Städtische Wirtschaft im Mittelalter: Festschrift für Franz Irsigler zum 70. Geburtstag 9783412214265, 9783412207793


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Städtische Wirtschaft im Mittelalter: Festschrift für Franz Irsigler zum 70. Geburtstag
 9783412214265, 9783412207793

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Städtische Wirtschaft im Mittelalter Festschrift für Franz Irsigler zum 70. Geburtstag

Herausgegeben von

Rudolf Holbach und Michel Pauly

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Franz Irsigler

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Fonds national de la recherche Luxembourg, des Landschaftsverbands Rheinland und der Sparkasse Trier.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Der Alter Markt zu Köln. Kupferstich nach einer Zeichnung Johann Toussyn; entstanden um 1660. Das Original befindet sich im Stadtmuseum Köln, Graphische Sammlung (Foto: © Rheinisches Bildarchiv, rba_058258)

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20779-3

Tabula Gratulatoria Kurt Andermann, Karlsruhe Archives de l’Etat, Arlon Udo Arnold, Bonn Manfred Balzer, Münster Evamarie Bange, Luxemburg Christiane Bis-Worch, Oetrange Hans Heinrich Blotevogel, Dortmund Francesca Bocchi, Bologna Gerold Bönnen, Worms Ursula Braasch-Schwersmann, Marburg Helmut Bräuer, Leipzig Neven Budak, Zagreb Neithard Bulst, Bielefeld Friedhelm Burgard, Trier Reinhardt Butz, Dresden Lukas Clemens, Gutweiler Gabriele Clemens, Gutweiler Elisabeth Clementz, Jungholtz Centre luxembourgeois de Documentation et d’Etudes médiévales a.s.b.l., Luxemburg Roman Czaja, Toruń Heide Dienst, Wien Alain Dierkens, Brüssel Bernhard Diestelkamp, Kronberg Winfried Eberhard, Leipzig Wilfried Ehbrecht, Münster Caspar Ehlers, Frankfurt am Main Rudolf Endres, Buckenhof Arnold Esch, Rom Günter Fehring, Lübeck Franz J. Felten, Mainz Wolfram Fischer, Berlin Helmut Flachenecker, Würzburg Maria Elisabeth Franke, Schmelz Norbert Franz, Walferdange

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Tabula gratulatoria

Jean-Luc Fray, Clermont-Ferrand Franz-Reiner Erkens, Passau Werner Freitag, Münster Hans-Jörg Gilomen, Arlesheim Holger Thomas Gräf, Grünberg/Queckborn Manfred Groten, Bonn Wolfgang Haubrichs, Saarbrücken Carl-Hans Hauptmeyer, Hannover Alfred Haverkamp, Trier Heinz-Dieter Heimann, Potsdam Karl Heinemeyer, Erfurt Johannes Helmrath, Berlin Volker Henn, Kordel Wolfgang Herborn, Bonn Hans-Walter Herrmann, Riegelsberg Franz-Josef Heyen, Koblenz Ivan Hlaváček, Prag Eduard Hlawitschka, Herrsching Dietrich Höroldt, Bonn Rudolf Holbach, Oldenburg Hubert Houben, Lecce Kay Peter Jankrift, Augsburg Wilhelm Janssen, Düsseldorf Stuart Jenks, Erlangen Peter Johanek, Münster Brigitte Kasten, Saarbrücken Jiri Kejr, Prag Rolf Kießling, Augsburg Karl-Heinz Kirchhoff, Münster Ulrich Knefelkamp, Frankfurt/Oder Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung e.V. , Saarbrücken Karl Heinrich Krüger, Havixbeck Ludolf Kuchenbuch, Berlin Horst Lademacher, Lüdenscheid Jürgen Lafrenz, Hamburg Angelika Lampen, Münster Dietrich Lohrmann, Aachen Michel Margue, Roodt/Syr



Tabula gratulatoria

Paul Margue, Luxemburg Fritz Mayrhofer, Linz Michael Menzel, Berlin Bernhard Metz, Strasbourg Klaus Militzer, Köln Gisela Minn, Trier Adalbert Mischlewski, Grafing bei München Ruth-E. Mohrmann, Münster Georg Mölich, Bonn Johannes Mötsch, Meiningen Eduard Mühle, Warschau Jörg Müller, Wadern Marlene Nikolay-Panter, Bonn Lars Nilsson, Stockholm Michael North, Greifswald Johannes van Ooyen, Wien Ferdinand Opll, Perchtoldsdorf Jaroslav Panek, Rom Werner Paravicini, Kiel Michel Pauly, Schrassig Pit Péporté, Luxemburg Matthias Puhle, Magdeburg Peter Rauch, Wien Konrad Repgen, Bonn Frank Rexroth, Göttingen Gerhard A. Ritter, Berlin Hedwig Röckelein, Göttingen Werner Rösener, Gießen Jürgen Sarnowsky, Hamburg Dieter Scheler, Bochum Winfried Schich, Berlin Rudolf Schieffer, München Heinz Schilling, Berlin Felicitas Schmieder, Hagen Joachim Schneider, Mainz Reinhardt Schneider, Berlin Christine Schuchard, Berlin Knut Schulz, Berlin Rainer Christoph Schwinges, Bern

VII

VIII

Tabula gratulatoria

Rosa Smurra, Bologna Andreas Sohn, Paris Hans-Eugen Specker, Ulm Karl-Heinz Spiess, Greifswald Rüdiger Störkel, Herborn Wilhelm Störmer, Neubiberg bei München Tilman Struve, Köln Katalin Szende, Budapest Guy Thewes, Bettemburg Heinz Thomas, Bonn Kaoru Ugawa, Tokyo Martin Uhrmacher, Trier Cornelis Lambertus Verkerk, Amsterdam Ernst Voltmer, Trier Rita Voltmer, Trier Clemens von Looz-Corswarem, Düsseldorf Ulrich Wagner, Würzburg Hugo Weczerka, Marburg Stefan Weinfurter, Heidelberg Margret Wensky, Bonn Harald Witthöft, Siegen Armin Wolf, Frankfurt am Main Klaus Wriedt, Osnabrück Josef Žemlička, Prag Thomas Zotz, Freiburg

Inhalt Rudolf Holbach, Michel Pauly Zum Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Josef Žemlička Prager Westhandel im Früh- und Hochmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Jean-Luc Fray Städtische Wirtschaft im Mittelgebirge. Einige Überlegungen am Beispiel der Kleinstädte und zentralen Orte des „Zentralmassivs“ im Hochmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Francesca Bocchi The Public Piazzas of Communal Italy. Economy, City Planning, Symbology (13th–14th centuries) . . . . . . . . . . . . .

43

Rosa Smurra The Palatium Communis Bononie and its commercial facilities in the 13th and 14th centuries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

Roman Czaja Der preußische Handel um die Wende zum 15. Jahrhundert. Zwischen Krise und Expansion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

Hans-Jörg Gilomen Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten. Basel und Zürich im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

Volker Henn Apothekerdienstbriefe, Apothekenordnungen und Arzneitaxen. Quellen städtischer Gesundheitspolitik des späten Mittelalters . . . . . . . . . .

149

Ferdinand Opll Das Archiv eines päpstlichen Legaten aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Ein Bestand im Wiener Stadt- und Landesarchiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

X

Inhalt

Michel Pauly, Martin Uhrmacher Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg im späten Mittelalter . . . . . .

211

Rudolf Holbach „Also wer Tuch macht im Gericht zu Boppard“. Entwicklungen der Textilherstellung zwischen Maas und Rhein und eine spätmittelalterliche Weberordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

Knut Schulz Das Eisengewerbe des Reviers von Steyr bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299

Harald Witthöft Vom Umgang mit Zahl und Zeit, Maß, Gewicht und Geld. Lüneburg und seine Saline im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333

Carl-Hans Hauptmeyer Städtische Wirtschaft im Längsschnitt – oder warum die mittelalterliche Stadt immer noch Modellcharakter besitzt . . . . . . . . . .

355

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

372

Zum Geleit „Gemessen an dem hohen Anteil der mittelalterlichen Städte an der wirtschaftlichen Wertschöpfung erscheint das Interesse der Mittelalterforschung an diesem Themenfeld insgesamt recht bescheiden. Die Schwerpunkte der deutschen Stadtgeschichtsforschung liegen eindeutig in den Bereichen Verfassungs- und Rechtsgeschichte, Sozialgeschichte, Kultur- und Alltagsgeschichte.“1 So hat Franz Irsigler vor wenigen Jahren in seinem weitgespannten Beitrag zum Thema „Wirtschaftsgeschichte und deutsche Mediävistik“ treffend formuliert, ungeachtet der ihm bewussten und durchaus gewürdigten Tatsache, dass zu einzelnen Städtegruppen wie insbesondere den Fernhandelszentren und zu bestimmten Bereichen städtischer Wirtschaft sehr beachtliche Forschungsleistungen vorliegen. Hierzu hat gerade auch er selbst als Autor dieser Bilanz in großem Umfang beigetragen, so dass seine Arbeiten im bibliographischen Rückblick von Gerhard Fouquet auf die Stadtwirtschaft keineswegs zufällig an prominenter Stelle aufgeführt werden2. Schon seit den späten 60er Jahren, als Franz Irsigler Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn bei Edith Ennen wurde, haben ihn Fragen der städtischen Wirtschaftsgeschichte begleitet und sind zu einem Kernbereich seiner Forschungen geworden. Dies hat sich in zahlreichen Arbeiten von Monographien bis zu Zeitschriftenaufsätzen und Lexikonartikeln niedergeschlagen. So hat er 1983 auch eine kleine Skizze der Struktur, Funktion und Leistung von Stadtwirtschaft im Mittelalter3 vorgelegt, die in ihrer Reichhaltigkeit seither kaum dichter ausgemalt worden ist. Ob mit seinen grundlegenden Studien zur Wirtschaft der Exportgewerbe- und 1

2

3

Auf italienisch erschienen u. d. T.: Franz Irsigler, Storia economica e medievistica tedesca, in: Michael Matheus e Massimo Miglio (ed.), Stato della ricerca e prospettive della medievistica tedesca, Roma 2007, S. 169–219; deutsche Fassung online unter http://geschichte. uni-trier.de/fileadmin/user_upload/Landeskunde %20 %28Irsigler %29/Wirtschaftsgeschichte_und_deutsche_Mediaevistik_2007.pdf (25.1.2011). Gerhard Fouquet, Stadtwirtschaft: Handwerk und Gewerbe im Mittelalter, in: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Arbeitsgebiete – Probleme – Perspektiven, hrg. v. Günther Schulz u. a., Stuttgart 2005, S. 69–94. Franz Irsigler, Stadtwirtschaft im Spätmittelalter: Struktur – Funktion – Leistung, in: Stadt. Kirche. Reich: Neue Forschungen zur Geschichte des Mittelalters anläßlich der 1200. Wiederkehr der ersten urkundlichen Erwähnung Bremens, hrg. v. Heinrich Schmidt, Werner Goez, Dieter Hägermann, Franz Irsigler [Jahrbuch der Wittheit zu Bremen 27 (1983)], Bremen 1983, S. 81–100.

XII

Rudolf Holbach, Michel Pauly

Fernhandelsstadt Köln oder zu anderen Orten wie dem frühneuzeitlichen Trier, ob mit seinen quantifizierenden Arbeiten zu städtischen Getreidepreisen, seinem Projekt zur Geld- und Währungsgeschichte, seinen Versuchen zur Erfassung und Beschreibung städtisch geprägter Wirtschaftsräume, seinen Beiträgen zu einzelnen Sektoren gewerblicher Wirtschaft und des Handels (z. B. Metallhandel, Papierproduktion), ob mit seinen innovativen Forschungen zu Messe- und Märktesystemen oder der typologischen und mentalitätsgeschichtlichen Beschäftigung mit einzelnen Wirtschaftsträgern wie Kaufleuten, Franz Irsigler hat die deutsche und europäische Städteforschung speziell in ihren wirtschaftshistorischen Dimensionen in vielfältiger und nachhaltiger Weise geprägt und befruchtet. Nicht zuletzt hat er als Mitglied der Internationalen Kommission für Städtegeschichte von 1991–1995 deren Fünfjahresthema zur vergleichenden Erforschung von Messen und Jahrmärkten und ihrer Bedeutung für die jeweilige Stadtentwicklung initiiert, strukturiert und mit Erfolg zum Abschluss gebracht4. Vor einem solchen Hintergrund lag es nahe, ihm zu seinem 70. Geburtstag eine Festgabe mit einer entsprechenden Thematik zu widmen und hierfür internationale Fachvertreter und Kollegen des Jubilars zu einem Beitrag einzuladen, gilt doch der erwähnte Befund grosso modo auch für die Mediävistik anderer europäischer Wissenschaftsstandorte. Zugleich soll mit dem vorliegenden Band ein wenig die Breite des offenstehenden Forschungsbereichs verdeutlicht werden. Denn es wäre vermessen, den Anspruch zu erheben, auch nur Teilaspekte der städtischen Wirtschaftsgeschichte im Mittelalter im Rahmen einer Festgabe umfassend darstellen zu wollen. Die 13 Beiträge vermögen mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten aber zumindest Anstöße zu liefern, in welchen Bereichen weitere Forschungen nötig und möglich erscheinen: Es geht u. a. um die naturräumlichen Bedingungen der Wirtschaftsentwicklung, um die Geschichte des Kreditwesens, um die wirtschaftlichen und demographischen Land-Stadt-Beziehungen und die Rolle urbaner Zentren in der regionalen Wirtschaftsentwicklung, um die Handelsbeziehungen von Städten, die Arbeitsbedingungen einzelner Berufsgruppen, die Konjunktur ausgewählter Städte und Städtelandschaften, die urbanistischen Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivität, um öffentliche Infrastruktur (Marktplätze), um städtisches Eingreifen in ökonomische Belange, Versuche zur Ordnung und den Umgang mit Maßeinheiten oder

4

Franz Irsigler und Michel Pauly (Hgg.), Messen, Jahrmärkte und Stadtentwicklung in Europa / Foires, marchés annuels et développement urbain en Europe (Beiträge zur Landesund Kulturgeschichte 5/Publications du CLUDEM 17), Trier 2007.

Zum Geleit

XIII

um das Potential einzelner Archivbestände. Damit werden doch etliche wichtige Bedingungen und Aktionsfelder urbaner Wirtschaft abgedeckt. Zu danken haben wir dem Landschaftsverband Rheinland, der die Verdienste seines aktiven Mitglieds Franz Irsigler eigens würdigt und zur Finanzierung dieser Festgabe wesentlich beigetragen hat. Des Weiteren gilt unser Dank dem Nationalen Forschungsfonds Luxemburg und der Sparkasse Trier, die gleichermaßen entscheidend geholfen haben, das Buch zu finanzieren. Zu Dank sind wir weiterhin der Gesellschaft für Nützliche Forschungen in Trier sowie dem Centre luxembourgeois de Documentation et d’Etudes médiévales a.s.b.l. (CLUDEM) verpflichtet. Dem Böhlau-Verlag und seinem Leiter Johannes Van Ooyen gebührt unser Dank für die spontane Bereitschaft, die Festschrift in sein Verlagsprogramm aufzunehmen, sowie für seine verlegerische Betreuung. Bei der Redaktionsarbeit haben uns Eva Jullien an der Universität Luxemburg und Matthias Büttner an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg in verdienstvoller Weise unterstützt. Martin Uhrmacher verdanken wir außer seiner kartographischen Kompetenz vielfältige administrative Hilfestellungen. Unserem Lehrer, Kollegen und Freund aber, dem wir so viel verdanken, hoffen wir mit dem Band eine kleine Freude zu bereiten. Rudolf Holbach und Michel Pauly

Prager Westhandel im Früh- und Hochmittelalter von Josef Žemlička

Bereits in den letzten Phasen der Urzeit nahm das weitere Prager Becken in Mittelböhmen einen außergewöhnlich wichtigen Platz in der Struktur der Besiedlung des ganzen Landes ein. Dies bestätigen nicht nur die fortlaufenden archäologischen Untersuchungen mit einer Reihe vorzeitlicher Funde, sondern auch die siedlungshistorischen Indizien1. In den Vordergrund schob sich Prag in Zusammenhang mit der Formierung des frühen Staates der Přemysliden. Dazu trug auch die Rolle bei, die der Prager Region im Netz der Fernkommunikation zukam. Der Fluss Moldau besaß an dieser Stelle nämlich etliche Furten. Als Ende des 9. Jahrhunderts Herzog Bořivoj, der erste historisch belegte Přemyslide, seinen Sitz von Levý Hradec (nördlich von Prag) auf die Prager Burg verlegte, war dies ein Schritt mit weitreichender Bedeutung. Prag wurde hiermit zum Kern der ursprünglich nicht allzu großen, aber relativ gut organisierten přemyslidischen Domäne, die von einem Ring fester Burganlagen umgeben war (die Burgen in Mělník/Melnik, Libušín, Tetín, Lštění, Stará Boleslav/Altbunzlau). Wir können hier die komplizierte Frage außer Acht lassen, ob auf dem Prager Burgfelsen bereits zuvor ein Thron aus Stein gestanden hatte, den Bořivoj befestigte und sich so „zu eigen machte“, oder ob eine andere Variante wahrscheinlicher ist. Aber auf jeden Fall wurde das Areal der entstehenden Prager Burg bald zum Machtzentrum für ganz Böhmen. Der Einigungsprozess erreichte unter Boleslav I. (935–972) Mitte des 10. Jahrhunderts seinen Gipfel. Die einstigen nicht– přemyslidischen duces verschwanden von der politischen Landkarte, und das Land erhielt einen einzigen fürstlichen Herrn aus dem Geschlecht des sagenhaften Přemysl des Pflügers2.

1 2

Lutovský, Michal / Smejtek, Lubor [u. a.], Pravěká Praha [Prag in der Vorzeit], Prag 2005. Vgl. statt vieler: Sláma, Jiří, Střední Čechy v  raném středověku, Bd. 3. Archeologie o počátcích přemyslovského státu [Zentral-Böhmen im frühen Mittelalter, Bd. 3. Archäologie und der Anfang des přemyslidischen Staates] (Praehistorica, 14), Prag 1988; Třeštík, Dušan, Die Gründung Prags, in: Burg-Burgstadt-Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Ostmitteleuropa, hrg. v. Brachmann, Hans-Jürgen (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa), Berlin 1995, S. 229–240; Žemlička, Josef, „Duces Boemanorum“ a vznik přemyslovské monarchie [„Duces Boema-

2

Josef Žemlička

In den böhmischen und außerböhmischen Quellen ist, wenn Prag erwähnt wird, bis Mitte des 12. Jahrhunderts in erster Linie die Prager Burg gemeint: Die urbs oder civitas Praga, die nach den Worten des Chronisten Cosmas (+ 1125) „über ganz Böhmen herrschte“ (tocius Boemie domna). Ihre politisch-sakrale Rolle wurde durch drei Umstände bestimmt: 1) Inmitten der Prager Burg stand der heilige Thron aus Stein, auf den der herrschende Přemyslide gesetzt wurde; wer Macht über diesen Thron, diesen „Felsblock“ besaß, herrschte über den ganzen Staat. 2) Die durch den heiligen Wenzel begründete Burgkirche St. Veit wurde in den siebziger Jahren des 10. Jahrhunderts zur Bischofskirche, so dass die civitas Praga damit auch zum kirchlichen Zentrum des Landes wurde. 3) In der Veitskirche befanden sich Reliquien aller drei wichtigen Landesheiligen: des heiligen Veit, des heiligen Wenzel und seit 1039 zudem des heiligen Adalbert (Prager Bischof in den Jahren 982–997). Deshalb konnte die Prager Burg in der Geschichte des mittelalterlichen böhmischen Staates eine so einzigartige Rolle spielen3. Nach der Mitte des 10. Jahrhunderts begannen die böhmischen Fürsten aus dem Geschlecht der Přemysliden, namentlich Boleslav I. und Boleslav II. (972– 999), einen ausgedehnten territorialen Expansionsprozess, der sie im Nordosten bis an die Grenzen der Kiewer Rus führen sollte. Gerade damals nahm auch die Bedeutung der Prager Region für den Handel stark zu. Der Verkehr auf der alten WestOst-Trasse, die mit einem ihrer Zweige traditionell an der Donau entlang führte, war seit Ende des 9. Jahrhunderts im südlichen Teil durch den Einfall der Ungarn gelähmt. Deshalb hatte eine Verlagerung nach Norden eingesetzt, und die alte Trasse längs der Donau hatte sich am Beginn des 10. Jahrhunderts verschoben. In Regensburg bog sie nach Böhmen ab und erreichte Krakau über Prag auf zwei verschiedenen Routen (über Schlesien oder Nordmähren). Von dort führte sie über die Burgen von Czerwień oder Przemyśl nach Kiew und zu den Chasaren an den Unterlauf der Wolga. Wohl nicht zufällig kopierte der Verlauf dieser transkontinentalen Trasse die Richtung der přemyslidischen Expansion nach Nordosten. Für den

3

norum“ und der Ursprung der přemyslidischen Monarchie], in: Československý časopis historický 37 (1989), S. 697–721. Fiala, Zdeněk, Die Anfänge Prags. Eine Quellenkunde zur Ortsterminologie bis zum Jahre 1253 (Giessener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens, 40), Wiesbaden 1967; Fiala, Zdeněk, Die Organisation der Kirche im Přemyslidenstaat des 10.–13. Jahrhunderts, in: Siedlung und Verfassung Böhmens in der Frühzeit, hrg. v. Graus, František / Ludat, Herbert, Wiesbaden 1967, S. 133–143; Schmidt, Roderich, Die Einsetzung der böhmischen Herzöge auf den Thron zu Prag, in: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter, hrg. v. Beumann, Helmut / Schröder, Werner (Nationes, 1), Sigmaringen 1978, S. 439–463.

Prager Westhandel im Früh- und Hochmittelalter

3

Aufschwung Prags und dessen Eingliederung in den „großen“, internationalen Markt und Handel war dies ein starker Impuls. Böhmen und besonders Prag erlangten so den Vorteil einer strategischen Lage. Die Kontrolle der bedeutenden Route versprach Gewinne sowohl aus den Zollerträgen als auch aus den verschiedenen Schutzversprechen und Handelsaktivitäten der Přemysliden 4. Ein hervorragendes Zeugnis dazu hinterließ um 965 Ibrahim ibn Jakub, vielleicht ein Diplomat, vielleicht auch ein Kaufmann arabisch-jüdischer Herkunft, wie von den Historikern noch heute diskutiert wird. Seine Aufzeichnungen, die sich im Werk von al-Bakrí erhalten haben, belegen nicht nur die enorme Ausdehnung der Herrschaft „König Bujíslavs“ – wie er Boleslav I. nannte –, sondern vermitteln auch ein Bild vom Prager Markt: Die Stadt Prag wurde aus Stein und Kalk erbaut und ist das größte Handelszentrum dieses Landes. Hierher kommen aus der Stadt Krakau Russen und Slawen mit Waren. Und es kommen aus dem Land der Türken (also aus Ungarn) Muslime, Juden und Türken mit Waren und Gold. Sie führen von hier Sklaven, Zinn und verschiedene Arten von Pelzen aus. Ibrahim nennt weitere Details, darunter die Tatsache, dass in Prag Sättel, Zaumzeug und Schilde gefertigt werden. Gerade der Sklavenmarkt spielte eine wichtige Rolle für den Handel in Prag, welches einige Jahrzehnte zu den führenden europäischen Umschlagplätzen dieses „menschlichen Guts“ gehörte. Die bisher nicht christianisierten Bereiche im nordöstlichen Zipfel des „Reichs“ der böhmischen Fürsten Boleslav I. und Boleslav II. dienten als wesentliches Reservoir für den Sklavenmarkt. Von Prag aus gingen Sklaventransporte auf die Reise zu den Märkten im muslimischen Spanien, manchmal auch weiter nach Ägypten und in den Orient. Ein weiterer Zweig verband Böhmen vermutlich direkt mit der arabischen Welt. Der Verkauf von Gefangenen und Verurteilten aus Ungarn hielt sich hier bis weit in das 11. Jahrhundert. Der rege Sklavenhandel wird nicht nur durch Ibrahims Aufzeichnungen belegt, sondern auch durch Angaben in den ältesten Legenden über die böhmischen Heiligen. Er wurde vor allem von den Juden beherrscht, wie beispielsweise auch eine Szene an der Bronzetür der Gnesener Kathedrale (Mitte des 12. Jahrhunderts) zeigt, in der der heilige Adalbert 4

Siehe: Sláma, Jiří, Der böhmische Fürst Boleslav II., in: Boleslav II. Der tschechische Staat um das Jahr 1000, hrg. v. Sommer, Petr (Colloquia mediaevalia Pragensia, 2), Prag 2001, S. 15–42 (mit weiterer Literatur); zur politischen Situation u. a.: Ludat, Herbert, An Elbe und Oder um das Jahr 1000. Skizze zur Politik des Ottonenreiches und der slavischen Mächte in Mitteleuropa, Weimar / Köln / Wien 19952; Žemlička, Josef, Das „Reich“ der böhmischen Boleslavs und die Krise an der Jahrtausendwende. Zur Charakteristik der frühen Staaten in Mitteleuropa, in: Archeologické rozhledy 47 (1995), S. 267–278; Lübke, Christian, Machtfaktoren im Osten des Ottonischen Reiches, in: Boleslav II. (siehe oben), S. 385–395.

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Josef Žemlička

als Prager Bischof den böhmischen Fürsten Boleslav II. überredet, christliche Sklaven freizukaufen. Der „Staat“, in der Person des Fürsten vertreten, machte mit dem Verkauf von Sklaven vermutlich große Gewinne. Auf dem Prager Markt konnte er sie gegen Luxusgüter tauschen oder sie gegen Geld und Edelmetall verkaufen5. Zu den Kennzeichen des Prager Marktes im 10. Jahrhundert gehörte auch dessen ethnische Vielfalt. Soweit sich Ibrahims Nachricht dechiffrieren lässt, kamen Slawen und Waräger aus der Region Kiew hierher, weiter wird von Juden und Personen aus Ungarn gesprochen und auch die Marktteilnahme von Händlern aus muslimischen Ländern und aus dem Kalifat von Córdoba kann angenommen werden. In dieser Hinsicht gehörte Prag zu den großen Handelszentren mit einem aktiven Anteil „fremder Gäste“, wie diese unlängst von Christian Lübke genannt wurden. Nicht weniger interessant als die Informationen zum Einzugsbereich des Marktes sind die Angaben über die Tauschinstrumente, mit denen in Prag gehandelt wurde. Ibrahim nennt mehrere Arten von Zahlungsmitteln: Einheimische Münze war der Kinšár, und als Mittel für den alltäglichen Tausch dienten Tüchlein, von denen zehn einen Kinšár wert sein sollten. Die Menschen besaßen angeblich ganze Truhen voller Tüchlein und konnten alles Mögliche dafür kaufen: Getreide, Sklaven, Pferde, Gold, Silber und andere Dinge. Bei der Beschreibung des Landes von König Měško spricht Ibrahim von sogenannten Marktmünzen (mitkál-al-markatíja), die wohl auch in Prag verwendet wurden. Vermutlich handelte es sich um eine schwere, für den Auslandshandel verwendete Münze, vielleicht den arabischen Dirham. Da sich unter der Bezeichnung Kinšár in Ibrahims Terminologie die Silbermünzen christlicher Herrscher verbergen, kommen wir hier wohl bereits mit den Anfängen des böhmischen Münzwesens in Kontakt. Ein Teil der Numismatiker sieht diese gerade in der Zeit nach der Mitte des 10. Jahrhunderts, wobei als Vorbilder in Regensburg geprägte Denare dienten. Auch unter diesem „wirtschaft5

Relatio Ibrahim ibn Jakub de itinere slavico, quae traditur apud Al-Bekri, bearb. v. Kowalski, Tadeusz (Monumenta Poloniae Historica. Nova series, 1), Krakau 1946, S. 49; Legenda Christiani. Vita et Passio sancti Wenceslai et sanctae Ludmile ave eius, bearb. v. Ludvíkovský, Jaroslav, Prag 1978, Kap. 7, S. 68; Adalberti Pragensia episcopi et martyris Vita prior, bearb. v. Karwasisńka, Jadwiga (Monumenta Poloniae Historica, Nova series 4.1), Warschau 1961, Kap. 12, S. 18; siehe auch: Třeštík, Dušan, „Eine grosse Stadt der Slawen namens Prag“ (Staaten und Sklaven in Mitteleuropa im 10. Jahrhundert), in: Boleslav II. (wie Anm. 4), S. 93–138; Warnke, Christina, Die Anfänge des Fernhandels in Polen, Diss. Göttingen 1960/61 (Marburger Ostforschungen, 22) Würzburg 1964, S. 76–80; Verlinden, Charles, Wo, wann und warum gab es einen Großhandel mit Sklaven während des Mittelalters? (Kölner Vorträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 11), Köln 1970.

Prager Westhandel im Früh- und Hochmittelalter

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lichen“ Aspekt zeigte sich also die enge Verflechtung der böhmischen Entwicklung mit Einflüssen aus der bayerischen Region. In der Realität waren die Formen des Tauschhandels auf dem Prager Markt allerdings noch viel komplizierter; zu denken ist zweifellos nicht nur an Hacksilber, sondern auch an den Tausch „Ware gegen Ware“6. Bei der Frage, wie die Prager Burg im ersten Jahrhundert ihrer Existenz aussah und wie sich die Siedlung unterhalb der Burg im 10. Jahrhundert entwickelte, kommt das entscheidende Wort der Archäologie zu. Wenn Ibrahim ibn Jakub von Prag als einer aus Stein und Kalk gebauten Stadt spricht, so denkt er sicherlich an die Prager Burg, wo bereits zur Zeit seines Besuchs außer dem Palas einige kirchliche Bauten standen (Kirche St. Veit, Kirche mit Kloster St. Georg u. a.). Genau unterhalb der Prager Burg, im unmittelbaren Schutz der fürstlichen Macht, konzentrierte sich vermutlich die Besiedlung. Erst nach dem Jahr 1000 verlagerte sich deren Schwerpunkt auf das rechte Ufer der Moldau, wie indirekt die Ortsveränderungen der Verhüttungs- und Schmiedeaktivitäten zeigen. Wahrscheinlich am Ort der späteren Steinbrücke waren die beiden Ufer der Moldau bereits im 10. Jahrhundert durch eine Holzbrücke verbunden, die im Jahr 1118 sogar das Hochwasser überlebte (auch wenn es sich natürlich nicht immer um dieselbe Konstruktion handeln musste). Ende des 10. Jahrhunderts wurde auch der südlichste Zipfel der Prager Agglomeration durch die Burg Vyšehrad belebt, die gleich zu Beginn des folgenden Jahrhunderts auf bedeutsame Weise in die politische Geschichte eingreifen sollte7. In den neunziger Jahren des 10. Jahrhunderts setzte ein dramatischer Wandel ein. Die Přemysliden verloren ihre Territorien außerhalb Böhmens, und nach dem Tod Boleslavs II. im Februar 999 wuchs sich die Situation zu einer tiefen politischen und dynastischen Krise aus. Erst das Jahr 1004 brachte eine Wende, und vermutlich 1019 (1020) wurde Mähren definitiv dem böhmischen Kernland hinzugefügt. Der 6

7

Lübke, Christian, Fremde im östlichen Europa. Von Gesellschaften ohne Staat zu verstaatlichen Gesellschaften. 9.–11. Jahrhundert (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 23), Köln / Weimar / Wien 2001; Hahn, Wolfgang, Moneta Radasponensis. Bayerns Münzprägung im 9., 10. und 11. Jahrhundert, Braunschweig 1976; siehe auch: Pošvář, Jaroslav, Počátky měny u Slovanů [Anfänge der Währung bei den Slawen], in: Moravské numismatické zprávy 10 (1967), S. 17–40. Aus den aktuellen Ansichten: Frolík, Jan, Die Prager Burg im 10. und 11. Jahrhundert. Zu Fragen der Auswertung der älteren archäologischen Dokumentation und deren Interpretation, in: Boleslav II. (wie Anm. 4), S. 153–187; Čiháková, Jarmila / Dragoun, Zdeněk / Podliska, Jaroslav, Der Prager Siedlungsraum im 10. und 11. Jahrhundert, in: Boleslav II. (wie Anm. 4), S. 225–262.

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Josef Žemlička

böhmische Staat erhielt die räumliche Dimension, die er im Grunde bis heute besitzt (das Egerland wurde erst 1322 zu einem dauerhaften Bestandteil Böhmens). Die Stabilisierung der Verhältnisse in Ungarn, das in den lateinischen Kulturkreis eingegliedert wurde, hatte eine allmähliche Erneuerung der „Donauroute“ zur Folge. Prag befand sich nun nicht mehr an der Hauptschlagader der Handelsverbindung von Ost nach West (und umgekehrt), behielt aber in der Struktur des mitteleuropäischen Handels eine wichtige Rolle. In westlicher Richtung war dies vor allem die Verbindung nach Bayern und Sachsen, die nicht nur durch wirtschaftliche, sondern auch durch politische Bindungen beeinflusst wurde. Die Verteilung der Zollstätten an den Grenzen deutet an, auf welchen Wegen der Handel verlief. Angaben über diese Zollstätten, die sich gewöhnlich an den so genannten Landespforten (portae terrae) befanden, haben sich dank der Großzügigkeit der Herzöge erhalten, die häufig kirchlichen Institutionen einen Teil der Erträge schenkten. In Richtung Regensburg handelte es sich hauptsächlich um die Zollstätte in Domažlice/Taus, die den Klöstern in Prag–Břevnov, Ostrov und Kladrau geschenkt wurde. Nach Passau reiste man über Prachatitz beziehungsweise Alt-Prachatitz, wo das Vyšehrader Kapitel Anteile an den Zollerträgen besaß. Von ähnlichen Zollstätten war im 11. und 12. Jahrhundert praktisch ganz Böhmen „umzingelt“8. Zumindest eine annähernde Vorstellung von der Zusammensetzung des Exports aus Sachsen nach Böhmen liefert der Memorialeintrag über die Gründung des Kollegiatkapitels in Leitmeritz. Er hat sich in verschiedenen Ausfertigungen erhalten. Der älteste Text A wurde zeitgleich mit der Gründung des Kapitels im Jahr 1057 (1058) verfasst, Text B vom Ende des 12. Jahrhunderts ist eine jüngere Bearbeitung, und Text C entstand durch eine Kombination von A und B in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Bestandteil aller drei Varianten ist eine so genannte Zolltarifliste, nach der vom örtlichen Zoll auf der Elbe gewisse Anteile an das Kapitel abzuführen waren. Bereits nach Text A gehörte Salz, das auf der Elbe aus der Region Halle hergebracht wurde, zu den bedeutendsten Einfuhrartikeln9. Salz aber wurde nicht nur aus Sachsen, sondern auch aus Polen und den Alpen nach Böhmen importiert, seit Ende des 11. Jahrhunderts zusätzlich noch aus Siebenbürgen. Gemeinsam mit dem Salz wurden auch andere Waren nach Böhmen 8

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In groben Umrissen: Žemlička, Josef, Čechy v době knížecí. 1034–1197 [Böhmen in der Zeit der Fürsten 1034–1197], Prag 20072, S. 35–51; zu Mähren ausführlich: Krzemieńska, Barbara, Wann erfolgte der Anschluß Mährens an den böhmischen Staat?, in: Historica 19 (1980), S. 195–243. Interessant sind dabei auch die im Text enthaltenen Angaben zu den Typen von Handelsschiffen, die nach ihrer Größe klassifiziert wurden.

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gebracht, die in den Quellen aber nur sehr allgemein charakterisiert werden. Für die Untersuchung der Ausfuhr auf der Elbe nach Sachsen ist besonders Text C von Bedeutung. Er enthält einige Zollbezeichnungen, die vielleicht älteren Ursprungs sind (homuthne, othodne, otroce, gostine, grrnecne, sitne). Sie könnten den Transport von Vieh oder Pferden, von Getreide oder den Export von Töpfererzeugnissen ankündigen, die eventuell als Behälter für Honig oder andere Produkte dienten. Die Bezeichnung otroce mag an den Sklavenhandel erinnern. Das Sortiment für den gegenseitigen Austausch war allerdings größer, wie unter anderem Grabfunde von Waffen von hoher Qualität, westlicher oder nördlicher Herkunft andeuten. Belegt ist zudem Bernsteinschmuck, und zwar auch für ländliche Grabstätten. Die Zollordnung der Texte A und B enthält des Weiteren wertvolle Angaben zu den Menschen, die mit dem Handel befasst waren. Aufgezählt werden zum einen einheimische Kaufleute (huius patrie incole), die in freie und unfreie (servi vel liberi) eingeteilt werden. Fremde Kaufleute, zweifellos hauptsächlich aus Sachsen, verbergen sich hinter der Bezeichnung „Gäste“ (hospites). Die Zolltarife des Salzhandels, die in Text A festgehalten sind und in Denaren gezahlt wurden, weisen darauf hin, dass der Gebrauch geprägter Münzen im Handelsverkehr Mitte des 11. Jahrhunderts nichts Außergewöhnliches mehr war10. Neben Sachsen war es in erster Linie Bayern, mit dem Böhmen seit seinen historischen Anfängen nicht nur kirchlich-kulturelle, sondern auch wirtschaftliche Kontakte unterhielt. Beide Richtungen hatten daneben auch eine politische Bedeutung. Zwei Orte dieser Regionen entwickelten sich nämlich im 11. Jahrhundert zu einer Art „Operationszentren“ der Ostpolitik des Reiches. Während Regensburg stolz auf eine alte Tradition verweisen konnte, gehörte Merseburg zu den Zentren, die sich erst unter den Ottonen herauskristallisierten. Beide Orte, Regensburg und Merseburg, waren vom Rhein aus gleich gut erreichbar. Und es ist sicher nicht uninteressant, dass sie beide auf dem gleichen Längengrad liegen. Vor allem fanden in Regensburg und in Merseburg Gerichtstage und Hoftage statt; hierhin lud der Kaiser die Přemysliden, Piasten und Arpaden ein, um deren Streitigkeiten zu entscheiden. Während in Regensburg böhmische, ungarische, österreichische und bayerische Angelegenheiten sowie die Probleme der Alpenländer 10 Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae, Bd. 1 (805–1197), 3 Bde., bearb. v. Friedrich, Gustavus, Prag 1904–1907, Nr. 55, S. 53–60, Nr. 383, S. 362–365. Dazu: Tomas, Jindřich, Počátky města Litoměřic [Die Anfänge der Stadt Leitmeritz], in: Sborník Severočeského musea – Historia 5 (1966), S. 15–64; zum Export und Import siehe auch: Zycha, Adolf, Prag. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte Böhmens im Beginn der Kolonisationszeit, Prag 1912; Žemlička, Čechy (wie Anm. 8), S. 296–309 mit der weiteren Literatur.

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behandelt wurden, blieb Merseburg für die Region zwischen Elbe und Oder, Böhmen und Polen zuständig. Böhmen gehörte damit sowohl in die Sphäre von Regensburg wie in jene von Merseburg – je nach dem jeweiligen Kontext, in dem es erschien. Die Datenreihe, die sich in dieser Hinsicht auf Böhmen, Regensburg oder Merseburg bezieht, ist lang. Sie beginnt mit dem Jahr 845, als in der Regensburger Umgebung die vierzehn duces Boemanorum getauft wurden, und endet mit Barbarossas Gerichtstagen 1182 und 1187. Beide Orte waren zudem die östlichsten Punkte, zu denen die römisch-deutschen Herrscher üblicherweise reisten. Zogen sie weiter nach Osten, standen sie in der Regel an der Spitze eines Heeres. Erst die politischen Veränderungen zu Beginn des 13. Jahrhunderts beeinflussten auch die Struktur der Orte, in denen die Reichstage stattfanden. Damals trat Merseburg hinter anderen Zentren wie Altenburg, Eger usw. zurück11. Die Bedeutung Regensburgs für Böhmen besaß allerdings noch eine weitere Dimension. Über Regensburg reiste man in den Süden, vor allem nach Rom. Einige böhmische Herrscher oder auch Bischöfe besaßen in Regensburg ihre eigenen bezahlten Agenten, die „ihren Leuten“ ein Dach über dem Kopf boten beziehungsweise die Sicherheit ihrer Reisen über die Alpen garantierten. So schildert Cosmas für das Jahr 1072, wie einer der Boten des Herzogs sich irrtümlich in Regensburg bei einem Bürger namens Kombold einquartierte, der in den Diensten von Bischof Gebhard stand, von dem er ein Jahresgehalt in Höhe von dreißig Pfund Silber erhielt. Und da dieser Bischof kein gutes Verhältnis zu seinem Bruder, dem Herzog Vratislav, unterhielt, endete die Geschichte für den armen Boten mit einer abgeschnittenen Nase12. 11 Žemlička, Josef, Praha mezi Řeznem a Merseburgem. K politické geografii střední Evropy a jejímu odrazu ve Zlaté bule sicilské [Prag zwischen Regensburg und Merseburg. Zur politischen Geographie Mitteleuropas und ihrer Reflektion in der Sizilianischen Goldenen Bulle], in: V komnatách paláců, v ulicích měst. Sborník příspěvků věnovaných V. Ledvinkovi k šedesátým narozeninám, hrg. von Jíšová, Kateřina u. a., Prag 2007, S. 21–38. Zur Anwesenheit der Přemysliden auf den Hof- und Reichstagen: Köster, Arnold, Die staatlichen Beziehungen der böhmischen Herzöge und Könige zu den deutschen Kaisern von Otto dem Großen bis Ottokar II. (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, 114), Breslau 1912, S. 101–107; Wegener, Wilhelm, Böhmen/Mähren und das Reich im Hochmitttelalter. Untersuchungen zur staatsrechtlichen Stellung Böhmens und Mährens im deutschen Reich des Mittelalters (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 5), Köln / Graz 1959, S. 135–155. Zur Platzierung der Reichstage Barbarossas: Opll, Ferdinand, Das Itinerar Kaiser Friedrich Barbarossas 1152–1190 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J.F. Böhmer Regesta Imperii, 1), Wien/ Köln/ Graz 1978. 12 Cosmae Pragensis chronica Boemorum, bearb. v. Bretholz, Berthold (Monumenta Germania historica, Scriptores, Nova series 2), Berlin 1923, S. 123.

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Prags Aktivität im internationalen Handel spiegelte sich erst seit Ende des 11. Jahrhunderts stärker in den Quellen wider. Der „große“ Handel blieb immer noch eine Domäne der bunten Gemeinschaft der „Gäste“, die sich bereits unter den ersten Přemyslidenherzögen unterhalb der Prager Burg angesiedelt hatten – zunächst am linken, später mit zunehmender Intensität am rechten Ufer der Moldau. Eine starke Position besaßen hier bereits seit dem 10. Jahrhundert vor allem die Juden. Schon für das Jahr 1091 wies der Chronist Cosmas auf den Reichtum der Siedlung bei der Prager Burg und Vyšehrad hin (in suburbio Pragensi et vico Wisegradensi). In einer fingierten Rede lässt er die Brünner Fürstin Wirpirk sagen: „Dort gibt es Juden, die Gold und Silber besitzen, dort gibt es die reichsten Kaufleute aus allen Völkern, dort gibt es die wohlhabendsten Geldhändler (ex omni gente negociatores ditissimi, ibi monetarii opulentissimi).“ Andere Details verrät Cosmas für 1096, als Prag Zeuge des Durchzugs der Kreuzfahrer wurde. Auch wenn es damals wohl nicht zu wirklich dramatischen Szenen kam, fühlten sich die Prager Juden so sehr bedroht, dass ein Teil sich 1098 entschloss, die Stadt zu verlassen und nach Polen und Ungarn zu ziehen. Der wütende Herzog ließ sie von seinen Leuten ausplündern. Ein drittes Mal äußert sich Cosmas 1124 umfangreicher zu den Juden, und zwar anlässlich des Falls von Jakub Apella, der eine wichtige Stellung am Herzogshof inne gehabt hatte. Sein Beispiel belegt zugleich, dass die Juden bemerkenswerte Karrieren bei Hof machen konnten. Anscheinend erstreckten sich damals zwischen der Prager Burg und dem Vyšehrad mindestens zwei jüdische Siedlungen, die gewisse Selbstverwaltungselemente aufwiesen. Indirekt ist auch eine Synagoge belegt, die nach 1096 in eine christliche Kirche umgewandelt wurde. Vor einigen Jahren erregte der archäologische Fund eines großen jüdischen Gräberfeldes in der Vladislav-Gasse an der Grenze zwischen der späteren Prager Alt- und Neustadt erhebliche Aufmerksamkeit. Vermutlich erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts konzentrierte sich die jüdische Besiedlung in der Umgebung der Altneu-Synagoge, wo sie bis in die Neuzeit überdauern sollte13. 13 Cosmae Pragensis chronica Boemorum (wie Anm. 12), S. 152. Zu den Prager Juden: Steinherz, Samuel, Kreuzfahrer und Juden in Prag (1096), in: Jahrbuch der Gesellschaft für Geschichte der Juden in der Čechoslovakischen Republik 1 (1929), S. 3–34; Steinherz, Samuel, Der Sturz des Vicedominus Jakob (1124), in: Jahrbuch der Gesellschaft für Geschichte der Juden in der Čechoslovakischen Republik 2 (1930), S. 1–33; Hilsch, Peter, Die Juden in Böhmen und Mähren im Mittelalter und die ersten Privilegien (bis zum Ende des 13. Jahrhunderts), in: Die Juden in den böhmischen Ländern. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 27. – 29. November 1981, hrg. v. Seibt, Ferdinand, München / Wien 1983, S. 13–26; Žemlička, Josef, Ľ écho de la première croisade en Bohême, in: La noblesse et la croisade à la fin du Moyen Âge (France, Bourgogne, Bohême),

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Ungefähr seit Mitte des 11. Jahrhunderts verlagerte sich der Schwerpunkt der Handelskontakte auf die Schultern der sächsischen, bayerischen, allgemeiner gesagt, der deutschen Kaufleute. Vor allem auf sie beziehen sich die meisten Angaben über fremde Händler (negociatores, hospites, mercatores de extraneis partibus). Bald ließen sich die Theutonici in Prag ebenfalls auf Dauer nieder. Auch auf die Kaufleute und Geldhändler aus den Reihen der Deutschen bezieht sich – sicherlich wenigstens zum Teil – Cosmas’ Beschreibung der Siedlungen bei der Prager Burg und Vyšehrad für das Jahr 1091, aber erst das Privileg des Herzogs Soběslav II. (1173–1178) für die Prager Deutschen spricht eindeutig von einer deutschen Besiedlung an einigen Orten (vici Theutonicorum). Der Herzog berief sich dabei auf eine ältere Tradition, nach der die Prager Deutschen bereits seit den Zeiten König Vratislavs (1061–1092, König seit 1085) „nach Gesetz und Recht der Deutschen“ (secundum legem et iusticiam Theutonocorum) leben sollten. Da diese Deutschen ihre Eide vor der Kirche St. Peter abzulegen hatten, gilt in der Regel die Siedlung bei der Kirche St. Peter „na Poříčí“ als Kern der deutschen Besiedlung. Aber auch andere Lagen sind nicht ausgeschlossen, denn im frühmittelalterlichen Prag fanden sich mehrere Kirchen mit diesem Patrozinium (St. Peter in Zderaz, St. Peter „ve Struze“). Die Stärke der Handelskontakte nach Regensburg wird auch durch die Tatsache belegt, dass Bußgelder in „Regensburger Münze“ (decem talenta Ratisponensis monete) berechnet wurden14. Auch im Fall der Prager Deutschen darf man annehmen, dass ihre Gemeinschaft auf irgendeine Art und Weise organisiert war. Juden oder Deutsche lebten dabei aus zwei wesentlichen Gründen in ethnisch geschlossenen Siedlungen: Neben der natürlichen Sehnsucht, in einer sprachlich, rechtlich, kulturell und bei den Juden auch religiös verwandten Gemeinschaft zu leben, kam diese Lebensweise auch dem Herzog und dessen Verwaltung gelegen, da sie fiskalische Kontrolle und Sicherheitsmaßnahmen gegenüber dem fremden und manchmal „verdächtigen“ Element erlaubte. hrg. v. Baloup, Daniel / Nejedlý, Martin / Svátek, Jaroslav (Collection „Meridiennes“: Série croisades tardives, 2), Toulouse 2009, S. 279–284. 14 Codex diplomaticus, Bd. 1 (wie Anm. 10), Nr. 290, S. 255–257. Zur Prager Topographie: Huml, Václav / Dragoun, Zdeněk / Nový, Rostislav, Der archäologische Beitrag zur Problematik der Entwicklung Prags in der Zeit vom 9. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts und die Erfassung der Ergebnisse der historisch-archäologischen Erforschung Prags, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 18/19 (1990/91), S. 33–69; Čiháková / Dragoun / Podliska, Der Prager Siedlungsraum (wie Anm. 7), S. 225–262; zum Soběslav’schen Privileg: Kejř, Jiří, Zwei Studien über die Anfänge der Städteverfassung in den böhmischen Ländern, II. Das Privileg des Herzogs Sobieslaw II. für die Prager Deutschen, in: Historica 16 (1969), S. 116–142.

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Juden und Deutsche standen übrigens nicht alleine da: Außer ihren Siedlungen belegt Soběslavs Privileg für die Prager Deutschen indirekt auch eine Ansiedlung der Romanen (Wallonen, vielleicht auch Italiener), deren Spuren aber bald verschwinden. Auch über ihre Lage herrscht in der Forschung keine Einigkeit; einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass ihre Siedlung sich in der Umgebung des heutigen „Perštýn“ befand. Was aber vor allem wichtig ist: In der Prager Agglomeration verfügten die Siedlungen der „Gäste“ über gute Voraussetzungen für die weitere Existenz und Entwicklung. Mit der Verlagerung des wirtschaftlichen Geschehens zum Altstädter Markt – am Ort des heutigen Altstädter Rings – nahm zugleich die Bedeutung des Kaufmannshofs im Teyn mit dem Spital und der Marienkirche zu. Gerade dieser Raum wurde in der letzten Zeit zum Gegenstand eines lebhaften archäologischen Interesses15. Die Siedlungen der fremden „Gäste“ beeinflussten bereits an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert stark den Charakter der gesamten Prager Agglomeration, die sich entlang der Moldau erstreckte. Zur Hauptachse der dichteren Besiedlung wurde die Verbindung zwischen den beiden Burgen. Besonders rege war das Leben unterhalb der Prager Burg auf dem Gebiet der heutigen Kleinseite, das sich nach Cosmas’ suburbium Pragense auf dem rechten Ufer der Moldau in Richtung Vyšehrad fortsetzte (vicus Wissegradensis). Sehr viel bescheidener als diese exklusiven „Viertel“ nahmen sich die anderen Ansiedlungen der Prager Agglomeration aus, die häufig – ähnlich wie beispielsweise in Leitmeritz oder Znaim – ihre eigenen Bezeichnungen besaßen. In einigen dieser Siedlungen standen Kirchen oder Kapellen. Wie die soziale Struktur der Siedlungen aussah, verrät die Gründungsurkunde des Vyšehrader Kollegiatkapitels, wonach Vratislav II. seiner großzügigen Stiftung unter anderem vierzig Personen aus der Siedlung Trávník unterhalb der Prager Burg schenkte; dabei handelte es sich um Handwerker und Dienstleute. Allein die Aufzählung der Berufe deutet an, dass ihre Pflichten zum größten Teil mit dem Dienst auf der Prager Burg in Verbindung standen. Unter anderem werden Schmiede, Bäcker, Schuhmacher, Bierbrauer und Glöckner erwähnt. Was die Landwirtschaft anbelangt, so spielte sie im Hinblick auf die Siedlungsdichte der gesamten Prager Region wohl bereits seit dem 11. und 12. Jahrhundert eine eher untergeordnete Rolle16. 15 Zusammenfassend: Žemlička, Čechy (wie Anm. 8), S. 213–215; zum Teynhof: Hrdlička, Ladislav, Týnský dvůr a středověká Praha. Archeologický výzkum 1976–1986 [Teyn-Hof und Prag im Mittelalter. Die archäologischen Ausgrabungen 1976–1986], Prag 2005. 16 Dazu Tomas, Jindřich, Vztahy původních osad na pražském území za raného feudalismu k feudálním městům konstituovaným ve 13. století a postavení tzv. postranních práv [Die

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Der durch Handel und Handwerk bestimmte Charakter der Prager Besiedlung erfuhr eine erhebliche Stärkung durch die Konsumentenfunktion der beiden Prager Burgen und des Fürstenhofs. Auch nach dem Abklingen der „Sklavenära“ blieb Prag ein gewichtiges Zentrum des Fernhandels. Seine dominante Rolle im Kommunikationsnetz wird auch durch die Anlage der wichtigsten Landesstraßen betont, die Böhmen mit dem umliegenden Ausland verbanden. Von den Grenzen verliefen sie sternförmig nach Prag, wo sie alle zusammentrafen. Auch wenn die großen Trassen quer durch Europa das böhmische Becken zu umgehen begannen, blieb Prag für den Fernhandel sehr attraktiv. Die Zusammensetzung des Imports wurde nicht nur von Luxusgütern bestimmt (Tuch und Textilien, Waffen, Ziergegenstände), nach Böhmen wurde seit langer Zeit auch Salz eingeführt, und als gängige Ware tauchen später Stockfisch, ausländische Weine und Webwaren auf. Aus Böhmen exportiert wurden dagegen natürliche und tierische Produkte (Pech, Honig, Wachs, Hopfen, Talg u. a.), Getreide und vielleicht auch handwerkliche Erzeugnisse. Auch wenn eine solche Struktur von Export und Import durch Quellen für den Elbehandel erst im 13. und 14. Jahrhundert belegt ist, hatte dieser Tauschhandel sicherlich eine längere Tradition17. Die Rolle der frühmittelalterlichen Stadt Prag im mitteleuropäischen Handel ist unverwechselbar. Und die Entwicklung schritt auch nach 1100 unaufhaltbar voBeziehungen der ursprünglichen Ortschaften auf dem Prager Gebiet während des frühen Feudalismus zu den feudalen Städten, entstanden im 13. Jahrhundert, und die Stellung des sog. Nebenrechts], in: Documenta Pragensia 4 (1984), S. 43–61; Žemlička, Josef, Leitmeritz als Beispiel eines frühmittelalterlichen Burgzentrums in Böhmen, in: Burg-BurgstadtStadt (wie Anm. 2), S. 256–264; Žemlička, Josef, Entstehung und Entfaltung der Marktorganisation in Böhmen und Mähren, in: Hausbau und Raumstruktur früher Städte in Ostmitteleuropa, hrg. von Brachmann, Hansjürgen / Klápště, Jan (Památky archeologické-Supplementum, 6), Prag 1996, S. 17–27. 17 Graus, František, Die Handelsbeziehungen Böhmens zu Deutschland und Österreich im 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts, in: Historica 2 (1960), S. 77–110; Choc, Pavel, Vývoj cest a dopravy v Čechách do 13. století [Die Entwicklung der Wege und des Verkehrswesens in Böhmen bis zum 13. Jahrhundert], in: Sborník Československé společnosti zeměpisné 70 (1965), S. 16–33; Šimeček, Zdeněk, Salz aus dem Alpenraum in Konkurrenz mit dem Salz aus dem Norden in den böhmischen Ländern, in: Das Salz in der Rechts- und Handelsgeschichte. Internationaler Salzgeschichtekongress 26. September bis 1. Oktober 1990 Hall in Tirol. Kongressakten, hrg. v. Hocquet, Jean-Claude / Palme, Rudolf, Schwaz 1991, S. 135–145. Zu den Handelsaktivitäten der Städtegemeinden Böhmens und Mährens (mit einer Karte ihrer Anschließung an die mitteleuropäischen Handelsstraßen): Hoffmann, František, Středověké město v Čechách a na Moravě [Die mittelalterliche Stadt in Böhmen und Mähren], Prag 2009, S. 251–266.

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ran. Ende des 12. und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde der Blick auf die zentralen Bereiche der Prager Agglomeration durch die Silhouetten romanischer Steinhäuser bereichert. Dabei wird häufig von Regensburg als Inspirationsquelle ausgegangen. Ähnliches gilt für den Fall der Prager Steinbrücke, die Ende der fünfziger Jahre des 12. Jahrhunderts auf Befehl der Königin Judith errichtet wurde (und deren Verlauf im Grunde – und an manchen Stellen sehr deutlich – von der Karlsbrücke kopiert wird). Zu den weiteren wesentlichen Wendepunkten zählte die Errichtung einer Steinmauer rund um den Raum der Altstadt, womit das Fundament für die civitas Pragensis, für die Prager „Größere Stadt“ beziehungsweise Altstadt gelegt wurde. Aber damit kam der Stadtbildungsprozess in der Prager Region nicht zum Stillstand, sondern er setzte sich im 13. Jahrhundert fort. Ein markanter Schlussstrich hinter diese Phase des Prozesses wurde von Karl IV. (1346– 1378) gezogen, indem er 1348 die Prager Neustadt gründete – eine der größten Städtegründungen im mittelalterlichen Europa. So entstand eine mächtige und bevölkerungsreiche Städtegruppierung, die zu den einzigartigen Belegen für die mittelalterliche Bedeutung Prags gehört18.

18 Dragoun, Zdeněk / Škabrada, Jiří / Tryml, Michal, Románské domy v Praze [Die romanischen Häuser in Prag], Prag / Litomyšl 2002; Lorenc, Vilém, Nové Město pražské [Die Prager Neustadt], Prag 1973.

Städtische Wirtschaft im Mittelgebirge Einige Überlegungen am Beispiel der Kleinstädte und zentralen Orte des französischen „Zentralmassivs“ im Hochmittelalter1 von Jean-Luc Fray Das im Herzen Frankreichs liegende Zentralmassiv (Massif central2), eine alte geologische Formation und Exempel der morphologischen Grundform Mittelgebirge („moyennes montagnes3“) (ab 600 m), erscheint während des Mittelalters auf den ersten Blick nicht wie eine Region großer Städte: Trotz des Erbes bedeutender antiker Städte (Bourges, Clermont, Lyon) war der städtische Rahmen dort eher ge1

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Die hier umrissene Untersuchung stützt sich auf das genaue Studium eines Registers, das im CHEC (Centre d’Histoire „Espaces et Cultures“, CLERMONT UNIVERSITE – Université Blaise Pascal) angefertigt wurde. Es enthält 327 zentrale Orte im Herzen des Zentralmassivs (Auvergne, Bourbonnais, Velay und ihre Randregionen), deren Zentralitätsgrad mindestens 4 beträgt (ein zusätzliches Register umfasst 185 kleinere Ortschaften). Die Untersuchung stützt sich außerdem auf einige ebenfalls im CHEC oder andernorts angefertigte Fallstudien. Zu den Begriffen zentrale Orte, Zentralitätsgrad u. ä. und zur Anwendung der Zentralitätsmethode auf ein regionales Stadtnetz sei auf Fray, Jean-Luc, Villes et bourgs de Lorraine, réseaux urbains et centralité au Moyen Age, Clermont-Ferrand 2006, verwiesen. Es wäre mir unmöglich gewesen, meinen Text korrekt zu übersetzen ohne die Unterstützung von Frau Danielle Wilhelmy, studentische Hilfskraft an der Universität Luxemburg, und meines Kollegen Prof. Dr. Michel Pauly. Dafür sei Ihnen herzlichst gedankt. Man sollte sich an dieser Stelle das späte Aufkommen des Begriffs „Massif central“ in Erinnerung rufen, der Mitte des 19. Jh. „erfunden“ wurde. Zum ersten Mal taucht er 1841 auf der Carte géologique générale de la France au 1/500.000e, einem Werk von Pierre-Armand Dufrénoy und Léonce Elie de Beaumont, auf. Popularisiert wurde dieser Begriff seit 1903 durch die schulischen Wandkarten des Geografen Paul Vidal. Heutzutage umschließen die Grenzen des Gebirgsgesetzes von 1985 und die Zuständigkeitsbereiche des Commissariat d’Etat au Massif central ganz oder teilweise 19 Départements in 6 administrativen Regionen, d. h. ungefähr 89.000 km2 mit einer Durchschnittshöhe von 715 m, von denen 55.000 km2 sich in einer Höhenlage von über 600 m befinden. Der Begriff „montagne“, der für uns zu einem geografischen Begriff geworden ist und an Höhe und an ein spezifisches natürliches und menschliches Milieu denken lässt, bezeichnet in den mittelalterlichen Texten, die das Zentralmassiv betreffen, eine „Bergweide“.

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Jean-Luc Fray

prägt von bischöflichen Städten mittlerer Größe (Limoges, Clermont, Le Puy, Rodez, Mende, noch bescheidener Lodève; sogar Lyon hat eine späte Entwicklung erlebt) sowie von einigen Städten klösterlichen Ursprungs, wie Aurillac, Mauriac, Blesle, Figeac, Vabres oder Saint-Flour, von denen die beiden letzten Ortschaften Anfang des 14. Jahrhunderts bescheidene Sitze neuer Bistümer wurden4. Zentrale Orte mittlerer oder mäßiger Größe wiederum sind dort reichlich vorhanden und fehlen weder in den gebirgigen Zonen (Cervières, Besse, …) noch an deren Fuß (Ambert, Thiers, Montbrison, Ardes, Millau, Alès, …)5. Im Herzen des Zentralmassivs liegen vier bischöfliche Städte (oder neo-episkopale wie Saint-Flour, ein Sitz, der erst 1317 geschaffen wurde) in einer Höhe von 630 m (Le Puy, Rodez), 730 m (Mende) bzw. 880 m (Saint-Flour). Während die Ansprachen der ländlichen Gemeinderäte und der französischen Ruralisten seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts sowie die Ausarbeitung des Gesetzes von 1986 und die Schaffung des „Commissariat d’Etat au Massif central“ von der Thematik der „demografischen Auflösung“ geprägt waren – eine Annahme, die seit den 70er Jahren durch die Betonung der „Isolation“ des Zentralmassivs6 4

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Le Puy-en-Velay: Haute-Loire, Hauptort des Départements; Rodez: Aveyron, Hauptort des Départements; Mende: Lozère, Hauptort des Départements; Saint-Flour: Cantal, Bezirkshauptort. Von diesen vier Städten erreichen am Ende des Mittelalters Saint-Flour 14 Zentralitätsfaktoren, Mende 17, Le Puy und Rodez 22–23. In derselben Höhenlage zählen Marvejols (651 m; Lozère, Mende, Kantonalhauptort) und Mauriac (732 m; Cantal, Bezirkshauptort) 14–15 Zentralitätsfaktoren, Aurillac (630–680 m; Cantal, Hauptort des Départements) 20, was dem Zentralitätsgrad einer bischöflichen Stadt entspricht. Die bischöfliche Stadt Lodève (Hérault, Bezirkshauptort) erreicht nur 9 Zentralitätsfaktoren. Die Anzahl der Zentralitätsfaktoren für Bourges liegt um 1300 bei 30, für Clermont bei 26 und für Limoges bei 20; Lyon zählt ebenfalls um die 20. Blesle (Haute-Loire, Brioude, Kantonalhauptort) zählt 8 Faktoren im Jahre 1500; Figeac (Lot, Bezirkshauptort) 16 Faktoren im Jahre 1500 und Vabres (Aveyron, Millau, Saint-Affrique) 5 Faktoren im Jahre 1500. Ardes (Puy-de-Dôme, Issoire, Kantonalhauptort), Höhe 639 m, erzielte im 14. Jh. 13 Zentralitätsfaktoren. Cervières (Loire, Montbrison, Noirétable, 820 m) beherrschte den Gebirgspass, über den die mittelalterliche Straße von Clermont nach Lyon die Bergkette der Monts du Forez überquerte, und zählte im 14. Jh. 8 Zentralitätsfaktoren. Ambert (Puy-deDôme, Bezirkshauptort): 10 Zentralitätsfaktoren im Jahre 1500. Thiers (Puy-de-Dôme, Bezirkshauptort) 13 Faktoren im Jahre 1500. Montbrison (Loire, Bezirkshauptort) 21 Faktoren im Jahre 1500. Millau (Aveyron, Bezirkshauptort) 25 Faktoren im Jahre 1500. Alès (Gard, Bezirkshauptort) 10 Faktoren im Jahre 1500. Vergleiche: Fel, André, Massif central. L’esprit des hautes terres, Paris 1996, hier S. 34: „la plupart des villes du Massif central ne doivent pas leur essor d’abord au commerce, mais à la religion…“.

Städtische Wirtschaft im Mittelgebirge

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rhetorisch dramatisiert wird –, soll dieser Beitrag aufzeigen, dass es dort auch Ortschaften gab, die im Hoch- und im Spätmittelalter eine strukturierende Rolle spielen konnten. Diesen gelang es, im Gegensatz zu ihrer demographischen Kapazität und bebauten Fläche, in hypertropher Weise Zentralitätsmerkmale auszubilden und dadurch eine überlokale Bedeutung zu erlangen, auch wenn viele dieser Orte heute wieder auf den Rang sehr kleiner Städte, sogar einfacher Ortschaften zurückgefallen sind7. Das „Zentralmassiv“ erscheint in den Augen sowohl des Geografen als auch des Historikers als ein spezielles Milieu, dessen Eigenarten nicht ohne Wirkung auf die Entwicklung der zentralen Orte, ihre Hierarchie und ihre räumliche Organisation bleiben: Die menschlichen Niederlassungen erreichen dort für gewöhnlich erhebliche Höhenlagen, und zwar nicht nur in der niederen Siedlungsform von Sennhütten8 oder Weilern. Seit den frühesten Epochen – wie es die archäologische Forschung beweist – und bis zur Auslösung der Landflucht ab Mitte des 19. Jahrhunderts, hat es dort trotz der klimatischen Bedingungen eine dichte Besiedlung gegeben. Auf mehr oder weniger klassische Art hat sich dort im Laufe der Zeit eine bedeutende Anzahl städtischer Ortschaften an den Grenzen des Gebirgsfußes entwickelt. Auf diese Weise bietet das steile Abfallen des Massivs oberhalb des Rhône-Tals, im Osten der Mündung der Cevennengebirgsbäche und des Vivarais, günstige Gelände für Kontaktstädte (Alès, Aubenas, Annonay9, …). Aber das alte Urmassiv und seine sedimentären Randzonen, die während der alpinen 7

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Die meisten dieser Kleinstädte oder „zentralen“ mittelalterlichen Orte bilden auch heute noch die Rahmenstruktur der Kantonalhauptorte sowie der Bezirks- und Départementshauptstädte des Massivs. Fray, Jean-Luc, Petites villes et leurs réseaux en pays de moyenne montagne. L’exemple des hautes terres du Massif central à la fin du Moyen Age, in: Montagnes médiévales, actes du XXXIVe congrès de la SHMESP, Paris 2004, S. 241–262 ; Fray, Jean-Luc, Hospices et hôpitaux médiévaux en pays de moyenne montagne, de la Lotharingie à la France centrale, in: Pauly, Michel (Hg.), Institutions de l’assistance sociale en Lotharingie médiévale. Actes des 13es Journées Lotharingiennes 12–15 octobre 2004, Université du Luxemburg (PSH, 121; Publ. du CLUDEM, 19), Luxemburg 2008, S. 181–196; Fray, Jean-Luc, Viatgia, Voyages. L’administration itinérante d’un diocèse de moyenne montagne et son inscription dans l’espace. Le cas du diocèse de Rodez à la fin du Moyen Âge, in: Des sociétés en mouvement. Migrations et mobilité au Moyen Âge, Actes du XLe congrès de la SHMESP, Paris 2010, S. 283–293. Kleine Hirtenhütte in Höhenlage, die der ersten Verarbeitung von Milch zu Käse dient. Annonay: Ardèche, Tournon, Kantonalhauptort. Aubenas: Ardèche, Privas, Kantonalhauptort.

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Gebirgsbildungsphase erneut gehoben und gebrochen wurden, formten innere Becken (die Region um Aurillac und um Le Puy-en-Velay), eingefallene Becken (Ambert), sowie breite Gebiete von Kalk-Hochflächen (Causses) und umgekehrt große Gebiete von Granit-Hochebenen (Combrailles, Plateau de Millevache), günstig für den Verkehr, die Viehzucht, eventuell auch zur – manchmal riskanten – Niederlassung städtischer Organismen (Ussel, Herment10). Das sedimentäre südliche Zentrum bietet schöne ost-west-orientierte Täler, in denen sich ein Kranz zweitrangiger Ortschaften eingenistet hat, wie etwa das mittlere Tal des Lot (Saint-Geniès-Olt, Espalion, Estaing, Entraygues11) zwischen den alten Massiven des Aubrac und der Margeride im Norden und den Kalk-Hochebenen, den „Causses“, im Süden. Die höher gelegenen Hochebenen (zwischen 950 und 1200 m) beherbergen infolge der pastoralen Tätigkeiten Märkte und Viehmessen, wie in Brion12, einem Dörfchen, das auf 1250 m am Fuße eines alten Schlosses auf der vulkanischen Hochebene des Cézallier liegt, wo seit dem Mittelalter im Mai und im Oktober die größten Viehmessen der Basse-Auvergne abgehalten werden, oder auch in Le Bouchet Saint-Nicolas (in einer Höhe von 1228 m) im Herzen des vellaven Vulkanmassivs des Devès13. Dieselben Hochebenen beherbergen mehrere Beispiele zentraler Orte bis zu einer Höhe von über 1000 m, so etwa Laguiole und Saint-Chély-d’Apcher (1000 m), Allègre (1030 m), Besse (1030 m), Saint-Agrève (1050 m), Saint-Urcize (1080 m), La Chaise-Dieu (1083 m), Pradelles (1157 m), Le Bouchet oder auch Châteauneuf-de-Randon (1290 m). Der Großteil dieser Orte zählt am Ende des Mittelalters zwischen 7 und 10 Zentralitätsfaktoren, darunter insbesondere Märkte und

10 Ussel: Corrèze, Bezirkshauptort, Höhe 640 m, 10 Zentralitätsfaktoren im Jahre 1500. Herment: Puy-de-Dôme, Clermont, Kantonalhauptort, Höhe 828 m, 16 Faktoren im Jahre 1500. 11 Diese vier Orte erstrecken sich über 55 km von Osten nach Westen entlang des Lot. Heutzutage sind sie alle Kantonalhauptstädte des Bezirks Rodez (Département du Lot). SaintGeniez zählte 12 Zentralitätsfaktoren im Jahre 1500, Espalion 9, Estaing 7, Entraygues 10. 12 Brion, Gemeinde Compains (Puy-de-Dôme, Issoire, Besse). Vgl.: Fournier, Gabriel, Le peuplement rural en basse Auvergne durant le haut Moyen Âge, Paris, 1962, S. 393; Fournier, Gabriel, Remarques sur le peuplement et le paysage dans le Cézallier au Moyen Âge, in: Moyenne montagne, 117e Congrès national des Société savantes, Clermont-Ferrand 1992, S. 141–154, mit Luftaufnahmen. Der Kataster nennt das Toponym „montagne du foirail“. 13 Le Bouchet-Saint-Nicolas (Haute-Loire, Le Puy, Cayres) 6 Zentralitätsfaktoren am Ende des Mittelalters.

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Messen, lokale Maßeinheiten, manchmal auch ansässige Kaufleute14. Unter diesen Bedingungen ist es nicht verwunderlich, dass mehrere zentrale Orte des Massivs mit einer Vielzahl an Metzgern oder Fleischbänken ausgestattet waren, die bei weitem das Fassungsvermögen der Einzugsgebiete der Ortschaften, die sie beherbergten, überschritt: In Najac, in den Schluchten des Aveyron, zog der König 1309 die Gründung einer Fleischhalle mit 20 an die Burgmauer angrenzenden Fleischbänken in Betracht; 1557 zählte man in Besse 13 Metzger-Händler, neben ungefähr einem Dutzend Gerbern und 28 Kaufleuten, die auf den Handel mit Käse, Fleisch und Leder spezialisiert waren15. – Die Region ist auch durch die den Verkehrsströmen auferlegten Zwänge charakterisiert. Die Verkehrsströme waren nichtsdestoweniger außerordentlich lebhaft, sei es durch den Handel, Pilgerfahrten oder jede andere Art von Reisen. Das Tragen (sei es auf dem Rücken eines Menschen oder eines Lasttieres) ermöglichte das äußerst effektive Überqueren dieser Massive, die später von den Hauptlinien der Eisenbahn lieber umgangen werden. – Einem früheren Topos der Schulgeographie entsprechend, nach dem die Region als der „Wasserturm Frankreichs“ bezeichnet wurde, birgt das Zentralmassiv auch heute noch sichtbare Zeugnisse von alten, qualitativ hochwertigen hydrau14 Laguiole (Aveyron, Rodez, Kantonalhauptort) 10 Zentralitätsfaktoren gegen Ende des Mittelalters. Saint-Chély d’Apcher (Lozère, Mende, Kantonalhauptort, Höhe 1000 m) 5 Merkmale im Jahre 1500. Allègre (Haute-Loire, Le Puy, Kantonalhauptort) 4 Merkmale im Jahre 1500. Besse-en-Chandesse (Puy-de-Dôme, Issoire, Kantonalhauptort) 9 Merkmale im Jahre 1500. Saint-Agrève (Ardèche, Tournon, Kantonalhauptort) 9 Merkmale im Jahre 1500. Saint-Urcize (Cantal, Saint-Flour, Chaudes-Aigues): siehe die Zentralitätsanalyse weiter unten. La Chaise-Dieu (Haute-Loire, Brioude, Kantonalhauptort) 7 Merkmale im Jahre 1500. Pradelles (Haute-Loire, Le Puy, Kantonalhauptort) 7 Faktoren im Jahre 1350. Châteauneuf-de-Randon (Lozère, Mende, Kantonalhauptort) 5 Merkmale im 14. Jahrhundert. 15 Najac (Aveyron, Rodez, Kantonalhauptort, frühere Diözese von Rodez). Die Urkunde von 1309 ist aufgeführt in: Dossat, Yves / Lemasson, Anne-Marie / Wolff, Philippe (Hg.), Le Languedoc et le Rouergue dans le Trésor des Chartes, Paris 1983, Nr.  7. Die Ortschaft zählte 1341 in der Liste der Pfarreien des Sprengels des Senechalls von Rouergue 800 Haushalte (bearb. v. Molinier, Auguste, 1883) und 9 Zentralitätsfaktoren im Jahr 1500. Besse (wie Anm. 14); Text von 1557 in: Charbonnier, Pierre, Une autre France. La seigneurie rurale en Basse-Auvergne du XIVe au XVIe siècle (Bd. 1), Clermont-Ferrand 1980, S. 252– 260. Der Fall von Mende, einer Bischofsstadt, liegt anders: Dort beherbergte das Viertel des Châtel 1257 eine Metzgerei, deren Pächter dem Domkapitel im Gegenzug für ihr Monopol zu einem Pfefferzins verpflichtet waren (Balmelle, Marius / Pouget, Suzanne, Histoire de Mende, Mende 1947).

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lischen Anlagen, wie die Burgen von Nant16 und Castelnau-Pegayrols17 oder auch noch die Kleinstadt Florac18, wo man neben diesen Installationen auch Spuren alter Fischereien findet. „Industrielle“ Aktivitäten konnten sich dort seit dem Mittelalter dank der Nutzung der Wasserkraft sowie der guten Wasserqualität entwickeln (so zum Beispiel die Messermanufakturen, die im 15. Jh. in Thiers auftauchen). Erwähnt sei schließlich der Sonderfall der Nutzung von Thermalquellen: Für Chaudes-Aigues19 hat Léonce Bouyssou seit 1332 existierende Badehäuser nachgewiesen, die sich im Besitz des Hospitals von Aubrac befanden. Wir wissen, dass Gilbert de Cantobre, Bischof von Rodez, sich nach Chaudes-Aigues begab, um dort Bäder zu nehmen, wo er im März 1349 verstarb20. Franck Bréchon hat auch die mittelalterlichen Anfänge der kurativen Bäderaktivität in Saint-Laurent-les-Bains, im hohen Vivarais, beleuchtet21. Das Massiv beherbergt eine große Vielfalt an Bodenschätzen: Der Abbau der Steinkohlen, quasi an der Oberfläche, ist seit dem 13. Jahrhundert im Val d’Allier, in Charbonnier, Cellamines und Frugères22 sowie in Alès23 am Fuß der gardonischen 16 Aveyron Millau, Kantonalhauptort, frühere Diözese von Rodez, später (1317) von Vabres. Dieses castrum novum der Grafen von Rodez, in einer Höhe von 750–800 m gelegen, führte zur Bildung einer kleinen Ortschaft, die mit 5 Zentralitätsfaktoren im späten Mittelalter ausgestattet war und die, auch heute noch, über ein Erbe an Privatbauten des 15. und 16. Jahrhunderts von außergewöhnlicher urbanistischer Qualität verfügt. 17 Aveyron, Millau, St.-Bauzély, frühere Diözese von Rodez. Sekundäre Ortschaft keltischen Ursprungs, die im Spätmittelalter über 7 Zentralitätsfaktoren verfügte. 18 Lozère, Bezirkshauptort, frühere Diözese von Mende. Sitz einer der acht Baronien des Gévaudan, 7 Zentralitätsfaktoren im Spätmittelalter. 19 Chaudes-Aigues zählte gegen Ende des Mittelalters 8 Zentralitätsfaktoren. 20 Bouyssou, Léonce, Chaudes-Aigues au XIVe siècle (édition du terrier de 1332), in: Revue de la Haute-Auvergne 46 (1977). Desachy, Mathieu, Farouche chapitre. Le chapitre cathédral de Rodez (v. 1350–v. 1450) (Bde. 1–2), Paris 1996, S. 88. 21 Balneis (Ende des 11. Jhs.: Chevalier, Ulysse (Hg.), Cartulaire de l’abbaye St.-Théofrède du Monastier, Paris 1888, Nr. CCLXXIII, S. 94); locus sancti Laurencii de Balneis, 1327 (Huillard-Breholles, Jena Louis Alphonse, Titres de l’ancienne maison ducale de Bourbon, Paris 1867 und 1874, Nr. 1860) ; Brechon, Franck, Premiers jalons pour une histoire du thermalisme en Ardèche au Moyen Age, in: Annales du Midi 2000, S. 219–226. SaintLaurent-les-Bains (Ardèche, Largentière, Saint-Etienne-de-Lugdarès, ehemals Diözese Viviers) liegt auf einer Höhe von 840 bis 970 m und zählte im 15. Jh. 4 Zentralitätskriterien. 22 Charbonnier: Puy-de-Dôme, Issoire, Saint-Germain-Lembron; Cellamines: Gemeinde Auzat-La Combelle, Puy-de-Dôme, Issoire, Jumeaux; Frugères: Haute-Loire, Brioude, Auzon. Diese drei Gemeinden sind benachbart. 23 Gard, Bezirkshauptort, frühere Diözese Nîmes.

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Cevennen und in Nant24, im Rouergue, in der Mitte des 16. Jahrhunderts belegt. Der für die Färberei und das Rauchwerk unabdingliche Alaun wurde der Enquête sur les commodités du Rouergue en 1552 zufolge25 in der Gegend um Millau und Nant, das heißt im Tal der Dourbie, einem Nebenfluss des Tarn, abgebaut. Millau, beachtliche Stadt26 im Herzen des Massivs, an der Straße von Paris zum Languedoc, war eine Tuchstadt (das Tuchsiegel ist seit 1436 belegt27), während Nant metallurgische Aktivitäten (Kupferschmiede) und seit Ende des 12. Jahrhunderts auch das Lederhandwerk unterhielt28. Wichtiger jedoch ist das Bleiglanzvorkommen (plomb argentifère), nach dem man die kleine Stadt Largentière im Vivarais benannte29. Im Norden der Stadt finden sich Galerien früherer Minen (in 35 m Tiefe) von 1190–1280 und 1445– 1535, in denen Galenitadern30 abgebaut wurden. Weitere Minen befinden sich im 1,5 km südlich gelegenen Montréal, welches von einem Schloss aus dem 13. Jahrhundert überragt wird. Im Ganzen erstreckt sich der Minendistrikt über die Gemeinden von Largentière, Montréal, Laurac, Chassiers und Taurier (man zählt 40 Abbaustätten allein in Largentière)31. Der Bischof von Viviers erwarb, gegen den Willen des Grafen von Toulouse, Rechte an den Minen von Largentière; 1198 wurde ein entsprechendes Abkommen erneuert, aber die Minen und die sie umgebenden Verteidigungstürme blieben während des 13. Jahrhunderts Streitpunkt zwischen dem Grafen von Toulouse, dem Bischof, dem Grafen von Valentinois und den Baronen von Anduze32. 1177 bestätigte eine Urkunde Friedrich Barbarossas 24 Aveyron, Millau, Kantonalhauptort, frühere Diözese Rodez, später (1317) Vabres; Höhe 510 m; 10 Zentralitätsfaktoren im 16. Jh. 25 Bousquet, Jacques (Hg.), Enquête sur les commodités du Rouergue en 1552. Procès contre l’Agenais. Le Quercy et le Périgord, Toulouse 1969, S. 147–149. 26 1700 Haushalte im Jahre 1280, 1400 Haushalte in der Liste der Pfarreien des Sprengels des Senechalls von Rouergue (wie Anm. 15); am Anfang des 14. Jh. 8000 bis 10.000 Bewohner oder gar 12.000 bis 15.000 (Garnier, Florent, Un consulat et ses finances. Millau (1187– 1461) (Histoire économique et financière de la France. Série Études générales), Paris 2006, S. 182f.). 27 Framond, Martin de, Sceaux rouergats du Moyen Age. Etude et corpus, Rodez 1982. 28 Bousquet, Jacques, Le Rouergue au premier Moyen Âge (v. 800–v. 1250). Les pouvoirs, leurs rapports et leurs domaines (Bde. 1–2), Rodez 1992/1994. 29 Ardèche, Bezirkshauptort, frühere Diözese von Viviers. Das Register der Kirchengüter von 1275 gibt der Ortschaft, die im 11. Jh. noch Segnalieres hieß, den Namen Argentarias. 30 Natürliches Bleisulfid. 31 Service Régional d’Archéologie Rhône-Alpes, rapports d’activité 1999 et 2001. 32 Babey, Pierre, Le pouvoir temporel des évêques de Viviers au Moyen Age, 815–1452, Paris 1952. Anduze: Gard, Alès, Kantonalhauptort.

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dem Bischof Nikolaus das Recht, Geld zu prägen – ein Recht, das schon im Besitz von dessen Vorgänger war33 und das 1246 durch Friedrich II. erneuert wurde. Die Münzprägestelle scheint sich im Schloss von Fanjeau befunden zu haben, von wo das sogenannte Basrelief „Der Münzer“ (14. Jh.?) stammt. Als Festung der Bischöfe von Viviers (die Burg wird 1198 erwähnt) wurde die befestigte Ortschaft (in der Ringmauer befindet sich auch ein „Silberturm“) 1215 durch den Bischof von Viviers34 gefreit und mit einem Konsulat, einem Franziskanerkloster und einem Heilig-Geist-Hospital ausgestattet; außerdem wurde die Niederlassung von Juden35 erwirkt. Gegen Ende des Mittelalters zählte sie 9 Zentralitätsfaktoren. Vor 1786 Hauptort eines Unterbezirks der Generalität von Montpellier ist Largentière noch heute, trotz seines demografischen Rückgangs36, Bezirkshauptort im Département Ardèche und weist ein reiches Erbe an alten Häusern (unter ihnen einige mit Werkstätten) und besonderen Stadthäusern auf. Am anderen Ende des Massivs, in Figeac37, kann man den gleichen Bezug zwischen Bergbau und Münzprägung feststellen. Das Gleiche gilt für Villemagne-l’Argentière, an der Mündung der südlichen Cevennen gelegen, für die eine Urkunde von 1179 neben den prudhommes und dem Volk von Villemagne Mi-

33 MGH, Diplomata regum et imperatorum Germaniae X. Fredérici I Diplomata, bearb. v. Appelt, Heinrich, Nr. 668. 34 Die Freiheitsurkunde beinhaltet eine Minenordnungsklausel, deren Authentizität jedoch von Bailly-Maitre, Christine, L’argent, du minerai au pouvoir dans la France médiévale, Paris 2002, S. 11, angezweifelt wird. 35 Ein 1285 unterzeichnetes Abkommen zwischen den Zisterzienseräbten von Mazan und Cruas und dem benediktinischen Prior von Tournon zur Errichtung der Kirche von Villeneuve-de-Berg erwähnt das Haus von Jacob de Lunel, einem Juden, der in Argentière wohnte und dessen Wohnung in Villeneuve lag. Der in Largentière geborene Joseph Caspi flüchtete nach Katalonien; Juden von Tarascon trugen den Ursprungsnamen „L’Argentière“ am Anfang und im Verlauf des 15. Jhs. (Zettelkasten der Gallia Judaïa, CNRS, Montpellier). 36 1800 Bewohner im Jahr 2007. Largentière war im 13. Jh. mit 9 Zentralitätsfaktoren ausgestattet. 37 Lot, Bezirkshauptort, frühere Diözese von Cahors, 13 Zentralitätsfaktoren um 1400. Der Silberabbau wird bestätigt durch Bailly-Maitre, L’argent (wie Anm. 34). Das Glanzstück des reichen mittelalterlichen Erbes von Figeac ist sein Hôtel des monnaies, eine Münzprägestätte aus dem 13. Jh. Vgl. Napoleone, Anne Laure, Urbanisme et habitat à Figeac aux XIIe et XIIIe siècles, in: Mémoires de la Société archéologique du Midi de la France 58 (1998), S. 93–118.

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nen und eine Münzprägestelle erwähnt sowie ein Text von 1273 die universitas ville38. Man findet noch weitere Erwähnungen von mittelalterlichen Minenaktivitäten im Zusammenhang mit der Suche nach dem Silbergeldmetall, die die sekundären zentralen Orte des Massivs belebt haben. Dies ist im Gévaudan der Fall von Ispagnac39, im Hochtal des Tarns sowie von Mérueys40 an der Jonte zwischen Causse Méjean und den Cevennen. Zahlreicher sind die im Rourgue bezeugten Unternehmen, wie in Montjaux und Mur-de-Barrez, die wir etwas später besprechen werden. Das Gleiche gilt für Najac41, Saint-Geniez d’Olt42, Millau, von wo ein Bürger namens Bertens Ferrier gegen 1266–1269 am Silberbleiabbau in Orzals teilnahm43. Starke Minenaktivität findet sich nicht zuletzt in Peyrusse-le-Roc44, am Fuße des 38 Hérault, Béziers, Bédarieux (frühere Diözese von Béziers). Die Gemeinde zählt heutzutage knapp 400 Einwohner. Um 1300 war sie mit 9 Zentralitätsfaktoren versehen. Ihr mittelalterlicher Reichtum stammte aus den polymetallischen Minen, die sehr reichhaltig an Silber waren und deren Einkünfte seit 1164 belegt sind: Ein „argentier“ ist Teil des Personals der lokalen benediktinischen Abtei im 12. und 13. Jahrhundert, die Vizegrafen von Narbonne und Béziers teilten sich Mitte des 12. Jhs. eine Münzprägestelle. Das Gebäude, in dem sich die Prägestelle befand und das wahrscheinlich aus dem 12. Jh. stammt, besteht mit gepflegter Fassade, Fenstern und seinen niedrigen Werkstättenarkaden noch heute und ist von anderen schönen Häusern und Lagerhäusern des 13. Jhs. umgeben. Nach Bailly-Maitre, L’argent (wie Anm. 34), S. 28f., diente das Silber von Villemagne angeblich auch der Münzprägung für den Grafen von Rodez. Vgl. auch: Journot, Florent, Vitalité du modèle urbain en montagne languedocienne au cœur du Moyen Age. Villemagne-l’Argentière, in: Laurent, Catherine / Merdrignac, Bernard / Pichot, Daniel (Hg.), Mondes de l’Ouest et villes du mondes, Rennes 2000, S. 637–650. 39 Lozère, Bezirk und Kanton von Florac, frühere Diözese von Mende, 4 Zentralitätsfaktoren gegen Ende des Mittelalters. 40 Lozère, Florac, Kantonalhauptort, frühere Diözese von Nîmes, 8 Zentralitätsfaktoren gegen Ende des Mittelalters. 41 Wie Anm. 15. Mittelalterliche Silberminen nach Bailly-Maitre, L’argent (wie Anm. 34), S. 28. 42 Wie Anm. 11. Silberminen werden hier 1305 erwähnt bei Bailly-Maitre, L’argent (wie Anm. 34), S. 30. 43 Molinier, Auguste, Correspondance administrative d’Alphonse de Poitiers, Paris 1894– 1900, Nr. 1678. Orzals (30 km westlich von Millau): Gemeinde von Viala-du-Tarn, Aveyron, Millau, Saint-Bauzély. Ein Ort namens „Le minier“ findet sich in der Gemeinde, ein anderer in der benachbarten Gemeinde St.-Rome de Tarn, auf der anderen Seite des Flusses. B. Ferrier hatte seinen Teil der Minen vom Ritter Hugues de St.-Rome, einem Vassalen der Grafen von Toulouse, erworben. 44 Aveyron, Villefranche, Montbazens. Ancien diocèse de Rodez.

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zum Jahr 767 von Adhémar de Chabannes erwähnten castrums, das am Anfang des 13. Jahrhunderts eine gemeinsame Festung der Grafen von Toulouse und der Äbte von Figeac war. Seit 118145 sind hier Silberminen erwähnt, die der Abtei gehörten; eine spätmittelalterliche Quelle erwähnt zudem einen Einwohner von Peyrusse, der nach Bordeaux aufgebrochen sei, um dort den Beruf des Geldwechslers zu erlernen46. In der Auvergne lohnt es sich, am Gelände von Pontgibaud47 anzuhalten, wo der Abbau von Bleiminen aus arvernischer, später aus gallo-römischer Zeit belegt ist. 764 werden Bleiminen in einer Urkunde Pippins für die Abtei von Mozac erwähnt, 1170 tauchen diese in einer Bulle Alexanders III. in Pontgibaud selbst auf (plomberia … in capella Pontis gibaldi sancti), 1169 in einer Urkunde Ludwigs VII. und 1305 schließlich in einer Streitsache zwischen dem Grafen Robert und der Abtei. Insgesamt kann man von einem zusammenhängenden Minendistrikt für das Gebiet entlang der die Sioule überragenden Hochebenen sprechen, der sich über etwa fünfzehn Kilometer erstreckt48. Die Bedeutung der Minen, die an den Pass der Sioule über die Straße von Clermont nach Limoges angeschlossen waren, könnte auch den Bau der Festung von Château-Dauphin, das vom Bischof von Clermont als Lehen von den Dauphins der Auvergne gehalten wurde, erklären. Die Cosmographie du riche et ancien pays d’Auvergne spricht im Jahre 1574 von Pontgibaud als

45 Archives départementales de l’Aveyron, G 33; weitere Erwähnung im Jahr 1270 (Fournier, Pierre-François / Guebin, Pascal, Les enquêtes d’Alphonse de Poitiers. Arrêts de son Parlement tenu à Toulouse et pièces annexes, Paris 1959, S. 326). Sieben Silberblei-Galerien konnten hier archäologisch belegt werden. 46 Le Languedoc et le Rouergue dans le Trésor des Chartes (wie Anm. 15), Nr. 201, um 1350. Peyrusse zählte 700 Haushalte in der Liste der Pfarreien des Sprengels des Seneschalls von Rouergue (wie Anm. 15) und war mit 11 Zentralitätsfaktoren versehen. Heutzutage zählt die Gemeinde nur noch knapp 200 Einwohner. 47 Puy-de-Dôme, Riom, Kantonalhauptort, frühere Diözese von Clermont, Höhenlage 762 m, 8 Zentralitätsfaktoren in der Mitte des 15. Jhs. 48 Boudet, Marcellin, Les plomberies de Pontgibaud d’après les chartes du Moyen Âge, Clermont-Ferrand 1882. Mehrere dieser Minen scheinen sich in der Nähe der Kirche von St.Pierre-le-Chastel, Zentrum der Kirchengemeinde, 4 km südlich von Pontgibaud, befunden zu haben; weitere Schächte werden in Barbecot, an den Grenzen der Gemeinden von St.Ours, Chapdes-Beaufort und Bromont erwähnt und in Pranal, Gemeinde von Bromont (Boudet, Les plomberies de Pontgibaud (wie Anm. 48), S. 15, Anm. 1, und BaillyMaitre, L’argent (wie Anm. 34), S. 24). Eine Gewerbesteuer von Ludwig XI. aus dem Jahr 1474 erlaubt dem Herzog Jean II de Bourbon, die Minen von Roure und Rosières (Gemeinde von St.-Pierre-le-Chastel) zu eröffnen.

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von den Hauptminen der Region und der Bergbau wurde zwischen 1770 und 1898 wieder aufgenommen, was den Ort wiederbelebte. Die hydraulischen Ressourcen einerseits, die Ressourcen aus der Viehzucht andererseits ermöglichten das Aufkommen und förderten das Wachstum eines metallurgischen Handwerks im Mittelalter, innerhalb dessen sich die Messerindustrie noch bis heute auszeichnet, während das Ledergewerbe nunmehr gefährdet ist. Neben der Gerberei entwickelte Châteldon49, das am Fuße des BourbonnaiseGebirges, an der Mündung des Vauziron und in der Ebene der Limagne liegt, seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Messerindustrie und die Waffenfabrikation, später die Papierherstellung. Der Wohlstand der kleinen Stadt erlaubte es ihr Anfang des 15. Jahrhunderts die Gemeindekirche Saint-Sulpice wieder zu errichten, 1463 ein Franziskanerkloster aufzunehmen und Anfang des 16. Jahrhunderts ein Hospital zu eröffnen. Mehrere schöne Stein- und Fachwerkhäuser des 14., 15. und 16. Jahrhunderts zeugen noch heute von dieser Vitalität. Etwa fünfzehn Kilometer weiter südlich bleibt Thiers auch heute noch der Hauptort der Schneidwarenindustrie in der Auvergne. Die sehr steil angelegte Stadt (die Höhenmeter liegen zwischen 300 und 430 m und die umliegenden Höhen erreichen bis zu 700 m) leidet unter einem Mangel an verfügbarer Fläche, was die frühe Art des Hochbaus erklärt: Fassaden von bis zu sechs Stockwerken datieren sichtlich vom Übergang zwischen Mittelalter und früher Neuzeit, wie es spätgotische Portale und Fensterkreuze belegen. Die Anpassung an eine verfügbare enge Fläche begründet die Enge der Gassen und die Einrichtung von peddes, Galeriepassagen von einem Haus zum nächsten, die vielleicht von mehreren Stockwerken mit Wohnungen eingenommen wurden50. Diese Einschränkungen boten gleichzeitig eine Chance: Sie erleichterten die Verteidigung, indem die Steilhänge verstärkt wurden. Sie verschafften Thiers eine exponierte, die Limagne überragende Lage, so dass die Stadt bereits von Weitem zu erkennen war, etwa von Clermont oder Riom aus, und ihr zusätzlichen Glanz einbrachten. Sie entsprachen einer Durchgangsituation, am Ausgang eines natürlichen Durchbruchs durch die erste Höhenkette des Forez, unweit der Dore und der Allier 49 Puy-de- Dôme, Thiers, Kantonalhauptort, 10 Zentralitätsfaktoren im Jahre 1500. Der Thermalbetrieb entwickelt sich erst ab dem 17. Jh. Caradec, Marie-Anne, Châteldon, Magisterarbeit in Kunstgeschichte, Clermont-Ferrand 1980. 50 Fournier, Gabriel, Châteaux, villages et villes d’Auvergne au XVe siècle d’après l’armorial de Guillaume Revel, Genève / Paris 1973. Annonay (Ardèche, Tournon, Kantonalhauptort) bildet ein weiteres Beispiel für diesen Typ von Stadtlandschaft.

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in der darunterliegenden Ebene. Zu guter Letzt erklärt der steile Hang die Kraft des Bergbachs, der Durolle, die eine hydraulische Energiequelle von einmaliger Bedeutung für die Anfänge der Metallurgie im 14. Jahrhundert und der Messerindustrie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts darstellt. An den Grenzen der Haute-Auvergne und des Rouergue, im Aubrac, belegt die Enquête von 1552 die Existenz der Messerindustrie von Laguiole, die noch heute besteht. Saint-Chély-d’Aubrac beherbergt Pelzgewerbe, Hutmachereien, Keramikwerkstätten und mehrere Tuchmühlen, die seit dem 15. Jahrhundert erwähnt werden51. Wenn auch die Präsenz der Gerber an den Ufern des Lot, in Espalion, oder der Pelzmacher 1552 im Hochland des Rouergue, in Marcillac-Vallon, kaum überrascht, so ist doch die Stiftung eines silbernen Prozessionskreuzes, das bis heute im Kirchenschatz aufbewahrt wird, im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts durch die Gerberbruderschaft Saint-Crépin von Saugues im Gévaudan bemerkenswert52. Die Tuchproduktion schließlich konzentrierte sich in den bedeutendsten Zentren wie Millau, Rodez oder Mende (wo 1333 eine Zunft der Tuchappretierer belegt ist), aber man trifft sie auch in sekundären Orten wie etwa Peyrusse, oder wie eben gesehen, Saint-Chély d’Aubrac an. Es gibt zahlreiche und vielfältige Berichte über die Fähigkeit von Berggesellschaften, weitreichende Beziehungen aufzubauen: Alles andere als ein Hindernis, zwang der Berg die Menschen dazu, die Ausdehnung der Distanzen anzunehmen, wie die Nutzung der Maßeinheiten von Marktstädten in viel weiteren Entfernungen als in der Ebene üblich zeigt53. So waren die Maße von Millau für Hafer und Roggen bis nach Gabriac, auf der gräflichen Hochebene von Rodez und 55 km nord-westlich gelegen, im Gebrauch. Dasselbe gilt für die Maßeinheit von Saint-Agrève, die 1220 in Bouzols54, also in einer Entfernung von 43 km benutzt wurde, oder auch für die 51 Saint-Chély-d’Aubrac: Aveyron, Rodez, Kantonalhauptort, Höhenlage 795 m, 8 Zentralitätsfaktoren im Jahre 1500. Auf dem Gelände „La Verrerie“ haben archäologische Untersuchungen die Existenz von zwei Öfen und Bergbaugebäuden aus dem 14. Jh. belegt. Bousquet, Rouergue (wie Anm. 28) (Bd. 2), S. 613, und Fau, Laurent, Les monts d’Aubrac au Moyen Âge. Genèse d’un monde agro-pastoral, Paris 2006. 52 Saugues: Hte-Loire, Le Puy, Kantonalhauptort, frühere Diözese von Mende, Höhenlage 960 m, 11 Zentralitätsfaktoren im Jahre 1500. Commere, René / Lafont, Serge, Saugues. L’évolution d’un bourg en moyenne montagne, in: Cahiers de la Haute-Loire 1980, S. 205– 227. 53 Hier verweisen wir auf das Beispiel Lothringens: Fray, Villes et bourgs (wie Anm. 1), S. 101–105. 54 Bouzols: Gemeinde Ste.-Eulalie, Ardèche, Largentière, Burzet.

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Maße von Salers, die 1322 in Allanche, das heißt in 56 km Entfernung und mehrere Täler weiter östlich, an der nördlichen Flanke des großen Cantal-Vulkans, Verwendung fanden55. Auch die Bodenschätze konnten die Aufmerksamkeit weltlicher oder kirchlicher Herren in der Ferne auf sich lenken: Die Bleiglanzminen von Montjaux, die während des gesamten 13. Jahrhunderts abgebaut wurden, gehörten bis 1217 den Kanonikern von Brioude aus der Auvergne (die Entfernung zwischen Brioude und Montjaux beträgt etwa 200 km), später den Grafen von Rodez56. Das Gleiche galt für die Minen von Mur-de-Barrès57, die bis Anfang des 13. Jahrhunderts ebenfalls den Kanonikern des Brivadois gehörten. Letztere waren jedoch nicht so weit von den Minen von Mur entfernt (ungefähr 100 km), die noch 1552 in Betrieb waren58, als die Enquête Mur als ville habitée de bourgeois, marchands et gens riches et bien aisés beschrieb. Man muss sich fragen was der „kirchliche Wettkampf“, der im 11., 12. und 13. Jahrhundert, im Hochland von Aubrac aufkam, das vom Wind gebeutelt und mehrere Monate im Jahr in einer Höhe von 1.200–1.300 m eingeschneit ist59, bedeutet 55 Salers und Allanche sind zwei Kantonalhauptorte im Cantal, ersterer im Bezirk von Mauriac, letzterer in dem von Saint-Flour. 56 Aveyron, Millau, St.-Beauzély, frühere Diözese von Rodez, Höhenlage 600 m, 8 Zentralitätsfaktoren um 1300. Bezeichnenderweise war Montjaux Sitz einer von La Chaise-Dieu abhängigen Priorat-Pfarrei, deren ursprünglich enge Beziehungen zum Kollegiatstift von Brioude bekannt sind. Die Bleiminen von Montjaux befanden sich in direkter Nachbarschaft zu denen von Viala und Saint-Rome-du-Tarn, die oben bereits erwähnt wurden, und zu jenen von Amalou-le-Minier (Nachbargemeinde von Viala), die im 14. Jh. aufgelassen wurden, wie die Enquête … de 1552 berichtet: Mit Castelnau-Pegayrolles im Norden bilden Castelnau, Montjaux, Saint-Rome-de-Tarn einen Kranz von zentralen Orten (jede mit jeweils 7 bis 9 Zentralitätsmerkmalen) am Fuß der Hochebene des Lévézou (1128 m) und in direkter Nähe zum Minendistrikt. 57 Aveyron, Kantonalhauptort, frühere Diözese von Rodez und Vizegrafschaft von Carlat, Höhenlage 810 m, 9 Zentralitätsfaktoren im Jahre 1500. 58 Bousquet, Enquête (wie Anm. 25), S.  147f. und 174f. Forestier, François-Marie, Les possessions minières des premiers Mercoeur, in: Cahiers de la Haute-Loire 1990, S. 47–92. 59 Aubrac ist eine Basalthochebene, deren höchster Punkt auf 1471 m liegt und die sich an den Grenzen der drei früheren Diözesen von Saint-Flour, Mende und Rodez erstreckt. Bezüglich der Fluren von Saint-Rémy-de-Chaudes-Aigues und von La Trinitat (Cantal, SaintFlour, Chaudes-Aigues), die sich auf einer Höhe von 1000 und 1100 m befinden, erwähnt Deribier du Chatelet, Jean-Baptiste, Dictionnaire statistique et historique du département du Cantal (Bde. 1–5), Aurillac 1824/1852–1857, bereits 1824 jeweils ein „terroir de granit, de récoltes de seigle assez médiocres, d’avoine, de pacage à moutons“ und ein „pays maigre et froid“. Bestätigt wird dies durch Felgeres, Charles, Histoire de la baronnie de

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und wie er sich rechtfertigt. Beteiligt waren die großen Abteien von Saint-Victor aus Marseille, Conques und La Chaise-Dieu sowie die Kanoniker des Kapitels von Brioude, während Gellone bis zum Marktflecken von Pradelles60, an den Pforten des Velay, „hinauf stieg“ und zwei piemontische Klöster, die Benediktiner von La Cluse im Livradois (in Cunlhat und im Flecken von Arlanc61) und die Mönche von Oulx in Rivière-l’Evêque, am Fuße des Cézallier, an der Couze von Ardres62, präsent waren. Was soll man über die Anwesenheit der Kaufleute von Aurillac in Provins (Champagne) im Jahre 1202 denken, wo sie Lager und Stall besaßen63? Oder von der Präsenz von zwei Bürgern von Capdénac in Quercy, die im Mai 1345 eine Handelskompanie gründeten, um sich nach Outre-Mer zu begeben64? Wenn es logisch scheint, dass 1399–1400 die Tuchhändler von La Chaise-Dieu, im Herzen der Hochebene des Livradois, in 45 km Entfernung die Märkte von Montbrison

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Chaudesaigues depuis les origines (XIe siècle) jusqu’à 1789, Paris 1904, S. 2f., mit den Worten „(les) solitudes, (une) terre stérile et froide, un désert effrayant (où) la vie semble n’avoir jamais pénétré.“ Gellone, Gemeinde von Saint-Guilhem-le-Désert, Hérault, Montpellier, Aniane. Die Pfarrei St-Hilaire und die Kirche St.-Martin de Pradelles, frühere Diözese von Viviers, in 1157 m Höhe werden in villa espedonia … in suburbio castro Pratellas … in comitatu vivariense … genannt; sie wurden Gellone von lokalen Adligen um 1027–1048 geschenkt, vgl: Alaus, Paul / Cassan, Léon / Meynial, Edmond (Hg.), Cartulaire de Gellone (Société archéologique de Montpellier. Cartulaires des abbayes d’Aniane et de Gellone), Montpellier 1898, Nr. 106–110. Die Entfernung Saint-Guilhelme-Pradelles beträgt 190 km. Pradelles zählte 7 Zentralitätsfaktoren im Jahre 1350. Cunlhat, Puy-de-Dôme, Ambert, Kantonalhauptort, Höhenlage 750 m, 3 Zentralitätsfaktoren im Spätmittelalter. Arlanc, Puy-de-Dôme, Ambert, Kantonalhauptort, Höhenlage 615 m, 9 Zentralitätsfaktoren im 14. Jh. Die Kirche von Rivière-l’Evêque (Gemeinde von Ardes, siehe Anm. 5) wurde um 1165 den Regularkanonikern von Saint-Laurent d’Oulx (Piemont, Prov. Turin) zusammen mit dem Priorat Ste.-Madeleine geschenkt; das Ganze fiel (um 1240) an die Kommende der Hospitaliter von Chaumont, vgl.: Fournier, Gabriel, Notes historiques sur Ardes et sa paroisse, in: Bulletin Historique et Scientifique de l’Auvergne (1995), 726f. Provins, Bibliothèque municipale, Ms. 92, f° 256 v°–258 v°: Boudet, Marcellin, Notes pour servir à l’histoire du commerce de la Haute-Auvergne. Les marchands d’Aurillac et de Saint-Flour aux foires de Champagne et à Montpellier, in: Revue de la Haute-Auvergne 15 (1913), S. 326–341. Archives municipales de Capdénac, II 30. Capdénac, Lot, Bezirk und Kanton von Figeac, frühere Diözese von Cahors, 8 Zentralitätsfaktoren im 14. Jh.

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jenseits der „Monts du soir“ besuchten65, so ist es doch überraschend, sie in der Versammlung der Kaufleute der Loire in Orléans 1474 vertreten zu sehen66. Und die Wappen von Thiers: sind sie nicht mit dem Bild eines prachtvollen Dreimasters versehen, einem marinen Wappenbild, das zudem – noch überraschender – auf den Wappen Herments abgebildet ist? Andererseits sind die Lombarden nur schwach vertreten: Man findet einige an den Rändern des Massivs, in Cahors im 13. Jahrhundert, in Montbrison am Anfang des 14. In Thiers wurde die Freiheitsurkunde von 1212, 1272 und 1301 mit der Bestimmung, erneuert, dass Juden, Cahorsins und Lombarden der Aufenthalt verboten war. Die Präsenz jüdischer Gemeinschaften ist etwas ausgeprägter, allerdings hauptsächlich entlang der Nord-Süd-Achse, die durch das Tal des Allier verläuft, die Limagnes Richtung Süden wieder hochkommt und dann die Voie régrodane oder den Chemin Français in Richtung Languedoc nimmt: Nonette67, Auzon, Lavaudieu, Langeac und Saint-Chély-d’Apcher reihen sich hier in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf, während die Nähe des Languedoc die jüdische Präsenz in den südlichen Gebieten des Massivs, in Lodève, Le Caylar, Mérueys, Millau, Mende, aber auch am Rand der Cevennen, in Ganges, Anduze, Alès, Portes, Largentière, Aubenas68, erklärt. Villefort, Portes und Alès säumen außerdem 65 Fournial, Etienne, Les villes et l’économie d’échange en Forez aux XIIIe et XIVe siècles, Paris 1967, S. 358, Anm. 46. 66 Während die südlichsten Hafenstädte, Vichy und Maringues, die in dieser Versammlung vertreten sind, sich am oder in Nähe von Allier befinden, liegt die letztgenannte Ortschaft 100 km nördlich von La Chaise-Dieu. Mantellier, Pierre, Histoire de la communauté des marchands fréquentant la rivière de Loire et fleuves descendant en icelle (Bde. 1–3), Orléans 1867/1868/1869, Text 3. 67 Nonette: Puy-de-Dôme, Issoire, St.-Germain-Lembron, Höhenlage 508 m, 8 Zentralitätsfaktoren im Jahre 1300. Auzon: Haute-Loire, Brioude, Kantonalhauptort, 10 Merkmale im Jahre 1300. Lavaudieu (Comps vor 1487): Haute-Loire, Bezirk und Kanton von Brioude, Zisterzienserpriorat Saint-André, abhängig von La Chaise-Dieu, 1066 von Robert de Turlande gegründet. Die Juden von Comps werden 1290 (Archives Nationales, J 1046) erwähnt. Langeac: Haute-Loire, Brioude, Kantonalhauptort, 12 Zentralitätsfaktoren im Jahre 1500. Le Caylar: Hérault, Lodève, Kantonalhauptstadt, Höhenlage 732 m, 5 Merkmale im Jahre 1300. Ganges: Hérault, Montpellier, Kantonalhauptort, frühere Diözese von Maguelonne, am oberen Hérault. Portes: Gard, Alès, La Grande-Combe, frühere Diözese von Uzès, Höhenlage 578 m, an der alten Straße von Le Puy nach Nîmes über Villefort, dessen Festung der höchste Punkt dieser Route ist. 68 In Aubenas reserviert die 1250 von den Herren von Montlaur zugestandene Urkunde in der Fleischhalle eine separate Schlachtbank für „jüdisches Fleisch“ (Fichier de la Nouvelle Gallia Judaïca, CNRS-Montpellier).

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den Arm der Régordane, der nach Nîmes führt. Auf der westlichen Hochebene der Monts d’Auvergne haben Herment und Rochefort Juden aufgenommen, wie auch Le Puy-en-Velay und Montbrison am Fuße der Berge des Forez, zumindest bis zu den Vertreibungen im 14. Jahrhundert69. Weit weg vom zentralen Hochland findet man die arlesischen „nourriquiers“, die ihr Vieh in den Bergen von Lozère übersommern lassen, während die Herden der Gariguen von Montpellier im 14. Jahrhundert in die Margeride und den Gévaudan ziehen. Auch die Zisterzienser von Aiguebelle (süd-östlich von Montélimar) schicken ihre Kälber in den Velay und die Schafe von Graveson (unweit Arles) ziehen in das Mézenc-Gebirge. Ein Text von 1418, zitiert vom Chronisten Etienne Médici aus Le Puy-en-Velay, hebt hervor, dass die fünf großen Jahrmärkte von Le Puy Menschen aus dem Piemont, Savoyen, Aragon, Katalonien, Bordeaux und der Gascogne anzogen. Interessenten aus Savoyen, dem Dauphiné und dem Piemont kamen im 15. Jahrhundert nach Le Puy, um Maultiere zu kaufen, während die Kaufleute aus Le Puy auf den Messen von Lyon und Briançon ihre Waren anboten70. In umgekehrter Richtung führten die Hirten des Hospitals von Le Puy, nach einem Brauch der um 1531–1534 fest etabliert ist und also aus einer älteren Epoche stammte, jährlich den Almabtrieb ihrer Schafe bei Aufkommen der großen Kälte aus dem Velay bis in die Region der Baux de Provence71. Diese Geschäftsbeziehungen und die episodischen Migrationen einzelner Bevölkerungsgruppen haben dazu geführt, dass ein Teil der aus Zentralfrankreich stammenden Menschen sich dauerhaft in der Provence niederließen; das Beispiel 69 Tauban, Jean-François, La „seconde“ présence juive à Clermont et en Auvergne (XIIIe et XIVe siècles), in: Jarasse, Dominique (Hg.), Les juifs de Clermont. Une histoire fragmentée, Clermont-Ferrand 2000, S. 25–68. 70 Medicis, Etienne, Livre de Podio (Bde. 1–2), Le Puy en Velay 1869–1874, hier: Bd. 1, S. 240f., Bd. 2, S. 9. Zum Kauf von Maultieren in Le Puy durch die fahrenden Händler aus Aosta und Ivrea siehe: Sclafert, Thérèse, Les comptes du péage de Montmélian de 1294 à 1585, in: Mélanges Raoul Blanchard. Revue de géographie alpine 21 (1933), S. 599. 71 Archives départementales des Bouches-du-Rhône, 407 E 146, f° 2 v° (1497) und 404 E 41 (1446); Rossiaud, Jacques, Le Rhône au Moyen Âge. Histoire et représentation d’un fleuve européen, Paris 2007, S. 65–67; Stouff, Louis, Arles à la fin du Moyen Âge, Aix / Lille 1986, S. 452; Feyneron, Nicolas, Contribution à l’histoire de la transhumance, in: Revue du Gévaudan (1963), S. 114  ; Feyneron, Nicolas, Du Velay à la Provence. La transhumance des troupeaux, in: Dix siècles d’activités hospitalières au Puy-en-Velay. Cahiers de la Haute-Loire (1997), S. 154–157. Merle-Comby, Marie-Christine, Quand les moutons de l’Hôtel-Dieu hivernaient en Provence. Trois comptes de transhumance sous François Ier, in: Cahiers de la Haute-Loire (1984), S. 113 und S. 136.

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der Metzger ist bereits erwähnt worden. Louis Stouff hat beobachtet, dass seit 1450 die Diözesen des Zentralmassivs (vor allem die von Saint-Flour) eine bedeutende und wachsende Zuwandererzahl in der Provence stellten, so dass die Kirchenprovinz Bourges um 1475 mit einem größeren Kontingent Immigranten in Arles vertreten war als die Provinz Narbonne72. Wir müssen also unsere üblichen räumlichen Maßstäbe hinterfragen. Drei Beispiele, hier ungleich ausgeführt, sollen dabei helfen. Zunächst zum kleinen Flecken von La Tour d’Auvergne, dem winzigen Familiennest einer großen Aristokratenfamilie: Wie ist zu erklären, dass dieses bescheidene Burgdorf zu einem Zeitpunkt, an dem seine Herren noch nicht den Titel der Grafen von Auvergne inne hatten (den sie erst durch die Heirat Bertrands V. und einer Erbin der gräflichen Linie am Ende des 14. Jahrhunderts erlangen sollten), das außerdem am Ende des Mittelalters nur über vier Zentraltitätsfaktoren verfügte, nicht einmal Hauptort der Pfarrei war und zudem in einer Höhenlage von 1.009 m im Westen des Massivs des Sancy Wind und Wetter ausgesetzt war, einen regelmäßigen Markt mit etwa vierzig sogenannte leuges (Kaufmannswerkstätten) beherbergte73? In Herment, auf der Basalthochebene des westlichen Gebirges der Auvergne, an der Grenze zum Limousin, in einer Höhenlage von 828 m, in gleicher Entfernung vom Verlauf der früheren Römerstraße und der mittelalterlichen Straße von Clermont nach Limoges, haben die Grafen der Auvergne, von einem am Anfang des 12. Jahrhunderts erstmals erwähnten Schloss aus im 13. Jahrhundert eine Festungsstadt von 11 ha Fläche geschaffen. Die Stadt war also ähnlich groß wie Montferrand, das gräfliche Residenz und später Hauptort der Baronie war. Graf Robert III. sorgte für die sakrale Ausstattung der Ortschaft, indem er um 1140–1145 eine Kirche zu Ehren Unserer Lieben Frau stiftete – ein beeindruckendes romanisches Gebäude mit Einflüssen der Plantagenêt-Architektur –, die er dem Domkapitel von Clermont übertrug und die 1232 eine Stiftskirche für zehn Kanoniker wurde, der mehrere benachbarte Pfarreien inkorporiert wurden. Zwei Wochenmärkte, die Nutzung einer Getreidemaßeinheit, die Präsenz von Juden im 13. Jahrhundert, die regelmäßige Teilnahme der Kaufleute von Issoire 72 Stouff, Arles (wie Anm. 71), S. 36f. 73 Puy-de-Dôme, Issoire, Kantonalhauptort, frühere Diözese von Clermont. Vgl.: Charbonnier, Pierre, Les villes d’Auvergne à la fin du Moyen Âge vues à travers les lettres de rémission, in: Mémoires de l’Académie des Belles-Lettres et Arts de Clermont-Ferrand 50 (1985), S. 67–82. Charbonnier, Pierre, Une autre France (wie Anm.15), S. 271. Die Herren von La Tour d’Auvergne sollten später Vizegrafen von Turenne, dann Herzöge von Bouillon und Prinzen von Sedan (1591) werden.

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und Montferrand an den Messen (11 Jahrmärkte im 16. Jahrhundert), auf denen man im 15. Jahrhundert Handel mit Wein, Getreide, Milchprodukten und Vieh trieb, die Erwähnung zur selben Epoche einer Halle und ihrer Bänke, die Existenz einer Heilig-Kreuz-Bruderschaft der Kaufleute und seit dem Ende des 13. Jahrhunderts eines Schreibers, der das Hofsiegel von Herment führte, sowie eines Notars (zu Anfang der Frühen Neuzeit waren es bis zu zehn), schließlich die Gründung eines Armenhospitals: all dies trug dazu bei, das Bild einer dynamischen Stadt zu vermitteln, die im Jahre 1300 14 Zentralitätsfaktoren und 1500 deren 16 zählte, die heute aber, trotz des reichen historischen Bausubstanz, verwahrlost ist74. Der Flecken, der Berg und die weite Welt... – der Fall von Saint-Urcize (Aubrac)75: Saint-Urcize ist heutzutage eine bescheidene ländliche Ortschaft des Aubrac, an der Grenze zu den drei Départements des Cantal, der Lozère und des Aveyron. Die in einer Höhe von 1230 m liegende Gemeinde im Kanton Chaudesaigues (Bezirk von Saint-Flour) zählt heute etwas mehr als 500 Einwohner76. Sie dehnt sich auf einer Landzunge des Cantal zwischen den beiden Nachbardépartements nach Süden aus. Beim Aubrac handelt es sich um eine vom Wind gebeutelte Schiefer- und Basalthochebene, hoch genug gelegen (1000–1300 m), um mit Regen, Nebel und Schnee im Winter ein Hindernis für den Reiseverkehr darzustellen, bis hin zur Todesgefahr77 – eine finis terrarum zwischen drei Départements, die heute als typisch für den ländlichen Raum gelten. 74 Die Gemeinde von Herment zählt heute weniger als 300 Einwohner, inklusive Hauptort. Tardieu, Ambroise, Histoire de la ville et châtellenie d’Herment, Clermont-Ferrand 1876 ; Rossignol, Jacques, La ville et le chapitre d’Herment du XIIe au XVIIIe siècle, Diplôme d’Etudes Supérieures, Clermont-Ferrand 1958 (unveröffentlicht). 75 Die folgenden Zeilen sind die abgekürzte Fassung eines Vortrags, der im Juni 2008 in Tournus bei der Tagung „Capitales ou villes d’appui? Les petites villes et leurs campagnes du Moyen Âge au XXIe siècle“ gehalten wurde, die von der Société d’histoire des petites villes, unter dem Titel: „Le bourg, la montagne et le vaste monde. Le cas de Saint-Urcize (Aubrac cantalien). Pour une réévaluation des échelles spatiales“ organisiert worden war. 76 Deribier du Châtelet, Dictionnaire (wie Anm. 59): Bei der Volkszählung von 1821 zählte die Gemeinde, die zu dem Zeitpunkt ihr Optimum an Einwohnern erreicht hatte, 1820 Einwohner, darunter 1200 im Hauptort („gros bourg ou petite ville“ für Déribier); die anderen verteilten sich auf dreizehn Dörfer und etwa vierzig Weiler auf einer kommunale Fläche von 5450 ha, von denen 3900 als „vacheries“ (Kuhweiden) dienten. Es ist bemerkenswert, dass die Internetseite der Gemeinde heute von zwölf Weilern und vierzig Einzelgehöften spricht – das Vokabular reflektiert die schwere demographische Rezession. 77 Mitte Februar 1860 berichtete einer der Lokalkorrespondenten des Journal de l’Aveyron Folgendes: Sechs Fahrer aus Saint-Urcize, die in der Hochebene des Lot, mit sieben Pferden und einer Wagenladung Wein auf dem Rückweg von Saint-Côme waren, wurden in der

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Der zentrale Flecken, der wahrscheinlich gegen Ende des Mittelalters ummauert war78, gehört einer bescheidenen, jedoch nicht unbedeutenden Schicht zentraler Orte an: Er ist zum einen der Hauptort der Pfarrei und Wallfahrtsort zum Heiligen Kreuz, Sitz eines bescheidenen, vom Gästehaus der Abtei von La Chaise-Dieu abhängigen Priorats79, Sitz der hoch-gerichtlichen Kastellanei, einer Riom untergeordneten Vogtei und mit einem Schloss, einem Wochenmarkt und Jahrmärkten ausgestattet. Seit dem 12. Jahrhundert sind Schmiedeaktivitäten nachgewiesen80, später Textilhandwerk und Mühlen81. Die Ortschaft war ein Versammlungsort: Auf dem öffentlichen Platz wurden im April 1327 die Schutzbriefe verlesen, die König Karl IV. dem Hospital von Aubrac, das sich 12 km weiter südlich befand, bewilligte. Um 1500 zählte Saint-Urcize elf Zentralfunktionen, die sich recht gleichmäßig auf die politisch-administrative, die kultisch-kulturelle und die wirtschaftliche Sphäre verteilten, während gleichzeitig Saint-Flour, der Hauptort der neuen

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Nachbarschaft der Domäne von Anglos vom schlechten Wetter überrascht. Am Ort Le Triadou wird einer von ihnen ohnmächtig; er wird auf ein Pferd gehievt, stirbt aber kurz vor Aubrac. Zwei weitere Fahrer sind nicht weit vom gleichen Schicksal entfernt als ihre Gefährten durch eine Schneise im Nebel den „Tour des Anglais“ erblicken: Sie sind endlich an der Dômerie von Aubrac angekommen, Etappenort und Gasthaus an den Grenzen der drei Départements, in einer Höhe von 1307 m, das nach der Revolution das 1120 von einem Herrn aus Flandern gegründete Hospital abgelöst hatte. Der Korrespondent der Zeitung von Rodez fügt Folgendes hinzu: [il est] „urgent de faire réparer la cloche de l’église d’Aubrac pour faire entendre une voix consolante au voyageur égaré“. Tatsache ist, dass die romanische Kirche Aubracs noch heute diese Glocke von 1722 mit der Inschrift „errantes revoca“ beherbergt. Siehe die Wertschätzungen der lokalen Gelehrten des 19. Jahrhunderts über die Landschaft des Aubrac in Anm. 58. Einige Elemente der Befestigungsmauer der Ortschaft stammen aus dem 14. und 15. Jahrhundert (Fau, Les monts d’Aubrac au Moyen Âge (wie Anm. 51)). Sie umschloss Deribier, Dictionnaire (wie Anm. 59) zufolge die Kirche, das Schloss, das Dorfkastell (das Toponym „quartier du fort“ bezeichnet immer noch den südlichen Teil des Burgortes). Anfang des 14. Jhs. bezeugte Pfarrei (Font-Reault, Jacques de / Perrin, Charles-Edmond, Pouillés de la province ecclésiastique de Bourges (Bde. 1–2), Paris 1961–1962, S. 159); Priorat von La Chaise-Dieu seit mindestens 1184 (Bulle von Lucius III.), möglicherweise schon seit 1167; 1339 mit der Tafel des hostalerius von La Chaise-Dieu verbundenes Priorat; der Prior ist rector ecclesie, Zehntherr und teilweise Hochgerichtsherr. Die Marschalle oder Schmiede von St.-Urcize werden um 1165 und 1200 erwähnt (Documents sur l’ancien hôpital d’Aubrac (Bde. 1–2), bearb. v. Rigal, Jean-Louis / Verlaguet, Pierre-Aloïs, Rodez 1913–1917 und 1934, hier: Bd. 1, Nr. 11. Der Gebirgsbach der Hère, der in den Hauptort umgeleitet wurde, wurde Anfang des 19. Jhs. benutzt, um rund zwanzig Mühlen anzutreiben (Deribier, Dictionnaire (wie Anm. 59)).

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Diözese, 14 Zentralitätsmerkmale zählte gegenüber 8 für Chaudesaigues oder Laguiole. Um auf gleichwertige zentrale Orte zu stoßen, muss man in das Tal des Lot hinabsteigen, mit Entraigues (10 Merkmale), Espalion (9) und Saint-Geniezd’Olt (12). Im westlichen Gévaudan dominiert Marjevols die Region mit 15 Faktoren, weniger als vierzig Kilometer süd-östlich von Saint-Urcize an der Straße des Languedoc. Der Einfluss von Saint-Urcize auf den umliegenden ländlichen Raum – die Schafs- und Rindzuchthochebenen des Aubrac – ist nicht unbedeutend: Die Urkunde von 1165 für das Hospital von Aubrac erwähnt bereits die Weidefreiheit für die Herden des Hospitals im gesamten „mandement“ (Kastellanei) von Saint-Urcize. Ein Abkommen von 1285 zwischen dem Prior von Saint-Flour und dem Junker von Saint-Urcize bezüglich des Ortes La Vacheresse, erfordert einen Schiedsspruch des königlichen Burgvogts der Montagnes d’Auvergne82; ein anderer Text desselben Jahres erwähnt decimam paschalem agnorum et lanarum (also des Schafsvlies) et aliorum excrescentium in terra mea sita infra finis parrochiae de Calidis Aquis83. Die Herrschaft Saint-Urcize, welches früher von einem Schloss überragt wurde, das im 13. Jahrhundert erwähnt wird, heute aber nur noch eine Ruine84, und von dem die Erinnerung an den Kurzsaal des 1666 geschleiften Bergfrieds geblieben ist, gehörte ursprünglich der Familie gleichen Namens85. Die Herrschaft umfasste seit 82 Die Individualisierung der Haute-Auvergne tritt mit der ersten Erwähnung eines spezifischen königlichen Vogts für die „Montagnes d’Auvergne“ im Jahr 1256 stärker hervor; 1283 gab es auch einen judex episcopi [claromontensis] in Montanis, das Ausgabenregister des Bischofs von Clermont (Archives départementales du Puy-de-Dôme, 1 G 155) erwähnt 1319 ferner Johannes Balati, granatorio montanorum und J. de Sancta Marcella, judex montanorum. Die Zehntabrechnung der Diözese von Rodez von 1404 zeigt die Teilung der Diözese für die Steuererhebung in sechs viatgia (voyages), von denen eine (im Norden, an den Bergen des Cantal) „voyage de la Montagne“ genannt wird (Font-Reault / Perrin, Pouillés (wie Anm. 79) Bd. 1, S. 288–301 und Bd. 2, S. LXXVIII–LXXIX et LXXXII–LXXXIII; vgl.: Fray, Viatgia (wie Anm. 7)). 83 Boudet, Marcellin, Cartulaire du prieuré de Saint-Flour, Monaco 1910, Nr. CXXXIV (sanha communal inter territorio de Ventojol et La Vacharesa) und Nr. CXXXV. 84 Nach Deribier, Dictionnaire (wie Anm. 59): „ruines considérables du château, dont l’emplacement est occupé par des maisons“ (1824). 85 Robert von Saint-Urcize oder von Châteauvieux wird 1025, mit seinem Sohn Etienne, als Vassal von Amblard le Malhiverné, Komtur von Nonette, Herr über die Planèze (vulkanische Hochebene) von Saint-Flour und den vicus von Perse (nahe Espalion im Lot-Tal) erwähnt; Robert schenkt zu dem Zeitpunkt die Kirche Saint-Julien von Chaudesaigues dem benediktinischen Priorat von Saint-Flour. Das Siegel von Pons von Saint-Urcize von Anfang

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dem 11. Jahrhundert Güter und Rechte in rund fünfzehn Pfarreien, die zwischen den drei Diözesen Clermont / Saint-Flour, Mende und Rodez und bis nach Marjevols im Gévaudan und dem Tal des Lot im Rourgue verstreut waren, das heißt in einem Umkreis von 25 Kilometer Durchmesser. Seit 1267 unterstand dieses Gebiet der feudalen Autorität der Saint-Urcize, unter der Oberlehnshoheit ihrer mächtigen nördlichen Nachbarn, den Mercoeur, die aus der Auvergne und aus dem Gévaudaun stammten86. Nach 1238 fiel die Herrschaft über die weibliche Linie an die Familie von Canilhac aus La Roche (Pfarrei von Saint-Rémy). Déodat von Canilhac war eine bedeutende Persönlichkeit, die der Klientel des aragonischen Königs Jaime I. nahestand, als dessen Unterhändler er 1268 beim Vertrag von Paris mit dem König von Frankreich fungierte, der die Frage des Carladès regelte87. Nach 1373 fiel die Herrschaft durch Heirat an die Beaufort-Canilhac, Herren von Roziers im Limousin, die aus der Prioratskirche von Saint-Urcize ihre Familiennekropole machten. Kurz, es handelte sich hierbei um eine Gebirgsherrschaft mit einer aktiv zentralen und gut ausgestatteten Burg und einer selbstsicheren Herrscherdynastie, die geschickt ihre Grenzbeziehungen mit der Auvergne, dem Rouergue und dem Gévaudan ausspielte. Der Flecken zeugt auch heute noch von der besonderen urbanistischen Qualität des Ortes: Neben mehreren Häusern aus dem Spätmittelalter sowie aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die seine hohe urbanistische Qualität bezeugen, sticht vor allem die Präsenz der Pfarrkirche Saint-Michel und Saint-Pierre im Zentrum des Ortes hervor. Es handelt sich hierbei um ein Monument enormen Ausmaßes mit großem Chor, Umgang und Kapellenkranz aus dem 12. Jahrhundert, das einzigartig in der Haute-Auvergne ist. Auch die zwei Joche des gotischen Mittelschiffs aus dem 13. und 14. Jahrhundert wirken riesig und geradezu unpassend in der Einsamkeit des Mittelgebirges88 – ebenso wie die reichen Wandgemälde aus dem 15. Jahrhundert und die frühneuzeitlichen Altaraufsätze. des 13. Jhs. zeugt mit seiner falschen Etymologie vom aristokratischen Bewusstsein der aubracischen Linie: es zeigt einen Bären, stolze wenn auch falsche Interpretation des Namens Urcisinus. 86 Für die Schlösser von Saint-Urcize, La Roche (Gemeinde von Saint-Rémy-de-Chaudesaigues) und Montfol (Gemeinde von La Trinitat). 87 Boudet, Marcellin, Dans les montagnes d’Auvergne, de 1260 à 1325. Eustache de Beaumarchais, seigneur de Calvinet et sa famille, Aurillac 1901, S. 61. 88 Das Gebäude blieb auf der Ebene des gotischen Mittelschiffs des 14. Jahrhunderts, mit einer Breite von 11 m und einer Tiefe von 9 m mit zwei Jochen, unvollendet; eine Seitenkapelle, in der 1969 Fresken aus dem letzten Drittel des 15. Jhs. entdeckt wurden, ist Sankt-

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Die Erklärung für diese erstaunlichen architektonischen Zeugnisse eines bürgerlichen Wohlstands mitten im ländlichen Raum, den noch heute die privaten und öffentlichen Gebäude des Marktflecken von Saint-Urcize ausstrahlen, muss man wohl in den weitreichenden Beziehungen suchen, welche die Züchter, Kaufleute und Metzger der Hochflächen des Zentralmassivs mit der Camargue, der Crau und den Städten Marseille, Aix und Arles und vor allem mit den Städten des Südens unterhielten, um die Übersommerung und dem Almabtrieb, wie oben erwähnt sicherzustellen. Provenzialische Käufer verhandelten in Tarascon mit den Pferdehändlern von Saint-Urcize89: Auf diese Weise verkauften im Jahr 1498 Jean Vaissède und Guillaume Senrau, Kaufleute aus Saint-Urcize, 630 Hammel und weitere 1350 Schafe mit ihrer Wolle für 787 Goldgulden und 1653 Silberflorinen an Jean-Louis Leydier, einen Händler aus Aix-en-Provence90. Muss man etwas weiter zurück gehen und in Erwägung ziehen, dass die politischen Beziehungen der Beaufort-Canilhac, Herren von Saint-Urcize seit dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts, nach Avignon und in die Provence der Entwicklung dieser Beziehungen geholfen haben? Der Sohn von Marquès I. von Canilhac war Pierre, 1334 Mönch in Saint-Victor in Marseille, später Abt von Montmajour im Osten von Arles, bevor er 1361 zum Bischof von Maguelonne avancierte. Guillaume Roger, Herr von Rozier-d’Egletons und von Saint-Urcize, war der Bruder eines Papstes (Clemens VI., 1342–1352) und Vater eines Papstes (Gregor XI., 1370–1378); er selbst erlangte zwischen 1342 und 1352 die Grafschaft von Alès in den Cevennen, die Vizegrafschaften von La Mothe und Valernes in der HauteProvence91 sowie die Städte von Saint-Rémy-de-Provence, Brignoles und Perthuis in der Basse-Provence92.

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Michael gewidmet. Für die Apsis bietet sich der Vergleich mit Conques und, etwas näher, Sainte-Eulalie d’Olt (Aveyron) an; vgl.: Phalip, Bruno, Des terres médiévales en friche. Pour une étude des techniques de construction et des productions artistiques montagnardes. L’exemple de l’ancien diocèse de Clermont. Face aux élites une approche des „simples“ et de leurs œuvres (Monographies, 7), unveröffentlichte Habilitationsschrift, Clermont-Ferrand 2001, S. 74–76. Rossiaud, Le Rhône au Moyen Âge (wie Anm. 71). Stouff, Louis, Ravitaillement et alimentation en Provence aux XIVe et XVe siècles, Paris 1970, S. 17. Diese beiden Ortschaften liegen in den Alpes de Haute-Provence, Forcalquier, Kanton von La Motte-du-Caire. Saint-Rémy: Bouches-du-Rhône, Arles, Kantonalhauptort. Brignoles: Var, Toulon, Kantonalhauptort. Pertuis: Vaucluse, Apt, Kantonalhauptort.

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Beachtet man die Präsenz von Prioraten, Besitzen und Rechten der Abtei SaintVictor aus Marseille in der Region des Aubrac, wird aber deutlich, dass diese Beziehungen wahrscheinlich schon viel älter sind. 1060 stiftete Gaucelin von Canilhac, Herr von Chirac, der Abtei Saint-Victor die Hälfte von Marjevols, erhielt jedoch von Robert von Saint-Urcize die andere Hälfte am rechten Ufer der Colagne. 1074 stifteten die Brüder Robert und Bertrand von Saint-Urcize Saint-Victor für sein Priorat in Chirac93 die Kirchen und Dörfer von Nasbinals und Montgros mit den Mühlen (cum molendinis), Landhäusern und Hütten (tabernalibus) und den Weiden (pascuis). Tatsächlich ist der Wettstreit zwischen den großen Klöstern in dieser Region, die man a priori verloren, entlegen und verschlossen glaubt, sehr lebhaft: Nasbinals, Montgros und Saint-Sauveur-de-Peyre im Gévaudan, Pomié im Rouergue und Saint-Urcize in der Haute-Auvergne bilden die nördlichste Spitze der Präsenz von St. Victor in Zentralfrankreich94, während der Konvent aus Marseille sowohl im Rouergue als auch im Gévaudan fest etabliert ist. Auf regionaler Ebene ist Cluny durch sein Priorat in Saint-Flour auch ein bevorzugter Partner der Herren von Saint-Urcize: Saint-Flour besitzt Liegenschaften und Gerichtsgefälle in rund zehn Dörfern der Pfarreien von Chaudes-Aigues und Saint-Rémy sowie die Prioratspfarrei Saint-Médard de Deux-Verges. Auch die geistliche Institutionen aus der Auvergne waren präsent: Die Kollation der Pfarrei Saint-Laurent von Réquistat gehörte der Abtei von Pébrac. Dem Kapitel der Regularkanoniker von Montsalvy, an der Grenze des Rouergue, unterstanden Priorat und Kirche von La Trinitat, während am Süden des Flusses Truyère La Chaise-Dieu, außer in Priorats-Pfarrei von Saint-Urcize, dank seins Priorats von Saint-Martin von Lieutadès vertreten war. Schließlich kontrollierten die Kanoniker von Brioude die Pfarrei von Recoules-d’Aubrac. Die Abteien aus dem Rouergue standen dem nicht nach: Vabres war in Alcorn, der Mutterpfarrei von Laguiole, durch die curtis, die Kirche und ihre Dependenzien, die 919 gestiftet worden waren95, vertreten. Sainte-Foix von Conques war im

93 Le Monastier-Pin-Maure, nahe Chirac (Lozère, Mende, St.-Germain-du-Teil). Belmon, Jérôme, Les débuts d’un prieuré victorin en Gévaudan. Le Monastier-Chirac (XIe–XIIe siècles), in: BEC 155 (1997), S. 149–183. 94 Mit Ausnahme der Abtei Saint-Victor in Nevers. 95 Fournial, Etienne (Hg.), Cartulaire de l’abbaye de Vabres au diocèse de Rodez, RodezSaint-Etienne 1989, Nr. 44; Bestätigung 1116 durch Paschalis II.: ebd, Nr. 6–9 sowie S. 143, Anm. 6 bis 9.

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Hochtal des Lot sowie an den südlichen Hängen von Aubrac, in Canteloube96 beheimatet. Im Osten des Dreiecks von Saint-Urcize war Conques durch sein Priorat Sainte-Foy von Lacalm97 vertreten, im Westen durch den Mansus Bosonis (Malbouzon), den das Kartular von Sainte-Foy als „sauveté“ bezeichnet98. Eine Urkunde aus dem frühen 12. Jahrhundert zeigt, dass der Gründer des Hospitals von Aubrac, Adalbert, ursprünglich daran gedacht hatte, sein Hospital nach seinem Tod, ad Dei servicium et pauperum, der Klostergemeinschaft von Conques zu vermachen, was jedoch schließlich nicht geschah99. Templer, dann Johanniter besaßen für ihren Teil die Kirche Saint-Jean von Jabrun100, wo man noch immer einen Ort namens „Moulin du Temple“ antrifft, sowie weiter südlich das Priorat von Recoules d’Aubrac101. Zu guter Letzt kommen wir zum Hospital oder Dômerie von Aubrac102: Die Bezeichnung „Aubrac“ erscheint 1108–1125 in einer Urkunde von Conques. Die „Dômerie“ oder das Hospital Unserer Lieben Frau von Paulmes wurde 1120 von Adalard, einem Ritterpilger und Vassalen des Grafen von Flandern für die Pilger von Rocamadour und Santiago gegründet. 1419 zählte die Institution noch 70 96 Canteloube: Gemeinde von Prades d’Aubrac. Desjardins, Gustave (Hg.), Cartulaire de l’abbaye de Conques en Rouergue, Paris 1879, Nr. 82, 123 und 402. 97 Ubi villa constructa est de Bella Calme heißt es im Kartular von Conques ; vgl.: Desjardins, Cartulaire de l’ abbaye de Conques (wie Anm. 96), Nr. 553 und 554 (um 1030–1060). Für Gournay, Frédéric, Le Rouergue au tournant de l’An Mil. De l’ordre carolingien à l’ordre féodal (IXe–XIIe s.), Paris-Toulouse 2004, S. 355 ist dies die erste Erwähnung einer Redewendung, die später im Rouergue sehr erfolgreich werden sollte: villa constructa (Siedlung im Bau) oder villa edificata (verweist auf die Idee der Rodung). 98 De Salvetate apud Gabalitum, vgl. Desjardins, Cartulaire de l’ abbaye de Conques (wie Anm. 96), Nr. 443 (um 1125). 99 Desjardins, Cartulaire de l’ abbaye de Conques (wie Anm. 96), Nr. 498; erste Erwähnung von Aubrac: illud hospitale de Altobraco. 100 Dependenz der Kommende von La Garde-Roussillon, Gemeinden von Lieutadès und von Montchamp, Cantal, Bezirk und Kanton von Saint-Flour. 101 Dieses Priorat rivalisierte mit dem Hospital von Aubrac; 1250 grenzten der Hofmeister der Templer von La Capelle-Livron, Diözese von Cahors, und der „Domp“ ( Spitalmeister) von Aubrac ihre jeweiligen Besitztümer in den Pfarreien von Nasbinals, Marchastel und Hormeaux ab. 102 Die Mitglieder der Dômerie tragen das Tatzenkreuz im Wappen, das auch im Gewölbe der Kirche ULF von Nasbinals abgebildet ist. Vgl. Rigal / Verlaguet, Documents (wie Anm. 80); Pradalie, Gui, Aux origines de l’hôpital d’Aubrac, in: Debax, Hélène (Hg.), Les sociétés méridionales à l’âge féodale. Espagne, Italie et sud de la France, Xe–XIIIe siècle. Hommage à P. Bonnassié, Toulouse 1999, S. 265–268. Das Siegel der Dômerie zeigt einen gehenden Wallfahrer, vgl.: Framond, Martin de, Sceaux rouergats du Moyen Age. Etude et corpus, Rodez 1982, Nr. 518.

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Brüder, 10 Schwestern, 40 Priester und 4 Ritter103. Der Grundbesitz der Dômerie, welche die Hochgerichtsbarkeit besaß, erstreckte sich über das ganze südliche Aubrac und bis zum Lot. Die erhaltenen Quellen geben für das 12. und 13. Jahrhundert aufschlussreiche Informationen über das Ausmaß ihrer Schafszucht. Auch in ihrem Fall sind wirtschaftliche Beziehungen mit der Provence belegt (was Aubrac den Schutz von Saint-Gilles du Gard einbrachte), aber auch zum Rhône-Tal (der Graf des Valentinois gewährte zwischen 1189 und 1230 die Befreiung vom Wegegeld und Geleit eundo et reundo in Valence)104. Kurz, es scheint als ob die ganze Welt in Aubrac vertreten sein wollte! Im Mittelalter befindet sich Aubrac im Zentrum eines alten und dichten Wegenetzes; nichts lässt seine aktuelle schwache Bevölkerungsdichte und seine Entfernung von den heutigen Hauptverkehrsstraßen105 ahnen. Im Westen verlief eine römische, dann mittelalterliche Straße, die Clermont und Rodez über Saint-Flour, Chaudes-Aigues, Jabrun, Laguiole und Espalion verband. Auf der Höhe von Bozouls traf die „voie Bollène“ auf diese Straße; diese führte von Lyon über SaintPaulien und Javols, dann Les Enfrux und L’Estrade nach Saint-Côme, wo sie den Lot überquerte. Teilweise noch im Mittelalter genutzt106, teilte die Straße sich, drei Kilometer nördlich, in einen weiteren Zweig, der über Nasbinals, Aubrac und Saint-Chély führte107. Die Hochebene wurde von weiteren sekundären Straßen durchzogen: Ein einziger Text von 1280 erwähnt drei Straßen: eine, die von Chau-

103 Jugnot, Gérard, Deux fondations augustiniennes en faveur des pèlerins. Aubrac et Roncevaux, in: Assistance et charité (Cahiers de Fanjeaux, 13), Toulouse 1978, S. 320–341. 104 Rigal / Verlaguet, Documents (wie Anm. 80), Nr. 14 (Valentinois) und Nr. 20 (betr. Schutz, den der Herzog von Narbonne, Graf von Toulouse und Markgraf der Provence Raymond VII. im Jahr 1222 gewährte; der Text erwähnt bestiae). 105 Die Eisenbahn führte in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. zur Ausgrenzung des Aubrac, indem das Netz der Haupt- und Nebenstrecken (Saint-Flour-Aurillac über Murat im Norden, Aurillac-Figeac-Rodez im Süd-Westen, Rodez-Sévérac-Mende im Südem, Millau-SéveracSaint-Flour über Marvejols im Osten) es weitgehend umgeht. 106 Über eine 1356 zwischen dem Prior von Aubrac und Astorg, Herr von Peyre, vollzogene Transaktion, wurden die Wappen dieses Herrn in der Nähe von Marchastel am Römerweg, der von Toulouse und Rodez nach Le Puy und Lyon führt, an der Brücke platziert. Vgl. Prunières, B. L’ancienne baronnie de Peyre, in: Bulletin de la Société d’Agriculture de la Lozère (1866), S. 211. 107 Dies ist die Route, die König Franz I. im Juli 1533 eingeschlagen hatte, um von Le Puy nach Toulouse zu gelangen. Vgl.: Académie des sciences morales et politiques (Hg.), Catalogue des actes de François Ier, Bd. 8: Itinéraire de la chancellerie royale (Collection des Ordonnances des Rois de France, 2), Paris 1905.

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desaigues nach La Roche-Canilhac führte, und zwei weitere, die von Anterrieux und Deux-Verges aus nach Westen (versus noctem) führten108. In einer kürzlich erschienenen Publikation schrieb unser Kollege Bruno Phalip: „La liste (des organismes castraux qui ont réussi à fixer des organismes urbains) montre que ce sont surtout les zones septentrionales du diocèse de Clermont et la seigneurie de Bourbon qui sont concernées par le phénomène d’enchâtellement“109. Das Beispiel von Saint-Urcize mindert diese pessimistische Bewertung der Unfähigkeit des Brivadois, der Haute-Auvergne oder des Velay eine Stadt, oder bescheidener einen Flecken um ein Bergschloss aufblühen zu lassen. Der Fall von Saint-Urcize verpflichtet also, die traditionellen Topoï von der Abgeschiedenheit des Gebirgsraums (vor allem im Zentralmassiv) und von seiner angeblichen Rückständigkeit fallen zu lassen. Der Horizont, den man im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit von den Hochebenen des Aubrac erblicken konnte, war weit entfernt. Der Fall dieses Flecken zwingt uns, die Konsequenzen städtischer Hierarchien zu überdenken, denn er beweist, dass ein bescheidener zentraler Ort dauerhafte und weitreichende fruchtbare Beziehungen unterhalten kann, selbst mit Städten, die ihm demographisch sowie wirtschaftlich weit überlegen sind. Der Fall legt nahe, das Funktionieren der räumlichen Maßstäbe in den vorindustriellen Gesellschaften neu zu bewerten.

Abschließende Bemerkungen Die Beobachtung der mittelalterlichen Epoche (wegen der verfügbaren schriftlichen Quellen natürlich vor allem des Spätmittelalters) zeigt, wie falsch es ist, davon auszugehen, das Gebirge stehe nicht nur im Gegensatz zu den Vorgebirgshängen, sondern anscheinend auch zum weiter entfernten Flachland. Das Beispiel des Abtriebs vom Velay in die Crau und der Beziehungen der Metzger aus der Auvergne und dem Vellay mit den Städten Arles oder Marseille zeigt, im Gegenteil, die (wahrscheinlich aus der Notwendigkeit einen Absatzmarkt zu finden resultierende) Fähigkeit des Bergmilieus, weitläufige Beziehungen zu führen. Daraus ergibt sich 108 Für beide Ortschaften: Cantal, Saint-Flour, Chaudes-Aigues. Vgl. Boudet, Cartulaire de Saint-Flour (wie Anm. 82), Nr. CV. 109 In: Framont, Martin de / Laffont, Pierre-Yves / Sanial, Bernard, Châteaux du Moyen Âge. De l’étude à la valorisation. Auvergne, Velay et autres exemples régionaux. Actes du colloque du Puy-en-Velay (Juni 2004), Le Puy 2008, S. 18.

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als Konsequenz eine soziale (Notare, gelehrte Metzger, Mediziner) und monumentale (Bauqualität) Urbanität der kleinen Bergstadt oder des Bergfleckens, die – wie es das Beispiel von Saint-Urcize aufzeigt – die Gleichung, der zufolge Gebirge so viel bedeutet wie Rustizität und Rückstand, Lügen straft. Sicher, der offensichtlich „natürliche“ Raum des Zentralmassivs hat kein „leitendes Zentrum“, weder im Mittelalter noch heutzutage. Die Rolle als Metropole, die Clermont-Ferrand in den letzten Jahrzehnten im Massiv zu spielen vorgab, beschränkt sich im Endeffekt realistischer Weise auf den touristischen Slogan „Tor zum Zentralmassiv“. Um auf das Mittelalter zurückzukommen: Mehrere der Bischofsstädte die, schon sehr früh ihre diözesane oder metropolitane Autorität und später ihren wichtigen städtischen Einfluss auf einen Teil des Gebirges ausbreiten, befinden sich außerhalb der strikten Grenzen des Massivs (Bourges, Limoges, Lyon, Valence, Nîmes, Béziers, Toulouse, Cahors). Von den Bischofsstädten, die dem Massiv direkt verbunden sind, tritt nur Clermont hervor, während Rodez und Le Puy, dann Mende und Saint-Flour, dahinter zurücktreten. Die spätmittelalterliche Landschaft wurde durch das Aufkommen neuer Städte (Montferrand, Herment), die manchmal klösterlichen Ursprungs (Aurillac) oder an die Linien gebunden waren, die das Massiv in Richtung Languedoc durchqueren (Millau), abgeändert, aber nicht auf den Kopf gestellt. Auch wenn die Bank von Clermont ihre Glanzstunde an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert erlebte (Gayte und Chauchat), und das Finanzwesen Lyons im 14. Jahrhundert anfängt, sich für die Auvergne zu interessieren (Raymond), und wenn man das Interesse der Geschäftsmänner von Montpellier und Toulouse an den südlichen Rändern des Massivs erahnen kann, bleibt immer noch das Problem der Herkunft des Kapitals, das im Stande wäre, die Entwicklung des betroffenen Raums zu unterstützen. In den eben besprochenen Fällen (die Bank von Clermont ist der kapetingischen Herrschaft sehr verbunden) wie zum Beispiel im Fall der Städte mittlerer Größe (Aurillac) und der sehr dynamischen Bergflecken (Saint-Urcize) scheint die Dynamik von außen genährt zu werden: So zum Beispiel durch die Teilnahme der Einwohner Aurillacs an den Messen der Champagne im 13. Jahrhundert, Beziehungen mit den Stadtmärkten der rhodanischen Provence (Avignon, Carpentras, Arles, Aix) und mit dem großen Hafen Marseille. Schließlich haben wir das falsche Bild einer „natürlichen Isolation“ des Massivs gekippt: Die Bergbevölkerung vermag ihren Blick und ihren Ehrgeiz weit schweifen zu lassen; dieselben Bewohner wissen, in ihrem Bauwesen ihre Sorge um Urba-

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nität110 auszudrücken. Wir sind gezwungen, unsere modernen und sehr quantitativen Beurteilungen der jeweiligen Bedeutung der städtischen Organismen zu überprüfen und uns zurück zu besinnen auf minutiöse qualitative Analysen und eine durchdachte Anwendung des Vergleichs111.

110 Aber was hinsichtlich der größeren städtischen Qualität des Bauwesens für die kleinen Bergstädte gilt, zählt ebenso für die Winzermarktflecken (Alsace, Beaujolais, am Rand der auvergnischen Limagne). Es ist der Kontakt zu den großen Städten, als Folge der vorherrschenden wirtschaftlichen Orientierung, der eine Rolle spielt, nicht die Höhenlage! 111 Cornu, Pierre / Fournier, Patrick / Fray, Jean-Luc (Hg.), Petites villes de montagne. De l’Antiquité à nos jours. Europe occidentale et centrale. Actes du colloque international de Clermont (Juni 2007), Clermont-Ferrand, im Druck; Petites villes de montagnes dans une perspective comparative européenne, de l’Antiquité à nos jours, unter der Leitung von JeanLuc Fray, in: Histoire comparée des villes européennes. IXe Conférence Internationale d’Histoire Urbaine (Lyon, August 2008), Lyon 2010 (CD).

The Public Piazzas of Communal Italy Economy, City Planning, Symbology (13th–14th Centuries) by Francesca Bocchi

Piazzas and Public Palaces: Policy, Administration, Market and Communication From the 13th century onwards the piazzas of the Italian communal cities – some completely new, others more ancient and restructured – constituted spatial complexes involving markets and public palaces, thereby representing political, administrative and economic units1. In general these did not comprise a quarter or district, but belonged to the entire community and consequently had to be equally usable by everyone. While the modern means of transportation and communication seem to make the question of the piazza’s placement less important nowadays, it has to be borne in mind that in the past it was carefully situated in the very centre of the urban structure in which it had been created. This fact makes clear why the cities have continued to grow uniformly in a circular or polygonal manner. The piazzas were the urban centre of gravity, to which everyone had to have equal possibility access, according to the social layer to which they belonged: The richest had their houses and palaces closest to the centre, the poorest in the peripheral zones by reason of the value of lands and properties. The topographical position of the piazza was motivated by common sense, but also had motivations of a religious character that drew their origin from Antiquity. In that epoch the forum had been created where the cardo maximus and the decumanus maximus intersected, on the basis of the Etruscans’ earlier practice. That point constituted the urban umbilicus and represented the cosmos of which the community was the centre. Recent archeological research has permitted us to know the name of the Etruscan city of new foundation near Marzabotto (Bologna): 1

Greci, Roberto, Luoghi ed edifici di mercato, in: La costruzione della città comunale italiana (secoli XII–inizio XIV). Atti del Ventunesimo convegno internazionale di Studi del Centro italiano di studi di storia e d’arte. Pistoia 11–14 maggio 2007, Pistoia 2009, p. 195–215.

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Marzabotto (Bologna), Stone engraved with a cross (decussis) indicating the north-south alignment, originating from the Etruscan city of Kainua (VI century B.C.)

Kainua[thi], Città Nuova2. At the centre of this settlement – in earlier research – a river stone was found on which was engraved a cross (decussis), situated at the intersection of the plateia with the stenopos, that is, the principal road axes on which the city was structured. That stone divided not only the urban space, but also the rest of the universe3. Etruscans and Romans felt the necessity of attributing a magicsacral value and a union with the cosmos to the placement of the streets, traced, when the configuration of the land permitted it, with geometric rigour, all orthogonal – the cardines to the decumani and the decumani to the cardines – giving origin to a grid of rigid orientations, at the centre of which was situated the forum, as the public “piazza” was then called. But it was not only the Romans who observed and maintained themselves faithful to the cosmic orientation, also this was done by the Christians, who for centuries, more or less rigidly, arranged basilicas and churches with the apse to the east and the facade to the west. 2

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The city was known historiographically by the name of Misa, attributed to it in the epoch of the first discoveries of the 19th century, being situated on the Pian di Misano, but without actual references. The discovery of the archæological source which carried the name of the city was carried out by a research team from the Department of Archæology of the University of Bologna, directed by Giuseppe Sassatelli in 2006. Gros, Pierre / Torelli, Mario, Storia dell’urbanistica. Il mondo romano, Bari / Rome 1994, p. 42.

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We do not know well the role of the piazzas in the early Middle Ages, but we know that the urban space dedicated to commercial activities and to public meetings was quite limited4. Above all, it was the areas near the cathedral churches, which permitted the small urban communities to have a public meeting place (conventus ante ecclesiam) and presumably also a place for commercial activities which took place mainly on Sundays. In this way these small communities did not waste time that could be dedicated to work, complying with liturgical obligations on the same day as developing trade activity. The Church opposed vigorously such a custom, but did not always succeed in this. The role of the public piazza, as a political and commercial place, is evident in its full capacity to involve the urban community in the epoch of urban autonomy of north-central Italy (12th–14th centuries). A remarkable mass of juridical and administrative sources lets us know the details of the development of such activities. In the piazzas markets were held, economic activities were carried out, people met each other, and information was exchanged. Their principal function was to accommodate the market and public buildings. They were the mirror of the city, a mirror which had to reflect the health of the city itself and to give confidence to entrepreneurs. For this reason, one could find specimens of units of measure for merchandise for sale as well as for those subjected to ceiling prices (building material) embedded in the walls of the communal palaces5 – and sometimes also in the walls of cathedrals facing onto a piazza – which helped the customers to verify their acquisitions. In the palazzo of the Merchants of Parma the specimen of brick (cm 28 x 11/12 x 5/6) is embedded into the wall toward the Piazza of the Commune. On the communal palace of Assisi, one finds a beautiful marble plaque from 1349 which exhibits models of building materials. This can be seen in many other cities – for example nearby Amelia where one finds the so called “mensure sculpte” on the wall of the palace and on the door of S. Maria to which the tegolari had to adhere when making tiles and bricks6. But also the weight and price of bread – even this controlled and regulated by the commune – could be indicated, as in the case of 4

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Bocchi, Francesca, Città e mercati nell’Italia padana, in: Mercati e mercanti nell’alto Medioevo. L’area eurasiatica e l’area mediterranea. XL Settimana del Centro Internazionale di studi sull’alto Medioevo (1992), Spoleto 1993, p. 139–185. See, for example: Chiovelli, R., Tecniche costruttive murarie medievali. La Tuscia, Rome 2006, p. 143–147. Amelia e i suoi statuti medievali. Atti della giornata di studio (Amelia 15 marzo 2001), ed. by Menestò, Ernesto (with: Edizione critica degli statuti trecenteschi, ed. by Andreani, Laura / Civili, Renzo / Nanni, Rita), Spoleto, 2004, p. 479. The determination of the price

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Satellite image of the Piazza Erbe of Verona, with the daily market (Google Earth)

Forlì, where the piazza is dominated by a beautiful marble slab (1535) on which is engraved the ceiling price of bread with 17 different costs in relation to the initial price of grain. One had to recognize the producer of the bread, both in order to be able to hold one responsible for possible strippings from the assigned weight, as well as to identify possible adulterations. For these reasons the various bakers were obligated to stamp their names on the bread set out for sale7. In the public piazzas the topic of communication was a decisive element in the relationship between public administration and citizens: the exhibition of the pillory, as in the Piazza delle Erbe of Verona, was a warning towards petty thieves, whose crimes justice would not hesitate to punish. In this way the whole urban

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can be found in the rubric: Quod tegulari possint vendere tegolas usque ad XXV soldos per centenarium et non ultra, p. 480. For example: Gli Statuti del comune di Treviso (sec. XIII–XIV), Vol. 2, ed. by Betto, Bianca (Fonti dell’Istituto Storico Italiano per il Medio Evo, 109), Rome 1984: De bulla panis facienda, 131, Book 1, Rubric 381, p. 276.

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Verona, Piazza Erbe, Fountain of the “Madonna Verona”

community that sooner or later would have gone to the food markets, was informed. In the same Veronese Piazza delle Erbe, in addition to the pillory – still existing today in its Cinquecento form – there is another important monument which personifies the city itself, furnishing, with means at the same time new and ancient, the image of the city. In 1368, Cansignorio della Scala, lord of Verona, had, in the context of the hydrologic organisation of the city, brought potable water to the piazza of the market and had constructed a beautiful fountain at its centre. The fountain was constituted from an ancient acephalous Roman statue, complete with arms and head, on which was set a radial crown. Between the hands there was a band on which was engraved the motto of the commune: Est iusti latrix urbs hec et laudis amatrix. The symbolism was completed with a base on which were sculpted the heads of the emperor Verus, to whom was attributed the birth of Verona, the Lombard king Alboin and the king of Italy Berengar, all personages who, according to legend, but also according to history, are said to have made the city great. In the

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local language the monument became the “Fontana di Madonna Verona”8. It did not represent the patron saint (San Zeno), but was a kind of recovery of the image of the tychai of Antiquity (fortuna, personification of the ancient city), yet without the transcendental mysterious elements that distinguished the tyche. The fountain is a symbol of the city9, which at the same time documents the wealth of its history as it is noteworthy that an antique archæological artefact had been used for its construction – a whole century before the Renaissance was to give rise to a renewed interest in classic Antiquity. Even for those who were forced to bankruptcy a true and proper public scorn was reserved: on the preda aringadora of the Piazza Grande of Modena, spread with urticant substances, the bankrupt person was forced to rub his uncovered intimate parts. It was not however the paying of personal shame that truly counted, but the information of bankruptcy, news obviously very significant for businessmen. Trevisan swindlers and cheaters, if they were not able to pay the monetary penalty with which they were threatened for their revealed illegal activity, were beaten in the piazza of the market, unless their practices had provoked a death, in which case they were condemned to the stake10. On the pavement of the public piazza of Feltre one could find pear or apple juice poured out there, if some contadino had sought to bring it into the city, given that there was no shortage of dishonest innkeepers who would have used it for adulterating the wine. Fortunately, there also was provided a rather more rational solution for the dispersal of a food source, namely to make a gift of it to a hospital or leprosarium11. The driver of the cart was threatened with a monetary sanction, while the innkeeper, for having adulterated the wine, was excluded for a year from the practice of his trade, and the wine was discharged into the street12. While the city had a certain responsibility for street cleaning, as testified to by statutory ru8 Simeoni, Luigi, Verona. Guida storico-artistica, Verona 1913, p. 3–4. 9 The statue of the enthroned Virgil (Mantua, Museo della Città, at the Palazzo of San Sebastiano, late 11th – early 13th century), placed in one of the public palaces of Mantua, became a symbol of the city, too. 10 Gli Statuti del comune di Treviso (see fn 7), 131, Book 3, Rubric 83, p. 483: De hiis qui faciunt maleficia vel herbarias. 11 Statuti di Feltre del secolo XIV nella trascrizione cinquecentesca con il frammento del codice statutario del 1293 (Corpus statutario delle Venezie, 20), ed. by Pistoia, Ugo / Fusaro, Diletta Rome 2006. Book 1, Chapter 77, p. 58: De pena portantis vel conducentis piratam vel pomatam rubrica. 12 Statuti di Feltre (see fn11), Book 1, Chapter 78, p. 59: De pena vendentis vinum cum pyrata vel pomata rubrica.

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Parma, Piazza Garibaldi (Piazza of the comune) and piazza of the Duomo

brics, there was no lack of other polluting discharges into the street. The purpose was to make the dishonesty of the entrepreneur who attempted the swindle a part of public control, and it was done in the piazza which was the most frequented place in the city, because the market was held there. If communication between the community represented by the communal government and the consumers – citizens or foreigners – of the piazza was an instrument of public activity, the mode in which the piazza was presented simultaneously conveyed a message. For this reason, particular attention was reserved to the public

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piazza and to the other piazzas equally significant, in regard to the rebuilding and maintenance of the mantle as well as to cleanliness, elements which concerned not only the urban image, but their role as market places for displaying different kinds of food. The statutes of Treviso of 1283–84 established the paving of some heavily trafficked urban streets by setting down bricks edge to edge, reserving to the Council of the Commune the decision on the type of paving for the public piazzas and bridges13. The positioning of the piazzas and palaces destined for economic activities of the market and for public and administrative activities was a conscious choice. As for the cities located on the path of the ancient Via Aemilia, almost all – although open and arranged in the course of the 13th century – display the piazzas at a slight distance from the path of the ancient decumanus (Modena: 57 m; Forlì: 45 m), but however never with the front of the public palace facing onto that artery (Piacenza: southern side of the palace at 25 m; Faenza: northern side of the palace at 16 m). A different discourse applies to Parma, where the grand piazza of the commune of the 13th century is crossed by an ancient decumano. In this case we are facing a radical transformation that happened in the last twenty years of the Duecento. Although a previous domus comunis from the 12th century can be found, located, as has been hypothesised, in the corner between the present-day streets of Cavour and Repubblica, that is, on the northern side of the ancient decumanus14, nevertheless, the piazza in front of the cathedral continued to be used, especially for general meetings. For the creation of the piazza it is necessary to wait until 1221, during the podestarial regime of Torello da Strada from Pavia15, who began the construction of the public palace, known as the Palazzo del Torello, referring to a statue representing a small bull, perhaps a heraldic representation of the sponsoring podesta16. The communal platea nova – new in comparison to the platea vetus in front of the cathedral – took shape between 1221 and 1281. Open on the southern 13 The rubric of the statute of 1283–84 is published in Gli Statuti del comune di Treviso, 131 (see fn 7), Book 1, p. 192. 14 Pellegri, Marco, Parma medievale. Dai Carolingi agli Sforza, in: Parma, la città storica, ed. by Banzola, Vincenzo, Parma 1978, p. 95–96. 15 Guyotjeannin, Olivier, Podestats d’Emilie centrale: Parme, Reggio et Modène, in: I podestà dell’Italia comunale, Part I, Reclutamento e circolazione degli ufficiali forestieri (fine XIIth sec. – metà XIVth sec.), 2 vols., ed. by Maire Vigueur, Jean-Claude, Rome 2000, vol. 1, p. 357. 16 In the year 1221, inceptum fuit palacium comunis edificari et ibi fuit positus torellus lapideus nominatus a nomine potestatis (Chronicon parmense ab anno MXXXVIII ad annum

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side of the ancient decumanus, it presented a very well-constructed series of buildings: the Public Palace (the Torello, 1221), the Palace of the Podestà (between 1221 and 1240), and the Balatorium (an overpass joining the two preceding palaces, 1246). The city of Lodi – north of the Po, in Lombardy – displays a special characteristic: three piazzas connected with each other, of which two still serve as market places today. In order to interpret this urbanistic situation it is necessary to realise that Lodi is a newly-founded city, desired by Frederick Barbarossa in 115817 in order to oppose Milan which had destroyed the ancient Laus Pompeia located on the Via Aemilia in 1111. In the new Lodi the relationship between the spaces and the functional buildings with the Via Emilia no longer existed, because its topographic position was several kilometers distant from that artery. The great piazza, onto which the cathedral faced, was shaped as the generative centre of the city, but did not rise to become the place of management of public life: it was instead the space on the side of the cathedral, enclosed by the later broletto or Court of Justice – of quite smaller dimensions with respect to the bulk of the cathedral – that thence became the umbilicus of the city, located in a tangential area, exactly as it was happening in the Paduan communal cities – although with other proportions.

Modena, Piazza Grande: from the domus comunis to the Bonissima The steps that the cities of Reggio Emilia and Modena carried out in the final years of the 12th century for the creation of public palaces had a precursor in the construction of the seat of the Comune di Bologna located in the curia S. Ambroxii, in use from the second half of the 12th century, but already completely insufficient in the final years of the century. In the years 1200–1201 the commune of Bologna acquired many houses (among which were also prestigious buildings) for the construction of the new public palace and for opening the new curia comunis (now the MCCCXXXVIII, ed. by Bonazzi, Giuliano (Rerum italicarum scriptores, 9, 9), Città di Castello 1902–1904, p. 8). 17 Opll, Ferdinand, Federico Barbarossa, Genua 1994 (Italian translation of Friedrich Barbarossa, Darmstadt, 1990), p. 81–90; Die Urkunden Friedrichs I, ed. by Appelt, Heinrich (MGH, Diplomata regum et imperatorum Germaniae, 10,1), Hannover 1975, p. 42–43, n. 246.

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Modena, Piazza Grande with the cathedral and the communal palaces

Piazza Maggiore), since the palatium vetus, near the church of S. Ambrogio, had become completely inadequate for the development that had taken place18. At Reggio, the podestà Guido Lambertini from Bologna acquired in 1199 a group of houses bordering that which later would become the platea comunis, in order to construct the new communal palace, given that the existing domus comunis was no longer suitable for the project of development which the city had in mind to create. The piazzas of Reggio and Bologna, with the attendant communal palaces, did not face onto the ancient decumanus (Via Aemilia), but were in an area slightly moved toward the south (Reggio Emilia: 61m; Bologna 75m). The positioning of the communal palace of Reggio has been interpreted not as a denial of the function of the organising axis of the communal city attributed to the Via Emilia, but as an element of connection between the functional space of the piazza and the road axis which would have permitted an adjusted development of mercan18 Bocchi, Francesca, Bologna nei secoli IV–XIV. Mille anni di storia urbanistica di una metropoli medievale, Bologna 2008, p. 73–78.

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tile activity and, given the presence of the cathedral, also of liturgical activity, without blocking traffic in what was the principal road of east-west communication in the entire region19. In the immediately following years (1205), another podestà from Bologna, Maio Carbonesi, is said to have given life to the same urbanistic project at Rimini, by proceeding to the construction of the communal palace and to the formation of the piazza, with these buildings also located close to the ancient decumanus, but a few meters distant from it (74 meters from the entrance to the palace). The sequence of the constructions and the topography of the public palaces of Modena have been studied in depth20, which permits us to evaluate fully how the maturation and transformation of the institutions was accompanied by the creation of material instruments which permitted their good functioning and symbolised their determination. The construction of the most ancient Modenese domus comunis can be traced back to 1194, even if definitive notices are from 1198. It was hence toward the end of the 12th century that the commune succeeded in definitively freeing itself from the bond with its own bishop, which had been very strong for the entire early communal period, when public activities took place in the cathedral. The building faced the piazza, opposite to the apse of the cathedral, from which it was partially separated by private buildings. In less than twenty years it showed itself no longer to be sufficient for political, administrative and juridical management of a city in demographic growth. Between 1216 and 1225 the widening of the palace towards the south, causing the first building to be named vetus, and the arrangement of an adequate space for the market, “ransomed” from episcopal management slowly began21. In fact, the group of buildings which obstructed the apse of the cathedral was acquired and another palace was constructed between the northern side of the piazza and the Via Emilia, hence giving origin to a well structured piazza compressed between the apses of the cathedral and the public palaces, which was adapted as a market and is known today as the Piazza Grande. In addition, this palace – as was already the case for that of the Podestà of Bologna and as was happening at the same time in Parma – was provided with an access 19 Mussini, Massimo, La mandorla a sei facce. Comune e ordini mendicanti, piazza, mura e palatium a Reggio Emilia (1199–1315), Parma 1988, p. 70–71. 20 Bonacini Pierpaolo, Istituzioni comunali, edilizia pubblica e podestà forestieri a Modena del secolo XIII, in: Le storie e la memoria. In onore di Arnold Esch, ed. by Delle Donne, Roberto / Zorzi, Andrea, Florenz 2002, p. 71–89, especially p. 81–85. The complete version of notes in: Atti e Memorie dell’Accademia Nazionale di Scienze, Lettere e Arti di Modena, series 8, 4 (2002), p. 411–471. 21 Bonacini, Istituzioni comunali (see fn 20), p. 438.

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Statue of the Bonissima and bell tower (Ghirlandina) of the cathedral

through monumental stairs, probably following an architectural model for which there remains evidence in the communal palace of Rimini erected in 1205. The Piazza Grande of Modena presents another element tied to the topic of communication offered by the architecture and objects present in piazzas of the market. In fact, even today in the Piazza Grande, enclosed inside the Palace of the Commune, there is a statue of a beautiful young Florentine woman, with a long braid, called locally La Bonissima, which goes back to the 13th century. The place where it is now found is not its original location, since it had been moved there in the Quattrocento. Originally, held up by four columns, it had been located in the piazza, in front of the communal office of the “bollette,” an office which had the task of supervising activities that had to do with food provisions (mills, ovens, butcher shops, inns) and with the grain supply, hence with the market. The popularisation of the name has nothing to do with the appearance of the statue as it was originally designed as a symbolic reference to the methaphor of “bona stima” standing for the public adminstrators’ care for justice and order. It represented a guaran-

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tee that the entrepreneurs could be trusted, because there was someone who supervised the balances and other measures. A few tens of meters distant from the original location of the statue was the apse of the Duomo, where were engraved the linear measures for cloth of the braccio and rod (perch) and the forms of the oil jar and standard brick, for integration of the public measures. In fact, official supervision of the units of measure was guaranteed by a competent communal office, which had entrusted – as was codified in the Modenese statutes of 132722 – in lapide Bonissime, namely in the pedestal which supported the precious statue, the official models which served to control the balances and steelyards (scales), which comprised the units of capacity measures (the mina for grain and salt, the quartario for wine). There was no place on the Bonissima for the model of the pertica, which served to measure landed properties, it was placed instead on the nearby stairs of the Palace of the Commune.

Economy and symbol in the piazza: the Regisole of Pavia The cities of the Italic kingdom of the 10th–11th centuries visibly began to manifest signs of an economic recovery, gradually adapting their structures to the transformations. Pavia, the capital, obviously shaped itself according to articulations that were different from those of the ancient city: Ticinum, as it had been called until the Lombard epoch, was not the same thing as Papia, as it began to be called in the Carolingian age. Society was changing, because the propelling elements of economy were changing. One of the propeller elements were, as everywhere, the places of exchange. Outside the walls, to the east, near the city two annual fairs were held frequented by Italic and foreign agents, while the permanent urban market had preserved the ancient site of the Roman-age forum, but modified its structure, so that over time it became occupied in part by buildings, presumably for living and commercial usage, acquiring the denomination of forum clausum, while it continued also to be the forum apertum. Not distant from it, but in another insula, arose a cathedral, which, until the 15th century was constituted by two side-by-side churches, as the design by Opicino de Canistris illustrates well. In the succeeding centuries this area (today the Piazza della Vittoria) has continued to accommodate the daily market and even today it is set there, in a great subterranean structure established beneath the pavement. The continuity of use of the term forum in the 22 Statuta civitatis Mutine anno 1327 reformata, ed. by Campori, Cesare, Parma 1864, p. 75 and 78.

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Opicino de Canistris, Piazza (Atrium) and cathedral of Pavia (Vatican City, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. Lat. 1993, fol. 2v). The design is published in Pierluigi Tozzi, Opicino e Pavia, Pavia, 1990, p. 45.

Middle Ages and the continuity of economic activities from Antiquity to the early Middle Ages in the same place reflect the consistency of Pavia’s function as a capital that it had developed before the formation of the Lombard kingdom, and that it maintained during the Frankish and the Italic kingdom 23. With the economic development of the central centuries of the Middle Ages and the constitution of the autonomous commune, the spaces of exchange were also diffused to other places, but the great piazza of the forum remained the catalytic element. In general the institutions of all the communal cities sought to establish communication with their citizens through symbols which they exhibited in the piazza, and with which they sought to impress and underline the legitimacy of the institution. For example, the commune of Pavia utilised the ancient equestrian monu23 Majocchi, Piero, Pavia città regia. Storia e memoria di una capitale medievale, Rome 2008.

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ment gilded in bronze of the Regisole as a representation of its own communal identity24. The celebrated ancient statue – which recalled that of Marcus Aurelius now in the Campidoglio at Rome25 – was transferred, either by Liutprand or by Charlemagne26, from Ravenna to Pavia. At that time, it was already an artifact laden with symbols, because it was an object which contained in itself the idea of sovereignty. The initiative of moving it thus manifested a mature interest in the ancients, whether the person responsible had been the Lombard king or Charlemagne. Moreover, Pavia, capital of the Frankish-Lombard kingdom, was one of the three cities which, together with Ravenna, capital of the Goths and Verona, had constituted a place of power even in the epoch of Theodoric. The statue was placed in front of the royal palace as an element of legitimisation of Pavia as capital of the kingdom and heir of Rome, capital of the empire, by means of the statue of a Roman emperor. There it remained until 1024 when the Pavesi, tired of the troublesome presence of the emperors in their city, destroyed the palace at the news of the death of Henry II, but not the Regisole, which was moved in front of the cathedral27. The 11th century marked by the long and complex climate of the Investiture Struggle, at the end of which the communes got underway in the cities of northcentral Italy. At Pavia the piazza and the Duomo became – as in many other cities – elements of reference of the new public institution, strengthened by the presence of the statue of the Regisole, so that in the neighbourhoods of the apse of the cathedral, the public palace of the commune (the Broletto) was then constructed in such a way as to join the cathedral to the area of the ancient forum / piazza of the market. The campanile, located alongside the facade, was utilised as a civic tower28, 24 Esch, Reinhard, L’uso dell’antico nell’ideologia papale, imperiale e comunale, in: Roma antica nel Medioevo. Mito, rappresentazioni, sopravvivenze nella Respublica Christiana dei secoli IX–XIII. Atti della quattordicesima Settimana internazionale di studio, Mendola, 24–28 agosto 1998, Milan 2001, p. 16–17. 25 In the piazza one finds nowadays a copy of the statue. The original is protected inside the Musei Capitolini. 26 The history of the monument is interwoven with that of another celebrated monument, that of the horse of the emperor Constantine, which resulted in their confusion in the sources: Frugoni, Chiara, L’antichità: dai Mirabilia alla propaganda politica, in: Memoria dell’antico nell’arte italiana Vol. 1, L’uso dei classici, 3 Vols., ed. by Settis, Salvatore (Biblioteca di storia dell’arte: Nuova serie, 1), Turin 1984, p. 5–72, especially p. 46–49. 27 Vicini, Donata, La civiltà artistica: l’architettura, in: Storia di Pavia, Vol. 2 L’alto medioevo, Pavia 1987, p. 317–371, especially p. 322–323. 28 Opicini de Canistris (Anonimi Ticinensis) Liber de laudibus civitatis Ticinensis (Rerum Italicarum Scriptores, 11, 1, Chapter 8), Città di Castello 1903, p. 27: Habent autem super

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but disastrously collapsed at the hour of 8:30 on March 17, 1989. The equestrian statue ended thus in a well organised complex where it became the icon of the city: It was used in the seal of the commune and became the place where the podestàs took their oaths. In addition to this, the collective carnival games as well as the festival of San Giovanni, in which all citizens participated, took place under the Regisole. The devotion of the city to its symbol is demonstrated precisely by the events concerning that important statue. In 1315 it became booty of the Viscontean war and was carried in pieces to Milan, where, however, the Pavesi recovered and reassembled it, in order to replace it before the double cathedral, as Opicino de Canistris designed it29, and where Francesco Petrarch and Leonardo da Vinci saw it. Opicino de Canistris in his work in praise of Pavia, gives a beautiful description of the re-established statue and the piazza in which it was located30: c. XI: Ecclesia cathedralis, eo quod ex duabus ecclesiis perficitur, sint media pariete contiguis, quemdam magnum protendunt in latitudine cursum, idest terciam fere partem stadii31, habet nichilominus testudines undique cum columpnis: ante cuius frontem est platea, que dicitur Atrium, que longitudinis ecclesie latitudini et amplius. In qua toto anno possunt omnia humane vite necessaria venalia reperiri. In cuius platee medio super columpnam lapideam, vel laterinam, et tabulam saxeam erecta est statua equi sessoris enea, nuper deaurata, respitiens ad aquilonem, maiori quantitatis quam hominis vel equi viventis, dexteram manum extendens, habens sub anteriori sinistro pede equi catulam erectam eiusdem metalli, ipsum pedem levatum tenentem. Que statua, cum ripercussione solis mirabiliter radiet et quia forte sic etiam antiquitus radiabat, Radisol ab incolis appellatur, quasi radius solis … The cathedral was in fact composed of two churches side by side, the summer church of S. Stefano to the left in the design and the winter church of S. Maria Maggiore to the right. The great piazza in front of it, called the Atrio, was used as a daily market, in which amongst others fish was sold, given the proximity of the Ticino river. Along the entire width of the facade of the double cathedral some campanili maiori plures homines, quibus datur salarium annuum, qui possint et campanas Comunis pulsare et hostes de longe cernere venientes … Hoc enim campanile tam latum est, ut, preter locum quem occupant campane … posset autem adhuc illic capere circa centum personas et forsitan plures. 29 The original design of 1335–1336 (Vatican City, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. Lat. 1993, fol. 2v) is published in: Tozzi, Pierluigi, Opicino e Pavia, Pavia 1990, p. 45. 30 Opicini de Canistris, Liber de laudibus (see fn 28), 1, fol. 9. 31 Stadium = 185 m.

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Opicino de Canistris, detail of the column of the Regisole

benches are visible protected by a covering. At the centre of the piazza, on a column of stone and bricks, surmounted by a slab of stone, one could find the gilded bronze statue of the Regisole for which Opicino also furnishes the etymology. Two centuries of peace, then a new upheaval in the events of grand history: Five months after the Sack of Rome, on October 6, 1527, the French entered Pavia, but the first one to penetrate through the breach in the walls was a native of Ravenna, who obtained from his commandant, the viscount of Lautrec, permission to bring back the precious statue to Ravenna, because, clearly, its painful removal of so many centuries earlier was still remembered there. The journey towards Ravenna

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Pavia. Civic tower and modern statue of the Regisole (photo preceding the collapse of 1989)

on the Po was interrupted at Cremona, where the statue was seized and where the Pavesi ransomed it in 1531, restored it and replaced it to its former position, having previously imposed a tax ad hoc on the citizenry. Its final destruction occurred during the epoch of the French Revolution. In 1796 a small group of Pavese Jacobins demolished it, considering it to be no longer the symbol of the city, but the exaltation of an emperor. Shattered, in part melted, the ancient statue could no longer be restored, nor did a desire to do so manifest, because the patriotic spirit which had propelled the preceding recoveries had diminished. Indeed, the local administration sold the recovered fragments on the antiquarian market in 1809 in order to gain money and finance some public works: Those fragments must still have been quite valuable since with the proceeds the tree-lined area around the castello was laid out32. During the thirties of the Novecento, the remaking of the statue, which today still stands in front of the Duomo, was entrusted to the very well-known sculptor Francesco Messina: This however was not the result of a return of civic patriotism, but of the intention to celebrate, during the height of the Fascist period, when there was a desire to create an empire, the two thousandth anniversary of the empire of Augustus, by reconstructing a statue which was thought to have been 32 Saletti, Cesare, Il Regisole di Pavia, Como, 1997, p. 15–69.

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that of a Roman emperor. Every epoch has known how to attribute to the celebrated statue the symbolic significance, which responded best to the prevailing ideology.

Formation of the elevated Piazza of Gubbio The marvellous complex of the Trecento palaces which stand to the west and east of the elevated piazza, as in almost all the communal cities, were not the first public palaces of Gubbio33. However they did not derive from an expansion or a combination with the older palaces, but were consciously constructed in a place completely different from those earlier palaces. The most ancient palace (second half of the 12th century), whose remains are now incorporated in the Palazzo Ducale, was

Gubbio (Perugia), Elevated piazza and communal palaces

33 Micalizzi, Paolo, Gubbio, l’architettura delle piazze comunali, in: Storia delle città 6 (1981), p. 77–116.

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Gubbio (Perugia), Giovanni church and communal palaces

found rather closer to the mount than today. It had next to it a tower, which structure lets us hypothesise a military function, and to which it was connected by means of the platea comunis, more or less adopting the same urban structure which was to be utilised a century and a half later for the Trecento palaces closer to the valley. In the same urbanistic and temporal context the new cathedral was constructed, to which the relics, preserved in the ancient cathedral, were transferred. The more ancient cathedral was situated in the inhabited centre of Gubbio, inhabited by a social class devoted to productive activities. This settlement spread out to the valley, while the complex of communal buildings and the new cathedral were in an elevated and dominating place, similar to the feudal castelli, which sat above the suburbs connected to them. And this must be exactly the significance which that ensemble was intended to express. In fact the construction of the first public palaces goes back to the period of the consular government, when citizen power was still in the hands of an elite of great landed proprietors, whose mentality was feudal. In the course of the Duecento economic development determined an upgrading and a new structuring of the “popular” settlement, with the construction of new walls, the systematisation of the campus mercati in the area of the settlement of the Spadafora, a family which had sheltered St. Francis, exiled from Assisi, the area where the ce-

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lebrated miracle of the wolf had occurred. In this way a new centre of gravity was created within the urban settlement around the church of S. Giovanni. Consequently, when in the second half of the Duecento popular expectations became lively, in concomitance with the prevailing Guelfism, the old communal buildings represented a secured power in a dominating position which no longer understood citizen demands. Public power then moved closer to the productive city, descended towards the valley, and constructed, beginning in 1321, some buildings for accommodating the new magistrates in the beautiful calcareous stone of Monte Calvo and Monte Ingino. In addition to this, they planned a still more beautiful elevated piazza, even if there was no space for it, because the ground was so steep. The genius of the architect Matteo Gattaponi knew how to get round that unsuitable ground by creating substructures that were not only able to support the pavement of the piazza, but also permitted the construction of prisons, storehouses and other service rooms underneath it 34.

Perugia’s main square and the Fontana della Piazza The provision of abundant potable water to a city has been one of the themes that created a decisive turning point in the political development of the cities. In north-central Italy, the hydraulic technology of the aqueducts of the Roman age was not completely forgotten. The aqueducts were still visible with their mighty arches in the countryside and with their subterranean pathways. For very many centuries the economic conditions did not allow the realisation of great projects such as those ancient ones, but as soon as the conditions were favourable again, the opportunity was seized: This happened in the period of greatest development of the Italian cities, in particular in the epoch of the popular governments (second half of the 13th century). The first great Italian project, which also used the experiences accrued in central Europe, was that of Perugia, envisioned and initiated in 1254–56 by Frate Plenerio and Bonomo da Orte. But there was, however, a flowering of similar initiatives in the same period in the cities in which the configuration of the mountainous land had always created difficulty in the water supply: For example in Orvieto, Viterbo, Sulmona, not least the underground aqueducts of Siena (Bottino Maggiore, 1334), which would become an amazing reality of hydraulic technique and an urban sym-

34 Micalizzi, Paolo, Storia dell’architettura e dell’urbanistica di Gubbio, Rome 1988.

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Perugia, Piazza IV Novembre, Palace of the Priors and Fontana Maggiore

bol35. To these one can add the complex system of adduction of water to the high stories of the Palazzo dei Consoli of Gubbio, described with great wonder by Leandro Alberti (1525–28): a fountain, which goes up above all the buildings, and jets abundant and clear water in the middle of a large room, to the great pleasure of those looking at it. And the water is conducted from the said fountain through all the rooms of the said Palazzo36. The bridge-aqueduct of Spoleto also becomes one of the undertakings of this epoch. This construction with its imposing arches stands in the tradition of classical models transmitted through the works of Vitruvius which had an uninterrupted

35 Balestracci, Duccio / Piccinni, Gabriella, Siena nel Trecento. Assetto urbano e strutture edilizie, Florence 1977; Costantini, Armando / Balestracci, Duccio / Vigni, Laura, La memoria dell’acqua. I bottini di Siena, Siena 2006. 36 Bocchi, Francesca, Le città di Leandro Alberti: una fonte diretta per la storia urbana, in: L’Italia dell’Inquisitore. Storia e geografia dell’Italia del Cinquecento nella Descrittione di Leandro Alberti. Atti del convegno internazionale (Bologna, 27–29 maggio 2004), ed. by Donattini, Massimo, Bologna 2007, p. 357–370.

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Perugia, Via Acquedotto, remnants of the medieval aqueduct (XIII century)

circulation in the Middle Ages.37 In Sulmona, too, the city seat of a high functionary of the Kingdom of Sicily in the middle of the Duecento, the aqueduct was useful and celebrated, similar to the classical architecture of the emperor Frederick II, which evoked grand political and institutional models. The Perugian aqueduct of Montepacciano had to cover a distance of 4,000 feet from the place where the water was taken up to the piazza in which it would gush forth, but it had to overcome troughs and mountainous crests. The works were dif37 Romalli, Giuliano, L’acquedotto medievale di Perugia e l’adduzione idrica nelle realtà comunali centroitaliane, in: Arnolfo di Cambio e la sua epoca. Costruire, scolpire, dipingere, decorare. Atti del convegno internazionale di studi, Firenze-Colle Val d’Elsa, 7–10 marzo 2006, ed. by Franchetti Pardo, Vittorio, Rome 2006, p. 317–330. See also: Bartoli Langeli Attilio / Zurli, Loriano, L’iscrizione in versi della Fontana Maggiore di Perugia, 1278, Rome 1996.

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ficult and long, interrupted but completed in the Trecento by the celebrated architect Lorenzo Maitani. The aqueduct comprised an imposing handwork with its arches, subterranean pathways and conduits of lead, but was very delicate, even after its reconstruction, and even more delicate was the handwork of the fountain from which the water exited, to which the Perugian statutes of 1342 dedicated a large part of the fourth book: De la fonte de la piazza. E del conducto d’essa. E de le citerne da fare38. The fountain, which was so dear to the Perugians, adorns the piazza between the cathedral and the Palace of the Priors. It was planned by Fra Bevignate da Cingoli and sculpted by the celebrated sculptors Nicola and Giovanni Pisano, who completed it in 1287. From reading the long rubric of the statutes, one sees that the concerns of the administrators were of various kind: In the first place they decided that the use of the fountain was only and exclusively reserved for the drawing of water for drinking and that in no way it was to be polluted. But equally important for the legislator was the protection of the entire aqueduct and of all the persons who gained access to the fountain in order to utilise its service. To put these aims into effect, the Perugian statutes identified a restricted zone with a radius of three feet around the stairs leading to the fountain, and mandated the construction of five or seven stone jars to be placed near the stairs themselves. Here it was required to wash the pitchers and other containers before drawing water, especially the exterior part of the bottom of the container in order to avoid pollution while drawing water. Another device, which had the purpose to avoid the contamination of water and at the same time to furnish a service, called for the construction of thirteen copper ladles, each with an iron chain at every spigot from which water poured forth, in order to permit people to drink and to fill their containers. Only the indicated implements were permitted for use at the fountain, in order to prevent anyone from damaging the handwork and polluting the water. Among other provisions, it was specifically stated that it was forbidden to draw water with barrels that might be soaked with oil or dust or were soiled otherwise. The prohibitions appear in large part to be tied to the fact that the piazza was also used as market place. In fact, it was forbidden to use the water of the fountain to water animals, who were not even able to approach the stairs, neither could one approach the fountain to wash oneself, to do laundry, to clean foodstuff, nor to 38 Statuti di Perugia dell’anno MCCCXLII, ed. by Degli Azzi, Giustiniano (Corpus statutorum italicorum, 2), Rome 1916, p. 263–268.

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Perugia, Fontana Maggiore. In the background, the Cathedral

draw water to make lime, or work leather, or prepare parchment – altogether processes that were highly polluting. Very high monetary fines were provided against anyone who might soil the handwork and the water and still harsher were the penalties for anyone who might damage it. A very precise reference to the sculptures was made in the description of a penalty punishing anyone, who, with stone, iron or wood romperà … alcuna de l’emagene sculpite (will break … any of the sculpted images) or the spigots, or the chains. For such a crime, the very high monetary sanction of 100 pounds was imposed, which, if the guilty person was not able to pay, was altered to amputation of the right hand. Another concern of the Perugian statutes was to protect those who stopped at the fountain, with particular regard for the more helpless subjects, the women: Niuno huomo faccia alcuna engiuria overo violentia ad alcuna femmena andante overo retornante da l’acqua trare (No man should inflict any injury or violence against any woman going or returning from drawing water).

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Perugia, Fontana Maggiore, details of the sculptures

Those persons who damaged the subterranean conduits and were not able to pay the monetary sanction would have their right hand amputated, which would be tuned into a capital punishment if the resulting damage completely blocked the flow of waters. For this crime, as for all others, fathers were responsible for their minor and non-emancipated sons. If it was a woman who had damaged the spigots – which could happen, given that the drawing of water had always been a feminine task – per tucta la piazza del comuno de Peroscia se degga frustare (she was to be beaten through the piazza of the commune of Perugia).

Conclusions In the communal cities the public piazza was the vital centre which combined multiple aspects. It was not only the marketplace; it was not only the location of the public palaces or cathedrals; it was not only the place, which contained symbols or the place of communication between authority and community. It was all

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Perugia, Fontana Maggiore, details of the sculptures

these things at once, and its different functions could not be separated from each other. It was the heart of the city. In the central centuries of the Middle Ages one ran to the piazza either to support or destroy a government, to such an extent that as soon as any rumores came up which tended to the destabilisation of the constituted authority, it was sought to close its accesses. At the same time it was endeavoured to keep the access streets to the piazza unencumbered, so that those inscribed in the associations of arms (the army of the popolo) could reach it as rapidly as possible and defend the seats of government from attacks. The deep historical root of the relationship between men and stones renders the piazza until today the symbol of the city and the place with which all identify. If some serious or joyous event touches the urban or national community, the inhabitants find themselves again, even without much publicising of the rendezvous, in the place that represents everyone: the piazza. This is the social space in which the

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urban community expresses itself and in which the urban community recognises itself. In the cities of ancient and medieval historical tradition, attempts to create a polycentric city by constructing other points of social attraction have almost never yielded positive results, since the only place in which one meets is that in which one faces public and religious buildings, where one can establish a relationship between community and public authority, notwithstanding the present means of communication that have substantially modified this relationship39. In the outskirts of a present-day town, which have grown without strong ties with the historical city, there are commercial centres which perform the function of centres of social gathering for those who do not have other points of reference. But they are not the “piazza” of the city, and in the moment in which economic crises reduce the consumerist capacities of individuals, these places reduce their appeal. When local public administrations have need of new spaces, because the medieval public palaces are no longer sufficient, they move many public activities to decentralised places, but always leave the seats of representation in the medieval piazza, being aware that the symbolic, emotive and artistic value of the place cannot be obliterated.

I heartily thank my friend and colleague Sarah Blanshei for the expertise and patience with which she dedicates herself to the translation of my texts.

39 Berengo, Marino, L’Europa delle città. Il volto della società urbana europea tra Medioevo ed Età moderna, Turin 1999, p. 171–181.

The Palatia Comunis Bononie and their commercial facilities in the 13th and 14th centuries by Rosa Smurra

After the Peace of Constance (1183)1, a decisive phase opened in the cities of north-central Italy. It is characterised by the consolidation of communal institutions and a substantial impetus towards town planning policy through impressive projects for the creation of suitable spaces for the management of a city in development. Between the 12th and the 13th century, the construction of public palaces and piazzas – elements of noteworthy political and urbanistic significance2 – began in many cities of north-central Italy. Moreover, there was a development of an economic policy that regulated the markets and commercial activities. The realisation of communal palaces drew upon the building experience of the episcopal palaces. By calling their palaces palatium in the course of the 13th century, the communes emulated the bishops’ nomenclature, who had changed the naming of their seats from domus into palatium in the 11th century in order to signal their public power3. It is necessary to clarify that this term from late antiquity refers to the seat in which the emperors exercised their prerogatives: the palatium was the public seat par excellence, the place where laws were promulgated, where justice was administered and political life was governed.

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In the middle of the 12th century the Italian communes sustained a long struggle with the emperor Frederick Barbarossa in order to preserve and consolidate the autonomy of the city. The conflict was concluded in 1183 with the Peace of Constance. Very useful on the personality and policies of the emperor is Opll, Ferdinand, Federico Barbarossa, Genoa 1994, with a bibliographical update in the fourth German edition of 2009. Soldi Rondinini, Gigliola, Evoluzione politico-sociale e forme Gurbanistiche nella Padania dei secoli XII–XIII. I palazzi comunali, in: Fonseca, Cosimo Damiano (ed.), I problemi della civiltà comunale. Atti del congresso storico internazionale per l’ottavo centenario della prima lega lombarda. Bergamo, 4–8 settembre 1967, Bergamo 1971, p. 85–98. Miller, Maureen, The Bishop’s Palace. Architecture and Authority in Medieval Italy, Ithaca / London 2000, p. 89s.

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However, as Giancarlo Andenna has emphasised, almost every palatium comunis of the Lombard cities constructed between 1183 and 1230 displays a building structure that is different from the episcopal palaces of the 12th century. In contrast to the palatium of the bishop, the palatium of the commune featured an open gallery on the ground floor and a hall for assemblies on the upper floor4. The architectural model responded to the demands of the communal body by moving hand in hand with the articulation of a new institutional structure: As noted, from the original collegial magistracy of the consuls one arrived in a gradual manner5 at a commune led by a single magistracy (podestà), consolidating itself after the Peace of Constance.6 This magistrate, in whose hands the executive and judicial powers were concentrated7, presided over the communal councils and controlled the various officia. The growing complexity of communal life did not allow the podestà to function directly in every activity, but required an articulation between magistrates and public offices. For example the administration of communal properties was entrusted at Bologna, but also in other communes, to two procuratores, who acted in the name of the commune. These are mentioned for the first time in 11988 under the rule of podestà Uberto Visconti, a native of Piacenza. 4

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Andenna, Giancarlo, Eredità di Roma e originalità nelle istituzioni comunali, in: Zerbi, Pietro (ed.), Roma antica nel Medioevo. Mito, rappresentazioni, sopravvivenze nella ‘Respublica Christiana’ dei secoli IX–XIII. Atti della XIV settimana internazionale di studio. Mendola, 24–28 agosto 1998, Milan 2001, p. 399–422. In some cities, already from the middle of the 12th century onwards, appears within the college of consuls a person in a more eminent position in comparison to the others, whom the sources identify with various denominations: prior ex consulibus, primus consul, dominus, magister, but also rector civitatis et potestas, cfr. Cristiani, Emilio, Le alternanze tra consoli ed i podestà cittadini, in: Fonseca (ed.), I problemi della civiltà comunale (see fn. 2), p. 47–51. After a brief period of alternation with the consular government, the podestarial regime at Bologna consolidated itself in a definitive manner. From 1177 onwards the office of podestà was recruited from those belonging to consular families of allied cities, but there were also citizen podestà (1185, 1186, 1192–93), cfr. Ferrara, Roberto, La scuola per la città. Ideologie, modelli e prassi tra governo consolare e regime podestarile (Bologna secoli XII– XIII), in: Capitani, Ovidio (ed.), Cultura universitaria e pubblici poteri a Bologna dal XII al XV secolo. Atti del II Convegno di studi. Bologna, 20–21 maggio 1988, Bologna 1990, p. 73–124, p. 108. On the administration of justice at Bologna, see the fundamental work of Blanshei, Sarah Rubin, Politics and Justice in Late Medieval Bologna, Boston / Leiden 2010. Savioli, Lodovico V., Annali bolognesi, Vol. 2.2, Bassano 1789, Nr. 322, 326 and 328; Archivio di Stato di Bologna (ASBo), Comune, Registro Grosso, Vol. 1, fol. 65v, 75v and

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The piazza and the first nucleus of the palaces of the comunis Bononie At the beginning of the 13th century, a prodigious program of urbanistic achievements was initiated at Bologna. The principal projects concerned the place, which in the course of the Duecento was to become the physical and symbolic centre of public power. Among the earliest activities carried out was the opening and the systematisation of the piazza (today the Piazza Maggiore), which held the public palaces and the market for some food products. In fact, in the year 1200 the commune initiated the acquistion of houses and lands by means of expropriation9 in order to open up the space of the piazza10, in which the new communal public building was constructed. It was subdivided progressively into those places, which today are known as the Palace of the Podestà (Palatium Vetus), the Palace of King Enzo (Palatium Novum) and the Palace of the Capitano del Popolo11. At Bologna, as in other cities, the criteria according to which the place for the construction of the piazza and the public palaces was chosen, were inspired by the

76v. The economic government of the commune was based until 1288 on the office of the procurators, see Tamba, Giorgio, Note per una diplomatica del Registro Grosso, il primo “liber iurium” bolognese, in: Studi in memoria di Giovanni Cassandro, Rome 1991, Vol. 3, p. 1033–1048, in particular p. 1043. 9 Already one year earlier, in 1199, the commune had had recourse to expropriation for public utility for the creation of the first “free settlement” (borgofranco): Castel S. Pietro, cfr. Pini, Antonio Ivan, Classe politica e progettualità urbana a Bologna nel XII e XIII secolo, in: Petti Balbi, Giovanna (ed.), Strutture di potere ed élites economiche nelle città europee dei secoli XII–XVI, Naples 1996, p. 108–117. 10 It is the piazza which the sources successively identify as the Curia Comunis and Platea Comunis. 11 Falletti, Pio Carlo, Qual’ è e come fu la parte più antica del palazzo del Podestà, in: L’Archiginnasio 1 (1906), p. 191–195; Bergonzoni, Franco, Le origini e i primi secoli (XIII–XIV), in: Roversi, Giancarlo (ed.), La Piazza Maggiore di Bologna. Storia, arte, costume, Bologna 1984, p. 17–37; Pini, Antonio Ivan, Le piazze medievali di Bologna, in: Annali di Architettura 4–5 (1992–1993), p. 127; Bocchi, Francesca, Organizzazione urbana e istituzioni fino al comune popolare, in: Bocchi, Francesca (ed.), Bologna. Il Duecento (Atlante Storico delle città italiane. Emilia-Romagna. Bologna, 2), Bologna 1995, p. 11–30; Foschi, Paola, I palazzi del Comune di Bologna nel Duecento, in: Pini, Antonio Ivan / Trombetti Budriesi, Anna Laura (ed.), Bologna, Re Enzo e il suo mito (Documenti e Studi XXX. Deputazione di Storia Patria per le Province di Romagna), Bologna 2001, p. 65–102.

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Fig. 1  Urbanistic development of Bologna up to the 13th century.

necessity to guarantee an easy access from every urban sector and the result was the determination of an area that was a centre of gravity. In fact, the opening of the communal piazza was an operation of great urbanistic quality, which also involved a political wish to locate the piazza within the walls of late antiquity (the wall of the

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Fig. 2  The medieval public palaces located at the centre of the present-day Piazza Maggiore. At the top the basilica of S. Petronio, whose construction began in 1390 (Photo Enrico Pasquali).

Selenite), but not in the same place as the cathedral church, which also represented the memory of the past. It is difficult to gather from the sources any indication of how the choice of that area was worked out. One can detect, however, considering the medieval topographical axis of the piazza’s space, that it was apparently inserted into the street network of the Roman era, because it was placed in an entire block and partially in another. Its northern side is found a short distance from the area affected by the presence of the urban stretch of the ancient Via Aemilia. Moreover, one can add that, while not coinciding topographically with the forum – the public space par excellence of the Roman city –, the Platea Comunis is found in a place not far from it. In any event, as already noted, it is found in the part of the city protected by the wall of the Selenite during the centuries of the early Middle Ages, which has preserved the ancient street structure until today.

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The formation of an urban area charged with accommodating the public palace also had some economic implications, as soon as it was able to provide a more suitable space for the daily market. Until then the market had taken place only in the nearby piazza of Porta Ravegnana along the ancient decumanus roadway, which – with the opening of the market of the piazza of the commune – took the name of Via de foro Medii (today the Via Rizzoli)12, precisely because it joined the market of Porta Ravegnana and the market of Piazza Maggiore. Based on the surviving documentation it is possible to follow the manœuvres carried out by the commune for the reorganisation of this area of the city due to the opening of the piazza and the construction of the Palace of the Commune13. However, the preliminary operations which led to such an important political decision are not known. Approximately fifty different acts, covering a time span of about three years (April 28, 1200 – February 20, 1203)14, concern the sale of some private landed 12 In the 12th century the documents contain the phrase in loco qui vocatur Foro Maiori, cf. Fanti, Mario, Le vie di Bologna. Saggio di toponomastica storica e di storia della toponomastica urbana, Bologna 1974 p. 607f. The documents of the following century recall it as the Mercatum de Medio in 1202 (ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 103v), Foro Medii nel 1208, cf. Savioli, Annali bolognesi (see fn. 8), vol. 2, part 2, no. 331. 13 In the documents concerning the early sales, one can find the formulas pro curia et palatio comunis Bononie faciendo; pro construenda et facienda curia et palatio comunis Bononie; pro edificando et construendo palatio et curia comunis. – At the end of the 1200s, the commune constructed another building (Palatium Bladi) at the south-western corner of the Piazza Maggiore, nowadays known as Palazzo d’Accursio or Palazzo Comunale. The Public Granary was the result of transformations of buildings, including houses and towers purchased from Francesco d’Accursio. For Palazzo Comunale, see Bocchi, Francesca [e.a.] (ed.), Bologna. Da Felsina a Bononia (vol. 1) (Atlante Storico delle città italiane. Emilia-Romagna. Bologna, 2), Bologna 1997, p. 184s. 14 The documents are found in ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 92r–110v. More than a century ago Pio Carlo Falletti utilised them for his important study, cited in fn. 10, with which he brought to light the origins of the Palace of the Podestà. This very important work for the reconstruction of the topography of that area was moreover accompanied by a small map retrieving the axis of the piazza, which Falletti worked out together with a person identified by him as a “skillful engineer who was at the same time an artist, who did not desire to be publicly named.” In order not to burden the work, the documents utilised, although they had to be numerous and although Falletti alludes to them many times, were not cited because, as he himself declared, “here they are inappropriate.” A detailed analysis of the documents in question has been carried out in more recent times by Bocchi, Organizzazione urbana e istituzioni (see fn. 11), p. 14–16, who has been able to delineate the sociotopographical arrangement of the entire area affected by the demolition. Therefore one re-

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Fig. 3  Reconstruction of the complex of the public palaces at the end of the 13th century carried out by Pio Carlo Falletti (1906).

properties. As indicated above, these sales were a matter of forced sales for public utility, for which the proprietors were indemnified. fers to that study also for all aspects concerning the dynamic of acquisitions, such as the formal authors of the deeds and the objects of the deeds themselves.

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At least until 1202, the ability to contract negotia for the commune remained in the hands of the two procurators. In the middle of that year, and only for a very brief period, it was conferred on a massaro; it then returned to the two procurators. It was precisely this long series of expropriations, which also carried the stipulation of new contracts in relation to the removal of the acquired buildings and to the construction of new structures, that contributed to the stability of the procurators’ office15, according to a process that could not have been very simple and which had some wavering phases, through which the magistracy reached a more defined configuration within the bureaucratic-administrative structure of the commune16. Once the procurators of the commune had completed the acquisitions, one proceeded to tearing down the buildings and clearing away the debris and finally verified the results of the operations at this place. One had then to check whether what had been done was sufficient or not – in terms of some assumed deliberation – whether the works had been executed correctly and whether some new streets of the curia comunis still presented some impediments. The document which records this complex topographical situation dates from January 30, 120317; its protocol18 indicates that by that time statutory norms regulated the institution of the procurators: In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti. Nos si quidem Scogoça presbiter et Gottifredus procuratores communis Bononie quia ex statuto comunis tenemur vias novas curie comunis secundum quod empte fuerunt pro comuni facere muniri et desgomberari et apertas teneri a celo usque ad terram.... As Gianfranco Orlandelli has emphasised, the protocol clarifies the reasons for the considerable series of expropriations which had been carried out for public utility 19, and which continued to be developed until the middle of the 13th century, as can

15 Tamba, Giorgio, Note per una diplomatica del Registro Grosso (see fn. 8), p. 1047f., has advanced the hypothesis that the office of the procurators might have urged for the compilation of the Registro Grosso , perhaps in order to satisfy a demand internal to their office. 16 Orlandelli, Gianfranco, Il sindacato del podestà. La scrittura da cartulario di Ranieri da Perugia e la tradizione tabellionale bolognese del sec. XII, Bologna 1963, p. 35ss. 17 ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 104r. 18 Edited in Orlandelli, Il sindacato del podestà (see fn. 16), p. 37 and 55. 19 The statutory norm recalled in the document of January 30, 1203 is found again in the sacramentum procuratorum of 1250 in the statutory legislation of 1250–1267 (Frati, Luigi (ed.), Statuti di Bologna dall’anno 1245 all’anno 1267 (vol. 1–3), Bologna 1869–1877, here vol. 1, p. 110): ... et ipsas vias curie emptas pro comuni disgomberari faciam et disgomberatas teneri desuper et inferius et a terra usque ad celum preter porticus palacii qui remaneant ut nunc sunt: et hec omnia de curia et que ad curiam dicimus pertinere..., cf. Orlandelli, Il sindacato del podestà (see fn. 16).

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be seen in the eleven contracts from December 8, 1244. They show that the commune, represented by a judge of the podestà and by a procurator, bought other lands and buildings adjacent to the public palace from private individuals20. In 1203, the palace, which from the beginning of its construction was the place for carrying out the councils and assemblies, also became the residence of the podestà, a magistracy which until then had had its seat in different places, but all of which were located not far from the curia comunis. At the end of the 12th century there is a reference to the house of a quondam domini Bulgari21 ubi moratur Potestas22. The surviving documentation permits us to follow the various shiftings in the podestarial seat: in the particular date of February 20, 1203, it was indicated in general words: in hospitio quod dominus Villigelmus de Pusterla [podestà] habitat23. A few months later, on August 28, it is specified that the podestarial residence was the house of Guidotto de Gueçis in which morabatur potestas; while from another document, produced in the same period, one can learn that there is a domus comunis facta ad habitationem potestatis et eius familie24 in the precincts of the palatium comunis. The location of this domus comunis is specified more accurately in another document as post palatium a latere desubtus25.

The economic functions of the public palace Within few years after its foundation, the palace was ready to accommodate the development of the political and administrative life of the commune and immediately manifested its multi-functional nature, which in a document of 1208 appears as a situation already established. A document of September 26, 1208 presents itself in the form of a breve recordationis et obligationis ad memoriam retinendam26. As noted, this type of document, to 20 Tamba, Giorgio, “Libri”, “Libri contractuum”, “Memorialia” nella prima documentazione finanziaria del comune bolognese, in: Studi di Storia Medioevale e di Diplomatica 11 (1990), p. 79–110, p. 95. 21 Bulgarus was a celebrated teacher of the Studium of Bologna, a student of Irnerius, and initiator of the university teaching of jurisprudence. 22 ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 65v (July 6, 1198). 23 ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 105r. 24 ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 121r (August 29, 1203). 25 ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 121v. 26 The document transcribed in the Registro Grosso (ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 180rv) and published with some imperfections by Savioli (Savioli, Annali bolognesi (see

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which juridical validity was attributed, was utilised to consolidate the memory of preceding events27. The text is a probative document factum ad firmitatem, in which it is recorded that the procurators of the commune28 had leased some domos Comunis cum voltis29 eiusdem pallatii to private persons for five years30. Immediately after the verbal invocation and the account date of the breve recordationis, comes the list of the persons who witnessed the event in question: Rodulfus Pedisferri, Albertus Gerardi de Guittifredo, Michael Calvitti, Iohannes de Tebaldis, Boniohannes Bilionis, Camerlengus nuntius Comunis. These persons were almost certainly inhabitants of the area of the piazza of the commune. The conditions of this concession for a defined period, which the commune granted to some merchants, are indicated in narrative form, which is typical of the breve recordationis. In particular, it is specified that the places given in rent were found in an inclusive area between the via que venit a Foro Medi ante domos Alberti Gerardi Guittifredi usque ad scalam Pallatti a latere mane Pallattii versus curiam, or rather, in the north-eastern part of the public palace up to the staircase to the upper floor on the eastern side, where the domus monete was situated. The procurators had to provide for the accommodation of these places in respect to their new purpose of use, promising to facere fieri parietes intus sufficientes ad sex stationes et hostia et bancas sub voltis ad artem eorum ... exercendam. In order to obtain these six shops, the procurators committed themselves to subdivide the ample space using partition walls and to construct the necessary doors and stalls for the sale of indispensable goods, among which were

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fn. 8), p. 296, is also mentioned by Salvioni in a study on the Bolognese lira: Salvioni, Giovanni Battista, Sul valore della lira bolognese, in: Atti e Memorie della Regia Deputazione di Storia Patria per le provincie di Romagna, s. III, 17 (1889), p. 306f. Michele Ansani describes this type of document as “writings ... for the purpose of memory and stability of the recordings of events (and of the men who had been witnesses of those events) ... The memory of which one speaks is therefore that which emphasises the duration and holds firm the order of juridical relations...”: Ansani, Michele, Appunti sui brevia di XI e XII secolo, in: Scrineum Rivista 4 (2006–2007), p. 109–154, here p. 111, found at URL http://scrineum.unipv.it/rivista/4–2007/ansani-brevia.pdf (last use: 7/2/2011). It concerns a certain domini Rambertus Bazalerii et Rolandus Manfredini [Carbonesi]. The specification cum voltis means that a portico existed in the building. It is not, however, a portico as it is often found in the city of Bologna in the 13th century, constituted by wooden structures juxtaposed to the building (only a few examples of them remain today), but a masonry portico, set into the building itself, constituted by round arches (Bocchi, Francesca, L’edilizia civile bolognese fra Medioevo e Rinascimento. Le miniature del Campione di S. Maria della Vita (1585–1601), Bologna 1991, p. 85). Rolandino di Santa Elena, Sartorio, Ugolino Pizoli, Sigizo, Manigoldo, Migrano recipientibus pro se et eorum heredibus et Maniguldo pro se recipienti et pro Migarano et eorum heredibus.

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salt and oil31. Furthermore it is specified that the domus monete eis imbrigata donec factum fuerit eis commune in tubatis supra stationes solarium bene aptum ad blavam et alias res tenendum. One gathers from this passage that the leaseholders were able to utilise the domus monete as long as the commune had not constructed an attic beyond the shops, suitable to preserve wheat and other merchandise. Moreover, the procurators committed themselves to keep the space under the vaults in front of the church of S. Giusta unobstructed, so that the wagons of the leaseholders could have free passage. Furthermore, it was stated in the document that the procurators would have to pay a monetary penalty of 100 lire to the leaseholders, if all that which was indicated above had not been observed at the conclusion of the contract. In their turn the leaseholders promised the procurators, on behalf of themselves or their heirs, that they would practise their commercial activity only in the specified places and not elsewhere, except for the son of Migarano who could practise his activity wherever he wanted. The leaseholders would have to pay an annual rent of 36 lire in two instalments. The penalty for nonobservance of such agreements was 100 lire for each violation. Moreover, the commune reserved for itself the right of access to the places of the domus monete, so that the compositores statutorum et inquisitores rationis would be able to perform their offices there, as they usually did. It is interesting to note how in this phase the commune had put into effect a kind of “promotional campaign” for the purpose of providing incentives for the renting of some of its places in the public palace. In fact it is the authority itself that is burdened with the expenses for the organisation of the shops. After a short while, when, apparently, its purpose had been achieved, the palace had become “desirable” and the demand for rented places had increased, the conditions imposed by the commune on the leaseholders changed. Documentation that goes back to 1212 registers some leases for other places in the public palace32, a building complex in continuous transformation. With the help of this documentation, I will make clear in this paper, above all, the elements that are still not yet fully analysed in historiography, while for those already noted I refer to preceding studies33. 31 This concerns products of broad consumption; it is hardly necessary to note that olive oil was utilized both in diet, as well as in other areas such as lighting, cosmetics and in wool manufacturing. Cfr. Pinto, Giuliano, I rapporti economici tra città e campagna, in: Greci, Roberto (ed.), Economie urbane ed etica economica nell’Italia medievale, Bari / Rome 2005, p. 37f. 32 ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 195–196. 33 Reference in particular is made to Falletti, Qual’ è come fu (see fn. 11) and Foschi, I palazzi del Comune (see fn. 11), p. 70f.

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In the first contract, stipulated on October 11, the procurators of the commune (Buvalello and Alberto Calvo) lease to some financial operators34 the areas (domos ... sub palatio comunis) which were found on the ground floor on the western side of the palace, including the palanchile which was found in those areas; moreover, a part of the vaulted portico (voltas ipsius palatii) was also leased, which was in direct line with the stalls which were found under the great vault of the tower, starting from the street that comes from the Mercato di Mezzo (today the Via Rizzoli) towards the west up to the arch of the portico which is under the palace stairs. In this section of the portico, the post of some public officials (stacione yscariorum) and the stalls which were found under the great vault of the tower from the southern corner towards the north were excluded from lease. Another objective of the contract was the renting of the front portico of the palace, which faced onto the northern side of the curia comunis (today the Piazza Maggiore). Regarding this last portico it was specified that it had to remain unobstructed, i.e. without fixed structures. As one can see, the commune proceeded to the leasing of its own properties, slowly renting out other places of the palace which followed along with the enlargement of the building complex. As had already happened on the occasion of the renting of places recorded in 1208, this time the procurators agreed to have some works carried out in order to adjust the surroundings and the leased areas to a commercial function. In fact, they promised to carry out works in the walls of the domos, by opening five doors and separating the various places with walls; while in the vaulted portico some stalls had to be built, which were necessary for the development of the working activity of the renters. However, as diversely recorded in 1208, the rebuilding was financed this time with the money that the leaseholders had to pay at the start of the lease contract. Moreover, they promised to advance a sum of money up to 100 lire, at the request of the procurators, if the need for it was tallied for the construction of a domus de stallis. After two years from the start of the lease they would have paid the annual rent, established at 42 lire, in two installments of 21 lire each, disbursed at the beginning of the year and at the festival of S. Procolo (June 1). If they had advanced a figure exceeding the two annual sums, that figure would be compensated for in the payment of rents for the following years. Moreover, a penalty of 100 lire in bolognini currency was established, if the terms of the contract had not been respected. The duration of the lease covered a period of eight 34 Bonaventura the salt-seller, Rolandino Naso, Uberto Merzadro, Arardo the salt-seller, Peregrino Portenove, Ubertello, Bonomartino, Manigoldo; the latter was already present in the lease of 1208. To these leaseholders was added, a few days later, another associate, Ugolino Pollicini, noted in an addition to the document dated October 15.

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years, thus a greater period, than that established in the contractual agreements recorded in 1208, which provided for a rental of five years. In this case, penalties were also provided for any failure with respect to the contractual obligations of both parties. All the pacts agreed upon between the procurators and leaseholders on December 17 were ratified by the podestàs who, in that period from the year 1212, were exceptionally two: the Florentines Catellano della Tosa and Gherardo Capoinsacco35. In another contract, going back to November 8 and stipulated under the vaults of the Palace of the Commune, the procurators (Buvalellus and Albertus Calvi) rented out the vaults of the palace to another group of financial operators36, from the southern corner of the tower towards the north to the house of Rodulfus Pedisferri, in conformity with the alignment of the stalls on one side and on the other side that of the vaults. Excluded from the lease was a segment of 10 feet (3.80 meters) from both sides of the gate of the prisons. Moreover, the contract also provided for the lease of the vaults which were located sub pallacio comunis, or along the street, which originated from the house of Guido Lambertini, towards the church of S. Apollinare, in conformity with the alignment of the stalls and vaults which were located on both sides, an exception being made for the stalls of the massaria (financial office of the commune), which had to remain at the disposal of the commune for the entire length of the facade. The terms of the lease provided for a duration of eight years for an annual rent of 17 lire (bolognini), whose first yearly instalment had to be paid the following Sunday. The other yearly instalments, however, had to be paid in a single payment at the beginning of the following year. As in the preceding contract, a penalty of 100 lire was established, if the leaseholders did not respect the clauses of the contract. The documentation permits us to follow the evolution of the procedures for renting of spaces in the public palace over time. On June 30, 1219 the procurators of the commune made an agreement with a few persons to grant three spaces in lease: the domos et stationes of the western side; the stalls which were found under the vaults of the tower and the exterior portico. This concerned precisely all the places which had been granted in the contract, stipulated on October 11, 1212. Therefore, with the imminent end of the contract, provisions were made to renew the leases. Among the new leaseholders also appears Giovanni, son of that Rolan35 From 1211 hostilities were resumed between Bologna and Pistoia for possession of Sambuca (in the Emilian-Tuscan Apennines) and Bologna, through the naming of two Florentine podestàs, sought to obtain the support of Florence against Pistoia. 36 Uberto Merzadro, Gabriele, Sclarito and Soldo. The first of these ended up being leaseholder also in a lease of 11 October 1211.

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dino Naso, who had been a leaseholder in preceding years. Moreover, in the contract of 1212 the procurators had committed themselves to arrange – with money advanced by the leaseholders – some modifications that permitted the preparation of suitable spaces to the development of commercial activity. Apparently the building operation had come to a good conclusion, since, while in 1212 the object of the lease were the domos, in this case (1219) one speaks instead of domos et stationes, alluding hence to the fact that the shops were already built. Nevertheless, one must notice that other works still had to be carried out and that the organisation was not yet completed. In fact, the contract of 1219 contains the promise that the commune aptabit palanchile et ostia et fenestras. Moreover, the duration of the lease is altered to ten years and the annual rent is augmented enormously, going from 42 to 130 lire (bolognini). Therefore, it must have concerned particularly desirable commercial spaces, which in the course of a few years had seen their value increase threefold. It should be said, that in contrast to the conditions imposed on the leaseholders in 1212, on this occasion no reference was made to any obligation on the part of the renters to advance money for reconstructions. However, the penalties for failure with respect to the obligations remain unchanged both on the part of the leaseholders as well as on the part of the commune. In the same western wing of the palace space was gained under the stairs sufficient for stationem et locum which, through the procedure of an announcement, was leased for ten years to Guilielmino filio Iohannis scarpenterii, for an annual rent of 20 solidi (1 lira). The document is very interesting because it shows how the system is utilised for renting out this space “under the stairway”. It makes explicit reference to the fact that, although the notification of a lease had been proclaimed et cridata per civitatem per Tebaldum nuntium comunis, there had not been found any person to offer a higher rent than Guglielmino. The eastern part of the palace –which already had been the object of lease and of building works able to transform some locations into six stationes in 1208 – continued to constitute a source of income for the commune. In fact, on December 18, 1219 a contract was stipulated with which a large number of merchants were rented out the domos et stationes a latere mane palatii. One should note how many of these already appeared as leaseholders in contracts stipulated previously for other areas of the palace37, but some were even already present in the breve 37 They include Soldolo the haberdasher and his associates, Gabriele di Angelo Bonagentis and Sclarito, who had rented in 1212 the vaulted spaces of the palace at the tower; while Arardo and Bonomatino had had under lease, still in the same year, the domos of the western part, the vaults of the palace and the exterior portico.

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Fig. 4  In the foreground, the Palace of King Enzo and the Palace of the Capitano del Popolo. In the centre of the complex, the tower of the Arengo.

recordationis of 120838, in which the lease on the part of the commune was recorded precisely for that area of the complex, which the leaseholders – defined as salaroli or salt-sellers in the document – habuerunt et tenuerunt a Comuni. In contrast to what occurred to the annual rent in the western zone of the palace, the one on the eastern side did not undergo a strong increase, going from 36 to 38 lire. As already recorded previously, in the ambit of this building complex, beginning in 1203, there also was a domus comunis facta ad habitationem potestatis et eius familie39, which was found post palatium a latere desubtus40. Precisely in the area of the podestà’s residence there was a well in whose vicinity a statio was rented in 1219 by the shoemaker Arnusio41. It was a lease of brief duration (one year) for a rent of 4 lire, but this last example too expresses effectively the strategy pursued by the

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Sartore, Sigizo and Migarano. ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 121r (August 29, 1203). ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 121v. ASBo, Comune, Registro Grosso I, fol. 328v (December 23, 1219).

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commune from the very beginning of the construction of the public palace, conceived quite early as a place of politics and of commerce. In the course of the two-year period 1244–46 the communal palace was enlarged with the construction of other buildings which assumed the denomination of Palazzo Nuovo, but which was formed by the whole of two palaces, which over time took the name of the Palace of King Enzo and the Palace of the Capitano del Popolo42. In the middle of the Duecento, the building complex contained many stationes (shops) and bristled with loca (non-constructed areas) in which tenants had placed their facilities. There is evidence of this in an inventory of properties which the commune had prepared precisely in this epoch43. This document has been published by Paola Foschi44, who consulted it, above all, in order to specify the complex structure of the various building components of the Bolognese public palaces, adding some references to the commercial activities that took place there, but only “as a simple annotation of custom”45. Hence it seems important to now analyse this inventory, since the purpose for which it was written, makes a valuable source for the description of the buildings, or at least to know the consistency of the spaces of the building complex that were rented out for commercial activities. In the inventory, twenty-two spaces of the complex of the palatia comunis were taken into consideration. The description follows a topographical criterion, according to which it began to make a list of places (stationes and loca) which were located in pallacio novo; the document does not fail to indicate that it was the residence of King Enzo46. In this palace, and in particular near the staircase, four shops were located, each near the other, in which the merçari carried out their activities. The second point taken into consideration in the inventory refers to an area located between the palatium novum and that older part (sub voltis pallacii veteris) in which the prisons were also found; in this area, under the vaults of the old palace and near the sponda of the prisons, ten loca had been rented out to six haberdashers and to four cap-makers. Not far from this area, the inventory 42 Concerning the building history of these palaces, cf. Foschi, I palazzi del Comune (see fn. 11). 43 ASBo, Comune, Procuratori del Comune. Libri contractuum I, fasc. 7, fol. 1–6. 44 Foschi, I palazzi del Comune (see fn. 11), Appendix on p. 94–100. 45 Foschi, I palazzi del Comune (see fn. 11), p. 90. 46 He was the natural son of emperor Frederick II, captured by the bolognesi during the Battle of Fossalta, near Modena, in 1249 and held as a prisoner in the palace until his death (1272).

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lists five loca in which the shoemakers were located. The fourth point taken into consideration is still in proximity of the prisons, but rather near their gate, and supplies another piece of information: sub porticu cuporum. Furthermore, this space, in which were located four loca, was rented out to the shoemakers. The fifth spot of the list was also one sub porticu cuporum, but was located towards the west, near the door of the courtyard of the podestà; here another four loca were situated in which, as in the two previous ones, morantur calçolarii. The following point, proceeding towards the west, was located sub porticu capelle et balconis; here a magnum locum had been arranged and rented out to blacksmiths. The seventh post, in which reference was made to a point near the new palace, turned towards the Forum Medii, provided the presence of another space, a magnum locum which had been rented to the bakers (pistores). The description at this point resumes the registration of some places of the palatium vetus, near the flank of the palace next to the scarania47. Here seven loca were rented out to shoemakers and one to Iacobino Ribaldi, most probably a notary registered in the guild in 124848. Near the massaria six loca were rented to haberdashers and another five loca to cap-makers. The Capitano del Popolo convened the council in a hall, which was accessed by a staircase that began under the vaults of the palace. At the foot of the staircase there were two shops and seven loca rented to haberdashers. Proceeding towards the east, under the eastern stairs of the Palace of the Commune, from which one gained access to the Palace of the Capitano, a locum was rented to shoemakers. There were also a shop and eight loca rented to haberdashers. On the basis of this source, one can infer that the three shops and the fourteen loca of the haberdashers, indicated by the last two places described, were ordinarily arranged in a sequence one next to the other. Twelve loca of shoemakers were still situated under the stairs of the palace, from which one had access to the Palace of the Capitano, towards the east, facing the seat of the massarolo. At this point the source goes on to record the leases in relation to the Palace of the Podestà, indicating that near the eastern flank (turned towards the present-day via Orefici) there was a shop, which had to be subdivided from the moment in which both the shoemakers and the notaries carried out their activities there. This shop was probably also connected to the stairway which, from this side of the pal47 Foschi, I palazzi del Comune (see fn. 11), p. 90, thinks that it may be the premises of the soldiers of the Podestà. 48 Ferrara, Roberto / Valentini, Vittorio (ed.), Liber sive matricula notariorum comunis Bononie (1219–1299), Rome 1980, p. 113.

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ace, led to the upper floor, since – with the section utilised by the notaries, but above the stairway – there was a shop of tricoli who sold meat and cheese. An entire building (domus cupata), situated at the abutment of the communal lavatories, was rented to qui faciunt corigias (belts). Under the access stairway to the seat of the domini racionis (officials responsible for finances) was found another shop, without any information about its commercial activity, perhaps because it was a space still vacant and available for lease. The northern side of the ground floor of the palatium vetus was completely allocated to shops: there were two of them under each of the nine vaults (arcovolti)49. Proceeding from east to west, under the first two archivolts were located four shops, rented to salt-sellers; in the third and fourth were haberdashers. All of the remaining five vaults towards the west had been leased to salt-sellers. Also leased to the salt-sellers was another shop situated at the foot of the western stairway of the palace, where also a place was allocated to the notaries, bordering that of the salt-sellers. The activities of the salted meat vendors were pursued in five loca situated under the portico of the palace facing the scarania. The broad diffusion of this type of commercial activity is also found in capite scalarum of the palace where another six loca were rented to the salt-sellers. The inventory of the rented spaces goes on to describe the area near the massaria; to the east of that office were recorded five loca granted to shoemakers. The final area considered the portico of the southern front of the palace, towards the Piazza Maggiore. Starting from the eastern stairs and proceeding toward the west, twelve loca are found, in which food products (generally vegetables) were sold by tricoli, for some of whom it was specified that they sold meat and oil. The analysis of the inventory of 1256 shows that the salt-sellers had leased eleven loca and fourteen shops, all concentrated in the Palatium Vetus. In particular, the shops were situated in the vaults under the palace on its northern side, and the loca were situated near the western stairs and under the portico facing the piazza. The haberdashers who carried out their activity in the commercial centre of the piazza and public palaces were numerous: there were twenty-seven loca and eleven shops, distributed in two archivolts of the Palatium Vetus, under the vaults in the surroundings of the tower of the commune (now the tower of the Arengo) and near

49 The term does not refer to an arcovolto as could be found in classical architecture, nor to an arch which connected two buildings by passing over a street, but rather to the loggia underlying the upper floor of the public palace.

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the Palace of the Capitano, next to the massaria. Four of the shops were situated more to the north, near the stairs of the new palace. Small spaces were leased to shoemakers, who had a single shop and thirty-three loca, designed to house their small table and utensils. All were located in the eastwest passage between the Palatium Vetus and that of the Capitano, in part under the vaults, and in part sub porticu cuporum and near the prisons. Their only shop, though shared with a notary, was situated outside of this pathway, since it was located on the eastern flank of the Palatium Vetus, close to the stairs. Contrary to what is commonly thought, there were very few notaries who, in the middle of the 13th century, had leased a space in the complex of the public palaces: two shops and one locum. In reality, one of the two shops, situated near the eastern flank of the Palatium Vetus, was shared with shoemakers, as was the locum near the scarania, where there were another seven loca utilised by shoemakers. The vegetable vendors (tricoli) had rented twelve loca under the portico of the Palatium Vetus towards the Piazza Maggiore, where the daily market of food products was held; a single shop, situated near the eastern stairway of the palace, was also allocated for the sale of meat and cheese. Some activities were arranged around a single point of sale: The cap-makers (four loca) were situated under the vaults of the palace, not far from the prisons. The blacksmiths rented a magnum locum under the portico of the chapel, situated on the western side of the complex, between the Palatium Novum and the Vetus. Another magnum locum had been leased by the bakers, near the Palace of King Enzo on the street which led to the Via Mercato di Mezzo. A domus had been rented out to the producers of belts (corigias); the house of the belt-makers was located across from that of Giovanni de Brombano. He probably was an uncle of Bitino de Brambano, who in 1294 possessed a piece of property exactly at the same place, described as adjoining the church of S. Giusta and facing the tower of the Capitano del Popolo50. It is interesting to note that, within the space of a generation, not far from the house of the corezari, there was a building in the possession of the wife of Aimerico Correçarii51: meanwhile the working activity (to make corigias) seems to have been established as a cognomen. 50 Venticelli, Maria (ed.), I libri terminorum del Comune di Bologna. Appendice documentaria, in: Bocchi, Francesca (ed.), Medieval Metropolises/Metropoli Medievali. Proceedings of the Congress of Atlas Working Group International Commission for the History of Towns. Bologna 8–10 maggio 1997, Bologna 1999, p. 241–330, p. 278, nos. 18–20. 51 Venticelli, I libri terminorum del Comune di Bologna (see fn. 50), p. 278, no. 21.

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Fig. 5  Virtual reconstruction of the Piazza Maggiore. In the foreground the eastern flank of the public palace, with the stairway to the upper floor and the tower of the Arengo; on the left side the Palatium Bladi (graphic by Michele Berretta).

In the middle of the 13th century the majority of commercial operations was situated in the Palatium Vetus and in its immediate surroundings: in particular, of thirty stationes, a good twenty-two were situated in that building. The number of loca (90) distributed in all the available spaces was even greater: under the vaults, under the porticos, in capite scalarum, but also under and on the stairs. This capillary diffusion lets us catch a glimpse of the intense utilisation of every available space. Therefore no particular specialisation is notable for the 13th century as far as the sale of goods is concerned, varying from food products (salted meat, salami, cheese, vegetables, oil, bread) to clothing products (haberdashers, shoemakers, cap-makers, belt-makers). One notes, however, a limited presence of blacksmiths and notaries. The evolution of the disposition of commercial activities that unfolded in the complex of the public palaces can be traced further only much later (1393), when the lease contracts of landed properties belonging to the commune were collected

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in one register52. From the surviving contracts it appears that one can verify a substantial change in the type of activity carried out in the public palaces and their surroundings. Without looking at every single contract, an analysis that does not seem useful to the goals of this paper, one can, nevertheless, establish that in the precincts of the palatia, food products, which were numerous in the preceding century, are no longer present, and if so, only very sporadically: one discovers the shop of a certain tricola near the Palace of King Enzo and that of a butcher near a pillar of the arengheria. Instead, there appear spice merchants and some doctors of medicine, three tailors; the shoemakers almost completely disappear, but the haberdashers remain present in great numbers and the number of notaries increases.

Conclusion The documentation taken under consideration shows the diversified allocation of the use of the Bolognese public palaces, but at the same time highlights the versatility of the structures capable to adapt themselves to the necessities coming up from time to time and thereby becoming multifunctional complexes. The fact that there was no unitary project at the beginning of a palace’s construction, trying to foresee what the communal body would need, corresponds to the experimental character of the new authority and with its capacity to adapt itself to new exigencies. The constant defining features of the complex of the medieval Bolognese Palatium Comunis consisted not only in its function as a political and administrative centre but also in its capability to augment ordinary revenues through the leasing of some of its spaces for commercial and professional activities. The illustrated situation reveals that, in fact, the commune wanted to increase the value of its property, favouring the installation of shops and stalls for selling merchandise in proximity to places for the exercise of political and administrative life. This tendency, already visible few years after the construction of the first nucleus of the public palace, is greatly verifiable in the successive periods, which confirm this strategy. For the entire course of the 13th and 14th centuries, irrespective of the communal regime’s diverse orientations, both in its mature phase and in its decline, several initiatives 52 ASBo, Difensori dell’Avere e dei diritti di Camera, Amministrazione dei Beni del Comune, reg. 39: Liber signatus + + +. The contracts concern the period from 1393 and 1422, but only the first year records a number of contracts such as to offer documentation for historiographic reflection.

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followed one another in order to identify, adapt and lease stationes, loca et banchas, surroundings and structures suitable to the commercial activities carried out by private individuals – always in search of the most frequented places of the city – but in the shadow of public power.

I wish to express my deep gratitude to Sarah Rubin Blanshei, with whom I share an interest in the history of Bologna, and who has undertaken with expertise the translation of this text.

Der preußische Handel um die Wende zum 15. Jahrhundert Zwischen Krise und Expansion von Roman Czaja

Im 13. Jahrhundert wurde, infolge der wirtschaftlichen Expansion der Hanse und der Kolonisierung nach deutschem Recht, die wirtschaftliche Entwicklung der an der südlichen Ostseeküste gelegenen Länder in die langfristigen Konjunkturzyklen der europäischen Wirtschaft eingegliedert. Ende des 14. Jahrhunderts begann im gesamten hansischen Raum eine Phase lang anhaltender wirtschaftlicher Depressionen, die – lokal und regional variierend – Auswirkungen auf die meisten Städte des Nord- und Ostseeraumes hatten1. Der erneute Anstieg der wirtschaftlichen Konjunktur im Ostseeraum setzt nach dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts ein. Das Bevölkerungswachstum, steigende Urbanisierung und Industrialisierung in den westeuropäischen Regionen, vor allem in den niederländischen Provinzen, verursachten eine steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Rohstoffen. Die westlichen Importe von Getreide, Massengütern und Holz aus den Ostseeländern führten u. a. zu einer internationalen Arbeitsteilung der Frühen Neuzeit, zur „satellisation commerciale“ des Ostseeraumes – wie es Pierre Jeannin bezeichnet hat – und standen zugleich am Anfang des Refeudalisierungsprozesses im östlichen Europa; so weit ein Modell, das schon seit über 50 Jahren Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion ist2. 1

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Hammel, Rolf, Häusermarkt und wirtschaftliche Wechsellagen in Lübeck von 1284 bis 1700, in: Hansische Geschichtsblätter [weiterhin zit. HansGbll.] 106 (1988), S. 41–107, bes. S. 63, 68; Baum, Hans-Peter / Sprandel, Rolf, Zur Wirtschaftsentwicklung im spätmittelalterlichen Hamburg, in: Vierteljahrschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 59 (1972), S. 473–488. Mączak, Antoni / Samsonowicz, Henryk, La zone baltique, l’un des éléments du marché européen, in: Acta Poloniae Historica 11 (1965), S. 71–99; Abel, Wilhelm, Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter, Hamburg / Berlin 19783, S. 53 f.; North, Michael, Geldumlauf und Wirtschaftskonjunktur im südlichen Ostseeraum an der Wende zur Neuzeit (1440– 1570) (Kieler Historische Studien, 35), Sigmaringen 1990, S. 224–230; Jeannin, Pierre,

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Forscher, die die Wirtschaftsgeschichte auf lokaler bzw. regionaler Ebene analysierten, machten jedoch zu Recht darauf aufmerksam, dass die Krisenmodelle nicht immer mit der wirtschaftlichen Entwicklung einzelner Regionen oder einzelner Teilnehmer des Wirtschaftslebens übereinstimmen. Besonders bemerkenswert scheint der Satz Rolf Sprandels zu sein: „Aufschwung und Abschwung verlaufen parallel, sind eng miteinander verbunden“3. Bei der Untersuchung der wirtschaftlichen Lage des Ordenslandes im Kontext seiner Verbindungen mit der westeuropäischen Wirtschaft sollte man also die differenzierte Entwicklung von einzelnen Teilnehmern des Wirtschaftslebens in Betracht ziehen und den zeitlich unterschiedlichen Verlauf der wirtschaftlichen Konjunktur berücksichtigen. Der Zeitrahmen des vorliegenden Artikels erfasst die Wende zum 15. Jahrhundert, also die dem Ausbruch des Krieges zwischen dem Deutschen Orden und Polen (1409–1411) unmittelbar vorausgehende Periode. Die Untersuchung der wirtschaftlichen Lage in Preußen in jener Zeit soll die Antwort auf die Frage nach dem Charakter der wirtschaftlichen Krise des Ordenslandes in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ergeben. Wie stark wurde die Wirtschaft Preußens bereits vor 1409 von der Krise betroffen und in welchem Ausmaß wurde die Krise erst durch die militärische Niederlage im Krieg gegen Polen und Litauen hervorgerufen? Die ersten Anzeichen einer Wirtschaftskrise im südlichen Teil des Ostseeraumes zeigten sich Mitte des 14. Jahrhunderts in Mecklenburg und Pommern und hingen mit der Krise der dortigen Landwirtschaft zusammen4. Die Anfänge der

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Les comptes du Sund comme sources pour les indices généraux de l’activité économique en Europe (XVIe–XVIIIe siècles), in: Revue Historique 88 (1964), S. 55–102; Dygo, Marian, Strukturen und Konjunkturen in der Wirtschaft der ostmitteleuropäischen Länder im 14.– 15. Jahrhundert, in: Ostmitteleuropa im 14.–17. Jahrhundert – eine Region oder Region der Regionen?, hrg. v. Dygo, Marian / Gawlas, Sławomir / Grala, Hieronim (Colloquia / Centrum Historii Europy Środkowo-Wschodniej Instytutu Historycznego Uniwersytetu Warszawskiego, 3), Warschau 2003, S. 61–80, bes. S. 66; Leimus, Ivar, Die spätmittelalterliche große Wirtschaftskrise in Europa – war auch Livland davon betroffen, in: Zeitschrift zur Baltischen Geschichte 1 (2006), S. 56–67. Sprandel Rolf, Die spätmittelalterliche Wirtschaftskonjunktur und ihre regionalen Determinanten. Forschungsüberblick und neue Perspektiven, in: Historia socialis et oeconomica: Festschrift für Wolfgang Zorn zum 65. Geburtstag, hrg. v. Kellenbenz, Hermann / Pohl, Hans (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte, 84), Wiesbaden 1987, S. 168–169, bes. S. 173. Zientara, Benedykt, Die Agrarkrise in der Uckermark im 14. Jahrhundert, in: Engel, Evamaria / Zientara, Benedykt, Feudalstruktur, Lehnbürgertum und Fernhandel im spätmittelalterlichen Brandenburg (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, 7), Weimar 1967, S. 221–396, hier S. 223f.

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ökonomischen Depression in Preußen werden in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts sichtbar. Analysiert man die Symptome der Krisenerscheinungen, sollte man in erster Linie die Informationen zum Rückgang der Bevölkerungszahl berücksichtigen. Aus den 90er Jahren des 14. Jahrhunderts stammt die Angabe von 86 unbewohnten Häusern (d. h. 15 % der gesamten Häuserzahl) in Kulm. Eine ähnliche Erscheinung wird auch 1422 in der Altstadt Elbing erwähnt5. Zum Rückgang der Bevölkerungsstärke trugen zweifelsohne drei Pestepidemien von 1398, 1405 und 1406 bei6. Danzig blieb jedoch von der demografischen Krise verschont; im 15. Jahrhundert stieg hier die Einwohnerzahl um 50 % von ca. 20 000 auf 30 0007. Hinweise auf eine Verschlechterung der Handelskonjunktur werden durch die Untersuchung des Rentenkaufmarkts in Elbing geliefert8. Ab Mitte der achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts zeichnet sich eine deutlich fallende Tendenz in den Um5

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Czaja, Roman, Spór cechów chełmińskich z radą miejską. Przyczynek do konfliktów społecznych w miastach pruskich w średniowieczu [Der Streit der Kulmer Zünfte mit dem Stadtrat. Ein Beitrag zu den sozialen Konflikten in den preußischen Großstädten im Mittelalter], in: Prusy – Polska – Europa. Studia z dziejów średniowiecza i czasów wczesnonowożytnych, hrg. v. Radzimiński, Andrzej / Tandecki, Janusz, Thorn 1999, S. 327–338, bes. S. 331; Czaja, Roman, Socjotopografia miasta Elbląga w średniowieczu [Die Sozialtopographie der Stadt Elbing im Mittelalter], Thorn 1992, S. 34. Die besonders große Sterblichkeitsrate geht auf die Pest von 1398 zurück. Vgl. hierzu: Johann von Posilge, Officials von Pomesanien, Chronik des Landes Preussen (von 1360 an, fortgesetzt bis 1419), in: Scriptores rerum Prussicarum, Bd. 3, 6 Bde., hrg. v. Hirsch, Theodor / Toeppen, Max / Strehlke, Ernst, Leipzig 1864, S. 222, 281f.: in desim jare [1398] was grosze pestilencie obir Alle das lant czu Pruszin gemeynlich in stein und dorffern. Zdrenka, Joachim, Główne, Stare i Młode Miasto Gdańsk i ich patrycjat w latach 1342– 1525 [Recht,- Alt- und Jungstadt Danzig], Gdańsk 1992, S. 78 f.; Weczerka, Hugo, Bevölkerungszahlen der Hansestädte (insbesondere Danzigs) nach H. Samsonowicz, in: HansGbll. 82 (1964), S. 69–80, bes. S. 76; Samsonowicz, Henryk, Zagadnienia demografii historycznej regionu Hanzy w XIV – XV w. [Die Probleme der historischen Demografie im Bereich der Hanse im 14. und 15. Jh], in: Zapiski Historyczne 28,4 (1963), S. 523–554, bes. S. 538; Keyser, Erich, Die Bevölkerung Danzigs im 13. und 14. Jahrhundert und ihre Herkunft, Lübeck 1928, S. 10. Die Altstadt Elbing ist die einzige preußische Stadt, in der Quellen zu einer längerfristigen, die Jahre von 1330 bis 1417 umfassenden Analyse des Rentenmarkts erhalten geblieben sind. Vgl. hierzu die erhaltenen Rentenbücher: Das Elbinger Stadtbuch, 1: 1330–1360 (1393), hrg. v. Hoppe, Hans Wilhelm (Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands, Beiheft 3), Münster 1976; Das Elbinger Stadtbuch, 2: 1361–1418, hrg. v. Hoppe, Hans Wilhelm (Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands, Beiheft 5), Münster 1986.

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sätzen des Rentenmarkts ab, für dessen Entwicklung das Angebot des kaufmännischen Kapitals ausschlaggebend war (Abb. 1). Von den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts an sank der Wert der Kapitalinvestitionen der Elbinger Kaufleute um 40 % im Verhältnis zu früheren Jahren. Beachtenswert ist, dass der Zinsfuß des Rentenkredits in Elbing bereits in den siebziger Jahren zu sinken anfing und in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts um 7,13 % schwankte9. Dieser Befund wirft ein neues Licht darauf, warum Hochmeister Konrad Zöllner von Rotenstein im Mai 1386 eine Verordnung über den Rentenkauf erließ, die den Zinsfuß der gekauften Renten von 10 % auf 8,33 % herabsetzte. Die Teilnahme der höchsten Vertreter der preußischen Kirche an diesem Erlass wie auch der Inhalt der Verordnung legen die Vermutung nahe, dass ihre Entstehung in Zusammenhang mit der Bekämpfung des Wuchers und mit der Verteidigung der Kreditnehmer gegen die Ausbeutung durch die Kreditgeber stand10. Die Analyse des Elbinger Rentenmarktes zeigt jedoch, dass die in der Rentenverordnung geäußerte Meinung in dem lande gemeyn ist, das man dy mark koufft umb czen, nicht korrekt ist. Ganz im Gegenteil musste man in Elbing in den Jahren vor 1386 eine Mark Rente teuerer als 12 Mark kaufen11. Das tatsächliche Ziel der Verordnung des Hochmeisters war es also, die Interessen der Kreditgeber als die der Kaufleute und des Deutschen Ordens zu schützen. Die Verordnung war somit nur dem Anschein nach eine Form des landesherrlichen Kampfes gegen den Wucher. Die Erforschung der Sozialstruktur der Teilnehmer am Rentenmarkt in Elbing weist auf die wachsende Verschuldung der zur Führungsgruppe gehörenden Kaufleute hin. Ein Teil der verschuldeten Ratsfamilien verlor im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts ihre politische Position12.

9 Kardasz, Cezary, Rynek kupna renty w Elblągu w latach 1361–1417 [Der Rentenmarkt in Elbing in den Jahren 1361–1417], in: Komunikaty Mazursko-Warmińskie 3 (2008), S. 299–318, bes. S. 313. 10 Acten der Ständetage Preussens unter der Herrschaft des Deutschen Ordens [weiterhin zit. ASP], 5 Bde., hrg. v. Toeppen, Max (Publikation des Vereins für die Geschichte der Provinzen Ost- und Westpreussen), Leipzig 1874, S. 45; Forstreuter, Kurt, Eine Quelle über den Rentenkauf im Ordensland Preußen, in: Preußenland 8,1 (1970), S. 1–6, bes. S. 3. 11 Zur statistischen Analyse des Rentemarktes in der Altstadt Elbings vgl.: Kardasz, Kupna (wie Anm. 9), S. 313 f. 12 Czaja, Roman / Kardasz, Cezary, Obrót nieruchomościami i kupno renty w miastach pruskich w XIV – XV w [Der Immobilienumsatz und der Rentenkauf in den preußischen Städten im 14. – 15. Jahrhundert], in: Rynek nieruchomości na ziemiach polskich od średniowiecza do XX w., hrg. v. Kusiak, Franciszek, Poznań 2008, S. 45–52, bes. S. 49; Czaja, Roman, Patrycjat Starego Miasta Torunia i Starego Miasta Elbląga w średniowieczu [Das Patriziat der Altstadt Thorn und der Altstadt Elbing im Mittelalter], in: Elity

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In den 90er Jahren des 14. Jahrhunderts übten die wachsende Verschuldung und die Schwierigkeiten bei der Rückzahlung von Krediten einen bedeutenden Einfluss, nicht nur auf die wirtschaftliche Lage der kaufmännischen Oberschicht in Elbing, sondern auch auf die Einwohner anderer Städte und auf die Ritterschaft in Preußen aus. Von der Bedeutung dieses Problems zeugt die Beschwerde der preußischen Großstädte über die privilegierte Position der Ordensbeamten bei der Schuldenforderung. Sie war Gegenstand des Huldigungstages nach der Wahl des Hochmeisters Konrad von Wallenrode (13. März 1391) und wurde auch bei dem ersten Städtetag (am 15. Dezember 1393), der nach der Übernahme des Amtes durch den Hochmeister Konrad von Jungingen (30. November 1393) stattfand, zum Thema gemacht13. Der Hochmeister lehnte die Postulate der Großstädte jedoch konsequent ab und strebte in Anbetracht der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage nach zusätzlicher Absicherung der wirtschaftlichen Interessen des Landesherrn. Hiervon zeugt die Verordnung vom 24. Dezember 1394, nach der der Verkauf von Renten derjenigen Immobilien verboten wurde, von denen der Deutsche Orden zuvor die Renten gekauft hatte14. Die Häufigkeit der städtischen Beschwerden über das Privileg der Ordensbeamten bei der Schuldenforderung nimmt nach 1400 zu. In den Jahren 1402–1410 haben die Städte diese Beschwerde mindestens einmal jährlich vorgetragen15. Die Angelegenheiten der Schuldenforderung wurden auch in den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts zum Gegenstand von Streitigkeiten zwischen den preußischen Großstädten und den Landesrittern, die sich bei dem Hochmeister

mieszczańskie i szlacheckie Prus Królewskich i Kujaw w XIV–XVIII wieku, hrg. v. Staszewski, Jacek, Thorn 1995, S. 13–50, bes. S. 44f. 13 Vgl.: ASP, Bd. 1 (wie Anm. 10), S. 58, 59, 62: Item von den schefferen, das sy vor allen anderen wollen syn dy ersten; Sarnowsky, Jürgen, Die ständische Kritik am Deutschen Orden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Das Preußenland als Forschungsaufgabe. Festschrift für Udo Arnold zum 60. Geburtstag, hrg. v. Jähnig, Bernhart / Michels, Georg, Lüneburg 2000, S. 403–422, bes. S. 409; Czaja, Roman, Der Handel des Deutschen Ordens und der preußischen Städte – Wirtschaft zwischen Zusammenarbeit und Rivalität, in: Ritterorden und Region – politische, soziale und wirtschaftliche Verbindungen im Mittelalter, hrg. v. Nowak, Zenon Hubert (Ordines militares – Colloquia Torunensia Historica, 8), Thorn 1995, S. 111–124, bes. S. 116. 14 ASP, Bd. 1 (wie Anm. 10), S. 79, Och welle wir, das nymand czyns kouffen sulle in gutern und erben, do wir und unsir herschaft czins inne haben, noch uff keyn gerichte. 15 Die Recesse und andere Akten der Hansetage, von 1256–1430 [weiterhin zit. HR], 8 Bde., hrg. v. Koppmann, Karl (Hanserecesse, 1. Abteilung), Leipzig 1880, Bd. 5, S. 70, 89, 121, 130, 216, 430, 452; ASP, Bd. 1 (wie Anm. 10), S. 115.

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über die Prozedur ihrer Vorladung vor die Stadtgerichte beschwerten16. Von schlechter finanzieller Lage des Rittertums zeugt auch die auf dem Ständetag vom 6. März 1407 vorgelegte Beschwerde über die Finanzpolitik des Ordens: Da die Landesritter die Zahlung für die Grenzbewachung (Wartgeld) und die Zahlung der Steuer zur Verteidigung der Ostgrenze (Schalwenkorn) verweigerten, so weldin sie is nicht lenger gebin. Auf die Bitte des Hochmeisters hin erklärte sich die Ritterschaft dann doch noch bereit, diese Steuer drei Jahre lang weiter zu zahlen17. Interessante Schlussfolgerungen bezüglich der Situation des Binnenhandels in Preußen um die Wende zum 15. Jahrhundert ergeben sich aus der Analyse der Handelsunternehmen von Großschäffern des Deutschen Ordens, die nach ähnlichen Prinzipien wie der Handel der Stadtbürger organisiert waren18. Die preußischen Städte waren der wichtigste Handelspartner der Großschäffer. Auf sie entfielen rund 90 % des Gesamtumsatzes des Ordenshandels in Preußen und im Königreich Polen. Den größten Anteil am Handel mit Großschäffern aus Marienburg und Königsberg hatten selbstverständlich die wirtschaftlich mächtigsten preußischen Großstädte, die Rechtstadt Danzig, die Altstadt Thorn und die Altstadt Elbing. Die Lieger und Diener der Großschäffer verkauften den Stadtbürgern die aus dem Westen eingeführten (Tuch, Salz, Gewürze) oder aus Preußen stammenden Waren (Holz, Getreide). Die meisten Handelsgeschäfte zwischen den Großschäffern und den Stadtbewohnern wurden auf Kredit abgeschlossen. Je nach der Warenstruktur des Handels kann man die Kleinstädte im Handelssystem der Großschäffer in drei Gruppen einteilen19: Die erste Gruppe bildeten die Städte an der Drewenz (Strasburg, Neumark) und an der unteren Weichsel (Graudenz, Schwetz, Neuenburg, Marienwerder, Mewe), welche die Ankaufszentren von Getreide und Mehl waren. Zu der zweiten Gruppe gehörten die Kleinstädte, die aufgrund ihrer Lage beim Handel mit Holz und anderen Waldprodukten aus Masowien vermit16 ASP, Bd. 1 (wie Anm. 10), S. 89–92, 94 (Nr. 62). 17 Posilge, Pomesanien Chronik (wie Anm. 6), S. 285; Sarnowsky, Jürgen, Die Wirtschaftsführung des Deutschen Ordens in Preußen (1382–1454) (Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz ; 34), Köln / Weimar / Wien 1993, S. 185. 18 Böhnke, Werner, Der Binnenhandel des Deutschen Ordens in Preussen und seine Beziehungen zum Außenhandel um 1400, in: Hansische Geschichtsblätter 80 (1962), S. 26–95, bes. S. 35 f; Sarnowsky, Die Wirtschaftsführung (wie Anm. 17), S. 286–302. 19 Czaja, Roman, Handelsbeziehungen der Großschäffer des Deutschen Ordens zu den preußischen Städten am Anfang des 15. Jahrhunderts, in: „Kopet uns werk by tyden“. Beiträge zur hansischen und preußischen Geschichte. Festschrift für Walter Stark zum 75. Geburtstag, hrg. v. Jörn, Nils [u. a.], Schwerin 1999, S. 201–210.

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teln konnten (es kommen hier sowohl preußische Städte, so Neidenburg, Soldau, Strasburg, Lautenburg, wie auch masowische in Frage). Die Großschäffer nutzten die kleinstädtischen Märkte (ca. 25 Städte) auch als Verkaufszentren für aus dem Westen importierte Tuche. Aus der Analyse der Schuldbücher der Großschäffer geht hervor, dass der Handelsbetrieb des Deutschen Ordens schon am Anfang des 15. Jahrhunderts über zahlreiche überfällige Forderungen verfügte, die noch vor 1400 entstanden waren. Der Zuwachs unbezahlter Forderungen macht sich in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts besonders deutlich bemerkbar. Im Jahre 1406 waren die Handelspartner des Königsberger Großschäffers in den kleinen Städten mit der Rückzahlung der 57 % zwischen 1402 und 1404 abgeschlossenen Geschäfte im Rückstand. Für die Bürger von Thorn, Danzig und Elbing wurde es erst ab etwa 1406–1407 schwieriger, ihre Schulden den Königsberger Großschäffern zurückzuzahlen. Aus dem 1417 niedergeschriebenen Buch des Marienburger Großschäffers geht hervor, dass die zwischen 1405 und 1410 abgeschlossenen Geschäfte nur zu 75 % zurückgezahlt wurden20. Informationen über die finanzielle Schwäche der preußischen Stadtbürger im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts sind auch dem Briefwechsel der Handelsvertreter des Unternehmens Veckinchusen in Danzig zu entnehmen. Gerwin Merschede schrieb 1417 an Hildebrand Veckinchusen von der Armut der Gesellschaft und vom herrschenden Geldmangel: Dat wolk es arm unde wel nicht kopen21. Besonders bemerkenswert ist, dass Veckinchusens Faktoren nicht nur die geringe Nachfrage nach den aus dem Westen eingeführten Waren (Gewürze, Salz und Tücher) hervorhoben, sondern auch die Schwierigkeiten, an Waren zu kommen, die ausgeführt werden könnten22. Der im Rahmen der Hanse betriebene preußische Handel wies auch in Zeiten der Konjunktur eine passive Bilanz auf. Die Quellen aus den fünfziger und siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts zeigen deutlich, dass die preußischen Schiffe, die gegen Westen segelten, neben Wachs, Holz, Pelzen und Getreide auch Geld beför-

20 Czaja, Handelsbeziehungen (wie Anm. 19), S. 203, Tab. 3. 21 Veckinchusen, Hildebrand, Briefwechsel eines deutschen Kaufmanns im 15. Jahrhundert, hrg. v. Stieda, Wilhelm, Leipzig 1921, Nr. 155. 22 Veckinchusen, Briefwechsel (wie Anm. 21), Nr. 58, S. 70 (1411): Dat hir nu neymand envraget na engever; Nr. 115 (1417): Hir en stat neine laken to vorkopen umme reyde gelt; Nr. 238, 241 Informationen über kleine Nachfrage nach Heringen, Tuch und Salz; Nr. 115: he kann keine roggen noch brot vor krygen to kope; Nr. 119.

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derten23. Aufgrund des Danziger Pfundzollbuches kann man schätzen, dass 1409 der Wert der ausgeführten Waren 54 % und 1411 lediglich 23 % des Wertes der Einfuhr darstellte24. Nach den Untersuchungen von Henryk Samsonowicz stand das Verhältnis der Danziger Ausfuhren zu Einfuhren aus dem Westen in den Jahren 1407–1423 wie 1:2,1925. Die These von der passiven Bilanz des preußischen Handels wird auch durch die Erforschung der Handelstätigkeit Gerwin Merschedes aus den Jahren 1408–1421 bestätigt. Dieser brachte nach Danzig kein Bargeld mit, sondern nutzte die aus dem Verkauf seiner Waren erworbenen Mittel für den Ankauf weiterer Exportartikel, hauptsächlich Pelze, Felle, Wachs, Kupfer sowie Silber. Ab 1418 hatten jedoch Erze und Münzen (neben der preußischen Münze auch englischer Nobel und rheinischer Gulden) einen immer stärkeren Anteil an der Ausfuhr26. Im 14. Jahrhundert wurden die Folgen der passiven Handelsbilanz bis zu einem gewissen Grade von dem Kapital gemildert, das aus den Litauenreisen kam, deren Teilnehmer im Ordensland jährlich etliche Tausend Mark zurückließen27. Als Ende des 14. Jahrhunderts der Zustrom des westeuropäischen Rittertums nach Preußen nachließ, hatte dies auch seine negative Auswirkung auf die Geldmenge. Auf die Bilanz des preußischen Handels hatte auch die monetäre Politik des Hochmeisters Konrad von Jungingen (1393–1407) einen ungünstigen Einfluss. Er 23 Hansisches Urkundenbuch, 11 Bde., hrg. v. Höhlbaum, Konstantin u. a., Leipzig 1886, Bd. 3, Nr. 158; HR, Bd. 3 (wie Anm. 15), Nr. 199, 200, 201. 24 Jenks, Stuart, Das Danziger Pfundzollbuch von 1409 & 1411. Einleitung, in: HansGbll. 124 (2006), S. 117–158, bes. S. 158; ders., Die Finanzierung des hansischen Handels im Spätmittelalter am Beispiel von Preußen, in: HansGbll. 128 (2010), S. 1–18, bes. 16–18. 25 Samsonowicz, Henryk, Struktura handlu gdańskiego w pierwszej połowie XV wieku [Die Struktur des Danziger Handels in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts], in: Przegląd Historyczny 53,4 (1962), S. 695–713, bes. S. 707 (Tab. V); Jenks, Die Finanzierung (wie Anm. 24), S. 15 behauptet, ohne die Untersuchung von Samsonowicz zu erwähnen, dass allein Rolf Sprandel die Handelsbilanz Preußens um 1400 zu schätzen versuchte. 26 Veckinchusen, Briefwechsel (wie Anm. 21), Nr. 142, 159, 163, 167, 171, 172; Czaja, Roman, Strefa bałtycka w gospodarce europejskiej w XIII–XV wieku ze szczególnym uwzględnieniem Prus krzyżackich [Der Ostseeraum in der europäischen Wirtschaft im 13.–15. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Ordenslands Preußen], in: Ziemie polskie wobec Zachodu. Studia nad rozwojem średniowiecznej Europy, hrg. v. Gawlas, Sławomir, Warschau 2006, S. 195–246, bes. S. 241, Tab. 3. 27 Paravicini, Werner, Die Preussenreisen des europäischen Adels, Bd. 2, 3 Bde. (Beihefte zur Francia, 17/2), Sigmaringen 1995, S. 212–219; interessante Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Fernhandel und Finanzierung der Preußenreisen der westeuropäischen Kreuzritter bei: Jenks, Die Finanzierung (wie Anm. 24), S. 6–9.

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ließ nämlich den Silbergehalt im Schilling über das Maß hinaus erhöhen, das in den Verordnungen des Hochmeisters Winrich von Kniprode von 1380 bestimmt worden war. Die Erhöhung des Schillingwertes vergrößerte zwar die Einnahmen des Landesherrn aus der Grundrente, schädigte aber die Handelsinteressen der Kaufleute, weil sie die Kosten des Ankaufs von Waren steigerte, die aus dem Westen eingeführt wurden. Erst der neue Hochmeister Ulrich von Jungingen willigte 1407 in die von den preußischen Städten vorgelegten Vorschläge der Devaluation der preußischen Münze ein28. Die Krise auf dem Geldmarkt war keine spezifische Eigenschaft der preußischen Wirtschaft, ähnliche Probleme tauchten um die Wende zum 15. Jahrhundert in allen Ländern des hansischen Handelsraumes auf29. Es scheint jedoch, dass die Krise im Ordensland eine besonders empfindliche Verschlechterung der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung verursachte, denn der von dem Geldmangel bewirkte Rückgang der Preise ging hier mit den Schwierigkeiten einher, die Waren für die Ausfuhr aufzutreiben. Die passive Bilanz des preußischen Handels mit dem Westen bewirkte, dass angesichts der ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts sinkenden Preise für Waren, die für den hansischen Handel in Frage kamen, das Handelsdefizit nur durch die Vergrößerung der Menge der ausgeführten Waren verringert werden konnte30. Diese Erscheinung verursachte einerseits die ab Ende des 14. Jahrhunderts steigende Rivalität der preußischen Städte um den Zugang zu Gebieten mit Exportrohstoffen. Andererseits brachte sie die mit zusätzlichen Kosten verbundenen Bemühungen mit sich, den eigenen Einflussbereich auf neue Märkte auszudehnen, ein Unterfangen, das nur die sich in einer günstigsten finanziellen Situa-

28 ASP, Bd. 1 (wie Anm. 10), S. 60; Volckart, Oliver, Die Münzpolitik im Ordensland und Herzogtum Preußen von 1370 bis 1550 (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 4), Wiesbaden 1996, S. 62–65; Paszkiewicz, Borys, Brakteaty – pieniądz średniowiecznych Prus [Die Brakteaten – Geld aus dem mittelalterlichen Preußen], Wrocław 2009, S. 230; Dygo, Marian, Die Münzpolitik des Deutschen Ordens in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Fasciculi Historici, 14), Warschau 1987, S. 10f. 29 Leimus, Die spätmittelalterliche große Wirtschaftskrise (wie Anm. 2), S. 57; North, Geldumlauf und Wirtschaftskonjunktur (wie Anm. 2), S. 1105–137; Day, John, The Great Bullion Famine of the Fifteenth Century, in: Past and Present 79 (1978), S. 3–54; Blanchard, Ian, Mining, Metallurgy and the Minting in the Middle Ages, 3 Bde., Stuttgart 2005, Bd. 3, S. 971 f. 30 Samsonowicz, Henryk, Późne średniowiecze miast nadbałtyckich [Das Spätmittelalter der Ostseestädte], Warschau 1968, S. 127 f; Böhnke, Der Binnenhandel (wie Anm. 18), S. 48 f.

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tion befindenden Danziger Kaufleute auf sich nehmen konnten. Danzig entwickelte seit dem Ende des 14. Jahrhunderts einen Warenverkehr mit Litauen. Die Danziger nutzten den Wasserweg vom Frischen Haff durch Pregel, Deime, das kurische Haff und den Memelstrom bis nach Kaunas (Kauen), wo ein Kontor (Niederlageplatz) der preußischen, aber hauptsächlich der Danziger Kaufleute gegründet wurde31. Bei dem Wiederaufbau Memels nach der Zerstörung 1402 lässt sich eine Verbindung der strategisch-militärischen Ziele des Deutschen Ordens mit den wirtschaftlichen Vorhaben der Danziger Kaufleute feststellen. Es ist kein Zufall, dass 1408 Johann Lankau, ein Danziger Bürger, vom Deutschen Orden als Lokator der Stadt Memel bestellt wurde32. Durch eine dominierende Stellung in Memel konnten die Danziger einen neuen Weg zu den samaitischen Waldprodukten gewinnen und zugleich den freien Zugang zum litauischen Hinterland für die Kaufleute aus den anderen preußischen Hansestädten (vor allem Elbing und Königsberg) beschränken. Die wachsenden Einflüsse des Danziger Handels in Niederpreußen und in Ermland riefen bereits in den vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts Unbehagen der Elbinger Kaufleute hervor, die diese Gebiete für ihre Einflussbereiche hielten. Im Jahre 1342 ordnete der Hochmeister an, dass man alle Waren mit Ausnahme von Asche, Teer, Holz und Wagenschoss durch den Danziger Hafen ausführen dürfe. Daraus ergab sich, dass der Export von Waldprodukten nur durch Elbinger und Königsberger Hafen erlaubt war33. Die Versuche, auf verwaltungsrechtlichem Wege die Expansion der Danziger Stadtbürger einzuschränken, erwiesen sich jedoch als genauso erfolglos wie das der Stadt Elbing vom Landesherrn 1393 und 1402 zuerkannte Stapelrecht auf Waren, die aus Ermland und Niederpreußen gebracht wur31 Link, Christina / Kapfenberger, Diana, Transaktionskostentheorie und hansische Geschichte: Danzigs Seehandel im 15. Jahrhundert im Licht einer volkswirtschaftlichen Theorie, in: HansGbll. 123 (2005), S. 153–170, bes. S. 163; Stein, Walter, Vom deutschen Kontor in Kowno, in: HansGbll. 22 (1916), S. 225–266; Forstreuter, Kurt, Memel als Handelsstrasse Preußens nach Osten, Königsberg 1931, S. 33 f. 32 Sembritzki, Johannes, Bemerkungen rücksichtlich der Studien zur Geschichte der Stadt Memel, in: Altpreussische Monatsschrift 43 (1906), S. 603–613, bes. S. 611; Semrau, Arthur, Johannes Lankau, der Neugründer von Memel, als Diener zweier Hochmeister, in: Mitteilungen des Coppernicus Vereins für Wissenschaft und Kunst zu Thorn 39 (1931), S. 177–183. 33 Preußisches Urkundenbuch, Bd. 3, 4 Bde., hrg. v. Koeppen, Hans, Marburg 1958, Nr. 362, 437; Czaja, Roman, Die Entwicklung des Handels der preußischen Hansestädte im 13. und 14. Jahrhundert, in: Die preußischen Hansestädte und ihre Stellung im Nord- und Ostseeraum des Mittelalters, hrg. v. Nowak, Zenon Hubert / Tandecki, Janusz, Thorn 1998, S. 35–51, bes. S. 43.

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den, so Weizen und Roggen, Mehl, Holz, Teer, Pech, Asche, Eisen, Zinn und Blei34. Anfang des 15. Jahrhunderts müssen die Bestände an Waldprodukten in dieser Region bereits sehr erschöpft gewesen sein, denn 1404 unternahm der Rat der Altstadt Elbing Bemühungen um den Ankauf einer größeren Zahl von Eichenholz für die Bedürfnisse des Städtebaus in Masowien35. Auch das an der Grenze zum Königreich Polen gelegene Thorn versuchte mittels des 1403 eingeführten Stapelrechts seine Position als Vermittler zwischen Polen und der Ostsee innerhalb des Systems des hansischen Handels zu verteidigen, die vor allem durch die Konkurrenz seitens der polnischen Städte und Danzigs gefährdet war36. Bezeichnend ist, dass die Anzahl der Danziger Kaufleute, die mit den Thorner Stadtbürgern Handelsgesellschaften gründeten, nach der Einführung des Stapelrechts in Thorn deutlich anstieg. Im Laufe der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verstärkten sich deutlich auch die unmittelbaren Kontakte zwischen Danzig und den schlesischen, insbesondere Breslauer Kaufleuten37. Ende des 14. Jahrhunderts wird ferner die Rivalität zwischen großen und kleinen Städten um die Rohstoffgewinnungsareale bemerkbar. Charakteristisch für diesen Prozess ist die an den Hochmeister 1407 gerichtete Beschwerde der Stadtbürger von Strasburg, Neidenburg, Neumark und Soldau über die Kaufleute von Thorn, Elbing und Danzig, die in den Gebieten, die das wirtschaftliche Hinterland der kleinen Städte bildeten, Asche aufkauften38. 34 HR, Bd. 8 (wie Anm. 15), Nr. 954; ASP, Bd. I, Nr. 66; Długokęcki, Wiesław, Rola Bałgi w handlu elbląskim w XIV i w pierwszej połowie XV w [Die Rolle von Balga im Elbinger Handel im 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jhs.], in: 750 lat praw miejskich Elbląga, hrg. v. Groth, Andrzej, Gdańsk 1996, S. 53–58. 35 Nowa Księga Rachunkowa Starego Miasta Elbląga [Das Neue Rechnungsbuch der Altstadt Elbing], hrg. v. Pelech, Markian (Fontes TNT, 71–72), Thorn 1988–1989, Nr. 42, 302. 36 Hansisches Urkundenbuch, Bd. 5 (wie Anm. 23), Nr. 571, die sollen sie czu Thorun yn unser stat nedirlegen und iren markt aldo selbis thun und nicht vorder yn unsir czihen und ouch nich czu der see metefaren, als wachs und allerley eichhornwerk, marder, lassiczen, olsten, bewirwammen, otters und sulchirleye ruweware, allerley koppir, bley, sen und queksilber, zyde, pfeffir, safferen, ingeber und semeliche koufenschacz und crude, ungemunczet sil ber und golt. 37 Czacharowski, Antoni, Gdańszczanie w Toruniu w latach 1363–1465 w świetle ksiąg ławniczych [Danziger in Thorn in den Jahren 1363–1465], in: Mieszczaństwo gdańskie, hrg. v. Salmonowicz, Stanisław, Gdańsk 1997, S. 27–34; Kopiński, Krzysztof, Gospodarcze i społeczne kontakty Torunia z Wrocławiem w późnym średniowieczu [Wirtschaftliche und soziale Kontakte zwischen Thorn und Breslau im Spätmittelalter], Toruń 2005, S. 126– 128. 38 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, 20. Hauptabteilung, Ordensbriefarchiv, Nr. 1020, 1028, 1029, 1030.

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Aus erhaltenen Büchern der Großschäffer geht hervor, dass es im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts im westlichen Teil des Ordenslandes problematisch wurde, Getreide für die Ausfuhr aufzukaufen. Wie bereits erwähnt, stützte sich der Königsberger Großschäffer beim Aufkauf von Getreide auf die Kleinstädte an der Weichsel und der Drewenz. Die Handelspartner des Großschäffers waren meistens Bürger aus diesen Städte (Kaufleute, Bäcker) wie auch Schultheißen und Müller aus den umliegenden Dörfern, die sich mit der Vermittlung des Getreides zwischen den Produzenten (Bauern und Adel) und dem Fernhandel beschäftigten. In den Jahren 1400–1404 wurden die Verkaufsverträge für Getreide und Mehl zum großen Teil mit Einwohnern von kleinen Städten abgeschlossen: Graudenz (46 Personen), Marienwerder (23 Personen), Schwetz (27 Personen), Strasburg (5 Personen), Neumark (4 Personen)39. Wir verfügen nur über einige Belege, die den direkten Ankauf des Getreides beim preußischen Adel vor 1410 belegen40. Die Handelspartner erhielten vom Orden in der Regel Vorschüsse auf die künftige Warenlieferung. Das gekaufte Getreide war gewöhnlich für den Export bestimmt, deshalb waren die Partner oft verpflichtet, die Ware nach Danzig zu liefern. Es fällt auf, dass sich der vom Orden betriebene Getreidehandel auf ausgebaute Kontakte mit kleinen Produzenten oder Lieferanten stützte. Demnach lag der Exportkapazität Preußens im Bereich des Getreides im 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts nicht eine marktorientierte Landwirtschaft der großen Landgüter, sondern der Aufkauf von selbst kleinen Getreideüberschüssen bei kleinen Produzenten zugrunde. Ein so organisiertes System des Getreideangebots war sehr instabil, da leicht den durch Missernten verursachten Schwankungen ausgesetzt41. In Zusammenhang mit Überlegungen zur Krise des preußischen Handels ist die Tatsache besonders bemerkenswert, dass nach 1404 das Getreideaufkaufsystem für die Königsberger Großschäfferei einen Zusammenbruch erlitt, der, wie es scheint durch die Verzögerungen von Getreidelieferungen seitens der Handelspartner des Ordenslandes verursacht wurde, die freilich von den Ordensbeamten für die Lieferung bereits Vorschüsse bekommen hatten. Im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts verfügte das Ordensland also 39 Czaja, Handelsbeziehungen (wie Anm. 19), S. 207 f., Tab. 7; Schuldbücher und Rechnungen der Großschäffer und Lieger des Deutschen Ordens in Preußen, Bd. 1: Großschäfferei Königsberg I (Ordensfoliant 141), 3 Bde., hrg. v. Hess, Cordelia / Link, Christina / Sarnowsky, Jürgen (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 62; Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, N.F 59), Köln / Weimar / Wien 2008. 40 Schuldbücher (wie Anm. 39), Nr. 624, 1626. 41 Die Informationen über die Teuerung des Getreides und die Missernte in den Jahren 1389, 1391, 1399 1409 bei: Posilge, Pomesanien Chronik (wie Anm. 6), S. 158, 170, 225, 298; Link / Kapfenberger, Transaktionskostentheorie (wie Anm. 31), S. 160 f.

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über keine großen Überschüsse an Getreide, die für die Ausfuhr bestimmt werden konnten. Große Getreidebestände besaß zweifelsohne der Deutsche Orden, zu dem ca. 50 % des Ackerlandes in Pommerellen und im Kulmerland und ca. 60 % im eigentlichen Preußen gehörten42. Anfang des 15. Jahrhunderts befanden sich in den Burgen des Deutschen Ordens sehr beträchtliche Getreidevorräte, die freilich nicht für den Handel, sondern zu militärisch-strategischen Zwecken gesammelt wurden43. Von den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts an hat sich auch der Deutsche Orden der Rivalität um die aus Preußen ausgeführten Waren angeschlossen. Die vom Landesherrn zeitweise eingeführten Ausfuhrverbote für Getreide schützten das Land einerseits vor Hungersnöten zu Zeiten der Missernte; andererseits ermöglichten die vom Hochmeister ausgestellten Erlaubnisbriefe den Ordensbeamten selbst bei schrumpfendem Angebot, Getreide auszuführen44. 1404 verbot der Hochmeister unter dem Vorwand des Kampfes gegen die Konkurrenz seitens der englischen Kaufleute die Ausfuhr von Bogenholz, Pech und Teer45. Wahrscheinlich wollte der Landesherr mit dieser Verordnung die Position der Ordensbeamten stärken, die, über Ausfuhrgemehmigungen verfügend, Waldprodukte aufkaufen und ausführen konnten. Die Absichten des Hochmeisters wurden vom Stadtrat der Rechtsstadt Danzig gut erkannt, der in einem Brief an den Thorner Stadtrat Folgendes schrieb: Des irkenne wir, das dy asche nicht Engelsche ware ist, ouch den Engelschen keynen schaden brenget, ab sy hir usgefurt wirt adir nicht, sundir das ys tzu vorfange und schaden den inwoneren dys landis kumpth 46. Anfang des 15. Jahrhunderts zeichnen sich die für den preußischen Handel ungünstigen Veränderungen auch in der Organisation des Kupferhandels ab. Die 42 Sarnowsky, Die Wirtschaftsführung (wie Anm. 17), S. 487–494, Tab. Nr. 59; Samsonowicz, Henryk, Der Deutsche Orden als Wirtschaftsmacht des Ostseeraumes, in: Zur Wirtschaftsentwicklung des Deutschen Ordens im Mittelalter, hrg. v. Arnold, Udo (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 38), Marburg 1989, S. 103–112, bes. S. 105. 43 Über die großen Vorräte des Getreides in Marienburg im Jahre 1406 ist nachzulesen bei: Posilge, Pomesanien Chronik (wie Anm. 6), S. 282; Gancewski, Jan, Rola zamków krzyżackich w ziemi chełmińskiej od połowy XIV wieku do 1454 roku: studia nad gospodarką [Die Rolle der Ordensburgen im Kulmerland von der Mitte des 14. Jhs. bis 1454], Olsztyn 2001, S. 44, Tab. 12. 44 Sarnowsky, Die ständische Kritik (wie Anm. 13), S. 409; Sarnowsky Die Wirtschaftsführung (wie Anm. 17), S. 227. 45 Hansisches Urkundenbuch, Bd. 5 (wie Anm. 23), Nr. 617; vgl. auch: HR, Bd. 3 (wie Anm. 15), Nr. 486; HR, Bd. 5 (wie Anm. 15), Nr. 198, P. 5–6. Die 1387 erlassene Verordnung verbot die Ausfuhr dieser Produkte lediglich nach England. 46 Hansisches Urkundenbuch, Bd. 5 (wie Anm. 23), Nr. 651 (7. März 1405).

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Ausübung des Stapelrechts seitens Krakau und der dadurch verursachte Konflikt mit den preußischen Städten bewirkten, dass in den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts die Bedeutung des Oderweges für die Kupferausfuhr nach Westen anstieg. Die Stelle Thorns als Hauptvermittler in diesem Handel wurde allmählich von Breslau übernommen47. Eine gefährliche Konkurrenz stellte für den preußischen Handel auch der Einstieg der Nürnberger Kaufleute in den Kupferhandel dar. Dank Einsatz neuer Techniken der Erzförderung und dank finanzieller Hilfe der Medizeerbank und des Kölner Handelshauses von Sechten hat die Nürnberger Gesellschaft Kamerer & Seiler Anfang des 15. Jahrhunderts die Kontrolle über die Produktion von und über den Handel mit ungarischem Kupfer übernommen48. Zusammenfassend kann man feststellen, dass um die Wende zum 15. Jahrhundert insbesondere diejenigen Teilnehmer des Wirtschaftslebens in Preußen von den Folgen der Krise empfindlich betroffen waren, die auf Grund ihrer geographischen Lage und individueller Bedingtheiten unter ungünstigen Umständen zu handeln hatten. Unter den großen Städten haben Kulm, Thorn und Elbing am härtesten die Folgen der sich verschlechternden Konjunktur des hansischen Handels empfunden. Unter den Großstädten ist die tiefste Depression in Elbing (seit den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts) und in Thorn (am Anfang des 15. Jahrhunderts) zu verzeichnen. Zu den schwächeren wirtschaftlichen Einheiten zählten in Preußen auch die Handelsunternehmer der Königsberger und Marienburger Großschäffer, deren Handelstätigkeit durch die Widersprüche zwischen den politischen Zielen des Landesherrn und dem strikten ökonomischen Interesse weitgehend erschwert wurde. Nach 1410 gaben die Großschäffer die Führung des Binnenhandels auf und beschränkten ihre Aktivität lediglich auf den Außenhandel.

47 Irsigler, Franz, Hansischer Kupferhandel im 15 und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: HansGbll. 97 (1979), S. 15–35, bes. S. 20 f; Von Stromer, Wolfgang, Nürnberg – Breslauer Wirtschaftsbeziehungen im Spätmittelalter, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 34/35 (1975), S. 1079–1110; Myśliwski, Grzegorz, Wrocław w przestrzeni gospodarczej Europy (XIII–XV wiek). Centrum czy peryferie [Breslau im Wirtschaftsraum Europas (13.-15. Jh.). Zentrum oder Peripherie], Wrocław 2009, S. 274–277; Kopiński, Gospodarcze (wie Anm. 37), S. 40. 48 Von Stromer, Wolfgang, Konkurrenten der Hanse: Die Oberdeutschen, in: Hanse in Europa. Brücke zwischen den Märkten, 12.–17. Jahrhundert. Informationen für einen Rundgang. Ausstellung des Kölnischen Stadtmusems, Kunsthalle Köln, 9. Juni – 9. September 1973, hrg. v. Kölnischen Stadtmuseum, Köln 1973, S. 339; Wernicke, Horst, Nürnbergs Handel im Ostseeraum im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Nürnberg. Eine europäische Stadt in Mittelalter und Neuzeit, hrg. v. Neuhaus, Helmut, Nürnberg, 2000, S. 263–291, bes. S. 267.

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Die Krise des Fernhandels verschonte Danzig sowie Königsberg und Kneiphof49. In der Krisenzeit des preußischen Handels ist die Anziehungskraft der Rechtstadt Danzig noch größer geworden. Im 15. Jahrhundert zog Danzig das Kapital und die unternehmungslustigsten Einwohner aus Thorn und Elbing wie auch Ansiedler aus anderen Ländern (Livland, England, Holland) an. Auf die wirtschaftliche Entwicklung der an der Pregelmündung gelegenen Städte (Königsberg, Kneiphof ) hatte der Zugang zum litauischen Hinterland einen positiven Einfluss. Wir können auf zwei Formen der Reaktion von preußischen Städten auf die Krise des Fernhandelns hinweisen. Elbing, Thorn und der Deutsche Orden strebten eine Reglementierung und Petrifizierung des Wirtschaftslebens an. Dagegen zeichnet sich die Handelstätigkeit der Danziger Kaufleute im Laufe des 15. Jahrhunderts durch große Flexibilität und das Streben aus, einen Einfluss auf die neuen Absatzmärkte und einen Zugang zu neuen Rohstoffgebieten zu gewinnen.

49 Heckmann, Dieter, Königsberg und sein Hinterland im Spätmittelalter, in: Die preußischen Hansestädte (wie Anm. 33), S. 79–89, bes. 87 f.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten Basel und Zürich im Vergleich von Hans-Jörg Gilomen

Der kleine Warenkredit hat im Unterschied zu anderen Kreditformen, etwa dem damit konkurrierenden kleinen Darlehen, insbesondere der Pfandleihe, aber auch ganz anders gearteten Kreditinstrumenten wie der Rente, dem Verlag, dem Wechsel bisher in der Forschung nur sehr wenig Beachtung gefunden1. Das liegt auch daran, dass die Überlieferungschance für Aufzeichnungen über solche ganz alltägliche Kreditlieferungen jener Waren und Dienstleistungen, für deren Erwerb insbesondere jene Kunden, die über keine Kreditfähigkeit verfügten, kleine und kurzfristige Faustpfanddarlehen aufnahmen, sehr gering ist2. Wenn überhaupt Quellen über diese geringfügigen Transaktionen überliefert sind, verlockt der zu erwartende Erkenntnisgewinn kaum, den Aufwand der mühevollen Auswertung auf sich zu nehmen. Dies soll im Folgenden aber dennoch mit einer außergewöhnlichen Basler Quelle einmal beispielhaft geschehen. Die Stundung der Bezahlung war im Spätmittelalter weit verbreitet3. Auch Mieten und Abgaben, insbesondere der Bauern, wurden häufig gestundet4. Die gegen-

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Zu erwähnen wäre etwa Holbach, Rudolf, „Im auff Arbeit gelihen“. Zur Rolle des Kredits in der gewerblichen Produktion vom Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert, in: North, Michael (Hg.), Kredit im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa, Köln / Wien 1991 (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte. Neue Folge, 37), 133–158. Immer noch lesenwert: Kuske, Bruno, Die Entstehung der Kreditwirtschaft und des Kapitalverkehrs, in: Köln, der Rhein und das Reich (Kölner Vorträge, 1), Leipzig 1927, ND Graz / Köln 1956, S. 48–137. Siehe etwa die Bemerkung von Denjean, Claude, Juifs et Chrétiens. De Perpignan à Puigcerdà. XIIIe–XIVe siècles, Canet 2004, S. 119: „En outre, une dernière manière d’échange crée du crédit sans pour cela refléter un prêt au sens strict: les achats à crédit et ventes à terme. La vie de tous les jours se vivait sans doute à crédit, nous n’en possédons aucune trace.“ Kuske, Entstehung (wie Anm. 1). Siehe dazu Köppel, Christa, Von der Äbtissin zu den gnädigen Herren. Untersuchungen zu Wirtschaft und Verwaltung der Fraumünsterabtei und des Fraumünsteramts in Zürich 1418–1549, Zürich 1991, insb. Kapitel 2.4: Die Restanzeneinnahmen, S. 237–253.

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seitige Vertretbarkeit der kleinen Darlehenskredite und des Borgkaufs ist vielfach belegt5. Auch Vorschüsse auf Löhne konnten den Gang zum Pfandleiher ersetzen6. Amtliche Schriftlichkeit hätte angesichts der geringen Beträge die Transaktionskosten ungebührlich aufgebläht. So ließen die Gläubiger es bei formlosen Notizen bewenden, die nach der Bezahlung als bedeutungslos vernichtet wurden. Wo Geschäftsbücher von Kaufleuten erhalten geblieben sind, zeigen sie meist ein recht unsystematisches Bild der Buchführung. Das kürzlich edierte, um 1470 angelegte „Hauptbuch“ des Basler Kaufmanns Ulrich Meltinger ist nur deshalb erhalten, weil es vom Rat im Rahmen eines Unterschlagungsprozesses 1494 eingezogen wurde, und es erfüllte nach dem Urteil des Herausgebers bloß die Funktion eines Notizbuchs, in das nur eingetragen wurde, was Meltinger aus unterschiedlichen Gründen für wichtig hielt7. In diesem Buch erscheint ein Netzwerk von Kreditbeziehungen zwischen Meltinger, seinen Kunden und Lieferanten, seinen Geschäftsfreunden und Handelspartnern, aber auch Familienangehörigen und Verwandten. Die einzelnen Kreditbeträge reichen von wenigen Pfennigen bis zu 180 Pfund. Die Kreditformen sind überaus einfach, insbesondere finden sich Warenkredite (Kreditkäufe und Lieferungskäufe bzw. Bevorschussung von Einkäufen), Verrechnungen, Verlag, Viehverstellungen, Darlehen sowie die Stundung geschuldeter Zinse und Mieten. Eine Verzinsung der Kredite ist meist nicht erkennbar, allenfalls wurde sie durch erhöhte Preise oder Wechselkurse kamoufliert; dem Wucherverbot wurde also Genüge getan. Selbst erlaubte Säumniszinsen fehlen. Die Durchsetzung längst fälliger Forderungen erfolgte langmütig und rücksichtsvoll gegenüber den Schuldnern oft über mehrere Jahre hin.

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Siehe z. B. Lacave, Michel, Crédit à la consommation et conjoncture économique. L’Isleen-Venaison (1460–1560), in: Annales ESC 32 (1977), S. 1128–1153. Das ist vor allem in Florenz in großem Ausmaß bei den Wollwebern belegt, die unter den Kunden der jüdischen Bank fehlen, von denen aber über die Hälfte bei ihren Arbeitgebern verschuldet war. Siehe dazu Careri, Flavia, Il presto ai quattro pavoni. Dal libro-giornale di Isacco da San Miniato (1473–75), in: Archivio Storico Italiano. A. CLIX, Florenz 2001, S. 395–421, hier S. 411, sowie Franceschi, Franco, Oltre il „tumulto“. I lavoratori dell’arte della lana fra Tre e Quattrocento, Florenz 1993, S. 281f.; Brucker, Gene Adam, The Florentine Popolo Minuto and its Political Role. 1340–145, in: Martines, Lauro (Hg.), Violence and Civil Disorder in Italian Cities. 1200–1500, Berkeley / London / Los Angeles 1972, S. 308–330. Steinbrink, Mathias, Ulrich Meltinger. Ein Basler Kaufmann am Ende des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2007 (VSWG Beiheft, 197), S. 51–92.

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Das Ganze erscheint wie eine Parallele zu den Krediten des Krämers Stephan Offenburg, die gleichfalls aus seiner Geschäftstätigkeit heraus entstanden sind, aber auf einem noch bescheideneren Niveau. Blieb die Bezahlung aus, erhöhte sich die Überlieferungschance, wenn amtliche Stellen zur Eintreibung eingesetzt oder die Gerichte bemüht wurden. In Basel konnten Zahlungen dadurch gesichert werden, dass sie ins so genannte „Vergichtbuch“ eingetragen wurden8. Der Eintrag war gemäß Gerichtsordnung von 1433 kostenfrei, wenn die beiden Parteien die Schuld im Konsens gemeinsam einschreiben ließen; wurde der Eintrag nur vom Gläubiger veranlasst oder gab es darüber clage, antwort und fragen, war eine Gebühr von 6 Pfennigen zu Gunsten des Gerichts zur Schuld hinzuzufügen9. Ein einfacher Eintrag lautete im Vergichtbuch: Jtem do veriach Rafenspurg der kueffer Stephan Offenburg ix ß10. Wo nichts anderes vereinbart wurde, galt vom Datum des Schuldbekenntnisses (vergicht) eine Zahlungsfrist von einem Monat. Zu Beginn des Vergichtbuchs C 2 heißt es: A festo nativitatis domini millesimo quadringentesimo vicesimo septimo a festo circumcisionis domini nostri Jhesu Christi ward diß vergichtbuoch angevangen, und wer schlechtlich darin vergicht, der hat einen manat tag etc11. Andere Zahlungstermine wurden jeweils vermerkt. Ein Ratserlass von 1421 hielt fest, wenn jemand eine „Vergicht“ ins Buch habe eintragen lassen und die Zahlungsfrist nicht einhalte, solle ihm auf Klage des Gläubigers hin durch das Gericht der so genannten „Unzüchter“ ohne weiteres eine Buße von einem Pfund und Verbannung aus der Stadt für einen Monat auferlegt werden. Er dürfe erst wieder zurückkehren, wenn er den Gläubiger „unklaghaft“ gemacht habe12. Zum geschuldeten Betrag kamen oft Kosten hinzu; zuweilen auch Verzugszinsen, die ja wucherrechtlich als unbedenklich galten13. Hingegen waren wucherische Borgkäufe, bei denen Zinsen offen oder unter Ein8 Zum Verfahren siehe Hagemann, Hans-Rudolf, Basler Rechtsleben im Mittelalter 2. Zivilrechtspflege, Basel 1987, S. 48–61. 9 So gemäß einer Gerichtsordnung vom 7. Feb. 1433, Rechtsquellen von Basel. Stadt und Land 1 hrg. v. Johannes Schnell, Basel 1856, S. 115–120, Nr. 122, insb. S. 118f. 10 Staatsarchiv Basel-Stadt [zitiert StBS], Gerichtsarchiv C 2-4, fol. 30v, 3. März 1428. 11 StBS, Gerichtsarchiv C 2–4, fol. 1r. Gelegentlich wurde diese Frist auch in Einzeleinträgen nochmals genannt: Jtem Hans jm Hoff, der schuomacher, confitetur Jacobo Murer pannicide vj lib salva comput. Wurdent im gebotten ze bezalend in einem manat. Die Gebotsformel begegnet meist lateinisch: Precept[um]. 12 Rechtsquellen von Basel (wie Anm. 9), S. 110, Nr. 112. Ein ganz analoges Verfahren galt für Kaufmannsschulden, welche ins Kaufhausbuch eingetragen wurden, siehe Rechtsquellen von Basel (wie Anm. 9), S. 99, Nr. 100, 21. August 1417. 13 Siehe unten den Eintrag über die Schuld des Johannes Valkenstein de Altkilch.

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rechnung auf den Kaufpreis verschleiert erhoben wurden, verboten. In Basel hat man durch einen Erlass von 1432 dieses Verbot besonders zum Schutz Jugendlicher eingeschärft14.

Die Schuldnerliste aus dem Nachlass des Krämers Stephan Offenburg Stephan Offenburg, der trotz der Namensgleichheit mit dem bedeutenden Basler Politiker und Kaufmann Henmann Offenburg nicht verwandt15, mit diesem aber geschäftlich verbunden war16, erwarb 1409 auf dem militärischen Auszug gegen Istein das Basler Bürgerrecht. Er war damals als Krämer zünftig zu Safran. Um auch Wechselgeschäfte treiben zu können, wurde er 1419 nebenzünftig zu Hausgenossen, der Basler Wechslerzunft17. 1429 zahlte er 4 Gulden Steuer für ein Vermögen zwischen 1000 und 1500 Gulden18. Er gehörte damit zum oberen Drittel der Krämer14 Rechtsquellen von Basel (wie Anm. 9), S. 114f., Nr. 120, 22. März. 1432. Rechtliche Kraftlosigkeit aller wucherischen Verträge mit jungen Leuten. 15 Merz, Walther, Burgen des Sisgaus (Bd. 3), Arau 1911, Stammtafel nach S. 160, führt zwar die Brüder Stephan und Albrecht (Auberlin) aus Reutlingen auf der Stammtafel Offenburg auf, ohne sie jedoch einzuordnen. Apelbaum, Johannes, Basler Handelsgesellschaften im fünfzehnten Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung ihrer Formen (Beiträge zur schweizerischen Wirtschaftskunde, 5), Bern 1915, S. 13, nennt Stephan Vetter des Henman, ohne dies weiter zu begründen. Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang bedeutsam, dass der Gerichtsschreiber bei den Auseinandersetzungen zwischen Henman Offenburg und Aeberlin Offenburg geradezu penetrant bei Henman „Offemburg“, bei Aeberlin aber „Offemburger“ setzt. Einmal, StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 66v, setzt er auch bei Henman „Offemburger“, korrigiert dies aber sofort; StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 94v. 16 Dies sowohl für einzelne Kommissionsgeschäfte wie in einer Handelsgesellschaft. Siehe Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 12–17, sowie die Dokumente 126– 143, die allerdings nach besonderen Interessen des Verfassers ausgewählt, teils unter falscher Angabe der mittelalterlichen Tagesdaten und deshalb unrichtig datiert, teils gekürzt und auch mit Transkriptionsfehlern gedruckt sind. Zudem zitiert er nach einer nicht vorhandenen Heftpaginierung, während heute die Faszikel durchgängig foliiert sind. 17 Gilomen-Schenkel, Elsanne, Henman Offenburg (1379–1459). Ein Basler Diplomat im Dienste der Stadt, des Konzils und des Reichs (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte, 6), Basel 1975, S. 32, Anm. 37. 18 Schönberg, Gustav, Finanzverhältnisse der Stadt Basel im 14. und 15. Jahrhundert, Tübingen 1879, S. 529. Bemerkenswert ist allerdings, dass wenig später, am 1. August 1432, sein Bruder und Teilerbe Aeberlin Offenburg gerichtlich zu Protokoll gab, Stephans Witwe habe ihn unterrichtet, nach Bezahlung der Schulden würde noch ein Vermögen von 650 fl. zur

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zünftigen, aber längst nicht zur Spitze. Der reichste Krämer Heinrich Halbysen versteuerte damals mit 17 Gulden ein Vermögen von 8000 bis 8500 Gulden. Die größten Vermögen von zwölf Adligen bzw. Achtburgern und einer Kaufmannswitwe überschritten in diesem Jahr sogar 9500 Gulden19. 1430 ist Stephan Offenburg verstorben20. Auseinandersetzungen um sein Erbe wurden jahrelang vor Gericht ausgetragen. Die hier edierte Liste von Schuldnern Stephan Offenburgs ist deshalb in die Akten des Schultheißengerichts gelangt, weil seine Erben, nämlich seine Witwe Agnes Schaler und sein Bruder Aeberlin Offenburg, diese Außenstände als Pfand dem Krämer Conrad Stützenberg und dessen Frau Elsi von Richisheim versetzt hatten21. Die Witwe hatte ein Drittel, der Bruder zwei Drittel der Guthaben und Schulden Stephans geerbt22. Aeberlin war einzig zum Antritt seiner Erbschaft aus Reutlingen nach Basel gereist und blieb dann hier jahrelang hängen. Die Liste stellt bloß einen Auszug aus den Schuldbüchern Stephans dar, deren Existenz noch 1434 belegt ist23. Das Pfand diente als Sicherheit für eine noch offene Schuld Stephans von 100 Gulden, welche Conrad Stützenberg, der Bruder von Agnes Schalers zweitem Ehemann Gorgius oder Gordion Stützenberg, nach Stephans Tod auf sich genommen hatte und an Junker Rudolf von Eptingen mit jährlich 4 fl. verzinste24.

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Verteilung stehen. StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 182r; siehe auch ebd., fol. 180ar undatiert. Auch wenn man das mit versteuerte „Leibgut“ der Witwe in Abzug bringt, war das tatsächliche Vermögen demnach wesentlich geringer als das versteuerte. Zudem stellte sich dann auch die Angabe der Witwe als zu hoch gegriffen heraus. Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 526f. Er ist letztmals genannt am 14. August 1430, StBS, Gerichtsarchiv C 2–4, fol. 61r. Die Verwandtschaftsverhältnisse gehen hervor aus StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol 83r. Der Vater von Agnes war der Klein-Basler Ziegler Henman Schaler; sie hatte zwei Brüder, Heinrich und Lienhard; siehe auch Stammtafel Stutzenberg von August Burckhardt in Staehelin, Wilhelm Richard (Hg.), Wappenbuch der Stadt Basel, Basel 1917–1930, sowie Staehelin, Wilhelm Richard, Stammtafel Offenburg, in: Merz, Burgen des Sisgaus (wie Anm. 15), S. 160ff. Conrad Stützenberg war ein mittlerer Kaufmann, der 1429 500–750 fl. versteuerte, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 528. Das ergibt sich klar aus StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 141r-v, 9. Januar 1432. Gemäß fol. 139r, 18. Dezember 1431, hat Aeberlin ihm aus dem Erbe zugeteilte Schulden selbständig eingetrieben. Sie wurden Ludwig Reutlinger von der Gesellschaft zu gemeinen Händen übergeben: StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 313v, 11. Mai 1434 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 133f. Der moderate Zins geht hervor aus StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 180ar, undatiert, aber wohl in den Juli 1432 zu datieren (auf der Rückseite steht ein Eintrag vom 14. Juli).

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Ein Adliger aus dem Geschlecht derer von Loewenberg hatte diese Summe einst bei Stephan Offenburg in wechssels wyse angelegt, also zu fester Verzinsung25. Daraus lässt sich beiläufig ersehen, dass ein Krämer, der zugleich Wechselgeschäfte betrieb, niedrig verzinsliches Betriebskapital bei einem adligen Geldgeber beschaffen konnte. Auch Handwerker legten übrigens nachweislich Geld bei Stephan Offenburgs Wechsel an. Am 8. November 1431 bestätigte Stephans Witwe Agnes dem klein Hennin, Brotbeck von Stetten, dass er vor Zeiten 39 fl. bei Offenburg angelegt habe, syd dem mal, daz si ze offnem bangk und wechssel gesessen wer, und dass davon noch eine Forderung von 13 ½ fl. offen sei26. Auch die Anlage von 22 fl. in wechssels wyse durch den Metzger Peter Bischof ist belegt27. An Verena von Telsperg sollten angelegte 31 fl. zurückbezahlt werden28. Am 5. September 1431 verpflichteten sich Agnes und Aeberlin in einem Vertragsentwurf vor dem Schultheißengericht, die ausstehenden Beträge der Schuldnerliste zügig einzutreiben und an Conrad Stützenberg und dessen Frau zur Begleichung der 100 Gulden samt Zinsen und Kosten abzuliefern29. Gemäß einer Randnotiz ist diese gütliche Vereinbarung indessen nicht in Kraft getreten, da die beiden Vertragsparteien noch im freiwilligen Verfahren darüber in Konflikt gerieten und deshalb einen Austrag im Wege eines gerichtlichen Streitverfahrens ins Auge fassten. 25 Am 16. August 1431 erlangte Junker Burkart Ziboll namens seines Schwagers Junker Rudolfs von Eptingen vom Gericht die Erlaubnis, die Güter der Schuldner jener 100 fl., welche einst der von Löwenberg bei Stephan Offenburg in wechssels wyse angelegt habe, zu frönen, falls er nicht innert acht Tagen bezahlt werde. StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 111r = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 130. Zum Guthaben des Eptingers auch StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 111r, 16. August 1431, 151v, 12. Februar 1432 und 301r, 27. Februar 1434. 26 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 128v, 8. November 1431 und fol. 161r, 20. März 1432 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 130f. 27 Darum prozessierte Burkart Ziegler gegen Aeberlin Offenburg am 15. Februar 1434, StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 297v; bei Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 133, nur kurzer Ausschnitt, zudem falsch datiert. Die Steuerliste von 1429 nennt zwei Metzger dieses Namens, der eine versteuert ein Vermögen von 1500–2000 fl., der andere, mit dem Beinamen der jung 300–500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 538a und 539a. Beide waren Vertreter ihrer Zunft im Rat. Siehe Stammtafel Bischoff von Vislis in Staehelin, Wappenbuch (wie Anm. 21). 28 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 151v, 12. Februar 1432. Wahrscheinlich kam diese Auseinandersetzung bis vor das Rottweiler Hofgericht, StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 340r, 2. Oktober 1434; fol. 343r, 19. Oktober 1434, wurde Aeberlin von einer Restschuld von 20 fl. ledig gesprochen. 29 Siehe unten die Edition.

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Agnes und Aeberlin hatten übrigens auch dem Henman Offenburg versprochen, eine offene Forderung aus Kommissionsgeschäften von 240 fl. durch noch ausstehende Kredite Stephans zu bezahlen. Henman beklagte sich allerdings im März 1431, die beiden trieben zwar Stephans Guthaben ein, bezahlten ihn aber nicht damit30. In einem Schlichtungsvertrag stehe, daz er usser den schulden nemen sölte, welhe er gerne hetti, und darzue daz silber und die phender usser dem gaden so vil, untz daz er siner schuld bezalt wurde. Henman hatte eine Liste mit diesen von ihm ausgewählten Schuldnern Agnes und Aeberlin übergeben, wie diese vor Gericht aussagten: … si hettint ein zedel, die er [Henman] selber benämptzet und ußgeschriben hetti, derselben si im ouch ettzliche gichtig gemacht hettint; die andern, davor nit crützlin stündent, die getruwent si im noch gichtig ze machent31. Henman hatte also aus den Schulden die ihm zusagenden aussuchen können. Gewiss hatte er dabei kreditwürdigen Schuldnern und größeren Schuldbeträgen den Vorzug gegeben. Offenbar hatten die beiden Erben Stephans sich verpflichtet, entsprechende Schuldanerkennungen beizubringen. Wahrscheinlich trifft dies auch auf die hier edierte Liste zu, die auf der ersten Seite Kreuze und Kreise vor den Namen enthalten. Aus diesen Quellen geht demnach hervor, dass diese Liste nicht die gesamten offenen Forderungen des verstorbenen Krämers enthält, sondern weitere auf Henman Offenburg übertragen worden sind, und dass sich unter den verzeichneten Forderungen auch bestrittene und uneinbringliche befanden32. Claus Stützenberg, der Bruder Conrads, hatte sich übrigens auch überreden lassen, wie er ausdrücklich formulierte, als Bürge für die Schuld von 240 fl. gegenüber Henman Offenburg einzutreten. Zur Sicherheit hatten Agnes und Gordion auch ihm und seinem Bruder Conrad einen Zettel mit ausstehenden Forderungen

30 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 79av, zu datieren 12. März 1431 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 128. 31 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 93r, 5. Juni 1431. 32 Im Streit mit seiner Schwägerin hat Aeberlin Offenburg sich beklagt, dass Agnes ihm Schulden zugeteilt, und im daby ze verstand geben hetti, das si gewiß sin söltent. Also do werent nu ettlich derselben schulden und by nach zem merteil … ungewiß von sach wegen, das die erberen lüt sprechent, si hettent die bezalt und weren nüt schuldig. StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 141r, 9. Januar 1432. Das Gericht urteilte: Also were, daz dehein schuld, die si im für gewisß zuegeteilet, nit gewisß were, wazz im denne an semlichen schulden abgiengi, daz si im denne daz nächziechen und in dero ersetzen sölte. Desselben glich were, daz ir an irem drittenteil der gewissen schulden ouch ützit abgiengi und ungewisß funden würde, sölte er ir och nachziehen.

116

Hans-Jörg Gilomen

Stephans übergeben mit der Vollmacht, die Schuldner darum „anzugreifen“33. Nach einer Aussage Aeberlins vom 14. Januar 1433 hatte es sich um eine Gesamtsumme von rund 400 fl. gehandelt34. Conrad ist übrigens bereits 1431, längst vor Erledigung der von ihm verbürgten bzw. übernommenen Schulden verstorben und Claus musste nun auch für diesen Teil der Bürgschaft einstehen35. Im März 1432 wurde Claus von Henman Offenburg wegen ausbleibender Zahlung zur „Leistung“ (Verbannung) vor den Kreuzen der Stadt aufgefordert36. Die Schulden, mit deren Eintreibung drei Schreiber als Fachkräfte beauftragt worden waren, je einer in der Stadt Basel, im Bistum Basel und im Bistum Konstanz, hatten sich zu einem bedeutenden Teil als uneinbringlich erwiesen37. Die bei Kaufleuten zünftigen Claus Stützenberg mit einem Vermögen von 750 bis 1000 fl. und Conrad Stützenberg mit 500–750 fl.38 gehörten 1429 zur oberen Mittelschicht, aber nicht zur Spitzengruppe ihrer Zunft mit Vermögen über 2000 fl.39 Henman Offenburg versteuerte mit Adel und Achtburgern in der höchsten Klasse ein Vermögen über 9500 fl.40 Auch Agnes und Gorion haben den Ausgang der Sache nicht erlebt: beide werden am 14. Januar 1433 als verstorben genannt41. Nach dem Tod der Agnes erwirkte Aeberlin vom Gericht, er dürfe sich aus ihrem Erbe dafür bezahlt machen, dass sie ihm bei der Teilung des Erbes seines Bruders Stephan „ungewisse“ Schulden für „gewiss“ zugeteilt habe42.

33 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 108br, 24. Juli 1431: Und des ze sicherheit so verbundent si inen diss schuld, so an dissem zedel verschriben ist, anzegrifend etc. Bei Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 129f. 34 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 214v, 14. Januar 1433. 35 Stammtafel Stutzenberg in Staehelin, Wappenbuch (wie Anm. 21); in StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 180ar, Juli 1432, wird er als tot genannt. 36 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 144av, 13. März 1432. 37 Da aber die schuldener, die si denne also angriffen hettint, ze guoter mäß ungichtig werend, ouch ir ettlich sprechent, si hette es bezalt, dieselben er ouch bätt, als si in gericht ze gegen warent, darüber ze verhörend etc. StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 241ar, 14. Januar 1433. 38 Beide Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 528a. 39 Tabelle in Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 183. 40 Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 526a. 41 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 214r-215ar, 12. Januar 1433. 42 Nach dem Argument, im wëre doch solich Angnesen kleinater und guet erkennt worden daruf ze varend von sach wegen, daz si in mit den schulden, als si im ungewisß für gewisß angeben und geteilet hetti, legte Aeberlin am 15. Februar 1434 den ihm erteilten Urteilsbrief vor Gericht vor. StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 294v. Siehe auch Anm. 32.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten

117

Die Quellen zeigen, welchen Aufwand die Eintreibung der Schulden insbesondere nach dem Tod eines Gläubigers erforderten, welche Kosten durch eigene Umtriebe, auch durch die Beauftragung von Fachkräften und durch jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen entstanden. Die Schuldbücher Stephans, die gelegentlich erwähnt werden, sind zum Nachweis der Forderungen vor Gericht nie verwendet worden. Der kaufmännischen Schriftlichkeit ist in Basel offenbar keine rechtliche Beweiskraft zugemessen worden. Es scheint, dass es leicht war, sich nach dem Tod des Gläubigers der Zahlung zu entziehen. In der edierten Schuldenliste wird nur bei drei Einträgen die gelieferte Ware als Begründung für die Forderung genannt. Vielleicht hätte der verstorbene Stephan Offenburg sich da an Einzelheiten erinnert. Ohne solches Wissen war es den Erben nur bei einem Teil der Forderungen möglich, die Schuldner „gichtig“ zu machen, sie zur Anerkennung der Forderung zu bewegen. Der größere Teil der Ausstände blieb uneinbringlich, so klagen die Akten. Schon bei der Erbteilung zwischen Agnes und Aeberlin war die Frage der gerechten Zuteilung von „gewissen“ und „ungewissen“ Forderungen wichtig. Das Problem der mangelnden Zahlungsmoral war allgemein bekannt. Dies dürfte auch erklären, weshalb öffentliche Schriftlichkeit in den gerichtlichen „Vergichtbüchern“ selbst für kleine Schulden häufig in Anspruch genommen wurde.

a) Die Höhe der Kredite Insgesamt verzeichnet die Liste 202 Schuldposten. Bei einem Eintrag fehlt der Schuldbetrag (89, Loch im Papier). Ein Eintrag (87) wurde sogleich gestrichen, er kann hier aber dennoch mit berücksichtigt werden. Eine Schuld ist wohl versehentlich doppelt verbucht (166 und 182). Ein Eintrag verzeichnet eine gemeinsame Schuld von Walther Kupfernagel und Hans Bischof, die auch durch ihren ganz ungewöhnlich hohen Betrag von 136 lb 10 ß 8d völlig aus dem Rahmen fällt (27). Ein weiterer Eintrag nennt für einen Betrag von nur 7 ß drei Schuldner (102), darunter den Glaser Hefenlin, der auch als Einzelschuldner genannt wird (198). Nur drei Schuldner werden mit zwei Einträgen aufgeführt (144 und 145: der jung Krangwergk; 19 und 197: Heinrich Schlienger; 166 und 182: Peter Schnider von Liell). Dies lässt den Schluss zu, dass mehrere Einzelbeträge eines Schuldners jeweils zu einer Gesamtsumme zusammengezogen worden sind. Die ursprüngliche Stückelung der von Offenburg seinen Kunden gewährten Einzelkredite ist deshalb nicht mehr erkennbar. Wenn die Schulden aus kleinen Warenbezügen entstanden sind, wird erst ihre Kumulation nach wiederholten Bezügen fassbar.

Hans-Jörg Gilomen

118

In 201 Schuldposten werden somit insgesamt 200 verschiedene Schuldner genannt43. Die Posten summieren sich zu einem Gesamtbetrag von 434 lb 5 ß 2 d. Umgerechnet sind dies 371 Gulden. Es handelt sich dabei um einen bedeutenden Betrag. Gemäß der Steuerliste von 1429 versteuerten in Basel 2475 Personen von insgesamt 2822 Steuerzahlern ein Vermögen unter 400 Gulden, nur 347 Personen deklarierten eine höhere Summe44. Tabelle 1: Stückelung der Schuldsummen in lb ß d

Anzahl

%

Betrag lb.ß.d

%

∅ lb.ß.d

1 bis 5 fl.

45

22.4

93.79

25.3

2.08

> 5 bis 10 fl.

8

4.0

58.11

15.7

7.26

> 10 fl.

3

1.5

171.64

46.3

57.21

201

100

370.95

100

1.85

Stückelung

Total

Diese Tabelle zeigt, dass fast drei Viertel der Schuldsummen nur gerade bis zu einem Gulden betrugen mit einem Durchschnittsbetrag von bloß einem Drittel eines Guldens. Der Durchschnitt aller Einzelschulden beträgt 1.85 Gulden. Ohne die drei aus dem Rahmen fallenden Höchstbeträge würde sich der Durchschnitt aller übrigen Schuldbeträge auf nur einen Gulden (199.31 fl. : 198 = 1.007 fl.) belaufen. Ein Vergleich dieser Zahlen mit den Schulden, welche in den Zürcher Eingewinnerverzeichnissen enthalten sind, ist aufschlussreich. Bei den städtischen Eingewinnern wurden in Zürich unbezahlte und unbestrittene Forderungen zur amtli-

45 Staatsarchiv Zürich, B VI 306, fol. 12v, 21. September1440.

Hans-Jörg Gilomen

120

chen Eintreibung angemeldet46. Die Zürcher Verzeichnisse bieten einen unvergleichlich breiten Einblick in alltägliche Kredittransaktionen im Rahmen der Tätigkeit einheimischer Kaufleute, Handwerker und Dienstleister wie auch durch professionelle jüdische und lombardische Geldverleiher. Tabelle 3: Kredite des Jahres 1435 in den Eingewinnerverzeichnissen der Stadt Zürich47

Anzahl

%

Summe fl.

%

∅ fl.

Juden

63

16.24

669.14

40.79

10.62

Lombarden

7

1.80

75.91

4.63

10.84

andere Christen

318

81.96

895.02

54.57

2.81

Insgesamt

388

100

1640.07

100

4.23

Gläubiger

Aus den für das Jahr 1435 erhobenen Zahlen geht hervor, dass in Zürich die professionellen Geldverleiher rund 45 % der fällig gestellten Kreditforderungen anmeldeten, die einheimischen christlichen Kaufleute und Gewerbetreibenden immerhin 55 %. Die durchschnittliche Einzelforderung von Juden und Lombarden liegt mit 10 bis 11 fl. deutlich höher als diejenige einheimischer Geschäftsleute mit bloß durchschnittlich 2.81 fl. Dieser Durchschnitt liegt immerhin etwa einen Gulden höher als derjenige der Liste Stephan Offenburgs. Bei den Zürcher Zahlen ist zu bedenken, dass das den Juden und Lombarden vorbehaltene reine Faustpfandgeschäft sich in der Quelle nicht niederschlägt, da die Pfandverwertung keine Anmeldung bei den Eingewinnern erforderte. Die angemeldeten jüdischen und lombardischen Darlehen sind zwar wesentlich bedeutender als diejenigen der einheimischen Gläubiger, bewegten sich aber auch abgesehen von der kleinen Pfandleihe im unteren Kreditsegment, wenn man sie etwa mit den städtischen Anleihen vergleicht. In Zürich belaufen sich diese in den Jahren 1408 und 1417 auf durchschnittlich 479 fl. pro Einzeleintrag (bei einem Mindestbetrag von 20 lb und einem Höchstbetrag von 2412 fl.)48. Unter den Rentenanleihen der Stadt Basel

46 Zum Verfahren der Eingewinnung siehe Malamud, Sibylle / Sutter, Pascale, Die Betreibungs- oder Eingewinnerverfahren der Stadt Zürich im Spätmittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. GA 116 (1999), S. 87–118. 47 Die Zahlen aus Gilomen, Hans-Jörg, Die Substitution jüdischer Kredite im Spätmittelalter. Das Beispiel Zürichs (im Druck). 48 Errechnet nach der Beilage Nr. 17: Verzeichnis der Zinsrentner nach dem Zinsrentenbuch von 1408–1417 bei Frey, Walter, Beiträge zur Finanzgeschichte Zürichs im Mittelalter (Schweizer Studien zur Geschichtswissenschaft, 1, 3), Zürich 1911, S. 266–268.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten

121

kommen Einzelbeträge unter 100 Gulden in dieser Zeit überhaupt nicht vor; das Mittel lag hier in den Jahren 1420 bis 1430 bei 651 Gulden49. Die von einheimischen Christen angemeldeten Forderungen sind nicht aus Gelddarlehen entstanden, sondern aus noch unbeglichenen Warenlieferungen und Dienstleistungen. Die Stückelung der Kredite unterstreicht insbesondere für die Kleinstbeträge die Funktion im alltäglichen Konsum: Tabelle 4: Stückelung Zürich 1435 (alle Forderungen der Eingewinnerverzeichnisse).

Anzahl

%

Summe fl.

%

∅ fl.

bis 1 fl.

203

52.3

77.35

4.7

0.38

> 1 bis 5 fl.

110

28.4

281.39

17.2

2.56

> 5 bis 10 fl.

32

8.2

241.69

14.7

7.55

> 10 fl.

43

11.1

1039.64

63.4

24.18

Total

388

100.0

1640.07

100.0

4.23

Stückelung

Die große Anzahl von mehr als der Hälfte kleinster Forderungen bis zu einem Gulden machen zusammen nicht einmal 5 % der Gesamtsumme aus. Zusammen mit den Forderungen bis fünf Gulden belaufen sie sich auf etwas über einen Fünftel des Gesamtbetrages. Auf die weit geringere Zahl von 75 größeren Forderungen entfallen hingegen vier Fünftel des Gesamtwerts.

b) Die Schuldner Die Basler Liste bietet nur wenig direkte Nachrichten darüber, wie die Schulden entstanden sind. Die Zunft der Rebleute blieb die Bezahlung von 20 d für rennfennlin schuldig (131). Stephan, der Knecht Fridrichs ze Ryn, hat für 10 ß 8 d öiglechten schürlitz bezogen (185), ein mit Augen gemustertes Barchenttuch. In Basel wurde Barchent, ein Mischgewebe aus Leinenzettel und Baumwolleinschlag, in großen

49 Siehe Gilomen, Hans-Jörg, Städtische Anleihen im Spätmittelalter. Leibrenten und Wiederkaufsrenten, in: Hesse, Christian [u. a.] (Hg.), Personen der Geschichte. Geschichte der Personen. Studien zur Kreuzzugs-, Sozial- und Bildungsgeschichte. Festschrift für Rainer Christoph Schwinges zum 60. Geburtstag, Basel 2003, S. 165–185, hier S. 167–169.

122

Hans-Jörg Gilomen

Mengen hergestellt, aber auch importiert50. Jungker Hans Erhart von Neuenenfels blieb einen halben Gulden von arras wegen schuldig (199), womit eine nach der französischen Stadt Arras benannte Tuchqualität gemeint ist. Dies sind zwei Hinweise darauf, dass der Krämer Offenburg mit Tuchen als vom Ballen geschnittene Ellenware handelte. Aus dem langjährigen Streit zwischen Henman Offenburg und den Erben Stephans ist bekannt, dass Henman dem Krämer Tuche zum Verkauf in Kommission überließ, und zwar seidene und goldene Stoffe51. Nur ein Schuldner der Liste, Johannes Valkenstein (21), ist auch im Vergichtbuch belegt, und zwar mit einem sehr umständlichen Eintrag vom 17. Mai 1427, der zudem wegen eines Tintenflecks teilweise unleserlich ist: Jtem do veriach Johannes Valkenstein de Altkilch Steffen Offenburg viij lib. uff rechnung, im ze bezalind uff sant Johans tag nachst künfftig j lib und dannanthin all frönvasten j lib. Und tätte er des nit, so sol er st … [Tintenfleck] … in antwurten. Und wenne er hinn einem manet geleist, so mag Steffen in und sin guot an griffen für volli sum und umb costen und schaden, so daruff gangen ist und noch gän möchte. Juravit conbutattum viiij- phund x d52. Mit Valkenstein, einem Kaufmann aus Altkirch, stand Offenburg also in fortgesetzten Geschäftsbeziehungen, aus denen ein Schuldbetrag aufgelaufen war, der nun abgestottert werden sollte. Falls Valkenstein die vereinbarten Termine nicht einhalten sollte, hatte er nebst den auflaufenden Kosten auch einen Verzugszins („schaden“) zu entrichten. In der Liste stehen immer noch 6 lb 15 ß offen, ob aus dieser alten Schuld von 1427 oder aufgrund neuer Ausstände ist nicht erkennbar. Andere Schuldner der Liste begegnen in den Gerichtsakten. Von Junker Hans Fröwler hatte Stephan Offenburg gerichtlich die Herausgabe einer Naturalrente von Gütern im Dorf Uffheim zur Bezahlung einer offenen Schuld erstritten. Dieser Schuldner war bei der Einreichung der Liste vor Gericht übrigens bereits tot. Dasselbe trifft zu auf den Geistlichen Johann von Muntzach. Von ihm hatte Stephan aufgrund einer Schuldforderung gerichtlich zwei halbe Jucharten Reben im Gellert vor dem Albantor und einen Zins von einem Garten bezogen. Der Garten gehörte übrigens einem anderen Schuldner der Liste, nämlich Hans Hueber, dem Müller53. 50 Von Stromer, Wolfgang, Die Gründung der Baumwollindustrie in Mitteleuropa. Wirtschaftspolitik im Spätmittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 17), Stuttgart 1978. Zur Basler Schürlitzweberei siehe auch Geering, Traugott, Handel und Industrie der Stadt Basel, Basel 1886, insbes. S. 259–265 und passim gem. Index 647f. 51 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 60r-v, 19. Dezember 1430 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 126f. 52 StBS, Gerichtsarchiv C 2–4, fol. 15v, 17. Mai 1427. 53 Dies alles geht hervor aus StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 83r, 21. März 1431. Die Halbierung einer Zahl wird in spätmittelalterlichen Handschriften durch einen Strich durch den

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten

123

Es scheint, dass Stephan den beiden gerichtlich belangten Schuldnern, erneut Kredit einräumte, weshalb sie auf der Liste stehen, obwohl sie inzwischen verstorben waren. Einiges Licht auf die Funktion der Kredite ergibt sich aus der Analyse der Schuldner im Einzelnen.

Weltliche Institutionen Nur drei weltliche Institutionen werden mit kleinen Schuldbeträgen genannt, nämlich die Zünfte der Hausgenossen (78) und der Rebleute (131) und die KleinBasler Gesellschaft zur Haeren (130). Sie haben, wie wir bereits sahen, beim Krämer Offenburg Waren bezogen.

Adel und Achtburger Unter den Schuldnern finden sich 14 Adlige, davon fünf Frauen (7, 24, 178, 181,190) und neun Männer (1, 2, 57, 60, 92, 141, 187, 199, 201), sowie zwei Achtburger (71, 85)54. Mit 51 lb 6 ß 2 d (43.82 fl.) beträgt ihre Schuld immerhin 11.8 % der Gesamtsumme. Entsprechend liegt der Durchschnitt mit 3 lb 4 ß 2 d (2.74 fl.) erheblich höher als der Gesamtdurchschnitt aller Forderungen (2 lb 3 ß 2 d (1.84 fl.). Die einzelnen Beträge streuen von 1 ß (0.04 fl.) bis zu 24 lb 17 ß (21.22 fl.). Ohne diesen einzigen höheren Betrag, den Junker Hans Froewler schuldet, beläuft sich der Durchschnitt nur auf 1 lb 15 ß 3 d (1.51 fl.), liegt also noch unter dem Gesamtdurchschnitt, der ja seinerseits durch einen großen Einzelbetrag etwas verfälscht wird. Bei diesen Schulden des Adels kann es sich nur um kreditierte Warenbezüge zu Konsumzwecken handeln. Nur fünf der Genannten waren in Basel ansässig und zahlten hier auch Steuern (2, 71, 85, 141, 187). Obwohl die Zuordnung nicht völlig klar ist, haben alle über Vermögen weit über 1000 Gulden verfügt55. Die von Andelo und ir kinde erscheinen 1429 mit über 9500 fl. sogar in Schaft des römischen Zahlzeichens gegeben. Dies wird hier drucktechnisch durch einen Querstrich (Minuszeichen) nach dem letzten Schaft dargestellt. Es bedeutet iiij- somit 3 ½, v- bedeutet 4 ½ usw. 54 Achtburger sind Angehörige des bürgerlichen Patriziats; ihre Bezeichnung geht darauf zurück, dass sie acht Ratsherren stellten. Siehe dazu allgemein Gilomen, Hans-Jörg, Burger, in: Lexikon des Mittelalters (Bd. 2), München / Zürich 1983, Sp. 1005. 55 Nachweise unten in den Anm. der Edition.

124

Hans-Jörg Gilomen

der höchsten Steuerklasse56. Die geschuldeten Beträge hatten für diese Adligen also keinerlei wirtschaftliches Gewicht.

Weltgeistliche Unter den Geistlichen ist eine ganze Gruppe von fünf auswärtiger Pfarrherren aus der näheren Umgebung (10 Guébwiller; 47 Niedereggenen; 89 Calw; 90 Levoncourt; 161 Rötteln) zu nennen. Wegen Textverlust fehlt für einen derselben der Schuldbetrag. Die übrigen vier kommen bei einer Streuung von 4 ß 3 d (0,18 fl.) bis 5 lb 6 ß 6 d (4.63 fl.) auf einen Durchschnitt von 2 lb 18 ß 9 d (2.51 fl.). Die Gesamtsumme erhöht sich auf 36 lb 5 ß 9 d (30.99 fl.), wenn man die weiteren neun Weltgeistlichen hinzunimmt (26, 34, 108, 124, 140, 146, 149, 160, 174). Bei einer Streuung von nunmehr 8 Pfennigen (0.03 fl.) bis 10 lb 16 ß 4 d (9.24 fl.) sinkt der Durchschnitt für alle Weltgeistlichen auf 2 lb 15 ß 10 d (2.38 fl.). Neben einheimischen Weltgeistlichen, wie Rudolf von Therwil, dem Propst des Basler Chorherrenstifts St. Peter (140), finden sich hier auch einige auswärtige wie der Chorherr Walther Treyger des Stifts St. Martin in Rheinfelden (34) und der Kaplan des Abtes des Benediktinerklosters Murbach im Elsass, Aebrecht Karle (108).

Ordensgeistliche und Nonnen Nur zwei Ordenskleriker werden genannt, nämlich Propst Johannes Offlater des Basler Augustiner Chorherrenstifts St. Leonhard (5) mit einer Schuld von nur 7 ß (0.30 fl.) und der Basler Augustinereremit Johannes Kluglin (98), der vor 1456 Schaffner seines Klosters war und vielleicht bereits in dieser Eigenschaft die Schuldverpflichtung über 1 lb 1 ß 6 d (0.92 fl.) einging. Größer ist die Zahl der Nonnen. Sämtliche Basler Nonnen der Liste gehörten den Bettelorden an, die doch grundsätzlich persönlichen Besitz und folglich auch persönliche Schulden recht strikt ablehnten. Dominikanerin im Kloster Klingental war Ursselin zem Houpt (53), Tochter des bedeutenden Basler Finanziers Conrad zem Haupt. Im Dominikanerinnenkloster St. Maria Magdalena lebte als Nonne eine in der Liste genannte hochadlige Thiersteinerin (12). Wenn die als Schuldnerin erwähnte Schwester Elschin von Mulberg (59) tatsächlich die Schwester des bekannten Basler Dominikaners Johannes Mulberg ist, dürfte sie Nonne des Do56 Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 526a.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten

125

minikanerinnenklosters Schönensteinbach im Elsass gewesen sein. Allerdings ist 1429 in Basel in der Pfarrei St. Peter eine Elsch von Mulberg ansässig, die ein Vermögen von 50 Gulden versteuert. Sie wird aber nicht „Schwester“ genannt. Das Klein-Basler Klarissenkloster St. Clara begegnet als Institution mit einer Schuld von einem Pfund (189); eine adlige Nonne dieses Klosters aus dem Geschlecht von Liestal (191) immerhin mit 3 lb 6 ß 8 d (2.85 fl.). Klarissen im Kloster Gnadental waren Grede Ennelin Esslingerin (148), die Edelfreie Agnes von Ramstein (36) und eine Zwingerin (28), deren Vorname nicht genannt wird. Mit einer kleinen Schuld von 15 ß (0.64 fl.) ist die auswärtige Klarisse Gräfin Elisabeth von Leiningen, Äbtissin des Klosters Königsfelden (112), verzeichnet. Dem Zisterzienserinnen-Kloster Olsberg gehörten zwei adligen Nonnen aus den Geschlechtern ze Balmen (15) und zem Hus 16) an. Insgesamt machen die Schulden der zehn Nonnen und des Klosters nur gerade 7 lb 1 ß 3 d (6.03 fl..) aus, durchschnittlich bloß 12 ß 10 d (0.55 fl.) bei einer Streuung von 9 d (0.03 lb) bis 3 lb 6 ß 8 d (2.85 fl.). Ohne diesen einmalig hohen Betrag läge der Durchschnitt nur bei 7 ß 6 d (0.32 fl.).

Berufsleute aus Gewerbe und Handel5758 Insgesamt konnten 92 Kredite Berufsleuten zugeordnet werden, wobei einerseits vier Frauen derselben mitgezählt wurden, andererseits erkennbare Unterschichtberufe ausgeschieden wurden (zu diesen unten). Die hier angeführte Hebamme, die beiden Handelsgehilfen und die Trödlerin hätten auch der Unterschicht beigefügt werden können. Sie werden deshalb dort nochmals erwähnt werden. Tabelle 5: Berufsleute

Beruf Amtmann Arzt Bäcker Bader Dachdecker Fischer Glaser

Laufnummern der Edition 29 135 67, 172 9157, 128 104 73, 84 10258, 198

Zahl 1 1 2 2 1 2 2

Schuld lb.ß.d 0.5.0 0.1.9 0.19.6 0.14.0 0.2.0 1.5.6 0.14.0

Schuld fl. 0.21 0.07 0.83 0.59 0.09 1.09 0.60

∅ lb.ß.d 0.5.0 0.1.9 0.9.9 0.7.0 0.2.0 0.12.9 0.7.0

∅ fl.

d

0.21 0.07 0.42 0.30 0.09 0.54 0.30

60 21 234 168 24 306 168

57 Frau des Baders Mathys. 58 Der Glaser Conrat Hefenli ist nur einer von drei Schuldnern dieses Eintrags.

Hans-Jörg Gilomen

126

Beruf Goldschmied Grautücher / Rebleute Gremper Handelsgehilfe Hebamme Kannengiesser Kaufmann Kirchmeier Koch Kornmesser Krämer Kürschner Makler Maler Metzger Müller Münzmeister Nadler Rosstäuscher Schiffmann Schmied Schneider

Schreiber 5960616263646566

59 60 61 62 63 64 65 66

Schuld fl. 0.66 0.92

∅ lb.ß.d 0.7.8 0.7.2

∅ fl.

d

2 3

Schuld lb.ß.d 0.15.4 1.1.6

0.33 0.31

184 258

1 2 1 2 6

0.6.0 0.15.4 0.1.0 1.8.0 11.7.4

0.26 0.66 0.04 1.19 9.71

0.6.0 0.7.8 0.1.0 0.14.0 1.17.10

0.26 0.33 0.04 0.60 1.62

72 184 12 336 2728

1 2 1 5

0.4.0 0.19.6 0.2.8 3.10.0

0.17 0.83 0.11 3.00

0.4.0 0.9.9 0.2.8 0.14.1

0.17 0.42 0.11 0.60

48 234 32 843

1 1 1 4 2 1 2 1 2 4 15

11.1.3 1.0.0 0.8.8 2.14.4 1.2.0 0.4.0 4.19.8 1.3.4 1.10.7 9.5.0 12.15.9

9.45 0.85 0.37 2.32 0.94 0.17 4.17 1.00 1.31 7.90 10.92

11.1.3 1.0.0 0.8.8 0.13.7 0.11.0 0.4.0 2.8.10 1.3.4 0.15.4 2.6.3 0.17.0

9.45 0.85 0.37 0.58 0.47 0.17 2.09 1.00 0.65 1.98 0.73

2655 240 104 652 264 48 1172 280 367 2220 3069

6

7.17.6

6.73

1.6.3

1.12

1890

Laufnummern der Edition 50, 79 81, 102, 171

Zahl

44 82, 153 96 20, 15259 19, 21, 110, 114, 197, 20060 51 56, 95 19561 144, 14562, 147, 173, 183 8 137 74 43, 80, 83, 16963 58, 150 157 41, 132 42 31, 6664 86, 87, 159, 193 4, 13, 17, 32, 49, 54, 55, 76, 119, 12165, 123, 164, 175, 176, 19466 63, 64, 136, 155, 163, 196

Der Sohn einer Kannengiesserin Frau des Kaufmanns Jerg Kast. Frau des Kornmessers Küchlin. Derselbe wie 144. Seine beiden Schuldbeträge wurden nicht zusammengerechnet. Frau oder Tochter eines Metzgers namens Bamnach. Frau eines Schiffmanns. Steuert unter Schneidern und Kürschnern. Steuert unter Schneidern und Kürschnern.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten

Beruf Schuhmacher Sporer Trödlerin Tuchscherer Vogt Wachtmeister Wagner Wechsler Weinmann Weissgerber Wirt Total

Laufnummern der Edition 61 165 126 14267 107 116 151 52 105, 129, 184, 202 162 94, 113

127

∅ lb.ß.d 0.18.0 1.3.5 0.4.0 0.11.0 2.5.6 0.3.10 0.4.0 0.1.6 2.18.6

∅ fl.

d

1 1 1 1 1 1 1 1 4

Schuld Schuld lb.ß.d fl. 0.18.0 0.77 1.3.5 1.00 0.4.0 0.17 0.11.0 0.47 2.5.6 1.94 0.3.10 0.16 0.4.0 0.17 0.1.6 0.06 11.13.10 9.99

0.77 1.00 0.17 0.47 1.94 0.16 0.17 0.06 2.50

216 281 48 132 546 46 48 18 2806

1 2 92

2.4.4 2.11.5 100.13.9

2.4.4 1.5.9

1.89 1.10

532 617 24163

Zahl

1.89 2.19 85.99

Frappant fällt die Vielfalt der verschiedenen Berufe ins Auge. Insgesamt sind es 41. Schwerpunkte sind nur wenige erkennbar:67 Auf den Tuchhandel im Detail, für den bereits oben Belege namhaft zu machen waren, weist auch die große Zahl von 15 Schneidern hin, die sich wohl Ellenware auf Kredit vom Ballen schneiden ließen. Dass es sich dabei in der Regel um kleine Quantitäten handelte, ergibt sich schon aus der geringen durchschnittlichen Schuld von nur 17 ß, wobei immerhin sechs Beträge zwischen einem und drei Pfund liegen. Statt anderswo Betriebskapital aufzunehmen, haben die Schneider ihr Ausgangsprodukt Tuch erst nach Fertigstellung der Kleider bezahlt. Vielleicht deutet die Zahl von sechs Schreibern darauf hin, dass der Krämer Offenburg mit Schreibbedarf wie Pergament, Tinte, Federkielen handelte. Die Durchschnittsschuld der gleichfalls sechs Kaufleute ist derart gering, dass sie eher aus persönlichem Krämereibedarf herrühren dürfte als aus Handelsbeziehungen, mit Ausnahme einzig des Kredits von 6 lb 5 ß, den Offenburg dem Johannes Valkenstein eingeräumt hat, mit dem er auch gemäß einem Eintrag im Vergichtbuch geschäftete. Offenbar haben die Krämer untereinander Waren verschoben, worauf vier Schuldner mit geringen Beträgen hindeuten. Nicht berücksichtigt wurde hier die ungewöhnlich hohe Schuld, die unter Walther Kupfernagel und Hans Bischof gemeinsam verzeichnet ist (27). Beide waren im Fernhandel aktiv. Für Hans Bischof, zunächst wohl als Karrer und Wirt 67 Frau des Tuchscherers Conrad.

128

Hans-Jörg Gilomen

fassbar, ist eine Handelsreise nach England sicher belegt68. Er hat dem Stephan Offenburg auch Pferde verkauft69. Auch Walther Kupfernagel wird gelegentlich als landesabwesend verzeichnet70. Die Schuld hängt nicht mit einem Handwerk der beiden zusammen, sondern ist im Rahmen der Handelsgesellschaft mit Stephan Offenburg zu sehen. Um eine Schuld dieser beiden von 200 lb prozessierte Aeberlin Offenburg noch 143471. Der Anteil der identifizierten Berufsleute an der Gesamtschuld beträgt mit 100 lb 13 ß 7 d bzw. 85.99 fl. insgesamt fast einen Viertel (23.18 %). Zu beachten ist, dass sich unter den Namen, welche nicht eingeordnet werden können, sicher weitere Berufsleute verbergen. Insbesondere fehlt in den Steuerquellen von 1429 die Liste der mit der Zunft der Schuhmacher und Gerber Steuernden, was vielleicht das fast völlige Fehlen von Schuldnern dieser Handwerke erklärt, weil sie nicht als solche erkannt werden konnten. Die meisten Schuldner, die sich auch in den Steuerlisten zum Jahr 1429 identifizieren lassen, gehören zu den Berufsleuten, nur zwei zu Adel und Achtburgern.

68 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 275v, 8. Oktober 1433 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 133. 69 Um eine Schuld Stephans aufgrund der Lieferung von zwei Pferden prozessierte Hans Bischof noch am 23. Februar 1434 gegen Aeberlin Offenburg, StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 299v. 70 StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 346r, 10. November 1434. 71 Der Zusammenhang mit der Gesellschaft ergibt sich klar aus den Gerichtsakten: StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 272r, 19. September 1433 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 132, falsch datiert; fol. 273ar, undatierter Zettel; fol. 274r, 3. Oktober 1433 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 132f. [mit Lesefehler beim Schuldbetrag]; fol. 275v. 8. Oktober 1433 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 133; fol. 318r, 20. Mai 1434 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 143, falsch datiert; weitere Akten nicht bei Apelbaum: StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 273v, 23. September 1433, fol. 273ar, undatierter Zettel, fol. 273v, 23. September 1433, fol. 281r, 14. November 1433, fol. 292r, 12. Januar 1434, fol. 294r, 18. Januar 1434, fol. 294v, 20. Januar 1434, fol. 295v, 27. Januar 1434, fol. 296r, 4. Februar 1434, fol. 299v, 23. Februar 1434 und fol. 346r, 10. November 1434. Weitere Akten, welche Aeberlin und die Schulden Stephans bei der Gesellschaft betreffen: Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 139, 4. Juni 1431; StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 125r, 23. Oktober 1431 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 130, falsch datiert; fol. 197v, 15. Oktober 1432 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S, 131f., falsch datiert; fol. 281r, kurz vor 14. November 1433 und fol. 313v, 11. Mai 1434.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten

129

Tabelle 6: Schuldner nach Steuerklassen

81 83 96 102 134

Peter Wernlin von Ystein x ß Uolrich Einvaltig, der metziger, sol xxxv ß Ringglerin, die hebam j ß Hans Mäler [...] sond vij ß Zehender, der zem Jmber knecht wazz vij ß

Vermögen fl. 0/10 0/10 0/10 0/10 0/10

8 22 39 46 59

Hartman kürßener sol xj lib xxiij d der von Winsperg sol xvj ß Thinlin Wiberin sol ij lib iij ß iiij d Elsin Unglich, des kochs buol, sol xv ß minus iiij d swester Elschin von Mulberg sol iij ß

10/50 10/50 10/50 40 50

29 104 105 119 150 165 194

Graf, der amptmann, sol v ß Hegelin, der tegk, sol ij ß Boumar, der winman, sol vij ß Conrat Lindenbluost sol xviij d Hans Hueber, der müller ze sant Alban vij ß Meygenvogel, der sporer j guldin Wernlin Jager sol j lib von Heinrich Zieglers knechtz wegen

50/100 50/100 50/100 50/100 50/100 50/100 50/100

80 Heinrich Bammnach, der metziger xvj ß 171 Wernlin Moll v- ß 173 Peter Widerspach j ß

100/150 100/150 100/150

52 102 114 129 175 198 202

Hans Wartemberg, der wechßler, sol xviij d [...] Hefenlin sond vij ß der jung Thannwald ij lib vij ß Uolrich von Buchssi ze sant Albans thor sol ij ß iiij d Phiffer, der schnider ij ß Conrat Haefenli sol vij ß Burkart Ziegler sol xj- lib iiij ß

150/300 150/300 150/300 150/300 150/300 150/300 150/300

102 159 184 193

[...] Urban Mäler [...] sond vij ß Henslin Blarer sol xij ß von her Burkart Münchs wegen Wonlich sol xj- ß Peter Holdrian vij guldin minus ij soum wins, aber sol er j lib

300/500 300/500 300/500 300/500

147 Heinrich von Biell sol j guldin j lib iij ß 200 Jergen Kasten frow sol ij ß

750/1000 750/1000

130

Hans-Jörg Gilomen

67 Heinrich Meyger, der brotbegk, sol iiij- ß 85 der alt Wegenstetter sol xxxiiij- ß 157 Peter Gatz iiij ß

Vermögen fl. 1500/2000 1500/2000 1500/2000

37 Wernlins von Kilchein swester sol vj ß ij d 110 Andreß Ospernell j lib vij ß

2000/2500 2000/2500

141 jungkher Hennman Truchsaesß von Rinfelden sol iiij ß viij d 183 Hanns von Sennhein sol iiij ß minus iiij d 43 Ulman Mornach sol ij ß

2500/3000 2500/3000 2500/3000

106 Heinrich Brogand von Mümpelgart sol xxvj guldin viiij lib iij ß

3000/3500

Erstaunlich ist es, dass nur 41 Schuldner72 in der sehr zeitnahen Steuerliste von 1429 eindeutig zugeordnet werden konnten. Die Schuldner gehörten den unteren 13 von insgesamt 26 Steuerklassen an, die Vermögen von 0 bis über 9500 fl. umfassen73. In den unteren 13 Klassen steuerten übrigens 1429 insgesamt 2470 Personen, in den oberen 13 Klassen nur 6674! Die höchste Steuerklasse wäre repräsentiert durch Junker Ludman, Sohn der Frau von Andlau (187). Diese Adlige steuerte 1429 in der Klasse der Vermögen über 9500 fl., allerdings zusammen mit ihren Kindern.

Unterschicht Die Zuordnung zur Unterschicht kann nicht anhand des meist angeführten Lagemerkmals des geringen versteuerten Vermögens erfolgen, da die betreffenden Personen in den erhaltenen Steuerakten zum Jahr 1429 nicht auftauchen. Zu nennen sind als die größte Gruppe jene neun Männer, welche als „knecht“ eines Junkers bezeichnet werden (3, 6, 40, 77, 97, 118, 133, 139, 185). Hierher gehören auch der Söldner Vinzenz (127) sowie die Knechte des Deutschordenshauses (117) und zem Imber (134). Vom Gesinde des Markgrafen, der in Basel eine Residenz unterhielt, sind eine Magd (120), ein Diener (177) und ein Koch (56) kleine Beträge schuldig geblieben. Mägde sind auch im Dienst des Klosters Gnadental (72) und 72 Hefenlin in 102 und 198 ist identisch. 73 Siehe die Tabelle bei Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 525. 74 Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 181.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten

131

eines Krämers (75) genannt. Vom Gesinde des Klarissenklosters St. Clara erscheint der Koch (95) sowie die gengglerin ze sant Clären (122) und Hüglin, der von sant Clären knab (170), deren Funktionen unklar bleiben. Weiter wird ein Trompeter (68) erwähnt. Bereits oben unter den Berufsleuten waren zwei Handelsgehilfen zu verzeichnen, welche aber vielleicht auch zur Unterschicht zu zählen sind (82, 153). Unter den Frauen gehört des kochs buol (46), hierher, ebenso eine tüchliwescherin (48). Auch die Hebamme (96), welche bereits unter den Berufsleuten aufgeführt wurde, ist wohl der Unterschicht zuzurechnen. Insgesamt dürften somit 27 Schuldner (13,5 % von insgesamt 200) der Unterschicht angehören. Es ist zu vermuten, dass sich weitere unter jenen Namen befinden, die nicht zugeordnet werden können. Ihre Schuld beläuft sich auf 14 lb 10 ß 2 d bzw. 12.39 fl., d. h. auf 3,34 % der gesamten Kredite (370.95 fl.). Der Durchschnitt beträgt nur 10 ß 9 d bzw. 0.46 fl. Erstaunlich erscheint es, dass selbst diese Leute vom Krämer für kreditfähig erachtet wurden und somit nicht gezwungen waren, Habseligkeiten zu verpfänden, um an Bargeld zu kommen.

Frauen Insgesamt enthält die Liste 43 Frauen (21,5 %). Davon gehörten fünf dem Adel an (7, 24, 178, 181,190), zehn waren Nonnen (12, 15, 16, 28, 36, 53, 59, 112, 148, 191). Das Kloster St. Clara blieb dem Krämer auch als Institution Zahlungen schuldig (189). Als Ehefrauen von Berufsleuten sind sechs genannt (66, 91, 142, 16975, 195, 200). Sieben Frauen gehörten zur Unterschicht (46, 48, 72, 75, 96, 120, 122). Es bleiben 14 Frauen, die nicht klar diesen Gruppen zugeordnet werden können (11, 23, 25, 30, 33, 37, 39, 62, 100, 109, 126, 154, 168, 186). Ganz „gesichtslos“ bleiben auch diese aber nicht. Eine davon ist die Schwester eines Krämers (37), eine versteuert ein Vermögen von 10–50 fl. (39), eine übt den Trödlerberuf aus (126) und eine weitere ist die Frau des Vogtes von Tannenkirch bei Kandern oder Dannemarie (deutsch Dammerkirch) im Sundgau (186). Die Gesamtsumme beläuft sich auf 26 lb 6 d bzw. 22.23 fl., also nur 5.99 %. aller Kredite. Der Durchschnitt beträgt entsprechend nur 12 ß 1 d bzw. 0.52 fl., liegt also nur unwesentlich über demjenigen der Unterschichtangehörigen.

75 Sie ist Ehefrau oder Tochter eines Metzgers.

132

Hans-Jörg Gilomen

Schluss Zusammenfassend ergibt die Analyse der Schuldnerliste, dass Personen aller Bevölkerungsschichten und Stände von der Dienstmagd bis zum Adligen Junker, auch die Geistlichkeit von der Nonne des Bettelordensklosters bis zur Äbtissin, vom Landpfarrer bis zum Stiftsherrn den Kleinkredit des Krämers in Anspruch nahmen. Der Befund bestätigt die These, dass der verzinsliche Faustpfandkredit durch den Borgkauf zumindest teilweise im 15. Jahrhundert substituiert wurde und dass dies die Rolle der professionellen Geldverleiher, der Lombarden und Juden, auch im Kleinkredit zurückdrängte.76

Quellenedition Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv, Gerichtsarchiv C 1, fol. 81v.–87r. 4a ante Nativitatem Marie [5. September 1431] Notandum. Vacat, wand si wurdent stoessig und woltent einandern geschlagen han. Also sprach ich, diß soelte als vil als nüt sin. Und also schiedent si, daz si darumb für recht kommen meinden. [dies am Rand nachträglich] Jtem als do Conrat Stützemberg und frow Elsin, sin ewirtin, die hundert guldin, so vor ziten der von Loewemberg hinder Stephan Offemburg seligen geleit hatt, über sich genommen und die jungkher Ruodolffen von Eptingen umb einen jerlichen zinß versichert hand, also bekantent sich Aberlin Offemburg und frow Angnes, wilent Stephan Offemburgs, sins bruoders seligen ewirtin, so nu Gorgius Stützenbergs ewirtin ist, daz si den obgen. Conraten und Elsin, siner ewirtin, von soliches vorgeschribnen geltz wegen, daz si denne umb früntschaft über sich genommen und umb zinse versicheret hand, als vor stät, da für ze phand ingesetzet hettint diß nachgeschriben ir schulden, und darzuo die besserung der schuld, die im und Clausen vormäln hafft ist von der versprechung wegen, als si für si gegen Offemburg versprochen hand, also nach Clx guldin, wond si vormaln des obgen. Conratz und och Claus Stützenbergs, sins bruoders, phand darumb sind. Und denne ouch nach zehen guldin, die aber Wernlin Tessenhein, dem wechßler, davon ze gebend gehörent. Und des, so hand ouch Aeberlin und sins vorgen. bruoders seligen wip gelopt by ir trüw, ir aller bestes ze tuond, derselben schuld ze beziehend fürderlich. Und wazz ouch si dero beziehent, die soellent si hinder die vorgen. Conraten 76 Diese These habe ich begründet in meinem im Druck befindlichen Aufsatz: Gilomen, Die Substitution jüdischer Kredite im Spätmittelalter. Das Beispiel Zürichs (wie Anm. 47).

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten

133

und sin wirtin legen, und nützit davon ze nement, es were denn umb x ß den schribern oder des glich, so lang und sovil, untzen daz si umb die vorgeschribnen C guldin, darzuo umb den zinse und andern kosten, so daruf gangen wer, gelidiget und erlöset und gar und gentzlichen darumb entschediget werdend. Wer aber daz si mit solicher beziehung sumig werend, so möchtent aber Conrat und sin wip solich schulden in Aeberlins und sins brueders seligen wip kosten wol für sich selber beziehen, so lang und sovil und daz si harin erlidiget und entschaediget werdind, alles ane alle widerred und geverd. fol. 82r. Die Liste der Schuldner ist wahrscheinlich von Agnes Schaler und Aeberlin Offenburg vor Gericht eingereicht und als Heft in die Akten aufgenommen worden, wobei zwei wohl leere Blätter zu Beginn weg geschnitten sind. Von der Hand des Gerichtsschreibers ist nachträglich der erste Satz oben auf die Liste gesetzt worden, die aber im Übrigen von einer anderen Hand geschrieben ist. Nur auf der ersten Seite sind Kreuze und Kreise eingesetzt, die mit dem Inkasso zusammenhängen77. Die Halbierung einer Zahl wird in spätmittelalterlichen Handschriften durch einen Strich durch den Schaft des römischen Zahlzeichens gegeben. Dies wird hier drucktechnisch durch einen Querstrich (Minuszeichen) nach dem letzten Schaft dargestellt. Es bedeutet iiij- somit 3 ½, v- bedeutet 4 ½ usw. Vnd ist diß die schuld, so also verbunden ist, vt sequitur.

1 2

+ Item jungkher Hertrich ze Ryn tenetur j fl78 xij- ß o Item jungkher Hans Froewler79 sol xxiiij lib xvij ß

lb 1 24

ß 14 17

d fl. 11 1.49 21.22

77 Dazu oben bei Anm. 31. 78 1429 bis 1431 zahlt man 117 Pfund für 100 fl., d. h. 280,8 d oder rund 23 ß 5d für einen fl. Siehe Rosen, Josef, Relation Gold : Silber und Gulden : Pfund in Basel 1360 bis 1535, in: 7. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1977 in Göttingen, Stuttgart 1981; auch in: Rosen, Josef, Finanzgeschichte Basels im späten Mittelalter, Stuttgart 1989, S. 134–147. Dies hier als Umrechnungswert genommen. 79 Die Stammtafel Fröweler von Aug. Burckhardt in Staehelin, Wappenbuch (wie Anm. 21) verzeichnet zwei Personen dieses Namens, die beide 1426 noch leben, 1427 aber tot sind. Hanns Frowelers kind  versteuert 1429 unter Rittern und Achtburgern 1000–1500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 527a. Auch gemäß StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 83r, 21. März 1431 war Hans Fröwler schon tot, von welchem Stephan Offenburg um Schulden gerichtlich eine Naturalrente von Gütern in Uffheim übernommen hatte.

134 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Hans-Jörg Gilomen + Item Uolrich Henniggi, jungkher Jergen von Tegernow knecht, sol xxxij ß + Item Hanns Buschat, der schnider von Telrsperg80, sol iij ß + Item min herre der propst ze sant Lienhart81 sol vij ß + Jtem Claus, jungkher Cuentzlins von Efringen knecht, sol xxxvij ß iiij d o Jtem frow Süßlin von Hadstatt82 sol ij lib vj ß iij d + Jtem Hartman kürßener83 sol xj lib xxiij d o Jtem Frantz Späler sol j lib viij ß viij d + Jtem her Claus Kanser, lüpriester ze Gewilr84, sol iij- lib iij- ß iiij d + Jtem Gred Nüsslina die junge sol xiij ß o Jtem min frow von Thierstein an den Steinen85 sol xj ß o Jtem Hans Sanger, der schnider86, sol ij lib ij ß viij d + Jtem Heinrich von Bisel87 sol j lib

1

12 3 7

1 2 11 1

17 6 1 8

2

12 10 13 11 2 8

2 1

1.37 0.13 0.30 4 3 3 8

1.59 1.98 9.45 1.22 2.26 0.56 0.47 1.82 0.85

80 Delsberg (Delémont), Kt. Jura. 81 Johannes Offlatter, 1416–1439 Propst des Augustiner Chorherrenstifts St. Leonhard in Basel. Siehe Helvetia Sacra, IV, 2: Die Augustiner Chorherren und die Chorfrauen-Gemeinschaften in der Schweiz, Basel 2004, S. 89f. 82 Susanna von Hattstatt, elsässisches Freiherrengeschlecht mit Besitz in Basel, verheiratet mit Burkart VII. Münch von Landskron, Merz, Burgen (wie Anm. 15), Stammtafel nach S. 12, sowie Feller-Vest, Veronika, Die Herren von Hattstatt. Rechtliche, wirtschaftliche und kulturgeschichtliche Aspekte einer Adelsherrschaft (13. bis 16. Jahrhundert) (Europäische Hochschulschriften, 3, 168), Bern 1982, Stammtafel der Gutemannen 2: Todesdatum hier 1432. 83 Er versteuert 1429 10 bis 50 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 541b. 84 Guébwiller, Departement Haut Rhin, Frankreich. 85 Im Dominikanerinnen-Kloster St. Maria Magdalena an den Steinen in Basel lebten in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zwei Töchter des Hochadligen Walram III. von Thierstein (1345–1403), nämlich Agnes und Elsi, siehe Helvetia Sacra IV, 5: Die Dominikaner und Dominikanerinnen in der Schweiz, Basel 1999, S. 604. 86 In der Steuerliste von 1429 erscheint unter Schneidern kein Hans Sanger. Genannt wird ein Scherer in Sangers Haus, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 545b, sowie eine Agnes Sangerin, die mit Krämern 10–50 fl. versteuert, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 530b. 87 In der Steuerliste von 1429 wird kein Heinrich von Bisel aufgeführt, hingegen in der Pfarrei Petri eine Agnes von Bisel mit einem Vermögen von 0 bis 10 Gl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 554a und b.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten 15 16 17 18 19 20

+ Jtem die ze Balmen von Olsperg88 sol xviij stebler89 + Jtem die zem Huß ze Olrsperg90 sol iij ß minus ij d o Jtem Hennmann Keller, der schnider xxxiij- ß o Jtem Heinrich zer Bluomen iij lib vij- ß + Jtem Heinrich Schlienger,91 Uolrich Schliengers sun, sol viij ß ij d + Jtem meister Arnold, der kannengiesser, sol xv ß

fol. 82v 21 Jtem Johannes Valkenstein,92 Heinrich Wilderwirtz swäger, sol vij- lib v ß 22 Jtem der von Winsperg93 sol xvj ß 23 Jtem Peters zem Wind frow94 sol iiij ß iiij d 24 Jtem jungkfrow Elsin von Löwemberg sol j lib 25 Jtem Hennmann tuochscherers swiger Aptine sol xv ß iiij d 26 Jtem her Hans von Muntzach95 sol v- guldin und j ort 27 Jtem Walther Kupffernagel und Hans Byschoff96 sond C lib vnd xxxvj lib x ß viij d 28 Jtem Zwingerin ze Gnaedental97 sol j ß

135

1 3

6

9 2 10 12 6 6 6

0.03 0.12 1.39 2.84

8 2 15

0.35 0.64

15 16 4 4

5.77 0.68 0.19 0.85 0.65 4.74

1 15 11

4 1

136 10 1

8

5

116.61 0.04

88 Adlige Nonne des Zisterzienserinnen-Klosters Olsberg, Kt. BL. aus dem Freiherrengeschlecht von Balm. 89 Stäbler oder Stebler, eine Basler Münze, genannt nach dem Bischofsstab auf dem Avers, im Wert eines halben Pfennigs. 90 Adlige Nonne des Zisterzienserinnen-Klosters Olsberg, Kt. BL. 91 Kaufmann, siehe Ehrensperger, Franz, Basels Stellung im internationalen Handelsverkehr des Spätmittelalters, Basel 1972, S. 209 unter Würzburg. 92 Aus Altkirch, Kaufmann, StBS, Gerichtsarchiv C 2–4, fol. 15v, 17. Mai 1427. 93 Burkart von Winsperg versteuert 1429 in Klein-Basel 10–50 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 549a. 94 Zu Peter zem Wind (dem älteren) siehe Koelner, Paul, Die Zunft zum Schlüssel in Basel, Basel 1953, S. 224f. Der Sohn Peters zem Wind versteuert 1429 1400 Gulden; Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 556. Unter Nichtzünftigen wird auch ein Peter zem Wind genannt, der nur 10–50 fl. versteuert, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 558a. 95 Hans von Muntzach war bei der Abfassung der Liste wohl schon tot. Siehe StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 83r, 21. März 1431. 96 Es handelt sich wohl um Hans Bischoff von Balstal, Karrer und später Wirt, siehe Stammtafel Bischoff von Vislis in Staehelin, Wappenbuch (wie Anm. 21). Zu ihm wie auch zu Kupfernagel siehe oben bei Anm. 68. 97 Nonne im Klarissen-Kloster Gnadental in Basel. nicht in der Schwesternliste bei DeglerSpengler, Brigitte, Das Klarissenkloster Gnadental in Basel, 1289–1529 (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte, 3), Basel 1969.

136 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Hans-Jörg Gilomen Jtem Graf, der amptmann98, sol v ß Jtem Jegklin Kurtzen frow sol xiij ß ix d Jtem Trösch, der schiffman99, sol j guldin v ß ij d Jtem Aebrecht Keller, der schnider, sol viij ß Jtem Elsin, Heintzman Kellers seligen frow iiij ß iiij d Jtem her Walther Treyger, thuomherre ze Rinfelden100 vij- ß ij d Jtem Conrat Ruedliker von Thannenkilch101 xiiij ß Jtem die von Ramstein ze Gnaedental102 sol vj- ß iij d Jtem Wernlins von Kilchein swester103 sol vj ß ij d Jtem Heintzi Sydler von Thannenkilch104 sol xiiij d Jtem Thinlin Wiberin105 sol ij lib iij ß iiij d

2

5 13 8 8 4 6 14 5 6 1 3

fol. 83r 40 Jtem Claus Röw, jungkher Hans von Flachßlanden knecht, sol vj ß 41 Jtem Henniggin, der nädler, Wilmis106 tochterman, sol iiij guldin 4 42 Jtem Nigglin, der rosßtüscher107, sol j lib iij ß iiij d 1 43 Jtem Ulman Mornach108 sol ij ß

6 13 3 2

1

9 7 4 8 9 2 2 4

8 4

0.21 0.59 1.22 0.34 0.19 0.28 0.60 0.25 0.26 0.05 1.85

0.26 4.00 1.00 0.09

98 Claus Graf, wilent amptman, versteuert 1429 mit Schmieden 50-100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 536a. 99 Clewin Trösch versteuert 1429 mit Schiffleuten und Fischern 300–500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 547a; ein weiterer Trösch mit denselben 0–10 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 547b. 100 Chorherr des Kollegiatstifts St. Martin in Rheinfelden, Kt. Aargau. 101 Tannenkirch bei Kandern, Landkreis Lörrach, oder Dannemarie (deutsch Dammerkirch), Departement Haut-Rhin, Frankreich. 102 Agnes von Ramstein, Edelfreie, Tochter des Thüring VIII. von Ramstein ud der Adelheit von Neuenburg, der Schwester des Basler Bischofs Humbert von Neuenburg, Äbtissin des Klarissen-Kloster Gnadental in Basel, siehe Helvetia Sacra V, 1: Der Franziskusorden, Bern 1978, S. 549, sowie Degler-Spengler, Gnadental (wie Anm. 97), S. 92. 103 Der Krämer Werlin von Kilchein und seine Schwester versteuern 1429 2000–2500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 529a. 104 Tannenkirch bei Kandern, Landkreis Lörrach, oder Dannemarie (deutsch Dammerkirch), Departement Haut-Rhin, Frankreich. 105 Wohl die Wiberin im Silbergaesselin in Klein-Basel, welche 1429 ein Vermögen von 10– 50 fl. versteuert; Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 549a. 106 Wilmyn versteuert 1429 mit Schneidern und Kürschnern 0–10 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 541b. 107 Nigglin von Missen versteuert 1429 mit Schmieden 50–100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 536a. 108 Versteuert 1429 mit Metzgern 2500–3000 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 538a.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

Jtem Peter, der gremper von Telrsperg109, sol vj ß Jtem Eberhart Egkart, wazz by her Conrat Phäwen, sol iij guldin vnd j lib Jtem Elsin Unglich110, des kochs buol, sol xv ß minus iiij d Jtem her Johans Wisß, lütpriester ze Nidren Eggenheim111 iiij ß iij d Jtem Swartz Elsin, die tüchliwescherin, sol v ß Jtem meyster Claus Himeltruen, der schnider, sol vij ß Jtem Jacob Malsch, der goltschmid, sol x ß Jtem Heini Logk, der kilchmeyger von Bintzhein112, sol iiij lib [korrigiert: ß] iiij ß Jtem Hans Wartemberg, der wechßler113, sol xviij d Jtem Ursselin zem Houpt114 sol iij- ß Jtem meyster Herman, der schnider yensit Rins, sol ij lib xviij d Jtem Uolrich Sauger, der schnider, sol ij lib Jtem meister Conrat, mins herren des marggräfen koch, sol iiij- ß Jtem jungkher Heinrich Lipp sol j lib vij ß

fol. 83v 58 Jtem Tümlin, der müller sol xv ß 59 Jtem swester Elschin von Mulberg115 sol iij ß 60 Jtem jungkher Conrat von Mörsperg116 sol ix ß 61 Jtem Sendlin, der schuemacher von Schopffhein117, sol xviij ß

137

4

2 2 1

6

0.26

10 3 14 8

3.85 0.63

4 5 7 10

0.18 0.21 0.30 0.43

4 1 2 1 3 7

15 3 9 18

3

6 6 6 6

0.17 0.06 0.11 1.77 1.71 0.15 1.15

0.64 0.13 0.38 0.77

109 Delsberg (Delémont), Kt. Jura. 110 Eine Unglichin versteuert 1429 in der Pfarrei Petri 40 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 555b. 111 Niedereggenen (eingemeindet in Schliengen), Schwarzwald, Baden-Württemberg. 112 Binzen, Landkreis Lörrach, Deutschland. 113 Er versteuert 1429 zünftig bei Hausgenossen 150–300 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 528b. 114 Tochter des Angehörigen der Hohen Stube Conrat zem Haupt, Nonne im Dominikanerinnen-Kloster Klingental. Siehe Conrads Stiftung zu ihren Gunsten Jahrzeitenbuch 15. Jh. im StBS, Klosterarchiv, Klingental H, fol. CCVIIrecto. 115 Tochter eines Basler Schuhmachers, Schwester des Basler Dominikaners Johannes Mulberg, Nonne wahrscheinlich im Dominikanerinnenkloster Schönensteinbach im Elsass, siehe Von Heusinger, Sabine, Johannes Mulberg OP (+ 1414). Ein Leben im Spannungsfeld von Dominikanerobservanz und Beginenstreit (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens NF, 9), Berlin 2000, S. 6 und 175. 1429 versteuert eine Elsch von Mulberg in der Pfarrei Pertri ein Vermögen von 50 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 555b. 116 1428 Vogt zu Pfirt, 1456 Ritter, siehe Stammtafel Herren von Mörsberg in Staehelin, Wappenbuch (wie Anm. 21). 117 Schopfheim, Landkreis Lörrach, Deutschland.

138 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74

Hans-Jörg Gilomen Jtem Clerlin Flössers sol iiij- ß Jtem Johannes Mader, der schriber, sol xxxv ß minus ij d 1 Jtem Johannes Zwinger, der underschriber118, sol iij ß 1 Jtem Henslin von Biedertan119 sol j lib v ß Jtem Bürgklin, frow des schiffmans, sol ij ß Jtem Heinrich Meyger, der brotbegk120, sol iiij- ß Jtem der trumpeter sol xij ß Jtem Vellboum von Louffen sol vj ß Jtem Jacob Blattners sun sol iij ß v d Jtem Surlin der alt121 sol xxij d Jtem Gred Spenglerin an den Spalen, die der von Gnaedental122 jungkfrow wazz, sol viij ß Jtem Clewin Wygach, der vischer von Mergt123, sol xij ß Jtem meister Uellin, der maler am Vischmergt, sol ix ß minus iiij d

3 14 3 5 2 3 12 6 3 1

6 0.15 10 1.49 0.13 1.07 0.09 6 0.15 0.51 0.26 5 0.15 10 0.08

8 12

0.34 0.51

8

8

0.37

118 Johannes Zwinger ist urkundlich als Unterschreiber nur 1431 belegt, Basler Chroniken (Bd. 4) bearb. v. August Bernoulli, Leipzig 1890, S. 136. Der städtische Unterschreiber erhielt gemäß einer Aufstellung von 1430 einen Jahreslohn von 44 fl.; dazu kam offenbar noch ein Wochenlohn von 6 ß, im Jahr somit 15 lb 12 ß; siehe Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 559f. Zwingers seligen sun (dieser?) versteuert 1429 mit Kaufleuten 150– 300 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 528b. 119 Die Witwe von Hans von Biedertan versteuert samt ihren beiden Söhnen 1429 mit Schmieden 300– 500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 535b; ein anderer Biederthan versteuert 1429 mit Linwetern und Webern 50–100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 546a; ein dritter Biedertan mit Schiffleuten und Fischern 300– 500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 547a. 1438 wurde Gut eines Henslin von Biedertal durch den Basler Kaufmann Ludman Meltinger arrestiert, Ehrensperger, Basels Stellung (wie Anm. 91), S. 202. 120 Heini Meiger versteuert 1429 mit Brotbecken 1500–2000 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 539a. Er war seit 1425–1431 sowie 1435–1446 Ratsherr seiner Zunft; Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 780ff. 121 Hanns und Dietherich Sürlin versteuern 1429 je 6000–6500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 526a; Hans Conrad Sürlin 3000–3500 fl. Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 526b. Alle unter Rittern und Achtburgern. Hans Sürlin trat 1430 als Vogt der Witwe Stephan Offenburgs vor Gericht auf, StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 60r-v, 19. Dezember 1430 = Apelbaum, Handelsgesellschaften (wie Anm. 15), S. 126. 122 Ehemalige Magd im Klarissen-Kloster Gnadental in der Spalenvorstadt in Basel. 123 Märkt, Landkreis Lörrach, Deutschland.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten fol. 84r 75 Jtem Neslin, die Heinrich Dorners124 jungkfrow wazz, sol xxxv ß viij d 76 Jtem Nesselbach, der schnider125, sol xxj d 77 Jtem Michel, mins herren von Loewemberg knecht, sol j lib v ß minus iiij d 78 Jtem der hußgenossen zunft sol j lib iij- ß 79 Jtem Gerwig, der goltschmid von Thann126 v ß iiij d 80 Jtem Heinrich Bammnach, der metziger127 xvj ß 81 Jtem Peter Wernlin128 von Ystein129 x ß 82 Jtem Hans von Gym130, der Bragantz131knecht wazz xiij ß 83 Jtem Uolrich Einvaltig, der metziger132, sol xxxv ß 84 Jtem Peter Keller, der vischer, sol xiiij- ß 85 Jtem der alt Wegenstetter133 sol xxxiiij- ß 86 Jtem Erhart Byschoff, der smid134 an den Spalen135 xix ß 87 Jtem Tagstein [gestrichen], der schmid [gestrichen] x ß 88 Jtem Johannes Ulmer, der Nöri ze Straßburg iiij- lib j ß

139

1

15 1

8 9

1.52 0.07

1 1

4 2 5 16 10 13 15 13 13 19 10 11

8 6 4

1.05 0.96 0.23 0.68 0.43 0.56 1.49 0.58 1.43 0.81 0.43 3.03

1 1

3

6 6

124 Heinrich Dorner / Torner, der Krämer, erwarb 1416 das Bürgerrecht, versteuerte 1429 1500–2000 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 529; war Mitglied des Rats als Vertreter der Krämerzunft 1435/6, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 784; er begegnet im Handel mit Besançon, siehe Ehrensperger, Basels Stellung (wie Anm. 91), S. 201 unten. 125 Hans Nesselbach, der Schneider, hat sich 1409 beim militärischen Auszug nach Istein das Basler Bürgerrecht verdient. Koelner, Schlüssel (wie Anm. 94), S. 194. 126 Thann, Département Haut-Rhin, Frankreich. 127 Versteuert 1429 mit Metzgern 100 bis 150 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 539a. 128 Peter Wernlin versteuert 1429 mit Grautüchern und Rebleuten 0–10 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 534b. 129 Landkreis Lörrach, Deutschland. 130 Wohl Handelsgehilfe des Krämers Hans Bragand. 131 Hans Bragand, Krämer, trieb 1424 und 1437 Handel nach Montbéliard, Ehrensperger, Basels Stellung (wie Anm. 91), S. 42 unten, siehe auch S. 44 Mitte und S. 101 unten. Er kaufte 1441 Tuch von Kölner Kaufleuten, Ehrensperger, Basels Stellung (wie Anm. 91), S. 229. Ein Bregant, wahrscheinlich derselbe, versteuert 1429 mit Krämern 3000–3500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 529a. 132 Gehört 1429 zur untersten Steuerklasse mit 0–10 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 539b. 133 Rudolf Wegenstetter versteuert 1429 mit Rittern und Achtburgern 1500–2000 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 526b. 134 Die Steuerliste von 1429 verzeichnet unter den Schmiedezünftigen keinen Erhart Bischof. 135 Spalenvorstadt in Basel.

140 89 90

Hans-Jörg Gilomen Jtem her Hug Bürsting von sant Ursitzen136, kilcherre ze Calw137 [Loch im Papier] Jtem her Hans von Bedull, kilcherre ze Lufendorff138, sol ij guldin j ort vnd xvij ß minus iiij d 3

fol. 84v 91 Jtem Mathysen frow, des baders an den Steinen139 v ß 92 Jtem jungkher Hans Swytzer von Mörsperg140 sol iij- guldin vnd xxx ß 93 Jtem Johannes Buechbinder sol ij lib minus j ß 94 Jtem Junniceller, der wirt von Schäffhusen141, sol j gulden ix ß 95 Jtem Hanns, der von sant Clären koch xvj ß 96 Jtem Ringglerin, die hebam142 j ß 97 Jtem Eglin, jungkher Cüntzlins von Efringen knecht, sol xxxiij ß iij d 98 Jtem her Klüglin, der Augustiner143, sol xviij d vnd j lib 99 Jtem Cristan von Stein sol viiij- ß 100 Jtem Hasina von Muttentz144 sol vij ß iij d 101 Jtem Heinrich Gürtler von Costentz145 sol iij- guldin xj ß ij d 102 Jtem Hans Mäler146 und Urban Mäler147 und Hefenlin148 sond vij ß

9

4

2.96

5

0.21

4 1 1

8 6 19 12 5 16 1

3.78 1.67 1.38 0.68 0.04

1 1

13 1 8 7 9

1.42 0.92 0.36 0.31 2.98

3

7

3 6 6 3 8

0.30

136 Saint-Ursanne, Kt. Jura. 137 Calw, südlich von Pforzheim, Deutschland. 138 Lufendorf – Levoncourt, Departement Haut-Rhin, Frankreich. 139 Steinenvorstadt in Basel. 140 Mörsperg (Morimont), Arrondissement Altkirch, Département Haut Rhin, Frankreich. 141 Schaffhouse-sur-Zorn bei Seltz, Département Bas-Rhin, Frankreich, oder Schaffhausen, Schweiz. 142 Wohl Gred Ringlerin oder Ennelin Ringlers, welche beide 1429 0–10 fl. versteuern; Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 553b in der Pfarrei Leonardi und S. 554a in der Pfarrei Martini. 143 Johannes Kluglin, Mönch und bis 1456 Schaffner des Augustiner-Eremiten-Klosters in Basel. Siehe Neidiger, Bernhard, Mendikanten zwischen Ordensideal und städtischer Realität. Untersuchungen zum wirtschaftlichen Verhalten der Bettelorden in Basel (Berliner Historische Studien, 5, Ordensstudien, 3), Berlin 1981, S. 182. 144 Muttenz, Kt. Basel-Landschaft. 145 Konstanz. 146 Hans Moler vesteuert 1429 mit Grautüchern und Rebleuten 0–10 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 534a. 147 Urban, der Maler, versteuert 1429 300–500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 545a. 148 Cuenrat Hefelin, der Glaser, versteuert 1429 150–300 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 545a.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten 103 104 105 106 107

Jtem Süterlin über Ryn sol viij ß Jtem Hegelin, der tegk149, sol ij ß Jtem Boumar, der winman150, sol vij ß Jtem Heinrich Brogand von Mümpelgart151 sol xxvj guldin viiij lib iij ß Jtem Henman Herbrot, der alt vogt von Lörach152, sol ij lib vj- ß

fol. 85r 108 Jtem her Aebrecht Karle, mins herren von Muerbachs capplan153 iij ß 109 Jtem Gürtlers wip ensit Rinß viij ß 110 Jtem Andreß Ospernell154 j lib vij ß 111 Jtem Glattyß von Louffenberg155 sol j lib 112 Jtem die von Linigen ze Künigsfelden156 xv ß 113 Jtem Lüllfogel, der wirt ze Stein157 xix ß

141 8 2 7

0.34 0.09 0.30

39

11

10 33.81

2

5

6

1 1

3 8 7 15 19

1.94

0.13 0.34 1.15 0.85 0.64 0.81

149 Hegelin der teck (Dachdecker) versteuert 1429 mit Zimmerleuten 50–100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 543a. 150 Boumer versteuert 1429 mit Weinleuten 50–100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 532a. 151 Montbéliard (deutsch veraltet Mömpelgard) Département Doubs, Frankreich. Ein Bregant versteuert 1429 mit Krämern 3000–3500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 529a. Dabei dürfte es sich um Hans Bragand, Krämer, handeln, der u. a. nach Montbéliard Handel betrieb, siehe oben Anm. 131. Vielleicht war Heinrich ein Verwandter. 152 Heini Herbot (so habe ich seinerzeit gelesen) oder Herbrot als Vogt von Lörrach z. B. 1421 belegt, siehe Gilomen, Hans-Jörg, Die Grundherrschaft des Basler Cluniazenser-Priorates St. Alban im Mittelalter. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte am Oberrhein (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte, 9), Basel 1977, S. 259, siehe auch S. 167f. und 298 über die Leihe des Dinghofs Lörrach im Jahr 1372 an Henninus Herbot, einen Vorfahren des hier genannten Schuldners. Lörrach, Kreisstadt, Deutschland. 153 Kaplan des Abtes des Benediktiner-Klosters Murbach im Elsass Peter von Ostein (1428– 1434). Siehe Helvetia Sacra II, 1: Die Orden mit Benediktinerregel, Bern 1986, S. 893. 154 Der Kaufmann und langjährige Basler Schultheiss Andres Ospernell versteuert 1429 mit Kaufleuten 2000–2500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 527a. 155 Laufenburg, Kt. Aargau. 156 Graphie im Original Lnigen korrigiert zu Linigen. Gräfin Elisabeth von Leiningen (Liningen), aus pfälzischem Grafenhaus, 1411 und 1416–1455 Äbtissin im Klarissen-Kloster Königsfelden, Kt. Aargau. Siehe Helvetia Sacra V, 1: Der Franziskusorden, Bern 1978, S. 572f. 157 Stein, Kt. Aargau.

142 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125

Hans-Jörg Gilomen Jtem der jung Thannwald158 ij lib vij ß 2 Jtem Unglich sol xxxiiij ß 1 Jtem Züricher, der wachtmeister159 iiij ß minus ij d Jtem Altgeschaffen, der knecht ze Tütschenhuß160, sol xviij d Jtem Claus, jungkher Lienhartz zem Bluomen knecht, sol xviij d Jtem Conrat Lindenbluost161 sol xviij d Jtem Gred, die jn mins herren der marggräfen hof162 wazz viij d Jtem Hans Hofer, der schnider, sol vij- ß Jtem Elsin Süterlins, die gengglerin163 ze sant Clären164, sol v ß iiij d Jtem Hans, der schnider, der by Kessler165 wazz ij lib x d 2 Jtem her Conrat von Altemphird166 sol iiij ß Jtem Mathys, der by Walther Kupffernagel wazz, sol xviij ß

fol. 85v 126 Jtem die von Thierikon, die köifflerin167, sol iiij ß 127 Jtem Vincentz, der soldener, sol xx d 128 Jtem Ströwlin, der bader, sol ix ß 129 Jtem Uolrich von Buchssi168 ze sant Albans thor sol ij ß iiij d

7 14 3 1 1 1 6

2.01 1.45 10 0.16 6 0.06 6 0.06 6 0.06 8 0.03 6 0.28

5

4 0.23 10 1.74 4 0.17 18 0.77

4 1 9 2

8 4

0.17 0.07 0.38 0.10

158 Wohl Engelfrit Tanwalt, der 1429 mit Kaufleuten 150–300 fl. versteuert, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 528b. Dies unter der Annahme, dass der Kaufmann Hermann Thanwalt, der 2000–2500 fl. versteuert, der „alte“ ist, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 527a. Siehe auch Koelner, Schlüssel (wie Anm. 94), S. 118 und 209. 159 Die städtischen Wachtmeister erhielten gemäß einer Aufstellung von 1430 einen Jahreslohn von 10 lb 8 ß; siehe Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 560. 160 Deutschordenskommende in Basel. 161 Lindenbluost versteuerte mit Schneidern und Kürschnern 1425 50–100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 541a. 162 Der erste Hof der badischen Markgrafen an der Basler Augustinergasse (damals Spiegelgasse). 163 Unklar, vielleicht von gängele: mit einer kleinen Glocke vorläufig auf den bevorstehenden Gottesdienst aufmerksam machen, Idiotikon (Bd. 2), S. 363. Siehe auch Gänggele: lange, hagere Weibsperson, Idiotikon (wie Anm. 163), S. 364. 164 Klarissenkloster St. Clara in Basel. 165 Wohl Hans Kessler, welcher in der Zeit von 1422–1449 Ratsherr von Schneidern und Kürschnern war und 1429 ein ein Vermögen von 750–1000 fl. versteuerte, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 540a und 779ff. 166 Altpfirt – Vieux-Ferrette, Département Haut-Rhin, Frankreich. 167 Trödlerin. Siehe Rechtsquellen von Basel (wie Anm. 9), S. 107f.: Verordnung für die köufeler, 27. März 1420. 168 Uolrich von Buhs versteuert 1429 mit Weinleuten 150–300 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 531b.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143

Jtem die gesellschafft zer Haerren169 sol j lib iiij ß Jtem der reblüten zunft sond xx d vmb rennfennlin Jtem der nädler hinder sant Andres170 vj ß Jtem Claus, der her Grimmen knecht wazz von Grünemberg, sol viij d Jtem Zehender171, der zem Jmber172 knecht wazz vij ß Jtem meister Dietrich, der stett artzat wazz xxj d Jtem Johannes, der schriber, der jm spittal wazz xx d Jtem Griffler, der underköiffer173 j lib. Jtem Heinrich Swäb174 von Richißhein vj ß Jtem Hans, jungkher Ruodolffs von Nüwenstein knecht xx d Jtem der propst ze sant Peter175 viij d Jtem jungkher Hennman Truchsaesß von Rinfelden176sol iiij ß viij d Jtem Conrat tuochscherers frow xj ß Jtem Oswald Schliffer ij lib iiij- ß

fol. 86r 144 Jtem der jung Krangwergk177 vj ß

143 1

4 1 6

8

8 7 1 1

9 8

1 6 1

2

4 11 3

6

8 8 8 6

1.02 0.07 0.26 0.03 0.30 0.07 0.07 0.85 0.26 0.07 0.03 0.20 0.47 1.86

0.26

169 In der Klein-Basler Gesellschaft zur Hären waren Jäger, Fischer, Handwerker sowie niedrige Adelige, welche im Klein-Basel einen Hof besassen, vereinigt. 170 Kirche St. Andreas in Basel. 171 Vielleicht Hanns Zehender, der 1429 mit Krämern 0–10 fl. versteuert Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 531b. Die Steuerliste verzeichnet auch einen Conrat Zehender unter Grautüchern und Rebleuten mit demselben Betrag, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 534b. Die Steuerliste der Gerber und Schuhmacherzunft ist nicht überliefert. 172 Das Haus zum Imber (vom Gewürz Ingwer) war im 14. Jahrhundert Trinkstube der Basler Krämer, die aber vor 1383 ihre Zunftstube zu Safran bezogen. Danach diente das Haus zum Imber der Gesellschaft der Schuhknechte. Koelner, Paul, Die Safranzunft zu Basel, Basel 1935, S. 66. 173 Städtischer Makler, Vermittler. 174 Heinrich Swabs geswie versteuern 1429 in Klein-Basel 10–50 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 549b. 175 Rudolf von Terwil (de Terwilre), 1428–1439 Propst des weltlichen Kollegiatstifts St. Peter in Basel. Siehe Helvetia Sacra II, 2: Die weltlichen Kollegiatstifte der deutsch- und französischsprachigen Schweiz, Bern 1977, S. 139. 176 Ein Henmann Truchsess von Rheinfelden, lebt 1430 in Basel. Siehe Merz, Burgen (wie Anm. 15), Stammtafel 8 nach S. 164. Herman Truchsesse versteuert 1429 unter Rittern und Achtburgern 2500–3000 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 526b. 177 Hennmann Krangwerg, der Krämer, versteuerte 1429 als einer der reichsten Safranzünftigen 7000–7500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 529a. Peter Krangwerg versteuerte damals mit Kaufleuten 3500–4000 fl., Schönberg, Finanzverhält-

144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158

178 179 180 181

182

183

184

Hans-Jörg Gilomen Jtem me sol er xiij ß Jtem her Burkart Gerung sol vj lib iiij- ß, des het er Offemburg geben iiij lib minus j ß Jtem Heinrich von Biell178 sol j guldin j lib iij ß Jtem die Esslingerin ze Gnaedental179 sol xiij ß minus iij d Jtem her Thüring von Arberg sol noch j lib Jtem Hans Hueber, der müller180 ze sant Alban181 vij ß Jtem Peter Lüdin, der wagner iiij ß Jtem Nüsslin, der kannengiesserin sun, sol xiij ß Jtem Peterchin, Halbysens182 knecht ij ß iiij d Jtem die zer Summerow xv d Jtem Johannes, der schriber ensit Rins183 j ß Jtem Michel, Peter Gatzen knecht vj ß iiij d Jtem Peter Gatz184 iiij ß Jtem Peter zem Wind sol noch v ß v d

6 2

13

0.56

3 6 6 5 12 9

5.27 1.98 0.54 0.85 0.30 0.17 0.56 0.10 0.05 0.04 0.27 0.17 0.23

1 7 4 13 2 1 1 6 4 5

4 3 4 5

nisse (wie Anm. 18), S. 527a. Henman wird in der Ratsliste von 1423/4 ausdrücklich als der junge bezeichnet, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 780. Eine sichere Zuordnung ist dennoch nicht möglich. Der Krämer Heinrich von Biel versteuert 1429 750–1000 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 529b. Grede Ennelin Esslingerin, Tochter des Bertold Esslinger, Nonne im Klarissen-Kloster Gnadental in Basel. Siehe Degler-Spengler, Gnadental (wie Anm. 97), S. 95. Hueber der müller versteuert 1429 mit Schmieden 50–100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 536b. Müller am St. Albanteich, einem Gewerbekanal in der Albanvorstadt in Basel. Siehe dazu Schweizer, Eduard, Die Lehen und Gewerbe am St. Albanteich, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 21 (1922), S. 4–74, und 22 (1923), S. 86–180 und S. 189–287. Heinrich Halbisen, Kaufmann, der 1415 die Schlüsselzunft (Kaufleute) kaufte und vor 1424 leibzünftig zu Safran (Krämer) wurde. Er versteuerte 1429 als reichster Safranzünftiger 8000–8500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 529a. Gestorben 1451. Siehe Koelner, Schlüssel (wie Anm. 94), S. 205f. Der schriber ennent Rins erhielt gemäß einer Aufstellung von 1430 einen Jahreslohn von 5 lb und 3 lb an ein Gewand, dazu einen Wochenlohn von 5 ß, jährlich somit 13 lb; Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 559f. Münzmeister der von König Sigmund im Zusammenhang mit dem Basler Konzil eingerichteten Reichsmünzstätte in Basel. Er versteuert 1429 mit Hausgenossen 1500–2000 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 528a. Siehe zu ihm Fuhrmann, Bernd, Konrad von Weinsberg — Ein adliger Oikos zwischen Territorium und Reich (VSWGBeiheft, 171), Wiesbaden 2004, S. 188–194 mit Literaturangaben; außerdem: Gilomenschenkel, Henman Offenburg (wie Anm. 17), gemäß Registerposition Gatz, Peter.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten 159 160 161 162

145

Jtem Henslin Blarer185 sol xij ß von her Burkart Münchs wegen Jtem her Heinrich von Münchenstein sol vj gulden und j ort und iiij- lib, des hett er Offemburg geben x lib xiiij ß x d 10 Jtem her Hans, der kilcherre von Rötellen186 sol iij- gulden und iij- lib und der hett geben Offemburg v lib 5 Jtem Hans Meyger, der wisßgerber187, sol ij lib iiij ß iiij d und der hett geben Offemburg ij ß und ij lib 2

fol. 86v 163 Jtem her Johans Vogt, der stattschriber ze Fryburg188 vij ß 164 Jtem Kempfflin, der schnider189 v- ß 165 Jtem Meygenvogel, der sporer190 j guldin 166 Jtem Peter Schnider von Liell191 xvj d 167 Jtem Ottman Landower xxj d 168 Jtem Gred Spälerin xvj stebler192 169 Jtem Verenlin Bamnach193 xvj d 170 Jtem Hüglin, der von sant Clären194 knab viij ß 171 Jtem Wernlin Moll195 v- ß

1

12

0.51

16

4

9.24

8

6

4.63

4

4

1.89

7 4 3 1 1 1 8 4

6 5 4 9 8 4 6

0.30 0.19 1.00 0.06 0.07 0.03 0.06 0.34 0.19

185 Hennslin Blorer versteuert 1429 mit Schmieden 300–500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 535a. 186 Rötteln, Landkreis Lörrach, Deutschland. 187 Die Liste der 1429 mit Schuhmachern und Gerbern Steuernden ist nicht überliefert. 188 Er ist als Stadtschreiber 1414 bis 1439 belegt, siehe Thiele, Folkmar, Die Freiburger Stadtschreiber im Mittelalter (Veröffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau, 13), Freiburg im Breisgau 1973, S. 119f. Der Jahreslohn des Freiburger Stadtschreibers betrug in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts 30 bis 32 lb; dazu kamen Nebeneinkünfte, Thiele, Freiburger Stadtschreiber (wie Anm. 188), S. 93. 189 Die Steuerliste von 1429 verzeichnet zwei Schneider mit dem Namen Kempf bzw. von Kemppffen: Clewin mit einem Vermögen von 10–50 fl. und Heinrich mit 50–100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 541a und b. 190 Versteuert 1429 mit Scherern, Malern und Sattlern 50–100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 545b. 191 Liel (eigemeindet in Schliengen), Schwarzwald, Baden-Württemberg 192 Siehe Anm. 89. 193 In der Steuerliste von 1429 sind vier Metzger namens Bamnach aufgeführt: Hans, Vermögen 50–100 fl.; Heinrich, 100–150 fl.; Heintz 150–300 fl., sowie die Frau Bamnachs, des Metzgers selig, und ihr Kind, 500–750 fl.; alle Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 539a. Dazu kommt Cueni Bamnach, Gartner, 150–300 fl.; Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 537a. Eine sichere Zuordnung von Verenlin ist nicht möglich. 194 Klarissenkloster St. Clara in Basel. 195 Versteuert 1429 mit Grautüchern und Rebleuten 100–150 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 533a.

146 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187

Hans-Jörg Gilomen Jtem Müyg, der brotbegk196 xvj ß Jtem Peter Widerspach197 j ß Jtem her Johans von Telrsperg vj- ß j d Jtem Phiffer, der schnider198 ij ß Jtem Hans von Nördlingen199 iiij ß Jtem lang Clewin, mins herren des marggräfen diener iij ß Jtem min frow von Rosenegg j ß Jtem Seytenmachers brueder200 iiij ß Jtem Burkart sol vns von des Bart Juden wegen vj lib vij- ß 6 Jtem jungkher Hans Bömers seligen frow vij ß minus ij d von Frantzen Brattelers seligen wegen Jtem Peter Schnider von Liell sol xvj d201 Jtem Hanns von Sennhein202sol iiij ß minus iiij d Jtem Wonlich203 sol xj- ß Jtem Stephan, her Fridrichs ze Ryn knecht xj ß minus iij d vmb öiglechten schürlitz Jtem die vögtin von Thannenkilch204 sol iij- lib iiij ß 2 Jtem jungkher Ludman, miner frowen von Andela sun205 xxxij ß 1

16 1 5 2 4 3 1 4 6

7

6

0.68 0.04 0.24 0.09 0.17 0.13 0.04 0.17 5.40

6 10 1 4 3 8 10 6

0.29 0.06 0.16 0.45

10 9 14 12

0.46 2.31 1.37

196 Die Steuerliste von 1429 verzeichnet unter Brotbecken Heinrich Muege mit einem Vermögen von 750–1000 fl., und Heini Muege mit 150–300 fl., beide Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 540a. 197 Peter Widerspach, versteuert 1429 mit Krämern 100–150 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 530b. 198 Phiffer versteuert 1429 mit Schneidern 150–300 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 541a. 199 Hanns von Nordlingen versteuert 1429 mit Schneidern und Kürschnern 10–50 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 541b. Genannt wird auch der nichtzünftige Kürschner Hans von Nördlingen mit 0–10 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 550b. 200 Hans Seytenmacher und seine Mutter versteuern 1429 mit Krämern 1000–1500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 529a. Eine Identifikation mit dem hier genannten ist aber weiter nicht zu begründen. 201 Wohl irrtümlich zweimal verzeichnet, siehe Nr. 166. 202 Hans von Sennheim versteuerte 1429 mit Krämern 2500–3000 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 529a. 203 Wonlich versteuert 1429 mit Weinleuten 300–500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 531b. 204 Tannenkirch bei Kandern, Landkreis Lörrach, oder Dannemarie (deutsch Dammerkirch), Departement Haut-Rhin, Frankreich. 205 Die von Andelo und ir kinde versteuern 1429 über 9500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 526a. Es handelt sich um eine Adlige von Andlau.

Der Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten fol. 87r 188 Jtem Clewin Künig206sol j lib 189 Jtem die frowen von sant Clären207 j lib 190 Jtem frow Urssel Fröwlerin xxxij ß 191 Jtem min frow von Liestal ze sant Clären208 iij lib vij ß minus iiij d 192 Jtem Thoman Houwart ein ort 193 Jtem Peter Holdrian209 vij guldin minus ij soum wins210, aber sol er j lib 194 Jtem Wernlin Jager211 sol j lib von Heinrich Zieglers knechtz wegen 195 Jtem Köchlins wip, des kornmessers212 iij- ß ij d 196 Jtem der stattschriber213 sol vj- lib, des sol man jm den übertragbrief und andres 197 Jtem Heinrich Schlienger214 sol viij ß ij d

147

1 1 1

0.85 0.85 1.37

12

3

6 5

8 2.85 10 0.25

7

4

6.15

1

5

2

8

0.85 0.11

10 8

2

4.70 0.35

206 Die Steuerliste von 1429 verzeichnet unter Grautüchern und Rebleuten einen Künig von Kilchen, in der untersten Steuerklasse von 0–15 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 534b; und unter Gartnern einen Künig von Sewen, 50–100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 537b. 207 Klarissenkloster St. Clara in Basel. 208 Nonne im Klarissen-Kloster St. Clara in Basel. 209 Versteuert 1429 mit Schmieden 300–500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 535a. 210 Ein Saum Wein hatte in Basel 136,5 Liter. Siehe Gilomen, Grundherrschaft (wie Anm. 152), S. 352f. Der Preis schwankte in den 1420er Jahren stark: 1421 6 ß, 1422 16–24 ß, 1423 12–32 ß, Gilomen, Grundherrschaft (wie Anm. 152), S. 227. Ich rechne hier mit 20 ß für den Saum. 7 fl. = 8 lb 4 ß, minus 2 lb für den Wein, plus 1 lb = 7 lb 4 ß. 211 Versteuert 1429 mit Schneidern und Kürschnern 50–100 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 541a. 212 Die Steuerliste von 1429 verzeichnet Heini Kochlin, Gartner, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 538b, und Fridlin Zoebellin genant Koechli, unzüftig, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 550a; beide mit 0–10 fl. Vermögen. Genannt werden auch Gred Burin neben Peter Koechlin, Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 550a, und Angnes Koechlin bi bruder Cuonrat, 0–10 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 551a und 558b. 213 Als Stadtschreiber ist Johann von Bingen 1429 bis 1447 belegt; Basler Chroniken (wie Anm. 118), S. 135. Er erhielt gemäß einer Aufstellung von 1430 einen Jahrlohn von 80 fl., dazu einen Wochenlohn von 6 ß, jährlich somit 15 lb 12 ß. 1429 versteuert er mit Weinleuten 300–500 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 531b und 559f. 214 Der Kaufmann Heinrich Schliengen ist in den 1430er Jahren belegt, Ehrensperger, Basels Stellung (wie Anm. 91), S. 209 Mitte.

Hans-Jörg Gilomen

148 198 199 200 201 202

Jtem Conrat Haefenli215 sol vij ß Jtem jungkher Hans Erhart von Nüwenfels216 sol j- guldin von arras wegen Jtem Jergen Kasten frow217 sol ij ß Jtem der alt von Löwenberg218 sol ix lib 219

Jtem Burkart Ziegler

sol xj- lib iiij ß

7 11 2 9 10

14

0.30 8

0.50 0.09 7.69 9.14

215 Cunrat Hefelin, der Glaser, versteuert 1429 150–300 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 545a. 216 Wohl der Burgvogt zu Badenweiler und Landvogt zu Mömpelgard (Montbéliard). Stammtafel von Neuenfels (nach Kindler von Knobloch) in Staehelin, Wappenbuch (wie Anm. 21). 217 Die Witwe von Jerg Kasten versteuert 1429 mit Kaufleuten 750–1000 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 528a. 218 Am 27. Feb. 1434 klagt Hans Schiltknecht, der Diener des Herren von Löwemberg, gegen Aeberlin Offenburg um 12 ½ fl.; Aeberlin kann aber eine Quittung Löwenbergs vorlegen und wird gerichtlich ledig gesprochen. StBS, Gerichtsarchiv A 18, fol. 301r, 27. Februar 1434. 219 Er versteuert 1429 mit Weinleuten 150–300 fl., Schönberg, Finanzverhältnisse (wie Anm. 18), S. 531b.

Apothekerdienstbriefe, Apothekenordnungen und Arzneitaxen Quellen städtischer Gesundheitspolitik des späten Mittelalters von Volker Henn

Seit dem 13. Jahrhundert, vereinzelt auch schon im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts, begegnen in den städtischen Quellen nördlich der Alpen apotecae und apotecarii. Bekanntlich waren damit jedoch nicht Apotheken und Apotheker im modernen Wortverständnis gemeint. Apoteca bezeichnete im 13. Jahrhundert in der Regel noch nicht die medizinale Einrichtung, nicht den Ort, an dem Arzneimittel hergestellt und verkauft und die zu ihrer Herstellung notwendigen Rohstoffe (Arzneidrogen1) vorrätig gehalten wurden, sondern ganz allgemein einen Vorrats- oder Lagerraum (für Leder, Tuche, Bücher, Wein, Gewürze und vieles andere) oder auch eine Verkaufsstätte (Krambude), in der die verschiedenen Waren feilgeboten werden konnten. Folgerichtig waren auch die apotecarii des 13. Jahrhunderts noch nicht die fachlich ausgebildeten Heilberufler, sondern Lagerverwalter oder Krämer, insbesondere Gewürz- und Spezereihändler (crudener, speciarii)2, die vielfach allerdings auch selbst Arzneimittel zubereiteten und verkauften, so dass eine klare Trennung zwischen der gewerblich-kaufmännischen und der heilberuflichen Tätigkeit 1

2

Zur Definition s.: Bartels, Karl Heinz, Drogenhandel und apothekenrechtliche Beziehungen zwischen Venedig und Nürnberg (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie, 8), Frankfurt a. M. 1966, S. 13–17, 70–76. Vgl. statt vieler: Schmitz, Rudolf, Das Apothekenwesen von Stadt- und Kurtrier. Von den Anfängen bis zum Ende des Kurstaates (1794) (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie, 1), Frankfurt a. M. 1960, S. 20–34; Schmitz, Rudolf, Über deutsche Apotheken des 13. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Etymologie des apoteca-apotecarius-Begriffs, in: Sudhoffs Archiv 45 (1961), S. 289–302; zusammenfassend auch: Schmitz, Rudolf (unter Mitarbeit von Franz-Josef Kuhlen), Geschichte der Pharmazie, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters, Eschborn 1998, S. 448–450; mit ergänzendem Material: Dadder, Hans, Das Apothekenwesen von Stadt und Erzstift Mainz (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie, 2), Frankfurt a. M. 1961, S. 18–34; Vierkotten, Ursula, Zur Geschichte des Apothekenwesens von Stadt und Fürstbistum Münster, in: Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster, N.F. Bd. 5, Münster 1970, S. 95– 208, hier S. 98–105.

150

Volker Henn

kaum möglich ist. Auch die Verwendung des Familiennamens „Apteker“ u. ä. lässt in dieser Zeit keine sicheren Rückschlüsse auf eine entsprechende Berufstätigkeit zu. Fälle, wie sie aus Augsburg (1284) oder Hildesheim (1318) überliefert sind, wo ein Liutfrid der Appothecker bzw. der apothecarius Reynerus einen Mörser – Liutfrid sogar mit Pistill – in ihrem Siegel führten3 und damit einen Hinweis auf ihre heilberufliche Tätigkeit gaben, sind seltene Ausnahmen4. Erst im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts begann sich die Bedeutung von apotheca als medizinale Einrichtung allmählich durchzusetzen, doch noch bis weit ins 14. Jahrhundert hinein kann nicht davon ausgegangen werden, dass jede in den Quellen genannte apotheca eo ipso eine Apotheke im Sinne einer pharmazeutischen Offizin und jeder apothecarius tatsächlich ein Apotheker gewesen ist5. Und noch im 16. Jahrhundert gehörten Spezereiwaren wie die kostbaren Gewürze aus dem Orient und dem Fernen Osten, Weine (vor allem Claret) und Südfrüchte (Feigen, Rosinen, Mandeln), aber auch Siegelwachs, Kerzen, Papier, Tinte, Seide, Pelze, Seife, Alaun und vieles mehr6 aus wirtschaftlichen Gründen zum Warensortiment der Apotheken, was freilich nicht selten zu Konflikten mit den Krämern führte7. 3

4

5

6 7

Vgl. Gensthaler, Gerhard, Das Medizinalwesen der Freien Reichsstadt Augsburg bis zum 16. Jahrhundert, mit Berücksichtigung der ersten Pharmakopöe von 1564 und ihrer weiteren Ausgaben (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg, 21), Augsburg 1973, S. 23; Höcklin, Hanspeter, Die Ratsapotheke zu Hildesheim als Medizinalanstalt und stadteigener Handelsbetrieb von den ersten Nachrichten 1318 bis 1820 (Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim, 4), Hildesheim 1970, S. 3, 14. – Auf ein vergleichbares Beispiel aus Konstanz hat schon Baas, Karl, Zur Geschichte der mittelalterlichen Heilkunst im Bodenseegebiet, in: Archiv für Kulturgeschichte 4 (1906), S. 129–158, hier S. 141, aufmerksam gemacht. Im Übrigen haben im späten Mittelalter auch die Barbiere im Rahmen ihrer wundärztlichen Tätigkeit Medikamente hergestellt. So sieht eine Hamburger Barbier-Ordnung von 1519 vor, dass die Gesellen als Meisterstück vier Pflaster, acht Salben und zwei Wundtränke anfertigen müssen; vgl.: Die älteren Zunftordnungen der Stadt Lüneburg, bearb. v. Bodemann, Eduard, Hannover 1883, S. 27. Ausführlich dazu: Rittershausen, Peter, Studien zur Geschichte des älteren Apothekerwesens der Freien Reichsstadt Frankfurt von den Anfängen bis zum Jahre 1500. Diss., Marburg 1970, S. 31–138; Dadder, Apothekenwesen (wie Anm. 2), S. 18–35. – Wie sich die Entwicklung vom Gewürzhändler über den spezialisierten Händler mit Arzneidrogen zum Arzneimittelbereiter, der zugleich auch den selbstdispensierenden Arzt ablöste, im Einzelnen vollzogen hat, wird sich wohl nur von Fall zu Fall klären lassen. Vgl. Rittershausen, Studien (wie Anm. 5), S. 88–97; Stoll, Clemens, Der Apotheker in der deutschen Stadt des Mittelalters. Diss., Marburg 1975, S. 126. Dazu: Bettin, Hartmut, Die Apotheke als medizinale und wirtschaftliche Einrichtung in norddeutschen Hansestädten des späten Mittelalters, in: Hansische Geschichtsblätter 116

Apothekerdienstbriefe, Apothekenordnungen und Arzneitaxen

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Seit Beginn des 14. Jahrhunderts begannen die Städte (im deutschsprachigen Raum), welche die Gesundheitsfürsorge bis dahin weitgehend den klösterlichen Einrichtungen überlassen hatten8, das im Entstehen begriffene Apothekenwesen – wie auch andere Bereiche des Wirtschaftslebens – von gemeener notdurfft wegen9 und um betrügerischen Praktiken entgegenzutreten, an bestimmte Normen und Regeln zu binden und der eigenen Kontrolle zu unterstellen10. Dabei war die Sorge um das (von der Obrigkeit definierte und repräsentierte) Gemeinwohl, das Eintreten für den gemeinen Nutzen, die oberste Richtschnur der städtischen Politik, weil sie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie der Sicherung des Rechtsfriedens und der concordia in der Stadt dienten und damit zugleich die Herrschaftsansprüche des Rates legitimierten und seine Autorität stärkten11. Da auch

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(1998), S. 83–115, hier S. 86. Vgl. auch Stoll, Apotheker (wie Anm. 6), S. 126–129; Dieck, Alfred, Die Apotheken Göttingens im 14. und 15. Jahrhundert, in: Göttinger Jahrbuch 4 (1955/56), S. 33–39, hier S. 35; Göttinger Statuten. Akten zur Geschichte der Verwaltung und des Gildewesens der Stadt Göttingen bis zum Ausgang des Mittelalters, bearb. v. Ropp, Goswin von der, Hannover 1907, S. 276; Gensthaler, Medizinalwesen (wie Anm. 3), S. 30. Vgl. Stoll, Apotheker (wie Anm. 6), S. 74 f., wobei jedoch die Rolle der Klöster bei der Krankenversorgung in den spätmittelalterlichen Städten im Einzelnen noch genauer zu untersuchen wäre. Zit. nach: Philipp, Egon, Das Medizinal- und Apothekenrecht in Nürnberg. Zu seiner Kenntnis von den Anfängen bis zur Gründung des Collegium pharmazeuticum (1632) (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie, 3), Frankfurt a. M. 1962, S. 28. Ob dabei die oft zitierten Medizinalparagraphen der Konstitutionen von Melfi Friedrichs II. von 1231 (hrg. von Conrad, Hermann / Lieck-Buyken, Thea von der / Wagner, Wolfgang, Köln 1973, S. 302–308) als Vorbild gedient haben, soll hier dahingestellt bleiben. Dazu statt vieler: Isenmann, Eberhard, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 1250–1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 131, 146–160; Eberhard, Winfried, Der Legitimationsbegriff des „gemeinen Nutzens“ im Streit zwischen Herrschaft und Genossenschaft im Spätmittelalter, in: Zusammenhänge, Einflüsse, Wirkungen. Kongreßakten zum ersten Symposium des Mediävistenverbandes in Tübingen 1984, hrg. v. Fichte, Joerg O. [u. a.], Berlin 1986, S. 241–254, hier S. 244 f.; Hibst, Peter, Utilitas Publica – Gemeiner Nutz – Gemeinwohl. Untersuchungen zur Idee eines politischen Leitbegriffes von der Antike bis zum späten Mittelalter (Europäische Hochschulschriften, III/497), Frankfurt a. M. 1991; Rublack, Hans-Christoph, Grundwerte in der Reichsstadt im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Literatur in der Stadt. Bedingungen und Beispiele städtischer Literatur des 15. bis 17. Jahrhunderts, hrg. v. Brunner, Horst (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 343), Göppingen 1982, S. 9–36. Bierschwale, Heike / Leeuwen, Jacqueline van, Wie man eine Stadt regieren soll. Deutsche und niederländische Stadtregimentslehren des Mittelalters (Medieval to Early Modern Culture/Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, 8), Frankfurt a. M. 2005,

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die Tätigkeit der Apotheker neben der anderer Heilberufler und entsprechender Einrichtungen wie Hospitäler oder Badestuben einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Lebens leistete, zu fristunge, steure vnd enthaltunge Gesuntheit Leibes und Lebens eins jeden … arm vnd reich, wie es in einer Verordnung des Rates der Stadt Halle an der Saale anlässlich der Einrichtung einer städtischen Apotheke heißt12, und damit gemeiner notturft vnd besten13 in besonderer Weise verpflichtet war, mussten die städtischen Räte darauf bedacht sein, ein funktionierendes Apothekenwesen zu gewährleisten, das die Bürger mit fachgerecht und unter Verwendung hochwertiger Rohstoffe hergestellten Arzneien zu angemessenen Preisen versorgen konnte. Dass freilich die entsprechenden Maßnahmen noch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht bei allen frei wirtschaftenden Apothekern auf Gegenliebe stießen, zeigen die Vorgänge in Frankfurt am Main, wo letztere unter Beru-

S. 68–71; Wittek, Gudrun, fride und pax als Bezeichnungen für spätmittelalterlichen städtischen Frieden, in: Niederdeutsches Jahrbuch 120 (1997), S. 59–78, hier bes. S. 64– 78. – Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass der unbekannte Verfasser der sog. Reformatio Sigismundi (1439) auch dem städtischen Gesundheitswesen einige Kapitel widmete: Reformation Kaiser Siegmunds, bearb. v. Koller, Heinrich (MGH Staatsschriften, 6), Hannover 1964, S. 290–295. 12 Gedr.: Adlung, Alfred, Vergleichende Zusammenstellung der ältesten deutschen Apothekerordnungen, Mittenwald 1931, S. 73. – Zur Bedeutung der Paarformel „arm und reich“, die nicht nur die materiell unterschiedliche Situation von Menschen meint, sondern auch die von Gerechtigkeit und Billigkeit, die Vorstellung vom „gemeinen Nutzen“ personalisiert und entsprechendes politisches Handeln legitimiert, s. Frenz, Barbara, Gleichheitsdenken in deutschen Städten des 12. bis 15. Jahrhunderts. Geistesgeschichte, Quellensprache, Gesellschaftsfunktion (Städteforschung: Reihe A, 52), Köln 2000, S. 22–39 u. ö. 13 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 73. – 1423/26 war in dem Baseler Apothekereid (gedr.: Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 25) betont worden, dass die mit ihm verbundene Ordnung des Apothekenwesens propter commune bonum erfolgt sei. 1442 hatte der Nürnberger Rat die offensichtlich schon üblichen Visitationen der Apotheken mit der gemeener nodurfft begründet; vgl.: Philipp, Medizinal- und Apothekenrecht (wie Anm. 9), S. 28. Ebenso verwies gegen Ende des 15. Jahrhunderts der Badener Arzt Dr. Johann Widmann bei seinen Vorschlägen zur Reform des Straßburger Gesundheitswesens auf den gemeyaen nutze solcher Bemühungen; vgl. K[irschleger], F[réderic], La police médicale au quinzième siècle, à Strasbourg, comparée à police médicale actuelle, in: Gazette médicale de Strasbourg 4 (1844), Sp. 354–377, hier Sp. 375. Auch die Kölner Apothekenordnung von 1478 hebt diesen Aspekt hervor: Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs im Mittelalter, 4 Bde., bearb. v. Kuske, Bruno (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 33), Düsseldorf 1978 (Bonn 1917), Bd. 2, S. 402.

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fung auf das Herkommen lange nicht bereit waren, Eide und Taxen anzuerkennen14. Nach Ausweis der leider nur sehr spärlich fließenden Quellen lässt sich dabei ein deutlicher Entwicklungsvorsprung des Südens vor den Städten im Norden feststellen. In der pharmaziegeschichtlichen Forschung wird dies mit den engeren Beziehungen begründet, die zwischen Nürnberg, aber auch anderen oberdeutschen Städten, und Venedig bestanden, wo mit dem „Capitolare medicorum“ und dem „Capitolare de spetialibus“ schon im 13. Jahrhundert staatliche Regelungen für das Medizinalwesen vorlagen15. Inwieweit dabei aber auch eine unterschiedliche Quellenüberlieferung und -erschließung eine Rolle spielen, lässt sich angesichts eines völlig unbefriedigenden und disparaten Forschungsstandes vorläufig nicht beurteilen. Die bislang älteste bekannte Nachricht über obrigkeitliches Eingreifen der Städte in das Apothekenwesen ist eine abschriftlich überlieferte Übereinkunft zwischen Bürgermeister, Rat und Zunftmeistern der Stadt Basel aus der Zeit zwischen 1309 und 1321 über den Inhalt eines Eides, den Baseler Apotheker fortan zu leisten hatten16. Darin wurde festgelegt, dass künftig kein Arzt, der siechen phligt, eine Apotheke führen durfte. Nur Personen, die nüt siechen wasser sihet, d. h. keine Harnschau durchführten17 und nicht Ärzte waren, sollten befugt sein, eine Apotheke zu betreiben. Ärzte, die noch im Besitz einer Apotheke waren, sollten diese bis zu einem noch zu bestimmenden Termin aufgeben, bei Strafe von einer Mark Silber. Jeder Apotheker sollte dem jeweils neuen Rat schwören, dass kein Arzt an seiner Apotheke oder an der Herstellung der Arzneien beteiligt war. Niemand sollte in Basel Apotheker werden können, von dem der Rat nicht werlich bi dem eide ervert, das er sin wirdig si an kunst und an witze und ausreichend erfahren war. Ferner sollte der Apotheker dem Arzt auf Verlangen alle Materialien zeigen, die er zur 14 Vgl. Rittershausen, Studien (wie Anm. 5), S. 158–176. 15 Vgl. Bartels, Drogenhandel (wie Anm. 1), S. 137–145; Habrich, Christa, Apothekengeschichte Regensburgs in reichsstädtischer Zeit (Neue Münchner Beiträge zur Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften. Medizinhistorische Reihe, 1), München 1970, S. 7; Schmitz, Rudolf, Stadtarzt – Stadtapotheker im Mittelalter, in: Stadt und Gesundheitspflege, hrg. v. Kirchgässner, Bernhard / Sydow, Jürgen (Stadt in der Geschichte, 9), Sigmaringen 1982, S. 9–25, hier S. 11. 16 Vgl. Schmitz, Rudolf / Merkelbach, Clemens, Zur Rechtsgeschichte des älteren Apothekenwesens: 2. Über die Datierung des Basler Apothekereides, in: Pharmazeutische Zeitung 106 (1961), S. 1138–1140, Text: S. 1139. 17 Zur Harnschau, der im Mittelalter wichtigsten Diagnosemethode, jetzt: Stolberg, Michael, Die Harnschau. Eine Kultur- und Alltagsgeschichte, Köln 2009.

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Anfertigung der Arzneien verwendete, damit der Arzt deren Güte und Frische überprüfen konnte. Auch sollten Arzt und Apotheker keine Absprachen über die Höhe der Honorare treffen, die sie den Patienten berechneten, damit diese nicht übervorteilt würden. Schließlich wurde daran erinnert, dass die Apotheker sich eidlich verpflichten mussten, an niemanden Gift abzugeben, es sei denn, es fänden sich zwei Bürgen, die davor gut syend, dasz nyemand schade davon beschee. Dieser Beschluss zur Ordnung des Apothekenwesens in Basel zu Beginn des 14. Jahrhunderts enthält bereits wesentliche Regulierungselemente, die sich auch in späteren Apotheker-Dienstbriefen, Apothekereiden und den ausführlicheren Apothekenordnungen finden. Dazu gehören die – schon in den Konstitutionen von Melfi geforderte – strenge Trennung der Tätigkeiten von Ärzten, die für die Heilung, d. h. für Diagnose und Therapie zuständig sein sollten, und Apothekern, denen die Zubereitung der erforderlichen Heilmittel obliegen sollte, wie auch die Beaufsichtigung der Apotheken durch die Ärzte oder die angemessene Preisgestaltung ihrer Leistungen. Bevor jedoch die genannten Quellen im einzelnen vorgestellt werden sollen, erscheint es angebracht, wenigstens kurz auf einige allgemeine Aspekte der Organisation des städtischen Apothekenwesens im Mittelalter einzugehen. In der pharmaziehistorischen Literatur wird üblicherweise zwischen den Verhältnissen in den „patrizisch-zünftlerisch“ und den rein patrizisch regierten Städten oder zumindest solchen mit patrizisch dominierten Räten unterschieden18. Danach seien die Apotheker in den „patrizisch-zünftlerisch“ regierten Städten privat wirtschaftende Gewerbetreibende gewesen, die sich zwar eidlich verpflichten mussten, die geltenden Vorschriften einzuhalten, aber nicht – anders als in den Städten mit patrizischem Stadtregiment – amtlich bestallt und auch besoldet wurden19. Daneben sei es in den Städten mit einer patrizischen Ratsverfassung seit dem 15. Jahrhundert zur Entstehung von städtischen resp. ratseigenen Apotheken gekommen, wobei die Stadtapotheken in Süddeutschland, die Ratsapotheken in Norddeutschland ver-

18 Wobei das Patriziat unreflektiert mit der städtischen Oberschicht gleichgesetzt wird. Zum Patriziatsbegriff statt vieler: Hauptmeyer, Carl-Hans, Probleme des Patriziats oberdeutscher Städte vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 40 (1977), S. 39–58; Berthold, Brigitte, Charakter und Entwicklung des Patriziats in mittelalterlichen deutschen Städten, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 6 (1982), S. 195–241. 19 Vgl. zusammenfassend: Stoll, Apotheker (wie Anm. 6), S. 90–93, 142–169; Schmitz, Stadtarzt (wie Anm. 15), S. 20.

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breitet gewesen seien20. Während die „norddeutschen Ratsapotheken … mit ihrer gesamten Ausstattung Eigentum der Stadt (waren), auf deren Rechnung auch der Wareneinkauf und die Bezahlung der Mitarbeiter erfolgte“ (einschließlich des Apothekers, der damit zu einem städtischen Bediensteten wurde), stellten in Süddeutschland die Städte meist nur die Apothekenräume zur Verfügung, während die Einrichtung und das Warenlager dem jeweiligen Apotheker gehörten21. „Dieser besorgte auch den Wareneinkauf auf eigene Rechnung. Aus dem Gewinn hatte er sowohl die Mitarbeiter als auch einen entsprechenden Mietzins zu bezahlen“22. Die freilich auch in Süddeutschland im 15. Jahrhundert vorkommende Bestallung und Besoldung der Apotheker durch die Städte habe lediglich dem Zweck gedient, geeignete, fachkundige Apotheker zu gewinnen, diese an die Städte zu binden und einen Anreiz dafür zu bieten, dass sie ihren Verpflichtungen gewissenhaft nachkamen23. Ob diese Unterscheidung aber wirklich tragfähig und erkenntnisfördernd ist, sei einstweilen dahingestellt, zumal die Argumentation nicht frei ist von Fehleinschätzungen24 und sich nur auf ganz wenige Spezialuntersuchungen zur Entwicklung des städtischen Apothekenwesens stützen kann, die auch den neueren For20 Nach: Bartels, Karlheinz, Apotheker-Dienstbriefe, in: Perspektiven der Pharmaziegeschichte. Festschrift für Rudolf Schmitz zum 65. Geb., hrg. von Dilg, Peter, Graz 1983, S. 1–12, hier: S. 4, habe dies auch für Mittel- und Ostdeutschland gegolten. 21 Verschiedentlich gewährten die Städte zinslose Kredite zur Einrichtung und Ausstattung der Apotheke. So stellte die Stadt Frankfurt a. M. 1461 ihrem Apotheker Rabodus Kremer 200 Gl. zur Verfügung, um in Venedig Arzneidrogen (redeliche uffrichtige notturfftige sache) einzukaufen; nach Ablauf von vier Jahren sollten jeweils zu den Terminen der Frankfurter Messen jeweils 25 Gl. zurückgezahlt werden, wobei die Stadt bereit war, auf die letzte Rate zu verzichten; s. Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 38, Faksimile nach S. 36. 22 Stoll, Apotheker (wie Anm. 6), S. 152. – Zur Betriebsform der Ratsapotheke s. auch Fiedler, Brigitte, Die gewerblichen Eigenbetriebe der Stadt Hamburg. Diss., Hamburg 1974, S. 175–180; Kohlhaas-Christ, Cornelia, Zur Geschichte des Apothekenwesens in Hamburg von den Anfängen bis zum Erlaß der Medizinalordnung von 1818 (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie, 29), Stuttgart 1985, S. 67–78; Bettin, Apotheke (wie Anm. 7), S. 89–95. 23 Stoll, Apotheker (wie Anm. 6), S. 159, 162 f.; Gensthaler, Medizinalwesen (wie Anm. 3), S. 34; Habrich, Apothekengeschichte (wie Anm. 15), S. 13; ähnliche Anreize, z. B. in Form von Kleidergeld oder Umzugsbeihilfen, sind auch aus Norddeutschland bekannt; s. Kohlhaas-Christ, Geschichte (wie Anm. 22), S. 56 f. 24 Das betrifft z. B. die Zuordnung einzelner Städte zu den „patrizisch-zünftlerisch“ resp. patrizisch regierten, die im Einzelnen noch zu überprüfen wäre; so sind in Köln seit 1396, seit dem Verbundbrief, auch Handwerker im Rat vertreten oder sie nehmen in Dortmund und Soest über die Ratswahlordnung Einfluss auf die Zusammensetzung des Rates.

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schungsstand widerspiegeln. Hier wären weitere Spezialuntersuchungen dringend vonnöten. Vielfach wird der Eindruck erweckt, als habe es in Norddeutschland ausschließlich Ratsapotheken als stadteigene Handelsbetriebe gegeben – gelegentlich wird dafür sogar der Einfluss der Hanse verantwortlich gemacht25. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass es vor der Errichtung von Ratsapotheken, die in etlichen Städten erst im Laufe des 16. [Hildesheim (1514), Bremen (zwischen 1510 und 1530)26, Lemgo (1550), Greifswald (1551)27, Hannover (1565)28, Riga (1566), Magdeburg (1576)] oder sogar erst des 17. Jahrhunderts (Minden 1615) erfolgte, privatwirtschaftlich geführte Apotheken gegeben hat, und dass solche Apotheken dort, wo es mehr als nur eine Apotheke gab, auch neben den Ratsapotheken weiterhin existierten29. Zumindest vorübergehend scheint die Situation in Lübeck allerdings eine andere gewesen zu sein. Aus dem Jahre 1406 ist die Stellungnahme des noch im Amt befindlichen Alten Rates zu einer umfangreichen Beschwerdeschrift der sich formierenden innerstädtischen Opposition überliefert30, in der u. a. gefordert worden war, dat men late bliven 3 ofte 4 apoteken, als it van oldinges gewest is31. Anscheinend war kurz zuvor eine Ratsapotheke als nunmehr einzige Apotheke in der Stadt eingerichtet worden, eine Maßnahme, die der Rat damit begründet, dass dies umme 25 Vgl. z. B. Höcklin, Ratsapotheke (wie Anm. 3), S. 38. Dabei liegt solchen Vorstellungen ein oft unzutreffendes Bild von der Hanse zugrunde; so fällt z. B. auf, dass Stoll, Apotheker (wie Anm. 6), S. 149, in einer von ihm zusammengestellten Liste mit 17 (angeblich) patrizisch regierten Städten Lübeck und Bremen als Hansestädte ausweist, die ebenfalls in die Liste aufgenommennen Städte Köln, Braunschweig und Stettin aber nicht als Hansestädte wahrnimmt. Die Feststellung, dass es in den Hansestädten, mit Ausnahme Hamburgs, keine Zünfte gegeben habe (Stoll, S. 148), ist abwegig. 26 Dazu: Hausmann, Ulrich, Geschichte des bremischen Apothekenwesens bis zum Jahre 1872, in: Bremisches Jahrbuch 27 (1919), S. 1–61, hier S. 2. 27 Nachdem es hier bereits 1359 eine Ratsapotheke gegeben hatte, die aber schon vor 1452 wieder verpachtet worden war; s. Bettin, Apotheke (wie Anm. 7), S. 90, 93. 28 Geschichte der Stadt Hannover, Bd.1, hrg. v. Mlynek, Klaus / Röhrbein, Waldemar R., Hannover 1992, S. 117. 29 Vgl. Kohlhaas-Christ, Geschichte (wie Anm. 22), S. 71. 30 Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jh., Bd. 26, hrg. v. der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Göttingen 19672, S. 395–403; zu den Hintergründen und zum Verlauf des Verfassungskonflikts vgl. zusammenfassend: Hoffmann, Erich, in: Lübeckische Geschichte, hrg. v. Grassmann, Antjekathrin, Lübeck 20084, S. 250–263. 31 Chroniken der deutschen Städte, Bd. 26 (wie Anm. 30), S. 398.

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unser stat beste willen gescheen sei; er fügt aber hinzu, dass, wenn die Bürger mehrere Apotheken haben wollten, der Rat dem nicht entgegenstehen wolle. Dass es in der Folge zur Gründung neuer oder zur Wiederbegründung vormals bestehender Apotheken gekommen ist, darüber gibt es keine Nachrichten. Statt dessen soll die Ratsapotheke 1408 nach der Wahl des neuen Rates geschlossen worden sein; erst im Jahre 1412 sei erneut eine Ratsapotheke eingerichtet worden, nachdem die Stadt zu diesem Zweck von den Hinterbliebenen des Apothekers Nicolaus zwei Häuser bei den Neuen Krambuden gekauft hatte. In einem der beiden Häuser muss aber schon vorher eine Apotheke betrieben worden sein, denn im Anstellungsvertrag der Stadt mit dem (Rats-)Apotheker Johannes Kyl heißt es, dass de sulue Johannes bette herto eyn vorstender der Apotheke gewesen sei32. Sie müsste dann aber bis 1412 eigenwirtschaftlich betrieben worden sein. Nach der Umwandlung in eine Ratsapotheke blieb sie, wie es scheint, bis 1567 wieder die einzige Apotheke in der Stadt33, nachdem sie aber spätestens 1546 verpachtet worden war34. Auch andernorts sind die Ratsapotheken – mitunter nur wenige Jahrzehnte nach ihrer Einrichtung – wieder verkauft oder verpachtet und damit nicht mehr als stadteigene Betriebe geführt worden. Der Grund hierfür war wohl zumeist deren mangelnde Rentabilität, zu der auch die Tatsache beigetragen haben dürfte, dass die Ratsapotheken verpflichtet waren, den Rat, auch einzelne Ratsherren, kostenlos mit nicht unbeträchtlichen Mengen an Claret, Südfrüchten und teurem Konfekt zu beliefern35. Darüber hinaus gibt es auch Hansestädte wie Münster oder Soest, in denen es keine Ratsapotheke gegeben hat. Zu den obrigkeitlichen Maßnahmen zur Regelung des Apothekenwesens gehörte die Übernahme von Apothekern in städtische Dienste. Grundlage ihrer Tätigkeit waren die sog. Dienstbriefe36. Als solche, oft in der Form der Bestallungsre32 Urkundenbuch der Stadt Lübeck (im Folgenden: LUB) , Bd. 5, Lübeck 1877, Nr. 435. 33 Vgl. Spies, Hans-Bernd, Geschichte der Adler-Apotheke. Ein Beitrag zum lübeckischen Apothekenwesen, Lübeck 1983, S. 14. 34 Habernoll, Arnold, Die Entwicklung des Apothekenrechtes und und der privilegierten Apotheken in Schleswig-Holstein (Schriften zur Geschichte der Pharmazie in SchleswigHolstein, 2), Eutin 1951, S. 151. 35 Dazu Stoll, Apotheker (wie Anm. 6), S. 164; Kohlhaas-Christ, Geschichte (wie Anm. 22), S. 52–57; Bettin, Apotheke (wie Anm. 7), S. 87, 92. Unter Konfekt sind Zubereitungen aus Zucker und pflanzlichen Drogen (Anis, Kardamom, Ingwer, Kümmel, Nelken, Koriander u. a.) zu verstehen, die nicht nur als Süßigkeiten geschätzt waren, sondern auch verdauungsfördernd wirkten. 36 Dazu allg.: Bartels, Apotheker-Dienstbriefe (wie Anm. 20), S. 1–12.

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verse überliefert, werden Urkunden bezeichnet, in denen die wechselseitigen, individuell ausgehandelten Bedingungen festgeschrieben wurden, zu denen die Städte seit dem späten 14. Jahrhundert Apotheker in ihre Dienste nahmen. Grundsätzlich finden sich in den Dienstbriefen zwei Kategorien von Regelungen: Die einen betreffen die arbeitsrechtlichen, die anderen die berufsspezifisch-pharmazeutischen Aspekte der Tätigkeit des jeweiligen Apothekers. Zu den erstgenannten gehörte die Höhe der Entlohnung, die nicht nur aus festgelegten Geldzahlungen, sondern auch aus Sachleistungen (beliebt waren z. B. Brennholzlieferungen) und der (geldwerten) Befreiung von bestimmten Steuern, Abgaben und städtischen Diensten bestand37, wobei zumeist Wachdienste genannt werden; gelegentlich wurden auch Leistungen zugunsten Hinterbliebener vereinbart38. Weitere Regelungen beschäftigten sich mit der Dauer des Dienstverhältnisses, die zwischen einem und zehn Jahren betragen konnte39, den Kündigungsmodalitäten, wobei ein gegenseitiges Kündigungsrecht unter Wahrung bestimmter Fristen40, aber auch ein ausschließliches Kündigungsrecht seitens der Stadt41 verabredet werden konnten. Vereinzelt wurden zudem das Recht der Stadt, weitere Apotheker einzustellen42, oder das Verbot, solches zu tun43, festgeschrieben. Der Nördlinger Dienstbrief für den Apotheker Wilhelm von Lüneburg (1428) sah außerdem eine strenge Residenzpflicht für den Apotheker vor, dem es nicht gestattet war, sich ohne ausdrückliche

37 Freiburg 1394: StadtA Freiburg B2 Nr. 4, S. 206; Regensburg 1414, 1442 und 1474: Habrich, Apothekenwesen (wie Anm. 15), S. 135 f., Faksimile nach S. 48; Nördlingen 1428: Wankmüller, Armin, Der Nördlinger Dienstbrief für Apotheker Wilhelm von Lüneburg, in: Beiträge zur Württembergischen Apothekengeschichte 6 (1963), S. 55; Göttingen 1441: Göttinger Statuten (wie Anm. 7), S. 215; Ulm 1457: StadtA Ulm A [3122], S. 3; zur Datierung: Wankmüller, Armin, Die Ulmer Apothekerordnung von „1491“, in: Beiträge zur Würtembergischen Apothekengeschichte 3 (1957), S. 6–24, hier S. 18; Halle/S. 1493: Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 73 f. 38 LUB 5, Nr. 435; Hamburg: 1472: Kohlhaas-Christ, Geschichte (wie Anm. 22), S. 251. 39 Ausnahmen: Lübeck, Göttingen 1442: Göttinger Statuten (wie Anm. 7), S. 215,

wo Anstellungen auf Lebenszeit vorgenommen wurden. 40 Freiburg 1394 (StadtA Freiburg B2 Nr. 4, S. 206); hier beträgt die gegenseitige Kündigungsfrist ½ Jahr. 41 Regensburg 1474 (Habrich, Apothekenwesen (wie Anm. 15), S. 135 f.). 42 Regensburg 1474 (Habrich, Apothekenwesen (wie Anm. 15), S. 135 f.); ähnlich die Situation in Bamberg 1455, dazu: Bartels, Karlheinz, Zur Geschichte des älteren deutschen Apothekenwesens: 4. Zusammenhänge der mainfrämkischen Apothekengesetzgebung, in: Pharmazeutische Zeitung 112 (1967), S. 1423–1429, hier S. 1424. 43 Ulm 1457 (StadtA Ulm A [3122], S. 4).

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Erlaubnis des Bürgermeisters über Nacht außerhalb der Stadt aufzuhalten44, um jederzeit verfügbar zu sein. Dem Regensburger Dienstbrief (1456) zufolge sollten weder kirchganng, slaffen, ess(e)n, trincken, veyrtäg, arbaitt noch kain annd(er) sach die Abwesenheit entschuldigen45. Die berufsspezifischen Bestimmungen umfassten die Verpflichtung des Apothekers, Arme und Reiche gleichermaßen zu versorgen46, die Bevorratung der Apotheke mit hochwertigen, frischen und tauglichen Materialien zu gewährleisten, die allein zur Herstellung der Arzneimittel verwendet werden durften47; überalterte und verdorbene Substanzen waren durch den Apotheker selbst oder auf Anordnung eines Arztes anlässlich einer Apothekenvisitation, wie sie seit der Mitte des 15. Jahrhunderts üblich wurde48, auszusondern. Des weiteren wurden die Apotheker verpflichtet, alle Arzneien streng nach den Vorschriften der bewährten Meister, d. h. des salernitanischen „Antidotarium Nicolai“49 resp. denen des Pseudo44 S. Anm. 37. Ferner: Ulm 1457 (StadtA Ulm A [3122], 37), S. 2. 45 S. Wankmüller, Armin, Zur Geschichte des Regensburger Apothekenwesens im 15. Jahrhundert, in: Pharmazeutische Zeitung 103 (1958), S. 1020. 46 Regensburg 1414, 1442 (Habrich, Apothekenwesen (wie Anm. 15), S. 135 f., Faksimile nach S. 48). In der Heidelberger Apothekenordnung von 1471 wurde sogar gefordert, den Armen, quibus medici propter Deum serviunt, die Arzneien zum halben Preis zu verkaufen; s. Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 49. 47 Freiburg 1394 (StadtA Freiburg B2 Nr. 4, S. 206), Nördlingen 1428 (Wankmüller, Nördlinger Dienstbrief (wie Anm. 37), S. 55); Ulm 1457 (StadtA Ulm A [3122], S. 3), Frankfurt/M. 1461 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 37 f.); Regensburg 1474 (Habrich, Apothekenwesen (wie Anm. 15), S. 135 f., Faksimile nach S. 48). 48 Ulm 1457 (StadtA Ulm A [3122], S. 3); Frankfurt/M. 1461 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 37 f.); vgl. auch einen entsprechenden Nürnberger Ratsbeschluss von 1442: Philipp, Medizinal- und Apothekenrecht (wie Anm. 9), S. 28. 49 Das vermutlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Salerno entstandene „Antidotarium Nicolai“, war das bedeutendste Arzneibuch des Mittelalters. Es handelte sich um eine Sammlung von 142 Rezepturen, die im wesentlichen dem „Antidotarius magnus“ (um 1100) entlehnt, aber praxisnäher beschrieben waren; die alphabetische Anordnung der einzelnen Rezepte und die Einführung eines neuen, wirtschaftlich günstigeren Gewichtssystems machten das „Antidotarium Nicolai“ zu dem wohl am meisten benutzten und in mehrere Sprachen übersetzten Arzneibuch des Mittelalters. Dazu Goltz, Dietlinde, Mittelalterliche Pharmazie und Medizin. Dargestellt an Geschichte und Inhalt des Antidotarium Nicolai. Mit einem Nachdruck der Druckfassung von 1471, Stuttgart 1976; Keil, Gundolf, Zur Datierung des ‚Antidotarium Nicolai‘, in: Sudhoffs Archiv 62 (1978), S. 190–196; Roberg, Francesco, Das Antidotarium Nicolai und der Liber Antidotarius magnus, in: Krank und gesund im Mittelalter. Marburger Beiträge zur Kulturgeschichte der Medizin, 3. Tagung der Arbeitsgruppe „Marburger Mittelalter-Zentrum (MMZ)“ Mar-

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Mesuë50 anzufertigen und die Rezepte der Ärzte (gemeint sind dabei in der Regel die studierten oder Leibärzte, nicht die handwerklich ausgebildeten Wundärzte) trewlichn mit alln Stucken Inhalts derselben Recept51 zu befolgen. Sollte eine der erforderlichen Substanzen nicht verfügbar sein, so sollte der Arzt benachrichtigt werden, der allein über das „quid pro quo“, d. h. die Substitution des einen Bestandteils durch einen anderen entscheiden durfte52. Opiate, Abortiva und purgierende Mittel durften ohne Wissen und Erlaubnis eines Arztes nicht verkauft werden; burg, 25. und 26. März 2005, hrg. v. Meyer, Andreas / Schulz-Grobert, Jürgen, Leipzig 2007, S. 251–268; Braekman, Willy / Keil, Gundolf, Fünf mittelniederländische Übersetzungen des ‚Antidotarium Nicolai’, in: Sudhoffs Archiv 55 (1971), S. 257–320; Mellbourn, Gert / Keil, Gundolf, Das ‚Antidotarium Nicolai‘ in einer sächsischen Fassung des 15. Jahrhunderts, in: Fachprosa-Studien, hrg. v. Keil, Gundolf, Berlin 1982, S. 346–362; Zimmermann, Volker, Rezeption und Rolle der Heilkunde in landessprachigen handschriftlichen Kompendien des Spätmittelalters (Ars medica, IV/2), Stuttgart 1986, S. 45– 49. 50 Das möglicherweise in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts in Norditalien entstandene „Antidotarium Mesuë“ mit seinen knapp 600 Rezeptvorschriften gehörte seit dem 14. Jahrhundert mit zu den meistbenutzten Arzneibüchern des Mittelalters. Der Verfasser ist unbekannt. Dazu: Schmitz, Geschichte der Pharmazie (wie Anm. 2), S. 246 f.; Lieberknecht, Sieglinde, Die Canones des Pseudo-Mesue. Eine mittelalterliche Purgantien-Lehre (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie, 71), Stuttgart 1995, S. 4–8. – Inwieweit auch die in zahllosen Abschriften existierenden landessprachlichen Arzneibücher, etwa „der“ thüringische Bartholomaeus (aus dem späten 12. Jahrhundert) oder das Arzneibuch Ortolfs von Baierland (aus dem späten 13. Jahrhundert), in den Apotheken Verwendung fanden, lässt sich nicht feststellen. Habrich, Apothekengeschichte (wie Anm. 15), S. 115–117, erwähnt keine landessprachigen Texte; zur Frage auch: Schnell, Bernhard, Die volkssprachliche Medizinliteratur des Mittelalters – Wissen für wen?, in: Laienlektüre und Buchmarkt im späten Mittelalter, hrg. v. Kock, Thomas / Schlusemann, Rita (Gesellschaft und Schrift. Mediävistische Beiträge, 5), Frankfurt/M. 1997, S. 129–145. 51 Göttingen 1441: Urkundenbuch der Stadt Göttingen, Bd. 2, hrg. v. Schmidt, Gustav, Aalen 1974 (Ndr. der Ausg. Hannover 1867), Nr. 202; Frankfurt a. M. 1461: Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 37; Regensburg 1474 (Habrich, Apothekenwesen (wie Anm. 15), S. 135 f., Faksimile nach S. 48). 52 Ulm 1457 (StadtA Ulm A [3122], S. 3); Frankfurt a. M. 1461 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 37 f.); Regensburg 1474 (Habrich, Apothekenwesen (wie Anm. 15), S. 135 f., Faksimile nach S. 48). Dazu grundsätzlich: Berges, Paul-Hermann, „Quid pro quo“ – Zur Geschichte der Arzneimittelsubstitution. Diss., Marburg 1975, S. 47 ff.; Dilg, Peter, „artzeny“ und „valschery“. Arzneimittelsubstution im Mittelalter, in: Fälschungen im Mittelalter, T. V: Fingierte Briefe, Frömmigkeit und Fälschung, Realienfälschung (MGH Schriften, 33, V), Hannover 1988, S. 703–722. – Zu der gewissenhaften Herstellung der Arzneien gehörte mit Blick auf das richtige Mischungsverhältnis der Substanzen

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verschiedentlich wurde sogar die Einwilligung des Rates resp. der von ihm mit der Beaufsichtigung der Apotheken beauftragten „Apotheken- oder Krudeherren“ gefordert. Darüber hinaus wurde der Apotheker verpflichtet, seine Waren zwar mit einem bescheidenen Gewinn, aber doch zu einem gerechten und erschwinglichen Preis zu verkaufen, wobei verschiedentlich, soweit eine solche existierte, auf die Verbindlichkeit der in der Arzneitaxe festgelegten Preise verwiesen wurde53. Sollte es über den geforderten Preis oder die Qualität der abgegebenen Waren zum Streit zwischen dem Apotheker und einzelnen Bürgern kommen, dann sollte dieser Streit durch einen Schiedsspruch der Ärzte beigelegt oder vor den städtischen Gerichten ausgetragen werden54. Nur vereinzelt wird in den erhaltenen Anstellungsverträgen die ansonsten aber oft erhobene Forderung festgeschrieben, dass der Apotheker dekein gemeinschaft mit den artzeten haben sollte55. Detailliertere Regelungen über das Verhältnis: Arzt – Apotheker enthält der Ulmer Dienstbrief für Philipp Kettner (1457). Danach durfte der Apotheker keine ärztlichen Diagnosen stellen, weder auf der Grundlage der Harnschau noch des Pulsfühlens. Verboten war ihm auch, Patienten eines Arztes ärztlich zu betreuen oder ihnen einen anderen Arzt zu empfehlen, es sei denn, dass er vmb Rat vff sine triuve geforschet wurde56. Eine weitere Besonderheit erwähnt der schon genannte Dienstbrief für den Regenburger Apotheker Nikolaus Rem. Es sollte nämlich in der Apotheke, nach Nürnberger Vorbild, ein Register geführt werden, darein die ärzzt die rezeppt nach wälsch(e)n siten schreibenn …, wan(n) man sicht dar jnne womit man dem od(er) disem vor geholfen hat, wie teur iglichs zalt sol werd(e)n und and(ers) mer57.

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die sorgfältige Beachtung der jeweils angegebenen Mengen; vgl. Philipp, Medizinal- und Apothekenrecht (wie Anm. 9), S. 31. Frankfurt a. M. 1461 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 37 f.). – Da Regensburg zu dieser Zeit noch keine eigene Taxe besaß, wurde im Dienstbrief für den Apotheker Nikolaus Rem 1456 die (nicht erhaltene) Nürnberger Taxe als verbindlich erklärt (Wankmüller, Regensburger Apothekenwesens (wie Anm. 45), S. 1020). Nördlingen 1428 (Wankmüller, Nördlinger Dienstbrief (wie Anm. 37), S. 55); Frankfurt a. M. 1461 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 37 f.); Regensburg 1456 und 1474 (Wankmüller, Regensburger Apothekenwesens (wie Anm. 45), S. 1020; Habrich, Apothekenwesen (wie Anm. 15), S. 135 f., Faksimile nach S. 48); Ravensburg 1478: Wankmüller, Armin, Zur älteren Geschichte der Ravensburger Apotheken vor 1550, in: Beiträge zur Württembergischen Apothekengeschichte 3 (1957), S. 97–103, hier S. 101 f. Freiburg 1394 (StadtA Freiburg B2 Nr. 4, S. 206); Ravensburg 1478 (Wankmüller, Ravensburger Apotheken (wie Anm. 54), S. 101 f.) Ulm 1457 (StadtA Ulm A [3122], S. 2.) Regensburg 1456 (Wankmüller, Regensburger Apothekenwesens (wie Anm. 45), S. 1020).

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In Ulm musste sich der Apotheker zusätzlich verpflichten, der Stadt Ir ere vnd nutz [zu] furdern, Ir schande vnd schade [zu] wenden nach sinem vermugen58. Anders als diese Anstellungsverträge enthält der Dienstkontrakt für den Hamburger Ratsapotheker Hinrich van Dalen aus dem Jahre 1472 ausschließlich Vereinbarungen, welche das Arbeitsverhältnis betrafen: Er wurde auf Lebenszeit angestellt, konnte aber, wenn er sik so unschickliken in siner handelinge hadde unde bevunden worde, dat deme Rade mishagede unde undrechlik were, beurlaubt werden59. Er war gehalten, sein Arbeitsgerät (Ketelle, grapen, kannen, vate etc.) und sine Apoteken mitzubringen, und was davon für die Hamburger Ratsapotheke nützlich erschien, das sollte ihm aus den Einkünften der Apotheke vergütet werden; festgelegt wurden die Höhe seines Jahresgehalts (30 Mark lüb.) und, im Falle seines Todes, die Versorgungsleistungen zugunsten der Witwe. Jegliche Regelungen bezüglich der berufsspezifischen Aufgaben fehlen hingegen60. Wirksam wurden die Verträge durch die eidliche Verpflichtung des Apothekers, die getroffenen Vereinbarungen sorgfältig zu beachten. Von diesen Vereinbarungen, die zwischen den Städten und den von ihnen in ihre Dienste übernommenen Apothekern individuell ausgehandelt wurden, unterscheiden sich die „Apothekereide“ insofern, als es sich hierbei um Regelwerke handelt, die vom Rat mit fachkundiger Unterstützung durch dazu hinzugezogene Ärzte ausgearbeitet wurden. Sie sollten für alle in der Stadt tätigen Apotheker gelten, auch für solche, die in keinem Besoldungsverhältnis zur Stadt standen. Zumeist handelt es sich um relativ detaillierte Zusammenstellungen von Vorschriften61, die verständlicherweise keine arbeitsrechtlichen, sondern ausschließlich apothekenspezifisch-pharmazeutische Bestimmungen enthalten und damit den in 58 Ulm 1457 (StadtA Ulm A [3122], S. 1). Vgl. auch Friede, Heinrich, Vom mittelalterlichen Apothekenwesen in Franken, in: Pharmazeutische Zeitung 76 (1931), S. 970 f., hier S. 971 (betr. Würzburg 1482). 59 Kohlhaas-Christ, Geschichte (wie Anm. 22), S. 250 f. 60 Sie fehlen im Übrigen auch in dem Kontrakt über die Vertragsverlängerung mit dem Lübecker Ratsapotheker Johann Brakel 1465 (LUB 10, Nr. 557); auch er wird jetzt auf Lebenszeit mit der Leitung der Ratsapotheke betraut, sein Jahressalär wird auf 50 Mark festgelegt; außerdem werden seine Versorgungsansprüche geregelt für den Fall, dass er krankheits- oder altersbedingt seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann. – Ähnlich beschäftigt sich der Dienstbrief für den Hallenser Apotheker Simon Puster (1493) fast ausschließlich mit den Modalitäten der begrenzten Steuerbefreiung des Apothekers; s. Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 73 f. 61 Eine Ausnahme bildet z. B. ein früher Nürnberger Apothekereid aus der Zeit zwischen 1338 und 1360 (gedr.: Philipp, Medizinal- und Apothekenrecht (wie Anm. 9), S. 19; zur Datierung: S. 16–19), der nur die Verpflichtungen beinhaltet, bei der Zubereitung der Arznei-

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der Regel umfassenderen und systematischer angelegten Apothekenordnungen gleichkommen resp. solche Ordnungen ersetzen62. In der Literatur hat das dazu geführt, dass oft zwischen Apothekereiden und Apothekenordnungen kein Unterschied gemacht wird. Da in der Tat der Unterschied zwischen beiden Quellenarten ein rein formaler ist, sollen auch im Folgenden Apothekereide und Apothekenordnungen gemeinsam vorgestellt werden. Sie sind entstanden im Bemühen der Städte, das eigene Apothekenwesen überhaupt zu regeln oder neu zu ordnen. So ist aus Regensburg bekannt, dass 1397 ein verbindlicher Apothekereid formuliert wurde, nachdem ein neu in die Stadt berufener Arzt, ein Meister Johannes, in einem Gutachten über den Zustand des Gesundheitswesens auf den großen merklichen Schaden und Irsal, die hier in euer Stadt sind in Arzney und Apothecken, aufmerksam gemacht hatte63. Ähnlich forderte der in den 1480er Jahren nach Straßburg berufene Arzt Dr. Johannes Widmann eine Neuordnung des Straßburger Apothekenwesens auf der Grundlage des Nürnberger Apothekereides von 144264.Nicht selten dürften die Städte bei der Ordnung oder der wegen aufgetretener Missstände fällig gewordenen Neuordnung ihres Apothekenwesens von benachbarten Städten Abschriften der dort geltenden Normen erbeten und diese als Vorbilder für die eigenen Regelungen genommen haben. So ist der erwähnte Nürn-

mittel keinen Unterschied zwischen arm und reich zu machen, auf das quid pro quo zu verzichten und nur maßvolle Preise zu berechnen. 62 Dabei ist nicht auszuschließen, dass einige Vorschriften auch situationsbedingt, aus jeweils gegebenem Anlass in die Eide aufgenommen wurden; so mussten sich die Frankfurter Apotheker 1500 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 15), S. 76) verpflichten, Pflanzenwässer mit luterem fuere zu destillieren (dazu: Müller-Grzenda, Astrid, Pflanzenwässer und gebrannter Wein als Arzneimittel zu Beginn der Neuzeit. Herstellungsverfahren, Hersteller und Handel, Beschaffenheit und Bedeutung für die Materia medica, Stuttgart 1996) und das als Mittel gegen Durchfall eingesetzte Zuckerplätzchen „Manus Christi“ (mit und ohne Perlen) nur unter Verwendung des allerbesten Zuckers herzustellen. Vgl. auch Frankfurt a. M. um 1500 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 15), S. 80); Heidelberg 1471 (Adlung, S. 49). 63 Carl Theodor Gemeiner, Regensburgische Chronik, 4 Bde., hrg. v. Angermeier, Heinz, München 1971, Bd. 2, S. 336; Habrich, Apothekengeschichte (wie Anm. 15), S. 9, 135 (Eid); vielleicht ist es kein Zufall, dass gleich im ersten Absatz gefordert wird, dass der Apotheker synen antidotarium wol chun. 64 Wie Anm. 13; Rau, Reinhold, Zur älteren Stuttgarter Apothekenordnung, in: Beiträge zur württembergischen Apothekengeschichte 6 (1965), S. 65–69. – Zur Situation in Frankfurt a. M. s. Rittershausen, Studien (wie Anm. 5), S. 146–151.

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berger Apothekereid von 144265, der auch in Bamberg und Würzburg gegolten haben soll66, vorbildlich geworden bzw. ganz oder in Teilen in den Regensburger Apothekereid von 1454, das Ulmer appoteckergesetz aus der Zeit um 1470/80 und den Ravensburger Apothekereid (um 1465)67 übernommen worden; auch der Stuttgarter Eid (1482)68 und die Ordnungen von Ingolstadt und Nördlingen weisen auffallende Übereinstimmungen mit dem Nürnberger Text auf69. Naturgemäß enthalten die Apothekereide und Apothekenordnungen inhaltlich weitgehend die gleichen Bestimmungen wie die Dienstbriefe, nur wurden an etlichen Stellen Ergänzungen und Präzisierungen vorgenommen. Folgt man der Frankfurter Apothekenordnung von 150070, dann lassen sich die Regelungen drei Themenfeldern zuordnen. Sie betrafen die Person des „getreuen“ Apothekers, die Qualität der in der Apotheke vorrätig gehaltenen Waren, sowohl der Simplicia als auch der Composita, sowie die gewissenhafte Zubereitung der Arzneien. Hinzu kamen Regelungen bezüglich der Preise, zu denen die Apothekerwaren verkauft werden sollten.

65 Zur Datierung zuletzt: Philipp, Medizinal- und Apothekenrecht (wie Anm. 9), S. 28–31; Drucke: Philipp, S. 110 f. (unvollständig, mit kleineren Lesefehlern gegenüber der Ingolstädter Vorlage: StadtA Ingolstadt A VII. 111a); Wankmüller, Ulmer Apothekerordnung (wie Anm. 37), S. 21–24; Wankmüller, Armin, Eine Ravensburger Apothekerordnung des 15. Jahrhunderts, in: Beiträge zur württembergischen Apothekengeschichte 8 (1970), S. 35–37. 66 Vgl. Kirschleger, Police médicale (wie Anm. 13); dazu auch: Bartels, Zusammenhänge (wie Anm. 42), S. 1426. 67 Wankmüller, Regensburger Apothenwesen (wie Anm. 53), S. 1020; Wankmüller, Ulmer Apothekerordnung (wie Anm. 37), und Wankmüller, Ravensburger Apothekerordnung (wie Anm. 65). 68 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 58–61. 69 Eine Abschrift des Nürnberger Eides hatte 1484 auch Ingolstadt angefordert (s. o.), hatte davon aber keinen Gebrauch gemacht; noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts galt dort der Apothekereid aus der Zeit um 1470 (StadtA Ingolstadt A VII. 2 und B 24, Bl. 31), der in den Formulierungen deutlich von dem Nürnberger Text abweicht, aber Übereinstimmungen mit dem Münchener Apothekereid von 1488 (gedr.: Müller-Fassbender, GerdBolko, Das Apothekenwesen der bayerischen Haupt- und Residenzstadt München von seinem Anfang bis zum Ende des bayerischen Kurfürstentums, München 1970, S. 161) aufweist. – Fast gleichlautende Bestimmungen aus dem Baseler Apothekereid (1423/26) finden sich in der Heidelberger Apothekenordnung (1471), Entlehnungen aus dem Nürnberger Apothekereid (1442) und der Frankfurter Apothekenordnung (1461) enthält die Konstanzer Ordnung (um 1472). 70 Gedr.: Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 79–81.

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Verlangt wurde, dass der Apotheker fachlich geeignet war und inynst syn latin zemliche Mosze [Mesuë, Vf.] kennen sollte71. In Köln sollte nach der Apothekenordnung von 1478 niemand eine Apotheke führen dürfen, der nicht zuvor von den Doktoren der medizinischen Fakultät der Universität examiniert worden war, im Beisein von dazu delegierten Ratsherren und der städtischen Ärzte72. Die Apotheker sollten ihre Offizinen gewissenhaft führen, damit die siechen oder kranken von irer sümmis oder unvlyss wegen nit verwahrloset oder verderpt werden73. Alle Patienten sollten gleichermaßen gut versorgt werden, nicht nur Arme und Reiche, sondern auch Freund und Feind74. Betont wurde die Trennung der Tätigkeitsfelder von Ärzten und Apothekern und damit das oft ausdrücklich ausgesprochene Verbot, dass geyn apteker in medicinis selfs practiseren soll75, dheinen Siechenn oder kranckenn menschenn Rate ze thun, zu purgieren, clistieren …76. Gelegentlich finden sich aber auch kleinere Einschränkungen: So erlaubte die Straßburger Ordnung dem Apotheker, ihm persönlich nahestehenden Menschen seinen Beistand nicht zu verweigern und ihnen auch in medizinischer Hinsicht zu raten und zu helfen77. Die Konstanzer Ordnung (um 1472) gestattet es ihm immerhin, den Kranken uff der lüten begeren einfache Stärkungsmittel (Confortativa) zu verabreichen78. In diesen Zusammenhang gehört auch das in den Stuttgarter Apothekereid aufgenommene Verbot für Mitglieder beider Heilberufe, sich gegenseitig Geschenke zu machen; nur kleinere Aufmerksamkeiten, die den Wert von einem Pfund Heller nicht überstiegen, sollten erlaubt sein79. Damit sollte verhindert werden, dass sich bestimmte Ärzte und Apotheker zum Nachteil anderer gegenseitig Vorteile verschafften, etwa dadurch, dass ein Arzt in einer bestimmten Apotheke mehr und teurere Rezepte ausstellte, und/oder umgekehrt der Apotheker darauf verzichtete, einem Arzt die

71 Basel 1470 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 30); Straßburg, um 1500: Dilg, Peter, Die Straßburger Apothekerordnung (um 1500), in: Pharmazeutische Zeitung 124 (1979), S. 2664–2670, hier S. 2667. 72 Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels (wie Anm. 13), S. 399. 73 Konstanz, um 1472 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 46); Nürnberg 1442 (Philipp, Medizinal- und Apothekenrecht (wie Anm. 9), S. 28–31). In diesem Zusammenhang ist auch das Präsenzgebot zu sehen. 74 Basel 1470 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 30). 75 Köln 1478 (Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels (wie Anm. 13), S. 400). 76 Straßburg, um 1500 (Dilg, Straßburger Apothekenordnung (wie Anm. 71), S. 2668). 77 Straßburg, um 1500 (Dilg, Straßburger Apothekenordnung (wie Anm. 71), S. 2668). 78 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 47. 79 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 59; in diesem Sinne auch Straßburg, um 1500, vgl. Dilg, Straßburger Apothekenordnung (wie Anm. 71), S. 267.

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Patienten abspenstig zu machen. Durchgängig findet sich in den Texten das Verbot, eigenmächtig Gifte, Abführmittel und Arzneien, damit man kindlein vertreibt80, ohne Zustimmung eines Arztes oder eines Ratsherrn abzugeben, wobei vereinzelt Ausnahmen zugunsten vertrauenswürdiger und gut beleumundeter Personen oder, wie in Köln, zugunsten der Goldschmiede, der Goldschläger und anderer, nicht genannter Gewerbe gemacht werden81. Breiten Raum nehmen in den Eiden und Ordnungen die Bestimmungen über die Bevorratung der Apotheken mit frischen und tauglichen Arzneidrogen und die Zubereitung einzelner Composita ein. So wurde gefordert, dass sie, die Apotheker, ire dingk die zu der Ertzney gehoren sorgfältig auswählen, alsdann die bewertten maister der Ertzney das beschreiben82. Der Baseler Apothekereid von 1423/26 wird deutlicher und benennt zwei der damals wichtigsten Drogenkunden, nämlich den „Liber de simplicibus medicinis“ des Pseudo-Serapion (nach 1250) und das salernitanische (auch ins Deutsche übersetzte) „Circa instans“ (um 1150)83 und ver80 Nach dem Stuttgarter Eid war es dem Apotheker immerhin erlaubt, ein gemein purgacion, ain quintlin oder lot pillule zucker lattwerg oder ander tribend arzni zu verkoufen, vgl. Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 59. Der Frankfurter Eid (1500) schrieb vor, Rohstoffe, so gifft by sich haben, wie Koloquinten, Wolfsmilchgewächse, Nieswurz, Arsenik u. a., in besonderen Gefäßen aufzubewahren, gestattete aber den Verkauf von Gift an Personen, die nit argwonig sint (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 76). 81 Köln 1478 (Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels (wie Anm. 13), S. 401); Frankfurt a. M., um 1500 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 15), S. 80); Straßburg um 1500 (Dilg, Straßburger Apothekenordnung (wie Anm. 71), S. 2668). 82 Nürnberg 1442: StadtA Ingolstadt A VII. 111a.; Göttingen 1441: Urkundenbuch der Stadt Göttingen, 2 Bde., hrg. v. Schmidt, Gustav, Aalen 1974 (ND der Ausg. Hannover 1867), Bd. 2, Nr. 202; Regensburg 1454 (Wankmüller, Regensburger Apothekenwesen (wie Anm. 53); Stuttgart 1482 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 58–61). 83 Zusammenfassend: Schmitz, Geschichte der Pharmazie (wie Anm. 1), S. 387 f.; ferner: Mayer, Johannes Gottfried, ‚Circa instans‘ deutsch. Beobachtungen zum Leipziger Kodex 1224, dem bislang umfangreichsten Kräuterbuch in deutscher Sprache vor dem Buchdruck, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 13 (1995), S. 67–73; Ventura, Iolanda, Une œuvre et ses lecteurs: La diffusion du Circa instans salernitain, in: Florilegium medievale. Etudes offertes à Jacqueline Hamesse à l’occasion de son émeritat, hrg. v. Meinrinhos, José / Weijers, Olga (Textes et études du Moyen Âge, 50), Turnhout 2010, S. 585– 610. – Die Baseler Apothekenordnung von 1470 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 31 f.) nennt darüber hinaus weitere Drogenkunden, von denen auch erwartet wurde, dass sie in den Apotheken vorhanden waren; dazu gehören das zweite, den Simplicia gewidmete Buch des „Canon medicinae“ Avicennas (dazu zusammenfassend: Schmitz, Geschichte der Pharmazie (wie Anm. 2), S. 236–240), das Synonymenverzeichnis des Simon von Genua aus dem 13. Jahrhundert, der auch den “Liber de simplicibus” des Pseudo-Sera-

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pflichtete den Apotheker, omnes herbas, radices, folia et semina campestria et domestica aut silvestres gemäß den Darlegungen dieser Bücher zu sammeln, vorschriftsmäßig zu trocknen und zu lagern84. Überalterte und verdorbene Materialien85 sollten weder verkauft, noch zur Anfertigung von Arzneien verwendet, sondern aus dem Warenlager entfernt, vernichtet und durch frische ersetzt werden. Die Straßburger Apothekenordnung drohte Zuwiderhandelnden schwer stroff an86. In diesen Zusammenhang gehört auch die gelegentlich begegnende Forderung, Rohstoffe erst unmittelbar vor der Weiterverarbeitung zu Pulver zu zerstoßen87. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde, um Vermischungen und Verunreinigungen zu vermeiden, verschiedentlich verlangt, alle Rohstoffe separat

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pion ins Lateinische übersetzt hatte, die „Materia medica“ des Pedanios Dioskurides aus dem 1. Jahrhundert n. Ch., eines der bedeutendsten pharmakognostisch-pharmakologischen Werke der Antike (Schmitz, Geschichte der Pharmazie (wie Anm. 2), S. 179–187) und Macer, wobei offen bleibt, ob der gereimte, lateinische „Macer floridus“ des Odo von Meung-sur-Loire aus dem 11. Jahrhundert, ein im Mittelalter weit verbreitetes Standardwerk der Kräuterheilkunde (dazu: Höhepunkte der Klostermedizin. Der „Macer floridus“ und das Herbarium des Vitus Auslasser, hrg. v. Mayer, Johannes Gottfried / Goehl, Konrad, Leipzig 2001) gemeint war, oder der in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts im thüringisch-obersächsischen Raum entstandene, teilalphabetisch geordnete „Deutsche Macer“, eine deutsche Bearbeitung des „Macer floridus“, die im späten Mittelalter im deutschsprachigen Raum das meistbenutzte pharmakologische Handbuch der gängigen Heilkräuter und ihrer therapeutischen Verwendbarkeit war (dazu: Der deutsche „Macer“. Vulgatfassung. Mit einem Abdruck des lateinischen Macer floridus „De viribus herbarum“, hrg. v. Schnell, Bernhard / Crossgrove, William, Tübingen 2003). Erwähnt wird auch bereits das erst um 1450 entstandene „Compendium aromatariorum“ des italienischen Arztes Saladin Ferro de Ascoli, ein Arzneibuch, das Anweisungen zur Herstellung der Arzneimittel enthielt und sich sehr schnell zur Pflichtlektüre der Apotheker entwickelte (Schmitz, Geschichte der Pharmazie (wie Anm. 2), S. 395–397). Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 25; Konstanz, um 1470: Adlung, S. 46; Frankfurt/M. 1500: Adlung, S. 75 (vgl. zu diesem Eid die kritische Stellungnahme zweier Frankfurter Apotheker, die einen selten guten Einblick in die alltägliche Wirklichkeit der Apotheker in jener Zeit gestattet; dazu: Rittershausen, Studien (wie Anm. 5), S. 182– 186). Das galt auch für kostbar stuck, von denen der Regensburger Apothekereid (1397; Habrich, Apothekengeschichte (wie Anm. 15), S. 135) beispielhaft Ambra, Balsam und Lignum Aloe (d. i. Holz von Aquilaria agalocha Roxb., das zur Herstellung von Arzneimitteln gegen Magen- und Darmbeschwerden, außerdem als Bestandteil von Weihrauch verwendet wurde) nannte. Dilg, Straßburger Apothekenordnung (wie Anm. 71), S. 2668. Heidelberg 1471 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 49); Frankfurt a. M., um 1500 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 80).

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in geeigneten Gefäßen (bussen, potten of kannen aus Zinn, Blei, Glas, Ton oder Holz) aufzubewahren, so dass auch die katzen ratten muse vnd ander tyer die yen schedelich sint nit darzu kommen mogen88. Was die Zubereitung der gemischt oder gemenget artzeny betrifft, so wurde, wie in den Dienstbriefen, auch in den Apothekereiden und Apothekenordnungen verlangt, dass sie nicht nach synem [des Apothekers] haubt, sondern nach den Vorschriften des Antidotariums Nicolai resp. denen „des“ Mesuë vorgenommen wurde; die Heidelberger Ordnung (1471) nannte ergänzend den „Canon medicinae“ des Avicenna89 und das Antidotarium Arnalds von Villanova (gest. 1311). Gefordert wurde außerdem, dass die Arzneien sowohl hinsichtlich der Bestandteile als auch hinsichtlich der Dosierung streng nach den Angaben der von den (in der Stadt zugelassenen) Ärzten ausgestellten Rezepte dispensiert wurden und die Apotheker eigenmächtig – weil z. B. bestimmte fremdländische Drogen nicht vorrätig oder kaum zu beschaffen waren, oder aber auch aus Gewinnsucht und in betrügerischer Absicht – kein „quid pro quo“ vornehmen sollten90. Verschiedentlich wurde den Apothekern allerdings, wenn sie Zweifel an der Zweckmäßigkeit oder Wirksamkeit einer Verordnung hatten, das Recht zugestanden, den Arzt darauf aufmerksam zu machen und Nachbesserungen anzumahnen91 oder sogar, wie 1387 in Konstanz, 88 Frankfurt a. M., um 1500 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 15), S. 80); Basel 1470 (Adlung, S. 32); Köln 1478: (Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels (wie Anm. 13), S. 402). 89 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 49; zum „Canon“ zusammenfassend: Schmitz, Geschichte der Pharmazie (wie Anm. 2), S. 238–240. 90 Philipp, Medizinal- und Apothekenrecht (wie Anm. 9), S. 28–31; Frankfurt 1461 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 37); Basel, 1470 (Adlung, S. 30); Konstanz, um 1472 (Adlung, S. 46); Köln 1478 (Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels (wie Anm. 13), S. 402); ausdrücklich verboten wurde die Verwendung geringerwertiger Materialien anstelle höherwertiger, z. B. die Verarbeitung von Melasse oder Honig anstelle von Zucker (StadtA Ingolstadt A VII. 2; München 1488 (wie Anm. 69)). Ferner: Regensburg 1397 (Angermeier, Regensburger Chronik (wie Anm. 63)); Stuttgart 1482 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 58–61); Frankfurt a. M. 1500 (Adlung, S. 75 f.). 91 Basel 1423/26 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 26); Nürnberg 1442 (Philipp, Medizinal- und Apothekenrecht (wie Anm. 9)); Regensburg 1454 (Wankmüller, Regensburger Apothekenwesen (wie Anm. 53)); Ravensburg, um 1465 (Wankmüller, Ravensburger Apothekenordnung (wie Anm. 65)); Köln 1478 (Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels (wie Anm. 13), S. 402); der Münchener Apothekereid von 1488 (Müller-Fassbender, Apothekenwesen München (wie Anm. 69), S. 161) verpflichtete den Apotheker sogar, einen Arzt, der ain valsche artney schriebe oder machet, beim Landesherrn oder beim Rat anzuzeigen.

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die Rezeptur nach eigenem Ermessen zu ändern92. Nach der Straßburger Apothekenordnung (um 1500) sollte der Apotheker, wenn er den Verdacht hatte, das die artznye mönschlicher naturen zu schwer und starck wer Oder das der Artzett in dem recept gefelt oder geirret hett, den Patienten darüber informieren und sich dann mit dem Arzt in Verbindung setzen93. Sollte dieser allerdings auf seiner Rezeptur bestehen, dann musste der Apotheker die eigenen Bedenken zurückstellen und das Arzneimittel in der vorgeschriebenen Form zubereiten. Die Tatsache jedoch, dass den Apothekern ein gewisses Mitwirkungsrecht bei den ärztlichen Verordnungen zugestanden wurde, signalisiert eine nicht unerhebliche Aufwertung ihrer Tätigkeit gegenüber derjenigen der Ärzte94. Auch die Vorstellung von dem jungen, unerfahrenen Arzt, dem ein erfahrener Apotheker gegenübersteht, war den Zeitgenossen nicht fremd95. Composita, die nach der Zubereitung über einen längeren Zeitraum in der Apotheke vorrätig gehalten werden sollten (confeetiones, electuaria, pillulas, Syropos und trociscos96) und die selbst als Bestandteile anderer Composita Verwendung fanden, durften nur im Beisein von Ärzten hergestellt werden, die vor der Verarbeitung die einzelnen Substanzen auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen hatten97. Insbesondere galt dies für die „würdigsten“ und kostbarsten Zubereitungen wie die Aurea Alexandrina, den Großen Theriak oder den Mithridat, denen ohne Konsultation der Ärzte auch nachträglich nichts beigemischt werden durfte98. Nach der 92 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 21. 93 Dilg, Straßburger Apothekenordnung (wie Anm. 71), S. 2668. 94 Nach dem Frankfurter Eid (1500) durfte der Apotheker auch chirorgiam das sint wunde artzeny vben vnd treyben (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 76). 95 Basel 1470 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 31). 96 Konstanz, um 1472 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 47). 97 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 47; Köln 1478 (Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels (wie Anm. 13), S. 402); Frankfurt a. M. 1500 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 75); Frankfurt a. M., um 1500 (Adlung, S. 80); Straßburg, um 1500 (Dilg, Straßburger Apothekenordnung (wie Anm. 71), S. 2667). 98 Nürnberg 1442 (Philipp, Medizinal- und Apothekenrecht (wie Anm. 9), S. 28–31); Ravensburg, um 1465 (Wankmüller, Ravensburger Apothekerordnung (wie Anm. 65), S. 35–37). – Theriak war eine aus mehr als 60 hochwertigen Substanzen, darunter Opium und getrocknetes Schlangenfleisch mit Honig als Bindemittel hergestellte Latwerge. Sie wurde mit großem Aufwand unter öffentlicher Kontrolle angefertigt und galt als ein geradezu wundertätiges Universalheilmittel; dazu und auch zu geringerwertigen Theriak-Rezepturen: Dilg, Peter, Theriaca – die Königin der Arzneien, in: Deutsche Apotheker Zeitung 126 (1986), S. 2677–2682; Schmitz, Geschichte der Pharmazie (wie Anm. 2), S. 558– 561. – Als Aurea Alexandrina bezeichnete man eine ähnlich aufwendige Latwerge, in die

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Fertigstellung sollten die Gefäße, in denen die Composita aufbewahrt wurden, von einem Arzt beschriftet und mit dem Herstellungsdatum versehen werden99, damit man sie später leichter auf ihre Frische und Tauglichkeit überprüfen konnte. Neben diesen allgemeinen Bestimmungen finden sich in den Apothekereiden und Apothekenordnungen auch Anweisungen zur Herstellung bestimmter Arzneimittel, die jedoch keinem erkennbaren Muster folgen, sondern eher situationsbedingt in die Ordnung aufgenommen oder aus einer Vorlage übernommen wurden. So enthält, um an dieser Stelle nur auf einige Beispiele einzugehen, die Konstanzer Apothekenordnung (um 1472)100 zahlreiche Bestimmungen zum Umgang mit gebrannten Wässern, geht aber auf andere Arzneiformen überhaupt nicht ein. Die Heidelberger und die Frankfurter Apothekenordnungen von 1471 resp. um 1500, die auch sonst manche Gemeinsamkeit aufweisen, schrieben vor, dass Scammonium (d. i. eingedickter Milchsaft von Convolvulus scammonia L.), wenn es als Bestandteil eines Rezepts (für ein Abführmittel) vorgesehen war, durch Diagrydium (das ist gestrafft oder corigert scamonium) ersetzt werden sollte101. Nur in diesen beiden Ordnungen finden sich darüber hinaus Bestimmungen, die sich auf den Umgang mit Zubereitungen bezogen, die Moschus und/oder Kampfer enthielten. Durchgängig wurden seit der Mitte des 15. Jahrhunderts die regelmäßigen, einoder zweimal im Jahr (im Frühjahr und/oder im Herbst) durchzuführenden Visitationen der Apotheken festgeschrieben, bei denen vor allem die Frische und die Qualität der vorhandenen Materialien kontrolliert werden sollten, so schwierig das unter den gegebenen Bedingungen auch gewesen sein mochte. Verantwortlich dafür waren die vom Rat bestimmten Apothekerherren zusammen mit den städtischen Ärzten; in Köln gehörten die Visitationen zu den Aufgaben der Doktoren der

neben ca. 70 hauptsächlich pflanzlichen Arzneidrogen zerriebenes Blattgold eingearbeitet wurde. Sie wurde als Schmerz- und Magenmittel, aber auch bei vielen anderen Beschwerden verwendet. – Der Stuttgarter Eid (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 58–61) nennt außerdem Diambra (Zubereitung – zumeist als Latwerge, aber auch als Zäpfchen oder Tablette – aus Ambra grisea, Moschus und zahlreichen weiteren Gewürzdrogen) und Dianilum Mesue (Zubereitung aus Anis, Kümmel, Fenchel und vielen anderen Drogen). 99 Z. B. Konstanz, um 1472 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 47); Frankfurt/M. 1500 (Adlung, S. 75); Frankfurt/M., um 1500 (Adlung, S. 81). Vgl. auch Nürnberg 1442 (Philipp, Medizinal- und Apothekenrecht (wie Anm. 9), S. 28–31); Ravensburg, um 1465 (Wankmüller, Ravensburger Apothekerordnung (wie Anm. 65)); Stuttgart 1482 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 58–61). 100 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 46 f. 101 Frankfurt, um 1500 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 81); Heidelberg 1471 (Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 49).

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medizinischen Fakultät102. Es konnte aber auch jeweils für ein Jahr eine Kommission gebildet werden, der, wie in Straßburg (um 1500)103, zwei Ärzte, ein Ratsherr und der dienstälteste Straßburger Apotheker angehören sollten, wobei die Beteiligung eines Apothekers an den Visitationen hier erstmals erwähnt wird. Dem Apotheker, der sich einer Visitation verweigerte, drohten hohe Strafen bis hin zur „Schließung seiner Fenster“, d. h. zum Verlust der Betriebserlaubnis. Das galt auch für den Fall, dass ein Apotheker festgestellte Mängel nicht behob104. Von diesen Eiden und Ordnungen unterscheidet sich das Juramentum, das die Braunschweiger Ratsapotheker entsprechend ihrer besonderen Bindung an den Rat seit dem späten 15. Jahrhundert zu leisten hatten105. Auch sie mussten sich verpflichten, die Arzneimittel streng nach den vorgelegten Rezepten zu dispensieren, ohne Rücksprache mit den Ärzten kein „quid pro quo“ vorzunehmen und kein Gift, keine ätzenden Arzneien oder Abortiva ohne ärztliche Erlaubnis abzugeben. Weitere Bestimmungen aber betrafen wirtschaftliche Aspekte der Betriebsführung: So sollte die Bevorratung der Apotheke mit frischen Rohstoffen in Absprache mit den Apothekenherren erfolgen. Eigene materialia des Apothekers durften in der Apotheke nicht aufbewahrt werden, um eine Vermischung von dienstlichen und privaten Geschäften zu vermeiden106. Die Arzneien sollten zu den mit dem Rat vereinbarten Preisen verkauft werden. Das Geld sollte jn des rades kisten jn der apoteken darto geschicket truweliken gelegt werden. Dem Apotheker war es aber verboten, Geld daraus an Fremde zu verleihen, es sei denn, er hätte sichere Pfänder oder die Bürgschaft von Personen, die Bürger Braunschweigs waren; außerdem sollten dem Rat solche Geschäfte, die offenkundig vorkamen, unverzüglich gemeldet werden. Die vorgestellten Texte lassen erkennen, wie sehr die städtischen Obrigkeiten im späten Mittelalter, wie dies auch bei den Lebensmittelgewerben der Fall war, 102 Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels (wie Anm. 13), S. 401. 103 Dilg, Straßburger Apothekenordnung (wie Anm. 71), S. 2668 f. – Vgl. auch: Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert, 2 Bde., bearb. v. Stein, Walther (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 10), Düsseldorf 1993 (ND der Ausg. Bonn 1895), Bd. 2, S. 562 f. 104 Z.B. Köln 1478 (Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels (wie Anm. 13), S. 400 f.). 105 Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 1, bearb. v . Hänselmann, Ludwig, Osnabrück 1975 (Ndr. der Ausg. Braunschweig 1873), Nr. 113. 106 Diese Regelung galt übrigens auch in Lübeck; s.: Hannemann, Ursula, Von Apotheken, Apothekern und Arzneien. Zur Geschichte des älteren lübeckischen Apothekenwesens, in: Lübeckische Blätter 145 (1985), S. 17–20, 33–36, hier S. 34.

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reglementierenden Einfluss auf das im Entstehen begriffene Apothekenwesen nahmen. Diese Einflussnahme findet auch in den verschiedentlich schon erwähnten Arzneitaxen ihren Niederschlag. Dabei handelt es sich im Prinzip um festgelegte Verkaufspreise für Arzneidrogen und Arzneimittel, die auf Vorschlag der städitschen Ärzte vom Rat bestimmt wurden, um so einen gerechten und erträglichen Preis für alle Bevölkerungsschichten und zugleich dem apteker eyn godlich czemelich wynnunge zu gewährleisten107. Zwar wurden die zugrunde liegenden Vorstellungen über die Bildung eines „gerechten“ Preises nicht erläutert, aber man darf wohl davon ausgehen, dass die schwankenden Beschaffungskosten der Rohstoffe ein wichtiger Posten in der Rechnung waren108. Aus dem Frankfurter Apothekereid von 1500 geht zudem hervor, dass sich die Apotheker verpflichten mussten, Änderungen der Preise durch den Rat zu akzeptieren109. Darüber hinaus muss mit der Existenz von Taxen gerechnet werden, die nicht offiziell vom Rat erlassen worden waren, also keinen amtlichen Charakter besaßen, sondern von Ärzten, gegebenenfalls auch in Zusammenarbeit mit Apothekern, erarbeitet worden waren, und „mit Duldung der Obrigkeit im Geschäftsverkehr angewendet wurde[n]“110. In vielen Fällen scheint es so gewesen zu sein, dass die Taxen in mindestens drei Exemplaren ausge107 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 38. – Zum „gerechten Preis“: Trusen, Winfried, Äquivalenzprinzip und gerechter Preis im Spätmittelalter, in: Staat und Gesellschaft. Festgabe für Günther Küchenhoff zum 60. Geburtstag am 21. August 1967, hrg. v. Mayer, Franz, Göttingen 1967, S. 247–263; Goez, Werner, Das Ringen um den „gerechten Preis“ in Spätmittelalter und Reformationszeit, in: Der „Gerechte Preis“. Beiträge zur Diskussion um das „pretium iustum“. Vier Vorträge von Johannes Herrmann u. a. (Erlanger Forschungen, A/29), Erlangen 1982, S. 21–32; Isenmann, Die deutsche Stadt (wie Anm. 11), S. 387–391. 108 So macht die Regensburger Arzneitaxe [1490; gedr.: Hein, Wolfgang-Hagen, Der Text der Regensburger Arzneitaxe vom Jahre 1490, in: Zur Geschichte der Pharmazie 9 (1957) (= Geschichtsbeilage der Deutsche(n) Apotheker-Zeitung 97 (1957)), S. 33–35, hier S. 33] den Preis für das emplastrum oxicroceum vom jeweiligen Saffranpreis, dem Preis für confectiones mit Kubeben-Pfeffer oder Zimt und vom jeweiligen Zuckerpreis abhängig, wobei letzteres freilich überrascht, weil viele der übrigen Präparate, die mit festen Preisen in die Taxe aufgenommen worden sind, ebenfalls unter Verwendung von Zucker hergestellt wurden. 109 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 77. 110 Dressendörfer, Werner, Methodisches zur Auswertung und Interpretation früher Arzneitaxen, in: Apotheke und Staat. Pharmazeutisches Handeln zwischen Reglementierung und Selbstverantwortung, hrg. v. Bartels, Karlheinz u. a., Stuttgart 1995, S. 25–39, hier S. 28; Wankmüller, Armin, Das Taxwesen der Grafschaft Württemberg (1), in: Beiträge zur württembergischen Apothekengeschichte 1 (1952), S. 145–149, hier S. 149; Rittershausen, Studien (wie Anm. 5), S. 191.

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fertigt wurden, von denen eines in der städtischen Kanzlei deponiert und ein weiteres dem oder den mit der Aufsicht über die Apotheke(n) betrauten Arzt/Ärzten zur Verfügung gestellt wurde; das dritte Exemplar sollte für alle Kunden sichtbar in der Apotheke „ausgehängt“ werden. In der älteren pharmaziehistorischen Forschung sind die Arzneitaxen vorrangig als Quellen für die Zusammensetzung und Veränderungen des Arzneischatzes benutzt worden111. Gefragt wurde auch nach der Entstehung der Taxen und dabei vor allem nach den Voraussetzungen überörtlicher Gemeinsamkeiten in den Texten, die auf Übernahmen aus den Arzneitaxen anderer Städte, die Abschriften ihrer Taxen zur Verfügung gestellt hatten, zurückgehen und gegebenenfalls den Vorbildcharakter bestimmter Taxen belegen112. 111 Dazu: Hein, Wolfgang-Hagen, Über einige Arzneitaxen des späten Mittelalters, in: Veröffentlichungen der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie, N.F. 8 (1956), S. 99–110. In diesem Kontext waren auch die zu unterschiedlichen Zwecken erstellten „einfachen“ Drogenlisten, die keine Preisangaben enthalten, wie die Frankfurter Listen von 1461 (dazu: Hein, Wolfgang-Hagen, Die Drogenlisten des Frankfurter Apothekers Rabodus Kremer vom Winter 1461, in: Pharmazeutische Zeitung 134 (1989), Beilage „Wissenschaft“, Nr. 2. 2, S. 33–39), die Heidelberger Liste von 1469 (dazu: Hein, Wolfgang-Hagen, Eine Heidelberger Arzneimittelliste von 1469, in: Sudhoffs Archiv 37 (1953), S. 140–145), das noch unveröffentlichte Nördlinger Register (um 1490) oder das Inventar der Lüneburger Ratsapotheke (Arends, Dietrich u. a., Das Warenlager einer mittelalterlichen Apotheke (Ratsapotheke Lüneburg 1475) (Veröffentlichungen aus dem Pharmaziegeschichtlichen Seminar der Technischen Hochschule Braunschweig, 4), Braunschweig 19772), aussagekräftige Quellen. Unter dieser Prämisse konnte W.-H. Hein auch eine „Edition“ der Münchener Arzneitaxe von 1488 vorlegen [in: Die Pharmazie 6 (1951), S. 482– 486], in der er alle Preisangaben wegließ und in die er auch nur die Simplicia aufnahm. 112 Dazu: Hein, Arzneitaxen (wie Anm. 111), S. 99–110; Wankmüller, Taxwesen (wie Anm. 110), S. 145–149; Wankmüller, Ulmer Apothekerordnung (wie Anm. 37), S. 6–12. Sehr enge Übereinstimmungen, sowohl bezüglich der Anlage als auch hinsichtlich der angegebenen Preise, bestehen zwischen der Ulmer (1491; Faksimile bei: Schlözer, Manfred, Die Ärzte und Apotheker der Reichsstadt Esslingen im 15. Jahrhundert. Entstehungsgeschichte der Esslinger Arzneitaxe aus dem Jahre 1496 (http://w210.ub.uni-tuebingen.de/dbt/volltexte/2002/481), S. 140–146), der Augsburger (1491; gedr.: Gensthaler, Medizinalwesen (wie Anm. 3), S. 178 f.) und der Esslinger Taxe (1496; gedr.: Schlözer, Ärzte und Apotheker, S. 100–106). Zu den engen Beziehungen zwischen der Wiener Taxe von 1443, dem Augsburger Fragment von 1453 und der Münchener Taxe von 1488 (Hein, Münchener Arzneitaxe, (wie Anm. 111), S. 482–486); s.: Dressendörfer, Werner, Spätmittelalterliche Arzneitaxen des Münchner Stadtarztes Sigmund Gotzkircher aus dem Grazer Codex 311. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des süddeutschen Apothekenwesens (Würzburger medizinhistorische Forschungen, 15), Pattensen 1978, S. 70–91.

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Vor etlichen Jahren hat Werner Dressendörfer darüber hinaus die wirtschaftsund sozialgeschichtliche, insbesondere auch die preisgeschichtliche Auswertung der Arzneitaxen angemahnt113. So berechtigt und spannend dieser Ansatz jedoch ist, er stößt – jedenfalls für das späte Mittelalter – beim gegenwärtigen Stand der Quellenerschließung auf erhebliche Schwierigkeiten. Sieht man von der Taxe Karls IV. für die Apotheken im Herzogtum Breslau ab114, so sind für die Zeit bis 1500 aus dem deutschsprachigen Raum bisher 21 Arzneitaxen bekannt geworden115 – darunter nicht eine einzige aus Niederdeutschland (!). Diese 21 Taxen verteilen sich zeitlich auf das gesamte 15. Jahrhundert, wenn auch der bei weitem größte Teil (86 %) aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts stammt, was die Vermutung nahe legt, dass das Bedürfnis der Städte nach einer Regelung bzw. Neuregelung ihres Apothekenwesens und damit auch der Regulierung der Arzneipreise in dieser Zeit besonders groß gewesen ist. Über die Gründe dafür ließe sich allerdings nur spekulieren. Die Taxen sind sehr unterschiedlich angelegt, entweder als (alphabetisch geordnete) Gesamt- oder, was häufiger geschieht, als Auswahltaxen konzipiert, die nicht den gesamten Arzneischatz (Simplicia und Composita) auflisten und einzeln taxieren, sondern, gegliedert nach den Arzneiformen, für die jeweilige Gruppe von Arzneimitteln, aus der stellvertretend nur einige Präparate genannt werden, einen gemeinsamen Preis notieren, wobei aber davon abweichende Preise für einzelne Präparate auch gesondert ausgewiesen werden konnten116. 113 Dressendörfer, Spätmittelalterliche Arzneitaxen (wie Anm. 112), S. 92–128; Dressendörfer, Methodisches (wie Anm. 110), S. 25–39. 114 Gedr.: Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 16–18 (um 1340). 115 Vgl. die Zusammenstellung bei Dressendörfer, Spätmittelalterliche Arzneitaxen (wie Anm. 112), S. 20 f., und Dressendörfer, Methodisches (wie Anm. 110), S. 25 f.; in der Liste bei Schlözer, Ärzte und Apotheker (wie Anm. 112), S. 17, fehlt das Fragment einer Augsburger Taxe von 1453; gedr.: Gensthaler, Medizinalwesen (wie Anm. 3), S. 175 f. – Bei der Münchener Taxe aus dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts [gedr.: Hein, Wolfgang-Hagen / Dressendörfer, Werner, Die Arzneipreisliste des Münchner Apothekers Jörg Tömlinger, in: Beiträge zur Geschichte der Pharmazie 26 (1974), S. 17–20, hier S. 17 f.] handelt es sich allerdings um private Aufzeichnungen, vielleicht als Vorarbeit für eine offizielle Arzneitaxe. – Nicht mitgezählt sind zwei Drogenpreislisten aus Nördlingen und Wien, weil hier Einkaufspreise verzeichnet sind. vgl. Hein, Wolfgang-Hagen, Die Preisverzeichnisse des Grazer Codex 311: Eine Drogenpreisliste von der Nördlinger Messe im Jahre 1447, in: Pharmazeutische Zeitung 118 (1973), S. 1146–1148; ders., Die Preisverzeichnisse des Grazer Codex 311: Eine Wiener Drogenpreisliste vom Jahre 1449, in: Pharmazeutische Zeitung 119 (1974), S. 500–502; zu weiteren Listen: Dressendörfer, Spätmittelalterliche Arzneitaxen (wie Anm. 112), S. 94. 116 Die Taxen unterscheiden sich auch hinsichtlich der mitgeteilten Details; es gibt Taxen, die sehr summarisch und undifferenziert nur wenige Positionen enthalten (z. B. Basel 1404;

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Aber es sind nicht nur die Zufälligkeit und die Lückenhaftigkeit der Überlieferung dieser Quellengattung, die, selbst wenn systematische Recherchen in den Archiven noch Weiteres Material zutage fördern sollten, preisgeschichtliche Auswertungen der Taxen erschweren. Hinzu kommt, dass die Vergleichbarkeit der Texte untereinander dadurch beeinträchtigt wird, dass der in die einzelnen Taxen aufgenommene Arzneischatz sich jeweils nur teilweise deckt und dass bei gleichlautenden Drogenbezeichnungen nicht immer sicher ist, dass wirklich dieselbe Droge gemeint ist – bei den Zubereitungen wird man das unterstellen dürfen, weil ihre Herstellung an die Vorschriften der entsprechenden Antidotarien gebunden war; hinzu kommt ferner, dass preisbestimmende Qualitätsunterschiede gar nicht feststellbar sind und auch die zugrunde liegenden Münzsysteme sowie die jeweils aktuellen Münzrelationen schwierig zu ermitteln sind, wobei auch berücksichtigt werden muss, dass bei abschriftlich überlieferten Texten zu prüfen wäre, ob bei der Abschrift die Preisangaben der Vorlage einfach übernommen oder in das eigene Münzsystem umgerechnet wurden117, doch soll dieser Aspekt an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Statt dessen sei abschließend, auch mit Blick auf den „gerechten Preis“ und das Ziel der städtischen Obrigkeiten, Arm und Reich gleichermaßen gut mit Arzneimitteln zu versorgen, die Frage wenigstens aufgeworfen, inwieweit auch ärmere Bevölkerungsschichten in der Lage waren, Arzneimittel zu bezahlen, d. h. in welchem Verhältnis die Arzneikosten zu geringeren Einkommen standen. Freilich bewegt man sich auch bei dieser Frage quellenbedingt auf äußerst schwankendem Boden und muss sich auf viele mehr oder weniger gut begründete Vermutungen und Annahmen stützen. Geht man von 265 Arbeitstagen im Jahr aus, von denen 172 wegen der längeren Arbeitszeit nach dem „Sommertarif“ und 93 nach dem „Wintertarif“ vergütet wurden, dann verdienten ausgelernte Steinmetz- und Zimmermannsgesellen um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Regensburg 1841 den., das sind bei einem mittleren Guldenkurs von 1:100 18,41 fl. rh.118. Geht man des Weiteren davon aus, dass 9 % des Einkommens für Wohnen und Heizung, 78 % gedr.: Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 24), und solche, die mehrere Hundert Einzelposten auflisten und damit einen sehr viel differenzierteren Blick in das Warenlager der Apotheke gestatten. 117 Vgl. Dressendörfer, Methodisches (wie Anm. 110), S. 31 f. 118 Dirlmeier, Ulf, Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters (Mitte 14. bis Anfang 16. Jahrhundert) (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., 1), Heidelberg 1978, S. 176. Ganz ähnliche Zahlen ergeben sich für Nürnberger Bauhandwerker (Gesellen; 1464), Dirlmeier, S. 168.

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für Nahrung und 10 % für Kleidung benötigt wurden119, dann blieben den genannten Bauarbeitern gerade einmal 56 den. pro Jahr für andere Aufwendungen übrig. Nach der Ulmer Lohntaxe (um 1425)120 verdienten, um ein weiteres Beispiel zu nennen, Zimmer- und Maurermeister sowie fertige Gesellen bei einem Sommerlohn von 48 hlr. und einem Winterlohn von 36 hlr. und ganzjähriger Beschäftigung 11.604 hlr., das entspricht 32,23 fl. rh.; zieht man auch bei ihnen 97 % für die festen Lebenshaltungskosten ab, dann verblieben ihnen für sich und ihre Familien jeweils 1 fl. rh. oder umgerechnet rd. 100 den. pro Jahr für Sonstiges. Nach Berechnungen Dressendörfers121, die sich auf Salzburger Apothekenrechnungen stützen, haben die Ärzte um die Mitte des 15. Jahrhunderts Dia-Mittel und Latwergen bevorzugt in Mengen von 1–2 Unzen, Pillen in Mengen von 1–2 Drachmen verordnet. Bei den daraus sich ergebenden durchschnittlichen Arzneikosten pro Einzelverordnung zeigte sich, dass gut die Hälfte der Verschreibungen 20 den., gut ein Drittel 15 den. nicht überstiegen. Was freilich auf den ersten Blick noch einigermaßen erträglich erscheint, erweist sich bei genauerem Hinsehen für Menschen mit bescheideneren Einkommen doch als problematisch. Denn für sie waren bestenfalls die einfacheren confectiones, unguenta oder pillulae erschwinglich; bei andauernder Krankheit und häufiger notwendig werdenden Verordnungen aber, ganz zu schweigen vom Einsatz wirkungsvollerer und teurerer Medikamente, wäre dieser Personenkreis schnell an die Grenzen des finanziell Tragbaren gestoßen, zumal nicht nur die Medikamente, sondern auch die ärztlichen Honorare zu bezahlen waren. Die von gemeener notdurfft wegen regelmäßig in die Dienstbriefe und Apothekereide aufgenommene Forderung, die Arzneimittel mit bescheidenem Gewinn zu maßvollen, „ziemlichen“ Preisen abzugeben, dardorch nymande von Cristen luden beswert moge werden122, hatte insofern durchaus ihre Berechtigung. Die vorgestellten Quellen lassen erkennen, in welchem Maße die städtischen Räte seit dem 14. und verstärkt im 15. Jahrhundert bestrebt waren, das entstehende Apothekenwesen zum Wohle aller zu reglementieren und der eigenen Kontrolle zu unterstellen, wobei sich die Regelungen selbst auf kleinste Details der pharmazeutischen Tätigkeit der Apotheker erstrecken konnten. Da sich die Städte bei ihren Bemühungen der fachlichen Kompetenz der Ärzte bedienten, fiel diesen bei der Beaufsichtigung der Apotheken eine besondere Rolle zu. Das führte gelegentlich zu 119 Dirlmeier, Ulf, Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen (wie Anm. 118) , S. 421. 120 Dirlmeier, Ulf, Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen (wie Anm. 118) ,, S. 196. 121 Dressendörfer, Spätmittelalterliche Arzneitaxen (wie Anm. 112), S. 115–125; Dressendörfer, Methodisches (wie Anm. 110), S. 35–38. 122 Adlung, Zusammenstellung (wie Anm. 12), S. 40.

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Auseinandersetzungen mit den Apothekern, zumal die Ärzte trotz entgegenstehender Verbote auf das eigene Dispensier„recht“ nicht verzichteten und damit als Konkurrenten der von ihnen beaufsichtigten Apotheker auftraten. Freilich enthält das entworfene Bild noch viele weiße Flecken, die den weitgehend unbefriedigenden Forschungsstand und die unzureichende Erschließung der einschlägigen Quellen widerspiegeln. Vor allem der Mangel an entsprechenden Nachrichten aus dem niederdeutschen Raum fällt auf. Hier eröffnen sich mannigfache Forschungsperspektiven, zumal die Themen nicht nur für die Pharmaziegeschichte im engeren Sinne, sondern auch für die allgemeine Wirtschafts- und Sozialgeschichte von großem Interesse sind.

Das Archiv eines päpstlichen Legaten aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Ein Bestand im Wiener Stadt- und Landesarchiv von Ferdinand Opll

I. Bestände mittelalterlicher Urkunden gehören zu den ganz besonders charakteristischen Dokumenten in Archiven. Registratoren und Archivare haben sich praktisch seit jeher – schon von der Epoche der Aufbewahrung von Dokumenten in so genannten Schatzgewölben an – intensiv mit solchen Beständen beschäftigt, ja in gewisser Weise bilden sie sogar den Kern für die Herausbildung des modernen Archivwesens. Welcher Stellenwert diesen Überlieferungen im Kontext archivischer Arbeiten zukommt, ist sowohl an zahlreichen Editionen – handle es sich um Volltexte oder Regesten – ablesbar wie auch an den in jüngster Vergangenheit mit immer größerem Erfolg und in stets steigendem Tempo vorgelegten Digitalisierungen von Urkundenbeständen im Internet1.

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Vgl. dazu – wahllos aus einem großen Informationsangebot im Internet herausgegriffen – http://www.hr-online.de/website/rubriken/kultur/index.jsp?rubrik=5710&key=standard_ document_36808264 (Zugriff: 16. Dezember 2009). Zu dem überaus aktiven Monasterium-Projekt, siehe: http://www.monasterium.net (Zugriff: 1. Februar 2010). – Im vorliegenden Beitrag werden folgende Abkürzungen verwendet: FB = Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte; FRA = Fontes rerum Austriacarum; HHStA = Haus-, Hof- und Staatsarchiv; JbVGStW = Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien; OÖLA = Oberösterreichisches Landesarchiv; ÖStA = Österreichisches Staatsarchiv; QuGStW = Mayer, Anton (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Stadt Wien I/1–4, Wien 1895–1901; Starzer, Albert (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Stadt Wien I/5–6, Wien 1906–1908; Lampel, Josef (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Stadt Wien I/7–8, Wien 1923 und 1914; Schindler, Vinzenz (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Stadt Wien I/9, Wien 1921; Lampel, Josef (†) (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Stadt Wien I/10, Wien 1927; Uhlirz, Karl (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Stadt Wien II/1–3, Wien 1898– 1904; Lampel, Josef (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Stadt Wien II/4, Wien 1917; Hango, H(ermann) / Ressel, G(ustav) A(ndreas), Quellen zur Geschichte der Stadt Wien

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Ferdinand Opll

All das gilt auch für das Wiener Stadt- und Landesarchiv, das seine mit einer Urkunde Herzog Leopolds VI. von Österreich aus dem Jahr 1208 beginnenden Urkundenbestände2 in einer seiner drei großen Bestandsgruppen, den „Sammlungen“ verwahrt3. Die Entscheidung, eine eigene Sammlung für die städtischen Urkunden anzulegen, wurde bereits von Franz Tschischka gefällt, der während des Vormärz’ (Amtszeit: 1828–1847) für die städtische Registratur Wiens zuständig war4. Tschischka brachte die Urkundenbestände erstmals „in eine leidliche chronologische Ordnung und fertigte Realindices an, die, wenn auch keineswegs vollständig, doch für die folgende Zeit das einzige archivalische Hilfsmittel blieben“5. Als man 1863 das Archiv6 von der Registratur als selbstständige Institution abtrennte,

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II/5, Wien 1921; VeröffWStLA = Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs; WGBll. = Wiener Geschichtsblätter; WStLA = Wiener Stadt- und Landesarchiv. Das so genannte Flandrenserprivileg, eine Urkunde Herzog Leopolds VI. von Österreich für aus Flandern stammende, sich in Wien niederlassende Tuchfärber, ist im Original erst nach der Erhebung Wiens zum Bundesland (1921/22) in die Bestände des städtischen Archivs gekommen. Seine Existenz war freilich infolge seiner Vidimierung in deutscher Übersetzung in der Bestätigung durch Herzog Albrecht III. von 1373, Dezember 18, Wien, bereits vorher bekannt gewesen, vgl. dazu: QuGStW II/1, Reg. b bzw. Reg. 837. – Das Original von 1208 findet sich ediert bei: Die Rechtsquellen der Stadt Wien, hrg. v. Csendes, Peter, (FRA III/9), Wien [u. a.] 1986, S. 28 Nr. 3 – Das 800-Jahr-Jubiläum dieses Dokuments wurde 2008 nicht nur mit einer Archivausstellung zum Thema „Wien im Mittelalter“ (vgl. Opll, Ferdinand / Sonnlechner, Christoph, Wien im Mittelalter. Aspekte und Facetten (VeröffWStLA, Reihe B: Ausstellungskataloge, Heft 77), Wien 2008; zugleich: WGBll., Beiheft (2008) würdig begangen. Im Herbst 2008 fand aus diesem Anlass eine internationale Tagung zum Thema „Europäische Städte im Mittelalter“ im Wiener Stadt- und Landesarchiv statt, zu der auch der mit dieser Festschrift Geehrte einen Beitrag beisteuerte (Irsigler, Franz, Annäherungen an den Stadtbegriff, in: Opll, Ferdinand / Sonnlechner, Christoph (Hg.), Europäische Städte im Mittelalter (FB, Bd. 52 = VeröffWStLA, Reihe C: Sonderpublikationen, Bd. 14), Innsbruck [u. a.] 2010, S. 15–30). Zur Bestandsgeschichte vgl. knapp bei Csendes, Peter, Das Wiener Stadt- und Landesarchiv. Ein Führer (VeröffWStLA, Reihe C: Sonderpublikationen, 3), Wien 1991 und nunmehr die Angaben im Wiener Archivinformationssystem (WAIS): https://www.intern.magwien.gv.at/waisIntern/main?service=direct/1/FindbuchContents/ShowLinkH&sp=SBest++ ++00001253ma8Invent (Zugriff: 22. Dezember 2009). Zu Franz Tschischka (18.11.1786, Wien – 15.11.1855, Wien) vgl. die Hinweise bei Czeike, Felix, Historisches Lexikon Wien, 6 Bde., Wien 1992–2004, hier Bd. 5, S. 484. So wörtlich bei Uhlirz, Karl, Vorrede, in: QuGStW II/1, S. IX. Zur Geschichte des Wiener Stadt- und Landesarchivs vgl.:Tschulk, Herbert, Die Entwicklung des Wiener Stadtarchivs zur wissenschaftlichen Anstalt. Von den Anfängen bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert, ungedr. Diss., Wien 1980; sowie Opll, Ferdinand, Ge-

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war neben anderem auch schon die Sammlung der so genannten HauptarchivsUrkunden vorhanden7. Karl Uhlirz, der erste akademisch ausgebildete Direktor des städtischen Archivs von Wien (Amtszeit: 1889 – 1903)8, widmete sich in den knapp anderthalb Jahrzehnten seiner Amtstätigkeit im Rahmen der in engem Zusammenwirken mit dem Wiener „Alterthumsverein“ (heute: Verein für Geschichte der Stadt Wien) veröffentlichten „Quellen zur Geschichte der Stadt Wien“ in deren 2. Abteilung der Regestierung dieses Urkundenbestands9. Er legte damit eine Grundlage für alle weiteren wissenschaftlichen Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte Wiens, die ihren Wert bis heute beibehalten hat. Erst in allerjüngster Zeit, im Laufe des Jahres 2009, wurden nunmehr auch die Urkundenbestände des Wiener Stadtarchivs (heute: Wiener Stadt- und Landesarchiv) in Kooperation mit dem Verein ICARUS digitalisiert und sind jetzt in Verbindung mit den gleichfalls digitalisierten Uhlirz’schen Regesten online verfügbar10. Als knappes Resümee darf festgehalten werden, dass archivische Expertise und archivisches Fachwissen somit entscheidend dazu beigetragen haben, dieses für die ältere Stadtgeschichte so ungeheuer wertvolle Material der wissenschaftlichen Forschung in nachgerade idealer Weise zugänglich zu machen. Bis heute ist es überaus informativ, interessant und lehrreich, die Vorrede zu lesen, welche Karl Uhlirz dem ersten Band seines „Verzeichnisses der Originalurkunden des städtischen Archivs 1239 – 1411“ beigegeben hat11: Er betont dort, dass der Urkundenbestand des städtischen Archivs aus vielen, höchst unterschiedlichen Teilbeständen zusammengesetzt ist. Dabei standen die der Stadt von den Landesfürsten verliehenen Privilegien gar nicht an erster Stelle, setzt deren Reihe doch, infolge der 1288 in Reaktion auf einen Aufstand der Wiener von Herzog

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schichte des Wiener Stadt- und Landesarchivs (VeröffWStLA, Reihe C: Sonderpublikationen, 5), Wien 1994. Der Bestand sollte in und nach der Ära von Franz Tschischka weiter anwachsen. So kamen bereits 1844 die Urkunden des städtischen Grundbuchsamtes, 1880 sodann neben den Urkunden des Wiener Bürgerspitals auch die Registratur, die Handschriften und Rechnungen dieser sozialkaritativen Institution hinzu, vgl. dazu: Uhlirz, Vorrede, in: QuGStW II/1, S. IX f. Zu Karl Uhlirz (13.6.1854, Wien – 22.3.1914, Graz) vgl.: Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 5 (wie Anm. 4), S. 499. QuGStW II/1–10. http://www.mom-ca.uni-koeln.de/MOM-CA/show_browse_Action.do?archive=Wiener %20Stadt-%20und%20Landesarchiv (Zugriff: 28. Januar 2010). Zum Folgenden vgl.: Uhlirz, Vorrede, in: QuGStW II/1, S. V–XIX.

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Albrecht I. angeordneten Vernichtung der älteren Privilegien12, erst spät ein13. An Zahl weitaus umfangreicher wie auch zeitlich an der Spitze stehend, sind es vielmehr Urkunden von Wiener Bürgern, solche, die dem Umfeld der städtischen Kirchen und Kapellen, einzelnen Stiftungen, Bruderschaften und Zechen sowie der Nonnenklöster St. Maria Magdalena und St. Niklas entstammten und ursprünglich in einzelnen städtischen Ämtern (insbesondere Grundbuchs- und Kammeramt) verwahrt wurden, welche das Gros des Bestands der „Hauptarchivs-Urkunden“ im Wiener Stadt- und Landesarchiv ausmachen14. Aus dieser Heterogenität der Provenienzen resultiert umgekehrt freilich auch die hohe Aussagekraft für zahlreiche Teilaspekte mittelalterlicher Stadtgeschichte, von der Wirtschafts- über die Sozial- bis hin zur Kulturgeschichte. Schon seit dem 14., 15. und 16 Jahrhundert15 wissen wir von Ordnungsarbeiten an diesen Beständen, doch ist deren Resultat nicht auf uns gekommen, und 12 Vgl. dazu: Opll, Ferdinand, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien. Zeitgenossen berichten, Wien [u. a.] 1995, S. 55 f. (zum Jahr 1288). 13 Das älteste im WStLA im Original erhaltene Privileg eines österreichischen Landesfürsten ist interessanterweise das so genannte „Niederlagsprivileg“, das der Sohn König Rudolfs von Habsburg, Graf Albrecht von Habsburg und Kyburg, in seiner Funktion als Verweser von Österreich und Steiermark am 24. Juli 1281 in Wien ausstellte. Das älteste im Original erhaltene Stadtrechtsprivileg für Wien stellte Albrecht selbst dann am 12. Februar 1296 in Wien aus, vgl. zu den beiden Stücken: QuGStW II/1, Nr. 15 und 22; sowie deren Edition bei: Csendes (Hg.), Rechtsquellen ( wie Anm. 2), S. 90, Nr. 14 und S. 94, Nr. 17. 14 Eine sehr prägnante Übersicht zu der alles andere als unproblematischen Zerreißung organisch gewachsener Archivkörper und deren Eingliederung in den künstlich geschaffenen Bestand „Hauptarchiv“ bietet: Tschulk, Entwicklung des Wiener Stadtarchivs (wie Anm. 6), S. 324–327. 15 Als Ordnungsarbeiten müssen durchaus schon die auf das 14. und frühe 15. Jahrhundert zurückgehende Anlage von diversen Wienern Stadtbüchern genannt werden: Beispiele dafür bieten das so genannte „Eisenbuch“, das „Handwerksordnungsbuch“ und die drei Bände „Geschäftebücher“ (hauptsächlich bürgerliche Testamente von 1395 bis 1430), vgl. dazu im kurzen Überblick: Archivalien aus acht Jahrhunderten. Ausstellung des Archivs der Stadt Wien (Historisches Museum der Stadt Wien, 15. Sonderausstellung, Dezember 1964 – Februar 1965), Wien o. J. [1964], S. 12, Nr. 1, S. 17, Nr. 9 und S. 18, Nr. 10; zum „Eisenbuch“ vgl.: Opll, Ferdinand, Das große Wiener Stadtbuch, genannt „Eisenbuch“. Inhaltliche Erschließung (VeröffWStLA, Reihe A: Archivinventar, Serie 3, Heft 4), Wien 1999, sowie zuletzt: ... daz si ein recht půch solten haben ... Kodikologische, kunsthistorische, paläographische und restauratorische Analysen zum Wiener Eisenbuch (14. – 19. Jahrhundert), hrg. v. Opll, Ferdinand (FB 53 = VeröffWStLA, Reihe C: Sonderpublikationen, 15), Innsbruck [u. a.] 2010; zum Handwerksordnungsbuch vgl.: Feil, Joseph, Wiens ältere Kunstund Gewerbetätigkeit, in: Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien 3

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auch weiterhin sollten sich die Dinge nicht wirklich zum Besseren wenden. Wenngleich zu Beginn des 18. Jahrhunderts und auch noch im weiteren Verlauf dieses Säkulums eher bescheidene Anstrengungen zu einer Verbesserung der Verhältnisse erkennbar sind, so zieht sich doch eine markante Vernachlässigung der vorhandenen Archivbestände in Wien bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erst mit dem bereits erwähnten Franz Tschischka wurden die Urkunden und Akten des Archivs nach modernen Gesichtspunkten bearbeitet, was eine – nach Uhlirz’ Aussage – immerhin „leidliche chronologische Ordnung“ und die Anfertigung von Sachregistern („Realindices“) mit sich brachte. Noch unter Tschischka’s Ägide erfuhren die Bestände durch die Einverleibung der bisher im Grundbuchsamte befindlichen Urkunden einen markanten Zuwachs, was sich auch in einer frühen Blüte der Wiener Stadtgeschichtsforschung niederschlagen sollte16. Die Trennung des Archivs von der Registratur 1863 und die Zuweisung neuer Räumlichkeiten 1885 machten in der Folge die Einziehung weiteren Archivguts möglich, das bis dahin noch bei den einzelnen Ämtern gelegen war. Als Uhlirz 1898, neun Jahre nach der Übernahme der Direktion des ab 1889 als selbstständiges Amt geführten Stadtarchivs, den ersten Band seiner Regesten vorlegte, wurden darin, mit Ausnahme der Urkunden des Bürgerspitals, für die man offensichtlich von allem Anfang an größten Wert auf die Beibehaltung des „Provenienzprinzips“ legte, nicht nur die Originalurkunden des „alten“ Bestandes aufgenommen. Ausdrücklich erwähnt werden hier nämlich des Weiteren die Urkunden des städtischen Grundbuchsamtes sowie Neuerwerbungen, darunter ein größerer Bestand, der aus dem Nachlass von Albert von Camesina (1806 – 1881) angekauft worden war. Die Leistung, die Uhlirz und sein Team in diesen Jahren erbrachten, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dennoch ist es nicht nur aus archivarischer Sicht, son(1859), S. 204–307; sowie: Zatschek, Heinz, Die Handwerksordnungen der Stadt Wien aus den Jahren 1346–1430, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 63 (1955), S. 1 40; zu den „Geschäftebüchern“ siehe die bislang vorliegenden Editionen: Brauneder, Wilhelm / Jaritz, Gerhard (Hg.), Die Wiener Stadtbücher 1: 1395 1400 (FRA, 10/1), Wien 1989; dies. / Neschwara, Christian (Hg.), Die Wiener Stadtbücher 2: 1401 1405 (FRA, 10/2), Wien 1998; Jaritz, Gerhard / Neschwara, Christian (Hg.), Die Wiener Stadtbücher 3: 1406–1411 (FRA, 10/3), Wien 2006; dies. (Hg.), Die Wiener Stadtbücher. Bd. 4: 1412–1417 (FRA, 10/4), Wien 2009. – Auf frühe archivische Ordnungsarbeiten weist auch Brunner, Otto, Die Finanzen der Stadt Wien von den Anfängen bis ins 16. Jahrhundert (Studien aus dem Archiv der Stadt Wien, 1/2), Wien 1929, S. 186, hin. 16 Vgl. Tschischka, Franz, Geschichte der Stadt Wien, Stuttgart 1847. – Zu weiteren möglichen Hinweisen auf archivische Ordnungsarbeiten im 15. Jh. siehe unten Anm. 30.

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dern auch aus der von Historikern, etwa der von Spezialisten für Verwaltungs- und Institutionengeschichte, äußerst bedauerlich, dass die ursprünglichen Provenienzen, welchen die Urkunden des städtischen Archivs entstammten, dabei keine Berücksichtigung fanden. Man kann also etwa die Herkunft eines Stücks aus den Beständen eines der städtischen Ämter nicht mit Sicherheit feststellen, wird höchstens aus dem Inhalt (z. B. Immobilientransaktionen) der einen oder anderen Verfügung solch eine Zuordnung ableiten können. Nicht nur aus dem Blickwinkel der Archivwissenschaft, sondern durchaus auch aus dem der historischen Wissenschaften ist es somit geradezu ein Glücksfall, wenn sich aus der chronologischen Serie von Urkunden eine ursprünglich zusammengehörende Gruppe solcher Dokumente herausschälen lässt. Wenn dann auch noch zu erkennen ist, in welcher Form und auf welchem Weg solch ein Kompendium an Urkunden in die Verfügung und Verwahrung des Stadtarchivs gekommen ist, dann ergeben sich daraus auch wichtige Einblicke in Aspekte der städtischen Geschichte ganz generell. Solch ein Fall – richtiger wohl tatsächlich: „Glücksfall“ – steht im Mittelpunkt der hier dargebotenen Ausführungen: Es geht dabei um ein aus beinahe 80 Einzelstücken bestehendes Konvolut innerhalb der „Hauptarchivs-Urkunden“ des Wiener Stadt- und Landesarchivs, das heute freilich, gegliedert nach seinen Ausstellungsdaten, praktisch nicht mehr als ehemalige Einheit, als ursprünglich geschlossener Bestand aus einer ganz bestimmten Provenienz zu erkennen ist17. Der Weg, auf dem diese Erkenntnis überhaupt hat entstehen können, reicht für den Autor des vorliegenden Beitrags mehr als anderthalb Jahrzehnte zurück. Bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre ergab sich im Rahmen der gemeinsam mit Richard Perger vorgenommenen Arbeiten an einem Bestand von Fridericiana (Urkunden Kaiser Friedrichs III.) im Österreichischen Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv, der Hinweis auf eine Reihe von urkundlichen Zeugnissen, welche in Verbindung mit den schon seit Karl Uhlirz bekannten Wiener Hauptarchivs-Urkunden die Persönlichkeit des Bischofs Alexander Numai von Forlì18 deutlich aus der Überlieferung hervortreten ließen. Es handelte sich bei den damals neu 17 Der ursprünglich Kontext muss zum Zeitpunkt des Erscheinens der Chmel’schen Edition im Jahre 1858 noch gegeben gewesen sein, da die hier in Rede stehenden Urkunden dort (Chmel, Joseph, Actenstücke und Briefe zur Geschichte des Hauses Habsburg im Zeitalter Maximilian’s I. Aus Archiven und Bibliotheken, Bd. 3 (Monumenta Habsburgica, 1/3), Wien 1858; siehe dazu unten im Quellenanhang S. 196 ff.), im Zusammenhang veröffentlicht wurden: Chmel, Actenstücke (wie Anm. 17), ab S. 435. 18 Mit Bischof Alexander in Verbindung stehende Dokumente – sie wurden 1858 durch Joseph Chmel (wie Anm. 17) ediert – finden sich in: QuGStW II/3 (Wien 1904); siehe dazu unten den Quellenanhang, S. 196 ff.

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bearbeiteten Zeugnissen um insgesamt 16 Dokumente, welche allesamt das Ringen um die Verfügung über den Nachlass dieses Bischofs zwischen dem Habsburger und den Vertretern der Stadt Wien dokumentieren, somit insbesondere aus politik-, wirtschafts- wie sozialgeschichtlicher Sicht wertvolle neue Einblicke in die Verhältnisse dieser Epoche gewähren19. Dennoch gab es zum Zeitpunkt der gemeinsam mit Richard Perger vorgelegten Publikation keinen Anlass dafür, den Ball gleichsam aufzugreifen, zu prüfen, ob der urkundliche Nachlass sich denn tatsächlich noch im städtischen Archiv befinde. Erst eine etwa zehn Jahre später erschienene, von Jürgen Petersohn betreute Dissertation an der Philipps-Universität Marburg sollte entscheidend dazu beitragen, das Wissen um den besagten Forliveser Bischof zu erweitern20. Deren Verfasser, Bernd Erfle, führt darin aus, dass „Numai am Ende seines Lebens durchaus nicht unvermögend gewesen ist, denn der Magistrat von Wien war nach dem Ableben des Bischofs im Besitz einer Truhe, in der sich das Testament und andere Dinge befanden, darunter sein dienstlicher Briefwechsel mit Sixtus IV., der sich noch heute im Wiener Stadtarchiv befindet; …“21. Der ebenfalls in dieser Dissertation gebotene Hinweis auf die bereits 1858 durch Joseph Chmel vorgelegte Edition all dieser Urkunden rund um Alexander von Forlì22 und eine von diesem Hinweis ausgehende Überprüfung des Bandes 3 der Uhlirz’schen Regestenedition ließen den Sachverhalt sodann klar zutage treten. Es ist somit abermals festzuhalten, dass infolge der durchgehend chronologisch strukturierten Ordnung der Hauptarchivs-Urkunden des Wiener Stadt- und Landesarchivs die ursprünglichen Provenienzen der hier versammelten Dokumente zum Verschwinden gebracht worden sind. Dies scheint im Hinblick auf die ehemaligen Urkundenbestände städtischer Ämter freilich weniger bedeutsam, als dies beim Auseinanderreißen eines Konvoluts von Urkunden eines päpstlichen Legaten der Fall ist. Das führt nun zunächst zu der Frage, ob es denn in den Urkundenbeständen des Wiener Archivs auch andere Stücke gibt, welche mit der Kurie und dem Papsttum in Verbindung stehen. Tatsächlich führt Karl Uhlirz im ersten Band seiner Regestenedition, welcher bereits 1898 erschienen ist, als ältestes Stück des Gesamt19 Opll, Ferdinand / Perger, Richard, Kaiser Friedrich III. und die Wiener 1483–1485. Briefe und Ereignisse während der Belagerung Wiens durch König Matthias Corvinus von Ungarn (FB, 24), Wien 1993; siehe dazu unten den Quellenanhang, S. 196 ff. 20 Erfle, Bernd, Alexander Numai, Bischof von Forlì, als Diplomat in Diensten von Papst und Kaiser (1470–1483), ungedr. Diss., Marburg 2002. 21 Erfle, Alexander Numai (wie Anm. 20), S. 45 f. 22 Erfle, Alexander Numai (wie Anm. 20), S. 45 f. Anm. 23.

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bestandes unter der für seine Regestentechnik charakteristischen Nummer „0a“ sogar eine in Form eines späteren Vidimus überlieferte Papsturkunde Alexanders III. aus dem Jahre 1177 an23. Vom 4. Oktober 1333 stammt sodann die in Avignon ausgestellte, älteste im Original überlieferte Papsturkunde des Wiener Stadt- und Landesarchivs24. Bei dem ältesten Stück, an dem auch die päpstliche Bulle erhalten geblieben ist, handelt es sich um eine am 19. Januar 1398 in Rom ausgestellte Urkunde Papst Bonifaz’ IX. mit der Verleihung eines Ablasses für alle Gläubigen, die am Katharinenfest die Ausstellung der Reliquien („Heiltumsausstellung“) zu St. Stephan besuchen25. Für das 15. Jahrhundert ist sodann auf das durchaus interessante Phänomen der Bezugnahme auf das Pontifikatsjahr des jeweiligen Papstes, sowohl in bürgerlichen Urkunden wie auch in solchen, die der Bürgermeister ausstellen ließ, aufmerksam zu machen26. Ab der Ära Friedrichs III. tauchen mehrfach Urkunden päpstlicher Legaten27 in den Beständen des Wiener Stadt- und Landesarchivs auf. Sie verdanken ihre Überlieferung in diesem Archiv freilich dem Umstand, dass ihre Empfänger – etwa die St. Philipps- und Jakobskapelle im Kölner Hof28 oder die so genannte „Otthaimenkapelle“ im Wiener Rathaus29 – unter dem Patronat Wiener Bürger oder auch dem der Stadt selbst standen. Damit war ihr – späterer – Weg in das städtische Archiv vorgezeichnet. Auf zwei Legatenurkunden des Bischofs 23 QuGStW II/1, Nr. 0a. 24 QuGStW II/1, Nr. 158: Papst Johannes XXII. für einen Passauer Kleriker. 25 QuGStW II/1, Nr. 1379. – In der durch Uhlirz angegebenen Datierungszeile wird der Ausstellungsort irrig mit „Wien“ angegeben. – Zu beachten ist hier in jedem Fall die Bezugnahme auf das Katharinenfest (25. November), an dem ja auch einer der beiden Wiener Jahrmärkte stattfand, vgl. dazu: Opll, Ferdinand, Jahrmarkt oder Messe? Überlegungen zur spätmittelalterlichen Handelsgeschichte Wiens, in: Johanek, Peter / Stoob, Heinz (Hg.), Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit (Städteforschung: Reihe A, 39), Köln [u. a.] 1996, S. 189–204. 26 Vgl. QuGStW II/2, Nr. 2401 (1432 April 9) und Nr. 2629 (1438 Februar 22). 27 Zu Aufenthalten päpstlicher Legaten in Wien seit dem 13. Jahrhundert vgl.: Koch, Walter, Ausländische Besuche in Wien. Ein Beitrag zur internationalen Stellung der Stadt im Mittelalter, ungedr. Diss., Wien 1967, S. 168–170 Anm. 9. 28 QuGStW II/2, Nr. 3235 (1447 Dezember 1, Wien: Aussteller = Kardinallegat Johannes (Juan Carvajal), Kardinal von S. Angelo); zu dieser Kapelle vgl.: Perger, Richard, Die Grundherren im mittelalterlichen Wien, II. Teil, in: JbVGStW 21/22 (1965/66), S. 172 f. 29 QuGStW II/2, Nr. 3430 (1451 März 2, Wien: Aussteller = Kardinal Nikolaus von S. Pietro in Vincoli). – Zur Otthaimenkapelle im Wiener Rathaus vgl.: Brauneis, Walther / Perger, Richard, Die mittelalterlichen Kirchen und Klöster Wiens (Wiener Geschichtsbücher, 19/20), Hamburg / Wien 1977, S. 275.

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Aeneas von Siena – des Enea Silvio de Piccolomini also – aus den Jahren 1452 und 1453 für diese beiden Kapellen zeigen Vermerke, welche auf den späteren Aufstieg des Legaten auf den päpstlichen Thron (Pius II.) hinweisen, einmal sogar auf dessen Tod am 14. August 1464, dass hier wohl von einer archivischen Registrierung der Stücke ausgegangen werden kann30. Jedenfalls ist selbst auf der – in diesem Zusammenhang – eher bescheidenen Basis der städtischen Urkundenbestände Wiens zu erkennen, dass in der Epoche Friedrichs III. eine Intensivierung der päpstlichen Legatentätigkeit unverkennbar ist31.

II. Überwiegen somit für die Aktivitäten päpstlicher Legaten im Regelfall eher vereinzelte Belege urkundlicher oder – seltener – historiographischer Art, so verhält es sich im Fall der mit dem Bestellungsschreiben Papst Sixtus’ IV. vom 15. Februar 1475 einsetzenden Nachweise für die Tätigkeit des päpstlichen orator (Gesandten) 30 QuGStW II/2, Nr. 3495 (1452 Dez. 29, Wien): Bischof Aeneas von Siena, apostolischer Legat für Böhmen, Schlesien, Mähren, die Kirchenprovinzen Aquileia und Salzburg sowie die Herrschaftsgebiete der Herzöge von Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain (cum potestate legati de latere nuncius et orator specialiter deputatus) erteilt für die Besucher der St. Philipps- und Jakobs-Kapelle im Kölnerhof einen 100tägigen Ablass (auf dem Bug = H. Steynhoff; über der Siegelschnur von anderer Hand = Orate pro m(agistro) Johanne, qui eciam illas indulgencias extraxit. / Indorsat = Indulgencie per dominum Eneam, Senensem episcopum, legatum, qui post papa effectus et dictus Pius 2us.); QuGStW II/2, Nr. 3496 (1453 Januar 8, Wien): Bf. Aeneas von Siena etc. erteilt für die Mitglieder der bei der hiesigen Otthaimenkapelle bestehenden Bruderschaft und deren Besucher bzw. Unterstützer einen 100tägigen Ablass (auf dem Bug rechts = H. Steynhoff; links von anderer Hand = Post Nicolaum successit Calixtus, post Kalixtum successit iste Eneas post quinque annos a data harum litterarum et vocatus papa Pius secundus, electus 19. augusti anno 1458, fuit poeta magnus laureatus, cancellarius et orator Friderici, imperatoris tercii, mortuus anno 1464 die 14. augusti.). – Wiewohl nicht sicher gesagt werden kann, von wem diese Vermerke stammen, weisen sie doch auf eine Art von archivischer Obsorge für das Stück. Dabei liegt im Fall der Otthaimenkapelle, welche damals als Rathauskapelle diente (vgl. Perger / Brauneis, Kirchen und Klöster Wiens (wie Anm. 29), S. 275), der Rückschluss auf das städtische Archiv durchaus nahe. 31 Vgl. dazu – neben der in Anm. 27 zitierten Dissertation von Walter Koch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Nachweise für die Tätigkeiten der in den Anm. 28–30 genannten Legaten oder auch die historiographischen Belege zur Tätigkeit des Johannes (recte: Basilius) Bessarion von Trapezunt, Kardinals von Tusculum, als päpstlicher Legat in Wien in den Jahren 1460 und 1461 bei: Opll, Ferdinand, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien. Zeitgenossen berichten, Wien [u. a.] 1995, S. 169–171 und 174.

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Bischof Alexanders von Forlì völlig anders. In der Zusammenschau der am Schluss dieser Arbeit in einem eigenen Quellenanhang32 zusammengefassten urkundlichen Zeugnisse, die im Zusammenhang mit diesem oberitalienischen Bischof überliefert sind, darunter knapp 80 Dokumente aus seinem persönlichen Legatenarchiv, zeigt sich der gegenüber den sonstigen Legatenurkunden im Wiener Stadt- und Landesarchiv völlig anders gelagerte Charakter der Stücke. Von ihrem Inhalt her gesehen haben die in diesem Archiv verwahrten Urkunden Alexander Numais mit Wien bzw. mit Wiener Institutionen kaum etwas zu tun, ganz im Gegenteil: Sie dokumentieren die politischen Aufgaben, welche der Legat im Auftrag des Papstes durchzuführen hatte, Aufgaben, die um Themenfelder der wirklich „großen Politik“ kreisten, etwa um die Friedensverhandlungen zwischen dem Kaiser und Herzog Karl dem Kühnen von Burgund oder um die Türkengefahr. Nicht nur in der Rückschau, sondern wohl auch aus dem Blickwinkel der Epoche selbst, muss der Umstand, dass Herzog Karl der Kühne33 die Einlösung des Ehegelöbnisses zwischen seiner Tochter Maria und dem Kaisersohn Maximilian in die Hände eben unseres Bischofs Alexander versprach, ohne Zweifel als einer der Höhepunkte im Wirken des Legaten gesehen werden. Gut verfolgen lassen sich mehrere Phasen in den Aktivitäten des Forliveser Bischofs, dessen Aufgaben sich von denen eines päpstlichen orator hin zu einem mit Zustimmung seines päpstlichen Herrn als orator privatus des Kaisers fungierenden Bevollmächtigten wandelten34. Papst Sixtus’ IV. Verhalten war dabei nicht selten von einem Schwanken dahingehend gekennzeichnet, in welchem Ausmaß und ob überhaupt weiterhin Vollmachten an Alexander zu überlassen waren35. Der Aufgabenkreis und das Tätigkeitsfeld des Forliveser Bischofs, der sich vom April 1475 bis wenige Monate vor seinem Tod (1483) nördlich der Alpen aufhielt, waren äußerst 32 Siehe dazu unten S. 196 ff. 33 Zu ihm vgl.: Paravicini, Werner, Karl der Kühne. Das Ende des Hauses Burgund (Persönlichkeit und Geschichte, 94/95), Göttingen 1976; Vaughan, Richard, Charles the Bold. The Last Valois Duke, London/New York 1973 (Woodbridge 2002, mit einer Einleitung und ergänzender Bibliographie von Werner Paravicini); sowie jetzt den Ausstellungskatalog: Borchert, Till-Holger / Keck Gabriele / Marti, Susan (Hg.), Karl der Kühne (1433– 1477). Glanz und Untergang des letzten Herzogs von Burgund (Katalog zur Ausstellung Historisches Museum Bern – Bruggemuseum & Groeningemuseum Brügge – Kunsthistorisches Museum Wien), Bern / Brüssel 2009. 34 Vgl. etwa QuGStW II/3, Nr. 4654 (1477 Dezember 20, Rom): Papst Sixtus IV. gestattet dem Bischof Alexander von Forlì über Bitte des Kaisers Friedrich III., bei diesem als orator privatus zu verbleiben. 35 Vgl. dazu Erfle, Alexander Numai (wie Anm. 20), S. 43–99.

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vielfältig, umschlossen Bereiche, die häufig kaum in direkter Berührung mit seinen Vollmachten standen und bei denen er auch durchaus selbstständiges Agieren zeigte. Dies gilt nicht zuletzt für seine ab 1477 bestehenden Kontakte zu der Stadt Basel, wo er auch in innerstädtischen Streitigkeiten zwischen dem dortigen Bischof und der Stadtverwaltung intervenierte36. Dem Basler Marcus Stump etwa hatte Alexander in Wien einen größeren Geldbetrag vorgestreckt, den nach seinem Tod sein Bruder Cipriano Numai von Bürgermeister und Rat der Stadt Basel refundiert erhalten sollte37. Als Mittler zwischen der Stadt am Rheinknie und dem Kaiserhof konnte er um 1480 sogar finanzielle Unterstützungen der Stadt für die Kämpfe gegen Matthias Corvinus erreichen, und es ist keineswegs sicher, dass die zum 31. Dezember 1481 bezeugte Bezeichnung Alexanders als concivis noster der Basler bloß als Ehrentitel zu deuten ist38. In jedem Fall dürfte eines gewiss sein: Der Forliveser Bischof pflegte durchaus vertrauten Umgang mit Bürgern und deren politischen Vertretungskörpern. Regelrecht abenteuerliche Züge zeigt dagegen seine Involvierung in das gegen Papst Sixtus IV. gerichtete Basler Konzilsprojekt, das von dem in ähnlicher Funktion wie Bischof Alexander tätigen Andreas Jamometić am 25. März 1482 in Basel ausgerufen wurde39. Der Dominikaner Andreas war 1476 Erzbischof von Krajina im heute nordalbanisch-montenegrinischen Grenzgebiet geworden, hatte sich in der Folge allerdings insbesondere als Diplomat im Umkreis Kaisers Friedrichs III. einen Namen gemacht. Zwischen 1478 und 1481 wirkte er maßgeblich als kaiserlicher Gesandter an der Kurie. Das zum Papst selbst aufgebaute Naheverhältnis – Andreas wurde damals sogar Kurienbischof – ging aber im Gefolge seiner nachhaltigen Kritik an der mangelnden Reformbereitschaft des Pontifex in die Brüche. Das hier nicht weiter zu verfolgende Schicksal des Erzbischofs von Krajina bis zu seinem Selbstmord in Basler Haft am 13. November 1484 zeigt jedenfalls, wie sehr derartige Persönlichkeiten letztlich dem Wechselspiel der politischen Kräfte ausgeliefert waren. Bischof Alexander von Forlì dürfte die Gefahr, welche mit einer allzu prononcierten Positionierung im Gegensatz bzw. im Widerspruch zu einem der beiden Häupter der Christenheit gegeben sein konnte, jedenfalls rasch erkannt haben. Er 36 37 38 39

Zum Folgenden vgl.: Erfle, Alexander Numai (wie Anm. 20), S. 100–115 und S. 147. Erfle, Alexander Numai (wie Anm. 20), S. 10 Anm. 16. Erfle, Alexander Numai (wie Anm. 20), S. 103. Vgl. dazu neben: Erfle, Alexander Numai (wie Anm. 20), S. 105–112, insbesondere Petersohn, Jürgen, Kaiserlicher Gesandter und Kurienbischof. Andreas Jamometić am Hof Papst Sixtus’ IV. (1478–1481). Aufschlüsse aus neuen Quellen (Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte, 35), Hannover 2004.

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distanzierte sich 1482 rechtzeitig von dem Basler Konzilsplan, den ja auch der Kaiser selbst nicht goutierte. Alexander sah fortan seine Aufgabe immer stärker auf Seiten der kaiserlichen Politik und ihrer Interessen. Im Rahmen der seit langem zwischen dem Reichsoberhaupt und dem Königreich Ungarn bestehenden Spannungen trat er ab nun de facto als kaiserlicher Gesandter hervor. Von einem päpstlichen Auftrag, von einem Auftragsverhältnis zur Kurie konnte jetzt keine Rede mehr sein. Noch 1483 wurde er als Legat des Kaisers in die Serenissima entsandt, auf der Rückreise von dort verstarb er im Hochsommer dieses Jahres im Friaul zu Pordenone40. Umgehend reagierte der Kaiser auf die Nachricht über Alexanders Ableben und beauftragte Bürgermeister, Richter und Rat der Stadt Wien am 1. August 1483, den von ihnen verwahrten Nachlass des Verstorbenen niemandem auszufolgen. Schon die schiere Anzahl der Schreiben41, die von diesem Tag bis in das Frühjahr 1485 in Angelegenheit des Nachlasses des Forliveser Bischofs zwischen dem Kaiserhof und Wien hin- und hergingen42, macht deutlich, welchen Stellenwert beide Seiten der Verfügung darüber beimaßen. Dabei muss es insbesondere um eine größere Zahl an durchaus beachtlichen Vermögenswerten gegangen sein, welche der ehemalige päpstliche, zuletzt kaiserliche Legat im Laufe seiner Tätigkeit hatte anhäufen können. Alexanders finanzieller Spielraum kann so gering nicht gewesen sein, wissen wir doch nicht nur von der bereits vorhin erwähnten Leihe eines größeren Geldbetrags an einen Basler Bürger. Es ist auch bekannt, dass er bis kurz vor seinem Tode die niederösterreichische Pfarre Gars, welche traditionell die finanzielle Grundlage der erbländisch-österreichischen Kanzlei darstellte, kommissarisch verwaltete. Was wird nun als Bestandteil von Bischof Alexanders Nachlass in der eben erwähnten Überlieferung der Korrespondenz zwischen Friedrich III. und der Stadt Wien von 1483 – 1485 genannt? Noch im August 1483 ist in weiteren Schreiben des Kaisers – diesmal an Ulrich Perman (den Jüngeren)43 und an Virgil Schrutauer44 – dezidiert von einer Lade und etlichen Behältern aus dem Nachlass des Forliveser Bischofs die Rede, die er, Per-

40 Zu diesen letzten Lebensabschnitten des Mannes vgl.: Erfle, Alexander Numai (wie Anm. 20). 41 Die Zeugnisse werden unten im Quellenanhang unter Nr. 2 (S. 200 f.) angeführt. 42 Friedrich III. weilte damals nicht in Wien. 43 Vgl.: Perger, Richard, Die Wiener Ratsbürger 1396–1526. Ein Handbuch (FB, 18), Wien 1988, S. 168 Nr. 35. 44 Vgl.: Perger, Ratsbürger (wie Anm.43), S. 244 Nr. 459.

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man, versiegelt zu Händen des Kaisers an Bürgermeister Laurenz Haiden45 übergeben möge. Perman gehörte dem Wiener Rat von 1480 bis zu seinem Tod 1486 an, bei Schrutauer handelte es sich um den aus Graz stammenden ehemaligen Wiener Stadtanwalt der Jahre 1468 bis 1479, der als ehemaliger kaiserlicher Kanzleischreiber und von 1468 bis 1484 als Protonotar, in den Jahren 1482 und 1484 als Münzanwalt eine Reihe herausragender Positionen bekleidete. Beide erhoben – wie dann später zu erfahren ist – Ansprüche auf die Hinterlassenschaft des Bischofs. Diese Angehörigen der Wiener Eliten müssen über Rechtstitel verfügt haben, die solche Ansprüche zu untermauern geeignet waren und die mit großer Wahrscheinlichkeit aus irgendwelchen, leider nicht im Detail bekannten wirtschaftlichen Kontakten des Legaten mit (diesen) Wiener Bürgern herrührten. Etwas über einen Monat später, am 1. Oktober 1483, teilten Bürgermeister, Richter und Rat von Wien dann ihrerseits dem Kaiser mit, dass sie das Inventar der Hinterlassenschaft Bischof Alexanders, nach dem der Herrscher verlangt habe, bei der Eröffnung einer der Truhen des Verstorbenen nicht gefunden hätten. Angeblich solle sich das Inventar im Besitz des Bruders des Bischofs befinden46. Wohl sei aber dort das Testament mit der Unterschrift und dem Siegel Alexanders, eingebunden in einem papir und zuoberst auf einem Teppich liegend, vorgefunden worden. Von diesem Dokument übersandten die Vertreter Wiens eine – leider nicht auf uns gekommene – Abschrift an den Kaiser, was wiederum aus dessen Schreiben vom 15. Oktober deutlich wird, in dem er seinem Unmut über das unbefugte Öffnen der Truhe Luft machte. Knapp zwei Wochen nach dem zuletzt erwähnten kaiserlichen Schreiben rechtfertigten sich Bürgermeister, Richter und Rat am 24. Oktober wegen der Öffnung der Truhe: Sie seien nur deshalb so vorgegangen, weil Bischof Alexander bei seiner Abreise aus Wien – also im Frühjahr 1483 – darum ersucht habe, im Falle seines Ablebens das in einer Truhe liegende Testament eröffnen zu lassen. Dies sei dann in Gegenwart des Stadtanwalts47 geschehen. Man habe das Testament dort vorgefunden und die Truhe dann wieder versperren lassen. Nur das Testament sei entnommen worden. Die gesamte Hinterlassenschaft sei unversehrt, und sie verwehrten sich gegen anders lautende Aussagen, die dem Kaiser zu Gehör gebracht worden seien. Mit Schreiben vom November des Jahres drängte Friedrich III. dann weiter45 Vgl.: Perger, Ratsbürger (wie Anm. 43), S. 207 f. Nr. 255. 46 Dabei handelte es sich wohl um Cipriano Numai, der im Dezember 1483 in Basel als rechtmäßiger Erbe des Bischofs auftrat; vgl. Erfle, Alexander Numai (wie Anm. 20), S. 9 f. 47 Stadtanwalt war damals Jörg Kranperger, vgl. Perger, Ratsbürger (wie Anm. 43), S. 181 Nr. 103.

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hin mit größtem Nachdruck darauf, allfällige Ansprüche auf die Hinterlassenschaft – dezidiert genannt wird der Anspruch des Ulrich Perman auf ein Behältnis mit Edelsteinen – nicht zu befriedigen, vielmehr die Habe des Verstorbenen in der Verwahrung der Stadt Wien zu belassen. Zwei kaiserliche Anordnungen an seinen Diener Hans Geyer vom 14. November lassen erkennen, dass der Forliveser Bischof auch elf Fass Wein hinterlassen hatte, die im „Goldenen Kegel“48 zu Wien eingelagert und dem Stadtanwalt Jörg Kranperger zu übergeben seien. Wein, Edelsteine, das mit persönlicher Unterschrift versehene und mit seinem Siegel beglaubigte Testament sowie ein Teppich, aus weiteren Zeugnissen der Jahre 1484 und 1485 bekannt auch drei Rohre, d. h. Büchsen, sowie ungemünztes Silber – in Summe muss der Wert der Hinterlassenschaft des Bischofs tatsächlich beträchtlich gewesen sein, und der Kaiser unternahm größte Anstrengungen, sich den ihm zustehenden Nachlass49 zu sichern. Die in diesem Kontext überlieferten Schriftstücke machen zugleich aber deutlich, dass der Verstorbene gerade auch in Wien mit etlichen Persönlichkeiten geschäftliche Beziehungen eingegangen war, wie das ähnlich auch für sein Verhältnis zu der Stadt Basel sowie Bürgern dieser Stadt bekannt ist50. Ulrich Perman der Jüngere, Virgil Schrutauer, in gewisser Weise 48 Harrer-Lucienfeld, Paul, Wien, seine Häuser, Menschen und Kultur, ungedr. Manuskr. (Exemplare in der Wienbibliothek im Rathaus sowie im Wiener Stadt- und Landesarchiv), Wien o. J., nennt zwei Häuser dieses Namens in Wien (Bd. 2, S. 33f., sowie Bd. 6, S. 3–5), von denen aber nur eines für das uns interessierende Objekt in Frage kommt: Es handelt sich dabei um das Haus Nr. 1076 (Bd. 6, S. 3–5), das seit dem späten 19. Jahrhundert gemeinsam mit anderen alten Häusern in dem hier errichteten „Equitable-Palais (Wien 1, Kärntner Straße 2) aufgegangen ist. Ursprünglich war dieses Haus ein Durchhaus zwischen Kärntner Straße und Seilergasse. Nachweisbar ist dieses an prominenter Lage, unweit von St. Stephan gelegene Objekt seit dem Jahr 1439, als es im Besitz eines Glockengießers stand. Zwischen 1463 und 1488/91 war es im Besitz des Wiener Bürgers Wolfgang Zeller, der seiner Stadt in verschiedenen öffentlichen Funktionen, als Steuerherr wie als Ratsherr, diente. Da er von 1470–1475, von 1479–1482 sowie noch von 1484–1486 dem Rat angehörte – siehe zu ihm Perger, Ratsbürger (wie Anm. 43), S. 260, Nr. 548 – ergibt sich eine zeitliche Parallele zu den Aufenthalten des Forliveser Bischofs in Wien. Dass der Forliveser Bischof Weinvorräte im Haus eines Ratsherrn einlagerte, wäre ebenso denkbar wie es auch gut zu verstehen wäre, dass die Stadt nach dem Tod des Bischofs diese Vorräte im Hause eines ihrer Ratsbürger einlagerte. 49 Dezidiert führt Friedrich III. in seinem am 15. Oktober 1483 in Graz ausgestellten, an Bürgermeister, Richter und Rat der Stadt Wien gerichteten Schreiben (QuGStW II/3, Nr. 4993; Opll / Perger, Friedrich III. und die Wiener (wie Anm. 19), S. 45 Nr. 72; siehe dazu unten S. 207, Anhang 5, Nr. 8) aus, dass Bischof Alexander wiederholt erklärt habe, dass sein gesamter Nachlass ihm, dem Kaiser, gehöre. 50 Siehe dazu schon oben S. 189 mit Anm. 36–38.

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Bürgermeister Laurenz Haiden, dann aber auch noch Niklas Teschler, Kirchmeister von St. Stephan51, und Hans Heml52, der von 1473 bis 1478 als Vorgänger des Laurenz Haiden als Wiener Bürgermeister gewirkt hatte und in dessen Amtszeit die Kontakte Bischof Alexanders von Forlì zu Wien begonnen hatten – sie alle hatten Geschäftskontakte zu diesem Legaten gehabt, aus denen sich nach dessen Tod Ansprüche auf Entschädigungen herleiteten. Während sich die materielle Habe in Zeiten, in denen nicht nur die Stadt Wien, sondern auch das Reich und dessen Oberhaupt in schwerer Bedrängnis durch das offensive Vorgehen des ungarischen Königs Matthias Corvinus53 nach Westen befanden, wohl in allerkürzester Frist in Luft auflöste, der Wein konsumiert, die Wertgegenstände ihren finanziellen Möglichkeiten gemäß „eingesetzt“, das Silber ausgemünzt und die Büchsen wohl ihrer militärischen Verwendung zugeführt wurden, bestand an der schriftlichen Hinterlassenschaft Alexanders ungleich geringeres Interesse. Friedrich III. zeigte mit Ausnahme des Testaments des Verstorbenen keinerlei Interesse an dessen mit Sicherheit in den erwähnten Truhen verwahrtem Archiv seiner Tätigkeit als Legat, das zum überwiegenden Teil die Originale von „Eingangsstücken“ enthält, d. h. päpstliche Anordnungen an den Legaten oder aber auch Schreiben des Papstes an Dritte, die inhaltlich mit dem Auftrag des Legaten zu tun haben54. Was absolut fehlt, das ist irgendeine Form von Konzepten eigener Urkunden des Legaten oder auch ein Verzeichnis der von ihm ausgestellten und abgefertigten Schreiben bzw. Urkunden55. 51 Zu Teschler vgl.: Perger, Ratsbürger (wie Anm. 43), S. 185, Nr. 126. 52 Zu Heml vgl.: Perger, Ratsbürger (wie Anm. 43), S. 210, Nr. 267. 53 Zu den Beziehungen der Stadt Wien zu diesem Ungarnkönig vgl. jetzt: Opll, Ferdinand, Wienna caput Austrie ad Vngaros pervenit. Matthias Corvinus und Wien, in: WGBll 65 (2010), S. 1–20. 54 Durchaus interessant ist etwa auch die Überlieferung eines Schreibens Papst Sixtus’ IV. an Kaiser Friedrich III. vom 8. September 1481 im Kontext der von Alexander von Forlì nachgelassenen Dokumente: Der Papst führt darin Klage über das Scheitern der unter Vermittlung des päpstlichen Gesandten und oratoris, des Bischofs von Teano, geführten Verhandlungen mit König Matthias von Ungarn und verweist den Kaiser zuletzt auf die mündlichen Berichte dieses Bischofs. – Offenbar erhielt Alexander von Forlì, der ja in dieser Zeit immer mehr die Rolle eines Gesandten des Kaisers übernahm, auch päpstliche Schriftstücke, die in Angelegenheit diplomatischer Verhandlungen – aber ohne direkten Bezug auf Alexander selbst – an Friedrich III. gerichtet wurden. Der namentlich nicht genannte Bischof stand der Diözese Teano-Calvi (italienische Provinz Caserta, Campagna) vor. 55 Seitens des Bischofs ausgestellte Urkunden sind gleichwohl in gar nicht so geringer Zahl erhalten geblieben, siehe dazu etwa auch unten im Quellenanhang unter Nr. 2–4 (S. 200– 207) sowie Anm. 62.

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Zwei der insgesamt 78 Urkunden seines in der Reihe der Hauptarchivs-Urkunden des Wiener Stadt- und Landesarchivs erhaltenen Legatenarchivs aus dem Zeitraum zwischen dem 15. Februar 1475 und dem 8. Februar 1482 fallen inhaltlich insofern etwas aus der Reihe, als ihr Bezug auf die Legatentätigkeit Alexanders von Forlì nicht vollkommen klar wird. Bei dem ersten dieser beiden Stücke56 handelt es sich um die Verleihung eines 100-tägigen Ablasses an die Gläubigen, welche die Kapelle St. Maria in Hietzing (heute: Wien 13)57, Filialkirche der Pfarre St. Jakob in Penzing (heute: Wien 14)58, an den vier Marienfesten Mariä Lichtmess (2. Februar), Mariä Verkündigung (25. März), Mariä Himmelfahrt (15. August) und Mariä Geburt (8. September) aufsuchen und zur baulichen Erneuerung wie zur Ausstattung dieses Gotteshauses beitragen. Als Aussteller dieses am 20. Dezember 1475 in Rom verbrieften, im Original, allerdings ohne die Siegel überlieferten Dokuments fungieren eine Reihe namentlich genannter Mitglieder des Kardinalskollegiums. Man darf vielleicht mutmaßen, dass diese Urkunde Bischof Alexander von Forlì zu dem Zweck übergeben wurde, um sie im Zuge seines Aufenthaltes in Wien dem Empfänger, d. h. entweder dem Pfarrer von Penzing oder dem Wiener Bischof (?), zur Kenntnis zu bringen. Dass dies offensichtlich unterblieb – das Original wäre sonst ja kaum unter den nachgelassenen Papieren des Legaten gewesen –, mag damit zusammenhängen, dass die 1469 vorgenommene Erhebung Wiens zum Bischofssitz erst mit der Verlautbarung der päpstlichen Bulle am 17. September 1480 wirksam werden sollte59. In jedem Fall besteht auch für das zweite hier anzuführende Stück der von Alexander Numai nachgelassenen Urkunden60 ein enger Zusammenhang mit der Erhebung Wiens zum Bistum: Es handelt sich dabei um die Verbriefung der Gewährung eines vollständigen Ablasses durch Papst Sixtus IV. Das mit anhängender Bleibulle im Original erhaltene Stück wurde am 18. Januar 1481 in Rom ausgestellt. Zweck der bei Andachten in der Wiener Stephanskirche am Sonntag Quasimodogeniti, dem Sonntag nach dem Osterfest, auch „Weißer Sonntag“ genannt, sowie am Stephanstag in den Weihnachten (26. Dezember = Tag des Kirchenpatrons) gespendeten Gelder war zum einen die Unterstützung der gemäß Beschluss auf dem Augsburger Reichstag durch die Reichsfürsten gegen die Türken zu ent56 QuGStW II/3, Nr. 4571. 57 Zur Geschichte der Hietzinger Kirche vgl. die Hinweise bei: Czeike, Historisches Lexikon Bd. 3 (wie Anm. 4), S. 184f. 58 Zu St. Jakob in Penzing vgl.: Czeike, Historisches Lexikon Bd. 1 (wie Anm. 4), S. 518. 59 Auch hier der Hinweis auf: Czeike, Historisches Lexikon Bd. 1 (wie Anm. 4), S. 391f. 60 QuGStW II/3, Nr. 4841.

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sendenden Hilfstruppen, zum anderen eine Beisteuer zur Befestigung der Stadt Wien. Da es gegen Ende der Papsturkunde ausdrücklich heißt, dass ein Drittel der Sammelgelder für den „Kreuzzug“ verwendet werden sollte, darf man wohl davon ausgehen, dass – zumindest – ein Großteil der restlichen zwei Drittel den städtischen Befestigungen Wiens zu Gute kommen sollten. Aus Sicht der Stadtgeschichte überaus eindrucksvoll ist im Übrigen nicht zuletzt die recht ausführliche Narratio dieses päpstlichen Dokuments, in der die Beweggründe, die den Papst zur Ausstellung der Urkunde bewogen haben, darlegt werden. Es heißt dort, er habe diesen vollständigen Ablass verliehen, … da Wien eine der hervorragendsten Städte Deutschlands, die erste gegen den Orient zu ist, durch die Einfälle der ketzerischen böhmischen Räuber arg gelitten hat, in der Gegenwart durch stete Kriegsnot bedrängt wird, die Residenz des Kaisers, die Grabstätte seiner Vorfahren ist, eine berühmte Universität beherbergt, mehr als 600 Priester und Ordensleute beiderlei Geschlechtes in ihr dem Dienste Gottes sich hingeben (und) die einstige Collegiatkirche von St. Stephan zur Cathedrale erhoben worden ist …

Dieses höchst eindrucksvolle Dokument stellt daher seinem Inhalt nach sowohl einen Gunsterweis für die bischöfliche Kathedralkirche von St. Stephan in Wien, zugleich aber auch für die Stadt Wien selbst dar, wird man doch davon ausgehen dürfen, dass sich Wien an der Finanzierung der erwähnten Hilfstruppen beteiligen sollte, und wird doch auch verfügt, dass aus den bei den Andachten der Gläubigen eingesammelten Geldern zugleich die Fortifikationen der Stadt (mit)finanziert werden sollten. Als den seitens der Kurie intendierten Empfänger der Urkunde wird man mit einiger Gewissheit das bürgerliche Kirchmeisteramt von St. Stephan61 annehmen dürfen. Ihre Eingliederung in das Konvolut von Schriftstücken, die sich 1483 im Nachlass Bischofs Alexanders von Forlì befanden und die nach einigem Hin und Her um die Verfügung über dessen monetär verwertbare Bestandteile schließlich in städtischem Gewahrsam verblieben und damit Teil des Stadtarchivs wurden, wirft freilich weitere Fragen auf. Der Umstand, dass der päpstliche, dann immer mehr in kaiserlichen Diensten agierende Legat und Diplomat diese Ablassurkunde bei sich verwahrte, und dies noch zum Zeitpunkt seines Todes im Sommer 1483, weist jedenfalls darauf hin, dass er als Überbringer des päpstlichen Gunsterweises vorgesehen war. Ganz offensichtlich kam es aber dann nicht zur Ausfolgung des Dokuments. Mit einiger Wahrscheinlichkeit dürften es die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Erhebung Wiens zum Bistum gewesen sein, die hier als Hindernis wirkten, Schwierigkeiten, die das 1469 erteilte Papstprivileg erst 61 Zu diesem städtischen Amt vgl. Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 3 (wie Anm. 4), S. 517.

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nach einer weiteren päpstlichen Verfügung vom 17. September 1480 in Kraft treten ließen. Ohne wirklich beurteilen zu können, ob das Legatenarchiv des Alexander Numai in einer der von ihm hinterlassenen Truhen verwahrt wurde oder in anderer Form gesondert als Bestand im Wiener Stadtarchiv die Jahrhunderte überdauerte – sein Schicksal bleibt in jedem Fall einer der zahllosen „Sonderfälle“ der Geschichte. Spekulation bliebe es zu überlegen, ob es die gesonderte Lagerung des Konvoluts war oder gar die Erkenntnis, dass es sich dabei um etwas wirklich Besonderes handelte, was letztlich darüber entschied, dass Urkunden aus dem Tätigkeitsfeld eines päpstlichen Legaten in einem städtischen Archiv überlebten. Die Bemühungen um eine – nach damaligem Verständnis – zeitgemäße Archivierung der verwahrten Urkunden, Arbeiten, die insbesondere im Vormärz durch den städtischen Registrator Franz Tschischka geleistet wurden und die dann um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in dem großen Projekt der Regestenbearbeitungen durch Karl Uhlirz ihre endgültige Verfestigung im Rahmen einer Durchnummerierung erhielten, führten zu einem ganz eigentümlichen, zugleich aber höchst charakteristischen Verschwinden des eigentlichen Provenienzzusammenhangs, d. h. der ursprünglichen Herkunft aus dem Archiv eines päpstlichen Legaten der Epoche Kaiser Friedrichs III.

Anhang Vorbemerkung: Die Dissertation von Erfle (oben Anm. 20) bildet insofern ein festes Fundament für unser Wissen über Bischof Alexander Numai von Forlì, als dort im Wesentlichen die Zeugnisse zu Biographie und Itinerar dieses Mannes erfasst sind. In besonderer Weise gilt dies für eine Reihe von Dokumenten, ausgestellt vom Bischof bzw. auch an diesen ergangen, welche in italienischen und deutschen Archiven (Rom, Archivio segreto Vaticano; Venedig, Biblioteca Marciana; Köln, Historisches Archiv der Stadt Köln; Florenz, Archivio di Stato) überliefert sind und hier nicht behandelt werden. Die überwiegende Zahl an Quellen zu Alexander findet sich jedoch im Wiener Stadt- und Landesarchiv, was sich aus den Geschicken der Hinterlassenschaft des Mannes ergibt. Ohne an dieser Stelle die Ausführungen bei Erfle umfassend zu ergänzen, seien hier doch die Dokumente, soweit sie in die Verwahrung der Stadt Wien gelangten, sowie zusätzlich einige weitere Urkundenfunde angeführt, die aus dem Diözesanarchiv Wien (Mein besonderer Dank geht hier an Herrn Kollegen Dr. Johann Weißensteiner vom genannten Archiv, der freundlicherweise auch noch den Bestand „Urkunden der Cur bei St. Stephan bis 1600“ [Originalurkunden nunmehr im Domarchiv St. Stephan] durchgesehen hat und dabei auf keine weiteren Urkunden Bischof Alexanders von Forlì gestoßen ist.) und den

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durch das mom-Projekt62 möglich gewordenen Recherchen (Mein besonderer Dank für zusätzliche Unterstützung geht hier an Herrn Kollegen Dr. Thomas Aigner, Diözesanarchiv St. Pölten.) resultieren. Am Schluss des hier gebotenen Anhangs (Punkt 6) finden sich daher auch Ergänzungen zu dem bei Erfle, Alexander Numai (wie Anm. 20), S. 166ff., zusammengestellten Itinerar.

62 www.monasterium.net; zu diesen Recherchemöglichkeiten vgl. jetzt Krah, Adelheid, Monasterium.net – das virtuelle Urkundenarchiv Europas. Möglichkeiten der Bereitstellung und Erschließung von Urkundenbeständen, in: Archivalische Zeitschrift 91 (2009), S. 221– 246; infolge des Fortschreitens dieses Projekts ist wahrscheinlich in Hinkunft mit dem Nachweis weiterer Urkunden des Forliveser Bischofs zu rechnen; ein Nachtrag, den ich am 16. Januar 2011 bei einer abermaligen Überprüfung des digitalen Urkundenportals einfügen konnte, wird unten S. 204 (Anhang 4, Nr. 8) behandelt. – Im Zuge meiner Nachforschungen konnte eine größere Zahl von im Original erhaltenen Urkunden, die dieser Legat selbst ausgestellt hat, auf der genannten Website in Abbildung eingesehen werden. Dabei lässt sich eine auffallende Gleichförmigkeit im Schriftbild der Originalurkunden des Forliveser Bischofs feststellen, die wohl auf die Betrauung eines einzigen Mannes mit dem Urkundengeschäft des Legaten weist. Insbesondere gilt dies für die Art, wie der Name des Bischofs zu Beginn der Intitulatio wiedergegeben wird, nämlich in Majuskelbuchstaben, wobei der Anfangsbuchstabe „A“ in drei verschiedenen Varianten vorkommt, nämlich Variante 1: ein Majuskjel-A mit nach unten zu verstärkten Schäften (4 Belege: 1478 Juni 2, 1480 Juli 12 und 1480 September 20 = unten Anhang , Nr. 1 und 2 / WStLA-Bürgerspital sowie Anhang 4, Nr. 8 / Stiftsarchiv Lilienfeld und Nr. 18 / OÖLA-Waldhausen); Variante 2: ein Majuskel-A mit markantem, an den Enden schwanzförmig zulaufendem Querstrich an der Spitze des Buchstabens (3 Belege: 1477 Juli 20, 1478 Juni 1, 1478 September 9 und 1479 Oktober 14 = unten Anhang 4, Nr. 3 / OÖLA-Waldhausen, Nr. 7a / Archiv des Minoritenkonvents in Wien, Nr. 10 / Stiftsarchiv Herzogenburg und Nr. 14 / Stiftsarchiv Vorau); Variante 3: ein Majuskel-A, das sich an der Minuskelform dieses Buchstabens orientiert (1 Beleg = unten Anhang 4, Nr. 19 / Archiv der Erzabtei St. Peter in Salzburg). – Einem Hinweis bei der Aufnahme der im Stiftsarchiv Vorau überlieferten, in Graz ausgestellten Urkunde Alexanders vom 25. Oktober 1479 (unten Anhang 4, Nr. 15) nach – der Hinweis rekurriert auf die frühe Landeskunde der Steiermark des Vorauer Augustinerchorherrn: Caesar, Aquilin Julius, Annales ducatus Stiriae. Tom. 3, Graz / Wien 1777, S. 836 – war der Schreiber dieser Urkunde der Kanzleisekretär des Forliveser Bischofs, ein gewisser Francisco Cristofori clericus Amerinus, der nach seinem Herkunftsnamen aus Amerino, einem ehemaligen Bischofssitz in Umbrien (seit 1907 mit dem Bistum Narni vereint), kam.

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1. Das eigentliche Legatenarchiv Bischof Alexander Numais von Forlì im Wiener Stadt- und Landesarchiv (QuGStw II/3, nr. 4537–4898 bzw. Chmel, Actenstücke und Briefe (wie Anm. 17)): 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.

Nr. 4537 (1475 Februar 15, Rom) = Chmel, 435 Nr. 1 Nr. 4542 (1475 Mai 24, Rom) = Chmel, 435 Nr. 2 Nr. 4549 (1475 Juni 17, Rom) = Chmel, 435 Nr. 3 Nr. 4549 (1475 Juni 17) = Chmel, 437 Nr. 4 Nr. 4571 (1475 Dezember 20, Rom) = Chmel, 467 Nr. 75 Nr. 4574 (1476 Januar 14, Rom) = Chmel, 444 Nr. 9 Nr. 4579 (1476 Februar 1, Rom) = Chmel, 445 Nr. 10 Nr. 4579a (1475 September 5, Venedig) = Chmel, 439 Nr. 6 Nr. 4579b (1475 – –) = Chmel, 440 Nr. 7 Nr. 4579c (1475 September 12, Rom) = Chmel, 437 Nr. 5 Nr. 4600 (1476 Mai 27, Rom) = Chmel, 446 Nr. 11 Nr. 4604 (1476 Juli 3, Amelia) = Chmel, 446 Nr. 12 Nr. 4632 (1477 Februar 19, Rom) = Chmel, 446 Nr. 13 Nr. 4641 (1477 Mai 14, Rom) = Chmel, 446 Nr. 14 Nr. 4645 (1477 Mai 30, Rom) = Chmel, 447 Nr. 15 Nr. 4654 (1477 Dezember 20, Rom) = Chmel, 447 Nr. 16 Nr. 4656 (1467 Januar 13, Rom) = Chmel, 447 Nr. 17 Nr. 4661 (1478 März 15, Rom) = Chmel, 448 Nr. 18 Nr. 4662 (1478 März 17, Rom) = Chmel, 448 Nr. 19 Nr. 4667 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 449 Nr. 20 Nr. 4668 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 24 Nr. 4669/1 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 449 Nr. 21 Nr. 4669/2 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 449 Nr. 22 Nr. 4669/3 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 449 Nr. 23 Nr. 4669/4 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 25 Nr. 4669/5 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 26 Nr. 4669/6 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 27 (bei Nr. 26) Nr. 4669/7 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 28 (bei Nr. 26) Nr. 4669/8 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 29 Nr. 4669/9 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 30 (bei Nr. 29) Nr. 4669/10 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 31 (bei Nr. 29) Nr. 4669/11 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 32 (bei Nr. 29) Nr. 4669/12 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 33 (bei Nr. 29) Nr. 4669/13 (1478 April 18, Rom) = Chmel, 450 Nr. 34 (bei Nr. 29)

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35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 52. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71.

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Nr. 4671 (1478 Mai 23, Rom) = Chmel, 451 Nr. 35 Nr. 4675 (1478 Juli 4, Rom) = Chmel, 451 Nr. 36 Nr. 4680 (1478 August 6, Bracciano in der Diözese Sutri) = Chmel, 451 Nr. 37 Nr. 4681 (1478 – -, Bracciano in der Diözese Sutri) = Chmel, 452 Nr. 38 Nr. 4695 (1478 September 27, Rom) = Chmel, 453 Nr. 40 Nr. 4696/1 (1478 September 27, Rom) = Chmel, 453 Nr. 41 Nr. 4696/2 (1478 September 27, Rom) = Chmel, 452 Nr. 39 Nr. 4696/3 (1478 September 27, Rom) = Chmel, 452 bei Nr. 39 Nr. 4696/4 (1478 September 27, Rom) = Chmel, 453 bei Nr. 39 Nr. 4696/5 (1478 September 27, Rom) = Chmel, 452 bei Nr. 39 Nr. 4696/6 (1478 September 27, Rom) = Chmel, 453 bei Nr. 39 Nr. 4699 (1478 Oktober 6, Rom) = Chmel, 454 Nr. 43 Nr. 4700 (1478 Oktober 6, Rom) = Chmel, 453 Nr. 42 Nr. 4710 (1478 Dezember 1, Rom) = Chmel, 454 Nr. 44 Nr. 4711 (1478 Dezember 1, Rom) = Chmel, 454 Nr. 45 Nr. 4712 (1478 Dezember 10, Rom) = Chmel, 455 Nr. 47 (Nr. 46 fehlt) Nr. 4726 (1479 Februar 20, Rom) = Chmel, 455 Nr. 48 Nr. 4729 (1479 März 6, Rom) = Chmel, 455 Nr. 49 Nr. 4732 (1479 März 18, Rom) = Chmel, 456 Nr. 50 Nr. 4733 (1479 März 18, Rom) = Chmel, 456 Nr. 52 Nr. 4734 (1479 März 19, Rom) = Chmel, 456 Nr. 51 Nr. 4735 (1479 März 21, Rom) = Chmel, 457 Nr. 53 Nr. 4736 (1479 März 21, Rom) = Chmel, 457 Nr. 54 Nr. 4742 (1479 April 7, Rom) = Chmel, 457 Nr. 55 Nr. 4748 (1479 Mai 8, Rom) = Chmel, 458 Nr. 56 Nr. 4756 (1479 Juni 4, Rom) = Chmel, 458 Nr. 57 Nr. 4758 (1479 Juni 15, Rom) = Chmel, 441 Nr. 8 Nr. 4762 (1479 Juni 24, Rom) = Chmel, 459 Nr. 58 Nr. 4764 (1479 Juli 19, Rom) = Chmel, 459 Nr. 59 Nr. 4773 (1479 September 25, Rom) = Chmel, 460 Nr. 60 Nr. 4780 (1479 November 1, Rom) = Chmel, 460 Nr. 61 Nr. 4781 (1479 November 16, Rom) = Chmel, 461 Nr. 62 Nr. 4797 (1480 Februar 17, Rom) = Chmel, 461 Nr. 63 Nr. 4801 (1480 März 3, Rom) = Chmel, 462 Nr. 64 Nr. 4805 (1480 März 28, Rom) = Chmel, 462 Nr. 65 Nr. 4806 (1480 April 10, Rom) = Chmel, 462 Nr. 66 Nr. 4829 (1480 August 27, Rom) = Chmel, 462 Nr. 67

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72. 73. 74. 75. 76. 77. 78.

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Nr. 4835 (1480 November 18, Rom) = Chmel, 463 Nr. 68 Nr. 4836 (1480 November 20, Rom) = Chmel, 463 Nr. 69 Nr. 4841 (1481 Januar 18, Rom) = Chmel, 465 Nr. 74 Nr. 4878 (1481 September 8, Rom) = Chmel, 463 Nr. 70 Nr. 4885 (1481 November 18, Rom) = Chmel, 464 Nr. 71 Nr. 4895 (1482 Januar 13, Rom) = Chmel, 465 Nr. 72 Nr. 4898 (1482 Februar 8, Rom) = Chmel, 465 Nr. 73

2. Urkunden Bischof Alexanders von Forlì aus dem Bestand „Bürgerspital“ im Wiener Stadt- und Landesarchiv; siehe das mom-Portal (http://www.mom-ca.uni-koeln.de/mom-ca/start.do): 1. 1480 September 20, Wien: Bischof Alexander von Forlì, Referendar des Papstes, Legat de latere, Nuntius und Orator etc., wünscht, dass die Kapelle St. Koloman auf dem Friedhof in der Vorstadt Wiens63 von den Gläubigen gefördert und unterstützt wird, und gewährt daher allen, die die genannte Kapelle zwischen der ersten und der zweiten Vesper am Kolomanstag (13. Oktober), zu Allerseelen (1. November), am Sonntag nach Pfingsten und am Sonntag nach dem Lucienfest (13. Dezember), jährlich besuchen und Almosen spenden, 100 Tage Ablass für die ihnen auferlegten Sündenstrafen. Und darüber hinaus gewährt er den Gläubigen, die an Montagen die Kapelle besuchen und dort das Vaterunser zum Seelenheil der Verstorbenen beten, 40 Tage Ablass. 2. 1480 September 20, Wien: Bischof Alexander von Forlì, Referendar des Papstes, Legat de latere, Nuntius und Orator etc., wünscht, dass die Allerheiligenkirche im Spital (zu Wien)64 gefördert und die Bedürftigen dort von den Gläubigen unterstützt werden, und gewährt daher allen, die die genannte Kirche zwischen der ersten und der zweiten Vesper zu Allerheiligen (1. November), zu Pfingsten, zu Maria Himmelfahrt (15. August) und an dem Tag, an dem die Bedürftigen des genannten Spitals sich ein Mal im Jahr versammeln, jährlich besuchen und Almosen spenden, 100 Tage Ablass für die ihnen auferlegten Sündenstrafen. Und als weitere Auszeichnung für die genannte Kirche gewährt er den Gläubi63 Zu der gegenüber dem Wiener Bürgerspital am linken Wienufer gelegenen Kapelle samt Friedhof vgl.: Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 3 (wie Anm. 4), S. 558. – Beim hl. Koloman handelte es sich um den mittelalterlichen Landespatron von Österreich, der erst in der frühen Neuzeit durch den 1485 kanonisierten babenbergerischen Markgrafen Leopold III. verdrängt werden sollte. 64 Das 1211 gegründete Heiliggeistspital außerhalb des Kärntner Tores südlich des Wienflusses, vgl. dazu: Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 3 (wie Anm. 4), S. 114.

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gen, die an Freitagen die Kirche besuchen und dort kniend das Vaterunser beten und Almosen spenden, 40 Tage Ablass.

3. Urkunden Bischof Alexanders von Forlì aus dem Diözesanarchiv Wien (DAW): 1. 1478 Mai 26, Wien (DAW, Urkundenreihe 1478 Mai 26): Ablassurkunde Bischof Alexanders von Forlì für die Kapelle zu Ehren des hl. Felix, der hl. Regula und der hl. Exuperantia (recte wohl: Exuperantius) im Neuen Karner65 auf dem Stephansfriedhof. 2. 1480 April 10, Wien (DAW, Urkundenreihe 1480 April 10): Ablassurkunde Bischof Alexanders von Forlì für das Kruzifix in der Maria Magadalena-Kapelle auf dem Stephansfriedhof66. 3. 1480 April 20, Wien (DAW, Urkundenreihe 1480 April 20; siehe auch: Kopallik Josef, Regesten zur Geschichte der Erzdiözese Wien, Bd. 1, Wien 1890, S. 112 Nr. 11 [Regesten zur Geschichte des Klosters St. Laurenz in Wien], sowie QuGStW II/4, Nr. 3889): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Nuntius in Deutschland, überträgt auf Bitten des Bischofs Johannes Hinderbach von Trient67, der mit seinen Brüdern Konrad und Heinrich von ihrem Oheim Dietmar Hinderbach ein Haus in Wien und Weingärten mit der Verpflichtung geerbt hat, wöchentlich fünf Messen auf dem St. Johannesaltar in der Katharinenkapelle im Dechanthofe neben dem St. Stephansfriedhofe68 in Wien zu lesen oder lesen zu lassen, zwei dieser Messen auf den St. Floriansaltar in der Stephanskirche, wohin die drei anderen schon 65 Der Neue Karner auf dem Stephansfriedhof wurde bald nach 1300 errichtet und wurde ab 1338 auf Initiative der Schreiberzeche durch den Bau der Maria-Magdalena-Kapelle überhöht, vgl. dazu: Czeike, Historisches Lexikon (wie Anm. 4), Bd. 3, S. 464 f. und Bd. 4, S. 171f. – Auffällig sind die für Wien äußerst ungewöhnlichen Patrozinien der hier erwähnten Kapelle, handelt es sich doch bei der Trias Felix, Regula und Exuperantius um die drei Stadtpatrone von Zürich, die u. a. das seit dem 13. Jahrhundert nachweisbare Zürcher Stadtsiegel zieren. 66 Zur Maria-Magdalena-Kapelle vgl.: Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 4 (wie Anm. 4), S. 171f. 67 Zu Johann Hinderbach (1418 – 1486) vgl.: Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 3 (wie Anm. 4), S. 193. 68 Bei dieser Kapelle im Dechanthof (heute: Wien 1, Stephansplatz 6, Wollzeile 4) handelte es sich um eine der ältesten nachweisbaren Wiener Hauskapellen (gestiftet 1214), die 1361 aus dem Besitz des Zisterzienserklosters Zwettl in den der Propstei St. Stephan kam; das Gebäude selbst, der nach dem langjährigen Besitzer so genannte Zwettlhof, gelangte 1480 an das Bistum Wien, vgl. dazu: Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 3 (wie Anm. 4), S. 479f.

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früher von dem päpstlichen Legaten in Deutschland Kardinal (Johannes) Bessarion von Nicäa69 übertragen worden sind. 4. 1481 April 10, Wien (DAW, Urkundenreihe 1481 April 10): Ablassurkunde Bischof Alexanders von Forlì für die Bruderschaft der 14 Märtyrer (= 14 Nothelfer ?) an der Klosterkirche St. Laurenz70 in Wien.

4. Urkunden Bischof Alexanders von Forlì aus verschiedenen Archiven, recherchiert über das mom-Portal (http://www.mom-ca.uni-koeln.de/MOM-CA/start.do): 1. 1475 März 10, (Köln /Stiftsarchiv; Vorau/Steiermark): Bischof Alexander von Forlì bestätigt auf Bitten Kaiser Friedrichs III. die Statuten der Rosenkranzbruderschaft in Köln71. 2. (1475 – –), Köln (Stiftsarchiv Schlägl/Oberösterreich: Erwähnung in der am 28. August 1492 in Schlägl ausgestellten Urkunde des Abtes Ulrich und des Priors Leonhard von Schlägl über die Errichtung einer Rosenkranzbruderschaft an der Maria-Anger-Kirche; im Vergleich mit der hier unter Nr. 1 angeführten Urkunde von 1475 März 10 wohl zum März 1475 einzureihen): Bischof Alexander von Forlì schreibt sich in die von Leonhard, dem späteren Prämonstratenserprior von Schlägl72, in Köln mit Zustimmung der dortigen Bürger errichtete Rosenkranzbruderschaft ein und gewährt ihr Indulgentien. 3. 1477 Juli 20, Wien (OÖLA, Bestand Waldhausen): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Referendar und Legat in Germanien, erneuert dem Propst und Kon69 Zu dem aus Trapezunt am Schwarzen Meer (heute: Trabzon, Türkei) stammenden Johannes (recte: Basilius) Bessarion vgl.: oben Anm. 31 sowie die Hinweise in http://de.wikipedia. org/wiki/Basilius_Bessarion (Zugriff: 4. Oktober 2010). 70 Zum Dominikanerinnenkloster St. Laurenz in Wien vgl.: Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 3 (wie Anm. 4), S. 693f. 71 Hutz, Ferdinand, Die Urkunden des Stiftes Vorau 1161–1600 (Quellen aus den steirischen Archiven, 1), Graz 2000, Nr. 347; siehe auch das hier folgende Regest. – Zu der 1475 gegründeten Rosenkranzbruderschaft in Köln vgl. neben dem nächstfolgenden Regest: Schmidt, Siegfried, Die Entstehung der Kölner Rosenkranzbruderschaft von 1475, in: Der heilige Rosenkranz (Libelli Rhenani: Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, 5), Köln 2003, S. 45–62 (auch online verfügbar unter http://www. dombibliothek-koeln.de/index1.html?/veranstaltung/rosenkranz/rosenkranz_schmidt_rosenkranzbruderschaft.html; Zugriff: 4. Oktober 2010). 72 Zisterzienserkloster, dann Prämonstratenserstift des frühen 13. Jh. im nordwestlichen Mühlviertel, Oberösterreich.

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vent in Waldhausen73 die Inkorporation der Kirchen des hl. Andreas in Mitterkirchen74 durch Papst Alexander IV., der hl. Maria in Königswiesen75 und des hl. Stephan zu Saxen76 durch Papst Bonifaz IX. und des hl. Georg im Forste durch den Legaten Kardinal Guido und inkorporiert die Kirche des hl. Laurentius in Muspach. (Diese Urkunde wird 1483 Februar 19, Baumgartenberg, durch Abt Erhard von Baumgartenberg77 für Propst Erhard von Waldhausen vidimiert und transsumiert = OÖLA, Bestand Waldhausen. – Diese Urkunde wird dem Stift Waldhausen am 14. Mai 1483 in Rom durch Papst Sixtus IV. bestätigt = OÖLA, Bestand Waldhausen. – Vom 15. Januar 1515, Baumgartenberg, stammt eine weitere Vidimierung und Transsumierung durch Abt Wilhelm von Baumgartenberg für Propst Konrad von Waldhausen = OÖLA, Bestand Waldhausen). 4. 1477 August 2, Krems (Stiftsarchiv Herzogenburg/Niederösterreich, Bestand Augustiner-Chorherrenstift Dürnstein, Nr. 328): Bischof Alexander von Forlì legt auf die Klage des Propstes der Kanonie Dürnstein78 (Tiernsteyn) gegen den Caplan Erhard Toplar an der Johanneskapelle in Gösing79 am Wagram (Gosing), dass er den Zehent an die Pfarrkirche zu Grafenwörth80 (Grauenvvrd), welche seinem Tische zugewiesen ist, zu leisten verweigere, die Untersuchung des Falls und die Fällung des Urteils fest. Siegler (Siegel fehlt): der Urkundenaussteller. 5. 1478 März 25, Wien (ÖStA, HHStA; siehe auch: QuGStW II/2, Nr. 1916): Bischof Alexander von Forlì erteilt den Laurenzerinnen81 zu Wien das Recht, den Beichtvater selbst wählen zu dürfen. 6. 1478 Mai 18, Wien (Stiftsarchiv Lilienfeld/Niederösterreich): Bischof Alexander von Forlì, Legat in Deutschland, privilegiert die Klosterkirche Lilienfeld82 mit Ablässen für die genannten Feiertage. 73 Augustiner-Chorherrenstift, gegründet 1147, nordöstl. Grein, Oberösterreich. 74 Mitterkirchen im Machland am nördl. Donauufer unweit Baumgartenberg, Oberösterreich. 75 Königswiesen im Mühlviertel, Bez. Freistadt, Oberösterreich. 76 Saxen im Machland westl. Grein, Oberösterreich. 77 Zisterzienserkloster bei Perg im Machland, Oberösterreich, gegründet 1141; heute: Kloster der Schwestern vom Guten Hirten. 78 Augustiner-Chorherrenstift in der Wachau, gegründet 1410. 79 Nordwestl. Krems, Niederösterreich. 80 Nördl. der Donau westl. Krems, Niederösterreich. 81 Zum Dominikanerinnenkloster St. Laurenz, gegründet zwischen 1291 und 1302, vgl. zuletzt: Schedl, Barbara, Klosterleben und Stadtkultur im mittelalterlichen Wien. Zur Architektur religiöser Frauenkommunitäten (FB, 51), Innsbruck 2009, S. 209–234. 82 Zisterzienserkloster im südl. Niederösterreich, gegründet 1202 von Herzog Leopold VI. von Österreich.

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7. 1478 Mai 26, Wien (ÖStA, HHStA; siehe auch: QuGStW II/2, Nr. 1917): Bischof Alexander von Forlì erteilt denen, die die Kirche der Laurenzerinnen zu Wien besuchen und beschenken, einen 100tägigen Ablass. 8. 1478 Juni 1, Wien (Archiv des Minoritenkonvents, Wien): Bischof Alexander von Forlì, Referendar des Papstes, Legat de latere, Nuntius und Orator etc., gewährt dem Minoritenkloster in Wien (monasterium ordinis conventualium sancti Francisci Wiennensis) einen Ablass, wobei diejenigen, die an den vier Mal jährlich am Donnerstag zu den Quatembern innerhalb der Klostermauern stattfindenden Sakramentsprozessionen teilnehmen, 100 Tage, diejenigen, die an den zu diesen Anlässen gefeierten Messen (auch noch) teilnehmen, (zusätzlich) 40 Tage Ablass erhalten. 9. 1478 Juni 2, Wien (Stiftsarchiv Lilienfeld/Niederösterreich): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Nuntius, gestattet den Lilienfelder Professen, sich mit Zustimmung des Abtes die Beichtväter frei zu wählen, die er außerdem bevollmächtigt, einmal im Leben und in articulo mortis von den Reservatfällen zu absolvieren. 10. 1478 Juni 18, Wien im Juristenkolleg83 in der Wohnung des Leopold Pranntz (OÖLA, Bestand Waldhausen): Leopold Pranntz (Decr. Doctor, Iurium novorum lector ordinarius), geistlicher Vikar der Propstei St. Stephan zu Wien, vergleicht auf Anordnung des Legaten Bischof Alexanders von Forlì den Propst Erhard von Waldhausen mit dem Pfarrprokurator der Pfarrkirche Saxen84 wegen des Zehents, den dieser jährlich an das Kloster abführen soll. 11. 1478 September 9, Graz (Stiftsarchiv Herzogenburg/Niederösterreich): Bischof Alexander von Forlì, apostolischer Referendar und päpstlicher Nuntius in Deutschland, verleiht den (Augustiner-)Chorherren des Stiftes St. Andrä (an der Traisen)85 das Recht, Mozetten86 von Hermelinpelz zu tragen, während sie bisher nur solche von Schafsfell gehabt hatten. 12. 1479 März 24, Graz (HHStA, Stiftsarchiv St. Paul/Kärnten): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Referendarius und Nuntius in Deutschland, befiehlt dem Abt von St. Paul87 auf die Klage der Priorin und Schwestern des Domini83 Das Kolleg war Teil der Wiener Juristenschule (Wien 1, Schulerstraße 14, Grünangergasse 2, Domgasse 9), vgl.: Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 3 (wie Anm. 4), S. 404. 84 Siehe oben Anm. 76. 85 Augustiner-Chorherrenstift, gegründet Mitte 12. Jh., 1783 aufgehoben und dem Stift Herzogenburg inkorporiert. 86 Mit „Mozette“ bezeichnet man ein Stück der Mönchs- oder Bischofskappen, welches über die Brust herunter hängt. 87 Im Lavanttal, Kärnten; Benediktinerkloster, gegründet 1091.

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kanerinnenklosters in Mahrenberg (Mernbergh)88 hin, in einem Streitfall Verhöre durchzuführen und nach gehöriger Information den Streit zu entscheiden und unter Strafe kirchlicher Zensuren durchzuführen. 1479 Mai 20, Graz (Stiftsarchiv Vorau): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Legat in Deutschland, gewährt Propst Leonhard, den Chorherren, Novizen und Laienbrüdern des Stiftes Vorau89 das Recht der freien Beichtväterwahl90. 1479 Juni 18, Graz (Stiftsarchiv Vorau/Steiermark): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Legat in Deutschland, gewährt Propst Leonhard und den Chorherren des Stiftes Vorau eine Erleichterung ihrer Gebetspflichten durch die Dispens von den täglich zu betenden sieben Bußpsalmen und der damit verbundenen Litanei, die ab nun nur noch einmal in der Woche gebetet werden müssen91. 1479 Oktober 14, Graz (Stiftsarchiv Vorau/Steiermark): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Legat in Deutschland, gestattet Propst Leonhard von Vorau, dass auf dem Friedhof der Pfarrkirche St. Ägidius in Vorau, der durch die Tötung eines dort Asyl suchenden Menschen entweiht wurde, kirchliche Beerdigungen vor geschehener Rekonziliation vorgenommen werden können92. 1479 Oktober 25, Graz (Stiftsarchiv Vorau/Steiermark): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Legat in Deutschland, inseriert und vidimiert auf Bitten des Propstes Wilhelm Bermut von St. Ulrich in Wiener Neustadt die Urkunde vom 7. April 1452, Rom93.

88 Gelegen an der Drau, heute: Radlje ob Dravi, Slowenien; gegründet 1251 durch Seifried von Mahrenberg. 89 Augustinerchorherrenstift im steirischen Joglland, gegründet 1163 durch den steirischen Markgrafen Otakar III. 90 Hutz, Urkunden des Stiftes Vorau 1161–1600 (wie Anm. 71), Nr. 360; siehe dazu unten Nr. 16 (Hutz, Nr. 366). 91 Hutz, Urkunden des Stiftes Vorau 1161–1600 (wie Anm. 71), Nr. 362. 92 Hutz, Urkunden des Stiftes Vorau 1161–1600 (wie Anm. 71), Nr. 364. 93 Hutz, Urkunden des Stiftes Vorau 1161–1600 (wie Anm. 71), Nr. 365; bei der Urkunde des Jahres 1452 handelt es sich um das Privileg Papst Nikolaus V., mit dem er auf Bitten Kaiser Friedrichs III. die Errichtung eines Chorherrenstiftes in Wiener Neustadt gestattete und den Pröpsten von Wiener Neustadt, Vorau und Stainz, das Recht verlieh, die Pontifikalinsignien zu gebrauchen, und denselben sowie dem Abt des Zisterzienserstiftes in Wiener Neustadt die Vollmacht erteilte, kirchliche Paramente zu weihen, vgl. dazu: Hutz, Nr. 265.

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17. 1479 November 18, Graz (Stiftsarchiv Vorau/Steiermark): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Legat in Deutschland, erteilt Propst Leonhard und den Chorherrn von Vorau noch weitere Vollmachten im Hinblick auf die freie Beichtväterwahl94. 18. (1479 – –, Graz) (Stiftsarchiv Vorau): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Legat in Deutschland, bewilligt Propst Leonhard von Vorau alle von ihm schriftlich vorgelegten geistlichen Vollmachten95. 19. 1480 Juli 12, Wien (OÖLA, Bestand Waldhausen): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Referendar und in Deutschland Nuntius und Orator, beauftragt die Äbte von den Schotten96 in Wien und von Baumgartenberg97, die bisher dem Kollegium der hl. Margaretha zu Ardagger98 inkorporierte Pfarrkirche des hl. Jakob in Neustadtl99 nach Beilegung der Streitigkeiten zwischen Ardagger und Waldhausen dem Stift Waldhausen zu übergeben. 20. 1482 Oktober 8, Wien (Archiv der Erzabtei St. Peter in Salzburg, Urk. Nr. 2964b zu 1572 (?) Oktober 8 mit dem Regestenwortlaut: „Der päpstliche Legat Bischof Alexander von Forlì wegen der Pfarrkirche von St. Georgen im Attergau.“): Inhalt nach dem im Internet100 gebotenen Foto des unvollständig erhaltenen Originals (die richtige Datierung ergibt sich aus dem Zeilenbeginn mit …tuagesimosecundo, wie auch dem Hinweis auf einen Papst mit der Ordnungszahl „IV.“ (= Sixtus IV.; im Oktober 1572 war Papst Gregor XIII. im Amt) in der Datierung, was nach den Lebensdaten Alexanders von Forlì nur auf 1482, keinesfalls 1472 oder gar 1572 weisen kann): Bischof Alexander von Forlì, päpstlicher Referendar etc. mit der Vollmacht eines legatus de latere, verleiht dem Franziskanerabt Alexander de Telkh101 in der Diözese Ragusa (Du94 Hutz, Urkunden des Stiftes Vorau 1161–1600 (wie Anm. 71), Nr. 366; siehe dazu oben Nr. 12 (Hutz, Nr. 360). 95 Hutz, Urkunden des Stiftes Vorau 1161–1600 (wie Anm. 71), Nr. 367. 96 Das älteste Wiener Kloster, das Schottenkloster, gegründet 1155, vgl. dazu: Czeike, Historisches Lexikon Bd. 5 (wie Anm. 4), S. 137 f. und S. 139 f. 97 Wie Anm. 77. 98 Stift Ardagger, gegründet 1049 von Kaiser Heinrich III., aufgehoben 1784. 99 Neustadtl an der Donau unweit östl. von Ardagger, Niederösterreich. 100 Siehe: http://www.mom-ca.uni-koeln.de/MOM-CA/start.do: Österreich > Salzburg > Archiv der Erzabtei St. Peter, Urkunde Nr. 2964b (Zugriff: 10. Mai 2011). 101 Da es mir nicht gelungen ist, ein anderes Franziskanerkloster in der Diözese Ragusa (heute: Dubrovnik) als das in Dubrovnik selbst gelegene, weithin berühmte Franziskanerkloster zu finden, halte ich diesen Mann für den Abt (richtig wäre: Guardian) dieses Hauses. Ich gehe daher davon aus, dass es sich bei der Bezeichnung des Alexander de Telkh um eine – leider gleichfalls nicht identifizierbare – Herkunftsbezeichnung dieses Franziskaners handelt.

Das Archiv eines päpstlichen Legaten

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brovnik) gemäß Anordnung Kaiser Friedrichs (III.) die Pfarrkirche St. Georgen im Attergau102 und beauftragt den Propst von St. Dorothea in Wien103 nach Vorweisung dieser Urkunde mit der Übertragung in corporalem possessionem.

5. Schreiben mit Bezug auf Bischof Alexander von Forlì, die nach dessen Tod von 1483 bis 1485 zwischen Kaiser Friedrich III. und der Stadt Wien gewechselt wurden (überliefert im ÖStA, HHStA sowie im Wiener Stadt- und Landesarchiv): 1. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. August 1, Graz) = QuGStW II/3, Nr. 4981 2. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. August 23, Graz) 3. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. August 26, Graz) 4. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. August 26, Graz) 5. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. August 26, Graz) 6. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. Oktober 1, Wien) 7. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. Oktober 8, Graz) 8. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. Oktober 15, Graz) = QuGStW II/3, Nr. 4993 9. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. Oktober 24, Wien) 10. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. November 3, Graz) 11. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. November 3, Graz) = QuGStW II/3, Nr. 4996 12. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. November 14, Graz)

19), S. 39 Nr. 55 (1483 19), S. 40 Nr. 58 (1483 19), S. 41 Nr. 59 (1483 19), S. 41 Nr. 60 (1483 19), S. 41 Nr. 62 (1483 19), S. 44 Nr. 69 (1483 19), S. 45 Nr. 70 (1483 19), S. 45 Nr. 72 (1483 19), S. 47 Nr. 77 (1483 19), S. 48 Nr. 82 (1483 19), S. 49 Nr. 84 (1483 19), S. 50 Nr. 89 (1483

102 Westlich des Attersees, Oberösterreich. 103 Augustiner-Chorherrenstift, hervorgegangen aus einer 1410 gegründeten Propstei, vgl. dazu: Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 2 (wie Anm. 4), S. 84f.

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13. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. 19), S. 51 Nr. 90 (1483 November 14, Graz) 14. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. 19), S. 52 Nr. 94 (1483 Dezember 17, Graz) 15. Opll/Perger Friedrich III. und die Wiener (Anm. 19), S. 73 Nr. 176 (1484 November 22, Wien) = QuGStW II/3, Nr. 5046 16. Opll/Perger, Friedrich III. und die Wiener (Anm. 19), S. 84 Nr. 215 (1485 März 26, Linz) = QuGStW II/3, Nr. 5061

6. Ergänzungen zum Itinerar Bischof Alexanders von Forlì (Erfle, Alexander Numai: 1466 Oktober 13 – 1483 Juli) nach den hier unter Punkt 2–4 erfassten Überlieferungen für die Jahre 1477–1482): Zum Jahr 1475 ist aus den vorliegenden Recherchen der Aufenthalt in Köln am 10. März 1475 zu belegen (oben Anhang 4, Nr. 1 und 2). Zum Jahr 1477 kennt Erfle (S. 172) die folgenden Aufenthalte: 7. – 12. Februar und 21. März: Basel; September 16: Krems; Oktober 17: Steyr; ca. November 10: Gmunden; kann nunmehr ergänzt werden durch die Aufenthalte: Juli 20: Wien (oben Anhang 4, Nr. 3); August 2: Krems (oben Anhang 4, Nr. 4) Zum Jahr 1478 kennt Erfle (S. 172 f.) die folgenden Aufenthalte: 17. und 28. Januar: Graz; 9. Juni: Wien; 15. und 20. September sowie 10. November: Graz; 29. Dezember: Wiener Neustadt; kann nunmehr ergänzt werden durch die Aufenthalte: März 25: Wien (oben Anhang 4, Nr. 5); Mai 18: Wien (oben Anhang 4, Nr. 6); Mai 26: Wien (oben Anhang 3 Nr. 1 und Anhang 4, Nr. 7); Juni 1: Wien (oben Anhang 4, Nr. 8); Juni 2: Wien (oben Anhang 4, Nr. 9); Juni 18: Wien (oben Anhang 4, Nr. 10); September 9: Graz (oben Anhang 4, Nr. 11) Zum Jahr 1479 kennt Erfle (S. 173) die folgenden Aufenthalte: 16. September und 29. Oktober: Graz; kann nunmehr ergänzt werden durch die Aufenthalte: März 24: Graz (oben Anhang 4, Nr. 12); Mai 20: Graz (oben Anhang 4, Nr. 13); Juni 18: Graz (oben Anhang 4, Nr. 14); Oktober 14: Graz (oben Anhang 4, Nr. 15); Oktober 25: Graz (oben Anhang 4, Nr. 16); November 18: Graz (oben Anhang 4, Nr. 17) Zum Jahr 1480 kennt Erfle (S. 173) die folgenden Aufenthalte: 6. Juli und 15. Oktober: Wien; 29. Dezember: Wiener Neustadt; kann nunmehr ergänzt werden durch die Aufenthalte:

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April 10: Wien (oben Anhang 3, Nr. 2); April 20: Wien (oben Anhang 2, Nr. 3); Juli 12: Wien (oben Anhang 4, Nr. 19); September 20: Wien (oben Anhang 2, Nr. 1 und 2) Zum Jahr 1481 kennt Erfle (S. 173) den Aufenthalt: 16. Oktober: Salzburg; kann nunmehr ergänzt werden durch den Aufenthalt: April 10: Wien (oben Anhang 3, Nr. 4) Zum Jahr 1482 kennt Erfle (S. 173) den Aufenthalt: 12. August: Wien; kann nunmehr ergänzt werden durch den Aufenthalt: Oktober 8: Wien (oben Anhang 4, Nr. 20)

Tabelle zum Itinerar Alexanders von Forlì (1477–1482): Vorbemerkung: Im Fettdruck werden die Belege angegeben, die im Rahmen der vorliegenden Studie gegenüber der Arbeit von Erfle, Alexander Numai (Anm. 20) ergänzt werden konnten. 1477

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Februar 7 Februar 12 März 23 Juli 20 August 2 September 16 Oktober 17 ca. November 10 Januar 17 Januar 28 März 25 Mai 18 Mai 26 Juni 1 Juni 2 Juni 9 Juni 18 September 9 September 15 September 20 November 10 Dezember 29 März 24

Basel Basel Basel Wien Krems Krems Steyr Gmunden Graz Graz Wien Wien Wien Wien Wien Wien Wien Graz Graz Graz Graz Wiener Neustadt Graz

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1480

1481 1482

Mai 20 Juni 18 September 16 Oktober 14 Oktober 25 Oktober 29 November 18 April 10 April 20 Juli 6 Juli 12 September 20 Oktober 15 April 10 Oktober 16 August 12 Oktober 8

Graz Graz Graz Graz Graz Graz Graz Wien Wien Wien Wien Wien Wien Wien Salzburg Wien Wien

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg im späten Mittelalter* von Michel Pauly und Martin Uhrmacher Aufbauend auf Walter Christaller1 hatte der Geograph Peter Schöller 1953 eine Definition der zentralen Orte vorgelegt, nach der unter diesem Begriff Siedlungen *

1

Liste der verwendeten Siglen: AGR Archives Générales du Royaume. ANL Archives nationales du Luxembourg. AVL Archives de la Ville de Luxembourg. CB Comptes de la baumaîtrie. CC Chambre des Comptes. CLUDEM Centre Luxembourgeois de Documentation et d’Etudes médievales. CVL Cartulaire ou recueil de documents politiques et administratifs de la ville de Luxembourg. IAHJ Van Werveke, Nicolas, Inventaire des archives de l’hospice St. Jean, publié par Mr. Joseph Goerens, in: Ons Hémecht 30 (1924) – 42 (1936). PSH Publications de la Section historique de l’Institut grand-ducal, Luxembourg. RSL Die Rechnungsbücher der Stadt Luxemburg, hrg. v. Claudine Moulin und Michel Pauly (Schriftenreihe des Stadtarchivs Luxemburg, 1 ff.; Publ. du CLUDEM, 20 ff), Luxemburg 2007 ff. (im Erscheinen). THF Trierer historische Forschungen. TWP Würth-Paquet, Francois-Xavier, Tables chronologiques des chartes et diplômes relatifs à l’histoire de l’ancien pays de Luxembourg, in: PSH 14 (1859) – 32 (1878), 34 (1878), 35/2 (1879), 37 (1885). UQBL Urkunden- und Quellenbuch zur Geschichte der altluxemburgischen Territorien bis zur burgundischen Zeit. Christaller, Walter, Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeiten der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen, Darmstadt 1968 (ND Jena, 1933); Christaller, Walter, Das System der zentralen Orte, in: Schöller, Peter (Hg.), Zentralitätsforschung (Wege der Forschung, 301), Darmstadt 1972, S. 3–22. Zur Kritik an Christaller siehe: Blotevogel, Hans Heinrich, Zentrale Orte. Zur Karriere und Krise eines Konzepts in Geographie und Raumplanung, in: Erdkunde 50 (1996), S. 9–26; Schenk, Winfried, „Städtelandschaft“ als Begriff in der historischen Geographie und Anthropogeographie, in: Gräf, Holger / Keller, Katrin (Hg.), Städtelandschaft, Réseau urbain, Urban network. Städte im regionalen Kontext in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Städtelandschaft, A.62),

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Michel Pauly, Martin Uhrmacher

zu verstehen sind, „die Mittelpunkte eines Gebietes sind, Dienste und Güter anbieten, deren Gesamtbedeutung über die eigene Einwohnerzahl hinausgeht, und die zur Versorgung dieses Gebietes dienen.“2 Franz Irsigler hat mit seinen Forschungen zum Verhältnis von Stadt und Umland ganz wesentlich zu einer differenzierteren Betrachtung dieses Zentralitätsbegriffs beigetragen, indem er ihn dahingehend erweitert hat, dass zum Verständnis der Stadt-Umland-Beziehungen neben den zentralen Funktionen, die eine Stadt für die umliegenden Dörfer anbietet und erfüllt, auch die Leistungen des Umlandes für die Stadt zu berücksichtigen sind3. In einem Vortrag, gehalten 1983 bei einer Tagung in der südwestfranzösischen Abtei Flaran, hat er das abgestufte Versorgungsgebiet von großen Städten wie Köln und Nürnberg eingehend untersucht4. Der folgende Beitrag versucht, seinen Gedankengang

2

3

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Köln / Weimar / Wien 2004, S. 25–45, insbes. S. 33–35; Fehn, Klaus, Walter Christaller und die Raumplanung der NS-Zeit, in: Siedlungsforschung. Archäologie – Geschichte – Geographie 26 (2008), S. 215–234. Schöller, Peter, Aufgaben und Probleme der Stadtgeographie, in: Schöller, Peter (Hg.), Allgemeine Stadtgeographie (Wege der Forschung, 181), Darmstadt 1969, S. 38–97, hier S. 65. Irsigler, Franz, Raumkonzepte in der historischen Forschung, in: Heit, Alfred (Hg.), Zwischen Gallia und Germania, Frankreich und Deutschland: Konstanz und Wandel raumbestimmender Kräfte (THF, 12), Trier 1987, S. 11–28; Irsigler, Franz, Stadt und Umland in der historischen Forschung. Theorien und Konzepte, in: Bulst, Neithard / Hoock, Jochen / Irsigler, Franz (Hg.), Bevölkerung, Wirtschaft und Gesellschaft. Stadt-Land-Beziehungen in Deutschland und Frankreich, 14. bis 19. Jahrhundert, Trier 1983, S. 13–38; Irsigler, Franz, Bündelung von Energie in der mittelalterlichen Stadt, in: Saeculum 42 (1991), S. 308–318. Mittlerweile hat der Ansatz breite Zustimmung gefunden; vgl. den Forschungsüberblick bei Pauly, Michel, Die luxemburgischen Städte in zentralörtlicher Perspektive, in: Pauly, Michel (Hg.), Les petites villes en Lotharingie. Actes des 6es Journées Lotharingiennes, 25–27 octobre 1990 (PSH, 108; Publ. du CLUDEM, 4), Luxemburg 1992, S. 117–162, hier S. 126f. Zuletzt hat auch Rösener, Werner, Stadt-Land-Beziehungen im Mittelalter, in: Zimmermann, Clemens (Hg.), Dorf und Stadt. Ihre Beziehungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 2001, S. 35–54, hier S. 42f., für eine Aufwertung der dörflichen Perspektive geworben. Irsigler, Franz, L’approvisionnement des villes de l’Allemagne occidentale jusqu’au XVIe siècle, in: L’approvisionnement des villes de l’Europe occidentale au Moyen Age et aux Temps modernes. Centre culturel de l’abbaye de Flaran. Cinquièmes Journées internationales d’histoire, 16–18 septembre 1983 (flaran, 5), Auch 1985, S. 117–144  ; Eiden, Herbert / Irsigler, Franz, Environs and hinterland. Cologne and Nuremberg in the later middle ages, in: Galloway, James (Hg.), Trade, Urban Hinterlands and Market Integration, c. 1300–1600 (Centre for Metropolitan History Working Papers Series, 3), London 2000, S. 43–57.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

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auf eine mittelgroße Stadt im Westen des Reiches anzuwenden: die Stadt Luxemburg. Auf eine diachrone Differenzierung, die wirtschaftliche Konjunkturphasen wie die viel diskutierten Krisen des 14. und 15. Jahrhunderts berücksichtigen würde, muss allerdings verzichtet werden5.

Warenorientierte Annäherung Einen ersten Hinweis auf die Versorgung der Menschen, die sich seit dem späten 10. Jahrhundert auf dem Gebiet der heutigen Stadt Luxemburg angesiedelt hatten, liefert die Stiftungsurkunde Graf Konrads I. von 1083 für die Münsterabtei: Der Graf überließ der Abtei an der Alzette von der Ulrichsbrücke (bei der Petrussmündung) bis zum Morfelsen (in Pfaffenthal), also auf dem späteren Stadtgebiet, die Fischereirechte sowie die Mühlen und Öfen6. Des Weiteren durfte die Abtei im Anvener Wald, dem späteren Grünewald (der Begriff ist eine Entstellung von grevenwalt oder greuenwalt), und im Wald von Sandweiler, dem späteren Scheid, alles Nötige an Holz und anderen Baumaterialien holen; zudem war ihr der Weidegang für Schweine und andere Tiere gestattet7. Damit sind schon etliche für die Stadtwirtschaft wesentliche Faktoren benannt, auf die im Einzelnen zurückzukommen ist: Wasser8, Fischerei, Mühlen, Waldnut5

6 7

8

Ebenso kann der demographische Einzugsbereich der Stadt nicht behandelt werden, obschon das Umland die Stadt auch mit Neubürgern versorgen musste, damit sie überhaupt überleben konnte (vgl. zuletzt Rösener, Stadt-Land-Beziehungen (wie Anm. 3), S. 43f.). Ein erster Zugriff auf das Thema in Pauly, Die luxemburgischen Städte in zentralörtlicher Perspektive (wie Anm. 3), S. 151f. mit Karte 5, hat gezeigt, dass das Ursprungsgebiet der meisten Bürger sich weitgehend mit dem näheren Umland deckte. In seiner vor kurzem vorgelegten, noch nicht veröffentlichten Dissertation kommt Gniffke, Andreas, Die Personennamen der Stadt Luxemburg von 1388 bis 1500. Namenbuch und namenkundliche Analyse auf Basis der Rechnungsbücher der Stadt Luxemburg, auf onomastischer Grundlage zu einem ähnlichen Ergebnis. Ein synthetischer Beitrag zu diesem Thema ist in Vorbereitung. Wampach, Camille, UQBL (Bde. 1–10), Luxemburg 1935–1955, hier: Bd. I, Nr. 301, S. 445–449, § 2. Schmit, Laurent, L’homme et la forêt à la fin du Moyen Âge et à l’aube des Temps Modernes. Les forêts péri-urbaines de la ville de Luxembourg (mémoire de licence inédit), Bruxelles 2006–2007, S. 43, hebt aufgrund späterer Quellen hervor, dass der Buchen- und Eichenbestand dieser Wälder ganz besonders für die Schweinemast geeignet war. Vgl. Pauly, Michel, Wasserversorgung und Abfallentsorgung in der Stadt Luxemburg im 15. Jahrhundert, in: Dostert, Paul [u. a.] (Hg.), Le Luxembourg en Lotharingie. Mélanges Paul Margue, Luxembourg 1993, S. 497–511.

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Michel Pauly, Martin Uhrmacher

zung. Allerdings provoziert die Quelle auch einen Einwand: Mit seiner Schenkung stellte Graf Konrad zwar die Versorgung der Abtei St. Peter, später Unserer Lieben Frau, sicher, nicht aber jene der Siedler. Letztere mussten Fische also entweder beim Konvent kaufen oder selbst aus dem Petrussbach fischen, der ebenfalls dem Grafen gehörte. In der Tat kam es noch im Spätmittelalter zu Konflikten zwischen Stadt und Abtei wegen der Fischereirechte in der Alzette. Aus einem Urteil des Hofgerichts vom 16. August 1501 geht hervor, dass die Stadtgemeinde sich auf die Tradition berief, dass die Bürger auch im besagten Flussabschnitt fischen durften, der Abtei allerdings jeden dritten Fisch überließen9. Das Urteil erlaubte den Bürgern fortan auch unterhalb des Schlosses außerhalb der Ringmauer zu fischen, aber nur vom Ufer oder den Brücken aus und nur zum eigenen Verzehr. Auch das Kloster sollte nur zum eigenen Bedarf und nicht für kommerzielle Zwecke dort fischen. Andererseits waren die landesherrlichen Besitzungen groß genug, um auch die Stadtbürger davon profitieren zu lassen. So bestätigte im August 1244 Gräfin Ermesinde im sogenannten Freiheitsbrief für die Stadt Luxemburg ihren Bürgern das Recht, auch in Zukunft die gräflichen Gewässer, Weiden und Wälder – gemeint waren Grünewald und Scheid – zu nutzen, außer in einem präzise umschriebenen Jagdgebiet10. Die Fischereirechte in der Petruss wurden noch in burgundischer Zeit regelmäßig an Stadtbürger verpachtet11. Für die städtische Versorgung ist an allererster Stelle an die Gartenkulturen zu denken. Garten bezeichnet dabei im Gegensatz zum Ackerland „einen umfriedeten, mit geflochtenen Gerten umzäunten Raum“12. Hier wurde vor allem Obst- und Gemüsebau betrieben. Ob auch Gewürz- und Heilkräuter sowie Färbe- und Gewerbe-

9 Van Werveke, Nicolas / Würth-Paquet, François-Xavier, Cartulaire ou recueil de documents politiques et administratifs de la ville de Luxembourg. De 1244 à 1795 (PSH, 35/1), Luxembourg 1881, Nr. LXVIII, S. 149f. 10 Margue, Michel / Pauly, Michel, „Privilegium libertatis“. Die Freiheitsurkunde der Gräfin Ermesinde für die Stadt Luxemburg. Kommentierte Neuedition, in: Margue, Michel (Hg.), Ermesinde et l’affranchissement de la ville de Luxembourg. Etudes sur la femme, le pouvoir et la ville au XIIIe siècle (Publ. du CLUDEM, 7), Luxembourg 1994, S. 41–58, § 9; Pauly, Michel, Der Freiheitsbrief der Stadt Luxemburg: herrschaftlicher Machtanspruch oder bürgerliches Emanzipationsstreben? in: ebd., S. 235–253, hier S. 244. 11 AGR, CC 6299, Jg. 1444, fol. 4 und folgende Jahrgänge. 12 Irsigler, Franz, Intensivwirtschaft, Sonderkulturen und Gartenbau als Elemente der Kulturlandschaftsgestaltung in den Rheinlanden (13.–16. Jahrhundert), in: Agricoltura e trasformazioni dell’ambiente. Secoli XIII–XVIII (Atti della XI Settimana di Studio, Istituto F. Datini, Prato 1979), Florenz 1984, S. 719–747, hier S. 730.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

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pflanzen wie Waid, Krapp, Hanf oder Flachs angebaut wurden13, kann für die Stadt Luxemburg nicht nachgewiesen werden. Dafür sind die Hinweise auf Bongerten recht zahlreich14. Bewirtschaftet wurden diese Parzellen von der Stadt aus, wohl überwiegend im Nebenerwerb durch die Einwohner, denn im Unterschied zu Städten wie Trier15 ist in Luxemburg vor 1808 keine Gärtnerzunft belegt. Durch den am Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter einsetzenden Prozess der „Vergartung“ war es besonders im stadtnahen Bereich zu einer Intensivierung der Landwirtschaft gekommen16. Dies wurde insbesondere gefördert durch den „in der Stadt erhöhten Anfall von Stalldünger“, für den das hier gehaltene Vieh sorgte17. Von der im Vergleich zum Ackerland verstärkten Düngung profitierten die in den Gärten angebauten Sonderkulturen. Zwei Urkunden aus dem Bestand des Heilig-Geist-Klosters aus den Jahren 1493 und 1494 beleuchten anschaulich den Vergartungsprozess im Weichbild der Stadt Luxemburg: Die erste Quelle besagt, dass ein Wagner, ein Schmied und ein Fuhrmann mit ihren jeweiligen Ehefrauen dem Heilig-Geist-Kloster einen Erbgrundzins auf drei Morgen Land vor der Judenpforte schuldeten; das von der Äbtissin zur Pacht erhaltene Land hatten sie zu Gärten gemacht18. Im folgenden Jahr schulde13 Irsigler, Intensivwirtschaft (wie Anm. 12), S. 728–730; vgl. Janssen, Walter, Mittelalterliche Gartenkultur. Nahrung und Rekreation, in: Herrmann, Bernd (Hg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter, Darmstadt 1986, S. 224–243, hier S. 239. 14 IAHJ, Nr. 204, 15. März 1463: Versteigerung eines Obstgartens bussent Biesterpforten niedent des weges; Nr. 373, 9. April 1511: Obstgarten vor Limperpforte als man zo Mullenbach zo geit; Nr. 393, 18. Oktober 1515: zwei Obstgärten vor Bisserpforte; Nr. 416, 3. März 1522: Obstgärten hinter Kaelenveltz; ANL A.XXXVII, 28. Mai 1456: Bongert hinten am Verlorenkostturm; RSL 2, S. 155, 24. Juni 1430: thilen bongart van hunstorff off moirveltz; RSL 4, S. 34, 22. Juli 1454: bůssent juden port off dem graben ghent joncker meirtins bongard van vischbach ůber. In den städtischen Rechnungsbüchern werden nicht nur viele andere Bongerten ohne präzise Ortsangabe genannt, sondern es wird auch ein Wohnviertel als in dem bongart bezeichnet (RSL 5, S. 171, 1465–1466: jn dem bongart wird neu gepflastert; AVL, CB 1470–1471, fol. 27: Pflasterarbeiten im bongart; 1476–1477, fol. 11: Johan schrinenmecher in dem bongert; 1480–1481, fol. 37: Thilman metzelerer in dem bongart). 15 Irsigler, Intensivwirtschaft (wie Anm. 12), S. 736. 16 Vgl. zum Prozess der „Vergartung“ Irsigler, Intensivwirtschaft (wie Anm. 12), S. 728f. 17 Irsigler, Intensivwirtschaft (wie Anm. 12), S. 722; vgl. Pauly, Wasserversorgung und Abfallentsorgung (wie Anm. 8), S. 508f. Ställe innerhalb der Stadt sind erwähnt in RSL 1, S. 126 (Nähe Nikolauskirche), S. 149 (Nähe Altmarkt), S. 152; RSL 4, S. 41 (auf der Acht), S. 63 (bei Reffnerspforte), RSL 5, S. 24 (an Stadtmauer), S. 44 (hinter Michelskirche), S. 73 (im Grund; in Bendergasse), S. 128 (beim Knodelerkloster), S. 189 (beim Lugenstein), usw. Auch das Rathaus war mit Stall und Garten ausgestattet (AVL, CB 1490–1491, fol. 24; 1491–1492, fol. 10v°; 1493–1494, fol. 4). 18 ANL, A.XXXV.1, Urkunde vom 25. Mai 1493.

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Michel Pauly, Martin Uhrmacher

ten ein Leinenweber und ein Sattler den Erbgrundzins für 2 ½ Morgen Land, die sie ebenfalls vor der Judenpforte zu Gärten verändert hatten, wo auch noch andere Gärten aus Feldern entstanden waren19. Der Klosterchronik aus dem 17. Jahrhundert zufolge sollen die ersten Nonnen im Heilig-Geist-Kloster (im 12. Jahrhundert?) von den Früchten ihrer Gärten, die am Abhang ihres Klosters bis zur Petruss lagen, sowie von ihrem Hühnerhof gelebt haben20. Am Beispiel des St.-Johann-Hospitals lässt sich der vielfältige Gartenbesitz einer großen städtischen Institution zeigen. Die Karte 1 beinhaltet alle Grundbesitz- und Rentenerwerbungen des Hospitals, die bis 1525 im Hospitalarchiv enthalten sind21. Insgesamt verfügte das Hospital über 96 Gärten, von denen sich 34, also etwas mehr als ein Drittel, innerhalb der Stadtmauer befanden. Auffällig ist die Besitzkonzentration in der Nähe des Hospitals: So lagen mehr als die Hälfte (58 %) der Gärten, die dem Hospital gehörten oder mit ihm zustehenden Renten belastet waren, im Grund, auf der Dinsel (Plateau oberhalb Grund) oder direkt vor den Toren der Unterstadt. Dies dürfte weniger auf die zufälligen Schenkungen zurückzuführen sein, sondern vielmehr die aktive Immobilienpolitik des Hospitals mit dem Ziel der Konzentration und Arrondierung der Besitzungen in der Nähe der Institution widerspiegeln. Wie bei anderen Städten des Spätmittelalters war auch das Umfeld Luxemburgs durch einen breiten Gürtel von Gartenland geprägt, der die Stadt umgab (Vgl. Karte 2; die dort verzeichneten Gärten gehörten nicht dem St. Johann-Hospital). In diesem Raum standen auch etliche bemerkenswerte Bäume, die wirtschaftlich genutzt werden konnten, wie Linden oder Nussbäume22. Auch die recht beträcht19 ANL, A.XXXV.1, Urkunde vom 25. März 1494. 20 ANL, A.XXXV.5, Relation du monastère du St-Esprit, zitiert nach Margue, Michel, Politique monastique et pouvoir souverain. Henri V, sire souverain, fondateur de la principauté territoriale luxembourgeoise?, in : Dostert, Paul [u. a.] (Hg.), Mélanges Paul Margue (wie Anm. 8), S. 403–432, hier S. 413. 21 Vgl. hierzu detailliert Pauly, Michel, Peregrinorum, pauperum ac aliorum transeuntium receptaculum. Hospitäler zwischen Maas und Rhein im Mittelalter, Stuttgart 2007, S. 343f. und Karte 8.1, sowie Pauly, Michel, Das Hospital im Stadtgrund. Eine gräfliche Stiftung für Arme und Betuchte, in: Pauly, Michel (Hg.), De l’Hospice Saint-Jean à l’Hospice civil. 700 Jahre Hospitalgeschichte in der Stadt Luxemburg, Luxemburg 2009, S. 4–27, hier S. 17 und S. 21. 22 Nussbäume: AVL, CB 1479–1480, fol. 80v° (Garten des Hl.-Geist-Klosters); 1484–1485, fol. 10 (an Dinselpforte). Linden: RSL 4, S. 73, S. 124, S. 177 (jeweils vor Judenpforte); CB 1471–1472, fol. 6v°; 1472–1473, fol. 10v°; 1475–1476, fol. 10; 1483–1484, fol. 15v° (ebd.); Pflaumenbaum: RSL 2, S. 17 (bussent an der stede muren nydent sente joests tourn in den garten).

3

tru Pe

ss

250 m

Jostpforte Jos

Judenpforte enp

3

2

Sent Jostgasse

1

A cht Acht

1

1

Pforte in Beginenrechh

Achtpforte Achtpfo Achtp Achtpf pforte fo e

Grünewald

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1

2

Hagendallpforte / dallp Fitzgespforte Fitzgespf

1 Siechenleutepforte Siechenle nle nleutepforte

Pfaffenthal P ffen Pfaff Pf nthal al

Bongert (?)

Seilerspfortee

Limperchweg

Limperchpfortee

7

Pforte Pfo nach nac Eich ch

3

1

OrvaesO es Orv Or Pforte Pfo te Pfort e

5

Altmarkt A kt / Käsemarkt Käsem K äsemarkt em t

Pforte in Dunbuschel

2

tte Bissergasse Bisse issergasse isse

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3

5

11

Verlorenkost

S t. Johannspforte St.

Bisserpforte Bis

Krudelspforte

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12

Bonnewegrech Bo

Kuckenpforte k kenp

2

5

2

4

Dinselpforte

St. Johannspforte / Bolmantzpforte pforte

Pforte Pf t in Plettisgasse Plett ettisgasse

Sent U richsgasse nt Ulrichsgasse ent Sen

Bisserbrücke Bis Bisserb Bisserbr rücke ke e

1

3

Schlosspforte

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Tiergartenbrücke cke / Hondhausbrücke

5

2

tte

ze ze

Al Al

Bannbusch

Garten

Marienbrücke Marien

Gewässer

Festungsmauer

Bebaute Flächen

Waldgebiet

10 - 19

5-9

2-4

1

Anzahl der Gärten

1

1

Pforte orte rte bei Marienbrücke Marien Marienbrüc ar

3

Kartenvorlage: P. Simon (MHVL) Entwurf: Michel Pauly Martin Uhrmacher Kartographie: Gilles Caspar Marie-Line Glaesener Universität Luxemburg, 2011 ©

Pforte bei alter Abtei a

1

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg 217

Karte 1  Innerstädtischer und vorstädtischer Gartenbesitz des St. Johann-Hospitals in Luxemburg

Karte 2  Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg intra und extra muros P

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Bonnewegrech Bo

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Dinselpforte

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Verlorenkost

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S t. Johannspforte St.

Bisserpforte Bis

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Bisserbrücke Bis Bisserb Bisserbr rücke ke e

Bissergasse Bisse issergasse isse

Dinselrech Din nselrech n

Schlosspforte

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Bannbusch

ze

Al Al

Gewässer

Festungsmauer

Bebaute Flächen

Waldgebiet

Mühle (unsicher)

Sonstiges

Mühle

Sand

Steine

Kalkofen

Holz

Fischfang

Garten

Vieh

Marienbrücke Marie

Pforte orte rte bei Marienbrücke Marien Marienbrüc ar

Kartenvorlage: P. Simon (MHVL) Entwurf: Michel Pauly Martin Uhrmacher Kartographie: Gilles Caspar Marie-Line Glaesener Universität Luxemburg, 2011 ©

Pforte bei alter Abtei a

Clausen

218 Michel Pauly, Martin Uhrmacher

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

219

lichen unbebauten Flächen innerhalb der Stadtmauer wurden für Gärten verwendet. 1412 schenkte z. B. Herzog Anton von Brabant und Burgund dem Stadtschreiber Thilmann einen Garten im alten Stadtgraben hinter dessen Haus an der Achtpforte, die zur längst nicht mehr genutzten sog. zweiten Stadtmauer gehört hatte23. Unmittelbar vor den Stadtmauern lagen auch Felder und Weiden. So war am 4. Juni 1481 das Vieh der Bürger aus Stadtgrund gestohlen worden, das vor der Dinselpforte graste24. Ebendort verpachtete der Hospitalmeister einem Bürger den gyerschberg vur dinsselporten, der zur Straßenseite an die Nikolauskapelle stieß, andererseits an Mullen Johanns Feld und auf der anderen Seite an Clais Fitzgins Garten25. Kühe trieben die Stadtbürger zum Teil in den Bannbusch26. Aber sie hatten auch Vieh auf entfernteren Weiden stehen oder trieben es von weiter her zur Stadt. Dabei wurde es gelegentlich Opfer von Diebstahl, so Kühe in Cessingen27, Sandweiler28 und Püttlingen29, Schweine in Mersch30, Vieh in Bartringen31, Filsdorf32 und Etalle33. Das konnte aber auch wie im November 1417 mit den Schweinen im Bannbusch34 oder am 4. Juni 1481 mit dem Vieh der Grund-Bewohner vor der Dinselpforte35 geschehen. Ob der Diebstahl in Monnerich 1391 auch Vieh betraf36, ist hingegen nicht sicher. Auf diesen vorstädtischen Weiden konnte es auch zum Streit kommen, weil die Kühe der Stadtbürger sich mit denen des stadtnahen Dorfes vermischten, wie 1491–1492 in Cessingen37. Über Schafhaltung ist nichts

23 Pauly, Michel, Luxemburg im späten Mittelalter. I. Verfassung und politische Führungsschicht der Stadt Luxemburg im 13.-15. Jahrhundert (PSH, 107; Publ. du CLUDEM, 3), Luxemburg 1992, S. 314. 24 AVL, CB 1480–1481, fol. 36. 25 IAHJ, Nr. 346, 20. Juni 1506; vgl. TWP 37, Nr. 565, 7. Februar 1505 betr. Rente von Feldern vor der Dinselpforte oberhalb der Nikolauskapelle. 26 Siehe Anm. 59. 27 AVL, CB 1479–1480, fol. 95v°. 28 AVL, CB 1488–1489, fol. 9v°. 29 RSL 1, S. 98. 30 AVL, CB 1479–1480, fol. 93v°. 31 RSL 2, S. 76 (recte: vylstorff statt bylstorff). 32 RSL 2, S. 64. 33 AVL, CB 1480–1481, fol. 42v° (stiffel). 34 RSL 2, S. 64. 35 Siehe Anm. 24. 36 RSL 1, S. 73. 37 AVL, CB 1491–1492, fol. 14.

220

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

bekannt; Hammel wurden auf den Jahrmärkten von Bissen und Esch gekauft38. Von der Schweinemast ist weiter unten noch ausführlicher die Rede. Das weitere Versorgungsgebiet ist erst präziser gegen Ende des 14. und im 15. Jahrhundert zu fassen, wenn die Überlieferung der städtischen und der burgundischen Rechnungsbücher einsetzt. Zu bedenken ist bei diesem Quellentypus allerdings, dass vornehmlich jene Waren genannt werden, die zum Nutzen der Stadtgemeinde eingeführt wurden, nicht jene, die für die Privatwirtschaft erworben wurden. So wird z. B. regelmäßig Bauholz erwähnt, das beim Mauerbau, beim Verlegen von Straßenpflaster oder für andere Zwecke gebraucht wurde, während Holz für Möbel oder Werkzeug nicht vorkommt. Insofern bleibt die Erfassung des Versorgungsgebiets der Stadt Luxemburg, wie wohl der meisten mittelalterlichen Städte, bruchstückhaft und einseitig. Auch der Bau von Kohlemeilern und der Bezug von Holzkohle werden nicht erwähnt. Beim jährlichen Errichten von Kalköfen wird hingegen soviel Brennholz herangeschafft, dass man sich fragen kann, ob Holzkohle im 15. Jahrhundert in der Stadt Luxemburg überhaupt genutzt wurde. Eine der bedeutendsten außerstädtischen Versorgungsquellen war der Wald. Er lieferte Bau- und Brennholz, diente als Viehweide und konnte gelegentlich auch Wachs und Honig einbringen. Beerensammlung ist in den Quellen nicht überliefert. Der 600ha große Bannbusch, später zu Baumbusch verballhornt, gehörte der Stadt39, ein Zeitpunkt der Übertragung an sie ist allerdings leider nicht überliefert40. Seine Rolle als Schweineacker ist in den städtischen Rechnungsbüchern sehr präzise zu fassen. Während er sich heute noch in einem großen Bogen nördlich des Mühlbaches von Reckenthal bis auf die Höhe von Walferdingen, aber nur westlich des Alzettetales erstreckt, reichte er im 15. Jahrhundert noch bis auf das Limpertsberg-Plateau vor den Toren der Stadt. Am 21. August 1411 bestätigte König Wenzel dem Stadtschöffen Heinrich von Bettingen die von seinem Rentmeister erteilte Genehmigung, Teile des Limperchbusches in Ackerland und Weiden zu verwan-

38 Siehe Anm. 219. 39 Schmit, Laurent, Les forêts péri-urbaines des villes de Namur et de Luxembourg aux 15e et 16e siècles, in: Parmentier, Isabelle (Hg.), La recherche en histoire de l’environnement. Belgique – Luxembourg – Congo – Rwanda – Burundi. Actes PREBel, Namur, décembre 2008, Namur 2010, S. 141–146, hier S. 142. 40 Nach Sander-Berke, Antje, Baustoffversorgung spätmittelalterlicher Städte Norddeutschlands (Städteforschung, A.37), Köln / Weimar / Wien 1995, S. 114, gehörte die Ausstattung mit Waldnutzungsrechten wegen der Lebensnotwendigkeit des Holzes zu den ersten Privilegien einer Stadt.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

221

deln41. Im Herbst 1417 wurde ein Graben ausgehoben, hinder lymperch vnd hinder dem banbusche … vmb das die swine do sicheren in den acker in dem banbusch gaen machten42. Ein Wachturm der Stadtmauer wurde zusätzlich ausgestattet, vmb das die wechter des nachtes der burger swine die in dem g(ra)uen lagen hůeten43. Die Arbeiten begannen um den 18. Oktober und dauerten mindestens 20 Tage. Sie wurden zum Teil in Frondienst von Stadtbewohnern ausgeführt. Wieviele Schweine in jenem Jahr in den Bannbusch getrieben wurden, erfahren wir nicht. Doch die Stadt zahlte insgesamt 138 Tagessätze an 9 berittene Schweinehirten. Auch im 2500ha großen44 Grünewald wurden Schweine gemästet. Das Nutzungsrecht, das von Oktober bis Anfang Februar galt45, wurde alljährlich vom herzoglichen Einnehmer an den Meistbietenden, in der Regel einen Metzger, für eine Haferrente verpachtet46. 1429–1430 verpachtete der Pförtner an der Judenpforte den Stadtgraben als Weide47 (für Schweine, muss man wohl ergänzen). Die reale Nutzung der Schweinemast im Bannbusch, für die jeweils eine stiege errichtet wurde48, damit die Schweine nicht ganz frei herumliefen, ist nur phasenweise zu erfassen. Einnahmen von der Schweinemast sind zwischen 1388 und 1500 nur in 16 Jahrgängen der Stadtrechnungen verzeichnet; sie fehlen nicht nur zwischen 1444 und 1462, als Herzog Philipp von Burgund alle Stadtrechte beschlagnahmt hatte49, sondern auch vollständig nach 1485. Da regelmäßig im Herbst eine städtische Delegation den Bannbusch besuchte, um zu sehen, ob Schweinemast möglich sei50, kann man annehmen, dass in den Jahren ohne entsprechende Einnahme die Eichel- und Bucheckerernte zu gering war für ein paar Hundert Schweine oder dass

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50

TWP 25 (1870), Nr. 586; vgl. Pauly, Luxemburg I (wie Anm. 23), S. 178. RSL 2, S. 78–80. RSL 2, S. 76. Schmit, Les forêts péri-urbaines (wie Anm. 39), S. 142. Aus den Stadtrechnungen ergibt sich für den Bannbusch eine jährlich wechselnde Dauer, die aber in der Regel auch von Oktober bis Februar reichte. Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 43–45 und Grafik 1 im Anhang. RSL 2, S. 142. Siehe u. a. RSL 1, S. 93 und S. 126. An eine entsprechende Anlage dürfte auch das Toponym Izeger Stee an der Alzette zwischen Bonneweg und Itzig erinnern. CVL, Nr. XLVII, S. 110f. So z. B. 1393 oder 1397 der Richter mit vyl ander Bürgern (RSL 1, S. 101 und S. 126); 1413 ritten der Richter und elf Bürger hinaus (RSL 2, S. 34; vgl. S. 125 (1427–1428) und S. 163 (1429–1430)), 1496 der Baumeister und die Metzger, obschon in diesen Jahren kein Ackerschatz verzeichnet ist (AVL, CB 1496–1497, fol. 24v°).

222

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

weniger Schweine zu mästen waren51. Im Jahr 1429 erlaubte der Richter z. B. Jost dem Metzler seine Schweine für eine kurze Weile in den Bannbusch zu legen, bis er sie verkaufte52, obschon im selben Jahr kein Ackerschatz verzeichnet ist. 1391 wurde auch die styge im Bannbusch angelegt und später ausgebessert53, obschon keine Schweinemasteinnahme erfolgte. Der Bannbusch diente vornehmlich zur Versorgung der privaten Haushalte, während der Hinweis auf kommerzielle Schweinezucht im Jahr 1429 die Ausnahme bildet. Aus dem Jahr 1455 ist die Information überliefert, dass Händler aus Marville im Auftrag der Metzger der Stadt Luxemburg Ferkel aufgetrieben hatten, weswegen der Propst von Luxemburg sie bestraft hatte, doch auf Bitten des Bischofs von Verdun wurde ihnen die Strafe nachgelassen54. Ob diese Einfuhr von Ferkeln nur in den Jahren geschah, in denen der Herzog von Burgund den Bannbusch beschlagnahmt hatte, oder ob das Beispiel einen Hinweis auf regelmäßigen Ferkelimport aus der Grafschaft Bar (oder von noch weiter her) liefert, kann nicht entschieden werden. Auch beim Moselzoll in Sierck spielten die Schweine sowohl 1424–1428 als auch in den 1480er Jahren eine bedeutende Rolle: Allein im Jahr 1426 passierten 11000 Stück, 1486 waren es 8310. Ein Händler aus Luxemburg zählte aber nicht zu den Zollpflichtigen55. Die aus dem 10.–12. Jahrhundert stammenden Knochenreste auf der Burg Luxemburg bestätigen den hohen Schweinefleischkonsum, denn 58 % der Haustierreste stammen vom Schwein56. Bei einer Grabung in der Altstadt (11, rue de la Boucherie) stellten für den Zeithorizont von der zweiten Hälfte des 11. bis zum 13. Jahrhundert die Schweinereste 41 % der Stücke und 30 % des Gewichts dar, die Rinderknochen 34 % und 52 %57. Vom 8. bis frühen 11. Jahrhundert war noch 51 Dieselbe Beobachtung gilt nach Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 45, für den Grünewald. 52 RSL 2, S. 142. 53 RSL 1, S. 74f. 54 AGR, CC 13328, Jg. 1454–1455, fol. 22. Der Rechtsgrund für die Strafe entzieht sich unserer Kenntnis. 55 Yante, Jean-Marie, Le péage lorrain de Sierck-sur-Moselle (1424–1549). Analyse et édition des comptes (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, 30), Saarbrücken 1996, S. 49 und S. 68, Karten III und V, S. 53 und S. 69 sowie Grafik IV und VII, S. 167 und S. 170. 56 Ervynck Anton / Lentacker, An / Van Neer, Wim, Les restes fauniques du château du Bock à Luxembourg-ville (G.-D. de Luxembourg), in: Zimmer, John, Die Burgen des Luxemburger Landes (Bd. 1), Luxemburg 1996, S. 221–228, hier S. 227. 57 Clavel, Benoît, Les restes osseux médiévaux du 11 rue de la Boucherie, in: Zimmer, John, Aux origines de la Ville de Luxembourg (Dossiers d’archéologie du Musée national d’Histoire et d’Art, VII), Luxembourg 2002, S. 267–276, hier S. 267 und S. 269f.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

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mehr Rindfleisch konsumiert worden (vielleicht weil noch mehr Ministeriale in der Altstadt wohnten?). Über die Herkunft des verzehrten Fleischs sagen die archäologischen Reste bekanntlich nichts aus. Die benachbarte Dorfgemeinde Eich nutzte den Bannbusch auch als Kuhweide, was die Luxemburger aber nach der Restitution des Stadtwaldes zu unterbinden trachteten58. Ein einziges Mal ist den Rechnungsbüchern zu entnehmen, dass auch die Stadtbürger ihre Kühe in den Bannbusch trieben: Am 28. April 1483 wurden drei Personen für je einen Tag beauftragt, das sy der stede kuwe holffen huden indem Banbusche durch etliche warronge die komen was59 wegen des Grafen von Virneburg, der Erzherzog Maximilian befehdete. Gelegentlich wurde sogar Korn im Bannbusch geerntet, und zwar auf Rodland, das nach einem Waldbrand eingesät worden war60. Einmalig ist in den städtischen Rechnungsbüchern die Nachricht über den Fund eines Bienenstocks in einem Baumstamm: der bruß (Waben?) wurde verkauft; die Hälfte des Erlöses war für den Finder61. Beim Fund eines Bienenstocks im Grünewald wurde der herzogliche Einnehmer am Erlös beteiligt, ein anderes Mal musste derjenige, der den entsprechenden Baum gefällt hatte, ein Bußgeld bezahlen62. Die wenigen Angaben in den Rechnungsbüchern lassen nicht auf eine Deckung des Honig- und Wachsbedarfs der Stadtbevölkerung schließen. Als Jagdgebiet spielten weder Bannbusch noch Grünewald oder Scheid eine Rolle für die Stadtbewohner, auch wenn der Freiheitsbrief ihnen dieses Recht zugesichert hatte. Für die Burgherren allerdings könnte zumindest der Grünewald von Bedeutung gewesen sein, wie die detailliert beschriebene Reserve im Freiheitsbrief

58 RSL 5, S. 59 und S. 79 (1462–1463). Der Streit flammte 1497–1498 erneut auf (AVL, CB 1497–1498, fol. 16v°), woraufhin Grenzmarken gesetzt wurden (CB 1498–1499, fol. 26). 59 AVL, CB 1482–1483, fol. 60v°. 60 AVL, CB 1483–1484, fol. 3v°: intphangen van echt sester rocken die ich verkoufft han … und daz van dem roede daz Thijsgin hinder der Hellen gemacht hat hynder dem Banbusche also daz er dez selben buschz eyns deils verbrante; ebenso wurde das Stroh verkauft. Vgl. auch AVL, CB 1483–1484, fol. 14v°: daz korn hynder dem Banbusch daz de(r) alde furster hatte gewonnen. – Der Waldbrand am 1. März 1483 (CB 1482–1483, fol. 60) könnte auf einen Kohlenmeiler hindeuten, dessen Feuer auf den Wald übergegriffen hatte (ebenso am 10. Mai 1491: CB 1490–1491, fol. 23). 61 AVL, CB 1493–1494, fol. 2v°; vgl. Lascombes, François, Chronik der Stadt Luxemburg. Bd. II. 1444–1684, Luxemburg 1976, S. 215. 62 AGR, CC 6299, Jg. 1445, fol. 6; 6302, 1465, fol. 13; vgl. Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 81–83.

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Michel Pauly, Martin Uhrmacher

zu erkennen gibt, auch wenn Nachrichten von der Jagdpraxis fehlen63. Darüber hinaus hielten die Grafen am Fuß des Bockfelsen auf der Nordseite an der Alzette zwischen Clausen und Pfaffenthal einen Dirgarden, also ein Wildgehege, das angeblich seit etwa 1300 belegt ist64. Der archäologische Befund betreffend Tierknochenreste in der Burg des 10.-12. Jahrhunderts weist allerdings auf einen geringen Konsum an Wild (4 %) im Verhältnis zu Haustieren (96 %) hin65. Natürlich wurde der Bannbusch auch als Holzlieferant genutzt. In den städtischen Rechnungsbüchern finden sich regelmäßig Angaben über Bäume, die der wynt abe vnd vster der erden geworffen hatte, und deren Holz daraufhin verarbeitet wurde66. Häufiger sind Ausgaben verzeichnet zugunsten von Zimmerleuten, Holzfällern oder Sägern und Fuhrleuten, die im Bannbusch Bauholz gefällt und anschließend in die Stadt transportiert hatten67. Unregelmäßig sind Einnahmen vom Hau im Bannbusch verzeichnet, so erstmals 141468 und wieder ab 146769. Soweit die Stadtverwaltung es nicht für eigene Zwecke benötigte bzw. dem Gouverneur schenkte, wurde das gefällte Holz zugunsten der Stadtkasse versteigert oder verkauft. Auf die systematische Waldbewirtschaftung mit wechselnden Haubezirken kann hier nicht eingegangen werden70. Strafen für unerlaubtes Baumfällen sind ein klares Indiz dafür71. Im späten 15. Jahrhundert wird jedes Jahr einzelnen Bürgern 63 Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 86, weist darauf hin, dass die intensive Nutzung des Waldes als Viehweide seine Rolle als Jagdgebiet wohl stark eingeschränkt hat. 64 Zum Wildgehege siehe Van Werveke, Nicolas, La Ville de Luxembourg de Sigefroid à 1867, Sonderdruck aus „Journal d’Esch“ (1925), S. 6; Schoellen, Marc, Le parc à gibier et les jardins „La Fontaine“ à Clausen. Genèse et mise en scène d’un topos, in: Hémecht 56 (2004), S. 389–401, hier S. 389f. (Der Beitrag enthält etliche Datierungsfehler.). 65 Ervynck / Lentacker / Van Neer, Les restes fauniques (wie Anm. 56), S. 225. Der Befund entspricht jenem in norddeutschen Städten; vgl. Wilwerding, Ulrich, Ernährung, Gartenbau und Landwirtschaft im Bereich der Stadt, in: Meckseper, Cord (Hg.), Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150–1650. Ausstellungskatalog (Bd. 3), Stuttgart-Bad Cannstatt 1985, S. 569–605, hier S. 580. 66 RSL 1, S. 123; RSL 5, S. 48 und S. 83 (Zitat), S. 125 und öfters in den noch nicht publizierten Jahrgängen. 67 Die Angaben sind so häufig, dass ohne Präzision auf die RSL-Bände verwiesen werden muss. 68 RSL 2, S. 38 (1414–1415), S. 63 (1417–1418) und S. 113 (1427–1428). 69 AVL, CB 1467–1468, fol. 2v°-3 und folgende Jahrgänge. 70 Vgl. Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 63–65 und S. 92f. 1467–1468 wurde im Reckenthal, im Dickscheid, am Schwarzenberg und im Krewinckel gehauen (AVL, CB 1467–1468, fol. 2v°-3). 71 RSL 2, S. 38.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

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gegen Gebühr das Recht erteilt, einen Monat lang totes Holz72 aus dem Bannbusch zu holen73. Dieselbe Prozedur war im Grünewald üblich: Der herzogliche Einnehmer präzisierte z. B. 1485, dass Bartholomeus [Groisman] vom (Alt)Markt74 während sechs Wochen mit einem von nur einem Pferd gezogenen Karren totes Holz für Heizzwecke holen, nicht aber junges Holz schneiden durfte75. Um die wegen des Kriegs gegen Frankreich und Böhmen sowie die rebellierenden Herren von Rodenmacher und Virneburg entstandene Not zu lindern und sich für ihre Loyalität zu bedanken, gewährten Maria von Burgund und Maximilian von Österreich am 18. Dezember 1480 den Bewohnern der Stadt Luxemburg das Recht, aus den landesherrlichen Wäldern im Umkreis der Stadt für den eigenen Haushalt gebührenfrei soviel gefallenes Holz zu holen, wie die Mitglieder des Haushalts auf ihren Rücken tragen konnten76. Sie durften aber kein Holz schneiden und keinen Schaden im Wald anrichten. Im Grünewald durften sich auch mehrere Stadtklöster aufgrund landesherrlicher Privilegien mit Holz versorgen: Am 20. Juni 1281 erteilte Graf Heinrich V. dem stadtnahen Zisterzienserinnenkloster Bonneweg das Recht, im Anvener Wald (täglich) mit einem von nur einem Pferd gezogenen Karren gefallenes Holz zu holen77. Am 20. September 1310 erhöhte Graf Johann die Menge auf zwei Wagen Brennholz pro Tag78. 1336 erreichten die Zisterzienserinnen, dass derselbe Graf ihnen das Recht zugestand, die beiden Wagen von je zwei Pferden ziehen zu lassen79. In einer Urkunde vom 12. November 1308 gewährte Graf Heinrich VII. dem von seiner Frau Margarete gestifteten Hospital in Stadtgrund das Recht, aus dem Anvener Wald sowohl Holz zum Bau der Kirche, des Hospitals und der Häuschen als auch

72 Nach Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 54, ist mit totem Holz alles Holz gemeint, das von Bäumen stammt, die keine nutzbringende Früchte tragen, ob es schon am Boden liegt oder noch im Stamm steht. Letzteres fand durchaus nicht als Brennholz Verwendung. 73 AVL, CB 1484–1485, fol. 3v°; 1485–1486, fol. 5–5v° und folgende Jahrgänge. 74 Zu seiner Person: Pauly, Luxemburg I (wie Anm. 23), S. 351f. 75 Siehe u. a. AGR, CC 6305, Jg. 1485, fol. 14v° (vgl. fol. 18v°: Schouze Johann der Metzger ebenso); 6306, 1486, fol. 14v° und 15 (Barth. Groisman im April, Mai, Juni 1486) ; vgl. Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 56. 76 CVL, Nr. LXIII, S. 140–142. 77 Wampach, UQBL IV, Nr. 556, S. 654f. 78 Wampach, UQBL XI.1, L.2, S. 11f. 79 Wampach, UQBL XI.1, L.59, S. 88f.

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Michel Pauly, Martin Uhrmacher

Brennholz für den Bedarf der Bediensteten und der Hospitalinsassen zu holen80. 1320 bewilligte Graf Johann dem Predigerkloster das Recht auf Brennholz aus seinem Wald81. 1354 bestätigte Herzog Wenzel den Franziskanern das von seinem Vater Johann zugestandene Recht, mit einem einspännigen Wagen in den Domanialwäldern Holz zu holen; desgleichen sollten sie eine Fuhre Wein aus dem Neunten von Grevenmacher in Wasserbillig bekommen82. Das Heilig-Geist-Kloster erhielt dasselbe Recht 138483. Am 18. Dezember 1473 mahnte der herzogliche Rat die Münsterabtei, die ja schon bei ihrer Gründung im Jahr 1083 ein entsprechendes Privileg erhalten hatte84, mit Vernunft Brennholz im Wald zu holen, ohne das Bauholz dabei zu schädigen85. Auch einzelne Bürger konnten vom Landesherrn das Privileg des Brennholzsammelns im Grünewald erhalten, so 1412 der Stadtschreiber und Herbergsbesitzer Thilmann an der Achtpforte86. Die städtischen Rechnungsbücher unterscheiden beim Bauholz zwischen Dielen, Dachschindeln (schandelen, aisselgen, scheuben), Latten, dunnen, keffer, plancken, treffen, ellerstangen, stegeholtz (u. a. für Kalköfen87), die häufig schon im Bannbusch von städtischen Handwerkern zugehauen und gesägt wurden88. Es wurde auch Kleinholz in Form von Hurden, Gezäune, Gerten, Stecken, Dornen89 in die Stadt geliefert. Als

80 Wampach, UQBL VII, Nr. 1222. 81 TWP 18 (1863), Nr. 343. 82 Grob, Jacques, Recueil d’actes et documents concernant les Frères-Mineurs dans l’ancien duché de Luxembourg & comté de Chiny, précédé d’une notice historique (PSH, 54), Luxembourg 1909, Nr. 10, S. 12f. Bestätigung durch König Wenzel vom 13. November 1384 ebd. Nr. 12, S. 13f.; durch Anton von Brabant am 22. Februar 1412 ebd. Nr. 19, S. 19f.; durch Elisabeth von Görlitz am 15. Februar 1431 ebd. Nr. 24, S. 24f.; durch Karl den Kühnen am 16. Oktober 1473 ebd. Nr. 48, S. 40f. 83 TWP 25 (1870), Nr. 42. 84 Siehe oben Anm. 6. 85 TWP 34 (1878), Nr. 430. 86 Wie Anm. 23. 87 Z. B. RSL 1, S. 84, S. 130, u. a. 88 CB passim. So heißt es z. B. zum 5. Juni 1458: meister thijs dem zymmerman, peter, thijs vnd clais synen gesellen, das sij jn dem banbůsche vnd jn mammeren bůschen 14 foůren groissen bůweholtze gehaůwen vnd verslagen haint jn dem mande febrüarij° vergaingen; das Holz wurde für Barren über Alzette und Petruss im Grund gebraucht (RSL 4, S. 126). 1458– 1459 wurde das Pfortenhaus an der Judenpforte erneuert; zu dem Zweck fertigten Clais der Lattenmecher und Baum sein Geselle im (Grüne)wald 1700 Latten an, von denen 500–600 übrig blieben (RSL 4, S. 153). 89 Z. B. RSL 3, S. 102 und S. 108.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

227

Holzsorten werden Eichenholz90, Birkenholz91, Eschen- und Espenholz92, Tannenholz93, Nussbaum94 und Weidenruten95 nur gelegentlich angegeben. In den städtischen Rechnungsbüchern wird in der Regel zur Unterscheidung vom „Bannbusch“ einfach vom „Wald“ gesprochen; eine Formulierung wie myn knecht gefuert … uß dem Gruennen Walde zwo fueren holtze96 ist eher selten. Außer dem toten Holz wurde auch Bauholz, vor allem Latten, aus dem Grünewald in die Stadt gebracht. Das war oft Aufgabe von auswärtigen Dorfbewohnern, die den Transport fronweise durchführen mussten97. In dem Fall war dem waltfurste(r) im Gruennen Walde allerdings Stockrecht zu zahlen98. Städtisches Pfortengeld war aber nur bei gekauftem Holz fällig99. Der Grünewald lieferte des Weiteren Holzkohlen, die vom herzoglichen Einnehmer versteuert wurden100. Ab 1464–1465 führt dieser eine eigene Rubrik mit Einnahmen aus dem Verkauf von Holz an den mestiers des charliers, das nach Laurent Schmit zum Bau von Fuhrwerken diente101. Bei den charliers könnte es sich aber u. E. auch um Fuhrleute handeln, die Holzhandel trieben. 1475 ließ derselbe Einnehmer jenes Holz, das zur gefahrlosen Nutzung der Straßen im Grünewald geschnitten werden musste, für 29 Gulden versteigern102. Der Zusammenstellung von Laurent Schmit zufolge lieferte der Grünewald vor 1494 vor allem Brenn90 RSL 4, S. 23: vier stůck grossen eichen holtzer aus Bartringen für den Balkenriegel an der Judenpforte und anderen städtischen Bedarf. Vgl. RSL 4, S. 30: zwei Fuhren zu je sechs Eichenhölzer aus Schüttringen; S. 118: zwei große, lange Eichenhölzer für den Brückenbau aus Bartringen. 91 Wie Anm. 111. 92 AVL, CB 1479–1480, fol. 78v°: esschen holz, fol. 81: hespen baum umgehauen, beides um slangen (Kanonenrohre) zu fassen. 93 AVL, CB 1479–1480, fol. 100: dennen diellen; 1488–1489, fol. 14: 23 fueren dennen holtze vom Gyrsche Berg. 94 AVL, CB 1476–1477, fol. 38; 1479–1480, fol. 78 und 81; 1480–1481, fol. 34v°. 95 RSL 3, S. 102: weiden zu hauwen jn den buschen by kockenschůrre. 96 AVL, CB 1488–1489, fol. 9; ähnlich fol. 11. 97 Bsp.: AVL, CB 1488–1489, fol. 11. Vgl. Pauly, Michel, Spätmittelalterliche Fronarbeiten im Dienst der Stadt Luxemburg, in: Ebeling, Dietrich / Henn, Volker / Holbach, Rudolf / Reichert, Winfried / Schmid, Wolfgang (Hg.), Landesgeschichte als multidisziplinäre Wissenschaft. Festgabe für Franz Irsigler zum 60. Geburtstag, Trier 2001, S. 307–324. 98 AVL, CB 1488–1489, fol. 11; vgl. 1467–1468, fol. 5v°; 1468, fol. 4; 1491–1492, fol. 11– 11v°; 1498–1499, fol. 35. 99 So ausnahmsweise AVL, CB 1478–1479, fol. 52. 100 AGR, CC 6299, Jg. 1449, fol. 8 u. a.; vgl. Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 71–76 und Grafik 6. 101 Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 57. 102 Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 58.

228

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

holz103 (über 60 %), auch wenn Schweinemast und Kuhweide – nicht nur von Seiten der Stadt Luxemburg, sondern auch von den umliegenden Dörfern – fast drei Viertel der Einnahmen aus den Domanialwäldern ausmachten104. Für Bauarbeiten am herzoglichen Schloss auf dem Bockfelsen in der Stadt Luxemburg wurde das Holz natürlich auch aus den Domanialwäldern genommen105; dazu zählte in den ersten Jahren unter burgundischer Herrschaft auch der beschlagnahmte Bannbusch106. Der Holzbedarf der Stadt und ihrer Einwohner war aber so groß – außer dem Bauholz, dem Werkholz107 wurden Brennholz und Holzkohlen108 für Heiz- und Kochzwecke, aber auch für Feuerstellen in bestimmten Berufen109 (Bäcker, Töpfer, Schmiede, ...) benötigt –, dass die beiden stadtnahen Wälder keineswegs ausreichten110. In den städtischen Rechnungsbüchern wird eine ganze Reihe anderer Wälder aufgeführt, aus denen Bauholz, gelegentlich auch Brennholz111 herbeigeschafft wurde. Die Karte 3 zeigt, dass diese Wälder fast ausnahmslos innerhalb der Propstei Luxemburg lagen. Vor allem zum Beschicken des städtischen Kalkofens, der wohl hauptsächlich bei Bauarbeiten an der vom Landesherrn übertragenen Stadtmauer diente, wurden Bewohner aus einer großen Zahl von Dörfern fronweise zum Holztransport verpflichtet; derartige Dienste sind rund fünfzehnmal in den Stadtrechnungen belegt112. Auch diese zum Frondienst im Rahmen des Burgwerks verpflichteten Dörfer lagen fast alle innerhalb der Propstei Luxemburg, aber selten weiter als

103 104 105 106 107

108

109 110 111

112

Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 59 und Grafik 5. Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), Grafik 7. Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 77f. AGR, CC 6299, Jg. 1444, fol. 5 ; vgl. Schmit, L’homme et la forêt, S. 79. Schubert, Ernst, Der Wald. Wirtschaftliche Grundlage der spätmittelalterlichen Stadt, in: Herrmann, Bernd (Hg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter, Darmstadt 1986, S. 257– 274, hier S. 259f. Schubert, Der Wald (wie Anm. 107), S. 262; Spiess, Karl-Heinz, Innovation in der Energieerzeugung und der Technik des Mittelalters, in: Hesse, Christian / Oschema, Klaus (Hg.), Aufbruch im Mittelalter – Innovationen in Gesellschaften der Vormoderne. Studien zu Ehren von Rainer C. Schwinges, Ostfildern 2010, S. 87–124, hier S. 90. Schubert, Der Wald (wie Anm. 107), S. 261. Die deswegen nachhaltige Bewirtschaftung der stadtnahen Wälder ist Hauptthema der Untersuchung von Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39). Z. B. Birkenholz für die Nachtwachen auf der Stadtmauer: RSL 5, S. 21; AVL, CB 1476– 1477, fol. 42 und 48: bevor das Birkenholz zu den Nachtwachen kommt, wird es in Backöfen gedörrt. Pauly, Fronarbeiten (wie Anm. 97), S. 311.

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Helperknapp !

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Mersch !

! Alzette ! Schoos

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Orientierungsorte 10 km

" Herzogtum Luxemburg um 1525 " Gemeinsame Herrschaften " Propstei Luxemburg

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Anzahl der Belege 6 Holz ! 1 6 Andere Güter ! 1

1: Helmsange 2: Mühlenbach 3: Eich 4: Strassen 5: Merl 6: Howald

! Waldrach

! Kasel

! Frankfurt

Kartenvorlage: Atlas historique Meuse-Moselle Entwurf: Michel Pauly Martin Uhrmacher ! Saarbrücken Kartographie: Gilles Caspar Universität Luxemburg, 2011 © ! St. Johann

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Thionville !"

St. Johannsberg ! ! Düdelingen

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Linster Gonderingen Lorentzweiler ! ! ! Blascheid Steinsel !Rodenburg Heisdorf ! "! ! Kehlen Kopstal !! ! Ernster Olingen Körich ! Arlon ! ! Grünewald 1! Olm ! ! ! Mensdorf Bannbusch Anven Capellen ! ! ! Donven 3 !! Dommeldingen 2 !! Mamer Schüttringen Limpertsberg !4 ! Bartringen ! Luxemburg Sandweiler 5! ! Lenningen Messancy ! Itzig Hollerich ! Dippach ! ! !! 6! Cessingen Contern Bettingen ! ! Hesperingen Leudelingen ! ! ! Bous Kockelscheuer Weiler ! ! Filsdorf ! Monnerich Differdingen ! ! Ellingen

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Ruwer

Karte 3  Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg im späten Mittelalter

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Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg 229

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Orientierungsorte 10 km Kartenvorlage: Atlas historique Meuse-Moselle Entwurf: Michel Pauly Martin Uhrmacher Kartographie: Gilles Caspar Universität Luxemburg, 2011 ©

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" Herzogtum Luxemburg um 1525 " Gemeinsame Herrschaften " Propstei Luxemburg

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Karte 4  Herkunft der Frondienste für die Stadt Luxemburg im 15. Jahrhundert

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230 Michel Pauly, Martin Uhrmacher

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Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

231

15 km von der Stadt entfernt, wie Karte 4 zeigt113. Diese Holzbeschaffung aus Wäldern des weiteren Umlands mittels Frondiensten bestätigt die Feststellung von Joachim Radkau, dass „das Brennholzproblem ... wesentlich ein Problem des billigen Transports“ war114, und zeigt, dass die Stadt, um den eigenen Stadtwald zu schonen, lieber auf billiges Brennholz aus ferneren Ortschaften zurückgriff und dass ihr die Nutzung des Stadtwalds als Viehweide wichtiger war115. Die Beobachtung von Laurent Schmit, dass die in den herzoglichen Rechnungsbüchern genannten Holzkäufer zu 70 % nur einmal und nur zu 13 % mehr als zweimal vorkommen116, bestätigt die Schlussfolgerung, dass es andere Holzbeschaffungsquellen gab. Außer dem Markt ist dabei auch an das 1480 bestätigte Recht auf freies Holzsammeln in den herzoglichen Wäldern117 zu denken. Einige Ausgaben in den städtischen Rechnungsbüchern118 belegen, dass auch Holz auf dem Markt gekauft wurde, dessen Herkunft unbekannt bleibt. Ob ein Teil des aus den Vogesen über die Mosel geflößten Tannenholzes, das als Handelsgut im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts stark zunahm119, in die Stadt Luxemburg gelangte, ist nicht im Siercker Zollregister zu erkennen; unter den Händlern, die dafür Zoll bezahlen mussten, findet sich kein Stadtluxemburger. Schließlich wurden in den Wäldern oder an ihrem Rand auch noch Öfen angelegt, um Kalk zu brennen120, sei es von Seiten der Stadtverwaltung 121 oder durch den Landesherrn oder den Abt der Münsterabtei, die auch der Stadt öfters Kalk verkauften oder liehen. Letztere erstellten ihren Kalkofen jeweils im (Grüne-) 113 Zum doppelten Kriterium der Propsteizugehörigkeit und der Entfernung siehe Pauly, Fronarbeiten (wie Anm. 97), S. 317f. mit Karte S. 324. 114 Radkau, Joachim, Das Rätsel der städtischen Brennholzversorgung im „hölzernen Zeitalter“, in: Schott, Dieter (Hg.), Energie und Stadt in Europa. Von der vorindustriellen „Holznot“ bis zur Ölkrise der 1970er Jahre (VSWG-Beihefte, 135), Stuttgart 1997, S. 43– 75, hier S. 72. 115 Radkau, Das Rätsel der städtischen Brennholzversorgung (wie Anm. 114), S. 71. 116 Sechsmal fuhren je ein Wagner, ein Töpfer und ein Bäcker in den Grünewald Holz holen; Schmit, L’homme et la forêt (wie Anm. 39), S. 66f. 117 Siehe Anm. 76. 118 RSL 2, S. 86; AVL, CB 1467–1468, fol. 5v°; 1481–1482, fol. 25; 1497–1498, fol. 13v°. 119 Yante, Le péage lorrain de Sierck-sur-Moselle (wie Anm. 55), S. 73. 120 Zur Kalkproduktion siehe u. a. Sander-Berke, Baustoffversorgung (wie Anm. 40), S. 47– 49; Ducastelle, Jean-Pierre [u. a.] (Hg.), Les Fours à chaux en Europe. Colloque du 3 septembre 1994 (Documents du Musée de la pierre de Maffle, 8), o O. 1996. 121 1393 ritten der Richter, die Schöffen, ein Teil der Bürger und die Förster in den walt den kalkouen zu wysen (RSL 1, S. 103). 1463–1464 kaufte Frantz Steymetz eine halbe Ohm Wein dat er in den walt zu dem kalckoven foirt (AVL, Weinrechtbuch 1463–1464, fol. 5v°).

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Michel Pauly, Martin Uhrmacher

Wald122. Ausschlaggebend für die Wahl eines Standorts im Wald war die Nähe zum Energieträger, denn zum Betrieb eines Kalkofens waren Unmengen an Brennholz oder Holzkohle nötig, die hier nicht erst herangeschafft werden mussten123. Auch die Stadt selbst ließ fast jedes Jahr einen eigenen Ofen bauen und Kalk brennen124, was nach Antje Sander-Berke auf die begrenzte Lagerfähigkeit des gebrannten Kalks zurückzuführen ist125. Dessen Ertrag nutzte die Stadt zum eigenen Bedarf, teilweise wurde der Kalk auch an Bürger verkauft. Mitunter wird der Standort in den Rechnungsbüchern genannt, meistens bleibt er aber unbekannt. Die Ortsangaben lassen auf einen jährlich wechselnden Standort im unmittelbaren städtischen Umfeld schließen, der wohl möglichst nahe bei den gerade anstehenden Bauarbeiten (an der Stadtmauer o. ä.) zu suchen ist. Folgende Standorte sind belegt: auf der Dinsel (1391126), in Hagendall in Pfaffenthal (1427–1428127 und 1456–1457128), bei Scheigenturm an der Stadtmauer zur Petruss (1462–1463129), im Petrusstal vor Beggenrech-Pforte (1467–1468130) und in Bonnewegrech (1478–1479131), vor der 122 Am 22. Juni 1461 kaufte die Stadt: wider myn here der apt van lůccemburg 12 malder kalcks zu hollen vnd zu messen off der koullen by dem walde (RSL 5, S. 34). Im August 1471 mussten vier Tagelöhner rund 100 Malter Kalk messen uß dem kalck offen in dem walde die der (herzogliche) rentmeister der stait geleynt hait (AVL, CB 1470–1471, fol. 22). 123 Salamagne, Alain, A propos de quelques mentions de chaufours médiévaux dans les anciens Pays-Bas méridionaux, in: Les Fours à chaux en Europe (wie Anm. 120), S. 15–30, hier S. 21–28, unterscheidet Standorte a) bei den Kalksteinbrüchen, b) außerhalb der Städte, c) intra muros und d) auf Baustellen, ohne ein System zu erkennen. 124 Auf die dabei zur Anwendung gelangte Technik und die damit beschäftigten Handwerker wird Eva Jullien in ihrer Dissertation zum Thema „Handwerker der Stadt Luxemburg im Spätmittelalter. Eine Untersuchung unter sozial-, kultur- und technikgeschichtlichen Aspekten“ im Detail eingehen. 125 Sander-Berke, Baustoffversorgung (wie Anm. 40), S. 48f. 126 RSL 1, S. 70: Es wird Kalk von der Dinsel (Rhamplateau) zum Mauerbau beim Hl.-GeistKloster transportiert. 127 RSL 2, S. 114 und S. 120. 128 RSL 4, S. 95: Weg bůssent paffendail porten jn haendail ain dem alden kalchoffen. 129 RSL 5, S. 87: nebent scheigen turren jn der stede mourren ein nůwe durtzel … gemacht … die da deint zu dem nuwen kalckoven da vß vnd jn steine zu dragen; S. 91: gehent scheigen tůrren vnd hy bynen ain dem selben tůrren eyne koůlle zu Růwen zu eyme kalckoven zů machen vnd zu mourren. 130 AVL, CB 1467–1468, fol. 8v°: bei der Angabe zu dem kalckoffe(n) zu Beggenreche porte(n) könnte es sich um zwei verschiedene Zielorte handeln. 131 AVL, CB 1478–1479, fol. 51v°. Es wird Kalk vom Kalkofen an Bonnewegrech (Aufstieg aus dem Petrusstal) zum Kalkofen in der Stadt gebracht; der Standort des letzteren wird leider nicht präzisiert.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

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St. Ulrichpforte im Grund (1478–1479132), binnen der Stadt am St. Jost-Turm (1479–1480133) und vor der Judenpforte (1479–1480134). Mit einer Ausnahme weisen die wenigen Angaben also alle auf einen Standort extra muros hin, was auf die vom Ofen ausgehende Brandgefahr zurückzuführen ist. Die städtische Lage hatte allerdings den Nachteil, dass die beiden zum Betrieb des Ofens nötigen Rohstoffe Holz und Kalkstein in großer Menge und mit beträchtlichem Aufwand herbeigeschafft werden mussten. Dies rentierte sich für die Stadt offenbar nur, weil die Transporte im Rahmen von Frondiensten durch Bewohner umliegender Dörfer geleistet wurden; in den städtischen Rechnungen sind vielfach solche Holz- und Steintransporte zu den Kalköfen belegt135. Nicht erwähnt wird jedoch, woher die Kalksteine stammten. Die nächsten Lagerstätten befinden sich in ähnlicher Entfernung zur Stadt sowohl im Norden im Alzettetal bei Schieren und Colmarberg wie auch im Süden zwischen Differdingen und Düdelingen136. Auffällig ist, dass in einem Rechnungsbuch Steintransporte von der Stadt aus zum Kalkofen genannt werden137. Da dieser Zusatz ansonsten fehlt, gingen die Fronfahrten wohl üblicherweise von den Steinbrüchen direkt zum Standort des jeweiligen Ofens. In der Stadt scheint zumindest temporär ein Vorratslager an Kalkstein bestanden zu haben. Insgesamt reichte die Menge des von der Stadt in Eigenregie gebrannten Kalks aber nicht zur Deckung des Bedarfs. Denn selbst in den Jahren, in denen sie einen eigenen Kalkofen betrieb – und das war regelmäßig der Fall –, kaufte sie noch Kalk hinzu. Eine Eigenproduktion über das durch die Fronfahrten ermöglichte Maß lohnte sich also nicht; der Ankauf gebrannten Kalks war sicher günstiger. Einige Lieferanten kamen aus Schieren, Colmar und Berg138, 132 AVL, CB 1478–1479, fol. 67v°-69: neuer Kalkofen (für Stadtteil Grund) vor thulersport bei der St. Nikolaus-Kapelle. 133 AVL, CB 1479–1480, fol. 61–69v°: Ausgaben für den Bau und den Betrieb von zwei Kalköfen: einer binnen der Stadt bei St. Jost und ein anderer beim neuen Haus außerhalb der Stadt vor der Judenpforte. 134 Wie vorige Anm. 135 Vgl. Pauly, Fronarbeiten (wie Anm. 97), S. 307–310 mit detaillierten Angaben. 136 Vgl. Ministère des Travaux Publics, Service Géologique (Hg.), Carte géologique générale du Grand-Duché de Luxembourg, Zürich 19923 (publiziert auf der Internetseite der Administration du Cadastre et de la Topographie du Grand-Duché de Luxembourg unter der Adresse: http://map.geoportail.lu). 137 AVL, CB 1471–1472, fol. 6v°: 22 Karren Steine werden als Frondienst aus der Stadt zum Kalkofen gefahren. 138 RSL 3, S. 57, 77, 113, 158 und 186; RSL 4, S. 23, 56, 58, 77, 92, 98, 125, 130, 132, 153, 181, 182 und 183; RSL 5, S. 35, 62 und 88; AVL, CB 1470–1471, fol. 22; 1488–1489, fol. 4v°.

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

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also aus Orten, die über Kalksteinvorkommen verfügten; zum Teil handelte es sich bei ihnen wohl um die Produzenten selbst, doch auch der Schmied und seine Gesellen werden als Lieferanten genannt. Zwischen 1447 und 1463 lieferten Johann und Thilmann von Contern Kalk aus Contern139, Burg Petgen 1471–1472 einmal aus Hollerich140, wo 1452 eine Kalkgrube belegt ist141. 1456 gehörten auch Claus und Peter von Christnach zu den Lieferanten142. Bei den Käufen auf dem Markt wird die Herkunft der Händler nicht genannt. Gelagert wurde Kalk im Lymperturm, in Thilmanns Scheuer (Scheune) und im Turm bei der St. Jost-Pforte. Sand und Steine werden in den Stadtrechnungen ebenfalls regelmäßig aufgeführt, doch sie wurden wohl wegen ihres Gewichts häufiger als Holz eher aus dem stadtnahen Umland herbeigebracht. So werden folgende Herkunftsplätze für Steine genannt, die entweder in der Stadt oder direkt vor den Stadtmauern lagen: Verlorenkost143, der Bannbusch144, im Stadtgraben unterhalb Judenpforte145, von einem Felsen in Orvaes146 (bei Orvaspforte), vor der Bonneweger Pforte147, auf St. JostFeld148, außerhalb Hagendall-Pforte149, bei der St. Nikolauskapelle vor der St. Ulrichspforte150, im Petrusstal151, außerhalb Morfels152, in aingendall außerhalb Judenpforte153, jn der stat graben bussent beigenrech possterren154, vor der Dinselpforte155, 139 RSL 3, S. 113, 158, 160, 174, 184, 185 und 189; RSL 4, S. 28 und S. 58; RSL 5, S. 32 und S. 34. 140 AVL, CB 1471–1472, fol. 8. 141 RSL 3, S. 158: fůnfftzich fourren kalschs zu fůrren van der koůllen by holdergen ain bis

ain den heilligen geist. 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155

RSL 4, S. 77 und S. 125. RSL 1, S. 30 und S. 110; ANL, A.XXXVII (28. Mai 1456). RSL 1, S. 82. RSL 1, S. 86. RSL 1, S. 116. AGR, CC 6299, Jg. 1451, fol. 55v°. RSL 3, S. 141. RSL 3, S. 182. RSL 4, S. 67 (große breite Treppensteine) und S. 96; RSL 5, S. 39; AVL, CB 1470–1471, fol. 3v°; 1476–1477, fol. 14v° (Quadersteine); 1498–1499, fol. 29v°. RSL 4, S. 130; AVL, CB 1497–1498, fol. 10v° (grieß steyne, Kieselsteine?). RSL 4, S. 84. RSL 4, S. 130. RSL 5, S. 91. AVL, CB 1470–1471, fol. 3v°. Dieser Steinbruch konnte vor kurzem auch archäologisch unter der Zugbrücke der Dinselpforte nachgewiesen werden (unveröffentlichter Vortrag von Christiane Bis-Worch (MNHA) bei den 3es Assises d’historiographie luxembourgeoise, Universität Luxemburg, 21. 11. 2009).

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

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in Herrn Thilmann (Thilmanys) Bongert156, vom Fels gegenüber dem Hospital157, beim neuen Haus vor der Judenpforte158, sowie aus dem nahen Umland: auf Bann Bonneweg am Weg nach Itzig159, in Merl160 und aus dem Wald oberhalb Dommeldingen161. Daneben gab es auch private Steinbrüche oder -gruben (luxbg. Steekaul). So erhielt Willem von Eych der Steinmetz im Juni und Juli 1480 4 Groschen für drei große Hausteine, die für den Mauerbau an Seilerspforte uff siner koullen uff Resscheit geholt wurden162. Ob in allen anderen Fällen, in denen die Stadtrechnungen Steinlieferungen von Rescheit vermelden163, auch diese private Steingrube gemeint ist oder ob dort mehrere Steinbrüche waren, kann nicht entschieden werden. 1496–1497 und 1497–1498 hieß der Lieferant von Rescheit-Steinen Peter Ohm der Steinmetz. Einen privaten Steinbruch besaßen auch Kuckers Hentgin und sein Sohn Frantz, die von 1470 bis 1500 der Stadt regelmäßig zugehauene Steine lieferten164; den Standort verraten die Stadtrechnungen nicht. Dasselbe gilt für Johann Hoilveiltz’ steyn kulen, aus denen die Gewölbesteine für die Clausener Brücke geliefert wurden165. Weiter entfernt waren die faeße koůlle bei St. Johannsberg166 und jene bei Differdingen167; obschon beide Orte über Kalksteinvorkommen verfügten, werden in den diesbezüglichen Rechnungseinträgen nur Hausteine für Fensterrahmen, für Schornsteine, für den Bollwerkbau u. ä. genannt. Achtmal sind Steintransporte aus Dörfern des Umlandes zum städtischen Kalkofenbau als Frondienste belegt168. Als

156 157 158 159 160 161 162 163 164

165 166 167 168

AVL, CB 1471–1472, fol. 5; vor der Stadtmauer, aber genaue Lage unbekannt. AVL, CB 1476–1477, fol. 16 (Quadersteine). AVL, CB 1497–1498, fol. 10v°. ANL, A.XXIV (22.3.1409 n.St.). AVL, CB 1470–1471, fol. 23v°. RSL 5, S. 36f. (důch steine). AVL, CB 1479–1480, fol. 73. AVL, CB 1480–1481, fol. 14 (300 Kanonenkugeln); 1496–1497, fol. 20; 1497–1498, fol. 12–12v°; 1498–1499, fol. 49 (Pflastersteine). AVL, CB 1470–1471, fol. 18; 1475–1476, fol. 8v°; 1476–1477, fol. 10, 11; 1478–1479, fol. 48, 64, 70v°; 1479–1480, fol. 51v°; 1480–1481, fol. 19v°; 1488–1489, fol. 4v°, 7v°, 11; 1490–1491, fol. 24; 1491–1492, fol. 4v°, 5; 1493–1494, fol. 4v°-7v°, 17v°; 1497–1498, fol. 7v°, 12; 1498–1499, fol. 24v°, 38, 39; 1499–1500, fol. 14v°. AVL, CB 1499–1500, fol. 12v°. RSL 4, S. 138; RSL 5, S. 35; AVL, CB 1478–1479, fol. 63v°; 1493–1494, fol. 7v°. RSL 4, S. 155 (faeß steynne vnd grieß steynne); AVL, CB 1478–1479, fol. 63v°. Pauly, Fronarbeiten (wie Anm. 97), S. 311.

236

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

der Burghauptmann der Stadt 1480 eine große und ein paar kleinere Büchsen169 schenkte, die von Brüssel über Namur und Arlon nach Luxemburg gebracht wurden, lieferte er aus Namur auch große und kleine Steinkugeln (bussensteine). Zusätzlich ließ die Stadt kleine Steinkugeln in Mondorf anfertigen170. Sandgruben gab es auf Limperch171, vor der Judenpforte172, in amendail oder aingendall außerhalb Judenpforte173, im Petrusstal174. Erde zur Herstellung von Estrich wurde bei Hollerich geholt175. Gips und Ziegelmehl wird hingegen nur selten aufgeführt. 1462 erwarb die Stadt drei Malter Gips bei Clais von Heisdorf, 1498– 1499 weitere 27 Malter bei Gesellen aus Steinsel für den Estrich im großen Saal des Rathauses176: der Gips kam offensichtlich von den Hängen des nördlichen Alzettetales, wo noch heute Gipsminen bekannt sind. 1459 und 1460 lieferte Johann von Anven je ein Malter geslagen zielle meltz bzw. gemaillen zeilmeltz für neuen Estrich177; ob hinter dem Grünewald eine Ziegelbrennerei funktionierte oder ob die dort nachgewiesenen römischen Ziegel gemahlen wurden, lässt sich nicht entscheiden. Neben Holz und Steinen war Schiefer ein weiteres wichtiges Handelsgut, das häufig in den Stadtrechnungen erwähnt wird. Der „Leien“ genannte Dachschiefer fand vor allem wegen seiner Dauerhaftigkeit und aus Brandschutzgründen bei vielen städtischen Großbauten Verwendung, beispielsweise bei den Türmen, Toren und Wehrgängen der Stadtmauer. Da in der Stadt selbst und im näheren Umland kein Schiefer vorkommt, mussten die Leien über größere Distanzen herangeschafft werden. In den Stadtrechnungen werden drei unterschiedliche Herkunftsgebiete genannt: Zum einen das ca. 40 km nördlich gelegene Folscheid. Hier wurden zwischen 1469 und 1478 mehrmals einige Tausend Leien gekauft178. Daneben wurde

169 Zu den Steinbüchsen siehe Tittmann, Wilfried, Die importierte Innovation. China, Europa und die Entwicklung der Feuerwaffen, in: Lindgren, Uta (Hg.), Europäische Technik im Mittelalter. Tradition und Innovation. Ein Handbuch, Berlin 1996, S. 317–336, hier S. 325f. 170 AVL, CB 1479–1480, fol. 84–84v°. 171 AGR, CC 6300, Jg. 1452, fol. 11. 172 RSL 3, S. 108. 173 RSL 4, S. 96, S. 124 und S. 130. 174 RSL 4, S. 130. 175 RSL 5, S. 62. 176 RSL 5, S. 59; AVL, CB 1498–1499, fol. 23. 177 RSL 4, S. 161 und S. 176. 178 AVL, CB 1469–1470, fol. 34; 1476–1477, fol. 34; 1477–1478, fol. 18v°; 1478–1479, fol. 74v°. Vgl. Lascombes, Chronik II (wie Anm. 61), S. 71f.: Leienkauf 1459 für das Schloss.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

237

Dachschiefer in vergleichbaren Größenordnungen auch aus dem westlich gelegenen Arlon und den benachbarten Orten Heinstert (Heynsteden) und Post (Posse) geliefert179. Die intensivsten Handelsbeziehungen bestanden jedoch mit den koullen nydenwendich triere180, womit die im Ruwertal bei Trier gelegenen Orte Kasel181 und Waldrach182 gemeint waren. Mitunter wurde auch auf dem Trierer Markt eingekauft183. Der Ort Meiningen konnte nicht bestimmt werden; wahrscheinlich handelt es sich um den heutigen Trierer Stadtteil „Zur-maien“ an der Mosel184. Von den Schiefergruben im Ruwertal aus wurden die Leien zunächst per Schiff auf der Mosel über Pfalzel185 nach Ehnen186 gebracht, dort auf Wagen umgeladen und nach Überwindung der steilen Moselhänge auf dem Landweg zum Teil mit Hilfe von (Fron)karren aus Lenningen187 in die Stadt transportiert. Die in den Stadtrechnungen enthaltenen Angaben stellen die ältesten bisher bekannten schriftlichen Belege für den Schieferbergbau in Waldrach und Kasel im Ruwertal dar. Bisher waren die wie im Luxemburgischen „Leyenkulen“ genannten Schiefergruben erstmals für das Jahr 1498 in Waldrach belegt188. Dass hier aber bereits weit früher Dachschiefer gefördert wurde, zeigen zeittypische Hau- und Abbauspuren in einigen aufgelassenen Bergwerken189. Zudem werden in der ältes179 AVL, CB 1419–1420, fol. 14; 1478–1479, fol. 84; 1481–1482, fol. 29v°; 1484–1485, fol. 11; 1486–1487, fol. 17v°, 18; 1488–1489, fol. 5; 1493–1494, fol. 16. Vgl. Lascombes, Chronik II (wie Anm. 61), S. 71f.: Leienkauf 1459 für das Schloss. 180 RSL 5, S. 40. 181 RSL 3, S. 62. 182 AVL, CB 1498–1499, fol. 34. 183 RSL 3, S. 54. 184 RSL 5, S. 57; 1469–1470, fol. 34; 1477–1478, fol. 18v°; 1478–1479, fol. 84. 185 RSL 3, S. 62. 186 RSL 3, S. 62; RSL 4, S. 154; 1477–1478, fol. 18v°. Zur Rolle des Moselhafens Ehnen vgl. Steffen, Albert, Zur Geschichte der Moselschiffahrt und des Hafenortes Ehnen im ausgehenden Mittelalter, in: Société chorale Ste. Cécile Ehnen 1852–1952, Luxembourg 1952, S. 42–48. 187 RSL 3, S. 63; 4, S. 154. 188 Michels, Dorothee / Schweicher, Theophil, Peter Süss und die Ruwerschiefer Aktiengesellschaft. Als Riveris noch „steinreich“ war, in: Hoffmann, Thomas [et al.] (Hg.), Riveris. 800 Jahre am Wasser. Ein Heimat- und Lesebuch, Riveris 2008, S. 55–65, hier S. 55; die Quelle wird nicht genannt. 189 Vgl. Gross, Bernhard, Der Schieferbergbau an der Mosel und seine Geschichte. Historisches Besucherbergwerk in Fell bei Trier soll Einblicke in frühere Abbaumethoden geben, in: Saarbrücker Bergmannskalender 1992, S. 239–252, hier S. 242–243. Auch für die im Nachbartal gelegenen Gemeinden Fell und Thomm kann aufgrund zeittypischer Schachtanlagen und Abbauspuren bereits von einer „regen [spät-]mittelalterlichen Bergbautätig-

238

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

ten überlieferten Trierer Stadtrechnung von 1363/1364 bereits 24 Leyendecker genannt. Sie waren fast ebenso zahlreich wie die Zimmerleute und Steinmetzen mit jeweils 27 Nennungen190. Dies deutet auf eine umfangreiche und regelmäßige Nutzung von Schiefer zur Dachdeckung hin, die durch die räumliche Nähe zu den Schiefergruben im Ruwertal begünstigt wurde. Diese befanden sich nur ca. 10–12 km von Trier entfernt. Der Grund für die schlechte Überlieferungslage hängt möglicherweise damit zusammen, dass die Förderung von Dachschiefer von der im Ruwertal ansässigen Bevölkerung, bei der es sich zum großen Teil um Winzer gehandelt hat, im Nebenerwerb erfolgte191. Auffällig ist, dass bei Lieferungen aus Arlon und Folscheid stets die Anzahl der Leien genannt wird – die Zahl schwankt zwischen 1140 und 14000 Stück – während die Menge der aus dem Ruwertal stammenden Dachschieferplatten in „Schedel“ zu sechs „Riss“192 angegeben wird193. Es scheint sich also um Maße zu handeln, die nur hier in Gebrauch waren. Dies ist ein weiteres Indiz für einen schon lange bestehenden, traditionsreichen Wirtschaftszweig. Die Thematik des spätmittelalterlichen Schieferbergbaus in den Förderstätten um Folscheid, Arlon und im Ruwertal bleibt ein Forschungsdesiderat. Es muss deshalb an dieser Stelle offen bleiben, ob und wie sich Angebot, Qualität und Preis an den drei Orten möglicherweise unterschieden und warum die Stadt mal bei dem einen und mal bei dem anderen Lieferanten bzw. gelegentlich aus beiden Gebieten gleichzeitig Schiefer bezog.

190

191 192 193

keit“ ausgegangen werden. Vgl. hierzu die zum mittelalterlichen Schieferbergbau leider wenig ergiebige und die Situation in den Nachbargemeinden Kasel und Waldrach nicht berücksichtigende Arbeit von Hansjosten, Ralf, Non nobis sed posteris. Geschichte der Bergbaugemeinden Fell und Thomm unter Berücksichtigung der wirtschafts- und sozialhistorischen Besonderheiten des Bergbaus, Trier 2001, hier S. 112. Kentenich, Gottfried, Trierer Stadtrechnungen des Mittelalters. Erstes Heft. Rechnungen des 14. Jahrhunderts (Trierisches Archiv, Ergänzungsheft IX), Trier 1908, S. 91–93. Zugleich wird in den Stadtrechnungen nur ein Strohdecker genannt. Das durchschnittliche Steueraufkommen der Zimmerleute betrug 1 lb 4 d, das der Leyendecker 14 s und das der Steinmetzen 12 s 9,5 d. Vgl. auch Fischer, Walther, Der Dachschieferbergbau im Hunsrück, in: Idar-Oberstein. Edelstein-Industrie, Geologie, Petrographie, Mineralogie und Lagerstätten im Bereich des Saar-Nahe-Gebietes. 19. Sonderheft der Zeitschrift „Der Aufschluß“, Heidelberg 1970, S. 117–128, hier S. 117. Diese Vermutung vertreten Michels / Schweicher, Ruwerschiefer (wie Anm. 189), S. 55f. AVL, CB 1477–1478, fol. 18v°. In drei Fällen (CB 1469–1470, fol. 34; 1477–1478, fol. 13v°; 1478–1479, fol. 84) wird der Unterschied in der Mengenbezeichnung zwischen den zwei Bezugsgebieten sogar bei zwei aufeinander folgenden Einträgen sichtbar.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

239

Was den Bezug von Metallen anbelangt, so bleiben die Aussagen der städtischen Rechnungsbücher sehr knapp. Obschon die Stadt den von ihr beauftragten Schmieden und Schlossern für Arbeiten an den Stadtpforten u. ä. Eisen aus der eigenen Reserve zur Verfügung stellte, wird nie die Herkunft dieses Eisens angegeben. Nur die Abrechnung vom Weinrecht für das Jahr 1489–1490 liefert einen Hinweis auf Niclais uff der walt smytten, der 5 Ohm Wein eingekauft hat194, ohne dass deren Standort (im Grünewald) näher definiert würde. Auch die vor kurzem im Peppinger Wald ausgegrabene Eisenhütte aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts195, deren Ertrag offenbar sehr hoch war, wird nirgends erwähnt. Das meiste Eisen wurde wahrscheinlich auf dem Stadtmarkt bzw. bei auswärtigen Händlern gekauft. Von letzteren sind nur zwei mit Namen bekannt: Am 20. Februar 1461 kaufte der Baumeister für die Stadttore mit Wissen eines Teils der Schöffen bei Johann von Metzich (Messancy) dry zein zentener guden eysses mit der Rossen zu 27 Groschen pro Zentner196. Während Johann immerhin aus einer heute noch Eisen produzierenden Gegend kam, waren die knapp 10 Zentner Eisen, die Johann des Pastors Sohn von Martelingen 1476–1477 für 1 ½ Gulden den Zentner lieferte197, wohl auf Rasenerzbasis gewonnen worden. Bleilieferanten stammten hingegen auffälligerweise aus St. Vith198 in der Eifel bzw. Limburg199 an ihrem nördlichen Randgebiet, die sich wahrscheinlich direkt in den Blei produzierenden Orten wie Bleialf oder Mechernich versorgten. Andere Verkäufer stammten aus Lothringen (Sierck, Düdelingen, vielleicht Toul und Raville200), wohin das Blei möglicherweise per Schiff gebracht worden war201. Klein-

194 AVL, Weinrecht 1489–1490, fol. 14. 195 Vgl. Overbeck, Michael, Montanarchäologie in Luxemburg. Eisenverhüttung am Vorabend des Hochofenzeitalters, in: Pauly, Michel (Hg.), Terres Rouges. Approche interdisciplinaire et transnationale / Rote Erde. Im interdisziplinären und transnationalen Zugriff (Mutations. Mémoires et perspectives du Bassin minier, 1), Luxembourg 2010, S. 21–31; Overbeck, Michael, Genoeserbusch. Zu den Wurzeln der Eisenindustrie in Luxemburg, o. O. 2008. 196 RSL 5, S. 26. 197 AVL, CB 1476–1477, fol. 23v°. 198 RSL 4, S. 101; AVL, CB 1470–1471, fol. 9v° und fol. 14v°. 199 RSL 5, S. 28, 55, 125, 180. 200 Die Deutung von thuyllener als ‚Leute aus Toul’ bleibt unsicher. Ebenso ist nicht sicher, ob es sich beim Meier und Thomas von Rollingen (RSL 3, S. 76 und S. 111) um Leute aus Raville handelt, denn der Ortsname ist auch im Herzogtum mehrfach belegt. 201 AVL, CB 1498–1499, fol. 7; vgl. Pauly, Michel, Bauarbeiten an der Stadtmauer im Grund. Edition und Interpretation eines Auszugs aus dem städtischen Rechnungsbuch von 1498–

240

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

ode aus Silber wurden in Metz gekauft202. Das zur Schießpulverherstellung203 nötige Salpeter bezog die Stadt – sofern angegeben – aus Frankfurt204 oder Trier205. Vom dazu ebenfalls notwendigen Schwefel verlautet hingegen in den Rechnungsbüchern nichts. Baumöl – in der Regel Olivenöl206 – zum Ölen von Estrichen oder Schmieren der Uhrwerke wurde aus Trier besorgt207 oder auf dem Wochenmarkt gekauft208. Zu ersterem Zweck wurde auch Nussöl verwendet209, dessen Herkunft ungenannt bleibt; Nussbäume standen allerdings auch in den Gärten intra und extra muros. Über die Herkunft der Rohstoffe für handwerkliche und kommerzielle Aktivitäten ist leider viel weniger in Erfahrung zu bringen, weil die Rechnungsbücher öffentlicher Institutionen darüber naturgemäß keine Informationen enthalten. Und Rechnungen etwa vom Marktzoll oder vom Pfortengeld an den Stadttoren sind nicht erhalten. Da die Stadt Luxemburg ein überregional bedeutender Handelsplatz für Wein, Tuch und Lederwaren war, sei versucht, die Herkunft der Rohstoffe dieser drei Warengattungen kurz zu eruieren. Die Herkunft des Weins wurde ausführlich in der von Franz Irsigler betreuten Dissertation von Michel Pauly dargestellt, so dass wir uns hier mit einer kurzen Zusammenfassung begnügen können. Fast alle Weinverkäufer kamen aus den Gebieten östlich der Stadt, also aus der heutigen Weinbauregion an Mosel und Untersauer210. Der Schwerpunkt lag aber nicht im Tal selbst, sondern eher in den Nebentälern und auf den Anhöhen westlich davon. Als Erklärungshypothese gilt, dass

202 203

204 205 206 207 208 209 210

1499, in: Châteaux-forts, Ville et Forteresse. Contributions à l’histoire luxembourgeoise en hommage à Jean-Pierre Koltz, Luxembourg 1986, S. 145–180, hier S. 167. AVL, CB 1478–1479, fol. 85v°. Vaupel, Elisabeth, Schießpulver und Pyrotechnik, in: Europäische Technik im Mittelalter (wie Anm. 169), S. 301–304; Schmidtchen, Volker, Technik im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit zwischen 1350 und 1600, in: König, Wolfgang (Hg.), Metalle und Macht 1000–1600 (Propyläen Technikgeschichte, 2), Berlin 1997, S. 312–348. RSL 5, S. 156; AVL, CB 1476–1477, fol. 22v°. Schon im Jahr 1390 wurde Salpeter bei einem fremden Kaufmann erworben (RSL 1, S. 49). RSL 5, S. 156. http://www.zeno.org/nid/20001714783, Zugriff: 24. Januar 2011. AVL, CB 1486–1487, fol. 9v°. AVL, CB 1497–1498, fol. 7v°. RSL 4, S. 161. Zum Folgenden Pauly, Michel, Luxemburg im späten Mittelalter. II. Weinhandel und Weinkonsum (PSH, 109; Publ. du CLUDEM, 5), Luxemburg 1994, S. 43–51 und Karte KK7A.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

241

nicht Winzer selbst zum Markt in die Stadt Luxemburg kamen, sondern eher Bauern und Fuhrleute aus dem Hinterland des Weinbaugebiets, die über die notwendigen Karren und Wagen verfügten. In die Karte 5 wurden jene Orte übertragen, in denen Luxemburger Schöffenfamilien Weinberge oder Weinrenten besaßen. Sie verdichteten sich zwischen Sierck und Remich, während weiter moselabwärts solcher Grund- und Rentenbesitz mit Weinbezug nur selten vorkam211. Möglicherweise hinderte ab Remich der Grundbesitz der Trierer Klöster das Stadtluxemburger Bürgertum am Erwerb von Weingülten und -bergen212. Es gab auch Weinverkäufer, die von weiter her kamen. 1478 wurden z. B. beim Weinstapel, der nur während 12–13 Wochen funktionierte213, Händler aus Enkirch, Zell, Cochem, Saarbrücken und Cattenom erfasst214. Des Weiteren wurde in der Stadt mit Romanyen und Malvasier Wein, also Südwein (aus Italien oder Griechenland), Burgunderwein von Beaune, Metzer Wein, Rheinwein und Elsässerwein gehandelt215. Letzterer unterlag seit dem 14. Jahrhundert einem eigenen Transitzoll, wurde aber auch in der Stadt selbst ausgeschenkt216. Obschon Tuchproduktion und Tuchhandel offensichtlich einen bedeutenden Erwerbszweig in der Stadt Luxemburg darstellten, ist die Herkunft der dafür notwendigen Wolle nur sehr spärlich belegt217. Beim bürgerlichen Grundbesitz spielten Schafsweiden keine nennenswerte Rolle. Jean-Marie Yante218 kann Schafzucht in der Hand von Klöstern in Kirschnaumen und Evendorff, Sentzich 211 212 213 214 215 216 217

Pauly, Luxemburg I (wie Anm. 23), S. 437f. und Karte KK1. Pauly, Luxemburg II (wie Anm. 211), S. 44. Pauly, Luxemburg II (wie Anm. 211), S. 25. Wynningen, Scheil, Boůrgel und Metzwiller konnten nicht lokalisiert werden. Pauly, Luxemburg II (wie Anm. 211), S. 45–48. Pauly, Luxemburg II (wie Anm. 211), S. 25f. sowie S. 48–51. Vgl. Holbach, Rudolf / Pauly, Michel, Das „Lutzelburger Duch“. Zur Geschichte von Wollgewerbe und Tuchhandel der Stadt Luxemburg und des umgebenden Raumes vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit, in: Pauly, Michel (Hg.), Schueberfouer 1340–1990. Untersuchungen zu Markt, Gewerbe und Stadt in Mittelalter und Neuzeit (Publ. du CLUDEM, 1), Luxemburg 1990, S. 71–111, hier S. 72f. zur Versorgung mit Wolle. Die in Reinicke, Christian, Agrarkonjunktur und technisch-organisatorische Innovationen auf dem Agrarsektor im Spiegel niederrheinischer Pachtverträge 1200–1600 (Rhein. Archiv, 123), Köln / Wien 1989, S. 203, veröffentlichte Karte der Schafzucht im 15.–16. Jahrhundert weist eine außergewöhnlich dünne Belegdichte im (östlichen Teil des) Herzogtums Luxemburg auf. 218 Zum Folgenden: Yante, Jean-Marie, Le Luxembourg mosellan. Production et échanges commerciaux 1200–1560 (Acad. Royale de Belgique, Mém. de la Classe des Lettres, col. in-8°, 3e série, t. 13), Bruxelles 1996, S. 84–86.

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242 Michel Pauly, Martin Uhrmacher

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

243

und Koenigsmacher, Diedenhofen, Rosport, Mertert, Keispelt, Hachy, Wolkringen und Buvingen bei Arlon nachweisen. Für die Mitte des 16. Jahrhunderts führt er noch einen Beleg für Dommeldingen auf. Der Landesherr erhielt 1380– 1381 in Remich, Steinsel und Sandweiler Abgaben von Schafen; 40 Schafe wurden von Arlon nach Luxemburg gebracht. Da in den wenigsten Fällen eine Lieferung von Wolle oder ganzen Schafen in die Stadt Luxemburg belegt ist, sind die eben genannten Orte nicht in der Karte verzeichnet. 1468 kaufte die Stadt in Bissen und Esch(-Sauer?) 25 Hammel, die sie dem neuen Gouverneur, Markgraf Rudolf von Hochberg, schenkte219. Wohl ging es hier eher um das Fleisch als um die Wolle, der Verweis auf die Bezugsmärkte ist dennoch zurückzubehalten. Vor allem die Bedeutung des Metzer und des Frankfurter Wollmarkts ist nicht zu unterschätzen; die Präsenz von Luxemburger Händlern auf beiden ist gesichert220. Ein weiteres Indiz für die Herkunft von Wolle für die städtischen Weber sind die Walkmühlen, die recht dicht im weiteren Umland der Stadt nachzuweisen sind (vgl. Karte 6)221. Zu den innerstädtischen bzw. im Vorfeld der Stadt gelegenen Infrastrukturen der Tuchproduktion gehören einerseits eine folle mullen, eine Walkmühle an der Alzette in Clausen, die erstmals 1379 in der Zunftordnung des Weberamts belegt ist222, andererseits Rahmen zum Recken der Tuche u. a. unterhalb des Burgfelsens, am Steg beim St. Johann-Hospital, vor der Posterne Richtung Clausen223 sowie auf dem Dinsel-Plateau, das im Luxemburgischen den Namen „op der Rumm“ erhielt. Dass die Walkmühlen sich in einem Gebiet nordwestlich der Stadt Luxemburg in etlicher Entfernung zu dieser verdichteten, hängt mit den dortigen günstigen naturräumlichen Voraussetzungen zusammen (wasserreiche Bäche) und kann auch bei anderen Tuchzentren wie Köln, Trier, Speyer oder Lüttich beobachtet werden224.

219 AVL, CB 1467–1468, fol. 5. 220 Holbach / Pauly, Das „Lutzelburger Duch“ (wie Anm. 218), S. 73f.; Pauly, Die luxemburgischen Städte in zentralörtlicher Perspektive (wie Anm. 3), S. 135. 221 Holbach / Pauly, Das „Lutzelburger Duch“ (wie Anm. 218), S. 81f. und Karte 2. Vgl. Clemens, Lukas / Matheus, Michael, Die Walkmühle, in: Europäische Technik im Mittelalter (wie Anm. 169), S. 233f.; Spiess, Innovation in der Energieerzeugung (wie Anm. 108), S. 98; Ludwig, Karl-Heinz, Technik im hohen Mittelalter zwischen 1000 und 1350/1400, in: Metalle und Macht 1000–1600 (wie Anm. 204), S. 88–92. 222 Holbach / Pauly, Das „Lutzelburger Duch“ (wie Anm. 218), S. 82 und Textanhang 2. 223 Holbach / Pauly, Das „Lutzelburger Duch“ (wie Anm. 218), S. 77f. 224 Holbach / Pauly, Das „Lutzelburger Duch“ (wie Anm. 218), S. 81, Anm. 71.

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244 Michel Pauly, Martin Uhrmacher

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Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

245

Über den Bezug von Leinen und Baumwolle ist den durchgesehenen Quellen keine Information zu entlocken, obschon in der Stadt im 15. Jahrhundert Leinenweber und die Produktion von Sartüchern225 (Barchent) belegt sind. Die für die Lederverarbeitung notwendigen Lieferungen von gegerbten Häuten sind quellenmäßig nirgends überliefert, wenngleich auch dieser Gewerbezweig in der Stadt Luxemburg durchaus gut vertreten war226. In Pfaffenthal besaß das Gerber- und Schuhmacheramt eine lomule, in der die für das Gerben nötige Lohe (Baumrinde) gemahlen wurde227. Das Kloster Marienthal hatte sie 1300 vom Schöffen Lochmann sowie dessen Frau und Schwiegermutter erworben228. Sie war mit drei Mühlrädern ausgestattet und wird 1413 erstmals als Lohmühle bezeichnet229. Laut Mietvertrag von 1451 schuldete die Zunft dem Kloster Marienthal einen Jahreszins von 1 ½ Gulden für die Mühle230. Die Bürger versorgten sich natürlich auch auf den Märkten der Region, obschon in den diesbezüglichen, spärlichen Nachrichten selten von den dort eingekauften Waren die Rede ist. In etlichen Fällen sind nur die dort abgesetzten Güter bekannt, doch es ist anzunehmen, dass die Händler nicht mit leeren Händen zurückkamen. Das Fernhandelsnetz der Luxemburger Kaufleute231 kann insofern 225 Holbach / Pauly, Das „Lutzelburger Duch“ (wie Anm. 218), S. 99. 226 Yante, Le Luxembourg mosellan (wie Anm. 219), S. 132f.; Yante, Jean-Marie, Élevage, artisanat et commerce du cuir dans le pays de Luxembourg-Chiny (XIII–XVIe siècle), in: Annales de l’Institut archéologique du Luxembourg (Arlon) CXXVI–CXXVII (1995– 1996), S. 127–153. 227 Zum Gerbprozess siehe Nenno, Rosita, Gerbeverfahren, Lederverarbeitung und Ziertechniken, in: Europäische Technik im Mittelalter (wie Anm. 169), S. 487–492, hier S. 487; Ludwig, Technik im hohen Mittelalter (wie Anm. 222), S. 92f. 228 Van Werveke, Nicolas, Cartulaire du prieuré de Marienthal (Bde. 1–2) (PSH, 38 (1885) und 39 (1891)), hier: Bd. 1, Nr. 245, S. 222–224. Erpelding, Emile, Vergangene Alzettemühlen auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg, in: Hémecht 23 (1971), S. 331–357 und S. 451–467, hier S. 455, ist unvollständig. Die 1990 in direkter Nähe zur Mühle ausgegrabenen Lohgruben stammen erst aus dem 18. Jahrhundert, doch die Abfallgrube einer Schusterwerkstatt wurde vom Ende des 13. bis ins 15. Jahrhundert genutzt; vgl. Waringo, Raymond, Zu den archäologischen Untersuchungen in der „Lougass“ im Pfaffenthal im Jahre 1990, in: 135 Joër Sang a Klang Pafendall, Luxemburg 1992, S. 27–51. 229 RSL 2, S. 27. 230 Van Werveke, Cartulaire Marienthal (Bd. 1) (wie Anm. 228), Nr. 471, S. 157f. 231 Vgl. Karte 6 in: Pauly, Die luxemburgischen Städte in zentralörtlicher Perspektive (wie Anm. 3), S. 155; wiederabgedruckt in Pauly, Michel, Foires luxembourgeoises et lorraines avant 1600, in: Johanek, Peter (Hg.), Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit (Städteforschung, A.39), Köln 1996, S. 105–141, hier S. 139; vgl. Holbach / Pauly, Das „Lutzelburger Duch“ (wie Anm. 218), S. 98–103.

246

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

auch zum weiteren Versorgungsgebiet gezählt werden (vgl. Karte 3). Bekannt ist z. B., dass die Stadt in Antwerpen Ledereimer zum Feuerlöschen kaufen ließ232. Die Händler, unter ihnen einmal der Stadtrichter selbst, fuhren sicher nicht eigens deswegen 1457, 1458 und 1463 zum Pfingstmarkt, sondern brachten die insgesamt 90 Eimer zusammen mit anderen Waren mit nach Hause. Des Weiteren sind Marktbesuche in Bissen, Esch (an der Sauer?), Helperknapp, Esch an der Alzette, Arlon, St. Johann, Cattenom und Metz belegt, häufig deswegen, weil die Bürger vor Straßenräubern gewarnt werden mussten oder gar gefangen genommen wurden233. Der Besuch der St. Matthias-Messe in Trier ist 1415 und 1499 belegt; beim letzten Mal wurden sechs Wagen Flocken fürs Bettzeug im Frauenhaus gekauft234. Der 1476 einsetzende Ärger über eine neue Zoll- oder Geleitabgabe, die in Pfalzel zu zahlen war235, deutet auf Handelsverbindungen an die Untermosel hin. Der Eintrag betreffend die Warnung an die Bürger, die den Markt in Diedenhofen besucht hatten, ist das älteste Zeugnis für den dortigen Hl. Kreuz-Jahrmarkt236. Im März 1483 schickte der Richter einen Boten nach Weiler(-zum-Turm), Mondorf und Sierck, um die burger, die zo den merte waren, zu warnen, da der Gouverneur ihn auf Räuber bzw. Söldner hingewiesen hatte237. Schon im Herbst hatte es eine Warnung des Richters vor den Franzosen an die Bürger in Rodenmacher gegeben238.

232 RSL 4, S. 98 und S. 127; RSL 5, S. 101. Vgl. schon Marktbesuch in Antwerpen 1420: RSL 2, S. 87. 233 RSL 1, S. 98f. (Samstag nach Bissermarkt 1393), S. 100 (St. Johann/Saarbrücken 1393), S. 102 (Arlon 1393); RSL 2, S. 69 (Esch/Alz., Donnerstag nach Pfingsten 1418), S. 108 (Kettenheim, 8.10.1425), S. 119 (Helpermarkt, 3.5.1428), S. 121 (Metz, 12.6.1328); RSL 3, S. 109f. (Bissen, 8.9.1449), S. 154 (Esch/Alz., Pfingstmontag 1430); AVL, CB 1467– 1468, fol. 5 (Bissen und Esch/Sauer?: Hammelkauf ). 234 RSL 2, S. 43; AVL, CB 1498–1499, fol. 9. Zum Trierer Jahrmarkt siehe Irsigler, Franz, Anmerkungen zu den Trierer Jahrmärkten vor 1200, in: Burgard, Friedhelm [u. a.] (Hg.), Liber amicorum necnon et amicarum für Alfred Heit. Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte und geschichtlichen Landeskunde (THF, 28), Trier 1995, S. 35–41. 235 AVL, CB 1476–1477, fol. 50; 1482–1483, fol. 65v°; 1493–1494, fol. 23v°. 236 RSL 2, S 53; vgl. AVL, CB 1470–1471, fol. 28v°. Vgl. Pauly, Foires luxembourgeoises et lorraines (wie Anm. 231), S. 117f. 237 AVL, CB 1482–1483, fol. 66. 238 AVL, CB 1482–1483, fol. 65.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

247

Kartografische Annäherung Nachdem das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg detailliert beschrieben wurde, soll nun im Folgenden der Versuch unternommen werden, diese komplexen Strukturen kartographisch umzusetzen. Die bisher herangezogenen Quellen sind als Grundlage für eine umfassende Aufarbeitung des Versorgungsgebietes jedoch zu unausgewogen. Deswegen wird für die kartographische Umsetzung zusätzlich auf bereits an anderer Stelle publizierte Forschungen zu den Themen „Fronarbeiten im Dienste der Stadt Luxemburg“239, „städtischer Weinhandel“240, „Walkmühlen“241 und „Außenbesitz Luxemburger Schöffenfamilien“242 zurückgegriffen, die bereits angesprochen wurden. Sie vervollständigen das Bild und stellen es auf eine breitere Basis. Zudem dienen sie als Indikatoren für den Einzugsbereich des (Versorgungs-)Marktes. Als zusätzliche Größe ist die Grenze der Luxemburger Propstei in die Karten eingetragen; sie zeigt den herrschaftlichadministrativen Rahmen des Luxemburger Umlands, der ebenso wie die naturräumliche Gliederung eine wichtige Vergleichsgröße zur Bestimmung und Gliederung des Versorgungsgebiets darstellt. In einem weiteren Schritt werden die in den Karten 1–6 enthaltenen Informationen zusammengefasst, schematisiert dargestellt und mit einem theoretischen Modell verknüpft. Mit dieser Mischform aus Karte und Modell können unterschiedliche Zonen bzw. Sektionen des Versorgungsgebietes unterschieden sowie Zusammenhänge und Abgrenzungen gezeigt werden; es ermöglicht zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Die Sektioneneinteilung des luxemburgischen Versorgungsgebietes orientiert sich dabei an dem von Franz Irsigler erstmals 1983 zur Beschreibung des städtischen Versorgungsgebietes vorgeschlagenen „Versuch einer Anpassung des Modells der Thünenschen Kreise an spätmittelalterliche Verhältnisse“243. Auf Grundlage aller vorgestellten Daten lassen sich vier Zonen entwickeln, die sich in unterschiedlicher Entfernung annähernd konzentrisch um die Stadt anordnen (vgl. Karte 7):

239 240 241 242 243

Pauly, Fronarbeiten (wie Anm. 97). Pauly, Luxemburg II (wie Anm. 211). Holbach / Pauly, Das „Lutzelburger Duch“ (wie Anm. 218), S. 78–82 und Karte 6. Pauly, Luxemburg I (wie Anm. 23), S. 437–443 und Karten KK1 – KK6. Irsigler, Approvisionnement (wie Anm. 4), S. 136f. mit Grafik auf S. 144; Irsigler, Raumkonzepte (wie Anm. 3), Grafik auf S. 15; Irsigler, Bündelung von Energie (wie Anm. 3), S. 309–313 mit Grafik auf S. 310.

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

248

Limburg Antwerpen

St. Vith

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III Kalkstein

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Stadtgebiet intra und extra muros Städtisches Umland Städtisches Hinterland Ferhandelsbeziehungen

Entwurf: Michel Pauly Martin Uhrmacher Kartographie: Gilles Caspar Universität Luxemburg, 2011 ©

Karte 7  Modell des Versorgungsgebiets der Stadt Luxemburg im späten Mittelalter

1) Das Stadtgebiet mit seinen intra und extra muros gelegenen Gärten, die von der Stadt aus bewirtschaftet wurden. Dies entspricht dem Sektor „I Gartenkulturen“ im Modell von Irsigler. Bestimmender Faktor war hier die Nahrungsmittelversorgung. Der Gartengürtel „war die Zone intensivster landwirtschaftlicher Nutzung“,

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

249

ermöglicht durch zwei Faktoren, die in der Stadt in hohem Maße zur Verfügung standen: den erhöhten Einsatz menschlicher Arbeitskraft und die Zuführung von Energie in Form von Dünger wie Stallmist und Kalk244. Dadurch konnten hier in besonderem Maße eiweiß- und vitaminreiche Nahrungsmittel wie Obst und Gemüse angebaut werden. Eine Besonderheit Luxemburgs war die Nähe des städtischen Bannwalds und des Grünewalds; ihre Ausläufer reichten bis ins Stadtgebiet extra muros. So konnten beispielsweise die Schweine der Bürger von einem Turm der Stadtmauer aus des Nachts im Auge behalten werden. Der nahe Wald erleichterte die Nutzung als Viehweide und den Zugang der Bürger zu Brenn- und Bauholz. Eine wichtige Rolle für die Nahrungsmittelversorgung spielte auch der Fischfang in der Alzette und in ihrem vor der südlichen Stadtmauer gelegenem Zufluss, der Petruss. Intra und extra muros konnten zudem einfache Baumaterialien wie Steine und Sand gefördert werden. 2) Das städtische Umland bis zu einer Entfernung von 15–20 km, was ungefähr dem Nahmarktbereich bzw. einer Tagesreise entspricht245. Die im Irsiglerschen Modell genannten Kategorien „IIb Stadtwald“, „IIc Baumaterial“ und „IIe Fettweide“, die im Falle Luxemburgs besser allgemein als Viehweide anzusehen ist, finden sich hier belegt246. Diese Zone wird dominiert durch den städtischen und den landesherrlichen Bannwald mit seinen vielfältigen Versorgungsaspekten (Holzwirtschaft und Viehweide) sowie durch Förderung der im stadtnahen Bereich anstehenden Rohstoffe wie Steine und Sand. Im Nordwesten reichte der Bannwald bis ans Stadtgebiet heran und lieferte für die Grundversorgung der Stadt und ihrer Bewohner in erster Linie einfaches Bauholz und Brennholz. Darüber hinaus wurden aber auch vor Ort schon Hölzer aufwendig weiterverarbeitet – vor allem zu Schindeln und Dielen – und erst anschließend in die Stadt gebracht. Zugleich diente der Wald durch die Schweinemast und die Viehweide auch in erheblichem Maße der Fleischversorgung der Stadt. Im städtischen Umland bestanden darüber hinaus noch weitere Viehweiden und es wurden neben Sand und Steinen auch speziellere Baumaterialien wie Ziegelmehl und Gips gefördert bzw. hergestellt.

244 Irsigler, Bündelung von Energie (wie Anm. 3), S. 311. 245 Vgl. hierzu Pauly, Die luxemburgischen Städte in zentralörtlicher Perspektive (wie Anm. 3), S. 151–154. 246 Irsigler, Bündelung von Energie (wie Anm. 3), S. 311f.

250

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

Von besonderer Bedeutung als Baumaterial war Kalk. Wegen der Nähe zum Brennstoff Holz befanden sich die meisten Kalköfen in den Wäldern des Umlandes. Unabdingbar für den Betrieb der Öfen waren Transportdienste durch Fronarbeiter aus der Umgebung Luxemburgs, die zum Burgwerk verpflichtet waren. Die Herkunftsorte der Fronarbeiter lagen zu 90 % innerhalb der Propstei Luxemburg, die anderen in unmittelbarer Nachbarschaft247 (Karte 4). Der durch die politische Grenze bestimmte Zentralitätsbereich der Stadt in Bezug auf das Burgwerk ist im Vergleich allerdings kleiner als der städtische Nahmarktbereich bzw. das Versorgungsgebiet. Innerhalb des städtischen Umlandes ist auch vom Anbau von Sonderkulturen auszugehen (im Modell: IIa). Gut belegt ist vor allem der Weinbau entlang der Mosel und in den Seitentälern, am östlichen Rand der Umlandzone (Karte 5). Der hier angebaute Wein wurde nach Luxemburg gebracht und diente in erster Linie der Versorgung der Stadtbevölkerung. Über den städtischen Markt wurde er zudem vornehmlich im Nahmarktbereich abgesetzt; darüber hinaus wurde er aber auch im Fernhandel „von Stadtluxemburger Händlern nach Westen exportiert“248. Da angenommen werden kann, dass die auf dem Grund- und Rentenbesitz Luxemburger Schöffenfamilien erwirtschafteten Überschüsse auf dem städtischen Markt abgesetzt wurden, dient der Grund- und Rentenbesitz „als Indikator für den agrarischen Zulieferraum“249 des Marktes bzw. des städtischen Versorgungsgebiets (Karte 5). Der Außenbesitz der Schöffenfamilien konzentrierte sich in einem Umkreis von 20 km um die Stadt. Neben dem oberen und unteren Alzettetal können die Hochebene zwischen Alzette und Mosel im Südosten der Stadt sowie das Moseltal zwischen Remich und Thionville – hier sogar über den 20-km-Kreis hinaus – als agrarisches Zuliefergebiet der Stadt Luxemburg bezeichnet werden250. Der überwiegende Teil befindet sich innerhalb der Propsteigrenzen; nur nördlich und südlich reichen die Besitzungen darüber hinaus. In größerer Entfernung (etwa um Bastogne) lagen nur die wenigen Güter von erst kürzlich nach Luxemburg eingewanderten Familien. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lässt sich eine gewisse Konzentration des Grundbesitzes der unter der Burgunderherrschaft aufgestiegenen Schöffenfamilien auf innerstädtische Häuser und auf das unmittelbare

247 Pauly, Fronarbeiten (wie Anm. 97), S. 311. 248 Pauly, Die luxemburgischen Städte (wie Anm. 3), S. 150 sowie ausführlich Pauly, Luxemburg II (wie Anm. 211), hier vor allem S. 221–225 mit Karte KK7. 249 Pauly, Die luxemburgischen Städte (wie Anm. 3), S. 150. 250 Pauly, Luxemburg I (wie Anm. 23), S. 443 mit Karte KK6.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

251

Umland feststellen251, die einerseits auf die Aufwertung der Gartenwirtschaft252, andererseits auf die Kriegswirren in der Moselgegend und im Arloner Raum zurückgeführt werden können. Hervorzuheben ist aber auch der hohe Anteil von Weinbergen und Weingülten am Besitz der politischen Führungsschicht, vor allem im Raum zwischen Remich und Schengen. Moselabwärts ließen die Trierer Weinbergsbesitzer, vornehmlich die dortigen Klöster, wie gesehen, wohl keinen Landerwerb durch Luxemburger Familien zu253. Was den von Irsigler unter „IId Wasserkraft“ angeführten Aspekt angeht, stellt sich die Situation ambivalent dar: So sind zwar eine ganze Reihe von Wassermühlen im näheren Umland und auch im Stadtgebiet selbst belegt, unklar ist jedoch, was und in welchen Mengen hier gemahlen wurde und woher es stammte. Hierzu enthalten die Rechnungsbücher keine Informationen. Ohne diese Angaben sind die Nachweise von Mühlen für die Analyse des Versorgungsgebietes der Stadt Luxemburg zwar nicht aussagekräftig; die Standorte wurden aber dennoch in die Karte 2 übertragen254. 3) Das städtische Hinterland scheint, wie die Karteninterpretation nahelegt, weitgehend mit dem Einzugsbereich des Luxemburger Marktes überein zu stimmen. Dieser wurde von Michel Pauly nach dem Vorbild Hektor Ammanns unter Heranziehung mehrerer Indikatoren bereits umrissen.255 Er reicht bis in eine Entfernung von 40–50 km und schließt für die Nachfrage nach spezifischen Gütern auch benachbarte Städte wie Arlon, Diedenhofen, Metz, Saarbrücken und Trier ein. Außer Jahrmarktsorten wie Bissen und Helperknapp werden in diesem Bereich Dörfer als Herkunftsorte von Konsumgütern für die Bürger der Stadt Luxemburg immer seltener genannt. Einzelne Elemente des Irsiglerschen Modells sind hier repräsentiert, so aus dem Sektor „IV/V Montanrevier“ sowie aus den Sektoren „VIa Weidewirtschaft“ und „VIb Forstwirtschaft“. Dagegen erlaubt die Quellenlage keine Aussage zu den landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsformen „III Verbesserte Dreifelderwirtschaft“, „IV Dreifelderwirtschaft“ und „V Zweifelderwirtschaft“256.

251 Pauly, Luxemburg I (wie Anm. 23), S. 440. 252 Für den Stadtschöffen Meister Johann Buwemeister ist die Umwandlung von Feldern zu Gärten vor dem Stadttor nachgewiesen; in den in Anm. 18 und 19 zitierten Urkunden wird er jeweils als Nachbar zitiert. Vgl. Pauly, Luxemburg I (wie Anm. 23), S. 269. 253 Pauly, Luxemburg I (wie Anm. 23), S. 438. 254 Vgl. Anm. 228. 255 Vgl. Pauly, Die luxemburgischen Städte (wie Anm. 3), S. 146–157. 256 Vgl. Irsigler, Bündelung von Energie (wie Anm. 3), S. 316–318.

252

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

Was die Versorgung mit Holz angeht, so kann man feststellen, dass aus dem Hinterland kein Brennholz oder unbearbeitetes Bauholz in die Stadt geliefert wurde; die Transportkosten waren bei diesen Distanzen zu hoch. Nur vereinzelt erwarb die Stadt Holz, das bereits zu Latten oder Dielen verarbeitet war. Ob dies geschah, um den eigenen Wald zu schonen oder um einem kurzzeitigen Versorgungsengpass zu begegnen, bleibt offen. Ähnlich ist die Situation bei Kalk, der überwiegend im Stadtgebiet und den Wäldern des städtischen Umlandes gebrannt wurde. Durch Zukäufe, auch aus dem Hinterland, wurden Lücken bei erhöhtem Bedarf geschlossen. Etwas anders sieht die Lage bei den Weinlieferungen aus. Aus dem Bereich des unteren Sauertals und entlang der Mosel zwischen Wasserbillig und Konz stammen trotz der großen Entfernung beträchtliche Mengen des in Luxemburg gehandelten Weines. Eindeutiger ist das Bild bei Rohstoffen wie Blei, Eisen, Baumöl und Salpeter, die nicht im städtischen Umland vorkommen oder dort produziert werden konnten. Sie mussten auf den Märkten benachbarter Städte wie Trier gekauft oder von Händlern aus dem Hinterland eingeführt werden; eventuell längere Transportwege waren hier unumgänglich und fielen vergleichsweise weniger ins Gewicht. In diesem Kontext sind zudem ein in Metz erworbener vergoldeter Silberkelch sowie die auf dem dortigen Markt gekaufte Wolle zu nennen. Auch Schiefer zur Dachdeckung konnte nur über größere Distanzen geliefert werden, entweder aus Folscheid, aus der Umgebung von Arlon oder aus dem bei Trier gelegenen Ruwertal. Die Transportkosten müssen wegen des großen Gewichts beträchtlich gewesen sein; leider sind hierzu keine Angaben überliefert. Gut belegt ist hingegen die Organisation der Transporte vom Ruwertal nach Luxemburg. Die im Vergleich zu den Schieferbrüchen in Folscheid und Arlon deutlich größere Entfernung nach Luxemburg konnte wohl durch Nutzung des kostengünstigen und einfach zu bewältigenden Schiffstransportes für einen Großteil des Weges ausgeglichen werden. Der Typ der Walkmühlen lässt sich unter Versorgungsaspekten besser fassen; für die bedeutende Luxemburger Tuchproduktion waren diese eine unverzichtbare Voraussetzung. Zum Betrieb war ein wasserreicher, also energiereicher Bach- oder Flusslauf nötig. Eine Walkmühle ist im Stadtbereich belegt; einige wenige Anlagen entstanden am nordwestlichen Rand des Umlandbereichs. Die meisten befanden sich hingegen weiter entfernt im Mittelgebirgsraum der Ardennen. Auffällig ist die große räumliche Distanz der meisten Walkmühlen zur Stadt; sie liegen wegen der hier besonders energiereichen Wasserläufe überwiegend nordwestlich in den engen Tälern der Ardennen.

Das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg

253

4) Fernhandelsbeziehungen erweitern das Irsiglersche Modell für Luxemburg um einen weiteren Sektor. Im Vergleich mit den ersten drei Zonen erscheint die Anzahl der überlieferten Belege zunächst marginal. In ihrer Bedeutung für die Versorgung der Stadt sind sie aber durchaus hoch einzuschätzen, zeigen sie doch die Einbindung Luxemburgs in das europäische Fernhandelsnetz. Deutlich wird dies vor allem bei technisch oder handwerklich anspruchsvollen Produkten, wie beispielsweise der aus Brüssel eingeführten Kanone oder seltenen Rohstoffen wie dem zweimal in Frankfurt gekauften Salpeter oder dem aus Limburg und St. Vith eingeführten Blei. Schwieriger ist die Erklärung für den Erwerb eher alltäglicher Produkte im Fernhandel, z. B. von Ledereimern in Antwerpen. Hierbei dürfte es sich wohl um ein Mitbringsel vom Markt handeln, nicht um den eigentlichen Grund für die weite Reise. Unklar bleibt schließlich der Hintergrund für den Erwerb von 100 großen und 200 kleinen „Bussensteinen“ für Kanonen in Namur. Insgesamt zeigt sich das Versorgungsgebiet der Stadt Luxemburg im Spätmittelalter als ein Modell mit vier ungleichmäßigen Kreiszonen, von denen die äußerste Zone zackenförmig in die Fernhandelsgebiete ausgreift. Die Versorgungsintensität nimmt dabei im Allgemeinen von innen nach außen ab. Die Zonen sind nicht statisch voneinander abgegrenzt: Einzelne Versorgungsgüter wie bspw. Holz durchziehen mehrere Zonen; hierin spiegeln sich unterschiedliche bzw. unterschiedlich intensive Nutzungen. Für eine exaktere Bestimmung der Kreiszonen müsste auf eine Wegekarte zurückgegriffen werden, die neben dem damaligen Straßennetz auch den Zustand der Wege und eventuelle Steigungen verzeichnet. Auf diese Weise könnten die den Straßenverhältnissen entsprechend unterschiedlich großen Tagesetappen zur Bestimmung des Radius herangezogen werden. Eine solche Karte existiert bisher leider noch nicht. Das von Franz Irsigler „in erster Linie … auf vollentwickelte Städte im Rang mittelalterlicher Großstädte“257 entwickelte Modell auf Basis der Grundannahmen Thünens ließ sich in vielen Aspekten gut auf das Versorgungsgebiet der Mittelstadt Luxemburg anwenden. Aufgrund der Quellenlage konnte jedoch der Bereich Landwirtschaft mit den Wechselwirkungen von Bodengüte, Bewirtschaftungsform und Nahrungsmittelproduktion in großen Teilen nicht berücksichtigt werden. Dennoch ergibt sich ein vielschichtiges Bild der Versorgungsbereiche Luxemburgs im Spätmittelalter, das die von Irsigler entwickelten Modellannahmen am konkreten Beispiel bestätigt. Dass dieses Modell sowohl an die naturräumlichen oder geographischen als auch an die politisch-administrativen Gegebenheiten angepasst 257 Irsigler, Bündelung von Energie (wie Anm. 3), S. 309.

254

Michel Pauly, Martin Uhrmacher

werden muss258, geht u. E. eindeutig aus den für die Stadt Luxemburg zusammengetragenen Daten hervor. Aber auch das hatte Franz Irsigler schon 1986 beim Deutschen Historikertag in Trier in Bezug auf das Kulturraum-Konzept verlangt259. Es gilt für alle Modelle.

258 Schenk, „Städtelandschaft“ (wie Anm. 1), S. 35. 259 Irsigler, Raumkonzepte (wie Anm. 3), S. 23.

„Also wer Tuch macht im Gericht zu Boppard“ Entwicklungen der Textilherstellung zwischen Maas und Rhein und eine spätmittelalterliche Weberordnung von Rudolf Holbach

I. Eine Dichtung des 11. Jhs., der dem Trierer Domscholaster Winrich zugeschriebene Streit des Schafs und des Leins (Conflictus ovis et lini), nennt verschiedene Tuchsorten, die offenbar damals bereits im europäischen Fernhandel geläufig waren: Neben roten englischen, verschieden gefärbten französischen, grünen und blauen flämischen, roten schwäbischen und gemischtfarbigen Wolltuchen von der Donau sind dies auch schwarze vom Rhein: „Indem du, Rhein, die leichten Stoffe mit schöner Schwärze bedeckst, überlässt du sie heiligen Jungfrauen und Ständen“1. In der Tat gab es im rheinischen Raum ebenso wie in den weiter westlich gelegenen Zonen bis hin zur Maas einige frühe Zentren der Tuchherstellung, deren im 12. Jh. erkennbare Exportbedeutung „lange Anlaufzeiten“ voraussetzt2. Nachdem für die ersten Jahrhunderte des Mittelalters die Textilverarbeitung noch vor allem in ihrer grundherrschaftlich organisierten Form fassbar ist3, nahm 1

2

3

Winrich von Trier, Der Streit zwischen Schaf und Lein. Lateinisch/Deutsch, hrg., übers. u. komm. v. Dräger, Paul, Trier 2010, S. 26f. u. 144f. Vgl. auch Irsigler, Franz, Fernhandel, Märkte und Messen in vor- und frühhansischer Zeit, in: Bracker, Jörgen / Henn, Volker / Postel, Rainer (Hgg.), Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos, Lübeck 20064, S. 23–33, hier S. 26f. So für Köln Ennen, Edith, Kölner Wirtschaft im Früh- und Hochmittelalter, in: Kellenbenz, Hermann (Hg.), Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, Bd. 1, Köln 1975, S. 87–193, hier S. 109. Dies gilt gerade für die von Franz Irsigler mehrfach beschriebenen sog. Gynaeceen; vgl. etwa: Irsigler, Franz, Divites und pauperes in der Vita Meinwerci. Untersuchungen zur wirtschaftlichen und sozialen Differenzierung der Bevölkerung Westfalens im Hochmittelalter, jetzt in: Henn, Volker u. a. (Hg.), Miscellanea Franz Irsigler. Festgabe zum 65. Geburtstag, Trier 2006, S. 31–68, hier S. 56–60, oder im selben Band: Urbanisierung und sozialer Wandel in Nordwesteuropa im 11. bis 14. Jahrhundert, S. 153–167, hier S. 161– 165.

256

Rudolf Holbach

mit dem Bevölkerungswachstum, einer Siedlungsverdichtung und zunehmenden Urbanisierung das sich nunmehr stark in den Städten konzentrierende Gewerbe seit dem hohen Mittelalter einen großen Aufschwung und organisierte, differenzierte und spezialisierte sich zunehmend. Dies gilt gerade für die Wollweberei, in der der Grad an Zerlegung der Produktion besonders stark war. Hier bildeten sich an verschiedenen Plätzen neben den wichtigen Berufszweigen der Weber, Walker und Färber und den zuliefernden Spinnerinnen auch zusätzliche Hilfsgewerbe heraus, deren Vorhandensein zugleich als ein Indiz für eine höher entwickelte, bisweilen bereits verlegerisch organisierte Produktion gelten kann4. Im Zusammenhang mit größerer Nachfrage, weitgespannten Fernhandelsbeziehungen und wirtschaftlichen Verflechtungen kam es im weiteren Verlauf nicht nur zur Ausschöpfung neuer Kapazitäten, zu produktivitätssteigernden organisatorischen oder technischen Veränderungen in den vorhandenen Zentren selbst, und es konnte sich jene überlokale Arbeitsteilung herausbilden oder doch verstärken, die bestimmte Standorte Waren standardisierter Qualität herstellen und mit ihnen einen weiten Raum versorgen ließ. Vielmehr entwickelte sich über die vorhandenen Stätten der Produktion hinaus eine raumgreifende Vergewerblichung, die um diese Zentren herum die Entstehung von Wirtschaftseinheiten mit dem Umland begünstigte und zu gewerblichen Verdichtungen bis hin zu ganzen Gewerbelandschaften führte. Ob von einer größeren Stadt als Zentrum ausgehend oder aus anderer Wurzel gewachsen, führten diese Prozesse zu wesentlichen Veränderungen von wirtschaftlichen Grundlagen und Möglichkeiten im jeweiligen Raum und wirkten sich ebenso in sozialer Hinsicht aus. Die Untersuchung solcher Entwicklungen und ihrer Folgen gehört daher nach wie vor zu den wichtigsten Aufgaben der Wirtschaftsgeschichte. Sie vermag zugleich wesentliche Bausteine für jene Erfassung und Konzeption von Räumen zu liefern, für die Franz Irsigler entscheidende Anstöße gegeben hat.5 4

5

Zum Grad der Zerlegung etwa Bohnsack, Almut, Spinnen und Weben. Entwicklung von Technik und Arbeit im Textilgewerbe (Deutsches Museum. Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik. Rororo Sachbuch, 7702), Reinbek 1981, S. 99–114. Vgl. in diesem Kontext auch Holbach, Rudolf, Frühformen von Verlag und Großbetrieb in der gewerblichen Produktion (13.-16. Jahrhundert) (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte, 110), Stuttgart 1994, S. 46–155. Stellvertretend: Irsigler, Franz, Raumkonzepte in der historischen Forschung, in: Heit, Alfred (Hg.), Zwischen Gallia und Germania, Frankreich und Deutschland. Konstanz und Wandel raumbestimmender Kräfte (Trierer Historische Forschungen, 12), Trier 1987, S. 11– 27; Irsigler, Franz, Raumerfahrung und Raumkonzepte im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit, in: Miscellanea Franz Irsigler (wie Anm. 3), S. 429–440. Zum Aspekt der Gewerbelandschaften allg.: Pohl, Hans (Hg.), Gewerbe- und Industrielandschaften vom

Entwicklungen der Textilherstellung zwischen Maas und Rhein

257

Eine Reihe bedeutender städtischer Produktionsschwerpunkte und eine gewerbliche Verdichtung im Textilbereich lassen sich gerade am Rhein beobachten, wo die mittelfeinen Erzeugnisse der seit dem 11. Jh. bedeutenden Wollweberei von Köln im 12. Jahrhundert bereits bis Venedig gehandelt wurden und die Donauländer erreichten6. Köln und Aachen wurden auch zusammen mit den kleineren Plätzen Düren und Münstereifel vom bedeutenden Schweizer Wirtschaftshistoriker Hektor Ammann als Hauptstandorte der Tuchherstellung in den nördlichen Rheinlanden hervorgehoben, und es wurde dieser Raum sozusagen als östlicher „Vorposten“ des großen nordwesteuropäischen Tuchbezirks angesehen7. Im Westen des Reiches hat Ammann ansonsten für das späte Mittelalter ein „deutliches Stockwerk tiefer“8 noch drei weitere deutsche Tuchgebiete unterschieden und kartographisch darzustellen gesucht, von denen zwei ebenfalls am und um den Rhein liegen: Neben Lothringen, besonders mit Saint-Nicolas-de-Port und Épinal, sind dies das Elsass mit Straßburg und weiteren Orten9 und eben jenes große, auch Boppard einschließende mittelrheinische Tuchgebiet, das sich mit Schwerpunkt in Taunus und Wetterau vom Westerwald und von Niederhessen bis zum Oberrhein mit Speyer im Süden erstreckte, aber auch links des Rheins einzelne Orte in Eifel,

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Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte, 78), Wiesbaden 1986; vgl. speziell auch Holbach, Rudolf, Exportproduktion und Fernhandel als raumbestimmende Kräfte. Entwicklungen in nordwesteuropäischen Gewerbelandschaften vom 13. bis 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 13 (1987), S. 227–256. Im Kontext der Protoindustrialisierungsdiskussion etwa Kiessling, Rolf, Ländliches Gewerbe im Sog der Proto-Industrialisierung? Ostschwaben als Textillandschaft zwischen Spätmittelalter und Moderne, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1998) H. 2, S. 49–78. Irsigler, Franz, Die wirtschaftliche Stellung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert. Strukturanalyse einer spätmittelalterlichen Exportgewerbe- und Fernhandelsstadt (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte, 65), Wiesbaden 1979, S. 12. Ammann, Hektor, Deutschland und die Tuchindustrie Nordwesteuropas im Mittelalter, jetzt in: Haase, Carl (Hg.), Die Stadt des Mittelalters, Bd. 3 (Wege der Forschung, 245), Darmstadt 19843, S. 55–136, hier S. 79. Ammann, Hektor, Der hessische Raum in der mittelalterlichen Wirtschaft, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 8 (1958), S. 37–70, hier S. 53. Im Elsass ist eine bedeutendere Tuchherstellung in Straßburg um 1200 fassbar, im 14. und 15. Jh. in Hagenau/Haguenau, Zabern/Saverne, Oberehnheim/Obernai, Pfaffenhofen/ Pfaffenhoffen, Weißenburg/Wissembourg und Saarburg/Sarrebourg. Die Gegend um Épinal ordnete Ammann hingegen den verschiedenen Zonen mit einer spätmittelalterlichen Billigtuchherstellung zu; Ammann, Hektor, Von der Wirtschaftsgeltung des Elsaß im Mittelalter, Lahr 1956, S. 68f. u. S. 72–75.

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Hunsrück und Pfalz sowie als angebliche Exklaven Trier und Luxemburg miteinschloss10. Die materialreichen Aufsätze des unermüdlich sammelnden Schweizer Wirtschaftshistorikers stellten mit ihren instruktiven Karten wichtige Meilensteine wirtschaftsgeschichtlicher Forschungen dar. Sie sind allerdings inzwischen von verschiedener Seite, auch von Franz Irsigler selbst, modifiziert, verfeinert und ergänzt worden11. In den nördlichen Rheinlanden hat Ammann nur die vier ihm besonders wichtig erscheinenden Orte herausgestellt, die Zahl zu nennender Produktionsplätze ist aber weit höher. Für das späte Mittelalter hat Irsigler zudem gerade am Modellfall von Köln die Entstehung einer Wirtschaftseinheit oder doch eines hierarchisch gegliederten Zentralitätsgefüges um die rheinische Metropole herausgearbeitet, auf deren Tuchherstellung und Tuchhandel spezialisierte umliegende Orte zugeordnet waren12. Deutz

10 Der große mittelrheinische Tuchbezirk bildete sich im 13. Jh. heraus und erlebte seinen Höhepunkt im 14. und 15. Jh., wobei hierfür die Absatzmöglichkeiten über das gleichzeitige mittelrheinische Messesystem mit Frankfurt und Friedberg von ausschlaggebender Bedeutung waren; Ammann, Der hessische Raum (wie Anm. 8). Zu Beschäftigtenzahlen in Frankfurt, Mainz, Speyer und Landau im 14./15. Jh. Wesoly, Kurt, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, ihre soziale Lage und ihre Organisation vom 14. bis ins 17. Jahrhundert (Studien zur Frankfurter Geschichte, 18), Frankfurt (M.) 1985, S. 38. 11 Ammanns Karte der deutschen Tuchgebiete lässt auch klar erkennen, dass er den Süden bevorzugt und den Hanseraum weitgehend vernachlässigt hat. Auch in diesem finden sich aber zahlreiche Plätze der Tuchherstellung. Dazu Holbach, Rudolf, Zur Handelsbedeutung von Wolltuchen aus dem Hanseraum, in: Jenks, Stuart / North, Michael (Hg.), Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, NF 39), Köln / Weimar / Wien 1993, S. 135–190. 12 Gerade in der Einführung und stärkeren Durchsetzung des Zentralitätskonzepts, das allerdings auch Ammann – wie seine Nürnberger Forschungen zeigen – vom Grundsatz her nicht ganz fremd war, hat sich der Jubilar besondere Verdienste erworben; vgl. z. B. Lit. Anm. 5 sowie Irsigler, Franz, Stadt und Umland im Spätmittelalter: Zur zentralitätsfördernden Kraft von Fernhandel und Exportgewerbe, in: Meynen, Emil (Hg.), Zentralität als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen, 8), Köln / Wien 1979, S. 1–14; Eiden, Herbert / Irsigler, Franz, Environs and hinterland: Cologne and Nuremberg in the later middle ages, in: Galloway, James A. (Hg.), Trade, Urban Hinterlands and Market Integration c. 1300–1600 (Centre for Metropolitan History. Working Papers Series, 3), London 2000, S. 43–57; auch als .

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schon 123013, im 14. bzw. 15. Jh. Münstereifel14, Düren15, Burtscheid16, Valkenburg, Erkelenz, Siegburg17, Montabaur18 oder Hachenburg und verschiedene Handwerker im Arembergischen orientierten sich in ihrer Weberei auf den Kölner Markt, und man darf davon ausgehen, dass die Produktion dieser Stätten teilweise von der rheinischen Metropole aus gesteuert wurde. Ähnliche Entwicklungen gelten für die Maas, wo sich bereits im späten Mittelalter im Rahmen des eben erwähnten Verdichtungsprozesses zugleich eine nennenswerte Tuchproduktion an kleineren Plätzen und auf dem Lande entwickelte19 und dann speziell der Raum um Verviers Lüttich Konkurrenz machte20. Ebenso wichtige Ergänzungen sind weiter im Süden anzubringen, wo die bereits sehr frühe Bedeutung Lothringens in der Tuchproduktion erst in jüngerer Zeit den gebüh-

13 Herborn, Wolfgang, Zunftwesen und Handwerk im Schatten einer Großstadt: Das Beispiel Deutz, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 45 (1981), S. 135–182, hier S. 137–139, der freilich annimmt, dass die Initiative von den Deutzer Webern und nicht von Köln ausging. Vgl. auch Herborn, Wolfgang, Kleinstädtisches Tuchmachergewerbe im Kölner Raum bis in die frühe Neuzeit: Deutz, Münstereifel, Siegburg, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 27 (1987/88), S. 59–82, hier S. 59f. 14 Irsigler, Köln (wie Anm. 6), S. 44; Herborn, Tuchmachergewerbe (wie Anm. 13), S. 60– 67. 15 Irsigler, Köln (wie Anm. 6), S. 44f. Für Düren auch: Flink, Klaus, Düren (Rheinischer Städteatlas, 9,2), Köln 1974, bes. S. 8; Fehr, Martin, Geschichte der Dürener Tuchmacher, hg. zum 75jährigen Jubiläum des Dürener Webervereins 1927, Düren 1927; Bruckner, Clemens, Zur Wirtschaftsgeschichte des Regierungsbezirks Aachen (Schriften zur rheinischwestfälischen Wirtschaftsgeschichte, 16), Köln 1967, S. 362–364. Zu Verbindlichkeiten von Dürenern gegenüber Kölner Bürgern etwa: Kaemmerer, Walter (Hg.), Urkundenbuch der Stadt Düren 748–1500, Bd. 1 (Beiträge zur Geschichte des Dürener Landes, 12), Düren 1971, Nr. 163, S. 196–199; Nr. 192, S. 232f.; Nr. 214, S. 260f. u. Nr. 409, S. 626. 16 Irsigler, Köln (wie Anm. 6), S. 45. 17 Für Siegburg Herborn, Tuchmachergewerbe (wie Anm. 13), S. 68–80 (ohne direkte Belege für Verlag). 18 Das Montabaurer Wollhandwerk hatte 1491 angeblich nicht weniger als 500 Mitglieder; so Meister, Karl A. A., Stadt und Burg Montabaur, Montabaur 1876, S. 33. Montabaurer, Limburger und anderes Tuch erwarb im 16. Jh. auch die Augsburger Firma Haug-Langenauer-Link; Meilinger, Johannes, Der Warenhandel der Augsburger Handelsgesellschaft Anton Haug, Hans Langenauer, Ulrich Link und Mitverwandte (1532–1562.), Diss. Leipzig, Gräfenhainichen 1911, S. 47; Meilinger, Johannes, Die nassauische Wollenindustrie im 16. Jahrhundert, in: Nassauische Annalen 41 (1910/11), S. 324–336, hier S. 327. 19 Holbach, Exportproduktion (wie Anm. 4), S. 245; Holbach, Frühformen (wie Anm. 4), S. 80f. 20 Hierzu etwa auch Delatte, Ivan, Le commerce et l’industrie de Verviers au XVIe siècle, in: Bulletin de la Société Verviétoise d’Archéologie et d’Histoire 40 (1953), S. 7–21.

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renden Niederschlag gefunden hat und zahlreiche neue Tuchorte belegt sind21. Hier wurde vom Zentrum Saint-Nicolas-de-Port aus versucht, die Weberei in umliegenden Orten zu kontrollieren22. Vor allem aber ließen sich scheinbare Lücken zwischen den Textilgewerbelandschaften auf Ammanns Kartenbild füllen. So bildete sich im Raum an der Saar – wo Saarburg im Jahre 1508 ein eigenes Siegel erhielt – im 15./16. Jh. ein ganzes Netz tuchproduzierender Orte heraus23, entwickelte sich im Hunsrück und in der Pfalz verschiedenenorts eine durchaus nennenswerte Produktion24 und darf die Tuchherstellung des luxemburgischen Raumes keineswegs geringgeschätzt wer-

21 Girardot, Alain, Le droit et la terre. Le Verdunois à la fin du Moyen Age, 2 Bde., Nancy 1992, S. 16–46 u.ö.; Clemens, Lukas / Matheus, Michael, Zur Entwicklung von Tuchproduktion und Tuchhandel in „Oberlothringen“ im hohen Mittelalter (ca. 900–1300), in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 75 (1988), S. 15–31; Biesel, Elisabeth / Holbach, Rudolf, Entwicklungen des Tuchgewerbes im lothringischen Raum im späten Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit, in: Burgard, Friedhelm / Cluse, Christoph / Haverkamp, Alfred (Hg.), Liber amicorum necnon et amicarum für Alfred Heit. Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte und geschichtlichen Landeskunde (Trierer Historische Forschungen, 28),Trier 1996, S. 283–298. 22 Biesel / Holbach, Entwicklungen (wie Anm. 21), S. 284f. 23 Clemens, Lukas / Matheus, Michael, „Gemircke, Zeichen oder Siegel“. Beobachtungen zur Struktur des Textilgewerbes an der Saar, vornehmlich im 15. und 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 20 (1985), S. 25–60. 24 Hinweise freilich bereits bei Ammann: Kreuznacher Tuch wird 1343 für Frankfurt, 1375 für Basel angegeben, das Tuch von Kirn a.d. Nahe erscheint 1451 in Frankfurt und Darmstadt, das von Bingen 1455, das von Kirchberg und von Sobernheim 1490 in Frankfurt, letzteres gleichzeitig auch in Marburg; Ammann, Der hessische Raum (wie Anm. 8), S. 66. Für Speyer und Landau Wesoly, Lehrlinge (wie Anm. 10), S. 36–38; für Kaiserslautern Christmann, Ernst / Friedel, Heinz, Kaiserslautern einst und jetzt. Beiträge zur Geschichte der Großstadt Kaiserslautern von der Vor- und Frühgeschichte bis zu den heutigen Flur- und Straßennamen (Schriften zur Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern, 12), Kaiserslautern 19762, S. 87; für Hornbach unten Anm. 35; für Kirn Feld, Rudolf, Das Städtewesen des Hunsrück-Nahe-Raumes im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit. Untersuchungen zu einer Städtelandschaft, Diss. Mainz, Trier 1972, S. 175; für Tuche aus Kirn (und Trier) in Darmstadt 1451/52 Demandt, Karl E. (Bearb.), Regesten der Grafen von Katzenelnbogen 1060–1486, Bd. 3 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 11), Wiesbaden 1956, Nr. 6095 Art. 55 u. 57 S. 1836; für Sobernheim Schaus, Emil, Stadtrechtsorte und Flecken im Regierungsbezirk Koblenz, in: Rheinische Heimatpflege 9 (1937), S. 388–422, hier S. 415; für Neustadt und Meisenheim etwa Zink, Theodor, Pfälzische Zunftordnungen, in: Pfälzisches Museum 44 (1927), S. 210–215, hier S. 213.

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den.25 Schließlich lassen sich im Kurtrierischen, wo außer der Stadt Trier selbst26 zunächst Mayen, Montabaur, Limburg und eben auch Boppard als wichtigere Standorte erwähnt seien, im Raum von Mosel und Eifel im Laufe des späten Mittelalters und in der frühen Neuzeit weitere kleinere Tuchverarbeitungsplätze nachweisen. So sei Monreal genannt, dessen Erzeugnisse neben denen von Mayen bereits im Mittelalter über Andernach vertrieben wurden27. Direkt am Mittelrhein sind zwischen Koblenz und Bingen außer in Boppard, St. Goarshausen, Oberwesel und Lorch noch an einigen weiteren Plätzen Tuchhandwerker belegt, wenngleich sie z. T. nur für den lokalen Bedarf produziert haben dürften28. Berufe wie die eines Wollschlägers in Aßmannshausen 1339 deuten aber durchaus auf eine stärkere handwerkliche Differenzierung hin29. Insgesamt ergibt sich so ein viel reicheres und vielfältigeres Bild der Textilherstellung zwischen Maas und Rhein als noch vor wenigen Jahrzehnten. Dabei ist sowohl eine Zunahme der Standorte in alten Gewerbelandschaften – z. T. bezogen auf bestehende Zentren – als auch ein Aufstieg einzelner neuer Tuchregionen zu erkennen, wobei klare Abgrenzungen zwischen den Zonen, wie sie Ammann noch vollzogen hat, bei einer starken Überlagerung der Räume mittlerweile problematisch erscheinen.

25 Holbach, Rudolf / Pauly, Michel, Das „Lutzelburger duch“. Zur Geschichte von Wollgewerbe und Tuchhandel der Stadt Luxemburg und des umgebenden Raumes vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit, in: Pauly, Michel (Hg.), Schueberfouer 1340–1990. Untersuchungen zu Markt, Gewerbe und Stadt in Mittelalter und Neuzeit (Publications du CLUDEM 1), Luxemburg 1990, S. 71–111. 26 Arlt, Alfred, Geschichte der Trierer Wollindustrie, besonders der Wollweberzunft, in: Gesellschaft für nützliche Forschungen zu Trier (Hg.), Trierer Heimatbuch. Festschrift zur rheinischen Jahrtausendfeier 1925, Trier 1925, S. 129–176; Matheus, Michael, Trier am Ende des Mittelalters. Studien zur Sozial-, Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte der Stadt Trier vom 14. bis 16. Jahrhundert (Trierer Historische Forschungen, 5), Trier 1984, S. 69f., S. 78–80 u. S. 83. Für das Textilgewerbe im Trierer Raum in der frühen Neuzeit: Irsigler, Franz, Wirtschaftsgeschichte der Stadt Trier 1580–1794, in: Düwell, Kurt / Irsigler, Franz (Hg.), Trier in der Neuzeit (2000 Jahre Trier, 3), Trier 1988, S. 99–201, hier S. 105– 121. 27 Huiskes, Manfred, Andernach im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts (Rheinisches Archiv, 111), Bonn 1980, S. 235f. 28 Volk, Otto, Wirtschaft und Gesellschaft am Mittelrhein vom 12. bis zum 16. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 63), Wiesbaden 1998, Karte S. 407. Für Manderscheid etwa Hesse, Günter / Schmitt-Kölzer, Wolfgang, Manderscheid. Geschichte einer Verbandsgemeinde in der südlichen Vulkaneifel, Manderscheid 1986, S. 233. 29 Volk, Wirtschaft (wie Anm. 28), S. 406.

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II. Gerade vor dem Hintergrund der gewerblichen Verdichtung im späten Mittelalter und der Bedeutung auch kleinerer Tuchverarbeitungszentren für den Fernhandel erscheint die spätmittelalterliche Bopparder Weberordnung von speziellem Interesse30. Ihre Entstehung wird für die zweite Hälfte des 14. Jhs. angenommen. Vom Schriftbild her dürfte sie in der Tat in diese Zeit oder aber ins beginnende 15. Jh. gehören. Sie zählt damit zwar nicht zu den frühesten derartigen Zeugnissen aus vergleichbaren Städten. Dennoch ist die Zahl an bekannten Zunftordnungen bzw. Privilegierungen von Handwerkern aus dem Rhein-Maas-Raum vor dem 15. Jh. überschaubar (Karte 1). Zu nennen sind etwa aus dem 13. Jh. an der Maas die Regelungen von Huy 1234 und Maastricht 1276, an der Mosel die von Toul 1251 und Sierck 1295, am Oberrhein die von Straßburg 1217 und Speyer vor 1280, im Norden die des Kölner Nachbarorts Deutz 1230, das sich an unbekannte Statuten der rheinischen Metropole anlehnte, sowie die Bestimmungen aus Emmerich 1299 und möglicherweise aus Wesel.31 Im 14. Jh. finden sich am Nordrhein weiterhin Verfügungen oder Vereinbarungen betreffend Goch, Rees, Kalkar, Kleve, Xanten oder das Privileg für Geldern32, an der Maas und in den Ardennen Regelungen für 30 Landeshauptarchiv Koblenz Abt. 618, Nr. 11. Vgl. dazu auch Volk, Otto, Boppard im Mittelalter, in: Missling, Heinz E. (Hg.), Boppard. Geschichte einer Stadt am Mittelrhein, Bd. 1, Boppard 1997, S. 239f; Volk, Wirtschaft (wie Anm. 28), S. 409f. 31 Fairon, Émile (Hg.), Chartes confisquées aux bonnes villes du pays de Liège et du comté de Looz après la bataille d’Othée (1408), Brüssel 1937, S. 404; Panhuysen, Gerard Willem Augustinus, Studiën over Maastricht in de dertiende eeuw, Maastricht 1933, S. 129; Lepage, Henri, Les communes de la Meurthe. Journal historique des villes, bourgs, villages, hameaux et censes de ce département, Bd. 2, Nancy 1853, S. 562, Clemens / Matheus, Tuchproduktion (wie Anm. 21), S. 27; Schmoller, Gustav, Die Straßburger Tucher- und Weberzunft. Urkunden und Darstellung nebst Regesten und Glossar. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Weberei und des Gewerberechts vom XIII.–XVII. Jahrhundert, Straßburg 1879, S. 365; Hilgard, Alfred (Hg.), Urkunden zur Geschichte der Stadt Speyer, Straßburg 1885, Nr. 199, S. 155–158; Angaben oben Anm. 13; Dederich, Andreas, Annalen der Stadt Emmerich. Meist nach archivalischen Quellen, Emmerich 1867, S. 103f. u. S. 107–109; Prieur, Jutta / Reininghaus, Wilfried (Hg.), Wollenlaken, Trippen, Bombasinen. Die Textilzünfte in Wesel zwischen Mittelalter und Neuzeit (Studien und Quellen zur Geschichte von Wesel, 5), Wesel 1983, S. 14f. 32 Liesegang, Erich, Niederrheinisches Städtewesen vornehmlich im Mittelalter. Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte der clevischen Städte (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, 52), Breslau 1897, S. 623f. u. S. 626f.; Scholten, Robert, Die Stadt Cleve. Beiträge zur Geschichte derselben meist aus archivalischen Quellen, Cleve 1879, S. 543f. u. CX–CXV, Nr. 75; Bergrath, P. B., Das Wüllenamt zu Goch. Ein Beitrag

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Yvois-Carignan, Lüttich oder Namur33. Hinzu kommen am Nordrand der Eifel die Vorschriften für Aachen oder die Verleihung des Kölner Rechts an Münstereifel und im Luxemburgischen der Privilegienbrief und die Statuten für die Stadt Luxemburg34, im pfälzisch-saarländischen Raum Maßnahmen für Hornbach 137035, im Raum von Lothringen und Bar Ordnungen für Metz, Gondrecourt, Bar-le-Duc oder Saint-Mihiel36, schließlich im Elsass Bestimmungen aus Haguenau 1356, aus Saverne und Obernai 139037. Für den rechtsrheinischen Raum um den Mittelrhein seien noch 1343 die Regelungen für Hachenburg in der Grafschaft Sayn genannt38. Es zeigt sich damit, dass die Bopparder Ordnung sich in eine Kette vergleichbarer Zeugnisse einfügt, die sich indessen in nicht unwichtigen Details unterschei-

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zur Geschichte der Industrie und des Zunftwesens im Herzogtum Geldern, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 5 (1857), S. 90–136, 6 (1859), S. 41–83, hier S. 97f., auch S. 102 u. S. 108; Henrichs, Leopold, Das alte Geldern. Gesammelte Schriften zur Stadtgeschichte, Geldern 1971, S. 258. Zu Neuss Huck, Jürgen, Neuss, der Fernhandel und die Hanse. T. 1. Neuss zum Ende der Hansezeit (Schriftenreihe des Stadtarchivs Neuss, 9,1), Neuss 1984, S. 65f. Fairon, Emile, Régestes de la cité de Liège, Bd. 2, Lüttich 1937, Nr. 5, S. 125f.; Hansotte, Georges, Naissance et developpement des métiers liégeois (XIIIe et XIVe siècles), in: Bulletin de la Société d’Art et d’Histoire du Diocèse de Liège 36 (1950), S. 1–34, hier S. 7f.; De Spiegeler, Pierre, La draperie de la cité de Liège des origines à 1468, in: Le Moyen Age 85 (1979), S. 45–86, hier S. 63f.; Gaber, Stéphan, Histoire de Carignan et du pays d’Yvois (Le Cahier d’études ardenaises, 9), Charleville-Mézières 1976, S. 320f.; Yante, Jean-Marie, La draperie à Arlon et dans les campagnes de la prévôté du XIVe siècle au milieu du XVIe siècle, in: Bulletin trimestriel de l’Institut archéologique du Luxembourg (Arlon) 56 (1980), H. 1–2, S. 13–36, hier S. 14; Borgnet, Jules / Bormans, Stanislas, Histoire de la commune de Namur au XIVe et au XVe siècle, Namur 1876, S. 170. Loersch, Hugo (Hg.), Achener (sic!) Rechtsdenkmäler aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert, Bonn 1871, Nr. 12, S. 75–79; Herborn, Tuchmachergewerbe (wie Anm. 13), S. 61; Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 106–111. Für Düren um 1400 Urkundenbuch Düren (wie Anm. 15), Nr. 200, S. 245. Drumm, Ernst, Geschichte der Stadt Hornbach (Schriften zur Zweibrücker Landesgeschichte, 7), Hornbach 1952, S. 20. Archives départementales de Meurthe-et-Moselle B 364 fol. 57v-61r; Duvernoy, Emile, Les corporations ouvrières dans les duchés de Lorraine et de Bar au XIVe et au XVe siècles, Nancy 1907 (Extrait de l’Annuaire de Lorraine, 1905–1907), S. 20f.; Aimond, Charles, Histoire de Bar-le-Duc, Bar-le-Duc 1953, S. 54f.; Girardot, Le droit (wie Anm. 21), S. 45 mit Anm. 3, auch S. 653; Libis, Marie-Madeleine, La fabrication du drap à Metz au Moyen âge, in: Annales de l’Est, 4e sér. 4 (1936), S. 131–162 u. S. 353–369, hier S. 152. Ammann, Elsaß (wie Anm. 9), S. 72f. Söhngen, W., Geschichte der Stadt Hachenburg. Zugleich Festschrift zur Sechshundertjahrfeier der Stadt, Hachenburg 1914, S. 318–320.

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den. So enthalten gerade die Bopparder Artikel nicht nur aufschlussreiche Aussagen über Material und Technik der Tuchherstellung, sondern erlauben auch Rückschlüsse auf Produktionskosten und Löhne. Wenn dann eine noch größere Zahl an Gewerbeordnungen und Belegen für Zünfte im 15. und 16. Jh. zu erkennen ist, kann dies als Hinweis auf eine weiter wachsende Bedeutung des betreffenden Produktionszweiges gewertet werden. Allerdings ist an eine allgemeine Tendenz zu einer herrschaftlich-städtischen Durchdringung, zur Organisierung und Reglementierung verschiedener Lebensbereiche zu erinnern. Ein auffälliges Phänomen im ausgehenden Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit ist allgemein die – z. T. herrschaftlich bedingte – Entwicklung überlokaler Zunftverbände oder doch gemeinsamer Vereinbarungen, was besonders und z. T. relativ früh im Süden und speziell Südwesten des Rhein-Maas-Raumes zu beobachten ist39. Verschiedentlich lässt sich bei der Organisation von Gewerben auch eine Anlehnung kleinerer an größere Zentren beobachten40. So sind über Organisation und Gemeinsamkeiten rechtlicher Rahmenbedingungen partiell ebenfalls Raumeinheiten und regionale Beziehungsgefüge zu erkennen. Durch Gründung einer neuen Zunft konnte allerdings umgekehrt auch eine Lösung von bisherigen Bindungen und eine Verselbständigung versucht werden41.

III. Bei der Rohstoffbeschaffung im Wollgewerbe insgesamt ist ein Nebeneinander und teilweise eine Überlagerung regionaler wie weitgespannter Wirtschaftsbeziehungen zu erkennen. Bei Verwendung einheimischer Rohstoffe konnten für etliche Zentren das Umland oder Nachbarregionen eine Lieferantenfunktion übernehmen. Dies konnte mit dem Aufbau einer größeren Schafzucht oder mit der Entwicklung von Sonderkulturen verbunden sein, d. h. mit durchaus gravierenden Veränderungen im Agrarsektor. Für den bis zur Durchsetzung des Indigo zum Blaufärben be39 Siehe etwa für Gondrecourt 1377 und Bar 1384 Aimond, Bar-le-Duc (wie Anm. 36), S. 54f.; Girardot, Le droit (wie Anm. 21), S. 45 mit Anm. 3, auch S. 653; für Lothringen 1495 Lepage, Les communes (wie Anm. 31), Bd. 2, S. 481f. Für Zweibrücken, Hornbach und Kirkel Kampfmann, L., Pfälzische Zunftordnungen aus dem 15. Jahrhundert, in: Westpfälzische Geschichtsblätter 14 (1910), S. 6–8, S. 10–12, S. 15f. u. S. 20, hier S. 10f. 40 Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“, S. 85f. mit Anm. 96. 41 Dies gilt in der Frühen Neuzeit für Allenbach im Hunsrück, das 1618 eine eigene Organisation erhielt, sich zuvor hingegen an Herrstein bzw. Birkenfeld orientiert hatte; Landeshauptarchiv Koblenz Abt. 33 Nr. 7501.

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nutzten Waid ist so auf den Anbau am Niederrhein um das Zentrum Köln bzw. in der Nähe der Tuchgewerbezentren in der Maasregion hinzuweisen42. Krapp hingegen, aus dessen Wurzel ein roter Farbstoff gewonnen wurde, wurde u. a. in der Gemarkung von Speyer und in umliegenden Ortschaften gezogen; die Pflanze war um die Mitte des 14. Jhs. Objekt von der Stadt ausgehender Intensivierungsbestrebungen und auch der Spekulation43. Belege für eine mehr oder weniger große Schafzucht sind gerade für den Raum von Maas und Rhein in beträchtlicher Zahl vorhanden, vom Ardennenraum bis nach Lothringen, vom Niederrhein bis zur Pfalz44. Zumindest partiell lassen sich aus den Quellen – besonders durch die Nennung von Bezugs- bzw. Absatzorten für Wolle – tatsächlich kleinräumige Wirtschaftsbeziehungen und Zentralitätsgefüge bzw. Wirtschaftseinheiten erschließen, so für Trier, das seinerseits ein Wollmarkt wurde45, mit der Eifel, dem Huns42 Reinicke, Christian, Agrarkonjunktur und technisch-organisatorische Innovationen auf dem Agrarsektor im Spiegel niederrheinischer Pachtverträge 1200–1600 (Rheinisches Archiv, 123), Köln / Wien 1989, S. 215–222; Joris, André, Les moulins à guède dans le comté de Namur pendant la seconde moitié du XIIIe siècle, in: Le Moyen Age 65 (1959), S. 253– 278; Herbillon, Jules / Joris, André, Les moulins à guède en Hesbaye au moyen âge, in: Revue Belge de Philologie et d’Histoire 42 (1964), S. 495–515. 43 Daher sah man sich damals und später sogar zu Einschränkungen direkter oder finanzieller Beteiligung von Speyerer Bürgern am Gewinnen von Röte veranlasst. Vgl. Doll, Anton, Farbstofferzeugung und Farbstoffhandel im alten Speyer, in: BASF (Ludwigshafen) 4 (1954), S. 199–203; Mone, Franz Joseph, Die Weberei und ihre Beigewerbe vom 14. bis 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 9 (1858), S. 129–189, hier S. 186f. (Hinweis auf Überangebot und demgegenüber Fehlen von Getreide). 44 Vgl. bes. Reinicke, Christian, L’élevage des moutons dans les régions montagneuses de l’Allemagne occidentale au Moyen âge et à l’époque moderne, particulièrement dans les régions de l’Eifel et du Hunsrück, in: L’élevage et la vie pastorale dans les montagnes de l’Europe au moyen âge et à l’époque moderne (Publications de l’Institut du Massif Central, 27), Clermont-Ferrand 1984, S. 37–54 mit Karte S. 38; Reinicke, Christian, Agrarkonjunktur (wie Anm. 42), S. 199–213. Zur Wolle auch Pohl, Hans, Zur Geschichte von Wollproduktion und Wollhandel im Rheinland, in Westfalen und Hessen vom 12. bis zum 17. Jahrhundert, in: Spallanzani, Marco (Hg.), La lana come materia prima. I fenomeni della sua produzione e circolazione nei secoli XIII–XVIII. Atti della „Prima Settimana di Studio“ (18–24 aprile 1969) (Istituto Internazionale di Storia Economica „F. Datini“ Prato, Pubblicazioni – Ser. II, Atti delle „Settimane di Studio“ e altri Convegni, 1), Florenz 1974, S. 89–96. 45 Vgl. auch Voigt, August, Handwerk und Handel in der späteren Zunftzeit. Versuch einer quellenmäßig-systematischen Darstellung der Wirtschaftsanschauungen des Gewerbes und Handels in ihrem Wandel vom Beginn des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nach Quellen zur Wirtschaftsgeschichte der Stadt Trier, Stuttgart 1929, S. 47, Anm. 31.

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rück sowie dem Saarraum46. Orte wie in Lothringen Neufchâteau47 oder die im 16. Jh. in der Pfalz entstandenen Zentren Lambrecht, Otterberg und Frankenthal erhielten teilweise ebenfalls ihre Wolle aus der Umgebung48. Verschiedene Städte im Rhein-Maas-Raum fungierten zudem im späten Mittelalter selbst als regionale Wollmärkte und Verteilerzentren mit einem mehr oder weniger großen Einzugsbereich, und dies gilt keineswegs nur für große, über ein eigenes bedeutenderes Tuchgewerbe verfügende Metropolen wie Köln49 oder Metz, das lothringischen, aber auch luxemburgischen Abnehmern Einkaufsmöglichkeiten bot50. Es trifft vielmehr ebenso für kleinere Marktorte wie Saint-Mihiel51, Ratingen52, Erkelenz53 oder Düren zu, von dem z. B. im ausgehenden Mittelalter Wolle in den Maasraum bis nach Maastricht oder Weert gelangte54. Obwohl das ganze sich entwickelnde Netz von Märkten im Rhein-Maas-Raum in seiner räumlichen und zeitlichen Dichte und mit dem jeweils mehr oder weniger großen Einzugsbereich immer noch nicht genügend erforscht ist55, ist klar, dass sich durch diese Entwicklungen etliche infra46 Zur Trierer Versorgung mit Wolle und Krapp Matheus, Trier (wie Anm. 26), S. 37–39; Clemens / Matheus, „Gemircke“ (wie Anm. 23), S. 50–52; Irsigler, Wirtschaftsgeschichte Trier (wie Anm. 26), S. 108; Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 73. 47 Hier gab es unmittelbar maasabwärts gelegene Weidelandschaften bei Frebécourt, Coussey und Domrémy; Marot, Pierre, Neufchâteau en Lorraine au moyen âge, Nancy 1932, S. 218. 48 Buehler, Friedrich, Die Entwicklung der Tuchindustrie in Lambrecht (Wirtschafts- u. Verwaltungsstudien mit besonderer Berücksichtigung Bayerns, 50), Leipzig 1914, S. 17. Zur möglichen Versorgung lothringischer Textilherstellung aus der Pfalz Clemens / Matheus, „Gemircke“ (wie Anm. 23), S. 51. 49 Vgl. auch Pohl, Wollproduktion und Wollhandel (wie Anm. 44), S. 92f. Zur komplizierten Entwicklung der Kölner Wollversorgung und des Wollhandels aber Irsigler, Köln (wie Anm. 6), S. 37–43. 50 Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 73f. 51 Marot, Neufchâteau (wie Anm. 48), S. 225. 52 Petri, Franz, Das bergische Land in der älteren deutschen Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 20 (1955), S. 61–79, hier S. 75 (Wollmarkt 1442). 53 Zum Maiwollmarkt in Erkelenz 1346 siehe die Angaben bei Flink, Klaus, Erkelenz (Rheinischer Städteatlas 15,3), Köln 1976, S. 4. 54 Zum Wollausfuhrhandel von Düren (z. B. nach Maastricht, Weert) Flink, Düren (wie Anm. 15), S. 15. 55 Wichtige Ansätze finden sich nicht zuletzt im Sammelband: Johanek, Peter / Stoob, Heinz (Hgg.), Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen, 39), Köln / Weimar / Wien 1996, vor allem mit den Beiträ-

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strukturelle Voraussetzungen für eine regionale Versorgung ergaben56. Darüber hinaus lässt sich insbesondere bei Produktionsstätten von größerer Bedeutung eine direkte oder indirekte Rohstoffbeschaffung über weitere Strecken nachweisen. Dabei ist nicht nur an die partielle Verwendung hochwertiger englischer Wolle in den alten Zentren wie Huy, Lüttich, Köln und Aachen zu denken57, sondern auch an kaufmännisch vermittelte Importe anderer Art, z. T. aus etwas weiter entfernten deutschen Räumen58. Besonders wichtig für den Bezug aus der Ferne war das Aufsuchen bedeutender Umschlagplätze, speziell der Frankfurter Messen59. Dorthin zogen nicht nur die Kaufleute aus den nördlichen und östlichen, sondern auch aus den westlichen Teilen des Rhein-Maas-Raumes, so aus Luxemburg oder Saint-Nicolas-de-Port. Die Vermittlung der Rohstoffe durch Händler scheint diesen teilweise sogar als Ansatzpunkt für die verlegerische Kontrolle der Produktion einer Stadt und ihres Umlandes gedient zu haben, z. B. in Saint-Nicolas-de-Port60. Zur Herkunft von Wolle und Färbemitteln wird in der Bopparder Quelle nichts ausgesagt; die Rede ist lediglich von gemengter (gemischter) wie von einfarbiger

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gen von Franz Irsigler und Michel Pauly. Gerade zu Messen und Märkten hat der Jubilar etliche weitere wichtige Arbeiten vorgelegt. Speziell für die Märkte am Mittelrhein Volk, Wirtschaft (wie Anm. 28), S. 661–697 mit Karte 28, S. 665. Joris, André, Documents concernant le commerce de Huy avec la Bohême et la HauteMeuse (XIIIe–XIVe siècles), in: Bulletin de la Commission Royale 137 (1971), S. 1–37, hier S. 9f.; Irsigler, Köln (wie Anm. 6), S. 38f.; De Spiegeler, La draperie (wie Anm. 33), S. 48–52. In Aachen nach Dahmen, Josef, Das Aachener Tuchgewerbe bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte der Stadt Aachen, Berlin / Leipzig / Wien 19302, S. 15, Bezug aus Brügge, ja 1273 bereits unmittelbar aus England. In Lennep im Bergischen Land z. B. wurde im 15. Jh. Wolle aus Niedersachsen und Sachsen bezogen, im 16. Jh. über Lübeck aber auch aus England; Stursberg, Ernst Erwin, Zur älteren Geschichte Lenneps (Beiträge zur Geschichte Remscheids, 7), Remscheid 1956, S. 81, S. 100 u. S. 104. Zum Frankfurter Woll- und Waidhandel Dietz, Alexander, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 1–2, Frankfurt 1910–1921, ND Glashütten 1970, hier Bd. 1, S. 183–185, S. 229 u. S. 291f., Bd. 2, S. 254–257. Dietz weist auch auf Maastricht als wichtigen Stapelplatz für deutsche Wolle hin; Bd. 1, S. 247. Goch am Niederrhein hingegen bezog Wolle u. a. über Deventer; Bergrath, Wüllenamt (wie Anm. 32), S. 80. Kammerer-Schweyer, Odile, Saint-Nicolas-de-Port au XVIe siècle et le commerce de la draperie, in: Annales de l’Est 28 (1976), S. 3–38, hier bes. S. 22–32. Versorgt wurden von ihnen alle Orte, die der han angehörten, so Haraucourt, Raville, Einville, Lunéville, Gerbéville, Raon, Saint-Dié, Pulligny, Charmes, Mirecourt, Domjulien, Châtenois und Neufchâteau, daneben aber auch – wenngleich unregelmäßig – Arracourt, Mattaincourt, Sandaucourt und weitere kleinere Orte.

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(eynvar) Wolle61. Für die Bopparder Tuchherstellung kommen aber mehrere Bezugsquellen in Frage. Es ist zum einen anzunehmen, dass durchaus in stärkerem Maße einheimische Wolle aus der Umgebung Verwendung fand, ist doch die Schafzucht in den benachbarten Mittelgebirgsregionen von Hunsrück und Eifel zur Genüge bezeugt62 und gibt es sowohl Belege für eine grundherrliche und bäuerliche Schafzucht am oberen Mittelrhein wie für einen Wollverkauf auf dem Bopparder Markt63. Zum anderen kann man davon ausgehen, dass die Frankfurter Messen als Einkaufsort für Wolle dienten. Dort deckten sich jedenfalls auch andere Tuchhersteller aus dem mittelrheinischen Tuchgebiet ein, z. B. aus Mainz, Limburg oder Montabaur64. Verwendet werden sollte in Boppard jedenfalls nur hochwertiger Rohstoff. Aus Flocken, d. h. dem Abfall beim Kämmen, durfte ebensowenig wie von den snytzelingen, wohl vom Abfall beim Scheren, Qualitätstuch hergestellt werden. Ähnliche Verfügungen finden sich bereits in der Speyerer Tuchordnung aus der Zeit vor 1280. Sie zeugen von einem frühen Bestreben nach einer Sicherung der Marktgängigkeit und einer Standardisierung von Produkten für den Fernhandel65. Inwieweit es im Laufe der Zeit zu Veränderungen in der Versorgungslage kam, bedarf noch weiterer Untersuchung. Allgemein zeichnet sich wie anderernorts im Raum zwischen Rhein und Maas mit der Vermehrung und wachsenden Konkurrenz an einheimischen wie fremden Produktionsstätten spätestens in der Neuzeit ein Wandel ab. Zum einen sah man sich veranlasst, verstärkt aus fremden Regionen Wolle zu beschaffen. Zum anderen suchte man sich gegen Wollexporte aus dem eigenen Land zu schützen. Nachrichten aus verschiedensten Zentren und Herrschaften wie dem Amt Herrstein im Hunsrück66 oder Kurtrier allgemein67 lassen 61 Landeshauptarchiv Koblenz Abt. 618 Nr. 11 Art. 3. 62 Irsigler, Wirtschaftsgeschichte Trier (wie Anm. 26), S. 108f.; Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 72f. mit Belegen. 63 Volk, Wirtschaft (wie Anm.28), S. 303–313 mit Karte S. 307; Volk, Boppard (wie Anm. 30), S. 246f. 64 Zu entsprechenden Angaben im Konkursinventar des Claus Diepach von 1514 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte (wie Anm. 59), Bd. 2, S. 255. 65 Urkunden Speyer (wie Anm. 31), Nr. 199 S. 155–158; Keutgen, Friedrich, Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte (Ausgewählte Urkunden zur deutschen Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte, 1), Berlin 1901, ND Aalen 1965, Nr. 278, S. 372–374. Zur Datierung Voltmer, Ernst, Reichsstadt und Herrschaft. Zur Geschichte der Stadt Speyer im hohen und späten Mittelalter (Trierer Historische Forschungen, 1), Trier 1981, S. 192f. mit Anm. 92. 66 Dort wandte man sich 1519 gegen die Wollkäufe Fremder; Landeshauptarchiv Koblenz Abt. 700, 110, Nr. 60. 67 Die Bestimmungen für Kurtrier im Jahre 1551 zielten etwa auf Preisfestsetzung, Qualitätssicherung und ein allerdings mit der Verpflichtung zur Vorschussleistung verbundenes Ein-

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wachsende Befürchtungen hinsichtlich eines ausreichenden Bezugs für die ansässigen Gewerbe erkennen. Gegen drohende Engpasssituationen und Verteilungskämpfe richteten sich seit dem 16. Jh. Schutzmaßnahmen, die Für- und Aufkaufpraktiken einheimischer wie fremder Händler untersagten und auf eine Zuordnung ländlicher Rohstofferzeugung auf die im selben Herrschaftsgebiet gelegenen städtischen Verarbeitungszentren hinausliefen. Sie können zugleich als Ausdruck einer frühmerkantilistischen Gewerbepolitik gelten. Zur Zeit der Bopparder Weberordnung des späten Mittelalters scheint es indessen noch keine großen Versorgungsprobleme gegeben zu haben.

IV. Aus der Bopparder Quelle erfahren wir einiges über die Arbeitsgänge und Arbeitsteilung bei der Tuchherstellung, über die hierbei beteiligten Berufsgruppen und über die Löhne für die einzelnen Produktionsschritte. So ist vom Kämmen der Wolle und vom Beruf der Kämmerin die Rede, was belegt, dass hierfür am Ort ein eigenes Hilfsgewerbe vorhanden war. Dass auch in anderen mittleren und kleineren Städten mit dieser Tätigkeit eine eigene weibliche Berufsgruppe befasst war, zeigen z. B. Bestimmungen im niederrheinischen Wesel im 15. Jh.68; die Verordnung für die Hachenburger Weberzunft von 1343 spricht bereits das Problem an, dass eine kemmerße unrecht duet69. Die Bopparder Ordnung untersagt strengstens bei einer Strafe von 5 Mk., dass eine Kämmerin, die für Lohn kämmt, Wolle kauft oder verkauft bzw. Tuch macht oder machen lässt70. Wie sehr man eine Veruntreuung von Material durch Kämmerinnen befürchtete und diese auch in Abhängigkeit kaufsmonopol der inländischen Weber ab; Scotti, J.J. (Hg.), Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem vormaligen Churfürstenthum Trier über Gegenstände der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind, Bd. 1, Düsseldorf 1832, Nr. 85, S. 342f.; Rudolph, Friedrich (Hg.), Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der rheinischen Städte. Kurtrierische Städte I. Trier (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 29), Bonn 1915, Nr. 222, S. 488. Vgl. auch Eiler, Klaus, Handwerker und Landesherrschaft in Territorien zwischen Mosel und Nahe bis zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Kreuznach, 3), Kreuznach 1976, S. 59f.; insgesamt Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 75. 68 Wollenlaken (wie Anm. 31), S. 51–67. 69 Söhngen, Hachenburg (wie Anm. 38), S. 319. 70 Landeshauptarchiv Koblenz Abt. 618 Nr. 11 Art. 12.

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halten wollte, lässt sich aus einer Vielzahl von anderen Quellen aus verschiedenen Räumen erschließen71. Beim Spinnen wird deutlich, dass sowohl das Hand- als auch das Radspinnen in Boppard eine Rolle spielte. Das Spinnrad (rota) ist bereits weit früher in der ältesten Speyerer Ordnung aus der Zeit vor 1280 belegt, setzte sich allerdings teilweise erst im 15. Jh. stärker durch72. Angesichts der höheren Geschwindigkeit beim Radspinnen liegt es auf der Hand, dass dieses beim Stücklohn geringer berechnet wurde. So sollten in Boppard pro Pfund Wolle beim Handspinnen höchstens 16 alte Heller (ane dystilscheit73) bezahlt werden, beim Radspinnen hingegen maximal 10 alte Heller, während für ein Pfund geschlagener Wolle nur 8 Heller erlaubt waren. Ein Nebeneinander von Handspinnen und Radspinnen gab es auch in anderen Tuchregionen; es hängt nicht zuletzt mit den unterschiedlichen Anforderungen an Kett- bzw. Schussfaden zusammen74. 71 Dazu etwa Holbach, Frühformen (wie Anm. 4), S. 60f., S. 68, Anm. 129, S. 82, Anm. 236, S. 88, Anm. 288, S. 90, Anm. 295, S. 94, Anm. 338, S. 101, Anm. 397 u. S. 119, Anm. 531. Für Siegburg: Lau, Friedrich (Hg.), Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der rheinischen Städte. Bergische Städte I. Siegburg (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 29), Bonn 1907, S. 19; für Frankfurt: Schmidt, Benno (Hg.), Frankfurter Zunfturkunden bis zum Jahre 1612, Bd. 1 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Frankfurt a. M., 6), Frankfurt (M.) 1914, ND Wiesbaden 1968, S. 226. 72 Urkunden Speyer (wie Anm. 31), Nr. 278 S. 372–374; vgl. allg. Ludwig, Karl-Heinz, Spinnen im Mittelalter unter besonderer Berücksichtigung der Arbeiten „cum rota“, in: Technikgeschichte 57 (1990), S. 77–89. 73 Distelscheit wird als eigene Tuchsorte in Speyer erwähnt, die angeblich nur dort hergestellt wurde, bei: Alter, Willi, Von der Konradinischen Rachtung bis zum letzten Reichstag in Speyer (1420/22 bis 1570), in: Eger, Wolfgang (Red.), Geschichte der Stadt Speyer, Bd. 1, Stuttgart [u. a.] 1982, S. 369–570, hier S. 448. Ein Tuch mit der betreffenden Bezeichnung ließen auch die Grafen von Leiningen-Hartenburg kaufen; Bull, Karl-Otto, Die wirtschaftliche Verflechtung der Pfalz am Ende des Mittelalters (1440–1550), in: Beiträge zur pfälzischen Wirtschaftsgeschichte (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, 58), Speyer 1968, S. 53–96, hier S. 83. Zu sog. Distelspeyrer unten Anm. 153 sowie Weinzheimer, Volker, Ein Kaufmannshandbuch als Quelle zum mittelalterlichen Textilgewerbe Zugriff 31. 03. 2011. Für Speyerer Sorten (mit distel) auch: Bastian, Franz, Das Runtingerbuch 1383–1407 und verwandtes Material zum Regensburger-Südostdeutschen Handel und Münzwesen, Bd. 1 (Deutsche Handelsakten des Mittelalters und der Neuzeit, 6), Regensburg 1935, S. 425. 74 Dazu auch Endrei, Walter, Manufacturing a piece of woollen cloth in medieval Flanders: How many work hours?, in: Aerts, Erik / Munro, John (Hg.), Textiles of the Low Coun-

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Beim Weben wird zwischen zwei Sorten von Tuchen unterschieden, nämlich dem sog. sonnedicke und einem dreischäftigen Tuch, was wohl auf eine Köperbindung verweist. Die Tatsache, dass in Boppard auch das Noppen als eigener Arbeitsgang erwähnt wird, deutet erneut auf ein hierauf spezialisiertes Hilfsgewerbe hin, das wie an anderen Orten von Frauen betrieben worden sein dürfte75. Das zauwen wird mit einem halben Gulden Maximallohn von den Kosten her recht hoch angesetzt. Hinter dem Begriff verbergen sich unterschiedliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Fertigstellung der Tuche (Tuchbereiten). In Luxemburg waren die Zauwer mit dem Waschen und Trocknen bzw. Recken der Tuche befasst76; ob sie anderenorts auch mit den Scherern gleichzusetzen sind, die in der Bopparder Ordnung ansonsten nicht erwähnt werden, muss dahingestellt bleiben77. Dagegen wird der Beruf des Walkers in Boppard sehr wohl genannt, der vom Trog Tuchs 16 alte Heller und nicht mehr nehmen sollte. Offenbar erfolgte das Walken also noch nach traditioneller Manier in Bottichen (kumpen), ähnlich wie dies für hochwertigere Tuche in Köln und weitgehend auch in Aachen der Fall gewesen zu sein scheint78. Für Boppard wird eine Walkmühle in der Ordnung noch nicht erwähnt; sie hat allerdings spätestens um die Mitte des 15. Jhs. existiert. So war ein Walker namens Cuntz dem Bopparder Heilig-Geist-Hospital zu einem Zins von einer Walkmühle bei Boppard verpflichtet, und 1459 erscheint auch die Ortsangabe off der walkmolen79. Insgesamt setzten sich als größere technische Anlagen – allerdings eben nicht für die empfindlichen besonders hochwertigen Tuche – die spätestens

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tries in European economic history, Session B-15, Proceedings Tenth International Economic History Congress Leuven, August 1990, Löwen 1990, S. 14–23, hier S. 17. Für die nopersen in Siegburg: Quellen Siegburg (wie Anm. 71), S. 19. Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 84 mit Anm. 90. In Frankfurt beschäftigten 1355 die Zauwer Knechte zum Waschen und Karden; Frankfurter Zunfturkunden (wie Anm. 71), Bd. 1, S. 229. Herborn, Tuchmachergewerbe (wie Anm. 13), S. 70f.; siehe freilich: Quellen Siegburg (wie Anm. 71), S. 18 (ebenfalls Tätigkeit am Rahmen). In Köln sind Zeuwer und Tuchscherer unterschiedliche Berufe; siehe: Loesch, Heinrich von (Hg.), Die Kölner Zunfturkunden nebst anderen Kölner Gewerbeurkunden bis zum Jahre 1500, Bd. 2 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 22), Bonn 1907, ND Düsseldorf 1984, Nr. 746, S. 499, Art. 1. Irsigler, Köln (wie Anm. 6), S. 47; Bruckner, Clemens, Aachen und seine Tuchindustrie (Europäische Wirtschaft in Einzeldarstellungen), Horb a. N. 1949, S. 29; Bühl, Eduard, Die Aachener Textilveredlungsindustrie und die Monschauer Tuchindustrie. Eine wirtschaftskundlich-geschichtliche Gegenüberstellung, Diss. Köln 1950, S. 96f. Dort existierte im 14. Jh. noch ein sog. Kumphaus. Volk, Wirtschaft (wie Anm. 28), S. 408 Anm. 253.

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im 11. Jh. im französischen Bereich belegten Walkmühlen im Raum zwischen Maas und Rhein bereits seit dem 12. Jh. allmählich durch80. Im 14. und 15. Jh. nimmt ihre Zahl dann bereits beträchtlich zu, wobei sie sich z. T. in Händen der jeweiligen Zunft befanden81. Nicht selten lagen die vom Vorhandensein von Wasserkraft abhängigen Anlagen auch außerhalb urbaner Zentren, arbeiteten aber für diese82. Vereinzelt erwiesen sie sich sogar als Kristallisationspunkte des Gewerbes auf dem Lande83.

V. Die Angaben der undatierten Bopparder Ordnung zu den Löhnen, die hier im Sinne einer Konkurrenzregulierung im Handwerk als Höchstlöhne fixiert werden84, sind schwer zu vergleichen und lassen nur bedingt Rückschlüsse auf die gesamten Produktionskosten zu. Immerhin geben sie einige Anhaltspunkte:

Höchstlöhne in Boppard Kämmen Kämmen Handspinnen Radspinnen

(1 Klut = 14 Pfd. gemischte Wolle) (1 Klut = 14 Pfd. einfarbige Wolle) (1 Pfd. Wolle) (ohne dystilscheit) (1 Pfd. Wolle)

5 s. d. 10 s. h. 16 alte h. 10 alte h.

80 Clemens, Lukas / Matheus, Michael, Die Walkmühle, in: Lindgren, Uta (Hg.), Europäische Technik im Mittelalter 800 bis 1400. Tradition und Innovation. Ein Handbuch, Berlin 1996, S. 233f. Für den Rhein-Maas-Raum bes. auch Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 80–83 und Karte 2. 81 Siehe etwa für Wetzlar 1475 den Mühlenstreit und die Einigung zwischen dem Marienstift und den Wollwebern; Das Marienstift zu Wetzlar im Spätmittelalter. Regesten 1351–1500, bearb. v. Struck, Wolf-Heino (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, 8; Urkundenbuch der Stadt Wetzlar, 3), Marburg 1969, Nr. 1038, S. 571f. 82 Vgl. etwa für Trier Clemens / Matheus, „Gemircke“ (wie Anm. 23), S. 39f. 83 So konnten sie eine Zentralfunktion für umgebende Orte erfüllen wie 1542 jene zwei Walkmühlen an Lauter und Glan, die von Handwerkern aus Lauterecken und umgebenden Dörfern aufgesucht werden sollten; Zink, Albert, Chronik der Stadt Lauterecken von den Anfängen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Neustadt 1968, S. 316f. 84 Dazu allg. Hof, Hagen, Wettbewerb im Zunftrecht. Zur Verhaltensgeschichte der Wettbewerbsregelung durch Zunft und Stadt, Reich und Landesherr bis zu den Stein-Hardenbergschen Reformen (Dissertationen zur Rechtsgeschichte, 1), Köln-Wien 1983, S. 197f.

Entwicklungen der Textilherstellung zwischen Maas und Rhein

Weben Noppen Bereiten (Zauwer) Walken

(1 Pfd. geschlagene Wolle (1 Elle sonnedicke) (1 Elle dreischäftig) (1 „gemengte“ Elle) (1 „schlechte“ Elle) (1 Tuch) (1 Bottich Tuche)

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8 alte h. 6 d. 9 alte h. 3 alte h. 2 alte h. ½ fl. 16 alte h.

Außerdem ist es möglich, die Zahlen in Beziehung zu solchen aus weiteren Orten zu setzen, die – wenngleich z. T. in weiter entfernten Produktionslandschaften gelegen und aus anderer Zeit stammend – doch zumindest partiell Übereinstimmungen erkennen lassen. Englische Angaben aus Middlesex im 13. Jh. setzen z. B. das Karden/Kämmen der Wolle mit 1 d. pro Pfund an, das Spinnen mit 1½ d. beim Schuss- und 2 d. beim Kettgarn85. Da die Normallänge eines Bopparder Tuchs in der Zeit um 1370/90, d .h. gerade um die Zeit der hier behandelten Ordnung, in einem Baseler Zunftbuch mit 39 Ellen86 angegeben wird87, waren an die Weber jeweils für ein dreischäftiges Tuch nach den Bopparder Zahlen – setzt man einen Gulden gemäß dem kurrheinischen Münzverein von 1385 mit 20 Albus oder 240 Hellern/Doppelpfennigen bzw. 180 alten Hellern an88 – doch fast 2 fl. zu zahlen, eine keineswegs gering erscheinende Summe. Geht man davon aus, dass in Saint Omer im 14. Jh. die Mindestwebzeit für ein Tuch von 42 Ellen 5 Tage betrug, dann allerdings auf 8 Tage erhöht wurde, kommt man für die Weber zumindest theoretisch auch auf eine größere Zahl von möglichen Tuchen pro Jahr89 und damit auf entsprechende Verdienstmöglichkei85 Lloyd, T. H., Some Costs of Cloth Manufacturing in Thirteenth-Century England, in: Textile History 1 (1968/70), S. 332–336. 86 Nach Volk, Wirtschaft (wie Anm. 28), S. 823, betrug die Bopparder Elle 57,6 cm. 87 Kölner, Paul, Die Zunft zum Schlüssel in Basel, Basel 1953, S. 12 mit Anm. 1. 88 Volk, Wirtschaft (wie Anm. 28), S. 636f. u. S. 823; zur Problematik von jungen und alten Hellern Wesoly, Kurt, Das Münzwesen und die Währungsverhältnisse am Mittelrhein von der Mitte des 14. bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 79 (1981), S. 215–259, hier S. 224–226. 89 Vgl. Endrei, Walter, The Productivity of Weaving in Late Medieval Flanders, in: Harte, N. B. / Ponting, K. G. (Hg.), Cloth and clothing in medieval Europe. Essays in Memory of Professor E. M. Carus-Wilson (Pasold Studies in Textile History, 2), London 1983, S. 108– 119, hier S. 118. Daraus ergaben sich 5¼ bis 8 ¼ Ellen pro Tag. In Brügge im 13. Jh. ging man von 5 Ellen im Sommer und 4 Ellen im Winter als Tagesleistung aus; vgl. van Uytven, Raymond, Technique, productivité et production au moyen âge: le cas de la draperie urbaine aux Pays-Bas, in: Mariotti, Sara (Hg.), Produttività e technologie nei secoli XII–

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ten. Angesichts der vielen Feiertage erscheint indessen die Schätzung einer Höchstkapazität von maximal 30–40 Tuchen pro Webstuhl eher realistisch90. Nachrichten aus Saint-Omer im 14. Jahrhundert, die die Entstehungskosten für ein Tuch auflisten, zeigen indessen, dass vor allem der Rohstoff mit der in diesem Falle besonders hochwertigen Wolle mit 5 lb. für 5 Pfund Wolle (11d. pro Pfund Wolle) den größten Betrag ausmachte, dagegen die Löhne in der Relation weit geringer waren. Hier sind bezogen auf ein ganzes Tuch die Ausgaben für das Weben und Walken in der Tat deutlich höher als für andere Arbeitsgänge. Während für die Wollschläger nur 2 s., für die Karder 5 s., für die Spinnerinnen immerhin fast 13 bzw. fast 8 s. zugrunde gelegt werden, beträgt der Ansatz für das Weben 28 und für das Walken 19 s.91. Die Gesamtkosten für ein weißes Tuch werden mit über 11 lb. angegeben, d. h. dass die Kaufsumme für den Rohstoff sich auf mehr als ein Drittel und hier fast auf die Hälfte des Gesamtbetrages belief. Ähnliche Relationen und Rohstoffanteile sind auch für die Toscana im 14. Jh. (38 %) oder für ein Baumwolltuch in Augsburg im 16. Jh. belegt92. In Zürich fügte der Unternehmer Evangelista Zanino 1570 seinem Antrag auf Gewerbeförderung eine Kalkulation bei, die ebenfalls bei einem Gesamtbetrag von 68 fl. für die Wolle 25 fl. vorsah93. Hier schlugen ansonsten der Spinnvorgang und die Garnherstellung (11 fl.) sowie das Färben (8 fl.) stärker zu Buche. Für das Weben wurden 5 fl. vorgesehen, für das Aufrauhen nach dem Walken (1 fl.) immerhin ebenfalls 4 fl. In Bern hatte 1469 eine von Freiburg i. Ue. übernommene Berechnung hinsichtlich der Herstellung eines ganzen Wolltuchs, aus dem man drei Stücke machen konnte, Zahlen zugrunde gelegt, die gleichfalls den Stellenwert bestimmter Arbeitsgänge erkennen

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XVII. Atti della „Terza Settimana di Studio“ (23 aprile – 29 aprile 1971) (Istituto Internazionale di Storia Economica „F. Datini“ Prato, Pubblicazioni – Ser. II, Atti delle „Settimane di Studio“ e altri Convegni, 3), Florenz 1981, S. 283–293, hier S. 286. So Irsigler, Franz, Zur Kölner Tuchproduktion im ausgehenden 14. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 52 (1981), S. 229–234; Irsigler, Köln (wie Anm. 6), S. 43. Pagart d’ Hermansart, Albert (Hg.), Les anciennes communautés d’arts et métiers à Saint-Omer, Annexe. Pièces justificatives (Mémoires de la Société des Antiquaires de la Morinie, 17), Saint-Omer 1880, S. 175f. Melis, Federigo, Industria e commercio nella Toscana medievale (Istituto Internazionale di Storia Economica „F. Datini“ Prato, „Opere sparse di Federigo Melis“, 3), Prato 1989, bes. S. 260 u. S. 293. Siehe für St. Omer und Augsburg die Grafiken bei Holbach, Frühformen (wie Anm. 4), S. 758, die Zahlen für Augsburg 1587 beruhen auf Clasen, Claus-Peter, Die Augsburger Weber. Leistungen und Krisen des Textilgewerbes um 1600 (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg, 27), Augsburg 1981, S. 360. Staatsarchiv Zürich, B II 1081 fol. 394r.

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lassen94. Dabei war das Spinnen am teuersten, wobei aber zu bedenken ist, dass ein Webstuhl von mehreren Spinnerinnen versorgt werden musste, auf die Einzelperson also kein allzu großer Lohn entfiel95. Jedenfalls erscheinen erneut das Karden, Spinnen, das Weben und das Walken/Bereiten als die wichtigsten Arbeitsgänge. Schließlich sei noch zum Vergleich auf Angaben verwiesen, die ebenfalls aus dem kurtrierischen Bereich stammen, nämlich aus Münstermaifeld. Auch wenn dieser Ort als Zentrum der Tuchherstellung nicht sonderlich in Erscheinung tritt und das in der Nähe gelegene Mayen ungleich wichtiger gewesen sein dürfte, ist für die Kleinstadt bereits 1419 und danach eine Walkmühle belegt96; zu späterer Zeit werden Einkünfte vom Wollzoll genannt97. Das Ämterbuch aus dem 16. Jahrhun-

94 Rennefahrt, Hermann (Hg.), Das Stadtrecht von Bern, Bd. 8,2: Wirtschaftsrecht (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, II. Abt., Die Rechtsquellen des Kantons Bern, T. 1, Stadtrechte), Aarau 1966, Nr. 211 S. 557: ca. 9 Lot Wolle ohne Preisangabe 1 Lot Wolle zu zupfen 8 d. = also 9 Lot 72 d.= 6 s. 1 Pfd. Schmalz pro Lot ohne Preisangabe 1 Lot Wolle zu karden 3 s = also 9 Lot = 27 s. 1 Lot Wolle zu spinnen 4 s. 4 d. = also 9 Lot = 39 s. 1 14–bündiges Tuch anzuzetteln 18 d. = 18 d. Mehl für die Stärke beim Zetteln ohne Preisangabe Weben (alter Lohn) 24 s. = 24 s. Spülen 6 d. = 6 d. Schau an der Stange 3 d. = 3 d. Walken u. Bereiten weißes Tuch 28 s. = 28 s. Walken u. Bereiten schlechtes Grautuch = 18 s. Besiegelung von 3 Stück aus 1 Tuch je 3 d. = 9 d. 95 Von nicht weniger als 503 Stunden an Spinnarbeit, dagegen nur 103 Stunden Webarbeit für die Anfertigung eines einzigen flämischen Tuchs ging Endrei, Manufacturing (wie Anm. 74), S. 17f. (u. für Lohnrelationen S. 21) aus. 96 Kellnereirechnungen: Landeshauptarchiv Koblenz Abt. 1 C Nr. 6253, S. 9, auch S. 67, S. 127 u. S. 204 (hier Walkmühle in Schrumpe); ferner 1 C Nr. 4577 von 1425. Im Münstermaifelder Stiftschartular kommen in Rentenverschreibungen als Unterpfänder Grundstücke – freilich in der Metternicher Gemarkung – vor, darunter auch 1409 ein Busch zu Schrump gegenüber der Walkmühle; Fabricius,Wilhelm, Die kurtrierischen Oberämter Mayen und Münstermaifeld (Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz, 7. Die Herrschaften des Mayengaues, 1; Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 12,1), Bonn 1930, S.139 mit Anm. 257. 97 Landeshauptarchiv Koblenz Abt. 1 C Nr. 6253, S. 207 (1513); Einkünfte vom Wollzoll aus „Monster“ erscheinen schon 1480; 1 C 6254, S. 3.

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dert enthält eine Aufstellung über die Produktionskosten eines Tuches von 40 Ellen98. Als Grundlage hierfür werden zunächst 3 Klut Wolle veranschlagt, die mit nicht weniger als 8 fl. berechnet werden. Dies bedeutet bei einer Zusammenstellung von über 18 fl. erneut, dass für den Rohstoff mehr als ein Drittel der Kosten anzusetzen war. Die vorbereitenden ersten Arbeitsgänge fallen von den Kosten her hingegen weniger ins Gewicht, was auch der untergeordneten Stellung der damit befassten Kräfte entspricht99. Etwas mehr war mit insgesamt 31 alb. immerhin für das Spinnen auszugeben, wobei zwischen rechts- und linksgedrehtem Garn unterschieden wird100. Unter den weiteren Produktionsschritten, die für die Herstellung eines Wolltuchs notwendig waren, wird das mehrere Tage dauernde Weben hier mit 2 fl. 18 alb. angesetzt, wobei ein Ellenlohn von 20 Hellern zugrundegelegt wird. Während vom anschließenden Walken nicht die Rede ist, wird das Färben mit weiteren 4½ Gulden eindeutig am höchsten veranschlagt, wobei auch an die Preise für die Farbstoffe zu denken ist101. Wenn die Gesamtkosten für ein Tuch mit 18 fl. 21 alb. 2 h. angegeben werden, erscheint dieser Betrag relativ hoch. Wir wissen nämlich aus anderen Quellen, so Augsburger Handlungsbüchern, dass um die Mitte des 16. Jhs. die Preise für mittelrheinische Wollwebwaren oft nur knapp über 10 fl., z. T. auch deutlich unter 10 fl. lagen, Bopparder Tuch 1543 z. B. nur 6–6½ fl. kostete102. Um 1400 betrug der Einkaufspreis für Mainzer Tuch ebenfalls nur 8 ¼ fl. rh., während das Frankfurter etwas teurer war103. Insgesamt lässt sich aus dem Vergleich der Bopparder Angaben mit anderen Kostenübersichten festhalten, dass in der Tuchherstellung der Erwerb von Rohstoffen zwar einen beträchtlichen Anteil der Aufwendungen ausmachte, dass die Löhne – auch wenn sie sich für die einzelnen Arbeitsgänge recht deutlich unterschieden – als Faktor aber ebenfalls ins Gewicht fielen. Es zeigt sich weiterhin, dass sich selbst in 98 Landeshauptarchiv Koblenz Abt. 1 C Nr. 125, fol. 65v. 99 Das Besehen der Wolle und das Einfetten mit Schmalz wird mit 18 Albus veranschlagt. Für das Schlagen wird keine Summe angegeben. Das Kämmen von jetzt noch 33 Pfund Wolle wurde – wie deutlich wird – nach der Menge mit 8 Hellern pro Pfund bezahlt (insgesamt 22 alb.). 100 Für das Spinnen von 13½ Pfd. Garn rechts (13 h. pro Pfd.) sollten 14 alb. 7 h., für das Spinnen von 20½ Pfd. Garn links 17 alb. 1 h. gezahlt werden. 101 Das Tuchscheren hingegen war mit 7 Albus wiederum kein größerer Posten. 102 Zusammenstellung bei Ehrenburg, Richard, Hamburg und England im Zeitalter der Königin Elisabeth, Jena 1896, S. 287f. Anm. 77; vgl. auch Meilinger, Wollenindustrie (wie Anm. 18), S. 328. 103 Bastian, Runtingerbuch (wie Anm. 73), S. 449.

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kleineren Orten wie Boppard oder Münstermaifeld vielfältige Verdienstmöglichkeiten für männliche wie weibliche Beschäftigte im Textilsektor ergaben. Allerdings blieben sie durch eine auch hier vorhandene starke Differenzierung und Zerlegung der Arbeitsgänge in der Summe für die einzelnen doch begrenzt und boten wohl nur bescheidene Existenzgrundlagen.

VI. Angesichts der Tatsache, dass in der Bopparder Ordnung Höchstlöhne festgelegt werden, dass die Leistungen insgesamt nicht nach Zeit, sondern im Stücklohn bezahlt werden sollten, dass offenbar nebeneinander Lohnweber und Preiswerker existierten, die mehr als einen Webstuhl hatten und andere beschäftigten104, stellt sich die Frage nach Unternehmern im Gewerbe in besonderem Maße. Eine grundsätzliche Tendenz mit der Anbindung der Textilherstellung an den Fernhandel war ja zum einen das Eindringen kaufmännischen wie gewerblichen Kapitals in die Produktion, zum anderen bei der starken Zerlegung des Arbeitsprozesses die Herausbildung von Koordinatoren und Produktionslenkern aus dem Handwerk. Daraus folgte eine stärkere Durchsetzung des Verlags als Kredit- und Organisationsform, die sich in der Wolltuchherstellung hochentwickelter Zentren – speziell an der Maas und in den nördlichen Rheinlanden (Köln) – auch bereits im 13. Jh. mehr oder weniger deutlich fassen lässt. Im 14. und 15. Jh. nehmen die Belege oder doch Indizien für Verlag deutlich zu. Dies gilt ebenfalls für den Mittel- und Oberrhein sowie angrenzende Landschaften von Hessen bis nach Lothringen105. Als Verleger erscheinen im RheinMaas-Raum Kaufleute wie Handwerker, teilweise miteinander und aufeinander bezogen, teilweise nacheinander. Den marchand-entrepreneur bzw. KaufmannVerleger scheint es schon im 13. Jh. in einzelnen maasländischen Zentren gegeben zu haben, wo die mit der der Tuchherstellung befassten Handwerke erst im 14. Jahrhundert ein stärkeres Gewicht erhielten.106 In Metz waren nach Verordnungen

104 Siehe die Formulierung in Art. 10: „Ebenso gebieten wir, dass kein Weber, er habe einen Webstuhl oder mehr, mehr Tücher machen soll als 7 jeweils zur Frankfurter Messe. Wer mehr machte oder machen ließe, der verliert 20 Mk., so oft es sich ereignet.“ 105 Allg. Holbach, Frühformen (wie Anm. 4), S. 78–81, S. 95–102 u. S. 118–130. 106 Joris, André, Huy. Ville médiévale (Collection: „Notre Passe“), Brüssel 1965, S. 108f. u. S. 116f. Die vorhandenen Quellen sind freilich auch hier reichlich dürftig.

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wie denen von 1380 Drapiers wie Lainiers entscheidend für die Produktion107, wobei die Drapiers als marchands drapiers108 anzusprechen sind, zu denen auch Mitglieder von Berufen zählen konnten, die nichts mit der Tuchherstellung zu tun hatten109. In Saint-Nicolas-de-Port blieb ebenfalls der Kaufmann als Auftraggeber bis in die Neuzeit hinein dominierend, daneben gab es aber den drapier drapant als kreditabhängigen Organisator der Produktion110. Am Rhein hatten in Köln dagegen die Weber-Verleger ein stärkeres Gewicht111. Der Übergang zwischen dem Kaufmann-Verleger und dem Handwerker-Verleger war freilich fließend. Kaufleute und Unternehmer bildeten teils eigene Gruppen, teils besaßen oder erwarben sie eine Zugehörigkeit zu einer Handwerkerzunft und rekrutierten sich aus reichgewordenen Meistern. Die Handwerker-Verleger entstammten zwar verschiedenen Berufen: In Straßburg werden sie z. B. von den Wollschlägern abgeleitet, in Emmerich erscheinen auch Scherer als Auftraggeber112. In der Hauptsache kamen die Tuchunternehmer aber aus dem Kreise der Weber. Dies gilt für die nicht zu den Kaufleuten zählenden Drapiers im maasländischen und auch lothringischen Gewerbe wie die Lainiers in Metz113, ebenso aber für das deutsche Pendant, die Tucher, die z. B. in Speyer Lohnweber beschäftigten114. In Köln, wo es keine eigene Tucherzunft gab, treten im 14. Jh. als Handwerker-Verleger 107 Libis, La fabrication (wie Anm. 36), S. 365f.; Archives municipales de Metz CC 582, Corps des metiers, des drapiers, lainiers et tisserands 1380; HH 1 liasse 3 pièce 4. 108 Archives départementales de la Moselle, 6 E 1182 pièce 2; auch E 1185. Siehe ferner Archives municipales de Metz, HH 1 liasse 3 pièce 4. 109 So wird 1517 ein Renaldot le bouchier erwähnt; Archives départementales de la Moselle, 6 E 1180 pièce 1. 110 Kammerer-Schweyer, Saint-Nicolas-de-Port (wie Anm. 60), bes. S. 9 u. S. 26–36. 111 Irsigler, Köln (wie Anm. 6), S. 47–49 u. S. 320. Es gab aber auch jenen Gewandschneider Gottfried van Mummersloch, der um 1285 zwei Häuschen mit zwei bzw. drei Tuchrahmen ausstatten ließ, sie an Weber vermietete und diese möglicherweise auch mit Importwolle belieferte, d. h. eine Art von Gezeugverlag betrieb; dazu etwa Irsigler, Franz, Frühe Verlagsbeziehungen in der gewerblichen Produktion des westlichen Hanseraumes, in: Fritze, Konrad / Müller-Mertens, Eckhard / Schildhauer, Johannes (Hg.), Zins – Profit – Ursprüngliche Akkumulation (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, 21; Hansische Studien, 5), Weimar 1981, S. 175–183, hier S. 175. 112 Zum Verlag hier Liesegang, Städtewesen (wie Anm. 32), S. 630–635. In Kalkar hingegen ist ein Abhängigkeitsverhältnis von Wollschlägern, Kämmern, Webern oder Walkern von Mitgliedern des Wollenamtes bereits 1342 deutlich zu erkennen; Holbach, Frühformen (wie Anm. 4), S. 98. 113 Libis, La fabrication du drap (wie Anm. 36), S. 134, S. 140 u. S. 147. 114 Urkunden Speyer (wie Anm. 31), Nr. 441 S. 390–392.

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Mitglieder des Weberamtes in Erscheinung, ebenso zur selben Zeit in Luxemburg, wo den Weber-Unternehmern lohnabhängige Leser(inne)n, Wollschläger, Kämmer(inne)n, Spinner(inne)n, Lohnweber, Walker, Färber und für das Waschen der Tuche zuständige „Zauwer“ gegenüberstanden, wir also eine Vielzahl von Berufen genannt finden, die von einem Auftraggeber abhängig waren115. Ein Nebeneinander von reicheren Weber-Verlegern, von selbständigen preiswerkenden und von abhängigen lohnwerkenden Webern116 könnte es nach der Gewerbeordnung im 14. Jh. auch in Boppard gegeben haben. Das Entstehen von Verlagsabhängigkeiten ging insgesamt einher mit einer verstärkten sozialen und wirtschaftlichen Differenzierung innerhalb des Handwerks, von reichen Meistern bis zu armen Lohnwebern und Hilfskräften. Wenn in Wesel im 15. Jahrhundert ärmere Wollweber ebenso wie Spinner, Kämmer und Kratzer für Verleger tätig waren117 und gefordert wurde, den Lohn so anzusetzen, dat sich die arbeiders darin behalden konnen, wird ein soziales Gefälle bis hin zu Ausbeutungsverhältnissen deutlich118. Die Existenz eines über die Stadt hinausgreifenden, umlandbezogenen Verlags bzw. einer Wirtschaftseinheit seit dem ausgehenden Mittelalter gilt nicht nur für große Zentren wie Köln, wo die hohe Zahl der in den 1370er Jahren gefertigten Wolltuche Franz Irsigler zu dem Schluss geführt hat, dass ein Teil der hier „versteuerten Tuche außerhalb der Stadt, aber nach den Kölner Maß- und Qualitätsbestimmungen hergestellt wurde, Kölner Weber also in beträchtlichem Ausmaß Berufskollegen in den anderen rheinischen Tuchstädten verlegten“119. Vielmehr gab es 115 Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 83f. u. S. 110. Eine Agnes Wollschlägerin besaß aber immerhin 1436 einen Tuchrahmen, könnte also selbst verlegerisch tätig gewesen sein; S. 74, Anm. 23 u. S. 78. 116 Abhängigkeitsverhältnisse hat es auch in Essen gegeben, wo 1406 ein Weber für den anderen umme gelt weven konnte; Holbach, Rudolf, Formen des Verlags im Hanseraum vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, in: Hansische Geschichtsblätter 103 (1985), S. 41–73, hier S. 44. Eine Fertigung von Laken aus der Wolle anderer Leute, also Lohnwerk für Außerzünftige, war nach der Ordnung von 1406 nicht zugelassen. 117 Für die Probleme einer ihrerseits verschuldeten Tuchverlegerin 1487: Arand, Werner, Prieur, Jutta (Hg.), „zu Allen theilen Inß mittel gelegen“. Wesel und die Hanse an Rhein, IJssel & Lippe, Wesel 1991, D 14, S. 266. 118 Dazu Wollenlaken (wie Anm. 31), S. 18, Zitat S. 52. 119 Irsigler, Köln (wie Anm. 6), S. 43f. Bezweifelt wurde dies von Militzer in einer Rez. zur Arbeit von Irsigler (Blätter für deutsche Landesgeschichte 116, 1980, S. 734–737) wie auch in seinem Beitrag: Berechnungen zur Kölner Tuchproduktion des 14.-17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 51 (1980), S. 89–106. Siehe dagegen die Repliken von Irsigler in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 116, 1980, S. 794–796 u. Irsigler, Tuchproduktion (wie Anm. 90). Auch für Trier, über das im 16. Jahrhundert Tuche

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eine Orientierung der Produktion des betreffenden Umlandes mit Unterwerfung unter eine Qualitätskontrolle auch in Mittelstädten wie Luxemburg120. Außerdem wurde das seit 1411/1414 in einer gemeinsamen han zusammengeschlossene Tuchgewerbe um Saint-Nicolas-de-Port spätestens im 16. Jahrhundert durch z. T. die Zunftzugehörigkeit erwerbende Kaufleute und von ihnen kreditmäßig abhängige Drapiers kontrolliert121, und es ist ebenso angenommen worden, dass Andernacher Kaufleute im 15. Jahrhundert Auftraggeber von Mayener und Monrealer Tucherzeugern gewesen sind122. Inwieweit auch Boppard in ein solches regionales oder gar überregionales Verlagssystem integriert war und von außerhalb Einfluss auf die Tucherzeugung genommen wurde, ist freilich noch unklar. Denkbar ist zumindest eine Auslagerung von bestimmten Produktionsschritten123 wie der vorbereitenden Tätigkeit des Spinnens, das in vielen textilverabeitenden Regionen stärker oder doch partiell auf dem Lande stattfand. In Namur wurde 1480 ausdrücklich erlaubt, dass die Drapiers Kämmerinnen, Karderinnen wie Spinnerinnen in der Stadt wie

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etwa aus Echternach, Vianden und Neuerburg in den Vertrieb kamen, hat Irsigler über die Stadt hinausgreifende Verlagsbeziehungen nicht ausgeschlossen; Irsigler, Wirtschaftsgeschichte Trier (wie Anm. 26), S. 113. Zur Verbreitung des Trierer Tuchs im späten Mittelalter Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 101; Clemens, Lukas / Matheus, Michael, Trierer Wirtschaft und Gewerbe im Hoch- und Spätmittelalter, in: Anton, Hans-Hubert / Haverkamp, Alfred (Hg.), Trier im Mittelalter (2000 Jahre Trier, 2), Trier 1996, S. 501–529, hier Karte S. 521; außerdem etwa Regesten Katzenelnbogen (wie Anm. 24), Nr. 6095, Art. 55 u. 57, S. 1836; Weinzheimer, Kaufmannshandbuch (wie Anm. 73), S. 6; Bastian, Runtingerbuch (wie Anm. 73), S. 413; Simsch, Adelheid, Die Handelsbeziehungen zwischen Nürnberg und Posen im europäischen Wirtschaftsverkehr des 15. und 16. Jahrhunderts (Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens; Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen, R. 1, 50), Wiesbaden 1970, S. 96 (Posener Kaufleute in Schlesien). Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 102f., wenngleich es nach den Zunftstatuten von 1379 untersagt war, dass ein Stadtbewohner thet weben oder zeuwen bausent der statt, S. 94 u. S. 111. Kammerer-Schweyer, Saint-Nicolas-de Port (wie Anm. 60), S. 26–36. Sie übernahmen die Versorgung des Gewerbes in der Stadt und auch in ihrem Umland mit Wolle und Farbstoffen. Einer der wenigen überlieferten Verlagsverträge stammt von 1560. Fünf Drapiers aus Charmes verpflichteten sich darin, einem Gergonne Feriet, der sie mit Wolle beliefert hatte, hierfür Tuche anzufertigen; S. 28. Huiskes, Andernach (wie Anm. 27), S. 235f. Dazu etwa Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 93f. Allg. auch Holbach, Exportproduktion (wie Anm. 5), S. 237–240 sowie etliche Belege in Holbach, Frühformen (wie Anm. 4).

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außerhalb anwerben dürften124. Bei anderen Arbeitsgängen ist eine Verlagerung hingegen vielfach nur negativ aus Verboten zu erschließen, so in Wesel für ein krimpen und ein bereiden von Laken außerhalb der Stadt125 oder in Lüttich 1549 für das Walken, Karden und andere Arbeiten, was u. a. damit begründet wurde, dass die Auswärtigen mit eisernen Karden arbeiten würden126. Die Einschaltung von Gewerbetreibenden im Umland war jedenfalls in solchen Fällen, in denen es sich um weniger qualifizierte Tätigkeiten handelte, wesentlich vom Arbeitskräftebedarf und -angebot und von niedrigeren Lohnkosten bestimmt.

VII. Das Interesse an einer standardisierten Massenproduktion, die an fremdem Ort abgesetzt werden sollte, kam vor allem in den Maßnahmen zur Qualitätssicherung zum Ausdruck. Mittel hierzu waren Qualitätsvorschriften, Kontrollorgane und Schau sowie darauf basierende Beschauzeichen (Tuchsiegel). Auch hierbei lässt sich eine zunehmende Verdichtung im Rhein-Maas-Raum feststellen, die mit der Entstehung neuer Zentren einhergeht. Kontrollmaßnahmen sind selbst in mittleren und kleineren Zentren schon im 13. Jh. belegt, so in Deutz bei Köln 1230 oder in Emmerich 1299; für das kleine Sierck an der Obermosel wird bereits für 1295 ein Siegel erwähnt127. Im 14. Jahrhundert gibt es dann bereits eine etwas größere Anzahl von Orten, die über eine entsprechende Infrastruktur verfügten. Hier waren vielfach Kontrollen etabliert, und es sind Tuchsiegel für Lüttich oder Saint-Trond an der Maas, für Yvois in den Ardennen, für Metz, Saint-Mihiel oder Bar, für Luxemburg und Arlon, für Düren, Köln und Aachen, Kalkar, Kleve, Wesel, Münster-

124 Bormans, Stanislas (Hg.), Cartulaire de la commune de Namur, Bd. 3 (Documents inédits relatives à l’histoire de la Province de Namur, 4), Namur 1876, Nr. 227, S. 211. 125 Wollenlaken (wie Anm. 31), S. 18 u. S. 55. Der Ausdruck krimpen begegnet im Zusammenhang mit der Tuchbereitung (s. auch bereits Lübben, August, Mittelniederdeutsches Handwörterbuch, Darmstadt 1966, S. 189). 126 Bormans, Stanislas, Le bon métier des drapiers de la cité de Liège, Lüttich 1866, S. 90f. 127 Siehe Angaben in Anm. 31. Auch in Maastricht 1276 oder Speyer vor 1280 existierten bereits Siegel; Panhuysen, Maastricht (wie Anm. 31), S. 130; Ammann, Hektor, Maastricht in der mittelalterlichen Wirtschaft, in: Mélanges Félix Rousseau. Études sur l’histoire du pays mosan au moyen âge, Brüssel 1958, S. 21–46, hier S. 29; Urkunden Speyer (wie Anm. 31), Nr. 278, S. 372–374. Ebenso darf dies für Köln angenommen werden; Clemens / Matheus, „Gemircke“ (wie Anm. 23), S. 32.

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eifel oder Siegburg erwähnt128. Vereinzelt lassen sich im Laufe der Zeit bei der Qualitätssicherung ebenfalls über den jeweiligen Ort hinausreichende Maßnahmen nachweisen, z. B. überörtlich besetzte Schaukommissionen wie in Saarbrücken, eine Mitkontrolle ländlicher Produktion wie in Dinslaken oder ein gestuftes System mit Generalbeschauer im Herzogtum Lothringen im 16. Jh.129. Zumindest in einer größeren Anzahl von Fällen dürften solche städtischen Maßnahmen vor dem Hintergrund einer wachsenden Konkurrenz in der Umgebung zu deuten sein. Ihr sollte durch schärfere Kontrollen und klare Kennzeichnung der Qualität begegnet werden, die zudem vor Imitation schützen konnte130. Dies 128 Bormans, Le bon métier (wie Anm. 126), S. 14f. u. S. 25f., Angenot, Jean-François, Mille ans de commerce à Liège, Lüttich 1980, S. 15; Charles, J. L., La ville de Saint-Trond au moyen âge. Des origines à la fin du XIVe siècle (Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l’Université de Liège, 173), Paris 1965, S. 232f.; Peltier, Émile, Les drapiers d’Ivois-Carignan (1304–1770), in: Revue historique ardennaise 14 (1907), S. 5–32, hier S. 10–14; Bour, René, Histoire de Metz, Metz 1978, S. 87; Libis, La fabrication (wie Anm. 36), S. 363f.; Archives municipales de Metz HH 1 liasse 3 pièce 4; für eine Schau in Gondrecourt Archives départementales de la Moselle, B 1423 fol. 53v–54r; Archives départementales de Meurthe-et-Moselle, B 534 No. 50; Duvernoy, Les corporations (wie Anm. 36), S. 21; Girardot, Le droit (wie Anm. 21), S. 45 mit Anm. 3; Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 90f.; Yante, La draperie (wie Anm. 33), S. 25; Rechtsdenkmäler (wie Anm. 34); S. 75–77; Urkundenbuch Düren (wie Anm. 15), Nr. 200, S. 245; Clemens / Matheus, „Gemircke“ (wie Anm. 23), S. 32f.; Liesegang, Städtewesen (wie Anm. 32), S. 627f. u. S. 635; Scholten, Cleve (wie Anm. 32), S. 543; Wollenlaken (wie Anm. 31), S. 14; Herborn, Tuchmachergewerbe (wie Anm. 13), S. 60 u. S. 69; Urkunden und Quellen zur Geschichte von Stadt und Abtei Siegburg, bearb. v. Wisplinghoff, Erich, Bd. 1, Siegburg 1985, Nr. 588, S. 603; für eine Schau in Neuss Huck, Neuss (wie Anm. 32), S. 65f. 129 Clemens / Matheus, „Gemircke“ (wie Anm. 23), S. 46; Triller, Anneliese / Schön, Berthold (Hg.), Stadtbuch von Dinslaken. Dokumente der Geschichte der Stadt von 1273 bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts (Beiträge zur Geschichte u. Volkskunde des Kreises Dinslaken am Niederrhein, 2), Neustadt/Aisch 1959, S. 98–100 sowie z. B. Archives départementales de Meurthe-et-Moselle, B 832 Pièce 7 von 1593. 130 Dazu allg. Kaiser, Reinhold, Fälschungen von Beschauzeichen als Wirtschaftsdelikte im spätmittelalterlichen Tuchgewerbe, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica München, 16.–19. September 1986, T. 5 (MGH Schriften, 33), Hannover 1988, S. 723–752; ebenso Kaiser, Reinhold, Imitationen von Beschau- und Warenzeichen im späten Mittelalter. Ein Mittel im Kampf um Absatz und Märkte, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 74 (1987), S. 457–478, sowie Beispiele etwa bei Holbach, Rudolf, Brügge, die Hanse und der Handel mit Tuch, in: Jörn, Nils / Paravicini, Werner / Wernicke, Horst (Hg.), Hansekaufleute in Brügge. T. 4: Beiträge der Internationalen Tagung in Brügge April 1996 (Kieler Werkstücke Reihe D:

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geschah im Luxemburgischen auch durch eine Unterscheidung von Tuchen in der Farbe der Litzen131. Gerade die Gestaltung der Qualitätssicherung erweist sich als Spiegelbild von Raumbeziehungen in ihrer Veränderung, aber erst recht der Konjunktur und Wettbewerbssituation. Vor einem solchen Hintergrund sind auch die Verfügungen in Boppard zu sehen, die dem Standard jener Produkte galten, die innerhalb des Gerichtsbezirks gefertigt wurden. So ist gleich zu Beginn der Ordnung die Rede davon, dass alle Hersteller von zu vermarktenden Tuchen diese zuvor durch die jährlich zu wählenden zwei Schaumeister am Rahmen besehen lassen müssten. Die Kontrolle an dieser Stelle der Produktion, bei der minderwertige Erzeugnisse gut zu erkennen waren, und die Maßnahme des Verbrennens von falsch Werck waren auch anderenorts üblich132. Zugleich wird bereits für Boppard die Existenz eines Siegels erwähnt, mit dem gute, den Anforderungen entsprechende Erzeugnisse versehen werden sollten. Sichergestellt werden sollte u. a. durch die Vorschrift zur Verwendung von hochwertiger Wolle bei Tuchen, die eine besondere Qualität besitzen sollten, dass kein Schaden für den Ruf der eigenen Erzeugnisse und deren Marktchancen entstand. Erwähnt wird für die Stadt am Mittelrhein ebenfalls das zusätzliche Qualitätsmerkmal der Litzen. Wenn freilich das Recht, ein Litzentuch zu produzieren oder produzieren zu lassen, allein den Webermeistern zugestanden wurde, wenn deren Produktionsausstoß zumindest für die Frankfurter Messe begrenzt wurde und die Möglichkeit höherer Löhne für das Kämmen, Spinnen, Weben u. a. begrenzt wurde, ging es vor allem um eine Konkurrenzregulierung innerhalb der Zunft wie um eine Abwehr potentieller außerzünftiger Konkurrenten133. Damit konnten kaufmännische Tuchunternehmer, gegen die man innerzünftige Verleger begünstigte, wie außerhalb der

Beiträge zur europäischen Geschichte des späten Mittelalters, 13), Frankfurt (M.) [u. a.] 2000, S. 183–203, hier S. 195–197. 131 Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 106 (rote Litzen in Fels); Yante, La draperie (wie Anm. 34), S. 26 (Streit 1516 mit Regelung für Luxemburg blauer, für Arlon grüner Litzen). 132 Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 91f. u. S. 109; Urkunden und Quellen Siegburg (wie Anm. 128), Bd. 2, Nr. 219 S. 112. 133 Allgemein gehörten dazu auch die z. T. bereits erwähnten Maßnahmen zur Sicherung der Rohstoffversorgung, so durch ausdrücklichen Für- und Aufkaufverbote oder die Bevorzugung einheimischer Kräfte beim Einkauf; siehe z. B. Archives municipales de Metz HH 1 liasse 3 pièce 4; Libis, La fabrication (wie Anm. 36), S. 149f. für 1382 und später.

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Zunft stehende Handwerker gemeint sein134, eventuell auch auf dem Lande135, gegen die man ansonsten ebenso durch eine räumliche Ausdehnung und Verschärfung der Qualitätskontrollen oder Import- und Verkaufsverbote vorzugehen suchte136. Entsprechende Verordnungen lassen sich somit insgesamt in den Kontext von Maßnahmen stellen, die unter dem Stichwort „Nahrungssicherung“ zu einer grundsätzlichen Diskussion über eine angebliche konservative Wirtschaftsgesinnung der Zünfte und ihre scheinbar fortschrittshemmende Rolle in der städtischen Wirtschaft geführt haben137. Mittlerweile ist zwar zur Genüge deutlich geworden, dass ein ausgeprägtes Gewinnstreben auch bei den mittelalterlichen Gewerbetreibenden vorhanden war und dass man durchaus auf die differierenden wirtschaftlichen Möglichkeiten der einzelnen Zunftmitglieder Rücksicht nahm138. Dennoch suchte man existenzbedrohende Entwicklungen für die kleineren Meister zu vermeiden und im Rahmen einer Interessenpolitik vor allem das eigene Gewerbe vor 134 Begünstigt wurde allenfalls innerzünftiger Verlag; zur Verlags-Typologie allg. Holbach, Frühformen (wie Anm. 4), S. 563–577. 135 Nur bei besserer Situation konnten diese als willkommene Ergänzung angesehen werden. Vgl. allg. Holbach, Exportproduktion (wie Anm. 5), S. 245, sowie Holbach, Frühformen (wie Anm. 4), passim. Die auch im Rhein-Maas-Raum z. T. bezeugten konkreten Maßnahmen zum Schutz städtischer Tuchherstellung reichten von Bestimmungen gegen einen Abzug von Arbeitskräften, Know-how, Rohstoffen, Geräten aus der Stadt bis hin – wie z. B. in Luxemburg oder am Niederrhein – zum Erlass und zur Durchsetzung von Produktionsverboten im Umland. 136 In Saint-Trond wurde 1478 den städtischen Gewandschneidern der Ausschnitt fremden Tuchs an allen Plätzen verboten, an die die Lakenmacher der Stadt zu ziehen pflegten; Straven, François, Inventaire analytique et chronologique des Archives de la ville de SaintTrond, Bd. 2, Saint-Trond 1886, Bd. 2, S. 61f.; siehe auch S. 143, S. 158, S. 343f. u. S. 431f. Nach Namur sollten 1420 keine Tuche aus Chimay, Beaumont, Herk, Halle und Landen zum Wiederverkauf importiert werden; Holbach, Exportproduktion (wie Anm. 5), S. 245. In Siegburg sollte im 15. Jh. kein fremt tuch vor Siegbergsch tuch verkauft werden, was die Tendenz andeutet, Umlanderzeugnisse als Siegburger Ware in den Handel zu bringen: Quellen Siegburg (wie Anm. 71), S. 25, Art. 51; dazu Herborn, Tuchmachergewerbe (wie Anm. 13), S. 74f. 137 Dazu etwa Holbach, Rudolf, Tradition und Innovation in der gewerblichen Wirtschaft des Spätmittelalters: Zunft und Verlag, in: DuBruck, Edelgard E. / Göller, Karl-Heinz (Hg.), Crossroads of medieval civilization: The city of Regensburg and its intellectual milieu (Medieval and Renaissance Monograph Series, 5), Detroit 1984, S. 81–119; Kluge, Arnd, Die Zünfte, Stuttgart 2007, S. 278–282. 138 Dass eine solche Differenzierung selbstverständlich auch im Bopparder Handwerk vorhanden war, belegt der Hinweis darauf, dass es Weber mit einem oder mehr als einem Webstuhl gab.

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ungewollten Eingriffen durch Fremde, vor möglicher wirtschaftlicher Abhängigkeit und der Gefahr erheblicher Einbußen zu schützen. Die innerhalb einer Zunft bestehende Möglichkeit zur Sicherung des Auskommens für die einzelnen Meister durch eine Begrenzung von deren Gesamtzahl wird auch im Bopparder Handwerk in der üblichen Weise genutzt. So werden die Zugangsbedingungen für Außenstehende durch Eintrittsgelder von 20 Mk. bzw. 15 Mk. erschwert und Kinder von Webern bei der Ausbildung und Zulassung bevorzugt. Bemerkenswerterweise werden dabei jedoch auch die Töchter als Auszubildende erwähnt, so dass in der Stadt am Mittelrhein – ähnlich wie z. B. in Straßburg139 – zumindest in begrenztem Umfang ebenso von Weberinnen auszugehen ist. Der erwähnte Versuch einer innerzünftigen Konkurrenzregulierung durch Festlegung von Produktionskapazitäten bezieht sich ausdrücklich nur auf die Frankfurter Messen. Eine darüber hinausgehende Herstellung von mehr Tuchen ist also nicht ausgeschlossen, so dass durchaus wirtschaftliche Spielräume für die indirekt miterwähnten reicheren Meister blieben, die über mehr als einen Webstuhl (gezauwe) und damit über ein weit größeres Potential als eventuell im Verlag beschäftigte Lohnweber und die nicht zu einem ganzen Harnisch verpflichteten Ärmeren140 ohne eigenen Webstuhl verfügten. Dabei ist weiter zu bedenken, dass sieben Tuche pro Messe, d. h. bei zwei Messeterminen 14 Tuche pro Betrieb im Jahr, deutlich unter der Kapazität eines einzelnen Betriebes lagen141. Die nach Vermögen und Beitragsfähigkeit gestaffelten Verordnungen für die Frankfurter Tuchhersteller von 1432 erscheinen vor diesem Hintergrund recht aufschlussreich, trugen sie doch der Differenzierung im Handwerk stärker Rechnung. Sie unterschieden so zwischen Wollwebern, die 4, 8, 10, 12, 16, 24 oder 36 Tuche anfertigen durften142. Die Bopparder Werte liegen vergleichsweise also eher an der Untergrenze der Möglichkeiten, was allerdings in anderen mittelrheinischen Tuchzentren offenbar ähnlich gehandhabt wurde143. Dies braucht jedoch nicht unbedingt mit kleineren Betrieben in Verbindung gebracht zu werden, sondern könnte auch ein Indiz für eine be139 Schmoller, Tucher- und Weberzunft (wie Anm. 31), Nr. 2, S. 3; Nr. 23, S. 24f. u. S. 31– 37; Nr. 25, S. 41; Nr. 42, S. 96f. u. Nr. 50, S. 104 mit Tendenz zur Verschlechterung. 140 Siehe Art. 13. 141 Siehe oben mit Anm. 90. 142 Frankfurter Zunfturkunden (wie Anm. 71), Bd. 2, S. 197f. und für 1459 S. 201f.; vgl. Holbach, Frühformen (wie Anm. 4), S. 120 und Abb. 2, S. 757. Die Regelung von 1459 unterschied dann nur noch drei Gruppen, nivellierte also stärker. 143 Siehe für Friedberg (11 Tuche) Waas, Christian (Hg.), Die Chroniken von Friedberg in der Wetterau, Bd. 1, Friedberg 1937 S. 98.

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grenzte Nachfrage und eingeschränkte Absatzmöglichkeiten für Bopparder Tuch zumindest in Frankfurt sein.

VIII. Als Ort des Verkaufs für die Bopparder Webwaren wird in der hier edierten Ordnung zunächst der Bopparder Markt selbst genannt: „Also wer Tuch herstellt im Gerichtsbezirk von Boppard und dies hierher zum Markt oder anderswohin führen will“144. Beim Export über das ebenfalls in einer Quelle von 1389 als Umschlagplatz erscheinende Frankfurt145, für das die Zahl der zu fertigenden Bopparder Tuche in der erwähnten Weise beschränkt wurde, ist hingegen zu bedenken, dass die dortigen Messen im Tuchhandel seit dem späten Mittelalter überhaupt eine entscheidende Bedeutung erlangten. Frankfurt wurde Verkaufsort außer für nordwesteuropäisches u. a. für hessisches, mittelrheinisches und pfälzisches, z. B. Kaiserslauterer Tuch146, für Erzeugnisse vom Oberrhein oder aus Baden, ebenso vom Niederrhein und dem Nordrand der Eifel wie Köln und Düren147, aus dem Maasgebiet148, aus den Mosellanden149 oder aus Lothringen (Saint-Nicolas-de-Port,

144 Art. 1. 145 Ammann, Der hessische Raum (wie Anm. 8), S. 66. Einladungen zur Frankfurter Messe erhielt Boppard nachweislich seit 1387, erstmals erwähnt ist es 1340; Rothmann, Michael, Die Frankfurter Messen im Mittelalter (Frankfurter Historische Abhandlungen, 40), Stuttgart 1998, S. 104 u. S. 150. Vgl. weiter die Erwähnung von Bopparder Tuch in einem Handlungsbuch, das in Frankfurt verkaufte Webwaren auflistet: Weinzheimer, Kaufmannshandbuch (wie Anm. 73), S. 7. 146 Christmann / Friedel, Kaiserslautern (wie Anm. 24), S. 93; Beiträge zur pfälzischen Wirtschaftsgeschichte (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer, 58), Speyer 1968, S. 92f. 147 Urkundenbuch Düren (wie Anm. 15), Nr. 200 S. 245 (um 1400). 148 Z.B. Delatte, Commerce (wie Anm. 20), S. 13–16 (auch für andere Orte); Dechaineux, Maurice, Histoire illustrée de Herve et des Herviens de 1270 à 1976, Heusy 1985, S. 63. 149 Kentenich, Gottfried, Notizen zur Geschichte der Trierer Wollenweberzunft im 15. und 16. Jahrhundert, in: Trierische Chronik 13 (1917), S. 154–158 mit Hinweis auch auf Besuch des Saarbrücker Jahrmarktes durch die Trierer im 16. Jh; Irsigler, Wirtschaftsgeschichte Trier (wie Anm. 26), S. 201; Matheus, Trier (wie Anm. 26), S. 63; Lascombes, François, Chronik der Stadt Luxemburg 1444–1684, Luxemburg 1976, S. 220. Wichtiger für Luxemburg war aber Straßburg als Verkaufsort; Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 98–101.

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Metz, Epinal)150. Daraus ergibt sich ein ungeheuer breites Angebot und lässt sich erschließen, dass angesichts zahlreicher Konkurrenzprodukte die Bopparder Erzeugnisse es zumindest nicht leicht hatten, sich auf dem deutschen und erst recht dem europäischen Markt zu behaupten151. In der Tat sind die Erwähnungen von Bopparder Tuch, das immerhin aber im 15. Jh. der Speyerer Bischof kaufen ließ152, in den Quellen nicht allzu häufig. Vielfach werden oft lediglich andere mittelrheinische Tuche genannt und kann man lediglich vermuten, dass Bopparder Erzeugnisse mit ihnen gelegentlich den Weg in die betreffenden Regionen gefunden haben. Insgesamt lässt sich erschließen, dass mittelrheinisch-hessische Tuche sehr stark nach Südosten gingen153. Ebenso sind sie im späten Mittelalter wie pfälzisches oder wie Elsässer Tuch aus Straßburg, Hagenau oder Zabern/Saverne im südwestdeutschen Raum zu finden (Karten 2–5)154. Tuch aus Boppard selbst erscheint aber immerhin bereits 1375 in Basel, im 15. Jh. in Bern (Karte 5) sowie 1436 bzw. 1441 150 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte (wie Anm. 59), Bd. 2, S. 266f. Vgl. ansonsten für den Einzugsbereich Frankfurts Rothmann, Frankfurter Messen (wie Anm. 145), S. 141. 151 Immerhin wird für Frankfurt ein eigener Bopparder Unterkäufer an Gewand 1418 und 1419 erwähnt; Rothmann, Frankfurter Messen (wie Anm. 145), S. 126. 152 Rothmann, Frankfurter Messen (wie Anm. 145), S. 501 mit Anm. 16. 153 Vgl. etwa Pabst, Hans, Die Ökonomische Landschaft am Mittelrhein vom Elsaß bis zur Mosel im Mittelalter (Rhein-Mainische Forschungen, 4), Frankfurt (M.) 1930, S. 30f. So erscheint u. a. Tuch aus Mainz, Friedberg, Frankfurt, Butzbach, Weilburg und Speyer (Kernspeyerer und Distlspeyrer) 1461 in einer herzoglichen Preisregulierung für das Land Österreich ob der Enns, Tuch aus Butzbach, Hachenburg, Trebur 1513/15 in Wien; Mayrhofer, Fritz (Hg.), Rechtsquellen der Stadt Linz: 799–1493 (Fontes rerum Austriacarum Abt. 3, Fontes iuris, 11), Graz / Wien 1985, Nr. 176 S. 252f.; Böhm, Adalbert Mainhard, Verhandlungen bezüglich des Geschäftsbetriebes ausländischer Kaufleute in Wien und diessfällige Verordnung Kaiser Maximilians I. vom 22. Jänner 1515, in: Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen 14 (1855), S. 259–304, hier S. 276, auch S. 280; für Butzbacher, Usinger, Friedberger, Urseler Tuch weiterhin: Pickl, Othmar (Hg.), Das älteste Geschäftsbuch Österreichs. Die Gewölberegister der Wiener Neustädter Firma Alexius Funck (1516– ca. 1538) und verwandtes Material zur Geschichte des steirischen Handels im 15./16. Jahrhundert (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark, 23), Graz 1966, S. 105. Vgl. auch Székely, Györgi, Deutsche Tuchnamen im mittelalterlichen Ungarn, in: Annales Universitatis Scientiarum Budapestinensis, Sect. Linguistica 6 (1975), S. 43–76, hier S. 44, S. 53–55 u. S. 58 (Tuch aus Lorch, Frankfurt, Friedberg, Butzbach, Marburg, Wetzlar, Speyer, Mainz). Besonders wichtig für mittelrheinisch-hessisches Tuch und seine Verbreitung: Bastian, Runtingerbuch (wie Anm. 73), S. 409, S. 411, S. 413, S. 421–426 u. S. 449f. 154 Siehe etwa auch die Karten bei Ammann, Der hessische Raum (wie Anm. 8); auch Holbach / Pauly, „Lutzelburger duch“ (wie Anm. 25), S. 101 Anm. 200 mit Belegen.

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in Leipzig, und es wird auch in einem wohl in Augsburg verfassten Kaufmannshandbuch genannt, so dass wir sehr wohl von einer weiteren Verbreitung ausgehen dürfen155. Daneben ist noch einmal an die Verdichtung eines Netzes regionaler und lokaler Märkte und Messen zu erinnern156, die als Verteiler- und Sammelstellen fungierten und über die Bopparder Tuch zumindest in der Region seine Abnehmer gefunden haben könnte. So gelangten andere Tuche der Umgebung, nämlich nachweislich solche aus Bingen und Kirburg, nach Koblenz, und dieser zentrale niederstiftische Ort bot sich durchaus ebenso für den Verkauf von Bopparder Erzeugnissen an157. Wenn in Trier Webwaren aus dem gesamten Erzstift und auch aus benachbarten Kleinstädten wie Neuerburg, Vianden und Echternach abgesetzt wurden158, könnte dies ebenfalls gelegentlich auch Bopparder Erzeugnisse eingeschlossen haben.

IX. Die Bopparder Weberordnung enthält keineswegs ungewöhnliche Bestimmungen. Vielleicht erlaubt sie uns jedoch gerade deshalb einen „aufschlussreichen Einblick in die Produktionsbedingungen des Wolltuchgewerbes“159. Die kurtrierische Landstadt gehörte im Mittelalter zwar weder zu den bedeutenden Handelsplätzen noch zu den führenden Zentren gewerblicher Produktion. Als eine der Zollstätten am Mittelrhein kam ihr aber eine besondere Rolle für den Transit von Gütern zu160, und durch ihre Lage am Fluss, der Hauptverkehrsader im Handel von Norden 155 Ammann, Der hessische Raum (wie Anm. 8), S. 66; Brübach, Nils, Die Reichsmessen von Frankfurt am Main, Leipzig und Braunschweig (14.-18. Jahrhundert), Stuttgart 1994, S. 406; Weinzheimer, Kaufmannshandbuch (wie Anm. 73). 156 So war der Saarbrücker Markt ein zentraler Absatzort besonders für die Wollweber aus dem Köllertal und entlang der Blies; es wurden aber auch Tuche aus Trier zum Verkauf gebracht; Clemens / Matheus, „Gemircke“, S. 46; Kentenich, Notizen (wie Anm. 23). 157 Bär, Max (Bearb.), Urkunden und Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt Koblenz bis zum Jahre 1500 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 17), Bonn 1898, Nr. 3, S. 234–236 für 1432. Vgl. allg. Kerber, Dieter, Wirtschaft im Mittelalter, in: Bátori, Ingrid (Red.), Geschichte der Stadt Koblenz. Von den Anfängen bis zum Ende der kurfürstlichen Zeit, Stuttgart 1992, S. 313–332, hier S. 324. 158 Arlt, Trierer Wollindustrie (wie Anm. 26), S. 148–151; Irsigler, Wirtschaftsgeschichte Trier (wie Anm. 26), S. 112. 159 Volk, Wirtschaft (wie Anm. 28), S. 409. 160 Volk, Wirtschaft (wie Anm. 28), S. 514–517; Pfeiffer, Friedrich, Rheinische Transitzölle im Mittelalter, Berlin 1997, S. 205–210.

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nach Süden, und in der Nähe wichtiger Landwege war sie eingebunden in weiträumige Wirtschaftsbeziehungen161. Zugleich verfügte sie durch entsprechende Ressourcen vor Ort und in der Umgebung über die nötigen Voraussetzungen, um eine Gewerbetätigkeit entstehen zu lassen, deren Erzeugnisse über den lokalen Rahmen hinaus auf regionaler wie verschiedentlich überregionaler Ebene Abnehmer fanden. Damit ist sie ein typisches Beispiel für jene gerade am Mittelrhein und in Hessen verdichtete „landschaftliche Wolltuchindustrie“162, die – wenngleich wesentlich von Orten mit geringer Einwohnerzahl getragen – in der Vielfalt wie der Gesamtmasse doch von erheblicher ökonomischer Bedeutung war. In welchem Maße aber gerade kleine Städte der Betrachtung durch die Stadtgeschichtsforschung wert sind, ist erst in jüngerer Zeit stärker bewusst geworden und hat seinen Niederschlag in verschiedenen Tagungsbänden gefunden163. Der Jubilar selbst hat sich mit dieser Thematik immer wieder in seinen Forschungen zur Hierarchie von Räumen und zur Zentralität auseinandergesetzt und hat in einem jüngeren Beitrag über Städtelandschaften und kleine Städte erneut eine Lanze für die Beschäftigung mit Orten selbst niedriger Stufe gebrochen. Ihm scheint es zum Verständnis des Ranges höherer Zentren nämlich wichtig, deren „großen Unterbau“ zu berücksichtigen, und er nennt gerade die Analyse der jeweiligen Zuordnung „eine lohnende Forschungsaufgabe“164. Von daher hat die Beschäftigung mit der gewerblichen Wirtschaft einer Kleinstadt wie Boppard und der Versuch ihrer Einordnung in größere Zusammenhänge auf jeden Fall ihre Berechtigung.

161 Volk, Wirtschaft (wie Anm. 28), S. 423–428. 162 Ammann, Der hessische Raum (wie Anm. 8), S. 53. 163 Vgl. bes. auch den Überblick von Johanek, Peter, Landesherrliche Städte – kleine Städte. Umrisse eines europäischen Phänomens, in: Treffeisen, Jürgen / Andermann, Kurt (Hg.), Landesherrliche Städte in Südwestdeutschland (Oberrheinische Studien, 12), Sigmaringen 1994, S. 9–25. 164 Irsigler, Franz, Städtelandschaften und kleine Städte, in: Flachenecker, Helmut / Kiessling, Rolf (Hg.), Städtelandschaften in Altbayern, Franken und Schwaben (ZBLG Beihefte, 15), München 1999, S. 13–38, hier S. 38.

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Quellenanhang: Bopparder Weberordnung Original, Landeshauptarchiv Koblenz (LHAKo) Abt 618 Nr. 11 Wir, der raid zue Boparten, sin eyndrechtig und zue raide wůrden mit den erberen lue den den woberen zue Boparten: 1. Also wer důych machit in deme gerichte zu Boparten und dat zù marte her odir anders war fùren wil, der sal daz důch dùn besehen an der raymen dye meistere, dye wir dar ubir under yen gekoren han, unde sollen wir alle jar under yen zwene erbere man kyesen, dye zue den heilgen sollen sweren ubir alle duse gebot, und ist dat due ch also gue t unde bescheidenlichen, als sich heischit, so sal iz der raid zue Boparten due n besigelen mit irme sigil, weme iz der raid befielt, unde wer dez nyt indede, der verlůset 4 s. d., als dicke er von den meisteren gerue git wue rde. 2. Item verbieden wir oùch, dat nyeman eyn flocken důch odir snytzelinge due ch sal due n lytzschen, verben odir sigelen, und wa man dat fonde, dat sal man verbůrren, und der iz machit odir důit machen, der verlůsit ir yeclicher 5 mrc. d., als dicke dez noit geschege. 3. Item wir verbieden aůch, dat nyeman sal me geben odir nemen von eyme clůde gemengeder wollen zue cammen dan 5 s. d. unde von eyme clůde eynvar wollen zue cammen 10 s. hll. und von ye deme pue nde nach marczail, als sich dat heischit. Wer dar ůbir me gebe odir neme, der verlůsit 1 mrc. d. 4. Item gebieden wir, dat man sal von eyme půnde mit der hant zue spynnen geben und nemen 16 alde hall. ane dystilscheit und von eyme pùnde uff dem raide zue spynnen 10 alde hall. und von eyme půnde geslagener wollen zù spynne 8 alde hall. Wer me gebe odir neme der verlůsit 1 mrc. d. 5. Item verbieden wir, dat nyeman me geben odir nemen sal von eyner elen důchis zü woben, dat sonnedicke ist genant, dan 6 d. von ye der elen und von eyner elen důchis, dat dryschefftig ist genant, 9 alde hall., und zù noppen von eyner gemengeder elen 3 alde hall. und von eyner slechtir elen 2 alde hall. zù noppen unde wer me gebe odir neme, der verlùsit 1 mrc. d., als dicke dez noit geschege. 6. Item gebieden wir, dat yeder man sal geben unde nemen mit eyme půnde, der verczehen eyn clůyde due n, und dat sal in deme cloben stan, wer dez nyet in důit der verlue sit 6 s. d, als dicke dez noit geschiet. 7. Item verbieden wir, dat keyn zeůgir sal me geben nemen von eyme důche zů bereiden dan eynen halben gůlden. Wer dar wyder dede, der verlue sit 1 mrc. d. 8. Item gebieden wir den welkeren, dat sij von ye deme kůmpe due ichis sollint nemen 16 alde hall. und nyet me. Wer dez nyet indede, der verlue sit als dicke 1 mrc. d. 9. Item verbieden wir, dat nye man zu etly due sen geboden eynych liebnisse sal geben odir nehmen. Wer dat dede, der verlùsit 1 mrc. d.

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10. Item gebieden wir, dat keyn wober, er habe eyne gezaůwe odir me, dat der nyt me důcher machen sal dan 7 ye zù der Frankenforter missen. Wer me mechte odir dede machen, der verlue sit 20 Mk., als dicke dez noit geschege. 11. Item verbieden wir, dat nyeman due ych sal machen odir due n machen mit lytzschen ane dy wobere alleyne. Wer iz dar ue bir dede, der verlue sit 5 mrc. d., als dicke dez noit geschege. 12. Item verbiden wir oùch, dat keyne kemmers dye umbe lon cammet, keyne wolle keue fen noch verkeue fen sal noch due ych machen odir dun machen. Wer dat dede, der verlue sit als dicke 5 mrc. d. 13. Item gebieden wir allen woberen, dat nyeman sal dat hantwerck leren eynychen man, er en sij dan dar zue geboren, dat er sij eyns wobers son odir dochter. Wer anders dat hàntwerck leren wùlde, der sal geben deme raide und der stad zue Boparten 20 mrc. d., wil er dat hantwerck uben odir gebrůchen. Und wer eyne gancze gezauwe hait undir deme hantwercke, der sal sin gantzen harnesch han und dy anderen dar nach nach marczail, als sich dat heischit. Her ubir han wir důse zwene meistere gesast, dat sij alle důse vorgeschribene ding růgen un afftirwaren sollint, und hant sij und dye iz an dy meistere brengent und der dat sigil hait von dez raids wegen dat dritteil von der eynůngen, und weme ijt brost were her ubir, der sal vue r den raid zue Boparte und vue r sij komen, dat ydermanne recht geschie, und wer her wyder dede odir anderswar fue re und dieß lenes nyt nemen inwolde, deme vorbiede wir alle unse marcke unde senthen yme wijff und kint nach und nemen doch dy eynuge von yme, als vorgeschriben steit. 14. Und were iz, dat eyn fromede wobir her queme, der sal auch geben 20 mrc. d.

Übersetzung Wir, der Rat zu Boppard, sind in Übereinstimmung mit den ehrbaren Leuten, den Webern zu Boppard, zu folgender Entschließung gelangt: 1. Wer Tuch herstellt im Gerichtsbezirk von Boppard und dies hierher zum Markt oder anderswohin führen will, der soll die Meister, die wir hierzu unter ihnen erwählt haben, das Tuch am Rahmen besehen lassen. Und wir sollen jedes Jahr unter ihnen zwei ehrbare Männer erwählen, die wegen aller dieser Gebote bei den Heiligen schwören sollen. Und ist das Tuch so gut und gebührend, wie es gefordert ist, so soll es der Rat zu Boppard mit ihrem Siegel besiegeln lassen. Und wer das nicht täte, dem er es befiehlt, verliert 4 Schilling Pfennige, so oft er von den Meistern angezeigt würde. 2. Ebenso verbieten wir auch, dass jemand ein Tuch aus Flocken oder aus Wollabfall vom Scheren mit Litzen versehen, färben oder siegeln lassen soll, und wo man das fände, soll man es verbrennen, und der es macht oder machen läßt, verliert jeweils 5 Mark, so oft es sich ereignet.

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3. Ebenso verbieten wir, dass jemand für das Kämmen von einem Klud gemischter Wolle mehr geben oder nehmen soll als 5 Schilling Pfennige, für das Kämmen von einem Klud einfarbiger Wolle 10 Schilling Heller und für jedes Pfund im Verhältnis, wie sich das gebührt. Wer dafür mehr gibt oder nimmt, der verliert 1 Mark. 4. Ebenso gebieten wir, dass man von einem mit der Hand zu spinnenden Pfund geben und nehmen soll 16 alte Heller ohne Distelscheit, von einem auf dem Rad zu spinnenden Pfund 10 alte Heller und von einem von geschlagener Wolle zu spinnenden Pfund 8 alte Heller. Wer mehr gäbe oder nähme, der verliert 1 Mark Pfennige. 5. Ebenso verbieten wir, dass jemand mehr geben oder nehmen soll für das Weben von einer Elle Tuch, das Sonnedicke genannt ist, als 6 Pfennige von jeder Elle, und von einer Elle Tuch, das dreischäftig genannt ist, 9 alte Heller, und zum Noppen von einer gemischten Elle 3 alte Heller, von einer schlechten Elle 2 alte Heller, und wer mehr gibt oder nimmt, der verliert 1 Mark, so oft es sich ereignet. 6. Ebenso gebieten wir, dass jedermann geben und nehmen soll gemäß einem Pfund, von denen 14 ein Klut ausmachen, und das soll in dem Kloben165 stehen. Wer das nicht tut, der verliert 6 Schilling Pfennige, so oft es sich ereignet. 7. Ebenso verbieten wir, dass ein Zeuger zum Tuchbereiten mehr geben [oder] nehmen soll als einen halben Gulden und nicht mehr. Wer zuwider handelt, verliert 1 Mark Pfennige. 8. Ebenso gebieten wir den Walkern, dass sie vom Trog Tuchs 16 alte Heller und nicht mehr nehmen sollen. Wer das nicht täte, verliert jeweils 2 Mark Pfenninge. 9. Ebenso verbieten wir, dass jemand zu irgendwelchen dieser Gebote irgendeine Zuwendung geben oder nehmen soll. Wer das tut, verliert 1 Mark Pfennige. 10. Ebenso gebieten wir, dass kein Weber, er habe einen Webstuhl oder mehr, mehr Tücher machen soll als 7 jeweils zur Frankfurter Messe. Wer mehr macht oder machen lässt, der verliert 20 Mk., so oft es sich ereignet. 11. Ebenso verbieten wir, dass jemand Tuch mit Litzen machen oder machen lassen soll außer den Webern allein. Wer es übertritt, der verliert 5 Mk., so oft es sich ereignet. 12. Ebenso verbieten wir auch, dass eine Kämmerin, die für Lohn kämmt, weder Wolle kaufen noch verkaufen noch Tuch machen oder machen lassen soll. Wer das tut, verliert jeweils 5 Mark Pfennige. 13. Ebenso gebieten wir allen Webern, dass niemand irgend jemanden das Handwerk lehren soll, er sei denn dazu geboren, dass er sei eines Webers Sohn oder Tochter. Wer ansonsten das Handwerk erlernen will, der soll dem Rat und der Stadt Boppard 20 Mark Pfennige geben, will er das Handwerk ausüben und gebrauchen. Und wer einen ganzen Webstuhl hat innerhalb des Handwerks, der soll seinen ganzen Harnisch haben und die anderen danach jeweils im Verhältnis, wie sich das gebührt. Hierüber haben 165 Wohl an der Waage.

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wir zwei Meister gesetzt, dass sie alle diese vorgeschriebenen Dinge anzeigen und danach schauen sollen. Und es haben sie und diejenigen, die es an die Meister bringen, sowie derjenige, der das Siegel innehat, von des Rats wegen das Drittel von der festgesetzten Buße, und wer diesbezüglich einen Schaden hat, der soll vor den Rat zu Boppard und vor sie kommen, dass jedermann Recht geschehe. Und wer zuwider handelt oder anderswohin fährt und diesen Erlass nicht annehmen will, dem verbieten wir alle unsere Marken und senden ihm Weib und Kind nach und nehmen doch die Buße von ihm, wie zuvor geschrieben steht. 14. Und wäre es, dass ein fremder Weber her käme, soll der auch 20 Mark Pfennige geben.

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Karte 1  Zünfte, Gewerbeordnungen und Privilegierungen

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Karte 2  Herkunft der in Straßburg im 15. Jh. verkauften Tuche

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Karte 3  Verbreitung des Kaiserlauterner Tuchs im Mittelalter

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Karte 4  Herkunftsorte von Tuchen in Basel (2. Häfte des 14. Jahrhunderts)

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Karte 5 Herkunft von in Bern geschorenen Tuchen nach Festsetzung von Schererlöhnen (vor 1467?)

Das Eisengewerbe des Reviers von Steyr bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts Von Knut Schulz

Anregung und Anstoß bei der Wahl des Gegenstandes meines Festschriftbeitrages vermittelte nicht zuletzt die nach wie vor einschlägige Habilitationsschrift von Franz Irsigler über „Die wirtschaftliche Stellung der Stadt Köln …“, und zwar besonders der Teil, der das Metallgewerbe und speziell das Eisen und Stahl verarbeitende Handwerk behandelt1. Denn hier wird in überzeugender Weise das koordinierte Zusammenspiel von Bergbau, Verhüttung und Verarbeitung – sowohl im großen Maßstab als auch in gewerblicher Spezialisierung – mit Verlagswesen, Vertrieb und Fernhandel für eine wichtige Wirtschaftsregion vorgestellt, in deren Zentrum die Stadt Köln stand2. Die erarbeiteten Karten verdeutlichen das ohnehin schon anschauliche Bild von den Verflechtungen und gegenseitigen Impulsen dieser bis heute bedeutenden Metallgewerbelandschaft. Daneben ist ein weiteres, von seiner Bedeutung her vergleichbares oder gar noch berühmteres Beispiel zu nennen, nämlich das Nürnberger Metallhandwerk mit dem Oberpfälzer Eisenrevier im Hintergrund, besonders was die Blütezeit des 14. bis späten 16. Jahrhunderts anbelangt3. Es stand mit Steyr und der Region um den Erzberg in engerer wirtschaftli1

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Irsigler, Franz, Die wirtschaftliche Stellung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert. Strukturanalyse einer spätmittelalterlichen Exportgewerbe- und Fernhandelsstadt (VSWGBeihefte, 65), Wiesbaden 1979, bes. S. 156–215. Irsigler, Franz, Kölner Wirtschaft im Spätmittelalter, in: Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, hrg. v. Kellenbenz, Hermann, Köln 1975, S. 217–319, bes. S. 266–271; Irsigler, Franz, Stadt und Umland im Spätmittelalter. Zur zentralitätsfördernden Kraft von Fernhandel und Exportgewerbe, in: Zentralität als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung, hrg. v. Meynen, Emil (Städteforschung. Reihe A, 8), Köln / Wien 1979, S. 1–14; Johanek, Peter, Eisenproduktion, Eisengewerbe und Städtebildung im südlichen Westfalen während des Mittelalters, in: Stadt und Eisen, hrg. v. Opll, Ferdinand, Linz / Donau 1992, S. 15–36. Kellenbenz, Hermann, Gewerbe und Handel am Ausgang des Mittelalters – Wirtschaftsleben im Zeitalter der Reformation, in: Nürnberg. Geschichte einer europäischen Stadt, hrg. v. Pfeiffer, Gerhard, München 1971, S. 176–193; Stahlschmidt, Rainer, Die Geschichte des eisenverarbeitenden Gewerbes in Nürnberg von den ersten Nachrichten im 12.–13. Jahrhundert bis 1630, Nürnberg 1971; Keller, Kurt, Das messer- und schwerter-

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cher Verbindung, profitierte seinerseits von dieser Beziehung und trug dort zugleich durch Investionen von Kapital und die eigenen weiten Handelsbeziehungen zum Aufschwung bei4. Waren Köln und Nürnberg als die beiden Großproduzenten von europäischer und dann auch überseeischer Bedeutung im starken Maße von der großen Stadt, also bürgerlich-kommunal geprägt, so galt es, für Steyr und Innerberg/Eisenerz mit den dort deutlich anderen wirtschaftspolitischen Voraussetzungen nach besser geeigneten Vergleichsbeispielen Ausschau zu halten. Dafür boten und bieten sich aus der mitteleuropäisch-deutschen Sicht zwei Standorte an, nämlich einerseits die Harzregion, weniger die bekanntere im nördlichen Harzvorland gelegene Städtegruppe mit Goslar, Hildesheim und Braunschweig, die stärker von Bunt- und Edelmetall und lange von den Wirtschaftsinteressen der kommunalen Stadt geprägt war5, sondern vielmehr am Westharz der Ort Grund (Bad Grund) mit dem Iberg und der Eisenhütte zu Gittelde, wo im 16. Jahrhundert in landesherrlicher Regie hochwertige Eisen- und Stahlerzeugnisse im großen Maßstab hergestellt wurden6.

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herstellende Gewerbe in Nürnberg von den Anfängen bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit, Nürnberg 1981; Stromer, Wolfgang von, Die Große Oberpfälzer Hammereinung vom 7. Januar 1387. Kartell und Konzerne, Krisen und Innovationen in der mitteleuropäischen Eisengewinnung, in: Technikgeschichte 56 (1989), S. 279–304; Götschmann, Dirk, Oberpfälzer Eisen. Bergbau und Eisengewerbe im 16. und 17. Jahrhundert (Schriftenreihe des Bergbau- und Industriemuseums Ostbayern, 5), Theuern 1985. Dettling, Käthe, Der Metallhandel Nürnbergs im 16. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Nürnbergs 27 (1928), S. 97–241; Stahlschmidt, Die Geschichte (wie Anm. 3), S. 88–90; Holbach, Rudolf, Frühformen von Verlag und Großbetrieb in der gewerblichen Produktion (VSWG-Beihefte, 110), Stuttgart 1994, Kapitel 2, 2: Metallgewerbe (mit zahlreichen Literaturhinweisen); Keller, Das messer- und schwerterherstellende Gewerbe (wie Anm. 3), S. 27–31, 38–40, 122–124, 135f., 143f. und 256–259. Hillebrand, Werner, Der Goslarer Metallhandel im Mittelalter, in: Hansische Geschichtsblätter 87 (1969), S. 31–57; Westermann, Ekkehard, Der Goslarer Bergbau vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Forschungsergebnisse – Einwände – Thesen, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 20 (1971), S. 251–261; Kraschewski, HansJoachim, Der Bergbau des Harzes im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Stand und Aufgaben der Forschung, in: Montanwirtschaft Mitteleuropas vom 12. bis 17. Jahrhundert, hrg. v. Kroker, Werner / Westermann, Ekkehard (Der Anschnitt. Beihefte, 2), Bochum 1984, S. 134–143; Beddies, Thomas, Becken und Geschütze. Der Harz und sein nördliches Vorland als Metallgewerbelandschaft in Mittelalter und früher Neuzeit (Europäische Hochschulschriften, III, 698), Frankfurt a. M. [u. a.] 1996. Kraschewski, Hans-Joachim, Wirtschaftspolitik im deutschen Territorialstaat des 16. Jahrhunderts. Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel (1528–1589), Köln / Wien 1978; Kraschewski, Hans-Joachim, Der „ökonomische“ Fürst. Herzog Julius als Unternehmer-

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Im Süden Thüringens nahmen bereits seit dem 14./15. Jahrhundert in Schmalkalden, Suhl (Obersuhl) und Zella-Mehlis die Eisen- und Stahlerzeugung und ein spezialisiertes Metallgewerbe einen starken Aufschwung und erlangten bald einen weithin klangvollen Namen7. Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert ist hier eine gewerbliche Massenproduktion bei kleinbetrieblicher Zunft- und Handwerksorganisation sowohl im städtisch-vorstädtischen Bereich als auch im ländlichen Umfeld zu registrieren, die durch Händler als Verleger und zunehmend auch durch die Landesherrschaft bestimmt wurde8. Diese Produktions- und Gewerbestruktur weist – wie wir sehen werden – die vielleicht stärkste Ähnlichkeit mit der Region von Steyr auf, zu der übrigens auch manche direkte Beziehung bestand.

1. Aufbau und räumliche Ausdehnung der Steyrer Gewerbelandschaft9 Welchen Platz nahm in diesem – zugegebenermaßen begrenzten – Vergleichsspektrum10 der mit dem Stadtnamen Steyr bezeichnete Wirtschaftsraum ein, und wel-

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Verleger der Wirtschaft seines Landes, in: Staatsklugheit und Frömmigkeit. Herzog Julius zu Braunschweig-Lüneburg, ein norddeutscher Landesherr des 16. Jahrhunderts, hrg. v. Graefe, Christa, Weinheim 1989, S. 41–57; Brohm, Ulrich, Die Handwerkspolitik Herzog Augusts des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (1635–1666), Stuttgart 1999. Lohse, Hans, 600 Jahre Schmalkalder Eisengewinnung und Eisenverarbeitung vom 14. bis 20. Jahrhundert, Meiningen 1965; Hübner, Rolf, Die Entwicklung des Schmalkalder Metallgewerbes und die Entstehung frühkapitalistischer Produktionsverhältnisse im 15. und 16. Jahrhundert, in: Schmalkalden und Thüringen in der deutschen Geschichte. Beiträge zur mittelalterlichen und neueren Geschichte und Kulturgeschichte, Schmalkalden 1990, S. 66–78. Held, Wieland, Eisengewinnung und -verarbeitung um und in Schmalkalden in Thüringen und deren Wirkung auf die Stadt bis in die beginnende frühe Neuzeit, in: Opll (Hg.), Stadt und Eisen (wie Anm. 2), S. 291–309. Die ursprüngliche Idee oder Absicht, die Frage der Zuwanderung, Anwerbung und auch Ausweisung von Bergleuten und vor allem Handwerksgesellen, also die Bedeutung und den Umfang von Migrationsprozessen in dieser „Fortschrittsregion“ zu erfassen, hat sich in diesem Rahmen leider nicht verwirklichen lassen. Zur allgemeinen Einordnung vgl.: Beck, Ludwig, Die Geschichte des Eisens in technischer und kulturgeschichtlicher Beziehung. Abt. 1 und 2, Braunschweig 1890 und 1895; Johannsen, Otto: Geschichte des Eisens, Düsseldorf 1925; Sprandel, Rolf, Das Eisengewerbe im Mittelalter, Stuttgart 1968; Schwerpunkte der Eisengewinnung und Eisenverarbeitung in Europa 1500–1650, hrg. v. Kellenbenz, Hermann (Kölner Kolloquien zur internationalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 2), Köln / Wien 1974; Holbach, Früh-

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che charakteristischen Merkmale und Besonderheiten lassen sich für ihn ermitteln11? Steyr – und das ist bereits eine erste und wichtige Antwort auf die gestellte Frage – ist in einem Atemzug mit dem südlich und oberhalb gelegenen Erzberg sowie der Bergsiedlung Eisenerz zu nennen12, woher fast das gesamte Ausgangsmaterial stammte und von dessen Produktionsvolumen des Bergbaues und der Verhüttung die Prosperität der damit verbundenen Gewerbelandschaft abhing. Zweifellos war die von Natur aus begünstigte Lage Steyrs am Zusammenfluss von Enns und Steyr am Fuß des Gebirges nur wenig oberhalb von Mauthausen und Linz an der Donau für die Funktion als Zentralort des Eisenhandels und Eisengewerbes sehr förderlich. Dennoch bedurfte es landesherrlicher Privilegien als zusätzlicher Komponenten, um diesen Standortvorteil zu stärken und zu sichern. Grundlage und frühestes Zeugnis dafür war der Freiheitsbrief Herzog Albrechts I. vom 21. August 1287 für Steyr, mit dem er der Stadt gemäß dem Herkommen das Stapelrecht für alles Eisen verlieh, das in Innerberg (Eisenerz) am Erzberg abgebaut und nach Norden geführt wurde13. Demnach sollten zwei Steyrer Ratsherren die formen (wie Anm. 4): In dem großen Kapitel „Metallgewerbe“ (S. 209–416) und besonders in den Untergliederungen über „Schwerter- und Messerherstellung“ – „Passau und österreichische Zentren“ (S. 266–274) sowie über „Sensen- und Sichelschmiedegewerbe“ – „Österreich“ (S. 286–290) sind sehr dichte Informationen über diese Gewerberegionen zusammengestellt und gewichtet. 11 Als „Klassiker“ seien genannt: Pritz, Franz Xaver, Beschreibung und Geschichte der Stadt Steyr und ihrer nächsten Umgebung, Linz 1837 (Steyr 1965); Rolleder, Anton, Heimatkunde von Steyr, Steyr 1894 (Steyr 1975); Ofner, Josef, Die Eisenstadt Steyr. Geschichtlicher und kultureller Überblick, Steyr 1956; Ruhri, Alois, Die Stadt Steyr als Zentralort der österreichischen Eisenverarbeitung in vorindustrieller Zeit, in: Opll (Hg.), Stadt und Eisen (wie Anm. 2), S. 141–158. 12 Bittner, Ludwig, Das Eisenwesen in Innerberg-Eisenerz bis zur Gründung der Innerberger Hauptgewerkschaft im Jahr 1625, in: Archiv für österreichische Geschichte 89 (1901), S. 451–646; Pirchegger, Hans, Das steirische Eisenwesen bis 1564 (Steirisches Eisenwesen, 2), Graz 1937; Pirchegger, Hans, Das steirische Eisenwesen von 1564–1625 (Steirisches Eisenwesen, 3), Graz 1939; vergleichend und einordnend: Hoffmann, Alfred, Wirtschaftsgeschichte des Landes Oberösterreich (Bde. 1–2), Salzburg 1952; Mitterauer, Michael, Produktionsweise, Siedlungsstruktur und Sozialformen im österreichischen Montanwesen des Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Österreichisches Montanwesen, hrg. v. Mitterauer, Michael (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien, 6), Wien 1974, S. 234–315. 13 Preuenhuber, Valentin, Annales Styrenses, veröffentlicht von J. A. Schmidt in Nürnberg 1740 (Steyr 1983), S. 35 und 37; Schwind, Ernst Freiherr von / Dopsch, Alphons, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungsgeschichte der Deutsch-Österreichischen Erblande, Innsbruck 1895, S. 142–145, Nr. 74.

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Befugnis haben, die Qualität des angelieferten Eisens zu begutachten und preislich zu bewerten. Für das so eingeschätzte Eisen- und Stahlsortiment stand den Steyrer Kaufherren, Händlern und Handwerkern für drei Tage das Vorkaufsrecht zu, bevor es anschließend vor Ort und nach außerhalb frei in den Handel gelangen durfte14. Da auch das Holz, das aus dem Umland oberhalb von Steyr herbeigeschafft wurde, dem dreitägigen Stapelzwang und Vorkaufsrecht unterlag, war damit für die Stadt und ihr Gewerbe eine deutliche und erwünschte Bevorzugung verbunden, zumal sich vorerst die herrschaftliche Einflussnahme auf die Stadtwirtschaft noch in engen Grenzen hielt. Sie beschränkte sich im Wesentlichen darauf, den Umfang der Eisengewinnung und der Vermarktung der Produkte des Metallgewerbes an zentralem Ort erfassen und finanziell nutzen zu können. Von diesem Zusammenwirken profitierten beide Seiten, Landesherr und Stadt, vor allem aber die drei hauptverantwortlichen Gruppen von Produzenten und Eisenhändlern, nämlich die Radmeister, die Verleger und die Hammerherren15. Die Radmeister besorgten den Abbau der Erze und das Ausschmelzen in den ursprünglich „Blähhäuser“, später „Radwerke“ genannten Schmelzöfen. Die in Steyr ansässigen Eisenhändler traten im wachsenden Maße gegenüber den Radmeistern als Verleger auf, indem sie diesen die hohen Geldbeträge, die für Investitionen erforderlich waren, zur Verfügung stellten. Dafür erhielten sie das produzierte Roheisen zu einem festen Preis von ihnen und belieferten damit die Hammerwerke. Nur die minderen Eisensorten, vor allem das Weicheisen, durften die Radmeister als sogenanntes Provianteisen frei verkaufen, in der Regel zur Beschaffung von Lebensmitteln für ihre zahlreichen Arbeitskräfte, die im Bergbau und bei der Verhüttung, zu etwa 75 Prozent aber bei der Herstellung und Beschaffung der Holzkohle beschäftigt waren16. Die von den Hammerherren schließlich erzeugten handelsüblichen Eisen- und Stahlsorten gelangten dann zum Eisenstapel in Steyr und von dort zum Verkauf an die Eisenschmieden oder in den Handel. Seit der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert hatte man schwere, wassergetriebene Hammerwerke konstruiert 14 Schwind / Dopsch, Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 13), hier Art. 5: Item, quicumque ferrum vel ligna duxerit ad civitatem vendenda, per triduum ibi remaneat ligna sua et ferrum quod attulit civibus memoratis foro et aestimatione communi conditione prius posita venditurus; quod si cives infra dictum tempus merces ipsius emere non curarint, liceat venditori cum rebus suis impedimento remoto, quo voluerit, declinare. 15 Pickl, Othmar, Die Steiermark als Gewerbe- und Industrielandschaft vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Zur Entstehung moderner Industriereviere in alten Fortschrittsregionen, in: Gewerbe- und Industrielandschaften vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert (VSWG-Beihefte, 78), hrg. v. Pohl, Hans, Stuttgart 1976, S. 16–38, hier S. 19–24. 16 Pickl, Die Steiermark (wie Anm. 15), S. 29–33 mit genaueren Zahlenangaben.

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und diese in den wald- und wasserreichen Flusstälern angelegt, so dass die schließlich (um 1550) nachweisbaren 49 großen und 94 kleinen Hämmer vor allem an den Nebenflüssen der Enns, im Grenzbereich von Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark anzutreffen waren, wie es das Kartenbild zeigt. Die 19 Radwerke blieben notwendigerweise in der Nähe des Erzbergs, bei dem Verhüttungszentrum Innerberg/Eisenerz. Die überaus gewinnträchtige Entwicklung, wie sie sich in diesem aufstrebenden Eisenrevier abzeichnete, rief verständlicherweise manche Konkurrenten auf den Plan, so vor allem anfangs das verkehrsgünstig zu Ybbs und Donau gelegene – dem Bischof von Freising zugehörige und von diesem geförderte – Aschbach, sodann die landesfürstliche Stadt Enns mit ihrer für die Teilhabe am Handel vorteilhaften Lage am Zusammenfluss von Enns und Donau17 sowie oberhalb von Steyr das zum Kloster Garsten gehörige Weyer an der Enns, das durch seine energiebegünstigte Lage (Wald, Wasser) und klösterliche Privilegierung rasch zum „güldenen Märktl“ der Eisenverarbeitung aufstieg18. An erster Stelle ist jedoch in diesem Zusammenhang Waidhofen an der Ybbs zu nennen, das schon um die Jahrtausendwende durch königliche Schenkung an das Bistum Freising gelangt war und seit dem 13. Jahrhundert von den Bischöfen planmäßig gefördert, zur Stadt ausgebaut und bei dem Bemühen um eine starke, wenn nicht dominante Position im Eisenhandel und Eisengewerbe unterstützt wurde, und zwar lange mit bemerkenswertem Erfolg, wie Steyr es zu spüren bekam19. Erste Erfolge gegenüber seinem Konkurrenten Waidhofen erzielte Steyr 1371 und dann 1501 mit Hilfe einer Entscheidung König Maximilians I. Danach sollte es Waidhofen nur noch erlaubt sein, in einem Umkreis von drei Meilen erzeugtes Eisen frei in den Handel zu bringen, soweit es dem eigenen Bedarf diente; alles, was darüber hinaus anfiel, war erst einmal nach Steyr zu liefern20. Allerdings akzeptierten die Waidhofener diesen „Kompromiss“ in der 17 Pickl, Othmar, Die Rolle der österreichischen Städte für den Handel mit Eisen und Eisenwaren, in: Opll (Hg.), Stadt und Eisen (wie Anm. 2), S. 171–195. 18 Grüll, Georg, Der Markt Weyer und sein Archiv, o.O. 1937; Grüll, Georg, Geschichte des Garstner Urbaramtes Gaflenz-Weyer, in: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereins 90 (1942), S. 107–278. 19 Friess, Edmund, Geschichte der Hammer- und Sensengewerke in Waidhofen / Ybbs bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich NF 10 (1912), S. 144–180; 800 Jahre Waidhofen an der Ybbs 1186–1986, hrg. v. der Stadtgemeinde, Waidhofen an der Ybbs 1986. 20 Chronologisch-systematische Sammlung der Berggesetze der österreichischen Monarchie. III. Abt., Bd. 1. Chronologisch-systematische Sammlung der Berggesetze von Österreich, Steyermark, Kärnthen und Krain. 1. Bd. vom Jahre 1182 bis 1553, hrg. v. Schmidt, Franz

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Folgezeit nicht bzw. umgingen die auferlegten Einschränkungen, so dass erst 1568 die niederösterreichische Regierung den Vorrang Steyrs im Eisenhandel durchsetzen konnte21. Gegenüber Weyer hatte Herzog Albrecht IV. bereits 1384 einen entsprechenden Rechtsstreit zugunsten von Steyr entschieden22, und der Versuch von Enns, für sich einen Niederlagezwang auf das von Steyr herabkommende Eisen durchzusetzen, wurde durch eine Mautbefreiung der Steyrer Kaufleute durch Friedrich IV. an dieser Zollstätte zum Teil gegenstandslos23. Immerhin war Enns in die Gruppe der sogenannten „Legstädte“, der für den Außenhandel bestimmten Stapelplätze, gerückt. Neben Enns zählten dazu Wels, Linz, Freistadt, Emmersdorf (Wassermaut), Melk (Straßenmaut), Krems-Stein und Wien24. An diese Märkte wurden das von Steyr aus in den Handel gelangende Eisen und Stahl sowie die Produkte des Eisengewerbes überwiegend von den an den genannten Orten ansässigen Kaufleuten gebracht und dort mit den Mautabgaben gleichsam für den Export belegt, um dann zum größeren Teil in die verschiedenen Richtungen in den Fernhandel zu gehen. Wels und zunehmend Linz mit seinen Jahrmärkten zu Ostern und Bartholomäi (Ende August) nahmen die wichtigste Vermittlerfunktion, nämlich im Raum nördlich der Donau sowie in den oberdeutschen Städten wahr, deren Kaufleute allerdings auch in Steyr selbst zum Einkauf erschienen, allen voran Nürnberg mit der dort gebildeten Vereinigung der „Steyrer Eisenhändler“25. Die Rolle, die Steyr selbst in diesem Fernhandel spielte, war, wie es das Privileg von 1287 mit der Erwähnung von Handelsaktivitäten nach Regensburg und anderen oberdeutschen Städten erkennen lässt, anfangs noch lebhaft, scheint aber bald rückläufig gewesen zu sein, jedenfalls in diese Richtung nach Westen und Nordwesten. Dagegen wurden die Handelsbeziehungen nach Süden, ganz überwiegend nach Venedig, von den Stey-

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Anton, Wien 1839, Nr. 16, 1371 April 22: Erzherzog Albrecht III. untersagt auf Klage der Steyrer Bürger den Bürgern von Waidhofen bei Strafe des Verlustes eines Eisenbezugs, aus Eisenerz nicht mehr Eisen nach Waidhofen zu führen, als sie dort selbst benötigen, weil sonst das Eisen an Unser Mautt stett weder gen Steyr noch ghen Ennß khombet. Vgl. Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 525–528. Schmidt (Hg.), Berggesetze (wie Anm. 20), Nr. 19, 1384 Mai 9. Knittler, Herbert, Salz- und Eisenniederlagen. Rechtliche Grundlagen und wirtschaftliche Funktion, in: Österreichisches Montanwesen (wie Anm. 12), S. 199–233, hier S. 219f. Knittler, Salz- und Eisenniederlagen (wie Anm. 23), S. 219f.; Pickl, Die Rolle (wie Anm. 17), S. 176f. Vgl. die in Anm. 3 und 4 genannte Literatur.

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rer Kaufleuten weiterhin selbst unterhalten, was dem Markt und den Messen von Steyr im 14. und 15. Jahrhundert eine große Attraktivität verlieh26. Einen anschaulichen Eindruck von dem Marktgeschehen in Steyr um die Mitte des 15. Jahrhunderts vermittelt das 2005 von Ingo Schwab herausgegebene „Lererbuch. Ein Münchner Kaufmannsbuch des 15. Jahrhunderts“27. Der Münchner Krämer Heinrich Lerer hat von 1440 bis 1456 und dessen Bruder Peter Lerer von 1456 bis 1458 Geschäftsnotizen über den betriebenen Warenhandel aufgezeichnet, darunter die für unseren Zusammenhang besonders instruktive Registrierung über den „Steyrer samkawff“, also wohl den Einkauf auf gemeinsame Rechnung der Brüder, und zwar nach drei Kategorien: Erstens Stückzahl, zweitens Gewicht und drittens Längenmaß. Besonders die erste Gruppe verdient unsere Aufmerksamkeit28: 200 203 202 200 200 400 200 200 50 50 600 1 modium 200 400 1 modium 1 modium

Polluter (Klingen) Paruter (Messer) Paruber (Messer) lediger (ungefasste Klingen) gestolter (Klingen/Messer aus Stahl) schnitzer (Schnitzmesser) pfaffenpar swarczer (Klingenform) steinpacher, die gut sein (in Steinbach hergestellte Messer) Fleyschmesser mit sybeln heften (Messer mit runden Griffen) gestolter und ungestolter naterl (gestählte und ungestählte Nadeln) degenmesser (Degenmesser) screyber (Schreibmesser) roter sniczer (rote Schnitzmesser) Welser allerley tawsnt mit hohen hawben (Welser Messersorte)

[etc. etc.]

26 Ofner, Die Eisenstadt Steyr (wie Anm. 11), S. 27f.: „... Der Handel mit Venedig [lag] gänzlich in den Händen der Steyrer Eisenhändler ..., in Venedig [standen] den Steyrer Handelsherren im Fondaco dei tedeschi ... eigene Räume („Kammern“) ... zur Verfügung ... Im Handel mit Venedig, der durch die Erwerbung Kärntens (1335) mächtig gefördert wurde, nahm Steyr unter den landesfürstlichen Städten im Lande ob der Enns die führende Stelle ein“. Vgl. auch S. 32f.: „Das Jahrmarktsprivilegium und andere Handelsfreiheiten“. 27 Das Lererbuch. Ein Münchner Kaufmannsbuch des 15. Jahrhunderts, bearb. v. Schwab, Ingo (Materialien zur bayerischen Landesgeschichte, 18), München 2005. 28 Schwab (Bearb.), Das Lererbuch (wie Anm. 27), S. 20–23.

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Neben diesem Einkauf von mindestens 2.500 Klingen bzw. Messern und weiteren Metallwaren hat sich Heinrich Lerer auf der Messe in Steyr mit einem eindrucksvollen Sortiment an orientalischen Gewürzen und Farben versorgt: Safran, Pfeffer, Ingwer, Zimt, Muskat, Nelken, Zucker, Wurmsamen, Brasilholz (prisilig), Galgant, Zitwar (ostindische Wurzel), Myrrhe (rot und weiß), Mennig, Zinnober, Anis, Johannisbrot, Indigo etc., die zweifellos die engen Handelsbeziehungen mit Venedig dokumentieren. Der dritte Posten dieses „samkawff[s]“ in Steyr weist eher in die Tuchlandschaften im Reich, nach Köln (Ziechen), Erfurt, Arras, sodann Barchent und Futterbarchent (aus Oberdeutschland?), Leinen und Leinwand (vom Bodensee?), Gugel und Golschen sowie Seidenzeug. Aus dieser Steyr betreffenden Notiz bietet sich die Schlussfolgerung an: Steyr war bereits um die Mitte des 15. Jahrhunderts ein zentraler Markt- und Messeplatz, dessen Attraktivität vornehmlich das Angebot an Metallwaren, besonders Messern, ausmachte. Dadurch bedingt waren hier auch die begehrten Venedigwaren gut sortiert im Handel, wie auch die zahlreichen Tuchsorten, die vermutlich die Kaufleute aus ihren Herkunftsregionen als Ware zum Verkauf mit sich gebracht hatten, um ähnlich wie die Lerer-Brüder in Steyr einzukaufen. Die Handelswege, die besonders von Linz und Wels als Legstädten ihren Ausgang nahmen, führten schon seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert weit über Oberdeutschland hinaus, nämlich zu den Frankfurter Messen, in die Rheinlande sowie in die Hafenstädte Hamburg, Bremen und Lübeck und von dort aus in die Weite des Ostseeraums sowie nach England, Spanien und dann auch nach Übersee29. Zeitweilig waren es annähernd zwei Drittel der Exporte aus dem Revier, das mit dem Erzberg und Steyr zusammenhing, die in diese Richtung gingen. Die Kaufleute aus Freistadt, die ihre Einkäufe in Steyr tätigten, nahmen eine doppelte Funktion wahr, indem sie einerseits das in und bei Freistadt aufblühende Metallgewerbe mit den erforderlichen Ausgangsmaterialien versorgten, vor allem aber, indem sie Süd- und Westböhmen, die Markgrafschaft Meißen und die Lausitz mit den begehrten Rohlingen für die Messer- und Sensenherstellung belieferten30. 29 Kaser, Kurt, Eisenverarbeitung und Eisenhandel. Die staatlichen und wirtschaftlichen Grundlagen des innerösterreichischen Eisenwesens, Wien [u. a.] 1932; Pickl, Die Rolle (wie Anm. 17), bes. S. 179; Herder-Gersdorff, Elisabeth, Herkunft und Vermittlungswege gewerblicher Einfuhren aus West- und Mitteleuropa im Rigaer Seehandel des 18. Jahrhunderts, in: Wirtschaftskräfte und Wirtschaftswege (Bd. 3), hrg. v. Schneider, Jürgen, Stuttgart 1978, S. 204–215. 30 Maade, Ignaz, Freistadts Handelsgeschichte und Handelsleben (11. Jahresbericht des k.u.k. Stadtgymnasiums zu Freistadt in Oberösterreich), Freistadt 1881; Fischer, Franz, Die Sensenausfuhr aus Österreich nach dem Norden und Osten, in: Der Außenhandel Ostmit-

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Eine bedeutende Rolle spielten auch die Eisenhändler in Krems, wo bis zu 20.000 Zentner Roheisen und Fertigwaren jährlich zum Umsatz kamen und in den Handel nach Böhmen, Mähren, Schlesien, Polen und Russland gingen31. Wien schließlich, das noch stärker als die anderen Legorte selbst auf den Bezug von Stahl und Eisen aus Leoben und Steyr für das heimische Handwerk angewiesen war, belieferte Ungarn und weiter noch Südosteuropa sowie den Vorderen Orient, soweit und solange die Voraussetzungen dafür bestanden, mit den begehrten Metallwaren. Diese 1544 landesfürstlich privilegierten Legorte waren also zugleich Produktionsstätten und die Hauptmärkte für den Außenhandel. Sie markierten die Grenzpunkte des vom Zentrum Erzberg/Eisenerz und Steyr weitgehend bestimmten Eisens und Stahls sowie des Handwerks und Handels dieses Raumes32. Dazu gehörten auch, wie noch zu zeigen sein wird, interurbane Absprachen von Steyr bis Wien für das Zunfthandwerk der wichtigsten Städte und Märkte des Eisengewerbes. Daneben bildeten seit 1406 die sieben oberösterreichischen Landesstädte Vöcklabruck, Gmunden, Wels, Linz, Enns, Freistadt und Steyr einen Städtebund zur Regelung gemeinsamer Rechts- und Wirtschaftsfragen sowie zur Vertretung ihrer Interessen im Landtag33. So war schon frühzeitig ein vielseitig geknüpftes Netz, nicht zuletzt zur Abstimmung und Regulierung der für diesen Raum so wichtigen Eisenwirtschaft, gespannt worden.

teleuropas 1450–1650, hrg. v. Bog, Ingomar, Köln / Wien 1971, S. 286–319; Staininger, Robert, Die Sensenschmiede um Freistadt, in: Oberösterreichische Heimatblätter 7 (1953), S. 216–226; Pickl, Die Rolle (wie Anm. 17), bes. S. 183–189. 31 Pickl, Die Rolle (wie Anm. 17), S. 185: „Für den Handel mit Innerberger Eisen und Eisenwaren spielte neben Linz der Legort Krems-Stein die wichtigste Rolle“; S. 186: „Die Exporte nach dem Norden und Osten [liefen um 1605] zu rund 55 Prozent über Krems-Stein, zu etwa 25 Prozent über Freistadt und nur etwa zu 20 Prozent über Wien“. Vgl. Pirchegger, Das steirische Eisenwesen von 1564–1625 (wie Anm. 12), S. 7–68. 32 Vgl. Anm. 24 sowie: Pickl, Othmar, Der Eisenhandel und seine Wege, in: Erz und Eisen in der Grünen Mark. Beiträge zum steirischen Eisenwesen, hrg. v. Roth, Paul Werner, Graz 1984, S. 348f. 33 Ofner, Die Eisenstadt Steyr (wie Anm. 11), S. 31f.: „Die landesfürstliche Stadt“.

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2. Der Erzberg mit den beiden Bergsiedlungen und Leoben als Eisenmarkt im Süden Nun ist mit der bisherigen geographischen Orientierung der Blick nur nach Norden, sozusagen ennsabwärts, gerichtet gewesen. Begibt man sich jedoch an den Standort, von dem fast alles seinen Ausgang nahm, was mit Eisen und Stahl zusammenhing, nämlich den als unerschöpflich geltenden Erzberg, dann befindet man sich mehr oder weniger auf der Passhöhe (Präbichl) mit der wirtschaftlichen Verknüpfung in beide Richtungen, also ebenso nach Süden wie nach Norden34. Der Erzberg, ursprünglich „Eisenwurzel“ bzw. „Eisenwurzen“ genannt, mit dem zu Eisenspat (Siderit) verwitterten Brauneisenstein war schon in römischer Zeit genutzt und geschätzt wegen der hochwertigen Qualität des Erzes und zog seit der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert immer klarer erkennbar das wirtschaftliche Interesse auf sich. Dafür steht für die frühe Zeit vor allem die Überlieferung der Benediktinerabteien Garsten und Gleink (vor den „Toren“ südlich und nördlich von Steyr) sowie des im oberen Ennstal gelegenen Klosters Admont mit seinem reichen Bergund Waldbesitz zur Verfügung35. Das Gebiet des Erzbergs selbst hatten spätestens seit dem 12. Jahrhundert die Otokare inne, seit 1181 Herzöge von Steyr, von denen es dann an die Babenberger, den Böhmenkönig und die Habsburger gelangte. Im 12./13. Jahrhundert wurde das ihnen von Friedrich Barbarossa bestätigte Bergregal für Erzabbau und –verhüttung vermutlich als Lehen an Unternehmergruppen weiterverliehen, natürlich unter Vorbehalt eines Anteils an den daraus fließenden Einkünften und der Mautgebühren aus dem Eisenhandel. Für eine genossenschaftliche Ansiedlung und Belehnung von Spezialisten des Bergbaues und der Eisenverarbeitung spricht eine Urkunde von König Andreas III. von Ungarn von 1291 für die nach Torockó/Eisenburg (sw. Thorenburg in Siebenbürgen) „gerufenen Meister der Gäste und Bergleute, nämlich der Eisenschmiede, Bergzehntner, Köhler und 34 Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12); Pantz, Anton von, Die Innerberger Hauptgewerkschaft 1625–1783 (Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark, 6, 2), Graz 1906; Tremel, Ferdinand, Der Frühkapitalismus in Innerösterreich, Graz 1954; Tremel, Ferdinand, Die Entwicklung des Eisenwesens im Raum Leoben (Leobener Grüne Hefte, 101), Leoben 1967; Pickl, Die Steiermark (wie Anm. 15). 35 Wichner, Jakob, Das Kloster Admont und seine Beziehungen zum Bergbau und Hüttenbetrieb, in: Berg- und hüttenmännisches Jahrbuch 39 (1891); Pirchegger, Das steirische Eisenwesen bis 1564 (wie Anm. 12), S. 23–25 (Admont); Ofner, Die Eisenstadt Steyr (wie Anm. 11), S. 13; Ruhri, Alois, Die Beziehungen der innerösterreichischen Klöster zum Eisengewerbe – mit besonderer Berücksichtigung des Benediktinerklosters Admont, in: Ferrum 70 (1998), S. 39–47.

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Arbeiter“, die alle verbrieften Urkunden aus früheren Zeiten ihrer Berufung aus Österreich (zwischen 1164 und 1241) durch den Mongolensturm eingebüßt hätten36. Mit dieser Urkunde wurden ihre alten Rechte nicht nur bestätigt, sondern noch erweitert, etwa durch das Marktrecht und die Ratswahl. „Wir erneuern und vermehren diesen Gästen“, so heißt es, „den österreichischen Eisenschmieden aus dem Ort Eisenwurzel … dieselbe Freiheit und dieselben Rechte, zu denen sie anfangs gerufen wurden, und gewähren auch, dass fürderhin Gäste, Meister, Eisenschmiede und deren Helfer, die Eisengießer, Bergleute und alle Arbeiter in ihrer Gemeinschaft (in eorum societatem), wenn sie sich in diese einlassen, ebenfalls für immer und ewig derselben Rechte und Freiheiten, zu denen sie gerufen wurden“, teilhaftig werden sollen37. Nach Aussage dieses Zeugnisses ist davon auszugehen, dass am Erzberg und seiner Umgebung (Eisenwurzel) eine das ganze Spektrum der Eisengewinnung und Eisenverarbeitung umspannende Genossenschaft bestand, von der eine Teilgruppe etwa Anfang des 13. Jahrhunderts nach Siebenbürgen berufen und rechtlich privilegiert worden ist. Dieses frühe Zeugnis für den Zusammenschluss mehr oder weniger aller auf das Eisen hin orientierten Gewerke verdient nicht erst für Siebenbürgen, sondern schon für das Herkunftsgebiet gebührende Beachtung, besonders im Vergleich mit späteren Organisationsformen, bei denen, wie wir sehen werden, Kaufmannschaft, Verlagswesen und Landesherrschaft stärker oder bestimmend hervortraten. Am Ende des 13. Jahrhunderts (1279?) sind für das mittlerweile zum Markt erhobene Eisenerz/Innerberg solche genossenschaftlichen Strukturen gut erkennbar. Der Marktrichter und die (zwölf ) Geschworenen des Rates zogen die Abgaben

36 Urkunden und erzählende Quellen zur deutschen Ostsiedlung im Mittelalter. 2. Teil: Schlesien, Polen, Böhmen-Mähren, Österreich, Ungarn-Siebenbürgen, hrg. v. Helbig, Herbert / Weinrich, Lorenz (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, 26b), Darmstadt 1970, Nr. 149, S. 552, 553–557, hier S. 553. 37 Helbig / Weinrich (Hg.), Urkunden (wie Anm. 36), S. 554, 555; S. 554: ... proinde iisdem hospitibus Austriacis ferri fabris, e loco Eisenwurzel cum affidatione in has terras Ultrasilvanas vocatis et huc illocatis, eorumque successoribus eandem libertatem et eadem iura, ad que ab initio vocati fuerunt, renovantes et augentes nos quoque concedimus, ut iidem hospites magistrique et ferri fabri eorumque collaboratores, ferri fusores et cultores ac omnes laboratores in eorum societatem hinc inde condescensuri iisdem iuribus, libertatibusque et indultis, ad que vocati fuerunt, de hinc quoque uti, frui et gaudere ad instar reliquorum in dicta Austria superiori constitutorum metallurgorum et ferri fabrorum uti, frui et gaudere possint in perpetuum.

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ein und übten die Gerichtsbarkeit im ganzen Bergbezirk bis Hieflau aus38. Die Markt- und Bergsiedlung Eisenerz/Innerberg am nördlichen Teil des Erzbergs, etwas unterhalb desselben gelegen und schwerer zugänglich, ist offensichtlich die jüngere Anlage gewesen. Älter war der südlich auf der Passhöhe befindliche Vordernberg mit dem Zugang zum Murtal. Hinweise auf den Erzabbau finden sich hier bereits in Verbindung mit dem steirischen Markgraf Otakar III. um die Mitte des 12. Jahrhunderts39. Trofaiach stellte den ersten Sammelpunkt für dieses Eisenrevier dar, Leoben aber war das Zentrum für den Vordernberg an der Südseite, wie Steyr für die nördliche Region. Diese Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Vordernberg und Innerberg war zwar von der Lage und den Transportwegen her naheliegend, musste jedoch erst in einem längeren Prozess wirtschaftlicher und rechtlicher Entscheidungen durchgesetzt werden; denn noch 1277 erhielt zum Beispiel Judenburg zum Nachteil von Leoben das Recht der Eisenniederlage von König Rudolf bestätigt und damit das Vorrecht im Eisenhandel mit Italien zuerkannt40. Erst durch landesfürstliche Freiheitsbriefe von 1314 und 1415 wurde Leoben als südliches Zentrum des Eisenhandels merklich gestärkt41. Der Fernhandel mit Eisen von Vordernberg über Leoben führte in vier Richtungen: Westwärts durch das Paltental und obere Ennstal über Rottenmann und Radstatt nach Salzburg, Oberbayern oder Tirol bis nach Schwaben, sodann das Murtal aufwärts über Judenburg nach Kärnten und Oberitalien, mur- und drauabwärts nach Ungarn und Kroatien, außerdem südwärts durch das Lavanttal nach Kärnten, Krain und Italien und ostwärts durch das Mürztal über den Semmering nach Niederösterreich, Wiener Neustadt, Wien und Westungarn42. Die Trennungslinie der beiden „Verschleißbezirke“ von Steyr und Leoben, wie deren Handelsräume genannt wurden, stellte also gen Westen vom Modell her die Donau dar. Allerdings durfte Leoben sogar an beiden Bergen, also auch am Innerberg/Eisenerz, sein Eisen einkaufen, wenn auch mit der Einschränkung, es nicht nach Österreich zu vertreiben. Der daraus entstehende Streit wurde 1417 vom Herzog dahingehend entschieden, dass umgekehrt die Innerberger Gewerke ihre Waren in Leoben an Bürger und Fremde selbst verkaufen dürften. Darüber hinaus sollten alle, die „Speise und Getreide“ nach Vordernberg brachten, berechtigt sein, geschlagenes und geschrotetes Eisen, 38 39 40 41

Pirchegger, Das steirische Eisenwesen bis 1564 (wie Anm. 12), S. 15f. Pirchegger, Das steirische Eisenwesen bis 1564 (wie Anm. 12), S. 10. Pirchegger, Das steirische Eisenwesen bis 1564 (wie Anm. 12), S. 16. Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 470, Anm. 2 und 3; Pickl, Die Rolle (wie Anm. 17), S. 175, Anm. 20. 42 Pickl, Die Rolle (wie Anm. 17), S. 178–180: „Die Absatzgebiete des Innerberger und Vordernberger Eisens“.

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also sogenanntes Provianteisen, als Gegenfracht auszuführen, was vor allem den Metallhandwerkern von Judenburg und Rottenmann zugutekam, die damit direkten Zugang zum Erzeuger erhielten und nicht von Leoben abhängig wurden43. Was aber Leoben gegenüber seinen alten Mitkonkurrenten zusätzlich stärkte, war der 1415 erfolgte Zusammenschluss seiner Eisenhändler zu einer Eisenhandels-„Commune“, der man durch eine Kapitaleinlage beitreten konnte. Indem die Höhe der Einlage bald auf 100 Pfund beschränkt wurde, hielt man allerdings den Kreis möglicher Mitglieder bewusst offen44.

3. Regelungen und Eingriffe der Landesherrschaft Die Trennung zwischen den beiden Eisenrevieren Innerberg und Vordernberg sowie – damit verbunden – die Zuständigkeit von Steyr einer- und Leoben andererseits mit je eigenen Absatzgebieten wurde durch den Erlass der kaiserlichen Eisenordnungen im November 1448 und August 1449 vollzogen45. Beide Bergorte wurden zu getrennten Märkten erhoben und anstelle des alten Berggerichts zwei selbstständige Marktgerichte bei freier Richter- und Ratswahl durch die jeweilige Gemeinde eingerichtet. Sie erhielten die Zuständigkeit für die Einziehung der Hufenzinse, die Erhebung der kleinen Maut am Berg und die Unterhaltung von Straßen und Brücken im Dreimeilenbereich des Innerberger Landgerichtsbezirks. Darüber hinaus hatten sie eine jährliche Pauschalabgabe an den Landesherrn zu entrichten. Die Bergwerksverwaltung, soweit sie noch nicht – wie im Fall der Mauterhebung – in die Zuständigkeit von landesherrlichen Beamten gelangte, verblieb in Teilbereichen weiterhin bei Richter und Rat, die als Radmeister (Betreiber der Hammerwerke) und einflussreichste Bürger sozusagen in eigener Sache handelten und dabei nicht zuletzt eigene Interessen verfolgten. Raubwirtschaft, gesellschaftliche Konflikte und vor allem Kriegshandlungen, bedingt durch Rivalitäten im Hause Habsburg, die Herrschaftsansprüche von Matthias Corvinus und Türkeneinfälle führten seit dem späten 15. Jahrhundert immer deutlicher erkennbar zu Zerstörungen und Einbußen, so dass Reformen von landesherrlicher Seite in An43 Pirchegger, Das steirische Eisenwesen bis 1564 (wie Anm. 12), S. 20; Pickl, Der Eisenhandel (wie Anm. 32), S. 347f. 44 Loehr, Maja, Leoben. Werden und Wesen einer Stadt, Baden bei Wien 1934, S. 74f.; Tremel, Der Frühkapitalismus (wie Anm. 34), S. 107f. 45 Pirchegger, Das steirische Eisenwesen bis 1564 (wie Anm. 12), S. 45–49: „Die Reform des Eisenwesens unter Friedrich III.“.

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griff genommen wurden, wie 1507 und vor allem 1517 durch Kaiser Maximilian mit der neu erlassenen Bergordnung für die niederösterreichischen Lande46 und mit dem 1535 verabschiedeten Eisenpatent für Vordernberg und Innerberg. In ihnen werden sehr deutlich die Sorgen und Mängel benannt, wenn es heißt (1535), die Wälder seien verhackt und verwüstet, die Erzgruben müssten in die Tiefe gebaut werden, die Radmeister könnten Berg- und Radwerk nicht länger unterhalten, „dadurch dann solch löblich gotsgab und perckhwerch, das ettlich hundert jar her bey unnsern vorfordern, nit allein unnsern khönigreichen, lannden und leuten, sonnder teutscher und zum tail wälhischer nation zu mercklichen nutz in gueten wesen und wierden erhalten worden, nu füran gantz erliege“47. Bereits 1490, 1492 und 1497 hatten die Landesherren mit einer Neuorganisation des österreichischen Bergwesens48 durch die Errichtung von Zentralbehörden, Einsetzung von Amtsträgern und Entsendung von Kommissionen begonnen, deren Tätigkeit in den späteren Bergordnungen ihren Niederschlag fand. Dabei ging es vorrangig um Bergbau und Verhüttung, Energiebedarf, Transportwege und Lebensmittelversorgung sowie Bergrecht und Berggerichtsbarkeit, Kontrolle und Registrierung der Eisenerzeugung und um die Erhebung von Abgaben und Gebühren. Hingegen bewahrte die gewerbliche Eisenverarbeitung vorerst noch eine größere Selbstständigkeit und profitierte stark von dem allgemeinen Aufschwung im Bergwesen. Diese Entwicklung lässt sich an der Zuwanderung zahlreicher Messerschmiede und Eisenhändler seit dem frühen 16. Jahrhundert nach Steyr, vor allem aus Bayern, Schwaben und ganz Oberdeutschland, besonders aus Nürnberg, aber auch aus Kärnten und Tirol, ablesen49. Auch andere Handwerker zogen in größerer Zahl herbei oder wurden angeworben, so etwa aus Schmalkalden in Thüringen, was dazu führte, dass 1543/44 das Wiesenfeld als neuer Gewerbevorort von Steyr angelegt werden musste50. Diese Zeit der „wierde“ (Würde), des Aufschwungs 46 Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 475–478. – Auswertung des Eisenpatents Maximilians I. für Erzberg (1507 Januar 1) bei Tremel, Ferdinand, Das Eisenwesen in der Steiermark und in Tirol 1500–1650, in: Schwerpunkte (wie Anm. 10), S. 285–308, hier S. 286f. 47 Schmidt (Hg.), Berggesetze (wie Anm. 20), Nr. 59, S. 150–154, 1535 November 24: Wald- und Eisenpatent für Vordernberg und Innerberg. Vgl. Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 475, Anm. 1. 48 Einzelheiten bei Pirchegger, Das steirische Eisenwesen bis 1564 (wie Anm. 12), S. 50–55. 49 Ofner, Die Eisenstadt Steyr (wie Anm. 11), S. 50f.; Ruhri, Die Stadt Steyr (wie Anm. 11), S. 152f. 50 Hack, Irmgard, Eisenhandel und Messerhandwerk der Stadt Steyr bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, Dissertation, Graz 1949. Um 1500 waren in Steyr etwa 200, 1570 jedoch

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im Eisenwesen von Eisenerz und Steyr, hatte aber bald nach der Mitte des 16. Jahrhunderts ihren Höhepunkt überschritten, wie es schon die neuen Reformbemühungen von Ferdinand I. im Jahre 1553 zeigen51. Der Rückgang wurde dann Jahr für Jahr spürbarer, wenn auch gelegentlich unterbrochen, etwa 1575 bis 1581, aber ohne Auswirkung auf den dauerhaften Schrumpfungsprozess. Die Gründe sind einerseits in den allgemeinen Krisenfaktoren der Zeit zu suchen, wie den Konfessionskriegen im Deutschen Reich als Hauptabsatzgebiet, den Eroberungen durch die Türken und den großen Teuerungswellen mit Hunger, Not und Inflation im europäischen Maßstab. Andererseits traten spezielle regionale Probleme hinzu, wie die nach wie vor unzureichende Deckung des Energiebedarfs, die Sicherung der Lebensmittelversorgung, die wachsenden konfessionellen Spannungen und die 1564 erfolgte Landesteilung in drei Herrschaftsbereiche, nämlich die Niederösterreichischen Lande, Oberösterreich mit Tirol und den Vorlanden sowie Innerösterreich mit der Steiermark etc.52. Diese Trennung, vereinfacht gesagt zwischen der Landesherrschaft Österreich und Steiermark, trug zusammen mit der Frage der Krisenbewältigung zu verstärkten Eingriffen in die Wirtschaft des jeweiligen Herrschaftsbereiches, speziell in den Eisenhandel, bei. Angesichts der unzureichenden Versorgung des Eisengewerbes mit den wünschenswerten Rohstoffen wurde sogleich 1564 von territorialstaatlicher Seite eine Eisenkammer eingerichtet, an die die Eisenhändler von dem für die Klingenproduktion wichtigen Weicheisen, das sie als Verleger von den Hammerwerken bezogen, mindestens ein Fünftel, gegebenenfalls sogar ein Viertel zu einem vom Eisenkämmerer festgesetzten Preis abzugeben hatten53. Von dort wurden die Handwerker mit dem benötigten Material zu erschwinglichen Kosten versorgt und ein zu starker Abfluss des begehrten Eisens ins „Ausland“ verhindert. 1581 erfolgte auf Betreiben von Erzherzog Karl von Steiermark die Gründung der Steyrer „Compagnie oder bürgerliche Eisenhandelsgesellschaft“ mit dem Ziel des gemeinsamen Eisen- und Stahleinkaufs zwecks Marktregulierung sowie finanzieller Absicherung der Hammerwerke, ohne allerdings den erstrebten Erfolg zu erzielen54. 1584 wurde schließlich als landesfürstliche Aufsichtsbehörde die „Eisenobmannschaft“ instal-

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mindestens 300 Messermeister ansässig, so dass diese Phase als die Blütezeit des Messergewerbes anzusehen ist. Schmidt (Hg.), Berggesetze (wie Anm. 20), Nr. 82 und 83, S. 422–539 und S. 539–542. Geschichte der deutschen Territorien, Bd. 1: Die Territorien bis zum Ende des alten Reiches, hrg. v. Sante, Georg Wilhelm, Würzburg 1964 (Darmstadt 1978), S. 687. Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 562; Ruhri, Die Stadt Steyr (wie Anm. 11), S. 149f. Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), S. 16.

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liert55. Sie übernahm die Kontrolle des Eisenhandels und die Belieferung und Beaufsichtigung der Sensen-, Sichel-, Eisenzeug-, Klingen- und Nagelschmiede sowie der Messerer und Schiffleute.

4. Handwerkliche Erzeugnisse des Steyrer Reviers bis zur Krise um 1625. Das Messerschmiedegewerbe Selbstverständlich kann angesichts der großen Zahl und Verschiedenartigkeit der Produktionsstätten sowie der dazu erarbeiteten Spezialstudien nur ein Überblick angestrebt, sozusagen eine Skizze oder ein Kartenbild der bedeutenden Steyrer Gewerbelandschaft entworfen bzw. nachgezeichnet werden. Wie es die eingangs genannten Parallelbeispiele schon nahelegten, ist für das eisenverarbeitende Handwerk die Verteilung auf Stadt und Land charakteristisch gewesen, wobei die Frage der Energieversorgung sowohl mit wassergetriebenen Mühlen als auch mit Holz und Holzkohle eine wesentliche Rolle spielte. Fast ebenso stark kam der Faktor der Privilegierung zum Tragen, insbesondere wenn Konkurrenz und Rivalität verschiedener Grund- und Landesherren dabei eine Rolle spielten. Beide Komponenten traten im Fall der Stadt Steyr und seiner Vorstädte klar erkennbar hervor. Günstige Voraussetzungen waren hier für den Betrieb von Hammerschmieden, Schleif- und Poliermühlen vorhanden, neben den Flussläufen von Enns und Steyr in und bei der Stadt auch der mit Werkstätten dieser Art besetzte Wehrgrabenkanal in Steyrdorf56. Die wirtschaftliche Vorrangstellung der Stadt Steyr als Eisen- und Holzstapel sowie als zentraler Markt- und Messeplatz war, wie erwähnt, trotz mancher Widerstände und Schwierigkeiten durch das landesherrliche Interesse an der Stärkung dieses Standortes letztlich gewährleistet. Noch stärker war allerdings das Engagement für die gewerbliche Produktion, hing von ihr doch die Prosperität eines ansonsten gebirgigen und schwach besiedelten Landes ab. Dafür war eine zureichende Belieferung des Marktes mit dem „richtigen“ Eisen und Stahl für das jeweilige Handwerk erforderlich. Zwar verfügte das Eisenerz des Erzbergs über vorzügliche Eigenschaften, aber die bei der Verhüttung anfallenden Qualitäten und Sorten waren für die Verarbeitung unterschiedlich geeignet, so dass es zu Engpässen und Verteilungskämpfen kommen konnte. Eine Grobeinteilung lässt sich in folgender Weise vornehmen57: Das mit 15 bis 20 Prozent anfallende sogenannte Abfalleisen bestand 55 Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), S. 207. 56 Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), S. 80. 57 Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), S. 3f.

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aus Graglach (Roheisen) und Waschwerk (Bröckeleisen). Es wurde insgesamt als Provianteisen bezeichnet, da die Proviantmärkte Waidhofen an der Ybbs, Scheibbs/ Gresten und Purgstall, die die „Widmungsbezirke“ für Eisenerz/Innerberg waren und dorthin Lebensmittel und Versorgungsgüter lieferten58, im Gegenzug dieses gut schmiedbare und deshalb durchaus begehrte Eisen als Rückfracht erwerben und damit ihr heimisches Handwerk versorgen durften. Härter waren die Hauptprodukte, der sogenannte Zwizachstahl und vor allem der Scharsachstahl, das Kernstück beim Ausschmieden. Mittelstahl wurde als „gezainter Frumbstahl“ (Vorderhackenstahl) bezeichnet. Er diente vor allem als Ausgangsmaterial der Klingenschmiede und war dementsprechend begehrt und in der Regel nur über den Steyrer Stapel erhältlich. Steyr stellte mit seinen Vororten und den im Süden und Südosten gelegenen großen Gewerbesiedlungen Dambach und Kleinraming das Produktionszentrum für Messer und Klingen unterschiedlicher Größe und Funktion in diesem Eisenrevier und weit darüber hinaus dar, und zwar seit dem 14./15. Jahrhundert59. Der Herstellungsprozess verteilte sich im Wesentlichen auf drei Berufsgruppen, die Klingenschmiede, die Schleifer und die Messerer. Die Klingenschmiede stellten die Rohklingen her, und zwar so, dass die Schneide aus Scharsachstahl, also dem härtesten Material, bestand. Diese lieferten sie an die Schleifer, die sie glätteten, schärften und ihnen Glanz verliehen. So gaben die Schleifer ihre Produkte zu meist fest vereinbarten Preisen an die Messerer weiter, die als letzte Gruppe im Herstellungsprozess die Beschalung vornahmen und gleichzeitig die fertigen Messer in den Handel brachten60. Von daher hatten sie eine insgesamt beherrschende Stellung inne, denn gegenüber den Klingenschmieden traten sie zum Teil als Verleger auf,

58 Pirchegger, Das steirische Eisenwesen von 1564–1625 (wie Anm. 12), mit Karte im Anhang; Wiederabdruck bei Pickl, Die Steiermark (wie Anm. 15), S. 21, mit Kommentar; Sandgruber, Roman, Der Scheibbser Eisen- und Provianthandel vom 16. bis ins 18. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung preis- und konjunkturgeschichtlicher Probleme, Dissertation, Wien 1971; Sandgruber, Roman, Die Innerberger Eisenproduktion in der frühen Neuzeit, in: Österreichisches Montanwesen, hrg. v. Mitterauer, Michael (Sozialund wirtschaftshistorische Studien, 6), Wien 1974, S. 72–105. Vgl. auch Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 498–500 und 522 („Widmungsbezirke“) und S. 518–521 (Eisen- und Stahlsorten). 59 Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50); Krenn, Wilhelmine, Steyr als Mittelpunkt des österreichischen Eisenwesens von den Anfängen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Dissertation, Graz 1951. 60 Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), im Anhang Karte zur Erfassung der „Sitze der Klingenschmiede, Schleifer, Messererwerkstätten und Verleger zu Ende des 16. Jahrhunderts“.

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indem sie Ersteren den zum Ankauf des Eisens/Stahls erforderlichen Kredit gegen Lieferungsverpflichtung von Rohklingen gewährten. Allerdings kam es dabei zu einer Konkurrenz sowohl der Messerer untereinander als auch und vor allem mit den Eisenhändlern. Auf diese Weise konnten manche Klingenschmiede mit mehreren Vertragspartnern zusammenarbeiten und zu enge Anbindungen vermeiden. Die Schleifer bewahrten in dem dreistufigen Verfahren eine relativ unabhängige Stellung, indem sie entweder von den Schmieden die Klingen erwarben und an die Messerer weiterverkauften oder mit diesen flexible Arbeitsverträge schlossen. Die Messerer schließlich beschäftigten zum Teil Stücklöhner, Schroter oder Müderer genannt, die zu festen Stückpreisen die Schalen für die Messergriffe herstellten, die allein die Messerer im letzten Arbeitsprozess in ihren Werkstätten anbrachten. Auf jeden Fall war der Zugang zu Markt und Handel für sie und ihre wirtschaftlich und gesellschaftlich hervorgehobene Produktion von bestimmender Bedeutung61. Die Größenordnung, mit der wir es für Steyr und seine engste Nachbarschaft dabei zu tun haben, ist durchaus beeindruckend, jedenfalls für die Verhältnisse des späten 15. und 16. Jahrhunderts, um die es hier geht. Die Klingenschmiede, die zum größeren Teil etwas oberhalb von Steyr, nämlich in Kleinraming und Dambach mit ihren Hammerwerken ansässig waren, wiesen in der Zeit der „Würde“, also des Aufschwungs und starker Nachfrage um die Mitte des 16. Jahrhunderts, 200 Meister auf. Die überwiegend an den Wasserläufen in den Vororten von Steyr zu findenden Schleifer haben zusammen mit denen von Raming und Dambach 50 bis 60 ausgemacht und die ausschließlich in der Stadt Steyr selbst anzutreffenden Messerer betrieben nach Ausweis des Meisterbuchs um 1570 über 300 Meisterwerkstätten. Rechnet man die Mitarbeiter, Lehrlinge, Gesellen und Stücklohnarbeiter hinzu, so dürfte in dieser Zeit die Zahl von 1.000 tätigen Personen allein für Steyr und die genannten Vororte und vorstädtischen Siedlungen erreicht und überschritten worden sein. Nimmt man den mit dem Ortsnamen Steinbach in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Konkurrenten Steyrs bei der Messerherstellung hinzu, so ist diese Zahl noch um die Hälfte zu erhöhen, denn in diesem ländlichen Gewerbebezirk, der außer Steinbach noch Trattenbach, Grünburg sowie Neuzeug, Sierning und Sierninghofen umfasste, sind allein etwa je 100 Klingenschmiede und Messerer sowie 25 Schleifer nachweisbar62. Was bedeuten diese Zahlen bezogen auf das Produktionsvolumen? Als es 1564 zu Engpässen in der Stahlversorgung der Klingenschmiede kam, meldeten diejeni61 Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), Kapitel II: „Das Messererhandwerk“, S. 67–144 (Darstellung aller wichtigen Aspekte). 62 Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), Karte (wie Anm. 60) mit Zahlenangaben.

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gen von Raming, Dambach und Steyr einen jährlichen Bedarf von 10.500 Zentnern bzw. pro Werkstätte von 52 Zentnern an, was zusammen mit den Konkurrenten um Steinbach auf 18–20.000 Zentner hochzurechnen wäre63. Bei angeblich 1.000 Klingen pro Zentner Stahl ergäbe dies rechnerisch mehrere Millionen Klingen pro Jahr64. Und in der Tat finden sich in der Literatur Zahlenangaben von 10 Millionen Messern jährlich aus dieser Produktion65. Solche Zahlen entsprechen nicht gerade den Vorstellungen von kleinen Handwerksbetrieben, in denen der Meister mit vielleicht einem Mitarbeiter und der Familie im Hintergrund eine beschauliche Tätigkeit ausübte. Aber stattdessen den Begriff der Protoindustrialisierung als Erklärungsmodell zu bemühen, ist angesichts der meist doch kleinteiligen Betriebsstruktur auch nicht zwingend oder naheliegend. Immerhin sind die Ausdehnung der Produktion auf Stadt und Land, der vielfältige Einsatz von „Maschinen“ und die Vertriebsorganisation mit großräumig erschlossenen Absatzmärkten gegenüber dem kleinen städtisch-marktbezogenen Handwerk doch so andersartig66, dass man nach besonderen Erklärungen zu suchen geneigt ist. Vorerst drängt sich der Eindruck auf, dass es sich nicht primär um eine neue Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftskonzeption handelt, die uns hier entgegentritt, sondern die Produktionsweise stärker in der Struktur dieses Gewerbes begründet liegt, das traditionell auf die Abstimmung sehr unterschiedlicher Arbeitsvorgänge an verschiedenen Standorten bei relativ hohem technischem Einsatz und Energiebedarf angewiesen war. Inwieweit aber die herrschaftliche Komponente, die landesherrlich-territorialpolitische Rolle als Element einer neuen Wirtschaftspolitik dabei mehr und mehr zum Tragen kam und verän63 Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 562; Ruhri, Die Stadt Steyr (wie Anm. 11), S. 150. 64 Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), S. 72, Anm. 2: Aus einem Bericht des Bürgermeisters, Richters und Rates von Steyr von 1579, November 14, ergibt sich, dass aus einem Zentner Stahl 1.000 Klingen geschmiedet wurden. Pickl, Die Rolle (wie Anm. 17), S. 181 mit Anm. 46, bietet (unter Berufung auf Zsigmond Pál Pach und Erik Fügedi) folgenden Zahlenhinweis aus relativ früher Zeit: „Aus den Registern des ungarischen Außenhandelszolls (Dreißigst) erfahren wir, daß Ungarn im Jahr 1457/58 allein über Preßburg die enorme Menge von 1,6 Millionen Stück ‚Steyrer Messer‘ importierte; ein erheblicher Teil dieser Menge – nämlich 1,2 Millionen Stück – wurde über Siebenbürgen und Kronstadt/Brasow weiter in die Walachei bzw. in das Osmanische Reich verhandelt“. 65 Keller, Das messer- und schwerterherstellende Gewerbe (wie Anm. 3), S. 28: „Dies würde einer Jahresproduktion in allen drei Orten [Steyr, Dambach und Raming] zusammen von 10,5 Millionen Klingen 1564 entsprechen“ [mit Verweis auf Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), S. 71f.]. 66 Mitterauer, Produktionsweise (wie Anm. 12), erörtert diese Problematik unter verschiedenen Aspekten für das österreichische Montanwesen in Mittelalter und Früher Neuzeit.

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derte Bedingungen und Strukturen entstehen ließ, gilt es im Folgenden im Auge zu behalten. Vorerst müssen weitere Indikatoren für die Gestalt und Gestaltung dieser Eisengewerbelandschaft beigebracht werden, um eine tragfähige Grundlage zu gewinnen. Die großräumige Ausbreitung des Messerhandwerks an verschiedenen Standorten Ober- und Niederösterreichs war kein zufälliger oder jeweils isolierter Entwicklungsprozess, vielmehr standen die Beteiligten und Interessenten miteinander in Verbindung. Den Anfang machte dabei – soweit erkennbar – die Stadt Wien, nachdem es dort 1433 zu einem ernsten Konflikt zwischen Meistern und Gesellen mit Inhaftierungen und Ausweisungen gekommen war. Dies gab offenbar den Anstoß, dass die Wiener Messerer mit denen von Steyr, St. Pölten und Waidhofen an der Ybbs 1439 eine Vereinbarung trafen, die der Rat der Stadt Wien genehmigte67. Damit war in erster Linie das Anliegen verbunden, die Ansprüche der sich inzwischen ihres Wertes bewusst gewordenen und gut organisierten Messerschmiedegesellen durch geschlossenes Handeln abwehren zu können. So schloss man sich als „vereinigte niederösterreichische redliche Messerwerkstätten“ zusammen, um damit zugleich eine Abgrenzung gegenüber den neuen, als unredlich eingeschätzten Handwerksbetrieben und Produktionsstätten vorzunehmen und deren Ausbreitung zu verhindern. 1470 traten Wels und Krems dieser Gruppe der „redlichen Werkstätten“ bei68. Wien versuchte zwar, mit kaiserlicher Privilegierung eine Vorrangstellung im Messerhandel zu gewinnen, musste letztlich aber Steyr den Vortritt lassen, das 1546 als Versammlungsort der Vereinigung diente und seitdem als „Hauptmesserwerkstätte“ anerkannt wurde69. So erfolgte die Absicherung eines gemeinsamen Handwerksbrauchs bei allen lokalen Besonderheiten der Zunftordnungen des Gewerbes. Indem man die unliebsame Konkurrenz als unredlich diffamierte, ließen sich die opponierenden Gesellen mit ihren räumlichen Ausweichmanövern besser unter Kontrolle halten. Das Bemühen um Kontrolle und Integration zeigt besonders das Beispiel des bedeutenden Messerschmiedereviers von Steinbach, das mit seiner Sonderstellung und zum Teil kaiserlicher Privilegierung dem Steyrer Gewerbe lange Zeit ein starker Konkurrent und ein Dorn im Auge war70. Es war ohne städtisches Zentrum an Standorten aufgebaut 67 Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), Kapitel 2, S. 10: „Die ‚Vereinigten niederösterreichischen redlichen Messerwerkstätten‘“, S. 135–143. 68 Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), S. 136 mit Anm. 2 und 4. 69 Ruhri, Die Stadt Steyr (wie Anm. 11), S. 153. Vgl. auch Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 550, bes. Anm. 5 und 6 mit weiteren Einzelangaben. 70 Das älteste kaiserliche Privileg für die maister gemainiglich der messerer und scharsachschmid in Steinbach und daselbst umb in zweyen meilen weith und braith in marckhten, dörfern und

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worden, die über eine günstige Energieversorgung, Wasser und Holz, verfügten und als neuer Gewerbeschwerpunkt eine Attraktivität auf Zuzügler ausübten. Wenn es gelang, dieses erst aufstrebende Revier bereits 1559 zum Beitritt zu der Vereinigung zu veranlassen, zeigt sich die Wirksamkeit der Vernetzung und der Absprachen71. Im Übrigen bildeten auch die Klingenschmiedewerkstätten von Steyr, Dambach, Kleinraming, Steinbach, Waidhofen und St. Pölten sowie die Schleiferwerkstätten von Steyr, Kleinraming, Dambach, Schleissheim, Steinbach, Enns, Wels und Waidhofen je einen Handwerksbund72. 1581 erfolgte noch eine Erweiterung um das Gewerberevier bei Freistadt, so dass es nun sieben „redliche Messerwerkstätten“ im Lande ob und unter der Enns gab73. Die Turbulenzen und Umbrüche, die das 17. Jahrhundert dann mit sich brachte, überlebten nur drei Standorte, nämlich Steyr, Steinbach und Waidhofen, wie es ein Versammlungsprotokoll von 1704 rückblickend verzeichnet74. Zugleich bestand seit mittelalterlichen Zeiten als überlokale Verbindung der Messerer von Steyr, Wien, St. Pölten und Waidhofen die „Gottesleichnamszeche“ als gemeinsame Bruderschaft von Meistern und Gesellen; in Steyr nahm die „Liebfrauenzeche“ der Messerer Aufgaben einer Zunft einschließlich religiöser und sozialer Funktionen wahr75.

5. Sensenproduktion und Sensenhandel Wurden die unterschiedlichsten Messer, vom einfachen Feitl (Taschenmesser) bis zum eleganten Degen, aus Steyr überall geschätzt, nachgefragt und gelegentlich

71

72 73 74 75

auf dem landte in unserm fürstenthum ob der Enns gesessen stammt aus dem Jahr 1462 und wurde von den Landesherren oftmals bestätigt; vgl. Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 551, Anm. 1. Dieser bedeutende Gewerbebezirk südwestlich von Steyr umfasste die Vereinigung der Klingenschmiede, Schleifer und Messerer von Neuzeug, Sierninghofen, Sierning, Waldneukirchen, Grünburg, Molln, Kremsmünster, Bad Hall, Kirchdorf, Klaus, Trattenbach und Ternberg mit dem Sitz in Steinbach. Ruhri, Die Stadt Steyr (wie Anm. 11), S. 155; Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), Quellenanhang, Nr. 5, S. 13f., 1559 September 18, Steyr: Vergleichsschrift der 6 niederösterreichischen redlichen Messerwerkstätten, Aufnahme der Werkstätte Steinbach in diesen Verband, Lohnregelungen und Bestimmungen über die Jungenförderung und die Beschäftigung von ausländischen Gesellen. Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 550 mit Anm. 3 und 4. Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), S. 137 und 143. Hack, Eisenhandel (wie Anm. 50), S. 137 mit Anm. 4. Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 550.

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auch nachgestaltet, so waren die Sensen aus diesem Gewerbegebiet geradezu berühmt und eine Exportware, die in der „ganzen Welt“, und zwar sowohl der mittelalterlichen als auch der frühneuzeitlichen, Absatz fand. Auch hier gilt es erst einmal die wichtigsten Produktionsorte und damit zugleich den Raum abzustecken. Im Laufe des 15. Jahrhunderts wird die auch schon früher bezeugte Sensenproduktion mit ihren Schwerpunktbildungen fassbar76. Mit den neuen, großen Welschhämmern, mit deren Hilfe eine Produktions- und Qualitätssteigerung möglich geworden war, fand ein Konzentrationsprozess auf diese Anlagen hin statt. Denn hier wurden die Eisenkloben hergestellt, die in den kleineren, aber rasch gehenden Zain- oder Streckhämmern zu Eisenknütteln weiterverarbeitet wurden77. Letztere waren so begehrt, dass sie zu einem nicht geringen Teil direkt in den Handel gingen, was zu Streitigkeiten Anlass gab78. Das Ausschmieden und die Fertigstellung der Sensen wurde schließlich in Handwerksbetrieben von zum Teil ungewöhnlicher Größe vorgenommen, welche für diese Arbeitsprozesse ein erhebliches Kapital benötigten, was in der Regel eine Zusammenarbeit mit den Eisenhändlern als Verlegern entstehen ließ79. Vorerst, das heißt um die Mitte des 15. Jahrhunderts, traten in der Region nur Steyr und Waidhofen an der Ybbs als wichtige Produzenten von Sensen hervor80. In Waidhofen bestanden bis zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in und um die Stadt acht bzw. neun „Schrottschmieden“ genannte Hammerwerke, die die Sensenschmiedewerkstätten (und Nürnberger Händler) mit Eisenknütteln belieferten81. Bis 1523 hatte sich deren Zahl auf einen einzigen, wenn auch großen Betrieb reduziert, so dass Waidhofen in starkem Maße auf den Bezug der Eisenknüttel vom Stapel in Steyr oder von den Hammermeistern von Weyer

76 Friess, Geschichte (wie Anm. 19); Zeitlinger, Josef, Sensen, Sensenschmiede und ihre Technik, in: Jahrbuch des Vereins für Landeskunde und Heimatpflege im Gau Oberdonau (= Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereins) 91 (1944), S. 13ff.; Tremel, Ferdinand, Steierische Sensen, in: Blätter für Heimatkunde 27 (1953), S. 37–56; Posch, Fritz, Die österreichischen Sensenschmiede und ihre Eisen- und Stahlversorgung aus der Steiermark, in: Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs 8 (1964) (= Festschrift für Alfred Hoffmann), S. 473–485; Fischer, Franz, Die blauen Sensen. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Sensenschmiedezunft zu Kirchdorf-Micheldorf bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs, 8), Linz 1966. 77 Pickl, Die Steiermark (wie Anm. 15), S. 22–27. 78 Fischer, Die Sensenausfuhr (wie Anm. 30). 79 Fischer, Die blauen Sensen (wie Anm. 76), bes. S. 104–110. 80 Holbach, Frühformen (wie Anm. 4), S. 286–290 mit Anm. 24 zur Frage der Größe der Sensenschmiede-Betriebe. 81 Friess, Geschichte (wie Anm. 19), S. 157f. und 169f.

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angewiesen war82. Diese unzureichende Versorgung der Sensenschmiede in Waidhofen und seinem gewerblichen Umland in der Dreimeilenzone trug zu langwierigen Streitigkeiten bei, bis schließlich 1575 vereinbart wurde, aus den 28 welschen Hämmern in Österreich und 20 in der Steiermark an Waidhofen jährlich zusätzlich 4.120 Zentner Halbfabrikate für die Sensenproduktion zu liefern83. Außerdem brachten die Fuhrleute, die Weyer regelmäßig mit Proviant versorgten, als Rückfracht geeignetes Eisen mit, das in den Zainhämmern von Waidhofen zu Sensenknütteln ausgeschmiedet wurde84. Die Fortentwicklung der Sensenproduktion war also in zunehmendem Maße eine Frage der ausreichenden Belieferung mit den hochwertigen Eisenkloben aus den abseits gelegenen Hammerwerken, den sogenannten Welschhämmern, sowie der Anreicherung (Scharsachstahl) und Weiterverarbeitung zu Sensenknütteln in den kleineren Streckhämmern. Für die effiziente Zusammenarbeit mit den Sensenschmieden erwies sich die räumliche Nähe als wichtig, um das Risiko von Materialengpässen zu reduzieren. Als es 1524/25 zu einer Belieferungskrise im Sensengewerbe kam, wurde der Gewerbebund der Sensenwerkstätten von Waidhofen an der Ybbs, Steyr an der Enns, Kirchdorf an der Krems, Amstetten an der Ybbs und Gramastetten bei Linz gegründet85. Während Amstetten und Gramastetten bald an Bedeutung verloren und in diesem Zusammenhang keine Erwähnung mehr fanden, rückten Kirchdorf und mit diesem Platz im Verbund Micheldorf an der Krems seit den 1570er Jahren immer mehr in den Vordergrund86. Damit wird – in gewisser Weise wie für das Steinbacher Revier bei der Klingen- und Messerherstellung – eine Standortverlagerung im Eisengewerbe sichtbar. Die neuen Eisenschmieden und –werkstätten entstanden nun zum Teil auf dem Land, gefördert, aber kaum kontrolliert durch geistliche Grundherrschaften, unter Nutzung der Wasserkraft bei relativ günstiger und gesicherter Versorgung mit Holzkohle, was ansonsten zu einem großen Problem geworden war87. Sie bezogen von den Welschhämmern oft direkt das Ausgangsmaterial, Mock- und Scharsachstahl, schmiedeten daraus selbst die Zaine oder Knüttel, aus denen sie schließlich in einem Arbeitsprozess aus einer Hand die Sensen 82 83 84 85

Friess, Geschichte (wie Anm. 19), S. 146–149. Friess, Geschichte (wie Anm. 19), S. 153. Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 496–500. Fischer, Die blauen Sensen (wie Anm. 76), S. 4–6 (mit dem Streit um den Export von Sensenknütteln). 86 Fischer, Die blauen Sensen (wie Anm. 76), S. 7 und 20. 87 Fischer, Die blauen Sensen (wie Anm. 76), S. 10–12 (Kapitel A II: Gründung einzelner Werkstätten), S. 16–18 sowie S. 80–86.

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herstellten. 1570 und 1574 wurde diese Entwicklung zusätzlich von der Landesregierung gefördert88. Damit erlangten sie einen spürbaren Vorteil gegenüber den städtischen bzw. vorstädtischen Sensenschmieden, nun auch gegenüber denen von Steyr, die um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert weitgehend von der Bildfläche verschwunden waren89. Diesen Prozess der Produktionsverlagerung verstärkte noch die Erfindung des Wasserbreithammers durch den Sensenschmiedemeister Konrad Eisvogel in Scharnstein, also im Revier von Kirchdorf-Micheldorf90. Diesem war 1585 die Konstruktion eines schweren Hammerwerkes gelungen. Damit ließ sich das Ausschmieden des Sensenblattes direkt, das heißt schneller, besser sowie personal- und kostensparend durchführen. Franz Fischer hat in seiner Arbeit über „die blauen Sensen […]“ diesen Umstrukturierungsprozess aus der Perspektive von KirchdorfMicheldorf vorbildlich analysiert und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass bei aller neuen Dynamik einzelner Standorte die Tendenz zur obrigkeitlichen Beaufsichtigung und zugleich Förderung des heimischen Gewerbes insgesamt durch den Landesfürsten – über das Mittel der Abgrenzung nach außen und die Anpassung von unterschiedlichen Produktionsbedingungen im Innern – zugenommen habe, ja letztlich in der Krise des Eisengewerbes zu Beginn des 17. Jahrhunderts dominant hervorgetreten sei. Dies zeigt die von Kaiser Rudolf II. erlassene Handwerksordnung der Sensenschmiede vom 10. März 1604 sehr eindrucksvoll: Etwa in den Bestimmungen über die zentrale Bewirtschaftung von Eisen und Stahl (Artikel 5), über die Begrenzung der Tagesproduktion auf 70 Sensen pro Meister, wohl zur Existenzsicherung schwächerer Betriebe und Vermeidung von Überproduktion (Artikel 6), oder auch durch Beschränkung der Zahl der Mitarbeiter (Artikel 7) sowie über die Aufteilung der Handelsbezirke (Artikel 11) oder über die Regelung der Kohleversorgung und deren Preisregulierung (Artikel 12)91. Dennoch ist die Verlagerung der Sensenschmieden von den Städten und ihrem Umfeld auf das Land nicht aufzuhalten gewesen. Als man 1728 in dem Bezirk um Kirchdorf-Micheldorf eine Registrierung vornahm, zählte man insgesamt 36 Werkstätten, 13 davon in der Meisterschaft um Micheldorf, im Windischgarstner Tal und um Scharnstein, neun in der Meisterschaft in Spital und im Garstental sowie sechs in der Meisterschaft Steyrling, Klaus und Molln sowie einige in diesem Revier, aber 88 89 90 91

Fischer, Die blauen Sensen (wie Anm. 76), S. 6f. Ofner, Die Eisenstadt Steyr (wie Anm. 11), S. 144. Fischer, Die blauen Sensen (wie Anm. 76), S. 8 und 15. Fischer, Die blauen Sensen (wie Anm. 76), Anhänge, hier: „Die Handwerksfreiheit der Sensenschmiede vom Jahr 1604“, S. 198–209, vgl. S. 27–34.

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abseits gelegene Werkstätten. Ansonsten waren in Ober- und Niederösterreich nur noch weitere sieben Sensenschmieden vorhanden92. Der Handel und Export der Sensen einschließlich von Sicheln und Strohmessern sowie der „Weltruf“, den diese wegen ihrer Qualität und Markenpflege genossen, kann hier nicht behandelt werden. Stattdessen ist dafür auf einige wichtige Spezialstudien zu verweisen93.

6. Weitere Gewerbestandorte und ihre Erzeugnisse Ein weiteres in der Region des Erzbergs stark hervortretendes und auch recht krisenfestes Gewerbe, das überwiegend für den Export arbeitete, war das der Nagelschmiede mit einem breiten Sortiment an Nägeln – überwiegend aus Stahl94. Das wohl wichtigste Produktionszentrum befand sich in und um Losenstein südlich von Steyr an der Enns95. Dazu zählten auch die in den benachbarten Gräben (Pechgraben, Lumplgraben) situierten Einzelwerkstätten. Ennsabwärts gruppierte sich um Dambach ein weiterer Standort und bildete zusammen mit Losenstein einen der drei Schwerpunkte der Nagel- und auch Sichelproduktion dieser Metallgewerbelandschaft96. Die älteste bekannte Ordnung der Losensteiner Nagelschmiedezunft von 1498 lässt bereits ein florierendes Gewerbe hervortreten, dem um die Mitte des 16. Jahrhunderts über 200 Meister und 600 Mitarbeiter angehörten. „Der jährliche Bedarf an Eisen und Stahl stieg“, wie Ludwig Bittner und Alois Ruhri ermittelt haben, „von 2.500 bis 3.500 Zentnern im 16. Jahrhundert auf 6.000 bis 8.000 Zentner zu Beginn des 17. Jahrhunderts“97. An diesen Zahlen lässt sich gut ablesen, wie in der Zeit der schwersten Krise des Eisenwesens in diesem Raum die Nagelschmiedeproduktion geradezu antizyklisch einen gewaltigen Aufschwung nahm. Als Verleger traten auch hier die Steyrer Eisenhändler hervor, die die Werkstätten mit dem Innerberger Eisen und Stahl versorgten und den Ver92 Fischer, Die blauen Sensen (wie Anm. 76), S. 43. 93 Fischer, Die Sensenausfuhr (wie Anm. 30); Pickl, Der Eisenhandel (wie Anm. 32); Kaser, Eisenverarbeitung (wie Anm. 29); Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Türkenkriege, hrg. v. Pickl, Othmar (Grazer Forschungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1), Graz 1971. 94 Ruhri, Die Stadt Steyr (wie Anm. 11), S. 157. 95 Kaser, Eisenverarbeitung (wie Anm. 29), S. 172. 96 Krenn, Steyr (wie Anm. 59), S. 121–130. 97 Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 556; Ruhri, Die Stadt Steyr (wie Anm. 11), S. 157 (hier das Zitat).

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trieb – zu festgelegten Preisen – überwiegend in die erwähnten Legstädte übernahmen. Kurt Kaser hat dieses Zusammenspiel dargelegt und die anschauliche Schilderung der Nagelschmiedeordnung von 1621 vorgestellt98. Mit ihr wird der Losensteiner Zunft eine strenge und regelmäßige Qualitätskontrolle der Nägel – besonders hinsichtlich der Verwendung des besten Stahls – und eine genaue Überprüfung des Gewichts auferlegt, mit der Kompetenz der Beschlagnahmung und Bestrafung bei Verletzung der Vorgaben. In dieses Kontrollsystem ist außerdem der Magistrat von Steyr einbezogen, und zwar monatlich mit genauen Nachprüfungen in Abstimmung mit der Eisenkammer und der Eisenobmannschaft. Letztere erhält auch die Aufgabe und das Recht, den „Fürkauf“, also den spekulativen Einkauf direkt bei den produzierenden Nagelschmieden, zu unterbinden und zu bestrafen. Ein zweites Nagelschmiedezentrum befand sich im Land unter der Enns in Scheibbs, Gaming, Gresten, Purgstall und Ybbsitz99. Hier waren die Wiener Eisenhändler bestimmend, die 1559 bei der königlichen Kommission darüber Klage führten, dass die Gewichtsordnung nicht eingehalten werde. Bei dieser Gelegenheit erfahren wir, dass das Gewicht jeweils für 1.000 Nägel ermittelt und fixiert war, und zwar für Kreuzernägel, Zweipfennignägel, Pfennignägel, Hellernägel, Kupfernägel, Lattennägel und Verschlagnägel100. Die Erzeugnisse aus diesem Revier durften allerdings nicht als Steyrer Nägel verkauft werden, weil sie wohl nicht eine vergleichbare Qualität aufwiesen. Der dritte Nagelschmiedebezirk ist dem Vordernberger Bereich zuzuordnen und wohl von Wiener Neustadt und seinen Eisenhändlern her dirigiert worden. Die Produktionsorte waren Mürzzuschlag, Kapfenberg und Aflenz101. Auch hier waren kaiserliche Ordnungen mit Gewichtsvorschriften und Kontrollmechanismen erlassen worden (so 1669, 1674 und 1685), so dass für alle drei Reviere spätestens seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert die herrschaftliche Regie fassbar ist. Noch zwei weitere Gewerbe der Eisenverarbeitung verdienen es, wenigstens kurz erwähnt zu werden, nämlich das der Drahtzieher und das der Hufschmiede, die beide verstreut, unter anderem in den Schmiedeansiedlungen von Steyr anzutreffen sind102. Sie treten markanter hervor als die zahlreichen anderen eisenverar-

98 99 100 101 102

Kaser, Eisenverarbeitung (wie Anm. 29), S. 172f. Kaser, Eisenverarbeitung (wie Anm. 29), S. 174. Bittner, Das Eisenwesen (wie Anm. 12), S. 555 mit Anm. 3. Kaser, Eisenverarbeitung (wie Anm. 29), S. 174f. Krenn, Steyr (wie Anm. 59), S. 130f.; Ofner, Josef, Das Handwerk der Stadt Steyr in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Landes ob der Enns, Dissertation, Graz 1959.

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beitenden Gewerbe mit einer Vielzahl von Spezialitäten bis hin zur Maultrommelproduktion103. Schließlich ist noch ein Hinweis auf die Waffenproduktion, speziell die Herstellung von Schusswaffen, anzufügen104. Es waren vor allem zwei Geschützgießereien und Büchsenschmieden, die sich in der Steiermark ansiedelten und größere Bedeutung erlangten. Schon am Ende des 15. Jahrhunderts legte Peter Pögl in Thörl bei Aflenz einen Büchsenhammer an, wo sein Sohn Sebald Pögl zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine „Büchsen- und Kugelwerkstatt wie keine in den kaiserlichen Landen mehr besteht“ einrichtete105. 1528 übernahm dessen Sohn Sebald II. Pögl die Anlage und erweiterte sie zu einer Größe, dass allein in der Büchsenschmiede 80 Arbeitskräfte tätig waren. Rad- und Hammerwerke waren inzwischen hinzuerworben worden, so dass der Zusammenbruch des Unternehmens um die Mitte des 16. Jahrhunderts einer speziellen Erklärung bedarf. Inzwischen war in und bei Mürzzuschlag eine weitere Waffenfabrikation durch Peter Hofkircher errichtet worden, der 1522 hier mit der Produktion von Büchsen und Kugeln begonnen hatte106. Wie Sebald Pögl belieferte er Erzherzog Ferdinand und das Zeughaus in Wiener Neustadt wie auch das von Wien. Als er 1557 verstarb, hinterließ er zwar ein ansehnliches Vermögen, aber keinen Nachfolger, der das Unternehmen fortgesetzt hätte. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts richtete im Zusammenhang mit den Türkenkriegen die niederösterreichische Regierung ihr Interesse an einer verstärkten Waffenherstellung auf Steyr. Mit Zuschüssen von der Landesregierung wurde 1592 die „Gesellschaft der Rohr- und Büchsenhandlung in Steyr“ gegründet107. Um die Produktion überhaupt aufnehmen zu können, mussten Fachkräfte aus Suhl in Thüringen angeworben werden, so dass das Unternehmen schließlich 1595 gestartet wer103 Ruhri, Die Stadt Steyr (wie Anm. 11), S. 157. 104 Kaser, Eisenverarbeitung (wie Anm. 29), S. 176–179; Ruhri, Alois, Steierische Waffenschmiede im Dienst Maximilians I. und Ferdinands I., in: Die Steiermark – Brücke und Bollwerk, hrg. v. Pferschy, Gerhard / Krenn, Peter, Graz 1986, S. 208f.; Ruhri, Alois, Aspekte der Waffenerzeugung im Bereich der Innerberger Hauptgewerkschaft in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Festschrift für Othmar Pickl, Graz 1987, S. 543–549. 105 Tremel, Die Entwicklung (wie Anm. 34), S. 303; Loehr, Maja, Thörl. Geschichte eines steirischen Eisenwerkes, Wien 1952. 106 Pickl, Othmar, Peter Hofkircher, ein steirischer Waffenschmied zur Zeit des Frühkapitalismus, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark (= Beiträge zur Geschichte der Steiermark und Kärntens, Ferdinand Tremel gewidmet) 53 (1962), S. 69–82. 107 Ofner, Josef, Die Gesellschaft der Rohr- und Büchsenhandlung in Steyr (Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, 22), Steyr 1961.

Das Eisengewerbe des Reviers von Steyr

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den konnte. Allerdings nur mit mäßigem und vorübergehendem Erfolg, denn die Gesellschaft löste sich bereits 1599 wieder auf, wurde aber als „kaiserliches Armaturwerk“ 1639 erneut gegründet und gelangte später tatsächlich zur Blüte108.

7. Schluss Inzwischen hat sich das Kartenbild gefüllt, die räumliche Verteilung der Schwerpunkte und der Aufbau der Eisengewerbelandschaft mit der Stadt Steyr im Zentrum ist in den Hauptlinien sichtbar geworden. Die Organisationsstruktur und der Ablauf wichtiger Wirtschaftsprozesse wird – so ist zu hoffen – in der Verbindung von Text und Karte ablesbar. Der Blick richtet sich erst einmal auf den Erzberg und den Bergbau, wendet sich dann tendenziell nach Norden, und zwar zuerst auf die benachbarte Bergsiedlung, Innerberg oder auch Eisenerz genannt. Der Süden mit Vordernberg und Leoben als Zentren kann zwar nicht ganz ausgespart bleiben, denn in der wirtschaftlichen Einheit werden das Zusammenspiel und die Funktionsaufteilung des ganzen Reviers erst zureichend sichtbar, aber es werden einzelne Hinweise genügen müssen. In Innerberg/Eisenerz erfährt das geförderte Erzgestein den ersten Bearbeitungsprozess, nämlich nach der Vorbereitung in Wasch- und Pochanlagen vor allem die Verhüttung in den 19 dort bis 1625 vorhandenen Blähhäusern oder Radwerken. Das so gewonnene Roheisen wird – wie es die Karten 2 und 3 von Hans Pirchegger109 gut erkennen lassen – talabwärts geführt und in den Hammerwerken, vor allem im Umfeld von Großreifling/Altenmarkt und Kleinreifling/Weyer unter Nutzung der Wasserkraft und mit Hilfe der Holzkohle aus den benachbarten großen Wäldern zu den einzelnen Eisen- und Stahlsorten weiterverarbeitet. Das dritte „industrielle“ Zentrum (vgl. die von mir beigefügte Karte 1 über die gewerbliche Produktion) ist dann das Gewerberevier um Steyr mit einer Vielzahl von Zain- und Streckhämmern, Eisenschmieden und Schleifmühlen, sei es unmittelbar vor der Stadt am Zusammenfluss von Enns und Steyr und am Wehrgraben, sei es südlich und südöstlich davon in Dambach und Kleinraming oder sei es südwestlich im Revier von Steinbach mit zahlreichen Nebenstandorten. Das wichtigste und bekannteste hier erzeugte Produkt waren die massenhaft hergestellten Klingen und Messer verschiedenster Art, daneben auch Sensen und Sensenknüttel, Nägel, Draht, handwerkliche Arbeitsgeräte und manches andere mehr. 108 Ruhri, Die Stadt Steyr (wie Anm. 11), S. 153f. mit Anm. 70. 109 Jeweils im Anhang von: Pirchegger, Das steirische Eisenwesen bis 1564 (wie Anm. 12), und Pirchegger, Das steirische Eisenwesen von 1564–1625 (wie Anm. 12).

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Ein zu Steyr in Beziehung stehendes Messergewerbe gab es zwar auch in Wels/ Schleißheim, Enns und Freistadt, aber der einzige ernsthafte Konkurrent in diesem Bereich war außer Steinbach Waidhofen an der Ybbs, das zwar die Förderung seines Freisinger Stadtherrn, aber nicht die der österreichischen Landesregierung hatte. Neben Steyr, Steinbach und Waidhofen trat als weiteres Exportgewerbezentrum im Laufe des 16. Jahrhunderts immer stärker die große – bis nach Windisch-Garsten und Spital reichende – Region um Kirchdorf-Micheldorf an der Krems mit ihren weltberühmten blauen Sensen hervor. Um Losenstein/Reich-Raming einerseits und Hollenstein/Göstling andererseits bildeten sich ebenfalls größere Gewerbeansiedlungen, die vor allem Nägel, Sicheln, Draht etc. für den Export produzierten. Und nördlich davon schloss sich das Gewerberevier von Ybbsitz, Gresten, Gaming, Scheibbs und Purgstall an. Bezieht man die für den Außenhandel bestimmten Legstädte (Wels, Linz, Enns, Freistadt, Emmersdorf, Melk, Krems/Stein und Wien) sowie die nicht zuletzt auf den tragenden Wirtschaftsfaktor Eisen hin orientierten Städtebünde (Vöcklabruck, Gmunden, Wels, Linz, Enns, Freistadt und Steyr) und Handwerks-/Zunftvereinigungen (Wien, Steyr, St. Pölten, Waidhofen an der Ybbs, Wels, Krems, Steinbach als „vereinigte niederösterreichische redliche Messerwerkstätten“) in die Betrachtung mit ein, dann erfährt das Kartenbild eine nicht unerhebliche Ausweitung. Der Blick schließlich nach Süden, vom Vordernberg über Trofaiach nach Leoben und von dort in alle Richtungen, etwa nach Rottenmann/Salzburg, nach Judenburg/Murau/Steiermark/Oberitalien, nach Bruck an der Mur/Graz oder Mürzzuschlag/Wiener Neustadt könnte die naheliegende Ergänzung für die Steiermark vermitteln. Die Aufteilung dieses großen Eisenreviers in auf den Erzberg hin ausgerichtete Widmungsbezirke zeigt die von Hans Pirchegger veröffentlichte Karte 2, und zwar sowohl in der Gesamtausdehnung als auch in der Unterteilung zwischen Innerberg und Vordernberg, also der Region ob und unter der Enns einerseits sowie der nördlichen Steiermark andererseits. Jeder der beiden Bezirke war gegliedert in den Proviant- und den Waldwidmungsbezirk, hatte also die doppelte Aufgabe einer kontinuierlichen Lebensmittelversorgung und einer ausreichenden Holz- und Holzkohlebelieferung der beiden fast auf der Passhöhe gelegenen großen Bergsiedlungen bzw. Märkte zu erfüllen. Als Gegenleistung für diesen Dienst durften die Lieferanten das durchaus begehrte Weich- und Abfalleisen direkt beim Produzenten beziehen. Berggerichts- und Verwaltungsgrenzen kamen hinzu, so dass letztlich ein weitgehend vom Eisen und Eisengewerbe geprägter und organisierter Wirtschaftsraum in seiner Zweiteilung entgegentritt. Unterbrochen – ergänzt oder gestört – war dieses Gebilde von verschiedenen Grund- oder kleinen Territorialherrschaften, überwiegend geistlicher, aber auch

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weltlicher Art, wenn auch zum Teil kleinen Zuschnitts. Für das Innerberger Revier sind hier besonders das Stift Garsten und das Benediktinerkloster Gleink unmittelbar vor den Toren von Steyr, Aschbach (Bistum Passau), sodann Waidhofen an der Ybbs (Bistum Freising), das Benediktinerkloster Admont mit der Kirche und Herrschaft von St. Gallen (Altenmarkt) sowie das Pilgerspital und spätere Kollegiatstift Spital am Pyhrn (Bistum Bamberg) zu nennen. Sie alle waren an der wirtschaftlichen Erschließung und dem Aufbau des Eisenreviers lebhaft beteiligt, ließen selbst Eisen und Eisengeräte produzieren, wenn auch aus dem von dem Landesherrn und den Vertretern des Erzbergs etwas abfällig als „Waldeisen“ eingeschätzten Material, und konnten angesichts der Wasserkraft und der großen Waldgebiete, über die sie verfügten, zur Deckung des Energiebedarfs erheblich beitragen. Gewiss lagen die wesentlichen Rechte und Zuständigkeiten bei den Herrschaftsinhabern, in erster Linie den Herzögen von Österreich und Steiermark, sowie bei Bischofskirchen, Klöstern und Stiften. Insofern ist schon seit den erkennbaren Anfängen im 12. Jahrhundert der herrschaftliche Einfluss gut zu fassen, greift aber in die Wirtschaftsabläufe lange Zeit kaum ein, es sei denn mit Rechtsverleihungen (Privilegierungen, Schenkungen) oder bei Konfliktfällen. Hier stehen vielmehr die Gewerke im Vordergrund, die Berggenossenschaft, die Betreiber und Besitzer der Radwerke und Hammerwerke, die Vereinigungen der Eisenhändler und Messerer als Verleger, die Handwerkszünfte und die Transportgenossenschaften sowie nicht zuletzt die Kommunen, also Städte und Märkte, die oft in Eigenverantwortlichkeit die Verwaltung und Gerichtsbarkeit wahrnahmen sowie das Marktgeschehen und den Geld- und Kreditverkehr kontrollierten. Allerdings gab es bei der Gewichtsverteilung und Einflussnahme starke Verschiebungen. Seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert wird der herrschaftliche Anteil zunehmend stärker, gewinnt um die Mitte des 16. Jahrhunderts deutlich die Oberhand und wird in der Krise des beginnenden 17. Jahrhunderts zum großen Dirigenten, ohne den Niedergang aufhalten zu können. Dabei sind der Landesherr und seine Amtsträger energisch um einen Interessenausgleich, auch und gerade im Sinn des Schutzes der wirtschaftlich schwächeren Partner in dem Produktionsprozess und zum wirtschaftlichen Vorteil des Landes und des Eisenreviers bemüht gewesen, haben also manche der älteren Strukturen geradezu geschützt oder konserviert. Der kleingewerbliche, zunftbestimmte Charakter der Werkstätten und Schmieden blieb, von einigen Ausnahmen abgesehen, erhalten, obwohl die Verlagerung vom städtischen in den ländlichen Bereich nicht zu übersehen ist. Angesichts der Rahmenbedingungen (Dreißigjähriger Krieg, Vertreibung von Händlern und Handwerkern durch die Gegenreformation und generelle Wirtschaftskrise) trat jedoch lange Zeit keine Besserung ein. Noch „um 1670 waren in Steyr von 600

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Stadthäusern 70 eingestürzt und 141 unbewohnt, 191 wurden von verarmten Familien bewohnt“110. Erst kurz vor der Jahrhundertwende setzte ein Prozess der Erholung ein.

Karte 1 Die Steyrer Eisengewerbelandschaft (bis 1625)

110 Ruhri, Die Stadt Steyr (wie Anm. 11), S. 151, Anm. 54.

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Karte 2 Proviant- und Waldbezirk des Erzbergs Autor: Hans Pirchegger (vgl. Anm. 109)

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Karte 3 Eisenwerke vor 1564 Autor: Hans Pirchegger (vgl. Anm. 109)

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Vom Umgang mit Zahl und Zeit, Maß, Gewicht und Geld Lüneburg und seine Saline im Mittelalter von Harald Witthöft

Die Salzgewinnung, genauer: ein Salzzoll, ist für das Jahr 956 in Lüneburg urkundlich belegt. Bis 1980 währte die industrielle Produktion. Mit dem 12. Jahrhundert setzt eine Überlieferung ein, die es erlaubt, ausgehend von 1134 und endend mit der Salinenreform der Jahre 1797/99, ein Bild von Werden und Wandel der Verfassung eines mittelalterlichen Salzwerks und der Entwicklung seiner Produktion und seiner Märkte zu entwerfen1. Die Dichte der archivalischen Überlieferung ist das eine, unsere Fähigkeit, sie zu lesen und insbesondere auch die numerischen Inhalte zu verstehen, ist ein anderes. Gerhard Körner führte unsere traditionellen, vormetrischen Kenntnisse von den älteren Salzhandelsmaßen mit dem metrischen Äquivalent des erhaltenen Lüneburger Ratsgewichts der Zeit um 1360 zusammen. Er legte damit eine neue Spur zur gleichfalls metrischen Bestimmung von Kapazitäten der Produktion und Volumina des Handels der Saline2. Die Anregung Körners fiel auf fruchtbaren Boden. Die Lüneburger Sachüberlieferungen zu Maß und Gewicht eröffneten die Möglichkeit intensiver Studien zu Gegenstand und Methode der jüngeren historischen Metrologie, eines Zweiges der Geschichtswissenschaft – zum Nutzen der wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Forschung. Die Geschichte der Lüneburger Saline auf der anderen Seite ist voller Hinweise auf die älteren metrologischen Praktiken – eine Herausforderung und ein adäquates Korrektiv allzu mutiger Erklärungsversuche und Thesen zugleich3.

1

2 3

Vgl. Witthöft, Harald, Die Lüneburger Saline – Salz in Nordeuropa und der Hanse vom 12.–19. Jahrhundert. Eine Wirtschafts- und Kulturgeschichte langer Dauer (De Sulte, 22), Rahden/Westfalen 2010, S. 22, 145. Körner, Gerhard, Die Kapazität der Lüneburger Saline, in: Lüneburger Blätter 13 (1962), S. 125–128. S. Witthöft, Harald, Umrisse einer historischen Metrologie zum Nutzen der wirtschaftsund sozialgeschichtlichen Forschung. Maß und Gewicht in Stadt und Land Lüneburg, im Hanseraum und im Kurfürstentum/Königreich Hannover vom 13. bis zum 19. Jahrhun-

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In diesem Wechselspiel stellten sich immer wieder neue Fragen und fanden sich dem Problem nähernde Erklärungen, die in das frühe Mittelalter, zu den friesischen Siedlungen im Ems-Weserraum seit dem 7. und besonders dem 8.–10. Jahrhundert, zu den Volksrechten und der Gesetzgebung aus der Zeit der Merowinger und Karolinger, zum Münzwesen Karls des Großen und dem Übergang von der Spätantike ins Mittelalter zurückwiesen. Auf diesem dritten Weg verließen Denkanstöße und Forschungen vollends den regionalen Lüneburger Bezug und berührten Grundfragen von Kulturwandel und Epochenfolge seit Fränkischer Zeit4. Der Umgang mit Maß und Gewicht führte zu einer funktionalen, naturgemäßen Ordnung von Wirtschaften und Geldgebrauch qua Zahl, zu einer grundlegenden Spannung von Praxis und Idee im Erfassen und Denken der Welt, schließlich zu einem paradigmatischen Wandel im Übergang von der Statik zur Dynamik und damit zu einer zunehmenden Überlagerung der älteren materiellen durch eine jüngere geistige (Wirtschafts-)Kultur im Bauwerk eines europäischen Hauses seit dem frühen Mittelalter5. Die klassische, humanistische Geschichtsschreibung vermag

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dert (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 60/1 u. 2), Göttingen 1979, hier bes.: S. 194–326; und Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 94–113. S. u. a.: Behre, Karl-Ernst, Landschaftsgeschichte Norddeutschlands. Umwelt und Siedlung von der Steinzeit bis zur Gegenwart, Neumünster 2008, S. 166–171 (Friesen und Slawen) u. S. 173–180 („Die mittelalterlichen Umwälzungen von Siedlung und Landwirtschaft“); sowie Behre, Karl-Ernst, Der Neuenburger Urwald – ein Denkmal der Kulturlandschaft, Wilhelmshaven 2010, S. 15f.; Witthöft, Harald, Münzfuß, Kleingewichte, pondus Caroli und die Grundlegung des nordeuropäischen Maß- und Gewichtswesens in fränkischer Zeit (Sachüberlieferung und Geschichte. Siegener Abhandlungen zur Entwicklung der materiellen Kultur, 1), Ostfildern 1984; Witthöft, Harald, Denarius novus, modius publicus und libra panis im Frankfurter Kapitulare. Elemente und Struktur einer materiellen Ordnung in fränkischer Zeit, in: Das Frankfurter Konzil von 794. Kristallisationspunkt karolingischer Kultur, hrg. v. Berndt, Rainer (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, 80), Teil I = Politik und Kirche, Mainz 1997, S. 219–252; und Witthöft, Harald, Maß und Gewicht [zwischen Römerzeit und Mittelalter], in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, begr. v. Johannes Hoops, hrg. v. Beck, Heinrich / Geuenich, Dieter / Steuer, Heiko, Bd. 19, Berlin/New York 20012, S. 398–418. S. u. a.: Witthöft, Harald, Die Währung in sich wandelnden Wirtschaftsordnungen im Fränkischen und Deutschen Reich zwischen dem 8. und dem 16./17. Jahrhundert, in: Öffentliches und privates Wirtschaften in sich wandelnden Wirtschaftsordnungen (VSWGBeiheft, 156), hrg. v. Schneider, Jürgen, Stuttgart 2001, S. 19–52, hier: 38–52; Witthöft, Denarius novus (wie Anm. 4), S. 119–226, 251f. – Vgl. dazu: Fried, Johannes, Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024 (Propyläen Geschichte Deutschlands, 1), Frankfurt a. M.. 1994, S. 737–808; und: Emmerich, Bettina, Geiz und

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diesen Wandel nicht zu fassen, der sich uns erst in der Reflexion der Zahl als Kategorie historischer Erkenntnis und Element jeder materiellen und geistigen Ordnung erschließt6. Die Anfänge der Lüneburger Saline rücken in die frühe Zeit der nordwestdeutschen Stadt und der Herausbildung eines vom umgebenden Lande geschiedenen Rechtsgebietes seit dem 10. Jahrhundert, in die Phase eines Aufbruchs im Wirtschaften nach dem Ende der Antike und im Verlaufe der Begegnungen von Südund Nordeuropäern mit den islamischen Reichen seit dem 7./8. und im 9. Jahrhundert7. Die regional- bzw. territorial-deutsche Wirtschaft und Währung erhalten mit den Entwicklungen des 11.–13. Jahrhunderts eine neue Struktur – in Spannung zum Fortwirken eines reichsweiten, elementaren, theologisch wie religiös fundierten Ordnungsdenkens. Erinnert sei an das Auftauchen der Marken von Troyes und Köln und schließlich die Prägung erster goldener Florene und Dukaten in Italien8. Die Beschäftigung mit dem numerischen Gehalt von mittelalterlichen Textund Sachquellen lässt uns am Lüneburger Beispiel gewahr werden, dass der Schlüssel für das Spätmittelalter und die Frühneuzeit in den Quellen der Fränkischen Zeit und des 11.–13. Jahrhunderts liegt. Andererseits finden wir schlüssige Hinweise

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Gerechtigkeit. Ökonomisches Denken im frühen Mittelalter (VSWG-Beiheft, 168), S. 9–14, 59–67, 89–96, 123–188, 283–284 („Fremdes Frühmittelalter – Für eine andere Wirtschaftsgeschichte“). S. u. a.: Witthöft, Harald, Merkantilistische Vorstellungen bei Georgius Agricola? Von Gütern und Geld, Handel und Preisen aus Perspektiven langer Dauer und kurzer Zeiten, in: Wirtschaftslenkende Montanverwaltung – Fürstlicher Unternehmer – Merkantilismus. Zusammenhänge zwischen Ausbildung einer fachkompetenten Beamtenschaft und der staatlichen Geld- und Wirtschaftspolitik in der Frühen Neuzeit, hrg. v. Westermann, Angelika u. Ekkehard, Husum 2009, S. 113–143, hier: S. 113–117. S. Witthöft, Münzfuß (wie Anm. 4), S. 108–113; Witthöft, Maß und Gewicht (wie Anm. 4), S. 407–409, 413–415. Witthöft, Harald, Maß und Regio – Herrschaft, Wirtschaft und Kultur. Von aequalitas, Einheitlichkeit und langer Dauer, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 24 (2006), S. 49–75, hier: S. 49–55; Witthöft, Harald, Die Markgewichte von Köln und von Troyes im Spiegel der Regional- und Reichsgeschichte vom 11. bis ins 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 253/1 (1991), S. 51–100; Witthöft, Harald, Die Kölner Mark zur Hansezeit, in: Geldumlauf, Währungsstruktur und Zahlungsverkehr in Nordwest-Europa 1300 bis 1800, hrg. v. North, Michael (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte NF, 35), Köln/Wien 1989, S. 51–74, hier: 55–59; Witthöft, Harald, Die Münzordnungen und das Grundgewicht im Deutschen Reich vom 16. Jahrhundert bis 1871/72, in: Geld und Währung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, hrg. v. Schremmer, Eckart (VSWG-Beiheft, 106), Stuttgart 1993, S. 45–68, hier: S. 58f., 64–68.

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auf die mittelalterliche Handhabung von Münze, Maß und Gewicht noch in den kaufmännischen Praktiken der revolutionären Zeiten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts9.

I. Die Saline: zwei Zitate – eine Spur Von der Sülze und den Stiegen De sulte dat is Luneborg! Diesen Merkspruch prägte Bürgermeister Hinrik Lange in einer Denkschrift des Jahres 1461. Man solle sich über den Erwerb von Privilegien hinaus zum Besten der Saline mit den Stigen aus dem überreichen Solefluss die Herren und Fürsten, Ritter und Knappen zu Freunden machen – d. h. mit Geldern aus dem Verkauf des nicht verrenteten, gewinnbringenden Anteils der Förderung. Damit könne man im Umkreis von acht Meilen (ca. 60 km) Brennholz für die Sülze, Tonnenholz, Fleisch, Fisch und Korn erwerben; schicke man das Salz lose auf den Markt, bringe es nicht halb so viel wie verpackt in Tonnen – wente dit vorschreven alle schud umme der sulten willen, wente de sulte dat is Luneborg, alles Vorstehende geschehe um der Sülze willen10. Das Schicksal Lüneburgs im Mittelalter ist im Bewusstsein seiner Bürger unlösbar mit der Saline verbunden. Der Ausspruch Langes aus der Zeit des Prälatenkrieges (1445–1462/71) ist noch heute gängige Münze. Über seine tieferen wirtschafts- und währungshistorischen Hintergründe wird selten gesprochen. Die Geschichtsschreibung zur Saline schöpft noch immer aus den reichhaltigen Quellensammlungen und Darstellungen des 17./18. Jahrhunderts, zumal aus den Arbeiten von Urban Friedrich Christoph Manecke und Ludwig Albrecht Gebhardi 9 S. Kaufmannsbücher und Handelspraktiken vom Spätmittelalter bis zum beginnenden 20. Jahrhundert – Merchant’s Books and Mercantile Pratiche from the Late Middle Ages to the Beginning of the 20th Century, hrg. v. Denzel, Markus A. / Hocquet, JeanClaude / Witthöft, Harald (VSWG-Beiheft, 163), Stuttgart 2002; Witthöft, Harald, unter Mitarb. v. Roth, Karl Jürgen, u. a.: Johann Christian Nelkenbrechers Taschenbuch eines Banquiers und Kaufmanns in zwanzig Auflagen, Berlin 1762–1890, in zwei Teilen und drei Bänden (Handbuch der Historischen Metrologie 5, 6/1 u. 2), St. Katharinen 2003, hier: Teil I (Bd. 5): Witthöft, Harald, Der ,Nelkenbrecher‘ und die kaufmännische Metrologie. Einrichtung und Inhalt, Würdigung und Kritik des Taschenbuchs. Mit Übersichten u. Tabellen v. Roth, Karl Jürgen, (erw. um bibliograph. Daten u. ausgewählte Titelblätter durch Homann, Henning); Witthöft, Maß und Regio (wie Anm. 8), S. 57–60, S. 63. 10 Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 205.

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der Zeit um 1780–180011. Umfassend und aus unverstellter Kenntnis der archivalischen Überlieferung hat nach Luise Zenker zuletzt Wilhelm Reinecke zu diesem Thema gearbeitet und publiziert12. Reinecke, über dessen Stadtgeschichte noch Hermann Heimpel in Göttingen in den 1950er Jahren respektvoll urteilte, wusste sich seinerseits „dem Andenken der Lüneburger Geschichtsforscher Büttner, Gebhardi, Manecke, Volger und Wedekind“ verpflichtet13. In deren Tradition und erkennbar vertraut mit Themen und einer deskriptiven Arbeitsweise der historischen Volkswirtschaftslehre schrieb er seine Lüneburger Geschichte als politische und zugleich Wirtschaftsgeschichte. Davon zeugen u. a. fünf Kapitel zum Erbfolgekrieg, zur Geldwirtschaft, zum Sülzwesen und zum Prälatenkrieg im Kontext von „Freiheit und Selbstbestimmung“ der Stadt zwischen 1370 und 147114. Spätestens seit dem 13. Jahrhundert konnte am Sod (Brunnen) der Saline jeder Siedeberechtigte für seine Siedehütte zusammen mit den Stiegen insgesamt mehr Sole ausbitten, als er an sog. Fluten zu verarbeiten verpflichtet war. Um diese ExtraStiegen à 20 Eimern (Öseammern) entbrannte zu Beginn des Erbfolgekrieges (1370–1388) „ein heißer Kampf […] zwischen Sülzbegüterten und Sülfmeistern“. Es folgten Jahrzehnte einer kostspieligen Macht- und Geldpolitik, die ihr Ziel, aber auch ihren Rückhalt, in der Sicherung des Gedeihens der Saline hatten. Ebendiese Stiegen und damit zusätzliche Salz-Einkünfte für ‚Sülzinteressierte‘ einerseits und die Belastungen des Flutgutes andererseits, waren eine Ursache noch des Prälatenkrieges15 – einer „zeitweise das gesamte Gemeinwesen gefährdende[n], schwere[n] Finanz- und Wirtschaftskrise“16. Es ging um die Schulden bzw. Zinslasten der Stadt in bedrückender Höhe und die Beteiligung der Sülzbegüterten an deren Tilgung17. Am 1. August 1457 kam es schließlich zur „Sülzkonkordie, die in feierlicher Runde im Remter der Franziskaner zu Lüneburg“ vereinbart wurde; sie fand im Januar 1458 durch die „Ratskörperschaft und Bürgerschaft“ ihre Bestätigung. Damit trat die Einigung in Kraft, „die Gesamtschuld der Stadt in Höhe von 564.000 11 Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 27f. 12 Zenker, Luise, Zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Lüneburger Saline für die Zeit von 950–1370 (Forschungen zur Geschichte Niedersachsens, 1,2), Hannover/Leipzig 1906; Reinecke, Wilhelm, Geschichte der Stadt Lüneburg, 2 Bde., Lüneburg 1933. 13 Reinecke, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 12), Vorsatzblatt. 14 Reinecke, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 12), S. 123–144, 175–186, 187–202, 203–242. 15 Reinecke, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 12), S. 202f. 16 Aus Lüneburgs tausendjähriger Vergangenheit, hrg. v. Wendland, Ulrich, Lüneburg 1956, S. 12. 17 Reinecke, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 12), S. 180f.

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M 9 s 8 d auf einmal derart abzutragen, dass jede Sülzpfanne mit 908 M 3 s 6 d, jeder Wispel mit der Hälfte, 454 M 21 d, belastet würde. Wer die Hauptsumme nicht sogleich zahlen wollte oder konnte, sollte von der Pfanne einen Jahreszins von 60, vom Wispel 30 M entrichten“18. Freie und unfreie Pfannen der Saline unterschied man noch im 19. Jahrhundert19. Reinecke belässt es beim beschreibenden Berichten von dieser Übereinkunft, der um 1462 die Aufhebung des päpstlichen Bannes und 1471 der kaiserlichen Acht folgten. Er geht der Frage nach den Volumina bzw. Mengen der erwähnten Einheiten von Sole und Salz sowie deren metrischer Definition nicht weiter nach. Ebendiese Frage hatte sich jedoch Gebhardi um 1790 (noch) gestellt.

Öseammer und ‚wahres‘ Maß Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war Gebhardi noch aus eigener Anschauung mit der Vorstellung vertraut, dass die Sole, ihre Zuteilung, das Sieden des Salzes, dessen Verkauf und Transport seit jeher die funktionale numerische Struktur der Saline und deren Verfassung bestimmt hatten. Der Öseammer halte Nebenbestimmungen durch Zeit und Ort, denn man verkauft die Sole ohne sie zu nennen nach Pfannen, Pfannenteilen und Renten aus Pfannen, und versteht darunter eine gewisse Menge von Öse-Eimern, die jeder Pfanne in einer gewissen Zeit gegeben werden – den Fluten20. Gebhardi scheiterte jedoch in seinem Bemühen, aus den überlieferten Fördermengen an Sole treffende Rückschlüsse auf die Produktion nach heutigem Zentner- bzw. Tonnenmaß zu ziehen. Er vermutete schließlich, daß vielleicht in diesem

18 Reinecke, Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 12), S. 238; Ranft, Andreas, Der Basishaushalt der Stadt Lüneburg in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Zur Struktur der städtischen Finanzen im Spätmittelalter (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 84), Göttingen 1987, geht auf die Schuldenpolitik und den Zinshaushalt der Stadt im 15. Jahrhundert nicht weiter ein. 19 S. die Tafel der Chorus-Interessenten von H.P. Kemmerer, Lüneburg um 1800, im Museum für das Fürstentum Lüneburg (Körner, Gerhard, D. Saline (Leitfaden durch das Museum. Ausweitung des Abschnittes D), Lüneburg 1981, D 31. 20 Gebhardi, Ludwig Albrecht, Collectanea. Auszüge und Abschriften von Urkunden und Handschriften, welche das Herzogtum Lüneburg betreffen (1762–1798), Bd. 10, S. 297 (Xerokopien des Originals der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover in der Ratsbücherei Lüneburg). – Gebhardi (1735–1802) war Professor an der Ritterakademie in Lüneburg und „seit 1799 Archivar, Bibliothekar und Hofhistoriograph in Hannover“ (Reinecke, Wilhelm, Die Straßennamen Lüneburgs, Hildesheim 19663, S. 20).

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Widerspruch der angeblichen mit den wahren Maßen ein Geheimnis [liege], welches den Prälaten verborgen bleiben mußte, und daher nicht aufgezeichnet ist21. Ein ‚angeblich‘ nicht aufzulösender Widerspruch von älteren schriftlich, lediglich qua Zahl überlieferten Struktur-, Maß- bzw. Recheneinheiten und jüngeren real gefertigten, mess- und wägbaren Gefäßen bzw. Stücken hat sich als unkritischer Erfahrungssatz in der Geschichtswissenschaft bis ins späte 20. Jahrhundert, ja bis heute erhalten. Dollinger resümierte noch 1976: Um vom Handel der Hanse im Mittelalter „eine, wenn auch ungenaue, Vorstellung zu bekommen, sind zahlenmäßige Angaben unentbehrlich, selbst wenn die Zahlen unzuverlässig sind – und das sind sie immer“ 22. Sach- und Schriftüberlieferungen zur Geschichte der Saline, vor allem die beiden Mark- und Pfundstücke eines Satzes an Ratsgewichten (um 1360), die erhaltene Siedepfanne (1684), dazu die Bilddokumente von der Anlage eines Kummes beim Einbau einer Pumpe (1569) für die Zuteilung der zuvor nach/mit Öseammern geförderten Sole und schließlich die Liespfundformel im Ältesten Stadtbuch (1382/83) belehren uns eines Besseren23. Körner hat als erster das Ratsgewicht herangezogen, um die Kapazität der Saline zu ihrer Blütezeit mit Hilfe relevanter Strukturdaten der Salzgewinnung in metrischen Begriffen darzustellen. Unbestimmt ließ er 1962 u. a. die exakte Füllung einer Pfanne, das Volumen des Öseammers und die Entwicklung der Produktion im Laufe der Jahrhunderte24. Unerörtert blieb die Bedeutung des Öseammers als zentralem Schöpfmaß am Sod und Schlüssel sowohl zur funktionalen Grundordnung der Saline als auch zum Verständnis der wahren Maße und Gewichte von der Förderung, Verteilung und Siedung der Sole über Handel und Transport des Salzes bis zu den Abgaben und Renten. 21 Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 28. 22 Dollinger, Philippe, Die Hanse (Kröner TB, 371), Stuttgart 19762, S. 275; er rechnet in der ersten Auflage seines Werkes (19661) die metrische Tonne noch zu 10 anstatt zu 20 Ztr. und rundet auf; in der zweiten Auflage (19762, S. 296f.) korrigiert er diesen Irrtum (vgl. Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 31). 23 Hier und zum folgenden: Witthöft, Umrisse (wie Anm. 3), S. 65–68 (Ratsgewicht), S. 164–166 (Stübchenmaße), S. 201–204 (Pfanne), S. 197–202 (Öseammer), S. 194–197 (Kumm), S. 84–97 (Liespfundformel), Tafeln 20a u. 22a (Soleförderung vor und nach 1569). 24 Körner, Kapazität (wie Anm. 2), S. 125–128 u. Tafel 16, unter Verweis auf: Witthöft, Harald, Das Kaufhaus in Lüneburg, Lüneburg 1962, S. 182f.; vgl. auch: Witthöft, Harald, Die Aufkünfte vom Salz auf dem Kaufhaus und die Lüneburger Salzfracht, in: Lüneburger Blätter 13 (1962), S. 128–132.

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II. Numerische Ordnung und funktionale Struktur – der Befund Das ‚missing link‘ Das ‚missing link‘ war der Öseammer – Grundlage auch des jüngeren Kumm als Maß der Solezuteilung am Sod seit 1569. Er war und blieb die zentrale Einheit jeder Rechnungslegung und aller numerischen, ganzzahligen Vergleichungen/Relationen von Eigentum und abgeleiteten Rechten über die Soleförderung bis zu Preisen, Abgaben und Renten, Transport, Energie und der Pfannenschmiede. Seit Einsetzen der schriftlichen Überlieferung im 12. Jahrhundert hielt dieser ‚Henkel-Eimer‘ mit hoher Wahrscheinlichkeit ein konstantes Volumen (42 bzw. 40 Stübchen = 149,268 bzw. 149,280 l; 20 Öseammer = 1 Stiege = 1 Kumm) 25. Der Öseammer gleicht den aus der Erzförderung des Bergbaus bekannten Kübeln26. Er ist uns im Abbild durch eine beygezeichnete figur in Sebastian Münsters Cosmographey (1580/1588), seine zentrale Funktion auch durch eine Wiedergabe der Arbeiten am Sod vor 1569 auf einem Gemälde überliefert, das im Brunnenhaus (Küntje) der alten Saline hing (u. a. Bilderchronik, 1595)27. Das Grundmaß, ein Stübchen ([15]88), blieb ebenfalls erhalten. Die Sach-, Schrift- und Bildzeugnisse sowohl der Jahre um 1360–1380 als auch um 1560–1580 dokumentieren wahre, zeitgenössische Maßgefäße bzw. Gewichtsstücke aus Epochen einschneidender, realer Modifikationen älterer Einheiten und numerischer Relationen – Objekte von historischer Aussagekraft. 25 Zum Öseammer und Kumm: Witthöft, Umrisse (wie Anm. 3), S. 194–202, auch Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 82–87. 26 S. dazu: Witthöft, Harald, Überlegungen zu Zahl, Maß und Gewicht im Bergbau und im Hütten- und Hammerwesen. Von Numerik und materieller Kultur in Mittelalter und früher Neuzeit, in: Krisen und Konjunkturen im europäischen Bergbau in vorindustrieller Zeit. Festschrift für Ekkehard Westermann, hrg. v. Bartels, Christoph / Denzel, Markus A. (VSWG-Beiheft, 155), Stuttgart 2000, S. 123–150, hier: S. 124, 126 (Verweis auf das Bergbuch von Massa Marittima aus den Jahren 1225–1335) u. S. 142f. (s.a. Bartels, Christoph, Zur Problematik der Berechnung von Förder- und Arbeitsleistungen des historischen Bergbaus vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert, in: Der Anschnitt 39/5–6 (1987), S. 219–231); und Witthöft, Harald, Vom Bergmaß im ‚Schwazer Bergbuch‘ 1554/1556. Ein Kommentar zu Bild, Text und Zahl – Brauchtum und funktionale Ordnung, in: Der Anschnitt 60/5–6 (2008), S. 266–273, hier: S. 268, 270. 27 S. Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), Tafeln 9a u. 9b; vgl. Körner, Gerhard, Das Salzwerk zu Lüneburg, in: Lüneburger Blätter 7/8 (1957), S. 41–55, hier: S. 44f., Tafeln 5 u. 6; auch Körner, D. .Saline (wie Anm. 19), S. 22 (D5).

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Die relevanten ‚Richtzahlen‘ für die Entwicklung der elementaren funktionalen Faktoren der Produktion der Saline seit dem 12. bzw. 13. Jahrhundert finden sich in der schriftlichen Überlieferung. Dazu gehören die Zahlen der Pfannen (3 im 12. Jh.; 4 seit 1205), der Siedehäuser (48 bis 1244; 54 seit 1273), der Söde/Tag (4–6 im 12. Jh.; max. 13 seit 1281), der Fluten/Jahr (10 im 12. Jh.; max. 17 bis 1296, max. 13 seit ca. 1388), der Siedetage/Jahr (300 bis 1205; 361 seit 1244) und eine konstant hohe Sättigung der Sole (23,5 Grad)28.

Die Produktion, metrisch definiert Ausgehend vom Öseammer und nach Rekonstruktion aller Richtzahlen bzw. numerisch definierten Faktoren ließ sich die Entwicklung der Produktion zwischen 1200 und 1800 metrisch erfassen und graphisch darstellen – für neun ausgewählte Jahre der Produktion zwischen 1205 und 1569/1601 sowie überlappend in fünf lückenlosen Kurven des Absatzes seit 1443 (Scheffelgeld) bzw. 1501 (Schiffsalz) und 1554 (Lastsalz, Weißladersalz bzw. Gesamtvolumen des Handels)29. Die Salzgewinnung ist im 13. Jahrhundert von 5.200 t (1205) über 12.000 t (1273) auf 15.300 t (1291/1301) gestiegen, hat sodann mit 15.100 t (1388) und 17.300 t (1497) im 14./15. Jahrhundert ihr Niveau gehalten, bevor sie im 16./17. Jahrhundert noch einmal kräftig wuchs – über 19.800 t (1554–60) auf bis zu 21.300 t (1571–80) bzw. 21.200 t (1611–14) bei einem rechnerischem Maximum von ca. 23.000 t (1569/1601). Zwischen 1661 und 1701 fiel das Zehnjahresmittel des Salzhandels sodann von 15.100 t auf 12.300 t, der Absatz des Salzkontors im 18. Jahrhundert zwischen 1763 und 1773 schließlich von 7.600 t auf 5.200 t. Mit diesen Zahlen und den ihnen zugrundeliegenden Maßeinheiten lassen sich einige Irrtümer älterer Berechnungen zum Lüneburger Scheffelgewicht Salz (Zenker 1906: braunschweig-lüneburgischer Kornscheffel = 1 Ztr.?) und zur Produktionskapazität der Saline (u. a. Dollinger 1966: 60.000 t?) korrigieren30.

28 Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 114f. 29 Hier und zum folgenden: Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 115f., 121f., 124– 126, 129–131. 30 Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 30f. (Zenker, Volkswirtschaftliche Bedeutung (wie Anm. 12), S. 18; zu Dollinger, Hanse (wie Anm. 22), s.o.).

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Lüneburger Märkte im Wandel – Seesalz und Salz vom Salz Die quantitativen Daten belegen in seltener Deutlichkeit das außergewöhnliche Wachstum der Lüneburger Salzproduktion im 13. Jahrhundert – in der Epoche einer ‚Handelsrevolution‘ und der frühen Städtehanse. Die Möglichkeit einer chronologischen und regionalen Differenzierung der Handelsrichtungen von Lüneburger Schiff-, Last- und Weißladersalz erlaubt es, die Entwicklung einzelner Fernund Nahmärkte an Nord- und Ostsee und im Binnenland separat zu verfolgen31. Lüneburg und sein Salz spielten in der nordeuropäischen und zumal der hansischen Wirtschaftsgeschichte eine eigene, besondere Rolle. Bis ins 11./12. Jahrhundert mag das Friesensalz der Nordseeküsten die Ausbreitung Lüneburger Salzes seewärts verstellt haben, während 200 Jahre später das atlantische Baiesalz zwar bereits in die Ostseemärkte eindringen, aber den Absatz von Schiffsalz über Lübeck erst nach 1560 beeinträchtigen konnte. Dazu wird seit jener Zeit die jüngere, vor allem auch niederländische Produktion des Salz vom Salz in Raffinerien an den Seeküsten und flussaufwärts zwischen Rhein und Oder seinen Teil beigetragen haben. Der Lüneburger Lastsalzhandel u. a. nach Friesland, in die Weserregion, nach Hamburg, Holstein/Dänemark und Brandenburg-Preußen hat jedenfalls seit etwa 1580, der Absatz von Weißladersalz auf den Nahmärkten seit etwa 1740, den Schiffsalzhandel nach Lübeck übertroffen32. Bei dieser Skizze der Erkenntnisse zur Salzgeschichte, die sich aus der numerisch-funktionalen Struktur der Produktion und der metrischen Berechenbarkeit des Öseammers der Saline gewinnen lassen, könnten wir es belassen. Dem regionalen und hansischen Interesse an der ältesten Industrie der Stadt und dem Lüneburger Geschichtsbewusstsein wäre Genüge getan. Jedoch setzen uns die Auflösung von Gebhardis ‚Rätsel‘ und der Nachweis ebenso konstanter wie metrisch präzise definierbarer Maß- und Gewichtseinheiten der Saline auf eine Spur von allgemeinerer Bedeutung. Gemeint ist die Funktion der Zahl für jede Ordnung des Wirtschaftens und der Handhabung von Geld seit dem frühen Mittelalter – zumal in den Städten und dem neuen städtischen Leben rund um das Mittelmeer und im nördlichen Europa.

31 Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 115–129. 32 Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 234–273; zu den verschiedenen Salzarten S. 124–126, 131.

Vom Umgang mit Zahl und Zeit, Maß, Gewicht und Geld

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III. Quantifizierende Forschung und Ordnung mit Hilfe der Zahl Salzforschung und historische Metrologie Seit den 1960er Jahren haben neue Fragestellungen und Methoden wirtschaftshistorischen Arbeitens dazu geführt, die numerischen Überlieferungen der Lüneburger Saline in vergleichend strukturierender Absicht als Beispiel überregionaler Entwicklungen langer Dauer kritisch unter die Lupe zu nehmen. Die Anregungen zu einer quantifizierenden Forschung in den Geschichts- und Sozialwissenschaften spielten eine entscheidende Rolle33. In der Soleföderung und Salzproduktion der Saline erschlossen sich dazu Eigenarten historisch-metrologischer Fakten im allgemeinen und deren Bedeutung für wirtschaftshistorisches Arbeiten im besonderen34.

Von Zahl, Erkenntnis und Ordnung Bei allen quantifizierend historischen Arbeiten geht es dem Grundsatz nach um die Zahl(en) als Kategorie der Erkenntnis und deren Realisierung in Gefäßen, Stäben oder Stücken als Instrumenten zum Erfassen und Vergleichen von Maß (Volumen oder Länge), Gewicht (Masse) und/oder Zeit. Das ältere praktische Maß- und Gewichtsdenken war im Mittelalter ein solches in rationalen, ganzen Einheiten und Zahlen, Teilungen und Relationen. Man wusste sich des Instruments der Vergleichung mit Hilfe ganzer Zahlen bzw. deren Realisierung in den verschiedensten Objekten und natürlichen Phänomenen zu bedienen. Dieses Denken und diese Praxis brachten rationale numerische Ordnung(en) in das Geld- bzw. Münzwesen und das alltägliche Wirtschaften und Handeln. Die Verfassung der Saline blieb bis um 1800 ein Beispiel im Kleinen für die urtümliche numerische Ordnung der reichsweiten Wirtschaft im Großen. Sie ist einem Bau in der Art einer Kirche mit Hilfe von Maß-Zahlen vergleichbar. Die 33 S. z. B. Irsigler, Franz, Möglichkeiten und Grenzen quantifizierender Forschung in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), 236–259. 34 S. Witthöft, Umrisse (wie Anm. 3), S. 1–10; zuletzt: Witthöft, Harald, Von Ökonomie, Währung und Zahl – Wirtschaftsgeschichte und historische Metrologie. Ein Literatur- und Forschungsbericht 1980 bis 2007, in: VSWG 95/1 (2008), S. 25–40.

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Harald Witthöft

Lüneburger Überlieferungen sind Schätze der Erinnerung an eine frühe, rationale Orientierung in der Welt materieller Phänomene35.

Das alte Denken – Vergleichungen und ‚wahre‘ Maße Der Zugang zu einem älteren Maß- und Gewichtsdenken, dessen Weltsicht und Begriffen war Gebhardi um 1790 nicht mehr geläufig. Er scheiterte bei seinen Berechnungen überlieferter Volumen und Massen an einem Widerspruch der angeblichen mit den wahren Maßen. Dieser Widerspruch ist eine historische Realität und zugleich die Lösung seines Problems. Gebhardi konnte nicht (mehr) wissen, dass die Antwort vor ihm lag. Sie findet sich (noch) dokumentiert im Maßverständnis der Kaufmannschaft seiner Zeit. Die Lösung verbirgt sich im Wandel des Umgangs mit (und in der Realisierung von) Maßen und Gewichten seit dem Mittelalter. Ursache war die Entwicklung vom konkreten zum abstrakten (Maß-)Denken – von Maßen und Gewichten als Ausdruck physischer Eigenschaften eines konkreten Objektes qua Zahl hin zu Maß/Gewicht als Volumen oder Masse abstrakt definierter Normen36. Weder kannte Gebhardi die erhaltenen wahren Mark-(Halbpfund) und Pfundstücke aus einem Satz Lüneburger Ratsgewichte (um 1360) – er erwähnt sie nicht –, noch hätte er vermutlich die Aufschrift des Markstückes recht zu interpretieren verstanden: dit is ein half punt dem rade to Luneborch unde Bremer37. Dieses bronzene Stück ist ein seltenes Dokument der ‚wahren‘ Vergleichung von realen Gewichten/Einheiten verschiedener Herkunft und unterschiedlichen Gebrauchs mit Hilfe ganzer Zahlen als Grundlage des älteren Maß- und Gewichtswesens.

35 Witthöft, Harald, Perception and Numeric Order: An Analysis of Northern European Monetary Sources from Carolingian Times to the Era of Mercantilism, in: Metals, Monies, and Markets in Early Modern Societies: East Asian and Global Perspectives = Monies, Markets, and Finance in China and East Asia, hrg. v. Hirzel, Thomas / Kim, Nanny,Vol. 1 (bunka–wenhua. Tübinger Ostasiatische Forschungen […] 17), Berlin 2008, S. 45–64; Witthöft, Lüneburg in Saxony: A Medieval Saline in Northern Europe and Its Changing Cultural and Economic Setting (10th–14th Century), in: Salt Archaeology in China / Zhongguo yanye kaogu, Vol. 2 = Global Comparative Perspectives / Quanqiu shiye de bijiao yanjiu, hrg. v. Li Shuicheng / von Falkenhausen, Lothar, Beijing 2010, S. 285–319 (alternating pages) -- Chinese version: Zhongshiji (10–14 shiji) Sakesen lingdi Lünabao yanchang de wenhua ji jingji bianqian, Zhang Hai (transl.), ibid., S. 284–318 (alternating pages). 36 S. die einleitenden Bemerkungen weiter oben. 37 Witthöft, Umrisse (wie Anm. 3), S. 65.

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Die ‚zweiseitigen‘ Vergleichungen wie z. B. zwischen der Lüneburger und einer spezifischen Mark in Bremen hat der Kaufmann noch bis ins frühe 19. Jahrhundert zu handhaben gewusst. Sie erlaubten die präzise ganzzahlige Festlegung, Sicherung und Handhabung von systematisch geteilten Leiteinheiten lokaler Maße und Gewichte in einem ortsübergreifenden Netzwerk. Nelkenbrechers Taschenbuch orientiert sich in der verwirrenden Vielfalt der Kleinsysteme der Praxis grundsätzlich mit Hilfe der (internen) besonderen Eintheilung der Maße sowie der (externen) Vergleichungen qua Zahl38. Die Einteilungen erfassten stets alle benötigten Teil-Einheiten eines Systems. Bei den Vergleichungen beschränkte man sich im Allgemeinen darauf, bloß den Inhalt des größten oder kleinsten der Maaßabtheilungen anzugeben, die auf- oder absteigenden Mittelreduktionen aber sofort dem Leser anheim zu stellen39 – z. B. 1 Pfund = 2 Mark = 32 Lot in Köln oder 100 Mark Silbergewicht Augsburg = 101 Mark Köln40. Erst in der 6. Auflage des Jahres 1786 wurde die Vergleichung nicht mehr, wie bey den vorhergehenden, durch bloße Proportionalzahlen, sondern durch den würklichen Inhalt der Länge, des Raumes und der Schwere eines jeden Maaßes und Gewichts vorstellig gemacht. Das gab auch Liebhabern Anlaß und Aufmunterung, die angezeigten Maaß- und Gewichtsgrößen gelegentlich selbst zu untersuchen. In der 10. Auflage von 1810 wurde dem Maaß- und Gewichts-Gehalte der vorzüglichsten Handels-Orter auch, außer dem zur Vergleichung mit einander bemerkten Alt-Französ[ischen] Gehalte, deren Neu-Französ[ische] hinzugefügt41. Man bedenke im Kontext des Salzhandels, dass noch 1890 in der 20. Auflage des Taschenbuchs sich unter den Lüneburger Platzbräuchen notiert findet: Die 38 S. hier und im Folgenden: Witthöft, Harald, unter Mitarb. v. G. Göbel u. a., Deutsche Maße und Gewichte des 19. Jahrhunderts. Nach Gesetzen, Verordnungen und autorisierten Publikationen deutscher Staaten, Territorien und Städte, Teil 1 = Die Orts- und Landesmaße. Mit ausgewählten Daten und Texten zur Vereinheitlichung und Normierung von deutschen Maßen und Gewichten seit dem 16. Jahrhundert (Handbuch der Historischen Metrologie, 2), St. Katharinen 1993, S. 4; auch: Witthöft, Nelkenbrechers Taschenbuch I, Bd. 5 (wie Anm. 9), S. 13–29, mit Nachweisen zu den einzelnen Auflagen. – Vgl. zur Terminologie: Nelckenbrechers Taschenbuch eines Banquiers und Kaufmanns, enthält die Beschaffenheit und Vergleichung der Münzen, Maaße, Gewichte, Wechsel-Course, und anderer zum Handel gehöriger Dinge der vornehmsten Handels-Orte. Sechste Auflage, durchaus umgearbeitet, vermehret und verbessert durch G[erhardt]. Berlin 17866, S. VIf., und 17937, S. XIII–XV. 39 Nelkenbrechers Taschenbuch (wie Anm. 38), bearb. v. S. Gunz, Prag 18091, S. V. 40 Nelkenbrechers Taschenbuch (wie Anm. 38), u. a. Berlin 17866, für Köln und für Augsburg (Gold- und Silbergewicht). 41 Witthöft, Nelkenbrechers Taschenbuch, Teil I, Bd. 5 (wie Anm. 9): S. 48, 51.

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Tonne hiesiges Salz enthält Netto 328 Pfund oder 164 Kilogramm, der Sack desselben halb so viel – eine metrische Rechnung basierend auf dem Ratsgewicht und der Liespfundteilung von Schiffpfund bzw. Lüneburger Tonne des 14. bis frühen 19. Jahrhunderts, denn: 24 Lpfd. à 14 (Mark-)Pfund oder 6,804 kg = 163,296 kg = 6/5 Tonne netto à 20 Lpfd. oder Spfd. oder 1/12 Last42. Der ‚Nelkenbrecher‘ überliefert zum Jahre 1786, dass in Danzig 100 Danziger Lasten Salz gleich gehalten [werden] mit 87 Königsberger, 90 Rigaer, 73 Reveler, 75 Libauer, 91 Dordrechter, 130 Cadixer Salzlasten, ferner u. a. mit 15 Amsterdammer Hundert. Bis 1815 und auch noch 1848 rechnet er vergleichend in Riga mit zählenden Gütern: die Last Span., Portug. u. Franz. Salz durchgängig zu 18 Tonnen; die Last fein Salz oder Lüneburger aber hat 12 Tonnen. Bis 1832 gilt in Reval: Die Last Salz hat 12 Tonnen Lüneburger und 18 Tonnen Seesalz; die Tonne wieget 22 Lispfund und hält 4 Lof; so auch noch 1871, aber die Tonne = 22 Lispfund zu 4 Loof = 10½–11 Pud43. Wir stoßen auf ein gewachsenes, verästeltes Netzwerk von Zahlen, von Leiteinheiten und Systemen, von Einteilungen und Vergleichungen, von großer Tiefe und langer Dauer, derer sich der Baumeister und der Handwerker, der Banquier und der Kaufmann seit dem Mittelalter praktisch zu bedienen wussten.

Vom Wandel der (Wirtschafts-)Kultur Landwirtschaft, Gewerbe/Industrie und Handel fanden ihre frühe, ganzzahlig numerische Ordnung in funktionalen Strukturen praktischen Wirtschaftens – in Lüneburg und überregional z. B. auch im Salz- und Transportwesen Nordeuropas. Diese Strukturen wurden im Laufe von Jahrhunderten systemimmanent erweitert aber vor der Einführung des metrischen dezimalen Systems (um 1790) nicht abstrakt reformiert. Es ist ein Leitsatz historisch-metrologischen Arbeitens, dass ein grundlegender Wandel im Umgang mit Maß und Gewicht nie allein durch Gesetzgebung erzwungen, sondern stets durch kulturelle Entwicklungen langer Dauer herbeigeführt 42 Witthöft, Nelkenbrechers Taschenbuch, hier: Teil II, Bd. 6/2 (wie Anm. 9); Witthöft, Harald, unter Mitarb. v. Roth, Karl Jürgen, u. a.: Ein synoptisches Handbuch. Maß und Gewicht ausgewählter Finanz- und Handelsplätze, Territorien und Staaten Europas 1762– 1890, St. Katharinen 2003, S. 883; zur Liespfund-Rechnung s. Witthöft, Umrisse (wie Anm. 3), S. 514f. 43 Witthöft, Nelkenbrechers Taschenbuch, Teil II, Bd. 4/1 (wie Anm. 42), , S. 311 (Danzig); und Bd. 6/2, S. 1194 (Riga), S. 1183 (Reval).

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worden ist. Im frühen und hohen Mittelalter, dann im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit änderten sich Gesellschaft und Staat, Wirtschaft und Technik, auch das Denken und die Handhabung von Zahl, Maß und Gewicht, von Geld und Münzen und damit die Währungsordnung44. Die Vorgeschichte des Lüneburger Prälatenkrieges und das urkundlich überlieferte spannungsreiche Bemühen um Solerechte und Salzerträge reichen zurück bis in die Epoche der Stadtwerdung Lüneburgs im frühen 13. Jahrhundert. Sie erfassen die Commercial Revolution, die hochmittelalterliche Entfaltung der Geldwirtschaft, die Entwicklung von Eigentum, Besitz und Siederechten an der Saline, von Bürgertum, Rat und Stadt zur Hansezeit – und führen uns zu einem wahren ‚Kampf um Kulturen‘ in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Eine ältere materielle, statische Kultur der Zahlen wurde durch eine jüngere geistige, dynamische Kultur der systemisch ordnenden Begriffe zuerst ergänzt und modifiziert, vergleichsweise schnell seit dem 11.–13. Jahrhundert überlagert, dann seit dem 15./16. Jahrhundert dominiert. Was konstruiert und sehr theoretisch zu sein scheint, lässt sich historisch plausibel aus den Quellen belegen und weiter unten am Beispiel der Saline und der Salzeinkünfte verdeutlichen. Wir verdanken Fritz Curschmann den Hinweis, dass bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts fames der feststehende Begriff für die ‚Hungersnot‘ gewesen ist. Dann erst wurde er von caristia abgelöst, einem ursprünglich milderen Wort, das „eben nicht Hungersnot, sondern Teuerung“ bedeutete, aber auch die Hungersnot umfassen konnte. “Es setzt also schon entwickeltere Verhältnisse voraus, wie das ja auch sein Auftreten in den späteren Jahrhunderten beweist“45. In diesem Kontext bestätigt Rainer Albertz, dass Martin Luther „mit Theurung übersetzt“, was griechisch „Hunger, Hungersnot“ meint. Mit diesem Worte werde „in der Septuaginta generell [...] (ra’ab) wiedergegeben [...], das den gleichen Bedeutungsinhalt hat. […. Erst] in der Revision des Alten Testamentes von 1964 wurde ‚Teuerung‘ generell durch ‚Hungersnot‘ ersetzt“, schließlich auch in der 1984 revidierten Fassung des Neuen Testamentes46. 44 Zum Wandel, auch im Folgenden, siehe die einführenden Überlegungen weiter oben und die Anmerkungen 4–6; s.a.: Witthöft, Harald, Die Münzordnungen und das Grundgewicht im Deutschen Reich vom 16. Jahrhundert bis 1871/72, in: Geld und Währung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, hrg. v. Schremmer, Eckart (VSWG-Beiheft, 106), Stuttgart 1993, S. 45–68; Witthöft, Währung (wie Anm. 5), S. 19–52. 45 Curschmann, Fritz, Hungersnöte im Mittelalter. Ein Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte des 8. bis 13. Jahrhunderts (Leipziger Studien, 6,1), Leipzig 1900 (ND Aalen 1970), S. 10f.; s. Witthöft, Münzfuß (wie Anm. 4), S. 131. 46 Schreiben von Rainer Albertz (Siegen, jetzt Münster) an den Verf., 1994 Dezember 20.

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Es ist ebenso überraschend wie erhellend, dass auf der Ebstorfer Weltkarte der Zeit um 1235 neben Lüneburg und dem Fluss Ilmenau auch bereits die Saline erscheint. Räumlich abgesetzt liegt zwischen dem Ilmenowe fl. und der Burg mit Bauten der Stadt ein fons saline neben einer quadratischen, mauerartigen Struktur, die ein E-förmiges Konstrukt umschließt. Diese Bauteile symbolisieren denkbarerweise einen Brunnen und/oder eine Siedehütte mit drei nebeneinanderliegenden Pfannen, wie sie bis ins frühe 13. Jahrhundert gebräuchlich waren47. Die Weltkarte ist das erste Beispiel einer mappa mundi, die nicht nur biblische Szenen und gelehrtes antikes Wissen spiegelt, sondern auch die reale Existenz eines norddeutschen Industriebetriebes belegt. Sie ist der sichtbare Beweis für eine neue Mentalität, eine sich ändernde Kultur dieser Epoche. Die elementare Spannung zwischen dem statischen Gelddenken des frühen Mittelalters und dem in der Währungspraxis seit dem Hochmittelalter seine eigene Sprache und Rechtsform gewinnenden Umgang mit dynamischen Kursen von Silber und Gold und ihren Münzen verschiedenster Prägung dauerte bis in die Neuzeit an. Die Auseinandersetzungen um ‚gutes‘ Geld und rationale Grundsätze des Wirtschaftens in den sächsischen Münzschriften dokumentieren beispielhaft die Realität verschiedener Glaubens- und Handlungswelten im frühen 16. Jahrhundert48. Und noch 1615 und 1616 verfasste Johannes Kepler zwei unterschiedliche Bücher für und über die Fassmessung. In seiner lateinischen Stereometria hat er die Verlässlichkeit der österreichischen Visierkunst mit Geometrischen Demonstrationibus nach art der kunst erwisen. In seiner Uralten Messe Kunst Archimedis hat er sodann dem deutschen Leser die summen aber eines jeden postens/ und was sonsten nutzliches oder notwendiges dabey zu mercken vor Augen geführt. Kepler schrieb zwei Bücher für zwei immer noch getrennte Kulturen: die artes liberales und die artes mechanicae, für Leser verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Im Lesen geübt mussten beide sein. Der Trennstrich verlief zwischen ‚Kunst/Wissenschaft‘ und ‚Handwerk/Gewerbe‘, zwischen geistiger und materieller Kultur49. Die Gewichte in der Spannung zwischen beiden Kulturen verlagerten sich in entscheidender Weise im weiteren Verlaufe des 17. Jahrhunderts. Der Wandel wird 47 Witthöft, Saline Lüneburg (wie Anm. 1), S. 41; Witthöft, Perception and Numeric Order (wie Anm. 35), S. 55f. 48 Witthöft, Währung (wie Anm. 5), S. 26–31, 38–52. 49 Witthöft, Harald, Johannes Kepler über Messen und Wiegen – metrologische Aspekte einer geistigen und materiellen Kultur in Zeiten des Wandels (1605–1627), in: Struktur und Dimension. Festschrift für Karl Heinrich Kaufhold, hrg. v. Gerhard, Hans-Jürgen (VSWG-Beiheft, 132/1), Stuttgart 1997, S. 111–137, hier: S. 116, 121.

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an zwei historischen Entwicklungen exemplarisch deutlich – am Merkantilismus der europäischen Staaten zum einen und am Entstehen von Akademien der Wissenschaften seit Gründung der Royal Society in London (1662) zum anderen.

IV. Monetarisierung und kultureller Wandel Elemente der Geldwirtschaft und frühe Statistik Nicht zuletzt die „Monetarisierung der Wirtschaft und Gesellschaft“ hat seit dem 12./13. Jahrhundert in Lüneburg deutliche Spuren eines Wandels hinterlassen – in einer Epoche des geradezu revolutionären Anstiegs der Produktion der Saline und der Verstetigung ihrer in wesentlichen Teilen älteren funktionalen, numerischen Ordnung50. Die buchstäblichen Kämpfe zwischen den Sülzbegüterten und den Sülfmeistern bzw. der Stadt Lüneburg um geldwerte Stiege-Erträge und Sülzlasten im 14./15. Jahrhundert haben dazu einen seltenen Reichtum an Dokumenten und früher statistischer Überlieferung hervorgebracht. Nicht nur verknüpfbare einzelne, sondern originär serielle Daten zur Geschichte der Saline kommen ans Licht. Neben einer Aufstellung der Flutenzahlen für die Jahre 1277–1380, die aus dem Jahre 1454 überliefert ist, haben sich für dieselben Jahre auch die Preise des Prälatenchores, dazu für 1348–1445 die Preise der Vorbate und seit 1350 auch die Preise für die Böninge erhalten51. Mit dem Einsetzen der Überlieferung von Pachtleistungen im 13. Jahrhundert war es vermutlich Brauch, den Praelaten und Aygenthumbs Herrn denen die Pfannen zu gehören den halben Theill des in Salz gemessenen Ertrages zu geben. Neben dem später sog. ‚Prälatengut‘ hatten die Pfannen Abgaben an Naturalien und Geld zu tragen. Diese scheinen „zu einer dinglichen Last für Haus und Pfanne geworden zu sein“, sind als Freundschaft erst nach 1370 mit Sicherheit nachzuweisen, jedoch schon in den seit 1300 vorkommenden Begriffen wie fructus oder proventus zu vermuten. Zenker sieht in ihnen schließlich ein weiteres Aufgeld zur Sicherung der Siedegerechtigkeit52.

50 Zur geldgeschichtlichen Bedeutung dieser Epoche: North, Michael, Das Geld und seine Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 1994, S. 14f. 51 Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 77f. 52 Hier und im Folgenden: Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 73–75.

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Bereits im Jahre 1205 taucht neben der Pacht auch eine vorhure auf, die Zenker als „Vermietung“ und Gebhardi als „Verheurung“ verstehen. Um 1250 ist sie eindeutig eine Summe Geldes. Dieser Begriff verschwindet, als sich nach 1273 schließlich die vorbate, das ‚Vorgebot‘ als Bezeichnung durchsetzte. Sie dürften dasselbe gemeint haben: eine jedes Jahr neu zu vereinbarende, zusätzliche Zahlung, die den Rechtstitel für die Besiedung wahrte. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts nahmen der Rat und die Pfannenherren je eine Hälfte in Anspruch. Wichtig ist, dass diese Geldleistungen den Eigentümern der Pfannen auch dann noch zustanden, wenn sie den eigentlichen Pachtertrag, das Wispel- oder Prälatengut bereits veräußert hatten. Das Recht der Verpachtung und damit der Anspruch auf Freundschaft und Vorbate verbanden sich mit der herschop, der Herrschaft. Dieses auch dominium genannte Recht wurde daraufhin realiter ebenso teilbar und verkäuflich wie die Renten aus dem Prälatengut. Die Erträge aus letzteren Rechtstiteln lassen sich im Gegensatz zum Prälatenoder Flutgut bzw. der Flutgutrente zusammenfassen unter den Begriffen Pfannengut bzw. Pfannenrente. Dieser Unterscheidung entsprechen die juristischen Definitionen des dominium utile bzw. des dominium directum – von Besitz und Eigentum. Bachmann hat den Kapitalwert der Flutgutrenten und der Pfannenrenten (Pfannenherrschaft) verglichen, und er meint, dass erstere in den Jahren 1260– 1346 etwa 93,00 % des Gesamtwertes ausgemacht haben, 1347–1370 jedoch nur noch 67,72 %. Dagegen sei der Wert der letzteren in den gleichen Zeiträumen von 4,96 % auf 26,06 % gestiegen. Lüneburger Bürger hielten um 1370 nur 14 % aller Flutgutrenten, jedoch etwa 50 % aller Pfannenherrschaften, die zugleich das Siederecht sichern halfen53. Charakteristische Zahlen für einen sozio-ökonomischen Wandel in jenen Jahrzehnten. Während das Flut- oder Wispelgut nach 1300 mit 15 bzw. 16 Chor je Haus konstant war, blieben die Sonderleistungen variabel. Sie überliefern die veränderbaren und steigenden Belastungen der Pfannen: „bei Schwankungen in der Pachthöhe steigen oder fallen Vorbathe und Freundschaft“. Der Preis der Vorbate erreichte im Jahre 1348 bei 14 Fluten 43 Mark. Der höchste Preis wurde 1442 mit 190 Mark bei 13 Fluten gezahlt, 1500 bis 1550 lag er zwischen 80 und 108 Mark. Um 1500 berechnete man die Freundschaft „auf durchschnittlich 60 Mark ohne 53 Bachmann, Karl, Die Rentner der Lüneburger Saline (1200–1370) (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung, 21), Göttingen 1983, S. 64–66, 217f., 226– 241; s. Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 71. – Zur Berechnung des Kapitalwertes von Sülzgut zuerst: Zenker, volkswirtschaftliche Bedeutung (wie Anm. 12), S. 43ff. (mit fehlerhaftem Scheffelgewicht, s.o. Anm.30).

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Geschenk“, 1565 belief sie sich auf 150 Mark und „unter Sülfmeistern auf mehr“. Auch immaterielle Ansprüche, die sich aus der Herrschaft ergaben, waren Geld wert und handelbar. Im Beispiel der Lüneburger Saline haben wir ein gut dokumentiertes Forschungsfeld zur frühen deutschen Wirtschafts- und Währungsgeschichte vor uns. Es zeichnen sich ökonomische Konturen und Strukturen einer materiellen Kultur in fränkischer und deutscher Zeit zwischen dem 9./10. und 13./14. Jahrhundert ab, die die volkswirtschaftliche Dogmatik bis heute kaum wahrnimmt54. Mit fortschreitender Monetarisierung stoßen wir auf die analytische Begrifflichkeit einer sich des Wert- und Kursdenkens im Wirtschaften und Geldgebrauch zunehmend bewusst werdenden dynamischen geistigen Kultur. Der ‚Kampf um die Stiegen‘ an Sole der Lüneburger Saline im 14./15. Jahrhunderte begleitete die sich entfaltende ‚Wirtschaft des Marktes‘.

Fluten, Extra-Stiegen und Geldwirtschaft Gebhardi sagte vom Öseammer, dieser halte Nebenbestimmungen durch Zeit und Ort55. Eine solche war die Jahreseinteilung nach ‚Fluten‘, d. h. einem bestimmten Rhythmus, nach dem die einer Pfanne oder einem Hause zustehende Sole gegossen wurde. Im Jahre 1205 taucht dieser Begriff erstmals in einer Urkunde auf; 1228 legte der Herzog den Beginn eines jeden Siedejahres auf den 2. Februar fest. Die jährlichen Schwankungen der Fluten (à vier Gaten) überliefert uns die Aufstellung für die Jahre 1277–138056. An der Höhe der Chorzahl je Haus und Flut, die der Pacht einer Pfanne zugrunde lag, hatte sich seit 1300 nichts mehr geändert. Die Rentenbesitzer erhielten folglich z. B. für die 13 Fluten des Jahres 1378 einen geringeren Salzanteil, als wenn weiterhin 16 oder 17 Fluten gegossen worden wären. Für die Stiegen war jedoch seither mehr (Gieß-)Zeit vorhanden. Variabel blieb in jedem Falle der Geldwert des Salzes. Zur Erläuterung: In jeder einzelnen Flut wurden die Gaten der Prälatensole zuerst gegossen. Mengen, die über die Pflichtsole hinaus verarbeitet werden konnten, 54 Als thematisch relevant sei als Beispiel genannt: Binswanger, Hans Christoph, Geld und Natur. Das wirtschaftliche Wachstum im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie, Stuttgart/Wien 1991, S. 113–127 („Von der Versorgungswirtschaft zur Erwerbswirtschaft – Von Walras zurück zu Aristoteles“). 55 Gebhardi, Collectanea, Bd. 10 (wie Anm. 20), S. 297. 56 Hier und im Folgenden: Witthöft, Lüneburger Saline (wie Anm.1), S. 77–79.

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mussten von den Sülfmeistern bezahlt werden. Diese Kauf- oder Oversole erwarb man am Sod in Stiegen. Das Geld für die Kaufstiegen floss seit 1228 dem Rate zu. Den Kaufpreis der sogenannten Pflichtstiegen, deren Abnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt verbindlich gemacht worden war, erhielten Privatpersonen, denen diese Einnahme aus besonderem Anlass geschenkt worden war. Wie man die Statistik auch wendet, sie belegt, dass die Flutenzahlen seit 1281– 90 abgesunken waren. Der Rückgang ist fraglos eine Folge bedachter Salinenpolitik von Sülfmeistern und Rat gewesen. Auslösend war die säkulare Tendenz eines nicht weniger interessegeleiteten Wandels im Gefüge der Pacht- und Abgabenleistungen, infolge dessen sich das Mengenverhältnis von Gate- und Stiegesole im Siedejahr zugunsten der letzteren änderte. Sülfmeister und Stadt verstanden es offenbar, auf die geldwirtschaftlich nutzbare, funktionale Struktur der Saline zu ihrem eigenen Besten politischen Einfluss zu nehmen. Eine Steigerung der Pacht aus dem Flutgut brachte ihnen nichts oder nur wenig, eine Zunahme der Stiegen hingegen versprach erhebliche Einnahmen. Hier liegt m.E. der tiefere Grund für die Verschiebung im Verhältnis von Fluten und Stiegen. Diese finanziellen Erträge hatte offenbar Bürgermeister Hinrik Lange im Jahre 1461 vor Augen, als er riet, man solle sich mit den Stiege-Geldern aus dem überreichen Solefluss die Herren und Fürsten, Ritter und Knappen im Umlande zu Freunden machen – um der Sülze willen. Es sei daran erinnert, dass Lüneburg 1407 ein erstes herzogliches Durchfuhrverbot für fremdes Salz erlangte – eine Reaktion auf die zunehmende Konkurrenz u. a. des Baiesalzes. 1417 ließ die Stadt das herzogliche Privileg durch eine kaiserliche Bestätigung stützen und brachte 1441 auch Brandenburg dazu, die Durchfuhr für nichtlüneburgisches Salz zu sperren. Es lag auf der Linie dieser Politik, blieb aber eine wirkungslose Episode, dass Christian I. von Dänemark 1470 den Holländern untersagte, „mit Baiesalz durch den Sund zu fahren“. Die Stadt hat seit dem 15. und bis ins späte 17. Jahrhundert zugleich alles darangesetzt, die Lüneburger Tonne als Markenzeichen ihres Salzes auf den Märkten zwischen der Grafschaft Ostfriesland und dem Herzogtum Preußen vor Missbrauch zu schützen57. Eine erfolgreiche, aber kostspielige Politik.

57 Witthöft, Umrisse (wie Anm. 3), S. 261ff.

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V. Saline und Stadt – Wirtschafts- und Kulturgeschichte Die ‚Wiederherstellung der Lesbarkeit‘ der Überlieferung zum Umgang mit Zahl und Zeit, Maß und Gewicht erschließt in Lüneburg einen Zugang zu der numerischen Grundordnung und den funktionalen Strukturen der Saline zwischen dem 12. und 18./19. Jahrhundert – Dokumente einer im Kern grünen, nachhaltigen Geschichte. Die Bedeutung der Sülze für Lüneburg und die Hanse ist evident; ihre Entwicklung erhält ungewohnte, exemplarische Konturen. Dokumente, Akten, Manuskripte und Literatur zusammen mit Bild- und Sachüberlieferungen aus Archiv, Bibliothek und Museen der Stadt tragen dazu bei, ausgewählte Felder wissenschaftlichen Arbeitens für die Wirtschafts- und Währungsgeschichte des mittelalterlichen Nordeuropa im allgemeinen und die historische Metrologie im besonderen neu abzustecken und der Forschung methodisch variabel zu öffnen58. Die Saline Lüneburg im Holzschnitt der Kosmographie Münsters (1550/88) führt uns in aller Deutlichkeit die Kontinuität im Wandel der Kultur seit der Erwähnung des fons saline auf der Ebstorfer Weltkarte (um 1235) vor Augen. Sowohl im 13. als auch im 16. Jahrhundert erkennen wir in den Abbildungen eine Reduktion auf markante funktionale und numerische Strukturen einer Industrie in Zeiten der Veränderung59: – Um 1235 eine Dreizahl der Pfannen (3 Füllungen = 1 Öseammer?) im Grundriss eines Siedehauses (des Sodes?) – aus unmittelbarer Kenntnis eines über Sülzgüter verfügenden Benediktiner-Klosters in der Nachbarschaft Lüneburgs.

58 Mit der ‚Wiederherstellung der Lesbarkeit‘ nehme ich eine Formulierung auf, mit der August Böckh (Metrologische Untersuchungen über Gewichte, Münzfüße und Maße des Alterthums in ihrem Zusammenhange, Berlin 1838, (Karlsruhe 1978), S. 3) in seine grundlegende Arbeit einführt: „Seit der Wiederherstellung der Wissenschaften, von Hermolaus Barbarus und Angelus Politianus an, hat eine fast unglaubliche Zahl Gelehrter sich der Untersuchung der Gegenstände gewidmet, mit welchen ich hier mich beschäftige“; er spricht von den Anfängen der „Metrologie“ als „Wissenschaft“ um 1500, mit der das moderne, rationale Erschließen der numerischen Texte/Passagen der antiken Literatur einsetzte. – Zu diesem Kreis früher humanistischer Autoren zählte auch Agricola, der 1549/1550 über Die Wiederfeststellung der Gewichte und Maße (De restituendis ponderis atque mensuris liber unus) schrieb und damit vor allem Maß und Gewicht in den medizinischen Schriften der griechisch-römischen Antike meinte (Witthöft, Harald, Georg Agricola (1494–1555) über Maß und Gewicht – in der Antike und in seiner Zeit, in: Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins. Jahrbuch 75 (= NF 14 (2005)), S. 96–113, hier: S. 97f.). 59 Witthöft, Saline Lüneburg (wie Anm. 1), S. 41, 105–108, 145; Tafeln 2 u. 9.

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– Um 1550/88 die Skizzierung funktionaler Elemente der um ein Mehrfaches gestiegenen Produktion: Brunnen, Förderung der Sole im Öseammer und ihre Verteilung an die Siedehäuser – zu einer Zeit als 1569 am Sod, nach Einbau einer Pumpe, der (neue) Kumm als Maß der Zuteilung an die Stelle des (uralten) Öseammers gesetzt wurde.

Städtische Wirtschaft im Längsschnitt – oder warum die mittelalterliche Stadt weiterhin Modellcharakter besitzt1 von Carl-Hans Hauptmeyer

I. Das Handelsblatt berichtete am 1. Dezember 20102 über „Die neuen Megastädte“ und nannte sie „Orte der Hoffnung“. Diese lägen zumeist in so genannten Schwellenländern und machten „den traditionellen Metropolen in Europa und Nordamerika die Führungsrolle streitig“. Diese Entwicklung werde am besten gemessen „anhand des Wachstums der erwirtschafteten Einkommen und der Zunahme der Beschäftigung“. Im Hintergrund des Berichts steht eine – von vier im Bereich der Ökonomie tätigen Forschungsinstitutionen verfasste – Studie „Global Metro Monitor“3. Dieses in der Geschichtswissenschaft nur gar zu gut bekannte Kommen und Gehen von (ökonomischen) Machtpositionen ist, ausgehend vom europäischen Mittelalter, jüngst einmal mehr von Hans-Heinrich Nolte4 als Zusammenfassung seiner langjährigen Forschungen für das europäische Weltsystem der Neuzeit for-

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Kaum, dass ich Mitte der 1970er Jahre meine stadtgeschichtliche Dissertation abgeschlossen hatte, lernte ich Franz Irsigler anlässlich einer internationalen Tagung über italienische und deutsche Städte kennen und habe seither mit großem Gewinn, nicht zuletzt, seine stadthistorischen Publikationen gelesen. Hiervon angeregt wage ich, als Dank, einen essayistischen Längsschnittbeitrag vorzulegen. Handelsblatt, Mittwoch, 1. Dezember 2010, Nr. 233, S. 14 f. Volltext aus dem Dezember 2010 unter: http://www.brookings.edu/~/media/Files/rc/reports/2010/1130_global_metro_monitor/1130_global_metro_monitor.pdf. Nolte, Hans-Heinrich, Der Atlantik. Jugendzimmer des Weltsystems, in: Atlantik. Sozialund Kulturgeschichte zwischen Europa, Afrika und den Amerikas in der Neuzeit, hrg. v. Schmieder, Ulrike / Nolte, Hans-Heinrich, Wien 2010, S. 13–28 (mit ausführlicher weiterführender Literaturliste).

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muliert worden. Ulrich Menzel5 liefert aktuell in diesem Sinne ein Modell der Abfolge von Imperien und Hegemonien seit der Antike. In beiden Fällen werden zwar auch die Bedeutungen von Staaten als Imperien gebührend berücksichtigt, doch beginnend mit der spätmittelalterlichen Hegemonie Genuas vom westlichen Mittelmeer bis zur Krim und der Hegemonie der Hanse vom Ärmelkanal bis zur östlichen Ostsee spielen die Städte eine zentrale Rolle, selbst wenn für das ausgehende Mittelalter und die Frühe Neuzeit von Staaten gesprochen wird: Portugal, das sind in diesem Sinne die portugiesischen Handelsstädte, ebenso wie es für den Fall der Niederlande für die dortigen Städte, voran Amsterdam, gilt und für das Beispiel England es sich geradezu auf London konzentriert. Der Staat ist dann primär Sachwalter der städtischen Handelsinteressen. Ähnliches kann für die Industrialisierungsphase mit ihrer vehementen Urbanisierung und der Herausbildung von städtischen Agglomerationen festgestellt werden, wenn die Staaten den Ordnungsrahmen für die Industrialisierung und den Handel mit Industrieprodukten (Handelsrecht, Schutzzölle, Freihandelsabkommen) schufen. Wird die Geschichte des heutigen Handels und der Gewerbe untersucht, so ist der Verweis auf die besondere Bedeutung der europäischen Stadt des Mittelalters die Zentralaussage. Wesentliche Spezifika waren bereits in ihr verwirklicht wie die relative Autonomie des Gemeinwesens, die Möglichkeit der Eigentumsbildung, die persönliche Freiheit und die korporative Verbindung der Akteure, die Herausbildung differenzierter Ware-Geldbeziehungen mit vielfältigen Finanzierungs- und Verrechnungsformen, die Akzeptanz eines Gewinnstrebens, wenigstens partielle Reinvestition der erzielten Gewinne in Produktion und Handel, die Ansätze zu einem überregionalen Handelsrecht, die Steuerung kontinentaler Handelsströme oder die internationale Verknüpfung der Hauptzentren von Handel- und Gewerbe. Bereits Max Weber hatte die diesbezügliche Modernität der okzidentalen Stadt grundsätzlich gewürdigt6. Hat aber die mittelalterliche europäische Stadt über ihre Funktion als „Wurzel“ moderner Ökonomie weiterhin Modellcharakter für aktuelle Stadtprobleme?

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6

Menzel, Ulrich, Die Hierarchie der Staatenwelt. Historisch-komparative Untersuchungen zu einer Theorie der internationalen Ordnung, in: Zeitschrift für Weltgeschichte 11/2 (2010), S. 161–191, insbesondere Abb. 4, S. 166. Grundlegend hierzu weiterhin: Die okzidentale Stadt nach Max Weber. Zum Problem der Zugehörigkeit in Antike und Mittelalter, hrg. v. Meier, Christian (Historische Zeitschrift, Beihefte, N.F.17), München 1994.

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II. Irsigler fasste zusammen7:„Stadt ist eine vom Dorf und nichtagrarischen Einzwecksiedlungen unterschiedene Siedlung relativer Größe mit verdichteter, gegliederter Bebauung, beruflich spezialisierter und sozial geschichteter Bevölkerung, Selbstverwaltungsorganen, einer auf Gemeindestrukturen aufbauenden, freie Lebens- und Arbeitsformen sichernden Rechtsordnung sowie zentralen Funktionen politischherrschaftlich-militärischer, wirtschaftlicher und kultisch-kultureller Art für eine bestimmte Region oder regionale Bevölkerung. Erscheinungsbild, innere Struktur sowie Zahl und Art der Funktionen sind nach Raum und Zeit verschieden. Die jeweilige Kombination bestimmt einmal die Individualität der Stadt, zum anderen ermöglichen typische Kombinationen die Bildung von temporären und regionalen Typen oder Leitformen, je nach den vorherrschenden Kriterien.“ In Schüben nahm die Verstädterung der Welt seit dem Übergang menschlicher Gesellschaften zum Ackerbau zu8. Fünf Phasen der Stadtentwicklung zeichnen sich ab. Die erste begann offenbar im 9./8. Jahrtausend v. Chr. in Palästina (Jericho). Seit dem 5. Jahrtausend v. Chr. sind städtische Zentren nachweisbar in den Tälern von Nil (z. B. Theben), Indus (Harappakultur), Euphrat und Tigris (z. B. Uruk) und Jangtsekiang. Im europanahen Raum konzentrierten sich städtische Siedlungen auf den „fruchtbaren Halbmond“ zwischen Nil und dem Golf von Arabien. Voraussetzung hierzu war die so genannte neolithische Revolution, also der Übergang der Menschen zur Landwirtschaft. Diese ermöglichte die Kultivierung von Wildgetreide, die Domestikation von Wildtieren wie Schaf, Ziege, Schwein und Esel und die Verbindung von Viehzucht mit Ackerbau. Auf diese Weise waren wesentlich mehr 7

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Irsigler, Franz, Was machte eine mittelalterliche Siedlung zur Stadt? in: Universität des Saarlandes, Universitätsreden 51, Saarbrücken 2003, S. 17–44, hier S. 44; ders., Die Stadt im Mittelalter, in: Goslar und die Stadtgeschichte. Forschungen und Perspektiven 1399 – 1999, hrg. v. Hauptmeyer, Carl-Hans / Rund, Jürgen (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar: Goslarer Fundus, 48), Bielefeld 2001, S. 57–74, hier S. 63; basierend auf dem Beitrag Irsiglers zur Stadtgeschichte: ders, Stichwort Stadt, in: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 22, hrg. v. Drosdowski, Günther u. a., Mannheim/Wien/Zürich 19789, S. 412; ders., Überlegungen zur Konstruktion und Interpretation mittelalterlicher Stadttypen, in: Vielerlei Städte. Der Stadtbegriff, hrg. v. Johanek, Peter / Post, Franz-Joseph (Städteforschung: Reihe A, 61), Köln/Weimar/Wien 2004, S. 107–119. Heigl, Franz, Die Geschichte der Stadt von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Graz 2008; Lichtenberger, Elisabeth, Die Stadt. Von der Polis zur Metropolis, Darmstadt 2002; Mumford, Lewis, Die Stadt. Geschichte und Ausblick, 2 Bde, München 19802.

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Menschen an einem Ort ernährbar als zuvor in älteren Jäger- und Sammler- oder Nomadengesellschaften. Zu Beginn der Neusteinzeit wurde das Klima trockener: Die dünne Besiedlung zwischen Nil und Golf von Arabien konzentrierte sich nun mehr auf die großen Flusstäler und hier insbesondere auf die oasenähnlichen Bereiche, in denen dank guter Böden und hoher Feuchte ertragreiche Agrarwirtschaften möglich wurden. Entscheidend für eine erste Verstädterung war die Erwirtschaftung von landwirtschaftlichen Überschüssen. Dadurch konnte eine „arbeitsteilige“ Gesellschaft entstehen. Allen diesen frühen städtischen Siedlungen war eigen, dass Kult und Herrschaft eine Einheit bildeten und sie auf diese Weise sehr große bauliche Leistungen hervorbrachten. Eine Staatsreligion begründete und unterstützte die jeweilige Herrschaft, wie z. B. diejenige der Pharaonen in Ägypten. Staat und Stadt hingen unmittelbar zusammen. Gesichert wurde die Herrschaft durch eine klare Abgrenzung der sozialen Gruppen voneinander: Herrscher, Priester, Krieger, Beamte, Handwerker, Händler, Bauern, Sklaven. In Europa ist eine städtische Siedlungsweise erst ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum nachweisbar: zunächst Knossos auf Kreta, später die Städte auf dem kleinasiatischen und griechischen Festland9. Mit der griechischen Polis begann die für Europa relevante zweite Phase der Stadtentwicklung. Die Polis war ein Stadtstaat, bestehend aus einer städtischen Siedlung und dem sich anschließenden Gemeindeland. Die griechischen Stadtstaaten standen zunächst unter der Herrschaft eines Königs. Die Besonderheit Griechenlands ist die Entmachtung der Könige durch den Adel, also die Etablierung einer Aristokratie. Daneben konnte die Oligarchie treten und schließlich die Demokratie, also die Herrschaft des Volkes mit der Verleihung der Bürgerrechte an eine immer breitere Schicht der Polisangehörigen. Mit der Abwendung vom Gottkönigtum und dem Mitwirken von Bürgern an der Herrschaft bekam die griechische Polis Vorreiterfunktion für die europäische Stadt. Hinzuweisen ist hier vor allem auf Athen, und speziell auf die Verfassungsänderungen der Zeit zwischen 700 und 500 v. Chr. Auch im mittelitalienischen Rom wurde das Königtum abgeschafft. Die von gentilizischen und Klientelverbänden geprägte dortige Republik bestand bis zur Zeitenwende. Die Ausdehnung des römischen Herrschaftsbereiches in Mittelitalien und die Unterwerfung Gesamtitaliens bis um 300 v. Chr. erfolgte nach dem Prinzip: Eine Stadt herrscht über das Umland. Durch die Römer gelangte das Städtewesen im ersten Jahrhundert n. Chr. bis nach Mitteleuropa an den Rhein. Die 9

Ameling, Walter, Antike Metropolen (Damals, Sonderband 2006), Darmstadt 2006; Kolb, Frank, Die Stadt im Altertum. München 1984 (Düsseldorf, 2005).

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antiken griechischen und römischen Städte vereinten die Vielfalt des öffentlichen Lebens, sie waren politische, kulturelle und wirtschaftliche, durchaus auch landwirtschaftliche Zentren. Der Zerfall des weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert n. Chr. stürzte ebenfalls eine große Zahl von Städten im Westen in eine anhaltende Krise. Zwar bestanden viele Städte fort, doch oftmals reagrarisiert und mit deutlich verringerter Bewohnerzahl. Kontinuitätselement für Römerstädte waren im Regelfall kirchliche Einrichtungen (z. B. Bischofssitz). Diese boten Kristallisationspunkte für Märkte und Handel10. Das mittelalterliche Städtewesen Europas, als dritte Phase der Stadtgeschichte bis in die Neuzeit hineinwirkend, zeigt deutliche Unterschiede zu demjenigen der Antike und hat wenig gemein mit demjenigen der frühstädtischen Zeit und, allein wegen des geringen räumlichen Bezugs, mit demjenigen Chinas, Indiens und ohnehin nicht Mittel- und Südamerikas. Da die europäische Stadt des Mittelalters und der frühen Neuzeit im Zentrum dieses Beitrages steht, sei auf sie gesondert im nächsten Abschnitt eingegangen. Für die vierte Phase der Stadtentwicklung im 19. und frühen 20. Jahrhundert werden oftmals die Begriffe Industrialisierung und Urbanisierung parallel verwendet11. Gemeint ist damit ein das antike oder mittelalterlich-frühneuzeitliche Maß weit übertreffender Grad der Verstädterung, und zwar extensiv (Flächenbedarf ) und intensiv (Funktionskonzentration auf engstem Raum). Während der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert wuchs die Menschenzahl in und um Industriezentren rasch. England führte dies exemplarisch vor, wenngleich die Industrialisierung regional unterschiedlich verlief und nur in ihren Leitbedingungen ähnlich war: der Einsatz von expansivem Kapital, die Nutzung fossiler Energien (insbesondere für Maschinen), die Ausbeutung von Rohstoffen (zunächst vor allem Kohle und Eisen), Fabrikproduktion und der langfristig riesige Arbeitskräftebedarf (Wanderungsbewegungen, Proletarisierung). Das Ruhrgebiet ist für Deutschland eines dieser Beispiele12. Aus einer historisch durchschnittlichen Ost-West-Verkehrsdurchgangslandschaft des Mittelalters mit wenigen wichtigen Orten (Frauenkloster Essen, Reichsstadt Dortmund, Amtsstadt Bochum) wurde durch die Nutzbarma10 Zur Entstehung und Entwicklung der mittelalterlichen Stadt – trotz vieler neuerer Überblicke – weiterhin richtungsweisend: Ennen, Edith, Die Europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen19874. 11 Gaebe, Wolf, Urbane Räume (UTB: Geographie, 2511), Stuttgart 2004; Ziegler, Dieter, Die Industrielle Revolution (Geschichte kompakt), Darmstadt 2005. 12 Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter. Geschichte und Entwicklung, 2 Bde. hrg. v. Abelshauser, Werner / Brüggemeier, Franz-Josef / Köllmann, Wolfgang, Düsseldorf 1990.

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chung der im Untergrund vorhandenen Rohstoffe (Kohle und Eisen) innerhalb von wenigen Jahrzehnten ein industrielles Agglomerationsgebiet, in das Hunderttausende von Menschen zuwanderten. Ein geordnetes städtisches Wachstum wurde unmöglich. Das Erwirtschaften ungeheuren Reichtums und eine Massenproletarisierung geschahen auf engstem Raum nebeneinander, und Umweltprobleme in bis heute nachwirkendem, großem Ausmaß häuften sich. Neben diesen rohstoffgebundenen Urbanisierungen standen die Verdichtungen in den Metropolen der großen Staaten, wofür Berlin ein einschlägiges Beispiel ist13. Der herrschaftliche und gesellschaftliche Mittelpunkt des expandierenden Staates Preußen bot die Basis für eine immer differenziertere Industrieansiedlung um die mittelalterliche Doppelstadt Cölln-Berlin und die frühneuzeitlichen Residenzausbauten. Das Wachstum war den Planungsvarianten und den Eingemeindungsmöglichkeiten stets ein Stück voraus. Den ca. 160.000 Einwohnern zu Beginn des 19. Jahrhunderts standen über vier Millionen Einwohner auf mehr als versechsfachter Fläche Mitte der 1920er Jahre gegenüber. Als Folge der Industrialisierung und der ökonomischen Internationalisierung konzentrierte sich in einer fünften Phase14 das weltweite Bruttosozialprodukt auf immer weniger Hauptorte (Finanzagglomerationen). London, New York oder Tokio stiegen zu Weltwirtschaftszentren auf, inzwischen beerbt von Metropolen wie Shanghai in China. Daneben treten in den jüngeren Jahrzehnten immer öfter Städte, die oft nur schwache industrielle Wurzeln haben und heute durch eine zunehmende Landflucht infolge des Zusammenbruchs ganzer regionaler ländlicher Ökonomien rasant ausufern und im eigentlichen Sinn Armuts- und Notagglomerationen sind. Zukunftsprognosen gehen von einem weiteren vehementen Wachstum dieser beiden Typen von Megastädten aus. Die eingangs erwähnte jüngste Studie sieht die neuen wirtschaftlich starken Metropolen als die zukünftigen Welthauptorte – und diese dürften außerhalb Europas liegen.

13 Large, David Clay, Berlin. Biographie einer Stadt, München 2002. 14 Bronger, Dirk, Metropolen, Megastädte, Global Cities. Die Metropolisierung der Erde, Darmstadt 2004; Schwentker, Wolfgang, Megastädte im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006; vgl. auch: Stadt. Der Lebensraum der Zukunft? Gegenwärtige raumbezogene Prozesse in Verdichtungsräumen der Erde, hrg. v. Roggenthin, Heike (Mainzer Kontaktstudium Geographie, 7), Mainz 2001.

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III. Nun speziell zur mittelalterlichen Stadt15: Die aus der Spätantike herrührenden, eine eingeschränkte Kontinuität wahrenden Städte wurden im Westen und Norden Europas primär um Handelsplätze ergänzt, ohne dass vor der Jahrtausendwende ein allgemein bemerkenswerter Städteausbau begonnen hätte16. Mit dem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum des 11. bis 13. Jahrhunderts jedoch gediehen Städte aus neuen Siedlungskernen: Bischofssitze, Klöster, Burgen oder Pfalzen wuchsen zusammen mit zugehörigen Märkten, gewerblichen und agrarwirtschaftlichen Siedlungen (so genannte gewachsene Städte). Seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts wurde darüber hinaus von herrschaftlicher Seite die Möglichkeit erkannt, mit der gezielten Anlage von Städten am – bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts währenden – wirtschaftlichen Wachstum teilzuhaben und dieses lokal eigenständig zu steuern. Neben die älteren gewachsenen Städte traten in einem Prozess der Binnenkolonisation die Gründungsstädte. Beiden mussten die regionalen Herrschaftsträger zunehmende Autonomie gewähren, sollten die Orte wirtschaftlich gedeihen. Solche in West- und Mitteleuropa geübten städtischen Wachstumsformen wurden im Rahmen der Ostexpansion systematisch angewandt und bis in Gebiete des Baltikums und Osteuropas exportiert. Feudale Herrschaftsausdehnung und kommunale Eigenständigkeit stellten dabei eine durchaus konfliktreiche Einheit dar. Diese Bevölkerungsexpansion des Mittelalters bot den Menschen neue Formen der persönlichen Freiheit und der Ortsungebundenheit (Freizügigkeit), auf denen nicht zuletzt die Intensivierung der Landwirtschaft, der Gewerbe und des Handels beruhte, die wiederum die Arbeitsteilung, insbesondere zwischen Stadt und Land, ermöglichte. Zwar wurde die von Kirche und Adel geprägte feudale Ordnung in ihrer geburtsständischen Gliederung nicht aufgehoben, mit dem Städtewesen aber erheblich modifziert. Durch oft auf Autonomiekämpfe gegen den jeweiligen Stadtherrn zurückgehende Privilegienerteilungen erlangten die Städte gestufte Unabhängigkeit. Hierzu gehörten Selbstverwaltung und Selbstverteidigung, Marktrecht, Zunftwesen, persönliche Freiheit und Rechtsgleichheit der Bürger (Bürgerrecht). Nichtsdestoweniger war das europäische Städtewesen des späten Mittelalters von großer Ungleichheit gekennzeich15 Benevolo, Leonardo, Die Stadt in der europäischen Geschichte (Beck’sche Reihe, 4021), München 1999; Schmieder, Felicitas, Die mittelalterliche Stadt (Geschichte kompakt: Mittelalter), Darmstadt 2005. 16 Die Frühgeschichte der europäischen Stadt im 11. Jahrhundert, hrg. v. Jarnut, Jörg / Johanek, Peter (Städteforschung: Reihe A, 43), Köln [u. a.] 1998.

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net, und zwar innerhalb der Städte (wohlhabende Handelsbürger/Patrizier, arme Arbeiter) sowie zwischen den Städten (Welthandelsplätze, Ackerbürgerstädte). Mehr als die antike Stadt zeichnete sich die mittelalterliche Stadt Europas durch ihre Primärfunktion in Handel und Gewerbe aus. Gerade die großen, verkehrsgünstig gelegenen Städte vereinten auf einzigartige Weise Gewerbe-, Handels- und Finanzkraft. Flandrische Städte oder oberitalienische Städte und auch manche der Hansestädte entwickelten sich zu europaweit agierenden Zentren des internationalen Warenaustauschs und der Geldwirtschaft. Ihre hieraus resultierende überlegene Finanzkraft vermochten gerade die exportorientierten großen Städte für ein machtvolles Stadtregiment zu nutzen. Überdies wurden Herrschaftshäuser finanziell von ihnen abhängig. Mit der Expansion Europas in die Welt seit dem 16. Jahrhundert wurde der im Mittelalter entwickelte städtische Handelskapitalismus Motor der frühneuzeitlichen Ökonomie17. Die Hauptorte des neuen Weltsystems (Sevilla, Antwerpen, Amsterdam, London usw.) sprengten alsbald den Rahmen mittelalterlicher Dimensionen. Doch in weiten Teilen Mitteleuropas, wo an diese internationale Handelsentwicklung nicht angeknüpft werden konnte, stagnierten die Städte, und nur die vom erstarkenden frühneuzeitlichen Staat unterstützten Städte konnten, gerade nach den wirtschaftlichen Einbrüchen im Dreißigjährigen Krieg, noch mithalten. Die frühe Neuzeit ist daher eine Phase der Differenzierung in wenige große, die weltweite Wirtschaft beherrschende und viele kleine, eng in den Staat eingebundene Städte, ohne dass die oben genannten Leitprinzipien der mittelalterlichen Stadt aufgehoben worden wären18. In den Handelsmetropolen verschärften sich noch mehr als zuvor die sozialen Gegensätze zwischen frühem Proletariat und einer aus dem Handelspatriziat erwachsenden Bourgeoisie. In Frankreich zeigte sich im 17. Jahrhundert, dass eine auf den König zugespitzte Staatsorganisation (Absolutismus) mit Hilfe einer auf staatliche Autarkie ausgerichteten Wirtschaftspolitik (Merkantilismus) in die Lage versetzt werden 17 Zur Entwicklung der frühneuzeitlichen Stadt – trotz vieler neuerer Überblicke – weiterhin: De Vries, Jan, European Urbanization 1500–1800, London 1984; vgl. auch: Friedrichs, Christopher R., The early modern city. 1450–1750 (A history of urban society in Europe, 1), London/New York 1995; Rosseaux, Ulrich, Städte in der frühen Neuzeit (Geschichte kompakt), Darmstadt 2006. 18 Ich gehöre ohnehin zu denjenigen, die für die europäische Stadtgeschichte die Zeit von ca. 1250 bis ca. 1750 als Einheit sehen, in der zwischen ca. 1450 bis ca. 1550 nicht prinzipielle, sondern nur graduelle Veränderungen feststellbar sind. Vgl.: Hauptmeyer, Carl-Hans, Die Stadt in der frühen Neuzeit. Forschungstendenzen, in: Hauptmeyer / Rund, Goslar (wie Anm. 7), S. 109–122, hier: S. 120 f.

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konnte, eine gewisse wirtschaftliche Rückständigkeit aufzuholen. Dieses Prinzip der nachholenden Modernisierung und der Konkurrenzfähigkeit durch Imitation wurde auch in Teilen Mittel- und Osteuropas angewandt. Selbst wenn in diesem Prozess ländliche Räume in die gewerbliche Massenproduktion einbezogen waren (Protoindustrialisierung) und die Autonomie der Städte durch staatlichen Einfluss zurückgedrängt wurde, blieben nichtsdestoweniger weiterhin die Städte die ökonomischen Mittelpunkte, und etliche entstanden neu: beispielsweise als Bergbaustädte, Festungsstädte oder Exulantenstädte. Da Ökonomie, Macht und Repräsentation unter höheren staatlichen Einfluss gelangten, wurde von fürstlicher bzw. königlicher Seite großer Wert auf den Aus- oder Neubau der Residenzstädte gelegt. In den stärker unter staatlicher Aufsicht stehenden Städten vollzog sich am ehesten der Übergang der führenden bürgerlichen Gruppen zu einem Staatsbürgertum. Die wesentlichen Kennzeichnungsaspekte für die europäische Stadt des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit sind19: – gegenüber dem Umland abgeschirmter Sonderrechtsbezirk – rechtsgleiche Bürgerschaft – von externer Herrschaft relativ unabhängige städtische Selbstverwaltung – Gewerbe-, Handels- und Marktprivilegien – überregionale Marktverflechtung – differenzierte Stadt-Umland-Beziehungen – Einflussnahme auf überörtliche ökonomische und politische Prozesse – fallweise Urbanisierung ganzer Regionen. Die Städte des Mittelalters und der frühen Neuzeit waren im Inneren geprägt von einer hierarchischen sozialen Ordnung, in der eine Führungsgruppe dominierte, doch sie blieben nie frei von Konflikten und Revolten. Trotz aller Gegensätze wurden immer wieder Ausgleichsformen gefunden. In den Außenbeziehungen konkurrierten die Städte untereinander bis hin zum Handelskrieg, aber sie suchten zugleich immer wieder netzwerkartig Partner, da nur im seltensten Fall für eine Stadt allein Hegemonie zu erreichen war. Zugespitzt: Intern glückte den Städten auf lange Sicht ein relativer sozialer Interessenausgleich und eine optimierte Konfliktregulierung, extern gelang ihnen das Miteinander von Konkurrenz und Netzwerk.

19 Hauptmeyer, Stadt in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 18), S. 121.

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Im Einzelnen: Die Stadt als Sonderfriedensbezirk beruhte auf einem gemeinsamen Rechtsgrund, der Schwureinung20. Sie band die Menschen aneinander und verpflichtete sie zu gemeinsamen, das Gemeinwesen konstituierenden Aktionen. Ihren alltäglichen Ausdruck fanden diese in den Korporationen der Zünfte, Gilden und Ämter sowie der Quartiere und Kirchspiele21. Wenigstens über erweiterte Gremien waren diese Korporationen an der städtischen Willensbildung beteiligt. Ein mehrgliedriges Ratssystem war in der Spitze im Regelfall zwar von einem kleinen (patrizischen) Kreis dominiert, doch beruhte es nicht auf gentilizischen Prinzipien, also Konnubium oder Hinzuwahl aus stets demselben engen Kreis (Kooptation) allein22. Den Handlungsrahmen des Rates gewährleistete das Stadtrecht, gemeinhin aus Fallrecht erwachsen und stets weiter entwickelt, selbst wenn Rechtsoberhöfe ganzer Stadtrechtsfamilien die Leitlinien schufen. Daher beruhte die vom Rat bestimmte Gerichtsbarkeit auf verschriftlichtem, nachvollziehbarem Recht23. Reichte dieses nicht aus und wurden Konflikte unlösbar in einer Stadt, so schritten, angeregt durch wirtschaftliche Verbünde, territorialfürstliche Vermittlung oder direkt durch kaiserliche Subdelegationskommissionen, andere Städte ein und halfen, den Stadtfrieden wieder herzustellen24. Nach außen traten die Städte letztlich als Gesamtkorpus auf, mochten die internen Gegensätze noch so groß sein25. Dies alles zeigt, wie Städte intern mit sozialen Unterschieden und ökonomisch abweichenden Interessen umgehen konnten. Diese Form der Selbstorganisation von partikulären Gruppen und der ratsgebundenen kommunalen Herrschaftsaus20 Weiterhin gültig: Ebel, Wilhelm, Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, Weimar 1958. 21 Einungen und Bruderschaften in der spätmittelalterlichen Stadt, hrg. v. Blockmans, Wim / Johanek, Peter (Städteforschung: Reihe A, 32), Köln [u. a.] 1993; Schulz, Knut, Handwerk, Zünfte und Gewerbe. Mittelalter und Renaissance, Darmstadt 2010. 22 Poeck, Dietrich W., Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa (12.-18. Jahrhundert) (Städteforschung: Reihe A, 60), Köln [u. a.] 2003. 23 Dilcher, Gerhard, Die Rechtsgeschichte der Stadt, in: Deutsche Rechtsgeschichte. Land und Stadt, Bürger und Bauer im Alten Europa, hrg. v. Dilcher, Gerhard / Bader, Karl S. (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft: Abteilung Rechtswissenschaft), Berlin [u. a.] 1999, S. 251–824. 24 Vgl. Hauptmeyer, Carl-Hans, Verfassung und Herrschaft in Isny. Untersuchungen zur reichsstädtischen Rechts-, Verfassungs- und Sozialgeschichte, vornehmlich in der frühen Neuzeit, Diss., Hannover 1975 (Göppinger akademische Beiträge, 97), Göppingen 1976, S. 62–69. 25 Vgl. Die Befestigung der mittelalterlichen Stadt, hrg. v. Isenberg, Gabriele / Scholkmann, Barbara (Städteforschung: Reihe A, 45), Köln [u. a.] 1997.

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übung war in Konflikten mit dem Stadtherren26 sowie an Bürgerkämpfen und Bürgeroppositionen erprobt27 und in Mustern der innerstädtischen sozialen Organisation samt deren Ritualen bis hin zur Manifestation des städtischen Friedens am Schwörtag gefestigt. Dagegen standen die teils unerbittliche Konkurrenz aufstrebender sozialer Gruppen gegenüber einem in sozialer Inzucht zu erstarren drohenden Patriziat oder aber Armutsaufruhren gegen haushäbiges Bürgertum, ohne die eine soziale Mobilität und eine immer wieder neu austarierte Anpassung widersprüchlicher Interessen gar nicht hätte geschehen können. Da Städte ganz wesentlich vom Handel abhängig waren, standen sie stets in zahlreichen Außenbeziehungen. Diese halfen, politische Konflikte gegenüber Dritten in Städtebünden28 zu organisieren. Aus Kaufmannszusammenschlüssen entstandene Städtenetzwerke, voran die Hanse29, oder regionale überörtliche Handelsorganisationen, wie z. B. die Ravensburger Handelsgesellschaft30, förderten die Kooperation über das Ökonomische hinaus. Zum wechselseitigen Vorteil trafen Städte zusätzlich vielfach biund multilaterale Vereinbarungen zu Währung, Marktsicherheit, Handel (Geleit, Zoll, Stapel)31. Auf diese Weise trugen sie zur überörtlichen Rechtsnormierung bei, sofern nicht bereits Rechtsverwandtschaft mit anderen Städten durch eine gemeinsame Mutterrechtsstadt (Stadtrechtsfamilien) bestand32. Nahe lag es, dass sich Städte ohnehin in der spätmittelalterlichen Landfriedensbewegung engagierten33, nicht zuletzt, damit die Sicherheit des Handels gewährleistet blieb. 26 Vgl. Dilcher, Gerhard, Bürgerrecht und Stadtverfassung im europäischen Mittelalter, Köln [u. a.] 1996. 27 Vgl. Ehbrecht, Wilfried, Hanse und spätmittelalterliche Bürgerkämpfe in Niedersachsen und Westfalen, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 48 (1976), S. 77–105. 28 Distler, Eva-Marie, Städtebünde im deutschen Spätmittelalter. Eine rechtshistorische Untersuchung zu Begriff, Verfassung und Funktion, Diss., Frankfurt a. M. 2004/2005 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 207), Frankfurt a. M. 2006. 29 Hammel-Kiesow, Rolf, Die Hanse, München 20084. 30 Schulte, Aloys, Geschichte der großen Ravensburger Handelsgesellschaft, 3 Bde. (Deutsche Handelsakten des Mittelalters und der Neuzeit, 1–3), Stuttgart 1923 (ND Wiesbaden, 1964). 31 Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit, hrg. v. Johanek, Peter / Stoob, Heinz (Städteforschung: Reihe A, 39), Köln [u. a.] 1996. 32 Vgl. Dusil, Stephan, Die Soester Stadtrechtsfamilie. Mittelalterliche Quellen und neuzeitliche Historiographie, Diss., Frankfurt a. M. 2005/2006 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, 24), Köln [u. a.] 2007. 33 Landfrieden. Anspruch und Wirklichkeit, hrg. v. Buschmann, Arno / Wadle, Elmar (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, N.F 98), Paderborn [u. a.] 2002.

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Um Vermögen zu bewahren, wirtschaftliches Wissen im engen Kreis zu halten und sich auf hohem repräsentativen Niveau zu bewegen, heirateten führende Familien gleichwertiger Städte untereinander (überörtliches Konnubium)34. So paktierten Städte von Fall zu Fall und bildeten teils längerfristige Kooperationen aus. Diese Form der Regionalisierung und Internationalisierung war keine rein ökonomische, sondern wurde in politischer Zusammenarbeit erprobt und in sozialer Kommunikation samt deren Ritualen bis hin zu interlokalen patrizischen Heiratskreisen gefestigt. Dagegen stand die teils unerbittliche Konkurrenz, die bis zu militärischen Auseinandersetzungen reichen konnte35 und ohne die das Auf und Ab der von Städten geprägten ökonomischen Machtzentren gar nicht hätte geschehen können.

IV. In die fünf Phasen der Stadtentwicklung seit der Jungsteinzeit hat Europa mit seiner dritten Phase, seit dem Mittelalter bis zur frühen Neuzeit, die Idee der Mitbestimmung und der wirtschaftlichen Gestaltung durch Bürger eingebracht. Diese bot die Basis für Konkurrenz und Expansion, für kulturelle Kreativität und selbständige politische Willensbildung. Insofern wurde die europäische Stadt treibende Kraft für ökonomische Entwicklung, kulturelle Vielfalt und Demokratie36. Sie ist allemal signifikanter und zentraler Bestandteil europäischer Kultur mit Ausstrahlung auf die gesamte Welt. Wäre sie ggf. auch Lernort für komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge der Zukunft? Die eingangs erwähnten, immer wieder in der Fachliteratur zu findenden Argumente, was die europäische Stadt der vorindustriellen Phase in das aktuelle ökonomische Geschehen eingebracht habe, dienen eher der Historisierung heutiger Phänomene als der Überlegung für zukünftige Vorhaben: – relative Autonomie des Gemeinwesens – Möglichkeit der Eigentumsbildung – persönliche Freiheit und die korporative Verbindung der Akteure 34 Vgl. Hecht, Michael, Patriziatsbildung als kommunikativer Prozess. Die Salzstädte Lüneburg, Halle und Werl in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Diss., Münster 2008 (Städteforschung: Reihe A, 79), Köln [u. a.] 2010. 35 Vgl. Epstein, Steven A., Genoa and the Genoese 958–1528, Chapel Hill 2001. 36 Vgl. Ribhegge, Wilhelm, Stadt und Nation in Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Die Entstehung der Zivilgesellschaft aus der Tradition der Städte, Münster [u. a.] 2002.

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– Herausbildung differenzierter Ware-Geldbeziehungen mit vielfältigen Finanzierungs- und Verrechnungsformen – Akzeptanz eines Gewinnstrebens – wenigstens partielle Reinvestition der erzielten Gewinne in Produktion und Handel – die Ansätze zu einem überregionalen Handelsrecht – die Steuerung kontinentaler Handelsströme – internationale Verknüpfung der Hauptzentren von Handel- und Gewerbe. Eine solche deskriptive Erörterung von wesentlichen Elementen der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Stadt und eine Herleitung aktueller ökonomischer Usancen aus der Geschichte sind zwar nützlich, um Wesenselemente der Städte hervorzukehren, wären allerdings wohl unzureichende Antworten auf die Ausgangsfrage. Wichtiger erscheinen mir vielmehr funktionale Aussagen hinsichtlich heute positiv zu bewertender historischer Sachverhalte, verbunden mit der Überlegung, ob und wie sie in aktuelle Prozesse implantiert werden könnten. Es gibt keine erprobten Verfahren, wie Historiker Zukunftsplanungen auf Realisierungswahrscheinlichkeiten abklopfen sollten37. Mit Hilfe der kritischen Methoden der Geschichtswissenschaft können allerdings Denkangebote geliefert und Vorbilder benannt werden: z. B. Lebensformen oder erträgliche Lösungsmöglichkeiten schwieriger Situationen. Historische Erkenntnisse werden jedoch unter Reduktion der jeweiligen Systemzusammenhänge ermittelt, weil deren Fülle nicht ermittelbar ist. Hierauf beruht der oft geäußerte generelle Einwand, historische Erkenntnisse seien nicht zukunftsfähig, ihre Übertragung auf aktuelle und zukünftige Situationen sei generell unmöglich. Denn, wenn die Systemzusammenhänge eines historischen Bereiches nicht komplett zu ermitteln seien, dann wären die Systemveränderungen durch die Anwendung des Vorbildes in der Zukunft erst recht nicht vorhersehbar. 37 Vgl. Hauptmeyer, Carl-Hans, Zukunft in der Vergangenheit. Dorfgeschichte als Grundlage der Dorfentwicklung, in: Grundlagen der Dorfentwicklung, hrg. v. Hauptmeyer, CarlHans (Studienmaterialien des Deutschen Instituts für Fernstudien), Tübingen 1988, S. 11– 57; Hauptmeyer, Carl-Hans, Zukunft aus der Vergangenheit. Stadt, Region, Kultur und Landschaft aus der Sicht der Regionalgeschichte, in: Zur Zukunft des Raumes. Perspektiven für Stadt, Region, Kultur und Landschaft, hrg. v. Zibell, Barbara (Stadt und Region als Handlungsfeld, 1), Frankfurt a. M. [u. a.] 2003, S. 101–118; Hauptmeyer, Carl-Hans, Planung aus historischer Perspektive. Was trägt die Geschichtswissenschaft zur räumlichen Planung bei? in: Planungen für den Raum zwischen Integration und Fragmentierung, hg. v. Scholich, Dietmar / Müller, Peter (Stadt und Region als Handlungsfeld, 9), Frankfurt a. M. [u. a.] 2010, S. 57–68.

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Um diese prinzipiell nicht aufhebbare Kritik zu mindern und um Fehleinschätzungen zu minimieren, sind zum einen die dominanten Faktoren der alten Systemzusammenhänge so genau wie möglich zu ermitteln, zum anderen müssen diese für einen aktuellen Anwendungsfall an verschiedenen historischen Beispielen überprüft werden. Beides schließt zwar nicht unvorhersehbare Systemveränderungen bei der Anwendung aus, reduziert aber die Variantenwahrscheinlichkeit und konkretisiert sie. Des Weiteren ist ein gewichtiges Gegenargument, dass immer, wenn über die Anwendung von historischer Erfahrung in aktuellen Vorhaben debattiert wird, die Gefahr von Instrumentalisierungen der Geschichte besteht. Die fehlerhafte bis missbräuchliche Anwendung von Geschichte ist nie auszuschließen, nicht zuletzt auch, weil die Quellenlage (welche Zeugnisse sind überhaupt erhalten geblieben?) und Erkenntnisinteressen der Forschung (was soll aus der Geschichte ermittelt werden?) nur die Erfassung von Ausschnitten vergangener Wirklichkeit zulassen. Hinzu kommen auch hier die kritischen Argumente, gesellschaftliche Prozesse seien ohnehin zu komplex für Wahrscheinlichkeitsvorhersagen. Wenn aber alles Handeln historisch verankert ist, bis hin zu den Leitbildern, aus denen heraus wir aktuell agieren – wer außer historisch gut gebildeten und geschichtswissenschaftlich methodisch geschulten Personen sollte sich dann mit Planungen beschäftigen? Da der Mensch dem Menschen ein Wolf ist und nur eine Ethik, die sich in zu lebender Moral ausdrückt, ihn zum mitmenschlichen Wesen macht, werden in entmoralisierten und ethiklosen Phasen immer wieder Massenverbrechen begangen und vernichtende Kriege geführt. Insofern lernen die Menschen nicht aus Geschichte. Allerdings ist jeder Mensch einzeln lernfähig, so man ihn lässt, und lernt aus Erfahrung. Alltagshandeln wird also aus Selektion selbst gelebter Geschichte gespeist. Menschen sind, ob sie es wollen oder nicht, allemal durch Erziehung und Sozialisation, Teil eines kollektiven Gedächtnisses. Insofern wird Geschichte von ihnen, zumeist unbewusst, wie selbstverständlich angewandt. Darüber hinaus wird Geschichte inszeniert, z. B. in Museen und in Schulen, Erwachsenenbildung und Universität wird Historie angewandt, wenn aus ihr ausgewählt und sie als Geschichte gelehrt wird. Welche Anwendungsaspekte von Geschichte kann es geben? Als selbstverständlich gilt die Erfassung und Erklärung der aktuellen Situation mit historischen Methoden. Doch sodann wäre die Frage zu beantworten, ob es aus historischer Erkenntnis wahrscheinlich wäre, dass eine beabsichtigte Zukunftsentscheidung relativ erfolgreich sein dürfte? Das hieße Konzepte zu schaffen – und zwar nicht einfach aus aktuellen Entwicklungsleitlinien, die wir heute erfassen und dann linear fortschreiben. Statt nur die Kontinuität zu pflegen, sollte sich besser mit wahrscheinli-

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chen Bruchstellen beschäftigt werden. Historiker können quasi Spielmaterial (Szenarien) für die Zukunft bereitstellen. Dies wird regelmäßig bereits in einem Sachverhalt auf die Stadtgeschichte bezogen, nämlich wenn es um Denkmalpflege, Stadtsanierung und städtebauliche Ordnung geht, also um den Umgang mit historischen Sachüberresten. Dieser kann viel mit mittelalterlicher Stadtgeschichte zu tun haben, weil z. B. Leitlinien des Grundund Aufrisses alter Städte zu jener Zeit festgelegt wurden, mit historischen Gebäuden und Ensembles umzugehen ist und auch historisches städtisches Bauen partiell weiterhin Vorbildfunktion besitzt. Im Sinne ökonomischer Fragen ist das Augenmerk allerdings auf ganz andere Bereiche zu richten: Gemäß den eingangs erwähnten Verschiebungen der sich seit dem Mittelalter um Städte gruppierten ökonomischen Machtzentren und angesichts der anschließend mit der Industrialisierung einhergehenden speziellen Urbanisierung sowie schließlich der neuen Rolle von Megastädten ist eine Kontinuitätsthese hinsichtlich der mittelalterlichen Stadt wenig sinnstiftend. Die Brüche überwiegen. Unberührt von dieser Aussage bleibt, dass wesentliche Teilbereiche moderner Ökonomie in der mittelalterlichen Stadt entwickelt wurden. Unberührt davon bleibt vor allem auch, dass Strukturmerkmale der mittelalterlichen Stadt38 auf Probleme aktueller Städte und Fragen der gegenwärtigen Gesellschaften bezogen werden können, um ggf. Szenarien zu entwickeln, hier also – wie oben erläutert – der relative soziale Interessenausgleich und eine optimierte Konfliktregulierung im Innern sowie das Miteinander von Konkurrenz und Netzwerk nach außen. Dazu sind zwei Forschungsstränge aufzugreifen. Der eine ist derjenige der aktuellen Entstaatlichung, und hier liegt nahe, was Umberto Eco schon 1972 konstatierte39: Das politische Leben zerfalle in unserer Zeit in autonome Subsysteme, Macht organisiere sich außerhalb des sozialen Körpers, Privatinteressen verwalteten sich selbst. Hierauf beruhe ein zukünftiger Zustand der großen Unordnung, gleichsam ein neues Mittelalter. Insofern gewänne die Mittelalterforschung einen erneuten aktuellen Stellenwert. Damit werden wir zurückgeführt auf eine bereits im 19. Jahrhundert ausführlich geführte Debatte, den zweiten Forschungsstrang. Da dem liberalen Bürgertum der absolutistische Staat der Frühen Neuzeit nicht als Leitbild dienen konnte, wurde der Blick auf die andere wichtige Organisationsform menschlichen Zusammenlebens geworfen, auf die Stadt und – weiter noch – auf histori38 Der terminologischen Einfachheit halber ist es sinnvoll beim Begriff „mittelalterliche Stadt“ zu verharren, auch wenn die frühe Neuzeit mitgedacht werden sollte. 39 Eco, Umberto, Auf dem Weg zu einem neuen Mittelalter, in: Eco, Umberto, Über Gott und die Welt. Essays und Glossen, München 20006,S. 8–35.

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sche genossenschaftliche Zusammenschlüsse40. Im Zusammenhang mit den Bauernkriegsforschungen um das Jubiläumsjahr 1975 wurde dies aufgenommen und speziell von Peter Blickle pointiert. Er wies auf viele strukturelle Ähnlichkeiten ländlicher Gemeinden sowie der Städte in Mittelalter und Früher Neuzeit hin und formulierte plakativ „Kommunalismus versus Feudalismus“41. Das Kommunale als Eigenwert zu verstehen, das selbst interregional oder gar international Gemeinwesen an sich strukturieren helfen kann, wurde dennoch nicht gebührend berücksichtigt. Zwar ist Subsidiarität42 ein Modewort, und breit sind die Ansätze der Forschung zum Kommunitarismus43, aber beide haben in der Geschichtswissenschaft keinen kräftigen Widerhall gefunden. Dies könnte und sollte sich im Zusammenhang mit den diesem Beitrag vorangestellten aktuellen Diskussionen verändern. Es ist sehr naheliegend, die der mittelalterlichen Stadt eigenen beiden Prinzipien von Interessenausgleich und Konfliktregulierung sowie Konkurrenz und Netzwerk in einer Zeit der „Entstaatlichung“, in der unser Blick zwangsläufig wieder auf das Kommunale gelenkt wird, neu zu betrachten. Wenn die (ökonomische) Zukunft der Welt in der nächsten von uns zu übersehenden Phase von Megastädten geprägt wird, und zwar den Weltwirtschaftszentren, dann bleibt die mittelalterliche Stadt ein Vorbild für interne und internationale, gleichsam staatsfreie Regulierungsvarianten von Widersprüchen. Ebenso gilt dies wohl auch für diejenigen Megastädte, die Armuts- und Notagglomerationen sind, eignet sich doch die mittelalterliche Stadt als Vergleichsbeispiel, weil so viele der Alltagsbedingungen ähnlich sind und von unten her gelöst werden müssen.

40 Grundlegend: Gierke, Otto (von), Das deutsche Genossenschaftsrecht, 4 Bde., Berlin 1868, 1873, 1881, 1913. 41 Blickle, Peter, Deutsche Untertanen. Ein Widerspruch, München 1981. Weiterhin bin ich der Ansicht, dass eine solche Gegenüberstellung allerdings Ungleiches vergleicht, siehe: Wunder, Heide / Hauptmeyer, Carl-Hans, Zum Feudalismusbegriff in der Kommunalismusdiskussion, in: Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. Ein struktureller Vergleich, hrg. v. Blickle, Peter / Holenstein, André (Historische Zeitschrift: Beihefte, N.F. 13), München 1991, S. 93–98. 42 Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft, hrg. v. Blickle, Peter u. a., Berlin 2002. 43 Haus, Michael, Kommunitarismus. Einführung und Analyse, Wiesbaden 2003.

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Zusammengefasst 1. Interessenausgleich und Konfliktregulierung: Die den Stadtfrieden begründende Schwureinung, die partielle Autonomie und Selbstorganisation der Korporationen, die nicht allein auf Konnubium und Kooptation beruhende mehrgliedrige Ratsverfassung mit gestuften Kompetenzen, die intern regulierende auf verschriftlichtem Recht beruhende Gerichtsbarkeit, die friedenschaffende fallweise Konfliktregulierung durch andere Städte bei unüberwindbaren innerstädtischen Auseinandersetzungen, das Auftreten der Stadt als Gesamtkorpus nach außen u. v. a. zeigen, wie Städte intern mit sozialen Unterschieden und ökonomisch abweichenden Interessen umgehen konnten. Konflikte mit dem Stadtherrn sowie interne Bürgerkämpfe und Bürgeroppositionen hatten Ausgleichsmechanismen schaffen geholfen, sodass die Konkurrenz aufstrebender sozialer Gruppen gegenüber einem erstarrten Patriziat oder auch Armutsaufruhren gegen das Bürgertum nicht das städtische Gefüge an sich bedrohten. Die Lehre daraus ist, erneut verstärkt zu erforschen, wie die einst zumindest partiell immer wieder glückende Balance der bürgerlichen Macht und die innerstädtische Konfliktregulierung hat erfolgen können – und welche Schlüsse wir für heute daraus ziehen sollten. 2. Konkurrenz und Netzwerk: Die zahlreichen politischen Städtebünde, Städtenetzwerke, überörtliche Handelsgesellschaften, bi- und multilaterale Vereinbarungen der Städte zu Währung, Marktsicherheit, Handel, die überlokalen Rechtsnormierungen oder ein überörtliches Konnubium der Führungsgruppen u. v. a. zeigen, wie Städte von Fall zu Fall paktierten und teils längerfristige Kooperationen ausbildeten. Auf diese Weise wurde die gelegentlich bis zur Fehde gesteigerte Konkurrenz zwar nie aufgehoben, aber oft in eine friedenswillige Abmachungskultur geführt. Die Lehre daraus ist, erneut verstärkt zu erforschen, wie die einst zumindest partiell immer wieder glückende Balance der städtischen Macht und überlokalen Konfliktregulierung hat erfolgen können – und welche Schlüsse wir für heute daraus ziehen sollten. Nach meinem Dafürhalten taugt also die mittelalterliche Stadt weiterhin als Modell für ökonomische Innovation, das nach innen durch relativen sozialen Interessenausgleich und optimierte Konfliktregulierung und nach außen durch das Miteinander von Konkurrenz und Netzwerk gekennzeichnet ist. Dies heißt, das Wagnis einzugehen, mit Geschichtswissenschaft nicht nur das Vergangene zu ermitteln und die Gegenwart zu erklären, sondern auch die Zukunft vorstellbar zu machen. Nicht zuletzt, weil die Zukunft der Welt von Megastädten gesteuert oder von ihnen zumindest sozial geprägt sein wird, benötigen wir eine neue, sich den aktuellen Problemen der Welt stellende angewandte Kommunal- und insbesondere angewandte Stadtgeschichtsforschung.

Autorenverzeichnis Dr. phil. Francesca BOCCHI, Full Professor of Medieval History at University of Bologna; author, with Manuela Ghizzoni and Rosa Smurra, of the Storia delle città italiane. Dal Tardoantico al primo Rinascimento, Turin 2002; editor of 4 voll. of Atlante Storico di Bologna (Bologna 1995-1998); vice president of the Commission Internationale pour l’histoire des Villes; scientific director of “Centro Gina Fasoli per la storia delle città” (Research Centre of the University of Bologna); head of Nu.M.E. Project (New Electronic Museum of the City – Bologna) for the threedimensional reconstruction of historical city. Dr. phil. Roman CZAJA, Professor für die Geschichte des Mittelalters am Institut für Geschichte und Archivwissenschaft der Nicolaus Copernicus Universität in Toruń (Thorn, Polen). Forschungsgebiete: Geschichte des Deutschen Ordens und seines Staates in Preußen, Stadtgeschichte, Hansegeschichte und historische Kartographie. Dr. phil. Jean-Luc FRAY, Professor an der Université Blaise Pascal in ClermontFerrand (Frankreich), Abteilung für Geschichte und Centre d’Histoire „Espaces et Cultures“ (CHEC); Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Raumstrukturen und der Raumperzeption, Geschichte der mittelgroßen und kleinen mittelalterlichen Städte Dr. phil. Hans-Jörg GILOMEN, Prof. em., 1984 bis 1988 Privatdozent für Geschichte des Mittelalters an der Universität Basel, 1988 bis 2010 ordentlicher Professor für Allgemeine Geschichte des Mittelalters, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und Ältere Schweizergeschichte an der Universität Zürich; Publikationen zur Wirtschafts-, Sozial-, Mentalitäts- und Kirchengeschichte des Mittelalters. Dr. phil. Carl-Hans HAUPTMEYER, seit 1981 Professor am Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover für das Lehrgebiet „Geschichte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit unter Einschluss der Regionalgeschichte“; Arbeitsschwerpunkte: Theorie und Anwendung der Regionalgeschichte, Stadtgeschichte, Geschichte ländlicher Räume sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte Niedersachsens.

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Dr. phil. Volker HENN, von 1970 bis 2007 wiss. Mitarbeiter, zuletzt als Akad. Direktor, an der Universität Trier; Promotion mit einer Arbeit über „Das ligische Lehnswesen im Westen und Nordwesten des mittelalterlichen deutschen Reiches“; Forschungsschwerpunkte im Bereich der spätmittelalterlichen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, insbesondere der hansischen Geschichte. Dr. phil. Rudolf HOLBACH, Promotion über Trierer Domkapitel und Domklerus im späten Mittelalter, Habilitation über Frühformen von Verlag und Großbetrieb in der gewerblichen Produktion (13.–16. Jh.), seit 1994 Professor für Geschichte des Mittelalters an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg; Forschungs- und Veröffentlichungsschwerpunkte: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, speziell Geschichte von gewerblicher Produktion und Handel, Hansegeschichte, Geschichte geistlicher Herrschaftsträger und Institutionen, Geschichte von Festen und freier Zeit. Dr. phil. Ferdinand OPLL, Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs i. R.; Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Stadtgeschichtsforschung von 20022009; Univ.-Doz. für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften an der Universität Wien; Vizepräsident der Commission internationale pour l‘histoire des villes von 1998-2011. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte der frühen Stauferzeit, der Stadt Wien und zur vergleichenden Stadtgeschichtsforschung. Dr. phil. Michel PAULY, Promotion über die Stadt Luxemburg im späten Mittelalter, Habilitation über mittelalterliche Hospitäler zwischen Maas und Rhein (7.– 15. Jh.), seit 2003 Professor für transnationale Luxemburger Geschichte an der Universität Luxemburg, seit 2006 Vorsitzender der Commission internationale pour l‘histoire des villes; Forschungsschwerpunkte: mittelalterliches Städtewesen, mittelalterliche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, vornehmlich Jahrmärkte und Hospitäler, Geschichte der Luxemburgerdynastie im 14.–15. Jahrhundert, Migrationsgeschichte Dr. phil. Knut SCHULZ, 1972 bis 2003 Professor für Mittelalterliche Geschichte (mit Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialgeschichte) am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte: Ministerialität und Bürgertum; Zensualität; Kommunale Bewegung; Zisterzienser und Stadtwirtschaft; Handwerksgesellen und Lohnarbeiter; Migration nach Italien; Handwerk, Zünfte und Gewerbe; Stadtgeschichte von Europa und Japan im Vergleich.

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Dr. phil. Rosa SMURRA, since 2001 reader in Medieval Urban History at University of Bologna; author of Città, cittadini e imposta diretta a Bologna alla fine del Duecento (Bologna 2007); co-author of Storia delle città italiane. Dal Tardoantico al primo Rinascimento (Turin 2002); head of “Centro Gina Fasoli per la storia delle città” (Research Centre of the University of Bologna); head of medieval sources online Project (http://www.centrofasoli.unibo.it/). Dr. phil. Martin UHRMACHER, seit 2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Luxemburg im Laboratoire d’Histoire; 2007 Promotion mit einer Arbeit zur Geschichte der Leprosorien in den Rheinlanden (12.–18. Jh.); Forschungsschwerpunkte: Geschichtliche Landeskunde (Luxemburg, Großregion, Rheinlande), Stadtgeschichte, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Dr. phil. Harald WITTHÖFT, Prof. em. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Westfälische Landesgeschichte und Didaktik der Geschichte an der Päadogischen Hochschule Westfalen-Lippe, Abt. Siegerland, bzw. an der Universität Siegen (1970–1996); Publikationen vor allem zur Handels-, Salz- und Geld-/Währungsgeschichte sowie zur historischen Metrologie, auch zur Didaktik der Geschichte und der Medien, insbesondere zu Film und Geschichte Dr. phil. Josef ŽEMLIČKA, seit 1970 im Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften tätig, seit 1991 Vorlesungen am Institut für tschechische Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag. Forschungsschwerpunkte: die mittelalterliche Stadt, der böhmische Staat im Mittelalter, die mittelalterliche Kolonisation und Siedlungsgeschichte, der Adel im Mittelalter.