Staat, Adel und Elitenwandel: Die Adelsverleihungen in Schlesien und Böhmen 1806-1871 im Vergleich 9783666370267, 9783525370261, 9783647370262


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Staat, Adel und Elitenwandel: Die Adelsverleihungen in Schlesien und Böhmen 1806-1871 im Vergleich
 9783666370267, 9783525370261, 9783647370262

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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Jürgen Kocka, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding und Hans-Ulrich Wehler (1972–2011)

Band 205

Vandenhoeck & Ruprecht © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Rudolf Kučera

Staat, Adel und Elitenwandel Die Adelsverleihungen in Schlesien und Böhmen 1806–1871 im Vergleich

Vandenhoeck & Ruprecht © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Mit 2 Tabellen und 5 Diagrammen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-37026-1 ISBN 978-3-647-37026-2 (E-Book) Zugl. Diss. Freie Universität Berlin und Karlsuniversität Prag Umschlagabbildung: Wilhelm Gausse, Hofball im Zeremoniensaal der Wiener Hofburg (1886), Bildsammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Gedruckt mit Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, des Masaryk Instituts und Archivs der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und der Ernst Reuter Gesellschaft. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. – Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Nobilitierungen als Brückenthema zwischen Adelsgeschichte und der Geschichte des modernen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.2 Räumliche und zeitliche Ausgestaltung des Vergleichs . . . . . . . 19 2. Arenen des Aufstiegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.1 Schlesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.1.1 Die Arena: Die Entwicklung Breslaus zur Großstadt . . . . 27 2.1.2 Die Spielregeln: Rechtliche Möglichkeiten des Adelserwerbs 34 2.1.3 Der Schiedsrichter: Der Staat als Akteur . . . . . . . . . . . . 36 2.1.4 Der Preis: Adlige Vorrechte im bürgerlichen Zeitalter . . . . 42 2.2 Böhmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2.1 Die Arena: Prag als die fortbestehende Landesmetropole . . 44 2.2.2 Die Spielregeln: Rechtliche Möglichkeiten des Adelserwerbs 52 2.2.3 Der Schiedsrichter: Der Staat als Akteur . . . . . . . . . . . . 55 2.2.4 Der Preis: Adlige Vorrechte im bürgerlichen Zeitalter . . . . 59 3. Innere Struktur des neuen Adels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.1 Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.1.1 Nur durch den Degen wird man zum Edelmann? Die Nobilitierung von Militär- und Zivilpersonen . . . . . . 65 3.1.2 Beamte, Gutsbesitzer und andere. Die Struktur des zivilen neuen Adels in Preußen 1806–1871 69 3.2 Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.2.1 Von Offizieren zu Bürgern. Der Wandel in der Nobilitierung von Militär- und Zivilpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.2.2 Industrielle, Kaufleute, Professoren und andere. Die Struktur des zivilen neuen Adels in Österreich 1806–1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.2.3 Viele Völker – ein Adel. Nationale Aspekte der Nobilitierungen in Böhmen . . . . . 90 3.2.4 Der jüdische Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 5 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

4. »In Anerkennung der Verdienste …« Legitimierungsstrategien von Adelsbewerbern und staatliche Nobilitierungspolitik im Wechselspiel . . . . . . . . . . . . . 105 4.1 Schlesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.1.1 Vom Bajonett zum Grundbesitz: Die Offiziere . . . . . . . . 107 4.1.2 Von der Feder zum Grundbesitz: Die Staatsbeamten . . . . 117 4.1.3 Grundbesitz und Selbstrepräsentation: Die Grundbesitzer . 131 4.1.4 Geld und Grundbesitz: Das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum . . . . . . . . . . 151 4.2 Böhmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 4.2.1 Dauerhafte Ergebenheit: Die Offiziere . . . . . . . . . . . . . 159 4.2.2 Feder und Tintenfass: Die Staatsbeamten . . . . . . . . . . . 165 4.2.3 Fortschritt und Fürsorge: Die Grundbesitzer . . . . . . . . . 178 4.2.4 Fortschritt, Fürsorge und Zivilgesellschaft: Das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum . . . . . . . . . . 194 5. Adelsverleihungen und Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 5.1 Breslau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 5.1.1 Das Spital zu Allerheiligen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 5.1.2 Akademie der bildenden Künste . . . . . . . . . . . . . . . . 228 5.1.3 Breslauer Gewerbeverein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 5.2 Prag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5.2.1 Prager Kleinkindbewahranstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5.2.2 Prager Sophien-Akademie zur Förderung von Musik und Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 5.2.3 Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen . . 256 6. Zusammenfassung: Gemeinsame und getrennte Wege . . . . . . . . . 269 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

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Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen

Tab. 1: Die Zusammensetzung der über die Nobilitierungen entscheidenden Organe in Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Tab. 2: Die Zusammensetzung der Wiener Vereinten Hofkanzlei in den Jahren 1811–1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Diagramm 1: Anteil der Adelsverleihungen an Militärs und Zivilisten in Preußen 1806–1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Diagramm 2: Soziale Zusammensetzung der geadelten Zivilisten in Preußen 1806–1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Diagramm 3: Anteil der Beamten und Rittergutsbesitzer an den Adelsverleihungen an Zivilisten in Preußen 1810–1871 . . . . . . 70 Diagramm 4: Proportion der militärischen und zivilen Adelsverleihungen in Österreich 1806–1871 . . . . . . . . . . . . . . . 78 Diagramm 5: Soziale Zusammensetzung des zivilen neuen Adels in Österreich 1806–1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

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Vorwort Wie bei allen wissenschaftlichen Studien hätte auch dieses Buch nicht ohne umfangreiche Hilfe zahlreicher Personen und Institutionen entstehen können, die mich enthusiastisch begleitet und großzügig unterstützt haben. Zunächst danke ich der Hertie-Stiftung, die mir mit einem Promotionsstipendium ermöglichte, dreißig Monate vom hervorragenden intellektuellen Milieu des Berliner Kollegs für Vergleichende Geschichte Europas zu profitieren. Ohne die Diskussionen mit dortigen Kollegen und Gästen wäre dieses Buch kaum denkbar. Meine Archivforschungen in Wien hat der Österreichische Austauschdienst mit einem »Aktion«-Stipendium unterstützt, mein Forschungsaufenthalt in Wroclaw wurde durch ein Fritz-Stern-Stipendium der Deutschen Nationalstiftung ermöglicht. Ein kurzer Gastaufenthalt am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteuropas in Leipzig half mir in der frühen Phase der Untersuchung, einige Hauptfragestellungen zu strukturieren. Karsten Holste und Michael G. Müller danke ich für die Einladung. In der Endphase war es ein großzügiges Stipendium des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz, das mir ermöglichte, die Arbeit abzuschließen. Herzlich möchte ich mich beim Betreuer der Arbeit, Philipp Ther, bedanken, der mich während der gesamten Promotionsphase fachlich beraten, die Arbeit mehrfach gelesen und mir bei Stipendienanträgen geholfen hat. Jürgen Kocka danke ich ebenso herzlich für seine fachlichen Ratschläge, die Unterstützung bei der Durchführung des Cotutelle-Verfahrens zwischen der Freien Universität Berlin und der Karls-Universität Prag und für sein Erstgutachten. Weitere wichtige Anstöße erhielt ich von Eckart Conze, Dieter Gosewinkel, Manfred Hildermeier, Milan Hlavačka und Hartmut Kaelble. Bei der Orientierung in den Wiener Archiven haben mir Lothar Höbelt und Peter Urbanitsch geholfen. Tomáš Krejčík und Jan Županič waren im Rahmen des tschechischen Forschungs­projektes »Der neue Adel in Böhmen im 18. und 19. Jahrhundert« als erfahrene Historiker immer bereit, auch kleinste Fragen zu beantworten. ­Andreas Kunz hat mich in der letzten Phase des Schreibens in Mainz ständig aufgemuntert. Den Archivarinnen und Archivaren in Berlin, Prag, Wien und Wroclaw danke ich ebenfalls sehr für ihre Geduld. Ein spezieller Dank geht an Veronika Knotková vom Prager Stadtarchiv, die mir weit über ihre Pflichten hinaus geholfen und mir neben wichtigen Kenntnissen auch ihr Büro zur Verfügung gestellt hat. Undenkbar wäre dieses Buch auch ohne viele Freunde, die ich während meiner Forschungen in Deutschland, Polen und Österreich gewinnen durfte. In 9 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Wroclaw haben mir vor allem Mateusz Kapustka und Antje Kempe den Auf­ enthalt durch ihre Gastfreundschaft erleichtert, in Wien Peter Thyri und Martina Winkelhofer. Viele Anreize zum weiteren Nachdenken erhielt ich von gelegentlichen, aber um so intensiveren Debatten mit Kai Drewes und Sascha Winter, die oft weit über das Thema hinaus reichten und aus einem zufälligen Treffen eine langfristige und wahre Freundschaft entstehen ließen. Beim Verfassen des Textes war ich nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch sprachlichen Fallen ausgesetzt. Diese zu überwinden haben mir zu unterschiedlichen Zeitpunkten mehrere Personen geholfen, ohne die der Text nur eine deutsche Version meiner tschechischen Muttersprache geblieben wäre. Ein riesengroßer Dank geht in dieser Hinsicht an Ines Lange und Sebastian Kühn, die die erste Fassung des Textes sprachlich in eine Form gebracht haben, in der er als Dissertation im Rahmen eines gemeinsamen Promotionsverfahrens an der Freien Universität Berlin und an der Karls-Universität Prag eingereicht werden konnte. Für die Publikation wurde der Text dann von Benno Gammerl und vor allem Kai Drewes überarbeitet, dem ich damit mehr schulde, als ich je zurückzahlen kann. Vít Kortus danke ich für seine umfassende Hilfe bei der formellen Umgestaltung des Textes und verschiedensten redaktionellen Arbeiten. Finanziell wurde die Publikation meiner Arbeit ermöglicht durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, die Ernst-Reuter-Gesellschaft und das Masaryk-Institut und Archiv der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, das mich während der Überarbeitung des Textes in eine druckreife Form auch institutionell unterstützte (RVO 679 85921). Ich bin auch den Herausgebern der Kritischen Studien für die Aufnahme in die Reihe dankbar. Zuletzt danke ich meiner Schwester Kristýna und meiner Frau Markéta, die auch in den allerschwersten Krisen nicht den Glauben daran verloren haben, dass ich das Buch einmal fertig schreibe. Vor allem Markéta musste während meiner langen Forschungsreisen viel aushalten, was ich nie vergessen werde. Dass sie nach alledem meine Ehefrau wurde, werde ich nie aufhören zu bewundern. Ich widme dieses Buch meinen Eltern Rudolf Kučera und Miroslava Kuče­ rová, denen ich dankbarer bin, als sich mit Worten sagen lässt. Prag, im Dezember 2011

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Rudolf Kučera

1. Einleitung

1.1 Nobilitierungen als Brückenthema zwischen Adelsgeschichte und der Geschichte des modernen Staates Als vor etwa zwanzig Jahren Heinz Reif und Hans-Ulrich Wehler bemängelten, die deutschsprachige Geschichtswissenschaft vernachlässige den Adel, ver­ wiesen sie damit nicht nur auf ein deutsches, sondern zugleich auf ein zentral­ europäisches Defizit.1 Die sich in Westdeutschland seit den Sechzigerjahren etablierende Sozialgeschichte zog der Adelsgeschichte andere Themen vor, und auch die Historiografien der kommunistischen Staaten Zentraleuropas widmeten der historischen Adelsforschung nur wenig Aufmerksamkeit. Sowohl die offizielle als auch die systemferne Geschichtsschreibung behandelte Fragen nach der Entwicklung und Wirkung des Adels in der Moderne allenfalls am Rande. Die Forschungsergebnisse beschränkten sich daher auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs auf wenige Studien, die zwar thematisch oftmals höchst innovativ waren, jedoch keine breiteren historiografischen Debatten anregten.2 Diese Situation begann sich erst in den 1990er Jahren zu ändern. In Deutschland wurden, nicht zuletzt von der florierenden Bürgertumsforschung an­geregt, erste Untersuchungen zum Adel erstellt, die am Anfang einer länger anhaltenden Beschäftigung mit dieser sozialen Formation als einem relevanten Thema für die Geschichtsschreibung der Moderne standen.3 So erschien eine ganze Reihe von Studien, welche die Kenntnisse über die Geschichte des Adels im 19. und 20. Jahrhundert und damit über den Wandel der Eliten in der Moderne wesentlich vertieften.4 Eine ähnliche Entwicklung setzte infolge des Umbruchs von 1989 in den postkommunistischen Ländern Zentraleuropas ein. Mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus ging ein erwachendes Interesses an der Erforschung moderner Eliten einher. Dies brachte eine verstärkte historiografische Aufmerksamkeit für die Adelsgeschichte mit sich, die zunehmend zu den »weißen Flecken« der jeweiligen Nationalhistoriografien gezählt wurde.5 Das vertiefte Interesse resultierte einerseits aus dem Bedürfnis, Rekrutierung, ZusammenWehler, Europäischer Adel, S. 9–18; Reif, Der Adel in der modernen Sozialgeschichte. Vgl. z. B. Myška, Der Adel; Reif, Westfälischer Adel; Gollwitzer, Die Standesherren. Für einen umfassenden Forschungsüberblick siehe Reif, Adel im 19. und 20. Jahrhundert. Vgl. jüngst Schiller, Vom Rittergut zum Adelstitel?; Malinowski; Conze, Von deutschem Adel; Reif, Adel und Bürgertum in Deutschland I; ders., Adel und Bürgertum in Deutschland II. 5 Křen, Bílá místa. 1 2 3 4

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setzung und Handlungsspielräume von Eliten in der Moderne genauer zu beschreiben und zu konzeptualisieren, sowie andererseits aus der Einsicht in die bisherige Vernachlässigung des Themas.6 Vor allem in der Tschechischen Republik stellte diese Tendenz einen radikalen Bruch mit vorherigen historiografischen Traditionen dar, sei es der national-liberalen von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Zwischenkriegszeit oder der national-marxistischen der Nachkriegszeit,7 die beide den Adel aus dem Rahmen der Nationalgeschichte ausgeklammert hatten.8 Nicht nur die Sozialgeschichte entdeckte den Adel als ein für die zentraleuropäische Geschichte der Moderne fundamentales Thema, die Adelsforschung profitierte relativ früh auch von kulturgeschichtlichen Anregungen. So liegen heute Arbeiten vor, die den adligen »Kampf um das Obenbleiben«9 sowohl im Sinne einer historischen Sozialwissenschaft untersuchen als auch den verschiedenen Formen adliger Repräsentation und Selbstdarstellung Aufmerksamkeit widmen oder auch Fragen des Selbstverständnisses, der Geschichte von Familie und Schule sowie geschlechtergeschichtlichen Aspekten nachgehen.10 Wie unterschiedlich Fragestellungen und methodische Zugänge der mittlerweile weit fortgeschrittenen zentraleuropäischen Adelsforschung auch sein mögen, weist die Mehrheit der Arbeiten doch mindestens zwei Gemeinsamkeiten auf: Einerseits wird die Geschichte des Adels in der Moderne in den breiteren Zusammenhang des gesellschaftlichen Elitenwandels eingeordnet. Dieser wird als Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Gruppen verstanden, die ihre Werte und Interessen durchzusetzen versuchen, nach Deutungshoheit streben und auf breitere gesellschaftliche Anerkennung abzielen.11 Die Auseinandersetzung mit dem Erfahrungshorizont und den Handlungsspielräumen des Adels soll in diesem Kontext zu einem besseren Verständnis der rapiden Veränderun 6 Die Neunzigerjahre waren noch eher von einem popularisierenden Interesse an der Adelsgeschichte auf der einen oder auf der anderen Seite von Arbeiten geprägt, die gezielt materielle Restitutionsansprüche unterstützen sollten und oft auch von adligen Familien finanziell gefördert wurden. Seit Anfang des 21.  Jahrhundert setzte sich zunehmend eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Adelsforschung durch. Vgl. Pouzar; WaldsteinWartenberg, Tisíc let; Mašek; Halada; Škutina. Einen entscheidenden Impuls für die wissenschaftliche Konzeptualisierung des Adels in der Moderne gab eine im Jahr 2001 in Olmütz abgehaltene internationale Tagung. Siehe die Beiträge in Études Danubiennes, Jg.  XIX, 2003, Nr. 1/2. 7 Zur Entwicklung der tschechischen Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert siehe Kolář u. Kopeček; Górny. 8 So findet der Adel in den immer noch paradigmatisch wirkenden Narrativen der tschechischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, die gewissermaßen an der Schnittstelle von offizieller und systemferner Historiographie entstanden sind, fast keinen Platz. Vgl. Urban, Die tschechische Gesellschaft I–II; Křen, Die Konfliktgemeinschaft; Kořalka, Tschechen. 9 Braun. 10 Für einen umfassenden Überblick siehe Tacke; Wienfort, Der Adel in der Moderne; Tönsmeyer; Conze u. Wienfort. 11 Holste u. a., S. 9 f.

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gen des 19. Jahrhunderts und des damit einhergehenden Elitenwandels beitragen.12 Dem entspricht andererseits, dass sich auf empirischer Ebene die Aufmerksamkeit häufig auf den hohen bzw. den alten Adel richtet.13 Das ist zwar folgerichtig und nachvollziehbar, denn im Kontext des Elitenwandels im 19. Jahrhundert war es gerade der hohe Adel, dessen Mitglieder am Kampf um das »Obenbleiben« beteiligt waren. Aber der Adel wird dadurch, nicht nur im zentraleuropäischen Kontext, auf diejenigen Gruppen reduziert, die allgemein unter dem Stichwort »Aristokratie« zusammengefasst werden und nur einen kleinen, wenn auch äußerst wichtigen Ausschnitt derjenigen Akteure darstellen, die im 19. Jahrhundert unter der rechtlichen Kategorie »Adel« subsumiert wurden.14 Das Phänomen der Adelsverleihungen bietet dagegen eine Möglichkeit, die Perspektive zu erweitern und den Adel als gesellschaftliches Phänomen zugleich mit der Geschichte des modernen Staates zu verbinden. Dieser wird in der bisherigen Forschung zum Elitenwandel im 19. Jahrhundert entweder völlig vernachlässigt oder, was häufig geschieht, auf den Status eines passiven Objekts reduziert, in dessen verschiedenen Bereichen (Verwaltung, Militär usw.) unterschiedliche Akteure im Wettbewerb um Elitefunktionen entsprechende Führungspositionen beanspruchen und besetzen.15 Diese Arbeit betrachtet den Staat dagegen als einen autonom handelnden Akteur und steht somit in einer längeren sozialwissenschaftlichen Tradition. Das Konzept eines Staates, der durchaus zum Handeln nach einer eigenen Logik fähig ist, wurde im 20.  Jahrhundert theoretisch und empirisch in vielfältiger Weise aufgegriffen. Schon Max Weber und Otto Hintze verstanden den Staat in einer breiteren Perspektive als ein aktives Subjekt und hoben die restriktive Komponente seines Handelns hervor, das immer und notwendigerweise auf die Kontrolle des Raumes, der Gesellschaft und der individuellen Akteure abziele. Diesem Interesse diente eine Reihe verschiedener Zwangsinstitutionen und Zwangspraktiken. Der Staat wurde hier zum Akteur, der nicht nur die Beziehungen zwischen sich und der Gesellschaft strukturiert, sondern auch weitreichend in innergesellschaftliche Beziehungen eingreift.16 Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich die entsprechende theoretische Debatte größtenteils in den anglo-amerikanischen Raum. Der moderne, bürokratisierte und vielfältig ausdifferenzierte Staat galt als wichtiger Bestandteil des Modernisierungsparadigmas, als entscheidender Katalysator bei der 12 Bezecný u. Lenderová. Auf der empirischen Ebene z. B. Treskow; Preradovich. 13 Siehe z. B. Svaříčková-Slabáková; Bezecný, Příliš uzavřená společnost; Grillmeyer; Lenderová; Godsey, Nobles and Nation; Stekl, Österreichs Aristokratie; ders. u. Wakounig. 14 Cardoza; Lieven; Cannadine, The Decline and Fall. Zu den Möglichkeiten, den Adel zu definieren, siehe Serna; Kuchenbuch; Conze, Adel, Aristokratie. 15 Für einen knappen Forschungsüberblick siehe Frie, Adelsgeschichte; Müller, Adel und Elitenwandel; Hartmann. 16 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 514–530, 815–837; Hintze, S. 470–510.

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Entwicklung moderner Industriegesellschaften.17 Grundlegend für das Verständnis des Staates als eines autonomen Akteurs, der eigene Praktiken ent­ wickelt und eigene Zwecke verfolgt, die den Interessen konkreter gesellschaftlicher Gruppierungen durchaus widersprechen können, wurde dann in den 1980er Jahren die Staatsautonomie-Schule um Theda Skocpol.18 Diese stellte den Staat als einen eigenständigen Akteur dar, der grundsätzlich fähig und bereit ist, verschiedene Instrumente der Gesellschaftspolitik einzusetzen, um damit die Beziehungen innerhalb sowie mit der Gesellschaft zu verändern.19 Dieses Konzept des Staates als Akteur, dessen autonomes Handeln ernst genommen werden muss, ist bis heute sehr einflussreich.20 Gegenwärtige sozialwissenschaftliche Debatten fügen diesem Staatsverständnis eine entscheidende Facette hinzu. Aufbauend auf Tocquevilles klassischem Werk Der alte Staat und die Revolution21 deuten sie den Staat nicht nur als wichtigen Akteur, der durch seine Handlungsintentionen die innergesellschaftlichen Beziehungen mitstrukturiert, sondern als einen Faktor, der dazu noch bestimmte Handlungsmuster und Gruppen in der Gesellschaft indirekt und unbeabsichtigt unterstützt und zugleich andere vernachlässigt.22 Dieser Effekt beruht nicht unbedingt auf ausformulierten und explizit verfolgten Zielen staatlichen Handelns, wirkt sich aber grundlegend auf die Gesellschaft aus und in der Folge auch auf den Staat selbst zurück.23 Die wissenschaftliche Deutung des modernen Staates durchlief also in den letzten hundert Jahren eine vielschichtige Entwicklung. Das ursprüngliche Verständnis vom Staat als oppressivem, disziplinierendem Apparat wich einem Staatsbegriff, der die unterstützende und Impulse gebende Dimension staatlichen Handelns in den Mittelpunkt rückt. Auch ein Blick auf konkrete historiografische Forschungen bestätigt diese These. Die neuesten Untersuchungen zur Geschichte Zentraleuropas im 19. Jahrhundert betrachten den Staat als

17 Vgl. grundlegend Tilly, Coercion; ders., The Formation; Wehler, Modernisierungstheorie. 18 Evans u. a., Bringing The State Back In. 19 Skocpol, Bringing The State Back In. In der entsprechenden Literatur wurden verschiedene Listen von Voraussetzungen erstellt, die autonomes staatliches Handeln ermöglichen, wie etwa eine stabile administrativ-militärische Kontrolle des Raumes, genügend finanzielle und personelle Ressourcen, das Gewaltmonopol oder die Absetzung von anderen äußeren Instanzen. Die in dieser Arbeit behandelten Staaten erfüllen grundsätzlich alle diese Voraussetzungen. Für die verschiedenen Kriterien der Staatsautonomie siehe zusammen­ fassend Reinhard, S. 15–29. 20 Für einen knappen aktuellen Überblick siehe Cudworth u. a.; Pressman. Eine Ausnahme stellt jedoch die neo-marxistische Denktradition dar, die den Staat mehr oder weniger als Objekt verschiedener Klasseninteressen sieht und seine Kompetenz zum autonomen Handeln als nebensächlich betrachtet. Vgl. Wetherly; Poulantzas; Hardt u. Negri, S.  93–106; Therborn. 21 Siehe auf Deutsch Tocqueville. 22 Newton; Putnam, S. 402–414. 23 Vgl. Edwards u. a.; Levi.

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eigenständigen Akteur, wobei sie gerade die fördernde und produktive Seite seines Handelns betonen. Die Geschichtsschreibung zur Habsburgermonarchie zum Beispiel plädiert zunehmend für eine dynamische Auffassung vom Staat, die das bisher vorherrschende statische Bild, das die national orientierten Historiografien der Nachfolgestaaten entwarfen, korrigieren soll.24 Man argumentiert nun im Einklang mit Tocquevilles Überlegungen, dass es gerade der habsburgische Staat war, der durch sein Handeln schon vor 1848 Räume und Bedingungen schuf, die für die Entwicklung der Nationalbewegungen und der Zivilgesellschaft notwendig und stimulierend waren.25 Die gesellschaftliche Dynamik des 19. Jahrhunderts entfaltete sich dementsprechend zum großen Teil innerhalb und nicht außerhalb des rechtlichen und politischen Rahmens der Donaumonarchie, und die sozialen Neuerungen vollzogen sich weder in starkem Widerspruch noch in scharfer Opposition zum österreichischen Staat.26 Ähnliches lässt sich für die jüngere Geschichtsschreibung zu Preußen und zum Deutschen Reich feststellen. Hier wird der Staat ebenfalls als wichtiger Akteur betrachtet, der die gesellschaftliche Dynamik stimulierte. Dies geschah absichtlich durch gezielte Reformen bzw. »Revolutionen von oben«27 oder unabsichtlich, wie etwa bei der Schaffung rechtlicher Handlungsspielräume, die für die spätere Entwicklung der Nationalbewegung und der Zivilgesellschaft von entscheidender Bedeutung waren.28 In diesem Zusammenhang untersucht die vorliegende Arbeit die Praxis der Adelsverleihungen in Böhmen und Schlesien. Auch wenn die Charakterisierung des Adels als sozialer und politischer Elite im Zentraleuropa des 19. Jahrhunderts umstritten ist,29 besteht kein Zweifel daran, dass ihm seitens des Staates und der Öffentlichkeit in den ersten drei Vierteln des 19. Jahrhunderts als rechtlich definierter Gruppe häufig eine gesellschaftliche Führungsrolle und kulturelle Vorbildfunktion zugewiesen wurde.30 Als Belohnungen und Auszeichnungen waren Nobilitierungen ein Teil  jener symbolischen und gesellschaftspolitischen Praktiken, mit deren Hilfe der Staat die von ihm bevorzugten gesellschaftlichen Akteure und Handlungsmuster förderte, sie durch seine Anerkennung öffentlich unterstützte, mit einem beträchtlichen symbolischen 24 King; Bowyer, Some Reflections, S. 310 f. 25 Vgl. Křen, Dvě století, S. 145–151; Judson, S. 18–56; Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. 29–41; Bowyer, Political Radicalism, S. 1–10. 26 Cohen, Nationalist Politics, S. 245–254. 27 Vgl. Clark, S. 373–393; Winkler, Der lange Weg, S. 57 f. 28 Ebd., S. 89–96; Hoffmann, Geselligkeit und Demokratie, S. 42f; Blackbourn u. Eley, Peculiarities of German History, S. 190–205. 29 Vgl. Řezník, S. 24–32. 30 Selbst in der soziologischen Literatur herrscht über den Elitenbegriff kein Konsens und die historische Forschung zeigt schon seit Langem, dass der Adel nicht als einheitliche Gruppe betrachtet werden kann, sondern in seiner Binnenheterogenität gesehen werden muss. Vgl. zusammenfassend und mit weiteren Hinweisen Grillmeyer, S. 5–15.

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Kapital ausstattete und dadurch zugleich andere soziale Akteure und kulturelle Praktiken in den Hintergrund drängte. Wenn man den Staat als relativ autonomen Akteur in den Mittelpunkt rückt, kann man die Adelsverleihungen als Mittel zur Durchsetzung staatlicher Interessen verstehen. Nobilitierungen erlaubten dem Staat, ein System gesellschaftlicher Werte zu stützen und diejenigen zu belohnen, die diese Werte kultivierten. Es handelte sich zugleich um eine der Praktiken, mit denen der Staat auf den tief greifenden sozialen Wandel im 19. Jahrhundert reagierte. Durch Nobilitierungen versuchte er, relevante Eliten an sich zu binden und zu erweitern. Dadurch sollten ihr symbolisches Kapital vermehrt und zugleich die gesellschaftlichen Machtbeziehungen im Sinne des Staates gestaltet werden. Die Adelsverleihungen rücken so nicht nur ins Zentrum einer »Adelsforschung als Elitenforschung«,31 sondern auch in den Fokus einer Historiografie, welche die Rolle des Staates in den Veränderungsprozessen des 19.  Jahrhunderts er­ forschen will. Die vorliegende Arbeit analysiert in diesem Kontext die staatliche öster­ reichische und preußische Nobilitierungspraxis und untersucht die Ziele, welche die beiden Staaten mit ihrer Nobilitierungspolitik verfolgten. Daraus ergibt sich eine Reihe konkreter Fragen: Welche sozialen Grenzen stellten staat­liche Instanzen mittels der Adelsverleihungen in Rechnung? Gewährte der Staat bestimmten Gruppen öffentliche Anerkennung, während er anderen dieses Privileg verweigerte? Welche endogenen und exogenen Faktoren bestimmten den Wandel der staatlichen Nobilitierungspraxis? Wie wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts die Handlungsmuster definiert, die die Staaten als Voraussetzungen für die Verleihung von Adelstiteln betrachteten und die sie, in die innergesellschaftlichen Beziehungen eingreifend, förderten? Wie und warum ver­ änderten sich diese staatlich anerkannten Tugendkataloge des Adels? Zur Beantwortung dieser Fragen kann die Arbeit an einige schon vor­liegende Forschungen anknüpfen. Die Historiografie sowohl zum deutschen als auch zum habsburgischen Fall hat das Phänomen der Adelsverleihungen im 19. Jahrhundert unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten untersucht. Die sich mit Preußen und Deutschland befassende Geschichtsschreibung betrachtete sie seit den Sechzigerjahren einige Zeit lang vor allem unter den Vorzeichen der Feudalisierungsthese. Diese Untersuchungen interpretierten Nobilitierungen größtenteils als Hinweis auf die Übernahme adliger Verhaltensmuster seitens des Bürgertums und als Indiz für dessen »Feudalisierung«.32 Zudem wurden die Adelsverleihungen in den Kontext der »Sonderwegsthese« gerückt, die eine langfristige, strukturelle Erklärung für die Katastrophe der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert suchte. Dementsprechend konzentrierten sich die Forschungen vorwiegend auf die Epoche des Kaiserreichs und betrachteten 31 Conze u. Wienfort, S. 11. 32 Für einen zusammenfassenden Rückblick mit umfassenden Literaturhinweisen siehe HertzEichenrode, Die Feudalisierungsthese.

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Nobilitierungen vor dem Hintergrund des Modernisierungsparadigmas als Beleg für die angebliche feudalistische Rückständigkeit und Schwäche des deutschen Bürgertums.33 Die in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts einsetzende Revision dieser Auffassung und die damit verbundene Distanzierung von der »Feuda­ lisierungsthese« führten dazu, dass Adelsverleihungen nicht mehr als Indiz für eine Feudalisierung des deutschen Bürgertums verstanden wurden.34 Stattdessen wurden sie zunehmend als Mittel einer aktiven, staatlichen Gesellschaftspolitik angesehen. Trotzdem beschränkten sich die meisten Untersuchungen weiterhin auf die Epoche des Kaiserreichs.35 Auch die vorliegende Arbeit sieht Adels­verleihungen als ein Instrument, mit dessen Hilfe der Staat gesellschaft­ liche Entwicklungen zu beeinflussen suchte. Zugleich geht sie jedoch über die bisherige Forschung hinaus, indem sie den Untersuchungszeitraum erweitert und den Blick auf die Jahre 1806 bis 1871 richtet, also die Zeit vor Gründung des Kaiserreichs.36 Die Geschichtsschreibung zum Habsburgerreich wurde dagegen nie so stark von einem Paradigma oder einer These dominiert und entwickelte daher eine größere Vielfalt an Interpretationen hinsichtlich der Nobilitierungspraxis.37 So liegen grundlegende Studien zum administrativen und rechtlichen Kontext der Adelsverleihungen vor.38 Zudem existieren Arbeiten, welche die Lebensläufe einzelner neuadliger Familien schildern39 sowie Untersuchungen, die sich dem neuen Adel in sozialgeschichtlicher Perspektive nähern.40 Ein besonderes Augenmerk galt bereits ab den 1950er Jahren im Zusammenhang mit Forschungen zur Emanzipation der Juden in den habsburgischen Ländern der 33 Vgl. Stein, Der preußische Geldadel I–II; Pierenkemper, Die westfälischen Schwerindustriellen; Trumpener; Cecil. 34 Vgl. Augustine, Patricians and Parvenus; dies., »Arriving in the Upper Class«; Berghoff; ­Kaelble, Wie feudal waren die deutschen Unternehmer?; Mayer; Blackbourn u. Eley, Peculiarities of German History; dies., Mythen deutscher Geschichtsschreibung. 35 Hertz-Eichenrode, Wilhelminischer Neuadel?; Malinowski, S. 122–127; Reitmeyer, S. 67–81; Thompson. 36 Größere Studien, die sich mit der preußischen Nobilitierungspraxis vor der Reichs­g ründung befassen, gibt es im Großen und Ganzen nicht. Die einzige Ausnahme, die hinter das Jahr 1871 zurückgeht, ist eine akribische Analyse des rechtlichen und administrativen Rahmens der Adelsverleihungen: Kalm. 37 So fanden die deutschen Debatten über eine »Feudalisierung« des Bürgertums in der Geschichtsschreibung zum Habsburgerreich nur beschränkt Widerhall. Dagegen setzte sich hier das Konzept einer Unterscheidung zwischen einer »ersten« und »zweiten« Gesellschaft durch, das strenge soziale und kulturelle Grenzen zwischen der höchsten, hoffähigen Aristokratie und dem übrigen Adel postuliert. Vgl. Godsey, Quarterings; Wandruszka, Die Zweite Gesellschaft der Donaumonarchie. 38 Županič, Cesty k urozenosti; Binder-Krieglstein; Waldstein-Wartenberg, Österreichisches Adelsrecht. 39 Županič, Die tschechischen Eliten. 40 Krejčík, Nobilitovaní bankéři; Myška, Wirtschaftsadel; ders., Nová šlechta; Putz; Komanovits.

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Nobilitierung von Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe.41 Außerdem liegen zwei Monografien vor, die mit unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten den bisherigen Forschungsstand zusammenfassen.42 Der österreichische Fall ist somit zwar deutlich besser erforscht, aber auch hier überwiegt ein methodischer Zugang, der die relative Autonomie staatlichen Handelns nicht genügend anerkennt. Einerseits überwiegt eine Perspektive »von unten«, die sich auf die Adelsanwärter konzentriert, sei es auf individuelle Personen oder anhand unterschiedlicher Kriterien konstruierte Gruppen. Andererseits wird oft ein verwaltungsgeschichtlicher Zugang gewählt, der sich auf die formalen Aspekte des Nobilitierungsverfahrens konzentriert. Obwohl einige Historikerinnen und Historiker eine systematische Berücksichtigung der Rolle des Staates gefordert haben, wurde dieser Anspruch bisher kaum eingelöst.43 Im Kontext der Habsburgermonarchie stellt sich die vorliegende Arbeit daher ähnliche Aufgaben wie im deutschen, genauer: im preußischen Fall. Sie nutzt die Nobilitierungspraxis als eine Sonde, mittels derer sie die sich wandelnden Vorstellungen adliger Tugenden untersucht, auf die der Staat die Gesellschaft verpflichten wollte. Am Beispiel der Adelsverleihungen sollen staat­liche Versuche analysiert werden, die innergesellschaftlichen Beziehungen sowie die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Staat im Kontext des rapiden Wandels während des 19. Jahrhunderts neu zu gestalten. Theoretisch an Tocquevilles Überlegungen angelehnt, methodisch vergleichend, historiografisch an der Schnittstelle zwischen einer Sozial- und Kulturgeschichte des Adels und einer Geschichte moderner Staatlichkeit angesiedelt, leistet die Arbeit einen Beitrag zum Verständnis staatlicher und gesellschaft­ licher Handlungslogiken im Zentraleuropa des 19. Jahrhunderts. Zugleich entwickelt sie die bestehende Adelsforschung weiter. Deswegen untersucht sie die Vorstellungen von der Rolle des Adels und den Wandel der adligen Tugend­ kataloge, welche im Zuge der staatlichen Nobilitierungspraxis ausformuliert und mitgeprägt wurden.

41 Županič, Židovská šlechta; McCagg, Austria’s Jewish Nobles; Jäger-Sunstenau, Die geadelten Judenfamilien. 42 Županič, Nová šlechta; Gorzynski. 43 Vgl. Krejčík, Výzkum. Vor allem fehlen Arbeiten, die sich von den Leistungen der Geschichtsschreibung zum Britischen Empire inspirieren ließen. Als beispielhaft dafür kann die Studie von David Cannadine dienen: Cannadine, Ornamentalism, S. 85–100.

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1.2 Räumliche und zeitliche Ausgestaltung des Vergleichs Den räumlichen Bezugspunkt des Vergleichs definiert der Begriff »Zentral­ europa«. Er soll die oft übliche Trennung zwischen der deutschen und ostmitteleuropäischen beziehungsweise osteuropäischen Geschichte überbrücken, die größtenteils durch eine strukturgeschichtliche Typologisierung der europäischen Geschichte entstanden ist.44 Da diese Typologisierung in der neueren Forschung zunehmend auf Zweifel stößt45 und es sich bei ihr letzten Endes um eine Besonderheit der deutschen Forschung handelt, wurde der in anderen Sprachen üblichere Begriff »Zentraleuropa« gewählt, der die Gebiete Böhmens, Polens, Ungarns, aber auch größere Teile des Deutschen Bundes umfasst. »Zentraleuropa« wird hier als ein durch bestimmte politische, soziale und kulturelle Gemeinsamkeiten geprägter, vielfach vernetzter Raum begriffen.46 Der politisch problematische Begriff »Mitteleuropa« wird dagegen in dieser Arbeit bewusst vermieden.47 Für den Vergleich staatlicher Nobilitierungspolitiken im zentraleuropäischen Kontext des 19. Jahrhunderts wurden hier Teile der beiden bedeutendsten Staaten – Preußen und Österreich – ausgewählt. Die Kriterien für die weitere Eingrenzung der Vergleichsobjekte sollen an dieser Stelle erläutert werden. Der klassische historische Vergleich hat im letzten Jahrzehnt wesentliche Wandlungen erfahren.48 Häufig wird für einen Verzicht auf den Vergleich großer Einheiten wie z. B. von Nationen oder Staaten plädiert, der, so die Kritik, einerseits zu groß angelegt sei, um spezifische Erkenntnisse zu den einzelnen Vergleichsobjekten zu erbringen, und andererseits zu unspezifisch, um gültige Erklärungsmodelle entwickeln zu können. Über die Wahl der Vergleichsobjekte oder Vergleichsphänomene sollte deshalb nicht deren Größe entscheiden, sondern die Fragestellung der Untersuchung. Der Vergleich muss so konstruiert werden, dass er der analytischen Ausrichtung auf bestimmte soziale Beziehungen, Strukturen, Interaktionen, Netzwerke oder Erfahrungsräume der historischen Akteure entspricht.49 Anders als beim Vergleich größerer Einheiten bieten vergleichende Studien auf der »Meso-Ebene« bestimmte Vorteile. Mit Untersuchungsgegenständen mittlerer Reichweite wie Institutionen, Städten, Regionen50 oder sozialen 44 Einen guten Überblick über Typologisierungen der europäischen Geschichte bietet Křen, Dvě století, S. 22–28. Für die strukturelle Definition Ostmitteleuropas siehe Jaworski, Ostmitteleuropa; Conze, Ostmitteleuropa; Szücs, S. 13–18; Konrád; Zernack, S. 33–41; Halecki. 45 Vgl. Ther, In der Mitte der Gesellschaft, S. 20–22; Schmale; Mout. 46 Vgl. Ther, Vom Gegenstand zum Forschungsansatz; Csáky; ders. u. a., Kultur; ders. u. a., Transnationale Gedächtnisorte in Zentraleuropa. 47 Vgl. Elvert. 48 Vgl. z. B. Middell; Kaelble, Der historische Vergleich; Haupt u. Kocka. 49 Vgl. Haupt; Welskopp, »Stolpersteine auf dem Königsweg«. 50 Appelgate. In einem anderen Zusammenhang, aber durchaus überzeugend Green.

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Gruppen führt der historische Vergleich zu gültigeren, konkreteren und objektbezogeneren Aussagen. Auf diese Weise lässt sich eine Verbindung zwischen generalisierbaren Beobachtungen und konkreten historischen Kontexten herstellen.51 Zugleich dürfen die jeweiligen Vergleichsobjekte nicht als abgeschlossene Einheiten betrachtet werden. Die Analyse muss mögliche Transfers und Verflechtungen zwischen den Objekten selbst und auch mit anderen Einheiten berücksichtigen. Insbesondere bei der Erörterung der Forschungsergebnisse sind solche weiter reichenden Verknüpfungen von grundlegender Bedeutung.52 Der Vergleich der Adelsverleihungen in Zentraleuropa sollte sich entsprechend diesen theoretischen Überlegungen vom großen gesamtstaatlichen Rahmen lösen und seine Aufmerksamkeit stattdessen auf kleinere Regionen richten. In diesem Sinn konzentriert sich die vorliegende Studie auf Böhmen und Schlesien als spezifische Teile Österreichs und Preußens. Es ist hier nicht möglich, ausführlich die allgemeine Geschichte dieser beiden Regionen vorzustellen. Dennoch müssen die Hauptgründe, die bei der Wahl der Vergleichseinheiten eine Rolle spielten, näher erklärt werden. Für die Entstehung und Wirkung des neuen Adels ist vor allem die spezifische politische und wirtschaftliche Lage Böhmens und Schlesiens53 innerhalb der jeweiligen Staaten relevant. Beide Regionen nahmen in den Modernisierungsprozessen54 des 19. Jahrhunderts eine zwiespältige Position ein. Einerseits waren sie im politischen Sinn peripher, andererseits wirtschaftlich von zentraler Bedeutung.55 Nicht umsonst wurde zum Beispiel Schlesien in Reiseberichten als »das preußische England« bezeichnet.56 In beiden Ländern kann von einer schnellen und vielfältigen Modernisierung gesprochen werden, die für die Entstehung des neuen Adels eine sehr wichtige Rolle spielte. Schon nach einem flüchtigen Blick auf die Struktur dieser sozialen Gruppe im 19.  Jahrhundert lässt sich feststellen, aus welchen Schichten sich ihre An­ gehörigen rekrutierten. Es handelte sich nicht nur um die berühmten »Schlotund Zahnradbarone«, um einen damaligen Terminus zu verwenden, sondern um ein buntes Konglomerat von Personen mit verschiedensten Lebenswegen und Herkunftsmilieus. Das Spektrum reichte von loyalen Staatsbeamten und Offizieren über Unternehmer bis hin zu erfolgreichen Wissenschaftlern.57 Diese Mischung und die steigenden Zahlen der Nobilitierungen im Vergleich zu 51 Ther, Beyond the Nation; ders., Deutsche Geschichte, S. 174–176; Paulmann, S. 669. 52 Werner u. Zimmermann; Kaelble, Die interdisziplinären Debatten; Paulmann. 53 Unter dem Begriff »Schlesien« wird für die Zwecke der Arbeit nur sein preußischer Teil verstanden. 54 Der Begriff wird hier rein deskriptiv verwendet, ohne irgendeinen Anspruch auf Norma­ tivität zu erheben. Vgl. Lorenz, »Won’t You Tell Me, Where Have All the Good Times Gone?«; Chakrabarty, S. 3–16; Wehler, Modernisierungstheorie. 55 Komlosy; Urban, Kapitalismus, S. 51–92; Klusáková; Fuchs, Die Wirtschaft, S. 124–145. 56 Dobbelmann u. a. 57 Vgl. Waldstein-Wartenberg, Österreichisches Adelsrecht, S. 135; Jäger-Sunstenau, Statistik der Nobilitierungen.

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früheren Epochen machen es unmöglich, das typische »Profil« eines Neu­adligen zu konstruieren. Trotzdem lassen sich einige Gemeinsamkeiten ausmachen. Eine deutliche Mehrheit der Nobilitierten erlangte ihre neue Würde, abgesehen von der selbstverständlich vorausgesetzten Loyalität zum jeweiligen Staat, durch ihre Tätigkeit auf Posten, die eine höhere Bildung voraussetzten. Die Professionalisierung von Handel, Industrie, Staatsdienst und Wissenschaft erforderte eine immer längere und intensivere Ausbildungszeit in entsprechenden städtischen Räumen. Wenn man zudem berücksichtigt, dass die meisten Neuadligen nach ihrer Erhebung in den Adel ihre ursprüngliche Tätigkeit fortsetzten,58 ist es kaum verwunderlich, dass sich der neue Adel vor allem in den großen Städten konzentrierte, die über höhere Bildungsangebote und einen entsprechenden Arbeitsmarkt verfügten. In erster Linie gilt das für die beiden Hauptstädte Berlin und Wien. Trotz der hohen Konzentration der Neuadligen in Wien und Berlin liefert aber eine Untersuchung der beiden Hauptstädte kein repräsentatives Bild. Die Anwesenheit des Hofes produzierte in den Hauptstädten ein besonderes soziales Milieu und prägte gerade die adlige Gesellschaft.59 Deswegen stellen Wien oder Berlin eher Sonderfälle als typische Beispiele dar.60 In den Hauptstädten war des Weiteren eine unmittelbare geografische und soziale Nähe zwischen den Stellen, die über die Verleihung von Adelstiteln entschieden, und den Adels­kandidaten gegeben. Dies bot viel mehr Möglichkeiten zu  – heutzutage leider nur schwer rekonstruierbaren – gegenseitigen Kontakten und Zwängen, als dies in den entfernten Provinzen der Fall war. Eine Analyse der Adelsverleihungen in den hauptstädtischen Räumen allein würde daher Gefahr laufen, die entscheidenden Hintergründe der konkreten Nobilitierungsspraxis nicht voll­ ständig erfassen zu können. Deswegen richtet die vorliegende Studie ihre Aufmerksamkeit auf die »Zentren der Peripherien«, wobei Prag für Böhmen und Breslau für Schlesien eine sinnvolle Wahl darstellen. Beide Städte verfügten über alle Voraussetzungen für die Entstehung des neuen Adels, der sich dort auch in großer Zahl findet. Die Universitäten und Gymnasien beider Städte produzierten eine relativ hohe Zahl von Personen, aus denen sich die neue Leistungselite rekrutieren konnte, und beide Städte waren groß genug, um diese Elite an sich binden zu können. Die Vergleichsfälle Prag und Breslau bieten also eine gute Möglichkeit, den Wandel der Nobilitierungspraxis vergleichend zu untersuchen und die zentralen Fragen quellennah sowie anhand konkreter Beispiele zu beantworten. Die Wahl der genannten Vergleichsobjekte ermöglicht außerdem eine Weiterentwicklung der bisherigen historiografischen Forschung. Es wurde schon mehrmals konstatiert, dass sich die mit Deutschland beschäftigende Historiografie nur selten Vergleichsobjekten in Zentral- und Osteuropa zuwendet, was 58 Ullmann, S. 87. 59 Elias. 60 Stekl, Der Wiener Hof, S. 40.

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in umgekehrter Richtung bedauerlicherweise ebenso gilt.61 So kann ein Vergleich zwischen dem Habsburgerreich und Preußen-Deutschland, der einzelne Regionen in den Mittelpunkt stellt wie hier Böhmen und Schlesien, dazu bei­ tragen, die gängigen Perspektiven beider Historiografien zu ergänzen. Was den Zeitraum angeht, wurde das Jahr 1806 als Ausgangspunkt gewählt, da die Entstehung des österreichischen Kaisertums und die Niederlage Preußens gegen Napoleon tief greifende Reformen nach sich zogen. Diese gingen jeweils mit einer Vereinheitlichung des Adels- und Nobilitierungsrechts einher, das dann mit nur wenigen Veränderungen im gesamten hier behandelten Zeitraum bestehen blieb. Das Jahr 1871 stellt in dieser Hinsicht keinen ähnlich markanten Einschnitt dar, doch die Adelsverleihungen verloren im neu gegründeten Deutschen Kaiserreich und im späten Habsburgerreich deutlich an Gewicht. Die Gründe dafür waren mannigfaltig. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts setzten sich bürgerliche Verhaltensweisen, die Arbeiterbewegungen, die Demokratisierungs- und Nationalisierungsprozesse zwar nicht immer linear und direkt durch, aber der Adel wurde doch weit weniger als zuvor als gesellschaftliche Elite wahrgenommen.62 Zeitlich sind es daher die ersten drei Viertel des 19. Jahrhunderts, räumlich die Städte Prag und Breslau mit ihren Umgebungen, die den empirischen Fokus der Arbeit bestimmen. Aus den genannten Fragestellungen und den eben umrissenen Vergleichs­ objekten ergibt sich größtenteils der Aufbau der Arbeit. Zuerst werden die Position des Staates in den ausgewählten Regionen erläutert und die Rahmenbedingungen für die Entstehung des neuen Adels analysiert (Kapitel 2). Unter dem Begriff »Arena des Aufstiegs« fasst die Untersuchung geografische, rechtliche und soziale Räume, in denen sie das staatliche Handeln erforscht. Es wird untersucht, inwieweit sich diese »Arenen« in den beiden Vergleichsfällen ähnelten oder voneinander unterschieden, sowie, welche individuellen und kollektiven Akteure das staatliche Handeln bestimmten.63 Kapitel 3 lenkt die Aufmerksamkeit auf die Nobilitierten, um zu fragen, welche sozialen und politischen Trennungslinien der Staat bei den Nobilitierungen zog. Dieser Teil geht der Frage nach, wie sich der im 19. Jahrhundert entstandene Adel intern differenzierte, wie sich seine soziale Zusammensetzung entwickelte und welche die Faktoren waren, die diese Zusammensetzung bestimmten. Das vierte Kapitel wechselt dann die Perspektive von der großen Gruppe der neuen Adeligen zu konkreten Akteuren. Analysiert wird anhand konkreter Beispiele, welche kulturellen Praktiken der Staat im Untersuchungszeitraum durch die Nobilitierungen jeweils bevorzugte und welchen er dagegen Anerkennung verweigerte. Ferner wird in diesem Kapitel die Frage gestellt, warum und 61 Vgl. Kocka, Das östliche Mitteleuropa. 62 Clark, S.  641–647; Winkler, Der lange Weg, S.  277–297; Glassheim, S.  10–49; Křen, Dvě ­století, S. 257–285; Kořalka, Tschechen, S. 201–257; Blackbourn u. Eley, Mythen deutscher Geschichtsschreibung, S. 71–129. 63 Vgl. klassisch Jellinek, S. 544–565.

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inwieweit die dadurch entstandenen Kataloge der Adelstugenden mit der sozialen Verankerung der Ausgezeichneten tatsächlich übereinstimmten. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse präzisiert Kapitel 5, indem die fest­ gestellten Ähnlichkeiten und Unterschiede auf die Ebene der Akteure rück­ bezogen werden. Es wird untersucht, ob die Konvergenzen und Diskrepanzen ausschließlich auf die staatliche Politik zurückzuführen sind. Das so gewonnene Bild gewährt abschließend einen näheren Einblick in die Art und Weise, wie die Staaten Zentraleuropas während der Veränderungsprozesse des 19.  Jahr­ hunderts ihre Gesellschaften umzustrukturieren versuchten, welche Faktoren dabei das staatliche Handeln bestimmten und wie sich das Verständnis der Kategorie »Adel« entwickelte.

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2. Arenen des Aufstiegs Um die skizzierten Fragestellungen verfolgen zu können, müssen zuerst gewisse externe Faktoren beschrieben werden, die den Rahmen für alle beteiligten Akteure bildeten. Dabei soll hinsichtlich der Rahmenbedingungen zwischen zwei Sphären unterschieden werden, dem geografischen und sozialen Raum einerseits und den rechtlichen und administrativen Vorgaben andererseits. Der Begriff »Aufstiegsarena« ist geeignet, diese beiden Sphären analytisch zu fassen. Es wird davon ausgegangen, dass gerade der rapide soziale Wandel während des 19. Jahrhunderts die möglichen Legitimierungsmuster von Eliten­ zugehörigkeit um ganz neue Formen bereicherte, die nicht vollständig fassbar sind, wenn von vordefinierten Sozialformationen wie »Adel« oder »Bürgertum« die Rede ist. Vielmehr handelte es sich um Praktiken, die die ständische Schichtung der Gesellschaft durchbrachen, ohne immer auf die rechtlich oder sozial definierten Gesellschaftsschichten Rücksicht nehmen zu müssen. Die gesellschaftliche Elite wurde nicht mehr lediglich anhand eines rechtlichen Status, wie etwa der anerkannten Zugehörigkeit zum Adel, definiert und begann, sich durch bestimmte Verhaltensmuster zu legitimieren, die sich nicht immer mit ständischen Kategorien überlappen mussten.1 Diese Verhaltensmuster mussten aber nicht unbedingt neu sein, sondern konnten immer noch den alten, mit dem Adel verbundenen Tugenden entsprechen. So konnten Karrieren im Militär- oder Beamtendienst stets die Zugehörigkeit zur Elite rechtfertigen, waren jedoch bald unter den Legitimierungsmustern nicht mehr dominant. Auch Akteure, die dem Adel nicht angehörten, konnten nun eine gesellschaftlich herausgehobene Rolle einnehmen und diese etwa aus ihrem aufgrund persön­licher Leistungen erworbenen Vermögen und gesellschaftlichen Prestige ableiten. Auf der anderen Seite übten Adelstitel immer noch eine große Anziehungskraft aus. Obwohl der Adelsstand nicht mehr automatisch gesellschaftliche Führungspositionen mit sich brachte  – die vielen Fälle von im Laufe des 19. Jahrhunderts sozial abgestiegenen Adelsfamilien zeigen dies deutlich –, war die Nobilitierung immer noch eine äußerst willkommene Bestätigung des individuellen Erfolgs und Aufstiegs. Die formelle Zugehörigkeit zum Adel gewährleistete neben symbolischen Vorzügen auch praktische Vorteile, wenn auch nicht im gesamten untersuchten Zeitraum im selben Maße. Der Begriff »Arena« wird hier also als ein geografischer und sozialer Raum verstanden, in dem sich Akteure mit verschieden legitimierten Ansprüchen auf Adelswürdigkeit begegneten, miteinander konkurrierten und sich um die Anerkennung seitens des Staates bemühten. Der Staat spielte in der »Aufstiegs­ 1 Vgl. Tacke.

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arena« gewissermaßen die Rolle eines Schiedsrichters, der darüber entschied, welche Verhaltensmuster für den Adel qualifizierten und welche nicht. Die qua Nobilitierung vollzogene staatliche Anerkennung bestimmter Handlungspraktiken belohnte jedoch nicht nur das Verhalten Einzelner, sondern wirkte normbildend, indem sichtbar gemacht wurde, welche Eigenschaften für die Zugehörigkeit zur Elite befähigten. Nicht zufällig wurden in den einzelnen konkreten Fällen die Nobilitierungsgründe publik gemacht. Die staatlichen Positionen im Hinblick auf die verschiedenen Verhaltensmuster lassen sich am deutlichsten in solchen »Aufstiegsarenen« erkennen, in denen sich möglichst viele solcher Muster treffen. Obwohl die konkreten Verhaltensweisen nicht immer eindeutig bestimmten sozialen Gruppen zugeordnet werden können, sind im Sinne der Fragestellung diejenigen Arenen des Aufstiegs in den Adel am aufschlussreichsten, die eine breite soziale Zusammensetzung aufweisen. Hier strebten verschiedene Verhaltensweisen nach Anerkennung, und der Staat hatte bei der Auswahl relativ freie Hand. Sowohl die Konstituierung solcher Arenen als auch eine nähere Betrachtung des Staates in der Rolle des Schiedsrichters sollen Gegenstand dieses Kapitels sein. Bei der geografischen Bestimmung der beiden Aufstiegsarenen, die im Wesentlichen mit städtischen Räumen deckungsgleich sind, muss ständig bedacht werden, woran nicht zuletzt Eric Hobsbawm erinnert hat: Dass städtische Räume immer Bestandteil einer größeren, sich fortwährend wandelnden Struktur und viele lokale Phänomene daher nur im Zusammenhang mit verschiedenen externen Faktoren fassbar sind.2 Dies ist für die Entstehung des neuen Adels in Zentraleuropa vor allem aus zwei miteinander kaum verbundenen Gründen wichtig. Einerseits ist der rapide soziale Wandel in Prag und Breslau im 19. Jahrhundert, der für die Entstehung der Aufstiegsarenen eine zentrale Rolle spielte, nicht von den allgemeinen Entwicklungen in der Region zu trennen. Daher müssen die strukturellen Voraussetzungen der jeweiligen Aufstiegsarenen immer in engem Zusammenhang mit allgemeineren sozioökonomischen Entwicklungen analysiert werden. Andererseits sind die staatlichen Handlungsspielräume in Rechnung zu stellen. Die mit der Entstehung des neuen Adels unmittelbar verbundenen Rechtsund Verwaltungsprozeduren waren meistenteils im gesamten Staatswesen gleich geregelt und müssen dementsprechend auf der Ebene des Gesamtstaates analysiert werden. Der Staat wird hier als eine Gruppe von Akteuren verstanden, die aufgrund ihrer dienstlichen oder politischen Stellung Einfluss auf die Nobilitierungen ausüben konnten. Es handelt sich in erster Linie um die zuständigen Beamten, die sich mit den Nobilitierungsanträgen beschäftigten und über die Kompetenz verfügten, diese in den verschiedensten Instanzen weiter zu fördern oder abzulehnen. Diese Akteure hatten aber bei ihrer Beurteilung einzelner Nobi2 Hobsbawm, S. 84 f.

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litierungswünsche nicht völlig freie Hand, sondern waren Teil eines vor allem rechtlich kodifizierten Systems, das ihren Handlungsspielraum in bestimmten Feldern eindeutig, in anderen hingegen nur sehr vage festlegte. Die Untersuchung der konkreten rechtlichen Vorschriften und administra­ tiven Vorgänge soll verdeutlichen, wer in den oft sehr komplizierten Hierarchien des Staatsapparates die Entscheidungsträger waren und innerhalb welcher Vorschriften sie agierten. Weiter soll gezeigt werden, welche materiellen und symbolischen Vorrechte es waren, die den rechtlich definierten Adelsstand mit einer beträchtlichen gesellschaftlichen Attraktivität ausstatteten. Um bei der Spielmetapher zu bleiben: In diesem Kapitel werden sowohl die Konstituierung der Aufstiegsarenen betrachtet als auch die Schiedsrichter und die Spielregeln. Die materiellen und symbolischen Vorrechte des Adelsstandes sind gewissermaßen der Preis, um den in der Arena gekämpft wurde.

2.1 Schlesien 2.1.1 Die Arena: Die Entwicklung Breslaus zur Großstadt Die Wahl der schlesischen Metropole als eine der Vergleichseinheiten ist nicht zufällig. Breslau galt im 19. Jahrhundert in der gesamten Provinz Schlesien als Inbegriff tiefen wirtschaftlichen und sozialen Wandels und bietet von daher eine adäquate Ausgangsbasis für die Fragestellungen dieser Arbeit. Im Folgenden wird primär auf diejenigen Merkmale der Stadt und ihrer Umgebung verwiesen, die für die Entstehung des neuen Adels von besonderer Bedeutung waren und Breslau zu einer geografischen und sozialen Aufstiegsarena machten. Trotz der großen Kriegsbelastungen stieg Schlesien seit Anfang des 19. Jahrhunderts allmählich zu einer der wichtigsten Industrieregionen Preußens auf. Der Verlauf der tiefen Veränderungen in der Region ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts hauptsächlich auf zwei Ebenen zu beobachten, die die Lage Schlesiens das ganze 19. Jahrhundert hindurch prägten. Einerseits entwickelte sich Schlesien zusehends zu einem der wirtschaftlichen Zentren Preußens, andererseits ging dieser Aufstieg mit der vollen Inkorporierung in den preußischen Staat einher. Allgemein bekannte Marksteine, wie etwa der erste Gebrauch der Dampfmaschine außerhalb Englands im Jahre 1788 oder die Erbauung der ersten Zuckerfabrik für den Rübenzucker 1801, standen am Anfang eines wirtschaft­lichen Aufschwungs, der die besondere Stellung Schlesiens innerhalb Preußens das ganze Jahrhundert über wesentlich prägte und auch für den neuen Adel von besonderer Bedeutung war.3 Durch den tiefen wirtschaftlichen und sozialen Wan3 Žáček, S. 116–120.

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del entstanden in ganz Europa neue Eliten mit neuen Verhaltensmustern, und Schlesien bildete keine Ausnahme.4 Die Stein-Hardenbergschen Reformen nach der Kriegsniederlage Preußens gegen Frankreich von 1806 verfolgten das Ziel, das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben von den ständischen Bedingungen der frühen Neuzeit zu entlasten, und waren auf vielen Feldern, wenn auch nicht immer vollständig, erfolgreich.5 Mehrere wichtige Aspekte der Reformen ermöglichten eine stärkere soziale Mobilität, persönlich wie intergenerationell. Dazu gehörten die relativ weitgehende Freiheit etwa der Wahl von Beruf und Wohnsitz, vor allem aber die Erlaubnis für Nichtadlige, Grundbesitz zu erwerben, und, komplementär dazu, die Aufhebung des Verbots für Adlige, bürgerliche Berufe auszuüben. Unter den Vorzeichen der einsetzenden Industrialisierung beeinflussten diese Neuerungen wesentlich die Position des Adels wie auch die Möglichkeit, in ihn aufzusteigen.6 Eines der wichtigsten Merkmale des sozialen Aufstiegs – der Grundbesitz – hörte de jure auf, unmittelbar mit der Zugehörigkeit zum Adel verbunden zu sein. Angehörigen der neu entstehenden Eliten eröffnete sich daher die Möglichkeit, Grundbesitz zu erwerben und diesen später gegebenenfalls als eine Adelsqualifikation anzuführen.7 Die schwere Agrarkrise der Zwanzigerjahre brachte dann erstmals in signifikanter Zahl den Kauf von Gütern durch Bürgerliche mit sich, und viele Rittergüter gelangten in die Hand von Beamten, Kaufleuten, Bankiers und Industriellen.8 Diese Möglichkeiten wurden noch dadurch befördert, dass, obwohl der wirtschaftliche Aufstieg Schlesiens immer noch von traditionellen – man kann sagen: feudalen  – Wirtschaftsmustern gekennzeichnet war, sich langsam ganz neue gesellschaftliche Gruppierungen durchzusetzen begannen. Diese konnten im Laufe der Zeit aufgrund ihrer Erfolge in verschiedenen Tätigkeitsfeldern den Anspruch auf Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Elite erheben, und häufig versuchten sie, diesen durch eine Nobilitierung zu besiegeln.9

4 Vgl. am Beispiel der modernen Intelligenz Sdvižkov, S.  9–30; Smith, S.  134 f. Allgemein: ­Kaelble, Sozialer Aufstieg. 5 Zur bisherigen historischen Deutung der Reformzeit vgl. z. B. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S.  31–82; Berding, Zur historischen Einordnung; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte II, S.  297–322; Gray; Hubatsch, S.  131–228; Koselleck, Preußen, S. 163–216. Zuletzt: Duchhardt, S. 178–235; Clark, S. 393–399; Winkler, Der lange Weg, S. 40– 78; Haas; Welskopp, Sattelzeitgenosse. Die wichtigsten Quellen siehe in Scheel u. Schmidt, Von Stein zu Hardenberg. 6 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 43 f.; Fuchs, Die Wirtschaft, S. 119–124. 7 Auch vor den Reformen war es nichtadeligen Personen möglich, Grundbesitz zu erwerben, jedoch nur mit besonderer königlicher Genehmigung. Die Reformen sanktionierten also nur eine schon vor längerer Zeit einsetzende Veränderung der ländlichen Besitzstruktur. Vgl. Schiller, »Edelleute müssen Güther haben, Bürger müssen die Elle brauchen.«; Koselleck, Preußen, S. 82–85. 8 Berdahl, S. 198–220; Carsten, S. 114 f.; Koselleck, Staat. 9 Dlugoborski; Krämer, S. 231–239.

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Der Aufstieg Schlesiens zu einem der wirtschaftlich wichtigsten Gebiete Preußens im 19. Jahrhundert verlief nicht linear, sondern wurde von vorübergehenden Rezessionsphasen und Krisen begleitet. Diese waren durch die geografische Lage Schlesiens am Rande des Staates, umgeben von den protektionistischen Zollgrenzen Russlands und Österreichs, bedingt. Dennoch wurde Schlesien immer mehr zu einem der wirtschaftlichen Zentren Preußens und blieb es bis mindestens in die Vorkriegszeit.10 Auf der anderen Seite wurde Schlesien zu Beginn des 19. Jahrhunderts völlig in den preußischen Staat inkorporiert. Die Provinz begann schon in den Zeiten des Ministers für Schlesien Graf Karl von Hoym in den Jahren 1770 bis 1806 allmählich, die preußische Herrschaft zu akzeptieren, und die seit 1807 prak­tizierte Nichtbesetzung des Postens eines eigenen Ministers für die schlesischen Angelegenheiten zeigte deutlich das Ende der regionalen Autonomie und die angestrebte vollständige Eingliederung Schlesiens in die preußischen Verwaltungsmechanismen. Die Stein-Hardenbergschen Reformen, zum Beispiel die Einführung von Städte-, Finanz- oder Gewerbeordnungen, banden Schlesien immer mehr mit dem übrigen Preußen zusammen.11 Spätestens 1816, als die schlesische Verwaltung endgültig der preußischen angeglichen wurde, wurde Schlesien zu einer der zehn ordentlichen preußischen Provinzen mit dem Breslauer Oberpräsidium als Hauptorgan der Provinz­ verwaltung.12 Diese Einordnung Schlesiens in den preußischen Staat wurde noch durch das Eindringen der preußischen Militär- und Verwaltungselite in den schlesischen Bodenbesitz verstärkt, da viele der ehemals kirchlichen Güter an Personen übergegangen waren, die, wie etwa General Blücher, starke Bindungen an Berlin hatten.13 Angesichts dieser verstärkten Verflechtung mit verschiedenen Strukturen des preußischen Staates stellte die Platzierung eines starken Militärkontingents in Breslau 1823 nur die letzte Absicherung der vollen Einbeziehung Schlesiens unter gängige preußische Herrschaftsverhältnisse dar. Als sich im Oktober 1825 der erste schlesische Provinziallandtag versammelte, handelte es sich nur um einen von mehreren der für ganz Preußen verordneten Provin­ ziallandtage, der kaum mit der früheren Autonomie der Provinz im Zusammen­ hang stand.14 Schlesien hörte also auf, eine besondere Rolle innerhalb der staatlichen Organisation Preußens zu spielen, und kann im weiteren Verlauf des 19.  Jahrhunderts als ein integraler Bestandteil des preußischen Staates ange­ sehen werden. Diese beiden Prozesse, sowohl die rapide Industrialisierung als auch die volle Inkorporierung Schlesiens in den preußischen Staat, wirkten sich in besonde10 Pierenkemper, Umstrittene Revolutionen, S. 96–107; Kiesewetter, S. 187 f.; Hohorst, S. 221–223. 11 Bahlcke, S. 87. 12 Czaplińkski u. a., S. 254–257; Weber, Das Verhältnis Schlesiens, S. 199. 13 Davies u. Moorhouse, S. 269. 14 Dazu ausführlicher z. B. Klawitter; Gehrke.

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rer Weise auf die Hauptstadt Breslau aus. Die Geschichte der Stadt im 19. Jahrhundert stellt sich spätestens ab der zweiten Jahrhunderthälfte als Entwicklung zur Großstadt dar, was sich bis heute kaum verändert hat.15 Die Industrialisierung der Region veränderte die Gestalt der Stadt erheblich. Obwohl Breslau stets das Zentrum des ganzen Landes war, stieg die Stadt im 19. Jahrhundert im Zuge der Verstädterung noch mehr zum Kern des schlesischen Geschehens auf.16 Von den großen Veränderungen, die mit Urbanisierung und rascher Industrialisierung verbunden waren, scheinen für die Breslauer Aufstiegsarena vor allem zwei Faktoren von besonderer Bedeutung zu sein. An erster Stelle ist die Gründung der Universität Breslau im Jahre 1811 zu nennen, welche die soziale Zusammensetzung der Stadt wesentlich beeinflusste und zu einer sich – im Vergleich zu früheren Zeiten – dynamisierenden sozialen Mobilität beitrug.17 Die Universitätsgründung, die nicht von den erfolgreichen preußischen Bemühungen zu trennen ist, die ganze Region fest in den Staat einzubinden, machte die Stadt zum intellektuellen Zentrum Schlesiens. Die festliche Eröffnung der Universität im Oktober 1811, die aus dem alten Breslauer Jesuitenkolleg und der ehemaligen Universität in Frankfurt an der Oder hervorging – diese war nach der Gründung der Berliner Universität 1810 nach Breslau verlegt worden –, bedeutete für die weitere Entwicklung der Stadt und der gesamten Provinz einen wesentlichen Einschnitt.18 Der Einfluss der Breslauer Universität auf die Zusammensetzung der Bevölkerung und damit auch auf das Entstehen neuer Verhaltensmuster ist kaum zu übersehen. Die neue Hochschule stand Studierenden aller Konfessionen offen, und in den ersten fünfzig Jahren ihrer Existenz besuchten sie mehr als 14 000 Studenten.19 Die verhältnismäßig geringe überregionale Attraktivität der neu gegründeten Universität hatte auf der anderen Seite zur Folge, dass ihre Fakultäten nicht so stark von Studenten außerhalb Schlesiens frequentiert wurden, die Mehrheit der Studenten also aus Schlesien stammte und nach dem Studium dort blieb.20 Die Universität konnte so zum akademischen Zentrum werden, an dem die künftige regionale Elite ausgebildet wurde.21 Diese gebildete Elite wurde durch die Absolventen der Gymnasien ergänzt, die ebenfalls das Potenzial erwarben, gesellschaftlich rasch aufzusteigen. Der zweite unübersehbare Aspekt ist der demografische Wandel der Stadt. Breslau gehörte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den am schnellsten wachsenden Städten nicht nur Preußens, sondern ganz Deutschlands. Im Jahr15 Vgl. z. B. Weiß, S. 1111–1168. 16 Hettling, S. 37–39. 17 Vgl. Kaelble, Soziale Mobilität, S. 170–176. Für einen allgemeinen Überblick ders., Histo­ rische Mobilitätsforschung, S. 73–136. 18 Vgl. Morawiec; Pater, S. 65–81. 19 Vgl. Kleineidam, S. 9–41. 20 Vgl. Weczerka. 21 Herzig, Die unruhige Provinz Schlesien, S. 520.

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hundert zwischen 1750 und 1850 zeigt sich dies am deutlichsten. Während sich in der ersten Hälfte dieses Zeitraumes, also bis etwa 1800, die Einwohnerzahl von etwa 50 000 nur auf circa 60 000 Einwohner vergrößerte, was einem Zuwachs von zwanzig Prozent entspricht, verdoppelte sich die Einwohnerzahl in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sie von 60 000 auf fast 120 000 stieg. Das rasante Bevölkerungswachstum brach um 1850 nicht ab. Allein in den folgenden zwanzig Jahren, zwischen 1850 und 1871, verdoppelte sich die Einwohnerzahl noch einmal auf mehr als 200 000 und Breslau wurde zur drittgrößten Stadt in ganz Deutschland.22 Hinter diesen Zahlen steckt aber nicht nur ein quantitativer Wandel. Im Breslau des 19. Jahrhunderts entwickelten sich hoch differenzierte soziale Milieus, die durch sehr verschiedene Faktoren gekennzeichnet waren. Die wachsende Bedeutung Breslaus unter den Handelsmetropolen Zentraleuropas brachte eine hohe Konzentration von verschiedensten Branchen des Handels mit sich, womit ein Aufstieg des Bankwesens einherging.23 Der seit den Vierzigerjahren immer schneller fortschreitende Eisenbahnbau unterstützte den Zufluss von Kapital weiter und stimulierte die Entstehung von Groß­ unternehmen.24 Die Stärkung der prominenten Stellung Breslaus innerhalb von Schlesien hatte zur Folge, dass sich die neuen, sehr oft mit der Universität verknüpften Eliten in Breslau oder in der unmittelbaren Umgebung konzentrierten. Die zentrale Position der Stadt in Schlesien veranlasste auf ähnliche Weise die Eliten alten Typs, wie etwa die Mitglieder der staatlichen Bürokratie, immer mehr Zeit in der Landeshauptstadt zu verbringen. Auch viele Großgrundbesitzer verlegten ihren Wohnsitz nach Breslau oder zumindest in die Nähe. Die schon erwähnte Stationierung einer starken Garnison ergänzte die soziale Zusammensetzung der Stadt noch um ein Offizierselement. Das seit 1823 in Breslau stationierte VI.  preußische Armeekorps hatte etwa 10 000 Soldaten, was zusammen mit ande­ren in Schlesien stationierten Truppen eine beträchtliche Anzahl niedriger und höherer Offiziere bedeutete, die das Bild der Großstadt ebenso mitprägten.25 Die Eingliederung Schlesiens in den preußischen Staat hatte zudem eine markante Reorganisierung des Verwaltungsapparates zur Folge. Die verschiedenen Organe der Landes- und Stadtverwaltung, die teilweise miteinander verbunden waren, vervollständigten das soziale Bild einer Metropole, in der alle denkbaren alten und neuen Elitetypen vertreten waren. Die Lage Breslaus als Zentrum einer sich schnell industrialisierenden Region brachte eine starke Ausprägung von neuen, eher auf Leistung und Bildung beruhenden Verhal-

22 Matzerath, S. 108–240; Bartosz u. Hofbauer, S. 79 f.; Bahlcke, S. 90 f. 23 Vgl. Straubel; Fuchs, Die Wirtschaft, S. 141–144. 24 Herzig, Schlesien; Davies u. Moorhouse, S. 237. 25 Allgemein vgl. Sicken.

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tensnormen mit sich. Andererseits wäre aber die Position Breslaus im Rahmen des preußischen Verwaltungssystems nicht ohne eine starke Beamten- und Militärkomponente denkbar gewesen.26 Sowohl neue als auch alte Verhaltensmuster konnten für die Legitimierung von Adelsansprüchen instrumentalisiert werden, und der Staat hatte bei den Adelsverleihungen eine sehr breite Auswahl, welche konkreten Verhaltensmuster er durch eine Nobilitierung auszeichnen wollte und welche für ihn keine Rolle spielten. Neben diesen strukturellen Merkmalen, die zur Herausbildung einer sehr heterogenen Gruppe möglicher Nobilitierungsanwärter führten, wurden die Adelsverleihungen, sowohl vonseiten des Staates als auch der einzelnen Bewerber, von bestimmten politischen Schlüsselereignissen mitbestimmt, die ebenso tiefe wie langfristige Folgen hatten. Die zwei wichtigsten, welche die Adels­ verleihungen indirekt auf lange Sicht am meisten beeinflussten, sind diejenigen, die das ganze Jahrhundert präformierten, nämlich die Französische Revolution samt den damit verbundenen napoleonischen Kriegen und die revolutionären Ereignisse der Jahre 1848/1849. Am Ende der Kriege gegen Napoleon wurde Breslau zu einem der symbo­ lischen Zentren des preußischen Widerstands. So formierten sich in der Hauptstadt Schlesiens unter der Führung von Lützow und Petersdorf Freikorpstruppen, die einen der Kerne der zukünftigen Armee bilden sollten. Ebenfalls in Breslau wurde eine der höchsten preußischen Militärauszeichnungen offiziell begründet – das Eiserne Kreuz.27 Diese militärische Erfahrung Breslaus und ganz Schlesiens hatte zur Folge, dass der Anteil von dekorierten Soldaten stieg, und manche dieser »Kriegs­ helden« sahen sich durch ihre militärischen Verdienste auch für den Adelsstand qualifiziert. Dabei handelte es sich nicht nur um Berufssoldaten. Gerade die Beteiligung an den Freikorps konnte sowohl von staatlicher Seite als auch in den Augen der einzelnen Kämpfenden einen Beweis außerordentlicher Hingabe für den Staat darstellen. Die freiwilligen Verdienste auf dem Schlachtfeld dienten als stichhaltiges Argument für eine mögliche N ­ obilitierung.28 Der Krieg gegen Napoleon brachte aber vor allem einen großen Anstieg der Adelsanwärter innerhalb der regulären Armee mit sich. Eine erfolgreiche militärische Karriere in Preußen war ohne Adelstitel kaum denkbar, und so boten die langen Kriege für viele Berufssoldaten passende Begründungen für den Versuch, einen solchen zu erwerben. Unter anderem waren konkrete Heldentaten in verschiedensten Situationen bestens geeignet, einen Adelsanspruch zu begründen. Auch der Staat hatte selbstverständlich gute Gründe dafür, in der unmittelbaren Nachkriegszeit bei den Adelsverleihungen das Militär zu bevorzugen. Nach der demütigenden Niederlage Preußens in den Jahren 1806 und 1807

26 Tebarth, S. 17–123. 27 Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 82 f. 28 Vgl. Hagemann, S. 396–427.

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war eines der ersten Ziele, die Armee neu aufzubauen und ihr Prestige wieder­ herzustellen.29 Adelsverleihungen konnten so einerseits für die Armee werben, andererseits kriegserprobten Offizieren eine Perspektive bieten und sie stärker an ihren Beruf binden.30 Ob das wirklich so war, wird später behandelt werden, die Voraussetzungen dafür waren aber eindeutig vorhanden. Während die Ära der Kriege mit Frankreich bewirkte, dass innerhalb der Aufstiegsarena eines der Muster von Eliteverhalten potenziell mehr Gewicht erhielt, verursachten die Ereignisse der Jahre 1848 und 1849 eine weitere Ver­ änderung, indem sie ein ganz neues Nobilitierungskriterium ins Spiel brachten. Die Revolution 1848/1849 erschütterte die gesellschaftliche Position des Adels in bisher unbekannter Art und Weise.31 Während die Französische Revolution die zentraleuropäischen Gesellschaften eher wenig berührte, waren es 1848/1849 die unmittelbaren Erfahrungen mit der eigenen Revolution, die einen radikalen Bruch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung aller sozialen Gruppierungen mit sich brachten.32 Der Adel geriet während der Revolution in eine tiefe Krise, nicht nur als soziokulturelle Gruppe, sondern während der Verhandlungen des Frankfurter Parlamentes sogar als rechtlich definierte Kategorie.33 Mit der 1849 von der Nationalversammlung beschlossenen Reichsverfassung, die den Adel als Stand mit all seinen Vorrechten aufhob, erreichte die Adelskritik des Vormärz ihren Höhepunkt.34 Breslau spielte in der Revolution die Rolle eines wichtigen Zentrums liberaler politischer Strömungen, und auch nach der Revolution blieb die Stadt einer der Mittelpunkte des politischen Liberalismus in Deutschland.35 Diese bisher nicht gekannte Politisierung der Gesellschaft stellte den Staat vor neue Probleme: Wie sollte er sich mit dem Aufschwung der neuen, dem Staat nicht besonders freundlich gesinnten politischen Strömungen auseinandersetzen?36 Ein mög­ licher Weg bot sich dabei von selbst an: Der Staat konnte absichtsvoll solche Personen auszeichnen, die in besonderer Weise für konservative Ideale und staatsnahes Verhalten standen und dabei große Außenwirkung entfalteten. Dass Nobilitierungen hierbei einen positiven Impuls setzen konnten, der zu einer dem Staat genehmen politischen Haltung inspirieren sollte, liegt auf der Hand. Gerade die prominenteste staatliche Auszeichnung konnte dazu dienen, jetzt nicht mehr nur allgemein staatlich erwünschte Verhaltensmuster, sondern ganz konkrete politische Haltungen zu belohnen und so ihren gesellschaft­ 29 Frevert, Die kasernierte Nation, S. 27–81. 30 Nitzschke, S. 117–123. 31 Zur gegenwärtigen Umdeutung der Revolution 1848/49 in der Geschichtsschreibung vgl. z. B. Evans; Dowe u. a.; Jansen u. Mergel; Langewiesche, Demokratiebewegung. 32 Ders., Die deutsche Revolution, S. 442 f.; Siemann, Die deutsche Revolution, S. 90–123. 33 Wende; Siemann, Die Frankfurter Nationalversammlung. 34 Ders., Die Adelskrise. 35 Gerber, S. 34–39; Hettling, S. 149–219. 36 Zur Genese vgl. klassisch Rosenberg, Politische Denkströmungen.

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lichen Stellenwert zu festigen. Während vor 1848 im Kontext einer politisch gefestigten Gesellschaft bei Adelsverleihungen die politische Haltung kaum eine Rolle gespielt hatte, brachte die Politisierung der Gesellschaft seit den Jahren 1848/1849 aufseiten des Staates eine unmittelbare Politisierung der Adelsverleihungen mit sich. Wie sich der Staat im Untersuchungszeitraum tatsächlich nicht nur zu den politischen, sondern zu allen in der Breslauer Aufstiegsarena festzustellenden Verhaltensmustern und Haltungen positioniert hat, ist Gegenstand der folgenden Abschnitte. 2.1.2 Die Spielregeln: Rechtliche Möglichkeiten des Adelserwerbs Das preußische Adelsrecht wurde vor 1848, in mancher Hinsicht aber auch noch danach, im Wesentlichen durch das 1794 erlassene Allgemeine Landrecht geregelt, das die relevanten Bestimmungen bezüglich des Adelserwerbs enthielt. Allgemein kann gesagt werden, dass die verfassungsrechtliche Entwicklung während des 19. Jahrhunderts eine Minderung der adligen Vorrechte zur Folge hatte, indem eine Vielzahl von Normen außer Kraft gesetzt wurde, die die Ausgestaltung der adligen Vorrechte zum Gegenstand hatten. So waren es gerade die Abschnitte des Allgemeinen Landrechts zum Adelserwerb, die am längsten in Kraft blieben.37 Der Adel konnte grundsätzlich auf zwei Wegen erworben werden  – durch Geburt oder Heirat auf der einen und durch landesherrliche Verleihung auf der anderen Seite, was für die folgende Analyse am relevantesten ist. Das formelle Recht zu nobilitieren war dem König vorbehalten, der als Oberhaupt des Staates der Einzige war, der die »Standeserhöhungen, Staatsämter und Würden« ver­ leihen konnte, was auch nie ernsthaft bestritten wurde.38 Der Nobilitierte konnte in einen der fünf preußischen Adelsränge erhoben werden  – in den einfachen Adel, den Freiherrenstand, Grafenstand, Fürstenstand oder Herzogsstand. Diese binnenadlige Aufteilung brachte in Bezug auf den Erwerb adeliger Rechte keine rechtlichen Unterschiede mit sich: Es genügte die rechtlich bestätigte Zugehörigkeit zu einem dieser Ränge, um in den Genuss der Adelsvorrechte zu kommen.39 In der Praxis wurden ganz überwiegend Nobilitierungen in den untersten Adelsstand vorgenommen. Bei näherem Hinsehen überrascht, wie vage die für alle Adelskandidaten geltenden Bestimmungen waren. Der Rechtskodex beschränkte sich in den entsprechenden Teilen nur auf die Konstatierung der königlichen Prärogative für die Adelsverleihungen und Erhebungen in eine höhere Adelsstufe, erwähnte 37 Kalm, S. 12; Birtsch. 38 Hattenhauer, Allgemeines Landrecht, S. 589, Teil XIII, § 7. Zu den Einzelheiten des Adelsrechts in Preußen siehe Elverfeldt-Ulm. 39 Hattenhauer, Allgemeines Landrecht, S. 535, Teil IX, § 21.

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ausdrücklich die Möglichkeit einer Frauennobilitierung40 und verbot den preußischen Untertanen, sich ohne Erlaubnis des Landesherren im Ausland um den Adelsstand zu bewerben. Es wurden keine rechtlich verbindlichen Voraussetzungen für die Adelskandidaten festgelegt und die zuständigen Beamten mussten bei einer Nobilitierung im Grunde nur die eheliche Abstammung des Kandidaten und die sehr allgemein definierten »persönlichen Zustände« überprüfen. Unter diesem Begriff wurde in der Regel nur die allgemeine Feststellung eines sittlichen Lebenswandels verstanden, womit grundsätzlich ein geregeltes Familienleben und Schuldenfreiheit gemeint waren. Zwar gab es während des 19.  Jahrhunderts mehrere Versuche, einen kon­ kreten Kriterienkatalog für Nobilitierungen herauszuarbeiten, die Ergebnisse blieben aber gering.41 Das Einzige, was von den umfassenden Plänen übrig blieb, war, dass 1843 Kriterien festgelegt wurden, die bei Erhebungen in eine der vier höheren Adelsstufen zugrunde gelegt werden sollten. Nach den entsprechenden Grundsätzen vom 23. Februar 1843 wurde dafür die Errichtung eines Fideikommisses obligatorisch, und der Titel wurde dann nicht nur an die Person, sondern auch an das Fideikommiss gebunden, sodass sich auf die Nachkommen eines Fideikommissinhabers nur der nicht titulierte Adel vererbte und der Nachfolger im Fideikommiss den höheren Titel erst mit dessen Übernahme führen durfte.42 Da sich diese Regelung auf die vier höheren Adelsstufen bezog, nicht aber auf den einfachen Adel, war die große Mehrzahl der Nobilitierten davon nicht betroffen. Der nicht titulierte einfache Adel wurde das ganze 19. Jahrhundert hindurch prinzipiell nur nach dem Verdienstprinzip verliehen, ohne dass der Adelskandidat vorher irgendwelche rechtlich definierten Vorleistungen nachweisen musste. Grundsätzlich konnte sich also jeder freie Untertan des preußischen Königs um eine Adelsverleihung bewerben, und auch die Nobilitierung von Ausländern war in besonderen Fällen möglich. Die Vererbung des einfachen Adels erfolgte auf alle Nachkommen ohne Rücksicht auf die Eigentums- und Besitzverhältnisse.43 Der niedrigste Adelsgrad konnte sogar durch Gewohnheitsrecht erworben werden, indem Personen oder Familien, die sich mindestens 44 Jahre lang des Adels bedient hatten, diesen dann weiter vollberechtigt nutzen konnten. Es war gerade die Erblichkeit von Adelstiteln mit ihrem hohen symbo­lischen Kapital, die den Adelsstand in der imaginären Hierarchie staatlicher Aus­ zeichnungen auf dem ersten Platz rangieren ließ. Adelstitel verschafften ihren Trägern nicht nur größeres gesellschaftliches Prestige, sondern auch gewich­ tigere materielle Vorrechte als die anderen Auszeichnungstypen wie etwa die 40 Die Nobilitierung einer Frau war zwar möglich, blieb jedoch ohne Wirkung auf ihre Kinder. Vgl. ebd., S. 534, Teil IX, § 12. 41 Vgl. dazu Reif, Adelserneuerung. 42 Kalm, S. 43 f. 43 Stein, Der preußische Geldadel I, S. 11.

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verschiedenen Orden oder die Titel Kommerzien- oder Medizinalrat.44 Der prominente Platz der Adelsverleihung unter den staatlichen Auszeichnungen wurde noch dadurch gefestigt, dass die Gefahr, einen einmal erworbenen Adelstitel zu verlieren, relativ gering war. Nach der Öffnung bürgerlicher Gewerbe für Adlige im Jahre 1807 kam eine Aberkennung des Adels eigentlich nur noch aufgrund eines schweren Verbrechens infrage oder in Fällen, die im Eherecht genau definiert waren. Allerdings blieb eine Aberkennung des Adels an ein Gerichtsurteil gebunden.45 Die rechtlichen Beschränkungen, die bei der Verleihung des einfachen Adels den Handlungsspielraum der Behörden eingrenzten, waren also äußerst formal, und die Beurteilung der verschiedenen Gesichtspunkte lag die ganze Zeit über in der Kompetenz der zuständigen Staatsstellen, die nicht verpflichtet waren, ihre Entscheidungen inhaltlich zu begründen. Es war nur die Frage der konkreten Präferenzen der einzelnen Verwaltungsbehörden und in letzter Instanz des Königs, worauf sie bei der Einschätzung der Verdienste das größte Gewicht legten und welche Verdienste sie bei den Adelsverleihungen nicht berücksichtigten. Aus Sicht der Adelsanwärter handelte es sich also beim Ausformulieren des eigenen Nobilitierungsantrags um einen ergebnisoffenen Versuch, da offizielle Kriterien, welche Verdienste und Umstände als adelswürdig betrachtet wurden, nicht bekannt waren. Andererseits standen den Bewerbern um den Titel viele Strategien zur Begründung ihrer Ansprüche zur Verfügung, sodass sie ihre eigenen Vorstellungen über nobilitierungswürdige Eigenschaften und Verdienste artikulieren konnten. Wie diese letztendlich beurteilt wurden, hing aber größtenteils von den Vorstellungen der staatlichen Repräsentanten ab. Wer hier als Vertreter des Staates agieren und direkten Einfluss auf die Nobilitierungspraxis ausüben konnte, soll im Folgenden kurz beleuchtet werden. 2.1.3 Der Schiedsrichter: Der Staat als Akteur Das Vorrecht des Monarchen zu nobilitieren wurde nie ernsthaft in Zweifel gezogen. Der König war das Staatsoberhaupt, und die Adelsverleihungen fielen in den Bereich seiner unmittelbaren Rechte. Es würde jedoch zu kurz greifen, die Nobilitierungen als Maßnahme ausschließlich einer Person zu sehen. Die fortschreitende Bürokratisierung der Staatsverwaltung beeinflusste auch die Adelsverleihungen, sodass aus einer ursprünglich königlichen Gnade eine Art Verwaltungsakt wurde.46 Das, was früher eher ein Akt gewesen war, der ein besonderes persönliches Verhältnis zwischen König und Nobilitiertem markierte, 44 Vgl. dazu Kaudelka-Hanisch. 45 Hattenhauer, Allgemeines Landrecht, S. 537, Teil IX, §§ 83–95. 46 Siehe die allgemeinen Instruktionen zum Nobilitierungsverfahren in GhStA, HA I., Rep 77, Ministerium des Innern, Nr. 1108, unfoliiert.

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hatte im 19. Jahrhundert schon die Form einer streng formalisierten und unpersönlichen Prozedur angenommen, was am deutlichsten am eigentlichen Akt der Adelsverleihung abzulesen ist. Während im Mittelalter und in vielen Fällen noch in der frühen Neuzeit die Adelsverleihung nach klar definierten Ritualen verlief, welche die persönliche Dimension des Aktes symbolisch demonstrierten, wurden im 19. Jahrhundert diese Rituale durch eine schlichte amtliche Übergabe oder sogar postalische Zusendung der entsprechenden Urkunden ersetzt.47 Die steigende Zahl der Bewerber erforderte immer mehr eine Systematisierung und Bürokratisierung des ganzen Ablaufs. Die Beurteilung der einzelnen Anträge beanspruchte besondere rechtliche und historische Fachkenntnisse, und viele Einzelheiten des Verwaltungsvorganges waren nur entsprechenden Experten verständlich. Die ersten Pläne für eine Systematisierung des Nobilitierungswesens sind in Preußen schon zu Beginn des 18.  Jahrhunderts zu finden. Die damals gegründete Institution – das Oberheraldsamt – hatte aber eher den Interessen des Adels als einer systematischen Entwicklung der Adelsangelegenheiten gedient und wurde schon kurz nach dem Tod seines Gründers Friedrich I. aufgelöst.48 Die Nobilitierungen wurden dann vornehmlich vom König vorgenommen, ohne dass er sich dafür auf eine spezielle Behörde gestützt hätte, die mit der Betreuung von Nobilitierungsangelegenheiten beauftragt gewesen wäre. Überlegungen zur Notwendigkeit einer solchen Behörde tauchten erst wieder zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf, als das Fehlen einer Adelsmatrikel zu wesentlichen Problemen vor allem bei den Anerkennungen früher verliehener Adelstitel führte. Die erste systematische Erfassung fiel also in die Zeit der großen preußischen Verwaltungsreformen, als der Adel zum Gegenstand der staatlichen Verwaltung gemacht wurde, ohne jedoch einer strengen staatlichen Aufsicht unterworfen zu werden.49 Alle Adelsangelegenheiten, und damit auch die Nobilitierungen, wurden im ersten Jahrzehnt des 19.  Jahrhunderts dem Staatskanzleramt zugewiesen, wo sie bis zum Ende dieses Amtes im Jahre 1822 verblieben, um dann an das neu gegründete Ministerium des Königlichen Hauses übertragen zu werden. Der Wechsel der Zuständigkeiten ging nach der Revolution 1848/1849 weiter, als sie nach der Auflösung des Ministeriums des Königlichen Hauses dem Innenund Justizministerium zugewiesen wurden.50 Erst nach den revolutionären Ereignissen dachte König Friedrich Wilhelm IV. neuerlich über eine besondere Institution nach, die aber diesmal ihren Schwerpunkt deutlich auf Adelsverleihungen setzen sollte. Die Nobilitierungen sollten weitgehend standardisiert

47 Vgl. Spiess. 48 Seyler, S. 633 f. 49 Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte II, S. 151–153. 50 Jeserich u. a., S. 399–469; Hubatsch u. Werstedt, S. 125–132, 154 f.

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und formalisiert werden, wozu die neu geschaffene Institution, das Heroldsamt, diente. Seine Rolle sollte, der offiziellen Verlautbarung nach, »bei den Nobilitierungsverfahren in der Beschaffung des Materials bestehen, das zur Beurteilung der Nobilitierungsgesuche erforderlich war, sowie in der Abgabe eines Gutachtens, sowohl über die Sache selbst als auch über die Modalitäten, das zu ver­ leihende Wappen usw«.51

Das Heroldsamt hat von Anfang an im Verwaltungssystem ziemlich breite Kompetenzen erhalten, indem es zwar unter der formellen Aufsicht des Hausministers stand, im Rahmen des Nobilitierungsverfahrens jedoch eigenständig handelte und eigene Verwaltungsregeln für die Adelsangelegenheiten konzipieren konnte. Es handelte sich im Wesentlichen schon um eine moderne Ver­ waltungsbehörde, die mit geeigneten Fachexperten ausgestattet wurde, die den Adel erfassen und kontrollierten sollten. Die immer wieder wechselnden Zuständigkeiten für die Adelsverleihungen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spiegeln zwar eine gewisse Konzeptlosigkeit wider, es wäre jedoch falsch, darin einen Mangel an Verwaltungskompetenz zu sehen. Die formelle Zuständigkeit für die Adelsangelegenheiten bei den jeweiligen Behörden bildete nur eine Art von äußerer Schale, unter der sich bereits vor 1848 eine spezialisierte Gruppe von Fachleuten herausbildete, die bei den Adelsverleihungen die ganze Zeit über eine persönliche Kontinuität gewährleistete. So können schon im Ministerium des Königlichen Hauses vor dem Jahr 1848 viele Personen gefunden werden, die für die Standesangelegenheiten zuständig waren, sich mit demselben Gegenstand auch nach der Revolution befassten und nach der Gründung des Heroldsamtes 1854 ihren Platz gerade hier fanden. Zum Beispiel war das wahrscheinlich wichtigste Mitglied des Heroldsamtes, Theodor Sulzer, für Adelsangelegenheiten schon im vorrevolutionären Ministerium des Königlichen Hauses zuständig, um nach der Revolution übergangslos in den zuständigen Bereich des Innenministeriums über­ zuwechseln und seine Karriere im neuen Heroldsamt zu krönen, ohne aber in der ganzen Zeit seine Verwaltungstätigkeit stark verändern zu müssen.52 Wenn wir also ein kollektives Bild der staatlichen Repräsentanten zu er­ stellen versuchen, die bei den Adelsverleihungen die Rolle des Schiedsrichters spielten, ergibt sich das Mosaik einer fachlich qualifizierten Verwaltungselite, die über weitgehende Expertenkompetenzen verfügte, sich dem Staat verpflichtet fühlte und die Adelsverleihungen (aber nicht unbedingt den Adel selbst) als einen reinen Verwaltungsgegenstand auffasste.53 Die relative Eigenständigkeit des Heroldsamtes innerhalb der Staatsverwaltung nach 1854 und das unmittelbare Interesse der Könige an den Adelsangelegenheiten in der vorherigen Zeit 51 Zit. nach Kalm, S. 28. 52 Vgl. ebd., S. 27–34, 50–57. 53 Vgl. Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, S. 210–216; Koselleck, Preußen, S. ­217–283; Fann; Gillis, The Prussian Bureaucracy; Bleek, S. 25–193; Rosenberg, Bureaucracy, S. ­137–228.

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machten aus den zuständigen Beamten einen eigenständigen Akteur, der in vielerlei Hinsicht die Ergebnisse seiner Arbeit direkt dem König zur endgültigen Sanktionierung vorlegte.54 Auch wenn es immer der König war, der das letzte Wort hatte, musste er sich doch in der deutlichen Mehrheit der Adelsverleihungen auf die Unterlagen und Stellungnahmen der Beamten stützen, deren Arbeit seit 1854 in Form des Heroldsamtes institutionell verankert war. Diese Beamten bildeten eine recht homogene Einheit nicht nur bezüglich ihrer Verwaltungspraxis und Kompetenzen, sondern auch in sozialgeschichtlicher Hinsicht. Inwieweit die Akteure in den Schlüsselpositionen selbst zum Adel gehörten, ist ein besonders interessanter Aspekt. Soweit es die Quellenlage ermöglicht, wird er in der folgenden Tabelle erfasst:55 Tab. 1: Die Zusammensetzung der über die Nobilitierungen entscheidenden Organe in Preußen Herzöge, Fürsten

Grafen

Freiherren

Einfacher Adel

Nichtadlige

Gesamtzahl

1820

5

6

2

10

7

30

1831

4

5

5

12

10

36

1851

4

4

4

13

10

35

Aus den Zahlen geht hervor, dass über die Nobilitierungen in der gesamten Zeit, für die Angaben ermittelbar sind, mehrheitlich Staatsbeamte entschieden, die selbst adlig waren. Ein Übergewicht ist auf der Seite des einfachen Adels vorhanden, der in allen Stichjahren etwa ein Drittel der für die Erteilung von Adelstiteln zuständigen Personen ausmachte. Die höheren adligen Ränge dazu­ gerechnet, war der Adel an den Nobilitierungsentscheidungen ungefähr mit drei Vierteln aller Entscheidungsträger beteiligt. Was die eigentlichen Nobilitierungsverfahren anbelangt, handelte es sich im untersuchten Zeitraum um eine streng formalisierte Verwaltungsprozedur, die stets einem ähnlichen Muster folgte. Um die Verteilung der Kompetenzen, die wichtigen staatlichen Akteure und so auch die Position der zentralen Behörden identifizieren zu können, ist es notwendig, dieses Muster näher zu skizzieren. In 54 Kalm, S. 135–140. 55 Zusammengestellt nach den Namensangaben in den entsprechenden Quellen und nach: Handbuch über den Königlich-Preußischen Hof und Staat für das Jahr 1820; desgl. 1831; Königlich Preußischer Staatskalender für das Jahr 1851. Die Quellenlage ermöglicht leider nicht, diese Angaben auch für die Zeit nach 1854 zuverlässig zu erheben, als für Adelsverleihungen schon das Heroldsamt zuständig war.

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der Regel wurde das bürokratische Verfahren durch einen Nobilitierungsantrag in Gang gebracht, der meistens von unten, vom Adelsanwärter selbst, ausging. Wenn also die erste Initiative größtenteils von dem Adelsaspiranten selbst ausging, war dies doch keine vorgeschriebene Regel. Der entsprechende Antrag konnte ebenso von einem dem Anwärter Nahestehenden eingebracht werden. In wenigen Fällen wurde der das Verfahren initiierende Antrag von juristischen Personen ausformuliert, die zum Bittsteller in einem engen Verhältnis standen.56 Die Dauer des Verfahrens betrug in unkomplizierten Fällen nicht mehr als ein Jahr, es gab aber Ausnahmen, wenn bestimmte Nobilitierungen zu einem wichtigen Anlass, wie etwa einem Regierungsantritt oder einer Huldigung, gesammelt durchgeführt wurden. In einem solchen Fall musste der Bittsteller nach einer positiven Behandlung seines Gesuchs mehrere Monate lang auf die Aushändigung des Adelsbriefes warten.57 Nach Empfang des Nobilitierungsgesuchs, das in der Regel direkt an den König adressiert war, wurde die ganze Sache sofort an die zuständigen Beamten  – je nach dem Zeitpunkt entweder im Staatskanzleramt, im zuständigen M ­ inisterium oder nach 1854 im Heroldsamt – weitergeleitet, die dann die eigentliche Verwaltungsprozedur steuerten. Die Beamten holten die von ihnen als für die Entscheidung wichtig erachteten Informationen ein, wozu sie sich zumeist an die Oberpräsidien der jeweiligen Provinz wandten, bei komplizierteren Fällen auch an die Kreispräsidenten oder andere zuständige Behörden. Die Anfragen an die zuständigen Landesstellen waren sehr genau formuliert und an sehr konkreten Informationen interessiert, sodass der Spielraum der sich äußernden Stellen ziemlich begrenzt war. Die angeschriebenen Ämter konnten jedoch weitere Informationen hinzufügen, die ihrer Ansicht nach wichtig waren. Der Zweck dieser Anfragen bestand darin, die im Gesuch angeführten Nobilitierungsargumente des Antragstellers zu überprüfen und, falls nötig, weitere Informationen anzufordern. Gleichzeitig informierten die staatlichen Stellen den Kandidaten über den Empfang des Gesuchs und stellten erstmalig die Frage, ob er im Falle eines positiven Entscheids zur Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühren bereit sei. Ohne diese erste, unbedingt persönliche Zustimmung des Kandidaten konnte das Verfahren nicht fortgesetzt werden. Somit war spätestens an diesem Punkt des Verfahrens gewährleistet, dass der Kandidat von dem Antrag, der ja nicht unbedingt von ihm selbst eingereicht worden sein musste, tatsächlich wusste und sich mit seiner möglichen Nobilitierung einverstanden erklärte. Nach der positiven Äußerung des Kandidaten wurde anhand der vorliegenden Unterlagen innerhalb der zuständigen Behörde ein Votum getroffen. War es positiv, wurde eine umfangreiche Zusammenfassung des Falles erstellt, die zu56 GhStA PK, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI. G, Nr. 65, unfoliiert. 57 Vgl. z. B. GhStA PK, HA I., Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4381, fol. 1–64.

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sammen mit der ausdrücklichen Empfehlung dem König vorgelegt wurde. Dessen Zustimmung bestätigte die Nobilitierung, und die zuständige Behörde war verpflichtet, ein entsprechendes Adelsdiplom auszustellen und dem Nobilitierten nach Entrichtung der angefallenen Gebühren zu überreichen.58 Das ganze Verfahren wurde dann mit einer amtlichen Veröffentlichung beendet. Aus diesem Verfahrensgang geht deutlich hervor, wie die Kompetenzverteilung unter den Behörden aussah. Die einzige Stelle, welche die Befugnis hatte, die ganze Nobilitierung de facto zu jeder Zeit zu stoppen, waren die Beamten des zuständigen Ministeriums, beziehungsweise nach 1854 des Heroldsamtes. Sie legten fest, welche Informationen über den Bewerber gesammelt werden sollten, wie sie zu beurteilen sind und in welcher Form der ganze Sachverhalt dem König vorgebracht werden sollte. Der Blick auf die Handlungspraxis der in den Jahren 1806 bis 1871 regierenden preußischen Könige bestätigt die Schlüsselrolle der Beamten noch deutlicher. Alle Könige griffen in die Nobilitierungsverfahren nur in wenigen Ausnahmefällen ein, und selbst dann handelte es sich in der Regel nicht um eine vollständige Verneinung des von der zuständigen Behörde gemachten Vorschlags, sondern um eher kosmetische Veränderungen, wie etwa den vollständigen oder partiellen Erlass der Taxen.59 Die einzigen Fälle, in denen die Könige eigene Initiative entwickelten, waren die Nobilitierungen, deren ursprünglicher Vorschlag schon direkt von ihm oder seiner Umgebung ausgegangen war. In solchen Fällen wurde die ganze, oben geschilderte amtliche Prozedur übersprungen und der Ausgewählte nach möglichst kurzer Zeit nobilitiert. Bei einer aus königlicher Initiative vorgenommenen Nobilitierung entfiel auch die Pflicht zur Entrichtung der Taxen, und so beschränkte sich die Rolle der zuständigen Behörde auf die formale Vermittlung, indem sie den Kandidaten über die königliche Absicht informierte, seine Zustimmung einholte und in Verbindung mit ihm die technischen Details, wie etwa die Form des Wappens oder des genauen Namens, klärte.60 Als ein erheb­ licher königlicher Eingriff in die üblichen Nobilitierungsverfahren war diese Variante selten und nur auf eine Handvoll Adelsverleihungen beschränkt, die zumeist hohe staatliche Beamte oder deren Nachkommenschaft betrafen. In ihrer großen Mehrheit mussten die einzelnen Nobilitierungsfälle alle zuständigen bürokratischen Instanzen durchlaufen, die ihren Machtbereich in der Regel sehr wachsam hüteten und die ihnen zugesprochenen Kompetenzen anwandten. Der Staat handelte also bei den Adelsverleihungen in Schlesien durch zwei Hauptakteure, nämlich durch die dafür zuständigen Ämter in Berlin und letztlich durch den König. In die ganze Prozedur konnten noch weitere Akteure 58 GhStA PK, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI P, Nr. 38. 59 Diese eher für die Zeit vor der Reichsgründung geltende Praxis erfuhr später, vor allem während der Regierung Wilhelms II., einige Veränderungen, als der König sein Nobilitierungsrecht nicht nur formell, sondern auch inhaltlich stärker auszuüben versuchte. Von einem qualitativen Wandel lässt sich jedoch nicht sprechen. Vgl. Hertz-Eichenrode, Wilhelminischer Neuadel?; Thompson. 60 GhStA PK, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI. E, Nr. 3.

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eintreten. Regelmäßig waren dies vor allem die zuständigen Oberpräsidien der Provinzen, die bei den konkreten Fällen stets berücksichtigt werden mussten. Die Hauptentscheidungskompetenzen konzentrierten sich aber bei den zuständigen Stellen im Zentrum. Es ist daher sinnvoll, von der Prämisse auszugehen, dass die staatlichen Präferenzen hinsichtlich der Nobilitierungen am deutlichsten durch die sich in Berlin befindlichen Behörden und in einzelnen Fällen durch den jeweiligen König zum Ausdruck kamen. 2.1.4 Der Preis: Adlige Vorrechte im bürgerlichen Zeitalter Während sich im Untersuchungszeitraum die rechtlichen Möglichkeiten des Adelserwerbs und -verlustes und der eigentliche Verfahrensgang der Adels­ verleihungen kaum veränderten und auch die Spielregeln in der Breslauer Arena sowie der Schiedsrichter in dieser Hinsicht ziemlich stabil blieben, wandelte sich der Preis, um den in der Arena gekämpft wurde, in den Jahren 1806 bis 1871 deutlich, wobei vor allem die Revolution 1848/1849 als eine Zäsur angesehen werden muss. Bei den adligen Vorrechten im Preußen des 19. Jahrhunderts sind grundsätzlich zwei Gruppen zu unterscheiden. Erstens handelte es sich um Vorrechte, die der Adlige aufgrund seiner unmittelbaren Zugehörigkeit zu einem rechtlich definierten Stand genoss, zweitens um diejenigen Vorrechte, die mehr oder weniger an den Besitz von Boden gebunden waren. Diese Trennung wurde schon mit dem Allgemeinen Landrecht von 1794 festgelegt und im 19. Jahrhundert kaum verändert.61 Die an Bodenbesitz gebundenen Vorrechte waren aber nach 1807 nicht mehr nur Adligen vorbehalten. Der seitdem mögliche Kauf von Rittergütern durch Bürgerliche brachte die Aufhebung des adligen Monopols auf diese Rechte mit sich. Es war seitdem möglich, die mit dem Besitz eines Gutes verbundenen Rechte zu genießen, ohne dem Adelsstand angehören zu müssen. In den Jahren 1823 bis 1826 wurde ein neu definierter Ritterstand mit großem, mindestens fünfjährigem Grundbesitz geschaffen, für den die Zugehörigkeit zum Adel kein Kriterium war. Dies bedeutete eine klare Abtrennung konkreter, ehemals adliger Vorrechte von der rechtlichen Kategorie des Adelsstandes und ihre Anknüpfung an den nicht mehr nur Adligen zugänglichen Bodenbesitz.62 Der neu geschaffene Ritterstand setzte sich also aus adligen und bürgerlichen Rittergutsbesitzern zusammen. Der Adel stellte zwar weiterhin die Mehrheit der Gutsbesitzer, rechtliche Voraussetzungen für seine Dominanz gab es jedoch nicht mehr.63 61 Zum Folgenden im Wesentlichen Hattenhauer, Allgemeines Landrecht, S. 535–536, Teil IX, §§ 34–50. 62 Obenaus, S. 151–188; Koselleck, Preußen, S. 370–376. 63 Vgl. dazu Reif, Westfälischer Adel, S. 186–195.

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Die wichtigsten aus dem Grundbesitz abgeleiteten Vorrechte blieben adligen wie bürgerlichen Rittergutsbesitzern bis zum Jahre 1848 erhalten. Es handelte sich vor allem um die Patrimonialgerichtsbarkeit, die Polizeiverwaltung und das Kirchen- und Schulpatronat.64 Außerdem wurden die Rittergutsbesitzer mit verschiedenen Vorrechten in den Kreis- und Gemeindeordnungen bedacht, sie konnten Jagdprivilegien ausüben, günstiger ihren Besitz durch Fideikommisse und Majorate sichern und bekamen gewisse Steuerprivilegien.65 Ein kleiner Teil  dieser Privilegien überdauerte in bestimmten Teilen Preußens in verschiedener Form sogar das Jahr 1848, spielte aber in Schlesien nach der Revolution keine bedeutende Rolle mehr. Diese direkt aus Grundbesitz abgeleiteten Vorrechte waren zwar ziemlich umfangreich, stellten aber vermutlich einen eher unwesentlichen Grund dar, weshalb Nobilitierungen mit einer beträchtlichen gesellschaftlichen Attraktivität einhergingen.66 Ein bürgerlicher Rittergutsbesitzer hätte auch ohne Adelsverleihung alle diese Vorrechte genießen können, die einem Neuadligen ohne Grundbesitz trotz Adelszugehörigkeit versperrt blieben. Darüber hinaus wurden sie noch in den Jahren 1848/1849 größtenteils aufgehoben. Ein anderer Fall trat aber bei denjenigen adligen Vorrechten ein, die jeder Nobilitierte ungeachtet seiner Besitzverhältnisse erwarb. Die wesentlichen Rechte, die bis 1848 mit einer Adelsverleihung unmittelbar verbunden waren und zumeist auch nach dem Jahr 1848 erhalten blieben, waren der starke Schutz adliger Namen, Titel und Wappen und der privilegierte Gerichtsstand.67 Der Adel hatte außerdem das Vorrecht des Zutritts zum Hof, nur Adlige konnten bestimmte Hofwürden erlangen, Schüler bestimmter Erziehungsanstalten und Akademien werden, und einzelne Adelsstiftungen zählten die Zugehörigkeit zum Adel zu ihren wichtigsten Förderungskriterien.68 Es waren gerade die letzterwähnten Vorrechte, die den Adelsstand nicht nur vor, sondern auch nach 1848 für potenzielle Adelsaspiranten erstrebenswert machten. Für die Nobilitierten eröffnete der Zugang zu adligen Stiftungen und Anstalten die begehrte Möglichkeit, ihren Nachkommen eine höher geschätzte Ausbildung und Erziehung zu ermöglichen und somit den sozioökonomischen Status der Familie zu steigern. Die Adelsverleihung vergrößerte so das sym­ bolische und kulturelle Kapital einzelner Familien, das in den vorherigen Generationen mit großem Aufwand akkumuliert worden war. Das Recht des Hofzutritts oder der Erlangung von Hofwürden kam für die nobilitierten Personen selbst in der Regel kaum in Betracht, die formelle Zugehörigkeit zum Adel erhöhte aber die Chancen der nachfolgenden Familiengenerationen, irgendwann 64 Vgl. Wienfort, Patrimonialgerichte. Aus der rechtsgeschichtlichen Perspektive Werthmann, S. 17–34, 75–140. 65 Reif, Adelspolitik; Eckardt, S. 195–255. 66 Vgl. Wienfort, Patrimonialgerichte, S. 322–352. 67 Bornhak, S. 54–66. 68 Beha.

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in die höchsten gesellschaftlichen Kreise aufzusteigen, und dies sowohl in zivilen als auch militärischen Laufbahnen. Der Preis, um den in der Breslauer Aufstiegsarena gekämpft wurde, war also vielleicht auf den ersten Blick nicht außerordentlich reizvoll, auf lange Sicht konnte er aber den Gewinnern erhebliche Erträge bringen. Die Adelsverleihung beinhaltete einen zwar sehr schwer messbaren, aber nicht unbedeutenden Vorteil. Das symbolische Kapital, das durch eine Adelsverleihung erworben werden konnte, war in einer Gesellschaft, in welcher der Adel das ganze 19. Jahr­hundert hindurch eine sehr prominente Rolle spielte, besonders hoch, auch wenn daraus keine unmittelbaren materiellen Begünstigungen hervorgehen mussten. Einen Adelstitel zu haben, bedeutete unzweifelhaft das Erreichen eines markanten Punktes auf dem gesellschaftlichen Weg nach oben.

2.2 Böhmen 2.2.1 Die Arena: Prag als die fortbestehende Landesmetropole Prag als das traditionelle Zentrum Böhmens bietet sich im Kontext dieser Arbeit, ähnlich wie Breslau, als passender Untersuchungsgegenstand an. Böhmen, und damit auch seine Metropole, erlebte seit der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts eine Reihe von Entwicklungen, die für die Formierung der Prager Aufstiegsarena von besonderer Bedeutung waren und die in vielerlei Hinsicht als parallel zu Breslau angesehen werden können. Es handelt sich in erster Linie um die Position Böhmens im Rahmen der österreichischen Industria­ lisierung und um die Zentralisierung der österreichischen Verwaltung, die das ehemalige böhmische Kronland in eine der vielen habsburgischen Provinzen verwandelte. Obwohl die Ansichten über Wesen, Tempo und Umfang der Industrialisierung Österreichs immer noch sehr differieren, scheint die These breit akzeptiert zu sein, dass ihr Beginn in der zweiten Hälfte der 1820er Jahre zu suchen sei.69 Es war schon die österreichische Gesellschaft des Vormärz, die mit einem zwar noch langsamen, doch aber deutlichen Wandel konfrontiert war und durch ihn verändert wurde.70 Wie Ernst Bruckmüller bemerkt, war die Alltagskultur des Biedermeier eigentlich die erste industrielle Kultur Österreichs.71 Böhmen spielte dabei innerhalb Österreichs eine ähnliche Rolle wie Schlesien im preußischen Kontext. Als traditionelle Gewerbelandschaft verfügte Böhmen 69 Sandgruber, Ökonomie, S. 176–179; Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. 34 f.; Komlos, S. 64–139; Good, S. 11–37. 70 Sandgruber, Die Anfänge, S. 97 f.; ders., Lebensstandard. 71 Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs, S. 200.

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im zentraleuropäischen Raum über außerordentlich günstige Voraussetzungen, die es zu einem der wichtigsten wirtschaftlichen Zentren der Monarchie erhoben. Im Vergleich zu anderen Regionen war Böhmen durch ein relativ gutes Verkehrsnetzwerk, ein progressives demografisches Wachstum und ein wesentlich über dem Durchschnitt liegendes Bildungsniveau gekennzeichnet.72 Dieses Potenzial war vor allem in den größeren Städten zu finden, wo sich während des 19. Jahrhunderts sowohl eine beträchtliche Menge von technischem und öko­ nomischem »Know-how« als auch qualifizierte Arbeitskräfte bündelten.73 Die Grundlagen der späteren wirtschaftlichen Dynamik Böhmens wurden schon in der ersten Jahrhunderthälfte gelegt. Die zunehmende Kapitalmobi­ lität ermöglichte einen Aufstieg von neuen Formen des Bank- und Sparkassenwesens, und schon vor dem Jahr 1848 formierte sich hier eine Schicht von Industrieunternehmern, Großhändlern und Bankiers, die zusammen mit der sich entwickelnden institutionellen Basis eine wesentliche Bedingung des einsetzenden Aufschwungs darstellten. Spätestens ab den Vierzigerjahren waren die böhmischen Länder auf dem Weg, eines der Zentren der österreichischen Industrie zu werden. Dass sich diese Entwicklung besonders deutlich in Prag ausprägte, liegt auf der Hand.74 Ebenso wie die preußischen Reformen zu Jahrhundertbeginn hatten in Österreich die Verfassungs- und Verwaltungsreformen der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts die Entmachtung und Zerschlagung der alten ständischen Strukturen zum Ziel. Die weitgehende Zentralisierung der Monarchie verwandelte die früheren, in verschiedener Hinsicht noch selbstständigen Länder in Provinzen eines integrierten Staatsorganismus.75 Die ständischen Privilegien wurden durch zentrale Ämter, Dienste, freie Berufe oder durch Geschäftsleute und Unternehmer ersetzt, und die Städte wurden so zu einem Kernpunkt des Lebens auch für das breite Umland.76 Auch der traditionelle Grundstein des Adelsstatus – der Grundbesitz – erfuhr durch die Reformen der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts wesentliche Ver­änderungen. Waren es in Preußen die Stein-Hardenbergschen Reformen, welche die unbedingte Koppelung der Adelszugehörigkeit an Grundbesitz auflösten, ist in Österreich ein ähnlicher Verlauf schon in den 1780er Jahren zu beobachten. Auch in Böhmen war die Grundherrschaft aus ihrer engen Ver­bindung zur Adelszugehörigkeit gelöst worden. Schon im Jahre 1782 dispensierte Joseph  II. zum Beispiel für Böhmen die nichtadeligen Käufer von Staatsgütern von dem Erfordernis der Adelserlangung. Und wenngleich die gründliche Veränderung des rechtlichen Rahmens für den Grundbesitzerwerb auf großen Widerstand beim Adel stieß: Zu einer Rückkehr zum Adels­ 72 Horská u. a., S. 130–142. 73 Křen, Dvě století, S. 195. 74 Vgl. Urban, Kapitalismus, S. 63–69. 75 Hledíková u. a., S. 136–169. 76 Sandgruber, Ökonomie, S. 228 f.

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privileg auf Grundbesitz kam es nicht.77 Den Angehörigen der neuen bürgerlichen Gruppierungen eröffnete sich so die Möglichkeit, noch als Nichtadlige Grundbesitz zu erwerben, diesen aber später als eines der Argumente für Adelsansprüche zu verwenden. Für die Prager Aufstiegsarena waren weiter die Industrialisierungs- und Zentralisierungsprozesse von besonderer Bedeutung. Im Jahre 1784 wurden die ursprünglichen vier Stadtteile in einer Verwaltungseinheit vereint und Prag wurde so zum ersten Mal in seiner Geschichte eine völlig geeinte Stadt.78 Die Vereinigung der ursprünglich selbstständigen Stadtteile hatte zur Folge, dass sich die ohnehin dominierende Rolle Prags innerhalb von Böhmen noch weiter festigte. Die während des ganzen 19. Jahrhunderts rasant steigende geografische Mobilität sowie das Wachstum der böhmischen Bevölkerung machten aus Prag den Mittelpunkt und mit Abstand größten Ort des Landes. Die böhmische Hauptstadt wurde schon Ende des 18. Jahrhunderts mit mehr als 70 000 Einwohnern zur zweitgrößten Stadt der Habsburgermonarchie, wobei der Bevölkerungszuwachs seine Dynamik erst allmählich entwickelte.79 So überstieg Prag die symbolische Grenze von 100 000 Einwohnern schon in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts und verzeichnete in den Sechzigerjahren mehr als 150 000 Einwohner.80 Prag und Breslau befanden sich somit 1850 einwohnermäßig in der Rangliste der europäischen Großstädte gleich hintereinander, auf dem fünfunddreißigsten respektive sechsunddreißigsten Platz.81 Auch in Prag verbirgt sich hinter den demografischen Angaben ein wesentlicher qualitativer Wandel.82 Die soziale Struktur Prags wurde sehr stark von der dortigen Universität geprägt. Obwohl die alte und traditionsreiche Karlsuniversität auf den ersten Blick mit der neu gegründeten und viel bescheideneren Breslauer Leopoldina kaum vergleichbar scheint, waren die Einflüsse auf die Prager Aufstiegsarena sehr ähnlich. Übte die neue Breslauer Universität zu Beginn ihrer Existenz eine nur sehr beschränkte Attraktivität auf Studenten außerhalb der eigenen Region aus, war dies während des 18. und 19. Jahrhunderts auch für die Karlsuniversität der Fall. Ihre ehemals prominente Stellung hatte sie langsam, zusammen mit den anderen Universitäten der Habsburgermonarchie, verloren, und zwar in indirekter Konkurrenz mit den fortschrittlicheren deutschen Universitäten wie zum Beispiel Göttingen oder Halle. Dies hatte zur Folge, dass die Mehrheit der Prager Studenten aus Böhmen kam und nach absolviertem Studium auch dort blieb.83 77 Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs, S. 211 f. 78 Bastl, S. 33–52; Bělina, S. 15 f. 79 Vgl. Lichtenberger, S. 70; Baltzarek u. a., S. 62–69. 80 Pešek, S. 137; Fialová u. a., S. 150 f.; Janáček u. a., S. 412–415. 81 Hohenberg u. Lees, S. 227. 82 Havránek, Demografický vývoj. 83 Havránek, Univerzita, S. 19.

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Infolge der aufklärerischen Reformen im späten 18. Jahrhundert, vor allem des Toleranzpatents von 1781, öffnete sich die Prager Universität den nicht-katholischen Konfessionen, einschließlich der jüdischen.84 Die der Universität entstammende Bildungselite wies somit während des 19. Jahrhunderts eine verhältnismäßig große innere Vielfalt auf und bereicherte die Prager Aufstiegsarena um neue soziale und konfessionelle Merkmale. Für diese Auswirkungen sind auch die Entwicklungen innerhalb der Studienfächer von besonderer Bedeutung, welche die sich allmählich wandelnden Präferenzen der Studenten widerspiegelten. Wie einer der größten Kenner der Prager Universitätsgeschichte, Jan Havránek, anführt, verlor die Kirchen­ laufbahn allmählich an Attraktivität und wurde im Stellenwert von juristischen, medizinischen und, später dann, technischen Karrierewegen abgelöst.85 Sowohl die immer weiter steigende Zahl der aus der Universität hervorgegangenen Juristen und Ärzte oder der neuen technischen Intelligenz als auch die veränderte rechtliche und soziale Stellung der Universitätsprofessoren brachten ganz neue Verhaltensmuster mit sich, die für Adelsansprüche instrumentalisiert werden konnten und wurden.86 Eine geringere, aber doch deutliche Aufstiegschance hatten auch die Gymnasialabsolventen. Die Prager Gymnasien gehörten im böhmischen und vielleicht sogar im österreichischen Kontext zu denjenigen, deren Absolventen sehr häufig ihren Weg in die oberen Ränge der Staatsverwaltung oder des Handels fanden.87 Die Prager Aufstiegsarena wurde des Weiteren stark, wenn auch erst ein wenig später einsetzend, durch einen wirtschaftlichen Faktor geprägt. Die Stadt stieg im Laufe der Industrialisierung zum wichtigsten Zentrum des sich dynamisierenden Handels und der Industrie auf. Nach dem staatlichen Bankrott von 1811 begann die österreichische Wirtschaft ungefähr ab den Zwanzigerjahren wieder zu wachsen, wobei Prag vor allem durch die hohe Konzentration der Textilindustrie gekennzeichnet war.88 Unter den verschiedenen Sparten wurde die Kattunweberei berühmt, die im Ruf stand, die modernste des kontinentalen Europas zu sein. In den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts existierten in Prag und seiner unmittelbaren Umgebung schon 15 Kattunfabriken, die mehr als sechzig Prozent der gesamten böhmischen Produktion ausmachten, und andere Branchen verzeichneten ab den Zwanzigerjahren ebenfalls einen deutlichen Aufschwung.89 Mit dem industriellen Aufschwung ging eine – wenn auch begrenzte – Entwicklung des Bankwesens einher.90 Prag konnte sich darin vor allem mit Wien 84 Vgl. Melmuková, S. 28–41. 85 Havránek, Univerzita, S. 21. 86 Vgl. Cohen, Education, S. 1–94. 87 Vgl. Šafránek, Školy české II, S. 130–138; ders., Školy české I, S. 233–247; Strakosch-Grassmann, S. 201–209. 88 Vgl. Míka, Počátky; Janáček u. a., S. 427–430. 89 Vgl. Míka, K průmyslovému vývoji. Zur allgemeinen industriellen Entwicklung Prags im 19. Jahrhundert konkret und ausführlich Bělina, S. 38–52. 90 Vgl. allgemein Lawton.

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kaum messen: Die Prager Bankhäuser waren eher lokal ausgerichtet. Trotzdem entstanden hier schon im Vormärz mindestens zwei größere Banken von überregionaler Bedeutung: Die Bankhäuser Lämmel und Zdekauer weiteten im 19. Jahrhundert ihre Tätigkeit auf die ganze Monarchie aus, ohne dabei ihre feste Verankerung in Prag zu verlieren. Die Eröffnung der Prager Filiale der Österreichischen Nationalbank im Jahre 1847 krönte diese Entwicklungen und bestätigte die wirtschaftliche Bedeutung nicht nur Böhmens, sondern auch Prags, das unangefochten den Rang der drittgrößten Handelsmetropole Österreichs einnahm.91 Dass die beiden größten Bankhäuser ihren Hauptsitz in Prag behielten, illustriert aber, was für die Prager Wirtschaftseliten typisch war: Es handelte sich in der Mehrheit um Eliten mit regionaler Ausrichtung. Wenn sie auch gelegentlich über die regionalen Bezüge Böhmens hinausgriffen, blieben sie in der Regel fest in Prag verankert und dürfen deswegen der Prager Aufstiegsarena zugerechnet werden.92 Um eine Aussage über alle möglichen sozialen Segmente der Prager Aufstiegsarena treffen zu können, sei noch einmal auf Ernst Bruckmüller verwiesen. In seiner exzellenten »Sozialgeschichte Österreichs« macht er auf eine Verordnung aufmerksam, die alle jene Gruppierungen nannte, die von der Einholung des Ehekonsenses beim Wiener Magistrat befreit wurden. Es handelte sich dabei ausschließlich um die höheren sozialen Schichten, aus denen sich auch die Adelskandidaten rekrutierten. Bruckmüller führt folgende Kategorien in genau dieser Reihenfolge an: 1. adlige Personen, 2. alle landesfürstlichen, ständischen, städtischen und herrschaftlichen Beamten, 3.  Doktoren, Magister, Professoren und Lehrer der öffentlichen Schulen und Erziehungsanstalten, 4. Advokaten und Agenten, 5. alle Bürger, 6. alle Haus- und Gutsbesitzer, 7. alle Personen, die mit einem Meisterrecht, einer Landesfabriks-, Fabriks- oder einer sogenannten Regierungsbefugnis (Schutzdekret) versehen waren.93 Um diesen Kategorien konkrete Zahlen zuzuordnen, können die von Bruckmüller genannten Daten der in Wien heimatberechtigten Männer herangezogen werden. Wie Bruckmüller angibt, gab es in Wien im Jahre 1840 mehr als 90 000 Heimatberechtigte. Davon waren ungefähr 700 Geistliche, 3340 Adlige, 5453 Beamte und Angehörige des Bildungsbürgertums und mehr als 10 500 Gewerbeinhaber und Künstler.94 Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich die Prager Aufstiegsarena von der Wiens qualitativ wesentlich unterschied. Obwohl Prag kleiner war und nicht so attraktiv wie Wien, wurde es schon vor 1850 zu einem der wichtigsten Zentren der innerösterreichischen Migration.95 Auch wenn die größten Migrations91 Jakubec u. Jindra, S. 16–17. 92 Vgl. Kuděla. 93 Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs, S. 218 f. 94 Ebd., S. 212, 248. 95 Fassmann.

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wellen erst mit den ersten Agrarabsatzkrisen der Siebziger- und Neunzigerjahre verbunden waren, wurde die soziale Struktur der Stadt schon vor dem Jahr 1850 durch einen Wandel geprägt, der die Aufstiegsarena um neue Verhaltensmuster bereicherte.96 Trotz der Zentralisierung des Gesamtstaates blieb Prag das Zentrum der Landesverwaltung. Dort befanden sich deren wichtigste Organe, zuvorderst das Landesgubernium, dann das Militärkommando für ganz Böhmen. Die sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kontinuierlich ausweitende Tätigkeit der Verwaltungsbehörden auf Landesebene ließ die Zahl der Beamten beträchtlich steigen.97 In die Stadt zogen viele, deren Geschäfte eng mit den Stellen der Landesverwaltung zusammenhingen. Es handelte sich in erster Linie um höhere Staatsbeamte und Offiziere, die eines der wichtigsten Milieus für Adelsverleihungen bildeten.98 Man kann davon ausgehen, dass sich die oben erwähnte soziale Rekrutierung potenzieller Adelskandidaten in Wien von der in Prag, mit Ausnahme der großen Zahl landesfürstlicher Beamter und des am kaiserlichen Hof präsenten hohen Adels, nicht allzu sehr unterschied. So setzte sich das Reservoir möglicher Adelsanwärter sowohl in Prag als auch in Breslau im Wesentlichen aus den mit dem Staat unmittelbar verbundenen höheren Rängen in Militär und Bürokratie zusammen, ergänzt entweder durch die Repräsentanten ganz neuer Verhaltensmuster, wie etwa erfolgreiche Industrielle, Bankiers oder Kaufleute, oder durch diejenigen schon älterer Verhaltensmuster, die aber im 19. Jahrhundert wesentlich an Gewicht gewannen, wie etwa bestimmte Teile des Bildungsbürgertums.99 Auch in Prag konnte der Staat also aus einer breiten Vielfalt von Personen und Verhaltensnormen auswählen, die als nobilitierungswürdig betrachtet werden konnten. Ähnlich wie die Breslauer war die Prager Aufstiegsarena aber nicht nur von großen strukturellen Veränderungen in Region und Stadt geprägt, sondern auch durch unmittelbare politische Ereignisse, die sich ebenfalls stark auf die staatlichen Präferenzen bei den Nobilitierungen auswirkten. Es handelte sich vor allem um die Erfahrung der napoleonischen Kriege und der Revolution 1848/1849. Böhmen geriet während der langen Kriegsperiode zu Beginn des Jahr­ hunderts, ähnlich wie Schlesien, mehrmals in die Nähe oder sogar in den Mittelpunkt des Kriegsgeschehens.100 Die stete Gefahr und Realität militärischer Niederlagen zwangen die Regierung zu bisher unbekannten Maßnahmen, um die Kampffähigkeit der Armee gewährleisten zu können. Schon der Krieg im Jahre 1809 war von einer starken patriotischen Agitation begleitet, und obwohl 96 Horská. 97 So wuchs z. B. allein zwischen 1848 und 1855 die Zahl der Staatsbeamten um das Sechs­ fache. Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. 141. 98 Vgl. Heindl, S. 21–89. 99 Vgl. Litsch. 100 Dazu ausführlich Polišenský.

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ihr Erfolg umstritten bleibt, waren die Fälle von »patriotischen Opfern«, die einzelne Personen erbrachten, nicht zu vernachlässigen.101 Es handelte sich um eine Vielzahl von Möglichkeiten: beginnend mit einer freiwilligen Spende zugunsten der Armee über die Übernahme der durch die Besoldung und materielle Verpflegung der Truppen entstandenen Kosten bis hin zu direktem persön­ lichen Engagement, indem Einzelne nicht nur auf eigene Kosten kleine Truppenverbände aufstellten, sondern mit diesen auch selbst an den Kampfhandlungen teilnahmen.102 Gerade die vielfältige Unterstützung solcher »Freikorps« konnte später als willkommenes Argument bei Adelsgesuchen dienen und die Verdienstbeschreibungen von Personen mit eher ziviler Karriere um eine militärische Kom­ ponente anreichern. Dies war in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht unwichtig. Das gesellschaftliche Prestige des Militärs stieg nach den Kriegen deutlich. Es waren vor allem verschiedene Heldentaten auf dem Schlachtfeld oder allgemeine militärische Verdienste, die bei staatlichen Auszeichnungen gegenüber anderen Anwärtern unübersehbare Vorteile boten. Ähnlich wie in Preußen 1806/07 gab die österreichische Niederlage im Jahre 1809 Anlass zu einer weitgehenden Reform der Armee, und es war ein vorrangiges staatliches Interesse, für die neue Armeekonzeption möglichst qualifizierte Kräfte zu rekrutieren. Adelsverleihungen als die höchste staatliche Auszeichnung boten sich an, für solche Zwecke eingesetzt zu werden. Die Auswirkungen der Kriege gegen Frankreich waren also in der Prager und Breslauer Aufstiegsarena sehr ähnlich, indem sie das Potenzial hatten, einem der möglichen Verhaltensmuster mehr Gewicht zu verleihen. Etwas andere, mit dem schlesischen Fall aber fast identische Auswirkungen hatten die Ereignisse der Jahre 1848/1849, als auch die Prager Aufstiegsarena eine Umschichtung erfuhr und die bisherigen Legitimierungsmuster der Adelszugehörigkeit um ganz neue Varianten ergänzt wurden. Ebenso wie in Preußen geriet der Adelsstand in Österreich 1848/1849 in eine tiefe Krise. Der Verfassungsvorschlag des Kremsier Reichstags beinhaltete fast dieselbe Formulierung wie die Frankfurter Reichsverfassung, wonach nicht nur die verschiedenen adligen Privilegien, sondern der Adelsstand als rechtliche Kategorie aufgehoben werden sollte.103 Prag wurde sehr schnell zu einem der liberalen, aber auch radikalen Revolutionszentren Österreichs, und die Bedeutung der Stadt wurde im Sommer 1848 noch durch die Versammlung des Slawischen Kongresses erhöht.104 Die heftigen militärischen Auseinandersetzungen in Folge des Prager Juniaufstands sowie die folgenden polizeilichen Repressionen, die sich in manchen Fällen über die ganzen Fünfzigerjahre erstreckten, bildeten einen sehr spezifischen 101 Vgl. Švankmajer, Čechy, S. 62–74; Hroch, Na prahu, S. 125–129; Mejdřická, S. 232–241. 102 Jun. 103 Urban, Kroměřížský sněm, S. 56–58. 104 Vgl. Kolejka; Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. 57–87.

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Hintergrund, vor dem nach 1848 in Prag die Nobilitierungspolitik der öster­ reichischen Regierungen umgesetzt wurde. Mehr denn je sah sich der Staat veranlasst, Nobilitierungen als eines der direkten Mittel konservativer Politik zu nutzen und dementsprechend vor allem diejenigen Handlungsmuster auszuzeichnen, die im direkten Zusammenhang mit der Niederschlagung der Revolution standen. Der politisch wieder konsolidierte Staat konnte auf diese Weise deutlich machen, welche Handlungen und Haltungen jetzt erwünscht waren und auf öffentliche Auszeichnungen hoffen durften. Die nach den Jahren 1848 und 1849 voranschreitende Politisierung von immer breiteren gesellschaftlichen Schichten gab Anlass, die Nobilitierungen ausdrücklich zu politisieren und sie zur Förderung der staatlich bevorzugten politischen Strömungen zu nutzen. Ob diese Option auch tatsächlich wahrgenommen wurde, ist unter anderem Gegenstand der nächsten Kapitel. Die politische Aktivierung einer breiten Gesellschaftsschicht in den Jahren 1848/1849 ist im Fall der Habsburgermonarchie nicht von der Nationalitätenfrage zu trennen. Denn die Revolution von 1848/1849 brachte nicht nur die sozialen und politischen, sondern zum ersten Male sehr klar auch die nationalen Widersprüche zum Vorschein.105 Der Staat musste sich nicht nur mit der be­ ginnenden politischen Spaltung der Gesellschaft auseinandersetzten, sondern zudem mit den neuartigen Forderungen, welche die sich dynamisierenden Nationalbewegungen nach 1848 – in Böhmen dann sehr deutlich seit 1861 – zu erheben begannen und die Gesellschaft folgerichtig nicht nur politisch, sondern auch national spalteten. Ähnlich wie angesichts der Politisierung der Gesellschaft boten Nobilitierungen dem Staat die Möglichkeit, die nationale Spaltung zu vertiefen oder ihr entgegenzuwirken. Durch die Verleihung des Adelsstandes an ausgewählte Personen oder Gruppen konnte die staatliche Präferenz demonstriert werden, sei es für eine der Nationalitäten oder für eine allgemein proklamierte Neutra­ lität in der nationalen Frage. Dieser Aspekt ist wahrscheinlich der einzige, der die Prager Aufstiegsarena von der Breslauer wesentlich unterscheidet. Während in Prag der Staat bei Adelsverleihungen in Bezug auf die nationale Frage eine ziemlich freie Wahl hatte, war dies in Breslau nicht der Fall.106 In Prag entwickelten sich schon vor dem Jahr 1848, sehr deutlich dann aber in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Verhaltensmuster, die ebenso von den deutschen wie von den tschechischen Eliten übernommen wurden und die als Argumente für den Adelserwerb benutzt werden konnten. Deutsche wie Tschechen wiesen spätestens nach 1848 eine breite soziale Stratifizierung auf, weshalb sich aus beiden Nationalitätengruppen Personen rekrutierten, die der Staat aufgrund ihrer Leistungen theoretisch problemlos nobilitieren konnte. 105 Štaif, Obezřetná elita, S.  112–352; Hroch, Das Europa der Nationen, S.  211–217; Jaworski, Revolution; Křen, Die Konfliktgemeinschaft, S. 71–96; Kořalka, Tschechen, S. 23–125; Kann, S. 57–335. 106 Vgl. Clark, S. 657–670.

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In Breslau hingegen waren Verhaltenserwartungen, mit denen ein Aufstieg in den Adel legitimiert werden konnte, allein auf die deutschsprachige Bevölkerung beschränkt. Der Staat wählte somit bei den Adelsverleihungen in Schlesien von vornherein nur aus deutschsprachigen Kandidaten aus.107 Während es in Prag seit den Vierzigerjahren allmählich sowohl tschechische als auch deutsche Industrielle, Beamte und Wissenschaftler gab, blieb Breslau in dieser Hinsicht homogen, und der preußische Staat musste und konnte Adelsverleihungen nicht als ein Mittel zur Milderung oder Verschärfung einer sich national polarisierenden Gesellschaft anwenden. Während die beiden Aufstiegsarenen sich im Hinblick auf alle anderen relevanten Aspekte sehr ähnlich waren, stellte die nationale Heterogenität in Prag für die dortige Aufstiegsarena die einzige Kom­ ponente dar, die es in Breslau nicht gab. 2.2.2 Die Spielregeln: Rechtliche Möglichkeiten des Adelserwerbs Verglichen mit den preußischen Verhältnissen waren die Möglichkeiten des Adelserwerbs in Österreich auf den ersten Blick gleichzeitig viel komplizierter und umfangreicher. Formell gab es kein einheitliches Adelsrecht, und die einschlägigen Bestimmungen fanden sich verstreut in verschiedenen Verordnungen und Gesetzen, sodass es selbst für Zeitgenossen sehr schwierig war, sich zu orientieren.108 Wenn wir aber die relevantesten Optionen des Adelserwerbs in Betracht ziehen, werden wir feststellen, dass sie sich vom preußischen Fall nicht allzu stark unterschieden. Der Adel konnte prinzipiell auf zwei Wegen erworben werden: entweder durch die Übertragung schon bestehender Titel (auf Grund von Geburt, Heirat oder Adoption) oder die Verleihung eines neuen Adelstitels.109 Da es sich im ersten Fall nicht um die Schaffung einer neuen adligen Familie handelte und deswegen de facto um keine Nobilitierung, konzentrieren wir uns auf die Variante der Adelsverleihung. Die Adelsverleihung konnte in einen der fünf österreichischen Adelsränge erfolgen: den einfachen Adelsstand, den Ritterstand, Freiherrenstand, Grafenstand oder Fürstenstand, wobei für Adelsneulinge in der Regel nur die zwei unteren, in Ausnahmefällen noch der Freiherrenstand, in Betracht kamen.110 107 Vgl. Kamusella, Silesia, S. 109–132; ders., Language. 108 Siehe Županič, Nová šlechta, S. 187–213; Halmos, S. 185. 109 Für die weiteren Modalitäten des Adelserwerbs in Österreich, die aber für diese Arbeit nicht von größerer Bedeutung sind, siehe umfassend Županič, Cesty k urozenosti; BinderKrieglstein, S. 37–56. 110 Der österreichische Adel hat die deutschen Begriffe »Uradel« und »Briefadel« nie übernommen und wurde erst ab 1873 in einen höheren und niederen Adel unterteilt, indem die unteren beiden Ränge den niederen Adel und die drei höheren den Hochadel bildeten. Županič, Nová šlechta, S. 95.

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Rein theoretisch konnte auch in Österreich jede rechtlich freie Person, Frauen eingeschlossen, einen Nobilitierungsantrag stellen.111 Daneben bestand aber für bestimmte Personengruppen die Möglichkeit, aufgrund von vordefinierten formalen Kriterien den Adel fast automatisch und kostenlos zu erlangen. Es handelte sich entweder um langgediente Soldaten oder um die Inhaber bestimmter österreichischer Orden. Das Recht von Offizieren, nach dreißig Jahren Dienst nobilitiert zu werden, reicht bis in die Reformzeiten des 18. Jahrhunderts zurück. Feste Konturen gewann es dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Im Laufe des Jahrhunderts standardisierte sich dieses Recht in eine Form des »systemmäßigen« Adelsstandes, wonach diejenigen Offiziere, die mindestens dreißig Jahre in der Armee gedient und an einem Feldzug teilgenommen hatten, nach Stellung eines entsprechenden Antrags automatisch und ohne weitere Überprüfung in den Adelsstand erhoben werden sollten.112 Ähnlich war es bei den Inhabern bestimmter österreichischer Orden, die auf den Adelsstand ebenfalls einen gesetzlichen Anspruch erheben konnten. Dieser sogenannte »systematisierte« Adelsstand gewährleistete einen automatischen Adelsanspruch für jeden österreichischen Bürger, dem ein bestimmter österreichischer Verdienstorden verliehen wurde.113 Österreich kannte zwischen den Jahren 1806 und 1918 insgesamt acht verschiedenen Orden, von denen für eine Nobilitierung in der Regel vier in Betracht kamen, nämlich der Orden der Eiser­ nen Krone, der Leopoldsorden, der österreichische Militär-Maria-TheresienOrden und der Sankt-Stephans-Orden, wobei der »systematisierte« Adelsstand zumeist aufgrund des Erwerbs des Ordens der Eisernen Krone verliehen wurde.114 Je nach erworbenem Orden war es möglich, die Nobilitierung in die drei unteren Adelsränge zu beantragen, die – ähnlich wie bei den Offizieren – automatisch und reibungslos ohne Überprüfung von irgendwelchen anderen Kriterien verlief.115 Der »systematisierte« Adel erfuhr seine größte Blütezeit erst nach dem Jahr 1870, als eine große Mehrheit der Nobilitierungen von Zivilisten automatisch aufgrund vorangegangener Ordensverleihungen erfolgte und der Staat auf die Überprüfung und Einschätzung von Argumenten, die für die Aufnahme in den Adel sprachen, verzichtete.116 Diese Überflutung mit systematisch erteilten Adelstiteln, die in den Siebzigerjahren ansetzte, erzwang zu Beginn der Achtzigerjahre eine weitgehende Reform, mit der 1884 die automatischen 111 Nobilitierungen von Frauen waren in Österreich keine Ausnahme. Vgl. ebd., S. 144 f. 112 Zur ausführlichen Entwicklung dieser Möglichkeit des Adelserwerbs Cornaro; WaldsteinWartenberg, Österreichisches Adelsrecht. 113 Vgl. Jäger-Sunstenau, Die Wappen; Leischnig. 114 Vyskočil. 115 Zu den Einzelheiten Vogl; Schmidt; Ludwigstorff; Pandula. 116 Die genauen Zahlen sind zwar strittig, die Dominanz der automatischen Nobilitierungen in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts ist jedoch eindeutig. Vgl. Wandruszka, Die Zweite Gesellschaft, S. 63; Witting.

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Nobilitierungsansprüche bei der Mehrheit der österreichischen Orden abgeschafft wurden.117 Für die Zeit vor 1870, auf die sich diese Arbeit konzentriert, ist aber die auto­ matische Verleihung des Adelsstandes keineswegs typisch, und die meisten Adelsanwärter mussten ihren Anspruch auf einen Adelstitel immer noch überzeugend begründen.118 Ähnlich wie in Preußen hatten die staatlichen Behörden bei der Einschätzung und Gewichtung der konkreten Argumente und Begründungen zwar keine absolut freie Hand, die allgemeinen Regeln waren aber vielleicht noch vager als im preußischen Fall. Während in Preußen das einzig verbindliche Kriterium seit 1843 in der obligatorischen Gründung eines Fideikommisses bestand – jedoch nur für den ohnehin sehr schwer erreichbaren Freiherrenstand –, fehlte eine solche verbind­ liche und öffentliche Verordnung in Österreich völlig. In den Jahren 1806 bis 1871 wurden die allgemeinen Voraussetzungen für den Erwerb des Adels – mit den zwei Ausnahmen des »systemmäßigen« und »systematisierten« Adels – nie formuliert, und die zuständigen staatlichen Behörden in Österreich unterlagen bei den einzelnen Nobilitierungen noch weniger Beschränkungen als die preußischen. Die gewohnheitsmäßig zu überprüfenden, für alle Kandidaten gültigen Kriterien bestanden ebenso wie in Preußen nur in anständigem Lebenswandel, Schuldenfreiheit und ehelicher Abstammung. Die Einschätzung von anderen Nobilitierungskriterien verblieb völlig in der Kompetenz der zuständigen Behörden. Keiner der Adelsränge wurde de jure an ein Fideikommiss oder sonstige Voraussetzungen geknüpft, und der Adel wurde in Österreich nur nach dem reinen Verdienstprinzip verliehen, wobei die Gewichtung einzelner Verdienste den zuständigen staatlichen Organen und in letzter Instanz dem Kaiser überlassen wurde. Den Haupteinfluss bei der Mehrheit der Nobilitierungen hatten also sowohl in Preußen als auch in Österreich die zuständige staatliche Verwaltung und das jeweilige Staatsoberhaupt, die Unterschiede waren nur gering und eher formeller Natur. In beiden Staaten kamen bei den meisten Nobilitierungen alle Nachkommen des Geadelten in den Genuss des Titels. Ein persönlicher Adel war äußerst selten, und in beiden Staaten war der Verlust des Adels nur durch ein gerichtliches Urteil in einem Strafprozess möglich, in speziellen Fällen noch bei einer Scheidung.119 Das Einzige, was Preußen und Österreich in Bezug auf die rechtliche Behandlung des Adelserwerbs unterschied, war die in Österreich fehlende Möglichkeit, einen gewohnheitsrechtlichen Adel zu legalisieren. An­ sonsten kann konstatiert werden, dass die Spielregeln in den beiden Aufstiegsarenen von eher formeller und ungenauer Natur waren. Beide Staaten hatten sowohl in Böhmen als auch in Schlesien bei der Einschätzung einzelner Perso-

117 Županič, Nová šlechta, S. 141–143; Bruckmüller u. Stekl, S. 178. 118 Vgl. Županič, Systematizované šlechtictví; Binder-Krieglstein, S. 51–60. 119 Binder-Krieglstein, S. 65–76.

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nen und für den Adelsstand qualifizierender Verhaltensmuster einen sehr ähnlichen, wenig beschränkten Handlungsspielraum. 2.2.3 Der Schiedsrichter: Der Staat als Akteur Auch in Österreich gehörten zwischen den Jahren 1806 und 1871 die Nobi­ litierungen rechtlich gesehen in die Kompetenz des Kaisers. Ohne dessen Unterschrift wäre eine Adelsverleihung zwar undenkbar gewesen, die Bürokra­ tisierung und Systematisierung der Adelssachen war jedoch in Österreich noch stärker als in Preußen und machte das Nobilitierungswesen in vielerlei Hinsicht zum Gegenstand der Staatsverwaltungspraxis.120 Die Habsburgermonarchie setzte sich schon lange vor dem Jahr 1806 mit der asymmetrischen Zusammensetzung des Adels in den einzelnen Herrschaftsgebieten auseinander. Die geografische und kulturelle Heterogenität des Staates brachte unterschiedliche Adelslandschaften mit verschiedenen Traditionen und Verhältnissen mit sich. Der Staat widmete sich schon im 17. Jahrhundert der Milderung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Territorien und schuf somit de facto einen formell einheitlichen Adelsstand, wobei die Nobi­ litierungen im Rahmen dieser Bestrebungen eine der wichtigsten Rollen spielten. In Böhmen verloren Nobilitierungen besonders früh ihre ursprüngliche Bedeutung als reiner Ausdruck königlicher Dankbarkeit gegenüber einzelnen Personen. Schon im 17. Jahrhundert, als Reaktion auf den Aufstand von 1620, gerieten sie zum Instrument der Restrukturierung der gesamten böhmischen Adelslandschaft.121 Der Prozess der Schaffung eines einheitlichen, in allen habsburgischen Herrschaftsgebieten ähnlichen Adelsstandes wurde so in fast ganz Österreich schon vor 1806 beendet, in Böhmen verliefen die letzten Angleichungsmaßnahmen während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ab dem Jahr 1749 konnte nur ein einziger Adel aller österreichischen Erbländer erworben werden, und in den Sechziger- und Siebzigerjahren wurden die bereits früher im Reich, in Böhmen und in den Alpenländern erworbenen Titel völlig gleichgestellt.122 Es kam in Österreich zwar nie zur Gründung einer speziellen Behörde, die sich mit Nobilitierungen befassen sollte, der Verfahrensgang bei Adelsverleihungen war aber wie in Preußen streng formalisiert und verlief während des gewählten Zeitraums nach einem sehr ähnlichen Muster. Auch in Österreich kann der staatliche Akteur als verhältnismäßig homogen betrachtet werden, und das nicht nur aufgrund eines konstanten Personenkreises, der sich mit den Nobi­ litierungen beschäftigte, sondern auch in Bezug auf die institutionelle Verankerung der Adelsagenda in der österreichischen Staatsverwaltung. Im Vergleich 120 Vgl. Mayerhofer u. Pace, S. 129–138. 121 Dazu insbesondere Maťa, S. 67–76. 122 Steinbauer; Schwarzenberg.

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zu Preußen, wo die mit Nobilitierungsangelegenheiten befassten Beamten ihren Zuständigkeitsbereich ständig wechseln mussten, war die institutionelle Verankerung in Österreich vor 1848 viel stabiler, und auch die Revolution verursachte keinen radikalen Umbau.123 Bei einem üblichen Nobilitierungsverfahren handelte es sich in Österreich in der Regel um ein gut organisiertes Verwaltungsverfahren, das nicht mehr als ein Jahr in Anspruch nahm. Die Nobilitierungen wurden meistens durch eine Initiative von unten in Gang gesetzt, das heißt durch den Bittsteller, der einen entsprechenden Antrag an das zuständige Landesamt, im böhmischen Fall an das Landesgubernium stellte. Die Prager Gubernialverwaltung sammelte über den Bittsteller die notwendigen primären Informationen und reichte die ganze Sache an die Wiener Vereinte Hofkanzlei weiter. Schon in diesem Stadium war es jedoch dem Landesgubernium erlaubt, Initiative zu ergreifen und sich zu dem Fall zu äußern. Seine Stellungnahme war aber für den weiteren Ablauf nicht verbindlich.124 Erst die Wiener Hofkanzlei entschied nach Empfang des Antrags über den weiteren Fortgang, indem sie entweder weitere Informationen anforderte, den Antrag sofort ablehnte oder mit einer Empfehlung unmittelbar dem Kaiser vorlegte. Die Stellungnahme der Hofkanzlei wurde kollektiv in einem gemeinsamen Votum der zuständigen Beamten ausformuliert, sodass die ganze Behörde als ein Akteur agierte.125 Die Behörden, bei denen sich die Hofkanzlei weitere Informationen zu dem jeweiligen Antrag erbitten konnte, waren nicht näher bestimmt und konnten ein breites Spektrum von anderen Akteuren einbeziehen, von den kleinsten Verwaltungsbehörden am Wohnort des Bittstellers bis zu den einzelnen Ministerien oder dem Generalstab.126 Alle von diesen Stellen eingereichten Auskünfte hatten jedoch nur einen beratenden Charakter, und es oblag der Hofkanzlei, inwieweit sie tatsächlich berücksichtigt wurden. Im Falle eines positiven Votums legte die Hofkanzlei den ganzen Nobilitierungsfall mit einer umfassenden Begründung dem Kaiser vor. Nach der kaiserlichen Zustimmung erfolgte die übliche Nachricht an den Bittsteller über die positive Behandlung seines Gesuches, zusammen mit dem Hinweis, dass die rechtliche Urkunde – das Adelsdiplom – erst nach Bezahlung der vorgeschriebenen Gebühren ausgehändigt werden konnte.127 123 Binder-Krieglstein, S. 139–141. 124 Vgl. typisch: ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Matthias Kallina von Jäthenstein, fol. 23. 125 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Franz Dionys Merkl, fol. 1–9. 126 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Matthias Hübel von Adelswert, fol. 1–23. 127 Die Gebühren waren nicht gering. Reinhard Binder-Krieglstein hat versucht, sie im Verhältnis zum entsprechenden Preisniveau in Euro umzurechnen, und kam auf Beträge von mehreren zehntausend, bei den höheren Adelsrängen sogar auf mehr als hunderttausend Euro. Es gab aber eine häufig angewandte Praxis, auf Antrag des Bittstellers die Gebühren zu erlassen, sofern er eine nicht ausreichende finanzielle Situation nachweisen konnte. Binder-Krieglstein, S. 120. Weiter auch Županič, Nová šlechta, S. 188 f.

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Ähnlich wie in Preußen das zuständige Ministerium oder später das Herolds­ amt, war es also in Österreich die Wiener Vereinte Hofkanzlei, die den ganzen Prozess jederzeit stoppen oder direkt dem Kaiser zur abschließenden Genehmigung vorlegen konnte, ohne sich dabei auf die Stellungnahmen anderer Akteure berufen zu müssen. Obwohl der Staatsakteur in Österreich strukturierter als in Preußen war und mehrere eigenständig handelnde Institutionen und Personen umfasste, ist die Position der Hofkanzlei fast völlig mit der der für die Adelsangelegenheiten zuständigen preußischen Ministerien oder des Heroldsamtes vergleichbar. In dieser Hinsicht lohnt es sich, einen kurzen Blick auf die innere Zusammensetzung gerade dieser österreichischen Institution zu werfen, um feststellen zu können, welche Personen es eigentlich waren, die auf das Nobilitierungsgeschehen den größten Einfluss ausüben konnten. Wenn wir ein kollektives Bild dieses zentralen staatlichen Akteurs zu er­ stellen versuchen, kommen wir in einigen Aspekten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Auch in Österreich lagen die Hauptkompetenzen bei einer bürokratischen Elite, die nur dem Kaiser unterstand und ihre Handlungen ansonsten vor niemandem verteidigen musste. Die soziale Zusammensetzung dieser Verwaltungselite unterschied sich jedoch vom preußischen Fall. Am deutlichsten kommt dies in der folgenden Tabelle zum Vorschein, die die Beamten der bei den Nobilitierungen wichtigsten staatlichen Behörde in Bezug auf ihre Adelszugehörigkeit erfasst:128 Tab. 2: Die Zusammensetzung der Wiener Vereinten Hofkanzlei in den Jahren 1811–1841 Erzherzöge, Fürsten

Grafen

Freiherren

Einfacher Adel, Ritter

Nichtadlige

Gesamtzahl

1811

0

2

8

26

39

75

1821

0

11

9

29

69

128

1831

0

7

19

21

90

137

1841

0

6

22

23

87

138

Aus diesen Angaben geht deutlich hervor, dass es im Unterschied zu Preußen in der Mehrheit Nichtadlige waren, die über die Adelsverleihungen entschieden. Obwohl die Zahlen stark schwankten, waren im zuständigen Apparat der Hof128 Es ist leider nicht möglich, genau die gleichen Jahre wie in Preußen zu vergleichen, doch wurden die Stichproben zeitlich so nah wie möglich wie im preußischen Fall ausgewählt. Heindl, S. 213.

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kanzlei die Nichtadligen immer deutlich repräsentiert. 1821 machten sie mehr als die Hälfte aller Beamten aus, wobei ihr Anteil in der späteren Zeit noch stieg. Wenn auch dieser Vergleich von gewissem Interesse sein mag, kann nicht geleugnet werden, dass er weitergehende Aussagen nicht zulässt. In Österreich waren an den Nobilitierungsvorgängen je nach Fall unterschiedliche Personen in den zentralen Stellen beteiligt, und nicht alle in der Tabelle erfassten Personen verfügten in den konkreten Fällen über ein Stimmrecht. Beim Votum waren es sehr oft gerade die Adligen, die nicht nur in der Mehrheit waren, sondern auch die höheren Stellen innerhalb der Amtsstruktur bekleideten und ihren Einfluss auf die einzelnen Nobilitierungsfälle viel stärker geltend machen konnten.129 Der Ablauf der Nobilitierungsverfahren blieb prinzipiell auch nach 1848 sehr ähnlich. Die Restrukturierung des staatlichen Apparats brachte zwar wesentliche Veränderungen mit sich, und die Nobilitierungen fanden in der Staatsverwaltung formell einen neuen Platz, indem sie an ein eigenständiges Adelsdepartment des Innenministeriums überwiesen wurden. Hier blieben sie mit Ausnahme der Jahre 1860 bis 1867, als über die Nobilitierungen formell das Staatsministerium entschied, bis zum Ende der Monarchie. Der eigentliche Prozess der Adelsverleihung war davon aber grundsätzlich nicht betroffen. Das zuständige Ministerium übernahm nur die frühere Position der Hofkanzlei, und das böhmische Gubernium wurde durch die Statthalterei ersetzt. Die Kom­ petenzverteilung blieb aber im Prinzip dieselbe, und so veränderten weder die Revolution 1848/1849 und der folgende Neoabsolutismus noch die Konstitutionalisierung Österreichs nach 1861 den Ablauf des Nobilitierungsverfahrens in einer Weise, dass von einer neuen Qualität gesprochen werden kann. Die Nobilitierungen wurden weiterhin als ein absolutes Recht des Landesfürsten angesehen und blieben von den ansonsten weitgehenden Systemveränderungen der österreichischen Herrschaftsstruktur nach 1848 prinzipiell unangetastet.130 Die einzigen neuen Akteure nach der Revolution waren die neu geschaffenen Ministerien, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als eine willkommene Informationsquelle vor allem bei Nobilitierungen eigener Beamter dienten, was jedoch die Schlüsselposition des zuständigen Adelsdepartments im Innen­ ministerium nicht verletzte.131 Neben der geregelten Verwaltungspraxis existierte auch in Österreich die Möglichkeit einer vom Kaiser veranlassten Adelsverleihung, womit das ganze Verwaltungsverfahren umgangen wurde. Die Vereinte Hofkanzlei  – nach der Revolution 1848/1849 das Innenministerium  – erfüllte hier nur eine ver­ mittelnde Rolle, indem sie den jeweiligen Nobilitierten über die kaiserliche Ab129 Typisch z. B. die Adelsverleihungen an Joseph Ignaz Butschek (1810), Simon Lämmel (1811) und Maximilian Ledwinka (1837), bei denen das entscheidende Votum nur von Adligen getroffen wurde: ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Joseph ­Ignaz Butschek, fol. 12; ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Simon Lämmel, fol. 5; ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Maxmilian Ledwinka, fol. 33–38. 130 Malfér, S. 27 f. 131 Županič, Nová šlechta, S. 188 f.

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sicht informierte und dann lediglich den Prozess und die damit verknüpften Formalitäten beaufsichtigte, wie etwa die Wahl des adligen Namens oder Wappens.132 Ebenso wie in Preußen war aber ein solcher Vorgang äußerst selten, und die Mehrheit der Nobilitierungen erfolgte nach dem oben skizzierten geregelten Verfahrensgang. Wenn wir also Gestalt und Stellung der staatlichen Schiedsrichter in Österreich und Preußen zusammenfassend vergleichen, zeigt sich deutlich eine unerwartet weitgehende Ähnlichkeit. In beiden Staaten war es zwar formell das Staatsoberhaupt, das über das Recht zum Nobilitieren verfügte; die Hauptkompetenzen konzentrierten sich aber hauptsächlich in jeweils einem zentralen Amt der Staatsverwaltung, das als wichtigster staatlicher Akteur angesehen werden kann.133 In der Regel traten noch andere staatliche Behörden in den Entscheidungsprozess ein, vor allem die Verwaltungsbehörden vor Ort: das böhmische Gubernium (nach dem Jahr 1848 die Statthalterei) beziehungsweise das schlesische Oberpräsidium. Deren Rolle war zwar nicht zentral, trotzdem müssen sie in den konkreten Nobilitierungsfällen berücksichtigt werden. Es kann also in Bezug auf den staatlichen Schiedsrichter in der Prager Aufstiegsarena geschlussfolgert werden, dass sie sich vom Breslauer Fall nicht allzu stark unterschied. Der Staat war in beiden Vergleichsfällen bei den Adelsverleihungen durch ähnliche Institutionen repräsentiert, die bei den Nobilitierungen sehr ähnliche und eher vage Regeln respektieren mussten. Das vorgeschriebene Muster der dreistufigen Instanzen – Antragsteller, Staatsverwaltung, Landesfürst – wurde in beiden Fällen verfolgt, und beide Male lag die faktische Hauptentscheidungskompetenz bei der staatlichen Verwaltung. Der Monarch stellte zwar den Endpunkt im ganzen Verfahren dar, als ein eigenständig handelnder Akteur trat er aber nur in einer kleinen Minderheit der Adelsverleihungen auf. Es kann also resümiert werden, dass überraschenderweise in Böhmen wie in Schlesien nicht nur die jeweiligen Aufstiegsarenen, sondern auch die konkreten Spielregeln und der staatliche Schiedsrichter beträchtliche Ähnlichkeiten aufwiesen. Für einen vollständigen Vergleich beider Aufstiegsarenen fehlt jetzt nur noch der Preis, um den gekämpft wurde und über dessen Verteilung der Staat als der Schiedsrichter entschied. 2.2.4 Der Preis: Adlige Vorrechte im bürgerlichen Zeitalter Ähnlich wie für Preußen muss für Österreich im 19. Jahrhundert zwischen zwei Typen adliger Vorrechte unterschieden werden, und zwar zwischen den­ jenigen Vorrechten, die der Adel als Grundobrigkeit genoss, und denjenigen, 132 Ebd., S. 144 f. 133 Brauneder, S. 156–163.

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die für alle Adligen ohne Rücksicht auf eventuelles Grundeigentum galten. Eine klare Zäsur stellt auch hier das Jahr 1848 dar, als die grundbesitzenden Adligen von Herrschaftsinhabern zu bloßen Gutsbesitzern degradiert wurden und die erste Gruppe adliger Vorrechte praktisch fast komplett verschwand.134 Die aus dem Grundbesitz abgeleiteten Vorrechte waren in Böhmen prinzi­ piell den schlesischen ähnlich, und auch für Böhmen gilt der Vorbehalt, dass es zwar zumeist Adlige waren, die sie innehatten, jedoch nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Adel, sondern wegen ihres Grundbesitzes. Diese Vorrechte waren bürgerlichen Gutsbesitzern ebenso zugänglich. Sie bestanden vor allem in der Patrimonial- und Polizeiverwaltung und dem Kirchen- und Schulpatronat. Wie Ralph Melville nachgewiesen hat, spielte dabei in Böhmen vor allem die Frage der Patrimonialverwaltung eine zentrale Rolle und war ein Kern der vormärzlichen Ständepolitik. Für die Nobilitierten war sie aber von keiner be­ sonderen Bedeutung.135 Da die Neuadligen in Böhmen großenteils ohne Grundbesitz waren, muss ihr Hauptpreis in denjenigen Vorrechten gesehen werden, die nicht an den Besitz von Boden gebunden waren und die über die Revolution 1848/1849 hinweg erhalten blieben. Diese Vorrechte waren wie in Preußen eher symbolischer als materieller Natur. Es handelte sich vor allem um das bei vielen Nobilitierten eher theoretische Recht des Zutritts zum Hof, weiter um das Recht, adlige Titel, Prädikate und Wappen als Eintrittsbillet für adlige Erziehungsanstalten und Stiftungen zu führen, und schließlich um die Möglichkeit, den Familienbesitz durch die Errichtung eines Fideikommisses zu sichern.136 Unter diesen Vorrechten stellte sicher der Zugang zu verschiedenen adligen Stiftungen und Erziehungsanstalten den größten materiellen Anreiz dar. Die Zahl solcher Institute stieg während des gesamten Jahrhunderts in Böhmen stärker als in der Habsburgermonarchie insgesamt, sodass es am Ende des 19. Jahrhunderts mehr als eintausend Stiftungen verschiedenster Art gab, von denen die etwa dreißig prominentesten für die Erteilung eines Stipendiums oder sonstiger Förderung einen Nachweis über die Zugehörigkeit zum Adel verlangten.137 Neben solchen praktischen Vorteilen bedeutete aber eine Adelsverleihung in Österreich – ebenso wie in Preußen – für die einzelnen Personen die Akkumulierung eines eher langfristig angesammelten symbolischen und kulturellen Kapitals. Der Schutz dieses symbolischen Kapitals ging in Österreich sogar so weit, dass nach der Adelsverleihung die Benutzung der markantesten Symbole sozia-

134 Demel, S. 109–112; Schmitz, S. 1404 f.; Rumpler, S. 328–351. 135 Melville, Adel, S. 66–87. 136 Županič, Nová šlechta, S. 227; Georgiev; Feigl; Urfus, Rodinný fideikomis. 137 Die konkreten Ansprüche unterschieden sich je nach Stiftung. Vgl. an einem konkreten Beispiel der bekannten Prager Straka-Akademie Bezecný, Die Akademie des Grafen Straka; ders., Akademie hraběte Straky, S. 145–149; Wittlichová.

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ler Distinktion – des adligen Namens und Wappens – nicht bloß zu einem Recht gemacht wurde, sondern zu einer Art Pflicht. Dass der Staat den mit einer Nobilitierung ausgezeichneten Personen besonderen Schutz bei der Benutzung adliger Titel und Wappen gewährte, welche das markanteste Symbol sozialer Distinktion darstellten, gehörte zu den traditionellen Maßnahmen einer Monarchie. In Österreich ging dieser Schutz aber noch weiter: Der Staat bestrafte nicht nur das unberechtigte Führen von Adels­ titeln, sondern auch das Nichtführen legal erworbener Titel.138 Auch diese kleine rechtliche Besonderheit zeigt, welch hohen Wert der Staat dem Adel beimaß. Der Preis war also in Preußen und in Österreich sehr ähnlich, und der Vergleich zeigt nicht nur in dieser Hinsicht ein überraschend ähnliches Bild der beiden Aufstiegsarenen. Die Städte Prag und Breslau wurden im 19. Jahrhundert von nahezu gleichen externen und internen sozialen und wirtschaftlichen Prozessen geprägt. Ebenso war die Konfiguration des staatlichen Schiedsrichters fast identisch, indem der Haupteinfluss auf die Nobilitierungen bei zentralen Stellen der Staatsverwaltung und – wenn auch in geringerem Maße – beim jeweiligen Monarchen zu finden war. Wenn dazu noch die sehr vagen allgemeinen Kriterien des Adelserwerbs und die ähnlichen materiellen und symbo­ lischen Vorrechte in Rechnung gestellt werden, ergibt sich ein Bild von zwei fast identischen Aufstiegsarenen, in denen nicht nur die Spieler, sondern auch die Schiedsrichter, die Spielregeln und schließlich auch die Preise stark über­ einstimmten. Inwieweit sich diese Rahmenbedingungen bei den Adelsverleihungen praktisch ausprägten und ob sie in den jeweiligen Aufstiegsarenen ähnliche Sieger hervorbrachten, soll Gegenstand der nächsten Kapitel sein.

138 Županič, Nová šlechta, S. 189.

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3. Innere Struktur des neuen Adels Nachdem festgestellt worden ist, dass sich die Rahmenbedingungen für Adelsverleihungen in den beiden Vergleichsländern weitgehend ähnelten, kann jetzt zur Analyse dessen übergangen werden, wie das »Produkt« der beiden Aufstiegsarenen aussah. Welche Gruppen lassen sich in diesen Arenen als Gewinner bezeichnen? Wer waren die Menschen, die aus den beiden Arenen als Sieger hervorgingen und nobilitiert wurden? In diesem Kapitel wird es nicht so sehr um konkrete Namen oder Lebensgeschichten gehen, sondern um die so­ziale Ver­ankerung, also die Frage, wann und warum die Angehörigen bestimmter Schichten mit einer Adelsverleihung ausgezeichnet wurden. Es liegt nahe, mit der sozialgeschicht­ lichen Analyse des neuen Adels zu beginnen, die es ermöglicht, Hypothesen bezüglich der vom Staat bevorzugten Akteure zu formulieren. Dabei wird über die regionale Ebene hinausgeblickt und die Repräsentativität der sozialgeschicht­ lichen Analyse um die Betrachtung des gesamtstaatlichen Raumes erweitert. Dieses Kapitel widmet sich dementsprechend vor allem der sozialen Analyse der Nobilitierten im gesamten Staatsgebiet Preußens und Österreichs (ohne Ungarn). Die gewonnenen Ergebnisse sind aber für die konkreten Regionen Böhmen und Schlesien von großer Relevanz, und von daher wenden wir uns weiterhin hauptsächlich dieser regionalen Ebene zu. Wenn man die Adels­verleihungen in Preußen und Österreich näher betrachtet, stellt man nämlich sehr schnell fest, dass sie während des 19. Jahrhunderts immer stärker im Zusammenhang mit den Prozessen der Industrialisierung und Urbanisierung verliefen. So lassen sich für Österreich drei Hauptzentren identifizieren, in denen Adelsverleihungen erfolgten, und zwar die Städte Wien, Prag und Triest mit ihrem jeweiligen Umland. Das Gleiche kann für Preußen konstatiert werden, wo sich die Nobilitierungen geografisch hauptsächlich in den Regionen um Berlin und Breslau und in der Rheinprovinz konzentrierten.1 Die im Folgenden analysierte Verteilung der Adelsverleihungen spiegelt also die Situation in den einzelnen Regionen re­lativ getreu wider, und die sozialgeschichtliche Analyse auf der Gesamtstaats­ ebene leistet auch für die regionale Ebene einen analytischen Beitrag. Zunächst sollen die Kriterien und Kategorien der Analyse näher betrachtet werden. In beiden Ländern lässt sich der neue Adel in zwei Gruppen unterscheiden: in Nobilitierte, die ihre Adelstitel als Offiziere, und in diejenigen, die die Adelsverleihung eher mithilfe der verschiedenen zivilen Verhaltensmuster erlangten.2 Der Militäradel wird daher für die Analyse als eine eigenständige 1 Vgl. die Angaben bei Schiller, Vom Rittergut zum Adelstitel?, S. 76; Komanovits, S. 146–154; Putz, S. 231–233. 2 Vgl. Krejčík, »Neuer« Adel; Schroeder, Standeserhöhungen in Preußen.

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Gruppe behandelt. Die Armee besaß in beiden Staaten eine Struktur, die sich an einer strikt hierarchischen Ordnung orientierte, durch spezifische militärische Handlungsmuster geprägt und vom Rest der Gesellschaft abgeschottet war.3 Die quantitative Analyse geht also zunächst dem numerischen Verhältnis zwischen Militär- und Zivilpersonen unter den Nobilitierten nach und fragt nach dessen Verschiebung und den Gründen dafür. Bei den Nobilitierten mit zivilem Hintergrund werden weitere Gruppen unterschieden, die über unterschiedliche gesellschaftliche Ressourcen und Einstellungen verfügten und deren Handlungsweisen auf verschiedenen Werteorientierungen beruhten. Vor allem Personen aus den Bereichen Industrie, Handel, Kultur und Wissenschaft verfügten im 19. Jahrhundert sehr häufig über kulturelle Praktiken, die – über die jeweilige Berufsarbeit hinaus – auf die Schaffung sozialen Kapitals oder die Kultivierung eines auf das Gemeinwohl orientierten gesellschaftlichen Engagements ausgerichtet waren. Es waren zum Beispiel Fabrikanten und Kaufleute, die nicht nur ihre Geschäfte betrieben, sondern auch, vor allem in den Städten, eine prominente Rolle bei der Gestaltung von zivilgesellschaftlichen Strukturen ausübten, und das nicht nur als Mäzene. Auch die Akteure des akademischen Bereiches waren häufig Mitglieder und Führungspersonen von unterschiedlichsten Vereinen und Verbänden und verfügten über ein beträchtliches soziales Kapital, das sie häufig für ein aktives gesellschaftliches Engagement einsetzten.4 Daher werden diese wirtschafts- und bildungsbürgerlichen Gruppen in der sozialgeschichtlichen Analyse unter einer Kategorie subsumiert.5 Das Beamtentum, die vierte Gruppe ziviler Adelserwerber, konnte da­gegen seinen Adelsanspruch aus dem langen Staatsdienst ableiten und musste sich dabei kaum auf andere Qualifikationen stützen. Der nichtmilitärische Staatsdienst zeichnete sich im untersuchten Zeitraum durch eine hierarchische Struktur und durch Handlungsweisen aus, die eher auf die Vollstreckung vorgeschriebener Muster gerichtet waren.6 Für Preußen ist noch eine weitere gesellschaftliche Gruppe zu erwähnen, und zwar die der Grundbesitzer, die bei den Nobilitierungen eine unübersehbare Rolle spielten. Auch sie werden als eine eigenständige Gruppe betrachtet, und zwar als diejenigen Nobilitierten, die ihren Adelsanspruch aus ihrem Landbesitz ableiteten und somit das traditionelle Bild des Adels bestärkten, das mit dem Besitz von Grund und Boden verbunden war. Im Folgenden geht es darum, die zahlenmäßige Entwicklung der einzelnen Gruppen der Nobilitierten zu verfolgen und festzustellen, wem, wann und warum der Staat bei Adelsverleihungen den Vorrang gab und wie er dadurch das Bild des Adels als einer gesellschaftlichen Elite beeinflusste. 3 Vgl. klassisch Huntington, S. 7–58. Weiter dann Frevert, Ehrenmänner, S. 89–132; Schmitt, S. 151–280; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, S. 880–885; Deák, Der K.(u)K. Offizier, S. 117–135; Schmidt-Brentano, S. 400–496. 4 Kocka, Zivilgesellschaft in historischer Perspektive, S. 34 f. 5 Zur Begrifflichkeit siehe Kocka, Das europäische Muster, S. 9–17. 6 Vgl. Megner, Beamte, S. 334–343; Lüdtke, S. 27–82; Henning, S. 17–31.

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3.1 Preußen 3.1.1 Nur durch den Degen wird man zum Edelmann? Die Nobilitierung von Militär- und Zivilpersonen Von 1806 bis 1871 wurde der Adelstitel in Gesamtpreußen an circa 600 Personen verliehen,7 fast ein Viertel davon in Schlesien. Im Verhältnis zur Bevölkerungsentwicklung Preußens im 19. Jahrhundert heißt dies, dass eine Nobilitierung auf ungefähr 25 000 Einwohner kam.8 Die Nobilitierungspolitik Preußens galt im 19.  Jahrhundert im europäischen Vergleich als sparsam, nicht jedoch restriktiv.9 Die Adelsverleihungen an Militärs hatten in Preußen im gesamten Zeitraum einen bedeutenden Anteil:10 Diagramm 1: Anteil der Adelsverleihungen an Militärs und Zivilisten in Preußen 1806–1871 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

08 11 14 17 20 23 26 29 32 35 38 41 44 47 50 53 56 59 62 65 68 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 Militäradel

Ziviladel

7 Da die verschiedenen Berechnungen voneinander abweichen, kann keine absolut genaue Zahl angegeben werden. Vgl. Schiller, Vom Rittergut zum Grossgrundbesitz, S. 245 f.; Stein, Der preußische Geldadel II, S. 401; Koselleck, Preußen, Anhang III; Schroeder, Standeserhöhungen in Brandenburg-Preußen. 8 Kučera, Állam, S. 38. 9 Für einen knappen europaweiten Vergleich siehe Hildermeier; Petersen. Zusammenfassend Wienfort, Der Adel in der Moderne, S. 141. 10 Auch hier sind unterschiedliche Angaben zu berücksichtigen und die Zahlen nicht als absolut genau anzusehen. Für die Erfassung der Haupttendenzen reichen die Angaben jedoch aus. Das Diagramm erstellt nach den Daten in Koselleck, Preußen, Anhang III; Gritzner; Janecki, Handbuch; Schroeder, Standeserhöhungen in Brandenburg-Preußen.

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Die Grafik zeigt, dass der Anteil der Militärpersonen an den Adelsverleihungen während der ganzen Zeit etwa bei der Hälfte lag; es gab aber Jahre, in denen unter den Adelserwerbern gar keine Zivilpersonen waren (1814, 1822 und 1823). Bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass die einzige längere Periode, in der die Nobilitierung von Militärs hinter der von Zivilpersonen zurückblieb, die Jahre zwischen etwa 1845 und etwa 1860 waren. Die hohe Anzahl der Adelsverleihungen an Militärs überrascht nicht. In Preußen gehörte die Zugehörigkeit zum Adel zur symbolischen Ausstattung eines Offiziers, und der Adelsstand bestätigte auf bestimmte Art und Weise dessen Anspruch auf besondere moralische Integrität.11 Die Überzahl der Nobi­ litierungen mit militärischem Hintergrund in den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts beziehungsweise ihre Dominanz in den Jahren 1814, 1822 und 1823 ist eindeutig den Kriegen gegen Frankreich zuzuschreiben, als viele Soldaten für ihre Verdienste im Krieg nobilitiert wurden. Die ungefähre Parität in den späteren Jahren war sicher von der langen Friedensperiode beeinflusst. Nicht zufällig nahmen die Nobilitierungen von Soldaten erst wieder in der ersten Hälfte der Sechzigerjahre zu, als sich Preußen wieder stärker militärisch engagierte. Neben direkten Kriegsverdiensten gab es grundsätzlich zwei Hauptmotive, Offizieren den Adelstitel zu verleihen. Einerseits wurden ausgewählte junge Offiziere geadelt, um sie in der Armee zu halten und ihnen die weitere Karriere zu erleichtern. Andererseits war ein großer Teil der Nobilitierungen älterer höherer Offiziere als Belohnung für ihre langjährigen Dienste gedacht. Wenn wir diese zwei Hauptgründe für Adelsverleihungen in der Zeit betrachten, bestand zwischen ihnen bis zur Reichsgründung eine ungefähre Parität, mit einem leichten Übergewicht der Adelsverleihungen an lang gediente höhere Offiziere. Erst das Jahr 1871 stellt in diesem Kontext eine Zäsur dar, nach der die militärischen Nobilitierungen nun sehr klar zum Mittel der Belohnung eines langjährigen Dienstes wurden. Dagegen war die Variante in Form von Nobilitierungen junger, besonders zu motivierender Offiziere rückläufig.12 Der verhältnismäßig hohe Anteil militärischer Personen unter den Nobilitierten im gesamten Zeitraum bestätigt die besondere Position der Armee aus der Sicht des Staates. Diese stellte nicht nur ein Instrument zur Gewährleistung der äußeren Sicherheit dar, sondern verkörperte auch ein wichtiges Herrschaftsmittel.13 Die Armee wurde gewissermaßen selbst zum Repräsentanten des politischen und sozialen Systems, und ihr gesellschaftliches Prestige spiegelte die Stärke des Staates wider. Diese Rolle wurde besonders 1848/49 deutlich, als sie zum wichtigsten Mittel wurde, mit dem die Revolution niedergeschlagen wurde.14 11 Demeter, S. 1–68; Frevert, Ehrenmänner, S. 65–88; Barclay, The Soldiers; Geyer; Hughes. 12 Ausführlich und mit entsprechenden Zahlenangaben Cecil. 13 Dazu weiterführend Pröve, S. 12–73. 14 Dazu ausführlich Müller, Soldaten, S.  53–93; Langewiesche, Die Rolle des Militärs in den europäischen Revolutionen von 1848; ders., Die Rolle der Militärs in den europäischen Revolutionen von 1848/49.

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In diesem Kontext ist bemerkenswert, dass die Revolution 1848/49 Militärpersonen bei den Adelsverleihungen keineswegs begünstigte. So gab es nach 1848 keine große Welle von Offiziersnobilitierungen wie Anfang des Jahrhunderts oder auch nach 1866, als es selbstverständlich war, dass die Zahl der nobilitierten Soldaten vorübergehend stieg.15 Der gegenrevolutionäre Einsatz der Armee gegen die eigene Bevölkerung konnte aber seitens des Staates nicht wie der Einsatz in einem Krieg behandelt werden. Offiziere wurden für ihre Leistungen 1848/49 kaum nobilitiert, ihre Belohnung beschränkte sich in der Regel auf übliche Maßnahmen wie etwa die Rangerhöhung oder rein militärische Auszeichnungen.16 Die Revolution war am preußischen Offizierkorps in Bezug auf Nobilitierungen spurlos vorübergegangen, die Armee blieb eine der wichtigsten Stützen von Krone und Staat, ohne dass irgendwelche speziellen Maßnahmen zur Stärkung ihrer Loyalität hätte angewandt werden müssen.17 Im Unterschied zu den Jahren 1806–1813 stellte die Revolution für die Armee keine Krise dar, sondern das genaue Gegenteil, und es war daher nicht nötig, Nobi­ litierungen als besondere integrationspolitische Strategie einzusetzen.18 Wenn zu Beginn des Jahrhunderts die Armee nach den schweren Niederlagen starke Impulse für ihre Reform und die Wiedererlangung ihres verlorenen Prestiges benötigte – und Nobilitierungen dienten teilweise als ein solcher Impuls – war die Situation nach der Revolution von 1848/49 gerade umgekehrt. Der Satz, den schon Friedrich der Große in Erwiderung auf den Nobilitierungsantrag eines schlesischen Gutsbesitzer ausgesprochen hatte: »Durch den Degen wird Einer zum Edelmann, sonst nicht«,19 verlor zwar im 19.  Jahrhundert an absoluter Gültigkeit, Offiziere nahmen aber bei den Adelsverleihungen immer eine besondere Position ein. Die Begünstigung der Armee bei den Nobilitierungen reichte jedoch nicht so weit wie im österreichischen Fall, wo sich in Form des »systemmäßigen« Adelsstandes ein Automatismus zur Errichtung eines Militäradels entwickelte. In Preußen mussten die Offiziere ihren Anspruch auf eine Adelsverleihung immer zu begründen versuchen, was in der Regel bedeutete, dass von soldatischen Adelskandidaten, ähnlich wie von zivilen, eine Art Mehrwert erwartet wurde. Anders war aber die Situation bei den Nobilitierungen im zivilen Bereich. Es waren gerade die revolutionären Ereignisse, die zivile Gesellschaftsschichten in bisher unbekanntem Maße in Bewegung setzten, und daraus erklärt sich auch, dass die Mehrheit der Adelsverleihungen nach 1848 Zivilpersonen zugute­ kam.20 Hier können die Jahre 1848/49 als eine Zäsur angesehen werden. Während in dem Jahrzehnt vor der Revolution, mit Ausnahme des Jahres 1843, der 15 Fritsch, S. 54. Der Zusammenhang zwischen dem Krieg und der Anzahl der Nobilitierungen von Militärs tritt deutlich hervor in Janecki, Preußens Schwertadel. 16 Vgl. Messerschmidt, S. 132–159. 17 Demeter, S. 151. 18 Vgl. Trox. 19 Zitiert nach Grünhagen, S. 6. 20 Haupt u. Lenger; Wettengel.

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Anteil der geadelten Zivilisten bei ungefähr vierzig Prozent lag, erhöhte sich ihre Quote nach 1848/49 um durchschnittlich zwanzig Prozent. Dies bestätigt die Annahme, dass der Staat die Adelsverleihungen primär, nicht aber ausschließlich als ein Mittel zur Stärkung von Loyalität benutzte. Es war der Zivilbereich, der in der Revolution in Bewegung geriet und in dem es notwendig erschien, ausgewählte Akteure durch eine Nobilitierung auszuzeichnen und sie so, auf der einen Seite, mehr an den Staat zu binden, und auf der anderen Seite zu zeigen, welche Handlungsmuster der Staat von seinen Eliten erwartete. Die Zunahme der Adelsverleihungen an Zivilisten hing aber nicht nur mit der aktuellen politischen Lage zusammen, sondern spiegelte auch einige allgemeine Entwicklungen in Preußen wider. Etwa ab der zweiten Hälfte der Vierzigerjahre setzte eine Reihe von gesellschaftlichen Veränderungen ein, die vor allem den zivilen Bereich der Gesellschaft betrafen und sich auch in den Adelsverleihungen niederschlugen. Die allgemeine Konsolidierung des Staates nach 1848 ging Hand in Hand mit einer Dynamisierung der bereits früher begonnenen industriellen Revolution. Hans-Ulrich Wehler hat von einer deutschen »Doppelrevolution« ge­ sprochen und so auf die Gleichzeitigkeit des politischen und wirtschaftlichen Wandels verwiesen.21 Es bildeten sich ganz neue Verhaltenstypen aus, die ihren Trägern erheblichen sozialen Erfolg verschaffen konnten. Die neu entstehenden Eliten, die ihren gesellschaftlichen Status nicht von ihrer Abstammung ableiteten, sondern sich durch eigene Leistung für außerordentliche gesellschaftliche Positionen qualifiziert fühlten, drängten sich in vielen Bereichen nach oben und trachteten in vielen Fällen nach staatlicher Anerkennung. Neue Karrieren wie die des Bankiers oder Industriellen schichteten die bisherige Gesellschaftsskala langsam um. Es waren also nicht nur unmittelbare politische Ereignisse wie Krieg und Revolution, die die Verteilung der Nobilitierungen beeinflussten. Der zivile Bereich der Gesellschaft selbst erlebte während des 19. Jahrhunderts einen zwar langsamen, aber spürbaren Wandel, zu dem der Staat Stellung beziehen musste.22 Während stets klar war, warum Militärpersonen nobilitiert wurden, nahm die Zahl der für eine Nobilitierung potenziell qualifizierenden zivilen Laufbahnen und Argumente zu. Der Staat wurde während des 19. Jahrhunderts immer mehr vor die Frage gestellt, welchen Argumenten und welchen Schichten bei Adelsverleihungen an Nichtmilitärs Vorrang zu geben sei. Unabhängig davon, für welche sich der Staat letztendlich entschied – und wir werden später sehen, dass die Entscheidung ziemlich klar und eindeutig war –, musste er, um seine Präferenz zeigen zu können, die absolute Anzahl der Nobilitierungen in ausgewählten Gruppen entsprechend erhöhen. Der gesellschaftliche Wandel er­ forderte eine aktivere staatliche Reaktion. 21 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte II, S. 587–589. 22 Dazu immer noch grundlegend Kocka, Zur Schichtung.

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Die Zunahme der Nobilitierung von Zivilisten nach 1848 ist also Folge zweier verschiedener Entwicklungen. Erstens der veränderten politischen und gesellschaftlichen Situation, die den Staat immer mehr dazu zwang, Nobilitierungen als ein politisches Mittel zu benutzen und diejenigen Personen zu belohnen, die die staatlich gewünschten gesellschaftlichen Haltungen am besten verkörperten. Zweitens handelte es sich gewissermaßen um eine staatliche Antwort auf die einsetzende komplexe Umschichtung der Gesellschaft. Dabei war der soziale Hintergrund der nichtmilitärischen Neuadligen und Adelskandidaten sehr verschieden. Welchen Schichten der preußische Staat mittels Nobilitierungen Anerkennung zollte, ihr symbolisches Kapital erhöhte und sie so unterstützte, wird im nächsten Kapitel näher betrachtet. 3.1.2 Beamte, Gutsbesitzer und andere. Die Struktur des zivilen neuen Adels in Preußen 1806–1871 Nachdem festgestellt wurde, dass die Adelsverleihungen an Zivilisten in Preußen zwar nicht dominierten, aber nicht zu übersehen waren, ist es weiter notwendig, die Gruppen der zivilen Adelsneulinge des Näheren zu analysieren. Sie setzten sich, wie schon angedeutet, aus verschiedenen Milieus zusammen, die sich voneinander stark unterschieden. Die Proportion zwischen diesen Gruppen zeigt die folgende Grafik:23 Diagramm 2: Soziale Zusammensetzung der geadelten Zivilisten in Preußen 1806–1871 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 06 18

15 18

19 18

18

26

31

18

35

18

Beamte, Gutsbesitzer

39

18

43

18

48

18

52 18

56

18

60

18

64

18

68

18

Handel, Industrie, Wissenschaft etc.

23 Zusammengestellt nach Schroeder, Standeserhöhungen in Brandenburg-Preußen; Koselleck, Preußen, Anhang III; Janecki, Handbuch; Gritzner.

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Erst aus diesem Schaubild wird deutlich, wie sehr die wirtschafts- und bildungsbürgerlichen Schichten bei den Nobilitierungen in Preußen unterrepräsentiert blieben. Mit einigen Ausnahmen im ersten Drittel des Jahrhunderts spielten sie fast keine Rolle. Jahre, in denen gar keine Vertreter aus dem Bereich des Handels, der Industrie oder der Wissenschaft unter den Adelserwerbern waren, stellten keine Seltenheit dar. Auch in den Jahren, in denen jemand aus diesen Milieus geadelt wurde, handelte es sich um Einzelfälle, die im Vergleich zu den Adelsverleihungen an Gutsbesitzer oder Beamte eine geringe Rolle spielten. Um das klare Übergewicht der Gutsbesitzer und Beamten erklären zu können, muss unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf Preußen, sondern auch auf das Ausland gerichtet werden. Dabei ist hilfreich, als Ausgangspunkt das prozentuale Verhältnis zwischen geadelten Gutsbesitzern und Beamten zu nehmen, wie im folgenden Diagramm dargestellt:24 Diagramm 3: Anteil der Beamten und Rittergutsbesitzer an den Adelsverleihungen an Zivilisten in Preußen 1810–1871 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 1810

1820

1830 1840 Gutsbesitzer

1850 Beamte

1860

1870

Daraus wird ersichtlich, dass sich die Entwicklung des zahlenmäßigen Verhältnisses zwischen nobilitierten Großgrundbesitzern und Beamten in den ersten drei Vierteln des 19. Jahrhunderts grob in vier Phasen unterteilen lässt. Der Anfang des Jahrhunderts war durch ein eindeutiges Übergewicht der Beamten gekennzeichnet, die aber ab den Zwanzigerjahren ihre Position zunehmend zu24 Zusammengestellt nach Stein, Der preußische Geldadel II, S.  401; Janecki, Handbuch; ­Gritzner.

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gunsten der Gutsbesitzer einbüßten. In den Fünfzigerjahren stieg ihr Anteil wieder, jedoch nur vorübergehend, ehe in den Sechzigerjahren eine klare Dominanz der Gutsbesitzer einsetzte.25 Auf lange Sicht ist eine allmähliche Umschichtung zugunsten der Gutsbesitzer zu beobachten. Während die Beamten zu Beginn des Jahrhunderts noch etwa drei Viertel der nobilitierten Zivilisten ausmachten, war es 1870 nur noch etwa ein Viertel. Diese Entwicklung ist nicht dem demografischen Wandel zuzuschreiben. Der Prozentsatz der Gutsbesitzer innerhalb der preußischen Oberschicht, aus der sich die Nobilitierungskandidaten ausschließlich rekrutierten, blieb im untersuchten Zeitraum eher stabil, mit sehr langsam abnehmender Tendenz. So verkleinerte sich zum Beispiel der Anteil der Grundbesitzer in Preußen zwischen 1846 und 1871 um weniger als vier Prozent.26 Die Grundbesitzer stellten die ganze Zeit über in demografischer Hinsicht die größte Gruppe, aus der geadelt werden konnte. Dass ihr Anteil unter den nobilitierten Zivilisten während des 19. Jahrhunderts von einem Viertel um 1810 auf drei Viertel im Jahr 1870 stieg, dürfte also eher mit dem Wandel der staatlichen Präferenzen zu tun haben. In diesem Zusammenhang sollen die Faktoren näher betrachtet werden, die die staatlichen Ansichten über die Rolle des Adels und damit auch über die Rolle der Nobilitierungen in Preußen im Allgemeinen bestimmten. Das Verhältnis zwischen der preußischen Adelslandschaft und dem Staat durchlief in den ersten drei Vierteln des 19.  Jahrhunderts viele Entwicklungen, die die Verteilung der Nobilitierungen wesentlich prägten. Um 1800 war der Adel in Preußen relativ zahlreich, sehr oft ohne beträchtlichen Grundbesitz oder ohne Eigentum überhaupt. Da die Kluft zwischen den weiterhin vermögenden Grundbesitzern und den landlosen Adligen immer größer wurde, herrschte die Meinung vor, der Adel müsse reformiert und neu definiert werden. Verschiedene Adelsreformpläne standen im ganzen 19.  Jahrhundert zur Diskussion, nicht nur vonseiten des Staates, sondern sehr häufig im Adel selbst.27 Wie unterschiedlich all die staatlichen und adligen Reformkonzepte auch waren,28 teilten fast alle gewisse Ansichten, was künftig den Kern adliger Qua­lifikationen ausmachen sollte. Wenn wir die zwei einflussreichsten Adels­ reformkonzepte im Preußen des frühen 19. Jahrhunderts vergleichen – auf der einen Seite die Überlegungen des Freiherrn vom Stein, auf der anderen Seite die Reformpläne des konservativen Hochadels um Friedrich August von der Marwitz –, kommen die Vorstellungen über die Substanz des angestrebten zukünftigen Adels klar zum Vorschein.

25 Schiller, Vom Rittergut zum Adelstitel?, S. 75. 26 Kocka, Arbeitsverhältnisse, S. 77; ders., Zur Schichtung. 27 Dazu Drechsel; Botzenhart; Weitz; Kondylis, S. 401–417. Neu und übersichtlich Reif, Adelserneuerung. 28 Vgl. Reif, »Mediator between Throne and People«.

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Beide Seiten stimmten weitgehend überein, dass ein Kernmerkmal des Adels umfassender Grundbesitz sein müsse.29 Nach Steins Überlegungen war der preußische Adel zu zahlreich und von zu vielen verarmten, besitzlosen Adligen belastet, was die Erfüllung seiner gesellschaftlichen Führungsrolle verhindere. Arme Adlige sollten dementsprechend aus dem Adel ausgeschlossen werden. Die Grundlage der gesellschaftlichen Stellung des Adels war nach Stein ein Grundbesitz, der den Adligen Unabhängigkeit und Verantwortungsgefühl gebe und, wo möglich, durch die Errichtung eines Fideikommisses zu sichern sei.30 Der so reformierte Adel sollte dann durch gezielte Adelsverleihungen an die erfolgreichen Spitzen des Bürgertums, die eine gewisse »Adelsfähigkeit« bewiesen hatten, bereichert werden. Diese »Adelsfähigkeit« bestehe – neben dem gesicherten Grundbesitzvermögen – in hervorragenden Verdiensten um den Staat in der Armee, der Verwaltung, der Wissenschaft oder der Kunst; immer aber sei das Eigentum an Grundbesitz für die Erreichung des Adelsstandes eine unabdingbare Voraussetzung.31 Der Bodenbesitz spielte nicht nur in Steins Adelsüberlegungen eine Schlüsselrolle, sondern auch in Adelsreformkonzepten aus dem Adel selbst heraus. Die konservative Gruppe um Friedrich August von der Marwitz sah sogar eine notwendige Voraussetzung für die Adelszugehörigkeit in solchem Land­ vermögen, das durch ein Majorat oder Fideikommiss gesichert war. Eine so gesicherte wirtschaftliche Basis sollte es dann dem Adel ermöglichen, sich wieder seiner ursprünglichen Rolle als Führungselite der Armee zuzuwenden.32 Nobilitierungen waren in diesem Konzept nur für Personen vorgesehen, die sich im Krieg ausgezeichnet hatten. Aber auch militärische Verdienste sollten zukünftige Adelserwerber nicht von der Voraussetzung des Grundbesitzes befreien, alle anderen Wege zum Adelstitel sollten versperrt bleiben.33 Solche im konservativen preußischen Adel weitverbreiteten Vorstellungen, wonach Grundbesitz das Hauptmerkmal der Adelszugehörigkeit sein sollte, prägten auch die tatsächliche Nobilitierungsprolitik. Der Ursprung dieser Vorstellungen ist vorwiegend außerhalb Preußens zu suchen, vor allem in England. Das englische Adelsmodell wurde in den ersten drei Vierteln des 19. Jahrhunderts von verschiedensten Seiten sehr stark rezipiert. England galt sowohl den staatsorientierten Denkern um den Freiherrn vom Stein wie auch den konservativen Adelsromantikern um Marwitz als Musterbeispiel dafür, wie die Sozialordnung verteidigt und gleichzeitig die realen 29 Zur Entwicklung der Verknüpfung von Bodenbesitz und Adel im 19. Jahrhundert am Beispiel Brandenburgs Schiller, Vom Rittergut zum Großgrundbesitz. Siehe des Weiteren z. B. Buchsteiner. 30 Denkschrift Steins für den Großherzog von Baden vom 12. Februar 1816, in Botzenhart u. Ipsen, S. 370–373. 31 Reif, Adelserneuerung S. 216 f.; Duchhardt, S. 169. 32 Neumann, S. 49–53. 33 Ramlow, S. 62–64. Faktenreich: Kayser, S. 167–191. Am neuesten in einem breiteren Zusammenhang Frie, Friedrich August Ludwig von der Marwitz, S. 263–269.

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oder vermeintlichen Gefahren der sozialen Revolution vermieden werden konnten. Das Englandbild war gerade zu der Zeit umso positiver, als sich die Inselmacht als führende Weltmacht zu etablieren begann. Das in breit angelegten Erklärungsversuchen bekundete Wissen um den Erfolg des englischen Adels legte es nahe, das englische Vorbild zumindest vor 1848 auf den preußischen Kontext in vielfältiger Weise anzuwenden.34 So diente das englische Beispiel in den Vorschlägen Steins als Begründung, eine Grenze zwischen dem grundbesitzenden Adel und den grundlosen, nur »adelsfähigen« Personen zu ziehen oder sogar den Begriff »Oberhaus« für eine Institution einzuführen, die zur Repräsentation der Interessen des grundbesitzenden, traditionellen hohen Adels dienen sollte. Die konservativen Aristokraten schauten dagegen nach England als dem Land, wo der Adel nicht auf akademisch erlernbaren Fähigkeiten beruhte, sondern seine Position aus der auf der Grundlage von Grundbesitz erworbenen Herrschaftspraxis und Erfahrung ableitete. Das englische Vorbild erlaubte in den Augen des preußischen konservativen Adels letztendlich »aus den Trümmern der ihrer Legitimation in der Spätaufklärung vollends verlustig gehenden feudalen Ehrhierarchie den Adel als Besitz- und Herrschaftsstand zu retten, in dem Standesprivilegien und Grundbesitz strikt gekoppelt wurden«.35

Der Transfer englischer Adelsvorstellungen erfolgte zu dieser Zeit hauptsächlich durch einige wenige hohe Hofbeamte und mit England vertraute Diplomaten. Eine Schlüsselrolle scheint hierbei der preußische Oberzeremonienmeister von Stillfried gespielt zu haben, dessen einflussreiche Schrift über eine Adels­ reform nach englischem Muster in den Jahren 1840 und 1842 sogar zwei Auflagen erlebte. Praktische Erfahrungen wurden dann durch den Kreis um den preußischen Botschafter in London, Christian Karl Bunsen, vermittelt; weitere Anregungen erfolgten zum Beispiel von dem liberalen Adligen Theodor von Schön.36 Der Einfluss englischer Vorbilder machte sich nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. im Jahre 1840 deutlich bemerkbar.37 So waren schon bei der Königsberger Huldigung im September 1840 mehr als fünfzig Prozent aller ausgezeichneten Zivilpersonen Gutsbesitzer, und diese Überzahl sollte sich in der Zukunft noch verstärken.38 Das Hauptmotto der nach englischem Vorbild angestrebten Adelsreform fasste Ernst von Bülow-Cummerow in seiner 1842 erschienen Broschüre prägnant zusammen: »Wenn eine gewisse Konsequenz in dem System festgehalten werden soll, […] so müsste überhaupt der Adel mit dem Besitz von Grund und Boden verwachsen bleiben und 34 Friedeburg, S. 29–32. 35 Ebd., S. 35. 36 Kalm, S. 41–49; Berdahl, S. 326–333. 37 Vgl. Godsey, Vom Stiftsadel zum Uradel; Barclay, König; Kroll, S.  93–101; Bussmann, S. ­101–118. 38 Schwengelbeck, S. 162–175; Schiller, Vom Rittergut zum Grossgrundbesitz, S. 245 f.

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umgekehrt, der Besitz von Grund und Boden und die Rechte des ersten Standes wiederum den Besitzer adeln, solange dieser und seine Nachkommen sich im Besitz der Güter erhalten.«39

Es war so gerade England, das in Preußen nicht bei der Gestaltung einer rechtsgleichen bürgerlichen Gesellschaft als Vorbild diente, sondern als ein Muster für die Reform der bestehenden Ständegesellschaft, in der dem Adel weiterhin eine bedeutende Rolle zugesprochen wurde.40 Die Tatsache, dass der englische Adel größtenteils gerade an Bodenbesitz gebunden war, beeinflusste den preußischen Diskurs über die ideale Basis der Adelszugehörigkeit und somit auch die Verteilung von Nobilitierungen. Die Beeinflussung durch englische Vorbilder erreichte zu Beginn der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV., in den Jahren 1840–1847, ihren Höhepunkt, als auch der Anteil der Grundbesitzer unter den Nobilitierten wesentlich zunahm.41 In Preußen wurden nach 1840 nach englischem Muster häufig keine Familien mehr nobilitiert, sondern in der Regel ausgewählte Einzelpersonen, die einen ausreichenden Grundbesitz vorweisen konnten. Der auf diese Weise verliehene Adelstitel war zwar weiterhin vererbbar, sehr oft aber nur an den ältesten Sohn und nur zusammen mit dem Gut. Die anderen Söhne konnten nach dem Ableben des Vaters den Adelstitel nur dann zugesprochen bekommen, wenn sie zu dieser Zeit schon über ausreichenden Grundbesitz verfügten. Der Grundbesitz wurde so zur wirklichen Substanz des Adelsstandes gemacht, und der preußische Adel war, ganz nach englischem Vorbild, fest mit dem Grundbesitz verbunden.42 Es handelte sich – neben anderem – ohne Zweifel auch um einen staatlichen Versuch, die reichen bürgerlichen Großgrundbesitzer auf dem Land mithilfe von Nobilitierungen in den Adel zu integrieren und so den Adel auf dem Land zu stärken.43 So vollzogene Nobilitierungen beinhalteten aber eine ganz andere Kom­ ponente als diejenigen, die traditionell Beamten oder Offizieren erteilt wurden und die zuvor klar dominiert hatten: Sobald der Grundbesitz zu einer Voraussetzung für eine Nobilitierung gemacht worden war, verband sich der Adelsstand viel mehr als zuvor mit Besitz allgemein, was die bisherige Nobilitierungspraxis von Offizieren und Beamten wesentlich beeinflusste. Beamte und Militärs wurden grundsätzlich mit einer Nobilitierung nach dem Verdienstprinzip ausgezeichnet, indem entweder ihre treuen und langen Dienste oder besondere Verdienste belohnt wurden. Wären also Adelsverleihungen in Zukunft nur noch an Grundbesitz gebunden, würde eine langfristige Anwendung solcher Nobilitierungsgrundsätze eine

39 Bülow-Cummerow, S. 97. 40 Kondylis, S. 313–322. 41 Schiller, Vom Rittergut zum Adelstitel? 42 Reif, Adelspolitik in Preußen zwischen Reformzeit und Revolution 1848, S. 215–224. 43 Spenkuch, S. 25–27.

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weitreichende Umgestaltung des preußischen Adels verursacht haben, und zwar zuungunsten der bisher bevorzugt nobilitierten Staatsdiener.44 Dieser Entwurf neuer Nobilitierungsgrundsätze löste von daher in der ersten Hälfte der Vierzigerjahre eine heftige Diskussion aus, in der vor allem die staatliche Beamtenschaft gegen diese Grundsätze opponierte. Die unausweichlichen Folgen solch einer umfassenden Adelsreform wurden schnell erkannt und ihre Umsetzung an den höchsten Stellen der Staatbürokratie mit großem Misstrauen beobachtet, wie die Regierung den König wissen ließ: »Das Festhalten der vorgedachten Grundsätze mache es unmöglich, höhere Beamte, welche nicht angesessen seien, in den Adelstand zu erheben. Abgesehen, dass unter Umständen die Erteilung des Adels um der Verhältnisse der Beamten willen sein könne, werde die grundsätzliche Ausschließung aller Beamten, welche nicht angemessen seien, und das sei bei weitem der größere Teil, verletzend empfunden werden. Dazu komme, dass geschichtlich der Briefadel in älterer Zeit fast ausschließlich, in neuerer Zeit wenigstens der Regel nach, um der Verdienste willen, erteilt worden sei und dass ein Prinzip, welches diese Basis gänzlich verlasse und ihr wesentlich die des Grundeigentums als eine ausschließliche substituiere, sich in zu grellem Contraste von dem, was bisher üblich gewesen sei, entferne.«45

Der Widerstand gegen die Adelsreformpläne vor allem in den Reihen der hohen Beamtenschaft verhinderte zwar letztendlich eine weitgehende Kodifizierung der nach englischem Vorbild entwickelten Adelskriterien, die preußische Adelslandschaft blieb aber von den Reformversuchen trotzdem nicht unberührt.46 Ein konkretes Ergebnis war zum Beispiel die schon erwähnte Fest­ legung der Kriterien für Verleihungen des Freiherrnstandes, die jetzt tatsächlich strikt an Grundbesitz gebunden wurden. Auch die Verteilung der Nobilitierungen insgesamt wurde von diesen Reformkonzepten stark beeinflusst. Die kon­ tinuierliche Zunahme der Adelsverleihungen an Gutsbesitzer ist also den staatlichen Adelsreformversuchen zuzuschreiben, die den preußischen Adel sehr stark dem englischen Muster anzupassen suchten. Obgleich die Debatten über die Adelsreform von den revolutionären Ereignissen der Jahre 1848/49 überlagert wurden und auch in den Fünfzigerjahren nicht in einem vergleichbaren Umfang und einer ähnlichen Intensität wiederkehrten, entsprach die Nobilitierungspraxis jetzt größtenteils den Reformansätzen des Vormärz. Grundbesitz wurde zwar zu keiner festen Voraussetzung des Adelserwerbs, trotzdem verfestigte sich der schon um 1830 einsetzende Trend, Großgrundbesitzer bei den Adelsverleihungen zu bevorzugen, und dies nicht nur zum Leidwesen der Adelskandidaten aus den Bereichen der Industrie, Wis44 Schiller, Vom Rittergut zum Adelstitel?, S. 69–75. 45 Bericht des Staatsministeriums an den König, 31. März 1841, in Reif, Friedrich Wilhelm IV., S. 1103. 46 Die Adelsreformdiskussion in Preußen in den Vierzigerjahren wird dicht aus den Quellen beschrieben und analysiert von Heinickel.

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senschaft, Kultur oder des Handels, sondern auch auf Kosten der bisher dominierenden Beamtenschaft. Angesichts der oben skizzierten Entwicklung, die die preußische Nobilitierungspolitik dynamisierte, wird deutlich, dass das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum die ganze Zeit über im Schatten blieb. Die Konkurrenz innerhalb des neuen Ziviladels beschränkte sich ausschließlich auf den beidseitigen Gegensatz von Gutsbesitzern und Beamten, und auch wenn der militärische Bereich ausgeklammert bleibt, waren Nobilitierungen von Wirtschafts- und Bildungsbürgern außerhalb des Beamtenstandes in Preußen kaum ein Thema. Adelsverleihungen an solche Personen erfolgten äußerst selten, und in vielen Fällen handelte es sich um Nobilitierungen, die sich dem allgemeinen Muster entzogen, indem es sich entweder um eine Initiative des Königs oder eines Ministers handelte, oder es wurden solche Persönlichkeiten nobilitiert, die eine ganz besondere Position bekleideten oder einen herausragenden Ruf hatten. Während die größte Frage bei der Verteilung der Nobilitierungen die Proportion zwischen Beamten und Gutsbesitzern blieb, gab es in den Jahren 1806 bis 1871 keine Ansätze zur systematischen Einbeziehung anderer Gruppen in den preußischen Adel. Als Beispiel kann das Jahr 1865 dienen, in dem etwa 30 Adelstitel verliehen wurden. Unter den in diesem Jahr Geadelten befand sich nur eine Zivilperson, die zur Nobilitierung nicht durch eine lange Karriere im Staatsdienst oder durch Grundbesitz legitimiert war, sondern den Adel »in Anerkennung seiner Verdienste um die Geschichtsschreibung«47 erhielt. Es handelte sich um den Historiografen des preußischen Staates, Leopold Ranke.48

3.2 Österreich 3.2.1 Von Offizieren zu Bürgern. Der Wandel in der Nobilitierung von Militär- und Zivilpersonen Vergleicht man die Trends der preußischen Nobilitierungspolitik mit der Österreichs, fallen schon auf den ersten Blick wesentliche Unterschiede auf. Während die Zahl der preußischen Adelsverleihungen als relativ niedrig, wenn auch nicht äußerst restriktiv angesehen werden darf, wurden in Österreich deutlich mehr Personen in den Adelsstand erhoben. In den Jahren 1806 bis 1871 wurde der österreichische Adel an mehr als 4000 Personen verliehen, sechsmal mehr als zur selben Zeit in Preußen.49 Der Unterschied tritt am deutlichsten hervor, wenn die absoluten Zahlen ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl gesetzt werden. Während in Preußen im Durchschnitt jeder 25 000. Einwohner auf eine Adels­ 47 GhStA PK, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI. R, Nr. 67, fol. 3. 48 Berding, Leopold von Ranke, S. 18 f.; Helmolt, S. 115; Diether, S. 499–534. 49 Jäger-Sunstenau, Statistik der Nobilitierungen, S. 6–12.

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verleihung hoffen konnte, war in Österreich die Wahrscheinlichkeit viel größer – hier kam auf etwa 5000 Personen eine Adelsverleihung.50 Österreich galt im 19. Jahrhundert im europäischen Vergleich als ein Land, das eine sehr großzügige Nobilitierungspolitik praktizierte und so versuchte, mit dem neuen Adel eine verhältnismäßig breite, dem Staat verbundene Elite zu schaffen. Zu manchen Zeiten gab es derart viele Nobilitierungen, dass es selbst hohen Staatsbürokraten zuwider war, wie die folgende Äußerung aus der Korrespondenz des Ministerialstellvertreters für Kultus und Unterricht aus der Mitte der Fünfzigerjahre illustriert: »Hier geht es ekelhaft zu mit der Ordens- und Adeljagd – Jeder Lump ist nun bester Christ, Armenfreund etc. etc. Es ist zum Speien. […] Wie soll dann Adeln noch Auszeichnung sein?«51

Die günstigen Möglichkeiten, in der Habsburgermonarchie geadelt zu werden, lassen sich am Beispiel der Bewerbermigration demonstrieren. Es sind viele Fälle dokumentiert, in denen Personen aus dem Ausland nach Österreich kamen, um nobilitiert zu werden. Die Herkunftsländer solcher Bewerber waren vor allem diejenigen, in denen es unmöglich oder sehr unwahrscheinlich war, einen Adelstitel zu bekommen, wie zum Beispiel die Schweiz oder G ­ riechenland.52 Um auf die herkömmlichen Adelsverleihungen zurückzukommen: Ähnlich wie in Preußen zeigt ein Blick auf das Verhältnis von Militär- und Ziviladels­ verleihungen, wie sie die Grafik auf der folgenden Seite darstellt, noch mehr Unterschiede als nur die Zahl der Nobilitierungen (Diagramm 4).53 Die Grafik zeigt deutlich, dass sich in Österreich das Verhältnis zwischen zivilen und militärischen Adelsverleihungen anders als in Preußen entwickelte: Die Verteilung verlief sehr unregelmäßig mit Schwankungen auf beiden Seiten, trotzdem lässt sich ungefähr ab der zweiten Hälfte der Vierzigerjahre eine mäßige, doch kontinuierliche Zunahme der zivilen Adelsverleihungen feststellen. Wenn für Preußen deren Anteil in den ersten vierzig Jahren um die Fünfzigprozent-Marke oszillierte, lag diese Quote in Österreich um circa zehn Prozent niedriger, und erst nach 1848 stellten dort Zivilisten etwa die Hälfte der Adelserwerber. Seit den Sechzigerjahren zeigt sich dann eine mäßige, aber andauernde Mehrheit der zivilen Nobilitierungen. 50 Kučera, Állam, S. 38. 51 Brief von Heinrich Fügner an Josef Alexander Helfert vom 20. Mai 1854, in Feyl, S. 555. 52 Vgl. Komanovits, S. 87–95. 53 Da der soziale Hintergrund der österreichischen Adelserwerber vor allem zwischen 1822 und 1851 nicht immer festgestellt wurde, müssen die Daten in dieser Grafik mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden. Für die Jahre, wo es Nobilitierte ohne festgestellten sozialen Hintergrund gibt, handelt es sich um eine errechnete Schätzung, die je nach den vorhandenen Daten eine statistische Abweichung von bis zu zehn Prozent ergeben kann. Zusammengestellt nach Jäger-Sunstenau, Statistik der Nobilitierungen, S.  4–13; Witting; Heilmann; Frank; Frank-Döfering; Doerr; Král; Schimon.

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Diagramm 4: Proportion der militärischen und zivilen Adelsverleihungen in Österreich 1806–1871 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 06 09 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 42 45 48 51 54 57 60 63 66 69 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 Militäradel Ziviladel

Die Ursachen dieser Entwicklung waren zum Teil ähnlich wie in Preußen, teilweise aber unterschiedlich. Analog zu Preußen spielten bei den Adelsverleihungen ungefähr in den ersten zwanzig Jahren des verfolgten Zeitraums die Koalitionskriege gegen Frankreich eine wichtige Rolle. Österreich erlebte während des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts ebenfalls eine vernichtende Niederlage, der eine tiefgehende Reform der Armee folgte. In diesem Kontext erfüllten die Nobilitierungen die gleiche Aufgabe wie in Preußen. Es handelte sich einerseits um die Belohnung von Kriegsverdiensten, andererseits um eine Maßnahme, mit der jüngere Offiziere zur Fortsetzung ihrer Militärkarriere motiviert werden sollten. Die Dominanz der Militärpersonen unter den Neuadligen in den ersten fünfzig Jahren ist größtenteils, ebenso wie in Preußen, nicht überraschend und der besonderen gesellschaftlichen Position der österreichischen Armee zuzuschreiben. Wie schon erwähnt, besaßen österreichische Offiziere nach einer bestimmten Dienstzeit automatisch ein Anrecht auf Nobilitierung, das auch häufig genutzt wurde. Gerade dieser Mechanismus, bei dem ein Adelsanwärter während des Verfahrens keine besonderen Verdienste und Argumente vorzuweisen brauchte, bildete den Hintergrund für den damals größeren Anteil von Offizieren unter Österreichs Neuadligen. Bemerkenswert im österreichischen Fall ist jedoch die Zäsur in der zweiten Hälfte der Vierzigerjahre, die den Beginn eines allmählichen Wandels zugunsten der Adelsverleihungen an Zivilpersonen markierte. Ebenso wie in Preußen erwies sich in Österreich in der Revolution 1848/49 die Armee als die festeste Stütze des Staates und blieb, was noch wichtiger ist, 78 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

auch von der nun einsetzenden nationalen Agitation lange Zeit unangetastet. Selbst die Offiziere »konnten das beruhigende Gefühl haben, durch ihren Kampf gegen die Revolutionäre und die Ungarn für den Frieden im eigenen Land, für das Ende des ethnischen Konflikts und des Klassenkrieges gefochten zu haben. Und da sowohl die Aristokratie als auch die Mittelschicht, ob deutsch, magyarisch, polnisch oder italienisch, sich als unverlässlich erwiesen hatte, konnten sie auch das beruhigende Gefühl haben, dass sie, die Offiziere, die einzigen Angehörigen der gesellschaftlichen Elite gewesen waren, die sich der Dynastie für würdig erwiesen hatten«.54

Das war für die Verteilung der Adelsverleihungen nicht unwichtig. Auch nach 1848/49 blieb in der österreichischen Armee eine große Mehrheit des Offizierkorps deutschsprachig, sodass die Gefahr einer nationalen Spaltung ziemlich gering war.55 Die Armee war in Österreich während und nach der Revolution wahrscheinlich der ruhigste Teil der ganzen Gesellschaft: Der Staat konnte sich völlig auf sie verlassen. Auf der anderen Seite blieb die Armee im Kontext der einsetzenden Nationalbewegungen, die in ihr unterrepräsentiert waren, nicht länger die integrativste staatliche Institution im Sinne der gesamtösterreichischen Idee.56 Die politische und nationale Aktivierung der österreichischen Öffentlichkeit hatte zur Folge, dass der Staat noch zu anderen Mitteln greifen musste, um die unter den Bedingungen eines Vielvölkerstaates langsam einsetzenden nationalen Bewegungen unter einer gemeinsamen Staatsidee vereinigen zu können. Der Adel und damit auch die Verleihung von Adelstiteln boten sich als eine Möglichkeit an, eine solche Identität zu stiften. Dass das österreichische Heer sich während der Revolution ganz im Sinne des Staates verhalten hatte, bewirkte daher, ähnlich wie in Preußen, keinen Zuwachs an nobilitierten Offizieren. Paradoxerweise hatte es auf längere Sicht sogar eine mäßige Abnahme der Adelsverleihungen an Militärs zur Folge. Die Nobilitierungen zielten nach der niedergeschlagenen Revolution mehr auf die zivilen Bereiche der Gesellschaft, die viel mehr in Unruhe waren und bei denen es aus Sicht des Staates eher notwendig war, eine übergreifende Loyalität zum österreichischen Staat zu fördern.57 Diese Loyalität sollte unter den Bedingungen des Habsburger Vielvölkerstaates bekanntlich auf der Treue zur Herrscherdynastie beruhen und so eine supranationale Identität befördern.58 Dazu waren gerade Adelsverleihungen, da sie eine direkte, vom Kaiser gebilligte Auszeichnung für konkrete Verdienste darstellten, sehr gut geeignet. 54 Deák, Der K.(u.)K. Offizier, S. 56. 55 Ders., The Ethnic Question; Rothenberg. 56 Allmayer-Beck, S. 23–35. 57 Bruckmüller u. Stekl, S. 178. 58 Aus der zu diesem Themenfeld äußerst breiten Literatur siehe vor allem Urbanitsch; Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten, S. 29–52; Rauchensteiner; Bruckmüller, Nation Österreich, S. 75–98; Heer; Stourzh, Die Gleichberechtigung der Volksstämme; Lhotsky.

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Unter dem Vorbehalt, dass dekorierte Personen im Allgemeinen mit der vom Staat verlangten politischen Orientierung übereinstimmten, bot sich nach 1848/49 eine sehr verlockende Möglichkeit, diejenigen Personen auszuzeichnen, die zwar als Mitglieder der einsetzenden Nationalbewegungen zu bezeichnen sind, die aber grundsätzlich auch dem konservativen Staatsideal entsprachen und daher den Beweis einer Gleichbehandlung der Nationalitäten liefern konnten. Inwieweit der Nationalitätsaspekt bei Adelsverleihungen im Einzelnen zum Tragen kam, wird später zu untersuchen sein. Prinzipiell kann man sagen, dass in Österreich den Nobilitierungen gerade auf Grund der Nationalitätenfrage spätestens nach 1848 im Unterschied zu Preußen noch eine zusätzliche Rolle zukam – als eines der möglichen Mittel zum Umgang mit der sich ausprägenden schwierigen Nationalitätenstruktur der Gesellschaft. Fast allen National­ bewegungen war in den Fünfziger- und zum Teil noch in den Sechzigerjahren ein politisch konservativer Zug eigen, der sich keineswegs gegen den auf dynastische Politik und Loyalität gestützten Habsburgerstaat richtete und so die Möglichkeit zu bieten schien, die Nationalbewegungen mit dem Vielvölkerstaat zu versöhnen.59 Die entstehenden nationalen Bewegungen brachten den Staat bei der Verteilung der Nobilitierungen dazu, in erhöhtem Maße Zivilpersonen zu berücksichtigen, die in allen Nationalbewegungen deutlich die Mehrheit ausmachten. Spätestens ab Mitte der Fünfzigerjahre kann man so eine kontinuierliche Zunahme der zivilen Adelsverleihungen beobachten, die nicht einmal durch das militärische Engagement Österreichs in den Jahren 1859 und 1866 beeinflusst wurde. Während es in Preußen der Krieg war, der bei den Adelsverleihungen die im Kampf bewährten Offiziere in den Mittelpunkt rückte, war das in Österreich nicht der Fall. Die Tatsache, dass Österreich, anders als Preußen 1866, aus den Kriegen von 1859 und 1866 beide Male als Verlierer hervorging, spielte dabei kaum eine Rolle. Die Adelsverleihungen an Militärs waren immer an konkrete Personen zur Belohnung konkreter Verdienste gerichtet, die nicht mit dem Erfolg oder Niederlage im Krieg zusammenhängen mussten. Heldentaten auf dem Schlachtfeld, die bei den Adelsverleihungen als stärkstes Argument dienten, leiteten sich nicht von dem gesamten Sieg ab. Der zivile Bereich hatte also am neuen Adel in Österreich einen etwas kleineren Anteil als in Preußen. Es ist aber nach dem Jahr 1848 eine klare Tendenz zu dessen Stärkung festzustellen – und dies trotz der zwei Kriege, die Österreich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren führte und auch trotz der automatischen Nobilitierungsmechanismen für Offiziere. Während im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts die Teilnahme an Kriegshandlungen die Nobilitierungschancen der Offiziere in Preußen spürbar erhöhte, war dies in Österreich nicht der Fall. Die moderate, aber stetige Zunahme des Anteils ziviler Personen an den Nobilitierten deutet schließlich an, dass Ak59 Dazu grundlegend Kořalka, Tschechen, S. 51–63.

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teure aus den Reihen des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums ihren Weg in den österreichischen Adel finden konnten, nicht aber automatisch finden mussten. Wie wir am preußischen Beispiel gesehen haben, bedeutete die größere Zahl ziviler Neuadliger keineswegs einen vollständigen Erfolg aller für die Nobilitierung infrage kommenden Gruppen. Die Situation in Österreich ist daher im nächsten Abschnitt genauer zu betrachten. 3.2.2 Industrielle, Kaufleute, Professoren und andere. Die Struktur des zivilen neuen Adels in Österreich 1806–1871 Es ist an dieser Stelle angebracht, auch im österreichischen Fall die Gruppe der zivilen Adelserwerber näher zu beleuchten. Ähnlich wie in Preußen gilt dabei in Österreich prinzipiell, dass die wirtschafts- und bildungsbürgerlichen Gruppen, die dem Staat ferner standen und über ein bedeutendes Finanz- oder Bildungskapital verfügten, als eigenständige Kategorie anzusehen sind. Die folgende Analyse bezieht sich also auf diejenigen Berufskategorien, die für eine Nobilitierung aufgrund ihres sozioökonomischen Status in Betracht kamen und die in der bisherigen Forschung zugleich als die häufigsten Repräsentanten zivilgesellschaftlicher Einstellungen und Werte bezeichnet werden. Ähnlich wie in Preußen handelt es sich dabei vorwiegend um Personen aus den Bereichen des Handels, der Industrie oder der Wissenschaft. Anschließend werden im Vergleich die Neuadligen aus dem Bereich der Beamtenschaft betrachtet. Die Grundtendenzen in der Entwicklung des Verhältnisses zwischen diesen beiden Segmenten des zivilen neuen Adels zeigt das Diagramm auf der folgenden Seite (Diagramm  5).60 Hier wird erneut ein starker Gegensatz zwischen Österreich und Preußen deutlich. Während in Preußen Wirtschaftsund Bildungsbürger nur sehr vereinzelt geadelt wurden, machten in Österreich die nobilitierten Industriellen, Großhändler und Wissenschaftler immer einen wesentlichen Bestandteil des zivilen neuen Adels aus. Auch wenn die Jahre zwischen 1806 und 1871 nicht durch einen stabilen Anteil dieser Gruppen unter den Nobilitierten gekennzeichnet waren, wurden sie bei den Nobilitierungen nie so übergangen wie in Preußen. Bei näherer Betrachtung können mit Blick auf den Anteil der nobilitierten Kaufleute, Industriellen und Wissenschaftler am neuen Adel grob drei Hauptphasen der Rekrutierung unterschieden werden. Anfangs und bis in die Mitte 60 Für diese statistische Erfassung ist prinzipiell das Gleiche gültig, worauf schon bei der Analyse des Zahlenverhältnisses Zivilisten/Militärs hingewiesen wurde. Wegen der unzureichenden und ungenauen Quellenbasis handelt es sich für die Jahre 1821 bis 1852 um eine ungefähre Berechnung, deren Abweichung bis zu zehn Prozent ausmachen kann. Aus ähnlichen Gründen wie für den preußischen Fall wurden auch hier die Gruppen, die als die wichtigsten Träger der Zivilgesellschaft zu bezeichnen sind, dem Beamtentum als eine Kategorie gegenübergestellt. Zusammengestellt nach Jäger-Sunstenau, Statistik der Nobilitierungen; Witting; Heilmann; Putz, S. 46 f.; Frank; Frank-Döfering; Doerr; Král; Schimon.

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Diagramm 5: Soziale Zusammensetzung des zivilen neuen Adels in Österreich 1806–1871 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 06 09 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 42 45 48 51 54 57 60 63 66 69 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 18 Beamte Handel, Industrie, Wissenschaft etc.

der Zwanzigerjahre oszillierte ihr Anteil um dreißig Prozent, um dann ab der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre rapide anzusteigen. Nach dieser Wende betrug ihr Anteil ständig mindestens die Hälfte; in einzelnen Jahren wie 1841, 1842 und 1843 machten sie sogar mehr als sechzig Prozent des gesamten zivilen neuen Adels aus. Ein markanter Bruch ist dann zu Beginn der Fünfzigerjahre zu sehen, als infolge der gegenrevolutionären, neoabsolutistischen Reaktion der Anteil nobilitierter Kaufleute, Industrieller und Wissenschaftler vorübergehend einbrach, um dann schon ab Mitte der Fünfzigerjahre wieder allmählich größer zu werden. Die Ursachen für diese Entwicklung sind in Österreich, anders als in Preußen, vornehmlich im Inneren und nicht in der Rezeption fremder Vorbilder zu suchen. Was im Ausland vor sich ging, war auch in Österreich bekannt, und ähnlich wie in Preußen wurde besonders die Situation in England mit lebhaftem Interesse verfolgt. Da sich der österreichische Adel auf alle Nachkommen vererbte, stieg die Zahl adliger Familien im 19. Jahrhundert erheblich an, und das Phänomen von äußerst armen Adligen war daher auch in Österreich nicht unbekannt.61 Die sehr großzügige Nobilitierungspraxis der Habsburger­ monarchie vermehrte den Adel noch weiter, sodass schon um das Jahr 1848 die

61 So führt z. B. Ralph Melville an, dass der Anteil des Adels an der gesamten Bevölkerung Ungarns mehr als 5 % ausmachte, während die anderen habsburgischen Gebiete in der Regel einen Anteil von etwa 1 % des Adels an der Gesamtbevölkerung aufwiesen: Melville, Grundherrschaft.

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im 19. Jahrhundert geadelten Familien ungefähr die Hälfte des gesamten böhmischen Adels ausmachten.62 Trotz all dieser Entwicklungen, die in vielerlei Hinsicht eine Angleichung an die preußische Situation bedeuteten, bewegten sich die Fürsprecher einer nach englischem Muster durchzuführenden Adelsreform eher am Rand der ent­ sprechenden Debatte und gewannen nie einen solchen Einfluss auf den zuständigen staatlichen Apparat und den Monarchen, wie es gerade in Preußen der Fall war.63 Auch wurde in Österreich Grundbesitz zwar als willkommene Komponente einer adligen Lebensführung angesehen, bildete aber für die Adels­ verleihungen keineswegs eine unumgängliche Voraussetzung.64 Wenn also nach den Faktoren gefragt wird, die den Anteil der sozialen Schichten am zivilen Neuadel beeinflussten, sollte die Aufmerksamkeit vor allem auf das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum gerichtet werden. Die Quellenlage erlaubt es leider nicht, für diese Gruppe das genaue Verhältnis der verschiedenen sozialen Hintergründe zu rekonstruieren. Es ist nicht möglich, exakt festzustellen, wie häufig zum Beispiel Kaufleute oder Industrielle nobilitiert wurden oder wie groß der Anteil der Bildungsbürger war. Vieles deutet aber darauf hin, dass für eine Adelsverleihung anfangs in erster Linie Wirtschaftsbürger infrage kamen.65 Offensichtlich gab es einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der dem Wirtschafts- und Bildungsbürgertum zugutekommenden Nobilitierungen und der beginnenden Durchsetzung neuer Unternehmens- und Produktionsformen in Österreich zur gleichen Zeit. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden hier ganz neue Berufstypen, die durch ein großes Finanz- und in der Folge auch ein sich langsam akkumulierendes symbolisches Kapital gekennzeichnet waren.66 Es waren gerade die Repräsentanten neuer Wirtschafts­weisen, die sich im Vormärz einen Adelstitel »erarbeitet« hatten und so vermutlich nicht nur in Böhmen das Gros der nobilitierten Bürger außerhalb des Staatsdienstes bildeten.67 Paradoxerweise ist der Anstieg solcher Nobilitierungen auch nicht völlig von den napoleonischen Kriegen zu trennen. Es waren nämlich sehr häufig gerade Angehörige der bürgerlichen Wirtschaftseliten, die in Krisenzeiten dem Staate schnell zu Hilfe kamen und die sich so durch finanzielle Unterstützung in seinen Augen große Verdienste erwarben, die sie für einen Adelstitel qualifizier-

62 Myška, Der Adel, S. 170. 63 Als der wohl wichtigste Repräsentant dieser Gruppe in Österreich ist Viktor von AndrianWerburg zu nennen. Siehe vor allem seine 1843 in Hamburg erschienene Broschüre »Österreich und dessen Zukunft«. Dazu Heidler, S. 72–80. 64 Krejčík, Kultivace, S. 37 f. 65 Vgl. dazu die Angaben bei Raptis, S. 291–301; Myška, Der Adel. 66 Am Beispiel des ganz neuen Typus eines Bankiers, der sich vom Privat- zum Manager-Bankier entwickelte, zeigt dies deutlich Urfus, Peněžníci. 67 Vgl. Myška, Wirtschaftsadel; Gorzynski; Ullmann; Purchla, S. 53–73.

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ten. Es handelte sich vornehmlich um die Gewährung staatlicher Darlehen oder um die Sicherstellung des Nachschubs für die kämpfende Armee. Als ein Beispiel sei hier der Fall der Adelsverleihung an Jakob Wimmer genannt. Wimmer war ein langjähriger Heereslieferant, der schon lange vor Ausbruch der Kriege Armeeaufträge erfüllte; erst während der Kriege kam er aber zu einem beträchtlichen Reichtum. Er war wie viele andere bereit, in den für den Staat schwierigen Zeiten seine Lieferungen auf Kredit zu leisten und die Armeetruppen vorübergehend auf eigene Gefahr und Kosten zu versorgen, was ihm im Nachhinein bei der Rückzahlung der Kredite nicht nur ein beträchtliches Vermögen, sondern auch den Adelstitel einbrachte.68 Die drängende Finanznot Österreichs während der Kriege machte aus einem jeden solchen Darlehen in den Augen des Staates ein besonderes Verdienst, das mit der höchsten staat­lichen Auszeichnung honoriert werden konnte. So akkumulierten in den ersten ungefähr fünfundzwanzig Jahren des 19.  Jahrhunderts viele Wirtschaftsbürger zahlreiche dem Staat direkt geleistete Finanzverdienste, die ihnen, wie auch ihr beträchtliches Vermögen, als willkommenes Argument für die Begründung eines Adelsanspruches dienten. Schon während der napoleonischen Kriege kam es zu vielen Nobilitierungen reicher Bankiers und Unternehmer. Der Höhepunkt wurde aber erst in den Zwanzigerjahren erreicht, nachdem die mit den zurückliegenden Kriegshandlungen direkt verbundenen Adelswünsche von Offizieren befriedigt worden waren.69 Wenn auch die napoleonischen Kriege einen wichtigen Impuls für die Nobilitierung vieler erfolgreicher Wirtschaftsbürger darstellten, war der Zuwachs der Nobilitierungen von Wirtschafts- und Bildungsbürgern ab den Zwanzigerjahren so deutlich und anhaltend, dass er nicht bloß als staatliche Belohnung für die Finanzhilfe während der schwierigen Kriegszeiten zu erklären ist. Die wohlhabenden Wirtschaftsbürger machten zwar den Anfang, auf lange Sicht blieb ihre Anzahl aber zu klein, um allein den deutlich steigenden Anteil dieser Gruppe im Neuadel erklären zu können. Die Phase, in der der Anteil des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums am neuen Adel zunahm, begann zwar mit den Nobilitierungen der großen Kreditgeber des Staates in den Zwanzigerjahren, erstreckte sich aber über mehrere Jahrzehnte und wurde so von vielen längerfristigen Einflüssen geprägt. Auch nach der Revolution von 1848/49, als die Nobilitierungen von Personen aus dem Bereich des Handels, der Industrie und der Wissenschaft zunächst schnell abnahmen, stieg der Anteil solcher Adelserhebungen ab Mitte der Fünfzigerjahre allmählich wieder. Dass sich das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum auf lange Sicht durchsetzte, ist erst vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung der europäischen Zivilgesellschaft und der damit verbundenen Kulturpraktiken erklärbar. 68 Ausführlich dazu, auch mit mehreren überzeugenden Beispielen, Komanovits, S. 117–139. 69 Putz, S. 56–58; Krejčík, Nobilitovaní bankéři.

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In der entsprechenden historischen Zivilgesellschaftsforschung scheint ein allgemeiner Konsens zu herrschen, dass sich gewisse, für die Zivilgesellschaft grundlegende Kulturpraktiken gegen Ende des 18.  Jahrhunderts herauszubilden begonnen und dann in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts über ganz Europa und Nordamerika verbreitetet hätten.70 Bei der Entstehung dieser frühen zivilgesellschaftlichen Praktiken und Strukturen spielten zu Beginn die Frei­maurerlogen unbestritten eine wichtige Rolle; es wäre jedoch zu vereinfachend, die Entstehung der europäisch-amerikanischen Zivilgesellschaft in der zweiten Hälfte des 18. und ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts darauf zu reduzieren.71 Es handelte sich vielmehr um eine mit der Zeit immer breitere Palette von zu verschiedenen Zwecken entstehenden Vereinen, Gesellschaften und Bewegungen, in denen sich in Europa sehr oft adlige und bürgerliche Mitglieder treffen konnten. Diese ersten zivilgesellschaftlichen Strukturen waren keineswegs vollständig inklusiv, traditionelle soziale und Geschlechtergrenzen blieben bestehen; trotzdem bedeutete die Mitgliedschaft in solchen Gesellschaften für ihre Mitglieder eine deutliche Lockerung der alten ständischen Grenzen.72 So lässt sich in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts fast europaweit eine starke Konjunktur von für die entstehende Zivilgesellschaft unabdingbaren Praktiken beobachten wie etwa eine zunehmende gesellschaftliche Selbstorganisation und, damit verbunden, ein wachsendes soziales Kapital der entsprechenden Akteure.73 Dieser erste Aufschwung zivilgesellschaftlicher Haltungen und Handlungen beschränkte sich dabei nicht auf Westeuropa und Nordamerika, sondern erreichte schon im Vormärz ebenfalls die zentraleuropäischen Regionen.74 In Österreich zum Beispiel gewannen die ersten zivilgesellschaftlichen Strukturen und Handlungsweisen schon nach dem Tod Kaiser Franz’ I. 1835 deutlich an Dynamik.75 Die Anfänge einer zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation waren dabei in der Habsburgermonarchie weder unbedingt national noch politisch geprägt.76 Es handelte sich vielmehr um einen bunten Strauß neu gegründeter Ge­ sellschaften und Vereine, deren Mitglieder sich den allgemeinen Werten des Gemeinwohls und Bürgersinns verpflichtet fühlten, ohne damit konkrete natio70 Vgl. Nord; Hoffmann, Geselligkeit und Demokratie, S. 21–24. Aus einer breiten, globalen Perspektive, jedoch eher auf die Entstehung und Wirkung der sozialen Bewegungen aus­ gerichtet Tilly, Social Movements, S. 16–37. 71 Dazu grundlegend Hoffmann, Die Politik der Geselligkeit, S.  50–70. Für den konkreten böhmischen Kontext Beránek, S. 79–158; Kroupa, Alchymie štěstí, S. 55–99. 72 Hoffmann, Democracy; ders., Civility; ders., Unter Männern; Hye, Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft; ders., Zum Vereinswesen. 73 Hoffmann, Geselligkeit, S. 21–34. 74 Vgl. z. B. Török; Dann; Krueger; Nemes; Hardtwig, Strukturmerkmale und Entwicklungstendenzen. 75 Štaif, Obezřetná elita, S. 98–106; Cohen, The Politics of Ethnic Survival, S. 52–55. 76 Vgl. z. B. Cohen, Nationalist Politics, v. a. S. 245–247; Štaif, Obezřetná elita, S. 40–49.

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nale oder politische Ziele zu verfolgen.77 Im Falle einiger größer angelegten Aktivitäten und Gesellschaften, wie etwa (nicht nur) in Böhmen bei der Gründung des Landesmuseums oder des Gewerbevereins, entstand ein breites Konglomerat von Adligen und Mitgliedern der oberen Schichten des Bürgertums, die im Rahmen solcher Aktivitäten zivilgesellschaftliche Grundpraktiken kultivierten.78 Die zu verschiedenen Zwecken gegründeten Vereine und Gesellschaften wählten sehr oft die Form von Gesellschaften zur Förderung der Wissenschaft, Industrie oder des Handels. Dementsprechend rekrutierte sich aus diesen Bereichen ein großer Teil ihrer Mitglieder.79 Es lässt sich also die Hypothese aufstellen, dass der zunehmende Aufstieg von Wirtschafts- und Bildungsbürgern in den Adel und die beginnende Heraus­ bildung zivilgesellschaftlicher Strukturen und Handlungsweisen miteinander verbunden waren. Die ersten Akteure der entstehenden Zivilgesellschaft und die in den Adel aufsteigenden Wirtschafts- und Bildungsbürger konnten durchaus identisch sein. Der Staat konnte so durch Nobilitierungen auch den Trägerschichten und Praktiken der Zivilgesellschaft seine Anerkennung zollen. Das Vereinswesen wurde in Böhmen anfangs hauptsächlich durch einen nationalitätenübergreifenden Landespatriotismus und durch das Deutsche als Verhandlungssprache geprägt. Erst seit den späten Dreißigerjahren begann sich das tschechisch-nationale Element durchzusetzen, indem die entstehende tschechische Nationalbewegung danach strebte, diese ersten zivilgesellschaftlichen Strukturen für sich zu gewinnen und zu dominieren.80 Diese Tendenz wurde dann während der Revolution 1848/49 sehr deutlich, als sich ein wichtiger Teil  der ursprünglich zu allgemeinen Zwecken der Industrie-, Wissenschafts- oder Handelsförderung gegründeten Vereine zu politisieren begann und als Basis nicht nur der tschechischen, sondern auch der deutschen Nationalbewegung diente.81 Neben der Entstehung neuer kultureller Praktiken gesellschaftlichen Engagements und der Selbstorganisation ist die fortdauernde, sich im 19.  Jahr­ hundert noch intensivierende Kultur der öffentlichen Gabe, Wohltätigkeit und des Mäzenatentums in Rechnung zu stellen.82 Diese wichtigsten Ursachen für das eindeutige Übergewicht des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums innerhalb des österreichischen und somit auch böhmischen Neuadels verdeutlicht wesentliche Unterschiede zu Preußen. Es waren gerade die Entstehung der Zivilgesellschaft und die sich ausbreitende Kultur der öffentlichen Gabe, die in Österreich und damit auch in Böhmen in besonderer Weise die Chancen für Großbürger verbesserten, geadelt zu werden. 77 Hoffmann, Democracy, S. 275–295; Nolte. 78 Vgl. Sklenář, S. 41–53; Burian; Mendl. 79 Für die Habsburgermonarchie grundlegend Rumpler u.Urbanitsch. 80 Hroch, Das Europa der Nationen, S. 97; Štaif, Obezřetná elita, S. 45. 81 Pokorný, Vereine, S. 612–614. 82 Vgl. umfassend Hlavačka u. a.

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Nachdem die Welle von Adelsverleihungen an Militärs kurz nach Ende der langen Kriege verebbt war und auch Zivilisten ausgezeichnet worden waren, die den Staat in Kriegszeiten finanziell und materiell unterstützt hatten, wandte sich der Staat allmählich der Nobilitierung von Repräsentanten der entstehenden zivilgesellschaftlichen Praktiken zu. Die Ziele der neu entstehenden Gesellschaften berührten sich auf den ersten Blick kaum mit den unmittelbaren Interessen des Staates. Der Staat konnte aber von der proklamierten und auch wirklich praktizierten Förderung von Industrie, Handel, Wissenschaft oder anderen wohltätigen Zwecken indirekt profitieren. Auch die anfängliche nationale Undifferenziertheit, in den Vierzigerjahren dann die sehr allmähliche, noch eher kulturell als politisch geprägte Durchsetzung der Nationalbewegungen innerhalb der verschiedenen Gesellschaften und Vereinen konnten mit dem staatlichen Interesse in Einklang gebracht werden: Ziel war, den Prozess einer nationalen Formierung in kulturellen Bewegungen zu kanalisieren, die politische Sphäre aber für sie geschlossen zu halten.83 Ungefähr ab der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre, als in Österreich die Bedeutung der neuen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten deutlich sichtbar wurde und somit von einzelnen Angehörigen des Bürgertums als Argument für eine Adelsverleihung angeführt werden konnte, begann der Staat tatsächlich, bei den Adelsverleihungen zivilgesellschaftlich engagierte Gruppen zu berücksichtigen. Zugespitzt kann gesagt werden, dass in den Dreißiger- und Vierzigerjahren insofern ein Konsens zwischen Staat und Protagonisten des neuen Vereinswesens herrschte, als Letztere meist noch nicht in die direkte politische Sphäre hineinwirkten. Sie wurden vom Staat nicht nur geduldet, sondern ausgezeichnet und so auch gefördert. Die allgemeine Ausrichtung auf eine umfassend verstandene Förderung des Fortschritts, auf Humanität und Patriotismus, zugleich aber ein noch recht geringes direktes politisches oder nationales Engagement harmonierten mit den staatlichen Interessen. Für den Staat war die Auszeichnung der wichtigsten Vertreter solcher Werte nicht nur deshalb wichtig, weil sie eine breite Publizität und gewissermaßen Werbung für die ausgezeichneten Handlungsweisen gewährleistete: Zugleich konnten auf diese Weise die sich neu bildenden Eliten des Bürgertums enger an den Staat gebunden werden. Dieser Konsens wurde zusätzlich durch die allgemeinen Rahmenbedingungen des staatlichen Absolutismus gefördert; das Vereinswesen und die gesellschaftliche Selbstorganisation ins­ gesamt wurden einer sehr starken staatlichen Kontrolle unterworfen.84 So war es für den Staat sehr leicht, genau festzustellen, welche Tätigkeiten und Personen durch eine Adelsverleihung honoriert wurden. Dieses scheinbar harmonische Verhältnis erlitt aber in der Revolution 1848/49 schwere Rückschläge. Wie schon gesagt, handelte es sich bei der ent­ 83 Štaif, Obezřetná elita, S. 98–106; Rumpler, S. 200–214; Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. 29–51; Winter, Romantismus, S. 193–217. 84 Křen, Dvě století, S. 141–143; Hroch, Na prahu, S. 82–89.

87 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

stehenden Zivilgesellschaft keineswegs um ein stabiles Phänomen, sondern vielmehr um sich höchst dynamisch entwickelnde Strukturen und Praktiken. Diese hörten nicht bei allgemeinen Zielen wie Wohltätigkeit oder wissenschaftlichem und gewerblichem Fortschritt auf und verwoben sich immer mehr mit den sich formierenden politischen und nationalen Bewegungen.85 In dem Moment, als während der Revolution die Einschränkungen seitens des Staates weiter gelockert wurden, kamen alle diese Tendenzen deutlich zum Vorschein. Die ursprüngliche Ausrichtung der Vereine und anderer freiwilliger Aktivitäten auf das Allgemeinwohl wurde im Laufe der Revolution um nationale und politische Komponenten ergänzt. So konnte zum Beispiel der 1848 gegründete tschechische Verein »Slovanská Lípa« (»Slawische Linde«) in seinem Programm immer noch allgemein formulierte Wohltätigkeitszwecke nennen, wie etwa die Förderung von Handel und Industrie, sich aber gleichzeitig auch schon als Kämpfer für die Gleichberechtigung der Nationalitäten bezeichnen.86 Die älteren, noch im Vormärz gegründeten Gesellschaften blieben ebenfalls nicht von der zunehmenden nationalen Aufladung unberührt. Der Gewerbeverein etwa als der größte und bedeutendste vormärzliche Verein Böhmens erlebte während und kurz nach der Revolution eine tiefe nationale Spaltung, indem eine Reihe deutschgesinnter Mitglieder austrat. Der ursprünglich Nationalitäten übergreifende Verein konnte dann zu einer der wichtigen Plattformen der tschechischen Nationalbewegung werden.87 Die allgemeine Aktivierung der Zivilgesellschaft in Böhmen und letztlich ganz Österreich hatte zur Folge, dass der Staat, der sich dieser nationalen, politischen und sozialen Bewegung nicht anpasste, sein vormaliges Vertrauen zu solchen Aktivitäten verlor. Praktisch wirkte sich dieser Vertrauensverlust sehr schnell aus, indem die während der Revolution liberal ausgelegte Vereinsgesetzgebung rasch suspendiert und später, in den Fünfzigerjahren, das Vereinsleben wieder einer strengen staatlichen Kontrolle unterworfen wurde.88 Dieser Vertrauensverlust spiegelt sich deutlich in dem starken Einbruch bei den Zahlen nobilitierter Wirtschafts- und Bildungsbürger unmittelbar nach der Revolution, als ihr Anteil rasant unter zwanzig Prozent fiel. Die allgemeine Entwicklung der böhmischen und österreichischen Zivil­ gesellschaft schlug sich dennoch weiter im Anteil ihrer Protagonisten an den Neuadligen nieder. Ab der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre ist wieder eine langsame Zunahme zu erkennen, die Hand in Hand mit der Wiederbelebung oder Neugründung vieler zivilgesellschaftlicher Aktivitäten ging. Nach einem kurzen Schock in den unmittelbar nachrevolutionären Jahren nahm zum Beispiel nach Jiří Pokorný ab Mitte der Fünfzigerjahre die gesellschaftliche Selbst­ 85 Vgl. Kořalka, František Palacký, S. 100–110, 197–212; ders., Tschechen, S. 85–90; Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. 37–41. 86 Novotný, Slovanská Lípa. 87 Klepl; Stloukal. 88 Pokorná; Drašarová, Společenský život.

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organisation auch unter der strengen staatlichen Aufsicht wieder zu. Schon Ende 1853 gab es in Böhmen mehr als 350 Vereine, bis 1855 stieg diese Zahl auf mehr als 460. Es entwickelte sich schnell wieder eine breite Palette von Vereinen und Gesellschaften, die sich einer Vielfalt von Tätigkeiten widmeten.89 Für die weitere Entwicklung der staatlichen Nobilitierungspolitik ist in dieser Hinsicht wichtig, dass, neben neu entstehenden Vereinen der Mittel- und Unterschichten, diejenigen Aktivitäten nicht nachgelassen hatten, an denen sich die für Adelsverleihungen infrage kommenden sozialen Gruppen führend beteiligten. Viele zivilgesellschaftliche Strukturen des Vormärz lebten in den Fünfzigerjahren wieder auf, und ein entsprechendes Engagement konnte so weiterhin als ein stichhaltiges Argument für eine Nobilitierung angeführt werden. So wuchs zum Beispiel die Bedeutung der schon Ende des 18. Jahrhunderts gegründeten k. und k. Patriotischen Ökonomischen Gesellschaft nach der Revolution sogar noch, indem diese durch die Gründung mehrerer Filialen ihre Tätigkeit und Mitgliederzahl wesentlich ausbaute.90 Solche Vereine knüpften gewissermaßen an die vormärzliche Tradition an: Die Verhandlungssprache war sehr oft Deutsch und die Mitgliedschaft setzte sich lange Zeit aus denjenigen Schichten zusammen, die in der Revolution in der Regel nicht direkt gegen den Staat in Erscheinung getreten waren und zum gehobenen Bürgertum oder Adel gehörten.91 Auch aus dieser Sicht stand also einer Nobilitierung prominenter Mitglieder nichts im Wege. Auf jeden Fall aber spielten solche Vereine und Aktivitäten im Rahmen der entstehenden Zivilgesellschaft nicht mehr eine ähnlich zentrale Rolle wie noch im Vormärz. Vielleicht schon seit Mitte der Fünfzigerjahre, sicher aber seit Anfang der Sechzigerjahre gewannen zivilgesellschaftliche Aktivitäten die Oberhand, die entweder von für eine Nobilitierung nicht infrage kommenden Schichten getragen wurden oder von denjenigen, deren politische oder nationale Ausrichtung eine Adelsverleihung ausschloss.92 So entstand eine große Anzahl verschiedener kleinbürgerlicher und agrarischer Selbsthilfsvereine, von nationalen Bildungs-, Gesangs-, Turn- und Berufsvereinen, bei denen an eine Nobilitierung führender Mitglieder nicht zu denken war. Es waren die fortbestehenden, auf das Gemeinwohl gerichteten Aktivitäten, bei denen hauptsächlich die bürgerliche Oberschicht vertreten war, aufgrund derer in den Fünfzigerund Sechzigerjahren der Anteil des staatsfernen Bürgertums an allen geadelten Zivilisten dennoch weiterhin zwischen vierzig und fünfzig Prozent lag. Im Vergleich mit Preußen und damit auch Schlesien zeigt sich also ein deutlicher qualitativer Unterschied. Während in Preußen die wichtigsten Akteure entstehender zivilgesellschaftlicher Handlungsmuster, also Personen aus den Bereichen der Industrie, der Wissenschaft und des Handels, unter den Nobi­ 89 Pokorný, Vereine, S. 615 f. 90 Ebd., S. 616. 91 Vgl. Drašarová, Stát. 92 Am konkreten Beispiel gezeigt bei Kruppa, S. 89–217.

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litierten beinahe nicht zu finden sind, spielte in Österreich und Böhmen gerade dieses Segment ungefähr ab den Zwanzigerjahren eine unübersehbare Rolle. Die starke Wirkung ausländischer, vor allem englischer Vorbilder hatte zur Folge, dass bei den preußischen Nobilitierungen Beamte, später dann Gutsbesitzer bevorzugt wurden. In Österreich wurde dagegen seit der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre der Adelsstand öfter an die mit der sich herausbildenden Zivilgesellschaft verbundenen Gruppen verliehen. Aus der Makroperspektive der sozialgeschichtlichen Analyse kann also zusammengefasst werden, dass die Protagonisten der aufkommenden Zivilgesellschaft in Österreich viel mehr als in Preußen in Form von Nobilitierungen eine starke Anerkennung seitens des Staates erlangen konnten und auf diese Art und Weise vom Staat unterstützt wurden. 3.2.3 Viele Völker – ein Adel. Nationale Aspekte der Nobilitierungen in Böhmen Ein wesentlicher, auf Anhieb augenfälliger Unterschied zwischen Böhmen und Schlesien ist die schon mehrmals erwähnte Nationalitätenfrage. Während sich in Schlesien der neue Adel im untersuchten Zeitraum ausschließlich aus der deutschsprachigen Bevölkerung rekrutierte und die polnischsprachige Bevölkerung Oberschlesiens keine Rolle spielte, musste sich Österreich bei den Adelsverleihungen in Böhmen mit den erwachenden Nationalbewegungen ausein­ andersetzen. Es sind deswegen die nationalen Aspekte der österreichischen Nobili­tierungspraxis, die uns bei der Analyse besonders interessieren. Gleichzeitig muss aber gesagt werden, dass die Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Nobilitierungen und sich entfaltenden Nationalbewegungen auf beträchtliche methodische Schwierigkeiten stößt, die eine sozialgeschichtliche Analyse sehr erschweren. Bekanntlich war der Begriff »Nationalität« in Österreich zwar in einzelnen Kontexten bekannt. Bei statistischen Erfassungen wurde er aber lange Zeit gar nicht gebraucht. Wenn außerdem berücksichtigt wird, dass ein subjektives nationales Bewusstsein oft noch nicht ausgeprägt und eindeutig festgelegt war,93 kann sich der heutige Historiker nicht auf zuverlässige Quellen stützen, die es ermöglichen würden, die Adelsverleihungen im Hinblick auf die Nationalitätenzugehörigkeit sozialgeschichtlich zu analysieren.94 Im Folgenden ist es also nicht möglich, hinsichtlich der böhmischen Adelsverleihungen den Aspekt Nationalität einer systematischen Analyse zu unterziehen; vielmehr muss mit einer skizzenhaften Darstellung biografischer Beispiele vorliebgenommen werden. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass der Verlauf der Nationsbildungsprozesse innerhalb der Habsburgermonarchie dazu 93 Vgl. Bahm. 94 Štaif, Multietnicita; Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten, S. 53–57.

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zwingt, den untersuchten Zeitraum in diesem Fall leicht zu erweitern. Bekanntlich fiel in Böhmen die Phase der stärksten nationalen Agitation erst in die Zeit nach 1871. Daher muss eine Skizzierung der österreichischen Nobilitierungspolitik im Hinblick darauf zeitlich darüber hinaus, zumindest in die Siebzigerund Achtzigerjahre des 19. Jahrhunderts, gehen.95 Den allgemeinen Kontext bildet die Ausprägung von Nationalbewegungen in den böhmischen Ländern seit den Dreißiger- und Vierzigerjahren, die mit der Revolution 1848/49 stark an Dynamik gewann.96 Dabei handelte es sich nicht um statische, sondern um sich rasch verändernde soziale Bewegungen. Spätestens während der Revolution kamen erste innere Divergenzen und Kämpfe zum Vorschein, und die Nationalbewegungen begannen sich zu spalten.97 Wird diese Entwicklung anhand der tschechischen Nationalbewegung exemplifiziert  – wobei man hier zahlreiche Parallelen zur deutschen Nationalbewegung sowohl in Böhmen als auch in Schlesien feststellen kann –, muss spätestens während der Revolution, in mancher Hinsicht aber auch schon vorher, zwischen drei Hauptströmungen unterschieden werden. Diese können etwas schematisch als die konservative, liberale und radikale bezeichnet werden.98 Was die Nobilitierungen betrifft, bedarf der radikale Flügel der nationalen Bewegungen kaum weiterer Erörterungen. Ungeachtet ihrer jeweiligen nationalen Einstellung war es vor allem ihre radikale politische Orientierung und Tätigkeit, die ihre Repräsentanten von jeder Nobilitierungsmöglichkeit ausschlossen. Es waren gerade die Vertreter der nationalen Radikalen wie Josef Václav Frič oder Karel Sabina, die während der Revolution 1848/49 direkte Aktionen gegen die Staatsgewalt unternahmen, an der Front des Prager Sommeraufstandes standen und als Staatsfeinde betrachtet wurden.99 Eine Adelsverleihung oder anderweitige staatliche Auszeichnung kam also nicht infrage, und dies galt für den Staat ebenso wie für die Führungspersonen dieser Gruppierungen. Denn diese identifizierten sich nicht mehr hinreichend mit der Habsburger­ monarchie, um eine Erhebung in den Adelsstand als eine Auszeichnung zu empfinden. Nobilitierungen und andere staatlich-monarchische Auszeichnungen kamen daher nur bei den beiden anderen Strömungen in Betracht. Es kann schon jetzt gesagt werden, dass mit Blick auf die konservative und liberale Strömung tatsächlich Nobilitierungsangebote seitens des Staates erfolgten, wenn auch unter verschiedenen Umständen und zu verschiedenen Zeiten, und dass sich die Repräsentanten dieser Strömungen je nach Zeitpunkt und Orientierung unterschiedlich zu den staatlichen Angeboten positionierten. 95 Urban, Kapitalismus, S. 122–127; Hroch, V národním zájmu, S. 46–52; Kořalka, Tschechen, S. 111–125. 96 Kořalka, Tschechen, S. 90–93. 97 Dazu grundlegend Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. 141–148. 98 Winter, Revolution, S. 107–115. 99 Štaif, Revoluční léta, S. 68–82; Prinz, S. 68–95; Kosík, S. 242–377; Roubík, Český rok 1848, S. 261–271; Kazbunda, České hnutí, S. 225–358; Bajerová.

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Es war mithin nicht so sehr der Staat, der mit der Zeit seine Nobilitierungspolitik hinsichtlich der Nationsbildungsprozesse qualitativ änderte, sondern die innere Entwicklung der Nationalbewegungen selbst, die das Verhältnis ihrer Eliten zu Adelsverleihungen wesentlich prägte. An dieser Stelle ist es hilfreich, auf die Typologie der Nationalbewegungen nach Miroslav Hroch zu verweisen:100 In »Phase B« der tschechischen Nationalbewegung in den Dreißiger-, Vierziger- und noch in den Fünfzigerjahren bemühten sich die Spitzenfiguren der vornehmlich konservativen bohemo-slawischen Ideenströmung aktiv um Nobilitierungen und waren dabei auch meistens erfolgreich. Dagegen weigerten sich die Führungspersonen der liberalen Nationalbewegung in »Phase C« während der Siebziger- und Achzigerjahre häufig, Adelsverleihungen anzunehmen, und das, obwohl auch sie entsprechende Angebote seitens des Staates bekamen. Die konservative bohemo-slawische Richtung wurde vor allem durch Adlige und Mitglieder des gehobenen Bürgertums repräsentiert. Diese knüpften in unterschiedlichem Maße direkt oder indirekt an die vormärzlichen landespatriotischen Ansichten Bernard Bolzanos an, waren vom gesamtösterreichischen Patriotismus geprägt und auch während der Revolution und des folgenden Neoabsolutismus der Fünfzigerjahre eine große Stütze des Staates.101 Auf höchster Ebene wurde diese Strömung durch eine einflussreiche Gruppe konservativer Adliger und Staatsdiener repräsentiert, die sich hauptsächlich um den Grafen Leo Thun versammelte. Die soziale Reichweite dieser konservativen Gruppen war in Böhmen aber viel größer. Nicht zufällig wurde eine nicht unbedeutende Zahl von meist bürgerlichen Mitgliedern dieser Gruppe in den im Frühling 1848 berufenen konstituierenden Reichstag gewählt.102 Die Revolution katapultierte die Führungsfiguren dieser Gruppierung auf höchste politische Ebenen, in Bezug auf ihre Stellung zum Staat und umgekehrt veränderte sich aber kaum etwas. Adelsverleihungen an Personen mit einem solchen Hintergrund können sowohl vor 1848 als auch in den Fünfzigerjahren beobachtet werden und beschränkten sich nicht auf unmittelbar politisch aktive Personen. So wurde zum Beispiel schon 1836 der Jurist Matthias Kallina, Sohn eines langjährigen Staatsbürokraten, in den österreichischen Ritterstand erhoben. Kallina engagierte sich bereits seit den Zwanzigerjahren in vielen nationalen Kulturprojekten, blieb jedoch immer der katholischen Kirche eng verbunden und überschritt nie die Grenze zwischen kulturellem Nationalismus und unmittelbarer politischer Sphäre. Sein Engagement in kulturellen Unternehmungen, wie etwa der Gründung des Vaterländischen Museums, war bei der Nobilitierung gerade kein Hindernis, im Gegenteil. Die Unterstützung seiner 100 Hroch, Das Europa der Nationen; ders., V národním zájmu. 101 Kořalka, František Palacký und die Böhmischen Bolzanisten; Loužil; Winter, Bernard Bolzano. 102 Urban, Kroměřížský sněm, S. 20 f.

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national-kulturellen Aktivitäten stellte bei Kallina für den Staat eines der wichtigen Argumente zugunsten der Nobilitierung dar.103 Ein sehr ähnliches Beispiel liefert die Nobilitierung des Prager Arztes ­Vincenz Krombholz im selben Jahre. Auch ihm verhalfen nicht nur seine unbestrittene fachliche Kompetenz und seine große Wohltätigkeit zur Zeit der Choleraepidemien zum Adelstitel, sondern auch sein persönliches Engagement in und seine vielseitige Unterstützung von mehreren patriotisch-nationalen Aktivitäten.104 Auch hier war das konservativ-nationale Bekenntnis des Adelsbewerbers kein grundsätzliches Hindernis für seine Auszeichnung. Die Revolution 1848/49 stellt in diesem Zusammenhang kaum eine Zäsur dar. Unmittelbar nach ihrem Ausklang, im Frühjahr 1850, wurde der pro­ minente Prager Arzt und Gelehrte Anton Johann Jungmann in den österreichischen Ritterstand erhoben. Dabei handelte es sich um den Bruder des vermutlich bekanntesten tschechischen Agitators des Vormärz Josef Jungmann, der eine Schlüsselposition in »Phase B« der zunächst auf die Sprache ausgerichteten tschechischen Nationalbewegung innehatte.105 Die enge Verwandtschaft des nobilitierten Jungmann mit der Hauptperson der tschechischen nationalen Agitation kam bei der Adelsverleihung trotz der zeitlichen Nähe zur Revolution nicht negativ zum Tragen, im Gegenteil. Der Neuadlige wurde von den staat­ lichen Stellen mit folgenden Worten gewürdigt: »Als Schriftsteller hat er sich hoch verdient gemacht. Außer mehrerer Werke über die Geburtshilfe erschienen von ihm auch Abhandlungen über die Pferdezucht und über die Zucht der übrigen Haustiere, über die Böhmische Gesundheitswässer und die Werke über Anthropologie. Er unterstützt auch seinen Bruder bei Bearbeitung des von ihm herausgegebenen großen böhmisch-deutschen Wörterbuchs.«106

Anton Johann Jungmann wurde also nicht nur aufgrund seiner eigenen umfangreichen wissenschaftlichen Tätigkeit und deren Popularisierung nobilitiert, sondern sogar explizit auch wegen seiner aktiven Teilnahme an der nationalen Sprach­agitation seines Bruders. Der Höhepunkt der Adelsverleihungen an Vertreter der konservativen landespatriotischen Strömung, die sich den Nationsbildungsprozessen zwar nicht 103 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Matthias Kallina von Jäthenstein, fol. 23. 104 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Vincenz Krombholz, fol. 1–26. 105 Es sei hier nochmals auf die Analyse und das Phasenmodell von Miroslav Hroch ver­ wiesen, der anhand eines breiten Vergleichs gerade für diese Phase die auf die Sprache ausgerichteten nationalen Aktivitäten der Nationsbildung überzeugend erklärt. Vgl. Hroch, Das Europa der Nationen, S. 178–186. Zu den Aktivitäten Jungmanns in dieser Hinsicht siehe ders., Na prahu, S. 202–216; Sak, Josef Jungmann, S. 92–134. 106 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann Anton Jungmann, fol. 19. Die zitierte amtliche Würdigung von Jungmanns Aktivitäten bezieht sich unter anderem auf das von ihm auf Tschechisch verfasste medizinische Buch »Umění porodnické k užitku ženám při porodu obsluhujícím«, das in zwei Auflagen (1827 und 1842) erschien.

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entgegensetzte, doch ihre Zukunft ausschließlich in der kulturellen, nicht aber politischen und sozialen Sphäre sah, wurde dann in der Phase des neoabsolutistischen Regimes der Fünfzigerjahre erreicht. Gerade der staatliche Versuch der Fünfzigerjahre, über den sich durchsetzenden nationalen Identitäten eine »Dach­identität« des übernationalen (nicht aber gegennationalen) Österreich zu konstruieren, begünstigste diejenigen Gruppen, die an der Konstruktion einer solchen gesamtösterreichischen Identität mitwirkten.107 Wie Helmut Rumpler konstatiert: »Zum Programm dieser Neugestaltung gehörte es, den zentrifugalen Kräften der nationalen Vielfalt die Idee der Einheit entgegenzustellen«.108 Diese Einheit sollte vor allem durch Armee, Beamtenschaft und Adel demonstriert werden. So erlangte eine Reihe konservativer böhmischer Bürger verschiedene Posten in der Staatsverwaltung und an den Universitäten, und die Höchststehenden wurden häufig nobilitiert. Ein Paradebeispiel dafür ist die 1854 erfolgte Verleihung des Freiherrn­ standes an den damaligen Unterstaatssekretär des österreichischen Kultusund Unterrichtsministeriums, Josef Alexander Helfert. Es handelte sich um den Sohn eines ausgebildeten Juristen und Professors des Kirchenrechts an der Prager Universität, welcher im Vormärz, ebenso wie viele andere Mitglieder jener konservativen Gruppe, dem bolzanischen Kreis sehr nahe stand.109 Josef Alexander Helfert begann zunächst eine juristische Laufbahn, wurde aber während der Revolution 1848/49 an prominenter Stelle in die Politik gedrängt. Er wurde im böhmischen Wahlkreis Tachov zum Reichstagsabgeordneten gewählt, wo er als einer der Gründer des österreichischen bürgerlichen Konservatismus galt, und gehörte zu den eifrigsten Ver­fechtern der ersatzpflichtigen Robotauflösung. Das im Herbst 1848 vom Reichstag verabschiedete Gesetz, das diese Problematik regelte und die finanzielle Ersatzpflichtlast gegenüber den Obrigkeiten auf die ehemaligen Untertanen, auf den Staat und auf die Obrigkeiten selbst gleich verteilte und eigentlich der wichtigste in der Revolutionszeit entstandene Rechtsakt war, stützte sich im Wesentlichen auf seine Vorschläge. Nach der im Frühling 1849 erfolgten Auflösung des Kremsier Reichstages ging Helfert nahtlos in die Staatsverwaltung über, indem er Unterstaatssekretär, das heißt im Grunde erster Ministerstellvertreter des neu gegründeten Ministeriums für Kultus und Unterricht, wurde.110 Dass er seine Karriere gerade in diesem Ministerium fortsetzte, war kein Zufall. Das Unterrichts- und Kultusministerium wurde in den Fünfzigerjahren zum Hauptakteur bei dem erwähnten staatlichen Versuch, eine neue, die na-

107 Bruckmüller, Nation Österreich, S.  75–98; Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. ­149–167; Stölzl, S. 56–63; Winter, Revolution, S. 101–106. 108 Rumpler, S. 334. 109 Mazohl-Wallnig, S. 233. 110 Strakosch-Rassmann, S. 173–176.

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tionalen Bewegungen übergreifende Staatsidentität zu stiften.111 Die tief greifenden Reformen des Schulsystems in den Fünfzigerjahren und die versuchte Begründung einer auf einer gesamtösterreichischen Loyalität beruhenden Geschichtswissenschaft, die durch das Ministerium betrieben wurden, sah der Staat als einen der Grundpfeiler des Umgangs mit der Nationalitätenfrage an, und Helfert schien für diese Zwecke eine geeignete Person zu sein.112 Während seiner politischen Laufbahn verleugnete er nie seine Sympathien für die kulturelle tschechische Nationalbewegung und seinen engen Kontakt zu führenden tschechischen liberalen Politikern. Er wurde allgemein als einer der wichtigsten Ansprechpartner des liberalen Flügels der tschechischen Nationalbewegung in der österreichischen Verwaltungsspitze angesehen.113 Auf der anderen Seite repräsentierte Helfert aber auch die konservative, der katholischen Kirche und dem Thron nahe stehende Position und lieferte so den Beweis, dass eine gegenüber Staat und Krone loyale Position und eine, wenn auch vielfach begrenzte, Förderung kultureller nationaler Aktivitäten sich nicht ausschließen mussten.114 Die 1854 erfolgte Verleihung des Ordens der Eisernen Krone und die kurz darauf folgende Nobilitierung Helferts bedeutete sowohl eine Auszeichnung seiner Politik- und Verwaltungslaufbahn als auch seines Strebens nach einem Konsens zwischen den erstarkenden Nationalbewegungen Böhmens. Nicht nur seine Stellung innerhalb der konservativen landespatriotischen Gruppierung, sondern auch seine enge Beziehung zu und Sympathie für Repräsentanten des liberalen Flügels der tschechischen Nationalbewegung waren für die Ver­ leihung höchster staatlicher Auszeichnungen kein Hindernis. Helferts Nobilitierung illustriert so sehr gut den allgemeinen Kontext der österreichischen Nobilitierungspolitik jener Jahre. Eine sichtbar positive Einstellung zu einer der Nationalbewegungen wurde kaum zu einem Hindernis, soweit zu belohnende Verdienste vorhanden waren und im Grundsatz Loyalität gegenüber dem Staat gewahrt blieb.115 Ähnliches kann über die liberalen Repräsentanten der tschechischen Nationalbewegung gesagt werden. Auch diese Gruppierung wurde nämlich bei den Nobilitierungen nicht übergangen. Das staatliche Interesse, die Nobilitierungspolitik auf die tschechischen Liberalen auszudehnen, äußerte sich jedoch zu einer anderen Zeit und unter anderen Umständen als bei den Konservativen, was auch die unterschiedlichen Ergebnisse erklärt. Die oben erwähnten Adelsverleihungen an Repräsentanten der böhmischslawischen konservativen Strömung fallen in die von Miroslav Hroch als »Phase B« bezeichnete Periode der Nationsbildungsprozesse, als die National111 Frommelt, S. 56–61; Lentze, S. 39–191. 112 Vgl. Ottenthal; Štaif, Historici, S. 115–119; Rumpler, S. 334–341. 113 Kučera, Konzervativní poučení. 114 Ebd., S. 316 f. 115 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Josef Alexander Helfert, Fol. 1–5.

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bewegungen eher kulturell in Erscheinung traten und die Sphäre genuin politischer Entscheidungen noch nicht allzu stark berührten. Die Nobilitierungen von Spitzenvertretern der liberalen Strömungen innerhalb der Nationalbewegungen Böhmens, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts auf der Tagesordnung standen, sind schon im Kontext des Verlaufs von »Phase C« zu sehen.116 In diesem Zusammenhang sind die wichtigsten Veränderungen zu erörtern, deren Ursprung hauptsächlich nicht auf Seiten des Staates, sondern auf der Seite der Adelskandidaten zu suchen ist. Der Staat konnte angesichts der Nationalbewegungen, die bereits sehr an Einfluss gewonnen hatten und zunehmend die Entwicklung der österreichischen Gesellschaft bestimmten, deren Führungspersonen nicht länger außer Acht lassen. Zu den mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen, führende Persönlichkeiten durch verschiedene Auszeichnungen enger an den Staat zu binden, gehörten auch Bestrebungen, nationale Repräsentanten zu adeln. Diese Nobilitierungen kamen nicht nur politischen Führungspersönlichkeiten der Liberalen zugute, sondern umfassten auch Personen, die außerhalb der politischen Arena agierten. Als Beispiel können die Adelsverleihungen an führende Personen in »Phase C« der tschechischen Nationalbewegung dienen, die neben dem politischen Bereich auch aus Wissenschaft und Wirtschaft kamen, also genau aus denjenigen Sphären, aus denen sich die meisten nationalen Agitatoren der »C-Phase« der tschechischen Nationsbildung rekrutierten. Als erstes Beispiel sei der Architekt, Bauunternehmer und größte tschechische Mäzen seiner Zeit Josef Hlávka erwähnt. Hlávkas unternehmerische Erfolge begannen schon in den Jahren, als er den Bau des neuen Wiener Opernhauses durchgeführt hatte; während der Siebziger- und Achtzigerjahre avancierte er dann zu einem der wichtigsten Baumeister der ganzen Monarchie. Er war Erbauer vieler privater und öffentlicher Gebäude in ganz Österreich, und mit der Zeit wurde er zu einem ausgewiesenen Experten und Mitglied verschiedener Fachkommissionen und Vereine nicht nur in Österreich, sondern auch europaweit.117 Mit seinem umfangreichen Vermögen förderte Hlávka zahlreiche nationale Aktivitäten und war zweifellos der größte finanzielle Unterstützer der tschechischen Nationalbewegung in ihrer »C-Phase«. Aus seinen vielfältigen Aktivitäten im Dienste der nationalen Bewegung seien hier zum Beispiel die von ihm 1882 gegründete Stiftung zur Förderung der tschechischen Wissenschaft erwähnt, seine umfangreiche Unterstützung der national-tschechischen Technikhochschule sowie tschechischer wissenschaftlicher Literatur und Poesie oder sein zentraler Anteil an der Entstehung der tschechischen Akademie der Wissenschaften, die ihn 1890 zu ihrem ersten Präsidenten wählte. Hlávka gehörte des Weiteren zu den wichtigsten Finanziers eines der bedeutendsten tschechischen Nationaldenkmäler – der Reiterstatue vom Heiligen Wenzel am 116 Vgl. Hroch, Das Europa der Nationen, S. 103–108; ders., V národním zájmu, S. 194 f. 117 Ries, S. 26–68.

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Prager Wenzelsplatz – und beteiligte sich an der Errichtung des tschechischen Instituts für Volkswirtschaftslehre. Die Aufzählung seiner Aktivitäten im Namen der Nation ließe sich fast endlos fortsetzen.118 In Anerkennung seiner außerordentlichen fachlichen Kompetenz, aber auch seiner großzügigen Förderung tschechisch-nationaler Aktivitäten wurde er schon 1868 mit dem Orden der Eisernen Krone der dritten Klasse ausgezeichnet, nach dessen Statuten er auf Antrag das Recht auf automatische Nobilitierung gehabt hätte. Josef Hlávka verstarb 1908, also vierzig Jahre nach der Er­ langung dieses Rechtes. Einen entsprechenden Antrag hat er nie gestellt. Hlávka war nicht der einzige nationale Aktivist, der wegen fachlicher und nationaler Verdienste die Möglichkeit erhielt, in den Adel aufgenommen zu werden, ohne davon Gebrauch zu machen.119 Wie Hlávka wurde Antonín Pravoslav Trojan, eine angesehene Autorität der liberalen tschechischen Nationalbewegung, mit dem Orden der Eisernen Krone ausgezeichnet, was ihm die Möglichkeit zur Nobilitierung eröffnete. Auch Trojan nahm zeit seines Lebens diese Chance nicht wahr.120 Ebenso wurde die größte wissenschaftliche und intellektuelle Kapazität der tschechischen Nationalbewegung, der Historiker František Palacký, vor die Wahl gestellt, als er 1866 in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen bei der Kultivierung der tschechischen Nationalgeschichte gleichfalls mit dem Orden der Eisernen Krone dekoriert wurde.121 Auch er hat in den acht ihm verbleibenden Lebensjahren keinen Antrag auf Nobilitierung gestellt. Als letztes, wahrscheinlich prägnantestes Beispiel sei hier noch etwas ausführlicher der Fall von František Ladislav Rieger erwähnt. Rieger war in den Jahren 1848 bis 1890 eindeutig der wichtigste Politiker des liberalen Flügels der tschechischen Nationalbewegung. Als die größte politische Autorität der tschechischen Nationalpartei und, nach ihrer Spaltung 1876, der alttschechischen Partei, verkörperte Rieger wie kein anderer die tschechischen Nationalbestrebungen. Er wurde in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren immer wieder zum Abgeordneten gewählt, war Herausgeber zahlreicher tschechischer Zeitungen und Zeitschriften und gilt noch heute als ein wichtiger Erinnerungsort der tschechischen Nationalgeschichte des 19. Jahrhunderts.122 Auch Rieger wurde, ähnlich wie den anderen oben erwähnten Führungs­ personen der liberalen Nationalbewegung, die Nobilitierung angeboten, und 118 Dazu ausführlich Pokorný, Odkaz Josefa Hlávky; Pavlíček; Lodr, S. 88–206. 119 Viele Beispiele bringt Županič, Die tschechischen Eliten. 120 Županič, Nobilitace, S. 187. 121 Kořalka, František Palacký, S. 456 f. 122 Die Forschung zu Riegers politischer Wirkung und zur symbolischen Bezugnahme auf ihn ist unüberschaubar. Für weitere Literatur siehe z. B. die Beiträge einer zu Rieger 2003 abgehaltenen Tagung in dem Sammelband: František Ladislav Rieger a česká společnost 2.  poloviny 19.  století. Sborník referátů z vědecké konference konané ve dnech 25.  a 26.  dubna 2003 v Semilech, Semily 2003. Als Beleg für Riegers anhaltende Stilisierung als Nationalheld siehe z. B. die fast apologetische Biographie von Robert Sak: Sak, Rieger.

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zwar 1881, als er ebenfalls mit einem Orden ausgezeichnet wurde, der ihn dazu berechtigte, seine automatische Nobilitierung zu beantragen. Im Unterschied zu den vorhergehenden Beispielen stellte Rieger einen solchen Antrag, jedoch erst 16 Jahre später, im Jahr 1897, sechs Jahre vor seinem Tod und lange Zeit nach Ende seiner politischen Karriere und seines öffentlichen Engagements.123 Den Hauptunterschied zwischen den Adelsverleihungen an konservative ­Bohemo-Slawen in den Dreißiger-, Vierziger- und Fünfzigerjahren und den – in vielen Fällen nur versuchten – Nobilitierungen der Spitzenvertreter einer schon viel stärker gewordenen tschechischen Nationalbewegung im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts hat Rieger selbst mehrmals auf den Punkt gebracht, als er gefragt wurde, ob er einen Adelstitel annehmen würde. Seine Scheu, einen entsprechenden Antrag zu stellen, begründete er folgendermaßen: »Erst muss die Nation etwas bekommen, dann ihr Führer«.124 Dieses Motto zeigt den Unterschied zwischen den Nobilitierungen in »Phase B« und »Phase C« der Nationalbewegungen ganz deutlich. Vor und noch unmittelbar nach der Revolution 1848/49 konzentrierten sich die National­ bewegungen eher auf die kulturelle Sphäre, und ihre Interessen widersprachen im Wesentlichen nicht denen des Staates, der stets imstande war, seine Hegemonie zu behaupten. Die Situation in »Phase C« war ganz anders: Die tschechische Nationalbewegung war weitgehend politisiert, und ihre Anführer konnten sich im Rahmen des multinationalen Staates auf keine staatliche Autorität stützen und mussten so die Rolle von Repräsentanten einer nicht herrschenden ethnischen Gruppe übernehmen. Somit kam es immer häufiger zu direkten Kon­f likten mit dem Staat, der nicht immer in der Lage war, die nationalen Forderungen zu befriedigen.125 Die Spielräume für eine Nobilitierung als höchste staatliche Auszeichnung waren hier viel begrenzter. Der Staat gab bei den Adelsverleihungen in Böhmen nicht einer bestimmten Nationalbewegung den Vorzug. Auch die Führungs­ figuren der nicht regierenden Nationalgruppen, wie der Tschechen, hatten guten Zugang zu Titeln. Vor allem aber blieb bei Nobilitierungsverfahren die Nationalität unberücksichtigt, denn das Hauptkriterium stellten die politische Orientierung und konkrete Verdienste der einzelnen Kandidaten dar. Es war die Entwicklung der nationalen Bewegungen selbst, die die Verleihungen von Adelstiteln an ihre Repräsentanten erschwerte. In den Dreißiger- und Vierzigerjahren und während des Neoabsolutismus der Fünfzigerjahre wurden vor allem konservative Führungspersonen nobilitiert, die die Nationalbewegungen von der politischen Sphäre fernhielten. Nach der starken Politisierung Österreichs in den Sechziger- und Siebzigerjahren wurde auch liberalen nationalen Führern die Möglichkeit zur Nobilitierung eröffnet. Während aber eine Adelsverleihung in der »B-Phase« der nationalen Be123 Županič, Nobilitace, S. 187. 124 Sak, Rieger, S. 263. 125 Hroch, Das Europa der Nationen, S. 121–129.

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wegung noch keine oder kaum Konflikte mit sich gebracht hatte, gerieten die Prota­gonisten der liberalen Nationalbewegung in »Phase C« im Falle von Nobilitierungsangeboten in teils erhebliche Interessenkonflikte und Schwierigkeiten. In einer Zeit, als sich die Nationalbewegung immer mehr vom österreichischen Staat distanzierte, hätte die Verleihung höchster staatlicher Auszeichnungen an ihre Spitzenvertreter enorme Symbolkraft gehabt. Dies hätte die Stellung der dekorierten Anführer innerhalb der Nationalbewegung schwächen können. Der Zwiespalt zwischen Nationalbewegung und Staat machte die Annahme eines vom Kaiser verliehenen Adelstitels prekär. Es kann also mit Blick auf den Nationalitätenaspekt der österreichischen Nobilitierungspraxis abschließend gesagt werden, dass der Staat keine systema­ tische Diskriminierung praktizierte. Am Beispiel der tschechischen Nationalbewegung wird deutlich, dass bei Adelsverleihungen die Repräsentanten der nicht herrschenden ethnischen Gruppen nicht übergangen wurden. Der Staat verlieh Adelstitel nach individuellem Verdienst, unabhängig von der Teilnahme an der nationalen Agitation. Es waren dabei gerade Aktivitäten im Namen der Nation, die sehr oft mit den entstehenden zivilgesellschaftlichen Praktiken einhergingen, und dies sowohl während der »B-« als auch während der »C-Phase« des Nationsbildungsprozesses. Die Träger der nationalen Agitation rekrutierten sich ausschließlich aus dem zivilen Bereich, und der Anteil des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums war überdeutlich.126 Die große Mehrzahl der Aktivitäten im Namen der tschechischen Nation während der »B-Phase«, zum Teil aber auch in »Phase C« der Nationsbildung, war allgemeinen zivilgesellschaftlichen Idealen verpflichtet. Diese Aktivitäten berührten nicht den Bereich der staatlichen Macht, waren in der Regel nicht profitorientiert im ökonomischen Sinne, setzten ein auf allgemeinen Konsens ausgerichtetes Handeln voraus und schufen soziales Kapital. Die (versuchte)  Aufnahme von Repräsentanten solcher Aktivitäten in den Adel erfolgte ohne Rücksicht auf deren nationales Bekenntnis. Dieser Umstand trifft sich mit der bereits formulierten Annahme, dass in Österreich zunehmend Vertreter verschiedener zivilgesellschaftlicher Praktiken in den Adelsstand aufstiegen. Vermutlich trug gerade die neutrale Einstellung des Staates gegenüber den Nationalbewegungen wesentlich zum Aufstieg zivilgesellschaftlicher Akteure in den Adel bei. Für diese Schlussfolgerung spricht auch die zeitliche Übereinstimmung zwischen dem Aufstieg derjenigen Sozialgruppen in den neuen Adel, die als Akteure der entstehenden Zivilgesellschaft betrachtet werden können, und dem Verlauf von »Phase B« der Nationalbewegungen. Beides fand in den Dreißigerund Vierziger-, vielleicht auch Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts statt. Die Akteure der entstehenden Zivilgesellschaft drängten in den österreichischen Adel parallel und im engen Zusammenhang zur Formierung der Nationalbewegungen. Letztlich sind diese beiden Entwicklungen in Böhmen nicht klar von126 Vgl. Kořalka, Tschechen, S. 85–90; Hroch, Die Vorkämpfer, S. 41–61.

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einander zu trennen. Viele nationale Agitatoren, auf deutscher wie auf tschechischer Seite, waren zugleich wichtige Akteure verschiedenster Initiativen, Vereine und Gesellschaften. Eine weitgehende staatliche Toleranz ermöglichte, dass einzelne dieser Akteure auch in den Adel aufsteigen konnten. Diese Toleranz kann im Fall Böhmens noch an einem weiteren Beispiel überprüft werden, dem der nobilitierten Juden. 3.2.4 Der jüdische Adel Die Emanzipation der jüdischen Bevölkerung begann in den böhmischen Ländern Ende des 18. Jahrhunderts.127 Nachdem die Reformen der Aufklärungszeit Juden die Gründung und Leitung industrieller Unternehmen ermöglichten, waren es in Böhmen ansässige aschkenasische Juden, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in Prag und Umgebung zu den wichtigsten Trägern der Industrialisierung gehörten.128 Schon 1807 befanden sich 15 der 57 Textilfabriken Böhmens in jüdischer Hand. Dieser Anteil vergrößerte sich nach der Gründung mehrerer neuer, vor allem in Prag ansässiger Werke in den Zwanziger- und Dreißigerjahren.129 1835 wurde bereits mehr als die Hälfte aller in Böhmen produzierten Textilien in den Prager Fabriken hergestellt, die jüdischen Eigentümern gehörten.130 Jüdische Unternehmer gehörten in ihren Industriebranchen zu den wichtigsten Wegbereitern technischer Innovationen. So hatte die Fabrik von Moses und Juda Porges bereits 1830 die erste mechanische Baumwolldruckerei eingeführt, die 1835 schon mehr als 560 Personen beschäftigte und zur drittgrößten Fabrik in ganz Böhmen avancierte.131 Der beträchtliche Aufschwung der Industrie führte dazu, dass einige jüdische Unternehmer schnell zu den reichsten nichtadligen Einwohnern des Landes zählten. Ihre Aktivität beschränkte sich aber nicht auf die Baumwollindus­ trie. So gehörte die größte Prager Bank der Jahre vor 1848 der jüdischen Familie Lämel, und die Familie Hönig war schon im ausgehenden 18. Jahrhundert bei der Organisation des österreichischen Tabakmonopols erfolgreich.132 So gerieten in den Dreißiger- und Vierzigerjahren manche Juden in eine gesellschaftliche Position, die eine Nobilitierung greifbar werden ließ. Ihre wirtschaftlichen Verdienste um die Entwicklung der böhmischen Industrie waren unbestreitbar, und viele konnten noch weitere, für eine Nobilitierung qualifizierende Tätigkeiten vorweisen.133 Der jüdische Prager Industrielle Leopold Jeru127 Pěkný, S. 107–128; McCagg, A History, S. 65–82. 128 Hassenpflug-Elzholz. 129 Otruba, S. 246–250. 130 Šolle, S. 664–669. 131 McCagg, A History, S. 75. 132 Županič, Nová šlechta, S. 276 f.; Švankmajer, Simon Lämmel. 133 Županič, Židovská šlechta, S. 112.

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salem zum Beispiel gehörte schon in den Dreißigerjahren zu den größten Unterstützern der Prager öffentlichen Anstalten, und der Gründer des Bankhauses Lämel war im Vormärz eine der größten finanziellen Stützen des Staates, indem er während der wiederholten Finanzkrisen ihm mit hohen Krediten zur Verfügung stand.134 Dieser gesellschaftliche Aufstieg hat dann auf Seiten des Staates tatsächlich sehr deutliche Anerkennung gefunden. Die Nobilitierung erfolgreicher Juden stellte anscheinend kein Problem dar, und Österreich war wahrscheinlich der Staat in Europa, der sich in dieser Hinsicht am weitesten öffnete.135 In der gesamten Habsburgmonarchie wurden zwischen 1701 und 1918 insgesamt 443 Familien jüdischen Glaubens und jüdischer Herkunft nobilitiert,136 in gewissen Bereichen, wie zum Beispiel bei den Adelsverleihungen an Vertreter aus dem Bereich des Handels, spielten jüdische Neuadlige sogar eine prominente Rolle. Der berühmte Fall der 1817 nobilitierten Familie Rothschild war keine Ausnahme, etwa ein Viertel aller österreichischen nobilitierten Händler im 19. Jahrhundert waren Juden.137 Die Habsburgermonarchie hat seit Ende des 18.  Jahrhunderts kaum Wert auf die Glaubenszugehörigkeit der Geadelten gelegt. Von den zwischen 1800 und 1848 nobilitierten jüdischen Familien war fast die Hälfte nicht konvertiert.138 Bereits in den Achtzigerjahren des 18. Jahrhunderts wurde erstmals ein nicht getaufter Jude nobilitiert. Es handelte sich um den Tabakhändler Israel Hönig, der 1789 den österreichischen Adelsstand erhielt. Dieser Fall ist umso inter­essanter, als Hönig zu einer der prominentesten jüdischen Familien Böhmens gehörte, jedoch der Einzige seiner Generation war, der sich nicht taufen ließ. Für die Nobilitierung war dieser Umstand aber nicht hinderlich. Schon ein Jahr nach seiner Nobilitierung wurde mit der Familie Popper eine weitere böhmisch-jüdische Familie ungeachtet ihres nichtchristlichen Glaubens in den Adelsstand erhoben.139 Die religiöse Zugehörigkeit hörte somit spätestens Ende des 18. Jahrhunderts auf, bei Adelsverleihungen eine Rolle zu spielen, in den Fünfzigerjahren war schon mehr als die Hälfte aller Nobilitierten jüdischer Herkunft nicht konvertiert. In den Achtzigerjahren waren die Adelsverleihungen an Juden sogar so häufig, dass jüdische Neuadlige selbstbewusst genug waren, um zum offiziellen Zeremoniell beim Kaiser im Kaftan zu erscheinen.140

134 Otruba, S. 248; Švankmajer, Simon Lämel. 135 McCagg, Austria’s Jewish Nobles, S. 163. 136 Jäger-Sunstenau, Die geadelten Judenfamilien, S. 86. 137 Vgl. Wilson, S.  59–78; Jäger-Sunstenau, Die geadelten Judenfamilien, S.  86; Corti, S. 188–202. 138 McCagg, Austria’s Jewish Nobles, S. 171. 139 Županič, Židovská šlechta, S. 107–111. 140 McCagg, Austria’s Jewish Nobles, S. 175. Für weitere Beispiele siehe Županič, Nová šlechta, S. 270–319.

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Die Zahl der Nobilitierungen jüdischer Familien stieg während des 19. Jahrhunderts noch deutlich. Während in der ersten Jahrhunderthälfte insgesamt 26  jüdische Familien mit einem Adelstitel ausgezeichnet wurden, stieg diese Zahl in den nächsten vierzig Jahren um fast das Achtfache. Zwischen 1848 und 1884 wurden 161 Familien jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft in den österreichischen Adel aufgenommen. Die geografische Verteilung der jüdischen Neuadligen  – mit einem deutlichen Schwerpunkt in Wien und Prag  – korrespondierte dann mit den Tendenzen der allgemeinen Nobilitierungspolitik.141 Ähnlich wie im Falle der Nationalbewegungen öffnete also Österreich den Adelsstand gegenüber dem Judentum relativ weit. Im Unterschied zu den nationalen Eliten, die sich in »Phase C« der nationalen Agitation Adelsverleihungen eher zu entziehen versuchten, akzeptierten die jüdischen Eliten die Einbeziehung in den Adel viel stärker und waren oft eher bereit, durch die Nobilitierung einen Loyalitätspakt mit dem Staat einzugehen. Ähnlich wie die führenden Vertreter der Nationalbewegungen rekrutierten sich die nobilitierten Juden fast ausschließlich aus denjenigen Schichten, die der entstehenden Zivilgesellschaft sehr nahestanden. Das eindeutige Übergewicht von Händlern und Ban­ kiers unter den jüdischen Nobilitierten führt so zur selben Annahme wie bei den Führungsfiguren der Nationalbewegungen: Der Staat nahm mit den Adelsverleihungen an Angehörige der jüdischen Eliten, wenn auch nicht unbedingt absichtlich, Vertreter zivilgesellschaftlicher Einstellungen und Handlungsmuster in den Adel auf. Die Offenheit der österreichischen Politik, Adelstitel großzügig und ohne Rücksicht auf ethnische oder religiöse Hintergründe der Kandidaten zu ver­ leihen, tritt noch deutlicher hervor, wenn zum Vergleich ein Blick auf Preußen geworfen wird. Das preußische Judentum wurde in der Emanzipationsphase in vieler Hinsicht durch ähnliche Faktoren geprägt wie in Österreich.142 Der Kern seiner wirtschaftlichen Tätigkeit bestand im Vormärz gleichfalls im Banken­ wesen und in der Textil- und Kattunindustrie. Die Kattundruckereien und Textilfabriken der Berliner Familien Wallach, Liebermann oder Reichenheim sind mit den böhmischen Unternehmen der Lämmel oder Porges vergleichbar, in verschiedener Hinsicht waren sie bei ihrem wirtschaftlichen Aufstieg und der Einführung von technischen Innovationen vielleicht noch dynamischer. Trotzdem blieben sie bei Adelsverleihungen fast völlig unberücksichtigt.143 Ähnlich die preußisch-jüdischen Bankiers, vor allem in Berlin; sie erfüllten im Verhältnis zum Staat grundsätzlich dieselbe Rolle wie die reichen böhmischen Familien, indem sie dem Staat zahlreiche Kredite zur Verfügung stellten.144 Im Jahre 1812 machten zum Beispiel die jüdischen Bankiers über 141 McCagg, Austria’s Jewish Nobles, S. 163–183. 142 Vgl. Mosse, S. 9–16. 143 Gross. 144 Barth, S. 104–111.

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die Hälfte aller in der Hauptstadt ansässigen Bankiers aus. Entsprechend be­ teiligten sie sich im gesamten Vormärz auch an Staatsanleihen und entfalteten insgesamt eine zuvor kaum bekannte öffentliche Wirksamkeit.145 Staatliche Auszeichnungen erfolgten aber nicht in einem vergleichbaren Umfang wie in Österreich. Der Fall des 1810 nobilitierten Bankiers Salomo Moses Levy, der den Freiherrnstand für seine finanzielle Unterstützung Preußens in den napoleonischen Kriegen erhielt, blieb lange Zeit die einzige Ausnahme, an die erst ab den Siebzigerjahren angeknüpft wurde. Mit der massiven Zunahme der Nobilitierungen von Juden in Österreich kann die Situation in Preußen nicht verglichen werden.146 Dies trifft sich mit dem Befund, dass in Preußen unter den nobilitierten Zivilisten eindeutig Grundbesitzer und Beamte die Mehrheit stellten, während in Österreich Adelsverleihungen einem viel breiteren Kreis zugutekamen. Juden hatten hier also weitaus größere Chancen, in den Adel nicht nur als Juden aufzusteigen, sondern zugleich auch als prominente Vertreter neuer Handlungsweisen, die etwa mit einem erfolgreichen Unternehmen oder zivilgesellschaft­ lichem Engagement verbunden waren. Der Fall des jüdischen Neuadels bestätigt also die oben formulierte Annahme. Die sozialgeschichtliche Analyse zeigt, dass die gesellschaftliche Ver­ teilung der Adelsverleihungen in den beiden untersuchten Regionen beträcht­ liche Unterschiede aufwies. In Österreich war der Zugang zu Nobilitierungen viel offener als in Preußen, indem beispielsweise in den böhmischen Adel breitere Gesellschaftsgruppen einbezogen wurden als in Schlesien. Die österreichischen Nobilitierungen erfüllten somit weit eher die Rolle eines positiven Anreizes, der die Loyalität breiterer Schichten gegenüber dem Staat festigen sollte. Dass in Österreich auch führende Akteure der aufstrebenden Nationalbewegungen sowie jüdische Mitglieder der Wirtschaftselite Adelstitel erlangen konnten, brachte es mit sich, dass mit ihnen einige der wichtigsten Wegbereiter neuer Werthaltungen und Handlungsmuster nobilitiert wurden. Zu Letzteren ge­ hörten die Unterstützung gesellschaftlicher Selbstorganisation, über eigenen Profit hinausgehende Praktiken der öffentlichen Gabe und Wohltätigkeit oder die Kultivierung einer freien Diskussionskultur. Auf diese Art und Weise gewährte der Staat solchen Praktiken Anerkennung und Unterstützung. Die großzügige Verleihung von Adelstiteln stieß bei den Nationalbewegungen jedoch an ihre Grenze zu der Zeit, als sich diese vom Staat zu entfernen begannen und somit keiner staatlichen Anerkennung mehr bedurften. Die anfängliche Offenheit von Angehörigen der Nationalbewegungen gegenüber vom Staat gewährten Adelstiteln wandelte sich mit ihrer Emanzipation zu einer prinzipiellen Ablehnung. Parallel dazu setzte sich auch die entstehende Zivil­ gesellschaft vom Staat ab. 145 Brinkmann; Barth, S. 111–122; Brenner u. a., S. 84–95; Treue. 146 Vgl. Hertz-Eichenrode, Wilhelminischer Neuadel?; Brenner u. a., S.  309–315; Schroeder, Standeserhöhungen in Brandenburg-Preußen, S. 10; Toury; Rürup, S. 11–36.

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In Schlesien konzentrierte man sich dagegen bei den Nobilitierungen die gesamte Zeit über auf die Gruppen der Staatsbeamten und Gutsbesitzer. Andere gesellschaftliche Gruppen wurden meistens übergangen und ein Aufstieg in den Adel blieb ihnen versperrt. Dies alles lässt den Schluss zu, dass in Böhmen gegenüber Schlesien Vertreter einer viel größeren Zahl von Schichten in den Adel aufsteigen konnten. Damit eröffnete sich die Möglichkeit, den Katalog der Adelstugenden um neue Ver­ haltensweisen zu ergänzen. In welchem Ausmaß mit der größeren sozialen Offenheit der Nobilitierungspraxis in Böhmen tatsächlich die Durchsetzung vielfältigerer Kulturpraktiken und deren staatliche Anerkennung einhergingen, soll im nächsten Kapitel überprüft werden.

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4. »In Anerkennung der Verdienste …« Legitimierungsstrategien von Adelsbewerbern und staatliche Nobilitierungspolitik im Wechselspiel

Es ist an dieser Stelle angebracht, das Ergebnis der bisherigen Analyse zu re­ kapitulieren. Es wurde festgestellt, dass in den beiden Vergleichsfällen Breslau und Prag die Rahmenbedingungen für die Entstehung des neuen Adels grundsätzlich ähnlich waren. Die Aufstiegsarenen ähnelten sich sehr, nicht nur hinsichtlich des rechtlichen Rahmens, sondern auch der sozialen Struktur. Aus den beiden Städten kam die Mehrheit der Adelskandidaten Schlesiens beziehungsweise Böhmens, und der Staat hatte in beiden Fällen ziemlich freie Hand, indem er bei den Adelsverleihungen aus einem breiten Angebot an Personen und Verhaltensmustern auswählen konnte. Die Analyse hat jedoch ebenso gezeigt, dass die Gruppen der tatsächlich Nobilitierten sich voneinander teilweise stark unterschieden. In Österreich stiegen weit mehr Angehörige derjenigen Gruppen in den neuen Adel auf, die sich neuer Kulturpraktiken bedienten. Zu diesen gehörten gesellschaftliche Selbstorganisation in neu gegründeten Verbänden, Assoziationen und Vereinen, das En­gagement in der entstehenden öffentlichen Sphäre und die Schaffung sozialen Kapitals. Der größere Anteil der Wirtschafts- und Bildungsbürger unter den Neuadligen in Österreich ist deutlich und unbestreitbar. Ein Blick auf die nationale und religiöse Zugehörigkeit der österreichischen Adelserwerber führt zu einer ersten Erklärung für die Unterschiede zu Preußen. Der verhältnismäßig tolerante Umgang mit den verschiedenen Nationalitäten und mit der jüdischen Minderheit hatte zur Folge, dass in Österreich im Falle von Adelsverleihungen zunehmend Repräsentanten dieser Gruppen sowie Repräsentanten gesellschaftlicher Selbstorganisation und herausragende Philanthropen Berücksichtigung fanden. In Preußen dagegen konzentrierte man sich bei den Nobilitierungen auf Beamte und Grundbesitzer, die der entstehenden Zivilgesellschaft eher fernstanden. Diese erste These muss jedoch einer weiteren gründlichen Überprüfung unterworfen werden. Die statistische Analyse ist nicht immer imstande, alle dynamisierenden Faktoren zu erfassen.1 Zwar korrespondierte die erste Ver­ breitung bestimmter Kulturpraktiken in Zentraleuropa zeitlich mit der Nobilitierung österreichischer und böhmischer Repräsentanten derjenigen Schichten, die als ihre Träger bezeichnet werden. Doch liefert dies noch keinen direkten Beweis dafür, dass zwischen beiden Phänomenen ein Kausalzusammenhang 1 Vgl. Ragin, S. 82 f.

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besteht:2 Viele führende Akteure der entstehenden Vereine, freien Assoziationen und Initiativen waren nobilitiert; das heißt jedoch nicht, dass sie aufgrund ihres zivilgesellschaftlichen Engagements geadelt wurden. Schließlich handelte es sich nicht um das einzige Betätigungsfeld dieser Akteure. Als Träger zivilgesellschaftlicher Praktiken handelten sie nur in bestimmten Kontexten, in anderen Situationen konnten sie ganz andere Handlungsmuster an den Tag legen. Für einen Fabrikanten war es ganz gewöhnlich, sich an einem einzigen Tag als aktives Mitglied in einem oder mehreren Vereinen zu betätigen und sich anschließend wieder seinem hierarchisch strukturierten und ganz auf seinen finanziellen Profit ausgerichteten Unternehmen zu widmen. Das Gleiche gilt für die nobilitierten Offiziere, Beamten oder Grund­besitzer. Auch ihnen sollte nicht grundsätzliche Distanz zur Zivilgesellschaft unterstellt werden. Es war durchaus möglich, dass sich ein Großgrundbesitzer oder ein staatlicher Beamter neben seiner Landwirtschafts- oder Verwaltungs­tätigkeit öffentlich engagierte und andere Verhaltensmuster pflegte als nur die Verwaltung von Gütern oder die hierarchisierten Abläufe innerhalb der staat­ lichen Bürokratie. Der Weg hin zu zivilgesellschaftlichen Handlungsweisen war keine Einbahnstraße. Vielmehr war es ständig möglich, auf verschiedenen Wegen auf das entstehende Feld der Zivilgesellschaft zu gelangen, wie auch, es zu verlassen.3 In diesem Kapitel soll daher die sozialgeschichtliche Makroperspektive verlassen und der Blick unmittelbar auf die Adelsbewerber gerichtet werden. Durch die Analyse einzelner Nobilitierungsfälle sollen die oben aufgestellten Thesen überprüft werden. Es ist zu fragen, wie konkrete Argumentationsstrategien Mitgliedern verschiedener Gruppen zum Adelstitel verhalfen, und wie sich diese Strategien veränderten. Im Folgenden wird es darum gehen, die Argumente zu überprüfen, die die verschiedenen im vorherigen Kapitel festgestellten Gruppen zur Untermauerung ihres Adelsanspruches heranzogen. Ziel ist herauszufinden, welche Bedeutung der Staat bei Nobilitierungen den verschiedenen Handlungsmustern beimaß. Das folgende Kapitel geht somit auf die Handlungsmuster ein, die im untersuchten Zeitraum als Argumente für die Erteilung des Adels benannt wurden, sowie auf die Fragen, wer diese Argumente wann benutzt hat und wie sich der Staat dazu positionierte.

2 Auf der theoretischen Ebene vgl. dazu Lorenz, Konstruktion der Vergangenheit, S. 274–277. 3 Vgl. Bauerkämper.

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4.1 Schlesien 4.1.1 Vom Bajonett zum Grundbesitz: Die Offiziere Die erste Gruppe, auf die die Aufmerksamkeit gerichtet werden muss, sind zweifelsohne die Offiziere. Wie schon gezeigt, waren die Militärs unter den Nobilitierten in Preußen ständig und deutlich präsent, daher kann die Analyse der Argumentationsstrategien sie nicht außer Acht lassen. Die Frage nach der Konvergenz der benutzten Argumentationsmuster mit einer bestimmten Gesellschaftsschicht ist dabei ganz leicht zu beantworten. Offiziere leiteten ihren Adelsanspruch aus ihrem militärischen Engagement ab, es handelte sich jedoch nicht um das einzige und, wie noch deutlich werden wird, zu bestimmten Zeiten auch nicht um das wichtigste angeführte Argument für die Adelsqualifikation. Die Argumentation der Militärs wurde im verfolgten Zeitraum noch um andere Komponenten ergänzt, teilweise sogar durch sie ersetzt. Die Ausgangssituation zu Beginn des Jahrhunderts illustrieren die beiden folgenden Beispiele. 1811 wurde der Major des zweiten schlesischen Husarenregiments, Carl Schmitt, in den Adelsstand erhoben. Als die zuständigen Stellen seinen Antrag berieten, war das Hauptargument für die Bewilligung des Gesuchs eindeutig. Die zuständigen Beamten sahen Schmitts Adelsanspruch durch folgende Verdienste überzeugend begründet: »Sein Vater war ein Prediger, seine Mutter geborene von Düring, Tochter eines Hauptmanns. Carl Schmitt trat im Jahre 1797 in das Ansbachsche Bataillon ein, zeichnete sich 1806 im Gefechte bei Schloitz aus, vor 1807 Lieutnant im 2. Schlesischen Regimente.«4

Seine militärische Laufbahn in Verbindung mit seinen Kriegsverdiensten genügte, um dem Kandidaten zum Adelstitel zu verhelfen. Im Jahr der Antragstellung befand sich Schmitt schon dreizehn Jahre in Militärdiensten, er wurde als zuverlässiger Offizier angesehen und war auch mehrmals befördert worden. Sein Antrag galt daher seitens der Behörden als berechtigt.5 Es wurden nur seine Militärkarriere und seine Kriegsteilnahme überprüft, andere Umstände waren im Hinblick auf die Adelsverleihung nicht ausschlaggebend. Ähnlich, wenn auch etwas breiter, argumentierte dann 1819 der schlesische Major Dellen in seinem Nobilitierungsantrag. Als er diesen einreichte, sah er sich durch folgende Verdienste für den Adelsstand qualifiziert: »Ich habe das Glück gehabt, in der königlichen Artillerie zu dienen und im Jahre 1810 als Major pensioniert zu werden. Von meinen drei Söhnen steht der älteste als Kapi-

4 GhStA PK, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI. D, Nr. 156, fol. 1–2. 5 Immediatgesuch des Majors Schmitt vom 23. August 1819, GhStA PK, HA I., Rep. 89, Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 895, fol. 46–47.

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tän in der Artillerie. Er hat die letzten Feldzüge mitgemacht. Der jüngste steht in der 8ten Regimentartilleriebrigade und der mittlere hat ebenfalls gedient und ist jetzt als Conducteur angestellt.«6

Hier wurde also das militärische Argument noch ergänzt. Der Grund, warum der Bittsteller nobilitiert werden sollte, war nicht nur seine eigene militärische Karriere, sondern auch der Militärdienst der Söhne. Damit wurde das Bild einer loyalen Familie vervollständigt, die den Sinn der Existenz ihrer männlichen Mitglieder ausschließlich im gehorsamen Dienst der staatlichen Armee sah. Es war offenbar nicht nötig, irgendwelche konkreten Verdienste jenseits einer geradlinigen militärischen Laufbahn zu benennen.7 Die zuständigen schlesischen und später zentralen preußischen Stellen haben Dellens Begründung ohne zu zögern akzeptiert, und der Bittsteller wurde, seinem Gesuch entsprechend, in kürzester Zeit in den Adelsstand erhoben. Adelskandidaten, die ihr Gesuch vor allem mit einer Militärkarriere begründeten, stießen bei den zuständigen staatlichen Stellen schnell auf volle Akzeptanz.8 Diese beiden Beispiele kennzeichnen die Adelsverleihungspraxis im ersten Viertel des Jahrhunderts bezüglich der Offiziere sehr treffend. Sie bestätigen auch die oben formulierte Annahme, dass es gerade die Kriege gegen Frankreich waren, die in diesem Zeitraum Offizieren bei Adelsverleihungen eine besonders günstige Ausgangsposition verschafften. Zur Zeit der napoleonischen Kriege und kurz nachher wurden Offiziere schnell und problemlos nobilitiert, wobei es ausreichend war, den Adelsanspruch durch einen langen Militärdienst des Bittstellers (sowie möglicherweise seiner Söhne) und durch einen direkten Kriegseinsatz zu begründen. Diese Praxis hielt jedoch nicht lange an, und nach dem Auslaufen der mit den Kriegen verbundenen Adelsverleihungen in den Zwanziger- und teilweise noch Dreißigerjahren begann sich die Haltung des Staates zu ändern. Adelsver­ leihungen, die sich ausschließlich auf eine Militärkarriere stützten, nahmen deutlich ab, und in den Vierziger- und Fünfzigerjahren waren Nobilitierungen von Offizieren, die in ihrem Nobilitierungsgesuch nur auf ihre soldatische Laufbahn verwiesen hatten, bereits außergewöhnlich. Die einzige Ausnahme bildeten in dieser Zeit immer noch diejenigen Offiziere, die ihren Adels­anspruch aus ihrem militärischen Einsatz gegen Napoleon ableiteten, bisher aber aus irgendwelchen Gründen mit ihrem Nobilitierungsantrag gewartet hatten. So wurde noch 1866 der schlesische Oberstleutnant Konstanz Heineccius in den Adelsstand erhoben. Es handelte sich um einen zur Zeit der Nobilitierung schon zweiundsiebzigjährigen schlesischen Offizier, der während der letzten Feldzüge gegen Frankreich in den Jahren 1813 bis 1815 freiwillig in die Armee eingetreten war und dann als Offizier mehr als vierzig Jahre gedient hatte. 6 Ebd. 7 GhStA PK, HA I., Rep. 89, Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 895, fol. 45. 8 Ebd., fol. 35–44.

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Schon 1813/14 hatte er sich besondere Verdienste auf dem Schlachtfeld er­ worben, die später mit mehreren militärischen Auszeichnungen belohnt worden waren.9 Sein Adelsgesuch reichte Heineccius aber erst nach Abschluss seiner Militärkarriere ein. Er selbst betrachtete seine Verdienste als für den Adelsstand nicht ausreichend und entschloss sich erst dann, einen Nobilitierungsantrag zu stellen, als er zusätzlich zu seiner eigenen auf die militärischen Karrieren seiner Söhne verweisen konnte. Heineccius hatte vier davon, die alle wie ihr Vater in der preußischen Armee dienten. Dabei war die Karriere seines ältesten Sohnes Benno von besonderer Bedeutung: »Der Hauptmann der Feldartillerie Benno Constanz Heineccius wurde am 7. Januar 1830 zu Löwenburg in Schlesien geboren. Er wurde im elterlichen Hause, demnächst im Cadetten-Corps erzogen, am 22. April 1847 zum Offizier und am 16. August 1859 zum Hauptmann befördert. Er machte den Feldzug 1864 in Schleswig mit, führte die 2.  Gardekompagnie und erhielt für sein Wohlverhalten vor dem Feinde den Roten Adler Orden 4. Klasse mit Schwerten. Er ist konservativ gesinnt.«10

Gerade die militärischen Verwendungen des Sohnes zusammen mit dem ­langen und aktiven Militärdienst des Bittstellers waren sowohl von Seiten H ­ eineccius’ als auch des Staates das entscheidende Argument für die Adelsverleihung. Kern der Argumentation war nicht nur die militärische Karriere des Antragstellers und seiner männlichen Familienagehörigen, wie es in der ersten nachnapoleo­ nischen Zeit üblich gewesen war, sondern auch seine politisch konservative Orien­tierung. Wie schon im zweiten Kapitel erwähnt, brachte die Revolution der Jahre 1848/49 ein neues Kriterium in die Nobilitierungsverfahren ein. Während in der napoleonischen und unmittelbar nachnapoleonischen Zeit Offiziere ihren Adelswunsch nur mit Verweis auf militärische Verdienste begründen konnten, wurde dieselbe Gruppe von Offizieren, die noch gegen Napoleon gekämpft hatten, nach 1848 zusätzlich unter dem Gesichtspunkt ihrer politischen Loyalität beurteilt. Nobilitierungen, die nur auf militärischen Argumenten gründeten, waren ab den Vierzigerjahren immer seltener. Unter den bei der Nobilitierung von Offizieren erwünschten Tugenden wurden andere Qualifikationen immer wichtiger, die zahlreichen militärischen Adelsanwärtern bei ihrem Streben nach einem Adelstitel beträchtliche Schwierigkeiten bereiteten. Dies zeigt zum Beispiel der Fall von Major Johann Friedrich Ravenstein. Als Ravenstein 1838 sein erstes Nobilitierungsgesuch einreichte, formulierte er es nach den allgemeinen Gepflogenheiten. Er schilderte seine militärische Karriere zusammen mit den Rängen, die er erreicht hatte, betonte seine lange Treue zur preußischen Armee und vergaß nicht, die Einstellung eines seiner Söhne

9 GhStA PK, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI. H, Nr. 68, unfoliiert. 10 Kriegs- und Marineministerium an das Heroldsamt am 20. Mai 1865, ebd.

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in einem Landwehrregiment zu erwähnen.11 Daher erwartete er die positive Erledigung seines Gesuchs, wurde aber unangenehm überrascht: Die zuständigen Stellen fanden seine Verdienste für eine Nobilitierung nicht ausreichend. Seine eigene Militärkarriere und die Hingabe seiner Familie seien zwar unbestreitbar, man benötige aber noch zusätzliche Informationen zu seinen Vermögensverhältnissen, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob der Bittsteller Gutsbesitzer sei. Da dies bei Ravenstein nicht der Fall war, wurde der Antrag zurückgewiesen.12 Obwohl Ravensteins Argumentation grundsätzlich dieselbe war wie früher bei Dellen oder Schmitt, reichte sie in seinem Fall für eine Adelsverleihung nicht mehr aus. Ravenstein gab jedoch nicht auf und stellte in den Fünfzigerjahren erneut einen Nobilitierungsantrag, diesmal aber ganz anders formuliert. Er konzen­ trierte sich jetzt auf die Frage des Grundeigentums, während er seine militä­ rischen Verdienste ein wenig in den Hintergrund stellte. Der Antragsteller konzedierte, dass er zwar immer noch über keinen Grundbesitz verfüge, wohl aber sein Sohn Georg. Im Unterschied zu seinem ersten Antrag betonte er nicht nur seine Verdienste als Offizier, sondern ging ausführlicher auf seine allgemeine Vermögenslage ein und vergaß nicht zu erklären, dass er beabsichtige, sobald wie möglich Gutsbesitz zu erwerben: »Mich ermutigt zu dieser Bitte das Bewusstsein, dass die strengste Erfüllung aller meiner Obliegenheiten als Soldat und Untertan mir stets eine heilige Pflicht war, und in Zuversicht glaube ich hierüber, so wie meine sonstigen persönlichen Verhältnisse die ehrendste Anerkennung der hohen Behörden erwarten zu dürfen. Zur Erläuterung meiner Vermögensverhältnisse erlaube ich mir anzufügen, dass ich zur Einkommensteuer in die sechzehnte Stufe, also entsprechend einem Einkommen von sechzehn bis zwanzig Tausend Taler eingeschätzt worden bin. […] Es wird jedoch bestimmt von mir beabsichtigt, eine Herrschaft in Schlesien zum dauernden Familienbesitztum anzukaufen, sobald sich eine vorteilhafte Gelegenheit dazu darbietet.«13

Der Aspekt des Grundbesitzes war auf jeden Fall neu. Während es bei den in und unmittelbar nach den napoleonischen Kriegen beantragten Nobilitierungen genügte, dass Offiziere zur Begründung ihren langen und treuen Armeedienst sowie möglicherweise die militärische Ausrichtung ihrer gesamten Familie geltend machten, rückte der Staat seit den Vierzigerjahren von dieser Praxis ab. Die staatlichen Stellen befassten sich mit Ravensteins Antrag erst dann ernsthaft, als er seine Vermögensverhältnisse als weitere Begründung für seine mögliche Nobilitierung ins Feld führte. Erstaunlicherweise war aber sowohl für das schlesische Oberpräsidium als auch für die zentralen Stellen in Berlin gar nicht einmal das Vermögen des An11 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an Ministerpräsident Manteuffel am 4. Februar 1857, GhStA, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI. R., Nr. 19, fol. 2–3. 12 Ebd., fol. 3. 13 Immediatgesuch von Johann Friedrich August Ravenstein vom 21. März 1857, ebd., fol. 4, 28

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tragstellers das wichtigste Kriterium, sondern der Gutsbesitz seines Sohnes. Als entscheidende Information bei der Behandlung des Gesuches wurden von dem Moment an, als der familiäre Gutsbesitz ins Spiel kam, nicht mehr die Verdienste oder die Vermögenslage von Ravenstein selbst betrachtet, sondern die Größe des Grundbesitzes seines Sohnes sowie dessen politische Haltung. Das schlesische Oberpräsidium stellte auf Anfrage aus Berlin umfangreiche Ermittlungen an, um festzustellen, wie der Sohn des Bittstellers sein Gut verwaltete und wie er sich in den unruhigen Zeiten der Revolution 1848/49 verhalten hatte. Teilweise mithilfe der Polizei konnte dann nach einigen Monaten das Oberpräsidium nach Berlin melden, dass der Sohn des Offiziers Ravenstein seinen Gutsbesitz sehr verantwortungsbewusst bewirtschafte und so sein Vermögen konsequent vergrößere. Einige Zweifel bestanden zwar bezüglich seiner politischen Haltung während der Revolution, letztich waren diese aber nebensächlich: »Der Ravenstein hat eine liberale Richtung an den Tag gelegt, indem er sich von Anfang an zur konstitutionellen Partei bekannte. Er tadelte aber gleichwohl im Jahre 1848 das exaltierte Benehmen der Partei und sprach sich entschieden dafür aus, dass gegen das ungesetzliche Gebaren des Volkes mit Kraft eingeschritten werden müsse. An öffentlichen Zusammenkünften hat er sich nicht beteiligt.«14

Erst nach Ermittlung der Vermögensverhältnisse und politischen Haltung des einzigen Gutsbesitzers der Familie war es den zuständigen Beamten möglich, dem Nobilitierungsgesuch stattzugeben. Johann Friedrich Ravenstein wurde im August 1857, neunzehn Jahre nach seinem ersten Antrag, in den preußischen Adelsstand erhoben.15 Während des gesamten Verfahrens ging es fast gar nicht mehr um die Person des Antragstellers, sondern um das Vermögen der Familie; Grundbesitz wurde als unumgängliche Voraussetzung für die Nobilitierung betrachtet. Der lange Armeedienst des Adelskandidaten sowie seines Sohnes war nur am Rand von Bedeutung. Mit Blick auf den ausreichend großen Besitz des Sohnes war es sogar möglich, dessen politische Aktivitäten zu Beginn der Revolution zu tolerieren. Dass sich Ravensteins Sohn 1848 wie so viele Breslauer als Liberaler engagierte, stellte angesichts seines jetzigen Grundbesitzes und dessen beispielhafter Verwaltung kein Hindernis für die Nobilitierung des Vaters dar.16 Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass der Stern militärischer Meriten im Rahmen der staatlichen Nobilitierungspolitik im Sinken war. Rein militärische Verdienste genügten etwa ab den Vierzigerjahren nicht mehr für eine Adels­ verleihung. Von Offizieren, die um Verleihung des Adels nachsuchten, wurden zunehmend andere Qualifikationen und Nachweise verlangt. An erster Stelle wurden nun die Vermögensverhältnisse der Adelskandidaten in Rechnung 14 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 22. Juni 1857, ebd., fol. 17–18. 15 Adelsbrief für die Familie Ravenstein vom 1. August 1857, ebd., fol. 25–26. 16 Vgl. Hettling, S. 123–125.

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gestellt. Wie am Beispiel von Ravensteins Nobilitierung zu sehen ist, konnte Grundbesitz in den Vierziger- und Fünfzigerjahren sogar kleine ›Schandmale‹ wettmachen, hier das gemäßigt liberale Engagement eines Familienmitglieds während der Revolution. Die wachsende Bedeutung des Vermögenskriteriums bei den Nobilitierungen von Militärs lässt sich an vielen Beispielen demonstrieren. Entsprechend wurde etwa der Nobilitierungsantrag von Wilhelm Hufeland aus den Fünfzigerjahren bearbeitet. Hufeland war ein langgedienter schlesischer Offizier, der seine Lebenslage und die seiner Kinder durch eine Nobilitierung zu verbessern suchte. 1853 reichte er seinen Nobilitierungsantrag ein. Für eine Nobilitierung sah sich Hufeland durch seinen Militärdienst qualifiziert, erwähnte aber auch die Verdienste seines Großvaters, dessen lang­jährige Tätigkeit als Leibarzt des Königs seine Adelsansprüche unterstützen sollte.17 Der Antrag fand aber bei den zuständigen Stellen kein Verständnis. Schon das schlesische Oberpräsidium fand bei der Überprüfung seines Gesuchs im Februar 1853 ein paar für den Bittsteller unangenehme Tatsachen heraus: »Er fand bei seinen Nachbarn und Standesgenossen keinen besonderen Anklang und bewegt sich daher mehr in niederen Regionen, ohne daß ihm ein Vorwurf von Unschicklichkeiten hätte gemacht werden können. Als Folge seines seitherigen Umgangs hat er ein Mädchen aus niederem Stande geheiratet. Seine gegenwärtige Frau ist die Tochter eines Wächters aus Kammendorf, Kreis Neumarkt, welche er vor seiner Verheiratung bei dem Rentmeister des Grafen Burghaufs in Künau hat erziehen lassen. Nach den schon mehrfach eingegangenen Erkundigungen soll diese Frau, der man übrigens nicht den geringsten Vorwurf machen kann, sich sehr gut und richtig benehmen und hat ihren Untergebenen gegenüber die richtige Stellung zu bewahren gewusst. […] Gegenwärtig sind die Vermögensverhältnisse von Hufeland nicht besonders, doch kommt er nach dem Tode der Mutter in eine bedeutend bessere Lage.«18

Diese Feststellung veranlasste das Oberpräsidium zu der Schlussfolgerung, Hufelands gesellschaftliche Stellung, seine aus einer niederen Schicht stammende Frau sowie seine nicht gerade glänzende Vermögenslage stünden einer Nobilitierung eindeutig entgegen. Seine militärischen Verdienste und die Verdienste seines Großvaters waren in diesem Fall ohne Bedeutung. Mit dieser Ansicht stimmte auch die Ministerialbehörde in Berlin überein, der Antrag Hufelands wurde daher schnell und kompromisslos abgelehnt.19 Militärische Verdienste wurden in diesem Fall durch die niedrige gesellschaftliche Stellung des Kandidaten und seiner Frau und seinen Mangel an Vermögen relativiert. 17 Maximilian Hufeland an das Heroldsamt am 9. Oktober. 1859, GhStA PK, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI. H., Nr. 37, fol. 1–2. Pfeifer; Eckart, S. 158–161. 18 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 13. Februar 1853, GhStA PK, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI. H., Nr. 37, fol. 19–20. 19 Vortrag zur Nobilitierung von Maximilian Wilhelm Hufeland vom 12.  November 1853, ebd., fol. 4.

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Hufeland ließ sich jedoch nicht abschrecken und nach sieben Jahren stellte er wieder einen Antrag, diesmal aber anders formuliert. Er erwähnte, er habe sein erstes Gesuch mit seinen damals einunddreißig Jahren noch als »unmündiges Kind« eingereicht, ohne zu wissen, was für solch ein kompliziertes Verfahren nötig sei. Zur Zeit seines ersten Versuchs sei er frisch verheiratet gewesen, und zwar mit einem armen, aber »makellosen« Mädchen, und habe seiner jungen Familie eine bessere Zukunft ermöglichen wollen. Nach seinen Worten sei er damals fast besitzlos gewesen und habe sich für eine Nobilitierung nur durch seinen Militärdienst qualifizieren können. Diese Situation habe sich aber mittlerweile wesentlich geändert. Hufeland argumentierte, seine militärischen Verdienste seien zwar im Wesentlichen die gleichen, seit dem ersten Gesuch habe er jedoch durch den Kauf eines Gutes ein beträchtliches Vermögen gewonnen. Er fügte hinzu, seine Frau, obwohl aus armen Verhältnissen, sei gut erzogen und genieße in seinem gesellschaftlichen Umfeld hohes Ansehen.20 Hufelands zweiter Antrag, der sein neu gewonnenes Vermögen und das gesellschaftliche Prestige seiner Familie betonte und nicht mehr den eigenen Militärdienst in den Vordergrund rückte, veranlasste das schlesische Oberpräsidium und das Berliner Heroldsamt, den Fall neu zu bedenken; nicht zufällig geschah dies an der Wende von den Fünfziger- zu den Sechzigerjahren. Das Oberpräsidium überprüfte auf Anfrage des Heroldsamts die neu angeführten Argumente des Bittstellers und kam diesmal zu einer wesentlich anderen Meinung als sieben Jahre zuvor: »Wenn ich damals glaubte raten zu müssen, den Gegenstand zur Zeit nicht weiter zu verfolgen, so haben sich im Laufe von so vielen Jahren die Verhältnisse wesentlich günstiger gestaltet. Der Hufeland hat sich durch ein stilles und bescheidenes Leben für sich und seine Frau Achtung zu gewinnen gewusst. Die Frau selbst aus den niederen Ständen entsprossen hat es verstanden, sich eine angemessene Bildung zu verschaffen und erfreut sich der allgemeinen Anerkennung. Hufeland ist Vater von drei Kindern, besitzt das Rittergut Maxdorf und zahlt den höchsten Klassensteuersatz. […] Meines Erachtens dürfte gegen die Standeserhöhung des Lieutnants Hufeland ein Bedenken nicht mehr obwalten, bei welcher Äußerung mir besonders die hohen Verdienste helfen, welche sein Großvater, der königliche Stabsarzt und Leibarzt Seiner Majestät des Königs sich in vielen Richtungen erworben hat.«21

Dieser Ansicht schloss sich das Heroldsamt voll und ganz an. Dem König wurde letztlich eine umfassende Zusammenfassung vorgelegt, in der es sich eindeutig für Hufelands Nobilitierung aussprach.22 Der Kandidat wurde als wohlhabender, materiell abgesicherter Mann dargestellt, der lange Zeit in der Armee gedient hatte, eine respektable Frau habe und dessen Vorfahren sich ebenfalls 20 Immediatgesuch von Maximilian Wilhelm Hufeland vom 6. Dezember 1859, ebd., fol. 12. 21 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 28. Februar 1860, ebd., fol. 18. 22 Vortrag des Heroldsamts zur Nobilitierung von Maximilian Wilhelm Hufeland vom 26. Mai 1860, ebd., fol. 24–28.

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ausgezeichnete Verdienste um den Thron erworben hätten. Von einem niedrigen Ansehen des Bittstellers vor Ort war keine Rede mehr und die unstandesgemäße Abstammung seiner Frau wurde durch ihr souveränes Auftreten wettgemacht. Im Vergleich der beiden Nobilitierungsanträge Hufelands kommt der Hauptunterschied, der die Meinungsänderung der staatlichen Stellen bewirkte, deutlich zum Vorschein. Hufeland war in der Zwischenzeit zu deutlichem Wohlstand gekommen und damit in der höchsten Steuerklasse. Es war das Vermögen, das bei seiner Nobilitierung den Ausschlag gab, seine eigenen militärischen Verdienste blieben unerwähnt, die Verdienste seines Großvaters nur als zusätz­ liches Argument herangezogen. Der König stimmte zu, und Hufeland wurde im Juni 1860, mehr als sieben Jahren nach seinem ersten Gesuch, in den preußischen Adelsstand erhoben.23 Das Vermögen des Antragstellers, insbesondere sein Grundbesitz, bildete mittlerweile die entscheidende Voraussetzung für eine Adelsverleihung und ließ seine militärischen Verdienste in den Hintergrund rücken. Diese Verbindung zweier Adelsqualifikationen, also des Vermögens als Hauptargument, das um militärische Verdienste ergänzt werden konnte, wurde spätestens in den Fünfzigerjahren immer üblicher. Entscheidend waren ab den Vierzigerjahren die Vermögensverhältnisse, was aber nicht heißt, dass sie zum einzigen Nobilitierungsgrund avanciert wären. Vereinfachend kann man sagen, dass bei jeder Adelsverleihung an einen Offizier der Ausgezeichnete über ein beträchtliches Vermögen, am besten über Grundbesitz, verfügen musste, bei keiner Adelsverleihung aber reichte Vermögen allein aus. Doch die Zahl weiterer tragfähiger Argumente war nicht groß. Neben Militärverdiensten wurde ab und an gesellschaftliches Prestige als Argument vorgebracht, am besten belegt durch die Anerkennung des Adelskandidaten seitens des Adels. Das kann am Beispiel der Nobilitierung des schlesischen Ritt­meisters Siegfried Bernhard Ludwig gezeigt werden. Ludwig war 1861, als das Nobilitierungsverfahren einsetzte, ein seit vielen Jahren in Schlesien dienender Offizier, der zwar seine Existenz durch ein ausreichendes Vermögen gesichert hatte, jedoch kaum größere Verdienste oder einen beeindruckenden Karriereverlauf vorweisen konnte. Er war sich dieser Schwächen auch vollkommen bewusst und bekannte dies auch in seinem Nobilitierungsantrag: »Allergnädigst kann ich keine besonderen Verdienste zur Motivierung dieser Bitte vorbringen, doch hoffe ich der Gewährung dieser Gnade nicht unwürdig zu sein.«24

Was aber der Vater der Familie vermissen ließ, sollten seine Söhne, die als Mitantragsteller fungierten, einbringen:

23 Königliche Entschließung vom 18. Juli 1860, ebd., fol. 31–32. 24 Immediatgesuch von Siegfried Bernard Ludwig vom 22. Mai 1861, GhStA, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI. L, Nr. 36, fol. 17.

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»Zur Betätigung unserer Liebe und Treue für unseren Herrn haben wir in der Königlichen Armee gedient und die Grade als Rittmeister, Lieutnant und Hauptmann erlangt. Mit dem hiesigen Adel haben wir uns durch Heiraten mit Töchtern aus den hier angesessenen altadligen Familien alliirt und genießen, wie es scheint, dessen volles Vertrauen.«25

Dieses Argument, dass die Familie zwar über keine besondere Verdienste verfüge, die einen Aufstieg in den Adel legitimieren könnten, dass sie aber neben ihrem Vermögen mit dem Adel vor Ort verbunden sei und dadurch Anerkennung finde, bildete beim Nobilitierungsverfahren auch das schlüssigste Argument. Die Familie Ludwig bemühte sich sehr, ihre Adelsansprüche gerade mit Verweis auf ihre Verwandtschaft und Kontakte mit dem hohen Adel zu unterstützen. Zum Beweis dafür brachte sie zahlreiche Äußerungen lokaler Adliger und Beamter bei, die das hohe gesellschaftliche Ansehen der Familie unter den lokalen Eliten bezeugten. Am deutlichsten drückte dies der Landrat der Grafschaft Glatz in seinem Fürspracheschreiben aus. Die Hauptgründe für Ludwigs Nobilitierung pointierte er dabei symptomatisch: »[S]o viel ich durch meine Erkundigungen erfahren habe, der allgemeine Wunsch des hiesigen Adels ist, so nehme ich keinen Anstand Euer Excellenz ganz gehorsamst zu bitten, das Gesuch des Herrn Ludwig gnädigst befürworten zu wollen. […] Die jüngeren Ludwig haben sich mit Töchtern aus den alten Häusern von Frobel-Neu Waltersdorf und von Humbracht-Rayersdorf vermählt.«26

Die staatlichen Stellen ließen sich bei der Beurteilung des Antrags auf diese Argumentation ein. Das schlesische Oberpräsidium erkannte sogar ausdrücklich an, dass der Bittsteller zwar grundsätzlich keine besonderen Verdienste vorweisen konnte und daher seine Nobilitierung normalerweise nicht denkbar gewesen wäre, die gesellschaftlichen Kontakte der Familie ließen aber die Angelegenheit in einem völlig anderen Licht erscheinen. Nachdem eine ausreichende Vermögenslage der Familie gesichert worden war und einzelne ihrer Mitglieder als Offiziere gedient hatten, stellte nach Ansicht des Oberpräsidiums in Breslau gerade die adlige Herkunft der Schwiegertöchter und die allgemeine Unterstützung der Nobilitierung seitens des lokalen Adels das entscheidende Argument zugunsten des Bittstellers dar: »Die Antragsteller besitzen seit ca. 60 Jahren drei der oben genannten Güter. Durch stets bewiesene gute Gesinnung und adliges Benehmen ist es denselben gelungen von dem hiesigen Adel, der sonst in dieser Beziehung als exklusiv bekannt ist, vollständig respektiert worden zu sein. Von derselben Seite sind sie auch zu dem vorliegenden Schritte ermuntert worden und es ist namentlich im Namen vieler Gutsbesitzer der Wunsch um Nobilitierung der Familie Ludwig mündlich ausgedrückt worden. Die jüngeren Ludwig haben sich beide mit Töchtern aus altadliger Familie der Grafschaft 25 Ebd., fol. 18. 26 Ebd., fol. 1–2.

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verheiratet. Wenn auch von besonderen Verdiensten um den Staat, die den Petenten einen Anspruch auf die erbetene Standeserhöhung gäben, nicht gerade die Rede sein kann, so lässt sich doch einerseits nicht leugnen, dass […] die Vermögensverhältnisse der Familie Ludwig, wenn auch nicht glänzend, doch geordnet sind, da der Grundbesitz in guter, fruchtbarer Gegend gelegen ist und ein standesmäßiges Auskommen gewährt.«27

Diese Ansicht bestätigte das Heroldsamt als zentrale Behörde. In seiner Stellungnahme, die es dem König zwei Monate nach der Äußerung der Provinzialverwaltung vorlegte, empfahl das Heroldsamt ausdrücklich die positive Erledigung von Ludwigs Nobilitierungsantrag, und zwar mit einer klaren Begründung. Das wichtigste Argument für die Verleihung des Adels an Ludwig sei sein Grundbesitz, was außerordentlich durch die Tatsache verstärkt werde, dass die Nobilitierung vom lokalen Adel unterstützt werde, die Familie mit diesem durch Heirat verbunden sei und der Adelskandidat daher vom Adel vor Ort schon anerkannt werde. Diese Umstände seien für die Nobilitierung viel wichtiger als die fehlenden konkreten Verdienste des Bittstellers.28 Die offizielle Nobilitierung wurde zusammen mit anderen Fällen für den Zeitpunkt der Krönung Wilhelms  I. gesammelt. Siegfried Ludwig musste daher auf seinen Adelstitel noch zwei weitere Monate warten, in der Sache erfuhr der ganze Fall jedoch keine weitere Änderung.29 Ludwig erhielt seinen Adelstitel hauptsächlich aufgrund seines Grundbesitzes und des Ansehens, das er beim lokalen Adel genoss. Die mehrfachen Fürsprachen von Adligen, welche die gediegenen Kontakte des Bittstellers unterstrichen, und die adlige Abstammung seiner Schwiegertöchter stellten für den Staat den erwünschten Mehrwert dar, der neben dem Grundbesitz die Zugehörigkeit zum Adel rechtfertigte. Hinsichtlich der Argumente für Adelsverleihungen an Militärs wird eine klare Entwicklung deutlich, wie die oben skizzierten Beispiele zeigen. Zur Zeit der Kriege gegen Frankreich und unmittelbar danach argumentierten Offiziere in erster Linie mit ihren militärischen Verdiensten, und der Staat ließ sich darauf ein. Den Militärdienst des Bittstellers oder seiner Familie zu betonen, genügte zu dieser Zeit grundsätzlich, um den Staat vom Adelsanspruch eines Kandidaten zu überzeugen. Um andere Argumente kümmerten sich die staatlichen Stellen kaum. Nach dem Ausklingen der Adelsverleihungen an Offiziere, die ihren Adelsanspruch noch aus ihrem Engagement in den napoleonischen Kriegen ableiten konnten, begann sich dies zu ändern. Der Staat legte nun statt militärischer Verdienste immer mehr Wert auf Vermögen, vor allem Grundbesitz. Grund­ besitz avancierte schon ab den Vierzigerjahren zum wichtigsten Gesichtspunkt bei Nobilitierungen, der die Offizierslaufbahn der Kandidaten oftmals in den 27 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 16. Juni 1861, ebd., fol. 7–8. 28 Vortrag zur Nobilitierung von Siegfried Bernhard Ludwig vom 14. August 1861, ebd., fol. 10–13. 29 Ebd., fol. 14–26.

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Schatten stellte. Militärverdienste spielten dann bei neuadligen Militärs eher eine Zusatzrolle, ähnlich wie die Betonung ihres allgemeinen gesellschaftlichen Prestiges und ihrer Anerkennung seitens adliger Kreise. Die immer zentralere Rolle, die Grundbesitz in den Nobilitierungsanträgen von Offizieren spielte, korrespondierte mit der allgemeinen Situation der preußischen Armee. Je höher der Rang, desto mehr wurde ein Adelstitel erwartet. Der Militärdienst in Preußen an sich verhalf Offizieren zwar nicht zu Vermögen, denn die Besoldung war eher bescheiden. Die Offiziersehre verlangte aber eine entsprechende Lebensführung, sodass sich die Mehrheit der Offiziere aus dem Adel rekrutierte, der in der Regel über genügend ökonomisches Kapital verfügte.30 Bei den Adelsverleihungen an Militärs wurde so ab den Vierzigerjahren das schon bestehende Bild des Offizierkorps eigentlich nur reproduziert. Es wurden diejenigen nobilitiert, die nicht nur ausreichende Militärverdienste vorweisen konnten, sondern die sich auch eine angemessene Lebensführung aus eigenen Mitteln  – die Offiziersgehälter ermöglichten dies nicht  – leisten konnten.31 Der Blick auf die mögliche Auszeichnung weiterer Verhaltensweisen kann hier ganz kurz ausfallen. Militärische Verdienste, später dann Vermögen, gesellschaftliche Anerkennung und Prestige ließen keinen Platz für die Einbeziehung anderer Kulturpraktiken und Verhaltensmuster. Der Tugendkatalog, der bei den Nobilitierungen von Offizieren zum Maßstab genommen wurde, wandelte sich von der Betonung militärischer Handlungsweisen hin zur Dominanz der Wertschätzung für individuelle Vermögensakkumulation, eine dadurch ermöglichte repräsentative, »standesgemäße« Lebensführung und Anerkennung seitens des schon bestehenden Adels. 4.1.2 Von der Feder zum Grundbesitz: Die Staatsbeamten Im dritten Kapitel wurde gezeigt, dass sich der Anteil der Staatsbeamten an Preußens neuem Adel dynamisch entwickelte. In einer ersten Phase, ungefähr bis zu den Zwanzigerjahren, spielten Staatsbeamte bei den Nobilitierungen von Zivilisten eine relativ prominente Rolle, die sie dann aber allmählich verloren. Der Tiefpunkt dieser Entwicklung lag in den Vierziger- und Fünfzigerjahren, als sie ihre Position massiv zugunsten der Gutsbesitzer einbüßten, und obwohl ihr Anteil in den Fünfzigerjahren wieder zu steigen begann, erreichten sie nicht mehr ihre vorherige Prominenz. Die Erklärung dafür liegt hauptsächlich in den Versuchen des preußischen Staates, in den Vierzigerjahren den gesamten Adel zu reformieren. Im Folgenden soll nun überprüft werden, wie sich dies in konkreten Nobilitierungsfällen auswirkte. Zu fragen ist, ob der veränderte Anteil des Beamtentums am 30 Pröve, S. 36–38. 31 Ebd., S. 36.

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neuen Adel mit dem Wandel der für den Adel qualifizierenden Handlungsmuster Hand in Hand ging, und falls ja, wie sich dann die Adelsqualifikationen der Beamten entwickelten. Werfen wir zunächst den Blick auf die erste Phase, die grob mit dem Jahr 1806 und dem Anfang der Zwanzigerjahre abgegrenzt werden kann. Diese Periode kann als die Phase des »gehorsamen Dienstes« bezeichnet werden: Beamte leiteten ihren Adelsanspruch hauptsächlich aus ihrem Staatsdienst ab. Dessen Dauer und Kontinuität, am besten über mehrere Generationen nachgewiesen, und ihre Bewährung als tüchtige Verwaltungsleute bildeten die Hauptargumente, mit denen sich Staatsbeamte als für den Adelsstand qualifiziert bewarben. Solche Qualifikationen fanden auch weitgehend staatliche Akzeptanz. Bekanntlich spielte die Staatsbürokratie während der Reformzeit eine prominente Rolle. Obwohl für manche zeitgenössische Beobachter die Ära des bürokratischen Absolutismus in Preußen, als »die Diener mächtiger als die Herren wurden«,32 den ganzen Vormärz andauerte,33 endete die Dominanz der Bürokraten in den Zehner- und Zwanzigerjahren.34 Ab den Zwanzigerjahren musste die Bürokratie einen Machtverlust zugunsten von Adel und Monarch hinnehmen, sodass die drei Jahrzehnte vor 1848 durch eine gemischte adlig-büro­ kratisch-monarchische Vorherrschaft gekennzeichnet waren.35 Dass in den ersten zwei Jahrzehnten Beamte innerhalb des neuen Adels überproportional vertreten waren, ist sowohl ihrer während der Reformära er­ starkten Macht als auch einem langfristigen Trend zuzuschreiben. Die preußische Beamtenschaft wuchs auf der einen Seite in dieser Zeit bedeutend, womit ein Mehr an Nobilitierungen einherging.36 Auf der anderen Seite ist ein Teil der Adelsverleihungen an Beamte in Verbindung mit Hoffnungen zu sehen, die schon während der Aufklärung in die Beamtenschaft gesetzt wurden.37 Der Anstieg der Zahl nobilitierter Beamter endete aber zusammen mit der Reformära, und seit den Zwanzigerjahren nahmen die Chancen für Beamte, in den Adel aufzusteigen, allmählich ab.38 Was Nobilitierungen von Staatsbeamten in dieser ersten Phase kennzeichnete, zeigt das Beispiel des 1819 nobilitierten Karl Friedrich Heinen. Es handelte sich um einen Breslauer Regierungsrat, der seine Beamtentätigkeit ganz kurz vor der Reformzeit begonnen hatte und somit zu denjenigen Staatsbeamten gehörte, die die ganze Zeit hindurch zu den Säulen des bürokratischen Absolutismus gehörten. 32 Zit. nach Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte II, S. 298. 33 Vgl. Bülow-Cummerow. 34 Koselleck, Preußen, S. 217–283; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 33–69; Kehr, S. 31–52. 35 Vgl. Vogel; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte II, S. 297–322; Obenaus, S. 202–209. 36 Clark, S. 364–381; Wunder, Geschichte der Bürokratie, S. 44–50. 37 Schiller, Vom Rittergut zum Adelstitel?, S. 65–69; Bonin. 38 Gillis, Aristocracy, S. 109–115.

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Die in seinem Nobilitierungsantrag vorgebrachten Argumente für eine Adelsverleihung bezogen sich im Großen und Ganzen nicht nur auf seinen eigenen tüchtigen und langen Dienst, sondern auch auf den seiner Vorfahren.39 Damit fand er bei den zuständigen staatlichen Stellen volles Verständnis, und Heinens Nobilitierung wurde dem König rasch und ohne Umwege mit folgender Begründung empfohlen: »[D]ass der Vater des Regierungsrats Heinen Eurer Königlichen Majestät als Kriegsrat 49,5 Jahre diente, dass der Regierungsrat Heinen seit 1802 als Regierungsrat E ­ urer Majestät ebenso treu dient und dass der Regierungsrat Heinen das Zutrauen seiner Vorgesetzten besitzt.«40

Diese Qualifikationen erkannte auch der König als für eine Adelsverleihung ausreichend an. Für die Nobilitierung von Karl Friedrich Heinen genügte die bürokratische Tradition seiner Familie und sein aktives Mitwirken bei der Umsetzung der Reformmaßnahmen in der Provinz Schlesien, die ihm das Vertrauen seiner Dienstvorgesetzten eingebracht hatten.41 Bemerkenswert an diesem Beispiel und überhaupt typisch für die Nobi­ litierung von Staatsbeamten in dieser Zeit ist die Kürze des Verfahrens. Heinen wurde nämlich nicht einmal einen Monat nach Einreichung seines Gesuches nobilitiert.42 Während des ganzen Verfahrens beschränkte sich der Staat nur darauf, die Verwaltungslaufbahn des Kandidaten zu überprüfen, was hauptsächlich über Anfragen an seine direkten Dienstvorgesetzten geschah. Da es sich um einen treuen und zuverlässigen Staatsbeamten handelte, verlief die Sache reibungslos und schnell. Auch der Adelsbrief erwähnte die bewährte Verwaltungstätigkeit des Neuadligen und zugleich die seines Vaters als Hauptgrund für die rasche Nobilitierung.43 In Heinens Nobilitierung kam somit das gestiegene Prestige der preußischen Beamtenschaft zum Ausdruck. Einerseits wurde der Vater des Antragstellers lobend hervorgehoben, der als langjähriger Beamter in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Beamtentradition der Familie begründet hatte. In gleicher Weise galt dies für den Sohn, der diese Tradition als ein Akteur der bürokra­ tischen Reformen Anfang des 19.  Jahrhunderts erfolgreich fortsetzte und mit Verweis darauf den Aufstieg der Familie in den Adel erreichte. Die großzügige Praxis, Beamte in den Adel aufzunehmen, die ihren Adelsanspruch allein aus einer Karriere im Staatsdienst ableiteten, erreichte jedoch in den Zwanzigerjahren ihre Grenzen. Der sinkende Anteil der Beamten am neuen Adel ging mit der Verschärfung der Kriterien einher, die bei Nobilitierungen angelegt wurden. Adelstitel kamen mehr und mehr nur noch Vertretern der 39 GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4522, fol. 1–2. 40 Ebd., fol. 6–7. 41 Kamionka; Breitbarth. 42 GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4522, fol. 7. 43 Adelsbrief für Karl Friedrich Heinen, ebd., fol. 9–12.

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höchsten Beamtenschaft zugute, die einflussreiche Fürsprecher und eine starke Lobby hatten. Die Nobilitierungschancen von Beamten in niedrigeren Positionen wurden daher immer geringer.44 Im Fall Schlesiens kam dieser Trend symptomatisch in der 1828 erfolgten Adelsverleihung an Friedrich Theodor Merckel zum Ausdruck. Merckel stand sehr deutlich für das Vorbild einer erfolgreichen, lebenslangen Karriere als Spitzenbeamter. Der 1775 in Breslau geborene Kaufmannssohn trat gleich nach seinen juristischen Studien die Beamtenlaufbahn am Oberlandesgericht in Breslau an, war als Kriegs- und Domänenrat der Breslauer Kammer für die Justiz und das Bankwesen zuständig und nahm 1807 auch an den Verhandlungen mit den französischen Truppen über die Räumung Schlesiens teil.45 Seine Karriere setzte er mit einem kurzen Intermezzo in Königsberg fort, wo er sich der Einführung der Steinschen Agrarreformen widmete. Als er 1809 nach Schlesien zurückkam, wartete auf ihn schon die Position des Regierungsvizepräsidenten. Auf diesem Posten stellte er mehrfach seine Verwaltungskompetenz unter Beweis.46 Er gehörte beispielsweise zu den Hauptbeteiligten bei der Gründung der Breslauer Universität und hatte maßgeblichen Anteil an der damit verbundenen Aufhebung der schlesischen Klöster und Stifte. Auch oblag ihm die administrative Umsetzung des 1812 erlassenen Gesetzes über die Gleichstellung der Juden.47 1813 wurde er zum Regierungspräsidenten ernannt. Als dann 1816 das Amt des schlesischen Oberpräsidenten neu zu besetzen war, war er automatisch die erste Wahl. Da Merckel zugleich Regierungspräsident von Breslau blieb, wurde er 1816 faktisch zum Kopf der gesamten schlesischen Verwaltung.48 Oberpräsident war er – mit einer Unterbrechung zwischen 1820 und 1825 – bis 1845 als der am längsten amtierende Präsident in der Geschichte Schlesiens während der Zeit als preußische Provinz.49 Als erfolgreicher Oberpräsident konnte sich Merckel nicht nur bei den Ministerien in Berlin einen exzellenten Ruf erwerben, sondern durch eine behutsame Politik des Interessenausgleichs zwischen der Berliner Zentrale und der Provinz erlangte er auch hohes Ansehen bei den schlesischen Eliten:50 »Merckel war in Tatkraft, Umsicht und Vielseitigkeit ein seinen Kollegen Schön in Ostpreußen, Sack in Pommern und Vincke in Westfalen ebenbürtiger Sachwalter der Provinzbelange.«51

Merckels geschickte Politik und seine unbestreitbare Fachkompetenz kamen ihm bei seiner 1828 erfolgten Nobilitierung deutlich zugute. Als er sich um den 44 Schiller, Vom Rittergut zum Adelstitel?, S. 66–69. 45 Petry, S. 21. 46 Herzig, Die unruhige Provinz Schlesien, S. 466–477. 47 Roeppel. Weiter faktographisch umfassend: Linke. 48 Gerber, S. 48–52; Herzig, Die unruhige Provinz Schlesien, S. 478 Linke, S. 189. 49 Fuchs, Friedrich Theodor von Merckel; Schütz; Brocke. 50 Wendt. 51 Petry, S. 17.

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Adelstitel bewarb, erhielt er von verschiedener Seite starke Unterstützung. Im Rahmen des Nobilitierungsverfahrens sprachen sich sogar mehr als sechzig schlesische Adelige und Bürger in einem gemeinsamen Gesuch an den König für Merckels Nobilitierung aus: »Wir Unterzeichneten wagen Eure Majestät den Wunsch anzudeuten, dass Eurer Königlichen Majestät gefallen möchte dem Oberpräsidenten der Provinz Schlesien Merckel den Adelstand zu verleihen. In verhängnisvollen Zeiten bewährt, mit den Verhältnissen der Provinz, ihren Hilfsmitteln und ihren Bedürfnissen vertraut verehren wir in ihm einen Verwaltungschef, der mit umfassender Einsicht und nicht zu er­ müdender Tätigkeit, für das Wohl der ihm untergeordneten Landesteile wirkt und glauben in der Andeutung die ungeteilte Dankbarkeit ausdrücken zu dürfen mit welcher wir uns ihm verpflichtet fühlen.«52

Merckel konnte also offensichtlich von vornherein auf eine breite Unter­stützung seines Adelswunsches bauen, die sich nicht auf die regionale Adelslandschaft beschränkte, sondern weit in die bürgerlichen Schichten reichte. Die ungewöhnlich starke Fürsprache bezeugte das besondere Interesse, das die Eliten Schlesiens an der Nobilitierung ihres Provinzpräsidenten hatten, und konnte seitens des Staates nicht übersehen werden. Der Umstand, dass Merckel in seiner Amtszeit den Berliner Zentralstellen nicht immer entgegenkam und in den Zwanzigerjahren eine von den könig­ lichen Interessen teils unabhängige Linie aufrechterhielt,53 wurde durch seine hohe Fachkompetenz und durch die breite Lobby, die hinter ihm stand, aus­ geglichen. Im Mai 1828 wurde Merckel der gewünschte Adelstitel verliehen. Als Hauptqualifikation für die Erhebung in den Adelsstand wurde in der offi­ ziellen Begründung eindeutig sein langer und zuverlässiger Beamtendienst angesehen.54 Obwohl die Nobilitierungen von Beamten in den Zwanziger- und Dreißigerjahren abnahmen und es für Beamte im Vergleich zur ersten Phase immer schwieriger wurde, sich zu einem Adelstitel emporzuarbeiten, erhielten sie den Adel, wie Merckels Beispiel zeigt, in der Regel immer noch aufgrund ihrer fachlichen Verdienste und gesellschaftlichen Stellung. Wenn es im Fall von Beamten zu einem Nobilitierungsverfahren kam, begründeten diese ihren Adelswunsch vor allem mit ihrem Dienstalter, ihrem Karriereverlauf und ihrer unter Beweis gestellten Fachkompetenz. Genau diese Gesichtspunkte berücksichtigte im Wesentlichen auch der Staat bei den Adelsverleihungen. Dieses Muster der Adelsverleihungen an Beamte erfuhr, ähnlich wie die Nobilitierungen von Offizieren, in den Vierzigerjahren einen wesentlichen Wandel. Wie Offiziere und schließlich in ähnlicher Weise auch Grundbesitzer 52 GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4879, fol. 2–3. 53 Bahlcke, S. 90. 54 Adelsbrief für Friedrich Theodor Merckel vom 10. Mai 1828, GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4879, fol. 4–7.

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wurden die Staatsbeamten mehr und mehr dazu gezwungen, einen Adels­ anspruch nicht nur aus ihrem Verwaltungsdienst abzuleiten, sondern durch weitere Qualifikationen zu untermauern. Und ähnlich den beiden zuvor betrachteten Gruppen wurde jetzt zum wichtigsten Argument das Vermögen des Betreffenden, möglichst in Form von Grundbesitz. Auf diese Weise kam es sehr leicht zu Überlappungen der im vorherigen Kapitel analysierten Kategorien. Nobilitierte Beamte wurden zwar seitens des Staates als Beamte betrachtet, und sie wurden während des Verfahrens von den staatlichen Stellen auch so bezeichnet, de facto handelte es sich aber um Personen, die genauso gut Grundbesitzer hätten genannt werden können.55 Während der ersten Regierungsjahre Friedrich Wilhelms IV. änderte sich so unter dem Einfluss des englischen Vorbilds nicht nur der Anteil der mit einem Adelstitel ausgezeichneten Beamten am gesamten neuen Adel, sondern auch die tatsächliche Substanz ihrer Adelszu­ gehörigkeit. Wie sich die Richtungsänderung praktisch bemerkbar machte, lässt sich an vielen Beispielen zeigen. So wurde etwa 1846 der Breslauer Justiz- und Tribunal­ rat Johann Leopold Mitschke nobilitiert. Es handelte sich um einen langjährigen Staatsdiener, der kurz vor den Reformen in die preußische Bürokratie ein­ getreten war und, wenn auch nicht immer glatt und rasch, seinen Weg nach oben einschlug. Seine Beamtenkarriere bildete jedenfalls sein erstes Argument, aus dem er seinen Anspruch auf Nobilitierung herleitete: »Ich bin ehedem und zwar seit dem Jahre 1805 in dem damaligen Südpreußen und zwar bei der Regierung zu Kalisch als Justiz Kommisarius angestellt gewesen. Da nach der im Jahre 1807 erfolgten Regierungsveränderung alle meine Bemühungen eine andere Anstellung in den preußischen Länder zu erhalten vergeblich waren, blieb ich in Kalisch und bewarb mich um eine Anstellung bei der Gerichtsbehörde. Ich wurde dann als Advokat bei dem daselbst errichteten Ziviltribunal angestellt, wo ich bis zum Jahre 1833 verblieb. Ich hatte diesen meinen Beschluss nicht zu bereuen, in dem mein Fortkommen vollkommen gesichert war und ich Gelegenheit hatte in diesem Verhältnis meinem angestammten Vaterland sehr wichtige Dienste zu leisten.«56

Diese von Mitschke betonten Dienste für das Vaterland waren in seinem Fall keineswegs eine bloße Floskel. Mitschke wirkte nach der französischen Besatzung als lokaler Bevollmächtigter vieler staatlicher, aber auch privater Kassen und Institute, die von der napoleonischen Verwaltung geschlossen worden waren.57 Dabei kümmerte er sich als erfahrener Jurist um das Eintreiben ihrer Forderungen. Diesen Posten bekleidete er auch, nachdem die französischen Truppen Preußen verlassen hatten, und verzeichnete dabei zahlreiche Erfolge, die den staatlichen Institutionen nicht unbeträchtliche Summen einbrachten und 55 Vgl. z. B. GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. L, Nr. 5, fol. 1–10. 56 Adelsgesuch von Johann Leopold Mitschke vom 20.  Dezember 1844, GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4901, fol. 1–4. 57 Vgl. Münchow-Pohl, S. 94–131.

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das Staatsbudget schonten. Diesen Verdiensten widmete Mitschke in seinem Adelsgesuch naheliegenderweise viel Raum: »Es waren nämlich von verschiedenen Instituten in Berlin auf Güter in der dama­ ligen Provinz Südpreußen über 11 Millionen Thaler ausgeliehen. Da die gedachten Institute und Kassen den Titel königlicher Behörden führten, so wurden sie […] von dem Kaiser Napoleon im Jahre 1808 abgeschlossen. Alle gedachten Institute und Kassen erwählten mich zu ihrem Bevollmächtigten in dem Department von Kalisch und übertrugen mir die Ausklagung und Beitreibung dieser ihrer Forderungen. […] Ich habe mich mit dem größten Eifer diesen Aufträgen unterzogen und bis zum Jahre 1833 über 2 500 000 eingezogen, insbesondere für die allgemeine und die Offizier Militair Kasse – 695 000 von Kapital, so wie gegen 600 000 an Zinsen und eben so habe ich für die Königshauptbank zu Berlin bedeutende Summen realisiert und eingesandt.«58

Es muss nicht eigens betont werden, dass diese langjährige Tätigkeit Mitschkes nicht ganz uneigennützig verlief. Während der Zeit, als er sich dem Eintreiben staatlicher Forderungen widmete, nahm er zusätzlich Privataufträge verschiedener Berliner Unternehmen an, und es gelang ihm, auch für diese erheblichen Gewinn zu erzielen.59 Sein mit der Zeit akkumuliertes Vermögen ermöglichte ihm ein materiell gesichertes Leben und seinen drei Söhnen eine überdurchschnittliche und prestigeträchtige Ausbildung in Berlin, was die Fortsetzung der Familientradition erlaubte. Zwei der Söhne traten in den Staatsdienst ein. Zur Zeit der Nobilitierungsinitiative ihres Vaters hatten sie schon eine mehr oder weniger lange Beamtenkarriere hinter sich und waren relativ schnell aufgestiegen. Auch das Argument des generationsübergreifenden Staatdienstes brachte Mitschke in seinem Adelsgesuch ins Spiel: »Meine 3 Söhne haben sich auf der Lehranstalt und der Universität zu Berlin auszu­ bilden gesucht und die beiden ersteren dem Staatsdienst gewidmet.«60

Mitschke präsentierte sich primär als ein Bürger, der sich dem Staatsdienst verpflichtet sieht und sich der Vertretung der Staatsinteressen hingibt, eine Haltung, die er auch an seine Nachkommen weitergibt. Was er aber in seinem Antrag weiter aufführte, war der Umstand, dass er aus seinem Vermögen 1835, nicht allzu lange vor Beginn des Nobilitierungsverfahrens, drei schlesische Güter gekauft hatte. Offensichtlich maß er diesem Gutsbesitz für das Nobilitierungsgesuch nur wenig Einfluss bei. Mitschke unterließ es, die Größe oder den Ertrag der Güter zu nennen und beschränkte sich bei ihrer Erwähnung darauf, dass sie jetzt unter den Söhnen gleich verteilt würden. 58 Adelsgesuch von Johann Leopold Mitschke vom 20.  Dezember 1844, GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4901, fol. 1–4. 59 Ebd., fol. 5–6. 60 Ebd., fol. 1–4.

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Die Güter dienten Mitschke nur als Zusatzargument, das seine unbestreitbaren Verdienste für den Staat als Beamter und bei der Eintreibung staatlicher Forderungen ergänzen und die positive Gesamtlage seiner Familie veranschaulichen sollte. Dabei war ihm gar nicht bewusst, wie sehr er sich mit der kurzen Erwähnung seines Güterbesitzes half. Mitschke bezeichnete sich zwar während des Verfahrens stets als »Justizund Tribunalrat«, und auch im internen Schriftverkehr der Staatsorgane wurde immer auf den »Justizrat Mitschke« Bezug genommen, der somit offiziell als nobilitierter Beamter figurierte.61 Die staatlichen Stellen konzentrierten sich aber während des Verfahrens hauptsächlich auf die Frage des Vermögens und der sich daraus ergebenden repräsentativen Möglichkeiten des Kandidaten und rückten daher seine Güter in den Vordergrund. Das erste Argument des Kandidaten, seine Beamten- und Advokatentätigkeit, wurde vom schlesischen Oberpräsidium sogar infrage gestellt. Im Zuge der gründlichen Ermittlungen gelang es nämlich nicht, Mitschkes Tätigkeit beim Eintreiben von Staatsforderungen nachzuvollziehen: »Ob die Erwerbung seines Vermögens auf die von ihm vorgetragene Art geschehen, wonach er bei der Einziehung der, den beiden der Allgemeinen und der Militair-­Wittwen-Kasse und der Invalidenkasse zugehörigen Gelder nützliche Dienste geleistet haben soll, lässt sich nicht näher ermitteln. Überhaupt ist er in Schlesien wieder bemerkbar geworden, als er nach Ausbruch der letzten Polnischen Revolution im Jahre 1835 die Rittergüter Collande, Bartnig und Wildbahn sehr günstig erkaufte.«62

Das vom Kandidaten vorgebrachte Hauptargument wurde vom Oberpräsidium nicht bestätigt. Wenn aber seine Leistungen im Staatsdienst und bei der Ver­ tretung staatlicher Finanzinteressen als Argumente für die Nobilitierung keine Berücksichtigung fanden, blieben eigentlich nur noch Vermögen und repräsentativer Lebensstil des Kandidaten als Qualifikationen, die einer Adelsverleihung den Weg ebneten. Dies wurde auch dem Oberpräsidium klar, weshalb es sich in der Folge weitgehend darauf konzentrierte. Es konnte nachvollzogen werden, dass Mitschke tatsächlich die drei schlesischen Güter besaß, die er in seinem Gesuch erwähnte und die er als künftige materielle Grundlage seiner Söhne betrachtete. Das Präsidium konnte weiter herausfinden, dass er die Güter nicht direkt bewirtschaftete, sondern diese bis zum Zeitpunkt der Überschreibung auf seine Nachkommen verpachtet waren.63 Mitschke selbst lebte in Breslau, und laut Provinzpräsidium war er keineswegs eine auffällige Persönlichkeit der dortigen Gesellschaft: 61 Ministerium des Königlichen Hauses an das Schlesische Oberpräsidium am 18. April 1845, GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4901, fol. 9. 62 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Ministerium des Königlichen Hauses am 30. Juli 1845, ebd., fol. 10. 63 Ebd.

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»[Der Bittsteller lebt, d. Verf.] in Breslau, wo er mit seiner Frau einfach und ohne allen Aufwand, ein stilles Leben führt und weder in seinem äußeren, noch in seinen Neigungen und Beschäftigungen den durch Wohlhabenheit sich auszeichnenden Mann erkennen lässt. Gegen seine Moralität ist nichts nachteiliges bekannt aber auch eben so wenig etwas, was als Empfehlung für sein in Rede stehendes Anliegen heraus­ gehoben werden könnte.«64

Ingesamt klang die Stellungnahme des Provinzpräsidiums für Mitschke nicht besonders günstig. Sein Hauptargument wurde infrage gestellt, und auch seine Nebenargumente wurden nicht so hoch geschätzt, dass sie ihm ohne Weiteres die Aufnahme in den Adel ermöglichen konnten. Sein Vermögen war zwar unstrittig, seine bescheidene Lebensweise erfüllte jedoch nicht das gewünschte Kriterium einer zu demonstrierenden, repräsentativen Wohlhabenheit. Mit dieser ungünstigen Schlussfolgerung wurde die Angelegenheit zur endgültigen Entscheidung nach Berlin übergeben. Hier aber erfuhr der ganze Fall eine neue Dynamik. Das Ministerium des Königlichen Hauses war mit der Begründung des Provinzpräsidiums nicht zufrieden und stellte eigene Ermittlungen an, um festzustellen, ob das Haupt­ argument des Kandidaten – seine erfolgreiche Tätigkeit als Beamter und Advokat – wirklich zutraf. Schließlich fanden die Ministerialbürokraten heraus, dass Mitschke während der Zehner-, Zwanziger- und teils noch während der Dreißigerjahre tatsächlich zahlreiche staatliche Institutionen beim Eintreiben ihrer Forderungen vertreten und wesentlichen Anteil an den Erfolgen in diesem Zusammenhang hatte.65 Das brachte den ganzen Fall gewissermaßen zurück auf die Startlinie. Alle vom Kandidaten angeführten Argumente wurden überprüft und für stichhaltig befunden. Die Hauptfrage bestand jetzt darin, wie hoch sie im Hinblick auf eine mögliche Adelsverleihung eingeschätzt wurden. Beim Abwägen der Argumente für und wider gelangte das Ministerium des Königlichen Hauses schließlich zu einem eindeutigen Schluss. Es erachtete den Kandidaten als für eine Adelsverleihung durchaus geeignet, wobei es vor allem zwei Kriterien waren, die in Anschlag gebracht wurden. Auf der einen Seite waren das die großen Verdienste um die Staatsfinanzen. Der Eifer, mit dem Mitschke die staatlichen Finanzinteressen mehrere Jahre lang verfolgte, und die Erfolge, die er dabei erreicht hatte, beeindruckten das Ministerium noch be­ sonders, weil der Kandidat daraus vergleichsweise wenig Profit schlug.66 Auf der anderen Seite wurde seitens des Ministeriums betont, dass der Kandidat sich nicht allein durch seine Verdienste um den Staat ausgezeichnet, sondern aus seinem Vermögen drei Güter angekauft hatte, die an seine Söhne übergehen sollten. Die auch in Zukunft gesicherte materielle Situation der Familie, in der sich zwei der drei Söhne ebenfalls dem Staatsdienst widmeten und zu64 Ebd., fol. 11. 65 GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4901, fol. 12. 66 Ministerium des Königlichen Hauses an Wilhelm I. am 23. August 1845, ebd., fol. 13.

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sätzlich mit dem Gewinn aus ihren Gütern rechnen konnten, stellte für das Ministerium das zweite schlüssige Argument dar, warum der Bittsteller zu nobi­ litieren war.67 So erwies sich für Mitschke die Verbindung aus seiner Beamten- und Juristentätigkeit im Staatsdienst und seinem Gutsbesitz als hinreichende Qualifikation für die Nobilitierung. Der Fall wurde dem König mit der eindeutigen Empfehlung vorgelegt, dem Bittsteller den gewünschten Adelstitel zu verleihen. Auch wenn der Monarch sich in diesem Fall nicht auf seine ansonsten äußerst formelle Rolle beschränkte und weitere Regelungen bezüglich des künftigen Adelsprädikats forderte, bedeutete sein Eingreifen keine Komplikationen.68 Nach Erfüllung der königlichen Wünsche wurde Mitschke im Frühling 1846 unter dem Namen Mitschke-Collande endgültig in den preußischen Adelsstand erhoben.69 Obwohl es sich bei ihm in den Augen des Staates vor allem um einen Staatsdiener handelte und Mitschke seinen Adelsanspruch ebenfalls hauptsächlich aus seinen dem Staat geleisteten Diensten ableitete, wurde bei seiner Nobilitierung, ähnlich wie bei Gutsbesitzern und schließlich Offizieren, das Argument seines ländlichen Besitzes als äußerst wichtig betrachtet. Letztlich wurde Mitschkes Nobilitierung vom Staat mit beiden Qualifikationen gleichermaßen begründet, sowohl mit seinen Diensten für den Staat als auch mit seinem Grundbesitz.70 Das Vermögensargument fand so ab den Vierzigerjahren – zusammen mit den preußischen Adelsreformversuchen des späten Vormärz – Eingang in den Katalog staatlich erwünschter Eigenschaften von Beamten, die sich für eine Adelsverleihung qualifizieren wollten. Auch sie sahen sich dazu gezwungen, in Nobilitierungsanträgen ihre fachlichen Verdienste hintanzustellen und stattdessen auf ihr Vermögen, am besten in Form von Grundbesitz, zu verweisen. Während bei Mitschke in den Vierzigerjahren noch beide Verhaltensmuster, also seine Beamten- und Juristentätigkeit im Staatsdienst wie auch sein materielles Vermögen, als gleichwertig und für den Adel ähnlich qualifizierend betrachtet wurden, erhielt das Besitzargument mit der Zeit bei vielen Nobilitierungen immer mehr Gewicht. Ein gutes Beispiel dafür ist die elf Jahre später erfolgte Nobilitierung des schlesischen Justizrates Carl Schaubert. Sein Adelsgesuch reichte der damals fünfzigjährige Schaubert im Februar 1857 ein. Schaubert war ein ausgebildeter Jurist, der gleich nach beendetem Studium an der Breslauer Universität in den Staatsdienst eingetreten war und eine vielversprechende Karriere 67 Ebd., fol. 14. 68 Wilhelm I. an das Ministerium des Königlichen Hauses, GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4901, fol. 15. 69 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. M, Nr. 6, fol. 1–6. 70 Adelsbrief für Johann Leopold Mitschke-Collande, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. M, Nr. 6, fol. 7–10.

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­ egonnen hatte. Als aber sein Vater, ein schlesischer Grundbesitzer, vorzeitig b starb, war Schaubert gezwungen, eine wichtige persönliche Lebensentscheidung zu treffen: Er musste zwischen der aussichtsvollen Beamtenkarriere und der Übernahme und Verwaltung der väterlichen Güter wählen. Seine Entscheidung war eindeutig: Er beendete seine Beamtenkarriere und übernahm die Fami­ liengüter. Gerade diese Wahl stellte sein erstes Argument dar, mit dem er seine Adelsaussichten zu verbessern suchte. Dabei legte er offen, was seine Priorität war: »Inzwischen verfolgte ich die juristische Karriere, wurde nach absolvierten Universitätsstudien zu Breslau am 28. Mai 1824 als Auskultant verdingt und am 10. Oktober 1831 nach Ablegung der größeren Staatsprüfung zum königlichen Oberlandesgericht zu Breslau befördert. Wegen Unbewahren des väterlichen Gutes Goschendorf im Neumarkter Kreise sah ich mich jedoch schon im Jahre 1833 veranlasst, meine Entlassung aus dem Justizdienste nachzusuchen, bei welcher Gelegenheit ich von Sr. Majestät als Anerkenntnis der bisherigen Dienstführung mit dem Justizrattitel begnadigt wurde.«71

Schaubert gab somit zu verstehen, dass er sich zwar dem Staatsdienst tüchtig und zuverlässig gewidmet habe, was schließlich durch den Titel Justizrat anerkannt worden sei, dass er aber, als er zur Entscheidung genötig gewesen sei, den Dienst verlassen habe, um sich der Bewirtschaftung der Familiengüter zuzuwenden. Der Beamtendienst stellte für ihn zwar ein für den Adel qualifizierendes Argument dar, den Kern seiner künftigen Adelszugehörigkeit sah er aber anderswo – im Grundbesitz der Familie, den er konsequenterweise ins Zentrum seiner Argumentation rückte: »Seit hundert Jahren befindet sich die Familie Schaubert im Besitze der vereinigten Rittergüter Ober- und Niederobernig, welche mein Großvater aufgrund des in beglaubigter Abschrift beigefügten Diploma Incolatus im Jahre 1756 von der Witwe Eleonore von Koshenbar erkauft hat. Seit 1846 befinde ich mich in dem Besitz der Güter. Das Rittergut Obernig, welches eine Fläche von 3400 Morgen enthält und im Jahre 1828 landschaftlich auf 55 000 gewürdigt worden ist, ist durch eine Verfügung des Herrn Oberpräsidenten der Provinz Schlesien in das Verzeichnis derjenigen Rittergüter aufgenommen worden, welche sich seit hundert Jahren im Besitz derselben Familie befinden.«72

Schaubert gab den staatlichen Stellen ein klares Bild von sich als Adelsanwärter. Er schilderte sich als jemanden, der eine lange Familientradition fortführte, indem er das seit Generationen vererbte Bodeneigentum verantwortlich verwaltete. Die Verwaltung der Familiengüter gewichtete er höher als seine ehemalige Beamtenkarriere. Vor die Wahl gestellt, weiter Karriere im Staatsdienst zu 71 Adelsgesuch von Carl Franz Gustav Schubert vom 28.  Februar 1857, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI S, Nr. 30, fol. 14. 72 Ebd.

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machen oder die Güter zu verwalten, entschied er sich daher eindeutig: Er be­ endete seine Beamtenlaufbahn und konzentrierte sich im Folgenden ganz auf die Familiengüter. Die staatlichen Stellen hatten bei der Beurteilung eines solchen Adelsgesuches keine Probleme. Es entsprach ihren Präferenzen, daher ließen sie sich auf die vom Bittsteller dargelegte Argumentation ein. Die Kombination seiner zwei Adelsqualifikationen wurde als genügend empfunden, das schlesische Ober­ präsidium strich aber deutlich heraus, es sei der »besonders anerkennungswerte« Grundbesitz, der als Hauptgrund für die Adelsverleihung betrachtet werden solle: »Der Schaubert hat die höhere Staatskarriere gemacht und wurde nach dem Austritte aus dem Justizdienste zum Landrat des Kreises Neumarkt gewählt, welches Amt er 9 Jahre bekleidet hat. […] Weil er die vererbten Güter im Kreise Treibnitz übernehmen musste, nahm er den Abschied. […] Politisch ist er durchaus zuverlässig und konservativ. Seine Vermögensverhältnisse sind geordnet, er zahlt 84 Einkommenssteuer. Ein so langjähriger Besitz ist besonders anerkennungswert in einer bürger­ lichen Familie! Vor allem hierdurch kann ich das Gesuch des Schaubert um Nobi­ litierung nur befürworten«.73

Ähnlich wurde der Fall auch im Berliner Heroldsamt gesehen, das dem König Schaubert im Juli 1857, fünf Monate nach Antragsstellung, vorbehaltlos zur Nobilitierung empfahl. Die Begründung des Heroldsamtes stimmte mit der Ansicht des schlesischen Oberpräsidiums völlig überein: Der Kandidat sei konservativ gesinnt, ehemaliger Staatsbeamter und, am wichtigsten, verfüge über einen ausreichenden Grundbesitz, der ihm ein materiell gesichertes, standesgemäßes Leben ermögliche.74 Der Beamtendienst wurde deutlich zu einer bloß unterstützenden Qualifikation degradiert, die das Hauptargument des Grundbesitzes vervollständigte. Die Adelsverleihungen an Beamte in diesen Jahren kopierten die Entwicklung bei denjenigen an Offiziere. Bis in die Vierzigerjahre hinein wurden Beamte hauptsächlich aufgrund ihrer beruflichen Verdienste nobilitiert, ab den Vierzigerjahren trat bei den Nobilitierungen die Frage des Besitzes hinzu. Auch die Beamten wurden so gezwungen – und passten sich dem Zwang schnell an –, ihren Adelsanspruch aus der Akkumulation von ökonomischem Kapital abzuleiten. So wurde das Bild eines Adels verstärkt, für den hauptsächlich Grund­ besitz als Definitionskriterium dienen sollte. Diese in den Vierzigerjahren begonnene Praxis wurde ziemlich schnell zum Standard  – und blieb es. Dabei spielte es keine Rolle, welche staatliche Stelle für Nobilitierungen zuständig war: Die Kriterien blieben die gleichen. So behandelte das 1855 gegründete Heroldsamt das Besitzkriterium auch im Fall

73 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 23. März 1857, ebd., fol. 4–5. 74 Heroldsamt an Wilhelm I. am 30. Juli 1857, ebd., fol. 9–11.

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von adelswilligen Beamten stets als wichtigste Qualifikation, womit es andere Handlungsmuster der Kandidaten beiseiteließ.75 Noch ganz am Ende des verfolgten Zeitraums, im Jahr 1871, wurde zum Beispiel der Nobilitierungsantrag von Gustav Friedrich Hederich dementsprechend abgewickelt. Es handelte sich um einen Breslauer Arzt, der gleich nach dem Medizinstudium seinen Militärdienst als freiwilliger Militärarzt geleistet hatte. Wenn er auch nicht in der Armee blieb, leistete er dennoch dem Staat weiterhin wertvolle Dienste. An seinem Wohnort bekleidete er den Posten des Kreisphysikus, womit er seine freiberufliche Karriere direkt mit dem Staatsdienst verknüpfte.76 Hederich beschränkte sich aber bei seiner Praxis nicht auf die Routine eines Kreisarztes, sondern bot dem Staat seine Fachkompetenz viel umfassender an. 1866 meldete er sich kurz vor Ausbruch des Krieges gegen Österreich freiwillig zurück zur Armee, wo er als Stabsarzt den gesamten siegreichen Feldzug mitmachte.77 Diese Verdienste als Arzt und Staatsdiener schilderte er dem Heroldsamt im April 1870 in seinem Nobilitierungsgesuch als einen der Gründe, mit dem er seinen Antrag rechtfertigte: »Im Jahre 1866 ward mir die Gelegenheit, den ehrenvollen Pflichten gegen König und Vaterland als Stabs- und Bataillonsarzt leisten zu können. Während des Feldzugs bot sich nur in den Wochen, in welchen mein Bataillon die Besetzung der Stadt Leitomischl bildete, ein sehr schweres Feld der Tätigkeit in diesem Orte. Nur von einem Unterarzt unterstützt, musste ich das Militärlazarett und die Behandlung der Schwerverwundeten übernehmen.«78

Sein Kriegseinsatz war also, zumindest nach seiner Äußerung, keineswegs nur symbolisch. Hederich geriet mitten ins Kampfgeschehen, und seine Fach­ kompetenz rettete vermutlich mehreren Soldaten das Leben. Hederichs Fachkompetenz und sein freiwilliger Kriegsdienst waren jedoch nicht die einzigen Argumente, die er für seinen Adelsanspruch geltend machte. Neben seiner Praxis widmete er sich nämlich noch der Bewirtschaftung seines in Schlesien gelegenen Familiengutes, das er von der Familie seiner Frau übernommen hatte. Es überrascht nicht, dass das Gut die zweite Argumentationsachse in seinem Nobilitierungsantrag ausmachte:

75 Vgl. GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. L, Nr.  42, fol. 3–4; GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. W, Nr. 284. 76 Vgl. Conze, Sozialer und wirtschaftlicher Wandel, S.  38 f.; Heischkel-Altert; Fischer, Geschichte des deutschen Gesundheitswesens, S. 368–387. ­ avik; 77 Bělina u. Fučík, S. 577–586. Weiter zum preußisch-österreichischen Krieg vgl. z. B. R Bucholz, S.  103–138; Zimmer; Urban, Vzpomínka; Craig; Wandruszka, Schicksalsjahr; Kudr; Friedjung.rade 78 Immediatgesuch von Gustav Friedrich Hederich vom 2.  April 1870, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. H, Nr. 96, unfoliiert.

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»Im Jahre 1854 übernahm ich das im Kreise Steinau gelegene Gut Guhren von meinem Schwiegervater und wandte mich der Landwirtschaft zu, ohne dabei meinen ärztlichen Beruf aufzugeben, zu dessen Ausübung sich bei vielfacher Beanspruchung auch reiche Gelegenheit bot. […] Meine Güter haben nach Abzug geringer Schulden einen unzweifelhaften Geldwert von 400 000.«79

Auch Hederich richtete sich nach dem mittlerweile klassischen, in den Vierzigerjahren etablierten Muster, indem er angab, den staatlichen Vorgaben eines musterhaften, nobilitierungswürdigen Menschen zu genügen. Nicht nur stellte er sich als kompetenten Arzt dar, der zudem in der Krisenzeit eines Krieges seine Kenntnisse freiwillig dem Staat angeboten hatte, sondern er fügte noch das unausweichliche Besitzargument an, das sein Bild eines für die Nobilitierung geeigneten Kandidaten vervollständigen sollte. Auch der Staat wich bei der Behandlung dieses Nobilitierungsantrags nicht von der üblichen Praxis ab. Zwar wurde Hederich seitens der staatlichen Stellen offiziell als ein nach dem Adel strebender Kreis- und freiwilliger Stabsarzt betrachtet, bei der Beurteilung seines Adelsanspruches konzentrierte sich der Staat aber gerade nicht auf seine berufliche Qualifikation und auf die sich daraus ergebenden Verdienste, sondern auf seinen Gutsbesitz.80 So beschränkte sich das schlesische Oberpräsidium in seinem Gutachten auf umfangreiche Angaben über die Vermögens- und Familienverhältnisse des Kandidaten, wohingegen seine Tätigkeit als Kreisarzt gar nicht erwähnenswert schien. Die Empfehlung des Provinzpräsidiums, Hederichs Nobilitierung zu bewilligen, beruhte dann nur noch auf der Feststellung seines gesicherten Vermögens: »Der Dr. med. und Stabsarzt Friedrich Hederich, 44 Jahre alt, besitzt das Rittergut Guhren im Kreise Steinau. […] Das Gut ist 3761 Morgen groß mit 4981 Grundsteuer. Es hat Wert von ungefähr 400 000 und ist mit 55 000 Schulden belastet. Dr. Hederich ist mit einem Jahreseinkommen von 7200 bis 9600 zur 13. Stufe der klassifizierten Einkommenssteuer eingeschätzt.«81

Die Tatsache, dass Hederich während des Krieges unter erschwerten Umständen verwundete Soldaten versorgt hatte, wurde vom Provinzpräsidium weder bestätigt noch widerlegt, sie war für die Nobilitierungsentscheidung schlicht ohne Relevanz. Dem Heroldsamt, das den ganzen Fall zusammenfasste, reichte für seine Entscheidung eine solche Verdienstbeschreibung ebenfalls. Die Empfehlung des Provinzpräsidiums lieferte dem Heroldsamt genügend Argumente, um Hederich dem König vorbehaltlos für eine Adelsverleihung zu empfehlen.82 79 Ebd. 80 Heroldsamt an das Oberpräsidium der Provinz Schlesien am 30. April 1870, ebd.; Heroldsamt an das Kriegs- und Marinenministerium am 30. April 1870, ebd. 81 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 27. Mai 1870, ebd. 82 Heroldsamt an Wilhelm I. am 20. März 1871, ebd.

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Obgleich der Kandidat noch andere Qualifikationen für seine Nobilitierung benannt hatte, wurde er dem König letztendlich nur aufgrund seines Vermögens und der allgemeinen Erwähnung seines Militärdienstes empfohlen. Diese Qualifikationen sah auch Wilhelm I. als genügend an, und Hederich wurde im Frühling 1871, wie beantragt, in den Adelsstand erhoben.83 Die in den Vierzigerjahren einsetzende Praxis wurde auch Anfang der Siebzigerjahre kaum verändert. Auch bei Staatsbeamten wurde für eine Adelsverleihung Vermögen vorausgesetzt, vornehmlich Grundbesitz. Nur damit sah der Staat den Adelskandidaten in der Lage, ein materiell gesichertes, standesgemäßes Leben ohne die Gefahr eines sozialen Abstiegs zu führen. Andere Qualifikationen waren in diesem Kontext nur von sekundärer Bedeutung. Die Qualifikationen, die Beamte für ihre Nobilitierung geltend machten, sowie ihre Aufnahme seitens des Staates weisen in Schlesien eine klare Entwicklungslinie auf. Schwankte der Anteil der Beamten am neuen Adel anfangs erheblich, bildete sich mit dem Bruch der Jahre 1840 bis 1847 eine genaue Vorstellung davon heraus, welche Adelsqualifikationen sie erfüllen sollten. Die ersten Regierungsjahre Friedrich Wilhelms IV. brachten auch bei den Beamten­ nobilitierungen eine wesentliche Veränderung mit. Beamte sahen sich ebenso wie Offiziere gezwungen, ihre Aufnahme in den Adel nicht mehr aus den Handlungsmustern eines Staatsdieners abzuleiten, sondern das Kriterium des Grundbesitzes zu erfüllen. So schlugen sich auch hier die intensiven Bestrebungen zwischen 1840 und 1847 nach einer umfassenden Reform des preußischen Adels deutlich nieder. Deren Auswirkungen reichten aber weit über das Jahr 1848 hinaus und blieben bei den Nobilitierungskriterien implizit erhalten. Bis zum Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. war im Zuge von Beamtennobilitierungen das Adelsideal hauptsächlich um das Handlungsmuster eines langen und zuverlässigen Beamtendienstes angereichert worden. Nach 1840 folgten Adelsverleihungen an Beamte einem allgemeinen Trend: Der Anspruch, geadelt zu werden, leitete sich vornehmlich aus Grundbesitz und der sich daraus ergebenden Möglichkeit einer entsprechenden kulturellen Selbstrepräsentation ab. 4.1.3 Grundbesitz und Selbstrepräsentation: Die Grundbesitzer Das Kriterium des materiellen Besitzes spielte zwar bei Offizieren und Beamten seit den Vierzigerjahren sowohl bei der Darlegung ihrer Adelsansprüche als auch bei deren Einschätzung seitens des Staates eine immer größere Rolle. Es liegt aber nahe, dass sich Besitz als wesentliches Nobilitierungsargument nicht auf das militärische bzw. bürokratische Milieu beschränkte. Es kann konstatiert werden, dass die im dritten Kapitel festgestellte Dominanz der Grundbesitzer innerhalb des zivilen Neuadels tatsächlich ihrem länd83 Wilhelm I. an das Heroldsamt am 5. April 1871, ebd.

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lichen Vermögen zuzuschreiben ist. Die Annahme, dass Grundbesitzer eine Nobilitierung hauptsächlich aufgrund ihres Grundbesitzes erreichten, ohne irgendwelche anderen Verdienste vorweisen zu müssen, ist durchaus plausibel. Die Zunahme der Versuche, einen Adelsanspruch im Wesentlichen mit Grundbesitz zu untermauern, deckt sich auch völlig mit den staatlichen Versuchen, den Adel über den Bodenbesitz zu definieren. Obgleich Grundbesitz schon in früheren Nobilitierungsgesuchen als Argument eine Rolle gespielt hatte, avancierte er seit den Vierzigerjahren eindeutig zum schlüssigsten Nobilitierungsgrund und behielt diese Position die ganze Zeit bis in die Sechzigerjahre hinein. So konnte zum Beispiel der 1829 nobilitierte Wilhelm Benecke bei seiner Adelsverleihung mit seinem umfangreichen Vermögen argumentieren, das er mit seinem Unternehmen erworben hatte, und den Besitz seiner neu gekauften schlesischen Herrschaften Gröditzberg und Ober-Leisersdorf nur als Zusatzqualifikation anführen.84 Mit Beginn der Vierzigerjahre wäre eine solche Begründung eines Adelsanspruches nicht mehr möglich gewesen. Wenn ein Adelsanwärter über Grundbesitz verfügte, war dies eindeutig das am stärksten betonte Argument, und das von beiden Seiten – sowohl des Adelskandidaten als auch des Staates. 1840 konnte so der schlesische Gutsbesitzer Heinz Czettritz nobilitiert werden. Er entstammte einer schon viel früher vom österreichischen Kaiser geadelten böhmischen Familie, dessen Vorfahren aber schon seit Generationen in Schlesien lebten.85 Als er seinen Antrag auf Adelsverleihung einreichte, vergaß er nicht, neben seinem Grundbesitz seine böhmischen adligen Vorfahren zu erwähnen.86 Gerade dieser Verweis auf seine lange zurückreichende adlige Herkunft eröffnete dem schlesischen Oberpräsidium und später dem Berliner Ministerium des Königlichen Hauses einen breiteren Handlungsspielraum bei der Einschätzung des Antrags. Der Titel musste nämlich in diesem Fall nicht unbedingt neu verliehen, sondern konnte einfach anerkannt werden. Dies war rechtlich und administrativ möglich. Nach dem Anschluss Schlesiens an Preußen im Jahr 1742 war in der Region eine ganze Reihe von Adligen geblieben, die ihren Titel noch vom österreichischen Kaiser, damals aus der Autorität des römischen Kaisers oder des böhmischen Königs, gewährt bekommen hatte.87 Die preußische Bürokratie verfügte aber über keine Mittel, um die adlige Herkunft solcher Personen überprüfen zu können. Die entsprechenden Unterlagen lagen in Österreich.88 Um unberechtigte Adelsanmaßungen zu verhindern, führten die preußischen Stellen schon 84 GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4059, fol. 3–18. 85 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. C, Nr. 270, fol. 1–17. 86 Vgl. GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4245, fol. 12–13. 87 Vgl. Petry, S. 1–3. 88 Bein, S. 295–322.

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ab Anfang des 19. Jahrhunderts intensive Gespräche mit den zuständigen Behörden in Wien, wie dieses Problem zu lösen sei.89 Nach längeren Verhandlungen wurde schließlich ein Modus Vivendi gefunden: In dem Fall, dass die preußische Seite an der adligen Herkunft einer Person Zweifel hatte, erklärte sich die österreichische Seite bereit, eine preußische Anfrage schnell und genau anhand ihrer eigenen Unterlagen zu beantworten. Preußen verpflichtete sich dann, solche bestätigten österreichischen Titel vollständig anzuerkennen.90 Die endgültige Regelung dieses Verfahrens wurde zwischen beiden Seiten in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre vereinbart, kurz bevor das schlesische Provinzpräsidium und die Berliner Ministerien die Nobilitierung von Heinz Czettritz auf den Tisch bekamen.91 Der Fall Czettritz konnte so aus Sicht des schlesischen Provinzpräsidiums und des Berliner Ministeriums des Königlichen Hauses ganz leicht erledigt werden. Es hätte eine entsprechende Anfrage nach Wien genügt, ob er tatsächlich einer böhmischen Adelsfamilie entstammte. Bei einer positiven Auskunft hätte dann der Anerkennung des Adels nichts mehr im Wege gestanden. Da aber Heinz Czettritz als ein Argument für seine Nobilitierung seinen Grundbesitz erwähnte, entschlossen sich die staatlichen Stellen, einen ganz anderen Weg einzuschlagen. Die mögliche Anerkennung des böhmischen Adelsstandes wurde abgewiesen, und das schlesische Oberpräsidium ging vor, als ob es sich um die erstmalige Verleihung eines Adelstitels an die Familie handle. Czettritzs mögliche adlige Abstammung wurde nicht weiter verfolgt, und das Provinzpräsidium konzentrierte sich auf die Feststellung der Details im Hinblick auf den vom Adelskandidaten erwähnten Grundbesitz.92 Als schließlich sein Grundbesitz als ausreichend betrachtet wurde, um der Familie auch in Zukunft ein sicheres Einkommen und damit ein entsprechendes Lebensniveau sichern zu können, wurde Czettritz ein neuer preußischer Adelstitel verliehen.93 Die zuständigen preußischen Stellen schlugen so ganz bewusst den administrativ bei weitem komplizierteren Weg ein, und das Ergebnis war eine reguläre preußische Nobilitierung, bei der nur preußische Kriterien umgesetzt wurden. Dem Adelskandidaten wurde der Titel aufgrund seines Grundbesitzes, nicht aber aufgrund seiner Herkunft aus dem böhmischen Adel zugesprochen. Diese offizielle Begründung der Nobilitierung wurde veröffentlicht und somit unterstrichen, dass Adelsverleihungen vorwiegend aufgrund von Bodeneigentum vorgenommen wurden.94 Dass Grundbesitz allein genügte, um einen Adelsanspruch zu untermauern, und daher Grundbesitzern kaum die Möglichkeit blieb, auch andere Verhal89 GhStA, HA I., Rep. 89, Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 3835, unfoliiert. 90 Ebd. 91 Ebd. 92 GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4245, fol. 9–11. 93 Ebd., fol. 19–22. 94 Ebd., fol. 23–27.

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tensmuster hervorzuheben, war ab den Vierzigerjahren ziemlich eindeutig. Obgleich sich einzelne Adelskandidaten ab und zu bemühten, noch weitere Qualifikationen ins Spiel zu bringen, wurde dies seitens des Staates weder verlangt noch allzu stark berücksichtigt und war daher für die Kandidaten nur von sehr beschränktem Nutzen. Das auf Grundbesitz beruhende Vermögensargument war so stark, dass es in der Regel nicht nur zur Erreichung des Adels ausreichte, sondern sogar Verstöße gegen das gültige Adelsrecht entschuldigen konnte: Bei ausreichendem Grundbesitz war es möglich, reibungslos einen Adelstitel zu erlangen und auch eine unberechtigte Adelsanmaßung im Nachhinein zu legitimieren. In der ersten Hälfte der Sechzigerjahre vergewisserte sich dessen der schlesische Kammerherr und Gutsbesitzer Ottokar Willamowitz. Die Sache begann an der Neige des Jahres 1856, als das Heroldsamt die Anzeige eines schlesischen Landrats erhielt: »[D]er Kammerherr Willamowitz bedient sich im amtlichen und Privatverkehr des Titels Baron, der ihm nicht gehört.«95 Dies war eine gewichtige Beschuldigung. Das preußische Adelsrecht kannte kaum einen ernsthafteren Verstoß als eine unberechtigte Adelsanmaßung.96 Das Heroldsamt war sich dessen auch völlig bewusst und fing umgehend an, den Fall zu überprüfen. Nach einer umfassenden Recherche kam es tatsächlich zum Ergebnis, dass es bei Willamowitz keine Beweise für seinen Adel gab und er den Titel daher unberechtigt führte. Das Heroldsamt teilte diese Feststellung dem schlesischen Oberpräsidium mit der Aufforderung mit, die Angelegenheit zusammen mit dem Betroffenen so schnell wie möglich zu lösen.97 Wie das Präsidium genau verfuhr, wissen wir leider nicht, vermutlich aber nicht allzu eilig. Vier Jahre lang erfuhren die zentralen Berliner Stellen nichts mehr in der Sache. Erst im April 1860 meldete sich Willamowitz selbst mit einer direkten Anfrage, was nach der offiziellen Position des Heroldsamtes sein Status sei. Gemäß einer langen, mündlichen Familientradition sei er nämlich ganz und gar berechtigt, den Freiherrenstand zu führen. Sein Adelsanspruch werde noch dadurch verstärkt, dass niemand in seinem Umfeld seinen Adelstitel bezweifle und auch der Adel vor Ort seinen Adelsstatus vollkommen anerkenne.98 Diese Behauptung zwang das Heroldsamt dazu, den ganzen Fall nochmals gründlich zu überprüfen. Der Umstand, dass die Familie Willamowitz vom lokalen Adel schon lange als ebenbürtig anerkannt wurde, stellte für das Heroldsamt eine unangenehme Tatsache dar. Wenn es nämlich einer alten, anerkannten Adelsfamilie ihren Titel verweigert hätte, wäre dies ein zumindest ebenso ernstes Problem gewesen, wie wenn es einer nicht adligen Familie die unberechtigte Führung eines Adelstitels erlaubt hätte. Einen einfachen Ausweg aus diesem 95 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. W, Nr. 31, fol. 1. 96 Vgl. Elverfeldt-Ulm, S. 39–42; Kalm, S. 180–200. 97 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. W, Nr. 31, fol. 3. 98 Ottokar Willamowitz an das Heroldsamt am 25. April 1860, ebd., fol. 4.

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Dilemma gab es für das Heroldsamt nicht. Seine Beamten konzentrierten sich also auf eine gründliche Ermittlung des Ursprungs der Familie, um deren Adelszugehörigkeit unzweifelhaft nachweisen oder widerlegen zu können. Das langwierige Verfahren trug schließlich tatsächlich Früchte. Das Heroldsamt konnte nach einigen Monaten konstatieren, dass Willamowitz zur Führung des Freiherrentitels mit hundertprozentiger Sicherheit nicht berechtigt war, und sogar nachweisen, warum. Die Verwicklung resultierte aus einer zufälligen, vor langer Zeit erfolgten Verwechslung des Familiennamens Willamowitz mit dem einer alten russischen Adelsfamilie Semienow-Willamow. Dadurch führte die Familie Willamowitz den Titel einer russischen Familie, die ursprünglich aus Preußen stammte, unberechtigt, wenn auch unbeabsichtigt.99 Diese Umstände waren für die Familie Willamowitz zwar nicht besonders positiv, doch entlastend. Ottokar Willamowitz konnte den Freiherrentitel zwar nicht weiter benutzen, die ausdrückliche Feststellung des Heroldsamtes, er habe den Titel bisher unabsichtlich zu Unrecht geführt, bedeutete aber gleichzeitig, dass sein Verstoß gegen das gültige Adelsrecht nicht so gravierend war wie im Falle einer beabsichtigten Adelsanmaßung.100 Auf jeden Fall führte er den Freiherrentitel aber unberechtigt und musste dies sofort unterlassen. Nachdem der Familie Willamowitz dieser Beschluss bekannt gegeben worden war, wurde die Sache für das Berliner Heroldsamt im Herbst 1860 zum Abschluss gebracht. Der Freiherrenstand der Familie war widerlegt worden, und es war jetzt die Aufgabe des zuständigen Provinzpräsidiums, Abhilfe zu schaffen. Die ganze Causa war damit aber keineswegs ad acta gelegt. Obwohl wir nichts über die konkreten Maßnahmen des Provinzpräsidiums wissen, ist es eindeutig, dass die Familie Willamowitz auf ihren Adelstitel nicht so ohne Weiteres verzichten wollte. Drei Jahre später, im Mai 1863, meldete sich nämlich Willamowitz’ Frau Fanny beim Heroldsamt mit einem offiziellen Gesuch um Verleihung des Freiherrentitels an ihren Mann. Den Hauptgrund, warum er nobilitiert werden sollte, sah sie in der gesellschaftlichen und Vermögenssituation seiner zwei Brüder. Beide waren außerhalb Schlesiens lebende Grundbesitzer und der Ältere einige Jahre zuvor sogar in den Grafenstand erhoben worden.101 Unter diesen Umständen fand es Fanny Willamowitz durchaus berechtigt, auch für ihren Mann den Adelstitel zu beantragen. Dabei war sie sich bewusst, dass die Tatsache einigermaßen seltsam wirken konnte, dass der Antrag nicht vom Bittsteller selbst, sondern von seiner Frau formuliert und vorgelegt wurde. Den Grund dafür schilderte sie folgendermaßen: »Sollte es Eurer Königlichen Hoheit gefallen, diesen Gnadenakt zu vollziehen, so wollen Euerer Majestät geruhen allergnädigst zu befehlen, die öffentliche Verkündigung dieser Standeserhebung durch die Zeitungen zu unterlassen. Mein armer Mann weiß 99 Ebd., fol. 7. 100 Kekule v. Stradonitz. 101 Fanny Willamowitz an das Heroldsamt am 6. Mai 1863, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. W, Nr. 31, fol. 34.

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Nichts von diesem Schritt, sollte ich aber den Gnadenbeweis empfangen, so würde er dem Kranken eine Überraschung sein, deren Vollgenuss sein schmerzvolles Leben erhellen würde.«102

Die ungewöhnliche Verfasserschaft des Adelsgesuchs begründete Fanny Willamowitz also zuerst einmal mit ganz privaten Gründen: Mit dem Wunsch, ihren mittlerweile schwerkranken Manne durch eine angenehme Überraschung eine Freude zu bereiten. Vor demselben Hintergrund bat sie weiter darum, die potenzielle Adelsverleihung ausnahmsweise nicht zu veröffentlichen. Nach den gültigen Verfahrensregeln war es jedoch dem Heroldsamt nicht möglich, eine Nobilitierung durchzuführen, ohne sich dabei im Vorfeld zu vergewissern, ob der Kandidat zur Bezahlung der vorgeschriebenen Gebühren bereit war. Bei jedem Nobilitierungsantrag war der erste behördliche Schritt gerade die Anfrage, ob der Bittsteller mit der Entrichtung der Taxen und entstehenden Kosten einverstanden sei. Anders konnte das Heroldsamt auch im Falle Willamowitz’ nicht verfahren. Nach Erhalt des Adelsgesuches erfolgte daher die übliche Anfrage an Ottokar Willamowitz und nicht an seine Frau, ob er imstande sei, im Falle seiner Nobilitierung alle damit verbundenen Kosten zu erstatten.103 Diese in einem anderen Fall völlig normale Prozedur hatte hier zur Folge, dass Willamowitz, der vom Antrag angeblich nichts wusste, jetzt darüber in Kenntnis gesetzt wurde. Da der von Fanny Willamowitz eingereichte ursprüngliche Nobilitierungsantrag kaum irgendwelche Argumente beinhaltete, welche eine Adelsverleihung rechtfertigen konnten, forderte das Heroldsamt Willamowitz nun auch noch direkt auf, diese im Nachhinein vorzulegen. Was aber beim Heroldsamt in diesem Stadium des Verfahrens Zweifel weckte, war der immer wieder betonte Wunsch, die Nobilitierung nicht öffentlich bekannt zu machen. Im ursprünglichen Adelsgesuch der Frau des Bittstellers wurde diese Maßnahme noch mit dem menschlich verständlichen Wunsch erklärt, den schwer erkrankten Ehemann überraschen zu wollen. Die Familie bestand auf dieser Anforderung aber auch weiterhin, obwohl Willamowitz mit der Prozedur schon vertraut gemacht worden war. Die zuständigen Beamten im Heroldsamt beschlossen, eine Anfrage an das zuständige Provinzpräsidium zu richten, das über den Adelskandidaten mehr Informationen liefern sollte. Das Heroldsamt war sich dabei offensichtlich gar nicht bewusst, dass es drei Jahre zuvor den Fall einer unberechtigten Adels­ anmaßung durch die gleiche Familie behandelt hatte, andernfalls hätten die zuständigen Beamten den tatsächlichen Grund des ungewöhnlichen Wunsches viel schneller erkennen müssen.104 Ottokar Willamowitz hatte nämlich den früheren Beschluss des Heroldsamtes aus dem Jahr 1860 nicht völlig respektiert 102 Ebd. 103 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. W, Nr. 31, fol. 9. 104 Heroldsamt an das Oberpräsidium der Provinz Schlesien, ebd., fol. 14–15.

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und den ihm rechtlich nicht zustehenden Freiherrentitel gelegentlich weiter benutzt. Zu dieser Erkenntnis kam auf die Anfrage des Heroldsamtes hin auch das schlesische Provinzpräsidium und teilte sie dem Heroldsamt im Rahmen seiner umfassenden Einschätzung des Nobilitierungsantrags mit: »[D]er Kammerherr Ottokar von Willamowitz hat sich von jeher amtlich wie außeramtlich ›Baron‹ genannt und ist deshalb auch amtlich wie außeramtlich so genannt worden. […] Von früher her war zwar bekannt, und dies bestätigt sowohl die Publikation der Ernennung seines älteren Bruders zum Grafen vor einigen Jahren, dass er den Freiherrentitel – anerkannter Weise – nicht führe; Da er gleichwohl damit fortfuhr, auch die Familie in einigen Adels-Lexikons als ›Freiherrliche‹ bezeichnet wurde, so ließ ich es dabei bewenden.«105

Man kann nur spekulieren, warum Willamowitz und schließlich auch das Provinzpräsidium den Beschluss des Heroldsamtes nicht völlig respektierten. Bei Willamowitz liegt es nahe, die Erklärung im starken sozialen Druck seines Umfelds zu suchen. Seine Familie benutzte den Titel regelmäßig im gesellschaftlichen Verkehr und wurde daher allgemein als adlig behandelt. Den Freiherrentitel plötzlich nicht mehr zu benutzen, hätte sein soziales Prestige beträchtlich gemindert und viele gesellschaftliche Kontakte abbrechen lassen. Obwohl die unberechtigte Führung des Adelstitels lange Zeit keine Absicht war, hätte die Familie nicht verhindern können, dass Betrugsvorwürfe aufgekommen wären. Noch schwieriger ist das Motiv des schlesischen Provinzpräsidiums zu entschlüsseln: Warum beaufsichtigte es die Erfüllung des Heroldsamts-Beschlusses von 1860 nicht intensiver und ermöglichte stattdessen der Familie Willamowitz, den unberechtigten Freiherrentitel weiter zu führen? Die Tatsache, dass das Provinzpräsidium dem Heroldsamt als der in diesem Verfahren vorgesetzten Behörde offenlegte, dass sein Beschluss nicht vollständig eingehalten worden war, spricht eher für eine unbeabsichtigte Nachlässigkeit. Letztlich lässt sich der Grund aber nicht mit Sicherheit feststellen. Wichtig für den so verzwickten Fall war aber in diesem Stadium nicht die Motivation des Provinzpräsidiums, sondern der Umstand, dass sich Ottokar Willamowitz weiterhin für den Freiherrenstand qualifiziert fühlte und danach strebte, ihn jetzt ganz legal und amtlich zu erhalten. Um dabei aber nicht sein gesellschaftliches Prestige zu verlieren, entschied er sich für eine Doppelstrategie, mit der das Problem elegant gelöst werden sollte. Er führte zwar den Titel ohne Berechtigung weiter, gleichzeitig stellte er aber insgeheim einen neuen offiziellen Nobilitierungsantrag und hoffte, dass der binnen Kurzem neu ver­ liehene Freiherrentitel die ganze Frage endgültig lösen würde. Ein hohes Risiko war nur die bei einer gewöhnlichen Nobilitierung erfolgende Veröffentlichung, die seinen Plan hätte aufdecken können. Daher bemühten sich Willamowitz und seine Frau, das ganze Verfahren so gut wie möglich unter dem Tisch zu halten und ihrer Umgebung keinen Grund 105 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt, ebd., fol. 19.

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für irgendwelche Zweifel zu liefern. Willamowitz brach in diesem Moment bewusst das preußische Adelsrecht, und zwar in der Hoffnung, dass seine Qualifikation für den Freiherrenstand so eindeutig war, dass es für ihn keine größeren Folgen haben könnte. Es ist an dieser Stelle höchst interessant, sich zu vergegenwärtigen, was eigentlich in Willamowitz’ Augen ein so überzeugendes Argument war, das einen, wenn auch kurzfristigen, Verstoß gegen geltendes Recht zu entschuldigen vermochte. Nicht überraschend war es ein beträchtliches Vermögen, nicht nur das seine, sondern auch das seiner Frau, gekrönt durch Grundbesitz. Willamowitz’ Frau besaß Anteile an Unternehmen, die außerhalb Preußens – im österreichischen Kärnten – ansässig waren und ihr ein ständiges Einkommen gewährleisteten. Willamowitz selbst verfügte über drei relativ große Güter in Schlesien, die fideikommissarisch gesichert waren.106 Diese beiden Gründe wurden dem Heroldsamt unterbreitet als diejenigen, die Ottokar Willamowitz für den erstrebten Freiherrenstand qualifizieren sollten. Das Heroldsamt erfuhr von der unberechtigten Führung des Freiherren­ titels wie gesagt, als es über den Nobilitierungsantrag zu entscheiden hatte.107 Das große Vermögen des Bittstellers und seiner Frau ließ aber bei der Entscheidungsfindung den deutlichen Rechtsverstoß bedeutungslos werden. Das Heroldsamt kam daher Anfang 1864 in seiner Beurteilung der Sache zu dem Schluss, dass die Größe des ländlichen Vermögens für eine Verleihung des Freiherrentitels eindeutig ausreiche, ohne dabei der vorherigen unberechtigten Führung des Freiherrentitels irgendeine Bedeutung beizumessen. Entsprechend wurde der ganze Fall im März 1864 mit einer klaren Empfehlung, den Bitt­steller zu nobilitieren, dem König vorgelegt: »Herr Willamowitz besitzt in Gemeinschaft mit seiner Ehegattin in hiesigem die Güter Meesendorf mit 192 Morgen, Poln. Bemdish mit 939 Morgen, sowie die Erbscholtisei zu Pol. Schweinitz mit 621 Morgen. Zusammen ein Areal von 1752 Morgen. Außerdem besitzt Frau Willamowitz Anteile an Eisenwerken in Kärnten, welche im Durchschnitt der Jahre 1859–1861 einen Reinertrag von 6258 abgegeben haben. Frau Willamowitz ist also zur 13.  Stufe der Einkommensteuer mit einem Einkommen von 8000 veranlagt. Hiernach und da die Ernteerträge der Güter in den letzten Jahren besonders günstig waren, ist sein Einkommen und das seiner Frau und Kinder einschließlich der Bezüge aus Kärnten auf circa 11 000–12 000 anzunehmen. Im Übrigen ist Herr Willamowitz als ein ehrenwerter, patriotisch gesinnter Mann bekannt.«108

Da der König schwerlich etwas gegen einen solchen Vorschlag des Herolds­ amtes haben konnte, besiegelte er im April 1864, kurz nach Erhalt des Nobilitierungsvorschlags, die Adelsverleihung mit seiner Unterschrift und verlieh ihr so 106 Ebd., fol. 19. 107 Heroldsamt an den König am 24. März 1864, ebd., fol. 26–28. 108 Ebd., fol. 29–30.

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Rechtskraft.109 Ottokar Willamowitz konnte sich freuen, dass sein Plan bis hierher aufging, es blieb jedoch noch das für ihn äußerst wichtige Detail der Ver­ öffentlichung. Der neue Freiherr wandte sich daher noch einmal an das Heroldsamt mit dem Appell, dass die Behörde »Seiner Majestät geruhen möchte gnädigst zu befehlen, dass ausnahmsweise jede Veröffentlichung unterbliebe«.110 Nur drei Wochen später, während das Heroldsamt noch mit den administrativen Einzelheiten bezüglich des Wappens und der Nobilitierungsgebühren zu tun hatte, drängte sogar die gesamte Familie auf Geheimhaltung der Adelsverleihung. In einem von zehn Familienmitgliedern unterzeichneten Schreiben hieß es wieder: »Wir wollen noch einmal ausdrücklich an unsere Bitte einer Nichtveröffentlichung erinnern, da diese uns sehr am Herzen liegt.«111 Dass der ganzen Familie eine Nichtveröffentlichung ungemein wichtig war, wurde durch dieses Kollektivschreiben dokumentiert. Dem Heroldsamt musste in diesem Moment nach den umfangreichen Informationen des Provinzpräsidiums klar sein, warum dieses Detail für die Familie eine so wichtige Rolle spielte. Rein rechtlich war es zwar möglich, auf die Veröffentlichung einer Adelsverleihung zu verzichten, in diesem Falle hätte dies aber eine weitere stillschweigende Zustimmung zum vorherigen widerrecht­ lichen Verhalten des Nobilitierten bedeutet. Das Heroldsamt blieb aber in dieser Frage seiner Ansicht treu: Die Besitzqualifikation des Kandidaten sei so überzeugend, dass sie kleine Rechtsverstöße entschuldigen könne, somit gebe es keinen Grund, der Bitte um Nichtveröffentlichung nicht nachzukommen. In einer Anweisung des Heroldsamtes an das schlesische Oberpräsidium, die das Verfahren abschloss, wurde das Provinzverwaltungsorgan nicht nur offiziell über Willamowitz’ Nobilitierung informiert, sondern es wurde beauftragt, von der üblichen Veröffentlichung des Falles abzusehen.112 Danach erfolgte ein ganz routinemäßiges Verfahren. Im Nachhinein wurde das entsprechende Adels­ diplom erstellt, in dem keine Hinweise auf die vorangegangenen Komplikationen zu finden waren.113 Willamowitz’ Plan ging also vollständig auf. Nach der für ihn und seine ganze Familie sehr unangenehmen Feststellung, dass er seinen Freiherrentitel sein ganzes Leben lang widerrechtlich geführt hatte, gelang es ihm, einen neuen und legalen zu erwerben, und, was dazu kam, die ganze Sache in seinem Umfeld geheim zu halten. Die kleinen Verstöße gegen das Adelsrecht, die er dabei beging, wurden von der Größe seines Grundbesitzes überdeckt. Der Staat ließ sich in diesem Fall auf das Spiel ein. Obwohl die zuständigen Beamten wussten, dass Willamowitz’ Nobilitierung nicht ganz im Einklang 109 Königliche Entschließung vom 20. April 1864, ebd., fol. 33. 110 Ottokar Willamowitz an das Heroldsamt am 18. Mai 1864, ebd., fol. 37. 111 Familie Willamowitz an das Heroldsamt am 9. Juni 1864, ebd., fol. 42. 112 Heroldsamt an das Oberpräsidium der Provinz Schlesien am 23. Juni 1864, ebd., fol. 43. 113 Ebd., fol. 55–58.

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mit der Auslegung der entsprechenden Rechtsnormen war, überzeugte sie das Besitzargument so sehr, dass sie die Verfehlungen des Bittstellers ganz aus­ blendeten. Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung, die der Staat bei Adelsverleihungen dem Besitz der jeweiligen Person beimaß, noch deutlicher. Besitz, vor allem der Besitz von Boden, hatte aus Sicht des Staates für die Erlangung des Adels die mit Abstand größte Überzeugungskraft. Sofern ein Adelskandidat über ausreichenden Grundbesitz verfügte, war es in der Regel nicht nur unnötig, nach irgendwelchen weiteren Adelsqualifikationen zu suchen, sondern sogar möglich, für die Adelsverleihung negative Umstände zu übergehen. Dabei mussten solche negativen, gegen eine Nobilitierung sprechenden Umstände nicht in Verstößen gegen geltendes Recht bestehen, wie der Fall Willamowitz zeigte, sondern konnten durchaus auch politischer Natur sein. Vor allem nach 1848 gewannen die Nobilitierungen in einzelnen Fällen nicht nur in Schlesien eine politische Dimension. Bei allen Kandidaten setzten die zentralen staatlichen Behörden eine  – zumindest passive  – konservative politische Haltung voraus. Der Höhepunkt dieser Tendenz wurde in den Sechzigerjahren während des Verfassungskonfliktes erreicht, als das politische Bekenntnis eines Adelskandidaten systematisch zu erfassen versucht wurde.114 Wenn, wie gesehen, bei Nobilitierungen Grundbesitz Verstöße gegen das Recht aus­gleichen konnte, bleibt die Frage, inwieweit dies auch im Fall der politischen Gesinnung zutraf. Die politische Orientierung der Adelskandidaten verursachte nur wenige Probleme. Von denjenigen, die nach 1848 nach einer Nobilitierung strebten, gehörte kaum jemand zum ausgeprägt liberalen oder gar radikalen Lager.115 Wie wir aber schon an mehreren Beispielen sahen, war die Nobilitierung keineswegs nur eine individuelle Auszeichnung. Im Zuge des Verfahrens wurde sehr häufig die breitere Verwandtschaft mit überprüft, und auch Adelskandidaten betonten oft die über lange Zeit und mehrere Generationen gesammelten Verdienste ihrer Familie. Dies überzeugte dann, wenn die betreffende Familie tatsächlich eine kon­ tinuierliche Akkumulation von symbolischem Kapital vorweisen konnte, das eine Nobilitierung ermöglichte. Problematisch wurde es aber in dem Fall, dass ein Adelsanwärter nicht nur keine überzeugenden Verdienste seiner Vorfahren vorweisen konnte, sondern die Tätigkeiten seiner Vorfahren oder Verwandten sogar den Nobilitierungsanspruch beschädigen konnten. Genau dies war der Fall bei Wilhelm Korn, der in den Vierziger-, Fünfzigerund Sechzigerjahren nach einer Nobilitierung strebte. Korn war ein schlesischer Gutsbesitzer, der in Breslau lebte und seinen ersten Nobilitierungsantrag schon

114 Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 749–768, 795–797; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, S. 251–301; Schulze, Preußen; Huber, S. 275–369; Anderson. 115 Vgl. Hettling, S. 131–147; Hess.

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1841 einreichte.116 Leider wissen wir nicht genau, warum dieser erste Antrag abgelehnt wurde, Hinweise liefert aber die Behandlung seines zweiten, Anfang der Fünfzigerjahre eingereichten Nobilitierungsgesuches, das im Mai 1853 vom Justizministerium folgendermaßen beurteilt wurde: »Die Vermögensverhältnisse des Bittstellers sind sehr günstig, seine Persönlichkeit macht kein Bedenken gegen die Bewilligung der Nobilitierung, sein Name hat aber einen politisch nicht ganz günstigen Ruf.«117

Diese Feststellung ging nicht speziell auf die Persönlichkeit des Adelskandidaten, sondern auf einige Aspekte der langen und bunten Geschichte der Familie Korn zurück. Wilhelm Korn war nämlich aus Sicht des Staates kein gewöhnlicher schlesischer Gutsbesitzer. Er entstammte einer in Schlesien seit langem ansässigen und nicht ganz unbekannten Familie. Schon sein Urgroßvater Johann Jacob Korn hatte 1732 eine Buchhandlung gegründet, die kurz nach dem Einmarsch der preußischen Truppen in Breslau das königliche Privileg für eine Zeitung erhalten hatte, welche die preußische Propaganda verbreitete.118 1741 bekam er dazu noch das Privileg, eine amtliche Zeitung herauszugeben, die dann unter dem Namen »die Schlesische Zeitung« zum Kern des erfolgreichen Verlagshauses von Wilhelm Gottlieb Korn, dem Großvater des Bittstellers, wurde.119 Das Unternehmen wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum mit Abstand größten Verlag der Provinz und erwarb sich den Ruf eines »Cotta des Ostens«.120 In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die Zeitung zum offiziellen Organ der Stein-Hardenbergschen Reformen, und 1813 wurden hier zum Beispiel die bekannten Aufrufe Friedrich Wilhelms III. »An Mein Volk« und »An Mein Kriegsheer« veröffentlicht.121 In der Revolutionszeit der Jahre 1848/49 und während der Fünfzigerjahre näherten sich aber die Schlesische Zeitung und damit der ganze Verlag immer mehr der liberalen Opposition an.122 Schließlich verlor der Verlag das staat­liche Vertrauen, und die Provinzialbehörden entschlossen sich 1851, Gründung und Betrieb eines Konkurrenzblattes  – der Konservativen Zeitung für Schlesien  – zu finanzieren. Das staatliche Vertrauen gewann das Verlagshaus erst in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre zurück, als es im preußisch-österreichischen Krieg nicht nur die beste Berichterstattung gewährleistete, sondern sich auch klar preußisch-patriotisch positionierte.123 116 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. K, Nr. 97, Teil I, fol. 1–6. 117 Gutachten des Ministeriums der Justiz vom 10. Mai 1853, ebd., Teil I, fol. 3. 118 Röse. 119 Schmilewski, S. 75–95. 120 Kopitz, S. 479. 121 Jessens, S. 281. 122 Vgl. Conrads. 123 Schmilewski, S. 48 f.

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Wilhelm Korns Nobilitierungsverfahren spielte sich aber hauptsächlich in den Fünfziger- und in der ersten Hälfte der Sechzigerjahre ab, also gerade zu der Zeit, als der Name Korn beim Staat in einem schlechten Ruf stand. Solche politischen Zweifel konnten kaum zu einer erfolgreichen Nobilitierung beitragen. Obgleich Korn ausführlich argumentierte, er besitze einige der reichsten Güter der ganzen Provinz und habe mit dem Verlegerzweig seiner Familie nichts mehr zu tun, und obwohl er dazu noch seinen ausdrücklichen Wunsch äußerte, nach der Adelsverleihung seinen Namen so zu ändern, dass es zu keiner Verwechslung kommen könne,124 war das politische Engagement seiner Verwandten in den Augen des damals für Nobilitierungen zuständigen Justizministeriums der Hauptgrund, warum der Antrag abgelehnt werden sollte: »Den neuerdings eingegangenen Nachrichten zu Folge ist der Bittsteller ein ehrenwerter Mann, der […] sich der allgemeinen Achtung erfreut und in politischer Beziehung sich bewährt hat, während sein Neffe Heinrich Korn, welcher die Buchhandlung und die Schlesische Zeitung fortsetzt, durch die zum Teil oppositionelle Haltung […] in neuerer Zeit dem guten Namen der Familie in Schlesien sehr geschadet hat.«125

Die politische Haltung des Neffen wurde von den staatlichen Stellen sehr gründlich beobachtet und stellte das wesentliche Hindernis für eine Adelsverleihung dar. 1853 wurde die Nobilitierung abgelehnt, und das trotz der Tatsache, dass der Bittsteller einen sehr großen Bodenbesitz vorweisen konnte. Seine fünf Güter gehörten zu den teuersten in ganz Schlesien, und auch die staatlichen Stellen waren sich einig, dass Wilhelm Korn in dieser Hinsicht für den Adelsstand bestens geeignet gewesen wäre.126 Das riesige Vermögen konnte aber zu diesem Zeitpunkt die politischen Bedenken gegen seine Familie nicht ausgleichen. Damit ruhte die ganze Sache für 13 Jahre. Das politische Engagement seiner Verwandten versperrte zu diesem Zeitpunkt Wilhelm Korns Weg in den Adel. In diesen 13 Jahren gab er seine Bestrebungen jedoch keineswegs auf, und Anfang 1866 meldete er sich, diesmal beim mittlerweile errichteten Heroldsamt, wieder mit einem Adelsgesuch. Die Gründe, die er in seinem Gesuch anführte, hatten sich in ihrem Wesen nur geringfügig verändert. Seinen Adelsa­nspruch sah er weiterhin durch sein Vermögen untermauert, und er hielt es nicht für nötig, dies durch andere Qualifikationen zu ergänzen. Eine wesentliche Veränderung seines einzigen Arguments für die Nobilitierung ergab sich aber aus der Errichtung eines Familienfideikommisses.127 Dies war für den Staat nicht unwichtig. 124 Wilhelm Korn an das Ministerium der Justiz am 4.  Februar 1853, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. K, Nr. 97, Teil I, fol. 1–2. 125 Ministerium der Justiz an Wilhelm I. am 15.  Juni 1853, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, ­Heroldsamt, VI. K, Nr. 97, Teil I, fol. 6. 126 Ebd., Teil II, fol. 20. 127 Vgl. ebd., Teil II, fol. 10–15, 50–74.

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Als Korn bei seinen beiden vorherigen Nobilitierungsversuchen mit seinem großen Vermögen argumentiert hatte, das im Wesentlichen auf dem Besitz mehrerer Güter beruhte, war die Frage einer fideikommissarischen Sicherung seines Vermögens unberührt geblieben. Korn verfügte nicht über ein Fideikommiss, und auch während der Vierziger- und Fünfzigerjahre errichtete er keines. Für den Adelserwerb war dies auch nicht nötig. Wie schon im zweiten Kapitel gesagt, wurde ein Fideikommiss seit den Vierzigerjahren nur für den ziemlich selten verliehenen Freiherrenstand zur unumgänglichen Voraussetzung gemacht. Danach strebte Korn nicht und seitens des Staates gab es ebenfalls keinen Anlass, ihm den Freiherrenstand zu verleihen. Trotzdem machte Korn in seinem dritten Adelsgesuch gerade sein erst ein Jahr zuvor errichtetes Fideikommiss zum Mittelpunkt seiner Adelsansprüche: »Meine Absicht, durch Befestigung eines großen Grundbesitzes in meiner Familie die Zukunft meines Namens sicherzustellen und meinen Nachkommen ein Besitz, durch reichliche Dotierung des Fideikommisses, in den Stand zu setzten, dass sie gleich fest und unabhängig von fremdem Einflusse jederzeit die Rechte des angestammten Landesherren genießen könnten, habe ich ausgeführt. Mit den mir gehörigen im Wartenberger Kreise gelegenen Gütern Rudelsdorf, Baehne und Kolonie Dyhrnfeld, welche ein Gesamtareal von 7360 Morgen bilden, habe ich ein Familien-Fideikommiss errichtet und damit ein Geld-Fideikommiss von 120 000 zu Gunsten des jedesmaligen Besitzers der Güter hinzugefügt.«128

Diese um das neu errichtete Fideikommiss kreisende Begründung des Adels­ gesuches hatte nur ein Ziel: Das Besitzkriterium sollte noch stärker gemacht werden und dies weit über den notwendigen Rahmen hinaus. Es ging dabei nicht um die Menge des Vermögens. Schon in den Fünfzigerjahren hatte sich deutlich gezeigt, dass Korns riesiges Vermögen für eine Adelsverleihung längst ausreichend gewesen wäre. Das Einzige, was er in dieser Hinsicht machen konnte, war, die Struktur seines Vermögens zu verändern. Dazu war die Er­richtung eines Fideikommisses bestens geeignet. Obwohl dies vom Bittsteller nicht verlangt werden konnte, war ihm bewusst, dass eine fideikommissarische Sicherung seines Vermögens für den Staat eine sehr große Rolle spielen würde. Die höheren Adelsränge waren ohne ein Fideikommiss nicht erreichbar, und Korn zeigte so mit der Errichtung des Fideikommisses ganz deutlich, dass er, formal gesehen, sogar für einen höheren Adelstitel infrage käme, diesen jedoch nicht beantragte. Das politische Engagement seiner Verwandten konnte Korn im Nachhinein nicht ändern, daher war die Variierung des Vermögensarguments seine letzte Chance, auf die er hinsichtlich der von ihm so sehr erstrebten Adelsverleihung hoffen konnte. Der Staat verfuhr auch bei der Beurteilung des dritten Gesuches ganz systematisch, und die erste Stelle, die die Möglichkeit hatte, sich zu dem Fall zu ä­ ußern, war das schlesische Provinzpräsidium. Diesbezüglich konnte Wilhelm Korn 128 Wilhelm Korn an Wilhelm I. am 20. Februar 1866, ebd., Teil II, fol. 3–4.

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ziemlich beruhigt sein. Das Präsidium hatte alle seine früheren Versuche unterstützt und sah auch jetzt keinen wesentlichen Grund, seine Ansicht zu ändern: »Wie ich das Gesuch schon im Jahre 1853 befürworten konnte, ist es jetzt um so mehr der Fall, nachdem der Bittsteller von seinen Gütern ein Familien Fideikommiss errichtet hat, welches die Genehmigung seiner Majestät erhalten hat. Er ist ein mehr als wohlhabender Mann und ist bei der Einkommenssteuer in die 19. Stufe mit monatlich 80 eingeschätzt und repräsentiert dies ein Einkommen von 32 000 bis 42 000 jährlich. Politisch ist er konservativ treu gesinnt.«129

Der Reichtum des Bittstellers zusammen mit seiner politischen Einstellung genügten dem Provinzpräsidium also vollauf, um für seine Nobilitierung plädieren zu können. Die Errichtung eines Fideikommisses wurde zwar begrüßt jedoch nur als weitere Bestätigung des ohnehin berechtigten Adelsanspruches angesehen. Für die endgültige Beschlussempfehlung des Heroldsamtes, die dann dem König vorgelegt werden sollte, war jedoch nicht nur die Stellungnahme des Provinzpräsidiums ausschlaggebend. Da es sich um das Mitglied einer Familie handelte, die sich politisch engagierte, forderte das Heroldsamt vor seiner Entscheidung eine Äußerung des schlesischen Polizeipräsidiums an. Dies war eine zwar nicht ganz übliche, jedoch mögliche und vor allem bei Nobilitierungen von politisch aktiven Personen häufiger angewandte Praxis. Das Polizeipräsidium konnte über die politische Einstellung und konkrete Aktivität eines Adelsanwärters viel besser Auskunft geben als die zuständigen Stellen der Zivilverwaltung. In diesem Sinne wurde auch an das Breslauer Polizeipräsidium eine Anfrage gerichtet. Die Polizei sollte die notwendigen Informationen liefern, um dem unangenehmen Ergebnis vorzubeugen, eine Person zu nobilitieren, die dann in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem liberalen Lager in Verbindung gebracht werden könnte.130 Dies war für den Staat im Kontext des abklingenden Ver­ fassungskonfliktes zentral.131 In dieser Hinsicht konnte das Heroldsamt nach Erhalt der Antwort beruhigt sein. Das Polizeipräsidium bestätigte nach einer sehr gründlichen Ermittlung, bei der auch Ehefrau, Kinder und das weitere Umfeld des Kandidaten überprüft wurden, einerseits seine konservative Orientierung, andererseits die allgemeine Passivität, mit der er sich in politischen Dingen auszeichnete: »In politischer Beziehung gehört der Bittsteller zur conservativen Partei, wenn er auch keine Gelegenheit gehabt hat und wohl auch nicht das nötige Zeug dazu besitzt, öffentlich und beeinflussend mit seiner Gesinnung hervorzutreten.«132 129 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt, ebd., Teil II, fol. 20. 130 Vgl. Gerber, S. 55–57; Biefang; Hettling u. Nolte. 131 Heroldsamt an das Polizeipräsidium in Breslau am 28.  März 1866, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. K, Nr. 97., Teil II, fol. 9–10. 132 Polizeipräsidium in Breslau an das Heroldsamt am 16. April 1866, ebd., fol. 29.

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Im Grunde genommen waren die Ergebnisse der Überprüfung sehr ähnlich wie beim Verfahren 13 Jahre zuvor. Es wurde ein außergewöhnlicher Reichtum des Kandidaten festgestellt, was die Möglichkeit eines künftigen sozialen Abstiegs nahezu ausschloss. Die politische Haltung des Kandidaten stellte ebenso kein Hindernis dar. Das einzige Problem war immer noch das politische Enga­gement seiner Verwandten in den Fünfziger- und Anfang der Sechzigerjahre, woran sich nichts mehr ändern ließ. Auch die Argumentation des Kandidaten im Hinblick darauf blieb gleich: Er habe mit diesem Teil der Familie nichts zu tun und wolle sich von ihm sym­ bolisch distanzieren, indem er beabsichtige, seinen Namen zu ändern. Dieser Abstand galt auch umgekehrt. Die liberal geprägten Verwandten pflegten mit dem Adelskandidaten so wenig Kontakt wie möglich und empfanden seine Nobilitierungsinitiative eindeutig negativ. Diese Angabe wurde von der Polizei bestätigt, die konstatierte, »dass diejenige Linie der Familie Korn, welcher der Besitzer der Schlesischen Zeitung angehört, dem vorliegenden Antrage nicht günstig gestimmt ist«.133 Trotzdem verfuhr diesmal das Heroldsamt anders als das Justizministerium in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre. In seiner Stellungnahme empfahl es dem König eindeutig, den Bittsteller zu nobilitieren. Als wesentlicher Grund dafür wurde der neue Umstand genannt, dass der Adelskandidat einen beträcht­ lichen Teil seiner Güter in ein Fideikommiss umgewandelt hatte. Obwohl es sich in diesem Fall um keine verbindliche Voraussetzung handelte, war das Fideikommiss für das Heroldsamt das entscheidende Argument, das schließlich die Waagschale zugunsten des Kandidaten neigen ließ. Das aus Sicht des Staates negative politische Engagement anderer Familienmitglieder schien plötzlich vernachlässigbar.134 Die Verstärkung des Vermögensarguments zahlte sich für Wilhelm Korn letztendlich aus, und nach Klärung administrativer Einzelheiten bekam er am 24.  Dezember 1866 ein Weihnachtsgeschenk in Form des Adelsbriefes.135 Die Bedeutung des Fideikommisses für das ganze Verfahren wurde noch dadurch unterstrichen, dass der Adelstitel de facto direkt daran gekoppelt wurde. Er vererbte sich, jedoch nur an den jeweiligen Erbfolger des gesamten Fideikommisses, in diesem Fall an den ältesten Sohn des Geadelten. Dies wurde im Adelsbrief ausdrücklich bestimmt, der den »Gutsbesitzer Wilhelm Gottlieb Korn zu Breslau und seinen ältesten Sohn, den Second-Lieutnant Wilhelm Ferdinand Korn«,136 nobilitierte. Obwohl Wilhelm Korn die ganze Zeit über nur nach dem Adelsstand gestrebt hatte, wurden im Verfahren de facto alle Kriterien für die Verleihung des höherrangigen Freiherrenstandes angelegt. Korns entscheidende Qualifikation wurde 133 Ebd., fol. 30. 134 Heroldsamt an Wilhelm I. am 20. Juni 1866, ebd., Teil II, fol. 35–38. 135 Ebd., Teil II, fol. 90–100. 136 Adelsbrief für Wilhelm Korn vom 24. Dezember 1866, ebd., Teil II, fol. 101–105.

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in seiner Errichtung eines Fideikommiss gesehen, und der Adelstitel wurde dementsprechend fest an das Fideikommiss gebunden. Das Problem des politischen Engagements seiner Verwandten, das dem Kandidaten schadete, wurde so einfach dadurch gelöst, dass die Nobilitierungskriterien verschärft wurden. Als Hauptqualifikation musste Korn nicht nur ein riesiges Vermögen vorweisen, sondern dieses noch fideikommissarisch sichern, wie es im Fall neu verliehener Freiherrentitel üblich war. Die Verstärkung des Vermögensarguments half auch hier, die missliebige politische Vergangenheit eines Adelskandidaten oder seiner Familie zu überdecken. Die Aufnahme in den Adel wurde auf die Frage der materiellen Sicherstellung reduziert. Das Argument des Vermögens, speziell des Grundbesitzes, hatte also bei Nobilitierungen von Schlesiern eine sehr prominente Stellung. Bei ausreichendem Umfang des Vermögens verlangte der Staat für eine Adelsverleihung keine anderen Qualifikationen, und selbst die Adelskandidaten bemühten sich dementsprechend wenig, solche Qualifikationen hervorzuheben. Ein großer Grundbesitz barg sogar das Potenzial, nicht nur den Weg zu einem Adelstitel zu ebnen, sondern auch Stolpersteine aus diesem Weg zu räumen. Bei ausreichendem Grundbesitz war der Staat bereit, bei einer Adelsverleihung Verstöße gegen geltendes Recht zu tolerieren oder ein unerwünschtes politisches Verhalten in der weiteren Verwandtschaft des Adelskandidaten zu übersehen. Dabei kann nicht gesagt werden, dass sich der Staat hierbei von den Adelskandidaten die Spielregeln hätte aufzwingen lassen. Die Mehrheit der Kandidaten argumentierte bei der Begründung ihres Adelsanspruchs schlicht mit ihrem Vermögen und Grundbesitz, und dies stimmte durchaus mit der staatlichen Politik überein. Einen überzeugenden Beweis dafür liefert ein Blick auf die wenigen Adelskandidaten, die sich bemühten, ihren Anspruch mit anderen Ver­haltensmustern zu begründen als mit einer einfachen Kumulation von ökonomischem Kapital. Der Staat verhinderte in solchen Fällen systematisch, dass Gutsbesitzer aufgrund anderer Qualifikationen in den Adel aufsteigen konnten, und verdrängte alle anderen Verhaltensmuster aus dem Tugendkatalog des Adels. Symptomatisch zeigt sich diese Einstellung des Staates im Fall der 1864 erfolgten Nobilitierung des schlesischen Gutsbesitzers Wilhelm Fontaine. Fontaine reichte sein Nobilitierungsgesuch 1864 mit 42 Jahren ein. Es handelte sich um einen Gutsbesitzer, der teils auf seinem Gut Deutsch-Krawarn, teils in Breslau lebte und der zu der Zeit, als er seine Nobilitierung beantragte, schon ein verhältnismäßig bewegtes Leben hinter sich hatte. Als er zwanzig Jahre alt war, übernahm er nach dem Tod seines Vaters die Verwaltung eines ziemlich großen Familienvermögens. Im Jahr 1849 hatte sich eine außerordentliche Chance ergeben, dieses Vermögen noch wesentlich zu vermehren, als sein Onkel ohne direkte Nachkommen im Ausland verstarb. Wilhelm Fontaine verließ Europa und begab sich erst nach Indien, später in die Vereinigten Staaten, um seinen Anspruch auf die große Erbschaft seines Onkels geltend zu machen. Nach mehr als fünf Jahren Gerichtsprozessen erhielt 146 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Fontaine tatsächlich eine ungewöhnlich hohe Summe Geld und konnte nach Europa zurückkehren.137 Vor seiner Abreise ins Ausland hatte er die komplizierte Angelegenheit seines ziemlich großen Immobilienbesitzes regeln müssen. Er entschied sich dafür, die Mehrheit seiner Felder und Wiesen zu verkaufen und einen wesentlichen Teil seiner Gebäude der Stadt Rheda zu schenken. Diese Schenkung wurde vertraglich vereinbart, und Fontaine übergab der Stadt unentgeltlich drei Gebäude, in denen dann das Rathaus, ein Krankenhaus und eine Kleinkindbewahranstalt untergebracht wurden. Die Ansiedlung gerade dieser Institutionen in den geschenkten Gebäuden war kein Zufall, sondern ein besonderer Wunsch des Schenkers, dem die Stadt gerne nachgekommen war.138 Nachdem er 1856 als noch wohlhabenderer Mensch für immer aus dem Ausland zurückgekehrt war, kaufte er die Herrschaft Deutsch-Krawarn. Seine erfolgreiche Bewirtschaftung dieser Herrschaft schilderte er, neben der Sorge um das Gemeinwohl der Stadt Rheda, in seinem Nobilitierungsgesuch: »Als ich die Herrschaft übernahm war ein großer Teil der Wirtschaftsgebäude dem Einsturze nahe, die Bevölkerung ging wegen des fehlenden Verdienstes in Hunger, die Felder waren schlecht bewirtschaftet. In den letzten sieben Jahren habe ich 20 herrschaftliche Neubauten ausführen lassen, darunter verschiedene industrielle Anlagen, der Bevölkerung ist durch sehr ausgedehnten Zuckerrübenbau Verdienst gesichert und die Felder gewähren heute einen doppelten Ertrag. Durch Dampf- und Wasserkraft werden zwei Mehlmühlen, eine Knöchelmühle, eine Leimfabrik und Hede­ maschinen [Hede = Hanf, d. Verf.] in ständiger Tätigkeit erhalten.«139

Fontaines Adelsgesuch baute auf zwei Hauptargumenten auf, mit deren Hilfe der Bittsteller den Adelsstand zu erreichen hoffte. Einerseits ging es um seine gemeinnützige Tätigkeit für eine städtische Gemeinde, auf der anderen Seite um den rapiden wirtschaftlichen Aufstieg seines Gutes, der neue Arbeitsplätze schuf und dadurch vielen Menschen ein Grundeinkommen sicherte. Wenn das Heroldsamt ein so formuliertes Gesuch erhielt, erfolgte die übliche Nachfrage beim Oberpräsidium der Provinz Schlesien. Die entsprechende Stellungnahme, mit der das Oberpräsidium seine Ansichten in Bezug auf eine mögliche Nobilitierung Fontaines aussprach, war dabei symptomatisch: Das Präsidium äußerte sich zu den Verdiensten des Bittstellers überhaupt nicht. Seine gemeinnützige Tätigkeit sowie die erfolgreiche Bewirtschaftung seines Gutes, die mit einem steigenden Lebensniveau der Beschäftigten und ihrer Familien verbunden war, ließ das Präsidium völlig unbeachtet. Eine Adelsverleihung an den Bittsteller war nach Ansicht des Provinzpräsidiums aber trotzdem erwünscht: 137 Wilhelm Fontaine an das Heroldsamt am 14.  März 1864, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. F, Nr. 28, unfoliiert. 138 Regierungspräsidium in Oppeln an das Heroldsamt am 21. April 1864, ebd. 139 Wilhelm Fontaine an das Heroldsamt am 14. März 1864, ebd.

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»Er erfreut sich in seinem Heimatkreise einer allgemeinen Achtung und ist ein Mann, der an allen Königsangelegenheiten ein lebhaftes Interesse nimmt. Die äußere Erscheinung des Herrn Fontaine ist eine sehr angenehme.«140

Nach dieser Antwort des Provinzpräsidiums fasste das Heroldsamt den ganzen Fall Fontaine zusammen und legte ihn dem König vor. Die Adelsverleihung wurde empfohlen, und zwar mit Rücksicht auf die guten und geordneten Vermögensverhältnisse des Kandidaten sowie die hohe Achtung, derer sich der Bittsteller in seinem Landkreis erfreute. Seine Verdienste um den Aufstieg seines Gutes und seine gemeinnützige Tätigkeit spielten bei der Nobilitierung gar keine Rolle.141 So wandte der Staat auch in diesem Fall die Kriterien bloßen Reichtums, eines standesgemäßen Lebens sowie einer entsprechenden Wahrnehmung des Bittstellers in seinem Umfeld an. Für andere Verhaltensmuster war im erwünschten Tugendkatalog kein Platz, sie wurden verdrängt, selbst wenn sie deutlich vorhanden waren. In solchen Fällen verfuhr der Staat in der Regel systematisch. Grundbesitzer sollten für den Adelsstand nur aufgrund ihres Besitzes qualifiziert sein, andere Verhaltensmuster waren ohne Bedeutung. Prak­ tiken wie ein uneigennütziges Wirken für die Gemeinde oder die Förderung des Gemeinwohls eigneten sich nicht für den Aufstieg in den Adel. Im Jahre 1869 vergewisserte sich in dieser Hinsicht ein Gutsbesitzer namens Otto Rosenthal. Rosenthal war Mitglied einer schon lange in Schlesien ansäs­ sigen Familie, deren Güter er 1863 übernommen hatte. Die Verwaltung der Güter und deren beabsichtigte fideikommissarische Sicherung für seinen Sohn lieferten die erste Qualifikation, die Rosenthal gegenüber dem Staat zur Unterstützung seines Adelsanspruches geltend machte: »Nachdem ich das Breslauer Gymnasium besuchte, habe ich mich der Landwirtschaft gewidmet und im Jahr 1863 aus dem Nachlasse meines Vaters das Familiengut übernommen. Nach der testamentarischen Bestimmung meines Vaters ist das Gut mit Fideikomissarischer Substitution belegt, so dass es an meinen ältesten Sohn fällt, falls ich vor dem Jahre 1888 versterben sollte. Hierdurch ist zwar die Fideikomiss Qualität vorläufig festgestellt. Damit jedoch auch für den Fall, dass ich nach dem Jahre 1888 in den freien Besitz des Gutes käme, die Fideikomissqualität definitiv gesichert sei, verpflichte ich mich, urkundliche Bestimmungen zu treffen, durch welche das Gut Brynek zum Familien Fideikommiss gewidmet wird.«142

Dies war jedoch nicht Rosenthals einziges Argument. Für den beantragten Adelsstand fühlte er sich ebenso durch seine gemeinnützige Tätigkeit zugunsten vieler schlesischer Gemeinden qualifiziert. Mit zahlreichen Bestätigungen verschiedener schlesischer Dörfer, Städte und Kreise legte er dem Staat über140 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 4. Mai 1864, ebd. 141 Heroldsamt an Wilhelm I. am 25. Juli 1864, ebd. 142 Adelsgesuch von Otto Rosenthal, GhStA, PK, HA I., Rep. 176, Heroldsamt, VI. R, Nr. 79, fol. 19–20.

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zeugende Beweise dafür vor, dass er sich sein ganzes Leben um die Förderung des Schulwesens und der sozialen Fürsorge eingesetzt hatte, indem er zahlreiche Schulen aus eigenen Mitteln gegründet und einige wohltätige Anstalten materiell sehr großzügig unterstützt hatte. So berichtete zum Beispiel die schlesische Gemeinde Brynek, dass Rosenthal »ohne jede Konkurrenz lediglich aus eigenen Mitteln ein Schulsystem zu Brynek begründet und dadurch für eine bedeutende Zahl von Kindern die Wohltat eines geordneten Unterrichts vermittelt hat«.143

Brynek war nur eine von vielen Gemeinden, in denen Rosenthal aus eigenen Mitteln Schulen erbaut hatte, um sie dann kostenlos der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, in einigen Fällen, indem er auch noch das Gehalt der Lehrer übernahm.144 Sein freiwilliges Engagement, das weit über die eigenen Interessen hinausging, endete aber nicht bei der Förderung des Schulwesens. Er unterstützte nicht nur einzelne Bildungsanstalten, sondern auch ausgewählte sozial benachteiligte Kinder und spendete großzügig bei vielen wohltätigen Sammlungen und Fonds.145 Seine Wohltätigkeit schlug sich für den Staat auch im Krieg gegen Österreich 1866 nutzbringend nieder, als »Herr Rosenthal seine vortreff­ lichen Gesinnungen durch das patriotische Anerbieten gezeigt hat, in dem von ihm errichteten Lazaret 15 verwundete Krieger aufzunehmen«.146 Beide Argumente – sein Grundbesitz und sein Engagement für das Gemeinwohl  – wurden vom schlesischen Provinzpräsidium eingehend überprüft. Es ermittelte sowohl Größe und Ertrag der Güter als auch die vom Bittsteller angeführten Verdienste um das Gemeinwohl. Beides wurde als bedeutend befunden und Rosenthal nach Berlin mit folgender Begründung zur Nobilitierung empfohlen: »Die Familie bewegt sich in den besten Kreisen der Gesellschaft und ist im Genuss allgemeiner Achtung. Der Ertrag der Herrschaft, welche nur mit 3620 Pfandbriefschulden belastet ist, ist zum Behufe der Einkommenssteuerveranlagung auf 7257 geschätzt. Herr Rosenthal hat nach seinem Vater das Kapitalvermögen von mindestens 100 000 Thaler geerbt und besitzt nächst dem das Gut Alt Schliesa bei Breslau, woselbst er seinen zweiten Wohnsitz hat. Der erbetenen Erhebung hat er sich durch sein Auftreten durchaus würdig gemacht. Er hat auch für das Schulwesen in sehr großmütiger und anerkennungswerter Weise dauernde Fürsorge getroffen.«147

Dem Provinzpräsidium nach war also Otto Rosenthal für den Adelsstand durch alle von ihm selbst hervorgehobene Verhaltensmuster qualifiziert. Sowohl sein Grundbesitz und die soziale Anerkennung seitens der lokalen Eliten  – der 143 Gemeinde Brynnek an das Heroldsamt, ebd., fol. 22. 144 Ebd., fol. 21. 145 Ebd., fol. 23–24. 146 Ebd. 147 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 5. April 1869, ebd., fol. 5.

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»besten Kreise der Gesellschaft« – als auch seine Unterstützung gemeinnütziger Zwecke stellten für das Provinzpräsidium überzeugende Argumente dafür dar, Rosenthal den Adelsstand zu verleihen. Der Adelsanspruch wurde hier aus mehr Quellen als üblich, nicht nur aus Grundbesitz, abgeleitet. Nachdem aber der Fall dem Berliner Heroldsamt zur endgültigen Beurteilung und potenziellen Vorlage beim König übergeben worden war, schlug er einen anderen Weg ein. Das Heroldsamt ließ die zweite Qualifikation Rosen­ thals völlig beiseite und konzentrierte sich nur auf die Bewertung des ersten, auf Grundbesitz beruhenden Arguments. Es wurde sehr gründlich überprüft, ob der Grundbesitz tatsächlich fideikommissarisch gesichert war, welchen Ertrag er brachte und welchen Ruf der Kandidat beim lokalen Adel hatte.148 Sobald das Heroldsamt sicher war, dass die Umstände mit den Äußerungen des Kandidaten und des Provinzpräsidiums übereinstimmten, empfahl es den Fall dem König zum positiven Entscheid.149 Nach der königlichen Unterschrift wurde Rosenthal offiziell mit der eindeutigen und auch veröffentlichten Begründung nobilitiert: Sein Grundbesitz sei groß, ertragreich genug und sogar, obwohl dies nicht nötig war, fideikommissarisch gesichert, und Rosenthal erfreue sich all­ gemeiner Achtung unter den lokalen Eliten.150 Seine Unterstützung des Schulwesens sowie seine anderen wohltätigen Aktivitäten wurden bei der Nobilitierung nicht berücksichtigt. Es kann resümiert werden, dass die prominente Rolle der Gutsbesitzer unter den Neuadligen, die im dritten Kapitel festgestellt wurde, tatsächlich ihrem ländlichen Vermögen zuzuschreiben war. Ähnlich der hohen Wertschätzung für militärische Verdienste in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erfolgte bei ausreichendem Grundbesitz eine Nobilitierung seit den Vierzigerjahren fast automatisch. Weitere Qualifikationen wurden nicht verlangt. Dabei war in einer übergroßen Mehrheit der Fälle unwichtig, ob das Vermögen der Kandidaten nur der langfristigen Akkumulation von Kapital diente oder ob es noch zu anderen Zwecken verwendet wurde. Der große Nachdruck, den der Staat im Fall Schlesiens bei Adelsverleihungen auf große Vermögen legte, wird auch im Vergleich mit Böhmen deutlich. Während in Schlesien Gutsbesitzer in der Regel nur aufgrund ihres Vermögens nobilitiert wurden, war dies in Böhmen keineswegs der Fall. Eigentlich spielte in Böhmen ein eventuelles Vermögen bei Adelsverleihungen nie eine wichtige Rolle. Das heißt zwar nicht, dass in Böhmen keine wohlhabenden Gutsbesitzer nobilitiert worden wären. Wie wir aber im vorherigen Kapitel sahen, waren es im Vergleich zu Schlesien nur sehr wenige, sodass man sie nicht einmal als eigene Gruppe betrachtete. Wie noch gezeigt werden wird, wurden sie in der Regel auch nicht nur aufgrund ihres Besitzes nobilitiert, sondern mussten ganz

148 Heroldsamt an den König am 25. April 1869, ebd., fol. 12–14. 149 Ebd., fol. 16. 150 Königliche Entschließung vom 3. Mai 1869, ebd., fol. 17–18.

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andere Verhaltensmuster als Adelsqualifikationen vorweisen, die nicht immer mit ihrem ländlichen Vermögen zu tun hatten. In Schlesien wurde die große Bedeutung, die materiellem Vermögen bei­ gemessen wurde, immer wieder mit der Wertschätzung für Verhaltensweisen begründet, die daraus resultierten – mit der Befähigung, »standesgemäß« zu leben. Der Staat forcierte so bei Nobilitierungen von Grundbesitzern, bei denen das jeweilige Vermögen die Hauptrolle spielte, das alte Bild vom Adel als einer Elite, die ihren sozialen Status aus nicht erlernbaren Tugenden ableitete und sich durch äußere Repräsentation legitimierte. Anderen Verhaltensmustern wurde bei den Nobilitierungen schlesischer Grundbesitzer die Aufnahme in den Tugendkatalog des Adels nicht gewährt. 4.1.4 Geld und Grundbesitz: Das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum Anhand der Untersuchung erwünschter Adelsqualifikationen im Falle von Offizieren, Grundbesitzern und Beamten kristallisiert sich bereits das Gesamtbild des schlesischen Neuadels heraus, denn die genannten drei Gruppen stellten zusammengenommen die große Mehrheit aller Nobilitierten dar. Die Analyse ihrer Adelsqualifikationen ergibt ein ziemlich aussagekräftiges Bild davon, welche Verhaltensmuster seitens des Staates für die Erlangung des Adels als ausschlaggebend betrachtet wurden. Bis in die Vierzigerjahre handelte es sich um eine Mischung von Kulturpraktiken, die aus dem Militär- und Staatsdienst abgeleitet waren. Mit einer Nobilitierung wurden ein freiwilliger Kriegsoder langer Militärdienst sowie ein langer Dienst in der Staatsverwaltung belohnt  – Tätigkeiten, die schon länger, oft über mehrere Generationen hinweg in den nobilitierten Familien verankert waren. Dem entsprach die soziale Zusammensetzung des neuen Adels, in dem sich Militärs mit zivilen Adligen trafen, welche sich jedoch in der Regel aus der staatlichen Beamtenschaft, weniger aus den Reihen der Grundbesitzer rekrutierten. Grundbesitzer und damit auch die Handlungsmuster von Kapitalakkumulation und äußerlicher Repräsentation waren zwar im neuen Adel vertreten, befanden sich noch deutlich in der Minderheit. Ab den Vierzigerjahren erfuhr aber diese Zusammensetzung eine deut­ liche Vereinfachung. Der Staat sah als wichtigste Adelsqualifikation nunmehr Grundbesitz an sowie die sich daraus ergebende Fähigkeit, sich durch die Demonstration sozialer Distinktion kulturell zu repräsentieren. Das hatte zur Folge, dass sich nicht nur der Anteil der Grundbesitzer innerhalb des neuen Adels vergrößerte, sondern dass auch die anderen Gruppen vor der Notwendigkeit standen, sich für einen Aufstieg in den Adel mehr oder weniger den Grundbesitzern anzupassen. Diese Entwicklung verursachte den im Vergleich zu Böhmen markanten Unterschied, dass im preußischen Neuadel die oben genannten drei Gruppen und 151 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

ihre Verhaltensmuster dominierten, ohne anderen Wegen in den Adel Platz zu geben. Der Anteil des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums innerhalb des schlesischen Neuadels war sehr niedrig und Nobilitierungen erfolgreicher Händler, Industrieller oder Akademiker außerordentlich selten. Im Hinblick auf die im vorherigen Kapitel betonten Kulturpraktiken der gesellschaftlichen Selbstorganisation jenseits des Staates, die sich im entstehenden Vereinsleben ausprägten und zunehmend an Bedeutung gewannen, heißt dies, dass deren wichtigste Vertreter außerhalb des Adels und somit auch außerhalb der staatlich anerkannten Elite blieben. Dennoch stiegen ab und zu einzelne Wirtschafts- oder Bildungsbürger in den Adel auf. Es ist also möglich, dass sich mit diesen wenigen Industriellen, Akademikern, Künstlern oder Händlern als ihren Trägern noch andere Kulturpraktiken in den Tugendkatalog des Adels einschreiben konnten als die des Beamten- oder Militärdienstes, der Akkumulation von ökonomischem Kapital und der durch äußerliche Repräsentation demonstrierten sozialen Distinktion. Im Folgenden soll daher gerade auf jene Legitimationsmuster eingegangen werden, die von den wenigen Nobilitierten zur Unterstützung ihres Adelsanspruches herangezogen wurden, welche nicht Beamte, Offiziere oder Grundbesitzer waren. Ein kurzer Blick auf die nobilitierten Schlesier, die sich aus den Reihen des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums rekrutierten, zeigt, dass sie unter den Neuadligen tatsächlich eine verschwindend geringe Minderheit bildeten. Interessanterweise führte die rapide Industrialisierung des 19.  Jahrhunderts in Schlesien nicht dazu, dass diese Akteure in den Adel aufstiegen.151 Nobilitierungen führender Industrieller kamen zwischen 1806 und 1871 ebenso selten vor wie Nobilitierungen führender Breslauer Großhändlerfamilien oder von mit der Universität Breslau verbundenen Akademikern. Ausnahmen gab es wenige, und sie konzentrierten sich auf die Fünfziger- und Sechzigerjahre. Trotzdem geben sie einen ziemlich guten Einblick in die Qualifikationen, die solchen Per­sonen zum Adelstitel verhalfen. Die wichtigste Ausnahme stellt zweifelsohne die Familie Kramsta dar. Neben ihrem Familiensitz im schlesischen Freiburg besaß sie in der ganzen Provinz zahlreiche Industriewerke und Handelsunternehmen, dank derer sie allmählich in die Schicht der reichsten nicht-adeligen Familien Schlesiens aufstieg.152 Schon im Vormärz gehörte Georg Gottlieb Kramsta zu den ersten Industriellen, die sich angesichts der sich zuspitzenden sozialen Krise für eine Verbesserung der sozialen Lage der in seinen Betrieben beschäftigten Arbeiter einsetzte.153 Der Höhepunkt der Familiengeschichte lag aber fraglos in der nächsten Generation, als die Kramstas zu den Familien gehörten, die während der Jahre 1853 bis

151 Vgl. Fuchs, Die Wirtschaft. 152 Hoffmann, Marie von Kramsta, S. 301–305. 153 Herzig, Die unruhige Provinz Schlesien, S. 508.

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1873 die Blütezeit der niederschlesischen Industrie herbeiführten.154 Die drei Kramsta-Brüder gehörten somit seit den Fünfzigerjahren zu den mit Abstand reichsten Einwohnern der Provinz. An der Wende der Fünfziger- zu den Sechzigerjahren versuchten dann alle drei, ihren wirtschaftlichen Erfolg zur Erlangung eines Adelstitels zu nutzen. Dabei spielten Entwicklungen innerhalb der Familie eine wichtige Rolle. Die Brüder gingen nämlich seit Anfang der Fünfzigerjahre teilweise unterschiedliche berufliche Wege. Der Jüngste, Emil Kramsta, zog sich aus den ererbten Unternehmungen zurück, kaufte vier Güter und setzte die Vermehrung seines ökonomischen Kapitals in der Landwirtschaft fort. Die beiden älteren Brüder, Gustav und Eduard, führten dagegen während der Fünfziger- und Sechzigerjahre mit Erfolg das Familienunternehmen weiter. Der Erste, der sich um einen Adelstitel bewarb, war 1858 der jüngste der drei Brüder, Emil Kramsta. In seinem Nobilitierungsgesuch sprach er von sich als Mitglied einer wirtschaftlich erfolgreichen Familie, sah seine Adelslegitimation jedoch nur in seinem jetzigen Grundbesitz. Er beschrieb sehr umfangreich die Fläche seiner Güter sowie deren Ertrag und die sich daraus ergebenden Vermögensverhältnisse, die ihm ermöglichten, ein repräsentatives Leben zu führen.155 Dies wurde durch die Äußerung des schlesischen Oberpräsidiums bestätigt. Die Gründe, warum dem jüngsten der drei Brüder der Adel verliehen werden sollte, wichen nicht von den üblichen Adelsqualifikationen von Gutsbesitzern ab. Das Oberpräsidium betonte allgemein Kramstas Vermögen, konkret seinen Grundbesitz und seinen sich daraus ergebenden repräsentativen Lebensstil. Andere Qualifikationen waren nicht notwendig: »Der Bittsteller gehört der bekannten sehr reichen Familie Kramsta an und während zwei seiner Brüder […] noch dem Handels- und Fabrikstande angehören, hat sich der Bittsteller vom Handel ganz zurückgezogen und lebt nur aus seinen bedeutenden Gütern. […] Diese vier Güter haben ein Areal von 4032 Morgen und liegen deren Feldmarken so aneinander, dass sie ein geschlossenes Ganzes bilden. Außer diesem großen und vorzüglichen Grundbesitz hat der Kramsta noch ein bedeutendes Kapitalvermögen und ist zur 17.  Stufe der Einkommensteuer veranlagt. Das Vermögen von Kramsta wird auf 600 000 hier geschätzt, inkl. des Grundbesitzes. Er freut sich in dem Kreise des allerhöchsten Rufes, er zeichnet sich […] durch sein gentiles Benehmen bei jeder Gelegenheit aus. […] Wie bekannt verkehrt der Bittsteller mit den höheren Ständen, in seinem höchst elegant eingerichteten Hause findet der Fremde eine sehr gute Aufnahme und sein ganzes Auftreten bekundet den eleganten, wohlhabenden Mann.«156 154 Fuchs, Vom Dirigismus, S. 182 f. 155 Emil Kramsta an das Heroldsamt am 14. Juni 1858, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. K, Nr. 40, unfoliiert. 156 Landrat des Kreises Striegau an das Oberpräsidium der Provinz Schlesien am 23. August 1858 und Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 24. August 1858, ebd.

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Wie in solchen Fällen üblich, wandten auch die anderen involvierten staat­ lichen Instanzen nichts gegen einen solchen Nobilitierungsanspruch ein, und Emil Kramsta wurde Anfang 1859 tatsächlich in den erstrebten Adelstand er­ hoben.157 Die Akkumulation seines riesigen Vermögens, sein hohes Lebensniveau und die Anerkennung seitens der lokalen Eliten waren für den Staat Verhaltensmuster, die als geeignete Adelstugenden anerkannt wurden. Die unternehmerische Tätigkeit der Familie sowie das soziale Engagement seines Vaters hatten hierbei keine Bedeutung. Als die zuständigen Stellen mehr als zwei Jahre später, im Mai 1861, die Nobilitierung des mittleren Bruders Eduard Kramsta gewährten, war die Situation aber schon anders. Dessen Adelsanspruch fußte nicht nur auf Grundbesitz, sondern auch auf seiner Unternehmertätigkeit. Eduard Kramsta hatte zwar in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre einige Güter gekauft, diese konnten sich aber mit denjenigen seines jüngeren Bruders kaum messen. Eduard Kramsta versuchte auch, seine Güter während des Nobilitierungsverfahrens nicht in den Vordergrund zu rücken. Er nannte sich während des ganzen Verfahrens »Associé des Handlungshauses G. Kramsta und Söhne« und betonte seine unternehmerischen Erfolge, ohne dass er andererseits seinen Grundbesitz verschwiegen hätte.158 Der Staat konzentrierte sich auch in diesem Fall, in dem ihm zwei unterschiedliche Qualifikationen zur Auswahl vorgelegt wurden, auf die Güter. So empfahl das schlesische Oberpräsidium dem Berliner Heroldsamt Kramstas Nobilitierung mit folgender Begründung: »[Kramsta ist, d. Verf.] einer der reichsten Männer aus der Provinz, in der er mit mehreren Gütern angesessen ist. Er steht in der allgemeinsten Achtung. Sein jüngerer Bruder Emil wurde im vorigen Jahre in den Adelstand erhoben.«159

Das Heroldsamt teilte diese Einschätzung. Bei der Beurteilung des Gesuches kam es zum Schluss, Kramsta sei für den Adelsstand genügend qualifiziert. Sein Vermögen sei umfangreich genug, er lebe ein – nach außen demonstriertes – wohlhabendes Leben und sei schließlich nicht das erste geadelte Familienmitglied. Die zwei Jahre zuvor vollzogene Nobilitierung seines jüngeren Bruders lieferte einen weiteren Grund, weshalb Eduard Kramstas Nobilitierung nichts im Wege stehen sollte: »Zur Nobilitierung von Gutsbesitzer Eduard Kramsta: Besonders günstige Vermögensverhältnisse, die würdige persönliche Stellung und die Nobilitierung des jüngeren Bruders empfehlen die Befürwortung.«160

Bemerkenswert an dieser Äußerung des Heroldsamtes, das den Kern der Empfehlung für den König darstellte, ist die eindeutige Bezeichnung Kramstas als 157 Königliche Entschließung vom 3. Januar 1859, ebd. 158 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. K, Nr. 66, unfoliiert. 159 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 11. Mai 1861, ebd. 160 Heroldsamt an den König am 7. Dezember 1861, ebd.

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Gutsbesitzer. Kramsta hatte sich aber während des ganzen Nobilitierungs­ verfahrens gerade nicht vorwiegend durch seine Güter qualifiziert gesehen. Wie schon gesagt, verkehrte er mit den staatlichen Stellen ausdrücklich als »Associé des Handlungshauses G. Kramsta und Söhne«, und seinen Adelsanspruch leitete er nicht weniger von seiner erfolgreichen Unternehmertätigkeit ab. Diese Qualifikation wurde jedoch von den staatlichen Stellen im Vorfeld der Nobilitierung völlig übergangen, und am Ende wurde Kramsta offiziell vor allem aufgrund seiner Güter und seines nach außen demonstrierten Reichtums nobilitiert.161 Als das Heroldsamt Kramsta die positive Erledigung seines Adelsgesuchs bekannt gab und als Hauptgrund für seine Nobilitierung seinen Gutsbesitz hervorhob, wandte Kramsta verständlicherweise nichts dagegen ein.162 Er hatte sein Ziel erreicht, die genauen Gründe für die Nobilitierung spielten für ihn keine Rolle. In der offiziellen, veröffentlichten Begründung wurden endgültig sein Grundbesitz und seine nach außen demonstrierte Wohlhabenheit angeführt. Somit wurde das schon mehrmals erwähnte Adelsideal gestützt, das auf diesen Verhaltensmustern aufbaute. Auch ein äußerst erfolgreicher Unternehmer und Großhändler wie Kramsta wurde nicht aufgrund seiner Unternehmertätigkeit nobilitiert, sondern wegen seines Gutsbesitzes und demonstrativ re­ präsentativen Lebensstils. Als letzter der drei Brüder bewarb sich 1862 dann auch der älteste, Gustav, um einen Adelstitel. Sein Adelsgesuch reichte er weniger als ein Jahr nach der erfolgreichen Nobilitierung seines mittleren Bruders ein. Gustavs Nobilitierung sticht aber im Vergleich mit denen seiner beiden jüngeren Brüder durch wesentliche Unterschiede hervor. Bei seinen Bemühungen um Erhebung in den Adel spielte nämlich Grundbesitz keine Rolle. Gustav Kramsta brachte das Argument eines etwaigen Grundbesitzes in keiner Weise vor, und auch der Staat konnte sich in diesem Fall nicht auf diese für ihn wünschenswerte Adels­qualifikation beziehen. Stattdessen leitete Gustav Kramsta seinen Adels­ anspruch ausdrücklich und ausschließlich aus seiner Tätigkeit als Unternehmer und Großhändler ab: »Da seit einer Reihe von Jahren gerade ich, der eigentliche Leiter des weit um­ fassenden, in seiner Betriebstätigkeit zu immer größerer Bedeutung für ganz Schlesien erwachsenen Geschäftes bin, welches, ungeachtet des für meinen Bruder Eduard ermöglichten, großartigen Grundbesitzes und meines eigenen, nicht minder bedeutungsvollen Bergwerks und Hüttenguts sich unter meiner persönlichen Verwaltung in steigender Größe fortentwickelt.«163

Gustav Kramsta hob damit eindeutig sein unternehmerisches Profil hervor, das er als für den Adel qualifizierend ansah. Die Größe seiner Unternehmungen 161 Königliche Entschließung vom 4. Oktober 1861, ebd. 162 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an Eduard Kramsta am 9. Dezember 1861, ebd. 163 Adelsgesuch von Gustav Kramsta vom 16.  April 1862, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. K, Nr. 68, fol. 12–13.

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und Betriebe, die dazu noch erfolgreich wuchsen, sollte ihm den Adelstitel bringen, alle anderen Qualifikationen ergaben sich erst daraus. Die Familiengüter, die nicht ihm, sondern seinem Bruder gehörten, sowie sein eigenes großes Vermögen gingen auf die erfolgreichen Unternehmen zurück. Eben diese Handlungsmuster eines erfolgreichen Geschäftsmannes sollten ihm den Adelstitel verschaffen. Die zuständigen staatlichen Stellen konnten sich also in diesem Fall nicht auf die übliche Einschätzung von Grundbesitz konzentrieren und wurden vor die Frage gestellt, wie man sich mit solch einer Begründung eines Adelsanspruches auseinandersetzen sollte. Dies sorgte für einige Verwirrung. Das Heroldsamt wusste zunächst nicht genau, wie eigentlich verfahren werden sollte, und holte sich als Erstes ein Gutachten vom Handelsministerium ein, was sehr ungewöhnlich war. Da bei Nobilitierungsanträgen in der Regel die zuständigen Provinzpräsidien die ersten Ansprechpartner waren, bei denen das Heroldsamt nähere Informationen einholte, handelte es sich um ein deutliches Abweichen von der eingespielten Verfahrenspraxis. Das Handelsministerium lieferte rasch seine Stellungnahme, in der es die außerordentliche Bedeutung des Adelskandidaten für die preußische Industrie hervorhob. Gustav Kramsta war aus dieser Sicht ein Unternehmer, dessen Wirtschaftstätigkeit weit über die regionalen Grenzen Schlesiens hinausreichte und von gesamtstaatlicher Bedeutung war: »Der Bittsteller ist ein höchstachtungswerter, intelligenter und gemeinnütziger Mann. Er ist als der eigentliche Leiter der großartigen Fabrik und Handelsgeschäfts ›G. KRAMSTA und Söhne‹ einer der hervorragendsten Industriellen der Monarchie […] und zugleich an bedeutenden Bergwerks und Hütten Unternehmungen vielfach beteiligt.«164

Die einzige aus Kramstas Unternehmertätigkeit abgeleitete Adelsqualifikation wurde nicht nur bestätigt, sondern noch weiter herausgehoben. In den Augen des Handelsministeriums handelte es sich um keinen üblichen erfolgreichen schlesischen Unternehmer, sondern um einen der »hervorragendsten Industriellen« der ganzen Monarchie. Das Heroldsamt schloss nach dieser starken Unterstützung des Handelsministeriums eine sofortige Ablehnung des Antrags aus und kehrte zum üblichen Verfahrensgang zurück, indem es das schlesische Provinzpräsidium um Äußerung bat. Erst diese Stellungnahme senkte die Waagschale definitiv zugunsten Kramstas. Das Oberpräsidium stellte nämlich nicht nur Kramstas ganz außerordentliche Erfolge in Industrie und Handel hervor, sondern erinnerte das Heroldsamt noch daran, dass seine beiden Brüder kurz zuvor nobilitiert worden waren, und zwar aufgrund ihres Grundbesitzes. Es betonte, dass, obgleich sich Gustav

164 Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten an das Heroldsamt am 23. April 1862, ebd., fol. 2.

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Kramsta in seinem Adelsgesuch nicht durch Gutsbesitz ausgewiesen hatte, die Familie in der Person seines jüngsten Bruders große Güter besaß: »Zwei seiner Brüder sind bereits in den Adelstand erhoben. Der eine war Gutsbesitzer Emil Kramsta auf Gäbersdorf, der andere Eduard Kramsta. Gustav Kramsta ist der älteste der drei Brüder und Chef des bedeutenden Handels- und Fabrikhauses Kramsta und Söhne. Er hat seine Tätigkeit vorzugsweise der Industrie gewidmet, obgleich die Familie auch einen bedeutenden Grundbesitz inne hat. […] In Freiburg besitzt er gemeinschaftlich mit seinem Bruder Eduard die großartigen dortigen Spinnereien und Bleichen. […] Seine politische Richtung ist mir nicht genau bekannt, ich glaube aber dass sie sowie die seiner Brüder konservativ ist.«165

Zusammen mit der notwendigen Vergewisserung über die konservative Einstellung des Kandidaten war es also die Kombination aus Gustav Kramstas hervorragender Wirtschaftstätigkeit und dem Grundbesitz seiner Familie, die das Oberpräsidium überzeugten, seinen Nobilitierungswunsch zu befürworten. Die Handlungsmuster einer erfolgreichen Unternehmer- und Großhändlertätigkeit mussten aber für diesen Zweck unbedingt durch Grundbesitz in der Familie ergänzt werden. Unter diesen Umständen hatte auch das Heroldsamt keine Probleme mehr mit dem Gesuch und Gustav Kramsta wurde dem König für die Nobilitierung empfohlen. Als geeignete Qualifikationen wurden dabei beide Argumente des Provinzpräsidiums angeführt, sowohl die beeindruckenden und seitens des zuständigen Ministeriums anerkannten wirtschaftlichen Erfolge als auch die Tatsache, dass schon zwei Familienmitglieder den Adel aufgrund ihres Grund­ besitzes erhalten hatten.166 Da der König dem Vorschlag zustimmte, wurde dann auch der Dritte der Brüder, Gustav Kramsta, in den Adelsstand erhoben.167 Seine außerordent­ liche Stellung im Wirtschaftsleben nicht nur Schlesiens, sondern ganz Preußens konnte nicht übergangen werden, und unter den Gründen der staatlichen Stellen für die Nobilitierung spielte sie eine wichtige Rolle. Es war sehr ungewöhnlich, dass das Verhaltensmuster des erfolgreichen Unternehmens Eingang in den Tugendkatalog des Adels fand, zugleich wurde diese Zulassung aber mit dem Hinweis auf den Grundbesitz der Brüder relativiert. Kramstas Wirtschaftstätigkeit spielte bei der Nobilitierung die Hauptrolle, ohne die Erwähnung des Grundbesitzkriteriums konnte sie aber nicht zustande kommen.168 Andere Verhaltensmuster als die Akkumulation von Vermögen, die Bewirtschaftung von Gütern und demonstrierte Wohlhabenheit und Repräsentativität schrieben sich ab den Vierzigerjahren nur unter Schwierigkeiten in das Bild vom Adel ein. Immer, wenn dies zumindest ansatzweise möglich gewesen wäre, 165 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 28. Juni 1862, ebd., fol. 5. 166 Heroldsamt an Wilhelm I. am 15. Juli 1862, ebd., fol. 6–9. 167 Königliche Entschließung vom 20. Juli 1862, ebd., fol. 10–11. 168 Adelsbrief für Gustav Kramsta vom 30. Juli 1862, ebd., fol. 26–29.

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wurden sie entweder nicht berücksichtigt oder wenigstens ergänzt, damit klar wurde, dass Kandidaten aus dem Wirtschaftsbürgertum nicht nur auf dieser Basis in den Adel aufsteigen sollten. Auch bei Gustav Kramsta, in dessen Nobilitierungsantrag Grundbesitz keine Rolle spielte, nahm der Staat selbst zumindest die Güter der Familie unter seine Adelsqualifikationen auf. Es gab nur eine Möglichkeit, wie andere Kulturpraktiken Teil des Bilds vom Adel werden konnten, ohne dass Grundbesitz und demonstrierte Wohlhabenheit vonnöten waren, und zwar wenn Nobilitierungen nicht nach dem üblichen Verfahren erfolgten. In diesem ungewöhnlichen Fall wurde der direkte Eingriff der staatlichen Stellen vermieden, die sonst für Adelsverleihungen zuständig waren. Waren aber Nobilitierungen von Wirtschafts- und Bildungsbürgern generell außergewöhnlich, kam es fast gar nicht vor, dass deren Adelsverleihungen direkt, von oben vorgenommen wurden. Der König beschränkte sich bei den wenigen Nobilitierungen, die er aus eigener Initiative veranlasste, grundsätzlich auf die schon oben analysierten Kategorien und ließ Industrielle, Händler oder Gelehrte außen vor. Einige Ausnahmen finden sich vor allem in den Sechzigerjahren, wie zum Beispiel die schon erwähnte Nobilitierung des preußischen Staatshistorikers Leopold Ranke. Für Schlesien war eine solche Ausnahme die Nobilitierung des Kommerzienrats Gustav Heinrich Ruffer. Ruffer gehörte seit den Dreißigerjahren zu den aktivsten Akteuren der schlesischen Industrialisierung.169 Schon 1833 war er eine der führenden Personen bei der Errichtung der schlesischen Maschinenbauanstalt, die für die regionale Industrialisierung sehr bedeutsam war.170 Als in den Dreißigerjahren erste Pläne für eine schlesische Eisenbahn ausgearbeitet wurden, gehörte Ruffer zu ihren eifrigsten Verfechtern. Zusammen mit einigen Breslauer Händlern gelang es ihm, für dieses Projekt nicht nur die Breslauer Kaufmannschaft, sondern auch den hiesigen Adel zu mobilisieren, ohne dessen finanzielle Unterstützung der Bau kaum möglich gewesen wäre.171 Als dann in der ersten Hälfte der Vierzigerjahre die ersten Streckenabschnitte von Breslau nach Oppeln gebaut wurden, war Ruffer eine der führenden Personen des Ausschusses, der die finanziellen Grundlagen des Projektes steuerte.172 Diese Verdienste Ruffers um die Modernisierung der schlesischen Industrie wurden schließlich in den Sechzigerjahren gewürdigt. Als einer von ganz wenigen Kandidaten wurde er von oben für eine Nobilitierung vorgeschlagen.173 Wie außerordentlich solche Adelsverleihungen waren, zeigt das Chaos, das der 1866 von Kanzler Bismarck eingereichte Vorschlag, Ruffer zu nobilitieren, bei den staatlichen Stellen verursachte. Die Möglichkeit, dass jemand ohne Be­ 169 Vgl. Winkel. 170 Herzig, Die unruhige Provinz Schlesien, S. 489. 171 Freymark. 172 Neubach; Loewe. 173 Herzig, Die unruhige Provinz Schlesien, S.  508; GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. R, Nr. 74, unfoliiert.

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teiligung des Heroldsamtes nobilitiert werden könnte, war zwar theoretisch gegeben, wurde jedoch außer im Zuge von Krönungen so selten umgesetzt, dass dem Heroldsamt Schritt für Schritt erklärt werden musste, wie in diesem Fall zu verfahren sei.174 Die administrativen Komplikationen änderten jedoch nichts daran, dass Ruffer im April 1866 tatsächlich in den preußischen Adelsstand erhoben wurde. Dabei wurde ausnahmsweise weder auf Grundbesitz noch allgemeiner auf Reichtum und eine entsprechende Demonstration sozialer Distinktion Bezug genommen. Gustav Heinrich Ruffer wurde offiziell »in Anerkennung der er­ folgten Mitwirkung für das Zustandekommen der Rechten Oderufer Bahn«175 nobilitiert. Die mit der Förderung der Industrialisierung verknüpften Kulturpraktiken fanden in diesem Fall ihren Weg in den Adel. Wie schon gesagt, handelte es sich aber um einen Einzelfall, der vom üblichen Muster stark abwich. Es kann resümiert werden, dass die im dritten Kapitel aufgestellte Hypothese im Wesentlichen bestätigt werden kann. Die Überproportion der Militärs, Beamten und Grundbesitzer fußte tatsächlich auf den Verhaltensmustern, die sie direkt aus ihrem Staats- oder Militärdienst und Eigentum an Grundbesitz ab­ leiteten. Damit blieb anderen Verhaltensmustern der Weg in den Adel fast nahezu verschlossen. Auch die wenigen Wirtschafts- und Bildungsbürger, denen es gelang, in den Adel aufzusteigen, wurden in der Regel nur aufgrund ihres Grundbesitzes nobilitiert, und das auch in dem Fall, dass sie dem Staat ganz andere Verhaltensmuster als Adelsqualifikationen anboten. Unter diesen Umständen wurden nicht nur die Kulturpraktiken der auf eigenen Profit ausgerichteten Unternehmens- und Handelstätigkeit vernachlässigt, nicht berücksichtigt wurden auch weitere Handlungsmuster wie die freiwillige Unterstützung wohltätiger Zwecke, gesellschaftliche Selbstorganisation und die Schaffung von Sozialkapital. Der staatlich anerkannte Katalog an Adelstugenden blieb im Unterschied zu Böhmen viel weniger vielseitig und ließ neue Legitimierungsweisen von Adelszugehörigkeit kaum zu.

4.2 Böhmen 4.2.1 Dauerhafte Ergebenheit: Die Offiziere Auch im böhmischen Fall kann erwartet werden, dass unter den bei Nobilitierungen berücksichtigten Gesellschaftssegmenten die Offiziere an erster Stelle standen. Wie für Schlesien gilt für Böhmen prinzipiell, dass die aus dem Militärdienst abgeleiteten Argumente für eine Nobilitierung vor allem vom Offizierskorps erfüllt wurden. Im Unterschied zu Schlesien kann aber gesagt 174 Heroldsamt an das Präsidium des Königlichen Hauses am 26. Februar 1866, ebd. 175 Graf von Bismarck an Kabinettsrat von Michler am 7. April 1866, ebd.

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werden, dass die Offizierslaufbahn und die sich daraus ergebenden Qualifikationen für den Adelsstand sehr selten um andere Argumente ergänzt wurden und bei Offizieren in der Regel für den Nachweis eines Adelsanspruches ausreichten. Die Hauptursache dafür ist in der oben schon behandelten österreichischen Institution des »systemmäßigen Adels« zu sehen, indem ein entsprechend langer Militärdienst einen automatischen Nobilitierungsanspruch mit sich brachte. So wurde in vielen Fällen nobilitierter böhmischer Offiziere mit einer langen Dienstzeit argumentiert, ohne dass irgendwelche anderen Qualifikationen nötig gewesen wären. Ein typisches Beispiel ist die 1811 erfolgte Adelsverleihung an den Hauptmann Karl Hausenblase. Als er seinen Nobilitierungsantrag einreichte, hatte er bereits mehr als dreißig Jahre lang als Offizier in der österreichischen Armee gedient und in dieser Zeit keinen Feldzug verpasst. Trotz seiner häufigen Kriegseinsätze – zwischen 1778 und 1805 kämpfte er insgesamt elf Mal auf dem Schlachtfeld – wurde er von seinen Vorgesetzten keineswegs als ein außer­ ordentlicher Soldat angesehen. Die Armee bezeichnete ihn als einen »mittel­ mäßig« talentierten Offizier, dessen positive Eigenschaften sich eigentlich darin erschöpften, dass er nicht dem »Trunke« und dem »Spielen« ergeben und kein »Zänker« und »Schuldmacher« sei.176 Bei der Ausformulierung seines Adelsgesuches bezog sich Hausenblase auch auf keine konkreten Verdienste, sondern argumentierte nur mit Länge und Verlauf seiner Militärlaufbahn: »Ich habe das Glück, bereits über 30 Jahren zu allerhöchsten K. K. Kriegsdiensten zu stehen zu welchen ich die Ränge eines Grenadiers, Cadetts, Unterlieutnants, Lieutnants, Capitains und Hauptmanns erreicht habe.«177

Diese Argumentation wurde vom Staat vorbehaltlos akzeptiert. Im Rahmen der »systemmäßigen« Adelsverleihungen beschränkten sich die staatlichen Stellen auf die Beibringung und Überprüfung von Beweisen hinsichtlich der wichtigen Dauer der Dienstzeit des Kandidaten als Offizier. Sobald klar war, dass ein Adelsanwärter tatsächlich lang genug in der Armee der kaiserlichen Ma­jestät gedient hatte, wurde seine Nobilitierung automatisch empfohlen und konsequent durchgeführt.178 Diese Praxis war, im Unterschied zu Schlesien, die ganze Zeit hindurch keiner Veränderung unterworfen. Während in Schlesien seitens des Staates die schlichte Betonung einer militärischen Karriere nur in den ersten dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts als ausreichender Nobilitierungsgrund betrachtet wurde, war dies in Böhmen im Prinzip im gesamten untersuchten Zeitraum der 176 Conduitt Liste von Karl Hausenblase, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Karl Hausenblase von Ehrenhelm, fol. 8. 177 Nobilitierungsantrag von Karl Hausenblase, ebd., fol. 5. 178 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Karl Hausenblase von Ehrenhelm, fol. 9–25.

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Fall. Bei einem genügend langen Militärdienst wurden weder Besitz noch gesellschaftliche Kontakte und Anerkennung seitens des hohen Adels oder andere Qualifikationen berücksichtigt, manche äußerst negativen Umstände adels­ williger Offiziere wurden sogar übergangen.179 So war es zum Beispiel im Jahr 1856 für den in Prag lebenden Hauptmann Leonard Hammer möglich, den österreichischen Ritterstand zu erwerben, obwohl er zur Zeit der Adelsverleihung ledig war und zwei uneheliche Söhne hatte.180 Diese Tatsache versuchte er im Verfahren auch gar nicht zu verheimlichen, im Gegenteil. Er beantragte die Verleihung des Ritterstandes nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Söhne: »Die Gewährung dieser tief ergebendsten Bitte würde den Gefertigten als Familien­ vater um so mehr beglücken, wenn zugleich seinen beiden schon legitimierten Söhnen  – welche auch schon das Glück genießen, in der allerhöchsten Armee als Unteroffiziere zu dienen und wovon der ältere bereits den Feldzug 1849 in Italien mitmachte – der Adel des Vaters verliehen würde.«181

Auch diese Tatsache, dass der Adelsanwärter zwei zwar legitimierte, aber uneheliche Söhne hatte und den Adelstitel sogar auch für sie verlangte, stellte für die staatlichen Stellen kein Hindernis für die Adelsverleihung dar. Hammer diente in der Armee seit mehr als dreißig Jahren und wurde daher problemlos und zusammen mit seinen Söhnen nobilitiert.182 Wie dieses Beispiel zeigt, gab es für Offiziere nach entsprechend langem Dienst kaum andere Kriterien für eine Nobilitierung. Der lange aktive Dienst selbst fungierte als einzige Adelsqualifikation und hatte das Potenzial, alle anderen negativen und positiven Argumente bezüglich der Adelsverleihung auszuhebeln. Die »systemmäßige« Adelsverleihung war aber nicht der einzige Fall, in dem Adelsanwärter für ihren Adelsanspruch militärische Verdienste geltend machten. Nicht jeder Offizier, der sich für den Adelsstand qualifiziert fühlte, konnte eine so lange Dienstzeit vorweisen. Einige mussten daher das üb­liche Nobilitierungsverfahren durchlaufen, in dessen Rahmen andere Qualifikationen vorgewiesen werden mussten.

179 Die Aufzählung einzelner Beispiele würde äußerst lang und eintönig ausfallen. Sehr typisch für den gesamten Zeitraum 1806 bis 1871 sind z. B. die Adelsverleihungen an den Infanterie-Hauptmann Franz Xavier Mayer (1810), an den Hauptmann Joseph Jäger (1845) und an den Hauptmann Wenzel Pappelberg (1856): ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Franz Xavier Mayer, fol. 1–8; ebd., Joseph Jäger, fol. 9–28; ebd., Wenzel Pappelberg, fol. 1–10. Zusammenfassend Županič, Systematizované šlechtictví; Krejčík, Výzkum, S. 95 f. 180 Abschrift der Conduit Liste von Leonard Hammer, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Leonard Hammer, fol. 12. 181 Antrag von Leonard Hammer auf Verleihung des österreichischen Ritterstandes vom 27. Juni 1856, ebd., fol. 18–20. 182 Ritterstandsdiplom für Leonard Hammer, ebd., fol. 3–8.

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Die Begründung ihres Adelsanspruches wurde zwar in der Regel ebenfalls aus ihrem Militärdienst abgeleitet, durfte aber nicht auf einer schlichten Betonung von dessen Länge beruhen. Eine besonders günstige Situation für Offiziere ergab sich dabei, ähnlich wie in Schlesien, im Zusammenhang mit den napoleonischen Kriegen. Ein aktiver Kriegseinsatz lieferte zahlreiche Argumente, die einen Adelsanspruch auch bei unzureichender Dienstlänge untermauern konnten. In der Mehrheit spielten für solche Adelsverleihungen konkrete Heldentaten und Auszeichnungen auf dem Schlachtfeld die Hauptrolle. So argumentierte zum Beispiel der 1811 nobilitierte Hauptmann Franz Lindner mit seiner aktiven Teilnahme an der Schlacht gegen die französischen Truppen bei Bienenwalde im Oktober 1793, wo er sich durch »vorbildliches Verhalten« mehrere militärische Auszeichnungen erworben hatte.183 Der Hauptmann Friedrich Hoffmann wiederum betonte bei der Begründung seines Adelsanspruches seine kriegerischen Erfahrungen und Heldentaten in sogar fünf Schlachten zwischen 1793 und 1805.184 Ähnlich wie in Schlesien wurden bei Bedarf und wenn möglich aus militä­ rischen Verdiensten abgeleitete Argumentationsstrategien für die Erreichung des Adelsstandes mit Verweis auf das militärische Engagement der gesamten Familie, zumeist der Nachkommenschaft des Adelskandidaten, erweitert. Ein typisches Beispiel liefert die 1810 erfolgte Adelsverleihung an den Hauptmann Johann Hermany. Dieser war ein verarmter Offizier, der zu der Zeit, als er sich um seine Nobilitierung bemühte, zwar ziemlich lange in der Armee gedient hatte, seine militärischen Verdienste jedoch selbst nicht als ausreichend für eine Adelsverleihung betrachtete. Die Tatsache, dass er in den meisten Feldzügen gegen Frankreich nicht direkt eingesetzt worden war und daher keine Heldentaten auf dem Schlachtfeld vorweisen konnte, versuchte er bei den staatlichen Stellen durch die militärische Ergebenheit seiner beiden Söhne auszugleichen. Nachdem er seine lange, aber alles andere als herausragende Militärkarriere und seine materielle Not geschildert hatte, aufgrund derer er um Erlassung der entsprechenden Gebühren bat, fügte er hinzu: »Noch widmen sich jedoch zwei Söhne als Oberoffiziers dem Dienste des Vaterlands, der eine als Lieutnant des Infanterie Regiments […], der andere als Adjutant.«185

Dass sich neben dem Vater auch die Söhne für eine Militärkarriere entschieden hatten, spielte bei der Beurteilung von Hermanys Nobilitierungsantrag eine sehr wichtige Rolle. Ähnlich wie bei der Nobilitierung des Majors Dellen in Schlesien war das Bild einer Familie, die ihr Leben dem Dienst in der Armee ge183 Vgl. Herder Institut Marburg, Quellensammlung, Sig. DSHI 140, Schlesien 230, Lindner. 184 Vgl. Herder Institut Marburg, Quellensammlung, Sig. DSHI 140, Schlesien 230, Hoffmann; ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Friedrich Hoffmann, fol. 12. 185 Vgl. z. B. ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann Richard Hermany von Heldenberg, fol. 15–16.

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weiht hatte, für den Staat überzeugend genug, um einen Adelstitel zu verleihen. Die argumentative Ergänzung der nicht gerade überwältigenden Militärkar­ riere des Bittstellers um die militärische Treue seiner ganzen Familie bewirkte unübersehbar die positive Erledigung seines Adelsgesuches.186 Der Adelsstand wurde Hauptmann Hermany vorbehaltlos verliehen  – und dies auch, indem, wie erbeten, die Gebühren erlassen wurden. Wie schon angemerkt wurde, spielten Anfang des 19. Jahrhunderts auch in Böhmen bei Adelsverleihungen an Offiziere  – und überhaupt bei der Heranziehung militärischer Argumente in Nobilitierungsfällen  – die Kriege gegen Frankreich eine wichtige Rolle. Die Mehrheit derjenigen Nobilitierungen böhmischer Militärs, die nicht »systemmäßig« erfolgten, konzentrierte sich im ersten Drittel des Jahrhunderts, als eine größere Anzahl Soldaten einen militärischen Einsatz und Kriegsverdienste vorweisen konnten. Nachdem diese mit den Kriegen direkt verbundenen Adelsverleihungen zurückgegangen waren, wurde die große Mehrheit der Offiziere »systemmäßig« nobilitiert. Dabei mussten diese mit Ausnahme einer genügenden Länge ihres Armeedienstes keine weiteren Argumente für eine Adelsverleihung vorlegen.187 Gerade das Phänomen der automatisch verliehenen Nobilitierungen macht einen wesentlichen Unterschied zu Schlesien aus, was einen Vergleich erschwert. Wenn wir trotzdem einen Blick auf die Argumentationsstrategien von Offizieren hinsichtlich ihrer Aufnahme in den Adel werfen, überrascht nicht, dass wir in beiden Fällen fast ausnahmslos Argumente begegnen, die aus dem militärischen Dienst abgeleitet waren, und dass diese seitens des Staates im Großen und Ganzen akzeptiert wurden. Sowohl in Böhmen als auch in Schlesien bildeten militärische Verdienste in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts das wichtigste Argument, das Offiziere zur Begründung ihres Adelsanspruches anführten. In beiden Fällen wurden solche persönlichen Verdienste bei Bedarf und Möglichkeit seitens des Adelskandidaten noch um den Militärdienst weiterer Familienmitglieder ergänzt, in der Regel den der eigenen Söhne. Diese Argumentation fand beim Staat volle Akzeptanz. Eine militärische Karriere und damit verknüpfte Argumentationsstrategien wurden im ersten Drittel des 19.  Jahrhunderts in beiden Fällen von staatlicher Seite eindeutig als ausreichende Qualifikation für den Adelsstand betrachtet. Dies war vor allem dem Engagement Preußens und Österreichs in den Kriegen gegen Frankreich zu verdanken. Für die Zeit nach dem Ende der Kriege und nachdem die damit einhergehenden Adelsverleihungen abebbten, lassen sich Länderunterschiede beobachten. Während in Böhmen und in ganz Österreich die prominente Rolle militärischer Handlungspraktiken bei den Adelsverleihungen fortwährend durch die Institution des »systemmäßigen« Adels gesichert war, gerieten adelswillige Offiziere in Schlesien unter Druck, in ihren Anträgen militärischen Argumenten andere 186 Ebd., fol. 2–5. 187 Županič, Nová šlechta, S. 119–123.

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Handlungsmuster an die Seite zu stellen. Nur auf den eigenen Militärdienst gerichtete Argumentationsstrategien wurden nicht länger als hinlänglich betrachtet. Eigene militärische Verdienste verschwanden dabei keineswegs als Argument, sie traten aber gegenüber ihrer früheren Position deutlich zurück. Besitz wurde zum Hauptargument für den Erwerb des Adels. Gesellschaftliche Anerkennung, die dem Aspiranten von Seiten des Adels entgegengebracht wurde, sowie eine standesgemäße Lebensweise ergänzten den Kriterienkatalog. Eine solche Entwicklung gab es in Böhmen nicht. Die Kriterien beim Adels­ erwerb durch Militärs ermöglichten über den ganzen Zeitraum den Aufstieg von Offizieren in den Adel ausschließlich aufgrund ihrer militärischen Qualifikation. Alle anderen Umstände spielten für solche Adelsverleihungen keine Rolle. Zwar brachte der Militärdienst in Böhmen beziehungsweise ganz Österreich hohes gesellschaftliches Prestige mit sich, das durch Nobilitierungen noch erhöht werden konnte. Die Offizierslaufbahn war aber, ähnlich wie in Schlesien, auf jeden Fall kein Mittel zur Akkumulation eines bedeutenden ökonomischen Kapitals.188 Viele österreichische Offiziere waren verschuldet, und »der öster­ reichisch-ungarische Offizier war der schlechtest bezahlte aller Armeen«.189 In Böhmen wurden aber im Unterschied zu Schlesien die aus militä­rischen Kreisen hervorgegangenen Adelskandidaten nicht dazu gezwungen, ihren Adelsanspruch durch Besitz zu unterstreichen. Keiner der nobilitierten Armeeangehörigen aus Böhmen bezog sich in seinem Nobilitierungsverfahren gegenüber den staatlichen Stellen auf seinen Besitz. In den wenigen Fällen, in denen die Vermögenslage eines Bittstellers überhaupt in Betracht gezogen wurde, handelte es sich immer nur um die Betonung einer äußerst schlechten öko­ nomischen Situation des Betreffenden – eine Argumentation, die dazu dienen sollte, den Bittsteller von den verhältnismäßig hohen Nobilitierungsgebühren zu befreien. Verglichen mit Schlesien spielte das Vermögensargument bei den Nobili­ tierungen von Offizieren in Böhmen eine geradezu entgegengesetzte Rolle. Während in Schlesien der (Grund-)Besitz militärischer Adelskandidaten ungefähr ab den Dreißiger- und Vierzigerjahren zur Hauptvoraussetzung für eine Adelsverleihung wurde, was den Aufstieg vieler militärischer Adelsanwärter in den Adel erschwerte, diente bei Nobilitierungen von Militärs in Böhmen der Mangel an Besitz als Argument, Adelsverleihungen in einzelnen Fällen durch die Erlassung der Gebühren noch zu erleichtern. Fragt man nach anderen Handlungsmustern, die Offizieren als Adelsqualifikation dienen konnten, stellt sich heraus, dass solche in Böhmen fast gänzlich fehlten. Hier wurde bei Adelsverleihungen an Offiziere nicht-militärischen Verdiensten grundsätzlich kein besonderes Gewicht beigemessen.

188 Deák, Der K.(u.)K. Offizier, S. 140–154. 189 Allmayer-Beck, S. 101.

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So waren die wenigen Nobilitierungen von Offizieren, die nicht aufgrund der Regeln über den »systemmäßigen« Adel vorgenommen wurden, ausschließlich als Belohnung von Heldentaten oder für besondere Verluste gedacht, die feind­ lichen Truppen auf dem Schlachtfeld zugefügt worden waren. Nicht-militä­ rische Handlungsmuster oder der Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten sowie Hilfsmaßnahmen zugunsten der Bevölkerung in Friedenszeiten blieben als Argumente außen vor. Es kann zusammengefasst werden, dass, nicht überraschend, in beiden Fällen Offiziere ihre Adelsansprüche mit militärischen Argumenten begründeten. Die Haltungen der Staaten differierten jedoch. Während in Böhmen ein Aufstieg in den Adel als Auszeichnung für den Dienst in der Armee möglich war, rückten schlesische Offiziere ihre militärischen Verdienste ab den Dreißigerund Vierzigerjahren immer mehr in den Hintergrund. Andere Qualifikationen, vornehmlich materieller Besitz, gewannen an Gewicht. Der Katalog erwünschter Adelstugenden behielt in Böhmen stets eine starke militärische Komponente bei, und der Militärdienst blieb über den ganzen Untersuchungszeitraum eine staatlich anerkannte Elitenqualifikation. 4.2.2 Feder und Tintenfass: Die Staatsbeamten Staatsbeamte nahmen innerhalb des österreichischen Neuadels eine prominente Position ein. In den ersten zwanzig Jahren des 19. Jahrhunderts machten sie sogar mehr als die Hälfte aller nobilitierten Zivilisten aus, und wenn ihr Anteil auch später sank, waren die Jahre äußerst selten, in denen sie unter den Nobilitierten weniger als vierzig Prozent ausmachten. Eine Betrachtung der Fragen, wie adelswillige böhmische Beamte ihre Qualifikation für den Adel begründeten, wie dies seitens des Staates aufgenommen wurde und wie sich beides entwickelte, kann somit einen hervorragenden Einblick in die Tugenden liefern, die beide Seiten als für die Zugehörigkeit zur Elite qualifizierend verstanden. Auf der einen Seite stieg in Böhmen der prozentuale Anteil der Beamten am neuen Adel, auf der anderen Seite veränderten sich ihre Argumentations­ strategien sowie ihre Aufnahme seitens des Staates nur sehr eingeschränkt. Allgemein kann gesagt werden, dass die Argumente, aufgrund derer Beamte in den Adel aufstiegen, die ganze Zeit über sehr stabil blieben. So ist in den ersten vierzig Jahren des 19. Jahrhunderts eine weitgehende Konvergenz mit Schlesien zu beobachten, die sich dann aber ab den Vierzigerjahren wegen der Veränderungen im schlesischen Fall in einen deutlichen Unterschied wandelte. Auch böhmische Staatsbeamte leiteten ihren Adelsanspruch hauptsächlich aus ihrem Beruf ab. Der Staat ließ sich auf diese Argumentation in der Regel ein. Während aber in Schlesien ein deutlicher Bruch in der ersten Hälfte der Vierzigerjahre festzustellen ist, als das Handlungsmuster eines langen und tüchtigen Beamtendienstes durch das Argument des Vermögens, des Grundbesitzes und der Demonstration sozialer Distinktion ersetzt wurde, gab es eine solche 165 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Zäsur im böhmischen Fall nicht. Böhmische Staatsbeamte konnten den ganzen Zeitraum über aufgrund der aus ihrem eigenen Beruf abgeleiteten Handlungsmuster in den Adel aufsteigen, ohne gezwungen zu sein, den Verweis auf ihre Dienste um irgendwelche anderen Argumente zu ergänzen oder ihn sogar durch andere Qualifikationen zu ersetzen. Die Nobilitierungen von Staatsbeamten beruhten im Fall Böhmens in der Regel nur auf der Einschätzung der Länge und Zuverlässigkeit der bisherigen Diensttätigkeit des Kandidaten. Andere Qualifikationen, wie etwa Besitz oder Verdienste außerhalb des Beamtenverhältnisses, spielten kaum eine Rolle. Dies galt auch für die wenigen Fälle, in denen ein Bittsteller eines dieser Argumente für seinen Adelsanspruch anführte. So wurde zum Beispiel 1808 der böhmische Landesrat Anastas Herbig in den österreichischen Ritterstand erhoben. In den Staatsdienst war er 1774, unmittelbar nach seinem Studium, eingetreten und hatte ihm bis zum Zeitpunkt seines Nobilitierungsantrags ununterbrochen angehört.190 Während dieser langen Zeit absolvierte er eine relativ erfolgreiche Karriere und kletterte in der Diensthierarchie immer weiter nach oben. Sowohl die Länge seines Dienstes als auch seine erfolgreiche Laufbahn führte er als Hauptgründe an, weshalb er seine Nobilitierung für gerechtfertigt hielt: »Ich hatte die Ehre, am 21. November 1774 als Akzessist bei dem böhmischen Guber­ nium in der Judicial-Abteilung, sowie am 9.  Oktober 1775 bei den Landtafeln Registrator, dann aber am 12.  Mai 1783 als wirklicher Sekretär bei dem Böhmischen Landrat und am 24. Mai 1796 als wirklicher Rat bei diesem Landrat und zwar nebst Zuteilung anderweitiger Amtsgeschäfte, als höchstverantwortlichen Landtafel Referate angestellt zu werden. In diesem stets mit Anstrengung habe ich volle 30 Jahre für Majestät und den Staate bis zu diesem Zeitpunkt getreu, restlos und endlich gedient«191

Seine lange Dienstzeit und sein erfolgreicher Karriereverlauf bildeten zwar den Kern von Herbigs Adelsanspruch, er konnte aber seinen Antrag noch mit weiteren Argumenten untermauern, die über seine persönlichen Dienste als Staatsbeamter hinausgingen. Die Familie Herbig war nämlich in seiner Geburtsstadt Friedland schon durch Anastas’ Vater wohlbekannt. Karl Herbig hatte für die Stadt zur Zeit des Siebenjährigen Krieges mit den preußischen Truppen über die friedliche Behandlung der Stadtbevölkerung verhandelt und sich auch später für das Wohl der Gemeinde sehr aktiv eingesetzt, indem er persönlich und finanziell das lokale Schulwesen bedeutend unterstützte.192 Anastas Herbig war sich der Verdienste seines Vaters vollauf bewusst und nutzte sie als sein zweites Nobilitierungsargument: »[Mein Vater hat sich, d. Verf.] … nicht nur als ein angesessener und wohl gesitteter Bürger der Stadt Friedland in dem Siebenjährigen Kriege mit besonderem Patriotis190 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Anastas Herbig, fol. 5. 191 Nobilitierungsantrag von Anastas Herbig vom 19. November 1804, ebd., fol. 7–9. 192 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Anastas Herbig, fol. 12–13.

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mus zu Gunsten seiner Mitbürger ausgezeichnet, sondern auch sich um die Ausbildung der Jugend in wissenschaftlicher und musikalischer Hinsicht vorzüglich um die Stadt verdienstlich gemacht.«193

Wenn das böhmische Gubernium einen so formulierten Nobilitierungsantrag zur Stellungnahme und Befürwortung oder Ablehnung auf den Tisch bekam, war den zuständigen Beamten klar, wie er eingeschätzt werden sollte. Das Gubernium konzentrierte sich ausschließlich auf die in Herbigs Antrag betonte Diensttätigkeit und seinen Karriereverlauf, ohne den Verdiensten seines Vaters Aufmerksamkeit zu widmen.194 Obgleich schon an mehreren Beispielen gezeigt wurde, dass eine Nobilitierung nicht nur die Auszeichnung einer Einzelperson darstellte, sondern sehr oft auch als Anerkennung der über mehrere Generationen angesammelten Qua­ lifikationen einer Familie erteilt wurde, waren hier die Verdienste von Herbigs Vater um seine Gemeinde keine Erwähnung wert. Aber auch ohne Bewertung der Tätigkeiten des Vaters kam das böhmische Gubernium zum Schluss, dass Anastas Herbig für eine Nobilitierung geeignet sei, und zwar vor allem wegen seiner langen, ununterbrochenen und durch mehrfache Beförderung belohnten Zeit im Staatsdienst.195 Diese Verhaltensmuster wurden auch von der Wiener Hofkanzlei als ge­ nügend angesehen, und Anastas Herbig wurde im April 1805 dem Kaiser zur Erhebung in den von ihm beantragten Ritterstand empfohlen.196 Obwohl sich die endgültige Nobilitierung wegen der verspäteten Entrichtung der Gebühren etwas verzögerte und das endgültige Adelsdiplom erst zu Beginn des Jahres 1808 ausgestellt wurde, ändert dies nichts an der Art, wie Herbig nobilitiert wurde. Das Adelsdiplom, das seine Adelszugehörigkeit rechtlich sicherte, begründete die Verleihung des Ritterstandes ausschließlich mit Hinweis auf seine lange und treue Tätigkeit innerhalb der Staatsverwaltung.197 Andere Qualifikationen waren für die Ritterstandsverleihung in keinem Moment des Verfahrens von irgendeiner Bedeutung. Diese Nobilitierung kann in gewisser Hinsicht als untypisch bezeichnet werden. Zwar setzten sich hier keine anderen Handlungsmuster durch als der lange Verwaltungsdienst, was dem staatlich forcierten Bild des Adels entsprach; andere Argumente wurden aber zumindest vom Kandidaten selbst angeboten. Das war in der gewaltigen Mehrheit der Adelsverleihungen an Staatsbeamte nicht der Fall. Es lässt sich feststellen, dass während des ganzen Zeitraums Konsens zwischen Adelsbewerbern aus den Reihen der Staatsbürokratie und dem Staat herrschte, was in ihrem Fall den Kern der Zugehörigkeit zum Adel ausmachen sollte. 193 Nobilitierungsantrag von Anastas Herbig vom 19. November 1804, ebd., fol. 7–9. 194 Bericht des Böhmischen Guberniums an die Vereinte Hofkanzlei, ebd., fol. 32–33. 195 Ebd. 196 Die Vereinte Hofkanzlei an Franz I. am 18. April 1805, ebd., fol. 31, 34. 197 Adelsdiplom für Anastas Herbig vom 3. Februar 1808, ebd., fol. 2–4, 37.

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Der Beamtendienst in Österreich bot, ähnlich wie der Militärdienst, kaum Möglichkeiten, ein bedeutenderes ökonomisches Kapital zu akkumulieren. Zwischen den Anforderungen, die an Beamte gestellt wurden, und ihrer Besoldung klaffte ein deutlicher Abstand.198 Die Nobilitierung war so oft die einzige sichtbare Belohnung, die der Staat seinen Beamten für ihre häufig lebenslang geleisteten Dienste geben konnte. Bei einer treuen, langen und zuverlässigen Dienstzeit war es daher nicht notwendig, andere Qualifikationen vorzu­weisen, und Beamte wurden nur aufgrund ihrer beruflichen Karriere nobilitiert.199 Im Unterschied zu Schlesien akzeptierte der Staat die bescheidenen materiellen Verhältnisse der Staatsbeamten und weigerte sich nicht, sie mit Blick auf ihren schlechteren ökonomischen Status zu nobilitieren. Im Jahre 1811 wurde so der Prager Appellationsrat Franz Kaspar Brozowsky in den österreichischen Adelsstand erhoben. Seinen Nobilitierungsantrag hatte er 1810 nach über fünfundzwanzigjährigem Beamtendienst gestellt und dabei seine Adelsqualifikationen ebenso schlicht wie eindeutig geschildert: »Habe ich von meiner ersten Jugend an mit unausgesetztem Fleiß mich bemüht, mich zu einem nützlichen Mitgliede des Staats zu bilden, so dass ich, nach allen zurück­ gelegten Vorkentnissen, bis zum Jahre 1785 auch alle Teile der Rechts und Politischen Wissenschaften mit gutem Fortgange absolviert habe. […] Nach vollendeten Studien habe ich mit Bewilligung des k. k. böhmischen Guberniums bei dem Rakonitzer Kreisamte praktiziert und mich zugleich zur appellatorischen Prüfung vorbereitet. Im Juni 1787 unterzog ich mich dieser Prüfung, dabei mit der Klausel vorzüglich bestand und sonach […] zur Verwaltung als Richteramt in Zivil- und Kriminal­ sachen zugelassen wurde. […] Dann habe ich bei dem Magistrate zu Krumau eine Ratstelle übernommen, […] [war ein, d. Verf.] Magistratrat in Egger, im 1796 Landrat in Lublin in Westgalizien, im 1805 Landrat in Böhmen und im 1807 ein Böhmischer Appellationsrat.«200

Eine lange Beamtenkarriere war das einzige Argument, das Brozowsky den Adelstitel bringen sollte und letztlich auch brachte. Das böhmische Gubernium beschränkte sich in seiner Überprüfung darauf, seinen Karriereverlauf nachzuvollziehen, und befürwortete das Ersuchen daraufhin eindeutig.201 Auch die Vereinte Wiener Hofkanzlei sah die lange und erfolgreiche Beamtenkarriere des Bittstellers als genügende Adelsqualifikation an. Ihre dem Kaiser vorgelegte Empfehlung, warum Brozowsky in den österreichischen Adelsstand erhoben werden sollte, fußte nur auf seiner Beamtenkarriere: »Der Bittsteller in der Vorbereitung zum Staatsdienste in der Eigenschaft als Advokat, Justiziär, Magistratrat, lubliner und böhmischer Landrat, dann als böhmischer 198 Vošahlíková; Heindl, S. 263–273; Megner, Beamte, S. 89–105. 199 Megner, Zisleithanische Adels- und Ritterstandserwerber, S. 52 f. 200 Nobilitierungsantrag von Franz Kaspar Brozowsky, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, F. K. Brozowsky von Brawoslav, fol. 3–4. 201 Böhmisches Gubernium an die Vereinte Hofkanzlei, ebd., fol. 4–5.

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­ ppelationsrat dem Staate große Dienste geleistet hat und seit dem Jahre 1807 in der A letzten Eigenschaft noch leistet.«202

Die Betonung der Karriereschritte und der Länge der Dienstzeit fand letztendlich auch beim Kaiser Anerkennung, und Brozowsky wurde schnell und problemlos nobilitiert.203 Seine Adelsqualifikationen beschränkten sich laut Diplom darauf, dass er innerhalb des hierarchischen Beamtenapparats lang und zuverlässig Befehle vollstreckt hatte, sodass er sich relativ erfolgreich nach oben gearbeitet hatte. Andere Qualifikationen zur Unterstützung seines Adelsanspruches wurden vom Staat nicht verlangt und vom Adelskandidaten auch nicht vor­gebracht. Diese Praxis bei Nobilitierungen von Staatsbeamten änderte sich weder mit der Zeit noch mit der Höhe des angestrebten Adelsranges. Auch in die höheren Stufen des österreichischen Adels – in den Ritter- und Freiherrenstand – stiegen sie in der Regel nur aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen und Karriereverläufe auf. In einigen Fällen war es für die Kandidaten sogar überhaupt nicht notwendig, ausführlich Qualifikationen vorzubringen. Wenn es sich um einen verdienten Beamten handelte, konnten die staatlichen Stellen selbst diese Aufgabe übernehmen. Das genau war bei dem böhmischen Provinzialzahlmeister Christoph Himberger der Fall, der 1822 in den Ritterstand erhoben wurde. Himberger hatte seine Nobilitierung bereits 1816 beantragt und sich dabei im Wesentlichen auf einen Adelstitel gestützt, der seiner Familie angeblich schon von Maria Theresia verliehen worden war. Im Laufe des 18. Jahrhunderts habe seine Familie aufgehört, von diesem Titel Gebrauch zu machen, und Himberger beantragte so de jure nur eine Erneuerung seines »ausgebrannten« Adels.204 Die zuständigen staatlichen Stellen kamen aber bei der Überprüfung seines Antrags zu dem Schluss, dass dieser angeblich ererbte Adelstitel nicht über­ zeugend nachzuweisen sei. Daher sei es nicht möglich, dem Antrag stattzugeben.205 Sobald aber festgestellt war, dass es sich bei Himberger um einen langjährigen Staatsbeamten handelte, ergriffen die Bürokraten selbst die Initiative, um mögliche Gründe für seine Nobilitierung zu finden.206 Die Vereinte Hofkanzlei stellte Länge und Ablauf von Himbergers Beamtendienst fest und bewertete sie als für eine Nobilitierung völlig ausreichend. Ohne dass der Kandidat seine Beamtentätigkeit als Adelsqualifikation angeführt hätte, wurde er dann von der Hofkanzlei dem Kaiser für die Verleihung eines ganz neuen Adelstitels empfohlen, und zwar »zum Lohne seiner 202 Vortrag der Vereinten Hofkanzlei für den Kaiser, ebd., fol. 6. 203 Ebd., fol. 7. 204 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Christoph Himberger, fol. 23. 205 Ebd., fol. 12–15. 206 Vortrag der Vereinten Hofkanzlei zur Nobilitierung von Christoph Himberger vom 13. Juli 1822, ebd., fol. 23–26.

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36 jährigen Dienste des Aerariums.«207 Diese Empfehlung beruhte tatsächlich nur auf der langen Zeit des Kandidaten im Staatsdienst, weitere Qualifikationen waren nicht vorhanden. Die Überprüfung seiner Beamtenkarriere brachte an den Tag, dass Himberger ein gänzlich mittelloser und in keiner Hinsicht ein Mann war, der sich durch außerordentliche Leistungen auszeichnete.208 Aufgrund seiner Mittellosigkeit wurden Himberger auch die vorgeschriebenen Nobilitierungsgebühren erlassen, und er wurde im Sommer 1822 kostenlos in den Adelsstand erhoben. Zwar erwies sich die von ihm zuerst vor­ gebrachte Adelsqualifikation – seine angeblich schon bestehende Zugehörigkeit zum Adel – als nicht überzeugend genug, doch wurde der Staat hier angesichts seiner langjährigen Beamtentätigkeit von alleine initiativ, um andere Gründe für seine Nobilitierung zu finden. Diese wurden dann tatsächlich gefunden und in der offiziellen, veröffentlichten Begründung der Nobilitierung stichhaltig zusammengefasst: »Seine Majestät geruhte dem Kammeral- und Provinzialzahlmeister in Prag Christoph von Himberger aus Rücksicht seiner über 40 Jahren treue und redlich ge­ leisteten Dienste und somit seiner ehelichen Nachkommenschaft den Ritterstand des österreichischen Kaiserstaates mit Nachsicht der Taxen gnädigst zu verleihen.«209

Bei mittellosen Staatsbeamten war die Nobilitierung häufig nicht nur die bedeutendste Anerkennung ihrer Tätigkeit, sondern auch die einzige Chance für einen sozialen Aufstieg ihrer Kinder. Wie schon gezeigt, wurde besonders der Frage einer möglichen Ausbildung und Erziehung in einer der prestigeträchtigen adligen Erziehungsanstalten große Bedeutung zugemessen, sowohl von Beamten- als auch von staatlicher Seite. So reichte im April 1822 der Prager Appellationsrat Johann Alois Rössler beim böhmischen Gubernium einen Nobilitierungsantrag ein. Wie alle adelswilligen Staatsbeamten hoffte er, den Adelstitel dank seiner langen Dienstzeit erreichen zu können. Er begründete seinen Adelsanspruch mit seiner mehr als dreißig Jahre langen Karriere im Staatsdienst, in dem er sich zum Appellationsrat hochgearbeitet hatte. Diesen relativ hohen Posten hatte er zuerst in Galizien, dann in Prag bekleidet.210 Auf diese letzte Beförderung bezog sich das zweite Argument seines Nobilitierungsanspruches: »Dass er aus Galizien, wo er früher Appelationsrat gewesen war, nichts als seinen guten Ruf mitbrachte, und seine Übersetzung nach Böhmen bloß darum ersuchte, um seine vier Söhne daselbst durch Erlangung adliger Stiftungen, wozu ihnen jedoch das postulierte Requisit des Adels mangelt, eine bessere Erziehung geben zu können.«211 207 Ebd., fol. 24. 208 Böhmisches Gubernium an die Vereinte Hofkanzlei am 30. Juni 1822, ebd., fol. 4. 209 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Christoph Himberger, fol. 30–32. 210 Nobilitierungantrag von Johann Alois Rössler vom 18.  April 1822, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann Alois Rössler, fol. 20–21. 211 Ebd.

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Das zweite Argument lautete also: Der Kandidat sei ein treuer Staatsdiener, aber arm, und die Nobilitierung stelle für ihn die einzige Möglichkeit dar, seinen Nachkommen eine bessere Ausbildung zukommen zu lassen und ihre Chancen auf einen gesellschaftlichen Aufstieg zu erhöhen. Der österreichische Staat positionierte sich also in Böhmen hinsichtlich des Vermögens von Adelskandidaten auch bei Beamten ganz anders als der preußische in Schlesien. Das böhmische Gubernium beschränkte sich in seiner Überprüfung von Rösslers Antrag hauptsächlich auf das Argument der Mittel­ losigkeit und stellte fest, dass Rössler tatsächlich über kein größeres Vermögen verfügte und seine Familie ganz bescheiden lebte. Diese Feststellung bildete auch den Mittelpunkt der Nobilitierungsempfehlung, mit der das Gubernium den Fall an die Vereinte Hofkanzlei weiterreichte.212 Die Hofkanzlei benutzte jedoch das guberniale Gutachten nur in begrenztem Maße. Obwohl Mittellosigkeit den Weg in den Adel keineswegs grundsätzlich versperren musste, reichte sie als Hauptargument, um Aufstiegsoptionen zu schaffen, nicht aus. Die zuständigen Wiener Beamten ergänzten daher die Überprüfung des Falles, indem sie auf den ursprünglichen Antrag des Bitt­ stellers zurückkamen und sich auf die von Rössler betonte Karriere im Staatsdienst konzentrierten. Erst nachdem sich die Hofkanzlei vergewissert hatte, dass der Kandidat wirklich die Karriere hinter sich hatte, die er in seinem Antrag als Nobilitierungsgrund geltend gemacht hatte, konnte die definitive Befürwortung der Nobilitierung dem Kaiser vorgelegt werden: »Der über dieses Gesuch einvernommene oberste Gerichtshof äußert, dass der Bittsteller sich durch seine beinahe 30 jährige Dienstleistung in Justizsachen sehr wohl verdient gemacht hat und sowohl nach den von ihm beigebrachten Zeugnissen, als auch nach eigener Überzeugung der Obersten Justizstelle ein ausgezeichnet geschickter, eifriger, fleißiger und sehr rechtschaffener Justizrat ist, somit sich in jeder Hinsicht der Gnade Eurer Majestät vollkommen würdig gemacht hat.«213

Johann Alois Rössler wurde, wie von ihm beantragt, in den Adelsstand erhoben, und zwar letztlich aufgrund beider Qualifikationen, die er in seinem Gesuch angeführt hatte. Den Ausschlag gab zwar das Argument von Rösslers langer Tätigkeit als Beamter, seine Mittellosigkeit wurde aber während des ganzen Verfahrens ebenfalls als Argument zu seinen Gunsten gewertet. Rösslers Wunsch, mit dem zukünftigen Adelstitel seinen Kindern den Weg hin zu einer weiteren vertikalen sozialen Mobilität zu ebnen, wurde vom Staat als legitim und für die Nobilitierung als relevant betrachtet.214 Für böhmische Beamte stellte ein nicht vorhandenes Vermögen im Unterschied zu Schlesien kein Nobilitierungshindernis dar, in einzelnen Fällen 212 Böhmisches Gubernium an die Vereinte Hofkanzlei am 7. Juni 1826, ebd., fol. 13–14. 213 Vortrag der Vereinten Hofkanzlei zur Nobilitierung von Johann Alois Rössler vom 30. Januar 1823, ebd., fol. 23–24. 214 Ebd.

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konnte es sogar, wenn auch nie als Hauptargument, zur Unterstützung eines Adelsanspruches herangezogen werden. Während in Schlesien Beamte ab den Vierzigerjahren dazu gezwungen waren, sich für den Adel nicht mehr mit ihrer Diensttätigkeit, sondern mit ihrem Vermögen, hauptsächlich mit Grundbesitz, zu qualifizieren, gab es diese Entwicklung in Böhmen nicht, und böhmische Beamte leiteten ihren Anspruch auf Zugehörigkeit zum Adel die ganze Zeit über hauptsächlich aus ihren Berufskarrieren ab. Die Nobilitierungen folgten in Böhmen so fast immer einem standardisierten Muster, indem Beamte dem Staat ihre lebenslange berufliche Tätigkeit und den entsprechenden Karriereverlauf schilderten, was dann zum Kern des Nobilitierungsverfahrens wurde. Der Staat nahm eine solche Argumentation wohlwollend auf und konzentrierte sich bei der Einschätzung des Nobilitierungsanspruches auf die Qualifikationen, die aus dem Dienst des jeweiligen Beamten abgeleitet waren. Wurden dann Länge und Zuverlässigkeit der Beamtenlaufbahn als überzeugend bewertet, wurden die Kandidaten schnell und auf Antrag auch kostenlos nobilitiert. Aufgrund des immer gleichen Schemas erübrigt es sich, weitere Fälle an­ zuführen und detailliert darzulegen.215 Dass sich die wichtigste Qualifikation böhmischer Beamter für den Adel im Unterschied zu Schlesien auch auf lange Sicht nicht veränderte, sollen zwei letzte Beispiele aus der Zeit nach 1848 i­llustrieren. Mehr als dreißig Jahre nach Rössler trachtete Peter Žiwna, ein Hofrat der Prager Statthalterei, nach dem österreichischen Ritterstand und verfolgte dabei genau das gleiche Muster wie seine Kollegen eine Generation zuvor. Žiwna gehörte zu denjenigen Bürokraten, die ihre Karriere schon im Vormärz begonnen hatten und nach der Revolution 1848/49 zum Rückgrat der neuen österreichischen Beamtenschaft wurden.216 Seine Karriere erreichte kurz nach der Revolution ihren Höhepunkt, als man ihn 1849 zum Ersten Statthaltereirat beförderte, womit er im Grunde der Stellvertreter des böhmischen Statthalters wurde.217 Schon in den Dreißiger- und Vierzigerjahren hatte er auf der Karriereleiter einige Sprossen nach oben erklommen.218 Zur Zeit der ersten Wirtschafts215 Von den vielen auf diese Weise vollzogenen Nobilitierungen vgl. nur beispielhaft die des böhmischen Landrats Joseph Goldammer (1807): ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Joseph Goldammer, fol. 2–7, 25–29; des Prager Gubernialrats Johann Wenzel Böhm (1810): ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann Wenzel Böhm, fol. 2–6; des böhmischen Gubernialrats Franz Merkl (1811): ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Franz Dyonis Merkl, fol. 7–8; des böhmischen Landrats Wenzel Schönherr (1819): ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Wenzel Schönerr, fol. 2–7, 18–25; des Prager Landrats Maxmilian Ledwinka (1837): ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Maxmilian Ledwinka von Adlersfeld, fol. 33–38; oder die des Hofrats Johann Krticzka (1839): ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann Krticzka von Laden, fol. 3–6, 13, 15–18. 216 Rumpler, S. 330 f. 217 Hellbling, S. 195–208. 218 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Peter Žiwna, fol. 1–21.

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und Sozialkrisen der Vierzigerjahre, die mit dem Aufstieg des österreichischen Kapitalismus verbunden waren, erwarb er sich allmählich den Ruf eines der besten Kenner der sozialen Frage innerhalb des böhmischen Beamtenapparats.219 In dieser Zeit wurde er zum Mitglied aller staatlichen Kommissionen, die sich mit den zunehmenden sozialen Unruhen in Böhmen befassten, und übte einigen Einfluss aus. Darauf legte er in seinem Nobilitierungsantrag entsprechenden Nachdruck: »Als Gubernialrat wurde der Gefertigte im Jahre 1843 zum Mitglied der aus Anlass des Notstandes im Erzgebirge aufgestellten Gubernialcommision ernannt, zur Untersuchung des Notstandes im Erzgebirge sodann auch ins Riesengebirge abgesandt. […] Im Jahre 1844 wurde ihm aus Anlass der in der Kattundruckfabrik entstandenen Unruhen die Erhebung des Zustandes dieser Fabriken und der Verhältnisse der Arbeiter zugewiesen, für die zweckmäßige Besorgung dieses schwierigen Geschäftes und die über diesen Gegenstand gelieferten sehr anstrengenden Arbeiten die volle Zufriedenheit der Kais. Hoheit des Herrn Landchefs ihm bekannt gegeben. Im Jahre 1845 hat er zugleich als vom Landespräsidium ernanntes Direktionsmitglied bei der Kommission aus Anlass des Notstandes im Riesengebirge tätig mitgewirkt.«220

Die sich zuspitzende soziale Frage in Böhmen machte auch nach der Revolution den Kern von Žiwnas Arbeit aus, mit seinem kontinuierlichen Aufstieg in der Beamtenhierarchie erweiterte sich aber sein Tätigkeitsfeld wesentlich. So wurde er zum Beispiel 1849 Präsidialstellvertreter der böhmischen Kommission für die Zwecke der während der Revolution beschlossenen Grundent­lastung und gehörte zu den aktiven Vollstreckern der Verwaltungsreformen der Fünfzigerjahre.221 Auch Žiwnas nachrevolutionäre Tätigkeiten fanden natürlich ihren Platz in seinem Adelsgesuch. Žiwna stellte sich gegenüber dem Staat als langjähriger, zuverlässiger und treuer Bürokrat dar, der sich während seiner Karriere mehrere Anerkennungen erworben, doch die Grenze seines Berufes nie überschritten hatte. Irgendwelche sonstigen Tätigkeiten sowie seine Vermögenslage wurden nicht thematisiert. Bei den zuständigen staatlichen Stellen konnte solch ein Antrag kaum ein Anlass zu Zweifeln sein. Žiwna wurde eindeutig als für den Ritterstand qualifiziert eingeschätzt und dem Kaiser empfohlen. Nach der kaiserlichen Zustimmung wurde das entsprechende Adelsdiplom erstellt, das Žiwnas Aufnahme in den Adel begründete, indem es einfach die Stationen seiner Beamten­karriere aufzählte.222 Die ganze Nobilitierung verlief reibungslos, in keinem Moment 219 Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs, S.  229–231; Novotný, Severočeští tiskaři, S. ­120–150; Häusler, S. 24–135; Marx, S. 94–142. 220 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Peter Žiwna, fol. 22–23. 221 Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. 150–167. Grundlegend für den gesamtösterreichischen Kontext Wandruszka u. Urbanitsch. 222 Ritterstandsdiplom für Peter Živna vom 24. Januar 1857, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Peter Žiwna, fol. 7–11.

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wurde der Adelsanspruch des Kandidaten in Zweifel gezogen. Eine zu­verlässige Beamtentätigkeit war in den Fünfzigerjahren, ähnlich wie im Vormärz, die beste Adelsqualifikation. Dieses Muster änderte sich im Zuge des Konstitutionalismus, der in den Sechzigerjahren allmählich eingeführt wurde, nur wenig. Ähnlich wie in Schlesien wurden die staatlichen Nobilitierungsvorgaben auch bei veränderten amtlichen Zuständigkeiten angewandt. Weder die Errichtung des Heroldsamtes in Preußen Mitte der Fünfzigerjahre noch die Überweisung der Nobilitierungsangelegenheiten an ein spezialisiertes Adelsdepartement des Innenministeriums im Österreich der Sechzigerjahre bewirkten eine qualitative Änderung der staatlicherseits bevorzugten Adelsqualifikationen. Auch dass sich in Österreich während der Sechzigerjahre langsam der Par­ lamentarismus durchsetzte, beeinträchtigte also die staatliche Nobilitierungspolitik nur wenig. Doch gab es ein neues Phänomen, mit dem sich der Staat jetzt bei Nobilitierungen von Beamten auseinandersetzen musste, und zwar die mögliche Überschneidung einer professionellen Tätigkeit mit einer politischen Karriere. Politischen Loyalität war bei Beamten eine Selbstverständlichkeit und wurde von daher selten eigens thematisiert. Ein Aufstieg innerhalb des österreichischen Beamtenapparats war ohne eine loyale politische Einstellung kaum möglich, daher ersparte es sich der Staat, die politische Einstellung der Adelskandidaten aus den Reihen der Beamtenschaft zu überprüfen.223 Der im Jahr 1861 eingeführte Parlamentarismus öffnete aber für Beamte die Möglichkeit, neben ihrer Verwaltungstätigkeit noch eine politische Laufbahn anzutreten. Ihre politische Loyalität und langjährige Verwaltungspraxis machten aus vielen erfahrenen Beamten geeignete Kandidaten für die neu geschaffenen Landtage oder für den Wiener Reichstag, dessen Abgeordnete von den Landtagen delegiert wurden.224 Manche kandidierten, und einige wurden auch gewählt.225 Ihre Nobilitierungsanträge stellten dann den Staat vor das Dilemma, wie ihr politisches Engagement im Hinblick auf den Adelsanspruch zu bewerten war, mit anderen Worten, inwieweit ein ganz neues Handlungsmuster des politischen und parlamentarischen Engagements als Grund für den Aufstieg in den Adel dienen konnte. Wie sich der Staat dazu positionierte, zeigt das Beispiel des Prager Landespräsidenten Ernst Waidele. Waidele erhob in beiden Perioden seinen Adelsanspruch, sowohl während des Neoabsolutismus der Fünfziger- als auch während des sich formierenden Konstitutionalismus der Sechzigerjahre. Da er zu den Staatsbeamten gehörte, die sich Anfang der Sechzigerjahre in der Sphäre der unmittelbaren Politik engagierten, eignen sich seine beiden erfolgreichen 223 Vošahlíková; Heindl, S. 67–76; Megner, Beamte, S. 209–213. 224 Vgl. Křen, Dvě století, S. 208–216; Urban, František Josef I., S. 110–115. 225 Im 1861 gewählten österreichischen Parlament machten die Beamten mehr als 20 Prozent aus. Siehe Adlgasser, S. 79.

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Nobilitierungsanträge, um den Einfluss der gesellschaftlichen Veränderungen auf die staatliche Nobilitierungspraxis auszuloten. Während Waidele nämlich bei seiner ersten Nobilitierung 1855 seinen Adelsanspruch lediglich aus seinem langen Beamtendienst ableitete, versuchte er zwölf Jahre später, im Jahr 1867, seinen Anspruch auf den höheren Ritterstand mit seiner politischen Tätigkeit zu begründen. Seine berufliche Karriere hatte er gleich nach seinen juristischen Studien begonnen. Durch seine Ausbildung war er ins Justizwesen gekommen, wo er in den dreißig Jahren zwischen seinem Eintritt und seinem ersten Nobilitierungsantrag erfolgreich Karriere machte. War er 1829 als bloßer Justizpraktikant in den Staatsdienst eingetreten, hatte er fünfundzwanzig Jahre später schon die prestigeträchtige Position des böhmischen Landesgerichtspräsidenten inne. Seine Karriere ging steil nach oben und erstreckte sich über mehr als zehn verschiedene Posten.226 Diese eindrucksvolle Laufbahn machte Waidele zum einzigen Argument für seine erste, im Jahr 1855 beantragte Nobilitierung. Er betonte sowohl die Länge seines Dienstes als auch seine herausragenden beruflichen Fähigkeiten, die mit seinem stetigen Aufstieg anerkannt worden waren.227 Wie üblich fand ein so ausformulierter Adelsanspruch beim Staat volle Akzeptanz, und Waidele wurde schnell nobilitiert. Die offizielle Begründung ließ dabei keine Zweifel, welche seiner Qualifikationen für die Nobilitierung den Ausschlag gab: »Im Jahre 1829 trat er in den Staatsdienst, wurde 1836 zum Gericht in Lemberg bestellt, im Mai 1843 zum Landrat des Lemberger Landrechtes und im 1849 zum Galizischen Appelationsrat befördert. Im Jahre 1848 wurde Ernst Waidele zum Appelationsgericht in Niederösterreich bestimmt und im Jahre 1850 zum Stellvertreter des Generalprocurators in Österreich. Am 26 Januar 1852 wurde er zum Oberlandes­ gerichtsrat in Wien, im März 1854 zum Landesgerichtspräsidenten zu Prag ernannt, welches Amt er noch derzeit bekleidet. Während dieser mehr als 25 jährigen Staatsdienste hat der Landespräsident Waidele sich stets durch besonderen Eifer und Geschicklichkeit des Amts ausgezeichnet«.228

Es galt hier wieder der Konsens zwischen dem Staat und den Adelskandidaten aus der Beamtenschaft darüber, was deren passende Adelsqualifikationen ausmachen sollte. Der lange und zuverlässige, durch den Rangablauf anerkannte Staatsdienst wurde sowohl in den Zwanziger- als auch in den Fünfzigerjahren des 19.  Jahrhunderts von beiden Seiten als die einzige Adelsqualifikation aufgefasst. Inwieweit dieser Konsens von der Konstitutionalisierung der Sechzigerjahre gestört wurde, zeigt Waideles zweite, 1867 erfolgte Standeserhöhung, diesmal in den österreichischen Ritterstand. In den zwischen den beiden Nobilitierun226 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Ernst Waidele von Willingen, fol. 1–29. 227 Ebd., fol. 30–31. 228 Adelsstanddiplom für Ernst Waidele vom 19. Oktober 1855, ebd., fol. 20–23.

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gen liegenden zwölf Jahren hatte sich nämlich Waideles Lage geändert. Er setzte zwar seine Beamtenkarriere fort, kandidierte daneben aber bei den 1861 abgehaltenen Wahlen zum böhmischen Landtag und wurde gewählt.229 Später gehörte er zu denjenigen Landtagsabgeordneten, die vom Landtag auch zum neu geschaffenen Wiener Reichsrat delegiert wurden. In seinem 1867 eingereichten Nobilitierungsgesuch konzentrierte sich Waidele wieder auf seinen Beamtendienst. Neben der Wiederholung der schon bei der ersten Nobilitierung benutzen Argumente, betonte er seine Verdienste, die er in den letzten Jahren auf dem Posten des Prager Landesgerichtspräsidenten gesammelt hatte, und ging ausführlich auf seine Verdienste bei der Beschleunigung der Gerichtsverfahren und auf verschiedene Beweise seiner juristischen Fachkompetenz ein.230 Seine politische Tätigkeit fand zwar Erwähnung, jedoch nur als rein formale und kurze Bemerkung, die den Lebenslauf des Kandidaten über die letzten zwölf Jahre abrundete: »So wie in den erwähnten Verhältnissen und Stellungen war er von wahrhaft loyalen Gesinnungen als Abgeordneter im Landtage und im Reichsrate von 1861 bis 1865 werktätig.«231

Die aus dem Beamtendienst abgeleiteten Adelsqualifikationen spielten für Waidele immer noch die wichtigste Rolle, seine Abgeordnetenkarriere wurde da­ gegen nur als eine Art Zugabe zu der auf seiner Fachkompetenz beruhenden Argumentation betrachtet. Genau die gleiche Ansicht teilte auch der Staat. Bei der Überprüfung des Antrags konzentrierten sich die zuständigen Stellen wieder nur auf den Beamtendienst des Kandidaten und ließen seine Abgeordnetenkarriere fast völlig außer Acht. So wurde festgestellt, dass es während Waideles Vorsitz am Prager Landesgericht zur deutlichen Verbesserung der Arbeit dieser Justizstelle gekommen war. Verfahren wurden nicht verschleppt, sondern zügig durchgeführt, und Waidele selbst habe aktiv an allen staat­ lichen Initiativen zur Reform des gesamtösterreichischen Justizwesens teil­ genommen.232 Diese Feststellungen bildeten den Kern der Empfehlung, mit der der Fall dem Kaiser vorgelegt wurde, und letztendlich auch die offizielle Begründung, mit der der Staat die Ritterstandserhebung Waideles legitimierte: »Seit der letzten Nobilitierung hat er seine verdienstvollen Tätigkeiten fortgesetzt und bei der Leitung des Landesgerichts in Prag durch ebenso geschäftsgewandte wie umsichtige und energische Amtsführung zur Beschleunigung und Förderung des Justizdienstes beigetragen.«233 229 Vgl. Rumpler, S. 376–379; Fellner. 230 Antrag auf Erhebung von Ernst Waidele in den Ritterstand vom 8. März 1867, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Ernst Waidele von Willingen, fol. 11–12. 231 Ebd. 232 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Ernst Waidele von Willingen, fol. 8–10. 233 Ritterstandsdiplom für Ernst Waidele, ebd., fol. 3–7.

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Die seit der ersten Nobilitierung neue Tätigkeit Waideles im böhmischen Landtag und im österreichischen Reichsrat wurde seitens des Staates ebenso als nebensächlich betrachtet wie vom Bittsteller selbst. Der Staat hielt es gar nicht für nötig, irgendwelche Details des parlamentarischen Engagements des Kandidaten festzustellen und in die Argumentation einzubeziehen. Die mit dem Beamtendienst zusammenhängenden Handlungsmuster bildeten weiterhin die wichtigste Adelsqualifikation, ohne Rücksicht auf die weiteren Tätigkeiten der Adelskandidaten zu nehmen. Abschließend kann zusammengefasst werden, dass die Adelsqualifikationen, die der Staat von seinen Beamten verlangte und die somit in das gesellschaftliche Elitenbild projiziert wurden, bis in die Vierzigerjahre sowohl in Böhmen als auch in Schlesien weitgehend konvergierten. In beiden Fällen wurde großer Nachdruck auf fachliche Kompetenz und Erfahrung gelegt, die bei höheren Beamten in der Regel bereits zum Aufstieg in den Adel genügten. Weitere Qualifikationen wurden vom Staat nicht verlangt und von den Bittstellern nur selten vorgelegt. In beiden Fällen drückte sich der schon im ausgehenden 18.  Jahr­ hundert einsetzende Anstieg des Beamtenprestiges aus.234 Während aber dieser Weg in Böhmen über die ganze Zeit hinweg beibehalten wurde, zeichnete sich in Schlesien ab den Vierzigerjahren eine andere Entwicklung ab. Die vom britischen Vorbild inspirierten Adelsreformvorschläge der Vierzigerjahre zeigten sich auch bei den Nobilitierungen von Beamten und beeinflussten eine weitgehende Veränderung der Adelsqualifikationen, denen sich auch die Beamten unterwerfen mussten. In den Vordergrund wurde die Qualifikation des Vermögens, speziell des Grundbesitzes gerückt, sodass schlesische Beamte immer mehr dazu übergingen, sich den Verhaltensmustern und Qualifikationen der Grundbesitzer anzupassen und zur Erlangung des Adels ihr Beamtenethos in den Hintergrund zu stellen. Bei Beamten galt prinzipiell das Gleiche wie bei Grundbesitzern: Obgleich die Reformvorschläge im Wesentlichen nur in den Jahren 1840 bis 1847 diskutiert wurden, sind ihre Auswirkungen für die ganze Zeit bis zur Reichsgründung zu spüren. Der Adel wurde in Schlesien auch im Fall der Beamten stärker an das Vermögen ge­bunden und so das Bild einer gesellschaftlichen Elite gestärkt, die auf traditionellen, nicht erlernbaren Tugenden beruhte und anderen Verhaltensmustern als der Akkumulation des Vermögens und der sich daraus ergebenden äußerlichen Repräsentation grundsätzlich verschlossen blieb. In Böhmen lässt sich eine solche Entwicklung nicht erkennen. Das auf Dienstlänge, Zuverlässigkeit und – durch Ausbildung und Praxis erworbene – Fachkompetenz beruhende Beamtenethos gewährleistete den Aufstieg in den Adel die ganze Zeit über und blieb von anderen Faktoren unangetastet. Weder die Revolution 1848/49 noch die politische Entwicklung der Sechzigerjahre oder die entstehenden Nationalbewegungen hatten auf die Beamtennobilitierungen einen Einfluss. 234 Vošahlíková; Heindl, S. 39–47. Für einen anderen geographischen Kontext vgl. Wunder.

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Das überrascht nicht sonderlich. Die österreichische Beamtenschaft, insbesondere deren höhere Ränge, gehörte neben der Armee zu den wichtigsten Stützen des Staates. Sie blieb bis in die Sechzigerjahre relativ intakt und wurde weder von den revolutionären Ereignissen noch von den Nationalbewegungen angetastet. Die unveränderte Anwendung der Adelsqualifikationen konnte sich hier auf einen beiderseitigen Konsens stützen. Der Staat drängte die Beamten nicht dazu, die Legitimationen ihrer Adelszugehörigkeit zu verändern, und auch die Beamten selbst hatten keinen Bedarf, dies zu tun. Die böhmischen Beamtennobilitierungen schrieben ab den Vierzigerjahren ganz andere Komponenten in das Bild vom Adel ein als die schlesischen. Böhmen ging in dieser Hinsicht den bis in die Vierzigerjahre mit Schlesien geteilten Weg weiter. Das Adelspanorama wurde durch die Beamtennobilitierungen ständig – und wie wir im dritten Kapitel sahen, auch in ziemlich starkem Maße – um die Handlungsmuster des treuen, langen und zuverlässigen bürokratischen Dienstes erweitert.235 Feder und Tintenfass wurde im böhmischen Adelstugendkatalog eine viel stärkere Position zugesprochen als in Schlesien. 4.2.3 Fortschritt und Fürsorge: Die Grundbesitzer Während bei der Nobilitierung böhmischer und schlesischer Offiziere und Beamter etliche Ähnlichkeiten zu beobachten sind, ist dies bei den Grundbesitzern nicht der Fall. Wie schon angedeutet, unterschied sich die Stellung der Grundbesitzer in Böhmen und ganz Österreich innerhalb des neuen Adels deutlich von der preußischen Situation. Sie wurden nicht als eine eigenständige Gruppe betrachtet, daher tauchen sie in den offiziellen Quellen kaum als Grundbesitzer auf. Obgleich in Böhmen viel weniger nobilitierte Grundbesitzer zu finden sind, heißt dies nicht, dass sie im Ganzen fehlen würden. Die Qualifikationen, durch die sie sich als für den Adel geeignet hielten, sowie deren Aufnahme seitens des Staates waren im Vergleich zu Schlesien jedoch sehr unterschiedlich. Weder die nobilitierten böhmischen Gutsbesitzer noch andere Gruppen bauten ihre Argumente auf der schlichten Betonung von Reichtum auf, was aber nicht heißt, dass ihre Ansichten über die Kriterien der Adelszugehörigkeit nichts mit ihrem Vermögen zu tun gehabt hätten. Der markante Unterschied bestand in dessen Verwendung. Während in Schlesien immer wieder nur das Vermögen betont wurde, ohne Rücksicht darauf, wozu es eigentlich benutzt wurde, achtete der Staat in Böhmen darauf, dass in das Adelsbild vielfältige aus Vermögen abgeleitete Handlungsmuster ihren Weg finden konnten, und ließ sich nicht auf eine Argumentation ein, die nur aus dem Grundbesitz des Kandidaten bestanden hätte. Ein illustratives Beispiel dafür liefert die in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts erfolgte Adelsverleihung an den in Prag lebenden Gutsbesitzer und 235 Vgl. Vyskočil.

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Fabrikanten Johann David Stark. Es handelte sich dabei um einen Grund- und Bergwerksbesitzer, der durch sein Unternehmen im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts ein beträchtliches Vermögen erworben hatte. Seine industrielle Tätigkeit war in Böhmen aufgrund vielfältiger technischer Innovationen berühmt und von verschiedener Seite anerkannt.236 Seit den Zwanzigerjahren versuchte Stark mehrmals, den Adelstitel zu erlangen. Seinen ersten Nobilitierungsantrag reichte er schon im Jahr 1825 ein, jedoch ohne Erfolg.237 Nach der Ablehnung seines Adelsanspruchs widmete er sich weiter der Bewirtschaftung seiner Güter und seiner erfolgreichen Unternehmertätigkeit, und 1833 erneuerte er seinen Nobilitierungsantrag, abermals ohne Erfolg.238 Leider wissen wir nicht ganz genau, warum seine ersten beiden Anträge abgelehnt wurden, mehr Informationen liefert erst das Verfahren im Gefolge seines dritten Nobilitierungsantrags, den er im Februar 1835 stellte. Stark nutzte eine breite Argumentationspalette. Das erste und aus seiner Sicht wichtigste Bündel an Argumenten drehte sich um seine Tätigkeit als Unternehmer und die damit verbundenen technischen Innovationen im Bergbauwesen, die er in seinem Unternehmen eingeführt hatte. Er betonte die breite Anerkennung, die er sich in Fachkreisen erworben hatte, sowie die positiven sozialen Folgen des wirtschaftlichen Aufstiegs seines Unternehmens: »Sein Verdienst um die Beförderung der vaterländischen Industrie wurde bereits in einem öffentlichen Dokument von dem böhmischen Gewerbsverein ausgesprochen. In Anerkennung der Anstrengung, mit welcher der Gefertigte dem hiesigen Bergbau eine Richtung gegeben hat, die die abgenommene Ausbeute an Metallen ersetzt durch die Gewinnung und Darstellung von mineralischen Produkten, nicht nur in staatswirtschaftlicher Beziehung Früchte bringt, sondern auch Aktivhandel höchst bedeutende Summen vom Auslande herein zieht, unmittelbar selbst eine große Anzahl der Menschen beschäftigt und durch seine Erzeugungsweise mehrere der bedeutendsten einheimischen Gewerbeanstalten die mittelbar Tausenden Nährung und Erwerb sichert. Schon bereits vor mehr als 40 Jahren war er einer der ersten, der auch in der Gebirgsgegend die Kattunfabrikation einführte und hierdurch zu ihrer gegenwärtigen Ausbreitung den Grund legte.«239

Stark sah sich für den Adel nicht nur durch sein Vermögen, seinen Grund­ besitz oder unternehmerischen Erfolg qualifiziert, sondern vielmehr durch daraus abgeleitete, aber darüber hinausgehende Verdienste. Er untermauerte seinen Adelsanspruch damit, dass sein Unternehmen den ganzen Industriezweig wesentlich voranbrachte, was allgemein positive Auswirkungen hatte, sei es als 236 Vgl. Graf Mitrowski an die Vereinte Hofkanzlei in Wien am 20. April 1835, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann David Stark, fol. 46–49. 237 Ebd., fol. 53. 238 Ebd., fol. 22–29. 239 Nobilitierungsantrag von Johann David Stark vom 10.  Februar 1835, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann David Stark, fol. 18–21.

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Beitrag zur Außenhandelsbilanz des Staates oder zur Milderung von Arbeitslosigkeit, Armut und sozialen Spannungen. Dieses wirtschaftliche Argument ergänzte er durch Hinweise auf seine wohltätigen Spenden und die Tatsache, dass er schon seit dem Jahr 1810 über einen Gutsbesitz verfügte, den er von dem durch sein Unternehmen verdientes Geld gekauft hatte.240 Da es sich um einen Adelskandidaten handelte, der vorher schon zwei ab­gelehnte Anträge gestellt hatte, befasste sich der Staat eingehend mit der Einschätzung einer möglichen Nobilitierung. Es wurde eine Fachkommission gebildet, die damit beauftragt wurde, die vorgebrachten wirtschaftlichen Verdienste und Innovationen im Bergbauwesen gründlich zu überprüfen. Diese Kommission kam nach einer zweimonatigen Ermittlung zu dem Ergebnis, dass die Unternehmungen von Johann David Stark tatsächlich an der Spitze des ganzen Industriezweiges standen. Stark habe sich daher um die Hebung und Erweiterung des Mineralbergbaus und Hüttenbetriebes sehr verdient gemacht, und in dieser Hinsicht solle seiner Nobilitierung nichts im Wege stehen.241 Dies war jedoch nicht die einzige Äußerung, die die zentralen Wiener Stellen zur Einschätzung des Antrags einholten. Schließlich untermauerte Stark seinen Adelsanspruch nicht nur mit seinen Unternehmensaktivitäten, sondern auch mit weiteren Argumenten, die überprüft werden sollten. Bemerkenswert ist, dass bei der Überprüfung dieser Argumente nur auf seine vielfältige wohltätige Spendentätigkeit zugunsten verschiedener Armenanstalten eingegangen, sein Grundbesitz aber völlig außer Acht gelassen wurde.242 Dieses Vorgehen war der schlesischen Praxis also genau entgegengesetzt. In Schlesien konzentrierte sich der Staat bei einem Adelskandidaten, der Grundbesitz vorweisen konnte, ausschließlich auf die Überprüfung der Größe dieses Besitzes und des Einkommens daraus, was dann für die Adelsverleihung als ausschlaggebend betrachtet wurde. Im Gegensatz dazu wurde in Böhmen Grundbesitz überhaupt nicht in Betracht gezogen. Für die Zwecke einer Adelsverleihung war er nicht relevant. Im Fall der Nobilitierung von Johann David Stark war aber das Verfahren mit der Überprüfung seiner herausragenden Unternehmertätigkeit und breiten Wohltätigkeit noch nicht am Ende. Die Behörden stellten nämlich bei ihren Ermittlungen eine für den Kandidaten potenziell negative Tatsache fest. Im Bericht der Prager Stadthauptmannschaft hieß es: »[D]ass der Bittsteller nicht jene Bildung besitzt, die bei einem Edelmann vorausgesetzt werden muss und dass der ältere Sohn dem Trunke ergeben sei, was zu häufigen Uneinigkeiten mit seiner Gattin Anlass gibt, so wurden diesfalls nähere Erörterungen eingeleitet. Das Resultat dieser Erhebungen war, dass der Bittsteller allerdings eine sehr beschränkte Bildung erhalten habe und dass es auch richtig sei,

240 Ebd. 241 Hofkammer in Münz- und Bergwesen an die Vereinte Hofkanzlei in Wien, ebd., fol. 34–35. 242 Vortrag der Vereinten Hofkanzlei für den Kaiser vom 12. November 1836, ebd., fol. 52–59.

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dass dessen älterer Sohn dem Trunke ergeben war, dass es jedoch der Gattin durch ein kluges und beharrliches Benehmen gelungen sein soll, die Gemütsstimmung ihres Gatten zu mildern.«243

Diese Feststellung beschädigte einigermaßen das Bild des Kandidaten. Das unerwünschte soziale Verhalten des Sohnes sowie die aus der Sicht des Staates niedrige Bildung des Kandidaten stellten Hindernisse dar, weshalb die Adelsverleihung hätte scheitern können. Die Auswertung der förderlichen und hinderlichen Argumente fiel schließlich der Vereinten Hofkanzlei zu. Ihre Entschließung, die dann dem Kaiser als Zusammenfassung des Falles vorgelegt wurde, war zweideutig. Einerseits erkannte sie die Verdienste des Bittstellers auf dem Feld der Industrie an, die ihn für die Adelsverleihung qualifizieren sollten: »Es scheinen die Leistungen im Gebiete der Industrie, für die Emporbringung des Mineralbergbaus und des Hüttenbetriebes, die erfolgreichen Einwirkungen, welche seine industriöse Unternehmungen auf das Gedeihen des Handels, der Nationalindus­ trie und selbst auf den Ertrag des Zollgefälls äußern, wesentliche Verdienste um den Staat zu sein, welche der Anerkennung durch die Verleihung des Adels würdig sein dürften.«244

Andererseits konnte aber die Hofkanzlei nicht verheimlichen, dass die Lebensweise einiger Familienmitglieder viel zu wünschen übrig ließ: »Es ist zu bedauern, dass der Bittsteller in Bezug auf seine häuslichen Verhältnisse nicht ebenso ausgezeichnet darsteht, wie dies in Beziehung auf seine industriöse Unternehmungen und sonstige Leistungen der Fall ist.«245

Damit war eindeutig die Trunksucht des Sohnes gemeint, die das ansonsten glänzende Bild des Kandidaten trübte. Das zweite potenziell negative Argument, die mangelnde Bildung des Kandidaten, ließ die Hofkanzlei in der Schilderung des Falles zwar nicht beiseite, sah sie aber keineswegs als bedeutendes Hindernis an. Unverhohlen billigte man Bildungslücken, da sie durch andere Meriten wettgemacht wurden. Einer Nobilitierung standen sie deshalb nicht im Wege, da der Adelskandidat zweifelsohne an der Spitze der inländischen Industrie stand, zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen hatte und sich großzügig der Wohlfahrt widmete.246 Die endgültige Empfehlung der Hofkanzlei war daher relativ positiv. Johann David Stark wurde dem Kaiser zur Nobilitierung empfohlen, seine ungeordneten Familienverhältnisse bewogen aber die zuständigen Beamten dazu, den 243 Prager Stadthauptmannschaft an das Böhmische Gubernium am 5.  Juli 1835, ebd., fol. 32–33. 244 Vortrag der Vereinten Hofkanzlei für den Kaiser vom 12. November 1836, ebd., fol. 52–59. 245 Ebd. 246 Ebd.

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Kandidaten nicht für den von ihm gewünschten Ritterstand, sondern nur für den untitulierten Adel vorzuschlagen.247 Als dann das Verfahren mit der kaiserlichen Unterschrift besiegelt wurde, erhielt Johann David Stark Anfang 1837 ein offizielles Adelsstandsdiplom, das seine Zugehörigkeit zum Adel rechtlich bestätigte. Als offizielle Begründung für die Adelsverleihung wurde seine herausragende Unternehmertätigkeit angeführt, die zu zahlreichen technischen Innovationen geführt habe, sowie seine breit gefächerte Wohltätigkeit, durch die er sich bemüht habe, die drückende soziale Lage zahlreicher Menschen zu mildern.248 Der Grundbesitz – Starks drittes Argument – wurde von den staatlichen Stellen in keinem Moment des Verfahrens berücksichtigt. Obwohl Stark ihn als ein wesentliches Argument angeführt hatte, konzentrierte sich der Staat bei der Überprüfung seines Adelsanspruches ausschließlich auf seine Wirtschafts- und Wohltätigkeit und auf sein privates Leben. Im Unterschied zu Schlesien waren Größe und Ertrag eines Grundbesitzes für die Adelsverleihung von keinerlei Bedeutung, und auch in den beiden wichtigsten greifbaren Ergebnissen des Verfahrens, sowohl in der amtlichen Veröffentlichung der Adelsverleihung als auch im Adelsdiplom, tauchte der Besitzstand nicht auf. In Starks Nobilitierungsverfahren wurde also das Kriterium des Besitzes berücksichtigt, jedoch auf ganz andere Art und Weise, als es in Schlesien üblich war. Es wurde nicht die Größe des Vermögens und die daraus resultierende repräsentative Lebensführung des Kandidaten betont, sondern viel mehr die Art, wie der Kandidat zu seinem Vermögen gekommen war, sowie die größere gesellschaftliche Geltung, die er damit erreichte. Das entsprach grundsätzlich der Nobilitierungspolitik, die der österreichische Staat bei Grundbesitzern im hier betrachteten Zeitraum verfolgte. Nicht das Vermögen als solches war das staatliche Hauptargument, sondern die Art und Weise, wie es erlangt und verwandt wurde. Die konkreten Zwecke waren dabei nicht das Wichtigste, es musste jedoch klar sein, dass sie dem Allgemeinwohl dienten. So waren karitative Beiträge genauso willkommen wie Investitionen in technische und wirtschaftliche Innovationen oder in die Erweiterung des Betriebes, durch die weitere Arbeitsplätze geschaffen und das Wirtschaftswachstum gefördert wurden. Während in Schlesien die Notwendigkeit, über ein beträchtliches Vermögen zu verfügen, direkt proportional mit der Höhe des erstrebten Adelsranges stieg und für den Freiherrenstand eine unumgängliche Voraussetzung war, blieb der österreichische Staat bei der Einschätzung des Vermögensargumentes auch hinsichtlich der höheren Adelsränge konsequent. Gleichgültig, ob sich ein Adelskandidat um einen der beiden niederen Ränge bewarb oder nach dem höheren Freiherrenstand strebte: Grundbesitz an sich war nicht ausschlaggebend.

247 Ebd. 248 Adelsstandsdiplom für Johann David Stark vom 10. Februar 1837, ebd., fol. 2–8.

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So auch im Fall des böhmischen Grundbesitzers Georg Jenik Zasadsky, der 1811 in den österreichischen Freiherrenstand erhoben wurde. Er entstammte einer alten böhmischen Adelsfamilie, die den Ritterstand schon im 17.  Jahrhundert von Kaiser Ferdinand  III. gewährt bekommen und sich in den zwei Jahrhunderten seitdem vielfältig mit dem alten böhmischen Adel verflochten hatte.249 Im Jahr 1743 erwarb die Familie zwei Güter in Böhmen, die die ganze Zeit bis zum Standeserhebungsantrag von Georg Jenik Zasadsky in ihrem Besitz verblieben.250 Als dann Zasadsky 1811 den österreichischen Freiherrenstand anstrebte, benutzte er diese beiden Umstände zur Untermauerung seines Anspruchs. Er betonte die lange aristokratische Tradition seiner Familie sowie die Verdienste, die verschiedene Familienmitglieder dem Haus Habsburg in den vergangenen zweihundert Jahren in der Armee geleistet hatten. Die schlüssigsten Argumente für seinen Anspruch auf den Freiherrenstand sah er aber anderswo. Er legte großen Nachdruck auf seine Güter, jedoch mit anderem Akzent, als es in Schlesien üblich war. Zasadsky betonte nicht Größe oder Ertrag der Güter, sondern sah sich für die Standeserhebung durch seine erfolgreiche innovative Wirtschafts­ tätigkeit qualifiziert: »Seit dem Antritte seiner vererbten Güter Brzezina und Zahradka bemüht er sich durch besondere Industrie der Landeskultur einen höheren Schwung zu geben und seine Untertanen durch Beispiele, was durch Fleiß und Anwendung im ökonomischen Wege erworben werden kann, aufzumuntern.«251

Diesen Umstand bestätigten offizielle Äußerungen der lokalen Verwaltungsstellen, die bezeugten, dass Zasadsky tatsächlich bei der Einführung von neuen Bewirtschaftungsmethoden zu den führenden Grundbesitzern der Umgebung gehörte, was es ihm in den letzten Jahren auch ermöglicht hatte, den Ertrag seiner Güter beträchtlich zu erhöhen und den Lebensstandard seiner Untertanen zu heben.252 Neben der vorbildlichen Bewirtschaftung seiner Güter sah sich Zasadsky für den Freiherrenstand aber noch durch eine weitere Qualifikation geeignet. Er hatte sich auch besondere Verdienste im Kampf gegen die französische Armee erworben: »So wie seine Voreltern nur für das Vaterland lebten, glaubt der Unterzeichnete auch diesfalls sein Patriotengefühl an den Tag gelegt zu haben, da derselbe gleich nach der Bekanntmachung des Landwehrpatentes im Jahre 1808 ohne alle Ausforderung sich als der Erste aus den Gutsbesitzern als Offizier meldete, dadurch aber mehrere aufgemuntert wurden diesem patriotischen Eifer zu folgen. Nachdem der Bittsteller bei 249 Vgl. Maťa, S. 68–76. 250 Nobilitierungsantrag von Georg Jenik Zasadsky vom 28.  März 1810, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Georg Jenik Zasadsky, fol. 10. 251 Ebd. 252 Ebd., fol. 13. 

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dem 2. Bataillon als Hauptmann angestellt war, verließ er seine Gattin und 4 Kinder und marschierte an die Grenze.«253

Auch dieser außerordentliche Eifer Zasadskys, sich nach dem kaiserlichen Aufruf am Kampf gegen Napoleon zu beteiligen,254 wurde von mehreren Seiten bestätigt, die Wahrhaftigkeit dieses Arguments unterlag keinem Zweifel.255 Sein freiwilliger Beitrag zur Verteidigung des Staates sowie der breite Widerhall, den Zasadskys Meldung bei der Truppe verursachte, gaben ihm neben dem Ruf eines musterhaften Bewirtschafters seiner Güter noch den Glanz eines dem Staat außerordentlich treu ergebenen Bürgers. Dass er seine Familie zu Hause zurückgelassen hatte, kümmerte den Staat dagegen wenig. Unter diesen Umständen war die Verleihung des Freiherrenstands mehr als wahrscheinlich. Als erste staatliche Stelle, die sich zu dem Fall äußerte, befürwortete das böhmische Gubernium den Antrag. Bei seiner Einschätzung von Zasadskys Anspruch gegenüber der Hofkanzlei beschränkte sich das Gubernium nicht nur auf eine schlichte Befürwortung, sondern fügte noch ein weiteres Argument zugunsten des Bittstellers hinzu.256 Seine bemerkenswerte Wohltätigkeit war das Kriterium, um das das Gubernium den Meritenkanon des Kandidaten ergänzte. Diese beruhte größtenteils auf vielfältigen materiellen Hilfen, die ­Zasadsky während der schwierigen Kriegszeiten auf eigene Kosten seinen Untertanen gewährt hatte, die in Not geraten waren.257 Bei einem in ein so günstiges Licht gestellten Kandidaten hatte die Vereinte Hofkanzlei nicht allzu viel zu bedenken und empfahl dem Kaiser die Nobilitierung sehr schnell und vorbehaltlos.258 Da auch der Kaiser nicht lange mit seiner Unterschrift zögerte, konnte Zasadsky Anfang 1811 definitiv in den erstrebten Freiherrenstand erhoben werden. Sein Adelsdiplom bezeugte dabei eindeutig die Qualifikationen, die ihm dazu verholfen hatten: »Er hat sich als Gutsbesitzer gegen seine eigenen Untertanen und auch gegen andere Personen stets wohltätig gezeigt, hat sich in dem Kreise als der erste Offizier bei Organisierung der Landwehr gemeldet, durch sein patriotisches Beispiel andere zum gleichen Entschluss angefeuert und sich in der Eigenschaft eines Landwehrhauptmanns vorzüglich ausgezeichnet.«259

Aus dem Argumentationsbündel, das Zasadsky für seine Standeserhebung vorlegte, wurden letztendlich seine Wohltätigkeit und sein patriotisches Engage253 Nobilitierungsantrag von Georg Jenik Zasadsky vom 28.  März 1810, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Georg Jenik Zasadsky, fol. 21. 254 Vgl. Hroch, Na prahu, S. 93–99; Rumpler, S. 88–90. 255 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Georg Jenik Zasadsky, fol. 14–15. 256 Böhmisches Gubernium an die Vereinte Hofkanzlei am 30. Juli 1810, ebd., fol. 22–23. 257 Putz, S. 465. 258 Vereinte Hofkanzlei an den Kaiser am 10. August 1810, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Georg Jenik Zasadsky, fol. 6–7. 259 Freiherrenstandsdiplom für Georg Jenik Zasadsky (von Gämsendorf), ebd., fol. 2–4.

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ment bei der Verteidigung des Landes gegen Napoleon als diejenigen Umstände ausgewählt, die seine Zugehörigkeit zum österreichischen Freiherrenstand legitimierten. Sein Grundbesitz spielte zwar eine Rolle, jedoch nur insoweit, als die Erträge wohltätigen Zwecken zugutekamen. Die Beispiele von Zasadsky und Stark zeigen zwar, dass in Böhmen bei Nobilitierungen der Besitz eines Kandidaten nicht so hoch bewertet wurde wie in Schlesien; es kann aus diesen Beispielen aber nicht geschlossen werden, dass er für die Adelsverleihungen ganz ohne Bedeutung war. Obwohl die Kandidaten damit nicht explizit argumentierten, war klar, dass sie über ein Vermögen verfügten, das ihnen weiterhin ein »standesgemäßes« Leben gewährleisten würde. Es wäre jedoch auf der anderen Seite falsch, daraus abzuleiten, dass Ver­ mögen in beiden Ländern für die Nobilitierung von Gutsbesitzern von ähn­ licher Bedeutung war, nur mit dem kleinen Unterschied, dass es in Böhmen nicht so genau überprüft wurde. Wie andere Beispiele zeigen, war der Unterschied nicht nur äußerlich, sondern wirklich substanziell. In den vorherigen Abschnitten wurde bereits gezeigt, dass in Schlesien Besitz auch bei nobilitierten Offizieren zu einem wichtigen Kriterium gemacht wurde, wogegen in Böhmen die Situation in manchen Fällen umgekehrt war, indem ein Mangel an Besitz gelegentlich dazu benutzt wurde, die vorgeschriebenen Gebühren zu erlassen und dadurch die Adelsverleihung zu erleichtern. Diese Feststellung gilt grundsätzlich auch für die Nobilitierungen von Grundbesitzern. Mangelnder Besitz eines Adelskandidaten aus den Reihen der Gutsbesitzer stand in Böhmen einer Nobilitierung sehr oft nicht nur nicht im Wege, sondern konnte unter bestimmten Umständen die Nobilitierungschancen sogar noch steigern. So wurde im Jahr 1829 nach einem sehr langen und komplizierten Verfahren der böhmische Grundbesitzer Emmerich Elvenich in den österreichischen Ritterstand erhoben. Als er sein Gesuch einreichte, war Elvenich ein mittel­ loser Grundbesitzer, für den die Adelsverleihung eine Art Existenzfrage war. 1801 hatte er mit allen seinen Mitteln das böhmische Gut Hradistchl gekauft, das aber während der Kriege einen starken Preisverfall verzeichnete, sodass der Inhaber und mit ihm die ganze Familie in große Not gerieten.260 Den einzigen Ausweg, um zumindest seinen Kindern zukünftig ein materiell gesichertes Leben zu gewährleisten, sah Elvenich darin, sie gut zu verheiraten.261 Doch die Möglichkeiten, den »Wert« seiner Kinder auf dem Heiratsmarkt zu erhöhen, waren spärlich.262 Sein Sohn war Erbe eines fast wertlosen Gutes, und auch die Töchter konnten von einer attraktiven Mitgift nur träumen. Die einzige Option, das Heiratskapital der Kinder zu steigern, war der Adelstitel. Allein 260 Böhmisches Gubernium an die Vereinte Hofkanzlei am 20. Juli 1822, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Emmerich Elvenich, fol. 51–53. 261 Vereinte Hofkanzlei an den Kaiser am 12. April 1821, ebd., fol. 27–36. 262 Vgl. allgemein Wienfort, Der Adel in der Moderne, S.  111–133; Funck u. Malinowski; ­Bezecný, Sňatky.

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er ebnete den Weg in adlige Erziehungsanstalten und Stiftungen und damit vielleicht auch in eine »gute Partie«.263 Sein erstes Gesuch um Nobilitierung reichte Elvenich 1819 ein. Zur Begründung seines Adelsanspruches benannte er zwei Hauptargumente. Erstens baute er seinen Anspruch auf der Institution des sogenannten »ausgebrannten« Adelsstandes auf. Das hieß im Prinzip, dass er seine Abstammung von einer alten adligen Familie nachweisen und darüber hinaus belegen musste, dass seine Linie im Laufe der Zeit aus irgendwelchen Gründen abgebrochen und das Recht, den Adelstitel zu führen, erloschen war. Diese Möglichkeit des Adels(wieder) erwerbs war in Österreich gesetzlich reglementiert und für Elvenich nahe­ liegend.264 Elvenich war nämlich tatsächlich imstande, zahlreiche indirekte Beweise für seine adlige Abstammung vorzulegen, die Hauptsache jedoch  – das Adelsdiplom der Familie – fehlte.265 Da Elvenich seine Zugehörigkeit zu einer alten Adelsfamilie nicht hundertprozentig beweisen konnte, unterstützte er seinen Antrag noch mit der Auf­ listung eigener und familiärer Verdienste. Dabei konzentrierte er sich auf einen Aspekt der Familiengeschichte und seines eigenen Lebens  – auf den Militärdienst. Elvenich betonte, dass schon sein Großvater und Vater in der Armee Offiziersposten bekleideten. Auch er selbst war dieser Familientradition treu geblieben: »Auch ich, durch das Beispiel meiner Vorfahren veranlasst, habe dem Staate durch einen Zeitraum von elf Jahren als Soldat gedient und das Zeugnis F erprobt, dass ich bei dem 10ten Infanterieregiment in Rücksicht meiner Dienstleistung und Verwendung bis zum Oberlieutnant avanciert, mit besonderem Diensteifer gedient und mich vor dem Feinde stets als ein braver Soldat ausgezeichnet habe.«266

Mit der Kombination aus indirekten Beweisen seiner Zugehörigkeit zu einer alten Adelsfamilie und der ansehnlichen Militärkarriere seiner Familie hoffte Elvenich, den erstrebten Adelstitel zu erlangen. Dabei versuchte er während des ganzen Verfahrens nie, seinen drängenden materiellen Notstand zu verheim­ lichen. Er legte offen, dass sein Gut von sehr geringem Wert war und er auch darüber hinaus über kein bedeutendes Vermögen verfügte, welches ihm in Zukunft ein materiell gesichertes Leben gewährleisten, geschweige denn einen repräsentativen Lebenstil ermöglichen könnte.267

263 Elvenich unternahm schon vor dem Nobilitierungsverfahren viele Versuche, seine Kinder in einer der Prager adligen Erziehungsanstalten einzuschreiben. Vgl. Böhmisches Gubernium an die Vereinte Hofkanzlei am 20. April 1824, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Emmerich Elvenich, fol. 37–41. 264 Vgl. Županič, Nová šlechta, S. 115 f. 265 Emmerich Elvenich an die Vereinte Hofkanzlei am 1. Juni 1819, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Emmerich Elvenich, fol. 2–5. 266 Ebd. 267 Ebd., fol. 50–54.

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Die Kombination dieser beiden Adelsqualifikationen stiftete bei den staat­ lichen Stellen aber von Anfang an Verwirrung. Es wurde nämlich nicht klar, ob es sich bei Elevenich rein formell schon um einen Adligen handelte, dem sein angestammter Titel nur bestätigt werden sollte, oder ob im Gegenteil nach dem allgemeinen Muster für Nobilitierungen verfahren werden sollte. Die erste befasste Instanz war das böhmische Gubernium, das verpflichtet war, den Fall gegenüber den zentralen Stellen in Wien mit einer entsprechenden Stellungnahme darzustellen. Das Gubernium entschloss sich letztendlich, vorsichtshalber beide Verfahrenswege einzuschlagen, also die beiden Argumente des Bittstellers getrennt zu betrachten. Bei der Überprüfung des »ausgebrannten« Adels kam das Gubernium nach einer gründlichen, mehr als ein Jahr währenden Ermittlung zu der Schlussfolgerung, dass die Angehörigkeit Elvenichs zu einer alten böhmischen Adelsfamilie zwar relativ wahrscheinlich sei, mit Sicherheit jedoch nicht konstatiert werden könne: Die vom Bittsteller vorgelegten Beweise seien zwar recht überzeugend, und dass die Adelsdiplome der Familie im Krieg verloren gegangen seien, durchaus möglich. Das ändere aber nichts an der Tatsache, dass es für ­Elvenichs Adelszugehörigkeit keine einwandfrei nachweisbaren Belege gebe.268 Das Argument des »ausgebrannten« Adelsstandes könne daher nicht als ein direkter Grund für die Gewährung des beantragten Ritterstandes dienen, höchstens sei es möglich, es als eine unterstützende Qualifikation zu berücksichtigen, falls sich der Bittsteller auf andere Art und Weise für den Ritterstand auszeichne.269 Auf der anderen Seite sei aber unbestreitbar, so das Gubernium, dass sich die Elvenichsche Familie und Emmerich Elvenich selbst durch einen langen, kontinuierlichen Dienst in der Armee um den Staat besonders verdient gemacht hätten, was zusammen mit der aktuellen materiellen Notsituation ein anderes Licht auf den Fall werfe. Der Umstand, dass die militärische Einsatzbereitschaft mehrerer Familienmitglieder nicht bestritten werden konnte und Elvenich einer drängenden Not die Stirn bieten musste, bewegte das Gubernium dazu, zwar nicht eine An­ erkennung seines angeblich ererbten Ritterstandes zu empfehlen, sondern die Verleihung eines ganz neuen Adelstitels zu befürworten. So sollte gewährleistet werden, dass Elvenich den Ritterstand tatsächlich erlangte, ohne dabei das Verfahren hinsichtlich einer Adelsanerkennung rechtmäßig infrage zu stellen.270 Schon an dieser Stelle, bei der ersten staatlichen Instanz, wurde also das Vermögensargument thematisiert, jedoch ganz anders als in Schlesien. Es waren nicht der Reichtum des Adelskandidaten und seine damit verbundene repräsentative Selbstdarstellung, die als unterstützende Argumente für eine Adelsverleihung angesehen wurden, sondern genau das Gegenteil: Elvenichs materi268 Böhmisches Gubernium an die Vereinte Hofkanzlei am 14. Dezember 1820, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Emmerich Elvenich, fol. 30–36. 269 Ebd. 270 Ebd.

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elle Not diente hier als Argument zur Befürwortung. Seine Nobilitierung wurde unter anderem als Form staatlicher Hilfe angesehen, die dem Kandidaten und seiner Familie den Ausweg aus einer unbehaglichen sozialen Situation erleichtern sollte.271 Ähnlicher Ansicht waren auch die anderen staatlichen Stellen, die am Verfahren beteiligt waren. Die Vereinte Hofkanzlei kam bei der Einschätzung des Falles zum Schluss, dass Elvenich der Ritterstand aufgrund seiner eigenen militärischen Verdienste und denen seiner Familie gewährt werden sollte, falls der Kandidat nicht imstande sei, seine Adelszugehörigkeit überzeugend nach­ zuweisen. Dass die Nobilitierung gleichzeitig als ein Beitrag zur Verbesserung der Lebenslage der Familie dienen könne, sei nur zu begrüßen.272 Mit diesen Argumenten wurde der Fall zur endgültigen Entscheidung dem Kaiser vorgelegt. Da der Kaiser gegen die Empfehlungen der Hofkanzlei nichts einwandte und die Verleihung des Ritterstandes an Emmerich Elvenich unterzeichnete, stand einem positiven Vollzug des Antrags scheinbar nichts mehr im Wege. Dass dann doch einige Stolpersteine zu überwinden waren, war den bürokra­ tischen Mühlen des absolutistischen Staates anzulasten. Weil Elvenich am Anfang des Verfahrens seinen Nobilitierungsantrag teilweise mit dem »ausgebrannten« Adelsstand untermauert hatte, erwähnte er nie die zu entrichtenden Gebühren. Das war von seiner Seite aus durchaus logisch. Wäre nämlich sein ursprünglicher Titel bloß wieder anerkannt worden, hätte er gar keine Gebühren zahlen müssen. Da er sich zu dieser Frage nicht explizit äußerte, verfuhren die staat­lichen Stellen und der Kaiser die ganze Zeit automatisch so, als wenn es sich um eine übliche Nobilitierung handle, bei der vorgesehen war, vor Übergabe des entsprechenden Adelsdiploms die vorgeschriebenen Gebühren zu entrichten. Das aber war für Elvenich ein wesentliches Problem. Die Frage der hohen Gebühren war in der Regel bei Adelsverleihungen an Personen, die sie sich nicht leisten konnten, eher formaler Art. Der Staat sah bei genügenden Belegen für eine ungünstige ökonomische Situation in den meisten Fällen von der Erhebung der Gebühren ab.273 Es war aber notwendig, einen solchen Erlass offiziell zu erbitten, und dies hatte Elvenich am Anfang des Verfahrens nicht getan. So entstand die paradoxe Situation, dass Elvenich zwar teils aufgrund seiner Armut nobilitiert wurde, den Ritterstand aber nicht offiziell zugesprochen bekommen konnte, da er nicht für die Gebühren aufkommen konnte. Nachdem Elvenich über die Pflicht informiert worden war, vor Aushän­ digung seines Adelsdiploms die hohen Gebühren entrichten zu müssen, bean271 Kammerprokuratur an die Vereinte Hofkanzlei am 2. März 1821, ebd., fol. 28, 42. Vereinte Hofkanzlei an den Kaiser am 12. April 1821, ebd., fol. 27, 44. 272 Ebd. 273 Županič, Nová šlechta, S. 187–213; Binder-Krieglstein, S. 117–125; Waldstein-Wartenberg, Österreichisches Adelsrecht.

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tragte er sofort deren Erlass.274 Seine Argumente überlappten sich dabei weit­ gehend mit denjenigen, die der Staat für die Ritterstandsverleihung als schlüssig betrachtete: der lange Militärdienst, die Mittellosigkeit des Kandidaten und der Umstand, dass er eine große Familie ernähren musste.275 All diese Umstände wurden vom Kandidaten nicht neu ins Spiel gebracht, sondern waren schon vorher, im Rahmen des Nobilitierungsverfahrens, vom Staat anerkannt worden. Wenn die erste Instanz – das böhmische Gubernium – bei der Einschätzung des Antrags auf Gebührenerlass der inneren Logik ihrer eigenen Entscheidungen folgen wollte, hätte es sich für den Erlass der Gebühren aussprechen müssen, nachdem es schon die Nobilitierung des Kandidaten aus denselben Gründen empfohlen hatte. Eine Verweigerung der Adelsverleihung aufgrund der Mittellosigkeit des Kandidaten hätte keinen Sinn ergeben, da der Kandidat teilweise eben aufgrund dieser Mittellosigkeit für die Nobilitierung empfohlen worden war. Allerdings hätte eine solche Stellungnahme der übergeordneten Verwaltungsstelle klar gezeigt, dass das Gubernium jemanden zur Nobilitierung empfohlen hatte, ohne sich dabei einer seiner ersten Pflichten zu widmen  – der Feststellung, ob der Kandidat imstande war, die im Fall einer Nobilitierung anfallenden Gebühren zu bezahlen, oder ob er eines möglichen Gebührenerlasses würdig war. Die Lösung, die das Gubernium am Ende fand, lief auf einen Kompromiss hinaus. Aufgrund der beklemmenden finanziellen Situation des Adelserwerbers schlug es Wien vor, die Gebühren zwar nicht völlig nachzu­ sehen, sie aber zu halbieren.276 Auch die Hofkanzlei teilte mit dem Gubernium grundsätzlich die Meinung, dass die schwierige finanzielle Lage des Kandidaten nicht zum Hindernis für die Adelserlangung gemacht werden solle, dass jedoch die Kohärenz der staat­ lichen Entscheidungen erhalten werden müsse. Daher sei der im Nachhinein erteilte Erlass der Gebühren nicht möglich.277 Für die Hofkanzlei war es zwar unvorstellbar, unter solchen Bedingungen einen gültigen Beschluss rückwirkend zu ändern, die zuständigen Beamten suchten aber trotzdem aktiv nach Wegen, aus der Sackgasse herauszukommen. Die Möglichkeit, dass Elvenich nur aufgrund seiner schlechten Vermögenslage den Ritterstand nicht erreichen sollte, wenn er ansonsten alle Qualifikationen dafür erfüllte, war genauso undenkbar wie die rückwirkende Veränderung eines einmal gefassten Beschlusses und eine vollständige Erlassung der schon festgesetzten Gebühren. Letztlich wurde ein Ausweg aus der heiklen Situation gefunden. Die Hofkanzlei stellte einen Zahlungskalender für den Kandidaten auf, der die Ent274 Emmerich Elvenich an das Böhmische Gubernium am 20. April 1822, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Emmerich Elvenich, fol. 46–50, 54–58. 275 Böhmisches Gubernium an die Vereinte Hofkanzlei am 20. Juli 1822, ebd., fol. 51–53. 276 Ebd., fol. 53. 277 Stellungnahme der Vereinten Hofkanzlei vom 4. November 1822, ebd., fol. 55–57.

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richtung der Gebühren in Form vierteljährlicher Ratenzahlungen über einen längeren Zeitraum vorsah.278 Nachdem auch Elvenich sich mit dieser Lösung einverstanden erklärt hatte, konnte das langwierige und äußerst komplizierte Verfahren endgültig abgeschlossen werden. Elvenich verpflichtete sich, viermal pro Jahr die entsprechenden Ratenzahlungen zu entrichten, um erst danach die endgültige Bestätigung seiner Adelszugehörigkeit zu bekommen. Als er die letzte Ratenzahlung tätigte, waren seit seinem ersten Kontakt mit den staat­ lichen Stellen in dieser Sache mehr als zehn Jahre vergangen. Im Juni 1829 erhielt Elvenich das lang erstrebte Ritterstandsdiplom und konnte sich so end­ gültig zum böhmischen Adel zählen.279 Am Rande kann gesagt werden, dass die aufreibende, zehn Jahre dauernde Prozedur für Elvenich letztlich ihren Zweck erfüllte. Elvenichs Sohn Karl Josef machte dank der speziellen Ausbildung, die er aufgrund seines Adelstitels ab­ solvieren konnte, und in Übereinstimmung mit der Familientradition erfolgreich Karriere in der österreichischen Armee. 1867 wurde er sogar noch in einen höheren Adelsrang, den Freiherrenstand, erhoben. Der Name der Familie wurde in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts sogar so attraktiv, dass er zum Objekt mehrerer Adelsanmaßungen außerhalb Österreichs wurde. So meldete sich 1888 ein gewisser Franz Elvenich beim preußischen Heroldsamt, der die Anerkennung seines angeblichen österreichischen Adelstitels einforderte.280 Noch im Jahr 1900 unternahm eine in Breslau und Köln lebende Familie desselben Namens den Versuch, ihre Verwandtschaft mit dem 1829 nobilitierten böhmischen Gutsbesitzer nachzuweisen.281 Die alte Geschichte wiederholte sich jedoch nicht. Die Staatsbehörden verfügten diesmal über einen direkten Beweis, dass der letzte männliche Nachfahr von Emmerich Elvenich 1883 gestorben war. Mit ihm verschwand auch der Adelstitel der Familie endgültig.282 Kehren wir aber zurück zu Elvenichs eigentlicher Nobilitierung. Sie macht deutlich, wie das in Schlesien so ausschlaggebende Vermögensargument in Böhmen gänzlich anders gewichtet wurde. Es war nicht nötig, für eine Adelsverleihung unbedingt über ein blendendes Vermögen zu verfügen. Für die Zwecke einer Nobilitierung konnte in bestimmten Fällen ebenso eine bedrückende soziale Lage von Nutzen sein. Dabei handelte es sich dann zwar nicht um die wichtigste Qualifikation für den Adel – der Kandidat musste seinen Adelsanspruch immer mit anderen Argumenten untermauern  –, trotzdem konnte materielle Not als zusätzliches Entscheidungskriterium ins Feld geführt werden. Die Argumentationsweisen der böhmischen Grundbesitzer wiesen im Vergleich zu Schlesien allgemein eine breitere Palette kultureller Praktiken auf, 278 Stellungnahme der Vereinten Hofkanzlei vom 20. Mai 1824, ebd., fol. 15–24. 279 Ritterstandsdiplom für Emmerich Elvenich vom 9. Juni 1829, ebd., fol. 6–13. 280 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI E, Nr. 107, fol. 1. 281 Ebd., fol. 44. Köhler, S. 198–202. 282 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI E, Nr. 107, fol. 2.

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die sich durch die Nobilitierung in den Tugendkatalog des Adels einschrieben. Während der Wert des eigenen Grundbesitzes in der Regel außen vor blieb, versuchten Grundbesitzer, ihre Adelsansprüche mit der wirtschaftlichen Prosperität ihrer Güter zu begründen (die als ein Phänomen dargestellt wurde, das wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze schuf), mit Innovationen im technischen Bereich oder bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsmethoden, mit der Fürsorge für ihre Untertanen und ein breiteres Umfeld, mit Spenden für wohltätige Zwecke oder mit einem langen Militärdienst der eigenen Person oder anderer männlicher Familienmitglieder. Ein anschauliches Beispiel für eine bunte Mischung dieser Argumente stellt der Fall des 1810 in den österreichischen Adelsstand und fünf Jahre später noch in den Ritterstand erhobenen böhmischen Gutsbesitzers Johann Wenzel Berger dar. Seinen schnellen Aufstieg von einem Adelsrang zum nächsten verdankte er gerade der Vielfalt seiner Argumente. Als Inhaber von zwei ländlichen Gütern wurde er durch innovative Bewirtschaftungsmethoden berühmt, da er als einer der ersten Gutsbesitzer die Aussaat von Leinsamen einführte, die er dann zur Grundlage seiner weiteren unternehmerischen Aktivitäten machte. Sein Unternehmen konzentrierte sich hauptsächlich auf die Produktion von Flachs, wodurch er imstande war, seinen Betrieb ständig zu erweitern und neue Arbeitsplätze zu schaffen.283 Daneben engagierte er sich nach dem Aufruf von Erzherzog Karl äußerst aktiv bei der Bildung der böhmischen Legion im Jahr 1801, indem er den sich formierenden Truppen umfangreiches Material zur Verfügung stellte und auch seinen eigenen Sohn einrücken ließ. Während der Kriegsoperationen sorgte er dann aus eigenen Mitteln für die Verpflegung von Verwundeten. Seine karitative Tätigkeit beschränkte sich aber nicht nur auf Soldaten, sondern reichte viel weiter. Als 1805 in der nördlichen Grenzregion Böhmens tödliche Epidemien und eine Hungersnot ausbrachen, ließ er auf eigene Kosten Getreide verteilen und sorgte für die Verpflegung der Erkrankten. Nicht nur während des Krieges, sondern auch danach gehörte er zudem zu den Personen, die ständig beträcht­ liche Beträge an mehrere Prager Krankenhäuser spendeten. Seine beiden Nobilitierungen erfolgten unter Betonung aller dieser Verdienste.284 Für beide Adelsverleihungen wurden vom Staat sowohl seine Verdienste um das Militär als auch seine Erfolge als Unternehmer und seine karitative Tätigkeit als schlüssige Argumente betrachtet. Diese Mischung von Argumenten wurde auch öffentlich als für den Adel geeignet präsentiert.285 Die Zahl der nobilitierten Grundbesitzer nahm in Böhmen während des 19. Jahrhunderts zwar ab, ihre Argumentationsweisen sowie deren Aufnahme seitens des Staates unterlagen jedoch keinen größeren Schwankungen. Beide 283 Vgl. Jakubec u. Jindra, S. 191 f. 284 Vgl. ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann Wenzel Berger von Bergenthal, fol. 1–2. 285 Komanovits, S. 215–220.

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Seiten fanden den allgemeinen, unverrückbaren Konsens, wonach bei einem Grundbesitzer die Nobilitierungsvoraussetzung nicht direkt im Grundbesitz bestehen sollte, sondern in seinen breit verstandenen Verdiensten um den Staat. Dieser Konsens wurde dann über den ganzen Zeitraum angewandt, sodass sich die Adelsqualifikationen der Grundbesitzer auch nach 1848 kaum veränderten. Noch im Jahr 1854 konnte so der in Prag lebende Gutsbesitzer und Händler Wilhelm Gemrich in den Adel erhoben werden, wobei er dem Staate grund­ sätzlich das gleiche Ensemble von Adelsqualifikationen vorlegte wie Johann Wenzel Berger vierzig Jahre zuvor. Er stützte sich auf seinen früheren, fünf Jahre dauernden Dienst als Offizier.286 Seine Verdienste um die Armee unterstrich er noch mit Verweis auf persönliche finanzielle Opfer zu ihren Gunsten: »Als Freund des K. K. Militär verzichtete ich auf meinen Besitzungen seit zwei Jahren auf jeden Ersatz der Einquartierung und beköstigte ich mehr als 3000 Männer unentgeltlich, gleich wie ich mich für den böhmischen Invalidenfond, die Feld­marschall Fürst Windischgrätzische Invalidenstiftung durch meine Mittel lebhaft verwendet habe.«287

Militärisches Engagement war aber keineswegs das einzige, schon gar nicht das wichtigste Argument, das Gemrich zur Unterstützung seines Anspruchs anführte. Ebenso wie vierzig Jahre vorher bei Johann David Stark oder Georg Zasadsky sah sich auch Gemrich in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre für den Adelsstand hauptsächlich durch seine umfassende Wohltätigkeit und öko­ nomische Tätigkeit qualifiziert. Diese beschränkten sich nicht auf die Milderung sozialer Spannungen auf seinem Gut oder in dessen Umgebung, sondern beruhten auf einem bedeutenden finanziellen und persönlichen Engagement bei der Förderung der Kirche, des Schulwesens und der Kunst: »Das Karlsbader Spital, das Armeninstitut und die allgemeinen Krankanstalten, wie jene der Elisabethinen in Prag, die habe ich nach Möglichkeit mit Geld und anderen Leistungen zu fördern mich bestrebt. […] Bis in die neuste Zeit habe ich alle Baulichkeiten von den Pfarreien an den Kirchen- und Schulgebäuden größtenteils von Eigenem bestritten und auch für die innere Ausstattung, dann für die Erziehung der Schuljugend, an Büchern usw., gesorgt. […] Ich wirkte zum öffentlichen Nutzen auch als ein Mitglied und Beförderer des Musikkonservatoriums in Prag für die Kunst, zum Bestehen der einheimischen Industrie die im Verfalle begriffene Porzellanfabrik zu Gieshübl in eigene Leitung nahm, dieselbe mit einem Personal von 300 Arbeitern durch die ungünstigsten Zeitverhältnisse hindurch mit Opfern fortführte und nun im vollkommen aufrechten Stande erhalte.«288 286 Gesuch Wilhelm Gemrichs um Verleihung des Freiherrenstandes vom 15. Dezember 1852, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Wilhelm Gemrich von Neuberg, fol. 8–13. 287 Promemoria Wilhelm Gemrichs in Betreff der gesuchten Verleihung des Freiherrenstandes, ebd., fol. 3–6. 288 Ebd.

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Diese Argumentation gewann noch dadurch an Gewicht, dass Gemrich die Wohltaten zugunsten seiner Untertanen nach 1848 nicht einstellte, als es sich nach der Befreiung der Bauern und der Grundentlastung eigentlich nicht mehr um Untertanen handelte.289 Die Ereignisse des Jahres 1848/49 lieferten Gemrich übrigens noch ein weiteres Argument, das seinen Adelsanspruch unterstützen sollte. Er konnte nämlich nachweisen, dass er während der Revolution in keine der revolutionären Strömungen verwickelt war, sondern im Gegenteil immer als ein konservativer Anhänger des Kaiserhauses gewirkt hatte. Dies bestätigten mehrfach verschiedene Stellen der Landesverwaltung, die in ihren Stellungnahmen im Hinblick auf die loyale Einstellung des Bittstellers keine Zweifel ließen. So war Gemrich zum Beispiel nach Meinung des zuständigen Kreispräsidenten durch »die Beförderung des öffentlichen Wohles, der gemeinnützigen und wohltätigen Anstalten und loyales Benehmen« für die Standeserhebung qualifiziert.290 Ähnlich wie in Schlesien fand somit in Böhmen nach den Ereignissen der Jahre 1848/49 das zusätzliche Argument politischer Loyalität Eingang in den Nobilitierungsprozess. Böhmen wurde als eine der unruhigeren Provinzen der Monarchie wahrgenommen, daher achtete der Staat bei den Adelsverleihungen während der neoabsolutistischen Fünfzigerjahre darauf, nicht einmal passiven Anhängern des liberalen Lagers staatliche Auszeichnungen zukommen zu lassen.291 Die Praxis, das politische Bekenntniss der Kandidaten zu überprüfen, wurde zwar nach der Wende zum liberalen Konstitutionalismus der Sechzigerjahre etwas gelockert, der politische Aspekt verschwand aber nie ganz.292 Für Gemrich und für die nobilitierten Grundbesitzer generell war dies dennoch kein Problem. Ähnlich wie in Schlesien bewarben sich hauptsächlich solche Personen um Adelstitel, die dem Staat loyal gegenüberstanden. Auch Gemrichs politische Loyalität war unstrittig, daher stand in seinem Fall der Verleihung des Freiherrenstands nichts im Wege. Alle am Verfahren beteiligten staatlichen Stellen waren sich darüber einig, dass es sich um einen durchaus geeigneten Kandidaten handelte, der für den Freiherrenstand die beste Werbung machen würde. Als offizielle, im Adelsdiplom aufgeführte und auch veröffentlichte Gründe für die Standeserhebung wurden seine große und weitreichende Wohltätigkeit und vielfältigen Beiträge für uneigennützige Zwecke angesehen.293 289 Vgl. Sandgruber, Ökonomie, S. 233–237; ders., Die Agrarrevolution, S. 260–268; Dinklage; Roubík, K vyvazení gruntů; Link, S. 182–184. 290 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Wilhelm Gemrich von Neuberg, fol. 16–17. 291 Křen, Die Konfliktgemeinschaft, S.  71–109; Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. ­124–129; Stölzl, S. 56–63. 292 Vgl. Rumpler, S. 376–404. Zum böhmischen Kontext: Urban, Die tschechische Gesellschaft I, S. 206–275; Tobolka, S. 15–80; Redlich, S. 672–814; Charmatz, S. 47–63. 293 Freiherrenstandsdiplom für Wilhelm Gemrich (von Neuberg), ÖStA Wien, AVA, Adels­ archiv, Nobilitierungsakten, Wilhelm Gemrich von Neuberg, fol. 42–46.

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Der Staat berief sich bei der Standeserhebung von Wilhelm Gemrich Mitte der Fünfzigerjahre grundsätzlich auf die gleichen Kriterien, die er bei den Gutsbesitzern schon Anfang des Jahrhunderts angelegt hatte. Wieder brachte die Mischung von Fortschrittsförderung und sozialer Fürsorge, in diesem Fall um eine ausgeprägte politische Loyalität ergänzt, den Erfolg und gewährte dem Bittsteller einen problemlosen Aufstieg in den österreichischen Freiherrenstand. Abschließend kann resümiert werden, dass sowohl in Böhmen als auch in Schlesien die von Gutsbesitzern vorgebrachten Adelsqualifikationen jeweils ­unverändert und ohne größere Dynamik blieben, sich aber gleichzeitig stark voneinander unterschieden. Während in Böhmen die Adelsqualifikationen in der Regel auf einer Mischung der Förderung ökonomischen Fortschritts und der Milderung sozialer Spannungen durch freiwillige Wohltätigkeit beruhten, wurden die schlesischen Gutsbesitzer hauptsächlich nur aufgrund ihres Ver­mögens nobilitiert. Diese wesentlichen Adelsqualifikationen konnten noch durch soziale Anerkennung seitens des schon bestehenden Adels oder durch einen repräsentativen Lebensstil, der den ökonomischen Status widerspiegelte, ergänzt werden. Mit den Grundbesitzern setzten sich also in Schlesien und Böhmen ganz unterschiedliche kulturelle Praktiken im jeweiligen adligen Tugendkatalog durch. In Schlesien war dies die schlichte Akkumulation von Vermögen und die sich direkt daraus ergebende Anerkennung und kulturelle Demonstration sozialer Distinktion, in Böhmen dagegen die freiwillige Sorge um das Gemeinwohl und den zeitgemäß verstandenen Fortschritt. Eine Erklärung dieses Unterschieds wurde teils schon im dritten Kapitel skizziert. Die Analyse der konkreten Argumentationsstrategien der Adels­ kandidaten und des staatlichen Umgangs damit bestätigt die dortigen Annahmen vollauf. Wenn im vorherigen Kapitel festgestellt wurde, dass die starke Präsenz der Gutsbesitzer innerhalb des preußischen Neuadels hauptsächlich dem Transfer britischer Vorbilder geschuldet war, zeigen die vom Staat erwünschten Adelsqualifikationen, dass Preußen nicht nur die Form, sondern weitgehend auch den Inhalt des britischen Musters übernahm. Es wurden also eigentlich nicht Grundbesitzer nobilitiert, sondern nur deren Grundbesitz. Der Nachdruck, der auf Grundbesitz und nicht auf die zu nobilitierenden Personen gelegt wurde, führte in Schlesien zu einer ganz anderen Mischung von Kulturpraktiken im Adelsbild als in Böhmen. 4.2.4 Fortschritt, Fürsorge und Zivilgesellschaft: Das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum Im dritten Kapitel wurde festgestellt, dass das Wirtschafts- und Bildungs­ bürgertum unter den Nobilitierten zwar nicht immer im selben Maß, aber doch ständig repräsentiert war. Es wurde weiter die Hypothese aufgestellt, dass der 194 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Anstieg seines Anteils innerhalb des neuen Adels seit den Zwanziger- und Dreißigerjahren und das Verweilen auf diesem Niveau in den späteren Jahrzehnten zunächst mit den neuen Mustern wirtschaftlichen Verhaltens und später mit der Entstehung gewisser neuer Kulturpraktiken, wie etwa des freiwilligen Vereinswesens und Engagements in der entstehenden Öffentlichkeit, eng zusammenhingen. Diese Hypothese soll im Folgenden überprüft werden, indem die Argumentationsstrategien untersucht werden, die Wirtschafts- und Bildungsbürger verfolgten, wenn sie eine Adelsverleihung anstrebten. Ähnlich wie bei den früher betrachteten Gruppen soll auch der Frage nachgegangen werden, wie der Staat diese Argumente aufnahm. Werfen wir zuerst den Blick auf die Argumentationsmuster der frühen Wirtschaftseliten. Als Auslöser für ihre Durchsetzung  – und damit auch für die Durchsetzung des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums insgesamt – im neuen Adel wirkte in der ganzen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die schwierige Lage der gesamtösterreichischen Wirtschaft. Bei den Finanzkrisen, die den öster­ reichischen Staat während der napoleonischen Kriege und später den ganzen Vormärz hinweg befielen, engagierten sich in Prag und Umgebung an­sässige Familien stark und machten dann ihre Tätigkeit mit Blick auf ihren Adels­ anspruch geltend.294 Wie eine solche Bezugnahme praktisch aussehen konnte, soll das Beispiel von zwei Generationen der in Prag, später in Wien lebenden jüdischen Familie Lämel illustrieren. Der Aufstieg der Familie in den Adel begann zur Zeit der napoleonischen Kriege mit dem Händler Simon Lämel. 1801 kaufte dieser mit seinem eigenen Geld die von den französischen Truppen konfiszierten österreichischen Rohstoffe und Schiffe, die er dann dem Staat zurückgab. Während der ersten zwei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts gewährte er dann dem Staat große Darlehen und half beim Übergang in das neue Währungssystem gedruckter Bank­ noten.295 Als er im August 1811 seinen Antrag auf Verleihung des österreichischen Ritterstandes stellte, fasste er alle seine Verdienste zusammen, die er in drei Hauptgruppen unterteilte und somit die drei wichtigsten Handlungsweisen extrahierte, die ihn seiner Meinung nach für den Adel qualifizieren sollten. Die ersten Argumente drehten sich darum, dass Lämel seine eigenen Finanzmittel in ökonomisch höchst riskanten Operationen zugunsten des Staates eingesetzt hatte, ohne Anspruch auf eigenen Profit. Als ein Paradebeispiel diente ihm der oben erwähnte Kauf der von französischen Truppen konfiszierten Rohstoffe und Schiffe: »[Ich habe, d. Verf.] im Jahre 1809 […] alle vom Feinde genommenen Armorialeffekten als: Korn, Schafwolle, Tabak, Salz u.s.w. dann alle k. k. Schiffe um einen äußerst geringen Preis, höchstens um ein Drittel des Wertes für das Armorium ausgelöst, 294 Vgl. Good, S. 38–73; Brandt, Der österreichische Neoabsolutismus I, S. 103–129. 295 Komanovits, S. 415 f.

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dieses Geschäft bloß aus Patriotismus unternommen und sowohl ohne Provision als ohne Vorschuss mit eigenen und aufgenommenen Geldern ausgeführt, dabei mein eigenes Vermögen auf das Spiel gesetzt.«296

Lämels zweite Adelsqualifikation fußte weniger auf seinem finanziellen Einsatz in den schwierigen Kriegszeiten, sondern auf den Tätigkeiten, die ihm diesen Einsatz erst ermöglicht hatten. Seiner unternehmerischen Aktivität maß er große Bedeutung bei, jedoch nicht, weil diese ihm ein beträchtliches Finanz­ kapital einbrachte, sondern indem er sie als einen Beitrag zum allgemeinen Wohl darstellte: »Aber auch in Friedenszeiten machte er sich verdienstlich um das Vaterland, da ihm von dem Reichenberger Magistrate bezeuget wird, dass er […] durch 13 Jahre die Tuchfabrikanten, besonders die ärmere Klasse, durch Kredit an Wolle, dann Nachsicht mit der Rückzahlung unterstützt, zur Industrie aufgemuntert und dadurch unseren Menschen Tätigkeit und Nahrung verschafft habe.«297

Das dritte Handlungsmuster schließlich, mit dem Lämel seinen Adelsanspruch zu untermauern suchte, bezog sich auf seine Wohltätigkeit und Fürsorge. Er gehörte zu den größten Spendern für Armenfonds und Anstalten in ganz Prag, was sein Bild eines nicht nur erfolgreichen, sondern auch gesellschaftlich verantwortlichen Geschäftsmannes vervollständigte: »[Da Lämel, d. Verf.] nicht nur als ein nützlicher und rechtlicher, dem Wucher nicht ergebener Handelsmann, sondern auch als ein schöner Menschenfreund beschrieben wird, welcher zu wohltätigen Anstalten, bei vorkommenden Fällen ausgiebige Beiträge leistet.«298

Lämel stellte sich so gegenüber dem Staat als erfolgreichen Geschäftsmann dar, der jedoch mit seinem Tätigkeitshorizont weit über den eigenen Profit hinaus wirkt. Seine riskanten Finanzoperationen zugunsten des Staates sowie seine vielfältige Wohltätigkeit und Fürsorge rundeten das Bild eines geschäftlich erfolgreichen und gesellschaftlich verantwortlichen Unternehmers ab. Bei der staatlichen Überprüfung wurde aber eines seiner Argumente in Zweifel gezogen. Das böhmische Gubernium stimmte zwar zu, dass Lämels Wirtschaftserfolge kaum zu bestreiten seien und er zugleich tatsächlich zu den bedeutendsten Spendern verschiedenster wohltätiger Zwecke im Königreich Böhmen gehöre. Hinsichtlich seiner Hingabe an den Staat wollte es aber eine so eindeutige Aussage nicht treffen. Lämels Einsatz zugunsten des Staates konnte das Gubernium zwar nachvollziehen, die Uneigennützigkeit seines Verhaltens wurde aber infrage gestellt. Nicht zufällig verzeichnete Lämels Vermögen in 296 Böhmisches Gubernium an die Vereinte Hofkanzlei am 25.  Oktober 1811, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Simon Lämel, fol. 18. 297 Ebd., fol. 19.  298 Ebd., fol. 20. 

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den ersten zehn Jahren des 19. Jahrhunderts keine Verluste, sondern im Gegenteil einen starken Zuwachs, der von seinen finanziellen Operationen nicht zu trennen war. Entsprechend wandte das böhmische Gubernium seine Aufmerksamkeit darauf: »So sehr es aber mit diesen Tatsachen seine Richtigkeit hat, so wenig lässt es sich bestimmen, ob jene entschiedenen Vorteile für den Staat auch wirklich mit den angeblichen aber nicht erwiesenen Aufopferungen des Lämel vereiniget waren: es erscheint vielmehr das Gegenteil, da sein Vermögen seit 10 Jahren sich beträchtlich vermehrt hat.«299

Von Lämels ursprünglich drei wichtigsten Adelsqualifikationen wurden seine Verdienste um die Staatsfinanzen nicht ganz ausgeklammert, aber nicht als ein deutlicher Ausdruck uneigennütziger Opfer für den Staat betrachtet. Was von seinen Argumenten immerhin gelten gelassen wurde, waren seine unbestreitbaren Erfolge auf dem Feld der Ermunterung von Handel und Industrie in Böhmen sowie seine reiche karitative Tätigkeit. Auch wenn die Uneigennützigkeit gegenüber dem Staat nicht bestätigt werden konnte, reichte diese Mischung von Qualifikationen dem Gubernium aus, Lämel für die Adelsverleihung zu empfehlen, wenn auch in eine niedrigere Stufe, als er beantragt hatte: »Dessen ungeachtet bleiben die Verdienste des Simon Lämel, wie sie mit Recht bereits anerkannt sind, einer angemessenen und wie Seine Majestät ausdrücklich zu befehlen geruhten, die in Böhmen bestehenden Gesetzen oder der Landesverfassung nicht entgegen laufenden Belohnung allerdings würdig. Da aber der erbländische Ritterstand […] als zweiter Grad des Adels bei Lämel einen Sprung voraussetzt, welchen Seine Majestät nur bei dem Zusammentreffen rein edler und ganz uneigennütziger an sich selbst gar nicht lohnender Handlungen eintreten zu lassen geruhen; so scheint es, dass dem Lämel der Adelstand als eine seinen Verdiensten und übrigen Verhältnissen allerdings angemessene Belohnung zu verleihen wäre.«300

Das für die endgültige Entscheidung zentrale Organ – die Vereinte Hofkanzlei in Wien, der die ganze Sache mit dieser Empfehlung überreicht wurde  – widmete sich dem Fall ebenso ausführlich. Es erkannte Lämels besondere Verdienste um die Entwicklung der böhmischen Industrie an, und auch seine Wohltätigkeit wurde äußerst positiv aufgenommen. Bei der entscheidenden Gewichtung der Argumente besaßen diese Qualifikationen schließlich auch für die Hofkanzlei einen ausreichenden Wert, um Simon Lämel für die Adelsverleihung, trotz der Abschwächung seines zweiten Arguments, zu empfehlen. Die Tatsache, dass er seinen finanziellen Einsatz für den Staat effektiv dazu genutzt hatte, sich zu bereichern, schien im Kontrast zu seinen wirtschaftlichen Verdiensten und seiner sozialen Fürsorge weniger gewichtig und sollte den Weg

299 Ebd., fol. 22. 300 Ebd., fol. 22–23.

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in den Adel nicht versperren.301 Letztlich konstatierte die Hofkanzlei, dass der Gewinn für den Staat unbestreitbar sei, daher sei der Umstand, dass die Trans­ aktionen auch zu Lämels Bereicherung geführt hätten, irrelevant. Lämel wurde also dem Kaiser im November 1811 für die von ihm beantragte Verleihung des Ritterstandes mit einer klaren Begründung vorgeschlagen: »Der bloße Adelstand bleibt zwar immer ein unverkennbares Merkmal gewürdigter Verdienste; allein ungewöhnliche Kraftäußerungen eines seltenen bis zur gänzlichen Hingebung seiner Selbst gerechten Patriotismus, betätigt durch Redlichkeit und Uneigennützigkeit in einer Zeitperiode, wo der Egoismus aus den Drang­salen des Staates die größtmöglichsten Vorteile zu ziehen pflegt, scheinen auch eine außer­ ordentliche Belohnung zu heischen, und in dieser Hinsicht glaubt die treugehorsamste Hofkanzlei […] das ehrerbietige Einraten zu begründen, damit Eure Majestät dem Prager israelitischen Großhändler Simon Lämel zum vollen Beweise seiner anerkannten rühmlichen Verdienste um den Staat den gebetenen erbländischen Ritterstand für ihn und seine eheliche Deszendenz als ein auszeichnendes Merkmal der aller­höchsten Huld und Zufriedenheit in Gnaden zu verleihen geruhen möchten.«302

Auch wenn Simon Lämel vom Kaiser letztendlich nur in den Adelsstand er­ hoben wurde, unterstreicht sein Fall zwei schon im vorigen Kapitel aufgestellte Annahmen. Erstens war in keinem Moment des Verfahrens sein jüdischer Glaube für die Verleihung des Adels von irgendeiner größeren Bedeutung. Der Staat war sich zwar Lämels religiösen Bekenntnisses bewusst, praktizierte aber einen offenen Umgang, indem der religiöse Aspekt im Fall einer Adels­ verleihung von keiner ausschlaggebenden Bedeutung war. Zweitens liefert die Nobilitierung Lämels einen Beweis, dass der Aufstieg von Wirtschaftsbürgern in den Adel in den ersten zwei oder drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts tatsächlich mit ihrem ökonomischen Engagement für den Staat sowie mit dem allgemeinen Wandel ihres Wirtschaftsverhaltens verbunden war. Lämel verdankte seine Nobilitierung auf der einen Seite seinem finanziellen Einsatz zugunsten des Staates, auf der anderen Seite aber auch seiner finanziellen Unter­stützung der böhmischen Industrie.303 Nicht zuletzt erwähnte er in seinem Nobilitierungsantrag explizit die Gewährung von Krediten für verschiedene kleine Handwerker und Unternehmen, was unter den Umständen eines erst entstehenden modernen Bankwesens einen wichtigen dynamisierenden Wirtschaftsfaktor darstellte.304 Dies wurde in dem das Verfahren abschließenden Adelsdiplom bestätigt, das Lämels offizielle Qualifikationen für den Adel öffentlich machte. Nach der Be301 Vereinte Hofkanzlei an den Kaiser am 7. November 1811, ebd., fol. 5–8, 26. 302 Ebd., fol. 6–7. 303 Allgemeiner zu den Nobilitierungen böhmischer Bankiers Krejčík, Nobilitovaní bankéři; Myška, Nová šlechta. 304 Vgl. Hájek, Vývoj, S. 317–325; Brusatti.

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tonung seines patriotischen Einsatzes in den Kriegszeiten wurde gerade seiner Wirtschaftstätigkeit Anerkennung gezollt, die zum Aufschwung nicht nur des böhmischen, sondern des gesamtösterreichischen Handels und der Industrie wesentlich beigetragen habe: »Er hat […] die Tuchfabrikanten, besonders die ärmere Klasse derselben in Unserem Königreiche Böhmen […] durch Kredit und Nachsichten bei der Rückzahlung und durch Verschleiß der erzeugten Tücher in das Ausland zur Industrie aufgemuntert, den Wollhandel zur Zufriedenheit der ansehnlichsten Güterbesitzer in Böhmen, Mähren und Österreich und selbst Unserer im Königreiche Böhmen aufgestellten Staatsgüterverwaltung betrieben und durch seine Verwendung auf die Vermehrung und Veredlung der inländischen Wollerzeugung auf das vorteilhafteste gewirkt.«305

Neben diesen beiden Adelsqualifikationen, also eines ausgeprägten Patrio­ tismus und der Förderung des ökonomischen Wachstums, spielte bei der Nobilitierung schließlich Lämels Wohltätigkeit eine unterstützende Rolle, und auch sie fand im Adelsdiplom einen entsprechenden Platz.306 Dies vervollständigt das Bild der Handlungsmuster, die am Anfang der zunehmenden Aufnahme von Angehörigen des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums in den Adel standen. Schon in den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gelangten Wirtschaftsbürger in den Adel, vor allem aufgrund ihrer finanziellen Hilfe für den Staat, der neuen Wirtschaftspraktiken, die zum ökonomischen Wachstum beitrugen, und auch aufgrund sichtbarer gesellschaftlicher Verantwortlichkeit, die ihren Ausdruck in wohltätigem Engagement fand. Welche Akzentuierungen diese Qualifikationen dann bis zum Ende des untersuchten Zeitraums entwickelten, können uns weitere Beispiele zeigen. Bleiben wir aber noch bei der erfolgreichen Bankiers- und Unternehmerfamilie Lämel, deren sozialer Aufstieg mit dieser Adelsstandsverleihung keineswegs ihr Ende erreicht hatte. 45 Jahre nach Simons Nobilitierung wurde nämlich im Jahr 1856 sein Sohn Leopold Lämel in den österreichischen Ritterstand erhoben. Seine Adelsqualifikationen, die er dabei geltend machte, sowie ihre staat­liche Einschätzung, gewähren einen guten Einblick, wie sich die Legitimierungs­ strategien des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums fokussierten und wie sie staatlicherseits rezipiert wurden. Als einziger Sohn beteiligte sich Leopold Lämel schon zu Lebzeiten seines Vaters umfassend an den wirtschaftlichen Unternehmungen der Familie.307 Seit den Dreißigerjahren war er für das Verhältnis zum und die Geschäfte mit dem Staat verantwortlich und gewährleistete die Fortführung der von seinem Vater begründeten Tradition, wobei sich ein wesentlicher Teil der Unternehmens­ 305 Konzept des Adelsdiploms für Simon Lämel, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Simon Lämel, fol. 2. 306 Ebd., fol. 28. 307 Putz, S. 407–409.

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tätigkeit gerade auf Transaktionen mit dem Staat konzentrierte. Österreich gelang es im Vormärz eigentlich nie, die wirtschaftlichen Folgen der napoleonischen Kriege völlig zu überwinden, und besonders ab den Dreißigerjahren war es immer mehr auf die Zufuhr von Anleihegeldern angewiesen, was eine große geschäftliche Chance für viele Bankiers bedeutete, unter denen das Haus Lämel nicht fehlte.308 Schon 1831 stellte Leopold Lämel der Staatskasse acht Millionen Gulden zur Verfügung, und zwischen 1832 und 1835 gehörte er jedes Jahr zu den freigebigsten Bankiers, die die Staatsfinanzen zu sanieren halfen.309 Diese aktive Unterstützung des Staats diente ihm dann Mitte der Fünfzigerjahre als ein wichtiges Argument bei der Begründung seines Nobilitierungsantrags.310 Seine wirtschaftliche Tätigkeit und die damit verknüpften Erfolge beschränkten sich jedoch nicht nur auf Geschäfte mit dem Staat. Leopold Lämel gehörte zugleich zu den führenden Personen des entstehenden Prager Finanzlebens. Schon 1825 wurde er erster Direktor der neu gegründeten böhmischen Sparkasse  – einer der ersten nichtstaatlichen Institutionen, die durch Kredite den Aufschwung des böhmischen Frühkapitalismus beförderte.311 Bei seinem Wirken an der Spitze des böhmischen Bankwesens hatte er einige weitere Möglichkeiten, seine Loyalität zum Staat deutlich zu bezeugen. In der unruhigen Revolutionszeit des Jahres 1848 schützte er zum Beispiel auf eigenes Risiko die Prager Stadtkasse. Als im Herbst 1848 wieder Ruhe eingekehrt war, setzte er ein Moratorium für alle Geschäftsoperationen durch, womit er in der immer noch unsicheren revolutionären Situation Finanzspekulationen und mögliche Verluste für die Staatskasse verhinderte.312 Nach der Revolution stieg sein Stern noch weiter. Seit 1850 wurde er wiederholt zum Direktor der drei Jahre zuvor gegründeten Prager Filiale der Österreichischen Nationalbank gewählt und im Jahr 1855 nahm er teil an der Gründung der künftig größten Bank Österreichs, der »K. k. privat Österreichischen Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe.«313 Wenn auch diese wirtschaftlichen und finanziellen Aktivitäten, die Leopold Lämel als erstes Argument für seine erbetene Standeserhebung anführte, im Vergleich zu denen seines Vaters deutlich umfangreicher waren, war der qua­ litative Unterschied kaum zu sehen. Er führte seine erfolgreiche und hoch profitable Unternehmertätigkeit ins Feld, die jedoch Hand in Hand mit staatlichen Interessen ging und durch sein Engagement im wachsenden böhmischen Finanz- und Bankwesen sehr zum wirtschaftlichen Aufschwung der böhmischen Länder beitrug. 308 Brandt, Der österreichische Neoabsolutismus I, S. 127. 309 Putz, S. 408. 310 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Leopold Lämel, fol. 8. 311 Vgl. Hájek, The System of Saving Banks. 312 Vgl. Brandt, Der österreichische Neoabsolutismus I, S. 155–180. 313 März, S. 48–56; Cameron, S. 153–157.

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Aber auch hinsichtlich seines zweiten Arguments glich Leopold Lämels Legitimierung seines Adelsanspruches dem seines Vaters. Auch Leopold Lämel betonte neben seiner wirtschaftlichen und finanziellen Tätigkeit noch die breite finanzielle Unterstützung verschiedenster karitativer Zwecke: »Unter den zahlreichen menschenfreundlichen Handlungen, durch die er das Elend seiner Mitbürger zu mindern suchte, dürften seine Beiträge während des Jahres 1832 zur Zeit des ersten Auftretens der Cholera, seine Beiträge zum Bau eines neuen is­ raelitischen Hospitals in Teplitz, zur Gründung einer jüdischen Schule in Collin und zur Maria Arme Stiftung eine besondere Erwähnung verdienen.«314

Ähnlich wie sein Vater beschrieb er sich dem Staat gegenüber nicht nur als erfolgreicher Bankier und Geschäftsmann, sondern auch als verantwortungs­ bewusster Unternehmer, der seine Mittel unter anderem zur Bekämpfung der Armut und zur Milderung der Auswirkungen von Epidemien einsetzt. Doch unterschied sich die Begründung von Leopold Lämels Adelsanspruch Mitte der Fünfzigerjahre in einer Hinsicht von der des Vaters im Jahr 1811. Das dritte Argumentationsbündel, das Leopold Lämel dem Staate vorlegte, bezog sich nämlich auf sein umfangreiches Engagement in zahlreichen ab den Dreißigerjahren entstandenen freiwilligen Assoziationen und Vereinen, in denen er sich intensiv betätigte. Das Argument, dass Leopold Lämel nicht nur ein erfolgreicher und seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusster Bankier sei, sondern sich auch an der vielfältigen gesellschaftlichen Selbstorganisation aktiv betätige, spielte für ihn keine untergeordnete Rolle. Lämel achtete sehr darauf, dieses Argument so stark wie möglich zu machen, und vergaß nicht, in seinem für die Zwecke der Nobilitierung in der dritten Person geschriebenen Lebenslauf jede einzelne Initiative, Assoziation und jeden Verein aufzuzählen: »Lämel ist Mitgründer eines Vereins zur Beförderung einer freiwilligen Arbeits­ anstalt in Prag, des Vereins zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen, der böhmischen Gartenbaugesellschaft und einer Privat-Landschaftszeichenschule in Prag, Ausschuss-Mitglied des Schutzzüchter-Vereins für Böhmen; Mitglied des vaterländischen Museums in Böhmen, Ehrenmitglied der Prager Sophien-Akademie, des Prager Taubstummeninstituts, der Kleinkindbewahranstalt Pilsen, Mitglied des Vereins zur Versorgung und Beschützung erwachsener Blinden in Prag, Mitglied und Direktor des Vereins zum Wohle hilfsbedürftiger Kinder, Mitgründer und Prüfungskommissar des Vereins für entlassene Sträflinge.«315

Das war nicht nur neu im Vergleich zur Nobilitierung seines Vaters fünf­ undvierzig Jahre zuvor, sondern auch zur schon geschilderten Nobilitierungspraxis in Schlesien. Die Kulturpraktiken der gesellschaftlichen Selbstorganisation jenseits der direkt vom Staat gesteuerten Institutionen spielten bei den schlesischen Nobilitierungen nie eine Rolle, weder auf der Seite der Adels­ 314 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Leopold Lämel, fol. 10. 315 Ebd., fol. 11.

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bewerber noch auf der des Staates. In Böhmen wurden dagegen solche Praktiken zur Unterstützung eines Adelsanspruchs oft herausgestrichen. Schließlich verlief der Aufschwung gesellschaftlicher Selbstorganisation und des frei­ willigen Assoziationswesens ab den Dreißigerjahren zeitgleich mit dem Aufstieg des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums; beide bedingten, ja beförderten sich gegenseitig. Der Staat ließ sich auf Lämels Argument ein, das er auf sein zivilgesellschaftliches Engagement stützte. Als Leopold Lämel 1856 schließlich in den öster­ reichischen Ritterstand erhoben wurde, wurde dies offiziell und öffentlich neben seiner finanziellen Hilfe für den Staat und seiner karitativen Tätigkeit ausführlich auch mit seinem Engagement in zahlreichen jenseits des Staates angesiedelten Assoziationen und Verbänden begründet.316 Die Praktiken gesellschaftlicher Selbstorganisation in der entstehenden öffentlichen Sphäre erfuhren offenbar jetzt eine starke Anerkennung seitens des Staates. Lämel war dabei keine Ausnahme, und seine Nobilitierung im Jahr 1856 war nur Teil  eines bereits zwei Jahrzehnte zuvor einsetzenden Trends. Schon seit den Dreißigerjahren versuchten die nobilitierten böhmischen Händler, Kaufleute und Akademiker, ihre Adelsansprüche gerade mit ihrem gesellschaftlichen Engagement jenseits der direkten Profitlogik oder ihrer bloßen Berufstätigkeit zu begründen, und waren dabei meistens erfolgreich. Mit zivilgesellschaftlichem Engagement ließ sich ab den Dreißigerjahren, wenn es um Adelsansprüche ging, gut punkten. Schon 1836 wurde zum Beispiel der böhmische Advokat Peter Schlosser in den österreichischen Adelsstand erhoben, wobei gerade seine Unterstützung von und sein persönliches Engagement in zahlreichen nichtstaatlichen Initia­ tiven und Vereinen offiziell als Adelsqualifikation anerkannt wurden: »Er ist ein Mitglied des kleinen Ausschusses des böhmischen Sparkassevereines, wirkendes Mitglied des böhmischen Vaterländischen Nationalmuseums, Ehrenkurator der mit der ersten österreichischen Sparkasse verwandten allgemeinen Versorgungsanstalt, Anwalt der Witwen- und Weisensocietät, emeritiertes Ausschussmitglied der Prager allgemeinen Versorgungsanstalt für ohne ihr Verschulden verunglückte Männer, für Witwen und Weisen.«317

Im Jahr 1841 erhielt des Weiteren ein anderer Prager jüdischer Kattunfabrikant, Leopold Jerusalem, den österreichischen Adelsstand. Zur Unterstützung seines Adelswunsches benutzte er die gleichen drei Argumente wie Leopold Lämel. Sein Erfolg als Unternehmer diente dabei – ähnlich wie bei Lämel und ganz anders als im Fall vergleichbarer schlesischer Unternehmer – nicht als ein Mittel zur Demonstration seiner Wohlhabenheit und »standesgemäßen« Lebensstils, sondern als eine Qualifikation, durch die der Bittsteller soziale Spannungen zu 316 Ritterstandsdiplom für Leopold Lämel vom 17. April 1856, ebd., fol. 3–6. 317 Adelsdiplom für Peter Schlosser vom 8. November 1836, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Peter Schlosser, fol. 3–6.

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mildern vermochte und zum allgemeinen Wohl beitragen und das Wirtschaftswachstum fördern konnte:318 »Jerusalem [hat] als Inhaber der k. k. privilegierten Rosenthaler Kotton und Leinwandfabrik in Karolinenthal, stets 700–1000 Menschen ununterbrochen beschäftigt und keine von ihnen auch in den bedrängtesten Zeiten, wo die Fabrikation stockt, tausende von Arbeitern brotlos wurden und der Geist der Unruhe in ihnen ward, entließ, sondern mit Aufopferung eines bedeutenden Vermögens, sie fortwährend beschäftigte und ernährte. […] Es ist allgemein bekannt, dass die Druckfabrik des Leopold Jerusalem unter die ausgezeichneten Böhmens gezählt wird. […] Die über die Betriebsfähigkeit und Geschäftserweiterung dieser Fabrik gepflogenen Erhebungen liefern das Resultat, dass Jerusalem bisher kein Opfer gescheut hat, in der Fabrikation von Baumwolldruckwaren die möglichste Stufe der Vollkommenheit zu er­reichen, auf der diese Fabrik bei dem wegen des Strebens ihres Chefs noch immer vorwärts schreitet.«319

Die Umstände, dass Jerusalem in Krisenzeiten die Arbeitsplätze in seinem Unternehmen erhalten hatte und sich seine Fabrik ständig durch Innovationen auszeichnete, wurden bei der Adelsverleihung als eine unabdingbare Komponente seines wirtschaftlichen Erfolgs betrachtet. Sein gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein wurde dazu noch durch seine großen Spenden an karitative Anstalten, Krankenhäuser und einzelne Bedürftige unterstrichen. Diese hatten vor allem in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre, als Prag und die Umgebung von mehreren tödlichen Krankheitsepidemien heimgesucht worden war, zur Linderung der schwierigen Situation tausender Menschen beigetragen.320 Ähnlich wie bei anderen jüdischen Neuadligen war Jerusalems Glaubenszugehörigkeit kein Hindernis und konnte nicht das Bild eines erfolgreichen, an der Spitze des Fortschritts stehenden, zugleich aber auf das allgemeine Wohl achtenden Unternehmers beschädigen. Die dritte Adelsqualifikation, die Jerusalem für sich benannte und die der Staat auch völlig akzeptierte, spiegelte sein Engagement in der entstehenden Öffentlichkeit jenseits von Unternehmertätigkeit und Wohlfahrt wider. Jerusalem gehörte zu den aktiven Mitgliedern mehrerer Prager Vereine, die er sowohl durch persönlichen Einsatz als auch mit Geld bedeutend unterstützte. Vor allem seine Tätigkeit als Direktionsmitglied des größten böhmischen Vereins – des »Vereins zur Ermunterung des Gewerbs­ geistes in Böhmen«  – spielte bei der Begründung seines Adelsanspruchs eine prominente Rolle.321 Als die staatlichen Stellen Jerusalems Adelswürdigkeit einschätzten, bestanden keine grundsätzlichen Zweifel daran, dass er für den Adelsstand geeignet 318 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Leopold Jerusalem Edler von Salemfels, fol. 32. 319 Ebd. 320 Ebd., fol. 34. 321 Ebd., fol. 35. Štaif, S. 100 f.

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war. Sowohl das böhmische Gubernium als auch die Vereinte Hofkanzlei waren sich darüber einig, dass die Mischung von wirtschaftlicher Prosperität, karitativer Tätigkeit und gesellschaftlichem Engagement eine passende Adelsqualifikation ergebe. Diese Mischung fand letztlich auch in der offiziellen Empfehlung an den Kaiser ihren Platz, in der Jerusalem als ein Mann empfohlen wurde, der während seines ganzen Lebens »seinen Wohltätigkeitsinn und sein Streben um die Emporbringung der Industrie, des Handels und aller gemeinnützigen An­ stalten bestätigt hat«.322 Als der Kaiser dem Vorschlag seine formelle Zustimmung gab, wurde Jerusalem im April 1841 rechtswirksam in den Adelsstand erhoben. Die Adelsqualifikationen, auf die er sich während des Verfahrens gestützt hatte, waren im Prinzip die gleichen wie die von Leopold Lämel. Auch das Adelsdiplom erkannte ausdrücklich seinen der Allgemeinheit dienenden Erfolg als Unternehmer, seine großzügige karitative Tätigkeit sowie sein Wirken im böhmischen Vereinsleben an.323 Eine solche Verbindung von Adelsqualifikationen wurde von Wirtschaftsund Bildungsbürgern ab den Dreißigerjahren immer angeführt und vom Staat akzeptiert. Wenn sich auch die konkreten Argumente und Verdienste von­ einander unterschieden, spiegelten sie in der Regel diese drei Hauptkom­ ponenten wider. Erstens war es die führende Stellung im Rahmen des jeweiligen Berufsfeldes des Kandidaten, aus der sich sodann Verdienste ableiteten, die über die eigene Karriere hinausgingen. Bei erfolgreichen Wirtschaftsbürgern spielte nicht so sehr ihre Akkumulation von ökonomischem Kapital die Hauptrolle, sondern der breitere Kontext ihrer unternehmerischen Aktivität, mit denen ein Beitrag zum breit verstandenen Staatsinteresse und Allgemeinwohl ge­ leistet werden sollte. Waren es die Erhaltung von Arbeitsplätzen in Krisenzeiten, die Einführung technischer Innovationen oder die Dynamisierung des Wirtschaftswachstums durch zur Verfügung gestellte Darlehen  – diejenige Kom­ ponente des beruflichen Erfolgs, die über den eigenen Profit hinausging, spielte immer eine wichtige Rolle. Die verlangte Sorge um das Allgemeinwohl kam noch deutlicher bei der zweiten Adelsqualifikation zum Ausdruck  – direkter Wohltätigkeit und Fürsorge. Wenn sich der alte Adel traditionell durch eine umfangreiche karitative Tätigkeit auszeichnete, hing diese immer eng mit seinen Herrschaftspraktiken zusammen. Das war bei zu nobilitierenden Wirtschafts- und Bildungsbürgern nur selten der Fall. Demonstrative Fürsorge für die Armen und Kranken ergänzte gewissermaßen die erste Qualifikation des beruflichen, auch der All­ gemeinheit zugutekommenden Erfolgs. Die reichen Spenden der Wirtschaftsbürger bezeugten, ähnlich wie ihre Erfolge beim Erhalt von Arbeitsplätzen oder bei der Dynamisierung des Wirtschaftswachstums, ihre gesellschaftliche 322 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Leopold Jerusalem Edler von Salemfels, fol. 34. 323 Adelsdiplom für Leopold Jerusalem vom 19. April 1841, ebd., fol. 21–24.

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Verantwortung und Verpflichtung gegenüber dem öffentlichen Interesse und dienten gleichzeitig zur Legitimierung des Eintritts in den Adel. Das dritte Argumentationsbündel bezog sich ab den Dreißigerjahren auf die Praktiken der aufkommenden gesellschaftlichen Selbstorganisation. Die finanzielle Unterstützung von, besser noch das persönliche Engagement in den neu entstehenden freiwilligen Vereinen und Initiativen stellte bei der Untermauerung eines Adelsanspruches eine ebenso wichtige Tugend dar wie eine erfolg­ reiche Berufstätigkeit im »Dienste des Fortschritts« und der Barmherzigkeit zeigenden Wohlfahrt. So bestätigt die Analyse konkreter Adelsverleihungen an staatsferne Bürger die im vorherigen Kapitel aufgestellte Hypothese. Dass die Verbreitung von Praktiken und Strukturen gesellschaftlicher Selbstorganisation zeitlich mit der steigenden Zahl ihrer führenden Akteure unter den Nobilitierten zusammenfiel, beruht tatsächlich auf einem Kausalzusammenhang. Wirtschafts- und Bildungsbürger wurden auch aufgrund ihres Engagements in der entstehenden öffentlichen Sphäre jenseits direkter staatlicher Organisation und jenseits unmittelbarer Wirtschaftsinteressen nobilitiert. Mit ihrem zunehmenden Aufstieg in den Adel schrieben sich daher solche Handlungsmuster zusammen mit den beiden übrigen Qualifikationen in das staatlich forcierte Adelsbild ein. Mitte der Dreißigerjahre kam es zu einem deutlichen Bruch bei der staat­ lichen Einschätzung der Adelsqualifikationen, wie am Beispiel der Nobilitierung von Josef Löhner gezeigt werden kann. Der böhmische Advokat und Landwirt Josef Löhner – der Vater des deutsch-liberalen Führers und Reichstagsabgeordneten während der Revolution 1848/49 Ludwig Löhner  – bewarb sich 1834 um die Aufnahme in den Adel.324 Sein Antrag beruhte auf drei Hauptargumenten. An erster Stelle standen seine professionellen Verdienste. Da sich Löhner nach dem Studium weniger einer juristischen Tätigkeit als der Landwirtschaft widmete, bestanden diese in seinen landwirtschaftlichen Erfolgen. Dabei ging es erneut nicht um seinen eigenen Gewinn und Reichtum, sondern um seine Beiträge zum Fortschritt in der landwirtschaftlichen Produktion und die positiven Folgen für das Allgemeinwohl. Löhner argumentierte mit seinen wissenschaftlichen Forschungen, die zur Kultivierung neuer Bewirtschaftungsmethoden beitragen sollten, mit der Anerkennung, die er dafür in Fachkreisen erhielt, und mit der praktischen Umsetzung seiner Innovationen auf agrarischem Sektor: »Seit dem Jahre 1809, wo sich der Unterzeichnete ganz der Landwirtschaft widmete, suchte er durch zahlreiche in Druck gegebene Aufsätze über Landwirtschaftliche Gegenstände wichtigere Kenntnisse unter den Landwirten zu verbreiten, weshalb er auch von mehreren in- und ausländischen Ackerbaugesellschaften als Mitglied ernannt wurde. […] Auf seinem Gute Rostok hat Unterzeichneter ein sehr nütz­ liches Beispiel hoher Kultur aufgestellt, durch Verwendung bedeutender Summen auf

324 Vgl. Sieber, S. 16–18.

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Meliorationen den Wohlstand der Untertanen begründet und besonders durch sehr ausgedehnte Obstanlagen sich um diesen Zweig der Industrie und um die Verschönerung der Gegend verdient gemacht. […] Ferner hat Unterzeichneter in wenigen Jahren Anleitung zur Schafzucht für angehende Schafzüchtler verfasst, welche von der k. k. patriotisch-ökonomischen Gesellschaft in Druck gegeben und zum Prüfungsbuch bestimmt wurde.«325

Wenn auch in viel geringerem Maße als erfolgreiche Unternehmer und Bankiers konnte Löhner, zweitens, auch auf seine karitative Tätigkeit verweisen. Als ausgebildeter Advokat, der zuerst als Gymnasiallehrer, später als Landwirt seinen Lebensunterhalt bestritt, konnte er es sich nicht leisten, die verschiedenen karitativen Anstalten, Fonds und Initiativen so großzügig wie Unternehmer oder Bankiers zu fördern, trotzdem unterstütze er nach seinen Möglichkeiten ausgewählte allgemeine oder zu konkreten Zwecken gegründete karitative Initiativen und Anstalten: »Im Jahre 1801 gründete der Unterzeichnete die erste Armfonds-Suppen-Küche in Prag und gab dadurch die Veranlassung zur Errichtung des für Prag später so wohl­ tätig und wichtig gewordenen Vereins zur Unterstützung der Hausarmen. […] Er trug nach seinen Kräften zur Begründung oder Unterstützung anderer wohltätigen Anstalten bei. Zur Errichtung des Wohltätigkeitsvereins in dem Jahre 1817 machte er einen Beitrag von 200 als Geschenk und einen Vorschuss von 1000. Bei Ausbruch der Cholera machte er zur Unterstützung der armen Gebirgsbewohner ein Beitrag von 20 und ein Darlehen von 200.«326

Seine Spenden, die dreistellige Beträge kaum überschritten, konnten sich mit den riesigen Summen der Bankiers und Industriellen nicht messen, trotzdem wurden sie von Löhner zur Untermauerung seines Adelsanspruchs herangezogen. Nicht das absolute Ausmaß der Wohltätigkeit war mit Blick auf den erstrebten Adelsstand wichtig, sondern vielmehr die kulturelle Praxis des Spendens, die gesellschaftliche Verantwortung und Barmherzigkeit bekunden sollte. Die dritte von Löhner vorgelegte Adelsqualifikation beruhte auf seinem Engage­ment in einigen böhmischen Vereinen. Schon bei der Betonung seiner karitativen Tätigkeit legte er besonderen Nachdruck auf seine schöpferische Tätigkeit bezüglich der Errichtung des Prager Vereins für die Unterstützung der Hausarmen, sein gesellschaftliches Engagement ging aber über die Ebene reiner Wohltätigkeitsvereine hinaus.327 Als passionierter Schafzüchter wurde er persönlich initiativ, um einen entsprechenden Fachverein zu gründen, der die Ausbildung der Züchter und die Schafzucht fördern sollte, und auch bei mehreren anderen bedeutenden böhmischen Vereinen betätigte er sich sowohl persönlich als auch finanziell: 325 Nobilitierungsantrag von Josef Löhner vom 4. März 1834, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Joseph Löhner, fol. 44–45. 326 Ebd. 327 Zur Typologie der Vereine Dann.

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»Der Unterzeichnete widmete […] 500 zur Gründung des böhmischen Nationalmuseums. Er war stets einer der tätigen Mitglieder der k. k. patriotisch-ökonomischen Gesellschaft in Böhmen. Er begründete den bestehenden Schaf-Züchter Verein, welcher nach allgemeiner Anerkenntnis bereits viel zur Emporbringung dieses Zweiges der Industrie beigetragen hat, und ist seit seiner Entstehung Geschäftsleiter desselben.«328

Löhner legte im März 1834 dem Staat einen Nobilitierungsantrag vor, der im Wesentlichen auf drei Adelsqualifikationen beruhte: auf seinem beruflichen Erfolg, der einem breiteren Nutzen dienlich war, auf seiner karitativen Tätigkeit sowie auf seinem finanziellen und persönlichen Engagement in mehreren böhmischen freiwilligen Assoziationen und Vereinen. Er konnte seine Argumente überzeugend belegen, denn die staatlichen Stellen kamen bei deren Über­ prüfung zum Schluss, dass sie auf realen Tätigkeiten beruhten und als Grundlage für ein Nobilitierungsverfahren dienen konnten.329 Löhners Adelsanspruch konnte sich daneben noch auf mehrere inoffizielle Fürsprachen stützen, die ihn für eine Nobilitierung ausdrücklich empfahlen. So setzte sich zum Beispiel Karl Graf Chotek, der oberste Prager Burggraf (und damit höchste Repräsentant der Staatsgewalt in Böhmen), persönlich für seine Nobilitierung ein: Der Bittsteller »dient zum Muster und zum belehrenden Beispiel. Er ist nicht nur im Inlande bekannt, sondern auch sehr ehrenvoll in auswärtigen Blättern gewürdigt und anerkannt worden«.330

Auch die Prager Stadthauptmannschaft lieferte aus eigener Initiative eine Stellungnahme, in der Löhner als ein Mann geschildert wurde, der »in Bezug auf seine Humanität, auf seine Vorliebe für die Beförderung des Wissenschaftlichen, Nützlichen und Guten und als Besitzer der Herrschaft Rostok der all­ gemeinen Achtung genießt«.331

Gestützt auf Löhners Nobilitierungsantrag, dessen Argumente gründlich überprüft wurden, und auf Fürsprachen einflussreicher Stellen hatte das böhmische Gubernium bei der Einschätzung des Antrags nicht allzu viel Arbeit. Löhner wurde der Vereinten Hofkanzlei in Wien mit explizitem Verweis auf seine erfolgreiche landwirtschaftliche Tätigkeit, seine Wohltätigkeit und sein ge­ sellschaftliches Engagement in böhmischen Assoziationen zur Nobilitierung empfohlen.332 328 Nobilitierungsantrag von Josef Löhner vom 4. März 1834, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Joseph Löhner, fol. 44–45. 329 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Joseph Löhner, fol. 23–46. 330 Karl Graf Chotek an das böhmische Gubernium, ebd., fol. 49–50. 331 Stadthauptmannschaft Prag an das Böhmische Gubernium, ebd., fol. 47–48. 332 Böhmisches Gubernium an die Vereinte Hofkanzlei, ebd., fol. 54–61.

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Die Wiener Hofkanzlei überzeugte die Schilderung von Löhners Adels­ qualifikationen jedoch nicht. Die zuständigen Beamten erkannten zwar an, dass eine Hervorhebung der von Löhner geschilderten Verdienste legitim war, im gemeinsam getroffenen Votum überwog aber letzten Endes die Meinung, dass diese für den Adelsstand nicht ausreichend seien. Im Herbst 1834 wurden in Löhners Fall die auf den üblichen drei Säulen fußenden Begründungen zwar anerkannt, jedoch für eine Nobilitierung als in ihrem Ausmaß nicht ausreichend erachtet: »Durch die vorstehenden amtlichen Erhebungen ist dargetan, dass der Bittsteller ein schützbarer und verdienstlicher Mann sei, dessen seltenes Streben zur Beförderung wichtiger öffentlicher Zwecke einer Anerkennung und Belohnung allerdings würdig sein dürfte. Wenn daher auch seine Verdienste nicht in der Art hervorragend und ausgezeichnet sind, um die Verleihung des Adels zu verdienen.«333

Löhners Aussichten auf den Adel waren mit diesem Beschluss der Hofkanzlei aber keineswegs zunichte gemacht. Als im März 1835 Kaiser Franz I. verstarb und sein Sohn Ferdinand den Thron übernahm, kam es anlässlich seiner Krönungen zum böhmischen und lombardischen König in den Jahren 1836 und 1838 zu einer Welle von Nobilitierungen, die Löhner zu einem erneuten Nobilitierungsantrag nutzte. In seinem zweiten Antrag vom Frühjahr 1836 änderte er die Argumentation hinsichtlich seiner Adelsqualifikationen keineswegs ab. Wieder stützte er sich nicht nur allgemein auf die hauptsächlichen Handlungsmuster seines beruflichen Erfolgs, der Wohlfahrt und des gesellschaft­ liches Engagements in verschiedenen Vereinen und Assoziationen, sondern im Wesentlichen auf genau die gleichen konkreten Verdienste wie zwei Jahre zuvor. Er betonte nochmals seine wissenschaftlichen Schriften über landwirtschaft­ liche Innovationen, deren praktische Umsetzung, seine Spenden bei der Choleraepidemie des Jahres 1832 sowie Beiträge für den neu gegründeten Prager Verein zur Unterstützung der Hausarmen, seinen Anteil an der Gründung des böhmischen Nationalmuseums, seine Gründerrolle bezüglich des böhmischen Schafzüchtervereins und seine aktive Mitgliedschaft in der k. k. patriotischökonomischen Gesellschaft in Böhmen.334 Obgleich die Legitimation seines Adelsanspruchs die gleiche war wie zwei Jahre zuvor, wurden die von ihm vorgewiesenen Qualifikationen diesmal als für den Adelsstand geeignet befunden, und Löhner wurde im Dezember 1836 tatsächlich nobilitiert.335 Die staatliche Begründung seiner Nobilitierung bestand dabei aus den von ihm vorgebrachten Argumenten: Als Hauptgründe wurden seine Verdienste um die böhmische Landwirtschaft, seine Wohltätigkeit und sein Engagement in mehreren Vereinen explizit anerkannt.336 333 Vereinte Hofkanzlei an den Kaiser am 12. Oktober 1834, ebd., fol. 66. 334 Josef Löhner an das böhmische Gubernium, ebd., fol. 28–29. 335 Ebd., fol. 38. 336 Adelsdiplom für Josef Löhner, ÖStA Wien, ebd., fol. 2–8.

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Der Staat hatte in diesem Fall seine Meinung innerhalb von zwei Jahren eindeutig geändert. Dieselben Qualifikationen, die noch 1834 für den Adel nicht ausgereicht hatten, qualifizierten den Kandidaten jetzt für eine Adelsverleihung. Der darin zum Ausdruck kommende Einstellungswandel war keine kurzfristige Laune der zuständigen Staatsbeamten oder des Kaisers. Er markierte vielmehr den Anfang einer langfristigen Veränderung des Kriterien­katalogs, den der Staat für Adelsverleihungen anlegte. Diese veränderte Haltung prägte die Nobilitierungen von Wirtschafts- und Bildungsbürger bis zum Ende des untersuchten Zeitraums. Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise die Nobilitierung des Prager Unternehmers und Präsidenten der Prager Handelskammer Johann Baptist Riedl im Jahr 1855 zu sehen. Seinen Antrag reichte Riedl im April 1855 ein, also zu einer Zeit, als die nach der Revolution vorübergehende Abnahme der Adels­ verleihungen an Wirtschafts- und Bildungsbürger an ihr Ende kam. Bei der Untermauerung seines Adelsanspruchs konnte er sich auf eine bunte Palette von Argumenten stützen, alle aber leiteten sich grundsätzlich von den drei oben erwähnten Handlungsmustern ab. Seinen beruflichen Erfolg, der als Beitrag zum allgemeinen Fortschritt dargestellt wurde, bezeugte Riedl dem Staat durch sein Wirken an der Spitze des böhmischen Wirtschaftslebens, das länger als drei Jahrzehnte andauerte, sodass er zu den führenden Persönlichkeiten des im Entstehen begriffenen böhmischen Kapitalismus avancierte. Riedl nahm zum Beispiel die Hauptrolle bei der Errichtung der Prager Filiale der Österreichischen Nationalbank im Jahr 1847 ein und wurde zu ihrem ersten Direktor gewählt.337 Er war zehn Jahre lang Mitglied des Ausschusses der böhmischen Sparkasse und betätigte sich sehr aktiv bei der Gewährung von Krediten an böhmische Unternehmensgründer sowie bei der Errichtung zahlreicher Filialen der Sparkasse, die unternehmerische Aktivität außerhalb der Landeshauptstadt dynamisierten.338 Neben der Gewährung von Krediten forcierte er wirtschaftliches Wachstum und die Akkumulation von Kapital aber auch direkt, indem er zu den Hauptgründern mehrerer bedeutender böhmischer Aktiengesellschaften wurde, wie etwa des Prager Kettenbrückenvereins, der Kralez-Buschtehrader Eisenbahn und der ersten böhmischen Dampfmühlen in Smichov und Lowositz.339 All diese Tätigkeiten erwähnte er in seinem Nobilitierungsantrag, wobei er wiederum besonderen Nachdruck nicht auf seinen persönlichen Erfolg und Reichtum als Unternehmer legte, sondern auf seinen allgemeinen Beitrag für die gesamte österreichische Wirtschaft: »[D]urch das dreißigjährige Streben für die Hebung des vaterländischen Handels und dadurch Beförderung der Gewerks- und Fabrikindustrie des Kaiserstaats […] hat

337 Hájek, Vývoj, S. 318 f. 338 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann Baptist Riedl, fol. 8. 339 Kruppa, S. 49.

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der Unterzeichnete den Bergprodukten Böhmens einen früher nicht vorhandenen Absatz errungen und dadurch nicht nur diese Zweige, sondern auch der verwandten Industrien des Landes einen mächtigen Aufschwung und Besiegung der aus­ ländischen Konkurrenz gesichert. Es werden von ihm seit einer langen Reihe von Jahren viele Industrielle durch Kapitalvorschüsse zu Errichtung neuer Fabriken und Erweiterung ihres Gewerbsbetriebes unterstützt.«340

Auch die zweite Adelsqualifikation karitativer Tätigkeit und allgemeiner Wohltätigkeit konnte Riedl sehr überzeugend darlegen. Während des außerordentlich kalten Winters 1852/53 hatte er zum Beispiel sein eigenes Kapital für den Ankauf von Brennmaterial mobilisiert, das er unentgeltlich der Stadt Prag zur Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung gestellt hatte, und 1854 war er im »Comité zur Linderung des Notstandes der Armen Prags« sehr aktiv gewesen. Er förderte den Betrieb oder die Errichtung mehrerer Prager Schulen, war ein Mitbegründer des »Vereins zur Bewahrung und Pflege armer Säuglinge«, und während seiner zehnjährigen Mitgliedschaft im Vorstand des Waisenhauses zu St. Johann gründete er aus seinem Kapital eine Stiftung zur Versorgung mittelloser Knaben. All diese wohltätigen Aktivitäten fanden in seinem Nobilitierungsantrag einen entsprechenden Platz.341 Als drittes Handlungsmuster, das seine Nobilitierung legitimieren sollte, schilderte Riedl sodann sein Engagement in verschiedenen böhmischen Assoziationen und Initiativen: »Der Unterzeichnete war ein Direktionsmitglied des Vereins zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen von dessen ersten Entstehen im Jahre 1833. Während seiner 15 jährigen Direktion hat er vorzüglich als Bearbeiter zahlreicher Referate über Fragen der Gesetzgebung, Industrie und Handel, sowie durch andere Arbeiten durch Beseitigung kommerzieller Hindernisse, Förderung der Fabrikation und Gewerbe, Verbreitung des technischen Unterrichts und Behebung der gewerblichen Kenntnisse, den Aufschwung der Industrie und des Handels kräftig durch zahlreiche Opfer an Geld und persönliche Bemühungen zu unterstützen geholfen. In ähnlicher Art wirkte er 10 Jahre als Mitbegründer der hiesigen Handelsschule.«342

Bis hierhin stimmten die von Riedl vorgebrachten Adelsqualifikationen mit den allgemeinen Kriterien, wie sie der Staat guthieß, weitgehend überein. Sein Erfolg als Großhändler, Unternehmer und Bankier war ebenso unbestreitbar wie die zahlreichen positiven Auswirkungen, die seine Tätigkeiten für das österreichische Wirtschaftswachstum hatten. Ähnlich demonstrierte Riedls umfangreiche Wohltätigkeit seine gesellschaftliche Verpflichtung sowie sein Streben nach Gemeinwohl und Milderung der sozialen Spannungen, wobei sein En­gagement im Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes und bei der Unterstützung der 340 Nobilitierungsantrag von Johann Baptist Riedl vom 28.  April 1855, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann Baptist Riedl, fol. 7–10. 341 Ebd. 342 Ebd.

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ökonomischen Fachausbildung das dritte Handlungsmuster der gesellschaft­ lichen Organisation erfüllte. Riedl ging aber in der Argumentation für seinen Nobilitierungsanspruch noch über diese drei Qualifikationen hinaus. Es ist gerade sein viertes Argument, das das Spektrum möglicher Qualitäten ergänzte, die vom Staat durch Nobilitierungen anerkannt werden konnten. Riedl beschränkte sich nämlich im Lauf seines Lebens nicht auf verschiedene Tätigkeiten jenseits staatlicher Strukturen, sondern kam mehrmals mit dem Staat in direkten Kontakt. Als ein ausgewiesener böhmischer Unternehmer wurde er mehrmals als Experte in unterschiedliche staatliche Kommissionen eingeladen und nahm diese Einladungen in der Regel an. So wirkte er zu Beginn der Fünfzigerjahre als Mitglied der Fachkommission des Handelsministeriums für die Fragen der Zolltarife oder in der Expertenkommission für das österreichische Bankenwesen.343 Diese direkte Tätigkeit in staatlichen Organen diente als viertes Argument, mit dem Riedl seinen Adelsanspruch bekräftigte. Indem er seine Mitgliedschaft und Tätigkeit in ministeriellen Kommissionen unterstrich, wollte er sein direktes Interesse an den staatlichen Angelegenheiten und seine Ergebenheit gegenüber dem Staat aufzeigen, wodurch zugleich die »Staatsferne« aller übrigen Argumente gemindert werden sollte.344 Auf staatlicher Seite bestanden bei der Einschätzung von Riedls Antrag keine grundsätzlichen Zweifel, ob die vorliegenden Qualifikationen für eine Nobi­ litierung ausreichend seien. Riedls Argumente wurden eindeutig als überzeugend bewertet und sein Adelsanspruch daher als begründet betrachtet. Trotzdem ist symptomatisch, wie die einzelnen von Riedl vorgebrachten Argumente gewichtet wurden. Es bestand ein grundsätzlicher Konsens darüber, dass es die ersten drei Verhaltensweisen seien, die Riedl für den Adel qualifizierten. Das vierte Argument dagegen, das Riedl dem Staat als neues Kriterium vorschlug, verfing nicht etwa deshalb nicht, weil es grundsätzlich nicht als Nobilitierungsgrund taugte, sondern weil es von falscher Seite kam. Bei Wirtschafts- oder Bildungsbürgern wurde als Adelsqualifikation er­ wartet, dass sie ihre Energie zwar »im Dienste des Fortschritts« einsetzten, wovon indirekt auch der Staat profitieren würde, dass sie durch karitative Tätigkeit gesellschaftliche Verantwortung bezeugten und soziale Spannungen milderten und dass sie sich zu verschiedenen gemeinnützigen Zwecken selbst organisierten. Nicht erwartet wurde aber, dass sie an den Tätigkeiten der Staatsverwaltung aktiv teilnahmen. Ihr Engagement in staatlichen Kommissionen war zwar äußerst willkommen und ihre Expertise geschätzt, der Aufstieg in den Adel aufgrund solcher Tätigkeiten war in der Regel jedoch der staatlichen Beamtenschaft vorbehalten und passte nicht zu den erwünschten Adelsqualifikationen im Fall von Wirtschafts- oder Bildungsbürgern. 343 Brandt, Der österreichische Neoabsolutismus I, S. 415–425; Beer, S. 83–205. 344 Nobilitierungsantrag von Johann Baptist Riedl vom 28.  April 1855, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann Baptist Riedl, fol. 7–10.

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Dem entsprach auch die Entscheidung im Fall von Riedls Nobilitierung. Im Juli 1855 wurde er in den österreichischen Adelsstand erhoben, seine Tätigkeit in staatlichen Kommissionen erschien jedoch nicht unter den Nobilitierungsgründen, im Unterschied zu den drei anderen Qualifikationen.345 Der Staat ging auf Riedls »Streben den vaterländischen Handel zu heben, und dadurch die Gewerbe und Fabrikindustrie des Österreichischen Kaiserreichs in der mannig­ faltigen Provinz zu befördern« ein,346 wobei ausdrücklich konstatiert wurde, dass Riedls Tätigkeiten dem allgemeinen Interesse dienten: »Seit Errichtung einer Filiale der Österreichischen Nationalbank in Prag, b ­ egleitet er die verantwortungsvolle Stelle des Direktors dieser Filialbank, als Mitbegründer und Leiter mehrerer öffentlicher Aktienunternehmungen, die für das Allgemeine von großen Vorteilen sind, hat er denselben bis Gegenwart große erfolgreiche Tätigkeit gewidmet.«347

Ebenso wurden Riedls Wohltätigkeit sowie sein gesellschaftliches Engagement in Vereinen und Initiativen zur Kultivierung der böhmischen Wirtschaft, Industrie und Volkswirtschaftslehre unterstrichen, seine aktive Tätigkeit in staatlichen Kommissionen aber war für die Zwecke der Adelsverleihung nicht von Bedeutung. Der Staat blieb bei seiner Bewertung von Adelsansprüchen konsequent und ließ nicht zu, dass sich das Handlungsmuster direkten Engagements in Staatsangelegenheiten hinsichtlich der erwünschten Adelsqualifikationen von Wirtschafts- und Bildungsbürgern durchsetzte. Ab den Fünfzigerjahren gab es in Prag einige Vereine und Initiativen, die bei Adelsverleihungen besondere Anerkennung fanden. Wie schon im dritten Kapitel erwähnt, wurde das böhmische Vereinswesen nach der postrevolutionären politischen Reaktion langsam wiederhergestellt, es ging aber nicht um eine bloße Rückkehr zur Situation des Vormärz. Die Mehrheit machten diejenigen freien Assoziationen und Verbände aus, in denen sich Gruppen engagierten, die aufgrund ihres sozialen Hintergrunds für eine Nobilitierung nicht in Frage kamen. Aus der großen Zahl verschiedener kleinbürgerlicher und agrarischer Selbsthilfevereine sowie nationaler Bildungs-, Gesangs-, Turn- oder Berufsvereine ließen sich Kandidaten für einen Aufstieg in den Adel kaum rekrutieren. Die bei Nobilitierungen angewandten Kriterien, die auf gesellschaftlichem Engagement in freiwilligen Vereinen und Initiativen fußten, konzentrierten sich zunehmend auf Unternehmungen, zu denen sich weiterhin das gehobene Bürgertum zusammenfand, um Allgemeinwohl und Fortschritt zu fördern, dabei jedoch die vormärzliche Dominanz des Staates in politischen Belangen anerkannte und daher keine Ambitionen hegte, sich direkt politisch zu betätigen. Zu den prominentesten Initiativen und Assoziationen gehörten gerade solche, in denen sich Johann Baptist Riedl engagierte. Die materielle Förderung von oder 345 Adelsdiplom für Johann Baptist Riedl vom 13. Juli 1855, ebd., fol. 18–22. 346 Ebd. 347 Ebd.

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der persönliche Einsatz in solchen Initiativen, wie zum Beispiel im Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes oder bei der Gründung der Prager Handelsschule, stellten genau die Aktivitäten dar, die der Staat gern auszeichnete und auf die sich auch die Mehrheit der adelswilligen Großbürger berief. Im Jahr 1857 wurde so ein weiterer bedeutender Prager Unternehmer, E ­ duard Pleschner, in den österreichischen Adelsstand erhoben. Die Argumente, warum der Adelsstand gerade ihm verliehen werden sollte, kreisten dabei wieder um die schon erwähnten drei Hauptqualifikationen. Beruflich rangierte Pleschner, ähnlich wie Riedl, an der Spitze der böhmischen Wirtschaft. Er gehörte an vorderster Stelle zu den Unternehmern, die sich 1851 intensiv für den Bau der nördlichen Bahnverbindung zwischen Prag und Dresden eingesetzt hatten.348 Vor allem aber war er Erbe der von seinem Vater gegründeten Verkehrsgesellschaft sowie von weiteren Unternehmen, wobei es ihm innerhalb von zwanzig Jahren gelang, das Familienvermögen deutlich zu vermehren, was ihn in den Fünf­ zigerjahren zu einem der reichsten Bürger Prags aufsteigen ließ.349 Die Betonung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit sowie ihrer gesellschaftlich vorteilhaften Auswirkungen war für die Adelsverleihung zwar nicht unbedeutend, den Kern seines Adelsanspruchs sahen aber sowohl der Nobilitierte als auch der Staat anderswo: in seinen recht breiten karitativen Tätigkeiten, noch stärker aber in seinem besonderen persönlichen und finanziellen Einsatz für mehrere böhmische freiwillige Initiativen und Stiftungen. Das Ausmaß von Pleschners Wohltätigkeit war selbst im Vergleich mit anderen böhmischen Großunternehmern enorm. Pleschner wies bei seinem Streben nach staatlichen Auszeichnungen auch deutlich darauf hin, und der Staat kam nach seiner Überprüfung ebenso zum Schluss, dass diese Wohltätigkeit tatsächlich außerordentlich umfangreich war: »Seine Verdienste um wohltätige und gemeinnützige Anstalten sind recht zahlreich und mannigfaltig. […] Schon als Student hat er durch Veranstaltung von Konzerten, Einleitung von Subskriptionen usw. seinen dürftigen Kollegen nicht unbedeutende Unterstützungen zugewendet. […] Im Jahre 1839 übernahm er das Amt eines Armenvaters im Pfarrbezirke St.  Castulus, im Jahre 1840 wurde er Armenbezirks­ direktor und Oberdirektionsmitglied. Er verwaltete dies mit bedeutendem Zeitverluste verbundene Geschäft durch eine längere Reihe von Jahren. […] Er rief im Jahre 1841 den sehr wohltätig wirkenden Verein zum Wohle hilfsbedürftiger Kinder ins Leben und leitete durch 8 Jahre das Kassawesen dieses Vereins mit aller Gewissenhaftigkeit. Eine in demselben Jahre von ihm veranstaltete Sammlung zum Besten der Abgebrannten der Stadt Steyer war von dem günstigen Erfolge begleitet. Bei der großen Überschwemmung des Jahres 1845 hat er mit Selbstaufopferung eine bedeutende Anzahl gebrechlicher und kranker Personen aus den bedrohten Stadtteilen in Sicherheit gebracht und gegen 1700 Leute aus seinem Bezirke verpflegt. Als im Jahre 1846 die Erz- und Riesengebirgsgegenden von großer Hungernot und einer Ruhrepidemie 348 Klenner, S. 161; Hlavačka, Dějiny dopravy, S. 65 f.; Bachinger. 349 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Eduard Pleschner, fol. 7; Putz, S. 436– 438.

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heim­gesucht worden sind und sich zur Unterstützung der betroffenen Gebirgsbewohner ein Verein gebildet hatte, ist Pleschner zum Direktionsmitglied desselben ernannt und mit der Leitung des merkantilen Teils betreut worden.«350

Pleschner wurde demnach als ein in dieser Hinsicht außerordentlicher Adelsbewerber betrachtet, der das übliche Niveau großbürgerlicher Wohltätigkeit weit überstieg. Was aber Pleschner selbst als seine größte Adelsqualifikation empfand und was er dementsprechend ganz in den Vordergrund zu rücken versuchte, war sein Engagement bei der Gründung der Prager Handelsschule. Hatte schon der Präsident der Prager Handelskammer Riedl bei seiner Nobilitierung mit Verdiensten um deren Entstehung argumentiert, war Pleschner tatsächlich die treibende Kraft des ganzen Projekts. Dieses lief im Wesentlichen an den staatlichen Strukturen vorbei und war eine eigenständige Initiative der Prager Wirtschaftselite, die den ständig steigenden Bedarf an qualifizierter ökonomischer Ausbildung zu befriedigen suchte. Pleschner wirkte mehr als vier Jahre bei der Beschaffung der notwendigen Geldsumme, der Suche nach einem passende Gebäude sowie der Errichtung der gesamten Bildungsanstalt mit, was auch der Staat anerkannte: »Während der langen Dauer […] war er unablässig darauf bedacht, jedes Erfordernis zur Errichtung eines entsprechenden Barfonds zusammenzubringen, zu welchem Ende er bei allen neuen Inkorporationen von Handelsleuten Beiträge einhob und auch sonst in jeder Art auf Vermehrung des vorhandenen Kapitals bedacht war.«351

Seine persönliche und unentgeltliche Initiative bei der Errichtung der Prager Handelsschule, der ersten ihrer Art in ganz Österreich, wurde zusammen mit seiner karitativen Tätigkeit von allen zuständigen staatlichen Stellen als Verdienste anerkannt, die ihn unzweifelhaft für den Adelsstand qualifizierten, und Pleschner wurde im März 1857 dem Kaiser zur Nobilitierung empfohlen. Das Ministerium des Innern, das zu dieser Zeit für Nobilitierungsangelegenheiten zuständig war, fasste seine Adelsqualifikationen zusammen und ließ keine Zweifel daran, welche Handlungsweisen Pleschner für die Nobilitierung qualifizieren sollten: »Seine Verdienste umfassen die verschiedensten Zweige patriotischer und gemeinnütziger Wirksamkeit. Pleschner hat nämlich für Kirche und Schule, bei Elementarereignissen, allgemeinem Notstande und für Armenpflege überhaupt, wie nicht minder bei verschiedenen patriotischen Anlässen, endlich in den Interessen der Kommune, der Industrie und des Handels gleich verdienstlich und erfolgreich gewirkt. Seine diesfällige Tätigkeit beschränkte sich übrigens nicht bloß auf den Aufwand von Arbeit und Mühe, sondern war auch von Kosten und Spenden aus dem eigenen Vermögen begleitet.«352 350 Böhmische Statthalterei an das Ministerium des Innern am 21. Oktober 1856, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Eduard Pleschner, fol. 8–11. 351 Ebd., fol. 10. 352 Ministerium des Innern an den Kaiser am 15. März 1857, ebd., fol. 20–21.

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Da auch der Kaiser nichts einwandte, wurde Pleschner im Juni 1857 in den Adelsstand erhoben, und zwar unter Betonung gerade seiner außerordentlich großzügigen Wohltätigkeit und seines immensen Anteils an der Verbesserung der ökonomischen Ausbildung in Österreich. Der Staat griff in diesem Fall wieder auf die Handlungsmuster der sozialen Fürsorge und des freiwilligen Engagements »im Dienste des Fortschritts« und Gemeinwohls zurück, wodurch der schon Mitte der Dreißigerjahre einsetzende Trend fortgeschrieben wurde.353 Von Mitte der Dreißiger- bis in die Sechzigerjahre galt, dass bei Adels­ verleihungen an Wirtschafts- und Bildungsbürger Verdienste eine Schlüsselrolle spielten, die aus den drei skizzierten Handlungsmustern abgeleitet waren, während die politischen Umwälzungen ohne direkten Einfluss darauf blieben. So bewirkten sowohl die Revolution 1848/49 als auch die folgende politische Reaktion der Fünfziger- und die Konstitutionalisierung der Sechzigerjahre kaum eine grundsätzliche Veränderung der Nobilitierungskriterien. Wie konsequent der Staat die Nobilitierungen von Großhändlern, Ban­k iers, Unternehmern oder Akademikern noch in den Sechzigerjahren behandelte, zeigt das Beispiel von Friedrich Zdekauer, dessen schneller Aufstieg über drei österreichische Adelsränge sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren vollzog. Der Prager Großhändler und Finanzmann Zdekauer wurde 1854 in den Adels-, und wenig später, im Jahr 1865, in den Ritter- und 1873 in den Freiherrenstand erhoben. Sein Fall zeigt sehr deutlich die kontinuierliche Einstellung des Staates in den Fünfziger-, Sechziger- und noch Anfang der Siebzigerjahre.354 Zdekauers Adelsqualifikationen veränderten sich nämlich während der ganzen Zeit kaum und spiegelten die drei skizzierten Handlungsmuster stets getreu wider. Als er 1854 den österreichischen Adelsstand erhielt, machte er gegenüber dem Staat eine geeignete Kombination von Qualifikationen geltend, die wieder seine professionelle Tätigkeit als Großhändler, seine breite Wohltätigkeit sowie sein Engagement in zahlreichen Vereinen und Verbänden beinhaltete. Hinsichtlich seiner beruflichen Qualifikationen begründete Zdekauer seinen Adels­anspruch mit seiner Tätigkeit in mehreren Aktiengesellschaften, die sich um den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur Böhmens und Prags bemühten, sowie mit seiner Vergabe von Krediten an böhmische Fabrikanten und Kaufleute unmittelbar nach dem Jahr 1848, als er »hierdurch manche derselben vom Untergange gerettet und nicht nur die vaterlän­ dische Industrie gefördert, sondern insbesondere in jenen kleinen Fabriksorten, wo sich brotlos werdende Arbeiter leicht zu Übergriffen hätten verleiten lassen, zur Erhaltung der Ruhe und gesetzlicher Ordnung wesentlich beigetragen hat«.355

Auch Zdekauers direkte karitative Tätigkeit sowie sein Engagement in zahl­ reichen, zu verschiedenen Zwecken gegründeten Assoziationen war äußerst 353 Adelsdiplom für Eduard Pleschner vom 3. Juni 1857, ebd., fol. 2–6. 354 Putz, S. 480–483. 355 Zitiert nach ebd., S. 482.

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breit gefächert, was vom Staat sehr positiv aufgenommen wurde und seinen Nobilitierungsanspruch als voll berechtigt erscheinen ließ.356 Es war eben dieses gesellschaftliche Engagement, worauf der Staat bei der Begründung seiner Nobilitierung den größten Nachdruck legte: »Er wirkt als Direktor der Hradeker Kleinkindbewahranstalt, des Vereins zum Wohl hilfsbedürftiger Kinder, als Präsident des kaufmännischen Vereins, […] er ist Mitglied der patriotisch-ökonomischen Gesellschaft, der böhmischen Garten­baugesellschaft, des vaterländischen Museums, des Vereins zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen und desselben Vereins in Niederösterreich, des deutschen Nationalvereins für Handel, Gewerbe und Landwirtschaft in Linz, des allgemeinen deutschen Nationalvereins für industrielle Interessen in Frankfurt am Main, der Sophieakademie zur Emporbringung klassischer Musik, Ehrenmitglied der Prager Tonkünstler, Witwen und Waise Societät, Mitbegründer des Militärischen Invalidenfonds für Böhmen von 1849, des Oberösterreichischen industriellen Versorgungs­fonds.«357

Sehr deutlich wird, wie breit die Palette seiner vom Staat anerkannten Aktivi­ täten war. Als überzeugende Adelsqualifikation wurde sein Engagement in Vereinen zur Kultivierung von Industrie, Gewerbe und Handel, aber auch von Gartenbau und klassischer Musik oder bei der Unterstützung des Prager Na­tionalmuseums sowie der sozialen Fürsorge angesehen. Der Staat förderte durch Nobilitierungen nicht spezielle Vereine oder Tätigkeitsfelder, sondern ins­gesamt die kulturelle Praxis gesellschaftlicher Selbstorganisation zu unterschiedlichen Zwecken, die nicht direkt die politische Sphäre berührten. Auch bei späteren Erhebungen in höhere Adelsränge änderte sich dieses Muster kaum, und Zdekauer erreichte seine weiteren Standeserhebungen eigentlich nur durch weitere Beispiele der genannten kulturellen Praktiken. So wurde er 1865 aufgrund derselben Argumente in den Ritterstand erhoben, wie er sie zehn Jahre zuvor vorgebracht hatte. Abgesehen von der erneuten Würdigung seiner früheren Verdienste bestand der Mehrwert, der ihm den Aufstieg vom Adelsin den Ritterstand ermöglichte, hauptsächlich in der Intensivierung seiner karitativen Tätigkeit während des Krieges um Schleswig und Holstein im Frühling 1864, als er sich lebhaft bei der Verpflegung der österreichischen Soldaten betätigte: »Seine ununterbrochenen Leistungen wandte er auch jüngst mit Eifer dem nach Schleswig-Holstein bestimmten und nach dem Feldzug rückkehrenden Armeekorps zu. Schon beim Ausmarsche desselben einer der ersten zur Versorgung der Mannschaft und bei Gründung des Hilfcomités zur Unterstützung der Verwundeten und Kranken beteiligt, entwickelte er zu diesen Zwecken eine rastlose Tätigkeit, sowie er beim Empfange der rückkehrenden oder beim Besuch der im Spital befindlichen Verwundeten für ihre Unterbringung und Versorgung liebreich sorgte.«358

356 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Friedrich Zdekauer, fol. 11–16. 357 Adelsstandsdiplom für Friedrich Zdekauer vom 12. Mai 1855, ebd., fol. 47–51. 358 Ritterstandsdiplom für Friedrich Zdekauer vom 11. Juli 1865, ebd., fol. 39–45.

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Es war also die Fortsetzung seiner schon früher vom Staat anerkannten Tätigkeiten zusammen mit der Intensivierung einer dieser Tugenden  – der Wohl­ tätigkeit –, die auch in den Sechzigerjahren für eine Standeserhebung genügten. Die Mischung aus der allgemeinen Nützlichkeit beruflichen Erfolgs, Wohltätigkeit und gesellschaftlichem Engagement stellte in den Sechzigerjahren unver­ ändert die beste Begründung eines Adelsanspruches dar. Zdekauer erreichte 1873 schließlich auch den Freiherrenstand auf genau dieselbe Art und Weise. Er wiederholte noch einmal das gleiche Bündel an Argumenten, diesmal betonte er aber nicht seine Wohltätigkeit, sondern seine Mitgliedschaft und Tätigkeit in verschiedenen florierenden Vereinen und Asso­ ziationen. Auch in diesem Fall sah der Staat eine solche Argumentationsweise als hinreichend an, um eine Standeserhebung zu rechtfertigen, und mit ­Zdekauers schon früher gewürdigten Qualifikationen, ergänzt um seine Vereinstätigkeiten, wurde die Verleihung des Freiherrenstands auch offiziell begründet. Sein entsprechendes Diplom führte folgende Funktionen in Vereinen und Assoziationen mit auf: »Direktor des Anpflanzungsvereins zur Verschönerung der Hauptstadt Prag und seiner Umgebung, des Beamten-Konsumvereins, Mitglied des Zentral-Comités zur Hebung des Wohlstands der Erz- und Riesengebirgs-Bewohner, des Vereins pa­ triotischer Kunstfreunde, des vaterländischen Museums, des Konservatoriums, der Sofien-Akademie und des Cecilien-Vereins zur Hebung des klassischen Gesangs und der Musik, der Tonkünstler- Witwen- und Weisensocietät, des Vereins zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen, des niederösterreichischen Gewerbevereins in Wien, des deutschen Nationalvereins für Handel und Gewerbe in Leipzig, des allgemeinen industriellen Vereins für Handel und Gewerbe in Frankfurt am Main.«359

Die Kulturpraktiken des dem allgemeinen Nutzen dienenden beruflichen Erfolgs, der Wohltätigkeit und des gesellschaftlichen Engagements in institutionalisierten Vereinen, aber auch bei einmaligen Initiativen, blieben demzufolge nach der Konstitutionalisierung Anfang der Sechzigerjahre für Wirtschaftsund Bildungsbürger die vielversprechendsten Adelsqualifikationen. Mit entsprechenden Nobilitierungen schrieben sich die Verhaltensmuster des »dem Fortschritt« dienenden beruflichen Fleißes, der Bemühungen um eine Milderung der scharfen sozialen Unterschiede durch freiwillige Wohltätigkeit sowie der gesellschaftlichen Selbstorganisation in verschiedenen Vereinen und Initiativen in das Adelsbild ein. Gerade diese letzte Komponente bildet im Vergleich zu Schlesien den schärfsten Unterschied. Nicht nur, dass in Schlesien das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum unter den Nobilitierten im Vergleich zu Böhmen deutlich unterrepräsentiert war, seitens der Adelskandidaten wie des Staates kam auch ein ganz anderer Katalog von Adelstugenden zum Tragen. In Schlesien überwogen deut359 Freiherrenstandsdiplom für Friedrich Zdekauer vom 31. Januar 1873, ebd., fol. 3–5.

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lich die Qualifikationen des materiellen Vermögens und der sich daraus er­ gebenden gesellschaftlichen Anerkennung, in Böhmen hingegen das Bild eines beruflich erfolgreichen, zugleich aber gesellschaftlich aktiven Individuums, das seine Fähigkeiten und Ressourcen für allgemeine Zwecke einsetzt. Insgesamt zeigt ein Blick auf die Begründungen, mit denen in Böhmen und Schlesien der Aufstieg in den Adel legitimiert wurde, dass ihre Entwicklung nicht immer mit den Entwicklungen des Anteils der jeweiligen sozialen Gruppen an den Nobilitierten korrespondierte. In Schlesien ist in Verbindung mit der Rezeption ausländischer Vorbilder ein markanter Bruch Anfang der Vierzigerjahre feststellbar, der alle nobilitierten Gruppen betraf. Während sich die im Hinblick auf eine Nobilitierung erfolgreichen Argumentationsstrategien in den ersten vier Jahrzehnten des 19.  Jahrhunderts nach dem sozialen Hintergrund des jeweiligen Adelsbewerbers richteten, wurden ungefähr seit 1840 die verschiedenen möglichen Adelsqualifikationen dominiert vom Kriterium des materiellen Vermögens der Kandidaten und der sich daraus ergebenden Be­ fähigung, ein »standesgemäßes Leben« zu führen. Auch adelswillige Beamte oder Offiziere, deren Vorgänger den Adelstitel noch allein aufgrund ihrer professionellen Tätigkeit im Verwaltungsdienst oder in der Armee hatten erlangen können, waren jetzt gezwungen, sich für den Adel mehr und mehr durch Vermögen, am besten durch Grundbesitz, zu qualifizieren. In Böhmen dagegen wurde im Hinblick auf Adelsverleihungen eine buntere Mischung von Kriterien angewandt, wobei manche ihre Wirkmächtigkeit über den ganzen betrachteten Zeitraum hinweg behielten. So wurde ein langer und zuverlässiger Verwaltungs- oder Militärdienst kontinuierlich als für den Adel qualifizierende Praktiken angesehen. Diese Adelsqualifikationen können einem konkreten Sozialmilieu zugeordnet werden: Sie wurden hauptsächlich von Staatsbeamten und Offizieren geltend gemacht und vom Staat auch größtenteils akzeptiert. In den wirtschafts- und bildungsbürgerlichen Gruppen und bei den Grundbesitzern verlief die Entwicklung dagegen unterschiedlich. Die nobilitierten böhmischen Grundbesitzer standen dabei gewissermaßen an der Schnittstelle, da sie für die Unterstützung ihres Adelsanspruchs erfolgreich auf Verhaltensweisen wie die freiwillige Pflege des Gemeinwohls und die breit verstandene Förderung des Fortschritts verwiesen. Am dynamischsten entwickelten sich die Argumentationsstrategien des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums. Bis Mitte der Dreißigerjahre stimmten sie mit Ausnahme der finanziellen Unterstützung des Militärs weitgehend mit denjenigen der Grundbesitzer überein. Auch Wirtschafts- und Bildungsbürger legitimierten ihre Ambitionen auf einen Adelstitel hauptsächlich, indem sie betonten, sie hätten sich um das Gemeinwohl, die Milderung sozialer Spannungen (durch karitative Spenden) und die allgemeine Wohlfahrt verdient gemacht. Die nobilitierten Wirtschaftsbürger ergänzten ihre Adelsqualifikationen noch um das Argument der direkten Hilfe für den Staat in den ökonomisch schwierigen Zeiten während der napoleonischen Kriege und danach. 218 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Diese Adelsqualifikationen wurden jedoch ab der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre um die Praktiken der gesellschaftlichen Selbstorganisation in der entstehenden böhmischen Vereinslandschaft ergänzt. Der steigende Anteil des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums am neuen Adel in den Dreißiger- und Vierzigerjahre war somit sehr eng mit den entstehenden Praktiken und Strukturen der böhmischen Zivilgesellschaft verbunden. Nicht nur prominente Akteure verschiedener Vereine und Initiativen im nicht-staatlichen Bereich stiegen in den Adel auf, sondern auch die entsprechenden Verhaltensmuster, die immer wieder explizit zur Begründung eines Nobilitierungsanspruchs angeführt und auch akzeptiert wurden, erlangten auf diese Weise eine Nobilitierung. Diese Verhaltensweisen schrieben sich tief in den Katalog der Adelsqualifika­tionen ein und als dessen fester Bestandteil blieben sie in den nächsten Jahrzehnten erhalten. Abschließend kann daher resümiert werden, dass in Schlesien die anfänglich drei hauptsächlichen Adelsqualifikationen – der Staats- oder Militärdienst und ein Vermögen, das ein standesgemäßes Leben ermöglichte – ab den Vierzigerjahren eindeutig abgelöst wurden. Nunmehr war nur noch entscheidend, ob ein Adelskandidat sich durch Besitz qualifizierte sowie einen repräsentativen, sozial distinktiv wirkenden Lebensstil pflegte und zwar ohne Rücksicht auf den so­zialen oder beruflichen Hintergrund der jeweiligen Person. In Böhmen dagegen blieben der Verwaltungs- und Militärdienst die ganze Zeit über absolut typische Adelsqualifikationen. Andere Gruppen reicherten den Katalog staatlich anerkannter Adelstugenden noch um die Praktiken der sozialen Fürsorge, Gemeinnützigkeit und Fortschrittsförderung an. Ab der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre drängten in diesen Katalog zunehmend die neuen Praktiken der gesellschaftlichen Selbstorganisation und des Engagements in der entstehenden böhmischen Zivilgesellschaft. Die Nobilitierungen in Böhmen trugen zu einem viel bunteren Adelsbild bei, nachdem der Adel nicht mehr nur unter Verweis auf Besitz erworben werden konnte, sondern auch durch Verhaltensmuster des Militär- oder Verwaltungsdienstes, aber auch der sozialen Fürsorge, Wohltätigkeit und gesellschaftlichen Selbstorganisation.

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5. Adelsverleihungen und Zivilgesellschaft Die bisherige Analyse zeigt, dass es zwischen dem neuen Adel in Böhmen und in Schlesien einige grundlegende Unterschiede gab. Diese betrafen sowohl seine soziale Zusammensetzung als auch die Kulturpraktiken, die als erwünschte Qualifikationen bei der Rekrutierung zu nobilitierender Personen berücksichtigt wurden. Der markanteste Unterschied zeigt sich in der Bewertung der neuen Kulturpraktiken der gesellschaftlichen Selbstorganisation, Gemeinwohlförderung und Wohltätigkeit, die im 19. Jahrhundert jenseits der staatlichen Sphäre sowie jenseits der Sphäre der Marktbeziehungen zu entstehen begannen. In Böhmen wurden seit den Dreißigerjahren oft Akteure der entstehenden Zivilgesellschaft nobilitiert, wobei gerade ihr Engagement in freiwilligen Vereinen und Initiativen als Nobilitierungskriterium diente. In Schlesien wurden dagegen die Akteure und Praktiken der entstehenden Zivilgesellschaft kaum in den neuen Adel einbezogen. Die Entstehung von Vereinen und Initiativen im Zentraleuropa des 19. Jahrhunderts wurde in der bisherigen Forschung unterschiedlich gedeutet. In der älteren Forschung überwog die Perspektive, die das ständig wachsende Vereinswesen und die damit einhergehenden Kulturpraktiken im engen Zusammenhang mit den erwachenden Nationalbewegungen sah.1 Die Vereine wurden als Basis für die Formulierung der Nationalinteressen sowie für die gesellschaftliche Mobilisierung in deren Namen verstanden, als ein konstitutiver Faktor beim Wandel von der »Adelsnation« zur »Volksnation«,2 zugleich wurden sie als ein Grundordnungsprinzip der sich im 19.  Jahrhundert durchsetzenden bürgerlichen Gesellschaft angesehen.3 Neuerdings hingegen wird die Aufmerksamkeit nicht so sehr auf die spezifische nationale oder soziopolitische Komponente des Vereinswesens gerichtet, sondern auf dessen Funktion als Teil der im 19. Jahrhundert entstehenden transnationalen Zivilgesellschaft, in der die Kulturpraktiken der Gemeinwohlpflege, des Gemeinsinns, der gegenseitigen Anerkennung, der freien Diskussionskultur sowie friedlicher Problemlösungen entstanden und in ganz Europa und Nordamerika kultiviert wurden.4 1 Vgl. Štaif, Obezřetná elita, S. 94–106, 144–170; Düding. Als guter Überblick über die ältere ­Literatur Winkler, Nationalismus. 2 Vgl. Müller, Adel; Schulze, Staat, S. 231–243; Koselleck, Volk, S. 141–431. 3 Vgl. zusammenfassend und mit weiteren Literaturhinweisen Dann; Hardtwig, Verein, S. 811 f.; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte II, S. 238–241; Hardtwig, Strukturmerkmale und Entwicklungstendenzen; Blackbourn u. Eley, Mythen deutscher Geschichtsschreibung, S. 85–98; Nipperdey, Verein. 4 Vgl. Kocka, Zivilgesellschaft in historischer Perspektive; Hoffmann, Democracy; ders., Geselligkeit und Demokratie.

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Dass der Staat solche Praktiken im böhmischen Fall durch Adelsverleihungen anerkannte  – oder, auf der anderen Seite, in Schlesien diesen Praktiken seine Anerkennung bei der Kreierung des neuen Adels nicht gewährte – deutet darauf hin, dass die Habsburgermonarchie ihre Vorstellungen davon, welche Kriterien für die Zugehörigkeit zur Elite qualifizieren sollten, der entstehenden Zivilgesellschaft anzupassen vermochte und sie damit gleichzeitig weiter förderte. Sie begann daher, die zivilgesellschaftlichen Kulturpraktiken in den Tugendkatalog des Adels zu inkorporieren und sie mit einem beträchtlichen symbolischen Kapital aufzuladen. In Schlesien geschah dies grundsätzlich nicht. Dieser Unterschied wurde oben zum einen mit der Übernahme englischer Adelsvorstellungen in Preußen während der Vierzigerjahre erklärt, die wesentlich dazu beitrug, dass die alten Adelsqualifikationen des Besitzes und der Selbstrepräsentation beibehalten wurden. Zum anderen wurde der Unterschied damit begründet, dass sich in Böhmen zur selben Zeit die nationale Agitation zu dynamisieren begann. Bei der Auseinandersetzung mit der sich langsam national aufspaltenden Gesellschaft griff der Staat auch auf Nobilitierungen als ein einigendes Mittel zurück und nahm mit den Adelsverleihungen an Führungspersonen der Nationalbewegungen sowie des jüdischen Wirtschaftsbürgertums die von diesen getragenen Kulturpraktiken der öffentlichen Gabe und der gesellschaftlichen Selbstorganisation in den Adelstugendkatalog auf. Im Folgenden sollen für beide Vergleichsfälle konkrete Strukturen und Kulturpraktiken der entstehenden Zivilgesellschaft zusammen mit deren Repräsentanten untersucht werden. Anhand dessen soll festgestellt werden, inwieweit die einzelnen nach einer Adelsverleihung strebenden Akteure praktische Möglichkeiten hatten, ihr Engagement im Bereich der gesellschaftlichen Selbst­organisation oder der sozialen Fürsorge als eine Adelsqualifikation dar­ zustellen, und, falls sie diese Möglichkeit tatsächlich hatten, inwieweit sie diese nutzten. Obgleich es übertrieben wäre, für den behandelten Zeitraum in beiden Fällen von einer reifen und selbstbewussten Zivilgesellschaft zu sprechen, so gab es doch Ansätze und Impulse für die Kultivierung gewisser Praktiken zivilgesellschaftlichen Handelns, die anhand dreier ausgewählter Beispielpaare thematisiert werden sollen.5 Das Breslauer Spital zu Allerheiligen sowie die Prager Kleinkindbewahranstalt liefern Beispiele ausgeprägter karitativer Strukturen, die ausschließlich auf den gemeinnützigen Zweck der Minderung sozialer Spannungen abzielten. In diesen Strukturen wurden die Handlungsmuster der freiwilligen Wohltätigkeit und öffentlichen Gabe kultiviert, die der entstehenden Zivilgesellschaft zuzuschreiben sind.6 Die Breslauer Akademie der bildenden Künste und die Prager SophienAkademie zur Förderung von Musik und Kunst liefern sodann Beispiele für 5 Zur Definition Bauerkämper; Lauth; Kocka, Zivilgesellschaft als historisches Problem. 6 Vgl. Kocka, Zivilgesellschaft in historischer Perspektive; Münkler u. Fischer; Bremner, S. ­99–109.

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eine Form von Vergemeinschaftung, die vorwiegend für eine Nobilitierung infrage kommende Gruppen des gehobenen Bürgertums zusammenführte und in deren Rahmen Praktiken des kulturellen Mäzenatentums und der Ausbildungsförderung gepflegt wurden.7 Auch die hier praktizierte Bereitstellung von privaten Mitteln für öffentliche Zwecke in den Bereichen der Ausbildung und der Kunst gehörte im 19. Jahrhundert prinzipiell zur entstehenden Zivil­ gesellschaft.8 Die letzten beiden Beispiele  – der Schlesische Gewerbeverein und der Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen  – stehen schließlich für den Typus von Soziabilität an der Schnittstelle zwischen dem äußerst exklusiven Vereinswesen des Adels und des gehobenen Bürgertums auf der einen und Vereinen mit breiterer sozialer Reichweite auf der anderen Seite. Auf sehr konkrete Tätigkeiten ausgerichtet, handelte es sich um Assoziationen, die sowohl den lokalen Adel und das gehobene Bürgertum als auch zahlreiche Kleinbürger9 umfassten, eine verhältnismäßig hohe Mitgliederzahl hatten, sehr intensive Aktivitäten sowie ein reiches Vereinsleben verzeichneten, aber immer wieder versuchten, eine gewisse Distanz zur unmittelbaren politischen Sphäre zu bewahren.10 Im Folgenden soll analysiert werden, von welchen Akteuren in diesen Assozia­tionen welche konkreten Praktiken kultiviert wurden und wie der Bezug dieser Kulturpraktiken und ihrer Akteure zu den Verleihungen von Adelstiteln war.

5.1 Breslau 5.1.1 Das Spital zu Allerheiligen Das Breslauer Spital zu Allerheiligen stellt ein typisches Beispiel einer im frühen 19.  Jahrhundert entstandenen Wohltätigkeitsanstalt dar. Es wurde Anfang des Jahrhunderts gegründet, formell an eine staatliche Genehmigung ge­ bunden, von der Stadt beaufsichtigt und rechtlich in das kommunale Netzwerk der sozialen Fürsorge inkorporiert.11 Dabei musste es sich bei der materiellen Sicherung des Betriebes im Großen und Ganzen auf die wohltätigen Spenden der Breslauer verlassen.12 Im Direktorium des Spitals war daher von Anfang an eine 7 Vgl. Frey, S. 41–70; Gall, S. 103–105. 8 Kocka u. Frey; Mai u. Paret. 9 Zur Begrifflichkeit Haupt u. Crossick, S. 11–28; Kocka, Das europäische Muster, S. 9–17. 10 Gürtler, S. 192–240; Klepl. 11 Vgl. Sachsse u. Tennstedt, S. 195–205; Fischer, Armut in der Geschichte, S. 44–49. 12 Vgl. APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, Nr. 11 922 (III/1382), Das Spital zu Allerhei­ ligen 1809–1810, fol. 23–37.

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charakteristische Mischung der Stadthonoratioren zu finden: Sowohl die Breslauer Kaufmannschaft als auch die lokalen Bildungseliten kamen hier zusammen und entwickelten auf freiwilliger Basis Aktivitäten zur Beschaffung der für das Spital notwendigen Mittel.13 Die aktiven Mitglieder des Direktoriums, die den Betrieb des Spitals gewährleisteten, wurden kurz nach Gründung der Breslauer Universität im Jahr 1811 noch um Repräsentanten der Professorenschaft ergänzt. Somit entstand ein Konglomerat von Kaufleuten, Gymnasial- und Universitätsprofessoren, das seine soziale Zusammensetzung die ganze erste Hälfte des 19.  Jahrhunderts über beibehielt.14 Die Akteure verbanden die Anerkennung, die sie seitens der Stadt und der Umgebung für ihren Einsatz bei der finanziellen Sicherung des Spitals erhielten, mit ihrem freiwilligen Engagement zur Milderung der Armut und Förderung des Gemeinwohls.15 Beginnend ab den Zwanzigerjahren hatte das Übergewicht der lokalen Bildungs- und Wirtschaftseliten im Direktorium des Spitals zur Folge, dass es aus gesellschaftlichen Gründen immer attraktiver wurde zu spenden oder dem Spital auf andere Weise zu dienen. Die Unterstützung des Spitals wurde zu einem wichtigen Mittel der Selbstrepräsentation der aufsteigenden Eliten in ihrem Streben nach Anerkennung. Nicht zufällig war die gewaltige Mehrheit der Wohltäter öffentlich bekannt, und die Namen der größten Spender sowie der Mitglieder des Direktoriums erschienen regelmäßig in der offiziösen Schle­ sischen Zeitung.16 Dass das Spenden zugunsten des Spitals als geeignetes Repräsentationsmittel angesehen wurde, gewährleistete – trotz der Sparsamkeit der Stadt – eine ziemlich solide Finanzbasis. Nach Überwindung der schwierigen Jahre während der napoleonischen Kriege und der unmittelbar darauf folgenden Zeit nahm die Zahl der Spender sowie die Summe der eingenommenen Beiträge deutlich zu. Während das Spital in den Jahren 1808 bis 1811 mit insgesamt ungefähr 2 000 Reichstalern vorliebnehmen musste, die von circa fünfzig Spendern kamen, konnte es sich in den Jahren 1824 bis 1829 schon über eine mehr als fünfmal so große Summe freuen, die von mehr als 140 Wohltätern zur Verfügung gestellt wurde. In der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre waren sogar einzelne Beiträge in Höhe von mehreren Tausend Talern keine Ausnahme.17 Mit der Zunahme der Zahl der Spender wurden auch die durchschnittlich geschenkten Summen größer. Während in den Jahren 1808 bis 1811 von den  

13 Ebd., fol. 48–52. 14 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, Nr. 11 927 (III/1387), Das Spital zu Allerheiligen 1830–1832, fol. 2–15. 15 Vgl. Adam; ders. u. Retallack. 16 Vgl. etwa Schlesische Privilegierte Zeitung vom 8. Januar 1810. 17 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, Nr. 11 922 (III/1382), Das Spital zu Allerheiligen 1809–1810, fol. 11–20; Nr. 11 926 (III/1386), Das Spital zu Allerheiligen 1824–1829, fol. 111– 166; Nr. 11927 (III/1387), Das Spital zu Allerheiligen 1830–1832, fol. 22–24, 34–35.

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fünfzig Spendern nur sechs insgesamt mehr als 100 Taler zur Verfügung stellten, lag die durchschnittliche Höhe des Betrags allein im Jahr 1819 schon bei mehr als 200 Talern.18 Zu den Wohltätern zählten zahlreiche Spitzenpersonen des Breslauer Lebens wie etwa der Justizrat Louis von Haugwitz oder der Oberpräsident der Provinz Schlesien, Friedrich Theodor Merckel. Sie sorgten durch ihre regelmäßig hohen Beiträge dafür, dass das Spital über eine sichere Einnahmequelle verfügte.19 Das Spital florierte und erreichte den Höhenpunkt seiner Tätigkeit in den Dreißigerjahren, als Zuwendungen zu seinen Gunsten eine der bedeutendsten Spendenmöglichkeiten der Stadt wurden. In der ersten Hälfte der Dreißigerjahre hatte es schon mehr als zweihundert Mäzene an seiner Seite, wobei einzelne gehobene Bürger Breslaus durch regelmäßige, sehr oft nicht unbedeutende Summen die Ausdehnung der Anstaltstätigkeiten ermöglichten. Mit dem Anstieg der finanziellen Förderung sowie der Anzahl regel­mäßiger Wohl­täter ging eine Erweiterung ihrer sozialen Zusammensetzung einher. Den neuen Wirtschafts- und Bildungsbürgern schlossen sich mehrere Kleinbürger und sogar Gesellen an.20 Dennoch blieben die konkreten Aktivitäten zur Beschaffung der Mittel und die bedeutendsten Beiträge immer dem sozial exklusiven Milieu des Breslauer Wirtschafts- und Bildungsbürgertums vorbehalten, das durch seine Wohltätigkeit und sein persönliches Engagement für das Spital auch den größten Anteil der öffentlichen Anerkennung erfuhr.21 Unabhängig von der sozialen Zusammensetzung seines Führungskörpers gehörte das Spital zu Allerheiligen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den bedeutendsten Breslauer Institutionen, in denen die Kulturpraktiken der öffentlichen Gabe und der Wohltätigkeit gepflegt wurden. Wie unterschiedlich auch die Motivationen der konkreten Spender waren – vom Streben nach kultureller Selbstrepräsentation, sozialer Anerkennung und somit Legitimation der eigenen Machtposition bis zur tatsächlich uneigennützigen, geheim gehaltenen Förderung des Spitals –, die nützlichen Folgewirkungen solcher Praktiken waren kaum zu bestreiten.22 Dank der vermehrten Spenden konnte das Spital seine Tätigkeit und Kapazitäten wesentlich ausbauen.23 Aus der bescheidenen Anstalt der ersten zehn Jahre wurde eines der bedeutendsten Krankenhäuser Breslaus, das im Wesent-

18 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, Nr. 11 924 (III/1384), Das Spital zu Allerheiligen 1815–1819, fol. 92–116. 19 Ebd., fol. 167–172. 20 Vgl. APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, Nr. 11 924 (III/1384), Das Spital zu Allerhei­ ligen 1815–1819, Ebd., fol. 14. 21 Vgl. APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, Nr. 11 927 (III/1387), Das Spital zu Allerhei­ ligen 1830–1832, fol. 192–212. 22 Vgl. Bourdieu, S. 161–186. 23 Weiß, S. 1125.

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lichen Angehörigen der mittellosen Bevölkerungsschichten half.24 Dem Spital kam besonders Anfang der Dreißigerjahre eine wichtige Funktion zu, als Schlesien in den Jahren 1831 und 1832 wiederholt von schweren Choleraepidemien heimgesucht und Breslau zu einem der bedeutendsten Zentren der Gesundheitspflege der Provinz wurde.25 Wird der Blick darauf gerichtet, ob wohltätige Aktivitäten für das Spital als Untermauerung von Adelsansprüchen der jeweiligen Akteure genutzt werden konnten, kann festgestellt werden, dass unter den prominenten, mitunter regelmäßigen Spendern Personen waren, die zu verschiedenen Zeitpunkten ihres Lebens nach einer Nobilitierung strebten. So schenkte zum Beispiel der schlesische Gutsbesitzer Ludwig August Obermann 1813 dem Spital die verhältnismäßig hohe Summe von 500 Talern.26 Obermann bewarb sich dann später um eine Adelsverleihung und wurde tatsächlich in den preußischen Adelsstand erhoben.27 Während des gesamten Verfahrens unternahm er jedoch keinen Versuch, seine Spendentätigkeit für das Breslauer Spital zu Allerheiligen als ein Argument anzuführen, um seinen Nobilitierungsanspruch zu unterstützen. Er konzentrierte sich völlig auf die üblichen Qualifikationen wie Größe und Ertrag seiner Güter, seine allgemeine Vermögenslage und seine ­äußerliche Repräsentation. Zu keinem Zeitpunkt des Nobilitierungsverfahrens brachte er seine Wohltätigkeit als Kriterium im Hinblick auf seine Adels­w ürdigkeit ins Spiel und wurde so letztendlich nur aufgrund seiner günstigen Vermögenslage nobilitiert.28 Im Vergleich zu Böhmen stellte dies einen markanten Unterschied dar. Während in Böhmen Adelskandidaten dem Staat gegenüber zum Teil noch die geringsten Fälle von finanzieller Unterstützung wohltätiger Anstalten und Institutionen als Qualifikation für den Adel geltend machten, bezogen adelswillige Schlesier die Kulturpraktik des wohltätigen Spendens in ihre Nobilitierungsanträge nicht ein. Ludwig August Obermann war dabei keine Ausnahme. Wie schon erwähnt, befand sich ab Anfang der Zwanzigerjahre auch der schlesische Oberpräsident Friedrich Theodor Merckel unter den Spendern, der dem Spital seit 1824 wiederholt Summen von mehreren Hundert Gulden (also viel höher als die durchschnittlichen Spenden) schenkte.29 Auch Merckel brachte aber während seines Nobilitierungsverfahrens seine Wohltätigkeit nie in Anschlag und konzentrierte sich bei der Begründung seines Adelsanspruches ganz

24 Vgl. APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, Nr.11 927 (III/1387), Das Spital zu Allerhei­ ligen 1830–1832, fol. 131–133. 25 Herzig, Die unruhige Provinz Schlesien, S. 502; Stein, Geschichte der Stadt Breslau, S. 92–97. 26 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, Nr.11 923 (III/13873), Das Spital zu Allerheiligen 1811–1814, fol. 110. 27 GhStA PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. O, Nr. 1, unfoliiert. 28 Ebd. 29 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, Nr. 11 926 (III/1386), Das Spital zu Allerheiligen 1824–1829, fol. 167–172.

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auf seine erfolgreiche Karriere im Staatsdienst und auf die zahlreichen Für­ sprachen der schlesischen Eliten.30 Ein ähnliches Beispiel liefert der im Jahr 1827 nobilitierte schlesische Gutsbesitzer Johann Friedrich Bally.31 Er gehörte ebenfalls zu den prominenten Förderern des Spitals und spendete ihm zwischen 1811 und 1814 mehrmals Beträge in Höhe von jeweils 300 Gulden.32 Als er sich aber Mitte der Zwanzigerjahre um die Nobilitierung bewarb, schienen ihm diese Spenden nicht erwähnenswert. Im Nobilitierungsverfahren präsentierte er sich von Anfang an als einen langjährigen, materiell abgesicherten Gutsbesitzer und versuchte zwar, seinen Adelsanspruch auf zweierlei Weise zu untermauern, fügte jedoch nicht seine Unterstützung des Spitalbetriebs hinzu. Bally versuchte auf der einen Seite nachzuweisen, seine Familie besitze schon einen Adelstitel, habe diesen jedoch längere Zeit ruhen lassen. Daher beantragte er nur die Erneuerung des angeblich früher erworbenen Adelsstandes. Auf der anderen Seite legte er aber für den Fall, dass die Beweise für seine adlige Herkunft unzureichend erscheinen würden, Qualifikationen vor, aufgrund derer er auf eine neue Nobilitierung hoffte. Es handelte sich dabei um seinen Gutsbesitz und um die vielfältigen Verbindungen, die er zum hohen Adel Schle­siens hatte.33 Der Staat wies seinen Anspruch auf Adelserneuerung ab und konzentrierte sich bei der Einschätzung seines Nobilitierungsanspruches auf die Über­prüfung und Abwägung seines Vermögens und seiner gesellschaftlichen Verbindungen zum bestehenden Adel, worauf Bally schließlich als für eine Nobilitierung geeignet befunden wurde. Seine Adelsqualifikationen wurden dabei nur in seinem Vermögen, seinen gesellschaftlichen Kontakten und in seinem distinguierten Lebenszuschnitt gesehen. Seine freiwillige Wohltätigkeit spielte im ganzen Verfahren keine Rolle.34 Wenn wir die geschilderten Argumentationsstrategien näher untersuchen, kommt deutlich zum Vorschein, dass einzelnen Adelskandidaten häufig ein breites Angebot an Handlungsmustern zur Verfügung stand, aus dem sie die ihrer Ansicht nach am besten geeigneten auswählten und dem Staat als Nobili­ tierungsgründe nannten. Obgleich in diesem Angebot die Praktiken der freiwilligen Gabe und Wohltätigkeit oft präsent waren, fanden sie bei der Auswahl der Argumente für die Nobilitierungsanträge keine Berücksichtigung. Der Unterschied zwischen Böhmen und Schlesien kann daher nicht monokausal nur mit Vorstellungen des Staates erklärt werden. Die Kulturprakti30 Siehe Abschnitt 4.1.2 dieser Arbeit. GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des König­ lichen Hauses, Nr. 4879, fol. 2–3. 31 Vgl. Kusche; Schulz. 32 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, Nr. 11 923 (III/1383), Das Spital zu Allerheiligen 1811–1814, fol. 132–133. 33 Immediatgesuch von Johann Friedrich Bally, GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4029, fol. 2–3. 34 Ebd., fol. 7–10.

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ken der freiwilligen sozialen Fürsorge und Wohltätigkeit waren zwar in Schlesien auf ähnliche Art und Weise vorhanden wie in Böhmen. Sie fanden aber keinen Weg in den Tugendkatalog des schlesischen Neuadels, und zwar nicht nur wegen der spezifischen Kriterien, die der Staat bei Adelsverleihungen anlegte, sondern auch aufgrund der Bewerbungspraxis der Adelsbewerber. Während der Staat keine Anstalten machte, dieses wohltätige Tun in den Tugend­ katalog des Adels einzubeziehen, versuchten auch die Adelskandidaten kaum, ihre Praktiken des Spendens und der Sorge um das Gemeinwohl für ihren Adelsanspruch nutzbar zu machen und sie dem Staat im Rahmen eines Nobilitierungsverfahrens als ein unterstützendes Argument zu unterbreiten. Im Gegenteil, sie passten sich den staatlichen Vorstellungen hinsichtlich geeigneter Adelsqualifikationen sehr schnell an, ohne den Versuch zu unternehmen, staatliche Adelsvorstellungen nach und nach zu erweitern. Das Ergebnis dieses stillen Konsenses war die fast vollständige Abwesenheit von Handlungsmustern der freiwilligen öffentlichen Gabe und sozialen Fürsorge unter den staatlich anerkannten Elitekriterien. 5.1.2 Akademie der bildenden Künste Die Breslauer Akademie der bildenden Künste ist das zweite Beispiel für eine das Gemeinwohl unterstützende Initiative, in der einige zivilgesellschaftliche Handlungsmuster kultiviert wurden, die jedoch nicht ihren Weg in den Katalog der Adelstugenden fanden. Obgleich sich diese Verhaltensmuster von den oben behandelten Praktiken des karitativen Spendens unterschieden, indem sie nicht auf die direkte Wohlfahrt, sondern auf die Förderung der Ausbildung und damit der vertikalen sozialen Mobilität ausgerichtet waren, sind auch sie prinzi­ piell der entstehenden Zivilgesellschaft zuzuschreiben.35 Die Akademie wurde im Jahr 1790 auf Initiative des Königs nach Berliner Vorbild gegründet und war von Anfang an darauf ausgerichtet, das Bildungsniveau der Fachkräfte in der Provinz zu heben und somit auch das Wirtschaftswachstum in der sich allmählich industrialisierenden Region zu steigern. Wie bei deren Gründung erläutert wurde: »Der eigentliche Zweck bei Anlegung der Provinzial Kunstschule geht dahin, den guten Geschmack allenthalben in dem Staat gleichmäßig zu verbreiten und vorzüglich in den Gegenden, wo beträchtliche Manufakturen und Fabriken sind. Es sollen zu dem Ende die Lehrlinge und Gesellen solcher Handwerker und Fabrikanten, die geschmackvolle Formen und Verzierungen ihrer Arbeiten des Unterrichts im Zeichnen, auch in der Geometrie und Architektur bedürfen, als verschiedene Weber, Tapetenwirker, Stecher, Kartenmacher und andere Fabrikanten zweckmäßigen Unterricht in der Kunstschule erhalten. Die Hauptabsicht der Kunstschule ist also 35 Vgl. Lauth; Kocka, Zivilgesellschaft als historisches Problem.

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Fabrikanten und Handwerker zu bilden, nicht aber aus dergleichen professionelle Künstler im Malen und Zeichnen zu machen, als welches zum eigentlichen Studio der Kunst gehört.«36

Obgleich die Gründung der Akademie vom Staat veranlasst wurde, engagierten sich die staatlichen Stellen kaum für ihren eigentlichen Betrieb, sodass er sehr schnell in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Die Akademie war zwar der städtischen Aufsicht unterworfen, aber schon ab 1797 auf ein eifriges Engagement ihrer Direktoren angewiesen, die versuchten, die notwendigen finanziellen Mittel zu besorgen. Dabei waren sie zunächst nicht so erfolgreich wie das Spital zu Allerheiligen, und während der ersten dreißig Jahre ihres Bestehens war die Anstalt ständig vom finanziellen Untergang bedroht.37 Es mussten diesbezüglich sogar restriktive Sparmaßnahmen ergriffen werden, indem ein großer Teil der Lehrer an der Akademie gebeten wurde, vorübergehend unentgeltlich zu unterrichten. Auch die Mitglieder der Direktorenschaft verrichteten ihre Tätigkeit die ganze Zeit über ohne Anspruch auf eine materielle Entlohnung.38 Die angespannte Finanzlage der Lehranstalt begann sich erst in den Zwanzigerjahren zu bessern, als die ersten größeren Spenden von Seiten der Breslauer Kaufmannschaft gewonnen werden konnten. Seit ihrem Gründungsjahr 1790 konnte die Schule nämlich zahlreiche Absolventen vorweisen, die nicht selten ihre in der Schule erworbenen Fähigkeiten in Breslauer Unternehmen anwandten. Daher stieg die Schule langsam in der Gunst der neuen städtischen Wirtschaftseliten, die sich immer stärker um das Schicksal der Akademie kümmerten.39 1821 widmete zum Beispiel eine Gruppe von Breslauer Kattunfabrikanten der Anstalt mehr als 5000 Taler, wodurch angesichts ihrer angespannten Haushaltssituation die Betriebskosten für mehrere Jahre gedeckt werden konnten.40 Diese Finanzmittel flossen weiter, wenn auch im Vergleich zum oben behandelten Breslauer Spital zu Allerheiligen in geringerem Maße. 1828 erhielt die Schule wieder eine Summe von 5000 Talern, womit ihr Grundbetrieb endgültig ge­sichert war und die aus ihrer Not befreite Anstalt zu einem laufenden Betrieb und sogar zur Erweiterung ihrer Tätigkeiten übergehen konnte.41 Dass die Finanzlage der Schule gesichert wurde, ist vor allem auf das intensive Engagement des Direktoriums zurückzuführen. Seit den Zwanzigerjahren veranstaltete es zahlreiche Aktionen zur Popularisierung der Schultätigkeiten 36 Nachricht von dem Endzweck der zu Breslau errichteten Provinzial Kunstschule, APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13421, Errichtung der Akademie der bildenden Künste in Breslau, fol. 13–17. 37 Ebd., fol. 2–30. 38 Ebd., fol. 47. 39 Zu den Anfängen der Lohnarbeit vgl. Kocka, Weder Stand noch Klasse, S. 151–157. 40 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13421, Errichtung der Akademie der bildenden Künste in Breslau, fol. 66. 41 Ebd., fol. 77–78.

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wie öffentliche Vorträge, Ausstellungen der Absolventenarbeiten und verschiedene Wohltätigkeitssammlungen. Dabei kooperierte es sehr eng mit einigen anderen Breslauer Vereinen. 1829 organisierte die Akademie zum Beispiel zusammen mit der Schlesischen Gesellschaft für Vaterländische Kultur etliche Ausstellungen, drei Jahre später ermöglichte die Schule die kostenlose Veranstaltung verschiedener öffentlicher Vorträge und Ausstellungen des Schlesischen Gewerbevereins in ihren Räumlichkeiten.42 Die Akademie schloss sich also sehr eng an die sich entwickelnde Breslauer Vereinslandschaft an, und es gelang ihr, im entstehenden öffentlichen Raum Breslaus präsent zu sein und sich in die Wahrnehmung der städtischen Wirtschaftseliten einzuschreiben. Dank der Spenden konnte die Schule dann langsam über wesentliche Verbesserungen ihrer Tätigkeit nachdenken. Der erste Schritt in diese Richtung bestand darin, die Fachkenntnisse der unterrichtenden Professoren zu steigern. Die Schule hatte von Beginn ihrer Existenz an ein besonderes Interesse daran, Lehrer auch von außerhalb der Provinz zu gewinnen, wozu schon vor dem Jahr 1800 ein spezieller Finanzfonds gegründet wurde, aus dem Reise- und Unterkunftskosten gedeckt werden sollten. Angesichts der ökonomisch äußerst schwierigen Lage blieb dieser Fonds aber bis zur zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre größtenteils leer. Nach der finanziellen Sicherung des Grundbetriebes gelang es jedoch der Anstalt, ihn mit genügend Mitteln auszustatten und damit für den Unterricht tatsächlich nichtschlesische Professoren zu gewinnen.43 Die Blüte der Anstalt drückte sich in den Dreißigerjahren auch in deutlich mehr Tätigkeiten aus. In den Jahren 1836 bis 1840 veranstaltete die Akademie mehrere öffentliche Ausstellungen und Vorträge pro Jahr, erhöhte ihre Studenten- und Professorenzahl und kaufte neue Ausstattungen an.44 Die Schule diente dabei nicht nur als eine Ausbildungsanstalt, sondern auch als eine Institution, die versuchte, zur Verbesserung der vertikalen sozialen Mobilität in Schlesien beizutragen. Der beauftragte Direktor – der Breslauer Professor Franz Bach – entwickelte bereits um 1810 erste Initiativen, um ein System von Stipendien einzuführen, das Angehörigen der Breslauer Unterschichten ein Studium ermöglichen sollte.45 In den Zwanzigerjahren wurde dieses System dann realisiert, indem die Stipendien aus den ansonsten obligatorischen Stu­ diengebühren finanziert wurden.46 Der Betrieb der Schule verknüpfte so die Ausbildung und Bereitstellung von Facharbeitskräften für die aufkommende schlesische Industrie und Bemühungen um wirtschaftliches Wachstum mit den Kulturpraktiken der Förderung 42 Gürtler, S. 195–199. 43 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13421, Errichtung der Akademie der bildenden Künste in Breslau, fol. 167–172. 44 Ebd., fol. 149–157. 45 Ebd., fol. 1. 46 Ebd., fol. 48–53.

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vertikaler sozialer Mobilität und des freiwilligen Engagements und Spendens, ohne die die finanzielle Grundlage der Anstalt über die ersten dreißig Jahre hinaus nicht hätte gewährleistet werden können. Dank des eifrigen Engagements der Spender konnte sich die Schule nach ihrer finanziellen Stabilisierung mit dem aufstrebenden Breslauer Vereinswesen verbinden und wurde durch ihre Tätigkeiten schließlich zu einem dynamisierenden Faktor des Breslauer Vereinslebens. Die Organisation verschiedener öffentlicher Veranstaltungen, die Popularisierung der entsprechenden Aus­ bildung sowie die angestrebte soziale Offenheit der Anstalt schufen, wenn auch formell von der Stadt beaufsichtigt, soziales Kapital und schlossen mehr Individuen in das aufblühende kommunale Leben ein.47 Letztlich nutzten die Akademievorsteher das öffentliche Engagement jenseits der Unterrichtstätigkeit auch als Argument zur Legitimation der Akademie selbst. Bei den vielen Versuchen, private, aber auch staatliche Beiträge einzuwerben, hoben sie hervor, dass ihre Tätigkeiten auf eine breite Öffentlichkeit zielten, wie etwa die zahlreichen Ausstellungen und Vorträge, die immer wieder als »Erfolge, die fördernd für das Wohl der ganzen Kommune sind«,48 dargestellt wurden. Der endgültige Erfolg der Schule wurde im Jahr 1853 besiegelt, als ihr langjähriges positives Wirken in der Provinz vom Staat anerkannt wurde und die Akademie den Anspruch auf dauerhafte staatliche Unterstützung erwarb. Sie wurde völlig unter die Finanzkompetenz des preußischen Ministeriums für Gewerbe, Handel und Industrie gestellt, das die finanzielle Sicherung übernahm.49 Mit ihrer institutionellen Anbindung an den Staat ging aber das freiwillige Engagement zu ihren Gunsten zurück. Ab den Fünfzigerjahren handelte es sich nur mehr um eine von mehreren staatlichen Ausbildungsanstalten in Breslau, die finanziell wie personell vom Staat ausgestattet wurden. Daher war ein außerordentliches Engagement für ihren Bestand nicht mehr notwendig. Die zivilgesellschaftlichen Handlungspraktiken, auf die die Anstalt vorher angewiesen gewesen war, spielten aus diesem Grund keine prominente Rolle mehr. Wenn wir uns die Wohltäter der Breslauer Akademie der bildenden Künste näher anschauen, wird deutlich, dass sich unter ihnen viel weniger durch eine Nobilitierung ausgezeichnete Personen befanden als beim Spital zu Allerheiligen. Wie schon erwähnt, bestand der Kern der Wohltäter vornehmlich aus lokalen Unternehmern. Dass diese in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts generell kaum für eine Nobilitierung in Betracht kamen, wurde bereits in den vorherigen Kapiteln gezeigt. Doch gab es einige Personen, die sich für die Akademie einsetzten und später die staatliche Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Stellung durch eine Adelsverleihung suchten. Ähnlich den Unterstützern des Spitals 47 Vgl. Reichardt; Putnam. 48 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13422, Die Akademie der bildenden Künste in Breslau 1842–1876, fol. 25. 49 Ebd., fol. 15–16.

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zu Allerheiligen kamen sie dabei aber gar nicht auf ihr Engagement für die Breslauer Akademie der bildenden Künste zu sprechen. Eine dieser Personen war der schlesische Gutsbesitzer und Direktor des königlichen schlesischen Kreditinstituts, Maximilian Gaffron.50 Als er 1840 anlässlich der Huldigung für den neuen König nobilitiert wurde, gehörte er zu denjenigen, deren Adelsverleihung von oben ausging. Die königlichen Huldigungen waren traditionell Anlass für zahlreiche Nobilitierungen, und die Hofbeamten suchten aus eigener Initiative zusammen mit den zuständigen Provinzpräsidien nach Adelskandidaten.51 Diese Gelegenheiten waren eigentlich die einzige Möglichkeit, zu einem Adelstitel zu gelangen, ohne den ersten Schritt tun zu müssen. Als sich die zuständigen Hofbeamten Ende der Dreißigerjahre mit dem Auftrag an die Provinzpräsidien wandten, mit Blick auf die Huldigung passende Adelskandidaten vorzuschlagen, erschien auf der entsprechenden Liste des schlesischen Oberpräsidiums auch der Name von Maximilian Gaffron.52 Zur Begründung dieses Vorschlags führte das schlesische Provinzpräsidium an, dass Gaffron über eine passende Mischung von Adelsqualifikationen verfüge. Dabei wurde zunächst einmal die lange militärische Tradition der Familie betont. Gaffrons Vorfahren dienten nachweislich schon ab der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Armee, sein Großvater hatte sogar den Rang eines Generals erreicht.53 Maximilian Gaffron selbst blieb dagegen dieser Familien­ tradition nicht völlig treu, denn nach einer kurzen Militärkarriere widmete er sich der Bewirtschaftung der von ihm gekauften Güter und seiner Tätigkeit im schlesischen Kreditinstitut.54 Seine Familiengeschichte lieferte somit zusammen mit seiner eigenen Laufbahn eine geeignete Mischung aus militärischem Dienst und Grundbesitz, die das Hauptargument des schlesischen Provinzpräsidiums im Hinblick auf seine vorgeschlagene Nobilitierung ausmachte. Als Gaffron während des Nobilitierungsverfahrens unabhängig von der Äußerung des Oberpräsidiums auf­ gerufen wurde, eine Beschreibung seiner Verdienste zusammenzustellen, konzentrierte er sich darauf, die militärische Vergangenheit seiner Familie sowie Größe und Ertrag seines Grundbesitzes zu schildern. Aufgrund dieser beiden Qualifikationen befürworteten die zuständigen Stellen seinen Adelsanspruch definitiv.55 Gaffron wurde im Jahr 1840 tatsächlich nobilitiert, und zwar sogar in den preußischen Freiherrenstand erhoben.56 Gaffron war aber nicht nur schlesischer Gutsbesitzer und Nachfahre einer alten Offiziersfamilie, sondern gehörte schon seit den Zwanzigerjahren zu den 50 Vgl. Fuchs, Die Wirtschaft, S. 141 f. 51 Vgl. allgemein Schwengelbeck, S. 200–224. 52 Vgl. GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4381, fol. 1.  53 Ebd., fol. 14–15. 54 Ebd., fol. 16–18. 55 Ebd., fol. 29–30. 56 Ebd., fol. 59–63.

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aktiven Wohltätern der Breslauer Akademie der bildenden Künste. Obgleich er nicht unmittelbar zum kaufmännischen Milieu Breslaus gehörte, spendete er wiederholt Beträge, die ganz gezielt und im Einvernehmen mit ihm für die Beschaffung der schultechnischen Ausstattung genutzt wurden.57 So wurde zum Beispiel aus seinen Beiträgen die Summe zusammengestellt, die 1828 für den Ankauf eines neuen Laboratoriums für den Unterricht der angewandten Kunst genutzt wurde, und seine anderen Beiträge dienten ebenso der Anschaffung verschiedener Lehrmittel und somit der allgemeinen Modernisierung der Lehranstalt.58 Diese Praktiken der freiwilligen, gemeinnützigen Ausbildungsförderung waren jedoch im Rahmen des Nobilitierungsverfahrens weder für den Adels­ kandidaten selbst noch für das schlesische Oberpräsidium auf seiner Suche nach geeigneten Adelskandidaten von Bedeutung, und sie schrieben sich mit der Nobilitierung Gaffrons nicht in den staatlich anerkannten Adelstugend­katalog ein. Die Verleihung des preußischen Freiherrenstandes wurde ausschließlich mit seinem Gutsbesitz und mit der militärischen Familientradition gerecht­fertigt und so auch veröffentlicht, die Kulturpraktiken der freiwilligen Gabe für die Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten in der Provinz blieben da­gegen unerwähnt. Ein weiteres gutes Beispiel für den niedrigen Stellenwert der Verhaltens­ muster von freiwilliger Gabe und Bildungsförderung bei den schlesischen Nobilitierungen liefert die 1837 erfolgte Adelsverleihung an Karl Eduard Grabs. Es handelte sich um einen früheren Staatsdiener, der nach seinem Studium in den schlesischen Verwaltungsdienst eingetreten war. Nach wenigen Jahren hatte er sich aber der Landwirtschaft zugewandt, im Jahr 1833 ein Gut gekauft und den Staatsdienst verlassen.59 Seine Kontakte zur Breslauer Gesellschaft hatte er aber nie verloren und nahm auch an der Förderung der dortigen Akademie der bildenden Künste aktiven Anteil. So half er zum Beispiel schon 1831, also vor seinem Ausscheiden aus dem Dienst, finanziell, die Schularbeiten öffentlich auszustellen, was der Popularisierung der Schultätigkeiten und der Anwerbung weiterer Finanzmittel diente.60 Auch bei anderen öffentlichen Veranstaltungen der Akademie war er in den Dreißigerjahren öfters beteiligt.61 Als er aber im Februar 1836 seinen Nobilitierungsantrag stellte, gingen die Kulturpraktiken des freiwilligen Spendens für die Ausbildungsförderung nicht in seine Begründung ein. Er unterstrich seinen Adelsanspruch nur mit der materiellen Sicherung seines gesellschaftlichen Status durch Familienstiftungen und mit der Verwandtschaft seiner Familie mit dem lokalen Adel: 57 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13421, Errichtung der Akademie der bildenden Künste in Breslau, fol. 67–76. 58 Ebd., fol. 77–78. 59 Vgl. GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. G, Nr. 320, fol. 1–3. 60 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13421, Errichtung der Akademie der bildenden Künste in Breslau, fol. 103–105. 61 Vgl. ebd., fol. 116–157.

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»Meine Mutter hat einen Teil ihres Vermögens zu zwei Familienstiftungen bestimmt, wodurch jedem meiner Nachkommen, ohne Rücksicht auf dessen Stand die Mittel zur würdigen Vorbereitung für jeglichen Stand gewährt wurden. […] Zur Erreichung dieser Zwecke ist ein Fond von fünfzig Tausend Talern bestimmt, der jedoch bis auf 100 000 Taler erhöht werden soll, ehe diese Stiftungen in Wirksamkeit treten. […] Durch meine Mutter sind meine nächsten und einzigen Blutsfreunde die drei Familien von Tischer, von Uechbritz und Gutsbesitzer Lachmann. […] Erstere beiden Familien sind schon längst zum Adelstand gehörig und auf mannigfache Art mit anderen adligen Familien Schlesiens und der Lausitz verwandt.«62

Auch Karl Eduard Grabs maß also in seinem Nobilitierungsantrag nur zwei Argumenten großes Gewicht zu: seinem materiellen Wohlstand, der auch für die Nachkommen sichergestellt werden sollte, sowie der Anerkennung seitens des lokalen Adels, die sich in Heiratsverbindungen seiner Familie mit verschiedenen adligen Familien widerspiegelte. Sein freiwilliges finanzielles Engagement für die Breslauer Akademie der bildenden Künste schien ihm hingegen bei der Begründung seines Adelsanspruchs von keinerlei Bedeutung zu sein. Auch der Staat ließ bei der Beurteilung von Grabs’ Adelsanspruch dessen Verdienste um die Breslauer Akademie unbeachtet. Als das schlesische Oberpräsidium aufgefordert wurde, zum Antrag von Grabs Stellung zu nehmen, beschränkte es sich zwar nicht auf die Bestätigung der vom Kandidaten selbst angeführten Argumente, sondern erweiterte seine Adelsqualifikationen noch um das Kriterium des Staatsdienstes: »Der ehemalige Referendarius Carl Eduard Grabs ist […] ein Sohn des zu Greiffenberg verstorbenen vormaligen Land- und Stadtgerichtsdirektor Grabs. Er hat sich auf Schulen und Universitäten durch gute Führung, Fleiß und gute Anlagen ausgezeichnet, sich auch während seiner mehrjährigen Aufstellung als Referendarius die besondre Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erworben. Neigung zur Landwirtschaft hat ihn im Jahre 1833 bewogen, den Staatsdienst zu verlassen und er hat sich darauf für 60 000 zu einem sehr billigen Preis die ganz schuldfreien Güter Logau und Heugsdorf erkauft. Von seiner vor wenigen Jahren verstorbenen Mutter hat er ein Ver­mögen, von dem er jedoch 50 000 zu einer Stiftung verwenden soll, welche auf die künftigen Mitglieder der Familie bei ihrer Erziehung und in Unglücksfällen zu unterstützen bestimmt ist.«63

Das schlesische Oberpräsidium bestätigte also die von Grabs vorgebrachten Argumente, stellte jedoch aus eigener Initiative weitere Umstände aus dem Leben des Adelskandidaten fest, um mit diesen seinen Nobilitierungsantrag noch stärker zu unterstützen. Grabs selbst nahm in seinem ursprünglichen Antrag 62 Immediatgesuch von Karl Eduard Grabs vom 9. Februar 1836, GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4438, fol. 12–15. 63 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Ministerium des Königlichen Hauses am 20. April 1836, GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4438, fol. 6.

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keinen Bezug auf seine frühere, verhältnismäßig kurze Beamtentätigkeit, für das Präsidium schien diese aber für die Zwecke der Nobilitierung erwähnenswert zu sein und wurde daher den vom Kandidaten selbst vorgebrachten Adelsqualifikationen hinzugefügt. Obgleich das Oberpräsidium aktiv nach weiteren Umständen aus dem Leben des Adelsanwärters suchte, wurde die Unterstützung der Akademie zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens berücksichtigt und blieb bei der Abwägung der Argumente für und gegen die Nobilitierung von Karl Eduard Grabs ohne Belang. Als der Fall im Mai 1836 dem König vorgelegt wurde, wurde Grabs für die Nobilitierung unter eindeutigem Verweis auf seine günstige Vermögenslage, seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu bestehenden Adelsfamilien sowie auf seinen kurzen Dienst im staatlichen Verwaltungsapparat empfohlen.64 Nach der königlichen Unterschrift wurde ihm dann tatsächlich der Adelsstand verliehen, und die Nobilitierung wurde mit eben diesen drei Argumenten offiziell begründet und veröffentlicht.65 Auch in diesem Fall fanden die Kulturpraktiken der öffentlichen Gabe sowie der freiwilligen Förderung von Ausbildungsmöglichkeiten und der vertikalen sozialen Mobilität keinen Eingang in den Katalog der staatlich anerkannten Adelsqualifikationen. Sowohl der Staat als auch Grabs selbst bezogen sie bei der Begründung seines Adelsanspruchs nicht mit ein und beschränkten sich auf die Kriterien des Vermögens, des Staatsdienstes und der sozialen Anerkennung seitens des bestehenden Adels. Das Beispiel der Breslauer Akademie der bildenden Künste zeigt, dass im Fall adelswilliger Großbürger in Breslau in dieser Zeit nicht nur die bei ihnen häufig anzutreffenden Handlungsmuster der öffentlichen Gabe und sozialen Fürsorge keine Rolle in den Nobilitierungsverfahren spielten. In gleicher Weise war bei großbürgerlichen Adelskandidaten die freiwillige Förderung des Ausbildungswesens  – und damit der vertikalen sozialen Mobilität  – in Breslau verbreitet, ohne dass diese Kulturpraktiken Eingang in den Katalog der Qualifikationen für Adelsverleihungen gefunden hätten. Auch hier passten sich die Adelsanwärter sehr schnell den staatlichen Vorgaben an und entwickelten keine Initiative, den staatlich angewandten, ungeschriebenen Katalog an Adelstugenden um die von ihnen kultivierten Handlungsmuster der entstehenden Zivilgesellschaft zu ergänzen. 5.1.3 Breslauer Gewerbeverein Während sich die beiden oben behandelten Beispiele größtenteils auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts beschränken, ermöglicht das Beispiel des Breslauer Gewerbevereins, die Perspektive über die Vierziger- und Fünfzigerjahre hin64 Ministerium des Königlichen Hauses an den König am 14. Mai 1836, ebd., fol. 7–8. 65 Adelsbrief für Karl Eduard Grabs, ebd., fol. 16–19.

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aus zu erweitern und so den ganzen untersuchten Zeitraum abzudecken. Auch im Breslauer Gewerbeverein wurden gewisse Praktiken der entstehenden Zivil­ gesellschaft kultiviert, die im Wesentlichen auf einem freiwilligen, vom zeitgenössischen Ideal der Fortschrittsförderung getragenen Engagement beruhten und einen großen Einfluss auf den entstehenden öffentlichen Raum und Diskurs in Breslau hatten. Auch hier sammelten sich Akteure, aus denen sich der schlesische neue Adel zum Teil rekrutierte. Der Verein wurde zwar schon 1828 gegründet, seine Tätigkeit erstreckt sich aber über mehrere Jahrzehnte hinweg mit einem deutlichen Höhepunkt in den Fünfziger- und Sechzigerjahren.66 Wie bei vielen ähnlichen Vereinen in ganz Europa war die ursprüngliche Absicht, die lokalen Gewerbe durch Herstellung und Unterstützung gegenseitiger Kontakte zu fördern, den Austausch von Fachkenntnissen zu ermöglichen und dadurch das Wirtschaftswachstum zu forcieren und die Wettbewerbsfähigkeit der lokalen Wirtschaft zu stärken.67 Der Verein schuf ein beträchtliches Sozialkapital, und seine Tätigkeiten standen mit der Zeit auf einer immer breiteren sozialen Basis. Während die Mitgliederzahl 1840 erst 384 Personen betrug, waren es acht Jahre später schon 432, im Jahr 1858 dann mehr als 500, und Ende der Sechzigerjahre verzeichnete der Breslauer Gewerbeverein schon fast sechshundert Mitglieder.68 Obgleich er keineswegs sozial inklusiv war  – von Anfang an waren Gesellen sowie Angehörige der Unterschichten streng von der Mitgliedschaft ausgeschlossen – brachte er doch verschiedene Segmente des lokalen Kleinbürgertums, Großbürgertums und Adels zusammen und schuf einen Raum für gegenseitige Kommunikation, Kooperation und Anerkennung jenseits sozialer Grenzen. So waren zum Beispiel von den mehr als fünfhundert verzeichneten Mitgliedern im Jahr 1858 mehr als zweihundert Handwerker, 83 Kaufleute, 73 Fabrik- oder Bergwerksbesitzer und 47 Bildungsbürger, darunter Ärzte, Juristen oder Univer­sitäts- und Gymnasialprofessoren. Die übrigen Mitglieder waren Adlige, Gutsbesitzer und andere Gruppen.69 Dass unter den Mitgliedern das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum dominierte, bedeutet nicht, dass der Verein als ganz unabhängig vom Staat angesehen werden kann. Schon am Anfang seiner Tätigkeiten brauchten die Gründer eine offizielle staatliche Genehmigung, und der Verein blieb bis in die Fünfzigerjahre mit dem Staat personell verbunden sowie formell von ihm beaufsichtigt. So lassen sich zum Beispiel im Jahr 1844 unter den Mitgliedern des Vereinsdirektoriums Personen finden wie der Breslauer Polizeipräsident Ferdinand Heinke oder Regierungsvizepräsident Heinz von Kottwitz.70 66 Weiß, S. 1127 f.; Stein, Geschichte der Stadt Breslau, S. 99–101. 67 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 11. Vgl. allgemein Dann. 68 Gürtler, S. 192 f. 69 Ebd., S. 193 f. 70 Ebd., S. 192.

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Diese enge Verflechtung des Vereins mit dem Staat löste sich jedoch ab den Fünfzigerjahren auf, und auch im Vereinsdirektorium wurden die hohen Staatsbeamten durch Bildungs- und Wirtschaftsbürger ersetzt, sodass dort in den Sechzigerjahren die staatlichen Institutionen nicht mehr vertreten waren.71 Der Verein versuchte aber auch weiterhin, zum Staat gute Beziehungen zu pflegen. Damit einhergehend vermied er sehr konsequent Aktivitäten, die die direkte politische Sphäre berühren konnten, und konzentrierte sich die ganze Zeit über auf die Unterstützung von Gewerbe und Industrie, daneben auch auf eine intensive Wirkung im entstehenden öffentlichen Raum Breslaus.72 Ungeachtet des komplizierten Verhältnisses zu den staatlichen Autoritäten entwickelte der Verein verschiedene Initiativen, die ein öffentliches Engagement seiner Akteure voraussetzten und zu einem festen Bestandteil der entstehenden Breslauer Öffentlichkeit wurden.73 Ähnlich wie die Akademie der bildenden Künste, teilweise in enger Kooperation mit ihr, veranstaltete der Breslauer Gewerbeverein zahlreiche öffentliche Ausstellungen und Vorträge, die zur allgemeinen Popularisierung der Vereinszwecke sowie zur Anwerbung neuer Mitglieder und Einwerbung finanzieller Mittel dienten.74 Eine prominente Stellung unter diesen öffentlichen Aktivitäten gewannen ab Beginn der Sechzigerjahre die regelmäßig, in der Regel jährlich veranstalteten schlesischen Gewerbetage, auf denen die Vereinstätigkeiten breit und öffentlich präsentiert wurden. Sie boten dem Verein eine gute Möglichkeit, seine wichtigsten Tätigkeiten durch die Mitglieder programmatisch diskutieren zu lassen und sich im öffentlichen Raum Breslaus öffentlichkeitswirksam darzustellen.75 So widmete sich zum Beispiel der 1867 abgehaltene fünfte schlesische Gewerbe­tag Fragen im Zusammenhang mit der sozialen Stellung der Arbeiter, förderte im Einklang mit zeitgenössischen Vorstellungen im liberalen Bürgertum die Gründung von Handwerker- und Arbeiterbildungsvereinen sowie von Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften nach einem strengen Selbsthilfeprinzip und knüpfte enge Beziehungen mit den lokalen technischen Fachschulen, denen er eine vielfältige personelle und finanzielle Förderung versprach.76 Ein Jahr später setzte sich der Verein stark für die Errichtung des Breslauer Gewerbemuseums und für ein einheitliches Patentrecht ein, wandte sich in diesem Sinne mit zahlreichen Petitionen an die preußische Regierung und versuchte, für seine Ziele eine breitere Öffentlichkeit zu gewinnen.77 Alle diese Aktivitäten beruhten auf einem freiwilligen Engagement der Vereinsmitglieder, das sich 71 Vgl. Tenfelde. 72 Dazu klassisch Habermas. 73 Vgl. APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 10. Vgl. weiter Dann; Gürtler, S. 200; van Rahden, S. 125–128. 74 Gürtler, S. 195–199; van Rahden, S. 106–117. 75 Vgl. Hettling, S. 188 f. 76 Bericht über den fünften schlesischen Gewerbetag, APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 10, S. 14–33. 77 Bericht über den sechsten schlesischen Gewerbetag, ebd., fol. 78, S. 13–23.

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nicht auf den dafür direkt zuständigen Vereinsausschuss beschränkte, sondern zahlreiche einfache Mitglieder einschloss.78 Wenn wir einen Blick auf die Mitgliedschaft werfen, tritt deutlich hervor, dass sich auch hierunter zahlreiche Anwärter auf einen Adelstitel befanden. Schließlich gehörten zu den Vereinsmitgliedern Angehörige der lokalen bürgerlichen Wirtschafts- und Bildungseliten sowie Grundbesitzer, also gerade Vertreter jener Schichten, aus denen sich zum Teil die schlesischen Neu­adligen rekrutierten. Sehen wir noch genauer hin, stellen wir fest, dass es unter den Mitgliedern des Gewerbevereins tatsächlich relativ viele Personen gab, die nach einer Adelsverleihung strebten und den Adelstitel zu verschiedenen Zeitpunkten auch erlangten. Es handelte sich dabei sowohl um führende Vereinsmitglieder, die am Vereinsleben intensiv teilnahmen, als auch um passivere Mitglieder, die sich im Rahmen ihrer Mitgliedschaft auf die finanzielle Unterstützung des Vereins beschränkten und sich eher selten direkt engagierten. Wird dann die Aufmerksamkeit auf die konkreten Nobilitierungen dieser Personen gerichtet, bestätigt sich die oben aufgestellte These noch einmal. Ähnlich wie beim Breslauer Spital zu Allerheiligen und bei der Akademie der bildenden Künste spielten die Kulturpraktiken der entstehenden Zivilgesellschaft bei den Akteuren des Breslauer Gewerbevereins für die Legitimierung des Adelsanspruches keine wichtige Rolle und konnten demzufolge in den staatlich an­ erkannten Adelstugendkatalog kaum Eingang finden. 1867 bewarb sich zum Beispiel der ehemalige Armeeleutnant, schlesische Gutsbesitzer und Kommerzienrat Dr. Karl Kulmiz um eine Adelsverleihung. Zur Unterstützung seines Nobilitierungsanspruches führte er vor allem seine Lebensabschnitte als Offizier und Gutsbesitzer an. Er präsentierte sich dem Staat einerseits als sein treuer Diener, was sein Armeedienst beweisen sollte, andererseits als ein erfolgreicher Gutsbesitzer, der über ausreichend Vermögen verfüge, wodurch der soziale Status seiner Familie auch für die Zukunft ge­ sichert sei.79 Es waren dann auch, völlig im Einklang mit den allgemein anerkannten Kriterien, die aus seinem Gutsbesitz herrührenden materiellen Verhältnisse, die vom Staat als seine wichtigste Adelsqualifikation betrachtet wurden. Als das schlesische Oberpräsidium dem Berliner Heroldsamt mehr Informationen über den Adelskandidaten liefern sollte, um so die endgültige Entscheidung über sein Gesuch zu erleichtern, sah es Kulmiz für den Adelsstand sogar ausschließlich durch sein Vermögen qualifiziert: »Der Wert der Güter Konradsweden und Saarau ist nach eingezogenen Erkundigungen auf mindestens 200 000 angegeben worden. In der Einkommensteuer ist der Kulmiz zur 15. Stufe, das ist 30 monatliche Steuern eingeschätzt.«80 78 Vgl. ebd., fol. 42–47. 79 Adelsgesuch von Karl Kulmiz vom 11. April 1867, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI K, Nr. 101, unfoliiert. 80 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 5. Mai 1867, ebd.

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Aufgrund dieses Gutachtens des schlesischen Oberpräsidiums wurde Karl Kulmiz vom Heroldsamt dem König zur Nobilitierung empfohlen und in den preußischen Adelsstand erhoben.81 Als Kriterien fanden vornehmlich sein Vermögen und sein Armeedienst Berücksichtigung, die sowohl von ihm als auch vom Staat als passende Adelsqualifikationen betrachtet wurden.82 Dabei wäre es beiden Seiten sehr gut möglich gewesen, Kulmiz’ Adelsanspruch auch anders zu begründen oder zumindest seine Adelsqualifikationen über das Kriterium des Gutsbesitzes und Armeedienstes hinaus zu definieren. Kulmiz gehörte nämlich schon seit Anfang der Sechzigerjahre zu den aktivsten Mitgliedern des Breslauer Gewerbevereins.83 In der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre wurde er sogar in den Vereinsausschuss gewählt und war somit eines derjenigen Vereinsmitglieder, die auf die Ausrichtung der Vereinstätigkeiten den größten Einfluss hatten.84 Er war eine der führenden Personen bei der Gestaltung der jährlichen Gewerbetage und bestimmte die Agenda des Vereins sowie die Art und Weise seiner öffentlichen Präsentation mit.85 So setzte er sich zum Beispiel sehr dafür ein, im Rahmen der Vereinstätig­ keiten die Frage der Frauenarbeit zu thematisieren, und es gelang ihm in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre, sie zu einem Kernpunkt der Vereinsagenda zu machen.86 Von Kulmiz veranlasst, plädierte der Verein in einer an die Öffentlichkeit gerichtete Adresse aus dem Jahr 1867 für »die Erweiterung des Arbeitsgebietes der Frau, die Sicherung einer freien gewerb­ lichen Tätigkeit der Frau und die Bereitung eines auf genossenschaftlichen Prinzipien beruhenden wirtschaftlichen Bodens für die Frauenarbeit, […] für die Errichtung der weiblichen Gewerbeschulen, analog den männlichen, für die Begründung von Zentralstellen zum Verkauf der Frauenarbeitsprodukte und für die Industrieausstellung der Frauenarbeitsprodukte«.87

Gerade solche Tätigkeiten im jungen, aber sich ausdehnenden Vereinswesen wurden in Böhmen zur selben Zeit, zum Teil sogar noch früher, zu einem der Argumente, auf das Akteure der entstehenden Zivilgesellschaft zur Unterstützung ihres Adelsanspruchs am häufigsten verwiesen. Das freiwillige Engagement in verschiedenen Vereinen und Initiativen, so gering es sehr oft sein mochte, war dort ein willkommenes Argument für die Begründung der Adelswürdigkeit. Dabei war nicht der genaue Inhalt der jeweiligen Tätigkeit wichtig,

81 Heroldsamt an König Wilhelm I. am 18. Juni 1867, ebd. 82 Königliche Entschließung vom 5. Juli 1867, ebd. 83 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 77. 84 Gürtler, S. 203–209. 85 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 13–17. 86 Vgl. Tagesordnung des sechsten schlesischen Gewerbetages, ebd., fol. 75. 87 Bericht über den sechsten schlesischen Gewerbetag, ebd., fol. 78, S. 15–16.

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vielmehr wurde die kulturelle Praxis des freiwilligen Einsatzes im wachsenden Vereinswesen in den staatlich anerkannten Adelstugendkatalog einge­schrieben. Das war in Schlesien nicht der Fall. Karl Kulmiz wies zu keinem Zeitpunkt auf sein sehr eifriges Engagement im Breslauer Gewerbeverein als eine mögliche Adelsqualifikation hin. Die Haltung des Staates, der ganz konsequent solche Handlungsmuster aus dem Tugendkatalog des Adels verdrängte, wurde hier wieder durch das Verhalten des Kandidaten verstärkt. Kulmiz ließ bei seinem Streben nach einem Adelstitel seine Handlungen in der entstehenden Breslauer Öffentlichkeit, seine Teilnahme am Vereinsleben und öffentlichen Diskurs und schließlich seine Förderung der lokalen Gewerbe und Industrie völlig unberücksichtigt. Ähnlich verfuhr ein anderes Vereinsmitglied, das 1866 geadelt wurde: Otto Hancke. Als er im Mai 1865 sein Adelsgesuch stellte, sah er sich für den preußischen Adelsstand nur durch die klassischen Qualifikationen des Vermögens und der sich daraus ergebenden Fähigkeit, soziale Distinktion zu demonstrieren, befähigt: »Was meine äußeren Verhältnisse angeht, so sind dieselben geordnet und meine Mittel hinreichend, um für den Fall der Gewährung meiner Bitte den verliehenen Stand nach Außen angemessen zu repräsentieren.«88

Ausgehend von einem so formulierten Adelsgesuch wurde, wie üblich, das Vermögen des Kandidaten gründlich überprüft, und nachdem festgestellt war, dass dieses dem Kandidaten in der Tat eine sehr solide materielle Basis gewährleiste und Hancke daher vollständig in der Lage sei, eine »standesgemäße« Lebensführung an den Tag zu legen, wurde das Gesuch dem Berliner Heroldsamt zur positiven Erledigung empfohlen.89 Als dann in der letzten Instanz des Nobi­ litierungsverfahrens das Heroldsamt den Fall dem König schilderte, fasste es die für den Kandidaten sprechenden Gründe ganz kurz zusammen: »Sein Gut, eines der besten in dem Kreise, hat etwa 840 Morgen. Darauf haften nur 25 000 Schulden. Hancke ist mit 3481 Einkommen in die 8. Stufe der Einkommenssteuer eingeschätzt. Seine Verwandtschaftsverhältnisse erwecken gleichfalls nichts gegen seinen Antrag.«90

Die Größe und der Ertrag seines Grundbesitzes sowie sein Einkommen waren bei der Begründung von Hanckes Adelsanspruch wieder das wichtigste Kriterium, das in letzter Instanz auch der König als genügend anerkannte. Hancke wurde daher im März 1866 in den erstrebten Adelsstand erhoben.91

88 Immediatgesuch von Otto Hancke vom 18. November 1865, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, ­Heroldsamt, VI. H, Nr. 75, unfoliiert. 89 Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt am 15. Februar 1866, ebd. 90 Heroldsamt an König Wilhelm I. am 10. März 1866, ebd. 91 Königliche Entschließung vom 26. März 1866, ebd.

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Genauso wie Karl Kulmiz ließ Otto Hancke im Rahmen des Nobilitierungsverfahrens seine Mitgliedschaft und Tätigkeiten im Breslauer Gewerbe­verein völlig unerwähnt. Die Tatsache, dass er schon seit Mitte der Fünfzigerjahre sowohl finanziell als auch persönlich Anteil an den Vereinstätigkeiten hatte, schien ihm für die Zwecke der Adelsverleihung nicht wichtig zu sein; sie fand daher keinen Eingang in seine Argumentationsstrategie hinsichtlich seines Anspruchs auf Adelszugehörigkeit.92 Hancke gehörte, wiederum ähnlich wie Karl Kulmiz, zu denjenigen Vereinsmitgliedern, die sich nicht auf finanzielle Beiträge und eine passive Mitgliedschaft beschränkten, sondern sich auch bei den regelmäßigen Tätigkeiten des Vereins intensiv engagierten und seine Agenda mitbestimmten. Angesichts der sich verschlechternden Wirtschaftslage Schlesiens Anfang der Sechzigerjahre93 plädierte er zum Beispiel im Verein für eine engere Anschließung Schlesiens an neue Absatzgebiete und warb beharrlich für die Einbeziehung der Verkehrsfrage in die offizielle Vereinsagenda.94 Diese Initiative war von Erfolg gekrönt, als seine Ansichten tatsächlich zum Anliegen des Vereins erhoben und im Rahmen von dessen öffentlichem Wirken voll unterstützt wurden. So gab der Verein beim dritten schlesischen Gewerbetag im Jahr 1864 öffentlich und offiziell eine Stellungnahme ab, in der er sich ganz im Einklang mit Hanckes Vorschlägen für den weiteren Ausbau der Eisenbahnstrecken, für die Senkung der Eisenbahntarife und für die Kanalisierung der Oder einsetzte.95 Diese auf die Förderung des Wirtschaftswachstums ausgerichteten Vereins­ tätigkeiten wurden aber im Fall von Hanckes Nobilitierung als irrelevant betrachtet. Was ihm den erstrebten Adelstitel bringen sollte und schließlich auch einbrachte, waren sein Grundbesitz und die Fähigkeit, sich standesgemäß zu repräsentieren. Ähnlich konsequent blieben die Tätigkeiten in der Breslauer Vereinslandschaft bei den Argumentationsstrategien aller anderen Adelskandidaten aus den Reihen der Vereinsmitglieder unbeachtet. Im Unterschied zu Böhmen schien das Engagement in einem der größten und aktivsten schlesischen Vereine in keinem einzigen Fall geeignet, einen Adelsandspruch zu unterstützen. Das betraf nicht nur Adelskandidaten, die sich für die Nobilitierung durch Grundbesitz legitimieren und daher den Weg zum Adelstitel relativ problemlos beschreiten konnten, sondern auch diejenigen, denen der Adelstitel aufgrund ganz anderer Qualifikationen verliehen wurde. 92 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 7–8. 93 Dazu ausführlicher Fuchs, Vom deutschen Krieg, S.  562–571; ders., Die industriellen Zusammenhänge. 94 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 9–12. 95 Gürtler, S. 215 f.

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In Kapitel 4 wurde schon die Nobilitierung von Gustav Kramsta behandelt.96 Dieser gehörte zu den wenigen Neuadligen, die in den Sechzigerjahren nicht aufgrund ihres Grundbesitzes nobilitiert wurden, sondern ausdrücklich mit ihren Erfolgen auf dem Feld der Industrie und der unternehmerischen Tätigkeit argumentierten, welche Qualifikationen der Staat schließlich als hinreichend anerkannte.97 Auch Gustav Kramsta war zum Zeitpunkt seiner Nobilitierung ein aktives Mitglied des Breslauer Gewerbevereins. Er nahm vor allem während der Revolution 1848/49 und der Fünfzigerjahre intensiv an den Vereinsaktivitäten teil und gehörte während der nachrevolutionären Reaktion zu den Personen, die eine große Distanz der Vereinsaktivitäten zur unmittelbaren politischen Sphäre durchsetzten und auf diese Weise die Existenz des Vereins sicherten.98 Schon in den revolutionären Jahren 1848/49 setzte sich Kramsta intensiv dafür ein, den Verein von jeglichen Aktivitäten und Äußerungen bezüglich aktueller Ereignisse abzuhalten.99 So wurde aus den Vereinsdebatten und Akti­v itäten nicht nur das allgemeine aktuelle politische Geschehen verdrängt, sondern der Verein verzichtete auch auf die aktive Reflexion der Fachdebatten in der Frankfurter Nationalversammlung, die sein Tätigkeitsfeld direkt berührten. Sowohl die Frankfurter Debatten über eine nationale Wirtschaftsordnung als auch die Verhandlungen des volkswirtschaftlichen Parlamentsausschusses ließ der Verein vollständig unkommentiert, nicht zuletzt wegen Kramstas Einsatz.100 Als dann der Breslauer Gewerbeverein Anfang der Fünfzigerjahre begann, seine in der Revolutionszeit etwas gedämpfte Aktivität wiederzubeleben, war Gustav Kramsta weiterhin intensiv daran beteiligt. Er gehörte sogar zu den Hauptorganisatoren der größten öffentlichen Veranstaltung Breslaus während der ganzen Fünfzigerjahre, der ersten Schlesischen Industrieausstellung im Jahr 1852.101 Im Rahmen des vom Gewerbeverein bestellten Ausstellungsausschusses kooperierte Kramsta intensiv mit den staatlichen Organen. Gemeinsam mit anderen Vereinsmitgliedern machte er die Ausstellung einerseits zu einer Vorstellung des Vereinsengagements zur Förderung der regionalen Industrie vor einem internationalen Publikum,102 andererseits zu einer Demonstration der Eintracht der Breslauer Bürger mit Staatsverwaltung und Armee.

96 Vgl. Abschnitt 4.1.4 dieser Arbeit. 97 Adelsbrief für Gustav Kramsta vom 30 Juli 1862, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. K, Nr. 68, fol. 26–29. 98 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 32–34. Vgl. weiter Grünthal, S. 226–261. 99 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 36. 100 Gürtler, S. 199 f. 101 Stein, Geschichte der Stadt Breslau, S. 517–528; Weiß, S. 1150 f. 102 Gürtler, S. 199–203; Stein, Geschichte der Stadt Breslau, S. 517–519.

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Die Ausstellung beinhaltete nämlich neben der Präsentation der Erfolge der lokalen Industrie eine große symbolisch-politische Komponente. Schlesien wurde in Berlin schon seit dem Maiaufstand des Jahres 1849 als eine unruhige, problematische Provinz angesehen,103 und die großzügig geplante und international erfolgreiche Industrieausstellung bot sich als eine geeignete Möglichkeit für die Inszenierung wieder gewonnenen Vertrauens an.104 Diese Inszenierung fand anlässlich des Besuchs des Königspaars im Juni 1852 ihren Höhepunkt und symbolisierte die wiederhergestellten ruhigen Beziehungen zwischen der Provinz Schlesien und dem Berliner Zentrum: »Viele Gebäude der Hauptstraßen waren mit Kränzen und Guirlanden verziert; aus den Fenstern heraus und von den Türmen herab wehten Fahnen in den preußischen, schlesischen und Breslauer Farben.«105

Bei diesem ganzen Geschehen fungierte Gustav Kramsta als eines der eifrigsten Vereinsmitglieder. Er war an der Koordination des königlichen Besuchs beteiligt, beaufsichtigte das genaue Programm der Ausstellung sowie die Auswahl der Exponate.106 Es lässt sich daher sagen, dass Kramsta zumindest in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre zu den führenden Vereinsmitgliedern gehörte, die die Vereinsaktivitäten bestimmten und mit der Industrieausstellung zu den Spitzenpersonen des öffentlichen Lebens in Breslau wurden. Alle diese Aktivitäten von Gustav Kramsta fanden aber bei der Adelsverleihung 1862 überhaupt nicht Eingang in den Katalog seiner Adelsqualifikationen. Kramsta begründete seinen Adelsanspruch gegenüber dem Staat nur mit seiner erfolgreichen Unternehmertätigkeit, und auch der Staat erkannte, wenn auch erst nach längeren internen Diskussionen, seine Wirtschaftserfolge als genügende Adelsqualifikation an. Die von ihm kultivierten Praktiken des Vereins­ lebens waren bei der Nobilitierung dagegen ohne Belang. Die Kultivierung des öffentlichen Raums in Breslau durch eine freiwillige und nicht honorierte Vereinstätigkeit oder zumindest durch eine finan­zielle Förderung der Vereinslandschaft schien für die Adelskandidaten keine ge­ eignete Adelsqualifikation zu sein, und zwar unabhängig davon, was sie selbst als passend für die Erlangung des Adels empfanden. Sowohl die im Breslauer Gewerbeverein engagierten Gutsbesitzer als auch die Unternehmer und Kaufleute verwiesen bei der Benennung von Tugenden, die sie für ihre Aufnahme in den Adel qualifizieren sollten, nicht auf ihr Vereinsengagement. Ihre Adelstitel erreichten sie mithilfe anderer Verhaltensmuster. Auch im Fall eines Vereinsengagements legten die Kandidaten den vom Staat sanktionierten Katalog an Adelsqualifikationen zugrunde und entwickelten 103 Hempel, S. 79–90. 104 Bahlcke, S. 99–102; Weiß, S. 1150–1155. 105 Stein, Geschichte der Stadt Breslau, S. 529. 106 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 47.

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kaum Versuche, ihn zu verändern oder um andere Kulturpraktiken zu ergänzen. Das Engagement für gemeinnützige Zwecke wurde als Adelsqualifikation konsequent verschwiegen. Dies galt nicht nur für Fälle, in denen ein Nobilitierungsanspruch auf andere Art und Weise überzeugend genug begründet werden konnte, wie etwa bei Gutsbesitzern oder Spitzenindustriellen, sondern sogar für diejenigen Nobilitierungsfälle, in denen ein Kandidat deutliche Probleme hatte, den Staat von der Legitimität seines Adelsanspruchs zu überzeugen. Auch wenn Adelskandidaten an einem Mangel an Argumenten litten und daher Probleme hatten, ihren Adelswunsch hinreichend zu rechtfertigen, griffen sie kaum auf ihr gesellschaftliches Engagement im Rahmen der entstehenden Zivilgesellschaft als ein unterstützendes Argument zurück. Als beispielhaft kann in dieser Hinsicht die bereits in Kapitel 4 näher beleuchtete Adelsverleihung an Wilhelm Korn angesehen werden.107 Korn bemühte sich schon seit 1841 kontinuierlich um eine Adelsverleihung, als er seinen ersten, abgelehnten Nobilitierungsantrag stellte.108 Auch sein zweiter Versuch im Jahr 1853 scheiterte, wobei die Ablehnung hauptsächlich mit dem poli­ tischen Engagement von Familienmitgliedern begründet wurde.109 Erst bei seinem dritten Versuch 1866 war Korn erfolgreich.110 Während der ganzen Zeit versuchte er, die grundlegende Beeinträchtigung seiner Nobilitierungschancen durch umso stärkeren Verweis auf sein Vermögen zu überwinden. Er legte immer wieder Nachweise über seine herausragende, sich mit der Zeit noch verbessernde Vermögenslage vor, die ihren Höhepunkt in der Gründung eines Familienfideikommisses fand. Sein Streben nach einem Adelstitel ist über insgesamt fünfundzwanzig Jahre nachvollziehbar, in denen er bei seinen Begründungen, weshalb er adelswürdig sei, durchgängig auf seinen Reichtum rekurrierte. Dabei war Wilhelm Korn schon seit den Vierzigerjahren Mitglied mehrerer Breslauer Vereine, darunter auch des bedeutendsten – des Breslauer Gewerbe­ vereins.111 Er gehörte zwar zu den weniger aktiven Vereinsmitgliedern und beschränkte sich größtenteils auf finanzielle Unterstützung, die allerdings relativ großzügig war und über den allgemeinen Rahmen der Mitgliedsbeiträge weit hinausging. Korn spendete zugunsten des Vereins Hunderte von Gulden, gelegentlich sogar mehrmals pro Jahr.112 In den beiden Jahren, die seinem zweiten Nobilitierungsversuch im Jahr 1853 vorausgingen, stellte er dem Breslauer Gewerbeverein zum Beispiel eine Summe von 200 Gulden zur Verfügung, die zusammen mit anderen Beiträgen als finanzielle Absicherung 107 Vgl. Abschnitt 4.1.3 dieser Arbeit. 108 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI K, Nr. 97, Teil I, fol. 1–6. 109 Ebd., Teil II, fol. 20. 110 Ebd., Teil II, fol. 90–100. 111 APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13441, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 25–62. 112 Ebd., fol. 51.

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der in Vorbereitung befindlichen schlesischen Industrieausstellung genutzt wurden.113 Obwohl Wilhelm Korn im April und Mai 1853 dringend nach Argumenten suchte, die seinem Adelsanspruch eine größere Durchschlagskraft als bei seinem ersten Versuch im Jahr 1841 liefern sollten, griff er nicht auf seine finan­zielle Unterstützung von Vereinstätigkeiten zurück. Und wenn auch zum Zeitpunkt seines zweiten Nobilitierungsversuches die äußerst erfolgreiche schlesische Industrieausstellung, die nicht nur im Ausland, sondern auch bei den zentralen Stellen in Berlin sehr positive Resonanz fand, nicht einmal ein Jahr zurücklag, war die finanzielle Förderung dieser Veranstaltung für Wilhelm Korn kein Argument, von dem er sich eine Steigerung seiner Nobilitierungschancen erhofft hätte.114 Obwohl Korn in den Sechzigerjahren den Breslauer Gewerbeverein und auch andere Vereine weiterhin unterstützte, ließ er sie bei seinem dritten, im Jahr 1866 realisierten Versuch ebenso vollständig unbeachtet und gebrauchte in seinem Nobilitierungsantrag wieder nur das Argument seines Besitzes, der durch die Gründung des Fideikommisses noch mehr an Gewicht gewonnen hatte und ihm schließlich den Adelstitel einbrachte.115 Der Blick auf die Akteure des Breslauer Gewerbevereins vervollständigt also das Bild. Auch hier wurden die zivilgesellschaftlichen Praktiken des freiwilligen Assoziationswesens, des Engagements für Gemeinwohlzwecke, der Schaffung von Sozialkapital und der Kultivierung und Verbreitung des öffentlichen Diskurses umgesetzt, und auch hier trachteten einige der Protagonisten des Vereins nach einer Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Stellung in Form einer Nobilitierung. Bei ihrem Streben nach Zugehörigkeit zum Adel fanden diese Praktiken aber keine Berücksichtigung. Zivilgesellschaftliches Handeln konstituierte selbst für seine aktiven Repräsentanten keine Qualifikation, mit der sie gegenüber dem Staat ihren Anspruch hätte rechtfertigen können, der adligen Elite zuzugehören. Dass die Praktiken von freiwilliger Wohltätigkeit, öffentlicher Gabe, Unterstützung der Ausbildung und vertikaler sozialer Mobilität oder der Kultivierung des Vereinswesens grundsätzlich nicht zu den Qualifikationen gehörten, die bei Adelsverleihungen zum Tragen kamen, ist daher nicht nur dem Handeln des Staates zuzuschreiben. Die Träger dieser Handlungsmuster entwickelten ebenfalls kaum Initiativen, sie in den staatlich anerkannten Katalog der Eliten­ qualifikationen aufnehmen zu lassen und passten sich im Gegenteil dem vom Staat verlangten Kriterien voll und ganz an. 113 Ebd., fol. 54. 114 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI K, Nr. 97, Teil II, fol. 3. 115 Neben dem Breslauer Gewerbeverein war Wilhelm Korn in den Fünfziger- und Sechzigerjahren z. B. auch Mitglied und Förderer des Breslauer Vereins zur Erziehung von eltern­ losen Kindern. Siehe APW, Fond 28, Akta Miasta Wroclawia, III/13440, Verschiedene Vereine und Stiftungen, fol. 91–92.

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Während des gesamten Untersuchungszeitraums herrschte so zwischen den ersten Akteuren der entstehenden schlesischen Zivilgesellschaft und dem Staat ein stiller Konsens, der die zivilgesellschaftlichen Kulturpraktiken außerhalb des staatlich forcierten Elitenbildes platzierte und ihnen keinen Platz im Katalog der Adelsqualifikationen zuwies. Dieser Konsens wurde von keiner Seite ernsthaft in Zweifel gezogen. Dies war im Vergleich zu Böhmen ein gravierender Unterschied, wie der folgende Blick auf die böhmischen Vertreter ähnlicher Praktiken und ihre Einstellung zu Nobilitierungen noch deutlicher machen wird.

5.2 Prag 5.2.1 Prager Kleinkindbewahranstalt Ähnlich wie das Breslauer Spital zu Allerheiligen war die Prager Kleinkind­ bewahranstalt ein typisches Beispiel für eine Initiative, die rein auf Wohlfahrt und dadurch auf die Milderung sozialer Spannungen ausgerichtet war und in der die Handlungsmuster der freiwilligen Gabe und sozialen Fürsorge kultiviert wurden. Die Anstalt entstand zwar, ähnlich wie das Breslauer Spital, im Rahmen des kommunalen Sozialnetzwerks und unterlag daher der städtischen Aufsicht, ihre praktischen Tätigkeiten wurden aber nur durch freiwillige Spenden der Prager ermöglicht.116 Bei den Tätigkeiten zugunsten der Anstalt versammelten sich unterschiedliche Teile der Prager Oberschichten, die sowohl den alltäglichen Betrieb als auch dessen materielle Sicherung gewährleisteten.117 Die Stadt stellte für den Betrieb der Anstalt regelmäßig nur vernachlässigbare Beiträge zur Verfügung, sodass die Anstalt praktisch die ganze Zeit ihres Bestehens über völlig auf freiwillige Spenden ihrer Wohltäter angewiesen war.118 Die finanzielle Lage entwickelte sich im Vergleich zum Breslauer Spital zu Allerheiligen viel schwieriger, denn der Prager Kleinkindbewahranstalt gelang es nie, eine größere Anzahl von Spendern anzuziehen. Diese gaben in der Regel denjenigen Vereinen und Aktivitäten den Vorrang, die im Kontext der entstehenden nationalen Aktivitäten allmählich zu Zentren der Ausformulierung nationaler Interessen und der nationalen Agitation wurden.119 Wenn sie sich an Letzterer nicht beteiligten, entschieden sie sich häufig für eine der anderen wohltätigen Anstalten in Prag, die in relativ scharfer Konkurrenz zueinander 116 Vgl. Kaelble, Das europäische Sozialmodell, S.  32 f.; Fischer, Armut in der Geschichte, S. 44–49. 117 Vgl. Štaif, Obezřetná elita, S. 98 f. 118 AHMP, NAD 812, Smichower Kleinkindbewahranstalt in Prag, Protocoll aufgenommen beim Smichower Amte am 31. Mai 1848. 119 Zur sozialen Schichtung der tschechischen Nationalbewegung vor dem Jahr 1848 Křístek; Hroch, Die Vorkämpfer, S. 44–61.

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standen.120 Die Kleinkindbewahranstalt errang daher nicht eine Position, in der sie Spendern eine signifikante kulturelle Anerkennung für ihre Wohltätigkeit bieten konnte, und deren Anzahl überschritt bis zum Jahr 1867 nicht die vierzig. Die wenigen Spender stellten in der Regel auch eher bescheidene Beiträge zur Verfügung – die Höhe von 100 Gulden wurde nie erreicht, und die meisten Wohltäter spendeten in der Regel nicht mehr als zehn Gulden.121 Die soziale Zusammensetzung der Geldgeber entsprach dabei grundsätzlich der des Breslauer Spitals zu Allerheiligen. Auch wenn ihre Anzahl wesentlich kleiner war, beteiligte sich an den Spenden für die Prager Kleinkindbewahr­ anstalt vorwiegend das Prager Wirtschafts- und Bildungsbürgertum, zudem noch ein kleiner Teil  des Adels, der jedoch in den Fünfziger- und Sechziger­ jahren immer geringer wurde.122 Aus der bescheidenen Anzahl der Wohltäter und ihrer Beiträge resultierte eine beschränkte Tätigkeit des Instituts. Während ihres ganzen Bestehens war die Anstalt kaum in der Lage, ihren Vorsätzen gerecht zu werden und eine größere Zahl armer oder elternloser Prager Kinder zu versorgen. Dagegen konzentrierte sie sich auf die Unterstützung von Einzelfällen, wie etwa auf die Elementarversorgung ausgewählter Waisen oder sozial schwer betroffener Kinder aus einzelnen Prager Arbeiterfamilien.123 Der Umfang der karitativen Tätigkeit war daher im Vergleich zum Breslauer Spital zu Allerheiligen viel bescheidener, und die Anstalt konnte kaum einen weiter reichenden Beitrag zur sozialen Fürsorge für die städtische Be­völkerung und somit zur Milderung der sozialen Spannungen vor Ort vorweisen. Dennoch diente die Unterstützung der Prager Kleinkindbewahranstalt einigen Wohltätern als ein willkommenes Argument für die Unterstützung ihres Adels­ anspruchs. Obgleich die finanzielle Förderung der Kleinkindbewahranstalt kaum zum Hauptargument für eine Adelsverleihung gemacht werden konnte, stellte sie ein willkommenes Zusatzargument dar, mit dem sich der jeweilige Adelskandidat dem Staat als aktiver Bürger darstellte, der in seinen Handlungen über den Horizont des eigenen Berufs oder der ökonomischen Gewinnmaximierung hinausging, sozialbewusst handelte und dadurch Gemeinwohlzwecke verfolgte. Wie schon erwähnt, rekrutierte sich ein bedeutender Anteil der ersten Neuadligen, die aufgrund von zivilgesellschaftlichem Engagement nobilitiert wurden, aus den aufstrebenden jüdischen Wirtschaftseliten, und auch bei der 120 Vgl. Štaif, Obezřetná elita, S. 98–106; Lněničková, S. 151–165. 121 AHMP, NAD 812, Smichower Kleinkindbewahranstalt in Prag, Rechenschaftsbericht für das Jahr 1847, unfoliiert. 122 Vgl. die Anstaltsberichte aus den Jahren 1846 bis 1867, ebd. Für den breiteren Kontext der sich wandelnden Sozialstruktur in ganz Böhmen Štaif, Předrevoluční společnost. 123 AHMP, NAD 812, Smichower Kleinkindbewahranstalt in Prag, Protocoll aufgenommen beim Smichower Amte am 31. Mai 1848, unfoliiert. Für den lokalen Kontext siehe Kruppa, S. 46–71.

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Prager Kleinkindbewahranstalt waren es jüdische Wohltäter, die als erste ihre finanzielle Förderung der Anstalt als ein Nobilitierungsargument verwandten. Als sich im Jahr 1837 die Brüder Moses und Juda Porges um die ihnen bisher verwehrte Teilnahme an den Bürgerrechten und zugleich um den öster­ reichischen Adelsstand bewarben, bezogen sie in den von ihnen vorgeschlagenen Katalog der Adelsqualifikationen ihre Spenden für die Anstalt mit ein, die das von ihnen gezeichnete Bild erfolgreicher und dem Gemeinwohl verpflichteter Unternehmer vervollständigen sollten. Die beiden Brüder begannen ihre Unternehmertätigkeit erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als sie ihre erste Textildruckerei gründeten. Zum Zeitpunkt ihrer Nobilitierungsbemühungen in den Dreißigerjahren gehörten sie aber schon zu den führenden Prager Unternehmern.124 Die Ursprünge ihres schnellen wirtschaftlichen Erfolgs lagen vor allem in der ständigen Einführung technischer Innovationen. So führten sie zum Beispiel als Erste die Dampfmaschine in die Druckindustrie ein und ersetzten später in ihren Porzellanfabriken die bisher übliche Holzfeuerung durch Steinkohle.125 Die dynamische Implementierung verschiedener technischer Innovationen ermöglichte ihren Be­ trieben schon Ende der Dreißigerjahre, 700 Leute zu beschäftigen, die hergestellte Ware in ausländische Märkte zu exportieren und, wie die staatlichen Stellen zugaben, »… selbst zur Zeit kritischer und ungünstiger Handelskonjunkturen einer bedeutenden Anzahl von Arbeitern einen bleibenden Unterhalt zu verschaffen«.126 Sowohl ihren Beitrag zum Wirtschaftswachstum Österreichs als auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen nahmen die Brüder Porges in ihre Argumentation zwecks Erhebung in den Adelsstand auf und sahen darin ihre wichtigsten Qualifikationen für den Adel. Um aber auch die breitere soziale Dimension ihrer Tätigkeiten zu betonen, griffen sie auf ihre Unterstützung der Prager Kleinkindbewahranstalt zurück.127 Beide Brüder gehörten nämlich schon seit den Dreißigerjahren zu deren eifrigsten Wohltätern, indem sie regelmäßig und im Vergleich zu den anderen Spenden große Beträge zur Verfügung stellten. In manchen Jahren waren sie sogar die großzügigsten Wohltäter der Anstalt überhaupt. Ihre Spenden bildeten daher in den gesamten Dreißigerjahren die Grundlage des bloßen Überlebens der ganzen Anstalt.128 Neben ihren unbestrittenen Verdiensten um die Modernisierung der böhmischen Industrie, der Forcierung des Wirtschaftswachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen war es gerade ihre Wohltätigkeit, nicht zuletzt zugunsten 124 Bělina, S. 27–38. 125 Putz, S. 442 f. 126 Vortrag der vereinigten Hofkanzlei für den Kaiser vom 15.  Februar 1841, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Moses und Juda Porges von Portheim, fol. 2–13. 127 Moses und Juda Porges an das Böhmische Gubernium am 10. August 1837, ebd., fol. 10–11. 128 AHMP, NAD 812, Smichower Kleinkindbewahranstalt in Prag, Protocoll aufgenommen beim Smichower Amte am 31. Mai 1848, unfoliiert.

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der Prager Kleinkindbewahranstalt, die die Gebrüder Porges als eine äußerst relevante Adelsqualifikation verstanden.129 Diese Ansicht wurde vom Staat geteilt: Das böhmische Gubernium hob gerade ihre großen wohltätigen Spenden als eines der grundlegenden positiven Argumente hervor, und die Vereinte Hofkanzlei schilderte dem Kaiser die beiden Brüder nicht nur als erfolgreiche und progressive Unternehmer, sondern auch als verantwortliche Einwohner der Landeshauptstadt, die unter den Umständen der sich verschärfenden sozialen Krise des Vormärz einen wesentlichen Beitrag zur Milderung gesellschaftlicher Spannungen leisten.130 Als Moses und Juda Porges im Februar 1841 in den österreichischen Adelsstand erhoben wurden, fanden in der offiziellen, veröffentlichten Begründung für die Nobilitierung neben ihrer Tätigkeit als Unternehmer ihre wohltätigen Spenden einen prominenten Platz: Moses und Juda Porges hätten sich »stets in allen Beziehungen sowohl im häuslichen Familienkreis, als auch im öffent­ lichen Leben durch Beliebtheit ihres Charakters ausgezeichnet. [Ihren, d. Verf.] Wohltätigkeitssinn haben sie bei Unterstützung der Notleidenden, der Schuljugend, der öffentlichen Anstalten und bei mehreren anderen Gelegenheiten auf das Vorteilhafteste erprobt.«131

Die von ihnen vorgebrachte Wohltätigkeit wurde vom Staat nicht nur als eine Elitenqualifikation akzeptiert, sondern auch öffentlich in den Katalog der staatlich anerkannten Elitentugenden eingeschrieben. Im Unterschied zu Nobilitierungskandidaten in Schlesien bemühten sich die beiden Brüder aktiv, ihre Praktiken der öffentlichen Gabe und freiwilligen sozialen Fürsorge als Argumente für die Adelsverleihung zu instrumentalisieren und boten sie dem Staat direkt an. Der Staat griff dieses Angebot zusammen mit der Industrietätigkeit der Brüder auf und gewährte diesen Praktiken durch die Adelsverleihung hohe, öffentliche Anerkennung. Nicht nur aufstrebende jüdische Großunternehmer nutzten ihre Wohltätig­ keit für die Anstalt als Nobilitierungsargument, letztlich traf dies auf alle Anstaltswohltäter zu, die um eine Adelsverleihung nachsuchten. Dabei war prinzipiell nicht von Belang, wie hoch ihre Beiträge zugunsten der Anstalt waren, entscheidend war die kulturelle Praxis des Spendens. Obwohl die Brüder Porges im Vergleich zum Spendenaufkommen anderer Wohlfahrtseinrichtungen in Prag keine außerordentlichen Summen spendeten, handelte es sich für die Kleinkindbewahranstalt um einen wichtigen Beitrag zu ihrem Überleben.132 Dies war bei anderen Wohltätern, die ihre Spenden für die Anstalt 129 Putz, S. 442 f. 130 Marx, S. 94–142. 131 Adelstandsdiplome für Moses und Juda Porges vom 13. Februar 1842, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Moses und Juda Porges von Portheim, fol. 14–20, 27, 32. 132 Vgl. das Verzeichnis der Wohltäter der Prager Kleinkindbewahranstalt, AHMP, NAD 812, Smichower Kleinkindbewahranstalt in Prag, unfoliiert.

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ebenfalls erfolgreich zur Legitimierung ihres Adelsanspruchs anführten, nicht der Fall. 1854 bewarb sich zum Beispiel der Prager Kaufmann Sigismund Christoph Geitler um den Adelstand. Der seit Langem erfolgreiche Geschäftsmann legitimierte seinen Nobilitierungsanspruch neben seiner professionellen Tätigkeit mit seiner generösen Unterstützung mehrerer Prager Wohltätigkeitsanstalten, was auch der Staat im Rahmen des Nobilitierungsverfahrens voll und ganz anerkannte: Geitler »hat sich nicht allein um Industrie und Handel, sondern auch um die Emporbringung gemeinnütziger und Humanitätsanstalten durch eigene Beiträge und tätige Mit­ wirkung besonders Verdienst erworben.«133

Im Portfolio der Anstalten, die Geitler materiell unterstützte, befand sich zwar auch die Prager Kleinkindbewahranstalt, seine Spenden für diese waren jedoch vergleichweise gering. Geitler konzentrierte sich bei der Unterstützung der so­ zialen Fürsorge eher auf diejenigen Anstalten, die ihm durch ihr Prestige und ihre Verankerung im öffentlichen Raum Prags für seine Wohltätigkeit ein höheres symbolisches Kapital und breitere Anerkennung bieten konnten. Daher spendete er zum Beispiel großzügig für die Stiftung für Hilfsbedürftige Kandidaten der Medizin, in deren Vorstand mehrere führende Personen des Prager öffentlichen Lebens saßen, oder für das St. Bartholomäus Armenhaus, das eine der größten Anstalten der lokalen sozialen Fürsorge war.134 Dagegen beschränkte sich Geitlers Wohltätigkeit zugunsten der Kleinkindbewahranstalt auf wenige, unregelmäßige und kleine Beiträge;135 auch sie wurden jedoch von ihm als Argument für seine Adelswürdigkeit angeführt und vom Staat anerkannt.136 Dies stellt im Vergleich zu Schlesien einen gravierenden Unterschied dar. Obgleich in beiden Fällen im Großbürgertum die Kulturpraktiken der freiwilligen Wohltätigkeit auf ähnliche Art und Weise kultiviert wurden, bezogen sie nur entsprechende Adelskandidaten in Böhmen in die Argumentationen im Rahmen ihrer Nobilitierungsgesuche mit ein. Der Staat hatte daher seinerseits viel mehr Möglichkeiten, diese Handlungsmuster in den von ihm anerkannten Katalog der Adelstugenden aufzunehmen. Dies bestätigt die Notwendigkeit, die Unterschiede, die bisher zwischen Böhmen und Schlesien festgestellt wurden, nicht monokausal auf staatliche Handlungen zurückzuführen, sondern in der Erklärung auch die Handlungen der Adelskandidaten zu berücksichtigen. 133 Gutachten der Prager Statthalterei bezüglich Sigismund Christoph Geitler vom 1. Oktober 1854, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Sigismund Christoph Geitler von Armingen, fol. 36–37. 134 Adelsdiplom für Sigismund Christoph Geitler vom 27. November 1854, ebd., fol. 24–28. 135 Verzeichnis der Wohltäter der Prager Kleinkindbewahranstalt, AHMP, NAD 812, Smichower Kleinkindbewahranstalt in Prag, unfoliiert. 136 Adelsdiplom für Sigismund Christoph Geitler vom 27. November 1854, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Sigismund Christoph Geitler von Armingen, fol. 24–28.

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Während in Schlesien sowohl der Staat als auch adelswillige Personen keine Anstalten machten, die Handlungsmuster der freiwilligen Gabe und sozialen Fürsorge in den Adelstugendkatalog einzuschreiben, verhielt es sich in Böhmen genau umgekehrt. Hier betrachteten die Adelskandidaten ihre Wohltätigkeit als ein geeignetes Nobilitierungsargument, und der Staat erkannte dies an. Auch wenn am Anfang vor allem jüdische Großbürger standen, erweiterte sich diese Praxis später, wobei nicht der genaue Umfang oder die Ausrichtung der Wohltätigkeit, sondern die kulturelle Praxis des wohltätigen Spendens an sich für den Zweck der Adelsverleihung ausschlaggebend wurde. Das mit der entstehenden Zivilgesellschaft eng verknüpfte Handlungsmuster des freiwilligen Spendens für wohltätige Zwecke gewann in Böhmen staatliche Anerkennung und drang viel mehr in die Argumentationsmuster ein, mit denen die Zugehörigkeit zur Elite legitimiert wurde, als das in Schlesien der Fall war – und dies nicht nur dank der staatlichen Haltung, sondern auch aufgrund der Argumentationsstrategien der Nobilitierungskandidaten, die wohltätiges Spenden konsequent als eine der Kulturpraktiken empfanden, die eine formelle Bestätigung ihres gesellschaftlichen Elitestatus rechtfertigen konnten. 5.2.2 Prager Sophien-Akademie zur Förderung von Musik und Kunst Die Prager Sophien-Akademie zur Förderung von Musik und Kunst stellt, ähnlich wie die Breslauer Akademie der bildenden Künste, ein Beispiel für Initiativen dar, bei denen nicht nur die Kulturpraktiken der freiwilligen Gabe und sozialen Fürsorge umgesetzt wurden, sondern die auch weiter reichende Ansprüche hatten und damit noch andere Muster des zivilgesellschaftlichen Handelns kultivierten, etwa die freiwillige Ausbildungsförderung oder das Kunstmäzenatentum. Die Sophien-Akademie wurde 1840 gegründet, ihre Statuten wurden jedoch erst 1846 vom Staat genehmigt.137 Die Akademie existierte von Anfang an als reine Privatinitiative der Gründer jenseits des Staates und war mit den staat­ lichen Strukturen nie in einem solchen Maß verflochten, wie es bei der Breslauer Akademie der bildenden Künste der Fall war. Inhaltlich war die Prager Sophien-Akademie vor allem auf zwei Hauptfeldern tätig, die ihre Gründer schon in den ersten Statuten vorgeschrieben hatten: »[E]ine Singanstalt zu gründen, wo talentvolle Jugend in der schönen Kunst des Gesangs und der Musik gelehrt und gebildet wird, jedermann leichter Zugang gewährt, wo vaterländische, kirchliche Feste in mehreren Sprachen durch ganze Chöre, besonders öffentlich Ehrenfeste zu Anwesenheit der Hoheiten produziert werden könnte, wodurch Armenanstalten Unterstützung gewährt werden kann, und besonders die 137 Štaif, Obezřetná elita, S. 99.

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Haupttendenz, welche in Prag gänzlich vermisst war, zu verfolgen, klassische Musik, insbesondere den Gesang in Böhmen emporzuheben.«138

Die Grundsätze der Akademie zielten also darauf ab, nicht nur durch Unterricht in klassischer Musik und Gesang das in dieser Hinsicht als niedrig empfundene Bildungsniveau der Prager zu heben, sondern auch durch den proklamierten freien Zutritt soziales Kapital zu schaffen. Dadurch konnten bestehende Standesgrenzen gewissermaßen überschritten und durch die geplanten öffentlichen Wohltätigkeitsveranstaltungen die Kultur der öffentlichen Gabe und freiwilligen sozialen Fürsorge in der entstehenden Öffentlichkeit Prags forciert werden. Ein Blick auf die soziale Zusammensetzung der Akademie sowie auf ihre inhaltliche Tätigkeit zeigt, dass sie in der Erfüllung dieser Vorsätze relativ erfolgreich war. Schon in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens verzeichnete sie knapp 190 Mitglieder,139 deren Zahl auch nach 1848 kontinuierlich stieg.140 Obgleich unter den Mitgliedern die typische Mischung aus Adligen, Wirtschafts- und Bildungsbürgern überwog und der Akademievorstand nur aus diesen Gruppen besetzt wurde, war auch die Mitgliedschaft von Studenten oder Kleinbürgern keine Ausnahme, und die Akademie stellte keine sozial streng abgeschlossene Institution dar.141 Das soziale Spektrum der Akademiestudenten wurde noch breiter, als die Anstalt ab den Fünfzigerjahren auch einzelne An­ gehörige der Prager Unterschichten um sich sammelte.142 Ein breites Sozialkapital versuchte die Akademie zudem durch ihre pro­ klamierte und auch umgesetzte nationale Neutralität zu schaffen. Schon die Gründungsstatuten aus dem Jahr 1846 wurden in beiden Landessprachen verfasst, und die Mitglieder rekrutierten sich sowohl aus den Reihen der tschechisch- als auch der deutschsprachigen Bevölkerung Prags. Diese nationale Neutralität wurde im praktischen Betrieb gründlich umgesetzt. Die ganzen Fünfzigerjahre hindurch fanden alle Verhandlungen innerhalb der Akademie sowie der gesamte Unterricht in beiden Sprachen statt, wobei denjenigen Studenten, die die zweite Landessprache nicht beherrschten, Sprachunterricht erteilt wurde. Der Unterricht werde »in zwei Jahrgängen und zwar im Gesange als Hauptgegenstand, dann in der Geschichte der Musik, der Ästhetik, der Deklamation, der deutschen und böhmischen Sprache, so wie in der Erlernung dieser Sprachen überhaupt als Neben- oder Hilfs­ gegenständen erteilt.«143 138 Geschichtliche Darstellung des Instandes der Sophienakademie, AHMP, NAD 745, Sophien Akademie in Prag, unfoliiert. 139 Štaif, Obezřetná elita, S. 99. 140 Verzeichnis der beitragenden Mitglieder beim Beginn des Jahres 1867, AHMP, NAD 745, Sophien Akademie in Prag, unfoliiert. 141 Verzeichnis der Mitglieder des Vorstands und des Lehrpersonals zu Anfang des Jahres 1867, ebd. 142 Geschichtliche Darstellung des Instandes der Sophienakademie, ebd. 143 Lehrplan der Sophien Akademie in Prag, § 2, ebd.

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Der zweisprachige Unterricht war beiden Geschlechtern zugänglich und wurde in der Praxis konsequent umgesetzt. Knaben wie Mädchen absolvierten alle Lehrstunden zusammen, und beide Gruppen nahmen auch an den öffentlichen Veranstaltungen der Akademie gleichermaßen teil.144 Die Offenheit der Anstalt nicht nur in Bezug auf die Nationalität, sondern auch auf das Geschlecht betraf nicht nur die Studierenden, sondern auch die Mitglieder. Die Mitgliedschaft von Frauen war in den Statuten nicht ausgeschlossen, und vor allem während der Fünfziger- und Sechzigerjahre traten tatsächlich viele Frauen der Akademie bei.145 Die öffentlichen Veranstaltungen der Akademie erfüllten dabei grundsätzlich eine sehr ähnliche Funktion wie die der Breslauer Akademie der bildenden Künste. Es handelte sich in der Regel um Konzerte oder öffentliche Chorgesänge, die neben der proklamierten Wohltätigkeit zum Ziel hatten, die Akademie in den entstehenden öffentlichen Raum Prags einzuschreiben und dort zu verankern. Daraus resultierten das Werben um neue Mitglieder und finanzielle Mittel. Die Anstalt war bei diesen Bestrebungen vom Anfang ihres Bestehens an größtenteils erfolgreich. Die Zahl der Mitglieder stieg nicht nur vor 1848, sondern auch danach rasant, und auch die finanzielle Lage war die ganze Zeit über relativ günstig, sodass die Akademie kaum unter Finanzmangel litt und ihre Kapazitäten noch erweitern konnte. Während zum Beispiel 1846 etwa zwanzig Studenten in den ersten Studienjahrgang aufgenommen wurden, stieg diese Zahl in den Fünfzigerjahren schon auf mehr als achtzig Studienanfänger im Jahr.146 Die wichtigste Ursache für diesen Erfolg scheint die sehr umsichtige Politik des Vorstands gewesen zu sein. Es gelang ihm schon im Vormärz, Mitgliedschaft und finanzielle Unterstützung der Akademie mit einem beträchtlichen symbolischen Kapital auszustatten, sodass aufstrebende oder bereits etablierte Eliten durch personelle oder finanzielle Unterstützung der Akademie reichlich Anerkennung erlangen konnten. Schon der Eigenname der Akademie wurde nicht zufällig gewählt. Bereits seit 1840 führten einige adlige Mitglieder des ersten Akademievorstands mithilfe ihrer persönlichen Netzwerke intensive Verhandlungen mit den Habs­ burgern über die mögliche Schirmherrschaft eines Mitgliedes des regierenden Hauses über die Schule.147 Das lange Streben nach einem prominenten ­Patron zahlte sich letztendlich aus, und als 1846 Erzherzogin Sophie das offizielle ­Auspizium übernahm und gleichzeitig die Bewilligung erteilte, ihren Namen dem der Akademie voranzustellen, bedeutete das für die Anstalt eine we144 Lehrstudieneinteilung der Sophien Akademie in Prag, ebd. 145 Vgl. Verzeichnis der beitragenden Mitglieder beim Beginn des Jahres 1867, ebd. 146 Vgl. Geschichtliche Darstellung des Instandes der Sophienakademie, ebd.; Štaif, Obezřetná elita, S. 99. 147 Geschichtliche Darstellung des Instandes der Sophienakademie, AHMP, NAD 745, Sophien Akademie in Prag, unfoliiert.

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sentliche Steigerung ihres Prestiges, in dessen Genuss durch ihre Unterstützung auch das Prager Bürgertum und der Adel kamen. So kam es zur ersten großen Spenden- und Eintrittswelle, gleich nachdem die prominente Patronin hatte gewonnen werden können.148 Das öffentliche Engagement für die Akademie, die einen hohen Bildungsanspruch hatte, aber zugleich der Wohltätigkeit verpflichtet war149 und den Namen einer Prinzessin führte, bot den Prager Eliten eine gute Möglichkeit, sich kulturell zu repräsentieren. Unter den Akademiemitgliedern sind daher zahlreiche Personen aus dem gehobenen Bürgertum Prags zu finden, die die Anstalt reichlich unterstützten. Dadurch wurde die Anstalt schnell zum Zentrum der musikalischen Aus­ bildung für ganz Böhmen, und ihre Wirkung reichte noch über die böhmischen Grenzen hinaus. Es entstanden lebendige Kontakte mit dem Ausland, wozu vor allem die Institution der Ehrenmitgliedschaft beitrug. Sie ermöglichte es, ausgewählte ausländische Persönlichkeiten de jure zu Mitgliedern der Akademie zu machen und somit deren prominenten Status noch zu stärken. So verhalf zum Beispiel die 1846 an Hector Berlioz verliehene Mitgliedschaft der Sophien-Akademie, sich in Böhmen als eine bedeutende Institution zur Kultivierung der musikalischen Ausbildung darzustellen, die europaweit Kontakte pflegte.150 Alle diese Aktivitäten sicherten der Akademie nicht nur hohes Ansehen bei den Prager Eliten und, damit verbunden, eine materielle Basis. Sie ermöglichten auch, dass Praktiken, durch die die Akademie unterstützt wurde, in Nobilitierungsverfahren ihrer Mitglieder als wichtige Argumente benannt wurden. Die finanzielle und persönliche Förderung der Anstalt wurde von Akademiemitgliedern häufig als eine Adelsqualifikation dargestellt und in der Regel vom Staat auch als solche anerkannt. Der Katalog der Adelsqualifikationen wurde so nicht nur um die Handlungsmuster der öffentlichen Gabe und freiwilligen Wohltätigkeit erweitert, sondern auch um das persönliche Engagement für die Steigerung des Bildungsniveaus, für die Kultivierung kulturellen Mäzenatentums und für die Schaffung von sozialem Kapital im städtischen Milieu Prags. Wie stark das Argument der Förderung der Prager Sophien-Akademie unter den Nobilitierungsargumenten war, wurde schon in Kapitel 4 angedeutet. So stellten eigentlich alle Adelskandidaten, die vor dem Zeitpunkt ihrer Nobilitierung etwas mit der Akademie zu tun hatten, im Nobilitierungsgesuch ihr dortiges Engagement als ein wesentliches Argument zur Untermauerung ihres Adelsanspruchs vor.151 Der jüdische Unternehmer Leopold Lämel führte im Jahr 1856 zwecks Nobilitierung seine knapp zehnjährige Mitgliedschaft und finanzielle Unterstützung der Akademie als Argument an und demonstrierte so, dass er sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlte.152 Friedrich Zdekauer nutzte 148 Ebd. 149 Ebd. 150 Ebd. 151 Vgl. Abschnitt 4.2.4 dieser Arbeit. 152 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Leopold Lämel, fol. 10–11.

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seine Unterstützung der Akademie sogar in allen seinen drei Nobilitierungs­ anläufen in den Jahren 1854, 1865 und 1873.153 In beiden Fällen erkannte der Staat im Zuge der Nobilitierungsverfahren dieses Engagement als Adelsqualifikation ausdrücklich an. Lämel und Zdekauer waren keine Ausnahmen. 1867 verzeichnete die Prager Sophien-Akademie knapp 130 zahlende Mitglieder, von denen 13, also zehn Prozent, bereits nobilitiert waren.154 1857 trat der Akademie zum Beispiel der führende böhmische Landwirtschaftsexperte Franz Horský bei, der sich wenige Jahre später um eine Adelsverleihung bewarb. Zur Zeit seiner Nobilitierung war er bereits eine der wichtigsten Personen, die sich in Fachkreisen für die Übernahme englischer und belgischer Innovationen in der landwirtschaft­ lichen Produktion einsetzten. Als Verwalter der schwarzenbergischen Domänen in Südböhmen hatte er schon 1838 die landwirtschaftliche Wechselwirtschaft eingeführt, und im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit machte er verschiedene neue landwirtschaftliche Produktionsmethoden populär.155 Als Horský Anfang der Sechzigerjahre nach einem Adelstitel strebte, strich er seine reichen Verdienste um die Kultivierung der böhmischen Landwirtschaft als Hauptargument für seinen Adelsanspruch heraus; auch sein Engagement für mehrere böhmische Vereine einschließlich der Prager Sophien-Akademie zur Förderung von Musik und Kunst ließ er nicht unerwähnt und bezog es in den Katalog der von ihm vorgeschlagenen Adelsqualifikationen mit ein.156 1863 wurde ihm dann der angestrebte Adelstitel zugesprochen, wobei der Staat bei der Beurteilung seines Gesuchs seiner Tätigkeit für die Sophien-Akademie großes Gewicht zumaß.157 Als Horský im Jahr 1867 noch weiter im Adel auf­rücken wollte und seine Erhebung in den österreichischen Ritterstand be­antragte, fehlte auch diesmal unter den Argumenten nicht sein Engagement in der Prager Sophien-Akademie, und wiederum waren sich alle involvierten staatlichen Stellen einig, dass Horskýs Verdienste um die Anstalt eindeutig ein für die Standeserhebung relevantes Argument sei.158 Die genannten Nobilitierungen zeigen beispielhaft sehr deutlich den großen Unterschied zwischen Böhmen und Schlesien. In Böhmen schrieben sich mit den Adelsverleihungen an Mitglieder und Wohltäter der Prager SophienAkademie einige typische zivilgesellschaftliche Praktiken in den staatlich forcierten Katalog der Adelsqualifikationen ein. Die Akademie war nicht in erster Linie profitorientiert, stand jenseits der unmittelbaren staatlichen Strukturen und war darauf ausgerichtet, das lokale Bildungsniveau zu steigern und kul­ turelles Mäzenatentum zu fördern, durch die bunte Zusammensetzung der Mit153 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Friedrich Zdekauer, fol. 11–16, 47–51. 154 Verzeichnis der beitragenden Mitglieder beim Beginn des Jahres 1867, AHMP, NAD 745, Sophien Akademie in Prag, unfoliiert. 155 Kubačák, S. 105. 156 Vgl. Županič, Nová šlechta, S. 110 f. 157 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Franz Horský. 158 Ebd.

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glieder- und Studentenschaft soziales Kapital zu schaffen und auf die Kultivierung des entstehenden öffentlichen Raumes und Diskurses in der böhmischen Landeshauptstadt einzuwirken. Diese Kulturpraktiken der entstehenden Zivilgesellschaft erlangten durch Nobilitierungen einiger ihrer wichtigsten Akteure einen hohen Grad an staat­ licher Anerkennung, und mit der Veröffentlichung der Adelsverleihungen schrieben sie sich in das öffentliche Bild des staatlich forcierten Tugendkatalogs ein. Das war in Schlesien nicht der Fall. Obgleich am Beispiel der Akademie der bildenden Künste gezeigt wurde, dass sich im städtischen Raum Breslaus grundsätzlich sehr ähnliche Kulturpraktiken entwickelten, wurden sie kaum als Argumente für die Bestätigung eines gesellschaftlichen Aufstiegs durch eine Nobilitierung herangezogen und blieben außerhalb des staatlich anerkannten Katalogs der Adelsqualifikationen. 5.2.3 Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen Der Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen gehörte im Untersuchungszeitraum zu den wichtigsten Vereinen Böhmens, vor 1848 war er, gemessen an der Größe und regionalen Verteilung seiner Mitgliedschaft, sogar der wichtigste.159 Es handelte sich um eine Initiative, die im böhmischen Kontext die Praktiken des freiwilligen Assoziationswesens sowie den öffentlichen Raum und Diskurs entscheidend kultivierte und bei der sich unter anderem eben die für eine Nobilitierung in Frage kommenden Teile des gehobenen Bürgertums sammelten. Der Verein entstand praktisch parallel zum Schlesischen Gewerbeverein, als 1828 die ersten Gründungsverhandlungen stattfanden; offiziell wurde der Verein 1833 ins Leben gerufen.160 Ähnlich wie im schlesischen Fall sahen nicht nur die Gründer des Vereins, sondern auch der Staat, der die Vereinsgründung billigte, den Vereinszweck hauptsächlich in der Unterstützung der lokalen Industrie und der Förderung des Wirtschaftswachstums. Im Verein sollten die interessierten lokalen Führungsschichten eine geeignete Plattform finden. Im böhmischen Fall wurden von Anfang an ausländische Muster übernommen. Die soziale Stellung und die Netzwerke der Vereinsgründer, unter denen eindeutig Adlige dominierten, ermöglichten die Zurkenntnisnahme und Nachahmung eines französischen Vorbildes, denn der böhmische Verein war explizit als organisatorisches Pendant zur französischen Société d’Encouragement pour l’Industrie nationale gedacht.161 Die prägende Dominanz des Adels unter den Vereinsgründern führte jedoch dazu, dass die Gestalt des Vereins in eine andere, exklusivere Richtung ten159 Štaif, Obezřetná elita, S. 100. 160 Zur Vorgeschichte des Vereins und mit weiteren Literaturhinweisen Mendl, S. 22–29. 161 Ebd., S. 33.

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dierte. In den ersten Statuten wurden verhältnismäßig hohe Mitgliedsbeiträge festgesetzt, und der prominente Status eines Gründungsmitglieds blieb sogar ganz dem Adel vorbehalten.162 Auch wenn der Verein auf diese Weise anfangs vom Adel dominiert wurde, strebten die adligen Gründer keineswegs nach einem Ausschluss anderer sozialer Gruppen. Schon bei der Gründung 1833 wurden zahlreiche Versuche unternommen, die soziale Basis des Vereins zu vergrößern und das böhmische Wirtschafts- und Bildungsbürgertum für eine Mitgliedschaft zu gewinnen. Es wurden in dieser Hinsicht viele Aktionen unternommen, die das Prager Bürgertum im Wesentlichen durch den Erwerb von symbolischem Kapital und kultureller Anerkennung zur Teilnahme anreizen sollten. So wurde der oberste Prager Burggraf Karl Graf Chotek als Vereinspatron gewonnen, die Listen der Mitglieder wurden regelmäßig veröffentlicht, und bald tauchten in ihr solch prominente Namen wie Kronprinz Ferdinand auf. Der Verein versprach außerdem, seinen verdientesten Mitgliedern festliche Auszeichnungen zu verleihen, die teilweise sogar vom Kaiser übergeben werden sollten, verfasste Einladungen an weitere potenzielle Mitglieder und verteilte kostenlos seinen gedruckten Tätigkeitsbericht.163 Alle diese Versuche hatten in den ersten Jahren der Vereinsexistenz jedoch nur begrenzten Erfolg. Die Höhe der Mitgliedsbeiträge stellte für die Mehrheit des Prager Bürgertums trotz des signifikanten symbolischen Kapitals und der kulturellen Anerkennung, die eine Mitgliedschaft im Verein versprach, ein unüberwindbares Hindernis dar. Ende 1833 hatte der Verein knapp 320 Mit­glieder, von denen Adlige mehr als die Hälfte ausmachten. Im achtköpfigen Vereinsdirektorium, das die Vereinstätigkeiten entscheidend beeinflussen konnte, stellten der Adel vier und Prager Industrielle und Kaufleute ebenfalls vier Mitglieder.164 Während sich die soziale Struktur des Vereins am Anfang seiner Existenz durch die eindeutige adlige Dominanz vom Breslauer Gewerbeverein unterschied, erfuhr die Mitgliederzahl eine ähnlich dynamische Entwicklung, wobei sich die soziale Schichtung der Mitgliedschaft ab den Vierzigerjahren allmählich dem schlesischen Pendant näherte. Die absolute Mitgliederzahl stieg an, und seit den Vierzigerjahren nahm auch der Anteil des Adels langsam ab. Hatte der Verein bei seiner Gründung etwa 320 Mitglieder, davon ungefähr die Hälfte Adlige, waren es im Jahr 1841 ungefähr vierhundert Mitglieder und im Jahr 1844 fast fünfhundert. 1847 verzeichnete der Verein schon knapp sechshundert Mitglieder, von denen nur ungefähr 170, also weniger als ein Drittel, dem Adel entstammten.165 Das Bürgertum dominierte den Verein zusehends und übte Druck aus, um eine Reform der ständisch geprägten Vereinsstatuten herbeizuführen. Vor allem 162 Štaif, Obezřetná elita, S. 100. 163 Mendl, S. 72–82. 164 Ebd., S. 78. 165 Štaif, Obezřetná elita, S. 101; Klepl, S. 169–181.

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die hohen Beiträge und die Diskriminierung von Nichtadligen beim Erwerb der Mitgliedschaft verhinderten eine dynamischere Verbreiterung der Vereinsstruktur. Diese Reformanstrengungen erreichten ihren Höhepunkt in den Jahren 1842 bis 1844, als der Verein eine Entwicklung durchlief, die darin mündete, dass die Partizipationsmöglichkeiten der bürgerlichen Schichten wesentlich verbessert wurden. Die Statuten wurden so geändert, dass der ständische Charakter des Vereins abgebaut wurde, die privilegierte Mitgliedschaft nicht mehr die Zugehörigkeit zum Adel voraussetzte und die Mitgliedsbeiträge reduziert wurden.166 Mit der darauf folgenden Zunahme bürgerlicher Mitglieder wurde der Verein von seiner ursprünglichen Gestalt, als Bürgerliche nur einen Anhang des Adels darstellten, in eine vornehmlich bürgerliche Assoziation umgewandelt. Zwar fehlte der Adel darin nicht, spielte jedoch keine so prägende Rolle mehr.167 In den Jahren, die der Revolution 1848/49 unmittelbar vorausgingen, wurde der böhmische Gewerbeverein mit dem Zufluss bürgerlicher Mitglieder zunehmend zur Plattform der tschechischen Nationalbewegung.168 Schon seit Beginn seiner Existenz pflegte der Verein Kulturpraktiken wie die freie, auf einen Kompromiss ausgerichtete und Konflikte überbrückende Diskussion, auf gegenseitige Anerkennung abzielende Aktionen und das freiwillige Engagement für das Gemeinwohl. Daher fanden hier Spitzenpersonen der tschechischen Nationalagitation eine geeignete Möglichkeit, sich diese Handlungsmuster an­ zueignen.169 Diese Vereinspraxis kam während der Revolution 1848/49 besonders zur Geltung, als eine Reihe von (nicht nur national-tschechischen) Mitgliedern sich unmittelbar politisch engagierte und, von den Erfahrungen im Verein profitierend, an der entstehenden parlamentarischen Politik aktiv teilnahm. Von diesen politisch aktiven Vereinsmitgliedern wurden einige nach der Revolutionsphase führende Persönlichkeiten der böhmischen und österreichischen Politik bis in die Sechziger- und Siebzigerjahre des 19. Jahrhunderts hinein.170 Schon während der Revolution avancierte der Verein dank des lebendigen Engagements seiner Mitglieder zu einem offiziellen Gesprächspartner der Wiener Regierung und ersetzte insofern den bisher dominanten böhmischen Adel. Dies betraf vor allem die 1848 organisierte Umfrage über den Anschluss Böhmens an den Deutschen Zollverein, als das Prager deutsche und jüdische Wirtschaftsbürgertum dem Adel vollständig die Initiative entzog und sich der Regierung in Wien erfolgreich als einziger relevanter Verhandlungspartner anbot.171 166 Štaif, Obezřetná elita, S. 100. 167 So wurde auch weiterhin z. B. der Vereinsdirektor aus den Reihen des Adels gewählt, die anderen exekutiven Organe des Vereins wurden jedoch zunehmend von neu beitretenden Wirtschafts- und Bildungsbürgern dominiert. Vgl. Mendl, S. 139–148. 168 Štaif, Dva typy občanského sdružování. 169 Klepl, S. 169–181. 170 Vgl. Urban, Kroměřížský sněm; Křen, Dvě století, S. 164–171. 171 Hlavačka, Die Revolution 1848.

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Die Veränderung der Sozialstruktur des Vereins hielt nach der Revolution von 1848/49 an, als eine Reihe adliger Mitglieder austrat und der Gewerbe­verein eindeutig zu einer bürgerlichen, stark national-tschechisch geprägten Assoziation wurde. Er konnte jedoch unter den restriktiven Umständen des österreichischen Neoabsolutismus der Fünfzigerjahre im öffentlichen Raum Böhmens nicht mehr so lebendig wirken und wurde nach Einführung des Parlamentarismus Anfang der Sechzigerjahre von anderen Assoziationen ausgestochen.172 Obgleich der Verein, ähnlich wie im schlesischen Fall, nicht unabhängig vom Staat gesehen werden kann – über die ganze Zeit unterlag er staatlicher Aufsicht und kooperierte bei seinen Tätigkeiten oft eng mit dem Staat –, konstituierte er doch einen Raum, wo die ersten zivilgesellschaftlichen Praktiken jenseits der direkten Sphäre der Staatsverwaltung und des entstehenden Marktes kultiviert werden konnten. Zentrale Entscheidungen wurden von Anfang an getroffen, indem alle Vereinsmitglieder abstimmten, in Diskussionen wurde konsequent vollständige Partizipation ermöglicht, da sich jedes Mitglied ungeachtet seines sozialen Status zu jeder Zeit äußern konnte, und Personalfragen wurden grundsätzlich in geheimer Wahl entschieden.173 Übrigens wurde auch die entscheidende Statuten­änderung im Jahr 1842 nach einer aufgeregten, konfliktreichen Diskussion zwischen Vertretern der Gründungsmitglieder aus dem Adel und neu beitretenden Prager Bürger in einer gleichen und geheimen Wahl verabschiedet, wobei sich die adlige Seite nach der Niederlage dem Abstimmungsergebnis mehr oder weniger beugte.174 Die im Verein kultivierten Handlungsmuster der entstehenden Zivilgesellschaft waren dabei inhaltlich grundsätzlich ähnlich ausgeprägt wie im Breslauer Gewerbeverein. Wie auch immer sich die konkreten Tätigkeiten des Vereins mit der Zeit änderten, zielten sie doch auf verschiedene Art und Weise immer auf die Förderung der böhmischen Wirtschaftsproduktion, auf die Erhöhung des fachlichen Potenzials der lokalen Wirtschaft und auf die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit und die Förderung des Wirtschaftswachstums. Der soziale Hintergrund seiner Mitglieder garantierte dem Verein eine solide materielle Basis. Die adligen Gründer und die später beitretenden bürgerlichen Schichten ermöglichten ihm, bis in die Fünfzigerjahre einen soliden Haushalt zu führen und, wenn die Pläne auch immer noch größer waren, eine verhältnismäßig breite Palette an Vereinsaktivitäten zu entwickeln.175 Am Anfang seines Bestehens lag deren Kern darin, Ausstellungen zu organisieren. Diese Ausstellungen böhmischer Industrieprodukte hatten zum Ziel, 172 Stloukal, S. 241–244. 173 Vgl. z. B. das Protokoll der Vereinssitzung am 6. Mai 1845, NA Praha, Fond 696, Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen, Karton 1. 174 Mendl, S. 144 f. 175 Zum finanziellen Hintergrund der Vereinstätigkeiten vgl. ebd., S. 138–148; Klepl, S. 169– 191; Stloukal, S. 241–246.

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den gegenseitigen Kontakt der einzelnen Hersteller zu fördern, breit für die lokale Industrie zu werben und sie gleichzeitig mit finanziell und symbolisch lukrativen Preisen zu unterstützen. Bei der Veranstaltung der Ausstellungen kooperierte der Verein sehr eng mit staatlichen Verwaltungsstellen, die dafür sorgten, dass die Ausstellungen in der ganzen Habsburgermonarchie bekannt wurden und die offizielle Unterstützung des Kaisers erhielten. Die Ausstellungen wurden in den Dreißigerjahren zugleich zu den wichtigsten Ereignissen der entstehenden Prager und böhmischen Öffentlichkeit, indem sie Begegnungen verschiedener Akteure aus dem ganzen Königreich ermöglichten. An der Ausstellung im September 1836 nahmen zum Beispiel mehr als 250 Aussteller mit knapp 4100 Exponaten teil, die der breiten böhmischen Öffentlichkeit nicht nur direkt, sondern durch Presseberichte auch indirekt präsentiert wurden.176 Den Herstellern der ausgestellten Exponate war damit nicht nur ein finanzieller Gewinn sicher, sondern auch breite Anerkennung. Der böhmische Verein kultivierte mit seiner Ausstellungstätigkeit nicht nur den Prager öffentlichen Raum. Die erfolgreichen Industrieausstellungen wurden zum Vorbild, dem weitere Regionen zu folgen versuchten. So fanden zum Beispiel 1837 Industrieausstellungen in Brünn und Teplitz statt, die vom Prager Verein breite Unterstützung erhielten.177 Der Gewerbeverein wurde somit schon in der ersten Phase der Entstehung der böhmischen Zivilgesellschaft in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts zu einem ihrer wichtigsten dynamisierenden Faktoren.178 Ein weiterer wichtiger Aspekt der Vereinstätigkeit war die Eröffnung der Vereinsbibliothek im Jahr 1833. Die für die Verhältnisse der Landeshauptstadt außerordentliche Ausstattung mit Literatur sowie der garantierte freie Zugang für interessierte Leser aller sozialen Schichten schufen in den Dreißiger- und Vierzigerjahren den mit Abstand bedeutendsten öffentlichen Raum Prags, der auf freiwilligem Engagement beruhte, die Standesgrenzen überschritt und so reichlich Sozialkapital schuf. Dank der großzügigen Unterstützung der Vereinsmitglieder und den euro­ paweiten Vernetzung des Vereins – die Vereinsbibliothek pflegte eine sehr lebendige Kooperation und einen Büchertausch mit ähnlichen Vereinen in Berlin, London und anderen europäischen Städten  – konnte die Bibliothek 1839, also sechs Jahre nach ihrer Gründung, den Lesern schon knapp siebentausend Bücher und mehr als achtzig Zeitschriften in sieben Sprachen zur Verfügung stellen.179 Der Verein kümmerte sich um die Kultivierung der öffentlich zugäng­lichen Bibliothek durch die Pflege ihrer Bestände und aktive Werbung. Das Verzeichnis der vorhandenen Bücher und die Listen der Neuerwerbungen wurden in 176 Mendl, S. 80–86. 177 Ebd., S. 90. 178 Vgl. Cohen, The Politics of Ethnic Survival, S. 52–55. 179 Zur Entwicklung und Wirkung der Vereinsbibliothek umfassend Mansfeld.

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vielen böhmischen Schulen sowie in anderen öffentlichen Räumen, etwa in Gaststätten, kostenlos verteilt und dadurch potenzielle neue Leser offensiv angesprochen.180 Diese Initiative traf auf breiten Widerhall. Die Bibliothek wurde Ende der Dreißigerjahre von mehr als 15 000 Lesern jährlich besucht, die sich sowohl aus Adligen und Bürgerlichen als auch aus zahlreichen Handwerkern zusammensetzten.181 Der Verein beschränkte sich aber nicht auf die Beschaffung relevanter Bibliotheksbestände und deren Erschließung für die interessierte böhmische Öffentlichkeit, sondern entwickelte eine eigene Herausgebertätigkeit. Ab 1834 erschien sein erstes Periodikum, das mithilfe eigener und übersetzter Fachartikel zur industriellen Modernisierung Böhmens beitragen sollte, 1837 wurde dieses Tätigkeitsfeld um eine tschechischsprachige Zeitschrift erweitert. Alle diese Initiativen beruhten auf dem freiwilligen Engagement der Vereinsmitglieder und bewegten sich außerhalb der Grenzen des entstehenden Marktes. Die Bibliothek war allen Interessierten gebührenfrei zugänglich, und alle Publikationen des Vereins wurden grundsätzlich kostenlos verteilt, und zwar weit über die Vereinsmitgliedschaft hinaus. Dabei kooperierte der Verein wiederum sehr eng mit dem Staat. Die Staatsverwaltung half, die Vereinsdruckschriften in ganz Böhmen zu vertreiben und setzte sich für ihre Popularisierung ein. 1838 übernahm zum Beispiel das böhmische Gubernium mehr als 150 Exemplare der tschechisch verfassten Vereinszeitschriften und verteilte sie in eigener Regie in verschiedenen Regionen, in denen es eine tschechische Leserschaft vermutete. Zugleich wurden die zuständigen lokalen Verwaltungsstellen aufgefordert, die Zeitschrift wo möglich zu empfehlen und sich um ihre aktive Verbreitung zu kümmern.182 Dem hohen Bildungsanspruch des Vereins suchten seine Mitglieder durch Verbreitung relevanter Drucksachen sowie durch aktive Teilnahme an der Verbesserung des Ausbildungsangebots gerecht zu werden. Seit 1834 wurde der Vorschlag diskutiert, aktiv die Gründung neuer Fachschulen zu betreiben, die zur Steigerung des Bildungsniveaus der böhmischen Handwerker beitragen sollten. Schon im Jahr darauf konnte dieser Ansatz erstmals verwirklicht werden, als probeweise eine Sonntagsschule in dem bei Prag gelegenen Dorf ­Zbraslav gegründet wurde. Das nötige Kapital stammte von einem Vereinsmitglied, und die Studenten sollten mit Preisgeldern für einen erfolgreichen Abschluss motiviert werden. Als sich nach einem weiteren Jahr die Wirkung der Schule äußerst positiv darstellte, verbreitete sich das Konzept weiter, und die Schule diente als Vorbild bei der Gründung ähnlicher Ausbildungsanstalten in ganz Böhmen, wobei der Verein in der Regel zumindest zum Teil die notwendige Finanzierung übernahm.183 180 Mendl, S. 102 f. 181 Ebd., S. 101–103. 182 Ebd., S. 110. 183 Ebd., S. 124 f.

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Diese Aktivität, mit der die Fachausbildung gefördert wurde, gehörte zu den längerfristigeren Vereinstätigkeiten, die ungeachtet der grundlegenden Veränderungen des Vereins in der ersten Hälfte der Vierzigerjahre fortdauerten. Während der ersten zwanzig Jahre seines Bestehens sprachen zahlreiche Per­ sonen den Verein mit der Bitte um Hilfe bei der Errichtung verschiedener Schulanstalten an, wobei der Verein in der Regel immer versuchte, aktiv zu helfen. Als Beispiel sei nur die Spinnschule von Ludwig von Nádherný genannt.184 In März 1845 wandte sich dieser böhmische Gutsbesitzer mit dem großzügig entworfenen Projekt einer Spinnschule an den Verein und bat um finanzielle Unterstützung: »Herr Ludwig von Nádherný wurde durch den Herrn Geschäftsleiter eingeführt und entwickelt eine Absicht, eine Spinnschule zu errichten, wozu derselbe die Beihilfe des Gewerbevereins anspricht. Der Zweck dieser Spinnschule ist die Vervollkommnung der seidenen Handspinnerei, in welcher Absicht ein Spinnlehrer aus Westfalen engagiert werden soll.«185

Der Verein verpflichtete sich nach einer entsprechenden Abstimmung seiner Mitglieder, in diesem Fall nicht nur den Lohn des ausländischen Lehrers, sondern teilweise auch die Kosten der Schulausstattung für die Dauer von fünf Jahren zu übernehmen. Die Förderung durch den Verein ermöglichte Ludwig von Nádherný, die geplante Schule im Herbst 1845 zu eröffnen und Schüler aus dem ganzen Land zum Unterricht zuzulassen.186 Die aktive Ausbildungsförderung gehörte zu den anhaltenden Tätigkeiten, auf die sich die Entwicklung des Vereins in der ersten Hälfte der Vierzigerjahre von einer ursprünglich ständischen, sozial exklusiven Initiative hin zu einer offeneren Form mit einem Übergewicht der bürgerlichen Schichten und tschechischer nationaler Vorkämpfer187 nicht auswirkte. Demgegenüber blieben in den Vierzigerjahren einige andere Vereinsaktivitäten von diesem Wandel nicht unberührt: Der Verein profilierte sich unmittelbar vor der Revolution 1848/49 in einzelnen Feldern als stärkste Plattform der tschechischen nationalen Agitation.188 Am markantesten wirkte sich der Wandel der Vereinsstruktur auf die sozial und geografisch am weitesten reichenden Vereinsinitiativen der Vier­ zigerjahre aus – bei der öffentlichen Sammlung für die Errichtung einer tschechischen Industriefachschule.189

184 Vgl. Županič, Nádherní. 185 Protokoll der Vereinskonferenz am 18 März 1845, NA Praha, Fond 696, Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen, Karton 1. 186 Siehe die Protokolle der Vereinskonferenzen am 21. Oktober 1845, 11. November 1845 und 19. Januar 1847, ebd. 187 Vgl. NA Praha, Fond 696, Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen, Karton 3–4. 188 Štaif, Obezřetná elita, S. 153–155. 189 Kazbunda, Karel Havlíček.

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Die Ausbildungsmöglichkeiten in tschechischer Sprache deutlich zu erweitern, wurde von den Eliten der tschechischen Nationalbewegung während der ganzen Vierzigerjahre als Desiderat betrachtet. Das Anwachsen eines sich national-tschechisch fühlenden Wirtschaftsbürgertums brachte ab den Dreißigerjahren eine verstärkte Nachfrage nach tschechischsprachigen Fachkräften mit sich, die durch das vornehmlich deutschsprachige Schulsystem Österreichs nicht befriedigt werden konnte.190 Die geplante tschechische Industrieschule sollte diese Lücke auffüllen und den tschechischsprachigen Schülern eine alternative Möglichkeit der Sekundärbildung anbieten. Mit dem Zustrom national-tschechischer Wirtschaftsbürger in den Verein während der Vierzigerjahre wurde dieser ab 1845 zum Zentrum der Aktivitäten zur Errichtung einer tschechischsprachigen Industriefachschule. Der Verein entwickelte diesbezüglich eine Reihe von Aktivitäten, die als Muster zivilgesellschaftlichen Handelns dienen können. Zunächst setzten die Verfechter der Schule ihre Idee als ein offizielles Vereinsprojekt durch. Die erste Initiative in diese Richtung ging von dem tschechischen Oberingenieur der Nördlichen Staatsbahn Jan Perner aus, der vor den Vereinsmitgliedern die Gemeinnützigkeit der geplanten Schule hervorhob. Seiner Argumentation lag die Überzeugung zugrunde, dass für den vom Verein allgemein unterstützten wirtschaftlichen Erfolg nicht nur finanzielles, sondern auch Bildungskapital unabdingbar sei.191 Dass eine entsprechende tschechischsprachige Fachschule fehlte, behinderte demzufolge zum einen die vertikale soziale Mobilität, da Fachkräften, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren, der soziale Aufstieg versperrt bleibe. Damit sei das allgemeine Wachstums­potenzial der böhmischen Wirtschaft behindert, da mit den sozialen und sprachlichen Schranken eine große Anzahl qualifizierter Arbeitskräfte verloren gehe, was die ganze böhmische Industrie beeinträchtige. Das Hauptargument bezog sich also nicht auf die nationale oder sprachliche Komponente, sondern darauf, die Konkurrenzfähigkeit der lokalen Industrie zu steigern. Obwohl dies den proklamierten Hauptgegenstand der Vereinsarbeit darstellte, wurde der Entwurf für die Errichtung einer tschechischen Industrieschule zum Auslöser eines heftigen internen Konflikts, der die Vereinstätigkeit bis 1848 mehrere Jahre lang prägte.192 Perner starb kurz nach dem Verfassen seines Entwurfs; die Initiative wurde jedoch von anderen Vereinsmitgliedern sofort aufgegriffen und trug wesentlich zur Strukturierung der Diskussionskultur des Vereins und damit zur Kultivierung eines Handelns bei, bei dem die Akteure trotz heftiger Konflikte auf einen Konsens bei gegenseitiger Aner­kennung abzielten. Auch wenn die Debatten über die Errichtung der Schule die ganze Zeit über sehr leidenschaftlich geführt wurden, überschritten sie nie den von den Ver190 Strakosch-Grassmann, S. 164–172. 191 Štaif, Obezřetná elita, S. 155. 192 Klepl, S. 208.

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einsstatuten festgesetzten friedlichen und völlig partizipatorischen Rahmen, und letztlich unterwarfen sich alle beteiligten Akteure einschließlich der größten Gegner der Initiative dem gefundenen Konsens.193 Nachdem die Errichtung der Schule zum offiziellen Ziel des böhmischen Gewerbevereins erklärt worden war, mussten die zuständigen Vereinsmitglieder eine Reihe praktischer Fragen lösen, von denen die drängendste die der Finanzierung war. Der Verein verfügte zwar über eigene Finanzmittel und hatte sich schon vorher in ganz Böhmen an der Erweiterung der Ausbildungsmöglichkeiten beteiligt, ein so umfangreiches Projekt lag jedoch außerhalb seiner Möglichkeiten. Zur Lösung wurden zwei Richtungen eingeschlagen: Einerseits setzten sich die Vertreter der Schulgründung für eine breite Kampagne zur Anwerbung neuer, vornehmlich national-tschechischer Vereinsmitglieder ein, die durch ihre Mitgliedsbeiträge die finanziellen Aussichten des Projekts verbessern sollten. Auf der anderen Seite entwickelte der Verein eine für die böhmischen Verhältnisse im Vormärz einzigartige Initiative, um eine breite Öffentlichkeit für die Errichtung der Schule zu mobilisieren:194 Mithilfe der lokalen Vertrauensmänner wurden nicht nur in ganz Böhmen, sondern auch in Mähren, Wien und Ungarn öffentliche Versammlungen organisiert, bei denen die Unterstützung der Schulgründung öffentlich erklärt und zu diesem Zweck Geld gesammelt wurde. In sozialer Hinsicht setzte sich der Spenderkreis nicht nur aus lokalen bürgerlichen Honoratioren, sondern in der Regel auch aus Kleinbürgern und Angehörigen der Unterschichten zusammen.195 Die den Organisatoren nahestehenden Zeitungen sorgten dann durch ihre lebhafte Agitation und die kon­ sequente Veröffentlichung der Namen aller Spender dafür, dass diesen für ihre finanzielle Hilfe breite Anerkennung zuteil wurde, womit wiederum die Öffentlichkeit weiter aktiviert werden konnte.196 Dieses bisher unbekannte Hineinwirken des Prager Vereins in die Öffentlichkeit trug vor der Revolution von 1848 entscheidend zur Kultivierung eines öffentlichen Diskurses sowie der breiten öffentlichen Mobilisierung.197 Das Ausmaß der Aktion überraschte auch das böhmische Gubernium, das zum ersten Mal mit einer so umfangreichen zivilgesellschaftlichen Aktion konfrontiert wurde. Die öffentlichen Sammlungen für die Schule wurden im Mai 1847 zwar offiziell verboten, und die Initiative wurde bald durch den Ausbruch der Revolution im März 1848 überdeckt.198 Doch wurden die Erfahrungen mit den Möglichkeiten einer Interaktion zwischen dem Prager Zentrum und anderen Tei193 Für die Details der entsprechenden Vereinsdebatten siehe ebd., S. 211–217. 194 Štaif, Dva typy občanského sdružování. 195 Ebd. 196 Vgl. Kazbunda, Karel Havlíček. 197 Štaif, Obezřetná elita, S. 166–170. 198 Die Schule wurde dann erst 1857, jedoch in ganz anderer Gestalt und aus anderen Mitteln, gegründet. Vgl. Klepl, S. 208.

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len Böhmens zur Grundlage einer weiteren, schon weit komplexeren politischen Mobilisierung während der Revolution 1848/49, als die national-tschechischen Eliten gerade mithilfe der Sammlungen für die Industrieschule ihren politischen Wirkungshorizont einschätzen konnten.199 Es kann zusammengefasst werden, dass der Verein eine breite Skala zivil­ gesellschaftlicher Kulturpraktiken aufwies: die auf freiem persönlichen Engagement beruhende Organisation von Ausstellungen, der auf die Steigerung des Bildungsniveaus abzielende Betrieb einer Bibliothek, eigene Herausgebertätigkeiten, die Kultivierung des öffentlichen Raumes und Diskurses, die Förderung verschiedener Schulanstalten sowie die breite gesellschaftliche Mobilisierung für die tschechische Industrieschule. Diese Praktiken setzten die Bereitstellung umfangreicher Finanzmittel für Gemeinwohlzwecke voraus, setzten sich aber konsequent von der Logik des Marktes ab und trugen wesentlich zum Entstehen einer breiten Öffentlichkeit bei. Wenn sich diese Vereinstätigkeiten in Böhmen von denen des Breslauer Gewerbevereins auch nicht qualitativ unterschieden, wichen sie doch in der Be­ deutung, die ihnen von den Akteuren im Zusammenhang mit ihrem gesellschaftlichen Aufstieg zugeschrieben wurden, voneinander ab. Es wurde schon gezeigt, dass im schlesischen Fall die Kulturpraktiken der entstehenden Zivilgesellschaft nicht nur vom Staat, sondern auch von den Repräsentanten dieser Praktiken selbst konsequent ignoriert wurden, wenn es darum ging, Qualifikationen für die Zugehörigkeit zum Adel zu benennen. In Böhmen war das nicht der Fall. Nicht nur das oben behandelte Engagement für die Prager Kleinkindbewahranstalt oder für die Kunst- und Ausbildungsförderung im Fall der SophienAkademie, sondern auch Tätigkeiten im Rahmen des böhmischen Gewerbe­ vereins wurden von Adelskandidaten, die Mitglieder dieser Vereine waren, als ein starkes Argument zur Untermauerung ihres Adelsanspruchs wahrgenommen und als solches benutzt. Verweise auf das Engagement im Gewerbeverein im Rahmen von Nobilitierungsgesuchen ziehen sich durch die ganzen Vierziger-, Fünfziger- und teilweise auch Sechzigerjahre. Dabei sind zwischen der Frühphase der Vereins­ geschichte, als der Verein noch adlig dominiert war, und der späteren Zeit, als er schon durch eine stärkere bürgerliche Beteiligung sowie durch nationale Agitation geprägt war, keine wesentlichen Unterschiede festzustellen. Vereinsmitglieder, die ihre Nobilitierung beantragten, wiesen die ganze Zeit über auf ihre Vereinstätigkeit hin, um ihren Adelsanspruch zu unterstützen, und auch der Staat erkannte ein Engagement im Gewerbeverein in der Regel als ein Argument zugunsten von Adelskandidaten an. Zum Beispiel strebten zwei von den vier bürgerlichen Mitgliedern des ersten, im Frühling 1833 gewählten Vereinsdirektoriums nach einer Nobilitierung. Der Erste der beiden war der schon mehrmals erwähnte jüdische Fabrikant 199 Dazu grundlegend Štaif, Obezřetná elita, S. 166–175.

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Leopold Jerusalem, der 1841 in den österreichischen Adelsstand erhoben wurde.200 Er betätigte sich während der ganzen Dreißigerjahre persönlich wie finanziell umfangreich an den Vereins­initiativen, gehörte zu den häufigsten Spendern des Vereins und stiftete aus eigener Initiative einen zweckgebundenen Fonds zur Unterstützung böhmischer Handwerker, der vom Verein verwaltet wurde.201 Als sich Jerusalem 1841 um eine Adelsverleihung bemühte, vergaß er nicht, dem Staat sein Engagement im böhmischen Gewerbeverein als eine Adels­ qualifikation zu nennen, was positiv aufgenommen wurde. Sowohl das böhmische Gubernium als auch die Vereinte Hofkanzlei in Wien empfanden sein Vereinsengagement als ein relevantes Argument, das für seine Nobilitierung sprach: »Mit dem rastlosen Streben zur Vervollkommnung seines Fabrikbetriebes, mit der uneigennützigen Wohltätigkeit gegen Hilfsbedürftige jeder Religion und mit seiner Direktionsmitgliedschaft in dem Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen verbindet Leopold Jerusalem einen soliden gebildeten Charakter und ein demselben entsprechendes Betragen gegen jedermann im gesellschaftlichen Leben.«202

An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass der Gewerbeverein in den Dreißiger- und Anfang der Vierzigerjahre seine Tätigkeiten ganz mit Wissen und Einverständnis des Staates betrieb, teilweise sogar in enger Kooperation mit ihm. Den staatlichen Stellen musste also völlig bewusst sein, welche Aktivitäten im Verein entwickelt und welche Handlungsmuster in ihm kultiviert wurden. Damit war auch klar, welche Kulturpraktiken er mit einer Nobilitierung belohnte. Als Leopold Jerusalem im September 1841 der österreichische Adelsstand offiziell mit einem expliziten Hinweis auf sein Engagement im böhmischen Gewerbeverein zugesprochen wurde,203 erkannte der Staat damit auch seine Verdienste um die Forcierung der entstehenden böhmischen Öffentlichkeit und die Kultivierung zivilgesellschaftlicher Handlungsmuster öffentlich an. In sehr ähnlicher Weise betonte das zweite nobilitierte Mitglied des ersten Vereinsdirektoriums, Johann Baptist Riedl, sein Vereinsengagement.204 Auch er untermauerte seinen Adelsanspruch in seinem 1855 gestellten Gesuch mit seiner 15-jährigen Tätigkeit im Vereinsdirektorium, und auch ihm wurde der gewünschte Adelstitel nicht zuletzt aufgrund dieses Engagements verliehen.205 200 Vgl. Abschnitt 4.2.4 dieser Arbeit. 201 Vgl. die Protokolle des Vereinsdirektoriums aus dem Jahr 1840, NA Praha, Fond 696, Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen, Karton 1. 202 Vortrag der Vereinten Hofkanzlei zur Nobilitierung von Leopold Jerusalem vom März 1841, ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Leopold Jerusalem Edler von Salemfels, fol. 34. 203 Adelsdiplom für Leopold Jerusalem vom 15. September 1841, ebd., fol. 21–24. 204 Zu Riedls Engagement im Direktorium des böhmischen Gewerbevereins Mendl, S. 77–79. 205 Vgl. Abschnitt 4.2.4 dieser Arbeit.

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Nicht nur Mitglieder des Vereinsdirektoriums machten ihr Vereinsengagement zwecks Erlangung des Adels geltend, sondern auch weitere Vereinsmitglieder  – und dies auch noch nach der grundlegenden Veränderung des Vereins in der ersten Hälfte der Vierzigerjahre. Obgleich die breite gesellschaftliche Mobilisierung, die der Verein mit seiner Agitation für die tschechische Industrieschule erreichte, dem Staat als zu weitreichende Initiative erschien und das böhmische Gubernium sogar zu deren Verbot schritt, betrachteten Adelskan­ didaten ihr Vereinsengagement anhaltend als eine Adelsqualifikation. So legte der Prager Bankier Leopold Lämel entsprechenden Nachdruck auf seine Mitgliedschaft im böhmischen Gewerbeverein, als er 1856 seine Erhebung in den österreichischen Ritterstand beantragte.206 Lämel gehörte im Verein zu den einflussreichsten Unterstützern der national-tschechischen Partei, die eine so umfassende Initiative bei der öffentlichen Mobilisierung für die tschechische Industrieschule entfaltete.207 Die Errichtung der Schule unterstützte er finanziell und setzte sich auch im Rahmen der Vereinsverhandlungen aktiv für die Übernahme der Schulgründung unter die offiziellen Vereinsaufgaben ein.208 Im Nobilitierungsgesuch verwies Lämel dann auf sein Vereinsengagement als eine seiner Qualifikationen für eine Erhebung in den Adel und war damit erfolgreich. Auch wenn das Ausmaß der Mobilisierung für die Industrieschule den Staat negativ überrascht hatte, wurde die Tätigkeit im böhmischen Ge­ werbeverein sowohl von den Adelskandidaten als auch vom Staat immerhin als ein relevanter Bestandteil des Katalogs der Adelstugenden eingeschätzt. Vereinsengagement blieb ein schlagkräftiges Argument, auf das sich Nobilitierungswillige noch in den Sechzigerjahren bezogen, als der Gewerbeverein schon keine bemerkenswerten Tätigkeiten mehr entwickelte.209 Abschließend kann resümiert werden, dass die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Tätigkeiten, die im Rahmen des böhmischen Gewerbevereins gepflegt wurden, die oben aufgestellte These bestätigen. Obgleich ähnliche Handlungsmuster auch in Schlesien kultiviert wurden, gerieten sie nur in Böhmen in die Position eines relevanten Nobilitierungsarguments, das Adelskandidaten dem Staat aktiv anboten, von diesem aufgenommen wurde und den Tugendkatalog des Adels veränderte. Dieser Blick auf die Argumentationsstrategien von Akteuren, die nach einem Adelstitel strebten, vervollständigt die Erklärung der Unterschiede zwischen den staatlich anerkannten Adelstugendkatalogen in Böhmen und Schlesien. 206 Vgl. ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Leopold Lämel, fol. 2, sowie Abschnitt 4.2.4 dieser Arbeit. 207 Mendl, S. 117–119. 208 Ebd., S. 185 f. 209 So argumentierten noch die in den Sechzigerjahren nobilitierten Prager Bankiers Friedrich und Karl Zdekauer in ihren Nobilitierungsgesuchen mit ihrem Vereinsengagement, das zu diesem Zeitpunkt schon mehr als 20 Jahre zurücklag. ÖStA Wien, AVA, Adels­ archiv, Nobilitierungsakten, Carl Zdekauer, fol. 11–12; Putz, S. 480–483.

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Die verschiedenen Handlungsmuster der Zivilgesellschaft wurden zwar sowohl in Böhmen als auch in Schlesien auf ähnliche Art und Weise kultiviert. In Böhmen wurden sie jedoch von ihren Repräsentanten aktiv als Adelsqualifikation herangezogen und fanden durch die staatliche Anerkennung Eingang in den Adelstugendkatalog. In Schlesien blieb dagegen das staatlicherseits forcierte Bild des Adels bestehen, das die Kulturpraktiken der Zivilgesellschaft ausschloss. Dies zeigt sich sowohl an der staatlichen Nobilitierungspraxis als auch an den Argumenten und Handlungshorizonten der Adelskandidaten.

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6. Zusammenfassung: Gemeinsame und getrennte Wege

In der vorliegenden Arbeit wurde anhand von Nobilitierungspraktiken die staatliche Gesellschaftspolitik im Zentraleuropa des 19.  Jahrhunderts untersucht. Ausgehend von aktuellen theoretischen Überlegungen der vergleichenden Geschichtsforschung wurden mit Preußen und Österreich die beiden größten Staaten Zentraleuropas gewählt, innerhalb derer die Regionen Schlesien und Böhmen mit ihren Landeshauptstädten Breslau und Prag als heuristische Bezugspunkte dienten. Unter dem Begriff »Aufstiegsarena« wurden analytisch geografische, soziale und rechtliche Räume gefasst, in denen sich die staatliche Nobilitierungspolitik abspielte. Beide Provinzhauptstädte mit ihren Umgebungen konstituierten sowohl in geografischer als auch in sozialer und rechtlicher Hinsicht ähnliche Landschaften, der jeweilige Staat hatte sich daher in beiden Fällen bei der Umsetzung seiner Nobilitierungspolitik mit ähnlichen externen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen. Im Kontext der allgemeinen Urbanisierung des 19. Jahrhunderts stellten sowohl Prag als auch Breslau dynamisch wachsende Städte mit einer ähnlich vielfältigen Sozialstruktur dar, die alle für Nobilitierungen infrage kommenden Gesellschaftsgruppen umfasste. Sowohl die Gymnasien und Universitäten als auch die schnelle Urbanisierung und die zentrale Lage beider Städte innerhalb ihrer Provinzen trugen zur Entstehung eines Milieus bei, in dem sich Wirtschafts- und Bildungsbürger, Beamte, Offiziere, aber auch Grundbesitzer versammelten. Aus dieser Mischung rekrutierten sich die Nobilitierungskandidaten. Der preußische bzw. österreichische Staat hatte in beiden Aufstiegs­arenen vergleichbare Auswahlmöglichkeiten, welchen sozialen Schichten er seine Anerkennung gewährte und welche er dagegen bei Adelsverleihungen unberücksichtigt ließ. Beide Städte befanden sich relativ fern von den Hauptstädten Wien und Berlin, sodass die regionalen Nobilitierungspraktiken nicht von der unmittel­baren Präsenz eines Hofes geprägt wurden und an den Entscheidungen in der Regel alle infrage kommenden staatlichen Akteure beteiligt waren. Auch diese staat­ lichen Akteure unterschieden sich in der Sache nicht voneinander. Nobilitierungen wurden sowohl in Österreich als auch in Preußen im Rahmen eines drei­stufigen Systems durchgeführt, in dem die regionale und die zentrale Verwaltung die Hauptrolle spielten, die endgültigen Entscheidungen unterlagen dann noch einer königlichen bzw. kaiserlichen Zustimmung. Die weitgehende Ähnlichkeit der Aufstiegsarenen zeigte sich nicht nur an ihren Sozialmilieus und der Art der staatlichen Entscheidungsorgane, sondern 269 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

auch an den rechtlichen Bedingungen, die die Nobilitierungspraxis bestimmten. In beiden Fällen war die Staatsverwaltung nur sehr wenigen und vagen rechtlichen Normen unterworfen, sodass die Entscheidung, wem und warum ein Adelstitel zu erteilen war und wem der Zugang zum Adel dagegen versperrt bleiben sollte, weitgehend auf ihren Präferenzen beruhte. Aber nicht nur die Arena, die Zusammensetzung der Wettbewerber und der Schiedsrichter wiesen in Breslau wie in Prag umfangreiche Ähnlichkeiten auf, sondern auch der Preis, um den in beiden Arenen gekämpft wurde. Der Staat entschied mit den Nobilitierungen sowohl über die Verteilung von sach­lichen Vorrechten als auch über Anerkennung und symbolisches Kapital, das der Adelsstand im untersuchten Zeitraum mit sich brachte. Zwar veränderten sich während des 19. Jahrhunderts sowohl in Preußen als auch in Österreich die materiellen und symbolischen Vorteile, die mit der Zugehörigkeit zum Adel verbunden waren, in vielen Fällen wurden sie sogar völlig abgebaut. Dennoch blieben bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes einige der Vorrechte erhalten, die den Mitgliedern des rechtlich definierten Adels immer noch einen speziellen gesellschaftlichen Status sicherten. Die alltägliche, im österreichischen Fall sogar verpflichtende Führung von Adelsprädikaten und Wappen gewährleistete auch nach dem Jahr 1848 eine fortwährende Demonstration sozialer Distinktion, einige Stiftungen boten Adli­gen prominente Ausbildungs- und Erziehungsmöglichkeiten, und auch eine erfolgreiche Karriere im Staats- oder Militärdienst war ohne Adelszugehörigkeit nur äußerst schwer zu erreichen. Die Erblichkeit adliger Vorrechte ließ die rechtliche Kategorie des Adels in gesellschaftlicher Hinsicht zusätzlich attrak­tiv erscheinen und hob sie von anderen Formen staatlicher Auszeichnungen ab. Adelsverleihungen waren die höchste Form staatlicher Anerkennung und zugleich ein wichtiges Mittel der staatlichen Gesellschaftspolitik. Die Veröffentlichung der Nobilitierungen wie auch die Führung adliger Namen und Wappen sicherte den Adelsneulingen nicht nur eine staatliche, sondern auch eine öffentliche Anerkennung und transportierte zugleich die vom Staat erstellten und bei Adelsverleihungen umgesetzten Adelstugendkataloge in die Gesellschaft. So griff der Staat indirekt in die innergesellschaftlichen Beziehungen ein, indem er gewissen Gruppen und Handlungsmustern öffentliche Anerkennung verlieh und manche Akteure zur Kultivierung der ausgezeichneten Handlungsmuster anreizte, wohingegen er andere vernachlässigte. Der sozialgeschichtliche Makroblick ermöglicht es, diese staatliche Praxis auf der Ebene der beiden ausgewählten Gesellschaften zu analysieren. Während die unter dem Begriff »Aufstiegsarena« zusammengefassten Rahmenbedingungen weitgehende Ähnlichkeiten aufwiesen, lässt sich das Gleiche in Bezug auf die staatlichen Präferenzen bei Adelsverleihungen nicht immer sagen. Der Blick auf die mit den Nobilitierungen jeweils ausgezeichneten Gruppen zeigt, dass in der Nobilitierungspraxis in beiden Fällen zum Teil ähnliche, zum Teil verschiedene Wege eingeschlagen wurden. Symptomatisch war schon die staatliche Einstellung zum Militär. Adelsver270 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

leihungen an Offiziere spielten in der preußischen wie der österreichischen Gesellschaftspolitik eine unübersehbare Rolle. Das Übergewicht des neuen militärischen Adels in den ersten ungefähr zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hatte ähnliche Ursachen. Das Engagement beider Staaten in den Kriegen gegen Frankreich, das zu schweren militärischen Niederlagen und in der Folge zu Militärreformen führte, war mit einem deutlichen Zufluss von Adelstiteln an Offiziere verbunden. Beide Staaten wollten mittels Nobilitierungen einerseits Soldaten ehren, die sich auf dem Schlachtfeld ausgezeichnet hatten. Auf der anderen Seite wurde mit den vielen Nobilitierungen von Militärs ein Versuch gemacht, im Kontext der tief gehenden Militärreformen den Offiziersdienst mit einem beträchtlichen symbolischen Kapital auszustatten und somit neue, jüngere Offiziere im Militär zu halten. Das gesellschaftliche Prestige, das der Staat dem Militärdienst zuschrieb, wurde in Österreich mit der Institution des »systemmäßigen« Adels noch deutlich verstärkt, als allen Offizieren nach einem dreißigjährigen Dienst ein automatischer Nobilitierungsanspruch zuerkannt wurde. Langfristig gesehen entwickelte sich aber die Position der Offiziere innerhalb des neuen Adels leicht unterschiedlich. In Preußen stand der neue Militäradel im ganzen Untersuchungszeitraum relativ deutlich vor anderen Gruppen, in Österreich ist dagegen eine mäßige Abnahme der Adelsverleihungen an Militärs als langfristiger Trend festzustellen. Auf die politische und nationale Aktivierung der österreichischen Öffentlichkeit in der Revolution 1848/49 reagierte der Staat mit erprobten integrationspolitischen Mitteln, zu denen die Nobilitierung gehörte. Während der Revolution erwies sich die Armee als eine feste Stütze des Staates, die von politischen sowie nationalen Spaltungen wenig betroffen war, daher bestand kein gesteigerter Bedarf, sich der Loyalität des Offizierskorps durch Nobilitierungen zu versichern. Im Gegensatz dazu wurden in Hinsicht auf die zivilen Teile der gehobenen österreichischen und damit auch der böhmischen Gesellschaft Adelsverleihungen als ein Mittel der Gesellschaftspolitik eingesetzt. Ein Blick auf den zivilen Teil des neuen Adels fördert deutliche Unterschiede zutage. Während in Preußen der nicht-militärische Adel die ganze Zeit über zahlenmäßig von Beamten und Grundbesitzern dominiert wurde, war das in Österreich keineswegs der Fall. Obgleich auch hier vor allem Staatsbeamte einen wichtigen Teil der Neuadligen ausmachten, stieg ungefähr ab der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre der Anteil der nobilitierten Wirtschafts- und Bildungsbürger deutlich an, sodass diese Teile des neuen Adels seit den Dreißigerjahren eine unübersehbare Rolle innerhalb der Nobilitierten spielten. In Preußen dagegen bewirkte insbesondere die Aneignung englischer Vorbilder um 1840 eine deutliche Bevorzugung der Grundbesitzer. Das staat­liche Interesse richtete sich die ganze Zeit über eigentlich nur auf das Verhältnis zwischen nobilitierten Staatsbeamten und Grundbesitzern, wobei mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. im Jahr 1840 und den in den Jahren 1840 bis 1847 diskutierten Adelsreformplänen die Grundbesitzer allmählich eine Vorrangstel271 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

lung einnahmen. Die aus England übernommenen Vorstellungen über »Adels­ tugenden« und deren spezifische Aneignung rückten das Kriterium des Grundbesitzes als wichtigster Adelsqualifikation in den Vordergrund. Somit wurde den Grundbesitzern ein leichterer Aufstieg in den Adel ermöglicht, als dies bei anderen Gruppen der Fall war. Diese Ausprägung der Nobilitierungspolitik, bei der primär zwischen der Gruppe der Staatsbeamten und der der Grundbesitzer abgewogen wurde, ließ konsequenterweise wenig Platz für die Nobilitierungen von Angehörigen anderer Akteursgruppen. Der neue preußische Ziviladel wurde daher von Beamten und Grundbesitzern dominiert, andere Gruppen, wie etwa das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum, wurden wenig berücksichtigt. Obgleich ähnliche Adelsreformpläne auch in Österreich diskutiert wurden und englische Vorbilder hier ebenso eine gewisse Virulenz besaßen, wurden sie hier nie so wirkmächtig wie in Preußen, und die Entwicklung der Binnenstruktur des neuen österreichischen Adels wurde von anderen Faktoren beeinflusst. Die nach den napoleonischen Kriegen andauernde tiefe Finanznot des österreichischen Staates bildete den Ausgangspunkt für Adelsverleihungen an ausgewählte, oftmals jüdische wirtschaftsbürgerliche Familien, die dem Staat in Krisenzeiten mit finanzieller Hilfe zur Seite gestanden hatten. Während der langsamen Entwicklung der Nationalbewegungen und der Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre benutzte der österreichische Staat Adels­ verleihungen dann zunehmend als ein Mittel, um die sich national aufspaltende Gesellschaft unter einer gemeinsamen Staatsidee zu vereinen. Daher wurde damit begonnen, Adelstitel außer an Mitglieder jüdischer Wirtschafts­eliten zunehmend auch an Führungsfiguren der einsetzenden Nationalbewegungen zu verleihen. Es handelte sich dabei vorwiegend um Personen, die trotz ihrer Entscheidung oder zumindest Sympathie für eine der Nationalbewegungen den Rahmen kultureller und sprachlicher Forderungen nicht überschritten. Der Staat nobilitierte somit solche Personen, die dafür standen, dass die kulturell ausgerichteten Nationalbewegungen mit einer übergeordneten österreichischen Idee vereinbar waren. Schon ab der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre wurde somit der zivile Anteil des österreichischen neuen Adels zunehmend von den Spitzenpersonen des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums geprägt, wobei es gerade Wirtschafts- und Bildungsbürger waren, die auch die beiden böhmischen Nationalbewegungen dominierten. Diese staatliche Anerkennung des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums setzte parallel mit der Entstehung der böhmischen Zivilgesellschaft ein, in der genau diese Gruppen eine prägende Rolle spielten. Gerade in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre, nach dem Tod Kaiser Franz’ I., lockerte der österreichische Staat seine Kontrolle über den öffentlichen Raum und Diskurs. Er schuf so ein Feld, in dem die Praktiken gesellschaftlicher Selbstorganisation und, damit verbunden, die Herausbildung einer vielfältigen Vereinslandschaft, die Stärkung der Öffentlichkeit und des öffentlichen Diskurses kultiviert werden konnten. Und es war in dieser Phase neben dem alten Adel eben das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum, das solche zivilgesellschaftlichen Aktivitäten am häufigs272 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

ten entfaltete. Im Endeffekt erwies sich der österreichische Staat somit gegenüber den wirtschafts- und bildungsbürgerlichen Schichten als relativ offen, indem er ihnen ab den Dreißigerjahren in Form von Nobilitierungen zunehmend Anerkennung und Unterstützung gewährte. Wenn auch die Entstehung der Zivilgesellschaft mit der antirevolutionären Reaktion der Fünfzigerjahre deutlich gebremst wurde, nahm der Zustrom von Wirtschafts- und Bildungsbürgern in den Adel ab der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre wieder zu und blieb, wenn auch mit Schwankungen, bis in die Sechzigerjahre hinein erhalten. Im Rahmen seiner Nobilitierungspolitik behandelte der Staat im böhmischen Fall grundsätzlich alle Nationalitäten gleich, indem er weiterhin das Ziel verfolgte, Adelsverleihungen als einigendes Mittel der Gesellschaftspolitik einzusetzen und Spitzenpersonen der Nationalbewegungen die Zugehörigkeit zum Adel in Aussicht zu stellen. Wird der Blick von der sozialgeschichtlichen Makroperspektive auf die einzelnen Nobilitierungsfälle und konkreten Adelsqualifikationen gerichtet, die dabei zum Tragen kamen, ist wiederum für beide Regionen nur anfangs ein paralleler Weg festzustellen. In den ersten ungefähr drei Jahrzehnten des Untersuchungszeitraums war ein Aufstieg in den Adel sowohl in Schlesien als auch in Böhmen für die jeweiligen Gruppen grundsätzlich aufgrund derjenigen Qualifikationen üblich, die sich grob mit ihren sozialen Hintergründen deckten. Bis Anfang der Vierzigerjahre konnten in beiden Fällen Offiziere den Adelsstand grundsätzlich nur aufgrund von Qualifikationen erreichen, die aus ihrem Militärdienst abgeleitet waren. Eine direkte Beteiligung an den napoleonischen Kriegen, Heldentaten auf dem Schlachtfeld sowie eine über einen langen Zeitraum bekundete, häufig mehrere Generationen umfassende Hingabe an den Militärdienst stellten eine geeignete Mischung von Qualifikationen dar, die von den meisten adelswilligen Offizieren zur Untermauerung ihres Adelsanspruchs angeführt und vom Staat auch größtenteils als hinreichend akzeptiert wurde. In Böhmen wurde diese Mischung im Fall von Militärs über die Vierzigerjahre hinaus als wichtigste Adelsqualifikation beibehalten. Dabei konnten Offiziere nach dem Ausklingen der direkt mit den napoleonischen Kriegen verbundenen Nobilitierungen in den Zwanzigerjahren den Adelsstand weiterhin aufgrund eines langen und zuverlässigen Armeedienstes in Form des »systemmäßigen« Adels erreichen. In Schlesien hingegen wurden die Offiziere zunehmend unter Druck gesetzt, ihren Adelsanspruch auf andere Art und Weise zu legitimieren. Als geeignete Adelsqualifikation wurde, in Einklang mit den übernommenen englischen Vorbildern, vornehmlich ein genügend großes Vermögen angesehen, am besten in Gestalt von Grundbesitz, was dem Adelskandidaten ermöglichen sollte, ein »standesgemäßes« Leben zu führen und soziale Distinktion nach außen zu demonstrieren. Diese Tendenzen erreichten ihren Höhepunkt in den Vierzigerjahren. Reichtum im Allgemeinen und Grundbesitz im Besonderen stellten weiterhin die wichtigste Adelsqualifikation dar, die öfters durch die gesellschaftliche Aner273 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

kennung seitens des bestehenden Adels oder durch familiäre Verbindungen des Kandidaten zur lokalen Adelslandschaft vervollständigt wurde. Ähnliches galt in beiden Fällen für die meisten Teile des zivilen Neuadels. So wurde sowohl in Böhmen als auch in Schlesien in den ersten etwa drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bei den Nobilitierungen von Beamten ein Katalog adliger Qualifikationen angewandt, in dem das Handlungsmuster eines langen und zuverlässigen Staatsdienstes ausschlaggebend war. Dementsprechend untermauerte eine große Mehrheit der adelswilligen böhmischen wie schlesischen Staatsbeamten ihren Adelsanspruch hauptsächlich mit Verweis auf einen langjährigen und zuverlässigen Staatsdienst. Der Staat betrachtete diese Quali­ fikation ebenfalls in beiden Fällen als für eine Nobilitierung angemessen und berechtigt. In Böhmen blieb diese Praxis, mit der die Verhaltensmuster eines langen, in einigen Fällen über mehrere Generationen reichenden Beamtendienstes in den Katalog der Adelsqualifikationen eingeschrieben wurden, den ganzen Unter­ suchungszeitraum über erhalten. In Schlesien dagegen lief die Nobilitierungspraxis ab Anfang der Vierzigerjahre in eine andere Richtung. Ähnlich wie im Fall von Offizieren wurden im späten Vormärz mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. und der von ihm forcierten Adelsreformversuche die Kriterien für den Aufstieg von Staatsbeamten in den Adel umdefiniert. Wiederum stand das Vermögen als Adelskriterium im Mittelpunkt. Vor allem der Grundbesitz und die sich daraus ergebende Option, auf lange Sicht – auch als Familie – gegen sozialen Abstieg gesichert zu sein und gleichzeitig soziale Distinktion nach außen deutlich machen zu können, standen im Vordergrund. Diese Umdefinition der Nobilitierungskriterien vergrößerte in der Folge nicht nur die Nobilitierungschancen von Offizieren und Staatsbeamten, die ein beträchtliches Vermögen vorweisen konnten. Vor allem auch verbesserte es die Möglichkeiten von Grundbesitzern mit Adelswunsch. In ihrem Fall genügte es, wenn sie ihren Adelsanspruch mit den Verhaltensmustern der langfristigen Akkumulation von ökonomischem Kapital und der sich daraus ergebenden kulturellen Selbstrepräsentation begründeten. Ab den Vierzigerjahren war somit Grundbesitz in Schlesien die mit Abstand wichtigste Adelsqualifikation, wodurch zahlreiche andere Verhaltensmuster aus dem Katalog der staatlich an­ erkannten Adelstugenden verdrängt wurden. Einerlei, ob mit den Adelsverleihungen an Offiziere, Staatsbeamte oder Kandidaten, die sich für die Zugehörigkeit zum Adel nur durch ihren Grundbesitz legitimiert fühlten: Im schlesischen Fall ließ der Staat kaum zu, dass Kulturpraktiken jenseits professioneller Tätigkeiten oder der Akkumulation von Vermögen und der Demonstration sozialer Distinktion Eingang in den Katalog der staatlich anerkannten Adelstugenden fanden. Hierin ist zugleich der markanteste Unterschied zu Böhmen zu sehen. Während sich hier die Adelsqualifikationen der  – im Vergleich zu Schlesien ganz wenigen – nobilitierten Grundbesitzer die ganze Zeit über kaum veränderten, unterschieden sie sich in ihrem Wesen deutlich vom schlesischen Fall. Bei den 274 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

nobilitierten böhmischen Grundbesitzern spielten eben nicht bloß Akkumulation von Vermögen, Grundbesitz und kulturelle Selbstrepräsentation die prägende Rolle, sondern die Kulturpraktiken der freiwilligen sozialen Fürsorge, der Wohltätigkeit und der ebenfalls freiwilligen Unterstützung von Industrie und Landwirtschaft und damit der Forcierung des Wirtschaftswachstums. Diese Entwicklung blieb aber nicht auf die Gruppe der Grundbesitzer beschränkt, sondern wurde vor allem durch die Nobilitierungen von Wirtschaftsund Bildungsbürgern verstärkt. Während in Schlesien ungefähr zur gleichen Zeit unter dem Einfluss englischer Vorbilder fast nur Vermögen und Grund­ besitz als Adelsqualifikationen betrachtet wurden, begannen sich in Böhmen mit dem Aufstieg der jüdischen Wirtschaftseliten und der einsetzenden Nationalbewegungen die Kulturpraktiken der entstehenden Zivilgesellschaft in den adligen Tugendkatalog einzuschreiben. Sowohl die jüdischen Unternehmer und Bankiers als auch die frühen Akteure der Nationalbewegungen kultivierten sehr häufig die Handlungsmuster der freiwilligen Wohltätigkeit, des persönlichen Engagements in der entstehenden Vereinslandschaft und somit der Ausdehnung von öffentlichen Räumen und Diskursen. Diese Handlungsmuster dienten als zentrale Argumente für Nobilitierungsansprüche. Der Staat erkannte diese Argumente als relevant im Hinblick auf die Frage der Adelswürdigkeit an und akzeptierte sie somit zunehmend als Teil des auch kulturell einflussreichen Katalogs der Adelstugenden. Mit dem Aufstieg früher Protagonisten der böhmischen Zivilgesellschaft in den Adel erhielten somit zivilgesellschaftliche Handlungsmuster die höchste staatliche Anerkennung und wurden auf diese Art und Weise vom Staat unterstützt. Der Staat forcierte hier ab der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre das Bild einer Elite, die nicht nur aufgrund von Militär- und Verwaltungsdienst oder Vermögen und einer damit verbundenen spezifischen kulturellen Selbstrepräsentation, sondern die auch aufgrund von freiwilliger sozialer Fürsorge, gesellschaftlicher Selbstorganisation und der Kultivierung öffentlicher Räume und Diskurse anerkannt werden konnte. Ähnliches lässt sich für Schlesien nicht sagen. Die starke Bevorzugung des Grundbesitz- und Vermögenskriteriums verdrängte ab den frühen Vierzigerjahren zu einem großen Teil  die anderen Verhaltensmuster aus dem Katalog der staatlich anerkannten Adelstugenden, und auch die wenigen nobilitierten Wirtschafts- und Bildungsbürger Schlesiens erreichten ihren Adelstitel vorwiegend aufgrund der schieren Größe ihres Vermögens, in wenigen Fällen auch aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs, der als Beitrag zum allgemeinen Wirtschaftswachstum angesehen wurde. Der Staat räumte den Kulturpraktiken der entstehenden Zivilgesellschaft bei den von ihm bevorzugten Handlungsmustern keinen Stellenwert ein. Dabei wurde relativ schnell ein Konsens mit den Adelskandidaten gefunden, wonach in Schlesien die Kulturpraktiken der entstehenden Zivilgesellschaft grundsätzlich außerhalb des Katalogs der Adelsqualifikationen standen. Auch wenn in Schlesien Handlungspraktiken wie etwa die freiwillige Wohlfahrt, die 275 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Bereitstellung privater Mittel für öffentliche Zwecke der Ausbildungsförderung oder die intensive Kultivierung des Vereinslebens auf ähnliche Art und Weise vorhanden waren wie in Böhmen, wurden seitens des preußischen Staates wie der schlesischen Adelskandidaten kaum Versuche unternommen, diese als Kriterien der Adelswürdigkeit ins Spiel zu bringen. Auch wenn sich die Gruppen derjenigen, die in Schlesien zivilgesellschaftliche Handlungsmuster kultivierten, und derjenigen, die ihren sozialen Aufstieg durch eine Nobilitierung anerkannt bekommen wollten, teilweise überschnitten, avancierten zivilgesellschaftliche Kulturpraktiken hier nie zu einer offiziellen Adelstugend. Werden die genannten Befunde auf die zentralen Fragestellungen der Untersuchung rückbezogen, kann zusammengefasst werden, dass die Nobilitierungspolitik in Schlesien wie in Böhmen während der ersten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts in vieler Hinsicht einen sehr ähnlichen Weg verfolgte. Hauptsächlich waren es Angehörige von Armee und Beamtenschaft, denen der Staat mit Nobilitierungen Anerkennung und damit öffentliche Unterstützung gewährte. Dabei belohnte er nicht nur Repräsentanten, sondern auch die Kulturpraktiken eines langen Militär- oder Beamtendienstes durch Adelsverleihungen und griff zu deren Gunsten in die innergesellschaftlichen Beziehungen ein. Ein markanter Bruch fand in der zweiten Hälfte der Dreißiger- und Anfang der Vierzigerjahre statt, als der preußische Staat begann, seine aus dem englischen Vorbild abgeleiteten Adelsreformpläne um­zusetzen. Die Nobilitierungspraxis wurde modifiziert und staatliche Anerkennung zunehmend Grundbesitzern und den Praktiken der Akkumulation von Ver­mögen und der äußerlichen Demonstration sozialer Distinktion zuteil. In Böhmen dagegen bewirkte der soziale Aufstieg jüdischer Wirtschaftseliten, die Aktivierung der Nationalbewegungen und die damit verbundene Entstehung der Zivilgesellschaft eine starke Veränderung der staatlichen Nobilitierungs­politik. Durch Nobilitierungen erhielten ab der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre zunehmend auch Protagonisten und Praktiken der Zivilgesellschaft Aner­kennung und symbolisches Kapital. Die entstehende Zivilgesellschaft Böhmens erhielt auf diese Weise eine viel größere staatliche Unterstützung als in Schlesien.

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Archiv hlavního města Prahy

NAD 812, Smichower Kleinkindbewahranstalt in Prag NAD 745, Sophien Akademie in Prag

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306 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Register

Personenregister Bach, Franz  230 Bally, Johann Friedrich  227 Benecke, Wilhelm  132 Berger, Johann Wenzel  191 f. Berlioz, Hector  254 Bismarck (Kanzler)  158 Blücher (General)  29 Bolzano, Bernard  92 Brozowsky, Franz Kaspar  168 f. Bruckmüller, Ernst  44, 48 Bülow-Cummerow, Ernst von  73 Bunsen, Christian Karl  73 Burghauf (schlesischer Graf)  112 Chotek, Karl Graf  207, 257 Czettritz, Heinz  132 f. Dellen (Major)  107 f., 110, 162 Elvenich (Familie)  187 Elvenich, Emmerich  185–190 Elvenich, Franz  190 Elvenich, Karl Josef  190 Ferdinand (Sohn Franz’ I.)  208, 257 Ferdinand III. (Kaiser)  183 Fontaine, Wilhelm  146–148 Franz I. (Kaiser)  85, 208, 272 Frič, Josef Václav  91 Friedrich der Große  67 Friedrich I.  37 Friedrich Wilhelm III.  141 Friedrich Wilhelm IV.  37, 73 f., 122, 131, 271, 274 Frobel-Neu Waltersdorf (Familie)  115 Gaffron, Maximilian  232 f. Geitler, Sigismund Christoph  250 Gemrich, Wilhelm  192–194 Grabs (Land- und Stadtgerichtsdirektor)  234 Grabs, Carl Eduard  233–235

Habsburg (Familie)  183, 253 Hammer, Leonard  161 Hancke, Otto  240 f. Haugwitz, Louis von  225 Hausenblase, Karl  160 Havránek, Jan  47 Hederich, Gustav Friedrich  129–131 Heineccius, Benno Konstanz  108 f. Heinen, Karl Friedrich  118 f. Heinke, Ferdinand  236 Helfert, Josef Alexander  94 f. Herbig (Familie)  166 Herbig, Anastas  166 f. Herbig, Karl  166 Hermany, Johann  162 f. Himberger, Christoph  169 f. Hintze, Otto  13 Hlávka, Josef  96 f. Hobsbawm, Eric  26 Hoffmann, Friedrich  162 Hönig (Familie)  100 Hönig, Israel  101 Horský, Franz  255 Hoym, Graf Karl von  29 Hroch, Miroslav  92, 95 Hufeland, Wilhelm  112–114 Humbracht-Rayersdorf (Familie)  115 Jerusalem, Leopold  202–204, 266 Jungmann, Anton Johann  93 Jungmann, Josef  93 Kallina, Matthias  92 f. Karl (Erzherzog)  191 Korn (Familie)  141 f., 145 Korn, Heinrich  142 Korn, Johann Jacob  141 Korn, Wilhelm  140–143, 145 f., 244 f. Korn, Wilhelm Ferdinand  145 Korn, Wilhelm Gottlieb  141, 145 Koshenbar, Eleonore von  127

307 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Kottwitz, Heinz von  236 Kramsta (Familie)  152 f. Kramsta, Eduard  154 f., 157 Kramsta, Emil  153 f., 157 Kramsta, Georg Gottlieb  152 Kramsta, Gustav  155–158, 242 f. Krombholz, Vincenz  93 Kulmiz, Dr. Karl  238–241 Lachmann (schlesischer Gutsbesitzer)  234 Lämel (Familie)  48, 100–102, 195, 199 f. Lämel, Leopold  199–202, 204, 254 f., 267 Lämel, Simon  195–199 Levy, Salomo Moses  103 Liebermann (Familie)  102 Lindner, Franz  162 Löhner, Josef  205–208 Löhner, Ludwig  205 Ludwig (Familie)  115 f. Ludwig, Siegfried Bernhard  114–116 Lützow 32 Maria Theresia  169 Marwitz, Friedrich August von der  71 f. Melville, Ralph  60 Merckel, Friedrich Theodor  120 f., 225 f. Mitschke, Johann Leopold  122–126 Mitschke-Collande, s. Mitschke Nádherný, Ludwig von  262 Napoleon  22, 32, 108 f., 123, 184 f. Obermann, Ludwig August  226 Palacký, František  97 Perner, Jan  263 Petersdorf 32 Pleschner, Eduard  213–215 Pokorný, Jiří  88 Popper (Familie)  101 Porges (Familie)  102 Porges, Juda  100, 248 f. Porges, Moses  100, 248 f. Ranke, Leopold  76, 158 Ravenstein, Georg  110 Ravenstein, Johann Friedrich  109–112

Reichenheim (Familie)  102 Reif, Heinz  11 Riedl, Johann Baptist  209–214, 266 Rieger, František Ladislav  97 f. Rössler, Johann Alois  170–172 Rosenthal, Otto  148–150 Rothschild (Familie)  101 Ruffer, Gustav Heinrich  158 f. Rumpler, Helmut  94 Sabina, Karel  91 Sack, Johann August  120 Schaubert (Familie)  127 Schaubert, Carl  126–128 Schlosser, Peter  202 Schmitt, Carl  107, 110 Schön, Heinrich Theodor von  73, 120 Semienow-Willamow (Familie)  135 Skocpol, Theda  14 Sophie (Erzherzogin)  253 Stark, Johann David  179–182, 185, 192 v. Stein (Freiherr)  71–73 v. Stillfried (Oberzeremonienmeister)  73 Sulzer, Theodor  38 Thun, Graf Leo  92 v. Tischer (Familie)  234 Tocqueville, Alexis de  14 f., 18 Trojan, Antonín Pravoslav  97 v. Uechbritz (Familie)  234 Vincke, Ludwig  120 Waidele, Ernst  174–177 Wallach (Familie)  102 Weber, Max  13 Wehler, Hans-Ulrich  11, 68 Wilhelm I.  116, 131 Willamowitz (Familie)  134 f., 137 Willamowitz, Fanny  135 f. Willamowitz, Ottokar  134–140 Wimmer, Jakob  84 Zasadsky, Georg Jenik  183–185, 192 Zdekauer (Familie)  48 Zdekauer, Friedrich  215–217, 254 f. Žiwna, Peter  172 f.

308 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Orts- und Sachregister Absolutismus (s. a. Neoabsolutismus)  87 –– bürokratischer 118 –– in Preußen  118 Adel (s. a. Adelsstand, Adelstitel, Geadelte, jüdisch)  11–13, 15, 18, 22 f., 25 f., 28, ­33–35, 37–39, 42–44, 52–55, 59, 61, 64, 71–76, 79, 81–83, 89, 94, 97, 99 f., 102 f., 106, 114–118, 121, 125–128, 130–134, 142, 146, 150–153, 157–159, 161, 163, 165, 167, 169–173, 177–179, 182, 190–192, 195, 197–199, 205, 208 f., 211, 217–219, 223, 226 f., 233 f., 236, 247 f., 254–259, 268, 270, 273 –– Aberkennung von  36 –– alter  13, 183, 204, 272 –– »ausgebrannter« 169, 186–188 –– einfacher  34–36, 39 –– Erhebung in, Standeserhebung (s. a. Adelserwerb)  21, 34 f., 84, 91, 121, 135, 149, 155, 183 f., 193 f., 200, 216 f., 248, 255, 267 –– gewohnheitsrechtlicher 54 –– neuer (s. a. Neuadel)  17, 20–22, 26 f., 63, 77, 80–84, 86, 90, 99, 103, 105, 117–119, 122, 131, 151, 165, 178, 195, 219, 221 f., 236, 271 f. –– »systematisierter« 53 f. –– »systemmäßiger« 53 f., 67, 160 f., 163, 165, 271, 273 Adelsanerkennung (s. Anerkennung) Adelsangelegenheiten  37 f., 57 Adelsanspruch (s. a. Nobiltierungsanspruch)  32, 46 f., 53, 64, 84, 106–108, 112, 115 f., 118 f., 122, 126, 128–134, 142–144, 146, 148, 150, 152, 154–156, 160–166, 169 f., 172, 174 f., 179 f., 182, 186, 190 f., 193, 195 f., 201–203, 205–209, 211–213, 215, 217 f., 226–228, 232–235, 238–240, 243–245, 247, 250, 254 f., 265 f., 273 f. Adelsanwärter, Adelskandidat, Adels­ aspirant  18, 21, 32, 34–36, 40, 43, 48 f., 54, 67, 69, 75, 78, 96, 105, 108 f., 111, 114, 116, 127, 131–134, 136, 140 f., 144–146, 156, 160–164, 169, 171, 174 f., 177, 180– 182, 185, 187, 194, 217, 219, 226–228, 232–235, 238, 241, 243 f., 247, 250 f., 254, 265, 267 f., 273, 275 f. Adelsbrief  40, 119, 145

Adelsdiplom  41, 56, 139, 167, 173, 182, 184, 186–188, 193, 198 f., 204 Adelserlangung  45, 189 Adelserneuerung 227 Adelserwerb, Adelserwerber  34, 42, ­51–54, 61, 64, 66, 70, 72, 75, 77, 81, 105, 143, 164, 189 Adelsgeschichte, Adelsforschung  11 f., 16, 18 Adelslandschaft 55 –– böhmische 55 –– lokale 274 –– preußische  71, 75 –– regionale 121 Adelsmatrikel 37 Adelsqualifikationen  114, 118, 128, 131, 140, 151, 153, 158 f., 168 f., 174–178, 187, 192, 194, 197, 199, 204 f., 207 f., 210–212, 214 f., 217–219, 222, 227 f., 232, 234 f., 239, 243, 246, 248, 254–256, 273–275 Adelsrecht 22 –– österreichisches 52 –– preußisches  34, 134 f., 138 f. Adelsreform (s. a. Reform)  71–73, 75, 83, 126, 131, 177, 271 f., 274, 276 –– Widerstand gegen  45, 75 Adelsstand (s. a. Adel)  25, 27, 32, 34 f., 42 f., 50–55, 66 f., 72, 74, 76, 90 f., 99, 101 f., 107–109, 111, 114, 118, 121, 126, 131, 133, 142, 145, 147–150, 154, 157, 159–163, 168, 170 f., 186–188, 191 f., 198, 202–204, 206, 208, 212–215, 226 f., 235, 238–240, 248 f., 266, 270, 273 Adelstitel (s. a. Adel)  16, 21, 25, 32, 35– 37, 39, 44, 52–54, 61, 63, 65 f., 72, 74, 76 f., 79, 83, 102 f., 103, 106 f., 109, 116 f., 119, 121 f., 126, 133–135, 137, 143, 145 f., 152 f., 155 f., 161, 163, 168–171, 179, 185– 187, 190, 193, 218, 223, 227, 232, 238, 240 f., 243–245, 255, 266 f., 270–272, 275 Adelstugenden 154 –– Katalog von, Adelstugendkatalog  16, 18, 23, 104, 117, 146, 148, 151 f., 157, 159, 165, 178, 191, 194, 217, 219, 222, 228, 233, 235, 238, 240, 250 f., 267 f., 270, 272, 274 f. Adelsverleihung (s. a. Adelsstand, Adels­ titel)  13, 15–18, 20–22, 32–39, 41– 44, 49–52, 55, 57–61, 63–70, 72, 74–

309 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

80, 83 f., 87, 89–93, 95 f., 98 f., 101–103, 105, ­107–111, 114, 116–121, 124–126, 128, 130–133, 136, 138–140, 142 f., 146– 148, 150, 158, 160–164, 167, 178, 180– 182, 185, 187–191, 193, 195, 197 f., 203, 205, 209, 212 f., 215, 218, 222, 226, 228, ­231–233, 235, 238, 241, 243–245, 247, 249, 251, 255 f., 266, 269–274, 276 Adelsvorstellungen  73, 222, 228 Adelszugehörigkeit  25, 28, 42 f., 45, 50, 57, 60, 66, 72, 74, 116, 122, 127, 135, 159, 167, 170, 172, 178, 182, 186–188, 190, 241, 245, 258, 265, 270, 273 f. Agrarkrise, Agrarabsatzkrise (s. a. Krise)  28, 49 Agrarreform, Steinsche (s. a. Reform)  120 Akademie der bildenden Künste, Breslauer  222, 228–235, 237 f., 251, 253, 256 Akademie der Wissenschaften (s. a. Wissenschaft)  96 Akkumulation von Vermögen (s. Kapitalakkumulation) Aktiengesellschaften  209, 215 Allgemeinwohl, Gemeinwohl, Gemeinwohlförderung (s. a. Kulturpraktiken)  64, 85, 88 f., 147, 149, 182, 194, 204 f., 210, 212, 218, 221, 224, 228, 248, 254, 258, 265 Alt Schliesa (Gut)  149 Anerkennung  15, 22, 26, 37, 69, 76, 97, 110, 113–115, 117, 133, 159, 167, 169 f., 173, 179, 181, 187, 190, 194, 199, 205, 208, 212, 221 f., 224, 236, 245, 250, 253, 258, 260, 263 f., 269 f., 273, 276 –– gesellschaftliche  12, 117, 164, 218 –– kulturelle  247, 257 –– öffentliche  16, 225, 249, 270 –– seitens der lokalen Eliten  149, 154 –– seitens des Adels  117, 161, 194, 234 –– soziale  194, 225, 235 –– staatliche  25 f., 68, 86, 90, 101, 103 f., 202, 231, 251, 256, 268, 270, 272, 275 f. Anpflanzungsverein zur Verschönerung der Hauptstadt Prag und seiner Um­ gebung (s. a. Verein)  217 Appellationsrat –– böhmischer, Prager  168 f. –– in Galizien  170, 175 Arbeiterbewegung 22 Arena (s. Aufstiegsarena)

Aristokratie, Hochadel, hoher Adel  13, 49, 71, 73, 79, 115, 161, 227 Armee (s. a. Militär, Offizier)  64, 164, 276 –– französische 183 –– österreichische  49 f., 53, 78 f., 84, 94, 160–163, 165, 178, 183, 186 f., 190, 192, 216, 271 –– preußische  31–33, 66 f., 72, 108–111, 113, 115, 117, 129, 218, 232, 242 Armeedienst, Armeekonzeption  50, 110 f., 163, 238 f., 273 Armenpflege 214 Armfonds-Suppen-Küche 206 Assoziationswesen (s. a. Kulturpraktiken)  202 Aufstand (s. a. Juniaufstand, Maiaufstand, Sommeraufstand) –– von  1620 55 Aufstieg  25, 27, 29, 31, 45, 47, 148, 171, ­173–175, 202 –– gesellschaftlicher  101, 171, 256, 265 –– in den Adel (s. a. Adel, Adelserlangung, Adelserwerb, Adelsverleihung, Nobilitierung)  26, 52, 86, 99, 104, 115, 119, 148, 151, 164–166, 174, 177, 191, 194 f., 198, 205, 211 f., 215 f., 218 f., 272–275 –– sozialer  28, 170, 199, 263, 276 –– wirtschaftlicher  28, 102, 147, 179 Aufstiegsarena  25, 27, 33, 96, 269 f. –– Breslauer  27, 30, 34, 42, 44, 50 –– Konstituierung von  26 f. –– Prager  44, 46–52, 59 Ausbildungsanstalt, Bildungsanstalt  149, 214, 230 f., 261 Baehne (Gut)  143 Bankhaus (s. a. Nationalbank, öster­ reichische)  48, 101 Bankiers, Bankiersfamilie  28, 45, 49, 68, 84, 102 f., 199 f., 206, 215, 275 –– preußisch-jüdische 102 Bartnig (Gut)  124 Baumwollindustrie (s. a. Industrie)  100 Beamte, Beamtenschaft, Beamtentum  28, 32, 35, 39–41, 48 f., 52, 56–58, 64, 70 f., 73–76, 81, 90, 94, 103–107, 111, 115, ­117–122, 124, 126, 128 f., 131, 135 f., 139, 151 f., 159, 165–175, 177 f., 181, 189, 208 f., 211, 218, 232, 237, 269, 271 f., 274, 276 Beamtendienst, Beamtentätigkeit (s. Beamtenlaufbahn)

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Beamtenethos 177 Beamten-Konsumverein (s. a. Verein)  217 Beamtenlaufbahn, Beamtenkarriere  25, 118, 120–123, 124, 126–128, 131, 152, 165, 168–170, 172–177, 235, 274, 276 Behörde, Verwaltungsbehörde (s. a. Gubernium, Landesverwaltung)  36–42, 49, 54–56 f., 59, 107, 110, 116, 122 f., 133, 137, 139 f., 141, 180, 190 Berlin  21, 29, 41 f., 63, 102, 110–112, 120, 123, 125, 149, 243, 245, 260, 269 Bienenwalde 162 Bildung, Ausbildung  21, 31, 43, 45, 113, 123, 167, 170 f., 175, 177, 180 f., 190 f., 206, 214 f., 223, 228, 230 f., 233, 235, 245, 252, 254 f., 261–265, 270 Bildungsbürgertum, Bildungsbürger  48 f., 76, 81, 83 f., 86, 88, 99, 105, 152, 158 f., 194 f., 199, 202, 204 f., 209, 211 f., 215, 217, 218 f., 225, 236, 247, 252, 257, 269, 271–273, 275 Bildungselite  47, 224, 238 Bildungskapital (s. a. Kapital)  81, 263 Bittsteller  40, 56, 108–116, 125 f., 128, 135 f., 138, 140–145, 147–149, 153, 156, 163 f., 166, 168, 171, 177, 180 f., 183 f., 187, 193 f., 202, 207 f. Böhmen  15, 19–22, 44–46, 48 f., 51, 54 f., 59 f., 63, 83, 86, 88–92, 95 f., 98–101, 104 f., 150 f., 159 f., 163–166, 168, 170–173, 177–180, 183, 185, 190 f., 193 f., 196 f., 199, 201–203, 207 f., 210, 215–219, 221– 223, 226–228, 239, 241, 246, 250–252, 254–256, 258 f., 261, 264–269, 273–276 Breslau, Breslauer  21 f., 26 f., 29–33, 44, 46, 49, 51 f., 59, 61, 63, 105, 111, 115, 120, 120, 124 f., 127, 140 f., 145 f., 149, 158, 190, 223, 225 f., 230 f., 233, 235–237, 242 f., 256, 269 f. Briefadel (s. a. Adel)  75 Brünn 260 Brynek (Gut)  148 f. Brzezina (Gut)  183 Bürgertum (s. a. Bildungsbürgertum, Wirtschaftsbürgertum, Großbürgertum)  16 f., 25, 72, 86 f., 89, 92, 212, 223, 237, 254, 256 f. –– staatsfernes  89, 205 Bürokratie (s. a. Beamte, Beamtenschaft, Beamtentum)  31, 49, 75, 106, 118 –– preußische  122, 132

Burggraf, Prager  207, 257 Cecilien-Verein zur Hebung des klassischen Gesangs und der Musik (s. a. Verein)  217 Collande (Gut)  124 Collin 201 »Comité zur Linderung des Notstandes der Armen Prags« 210 Dampfmaschine  27, 248 Dampfmühlen, böhmische in Smichow und Lowositz 209 Demokratisierungsprozesse 22 Deutsch-Krawarn (Gut)  146 f. Deutscher Bund  19 Deutsches Reich (s. a. Kaiserreich, Kaiser)  55 Deutschland  11, 16, 21 f., 30 f., 33 Distinktion, soziale  60 f., 151 f., 159, 165, 194, 240, 270, 273 f., 276 »Doppelrevolution«, deutsche (s. a. Revo­ lution) 68 Dresden 213 Druckindustrie (s. a. Industrie)  248 Dyhrnfeld (Gut)  143 Egger 168 Einkommenssteuer  128, 130, 144, 149, 240 Eisenbahn, Eisenbahnbau (s. a. Staatsbahn, Nördliche)  31, 241 –– Kralez-Buschtehrader 209 –– schlesische 158 –– Tarif 241 Elite (s. a. Bildungselite, jüdisch, Militär­ elite, Verwaltungselite, Wirtschaftselite)  13, 16, 25 f., 30 f., 33, 68, 72, 77, 92, 151 f., 165, 177, 222, 224, 228, 245 f., 249, 251, 275 –– adlige (s. a. Adel)  245 –– deutsche 51 –– etablierte 253 –– gesellschaftliche  22, 25, 28, 79, 177 –– lokale, regionale  30, 48, 115, 149 f., 154 –– moderne, in der Moderne  11 f. –– nationale 102 –– neue  28, 68, 87 –– Prager 254 –– schlesische  120 f., 227 –– soziale 15 –– tschechische  51, 263, 265

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Elitenwandel 11–13 England  27, 72–74, 82, 272 –– »preußisches« 20 Erzgebirge 173 Fachausbildung (s. Bildung)  211, 262 Familienstiftungen (s. Stiftung, Adels­ stiftung)  233 f. Feudalisierungsthese  16 f. Fideikommis, Familienfideikommis  35, 43, 54, 60, 72, 142–146, 148, 244 f. Finanzkrise (s. a. Krise)  101, 195 Fortschritt, Fortschrittsförderung  87 f., 194, 203, 205, 209, 211 f., 215, 217–219, 236 Frankfurt am Main  216 f. Frankfurt an der Oder  30 Frankreich  28, 33, 50, 66, 78, 108, 116, 162 f., 271 Frauennobilitierung (s. a. Nobilitierte, Nobilitierung) 35 Freiburg (Schlesien)  152, 157 Freiherrenstand (s. a. Adelsstand, Grafenstand, Fürstenstand, Herzogsstand, Ritterstand)  34, 52, 54, 134 f., 137 f., 143, 145, 169, 182–185, 190, 193 f., 215, 217, 232 f. Friedland 166 Frühkapitalismus, böhmischer  200 Fürsorge  149, 191, 194, 196 f., 204, 215 f., 219, 222 f., 228, 235, 246 f., 249–252, 275 Fürstenstand (s. a. Adelsstand, Freiherrenstand, Grafenstand, Herzogsstand, Ritterstand)  34, 52 Gabe, öffentliche (s. Kulturpraktiken) Gäbersdorf (Gut)  157 Galizien 170 Gartenbaugesellschaft, böhmische  201, 216 Geadelte (s. a. Adel)  54, 76, 101, 145 Generalstab 56 Gerichtsstand, privilegierter  43 Gesellschaft (s. a. Zivilgesellschaft)  13 f., 18, 21, 23, 25, 33 f., 44, 51 f., 64, 68 f., 74, 79 f., 85–89, 96, 100, 124, 149 f., 159, 221 f., 233, 270–272 –– Politisierung von  33 f., 51 Gesellschaftspolitik  14, 17, 269–271, 273 Gewerbemuseum, Breslauer  237 Gewerbeverein (s. a. Verein) –– böhmischer (s. Verein zur Ermunterung des Gewerbsgeistes)

–– Breslauer, Schlesischer  223, 230, 235– 245, 256 f., 259, 265 –– niederösterreichischer in Wien  217 Gieshübl 192 Glatz 115 Göttingen 46 Goschendorf (Gut)  127 Grafenstand (s. a. Adelsstand, Freiherrenstand, Fürstenstand, Herzogsstand, Ritter­stand)  34, 52, 135 Griechenland 77 Gröditzberg 132 Großbürger, Großbürgertum (s. a. jüdisch)  86, 213, 235 f., 250 Grundbesitz, (Groß-)Grundbesitzer, Grundeigentum, Grundherrschaft  28, 31, 42 f., 45 f., 60, 64, 70–76, 83, 103, 105 f., 110–112, 114, 116 f., 121 f., ­126–128, 131–135, 138–140, 143, 146, 148–159, 165, 172, 177–180, 182 f., 185, 190–194, 218, 232, 238, 240–242, 269, 271–276 Grundbesitzvermögen (s. Vermögen) Gubernium, Gubernialrat, Gubernial­ verwaltung –– böhmisches, Prager  49, 56, 58 f., ­166–168, 170 f., 173, 184, 187, 189, 196 f., 204, 207, 249, 261, 264, 266 f. Guhren (Gut)  130 Gut, Gutsbesitzer (s. a. Rittergut)  28 f., 42, 48, 60, 67, 70 f., 73–76, 90, 104, 106, 110 f., 113, 115, 117, 123–130, 132, 134, 138, 140–150, 153–158, 178–180, 183–186, 190–192, 194, 199, 205, 226 f., 232–234, 236, 238–240, 243 f., 262 Gymnasialprofessoren (s. Professoren) Gymnasium  21, 30, 47, 148, 269 Habsburgermonarchie  15, 18, 46, 51, 55, 60, 77, 82, 85, 90 f., 101, 222, 260 Halle 46 Handel, Außerhandelsbilanz, Handels­ förderung, Handelskonjunktur, Handelsunternehmen  31, 47, 64, 70, 76, 81, 84, 86–89, 101, 152 f., 156 f., 159, 179– 181, 197, 199, 204, 209 f., 212, 214, 216, 248, 250 –– Professionalisierung von  21 Handelskammer, Prager  209, 214 Handelsmetropole  31, 48 Handelsschule, Prager  210, 213 f.

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Handlungsmuster, Handlungspraktiken (s. a. Kulturpraktiken, zivilgesellschaftlich)  14–16, 51, 68, 103, 106, 118, 129, 131, 151, 156 f., 159, 164–167, 174, 177 f., 196, 199, 205, 208–212, 215, 222, 227 f., 235, 240, 245 f., 250 f., 254, 258 f., 266 f., 270, 274 f. –– militärische 64 –– nicht-militärische 165 Handlungsspielraum  12, 15, 26 f., 36, 55, 132 Heiratsmarkt, Heiratskapital (s. a. Kapital)  185 Heroldsamt  38–41, 57, 112 f., 116, 128–130, 134–139, 142, 144 f., 148, 150, 154–157, 159, 174, 190, 238–240 Herrschaft (s. a. Grundbesitz, Gut)  110, 132, 147, 149, 207 f. Herzogsstand (s. a. Adelsstand, Freiherrenstand, Fürstenstand, Grafenstand, Ritterstand) 34 Heugsdorf (Gut)  234 Hilfcomité zur Unterstützung der Ver­ wundeten und Kranken  216 Hofbeamte (s. Beamte, Beamtenschaft, Beamten­tum)  73, 232 Hofkanzlei, Wiener Vereinte  56–58, ­167–169, 171, 181, 184, 188 f., 197 f., 204, 207 f., 249, 266 Hofzutritt 43 Holstein (s. a. Schleswig)  216 Honoratioren, bürgerliche, Stadthonora­ tionen  224, 264 Hradistchl (Gut)  185 Huldigung (s. Regierungsantritt)  40, 73, 232 Ideenströmung, bohemo-slawische  92 Indien 146 Industrie, Industrialisierung, Industrieförderung, Industriezweig  14, 21, 27–30, 44–47, 63 f., 70, 75, 81, 84, 86–89, 100, 152 f., 156–159, 179–181, 183, 192, 196– 199, 204, 206 f., 210, 212, 214–216, 230 f., 237, 240, 242 f., 248–250, 256, 260, 263, 275 Industrieausstellung  239, 242 f., 245, 259 f. Industriefachschule, tschechische  262 f., 265, 267 Industrielle (s. a. jüdisch)  28, 49, 52, 68, ­81–83, 100, 152, 158, 206, 210, 244, 257

Invalidenfond, Militärischer  192, 216 Invalidenstiftung, Feldmarschall Fürst Windischgrätzische (s. a. Invalidenfond, Stiftung) 192 Italien 161 Juden, Judentum (s. a. jüdisch)  17, ­100–103, 120 –– aschkenasische 100 –– preußisches 102 jüdisch –– Bevölkerung 100 –– Eigentümer 100 –– Eliten (s. a. Elite, Elitenwandel)  102 –– Familie  100–102, 195, 272 –– Glaube, Konfession  47, 101 f., 198 –– Großbürger (s. a. Bürgertum, Groß­ bürger) 251 –– Großunternehmer 249 –– Herkunft  101 f. –– Industrielle (s. a. Industrielle)  100 –– Kattunfabrikant  202, 265 –– Minderheit 105 –– Neuadlige, Nobilitierte (s. a. Adel, Neu­ adel, Nobilitierte)  101–103, 203 –– Schule 201 –– Unternehmer (s. a. Unternehmen)  100, 254, 275 –– Wirtschaftsbürgertum, Wirtschaftselite (s. a. Wirtschaftsbürgertum)  103, 222, 247, 258, 272, 275 f. –– Wohltätigkeit, Wohltäter  248 Juniaufstand, Prager  50 Kärnten 138 Kaiser  54–58, 79, 85, 99, 101, 123, 132, ­167–169, 171, 173, 176, 181, 183 f., 188, 198, 204, 208 f., 214 f., 249, 257, 260, 272 Kaiserhaus 193 Kaiserreich, Kaisertum –– Deutsches  16 f., 22 –– österreichisches (s. a. Österreich)  22, 170, 209, 212 Kalisch  122 f. Kammendorf (Kreis Neumarkt)  112 Kanzler 158 Kapital  31, 45, 123, 210, 214, 261 –– finanzielles  81, 196 –– kulturelles  43, 60 –– ökonomisches  117, 128, 146, 152 f., 164, 168, 200, 274

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–– soziales, Sozialkapital (s. a. Kulturpraktiken, zivilgesellschaftlich)  64, 85, 99, 105, 159, 231, 236, 245, 252, 254, 256, 260 –– symbolisches  15 f., 35, 43 f., 60, 69, 83, 140, 222, 250, 253, 257, 270 f., 276 Kapitalakkumulation  117, 128, 140, 150– 152, 154, 157, 164, 177, 194, 204, 209, 274–276 Kapitalismus (s. a. Frühkapitalismus, böhmischer)  173, 209 Kapitalvermögen (s. Vermögen) Kapitalvorschuss 210 Karlsuniversität 46 Karolinenthal 203 Karriere, Karrierewege (s. a. Beamte)  38, 47, 68, 94, 114, 120 f., 126, 166–169, 171– 173, 175, 204 –– berufliche  129, 168, 172, 175 –– im Staatsdienst (s. Staatsdienst) –– juristische 127 –– militärische, Militärkarriere  25, 32, 66, 78, 107–110, 160, 162 f., 186, 190, 232, 270 –– politische, Abgeordnetenkarriere  98, 174, 176 –– zivile 50 Kattunfabrik, Kattunfabrikant, Kattun­ industrie  47, 102, 173, 179, 202, 229 Kaufleute  28, 49, 64, 81–83, 202, 215, 224, 236, 243, 257 Kettenbrückenverein, Prager (s. a. Verein)  209 K. k. privat Österreichische Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe  200 Kleinkindbewahranstalt –– Hradeker 216 –– Pilsener 201 –– Prager  222, 246–250, 265 –– Rhedaer 147 Köln 190 Königsberg 120 Kongress, Slawischer  50 Konradsweden (Gut)  238 Konstitutionalisierung (s. a. Konstitutionalismus) –– Österreichs, der Sechzigerjahre  58, 175, 215, 217 Konstitutionalismus  174, 193 Kreisamt, Rakonitzer  168 Kreispräsident  40, 193 Krieg  67 f., 72, 80, 84, 87, 108, 130, 163, 166, 185, 187, 191

–– napoleonische K., K. gegen Frankreich  32 f., 49 f., 66, 78, 83 f., 103, 108, 110, 116, 162 f., 195, 200, 218, 224, 271–273 –– Preußisch-Österreichischer  80, 129, 141, 149 –– um Schleswig und Holstein  216 –– Zweiter Weltkrieg  13 Kriegsbelastungen 27 Kriegshelden 32 Kriegsniederlage 28 Krise, Krisenzeiten  29, 33, 50, 67, 83, 130, 203 f., 272 Krumau 168 Künau 112 Kulturpraktiken (s. a. zivilgesellschaftlich)  14–16, 22, 25, 64, 88, 103–105, 117, 151 f., 158 f., 190, 194, 202, 216–218, 221–223, 225, 235, 244–246, 249, 251, 254, 256, 265 f., 274, 276 –– der Förderung vertikaler sozialer Mobilität 231 –– der freiwilligen Förderung von Aus­ bildungsmöglichkeiten  233, 235, 265 –– der gesellschaftlichen Selbstorganisation  86, 152, 201 f., 205, 216, 219, 221 f., 272 –– der Kultivierung und Verbreitung des öffentlichen Diskurses  256 –– der öffentlichen Gabe  86, 103, 222, 225, 227, 233, 235, 245, 249, 251 f. –– der Wohltätigkeit (s. a. Wohltätigkeit)  86, 217, 221 f., 225, 227, 245, 250, 258 –– des Engagements für Gemeinwohl­ zwecke (s. a. Allgemeinwohl)  148, 215, 218 f., 221 –– des Engagements in der entstehenden Öffentlichkeit 195 –– des freiwilligen Assoziationswesens  245, 256 –– des freiwilligen Vereinswesens (s. a. Verein, Vereinswesen)  195, 217, 221, 240 –– des karitativen Spendens (s. a. Allgemeinwohl, Spenden)  206, 228, 233, 249, 251 –– des kulturellen Mäzenatentums  86, 223, 254 k. und k. Patriotische Ökonomische Gesellschaft  89, 206–208, 216 Landesgerichtspräsident, Prager  175 f. Landesgubernium (s. Gubernium) Landesrat, böhmischer  166

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Landesverwaltung  49, 193 Landrecht, Allgemeines (1794)  34, 42 Landtag 174 –– böhmischer  176 f. Lausitz 234 Lebensstil (s. Repräsentation, Selbstrepräsentation) 219 –– repräsentativer  124, 153, 155, 194 –– »standesgemäßer« 202 Legitimierungsmuster  25, 50 Leistungselite (s. a. Elite, Elitenwandel)  21 Leitomischl 129 Lemberg 175 Leopoldsorden 53 Linz 216 Löwenburg 109 Logau (Gut)  234 London  73, 260 Lowositz 209 Lublin 168 Magistrat –– Reichenberger 196 –– Weiner 48 –– zu Krumau  168 Mähren  199, 264, Mäzenatentum, Mäzen  64, 86, 96, 223, 225, 251, 255 f. Maiaufstand, böhmischer (1849)  243 Majorat  43, 72 Maxdorf 113 Meesendorf (Gut)  138 Meisterrecht 48 Militär, Militärpersonen (s. a. Armee, Offizzier)  13, 50, 64 –– böhmisches  49, 163 f., 191, 218, 273 –– österreichisches  78–80, 87, 192, 270 f. –– preußisches  32, 65–68, 74, 107, 112, 116 f., 151, 159, 270 f. Militäradel (s. a. Adel)  63, 67, 271 Militärelite 29 Militär-Maria-Theresien-Orden 53 Militärreform (s. a. Reform)  271 Ministerialbehörde (s. Heroldsamt) Ministerium  40 f., 57 f., 157 –– des Innern (auch Innenministerium)  38, 58, 174, 214 –– des Königlichen Hauses  37 f., 125, 132 f. –– für Gewerbe, Handel und Industrie (auch Handelsministerium)  156, 211, 231

–– für Kultus und Unterricht (auch Unterrichtsministerium)  94 f. –– Justizministerium  37, 141 f., 145 –– Staatsministerium 58 Mitteleuropa 19 Mobilität –– geografische 46 –– intergenerationelle 28 –– persönliche 28 –– soziale  28, 30, 171, 228, 230 f., 235, 245, 263 Modernisierung, Modernisierungsparadigma  13, 17, 20, 158, 233, 248, 261 Museum, Vaterländisches in Böhmen (s. Nationalmuseum, böhmisches) Nationalbank, Österreichische (s. a. Bankhaus)  48, 200, 209, 212 Nationalisierungsprozess, Nationalbewegung, Nationalität  15, 22, 51, 79 f., 86– 88, 90–93, 95–99, 102 f., 105, 177 f., 221 f., 253, 258, 263, 272 f., 275 f. Nationalmuseum, böhmisches  86, 92, 201 f., 207 f., 216 f. Nationalverein (s. a. Verein) –– für Handel, Gewerbe und Landwirtschaft, deutscher (Linz)  216 –– für Handel und Gewerbe, deutscher (Leipzig) 217 –– für industrielle Interessen, allgemeiner deutscher 216 Nationalversammlung, Frankfurter  33, 242 Neoabsolutismus (s. a. Absolutismus)  58, 92, 94, 98, 174, 259 Neuadel (s. a. Adel, jüdisch)  52, 84, 270 –– böhmischer 86 –– österreichischer 165 –– preußischer  151, 194 –– schlesischer  151 f., 228 –– ziviler  83, 131, 274 Neumarkt (Kreis)  112, 127 f. Niederobernig 127 Niederösterreich  175, 216 Nobilitierte  21 f., 34–36, 41, 43, 58, 60, 63 f., 66, 74, 80 f., 105, 107, 139, 151 f., 165, 194, 205, 213, 217 f., 271 Nobilitierung  15–18, 20, 22, 25 f., 28, ­32–37, 39–43, 49, 51–59, 61, 63–72, 74– 81, 83 f., 86 f., 89–93, 95–98, 100–106, 108–122, 124, 126, 128, 130–133, 136 f., 139–142, 144, 146–152, 154 f., 157–178,

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180 f., ­184–191, 198 f., 201 f., 205, 207– 212, ­214–219, 222 f., 226 f., 231–233, 235, 238 f., 241–243, 245 f., 249, 254–256, 265 f., 269–276 Nobilitierungsangelegenheiten  37, 56, 174, 214 Nobiliterungsanspruch (s. a. Adels­ anspruch)  54, 140, 154, 160, 170, 172, 211, 216, 219, 226 f., 238, 244, 250, 271, 275 Nobilitierungsantrag  26, 36, 40, 53, 67, 107–110, 112, 114, 116 f., 119, 126, 129 f., 136–138, 140, 156, 158, 160, 162, ­166–168, 170, 173–175, 179, 188, 198, 200, 207–210, 226 f., 233 f., 244 f. Nobilitierungsanwärter (s. a. Adels­ anwärter) 32 Nobilitierungsgesuch  38, 40, 108 f., 111, 123, 129, 132, 141, 146 f., 153, 176, 250, 254, 265, 267 Nobilitierungsgründe  26, 212, 227 Nobilitierungspolitik  16, 19, 51, 65, 76 f., 89, 91 f., 95, 102, 111, 174, 182, 269, 272 f., 276 Nobilitierungspraxis  16–18, 21, 36, 74 f., 82, 90, 99, 104, 175, 201, 268, 270, 274, 276 Nobilitierungsrecht 22 Nobilitierungsverfahren  18, 38 f., 41, 56, 58, 98, 109, 114 f., 121, 123, 142, 154 f., 161, 164, 172, 182, 189, 207, 226–228, 232 f., 235, 240 f., 250, 254 f. Nordamerika (s. a. Vereinigte Staaten von Amerika)  85, 221 Ober-Leisersdorf 132 Oberobernig 127 Oberösterreichischer industrieller Versorgungsfond 216 Oberpräsident, schlesischer  120 f., 127, 225 f. Oberpräsidium, schlesisches  29, 59, ­110–113, 115, 124, 128, 130, 132–134, 139, 147, 153 f., 156 f., 232–235, 238 f. Oberschlesien 90 Oder  30, 241 Oderufer Bahn, Rechte  159 Öffentlichkeit  15, 231, 237, 239, 264 f., 272 –– böhmische, Prager  252, 260 f., 264, 266 –– Breslauer  237, 240 –– entstehende  195, 203 –– österreichische  79, 271

Österreich  19 f., 29, 44 f., 48, 50, 52–61, 63, 76–88, 90, 94, 96, 98 f., 101–103, 105, 129, 132, 149, 163 f., 168, 174, 175, 178, 186, 190, 199 f., 214 f., 248, 263, 269, 269–272 Offizier, Offizierskorps, Offizierslaufbahn (s. a. Armee, Militär)  20, 31, 33, 49, 53, 63, 66 f., 74, 78–80, 84, 106–111, 114–117, 121, 126, 128, 131, 151 f., 159–165, 183– 185, 192, 218, 232, 238, 269, 271, 273 f. –– böhmischer 160 –– österreichischer  78, 164 –– preußischer  67, 80 –– schlesischer  108, 112, 114, 163, 165, 178 Oppeln 158 Orden der Eisernen Krone  53, 95, 97 Osteuropa 21 Ostpreußen 120 Parlamentarismus  174, 259 Patentrecht 237 Patriotismus, patriotisches Engagement  86, 87, 92, 184 f., 196, 198 f. Pilsen 201 Polizei  111, 144 f. Polizeipräsident, Polizeipräsidium  144, 236 Polnisch Bemdish (Gut)  138 Polnisch Schweinitz (Gut)  138 Pommern 120 Prag  21 f., 26, 44–52, 61, 63, 100, 102, 105, 161, 170, 175 f., 178, 192, 195 f., 201, 203, 206, 210, 212 f., 215, 217, 246, 249 f., ­252–254, 260 f., 269 f. –– Wenzelsplatz, Prager  97 Praktiken (s. Kulturpraktiken, zivilgesellschaftlich) Prestige  33, 67, 117, 119, 250, 254 –– gesellschaftliches  25, 35, 50, 66, 113 f., 117, 137, 164, 271 –– soziales 137 Preußen  15 f., 19 f., 22, 27–30, 32, 37, 42 f., 45, 50, 54–57, 59–61, 63–72, 74, 76–83, 86, 89 f., 102 f., 105, 107, 117 f., 122, 132 f., 135, 138, 157, 163, 174, 194, 222, 269–272 Professoren  47 f., 224, 230, 236 Provinz (s. a. Rheinprovinz)  21, 40, 42, 193, 212, 269 –– habsburgische  44 f. –– preußische  29, 120, 123 –– Schlesien  27, 29 f., 119–121, 127, 141 f., 147, 152–154, 225f, 228, 230 f., 233, 243

316 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370261 — ISBN E-Book: 9783647370262

Provinzial Kunstschule  228 Provinziallandtag, schlesischer  29 Provinzialzahlmeister, böhmischer in Prag  169 f. Provinzpräsidium, schlesisches  124 f., 130, 133, 135–137, 139, 143 f., 147–150, 156 f., 232 Reform(en) (s. a. Adelsreform, Agrarreform, Militärreform, Verfassungsreform, Verwaltungsreform)  15, 22, 45, 47, 53, 100, 118 f., 122, 176, 257 f. –– der Armee (s. a. Militärreform)  50, 67, 78 –– der Ständegesellschaft  74 –– des Schulsystems  95 –– Stein-Hardenbergsche  28, 29, 45, 141 Regierung  49, 51, 75, 122, 237, 258 Regierungsantritt (s. a. Huldigung)  40, 73, 131, 271, 274 Regierungspräsident, Regierungsvizepräsident  120, 236 Reichsgründung (s. a. Deutsches Reich)  17, 66, 177 Reichsrat, Wiener (österreichischer)  176 f. Reichstag, Reichstagsabgeordneter  94, 97, 174, 205 –– Kremsier  50, 92, 94 –– Wiener 174 Reichsverfassung, Frankfurter  33, 50 Reichtum  84, 144 f., 148, 155, 159, 178, 187, 205, 209, 244, 273 Repräsentation (s. a. Lebensstil, Selbstrepräsentation)  73, 224 –– adlige 12 –– äußerlich  151 f., 177, 226 Revolution (s. a. »Doppelrevolution«, deutsche)  14, 68, 73 –– 1848/1849 33, 37 f., 42 f., 49, 51, 56, 58, 60, 66–68, 75, 78 f., 84, 86–89, 91–94, 98, 109, 111 f., 141, 172 f., 177, 193, 200, 205, 209, 215, 242, 258 f., 262, 264 f., 271 –– Französische  32 f. –– industrielle 68 –– Polnische (1835)  124 –– »von oben« 15 Rheda (s. Kleinkindbewahranstalt) Rheinprovinz (s. a. Provinz)  63 Riesengebirge 173 Rittergut, Rittergutsbesitzer (s. a. Gut)  28, 42 f., 113, 124, 127, 130

Ritterstand (s. a. Adelsstand, Freiherrenstand, Fürstenstand, Grafenstand, Herzogsstand)  42, 52, 161, 167, 169 f., 172 f., 175, 182 f., 187–189, 191, 198, 216 –– österreichischer, erbländischer  92 f., 161, 166, 175, 185, 195, 197–199, 202, 255, 267 Ritterstandsdiplom 190 Robotauflösung 94 Rostok (Gut)  205, 207 Rudelsdorf (Gut)  143 Russland 29 Saarau (Gut)  238 Sankt-Stephans-Orden 53 Schafzüchterverein (s. Verein)  207 f. Schiedsrichter  26 f., 38, 42, 59, 61, 270 Schlesien  15, 20–22, 27–32, 41, 43 f., 49, 52, 54, 59, 63, 65, 89–91, 103–105, 109 f., 114, 119–121, 124, 127, 129, 131 f., 135, 138, 140–142, 147 f., 150–152, 155–160, 162– 165, 168, 171 f., 174, 177 f., 180, 182 f., 185, 187, 190, 193 f., 201, 217–219, 221 f., 225– 228, 230, 234, 240 f., 243, 249–251, 255 f., 267–269, 273–276 Schlesische Gesellschaft für Vaterländische Kultur 230 Schleswig (s. a. Holstein)  109, 216 Schloitz 107 Schutzzüchter-Verein für Böhmen (s. a. Verein)  201 Schweiz 77 Selbstrepräsentation (s. a. Lebensstil, Repräsentation)  222, 224 –– kulturelle  131, 225, 274 f. Smichov 209 Société d’Encouragement pour l’Industrie nationale 256 Sommeraufstand, Prager  91 Sophien-Akademie zur Förderung von Musik und Kunst  201, 216 f., 222, 251– 256, 265 Sozialgeschichte  11 f. –– Österreichs 48 Sozialkrise (s. a. Krise)  152, 173, 249 Spätaufklärung 73 Spenden, Spender (s. a. Kulturpraktiken)  55, 180, 191, 196, 203 f., 206, 208, 214, 218, 223–227, 229–231, 246–250, 254, 264, 266 Spital 216 –– Karlsbader 192

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–– zu Allerheiligen, Breslauer  222–227, 229, 231 f., 238, 246 f. Staat, Staatsapparat  13–23, 25–27, 49, 59, 63 f., 106, 163, 271, 274 –– kommunistischer 11 –– österreichischer, habsburgischer (s. a. Österreich, Habsburgermonarchie)  15, 45, 49, 51, 53–55, 57, 59, 61, 64, 77–81, 83 f., 86–89, 90–96, 98 f., 101–103, 105, 160, 163, 165–178, 180–182, 184, 186– 189, 191–204, 207, 209–213, 215–218, 222, 226, 247, 249–251, 254–256, 259, 261, 265–267, 269–273, 275 –– preußischer  27, 29–34, 36, 38, 41, 52, 54, 59, 64, 66–69, 71 f., 76, 105, 108–110, 116 f., 119, 121 f., 124–126, 129–132, 134, 139–146, 148–152, 154 f., 158 f., 165, 194, 217, 227–229, 231, 234–240, 242–246, 251, 265, 269–271, 274, 276 Staatsautonomie-Schule 14 Staatsbahn, Nördliche (s. a. Eisenbahn)  263 Staatsbeamte (s. Beamte)  20, 39, 49, 104, 117–119, 122, 128, 131, 165–170, 174, 209, 218, 237, 271 f., 274 Staatsbürokratie (s. Bürokratie)  118, 167 Staatsdienst  21, 64, 76, 83, 118 f., 123–129, 151, 166–168, 170 f., 175, 227, 233–235, 270, 274 Staatskanzleramt  37, 40 Stadtkasse, Prager  200 Statthalterei, Statthalter  58 f., 172 Statthaltereirat, Erster  172 Status (s. a. Adel)  13, 134, 254, 257 –– gesellschaftlicher  68, 233, 251, 270 –– rechtlicher 25 –– sozioökonomischer (sozialer, ökono­ mischer)  43, 81, 151, 168, 194, 238, 259 Steinau (Kreis)  130 Steyer 213 Stiftung, Adelsstiftung (s. a. Invaliden­ stiftung)  43, 60, 170, 186, 201, 210, 213, 233 f., 270 –– für Hilfsbedürftige  250 –– zur Förderung der tschechischen Wissenschaft 96 Studiengebühren (s. Taxen) Südpreußen  122 f. Tabakmonopol, österreichischer  100 Tachov 94 Taubstummeninstitut, Prager  201

Taxen, Gebühren  139, 188, 230 –– Bezahlung, Entrichtung  40 f., 56, 136, 167, 188–190 –– Erlass, Nachsicht  41, 162–164, 170, 185, 189 Teplitz  201, 260 Textildruckerei 248 Textilfabrik, Textilindustrie (s. a. Industrie)  47, 100, 102 Toleranzpatent (1781)  47 Tonkünstler, Prager  216 Transfer  20, 73, 194 Treibnitz (Kreis)  128 Triest 63 Ungarn  19, 63, 79, 264 Universität  21, 46, 234, 269 –– Berliner  30, 46, 123 –– Breslauer  30 f., 120, 126 f., 152, 224 –– in Frankfurt an der Oder  30 –– Prager (s. a. Karlsuniversität)  46 f., 94 Unternehmen, Unternehmer, Unternehmertätigkeit (s. a. Handel, jüdisch)  20, 31, 45, 83 f., 96, 100, 102 f., 106, 123, 132, 138, 141, 153–157, 159, 179 f., 182, 191, 196, 198–204, 206, 209–211, 213, 215, 229, 231, 242 f., 248 f. Urbanisierung  30, 63, 269 Verdienst, Verdienstprinzip  35 f., 50, 54, 72, 74–76, 78–80, 83 f., 95, 98 f., 107–116, 123, 125, 129 f., 132, 147, 149, 160, 166, 181, 192, 195, 197 f., 204, 208, 213–216, 232, 234, 250, 255, 266 –– berufliches  124, 128, 130, 176 –– eigenes, persönliches  163, 186 –– fachliches  97, 121, 126 –– familiäres  140, 166 f., 183, 186 –– militärisches, Kriegsverdienste  32, 50, 66, 72, 78, 107, 109–114, 117, 150, 161– 165, 183, 188, 191 f. –– nationales 97 –– wirtschaftliches, Finanzverdienste  84, 100, 147 f., 158, 179–181, 191, 197, 205, 208, 214, 248, 255 Verein, Vereinsleben, Vereinstätigkeit  64, 85–89, 96, 100, 105 f., 152, 201 f., ­204–208, 212, 214–217, 219, 221, 223, 230 f., 236, 238–241, 243–246, 257, 259 f., 262 f., 265, 276 –– böhmischer  88, 202, 206, 255

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–– für entlassene Sträflinge  201 –– für Handel und Gewerbe, allgemeiner industrieller 217 –– patriotischer Kunstfreunde  217 –– Prager  203, 260, 264 –– »Slovanská Lípa« 88 –– zur Beförderung einer freiwilligen Arbeits­a nstalt  201 –– zur Bewahrung und Pflege armer Säuglinge 210 –– zur Ermunterung des Gewerbsgeistes  86, 88, 201, 203, 210, 213, 216 f., 223, 256–267 –– zur Unterstützung der Hausarmen  206, 208 –– zur Versorgung und Beschützung erwachsener Blinder  201 –– zum Wohle hilfsbedürftiger Kinder  201, 213, 216 Vereinigte Staaten von Amerika (s. a. Nordamerika) 146 Vereinswesen, Vereinslandschaft (s. a. Kulturpraktiken, Verein)  87, 219, 221, 230, 241, 243, 245, 272, 275 Verfassungskonflikt, preußischer  140, 144 Verfassungsreform (s. a. Reform)  45 Verflechtung  20, 29, 237 Vergleich, Vergleichseinheit, Vergleichsfälle, Vergleichsländer, Vergleichs­ objekte  19–22, 27, 58 f., 61, 63, 65, 77, 81, 89, 102, 105, 114, 121, 150, 155, 163, 190, 213, 217, 222, 226, 246 Verhaltensmuster, Verhaltensnormen, Verhaltensweisen  16, 25 f., 28, 30–34, 47, 49–51, 55, 63, 104–106, 117, 126, 146, 148 f., 151 f., 154 f., 157, 159, 167, 177, 211, 217–219, 228, 233, 243, 274 f. –– bürgerliche 22 Verkehrsgesellschaft 213 Vermögen, Vermögensverhältnisse  25, 72, 84, 96, 110–117, 122–126, 128, 130– 132, 134 f., 138, 141–143, 145 f., ­148–151, 153 f., 156, 164 f., 171–173, 177–179, 182, 185–187, 189 f., 194, 196 f., 203, 213 f., 218 f., 226 f., 234 f., 238–240, 244, ­273–276 Versorgungsanstalt für ohne ihr Verschulden verunglückte Männer, für Witwen und Waisen  202 Verwaltungselite 64

Verwaltungsreform (s. a. Reform)  37, 45, 173 Vorbild  74, 120, 162, 260 f. –– ausländisches 218 –– Berliner 228 –– englisches, britisches  73–75, 90, 122, 177, 194, 271–273, 275 f. –– französisches 256 –– fremdes 82 –– kulturelles 15 Vormärz  33, 44, 48, 75, 83, 85, 88 f., 93 f., 101–103, 118, 126, 152, 172, 174, 195, 200, 212, 249, 253, 264, 274 Vorrechte –– adlige  33 f., 42 f., 59 f., 270 –– materielle  27, 35, 42 f., 59–61, 270 –– symbolische  27, 43, 60 f., 270 Wandel, Umwälzung  16, 18, 35, 54, 68, 71, 78, 118, 121, 198, 209, 262 –– demographischer  30 f., 46, 71 –– gesellschaftlicher  44, 68 –– politischer  68, 215 –– sozialer  16, 25–27, 49 –– von der »Adelsnation« zur »Volks­ nation« 221 –– wirtschaftlicher  27, 68 Wappen  38, 41, 43, 59–61, 139, 270 Wartenberg (Kreis)  143 Westeuropa 85 Westfalen  120, 262 Westgalizien (s. a. Galizien)  168 Wien  21, 47–49, 63, 102, 133, 175, 187, 189, 195, 197, 207, 217, 258, 264, 266, 269 Wildbahn (Gut)  124 Wirtschaftsbürger, Wirtschaftsbürgertum (s. a. jüdisch)  83 f., 158, 198 f., 204, 218, 222, 258, 263, 272 Wirtschaftselite (s. a. jüdisch)  48, 83, 103, 195, 214, 224, 229 f. Wirtschaftsmuster, traditionelle  28 Wirtschaftswachstum  182, 203 f., 210, 228, 236, 241, 248, 256, 259, 275 Wissenschaft, Wissenschaftler, Akademiker (s. a. Akademie der Wissenschaften)  20 f., 52, 64, 70, 72, 81 f., 84, 86 f., 89, 93, 96, 152, 168, 202, 207, 215, 255 Wissenschaftsförderung  86, 207 Witwen- und Waisensocietät (s. a. Verein)  202, 216 f.

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Wohltätigkeit (s. a. Kulturpraktiken)  88, 93, 149, 180, 182, 184, 192–194, 196 f., 199, 204, 206–208, 210, 212–215, 219, 225–227, 247–251, 253 f., 266 Zahradka (Gut)  183 Zbraslav 261 Zeitung –– Schlesische  141 f., 145, 224 –– Konservative Z. für Schlesien  141 Zentral-Comité zur Hebung des Wohlstands der Erz- und RiesengebirgsBewohner 217 Zentraleuropa  11, 14 f., 18–20, 23, 26, 31, 105, 221, 269 Zentralisierung 46 –– des Gesamtstaates, der Monarchie  45, 49 –– der österreichischen Verwaltung  44 Zivilgesellschaft  15, 85 f., 88–90, 99, 103, 105 f., 221–223, 228, 235 f., 238, 244, 251, 256, 259, 265, 268, 273, 275 f. –– böhmische  88, 219, 260, 272, 275 f. –– europäische, europäisch-amerikanische  84 f. –– österreichische  88, 90

–– schlesische 246 –– transnationale 221 zivilgesellschaftlich –– Akteure 99 –– Aktion 264 –– Aktivitäten  87–89, 272 –– Einstellungen und Werte  81, 102 –– Engagement  103, 106, 202, 247 –– Haltungen 85 –– Handeln  222, 245, 251, 263 –– Handlungsmuster  89, 102, 228, 266, 268, 275 f. –– Handlungsweisen  85 f., 106, 231 –– Ideale 99 –– Praktiken, Kulturpraktiken (s. a. Kulturpraktiken)  84–87, 99, 106, 219, 221 f., 231, 236, 238, 245 f., 255 f., 259, 265, 268, 276 –– Selbstorganisation 85 –– Strukturen  64, 85 f., 89 –– Tätigkeiten 267 Zivilisten (s. a. Adelsverleihung, Nobi­ litierung)  77, 87 –– nobilitierte, geadelte  68, 71, 89, 103, 165 Zollverein, Deutscher 258

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