Strafrechtliche Fälle: Für Übungen an Universitäten und bei Justizbehörden [7., unveränd. Abdr. der 6. Aufl., Reprint 2022] 9783112634943


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Strafrechtliche Fälle: Für Übungen an Universitäten und bei Justizbehörden [7., unveränd. Abdr. der 6. Aufl., Reprint 2022]
 9783112634943

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Strafrechtliche Fälle für Übungen an Universitäten und bei Justizbehörden von

Dr. Reinhard Kank Professor der Rechte in München

Siebente Auflage

Unveränderter Abdruck der sechsten Auflage

Verlag von sllfred Topelmann vormals I. Ricker ❖ Gießen ❖ 1922

Strafrechtliche Fälle für Übungen an Universitäten und bei Justizbehörden

Dr. Reinhard Aank Professor der Rechte in München

Siebente Auflage Unveränderter Abdruck der sechsten Auflage

Verlag von Rlfred Opelmann vormals Ricker Gießen ♦ 1922

Vorwort Die in meine Sammlung

aufgenommenen

nicht alle wirklich vorgekommen,

sind, fast durchweg im Anschluß

Fälle sind zwar

aber doch, soweit sie es nicht

an Fragen gebildet, mit denen Sie betreffen sämtliche

sich die Praxis öfters zu beschäftigen hat.

Materien des allgemeinen Teils und aus dem besonderen wenigstens die häufig abzuurteilenden Delikte.

Einige

Fälle habe

aus der Literatur entlehnte

ich stehen

lassen, weil ich weiß, daß sie in vielen Ureisen Interesse erregt haben.

Der Charakter aber,

trägt, berechtigte mich, ich versucht habe,

den meine Sammlung

im

ganzen

schon im Titel darauf hinzuweisen,

daß

sie den Bedürfnissen der Universität wie des

Vorbereitungsdienstes gleichmäßig anzupassen. Berlin, Ende April 1912.

Reinhard Frank.

Fälle zur mündlichen Behandlung. 1. Vas Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten ersucht das Reichsjustizamt um eine gutachtliche Äußerung darüber, ob es angehe, die Strafbarkeit wegen Forstdiebstahls schon mit dem vollendeten zehnten Lebensjahr eintreten zu lassen.

2. Lin „Lokal-Polizei-Reglement" bestimmt in § 4: „Absicht­ liche Beschädigung, Beschmutzung und widerrechtliche Benutzung der Anschlagstafeln und -säulen, Abreitzen von Anschlägen von denselben werden unbeschadet höherer allgemeiner Strafbestimmungen mit einer Geldstrafe bis zu 30 Mark bestraft." Wie steht es mit der Gültig­ keit dieses Reglements? Z. Eine Polizeiverordnung lautet: „Auf Grund des RStGB.s § 366 Nr. 10 wird hiermit den Hauseigentümern die Verpflichtung auferlegt, bei Glatteis den Bürgersteig mit Sägemehl zu bestreuen. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafe bis zu 60 Mark oder mit haft bis zu vierzehn Tagen bestraft." Sind gegen diese Ver­ ordnung Bedenken zu erheben? 4. Der Präsident einer preußischen Regierung verbietet den Wirten bei Strafe bis zu 30 Mark, während des Gottesdienstes Musikautomaten spielen zu lassen. Welche Bedeutung hat diese Ver­ ordnung für das Gericht?

5. Kls das RStGB. in Kraft trat, hob ein deutscher Staat das in seinem Polizeistrafgesetz enthaltene verbot des Tragens ver­ borgener Waffen deshalb auf, weil die Materie durch RStGB. § 367 Nr. 9 geregelt sei. Was ist die Folge davon? 6. Ist es zulässig, jemanden in Hessen wegen eines in Preußen begangenen Forstdiebstahls zu bestrafen? Wie steht es eventuell, wenn die Handlung nach hessischem Recht gemeiner Diebstahl ist? Wie, wenn sie umgekehrt nach preußischem Rechte als gemeiner, nach hessischem als Forstdiebstahl anzusehen ist?

7. Könnte Bresci, der Mörder des Königs von Italien, wenn er nach Deutschland geflüchtet wäre, hier bestraft werden? - Gesetzt, er wäre Deutscher. - Angenommen er hätte sich (als Deutscher) nach

4 seiner in Italien erfolgten Aburteilung auf deutsches Gebiet geflüchtet. — Wie wäre cs, wenn Brcsci die Handlung in Italien gegen einen deutschen Landesherrn oder dessen Gemahlin begangen hätte?

8. Lin Deutscher erhält in Berlin einen Brief aus Konstanti­ nopel, in dem ihm ein befreundeter Türke rät, sich in Deutschland noch eine zweite Frau zu nehmen. In der Tat gelingt dem Deutschen der Abschluß einer zweiten Ehe. Rann sich der türkische Freund den auf seinen Rat in Deutschland gegründeten neuen Hausstand ansehen, ohne Verfolgung befürchten zu müssen? — Wie wäre es in dem umgekehrten Falle, daß ein Türke in der Türkei auf Rat eines Deutschen eine zweite Frau nimmt? Riskiert der Deutsche, der den Rat von Berlin aus erteilt hat, Bestrafung? — Wie endlich, wenn wir uns in dem letzten Fall an Stelle des Türken einen in Konstantinopel wohnenden Deutschen denken? 9. Der Führer einer Expedition in das innere Afrika läßt ein Negerdorf in Brand stecken, weil ein Mitglied der Expedition von dort aus getötet worden ist. Rann er in Deutschland verfolgt werden?

10. Lin deutscher Rolonialbeamter kehrt in das Heimatland zurück. Wie steht es mit der Verfolgung der Delikte, die er etwa in den Kolonien begangen hat? 11. Im 18. Jahrhundert wurde innerhalb des heutigen Ober» landesgerichtsbezirks Lasse! eine Verordnung erlassen, welche „die Erteilung eines falschen Abschieds an das Gesinde" (d. h. die Ausstellung eines unrichtigen Dienstzeugnisses) mit „ernster und nachdrücklicher" Strafe bedroht. Die Verordnung ist bis jetzt nicht aufgehoben worden. Auf welche Strafe erkennt zutreffendenfalls der Richter?

12. Rann eine am 10. September 1890 begangene Zuwider­ handlung gegen das Sozialistengesetz, deren Verjährung unterbrochen ist, jetzt noch bestraft werden? — Lin aus Grund jenes Gesetzes zu einer Gefängnisstrafe verurteilter Agitator verlangte im Oktober 1890 seine Entlassung aus der Strafhaft, weil das Gesetz nunmehr außer Kraft getreten sei. 13. Das BGB. hat bekanntlich das sogenannte Rahlpfändungsrecht des Vermieters beseitigt. Kann ein Mieter, der im Jahre 1899 unter Mitnahme ihm unentbehrlicher, aber vom Vermieter für ge­ pfändet erklärter Sachen „gerückt" ist, Unterbrechung der Verjährung vorausgesetzt, jetzt noch bestraft werden? 14. Jemand, der vor dem Jahre 1900 bilanzpflichtiger Kauf­ mann war, hat es vor dieser Zeit wiederholt versäumt, die Jahres-

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bilanz zu ziehen. Mit der Gültigkeit des neuen Handelsgesetzbuches ist er aus dem Kreise der bilanzpflichtigen Kaufleute ausgeschieden. Bald darauf wird das Konkursverfahren über sein vermögen eröffnet. Ist er nach KG. § 240 Nr. 4 strafbar?

15- In ihrer ursprünglichen Fassung bedrohte die Konkurs­ ordnung (§ 210) den einfachen Bankrott mit Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren, während sie nunmehr (§ 240) Gefängnis schlechthin, anderseits aber bei mildernden Umständen auch Geldstrafe zuläßt. Kann jetzt gegen einen Schuldner, der die Handlung unter der Herr­ schaft der alten KG. begangen hat, auf drei Jahre Gefängnis erkannt werden?

16. Im Januar 1908 wird jemand wegen Majestätsbeleidigung verurteilt. Das Gericht erkennt an, daß er unüberlegt gehandelt habe, und spricht deshalb nur die Minimalstrafe von zwei Monaten Festung aus. vor dem Revisionsgericht beantragt der Angeklagte als Beschwerdeführer die Einstellung des Verfahrens unter Berufung auf das inzwischen in Kraft getretene Gesetz v. 17. Februar 1908.

17. stuf einem Spaziergange bemerkt jemand einen Sprung in dem Pfeiler einer Eisenbahnbrücke. AIs Techniker weiß er, daß die Brücke den demnächst fälligen Zug nicht tragen kann. Da er aber gerade eilig ist, so kümmert er sich nicht um die Angelegenheit. Die Brücke stürzt unter dem Zuge ein. — Wie wäre es, wenn der Sprung von einem vynamitattentat herrührte?

18. In einer kalten Winternacht finde ich einen Schwer­ betrunkenen auf der Straße, hebe ihn auf, um ihn auf die Polizei­ wache zu bringen. Nach einiger Zeit wird mir die Sache zu lang­ weilig. Ich verlasse den Betrunkenen; dieser erfriert alsbald. 19. Zwischen dem Kaufmann Leichtfuß und seinem Kassierer peinlich besteht die Verabredung, daß der letztere unbedingt für jeden Kassendefekt aufzukommen hat. Lines Tages nimmt Leichtfuß, der selbst im Besitze eines Schlüssels ist, 50 Mark aus der Kasse, ohne dem Kassierer etwas davon zu sagen. Dieser findet beim Monats­ schluß den Defekt und deckt ihn stillschweigend aus seiner Tasche.

20. Der Inhaber einer Wirtschaft läßt den Wiegeautomaten, von dem er weiß, daß er nicht mehr funktioniert, offen stehen und freut sich, am Abend die vergeblich hineingeworfenen Zehnpfennig­ stücke darin zu finden. 21. X beauftragt sein Dienstmädchen, einen Revolver zum Büchsenmacher zu bringen und dabei zu sagen, daß die Patrone noch

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darin stecke. Das Mädchen übergibt den Revolver dem Büchsen­ macher, macht ihn aber nicht darauf aufmerksam, datz die Waffe noch geladen ist. Der Büchsenmacher hantiert unvorsichtig mit dem Revolver, dieser entlädt sich und tötet einen vorübergehenden. 22. H und B wollen, ohne etwas voneinander zu wissen, den Bravo X zur Ermordung des 3 bestimmen. H bietet dem X für die Cat 600 Mark; B bietet 400 Mark. Da durch die Summe der Anerbietungen die Taxe des X erreicht wird, so begeht er die Tat. Wer ist als Anstifter haftbar? - Wie wäre es, wenn A und V im Einverständnis gehandelt hätten?

2Z. 3n voller Unabhängigkeit voneinander geben zwei Per­ sonen einer dritten mit Tötungsvorsatz Gift. Jede hält die eigene Dosis für genügend zur Tötung. Tatsächlich aber wirkt erst die Summe der Dosen tödlich. 24. Ein Arzt verschreibt aus versehen eine giftige Substanz in zu starker Dosis. Der Apotheker fertigt das Medikament in der vom Arzt vorgeschriebenen Weise an, obwohl er den Fehler bemerkt hat. Als ein Bote erscheint, um die Arznei zu holen, händigt sie ihm der Apotheker nebst dem Rezepte aus mit der Weisung, zunächst beim Arzt anzufragen, ob das Rezept richtig sei. Der Bote trifft den Arzt nicht zu Hause an und bringt nun der Frau des Rranken unter Mitteilung des Sachverhalts Rezept und Arznei. 3m ver­ trauen darauf, daß sich der Arzt stets als zuverlässig erwiesen hat, gibt die Frau ihrem gerade nach der Medizin verlangenden Manne davon zu trinken. Dieser stirbt infolge des Genusses.

25. Der technische Direktor einer Fabrik stellt zur Bedienung eines Dampfkessels einen, wie er weiß, durchaus unerfahrenen, aber geringen Lohn fordernden Arbeiter an. Der Arbeiter bekommt eine 3nstruktion ausgehändigt, die er nach Kräften zu befolgen sucht. Dennoch läuft ihm ein versehen unter, infolge dessen der Kessel platzt und mehrere Arbeiter tötet.

26. K versetzt dem ihm fremden B eine Ohrfeige. B hat ein Gehirnleiden und stirbt, obwohl die Ohrfeige ganz gelind war. — Wie wäre es, wenn die Verletzung des B von Haus aus ernstlicher gewesen, er aber auf dem Wege zum Arzte verunglückt wäre? 27. Ein Jäger besucht mit geladenem Gewehr ein Wirtshaus. Während er sich auf kurze Seit aus der Gaststube entfernt hat, nimmt der Sohn des Wirtes das Gewehr von der Wand, legt scherzend auf seinen jüngeren Bruder an und drückt los in der

7 Meinung, die Flinte sei nicht geladen. Der Bruder sinkt getroffen nieder. — Derselbe Fall, nur mit dem Unterschiede, daß der Sohn des Wirtes vorsätzlich handelt.

28- In einem bekannten Memoirenwerke des achtzehnten Jahr­ hunderts findet sich folgender Fall. Der verfaffer bemerkt in London einen Volksauflaus. Er eilt hinzu und findet die allgemeine Auf­ merksamkeit aus einen Mann gerichtet, der schwer verwundet auf der Straße liegt. Auf die erstaunte Frage des Verfassers, weshalb niemand dem verwundeten helfe, wird ihm erwidert, daß zwei Lords gewettet haben, ob der Mann mit dem Leben davonkomme - jeder, der helfen wolle, werde von den Wettenden und ihrem Anhänge daran gehindert.

29. Ein Bauer steckt sein Wohnhaus in Brand. Wie seine Frau, die sich schon lange mit Selbstmordgedanken trägt, das Feuer bemerkt, stürzt sie sich in die Flammen und verbrennt. 30- 3n dem Rheinland ereignete sich vor einigen Jahren folgender Fall. Eine Hausiererfamilie kam gegen Abend an einem Hüttenwerk vorbei. Durch die behagliche Wärme angelockt, betteten sich die Hausierer auf den Schlacken. Früh am nächsten Morgen, nach Beginn des Betriebes, gossen Hüttenarbeiter in gewohnter Weise glühende Schlacken auf den Haufen, so daß ein Teil der Hausierer getötet wurde.

31. Auf einer Tour lernen sich einige junge Leute kennen. A rühmt sich seiner Kreist und fordert auf, mit ihm zu ringen. Der Preis des Siegers solle in einer Flasche Sekt bestehen, die der Unter­ liegende zahlt. B geht darauf ein. Während des Ringens sinkt A von einem Herzschlag getroffen tot nieder. 32. Eine zur Zeit der Renaissance in Italien spielende Novelle erzählt uns von einer Frauensperson, die an der Pest erkrankt ist und nun einem Manne den Beischlaf gewährt, um ihn zu verderben.

33. Eine Frauensperson, die, wie sie weiß, syphilitisch erkrankt ist, vollzieht um des Gewinstes willen mit einem Manne den Bei­ schlaf. Der Mann wird angesteckt und verfällt in Siechtum. 34. Um die Tragkraft seiner neuen Büchse zu prüfen, legt ein Bandit auf einen Mann an, der in einer Entfernung von mehreren hundert Metern vorübergeht. Auf den Schuß fällt der Mann tot nieder. 35. Kaufmann Schmaucher liest im Bette rauchend einen Artikel, der auf die Gefahren dieser üblen Gewohnheit hinweist. Ein Funken fällt in das Bett und verursacht den Brand des Hauses.

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36. Lin Rind wird von einem Stier angefallen. Um es zu retten, gibt ein Mann einen Schutz auf den Stier ab, obwohl er mit der Möglichkeit rechnet, das Rind zu treffen. In der Tat wird es von der Kugel getötet. 37. Bus einer Zeitung: Magdeburg, 24. August 1900. (Pan­ toffelheld.) Lin unangenehmer Empfang wurde in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag einem Schumachergesellen zuteil, der bei seinem Meister in der Neustadt wohnt. Nach Mitternacht nach Hause wankend, hatte er kaum die Wohnung betreten, als ihm seitens der Frau Meisterin ein Gefäß kalten Wassers über den Kopf gegossen und mit einem kräftig gehandhabten Kiemen die durch das kalte Bad vielleicht ins Stocken geratene Vlutzirkulation wieder belebt wurde. Erst durch sein Geschrei aufmerksam gemacht, entdeckte die bestürzte Meisterin, daß sie nicht, wie sie meinte, ihrem Gatten, son­ dern dessen Gesellen diesen liebevollen Empfang zuteil werden lietz.

38. Der Kaufmann Schulze glaubt in einem Mitreisenden seinen seit Jahren vergebens gesuchten Schuldner Müller zu erkennen. Lr fordert daher den Mitreisenden aus, ihm sofort die auf Ehrenwort geschuldeten zehn Mark zu zahlen. Der Mitreisende der in der Tat eine ganz andere Person ist, klagt wegen Beleidigung. 39» X ist zur Beerdigung aufgebahrt. Sein Todfeind versetzt ihm einen Schlag mit der Reitpeitsche ins Gesicht. X ist nur scheintot.

40. Line Zeitung brachte die Nachricht, daß der Pfarrer B. in £. (Namen und Wohnort waren vollständig angegeben) sich in dem Augenblicke das Leben genommen habe, als er hätte verhaftet werden sollen. Die Nachricht war im guten Glauben gebracht worden, aber objektiv unrichtig. Der Pfarrer stellte Strafantrag.

41. In einem bayrischen Bezirk mit sehr abergläubischer Be­ völkerung ging vor einigen Jahren der Bauer Angstwurm früh morgens über Land. Im Nebel sah er plötzlich eine in ein weißes Tuch gehüllte Gestalt vor sich. In der Meinung, einem Gespenst gegenüberzustehen, stach er mit seinem Messer die Gestalt in den Arm. Diese entpuppte sich darauf als seine Nachbarin.

42. Die 25jährige Stiefmutter vollzieht den Beischlaf mit dem 20 jährigen Stiefsohn. Machen sich die Konkumbenten strafbar? Gesetzt, der Vater des Konkumbenten hätte zur Zeit der Handlung nicht mehr gelebt. — Wie wäre es, wenn die beiden sich daraus beriefen, daß sie von der Unerlaubtheit des Beischlafs nichts gewußt hätten? — Angenommen weiter, sie erklärten, nicht gewußt zu haben,

9 daß der Begriff der Verschwägerung auf das Verhältnis zwischen Stiefeltern und Stiefkindern Anwendung finde. 43. Derselbe Fall mit dem Unterschied, daß der aus Amerika zurückkehrende Stiefsohn seine Stiefmutter in Hamburg getroffen und beide, ohne einander zu kennen, den Beischlaf vollzogen hätten. — Wie, wenn zwar der Stiefsohn die Stiefmutter gekannt hätte, aber nicht diese jenen? 44. Reinecke Fuchs veranlaßt den Bär, sich in den Hof eines Bauern zu begeben; dort werde er eine reiche Beute an Honig finden. 3n der Tat aber rechnet Reinecke darauf, daß die Bauern den Bär weidlich durchprügeln werden. Diese Hoffnung geht vollständig in Erfüllung.

45. Lin Vater züchtigt auf der Straße sein unartiges Rind. Einige Passanten, die von den Beziehungen zwischen den beteiligten Personen nichts wiffen, kommen empört dem Rinde zu Hilfe und prügeln gemeinschaftlich den Vater durch. 46. Drei Jäger besuchen ein Wirtshaus und stellen ihre ge­ ladenen Gewehre gleich unvorsichtig auf. Ein Windstoß wirft die Flinten um. (Es ertönen unmittelbar hintereinander drei Schüsse, deren erster einen Gast tötet, während der zweite eine Fensterscheibe zertrümmert, der dritte aber durch ein offenes Fenster ins Freie geht.

47. (Ein Bauer befiehlt seinem Rnecht, eine bestimmte Fahrt zu machen. Der Rnecht weist darauf hin, daß das eine Pferd ein Leinenfänger sei und somit auf der stark begangenen Straße leicht ein Unglück geschehen könne. Trotzdem besteht der Bauer auf der Ausführung seines Befehls. 3n der Tat fängt das eine Pferd die Leine, geht mit dem andern durch und überrennt ein Rind. 48. 3n einer Wirtschaft läßt der Kellner aus versehen ein Zehnmarkstück fallen. Ein Gast sieht es liegen, zeigt es aber dem suchenden Kellner nicht, weil er beabsichtigt, es in einem unbewachten Augenblick einzuheimsen. Da sich aber ein solcher nicht findet, so verläßt er nach längerem Warten unverrichteter Sache das Lokal. — Der gleiche Fall mit dem Unterschied, daß der Gast seinen Fuß auf das rollende Geldstück gesetzt und es dadurch dem Kellner verborgen hat. — Wie wäre es, wenn der Gast das Geldstück nur aus Ver­ geßlichkeit nicht auf gehoben hätte? 49- Ein Bauer nimmt unzüchtige Handlungen mit seiner er­ wachsenen Tochter vor. Als er sich dabei von einem Schutzmann beobachtet sieht, bittet er flehentlich, ihn nicht anzuzeigen; er sei bisher unbestraft und wolle es auch bleiben. In der Tat verschweigt

10 der Schutzmann den Vorfall, weil ihm der Bauer sonst als ordentlich bekannt ist und er ihn nicht ins Zuchthaus bringen möchte. 50. Ein Tagelöhner, der zum Auskehren des Gefängnisses engagiert ist und sich deshalb für einen Beamten hält, läßt sich in unzüchtigen Verkehr mit einer inhaftierten Frauensperson ein. 51. Jemand zertrümmert seine eigene Uhr, weil er irrtümlich glaubt, sie gehöre einem anderen, dem er einen Schabernack zufügen will. 52. Ein Dieb greift in eine fremde Tasche in der Hoffnung, ein Portemonnaie darin zu finden. Die Tasche ist leer.

53. Eine Frauensperson, die sich irrtümlich für schwanger hält, nimmt ein Abtreibungsmittel. — Gesetzt, sie wäre wirklich schwanger gewesen, hätte aber ein indifferentes Getränk eingenommen in der Meinung, es sei ein Abtreibungsmittel.

54* Bei Frau Findig wohnt eine ältere Dame, Fräulein Einsam, mehrere Jahre zur Miete. Fräulein Einsam stirbt, und Frau Findig eignet sich aus ihrem Nachlaß eine goldene Uhr an. vierzehn Tage darauf wird das Testament der verstorbenen Einsam geöffnet, in dem die Findig zu ihrer eigenen Überraschung zur Alleinerbin eingesetzt wird. — Wie wäre es, wenn sie nur Miterbin geworden? Wie, wenn ihr die Uhr als Vermächtnis hinterlassen worden wäre? 55. Ein Kaufmann soll schwören, daß er eine Zahlung nicht erhalten habe. Obwohl er sie irrtümlich erhalten zu haben glaubt, leistet er den Eid. 56. Lin Witwer nimmt an, seine Frau lebe noch. geht er die Ehe mit einer andern ein.

Dennoch

57. Der Kaufmann Schwindel sieht Zahlungseinstellung und Konkurs voraus. Damit er später etwas zum Leben hat, bringt er einen Teil seines Warenlagers zu seinem Freunde Berger, der es unter Kenntnis des Sachverhaltes in Verwahrung nimmt. Line gerade noch zur rechten Zeit gemachte Erbschaft wendet Zahlungseinstellung und Konkurs ab. Sind Schwindel und Berger strafbar?

58. (Es greift jemand eine Frauensperson gewalttätig an, um den Beischlaf mit ihr zu vollziehen. Infolge der Gewaltanwendung stirbt die Angegriffene. Gb der Täter den Beischlaf schon vor oder erst nach Eintritt des Todes vollzogen hat, läßt sich nicht feststellen. 59- 3n der Herzegowina wollte vor einigen Jahren eine Diebesbande ein Haus ausplündern und dann in Brand setzen. Um sich zunächst über die Örtlichkeiten zu orientieren, zündeten die Leute

11 ein Feuer an; dieses äscherte das Haus ein, bevor jemand von der Bande zum Stellen kam. 60. Auf einer Treibjagd kommt einem Schützen ein Hase zum Schutz. Der Schütze sagt sich, daß er sowohl den Hasen als den diesen verfolgenden Hund treffen könne. Da ihn aber der Hund einmal gebissen hat, so ist es ihm recht, wenn dieser anstatt des Hasen auf der Strecke bleibt. Tatsächlich trifft der Schütze weder den Hasen noch den Hund. Kann er wegen versuchter Sachbeschädigung bestraft werden? — wie, wenn er den Hasen trifft?

61. Dem italienischen Roman Mia von Memini ist folgender Fall entlehnt. Tin Knecht gibt einen Schutz in die Luft ab, um durch den Knall das Pferd scheu zu machen, das den wagen mit seinem Herrn zieht. Tr rechnet darauf, daß das Tier mit dem wagen in den Abgrund rennen und der Herr so zu Tode kommen werde. Kurz nach Abgabe des Schusses sieht der Knecht, daß in dem wagen auch die heimlich von ihm geliebte Gemahlin seines Herrn sitzt. Tr wirft sich infolgedessen dem wild gewordenen Pferd entgegen und bringt den Wagen zum Stehen. 62« A schießt aus seinem Revolver, dessen sechs Läufe sämtlich geladen sind, eine Kugel mit Tötungsvorsatz auf B ab. Der Schutz geht fehl; auf flehendes Bitten des B steht A von weiterem Schießen ab. 63. Tine Frau gedenkt, ihre frucht durch wiederholtes Tinspritzen einer Flüssigkeit abzutreiben, und ist der Meinung, daß sie mindestens zwölfmal spritzen müsse. Nachdem sie es zweimal getan hat, gibt sie die Sache auf.

64. Tine andere Frau will ihr Kind töten. Aus die Frage» wie sie sich vor Entdeckung schützen könne, erteilt ihr eine Freundin den Rat, das Kind durch mangelhafte Ernährung solange herunter­ zubringen, bis es an Entkräftung sterbe. Daraufhin gibt die Mutter dem Kind mehrere Tage lang zuwenig zu essen. Dann aber wird sie durch das anhaltende Schreien des Kindes erweicht und führt ihm nunmehr wieder die erforderliche Nahrung zu. 65. Der Rentner Meyer hat seine Wertpapiere nicht nur in einem wohlverschlossenen Kassenschrank untergebracht, sondern auch in einen Umschlag gelegt, auf dem sich eine mit mystischen Zeichen umgebene Verwünschung gegen den etwa auftretenden Dieb befindet. Angesichts dieser Verwünschung, die den Dieb mit Sied)tum und Pest bedroht, läßt X, nachdem er den Schrank bereits erbrochen hat, die Papiere liegen.

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66. Ein anderer Rentner hat in seinem Bureau eine Puppe aufgestellt, die einem riesenhaften Gendarmen gleicht. X, der in diebischer Absicht eingestiegen ist, erblickt plötzlich die Puppe und ergreift schleunigst die Flucht. 67. Lin dritter Rentner hat auf seinen Wertpapieren geheime Zeichen angebracht, die beim verkauf zur Entdeckung des Diebes führen sollen. Angesichts dieser Zeichen läßt der in diebischer Absicht eingestiegene X die Papiere liegen. 68. Es ist jemand eingestiegen, um zu stehlen, da er aber keine seinen Ansprüchen genügende Beute vorfindet, so begibt er sich fort, ohne etwas an sich genommen zu haben. 69* vor einiger Zeit fragte ein Sträfling des Zuchthauses F ... I bei mir an, ob seine Verurteilung wegen versuchten Dieb­ stahls mit Recht erfolgt sei. Er habe zwar von dem Keller eines Hauses aus mit dem Durchbrechen der Decke begonnen, um in den Ladenraum zu gelangen und die Rasse auszuleeren, die Sache aber wieder aufgegeben, weil es ihm zweifelhaft geworden, ob der Laden über dem Keller liege.

70. Eine Köchin hatte die Suppe ihres Herrn vergiftet und in das Eßzimmer gebracht, in dem, wie sie erwartet, der Herr demnächst zum Essen erscheinen wird. Nachdem sie sich in die Küche zurück­ begeben hat, kommt ihr der Gedanke, daß vermutlich der üble Geruch der Suppe zur Entdeckung führen werde. Sie gießt daher die Suppe aus, bevor der Herr davon genossen hat. 71. Um falsches Geld herzustellen, hat sich jemand in den Besitz der erforderlichen Platten und Formen gesetzt. Nun liest er aber in der Zeitnng von der strengen Bestrafung einer Falschmünzerbande und gibt daher die Sache wieder aus. — Wie wäre es, wenn er schon falsches Geld hergestellt, aber wieder vernichtet hätte?

72- vor Gericht sagt ein beeidigter Zeuge die Unwahrheit. Aus die dringenden Ermahnungen des Vorsitzenden widerruft er. 73. Ein Dieb schickt die gestohlenen Sachen wieder zurück. — A hat den B durch Täuschung veranlaßt, ihm 100 Mark anzubietenschließlich verweigert er aber die Annahme. — Derselbe Fall mit dem Unterschiede, daß A den B durch Drohung zu dem Anerbieten bestimmt hat. 74. Jemanden, der in diebischer Absicht eingestiegen ist, fällt ein, daß morgen sein Glückstag sei und er das Stehlen daher besser verschiebe. Deshalb geht er wieder fort, ohne etwas entwendet zu haben.

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75. Ein Kaufmann hat die Buchführung ein Jahr lang ver­ nachlässigt, dann aber seine Bücher in Ordnung gebracht. Bald darauf wird der Konkurs über sein vermögen eröffnet. 76. Einige junge Kaufleute werfen nachts eine Gaslaterne entzwei. Infolge des Lärms eilt ein Schutzmann herbei, dem einer der Beteiligten einen gerade vorübergehenden Studenten als den Täter bezeichnet. Der Kaufmann beharrt bei seiner Beschuldigung auch dann noch, als der Schutzmann den Studenten festnehmen zu müssen erklärt und demnächst die Drohung verwirklicht.

77. Ein Geisteskranker vollzieht auf Geheiß des H mit seiner (des Geisteskranken) Schwester den Beischlaf. — Derselbe Fall mit dem Unterschiede, daß er den Beischlaf mit der Schwester des fl vollzieht. 78. Ein Notar läßt Schreiber vornehmen.

eine Falschbeurkundung

durch

seinen

79- Bei einem Eisenbahntransport in der Schweiz wurde vor einigen Jahren eine Kuh in der Art gefesselt, daß darin der Tat­ bestand der Tierquälerei zu finden war. Da die Staatsanwaltschaft nicht ausfindig machen konnte, wem persönlich die Fesselung zur Last fiel, so erhob sie Anklage gegen die Eisenbahnverwaltung, die denn auch verurteilt wurde, wäre das auch in Deutschland denkbar? 80. Der Verleger einer oppositionellen Zeitung zahlt einem schwerkranken Manne jährlich 300 Mark dafür, daß er sich als ver­ antwortlichen Redakteur benennen läßt. Tatsächlich kümmert sich der Kranke in keiner weise um die Zeitung. Kann er trotzdem wegen eines Artikels, in dem man eine Majestätsbeleidigung findet, zur Ver­ antwortung gezogen werden?

81. Auf einer Zeitung ist niemand als verantwortlicher Re­ dakteur benannt, haftet die Person, welche tatsächlich redigiert hat, gleichwohl für den strafrechtlich bedeutsamen Inhalt der Zeitung? 82. Der Redakteur einer Zeitung ist für einige Tage beurlaubt, wird aber auch auf den inzwischen erscheinenden Nummern als ver­ antwortlicher Redakteur benannt. Trägt er in Wahrheit die straf­ rechtliche Verantwortung? 83. Ein Redakteur hat einen Artikel ausgenommen, ohne ihn gelesen zu haben. Kann er sich mit Erfolg darauf berufen? - Oder auch darauf, daß er den Artikel nicht verstanden habe? 84. Der Knecht zündet auf Befehl seines Herrn in der Nähe des staatlichen Waldes Feuer an. Der Wald gerät in Brand.

14 85. Eine Frauensperson hält eine andere gewaltsam fest, da­ mit ein Mann mit der Festgehaltenen den Beischlaf vollziehen kann. 86. Baum und Korn verabreden die Beraubung eines Brief­ trägers. Der Ertrag des Raubes soll geteilt werden. Baum lauert den Briefträger im Walde, Korn im Felde auf. Da der Briefträger seinen weg durch das Feld nimmt, so ist es Korn, der die Tat vollzieht. 87- A und B verabreden, daß H einen Wechsel fälschlich an­ fertigen und B ihn bei einer Bank diskontieren lassen soll. Nachdem H seine Tätigkeit vollendet hat, werden beide abgefaßt. — wie wäre es, wenn H nach der Herstellung des falschen Wechsels ihn wieder zerrissen hätte? - wie, wenn H nach Einhändigung des Wechsels an B die Vorlegung an die Bank irgendwie gehindert, oder wenn er die Bank rechtzeitig gewarnt hätte? — Angenommen endlich, fl schließt den wechsel ein, weil er mit der Sache nichts mehr zu tun haben will, B entwendet ihn und läßt ihn diskontieren.

88. Bankier protz unterhält mit der Tochter des Arbeiters Grob intimen Verkehr. Frau Grob kommt hinter das Verhältnis und bestimmt ihren Mann zu folgendem vorgehen. Er solle sich an Stelle der zu Hause bleibenden Tochter an den Grt des Stelldicheins begeben und dort den Bankier mit vorgehaltener Pistole zur Aus­ stellung eines Schuldscheins von wenigstens lOOOO Mark veranlassen. Der Ehemann Grob führt den Plan aus, jedoch mit der Abweichung, daß er dem Bankier nicht mit der Pistole, sondern nur mit der Ver­ öffentlichung des Verhältnisses bedroht. — Nun umgekehrt: Frau Grob sagt ihrem Manne, er solle mit der Veröffentlichung des Verhältnisses drohen, in der Tat aber bedroht Grob den protz mit einer Pistole. — Endlich: Grob läßt sich von protz keinen Schuldschein ausstellen, sondern prügelt ihn durch. 89- wie würde in dem 26. Falle der Anstifter des A zu bestrafen sein? 90- Angenommen, ein Landesherr prügelte auf Zureden seines Kammerherrn einen mißliebigen Abgeordneten durch.

91. Ein Einbrecher wendet sich an seinen Freund mit der Bitte, ihm einen Dietrich zum Zwecke mehrerer Diebstähle zu leihen. Der Freund erfüllt die Bitte, und der Einbrecher begeht unter Benutzung des Dietrichs drei Diebstähle. — wie wäre es, wenn der Einbrecher zwar gestohlen, den Dietrich aber nicht benutzt hätte? — wie, wenn er bei Begehung des ersten Diebstahls abgefaßt worden wäre, als er gerade begonnen hatte, die Korridortür unter Benutzung des Dietrichs zu öffnen? - Gesetzt, er hätte den ersten Diebstahl nach Öffnung der

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Tür freiwillig wieder aufgegeben. — Wie endlich, wenn der Einbrecher sogleich nach Erlangung des Dietrichs inhaftiert und ihm derselbe abgenommen worden wäre? 92. Der Vater befiehlt seinem Sohn unter Einsetzung der väter­ lichen Autorität, ein fremdes Grabmal auf dem Friedhof zu zerstören, zieht aber bald daraus seinen Befehl zurück, indem er erklärt, er wolle mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Der Sohn führt die Tat gleichwohl aus.

93. Ein zahlungsunfähiger Schuldner gewährt einem seiner Gläubiger, mit dem er schon seit Jahren in Geschäftsverbindung steht, eine hypothekarische Sicherheit. 3ft der Gläubiger als Gehilfe strafbar? 94. Der Assistenzarzt H erhält wie viele seiner Kollegen einen Brief, in dem ihn eine Frauensperson um ein Abtreibungsmittel bittet. R reagiert darauf in keiner Weife. — Wie wäre es, wenn er zur Anwendung eines Mittels geraten hätte, das, wie er weiß, durchaus unwirksam ist?

95. Ein eifersüchtiges Mädchen gießt seiner vorübergehenden Nebenbuhlerin Schwefelsäure auf den Kopf und beschädigt dadurch gleichzeitig deren neuen Hut.

96. Der Agent Schwindel wird am 15. Mai 1905 wegen einer am 11. Januar 1905 begangenen Urkundenfälschung in Idealkonkurrenz mit Betrug zu zwei Jahren Zuchthaus veruteilt. 3m August 1908 wird er aufs neue wegen eines im März dieses Jahres begangenen Betrugs angeklagt, und da er bereits am 1. November 1901 wegen des gleichen Delikts verurteilt worden ist, so entsteht die Frage, ob die Voraussetzungen des Rückfalls vorliegen. 97. 3n einer Broschüre wird auf Seite 20 der Bürgermeister X als Esel, auf Seite 45 der Pfarrer I) als Betrüger bezeichnet. Beide erheben gegen den Verfasser selbständige privatklagen. Der Verfasser wird in dem ersten Verfahren wegen Beleidigung des Bürgermeisters zu einer Gefängnisstrafe von 14 Tagen, in dem zweiten Verfahren wegen Beleidigung des Pfarrers zu einer Gefängnisstrafe von 1 Monat verurteilt. 98« 3n einer Wahlversammlung bezeichnet ein Redner die sämt­ lichen anwesenden Vertreter der Gegenpartei als gemeine Raufbolde. 99- Ein Diesem gelingt eingesperrt ist, drängt ihn der

Bauer hält seinen erwachsenen Stiefsohn gefangen. es eines Tags, das Fenster des Raums, in dem er zu öffnen. Wie er eben im Begriff ist auszusteigen, mit den Verhältnissen vertraute Knecht zurück. — Wie

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wäre es, wenn der Knecht die entsprechende Handlung gegenüber dem von dem Herrn gestohlenen, zu seinem rechtmäßigen Eigentümer zurück­ strebenden Hunde vorgenommen hätte?

100. Jemand schreibt beleidigende Briefe an mehrere Personen und wirst sie zusammen in den Briefkasten. 101. Bei der Liquidation von Prozeßkosten wird happig als obsiegende Partei zur eidesstattlichen Versicherung darüber zugelassen, daß er gewisse Reisen gemacht habe (ZPG, §§ 104, 294). Der Kostenfestsetzungsbeschluß lautet dementsprechend. Da sich nachträglich die Versicherung als unwahr herausstellt, so wird der happig wegen falscher eidesstattlicher Versicherung und Betrugs angeklagt. Die Staatsanwaltschaft beantragt eine Gefängnisstrafe von sechs Wochen, das Gericht erkennt aber nur auf vier Wochen, hat die Revision der Staatsanwaltschaft Aussicht auf Erfolg?

102. Km 1. Mai wird Pech wegen Diebstahls, begangen am 1. Februar, zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Strafantritt am 1. Juni, während des Strafvollzugs, und zwar am 1. Juli, erneute Verurteilung wegen eines am I. März begangenen Betrugs. Die dafür ausgesprochene Strafe von 1 Monat Gefängnis vereinigt das Gericht mit der ersten zu einer Gesamtstrafe von 6 Monaten und 10 Tagen. Das zweite Urteil wird in der Revisionsinstanz aus­ gehoben unter Zurückverweisung der Sache. Nun bittet der An­ geklagte dringend, den neuen Termin spätestens im Laufe des No­ vember stattfinden zu lassen. Kus welchem Grunde? 103. Der Besitzer einer Druckerei wird wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften angeklagt, aber wegen Geisteskrankheit frei­ gesprochen. Das Gericht steht nun vor der Frage, ob es auf Un­ brauchbarmachung der Schriften zu erkennen hat. — Die gleiche Frage taucht oft bei Freisprechung gemäß § 193 auf.

104. Ein Privatsekretär entwendet seinem Thef ein druckfertiges Manuskript und veröffentlicht es unter eigenem Namen. 105. Der Auszügler Neidisch stiehlt seinem Sohn eine silberne Uhr und veräußert sie an den Trödler hehl, der sie unter Kenntnis des Sachverhalts erwirbt. — Derselbe Fall mit dem Unterschiede, daß der elfjährige Sohn die Uhr seinem Vater weggenommen hat. — wie wäre es, wenn der Sohn zwanzig Jahre alt wäre, der Vater aber keinen Strafantrag stellte? 106. Der Dienstknecht Winzig beantragt am 25. Oktober die Bestrafung seines Herrn wegen einer ihm von diesem am 20. (Vk-

17 tober zugefügten Mißhandlung. Hm 30. Januar wird ihm eröffnet, -aß die Staatsanwaltschaft die Verfolgung der Sache ablehne. Kann winzig jetzt noch privatklage erheben? — Hngenommen, der Knecht hätte sogleich den weg der Privatklage bestritten, sie aber alsbald wieder zurückgezogen. Kann nun die Staatsanwaltschaft ohne weiteres die öffentliche Klage erheben? — Läge der Fall anders, wenn wir uns an Stelle des Knechtes die Ehefrau des Dienstherrn denken?

107. In den sogenannten „Theatergesetzen" (einem von den meisten deutschen Theaterunternehmern und Schauspielern einzugehen-en Vertrag) ist oder war bis vor kurzem vorgeschrieben, daß Be­ leidigungen erst dann vor Gericht anhängig gemacht werden dürfen, wenn der Leiter des Theaters keine Versöhnung unter den Beteiligten herbeiführt. Hngenommen, es wird ohne einen derartigen Sühne­ versuch ein Strafantrag bei Gericht angebracht. Kann sich der Be­ leidigte auf die Theatergesetze berufen?

108. Dem preußischen Landrat in X. im Regierungsbezirk Cassel wird in der presse vorgeworfen, daß er als Vorsitzender der Einkommensteuer-Linschätzungskommission parteiisch zu Werke gehe. Kurz nach dem Erscheinen des Hrtikels wird der Landrat in den Regie­ rungsbezirk Wiesbaden versetzt. Der Regierungspräsident von Lasse! stellt Strafantrag. 109- Kurz sieht an dem Fenster eines Jägers zwei Feldhühner hängen und macht seinen Begleiter Guth darauf aufmerksam, indem er sagt: „wenn du die Hühner herunterholst, so können wir sie auf meiner Bude braten und essen." wie gesagt, so getan. Der Jäger stellt Strafantrag gegen Kurz, da von diesem der plan ausgegangen sei, dagegen wünsche er dem Guth seine Karriere nicht zu verderben.

110. Der uneheliche Vater bedroht die Mutter mit dem Tode, falls sie nicht sofort das Kind töte. Die Mutter reagiert hierauf in der Hrt, daß sie ihrerseits den Vater niederschlägt. - Unter welcher Voraussetzung kann sie der Hufforderung Folge leisten, ohne Bestra­ fung besorgen zu müssen? - wie wäre es, wenn sie zu ihrer Rettung aus dem Fenster gesprungen wäre und dabei ein fremdes Garten­ beet beschädigt hätte? — Darf ein Dritter dem Kinde, mit dessen Erwürgung die Mutter gerade beginnt, dadurch helfen, daß er die Mutter zurückstößt und dabei verletzt?

111. Der Metzgerlehrling Bang wird beschuldigt, die Gbstbäume eines Gärtners zerstört zu haben. Er beruft sich darauf, daß sein Meister ihm mit sofortiger Entlassung gedroht habe, wenn er die Tat nicht ausführe. — wie wäre es, wenn ihm der Meister mit einer Tracht prügel gedroht hätte?

18 112. Don einem furchtbaren Gewitter überrascht, suche ich Schutz in einem Hause. Der Eigentümer weist mich auf die Straße. Ich weigere mich, das Haus zu verlassen. (Es entsteht ein Ringen, bei dem ich verletzt werde. — Bei einem Schiffbruche hilft H dem B dabei, den 3£ von der Planke zu ziehen, damit sich B daraus rette.

113- Die Zeitungen berichteten kürzlich von einem Dienst­ mädchen, das in der Kirche laut nach der Hebamme gerufen habe, weil ihre Herrin plötzlich in Rindesnote geraten sei. — wie wäre es, wenn wir uns an Stelle des Dienstmädchens den Ehemann denken? 114. Der Forster sieht, wie ein fremder Tourist von einem wütenden Stier angegriffen wird, und schießt diesen nieder. — wie wäre es, wenn sich der Stier gegen den Sonnenschirm des Touristen gewandt hätte? — Wie, wenn wir uns an Stelle des Stiers einen Menschen denken, der den Sonnenschirm stehlen will? 115. Ein Fischer bemerkt auf der andern Seite des ihm zur­ zeit nicht zugänglichen Flusses einen Menschen, der unberechtigt Fische fängt. Trotz Zurufs läßt dieser von seinem Tun nicht ab. Der Fischer schießt ihn deshalb nieder.

116. Ruf Befehl seines Vorgesetzten will ein Soldat ein paar Birnen von einem Baume brechen. Der Eigentümer des Baumes setzt sich zur wehr und verletzt den Soldaten. 117. Eine schwache Frauensperson wird von einem Strolche angefallen, sticht ihn aber mit einem Dolche nieder. — Ein anderer Strolch fällt einen Mann von hervorragender Körperkraft an. Vieser wehrt sich in der gleichen Weise. — Stehen die beiden Fälle einander rechtlich gleich?

118. 3n einem Walde springt ein Mensch mit geschwärztem Gesicht und drohend geschwungener Keule auf mich zu und fordert meine Börse. Ich schieße ihn nieder. Bei Besichtigung der Leiche erkennt man in dem Getöteten einen meiner Freunde. (Es muß angenommen werden, daß er sich einen schlechten Witz mit mir hat machen wollen. — wie läge der Fall, wenn das Huftreten des ver­ meintlichen Angreifers leicht als Scherz zu erkennen gewesen wäre? 119- Vie Honoratioren eines Landstädtchens teilen sich in zwei Parteien, deren eine in dem Kasino und deren andere in dem Klub ihren vereinigungspunkt hat. Gelegentlich einer Reiberei schreibt der maitre de plaisir des Kasinos seinem Kollegen vom Klub, er werde ihn beim nächsten öffentlichen Rbendkonzert mit der Reitpeitsche traktieren. Rm Vormittage des kritischen Tages kehrt der maitre

19 de plaisir des Klubs den Spieß um, indem er seinen Kollegen auf der Straße durchprügelt. Angeklagt, beruft er sich auf Notwehr.

120. Während bes Gottesdienstes sieht der Bauer Feisel, wie seine entfernt von ihm an einer schwer zugänglichen Stelle der Kirche sitzende Tochter trotz heftigen Sträubens von einem Burschen unzüchtig betastet wird. Der Bauer verweist dem Burschen durch lauten Zuruf sein Verhalten und stört dadurch die Andacht der Gemeinde. 121- Sn einer badischen Landkirche hielt vor Jahren der Pfarrer eine predigt, in der er unter anderm mit Bezug auf den anwesenden Bürgermeister sagte: „Nachdem kam einer zu mir in mein Studierzimmer und sagte mit erheuchelter Gemütsbewegung und mit feuchten Augen, wie er so erbaut sei von meinen predigten und wie noch keine solchen auf dieser Kanzel gehalten worden seien, und sonstige ekelhafte Heucheleien." Bei diesen Worten erhob sich der Bürgermeister, rief dem Pfarrer „Ruhe! Ruhe!" zu und verließ die Kirche. 122. Lin Geistlicher sagt in der predigt, daß das Gottes­ bewußtsein überall mit Ausnahme einiger Volkerfamilien nachgewiesen sei. Diese Einschränkung bezieht ein Hörer namens Völker auf seine Familie und unterbricht den Pfarrer durch einen lauten Protest. 123. Lin italienischer Geistlicher, der von Briganten gefangen genommen war, befreite sich dadurch, daß er den schlafenden Wächter tötete.

124. (Ein Apotheker, der einen guten Weinkeller besitzt, legt aus versehen eine mit Gift gefüllte Flasche zu seinem alten Wein. Sechs Jahre später trinkt seine Frau von dem Gift und stirbt. 125. Der Kassierer L begeht am 10. März 1908 eine bedeu­ tende Unterschlagung, weiß aber bei wiederholten Vernehmungen als Zeuge den verdacht stets aus andere Personen zu lenken. Kann er trotz dieser Vernehmungen, deren letzte am 14. September 1908 statt­ findet, am 10. März 1913 ein Geständnis ablegen, ohne Bestrafung befürchten zu müssen?

126. (Ein Neichstagsabgeordneter veröffentlicht am 6. November 1911 eine beleidigende Broschüre. Der zu derselben Zeit versammelte Reichstag lehnt den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Verfolgung des Abgeordneten zu gestatten, ab. Kann die Verfolgung noch ein­ treten, nachdem die Session etwa am 18. Mai 1912 geschlossen worden ist? — Wie wäre es, wenn wir uns an Stelle des Reichtagsabge­ ordneten einen Landtagsabgeordneten denken? Kann es in diesem

20 Falle von Bedeutung sein, ob die Broschüre in einem andern deutschen Staat erscheint?

127. Lin Leichtfuß treibt unerhörten Aufwand. später verfällt er in Konkurs.

Zehn Jahre

128. Studiosus Schneidig wird bei einer Säbelmensur abgefatzt. Der von ihm gebrauchte Säbel gehört einer studentischen Korporation, deren Waffen er belegt hat. Der Staatsanwalt beantragt Einziehung.

12Y. Der körperlich verletzte verlangt und erhält von dem Täter als Entschädigung 100 Mark, womit er sich für abgefunden erklärt. Steht dieser Umstand dem Strafantrag und demnächst dem Bußantrag entgegen? 130. vor kurzem ging die Nachricht durch die Zeitungen, ein Gerichtsvollzieher habe irrtümlich anstatt gegen den Schuldner, die Zwangsvollstreckung gegen einen Dritten in der Art vollzogen, daß er in dessen Abwesenheit das Mobiliar seiner Wohnung pfändete und demnächst versteigerte. Gesetzt, der Dritte wäre hinzugekommen, hätte er, nötigenfalls unter Anwendung von Gewalt, den Gerichts­ vollzieher hinausbefördern dürfen? 131. Die Lumpensammlerin Meckes widersetzt sich ihrer Ver­ haftung in der Art, daß sie sich auf die Erde wirft. Da sie sehr schwer ist, so vermag sie der Beamte nicht von der Stelle zu schaffen. 132. Der Gerichtsvollzieher des Bezirkes B. wird mit der Vertretung feines erkrankten Kollegen im Bezirke F. beauftragt, wie er dort im Begriffe ist, eine Pfändung zu vollziehen, tritt ihm der Schuldner mit den Worten entgegen: „Sie haben hier nichts zu suchen, Sie gehören nach B. Scheren Sie sich nach Hause oder ich schlage Ihnen alle Knochen im Leib entzwei."

133. Der Kriminalschutzmann Greif glaubt in dem auf einer Reise begriffenen auswärtigen Staatsanwalt Schars einen steckbrieflich verfolgten Verbrecher zu erkennen. Er tritt auf Scharf hinzu und erklärt ihn für verhaftet, bezieht aber als Antwort sofort eine schallende Ohrfeige. — wie wäre es, wenn der Verbrecher in dem Steckbrief als ein kleiner verwachsener Mensch geschildert, der Staats­ anwalt aber sehr groß ist? — wie, wenn dem Greis die Verhaftung befohlen worden ist? 134. Ein Professor besuchte kürzlich mit seiner Braut die Resi­ denz. Dort nahm er sich eine Droschke, wurde aber, weil ihn der Kutscher in eine Straße fuhr, in der das Publikum rodelte, von diesem zum Kussteigen genötigt und auch sonst stark belästigt. Nun

21 schrieb er der Polizeidirektion, er bitte um Sicherung des Straßen­ verkehrs, und wenn die Polizei nicht wisse, was sie zu tun habe, so sei er bereit, sie in der Zeitung darüber zu belehren.

135. Eine Hebamme nimmt einen unvorsichtigen Eingriff in die Scheide einer Kreißenden Frau vor und tötet das Kind. 136. 3n Paris soll es vor einiger Zeit vorgekommen sein, daß ein Ehauffeur seine ungetreue Geliebte zu sich auf das Auto­ mobil lockte, dieses in rasche Bewegung setzte, selbst absprang und so das mit dem Mechanismus nicht vertraute Mädchen einem unge­ wissen Schicksal überließ. — wie wäre es, wenn wir uns an Stelle des Mädchens ein Rind denken? 137. Die infolge einer Krankheit von furchtbaren Schmerzen gequälte Frau Müller bittet ihren Ehemann, sie durch einen Dolch­ stoß von ihrem Leiden zu erlösen. Nach langem Widerstreben gibt der Mann den wiederholten Bitten nach und stößt zu. Die Frau stirbt eine Stunde später. Die Arzte geben ihr Gutachten dahin ab, daß der Tod durch die Krankheit der Frau herbeigeführt worden sei, aber infolge des Dolchstoßes im Laufe von 24 Stunden eben­ falls hätte eintreten müssen.

138. Bei einem Pistolenduell sind die Paukanten darüber ein­ verstanden, daß jeder in die Luft schießen wolle. — wie, wenn jeder glaubt, der andere wolle ihn treffen, während er selbst absichtlich vorbeischietzt? 139» Der Komment verlangt vielfach, daß der Sekundant bei einer Pistolenmensur den Gegner niederschietzt, sobald er die Barriere überschreitet, wie würde der demgemäß handelnde Sekundant recht­ lich zu beurteilen sein?

140. 3n dem wittgensteinschen Gebiet der Provinz Westfalen gerieten vor einiger Zeit Zigeuner wegen eines Mädchens in Streit. Sie beschlossen, den Zwist dadurch auszutragen, daß sie aus Pistolen mit gehacktem Blei aufeinander schossen. Bei Ausführung dieses Planes wurde einer schwer verletzt.

141. Dem Besitzer des Tiergartens bei Tübingen ging vor einiger Zeit ein Affe durch, hätte sich ein Student strafbar gemacht, wenn er ihn eingefangen und an sich genommen hätte? — Gesetzt, der Student hätte die Frage eines Schutzmannes, ob er denn nicht wisse, daß der Affe in den Tiergarten gehöre, bejaht. — wie läge der Fall, wenn ein Besucher des Tiergartens den Affen in Freiheit gesetzt hätte, um dem Eigentümer einen Schabernack zu spielen? — wie, wenn der Besucher die Absicht gehabt hätte, den Affen dem-

22 nächst für sich einzufangen? — Tatsächlich stattete der Affe meiner Speisekammer einen für ihn sehr, für mich weniger genußreichen Be­ such ab. Wenn ich ihn nun, um mich schadlos zu halten, festgenom­ men, der Besitzer des Tiergartens aber heimlich zurückgeholt hätte?

142. Ein Wilderer fängt ein junges Reh und schenkt es einem Wirt, der es unter Kenntnis des Sachverhalts erwirbt und behält, bis es ihm ein Dritter entwendet.

143» Was für ein Delikt begeht das Dienstmädchen, welches das im 48. Falle erwähnte Geldstück am folgenden Tage beim Scheuern findet und sich aneignet? — Angenommen, das Mädchen kaufte für das Geld eine Hose und schenkte sie unter Mitteilung des Sach­ verhalts seinem Geliebten. 144. 3n einem Eisenbahnwagen läßt ein aussteigender Reisen­ der eine Nummer einer Tageszeitung liegen. Lin Mitreisender steckt sie ein. — wie, wenn das Gleiche mit dem Bädeker geschehen wäre? 145. Line Bäuerin melkt heimlich die Ruh ihres Nachbars und verkauft die Milch auf dem Markt.

146. Lin Vagabund findet eine ländliche Wohnung leer, sieht durch das offene Fenster eine Wurst, steigt ein, nimmt sie weg und verzehrt sie im nahen Walde. — Wie, wenn der Vagabund anstatt der wurst, auf die er es ursprünglich abgesehen hat, in der Woh­ nung vorgefundenes Geld mitnimmt? — Wie, wenn er umgekehrt es auf Geld abgesehen hat, sich tatsächlich aber nur die wurst aneignet? 147. Müller Schlau benutzt eine fremde Wasserkraft, indem er heimlich sein Triebwerk durch eine Transmission mit der Turbine seines Anliegers verbindet. — Derselbe Müller leitet sich heimlich Elektri­ zität zu Beleuchtungszwecken von dem Akkumulator seines Anliegers ab. 148. Der in einem Ladengeschäft angestellte Verkäufer nimmt aus dem Warenlager ein Umhängetuch und händigt es unentgeltlich und ohne selbst zu zahlen seiner als Käuferin erschienenen Geliebten ein. 149. Der Knecht Meier nimmt das Sparkassenbuch des Mit­ knechts Müller weg, erhebt darauf die Einlage, legt das Buch wieder an seine alte Stelle und verpraßt das Geld. 150. Adine Gemberg erzählt in einer Novelle von einer Frau, die, um Morphium zu erhalten, den Gehilfen eines Apothekers durch Geld besticht, es ihr ohne Rezept zu geben. Der junge Mann, der gleichzeitig Verkäufer ist, bringt ihr das Morphium aus der Apotheke mit, nachdem er den preis in die Kaffe seines Prinzipals gelegt hat.

23 151. Lin neidischer Maler nimmt einem Kunstgenoffen ein diesem besonders gelungenes Bild weg, um es zu zerschneiden.

152. 5n einem Eisenwerk werden jedem Meister die von ihm zu verbrauchenden Kohlen zugemessen. Liner geht unvorsichtig mit seinen Kohlen um, so daß sie zu seiner Arbeit nicht ausreichen. Lr holt sich deshalb den Mehrbedarf heimlich aus dem Schuppen. 153. Kus einer Zeitung: Line Magd in Kühdorf erhielt am 1. d. M. ihren Vierteljahrslohn; aus Furcht vor Dieben steckte sie das Geld im Garten in einen Kürbis. Aber nach einigen Tagen statteten Diebe dem Garten einen Besuch ab und entwendeten neben andern Früchten auch sämtliche Kürbisse, sodaß das Geld doch Dieben in die Hände kam. 154. Lin Strolch findet auf der Bank eines öffentlichen Gartens einen toten Mann und plündert dessen Taschen aus. — wie wäre es, wenn der Mann nur geschlafen, der Strolch aber ihn für tot gehalten hätte? — Wie umgekehrt, wenn der Strolch die Taschen eines Toten ausplünderte, den er für einen Schlafenden ansah?

155. Aus versehen händigte mir kürzlich ein Berliner Post­ beamter anstatt des erbetenen und bezahlten einen Markenheftchens deren zehn ein. hätte ich mich durch verbrauch der übrigen neun strafbar gemacht? wie, wenn ich der Post die neun Heftchen zwar zurückerstattet, mir aber deren wert hätte auszahlen lassen? 156. 3n der Nähe von Dessau verkaufte vor mehreren Jahren ein Bauer seine auf dem Felde stehenden Kartoffeln, erntete sie aber selbst ein. 157. Lin Mann wurde zur gerichtlichen Verantwortung ge­ zogen, weil er sich den Betrag einer unbenutzten Fahrkarte, die er gefunden, am Schalter hatte zurückzahlen lassen.

158. vor einiger Zeit reiste ein junger Mann aus württem" berg mit einem Dampfboote rheinabwärts. Unterwegs machte er die Bekanntschaft eines älteren Herrn. Als das Schiff in Koblenz angelangt war und schon einige Zeit gehalten hatte, bat der Altere den Jüngeren, ihm auf dem Lande ein paar Zigarren zu holen, weil er wegen eines (fingierten) Leidens selbst nicht rasch genug gehen könne. Das Geld für die Zigarren händigte er dem Jüngeren ein. Cr selbst rechnete darauf, daß inzwischen das Schiff abfahren werde und er dann auf der nächsten Station mit dem Gepäcke des Jüngeren das weite suchen könne. Die Hoffnung ging in Erfüllung. 159* X schuldet mir 100 Mark. Gerichtliche Schritte habe ich bis jetzt nicht eingeleitet. Sch rede ihm ein, daß am Nachmittag

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sein Mobiliar gerichtlich versteigert werde, falls er nicht sofort zahle. X zahlt infolgedessen. 160. Lin Kaufmann annonciert: „wegen Aufgabe des Geschäfts verkaufe ich unter dem Einkaufspreise." Tatsächlich beabsichtigt er weder das Geschäft auszugeben, noch auch unter dem Einkaufspreise zu verkaufen. 161. Der Direktor einer privaten Bergbahn läßt auf dem Bahnhof der Hauptbahn folgendes Plakat anbringen: „heute auf dem Xberg die herrlichste Aussicht." Tatsächlich ist das Wetter sehr schlecht; es werden aber zahlreiche Personen zur Reise mit der Berg­ bahn veranlaßt.

162. Einem Fabrikanten fehlt es im Herbst völlig an Auf­ trägen. Um solche zu erlangen, teilt er seinen Kunden in der Nähe von Eisenach mit, er lasse demnächst eine Waggonladung nach Eise­ nach abgehen und lade sie ein, sich der großen Frachtersparnis halber durch Erteilung eines Auftrags daran zu beteiligen.

163. Derselbe Fabrikant deklariert eine Ladung von 120 Zent­ nern, um Fracht zu sparen, auf 100 Zentner. — wie, wenn in­ folge der Unterdeklaration ein Achsenbruch auf der Bahn eintritt? 164. 3ch lasse meinen Flügel von dem Vertreter der Firma Kl. in Stuttgart stimmen. Eines Tags erscheint bei mir ein junger Mann, gibt sich fälschlich für einen Vertreter von KI. aus, wird darauf zum Stimmen zugelassen und erhält den Betrag, den ich sonst zu zahlen pflege.

165. Lin Referendar trägt sich in das Fremdenbuch eines Hotels als Geschäftsreisender ein. Er rechnet dabei auf die Vor­ zugspreise, die in den Hotels den Geschäftsreisenden gewährt werden.

166» Nach längeren Verhandlungen ist ein Offizier im Begriff, von einem Händler ein Pferd zu kaufen. Da redet ihm ein Kon­ kurrent des letzteren wahrheitswidrig ein, daß das Pferd einen bestimmten Fehler habe. Infolgedessen schließt der Offizier den ur­ sprünglich geplanten Kauf nicht ab, sondern kauft bei dem Konkur­ renten, worauf dieser von Anfang an gerechnet hatte.

167. Der einzige Sohn und Erbe weiß, daß sein Vater be­ absichtigt, einer nahen verwandten ein Vermächtnis auszusetzen. Dies hintertreibt er dadurch, daß er der verwandten einen lockeren Lebens­ wandel andichtet. 16S. Einem Reisenden wird wegen schlechter Erfolge gekündigt. Um die Kündigung rückgängig zu machen, gibt er fingierte waren-

25 Bestellungen auf. Die angeblichen Käufer verweigern die Annahme der Waren, und der Prinzipal wird so um die Frachtauslagen geschädigt. 169* X läßt sich unter fingiertem Hamen bei einem Schneider einen Anzug anmessen. Zum Anprobieren will er an einem bestimmten Tage kommen. Der Schneider macht den Anzug probefertig, aber der Besteller läßt niemals wieder etwas von sich Horen. 170» Lin Verleger läßt anstatt der mit dem Autor verein­ barten 1000 Exemplare deren 1500 drucken. 171. Den Zeitungsnachrichten zufolge ist „Professor" Migargee wegen Betrugs verurteilt, worden, weil er fortwährend in Annoncen behauptet hatte, sein Barterzeuger sei nur aus duftenden Alpenkräutern hergestellt, während zur Zubereitung solche gar nicht oder nur in untergeordneter Weise verwendet wurden. Ist das Urteil ohne wei­ teres einleuchtend? 172. Wie ist der ungerechte haushalter (Lvangel. CucaeXVI 1 ff.) strafrechtlich zu beurteilen ? 173. Lin Strolch fällt eine Frauensperson in geschlechtlicher Absicht an. Nachdem er sie niedergeworfen hat, bemerkt er ein kost­ bares Medaillon. Dieses nimmt er der inzwischen wehrlos Gewor­ denen ab und geht dann seiner Wege. 174. In dem Lisenbahnabteil gibt jemand einem Mitreisenden eine Zigarette, die ein betäubendes Gift enthält. Während der Be­ schenkte bewußtlos daliegt, plündert der andere seine Laschen aus.

175. Der Geschäftsreisende droht mit Kündigung und Eintritt in ein Konkurrenzgeschäft, wenn ihm der Prinzipal das Gehalt nicht um 500 Mark erhöhe. 176. Rentner Meyer gibt der bekannten Auskunftei Sch. den Auftrag, von seinem Schuldner, dem Zigarrenhändler Löwe, die alte Kapitalforderung von 700 Mark nebst 5% versprochenen Zinsen seit 6 Jahren einzutreiben. Der Schuldner sendet das Kapital ein, schreibt aber gleichzeitig an Sch.: „Die Zinsen zahle ich nicht. Sollte Herr Meyer sie gleichwohl verlangen, so werde ich seiner Frau mit­ teilen, in welchen Beziehungen er früher zu einem Fräulein in Berlin gestanden hat. Ich autorisiere Sie, dies Herrn Meyer zu eröffnen. 177. Die fünfzehnjährige Tochter eines Bauern ist verführt worden. Dieser verlangt von dem Verführer hundert Mark, widrigen­ falls er Strafantrag stellen werde. 178. Lin Geistlicher stellt einem schwerkranken Mann ewige Verdammnis in Aussicht, sofern er nicht die Kirche zur (Erbin seines

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Vermögens einsetze. — wie wäre es, wenn der Geistliche die Erteilung -er Absolution hiervon abhängig gemacht hätte?

179» Ein Kandidat verspricht der Haushälterin eines Exami­ nators 20 Mark, wenn sie ihren Prinzipal quasi versehentlich ein­ schließe und so verhindere, beim Examen zu erscheinen. Die Haus­ hälterin handelt demgemäß. 180. Unter der Drohung „la bourse ou la vie“ nimmt ein Wegelagerer einem Wanderer dessen Geld aus der Gasche. — Ein anderer Wegelagerer läßt sich das Geld unter der gleichen Drohung herausgeben. 181. Einige oberbayrische Mädchen zogen im Frühjahr 1900 einem Bauernburschen gewaltsam die Hosen aus, entblößten sein Glied und verspotteten ihn wegen seines keuschen Lebenswandels.

182. Der Landstreicher Schlimm hält ein Bauernmädchen ge­ waltsam fest. Als aus ihr Geschrei ihr Bruder herbeieilt, läßt der Landstreicher von ihr ab. Man weiß nicht, was er von ihr wollte (sie töten, mißhandeln, geschlechtlich mißbrauchen, berauben). 183. A hat dem B auf vierzehn Tage ein Buch geliehen. Da er es nicht rechtzeitig wiedererhält, nimmt er es dem B gewaltsam ab. 184. Ein Schurke droht einem Mädchen, dessen Vater wegen Diebstahls anzuzeigen, wenn es sich ihm nicht preisgebe. 185. Der Bauer Müller wird im Ermittelungsverfahren un­ beeidigt vernommen und sagt wider besseres Wissen aus, daß er den Beschuldigten zur Zeit der Tat an einem dritten Grte gesehen habe. — Wie wäre es, wenn Müller selbst an der Tat beteiligt wäre?

186. Es hilft jemand einem Münzfälscher, das falsche Geld unter die Leute zu bringen. — (Es hilft jemand dem Fälscher eines Schuldscheins bei dessen Vorlegung. 187. Ein Arbeiter entwendet aus einem Laden eine Flasche Schnaps und läßt seine Kameraden teils mittrinken, teils gießt er ihnen von dem Schnaps in ihre Flaschen. Ausgeschlossen bleibt nur einer, mit dem er in Feindschaft lebt. Dieser aber verschafft sich seinen Anteil dadurch, daß er heimlich aus der Flasche des ersten trinkt.

188. Ich teile einem Verbrecher brieflich Mittel und Wege zur Flucht mit, der Brief erreicht aber den Adressaten nicht, weil er mit Beschlag belegt wird. 189» Ein Nachtschwärmer zündet eine städtische Gaslaterne an, die des Mondscheins wegen nicht brennen soll.

27 190* Huf einem Rheindampfer erteilte vor einigen Jahren der Kapitän der Köchin einen verweis. Geärgert, warf diese mehrere Kochtöpfe über Bord. Vie Töpfe waren aus einem Stoffe, der vom Wasser nicht leidet. 191. Der Bauer 3 erzählt bewußt wahrheitswidrig von einem Mädchen, es habe unglücklich geheiratet, sei von seinem Manne ver­ lassen worden.

192. von den Mitgliedern eines sozialdemokratischen Vereins erzählt jemand, daß sie zur Geburtstagsfeier des Landesherrn Fest­ lichkeiten veranstalten.

193« Der Ehemann teilt seiner Frau mit, er habe im Wirtshaus gehört, daß der Rechner der städtischen Sparkasse Unterschlagungen begangen habe. Das Wirtshausgespräch ist falsche der Ehemann hat es aber für wahr gehalten. — wie wäre es, wenn das Ehe­ paar seine Ersparnisse auf der Sparkasse angelegt hätte? — wie, wenn der Mann bei der Erzählung an die Frau der Mitteilung gleich als einer falschen entgegengetreten wäre? 194. Eine Dame vermißt ihr goldenes Hrmband. Sie hält -ies ihrem Zimmermädchen vor und läßt deutlich durchblicken, daß ihr das Mädchen verdächtig sei. 3n Wahrheit hat die Dame das Hrmband verloren. 195. Bei einem Hochzeitsmahl brilliert ein Toastredner dadurch, -aß er sehr merklich auf die intimen Beziehungen anspielt, in denen der junge Ehemann früher zu einer Kellnerin gestanden hat. 196. Ein Kaufmann bestellt bei einem Fabrikanten Tuch nach einer beigelegten Probe, die er sich zurück erbittet. Der Fabrikant hat nur Tuch von einer etwas abweichenden Farbe vorrätig, liefert dieses und färbt die Probe entsprechend, um den Hnschein probe­ mäßiger Lieferung zu erwecken.

197. 3ch bestelle mir Besuchskarten und schreibe die Fassung auf einen dem Händler übergebenen Zettel, versehentlich wird nun mein Name mit ck gesetzt. Um den Fehler mir zuzuschreiben, fügt der Händler auf dem Zettel vor dem k ein c ein. 198. Einem Bauer wird am 1. Januar 1912 nachts 1 Uhr ein Sohn geboren. Der Vater zeigt die Geburt am 3. Januar auf dem Standesamt an, macht aber dabei aus dem Knaben ein Mädchen. 199* Der zum Hnzeigen der Schüsse kommandierte Gefreite Müller markiert falsch.

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200. Der Gerichtsvollzieher Bummel händigt eine Klageschrift zum Zwecke der Zustellung dem 14jährigen Sohn des Adressaten ein, erklärt aber in der Zustellungsurkunde, daß er die Klageschrift dem Adressaten in Person übergeben habe.

201. Frau Gutherz läßt sich durch die Tränen ihres diebischen und unzuverlässigen Dienstmädchens bestimmen, es im Zeugnis als „ehrlich und zuverlässig" zu bezeichnen. — Angenommen, das Zeugnis hätte auf „unehrlich und unzuverlässig" gelautet, das Mädchen aber die Silben „un" jedesmal ausradiert. 202. Hier und da sind die Apotheker verpflichtet, den Landes­ angehörigen Medikamente, die ärztlich verordnet sind, auf Kredit zu liefern. Ein Arzt bezeichnet auf einem Rezept den Kranken als Landesangehörigen, obwohl er weiß, daß er es nicht ist. 203. Ein Laie verschreibt ein Rezept, auf dem er sich als Arzt bezeichnet. 204. Die Aktiengesellschaft Neuhütte verlangt von allen an­ zustellenden Beamten ein Gesundheitszeugnis. Ein Ingenieur, der in die Dienste dieser Gesellschaft zu treten wünscht, stellt sich unter der Bezeichnung Dr. (folgt ein unleserlicher Name) selbst ein Gesundheits­ attest aus und legt es dem Direktor vor. 205. Bei dem praktischen Arzt Dr. Bieter erscheint ein Land­ mann mit der Bitte, seinem Sohn zum Zwecke der Benutzung bei der Lrsatzkommission zu bescheinigen, daß er ihn seit seiner Kindheit als schwerhörig kenne. Der Landmann bietet dem Arzt für diese wahrheitswidrige Bescheinigung 50 Mark, wird aber abgewiesen. 206. Der Raritätenhändler Schlau schreibt in lateinischer Sprache eine Urkunde auf Wachs des Inhalts, daß der Decurio Marcus Gujanus dem Proprätor Appius Nilenus ein Haus in Rom schenke. Er verkauft diese Urkunde mit der Erklärung, sie sei bei der Bloß­ legung des römischen Kastells bei Kloster Arnsburg gefunden worden. Der Käufer zahlt infolgedessen einen enormen Preis. 207. Studiosus Selten hat seine Schneiderrechnung bei Empfang des Anzugs bezahlt, wird aber gleichwohl auf deren Zahlung ver­ klagt. Um die erfolgte Zahlung zu beweisen, legt er eine von ihm selbst gefertigte (Quittung des Klägers dem Gerichte vor.

208. Ein anderer Student hängt, um seinem Vater mit seiner Pünktlichkeit eine Freude zu bereiten, zwölf von ihm selbst aus­ gestellte (Quittungen über bezahlte Hausmiete, Bücher, Kleider und Ähnliches an den Christbaum.

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209* Ein Wucherer bittet einen reichen Bauer, eine Eingabe um Erbauung einer Eisenbahn zu unterschreiben, weiß es aber so einzurichten, daß der Bauer anstatt der Petition einen Schuldschein unterzeichnet.

210. Eine Frau, die zur Nnnahme von Zahlungen für ihren Mann bevollmächtigt ist, quittiert mit dessen Namen.

211. Jemand, der unter falschem Namen lebt und nur unter diesem bekannt ist, bedient sich des falschen Namens bei der Unter­ zeichnung eines Mietvertrags. 212. Ein Mann namens X erstattet eine Strafanzeige unter dem Namen Müller.

213. Ein Kaufmann legt zum Beweise seiner eingeklagten Forderung dem Gericht ein erst ad hoc gefertigtes falsch geführtes Kontokorrent vor. 214. vor einigen Jahren sandte dem Berliner Tageblatt ein Schauspieler von Erfurt aus unter dem Namen des ständigen Bericht­ erstatters eine Nezension über eine Aufführung ein. Getäuscht, ließ der Nedakteur die Nezension abdrucken. 215. Ein Fabrikant bringt in einem Arbeitsbuchs ein geheimes Zeichen an, durch das der Inhaber dem Eingeweihten als Sozial­ demokrat kenntlich gemacht wird.

216. Ein Unterbeamter läßt sich, um Urlaub zu bekommen, von einem befreundeten Telegraphisten eine fingierte Depesche aus­ fertigen, welche die schwere Erkrankung seines Vaters meldet. 217. Ein Fabrikant läßt seine Werkmeister eidlich versprechen, gewisse Fabrikationsgeheimnisse nicht zu verraten. Einer der Werk­ meister tut dies gleichwohl.

218. Der Themiker würdig wird als Sachverständiger eidlich vernommen. Zur Person erklärt er, 28 Jahre alt zu sein, während er in Wahrheit erst 24 Jahre alt ist.

219. Dem Kaufmann pfiffig wird durch Urteil des Landgerichts ein Cid dahin auferlegt, daß er die von ihm eingeklagte Forderung dem Beklagten nicht erlassen habe. Pfiffig veranlaßt seinen Bruder, vor Gericht zu erscheinen und an seiner Stelle den Eid zu leisten.

220. Der Bauer Streitfreund hat einen Prozeß, in dem es wesentlich auf das Zeugnis eines Tagelöhners ankommt. Streitfreund weist nun seinen Knecht Ehrlich an, er möge den Tagelöhner zu einer ihm günstigen wahrheitswidrigen Nussage bestimmen. Ehrlich weigert sich, wird seines Dienstes entlassen und zeigt die Sache der Staatsanwaltschaft an.

Fälle zur schriftlichen Bearbeitung. 1. In dem Drama Le Roi s’amuse erzählt uns Viktor Hugo folgendes. Der König liebt ein junges Mädchen von nicht ganz 16 Jahren, das er nur an einem dritten Orte sprechen kann. Um den Verkehr zwischen beiden zu erleichtern, holen einige Hofherren das Mädchen gewaltsam trotz seines Sträubens aus der ihm von seinem Vater gemieteten Wohnung und stellen es dem König zur Verfügung, der es entehrt, hierüber außer sich, beschließt der Hof­ narr, der Vater der Entführten, den Tod des Königs. Vieser hat als andere Geliebte die Schwester eines Wirtes, ist aber den Ge­ schwistern nicht als König bekannt. Der Hofnarr händigt nun dem Wirt eine Summe Geldes aus, damit er den Liebhaber seiner Schwester tote, und verspricht ihm nach Ausführung der Tat die gleiche Summe. Der Wirt ist bereit,- wie er aber mit dem Beil in die Kammer eintreten will, in der der Liebhaber schläft, wirb er von der Schwester zurückgehalten. Durch die Bitten der letzteren läßt er sich bewegen, seinen Plan in folgender weise zu ändern. Der erste Gast, der vor einer bestimmten Stunde in die Wirtschaft eintritt, soll getötet, die Leiche in einen Sack gesteckt und so der Hofnarr getäuscht werden,- komme aber vor jener Stunde niemand, so müsse der Liebhaber sterben. Diese Verabredung zwischen dem Geschwisterpaar hat die Tochter des Hofnarren von der Straße aus belauscht. Um ihren Geliebten, den König zu retten, tritt sie als­ bald in das Gastzimmer und wird von dem Wirte getötet.

2. Der englische Anarchist Black schreibt von London aus an seinen preußischen Gesinnungsgenossen weiß in Paris, daß der Lon­ doner Anarchistenklub den Tod eines (näher bezeichneten) deutschen Landesherrn beschlossen habe, und fordert ihn auf, „das hiernach Erforderliche zu veranlassen", weiß erhält den Brief in Paris und reist nunmehr zur Ausführung des Mordes in die Residenzstadt des zu tötenden Landesherrn, hier teilt er dem russischen Anarchisten Kobaloff den Zweck seiner Anwesenheit mit und ersucht ihn um Mit­ teilung, wann und wo der Monarch spazieren fahre. Nach erlangter

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Auskunft schießt Weiß auf den Landesherrn. Vie Kugel geht fehl und tötet den neben seinem Herrn sitzenden Adjutanten. 3. Der Bauer Schwarz fordert bei einem Gespräche den Tage­ löhner Müller zur Tötung der Auszüglersleute Schulze auf. 3m Salle der Ausführung soll Müller 500 Mark haben. Müller erklärt sich bereit, und beide fassen als Zeit der Ausführung die Nacht vom 6. auf den 7. Mai 1908 ins Auge. Am Abend des 6. Mai begibt sich Müller, um sich Mut anzutrinken, in eine wirtschaft, trinkt aber zuviel und wird, wie er eben, mit dem Beile bewaffnet, auf dem Wege zur Schulzeschen Behausung begriffen ist, wegen ruhestörenden Lärmens in polizeilichen Gewahrsam genommen. Da Schwarz stets daran gezweifelt hatte, daß dem Müller die Tat gelingen werde, so hat er inzwischen den Dienstknecht Meier durch Zureden bestimmt, in der Nacht vom 6. aus den 7. Mai das Schulzesche Wohnhaus in Brand zu setzen. (Er, Schwarz, rechnet darauf, daß die beiden Schulze spätestens, d. h., wenn Müller sie nicht vorher getötet habe, durch das Feuer umkommen würden. Dagegen hat Schwarz den Meier nur dadurch zu bestimmen vermocht, daß er ihm erklärte, persönliche Gefahr für die beiden Schulze sei nicht vorhanden, da diese überhaupt abwesend sein würden. 3n der Tat legt denn auch Meier das Feuer an. Kaum aber hat er dies getan, so sieht er den Schulze am Fenster stehen, um Luft zu schöpfen. Erschreckt darüber, daß dem alten Manne am Ende etwas passieren könne, ruft er ihm zu, es brenne, er, Schulze, möge löschen helfen. Schulze kommt sofort herunter, und beiden gelingt es, mit vereinten Kräften das Feuer zu löschen. 4. Der Fuhrmann Keil hat sich am 21. Juni 1911 gegen zwei Personen strafbare Handlungen zuschulden kommen lassen. Er ist deshalb in zwei abgesonderten Verhandlungen mit Strafe belegt worden, und zwar: a) durch Urteil des Schöffengerichts vom 3. Dezember 1911 wegen Mißhandlung und Bedrohung seiner Ehefrau mit einer Ge­ samtgefängnisstrafe von 27 Tagen, wobei als Linzelstrafe wegen Körperverletzung drei Wochen wegen Bedrohung eine Woche Ge­ fängnis angenommen wurden b) durch Urteil desselben Gerichts vom 8. Februar 1912 wegen Körperverletzung, Bedrohung, und Beleidigung des Schuhmachers NeinHard in eine als „Zusatzstrafe" zu der vorigen zu betrachtende Ge­ fängnisstrafe von 2 Monaten und 2 Wochen. Gegen das letztere Urteil verfolgte der Angeklagte die Beru­ fung. während diese schwebte, wurde ihm die vorerwähnte Strafe

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bis auf 14 Tage unter der Bedingung erlassen, daß er sich inner­ halb der nächsten 5 Jahre keines verbrechens oder vergehens schuldig mache, insbesondere auch keiner Mißhandlung seiner Ehefrau. Den Rest von 14 Tagen Gefängnis hat der Angeklagte vom 21. März bis 3. April 1912 verbüßt. 3n der Berufungsinstanz änderte die Strafkammer, der das Urteil vom 3. Dezember 1911, der teilweise Straferlaß und die teilweise Strafverbüßung bekannt war, das unter b) erwähnte Urteil ab. Sie sprach nämlich den Angeklagten wegen Bedrohung frei und verurteilte ihn wegen Körperverletzung und Beleidigung zu einer Gefängnisstrafe von 5 Wochen, wobei als Einzelstrafe für die Körperverletzung 4 Wochen und für die Belei­ digung 10 Tage Gefängnis für angemessen erachtet wurden — Ist dieses Urteil richtig? 5. Anzengruber erzählt uns folgende Geschichte aus seiner Heimat. Lin Unecht braucht grüne Zweige, um das Haus seines Herrn zu schmücken. Er besteigt den großen Baum eines dritten Bauern und haut Zweige ab. Inzwischen kommt der Eigentümer des Baumes hinzu und fordert den Unecht auf herunterzukommen, widrigenfalls er den Baum umhauen werde. Der Unecht fährt in seiner Arbeit fort und verlacht die Drohung. Aber der Bauer führt sie aus, und beim Sturze des Baumes fällt sich der Unecht zu Tode.

6. In Stindes Drama „Torfmoor" beschließen Mann und Frau, sich der Mutter der letzteren zu entledigen. Die Frau bereitet Gift zu und sagt dem Manne, daß es sich in dem blauen Topf befinde, während der weiße das Mittagessen des Ehepaares enthalte. Der Mann begibt sich in die Uüche, um das Gift für seine Schwieger­ mutter zu holen und dieser zu geben. In der Uüche will er gleich­ zeitig das Mittagessen versuchen, verwechselt aber die Töpfe und stirbt beim Eintritt in das Zimmes infolge des genossenen Giftes. Kann die Ehefrau bestraft werden? wie wäre es, wenn sie aus versehen die Töpfe dem Manne bezeichnet hätte?

7. Sammlern ist bekanntlich oft nicht ganz zu trauen, von einem berühmten Professor der Mineralogie erzählt man sich folgen­ des. häufig kamen Leute zu ihm mit der Bitte, ihnen ein Urteil über ihre Steinsammlungen abzugeben. Bemerkte der Professor da­ bei einen besonders seltenen Stein, so nahm er ihn aus der Samm­ lung und warf ihn zum Fenster hinaus mit der Bemerkung: „Das ist Schund." Der Diener suchte dann die hinausgeworfenen Steine auf und brachte sie seinem Herrn. 8. Ein Schwindler läßt sich unter dem vorgehen, der Graf X zu sein, von einem Juwelier einen Schmuck auf Kredit einhändigen

33 und verkauft ihn alsbald. — wie, wenn er sich den Schmuck nur zur Ansicht hätte geben lassen? - wie, wenn er sich nur für den Diener des Grafen ausgegeben und den Schmuck in dessen angeblichem Auftrage entnommen hätte? - Wie, wenn er wirklich der Diener des Grafen und zum Erwerbe des Schmuckes beauftragt wäre?

9* Gin Fabrikant beauftragt einen Tierarzt, ihm auf dem Markt ein Pferd im werte von ungefähr 1000 Mark zu kaufen. Der Tierarzt kommt dem Auftrage nach, da ihm aber während des Marktes 1500 Mark für das Pferd geboten werden, so verkauft er es wieder. — Der gleiche Fall mit dem Unterschiede, daß an Stelle des Tierarztes ein Bankier, an Stelle des Pferdes ein Wertpapier und an Stelle des Pferdemarktes die Börse tritt.

10. Lin Diener bekommt täglich von seinem Herrn drei Mark zur Besorgung von Auslagen. Abends wird abgerechnet, von seinem eigenen Gelde soll der Diener die drei Mark stets getrennt halten, auch von ersterem nichts zu Auslagen verwenden. Im Auf­ trag und Namen seines Herrn macht er eines Tages einen Einkauf in der hohe von einer Mark, ohne aber zu zahlen. Bei der abend­ lichen Abrechnung erklärt er dagegen.seinem Herrn, er habe bezahlt, und liefert demgemäß eine Mark weniger ab, als er muß. Der Gläubiger drängt allmählich bei dem Diener auf Zahlung, wartet aber noch einige Zeit, da ihm der Diener wahrheitswidrig erklärt, die Herrschaft sei verreist. Nach Ablauf eines Monats erhält der Gläubiger endlich von dem Diener das Geld.

11. Ende November 1911 krepierte dem Landwirt Jung eine Kuh. Der Eigentümer beauftragte den Wasenmeister Berk mit dem verscharren des Tieres auf dem Schindanger. In der Hoffnung, die haut für sich erlangen zu können, erklärte Berk dem Jung wieder­ holt und bewußt wahrheitswidrig, das verscharren ohne haut sei ihm von seiner vorgesetzten Behörde verboten worden; er müsse den Körper mit der haut einscharren. Tatsächlich zog er aber auf dem Schindanger die haut ab, verscharrte nur den übrigen Kadaver, steckte die haut in einen Sack und war gerade im Begriff abzufahren, als Jung hinzukam. Auf dessen Frage, was in dem Sacke sei, antwortete er Jung, er enthalte Knochen, und wiederholte diese Behauptung auch gegenüber dem herbeigerufenen Bürgermeister; schließlich aber bequemte er sich zum Öffnen des Sackes. 12. Der Bauer Schulze begibt sich auf einem Feldwege von seinem Jagdrevier nach Hause. Nachdem er bereits bewußtermaßen in ein fremdes Jagdgebiet gelangt ist, bemerkt er eine (Ente, die von einem Wassertümpel aus aus den Feldweg zufliegt. Da die

34 Entenjagd gerade offen ist, der Bauer das Tier also eventuell ver­ kaufen kann, so erlegt er es. Vie Ente fällt aus dem Feldwege nieder, und Schulze steckt sie in seinen Jagdranzen. Zu Hause an­ gekommen, bemerkt er, daß er nicht eine wilde, sondern eine zahme Ente geschossen hat, die er als dem Bauer Jeide gehörig erkennt. Dennoch entschließt er sich zum verkauf an den Wildbrethändler Meyer, dem er das Tier unter Mitteilung des Sachverhaltes und der Bitte ihn nicht zu verraten, für eine Mark einhändigt. Meyer verkauft es weiter an den Wirt Reich. Dieser bezahlt den gefor­ derten Preis von einer Mark fünfzig Pfennige, obwohl er weiß, daß der übliche Preis zwei Mark fünfzig Pfennige beträgt und ihm das Verhalten des Meyer verdächtig erscheint. Cs fragt sich, haben sich Schulze, Meyer und Reich strafbar gemacht und eventuell wegen welcher Delikte? 13. 3n einem Landstädtchen sind zwei Gasthäuser und zwei Raufläden. Das Gasthaus Hdler und der Rausladen des Herrn Schwarz liegen in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes, während das Gasthaus Hirsch und der Raufladen des Herrn weiß etwa eine Viertelstunde von dem Bahnhöfe entfernt sind. Hm 25. November kommt abends 9 Uhr der Reisende Renner in dem Landstädtchen an und fragt einen Gepäckträger, wo er übernachten und wo er Zigarren kaufen könne. Der Gepäckträger, der auf die Dunkelheit rechnet, verweist ihn an den Hirsch und den Raufmann weiß; es seien zwar, fügt er hinzu, noch ein anderes Gasthaus und ein anderer Laden am Platze, beide aber wenigstens eine halbe Stunde von dem Bahnhöfe entfernt. Diese unwahre Erklärung gibt der Gepäck­ träger ab, um den ihm verwandten Inhabern der empfohlenen Geschäfte einen Vorteil zukommen zu lassen. 1

Hm andern Morgen bei Tageslicht merkt der Reisende, daß er falsch beschieden worden ist. Er teilt den Sachverhalt dem Inhaber des Hdler und dem Raufmann Schwarz mit, und alle drei reichen nunmehr eine Hnzeige wegen Betrugs gegen den Gepäckträger ein. Renner erklärt darin, er sei insofern geschädigt, als er bei Weitz die Zigarren um 25 Prozent zu teuer bezahlt, im Hirsch zwar billig übernachtet, dafür aber ein sehr schlechtes Bett gehabt habe. Ferner erklären der Raufmann Schwarz und der Inhaber des Hdler, sie seien insofern geschädigt, als ohne den falschen Bescheid Renner bei ihnen gekauft, beziehungsweise die Nacht zugebracht haben würde. Renner schließt sich dieser Erklärung an. 14. Ein in Gießen dienendes Mädchen erhielt vor einigen Jahren einen Brief von einem angeblichen Bordellbesitzer mit der

35 Aufforderung, sich binnen acht Tagen unter einer gewissen Chiffre postlagernd zum Eintritt in sein Bordell bereit zu erklären. Gebe das Mädchen diese Erklärung nicht ab, so werde er es überall blamieren, namentlich seiner Herrschaft mitteilen, welches Leben es früher geführt habe. Um dem Briefschreiber auf die Spur zu kommen, ging das Mädchen scheinbar aus den Plan ein. — wird es für die Beurteilung des Falles von Bedeutung sein, ob der Bries in der Tat von einem Bordellbesitzer ausging und ob das Mädchen früher in der Tat ein anstößiges Leben geführt hat? 15. Bei Frau Emsig wohnte der reiche Referendar v. Himmel zur Miete. Eines Tages zeigt dieser seiner Wirtin ein kostbares Armband, das er seiner Braut zum Geburtstag schenken will, voll Entzücken erzählt Frau Emsig davon der in demselben Hause wohnen­ den Frau Gans. Diese aber erklärt, soviel Geld für eitlen Tand auszugeben, sei Sünde und Schande, Frau Emsig tue ein Gott wohl­ gefälliges Werk, wenn sie das Armband wegnehme, verkaufe und den Erlös dem Missionsverein zur Verfügung stelle. Daraufhin läßt sich Frau Emsig einen Schlüssel zu dem Sekretär machen, in dem das Armband aufgehoben ist, öffnet ihn unter Benutzung dieses Schlüssels, findet das Armband, nimmt es aber nicht weg. Eine daneben liegende mit Brillanten besetzte Uhr sticht ihr nämlich mehr in die Augen; sie entwendet diese und stellt den durch den verkauf erlösten Betrag von 525 Mark dem Missionsverein zur Verfügung. 16. Der Geheimrat Berg hat am 4. Januar 1911 bei dem Amtsgericht privatklage gegen den Kaufmann Meyer eingereicht, weil der letztere anfangs September 1910 am Stammtische geäußert habe, Thekla Berg, die unverehelichte, im väterlichen Hause wohnende 19jährige Tochter des Privatklägers, fei schwanger. Vas Amts­ gericht hat die privatklage gemäß StpG. § 422 dem Beschuldigten zur Erklärung mitgeteilt. Dieser bestreitet zunächst die ihm zur Last gelegte Äußerung und macht ferner innerhalb der ihm gewährten Frist folgendes geltend: 1. Eine Strafverfolgung sei zurzeit nicht mehr möglich, da ja eine Beleidigung in 3 Monaten „verjähre". 2. Den Geheimrat Berg gehe die Sache gar nichts an, sondern höchstens seine Tochter, mithin könne auch nur diese die Privat­ klage erheben. 3. Die Tochter habe sich schon im Dezember 1910 in dieser Angelegenheit an die Staatsanwaltschaft gewendet, ihren Strafantrag jedoch alsbald wieder zurückgezogen; diese Zurückziehung aber sei auch für den Privatkläger bindend. (Es fragt sich, was von diesen Einwendungen zu halten ist?

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17. flm 10 Mai 1910 fuhr der Müllerknecht Mehlwurm mit dem leeren wagen seines Herrn von Hüttenthal nach Kornkammer. Unterwegs nahm er seinen Kameraden, den Brauergesellen Schlucke­ bier, auf den wagen, und alsbald meldete sich auf der Straße auch der Bauer Kümmerlich zum Mitfahren. Dieser bot dem Mehlwurm 20 Pfennige Trinkgeld, wenn er ihn mitnehme und an der Wald­ ecke vor Kornkammer absetze. Mehlwurm ging darauf ein, Kümmer­ lich stieg auf, und der wagen fuhr weiter. Nach einiger Zeit er­ kannte Schluckebier in dem Kümmerlich einen alten Feind. (Er äußerte darauf zu Mehlwurm: „Du, den verhaue ich unterwegs. Du fährst uns ordentlich in den Wald hinein, dann steige ich mit dem Kümmer­ lich aus, du fährst weiter und siehst und horst nichts." M. war ein­ verstanden und als der wagen an die Waldecke kam, an der K. ausgesetzt sein wollte, trieb er seine Pferde zum Galopp an und fuhr obwohl K. energisch verlangte abgesetzt zu werden, drei Kilo­ meter in den Wald hinein. Alsdann hielt er an und entschuldigte sich, daß ihm die Pferde durchgegangen seien. Schl, und K. stiegen aus, M. fuhr weiter. Nachdem sich der wagen entfernt hatte, fing Schl, mit K. Streit an und schlug ihn zweimal mit der Hand aus den Kopf. AIs er eben zum dritten Schlage ausholen wollte, sprang der Forster Waldmann aus einem Busch hervor und stieß ihn mit den Worten: „Laß' doch den schwachen Mann in Ruhe" so heftig in die Seite, daß er (Schluckebier) zu Boden fiel. Einige Tage darauf starb Kümmerlich. Auf Grund des Gutachtens der Ärzte und der Zeugenvernehmungen ist bezüglich der Todesursache folgendes als feststehend anzunehmen: K. ist an Gehirnerschütterung gestorben; die Erschütterung ist durch die ihm von Schl, auf den Kopf ver­ setzten Schläge herbeigeführt worden- ohne ein bei K. längst vor­ handenes Gehirnleiden würden die an sich ganz leichten Schläge nicht einmal Einfluß aus die Gesundheit des K. gehabt haben. Sind Schluckebier und Mehlwurm strafbar und eventuell warum? Kann auch der Forster Waldmann — sei es schlechthin, sei es unter gewissen Voraussetzungen — bestraft werden? 18. Die städtische Lehrerin Marie Züchtig hat die Liebes­ werbungen des stud. med. Frech wiederholt zurückgewiesen, hier­ über erbost, bestimmt dieser seine fünfzehnjährige Kusine Emma Ghnharm, die Züchtig, bei der sie Privatunterricht hat, mit den Worten zu begrüßen: bon jour, mademoiselle la cocotte. Die Lehrerin weist infolgedessen der Schülerin die Tür und stellt sofort Strafantrag gegen sie wegen Beleidigung. 3rt dem Strafverfahren ergibt sich, daß Emma Ghnharm von der Bedeutung des Wortes cocotte keine Vorstellung gehabt, vielmehr ihrem Vetter geglaubt hat, der ihr

37 einredete, es werde damit eine besonders gelehrte Dame bezeichnet. Zufolge dieses Umstandes wird sie freigesprochen, und die Staats­ anwaltschaft erhebt nunmehr Anklage gegen Frech wegen Anstiftung zur Beleidigung. Der Angeklagte gesteht ein, daß er seine Kusine in der an­ gegebenen weise zum handeln bestimmt, auch gewußt habe, was man unter einer Kokotte versteht. Er verteidigt sich aber in folgender Weise: 1. „(Es liegt ein gegen mich gerichteter Strafantrag nicht vor, folglich ist meine Freisprechung geboten." 2. „Ein Strafantrag kann auch jetzt nicht mehr gestellt werden, denn wir schreiben den 10. Oktober 1911 und die Äußerung der Ghnharm ist bereits am 23. Juni d. 3- getan worden." 3. „weine Freisprechung muß auch deshalb erfolgen, weil es an jedem öffentlichen Interesse an Verfolgung der Sache fehlt." 4. „Anstiftung zur Beleidigung kann nicht vorliegen, da die Ghnharm keine strafbare Handlung begangen hat. Ich berufe mich in dieser Beziehung auf das rechtskräftige Strafurteil gegen sie."

19* Zugunsten des Rentners Friedrich Müller ist aus den Grundstücken des Kaufmanns Schulze eine Hypothek im Betrage von 3000 Mark mit halbjähriger Kündigungsfrist eingetragen. Die Kün­ digung erfolgt am 31. Dezember 1910 für den 1. Juli 1911. wäh­ rend dieser Zeit brechen Streitigkeiten zwischen Müller und seiner Ehefrau Auguste geb. Meier aus, die zu einer Ehescheidungsklage der letzteren und zu einem die Ehescheidung aussprechenden Urteil des Landgerichts vom 28. Juni 1911 führen. Am folgenden Tage, also am 29. Juni 1911, schreibt die Klägerin an die in der ehe­ lichen Wohnung zurückgebliebene Dienstmagd Katharine Back, sie möge den in dem unverschlossenen Pulte des Herrn Müller befind­ lichen Hypothekenbrief über die erwähnte Hypothek heimlich weg­ nehmen und ihr einhändigen. Dem Schreiben fügt sie einen in der Mitte durchgerissenen Hundertmarkschein bei, dessen andere Hälfte die Back bei Ausführung des Auftrags erhalten werde. Auf diesem Wege in den Besitz des Hypothekenbriefes gelangt, begibt sich die geb. Meier am 1. Juli 1911 zu Schulze und fordert die Zahlung des Betrags unter dem vorgehen, sie sei von ihrem Manne mit der Einziehung beauftragt worden. Ihr Plan geht dahin, alsbald nach Erlangung des Geldes mit ihrem Geliebten Neuberger das weite zu suchen. Schulze weigert indessen die Zahlung, indem er eine beglau­ bigte Vollmacht fordert. Die Frau teilt nunmehr ihrem Geliebten den Sachverhalt mit. Dieser setzt unter den Hypothekenbrief folgende Erklärung: „Den

38 vorliegenden Hypothekenbrief zediere ich mit allen Rechten an meine Ehefrau, Auguste geb. Meier. Friedrich Müller", begibt sich darauf zu einem Notar, läßt sich vor diesem durch zwei bestochene Urkunds­ zeugen Becker und Feisel als Friedrich Müller indentifizieren, erkennt die Unterschrift unter der Abtretungserklärung als von ihm, dem angeblichen Friedrich Müller, vollzogen an und erwirkt so deren Beglaubigung. Die von dem Plan vorher verständigte Auguste geb. Meier präsentiert daraus den Hypothekenbrief nebst Abtretungserklärung dem Schulze, erlangt aber keine Zahlung, da Müller seinen Schuldner inzwischen von dem Verluste der Urkunde benachrichtigt hat. 20. Der am 28. November 1888 geborene Apothekergehilfe (Dtto Müller stand in geschlechtlichem Verkehr mit der am 5. August 1891 geborenen Näherin Anna Schulze. Am 10. Mai 1910 teilte die Schulze dem Müller mit, daß sie sich von ihm schwanger fühle, und bat ihn um ein Abtreibungsmittel. Müller händigte ihr darauf eine Flüssigkeit ein, die nach den Aussagen der Sachverständigen zur Abtreibung geeignet ist. Die Schulze trank an demselben Tage von der Flüssigkeit, ohne jedoch den gewünschten Erfolg zu erzielen, kam vielmehr am 14. Oktober 1910 vormittags 11 Uhr mit einem Rinde männlichen Geschlechts nieder. Unmittelbar nach der Nieder­ kunft begab sich im Auftrage der Schulze das am 12. September 1894 geborene Ronfektionsmädchen Marie Meier zu Müller, erzählte ihm, daß jene ein Rind bekommen habe, und forderte ihn auf, die Wöchnerin zu besuchen und ihr Geld zu bringen. Als sie ihre Bot­ schaft ausgerichtete hatte, ries Müller: „Ihr wißt ja, daß ich nichts habe. Geben Sie der Anna dies; das ist das einzige, womit ich ihr helfen kann". Dabei händigte er der Meier ein mit der Aufschrift „Gift" versehenes Fläschchen ein. Die Meier überbrachte es der Schulze mit den Worten: „Da ist Gift. Er hat es mir gegeben und gesagt, sonst könne er dir mit nichts helfen." Vie Schulze fing darauf an, heftig zu weinen, und rief endlich: „Ls hilft nichts, ich muß es machen, wie er sagt", hierauf gab sie — etwa 11/2 bis 2 Stunden nach ihrer Niederkunft - dem Rind von dem Inhalte des Fläschchens zu trinken. Das Rind starb gegen 5 Uhr desselben Tags, und zwar — wie die chemische Untersuchung ergab — an Fliegengift. 3n der Hauptverhandlung verteidigen sich der Müller und die Meier in folgender Weise. Ersterer sagt, er sei durch die Nachricht von der Niederkunft der Schulze in eine solche Aufregung versetzt worden, daß er seines willens nicht Herr, vielmehr ganz unzurech­ nungsfähig gewesen sei. Jedenfalls aber sei seine Meinung gar nicht

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gewesen, daß die Schulze das Kind, sondern daß sie sich selbst ver­ giften solle. Er habe sein eigenes Fleisch und Blut nicht toten wollen. Die Meier erklärte, sie habe den Müller so verstanden, als solle die Schulze das Kind und sich selbst töten, und so habe auch die Schulze die Morte verstehen sollen, mit denen sie ihr das Fläschchen übergab, wie ist der Fall zu beurteilen, wenn 1. den Schutzbehauptungen des Müller und der Meier kein Glauben geschenkt wird? 2. wenn sie als glaubhaft erscheinen? 21.*) Beim „Dbschw. Rnz." lief am 27. November 1910 folgender Brief ein: „Hof Gal§ bei Ravensburg, 26. November 1910. verehrliche Redaktion! 3m Auftrag meines Freundes ersuche ich sie um einmalige Rufnahme des Nachstehenden in der nächsten Nummer Ihres Blattes. Die Kosten werden Ihnen sofort nach der Ver­ öffentlichung zugehen.

Geschäftsanzeige. Unterzeichneter empfiehlt sein großes Lager in vorzüglichen Couren-, halbrenn- und Rennmaschinen. Ruch gebrauchte Räder werden bei reeller Bedienung abgegeben, Reparaturen schnellstens und bestens besorgt. Jakob Klopf vormals Bucher in Neudorf.

„wenn ich abwesend, nimmt meine Mutter Bestellungen entgegen." Dieser Brief war nicht unterschrieben. Der Mangel wurde jedoch nicht bemerkt und die Rnzeige ausgenommen. (Es ergab sich, daß der Brief ohne den Willen des Bucher geschrieben und daß „Klöpf" dessen Spottname war. Außerdem ergab sich, daß für Ein­ geweihte der Inhalt der Rnzeige eine Verhöhnung Buchers enthielt. Rls Verfasser der Annonce und des Briefes wurden Sebastian heilig und hober ermittelt. Letzterer hatte dem heilig den Brief mit Annonce in die Feder diktiert, und heilig hatte den Bries abgesandt, obwohl er an der Sache wenig Gefallen fand und hober der eigentliche be­ treibende Teil war. — Nachdem der Brief weg war, tat dem heilig die Sache leid. Er richtete einen neuen Brief an die Redaktion, in dem er bat, die Rnzeige nicht zu bringen. Diesen Bries sollte die Dienstmagd des heilig, die Barbara Arnold, auf die Redaktion be­ sorgen. Der Widerrufsbrief ist jedoch auf der Redaktion nicht ein-

*) Die Fälle 21 und 24 sind mit Erlaubnis der zuständigen Stelle aus den Aufgaben für die zweite Prüfung in Württemberg entnommen, allerdings zum Teil umgeformt.

40 getroffen. Zur Rede gestellt, bekannte die Arnold folgendes. Sie habe gemerkt, daß heilig unter dem Einflüsse hobers etwas gegen Bucher vorhabe, und sei nun der Meinung gewesen, der ihr eingehändigte Bries enthalte einen Artikel gegen Bucher. Um heilig nicht in Un­ gelegenheiten zu bringen, habe sie den Brief ins Wasser geworfen. — Bucher erklärt, er stelle gegen heilig Strafantrag, nicht aber gegen hober; denn diesem habe er versprochen, ihn nicht zu verraten.

22. In einer Gießener Wirtschaft ereignete sich vor mehreren Jahren folgender traurige Fall, während ein als Gast anwesender Bauer auf kurze Zeit das Restaurationslokal verlassen hatte, machten sich einige junge Leute den schlechten Scherz, seinen Platz durch Ausgießen von Vier zu verunreinigen. Beim wiederbetreten des Lokals fragte der Bauer einen andern Gast, wer seinen Platz beschmutzt habe. Der Gefragte verwies ihn, in der Meinung, einen guten Witz zu machen, an einen gänzlich unbeteiligten Kaufmann. von dem Land­ mann zur Rede gestellt, verbat sich dieser jede Belästigung, erhielt darauf von dem andern einen Schlag ins Gesicht, der die Brille zer­ trümmerte, einen Glassplitter in das Auge trieb und bald darauf den Tod herbeiführte, wird es möglich sein, diejenigen Personen zur Verantwortung zu ziehen, die das Bier ausgegossen oder den Kaufmann als den Täter bezeichnet haben?

23. Der Auszügle rin Dersch wird der von ihr bereits abge­ mähte, aber noch auf dem Felde liegende Hafer im Werte von etwa 50 Mark durch den Gerichtsvollzieher gepfändet und demnächst im Lokal der Bürgermeisterei an den Meistbietenden versteigert. Die Dersch, die von alledem Kenntnis hat, löst die Siegel von den Garben und veräußert die Frucht an den gutgläubigen Getreidehändler Michel, der den Hafer wegfährt.

24. 3n der Nacht vom 10. auf den 11. Juni 1910 schlug der Tagelöhner wild ein dem Landwirt Müller, mit dem er in Un­ frieden lebte, gehörendes fettes Schwein auf freiem Felde tot, schnitt den Schlegel heraus, nahm ihn mit nach Hause, briet und verzehrte ihn. 3m einzelnen bestehen folgende Möglichkeiten: 1. wild hat das Schwein selbst aus dem Stalle des Eigen­ tümers getrieben. a) vielleicht hatte er dabei zunächst nur die Absicht, diesem durch das weglaufenlassen des Tieres einen Possen zu spielen. Er wäre dann erst später auf den Gedanken der Tötung und teilweisen Zu­ eignung gekommen, sei es «) daß er das Schwein tötete, um sich ein Stück Fleisch herauszuschneiden, sei es, ß) daß er diesen letzteren Entschluß erst nach der Tötung faßte.

41 b) vielleicht aber trieb er das Schwein deshalb weg, weil er es von vornherein an drittem Grte totschlagen wollte, ohne daß er zunächst an gänzliche oder teilweise Zueignung des Tieres gedacht hätte. Dieser Gedanke kann ihm dann vor oder nach der wirklich vollzogenen Tötung gekommen sein. c) Möglich ist es aber auch, daß wild das Schwein aus dem Stalle trieb, um es in seine eigene Behausung zu führen und für sich zu behalten. Bei dieser Annahme wäre es weiter denkbar, daß er die Verwirklichung dieser Absicht aufgab, weil ihm die Sache zu langweilig wurde, weil sich das Tier nicht weiter treiben ließ, weil er Entdeckung befürchtete. Jedenfalls hätte er dann die Tötung vollzogen, um wenigstens etwas von dem Tier zu haben. 2. Vas Schwein ist ohne Zutun Wilds entwichen; er hat es als entlaufenes auf freiem Felde gesehen. Dabei ergeben sich wieder ähnliche Varianten wie bei der ersten Annahme.

25. Sn der Nähe von Battenberg an der oberen Eder bemerkte vor etlichen Jahren ein Fischereipächter einige in seinem Gebiete fischende Burschen. Als diese den Pächter kommen sahen, begaben sie sich mit drei gefangenen hechten auf die Flucht, von dem Pächter verfolgt, warfen sie die jetzt toten hechte in den Gbergraben einer Mühle deren Eigentümer darin fischereiberechtigt ist. Angesichts der hechte ließ der Pächter die Burschen laufen und forderte einen zufällig neben dem Mühlgraben arbeitenden Mann auf, ihm die Fische aus dem wasser zu holen. Dieser tat, wie ihm geheißen, händigte dem Päch­ ter zwei hechte ein, weigerte aber die Herausgabe des dritten, den er als Lohn behalten wolle.

26. 3n der köstlichen Zeit, als die studierende Jugend noch ohne Furcht vor schwerer Strafe ihre Streiche ausführen durfte, be­ merkten, wie Karl Vogt berichtet, zwei Gießener Musensöhne vor dem Fenster der Frau Professor p. eine Gans, die aber so gut be­ festigt war, daß es unmöglich erschien, den Bindfaden mit einer im Besitze der Studierenden befindlichen langen Stange zu lösen. Zur Erlangung des Tieres wählten sie daher folgendes Mittel. Der eine Stubent klingelt bei der Frau Professor und rät ihr, schleunigst die vor dem Fenster hängende Gans hereinzunehmen; er habe ge­ sehen, wie sich jemand von der Straße aus bemühe, sie zu stehlen. Die Frau Professor dankt bestens und schickt sich an dem Rate zu folgen. Raum aber hat sie den Faden gelöst, mit dem die Gans befestigt ist, so versetzt ihr der aus der Straße stehen gebliebene Student einen so heftigen Schlag mit der Stange aus die Hand, daß sie die Gans fallen läßt.

42 27. Ein Kaufmann schreibt im ersten ärger über die Miß­ erfolge seines Reisenden diesem einen beleidigenden Brief, beschließt aber, sich die Absendung bis zum folgenden Tage zu überlegen. Durch ein versehen des Kaufmanns gerät der Brief gleichwohl unter die vom Diener zur Post zu besorgenden, geht ab und erreicht seine Adresse. Infolge dieses Briefes kündigt der Reisende seine Stellung, und zwar ebenfalls in beleidigender Form. Der Kaufmann erhebt privatklage. Huf jeden Fall beantragt der Reisende Kompensation der Beleidigungen. 28. 3m württembergischen Schwarzwald hat sich vor kurzem folgendes zugetragen. Vater und Tochter standen in geschlechtlichem Verkehr, infolge dessen die Tochter eines Kindes genas. Unmittelbar nach der Geburt, bei der eine Hebamme nicht zugezogen wurde, legte der Vater das Kind unter die Bettdecke der Wöchnerin. Diese ließ es geschehen und lüftete die Decke, obwohl sie es nach dem Stande ihrer Kräfte sogleich hätte tun können, erst nach etwa zehn Minuten. Das Kind war inzwischen erstickt. Der Fall läßt eine sehr verschiedene Beurteilung zu, je nach der Willensrichtung der beteiligten Personen. 29. Bei dem Rentner Meyer dient Barbara Löffel. Alsbald nachdem die Herrschaft eine größere Reise angetreten hat, erhält die Löffel Besuch von ihrem Bruder (Dtto Löffel, einem Schlossergesellen. Diesem sagt sie, daß in einem verschlossenen Pult der Herrschaft der kostbare Schmuck der Frau Meyer liege- er, (Dtto Löffel, möge mit einem Dietrich das Pult öffnen, den Schmuck herausnehmen und ver­ kaufen ; dann brauchten sich doch die gemeinschaftlichen Eltern nicht mehr so zu quälen. (Dtto Löffel erklärt sich bereit. Er will auf den Rat seiner Schwester die Tat in der Weise ausführen, daß er vom Garten aus einsteigt und deutlich sichtbare Spuren hinterläßt, damit Barbara Löffel sich gegenüber den Nachbarn und der Polizei zur Vermeidung einer Verdächtigung darauf berufen kann. 3n der folgenden Nacht führt (Dtto Löffel den Plan bis zur Öffnung des Pultes aus. wie er aber in diesem den Schmuck liegen sieht, fährt ihm der Gedanke durch den Kopf, daß man ihn beim verkauf wohl alsbald als Dieb erkennen werde. Deshalb läßt er ihn liegen und verschließt das Pult wieder. Nun fallen ihm aber im Zimmer ein paar Schuhe auf; er be­ schließt diese mitzunehmen, bis kurz vor Meyers Rückkehr zu tragen und dann wieder an ihren Platz zu stellen; sollten die Schuhe dabei entzweigehen, so werde er sie auf Meyers Kosten wieder Herrichten lassen. 3n der Tat nimmt er die Schuhe mit, trägt sie mehrere Wochen lang und gibt sie, nachdem er die Sohlen durchgelausen hat, einem

43 Schuhmacher, den Meyer öfters beschäftigt, zur Reparatur auf Rechnung des letzteren. Meyer zahlt später ohne verdacht zu schöpfen, gegen Rückgabe der Schuhe durch den Schuster, genau so, wie es in dem Plan des Otto Löffel lag. Barbara Löffel hat zwar dem Lehrling des Schuhmachers die reparierten Schuhe abgenommen, daß sie aber gewußt hat, was mit diesen geschehen, kann nicht sestgestellt werden. Z0. Die von Beethoven komponierte ©per Fidelo hat in der Hauptsache folgende Zabel. Don Pizarro hält seinen persönlichen Feind Florestan eigen­ mächtig gefangen, um ihn durch allmähliche Nahrungsentziehung zu töten. Obwohl Florestan schon sehr geschwächt ist, beschließt Pizarro aus Furcht vor Entdeckung, ihn auf kürzerem Wege zu beseitigen. Er bietet zunächst dem Kerkermeister Rocco Geld an für den Fall, daß er (Rocco) den Florestan töte. Da sich Rocco weigert, so be­ schließt Pizarro, selbst Florestan zu erdolchen. Immerhin erklärt sich Rocco aus Veranlassung Pizarros bereit, ihn in der Art zu unter­ stützen, daß er inzwischen das Grab gräbt, in dem der Leichnam Florestans verborgen werden soll. Bei der Ausführung dieser Arbeit läßt sich Rocco von seinem Diener Fidelio helfen. Diesem letzteren ist der Zweck des Grabes bekannt, dagegen weiß Pizarro nichts von der Mitwirkung Fidelios. Nach Fertigstellung des Grabes ruft Rocco den Pizarro herbei, und in dem Augenblicke, da dieser den Dolch zückt, um seinen Plan auszuführen, bedroht ihn Fidelio mit einem Terzerol und rettet aus diese Weise Florestan. Nunmehr klärt es sich auf, daß Fidelio in Wahrheit dessen Gattin Eleonore ist und von Anfang an nur die Befreiung des Gefangenen beabsichtigt hat. 31. Der Wirt Süff verkauft sein Wirtshaus nebst Mobiliar an den Wirt Schaftelmeyer und tritt diesem auch die ausstehenden Forderungen gegen Zahlung des buchmäßigen wertes und Abzug von 20 Prozent ab. In dem Geschäftsbuche des Süss ist nun unter andern der prak­ tische Arzt Dr. Bart wahrheitsgemäß mit l0 Mark belastet. Diesen Eintrag ändert Süff so, daß er auf 70 Mark lautet, und legt das Buch in dieser Form dem Schaftelmeyer vor. Dieser zahlt daraufhin für die erwähnte Forderung die Summe von 56 Mark bar an Süff aus, und beide - Süff und Schaftelmeyer — richten an Dr. Bart folgenden Brief:

„Dem unterzeichneten Süff schulden Sie für Speisen die Summe von 70 Mark. Die Forderung tritt Gläubiger an den Übernehmer seines Geschäfts, den neten Schaftelmeyer, ab. Insofern Sie den letzten

und Getränke der seitherige mitunterzeich­ nicht binnen

44 vier Wochen vollständig befriedigen, erfolgt Anzeige an den Gast­ wirtverband, damit dieser Sie in die Liste der säumigen Schuldner eintrage und seine Mitglieder vor ihnen warne. Süss. Schaftelmeyer."

(Es soll geprüft werden, ob sich Süss einer strafbaren Handlung gegen Schaftelmeper und ob sich beide einer strafbaren Handlung gegen Dr. Bart schuldig gemacht haben. In letzterer Beziehung ist anzunehmen, daß Süss und Schaftelmeyer Mitglieder eines Gastwirt­ vereins sind, der von seinen Mitgliedern unter anderm die Namhaft­ machung säumiger Schuldner fordert, damit er die übrigen Mitglie­ der vor diesen warnen kann. 32. Der Schneider Michel schuldet dem Dorfwirte Schlimm mehrere Mark für Schnaps. Um zu seinem Gelde zu kommen, erteilt Schlimm dem Michel den Rat, seinem, des Michel Sohn, eine ab­ gezogene Kuhhaut zu entwenden und in Geld umzusetzen. Vie Tat lasse sich leicht ausführen, da die Kuhhaut in dem offenen Hofraum des jungen Michel hänge. Infolge dieses Rates begibt sich Michel in den Hofraum seines Sohnes, wo er aber die Kuhhaut zunächst nicht findet. Rach einigem Umherblicken steht er bei dem Mondlicht, daß sie in einer offenen Luke der Scheune hängt, wohin sie, wie sich nachträglich ergibt, erst wenige Minuten vorher gebracht worden war. (Er steigt nun auf einer Leiter an der wand der Scheune empor und nimmt das Zell an sich, wie er eben mit seiner Beute über den Hof geht, öffnet sich die Stalltür, und sein Sohn tritt ihm entgegen mit der Aufforderung, das Zell herauszugeben. In der Hoffnung, nicht erkannt worden zu sein, versetzt Michel seinem Sohn einen Stoß, so daß dieser zur Erde fällt, und sucht mit dem Zell das weite zu erreichen. Sofort aber erhebt sich der junge Michel wieder und eilt hinter seinem Vater her. Auf der Dorfstraße ent­ steht zwischen Vater und Sohn ein Ringen, bei dem beide Ver­ letzungen davontragen.

33. Der Assistenzarzt Dr. heimlich führt ein Tagebuch, in das er niemanden Einblick gewährt. Bei einem Umzuge geht ihm das Buch verloren. Der Zinder, Schreiber Merk, erkennt alsbald den Eigentümer und freut sich namentlich, in dem Buche folgenden Satz zu finden: „Auf dem Gymnasium hat uns der Dr. Kluge stets Moral gepredigt; jetzt weiß ich, daß er es mit einer Schauspielerin hält." Merk zeigt das Buch seinem Zreunde Übel, der ihm rät, sich von dem Dr. heimlich 100 Mark zahlen zu lassen; sonst könne ihm ja Merk den Dr. Kluge auf den hals Hetzen. Auf diesen Rat hin sagt Merk: „wenn du weiter nichts weißt, so lache ich dich aus; so

45 schlau bin ich schon längst." „Nun gut," meint darauf Übel, „dann lasse dir doch auch von dem Dr. Kluge etwas zahlen, dem wird es auch nicht angenehm sein, daß die Sache mit der Schau­ spielerin bekannt wird." Dem Merk leuchtet das ein. (Er begibt sich zunächst zu Dr. heimlich, überreicht ihm das Tagebuch und ver­ langt 100 Mark Zinderlohn für das Buch „mit den schönen Ge­ schichten über den Dr. Kluge, den der Inhalt ja besonders inter­ essieren werde." Darauf erklärt heimlich: „wenn Sie Schweigegeld verlangen, so machen Sie, daß Sie hinauskommen." Eingeschüchtert, leistet Merk dieser Aufforderung Zolge und läßt das Buch zurück. Nunmehr begibt er sich auf den weg zu Dr. Kluge, wie er aber vor dessen Wohnung kommt, wird ihm die Sache bedenklich und er geht nach Hause.

34. Der Kaufmann Kurz schießt auf seinem Jagdgebiet ein Zeldhuhn. weiter pirschend, gerät er, ohne es zu wissen, auf fremdes Jagdgebiet, wo er einen Hasen und ein Reh erlegt. Mit seiner Beute aus dem Heimwege begriffen, verliert Kurz auf seinem Jagdgebiet das Feldhuhn, der Arbeiter Müller nimmt es an sich und verzehrt es zu Hause mit seiner Frau, nachdem es diese gebraten hat. Vas Reh wird dem Kurz von dem Metzgergesellen Meier heim­ lich aus der Küche entwendet. Den Hasen schenkt Kurz seinem Freunde Lang. Vieser weiß durch einen Zufall, daß das Tier auf fremdem Jagdgebiet geschossen worden ist. Gleichwohl nimmt er es an. 35. 3n der Nähe von Heilbronn fanden vor einigen Jahren Forstleute ein junges Reh, das sich in der Schlinge eines Wilderers gefangen hatte. Sie losten das Tier und brachten es unter Mit­ teilung des Sachverhalts dem Oberförster. Auf dessen Anweisung wurde es wieder in der Schlinge befestigt, während die Förster in der Nähe blieben, um den Wilderer zu fassen, sobald er seine Beute in Sicherheit bringen wolle. Nun geschah es aber, daß ein anderer vorüberkommender Mann das in der Schlinge befindliche Reh be­ merkte. von dem Gedanken ausgehend, er könne es ebensogut brauchen wie der Wilderer, der die Falle gestellt habe, nahm er es an sich. Sofort wurde er festgenommen, hat er sich strafbar gemacht? 36.

Line junge Dame bittet einen Amateurphotographen, der

Entwicklung von Platten im Dunkelzimmer beiwohnen zu dürfen. Sie erhält denn auch Zutritt, wünscht aber nach wenigen Minuten wieder entlassen zu werden. Auf die Erwiderung des Photographen, daß das nicht gehe, weil das hereindringende Licht die Aufnahmen

46 unbrauchbar machen werde, wird sie heftig und erklärt, ihre Ehre leide es nicht, längere Zeit mit einem jungen Manne in einem dunklen Zimmer allein zu sein. Gleichzeitig greift sie nach der Türklinke; der Photograph vertritt ihr den Weg und zieht den Schlüssel ab. Nun ruft das Mädchen um Hilfe, woraus ihr Vater berbeieilt und die Tür sprengt. Demnächst zeigt der Vater den Photographen wegen Freiheitsberaubung an, worauf dieser mit einem Strafantrag wegen Sachbeschädigung antwortet, weil die Platten durch das beim Sprengen der Tür hereinbrechende Licht verdorben worden seien. 37. 3n einem gewissen Flecken der Provinz Hannover ist es üblich, daß sich die Viehhändler vor Beginn des Marktes in einer bestimmten Wirtschaft versammeln. AIs nun kürzlich die Frau des Viehhändlers Trauleicht ihren in dieser Wirtschaft vermuteten Mann telephonisch anrief, erhielt sie von einer ihr fremd scheinenden Stimme Antwort. Ihre Frage, ob in der Tat ihr Mann am Apparat sei, wurde ausdrücklich bejaht. Sie nannte darauf den Preis, den ein soeben vorsprechender Landwirt für ein paar Schweine fordere, und erhielt darauf den Bescheid, sie möge den Landwirt in die Wirtschaft schicken. Tatsächlich war es Trauleichts Konkurrent Neinecke, der mit der Frau gesprochen hatte. Informiert, begab er sich dem Land­ wirt entgegen und erklärte diesem, Trauleicht könne die Schweine nicht brauchen, dagegen wolle er, Neinecke, sie für den verlangten Preis kaufen. Der Landwirt ging darauf ein. 38. *) Auf den Leipziger Bahnhöfen ist die Einrichtung getroffen, daß die Droschkenführer, die ankommende Personen nach der Stadt befördern wollen, bei ihrer Auffahrt vor dem Bahnhöfe nach der Reihenfolge ihres Eintreffens dem diensttuenden am Bahnhofsausgang postierten Schutzmann eine Blechmarke mit der Nummer ihrer Droschke einhändigen,- der Schutzmann gibt jedem nach einer Droschke ver­ langenden Passagier eine solche Marke, und nur nach deren Empfang darf reglementmäßig der Rutscher einen Fahrgast befördern. AIs am 16. Mai 1892 vor Ankunft eines Schnellzuges eine größere Anzahl Droschken vorgefahren war und deren Führer ihre Marken abgegeben hatten, wurde dem diensttuenden Schutzmann vom Stations­ vorsteher mitgeteilt, die Prinzessin R. werde mit dem Zuge ankommen und habe telegraphisch um zwei Droschken ersucht. Der Schutzmann ließ deshalb die beiden ersten Droschkenkutscher an den Ausgang des Bahnhofes herumfahren, gab ihnen ihre Marken zurück und teilte ihnen mit, wen sie zu fahren hätten. Da eine große Anzahl *) Vie Fälle 38—41 verdanke ich meinem Rollegen, Herrn Professor Triepel in Kiel.

47 Personen mit dem Zuge ankam, achtete er auf die Vorgänge bei der Abfahrt dieser beiden Droschken nicht weiter, beschäftigte sich viel­ mehr nur mit der Austeilung der Marken. Cs waren schließlich ge­ rade noch zwei Droschken unbesetzt, als der eine der für die Prin­ zessin R. und ihr Gefolge bestimmten wagen auf der andern Seite der Fahrstraße wieder anfuhr und der Rutscher Walther dem Schutz­ mann zurief, er habe keine Fuhre gehabt, die Prinzessin habe nur einen wagen gebraucht. Um nun Walther nicht ohne Fuhre zu lassen, wies der Schutzmann den nächst kommenden eine Droschke verlangenden Passagier an Walther, der daraus mit Fahrgast und Marke abfuhr. Nunmehr suchte nur noch eine Person einen wagen, sodaß schließlich eine Droschke unbesetzt blieb und sich nach Empfang ihrer Marke wieder entfernte. Cs stellt sich nun folgendes heraus: die Prinzessin hat aller­ dings nur einen wagen gebraucht, aber auch Walther vollauf für die entgangene Fuhre entschädigt. Das Polizeiamt erstattet Anzeige gegen Walther wegen Betrugs zum Nachteil des leer ausgegangenen Rutschers. 39» (Aus einer Zeitung.) Auf dem Markte war eine Bäuerin erschienen, deren Butterwecken zwar sehr vollgewichtig aussahen, es aber, wie die Bäuerin wohl wußte, nicht waren. Unglücklicherweise war an dem Tage Marktrevision, und das herz der Butterdame schlug Unheil ahnend an die schuldbewußte Brust. Aber wir sind nicht auf den Kopf gefallen — stecken wir flugs ein Zweimarkstück in die duldsame Masse, die ja ohnehin gegen Fremdkörper keine Abneigung besitzt. Gedacht - getan — gewogen — vollgewichtig be­ funden und Buttermaid lacht sich ins Fäustchen. „Aber ach, indem wir hoffen, hat uns Unheil schon betroffen." Che die Maid das Zweimarkstück wieder aus dem Butterwecken herausfingern konnte, erschien eine Käuferin, die die vorhergehende Manipulation beobachtet hatte, und fragte nach dem preise der Butter. Sie zahlte den ge­ forderten Preis ohne Zögern, nahm das Pfund Butter und hatte für das innige Flehen, ein anderes Pfund Butter zu nehmen, nur ein höhnisches Lächeln.

40* 3n einem ostpreußischen Städtchen soll sich vor einiger Zeit bei einer Versteigerung folgendes ereignet haben. Der Ausrufer ergriff u. a. auch einen Überzieher und einen Regenschirm. Beides wurde für die üblichen Preise verkauft. Als nach Beendigung der Versteigerung der Ausrufer heimgehen wollte, vermißte er sowohl Überzieher als Regenschirm. Man glaubte zuerst, daß Diebe sich das Gedränge zunutze gemacht hätten; es stellte sich aber heraus,

48 Latz beide Gegenstände — vom Lingentümer in der Hitze des Gefechts losgeschlagen worden waren. wie wäre es mm, wenn Robert, der Gehilfe des Ausrufers, um diesem einen Schabernack zu spielen, ihm unvermutet die eigenen Sachen zugeschoben hätte? wie, wenn dabei Robert im Einverständnis mit Albert gehan­ delt hätte, so daß der letztere Überzieher und Schirm um geringen Preis erstanden, beide die Sachen dann teurer verkauft und den Gewinn geteilt hätten? 41* Vie wahre Geschichte, die hier erzählt werden soll, spielte sich — so schreibt das H. Wiener Tagebl. — in der Ranzlei einer Ber­ liner Theaterdirektion ab. Lin junger Schauspieler begab sich vor einigen Tagen zum Direktorstellvertreter, der ein Bruder des Direktors ist, und begehrte einen Vorschuß von 200 Mark. Der Allgewaltige nimmt das Vorschußbuch zur Hand, blättert darin eifrig und sagt dann: „Bedaure, lieber Freund, ich kann Ihnen keinen Vorschuß mehr geben, Sie sind zu viel schuldig!" Ohne ein wort zu sagen, geht der Schauspieler ab, eilt in die Ranzlei des Direktors und wiederholt da sein verlangen. Der aber macht den Schauspieler darauf aufmerksam, daß an seiner Bühne bekanntlich sein Bruder die Vorschüsse bewillige, er möge sich daher an diesen wenden. Der Schauspieler antwortet, er sei schon dort gewesen, aber abgewiesen worden. Run telephoniert der Direktor den Bruder an und fragt ihn, warum er den Vorschuß nicht bewilligt habe. (Er erhält die gewünschte Auskunft, worauf sich zwischen Direktor und Schauspieler folgendes Gespräch entwickelt. „Ja, lieber Freund, mein Bruder hat doch recht. Unter solchen Umständen kann Ihnen der Vorschuß nicht bewilligt werden." — „Gut, Herr Direktor, dann trete ich heute nicht auf!" Nun wird der Direktor ernst, gibt dem Schauspieler die 200 Mark und sagt: „So, da haben Sie die 200 Mark. Ich mache Sie aber daraus aufmerksam, daß ich noch heute gegen Sie Anzeige wegen Erpressung erstatte." — „Ja, warum denn, Herr Direktor?" — „weil in der Drohung, Sie werden heute abend nicht auftreten, eine Erpressung liegt." - „Aber, Herr Direktor, so schauen Sie doch den Theaterzettel an, ich habe heute überhaupt nicht aufzutreten!"

von Nlünchorv'sche Universitäts-Druckerei (Otto Uindt Ww.) Gießen.