchhalten. Der Straftatsbegriff umfasse mit der Anwendung der Schuld eben nur die Straftat und nicht die Maßregeln der Besserung und Sicherung; siehe dazu ebenso Schild, AK, Vorbern. § 13, Rn. 48. ll2 Vgl. Lesch, Verbrechensbegriff, S. 225 f. 113 Siehe dazu unten§ 4 A. I. 114 Jakobs, AT, 1 I 57 ff., 58. 115 Dagegen unterscheidet Bacigalupo, Gedächtnisschrift für Arrnin Kaufmann, S. 470, zwischen den Motiven des Staates zum Verzicht auf Strafe: ,,Die Erhaltung der Norm als Orientierungsmuster ist ( ... ) eine Aufgabe des Strafrechts nicht nur, wenn die Tat bestraft wird, sondern auch, wenn sie nicht strafbar ist. Die Auswirkung der Straflosigkeit auf die generalpräventive Aufgabe des Strafrechts ist ganz anders, wenn der Staat auf die Strafe verzichtet, weil die Geltung der Norm nicht in Frage gestellt wurde, oder wenn der straflose Täter die Norm nicht anerkannt hat. Deswegen muß das Straftatsystem zwischen Fällen unterscheiden, deren Straflosigkeit die Geltung der Norm nicht berührt, und solchen, deren Straflosigkeit auf jeden Fall einer Ratifizierung der gebrochenen Norm bedarf'. Fraglich bleibt diese Konzeption, wenn man davon ausgeht, daß die Nicht-Zuschreibung von Verantwortlichkeit stets voraussetzt, daß die Normgeltung nicht in Frage gestellt wurde. Dies unabhängig davon, ob es deswegen geschieht, weil der Täter schuldlos gehandelt hat oder, weil er sich in einer Notstandssituation befand. Mit dem Verzicht auf Strafe wird immer vorausgesetzt, daß kein fehlerhafter Sinnausdruck stattgefunden hat. Daß es andere Erledigungsrnöglichkeiten außer der Bestrafung gibt, hindert nicht daran, die spezifische Funktion des Strafrechts in der Aussage der Verantwortlichkeit zu erschöpfen. 116 Siehe Jakobs, AT, II 4 ff., 1/7 ff. Siehe dazu schon Welzel, Über den substantiellen Begriff des Strafgesetzes, S. 229.
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111. Der Rückgriff auf die Lehre vom normativen Charakter der Schuld 1. Weitere Unterscheidung zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung
Der von der Tendenz her bereits von Goldschmidt - wegen der Verwischung von Schuldsachverhalt und Schuldurteil - vertretene wertende Schuldbegriff hat in den Lehren Welzels und Maurachs seinen Höhepunkt gefunden. Die Schuld - oder in der Terminologie Maurachs: die Zurechenbarkeit - als solche soll allein als eine Wertung verstanden werden; es solle keinen Schuldsachverhalt geben. Dieser wertende Schuldbegriff wurde in der Lehre heftig kritisiert, nicht nur von denjenigen Autoren, die Vorsatz und Fahrlässigkeit weiterhin als Problem der Schuld begriffen wissen wollten 117, sondern ebenso von demjenigen Teil der Lehre, der in der Schuld auch etwas "Materielles" sehen wollte: eben einen Sachverhalt, hinsichtlich dessen ein Vorwurf erhoben werden kann 118• Teilweise beruhen diese Ansichten daher auf der oben genannten Lehre vom normativen Charakter der Schuld, derzufolge Sachverhalt und Schuldvorwurf getrennt betrachtet werden müssen. Dies aber nicht vollkommen, denn die Unterscheidung, die mit der Nonnativierung des entschuldigenden Notstands durch Goldschrnidt erfolgte, nämlich zwischen Schuldbegrundung und Entschuldigung, ist von diesem Teil der Lehre fortgeführt worden - dies natürlich mit den entsprechenden Konsequenzen für die Frage des Vorverschuldens. a) Annin Kaufmann und Hirsch
Annin Kaufmann und Hirsch lassen sich als Vertreter eines ,,komplexen Schuldbegriffs" begreifen. In der Lehre Kaufmanns und Hirschs 119 ist Schuld der gegenüber dem Tater zu erhebende Vorwurf, daß er sich nicht nach der Norm motiviert habe, obwohl er die Fähigkeit dazu besessen habe. Was als Schuld vorgeworfen werde, sei die fehlende Pflichtbefolgung 120. "So tritt zum Erfolgsunwert und Handlungsunwert der 'Persönlichkeitsunwert'" hinzu, der als Gegenstand des Vor-
Mezger, Modeme Wege, S. 34. Lenckner; in: Handbuch der forensischen Psychiatrie, S. 43 f.; Schönke/SchröderLenckner; 25. Aufl., Vorbem. § 13, Rn. 114; Stratenwerth, Strafrecht, S. 155 f.; Jescheck, Strafrecht, S. 379. 119 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 138 f. ; ders., Normentheorie, S. 182; ders., Festschrift für Eb. Schrnidt, S. 320. Hirsch, LK, 10. Aufl., Vorbem. § 32, Rn. 170. 12o Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 138. 117
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wurfs zu verstehen sei 121 • "' Vorwerfbarkeit' besagt, daß die Bedingungen eines Vorwurfs gegeben sind." 122 Auch Hirsch bevorzugt auf der Ebene der Schuld die Feststellung zusätzlicher d. h. zum Unrecht hinzukommender - Sachverhaltsmomente, die in die Wertung einbezogen werden müssen 123 . Kaufmann und Hirsch 124 betrachten dabei zunächst die Kenntnis der Rechtswidrigkeit und erst dann die Fähigkeit, sich der Unrechtseinsicht gemäß zu motivieren 125 ; Schuldfahigkeit und Kenntnis der Rechtswidrigkeit bleiben also schuldbegründende Momente. Begrifflich konsequenter als Welzel haben Kaufmann 126 und Hirsch die Meinung vertreten, daß die Zumutbarkeit nichts mit der Schuldbegründung zu tun habe. Die Schuld sei bei der Unzumutbarkeit schon begründet, sie könne gleichwohl noch graduiert werden 127 : "Das Strafrecht verneint Schuld ( ... ) nicht nur in den Fällen, in denen es dem Tater überhaupt unmöglich ist, sich rechtmäßig zu verhalten. Es enthält sich eines rechtlichen Schuldvorwurfs vielmehr auch schon dann, wenn die Möglichkeit rechtmäßigen Handeins so stark herabgesetzt ist, daß von strafrechtlich erheblicher Schuld nicht gesprochen werden kann" 128• Beim Fehlen der Schuldbegründung müsse die Fähigkeit zur richtigen Willensbildung ausgeschlossen sein. Im Gegensatz dazu werde beim entschuldigenden Notstand 129 weder auf die Existenz eines "Motivationsdruckes" noch auf dessen konkrete Wirksamkeit abgestellt. "Darum könnte ( ... ) ein Schuldvorwurf sehr wohl auch auf Notstandstaten gegründet werden" 130: nämlich in den Ausnahmefallen des § 35 StGB. Denn insoweit 121 Kaufmann, Normentheorie, S. 182: "Gegenstand der Wertung ist also das Unrecht eines zur Pflichtbefolgung Fähigen". Hierbei ist die Kritik zu üben, daß es im Strafrecht gar keine Erfolgs- oder Handlungsunwerte ohne Persönlichkeitsunwert gibt. Für die erstgenannten Begriffe mag sich etwa eine besondere Theorie zur Begriindung der Rechtfertigung interessiren; für die Frage nach der strafrechtlichen Straftat ist sie irrelevant. 122 Kaufmann, Normentheorie, S. 182. 123 Hirsch, LK, 9. Aufl, Vorbem. §51, Rn. 159; ders., LK, 10. Aufl., Rn. 170. 124 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 139; ders., Normentheorie, S. 163 ff. Dieser Ansicht folgt ebenso Hirsch, LK, 9. Aufl., Vorbem. § 51, Rn. 162; ders., LK, 10 Aufl., Vorbem. § 32, Rn. 175. 125 Dies im Gegensatz der Auffassung Welzels, Strafrecht, 11. Aufl., S. 141, der zunächst die Fähigkeit, sich normgemäß zu motivieren, und dann die Einsicht in die Rechtswidrigkeit analysiert hat. Siehe auch zu der letztgenannten Auffassung, Rudolphi, SK, Vorbem. § 19, Rn.5. 126 Die Fähigkeit, den Willen nach der richtig erkannten Pflicht zu bilden, habe nicht mit der Zumutbarkeit zu tun, Kaufmann, Normentheorie, S. 172; ders., Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 154. 127 Hirsch, LK, 10. Aufl., Vorbem. § 32, Rn. 170, 181. 128 Hirsch, LK, 10. Aufl., Vorbem. § 32, Rn. 181. 129 Der entschuldigende Notstand wird durch eine Minderung des Unrechts und der Schuld erklärt. Siehe zu der Lehre der Doppelminderungsschuld für alle, Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 157 f.; ebenso Welzel, Strafrecht, 11. Aufl., S. 172 f., aber erst in der 10. Aufl. Siehe dazu auch Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 80 ff.; ders., SK, Vorbem. § 19, Rn. 6, § 35, Rn. 11; Hirsch, LK, 10. Aufl., Vorbem. § 32, Rn. 183, 11. Auf.,§ 35, Rn. 47.
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lasse sich nicht die Behauptung aufstellen, daß der Täter nicht anders handeln könnte, als er es getan habe. Die Unzumutbarkeit sei also weder Schuldvoraussetzung noch Element der Vorwerfbarkeit 131 . Vielmehr versteht Kaufmann den entschuldigenden Notstand "als ein Problem des Ausmaßes der Schuld" 132 : "Die Zumutbarkeit bildet also ein Problem nicht der Begründung der Vorwerfbarkeit, sondern der Quantifizierung des (bereits begründeten) Schuldvorwurfes" 133 . Und das Schuldurteil, d. h. die Qualifizierung bei der Schuldfähigkeit134, verlaufe nach anderen Maßstäben als die Quantifizierung des Schuldvorwurfes 135 . Dem Streit um die Lozierung der (Un-)Zumutbarkeit als Schuldbegründung oder Entschuldigung 136, d. h. dem Streit, ob es sich um ein immanentes Element der Schuld oder nur um ein ausnahmsweise zu berücksichtigendes Element handelt, entzieht sich Kaufmann scheinbar, da es bei ihm nur um eine Quantifizierung der Schuld in Fällen der Unzumutbarkeit gehen soll. Die Grundunterscheidung in der Lehre Kaufmanns ist also diejenige zwischen Schuldbegründung und Schuldquantifizierung, nicht jedoch diejenige zwischen Schuldausschließung und Entschuldigung. Hirsch behandelt seinerseits die Schuldfähigkeit und die Zumutbarkeit als Frage nach dem Vorliegen der Schuldelemente, nämlich als "Möglichkeit der Unrechtseinsicht" und als "Möglichkeit, sich der Unrechtseinsicht gemäß zu verhalten", so daß zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung nicht unterschieden wird 137 . Die Quantifizierung erfolge schon innerhalb der beiden Elemente. 130 Siehe Kaufmann, Norrnentheorie, S. 173; ders., Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 154, unter Berufung auf Bocke/mann, Täterschaft, S. 58. 131 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 154; siehe ebenso dens., Normentheorie, S. 201. 132 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 156; siehe ebenso dens. , Festschrift für Eb. Schmidt, S. 320. 133 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 158. 134 Bezüglich der verminderten Schuldfähigkeit sagt Kaufmann, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 331, daß es strenggenommen eine solche verminderte Fähigkeit nicht geben könne. Der Sinn des Ausdrucks läge darin, daß "es ( . .. ) leichter oder schwerer fallen (könne), die Leistung zu erbringen". 135 So spricht Kaufmann, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 330 f., diese Idee aus, wenn er hinsichtlich der zu erbringenden Leistung von Unrechtserkenntnis und entsprechender Motivation sagt: ,,Zu dieser Leistung ist man entweder fähig oder nicht. Einen Graben von bestimmter Breite kann man entweder überspringen, oder man kann es nicht; tertium non datur." 136 Bei dem parallelen Streit im Unrechtsbereich sind Kaufmann, Festschrift für Welzel, S. 396 ff. und Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkrnalen, S. 220 ff.; ders, LK, 10. Aufl., Vorbem. § 32, Rn. 6 ff., 8, der Auffassung, daß es einen Wertungsunterschied gebe, "zwischen einem Verhalten, das schon nicht tatbestandsmäßig und da!Jer strafrechtlich irrelevant ist, und einem Verhalten, das zwar tatbestandsmäßig, nämlich das geschützte Rechtsgut beeinträchtigend, aber ausna!Jmsweise gestattet ist." 137 Hirsch, LK, 10. Aufl., Vorbem. § 32, Rn. 182. Übereinstimmend Ro.xin, Strafrecht, 1. Aufl., § 19, Rn. 49; ders., Festschrift für Bockelmann, S. 279. Dies jedoch aufbauend auf
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Folge der von Kaufmann und Hirsch vertretenen Unterscheidung zwischen Schuldbegründung und Schuldquantifizierung ist die unterschiedliche Behandlung der Zeitstruktur der Zurechnung in den Fällen des Vorverschuldens. Da Hirsch von einem Ansatz ausgeht, nach dem nur solche Erwartungen an die Bürger gerichtet werden können, die nach allgemeinen Anforderungen ihrer individuellen Aufnahmefähigkeit entsprechen 138, und da die Zurechnungsfähigkeit eine "scharfe Grenze" zwischen schuldfähigen und schuldunfähigen Personen darstellt 139, sind die Fälle eines verschuldeten Verlustes der Schuldfähigkeit konsequenterweise nach einem Tatbestandsmodell zu lösen. Die Zurechnung findet also im Zeitpunkt der Herbeiführung des Defekts statt, in dem der Täter zurechnungsfähig ist 140• Hinsichtlich des vorverschuldeten entschuldigenden Notstands vertritt Hirsch 141 demgegenüber die Auffassung 142, daß das Rechtsprinzip der actio libera in causa nicht übertragbar sei: "Denn nicht die Herbeiführung des Notstandes soll bei Bejahung der Zumutbarkeit bestraft werden, sondern die unter seelischem Druck begangene Tat. Während bei der actio libera in causa im Augenblick der im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Tat die Fähigkeit, sich rechtmäßig zu motivieren, zu verneinen ist, liegt sie bei§ 35 Abs. 1 Satz 2 StGB noch vor." 143 Daß es beim entschuldigenden Notstand nicht um Schuldbegründung gehe, ein Subjekt strafrechtlicher Zurechnung, d.i. eine formell strafrechtliche Person vorhanden sei, zeigt sich bei Kaufmann daran, daß er beim entschuldigenden Notstand einer vollkommen anderen Konzeption. Bei Roxin soll es keinen Unterschied geben, weil bei den Fällen der Schuldfähigkeit wie bei den Entschuldigungsgriinden präventive Erwägungen notwendig seien, im Gegensatz zu der h.L. die diese Trennung vollziehe, um die Fälle der Schuldfähigkeit vor dem Eingriff präventiver Erwägungen zu schützen. 138 Hirsch, LK, 9. Aufl., § 51, Rn. 6. Siehe dazu ebenso die Ansicht Rudolphis, SK, Vorbem. § 19, Rn. 1. 139 Hirsch, LK, 9. Aufl., §51, Rn. 17, 77: Die Zurechnungsfähigkeit knüpfe an eine "natürliche Eigenschaft" des Menschen an. 140 Dabei sei die actio libera in causa als mittelbare Täterschaft zu verstehen: "Der Täter benützt hier gleichsam sich selbst als Werkzeug". Der Täter setze in zurechnungsfähigem Zustand die entscheidenden Ursache, die sich in zurechnungsunfähigen Zustand auswirke. Der Normverstoß liege darin, daß der Täter dazu ansetze, die Steuerungsfähigkeit hinsichtlich der Tatverwirklichung aus der Hand zu geben, Hirsch, LK, 9. Aufl., § 51, Rn. 73; ders., NStZ 1997, S. 231 f. Siehe dazu ebenso Rudolphi, SK, § 20, Rn. 28d, 28e. 141 Ist von Kaufmann im Gegensatz dazu das Vorverschulden in beiden Fällen nicht ausdriicklich angesprochen worden, so ist trotzdem leicht zu überlegen, wie dessen Behandlung erfolgen würde. Von dem Grundsatz aus, daß der Täter- soll ein Schuldvorwurf erhoben werden - zu der Motivation durch die Norm befähigt sein müsse, und daher die Schuldfähigkeit im Gegensatz zur Zumutbarkeit ein schuldbegriindendes Element sei, müßte das Vorverschulden folgendermaßen gelöst werden: Beim verschuldeten Fehlen der Schuldfähigkeit muß die Zurechnung zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem der Täter schuldfähig ist; hier käme also nur der Moment der Herbeiführung des Defektzustands in Betracht; anders bei der Zumutbarkeit, denn dort ist im Moment der Tat die Schuld schon begriindet; es gibt also ein geeignetes Objekt der Zurechnung. 142 Vgl., Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 83 f.; dens., SK, § 35, Rn. 11, 15. 143 Hirsch, LK, § 35, Rn. 47.
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- nicht jedoch bei der Schuldfähigkeit - auf präventive Erwägungen abstellt 144: Nach seiner Ansicht wird der Schuldvorwurf eben dann erhoben, "wenn ohne Beeinträchtigung der Gesamtinteressen der Rechtsgemeinschaft nicht auf die Strafsanktion verzichtet werden kann'" 45 . Darauf läßt sich innerhalb seiner Lehre nur abstellen, wenn zuvor bereits die Schuld eines Subjekts als gegeben erachtet wird. Zunächst ist die oben an Welzel geübte Kritik bezüglich der "Enge", mit der dieser die formelle Strafrechtsperson bildet, ebenso auf Kaufmann und Hirsch zu übertragen. Erhält nämlich die (Un-)Zumutbarkeit nicht den Charakter der Schuldbegründung, bedeutet aber Schuldbegründung im Strafrecht formell PersonSein146, Einstehen müssen, Verantwortlichkeit, so ist die Gestalt der formellen Strafrechtsperson, die sie befürworten, ziemlich "eng": grundsätzlich zählt nur die innere abstrakte Fähigkeit ohne äußeren Zusammenhang, ohne Kontext. Der Mensch ist aber nicht allein ein körperloser Geist, der vor der Norm steht. Zu seiner Konstitution zählt beispielsweise auch sein Leib und damit die- nach normativen Kriterien: beachtliche - Furcht um denselben. Soweit diese Umstände vom Recht anerkannt sind - wie es in § 35 StGB geschehen ist -, muß eine Theorie, die das Strafrecht erklären will, solche Umstände berücksichtigen. Kaufmanns Schlußfolgerung, daß § 35 StGB auf der Idee beruhe, daß Andershandelnkönnen noch möglich sei, da es schließlich Ausnahmeregeln gebe, die trotz der in § 35 StGB beschriebenen Situationen zur Strafbarkeit führten 147, setzt weiterhin schon voraus, was sie begründen will. Wie oben bereits ausgeführt, darf die (normative) Fähigkeit zur Schuld nicht abstrakt, sie muß vielmehr immer im Zusammenhang mit der konkreten Situation geprüft werden; dies wird nicht beachtet, wenn der entschuldigende Notstand als Frage der Quantifizierung der Schuld und nicht als deren Begründung betrachtet wird. Der von Kaufmann angeführte Vergleich - ,,Einen Graben bestimmter Breite kann man überspringen oder nicht" erklärt gar nichts. Entscheidend ist nicht irgendeine vorsituative Fähigkeit, sondern die Frage, ob ein Handelnder in einer konkreten Situation als fähig angesehen wird oder nicht. Auch kann § 35 StGB genauso gut damit erklärt werden, daß hier Probleme der Antriebssteuerung - diese sind in anderen Fällen unbeachtlich 148 - in dem Maße berücksichtigt werden, in dem sie das Recht für beachtlich erklärt. Dar144 Auch Rudolphi, SK, Vorbem. § 19, Rn. 1; § 35, Rn. I, stellt bei der Lösung des entschuldigenden Notstands auf präventive Erwägungen ab. 145 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 158 auch Fn. 171. Hirsch kritisiert jedoch die Ansicht, die die Fälle des entschuldigenden Notstands durch Rückgriff auf Präventionserwägungen erklärte, denn sie würde Grund und Folge der Entschuldigung vertauschen. Die Präventionsaspekte seien nicht der Grund der Entschuldigung, sondern die Folge davon, daß keine rechtlich vorwerfbare Schuld vorliege. Hirsch, LK, 11. Aufl., Vorbem. § 32, Rn. 195, 182a ff. 146 Zum Begriff der strafrechtlichen Person im formellen und materiellen Sinne siehe unten§3A.V. 147 Siehe auch die Ansicht Rudolphis, ZStW 78 (1966), S. 81; ders. , SK, § 35, Rn. 2. 148 Siehe dazu Jakobs, AT, 6/21 ff., 25.
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über hinaus gilt also der bereits gegen Baumann und Sehröder vorgebrachte Einwand: "Schuldunfähigkeit" und "Unzumutbarkeit" sind nur relevant, soweit sie rechtlich anerkannt sind; und dies sind sie stets nur situativ! Damit ist die Kritik Maurachs 149 an der Heterogenität des Welzelschen Schuldbegriffs auch auf die Modelle Kaufmanns und Hirschs zu übertragen. Denn diese haben allein durch einen technischen Kunstgriff die Widerspruchlichkeit Welzels und Maurachs beseitigt, das Problem aber nur verschoben. Halten Kaufmann und Hirsch den entschuldigenden Notstands nicht für eine Frage der Schuldbegrundung, sondern für eine solche der Schuldquantifizierung, so müßten sie die Fälle in eine andere Kategorie jenseits der Schuld einfügen, jedenfalls nicht dort, wo dies zum Maßstab für das Vorliegen eines verantwortlichen Subjekts wird, denn so schaffen sie ein "unförmliches Gebilde" der Begrundung von Verantwortlichkeit150. In der Lehre Kaufmanns und Hirschs wäre es allein konsequent, den entschuldigenden Notstand erst bei der Schuldzumessung zu betrachten; dies wiederum könnte jedoch die gesetzliche Regelung und besonders die Ausnahmefalle nicht erklären. Betrifft die Schuldquantifizierung die Strafzumessung, befindet man sich in einem Bereich, der nicht zur Strafbegrundungsschuld gehört. Beide Begriffe verweisen auf unterschiedliche Bezugsmomente und erfüllen abweichende rechtliche Funktionen 151 ; die Prinzipien der Schuldbegrundung und der Schuldzumessung sind verschieden. Bei der Verwischung der Unterschiede zwischen Schuldbegrundung bzw. Schuldausschluß und Schuldzumessung werden "die qualitativen Unterschiede" verkannt, "die unser Recht zwischen Begrundung und Ausschluß der Strafe einerseits und der Zumessung einer als begrundet vorausgesetzten Strafe anderseits macht" 152. Die Heterogenität ist bei Kaufmann freilich noch in einer weiteren Hinsicht auffallend, denn warum bei der Schuldquantifizierung das Präventionsinteresse eine Rolle spielen soll, bei der Schuldbegrundung aber nicht, ist nicht ersichtlich. Präventive Erwägungen können beim entschuldigenden Notstand nur dann von Bedeutung sein, wenn sie für den Schuldbegriff ebenso konstitutiv sind. Damit bleibt hier das Verhältnis von Schuld und Prävention überhaupt unerklärt. Wenn Hirsch dazu ausführt, im Falle des § 35 StGB seien eben Präventionsinteressen gerade deswegen nicht vorhanden, weil keine strafrechtlich vorwerfbare Schuld vorhanden sei, so liegt diesem Verständnis eine heute nicht mehr plausibel zu machende Schuldontologie zugrunde 153 • 149 Seine Kritik trifft, wie oben gezeigt, auch auf seine eigene Ansicht zu. Achenbach, Schuldlehre, S. 11. Achenbach, Schuldlehre, S. 14; ders., in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 136 mit Fn. 5. Siehe übereinstimmend Roxin, Festschrift für Bockelmann, S. 304 ff.; dens., Strafrecht, 1. Aufl., § 19 Rn. 46 f. Kritisch unter anderem Jakobs, AT, 17/l, Fn. 1; Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 162. 152 Achenbach, Schuldlehre, S. 11. 153 Siehe dazu Jakobs, Schuld und Prävention, S. 30 und passim. 150 151
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Fraglich ist weiterhin die Haltbarkeit der zur Idee der Quantifizierung führenden Lehre von der "doppelten Schuldminderung"154. Im Anschluß an Jakobs ist daran zu kritisieren, daß so die restlose Entschuldigung nicht erklärt werden kann, "wenn die einfache Schuldminderung durch Unrechtsminderung nicht einmal zu einer Reduzierung des Strafrahmens führt" 155 . Wird so die Lehre von der "doppelten Schuldminderung", auf die sich Kaufmann und Hirsch stützen, kritisiert, so bleibt für ihren Ansatz allein eine Schuldminderung wegen der Erschwerung der Fähigkeit zur rechtlichen Motivation, die notwendigerweise zu einer Strafmilderung führen müßte, was nicht mit der gesetzlichen Regelung übereinstimmt. Unrecht wie Schuld sind auch Begriffe, die - was die Strafbegründung betrifft - entweder vorliegen oder nicht; eine Minderung des Unrechts 156 bzw. eine dadurch erfolgte Minderung der Schuld ist möglich, gehört aber zur Strafzumessung157 . b) Jescheck und Lenckner
Schuld im materiellen Sinne bedeutet nach der Ansicht Jeschecks und Lenckners "Vorwerfbarkeit der Tat mit Rücksicht auf die darin betätigte mißbilligte Gesinnung" 158 im Sinne Gallas' 159. Rechtsgesinnung sei eine unentbehrliche Eigenschaft der Bürger, weil auf ihr die Einstellung zum Recht und damit der Wille zum Rechtsgehorsam beruhe 160• In Übereinstimmung mit der von der Lehre vom normativen Charakter der Schuld vertretenen Auffassung 161 distanzieren sie sich von einer psychologischen Schuldauffassung und ebenso von einer rein wertenden Lehre von Schuld als bloßer Nonnativität Innerhalb einer von ihnen grundsätzlich Kritisch dazu u. a. Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 129. Jakobs, AT, 20/3. 156 Anderer Meinung ist Bacigalupo, Gedächtnisschrift für Arrnin Kaufmann, passim, der die Entschuldigungsgründe als Fälle einer Unrechtsminderung behandelt. 157 Siehe zu der Betrachtung der Unrechtsminderung als ein Problem der Strafzumessung Roxin, AT, 1. Aufl., S. 553, Fn. 100. Ebenso kritisch dazu äußert sich Achenbach, Schuldlehre, S. 11. 158 Jescheck, Strafrecht, S. 379, 384 f.; siehe ebenso Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl., Vorbem. § 13, Rn. 119. 159 Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 55 ff. Siehe zur Schuld als Gesinnungswert auch Lesch, Verbrechensbegriff, S. 158 ff. 160 Jescheck, Strafrecht, S. 384; siehe dazu ebenso Schönke /Schröder-Lenckner, 25. Aufl., Vorbem. § 13, Rn. 119. Die Rechtsgesinnung ist nach der Ansicht Jeschecks, Strafrecht, S. 384, nicht gleichbedeutend mit sittlicher Gesinnung, weil es nicht auf die ethische Bindung durch die Rechtsnorm ankomme, sondern auf die Einsicht in ihre Geltung. Diese Beziehung bleibt jedoch problematisch, wenn Jescheck, Festschrift ftir Erik Wolf, S. 478, das Ethische als Maßstab für die Bewertung der Willensbildung im Schuldbereich beansprucht. 161 Siehe Lenckner, in: Handbuch der forensischen Psychiatrie, S. 44, unter Berufung auf die Konzeption Mezgers, Strafrecht, S. 247 ff.; Mezger-Blei, Strafrecht, 15. Aufl., S. 162, wobei die Schuld als ,,Inbegriff der Voraussetzungen, die aus der Straftat einen persönlichen Vorwurf gegen den Täter begründen" verstanden wird. 154 155
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akzeptierten Normativierung des Schuldbegriffs 162 bestreiten sie dabei die Auffassung, die an die Stelle der Schuld den Begriff der Vorwertbarkeit setzt. Vorwerfbarkeit sei mehr, als daß man dem Täter seine Tat zum Vorwurf machen könne, sie sei mehr als ein "Urteil über etwas" 163. Die Schuld mache das aus, was dem Täter vorgeworfen werden könne 164; Schuld sei etwas Substantielles, die Voraussetzung der Vorwertbarkeit: "Nur weil der Täter Schuld hat, kann ihm ein Vorwurf gemacht werden." 165 Für Lenckner ist Schuld "ein aus deskriptiven und normativen Elementen zusammengesetzter, einer bedeutungshaltigen Wirklichkeit angehörender Sachverhalt" 166. So sagt auch Jescheck, die Schuld habe ihre Funktion in der Begriindung eines persönlichen Vorwurfs gegen den Täter 167. Da der Schuldbegriff aus deskriptiven und normativen Elementen bestehe, sei er ein ,,komplexer Schuldbegriff', eine Zusammenfassung von Objekt der Wertung und Wertung des Objekts168. Was aber materiell den Schuldvorwurf ausmache, sei ausschließlich der psychische Sachverhalt in der Person des Täters 169. Die Elemente der Schuld seien dabei die Schuldfähigkeit, das potentielle Unrechtsbewußtsein und die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens 170. Sähe man die Lehre Jeschecks und Lenckners als Fortführung der Lehre vom normativen Charakter der Schuld 171, müßte man davon ausgehen, daß alle im Schuldsachverhalt bestehenden Elemente schuldbegrundenden Charakter hätten und ihr Vorhandensein als begriffsnotwendig zu betrachten wäre 172. Daraus ergäbe 162
S.44.
Jescheck, Strafrecht, S. 379; Lenckner; in: Handbuch der forensischen Psychiatrie,
163 Lenckner; in: Handbuch der forensischen Psychiatrie, S. 40; Schönke I Schröder-Lenckner; 25. Aufl., Vorbem. § 13, Rn. 114; ebenso Jescheck, Strafrecht, S. 379, der in der Gesinnung ein eigenes Bezugsobjekt der Schuld sehen möchte. 164 "Die Vorwerfbarkeit kann nur die Folge von Schuld sein", Schönke/Schröder-Lenckner; 25. Aufl., Vorbem. § 13, Rn. 114. Siehe zu diesem Ansatz ebenso Jescheck, Strafrecht, S. 384; Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 179; Otto, ZStW 87 (1975), S. 581 f.; ders., GA 1981, s. 484. 165 Lenckner; in: Handbuch der forensischen Psychiatrie, S. 40. 166 Lenckner; in: Handbuch der forensischen Psychiatrie, S. 44. 167 Vgl. Jescheck, Strafrecht, S. 379 f. 168 Schönke/Schröder-Lenckner; 25. Aufl., Vorbem. § 13, Rn. 114. 169 Schönke /Schröder-Lenckner; 25. Aufl., Vorbem. § 13 ff., Rn. 118; Jescheck, Strafrecht, S. 380. 170 Lenckner; in: Handbuch der forensischen Psychiatrie, S. 45, zählt zu den Elementen der Schuld den Vorsatz und die Fahrlässigkeit. Jescheck, Strafrecht, S. 380, nennt die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens "die Normalität der begleitenden Umstände". 171 Bei der Lehre vom normativen Charakter der Schuld stimmt auch die Gleichung Schuld=Vorwurf, in dem Sinne, daß ein Fehlen jedes einzelnen der zur Schuld gehörenden Elemente zum Ausschluß der Schuld und damit unbedingt auch zum Ausschluß des Vorwurfs führt. Es ist freilich auf die verschiedenen Maßstäbe zu achten, die auf beiden Seiten der Gleichung angewendet werden, denn die Schuld als Sachverhalt fußt auf einem ontologisches Kriterium, im Gegensatz zu der Vorwerfbarkeit, die als Wertung, als Zuschreibung, auf ein normatives Kriterium gestützt wird.
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sich, daß eine Unterscheidung zwischen Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründen nicht zu treffen wäre. Dies ist jedoch in der Lehre Jeschecks und Lenckners anders. Sie unterscheiden nämlich zwischen Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründen: "Ist der Täter (voll oder vermindert) schuldfähig, hat er ferner vorsätzlich bzw. fahrlässig gehandelt und hatte er endlich die Möglichkeit der Unrechtseinsicht, so ist der Schuldvorwurf sachlich begründet" 173 • Bei den Entschuldigungsgründen 174 gehe es nicht darum, daß der Täter nicht anders handeln könne 175, und damit die Schuld begriffsnotwendig ausgeschlossen sei, vielmehr soll es sich hier um Situationen handeln, "in denen der Täter wegen einer außergewöhnlichen Konflikts- und Motivationslage, die 'Nachsicht der Rechtsordnung"' finde 176. Nach der Ansicht von Jescheck und Lenckner bewirken die Entschuldigungsgründe deswegen eine Herabsetzung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat 177 • Was den verschuldeten Verlust der Schuldfähigkeit betrifft, müßte man wegen der grundlegenden Unterscheidung, die nach Ansicht Jeschecks und Lenckners zwischen Schuldausschließung und Entschuldigung besteht, davon ausgehen, daß für sie das Fehlen der Schuldfähigkeit als unentbehrliches Moment der Schuld die notwendige Folge eines Schuldausschlusses haben müßte: d. h. die strafrechtliche Zurechnung des Vorverschuldens müßte auf ein Tatbestandsmodell abstellend im Moment der Herbeiführung der Tat erfolgen. Denn geht es bei der Schuldfähigkeit - so wie es Jescheck und Lenckner vertreten - um die Schuldbegründung, müßte das Urteil über die Zurechnung zu einem Zeitpunkt gefällt werden, in dem die Schuld des Täters zu bejahen wäre. Im Moment der Tat wäre der Täter - nach dem anzuwendenden Maßstab der Rechtsgesinnung - unfähig, das Unrecht der Tat einzusehen bzw. nach dieser Einsicht zu handeln, könnte also die Schuld nicht begründet werden. Jedoch bevorzugen Jescheck und Lenckner ein Ausnahmemodell, um diese Fälle zu lösen: die Zurechnung erfolge im Moment der "Tat". Die actio libera in causa ist für Jescheck eine im Gesetz nicht geregelte, aber gewohnheitsrechtlich 172 Denn, so wie Mezger es ausgedrückt hat, schließe auch das Merkmal der Unzumutbarkeit die Schuld schon von vornherein aus, beseitige sie nicht erst wieder; Mezger; Strafrecht, 1. Aufl., S. 363. 173 Schönke / Schröder-Lenckner; 25. Aufl., vor§§ 32 ff., Rn. 108; ders., in: Handbuch der forensischen Psychatrie, S. 68 f.; ders., Der rechtfertigende Notstand, S. 35 ff.; Jescheck, Strafrecht, S. 220. 174 Diese Konzeption der Entschuldigungsgründe (Schönke/Schröder-Lenckners, 25. Aufl., Vorbem. § 13 Rn. 114, 119) baut darauf auf, daß die Schuld ein steigerungsfähiger Begriff sei. t75 Schönke/Schröder-Lenckner; 25. Aufl., Vorbem. § 13, Rn. 118; Jescheck, Strafrecht, s. 429. 176 Schönke /Schröder-Lenckner; 25. Aufl., Vorbem. § 32 ff., Rn. 108; § 35, Rn. 2. 177 Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl., Vorbem. § 32, Rn. 111; § 35, Rn. 2. Jescheck, Strafrecht, S. 429 ff.; anders früher ders., Festschrift für Erik Wolf, S. 481.
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anerkannte Ausnahme von der Voraussetzung, daß der Zeitpunkt der Zurechnung bei "Begehung der Tat" liege. Die Einschränkung des § 20 StGB sei sachlich gerechtfertigt, weil der Defektzustand, in dem die tatbestandsmäßige Handlung begangen werde, mit der voll zu verantwortenden actio praecedens in einem dem Täter vorwertbaren Zusammenhang stehe 178• Es handle sich um eine Ausnahme von der Regel, daß die Schuldunfähigkeit "bei Begehung der Tat" zur Straflosigkeit führe. In ähnlicher Weise vertritt Lenckner die Auffassung, daß der Schuldmangel bei einer im Zustand des § 20 StGB begangenen Tat dadurch wieder ausgeglichen werde, daß sich der Täter im Hinblick auf diese schuldhaft um seine Steuerungsunfähigkeit gebracht habe 179• Lenckner 180 hat freilich bis zur 20. Auflage des Schönke I Schröder181 die Meinung vertreten, daß die Fälle eines verschuldeten Verlustes der Schuldfähigkeit nach einem Tatbestandsmodell zu behandeln seien, das heißt, daß die Zurechnung im Moment der Herbeiführung des Defektes stattfinden müsse. Seit der 21. Auflage verfolgt er jedoch entsprechend einer "Schuldlösung" die Ansicht, daß "der Täter bei Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt der Tatbegehung ohne Schuld handle, es sei denn, daß ihm die Tat nach den Regeln der a.l.i.c. vorgeworfen werden kann." 182 Diese Änderung entspricht jedoch nicht einem geänderten Verständnis der Schuld, denn auch in der 21 . Auflage wird immer noch die Schuldfähigkeit als schuldbegründendes Element beschrieben, die Schuld wird immer noch als Andershandelnkönnen des Täters bzgl. der rechtlichen Motivation definiert, also als etwas Substantielles. Was die Entschuldigungsgründe angeht, wendet Lenckner 183 beim verschuldeten entschuldigenden Notstand 184 auf die psychische Zwangslage (unmittelbarer Jescheck, Strafrecht, S. 402. Schönke/Schröder-Lenckner. 23. Aufl, § 20, Rn. 35. 180 Siehe auch Lenckner. in: Handbuch der forensischen Psychiatrie, S. 47, wo er die actio libera in causa nach einem Tatbestandsmodelllöst 181 Schönke/Schröder-Lenckner. 20. Aufl., § 20, Rn. 33. 182 Schönke!Schröder-Lenckner. 21. Aufl., § 20, Rn. 34 f. 183 Hinsichtlich des vorverschuldeten entschuldigenden Notstands spricht Jescheck die Zeitstruktur nicht an. Wenn es freilich bei den Fällen eines verschuldeten Verlusts der Schuldfähigkeit kein Hindernis geben soll, die Zurechnung im Moment der Tat durchzuführen, es ist davon auszugehen, daß hier erst recht kein solches existiert. Denn der entschuldigende Notstand ist nach Jeschecks Ansicht, Strafrecht, S. 429, nicht als ein Fall der Schuldbegriindung, sondern als Unrechts- und Schuldminderungsgrund zu betrachten. 184 Die Entschuldigungsgriinde seien mit der Lehre der Kumulationswirkung zweier Schuldminderungsgrunde zu erklären; dort sei die Schuld insgesamt so gemildert, daß die Rechtsordnung auf einen Schuldvorwurf verzichten könne. Schönke I Schröder-Lenckner. 25. Aufl., Vorbem. §§ 32, Rn. 111. Der verschuldete entschuldigende Notstand betreffe nicht primär das Unrecht, "vielmehr (sei) der zweite, aus der besonderen psychischen Zwangslage des Taters folgende Schuldminderungsgrund" nach dem Prinzip der actio libera in causa wieder aufgehoben, so daß der Tater nicht die (volle) Nachsicht des Rechts verdiene; Schönke/ Schröder-Lenckner. 25. Aufl., § 35, Rn. 19. Kritisch dazu Frister. Die Struktur des "voluntati178 179
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Schuldminderungsfaktor) der eingeschränkten Motivationsfähigkeit das Prinzip der actio libera in causa analog an. Die Enlastung von Schuld werde also ausgeschlossen: "So wie dort (beim verschuldeten Verlust der Schuldfähigkeit, P.G.) gegen den Täter der volle Schuldvorwurf erhoben wird, obwohl er sich im Augenblick der Tat aus den Gründen des § 20 StGB nicht mehr normgemäß motivieren lassen konnte (Wegfall der Steuerungsfähigkeit), so ist möglicherweise auch hier seine Schuld nicht wesentlich gemindert, wenn er sich in eine Situation begibt, in der seiner Steuerungsfähigkeit wegen des besonderen Motivationsdrucks beeinträchtigt ist" 185 • Es geht nach Lenckners Ansicht 186 "weder um eine Verneinung der seelischen Zwangslage, noch um eine Bestrafung der Herbeiführung der Notstandslage, sondern darum, daß dem Täter die bei der Tatbegehung bestehende und an sich schuldmindernde Erschwerung normgemäßen Verhaltens nicht zugute gehalten wird, wenn er sich selbst im Hinblick auf diese Tat um seine normale Motivierbarkeit gebracht hat" 187• Ist also das Vorliegen einer "Normallage" kein begründendes Moment der Schuld, geht es dabei nur um das Verzichten auf Strafe, und ist die Schuld allein durch das intellektuelle Andershandelnkönnen des Täters schon begriindet, ist also im Moment des Handlungsvollzugs eine formell strafrechtliche Person vorhanden, kann zwar an sich bei der Begehung der Tat eine Zurechnung stattfinden, beispielsweise wenn der Täter die Notstandssituation vorverschuldet hat. Aber wegen des psychologisierenden Ausgangspunkts dieser Konzeption wäre man beim entschuldigenden Notstand und bei der Verminderung der Schuldfähigkeit188 eigentlich nicht berechtigt, von einer Strafmilderung abzuseven Schuldelements", S. 208; Roxin, JA 1990, S. 98; Jalwbs, AT, 20/3; Timpe, Strafmilderungen, S. 286 ff. 185 Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl., § 35 Rn. 19. 186 Daraus zieht Lenckner für die Strafmilderung den Schluß, es entspreche "den Regeln über die actio libera in causa, daß von der Strafmilderungsmöglichkeit ... kein Gebrauch gemacht wird, wenn der Täter die Notstandslage provoziert hat, während gegen eine Strafmilderung keine Bedenken bestehen, wenn er diese nur fahrlässig verursacht hat (wobei die Notstandstat selbst vorsätzlich begangen worden ist)" Schönke/Schröder-Lenckner, 21. Aufl., § 35, Rn. 26. Die Strafmilderung beim entschuldigenden Notstand solle auch innerhalb der Lehre der Doppelminderungsschuld verstanden werden; Schönke I Schröder-Lenckner, 21. Aufl., § 35, Rn. 37. Sei es das Zusammentreffen eines Unrechts- und eines Schuldminderungsgrunds, die das Maß der Schuld so wesentlich reduzierten, daß ein völliger Verzicht auf Strafe angebracht erscheine, so sei auch eine Strafmilderung um so eher angezeigt, je deutlicher der Schuldgehalt der Tat der den Übergang zur völligen Straflosigkeit rechtfertigenden Grenze angenähert sei. Für eine Strafmilderung bestehe aber kein Anlaß, wenn z. B. die NotstandsJage vorsätzlich herbeigeführt wurde. Kritisch Timpe, Strafmilderungen, S. 289 f. 187 Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl., § 35, Rn. 19. 188 Und dies wird von Lenckner auch zugegeben. Die verminderte Schuldfähigkeit ist für Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl., § 21, Rn. 1, keine Zwischenform zwischen Schuldfähigkeit und Schuldunfähigkeit ("Halbzurechnungsfähigkeit"}, sondern ein Schuldminderungsgrund. Der vermindert Schuldfähige sei schuldfähig im vollen Sinne des Wortes, "denn er hätte das Unrecht seiner Tat erkennen und sich dadurch entsprechend motivieren lassen können". Die Möglichkeit zur Strafmilderung trage dem Umstand Rechnung, daß es auch der schuldfähige Täter sehr schwer haben könne, sich normgemäß zu verhalten. Der materiellen 4 Gonza1ez-Rivero
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hen; sie wäre selbst dann vorzunehmen, wenn der Täter den Defekt verschuldet hätte. Wäre die Schuld materiell gemindert, müßte daraus notwendigerweise eine Minderung der Strafe folgen. In diesen Fälle kann Lenckner nicht die Kann-Milderung in §§ 35, 21 StGB erklären, denn hier bleibt trotz Verschuldens die Erschwerung der Motivation die gleiche 189• Ob überhaupt die Präsumtion geminderter moralischer Schuld bzw. der geringe Grad an Verwerflichkeit des Tuns Indikatoren für die Schuld sind, ist allerdings höchst fragwürdig. Unterlegt man Recht mit Verwerflichkeit, mangelnder Gesinnung (warum überhaupt?) u.ä., stellt man es also an die Grenze zum Religiösenwobei freilich nicht die Tatsache ignoriert werden darf, daß eine positive I negative Besetzung irgendeines rechtlichen Verhaltens eine wichtige integrative Funktion besitzt; aber das liegt systematisch außerhalb des Rechts - eine Ausnahme bildet dabei wohl das Gewissen190• Einher geht damit eine sittliche Abwertung des deliktisch Handelnden, und bloß rechtskonformes Verhalten wird dann schon zum Verdienst. Speziell auf den Ausschluß der Exkulpation in § 35 StGB bezogen ist ein ähnliches Defizit wie bei denjenigen Positionen auszumachen, die im Psychologischen den Grund der Entschuldigung finden 191 : Nicht erklärt werden kann, warum trotz der Situation bei der Verursachung oder bei den besonderen Rechtsverhältnissen eine rechtsfeindliche Gesinnung vorliegt 192. Hintergrund dieser Lehren ist, wie oben angesprochen, die Unterscheidung zwischen Schuldausschluß und Entschuldigung, was in dem hiesigen Zusammenhang bedeutet, daß für sie ein starrer Unterschied zwischen Zurechnungsfähigen und Zurechnungsunfähigen, also zwischen der formellen strafrechtlichem Person- oder Nicht-Person-Sein besteht. Dieser Unterschied wird jedoch inkonsequenterweise nicht respektiert, wenn die Fälle des verschuldeten Verlustes der Schuldfähigkeit trotz des - nach ihren Maßstäben - Fehlens einer formellen strafrechtlichen Person Inhalt der Schuld spiegelt sich bei Lenckner ebenso in der verminderten Schuldflihigkeit wider. Diese ehrheblieh verminderte Schuldflihigkeit müsse, nach der Ansicht Schänke I Schröder-Lenckners, 25. Aufl., § 21, Rn. 14, einer erheblich verringerten Schuld und dieser einer erheblich verringerten Strafe entsprechen, die Kann-Milderung des§ 21 StGB müsse ein obligatorischer Strafmilderungsgrund sein, um mit dem Schuldprinzip vereinbar zu sein. Sei die Schuld wegen verminderter Schuldflihigkeit erheblich gemindert, dürfe eine Strafmilderung nicht aus schuldfremden Erwägungen unterbleiben - gemeint sind spezial- oder generalpräventive Gründe(§ 21, Rn. 15). Vgl. auch kritisch zur fakultativen Strafmilderung Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 197 f.; Rudolphi, SK, § 21, Rn. 5; Schmidhiiuser, Strafrecht, S. 778; Stratenweth, Strafrecht, S. 165. 189 Ebenso kritisch dazu Bernsmann, "Entschuldigung" durch Notstand, S. 211. 190 Siehe zur Problematik des Gewissens schon Heget, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 137. In neuererZeitwird betont, welche integrative Funktion dem Gewissensbegriff zukommt: Luhmann, Die Gewissensfreiheit S. 257 ff.; Böckenförde, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, S. 200 ff. 191 Kritisch dazu: Jakobs, AT, 20/2. Timpe, JuS 1984, S. 861. 192 Jescheck, Strafrecht, S. 436, behauptet, daß die Verminderung von Handlungsunrecht und Schuld "dann nicht mehr so erheblich" sei.
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im Moment der Tat entschieden werden; diese Unterscheidung wird auch dort nicht respektiert, wo die Frage der Zeitstruktur der Zurechnung genauso wie in denjenigen der verminderten Schuldfähigkeit193 und des entschuldigenden Notstands behandelt wird 194, bei denen die Schuld gerade begrifflich nicht ausgeschlossen sein soll. Denn wenn die actio libera in causa als Zurechnungsfigur in beiden Fällen Anwendung findet, kann es sich nur um eine formale Figur handeln; dann ist aber unerklärlich, wie sie das materielle Nichtvorhandensein von Schuld kompensieren können soll. Ein innerer Widerspruch liegt also darin, daß Lenckner und Jescheck die Schuldfähigkeit durch ein Surrogat ersetzen, das lautet: die Unfähigkeit schuldhaft herbeigeführt zu haben; und aus dem Grunde soll der Schuldmangel ausgeglichen werden, obwohl die Schuld etwas Materielles sei und nicht nur eine Zuschreibung. Eine Zurechnung im Moment der Tat darf aber nur bei den Autoren erfolgen, die in der Schuld und der Schuldfähigkeit keinen materiellen Inhalt sehen. Geht man von der Unterscheidung zwischen Schuldausschluß und Entschuldigung aus, wäre die notwendige Konsequenz, eine nicht einheitliche Zeitstruktur der Zurechnung beim Vorverschulden zu vertreten, wobei über das Vorverschulden bei der verminderten Schuldfähigkeit und das des entschuldigenden Notstands im Moment der Tat zu entscheiden wäre. Ungereirnheiten ergeben sich aus dieser Konzeption aber auch dann, wenn man das zugrundeliegende Grundverständnis des Begriffs des Subjekts strafrechtlicher Zurechnung, d. h. der formellen strafrechtlichen Person beachtet, das von Jescheck und Lenckner verwendet wird. Denn soweit sie auf den Verlust bzw. die Erschwerung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit in den Fällen der Schuldfähigkeit abstellen, nämlich auf psychologische Gegebenheiten, auf ein Andershandelnkönnen des Täters hinsichtlich seiner rechtlichen Motivation, ist der Grund nicht ersichtlich, warum der Handelnde beim Verschulden des Defekts nicht weiter als Handelnder in seiner Besonderheit zu berücksichtigen sein soll. Wird die Schuld allein durch die Besonderheit des Menschen konstituiert, dürften bei der Entscheidung über das Vorverschulden einer Defektlage keine anderen Kriterien angewendet werden. Die oft genannte Heterogenität des Schuldbegriffs ist daher auch bei Jescheck und Lenckner zu beklagen: Die Inkonsistenzen der oben behandelten Lehren können auch hier festgestellt werden und es ist nicht ersichtlich, wieso, obwohl die Normalität der begleitenden Umstände ein Merkmal des Schuldbegriffs sein soll, dieser nicht nach dem Kriterium zu bemessen sein soll, nach dem der Schuldbegriff als ganzer definiert wird, nämlich nach dem in der Tat aktualisierten Gesin193 Jescheck, Strafrecht, S. 400: Die Strafe muß nicht gemildert werden, "weil die Verminderung der Schuldfähigkeit durch schulderhöhende Umstände, vor allem durch schuldhafte Herbeiführung der seelischen Störung (Trunkenheit), ausgeglichen wird". Trotz verminderter Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat käme wegen der Anwendung der Grundsätze der actio libera in causaeine Strafmilderung nach§ 21 nicht im Betracht Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl., § 20, Rn. 35; § 21, Rn. 11. 194 Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl., § 35, Rn. 19.
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nungsunwert. Die Elemente, die diesem Schuldbegriff angehören, müßten aber doch gleichwertig an dem selben Maßstab ausgerichtet sein, an dem sich auch der Schuldbegriff ausgerichtet wird. Dies ist aber nicht der Fall, da Jescheck und Lenckner - ausgehend von einem Kriterium, das nicht alle Elemente der Schuld erfassen kann - davon ausgehen, daß es bei der Schuldfähigkeit um ein schuldbegründendes, beim entschuldigenden Notstand aber um ein wegen der Schuldquantifizierung vorwurfsaufhebendes Moment gehen soll. c) Schmidhäuser
Für Schrnidhäuser ist Schuld ein axiologischer Begriff, was ihre "spezifische Wertgebundenheit" zum Ausdruck bringen soll 195 . Die Substanz, die - zusätzlich zum Unwert beim Unrecht als Willensverhalten -den Unwert der Schuld trage, sei das geistige Verhalten des Täters 196. Zu der Verschiedenheit der Unwertgehalte bei Unrecht und Schuld kommt Schmidhäuser durch einen Vergleich zur moralischen Handlung und zur Differenzierung zwischen Legalität und Moralität 197. Materiell definiert er die Schuld "als tatbestandlieh geschildertes, rechtsgutsverletzendes geistiges Verhalten des Täters in der Tat (die unrechtliehe Einzeltatgesinnung)" 198. Der Schuldbegriff wird definiert als "Sachverhalt des auf die unrechte Tat bezogenen, sittlich-verwerflichen geistigen Verhaltens, d.i. die unrechtliehe Gesinnung"199. Notwendige Merkmale des Schuldtatbestands sollen danach die geistige Teilhabe des Täters an den durch das Unrecht verletzten Werten und das auf dieser Teilhabe aufbauende aktuelle spezifische Unwerterleben des Täters (Vorsätzlichkeil) oder die subjektive Möglichkeit eines solchen Erlebens (Fahrlässigkeit) sein200. Unter diesen Voraussetzungen der geistigen Teilhabe des Täters gebe es eine, die "sich - in ihrem Verbundensein mit (körperlich-) seelischen Vorgängen so herauslösen läßt, daß sie über die einzelne Tat hinausreichend als generelle Eigenschaft (Fähigkeit) des Täters erscheint" 201 . 195 Schmidhäuser; Festschrift für Jescheck, S. 485. 196 Schmidhäuser; Festschrift für Jescheck, S. 500 f., bestreitet die Auffassung, daß die
Schuld sich "in einem bloßen Werturteil über Fakten, die als solche schon im Hinblick auf das Unrecht zu bewerten waren", erschöpfe. Siehe ebenso dens., Strafrecht, S. 147; dens., Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, S. 148 ff., 152 f. 197 Siehe dazu Schmidhäuser; Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, S. 168 ff.; ders., Festschrift für Gallas, S. 81 ff., 88 ff. 198 Schmidhäuser; Strafrecht, S. 365; siehe auch dazu ders. , Die actio 1ibera in causa, S. 28. Siehe schon dens., Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, S. 176 f., 178. 199 Schmidhäuser; Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, S. 178. Ausgehend von der Konzeption der Schuld als Sachverhalt kritisiert Schrnidhäuser den ,,krirninalpolitischen" und den funktionalen Schuldbegriff, denn sie würden den sachlichen Gehalt der Schuld mit dem Urteil über den zweckmäßigen Einsatz der Strafe vermengen, siehe dazu dens., Festschrift für Jescheck, S. 501. 200 Schmidhäuser; Strafrecht, S. 366. 201 Schmidhäuser; Strafrecht, S. 376.
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Die Schuldfähigkeit als begründendes Element des Schuldtatbestands (d. h. als Schuldmoment) soll nach Schmidhäuse?02 in der Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit des Taters bestehen. Dabei gehe es darum, daß der Täter die Werte des Gemeinschaftslebens geistig teilnehmend erfasse und verfügbar habe. Beim verschuldeten Verlust der Schuldfähigkeit handelt es sich nach Schmidhäuser um ein "Gegenstück zur Theorie der Schuldvorverlegung und um eine Erweiterung des Tatbestandsmodells"203 . Diese Problematik betreffe nämlich in erster Linie den Unrechtstatbestand: "ist rechtsgutsverletzendes Handeln i.S. des Unrechtstatbestandes schon im früheren Stadium gegeben, so ist an der schließliehen Straftat nicht zu zweifeln"204. Danach komme es im Unrechtstatbestand allein darauf an, ob sich im späteren Handeln die durch das frühere Handeln geschaffene Gefahr realisiert habe. Durch das auf den menschlichen Willen bezogene, unrechtsbegründende Geschehen, also durch das Willensverhalten, verletze der Täter den Achtungsanspruch, der von einem in der Gesellschaft anerkannten Wert, dem Rechtsgut, ausgehe205 • Zu der von ihm genannten materiellen Unrechtserfassung gehöre auch jenes Verhalten des Täters, das seinem erfolgsnächsten Handeln vorangehe, soweit es den Achtungsanspruch des Rechtsguts bereits verletze. Die materiale Unrechtserfassung gehe davon aus, daß der Tatbestand aus dem unwerthaften Vorgang den Teil herausschneide, der für die Strafrechtsfolge vorauszusetzen sei206. Dort werde "die Schuld nicht 'vorverlegt', sondern in ihrem Bezogensein auf das bereits zur unrechten Tat gehörende einleitende Handeln festgestellt" 207 • Gegen die Erfassung der Entschuldigungsgründe als Schuldausschließungsgründe wendet sich Schmidhäuser, indem er sagt, daß allein die positiven, unwertbegründenden Momente der Schuld maßgeblich seien: Thre "Verneinung bildet keine besondere Gruppe unter den Voraussetzungen der Straftat"208. Dennoch geht auch Schmidhäuser in seiner Lehre von einer Unterscheidung zwischen der Schuldbegründung und den Entschuldigungsgründen aus. Unter Entschuldigungsgründen versteht Schmidhäuse?09 ,jenes seelische Erleben des Täters, das die moralische (und sittliche) Schuld des Täters in so spezifischer Weise verringert, daß die Rechtsschuld entfallt. .. ". Für die Rechtsschuld sei eine Mindestverwerflichkeit vorausgesetzt, die im Falle der Entschuldigungsgründe nicht gegeben sei210 • Der sich im entschuldigenden Notstand befindende Täter lade im Hinblick auf das Unrecht moralische und (sittliche) Schuld auf sich; aber 202 203
204 205
206 201 208 209
2!0
Strafrecht, S. 375 f. Die actio libera in causa, S. 29. Strafrecht, S. 386. Die actio libera in causa, S. 27. Schmidhäuser, Die actio libera in causa, S. 30. Schmidhäuser; Die actio libera in causa, S. 34. Schmidhäuser; Strafrecht, S. 458, Fn. 1. Schmidhäuser; Strafrecht, S. 458. Siehe Schmidhäuser, Strafrecht, S. 156.
Schmidhäuser; Schmidhäuser, Schmidhäuser; Schmidhäuser;
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§ 2 Die Entwicklung des Schuldbegriffs
gleichwohl sei die Rechtsschuld nicht gegeben. Es gehe dabei - da man sich im Bereich der Schuld befinde - um ein subjektives Erleben des Täters211 , aber nicht um die Berücksichtigung von "Triebhaftigkeit" oder um den Affekt als solchen212. Man gehe in der abendländischen Kultur von einer Pflicht des einzelnen aus, sein Leben zu erhalten; der Täter im Notstand verfolge im Ansatz ein gebotenes Ziel. Dazu komme das Erlebnis der existentiell bedrängenden Situation als seelisches Faktum213 : "Da entschuldigende Notstandsfälle ... in der Gesellschaft selten vorkommen, bedarf es weder zur Herstellung des Rechtsfriedens noch zum Zwecke der Generalprävention des Einsatzes der Strafe, denn das rechtswidrige und im übrigen schuldhafte, aber moralisch einigermaßen verständliche Verhalten eines Täters in solcher Situation wird von der Gesellschaft als verzeihlich hingenommen"214. Die Wertstruktur der Entschuldigungsgründe besage, daß die Verfehlung des Täters so verständlich erscheine, daß eine Bestrafung unangemessen sei. Mit seiner von der Selbsterhaltungspflicht, den seelischen Fakten, und dem Erlebnis des Täters von diesen Fakten her verstandenen Entschuldigungskonzeption kann Schmidhäuser die Regelung, wonach die Verursachung der Gefahr durch den Täter zur Folge hat, daß eine Entschuldigung ausgeschlossen ist, nicht mehr erklären. Denn um eine solche Regelung zu akzeptieren, müsse man von einer besonderen Pflicht ausgehen, die in der Gefahrverursachung begründet sei und die auch ein Pflichterlebnis des Verursachers herbeiführe, sich, wenn er selbst in Gefahr komme, hernach der Gefahr auszusetzen. Anders sei es bei der Anknüpfung von Unrecht und Schuld an einen Verhaltenszeitpunkt, der vor der Notstandshandlung liege215 . In den Fällen eines vorverschuldeten entschuldigenden Notstands dürfe sich die Schuld nur nach dem Handeln des Täters richten, durch das er sich in Gefahr begeben habe. So deutet Schmidhäuser den Ausschluß der Entlastung durch die "Anknüpfung an ein vorausgegangenes rechtsgutsverletzendes Verhalten: Wer sich in eine Notlage begibt, obwohl damit zu rechnen ist, daß er sich nur durch rechtswidrige Taten werde retten können, dessen Schuld richtet sich nur nach dem Handeln, durch das er sich in Gefahr begab."216 Hier soll also der Gedanke der actio libera in causazum Zuge kommen217 .
211
Schmidhäuser; Strafrecht, S. 462.
212 Schmidhäuser; Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, S. 179, Fn. 49: "denn z. B. der Sol-
dat, Polizist u.s.w., die Möglichkeit, sich bei der wirklichen Willensentscheidung durch die Unrechtseinsicht bestimmen zu können, durch die Berufszugehörigkeit nicht erworben werden können; die unrechtliehe Gesinnung des Täters aber könne dann verwerflicher sein, wenn der Täter sich zuvor sozusagen der Gemeinschaft gegenüber gebunden hat, solche Gefahr in gewissen Unfang auf sich zu nehmen"; siehe dazu auch Schmidhäuser; Strafrecht, S. 461, 469. 213 Schmidhäuser; Strafrecht, S. 461. 214 Schmidhäuser; Strafrecht, S. 460 f. 215 Schmidhäuser; Strafrecht, S. 468. 216 Schmidhäuser; Strafrecht, 11/21. Mit dem Verweis auf seine Theorie der actio libera in causa 8/97, 10/25.
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Weil Schmidhäuser davon ausgeht, daß beim entschuldigenden Notstand der Sachverhalt der Schuld schon vorausgesetzt ist und somit zwischen schuldbegründenden Elementen und solchen Elementen unterscheidet, bei denen die rechtliche Schuld nicht ausreicht, einen Vorwurf zu erheben, wäre er an sich berechtigt, die Fälle des verschuldeten entschuldigenden Notstands im Moment der Tat zu lösen. Fraglich bleibt hier also, aus welchem Grunde Schmidhäuser beim vorverschuldeten entschuldigenden Notstand die Herbeiführung der Gefahr als tatbestandliebes Moment für die Zurechnung betrachtet. Denn eine Behandlung des verschuldeten entschuldigenden Notstands bei der Herbeiführung der Gefahr wird von denjenigen Autoren vertreten, die die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens - wie die Schuldfabi.gkeit - als ein begründendes Moment der Schuld qualifizieren. Für sie ist es eine begriffliche Notwendigkeit, zu einem Zeitpunkt zurückzugehen, in dem dieses Element vorhanden ist, da der Defekt selbst beim Vorverschulden vorliegt. Die Fälle des entschuldigenden Notstands sollten also bei Schmidhäuser bei der Herbeiführung der Gefahrenlage nur dann zuzurechnen sein, wenn das Vorhandensein der "normalen Situation" ein konstitutives Moment der formellen strafrechtlichen Person wäre. Dies ist jedoch bei ihm nicht der Fall, denn begrifflich notwendig für seine Form der Konstitution der formellen strafrechtlichen Person sind allein die geistige Teilhabe des Taters und die allgemeine (Schuld-) Fähigkeit. Fraglich ist schon Schmidhäusers Schuldkonzeption. Er verwendet für die Erklärung der Schuld mehrere Begriffe: Schuldbegründung erfordere moralische (sittliche) Schuld und Rechtsschuld. Die Schuld ist für ihn ein auf die unrechtliehe Tat bezogener, zusätzlicher Umwertsachverhalt. Trotz Begründung der moralischen Schuld, also des Vorliegens des Sachverhalts, weswegen ein Vorwurf erfolge, könne wegen der Minderung der moralischen Schuld die Verwerflichkeit, und damit die Rechtsschuld, ausgeschlossen sein. Wenn Schmidhäuser sagt, daß "Schuld als unrechtliehe Gesinnung ... noch nicht gleichbedeutend mit Rechtsschuld"218 sei219, und daß die auf die unrechte Tat bezogene moralische Schuld allein für die Rechtsschuld nicht ausreiche220, so folgt daraus, daß die Begründung strafrechtlicher Schuld durch Schuldfahigkeit und Unrechtseinsicht für ihn nichts anderes ist als moralische Schuld. Dem widerspricht aber sein Vergleich mit dem Unrecht: Unrecht ist - wie die Rechtsschuld - "nur ein Ausschnitt aus dem Bereich sozialethisch-verwerflichen Willensverhaltens überhaupt"221 . Das heißt, daß nach seiner Lehre das allein entscheidende die Rechtsschuld ist. Liegt aber keine Situation des § 35 StGB oder kein sonstiger Entschuldigungsgrund vor, muß Schmidhäuser 217 Schmidhäuser; Strafrecht, S. 468 f. Kritisch dazu Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 225; Roxin, AT, 1. Auf!., S. 621; Hirsch, LK, 10 Auf!.,§ 35, Rn. 47; SK-Rudolphi, § 35, Rn. 11. 218 Schmidhäuser; Festschrift für Jescheck, S. 494. 219 Siehe schon die Kritik Jakobs', AT, 17 I 17: "Dem Täter in einer Lage nach § 35 StGB sind nicht- der Notlage wegen- die Grundwerte des Gemeinschaftslebens unzugänglich." 22o Schmidhäuser; Strafrecht, S. 460. 221 Schmidhäuser; Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, S. 180.
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trotzdem die Rechtsschuld bejahen, um die Strafbarkeit begründen zu können, sonst würde er die Bestrafung allein auf die moralische Schuld stützen. Unklar ist auch das Verhältnis von unrechtlieber Gesinnung und Rechtsschuld, insbesondere deshalb, weil bei der Rechtsschuld Kriterien verwendet werden, die für die Tatgesinnung keine Rolle spielen. Fraglich bleibt das Verhältnis der Rechtsschuld zu den in der moralischen Schuld enthaltenen Elementen, da teilweise präventive Elemente für beachtlich erklärt werden und teilweise nicht. Geht es nur bei den Entschuldigungsgründen um Verwerflichkeit, um präventive Kriterien, so ist dagegen einzuwenden, daß der Schuldbegriff in sich geschlossen sein muß. Entweder geht es um Tatsachen, wegen deren Vorhandenseins ein Vorwurf zu machen ist, oder es geht um die Vorwerfbarkeit selbst, dann aber bei allen Elementen. Dies gilt insbesondere, wenn man die Kritik Schmidhäusers an anderen Schuldbegriffen betrachtet. So kritisiert er am wertenden Schuldbegriff, daß dieser den Unwert der Schuld mit der Vorwerfbarkeit verwechsle und ebenso den kriminalpolitischen und funktionalistischen Schuldbegriff, weil er den Schuldsachverhalt mit der Zweckmäßigkeit des Strafeinsatzes vermenge. Statt dessen meint er, daß das Gesetz in § 35 StGB den Schuldsachverhalt vorausgesetzt habe. Bei seiner Lehre vom entschuldigenden Notstand sind jedoch zunächst zu der Verwerflichkeit noch weitere Elemente in die Bewertung einzubeziehen, nämlich die Selbsterhaltungspflicht und das seelische Erlebnis des Taters. Bei den Entschuldigungsgründen werden also der Sachverhalt der Schuld und der Vorwurf vermengt - so wie Schmidhäuser es selbst an der kriminalpolitischen und funktionalistischen Lehre kritisiert hat. Es werden verschiedenartige Begriffe verwendet, nämlich: das Erleben des Taters (Schuldsachverhalt) und das Mindestmaß an Verwerflichkeit, die nach seiner Ansicht getrennt bleiben müßten. Gegen den vorausgesehenen möglichen Einwand, daß seine Lehre die Grenze zwischen Recht und Ethik verwische, äußert sich Schmidhäuser folgendermaßen: "Wo eine Rechtsordnung nicht als verpflichtend, und das bedeutet notwendig: als sittlich verpflichtend, gesehen zu werden vermag - sei es nun im sittlichen Gehalt ihrer je einzelnen Gebote und Verbote, sei es im sittlichen Gehalt der staatlichen Ordnung als solcher, soweit sie in sittlich vertretbarer Weise das Gemeinschaftsleben regelt-, da kann sie nur noch staatliche Zwangsordnung sein" 222. Die Wirklichkeit einer Rechtsordnung aber, die nicht nur Gewaltanwendung ist, sondern Gesellschaft vollzieht, hängt aber nicht davon ab, ob sie sittlich verpflichtet, sondern allein davon, daß die Norm "den die Kommunikation leitenden Maßstab abgibt, also bestimmt, an welches Verhalten wie anzuschließen ist. " 223 Denn "Normen leiten nicht Verhalten, sondern deuten es als zu einer Ordnung gehörend oder nicht, und soweit sie sanktioniert sind, wird die Ordnung stabilisiert, indem Abweichungen zu Marginalien degradiert werden." 224 Für die Wirklichkeit der 222 223 224
Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, S. 183. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 52. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 54.
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Rechtsordnung, d. h. damit sie nicht als Zwangsordnung betrachtet wird, muß darauf abgestellt werden, ob sie "das maßgebliche Interpretationsmuster für das Verhalten liefert, und zwar, da es um Gesellschaft geht, in der Kommunikation und nicht notwendig im individuellen Bewußtsein'm5 . Die Moral ist im Recht nicht unmittelbar anschlußfahig226. Zu der Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität und zum Vergleich zwischen Unrecht und Schuld ist weiter zu sagen, daß als spezifisch strafrechtlich nur ein Verhalten in Betracht kommen kann, das als schuldhaftdefiniert wird227• Das heißt im hiesigen Kontext, daß "strafrechtlich illegal" nur das schuldhafte Verhalten erscheinen kann228• Die Unterschiede zwischen Legalität und Moralität werden also bezüglich des strafrechtlichen Unrechts verwischt. Der Handlungsunwert (die Illegalität) umfaßt schon in der Sprache Schmidhäusers den Gesinnungsunwert (das unmoralische Handeln). Hinsichtlich des Verhältnisses von Schuldzuschreibung und Substanz des Schuldsachverhalts gilt wiederum das oben bereits zu Baumann und Sehröder Gesagte entsprechend: Im Strafrecht und für das Strafrecht existiert die Welt und damit auch das Einzelverhalten und die Konstitution des Einzelnen überhaupt nur in der spezifischen Sprache des Strafrechts. Damit wird die Bildung eines Schuldsachverhalts unmöglich, der - zudem: sachlich verschiedene - Bereiche wie psychisches Erleben und Vorwurf miteinander verknüpft. 2. Alle zur Schuld gehörenden Elemente sind schuldbegründend - Stratenwerth
Nach der Ansicht Stratenwerth229 kann das mit Strafe verbundene Unwerturteil nur dort ausgesprochen werden, wo nach der Feststellung der Schuld der Vorwurf erhoben werden dürfe, der Täter habe sich anders bestimmen können. Schuld enthalte die Möglichkeit, die rechtliche Solleusforderung zu erkennen und sich nach ihr zu richten: die Möglichkeit der verantwortlichen Entscheidung 230 . Sie soll somit als die Feststellung des "Zuriickbleibens hinter dem Maß an Rechtsgesinnung und Willenskraft" verstanden werden231 . Zu dem Unwert, der im Unrecht festgestellt worden ist, soll also ein in der Schuld bestehender Sachverhalt von Momenten, deren Feststellung bewertet wird, hinzukommen. Es geht also nicht darum, Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 55. Luhrrumn, Das Recht der Gesellschaft, S. 78, 85. 227 Vgl. dazu Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, passim. 228 Vgl. Lesch, Verbrechensbegriff, S. 203 ff. und passim. 229 Stratenwenh, Strafrecht, S. 155. 230 Stratenwenh, Strafrecht, S. 77. 231 Stratenwenh, Strafrecht, S. 157. Bei Stratenwerth wird hier also schon über Gesinnungsmomente gesprochen. 225
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den das tatbestandsmäßige Unrecht bildenden Sachverhalt zu erneuern und unter einem anderen Gesichtspunkt zu bewerten, sondern um einen neuen Sachverhalt, der einer weiteren Wertung unterziehen sein soll232• Stratenwerth vertritt folglich einen komplexen Schuldbegriff. Bezugspunkt der Schuld sei allein die Freiheit, sich zum rechtlich Gesollten zu bestimmen, die bei allen drei - im folgenden aufgezählten - Elementen der Schuld233 vorhanden sein müsse, um einen Schuldvorwurf erheben zu können 234 : Erstens müsse der Täter im Zeitpunkt der Tat fähig gewesen sein, der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens innezuwerden und sich nach Rechtsnonnen zu richten (Schuldfähigkeit), zweitens müsse der Täter um das Unrecht gewußt oder die Möglichkeit gehabt haben, darum zu wissen (Verbotskenntnis), und drittens dürfe die Tat nicht in außergewöhnlicher Bedrängnis begangen worden sein, so daß sie als entschuldbar erscheine (Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens235 ). Den einheitlichen Sachzusarnrnenhang aller drei Momente verweise die Frage nach der persönlichen Verantwortung236. Hier wird nicht nur der Obertitel der Schuld, also die Möglichkeit, "die rechtliche Solleusforderung zu erkennen und sich nach ihr zu richten" genannt, vielmehr werden innerhalb desselben die verschiedenen Momente aufgezählt, die den Ausschluß der Schuld bewirken können. Nach Stratenwerths Definition gehören zum Begriff der fonnellen strafrechtlichen Person also nicht nur innere Momente Schuldfähigkeit und Unrechtskenntnis -, sondern ebenso äußere Umstände, die die Freiheit des Täters beschränken, sich zum rechtlich Gesollten zu bestimmen. Denn nach Stratenwerth können andere Griinde als psychische Störungen dem Täter "nicht nur die Einsicht in das Unrecht der Tat, sondern auch den Entschluß erschweren, nach dieser Einsicht zu handeln." Der Schuldausschluß trete ebenso unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit "in Gestalt außergewöhnlicher Hemmnisse für eine nonngemäße Entscheidung" ein237 • Stratenwerth gibt allen Elementen der Schuld die gleiche Bedeutung, denn alle könnten in gleicher Weise die Schuld ausschließen. Die Differenzierung zwischen den Fällen der Schuldfähigkeit, die die Schuld begrifflich ausschließen, und denjenigen der Unzumutbarkeit (u. a. des entschuldigenden Notstands), bei denen es im Gegensatz dazu nur um die Nicht-Erhebung eines Vorwurfes geht, trifft er also nicht. Das Untelassen dieser Unterscheidung bezüglich des Charakters der in der Schuld enthaltenen Elemente führt zu Konsequenzen für die Fälle des Vorverschuldens bei der Zumutbarkeit- unter anderem beim entschuldigenden Notstand- und für die Fälle der Schuldfähigkeit Bei dieser Ausgangslage könnte man davon ausKritisch zum rein wertenden Schuldbegriff, Stratenwerth, Strafrecht, S. 155 f. Es geht bei Stratenwerth, Strafrecht, S. 77, in der Wertungsstufe der Schuld nicht um positive Voraussetzungen, sondern um Ausschlußgriinde. 234 Stratenwerth, Strafrecht, S. 77, 155 f. 235 V gl. Stratenwerth, Strafrecht, S. 177 f. 236 Stratenwerth, Strafrecht, S. 156. 237 Stratenwerth, Strafrecht, S. 178. 232 233
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gehen, daß - sollen alle Elemente der Schuld im gleichen Maße die Schuld begründen bzw. ausschließen- das Fehlen dieser Elemente im Moment der Tat notwendigerweise zu einem Ausschluß der Schuld führen müßte, so wie die Lehre von normativen Charakter der Schuld die Fälle des Nichtvorhandenseins eines unentbehrlichen Elements der Schuld behandelt hat. Die Zurechnung des Vorverschuldens müßte also bei der Herbeiführung des Defektzustandes und nicht im Moment der Tat erfolgen, d. h. in einem Zeitpunkt, in dem das in Frage kommende konstitutive Element vorhanden ist. Die Problematik des Vorverschuldens wird jedoch in der Konzeption Stratenwerths anders gehandhabt. Denn die Freiheit, sich für das Recht zu entscheiden, und damit die Zurechnung der Schuld, soll nur voraussetzen, daß der Tater die ,,rechtliche Qualität seines künftigen Verhaltens in Erfahrung bringen konnte, bevor er handelte, aber nicht, daß dies auch im Zeitpunkt der Tat noch möglich gewesen wäre. " 238 Stratenwerth kritisiert239 die Unterscheidung zwischen den Fällen des Verlustes der Schuldflihigkeit und denen des entschuldigenden Notstands sowie die Lehre, daß bei den ersteren die Schuld, bei den letzteren aber nur die präventive Bestrafungsnotwendigkeit enfalle. Denn dies sei eine beliebige Unterscheidung, die nicht erlaube, eine einheitliche Lösung für den Moment der Tat zu finden240. So führt Stratenwerth aus: "Daß der Schuldausschluß durch Notstand keinen übermächtigen psychischen Druck voraussetzt, heißt nicht umgekehrt auch, daß der Notstandstäter immer schuldhaft handele; außerdem müßte jenes Argument auch bei der Schuldfahigkeit gelten, bei der zumindest über den Ausschluß des Hemmungsvermögens ebenfalls nach normativen Kriterien entschieden wird."241 Das von Stratenwerth vertretene Modell beim verschuldeten Fehlen der Schuldflihigkeit sieht die "Tat" nicht schon in der Herbeiführung der Schuldunfahigkeit, sondern erst in der Vomahme der eigentlichen tatbestandsmäßigen Handlung242. Vorverlegt sei also nicht die "Tat", sondern allein die zum Delikt führenden Steuerungsvorgänge (des verantwortlichen Taters). Das Erfordernis des Koinzidenzprinzips dürfe nicht strenger verstanden werden als nach dem Schuldprinzip geboten. Dann lasse sich aber die Auffassung vertreten, daß der gewohnheitsrechtlieh anerkannte Ausschluß des § 20 StGB in den Fällen der actio libera in causa noch eine zulässige Auslegung des Gesetzes sei243. Stratenwerth schlägt vor, hinsichtlich dieser Unterscheidung bei der actio libera in causa "über den Schatten der Stratenwerth, Gedächtnisschrift für Arrnin Kaufmann, S. 491. Stratenwerth, Gedächtnisschrift für Arrnin Kaufmann, S. 491 ff., 493. 240 Zur Position Stratenwerths hinsichtlich des verschuldeten Verlustes der Schuldfähigkeit, siehe unten zu den Konsequenzen bei der actio libera in causa. 241 Stratenwerth, Gedächtnisschrift für Arrnin Kaufmann, S. 496 f.; ebenso das folgende Zitat. Siehe zur Anwendung normativer Kriterien bei der Schuldfähigkeit, dens., Strafrecht, Rn. 542. 242 Stratenwerth, Strafrecht, S. 166; ders., Gedächtnisschrift für Arrnin Kaufmann, s. 492 f., 499. 243 Stratenwerth, Strafrecht, S. 166. 238
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Tradition zu springen". Er möchte auch die Fälle des verschuldeten entschuldigenden Notstands244 nach einer allgemeinen Theorie lösen, die sämtliche Fälle des Vorverschuldens einzubeziehen versucht. Hiermit scheint auf den ersten Blick ein wichtiger Schritt für eine Definition der formellen strafrechtlichen Person, d. h. des Subjekts einer strafrechtlichen Zurechnung, gemacht worden zu sein. Mit Stratehwerths Definition der Freiheit und seiner Konzeption von der Zurechnung zur Schuld könnte angedeutet sein, daß nicht auf Seinsstrukturen abzustellen ist, sondern daß die Person erst im Normativen, erst in der Kommunikation geschaffen wird. Wenn also Stratenwerth nach den Voraussetzungen fragt, unter denen der Täter gehalten ist, ein Delinquieren im Zustand ausgeschlossener Schuld zu vermeiden245 , scheint er die Schuld prima facie nicht anband vorrechtlicher Bestimmungen definieren zu wollen. Woher soll aber in seiner Konzeption der Maßstab kommen, "dafür zu sorgen, daß (der Täter) die eigene Fähigkeit, sich durch die Rechtsnorm bestimmen zu lassen, nicht (aufhebt) oder sogar ( ... ) überhaupt erst (herstellt)" 246? Soll der Maßstab nicht in den psychischen Fähigkeiten des Täters liegen, also im intellektuellen "Wesen" des Menschen, müßte er vom objektiven Kontext, also von der Gesellschaft, festgelegt werden. Diese Konsequenz hat Stratenwerth jedoch nicht gezogen. Die einheitliche Behandlung des Vorverschuldens bei der Schuldfähigkeit und beim entschuldigenden Notstand läßt sich aus seiner Lehre heraus nicht verstehen. Denn seit seinem Aufsatz "Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips"247 bestreitet Stratenwerth eine Aufhebung des traditionellen Schuldprinzips, das am Andershandelnkönnen, dem an einem sittlichen Vorwurf orientierten Verständnis ausgerichtet ist248. Stratenwerth kritisiert in dieser Arbeit unter anderem die generalpräventiven Konzeptionen, die nach seiner Ansicht die "wirkliche" (sachliche) Schuld nicht als Voraussetzung der Strafe zu benötigen scheinen249. Das Schuldprinzip muß nach seiner Ansicht, um als Korrektiv gegenüber präventiven Bedürfnissen zu dienen, auf Sachzusarnmenhänge gestützt, und darf nicht auf Bedürfnisse der Prävention zurückgeführt werden250. Er versucht, in dieser Arbeit zu beweisen, daß demgegen244 Der entschuldigende Notstand sei nach dem Grundgedanken schuldausschließender Unzumutbarkeit zu behandeln. Die Begründung des Schuldausschlusses verläuft nach der Lehre der doppelten Schuldmilderungsgründe. Die Schuld entfalle hier nicht ganz, aber liege unterhalb des strafrechtlich Erheblichen; Stratenwerth, Strafrecht, S. 178. 245 Kritisch zu der Auffassung Stratenwerths: Jakobs, Festschrift für Lee, S. 929; ders., AT, 19/37. 246 Stratenwerth, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 498. 247 Siehe auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Lehre der Strafzwecke, Stratenwerth, Was leistet die Lehre von den Strafzwecken?, 1995. 248 Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 28 ff. und passim. 249 Im Gegensatz zu dem, was von den Vertretern dieser Lehre behauptet wird, vgl. die Lehre Roxins, der in seiner Konzeption davon ausgeht, daß die Strafe schon aus Gründen der Generalprävention Schuld voraussetzt, siehe dazu Roxin, Kriminalpolitik, S. 33.
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über Zuschreibungsprozesse Sachgesetzlichkeiten folgen. Generalpräventive Bedürfnisse beeinflußten die Schuld, das Schuldprinzip aber müsse gewahrt werden25t . Hier werden also Widersprüche sichtbar. Zuzustimmen ist Stratenwerth bezüglich der zum Vorverschulden getroffenen Aussagen nur im Ergebnis der einheitlichen Behandlung. Solange man aber - wie Stratenwerth es offensichtlich macht -, ein Strafrecht betreibt, in dem die rechtliche Motivation des Täters ohne die Bewertung durch rein rechtliche Größen entscheidet, wird man auf die von den Vertretern eines Tatbestandsmodells geübte Kritik verwiesen, daß bei der Tat - soweit der Täter nach dem Maßstab des Andershandelnkönnens schuldunfähig ist - keine Zurechnung stattfinden kann. Weil Stratenwerth die Schuldfähigkeit und die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens als konstitutive Elemente eines Schuldvorwurfs behandelt und nicht zwischen Schuldausschließung und Entschuldigung unterscheidet, müßte er also - um seiner Konzeption der Schuld Rechnung zu tragen und gleichzeitig eine einheitliche Lösung des Vorverschuldeus anzubieten - alle diese Fälle im Moment der Herbeiführung des Defektzustandes bzw. der Notstandslage behandeln, in dem dem Täter das ,,Zurückbleiben hinter dem Maß an Rechtsgesinnung und Willenskraft" zum Vorwurf gemacht werden kann, und nicht bei der Begehung der Tat, wenn dieser Vorwurf- nach seinen eigenen Prämissen - nicht erhoben werden kann. Gehören nämlich nach seiner Ansicht zur Schuld all die oben genannten Elemente, so heißt das, daß das Subjekt der strafrechtlichen Zurechnung in dieser Form begriffen wird. Sind diese im Moment der Tat nicht festzustellen, so ist die strafrechtlich Person nicht vorhanden, es kann keine Zurechnung stattfinden; dies auch nicht, wenn das Fehlen verschuldet worden ist. Denn in diesem Fall müßte Stratenwerth behaupten, daß eine Identität zwischen dem Zustand besteht, den er "Schuld" nennt, und dem, den er "verschuldete Schuldunfähigkeit" nennt. Wenn er aber eine Identität zwischen beiden Zuständen behauptet, wird er seinen eigenen Prämissen untreu. Denn wenn das zweite identisch mit dem ersten wäre, warum nennt er es dann nicht Schuld? Schließlich ist auch die bei Stratenwerth vorhandene Vorstellung eines Schuldsachverhalts zu kritisieren. Wie bereits mehrfach oben ausgeführt, gibt es erstens für das Strafrecht keinen besonderen Schuldsachverhalt, der neben einem anderen Unwertsachverhalt existieren könnte, sondern nur Unrecht, das Schuld ist252. Zweitens kann das Verstehen eines Sachverhalts niemals ohne die das Verstehen konstituierenden Wertungen vorgenommen werden. Es gibt keine strafrechtlich "wirkliche Schuld" außerhalb der Zuschreibung von Schuld253 . Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 31, 33 u. a. Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 43. 252 Siehe Lesch, Verbrechensbegriff, S. 203 ff. 253 Siehe ebenso kritisch zu der Vorstellung Stratenwerths: Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 144. 250
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C. Die Untauglichkeit eines auf einen materiellen Gehalt der Schuld abstellenden Kriteriums der Zurechnung I. Die Verfehlung des Begriffs der formellen strafrechtlichen Person Abgesehend von der intrasystematischen Kritik, die an der traditionellen Lehre vom Andershandelnkönnen oder von der mißbilligten Rechtsgesinnung oben vorgenommen wurde, ist diese Lehre wegen des materiellen Inhalts der Schuld zu verwerfen254. Dies ergibt sich aus der Notwendigkeit der Erhaltung einer funktionierenden Gesellschaft als "Bedingung der Subjektivität"255 . Die oben behandelte Lehre der Schuld vernachlässigt die notwendige Sicht des Ganzen. Sie stellt nämlich auf das Individuum ab, ohne Rücksicht auf den Kontext, in dem das Individuum seine Verwirklichung als Person im Recht findet: die Gesellschaft. Diese wird durch ein Rechtssystem ausdifferenziert, das funktionieren muß, um die Gestalt der Person zu sichern. Im Gegensatz dazu kennt die "enge" Sicht dieser traditionellen Lehre der Schuld keine Person im Recht, sondern nur Individuen. Durch das Abstellen auf einen materiellen Inhalt der Schuld, auf die rechtliche Motivation, bleibt die Zurechnung auf der Ebene des Individuums, auf der sich aber das Strafrecht nicht vollzieht, was bedeutet: die Bedingung der Subjektivität wird nicht verwirklicht. Denn das Strafrecht bewegt sich auf der Ebene der Kommunikation. Dann müssen aber die Begriffe auf der gleichen Ebene gebildet werden. Formelle Person, Zurechnung und Strafrecht bewegen sich nicht auf einer psychologisch-motivatorischen, sondern auf einer normativen Ebene256, was bedeutet, daß zunächst auf das Individuum, auf sein Dafür-Können für die rechtliche Motivation als solche, keine Rücksicht genommen wird. Da diese Begriffe sich auf einer normativierenden Ebene bewegen, vollziehen sie in der Kommunikation notwendigerweise die unabdingbare Bedingung der Erhaltung der Subjektivität durch die Erhaltung der objektiven Welt. Dafür ist aber der Verzicht auf einen "empirischen" bzw. "materiellen" Gehalt der Schuld notwendig.
II. Das Fehlen eines Bezugs der Schuldfahigkeit zur Straftat Bei der Lehre des traditionellen Schuldbegriffs wurde die Schuldfähigkeit nicht unmittelbar auf die spezifische Funktion des Strafrechts bezogen. Dies war die 254 Dies ist schon von Jalwbs seit "Schuld und Prävention" vertreten worden. Siehe auch die Ansicht Roxins seit "Krirninalpolitik und Strafrechtsdogmatik", der aber auf das Kriterium des Andershandelnkönnens nicht vollkommen verzichtet. 255 Siehe dazu Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 851; dens., Norm, Person, Gesellschaft, S. 37, 92f. 256 Dazu eingehend Lesch, Verbrechensbegriff, S. 175 ff.
C. Untauglichkeit eines auf materiellen Gehalt der Schuld abstellenden Kriteriums
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Konsequenz daraus, daß die Schuld insgesamt ein Merkmal ohne besondere Bedeutung innerhalb der Straftat darstellte. Wird mit der Lehre des traditionellen Schuldbegriffs die Schuld nicht als Aspekt der ganzen Straftat in ihrer Einheit betrachtet, sondern als selbständiges Element gegenüber den restlichen Merkmalen257, so wird mit der alleinigen Behandlung der Schuld die Einheit der Straftat nicht berücksichtigt, und damit werden die Straftat und die Strafe auch nicht begründet; die Lehre des traditionellen Schuldbegriffs hat sich lediglich mit der intrasystematischen Erklärung von Aufbauproblemen beschäftigt, wobei die innere Logik und Systematik der verschiedenen Momente der Straftat von Bedeutung war. Dies läßt sich auch dadurch erklären, daß die Funktion, die das Strafrecht in der Zeit zu verwirklichen haben sollte, der Schutz vor Rechtsgüterverletzungen w~ss.
So erfuhr nach dem aufgegebenen hegelianischen System die Schuldfähigkeit bzw. die Schuld innerhalb des Verbrechensaufbaus keine besondere Behandlung. Seit der überkommenen naturalistischen Sicht des Strafrechts, in der es um die Ereignisse in der Außenwelt ging, hat man also zwischen Tat und Täter bzw. zwischen Unrecht und Schuld unterschieden: Unrecht war die Wertung der Tat, Schuld die Wertung des Taters259. Diese waren Elemente einer Straftat, die nicht miteinander in Verbindung gebracht worden sind und auch nicht als Aspekt der Einheit der Straftat verstanden wurden260. Es fehlte ein tertium comparationis, das die Normverletzung ist; das Unrecht ist die Normverletzung, die Schuld die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit, also die Fähigkeit zur Normverletzung. Die Straftat wird aber bei der herkömmlichen Lehre durch die Rechtsgutsverletzung begründet261 , die mit dem Unrecht schon komplett ist. Das Unrecht wird also zum Zentrum des Straftatbegriffs262, denn soweit die Schuld mit dem Unrecht in Verbindung gebracht wird, kann sie nur ein Zusatz zum Unrecht sein, aber nicht das Unrecht selbst definieren. Dazu komme unabhängig davon die Fähigkeit des Taters zur Normeinsicht, die aber- da es bei der Straftat nicht um Normverletzung 257 Siehe zur Zerlegung der Handlung in zwei selbständige Stücke Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 71. 258 Siehe dazu von Bubnoff, Handlungsbegriff, S. 134 ff., 137. 259 Siehe dazu erläuternd Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 30; vgl. Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 71; siehe ebenso die Darstellung von Bubnoffs, Handlungsbegriff, S. 134 ff., 138 f.; ferner Lesch, Verbrechensbegriff, S. 1 ff. m. w. N. 260 Sei es, daß die Schuld als ein komplexer Begriff verstanden wird, wobei sie einen realen Gegenstand bekommen soll, sei es, daß sie als ein rein wertender Begriff betrachtet wird, wobei der Gegenstand der Schuld, der des Unrechts ist, so fehlt bei der normativen Schuldlehre das Tat und Täter verbindende Band der Zurechnung der Schuld. Siehe zu dieser Kritik Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 34. 261 Siehe dazu Mezger, Strafrecht, S. 164; Baumann, Strafrecht, 7. Aufl., S. 9; Annin Kaufmann, in: Strafrechtsdogmatik zwischen Sein und Wert, S. 263 ff.; Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl., Vorbem. § 13, Rn. 8. 262 Siehe dazu Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 34.
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gehe- nicht als Fähigkeit überhaupt zum Verbrechen zu deuten wa?63 . Es gehe zunächst um Prävention, d. h. darum, das Unrecht zu verhindern264. Werde das Unrecht als Rechtsgutsverletzung definiert, so könne nicht die Schuld - um in Verbindung zu bleiben, und damit die Straftat zu begründen - die Fähigkeit sein, ein Rechtsgut verletzen zu können. So bleibt hierbei die Schuld als selbständige, unabhängige und zusätzliche Wertung zum Unrechtsunwert. Sie hat nur die Funktion der Einschränkung und Begrenzung staatlicher Macht. Das Unrecht wird dabei nicht als Grund, sondern allein als Voraussetzung für die Strafe behandelt265 . Werden aus dem Rechtsgut die Norm und der Unrechtsbegriff abgeleitee66, so kann dieser Unrechtsbegriff niemals die Strafe begründen, denn das Rechtsgut ist durch dessen Verletzung schon verloren, und dann wäre die Strafe allein eine "Sequenz zweier Übel"267 . Die Schuld steht nicht allein im Verbrechensaufbau, sondern sie hat erst einen Sinn, wenn sie Voraussetzung eines Unrechts ist und gleichzeitig ein Unrecht voraussetzt; d. h. wenn Unrecht und Schuld funktionell stets unter Bezug der Funktion des Strafrechts aneinander gekoppelt sind. Geht es um die Bestätigung eines Bestands von Nonnen, so steht die Schuldfähigkeit in direktem Bezug zu der Funktion des Strafrechts, und die Stellung der Schuld in der Systematik der Straftat ist eine andere. Dies geschieht jedoch nicht, solange die Schuld nicht auf das Unrecht bezogen wird. Die Lehre des traditionellen Schuldbegriffs wird also insofern kritisiert, als die Schuld nicht in Verbindung mit den anderen Elementen steht und auch nicht in Verbindung mit der Einheit der Straftat268 . Die Stellung der Schuld im Systemaufbau, unabhängig und getrennt vom Unrecht, läßt sich mit Lesch als die genetische Trennung von Tat und Täter erklären: "Das störende Ereignis wird ... als Veränderung der Außenwelt, scil. als Rechtsgut(objekts)verletzung (bzw. -gefährdung) definiert. Weil sich eine solche Außenwehsveränderung jedoch schon unabhängig von der Person des Täters feststellen läßt, bedarf es, bevor das Vorliegen eines Verbrechens, also einer strafbaren Tat, endgültig konstatiert werden kann, noch einer weiteren Operation, nämlich der Herstellung einer verbindenden Beziehung zwischen der Tat und dem zu bestrafenden Täter, eben der Zurechnung" 269. Nicht erst bestimmte Momente der Zurechnungsfähigkeit - wie der entschuldigende Notstand als Aspekt der Zumutbarkeit -, sondern schon die Zurechnungsfähigkeit als solche, d. h. die Verbrechensfähigkeit muß nonnativiert werden, wenn 263 Siehe zu einer Gleichsetzung von Schuldfähigkeit und Verbrechensfähigkeit Lesch, Verbrechensbegriff, S. 224. 264 Vgl. Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 36 ff. 265 Siehe dazu Lesch, Verbrechensbegriff, S. 181. 266 Siehe dazu Kaufmann, Normentheorie, S. 69 ff.; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 182. 267 Siehe dazu Lesch, Verbrechensbegriff, S. 182. 268 Siehe Schild, Die Merkmale der Straftat, passim. 269 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 1 f.
D. Schuld und Vorverschulden nach der Lehre von der positiven Generalprävention
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es um den Erhalt der "Bedingungen der Subjektivität" und nicht um eine "Glückseligkeitsverwaltungslehre"270 gehen soll. Erst eine "Normativierung des Anfangs" bzw. des "Eingangs" in das strafrechtliche System und nicht eine Normativierung innerhalb eines dann kognitiv konzipierten strafrechtlichen Systems von Individuen kann eine reine und konsequente Behandlung des Vorverschuldens leisten, wobei dann die Zurechnung als das Recht des Täters verstanden wird. Der "materielle" Gehalt der Schuld geht aber erst verloren, wenn die Schuld mit der Funktion der Bestätigung des Normbestands in Verbindung gebracht und auf der Ebene der normativen Zurechnung gearbeitet, also nicht das Individuum, sondern die Person im Recht in Anspruch genommen wird. Wird also die Schuld mit dem Unrecht und mit der Begründung der Straftat in Verbindung gebracht, dann wird die Schuldfähigkeit als die Fähigkeit zum Bruch einer Norm verstanden, und so wird die Schuld nicht mehr als ein psychisches Faktum, sondern als ein normatives Urteil rekonstruiert.
D. Schuld und Vorverschulden nach der Lehre von der positiven Generalprävention Unter einer Theorie der positiven Generalprävention soll im Grundsatz eine Straftheorie verstanden werden, die die Funktion der Strafe271 in der Erhaltung der Normanerkennung bzw. -geltung betrachtet272 . Die vorgesellschaftliche, "enge" Sicht des Strafrechtssubjekts der traditionellen Schuldlehre vom Andershandelnkönnen soll durch die Berücksichtigung der normbezogenen Bedürfnisse der Gesellschaft verlassen werden, indem auf einen "empirisch" materiellen Gehalt der Schuld - auf dessen Notwendigkeit das Schuldprinzip verweisen soll - verzichtet wird. Dabei unternimmt man den Versuch, die Frage der Zurechnung zur Schuld ohne Rückgriff auf die theoretisch nicht beantwortbare, aber von der traditionellen Lehre aufgeworfene Frage der Willensfreiheit zu erklären. Es sollen präventive Erwägungen innerhalb der Schuld deren "empirisch" materiellen Gehalt ergänzen bzw. sogar voll bestimmen273 . 270 Zu den Begriffen siehe Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 851 und dens., Norm, Person, Gesellschaft, S. 108 f. 271 Kritisch zur Aufhebung der Trennung der Begriffe Funktion und Begründung: Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 43 und passim. 272 Die herrschende Lehre kann, nach der Meinung Schilds, AK, Vorbem. § 13, Rn. 68, 70 ff., mit der Annahme einer Präventionsaufgabe des Staates nicht begründen, warum diese mit der Strafe verwirklicht werden könne, denn dafür bedürfe es des Rückbezugs auf die begangene, in der Vergangenheit liegende Straftat des Täters. 273 V gl. zu einer Ergänzung Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl., S. 33 f. und passim; für eine Ersetzung der Schuld durch Prävention plädiert Jakobs, Schuld und Prävention, S. 20 ff. und passim.
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§ 2 Die Entwicklung des Schuldbegriffs
Geht man von einer darin liegenden Abkehr vom traditionellen Schuldbegriff aus, so ließe sich vermuten, daß schon der Begriff der Zurechnung bzw. die unterschiedlichen Momente der Zurechnungsfähigkeit und nicht allein die Momente der Zumutbarkeit normativiert werden könnten, was bedeutet, daß die Unterscheidung zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung aufgehoben werden könnte. Denn gerade die Forderung nach einem "materiellen" Schuldmoment hat die traditionelle Lehre daran gehindert, die Schuldbegründung nicht nach den gleichen Maßstäben wie die Entschuldigung zu beurteilen274 . Freilich wird zu zeigen sein, daß auch die in der Literatur erarbeitete Lehre von der positiven Generalprävention insoweit, als der Inhalt des traditionellen Schuldprinzips275 durch ein in der Gesellschaft vorhandenes angemessenes Gerechtigkeitsprinzip ersetzt wird, einen substantiellen Inhalt der Schuld verfolgt276. Innerhalb der Lehre von der positiven Generalprävention lassen sich grob drei Strömungen unterscheiden. Die erste bildet das Modell Roxins, das sich als Verbindung zwischen Prävention und traditionellem Denken verstehen läßt277 . Im Gegensatz zum Ansatz Roxins verfolgt das Modell Jakobs' 278 eine vollständige Ersetzung des traditionellen Denkens durch generalpräventive Aspekte. Der größte Teil der Lehre der positiven Generalprävention versucht schließlich vermittelnd eine Rekonstruktion des traditionellen Denkens unter Rückgriff auf außerrechtliche Gerechtigkeitskonzeptionen. Im folgenden sollen diese drei Varianten und ihre Konsequenzen ft.ir das Vorverschulden erarbeitet werden.
I. Materielle Schuld und Prävention - Das Modell Roxins Der materielle Gehalt der Schuld muß nach Roxin als Voraussetzung der strafrechtlichen Zurechnung bei der Schuldbegründung und bei der Zumutbarkeit berücksichtigt werden279. Roxin versucht ein teleologisches Strafrechtssystem auszuarbeiten280; dabei werden die einzelnen Deliktskategorien unter dem Blickwinkel ihrer kriminalpolitischen Funktion gesehen, denn das Strafrecht sei die Form, in der kriminalpolitische Zielsetzungen in den Modus rechtlichen Geltens überführt Siehe dazu oben§ 2 B. Siehe zur weiteren Anwendung des Schuldprinzips Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 48 ff. bis Rn. 72. Nur die Schuld könne die Strafe begründen; die präventiven Erwägungen richteten sich an die Zukunft und hätten mit der Begründung der Strafe nichts zu tun. 276 Siehe hierzu auch Frister; Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 27 ff., 34 ff., 45 ff. 277 Roxin, Festschrift für Bockelmann, S. 285. 278 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 14 und passim. 279 Denn dabei sei das Vorhandensein von Schuld schon vorausgesetzt, siehe Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtsystem, S. 34; ders., Festschrift für Henkel, S. 183. 280 Siehe dazu auch Lesch, Verbrechensbegriff, S. 166 ff. 274 275
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würden281 . Auf diese Art versucht Roxin, alle Deliktskategorien durch ihre krirninalpolitischen Funktionen zu einer systematischen Einheit zu bringen282. Die jeweiligen Einzelfunktionen seien teilweise unterschiedlicher Art, die Schuld sei von der Strafzwecklehre her geprägt283 . Das Verständnis Roxins von der Funktion des Strafrechts beruht dabei auf der Vorstellung, daß es im Grundsatz um Verhaltenssteuerung 284 gehe: Menschen könnten durch Normen und Werte in ihrem Verhalten bestimmt werden285 . Das Übertreten einer Norm bewirke eine Erschütterung des allgemeinen Rechtsbewußtseins, der entgegengewirkt werden müsse, indem die Norm in ihrer Geltung durch die Bestrafung des Täters behauptet werde. Daraus folge, daß eine Strafe als unnötig und unangemessen erscheine, wenn der Mensch durch das Gesetz nicht motiviert werden könne286. Um die Beziehung von Schuld und Prävention zu bezeichnen, verwendet Roxin den Begriff der "Verantwortlichk.eit"287. Die Kategorie der Verantwortlichkeit ersetze jedoch nicht die Schuld288 : "Die Schuld wird nicht angetastet oder umdefiniert, sondern bleibt als Voraussetzung der Strafbarkeit in vollem Umfange erhalten"289. Die Schuld290 sei bloß zu ergänzen durch zweckgeleitete Sanktionskrite281 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 40: Eine Trennung von dogmatischer Konstruktion und kriminalpolitischer Richtigkeit sei unmöglich. 282 Dafür verdient Roxin schon höchstes Lob, denn die herkömmliche Lehre -jedoch nicht ohne Ausnahmen, siehe dazu Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem. § 13, Rn. 12- hat die verschiedenen Kategorien der Straftat als selbständige und unabhängige Elemente verstanden. 283 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 33: Der Tatbestand stehe unter dem Leitmotiv der Gesetzesbestimmtheit; die Rechtswidrigkeit sei der Bereich der sozialen Konfliktlösungen, S. 15. 284 Zu einer Unterscheidung zwischen Verhaltenssteuerung und Erwartungssicherung siehe Luhmann, ARSP Beiheft Nr. 8, 1974, S. 31 ff. 285 Roxin, ZStW 96 (1984), S. 652. Ähnlich Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 143; Rudolphi, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 69, 71. Dabei werden die Normen prinzipiell als Imperative verstanden, die auf das Bewußtsein des Menschen einwirken können. Die Beeinflußung des Bewußtseins des Menschen kann in anderen Systemen wie Erziehung oder Moral eine wichtige Rolle spielen, noch mehr: kann sogar die konstitutive Prämisse für die Erhaltung des Systems sein; das Recht aber als eine objektive Welt kann und muß unabhängig von seiner Wirkung im Bewußtsein des einzelnen funktionieren. Siehe ebenso kritisch dazu Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 844 f. 286 Roxin, ZStW 96 (1984), S. 652. 287 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtsystem, S. 34. Kritisch zum Begriff der Verantwortlichkeit Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 138. 288 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtsystem, S. 34. Kritisch dazu Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 140, der der Auffassung ist, daß die individuelle Zurechnung sich allein aus einer präventiven Deutung herleiten und begrenzen lasse. Kritisch zur Beibehaltung des "Schuldreservats" Burkhardt, GA 1976, S. 325. Siehe jedoch die Anmerkungen Roxins, Festschrift für Henkel, S. 182, 186, die in die Richtung einer die Schuld ersetzenden Kategorie der Verantwortlichkeit weisen.
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rien, und beide Formen seien in der Deliktskategorie der Verantwortlichkeit zusammenzufassen291. Die Verantwortlichkeit bilde also die zu dem Unrecht hinzukommende Deliktskategorie. Das Vorliegen der Verantwortlichkeit setze zwei Elemente voraus, die Schuld des Taters im traditionellen Sinne - die keine hinreichende Bedingung eines Vorwurfs sei- und die "präventive Notwendigkeit strafrechtlicher Ahndung"292 . Die Strafe fordere also Schuld, die Schuld nötige aber keineswegs zur Bestrafung293. Das von Roxin beabsichtige Spannungsverhältnis zwischen Schuld und Prävention294 verfolgt das Ziel, die "Vorzüge des Schuldprinzips gegen die Auswirkungen des reinen Präventionsdenkeng zu bewahren", gleichzeitig aber "die präventiven Ziele des Strafrechts mit ihm in Einklang zu bringen"295. Sein Schuldbegriff hänge nicht von vagen und wechselnden Bedürfnissen, sondern von der empirisch festzustellenden Schuldfahigkeit des Taters ab, die der Strafgewalt eine Grenze setze296. Die Schuld sei eine gemischt empirisch-nonnative Gegebenheit, wobei die prinzipielle Fähigkeit zur Selbststeuerung und die damit gegebene nonnative Ansprechbarkeit empirisch festzustellen sei und "die aus diesem Befund abgeleitete Möglichkeit zu rechtmäßigem Verhalten" nonnativ zugeschrieben werde297 . 289 Roxin, Festschrift für Bockelmann, S. 285; siehe zur Voraussetzung der Schuld als individueller Zurechenbarkeit ebenso Rudolphi, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 73. Siehe auch Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 174, der die Schuld als Legitimationsprinzip des staatlichen Strafens betrachtet. Nach der Ansicht Kunz, ZStW 98 (1976), S. 830, müsse ein solches Modell scheitern, weil Schuld und Prävention "als einander beziehungslos gegenüberstehende Größen gedacht werden". 290 Anfänglich hat Roxin, Festschrift für Henkel, S. 181, ein reines Andershandelnkönnen vertreten, später aber- um nicht gegen das Prinzip von der Unbeweisbarkeil der Willensfreiheit zu verstoßen (ders., AT,§ 19/18)- hat er die Auffassung vertreten, daß es um ,,normative Ansprechbarkeit" gehe, ders., ZStW 96 (1984), S. 652 f. Kritisch zu beiden Auffassungen des Andershandelnkönnens Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 148 ff.; kritisch zur Anwendung der "normativen Ansprechbarkeit" als Ausweg aus der Unbeweisbarkeil des Andershandelnkönnens Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 35. 291 Roxin, Festschrift für Bockelmann, S. 285; siehe übereinstimmend, Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 169 f. 292 Roxin, AT,§ 19/3, 34; ders., Festschrift für Henkel, S. 182 f.; ders., Festschrift für Bockelmann, S. 284; ähnlich Rudolphi, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, s. 73. 293 Roxin, Festschrift für Bockelmann, S. 285. 294 Krit. dazu Lesch, Verbrechensbegriff, S. 167. 295 Roxin, ZStW 96 (1984), S. 650, 654 f. 296 Roxin, AT, § 19/41; siehe schon dens., JuS 1966, S. 384. Siehe ebenso zur Begrenzungsfunktion der Schuld Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 175 f., 187, 195; ähnlich Rudolphi, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 75. Kritisch zur Limitierungsthese Jakobs, Schuld und Prävention, S. 4 ff., 32; ebenso Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 150; Streng, ZStW 101 (1989), S. 280 f.; Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 91. Kritik an der Vorstellung, daß Schuld Grenze und nicht Grund des Strafens sei, Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 35, 37, 46; §§ 20, 21, Rn. 75.
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Die Schuld des Täters und die präventive Notwendigkeit strafrechtlicher Ahndung seien in den Fällen der sog. Schuldbegründung ebenso wie in denjenigen der Entschuldigung als Voraussetzungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu überprüfen298 • Roxin bestreitet die von der herrschenden Lehre behauptete Unterscheidung zwischen Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründen299, denn wenn die Zumutbarkeit gleichartig neben den anderen Schuldelementen stehe300, sei der Grund einer Unterscheidung nicht ersichtlich301 . Bei der Schuldfähigkeit komme freilich der präventive Gesichtspunkt in "komplexerer Weise" zur Geltung als bei den übrigen Voraussetzungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeie02 ; bei diesen ließen sich die Schuld- und Präventionselemente deutlicher trennen. Denn dort stelle man ein Andershandelnkönnen und damit eine Schuld fest, exkulpiere aber nach Maßgabe der den jeweiligen Entschuldigungsgrund fundierenden Strafzwecküberlegungen. In Bereichen aber wie der einer "tiefgreifenden Bewußtseinstörung" und einer "schweren seelischen Abartigkeit" sei die Schutzwirkung des Schuldprinzips geschwächt, denn dort könne die Schuldfähigkeit von vomherein nicht ohne Zuhilfenahme kriminalpolitischer Erfordernisse bestimmt werden303 . Soweit aber die Schuldunfähigkeit als mangelnde normative Ansprechbarkeit in kriminalpolitisch wertfreier Weise rein psychiatrisch festgestellt werden könne wie z. B. bei der "krankhaften seelischen Störung" -, bleibe es uneingeschränkt dabei, daß eine solche auf reine "Sachzusammenhänge abgestütze" Diagnose das generalpräventive Bedürfnis entfallen lasse304. Beim verschuldet herbeigeführten Fehlen der Schuldfähigkeit vertritt Roxin ein Tatbestandsmodell in Gestalt des Instituts der mittelbaren Täterschafe05 , mit der Begründung, daß eine schuldlose Ausführung und ein strafrechtlich irrelevanter Entschluß zusammen keine schuldhafte Tat ergäben306. Was aber das VorverschulRoxin, AT,§ 19/39. Roxin, AT,§ 19/4; ders., JuS 88, S. 427; ders., Festschrift für Bockelmann, S. 286 f., 295, in einer Auseinandersetzung mit den Bedenken von Stratenwerth und Lenckner: die herrschende Lehre reklamiere diese Unterscheidung, um die strafzweckorientierte Deutung bei den Schuldausschließungsgründen abzulehnen. Kritisch zu einer Vernachlässigung des Schuldprinzips Hirsch, LK, 9. Aufl., Rn. 157 Vorbem. § 51; Zipf, ZStW 89 (1977), S. 711; Schönebom, ZStW 88 (1976), S. 362. 299 Roxin, Festschrift für Bockelmann, S. 288, 296; ders., JuS 1988, S. 427; Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 5, Fn. 24, bezeichnet dies als .,eine Frage der theoretischen Konstruktion"; zu einer Unterscheidung siehe Amelung, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 85 ff. 300 So auch Hirsch, LK, 9. Aufl., Vorbem. § 51, Rn. 162 ff.; Bocke/mann, Strafrecht, S. 106 ff., bezeichnet die Schuldunfähigkeit, das Fehlen der Unrechtseinsicht und die Unzumutbarkeit als Entschuldigungsgründe. 301 Roxin, Festschrift für Bockelmann, S. 286 ff. 302 Roxin, Festschrift für Bockelrnann, S. 292. 303 Roxin, Festschrift für Bockelmann, S. 296 f. 304 Roxin, Festschrift für Bockelmann, S. 302, 292 f., 296 f. 305 Roxin, Festschrift für Lackner, S. 307 f. 297 298
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den im Bereich der Entschuldigungsgründe also z. B. in den Notstandsfällen betreffe, so sei die Zeitstruktur der Zurechnung im Moment der "Tat" zu berücksichtigen, denn der entschuldigende Notstand schließe die Schuld nicht aus. Das Vorverschulden begründe hier also nicht die Schuld, die ohnehin bestehe, sondern nur die Zumutbarkeit, so daß das Schuldprinzip nicht tangiert werde307 • Problematisch ist allein schon die Vorstellung Roxins von einem Spannungsverhältnis zwischen materieller Schuld und Präventionsbedürfnissen. Dem einzelnen wird bei Roxin eine bestimmte Qualität(= Fähigkeit zur Schuld) zugewiesen, die die Präventionsbedürfnisse begrenzen soll. Woher soll aber diese Qualität kommen, wenn nicht durch Zuschreibung; und wenn man dies eingesteht, was bleibt dann noch übrig vom souveränen Einzelsubjekt? Nach der Vorstellung Roxins steht das Individuum also in einem Spannungsverhältnis zur Gesellschaft308 • Diese Sicht entspricht einem bestimmten Verständnis von Gesellschaft, nämlich einer den Prämissen von Hobbes vergleichbaren, nicht normativierten Sicht der sozialen Welt309. Auch in der Konstruktion von Hobbes ändert der Mensch seinen Status nicht mit dem Verlassen des Naturzustandes und dem Eintritt in den Staat. Das Individuum wird mit dem Gesellschaftsvertrag nicht Person, eine objektive Welt wird nicht erreicht310• Ebenso verhält es sich bei Roxin, dessen Beschreibungen also an der objektiven Welt, an der Ebene des Normativen, von vornherein vorbeigehen. Roxin kann die Gemeinschaft nur als eine Addition einzelner definieren311 ; einzelne haben aber "als solche" kein Band, keine Form. Hier ist schon eine Zwischenfrage erlaubt: Wie soll die Bestimmung einzelner möglich sein, ohne Rückgriff auf die sie als einzelne erst konstituierenden gemeinsamen Merkmale? Der einzelne bleibt bei Roxin Individuum, das sich mit anderen zusammensetzt, um bestimmte egoistische Zwecke zu erfüllen. Im Gegensatz zu dieser Vorstellung aber interessiert das Recht nach der hiesigen Deutung allein die Betrachtung der einzelnen als Personen. Sie sind als Personen Erscheinungsformen des Rechts in der Gesellschaft und werden nicht zuvor als Individuen betrachtet; Individuen sind schließlich in ihrer Einzelheit nicht zu begreifen. Das Verhältnis von Schuld und Prävention ist bei Roxin nun offensichtlich auch problematisch, weil diese nicht ohne weiteres kompatibel sind312 ; eine "dialektiRoxin, Festschrift für Lackner, S. 310. Roxin, Festschrift für Lackner, S. 311. 308 Zum Vergleich für die präventiv ausgerichteten Lehren Lesch, Verbrechensbegriff, s. 17 ff., 166 f., 175 ff. 309 Vgl. dazu schon Köhler; Der Begriff der Strafe, S. 2. 310 Zu dieser Interpretation Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 14 ff., 24 ff. 311 Zu einem Vergleich zur Straflehre von Hobbes und den relativen Strafzwecktheorien siehe Lesch, Verbrechensbegriff, S. 17 ff. 312 Jakobs, AT, S. 401; Lesch, JA 1994, S. 595, f; ders. , Verbrechensbegriff, S. 167 f. Zu der Vorstellung, daß erst das wechselseitige ln-Beziehung-setzen von Schuld und Prävention eine Konfliktverarbeitung durch Strafe begründe, Kunz, ZStW 98 (1976), S. 831. 306 307
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sehe Einheit" 313 zwischen Tatschuldprinzip und Prävention läßt sich nicht bilden314, denn beide Begriffe gehören zu unterschiedlichen argumentativen Ebenen315. Fraglich bleibt bei diesem Verhältnis von Schuld und Prävention insbesondere die zu wählenden Perspektive. Denn die materielle Schuld, die das Schuldprinzip bewahren soll, besteht in der ,,retrospektiven Sicht" des Schuldausgleichs, und im Gegensatz dazu versteht sich die Prävention in der "prospektiven Sicht" der Vorbeugung und Verhütung316. Die Begriffe Schuld und Prävention stehen also in einer "beziehungslosen Aneinanderreihung" nicht kompatibler und kollidierender Begriffe317 . Kurz: Die Kategorie der Verantwortlichkeit ist nicht geeignet, den Schuldbegriff in sich aufzunehmen, sondern nur, ihn zu ersetzen. Ist also die Kategorie der Verantwortlichkeit als Zuschreibung ein Begriff, der sich auf der normativen Ebene der Kommunikation bewegt, kann er nicht einerseits ein Element beinhalten, das einer anderen Ebene angehört - d.i. die des "Bewußtseins", des "menschlichen Daseins"- und andererseits ein anderes Element: die präventiven Erwägungen, die dann auf der Ebene des Oberbegriffs der Verantwortlichkeit stehen. Befindet man sich im Strafrecht auf der Ebene der Kommunikation, muß der Begriff der Schuld allein als rechtsinterne Konstruktion verstanden werden. Geht man davon aus, so ist die Vorstellung einer begrenzenden materiellen Schuld deplaziert. Mit dem Abstellen auf eine materielle Schuld verträgt sich weiterhin der geleugnete Unterschied zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung nicht. Dies könnte den Anschein erregen, Roxin vertrete keine Verschiedenheit der Zeitstruktur der Zurechnung in beiden Konstellationen, was jedoch nicht der Fall ist, denn nur die vorverschuldete Schuldunfähigkeit wird mit Hilfe der Figur der actio libera in causa in Form des Tatbestandsmodells behandelt, während der Täter in den anderen Fällen schuldfähig bleibt318 . Wenn aber die von Roxin angestrebte Verwischung beider Kategorien eine Bedeutung haben soll, dann müßten die Konsequenzen in dem Sinne gezogen werden, daß die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit ebenso zu behandeln wären, wie diejenigen der Unzumutbarkeit. Roxin bestreitet damit äußerlich einen Unterschied zwischen Schuldbegründung und Entschuldigung, führt diesen aber mittelbar dennoch herbei, indem er bei der Schuldbegriindung, z. B. bei der Schuldfähigkeit, entscheidend auf das Vorhandensein einer materiel313 Kritisch zum dialektischen Modell Roxins vgl. Lesch, JA 1994, S. 595 f.; ders., Verbrechensbegriff, S. 166 ff. 314 Vgl Jakobs, in: Strafe muß sein, S. 30 f., der der Meinung ist, daß, um zu einer Harmonie zu gelangen, ein Prinzip gesucht werden müßte, das den entgegensetzten Momenten der Vergeltung und der Prävention genüge. 315 Vgl. ebenso die Kritik Schilds, AK, Vorbem. § 13, Rn. 70, zu dieser Konzeption: die Begründung einerseits und die konkrete Bestimmung des Maßes andererseits stehen nicht auf gleichen Argumentationsebenen. 316 So Lesch, JA 1994, S. 510 ff., 590 ff., 595. 317 Lesch, JA 1994, S. 595. 318 Roxin, AT, 1. Aufl., § 20/32.
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§ 2 Die Entwicklung des Schuldbegriffs
len Schuld, bei den Entschuldigungsgründen aber auf präventive Bedürfnisse abstellt. Ein rein strafrechtlicher Begriff der Schuld muß aber einheitlich sein, d. h., er muß in allen Fällen eine Lösung nach einem einzigen Kriterium ermöglichen. Die präventiven Erwägungen innerhalb der Kategorie der Verantwortlichkeit sind also bei Roxin nicht konsequent berücksichtigt, denn diese sollen nur maßgebend sein, um eine zusätzliche Grenze zu den staatlichen Bestrafungsmöglichkeiten zu bilden, nicht jedoch im Fall einer Belastung. Eine Belastung aus präventiven Erwägungen ist bei Roxin nur dann möglich, wenn- wie beim Fall der Entschuldigungsgründe - die materielle Schuld vorhanden ist, nicht jedoch in Fällen der Schuldunfähigkeit319• Sind präventive Erwägungen entscheidend, um eine Entlastung von Schuld zu begründen, so müßten diese Erwägungen aber doch gleichermaßen im Fall einer Belastung den Ausschlag geben. Ungereimtheiten ergeben sich auch aus der Roxinschen Vorstellung der von der Schuld zu erfüllenden Funktion einer Begrenzung staatlichen Strafens320• Ein Strafrecht, das wesentlich auf präventive Aufgaben abstellt, ähnelt dem Polizeioder Verwaltungsrecht, wobei die Schuld als Urteil über die psychische Disposition des Taters keine Begründung für die Strafe abzugeben vermag, sondern allein als Begrenzung gedacht wird; dabei wird allein das Unrecht das für die Verwirklichung der Strafe Wesentliche 321 • Die Tat wiederum ist nur Anlaß zur Strafe, aber nicht Grund der Strafe selbst322• Die Tat wird nämlich bloß als Anlaß genommen, damit das Strafrecht seine Funktion der Verhinderung der Erschütterung des allgemeinen Rechtsbewußtseins verwirklichen kann323 . Hierbei bezieht sich also die Funktion der Strafe nicht direkt auf die geschehene Tat, sondern auf die Verhütung zukünftiger Normbrüche324• Auch der Tater wird aber, wenn die von ihm zu verantwortende Tat nicht den Grund der Strafe bildet, nicht in seiner rechtlichen Form, also als Person, betrachtet. Die Schuld kann aber in einem Strafrecht, in dem die Strafe nicht als Nutzfaktor erscheint, auf der Schuld selbst beruht, nicht nur in ihrer Begrenzungsfunktion verstanden werden 325 • Sie ist kein Element neben dem Unrecht, sondern im Unrecht als konstituierendes Moment der Begründung von Strafe zu begreifen. Das Moment der Zurechnung kann erst nach einer normativen Betrachtung der Schuld als Zurechnung der Straftat selbst konkretisiert werden. Das Moment, das Roxin durch 319 In diese Richtung kritisiert ebenso Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 30, die Lehre Roxins bzgl. der präventiven Erwägungen. 320 Kritisch dazu Kunz, ZStW 98 (1986), S. 829: "Was nach arteigenen Maßstäben die Strafe begrenzen soll, ist zwangsläufig selbst eigenständiger Strafgrund". 321 Siehe dazu Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 34 ff., 43; ebenso kritisch zu generalpräventiven Ansätzen Köhler, Der Begriff der Strafe, S. 2 f. 322 Siehe dazu Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 34 ff., 46 ff. 323 Siehe dazu Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 37 f. 324 Vgl. Lesch, Verbrechensbegriff, S. 21 f. 325 Siehe dazu ebenso kritisch Schild, AK, Vorbem § 13, Rn. 36 ff.
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Anwendung des Tatbestandsmodells bei der actio libera in causa sucht, in dem der Täter schuldfähig sein soll, ist einfach eine Mischung außerstrafrechtlichen Unrechts mit außerstrafrechtlicher Schuld. Das Unrecht, das dabei definiert wird, ist ein polizei- oder verwaltungsrechtlich zu verhinderndes Unrecht; die Schuld, die für das Koinzidenzprinzip notwendig sein soll, ist keine strafrechtliche, sondern eine abstrakt betrachtete, nicht normative Schuld. Zielt man statt dessen auf die Begrundung der Straftat und der Strafe selbst ab, so darf (beim Vorverschulden) der Zeitpunkt der Straftat nicht erst nach der Feststellung der Schuld basierend auf dem Unrecht, sondern der Schuld im Unrecht selbst, festgelegt werden326; nur das ist Unrecht, was Schuld ist und umgekehrt327 .
II. Funktion und Akzeptanz- Das Modell Jakobs' 328 Seit "Schuld und Prävention" bestreitet Jakobs die Limitierungsfunktion, die die traditionell verstandene Schuld gegenüber den präventiven Bedürfnissen vor dem staatlichen Strafen zu realisieren habe329 : Die Grenze verlaufe nicht da, "wo nach Meinung der ,guten Bürger' als Adressaten von Schuld und Schuldstrafe laufen müßte", sondern "wo sie laufen muß, um Normvertrauen zu erhalten"; es gehe um "das zur Erhaltung des Vertrauens Notwendige". Daraus folge, daß bei der Erhaltung des Normvertrauens die Notwendigkeit von Strafe entfalle, wenn anderweitige Verarbeitung der Erwartungsenttäuschung möglich sei330. Der Zweck des Strafens sei gleichzeitig sein Grund331 ; der Inhalt der Schuld müsse allein mit Präventionzwecken gefüllt werden332 • Schuld sei ein formaler Begriff: ,,Nur der Zweck gibt dem Schuldbegriff Inhalt" 333 . Siehe dazu ebenso Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 48. Siehe dazu ähnlich Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, S. 41 ff., 44 und passim; Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 66; vgl. auch Lesch, Verbrechensbegriff, S. 203 ff. 328 Es ist anzumerken, daß sich die Darstellung und Kritik, die an der Lehre von Jakobs im folgenden erarbeitet wird, sich auf frühere Ansätze bezieht. In seinen letzten Arbeiten: "Funktionalismus", "Strafrechtliche Zurechnung" und "Zur gegenwärtigen Straftheorie" lassen sich Änderungen bei seiner Lehre der Begründung von Strafe feststellen. Präventive Erwägungen enthalten dabei erst eine sekundäre Aufgabe. 329 Siehe Jakobs, Festschrift für We1zel, S. 322 ff., 324; dens., Schuld und Prävention, S. 4 ff., 32; dens., in: Aspekte der Freiheit, S. 71 f. ; dens., Sozialtherapie, S. 128; dens., Das Schuldprinzip, S. 7 ff.; dens., in: Strafe muß sein, S. 30 f. 330 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 33. 331 Kritisch zu der Ersetzung der Schuld durch generalpräventive Strafbedürfnisse Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 170 ff.; Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 31 und passim. Kritisch zu einer Lehre, die die Begründung der Strafbarkeit allein in Präventionzwecken sehen möchte, Schild, AK, Vorbem. § 13, Rn. 67 ff.; Roxin, SchwZStr 104 (1987), S. 356, 367; zuletzt Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 66 f. 332 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 9, 14. 326 327
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§ 2 Die Entwicklung des Schuldbegriffs
In den früheren Ansätzen von Jakobs, der wegen der darin enthaltenen Nonnativierung der Schuld in Kritik geriee34, sind Spuren eines sozial-psychologischen Strafrechtsverständnisses zu erkennen, wenn davon die Rede ist, die Rechtstreue der Bürger zu bestätigen: Die Strafe solle deswegen erfolgen, weil auf garantierte Ordnung im sozialen Leben nicht verzichtet werden könne, der Schutz der Ordnung werde durch Bestätigung der auf Normen Vertrauenden in ihrem Vertrauen bewirken. Die Strafe erhöhe die Chance, daß dieses Verhalten allgemein als nicht diskutable Verhaltensalternative gelernt werde, die Generalprävention sei im Sinne von "Einübung in Rechtstreue" zu verstehen335 • Es gehe um positive Generalprävention durch Erhaltung von Normanerkennung 336; Generalprävention "weil ein Effekt bei allen Bürgern hervorgerufen werden soll, positiv, weil dieser Effekt nicht in einer Angst vor Strafe bestehen soll, sondern in der Beruhigung, daß die Norm gilt, daß die durch die Tat beeinträchtigte Normgeltung durch die Strafe wieder gefestigt wurde"337 • Die Strafe erfolge mithin zur Einübung in Normvertrauen bzw. in Rechtstreue 338 • Daraus wird von ihm gefolgert, daß die Geltung von Normen mit deren Anerkennung gleichzusetzen sei339. Auch hier wird also ein motivatorischer Prozeß, wenn nicht behauptet, so doch zumindest stillschweigend zugrunde gelegt. Ansonsten ist nicht erklärbar, wie Einübung in Norm- bzw. Rechtstreue und überhaupt die Geltung von Normen abhängig von ihrer Anerkennung sein können. Dies formuliert er an anderer Stelle340 deutlicher: Das Gelten einer elementaren Norm erfordere die Anwendung der Strafe nach dem Bruch einer solchen Norm, da sonst der Bruch der Norm als mögliches Muster des Verhaltens, als Vorbild zukünftiger Handlungen gelten würde, was die Destabilisierung der in diesem geschichtlichen Moment und in dieser Gesellschaft geltenden Verhaltensmuster mit sich bringen würde; das Recht gelte weiter, trotz der Enttäuschung, die Norm als Orientierungsmuster bleibe unberührt. Dies kulminiert in der Formulierung des Schuldbegriffs: "Schuld ist demonstrierter Mangel an Rechtstreue" 341 .
333 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 14. Kritisch dazu Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 25. Ebenso kritisch dem Schuldbegriff Jakobs' gegenüber ist Streng, NStZ 1995, S. 162, der von einem funktionalen Schuldbegriff ausgeht, gegen den Begriff von Jakobs aber einwendet, daß er Gerechtigkeitswertungen zur Seite schiebe. 334 Stratenwerth, Literaturbericht, S. 902 ff., 915 ff.; ders., Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 8 ff. 335 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 10. 336 Jakobs, Das Schuldprinzip, S. 25. Schon früher ders., Festschrift für Welzel, S. 308: die Verhaltensnorm wirke über die Motivation des potentiellen Täters. 337 Jakobs, Das Schuldprinzip, S. 27. 338 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 9 f.; ders., AT, 1 I 14 f. 339 Jakobs, AT, 1111. 340 Jakobs, in: Aspekte der Freiheit, S. 69 ff., 72 ff.; ders., Schuld und Prävention, S. 10; ders., AT, 1 I 4, 119. 341 Jakobs, AT, 17 I 1 und ders., Das Schuldprinzip, S. 34.
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Aus dieser früheren Konzeption Jakobs' ergibt sich eine bestimmte Behandlung der Schuldfähigkeit Der Begriff der Fähigkeit werde funktionell konstituiert342, d. h. er könne nicht ohne Blick auf die Funktion, die das Schuldurteil habe, entschlüsselt werden. Die Fähigkeit sei normativierend als "Zuständigkeit" zu begreifen343; Zuständigkeit sei ein Begriff der Rechtswissenschafe44 , das Strafrecht sei nicht Magd der Psychologie und bilde eigene Begriffe345 . Die Schuld, die auf diese normative Fähigkeit abstellt, ist für Jakobs nicht vor dem Strafrecht da, sondern wird vom Strafrecht erzeugt346: Die Fähigkeit sei eine normativ gesteuerte Zuschreibung347, eine Konsequenz des Gewichts, der Art und der begrifflichen Begrenzung des Befunds348 : "Welche Normübertretungen ... durch Zurechnung erledigt werden und welche durch Umgestaltung der Verhältnisse, richtet sich vorweg danach, was an Umgestaltung überhaupt geleistet werden kann" 349. Versteht man den Schuldbegriff auf diese Weise, wäre es denkbar, wegen der Normativierung des Schuldbegriffs nicht mehr auf Seinsstrukturen abzustellen350, sondern allein auf intrasystematische Notwendigkeiten des Erhalts eines bestimmten Normbestandes. Daraus würde folgen, daß nicht zwischen Schuldbegründung und Zumutbarkeit zu unterscheiden wäre. Die Zuschreibung der Schuldfähigkeit im Modell von Jakobs basiert aber den Worten nach auf gesellschaftlicher Akzeptanz, es muß also auch die Entlastung von Schuld sozial akzeptabel sein351 . Der Zweck des Strafens, der bei Jakobs die Bestätigung der Normgeltung ist - wobei er Geltung mit Anerkennung gleich342 Kritisch dazu Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 162; die Zurechnungsflihigkeit sollte nicht aufgrund eines "normativen" Urteils postuliert, sondern durch ein Existenzurteil festgestellt werden. Ebenso kritisch Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 179 ff. 343 Vgl. Jakobs, Schuld und Prävention, S. 17; ders., in: Sozialtherapie, S. 135. 344 Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 128, 135. Kritisch zu der Anwendung des Begriffes der Zuständigkeit auf die Behandlung der Zurechnungsflihigkeit Frister, Die Struktur des "vo1untativen Schuldelements", S. 182 f. 345 Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 131. 346 Jakobs, in: Aspekte der Freiheit, S. 71 f.; ders., in: Sozialtherapie, S. 138 und passim. 347 Jakobs, Schuld und Prävention, S 20; ders., AT, 18/25. Siehe dazu ebenso Lesch, Verbrechensbegriff, S. 214; Rasch, Forensische Psychiatrie, S. 59 ff. 348 Jakobs, AT, 18/25. Kritisch zu der Vorstellung Jakobs, daß für die Entscheidung über die Zurechnungsflihigkeit auf die Deutung im Bewußtsein des Normadressaten Bezug genommen wird, und nicht allein auf den Sachverhalt selbst, Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 79 ff. So meint Frister, S. 80, daß die angestrebte Funktion der Symbolisierung würde bei einer strafrechtlichen Zurechnung, die nicht auf den Sachverhalt selbst, sondern auf eine Zuschreibung des Sachverhalts abstelle, nicht mehr erfülle. 349 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 11, 17; ders., in: Sozialtherapie, S. 128 f.: "Insbesondere ubiquitäre Befunde entlasten nie, auch wenn sie den einzelnen Menschen noch so stark bedrücken". 350 Nach der Ansicht von Kindhäuser, ZStW 107 (1995), S. 717, stellt der funktionale Schuldbegriff ebenso auf legitimierende Größen ab. 351 Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 128, 137 f.; ders., AT, 18/3 ff.
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§ 2 Die Entwicklung des Schuldbegriffs
setzt352 -, werde dann nicht erreicht, wenn die Zurechnung ohne die Anerkennung des anderen als Gleicher erfolge. So sei zurechnungsfähig nur eine Person, die als Gleicher definiert werde353 • Muß der Tater, damit ihm etwas überhaupt zugerechnet werden kann, von der gesellschaftlichen Akzeptanz als Gleicher definiert werden, so wird hiermit die Narrnativität der Definition der Zurechnungsfahigkeit relativiert. Denn nur derjenige Tater, der im Bewußtsein der Gesellschaft als schuldfahig erscheint, wird auch als Gleicher betrachtet. Die Beeinträchtigung der Normanerkennung soll nämlich das geäußerte Defizit an rechtlicher Motivation bedeuten; für das Defizit an rechtlicher Motivation sei der Tater aber nur zuständig, wenn er zur Zeit der Tat ein Subjekt mit der Kompetenz sei, die Normgeltung in Abrede zu stellen, d. h. wenn er zurechnungsfähig sei354; diese Gleichheit sei nicht quantifizierbar355• Im Kernbereich des § 20 StGB fehle ein ansprechbares Subjekt, das auch bei der unvermeidbaren Unrechtseinsicht fehle 356. Die Unzumutbarkeit bildet nach Jakobs den negativen Schuldtatbestand. Schuld sei ausgeschlossen, "wenn der Tater in einer entschuldigenden Verfassung oder in einem entschuldigenden Kontext handelt"357• Die Unzumutbarkeit unterscheide sich von der Zurechnungsunfähigkeit dadurch, daß bei der ersteren ein "gleichartig motiviertes Subjekt" vorhanden sei358• Das von Jakobs vertretene funktionale Modell beruft sich bei der Behandlung des Vorverschuldensauf diese grundlegende Unterscheidung359. Diese soll sich dadurch erklären360, daß eine Norm erst durch ein Schuldhaftes Verhalten tangiert Jakobs, AT, 11 11, 11 15. Jakobs, AT, 17/48. 354 Jakobs, AT, 17/48. 355 V gl. Jakobs, AT, 17/48 unter Berufung auf Annin Kaufmann, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 330 ff.: ,,Zu einer Leistung ist ein Mensch entweder fähig oder nicht. Einen Graben von einer bestimmter Breite kann man entweder überspringen oder man kann es nicht; tertium non datur"; Jakobs, ZStW 101 (1989), S. 520. 356 Jakobs, AT, 17/48, 51. Zum positiven Schuldtatbestand gehören auch die gegebenenfalls erforderlichen speziellen Schuldmerkmale, 17 /52. 357 Jakobs, AT, 17/53. 358 Jakobs, AT, 17 I 55. 359 Zuletzt Jakobs, Festschrift für Nishihara, S. 107; ders., AT, 17/54 ff., 57 ff., 69 ff. Zu diesem Unterschied vgl. dens., Festschrift für Welzel, S. 321; dens., Schuld und Prävention, S. 20 ff.; dens., in: Aspekte der Freiheit, S. 77, 78 ff. ; dens., in: Der psychiatrische Sachverständige, S. 282 ff.; dens., ZStW 101 (1989), S. 519 ff. 360 Siehe dazu ähnlich Frister; Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 89, 183, der eine Verschärfung der normativen Anforderungen im Zeitpunkt der Defekthandlung für die Zurechnungsfähigkeit ausschließt. Die schuldhafte Herbeiführung des psychischen Defektzustands spielt für Frister; S. 187, keine Rolle. Der Anknüpfungspunkt für die strafrechtliche Zurechnung wird auf die Herbeiführung des Defektzustandes vorverlagert, S. 184, Fn. 54. Im Gegensatz dazu erklärt Frister; S. 212, den entschuldigenden Notstand als eine Individualisierung des Sollens, wobei die normativen Anforderungen an den Täter im Tatzeitpunkt verschärft werden können, S. 186. 352 353
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werde, d. h. durch eine Person361 : "Die Fälle der Unzumutbarkeit unterscheiden sich also von denjenigen der Zurechnungsunfähigkeit dadurch, daß ein in den Grundzügen gleichartig motiviertes Subjekt vorhanden ist und daß deshalb die Schuld von der Strenge des Maßstabs abhängt, der angelegt wird. Das Problem der Zurechnungsfähigkeit betrifft die Gleichheit der agierenden Personen mit jedermann. Das Problem der Zumutbarkeit hingegen ( ... ) betrifft Fälle von Motivationsbelastungen und deshalb im Fall der Unzumutbarkeit gesetzlich auf Null reduzierter Strafzumessung"362. Demzufolge sollen sich die verschiedenen Fälle des Vorverschuldens darin unterscheiden, was Unrecht sei, und deshalb müßten auch die Gegenstände und die Zeitpunkte, in denen die Deliktsmerkmale verwirklicht zu sein hätten, differenziert werden. Der Grund für dieser Differenzierung sei im Strafzweck zu suchen: ,,Da wegen eines Mankos an Rechtstreue gestraft wird, muß auf Taten abgestellt werden, die dieses Manko indizieren." In den Fällen eines Verlustes der Schuldfähigkeit fehle ein ansprechbares Subjekt, so daß seine Tat nicht fehlende Rechtstreue, sondern Andersartigkeit der Motivation, eben Subjektivitätsverlust indiziere. Dort müsse die Straftat zu einem Zeitpunkt gesucht werden, in dem Subjektivität vorhanden sei. Bei der Zumutbarkeit und damit beim entschuldigenden Notstand verlaufe dies anders. Sei ein Subjekt vorhanden, sei auch seine Motivation zur Rechtstreue durch massive Gegenmotive belastet, so könne seine Tat eine nicht hinreichend starke Rechtstreue indizieren; "eine Verlagerung dessen, was Straftat sein soll, auf einen Zeitpunkt ohne massive Gegenmotivation ist dann nicht nötig, wenn es Aufgabe des Subjekts ist, die Gegenmotivation durch Erhöhung der Motivation zur Rechtstreue zu überwinden. '.363 Ob die psychische Lage für den Täter als Unglück definiert werde, hänge vom Vorverhalten ab. Die Belastung der Fähigkeit des Täters zur Normbefolgung durch seine psychische Verfassung führe nur zur Unzumutbarkeit, wenn sie nicht Angelegenheit des Täters sei364 • Betrachtet man diese grundlegende Unterscheidung innerhalb des Jakobsehen Modells, ist die von ihm vertretene unterschiedliche Zeitstruktur der Zurechnung hinsichtlich der in dieser Arbeit zu behandelnden Fälle des Vorverschuldens bei der Schuldunfähigkeit und beim entschuldigenden Notstand intrasystematisch konsequent. Fraglich ist jedoch, ob die Anhaltspunkte seiner Lehre, auf die seine Lösung zum Vorverschulden abstellt, zutreffen. 361 Jakobs, AT, 17/56. Ähnlich die Auffassung Fristers, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 89. 362 Jakobs, AT, 17/55. Siehe zu dieser grundlegenden Unterscheidung ebenso Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 124 und passim. 363 Jakobs, AT, 17/58. Kritisch zu dieser Vorstellung Neumann, ZStW 99 (1987), S. 581 f.: sie gehöre "eher zu einer normtheoretischen als zu einem strafzweckorientierten Argumentationszusammenhang". Unter dem Gesichtspunkt des Strafzwecks wäre zu fragen, "ob nicht die Definition des anderen als Person, die der Norm nichts anhaben kann, sich an Kriterien orientiert, die über die Beurteilung seiner Fähigkeit gerade zum Tatzeitpunkt hinausreichen". 364 Jakobs, AT,17/54,17/55.
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Wird nämlich die Schuldfähigkeit nicht psychologisierend, sondern normativierend verstanden und wird der Begriff der Zuständigkeit nicht nur auf die Zumutbarkeit, sondern ebenso auf die Schuldfähigkeit angewendee65 , so ist keine Unterscheidung zwischen Schuldbegründung und Unzumutbarkeit zu treffen, denn eine solche ist allein bei einer Lehre nötig, die in der Schuldfähigkeit nicht ein normatives, sondern ein substantielles Moment sieht. Soll der Begriff der Zuständigkeit den einzigen Maßstab für die· strafrechtliche Zurechnung bilden, dann muß dieser auch allein angewendet werden, und zwar sowohl bei der belastenden, als auch bei der entlastenden Zurechnung. Die unterschiedliche Behandlung der Fälle des Vorverschuldeus durch Jakobs läßt sich nur solange halten, wie man der Vorstellung folgt, daß die für die Schuld notwendige Voraussetzung der Gleichheit der agierenden Personen allein die Schuldfähigkeit betrifft und nicht die Fälle der Zumutbarkeit oder die sonstigen Momente der Straftat. Der qualitative Unterschied, den es nach Jakobs zwischen Schuldbegründung und Zumutbarkeit geben soll, scheint nun freilich in neueren Arbeiten von ihm aufgegeben worden zu sein. So heißt es dort, daß man, soweit es an der Gleichheit fehle - sei es wegen der psychischen Entwicklung oder wegen der Verhaltenssituation366 - auf die Stabilisierung der normativen Erwartung, die vom Täter enttäuscht wurde, verzichten könne367. Der soziale Konflikt werde dann vielmehr kognitiv erledigt, der Täter also für nicht zuständig gehalten: Dieser scheine einen Sinn zu entwerfen, nach genauerer Analyse stelle sich aber heraus, daß der maßgebliche Grund etwas sei, was Sinn ausschließe: "ein solcher Konflikt wird auf Krankheit, Irrtum, Angst zurückgeführt und damit erklärt"368• Jakobs betrachtet hier die Schuld insgesamt als Handlungsvoraussetzung, die bei Schuldunfähigkeit und beim Vorliegen eines entschuldigenden Notstands fehle. Diese Fälle schlössen die Schuld aus: Sinn werde nicht geäußert369. Die daraus folgende Konsequenz einer Gleichbehandlung von Schuldbegründung und Zumutbarkeit zieht Jakobs jedoch nicht; vielmehr wird mit dieser Unterscheidung die unterschiedliche Zeitstruktur der Zurechnung beim Vorverschulden eines Verlustes der Schuldfähigkeil und einer entschuldigenden Lage gerechtfertigt370. Der von Jakobs in seinen älteren Ansätzen entwickelte funktionale Begriff der Zurechnung und damit der Schuldfähigkeit stellt auf verschiedene Kriterien ab, die m.E. miteinander unvereinbar sind. Zunächst heißt es, daß die Schuldfähigkeit daSiehe nur Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 128. Jakobs, Das Schuldprinzip, S. 30 f. 367 Jakobs, AT, 17/50, dort wird von ihm die Ansicht vertreten, daß die normative Erwartung nicht völlig preisgegeben werde, denn sonst wäre die Tat des ungleichen Täters nicht Unrecht. Anderer Ansicht ist Jakobs jetzt, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, S. 41 ff. 368 Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, S. 42; ders., ZStW 107 (1995), S. 863 ff., 864. 369 Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, S. 41 ff. 370 Vgl. Jakobs, Festschrift für Nishihara, S. 107. 365
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von abhänge, ob die Allgemeinheit vom Täter ein bestimmtes Verhalten erwarte oder nicht. Zurechnungsfähig sei derjenige, der als Gleicher gesehen werde. Das Soziale in der Definition der Fähigkeit eines Täters folge aus den Erwartungen, die an ihn in einer bestimmten Situation noch gestellt würden. Fähigkeit bedeutet hier die sozialpsychologisch im Bewußtsein der Bevölkerung festzustellende Erwartung eines Könnens; zurechnungsfähig ist also derjenige, der vom Bewußtsein der Bevölkerung als Gleicher definiert wird. Die Zuschreibung der Schuldfähigkeit soll aber noch von den Alternativen der Konflikterledigung abhängen 371 . Fragt man jedoch nach einer Voraussetzung, so stellt man dadurch auf eine bestimmte Seinsstruktur ab; fragt man dann im Gegensatz dazu nach der Konflikterledigung, so stellt man auf einen teleologischen Zusammenhang ab372 • Heißt es nun bei Jakobs, daß die Grenze der Zuschreibung von Schuld dort laufe, wo sie laufen müßte, um Normvertrauen zu erhalten373 , so zeigt sich hier, daß der Begriff der Fähigkeit nicht rein durch gesellschaftliche Akzeptanz definiert wird374 . Das Kriterium ist hier nicht das Bewußtsein der allgemeinen Meinung, sondern die Erledigungsmöglichkeit gesellschaftlicher Konflikte. Eine strafrechtliche Zurechnung, die nach dem Kriterium der bestehenden Behandlungsalternativen entscheidet, muß aber nicht unbedingt mit dem Bewußtsein der Bevölkerung über Schuldzuschreibung übereinstimmen, muß also von den anderen nicht unbedingt akzeptiert werden. Eine im System der Zurechnung notwendige Behandlung eines Konflikts könnte nämlich gesellschaftlich nicht als akzeptabel - weil nicht als gerecht empfunden- erscheinen. Würde sich dann dabei die Funktion des Strafrechts verwirklichen? Das Verlangen, den Täter als Gleichen zu definieren und die unterschiedlichen Lösungen beim Vorverschulden 375 legen die Annahme nahe, daß Jakobs letztendlich nicht nach Zurechnungsalternativen zuschreibt, sondern eher nach dem Kriterium der vom Bewußtsein der Bevölkerung akzeptierten Zuschreibung von Schuld. Der Schuldbegriff von Jakobs, der nach seiner Vorstellung ein formaler Begriff ise76, kann sich in seinem Modell erst als solcher erweisen, nachdem die grundlegende Frage der Gleichheit positiv beantwortet worden ist. Dabei geht aber der Jakobs, Schuld und Prävention, S. 33. Siehe eingehend Frister; Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 46 f. 373 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 33. 374 Die Schuldflihigkeit, die durch Berücksichtigung sozial-psychologischer außerstrafrechtlicher Gegebenheiten - Bewußtsein der allgemeinen Meinung - definiert werden soll, kann unmittelbar die Begründung der Zurechnung zur Schuld nicht liefern. 375 Die existentielle Frage nach der Subjektskompetenz läßt sich nun nicht nur bei der Schuldflihigkeit stellen, sondern ebenso bei der Zumutbarkeit. Die verschiedenen bei der Zurechnung anzuwendenden Maßstäbe in den Fällen der Schuldflihigkeit und der Zumutbarkeit erklären sich dadurch, daß bei der Frage der Zumutbarkeit die Bejahung der Zurechnungsfähigkeit vorausgesetzt wird. D.h., die Zumutbarkeitsfälle lassen sich erst nach einem rechtlichen Maßstab behandeln, nach dem die vorgeblich vorrangige Frage nach der Zurechnungfähigkeit bejaht worden ist. In Frage steht aber bei beiden Instituten die Gleichheit. 376 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 14. 371
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Vorteil eines formalen Begriffs gerade verloren. Denn das Urteil über die Gleichheit selbst, die Voraussetzung der Zurechnung ist, hängt im Modell von Jakobs letztendlich von einem existentiellen Urteil ab. Unterscheidet Jakobs in inkonsequenter Weise zwischen Schuldfähigkeit und Zumutbarkeit, so ist weiterhin seine Ansicht zum entschuldigenden Notstand zu kritisieren. Jakobs kommt nur zu dem Verständnis, daß es bei der Zurechnung der Entschuldigungsgrunde durch die Zuständigkeit um die Erledigungsalternative des Konflikts gehe, weil die Voraussetzung der Gleichheit schon als vorhanden gelte. Der Täter wird als Gleicher angesehen, und deswegen ist es möglich, bei der strafrechtlichen Zurechnung die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten des Konflikts abzuwägen. Erst dann kann in dem Modell von Jakobs über die Erledigung des Konflikts durch ein anderes System oder durch die Erklärung der "Tat" als Zufall gesprochen werden. Warum aber beschränkt Jakobs die Frage nach der Gleichheit überhaupt auf die Frage nach den internen Konstitutionsbedingungen des Strafrechtssubjekts? Wenn, wie Jakobs in "Norm, Person, Gesellschaft" 377 ausführt, zu einer formellen Rechtsperson auch ein dieser zugeschriebener Leib gehört, so kann sich dies doch nicht allein in der Begriindung der äußeren Objektsqualität der Rechtsperson erschöpfen. Die bloße Reduktion auf die Äußerlichkeit wird der Leiblichkeit der Rechtsperson nicht gerecht. Gerade die Existenz des § 35 StGB beweist, daß grundsätzlich rechtserheblich, weil personkonstituierend, auch die kontextuelle Einbettung des Leibes ist. Auch in anderen Bereichen der Zurechnung ist schließlich die Miteinbeziehung des Kontextes in die Erklärung einer Handlung vollständig anerkannt. Das unerlaubte Risiko wird niemals allein, ohne Rückgriff auf das situative Geschehen begriindet378, das äußere situative Geschehen allein entscheidet vielmehr nur dariiber, ob überhaupt eine strafrechtliche Thematisierung erfolgt. Und die Frage nach den Kompetenzen eines Subjekts stellt sich doch überhaupt erst beim Vorliegen eines situativen Kontextes. Damit soll nicht behauptet werden, es gebe einen Vorrang der äußeren Situation vor der Frage nach gewissen Interna; vielmehr ist es so, daß sämtliche Momente einander bedingen, Interna zur Erklärung von Externa benötigt werden, Externa die Schlußfolgerung auf Interna nahelegen. Auch die Schuldfähigkeit wird nur im Kontext einer möglichen Tat erörtet, ansonsten nie. Dabei kann ihr aber kein Vorrang gegenüber der Frage nach der Zumutbarkeit zukommen, da diese gleichfalls nur im Kontext einer möglichen Tat eingeräumt werden. Fraglich ist dabei auch, ob der Maßstab der Zurechnungsfähigkeit, der gleichermaßen über die Zumutbarkeit entscheidet, ein existentieller Maßstab sein kann. Bei der strafrechtlichen Zurechnung befindet man sich aber im Bereich des Rechts, d. h. der Maßstab muß ein einheitlich strafrechtlicher sein.
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Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 81. Dazu eingehend Lesch, Verbrechensbegriff, S. 238 ff.
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Zu dem Verständnis von Zumutbarkeit als einer bis auf Null reduzierten Strafzumessung gelangt Jakobs wegen des inhaltlichen Sprungs, den es zwischen Schuldbegründung und Zumutbarkeit geben soll. Daß die Fälle der Unzumutbarkeit damit nicht erklärt werden können, ist oben u. a. bei der Behandlung der Ansätze von Armin Kaufmann und Hirsch schon gezeigt worden. Bei der Aufhebung der strikten Trennung zwischen Schuldbegründung bzw. Schuldausschluß und Schuldzumessung werden die "qualitativen Unterschiede" verkannt "die unser Recht zwischen Begründung und Ausschluß der Strafe einerseits und der Zumessung einer als begründet vorausgesetzten Strafe andererseits macht" 379 • Die Strafzumessungsschuld richtet sich nach anderen Prinzipien als die Strafbegründungsschuld. Mit der Zuschreibung von strafrechtlicher Schuld, also von Zuständigkeit, wird angestrebt, daß der Aussage die Norm gelte nicht, widersprochen wird. Die Normgeltung wird durch die Zuschreibung von Schuld garantiert. Die Anwendung der Strafbegründungsschuld ereignet sich auf der kommunikativen Ebene des Strafrechts als punktuelle Entscheidung über die Aussagekraft eines Verhaltens - dies gerichtet nach den Bedürfnissen der Bestätigung gesellschaftlicher Identität. Diese Frage kann nur mit Ja oder Nein beantwortet werden380, entweder braucht das Strafrecht eine Bestätigung seiner Identität durch den Schuldspruch oder es braucht sie nicht. Die Zuschreibung von Schuld selbst ist nicht quantifizierbar: es wird gemessen, ob ein Verhalten einer Sollgröße entspricht oder nicht; auf einer anderen Ebene findet die Anwendung der Kriterien der Strafzumessungsschuld statt; dort wird die Quantität des Versagens festgestellt 381 • Der Maßstab, der dabei anzulegen ist, richtet sich (auch) nach den Erfordernissen der Generalprävention.
111. Gerechtigkeit und Funktion Eine Lehre, die das Vorhandensein einer materiellen Schuldkonzeption als notwendige Voraussetzung der strafrechtlichen Zurechnung behandelt, findet sich nicht nur, soweit man auf die traditionelle Konzeption der Schuld als Andershandelnkönnen abstellt, sondern ebenso dann, wenn man sich auf das Bewußtsein der Bevölkerung bei der Erwartbarkeit des Könnens des Täters stützt382. Die dritte Variante der Generalprävention formuliert also eine Rekonstruktion des traditionellen Denkens durch Rückgriff auf vorgeblich vorhandene und relevante außerrechtliche Gerechtigkeitskonzeptionen. Danach soll einerseits das absolute Andershandelnkönnen in Form eines von gesellschaftlichen Erfordernissen unabhängigen Schuldbegriffs nicht als Maßprinzip 379 380 381 382
Achenbach, in: Grundfrage des modernen Strafrechtssystems, S. 11. Siehe dazu auch Jakobs, Strafrechtliche Zurechnung, S. 17. Jakobs, Strafrechtliche Zurechnung, S. 18. Vgl. Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 22 ff. und passim.
6 Gonzalez·Rivero
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der Strafe gelten und andererseits eine nur nach gesellschaftlichen Erfordernissen zweckrationale Präventionskonzeption ebensowenig tragfähig sein383 . Positive Generalprävention bzw. Integrationsprävention bedeute auch hier die Erhaltung des Rechtsvertrauens 384, die Stabilisierung der Gesellschaft durch die Bewährung der zum gesellschaftlichen Leben elementaren Verhaltensnormen, wobei der Rückbezug auf den gesellschaftlichen Kontext notwendig sei385 . Es geht also bei dieser Lehre 386 um eine Vermittlung zwischen dem traditionellen Schuldbegriff und dem Präventionskonzept in Form der "Versöhnung von Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit"387. Integrationsprävention und positive Generalprävention sind dabei diejenigen Begriffe, die in Rechtsprechung388 und Literatur auf Elemente der Sozialpsychologie verweisen. Schattierungen ergeben sich lediglich dahingehend, wieviel Wert man jeweils auf das stets vorausgesetzte psychische Faktum legt. Alle Vertreter dieser Ansicht halten grundsätzlich sozialpsychologische Wirkungen in der Form einer Erzeugung von Emotionen und/ oder der Beeinflussung der Rechtstreue für Verbrechen und Strafe für maßgeblich. Und die Vorstellung einer korrigierenden Kraft in Form der Gerechtigkeit taucht auf, wenn allenthalben behauptet wird, die Erhaltung der motivierenden Kraft wichtiger sozialer Normen hänge von der Akzeptanz der Sanktionen ab. Nur die als gerecht empfundene Strafe werde nämlich von den Rechtsgenossen als angemessene Reaktion aufgefaßt und somit den angestrebten Motivationsprozeß auslösen389• Gemeinsam ist diesen Meinungen also der Glaube an die Verknüpfung von Rechtsbewährung und Gerechtigkeie90 • Die Schuld wird dabei nicht mehr als Begrenzung präventiver Bedürfnisse benötigt. Kunz, ZStW 98 (1986), S. 823 f.; Neumann, ZStW 99 (1987), S. 571. Kritisch dazu Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 179. 385 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 9 ff. und passim; ders., AT, 1/4 ff.; ders, in: Aspekte der Freiheit, S. 72; Neumann, ZStW 99 (1987), S. 589; ders., Zurechnung und "Vorverschulden", S. 21 ff., 272 ff.; Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 153, 221 ff., 225; Kunz, ZStW 98 (1986), S. 828; Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 142; Streng, ZStW 101 (1989), S. 288; Kindhäuser, GA 1989, S. 504; ders. , Gefährdung als Straftat, S. 343. 386 Zur Kritik an der Theorie der positiven Generalprävention siehe Köhler, Über den Zusammenhang von Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 29 ff.; E.A. Wolf!, ZStW 97 (1985), S. 799 ff.; Mir Puig, ZStW 102 (1990), S. 922 ff.; Schild, AK, vor§ 13, Rn. 42, §§ 20, 21, Rn. 71 ff. 387 Vgl. Streng, ZStW 101 (1989), S. 287; Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 144, 150 f.: Die positive Generalprävention nimmt den Sachverhalt des Schuldprinzips in sich auf. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 30, 37; ders., ZStW 107 (1995), S. 719. Kritisch dazu Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 30; Köhler, Der Begriff der Strafe, S. 3. 388 BVerfGE 45, 187, 256. 389 Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 143; Streng, ZStW 101 (1989), S. 292; Müller-Dietz, Festschrift für Jescheck, S. 819 f.; Haffke, GA 1978, S. 37 f. 390 Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 150 f.; Streng, ZStW 101 (1989), s. 287, 289. 383
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Denn die Gerechtigkeit der Reaktion auf Rechtsverletzungen, die Legitimität strafrechtlich sanktionierter Verhaltenserwartungen, soll eine immanente Grenze der recht verstandenen Generalprävention im Sinne der normativen Orientierung enthalten. Als Konkretisierung der Rechtsidee verweise der Schuldbegriff auf das Leitprinzip der Gerechtigkeit, diese wiederum sei wesentliche Bedingung der für die Rechtsbewährung grundlegenden sozialen Akzeptanz der konkreten staatlichen Reaktion. Ein Teil der Lehre weist dabei auf die regulatorische Funktion391 der Strafe hin392, und sieht dabei die Funktion des Strafrechts darin, das Bedürfnis nach Vergeltung in einen rechtlichen Verfahren zu kanalisieren und die Geltung der verletzten Verhaltensnorm zu beweisen393 . Die Strafe hänge davon ab, ob bzw. inwieweit ein Rechtsbruch das psychische Gleichgewicht der Bürger erschüttert habe. Die Vergeltung sei funktional in dem Sinne, daß "durch sie der als Folge eines Rechtsbruches entstehende kollektive Affekt und dariiber hinaus auch sonstige, die Gemeinschaftsbildung gefährdende Antriebe abreagiert werden können". Die Schuld des Täters erweise sich als Spiegelung der Strafbedürfnisse der Mitbürger, d. h. als schuldadäquat und gerecht werde eine Strafe angesehen, die den empfundenen Strafbedürfnissen entspreche394 . Von einem anderen Teil der Lehre wird die erwartungssichemde Funktion der Strafe hervorgehoben, also Sicherheit im Sinne von Erhaltung der gesellschaftlichen Orientierung395 . Die Funktion der Strafe bestehe in der Bestätigung der Normgeltung, darin das Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit zu stärken und damit deren Rechtstreue zu festigen. "Strafe (dient) der Sicherung der Normgeltung, und das heißt: der Durchsetzung der Anerkennung der Norm als der verbindlichen Richtlinie des Handelns"396. Beide Varianten der Lehre von der positiven Generalprävention397 stimmen nun darin überein, daß Bedingung für eine Verwirklichung der Funktion des Strafrechts 391 Siehe zur Erarbeitung der Lehre Durkheims und ihrer Bedeutung für die Lehre der positiven Generalprävention, Müller-Tückfeld, Integrationsprävention, S. 145 ff. 392 Raffke, Tiefenpsychologie und Generalprävention, S. 58 ff.; Streng, ZStW 92 (1980), S. 637, 663; Rudolphi, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 69, 70 f. ; Stratenwerth, Strafrecht, 1/25; Maurach/Zipf, Strafrecht, 6/6; Jescheck, Strafrecht AT, § 1 II; ders., in: LK, 11 . Aufl., Ein., Rn. 25; Roxin, AT, § 3/36. 393 Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 142 f.; Streng, ZStW 92 (1980), S. 650, 663; ders., ZStW 101 (1989), S. 295. 394 Streng, ZStW 92 (1980), S. 650, 657, 679; ders. , ZStW 101 (1989), S. 288 f. 395 Siehe dazu NeulTUlnn, ZStW 99 (1987), S. 589; Kindhiiuser, Gefährdung als Straftat, S. 30; dens., GA 1989, S. 504. 396 Kindhiiuser, Gefährdung als Straftat, S. 30, 343. Siehe dazu schon Jakobs, in: Aspekte der Freiheit, S. 72 ff., 74 f. LuhlTUlnn, Rechtssoziologie, S. 43. 397 Solange diese Unterscheidung nicht wesentlich für die Lösung des Vorverschuldens wird, wird sie nicht weiter geklärt. Zu der Unterscheidung eingehend Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 32 ff., 48 ff.
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sei, daß die Zurechnungsregeln des Strafrechts mit den Prinzipien der Alltagsmoral und der Gerechtigkeitsvorstellungen übereinstimmen 398 : Akzeptanz sei notwendige Voraussetzung; die strafrechtlichen Zurechnungsregeln seien nicht von elementaren sozialethischen Normen loszulösen399• Konzequenz sei dann, daß die strafrechtliche Reaktion mit den gesellschaftlichen Vorstellungen von einer gerechten Strafe jedenfalls prinzipiell übereinstimmen müsse400• Nur die als gerecht empfundene Strafe könne das Vertrauen in die Rechtsordnung stabilisieren, d. h. eine Strafe, die als Produkt eines "fairen" Verfahrens angesehen werde; eine unverhältnismäßige Sanktion sei nur kontraproduktiv. Eine Vorschrift, die eine gerechte Regelung nicht einmal intendiere, verfehle ihre sozialtechnische Funktion, denn aus der Perspektive der Gesellschaft trage eine solche Regelung nicht zur Stabilisierung, sondern zur Destabilisierung des Vertrauens in die Rechtsordnung bei401 •
1. Das dialogische Modell Neumanns Die gesuchte Anhindung an Prinzipien der Gerechtigkeit und Akzeptanz spiegelt sich in Neumanns Konzeption im Versuch einer Übertragung von Zurechnungsregeln der Alltagsmoral in die Dogmatik des Strafrechts, und genauer in Regeln der Zurechnung wider. Bei der Strafgesetzgebung gehe um die Transformation sozialer Normen in Rechtsnormen, vor allem bei der Festlegung strafrechtlicher Zurechnungsregeln, und auch in der Strafrechtdogmatik gehe es um eine Verlagerung dessen, was in der Gesellschaft "passiere". Die Zurechnungsregeln, die verwendet werden müßten, sollen nach Neumann mit den Regeln des Alltags und des Strafprozesses übereinstimmen402 • Die Strafe könne sich nicht nur nach dem Gesichtspunkt der Generalprävention, sondern müsse sich auch nach demjenigen gesellschaftlich verstandener Gerechtigkeit richten403 • Auch könne die Begründung strafrechtlicher Regeln im Bereich der Schuld nicht von kriminalpolitischen Argu398 Vgl. Kunz, ZStW 98 (1986), S. 833; Streng, ZStW 101 (1989), S. 292 f.; Schild, JZ 1980, S. 597, 602; Kindhäuser; Gefahrdung als Straftat, S. 32; Frister; Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 25 f. 399 Neumann, ZStW 99 (1987), S. 590; Kindhäuser; GA 1989, S. 493, 498; ähnlich Frister; Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", S. 26, 84. 400 Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 21 f., 270 f.; ders., ZStW 99 (1987), S. 591; ders., ARSP 1990, Beiheft Nr. 37, S. 149 ff.; Streng, ZStW 101 (1989), S. 292, 294; ders., ZStW 92 (1980), S. 679; Müller-Dietz, Festschrift für Jescheck, S. 813, 824, 826; Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 143, 151; Noll, Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 223; Schild, JZ 1980, S. 597, 602 f.; Kindhäuser; Gefahrdung als Straftat, S. 33, 37; Frister; Die Struktur des "vo1untativen Schulde1ements", S. 25 f., 86 f. 401 Neumann, ZStW 99 (1987), S. 593; Frister; Die Struktur des "vo1untativen Schulde1ements", S. 80, 83; ähnlich Kindhäuser; ZStW 107 (1995), S. 717. 402 Neumann, ZStW 99 (1987), S. 587, 590. 403 Neumann, Zurechnung und "Vorverschu1den", S. 280 ff.; ders., ARSP 1990, Beiheft Nr. 37, S. 146 f., 150 f. und passim.
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menten allein getragen werden, vielmehr sei ein Rückgriff auf normativ-wertende Begründungen erforderlich. Auf der Basis einer expliziten Funktionalisierung könne eine Exkulpation oder deren Versagung weder für den Täter noch in der Gesellschaft begründet werden404. Das Zur-Verantwortung-Ziehen als solches ist nach Neumann, in umgangssprachlicher und täglicher Deutung, eine Interaktion im Sinne eines Kommunikationsprozesses405. Das solle sich nicht ändern, wenn man die Kriterien des alltäglichen Zur-Verantwortung-Ziehens auf das Strafrecht übertrage, denn auch dieses sei eben ein Zur-Verantwortung-Ziehen. Für Neumann ist die Lösung des Vorverschuldens "nicht über begrifflich-konstruktive Argumente, sondern über die Formulierung und Begründung allgemeiner Zurechnungsregeln und -prinzipien" zu erreichen406 . Nach seinem Verständnis vom Strafrecht als dialogisch-kommunikatives Argumentationsmodell gibt es zwei Stationen der Zurechnung, nämlich das Verantwortungsverlangen und das Sich-Verantworten, die Vorwurfsstation auf der einen und die Verteidigungsstation auf der anderen Seite, ebenso wie es in der Gesellschaft beim alltäglichen Zur-Verantwortung-Ziehen funktioniere und wie es sonst im Strafprozeß gehandhabt werde407 • Verstehe man das rechtlich normierte System staatlichen Strafens als formalisierte gesellschaftliche Verantwortungsinteraktion, dann gebe es Regeln der ersten Stufe, die darüber entschieden, was im dogmatischen Sinne der Fall sei, und Meta-Regeln, die bestimmten, inwieweit der Angeklagte sich auf Regeln der ersten Stufe berufen könne408 . Diese sollten aber wegen der Bildung eines Systems so modifiziert werden, daß sie den Status theoretischer Aussagen bekämen409. Neumann versteht das Vorverschulden als Verletzung einer Obliegenheit, die keine tatbestandsmäßige Handlung darstelle, aber eine Zurechnung in "Ausnahme von den einschlägigen strafrechtsdogmatischen Regeln" ermögliche410. Das Vorverhalten - die Obliegenheitsverletzung - wird nicht als Verletzung eines Gebots oder Verbots, sondern als bloße Verwirkung einer Verteidigungsmöglichkeit interpretiert411. Die aus einem hypothetischen Imperativ abgeleitete Obliegenheit sei Neumann, ZStW 99 (1987), S. 592 f. Neumann, Zurechnung und ,.Vorverschulden", S. 277 f. 406 Neumann, Festschrift für Artbur Kaufmann, S. 593. 407 Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 276 ff.; siehe auch Schild, JZ 1980, S. 597 ff.; Haft, Der Schulddialog, S. 90. 408 Neumann, GA 1985, S. 400. Zu einer ähnlichen Anwendung von Ausnahmeregeln, die die anerkannten Regeln der Strafrechtsdogmatik suspendieren sollen, siehe schon Hruschka, Festschrift für Bockelmann, S. 427. 409 Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 284 ff.; ders., ZStW 99 (1987), S. 587 ff., 593 f.; Schild, JZ 1980, S. 599 ff.; ders. , Der Richter in der Hauptverhandlung, s. 37 ff. 410 Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 263. Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen diesem Modell und dem Modell Hruschkas, siehe Neumann, S. 260 ff.; dens. , GA 1985, S. 389 ff. 404
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ein bedingtes Müssen, das nicht auf einen normativen, sondern nur auf einen technischen Zusammenhang Bezug nehme; sie formuliere Richtlinien für funktionales Verhalten, ihre Mißachtung sei normativ indifferent. Sie stelle also allein eine Verletzung der "Pflichten gegen sich selbst", nicht der Pflichten gegen andere dar. Beim Vorverschulden müsse man nun zwischen den Fällen unterscheiden, die wie etwa der entschuldigenden Notstand- die Zumutbarkeit des Andershandeins beträfen und denjenigen, in denen die Fähigkeit zum Andershandeln in Frage gestellt werde. Nach Neumanns Ansicht ist der Täter im Moment der Verwirklichung des Tatbestandes in den Fällen des vorverschuldeten Verlustes der Schuldfähigkeit - nicht jedoch beim entschuldigenden Notstand, wo die Schuldfähigkeit nicht ausgeschlossen werde- schuldunfähig412 • Bei den Fallkonstellationen eines strafbarkeitsrelevanten Vorverschuldens der Schuldunfähigkeit sei zum Zeitpunkt der Ausführung der tatbestandsmäßigen Handlung die Voraussetzung schuldhaften Handeins nicht gegeben413 . Damit stehe die herrschende Lehre vor Schwierigkeiten bezüglich des Koinzidenzprinzips. Man gehe von der Vorstellung aus, daß es sich bei der Schuld um eine zeitlich fixierbare Eigenschaft des Täters handle414. Vom Standpunkt eines normativen Schuldbegriffs aus sei es die entscheidende Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen der Schuldvorwurf auf mit der tatbestandsmäßigen Handlung asynchrone Umstände gestützt werden müsse415 . Es gehe nicht um eine "Vorverlagerung" der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit416, sondern um den Verzicht auf diese Voraussetzungen als Bedingung für den Schuldvorwurf 17 • Neumann versucht für den Fall eines vorverschuldeten Verlustes der Schuldfähigkeit sowie für den Fall eines vorverschuldeten entschuldigenden Notstands mit 411 Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 266 f.; ders., GA 1985, S. 395 ff. Siehe zur Herleitung der Obliegenheit aus Geboten oder Verboten Hruschka, Festschrift für Bokkelmann, S. 426 ff.; dens., Strafrecht, I. Aufl., S. 407. 412 Neumann, Festschrift für Artbur Kaufmann, S. 592; ders., Zurechnung und "Vorverschulden", S. 246. 413 Vgl. Neumann, ZStW 99 (1987), S. 574. Neumann hat sich nicht vollkommen von einem traditionellen Schuldbegriff gelöst, siehe ebenso dens., Zurechnung und "Vorverschulden", S. 23: Er lehnt den funktionalen Schuldbegriff ausdriicklich ab. Kritisch dazu Burkhardt, Tatschuld und Vorverschulden, S. 165: Man müsse sich von der Vorstellung lösen, .,daß der Ausdruck ,Schuld' ... einen Gegenstand oder Sachverhalt in der außersprachlichen Wirklichkeit bezeichnet". 414 Kritisch dazu Neumann, Festschrift für Artbur Kaufmann, S. 591. 415 Aus diesem Schuldbegriff ergibt sich, wie bei der traditionellen Lehre der Schuld, Schuldunfähigkeit. Ist der Täter schuldunfähig, so darf ein Vorwurf nicht erhoben werden. Kritisch ebenso Jakobs, AT, 17 I 58: ,,Fiktion von Verantwortlichkeit"; ders., GA 1996, S. 21, Fn. 8; Streng, ZStW 101 (1989), S. 304 f. 416 Neumann, ZStW 99 (1987), S. 577 ff., 580 ff., kritisiert die Ansicht Jakobs' bezüglich der actio libera in causa mit dem Einwand, daß die Lösungskapazität des Modells Jakobs' viel größer sei. Nach dem Gesichtspunkt des Strafzwecks müsse man fragen, .,ob nicht die Definition des anderen als Person, die der Norm nichts anhaben kann, sich an Kriterien orientiert, die über die Beurteilung seiner Fähigkeiten hinausreichen", S. 581 f. 417 Neumann, Festschrift für Artbur Kaufmann, S. 592.
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Hilfe seines dialogischen Modells eine durch sein Verständnis von der Integrationsprävention geprägte Lösung zu liefern. Sie lautet: Verwirkung einer Argumentationsmöglichkeit - "Der Täter kann sich unter bestimmten Voraussetzungen nicht aufihn ,an sich' entlastende Umstände berufen"418 • Das entsprechend zugrundeliegende Zurechnungsprinzip bei § 35, Abs. 1, Satz 2, l. Alt. StGB formuliert er folgendermaßen: "Auf die ihm oder einer ihm nahestehenden Person drohende Gefahr kann sich im Rahmen des § 35 StGB mit entschuldigender Wirkung nicht berufen, wer die Gefahr ... (vorsätzlich, leichtsinnig, vorwerfbar, etc.) verursacht hat". Beim Vorverhalten solle nicht eine Pflichtwidrigkeit, sondern allenfalls eine Obliegenheitsverletzung festgestellt werden419 • Die Feststellung, daß der Täter die Gefahr des§ 35 Abs. 1, Satz 2, l. Alt. StGB verursacht habe, soll dem Täter die ansonsten mögliche Berufung auf einen Entschuldigungsgrund versagen. Ungereimtheiten bestehen in diesem Modell in der Beziehung zwischen Gerechtigkeit und Funktion. So wie im Modell Roxins der angebliche Zusammenhang zwischen Schuld und Prävention kritisiert wurde, so müssen gegenüber diesem Teil der Lehre der positiven Generalprävention wegen des angeblichen Zusammenhangs zwischen Gerechtigkeit und Prävention ähnliche Einwände gemacht werden. Denn die Begriffe der Gerechtigkeit und der Prävention sind zunächst als solche aneinander nicht anschlußfähig. Es scheint weiter grundsätzlich die Anschlußfähigkeit des Begriffs der Gerechtigkeit in der strafrechtlichen Zurechnung fraglich. Die Gerechtigkeit ist bei Neumann die Größe, die die Strafe (und damit notwendigerweise das Recht selbst) dessen Gestalt und Inhalt, prägt. Geht damit aber nicht die geforderte funktionale Betrachtung, die kontextabhängige Bestimmung des Inhalts der Begriffe, verloren? Oder gestaltet Gerechtigkeit den Kontext, bildet sie das Programm, anband dessen entschieden wird? Dies ist schwer vorstellbar, da schließlich auch der Begriff Gerechtigkeit ein relativer sein muß. Aus systemtheoretischer Sicht wird deshalb auch das Maß der Gerechtigkeit verworfen: "Gerechtigkeit aber enthält weder eine Aussage über das Wesen oder über die Natur des Rechts, noch ein Prinzip der Begründung der Rechtsgeltung, noch schließlich einen Wert, der das Recht als vorziehenswürdig erscheinen ließe"420• Es gibt weitere Einwände: ,,Rechtsgefühl", "gerecht empfundene Strafe", "Alltagsmoral" und "Akzeptanz" sind keine normativen Kategorien. An dieser Stelle soll gar nicht geleugnet werden, daß es Phänomene der kollektiven Psyche gibt, es soll auch nicht geleugnet werden, daß sich alles auf dieser Welt unter Menschen ereignet. Zu hinterfragen ist nur, wie nach Ansicht Neumanns das Recht zu charakterisieren ist. Die erste Frage lautet zunächst: In welchem System ereignet sich das Strafrecht, im psychischen System oder im sozialen System421 ? Ist das Recht bloß 418 Bezüglich des vorverschuldeten Verlustes der Schuldfähigkeit Neumann, ZStW 99 (1987), S. 574 ff., 593 f.; bezüglich der Lösung des vorverschuldeten entschuldigenden Notstands siehe dens., Zurechnung und "Vorverschulden", S. 207 ff. 419 Neumann, Zurechnung und "Vorverschulden", S. 223. 420 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 223.
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ein Diener der Psyche, und warum nicht umgekehrt die Psyche eine Magd des Rechts422? Ist das Recht nur ein Teilsystem in der von der Psyche beherrschten Gesellschaft? Dann aber müßte nicht der Widerspruch zum gesetzten Recht, sondern die Störung einer vorjuristischen Ordnung das Verbrechen begründen. Das Verbrechen würde nicht durch die Verletzung des Strafgesetzes, sondern durch den Bruch der im Strafgesetz implizierten "Gefühle" begründet. Die Psyche allein konstituiert aber nicht das Recht, vielmehr wird etwas vorausgesetzt, was Recht genannt wird. Auch muß es daneben eine dritte Kategorie - die Gerechtigkeit - geben, die, über allem stehend, wirkt. Das Entstehen, der Inhalt dieser Begriffe bleibt unklar. Behauptet wird allein die Maßgeblichkeit einer der drei Variablen; konsistent ist dies nicht. Wird dies aber durchgeführt, ist die Durchdringung des Rechts durch eine kollektive Psyche aufgehoben. Das Gefühl für Recht setzt nämlich Recht voraus. Weil das so ist, sind die Regeln, denen das Bewußtsein folgt, nicht mit den Regeln der Kommunikation identisch423 . Neumann widerspricht auch mit seiner Lösung zum Vorverschulden seinem eigenen Ansatz zu der Zuschreibung von Schuldfähigkeit Denn nach seiner Ansicht soll die im gesellschaftlichen Alltag vorgegebene Selbstbestimmungsfahigkeit bzw. Schuldfähigkeit vom Recht übernommen werden, denn sonst werde das Strafrecht den Gerechtigkeitsvorstellungen der Gesellschaft nicht gerecht. Wenn trotz des grundsätzlichen Unterschieds, den es zwischen Schuldfahigkeit und Zumutbarkeit geben soll, im Fall der verschuldeten Schuldunfähigkeit wie beim verschuldeten entschuldigenden Notstand einheitlich die Berufung auf Entlastung von Schuld verneint wird, so rechnet Neumann einem Tater eine Tat im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit zu, d.h die fur ihn in der gesellschaftlichen wie strafrechtlichen Zurechnung notwendige Voraussetzung der Selbstbestimmungsfähigkeit wird nicht respektiert. Hier ist der Kritik von Jakobs424 zuzustimmen, nach der die Person im Modell von Neumann keine Berücksichtigung findet, denn dort, wo keine formelle strafrechtliche Person (Zurechnungsunfähigkeit) vorhanden ist, darf dem Tater die Möglichkeit nicht versagt werden, sich auf das Fehlen der Zurechnungsfähigkeit berufen zu können425 . Wenn nach der Ansicht Neumanns im Moment der Tat keine formelle strafrechtliche Person vorhanden ist, muß der Tater sich auch darauf berufen dürfen. Im dialogischen Modell Neumanns liegt ein weiterer Fehler darin, daß für die strafrechtliche Zurechnung ein Begriff der Schuldfähigkeit ins Strafrecht übernom421
Teilsysteme einer Gesamtbetrachtung der Gesellschaft sind, nach dem Ansatz Luh-
manns, Soziale Systeme, S. 296 f., Leben, Bewußtsein und Kommunikation.
422 Das Recht ist, auch nach der Meinung Jakobs', in: Sozialtherapie, S. 131, unabhängig von der Psychologie bzw. der Psyche: "Das Strafrecht ist. .. nicht Magd der Psychologie und bildet seine eigenen Begriffe". 423 Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843. 424 Jakobs, AT, 17 I 58; ders. , GA 1996, S. 21, Fn. 8; zuletzt ders., Festschrift für Nishihara, S. 116. Kritisch dazu ebenso Streng, ZStW 101 (1989), S. 304 f. 425 Ähnlich Ziegert, Vorsatz, Schuld und Vorverschulden, S. 188.
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men wird, der den Filter des Rechtssystems nicht passiert hat. Der medizinische bzw. alltagsmoralische Begriff der Schuldfahigkeit ist für das Recht aber nicht unmittelbar maßgeblich. Diese Operation vollzieht Neumann nur innerhalb des Strafrechts durch die Anwendung dogmatischer Regeln der zweiten Ordnung; dann aber ist die Verwirkung einer Argumentationsmöglichkeit nicht zulässig, denn nach der im Modell Neumanns schon rechtlich festgesetzten Definition der Schuld ist eine strafrechtliche Person nicht vorhanden, und daraus folgend muß der Täter von einer Zurechnung entlastet werden. Neumann sieht sich genötigt, Regeln der zweiten Stufe zu verwenden, um die von ihm als vorgegeben betrachtete Definition der Schuldfahigkeit zu korrigieren; erst dadurch kommt er überhaupt zu einer Zurechnung des Täters im Fall eines Vorverschuldens. Dabei achtet Neumann nicht darauf, daß die weitere Entscheidung, ob das Täterverhalten als Natur oder als Sinn zu qualifizieren ist, nur anhand normativer und nicht anhand naturalistischer Maßstäbe getroffen werden kann; es handelt sich um eine rechtliche und nicht um eine dem Recht vorgegebene Frage. Die dem gesellschaftlichen Verständnis entsprechenden psychischen Umstände werden - im Gegensatz zu der Vorstellung Neumanns - nicht unmittelbar durch das Strafrecht übernommen. Es gibt keine ",an sich' entlastenden Umstände", die erst durch die Anwendung der Regeln der zweiten Stufe im Fall eines Vorverschuldens zu einer Belastung des Täters führen. Damit erweist sich in Neumanns Modell die Notwendigkeit der Anwendung sekundärer Regeln innerhalb des dogmatischen Zurechnungssystems als fragwürdig. Geht man mit Neumann - im Gegensatz zur hiesigen Ansicht - von der Notwendigkeit der Anwendung dieser Regeln aus, so wird der angeblich normativ indifferent betrachtete Charakter der Regelung, aus der sich die Versagung einer Argumentationsmögichkeit ergeben soll, problematisch. Denn es fragt sich, inwieweit überhaupt eine Obliegenheit - verstanden als Verpflichtung gegen sich selbst - auf strafrechtsdogmatische Regeln wirken kann. Die Verletzung einer Obliegenheit als Verletzung einer Pflicht sich selbst gegenüber kann als solche nicht das Verbot einer Verletzung eines anderen bedingen, denn mit der ersten befindet man sich auf der Ebene der Moral426 , mit der zweiten auf der Ebene des Rechts4 27 . Vertritt Neumann die Ansicht, daß "rechtlich.. .eine Verpflichtung sich selbst gegenüber nicht denkbar" sei428 , so ist nicht zu verstehen wie eine Obliegenheit als außerstrafrechtliche Norm auf die Argumentationsmöglichkeit des Täters einwirken kann. Soll die Obliegenheit keinen normativen Charakter haben, dann dürfte es auch nicht möglich sein, daraus eine Konsequenz für die strafrechtliche Zurechnung herzuleiten; 426 Zur Anwendung moralischer Argumentationsstrukturen in der Rechtswissenschaft und zur deontologischen Grundstruktur des Strafrechts: Neumann, Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 2, 1994, S. 82 ff. 427 Siehe zur Unterscheidung insbesondere in der Lehre Kants Kühl, Die Bedeutung der Kantischen Unterscheidungen von Legalität und Moralität, S. 173 und passim. 428 Neumann, in: Recht und Moral, S. 397.
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war der Taternach der "ordentlichen" Zurechnung schuldunf