Schwierige Situationen im Business-Coaching: Praxisbeispiele, Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten [1. Aufl.] 9783658310752, 9783658310769

Coaches begegnen in ihrer beruflichen Praxis einer Bandbreite von Situationen, die sie als schwierig erleben. Die Heraus

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German Pages XVII, 189 [203] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVII
Schwierige Situationen im berufsbezogenen Einzel-Coaching aus Sicht der Coachs: Eine empirische Betrachtung (Heidi Möller, Jannik Zimmermann)....Pages 1-16
Verhalten der Coachees (Heidi Möller, Jannik Zimmermann)....Pages 17-78
Herausforderungen bei psychischen Problemen der Coachees (Heidi Möller, Jannik Zimmermann)....Pages 79-88
Erwartungen der Coachees an die Coachs (Heidi Möller, Jannik Zimmermann)....Pages 89-118
Anspruchsvolle Arbeits- oder Lebensbedingungen der Coachees (Heidi Möller, Jannik Zimmermann)....Pages 119-123
Eigene Abgrenzung der Coachs (Heidi Möller, Jannik Zimmermann)....Pages 125-155
Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation (Heidi Möller, Jannik Zimmermann)....Pages 157-183
Schlussbetrachtungen (Heidi Möller, Jannik Zimmermann)....Pages 185-189
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Schwierige Situationen im Business-Coaching: Praxisbeispiele, Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten [1. Aufl.]
 9783658310752, 9783658310769

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Heidi Möller · Jannik Zimmermann

Schwierige Situationen im Business-Coaching Praxisbeispiele, Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten

Schwierige Situationen im Business-Coaching

Heidi Möller • Jannik Zimmermann

Schwierige Situationen im Business-Coaching Praxisbeispiele, Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten

Heidi Möller Institut für Psychologie Universität Kassel Kassel, Deutschland

Jannik Zimmermann Institut für Psychologie Universität Kassel Kassel, Deutschland

ISBN 978-3-658-31075-2    ISBN 978-3-658-31076-9 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31076-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi­bliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Fotonachweis Umschlag: © fizkes / Adobe Stock Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Warum dieses Buch? Schon wieder ein Buch über Coaching …! Die Publikationslandschaft ist nicht gerade arm an Veröffentlichungen zum Thema Business-Coaching. Folgen wir Scherf (2010), finden wir auf der einen Seite vor „Eindeutigkeit strotzende Beratungskonzepte“ (vgl. Scherf 2010, S.  11) vor und auf der anderen Seite einen deutlichen Mangel an Beratungsforschung. Die Coaching-Forschung entwickelt sich munter weiter, ist aber v. a. in englischsprachigen Journalen zu finden, zu denen die Expertinnen der Praxis keinen Zugang haben und die sie oft auch als wenig inspirierend und instruierend empfinden. Der Gap zwischen erfahrungsgestütztem Praxiswissen und theoriegeleiteter Beratungsforschung ist oft beschrieben worden (vgl. Kotte et al. 2015; Möller et al. 2014; Scholl et al. 2018). Als geschlossen können wir den Graben hingegen keineswegs bezeichnen.

Was ist unsere Intention? Was machen wir anders? Böse gesprochen, finden wir in vielen Coaching-Publikationen Fallvignetten, die unter dem Motto Heldengeschichten zu betrachten sind. „Den Autoren der Beiträge geht es nicht um wissenschaftliche Reflexion, sondern um das Vermarkten der eigenen Person oder Firma“ (Scherf 2010, S. 12). Die Herausforderungen, die Zweifel, die Schwierigkeiten und das Scheitern werden nur selten zum Thema gemacht. Ähnliche Phänomene lassen sich für Coaching-Kongresse beschreiben, bei deren Besuch wir uns oft fragen: Geht es hier um das Ringen um Erkenntnis, um kritisches professionelles Hinterfragen oder nehmen wir an einer Werbeveranstaltung teil, die wir nicht gebucht hatten? Wenn Coachs ihre Veröffentlichungen und öffentlichen Auftritte zu Marketingzwecken nutzen, wäre das Zeigen der Schattenseite  – so zumindest die Annahme, der wir nicht folgen – das Ziel verfehlend. In den meisten Beiträgen laufen die Prozesse wie geschmiert. Keine freiberufliche Coach schreibt über Schwierigkeiten, ausreichend Kunden zu bekommen, über die Angst, die Coachees könnten abbrechen oder sie den auftauchenV

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den ­Phänomenen in den Coaching-Gesprächen nicht gerecht werden. Wie sagte ein Kollege zutreffend: „Nirgends wird so viel gelogen, wie in der Beraterbranche!“ Aber wie will die Experten-Community der Arbeitswelt zu mehr Fehlerfreundlichkeit, Aufrichtigkeit und Humanität verhelfen, wenn wir nicht bei uns selbst anfangen. In Intervisionsgruppen und in der Supervision von Coachs scheint es zu gelingen, dort können Mühen und Fragen benannt werden. Vor dem Hintergrund einer vertrauensvollen Beziehung zu einer Supervisorin (vgl. Müller et al. 2020) stellt man und frau sich drängenden Anliegen. Ausgangspunkt unserer Überlegung war, dass die Besprechung von schwierigen Situationen im Coaching auch öffentlich stattfinden kann. Wie kann gemeinsames Lernen und die Weiterentwicklung der Coaching-Community gelingen, wenn nicht durch mutige Konfrontation mit Herausforderungen – mögen sie denn bei uns selbst oder aber bei den Coachees oder unserer Interaktion zu verorten sein? Wir denken, dadurch, dass wir auf „impression management“ verzichten und uns in unserer Verunsicherung und im Ringen um einen guten Weg für unsere Kundinnen zeigen, kommen wir zu einer Perspektiverweiterung. Mit unserem Buch wollen wir die Idee vertreiben, dass sich in Schwierigkeiten zu zeigen, schlecht für das Image, den Berufsstand und das Portemonnaie sei. Wir danken allen Untersuchungspartnerinnen, dass sie das Wagnis eingegangen sind und sich in den für sie als schwierig erlebten Situationen im Coaching gezeigt haben. Den Anfang unserer Untersuchung setzte eine Online-Studie: Schwierige Situationen im (Einzel-)Coaching, an der sich inzwischen mehr als 70  Coachs beteiligt haben. Die Ausführlichkeit der Schilderungen, um die wir gebeten hatten, der Detailreichtum der Darstellungen und der Mut der Kollegen haben uns überrascht und gefreut. Die Auswertungen der Studie finden sie im ersten Kapitel, das Silja Kotte mitverantwortet. Wir danken ihr an dieser Stelle noch einmal für ihren Beitrag und ihre wertvollen Impulse. Die aus der Mixed-Methods-Studie heraus entwickelte Clusterbildung setzt die weitere Struktur des Buchs. Diese zweite, qualitative Studie zeigt die Ergebnisse von neun Gruppendiskussionen mit erfahrenen Coachs im deutschsprachigen Raum. Die Kolleginnen sagten auf Anfrage hin begeistert zu und opferten viel Zeit und Konzentration, die transkribierten Ergebnisse der Gruppendiskussionen zu verschriftlichen. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an alle Beteiligten! Die Gruppendiskussionen erlebten wir alle als bereichernd und Horizonte eröffnend. Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile, diese Erfahrung durften wir miteinander machen. Die Gespräche als „joint cummunity“ öffneten das Denken und bereiteten uns allen viel Freude. Dieses Erleben möchten wir gern an unsere Leser und Leserinnen weitergeben. Auch Sie werden beim Lesen der Praxisbeispiele vermutlich an eigene Fragestellungen erinnert werden. Schon die Lektüre wird eigene Hypothesenbildung in Gang setzen. Sie werden Ihre Antworten darauf finden, wie denn die schwierig erlebten Situationen zustande kamen (diagnostische Perspektive). Auch Sie werden Ideen haben, was Sie in einer solchen Situation tun würden (Interventionsperspektive). Lassen Sie sich überraschen, welche Gedanken erfahrene Coachs, prominente und

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weniger prominente Vertreterinnen dieses ­B erufsstands zu den Fallvignetten haben. Manche werden ihren Annahmen ähnlich sein und hoffentlich viele auch ganz anders, neu und bereichernd sein. Die Praxisbeispiele der schwierigen Situationen in diesem Buch orientieren sich inhaltlich sehr eng an dem, was uns die Coaching-Community zur Verfügung gestellt hat. Wo es notwendig war, um die Anonymität maximal zu gewährleisten, haben wir ein wenig verändert. Sicherlich fehlte uns an der einen oder anderen Stelle eine Menge an Information: Aber wir konnten nicht nachfragen und mussten uns in den Gruppendiskussionen mit den gegebenen Informationen zufriedengeben. Oft war auch das Geschlecht des berichtenden Coachs oder der Coach nicht ersichtlich. Wir haben uns deshalb für dieses Buch dazu entschieden, die Geschlechter wild im Text zu würfeln. Wenn wir nicht wussten, ob Coach und/oder Coachee als Weiblein oder Männlein schreibt, dann variierten wir die Sprache willkürlich. Gleiches galt bei der Nennung anderer Personen- und Professionsgruppen, wie Mitarbeiterinnen, Vorständen oder Geschäftsführerinnen. Das mag zunächst seltsam anmuten, es ist unseres Erlebens nach aber leserinnenfreundlicher, als immer von der/die Coach zu sprechen.

Zum Schluss Wir hoffen mit den ausgewählten schwierigen Situationen auch Weiterbildungskandidaten in Coaching-Ausbildungen zu erreichen. Die Fragen zu Beginn des Erwerbs eines neuen Berufs sind zahlreich. Diese Vignetten auch für die Didaktik des Coachings zu nutzen, scheint uns ratsam. Den erfahrenen Coachs gleichsam bei der Arbeit zuzuschauen, ihnen ins Hirn zu gucken, mag Sie alle inspirieren und bereichern! Viel Freude beim Lesen wünschen KasselHeidi Möller Juni 2020 Jannik Zimmermann

Literatur Kotte, S., Oellerich, K., Schubert, D., & Möller, H. (2015). Das ambivalente Verhältnis von Coachingforschung und -praxis: Dezentes Ignorieren, kritisches Beäugen oder kooperatives Miteinander? In A. Schreyögg, & C. Schmidt-Lellek (Hrsg.), Die Professionalisierung von Coaching. Ein Lesebuch für den professionellen Coach (S.  23–45). Wiesbaden: Springer. Möller, H., Oellerich, K., Schubert, D. E., & Kotte, S. (2014). Beratungsforschung mit, für oder ohne die Praxis? Organisationsberatung, Supervision, Coaching, Jubiläumsband, 2, 313–327.

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Müller, A. A., Kotte, S., & Möller, H. (2020). Coach and No Regrets About It: On the Life Satisfaction, Work-Related Mental Strain, and Use of Supervision of Workplace Coaches. Coaching: An International Journal of Theory, Research and Practice, 13(1), 16–29. https://doi.org/10.1080/17521882.2019.1636841. Scholl, W., Greif, S., & Möller, H. (2018). (Wie) Können Coaching-Praktiker*innen von Wissenschaft lernen? In S. Greif, H. Möller, & W. Scholl (Hrsg.), Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching (S. 11–21). Heidelberg: Springer. Scherf, M. (2010). Strukturen der Organisationsberatungsinteraktion: Objektiv hermeneutische Untersuchung zur Professionalisierungsbedürftigkeit der Organisationsberatung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Inhaltsverzeichnis

1 Schwierige Situationen im berufsbezogenen Einzel-Coaching aus Sicht der Coachs: Eine empirische Betrachtung����������������������������������������������   1 1.1 Fallbeispiel����������������������������������������������������������������������������������������������������   1 1.2 Einleitung������������������������������������������������������������������������������������������������������   2 1.3 Schwierige Situationen in der Coaching- und Therapieforschung ��������������   3 1.4 Kasseler Studie zu schwierigen Situationen im Coaching aus Sicht der Coachs ������������������������������������������������������������������������������������������   4 1.4.1 Fragestellungen und Methode����������������������������������������������������������   4 1.4.2 Ergebnisse ����������������������������������������������������������������������������������������   6 1.4.3 Diskussion����������������������������������������������������������������������������������������  11 1.5 Fazit und Ausblick����������������������������������������������������������������������������������������  13 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  14 2 Verhalten der Coachees ��������������������������������������������������������������������������������������  17 2.1 Praxisbeispiel 1 ��������������������������������������������������������������������������������������������   17 2.2 Praxisbeispiel 2 ��������������������������������������������������������������������������������������������   23 2.3 Praxisbeispiel 3 ��������������������������������������������������������������������������������������������   29 2.4 Praxisbeispiel 4 ��������������������������������������������������������������������������������������������   35 2.5 Praxisbeispiel 5 ��������������������������������������������������������������������������������������������   40 2.6 Praxisbeispiel 6 ��������������������������������������������������������������������������������������������   45 2.7 Praxisbeispiel 7 ��������������������������������������������������������������������������������������������   52 2.8 Praxisbeispiel 8 ��������������������������������������������������������������������������������������������   55 2.9 Praxisbeispiel 9 ��������������������������������������������������������������������������������������������   60 2.10 Praxisbeispiel 10 ������������������������������������������������������������������������������������������   63 2.11 Praxisbeispiel 11 ������������������������������������������������������������������������������������������   67 2.12 Praxisbeispiel 12 ������������������������������������������������������������������������������������������   71 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  75 3 Herausforderungen bei psychischen Problemen der Coachees ����������������������  79 3.1 Praxisbeispiel 13 ������������������������������������������������������������������������������������������   79 3.2 Praxisbeispiel 14 ������������������������������������������������������������������������������������������   84 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  88 IX

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Inhaltsverzeichnis

4 Erwartungen der Coachees an die Coachs��������������������������������������������������������  89 4.1 Praxisbeispiel 15 ������������������������������������������������������������������������������������������   89 4.2 Praxisbeispiel 16 ������������������������������������������������������������������������������������������   97 4.3 Praxisbeispiel 17 ������������������������������������������������������������������������������������������ 103 4.4 Praxisbeispiel 18 ������������������������������������������������������������������������������������������ 107 4.5 Praxisbeispiel 19 ������������������������������������������������������������������������������������������ 112 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 117 5 Anspruchsvolle Arbeits- oder Lebensbedingungen der Coachees������������������ 119 5.1 Praxisbeispiel 20 ������������������������������������������������������������������������������������������ 119 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 123 6 Eigene Abgrenzung der Coachs�������������������������������������������������������������������������� 125 6.1 Praxisbeispiel 21 ������������������������������������������������������������������������������������������ 125 6.2 Praxisbeispiel 22 ������������������������������������������������������������������������������������������ 133 6.3 Praxisbeispiel 23 ������������������������������������������������������������������������������������������ 136 6.4 Praxisbeispiel 24 ������������������������������������������������������������������������������������������ 141 6.5 Praxisbeispiel 25 ������������������������������������������������������������������������������������������ 148 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 154 7 Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation���������������������������������������������� 157 7.1 Praxisbeispiel 26 ������������������������������������������������������������������������������������������ 157 7.2 Praxisbeispiel 27 ������������������������������������������������������������������������������������������ 161 7.3 Praxisbeispiel 28 ������������������������������������������������������������������������������������������ 165 7.4 Praxisbeispiel 29 ������������������������������������������������������������������������������������������ 167 7.5 Praxisbeispiel 30 ������������������������������������������������������������������������������������������ 172 7.6 Praxisbeispiel 31 ������������������������������������������������������������������������������������������ 175 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 182 8 Schlussbetrachtungen������������������������������������������������������������������������������������������ 185 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 189

Personenverzeichnis

Carla Albrecht Dr.  Dipl.-Psych., Geschäftsführerin von M19 Manufaktur für Organisationsberatung; psychodynamisch-systemische Organisationsberaterin und Coach im Profit- und Non-Profit-Bereich, systemische Paar- und Familientherapeutin; Tätigkeitsschwerpunkte: Organisationskulturentwicklung, Förderung weiblicher Führungskräfte und Umgang mit Belastungen in verschiedenen Lebensbereichen. Thomas  Bachmann PD Dr.  Dipl.-Psych.; Gründungsmitglied und Partner der artop GmbH, Beratungs-, Ausbildungs- und Forschungsinstitut an der Humboldt-Universität zu Berlin; Studium der Arbeits- und Organisationspsychologie, Klinischen Psychologie sowie Informatik; wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl für Methodenlehre und Statistik, 1997 Promotion in Kognitiver Psychologie, 2019 Habilitation u. a. zu Systemtheorie und Gestalttherapie. Seit 1993 Berater, Trainer und Coach (DBVC, ICF, IOBC), seit 2001 Ausbilder und Lehrtrainer für Coachs und Berater. Ulrich Beumer Dr.  Dipl.-Päd., Coach und Supervisor (DGSv) mit zahlreichen psychoanalytischen und psychodynamischen Weiterbildungen. Seit 1987 als Coach, Supervisor, Trainer und Managementberater tätig. Gesellschafter und Geschäftsführer der inscape gGmbH, einem Fortbildungs- und Beratungsinstitut für Organisationsberatung, Coaching und Training mit Sitz in Köln; Gastwissenschaftler am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt a. M., Arbeitsbereiche: Coaching-Forschung im Schwerpunkt Psychoanalyse und Gesellschaft; Mitglied der International Society for the Psychoanalytic Study of Organizations (ISPSO). Claudia Beutter  Lic. phil. Psychologin; Dozentin und Beraterin am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW); Coach, Supervisorin und Organisationsberaterin BSO; Master in Consulting & Coaching for Change. Arbeitsschwerpunkte: Organisationsentwicklung und Change-­ Consulting. Kontakt: [email protected] Uwe Böning Dr.  Dipl.-Psych. und Klinischer Psychologe (DGVT); geschäftsführender Gesellschafter der BÖNING-CONSULT® GmbH; Senior Business-Coach (DBVC; IOBC) XI

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und Managementberater. Mitinitiator und Mitbegründer des DBVC; Autor und Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten (Fontainebleau, Osnabrück, Freiburg, Mannheim, Frankfurt); Managementberater und Business-Coach auf Top-Management-/Executive-­ Ebene in Dax-Unternehmen und dem großen Mittelstand. Schwerpunktthemen: Führung, Zusammenarbeit, Konflikt- und Stressmanagement. Gilt als einer der Pioniere des Business-­Coaching in Deutschland. Isabell Braumandl  Dipl.-Psych., Dipl.-Ök., Sportpsychologin; Inhaberin/Geschäftsleitung des Coaching- & Beratungs-Centrums Regensburg; Lehrbeauftragte und Dozentin an der Universität Salzburg (u. a. Karriere- und Projekt-Coaching) sowie an verschiedenen anderen Einrichtungen (z. B. SMBS Salzburg Management Business School, OTH Regensburg, SRH Hochschule Berlin). Kontakt: www.cobece.de Claudia Bredt  Organisationsberaterin (M.A.), Supervisorin (DGSv); Lehrtätigkeit in der Erwachsenenbildung und Lehrerausbildung; Projektentwicklungen zu Selbstwirksamkeit in Organisationen; Lehrbeauftragte im Masterstudiengang COS an der Universität Kassel; Lehrsupervisiorin an der International Psychoanalytic University Berlin und der Universität Kassel. Agnes Büchele Dr.  Psych. Psychotherapeutin, Supervisorin, Coach; Leitung des Zentrums für angewandte Psychologie, Frauen- und Geschlechterforschung, Köln; Studium der Psychologie, Philosophie, Pädagogik und Sportwissenschaften in Innsbruck, Promotion in der Psychologie. Lehrbeauftragte und Lehrsupervisorin an der Universität Kassel. Schwerpunkt der Beratung: gendersensibel. Kontakt: www.buechele-beratung.de Peter  Döring  Dipl.-Psych., Psychoanalytiker (DGPT, DPG), Gruppenlehranalytiker (D3G), Supervisor und Organisationsberater. Psychoanalytiker und Berater in eigener Praxis; Vorsitzender des Lou Andreas-Salomé Instituts für Psychoanalyse und Psychotherapie Göttingen. Schwerpunkte: Organisations- und Teamentwicklung, Führungskräfteentwicklung und Einzelberatung, mentalisierungsbasierte Psychotherapie. Kontakt: www.peter-doering.de Klaus  Eidenschink  Studium der Theologie, Philosophie und Psychologie; Organisationsberater, Coach-Ausbilder, Exekutive-Coach, Supervisor, Keynote-Speaker, Publizist; Leiter eines psychotherapeutischen Instituts, Gründer und Leiter vom HEPHAISTOS, Coaching-Zentrum München für Aus- und Fortbildungsgänge für Trainer und Berater; Hintergrund seines Beratungsstils sind langjährige Ausbildungen und Erfahrungen in humanistischen und tiefenpsychologischen Psychotherapieverfahren, Systemtheorie, Gruppendynamik, systemischer Beratung, Organisations- und Führungspsychologie sowie Konfliktforschung.

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Beate  Fietze Dr.  Dipl.-Soz., Dipl.-Psych., Promotion an der Berlin Graduate School of Social Sciences der Humboldt-Universität Berlin; Forschung und Lehre an verschiedenen Universitäten, 2013–2016 Forschungsbeauftragte der Deutschen Gesellschaft für Supervision e.  V.; u.  a. wiss. Beirätin des Roundtable Coaching e.  V. und Mitherausgeberin der Zeitschrift Organisationsberatung, Supervision, Coaching. Seit 2003 selbstständige Beraterin und Coach; 2007–2008 Personalmanagerin eines Ministeriums des Landes Brandenburg; seit 2016 Beraterin bei der artop GmbH, Beratungs-, Ausbildungs- und Forschungsinstitut an der Humboldt-Universität zu Berlin. Kontakt: www.artop.de/team/dr-beate-fietze/ Edeltrud Freitag-Becker  Beraterin für Organisationsentwicklung, Supervisorin (DGSv), Coach und Trainerin, Ausbilderin und Lehrsupervisorin in der Supervisionsweiterbildung; Gesellschafterin der inscape-group; seit vielen Jahren in unterschiedlichen Organisationen und Branchen beratend tätig. Brigitte Fritschle  Geschäftsführender Gesellschafter der BÖNING-CONSULT® GmbH; Business-Coach, Management- und Organisationsberaterin; Co-Autorin von Fachbüchern und anderen Medienbeiträgen; Leiterin von Change-Projekten: Reorganisation, Prozess-­ Optimierung, Post Merger Integration, Komplementärberatung; berufliche Umsteigerin aus Leidenschaft. Bis 1985 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Motto: Allein geht immer, zusammen geht besser. Der Gestaltung wegen. Regina Gibhardt  Mehrere Coaching-Ausbildungen und über 20 Jahre Erfahrung in systemischen Familienaufstellungen; begleitet seit drei Jahrzehnten Unternehmen in deren Wachstums- und Veränderungsprozessen; vor ihrer Selbstständigkeit Tätigkeit als Führungskraft in einem mittelständischen Unternehmen; Expertin an der Schnittstelle zwischen Organisation und Mensch; eigene Coaching-Praxis in Kassel. Kontakt: info@ regina-­gibhardt.de, www.regina-gibhardt.de Thomas Giernalczyk Prof. Dr.  Dr. phil., geschäftsführender Gesellschafter der M19-Manufaktur für Organisationsberatung GmbH; Psychoanalytiker und Honorarprofessor für Psychologische Interventionen und Therapie an der Fakultät der Humanwissenschaften der Universität der Bundeswehr in München. Mitbegründer des Instituts für Psychodynamische Organisationsberatung München (IPOM). Arbeitsschwerpunkte: Kulturentwicklung, Change-Begleitung und Coaching. Ursula Hermann Dr.  Selbstständige Supervisorin, Coach (ÖVS), Unternehmensberaterin, Lehrsupervisorin; Lehrbeauftragte an der Fachhochschule St. Pölten (Department Soziales), der Universität Bielefeld (Masterlehrgang Supervision und Beratung) und verantwortlich für die inhaltliche Leitung des Lehrgangs für Supervision und Coaching an der Fachhochschule Vorarlberg/Schloss Hofen. Kontakt: [email protected], www.ursula-hermann.at

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Eva Jonas Prof. Dr.  Dipl.-Psych., Dipl.-Volksw.; Leiterin der Abteilung Sozialpsychologie am Fachbereich Psychologie, Universität Salzburg; Leiterin postgraduierter Studiengänge, Coach/Supervisorin ÖVS, Salzburg. Andreas Knierim Dr.  Studium der Wirtschaftswissenschaften; seit über 20 Jahren in der Prozessberatung tätig; spezialisiert auf Einzel-Coaching für Unternehmerinnen und Führungskräfte mit Praxis in Kassel; begleitet Inhaber, Geschäftsführerinnen, Doppelspitzen und Übernehmerinnen in Familienunternehmen im beruflichen und persönlichen Wachstum; stammt selbst aus einem Familienunternehmen, widmet sich in der Inneren Werkstatt systemischen Zusammenhängen, dem Coaching-Schreiben und den kreativen Entwicklungen im Atelier. Kontakt: [email protected], www.knierim.coach, www.coachingschreiben.de, www.innerewerkstatt.de Wolfgang Knopf Dr.  Dr. phil., Supervisor und Coach (ÖVS), Lehrsupervisor, Managementtrainer, Erwachsenenbildner und Gruppendynamiker; Leitung des Universitätslehrgangs Supervision und Coaching an der Universität Wien – SuCo (gemeinsam mit Kornelia Steinhardt); Lehrender in der Supervisionsausbildung an der Universität Zagreb und Triangel Berlin. Silja  Kotte Prof. Dr.  Dipl.-Psych., Coach/Supervisorin (DGSv); Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Frankfurt a. M.; mehrjährige Erfahrung als angestellte Beraterin und als strategische Personalentwicklerin. Promotion zu Leadership Development sowie Habilitationsvorhaben zu Coaching an der Universität Kassel. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Coaching, Supervision, Führung, Personalentwicklung, Gruppen- und Teamprozesse. Freiberufliche Beratungs- und Trainingstätigkeit im Profit- und Non-Profit-Bereich. Wissenschaftliche Leitung des M.  Sc. Supervision und Coaching an der Fachhochschule Vorarlberg/ Schloss Hofen. Sebastian Kunert Dr.  Dipl.-Psych., systemischer Berater, gestaltpsychologischer Coach, zertifizierter Trainer und ehemaliger Fachhochschulprofessor; Fokus in der Coachingpraxis liegt auf Führungskräften und Executives mit primär rollenbezogenen Fragestellungen. Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Organisation, Kultur, Changemanagement, Führung und Scheitern. Berät neben Coaching Unternehmen und Behörden in komplexen Wandelprozessen, unterstützt Teamentwicklungsprozesse und moderiert verschiedenste (Großgruppen-)Formate. Sandrina  Lellinger  Bildungswissenschaften (M.A.), Systemische Coach, Systemische Organisationsberaterin und Supervisorin bei der artop GmbH, Beratungs-, Ausbildungsund Forschungsinstitut an der Humboldt-Universität zu Berlin; Studium der Bildungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Forschung und Entwicklung in Organisationen, der Erzie-

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hungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung sowie der Psychologie und Philosophie. Langjährige Erfahrungen im Management sozialer Organisationen; derzeit in Ausbildung zur Gestalttherapeutin. Tom  Levold  Sozialwissenschaftler und Publizist, Lehrtherapeut, lehrender Supervisor und lehrender Coach (SG); nach langjähriger Tätigkeit in der Jugendhilfe seit 1989 in eigener Praxis als Coach, Supervisor und Paartherapeut in Köln tätig; zahlreiche Veröffentlichungen zur systemischen Theorie und Praxis; Lehrtätigkeiten im In- und Ausland. Mitherausgeber von Kontext, Herausgeber von systemagazin – Online-Journal für systemische Theorie und Praxis. Eric  Lippmann Prof. Dr.  Psychologe, Soziologe und Publizist; Weiterbildungen in Paar-/Familientherapie, Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung. Leitung des Zentrums Leadership, Coaching & Change Management am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Tätigkeitsschwerpunkte: Co-Leitung des MAS Coaching, Supervision & Organisationsberatung am IAP, Führungskräfteentwicklungen und Coaching. Publikationen u.  a. zu Führung, Coaching, Intervision und Identität. Mathias Lohmer Dr.  Dipl.-Psych., Psychoanalytiker (DPV/IPA), Organisationsberater, Coach und Supervisor; Mitbegründer von IPOM (Institut für psychodynamische Organisationsberatung München) und M19-Manufaktur für Organisationsberatung. Dozent an der IPU-Berlin und der Universität Kassel. Magret Lüdemann  Dipl. Soz.; selbstständige Beraterin für Supervision, Coaching und Organisationsberatung in Hamburg; Lehrsupervisorin und Seniorcoach in der Weiterbildung. Achim Mollbach Dr.  Studium der Psychologie und Wirtschaftswissenschaften/Organisationslehre; Managementberater und Coach für Unternehmen unterschiedlicher Branchen; berät zu Organisations- und Unternehmensentwicklung und zum Change Management; bietet Einzel- und Teamcoaching für Führungskräfte und Managementteams; begleitet Nachfolgeprozesse insbesondere in Familienunternehmen. Dozent in der Ausbildung von Coachs und Beratern. Klaus  Obermeyer  Psych.  Psychotherapeut, Supervisor und Coach (DGSv), Mediator (BMWA); Freiberuflicher Supervisor, Coach und Mediator in Hamburg; Co-Leiter des Triangel-Instituts für Supervision, Coaching und Mediation Berlin, Hamburg. Joachim Sauer Ao. Univ. Prof. i. R. Dr.  1970–2008 am Fachbereich Psychologie der Universität Salzburg (Abt. für Sozial- und Organisationspsychologie), 1987–2012 Leiter

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Personenverzeichnis

des Universitätslehrgangs für Supervision/Coaching. Forschungsschwerpunkte: Intelligenzforschung, Bildungsforschung, Wirksamkeit von Psychotherapie & Supervision, Burn-out-, Suizidprävention. Aktuell tätig: Klinischer & Gesundheitspsychologe, Personzentrierter Psychotherapeut (ÖGWG), Supervisor/Coach (ÖVS) in freier Praxis, Lehrsupervisor für Psychotherapie & Supervision/Coaching, Mitglied des Instituts für Supervision und Organisationsentwicklung in Wien. Sandra Julia Schiemann Dr.  Dr. rer. nat.; Postdoc der Abteilung Sozialpsychologie der Universität Salzburg mit Forschung im Bereich Coaching und Training (hier auch Harvard Medical School Affiliate). Zudem für die Coaching-Ausbildung und Mentoring-­ Ausbildung mitverantwortlich sowie als Coach tätig. Zertifizierte Karriere-Coach (Universität Salzburg), zertifizierte Trainerin für soziale Kompetenzen (LMU München), zertifizierte Mentorin (LMU Center for Leadership & Peoplemanagement), Zertifikat für Unternehmensgründung (LMU München) und zertifizierte Yogalehrerin (Yogalehrerausbildung München). Kornelia Steinhardt Dr.  Coach und Supervisorin (ÖVS), Organisationsberaterin, Psychoanalytikerin (WPV), Gruppenanalytikerin (ÖAGG) und Lehrsupervisorin; Leitung des Universitätslehrgangs Supervision und Coaching an der Universität Wien; war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungswissenschaft an der Universität Wien; Netzwerkpartnerin der beraterInnengruppe naschmarkt (Wien), Mitglied des Instituts für Supervision und Organisationsentwicklung (Wien). Kontakt: [email protected] Peter Uffelmann  Systemisch-integrativer Coach; Geschäftsführer Competto Consulting Network GmbH in Greifenberg; Senior Business Consultant bei bcs-people GmbH in Dreieich; Experte für Entwicklungs -und Veränderungsprozesse in der Gestaltung kraftvoller Beziehungsarchitekturen an der Schnittstelle Digitalisierung, Führung und Kollaboration. Robert Wegener Dr.  Co-Leiter der Coaching Studies FHNW, Dozent für Coaching im MAS Coaching und Leiter verschiedener CAS-Kurse. Seit 2010 Leitung des Internationalen Coachingkongresses „Coaching meets Research“. Fokusthemen (u. a.): Analyse und Steuerung Bedeutsamer Momente im Coaching. Seit 2020 Mitherausgeber der Zeitschrift Coaching Theorie und Praxis; Veröffentlichung verschiedener Publikationen als Initiator und Mitherausgeber, z. B. „Bedeutsame Momente im Coaching“, „Coaching-­Praxisfelder“ und „Coaching und Gesellschaft“. Aktuell Forschungstätigkeit zu künftigen Szenarien im Coaching (gemeinsam mit Prof. Dr. Carsten Schermuly) und dem Einsatz psychologischer Tests im Coaching. Seit 2010 Business-Coach in eigener Praxis mit Fokus auf Einzel-, Team-Coachings und Coaching-Supervision.

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Eugen Würz  Mag., Msc., Mediator, Coach, Supervisor (ÖVS) und Organisationsberater, Trainer in der Erwachsenenbildung, Personalangelegenheiten bei Rettet das Kind Salzburg gGmbH. Arbeitsschwerpunkte: Multiplikatoren in der Jugendarbeit, Mentalbereich ­Leistungssport, Coaching, Supervision im Sozialpädagogischen- und Sozialbereich, Multiplikatorinnenarbeit mit Menschen mit Behinderung.

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Schwierige Situationen im berufsbezogenen Einzel-Coaching aus Sicht der Coachs: Eine empirische Betrachtung

1.1

Fallbeispiel

Ich kannte die Coachee aus einer früheren Zusammenarbeit, die ungefähr ein Jahrzehnt zurückliegt. Damals war sie in einer Pflegeeinrichtung tätig und befand sich in einer Sandwich-­Position, unter der sie litt. Sie war als Teamleiterin für ihr eigenes Team verantwortlich und stand unter dem starken Druck ihrer Leitung: Die Arbeit mit den Patienten und Patientinnen sollte effizienter werden. Außerdem kämpfte sie mit zunehmenden körperlichen Beschwerden an der Halswirbelsäule. Das frühere Coaching ermöglichte es ihr, mehr Verständnis für ihre eigene Position zu entwickeln und ihre Position besser handzuhaben. Ebenfalls lernte sie, ihre eigene Leistung besser ein- und wertzuschätzen und entwickelte Pläne, wie sie sich eine neue Berufsperspektive aufbauen könnte. Diese neue Berufsperspektive sollte für ihre Gesundheit förderlich sein. Nun suchte sie mich erneut auf, um gecoacht zu werden. Die Coachee war vor einiger Zeit längerfristig krankgeschrieben und anschließend arbeitslos geworden. Sie strebte nach eigener Aussage eine Frühverrentung an. Zwar hatte sie sich für eine andere Arbeit qualifiziert, konnte dieser aber aus gesundheitlichen Gründen nicht nachgehen. In unserem jetzigen Coaching erlebte ich ihre Problematik als äußerst komplex. Die Erkrankung der Coachee ging mit starken körperlichen und psychischen Problemen einher. Außerdem kämpfte sie mit der eigenen Arbeitslosigkeit und der damit zusammenhängenden gesellschaftlichen und persönlichen Abwertung der eigenen Person. Für mich als Coach war es schwierig, mit der Coachee nicht fortschrittsorientiert zu arbeiten, sondern vor allem an der Akzeptanz der Lebenssituation und der Erhaltung des Selbstrespekts orientiert zu sein. Mir wurde klar, wie erfolgs- und fortschrittsorientiert ich selbst bin – das Coaching konfrontierte mich mit meinen eigenen Ansprüchen an mich selbst und meiner eigenen Begrenztheit.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Möller, J. Zimmermann, Schwierige Situationen im Business-Coaching, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31076-9_1

1

2

1.2

1  Schwierige Situationen im berufsbezogenen Einzel-Coaching aus Sicht der Coachs …

Einleitung

Dieses Fallbeispiel stammt von einem Coach, der von uns zu schwierigen Situationen im Coaching befragt wurde. Wir wollten mehr darüber erfahren, welche Situationen1 es genau sind, die Coachs in ihrer professionellen Praxis als schwierig erleben und wie sie diese handhaben. Aus der Situationsforschung (vgl. Rauthmann et al. 2014; Sherman et al. 2013) ist bekannt, dass intersubjektive Wahrnehmungen, Beschreibungen und Bewertungen ein und derselben Situation häufig ähnlich sind. Gleichwohl kann es durchaus auch zu intersubjektiven Unterschieden kommen. Hierbei spielt der Prozess, der der Situationswahrnehmung zugrunde liegt, eine entscheidende Rolle. Vereinfacht formuliert und auf unser Fallbeispiel bezogen, verarbeitet der Coach die verschiedenen Stimuli, denen er in der Coaching-­ Situation begegnet, kognitiv auf unterschiedliche Weise. Einfluss haben hier auch individuelle Aspekte (beispielsweise eigene Persönlichkeitsaspekte). Aus der Informationsverarbeitung ergibt sich seine eigene Vorstellung der realen Situation, zusammengesetzt aus den wahrgenommenen Merkmalen, d. h. aus den Deutungen situationsbezogener Stimuli (vgl. Funder 2016; Rauthmann et al. 2015). Wie genau es während der Informationsverarbeitung zum Urteil schwierig kommt, können die für das transaktionale Stressmodell (vgl. Lazarus und Folkman 1984, 1987) zentralen kognitiven Bewertungen2 erklären: Die Situation ist dem Coach anscheinend wichtig und beansprucht seine Ressourcen stark, übersteigt diese möglicherweise auch. So nehmen wir an: Eine Situation wird immer dann als schwierig erlebt, wenn sie persönlich relevant ist, das eigene Repertoire an Handlungsstrategien übersteigt und/oder persönliche Ressourcen3 überlastet bzw. stark in Anspruch nimmt. Das Urteil schwierig stößt wiederum Bewältigungsstrategien („coping strategies“) an, die insbesondere darauf abzielen, die Anforderungen und Folgen der Situation zu bewältigen und das individuelle Wohlbefinden wiederherzustellen. In dem Fallbeispiel ist nur eine von vielen denkbaren schwierigen Situationen wiedergegeben, die sich im Coaching-Prozess ereignen können und auf die es als Coach zu reagieren gilt. Genau diese schwierigen Situationen stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Buchs. Im Folgenden wird kurz darauf eingegangen, was bereits in der Coaching- und Psychotherapieforschung über derartige Herausforderungen und Schwierigkeiten bekannt ist. Anschließend werden wir die Kasseler Studie zu schwierigen Situationen aus Sicht der Coachs vorstellen und auf ihre Ergebnisse näher eingehen.

 Bei einer Situation handelt es sich weniger um eine in jedem Einzelfall zeitlich oder inhaltlich trennscharf und objektiv abgegrenzt Einheit, sondern eher um eine zusammenhängende Sachlage, aus der heraus jemand tätig wird. 2  Primärbewertungen („primary appraisal“) und Sekundärbewertungen („secondary appraisal“). 3  Intrapersonelle (z. B. gegenseitiger Respekt), individuelle (z. B. Offenheit), aber auch externe Ressourcen (z. B. Handlungsspielraum in der Situation). 1

1.3  Schwierige Situationen in der Coaching- und Therapieforschung

1.3

3

 chwierige Situationen in der CoachingS und Therapieforschung

Auch wenn sich mittlerweile ein Forschungsstrang zu problematischeren Aspekten des berufsbezogenen Coachings (z. B. zu negativen Effekten von Coaching, vgl. Schermuly 2018a) abzeichnet, wurden schwierige Situationen in der Coaching-Forschung bisher noch kaum beachtet. Eine Ausnahme bildet hier das jährlich stattfindende ESMT Coaching Kolloquium, das eine Plattform bietet, auf der erlebte schwierige Situationen und der eigene Umgang vorgestellt und zur Diskussion gegeben werden können. Nähere Informationen und Beiträge vergangener Kolloquien enthalten Korotov et al. (2012) sowie Korotov und Bernhardt (2018). Gleichwohl beschäftigte sich die Coaching-Forschung in der Vergangenheit zumindest mit einigen Sachverhalte, die eine gewissen Schnittmenge mit dem Thema schwierige Situationen aufweisen. Genauer gesagt beinhalten diese Sachverhalte mitunter einzelne Situationen oder Situationsarten, die von Coachs als schwierig erlebt werden können. Zu nennen sind hier insbesondere: • kritische (oder bedeutsame) Momente4 (vgl. Day et  al. 2008; Haan und Nieß 2014; Milner et al. 2013; Wegener 2019); • ethische Situationen, insbesondere Dilemmata (vgl. Diochon und Nizet 2015; Duff und Passmore 2010; Turner und Passmore 2018); • emotionale Situationen (vgl. Cox und Bachkirova 2007). Etwas mehr Beachtung finden schwierige Situationen in der Psychotherapieforschung. Therapeuten sind in ihrer beruflichen Praxis ebenfalls regelmäßig mit schwierigen Situationen konfrontiert. Einige, wenn auch nur wenige, Forschungsarbeiten setzen sich mit diesen Situationen genauer auseinander (eine Übersicht geben Odyniec et al. 2016). Bisher ist wenig darüber bekannt, welchen genauen Einfluss schwierige Situationen auf den Therapieverlauf und auf die beteiligten Parteien haben. Bestehende Erkenntnisse zu Rupturen in der therapeutischen Allianz (vgl. Safran et al. 2014) legen aber zumindest nahe, dass dieser Einfluss durchaus negativ sein kann, sollten die schwierigen Situationen nicht angemessen gelöst werden. Diese Befunde lassen uns vermuten, dass nicht angemessen5 gelöste schwierige Situationen auch im Coaching eine beeinträchtigende Wirkung auf den Prozess und die Ergebnisse haben. Mehr Wissen besteht über die verschiedenen Arten der schwierigen Situationen, die für Therapeutinnen während des therapeutischen Prozesses auftreten können. Es existieren  Spannende, angespannte und bedeutsame Momente, aber auch Momente der Ahnungslosigkeit und Schlüsselmomente (vgl. Day et al. 2008); diese werden auch als Umschlagspunkte und Hinweise auf Veränderungen interpretiert (vgl. Haan und Nieß 2018), sie beinhalten neben potenziell schwierigen Situationen ebenfalls andersartige, nicht als schwierig erlebte Situationen. 5  Angesichts des triadischen Charakters des berufsbezogenen Coachings (vgl. Bozer und Jones 2018) gehen wir davon aus, dass „gut gelöst“ bedeutet, die Interessen aller am Coaching-Engagement beteiligten Interessengruppen (d. h. Coach, Coachee, Organisation) zu berücksichtigen. 4

4

1  Schwierige Situationen im berufsbezogenen Einzel-Coaching aus Sicht der Coachs …

einzelne Versuche, diese Arten anhand von Kategorisierungen (vgl. Davis et  al. 1987; Henkel et al. 2019; Plutchik et al. 1994; Smith et al. 2007) angemessen abzubilden. Die bestehenden Versuche zeigen eine große Bandbreite an Situationen auf, die als schwierig erlebt werden. In einigen Fällen stehen diese Situationen im engen Zusammenhang mit den psychischen Störungen der Patientinnen (z. B. bei einer bestehenden Psychose einer Patientin), in anderen Fällen sind sie von den Störungen völlig losgelöst (z. B. bei dem Gefühl eines Therapeuten, er sei unfähig). Die bestehenden Kategorisierungen weisen auch darauf hin, dass das Schwierige an den Situationen von unterschiedlicher Quelle ausgehen kann; schwierige Situationen während des therapeutischen Prozesses sind also weniger ausschließliches Ergebnis eines Kompetenzdefizits oder schwieriger Patientinnen. Deutlich wird dies beispielsweise an den drei Schwierigkeitstypen, die Schröder und Davis (2004) vorschlagen: Der erste Typ ist vorübergehend und von der Therapeutin abhängig: Es fehlt bei der Therapeutin an Kompetenz, Wissen oder Erfahrung. Der zweite Typ ist stabil und ebenfalls von der Therapeutin abhängig: Persönlichkeitsmerkmale sowie bestehende Muster in der Interaktion und Reaktion der Therapeutin erklären, warum die Situation als schwierig erlebt wird. Der dritte Typ ist situationsabhängig und nicht von der Therapeutin bedingt: Die Rahmenbedingungen oder die Merkmale der Patientin machen die Situation schwierig. Da sich eine schwierige Situation häufig komplex gestaltet, beinhaltet sie oftmals mehr als einen der drei Schwierigkeitstypen, so Schröder und Davis (2004). Der Versuch einer Kategorisierung schwieriger Situationen geht teilweise mit der Betrachtung einher, wie die Therapeuten auf die jeweiligen Situationen reagiert haben (vgl. Henkel et al. 2019; Smith et al. 2007). Forscherinnen identifizierten auf Grundlage realer Fallbeschreibungen unterschiedliche Reaktionsweisen. Die Bandbreite identifizierter Bewältigungsstrategien erstreckt sich vom Aufsuchen Dritter zur unterstützenden Reflexion über das Bestehen auf bereits eingeführte Regeln bis hin zu dem Leugnen des Geschehenen. Erste Ergebnisse (vgl. Henkel et al. 2019; Smith et al. 2007) deuten auf bestehende Tendenzen der Therapeutinnen hin, auf spezifische schwierige Situationen ähnlich zu reagieren. Einen praxisorientierten Blick auf schwierige Situationen während der Psychotherapie geben insbesondere folgende Autorinnen und Autoren: Fliegel und von Schlippe (2005), Noyon und Heidenreich (2020)6 und Jacob et al. (2009). Die Werke beinhalten Sammlungen mit Beispielen für schwierige Situationen und bieten Anregungen für den Umgang mit diesen.

1.4

 asseler Studie zu schwierigen Situationen im Coaching aus K Sicht der Coachs

1.4.1 Fragestellungen und Methode Mit der im Folgenden dargestellten Studie möchten wir dazu beitragen, dass dem Thema schwierige Situationen auch in der Coaching-Forschung eine größere Aufmerksamkeit  Dieses Buch enthält explizit Situationen und Ausführungen, die auch für andere Beratungsformate (inklusive Coaching) relevant sind. 6

1.4  Kasseler Studie zu schwierigen Situationen im Coaching aus Sicht der Coachs

5

zukommt. Durch eine genauere Untersuchung und ein tieferes Verständnis dieser Situationen könnten sie für die Beteiligten im Coaching besser handhabbar werden. Ziel unserer Studie war es, nähere Erkenntnisse über die Bandbreite der unterschiedlichen Situationen zu erlangen, die von Coachs als schwierig erlebt werden. Darüber hinaus wollten wir mehr darüber erfahren, wie genau Coachs die situationsbezogenen Merkmale einer schwierigen Situation erleben, wie sie mit einer solchen Situation umgehen und welche Folgen die schwierige Situation für den Coaching-Prozess haben kann. Daher konzentrierten wir uns auf die folgenden Forschungsfragen: • Welche Situationen erleben Coachs im Coaching-Prozess als schwierig? • Wie gehen Coachs mit diesen Situationen um? • Welchen Ausgang nimmt der Coaching-Prozess nach den schwierigen Situationen? Wir haben eine Online-Umfrage mit professionellen Coachs zu ihren Erfahrungen in der Arbeit mit Einzelpersonen durchgeführt. Die Umfrage beinhaltete offene und geschlossene Aufgabenformate; durch eine Befragung konnten bis zu drei schwierige Situationen erfasst werden. Die verwendeten Fragen bezogen sich im ersten Teil auf detaillierte Ausführungen zu einer selbst geschilderten schwierigen Situation, im zweiten Teil auf Schilderungen des eigenen Umgangs mit eben dieser Situation sowie im dritten Teil auf die eigenen soziodemografischen Daten und den eigenen beruflichen Hintergrund. Wir verwendeten zwei offene Fragen zu unseren drei Forschungsfragen, die an bereits eingesetzte Fragen (vgl. Henkel et al. 2019) aus dem klinischen Kontext angelehnt sind. Für die Erhebung situationsbezogener Merkmale7 nutzten wir die S8-I-Skala (vgl. Rauthmann und Sherman 2016)  – eine Kurzform der DIAMONDS8 (s.  hierzu ausführlicher in Abschn. 1.4.2.2). Uns war es in dieser Studie wichtig, den Coaching-Markt in Deutschland hinsichtlich seiner soziodemografischen Merkmale (insbesondere Alter, Erfahrung als Coach und ­Anteil der Coaching-Tätigkeit an der Gesamtarbeitszeit) annähernd abzubilden und somit in der Coaching-Praxis typische Erfahrungen zu untersuchen. Daher haben wir die Teilnehmenden für die Online-Umfrage über verschiedene deutschsprachige Coaching-Verbände und das eigene Coaching-Netzwerk rekrutiert. Da Business-Coaching in der Praxis einen Bezug zur Arbeitswelt aufweisen muss (vgl. Böning 2005; Möller 2016), haben wir für diese Studie ausschließlich Umfrageergebnisse berücksichtigt, die einen Bezug zu Situationen aus berufsbezogenem Coaching hatten. Um

 In einer Situation sind physisch messbare und/oder objektiv quantifizierbare Stimuli („cues“) vorhanden und salient (z. B. die anwesenden Coachee). Verarbeitet und deutet ein Individuum diese Stimuli, bilden sich die wahrgenommenen Merkmale („characteristics“) der Situation heraus. Sie geben Auskunft darüber, wie eine Situation an sich erlebt wird (z. B. der Coach erlebt ein hohes Involvement) oder worum es in der Situation geht (z. B. der Coach sieht sich in der Position, aktiv werden zu müssen). 8  Taxonomie wahrgenommener Situationsmerkmale. 7

6

1  Schwierige Situationen im berufsbezogenen Einzel-Coaching aus Sicht der Coachs …

in die Studie aufgenommen zu werden, musste eine als schwierig erlebte Situation somit die folgenden Kriterien erfüllen: • die berichtete Situation wurde vom einem oder einer Coach selbst erlebt (nicht erdacht oder von Dritten überliefert); • die berichtete Situation hat sich in einem Coaching ereignet, dass berufsbezogen war; • die berichtete Situation hat sich im Einzelsetting ereignet. Zur Analyse des ersten Teils der Online-Umfrage, der offenen Antworten, haben wir eine qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt (vgl. Mayring 2014; Schreier 2014); diese ermöglichte es, das Textmaterial auf das Wesentliche zu reduzieren und systematisch und intersubjektiv nachvollziehbar zu analysieren. Bei der Analyse der konkreten schwierigen Situationen sind wir induktiv vorgegangen (vgl. Mayring 2014); wir haben die relevanten Inhalte des Materials anhand von Kategorien zusammengefasst, die aus dem Material selbst abgeleitet wurden. Bei der Analyse des Umgangs mit und des Ausgangs von schwierigen Situationen sind wir größtenteils deduktiv vorgegangen (vgl. Mayring 2014); wir haben die relevanten Inhalte anhand theoriegeleiteter Kategorien zusammengefasst. Auf einer niedrigeren Ebene wurden diese theoriegeleiteten Kategorien durch induktiv gebildete Kategorien konkretisiert. Durch dieses Vorgehen konnten wir frühere Forschungsergebnisse (vgl. Day et al. 2008; Schermuly 2018b) berücksichtigen und im Fall der Families of Coping (vgl. Skinner et al. 2003) auch auf den Anwendungsbereich, den Umgang mit schwierigen Situationen anpassen. Unsere Stichprobe umfasst 66  Coachs, die insgesamt 96 schwierige Situationen beschrieben. Die Coachs waren zwischen 38 und 70 Jahre alt und zu 65 % weiblich. Die Befragten waren durchschnittlich bereits seit etwas über 15 Jahren im Bereich Coaching aktiv und investierten durchschnittlich 37 % ihrer Jahresarbeitszeit in die Tätigkeit als Coach. Unsere Stichprobe ist mit dem deutschen Coaching-Markt (vgl. Middendorf 2018, 2019, 2020; Philipps-Universität Marburg 2017) im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Erfahrung als Coach und Anteil der Coaching-Tätigkeit an der Gesamtarbeitszeit vergleichbar. Die beschriebenen schwierigen Situationen lagen nach Angaben der befragten Coachs zwischen einem und 17 Jahren zurück; durchschnittlich ereigneten sich die geschilderten Situationen vor etwa 2,5 Jahren.

1.4.2 Ergebnisse Entsprechend der Reihenfolge unserer Forschungsfragen gehen wir zunächst auf die Ergebnisse zu der Art der Situationen ein, die von den Coachs als schwierig erlebt wurden (RQ1). Anschließend zeigen wir auf, wie die Coachs mit eben diesen Situationen umgegangen sind (RQ2) und wie diese Situationen ausgingen (RQ3).

1.4  Kasseler Studie zu schwierigen Situationen im Coaching aus Sicht der Coachs

7

1.4.2.1 Die Bandbreite schwieriger Situationen Auf Grundlage der Antworten auf die erste offene Frage identifizierten wir sieben Kategorien übergeordneter inhaltlicher Aspekte, die die Situationen schwierig machten. Diese Kategorien können als Taxonomie schwieriger Situationen verstanden werden. Sie lauten: • • • • • • •

Verhalten des Coachee oder der Coachee Herausforderungen bei psychischen Problemen des Coachee oder der Coachee Erwartungen des Coachee oder der Coachee an den oder die Coach Anspruchsvolle Arbeits- oder Lebensbedingungen des Coachee oder der Coachee Abgrenzung des Coachs oder der Coach Verhalten des Coachs oder der Coach Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation.

Hierbei gingen die ersten vier inhaltlichen Aspekte vonseiten der Coachees aus, der fünfte und sechste Aspekt vonseiten des Coachs und der siebte Aspekt vonseiten der beauftragenden Organisation. Verhalten des Coachee oder der Coachee. In diesem Zusammenhang nannten Befragte häufig Verhaltensweisen der Coachees, die es hauptsächlich erschwert haben, während des Coachings inhaltlich oder methodisch zu arbeiten. Zu nennen sind hier insbesondere: • Hemmnisse der Coachees, sich auf Reflexions- und Veränderungsprozesse einzulassen, • das störende Eingreifen der Coachees in den geplanten Ablauf des Coachings. Darüber hinaus nannten die Befragten Verhaltensweisen, die aus ihrer Sicht hauptsächlich die zwischenmenschliche Zusammenarbeit erschwerten. Dies äußerte sich insbesondere in • • • •

einem hohen Redebedarf der Coachees, Verstößen der Coachees gegen die Werte der Coachs, Übergriffigkeiten gegen die Coachs, der Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit der Coachees.

Herausforderungen bei psychischen Problemen des Coachee oder der Coachee. Mehrere Befragte nahmen im Verlauf des Coachings an, dass eine psychische Störung aufseiten des Coachee bestehen könnte; eine psychische Störung wurde aber in keinem Fall fachkundig diagnostiziert. In diesem Zusammenhang berichteten Befragte am häufigsten von der Herausforderung, ihr Coaching von einer Psychotherapie abzugrenzen und der Herausforderung, die Coachees an psychologische Hilfe weiterzuleiten. Erwartungen des Coachee oder der Coachee an den oder die Coach. Oftmals nannten Befragte in diesem Zusammenhang unangemessene Erwartungen, die sich an die eigene Arbeitsweise richteten. So erwarteten Coachees, dass die Coachs auf eine Art und Weise

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1  Schwierige Situationen im berufsbezogenen Einzel-Coaching aus Sicht der Coachs …

arbeiteten sollten, die den Vorstellungen oder Möglichkeiten der Coachs widersprach. Darüber hinaus nannten Befragte unangemessene Erwartungen bezüglich des Aufgabenbereichs der Coachs. Einige Coachees erwarteten demnach, dass die Coachs Aufgaben erbrachten, die nicht zu den Aufgaben von Coachs gehörten. Hierzu zählten Erwartungen von Hilfe bei psychischen Problemen und Erwartungen von Leistungen aus anderen Dienstleistungsbereichen. Anspruchsvolle Arbeits- oder Lebensbedingungen des Coachee oder der Coachee. Einige Befragte gaben Situationen an, in denen sie mit destruktiven und belastenden Arbeitsoder Lebensbedingungen der Coachees konfrontiert wurden. Abgrenzung des Coachs oder der Coach. Die Befragten berichteten in diesem Zusammenhang häufig von einer geringen inneren Abgrenzung, die sie durch vorhandene Hintergrundinformationen verursacht sahen. Diese Hintergrundinformationen bezogen sich entweder auf Wissen über die Organisation, in der der oder die Coachee tätig waren, oder auf Wissen über eine Person, die im Coaching thematisiert wurde. Eine geringe innere Abgrenzung berichteten Befragte darüber hinaus aufgrund der folgenden Sachverhalte: • es bestand ein erotisches Interesse an dem oder der Coachee, • es gab Vorbehalte gegenüber dem oder der Coachee, • es bestand eine emotionale Betroffenheit aufseiten des Coachs oder der Coach. Verhalten des Coachs oder der Coach. Einige Befragte gaben Situationen an, die mit ihrer Arbeitsweise zusammenhingen. So wird im Fallbeispiel (s. Abschn. 1.1) deutlich, dass es als schwierig erlebt werden kann, wenn der Coach von seiner gewohnten Arbeitsweise abweichen muss. Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation. In diesem Zusammenhang nannten Befragte häufig, dass die Coachee zum Coaching verpflichtet wurden. Auch gaben sie an, dass der Coaching-Auftrag vonseiten der Organisation fehlerhaft oder unvollständig erfasst wurde.

1.4.2.2 Die situationsbezogenen Merkmale schwieriger Situationen Auf Grundlage der Ergebnisse der S8-I-Skala (vgl. Rauthmann und Sherman 2016) war es uns möglich, die situationsbezogenen Merkmale der beschriebenen Situationen näher zu betrachten. So konnten wir mithilfe der DIAMONDS-Taxonomie ermitteln, wie die befragten Coachs die geschilderten Situationen erlebten. Das Initialwort DIAMONDS steht für Duty, Intellect, Adversity, Mating, pOsitivity, Negativity, Deception und Sociality. Folgendes verbirgt sich hinter den acht Dimensionen: Als wie arbeitsbezogen wird eine Situation erlebt? Muss Arbeit durchgeführt, eine Pflicht erfüllt oder ein Problem gelöst werden? (Duty). Als wie hoch werden die intellektuellen Anforderungen erlebt? (Intellect). Als wie konfliktreich? (Adversity). Und als wie romantisch oder erotisch? (Mating). Wie angenehm (pOsitivity) oder unangenehm (Negativity)? Wie trügerisch? (Deception). Aber auch: Als wie sozial? (Sociality).

1.4  Kasseler Studie zu schwierigen Situationen im Coaching aus Sicht der Coachs

9

DIAMONDS-Werte für schwierige und alltägliche Situationen Negativity Intellect Duty Sociality

-

Deception Adversity pOsitivity Mating 0

1

2 schwierige Situationen

3

4

5

6

alltägliche Situationen

Abb. 1.1  DIAMONDS-Werte für schwierige und alltägliche Situationen. Für den Vergleich wurden t-Tests für unabhängige Stichproben berechnet. Zur Erhebung der DIAMONDS wurden siebenstufige Antwortskalen (1 = gar nicht bis 7 = vollkommen) verwendet. Mit diesen wurde erfasst, in welchem Ausmaß einzelne Aussagen für eine geschilderte Situation zutreffen. Die Daten zu schwierigen Situationen stammen aus der vorliegenden Untersuchung, S8-I-Skala. Die Daten zu alltäglichen Situationen stammen aus Rauthmann und Sherman (2016), S8-I-Skala, aggregierte Werte für M SD

Es zeigte sich in Hinblick auf die erhobenen DIAMONDS, dass die Dimension Negativity in den geschilderten Situationen durchschnittlich am höchsten ausgeprägt war. Auf Negativity folgen die Dimensionen Intellect und Duty. Eher geringere Ausprägungen wiesen die Dimensionen Sociality, Deception und Positivity auf. Die Dimension Mating war in den geschilderten Situationen am niedrigsten ausgeprägt. Um zu untersuchen, inwieweit sich diese Ausprägungen von Ausprägungen unterscheiden, die im Zusammenhang mit alltäglichen Situationen ermittelt wurden, führten wir einen Vergleich mit einer Vergleichsstichprobe (vgl. Rauthmann und Sherman 2016) durch. Die Ergebnisse eines statistischen Gruppenvergleichs zeigen, dass sich die Mittelwerte von sieben der acht DIAMONDS-Dimensionen zwischen der Stichprobe der vorliegenden Untersuchung (schwierige Situationen) und der Vergleichsstichprobe (alltägliche Situationen) signifikant unterscheiden. Im Hinblick auf den Mittelwert der Dimension Duty zeigt sich kein signifikanter Mittelwertsunterschied. Diese Unterschiede werden auch in der Abb. 1.1 deutlich.

1.4.2.3 Der Umgang mit schwierigen Situationen Auf Grundlage der Antworten zur zweiten offenen Frage war es möglich, nähere Einblicke in den Umgang mit den geschilderten Situationen zu erhalten. Um die verwendeten Bewältigungsstrategien trennscharf in ihrer vollen Breite erfassen zu können, passten wir die

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1  Schwierige Situationen im berufsbezogenen Einzel-Coaching aus Sicht der Coachs …

Tab. 1.1  Gruppen von Bewältigungsstrategien zum Umgang mit schwierigen Situationen Abstimmung individueller Handlungen auf die schwierige Situation Problem solving Strategien, die darauf abzielen, individuelle Handlungen anzupassen, um effektiv mit den Schwierigkeiten umgehen zu können Information Strategien, die darauf abzielen, mehr über die Schwierigkeiten zu erfahren seeking und so zusätzliche Möglichkeiten des effektiven Umgangs zu finden Narrowness Strategien, die darauf abzielen, die Grenzen des eigenen Handelns zu finden Escape Strategien, die darauf abzielen, sich aus der schwierigen Situation zurückzuziehen Abstimmung individueller und sozialer Ressourcen Self-reliance Strategien, die darauf abzielen, individuelle Ressourcen effektiver zu nutzen, wenn man an Grenzen stößt Support seeking Strategien, die darauf abzielen, auf soziale Ressourcen zurückzugreifen Delegation Strategien, die darauf abzielen, bei Grenzen der individuellen Ressourcen auf soziale Ressourcen zu verweisen Abstimmung eigener Präferenzen und verfügbarer Optionen Accommodation Strategien, die darauf abzielen, individuelle Präferenzen flexibel an die verfügbaren Optionen anzupassen Negotiation Strategien, die darauf abzielen, an einem Kompromiss zu arbeiten und hierdurch neue Optionen zu schaffen Submission Strategien, die darauf abzielen, individuelle Präferenzen und Standpunkte grundsätzlich oder kurzfristig vollständig aufzugeben Opposition Strategien, die darauf abzielen, Einschränkungen zu entfernen Anmerkung. In Anlehnung an Skinner et al. (2003)

Higher Order Families of Coping (vgl. Skinner et al. 2003) an den Anwendungsbereich Coaching an. Die entsprechend angepassten Kategorien und Definitionen sind in Tab. 1.1 ersichtlich. Entlang dieser angepassten Strategiegruppen sortierten wir die berichteten Strategien und fassten diese zusammen. Insgesamt zeigte sich: Die Strategien der Coachs dienten mit Abstand am häufigsten dazu, die individuellen Handlungen auf die schwierige Situation abzustimmen. Deutlich seltener wurden Strategien zur Abstimmung individueller und sozialer Ressourcen genannt. Erwähnenswert ist außerdem, dass die Nutzung von Supervision oder Intervision in den Freitextantworten zwar nur relativ selten genannt wurde. Folgen wir den Antworten der Untersuchungspartnerinnen auf geschlossene Fragen, erfolgte jedoch in fast allen Fällen eine Besprechung der Situation in einer Supervision oder Intervision. Die einzelnen identifizierten Strategien sind in Tab. 1.2 dargestellt.

1.4.2.4 Der Coaching-Verlauf nach schwierigen Situationen Die Antworten der Befragten ermöglichten es in vielen Fällen, mehr über den jeweiligen Verlauf des Coaching-Prozesses nach der geschilderten Situation zu erfahren. In knapp einem Viertel der Schilderungen fehlten nähere Hinweise auf den jeweiligen Fortgang. Auf knapp 30 % der Situationen folgte eine Beendigung des Coachings, bevor die Abschlussphase des Coaching-Prozesses vollständig durchlaufen wurde.

1.4  Kasseler Studie zu schwierigen Situationen im Coaching aus Sicht der Coachs

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Tab. 1.2  Bewältigungsstrategien zum Umgang mit schwierigen Situationen Abstimmung individueller Handlungen auf die schwierige Situation Problem solving Einsatz von Interventionsmethoden Anpassung der eigenen Arbeitsweise Anpassen der eigenen Haltung Änderung der Rahmenbedingungen Information seeking Selbstreflexion Rücksprache mit dem oder der Coachee Inanspruchnahme von Supervision oder Intervision Rücksprache mit anderen Professionen (z. B. Rechtsberatung) Narrowness Selbstkritik Bedenken Escape Psychische Abwehr Beschränkung auf ein anderes Thema Beendigung der Zusammenarbeit Abstimmung individueller und sozialer Ressourcen Self-reliance Umdeuten Selbstregulation Support seeking Inanspruchnahme von Supervision oder Intervision Hinzuziehen anderer Professionen Delegation Verweis an einen anderen oder eine andere Coach Verweis an eine andere Profession oder Stelle Abstimmung eigener Präferenzen und verfügbarer Optionen Accommodation Herabsetzen des eigenen Anspruchs Negotiation Rücksprache mit dem oder der Coachee Submission Aufgabe eigener Standpunkte Opposition Äußerung des eigenen Protests oder der eigenen Abwehr Anmerkungen. Die Kategorien sind Ergebnis der qualitativen Inhaltsanalyse, durchgeführt auf Grundlage von Angaben zu 96 schwierigen Situationen aus berufsbezogenen Einzel-Coachings, geschildert von 66 Coachs. Eigene Erhebung und Analyse. In Anlehnung an Skinner et al. (2003)

Die Beendigungen der Prozesse gingen am häufigsten vonseiten der Coachees aus, in seltenen Fällen brach der Coach selbst das Coaching ab. Insgesamt am häufigsten wurde der Coaching-Prozess nach der schwierigen Situation fortgeführt oder endete wie geplant. In den wenigsten Fällen folgte auf eine schwierige Situation ein fraglicher Fortgang des Coachings, d. h. dass der Coaching-Prozess pausierte und wurde wahrscheinlich zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen.

1.4.3 Diskussion Wie auch in unseren Überlegungen deutlich wurde, begegnen Coachs während des Coaching-­Prozesses an verschiedenen Stellen unterschiedlichen Situationen, die sie selbst als schwierig erleben. Die an dieser Stelle dargestellte Studie ermöglicht auf Grundlage von 96 Situationsschilderungen erfahrener Coachs aus der Praxis einen theoretisch fundierten Einblick in diese Situationen.

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1  Schwierige Situationen im berufsbezogenen Einzel-Coaching aus Sicht der Coachs …

In Hinblick auf die Bandbreite der verschiedenen Situationen war es uns möglich, eine Taxonomie schwieriger Situationen zu entwerfen. Vier dieser insgesamt sieben identifizierten übergeordneten inhaltlichen Aspekte schwieriger Situationen gingen vonseiten der Coachees aus: • • • •

Verhalten des Coachee oder der Coachee Herausforderungen bei psychischen Problemen des Coachee oder der Coachee Erwartungen des Coachee oder der Coachee an den oder die Coach Anspruchsvolle Arbeits- oder Lebensbedingungen des Coachee oder der Coachee Zwei Aspekte vonseiten der Coachs:

• Abgrenzung des Coachs oder der Coach • Verhalten des Coachs oder der Coach Und ein Aspekt vonseiten der beauftragenden Organisationen: • Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation Wie wir zeigen, begegneten die befragten Coachs diesen Situationen in den meisten Fällen mit Bewältigungsstrategien, die dazu dienten, eigene Handlungen auf die jeweilige schwierige Situation abzustimmen. Außerdem zeigen unsere Ergebnisse, dass in knapp 30 % der berichteten Fälle ein vorzeitiger Abbruch des Coachings auf die schwierige Situation folgte. Interessanterweise ähneln die von uns aus dem Material heraus gebildeten Kategorien der Taxonomie schwieriger Situationen Aspekten, in denen Coachs Ursachen für negative Effekte des Coachings (vgl. Schermuly et  al. 2014) oder auch „breakdown factors“9 (vgl. Marshall 2006) sehen. Auch wenn es sich in all diesen Fällen nur um die subjektive Wahrnehmung10 der Coachs handelt, deuten diese Ergebnisse auf die praktische Relevanz schwieriger Situationen hin. Von Coachs als schwierig erlebte Situationen, so scheint es, markieren Sachlagen, die für das Coaching erfolgskritisch sein können. Die hohe Anzahl der Abbrüche, die auf schwierige Situationen folgen, bzw. die ermittelte Abbruchquote von knapp 30 % unterstreicht zusätzlich die praktische Relevanz. Daher empfehlen wir dringend, dass das Thema schwierige Situationen verstärkt in die Ausbildung und Weiterbildung der Coachs integriert wird. Die von uns entworfene Taxonomie bietet hier einen Ansatzpunkt.  Unter „breakdown factors“ sind Faktoren zu verstehen, die zu einem Misserfolg im Coaching führen.  Es ist nicht auszuschließen, dass die Befragten sozial erwünscht oder verzerrt geantwortet haben (Tendenz, sich besser darzustellen, als man tatsächlich war; inkorrekte Erinnerungen usw.). 9

10

1.5  Fazit und Ausblick

13

Auf Grundlage unserer Ergebnisse war es uns nicht möglich, Muster im Umgang mit schwierigen Situationen näher zu analysieren und festzustellen, welche Bewältigungsstrategien wirksam sind und welche nicht; hier zeigt sich weiterer Forschungsbedarf. Auch ergibt sich die Einschränkung, dass wir uns ausschließlich auf die Perspektive der Coachs konzentriert haben. Aus der Coaching-Forschung wissen wir, dass die Perspektiven von Coach, Coachee und anderen beteiligten Parteien sehr unterschiedlich sein können (vgl. Haan und Nieß 2018). Zukünftige Studien zu schwierigen Situationen sollten daher auch die Perspektive von anderen beteiligten Parteien näher betrachten. Ähnliches gilt in Hinblick auf das von uns betrachtete Setting. In anderen Settings und Beratungsformaten können durchaus andere inhaltliche Aspekte als schwierig erlebt werden, die in einem Einzel-Setting mit beruflichem Bezug keine Rolle spielten.

1.5

Fazit und Ausblick

Coachs können in ihrer beruflichen Praxis einer großen Bandbreite an Situationen begegnen, die sie als schwierig erleben. Das Schwierige der Situationen, so konnten wir zeigen, kann verschiedene Quellen haben und von den Coachs selbst, den Coachees oder der beauftragenden Organisation ausgehen. Auf Grundlage der vorgestellten Studie und der bisherigen Erkenntnisse aus der Psychotherapieforschung schlagen wir vor, schwierige Situationen im Coaching weniger als etwas zu betrachten, das es zu vermeiden gilt. Vielmehr scheint es sinnvoll, sie auch im Coaching als etwas anzunehmen, das sich regelmäßig ereignet und das einen reflektierten Umgang erfordert. Es kann helfen, sich in einer solchen Situation bewusst zu machen, welche eigenen Anteile man in die Situation einbringt und welche Anteile von der Person des Coachee oder anderen Parteien ausgehen. Das einleitende Fallbeispiel lässt erahnen, wie der Coach mit seiner schwierigen Situation umgegangen ist. Inwieweit diese schwierige Situation auch gut gelöst wurde, bleibt weitestgehend offen. Beim Lesen wird deutlich, dass es verschiedene Interventionsmöglichkeiten gibt, auf eine schwierige Situation zu reagieren. Es muss nicht zwangsläufig eine direkte Konfrontation sein, sondern kann auch die Arbeit an der eigenen Haltung beinhalten. In Abhängigkeit von dem konkreten Fall scheint es hilfreich zu sein, eigene Kompetenzen zu erweitern, eigene blinde Flecken zu bearbeiten, aber auch bewusst die Unterstützung und Hilfe Dritter, z.  B. in der Supervision oder Intervision, in Anspruch zu nehmen. Mit der von uns vorgestellten Taxonomie schwieriger Situationen und den dargestellten Gruppen von Bewältigungsstrategien zum Umgang mit schwierigen Situationen bieten wir einen ersten Fahrplan für die Thematisierung schwieriger Situationen in Aus- und Weiterbildung von Coachs, aber auch für die persönliche Reflexion und die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten als Coach.

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1  Schwierige Situationen im berufsbezogenen Einzel-Coaching aus Sicht der Coachs …

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2

Verhalten der Coachees

2.1

Praxisbeispiel 1

Fallbeschreibung Ich erinnere mich an einen Supervisanden, der in einer Justizanstalt gearbeitet hat. Das Thema, das sich durch den gesamten Supervisionsprozess von annähernd einem Jahr zog, war die Unpünktlichkeit und die Unverlässlichkeit des Supervisanden mit permanenten Terminverschiebungen und -absagen. Erst in dem Moment, in dem ich klar war und eine Stunde verrechnete, die ihm sein Arbeitgeber selbst zahlen ließ, veränderte sich unsere Arbeitsbeziehung. Wie ist die Supervisorin vorgegangen? Anfangs kam ich ihm verständnisvoll entgegen. Ich nahm mir Zeit (auf meine Kosten) und verschob kurzfristig meine Termine. Es ärgerte mich, da ich ja meinen Arbeitstag somit auch immer an seine Art anpasste. Da ich damals noch neu als Supervisorin in diesem Ort tätig war, wollte ich den Prozess nicht verlieren. Somit war auch meine Haltung ambivalent. Irgendwann deutete ich sein Verhalten um und begann sein Verhalten als Inhalt in der Supervision zu thematisieren. Ich motivierte ihn darüber nachzudenken, ob dieses Verhalten mit seiner Tätigkeit in der Justizanstalt zu tun haben kann. Daraufhin entwickelte sich ein spannender Teil in der Supervision – auch bezüglich der strikten Arbeitsbedingungen, der zeitlichen Abläufe und der festen Strukturen einer Strafvollzugsanstalt. Die Supervision wurde nach einem Jahr beendet und ich denke, mit ihm gemeinsam gut an diesem Thema gearbeitet zu haben.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Möller, J. Zimmermann, Schwierige Situationen im Business-Coaching, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31076-9_2

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2  Verhalten der Coachees

Tom Levold Wie so oft steht die Klärung des vertraglichen Rahmens im Zentrum der Fallgeschichte. Interessant ist für mich die Frage, warum der Prozess über eine so lange Zeit frustran gelaufen ist. Machte es für ihn überhaupt einen Unterschied, ob er pünktlich kommt oder nicht? Verstand er sich selbst überhaupt als Auftraggeber für Supervision oder nahm er nur ein Angebot wahr, dessen Annahme der Arbeitgeber von ihm erwartete? Zog er womöglich in einem System, das sehr starken, auch zeitlichen Regularien unterworfen ist, eine gewisse Befriedigung daraus, sich hier nicht an Regeln halten zu müssen? Welche Motivation hatte der Mitarbeiter? Welchen Stellenwert hatte die Supervision für ihn? Gab es Motive, mit den Phänomenen eher passiv und duldend umzugehen? Gab es andere Aufträge seitens der JVA, die einen vorsichtigen Umgang mit dem Thema nahelegten? Spielten Konfliktscheu oder eigene Unsicherheit eine Rolle? War es zu schwer, einen Dreh hineinzubekommen, nachdem es schon sehr lange laufen gelassen wurde? Aufseiten der Supervisorin ist interessant, ob und in welcher Weise diese Fragen überhaupt im Prozessverlauf zum Thema gemacht wurden. Meine Annahmen hinsichtlich der Unsicherheit bezüglich der Vertragsgestaltung aufseiten der Supervisorin sind nach der Lektüre des beschriebenen Vorgehens teilweise bestätigt worden, ebenso die Vermutung, dass sich das Verhalten des Supervisanden vor dem Hintergrund des restriktiven, reglementierenden Kontexts der Strafvollzugsanstalt anders einordnen lässt. Das Fallbeispiel bestätigt die Notwendigkeit, von Beginn an klar mit den Rahmenbedingungen umzugehen, damit man nicht in eine solche Hängepartie mit ungewissem Ausgang hineingerät. Das sollte gerade dann besonders beachtet werden, wenn die Supervisorin merkt, dass prozessfremde eigene Motive mit hineinspielen: Unsicherheit, einen Auftrag zu halten, oder der Wunsch, sich Folgeaufträge zu sichern, Unsicherheit über den Wert der eigenen Arbeit, Angst, sich eine Klärung oder Konfrontation nicht leisten zu können, etc. Wenn das eigene Interesse an einem Auftrag größer ist als das des Auftragsgebers, kommt es zu einer ungünstigen Verzerrung der Arbeitsbeziehung, die auf Dauer keinem der Partner gerecht werden kann. Ich teile meinen Klienten schon in der Terminbestätigung per E-Mail meine Konditionen mit. Bei Absagen von vier oder mehr Tagen vor dem vereinbarten Termin werden keine Ausfallhonorare fällig – kann ich den Termin dann nicht anderweitig vergeben, geht das auf meine Kosten. Zwischen zwei und vier Werktage vor dem Termin zahlen sie die Hälfte des Honorars, unter zwei Werktagen das volle Honorar. Das gilt dann als schriftlich vereinbart. Mit dieser Klarheit bin ich bislang gut gefahren. Ich halte das für einen vertretbaren Risikoausgleich – da ich Termine eher langfristig vergebe und keine Laufkundschaft habe, kann ich auch nicht alle rechtzeitig abgesagten Termine neu besetzen. Ganz außergewöhnliche Umstände ermöglichen dann durchaus auch, Ausnahmen von der Regel zu machen – das muss dann aber auch im Einzelfall expliziert werden. Kommen die Klienten zu spät, rufe ich nach fünf Minuten an, um zu klären, ob sie unterwegs und verspätet sind oder ob sie den Termin vergessen haben.

2.1 Praxisbeispiel 1

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Ullrich Beumer Zentrales Thema dieses Falls ist der Umgang mit Regeln, Vereinbarungen, Grenzen und gemeinsam geschaffenen Ordnungen als solide Basis für eine gedeihliche Zusammenarbeit und ein menschliches Zusammenleben überhaupt. Man kann die Unpünktlichkeit als Angriff auf die Autorität der Beraterin interpretieren. Die Falldarstellung hat verschiedene Facetten, möglicherweise auch ein geschlechtliches Element, in dem die weibliche Beraterin nicht als grenzsetzend akzeptiert werden kann; eine Erfahrung, die es in Gefängnissen häufiger gibt, wo Frauen eher als Psychologinnen oder Sozialarbeiterinnen tätig sind. Im Vordergrund steht aber eindeutig die Frage nach einem angemessenen Umgang mit Grenzen. Unsere Emotionen und Affekte, unsere triebhaften Wünsche und psychischen Energien werden durch angemessenes Grenzmanagement reguliert. Es bedarf eines gekonnten Boundary Managements, um gegebenenfalls Grenzen zu schließen oder zu öffnen. Das Boundary Management, wie es in der Tradition der sogenannten Tavistock-­ Konferenzen heißt, ist neben dem Containment und der Generativität (als Haltung, Neues zu ermöglichen und zu befördern) eine der zentralen beraterischen Aufgaben und Kompetenzen. Das gilt auch für die Supervisorin, die in Bezug auf die Einhaltung von Zeitgrenzen, die Sicherung eines beratungsförderlichen Raums und die Arbeit an der gemeinsamen Aufgabe und Zielsetzung, grundlegende Grenzverantwortung trägt. Nun befinden wir uns am Ende einer langen historischen Phase, in der sowohl gesellschaftlich, in Organisationen und im Bereich von beraterischen Angeboten die Erweiterung, das Überschreiten und die Auflösung von Grenzen zu den zentralen Dynamiken und impliziten Handlungsorientierungen gehörte. Das gilt auch für den Justizvollzug, in der der Rehabilitationsauftrag seit Langem im Vordergrund steht und scharfe Grenzen und Sanktionen zum Teil verpönt sind. So spricht die Supervisorin von der Justizanstalt und unterschlägt dabei den Vollzug, was tiefenhermeneutisch verstanden als Verleugnung und Unbewusstmachung einer sozialen Realität gesehen werden muss. Dies wird auch im vorliegenden Fall, der zweifellos als Spiegelung einer institutionellen Dynamik gesehen werden kann, deutlich. Käme diese Supervisorin zu mir in die Supervision, wäre es für mich als Supervisor wichtig, mit der Beraterin auf allen drei Beziehungsebenen zu arbeiten: Zum einen – und das hat sie durch das Ausstellen einer Ausfallrechnung schlussendlich ja auch getan – bedarf die Realebene der geschäftlichen Beziehung zwischen Supervisand und Beraterin einer Klärung und strafferen Handhabung. Sodann würde ich intensiver daran arbeiten, was die treibenden Kräfte in dieser Dynamik sind. Was daran ist institutionelle (Gegen-) Übertragung, was die Sorge um den Auftrag, was möglicherweise professioneller Habitus? Ich kenne im beraterischen Bereich, soweit er berufsbiografisch durch eine Kultur des Non-Profit-Denkens bzw. der sozialarbeiterischen Haltung geprägt ist, eine eher vermeidende Haltung des Grenzensetzens, eine Idealisierung von Beziehung, Emotion und Grenzerweiterung. Das muss nicht grundsätzlich schlecht sein, bedarf aber einer Bewusstmachung und Klärung, ob dies im vorliegenden Fall eher förderlich oder hinderlich ist. Schließlich wäre es auch sinnvoll, eine mögliche Ebene eigener Übertragungen anzuschauen: Was ist der gelernte Umgang mit Grenzen? Wie weit beeinflusst das die eher

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2  Verhalten der Coachees

vermeidende Form des Umgangs, wie sie im Fall sichtbar wird? Wie steht es um die ­Entwicklung einer deutlicheren professionellen Orientierung am Boundary Management anstelle einer zu starken Betonung des Containments? Wie weit ist schließlich ein deutliches Grenzmanagement Voraussetzung für die Entstehung von Neuem, von neuen Einsichten und Verhaltensweisen? Motto: Verständnis ist aus, ab jetzt gibt es Konsequenzen! Agnes Büchele Die Thematik, die sich durch die Supervision zieht, scheint wie ein Eingesperrtsein in einem Thema über Unangepasstheit. Wenn man sich unangepasst verhält, wird man zur Verantwortung gezogen, wenn man die Unangepasstheit kriminell überzieht, wird man eingesperrt. Der Supervisand möchte ungern von Regeln eingesperrt sein, er legt sie also immer wieder frei und nach Bedarf aus. In der Bemühung, mir den Verlauf der Supervision über ein Jahr vorzustellen, entsteht in mir das Bild eines Ringkampfs und Machtspiels zwischen der Supervisorin als Frau und freie, jedoch abhängige Selbstständige und dem Mann, angestellt in der machtvollen Institution Justizvollzugsanstalt. Das Ringen um Bezahlung, um Geld, steht symbolisch für Macht und Einfluss. Er hat das Sagen, agiert mit Zeit, Terminverschiebungen und Bezahlung und lässt sie zappeln. Da werden auch Geschlechterrollen ausagiert nach dem Klassiker: „Ich Tarzan, du Jane“. Als es der Frau gelingt, Zeitstruktur und Bezahlung einzufordern, erreicht sie, in der Supervision in professionelle Bahnen und in eine authentischere Beratungsbeziehung zu kommen. Sie lässt im Weiteren die Leserinnen und wohl auch sich selbst im Unklaren darüber, wann im Verlauf des gesamten Jahres der Moment der Verrechnung gekommen war und wie genau sie dann den Prozess gut steuern konnte. Um zu produktiven Erkenntnissen zu kommen, wäre es wichtig, an konkreten Beispielen erfassen zu können, wie sie in bestimmten Situationen vorgegangen ist und welche Themen bearbeitet wurden, die das gute Arbeiten letztendlich ausmachten. Ohne sich diese Themen in der Dynamik des Prozesses und der Beratung bewusst zu machen, bliebe die Supervisorin in der Beziehung immer auch Jane. Wenn diese Supervisorin zu mir in die Supervision käme, ginge es für mich auf jeden Fall darum, die Bedeutung des langen Entgegenkommens und der Geduld unter den Aspekten der Übertragung und Gegenübertrag zu verstehen. Es wäre mit ihr zu ergründen, was – außer das nachvollziehbare Interesse den Auftrag zu behalten – die Supervisorin hindert, mit dem Supervisanden seine Anliegen, seine Ziele ebenso wie die Bedingungen für die Supervision zu verhandeln und auftretende Unklarheiten möglichst direkt zu thematisieren. Das Bewusstmachen der impliziten Genderthematik scheint mir in dem Prozess eine Notwendigkeit und gute Chance, unbewusst wirksame Geschlechtermuster in der Beratungsbeziehung zu verstehen: Was denkt sie als Supervisorin und als Frau, was denkt der Supervisand in seiner Position und als Mann? Was tut sie als Frau in der Rolle der Supervisorin und was tut sie nicht, weil sie eine Frau ist? Was tut er als Supervisand und Mann und was tut er nicht, weil er ein Mann ist (vgl. Scheffler und Baumann 2011)? Diese impliziten Themen rühren an der Identität jeder Person, an ihrem Rollenverständnis und an ihrer Handlungsfähigkeit; sie sind in jeder Organisation wirksam (vgl. Wetterer

2.1 Praxisbeispiel 1

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2002). Rollenverständnis und geschlechtliche Identität sind bewegliche Werte geworden, bei relativ konstant bleibenden geschlechtlichen Rollenbildern. Sie bedürfen umso mehr der Klärung und der Fähigkeit, in der zeitgemäßen Beratung und Kommunikation Geschlecht zur Sprache zu bringen und diesbezügliche Wirkmechanismen bewusst zu machen (vgl. Abdul-Hussain 2012). Die Supervisorin könnte bestärkt werden, u.  a. diese Themen in Worte zu fassen, mit dem Ziel auch genderkompetent ihre Rolle zu stärken. Achim Mollbach Zwischen Supervisorin und Supervisand gibt es fast ein Jahr lang einen Konflikt über Verhalten bzw. Verhaltenserwartungen rund um den Supervisionsprozess. Es geht weniger um das Verhalten des Klienten in der Supervision, sondern um dessen Verhalten gegenüber der Supervisorin als Vertragspartnerin der Organisation. Der Supervisand zeigt ein Verhalten, das die Supervisorin für unangebracht hält. In der Fallbeschreibung wird nichts darüber gesagt, ob zu Beginn der Supervision im Rahmen der Auftragsklärung explizite Vereinbarungen getroffen wurden, wie mit kurzfristigen Terminabsagen oder -verschiebungen umgegangen wird. Solche Vereinbarungen haben u. a. einen ökonomischen Zweck: Sie regeln Leistungen und Gegenleistungen in einer Geschäftsbeziehung. Möglicherweise deutet ein Fehlen einer solchen Vereinbarung oder das Nichtnutzen der Vereinbarungen durch die Supervisorin darauf hin, dass diese die Beziehung zum Klienten bzw. Klientensystem nicht als eine zumindest auch Geschäftsoder ökonomische Beziehung sieht oder sehen will. Die Tatsache, dass die Supervisorin erst nach einem Jahr ein Ausfallhonorar in Rechnung stellt, kann aber auch darin begründet sein, dass die Supervisorin zu Beginn des Prozesses mit dem Klientensystem stillschweigend von der Deckungsgleichheit von Werten und Spielregeln im Umgang miteinander ausgegangen ist, sodass es aus Sicht der Supervisorin hierzu keinerlei Regelung brauchte. Ein Konflikt entsteht dann, wenn der Klient anders agiert als die Supervisorin es von ihm erwartet und in der Folge auch auf die Interventionen der Supervisorin anders reagiert als die Supervisorin aus ihrem Werte- und Handlungssystem heraus annimmt. Der Konflikt bleibt erhalten, wenn auch weitere Interventionen im Grunde nur Wiederholungen oder nur Spielarten bisheriger Interventionen darstellen. Die Supervisorin hat zwei Interventionen gewählt: Sie hat zum einen das Verhalten des Klienten im Rahmen der Supervision thematisiert, allerdings nicht, indem sie ihn direkt mit ihren Erwartungen als Supervisorin und Vertragspartnerin konfrontierte, sondern vielmehr das Verhalten gegenüber der Supervisorin als Stoff in der Supervision nutzte, um einen Reflexionsprozess beim Klienten bezüglich seiner Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt anzuregen – möglicherweise in der Hoffnung, dass der Klient über diesen Weg auch sein Verhalten gegenüber der Supervisorin überdenkt und verändert. Wenn diese Supervisorin zu mir in die Supervision käme, würde ich aufbauend auf dieses sehr indirekte Vorgehen mit der Supervisorin überlegen, was sie daran gehindert hat, ihre Erwartungen ohne diesen Umweg direkt und klar zu formulieren. Des Weiteren könnte mit der Supervisorin reflektiert werden, ob eine direktere und klarere Position als Konfliktpartei, die Erwartungen an die Pünktlichkeit

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2  Verhalten der Coachees

und Verlässlichkeit der anderen Partei hat, eine sinnvolle Alternative gewesen wäre. Als zweite Intervention hat die Supervisorin – wenn auch erst nach einem Jahr – entschieden, sich für die Ausfallstunden honorieren zu lassen. Hier bietet es sich an, mit der Supervisorin an der Frage zu arbeiten, warum sie erst nach einem Jahr zu dieser Entscheidung kam. Zwar gibt sie an, dass sie neu an diesem Ort war und die Supervision nicht verlieren wollte. Das ist durchaus nachzuvollziehen. Dennoch könnte für die Supervisorin die Frage interessant sein, wie es kommt, dass sie so lange brauchte, um diese Entscheidung zu treffen. Edeltrud Freitag-Becker Der Supervisand konfrontiert die Supervisorin unbewusst und somit ungeplant mit dem Kernthema des Strafvollzugs: Ein Regelbruch kann zu einem Aufenthalt im Strafvollzug führen. Seine Nähe zu den Inhaftierten führt zu einer unbewussten Identifikation mit deren Fehlverhalten: Sich trauen Grenzen zu überschreiten, diese nach eigenem Ermessen zu biegen, eigene Regeln aufzustellen, Regelbrüche wie Trophäen zu sammeln. Die Supervisorin lässt sich ein Jahr auf diese Beziehungsstruktur ein und gerät dadurch in die Komplizenschaft. Gemeinsam hintergehen Supervisorin und Supervisand die Abmachung mit dem Auftraggeber. Erst die Loslösung der Supervisorin aus dieser Rolle und ihr aufdeckendes Verhalten ermöglichen eine Veränderung. Sie wechselt die Rolle und wird zur Bestrafenden, zur Täterin. Die Übertragungsdynamik nimmt viel Platz ein und beeinflusst die jeweilige Rollengestalt. Das Dramadreieck (Verfolger-Retter-Opfer) stand sozusagen Pate. Auffallend ist, dass es kein benanntes Beratungsthema gibt. Das Ringen um die Regeleinhaltung stellt sich in den Mittelpunkt der Supervision. Beratungssituationen aus dem Strafvollzug spiegeln sich wider: Hauptsache die Regeln werden eingehalten und ein angemessenes Regelverhalten wird trainiert; die Bearbeitung der Gründe für den jeweiligen Regelbruch finden wenig Raum. Regeln geben Halt  – die möglichen Themen dahinter verunsichern. Analog bleibt der reale Ort des Beratungsgeschehens undeutlich: verdeckt, im Dunkeln, beschattet, undeutlich, unkenntlich usw. Hilfreich könnte sein, wenn sich Supervisorin und Supervisand über ihre Organisationsbilder austauschen würden: über die realen wie über die jeweils verinnerlichten („organisations in the mind“) sowie über die verstandenen Beziehungs- und Verhaltensmuster in diesem Kontext. In der Übertragungsanalyse könnten sich Zugänge für ein vertieftes Verstehen der jeweiligen Bereitschaft zum eigenen Regelbruch ergeben: Verdeutlichung des Reizes, Regeln zu brechen, sowie die Angst vor Entdeckung der Tat. Heidi Möller Mir fällt der „Lumpenkomplex“ ein. Die negative Bewertung Gefangener wird auf die dort Tätigen übertragen. Auch sie werden Wärter genannt und sozial nicht sonderlich anerkannt. Im Sinn der Balintschen Spiegelphänomentheorie und der Identifikation mit den Klienten benimmt sich der Supervisand wie ein Ganove. Wie ein Insasse kommt er unpünktlich, betrügt den Arbeitsgeber. Fast kommt es einer Supervisionsverweigerung nahe, ähnlich einer Verweigerung von Behandlung im Vollzug.

2.2 Praxisbeispiel 2

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In der Metapher: das Gefängnis als Vaterersatz (vgl. Pecher 1989) drückt sich als unbewusste Sehnsucht nach Halt und Regeln aus. Nur so lässt es sich erklären, dass es erstaunlich ruhig zugeht in deutschen Gefängnissen. Das väterliche Prinzip der Regeln und Normen beantwortet auf einer tiefen Ebene die Vatersehnsucht vieler Inhaftierter, sind sie doch zumeist vaterdepriviert aufgewachsen. Zudem lässt es sich im Strafvollzug zeitgleich gegen Regeln auflehnen und diese dennoch genießen. Letztlich ist es der Gemeinschaft der Braven (vgl. Roth 1991) egal, was hinter den Mauern geschieht. Hauptsache es bricht keiner aus.

2.2

Praxisbeispiel 2

Fallbeschreibung Eine Coachee kommt mit einer krisenhaften, dem Burn-out nahen beruflichen Situation. Schon im Erstgespräch stellt sich heraus, dass sie im Grunde auf ihre Überarbeitung und die Symptome eines nahenden Burn-outs stolz ist. Sie möchte an ihrer beruflichen Situation eigentlich nur ändern, dass sie unter der vielen Arbeit leidet. Narzisstische und perfektionistische Tendenzen sind bei ihr vorhanden, was die Wahrscheinlichkeit für Burn-out erhöht. Therapiebedarf wird ihrerseits verneint. Ziel des Coachings soll ein besserer Umgang mit den Belastungen der Arbeit sein. Außerdem soll eine Strategie erarbeitet werden, die bewirkt, dass der Coachee bei einer anstehenden Umstrukturierung der Abteilung (weniger Personal bei gleicher, eher zunehmender Arbeitsbelastung) nicht noch mehr Arbeit aufgebürdet wird. Die Coachee strebt nach Anerkennung. Auch in den Erzählungen im Coaching werden Heldensituationen geschildert, in denen sie durch Mehrarbeit, übertriebenen Fleiß und Perfektionismus letztlich immer triumphiert. Für mich als Coach taucht das Dilemma auf, ob ich die Narzisstin füttere oder aber sie infrage stelle und ihr andere Perspektiven auf ihr Verhalten anbiete. Letzteres ist wenig erfolgreich, ersteres entspricht nicht meinem Coaching-Verständnis und wäre aus meiner Sicht eine Aufgabe einer Therapeutin. In der Folge drehen wir uns im Coaching recht lange im Kreis. Wie ist die Coach vorgegangen? Von Anfang an hatte ich als Coach ein komisches Gefühl, da schnell klar war, dass Überarbeitung und persönliches Leiden unter der beruflichen Situation als wesentlicher Teil des Egos fungieren. Die berufliche Perspektive erwies sich nach der ersten Sitzung in meiner Reflexion als Sackgasse. In der zweiten Sitzung tauchte dann das Thema hinter dem Thema auf. Es lag im familiären und partnerschaftlichen Bereich: Hilflosigkeit gegenüber Systemstrukturen versus Sichern von Selbstwirksamkeit. Erst in diesem Themenwechsel war Nachdenken und Erkenntnisgewinn der Coachee möglich. Erste Strategien zur Selbstfürsorge auch im beruflichen Bereich konnten entwickelt werden. Das Coaching wird fortgesetzt.

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2  Verhalten der Coachees

Carla Albrecht Beim Lesen der Fallbeschreibung fällt mir auf, dass die Coach ihre Klientin eher abwertet und wenig positive Aspekte an ihr findet. Deutlich wird dies an ihren Ausführungen; sie benennt keine Eigenschaften, die sie akzeptabel an ihr findet und keine Aspekte ihres Verhaltens, die sie schätzt. Die Coach scheint eine eher negative Gegenübertragungsreaktion auf die Klientin zu haben. Dies erschwert es ihr vermutlich, eine positive Beziehung zur Klientin aufzubauen. Diese ist jedoch eine Grundvoraussetzung für den Erfolg und die Wirksamkeit von Coaching, wie viele Studien im Bereich der Coaching- und Therapieforschung belegen (z. B. Bordin 1979; Hubble et al. 2001; Ryba 2019). Um aus dieser schwierigen Situation herauszukommen, würde ich als Coach zunächst eine ausführliche Anamnese durchführen, um einen besseren Blick auf das System der Klientin zu bekommen. Leitfragen, um den persönlichen Hintergrund aufzuklären, könnten beispielsweise lauten: Wie ist sie geworden, wer sie wurde? Woher kommt der Anspruch, immer gute Leistung zu erbringen? Was würde geschehen, wenn sie damit aufhört? Was verliert sie dann? Zur aktuellen beruflichen Situation würde ich fragen: Wie ist die Konstellation in der Organisation mit Führungskräften, mit Kolleginnen und gegebenenfalls Mitarbeiterinnen? Welche Kultur herrscht in der Organisation? Wie kommt es zu der Umstrukturierung? Ein gutes diagnostisches Vorgehen zu Beginn eines Coaching-Prozesses hilft häufig auch, Beziehung herzustellen und sich ein allumfassendes Bild des Gesamtsystems zu machen, ohne Gefahr zu laufen, Wesentliches zu übersehen (vgl. Möller und Kotte 2013). Aus den Informationen der Anamnese lassen sich dann Hypothesen für das Verhalten des Gegenübers generieren und man entwickelt als Coach mehr Verständnis für die Lösungsversuche der Coachee. Eine stabile Beziehung zu etablieren, ist für mich die Grundvoraussetzung für weitere Interventionen. Diese sind, je nachdem was die Anamnese und eine weitere Auftragsklärung erbracht haben, vielfältig. Auf einer privaten, eher persönlichen Ebene könnte man beginnen, an den Verhaltensmustern und inneren Grundüberzeugungen der Klientin zu arbeiten, daran, was sie auch verlieren würde, wenn sie ihr Verhalten verändert. Alternativ beginnt man zunächst an der beruflichen Situation zu arbeiten, z. B. mit einer ausführlichen Analyse ihrer Rolle in der Organisation (vgl. Giernalczyk und Möller 2018). • Welche Pflichten hat sie in ihrer Rolle? • Was darf sie nicht tun? • Welche Handlungsspielräume ergeben sich für sie? Falls meine Gegenübertragungsreaktion auch nach der Anamnese weiterhin stark negativ wäre, würde ich bei mir selbst eine Gegenübertragungsanalyse durchführen, um besser zu verstehen, was sie in mir an Gefühlen und Handlungsimpulsen auslöst und warum. Falls eine konkordante Gegenübertragung vorliegt, kann ich erkennen, wie sie sich vermutlich selbst fühlt und warum sie sich deshalb (unbewusst) so verhält, wie sie sich verhält. Wenn die Beziehung stabil genug ist, gibt es anschließend die Möglichkeit, diese

2.2 Praxisbeispiel 2

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Gegenübertragungsgefühle der Klientin zur Verfügung zu stellen und im Hier-und-Jetzt zu arbeiten: „Mir geht es gerade so, dass ich den Eindruck habe, Sie möchten Ihr Verhalten gar nicht verändern. Immer wenn ich einen Vorschlag mache, was Sie tun könnten, erklären Sie mir, warum das auf keinen Fall geht und eigentlich gut so ist, wie es ist.“ Thomas Giernalczyk Mein zentraler Ausgangspunkt wäre die Analyse meiner Gegenübertragung. Darunter verstehen wir alle Gedanken, Gefühle und Handlungsimpulse, die bei der Coach im Rahmen des Kontakts mit der Coachee entstehen (vgl. Giernalczyk und Möller 2018). Sie bemerkt bei sich eine Entweder-oder-Haltung, die sie nicht ohne Weiteres in eine Sowohl-als-auch-­ Haltung transformieren kann. Unsere Gegenübertragungsreaktionen laden uns immer ein, über die Kunden und über uns nachzudenken: Erlebe ich als Coach die Situation genauso wie meine Coachee? Diese Frage geht davon aus, dass das Erleben der Coach manchmal spiegelbildlich zu dem der Coachee ist. Ist die Entweder-oder-Thematik ein Baustein, der die problematische Situation unbemerkt erzeugt? Mehr auf mich als Coach gewendet hieße das: Ist es die Situation meines Coachee, die bei mir als Coach Enge erzeugt? Wird durch die spezifische Mischung aus Leiden, Festhalten an der Situation und Selbsterhöhung bei mir das Entweder-oder-Beziehungsmuster abgerufen? Diese Fragen zielen auf die persönliche Gleichung der Coach. Was bringt sie an Übertragungsneigungen mit, die sie als eigene Beziehungsmuster in ihrer Biografie entwickelt hat? Allgemein kann man sagen, dass die Übertragung ein Bestandteil der Gegenübertragung auf die Coach ist. Mein zweiter Ausgangspunkt wäre die Frage des Narzissmus: Bei einer wie hier geschilderten narzisstischen Thematik würde ich die Notwendigkeit des Fütterns akzeptieren. Das angeschlagene Selbstwertgefühl erfordert eine spezifische Zuwendung, durch die die Fähigkeit zum emotionalen Nachdenken und zur Einsicht erst ermöglicht wird. Verschiedene Theorien zu narzisstischen Störungen stimmen – trotz Unterschieden – darin überein, dass hinter der Fassade der Großartigkeit und Selbstdarstellung ein Selbstanteil steckt, der bedürftig nach Anerkennung und Spiegelung ist, und dass Spiegelung und Einsicht in die Bedürftigkeit entwicklungsfördernd ist (vgl. Volkan und Ast 2002). Meine dritte Überlegung beziehe ich auf Change in der Organisation: Der auf den Change bezogene Wunsch (nicht noch mehr arbeiten) ist eine nachvollziehbare, defensive Reaktion auf verordnete Veränderung. Entsprechend des Konzepts der Change-Kurve erzeugt eine anstehende Veränderung häufig Widerstand und Angst. Denken wir mikropolitisch, so ist es ganz normal über eigene Vorteile in der Organisation nachzudenken. Neuberger (2002) beschreibt im Konzept der Mikropolitik, dass wir davon ausgehen müssen, dass alle Mitglieder einer Organisation sowohl die Interessen ihrer Organisation als auch ihre eigenen Interessen, oft verdeckt, betreiben. Ausgehend von der Gegenübertragungsanalyse würde ich versuchen, das Rätsel zu thematisieren, dass die Coachee einerseits unter ihrem Arbeitsdruck leidet und andererseits auf die Symptomatik stolz ist. Gemeinsam mit ihr würde ich überlegen, wofür ihre Symptomatik steht. Anzunehmen ist, dass die Symptomatik als unschlagbarer Beweis für ihre

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2  Verhalten der Coachees

Arbeit an der Grenze gesehen wird. Ich würde mich für andere Beweise interessieren, die ebenfalls ihre Tüchtigkeit belegen. Auf diese Weise würden wir einen Raum schaffen, in dem die Leistung gewürdigt werden kann und die narzisstische Bedürftigkeit gesehen wird. Der Hinweis in der Vignette, dass eine Psychotherapie abgelehnt wird, ist für mich bedeutsam. Der Vorschlag zur Psychotherapie zu Beginn eines Coachings enthält auch Kränkungspotenzial. Fühlt sich die Coachee dadurch gekränkt, fällt es ihr vermutlich auch im Coaching schwerer, Hilfe anzunehmen. Die gemeinsame Untersuchung der Umstrukturierung der Organisation könnte ein Themenfeld sein, in dem ich sowohl die Bedürfnisse der Coachee validieren als auch ihr Interesse an den Aufgaben und der Abteilung untersuchen kann. In der Vignette wird in Klammern angedeutet, dass Coach oder Coachee eine gewisse Mitarbeiterfeindlichkeit in der Umstrukturierung sehen. Daraus leitet sich die Frage ab, wie beide zur Firma stehen. Coaching ist in der Regel ein Dreieckskontrakt zwischen Coachee, Firma und Coach und erfordert die Reflexion des Miteinanders (vgl. Giernalczyk und Möller 2018). Vermutlich ist in der zunächst nur negativen Zuschreibung wiederum ein Aspekt des Entweder-oder enthalten. Mich würde interessieren, ob auch legitime, positive Aspekte, wie z. B. Sicherung des Fortbestehens der Firma oder Verbesserung der Konkurrenzsituation, diskutiert werden können. Klaus Eidenschink Die geschilderte Ausgangslage wirkt so, als ob die Coach sowohl die von der Klientin entwickelten Überlebensstrategien als auch ihre Arbeitssituation, aber auch das Beratungsanliegen negativ bewertet. Daher ist es kein Wunder, wenn auch die Coach sich schnell zwischen ungünstig eingestuften Alternativen wiederfindet. Der gesuchte Ausweg aus diesem Dilemma besteht für die Coach offensichtlich darin, sich einerseits der gewünschten Rettung zu verweigern, und andererseits Möglichkeiten zu finden, der Klientin zu vermitteln, dass sie ihr Leiden narzisstisch nutzt, um sich zu stabilisieren. Der Coach und der Klientin ist gemeinsam, dass sie sich ausgebeutet fühlen. Beide pendeln zwischen einem Dagegen-wehren und der Anpassung aus Angst, den Erwartungen der Umwelt nicht zu genügen. Dieser Gleichklang im Muster ist ein Hinweis, dass sich die Coach verstrickt hat und sie folglich Mühe haben wird, der Klientin ein günstiges Kontaktangebot zu machen. So entsteht eine Beratungsbeziehung, in der die Klientin neuerlich sich an Erwartungen anpassen soll – diesmal an die der Coach. Damit droht eine vermutlich narzisstische Grundstruktur der Klientin eher stabilisiert zu werden, weil die Coach sie nicht füttern will. Es geht hier aber nicht um Füttern, sondern um einen Beziehungsaufbau, in dem die Klientin die Erfahrung eines absichtslosen Gegenübers machen kann und damit erleben kann, wie es ist, wirklich selbst gemeint zu sein. Die Coach sieht die Lösung in einer verbesserten Selbstwirksamkeit und arbeitet folgerichtig daraufhin. Das ist aus meiner Sicht – insbesondere, wenn sie den Fokus auf Selbstfürsorge legt – nicht verkehrt. Meine Befürchtung an der Stelle ist allerdings, dass die innere Basis für eine dringend notwendige Selbstfürsorge noch nicht gegeben ist. Dann wäre die Strategie der Coach unter der Rubrik „das Richtige zum falschen Zeitpunkt“

2.2 Praxisbeispiel 2

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e­ inzuordnen. Für mich deuten die Symptome von Hilflosigkeit und Sich-Überfordern auf eine tiefe innere Isolation der Klientin hin. Jedenfalls gilt es, diese differenzialdiagnostische Überlegung zu prüfen, damit die Beratung nicht auf Sand baut und letztlich zu einer neuerlichen Überforderung und einem einsamen Sich-Anstrengen führt. Mathias Lohmer Bei dieser Fallsituation fällt die Verwicklung von Coach-Coachee auf, die zu einem Stillstand des Coaching-Prozesses führt. Die Coach gerät angesichts scheinbar widersprüchlicher Aufträge der Klientin (besser mit den beruflichen Belastungen umgehen; Stolz auf Überarbeitung erhalten) in einen agierten Gegenübertragungswiderstand. Die Coach findet sich in einem selbst konstruierten und nicht lösbaren Entweder-oder-Dilemma wieder: Füttern oder Infragestellen. Als erster Schritt wäre hier eine Gegenübertragungsklärung hilfreich, um für die Coach zu klären, was sie in so eine negativ-abwertende Haltung gegenüber der Klientin bringt. Eine Hypothese wäre, dass die Coach generell ein eher unternehmenskritischer Mensch sein könnte und dadurch anfällig ist für eine Täter-Opfer-Sicht mit den Anforderungen der Firma als Täterseite und der drohenden Überforderung der Klientin als Opferseite. Aus dieser Perspektive heraus würde verständlich, dass die Coach die Klientin gern in Schutz vor den Anforderungen der Firma nehmen würde und frustriert ist, dass die Klientin nicht die Rolle des Opfers übernimmt und ihr die Position der Retterin ermöglicht. Die kritische Haltung der Coach gegenüber den Heldengeschichten würde – im Rahmen der Gegenübertragungsanalyse – die Frage nahelegen, ob sie, entsprechend der obigen Hypothese, dem Erfolg der Klientin gegenüber skeptisch ist. Man könnte eine Kollusion (ein unbewusstes Zusammenspiel auf Paarebene) vermuten, bei dem eine – vermutlich aus dem psychosozialen und weniger aus dem wirtschaftlichen Spektrum stammende – Coach sich gern mit den Tendenzen der Klienten verbinden möchte, sich aus einer klassischen Erfolgsorientierung zu emanzipieren, und weil sie das nicht so mitmacht, in eine kritische und missbilligende Haltung kommt. Im Rahmen dieser Kollusion gäbe dann die Klientin ihrerseits ihre eigenen Anteile von Überforderungsgefühlen und kritischer Einstellung gegenüber der Arbeit unbewusst an die Coach ab, könnte ihre eigene kritische Haltung in ihr relativieren und sie – und damit ihre eigene Seite der Ambivalenz gegenüber Überforderung – auflaufen lassen. Zum Thema Verwicklung und Kollusion wäre in einer supervisorischen Arbeit mit der Coach zunächst zu klären, was möglicherweise einer eigenen Übertragung der Coach auf die Klientin entspricht, was sie in ihr gern realisiert gesehen hätte und wie ihre eigene Ideologie zu dieser Sackgasse beiträgt. Generell konfrontiert einen dieser Fall mit den Besonderheiten des Coachings bei narzisstischen Persönlichkeiten. Hier ist es von zentraler Bedeutung, das erwünschte Selbstbild der Coachee (hart arbeiten können; erfolgreich sein) zu spiegeln, also positiv zu markieren. Nachdem genügend Vertrauen in der Beziehung entstanden ist, ist es angemessen, die Coachee auch mit den Kosten dieses Selbstkonzepts zu konfrontieren. Die Coach muss dabei immer auf die narzisstische Kränkbarkeit und Sehnsucht nach Anerkennung und

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2  Verhalten der Coachees

Bestätigung Rücksicht nehmen, ohne dies für sich negativ als Füttern zu konnotieren. Sie darf sich andererseits aber auch nicht als Selbstobjekt für die unkritische Bestätigung grandioser Selbstvorstellungen benutzen lassen. Peter Uffelmann In der Fallvignette werden Beschreibungen verwendet, die sich einerseits auf die individuelle Situation und andererseits (eher marginal) auf die Herausforderungen in der beruflichen Tätigkeit beziehen. Individuelle Phänomene Krise Burn-out Narzisstisch Perfektionistisch Stolz auf die Symptome Leiden unter der Arbeit Nach Anerkennung streben Übertriebener Fleiß Heldensituationen durch Mehrarbeit Hilflosigkeit

Organisationale Phänomene Hohe Arbeitsbelastung Umstrukturierung der Abteilung Personalmangel Strategieentwicklung

Aus der Vignette geht nicht hervor, welche Tätigkeit die Coachee ausübt, welche Position sie innerhalb der Organisation innehat, welche Aufgaben ihr im Rahmen der Umstrukturierung und der Strategieentwicklung zukommen. Die für meinen Begriff etwas zu schnelle Fokussierung auf die persönliche Ebene vernachlässigt die Einbeziehung des organisationalen Kontexts. Hier wäre eine sorgfältige Exploration der Einbettung der Coachee in die organisationalen Strukturen und Dynamiken ihres Unternehmens sinnvoll und hilfreich. Gerade in der Diagnostik möglicher Burn-out-Phänomene sollten Verhältnisse und Verhalten gleichermaßen in den Blick genommen werden. Die Personifizierung des Klientenleidens mag unter dem Gesichtspunkt Stärkung der Selbstwirksamkeit sinnvoll erscheinen, doch die zusätzliche Analyse der Einflussoptionen seitens der Coachee verhindert eine zu stark auf die Psychopathologie zentrierte Betrachtungsweise. Darüber hinaus könnte es gerade im Sinn der Selbstwirksamkeit hilfreich sein, einen differenzierten Ressourcencheck anzubieten, der sowohl die personalen, sozialen und organisationalen Unterstützungsaspekte betrachtet. Mein Vorschlag wäre eine nochmalige Auftragsklärung für das Coaching durchzuführen, nach dem Motto: Gehe zurück auf Start. Ich favorisiere eine solche Prozessreflexion mit Auftragsklärung auch ohne große Irritationen als festen Bestandteil, sowohl des formalen als auch psychologischen Vertrags im Coaching. Folgende Fragen könnten dabei auch während des Prozesses zum Tragen kommen: • Was haben wir vorgefunden (phänomenologische Perspektive)? • Wie haben wir darüber gedacht (Hypothesen)?

2.3 Praxisbeispiel 3

• • • •

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Was haben wir uns vorgenommen (Ziele, Interventionsplanung)? Was haben wir gemacht (Intervention)? Was ist dabei herausgekommen (Evaluation)? Wie geht es weiter?

Heidi Möller Ein Dreieckskontrakt dieser Art ist recht unüblich. Dass eine Firma sagt: „Bitte helfen Sie der Klientin besser mit Stress umzugehen“, kennen wir Coachs. Aber, dass die Firma der Klientin sagt: „Helfen Sie ihr, dass sie sich nicht so viel aufbürden lässt“, das ist ungewöhnlich. Der Klientin mag eine sehr zentrale Rolle im Unternehmen zukommen oder die Firma ist als recht mitarbeiterinnenorientiert und fürsorglich zu beschreiben. Mich beschäftigt die Frage, woher die Entwertung durch die Coach kommt. Meine Hypothese dazu lautet: Angenommen, die Wahrnehmung der Coach stimmt, dass die Klientin sich als Heldin der Arbeit entwirft, dann stellt sich die Frage der subjektiven Bedeutung dessen. Die Zornigkeit der Coach kann als Angst verstanden werden, was passiert, wenn die Klientin aufhören würde, sich dermaßen anzustrengen. Die Coach mag vorbewusst eine heftige Dekompensation ihrer Klientin befürchten. Der Zorn, der die Entwertung nährt, wäre dann Ausdruck ihrer Angst, im Coaching-Prozess in die Nähe einer psychischen Krise zu geraten. Hier könnte ihr helfen, auf die Not der Klientin zu schauen, erfolgreich sein zu müssen.

2.3

Praxisbeispiel 3

Fallbeschreibung Der Teamleiter eines kleinen Teams kommt über zwei Jahre drei- bis viermal pro Jahr zum Coaching. Er berichtet wiederholt von seinem Frust mit einigen Mitarbeitern und beschwert sich über sie. Gleichzeitig beschwert er sich über seinen Vorgesetzten, der ihm keine Handhabe lässt, mit diesen schwierigen Mitarbeitern umzugehen. Im Zuge des Coachings redet sich der Coachee mehr und mehr in seine Unzufriedenheiten mit seinem Job. Diverse Änderungsideen und Lösungsansätze, die im Coaching entwickelt werden, entkräftet und verwirft er jeweils sofort. Gleichzeitig klagt er, er sei ausgebrannt und lustlos. Der Job freue ihn gar nicht mehr, aber er wolle seine Situation nicht ändern, da er nur noch 13 Jahre bis zur Pensionierung zu arbeiten hätte. Als Auftrag an das Coaching nennt er den Wunsch, wieder mehr Freude an seiner Arbeit erleben zu können. Nachdem sich der Coachee ausgekotzt hat, gibt er an, sich erleichtert zu fühlen. Die Schwierigkeit in diesem Prozess liegt für mich im Aushalten dieser Negativspirale und dieser vermeintlichen Problemverliebtheit des Coachee. Obwohl er angibt, zufrieden mit dem Output zu sein, bin ich es als Coach nicht.

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2  Verhalten der Coachees

Wie ist der Coach vorgegangen? Ich stelle Fragen danach, was ihm in seinem Job Freude bereitet, was ihn interessiert, was ihn im Job hält; frage, wer in seinem Umfeld seine Ideen und Anliegen unterstützen ­könnten. Ich lasse den Coachee Bilder wählen, die seine Ressourcen symbolisieren und die er mitnimmt. Um wieder zu Kräften und zu Motivation zu kommen und seine Ressourcen aktivieren zu können, beschließt der Coachee eine Auszeit in Form einer Kur zu beantragen. Sandrina Lellinger Es gibt hier ein paar Punkte, an denen ich aufmerke. Der Coach beschreibt, dass der Klient drei- bis viermal im Jahr zum Coaching kommt. Da schließt sich meine Vermutung an, dass er immer dann kommt, wenn der Druck hoch ist und er Entlastung braucht. Im Coaching passiert dann das, was der Coach als „Auskotzen“ beschreibt. Hinterher ist der Klient zufrieden und der Coach ist es nicht. Daran schließt sich die Frage an: Wer muss am Ende der Stunde oder des Prozesses mit dem Coaching eigentlich zufrieden sein? Kommt der Klient mit weiten zeitlichen Abständen und immer nur mit situativem Bedarf nach Entlastung, kann ein echter Arbeitsprozess kaum entstehen. Stattdessen nimmt der Klient Coaching als Dienstleistung in Anspruch, der Coach spielt dieses Spiel mit, verhält sich entsprechend und ist unzufrieden damit, sich wie ein Dienstleister zu fühlen. Es entsteht keine Lösungs- und Handlungsorientierung, das Coaching wird auf die Entlastungsfunktion reduziert. Um im Coaching einen echten Arbeitsprozess zu entwickeln, in dem Lernen und Veränderung in nachhaltiger Weise möglich werden, braucht es Kontinuität und in der Regel mehrere aufeinanderfolgende Termine. So kann die Beratungsbeziehung reifen und Tiefe entstehen. Die Zeit zwischen den Terminen ist dann Teil des Prozesses und unterstützt die Wirkung der einzelnen Sitzungen. Daher würde ich den Coach ermutigen, nicht nur die einzelnen Sitzungen, sondern einen Prozess zu gestalten, für die kontinuierliche Zusammenarbeit zu werben und diese gegebenenfalls zur Bedingung zu machen. Ein Ansatzpunkt wäre, zu explorieren, welches Bild und Konzept von Arbeit dieser Klient sozialisatorisch erworben hat. Er sagt zwar, er möchte gern mehr Freude an seiner Arbeit erleben, aber kann er wirklich denken, dass Arbeit Freude macht? Möglicherweise beinhaltet seine Vorstellung von Arbeit, dass Arbeit bedrängt, einschränkt, freudlos ist und dass regelmäßige Entlastung ein nötiges Mittel dagegen darstellt. Vorgesetzte sind in seinem Erleben vielleicht grundsätzlich im Weg, das Verhältnis zu Mitarbeitern immer schwierig. Den Impuls des Coachs, mit dem Klienten ressourcen- und lösungsorientiert zu arbeiten, empfinde ich als passend. Es braucht aus meiner Sicht Arbeit mit Bildern, einen Zugang, der weggeht vom Ringen um irgendwelche Lösungen. Da dies jedoch in der Vergangenheit nicht dazu geführt hat, dass der Klient seine Zielstellung erreicht, mehr Freude bei der Arbeit zu haben, braucht es möglicherweise einen anderen Ansatz. Ich würde hier paradox intervenieren und dem Klienten ein Szenario eröffnen, wie es wäre, wenn es jetzt 13 Jahre so weitergeht: Der Vorgesetzte lässt ihm keine Handhabe, die Mitarbeiter sind

2.3 Praxisbeispiel 3

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schwierig und einfach nicht zu gebrauchen. Ich würde schauen, welche Bilder in ihm entstehen, weil hier ja beschrieben wird, dass alle Lösungsansätze, die im Coaching entwickelt werden, von dem Klienten sofort entkräftet und verworfen werden. Also, statt mit ihm weiterhin Lösungsoptionen zu fokussieren, würde ich das genaue Gegenteil tun und schauen, ob so in dem Klienten Veränderungsmotivation und Energie entstehen. Der Klient hat anscheinend viel Erfahrung damit, Vorschläge, die ihm angeboten werden, zu entkräften und zu verwerfen. Dazu sollte der Coach einen echten Unterschied anbieten, der Neues entstehen lässt und die Selbstverantwortung des Klienten stärkt. Voraussetzung hierfür ist eine tragfähige und vertrauensvolle Beratungsbeziehung. Sebastian Kunert Mein Blick auf die Entstehung der geschilderten schwierigen Situation sagt mir: Dies ist ein typischer Fall im Coaching: Klientinnen, deren Frustrationsenergie ausreicht, um sich professionell beraten zu lassen, aber nicht, um einen tiefgreifenden Wandel in ihrem Leben zu wagen. Sie sind gefangen im goldenen Käfig ihrer Stelle, es hält sie die Position, die Vergütung, das Renommee des Arbeitgebers, der entspannte Arbeitsalltag, die Komplexitätsarmut. Zugleich sind sie zutiefst unzufrieden und projizieren dies auf Kollegen, Mitarbeiterinnen oder die Führungskraft. Da sie kaum noch an anderer Stelle Erleichterung erfahren, brauchen sie das Coaching als Ort der Katharsis. Der Coach aus dem Fallbeispiel stellt die richtige Frage: Halte ich das aus? Mach ich mich zum Komplizen der Situation und wirke letztlich problemstabilisierend statt problemlösend? Meine methodische Vorgehensweise in einem solchen Coaching-Auftrag wäre das geduldige Zuhören im Sinn einer unbedrohlichen Präsenz. Ich denke, dass es ebenfalls wichtig ist, in regelmäßigen Abständen mit dem Klienten ins „recontracting“ zu gehen, also zu fragen, ob das Format noch immer als hilfreich und unterstützend wahrgenommen wird. Eine Alternative kann darin bestehen, die Ebene der Alltagsmuster zu verlassen und noch höher auf die Metaebene der inneren Antreiber zu gehen. Hier ließen sich Wünsche, Sehnsüchte und Ziele thematisieren. Im Mittelpunkt steht dann die Frage: Was suche ich im Leben und welche Rolle spielt dabei mein Beruf? Um diesen Blick von ganz oben zu erleichtern, habe ich einmal eine Sitzung im Café des Berliner Fernsehturms angesetzt: Eine tolle Aussicht, raus aus den Niederungen des Alltags; eine Vogelperspektive im wahrsten Sinn des Worts. Auf Klebezetteln habe ich verschiedene Treiber abgefragt (Ruhm, Geld, Macht usw.); nichts davon traf zu. Am Schluss fragte ich: „Was ist es dann?“ Eine leere Karte blieb übrig: „Ich bewege mich hier in Dauerschleifen, weil ich eigentlich um ein Nichts herumtänzele.“ Diese Erkenntnis der inneren Ziellosigkeit war dann Ausgangspunkt einer persönlichen Lernreise. Thomas Bachmann Das ist für mich ein typischer Fall: Der Klient ist im „stuck state“. Wenn wir die geschilderte berufliche Situation als Kraftfeld verstehen, dann gibt es im Lebensraum des Klienten nur eine positive Valenz, nämlich die Pensionierung. Davor steht als Barriere die Zeit: die 13  Jahre bis dahin. Es gibt ein paar Bereiche, die der Klient meiden möchte: die

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2  Verhalten der Coachees

schwierige Führungssituation im Team, problematische Organisationsgegebenheiten und Konflikte, repräsentiert durch seine Führungskraft. Auch ein Jobwechsel scheint zu den Dingen zu gehören, die er vermeiden will. Es ist keine Veränderungsenergie in diesem Feld zu erkennen. Die negativen Kräfte heben sich gegenseitig auf, die positive psychische Energie ist schwach, bedingt durch den noch langen Zeitraum bis zur Pensionierung. Diese Fragestellung kommt im Coaching oft vor und ist ein typischer Anlass, mit dem Menschen ins Coaching kommen. Wenn ausreichend Lebensenergie vorhanden wäre, würden sie dieses Unterstützungsmodell gar nicht wählen. Ich schließe aus der Art und Weise, wie der Klient beschrieben wird, dass hier viel Frustration, wenn nicht sogar Verbitterung eine Rolle spielt, die der Coach auch sprachlich aufgreift und damit in Resonanz geht. Der Klient hat sich in seiner Problemwelt eingerichtet und möchte seine Sicht der Dinge wohl auch beibehalten und sein Weltbild immer wieder bestätigen. Der Satz „Lieber bekanntes Leid als unbekanntes Glück“ von Tucholsky beschreibt dieses Phänomen adäquat. Für das bekannte Leid hat der Klient jede Menge Coping-Strategien entwickelt, damit zu leben. Steigt der Stresspegel, dann bekommt er etwas Entlastung beim Coach oder er versucht, mal ein paar kleine Dinge zu verändern. Aber die Sitzungen reichen nicht aus, um wirklich eine große Veränderung herbeizuführen, also einen größeren Sprung zu machen, z. B. das Thema mit dem Vorgesetzten wirklich anzugehen, sozusagen kräftiger zu handeln. Das unbekannte Glück ist eben nicht bekannt, unsicher, nicht greifbar genug, um sich wirklich in diese Richtung zu bewegen und Risiken auf sich zu nehmen. Ich würde gern einmal Richtung Coach schauen wollen. Für mich besteht im Coaching immer die Frage: Wer hat das größere Interesse an der Veränderung? Und hier scheint mir der Coach mehr Interesse an einer Veränderung zu haben als der Klient. Für den Coaching-­ Kontrakt und die Frage, wer möchte hier eigentlich was bewegen, ist diese Konstellation interessant. Die Veränderungsenergie ist hier offensichtlich auf der falschen Seite gelandet. Jetzt kann man spekulieren, wie es dazu kam. Auf jeden Fall wissen wir noch zu wenig über den Klienten. Wie ist dessen familiäre Situation? Muss ein Haus noch abbezahlt werden? Wie sieht es mit Kindern aus? Daher wäre es für mich zu früh, um Hypothesen über seine Persönlichkeitsstrukturen, Veränderungsresistenz oder Zuschreibungen wie „will keine Verantwortung übernehmen“ anzustellen. Wir haben durch das Fallbeispiel eine relativ dünne Faktenlage und wissen nur, dass da jemand feststeckt. Ich weiß aus meiner Coaching-Erfahrung, dass Veränderungen manchmal sehr lange brauchen. Der Klient kommt seit zwei Jahren drei- bis viermal jährlich zum Coach, also hat er jetzt sechs oder acht Sitzungen hinter sich. Und sicher, man kann annehmen, ein übliches Coaching ist in der Regel kürzer. Aber die Praxis zeigt, dass gerade im Karriere-Coaching die Veränderung beruflicher Situationen oft sehr lange dauert. Daher würde ich sagen, das ist in Ordnung, es braucht Zeit. Gleichwohl würde ich schauen, ob wenigstens kleinere Schritte passieren. Bahnt sich eine Veränderung an? Wie kann man mehr Veränderungsenergie freisetzen? Und vielleicht ist es manchmal auch okay, einfach nur stabilisierend zu sein, weil eine private Situation so ist, wie sie ist. Dann reicht unsere Stabilisierungsfunktion im

2.3 Praxisbeispiel 3

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Coaching. Man sollte als Coach entscheiden, wenn man über den Verlauf frustriert ist, wann und wie man dies mit dem Klienten bespricht, also den Auftrag nachverhandelt. Um die Veränderungsenergie zu finden, versuche ich in solchen Fällen den Möglichkeitssinn des Klienten anzuregen. Dies gelingt z. B. mit der Frage: „Stellen Sie sich vor, wir treffen uns in fünf Jahren in einem Straßencafé. Welche Geschichte Ihres Lebens erzählen Sie mir dann? Wo arbeiten bzw. was tun Sie dann?“ Die Antwort ist meist die gleiche: „Ja, na dann muss es anders sein. Dann will ich die heutige Situation nicht mehr, dann habe ich mich entschieden usw.“ Dann sage ich: „Okay, und zwischen dem Zeitpunkt in fünf Jahren und heute, wo ist da der Entscheidungspunkt, an dem Sie anders abbiegen? In drei Wochen, in vier Jahren und sechs Monaten?“ Wir kreisen die Entscheidung im Gespräch so ein, dass emotionaler Druck entsteht, um den Anlass der Veränderung zu finden. Von der Polarisation zur Kontraktion  – so würde es der Gestalttherapeut Frank Staemmler ausdrücken. Nach Sichtung des Lösungsansatzes des Coachs bewerte ich die Entscheidung für eine Kur als gut, der Klient sorgt damit für sich. Und es ist gleichzeitig ein Mehr Desselben. Zuvor war der Coach die Kur und jetzt gibt es eine richtige Kur. Es könnte sein, dass der Klient in seinem Muster verharrt und die Verantwortung für sein Leben nicht ergreift, ihm die Veränderungsenergie, im Anschluss an die Kur immer noch fehlt. Aber man könnte auch in die andere Richtung denken: Die Kur als Auszeit betrachten, in der sich Klärung, Einkehr und damit vielleicht auch neue Ideen und Visionen entwickeln können. Ich möchte an dieser Stelle keine Prognose wagen. Beate Fietze Die Problemverliebtheit des Klienten erweckt den Eindruck, dass er es sich im Zustand der Unzufriedenheit eingerichtet hat und lieber darin verharrt, als tatsächlich eine Veränderung anzugehen. Der Klient kommt nur in großen Abständen zum Coaching, um sich vom zu hohen Druck zu entlasten und integriert dadurch das Coaching in seine ritualisierte Wiederherstellung des Status quo. Das führt beim Coach zu einem Störgefühl und zu Spiegelphänomen: Der Coach ist inzwischen genauso unzufrieden wie der Klient. Statt auftragsgemäß dabei helfen zu können, die Unzufriedenheit zu überwinden, erlebt er sich als stabilisierenden Faktor der Stagnation instrumentalisiert. Der Klient geht in keinen Konflikt: Nicht in den Konflikt mit dem Vorgesetzten, nicht in den Konflikt mit den Mitarbeitern und nicht in den Konflikt mit sich selbst. Er stellt sich nicht vor die Entscheidungs- oder Veränderungsfrage. Gerade das scheint er ja zu vermeiden und delegiert die Verantwortung für die Veränderung an den Coach. Diese Beschreibung der Beziehungsfigur und -dynamik zwischen Coach und Coachee ist noch keine Diagnose, die bereits die Gründe für die Konfliktvermeidung und ableitbare Maßnahmen mitliefert. Als erste Intervention stehen deshalb zunächst weitere Erkundungen an. Eine Herausforderung beim Coaching liegt ja gerade darin, herauszufinden, auf welcher Ebene die Fragestellung vorrangig angesiedelt ist. Man kann personennah bei der psychologischen Frage, z. B. bei der Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung,

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2  Verhalten der Coachees

ansetzen oder über die Betrachtung der organisationalen Strukturen und kulturellen Konzepte in die Reflexion gehen. Ich würde hier zunächst vom Störgefühl aus gehen und die Übertragung des Gefühls der Unzufriedenheit zur Verfügung stellen, um als Coach aus dem Ritual herauszutreten und dem Klienten sein Vermeidungsverhalten sichtbar zu machen. Das Ziel wäre, das bisher unbewusste Coaching-Anliegen bewusst zu machen und das Arbeitsbündnis neu zu kontraktieren. Meine Absicht wäre, einen Prozess anzustoßen, der von einer explizierten Auftrags- und Zielformulierung ausgeht und der – wenn der Klient sich darauf einlässt – durch verschiedene Stationen geführt werden könnte. Die vom Klienten angesprochenen Themen könnte man erneut aufgreifen, z.  B. anhand der drei Dimensionen Person – Funktion – Profession des wunderbaren Konzepts des Karriere-Coachings von Kornelia Rappe-­Giesecke (2017) und diese an drei unterschiedlichen Schlaufen eines Seils ausbuchstabieren. Auf diese Weise bekäme ich Zugang zum professionellen Werdegang, der Laufbahnperspektive und der Lebensgeschichte des Klienten. Es ließe sich sehen, wo der Klient an eine Grenze stößt, die bei ihm eine neue Perspektive eröffnet. Zum Beispiel die hier vorliegende Frage nach der Eigenverantwortung im Berufsleben kann sehr unterschiedlich beantwortet werden. Im konkreten Fall würde ich nachfragen, in welchem Organisationstypus der Klient beschäftigt ist, welche Handlungsspielräume seine Position überhaupt ermöglicht und welche Dilemmata in seiner Position angelegt sind. Ein weiterer Zugang wäre die Frage, von welchem Arbeitsverständnis er ausgeht. Die sehnsüchtige Erwartung des Rentenalters als Befreiung von fremdbestimmter Arbeit ist z. B. ein weithin akzeptiertes soziokulturelles Deutungsmuster und nicht unbedingt ein Fall für den Psychologen. Schließlich lassen sich durch personenbezogene, biografische Fragen prägende Verhaltensmuster herausarbeiten. Sollte ich hingegen das Gefühl haben, der Klient lässt sich nicht auf die Reflexion meiner Wahrnehmung ein und ich werde weiterhin wiederholt instrumentalisiert, würde ich mich möglicherweise aus dem Coaching-Prozess herausziehen. Die Arbeitsbeziehung ist von beiden Seiten freiwillig und von beiden Seiten aus kündbar. Heidi Möller Mich hat die Beschreibung „nur noch 13  Jahre bis zur Pensionierung“ verblüfft. Diese verweist auf eine frühe Kündigung, die innerlich vollzogen wurde. Mir stellt sich die Frage, woher kommt so etwas? Als Freudianerin würde ich nach dem sekundären Krankheitsgewinn suchen. Worin besteht der psychische Gewinn und wie kann es sein, dass jemand an der Unzufriedenheit kleben bleibt? Auch behavioral, verstärkerökonomisch gedacht, muss die Unzufriedenheit schwerer wiegen als das Veränderungsinteresse. Frei nach Tucholsky: „Lieber der alte Mief als das unbekannte Glück“. Veränderung scheint eine Menge an Angst auszulösen. Der Status quo ist stark stabilisiert. Ein Zugang, den Kauffeld als wirkmächtig für das Coaching zeigen konnte, ist die Technik des Motivational Interviewing (MI; vgl. Miller und Rollnick 2015), ein Verfahren, das aus der Suchttherapie kommt und inzwischen als wertvoll für Organisationsberatung und Coaching erachtet und eingesetzt wird (vgl. Klonek und Kauffeld 2012). Im MI werden der Nutzen des

2.4 Praxisbeispiel 4

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Status quo und die Kosten der Veränderung den Vorteilen der Veränderung und den Kosten des Status quo gegenübergestellt. Gelingt der „change talk“, dann kann ein Veränderungswunsch entstehen (vgl. Endrejat et al. 2017). Wichtig können auch externe Faktoren sein: Wie zufrieden ist der Klient mit seinem Familienleben, seinem Freundeskreis? Was interessiert ihn jenseits der Arbeit? Zu fokussieren wäre das mentale Modell des Klienten über Arbeit. Im Radio hört man freitags: „Jetzt noch drei Stunden bis zum Feierabend“. Hier wird suggeriert, dass Arbeit Mühsal ist und das Vergnügen findet ausschließlich jenseits der Arbeit statt. Dieses Modell findet sich in der Debatte über Work-Life-Balance wieder. Auch hier wird unterstellt, Arbeit und Leben seien unvereinbare Gegensätze. Verantwortung für die eigene Befindlichkeit auch während der Arbeit zu übernehmen, wäre dann ein Ziel für diesen Coaching-­Prozess. Wie entfache ich Freude und Leidenschaft (vgl. Hirschhorn 2017) auch innerhalb meiner Arbeitszeit? Eine weitere Frage, die mich umtreibt, ist die nach der grundsätzlichen Beziehungsgestaltung des Klienten zur Welt. Sieht er seine Umgebung (Menschen, Arbeitsbedingungen etc.) als dafür zuständig an, dafür zu sorgen, dass er glücklich und zufrieden ist? Das würden wir in der psychodynamischen Beratung ein orales Muster nennen. Dann fehlt die Idee der erwachsenen Verantwortungsübernahme, die Idee, dass jeder sich sein Leben nach seinen Bedürfnissen gestalten muss, um gut zu leben. Vielleicht fehlt es ihm auch an Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Optimismus. Da wäre im Sinn des Kohärenzgefühls (vgl. Antonovsky 1997) zu fragen, wohin ist sein Glaube an die Handhabbarkeit seines Glücks entschwunden? Was gibt seiner Arbeit Sinn?

2.4

Praxisbeispiel 4

Fallbeschreibung Die Coachee kam auf Empfehlung eines Kollegen und betonte beim ersten Termin, dass sie den Kollegen nach jemand wirklich Guten gefragt habe. Ich erlebte sie als sehr selbstbewusst in ihrem Auftreten und v. a. fordernd. Dem ersten Termin war ein Telefonat vorangegangen, in dem sie meinte, dass ihr die Coaching-Einheit zu teuer sei. Sie entschied sich aber dennoch für ein kostenloses Erstgespräch. Was ich von Anfang an als schwierig empfand, war die sich stets wiederholende Frage: Was soll ich tun? Gewöhnlich erlebe ich diese Frage nicht als schwierig, weil es mir meist gelingt, die Coachees in eine Reflexionshaltung zu bringen und einen Reflexionsprozess zu ermöglichen. Diese Coachee erwies sich jedoch als äußerst hartnäckig. Dazu kam, dass ich sie in ihren Umgangsformen als sehr grob und kühl erlebte, was den Prozess nicht erleichterte. Diese Situation ereignete sich im weiteren Coaching-Prozess immer wieder und hatte wenig überraschend mit dem Stresspegel und mit dem Engegefühl der Coachee zu tun. Wie ist der Coach vorgegangen? Auf die fordernd und manchmal auch verzweifelt gestellte Frage, was sie tun soll, ging ich in ihrem Sinn nicht ein. Stellte sie die Frage eher zu Beginn der Sitzung, ging ich in die

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2  Verhalten der Coachees

Exploration und meinte, dass ich dazu noch Informationen benötige. Auf diese Weise kam sie ein bisschen aus der Enge und formulierte schon selbst Handlungsoptionen. Diese fasste ich am Ende des Prozesses nochmals für sie zusammen und ergänzte eventuell Empfehlungen. Wenn sie die Frage gegen Ende des Prozesses stellte, hatte der ­Explorationsprozess, einschließlich eigener Handlungsoptionen, bereits stattgefunden und so konnte ich wieder ihre Ideen für sie zusammenfassen. Wenn sie die Frage in einem besonders eingeengten Gefühl stellte, ging ich mit ihr diesem Engegefühl phänomenologisch nach und sie konnte sich auf diese Weise etwas entspannen. Ihre Engegefühle und auch der Druck, den sie empfand und den sie eher durch ihr Verhalten als verbal vermittelte, waren für mich immer nachvollziehbar. Diese Gefühle haben sich oft auf mich übertragen und ich fühlte mich dadurch unter Druck gesetzt. Im weiteren Verlauf bereitete ich mich auf diese Coachee besonders gut vor und achtete darauf, selbst nicht gerade unter Druck zu stehen und im Vorfeld möglichst für Stressarmut zu sorgen, damit ich den Druck und die Enge nicht zu sehr aufnehme. Da sich die Arbeitsbedingungen der Coachee laufend verbesserten und sie immer mehr Vertrauen in ihre Arbeit gewinnen konnte, wurde sie generell entspannter und die Frage kam nach etwa einem Jahr kaum mehr auf. Auch ihr Verhalten mir gegenüber wurde weicher und offener. Sandrina Lellinger In der Beschreibung des Erstkontakts erscheint die Klientin als fordernde Kundin, die mit ihrer Aussage, einen wirklich guten Coach zu erwarten, und ihrer gleichzeitigen Rückmeldung, dass ihr das Honorar zu hoch sei, für den Coach einen „double bind“, also eine kommunikative Situation mit widersprüchlichen Botschaften, erzeugt. Doppelbödigkeit drückt sich auch in dem weiterhin beschriebenen Verhalten aus: In der Frage der Klientin an den Coach, was sie tun solle, offenbaren sich Verunsicherung und Bedürftigkeit sowie der Versuch, Verantwortung von sich auf den Coach zu verschieben. Auf der anderen Seite vermittelt sie mit ihrem als schroff und kühl beschriebenen Verhalten eine Abwertung des Coachs. Wir erfahren in diesem Fallbeispiel nicht, was das konkrete Anliegen der Klientin war. Zusammen mit der beschriebenen Wirkung der Klientin entsteht in mir die Vermutung, dass es ein Thema im Hintergrund gibt, dass die Klientin möglicherweise noch nicht offenbaren kann. Die Haltung der Klientin könnte dann als Probe für den Coach verstanden werden: Erweist der Coach sich als belastbar? Hält er zu mir, auch wenn ich mich abweisend und fordernd zeige? Ist er wirklich an mir interessiert? Im Hintergrund stehen dann oft größere persönliche Themen, die Klienten erst ins Coaching einbringen, wenn sie erfahren haben, dass der Coach trotz des beschriebenen Verhaltens zugewandt bleibt und sich als verlässlicher Partner erweist. Diese Klientinnen erleben häufig starke Verunsicherung in der Beziehung zu anderen, ihre Biografie ist geprägt von verletzenden Vertrauensbrüchen und Erfahrungen des Verlassenwerdens. In der Arbeit mit diesen Klientinnen kommt der Beziehung mehr noch als in anderen Prozessen eine besondere Bedeutung zu. Deshalb würde ich genau an diesem Punkt ansetzen und klären, was die Klientin braucht, um sich einzulassen.

2.4 Praxisbeispiel 4

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Sebastian Kunert Aufseiten unserer Klienten kommt es immer mal wieder zu Verwechslungen mit instruierenden Formaten, wie z. B. Expertenberatungen. Oftmals wird Coaching gleichgesetzt mit einer Schulungsmaßnahme, einem Training oder einer fachlichen Weiterbildung. Die Besonderheit läge nur im Eins-zu-eins-Format. Ganz falsch ist diese Annahme auch nicht, schließlich kann ein Coaching-Prozess durchaus edukative Elemente beinhalten. Vielen hilft das Johari-Fenster (ein Schema zur Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdwahrnehmung nach Luft und Ingham 1955) beim Thema Feedback, das Vier-Ohren-Modell (eine Theorie zur Kommunikationsanalyse nach Schulz von Thun 2010) zur Bewältigung kommunikativer Schwierigkeiten oder eine Statistik zur Aufgabenverteilung von Führungskräften zur Schärfung ihres eigenen Rollenverständnisses. Diese fachlich-­ psychologischen Inhalte stehen allerdings selten im Mittelpunkt des Gesprächs, sondern dienen lediglich dazu, die Selbstreflexion des Klienten anzuregen. Ein wichtiger erster Schritt ist es, sich nicht in die Performanceecke treiben zu lassen, also etwas Messbares, Didaktisches leisten zu müssen. Fordernde Klienten erzeugen mit ihrer Haltung eine zweifelnde Stimmung, in der sich Coachs genötigt fühlen, sich zu beweisen und ihren Wert zu rechtfertigen. Coaching ist ein cokreativer Prozess, in dem beide Seiten etwas beitragen, damit aus der Interaktion heraus etwas Neues entsteht. Wer nur geschult werden möchte, sollte sich eine Weiterbildungsanbieterin seiner Wahl suchen. Methodisch ist hier ein gutes Contracting gefragt. Gemeinsam mit der Klientin sollte man klären, worin die Idee des Coachings besteht, was es leisten kann, wo die Grenzen des Formats sind. Sollten im Lauf des Coaching-Prozesses doch noch Wünsche nach Instruktion aufkommen, lassen sie sich nun auf der Metaebene besprechen. Im Extremfall steht es dem Coach auch frei, die gemeinsame Arbeit zu beenden mit dem Hinweis, dass die Klientin offenbar ein anderes Format zu brauchen scheint. Ein letzter Dienst könnte dann darin bestehen, bei der Suche nach einem geeigneten Anbieter zu unterstützen. Thomas Bachmann Ich erkenne hier ein typisches Kontaktverhalten für Besucher im Coaching, wie Steve de Shazer (2014) diesen Kliententyp nannte: passiv, prüfend, interessiert. „Mach mal was mit mir!“, könnte man den Leitsatz nennen. Interessant ist die Widersprüchlichkeit: Einerseits zum Coaching zu kommen, Geld zu bezahlen, Probleme zu haben und andererseits passiv und abwartend zu sein und nicht den eigenen Anteil an der Ausgangslage in die Reflexion nehmen zu wollen. Für mich stellt sich die Frage, wie ich es als Coach schaffen kann, hier einen Raum zu schaffen, in dem die Coachee sich einlassen und sich öffnen kann, wo sie dieses Abschottungsverhalten nicht zeigen muss. Ich interpretiere dies als Schutzverhalten, aber auch ein wenig als Austesten der Erwartungen: Ein wirklich guter Coach, Empfehlung, hohes Honorar usw. Nun kommt die unsägliche erste Probesitzung dazu, wo man als Coach zeigen soll, wie man arbeitet. Dabei befindet sich die Klientin noch im Testmodus: Mal schauen, ob ich mich hier einlasse. Zeig mir mal, was Du kannst! Es stellt sich die Herausforderung, sich

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2  Verhalten der Coachees

professionell zu zeigen, ohne wirklich arbeiten zu können, weil es noch keinen formalen und auch keinen psychologischen Kontrakt gibt. Manche Kollegen probieren dann, nur ein bisschen zu coachen. Bessere Erfahrungen habe ich damit gemacht, das Kennenlernen und den Coaching-Prozess zu trennen. Das Kennenlernen versuche ich als Coach kurz zu halten. Entweder klären wir das am Telefon oder wirklich nur in einer halben Stunde im persönlichen Gespräch. Dann sollte der Kunde sich entscheiden, ob er mit mir zusammenarbeiten möchte oder nicht. Die häufige Praxis, wenn zwei oder drei kostenlose Erstgespräche bei verschiedenen Coachs geführt werden, empfinde ich als problematisch. Wenn man der Dritte ist, hört man das dann schon, weil es so automatisiert klingt. Die Klienten haben nach den drei Terminen oft schon so viel Input bekommen, dass sich das Thema schon ein bisschen geklärt hat und noch kein Euro dabei geflossen ist. Dies ist eine unbefriedigende Situation für beide Seiten – auch für die Klienten: Sie müssen sich mit drei Coachs zusammensetzen, Termine finden, herumreisen und am Ende dann eine schwierige Entscheidung treffen. Wonach aber wollen sie entscheiden: nach Sympathie, Kompetenz, den richtigen Fragen, dem klaren Vorgehen des Coachs und dessen Erklärung seiner Arbeitsweise? Die Folge könnte die Zementierung der Abwehr sein: Hat er mir unangenehme Fragen gestellt, dann weiche ich als Coachee lieber aus. Die erste Sitzung im Coaching ist stets sehr wertvoll. Da können wir Coachs wirksam sein. Noch herrscht viel Fremdheit und damit mehr Wirkmächtigkeit. Reflexionsangebote und Resonanz vom Coach können gerade zu Beginn recht wirksam sein. Es ist schade, diese Möglichkeiten vorschnell zu verpulvern. In diesem Fall geht es für mich darum, den Erstkontakt so zu gestalten, dass ich keine Klientenmuster bediene und mich nicht in eine Bewerbungssituation bringe. Zentrale Leitfragen sind für mich: Wie gestalte ich die Auftragsklärung? Woher kommt die Empfehlung? Ich betreibe Kontextklärung. Wie kommt jemand zu mir und welche Erwartungen leiten ihn? Meine bestimmende Haltung ist: Das scheint in diesem Moment für den Klienten die angemessene Art zu sein, in Kontakt zu treten, und ich schaue mal, ob wir noch andere Arten finden, um miteinander arbeiten zu können. Beate Fietze Die Falldarstellung führt uns nicht in das konkrete Anliegen der Klientin ein, sondern beginnt unvermittelt mit einem demonstrativen Qualitätsanspruch der Klientin an den Coach. Er solle wirklich gut sein. Provokative Textfragen kommen im Coaching häufiger als Eröffnungsfigur vor. Ich interpretiere es häufig und auch hier als Ausdruck eines psychischen Widerstands gegenüber den befürchteten Verunsicherungen im Coaching-Prozess: Auf der einen Seite tritt die Klientin sehr selbstbewusst und fordernd auf und auf der anderen Seite ist ihr das Coaching schon vor jeder Einlassung auf den Coach zu teuer. Das ist eine Dissonanz, das passt eigentlich nicht zusammen. Zur Debatte über eine kostenlose Erstsitzung möchte ich anmerken: In diesem Fall finde ich die Gewährung eines kostenlosen Erstgespräch tatsächlich irritierend, weil sich aufgrund der unterschiedlichen Honorarvorstellungen ein Coaching-Prozess eigentlich ausschließt.

2.4 Praxisbeispiel 4

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Ich bin inzwischen vom Angebot eines kostenlosen Erstgesprächs weitgehend abgerückt, nicht zuletzt auch aus methodischen Gründen: Die erste Sitzung hat einen sehr ­hohen Informationsgehalt und ist für mich in der Nachbereitung ausgesprochen aufwendig. Im Erstgespräch wird meist das Hauptmotiv genannt, das in der Regel während des ganzen Prozesses ein wichtiger Bezugspunkt bleibt, sozusagen „in der Ouvertüre liegt das Motiv“. Oftmals ist die erste Situationsdarstellung des Klienten auch besonders eindrücklich und vielfach zeigen sich auch signifikante Verhaltensmuster, z. B. ein Vermeidungsverhalten, ein provozierender Verhaltensstil etc. Wenn eine Klientin sich für ein Coaching bei mir entscheidet, erwartet sie zurecht, dass ich den Inhalt des Erstgesprächs präsent habe. Das kann ich aber nur gewährleisten, wenn ich die erste Sitzung intensiv reflektiere und ausführlich protokolliere. Ich empfinde es als sehr hilfreich, wenn man die verschiedenen Positionen aufruft, also den Organisationskontext und die Rollenerwartungen. Es gibt ja Berufsrollen, in denen eine kompetitive Verhaltensweise erwartet wird, um diese überhaupt besetzen zu können. Ich plädiere deshalb dafür, das Verhalten nicht gleich zu personalisieren oder gar zu pathologisieren, sondern offen dafür zu sein, dass es vielleicht in seinem organisationalen Kontext einen hochfunktionalen Aspekt hat. In diesem Fall überwiegt aber bei mir die Wahrnehmung eines besonders ausgeprägten Sicherheitsbedürfnisses. Ich würde daher versuchen, der Klientin Sicherheit und Stabilität zu vermitteln, damit sie sozusagen die Rüstung ihres schroffen Abwehrverhaltens weitgehend ablegen und in die Beziehung eintreten kann. Heidi Möller Wenn ich dem Konzept des szenischen Verstehens (vgl. Giernalczyk und Möller 2018) als einem spezifischen psychodynamischen Vorgehen im Coaching folge, bliebe ich bei der Frage bei „jemand wirklich Guten“ zu landen, hängen. Mich würde die Frage sofort umtreiben, ob ich denn wirklich gut bin. Im Sinn der Gegenübertragungsanalyse verweist diese Anfrage und meine innere Resonanz (meine eigene innere Wertigkeitsanalyse) auf ein Selbstwertthema der Coachee. Sollte sich diese Hypothese durch weiteres Explorieren und die Analyse der Arbeitsbeziehung bestätigen, dann würde ich im Sinn der Selbstwertarbeit nach Stavemann (2011) mit dem sokratischen Dialog arbeiten, um das mentale Modell über wertige und weniger wertige Menschen zu labilisieren. Anschließend ließe sich erarbeiten, wie die Coachee es schafft, selbst diejenige zu sein, die ihren Selbstwert stabilisiert. Die Gegenübertragungsanalyse (vgl. Lohmer und Möller 2019) könnte mich zudem zum Thema des Rivalisierens als anthropologische Prämisse führen: „Die Arbeitswelt ist ein Haifischbecken und ich muss mich unentwegt behaupten“. Diese Grundannahme über die Natur des Menschen würde sich in der Beziehungsgestaltung der Coachee mit mir zeigen, indem die Frage im Raum stets verhandelt wird, wer hier eigentlich besser ist. Im Arbeitskontext kann eine solche Haltung auch zur defensiven Routine werden, immer darauf zu achten, dass man nicht gefressen wird. Sicher gehört zu einer gesunden psychischen Ausstattung die Kompetenz, in den Wettbewerb zu gehen. Verstetigt sich dieses

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2  Verhalten der Coachees

Verhalten und wird notorisch rivalisiert, würde ich einen Coaching-Bedarf darin sehen, dieses Verhalten lassen zu können und stattdessen Kooperationsmodi aufzubauen. Ist die Arbeitsbeziehung belastbar, würde ich meinen Eindruck des Groben und Kühlen zur Verfügung stellen und unter Abwehraspekten mit der Coachee betrachten. Wovor schützt sie dieser Auftritt, dieser Modus der Kontaktaufnahme? Was würde geschehen, wenn sie Emotionalität und Nähe zuließe? Wenn Coaching eine emotional korrigierende Erfahrung ermöglicht, könnte erfahrbar werden, dass Weichheit, Zugänglichkeit und Affektivität nicht gefährlich sein müssen; dann hätte der Coaching-Prozess einen Unterschied zur automatisierten Verhaltensbereitschaft gemacht.

2.5

Praxisbeispiel 5

Fallbeschreibung Eine Mitarbeiterin berichtet immer wieder, wie sehr andere Kollegen sie nerven und was diese alles falsch machen würden. Sie ist im Coaching, um ihre Arbeitszufriedenheit zu steigern und so unter Umständen ständige Krankentage zu vermeiden. Sie selbst mache nur kleine Fehler, aber die anderen große oder lügen und betrügen. Sie selbst steht kurz vor der Pensionierung. Es ist klar, dass sie an eine Stelle im Betrieb gestellt worden ist, an der sie keinen großen Schaden anrichten kann. Sie braucht die letzten Jahre für ihre Rente, auch wenn sie mit der mangelnden Wertschätzung, die ihr entgegengebracht wird, sehr unzufrieden ist. Im Lauf des Coachings wird klar, dass sie sich mit Selbstreflexion sehr schwertut und sich kaum in die Situation ihrer Kolleginnen hineinversetzen kann. Ich habe einen ständigen Impuls, sie zu schütteln und grob mit der Realität zu konfrontieren; gleichzeitig erscheint es mir wenig hilfreich. Das Coaching endet nach fünf Sitzungen wie geplant. Auf der Oberfläche ist einige Einsicht gewonnen worden, aber kurze Zeit danach höre ich, dass sich nichts verändert hat. Wie ist der Coach vorgegangen? Ich bin sehr auf Distanz geblieben und habe versucht, sehr genau an einzelnen Situationen zu arbeiten: Wie war das genau? Was haben Sie dann gedacht, gefühlt und gesagt? Wie hat das Ihrer Meinung nachgewirkt? Das fühlte sich mühsam und ein wenig vergeblich an, weil klar war, dass es auch um ihre persönliche Attitüde ging, die sie auf den letzten Metern des Berufslebens nicht ablegen wird. Gleichzeitig hat mir die Coachee auch leidgetan, weil sie so noch fünf Jahre durchhalten muss. Eric Lippmann Vermutlich handelt es sich um eine Person, die nicht freiwillig ins Coaching gekommen ist. Sie wurde möglicherweise überwiesen, weil sie so viele Krankentage hat. Damit ist die Gefahr groß, dass sie sich als Besucherin oder Beklagende verhält, die nicht eigeninitiativ ein Coaching in Anspruch genommen hätte – schon gar nicht, um sich selbst infrage zu stellen und zu reflektieren. Mir ist nicht so klar, was ihr Auftrag im Coaching ist. Für Besucherinnen

2.5 Praxisbeispiel 5

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(vgl. Schlegel 2002) ist Coaching oft auch eine potenzielle Kränkung: Wieso muss eigentlich ich ins Coaching und nicht die anderen, die es ja mindestens so nötig hätten, wenn nicht sogar noch mehr als ich? Deshalb ist es wichtig, ein gutes Contracting zu machen, den Überweisungskontext zu beachten und mit der Coachee ein gutes „pacing“ vorzunehmen, d. h. eigene Verhaltensweisen bewusst an die Verhaltensweisen der zu beratenden Person anzupassen, um Vertrauen aufzubauen (vgl. Dannemeyer und Dannemeyer 2018). Aufgrund der angestellten Hypothesen würde ich den Überweisungskontext nochmals anschauen: Mit der Coachee würde ich erkunden, was für sie das Ereignis Coaching bedeutet. Wenn sie sich als Beklagende erweist, würde ich mit ihr das Sehnsuchtsziel würdigen: Die anderen ändern zu wollen. Da wir aber die anderen im Coaching nicht ändern können, würde ich sie fragen, ob sie auch bereit wäre, am zweitbesten Ziel zu arbeiten, nämlich ihren Umgang mit den anderen im Hinblick auf eine optimale Gestaltung der Zeit, die sie noch am Arbeitsplatz verbringen wird. Bei der Erarbeitung von Lösungen muss man immer wieder damit rechnen, dass die Coachee ins beklagende Muster zurückfällt. Ein mögliches Vorgehen wäre ein erneutes „pacing“ und die Erinnerung daran, dass wir am zweitbesten Ziel arbeiten. Dies hilft, die Coachee wieder als Kundin vor sich zu haben. Bei der Lösungserarbeitung würde ich die Frage nach Mustern aus der Vergangenheit stellen, ob es denn in diesem Kontext auch schon mal anders war und wenn ja, was sie dann anders gemacht hat. Man kann auch nach dem Problemmuster Krankheit fragen, wann denn die vermehrten Krankheitstage begonnen hätten und was sich damals verändert hat. Darüber hinaus würde ich fragen, wie viele Krankheitstage es denn waren bzw. sind und wer denn findet, dass es zu viele seien. Krank werden kann ja auch als ein Lösungsmuster betrachtet werden, das allerdings auch seine Auswirkungen, seinen Preis hat. Wir bekommen ja in der Regel als Coach einen sogenannten Killerauftrag, nämlich ein Problemverhalten oder Symptom wegzuberaten. Auch wenn dieser Auftrag möglicherweise nicht direkt von der Coachee kommt, sondern aus dem Überweisungskontext, könnte der Killerauftrag als „double bind“ für den Coach bezeichnet werden. Die These dahinter ist, dass die Coachee ja wohl auch Gründe hatte, sich krank zu melden bzw. krank zu werden. Würde man nun diese Aspekte nicht beachten, dann würde ich zumindest eine Seite in ihr nicht würdigen, die Krankwerden als eine Option favorisiert. Deshalb bietet sich die Arbeit mit dem inneren Team an (vgl. Schulz von Thun und Stegemann 2004). Das könnte man beispielsweise wie folgt einleiten: „Das sind ja nicht Sie, die Krankheit als eine Lösung betrachtet, aber eine Seite in Ihnen sieht darin einen durchaus valablen Lösungsweg, um nicht ständig den unangenehmen Situationen in der Arbeit ausgeliefert zu sein. Macht es einen Unterschied für Sie, wenn ich Sie so anspreche, dass es nicht Sie, sondern eine Seite in Ihnen ist?“ In der Folge könnten die verschiedenen Stimmen im Umgang mit der Situation am Arbeitsplatz herausgearbeitet und mit ihnen mögliche Lösungen erarbeitet werden. Als Letztes möchte ich noch auf die Aspekte der Wahrnehmung und der selbsterfüllenden Prophezeiung hinweisen: Der Fallschilderer berichtet, dass die Coachee „kurz vor der Pensionierung“ stehe. Als ich das gelesen habe, dachte ich – und ich selbst bin 60 Jahre alt –, dass die Coachee 63 oder 64 sei und noch ein oder zwei Jahre zu arbeiten habe. Aus meiner Sicht steht man mit 60 noch nicht kurz vor der Pensionierung, aus Sicht des

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2  Verhalten der Coachees

Fallgebers wohl aber schon. Er ist vermutlich um einiges jünger. Wenn dann der Coach von Attitüde spricht, „die sie auf den letzten Metern des Berufslebens nicht ablegen wird“, würde ich auf die Gefahr der selbsterfüllenden Prophezeiung hinweisen. Ich hatte erst kürzlich eine Führungskraft im Coaching, die eine Mitarbeiterin zwei Jahre vor der Pensionierung noch so weit bringen konnte, dass sie wieder motiviert zur Arbeit kam und weniger krank wurde. Wir haben detailliert herausgearbeitet, wie sie die Mitarbeiterin dazu führen konnte. Wenn man selbst aber nicht mehr daran glaubt  – und Mitleid hilft da nicht –, dann ist die Chance auch nicht groß, dass man die Coachee zu einem anderen Muster begleiten kann. Robert Wegener Ob freiwillig im Coaching oder verordnet, diese Klientin erscheint entsprechend der Falldarstellung in einer misslichen Lage. Die im Text erkennbaren Coaching-Themen sind zum einen die Arbeitsunzufriedenheit der Klientin und der vage formulierte Wunsch  – oder die Vorgabe –, die Anzahl ihrer Krankentage zu reduzieren oder gar ganz zu vermeiden. Weiter scheint in der Textpassage einiges darauf hinzuweisen, dass die Klientin – im Sinn von Steve de Shazer und Inso Kim Berg (vgl. auch Shazer 2014) – eine starke Tendenz zum Klagen aufweist. Klagende Klienten zeichnen sich dadurch aus, dass sie anerkennen, Probleme zu haben – anders etwa als Besucherinnen, eine weitere Form von Kliententypen – und an diesen Problemen auch sehr leiden. Alle anderen sind jedoch an ihren Problemen schuld. Klagende Klienten sehen sich also als Opfer ihrer Umstände und erkennen dabei die ihnen auch zur Verfügung stehende Möglichkeit, das Leben als aktiv gestaltendes Subjekt anzugehen, oftmals nicht. Damit entbehren sie sich der Möglichkeit, Probleme selbstbestimmt zu lösen, worin auch immer die Lösung bestehen mag. Etwas übertrieben formuliert, stellt das Klagen die Lösung für ihre Probleme dar, respektive die Aufmerksamkeit, die ihnen damit zuteilwird. Wesentlich in Bezug auf klagende Klientinnentypen ist es, nicht den Fehler zu machen, es zu verpassen, ihre als misslich erlebte Situation auch als entsprechend schwierig zu würdigen. Damit geht es in der Kontaktgestaltung mit der klagenden Klientin v. a. auch darum, ihre Entscheidung für das Klagen – anstelle etwa einer Haltung des aktiven Angehens von Problemen – zunächst einmal anzuerkennen. Für wenig oder unerfahrene Coachs ist dies oftmals nicht einfach. Entsprechend kämpft auch dieser Coach mit seiner eigenen Gegenübertragung: Er scheint innerlich gereizt auf das Verhalten der Klientin zu reagieren und würde dieser vielleicht am liebsten sagen, dass sie sich nicht wundern müsse, dass es ihr so schlecht geht. In solchen Situationen hilft, sich bewusst zu werden, dass klagende Klientinnen an ihren Situationen, respektive ihren Interpretationen, tatsächlich leiden, auch wenn sie daran etwas ändern könnten. Da starkes Klagen oft ein biografisch erworbenes Muster ist, das zu einem früheren Zeitpunkt in der Biografie einmal nützlich war, z. B. um Schlimmeres in der Herkunftsfamilie zu verhindern oder um überhaupt gehört zu werden, fällt es den Klienten oft nicht leicht, dieses Muster zu verändern. Deshalb ist der

2.5 Praxisbeispiel 5

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Grundsatz im Umgang mit klagenden Klienten, ganz im Sinn des Psychotherapeuten Carl Rogers (z. B. 1951), genügend Zeit in den Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung zu investieren, um sich, wie Rogers es sagt, eine Konfrontation erst zu verdienen. Das würde im vorliegenden Fall bedeuten, mit Mitgefühl und ohne Wertung der Klientin zuzuhören, und sie zu ermuntern, ausführlich von ihrer misslichen Lage zu erzählen. Dabei gilt es wie schon angedeutet, Verständnis für die als schwierig erlebte Situation zu zeigen und der Klientin damit zu signalisieren, dass man die Klientin ernst nimmt und versteht. Im Coaching-­Jargon spricht man dabei auch von „pacing“, also dem Mitschwingen in der Welt des Klienten. Erst durch den Aufbau einer solch tragfähigen Beziehung und dem Würdigen der subjektiv als schwierig erlebten Situation wird sich voraussichtlich auch die Tür öffnen, um mit der Klientin der Frage nachzugehen, inwiefern die Möglichkeit besteht, in der misslichen Lage selbst aktiv zu werden und mit Respekt und Wertschätzung ihr dominantes Muster des Klagens abzulegen und neue Wege zu erkunden (vgl. zur zentralen Wirkung von Coaching im Sinn der Veränderung dysfunktionaler Deutungs- und Handlungsmuster: Schreyögg 2012). Es scheint – wie bereits in der eingängigen Falldarstellung erkennbar –, als wäre es dem Coach nicht gelungen, im Coaching mit der Klientin einen guten Kontakt aufzubauen. Anstelle dessen wurde im Sinn eines kognitiven Zugangs sehr früh analysiert und dabei wenig respektive nichts erreicht. Dass die Wirkung dieses Coachings ausbleibt, überrascht nicht. Ohne den zentralen Wirkfaktor Beziehung (vgl. auch Mannhardt und d. Haan 2018) – wie es sowohl die Coaching- als auch die Psychotherapieforschung bereits mehrfach belegt hat – wirken in aller Regel die besten Techniken und Vorgehensweisen nichts. Claudia Beutter Hier ärgert sich ein Coach über die Coachee; die bewertende Wortwahl ist auffällig. Es gibt in der Fallbeschreibung kaum Aussagen über die Coachee, in denen die Empathie des Coachs deutlich wird. Im Unterschied zum Mitfühlen bedeutet Empathie, sich aufgrund des Einfühlens in eine andere Person so zu verhalten, dass es der anderen Person hilft oder zumindest helfen kann (vgl. Bischof-Köhler 1993). Die Stelle, an der ein Einfühlen des Coachs vermutet werden kann, ist die des Impulses, die Coachee zu schütteln. Es fehlte dann aber eine Handlung im helfenden Sinn. Das Mitgehen des Coachs mit der Coachee hätte auch zu einer mitfühlenden Reaktion führen können, mit der Folge einer deutlich anderen Beschreibung der Situation: Die Erzählung würde dann eher die Zwickmühle der Coachee beinhalten, nämlich den Umstand, mit einer schwierig erlebten Situation noch eine Zeitlang umgehen zu müssen, statt in den Ruhestand gehen zu dürfen. Folgt man diesem Gedanken, ist es auch vorstellbar, dass der Coach nicht wirklich in die Situation, wie sie die Coachee sieht, eintaucht. Der Coach scheint seine Coachee als eher statisch, unveränderbar zu erleben. Er benutzt Zuschreibungen, die weniger ein vorübergehendes Erleben der Coachee beschreiben (z. B. sie ist, sie braucht, sie tut), statt auf das Erleben der Coachee zu fokussieren und dieses Erleben („Kollegen […] nerven“) in unterschiedlichen Situationen zu erfragen,

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2  Verhalten der Coachees

z.  B. mithilfe von Skalierungsfragen und Ausprägungen (vgl. Schmidt 2016). Damit unterstreicht er womöglich einen gewonnenen Eindruck des Festsitzens: Ist so, bleibt so. Damit würde eine mögliche Selbstwahrnehmung, nichts ausrichten oder bewegen zu können, erklärbar. Das wiederum wäre möglicherweise ein ähnliches Erleben wie das seiner Coachee (vgl. Bauer 2011). Sein andauernder Impuls, seine Coachee „schütteln“ zu wollen, kann als affektive Reaktion interpretiert werden. Auch die Aussage, dass sich bei seiner Coachee nichts verändert hat, lässt den Schluss zu, dass sich der Coach vor dem Hintergrund, nicht wirksam zu werden, ärgerlich oder hilflos gefühlt haben dürfte. Der Coach schreibt von einiger Einsicht der Coachee auf der Oberfläche was auf einen eher kognitiven Zugang deutet, dem eine Vorstellung zugrunde liegt, wie das Problem gelöst werden könnte. Das beschriebene Vorgehen des Coachs lässt darauf schließen, dass er sich eine genaue Meinung davon gebildet hat, wie die Situation der Coachee war. Er wollte sie mit seinen Fragen eventuell zu einer anderen Sichtweise führen. In der Schilderung sprechen die Wörter leidgetan und durchhalten müssen für ein Einfühlen des Coachs in die Situation, aus der er seine Coachee herausholen wollte. Möglicherweise fehlte es dem Coach an der Zuversicht, dass sich etwas ändern lässt. Durchhalten-Müssen spricht jedenfalls dafür, dass er es ähnlich mühsam eingeschätzt hat, wie er seine Interventionen bei der Coachee erlebte. Heidi Möller Ich interessiere mich v. a. für die heftigen affektiven Reaktionen des Coachs. Erfreuen sich Coachs nach unserer Untersuchung (vgl. Müller et al. 2020) besonders guter Gesundheit, sind hochmotiviert und mit ihrem Leben durchaus mehr als zufrieden, so ist die Konfrontation mit dem eigenen Schatten in der inneren Gestimmtheit des Klienten eine Herausforderung. Derart distinkte Lebensgefühle und die dahinterstehenden maximal unterschiedlichen Lebenskonzepte müssen in eine tragfähige Arbeitsbeziehung gewandelt werden. Selbstständige, erfolgreiche Coachs treffen auf innerlich gekündigt habende Kundinnen – das ist nicht leicht. Es mag vorbewusst Neid der Coachs eine Rolle spielen. Sich einfach so gehen zu lassen, kann eine abgewehrte Haltung von ihnen selbst sein. Zumal Coachs mit einer gehörigen Portion Selbstwirksamkeitserwartung durch diesen Typus von Kundschaft mit Ohnmachtsgefühlen konfrontiert werden. Wollen diese Klienten uns doch mit aller Macht erfahrbar machen: Nichts geht mehr! Auch Eindrücke von mangelnder Handhabbarkeit können hochinfektiös sein. Wütend zu werden ist dann eine Möglichkeit der Profis, sich diese Gefühle vom Hals zu halten. Die Coaching-Community gibt zumindest vor, höchst selbstreflexiv zu sein: Was also tun mit einer Person, die zur Externalisierung von Problem neigt? Eine Haltung „Ich bin okay und alle anderen, sind so lala bis miserabel“ fordert die Coachs sehr. Wie entfachen wir in einer solchen Konstellation Variabilität oder Veränderung der mentalen Modelle? Die Inkompatibilität der Wertesysteme spielt ebenfalls eine Rolle: Denn nur Interventionen, die mit der Wertestruktur unserer Kundinnen kompatibel sind, werden Wirkung zeitigen.

2.6 Praxisbeispiel 6

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„Auf der Oberfläche ist einige Einsicht gewonnen worden“, schreibt der Kollege im Fallbeispiel. Es ist eine alte freudianische Idee, dass Einsicht heilt, nach dem Motto: Wenn die Dinge verstanden sind, dann ändert sich quasi automatisch das Verhalten und Erleben. Durch neurowissenschaftliche Forschung (vgl. Ryba und Roth 2019) wissen wir, dass dem nicht so ist. Falls es sich um ein sehr kognitives Coaching gehandelt haben sollte, wo Situationen erklärt werden und Coaching Einsichtsvermittlung ist, fehlt die affektive Verankerung. Die Theorie der somatischen Marker (vgl. Damasio 2004) macht die Bedeutsamkeit körperlicher Markierung vergangener Ereignisse deutlich. Nur wenn es gelingt, Verstand und somatische Marker übereinzubringen, kann Veränderung erfolgen (vgl. Storch und Weber 2019). Wenn ich die affektive Ladung des Kollegen – das Schütteln und Grob-sein-Wollen – als Gegenübertragungsreaktion verstünde, wäre es eine aggressive Reaktion auf ein passiv aggressives Verhalten der Klientin, denn das kann ständiges Kranksein auch darstellen. Nur hat der Coach seine vitalen Lebensäußerungen zur Verfügung – die Klientin nicht. In der konkordanten Gegenübertragung, der Coach fühlt sich wie die Klientin, ließe sich diese Kraft spiegeln und gemeinsam nach konstruktiveren Verarbeitungsmodi suchen, die ermächtigen, also empowern. Anders verstanden, als komplementäre Gegenübertragung, der Coach fühlt sich wie die signifikanten Anderen der Klientin, kann die Frage weiterführen: Wie mag denn die Klientin auf die Kollegen wirken? Vielleicht nervt sie die Kolleginnen? Vielleicht erzeugt sie mit ihrer passiv aggressiven Verhaltensweise Ablehnung und sehnt sich sehr nach Wertschätzung? Dann hieße der Arbeitsansatz: Wie kann ich attraktiv für meine Kolleginnen und Chefs werden? Je nach Hypothese böten sich unterschiedliche Strategien an, die sich aber nicht ausschließen, sondern sich sinnvoll ergänzen könnten. Auf diese Weise wären die Gegenübertragungsgefühle nützlich gewendet. Die Lösungsidee des Kollegen legt jedoch nahe, dass die Distanz blieb, die Klientin einsam geblieben ist.

2.6

Praxisbeispiel 6

Fallbeschreibung Es handelt sich um einen Einzel-Coaching-Prozess mit einer männlichen, 42-jährigen Führungsperson. Der Coachee ist Leiter einer Controlling-Abteilung mit komplexen Controlling-­ Projekten, in einem international tätigen Produktionsbetrieb. Er ist verheiratet und Vater einer noch kleinen sechsjährigen Tochter. Es haben bisher vier Termine stattgefunden. Meine Schwierigkeit als Coach besteht darin, dass der Coachee im ersten und in den Folgeterminen zwar seine zentralen Bedürfnisse und Anliegen formuliert (weniger arbeiten, mehr Zeit mit der Tochter, Vatertag einmal pro Woche, Sabbatical) und am Ende der Coaching-Sequenz entsprechend seine nächsten Schritte festlegt, diese jedoch beim Start der nächsten Sequenz vergessen hat. Er startet dann jeweils zu Beginn mit berufsbezogenen Herausforderungen

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2  Verhalten der Coachees

und es braucht wieder ein paar Runden Vertiefung, bis seine Kernanliegen erneut im Zen­trum stehen. In der letzten Sequenz habe ich diese S ­ chwierigkeit und Wahrnehmung meinerseits angesprochen und gefragt, ob eventuell diese Kernanliegen doch nicht so zentral seien und anderes wichtiger für ihn ist. Er sagte: „Nein, nein, das stimmt schon, das ist mir am wichtigsten, ich vergesse es einfach“. Wir besprachen dann, wie er es schaffen könnte, dass diese persönlichen Anliegen nicht in den Hintergrund geraten und was er braucht, um an seinen Kernanliegen festhalten zu können. Daraufhin sagte er, er brauche eben Druck, dass er diesen Anliegen treu bleibe. Ich fragte, wie er diesen nötigen Druck denn aufbauen könnte. Hierauf wusste er nicht recht eine Antwort. Zum Abschluss dieser vierten Sequenz passierte dann etwas Interessantes: Eine andere oder neue Schwierigkeit. Der Coachee nahm sich vor, bei seinem Vorgesetzten einmal anzufragen, ob eine Reduzierung seines Arbeitspensums auf 80 % möglich wäre und ab welchem Zeitpunkt dies geschehen könnte. Das erschien mir ebenfalls ein guter nächster Schritt. Wiederum zweifelte er leicht, ob er es dann nicht wieder vergesse. Eher aus Spaß sagte ich: „Sie können mir ja in zwei Wochen Bescheid geben, was das Resultat des Gesprächs mit dem Chef war“. Darauf antwortet er: „Oh, das ist super, das ist jetzt der Druck, den ich brauche!“ Im Nachhinein, in der Reflexion, merkte ich, dass mir diese Rolle der Druckgebenden nicht wirklich geheuer ist. Der Coachee teilt mir damit eine Rolle zu, die ich als Coach nicht übernehmen kann und will. Diese Schwierigkeit, damit zu viel Verantwortung für die Ziele des Klienten zu übernehmen, werde ich das nächste Mal mit ihm besprechen. Ich bin der Überzeugung, dass der innere Antrieb für eine Handlung nicht über Druck von außen, v. a. nicht über Druck eines Coachee, kommen kann, da hier eine Gefahr der Übertragung enthalten ist. Wie ist die Coach vorgegangen? Dieses Wechseln der inhaltlichen Ebenen (persönliche Anliegen bzw. Wünsche versus fachliche Berufsrollenfragen, Organisationsaspekte) in einem Coaching finde ich als Coach anspruchsvoll, da ich einerseits den Coachee nicht zu stark inhaltlich steuern will und ihn gleichzeitig aber an seine inneren Motive erinnern möchte. Ich spüre dann in mir selbst eine innere Unruhe und auch ein gewisses Desinteresse bei diesen eher oberflächlichen Ausführungen, die meines Erachtens am Thema vorbei gehen. In diesen Fällen mache ich Bemerkungen wie: „Haben diese Themen nun etwas gemein oder zu tun mit Ihrem Anliegen, mehr Zeit mit der Tochter zu verbringen, oder mit dem Anliegen, weniger zu arbeiten?“ Für mich sind in solchen Fällen auch das Spiegeln sowie das Ansprechen von Irritationen bei mir als Coach erfolgsversprechende Interventionen. Beim oben genannten Fall bin ich zudem sehr offen, was die inhaltliche Ausrichtung betrifft, da es unklar ist, was die Kernthemen des Coachee sind. Ich denke, er ist am Suchen und es könnte sich schließlich auch um ein ganz anderes Thema handeln, das ihn wirklich beschäftigt. Ich unterstütze ihn vorerst mehr beim Suchen als beim Umsetzen von Lösungen. Eric Lippmann Meine erste Hypothese in diesem Fall betrifft wieder den Überweisungskontext: Seine Ehefrau hat ihm möglicherweise ein Coaching nahegelegt, damit er eine bessere Balance

2.6 Praxisbeispiel 6

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zwischen den Lebensfeldern hinbekommt. Ich habe häufig erlebt, dass Männer selbst gar nicht unbedingt in die Beratung wollen, aber die Ehefrauen ihnen dazu raten oder sogar sagen, sie hätten es nötig. Eine weitere Hypothese ist, dass es sich um eine Ambivalenz handelt. Es gibt Stimmen in ihm, die sagen, dass er 100 %, wenn nicht gar 120 % arbeiten müsse, um überhaupt erfolgreich im Beruf zu sein. Deshalb brennen ihm ja auch berufliche Themen unter den Nägeln. Dann gibt es sicher auch Stimmen, die sagen, dass er mehr Zeit für seine Tochter haben sollte. Interessanterweise ist die Ehefrau nie Thema, sondern nur die Tochter. Das wirft andere Hypothesen auf. Neben der Klärung des Überweisungskontexts: Wer hat bezüglich des Coachings welche Anliegen und wer würde was als gutes Ergebnis des Coachings ansehen? Einerseits würde ich nach den inneren Stimmen fragen, die sich bezüglich des Anliegens „mehr Zeit für die Tochter, weniger arbeiten“ beim Coachee melden. Andererseits würde ich bei ihm explorieren, ob er in seinem Leben schon ähnliche Situationen hatte, wo er sich hätte entscheiden sollen und seine Lösung dann auch tatsächlich weiterverfolgt hat – ohne äußeren Druck. Wie ging er damals mit solchen Situationen um, als vielleicht auch eine Stimme in ihm sagte: Ohne äußeren Druck geht es nicht. Wenn er von Erfolgen berichtet, wäre der nächste Schritt zu fragen, ob und wie er dieses Erfolgsmuster auf die jetzige Situation übertragen könnte. Wenn er keine Erfolgsmuster berichten kann, dann würde ich schauen, ob es externe Personen oder auch Stimmen in ihm gibt, die die Rolle des Druckmachers übernehmen könnten, wenn ihm das anscheinend guttut. Ich würde als Coach vermeiden, in diese Rolle zu kommen, weil es die Gefahr birgt, dass der Coachee damit in eine gewisse Abhängigkeit des Coachs gerät. Im Konzept der hypnosystemischen Beratung (vgl. hierzu auch Schmidt 2004, 2005) ist es immer zentral, bei allen Lösungsmustern nach den Auswirkungen zu fragen: • Was würde passieren, wenn er tatsächlich nur noch 80 % mit entsprechend weniger Lohn arbeiten würde? • Welche Auswirkungen hätte dies auf wen: Ehefrau, Tochter, Vorgesetzte, Karriere, Kolleginnen und Kollegen usw.? Die Frage nach den Auswirkungen bringt meist gute Erklärungen, wieso jemand ein Ziel eher stärker weiterverfolgt oder aufgibt. Dahinter steht also die Hypothese, dass es bisher gute Gründe in ihm gab, die Reduktion des Arbeitspensums nicht weiter zu verfolgen. Bezüglich Lösungen des Fallgebers fallen mir zwei Punkte auf: Die Äußerung der Coach bezüglich des Desinteresses „bei diesen eher oberflächlichen Ausführungen“: Wenn die Coach eine Bewertung vornimmt, welche Themen oberflächlich sind und was mögliche Kernthemen sein könnten, dann übernimmt er zu viel Verantwortung. Im Konzept der inneren Stimmen, die ja offensichtlich beim Kunden vorhanden sind, ist es gerade wichtig, dass der Kunde seine inneren Stimmen sortiert und bezüglich seines Anliegens in eine optimale Aufstellung bringt. Explorierendes Nachfragen seitens der Coach kann sehr hilfreich sein. Sollte der Kunde zum Schluss kommen, dass die R ­ eduktion auf 80 %

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2  Verhalten der Coachees

doch nicht der richtige Weg ist, dann ist das ein Ergebnis, das die Coach auf mögliche Auswirkungen hinterfragen kann. Eine Wertung wäre aber fehl am Platz. Das Ansprechen von Irritationen von mir als Coach kann durchaus eine hilfreiche Intervention sein, da gehe ich mit der Fallgeberin mit. Dadurch kann der ursprüngliche Auftrag – mehr Zeit für die Tochter haben – durchaus nochmals hinterfragt werden. Ein weiteres Explorieren, worum es dem Kunden eigentlich geht, kann unterstützt werden. Erst wenn klar ist, welches das Kernanliegen des Kunden ist, macht es auch Sinn, in die Lösungsexplorationen zu gehen. Robert Wegener Im dargestellten Fall entsteht der Eindruck, dass die Coach mit ihrem Klienten einseitig an einem Themenblock arbeitet, obschon der Klient möglicherweise in einem Zielkonflikt mit weiteren Themen gefangen ist. So spricht die Coach von zentralen Bedürfnissen, nämlich „weniger arbeiten, mehr Zeit mit der Tochter, Vatertag einmal pro Woche, Sabbatical“. Dem Klienten fällt es aber offenbar schwer, daran in der Zeit zwischen den Coaching-­ Sitzungen zu arbeiten. Anliegen, die der Klient jeweils zu Beginn der neuen Sitzungen einbringt, sind dann oft beruflicher Natur, was die Coach irritiert. Inwiefern die Coach in der Kontraktphase mit dem Klienten differenziert geklärt hat, welche Wichtigkeit und Bedeutung für ihn diese Themen tatsächlich haben, bleibt unklar. Im Folgenden wird von mir eine inhaltliche Hypothese eingeführt, wieso es dem Klienten nicht gelingt, seine Themen wirksam zu bearbeiten. Das Argument für diese inhaltliche Hypothese ist, dass der Klient während mehrerer Sitzungen an diesen Themen festhält und auf die Frage der Coach, ob ihm die Anliegen vielleicht doch nicht so wichtig sind, gegensteuert: „Nein, nein, das stimmt schon, das ist mir am wichtigsten, ich vergesse es einfach“. Folgt man der Einschätzung, dass es sich für den Klienten um tatsächlich wichtige Themen handelt, ist davon auszugehen, dass er im Sinn der inhaltlichen Hypothese in einem Zielkonflikt gefangen ist (vgl. dazu Grant 2018; Locke et al. 1994). Das würde bedeuten, der Klient möchte zwar die genannten Themen angehen, aber andere Anliegen, die in eine andere Richtung weisen, stehen ihm dabei im Weg. Im Ergebnis zeigt sich der Klient entsprechend ambivalent: Er möchte die beschriebenen Ziele erreichen, setzt sich aber dafür nicht wirklich ein. Als klassisch lösungsorientierte Intervention würde es sich anbieten, die genannten Ziele auf deren Wichtigkeit und Schwierigkeit zu skalieren und sicherzustellen, dass es sich um Ziele und nicht vage Themen handelt, z. B.: • Wie wichtig ist Ihnen dieses Ziel auf einer Skala von 0 (gar nicht wichtig) bis 10 (maximal wichtig)? • Wie schwierig schätzen Sie die Erreichung dieses Ziels auf einer Skala von 0 (überhaupt nicht schwierig) bis 10 (maximal schwierig, jedoch erreichbar, wenn ich mich maximal einsetze) ein? Im Sinn eines diagnostischen Werts könnte auf dieser Weise überprüft werden, wie motiviert der Klient für seine Ziele ist. Die Wichtigkeit gäbe zum einen Hinweise auf die

2.6 Praxisbeispiel 6

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Attraktivität der Ziele, die Schwierigkeit im Gegensatz dazu auf die Selbstwirksamkeitsüberzeugung des Klienten, sprich den Grad der Überzeugung, die Ziele auch erreichen zu können. Würden die Werte für die Wichtigkeit eher niedrig oder für die Schwierigkeit eher hoch ausfallen, wären beides diagnostisch relevante Hinweise für die Coach. Folgt man meiner obigen Falleinschätzung, liegt die Hypothese nahe, dass der Klient seine Ziele bezüglich Wichtigkeit und Schwierigkeit hoch bewertet. Basierend auf einer solchen Hypothese würde die Frage ins Zentrum rücken, was es für den Klienten so schwierig macht, seine privaten Ziele zu erreichen. Im Sinn einer methodischen Hypothese gibt es darauf nun verschiedene passende Interventionen. In Anlehnung an die dem virtuellen Zielerreichungs-Coaching nach Geißler zugrundeliegenden Coaching-Konzeption (vgl. dazu Wegener 2019, S. 126ff.) gibt es bezogen auf diese Frage zwei vom Grundsatz her unterschiedliche Antwortmöglichkeiten. Entweder der Klient verfügt nicht über die notwendigen Fähigkeiten, um diese Ziele zu erreichen, oder etwas hält ihn zurück und bremst ihn. Klienten gelingt es in der Regel gut, zu entscheiden, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft. Die Antwort des Klienten wäre dann die Ausgangslage für die Erarbeitung eines Lern- und Entwicklungsziels, das dem Klienten helfen kann, sein formuliertes Ergebnisziel (vgl. oben) zu erreichen und die vorhandene Ambivalenz in seinem Verhalten zu überwinden. Eine alternative, jedoch verwandte Vorgehensweise bestünde in der Arbeit mit der Affektbilanz nach Maja Storch (2011, S. 185ff.). Mittels der Affektbilanz wird geklärt, wie viel positive (maximal 100 %) und wie viel negative Gefühle (maximal 100 %) ein Klient einer Thematik gegenüber empfindet. Storch (2011) argumentiert, dass jemand nur dann, wenn er einem Ziel gegenüber 100 % positive und 0 % negative Gefühle erlebt, dieses mit voller Kraft verfolgen kann. Im vorliegenden Fall liegt die Vermutung nahe, dass der Klient auch negative Gefühlsanteile hat. Die zentrale Frage im Coaching würde dann lauten, inwiefern es dem Klienten gelingen kann, seine negativen Gefühlsanteile zu reduzieren. Zu guter Letzt würde auch die Arbeit mit dem inneren Team (vgl. Schulz von Thun 2019) durch die Identifikation innerer Stimmen im Sinn der Hypothesenbildung Aufschluss da­ rüber geben, welche Kräfte im Klienten in Bezug auf seine Ziele positiv und welche eher bremsend wirken. Der Coach ist es in diesem Fallbeispiel (noch) nicht gelungen, alle für das vorliegende Coaching-Thema relevanten Aspekte sowie die innere Dynamik des Klienten genügend zu erfassen. Die Aussage „Ich denke, er ist am Suchen und es könnte sich schließlich auch um ein ganz anderes Thema handeln“ weist aber auf eine Öffnung hin. Es wird nun wichtig sein, dass die Coach das Kind nicht mit dem Wasser ausschüttet, also anstelle einer Entweder-­oder-Position eine Sowohl-als-auch-Perspektive einnimmt. Das bedeutet, dass sie den Klienten einlädt, alle für diesen relevanten Themen zu berücksichtigen. Claudia Beutter Die Coach nimmt das wiederkehrende Kreisen um das Kernanliegen als anspruchsvoll wahr. Worin die Coach die Schwierigkeit konkret sieht, wird für mich nicht deutlich. Das Hindernis auf dem Weg zur Lösung für den Coachee? Das Hindernis, die Erreichung der vereinbarten Ziele als Coach wirksam zu begleiten? Vielleicht auch beides?

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2  Verhalten der Coachees

Im beschriebenen Fall legt die Coach ihre Wahrnehmungen offen und erfährt dabei, dass ihr Coachee Druck als notwendig erachtet, um an seinen persönlichen Zielen festzuhalten. Die Frage der Coach nach den Ideen, wie sich der Coachee diesen Druck selbst aufbauen könnte, bleibt ohne Antwort. Es wäre interessant zu fragen, woher der Druck im Arbeitskontext kommt (hier gibt es anscheinend genügend) oder woher der Druck für seine Ziele im privaten Bereich kommen könnte. Die Coach will ihren Coachee nicht „zu stark“ inhaltlich steuern, möchte es aber? Sie geht vielleicht davon aus, dass – statt äußerem Druck – eine intrinsische Motivation vorhanden sein müsste, um eine Veränderung zu erreichen. Dem Desinteresse der Coach könnte nachgegangen werden: durch nicht zielgerichtete Kommunikation (kreisen um die Kernanliegen)? Ausgehend von der Annahme, dass sich der Coachee immer sinnvoll verhält, könnte überlegt werden, welche Funktion das Kreisen für ihn erfüllt. Die Frage nach der Rolle, die eine Coach bei der Umsetzung von Vorhaben innehaben soll, kann Teil des Coaching-­ Kontrakts sein oder im eigenen Coaching-Verständnis deklariert werden. Dass es die Coach beschäftigt, könnte ein Hinweis dafür sein, dem Thema Zielorientierung nachzugehen. Die beschriebene Lösung, den Coachee in der Folge im Suchen zu unterstützen, spricht dafür, dass ein „recontracting“ (in Form des Aushandelns eines neuen Ziels) vorgenommen wurde. Ob dies explizit mit dem Coachee geschehen ist oder implizit als Lösung für das Aufrechterhalten des Interesses der Coach bestimmt ist, bleibt in der Darstellung offen. Die Gegenüberstellung der Begriffe berufsbezogene Herausforderungen und Kernanliegen lässt darauf schließen, dass die beiden Themen getrennt betrachtet und die beruflichen Themen nur im Dienst der Kernanliegen (Zeit mit der Tochter, Zeit usw.) thematisiert werden sollen. Die Themen sind aber miteinander verbunden, zumindest über den Aspekt Zeit. Wird für das eine Thema mehr Zeit in Anspruch genommen, steht für das andere Thema weniger zur Verfügung. Es könnte sich beim Coachee um unbewusste andere Ziele oder Bedürfnisse handeln, die seinen Kernanliegen widersprechen. Kegan und Lahey (2009) haben dazu einen interessanten Ansatz entwickelt. Es geht ihrer Überzeugung nach bei solchen Anliegen darum, herauszuarbeiten, weshalb eine Person immer wieder Verhalten zeigt, das dem ernsthaften und offen deklarierten Ziel widerspricht. Sie nennen dies die „immunity to change“, hinter der eine Art Glaubenssatz steht. Sie empfehlen ein Vorgehen, das darauf ausgelegt ist, diese Zwickmühle zu erkennen und die dabei mitwirkenden Glaubenssätze schrittweise zu überprüfen und zu aktualisieren. Dass der Coachee seine Coach als Druckgeberin vorschlägt, spricht für mich dafür, dass er denkt, es aus sich heraus nicht zu schaffen. Die Coach schlägt als Witz vor, ihm Druck aufzusetzen, verfolgt das Thema Druck dann aber nicht weiter. Ein Erkunden des notwendigen Drucks anhand von Fragen könnte Erkenntnisse für die Umsetzung oder für Hindernisse in der Umsetzung der Kernanliegen bringen. Die Coach könnte so das Unterstützen des Suchens hypnosystemisch angehen und so systematisch die inneren Prozesse für den Coachee erfahrbar, bewusst und letztlich veränderbar machen.

2.6 Praxisbeispiel 6

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Heidi Möller Der Fall zeigt anschaulich, dass es eine Illusion ist, arbeitsweltbezogene und lebensweltbezogene Beratung scharf voneinander zu trennen. Das Anliegen des Kunden kann nur aus der Perspektive des Rollenträgers und der privaten Person verstanden werden. Die divergierenden Ziele der beiden inneren Instanzen rufen danach, integriert zu werden. Das Beispiel zeigt zudem einen typischen, normativen Diskurs. Der Wandel der Arbeitswelt geht einher mit einem Wertewandel. Viele der jungen Mitarbeiterinnen wollen leben und arbeiten. Um nicht anders zu sein als der Mainstream, braucht es vor dem eigenen Über-Ich eine Demonstration einer Wertestruktur: Ich will Zeit für die Familie haben und weniger arbeiten. Im Coaching müsste die Belastbarkeit dieser Haltung abgeklopft werden. Will der Coachee das wirklich oder ist es vielleicht viel interessanter zu arbeiten, als sich mit der pubertierenden Tochter rumzuschlagen? In dubio pro libido: Im Coaching muss ein Raum ermöglicht werden, der es ermöglicht, die wirklichen Bedürfnisse kennenzulernen, sich unter Umständen von Über-Ich-Botschaften, ein treusorgender Familienvater sein zu müssen, zu lösen und die Dinge zu benennen, wie sie wirklich sind. Sich zuzugestehen, lieber zu arbeiten und die damit einhergehenden privaten Konflikte in Kauf zu nehmen, kann auch Thema im Coaching sein. Es täten sich dann vollkommen andere Interventionsebenen auf. Wenn er das Bedürfnis hätte, dann scheint es schwierig zu sein, das durchzusetzen. Eine unklare Bedürfnislage scheint mir zunächst einer Klärung zugeführt werden zu müssen. Vielleicht strebt der Coachee kein verändertes Geschlechterverhältnis an. Coaching heißt: ideologische Offenheit. Die Coach im Fallbeispiel weigert sich, als Umsetzungsunterstützerin aufzutreten. Warum eigentlich? Schließen wir uns einem verhaltenstherapeutisch geprägten Konzept des Coachings an (vgl. Greif und Benning-Rohnke 2015), gehört dieses Element dazu. Handlungsziele werden oft nicht praktisch umgesetzt. Forschung und Erfahrungen legen nahe, dass die unzureichende Formulierung konkreter Umsetzungsabsichten sowie die fehlende Begleitung in der Verstetigung neuer Verhaltensroutinen maßgeblich dafür sind. Nach einer Panelerhebung hat sich in Projekten mit Umsetzungsunterstützung die Zielerreichung im Bereich der Profitabilität um 29 % verbessert und in dem Aspekt der Wachstumsorientierung sogar um 105 % (vgl. Greif und Benning-Rohnke 2015, S. 25). Ein Blick in die Zukunft des Coachings lässt mich behaupten, dass die Kombination von Face-to-face-Coaching mit digitalen Umsetzungsunterstützungstool (SMS, Apps) vielversprechend ist und die Wirksamkeit des Coachings steigern lässt. Die Zögerlichkeit der Coach, eine Dompteurin zu sein, kann ich gut einfühlen, wenn die Quelle dieses Wunschs ein Menschenbild der Theorie X ist: „Der Mensch ist unwillig und hat grundsätzlich eine Abneigung gegen Veränderung und versucht, ihr aus dem Weg zu gehen“. Die Theorie  Y besagt hingegen: „Der Mensch ist intrinsisch motiviert und ­engagiert, sein Leben in Richtung von mehr Zufriedenheit zu gestalten“ (vgl. Schreyögg und v. Werder 2004). Im Fall des Vorliegens einer pessimistischen anthropologischen Prämisse müssten die biographischen Hintergründe eines solchen mentalen Modells untersucht werden, um zu ermöglichen, dass eine unter Umständen nützlichere Sicht auf den Menschen Raum gewinnen kann.

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2.7

2  Verhalten der Coachees

Praxisbeispiel 7

Fallbeschreibung Eine Coachee berichtet über ihre Arbeit im Jugendamt in der Rechtsberatung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Ihr Einsatz und ihr Engagement wurden von ihren Vorgesetzten nicht wirklich anerkannt. Sich stark für das Kindeswohl einzusetzen, war nicht oberste Priorität. Priorität war es eher, nicht aufzufallen und sich mit den Gerichten und dem politischen Willen der jetzigen Regierung zu arrangieren. Sie hatte sich mit der Zeit aufgerieben und zeigte schon Erschöpfungssymptome. Zu Beginn hatte sie so einen enormen Redebedarf, dass ich als Coach fast nicht zu Wort kam. Diese Hilflosigkeit lähmte mich ebenfalls. In den folgenden Sitzungen war es hilfreich, dass sie lernen konnte, ihre eigenen Grenzen wieder zu achten, sich im Engagement in puncto Vorgesetzter, Team und Kooperationspartner zurückzunehmen. Wir besprachen Möglichkeiten und entwickelten Dinge, die für sie entlastend waren, und sie lernte einen achtsamen und freundlichen Umgang mit sich selbst. Doch die Resignation in puncto Arbeit blieb bestehen. Da sie nur noch ein Jahr bis zu ihrer Pension hat, ist diese Situation für sie sehr schwer auszuhalten. Wie ist die Coach vorgegangen? Wie erwähnt, hat mich der Redebedarf zu Beginn fast erschlagen. Sie hatte so ein starkes Bedürfnis, sich Dinge von der Seele zu reden, dass Interventionen meinerseits bei ihr noch gar nicht wirklich ankamen. Ich habe diesen Fall dann in einer Intervision mit Kolleginnen besprochen und war anschließend im Umgang viel sicherer. Den Fokus auf sich selbst zu richten und weniger auf das Außen fixiert zu sein, war ein Schlüssel, der sie zur Ruhe kommen ließ. Dies zeigte sich auch in ihrer Aussage: „Bei Ihnen werde ich immer so ruhig“. Eric Lippmann Als erstes ist es für mich auch hier wichtig, in welchem (Überweisungs-)Kontext diese Beratung stattfindet. Ist es Supervision im Kontext der Organisation, also Supervision von diesen Sozialarbeitenden? Und habe ich dann den Auftrag der Organisation und wie lautet der? Etwa: Sorge dafür, dass die Sozialarbeiterinnen sich besser regulieren und hier nicht als politische Bürgerinnen sitzen, sondern als Rollenträgerinnen einer Behörde. Oder handelt es sich um eine Kundin, die von sich aus zu mir kommt und mich bezahlt? Was wäre ihr Auftrag? Die Antwort würde ich in meine Arbeit einbeziehen. Die beschriebene Zwickmühlensituation würde sich vermutlich im Auftrag an mich spiegeln: „Diese Hilflosigkeit lähmte mich ebenfalls“. Dieser Fokus Hilflosigkeit zieht sich als Thema durch. Flüchtlinge sind ja schon oft in einer Hilflosigkeit und dann noch die Kundin. Das ist schon dieser Spiegelungseffekt, der für mich zentral wäre. Was bei mir bei diesem Fall besonders anklingt, ist die uralte Debatte, die ich aus der Psychotherapie kenne: Sind wir eher stützend dafür, dass Leute die schwierigen Situationen aushalten? Damit sind wir Öl im Getriebe von schwierigen Situationen. Oder sind wir eher ein bisschen auch Störer im ganzen System? Was ist unsere Aufgabe in den helfenden

2.7 Praxisbeispiel 7

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Berufen? Und die Frage: Was ist das Anliegen dieser Person, die hier gekommen ist? Und je nach Kontext wäre ihre Aussage „Ihr Einsatz und ihr Engagement wurden von ihren Vorgesetzten nicht wirklich anerkannt“ nicht als Erfolg zu deuten. Wenn ich das Vorgehen der Coach lese, dann kommt mir schon der Gedanke in den Sinn, den ich bereits geäußert habe: Sind wir sedativ auch für die Kundinnen und Kunden? Ist es unser Job, die Leute ruhig zu halten, damit sie gut funktionieren? Robert Wegener Im Sinn des Kontrakts besteht das Ziel im vorliegenden Coaching-Fall offenbar darin, der Klientin zu helfen, sich der vom Jugendamt vorgegebenen Situation anzupassen. Die Klientin soll lernen, mit den Vorgaben des Jugendamts klarzukommen respektive sich damit zu arrangieren und die eigenen Grenzen besser zu respektieren. Dies steht im Kontrast zu der ursprünglich von der Klientin verfolgten Strategie, sich maximal bis zur Verausgabung für das Kindeswohl einzusetzen. Es scheint klar, dass das Coaching zu wenig weit gegriffen hat und wichtige Facetten nicht erfasst wurden. Anders ist die berufliche Unzufriedenheit und Resignation der Klientin am Ende des Coachings nur schwierig zu erklären. Im vorliegenden Coaching hat vermutlich entsprechend der Zielsetzung keine vertiefte Auseinandersetzung der Klientin mit ihrer eigenen beruflichen Identität stattgefunden. Weiter wurde wohl auch nicht geklärt, inwiefern die Klientin in der Gestaltung ihrer beruflichen Rolle vorhandene Spielräume nutzen könnte, um zumindest eine gewisse Passung zwischen dem Anspruch der Organisation und den eigenen Ansprüchen herzustellen, und sie nicht wie jetzt vollständig auf ihre eigenen Ansprüche hätte verzichten müssen. Damit verbunden ist die inhaltliche Hypothese, dass die Klientin keine differenziert ausgearbeitete Vorstellung ihrer beruflichen Rolle hat. In einem Rollen-Coaching (vgl. dazu z. B. Lippmann 2013, S. 24ff.; Eck 1990) würde eine solch differenzierte Auseinandersetzung genau stattfinden. Dabei hätte die Klientin für sich z. B. erkennen können, dass sie in gewissen Fällen das Kindeswohl priorisieren kann, in anderen Fällen der zurückhaltenden Amtsstrategie folgen sollte; mit insgesamt positiver Wirkung auch auf ihr berufliches Sinnerleben und Selbstverständnis. In einem Rollen-Coaching hätte die Klientin weiter erörtern können, wie sie einen positiven Einfluss darauf ausüben kann, wie sie von ihrem beruflichen Umfeld wahrgenommen wird. Sich für das Kindeswohl einzusetzen, muss ja nicht per se bedeuten, anzuecken. Eine weitere inhaltliche Hypothese könnte darin bestehen, dass die Klientin eine zu wenig klare berufliche Identität hat und es nützlich sein könnte, mit ihr daran zu arbeiten. Eine mögliche Intervention hierfür wäre das Modell der Logischen Ebenen (vgl. dazu Dilts 1994). Im Modell der logischen Ebenen werden sechs unterschiedliche Ebenen menschlichen Handelns und Seins unterschieden: Umgebung, Verhalten, Fähigkeiten, Werte, Identität und Sinn. Auf der Basis dieses Modells hätte die Klientin unter Umständen erkennen können, was ihr beruflich auf den unterschiedlichen Ebenen – etwa im Sinn von handlungsleitenden Werten, beruflicher Identität oder Sinngebung – besonders wichtig ist. Möglicherweise hätten sich daraus Optionen ergeben, wie sie diese Ambitionen auch außerhalb ihres aktuellen Arbeitsplatzes realisieren könnte, z. B. in Form engagierter

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2  Verhalten der Coachees

Freiwilligenarbeit. Ein achtsamerer und freundlicherer oder aber zumindest gelassener Umgang mit sich selbst am jetzigen Arbeitsplatz hätte sich dann vielleicht ganz von selbst eingestellt. Im Sinn einer Evaluation des Coachings konnte die Coach der Klientin in Bezug auf die eingangs beschriebenen Erschöpfungssymptome helfen. Der Eindruck, beruhigend  – wenn nicht schon sedierend – gewirkt zu haben, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die berufliche Motivation (vgl. Schmidbauer 1977) der Klientin, sich für das Thema Kindeswohl einzusetzen, nicht wirklich thematisiert wurde. Es sieht ganz danach aus, als hätte die Klienten, in der Sprache der Schulmedizin gesprochen, eine beruhigende Pille erhalten, die ihr offenbar auch etwas von ihrer Lebensenergie genommen hat. Claudia Beutter In dem beschriebenen Fall reibt sich anscheinend jemand mit der Zeit bis zur Erschöpfung auf und hat „enormen Redebedarf“. Das spricht für mich dafür, dass das Aufreiben nicht als verbale Äußerung erfolgt, sondern innerlich. Hier könnte es hilfreich sein, die aufgestaute Reibung über Reden abzubauen. Ich sehe eine Ähnlichkeit zwischen dem Erleben der Coach im Coaching (kaum zu Wort kommen, gelähmt fühlen) und der Hilflosigkeit ihrer Coachee. Die Coachee kann die Dinge nicht ändern, kann nur für sich entscheiden, es anders zu machen. Das wird anscheinend eher gebilligt und nicht geschätzt. Die Arbeit mit der Coach scheint auf den Umgang mit den eigenen Ressourcen zu fokussieren. Was mir in der Beschreibung auffällt ist, dass diese Situation sehr schwer auszuhalten ist  – nicht, weil es noch lange dauert, sondern weil es nur noch ein Jahr bis zur Pensionierung dauert. Das klingt für mich so, als hätte sie nicht genug Zeit, grundsätzlich etwas zu ändern. Resignation zum Abschluss einer so intensiven und persönlich engagierten Arbeit kann negative Auswirkungen auf die Zeit danach haben. Es gibt keine Aussage, woher die Coaching-Idee kommt, wer den Auftrag erteilt und welches Ziel die Coachee selbst eingebracht hat. Was will die Frau jetzt? Wie will sie ihr letztes Jahr gestalten, wie den Übergang in die Pensionierung? Sie scheint sich überaus für das Kindeswohl einzusetzen. Meine Hypothese ist, dass sie über ein stärkeres Bewusstsein des Zusammenhangs ihrer beruflichen Identität und ihrer Wertehaltung den Zusammenhang mit der Wertehaltung und der Wertschätzung durch den Vorgesetzten loser gestalten könnte. Dass sie allenfalls das Sehnsuchtsziel hat, ihr Vorgesetzter möge inhaltlich so werteorientiert sein wie sie selbst, erscheint mir nachvollziehbar. Ein weiteres Thema, das mir wichtig erscheint, ist der sehr hoher Grad an Überschneidung von Person und Rolle. Sie bringt sich beruflich sozusagen mit Haut und Haar ein – es geht ja auch um Leib und Leben. Das könnte bedeuten, dass sie persönliches Sein und Berufsrolle als Einheit wahrnimmt, was bei einem so brisanten Thema auch doppelt schwierig ist. Da wäre eine Ermüdung, auch infolge von fehlender Distanzierungsmöglichkeit gut denkbar. Ich kann mir vorstellen, dass die Klientin für einen Weg zu gewinnen ist, der sich am Kindeswohl orientiert. Das wäre meines Erachtens möglich für die Thematisierung ihrer Müdigkeit und auch dann, wenn es um eine Umdeutung von Nichtanerkennung dieses Vorgesetzten geht.

2.8 Praxisbeispiel 8

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Heidi Möller Ich könnte zwei unterschiedliche Szenarien entwerfen: Was wäre mein Auftrag, wenn hier eine Frau, die sich in einer für sie bedeutsamen Arbeit erschöpft, vor mir sitzt? Was würde ich dann tun? Das wäre sicherlich etwas ganz anderes, als wenn es einen Auftrag der Organisation gibt, die sagt: „Pass auf, dass mir die Leute nicht krank werden. Sieh zu, dass hier nicht zu viel entgegen der Regierungsoption entschieden wird!“ Bei so einem hochbrisanten, aktuellen, politischen Thema ist die Abstinenz der Coach besonders schwierig. Wir alle, egal in welcher Funktion, sind immer auch Bürgerinnen und politische Menschen und das gilt es gut zu balancieren. Falls ich richtig zwischen den Zeilen lese, hat die Coach eine Leitidee: Gut ist, wenn man sich zurücknimmt. Es herrscht die Vorstellung vor: Wenn man erschöpft ist, dann muss man weniger arbeiten. Ist das die Antwort? Auch als Jugendamtsmitarbeiterin habe ich Entscheidungsspielraum: Will ich rebellisch sein? Dann muss ich den Preis dafür zahlen, dass ich keine Anerkennung bekomme. Dann hole ich mir die Anerkennung aus meiner moralischen Überlegenheit. Ich kann mich dafür entscheiden. Hier wird aber mehr über das Maß an Arbeit gesprochen, weniger über die Haltung. Mir macht sich die Coaching-Klientin durch ihr Ringen um den rechten Weg sehr sympathisch. Die Coach könnte sie darin unterstützen: Wie will sie es halten? Darin sehe ich etwas ganz Vitales, die Klientin zu stärken, ihren Arbeitsstil zu finden und eben nicht den meinigen vorzugeben. Ich würde jedoch zuvor nach Mustern in der Beziehung zu Vorgesetzten fragen. Die Klientin hat eine lange Berufsbiografie hinter sich und falls sie sich immer wieder mit den Vorgaben einer Arbeitsstelle schwergetan hat, könnte dies ein Hinweis auf einen nicht gelösten ödipalen Konflikt sein. Dann könnte das Dort-und-Damals angeschaut werden und wie es sich im Hier-und-Jetzt der aktuellen Arbeitssituation reinszeniert. Die Übertragung aufzulösen, könnte einen großen Entwicklungsschritt möglich machen. Die Frage könnte sich stellen: Wozu brauch ich die Anerkennung der Organisation? Die Fragestellung ließe sich umdefinieren: Ich arbeite mit Freude, ohne dass dauernd jemand sagen muss: „Das hast Du schön gemacht“. Dann könnte über die Arbeitsperiode hinaus eine wunderbare Autonomieentwicklung möglich sein, die auch im privaten Bereich nützlich ist. Im Übergang zur Pension stellt sich die Herausforderung, zukünftig ohne jemanden zu leben, der die Leistung spiegelt. Die Klientin kann lernen, sich unabhängig zu machen und das scheint mir eine gute Vorbereitung „out of the job“ zu sein. Mir gefällt sehr gut, dass die Coach nicht in die Falle getappt ist, den Chef zu ersetzen und die fehlende Anerkennung zu geben. Das ist ja eine Falle, in die man schon mal als Coach hineintappt. Das ist in diesem Fall nicht passiert, sondern hier konnte sie sich abstinent halten.

2.8

Praxisbeispiel 8

Fallbeschreibung Die Coachee kam mit dem Anliegen, dass sie mit ihrer beruflichen sowie privaten Situation in Summe überlastet sei. Sie habe einen 30-Stunden-Job als Projektleiterin,

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2  Verhalten der Coachees

arbeite aber etwa 50 Stunden pro Woche. Auch nachdem sie die drei kleinen Kinder zu Bett gebracht habe, setze sie sich wieder an den PC.  Das Au-pair sei keine wirkliche Entlastung, da sie diese ebenfalls eng steuern müsse. Sie habe ständig Zeitdruck und könne sich auch in der Zeit mit den Kindern nicht wirklich darauf einlassen und schweife mit den Gedanken leicht zur Arbeit ab. Meine Ansätze, ihr berufliches Selbstmanagement zu hinterfragen, blockte sie mit dem folgenden Hinweis ab: Alles sei schon optimiert, aber es seien einfach zu viele Meetings, an denen sie auch unbedingt teilnehmen müsse. Auch in den Coaching-Sitzungen drängte sie sehr auf die Zeit und der Fortgang des Coaching-­Prozesses ging ihr zu langsam. Sie könne sich für das Coaching nicht so oft zwei Stunden oder mehr herausschneiden. Meine Ansätze, dass es gerade in ihrer Situation darauf ankäme, ihr Leben zu entschleunigen und den aktuellen Job und auch andere Elemente ihres Systems zu hinterfragen, konnte sie nur insoweit aufnehmen, dass sie Gespräche aufnahm, um die Stelle in ihrem Unternehmen zu wechseln. Für Achtsamkeitsübungen und -meditationen habe sie keine Zeit. Letztlich brach sie das Coaching ab, indem sie sich nicht mehr zu einem neuen Termin anmeldete und den Rest des bereits bezahlten Pakethonorars verfallen ließ. Wie ist der Coach vorgegangen? Meine Versuche, der Coachee klar zu machen, dass ihr Anliegen nicht mit einem noch schnelleren Coaching-Prozess zu lösen sei, konnte sie nicht annehmen. Im Lauf des Prozesses stellte sie mehr und mehr den Anspruch nach einer Beratung, wie sie ihre Situation schnell ändern könne. Sie wollte sich nicht darauf einlassen, ihr Anliegen mit den Ressourcen zu lösen, die sie bereits hatte. Meine teilweise Verweigerung, ihr Lösungen vorgekaut zu präsentieren, machte sie mehr und mehr unzufrieden. Meine Vermutung ist, dass sie dann zu der Meinung kam, ich als Coach könne ihr nicht helfen. Wolfgang Knopf Eine äußerst belastende Situation, bei der mir die Geschlechterproblematik sofort ins Auge sticht: Wenn sie zu mir käme, taucht die Frage bei mir auf, ob sie mich als Mann ausgesucht hat und welche Bedeutung das hat. Erste These: Um was es auch immer hier geht, die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männer in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft insgesamt sind eine wichtige Hintergrundfolie. „Die Coachee kam mit dem Anliegen, dass sie mit ihrer beruflichen sowie privaten Situation in Summe überlastet sei“, berichtet der Coach. Dieses Anliegen beschreibt die Situation, aber nicht einen Wunsch, einen Auftrag an das Coaching. Man kann zwar davon ausgehen, dass eine Veränderung erwünscht ist, aber in welche Richtung, in welcher Form, bleibt unklar. So reiht sich Coaching in die zu bewältigenden anderen Aufgaben ein, ist wie alle anderen Anforderungen eine Aufgabe, die es effizient zu erledigen gilt. Das Coaching stellt keinen Bruch des gelebten Musters dar. Wie alles andere wird das Coaching auf eine schnelle Wirksamkeit hin überprüft. Da diese aus der Sicht der Coachee nicht gegeben war, wurde das Coaching abgebrochen.

2.8 Praxisbeispiel 8

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Die Herstellung eines tragfähigen Arbeitsbündnisses stellt hier eine Herausforderung und Schwierigkeit dar. Ein erster Impuls, im Coaching einen total entschleunigten Raum anzubieten, als Coach einfach nichts zu tun, um etwas entstehen zu lassen, erscheint aber als Überforderung der Coachee und nicht angebracht. Es scheint im traditionellen Setting sehr schwierig, sich im Coaching nicht zur weiteren fehlgeleiteten Selbstoptimierung verführen zu lassen. Jede Verbalisierung, Visualisierung, letztendlich jede herkömmliche Methode bleibt im Modus der Effizienz verhaftet, weil – so meine Annahme – die Coachee diese Methoden kennt und als Projektleiterin anwendet. In dem konkreten Fall würde ich eine Methode vorschlagen, die ich bei Peter Heintel kennengelernt habe und die ich wiederholt im Coaching mit Führungskräften anwende: Das gemeinsame Spazierengehen. Die Peripatetiker1 haben die Unterstützung des Gehens für das Denken und Reflektieren schon vor einer Ewigkeit erkannt. Die Option, sich mit der Geschwindigkeit des Gehens und gleichzeitigem Denken und Reflektieren dem Thema anzupassen, kann neue und andere Erfahrungsebenen erschließen. „Point of entry“ ist der Körper. Dadurch, dass man immer in Bewegung bleibt, geschieht etwas – was immer es sei. Es erschließt sich möglicherweise ein verlangsamter Raum für Reflexion für ein Coaching. Kornelia Steinhardt Die Situation der Coachee ist kein Einzelfall für Frauen in Führungspositionen. Es ist ein gesellschaftlicher Widerspruch auszumachen, der Frauen, die sowohl anspruchsvolle berufliche Tätigkeiten als auch Familie unter einen Hut bringen wollen, in eine fast unauflösbare Double-bind-Situation bringt: Entweder leidet das Berufsengagement oder die Familie – es ist die Schuld der Frau, die beides nicht schafft. Die Unterstützungssysteme, die beiden Geschlechtern zugutekommen sollten, sind nach wie vor nicht ausreichend etabliert. Ebenso fehlt die gesellschaftliche Bereitschaft, hier eine andere Haltung zu entwickeln. Der Umgang in vielen Organisationen mit diesen Doppelbelastungen für Frauen spiegelt diese Dynamik wider. Die hier geschilderte Coachee scheint in diesem Widerspruch gefangen und erlebt sich vermutlich unbewusst als schuldig, den Anforderungen nicht gerecht zu werden, was Beschämung auslöst, die wiederum abgewehrt werden muss. Es darf scheinbar kein Raum eröffnet werden, in dem darüber nachgedacht werden kann, warum sich die Coachee so quälen muss, in beiden Lebensbereichen möglichst perfekt zu performen. Eine Gegenübertragungsanalyse macht deutlich, dass der Druck der Coachee so hoch ist, dass man als Coach letztlich nur scheitern kann: den bewussten und unbewussten Ansprüchen der Coachee nie entsprechend, so wie sie selbst ihren überhöhten Ansprüchen nie genügt. Daher ist der wesentliche erste Schritt der Aufbau eines vertrauensvollen und stabilen Arbeitsbündnisses. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Überlastung und der Druck der Coachee ausreichend anerkannt werden und der Coach in gewisser Weise zum Container der unerträglichen Gefühle der Coachee werden kann. Dies beinhaltet auch, die 1

 Vertreter der Lehren des Aristoteles.

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2  Verhalten der Coachees

unerträglichen Gefühle der Coachee aufzunehmen und sie in annehmbare Gedanken zu übersetzen. Damit ist gemeint, dass der Coach viel Verständnis vermittelt und zunächst den Bedürfnissen der Coachee entgegenkommt. Dies könnte z. B. bedeuten, keine zweistündigen Coaching-Sitzungen abzuhalten, sondern kürzere Sitzungen zu vereinbaren. Wenn es gelungen ist, ein vertrauensvolles Arbeitsbündnis aufzubauen, kann daran gearbeitet werden, besser zu verstehen, warum dieser Druck für die Coachee nicht auflösbar erscheint. Auch kann daran gearbeitet werden, wie sie sich selbst Entlastung zugestehen kann – sowohl in der Arbeitssituation als auch in der familiären Situation. So könnte in einem ersten Schritt mehr an Selbstaufklärung erfolgen, ohne die funktionierende Abwehr der Coachee massiv zu beeinträchtigen. Darauf aufbauend kann gemeinsam mit ihr an möglichen kleineren und größeren Strategien der Selbstentlastung gearbeitet werden. Die Verführung in diesem Prozess ist groß, als Coach entweder selbst Druck auszuüben und die Coachee somit in ihren unbewussten Schuldgefühlen zu bestätigen oder im Prozess des Erkennens und Verstehens der persönlichen Mechanismen hängen zu bleiben. Die Balance zwischen Einsicht und Strategieentwicklung gilt es im Auge zu behalten. Ursula Hermann Hier wird von einem hohen Anspruch berichtet, den eine Coachee an sich als Führungskraft, Mutter, Haushaltsmanagerin und Frau stellt und der sie überfordert. Beratung ist immer auch ein Ort, wo gesellschaftlich brisante Fragen fokussiert werden. Die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privateben ist eine solche: Sie wird medial diskutiert, politisch durch Maßnahmen und gesetzliche Regelungen gerahmt. Sie zeigt sich im Coaching – wie in diesem Fall – reduziert auf ein individuelles Problem der vermeintlich richtigen Optimierung. Der mechanistischen Sichtweise von Optimierung wird vonseiten des Coachs mit Entschleunigung begegnet. Ein Blick auf diese unterschiedlichen Wortbilder macht deutlich, dass diese gegensätzlich sind, sich ausschließen. Mag eine Entschleunigung besonders gestressten Menschen Raum geben, um in ein Nachdenken zu kommen, so ist in diesem Fall zu hinterfragen, wie denn eine Bedürfnisoptimierung entschleunigt werden kann, die nur mit einem gewissen Maß an Schnelligkeit funktioniert und für deren Gelingen so etwas wie Achtsamkeit nur Sand im Getriebe ist. Die Coachee kommt mit dem Anliegen, beruflich wie privat Entlastung zu finden. Es muss sehr frustrierend sein, wenn schon alles optimiert ist und es trotzdem noch das, wie es scheint, unerreichbare Optimum zu erreichen gilt. Dieses Frustrierende, Nichtverstehbare und Verzweifelte muss im Coaching einen Raum bekommen, aufgenommen und gehalten werden, wie Bions Modell (1992) des Container-Contained beschreibt (vgl. Lazar 1994). So kann ein Arbeitsbündnis geschlossen werden, das Ängsten, Unsicherheiten und Erschöpfung Raum („container“) wie Halt („contained“) gibt und aus dem heraus die Coachee etwas entwickeln kann, das für sie tatsächlich passt. Diesen Raum und Zugang zur Coachee würde ich über die von ihr verwendeten Begrifflichkeiten versuchen herzustellen, wie z. B. dem Sprachbild der Optimierung. Metaphern (vgl. Lakoff und Johnson 1997) durchdringen unser Alltagsleben, unsere Sprache,

2.8 Praxisbeispiel 8

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unser Denken und Handeln. In der Arbeit mit Metaphern kann innegehalten werden und gleichzeitig ein Blick auf die Coachee selbst und ihre Handlungen und Vorstellungen gerichtet werden, ohne dass sie sich in einer kompletten Entschleunigung, einem Nichtstun wiederfindet. Denn dieses Nichtstun kann etwas sehr Beunruhigendes auslösen, gerade bei Menschen, die extrem eingespannt sind. Sprachbilder, die von der Coachee konzipiert und artikuliert werden, verbinden Wahrnehmung, Körpererfahrung, Emotionen sowie rationales Denken und stellen einen gesellschaftlichen Kontext her (vgl. Kohl 2007). Das ist in diesem Coaching-Prozess relevant, da nicht nur die Anforderungen und Ansprüche von der Coachee einen Ausdruck finden, sondern auch ihre Umwelt und gesellschaftliche Prägung deutlich werden. So können neben der funktionalen Optimierung Empfindungen, Wünsche und Ressourcen ergänzt werden, die die Coachee nicht direkt anführt. Es ist nicht leicht, einem Leben, das als stetig zu optimierender Mühsal erlebt wird, auch Freude über Erreichtes und Gelungenes zuzugestehen. Gerade die Vieldeutigkeit und Subjektivität von Sprachbildern ist in diesem so zwingend funktionalen Lebensentwurf der Coachee eine wertvolle Interventionsmethode (vgl. Münch 2001) und Ressource, um diesen Anteilen einen Raum zu geben. Heidi Möller Wie kann in ein solch freudloses Leben wieder Lust und Leidenschaft einkehren? Die Belastung der Coachee berührt mich stark. Leben heißt für diese Klientin nichts weiter als das Abarbeiten von Problemen. Der gesamte Alltag gleicht einer To-do-Liste. Nirgendwo scheinen wirkliche Begegnungen stattzufinden, auch nicht im Coaching, einem Termin von vielen, den es abzuarbeiten gilt. Sie kann auch mit den Kindern nicht spielen, ohne an die Arbeit zu denken oder das Spiel selbst als Arbeit zu empfinden. Den Stress gibt es ja bekanntlich nicht, sondern nur Bewertungen von Situationen führen zu Überforderungserleben. Das hier dominierende mentale Modell ist die Individualisierung eines gesellschaftlichen Problems, der Tatsache, dass wir noch weit entfernt sind vom Prinzip der Geschlechtergerechtigkeit in Organisation (vgl. Möller und Müller-­ Kalkstein 2014). Die Coachee individualisiert dieses gesellschaftliche Problem: Wenn sie nur alles richtig kontrolliert, managt und organisiert, ist die Belastung behoben. Mit der Idee, durch Selbstoptimierung zur Ruhe zu kommen, muss die Klientin in chronischen Insuffizienzgefühlen gefangen bleiben. Rollenanforderungen an die moderne Frau kann Frau nicht genügen (vgl. Möller 2012). Sie sind widersprüchlich und unerreichbar und führen nicht selten zu psychischen Erkrankungen, wenn diese Paradoxien nicht gesehen werden können. So verbleibt die Coachee ein Hamster im Laufrad. Zu verzichten, Abstriche zu machen, offensiv Nein zu sagen; was würde geschehen, wenn die Coachee dies versuchte? Womit kommt sie dann in Berührung? Das herrschende Muster zu brechen, könnte die Gefahr der Dekompensation mit sich bringen: Was passiert mit ihr, wenn es einmal still wird und es kein Problem zu lösen gibt? Externalisiert hieße das, sie würde unweiblich aggressiv im Unternehmen auftreten. Im internalisierenden Modus könnte sie depressiv werden. Davor scheint der Coach sich zu fürchten und so sind

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2  Verhalten der Coachees

beide nicht in Kontakt getreten. Die Arbeitsbeziehung kann nicht thematisiert werden: „Was ist denn jetzt hier mit uns zwei beiden?“ Eine Belastung für die Arbeitsbeziehung ist die von mir vermutete libidinöse Besetzung der Überforderungsthematik. Es wirkt auf mich, als sei die Coachee auch stolz auf ihren Einsatz. Wer ist sie jenseits von Fleiß und Engagement? Das Risiko, sich dieser Frage zu stellen, erscheint beiden Beteiligten anscheinend zu hoch.

2.9

Praxisbeispiel 9

Fallbeschreibung Ein Abteilungsleiter fühlte sich sehr gestresst, weil er eine überdurchschnittlich hohe Führungsspanne hatte und sich von seiner Chefin nicht unterstützt fühlte. Der Coaching-­ Prozess ging in die Richtung, dass ich ihn dabei unterstützt habe, weniger mit Algorithmen und Prozessdefinitionen zu arbeiten, sondern mehr auf die Selbststeuerungskompetenz seiner Teams zu setzen und diese zu entwickeln. In einer Coaching-Sitzung erzählte er mir plötzlich, er sei hochgradig spirituell, tief von buddhistischen Ideen durchdrungen und könne viele Probleme durch Meditation lösen. Tatsächlich war ich völlig überrascht und muss mir eingestehen, dass ich ihn an dieser Stelle nicht für authentisch hielt. Das Coaching endete nach einer weiteren Sitzung. Er beauftragte mich noch mit Gesprächen mit seinen Gruppenleitern. Anschließend führten wir eine gemeinsame Supervision mit ihm und seinen Gruppenleitern durch. Letztlich führten alle Maßnahmen dazu, dass er sich dem Sandwich recht geschickt entzog. Die Mitarbeiterführung überlässt er seinen Gruppenleitern, die strategische Führung seiner Vorgesetzten. Im Grunde hat er sich überflüssig gemacht. Wie ist der Coach vorgegangen? Ich habe mit ihm besprochen, wie seine spirituelle Stärke und seine diesbezüglichen Aktivitäten bei seinen Führungsproblemen helfen könnten. Darauf ist er nicht weiter eingegangen. Seine Antworten wirkten auf mich wie abgelesen. Kornelia Steinhardt Der Abteilungsleiter schildert die typischen Schwierigkeiten als mittlere Führungskraft in der Sandwichposition. Für Führungskräfte auf der zweiten oder dritten Ebene stellt die Gestaltung der Rolle eine besondere Herausforderung dar, da sie ihren Mitarbeiterinnen gegenüber Führungsverantwortung tragen und zugleich Anforderungen und oft Druck von ihren Vorgesetzten erleben. In diesem Spannungsfeld gilt es als Führungskraft, die eigene Rolle so zu gestalten, dass Druck der von oben kommt, nicht ungefiltert an die Mitarbeiterinnen weitergegeben wird und man umgekehrt nicht zum Sprachrohr der Anliegen der Mitarbeiterinnen nach oben wird. Im Vordergrund des beschriebenen Falls steht die Klärung der Funktion als mittlere Führungskraft: Welche Anforderungen werden an die Gestaltung dieser Funktion im Un-

2.9 Praxisbeispiel 9

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ternehmen gestellt und wie gestaltet der Coachee seine Rolle vor diesem Hintergrund? Was verursacht ihm dabei so viel Stress und wie legt er seine Rolle anders aus und gestaltet sie? Dies gilt es nach beide Seiten hin zu überlegen: Wie führt er die verschiedenen Teams und deren Gruppenleiter? Inwieweit ist es seine Aufgabe, die Mitarbeiterinnen der einzelnen Teams zu führen? Oder kann dies an die Gruppenleiter delegiert werden und er supportet die Gruppenleiterinnen? Der Coachee übernähme somit jene Verantwortung, die er bei seiner Vorgesetzten vermisst. Auf der anderen Seite gilt es zu erarbeiten, welche Erwartungen und Unterstützung er selbst durch seine Chefin braucht. Wie wird es möglich, ihr zu vermitteln, welches Maß an Führung und Unterstützung er selbst benötigt? Mit diesem Zugang könnte der Coachee die Erfahrung machen, dass seine eher technische Gestaltung der Führungsposition letztlich den Stress erhöht hat. Mit dieser anderen Form der Rollengestaltung und der Umsetzungsbegleitung im Coaching könnte es im positiven Fall gelingen, aus der Stressspirale herauszukommen. Insofern ist die Strategie, die Selbststeuerungskompetenz der Teams zu unterstützen, ein Weg in diese Richtung. Die Erwähnung der spirituellen Kompetenz könnte als Selbstwahrnehmung des Coachee verstanden werden, nicht bloß technische Kompetenzen zu haben, sondern auch einen Zugang zu sich selbst zu kennen, der andere Aspekte seiner Persönlichkeit zum Vorschein bringt. Auch wenn es im ersten Moment unzusammenhängend wirkt, so könnte dies in der Weise aufgegriffen werden, im Coaching zu überlegen, inwiefern er seine buddhistischen Ideen und meditativen Kompetenzen im Kontext seines Führungsverständnisses und seiner Haltung konstruktiv im Sinn der Bewältigung der Führungsaufgaben nutzen kann. Es könnte herausgearbeitet werden, welche Fähigkeiten er in diesem Segment bei sich wahrnimmt und welche Bedeutung sie für die berufliche Rolle haben können. Ursula Hermann Ein Abteilungsleiter mit sehr umfassenden Führungsaufgaben hat im Coaching-Prozess all das gelöst, was ihn ursprünglich ins Coaching geführt hat: Die Führungsverantwortung wird auf andere hierarchische Ebenen verschoben, den Stress ist er los, seinen Job hat er noch. Ein gelungener Coaching-Prozess? Nein, zumindest nicht aus Sicht des Coachs. Denn das Bekenntnis des Coachee, „hochgradig spirituell“ zu sein, wird vom Coach hinterfragt und als nicht authentisch wahrgenommen. Außerdem macht sich der Coachee als Leiter letzten Endes „überflüssig“. Was irritiert hier eigentlich? Der Wunsch des Coachee am Ende des Coaching-Prozesses seine Besonderheiten hervorzuheben? Dass sich nicht nur der Coachee als Leiter überflüssig gemacht hat, sondern am Ende auch die Coach nicht mehr gebraucht wird? Wie viel Nichtverstehen darf in einem Coaching-Prozess eigentlich stehen bleiben? In diesem Prozess ist viel gelungen. Auf die Selbststeuerungskompetenz der Teams zu setzen und so die Führungsspanne zu minimieren, hat die Wirkung erzielt, die sich der Coachee erhofft hat. Eine passende Intervention. Auch scheint das Arbeitsbündnis trotz Irritation nicht ganz aus dem Lot geraten zu sein, weil noch weitere Aufträge erfolgten und gut umgesetzt werden konnten. Die sehr plötzlich eingebrachte Spiritualität hat beim Coach Unverständnis ausgelöst. Mitunter genügt es hier sich einzugestehen, dass man als

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2  Verhalten der Coachees

Coach auch etwas nicht versteht. Geißler (2011) hat in seinem Aufsatz zum Verstehen und auch Nichtverstehen in der Beratung zwei Phänomene beschrieben, die sich auch im beschriebenen Fall zeigen: Zum einen kann sich ein Coachee im Beratungssetting nur dann als Subjekt präsentieren, wenn er sicher sein kann, nicht in allem verstanden worden zu sein. In diesem Coaching-Prozess ist die Spiritualität so ein Punkt, der für den Coach nicht nachvollziehbar, dem Coachee aber offensichtlich wichtig ist. Weitere Arbeitsaufträge werden davon nicht tangiert, die Spiritualität kann daher als etwas stehen bleiben, was für den Coachee Bedeutung hat. Der Coach muss das nicht verstehen, im Gegenteil, Geißler (2011) sieht beim Coachee mitunter auch einen Interventionswunsch an den Coach: „Versteh mich bitte auch ein wenig nicht!“ Zum anderen zeigt sich hier, dass der Coach ein notwendiger Überflüssiger ist. Die überflüssigen Coachs bleiben in Erinnerung, weil sie dafür gesorgt haben, dass man sich weiterentwickelt, ein mehr an Autonomie erfahren hat und dies nun auch ohne Beratung genießen kann (vgl. Geißler 2011). Wolfgang Knopf Zuerst gestresst von der hohen Führungsspanne und der Nichtunterstützung durch die Chefin und dann vollkommen entspannt. Zu dieser Entspannung kam es nicht durch die Interventionen des Coachs, sondern durch die Spiritualität, die anscheinend plötzlich auftrat, alle Probleme löste und somit auch den Coach überflüssig machte. Auffällig ist, dass der Coach mit dem Bekenntnis des Coachee, alle Probleme ab jetzt durch Spiritualität und Mediation lösen zu können, nichts anzufangen weiß, ja von dieser Aussage überrascht wird und sie nicht annehmen kann. Es erscheint fast wie an Abbruch der Arbeitsbeziehung durch den Coach. Die Reaktion des Coachee auf die Frage, wie seine spirituelle Stärke bei seinen Führungsproblemen helfen könnte, bestätigen den Bruch im Arbeitsbündnis. Nach wie vor wirkt der Coach distanziert, ja abwertend gegenüber der Einstellung des Coachee, ohne dies aber anzusprechen. Eine Wiederholung fällt auf: Die Chefin unterstützt den Coachee nicht, hat ihm die Unterstützung entzogen. Im persönlichen Coaching entzieht der Coach dem Coachee ab der Buddhismus-Erklärung die Unterstützung. Letztendlich entzieht der Coachee seinen Gruppenleitern seine Unterstützung und nimmt seine Verantwortung in der Sandwichposition nicht mehr wahr. Als These und Frage drängt sich auf: Wie wird die Führungsverantwortlichkeit in dieser Organisation gelebt? Gibt es wirklich überflüssige Führungsebenen? Da ich annehme, dass sein Coaching von der Organisation bezahlt wird, wäre das Resultat einer Triangulierung spannend. Wie würde die Chefin den Coaching-Auftrag für ihren Abteilungsleiter formulieren? Heidi Möller Die benannte Spiritualität des Coachee führt zu Entwertung seitens des Coachs. Ja, er erscheint fast zornig. Mag das Motto: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben! eine Rolle spielen? Auch mir als Agnostikerin würde es schwerfallen, andere Wirksamkeitsmodelle zu respektieren, die das Gegenteil von dem sind, was meine wissenschaftlich fundierten professionellen Coaching-Theorien besagen.

2.10 Praxisbeispiel 10

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Wenn das Ziel des Coachings war, die Selbststeuerungskompetenz seines Teams zu entwickeln, dann war der Coach doch sehr erfolgreich. Diese hohe Kompetenz erinnert mich an ein Statement eines Vorstands eines Automobilkonzerns: „Mein Ziel ist es, die unternehmerischen Prozesse so funktional zu gestalten, dass mein Schreibtisch leer ist“. So ließe sich der Coaching-Prozess als absolut erfolgreich beschreiben. Der Coachee hat hingekriegt, dass seine Leute arbeiten und er Zeit für strategische Fragen hat. Schade, dass der Coach sich selbst so kritisch kommentiert.

2.10 Praxisbeispiel 10 Fallbeschreibung Auf Empfehlung wendete sich der Coachee an mich, weil er ein strategisch wichtiges Projekt nicht gut führen konnte. In diesem Projekt sollte er unabhängige Produktionsvorstände eines Konzerns zu mehr Kooperation bewegen und auf diese Weise das Ergebnis mehrerer Tochtergesellschaften optimieren. Ich wurde eingeladen, während einer Besprechung eine teilnehmende Beobachtung durchzuführen. In der anschließenden Coaching-­Sitzung wurde ich um die Rückmeldung meiner Beobachtungen gebeten. Diese Sitzung war für mich überaus schwierig, denn meine Eindrücke konnten in keiner Weise von meinem Coachee geteilt werden. Ich meldete zurück, dass er in einer konflikthaften Situation einen Produktionsvorstand unter Druck gesetzt habe, ohne zu untersuchen, was die Gründe für dessen Handeln waren. Der Produktionsvorstand verbündete sich daraufhin mit einem Kollegen gegen meinen Coachee und schlug vor, die Arbeitsgruppe aufzulösen, wenn kein offener Austausch stattfinden könne. Mein Coachee brach daraufhin die Besprechung ab und kündigte eine weitere Besprechung für die Zukunft an. In meiner Sitzung wiederholte sich die Szene aus der Besprechung. Als er sich nicht verstanden fühlte, schlug er vor, die Sitzung abzubrechen, und bot an, sich später wieder zu melden. Wie ist der Coach vorgegangen? Ich bot meinem Coachee an, dass wir beide die Besprechung offenbar unterschiedlich erlebt und bewertet haben, und schlug vor, unsere Beobachtungsfolien nebeneinander zu legen. Der Coachee reagierte darauf wütend und meinte, dass ich offensichtlich nichts von solchem Powerplay verstehen würde. Er fühlte sich von mir nicht richtig verstanden und zu Unrecht kritisiert. Ich erläuterte, dass ich meine, dass er eine sehr schwierige Aufgabe zu erledigen hätte und ich davon überzeugt sei, dass die übrigen Besprechungsteilnehmer sehr taktisch agieren würden. Diese Intervention führte zu einer vorübergehenden Beruhigung. Als ich dann später beschrieb, dass er seinen Besprechungspartner unter Druck gesetzt habe, unterbrach er mich und meinte es sein sinnlos, mit mir darüber zu sprechen. Ich bot ihm an, dass ich ihn vielleicht zu Unrecht kritisiert bzw. gekränkt hätte, was er nicht gelten lassen wollte. Danach brach er den Kontakt vorzeitig ab.

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2  Verhalten der Coachees

Brigitte Fritschle Meine erste Frage lautet: Ist die Aufgabe des Coachs richtig und aufgabenbezogen vereinbart und für alle Teilnehmer an dem Meeting klar vermittelt worden? Weiß die Gruppe der Produktionsvorstände über die Aufgabe, die eine teilnehmende Beobachtung leisten soll, Bescheid? Mein erster Eindruck ist: wahrscheinlich eher nicht. Der Coach ist in jedem Fall eine Art Fremdköper. Ein heißeres Eisen als diesen Auftrag kann ich mir kaum vorstellen. Hier kommen handlungs- und in der Regel auch leistungsorientierte Manager zusammen, die in ihren Reaktionen sehr direkt und deutlich werden können. Der Coach braucht eine Anschlussfähigkeit, die sinnvollerweise mit der Kenntnis der Aufgaben und der Spielregeln einer solchen Gruppe einhergehen. Eine Gruppe hochrangiger Manager lässt sich nicht ohne Wissen über Ziel, Aufgabe und mögliches Ergebnis einer derartigen Maßnahme von einem absolut fremden Coach beobachten, auch dann nicht, wenn sich der eigentliche Auftrag auf einen der Manager konzentrieren sollte. Aus der Fallbeschreibung schließe ich, dass sich der Coach seinem Coaching-Partner gegenüber sehr authentisch geäußert hat, mit einem klaren und direkten, möglicherweise direktiven Feedback. Wenn das der Fall war, wäre das meines Erachtens ein Kardinalfehler. Meiner Erfahrung nach erträgt und akzeptiert kein Manager ein möglicherweise kritisches Feedback – schon gar nicht am Beginn eines Prozesses und ohne eine ausreichende Vertrauensbasis. Manager auf dieser Ebene haben ein klares Selbstverständnis von ihrer Position und Rolle. Der Vertrauensaufbau beansprucht Zeit und persönlichen Einsatz des Coachs. Der Wunsch des Coachs, ein Feedback geben zu wollen, ist nicht außergewöhnlich. An dieser Stelle muss meiner Meinung nach allerdings mehr auf Stil, Atmosphäre und die Qualität der Kommunikation geachtet werden. Ein Feedback kann ein scharfes Schwert oder auch ein elegantes Florett sein. Angebracht ist hier eher letzteres. Uwe Böning Unklar bleiben bei der Schilderung der Ausgangslage die Rolle und die Aufgabe des um Unterstützung suchenden Coaching-Partners: Handelt es sich um einen herausgehobenen Vorstand? Um den Vorstandsvorsitzenden selbst? Oder um einen externen Berater für das angezielte Kooperationsvorhaben? In Abhängigkeit davon wäre der geschilderte Ablauf unterschiedlich zu betrachten und zu werten. Drei wichtige Aspekte scheinen mir für eine sinnvolle Intervention als Coach zu wenig geklärt: Erstens: Wie lautet das Kooperationsproblem und die damit im Konzern bzw. in diesem Projekt verbundenen Kooperationsziele? Zweitens: Wie ist die gruppendynamische Ausgangslage zwischen den beteiligten Personen und Rollenträgern? Drittens: Wie sind die Auftragslage und das Beziehungsverhältnis zwischen dem zu beratenden (Sitzungs-)Leiter einerseits und dem Coach andererseits? Hier spricht die Fallbeschreibung möglicherweise nicht für ein Verhältnis auf Augenhöhe, sondern für ein

2.10 Praxisbeispiel 10

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schiefes Machtverhältnis, das die weiteren Diagnose- und Interventionsmöglichkeiten vermutlich weitgehend beeinflussen dürfte. Daraus folgt die zentrale Frage: Was soll eigentlich Ziel und Fokus des vorliegenden Coaching-Prozesses sein? In jedem Fall würde ich es für einen Kardinalfehler eines Beraters halten, wenn er einen Auftrag der Firma wörtlich nimmt und sich in eine Situation hineinbegibt, in der die Aufgabenerfüllung fast nur daneben gehen kann: Die sich in der Aufgabenstellung verbergende reale Machtfrage lässt erahnen, dass es entweder Gewinner und Verlierer oder gar nur Verlierer gibt. In einem Konzernumfeld mit klaren Rollen und mehr oder weniger klaren internen Rollenverhältnissen sowie Abhängigkeiten, ist die wörtliche Umsetzung der Aufgabenstellung selbst bei einer offenen Absprache stets ein gefährliches Unterfangen: Denn wenn sich in diesem Umfeld ein Beteiligter als Verlierer fühlt bzw. sich mit seiner oder ihrer Position nicht in einem offenen und fairen Prozess durchsetzen kann, muss mit Vergeltungsmaßnahmen oder anderen Machtreaktionen gerechnet werden. Diese lassen sich nicht mit einem vertrauensvollen Kommunikationsfeedback lösen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Veränderung realer Machtverhältnisse, die mit Geltungs- und Gestaltungsverlust einhergehen können, nicht als reine Kommunikationsprobleme gesehen und mit vertrauensorientierten Reflexionsprozessen gelöst werden können. Außerdem wäre es meines Erachtens sinnvoll gewesen, die anderen Beteiligten der kritischen Gremiensitzung vor der Rückmeldung durch den Coach zu interviewen, um die inhaltlichen Positionen der beteiligten Produktionsvorstände kennenzulernen und die gruppendynamischen Bezüge besser einschätzen zu können. Das hätte vielleicht eher zu einer Einschätzung der Machtverhältnisse und dadurch vielleicht auch eher zu einer Antizipation der möglichen Leiterreaktionen führen können. Vor der teilnehmenden Beobachtung sollte meiner Meinung nach klar sein: Wie lautet der genaue Auftrag? Von wem wird der Auftrag gegeben und verantwortet? Inwieweit sind alle Beteiligten über diesen Auftrag informiert und einverstanden mit einem Shadowing? An wen soll die R ­ ückmeldung gegeben werden? Inwieweit ist die Bereitschaft zur Aufnahme eines kritischen Feedbacks bei den Beteiligten tatsächlich gegeben und nicht nur vorgegeben? In jedem Fall ist in einer solchen Gewöllesituation immer mit Gefahren und Widerstand zu rechnen. Deshalb ist zu berücksichtigen: Aus welcher Einfluss- bzw. aus welcher Machtposition kann der Coach sein Feedback geben? Wenn diese nicht hoch ist: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Diese Vorsicht bezieht sich auf die angefragte oder auch unbewusste Erwartung des Coaching-Partners, mit dem Coach einen Unterstützer für seine Person bekommen zu haben, der ihn loyal unterstützen soll. Für einen solch schwierigen Auftrag sollte eine Vorausabsprache über das Vorgehen bei unterschiedlichen Einschätzungen der Situation stattfinden, um eine möglicherweise auftretende kritische Kollision konstruktiv abzufangen. Offen bleibt: Handelt es sich beim Abbruchverhalten des um Unterstützung suchenden Coaching-Partners um ein sich wiederholendes Muster, das auf ein persönlichkeitsbezogenes Problemverhalten hinweist oder eher um einen durch das kritische Feedbackverhalten des Coachs (mit-)verursachten Kommunikationsprozess? Eventuell könnte das Verhalten

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2  Verhalten der Coachees

auch mit einem Kulturmerkmal innerhalb des Konzerns zusammenhängen, dass es bei auftauchenden Konflikten relativ schnell zu einem Abbruch der Kommunikation kommen kann. In kritischen Kooperationssituationen ist oft eine paradoxe Situation gegeben: Einer der Beteiligten fordert (intensiv) zu einem offenen Feedback auf – aber wehe es wird tatsächlich gegeben und trifft dabei nicht die Erwartungen des Auffordernden! Die Wahrheit in der Rückmeldung muss nicht nur verstanden, sondern auch akzeptiert werden können. Wahrheit ist nicht immer hilfreich, sondern kann auch ein scharfes Schwert und eine unerträgliche Zumutung sein, die mit der Verarbeitungsfähigkeit eines Betroffenen ausbalanciert werden muss, damit es nicht zur Ablehnung eines Feedbacks oder gar zum Abbruch einer Beziehung führt. Heidi Möller Mein struktureller Blick auf die geschilderte schwierige Situation ist ähnlich. Der Auftrag, High Potentials zu einer Kooperation zu bringen, kann ohne ein Mandat nicht gelingen. Aus isolierten Satelliten kann nicht problemlos ein Ringelreigen formiert werden. Da dieses Buch aber v. a. präventiv hilfreich sein soll, Kollegen und Kolleginnen nicht in Fallen tappen oder gar in Messer laufen zu lassen, beschäftigt mich die Frage, warum der Coach diesen unmöglichen Auftrag nicht abgelehnt hat, nicht gesagt hat: „Das mache ich aber nicht“. Mein erster Gedanke führt mich zur Notwendigkeit der Reflexion des eigenen Verhältnisses zu Macht und Einflussnahme. In Coaching-Ausbildungen ist aus meiner Sicht unabdingbar, dass das Verhältnis zu Hierarchie biografisch geklärt wird. Gerade wenn Coachs Aufträge in hohen hierarchischen Ebenen bekommen, ist es wichtig, die Vertrautheit mit dem Milieu zu reflektieren. Falls ein Coach in seiner beruflichen Tätigkeit viele Milieuwechsel hinter sich hat, muss die innere Haltung zu den „großen Tieren“ stabil sein. Die Gefahr besteht, sich allein durch die Beauftragung durch mächtige Inhaber von Positionsmacht geschmeichelt zu fühlen und durch die narzisstische Fütterung, die ein solcher Vertrauensvorsprung bedeutet, unprofessionell zu werden. Endlich ist man als Coach dort angekommen, wo man immer hinwollte. In einer Welt, in der das x-Fache meines Einkommens generiert wird, braucht es eine robuste Souveränität. Es schmeichelt sehr, quasi als Sekundant in eine Vorstandssitzung mitgenommen zu werden. Die Verführung des Auftrags mag uns vergessen machen, dass jemand sich nur dann einen Sekundanten sucht, wen er sich zumindest unbewusst schwach fühlt. Die Interpretationsfolien der anderen Teilnehmer des Gremiums kennen wir nicht, aber es ist nicht unüblich in diesen Kontexten, dass allein die Tatsache, einen Berater mitzubringen, als Schwäche gelabelt wird. Gleicht in diesem Konzern das Leben an der Spitze einem Haifischbecken, dann evoziert allein der Verdacht der Schwäche Vernichtungsaggression. Geht der Coachee mit dem Eindruck der Schwäche aus der Sitzung, so mein zweiter Gedanke, fragt nach Feedback und bekommt weitere Versäumnisse rückgemeldet, spitzt sich eine innere Dynamik zu. Der Wunsch nach Feedback ist stets ambivalent besetzt: Wir ersehnen es uns und es ängstigt uns zur gleichen Zeit. Auch wenn Feedback in Organisationen hoch im Kurs steht, so ist nicht jede Feedbacknehmerin gleichermaßen in der Lage,

2.11 Praxisbeispiel 11

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dieses konstruktiv zu nutzen (vgl. Budworth und Chummar 2018; DeNisi und Kluger 2000). Bei einer Gruppe von Feedbacknehmern führt es zu Rumination, einem dysfunktionalen Grübeln. Die Interpretation des Coachs der wenig weiterführenden Rückmeldung (wie wahr sie auch immer sein mag) ist die der Balintschen Spiegeltheorie: Es „wiederholte sich die Szene aus der Besprechung. Als er sich nicht verstanden fühlte, schlug er vor, die Sitzung abzubrechen“. Das führt mich zu meinem dritten Gedanken: Alle unsere Analysen und Hypothesen mögen noch so zutreffend sein, sie nutzen nichts, wenn sie nicht als hilfreiches Verstehensangebot erlebt werden. Die Deutung hilft hier dem Coach, aber nicht dem Coachee. Es gilt das alte Anglergesetz: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler!

2.11 Praxisbeispiel 11 Fallbeschreibung Ein Coachee aus einem Unternehmen zeigte sich im Coaching wenig bereit, Themen zu bearbeiten, die im Vorfeld gemeinsam mit ihm und seinem Vorgesetzten besprochen worden waren. Vor dem Start des Coachings und auch zu Beginn der ersten Sitzung wurde durch den Coachee eine große Vorfreude, fast schon Euphorie, kommuniziert. Die eigentlichen Gespräche während des Coaching-Prozesses blieben aber sehr an der Oberfläche. Konkrete Handlungsoptionen, die wir im Coaching besprochen haben, wurden nicht umgesetzt oder zumindest ausprobiert. Darauf angesprochen, reagierte der Coachee stark abwehrend und brach das Coaching sofort ab. Wie ist der Coach vorgegangen? Die Reaktion des Coachee wurde von mir gespiegelt und mit der Frage verbunden, was passiert sei, dass es zum Abbruch kam. Die Antwort war, dass beim Coachee der Eindruck entstanden sei, arbeiten zu müssen. Davon hätte er im beruflichen Alltag schon genug und müsse sich nicht zusätzlich noch Arbeit aufladen. Joachim Sauer Es scheint so, als ob in den Sondierungsgesprächen, die offensichtlich gemeinsam geführt wurden und in einen klassischen Dreieckskontrakt mündeten (vgl. Pühl 2009), die gemeinsamen Ziele für das beauftragte Coaching festgelegt wurden. Scheinbar ist es aber nicht gelungen, ein gut ausbalanciertes Beratungssystem zu kreieren (vgl. Rappe-­Giesecke 2012, S. 64f.), in das gleichermaßen die Erwartungen des Vorgesetzten (als auftraggebendes System), des Coachee (als ratsuchendes System) und des Coachs (als Beratersystem) eingeflossen sind. Wer hat hier die Macht? Es bleibt die Frage offen, ob der Coachee sich selbst in der Auftragsklärung gut vertreten konnte oder ob er vom Vorgesetzten zu diesem Coaching-Prozess verpflichtet wurde und ob der Coach in diesem Dreieck einer weisungsfreien Professionslogik oder unbewusst doch einer gewissen Organisationslogik des Vorgesetzten folgte (vgl. Buer 1999).

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2  Verhalten der Coachees

Diese möglichen Diskrepanzen sind in Anwesenheit aller Beteiligten an den Sondierungsgesprächen vielleicht schwerer zu erkennen als bei einzeln geführten Sondierungsgesprächen (vgl. Rappe-Giesecke 2012). So zeigt sich nach anfänglicher Euphorie der Widerstand gegen das Coaching als mögliche Widerspiegelung der Arbeitswelt. Es würde helfen zu klären: • Wer gibt dem Vorgesetzten welches Feedback? • Welches Risiko ist mit dem Abbruch verbunden? • Was hat dieser Widerstand gegenüber dem Coaching mit den Arbeitsaufgaben des Coachee in der Organisation zu tun? Ein ganzes Bündel an institutioneller Reflexion könnte abgearbeitet werden, um den Widerstand des Coachee besser zu verstehen. Letztlich bleibt es die Entscheidung des Coachee, den Reflexionsprozess weiterzuführen oder – wie in diesem Fall – abzubrechen. Isabell Braumandl Nach meinem Verständnis zeigen sich hier die Folgen einer unsauberen Auftragsklärung ganz deutlich. Insbesondere wenn der Coachee nicht die auftraggebende Person ist, besteht die Gefahr, dass heimliche Aufträge und Ziele informell vereinbart, aber nicht explizit schriftlich für alle Beteiligten klar formuliert werden. Damit sind Vereinbarungen nicht transparent, wirken ungerecht und möglicherweise benachteiligend für Einzelne. Das führt aus meiner Sicht zu einer Beeinträchtigung der gegenseitigen Vertrauenswürdigkeit bis hin zu Misstrauen. Eine vertrauensvolle Interaktion im Coaching ist aber zentral für den Coaching-Erfolg. Deshalb würde ich mit den Beteiligten bei der Auftragsklärung nach Ursachen suchen und ableiten, dass für künftige Aufträge Klarheit geschaffen wird. Könnte es sein, dass der Mitarbeiter Coaching als defizitorientierte Strafmaßnahme verordnet bekommen hat? Dann wundert mich das Verhalten nicht: Sozial erwünschtes Verhalten sind die große Vorfreude und die Euphorie. Die Reaktanz ist letztlich sichtbar im Verhalten bis zum Coaching-Abbruch. Da es im Coaching um die von der Führungskraft vorgegebenen Ziele geht, sind auch die Reaktanz, also die Oberflächlichkeit und die Nichtumsetzung nachvollziehbar. Offenbar hat der Klient Gründe, sich nicht tiefer einzulassen und Dinge nicht umzusetzen, die möglicherweise im Widerspruch zu eigenen Bedürfnissen, Werten und Zielen stehen. Es erinnert mich an eine Art unklares Dreiecksverhältnis: Auftraggeber und Zahler sind nicht der Coachee. Nach meinem Verständnis könnte es also sein, dass der Coach zum Stellvertreter der Führungskraft instrumentalisiert und damit auch das Beratungsformat Coaching missbraucht wird. In solchen Dreiecksbeziehungen sind daher aus meiner Sicht bei der Auftragsklärung immer u. a. folgende Fragen zu thematisieren: • Wie ist das Coaching-Verständnis von Unternehmen, Mitarbeiter und Coach? • Warum wird das Beratungsformat Coaching gewählt? • An wessen Zielen soll gearbeitet werden, an denen des Coachee, der Führungskraft oder der Organisation?

2.11 Praxisbeispiel 11

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• Was ist für die Beteiligten das jeweilige Ziel des Coachings? • Wem wird was zu welchem Zeitpunkt über die Inhalte des Coachings berichtet? Die genaue Auftragsklärung mit Rahmenbedingungen, Kommunikationsverhalten etc. würde ich immer zuerst vornehmen. Davor sollte ich mir als Coach darüber klar sein, wie meine Werte, Haltung bezüglich Coaching in so einer Konstellation sind. Das ist aus meiner Sicht besonders wichtig, weil es als Coach gilt, vorab auch negative finanzielle Konsequenzen durch weniger Folgeaufträge zu durchdenken. Negative Folgen könnten aber auch persönliche Gewissenskonflikte durch Wertedifferenzen oder ein gestörtes Vertrauensverhältnis mit den Klienten sein. Aus meiner Sicht bietet sich hier eine Einzelsupervision mit dem Coach an, um dessen professionelle Rolle und sein konkretes Verhalten zu reflektieren, aber auch konkrete künftige Handlungsoptionen abzuleiten, die mit seiner Haltung und seinen Werten im Einklang stehen. Themenfelder einer solchen Supervision wären beispielsweise das Klärungsgespräch mit Auftraggeber und Führungskraft, die Grenzen von Coaching und das Auftragsklärungsgespräch mit dem Klienten. Zum Schluss bleibt anzumerken: Wenn die von mir als Coach gewünschte Arbeitsweise nicht von allen Partnern getragen wird, würde ich den Auftrag ablehnen. Auch unter Inkaufnahme möglicher negativer Konsequenzen. So handle ich ebenfalls in meiner Coach-Praxis und habe deshalb nur wenige solcher Dreiecksaufträge. Wenn, dann zahlt die Organisation gegen Rechnungsstellung und erhält damit die Information, wann das Coaching stattfand und über welche Zeitspanne es sich erstreckt. Über die Weitergabe von Inhalten des Coachings entscheidet der Klient, von mir geht nichts nach außen. Eva Jonas Hier fällt mir als erstes in den Blick, dass der Coachee zunächst sehr euphorisch war und dann das Coaching abbricht. Was ist hier passiert? War die anfängliche Euphorie nur vorgespielt? Inwiefern war das Coaching verordnet? Welches Mitspracherecht hatte der Mitarbeiter? Welche Konsequenzen hat der Abbruch des Coachings? In der Fallbeschreibung wird geschildert, dass der Coachee das Coaching abbricht, nachdem er stark abwehrend auf die Frage nach Gründen für die mangelnde Umsetzung und das mangelnde Ausprobieren erarbeiteter Handlungsoptionen reagiert. Der Abbruch des Coachings scheint mir eine sehr starke Reaktion zu sein. Der Coachee zeigt hier also deutlich Widerstand, den man in der Sozialpsychologie als Reaktanz bezeichnen würde. Erwarten Personen, ein bestimmtes Verhalten ausführen zu können und wird diese Freiheit bedroht, reagieren sie mit einer motivationalen Tendenz, die Freiheit wiederherzustellen. Dies können sie direkt oder indirekt tun. Spannend wäre zu verstehen, was genau in dem beschriebenen Fall zu dem Widerstand geführt hat. Richtet sich der Widerstand gegen den Auftrag für das Coaching durch das Unternehmen, gegen die Arbeitsweise im Coaching oder gegen beides? Findet im Coaching also eine Wiederholung von Interaktionsprozessen im Unternehmen statt? Möglicherweise war dieser Widerstand schon zuvor erkennbar – es wurde von einer oberflächlichen Arbeitsweise im Coaching berichtet – und der Widerstand hätte vom Coach schon früher thematisiert werden können?

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2  Verhalten der Coachees

Insgesamt scheint es in diesem Coaching nicht gelungen zu sein, ein Commitment des Coachee für die gemeinsame Arbeit herzustellen. Unsere Forschung zeigt, dass das Autonomiebedürfnis im Coaching eine sehr zentrale Rolle spielt. Im Coaching angestrebte Verhaltensänderungen sollten daher mit dem autonomen volitionalen Selbst verbunden werden. Es könnte auch sein, dass es dem Coachee schwerfällt, einen Zugang zu seinem Selbst zu bekommen. In diesem Fall könnte man auch einen Wechsel hin zu stärker erlebensorientierten Methoden vornehmen, die das Selbst möglicherweise stärker involvieren und hierdurch eine Veränderung stärker unterstützen als rein kognitive Vorgehensweisen. Dies könnte auch in Abstimmung mit einer vorherigen Diagnostik, z. B. nach der Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen durchgeführt werden. Sandra J. Schiemann Im geschilderten Fall fällt es mir schwer, eine genaue Diagnostik vorzunehmen, da hier mehrere Parteien interagieren und verschiedene Szenarien für die Entstehung der Schwierigkeiten denkbar sind: • Der Vorgesetzte: Das Coaching war fremdbestimmt durch den Vorgesetzten, obwohl für ein (erfolgreiches) Coaching die Selbstbestimmung des Coachee zentral gewesen wäre. Der Coachee wurde in seinem Autonomiebedürfnis eingeschränkt, weswegen die Motivation für das Coaching nicht aufrechterhalten blieb. • Der Coach: Indem konkrete Handlungsoptionen und dessen Umsetzung nicht vom Coachee selbst kamen, sondern vom Coach, hat sich der Coachee vom Coach in seiner Autonomie eingeschränkt gefühlt (vgl. Imel et  al. 2011), was den Verlauf des Coachings negativ beeinflusste. • Der Coachee: Der Coachee war bereits zu Beginn des Coachings nicht motiviert und hat die Motivation für ein Coaching vorgetäuscht (vgl. Schermuly 2015). Natürlich können auch gewisse Persönlichkeitseigenschaften des Coachee Schwierigkeiten im Coaching verursacht haben (vgl. Schiemann et al. 2020). Alle drei Parteien können das Coaching negativ beeinflusst haben, aber auch ein Mix dieser Szenarien ist denkbar, da soziale Interaktionen dynamisch sind und sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Bierhoff und Jonas 2011; Kelley und Thibaut 1978). Meine Empfehlung ist daher, dass der Coach in einer Supervision ergründet, worin genau das Problem bestand, um die Dynamiken, die zum Abbruch geführt haben, zu reflektieren und aus diesen Erfahrungen für zukünftige Coachings zu lernen. Heidi Möller Ungefähr zwei Drittel aller Coaching-Prozesse werden von Firmen beauftragt (vgl. Middendorf 2019, 2020). Die Aufnahmeprozeduren in den jeweiligen Coaching-Pool sind oftmals aufwendig und werden von vielen Coachs auch als demütigend erlebt. Dennoch, dort spielt die Musik und die Coaching-Anlässe ergeben sich oft aus organisationalen Notwendigkeiten: In einem Assessment-Center sind Entwicklungsfelder ausgemacht worden, eine

2.12 Praxisbeispiel 12

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Führungskraft hat nicht gut bei einer Mitarbeiterbefragung abgeschnitten, Konflikte im Team eskalieren etc. Dreiecks- oder Viereckskontrakte sind im Coaching also die Regel, nicht die Ausnahme. Mein Rekord liegt bei sieben Personen, die an einem Sondierungsgespräch teilnahmen. Allparteilichkeit, Abstinenz oder aber die Fähigkeit zur Triangulierung sind somit als Basiskompetenzen für Coachs anzusehen. Es ist selbstverständlich, dass die Ziele des Vorgesetzten und die des Coachee nicht übereinstimmen und die Personalerin noch einen ganz anderen Blick auf die Fragestellungen im Coaching hat. Der in den Lehrbüchern gehypte Anspruch der Freiwilligkeit als Voraussetzung für ein erfolgreiches Coaching ist somit zu relativieren. Welche Mitarbeiterin kann ein angebotenes Coaching schon abschlagen, wenn es ihr angeboten wird? Es ist an uns Coachs aus dieser Zwangsläufigkeit eine Erfahrung zu gestalten, dass die wenig freiwillig zum Coaching kommende Person dieses Setting positiv erleben kann und davon profitiert. Mir ist in Dreiecks- oder Viereckskontraktgesprächen nur wichtig, dass die Coachee zu mir kommt. Im Verlauf des Prozesses habe ich die Chance, aus dem Pflicht-Coaching ein für die Kundin attraktives Angebot zu machen. Zumeist gelingt es, ein Eigeninteresse, eine Eigenmotivation, etwas Sinnvolles daraus werden zu lassen.

2.12 Praxisbeispiel 12 Fallbeschreibung Es handelte sich bei diesem Fall um ein Einzel-Coaching. Aufgrund der räumlichen Distanz fand das Coaching über den Instant-Messaging-Dienst Skype statt. Der Coachee berichtete von seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit im Kreativbereich und kam mit dem Anliegen auf mich zu, ihn dabei zu unterstützen, seine Kundenbeziehungen zu verbessern. Hauptaugenmerk lag auf zwei Großkunden mit langfristigen Kreativbetreuungsverträgen. Diese wollten die Zusammenarbeit an einem bestimmten Punkt beenden. Wie auch öfter schon bei kleineren Geschäftspartnern geschehen, endeten die beiden Kundenbeziehungen im Streit um den Leistungsumfang und das Honorar. Im Lauf des Coachings stellte sich heraus, dass sich der Coachee meist nicht an das Auftragsvolumen im Kreativbereich hielt, sondern dieses eigenständig um Bereiche erweiterte, die nicht seiner Kernkompetenz und seinem Auftrag entsprachen. Da der Coachee ebenfalls eine Coaching-Ausbildung absolviert hatte, versuchte er permanent, die Coaching-Situation zu drehen (im Sinn von „coach the coach“) und hat darüber hinaus sämtliche Interventionen infrage gestellt und boykottiert. Wie ist die Coach vorgegangen? Mein Erleben: Der Coachee zeigte mir gegenüber denselben Widerstand, den seine Kunden ihm gegenüber zeigten. Wir beschränkten uns in der Folge auf das Bearbeiten von wirtschaftlich relevanten Fakten der Kundenbeziehungen. Dies wurde aufgrund meines wirtschaftlichen Grundberufs vom Coachee angenommen. Bezüglich des sich während des Coaching-Prozesses zeigenden schwierigen Interaktionsverhaltens des Coachee ge-

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2  Verhalten der Coachees

genüber Kunden, Freunden, Familie etc. konnte ich keine wesentliche Veränderung feststellen. Der Coaching-Prozess endete nach fünf mal zwei Stunden à 60 Minuten. Isabell Braumandl In diesem Fall hat aus meiner Sicht keine klare Auftragsklärung unter Berücksichtigung der Themen Rahmenbedingungen, Kommunikationsverhalten und Zusammenarbeit im Prozess stattgefunden. Damit verbunden ist eine unklare Rollen- und Erwartungsklärung, die in einem Kompetenzgerangel mündet. Wenn der Coachee damit beschäftigt ist, seine eigene Rolle auszudiskutieren, bleibt keine Zeit, sich mit den eigentlichen Zielen und Inhalten zu beschäftigen. Dies ist für einen ziel- und lösungsorientierten Prozess nicht förderlich. Derartige Klärungen sollten eigentlich unbedingt vor Start des Coaching-­Prozesses erfolgen und gegebenenfalls sofort thematisiert werden, wenn Klärungsbedarf im Prozess auftaucht. Eine klare Festlegung beider Interaktionspartner ist nach meiner Ansicht eine notwendige Bedingung, um den Prozess vertrauensvoll, verbindlich und transparent zu gestalten. Um den Fokus beim Klienten und seinen wichtigen Zielen zu lassen, sollten im Coaching folgende Fragen geklärt werden: • Was ist das selbstkongruente konkrete Ziel des Klienten für den Coaching-Prozess? • Was ist genau mit „Kundenbeziehungen verbessern“ gemeint? • Was hat der Klient selbst schon getan, um die Kundenbeziehungen zu verbessern, mit welchem Ergebnis? Zum verwendeten Medium Skype würden mich als Coach verschiedene Fragen und Gedanken beschäftigen. Möglicherweise ist das gewählte Medium für das Coaching nicht optimal gewesen. Welchen Nutzen hat der Klient durch die Verwendung von Skype? Könnte es sein, dass finanzielle Begrenzungen zur billigeren Version per Skype geführt haben? Möglicherweise ist eine Mischform zwischen persönlichen und Skype-Sitzungen besser für die erfolgreiche Arbeit im Coaching geeignet. Skype führt in der Praxis zu medialen Verzerrungen in der Wahrnehmung. Das betrifft Blickkontakt, verzögerte Reaktionen und eingeschränkte Gefühlswahrnehmungen von Diskrepanzen zwischen verbalen und nonverbalen Zeichen. Und: Verleitet das Medium eventuell zu Show-Aspekten im Sinn von „impression management“? Für den Aufbau einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung wären aus meiner Sicht zumindest ein bis zwei persönliche Termine ganz zum Anfang sehr hilfreich gewesen. Eine eigene Coaching-Ausbildung des Klienten ist für mich eine großartige Ressource. Das Wissen des Coachee zu Arbeitsweise und Vorgehen sollte den Prozess nicht blockieren, sondern von der Coach erkannt und genutzt werden. Im beschriebenen Fall würde ich mit der Coach eine Einzelsupervision durchführen, um ihre professionelle Rolle und ihr Verhalten in der Interaktion mit dem Coachee zu reflektieren und konkrete Handlungsoptionen abzuleiten.

2.12 Praxisbeispiel 12

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Würde ich als Coach mit dem beschriebenen Klienten arbeiten, würde ich das wahrgenommene Verhalten beim erstmaligen Auftreten der Schwierigkeiten spiegeln und das Kompetenzgerangel zum Thema machen. Das wäre für mich ein Widerspruch zu den klar getroffenen Vereinbarungen zur Gestaltung der Arbeitsbeziehung, den Rollen und Erwartungen. Ich würde dazu eine entsprechend neue Vereinbarung mit dem Klienten treffen, um mit ihm weiter an seinen Coaching-Zielen arbeiten zu können. Sandra J. Schiemann Laut Fallbeschreibung hat das Coaching allein via Skype stattgefunden. Abgesehen von der Frage, inwiefern Skype eine sicherer Server für Coaching ist, kann ein rein digitales Coaching meiner Meinung nach auch manche Coaching-Prozesse erschweren: Beispielsweise der Vertrauens- und Beziehungsaufbau zu Beginn könnte sich schwieriger gestalten oder das empathische Fühlen und Verhalten. Mithilfe von XING Coaches + Trainer haben wir im Sommer 2017 eine Umfrage zu eCoaching durchgeführt und herausgefunden, dass eCoaching zwar aufgrund von räumlichen, kostenbezogenen oder zeitlichen Beweggründen verwendet wird, jedoch als wenig wirkungsvoll, wenig persönlich und wenig vertrauensfördernd wahrgenommen wird (vgl. XING Coaches o.J.). Daher ist es meiner Meinung nach wichtig, bei einem rein digitalen Coaching als Coach besonders sensitiv und gewissenhaft zu arbeiten. Darüber hinaus sehe ich eine Schwierigkeit in der Zieloperationalisierung. Zum einen wurde das Coaching-Ziel nicht selbstbestimmt definiert: Das Ziel liegt nicht allein in der Hand des Klienten (sondern auch in der Hand der Kunden) und kann daher nicht von ihm allein erreicht werden. Zum anderen wurde das Ziel sehr unklar definiert: Was bedeutet: „das Anliegen ist, dabei zu unterstützen, seine Kundenbeziehungen zu verbessern“? Daher finde ich es in einem ersten Termin wichtig, Coaching-Ziele SMART zu definieren: also spezifisch (Wissen sowohl Klient als auch ich, was genau wie mit welchen Zwischenschritten erreicht werden soll? Was z. B. heißt „unterstützen“, was „Beziehung“, was „verbessern“?), messbar (Wann ist dieses Ziel erreicht? Gibt es klare Zahlen?), attraktiv (Warum ist dem Klienten dieses Ziel wichtig?), realistisch (Ist dies machbar?) und terminierbar (Kann ich ein Datum oder einen Zeitraum festlegen?). Es ist demnach wichtig, Ziele genau zu definieren und diese in die Verantwortung des Klienten zu legen. Zusammengefasst sehe ich eine genau definierte Ziel- und Erwartungsklärung sowie ein Vertrauens- und Beziehungsaufbau zu Beginn des Coachings als entscheidend an, um den weiteren Coaching-Prozess erfolgreich führen zu können. Meiner Einschätzung nach sollte – obwohl eCoaching eine moderne, einfache und kostenbewusste Alternative darstellt  – aufgrund der Wichtigkeit von Beziehungsaufbau und Klarheit die erste Sitzung persönlich stattfinden. Hätte es in diesem Coaching-Fall eine persönliche erste Sitzung gegeben– so meine Vermutung –, wären die Beweggründe, Erwartungen und Dynamiken schneller spürbar gewesen und der Vertrauensaufbau in die Kompetenz der Coach besser gelungen.

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2  Verhalten der Coachees

Eva Jonas Bei diesem Fall fällt mir ins Auge, dass zwei Großkunden ihre langfristige Zusammenarbeit mit dem Coachee beenden wollen. Da hier vermutlich eine wirtschaftliche Abhängigkeit von diesen Großkunden vorliegt, sollte dies den Coachee vor ein großes Problem stellen und eine gewisse, vielleicht sogar existenzielle Not mit sich bringen. Warum versucht der Coachee in dieser Situation die Coaching-Situation zu drehen? Was hilft es ihm, wenn er die Coach coacht und ihre Interventionen infrage stellt und boykottiert? Ist dies eine Abwehrreaktion, weil das zugrunde liegende Problem den Coachee zu sehr bedroht? Oder wiederholt sich hier im Coaching etwas in der sozialen Interaktion, was auch in der Interaktion mit den Kunden zu beobachten wäre? Es hat für mich den Anschein, als ob ein Machtkampf zwischen Coachee und Coach stattfindet. Wer bestimmt, was in der Zusammenarbeit passiert? Wer hat das Sagen? Mir erscheint es als Coach schwierig, diesen Eindruck in einem Skype-Coaching unmittelbar zurückzumelden. Daher würde ich eher versuchen, das zugrunde liegende Bedürfnis zu identifizieren. Wenn der Coachee ein übersteigertes Autonomiebedürfnis hat, würde ich z.  B. entsprechend des Modells des Schema-Coachings (vgl. Handrock und Baumann 2019) versuchen, ihm ein kognitives Modell für die Einordnung seiner Verhaltenstendenzen und der damit verbundenen Kognitions- und Emotionsmuster zur Verfügung stellen. Wenn er dieses Modell nachvollzogen hat, wäre es eine Basis, um zukünftige schwierige Interaktionssituationen, außerhalb und innerhalb des Coachings, einzuordnen. Auf diese Weise könnte eine Distanz hergestellt werden, die den Coachee in der Selbstreflexion unterstützen könnte. Heidi Möller Die Skepsis gegenüber den mediengestützten Formaten im Coaching teile ich nur begrenzt. Klar, die Gruppendiskussionen mit den Expertinnen, deren Beiträge in dieses Buch eingeflossen sind, wurden vor der Corona-Pandemie geführt. Manch eine Kollegin nähme heute vermutlich eine andere Position ein, da wir alle gezwungen waren, unsere digitale Kompetenz zu erweitern. Der Coaching-Markt erfordert aber schon länger ein Angebot unabhängig von Raum und Zeit. Und dies nicht nur, weil wir alle unsere jeweilige CO2-­Bilanz in Hinblick auf zu üppige Reisezeiten überprüfen müssen. Die Vorteile asynchronen Arbeitens liegen auf der Hand. Es gibt Kundengruppen, die ein Mehr an Anonymität schätzen und in diesem Setting sehr viel rascher zur Selbstoffenbarung kommen (vgl. Berninger-Schäfer 2018). Die Kontakte können häufiger, kürzer und damit bedarfsorientierter angeboten werden. Auch die Intersession-Aktivitäten, deren Bedeutsamkeit in der Psychotherapieforschung (vgl. Berger 2018) eindeutig belegt sind, lassen sich gestalten und halten die Kundin im Prozess der Veränderungsarbeit. Online-Formate halten einige Methoden bereit, die lang tätige Coachs seit ihrer Ausbildung in Vergessenheit geraten ließen und auf diese Weise neu stimuliert werden. Dennoch verlangt die Digitalisierung im Coaching der Community viel Lernen und Verlernen ab. Und wer gibt lang erprobte und lieb gewordene Wissensbestände schon

Literatur

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gern auf? Es gilt eine ganz neue Hörkompetenz zu entwickeln: Modulation der Stimme, die Atemfrequenz, die Pausen, die Qualität des Schweigens, all dies gilt es als diagnostische Hinweise zu nutzen. Der Methodeneinsatz per Skype oder Zoom verlangt viel Kreativität und Lust an der Innovation. Die Hybridmodelle von Beratung werden aus meiner Sicht zunehmen und ich wünsche uns allen viel Freude an der Weiterentwicklung unserer Angebote, zumal die neusten Metaanalysen (vgl. Jones et al. 2016) keinen Unterschied des Vis-á-vis-Coachings mit digital vermittelten Gesprächen zeigen. Zum Fallbeispiel: Als psychodynamisch arbeitende Coach freue ich mich, wenn sich der Coaching-Anlass in der Interaktion mit mir reaktualisiert. Dann muss ich nicht über das Dort-und-Damals arbeiten, sondern bin im Hier-und-Jetzt der Arbeitsbeziehung. Die Inszenierung zu verstehen, die zwischen Coach und Coachee geschieht, mag viele Hinweisreize für die Optimierung von Kundenbeziehungen liefern. Zeigt die Arbeitsbeziehung im Coaching vielleicht ein Muster der Interaktionsgestaltung zum Unternehmen auf? Hier sehe ich ein mögliches Verstehensangebot zur Fragestellung des Klienten, die aber eine hohe psychodynamische Kompetenz erfordert, die bei Coachs mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund oft nicht gegeben ist. Sich auf das rein Wirtschaftliche zu konzentrieren, könnte ein Ausweichen von dem eigentlichen Anliegen sein und eine Vermeidung des Eigentlichen. Ich würde vorschlagen, um die Kundenbeziehungen zu verbessern: „Gucken wir mal, wie Sie das denn so machen mit den Menschen!“

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Herausforderungen bei psychischen Problemen der Coachees

3.1

Praxisbeispiel 13

Fallbeschreibung Ein 34-jähriger Coachee, männlich, Lehrer, berichtet über seine Probleme mit der Leitung der Schule, nachdem der Vorwurf durch eine Kollegin aufgekommen ist, er sei im Unterricht alkoholisiert angetroffen worden. Nachdem der Coachee die Situation, in der es zu diesem Vorwurf gekommen war, ausgiebig beschrieben hat, wurde mir schnell klar, dass die Vorwürfe nicht inhaltsfrei zu sein schienen. Eine vorsichtige Entwicklung des Gesprächs zur Auseinandersetzung mit diesem Vorwurf war schwer möglich. Im Lauf des Gesprächs wollte der Coachee das Setting plötzlich fluchtartig verlassen. Ich – ganz gegenteilig zu meinem üblichen Arbeitsverständnis – forderte ihn schroff auf, entweder zu fliehen oder sich zu stellen. Nach Beendigung der ersten Sitzung kam der Coachee nur mehr einmal kurz zu einem Termin, danach erfolgte der Abbruch durch ihn ohne Angabe von Gründen. Carla Albrecht Das Schwierige an dieser Coaching-Situation scheint aus Sicht des Coachs zu sein, dass er sich zum Agieren hat hinreißen lassen, entgegen seines üblichen Arbeitsverständnisses. Immer dann, wenn wir uns als Coachs anders verhalten als wir es von uns gewohnt sind, ist dies ein kritischer Moment für den Coaching-Prozess und deutet auf eine starke Gegenübertragungssituation oder Verstrickung mit dem System hin. Ziel ist es, als Coach durch Selbstreflexion eine Metaebene einzunehmen und sich während des Coachings frei in den Handlungen bzw. in Nichthandlungen zu fühlen. Diese Freiheit wiederzuerlangen, kann neben Selbsterfahrung auch durch regelmäßige Supervision bzw. Intervision gesichert werden (vgl. Giernalczyk und Möller 2018).

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Möller, J. Zimmermann, Schwierige Situationen im Business-Coaching, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31076-9_3

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3  Herausforderungen bei psychischen Problemen der Coachees

In dieser Situation denke ich, dass es das Wichtigste ist, diese innere Freiheit wiederzuerlangen. Dabei kann es hilfreich sein, sich als Coach bewusst zu machen, dass der Coachee selbst entscheidet, ob er sich seinen Problemen stellen möchte oder nicht. Es ist nicht Aufgabe des Coachs, das Gegenüber zum Jagen zu tragen. Coaching ist ein interaktioneller Prozess, der systemisch betrachtet nicht zu 100 % vom Coach steuerbar ist. Manchmal muss der Leidensdruck v. a. bei Suchtproblematiken noch weiter steigen, damit sich die Betroffenen ihr Problem eingestehen und sich wirklich Hilfe suchen. Ich kann das Phänomen ansprechen, aber der Klient hat die Wahl, was er damit macht oder eben nicht macht. Ebenso kann es helfen, sich des eigenen Spielraums bewusst zu werden: Ich muss nicht mit jedem Coachee arbeiten, ich kann Prozesse auch abschließen, weiterverweisen etc. Sobald ich die innere Freiheit wiedererlangt habe, kann ich auch freier handeln und dies auch zurückspiegeln. Insgesamt scheint bei einem solchen Klienten eine ausführliche Diagnose als elementarer Bestandteil des Erstgesprächs ratsam zu sein – wie auch in jedem anderen Coaching-­ Prozess (vgl. Möller und Kotte 2013)  – aber mit einer noch gründlicheren klinischen Anamnese. Es lässt sich aus der Fallvignette schwer herauslesen, ob eine solche Anamnese durch den Coach erfolgt ist oder nicht. Die Diagnostik kann helfen, eine Beziehung zu dem Klienten aufzubauen. Dieser scheint mit der Erwartung gekommen zu sein, einen Retter im Coach zu finden, der ihn darin unterstützt und bestärkt, dass er das Opfer ist und die Kollegin und der Schulleiter die Täter. Dies stellt nach dem Dramadreieck (vgl. Karpman 1968) eine klassische Konstellation dar. Wenn man die zugewiesene Rolle als Coach nicht einnimmt, kann dies für das Gegenüber eine starke Intervention darstellen, die die Beziehung gefährdet. Dies bedeutet nun nicht, dass man die Retterrolle annehmen soll. Es lädt vielmehr zu mehr Exploration des Systems und des Gegenübers ein. Eine weitere Intervention kann sein, den Coachee zur Perspektivübernahme einzuladen und ihm zu helfen, sich in die anderen Beteiligten, z. B. den Schulleiter und die Kollegin hineinzuversetzen, um eine alternative Sichtweise zur Opferrolle einzunehmen. Klaus Eidenschink Sucht ist eine der psychologischen Auffälligkeiten, die ganz leicht zu Vorwürfen und Rückzug führen. Allzu schnell urteilt der Alltagsverstand und es kommen Begriffe wie Verantwortungslosigkeit, Undiszipliniertheit und anderes in Spiel. Es entstehen Anklagedynamiken und Beschämungen in den Interaktionen, die dann bei den Betroffenen innerlich auf alte Wunden treffen (mangelnder Selbstwert, destruktive eigene Anklagedialoge, alte beschämende Erfahrungen). Leugnung gehört daher zur Sucht wie das Amen zum Gebet. Deswegen entsteht auch in Beratungsbeziehung beim Berater häufig der Ehrgeiz, diese Leugnung aufzubrechen, frei nach dem Motto: „Gib es zu!“, „Stellen Sie sich!“ Solche Verfolgerszenarien sind ungünstig und zerstören die Beratungsbeziehung oder lassen sie erst gar nicht entstehen. In solchen Situationen geht es darum, einen Weg zu finden, der das Detektivspiel gar nicht erst aufkommen lässt. Das könnte z. B. so ausschauen: „Also, wenn ich die Lage richtig einschätze, ist es nicht eben leicht für Sie. Denn es gibt von außen betrachtet

3.1 Praxisbeispiel 13

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e­ igentlich nur zwei Möglichkeiten: Die eine ist, Sie werden ungerechtfertigt beschuldigt. Die andere ist, es ist was dran und Sie versuchen, es zu leugnen oder zu bagatellisieren. […] Für uns bedeutet das aus meiner Sicht folgendes: Entweder haben Sie kein Alkoholproblem, dann müssen wir uns intensiv damit beschäftigen, wie es kommt, dass Sie Opfer einer solchen Unterstellung werden. Dafür können Sie gern von mir Unterstützung bekommen. Oder, Sie haben ein Alkoholproblem und leugnen das und dann müssen wir untersuchen, warum es für Sie wichtig ist, es zu leugnen.“ Thomas Giernalczyk Es handelt sich um einen schwierigen Fall, weil neben dem genuinen Coaching-Thema ein klinisches Thema hinzukommt. Wir haben hier Anhaltspunkte für eine Suchtproblematik. Ich nenne dies gern eine Coaching-plus-X-Situation. In diesen Situationen gibt es Hinweise auf psychopathologische oder psychosomatische Symptome, die das Vorgehen komplizieren. Je nach Kompetenzprofil kann der Coach diesen Bereich selbst explorieren oder ihn an klinisch erfahrene Kolleginnen delegieren, wobei klar ist, dass auch diese Delegation auf der Beziehungsebene ein sensibles Moment darstellt. Die Vignette deutet darauf hin, dass der Coachee keine eigene Motivation hatte, über diese Situation zu sprechen. Ich vermute ein verordnetes Coaching. In dem Fall ist es in der Regel günstig, über die Problematik zu sprechen und Verständnis dafür zu entwickeln, dass der Kunde nicht ganz freiwillig in die Sitzung kommt. Der Kollege hat seine Gegenübertragung, seinen Ärger über die Fluchttendenz des Coachee, ausagiert, indem er seinen Kunden entgegen seines üblichen Vorgehens schroff konfrontiert hat. Anscheinend wurde durch dieses Verhalten das noch unsichere Arbeitsbündnis überfordert. In Bezug auf die Unsicherheit, wie sich Interventionen auswirken, würde ich sagen: Obgleich das Vorgehen nicht das gewünschte Resultat gebracht hat, funktionieren heftige Interventionen durchaus von Zeit zu Zeit. Kritisch würde ich anmerken, dass die Quelle des Agierens hier vermutlich eine zu wenig reflektierte, einseitige Identifikation mit der Führungskraft war, die davon überzeugt war, dass der Lehrer ein Alkoholproblem hat. Das abwägende Moment und die mangelnde Motivation im Rahmen des Dreiecksverhältnisses ist für eine Weile zu kurz gekommen. In den Coaching-plus-X-Situationen ist es erforderlich, sorgfältig die Motivation des Coachee zu erkunden: „Warum sind Sie hier? Was erhoffen Sie sich von unserer Arbeit? Wie sehen Sie ihre Situation und was denkt ihr Vorgesetzter von Ihnen?“ Ein weiterer Schwerpunkt wäre für mich die Reflexion der Situation mit der Kollegin und die wechselseitige Perspektivübernahme, bei der der Coachee meine Offenheit für seine Sicht wahrnimmt. Entsprechend des Dreieckskontrakts würde ich den Auftraggeber später in mentalisierter Form ins Spiel bringen. Ich würde anbieten, die Situation aus Perspektive der Führungskraft zu beschreiben und vielleicht folgendes sagen: „Ich würde mich gern in die Position Ihrer Leitung versetzen. Ich meine, dass diese davon ausgeht, dass Sie ein Alkoholproblem haben. Was denken Sie dazu?“ Ich könnte auch fragen: „Warum, glauben Sie, kommt die Leitung zu dieser Einschätzung?“ Und später: „Wie beurteilen Sie sich denn selbst in Bezug auf Alkoholkonsum?“ Je nach Gesprächsverlauf würde ich mich auf das

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3  Herausforderungen bei psychischen Problemen der Coachees

Hier-und-Jetzt beziehen: „Ich würde Ihnen gern eine Wahrnehmung mitteilen. Ich habe den Eindruck, dass Ihr Atem nach Alkohol riecht, haben Sie eine Erklärung dafür?“ Da ich selbst über Erfahrung mit dieser Thematik verfüge, würde ich meinem Coachee erläutern, was übliche Vorgehensweisen bei Mitarbeitern sind, bei denen Alkoholmissbrauch angenommen wird: „Normalerweise werden Mitarbeiter, denen Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit zugeschrieben wird, vor eine Alternative gestellt: Entweder begeben sich diese in eine Suchtberatung, dann bekommen sie bezüglich Sanktionen einen Aufschub, oder sie akzeptieren das nicht und es wird sehr strikt gegen beobachtetes Fehlverhalten vorgegangen. In der Regel arbeiten dann Führungskraft und Betriebsarzt oder Sozialberatung zusammen. Was erwarten Sie für ein Vorgehen in Ihrer Schule und wie würden Sie sich dazu stellen?“ Peter Uffelmann Auch hier stellt sich wieder die grundsätzliche Frage: Wer ist Auftraggeberin, Sinnstifterin für das Coaching? Der Coachee macht nicht den Eindruck, als komme er aus freien Stücken mit einer klaren Vorstellung darüber, was das Coaching bewirken soll. Es scheint sich um einen Menschen zu handeln, der leicht irritierbar ist, sich in seinem professionellen Selbstwert schnell bedroht fühlt und bei kritischen Fragen in großen Stress gerät. Der entstandene Konflikt mit dem Schulleiter ist möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs und in erster Linie Führungsaufgabe. Ich erlebe gerade im Kontext Schule, dass sowohl von Schulleiterseite als auch aufseiten der Schulaufsichtsbehörde in ähnlichen Situationen Coaching-Angebote an die Kolleginnen gemacht werden, in der Hoffnung, dass die Coach es richtet. Insofern rege ich an, soweit andere Akteure als Sinnstifter am Coaching-Prozess beteiligt sind, diese in die Auftragsklärung einzubinden. Vor allem dann, wenn der Coachee das Coaching nicht selbst bezahlt. Die Instrumentalisierung von Beratung als Kompensation von Führungsdefiziten ist in solchen Kontexten häufig und es braucht dann eine sorgfältige Exploration der Vorgeschichte. Auf Interventionsebene wäre es wichtig zu erfahren, wie es überhaupt zum Entschluss kam, ein Coaching aufzusuchen, wer sich welche Wirkungen dadurch verspricht, was dabei herauskommen soll und welche finanziellen und zeitlichen Ressourcen zur Verfügung stehen. In einem solchen Klärungsprozess könnte auch verabredet werden, wer von den Beteiligten wann in den Coaching-Prozess involviert werden soll und ob es nicht sinnvoll wäre, vor einem Coaching mit diesem Coachee ein Gespräch zu dritt mit dem Schulleiter anzubieten. In der Fallvignette wird deutlich, dass eine vorschnelle Interventionspraxis auf der Beziehungsebene ohne ausreichende Klärung der Kontextbedingungen des Coachings zu Schwierigkeiten führt, die auf beiden Seiten Frustrationen hinterlassen können. Mathias Lohmer Hier gelingt es nicht, die zu vermutende Suchtproblematik des Coachee aus einer technisch neutralen Haltung heraus zu beleuchten. Das psychoanalytische Konzept der technischen Neutralität bezeichnet dabei die Haltung des Coachs, auf eine nicht wertende oder

3.1 Praxisbeispiel 13

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bagatellisierende Art und Weise Einstellungen und Handlungen des Coachee zu untersuchen und mögliche Hintergründe zu explorieren. Ähnlich wie in anderen Fallbeschreibungen ginge es hier zunächst darum, den Druck zu agieren und gegen-zu-agieren, zu bemerken und zu bedenken, um anschließend mit einer Einschätzung zum Beobachteten in die gemeinsame Reflexion zu kommen – also zunächst Containment und Gegenübertragungsanalyse, bevor weitere Interventionen vorgenommen werden. Die mentalisierungsbasierte Psychotherapie (MBT; vgl. Döring 2018) hat dieses Vorgehen auch als „stop, rewind and explore“ bezeichnet. Übertragen auf die Fallbeschreibung ließe sich das wie folgt gestalten: Der Coach hält den Prozess beherzt an („stop“), geht mit dem Coachee im Stundenverlauf wie mit einem Video, das man zurückspult, zurück zu dem Moment, an dem der Coachee aufgesprungen ist („rewind“) und dann erforscht der Coach mit ihm, was in diesem Moment genau in ihm vorgegangen ist und wie der Coach die Situation erlebt hat („explore“). Dies soll die Mentalisierung des Coachee stimulieren – also seine Fähigkeit, sich selbst mit den Augen des anderen, quasi von außen, zu erleben und sich mit der Perspektive des Coachs identifizieren zu können. Was man in dieser, aber auch in anderen Fallbeschreibungen beobachten kann ist, dass es dann oft zu Krisen im Coaching kommt, wenn die Fähigkeit, in die Metaebene zu gehen, verloren geht. Das kennen wir von jeglicher Form von Verwicklung und Verstrickung (vgl. Lohmer 2019) – diese sind geradezu dadurch gekennzeichnet, das Agieren und Gegenagieren dominierend sind und der Absprung in die Metaebene nicht mehr gelingt. Hier braucht der Coach dann entweder supervisorische Hilfe von außen oder er kann seine eigene selbstsupervisorische Haltung (vgl. hierzu auch „Lösungen zweiter Ordnung“ bei Watzlawick et al. 1979) aktivieren: Was passiert hier gerade mit mir? Was passiert hier gerade mit uns? Komisch, warum bin ich gerade so streng? Komisch, warum bin ich so ungehalten? Warum will der gerade aufspringen? Interessant bei dem Blick auf die Metaebene ist auch die Frage, wie ich fehlerfreundlich mit mir umgehen und Fehler als wichtigen Hinweis und als interessantes Faktum annehmen kann. Also nicht selbstpsychologisch: „Ich habe jetzt einen Fehler gemacht und Sie damit gekränkt“, sondern eher im Sinn der übertragungsfokussierten Methode Kernbergs (vgl. Yeomans et al. 2015): „Interessant, dass ich gerade auf diese Weise reagiere und wir jetzt eine Spannung zwischen uns haben. Wie geht es Ihnen denn damit?“ Ich erlaube mir also zunächst erstmal erschrocken, verärgert und beschämt über mich zu sein, bagatellisiere es nicht – aber dann geht es weiter. Diese Empfindungen müssen für den Erkenntnisprozess genutzt werden. Und natürlich: Hat man tatsächlich einen deutlichen Fehler gemacht, sollte dies nicht kaschiert, sondern offen eingestanden, bedauert und dann untersucht werden! Heidi Möller Ich frage mich: Übernimmt der Coach eine verschobene Leitungsaufgabe? Der Coach droht durch projektive Identifikation zum Chef zu werden. Vorgesetzte haben die (Fürsorge-) Pflicht, beim Verdacht einer Suchterkrankung einer Mitarbeiterin beherzt ­einzugreifen. Das

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3  Herausforderungen bei psychischen Problemen der Coachees

ist gerade im psychosozialen Kontext recht schwer. Denn diejenigen Mitarbeiter, die Tag für Tag mit Suchterkrankten zu tun haben, wünschen sich verständlicherweise gesunde Kollegen. Wenn Helfer selbst krank werden, stellt diese Tatsache ein Team und seine Leitung vor immense psychische Herausforderungen. Nur zu oft geraten Profis selbst in die Rolle der Co-Abhängigen. Auch hier greifen – wie im privaten Kontext – Verleugnung und andere Abwehrmechanismen. Die soziale Haut (vgl. Ogden 2006) des Teams droht zu zerreißen. Die soziale Ordnung des Teams ist gefährdet: Die da draußen sind krank und wir hier drinnen sind bei psychischer Gesundheit. Leider gelingt es in der oben beschriebenen Interaktion nicht, diese Brisanz aufzugreifen. Stattdessen wird der Coach aufgefordert, sich zu empören: „Jetzt stellen Sie sich mal vor lieber Coach, was das für eine unmögliche Kollegin ist, die sagt doch tatsächlich, ich wäre betrunken.“

3.2

Praxisbeispiel 14

Fallbeschreibung Der Coachee ist erfolgreicher Bereichsleiter in einer Bank und Ende 50. In jüngeren Jahren war er Leistungssportler in einer Einzeldisziplin. Er entwickelt nun zum ersten Mal in seinem Leben Krankheitssymptome, die somatische Mediziner nicht erklären können und die chronisch zu werden drohen. Parallel sinkt bei ihm und in seinem Team die Arbeitsmotivation. Den (ehemaligen) Leistungsträgern macht nichts mehr Spaß, sie fühlen sich gelähmt. Ich coache ihn einzeln und hatte auch kürzlich gemeinsam mit ihm eine Teamentwicklungsmaßnahme. Trotz seiner sehr kühlen und leistungsfokussierten, auch harten Persönlichkeit vertraut er mir und lässt zu, dass ich mit ihm über psychosomatische Symptome, spirituelle Themen und Gefühle von Schwäche und Enttäuschung sprechen kann. Jedes Mal, wenn seine Krankheitssymptome auftreten, fokussiert er jedoch ausschließlich auf diese Symptome. Sein Tenor: Lieber Coach, das muss ich erst in den Griff bekommen, vorher kann ich mich auf nichts anderes konzentrieren. Er hat mich wegen seiner Symptome als Coach beauftragt, sagt aber, er müsse erst ärztlicherseits alles wieder im Griff haben, bevor mein Coaching bei ihm fruchten könne. Als vermögender und einflussreicher Mann hat er Zugang zu mehreren Chefärzten und klappert diese nun alle ab. Anschließend ist er enttäuscht, weil sie ratlos sind. Ich kann mich natürlich auch nicht als medizinischen Begleiter anbieten und empfinde es als schwierig, dass ich ihm im Moment nicht helfen kann, obwohl es dafür Ansatzpunkte gäbe. Wie ist der Coach vorgegangen? Der ursprüngliche Coaching-Auftrag wurde über seinen Arbeitgeber bezahlt. Deshalb waren auch Teamentwicklung und Einzel-Coaching enthalten. Ich spreche meinen Coachee nun darauf an, ob er mich aus eigener Tasche mit einem Einzel-Coaching beauftragen möchte. Damit kann ich mit ihm entweder eine neue Auftragsklärung durchführen oder

3.2 Praxisbeispiel 14

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das Coaching auch zunächst beenden. Die Entscheidung ist noch nicht gefallen, ich gehe aber von einer privaten Beauftragung aus. Sandrina Lellinger In diesem Fall entsteht der Eindruck, dass nicht nur der Klient etwas beim Coach sucht, sondern auch der Coach beim Klienten. Der Coach beschreibt den Klienten als „vermögende und einflussreiche“ Person mit einer „harten Persönlichkeit“. Er beschreibt die Bedürftigkeit des Klienten eindrücklich und bietet sich proaktiv auch über die Grenzen des ursprünglichen Auftrags für die weitere Begleitung an. Hat er sich verführen lassen? Was sind seine Motive? Geht es hier um Anerkennung? Um die Akquise weiterer Aufträge? Was sucht dieser Klient im Coaching? Scheinbar geht es um Beistand und das nicht nur auf beruflicher, sondern auch auf gesundheitlicher, emotionaler und spiritueller Ebene. Vielleicht sucht er einen Seelsorger, einen Gefährten oder einen Freund, der ihn vor seinem Team, in seiner Erkrankung und in spirituellen Fragen anleitet und begleitet. Eine solche Form der Begleitung hat nach meinem Verständnis nichts mit Coaching zu tun. Vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Situation des Klienten würde ich ihn ermutigen, therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Sebastian Kunert In diesem Fallbeispiel stecken zwei relevante Themen: Coaching im therapeutischen Setting und Paketangebote. Zum ersten, dem Coaching im therapeutischen Setting: Als Coach arbeiten wir mit unseren Klienten sehr personennah, d. h. vor uns sitzt immer der ganze Mensch, nicht isoliert der Rollenträger Führungskraft. Im vorliegenden Fall scheinen die somatischen Beschwerden endogen zu sein, also psychisch bedingt. Dieser Umstand verortet das Coaching im Grenzbereich zum therapeutischen Arbeiten. Der Verdacht kommt auf, dass sich die Themen des Klienten bereits soweit chronifiziert haben, dass sie sich auf dessen Gesundheit auswirken. Nach meiner Erfahrung greifen die klassischen Methoden unserer Profession hier zu kurz und es besteht die Gefahr, als nicht wirksam (genug) wahrgenommen zu werden. Zum zweiten, den Paketangeboten: Ist eine Vertrauensbeziehung zum Klienten erst (mühsam) aufgebaut, scheint es verführerisch, als Haus- und Hofberater alle Leistungen anzubieten, die das professionelle Spektrum hergibt und als adäquat erscheinen lässt. Die Palette der meisten Kollegen reicht über das Coaching weit hinaus und erstreckt sich von Mediation, Teamentwicklung und Schulungen bis hin zu komplexen Organisationsentwicklungen. Was aus Sicht des Coachs unbedenklich erscheint, kann aufseiten des Klienten hochproblematisch sein. Paketangebote tragen naturgegeben das Risiko des Loyalitätszweifels in sich. Wenn der Berater der Führungskraft zugleich die Teamklausur moderiert, stellen die Teilnehmerinnen zu Recht die Frage, wessen Ziele hier umgesetzt werden. Sollten sie – wenn auch unberechtigt – am Verdacht einer „hidden agenda“ festhalten, kann der Coach noch so sehr um Vertrauen werben, es lässt sich keine belastbare Arbeitsbeziehung aufbauen.

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3  Herausforderungen bei psychischen Problemen der Coachees

Hinzu kommt ein weiteres Risiko: Erfolg und Scheitern in einem der Formate strahlt in das andere aus. Sollte es im Coaching-Prozess eine Krise geben, geht der Berater nicht unbefangen in die Teamentwicklung. Umgekehrt kann ein sehr erfolgreiches Coaching durch eine negativ empfundene Moderation empfindlich gestört werden. Meine methodische Vorgehensweise lautet: Hier ist eine gute Abgrenzung gefragt! Was kann Coaching leisten, wo sind meine professionellen Grenzen? Im Zweifelsfall beschränkt sich das Coaching auf eine Stabilisierung des Klienten, sodass es ihm möglich wird, sich einer tiefergehenden Intervention zu widmen. Am Ende steht dann gegebenenfalls die Überweisung an einen Psychotherapeuten. Paketangebote, d. h. die Arbeit in mehreren Formaten für den gleichen Auftraggeber, der selbst Teil der Beratung ist, sind meines Erachtens dann unproblematisch, wenn (a) mehrere Prozesse interdependent miteinander verknüpft sind. In dem Fall stiftet die Arbeit aus einem Guss einen großen Nutzen, da beispielsweise Reibungsverluste durch mangelnden Informationsfluss, unterschiedliche Beratungsansätze oder organisatorische Schwierigkeiten vermieden werden. (b) es fachlich angezeigt ist, beispielsweise weil die beratende Person über eine hohe Fachkompetenz oder ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Klientensystem verfügt. (c) zwischen den Engagements eine ausreichend lange Vakanzzeit liegt, um das neue Format unabhängig von der Historie des Vorgängers zu machen und eine Vermischung zu vermeiden. (d) Transparenz darüber hergestellt wird, also alle Teilnehmer über die Mehrfachrollen des Beraters Bescheid wissen. Im Zweifelsfall gibt man einen Teilauftrag besser an eine Kollegin, was durchaus als Zeichen der Stärke gewertet wird und das Image in der Coaching-Szene stärkt. Thomas Bachmann Für mich als Coach ist dieses Fallbeispiel ein Hands-off-Fall. Wir wissen allerdings nicht genau, welche Beschwerden der Coachee hat. Psychosomatische Symptome können ein weites Spektrum bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen umfassen. Mein erster Impuls wäre, ihm eine Psychotherapie vorzuschlagen. Ich würde ihn dabei beraten, wie man dabei vorgeht, einen guten Psychotherapeuten zu finden. Mir gefällt zudem die Vermischung von Einzel-Coaching und Team-Coaching nicht. Nun kommen auch noch verschiedene Ebenen (psychosomatische, psychotherapeutische und spirituelle) mit in den Prozess hinein. Das Verhalten des Coachs ist sicherlich gut gemeint, mir sind jedoch zu viele Kontexte vermischt und der Coach ist in zu vielen Rollen angesprochen. Das Stichwort psychosomatisch zeigt klar an, dass wir hier nicht mehr im Feld von Coaching sind. Die Behandlung psychosomatischer Krankheiten ist ein anderes Fach. Natürlich können sich durch ein gutes Coaching auch psychosomatische Symptome ­zurückbilden,

3.2 Praxisbeispiel 14

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diese können aber nicht das Anliegen und deren Beseitigung Ziel von Coaching sein. Nach Sichtung des Lösungsansatzes des Kollegen hängt es für mich von der Art und der Schwere der psychosomatischen Erkrankung ab, wie ich vorgehe. Wenn jemand schon alle möglichen Spezialisten abgeklappert hat, dann muss ja schon ein hoher Leidensdruck da sein und da würde ich sagen: Wir sind hier im falschen Fach gelandet. Coaching ist die falsche Adresse. Wenn ich sehr viel Kontextvermischungen in einer Organisation erzeuge, also viele Menschen coache, Teams entwickle und alles Mögliche mache, ist das problematisch und es muss sehr gut bedacht werden. Die Verstrickung in Dilemmata und die Möglichkeiten des Scheiterns wachsen mit jedem neuen Kontext; die Kontexte beeinflussen sich gegenseitig. Also, ich finde es in Ordnung, Paket zu schnüren, aber nur, wenn es transparent ist, wenn keine Konflikte vorliegen, wenn alles sowohl mit den Teammitgliedern als auch mit der Führungskraft gut geklärt ist. Denn: Wenn man beides miteinander verzahnt, erlebe ich das Vorgehen als sehr fruchtbar. Es bleibt trotzdem immer etwas heikel, weil die große Frage ist – z. B. nach der misslungenen Teamentwicklung – wie geht’s mir dann mit meinem Klienten, wenn wir zusammensitzen und der sagt: „Na als Coach fand ich Sie ja ganz nett, aber als Teamentwickler war das ja nicht so dolle“? Spirituellen Themen gegenüber bin ich recht aufgeschlossen und entspannt. Es wird ja schnell mit dem abwertenden Label esoterisch operiert, um sich hier reflexartig abzugrenzen. Ich denke, dass es viele Zugänge zum psychischen System gibt: Emotionale, narrative, religiöse, symbolische, spirituelle, schamanische, philosophische oder was auch immer. Mein Standpunkt ist folgender: So lange es hilft, Dinge besprechbar oder fühlbar zu machen und der Coachee in ihrem Prozess nützt, begrüße ich solche Ansätze ausdrücklich. Schwierig wird es für mich, wenn solche Ansätze Klientensysteme und die Anliegen der Coachees trivialisieren oder auch manipulieren. Wenn alles auf eine Ursache zurückgeführt wird, versucht wird, Wahrheiten zu vermitteln, und wenn Vertreter derselben Ideen mit Sendungsbewusstsein und missionarischem Eifer unterwegs sind. Ein Beispiel wären Familienaufstellungen, um Prozesse für nachfolgende Therapien anzustoßen: Wenn man die Methode als Zugang zur Wahrheit über die Familie anpreist, von meiner Seite ein ganz klares Nein! Beate Fietze Ja, man fragt sich, wen adressiert er eigentlich? Der Coachee kommt mit einer Vielzahl sich überlagernder Probleme. Der Ausgangspunkt war offenbar eine psychosomatische Symptomatik. Soll seine psychosomatische Problematik das Coaching-Thema sein, das darüberhinausgehende Arbeitsthema oder beides? Die Falldarstellung des Coachs ist irritierend. Für die psychosomatische Problematik gibt es eine klare ärztliche Zuständigkeit. Der Coach müsste meines Erachtens gemeinsam mit dem Klienten erst einmal die Problemstellungen herausarbeiten, die sich im Coaching bearbeiten ließen oder auf eine andere Beratungsprofession verweisen. Zum Thema der Spiritualität möchte ich sagen: Es gibt ja sehr viel unterschiedliche Hintergründe, aus denen heraus Coaching praktiziert wird, unterschiedliche ­Wissenskontexte, aber auch unterschiedliche geistige Haltungen. So gibt es auch Coachs, die aufgrund einer

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3  Herausforderungen bei psychischen Problemen der Coachees

eigenen reflektierten spirituellen Verankerung auch in ihrer Coaching-Praxis mit spirituellen Themen professionell umgehen können. Das ist aber nicht meine Vorgehensweise. Heidi Möller Ist das sinnvoll, dass ich mich als Hausberaterin in einer Firma anbiete? Ich mache Coachings und biete Teamentwicklung an. Viele Kollegen mögen diese Mehrfachbeauftragungen, nicht nur wegen ihres Kontostands, auch weil sie sagen, sie kennen durch unterschiedliche Settings so viel von der Organisationsdynamik, dass sie besonders hilfreich sein können. Ich mache das grundsätzlich nicht, denn ich fürchte um meine Abstinenz, wenn ich Team und den Vorgesetzten durch unterschiedliche Angebote gleichzeitig unterstütze. Eher folge ich dem Konzept der vernetzten Beratung, wo sich in Absprache mit den Auftraggebern die unterschiedlichen Anbieter der Beratungsformate miteinander austauschen, um das Beste für das Unternehmen zu generieren.

Literatur Döring, P. (2018). Persönlichkeit und Mentalisierungsstörungen in Organisationen. Psychodynamische Psychotherapie, 17(3), 168–180. Giernalczyk, T., & Möller, H. (2018). Entwicklungsraum. Psychodynamische Beratung in Organisationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Karpman, S. (1968). Fairy tales and script drama analysis. Transactional Analysis Bulletin, 7(26), 39–43. Lohmer, M. (2019). Der Umgang mit Verwicklungen und Verstrickungen – Abstinenz, Containment und Verantwortung im Beratungsprozess. In M. Lohmer, & H. Möller, Psychoanalyse in Organisationen (S. 226–236). Stuttgart: Kohlhammer. Möller, H., & Kotte, S. (2013). Integration und Ausblick: Ein Vorschlag zur systematischen Eingangsdiagnostik im Coaching. In H. Möller, & S. Kotte (Hrsg.), Diagnostik im Coaching. Grundlagen, Analyseebenen, Praxisbeispiele (S. 319–336). Heidelberg: Springer. Ogden, T. H. (2006). Frühe Formen des Erlebens. Gießen: Psychosozial. Watzlawick, P., Weakland, J. H., & Fisch, R. (1979). Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern: Hans Huber. Yeomans, F. E., Clarkin, J. F., & Kernberg, O. F. (2015). Tranference focusssed psychotherapy for borderline personality disorder  – A clinical guide. Washington, DC: American Psychiatric ­Association.

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Erwartungen der Coachees an die Coachs

4.1

Praxisbeispiel 15

Fallbeschreibung Es handelte sich um eine Einzelsupervision eines Coachs, der zur einen Hälfte Angestellter und zur anderen Hälfte Freiberufler war. Er wollte beide Bereiche supervidiert haben. Im Angestelltenverhältnis gab es erhebliche Konflikte mit dem Chef und einer Kollegin. Die Freiberuflichkeit war nicht so erfolgreich, wie der Supervisand erwartete. In der zweiten Sitzung ging es dann erstaunlicherweise um die pubertierende Tochter des Supervisanden, wobei durchaus Parallelen zu beruflichen Situationen zu erarbeiten waren. Am Ende der Sitzung wies ich den Supervisanden darauf hin, dass ich vor der nächsten Sitzung einen Termin in einer etwa 120 km entfernten Einrichtung habe und es deshalb möglich sei, dass ich nicht auf die Minute pünktlich sein könne – nur dass er sich dann nicht wundere. Leider stand ich dann im Stau und kam vier Minuten zu spät. Der Supervisand hatte mir schon fünf Minuten vor Beginn der Sitzung auf die Mailbox gesprochen, dass er vor der Tür stehe und ich ihm nicht öffnen würde, deshalb werde er zurückfahren. Ich rief ihn unverzüglich an und fragte, ob er noch in der Nähe sei. War er und er kam dann doch zur Sitzung, beschwerte sich noch einmal über meine Verspätung. Mein Hinweis, dass ich ihn doch vorbereitet habe, akzeptierte er nicht. Ich wies ihn darauf hin, dass ich nicht garantieren könne, dass sich die Situation nicht wiederholt, worauf er entgegnete, dann müsse ich anders planen. Wir haben unerwartet gut im Anschluss gearbeitet und einen weiteren Termin vereinbart, den der Supervisand später mit der Begründung absagte, dass er mit dem Verfahren nicht einverstanden sei. Ein weiteres Gespräch lehnte er ab.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Möller, J. Zimmermann, Schwierige Situationen im Business-Coaching, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31076-9_4

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4  Erwartungen der Coachees an die Coachs

Wie ist die Supervisorin vorgegangen? Ich fand es wichtig, dem Supervisanden klar zu machen, dass ich seiner Forderung nicht entsprechen werde. Vier Minuten Verspätung sehe ich durchaus als verkraftbar. Generell finde ich Pünktlichkeit wichtig, deshalb kündige ich es meinen Supervisanden und Patienten auch an, wenn die Möglichkeit besteht, dass ich nicht ganz pünktlich bin. Ich war dem Supervisanden gegenüber klar, freundlich und ging nicht auf seine Provokationen ein. Diese fanden in mir allerdings auch wenig Widerhall. Tom Levold Supervisorin und Klient haben sich hier meines Erachtens in einen Machtkampf verstrickt, der nicht aufgelöst, sondern durch den Abbruch der Zusammenarbeit durch den Klienten entschieden wurde. Erstaunlich daran ist für mich, dass die Supervisorin als schwierige Situation aber offensichtlich nicht diesen Machtkampf und die damit verbundene Beziehungsdynamik präsentiert, sondern nur die Verärgerung ihres Klienten und dessen Beziehungsabbruch. Ihre eigene Beteiligung an dieser Konstellation wird ausgeblendet. Das ist v. a. vor dem Hintergrund frappierend, als sich schon die Formulierung des Anliegens des Klienten auf „erhebliche Konflikte“ bezog. Das sollte die ohnehin immer wichtige Frage, wie man selbst im Konfliktfall miteinander zu einer Klärung kommen kann, noch einmal zusätzlich bedeutsam machen. Der Konflikt selbst betrifft die Einhaltung des vereinbarten Rahmens der Gespräche und damit die vertragliche Grundlage der gemeinsamen Arbeit. In der Regel – und mit Recht  – haben Klientinnen bei Verletzungen der Vereinbarung die vereinbarten Konsequenzen zu tragen, das vereinbarte Honorar muss trotzdem bezahlt werden. Ebenso hat die Supervisorin die vertraglich vereinbarte Leistung zu gewährleisten. Ich halte es für wichtig, die Einhaltung des Kontrakts hinsichtlich Ort, Zeit und Honorar nicht von inhaltlichen Aspekten im Beratungsprozess oder von Dingen abhängig zu machen, die mit dem konkreten Beratungsvertrag nichts zu tun haben. Im vorliegenden Fall hätte die Supervisorin meines Erachtens erst gar keinen Termin anbieten dürfen, bei dem eine Wahrscheinlichkeit bestand, ihn nicht pünktlich einhalten zu können. Der Hinweis auf die mögliche Unpünktlichkeit und die Entfernung hebt diesen Fehler nicht auf – auch nicht, dass der Supervisand offensichtlich nicht selbst nach einem anderen Termin gefragt hat. Der noch größere Fehler liegt für mich darin, dass die ­Supervisorin den Klienten nicht angerufen hat, als ihr deutlich wurde, dass es zeitlich eng werden würde. Dass der Klient selbst auch keine besondere Flexibilität aufweist und bereits ein paar Minuten vor dem vereinbarten Terminbeginn wieder zurückfährt, zeigt ebenso wie sein ultimativer Abbruch der Supervision, dass sein Konfliktverhalten zur Konfliktverstärkung bzw. zur fehlenden Klärung oder Auflösung durchaus beiträgt – das hätte Gegenstand der inhaltlichen Arbeit an den Konflikten des Klienten sein können und in diesem Kontext reflektiert werden müssen. Die durch die Supervisorin beschriebene Lösung bestätigt mich in meinen Überlegungen, dass sie sich hier im Recht fühlt und die Verantwortung für das Scheitern der Zusam-

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menarbeit nur beim Klienten sieht. Wenn Pünktlichkeit für den Berater wirklich generell wichtig ist, dann sollte man nur Termine anbieten, die einem Pünktlichkeit ermöglichen, statt Klienten auf Unpünktlichkeit vorzubereiten. Ullrich Beumer Was in dieser Beschreibung und der Gegenübertragungsreaktion auffällt, sind insbesondere zwei Dinge: Zum einen die heftige eigene Reaktion, die nahelegt, den Klienten herauszuwerfen, also das Problem loszuwerden bzw. moralisch auf eine scheinbar selbstverständliche Toleranz gegenüber der leichten Verspätung zu pochen. Die heftige Reaktion deutet darauf hin, dass es in der Situation eine unerträgliche, als kränkend empfundene Spannung bei dem Supervisanden gibt, derer man sich gern durch einen Hinauswurf entledigen möchte. Fragen von Pünktlichkeit und Verspätung sind in allen beratenden Settings von großer Bedeutung, da sie Raum bieten für den Umgang mit Regeln und v. a. mit Autorität und Macht. Dazu kommt der hier überraschende Hinweis auf die pubertierende Tochter, die an dieser Stelle aber wohl nicht zufällig auftaucht, sondern wertvolle Hinweise auf die Diagnose geben kann. Die Pubertät ist – ähnlich wie die berufliche Situation des Klienten – ja eine Situation, die von oft unerträglichen Spannungen zwischen dem Wunsch, sich zu lösen und seine eigenen Wege zu gehen bis hin zum Auszug aus dem elterlichen Haus und der oft gleichzeitig bestehenden Abhängigkeit in ökonomischer und emotionaler Hinsicht gekennzeichnet ist. Während in der Adoleszenz aber der endgültige Auszug als unumgänglich und notwendig anzunehmen ist, um sein eigenes Leben zu leben, gilt dies für die berufliche Situation nicht. Abhängige Beschäftigung und freiberufliche Tätigkeit können durchaus nebeneinander bestehen und ein – je nach Situation und eigenen Wünschen – sinnvolles Arbeitskonzept sein. Oft wird die Freiberuflichkeit aber schon in der Ausbildung idealisiert und führt zu einer Abwertung der Abhängigkeits- und Versorgungswünsche und -notwendigkeiten. Auf diese Weise entstehen eine Spaltungstendenz und eine Disposition für Machtkämpfe. Die eigene Situation hält auch bei der Supervisorin möglicherweise einer solchen Idealisierung nicht stand und führt zu einer forcierten Betonung der eigenen Autoritätsrolle in der Beziehung und dem Verweis auf die eigene Größe, symbolisiert durch einen bedeutenden Auftrag in größerer Entfernung. Ich halte es für ausgesprochen wichtig, die entstandene Situation beraterisch zu nutzen, da in ihr ja unübersehbar ein zentrales Problem an die Oberfläche kommt. Wenn diese Supervisorin zu mir in die Supervision käme, fände ich es wichtig, zu klären, durch welche Anteile die starke Emotionalität und der unübersehbare Machtkampf genährt werden. Das sind vermutlich auch Spannungen aufgrund der stagnierenden Verselbstständigung bzw. angestrebten Freiberuflichkeit bei der Supervisorin als Gegenübertragungsreaktion, aber auch wichtige Dynamiken aufseiten des Klienten. Ich fände es spannend – im Sinn des szenischen Verstehens – genauer an der Differenzierung im Sinn des Objektbeziehungsdreiecks zu arbeiten, also ausgehend von der Situation im Hier-und-Jetzt der Beratungssituation zu klären, durch welche Dynamiken der beruflichen Situation, der familiären Situation im Dort-und-Jetzt und möglicher biografi-

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scher Einflussfaktoren im Dort-und-Damals es zu der erlebten emotionalen Dynamik kommt. Dabei wäre es wichtig, durch das Erkennen der psychosozialen Verstrickung auf pragmatische Lösungen hinzuarbeiten. Das kann in der Beratungsbeziehung auf der Realebene ein anderer Umgang mit Pünktlichkeitsthemen sein, wie z. B. eine bessere eigene Planung der Supervisorin, eine Vereinbarung über eventuelle telefonische Benachrichtigungen bei Schwierigkeiten, den Termin zu halten und ein insgesamt milderes Umgehen mit solchen manchmal unvermeidbaren Situationen. Ein zweiter Fokus wäre sicher die Verbindung zwischen der beruflichen Situation des Klienten, seiner Unzufriedenheit, die ebenfalls auf eine strenge Beurteilung der schwierigen Ablösung und der Ablösungssituation der Tochter hinweist. Auch hier käme es darauf an, von einem spaltenden Entweder-oder zu einem Sowohl-als-auch zu kommen, wodurch ein flexiblerer und freundlicherer Umgang mit der eigenen Weiterentwicklung möglich wird. Agnes Büchele Die Supervisorin scheint bereit, mit dem Supervisanden in all dessen Themen und Probleme einzusteigen. Diese weiten sich innerhalb von zwei Sitzungen zu einer womöglich existenziellen Krise der beruflichen und persönlichen Identität. Es deutet sich ein Autonomie-­Abhängigkeits-Konflikt an, zwischen der Abhängigkeit als Angestellter und der angestrebten Selbstständigkeit, der sich aktuell auf der Vater-Tochter-Ebene wiederholt. Das bringt die Supervisorin mehr in eine Helfer- als in eine Begleiter- und Unterstützerrolle, die möglicherweise von dem narzisstischen Ideal geleitet ist: „In der Supervision mit mir können Sie alles besprechen“. Die Aufträge für die Supervision sind aber noch gar nicht geklärt: Zeitrahmen, Bezahlung, erwünschte Ziele. In der organisatorischen Rahmung drückt sich das Containment aus (vgl. Lohmer und Möller 2014). Sie ist die Basis von Abmachungen und steht symbolisch für Vertrauen in die beraterische Beziehung hinsichtlich Präsenz, Verständnis, Verlässlichkeit und Aussicht auf emotionalen Beistand (vgl. Fürstenau 2001). Dies alles muss nicht unmittelbar zu Beginn gegeben sein, aber ein erstes gutes Gefühl für eine gute Entwicklung der Arbeitsbeziehung sollte entstehen. Mit der Ankündigung einer möglichen Verspätung, die dann auch tatsächlich eintritt, stellt die Supervisorin aber die Ungewissheit der zeitlichen Organisation dem beginnenden Prozess voran. Auf der Kontakt- und Beziehungsebene werden damit die Werte des Vertrauens und Verstehens verunsichert. Die Supervisorin handelt das Thema – zumindest in ihrer Beschreibung – formal und rechthaberisch ab. Es wird daraus ein Ringkampf: „Wer hat hier das Sagen – vier Minuten, das muss doch möglich sein – da bin ich doch im Recht!“. Die Tatsache, dass nach dem Ärgernis gut gearbeitet werden konnte, macht die Supervisorin zunächst auch zuversichtlich, dass der Beratungsprozess weitergehen kann. Mit dem Abbruch der Beratung und seiner Kritik am Verfahren lässt der Supervisand die Supervisorin dann ohne Auftrag stehen. Das sehe ich als dessen fraglichen Triumph im Ringkampf der Supervisionspartner. Es spiegeln sich darin vermutlich auch die abwehrenden Muster der Supervisorin im Umgang mit Konflikten. Dieser Verlauf von Beratungsbeginn

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und Beratungsabbruch verdeutlicht anschaulich die Bedeutung des Erstkontakts und der Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Entfaltung einer Beratungsbeziehung. Abbrüche – ohne weitere Erklärung – kommen vor, sie gehören zum Geschäft. Sie sind aber geeignet, in der nachträglichen Analyse zu verstehen, wie sich Menschen in bedrängten Situationen und mit verengter Sichtweise verhalten können. Die nachträgliche Reflexion ist hilfreich und Voraussetzung, um für sich selbst in der – verlassenen – Position den Prozess abzuschließen. Zu reflektieren wäre aus meiner Sicht die Verbindung zwischen dem Umgang mit organisatorischer Korrektheit, den Affekten und deren emotionalen Bedeutungen. Hier repräsentiert sich die Verquickung zwischen der Organisation der ersten Stunde und den vorgetragenen Inhalten und Anliegen. In einer Supervision könnte die Supervisorin eingeladen und unterstützt werden, ihre emotionale Resonanz auf ihren Supervisanden und dessen Themen zu ergründen und die verhärtete Position zuzulassen. Ihre organisatorische Korrektheit – man könnte auch sagen Ansprüchlichkeit – steht in Widerspruch zu der Fülle an Sorgen und Problemen, die ihr der Klient in zwei Gesprächen anvertraut. Es gilt, diese Themen mit Gefühlen und Affekten zu verbinden und so zu einem nachträglichen Verstehen des Klienten zu gelangen. In der Reflexion über den Abbruch und seine unbewusst gebliebenen Bedeutungen liegt für die Supervisorin die Chance, mögliche Fehler zu erkennen, ihre eigenen Erfahrungen zu bereichern und im Nachklang, den Supervisanden und seine Bedrängnis mit Respekt betrachten zu können. Somit müsste der Abbruch der Beratung nicht negativ verbucht werden, sondern kann zu einer personalen und fachlichen Ressource werden. Die Supervisorin hält jedoch auf recht zwanghafte Art am Wert der Pünktlichkeit fest. Gleichzeitig gibt sie rechtfertigend Ausnahmen zu. Sie hält unter dem Aspekt der Lösung rechthaberisch an ihrer Perspektive fest. Sie scheint die Einstellung zu haben, ihrem Supervisanden etwas klar machen zu müssen, statt in einen Prozess des Verstehens zu gehen und pflegliche Rahmenbedingungen anzubieten. Bei der Beschreibung der Lösung schwingt etwas Herablassendes mit. Es entwickelt sich bei mir die Fantasie von einem Kampfhahn, der zeigen muss, wer der Stärkere ist. Mit dieser Haltung wird sie möglicherweise noch häufiger Abbrüche provozieren. Darin liegt eine Ähnlichkeit mit den Konflikten des Klienten. Er interessiert sich wenig bis gar nicht für seine eigenen emotionalen Resonanzen und Empfindungen oder für die Bedeutung von Verhaltensweisen und welche inneren Prozesse darin zum Ausdruck kommen könnten. Achim Mollbach Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Konflikt rund um die Supervision. Es geht also nicht um das Verhalten der Supervisorin und des Supervisanden innerhalb der Supervision, sondern um das Verhalten der beiden im Service- oder Kundenprozess, in den der Supervisionsprozess eingebettet ist. Ein Konflikt zwischen Supervisand und Supervisor im Service- und Kundenprozess rund um die Supervision kann dabei schon dadurch entstehen, dass der Supervisand den Supervisionsprozess in einen solchen Service- und Kundenprozess eingebettet sieht und von daher Erwartungen und Ansprüche (z.  B. an das Terminmanagement des Supervisors etc.) stellt, der Supervisor sich aber nicht in einem

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solchen Prozess sieht und entsprechend auch hier keine Prozessstandards, an denen er sein eigenes Verhalten ausrichtet, hat. Zudem kann ein Konflikt daraus entstehen, dass es zwischen Supervisor und Supervisanden, genauso wie zwischen einem Coach und seinem Klienten, keine Vereinbarungen und keine Transparenz über Spielregeln im Interaktionsprozess, der den engeren Coaching- oder Supervisionsprozess umschließt, gibt. Aus der Falldarstellung wird nicht ersichtlich, wie sich die Supervisorin die Situation, das Verhalten des Klienten und den Ausgang erklärt. Die einführenden Hinweise, dass der Klient erhebliche Konflikte mit dem Chef und einer Kollegin habe und es scheinbar auch Konflikte mit der pubertierenden Tochter gibt, können zumindest vermuten lassen, dass sie die Erklärung für die Dynamik der Situation eher beim schwierigen Klienten sieht, der ja auch mit anderen dauernd Konflikte hat. Dies ist nicht untypisch für Konflikte: Konfliktursachen werden meist bei der anderen Konfliktpartei gesucht. Bei einem professionellen Helfer kann in einem Konflikt entsprechend die Tendenz entstehen, das Verhalten des Klienten als Ausdruck seiner Störung oder seiner problematischen Persönlichkeit zu sehen, womit sich die Supervisorin gegen einen Blick auf die eigenen Anteile im Konflikt immunisiert. Wenn diese Supervisorin zu mir in die Supervision käme, könnten Ziele zum einen darin bestehen, die Situation als Konfliktprozess zwischen zwei Konfliktparteien für den Supervisanden verstehbar zu machen, und zum anderen darin, zu überlegen, was sie daraus für sich lernen, d.  h. in Zukunft möglicherweise anders machen kann oder anders machen will. Hier kann ihm Rahmen der Supervision den Modellen des Konflikt-­ Coachings gefolgt werden, d. h. des Coachings einer Person, die mit einer anderen Person in einem Konflikt steht (vgl. Schreyögg 2011). Hierzu gehört es auch, die eigenen Anteile an der Konfliktdynamik zu erkennen, statt den eigenen Anteil gegebenenfalls durch die Psychologisierung bzw. Pathologisierung des Klienten mehr oder weniger auszublenden. Hierfür könnte ein Interventionsaspekt die Einführung der Unterscheidung zwischen Supervisionsprozess und dem Service- und Kundenprozess sein. Durch diese Unterscheidung erhält die Supervisorin einerseits eine Perspektive, auf unterschiedliche Situationen im Rahmen ihrer Profession mit unterschiedlichen Rollenmodellen und Prozessen auf ­unterschiedliche Kontexterwartungen zu reagieren. Das gilt auch für die Rollenzuschreibung der Supervisorin gegenüber dem Klienten. Innerhalb der angesprochenen Unterscheidung ist der Klient im Rahmen des Supervisionsprozesses Supervisand, im Rahmen des den Supervisionsprozess umgebenden Kunden- und Serviceprozess ein Servicenehmer oder Kunde, der entsprechend Servicelevel erwartet bzw. aushandelt. Teil dieser Supervision wäre auch die Anregung zur Selbstreflexion der Supervisorin bezüglich der Offenheit bzw. der Öffnung ihrer Selbstdefinition bezüglich einer solchen Unterscheidung. Um einen Perspektivenwechsel anzuregen, kann auch eine für den einen oder anderen Supervisor möglicherweise provokative Intervention durchgeführt werden – die Einführung einer dezidierten Businessperspektive: die Supervisorin als eine Anbieterin von Leistungen in einem Markt. Eine solche Anbieterin muss sich ständig die Frage stellen, wie sie nicht nur ihre Leistungen im engeren Sinn, sondern auch die Service- und Kundenprozesse um diese Leistungen so gestalten kann, dass sie Kundenbindung erzeugt.

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Dabei ist es inhaltlich auch aus einer Businessperspektive durchaus legitim, Servicegrenzen und ‑beschränkungen zu setzen und nicht auf jede Serviceerwartung des Kunden einzugehen. Edeltrud Freitag-Becker Alle beteiligten Personen sind auf der Suche: Der Supervisand ist auf der Suche, sich selbst in den unterschiedlichen Rollenanforderungen zu finden: Angestellter, Freiberufler, Vater. Die Supervisorin sucht sich, ihre Autorität und Rolle im Kontext verschiedener Beratungsaufträge; und nicht zuletzt sucht die Tochter, die sich einen verdeckten Platz im Beratungssetting sichert, das Erwachsenwerden. Gemeinsam ist die Suche nach einem haltgebenden Entwicklungsrahmen, nebst den dazu gehörenden Aushandlungsprozessen der diversen Grenzerfahrungen. Die Rahmung der Supervision scheint nicht klar kontraktiert und stattdessen wird die Klärung über einen pubertär wirkenden Machtkampf ausgetragen. Szenisch schiebt sich das Pubertäre in den Mittelpunkt. Die Infantilität bestimmt das Geschehen: Kampf und Flucht als psychosoziale Abwehrformen sind lebendig. Der Suchprozess nach einem haltenden und Orientierung gebenden Rahmen für die je eigene Entwicklung reinszeniert sich im Kampf um die Verantwortung für die Grenzsetzung. Die Supervisorin halbiert den Klienten („der zur Hälfte“), um dessen komplexen Problemlagen zu reduzieren und somit einen Pack-an zu finden. Als sich in der zweiten Sitzung die Komplexität durch die Erzählung über die Pubertät der Tochter noch erhöht, kommt es zu einer Identifikation der Supervisorin mit den Überforderungen, denen der Klient ausgeliefert scheint und denen die Supervisorin anscheinend nur durch Distanz (räumliche und zeitliche Entfernung) begegnen kann. Auch in der Pubertät ist die Reduzierung auf bekannte Verhaltensweisen des Kindes ein erzieherischer Hilfsgriff, um sich von den unbekannten und damit bedrohenden Verhaltensweisen des Jugendlichen distanzieren zu können. Die Szenen verdeutlichen zusätzlich, warum die Freiberuflichkeit des Klienten möglicherweise nicht funktioniert und auch die Gelingensbedingungen der Freiberuflichkeit der Supervisorin fragwürdig sind. Das Ausloten der Wünsche nach Distanz und Nähe und die Markierung verlässlicher Grenzen gehören zum Boundary- und Rollenmanagement, die für die Gestaltung von beruflichen und freiberuflichen Rollen unerlässlich sind. Die Supervisorin sollte das Konzept kennen, der Supervisand könnte es lernen. In der Pubertät würde es helfen, eine der zentralen Konfliktstellen zwischen den heranwachsenden Kindern und ihren Eltern zu markieren. Der Beratungsauftrag ist in seinem Start geprägt durch die Unsicherheit der beteiligten Protagonisten. Supervisorin und Supervisand bewegen sich in ihren jeweiligen eigenen Systemlogiken, des Verstehens, der Kultur, der Werte etc. und dominieren vor diesem Hintergrund die Prozess- und Kontraktgestaltung des Beratungsauftrags. Jeder bleibt in seinem sicheren Territorium und argumentiert mit und vor diesem Hintergrund. Auftragsklärung und Prozesssteuerung bewegen sich infolgedessen zwischen zwei Spannungspolen und benötigen für die Herstellung einer konstruktiven Arbeitsbeziehung einen halten-

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den, sichernden Rahmen. So wie der Rahmen ein Bild hält, ihm eine Tiefe ermöglicht, die Perspektive schärft, so bietet die Rahmung im Beratungsdesign eine Orientierung und lässt eine Verlässlichkeit ahnen. Arist von Schlippe (vgl. Schlippe und Schweitzer 2016) spricht hier von Metastabilität. Einerseits geht es um die formalen Regeln und Absprachen, die den funktionalen, formalen Teil der Stabilität sichern, andererseits geht es um die affektive Seite des Rahmens, der den emotionalen Teil der Stabilität einfordert. Die Auftragsklärung ermöglicht nur einen Teil der Stabilität, jedoch einen nicht unwesentlichen, verdeutlicht sie doch durch die gehaltene Spannung in der Auftragsklärungsphase den Umgang mit derselben. Die Supervisorin verdeutlicht bereits in diesem Start ihre Fähigkeit mit kritischen Prozesspunkten umzugehen. Der Klient bekommt den Eindruck, ob er sich mit kritischen Fragen, Themen etc. auf diese Beratungsbeziehung einlassen kann. Eine wachsende Stabilität in der Beziehung würde ermöglichen, sich der Instabilität der Auseinandersetzung mit schmerzhaften und negativen Gefühlen stellen zu können und den Fluktuationstendenzen nicht folgen zu müssen. In der ersten Phase des Supervisionsprozesses wäre es daher wichtig, die verschiedenen Zugänge des Verstehens, der Wünsche und Erwartungen auszuloten und miteinander zu verhandeln, damit die je eigene Unsicherheit an diesem neuen Ort einen sicheren Platz finden kann. Es bleibt im Verborgenen, was Supervisorin und Supervisand unerwartet gut miteinander bearbeitet haben. Meines Erachtens gab es einen unbewussten Pakt des Nicht-­ Vertiefen-­Wollens. Die Suche nach Verlässlichkeit und der Wunsch, angenommen zu sein, respektiert zu werden, wurde von beiden nicht eingelöst. Die Enttäuschung konnte nicht thematisiert werden. Jugendliche würden sagen: „Es ist noch mal gut gegangen und ich bin noch mal gut davon gekommen …, na ja, dann kann ich auch gehen – und nehme die Sehnsucht nach Nähe und die Angst vor der Distanz noch ein Stück des Weges mit – und bleibe somit auf der Suche“. Zum Falltitel Auf der Suche: Solange die Supervisorin ihre Autorisierung und ihren Halt aus der elterlichen, erziehenden Position ableitet, bleibt sie verführt, in der Machtkampfstruktur zu bleiben. Gelingt ihr das Loslassen dieses Gebundenseins könnte durch die Distanzierung ein anderer Blick auf die eigene Gegenabhängigkeit erfolgen und die Reflexion der diversen Abhängigkeiten in der Beratungsbeziehung an Gehalt gewinnen. Dafür müsste die Supervisorin die Szenen mit ihren Übertragungsangeboten, z. B. die eigenen infantilen Wünsche, verstehen, ein Interesse daran haben, aus der Pubertätsfalle und dem Machtkampf aussteigen zu wollen, um die haltgebende Rolle anbieten zu können. Möglich wäre dann, folgendes zu thematisieren: • Wünsche nach Nähe, Halt, Versorgung ins Bewusstsein bringen • Parallelen zwischen den verschiedenen Anforderungen aufzeigen und Unterschiede markieren • Rollen und ihre jeweiligen unterschiedlichen Abhängigkeiten reflektieren • Blockaden beleuchten, die die Selbstautorisierung behindern • Begrenzungen und ihre Dynamiken ausleuchten

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Heidi Möller Mich lässt das Pubertätsthema überhaupt nicht los, weil der Kunde so unberechenbar dargestellt wird, wie ein Pubertist. Die Eltern denken, sie seien in einem guten Kontakt, dann ist aber eine Sekunde später alles wieder anders. Womöglich spiegelt sich in diesem Supervisionsprozess auch der erhebliche Konflikt mit dem Chef des Supervisanden. Solch eine emotionale Instabilität mag den Hintergrund des Supervisionsthemas bilden. Auch die Freude, dem Interaktionspartner noch eins auszuwischen, kann als Spiegelungsphänomen betrachtet werden. Warum sollte sich der Supervisand in der Supervision anders verhalten als am Arbeitsplatz? Die Pubertät als zweite Chance (vgl. Erdheim 2002) bietet die Möglichkeit, den ödipalen Konflikt mit Autoritätspersonen zu lösen. Die Unzufriedenheit des Supervisanden mit seinem Angestelltenverhältnis, das voller Konflikte zu sein scheint, und der Schwierigkeit, sich freiberuflich autonom zu fühlen, stellt ein professionelles Entwicklungsthema für jeden dar, der sich selbstständig macht. Es mag die Fantasie aufkommen: in der Freiberuflichkeit, da bin ich selbst am Drücker, da sitzen die Klientinnen und warten auf mich. Analog zum medizinischen Kontext ist das Wartezimmer stets überfüllt, den Patientinnen wird Demut abverlangt, sich stundenlang ins Wartezimmer zu setzten, völlig unabhängig davon, was diese noch zu tun haben. Ich schwebe mit meinem weißen Kittel durch den Flur. Die die Selbstständigkeit begleitenden Fantasien sind wichtig im Ausbildungskontext zu thematisieren und gegebenenfalls zu dekonstruieren. Das subtile Machtmotiv muss jedoch in jedem Fall beleuchtet werden. Die in Ausbildungskontexten oft idealisierte Selbstständigkeit stellt sich wie das Paradies dar: Da kann ich machen, was ich will und wie ich es will. Die ähnliche berufliche Situation der beiden Beratungspartner in diesem Fallbeispiel mag der Hintergrund der belasteten Arbeitsbeziehung sein. In der Fantasie des Supervisanden mag die Supervisorin es geschafft haben und damit Neid auf sich ziehen. Sie zeigt ihrem Klienten durch ihre zeitliche Eingebundenheit, dass sie viel zu tun hat, der Terminkalender ist voll. Es verbirgt sich eine Beziehungsaussage hinter der Tatsache, knapp terminiert in den Arbeitsalltag der Supervisorin hineingepresst zu werden. Vorbewusst zeigt ihr dann der Supervisand als Reaktion: „Wähne Dich nicht zu früh in Sicherheit!“ Es mutet mich leicht sadistisch an: „Ich zeige dir schon die Grenzen deines Himmels auf!“ Schön wäre es, wenn diese Szene für den Beratungsprozess noch nutzbar geblieben wäre. In der Fallerzählung ist noch eine weitere Triangulierung zu sehen: Das Forschungsinstrument, die Online-Befragung wird zur Klagemauer und die Forscherinnen – so der implizite Appell – mögen meine Sicht auf die Kundschaft teilen!

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Praxisbeispiel 16

Fallbeschreibung Der Coachee bat mich um Hilfe, gegen seinen Mitgeschäftsführer vorzugehen. Dieser sei unerträglich. Daher suche er Unterstützung, um diesen zur Strecke zu bringen. Er, der Coachee, brauche einen RAt für psychologische Kriegsführung. Mit mir gemeinsam wollte er nun überlegen, wie er seinen Kollegen vermehrt unter Stress setzen könne.

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Wie ist der Coach vorgegangen? Ich fragte meinen Coachee, warum er gegen seinen Mitgeschäftsführer vorgehen wolle und was im Best oder Worst Case dabei herauskommen würde. Als Begründung gab er an, dass er es satt habe, zu teilen. Der Best Case wäre, dass er allein die Geschäfte führen würde. Worst Case bedeutete für ihn, sich weiter auf den Mitgeschäftsführer einzustellen. Ich spürte eine negative Gegenübertragung und teilte ihm mit, dass meine Aufgabe nicht darin bestehen würde, ihn darin zu unterstützen, einen Feldzug gegen seinen Kollegen zu führen. Mein Coachee brach daraufhin den Kontakt zu mir ab. Klaus Eidenschink Der Coachee sagt klar, was er (bewusst) will. Das ist ebenso verständlich, wie es aufklärungsbedürftig ist, auf welchem inneren Boden diese aggressiven Dominanz- und Konkurrenzideen in ihm keimen. Es ist ein gängiges Phänomen, dass im Coaching Beratungsanliegen vorgetragen werden, die – in welcher Hinsicht auch immer – problematisch sind. Es gehört zum Grundhandwerkszeug eines Coachs, die psychologischen, kontextuellen oder organisatorischen Themen herauszuarbeiten, die sich hinter den vom Coachee präsentierten Anliegen verbergen. Es ist eher selten, dass Anliegen und Thema identisch sind. In diesem Fall kann man viele Vermutungen anstellen, was in dem Coachee vorgeht: Er könnte sich minderwertig oder unterlegen fühlen, es könnte eine Reaktion auf Kränkungen oder fehlende Wertschätzung sein, er könnte sich im Stich gelassen fühlen. Vieles Weitere ist denkbar! Die zutreffende Variante von den vielen, die hier denkbar sind, herauszufinden, wäre Aufgabe im Coaching: Es könnte ein Kampf um einen Fetisch (Geld) sein, der den eigentlichen Mangel an Verbundenheit mit der Welt kompensiert, es könnte Ohnmacht sein, die nicht toleriert werden kann, es könnte mangelnde Kompetenz sein, die eigene Aggression in kontaktvoller Weise zu nutzen, und vieles andere mehr! Dazu benötigt es einen Beziehungsaufbau, der es erlaubt und trägt, dass man sich vom Anliegen zum Thema bewegen kann. Der Coachee braucht zunächst Verständnis für die Not, die sein Anliegen mit sich führt. Daher ist die Gegenaggression des Coachs ungünstig und führt erwartbar zum Beziehungsabbruch. Interventionen, die dem geschilderten Grundsatz dienen, könnten etwa sein: „Da muss ja wirklich viel für Sie vorgefallen sein, dass Sie die Lösung nur noch im Feldzug sehen. Das hört sich sehr so an, als ob niemand sieht, was Sie eigentlich leisten!“ oder „Wenn wir mal von der ungerechten Gewinnverteilung absehen, ist denn sonst noch irgendwas vielleicht so kränkend, dass es Sie auf die Palme bringt?“ Das hilft allerdings nur, wenn die Haltung des Coachs dabei zugewandt und wertschätzend ist. Peter Uffelmann Ich gehe davon aus, dass in diesem Fall das Coaching nicht von der Firma finanziert, sondern privat vom Coachee bezahlt wurde. Andernfalls müsste der Coach den Coaching-­ Auftrag zurückweisen. Dies ist keine ausschließlich beratungsethische Frage, sondern auch eine formaljuristische. In der Regel haben wir es mit Dreiecksverträgen zu tun: Das Geld kommt von der Firma, der Dienstleistungsnehmer ist der Coachee. So besteht eine

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doppelte Vertragsverpflichtung und Loyalität, die bei geschäftsschädigenden Beratungsprozessen durchaus juristische Konsequenzen haben kann. Unterstellen wir also eine private Finanzierung. Der Coaching-Auftrag enthält bei neutraler Betrachtung die Aufforderung: Lass uns Strategien entwickeln, wie der Mitgeschäftsführer seiner Position enthoben werden kann. Grundsätzlich wäre es diagnostisch mitzudenken, ob es sich beim Coachee um das Phänomen „dark side of personality“ in der Triade Narzissmus, Machiavellismus und einer milde Form der Psychopathie handelt. Dieses Thema wäre erst bearbeitbar, wenn ein ausreichendes Vertrauensverhältnis zum Coachee aufgebaut wurde und eine persönlichkeitsdiagnostische Perspektive bei diesem Coachee in Betracht käme. Wir wissen nicht, aus welcher Motivation heraus dieser Impuls beim Coachee entstanden ist. Fragen, die sich hier stellen, sind u. a.: Handelt es sich um eine massive Beziehungsstörung? Ist der Mitgeschäftsführer inkompetent oder schädigt gar das Unternehmen? Geht es um die alleinige Herrschaft über das Unternehmen? Bevor ansatzweise strategische Überlegungen angestellt werden können, sollten diese und weitere grundlegende Fragen besprechbar sein. Dies würde ich dem Coachee ­nahelegen, zumal ein unreflektierter Feldzug – möglicherweise aus einer Kränkung heraus – wenig erfolgversprechend sein wird. Voraussetzung für mich wäre, dass ich keine moralischen Bedenken hinsichtlich des Auftrags hätte. Bestehen keine Bedenken, würde ich den Coachee einladen, sich mit der Vorgeschichte seines Vorhabens zu beschäftigen, da kluge Entmachtungsstrategien sorgfältige Planung und eine noch sorgfältigere Beschäftigung mit den Schwächen des Gegners und den eigenen Stärken voraussetzen. Meist sind starke Emotionen in einem solchen Fall hinderlich. Darüber hinaus würde ich ihm anbieten, darüber nachzudenken, wie er seine Rolle, Funktion und Aufgabe als alleiniger Geschäftsführer sehen würde und welcher zusätzliche Benefit für ihn neben der Machtergreifung besteht. Auch braucht es ein Szenario darüber, welche Wirkungen er imaginiert, bezogen auf Mitarbeiter, Kunden, gegebenenfalls Familie, Freunde, Lieferanten und andere Stakeholder. Es stellt sich die Frage, ob eine stresserzeugende Strategie wirklich erfolgsversprechend ist und ob eine kollaborative Strategie (Kooperation unter Feinden) möglicherweise eine Alternative darstellen könnte. Carla Albrecht Für den Coach ist die geschilderte Situation schwierig, weil sie seiner Meinung nach eine ethische Dimension beinhaltet: Helfe ich meinem Coachee dabei, jemand anderen zur Strecke zu bringen oder vermehrt unter Stress zu setzen? Durch die Wahl der starken Kriegsmetaphern und der martialischen Bilder, die der Coachee verwendet, wird die Abschreckung des Coachs verstärkt. Er sieht sich von seinem Rollenverständnis her mehr als Helfer und Persönlichkeitsentwickler und scheint von einem humanistischen Menschenbild geprägt zu sein. Für mich stünde die ethische Dimension zunächst weniger im Vordergrund. Mich macht der Klient vor allem neugierig und ich würde mir Zeit nehmen zu explorieren, wie er zu diesen starken Metaphern kommt. Der Coachee müsste schon sehr gefangen und

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sadistisch – quälen, um des Quälens willens – auf mich wirken, dass ich den Auftrag ablehnen würde. Was ist in der Vorgeschichte mit seinem Kollegen passiert, dass er ihn am liebsten in den Abgrund stürzen möchte? Woher kommt der Coachee, was bringt er mit, welche Erfahrungen hat er mit Kriegen gemacht? Die Metaphern sind Ausdruck sehr starker Emotionen. Mit diesen würde ich auf zwei Arten arbeiten. Einerseits würde ich versuchen, den Coachee zu containen. Ich würde also versuchen, nicht nur bewusste Inhalte, sondern auch unbewusstes Material durch emotionales Nachdenken zu verstehen und in geeigneter Form an den Klienten zurückzugeben (vgl. zu Containment auch Bion 1990; Giernalczyk et al. 2012; Giernalczyk und Möller 2018). In einem Containment-Prozess muss der Coach negative Kapazität zur Verfügung stellen, d. h. innerlich Raum für Assoziationen, Emotionen und emotionales Verdauen bereitstellen (vgl. Giernalczyk et  al. 2012). Dadurch können im besten Fall neue Ideen und Gedanken entstehen, die dem Coachee helfen, den eigenen Affekt besser zu verstehen. Andererseits ist ein starker negativer Affekt häufig ein Ausdruck von Hilflosigkeit und dem Gefühl von Kontrollverlust: „Ich kann nichts gegen den anderen ausrichten. Er hat mich in der Hand.“ Dann hilft es, Ideen zu sammeln und sich auszumalen, was man mit dem anderen tun bzw. ihm antun könnte, um die eigenen Emotionen zu regulieren (vgl. Storch und Tschacher 2016). Auch Humor und überzeichnete Bilder helfen, wenn sie passend eingesetzt werden und zur Beziehung zwischen Coach und Coachee passen, um den Aussagen den Druck zu nehmen: „Wenn Sie das so schildern, stelle ich mir vor, wie Sie mit bluttropfendem Schwert auf dem Schlachtfeld stehen, ‚Victory‘ schreien und dann erschöpft in sich zusammenfallen. Das fühlt sich ziemlich anstrengend und kräfteraubend an.“ Erst nach einer gründlichen Exploration würde ich mich zu dem, dann geschärften, Auftrag positionieren. Wenn es um eine kluge strategische Positionierung gegenüber dem Kollegen geht, würde ich den Klienten unterstützen. Auch mithilfe von Perspektivübernahme: Wieso verhält sich der Kollege so, wie er sich verhält? Was sind seine Motive und Ziele etc.? Dies nimmt den Druck und hilft dem Coachee aus seinem Gefühl des Kontrollverlusts. Mathias Lohmer In einem so deutlichen Fall wie hier ist man natürlich sofort verführt zu sagen: „Das geht doch gar nicht!“. Die Einschätzung und das Verhalten des Kollegen sowie der daraufhin erfolgende Abbruch des Coachings erscheinen folgerichtig, ja sogar ethisch geboten. Wenn wir einen etwas weniger krassen Fall nehmen, stellen wir jedoch fest: Moment mal, das machen wir doch oft – dass wir einen Coachee auch in einem Machtkampf gegen einen Kollegen, Mitbewerber oder Vorgesetzten unterstützen. Wir helfen ihm, sich strategisch klug zu positionieren, und behaupten, selektiv Konflikte einzugehen – nach der Devise: nur Schlachten schlagen, die man gewinnen kann und sich mächtige Verbündete suchen. Die meisten Coachs hätten vermutlich eine Hemmung vor schmutziger Kriegsführung, in diesem Fall des gezielten Unter-Stress-Setzen. Wir arbeiten aber durchaus als Spin-­ Doktoren, die einen Wahlkampf eines Coachee unterstützen und mit ihm überlegen, wie er besser wirken kann als sein Mitbewerber. So fällt mir auf, dass ich auch in der Arbeit mit

4.2 Praxisbeispiel 16

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Coachees durchaus in Kriegsmetaphern spreche. Und wir sind als Coachs tatsächlich von Zeit zu Zeit auch Söldner in solchen Machtkämpfen: Es ist Zufall, welcher der Kontrahenten uns wählt und welche Partei wir unterstützen! Vielleicht ist der Kampfwunsch des Coachee ja in der Tat so drängend, dass Reflexion und das Einnehmen einer Metaebene nicht möglich sind. Dennoch wäre es einen Versuch wert: „Lassen Sie uns doch für einen Moment darüber nachdenken, wie es zur Zusammenarbeit mit Ihrem Geschäftsführerkollegen kam, was daran vielleicht erfolgreich war, was frustrierend. Was hat es mit dem Teilen der Macht auf sich?“ In dieser Intervention ließe sich der Coach vom direkten Auftrag des Coachee nicht übermäßig beeindrucken, sondern würde versuchen, den Denkraum um diesen Auftrag herum zu erweitern und damit die entsprechende Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft des Coachee zu testen. Thomas Giernalczyk Der Coachee befindet sich offensichtlich in einer Auseinandersetzung mit seinem Geschäftsführungskollegen, leidet unter ihm und wünscht sich Unterstützung durch seinen Coach. Sein Vokabular, mit dem er sein Ansinnen formuliert, ist kriegerisch gewählt. Die Analyse meiner Gegenübertragungsreaktionen führt zu folgender Überlegung: Der Coachee wählt Kampfmetaphern, was auf seine Interpretation der Interaktion hinweist. Ich vermute, dass es sich um einen eskalierten Konflikt handelt, bei dem der Coachee nur noch die Idee „Er oder Ich“ im Kopf hat. Mir fällt dazu die Konflikttreppe nach Glasl (2017) ein und ich kann mir vorstellen, dass der Coachee sich vor dem Ausgang „loose-­ loose“ fürchtet und darum „win-loose“ für sich fantasiert. Die martialische Sprache weckt mein Interesse und lässt mich vorsichtig werden. Neigt er dazu, Konflikte zuzuspitzen? Oder handelt es sich tatsächlich um eine vertrackte Situation? Was bringt ihn dazu, seinen Kollegen mehr Leid zuzufügen? Innerlich beziehe ich mich auf das Konzept der Mikropolitik (vgl. Neuberger 2002). Das Verfolgen eigener Interessen im Rahmen von Rollenhandeln ist alltäglich und wird durch Regeln und Strukturen mehr oder weniger begrenzt. Hinzu kommt, dass es völlig normal ist, dass Manager in der Hierarchie einen Teil ihrer Energie für den Erhalt und den Ausbau ihrer Machtbasis einsetzen, andernfalls können sie ihr Terrain gegenüber ähnlich agierenden Kollegen nicht halten. Vor diesem Hintergrund kann ich dann untersuchen, wie funktional der Feldzug gegen den Kollegen hinsichtlich Erhaltung und Ausbau der eigenen Position und der weiterführenden Interessen ist. Ich würde mich für die Schilderung der Situation interessieren und folgende Fragen klären: Wie kam es zur konflikthaften Entwicklung? Gibt es dazu eine Vorgeschichte? Was waren wichtige Meilensteine auf dem Weg dorthin? Was hat der Coachee schon unternommen, um die Situation zu beruhigen und was würde er als Best und Worst Case beschreiben? Darüber hinaus würde ich intensiv mit ihm an Fragen der Mentalisierung arbeiten: Warum glaubt er, handelt sein Kollege genau so? Welche Motive verfolgt er und wie fühlt er sich dabei? Für diese Analyse würde ich mich auf einzelne geschilderte Situationen beziehen und diese auswerten.

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4  Erwartungen der Coachees an die Coachs

Neben Konfliktanalyse und Mentalisierung würde ich mich für die organisationale Dimension der Auseinandersetzung interessieren: Welche institutionalisierten Konflikte sind in der Aufteilung der Geschäftsführerressorts angelegt und wie wurde bisher damit umgegangen? Gibt es Anzeichen dafür, dass wir hier einen „moving conflict“ haben, der an anderer Stelle entstand? Wird beispielsweise ein Konflikt aus dem Aufsichtsratsgremium in die Interaktion hineingetragen? Weiterhin würde ich über Vorzüge und Risiken seiner Pläne sprechen: Was bringt es ihm und wie gefährdet er sich, wenn der Kollege vermehrt unter Stress käme? In dem Zusammenhang finde ich die Überlegung aus der asiatischen Kampfkunst interessant, dass es gefährlich ist, sich auf einen langen Kampf einzulassen, weil der zu viel Energie bindet und einen selbst angreifbar macht. Insgesamt empfehle ich also eine neutrale und explorierende Haltung. Wenn der Coach nicht zu schnell die ethische Seite besetzt, so taucht sie früher oder später beim Coachee wieder auf. Für mich besteht die Rolle des Coachs darin, eine neutrale und emphatische Perspektive einzunehmen, die dazu geeignet ist, über Vor- und Nachteile von Strategien unter Einbeziehung von Gefühlen und Werten nachzudenken. Heidi Möller Ich habe extra den Tippfehler im Wort Rat in der Falldarstellung nicht korrigiert, weil ich dachte, dass könnte interessant sein, weil RA die Abkürzung von Rechtsanwalt und vorbewusst im Innern des Coachee vielleicht kriminelles Tun repräsentiert ist, das gegebenenfalls den Beistand eines Rechtsanwalts erfordern könnte. Wenn ich mich dem Vordergrund der Fallschilderung annehme, könnte es sich bei dem Coachee um eine Person mit machiavellistischen Tendenzen handeln. Diese streben zuvorderst nach Macht. Machiavellismus ist Teil der dunklen Triade, die aus Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie besteht. Neuere Forschung kann zeigten, dass Personen mit hohen Tendenzen zur dunklen Triade leichter in Führungspositionen gelangen (vgl. Schiemann und Jonas 2020). Ihre manipulativen und oft unethischen Strategien helfen ihnen, großen Eindruck zu erzielen und die angestrebte Position zu erhalten. Die Motivstruktur zielt auf immer höhere, mächtigere und angesehenere Funktionen. Auf lange Sicht haben diese Persönlichkeitsdispositionen jedoch zahlreiche negative Folgen für das Unternehmen. Machtorientiertes, rücksichtsloses und egoistisches Verhalten, das Streben nach dem eigenen Vorteil – auch über Leichen zu gehen – bringt Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen mit sich, Machiavellisten sind wenig verträglich. Die Überschätzung der eigenen Kompetenzen und die Orientierung an dem Kriterium, stets den wirkmächtigsten Eindruck im Unternehmen zu hinterlassen, führt langfristig zu weniger Erfolg der Organisation. Coaching hat in unterschiedlichen Hierarchieebenen durchaus unterschiedliche Fokusse. Im mittleren Management stellen sich Macht- und mikropolitische Fragen weniger als in den Chefetagen, wo es immer wieder um strategische Positionierungen und Machterhalt gehen muss.

4.3 Praxisbeispiel 17

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Interessanterweise beteiligten sich in der Gruppendiskussion zunächst nur die Männer an der Falldiskussion. Die Genderfrage liegt somit auf der Hand. Rastetter und Jüngling (2018) beschreiben den blinden Fleck weiblicher Führungskräfte in Fragen der Mikropolitik. Frauen haben an dieser Stelle durchaus Nachholbedarf. Die Wahrnehmung mikropolitischer Phänomene fällt ihnen schwerer. Noch schwerer ist für Frauen jedoch eine sinnvolle mikropolitische Positionierung. Als ein Dilemma weiblicher Führungskräfte (vgl. Möller 2012; Möller und Müller-Kalkstein 2014) kann die Hemmung, sich offensiv in machtpolitische Auseinandersetzung zu begeben, beschrieben werden.

4.3

Praxisbeispiel 17

Fallbeschreibung Als schwierig und herausfordernd empfand ich eine Situation, in der ein Coachee immer wieder fragte, was er in seiner Situation machen soll, was das Richtige wäre. Er empfand die Kommunikation mit dem Firmeneigentümer (er selbst war an der Firma mitbeteiligt) und den Vorgesetzten (er war gleichzeitig auch leitender Angestellter) als sehr schwierig und anstrengend. Der Coachee empfand großen Leidensdruck und brachte zum Ausdruck, dass die Art und Weise, wie sein Chef agiere, für alle, auch für das Wohl der Firma, negativ wäre. Es sei seine Aufgabe dies zu ändern, den Chef zu ändern und dafür im Rahmen von Coaching Strategien zu entwickeln, wie dies gelingen möge. Im Rahmen von mehreren Einheiten im Zeitraum von rund drei Monaten war es möglich, den Coachee dabei zu unterstützen, für sich selbst festzustellen, was er braucht, um gut und produktiv arbeiten zu können und mit welchen Strategien er dies umsetzen könnte. Sein verändertes Verhalten führte auch zu Veränderungen im Verhalten des Chefs. Es war für mich sehr stressig, den Forderungen nach Ratschlägen, Lösungsrezepten und richtigem Verhalten nicht nachzukommen, dies aber nicht zu offensiv zu tun, damit der Coachee trotzdem das Gefühl hatte, etwas von den einzelnen Einheiten mitnehmen zu können. Ich hatte manchmal den Eindruck, den Coachee auszutricksen und halte dies für ethisch nicht korrekt. Gleichzeitig hatte ich aber das Gefühl, dass ich so hilfreich sein kann und mich noch auf der Seite der Guten befinde. Wie ist die Coach vorgegangen? Ich habe sehr viele Aussagen relativiert und versucht, eine größere Bandbreite von Möglichkeiten aufzuzeigen. Ich habe Falsch und Richtig relativiert. Ich habe viele Fragen gestellt und den Coachee dabei unterstützt, sich an zufriedenstellende und erfolgreiche Situationen zu erinnern, diese zu analysieren und so für sich erfolgreiche Strategien zu entdecken. Ich bin dem Coachee mit großer Empathie für sein Leiden und seine Anliegen begegnet und habe mich auch gegenüber seinem Chef bzw. gegenüber seiner Beschreibung des Chefs empathisch gezeigt.

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4  Erwartungen der Coachees an die Coachs

Ursula Hermann Bereits einleitend wird eine ausgeprägte Dichotomie beschrieben. Der Coachee vermittelt ein starkes Schwarz-Weiß-Denken, u. a. ausgedrückt über das, was das Richtige wäre. Der Druck, mit dem diese Dichotomie einhergeht, überträgt sich rasch auf die Coach. Er zeigt sich bei ihr an der Abwehr, Ratschläge und Lösungen zu präsentieren. Weil diese entscheidende Dynamik verborgen bleibt, entsteht bei der Coach das Gefühl zu tricksen. Dieses Austricksen findet Ausdruck in einer wiederum eigenen – von der Coach innerlich geführten richtig/falsch, ethisch korrekt/nicht korrekt – Debatte, die für den Beratungsprozess ungenutzt bleibt. Diese Gegenübertragungsgefühle sind hier ein wichtiges Werkzeug und hilfreiches diagnostisches Instrument (vgl. Oberhoff 2009), das die Coach in den Händen hält, aber nicht einsetzt. So bleibt der Prozess an der Oberfläche, Empathie wird vermittelt, die Situation relativiert und die Bedürfnisse des Coachee werden nicht  aufgegriffen. Zu einem Auf-den-Grund-Gehen und Auf-den-Tisch-Legen kommt es nicht. Grundlage meiner Vorgehensweise wäre es, der Empfindung aufgrund der Gegenübertragung auf den Grund zu gehen, diese besprechbar und in weiterer Folge auch verstehbar zu machen. Entscheidend ist, in ein Nachdenken zu kommen und aus einem Getriebensein auszusteigen: Reflexion ist ein Sich-Bewusstmachen dessen, was wir sprechen, tun, spüren oder wahrnehmen. Das heißt, für mich wäre ein Nachfragen wie auch Nachspüren wichtig: Wie kam es zu dieser Firmenkonstellation und Beteiligung? Welche Rolle hatte und hat der Coachee in der Firma? Wie geht es ihm damit? Welche anderen Personen haben in der Firma eine wichtige Position und wie schätzt er deren Sichtweise auf die aktuelle Situation ein? Durch wen und wie erlebt er Unterstützung und Anerkennung? Erlebt er Abwertung? Usw. Es gilt, zu einem Nachdenken zu gelangen und die emotionalen Dimensionen der Erfahrungen anzusprechen. Also nicht nur nach Fakten zu fragen, sondern auch nach damit einhergehenden Gefühlen. Für das Beratungssetting heißt das, dass die Coach als Objekt, Ort oder Container fungiert, der etwas vom Coachee aufnimmt, hält („contained“), wodurch etwas Drittes entstehen kann (vgl. Lazar 1994). Daher ist es entscheidend, als Coach Übertragungsgefühle wie den Druck, das Tricksen zur Verfügung zu stellen und auf den Arbeitskontext des Coachee zu beziehen. Es gilt, nicht dem Druck nach Rezepten nachzukommen, sondern das eigentlich Konflikthafte besprechbar zu machen, um die Gefühlsdynamik zu verstehen, die sich hinter dem Druck verbirgt. Liegt dieses Dritte auf dem Tisch, ist ein Nachdenken über Handlungsoptionen und Strategien möglich, die neben Schwarz-­ weiß auch noch andere Farbtöne eröffnen. Kornelia Steinhardt Hier wird ein Coaching-Prozess geschildert, in dem der Coachee von der Coach quasi an die Hand genommen wird und erfahren möchte, wie er den Vorgesetzten ändern kann. In der Analyse der Gegenübertragung zeigt sich, dass der Coachee sich selbst in

4.3 Praxisbeispiel 17

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der Rolle des besseren Leaders sieht, dessen Aufgabe es ist, die Firma zu retten. Hinter dem großen Leidensdruck des Coachee scheint sich unbewusst auch Konkurrenz zum bzw. Neid auf den Firmeneigentümer und Vorgesetzten zu verbergen. Zugleich präsentiert sich der Coachee als alleiniger Retter und Heilsbringer der Firma – ihm soll es gelingen, für die Firma wieder alles zum Guten zu wenden, wenn er nur die richtigen Strategien und Techniken findet, um den Chef zu ändern. Damit macht er meines Erachtens latent seine Grandiositätsvorstellungen und somit seine narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung deutlich, die sich hinter der Maske der Sorge um die Firma gut verbergen lässt. Diese narzisstische Haltung reinszeniert sich unbewusst in der Beziehung zwischen Coachee und Coach. Denn der Coachee vermittelt, er brauche von der Coach ja nur Hilfestellungen zur Umpolung des Chefs. Damit wird auch die Coach zur untergeordneten Dienstleisterin degradiert, die ihm zuarbeiten soll. Es ist davon auszugehen, dass diese szenische Reinszenierung als Hinweis verstanden werden kann, dass der Coachee im Berufsalltag im Umgang mit seinem Vorgesetzten wenig dazu bereit ist, mit diesem zu kooperieren, sondern sich vielmehr latent als besserer Chef präsentiert. Die narzisstische Komponente scheint allerdings nicht so stark ausgeprägt zu sein, denn der Coachee lässt sich – zumindest partiell – auf einen Prozess mit der Coach ein. Gerade in der Coaching-Arbeit mit Berufstätigen mit narzisstischer Persönlichkeitsakzentuierung ist es wichtig, diesen ein Stück weit entgegenzukommen und ihnen zugleich andere Zugänge zu eröffnen. Es stellt für die Coach eine große Anforderung dar, diese Balance zu halten. Bei der Interventionsplanung ist – falls noch nicht geschehen – vorab zu klären, warum der Coachee gerade jetzt ins Coaching kommt. Kommt er aus eigener Initiative oder motiviert durch den Vorgesetzten? Es ist ebenfalls zu reflektieren, was Funktion und Rolle des Coachee in der Organisation sind, was die primäre Aufgabe des Unternehmens und die speziellen Aufgaben des Coachee sind. In welche Strukturen und Abläufe innerhalb der Organisation sind die Arbeitsfelder des Coachee eingebunden? Inwiefern hat er mit dem Firmeneigentümer und Chef zu kooperieren bzw. ist ihm direkt unterstellt? Vor diesem Hintergrund kann der Coaching-Auftrag nochmals geklärt und geschärft werden, was dazu führen kann, dass im Fokus des Auftrags nicht die Veränderung des Chefs, sondern die (Weiter-)Entwicklung der Arbeitsfähigkeit des Coachee steht. Dies gilt es allerdings so zu formulieren, dass der Coachee sich nicht narzisstisch gekränkt fühlt und das Coaching abbricht. Die Beziehung zum Chef und Firmeninhaber scheint für den Coachee von besonderer Bedeutung zu sein, was sich im szenischen Verstehen der unbewussten Reinszenierung im Hier und Jetzt des Coachings partiell untersuchen lässt. Damit könnte ein affektiver Zugang zu den latenten Übertragungsgefühlen des Coachee zum Vorgesetzten eröffnet werden. Die Arbeit am szenischen Verstehen kann jedoch erst dann erfolgen, wenn die Arbeitsbeziehung zwischen Coach und Coachee ausreichend tragfähig ist. Parallel dazu kann der Coachee unterstützt werden, die Arbeitsprozesse in seinem Einflussbereich zu hinterfragen und eventuell neue Handlungsmuster und Strategien zu entwickeln.

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4  Erwartungen der Coachees an die Coachs

Wolfgang Knopf Der Wunsch, Klarheit über das was richtig und das was falsch sein könnte, zu gewinnen, sticht auf einen ersten Blick hervor. Ebenso wird deutlich, dass es um das Wohl der Firma geht. Interessant ist all das, was in dieser beschriebenen Situation unklar ist, was nicht erzählt wird. Es kann angenommen werden, dass die Situation einen kommunikativen Aspekt besitzt, eingebettet in eine organisatorische Struktur. Unklar bleiben hier aber die Akteure: In welcher Funktion, mit welcher Rollengestaltung sitzt der Coachee hier im Coaching? Als leitender Angestellter, als Mitbeteiligter der Firma? Aus welcher Position – das finde ich besonders bedeutend – leitet er die Aufgabe, den Chef zu ändern ab? Ganz prinzipiell: Es kann angenommen werden, dass die hier nicht bekannte rechtliche Form der Organisation, das hier nicht erwähnte Kerngeschäft und die davon abhängige unbekannte Organisationskultur bedeutende Rollen spielen. Im beschriebenen Coaching gelang es, Strategien für den Coachee zu entwickeln, die auch beim Chef Veränderungen bewirkten. Trotz dieses Erfolgs hatte die Coach den Eindruck, den Coachee auszutricksen. Woher kommt ihr Gefühl? Angenommen es geht dem Coachee um das Wohl der Firma. Aus welcher Perspektive, aus welchem Blickwinkel, aus welcher Position heraus? Und mit welcher Intention? Aus der Perspektive des Mitbeteiligten? Wenn ja, welche Mitbestimmungs-, Gestaltungsgremien etc. gibt es in dieser Firma und wie können diese verwendet werden? Den Chef ändern zu wollen, dafür Strategien zu entwickeln, ist eine Ansage zur Auseinandersetzung mit der Autorität und damit mit Macht. Da sich, laut Beschreibung, auch der Chef über das Coaching des leitenden Angestellten verändert hat, ist dies hier gelungen, ohne dafür strukturelle Gremien zu bemühen. Dass dabei ein Gefühl des Austricksens entstehen kann, ist verständlich. Nur: die Austrickserei fand gemeinsam statt: Coach und Coachee gegen den Chef. Und somit stellt sich die Frage: Spiegeln sich hier Aspekte der Organisationskultur? Um es überspitzt auszudrücken: Die Coach lässt sich empathisch verführen! Klar ist es wichtig, den Leidensdruck wahrzunehmen, diesen aufzunehmen, zu containen. Die hier beschriebene Lösung bleibt aber auf der persönlichen Ebene des Coachee beschränkt, ja stecken. Er wird nicht auch als strukturelles Mitglied der Organisation wahrgenommen, das aufgrund seiner Position, sei es als leitender Angestellter oder als Firmenmitbeteiligter, auch strukturelle Gestaltungsoptionen besitzt. Zuviel Empathie verhindert hier Wirksamkeit! Wichtiger erster Schritt wäre für mich, die oben angeführten Fragen zu klären. Heidi Möller Ein Dilemma im Coaching ist die Tatsache, dass wir – wenn es keine Dreiecks- oder Viereckskontrakte gibt – nur die Erzählungen der Coachees zur Verfügung haben: Also subjektive Konstruktionen in der Personenwahrnehmung. Mir fällt noch auf, dass die Schilderung der signifikanten „coworker“ (hier Firmeneigentümer) nicht gebrochen wird. Anscheinend wird die Schilderung eins zu eins übernommen und nicht hinterfragt. Gutes Coaching muss aus meiner Sicht hier tiefenhermeneutisch arbeiten: Warum wird eine Person so beschrie-

4.4 Praxisbeispiel 18

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ben? Was ist die Funktion eben dieser Wahrnehmung? Welche Übertragungsprozesse sind womöglich am Werk? Was geschähe, wenn eine andere Perspektive eingenommen würde? Als Coach eine Sicht zu übernehmen: „Mein Chef ist ein so schrecklicher Mensch“ und kein Fragezeichen dahinter zu machen, mag als Ausdruck der erlebten Ohnmacht und Einsamkeit des Coaching-Klienten verstanden werden, nicht jedoch als Aussage über einen realen Menschen. Dieser mag ein ganz wunderbarer Mensch sein, nur leider kann der Kunde nicht mit ihm. Als Coach kann ich lediglich konstatieren: Der Interaktionspartner wird folgendermaßen geschildert und dieses Narrativ ist interpretationsbedürftig. An der Stelle maximale Empathie zu zeigen, ist aus meiner Sicht nur die halbe Miete. Empathie – so das mentale Modell über Wirksamkeit im Coaching – ist aber nicht immer hilfreich, zumal wenn sie den Möglichkeitsraum „Es könnte auch ganz anders sein“ nicht mehr eröffnet.

4.4

Praxisbeispiel 18

Fallbeschreibung Der Klient berichtet davon, dass seine Vorstandskollegin ein Projekt zum Thema Organisationskultur angestoßen hat. Das beäugt er skeptisch, weil er die Kollegin eh skeptisch beäugt, aber auch weil er das Gefühl hat, damit würde ihm die Wurst vom Brot geholt, es würden Fakten geschaffen, ein Prozess angestoßen, den er nicht mehr kontrollieren könne bzw. dessen Ergebnisse ihm eventuell nicht passen würden. Seine Idee ist, ein eigenes Papier zu entwickeln und damit im Vorstandskreis dagegenzuhalten. Damit könnte er wieder Land zurückerobern und seine Finger weiter im Spiel behalten. Und er hat auch schon eine Idee, wie er das umsetzen kann: „Sie [er meint mich als Coach] kennen sich doch mit dem Thema Organisationskultur aus. Können Sie mir nicht ein solches Papier erstellen? Ich zahle selbstverständlich dafür.“ Wie ist der Coach vorgegangen? Ich habe ihm geantwortet, dass ich nicht erkennen könne, worin der Sinn dieser Aktion bestünde. Kultur könne man schließlich nicht verordnen. Den Einwand wischte er vom Tisch: „Egal, das sei taktisch hilfreich“. Ich antwortete, dass ich das Papier für ihn nicht erstellen könne, da er mich damit zu seinem Assistenten machen würde. Als Coach könne und wolle ich aber nicht sein Assistent sein, sondern mit ihm auf Augenhöhe arbeiten. Die Antwort hat ihm nicht gepasst und er hat das Coaching wenige Zeit später und mit einem kleinen Machtkampf um eine sehr kurzfristige und unbegründete Terminabsage, die ich ihm nicht durchgehen lassen wollte, abgebrochen. Regina Gibhardt Als erstes würde ich klären: Ist dies ein Consulting- oder Coaching-Auftrag? Im Consulting-­Fall ist die Sache relativ klar. Hier besteht der Wunsch, eine externe Dienstleistung für ein konkretes Produkt einzukaufen: ein Konzept für die Neuausrichtung der Organisationskultur.

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4  Erwartungen der Coachees an die Coachs

Wenn es sich aber um einen möglichen Coaching-Auftrag handelt, fällt mir zunächst die kriegerische Sprache in der Fallschilderung auf. Sprache ist immer ein Ausdruck von Haltung, von Werten, von Kultur. Was bedeutet es für ein Unternehmen, wenn ein Vorstandsmitglied ein anderes Vorstandsmitglied bekriegt? Hier werden auf Top-Ebene Gräben geschaffen, die sich aus meiner Erfahrung heraus durch das ganze Unternehmen ziehen. Daraus entstehen Fronten auf Abteilungs- und Mitarbeiterebene, die gegeneinander kämpfen. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu dem Schluss zu kommen, dass dadurch unnötige Ressourcen verbraucht werden, die dann dem eigentlichen Unternehmenszweck fehlen. Dem Symptom, dem Wunsch nach einem geeigneten Text als Gegenentwurf für eine neue Organisationskultur, liegen also viel größere Herausforderungen zugrunde. Im Idealfall ist der gesamte Vorstand bereit, sich diese Dynamik anzuschauen und sich ihr zu widmen, um dem Unternehmenszweck besser dienen zu können. Das kann gelingen, wenn es an entscheidender Stelle eine treibende Kraft gibt, die diesen Versöhnungs- oder Friedensprozess vorantreibt. Im Fall eines Coaching-Auftrags würde ich im Erstgespräch meine Überlegungen transparent machen und das Modell SEIN  + TUN  = HABEN (siehe hierzu auch mein Kommentar im Abschn. 5.1) erläutern. Wenn beim Coachee Offenheit für die Arbeit auf der SEIN-Ebene besteht, könnte das Coaching zunächst mit ihm allein und ohne den gesamten Vorstand beginnen. Ist die Bereitschaft dafür nicht gegeben, wäre es ein Consulting-­ Fall, der an entsprechende Experten beauftragt werden könnte. Bei vorhandener Bereitschaft für ein Coaching würde ich zunächst herausfinden, was das Bedürfnis des Klienten hinter seinem Coaching-Auftrag ist. Nicht selten entdecke ich hinter ähnlichen Konstellationen ein tief verborgenes mangelndes Selbstwertgefühl und einen jüngeren Anteil im Coachee, der immer noch einem oder beiden Elternteilen zeigen will, dass er auch was kann, auch eine Existenzberechtigung hat, auch liebenswert ist. Im beschriebenen Fall springt also möglicherweise dieser jüngere Kindanteil auf die Bühne des erwachsenen Klienten in seiner Rolle als Vorstandsmitglied. Die kriegerische Ausdrucksweise in der Fallschilderung könnte auch ein Indiz für einen alten, ungelösten Geschwisterkonflikt sein, der hier im beruflichen Kontext noch mal sichtbar wird. Die Schwester  – hier stellvertretend durch die Kollegin  – scheint es einfach immer besser drauf gehabt zu haben. Wenn der Coachee offen dafür ist, würde ich hier in jedem Fall zunächst über eine systemische Familienaufstellung die Grunddynamik, die ursprüngliche Wurzel der aktuellen beruflichen Herausforderung, sichtbar machen und im Idealfall befrieden. Somit gäbe es für den Klienten die Chance auf einen neuen Blick seines Coaching-Anliegens und ein tieferes Verständnis für die Gesamtsituation. Erst dann würde ich gemeinsam mit dem Coachee über mögliche nächste Schritte nachdenken: • Wer bin ich als Vorstandsmitglied ohne mein altes Muster, jemandem beweisen zu müssen, wie gut ich bin? Was kann ich dann besser tun? • Was könnte geschehen, wenn ich von Konfrontation zu Kollaboration wechseln könnte?

4.4 Praxisbeispiel 18

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• Welche Auswirkungen hätte das auf mich, meine Vorstandskollegin, unsere Führungskräfte und Mitarbeitenden, auf unsere Kunden und Geschäftspartner? • Was bin ich bereit dafür zu tun? Was bin ich bereit dafür zu lassen? • Wie könnten konkrete Schritte hin zu einer Zusammenarbeit auf Vorstandsebene aussehen, wenn ich sie initiieren würde? Ein neues Verhalten eines Systemmitglieds kann dazu führen, dass sich ein ganzes System ändern kann. Somit wäre nach einem erfolgreichen Coaching-Prozess mit auch nur einem Vorstandsmitglied zumindest die Chance gegeben, dass sich insgesamt im Vorstand etwas verändern könnte: weg von gegeneinander kämpfen hin zu einer konstruktiven Zusammenarbeit. Jannik Zimmermann Coachees formulieren im Lauf eines Coaching-Prozesses  auch Aufträge, die nicht zum Aufgabengebiet von Coachs gehören. Im beschriebenen Fall wird dies deutlich: Während einer Sitzung wird der Coach angefragt, eine schriftliche Ausarbeitung zum Thema Organisationskultur zu erstellen. Mit einer solchen Anfrage im Coaching umzugehen, wird mitunter als schwierig erlebt, da sowohl Annahme als auch Ablehnung folgenreich sein können. Auf einige Gründe hierfür werde ich im Folgenden kurz eingehen. Die Beziehung zwischen Coach und Coachee unterscheidet sich von Beziehungen in vielen anderen Arbeitskontexten. Sie lässt sich in der Regel als partnerschaftlich und gleichberechtigt, also als Beziehung auf Augenhöhe, beschreiben. Diese Augenhöhe besteht beim Erbringen einer Vielzahl anderer Leistungen nicht. Weitet man also die Zusammenarbeit mit dem Coachee auf einen anderen Arbeitskontext aus, verändert sich hierdurch möglicherweise die Beziehung zum Coachee. Auch handelt man im Coaching aus der Rolle des Coachs heraus. Diese Rolle ist mit bestimmten Ansprüchen und Erwartungen an die eigene Person und das eigene Verhalten verbunden. Ähnlich gestaltet es sich auch auf der Seite der Coachees. Ergeben sich nun parallel zum Coaching andere Kontexte der Zusammenarbeit, verschwimmen möglicherweise die verschiedenen Rollen. Im beschriebenen Fall könnte eine Annahme des zusätzlichen Auftrags beispielsweise dazu führen, dass der Coachee sein Gegenüber nun weniger als Coach, sondern eher als zuarbeitenden Fachexperten sieht. Die vorangegangenen Ausführungen über Coach-Coachee-Beziehung und verschiedene Rollen verdeutlichen: Die Annahme einer derartigen Anfrage beeinflusst die Zusammenarbeit im Coaching möglicherweise negativ. Aber auch auf ein Ablehnen  kann ein Coachee negativ reagieren, da seine Erwartungen unerfüllt bleiben. Werde ich als Coach im Coaching mit einer derartigen Anfrage konfrontiert, ist es hilfreich, diese verschiedenen Punkte zu berücksichtigen und zu reflektieren. Eine solche Reflexion kann in einem wertschätzenden Dialog mit dem Coachee stattfinden. Auch ist es hilfreich, genauer zu betrachten, warum der Coachee sich mit dem jeweiligen Anliegen zum jeweiligen Zeitpunkt im Coaching an einen wendet. Möglicherweise möchte sich der Coachee im beschriebenen Fall nicht auf eine tiefergehende Bewältigung des Konflikts

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4  Erwartungen der Coachees an die Coachs

zwischen ihm und der Vorstandskollegin einlassen und die Anfrage stellt einen Punkt dar, an dem dies noch einmal besonders deutlich wird. Hier würde es sich anbieten, durch gezielte Fragen die Hintergründe der Anfrage weiter zu explorieren und diese gegebenenfalls zu bearbeiten. Andreas Knierim Ich frage mich: Was ist da? Was ist im Erstgespräch zwischen dem Coach und dem Coachee passiert? Was ist der ursprüngliche Auftrag? Meine Vermutung: Es könnte ein größerer Auftrag dahinterstecken, bei dem das Thema Organisationskultur nur der Anfang ist. Welche persönlichen Themen bringt der Klient mit? Welche Themen auf der Beziehungsebenen werden ausgeklammert? Das Verhalten des Klienten lässt auf mangelnde Augenhöhe zwischen Coachee und Coach schließen. Der Coachee macht ein Spielangebot – zu Beginn dieses Top-Executive-Coachings scheint der Klient zuerst einmal zu checken, ob der Coach der Situationen überhaupt gewachsen ist. Lässt sich der Coach auf die Erstellung eines Papiers ein, ist er eine Art ausführender Mitarbeiter. Der Coachee führt und kontrolliert ihn, bleibt in seiner Rolle als Führungskraft, reflektiert sein Verhalten nicht. Es wird ein Auftrag an den Coach erteilt, ein typisches Nicht-Augenhöhe-Verhalten. Der systemische Kontext scheint am Anfang konkret durch, im Coaching würde ich mir durch Fragen ein detailliertes Bild der Rollen und Arbeitsbeziehungen im Vorstand machen und dem Coachee dieses zur Struktur anbieten. Das Format Aufstellung im Einzel-­ Setting ist hier für den Coachee denkbar, um systemische Einblicke zu bekommen: Mithilfe von Stühlen können wir im Raum ein Bild erstellen, der Coachee stellt sich an die verschiedenen Positionen, sieht die Rollen und Arbeitsbeziehungen aus verschieden Blickwinkeln. Dann tritt er wieder aus dem Bild heraus. Wir markieren uns eine Metaposition, aus der wir immer wieder über die Personen sprechen, Arbeitshypothesen bilden und alternative Verhaltensweisen entwickeln können. Der Coachee hat hohe Kontrollbedürfnisse. Ich würde ihm Fragen zu seinem Selbstwert stellen, beispielsweise: Wann braucht er diese Kontrolle? Wie schätzt er seine Erfolge dabei ein? Was verdrängt er? Das Coachee-Spielangebot zum Test der Augenhöhe würde ich ihm früh spiegeln, um in Augenhöhe zu bleiben. In der Intervention würde ich ihm die Deutung anbieten „Jetzt machen Sie das, was Sie immer machen, auch mit mir“. Im besten Fall stockt der Coachee, lässt sich darauf ein und denkt: Was sagt der da? Das sagt mir ja sonst keiner. Dies birgt eine Chance für ihn, seine Schutz- und Kontrollbedürfnisse eine Zeitlang aufzugeben, er sitzt bei mir allein in der Sitzung, er fühlt sich nicht unter Beobachtung und Zugzwang. Wenn er nach dieser Intervention beim nächsten Mal nicht mehr kommt, ist es auch ok. Meine Erfahrungen sind jedoch eher positiv: Ich setze die Intervention, spiegele, was dort geschieht und der Coachee erkennt, dass dies eine Chance ist, innezuhalten und – vielleicht zum ersten Mal – zu reflektieren: Mensch, das könnte stimmen. Als Provokation und eher im Spaß könnte ich auch sagen: „Ach so, Sie wollen, dass ich Ihr Assistent bin. Das kostet dann aber den doppelten Stundensatz.“ Humor hilft immer.

4.4 Praxisbeispiel 18

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Peter Döring Scheinbar aus dem Nichts wird die Frage nach dem Verfassen eines Papiers zum Thema Organisationskultur gestellt. Mit dieser Anfrage wird die Beratungsbeziehung infrage gestellt. Parallel zum Coaching-Auftrag will der Coachee einen Werkvertrag vergeben. Damit wird der Coach zum Assistenten und/oder Verbündeten im Kampf gegen die Vorstandskollegin. In der Beziehung zur Vorstandskollegin spielt in meiner Wahrnehmung beim Coachee destruktiver Neid eine wesentliche Rolle. Neid entsteht, wenn ein anderer etwas hat, was mir fehlt. Dabei können die unterschiedlichsten Dinge Neid auslösen. Konstruktiv führt Neid zu eigener Anstrengung und Wettbewerb – ich bemühe mich und leiste etwas, um gleichzuziehen, erfolgreich zu sein oder das begehrte Gut, die begehrte Eigenschaft selbst zu erlangen. Destruktiver Neid zielt jedoch darauf ab, das Begehrte beim anderen zu zerstören. Zur Entwicklung von destruktivem Neid gehört ein negatives Selbstbild des Neiders. Die Aussicht, sich durch eigene Aktivität weiterzuentwickeln, selbst Erfolg zu haben und eigene Ziele zu erreichen, wird nicht gesehen. Der Neid kann nur verringert werden, indem der andere auf die eigene Ebene heruntergezogen wird. Menschen, die zu destruktivem Neid tendieren, leben häufig in der Vorstellung, dass es in Beziehungen nur oben und unten gibt. Eine sichere Position kann dann nur oben sein und die oder der Betreffende tut alles, um diese Position einzunehmen. Coaching geht jedoch von einer Beziehung auf Augenhöhe aus. Der Coach stellt einen Reflexions- und Feedbackraum zur Verfügung, der es dem Coachee ermöglicht, sich und seine Sicht auf seine berufliche Rolle und seine Beziehungen zu hinterfragen und so weiterzuentwickeln. Aus der kurzen Beschreibung der Beziehung zur Vorstandskollegin und der Art, wie der Coachee sein Auftragsangebot äußert, vermute ich, dass hier bisher keine Coaching-Beziehung in diesem Sinn bestand. Meine Rolle als Coach wäre hier eher die eines Fachberaters, der nützliche kommunikative Tipps gibt, mit denen der Coachee seine Position im Kampf um die obere Position gestärkt führen kann. Für mich ist es eine zentrale Frage, ob ich in einem Auftrag mit meinen persönlichen Werten übereinstimme  – die Unterstützung eines destruktiven Neids würde hierzu nicht passen. Weiterhin ist es für mich wichtig, bei der Beratung eines (leitenden) Mitglieds einer Organisation das Gesamtinteresse der Organisation zu berücksichtigen – schließlich zahlt die Organisation ja das Coaching. Das würde hier entfallen, wenn ich einseitig den Coachee im Kampf gegen seine Kollegin unterstütze. All dies wäre mir wichtig, zu Beginn in der Abstimmung des Auftrags zu klären und mit dem Coachee zu vereinbaren. Bei der Anfrage des Coachee in Bezug auf die Erstellung des Papiers würde ich mich zunächst fragen, welche Beziehung wir bisher hatten, wie es zu dieser Anfrage kommt. Vermutlich wäre ich überrascht und würde zusammen mit dem Coachee seine Motive nachvollziehen wollen. Ob ich den Auftrag annehme oder nicht, würde ich zunächst offen lassen, um besser zu verstehen, was die Hintergründe aufseiten des Coachee sind.

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4  Erwartungen der Coachees an die Coachs

Claudia Bredt Es klingt so, als ob der Klient den Coach für seine eigenen machtpolitischen Interessen in einem Positionskampf instrumentalisieren möchte. Es geht nicht mehr um die Erweiterung von Handlungsoptionen, da diese für den Klienten schon feststehen. Die Dienstleistung wäre mehr als die eines Ghostwriters, fast schon eines Sekundanten, der den Klienten darin unterstützt, dass ihm die Wurst nicht vom Brot geholt wird, er wieder Land zurückerobern kann und seine Finger weiter im Spiel behält. Es könnte eine Intervention sein, ihm anzubieten, im Coaching seinen Handlungsrahmen von Taktiken zur strategischen Interessenswahrnehmung zu erweitern, dabei zu prüfen, inwieweit seine gewählte Strategie seinen eigenen langfristigen Zielen dienlich sei und welche alternativen Strategien möglich wären: Reframing und Perspektivwechsel wären indiziert. Beleuchtet würde dann das Thema hinter seinem vordergründigen Anliegen. Auf dieser Basis wäre für mich ein Kontrakt denkbar. Heidi Möller Ich würde mich auf das mentale Modell des Coachee fokussieren. Seine anthropologische Prämisse scheint zu sein, dass die Welt durch Über- und Unterordnungsverhältnisse strukturierbar ist. Also entweder bin ich oben oder ich bin unten und deswegen muss ich mich immer sehr anstrengen, dass ich bloß oben bleibe. Kooperierende Modi scheinen nicht repräsentiert zu sein. In der Coaching-Beziehung könnte der Kunde eine korrigierende emotionale Beziehung erleben: Wie fühlt es sich an, wenn niemand sich des anderen bemächtigen will? Mit welchen Affekten käme der Coachee in Kontakt und wie verunsichernd ist das Experiment einer Weltsicht, dass wir nicht im Haifischbecken leben, wir nicht stets mit Hypervigilanz die anderen bedrohlichen Menschen in Schach halten müssen? Nicht jeden Moment geht es um Leben und Tod.

4.5

Praxisbeispiel 19

Fallbeschreibung Eine Vorstandsvorsitzende wurde intern verbal schwer angeschossen. Der Betriebsrat formulierte einen offenen Brief an den Aufsichtsrat. Die Vorstandsvorsitzende wünschte sich ein Coaching durch mich, was der Aufsichtsrat ablehnte. Die Begründung: Das Coaching müsse von einer Frau und nicht von einem Mann durchgeführt werden. Nach der ­Ablehnung beauftragten sie und ihr Vorstandskollege mich aber mit einem Organisationsentwicklungsprojekt, ich sollte ein neues Führungsverständnis der zweiten Ebene entwickeln. Dies würde ihr mehr Rollenklarheit ermöglichen. Das hielt ich für angemessen und richtig und ich habe vertrauensvoll mit ihrer zweiten Führungsebene zusammengearbeitet. Dies hat dahingehend den gewünschten Effekt gehabt, dass sie weniger unmittelbar Konflikte mit Mitarbeitern auszufechten hatte und eine echte Unterstützung von den Bereichsleitern erlebte. Die Firma erlebt jedoch seit der Zeit mit dem offenen Brief eine erhöhte Fluktuation. Natürlich gehen zuerst die Leistungsträger. Wenn Kollegen das Haus verlas-

4.5 Praxisbeispiel 19

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sen, gibt man noch immer ihr daran die Schuld. Nun erlebe ich sie in Gesprächen als vorwurfsvoll, dass sie ja noch immer als die Böse gelte. Wie ist der Coach vorgegangen? Ich bespreche mit ihr die unterschiedlichen Ebenen: ihr eigenes Verhalten, das noch immer häufig von fehlender Wertschätzung getragen ist; die Führungsebene, die sich verbessert hat, aber auch nicht an allen Stellen die nötige Loyalität aufbringt und diese von den Mitarbeiterinnen nicht klar genug einfordert; die Ebene der Mitarbeiter, die eine ausgesprochen nachtragende soziale Kultur pflegt, berufliche Themen immer in der gesamten Kleinstadt breittritt und eine Deckungsbeitragsrechnung als unethisch ansieht. Jannik Zimmermann Coachees treten mit bestimmten Erwartungen an Coachs heran, die nicht in jedem Fall erfüllt werden. Durch das Nichterfüllen kann Unmut aufseiten der Coachees entstehen, der sich dann gegen den Coach richtet. Betrachtet man den beschriebenen Fall unter diesem Gesichtspunkt, ergibt sich die folgende Lesart: Eine Vorstandsvorsitzende ist in ihrer Organisation mit massiver Kritik konfrontiert. Den Ausweg sieht sie darin, von einer bestimmten Person gecoacht zu werden. Eine entsprechende Beauftragung durch die Organisation wird jedoch offiziell abgelehnt. Trotz des abgelehnten Coachings ist es ihr möglich, eben diese Person zu beauftragen, ein Organisationsentwicklungsprojekt durchzuführen. Die vorherrschende Problematik wird durch diese Maßnahme jedoch nicht vollständig behoben: Vereinzelt stößt sie noch immer auf Kritik und Schuldzuweisungen. Hierfür mach sie den Coach mitverantwortlich. Nun ist zu berücksichtigen, dass in dem beschriebenen Fall kein Coaching stattfand. Es blieb lediglich bei dem Wunsch, ein solches anzustoßen. Stattdessen führte der Coach in der Organisation ein anderes Beratungsformat durch. Er war somit strenggenommen nicht in seiner Funktion als Coach, sondern vielmehr als Organisationsentwickler tätig. Trotzdem scheint es so, als hätte die Vorstandsvorsitzende erwartet, dass der Coach die bestehende Problematik auch ohne Coaching vollständig löst, unabhängig davon, ob dies mit der durchgeführten Maßnahme und Intervention überhaupt möglich war. In einem solchen Fall bietet es sich meines Erachtens an, das direkte Gespräch mit seinem Gegenüber zu suchen und die entgegengebrachten Erwartungen offen zu ­thematisieren. Hierbei kann es hilfreich sein, in einem ersten Schritt genauer zu explorieren, was das Gegenüber im Einzelnen erwartet. In einem zweiten Schritt ist es dann möglich, die konkreten Erwartungen mit den Möglichkeiten und Grenzen der geplanten oder durchgeführten Maßnahmen und Interventionen in Bezug zu setzen. Beispielsweise eignet sich in dem geschilderten Fall eine Organisationsentwicklungsmaßnahme kaum dazu, auch mögliche eigene Anteile der Vorstandvorsitzenden an der Problematik zu bearbeiten. In einem direkten Gespräch besteht ebenfalls die Möglichkeit, seinem Gegenüber weitere Handlungsoptionen aufzuzeigen. Beispielsweise könnte die Vorstandsvorsitzende ein Coaching privat in Auftrag geben.

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4  Erwartungen der Coachees an die Coachs

Andreas Knierim Wenn offene Briefe formuliert werden, ist oftmals das Vertrauen zwischen den Beteiligten langfristig gestört. Welche Absichten verfolgt der Betriebsrat, wenn er so mit dem Aufsichtsrat kommuniziert? Wer soll noch alles mithören? Die direkte Kommunikation zwischen Vorstandsvorsitzender und Betriebsrat scheint schon lange vorbei zu sein. Der Coach entscheidet sich für das Organisationsentwicklungsprojekt in der zweiten Ebene, ohne die Geschlechtswahl fürs Coaching zu hinterfragen, bzw. auch gar nicht hinterfragen zu können. In diesem Projekt ist er auch wirkungsvoll, das Problem der erhöhten Fluktuation kann er aber dort nicht lösen. Wieso erlebt der Coach die Vorstandsvorsitzende danach in Gesprächen weiter als vorwurfsvoll, gegenüber wem ist das gemeint? Noch ein Gedanke: Ich vermute, die potenzielle Coachee ist die einzige Frau an der Organisationsspitze einer möglicherweise männerdominierten Branche. Vielleicht holt sie sich in dieser Situation einen Mann als Coach, der ihr sagt, was in dieser Kommunikation üblich ist und mit ihr Strategien der Bewältigung bearbeitet. Ich kenne dies aus anderen Zusammenhängen, wenn Frauen sagen: „Ich will gerade mit einem Mann Coaching machen, damit ich das besser verstehe, was da überhaupt in dieser männerdominierten Vorstandsarbeit geschieht.“ Dann wäre der Coach in diesem Klima eine Art Verräter für die anderen Männer. Dies ist möglicherweise der Grund für die Ablehnung des Coachings. Wenn ich mit Unternehmen arbeite, entscheide ich über Ebene und Formate. Es ist nicht möglich, in der Ebene höher oder tiefer zu springen, zu groß werden die Interessenkonflikte. Den Auftrag für die zweite Ebene hätte ich also nicht angenommen, im Gespräch mit Betriebs- und Aufsichtsrat jedoch die Gelegenheit genutzt, Fragen zum bisherigen Verlauf des Konflikts zu stellen (wenn ich schon mal da bin): Wie kommt es zu so einem starken Signal eines offenen Briefs? Ein Wagnis wäre es, ein Instrument vorzuschlagen, das ich seit zwei Jahren nutze: das Live-Coaching in der geschlossenen Gruppe, geleitet von einer Kollegin und mir. Der Ablauf ist folgender: Vor dem Live-Coaching-Tag fragen wir die Anliegen der Teilnehmerinnen schriftlich ab. Jedes Live-Coaching in der Gruppe beginnt mit der Frage an die Klientin nach dem guten Ergebnis. Dann wird die Situation skizziert, wir bringen Deutungen und Arbeitshypothesen ein, Übungen werden gemeinsam vereinbart, die Ergebnisse auf dem Flipchart festgehalten. Nach jedem Coaching wird die ganze Gruppe um F ­ eedback zum Gehörten gebeten. Jeder kann Erfahrungen einbringen und Hinweise geben. Wir arbeiten mit klaren Regeln, um andere nicht zu verletzen oder zu belehren. Am Ende jedes Live-Coachings gibt es eine Übung für die gesamte Gruppe. Peter Döring Es gibt ein Problem in diesem Unternehmen. Nach meiner Erfahrung werden offene Brief nicht mal eben geschrieben, sondern haben in der Regel eine lange Vorgeschichte. Auch die hohe Fluktuation von qualifizierten Mitarbeitern und die Verweigerung einer erbetenen Unterstützung durch ein Coaching sind deutliche Hinweise, dass hier grundsätzlich etwas nicht stimmt. Und dies scheint – zu Recht oder zu Unrecht – mit der Vorstandsvorsitzenden zu tun zu haben: entweder, indem sie sich über ihre Rolle nicht klar ist, Fehler im

4.5 Praxisbeispiel 19

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Umgang mit Mitarbeitern macht, oder indem Missstände, die unter Umständen schon älter sind, auf sie projiziert werden. Statt darauf zu beharren, auf dieses Thema zu fokussieren und Gründe und Hintergründe zu analysieren, lässt sich der Berater auf ein Organisationsentwicklungsprojekt ein, und sollte ein neues Führungsverständnis der zweiten Ebene entwickeln. Es bleibt unklar, wie der Coach dazu kommt, dies „für angemessen und richtig“ zu halten. Auch, wenn sich durch das Projekt manches verbessert haben mag – die Fluktuation bleibt als Problem bestehen. Die Medizin, die sich die Vorstandsvorsitzende mit ihrem Kollegen erdacht hat und auf die der Coach sich eingelassen hat, wirkt nicht – und der Coach bekommt Vorwürfe der Vorstandsvorsitzenden, die doch mit dieser Maßnahme hoffte, ihre Position und die Situation zu stabilisieren. Aus meiner Sicht hat er nicht auf Analyse und Aufklärung der Ausgangssituation bestanden und sich zu einem (vermutlich lukrativen) Alternativprojekt verführen lassen, das allerdings das tieferliegende Problem nicht lösen konnte, weil dieses überhaupt nicht verstanden wurde. Wie voranstehend angedeutet, hätte ich mich auf dieses Organisationsentwicklungsprojekt als (Schein-)Lösung nicht eingelassen. Stattdessen hätte ich mit der Vorstandsvorsitzenden und ihren Vorstandskollegen eine Analyse der eingetreten Entwicklung vorgenommen. Für mich wäre es darum gegangen, die Vorgeschichte genau zu verstehen, auch die Rolle von Betriebs- und Aufsichtsrat. Was sind hier die jeweiligen Interessen? Welche Verständigungsversuche haben stattgefunden? Warum sind diese gescheitert? Insbesondere hätten mich die Lösungsvorstellungen und impliziten oder expliziten Aufträge des Aufsichtsrats interessiert. Der nächste Schritt wäre für mich, mit dem Betriebsrat zu sprechen, um zu verstehen, was aus dessen Sicht schiefgelaufen ist. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Analyse würde ich anschließend einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen machen. Regina Gibhardt In der Fallbeschreibung fehlen wesentliche Informationen: Warum wurde die Vorstandsvorsitzende vom Betriebsrat „angeschossen“? Was ist Inhalt des offenen Briefs an den Aufsichtsrat? Ein Betriebsrat schreibt nicht einfach so einen Brief an den Aufsichtsrat. Dazu braucht es eine entsprechende Vorgeschichte. Was hat die Vorstandsvorsitzende zu dieser Geschichte beigetragen? Aufgrund dieser fehlenden Informationen versuche ich, mit den folgenden fünf Hypothesen beispielhaft mögliche unterschiedliche Hintergrundszenarien darzustellen. Davon muss nichts der Realität entsprechen. Aber es macht deutlich, dass es jeweils einer anderen Herangehensweise bedarf. • Sie versteht es als Frau nicht, die unausgesprochenen Spielregeln der Männer (Seilschaften) im Unternehmen zu erkennen und klug damit umzugehen. • Sie gefährdet das Unternehmen, indem sie z. B. Innovationen verhindert, es in unseriöse Geschäfte hineinzieht, keine klare Zukunftsausrichtung verfolgt etc. • Es gibt einen persönlichen Konflikt zwischen ihr und dem Betriebsratsvorsitzenden, der jetzt auf die Unternehmensebene getragen wird.

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4  Erwartungen der Coachees an die Coachs

• Die Kommunikationskultur im Unternehmen verhindert einen offenen, vertrauensvollen und zielgerichteten Umgang miteinander. • Sie lässt sich als Sündenbock einspannen, für etwas, das sie nicht zu verantworten hat. Offensichtlich ist hingegen, dass die Führungskräfte der zweiten Ebene und vermutlich auch der anderen Ebenen keine gelebte Rollenklarheit besitzen. Die Organisation scheint unklar strukturiert zu sein und den Leistungsträgern keinen Raum zu bieten, ihr Potenzial voll einbringen zu können. Die Folge: Fluktuation. Die zweite Führungsebene hat nicht den Stellenwert, den die Organisation benötigt: Mitarbeitende gehen in die direkte Kommunikation mit der Verstandsvorsitzenden. Das deutet auf eine patriarchische, tayloristische1 Führungskultur in der Vergangenheit, die den Wandel in die jetzt vorhandenen dynamischen Marktspielregeln nicht rechtzeitig eingeleitet hat. In einem möglichen Coaching-Prozess mit der Vorstandsvorsitzenden würde ich folgende Leitfragen/-gedanken im Blick haben: 1. In Bezug auf den Menschen, der die Rolle der Vorstandsvorsitzenden innehat, wären auf der SEIN-Ebene Themen mein Fokus, wie Opferhaltung (diese ist klar an den Vorwürfen zu erkennen) und das Erfüllen von Fremderwartungen (Ist sie überhaupt am richtigen Platz? Was ist wirklich ihr Ding?). Auf der TUN-Ebene würde ich schauen, welche Skills ihr für ihre Funktion bislang gefehlt haben (Kommunikations- Know-­how, systemisches Verständnis von Organisation, Entscheidungsfindung, agiles Zielmanagement) 2. Was braucht die Organisation, um dem Unternehmenszweck auch in Zukunft gerecht zu werden und sich bestmöglich den veränderten Rahmenbedingungen am Markt ­anzupassen? Das würde in dem beschriebenen Fall einen längerdauernden Change-Prozess im gesamten Unternehmen zur Folge haben.

Heidi Möller Mich spricht am stärksten die Genderperspektive an: „Das Gleiche ist in Organisationen nach wie vor nicht Dasselbe“ (vgl. Möller und Müller-Kalkstein 2014). Frauen in Führungspositionen attribuieren Schwierigkeiten eher internal, stellen sich die Frage, was sie falsch gemacht haben. Männer attribuieren eher external und führen Umfeldfaktoren für Komplikationen an (vgl. Möller und West-Leuer 2018). Weibliche Führungskräfte lassen sich durch eine größere Selbstwertinstabilität schnell verantwortlich machen. Dieser Mechanismus entlastet das System, verhindert aber gemeinsames organisationales Lernen. Wenn es hart auf hart kommt, wird die Quotendebatte geführt. Selbst wenn große Konzerne aktuell weibliche Vorstände einsetzen, gibt uns die Tagespresse viel Anlass zu stau  Taylorismus ist zur Zeit der Industrialisierung entstanden. Merkmale sind u. a.: klar vorgegebene Arbeitsabläufe, die keinen Freiraum für Individualität lassen; Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit; top-down. 1

Literatur

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nen, wie schnell die Frauen wieder verschwinden. Anders als die Männer verfügen sie oft über weniger stabile interne und externe Netzwerke. Für viele Firmen bietet es sich an, Schwierigkeiten an den fehlenden Führungskompetenzen der Frauen festzumachen. Dummerweise übernehmen die Frauen diese Sicht der Dinge nur zu gern. Positiv refraimt könnte hier also ein Coaching durch eine weibliche Coach Sinn ergeben, wenn diese ausreichend geschlechtersensibel und mit diesen Dynamiken vertraut ist. Negativ interpretiert stellt der Vorschlag für eine Beratung durch eine weibliche Coach eine Sekundärstigmatisierung, als Frauenselbsthilfegruppe, dar. Die zweite Ebene weiterzuentwickeln, mag höchst sinnvoll gewesen sein: ein Spielraum, den die Vorständin sinnvoll genutzt hat. Hier entstand Rollenklarheit und diese kann – systemisch betrachtet – auch auf das gesamte Unternehmen ausstrahlen. Ein verändertes Subsystem verändert das Gesamtgefüge. Es stellt eine wahre Herausforderung im Coaching dar, eine Leistungsträgerin in hoher hierarchischer Position, die angeschossen worden ist, im erfolgreichen, auch mikropolitischen Handeln zu unterstützen (vgl. Rastetter und Jüngling 2018). Die Sündenbockfunktion einer weiblichen Führungskraft ist für die Organisation enorm entlastend und ist dadurch recht stabil. Das Labeling als Underperformer aufzubrechen, braucht viele überraschende und erfolgreiche, sichtbare Verhaltensweisen, um das interne Standing wieder zurückzuerobern. Das ist nicht trivial.

Literatur Bion, W. R. (1990). Lernen durch Erfahrung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Erdheim, M. (2002). Die Veränderung der bedeutungsgebenden Struktur durch Adoleszenz und Therapie. Psychotherapie in Psychiatrie, Psychotherapeutischer Medizin und Klinischer Psychologie, 7(1), 88–90. Fürstenau, P. (2001). Psychoanalytisch verstehen, systemisch denken, suggestiv intervenieren. Stuttgart: Pfeiffer. Giernalczyk, T., & Möller, H. (2018). Entwicklungsraum. Psychodynamische Beratung in Organisationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Giernalczyk, T., Lazar, R. A., & Albrecht, C. (2012). Die Rolle der Führungskraft und des Beraters als Container. In T. Giernalczyk, & M. Lohmer (Hrsg.), Das Unbewusste im Unternehmen. Psychodynamik von Führung, Beratung und Change Management (S. 25–37). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Glasl, F. (2017). Konfliktmanagement: Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. Bern: Haupt. Lazar, R. A. (1994). W. R. Bions Modell „Container-Contained“ als eine psychoanalytische Leitidee in der Supervision. In H. Pühl (Hrsg.), Handbuch der Supervision 2 (S. 380–402). Berlin: Edition Marold. Lohmer, M., & Möller, H. (2014). Psychoanalyse in Organisationen. Einführung in die psychodynamische Organisationsberatung. Stuttgart: Kohlhammer. Möller, H. (2012). Sie kamen, sahen und siegten – der lange Marsch der Frauen in Organisationen. In: T. Giernalczyk, & M. Lohmer: Das Unbewusste im Unternehmen (S. 91–110). Stuttgart: Schaeffer-Poeschel.

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4  Erwartungen der Coachees an die Coachs

Möller, H., & Müller-Kalkstein, R. (Hrsg.). (2014). Gender und Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Möller, H., & West-Leuer, B. (2018). Stolpersteine weiblicher Karrieren  – and what about Sex? Zeitschrift Psychodynamische Psychotherapie (PDP), 2, 97–105. Neuberger, O. (2002). Führen und führen lassen. Ansätze, Ergebnisse und Kritik der Führungsforschung. München: UTB. Oberhoff, B. (2009). Übertragung und Gegenübertragung in der Supervision. Münster: Deadalus. Rastetter, D., & Jüngling, C. (2018). Frauen, Männer, Mikropolitik: Geschlecht und Macht in Organisationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schiemann, S. J., & Jonas, E. (2020). Streben nach Macht fern von Ethik: Die „dunkle Triade“ bei Führungskräften und die Folgen für Organisationen. Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 27(2), 251–263. Schlippe, A. v., & Schweitzer, J. (2016). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Göttingen: Vanderhoeck & Ruprecht. Schreyögg, A. (2011). Konfliktcoaching: Anleitung für den Coach . Frankfurt a. M.: Campus. Storch, M., & Tschacher, W. (2016). Embodied Communication. Kommunikation beginnt im Körper, nicht im Kopf. Bern: Hogrefe.

5

Anspruchsvolle Arbeits- oder Lebensbedingungen der Coachees

5.1

Praxisbeispiel 20

Fallbeschreibung Die Beauftragung erfolgte durch das Unternehmen: Eine langjährige Fachkraft soll für das interne Bewerbungsverfahren qualifiziert werden. Die bisherige Abteilung wird aufgelöst; die Mitarbeiter werden auf andere Abteilungen verteilt. Dieser Mitarbeiter war übrig geblieben. Im ersten Kontakt war der Mitarbeiter sehr zurückhaltend, völlig frustriert aufgrund des eigenen Bewerbungsstands und des Umgangs durch die Unternehmensleitung mit ihm. Wir haben unseren Arbeitsauftrag für ihn nochmal gut geklärt und dann sehr stark und kontinuierlich ressourcenorientiert gearbeitet. Die letzte Bewerbung des Mitarbeiters lag mehr als 30 Jahre zurück und bestand damals aus einer Kollegenempfehlung und einem zehnminütigen Gespräch. Somit mussten wir intensiv inhaltlich arbeiten. Dabei war es für ihn hilfreich, die Gedanken einer Personalerin im Bewerbungsprozess kennenzulernen und für sich immer wieder mit den eigenen Aspekten in den Abgleich zu gehen. Der Mitarbeiter ging laut eigener Aussage nach drei Coaching-Terminen selbstbewusst und inhaltlich gut gerüstet ins erneute Bewerbungsverfahren. Zwei Tage später kam der Anruf eines fröhlichen Coachee: Es hat funktioniert mit der Bewerbung, und das auch noch an einem besseren Standort. Wie ist die Coach vorgegangen? Der Gefühlszustand des Coachee aus Ärger und Enttäuschung mangels Eigenkompetenzerleben gepaart mit Wut auf das Unternehmen, ist mir in der Arbeit als Coach nicht unbekannt. Hilfreich war, dass ich zu Beginn die Interessen des Coachee in den Mittelpunkt stellte und ihm glaubhaft machen konnte, dass ich – wenn auch durch das Unternehmen beauftragt – ausschließlich mit ihm daran arbeite, ihn zu stärken. Nach und nach nahmen

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Möller, J. Zimmermann, Schwierige Situationen im Business-Coaching, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31076-9_5

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5  Anspruchsvolle Arbeits- oder Lebensbedingungen der Coachees

wir dann die Perspektive des Unternehmens dazu. Das war insbesondere möglich, nachdem der Coachee gut in die Selbstklärung zu den eigenen Kompetenzen kam. Ich habe ihn immer wieder bestärkt und mit seinen eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen konfrontiert. Ein weiterer hilfreicher Aspekt war das Anerkennen und Benennen von negativen Gefühlen im ersten Kontakt. Die Personalabteilung des Unternehmens hatte den Mitarbeiter mehrfach in interne Coachings geschickt und ihn immer wieder aufgefordert, dass er sich nicht so negativ verhalten solle. Ich habe ihn – als neutrale Instanz – durch aktives Zuhören und das Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte in seinem Schmerz über die Situation anerkannt. Und dann immer wieder ressourcenorientiert und zielorientiert mit ihm gearbeitet. Claudia Bredt Es gleicht einem Wunder, dass der Coachee in dem beschriebenen Fall nach drei Sitzungen „selbstbewusst und inhaltlich gut gerüstet“ ist. Zunächst erstaunt es, dass die Coach den Fall überhaupt als schwierige Situation einbringt. Wo liegt die Schwierigkeit, wenn die Coach diese Erfolgsgeschichte präsentiert? Möglicherweise erlebt die Coach die Ausgangssituation des Coachee und den damit verbundenen Auftrag als schwierig. Oder die Coach kennt Affekte aus dem eigenen Erleben, die mit dem von dem Coachee geschilderten Nicht-wahrgenommen-werden, Übrigbleiben und Gekränkt-sein verbunden sind. Es ist unklar, wie die Coach gearbeitet hat. Die Aussage: „Wir haben unseren Arbeitsauftrag für ihn nochmal gut geklärt und dann sehr stark und kontinuierlich ressourcenorientiert gearbeitet“ wirkt auf mich wie eine Übertreibung. Möglicherweise ist die Übertreibung im Sinn einer Gegensatzbildung im Beratungsprozess das wunderheilwirkende Mittel zum schnellen Erfolg des Coachee: Von Nicht-wahrgenommen-werden zum Wunsch von der externen Coach in besonderem Maß wahr- und ernstgenommen zu werden. Von Übrigbleiben zu im Coaching Ganz-da-sein und Gesehen-werden. Von Gekränkt-sein zu Wertgeschätzt-werden. Regina Gibhardt Aus der Fallbeschreibung geht keine konkrete Frage hervor. Sie hört sich eher wie eine Heldengeschichte an. Es wird keine offensichtliche Schwierigkeit geschildert, weil ja alles in drei Settings erledigt scheint. Das kann funktionieren, wenn die Settings eine genügende Anzahl an Stunden haben und wenn die Ausrichtung dabei lediglich auf einem Zugewinn an Methodenkompetenz liegt. Wenn ich im Erstgespräch mit meinen Coaching-Klienten bin, dann biete ich ihnen gern das Bild von SEIN + TUN = HABEN an. Dabei steht SEIN für eine innere Entwicklung, Werte, Haltung, Glaubenssätze etc. TUN hingegen hat mit konkreten Skills zu tun – in diesem Fall die Kommunikationskompetenz für Bewerbungsgespräche. Es gibt Klienten, die wollen nicht auf der SEIN-Ebene arbeiten. Ihnen reicht es völlig, die TUN-Ebene anzuschauen und dort aktiv zu werden. Ganz nach dem Motto: „Gib mir ein paar Tools, ein paar Modelle und Methoden, mit denen ich anders arbeiten kann, und dann reicht mir das völlig“. Wenn dies das vorrangige Anliegen des Coachee gewesen ist, dann geht es

5.1 Praxisbeispiel 20

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wirklich nur um Verhaltenskompetenz. Und das gilt es als Coach natürlich zu akzeptieren und den Prozess darauf auszurichten. Ungeklärt bleibt dabei aber die SEIN-Ebene, auf der eine zu vermutende Kränkung durch den Umgang mit einem langjährigen Mitarbeiter seitens des Unternehmens bestehen dürfte. Da ich selbst keine ausreichende Expertise im Bewerbungstraining habe, würde ich dieses Anliegen an mein Netzwerk weiterempfehlen. Jannik Zimmermann Coachees bringen äußerst unterschiedliche Themen in einen Coaching-Prozess ein, die mitunter negativ gefärbt sind. Daher kommen Coachs regelmäßig mit negativen Emotionen und Schilderungen von durchaus destruktiven, belastenden Gegebenheiten im Umfeld der Coachees in Berührung. Es liegt nahe, dass nicht wenige Coachs dies als schwierig erleben. Der beschriebene Fall kann in diesem Zusammenhang als ein gutes Beispiel gesehen werden: Für die Coach besteht die schwierige Situation nicht im inhaltlich schwer zu lösendem Sachverhalt, sondern darin, mit der Frustration des Coachee und den geschilderten Umständen arbeiten zu müssen und diese auszuhalten. Auf welche Weise man als Coach mit einem Coachee in einer solchen Situation umgehen bzw. arbeiten kann, ist im beschriebenen Fall bereits angedeutet. Zur Entlastung des Coachee besteht ein Ansatzpunkt darin, sich die Emotionen und situativen Umstände des Coachee berichten zu lassen. Sowohl die Emotionen als auch die geschilderten Gegebenheiten sollten nicht aus dem Coaching verbannt werden, sondern Raum und Berücksichtigung finden. Um den Coachee zu stützen, kann es helfen, ihm zu vermitteln, dass seine Emotionen als Reaktion auf die Gegebenheiten angemessen seien. Einen Ansatzpunkt, gewünschte Veränderungen zu unterstützen, sehe ich ebenfalls darin, mit dem Coachee ressourcenorientiert zu arbeiten. Hierzu kann beispielsweise das Züricher Ressourcen Modell genutzt werden; eine detaillierte Beschreibung dieses Selbstmanagementtrainings kann Storch und Krause (2017) entnommen werden. Darüber hinaus kann es hilfreich sein, sich gezielt mit der folgenden Frage auseinanderzusetzen: Warum ist es für mich als Coach schwierig, die Emotionen und Umstände des Coachee auszuhalten? Es ist nämlich anzunehmen, dass die eigene Reaktion auf die Emotionen und Gegebenheiten des Coachee Informationen über das Gegenüber, aber auch über eigene ungelöste Themen bietet. In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Konzept der Gegenübertragung aus der Psychoanalyse verweisen (vgl. Körner 2018). Folgt man diesen Gedanken, kann es helfen, eigene ungelöste Themen näher zu betrachten. Dies wird an einem fiktiven Beispiel deutlich: Die Coach führt das Coaching im geschilderten Fall durch. Sie hat die Tendenz, sich im hohen Maß für jegliche Missstände verantwortlich zu fühlen, unabhängig von ihrem eigenen Zutun. Mit hoher Sicherheit wird es für die Coach schwierig sein, mit dem Coachee zu arbeiten, da sie sich für dessen Emotionen verantwortlich fühlt. Eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Thema Verantwortlichkeit könnte hier möglicherweise zu mehr Akzeptanz, Zuversicht und Gelassenheit verhelfen. Den Rahmen für das Nachspüren ungelöster Themen kann eine Supervision bieten.

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5  Anspruchsvolle Arbeits- oder Lebensbedingungen der Coachees

Andreas Knierim „Alles ist gut“ kommt mir in den Kopf. Wenn ich diesen Gedanken im Coaching habe, ist es sehr wahrscheinlich, dass ich etwas übersehen habe. Ich tippe im beschriebenen Fall auf die Beauftragung durch das Unternehmen: Für welches interne Bewerbungsverfahren soll diese langjährige Fachkraft qualifiziert werden? Am Standort ist einfach kein Platz mehr für diesen Mitarbeiter – dient das Coaching als Bonus, als emotionaler Ausgleich für die nüchternen, rationalen, organisatorischen Veränderungsmaßnahmen? Wer beruhigt hier sein Gewissen, wer verschleiert hier sein Verhalten? Neben diesen systemischen Gedanken bleibe ich bei „gut geklärt“ und „sehr stark und kontinuierlich ressourcenorientiert“ und v. a. beim „Anruf des fröhlichen Coachee“ hängen. Das sind Übertreibungen und Wertungen – von der wurden sie so gemacht, von der Coach oder vom Coachee? Wie wird sich der Mitarbeiter am besseren Standort bewähren, wenn er seine Situation am alten Standort nicht ausreichend reflektiert hat? Denn auf die mäßige Reflexion lässt die Wortwahl schließen, eben im Sinn von „alles ist gut“. Der Fall erinnert mich an ein Newplacement-Coaching: Der Coachee und ich waren in einer ähnlichen Situation. Nicht der Bewerbungsprozess war zu Beginn Thema, sondern die Ausgangssituation. Für diese Reflexion hatte ich als Coach vorsichtshalber ein Sicherheitspolster von acht Sitzungen vereinbart, um in die Tiefe gehen zu können. In den ersten drei Sitzungen kann es um die Bearbeitung der Ausgangssituation gehen und v. a. um die Frage, wie es dazu kam, dass die Führungskraft übriggeblieben ist. Welches Verhalten, welche Muster haben dazu geführt, dass sich der Coachee so wenig um eine neue Stelle gekümmert hat und jetzt, praktisch kurz vor zwölf, ein Coaching braucht? Besonders diese Musterreflexion kann dazu führen, dass sich die Führungskraft am neuen Standort anders verhält und die Chance ergreift, neu anzufangen und sich anders zu präsentieren. Danach ist Zeit, die Person im Rahmen des Bewerbungsverfahrens anzuschauen – in meinem Newplacement-Format arbeite ich immer mit einem Personalberater zusammen, der parallel die Formalien mit dem Coachee erarbeitet und Bewerbungssituationen trainiert. Hilfreich ist es auch, das Coaching so zu terminieren, dass noch Sitzungen übrig sind, wenn der Coachee schon auf der neuen Stelle ist, um die Erkenntnisse aus der Reflexion der alten Verhaltensmuster zu vertiefen und an aktuellen Situationen zu üben. Peter Döring Hier stellt sich für mich zunächst die Frage, was die schwierige Situation für die Coach ist – unter diesem Aspekt wird die Situation ja geschildert. Nach meiner Einschätzung sind dies die heftigen, zum Teil unterdrückten negativen Affekte des Coachee. Meiner Vermutung nach ist der Coachee darauf angewiesen, Anstöße und Anregungen von außen zu bekommen, um dann selbst aktiv zu werden. Man könnte dies als eine über Jahrzehnte gut kompensierte depressive Struktur bezeichnen. Solange das Arbeitsumfeld stabil ist, die täglichen Anforderungen in Bezug auf Aufgaben und kollegiales Miteinander klar sind, wird die zugrunde liegende strukturelle Besonderheit nicht sichtbar. Allerdings fällt es

Literatur

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dem Coachee selbst schwerer als seinen Kolleginnen, in der Umstrukturierungssituation die nötige Initiative zu ergreifen, um sich nach einem neuen Tätigkeitsfeld innerhalb des Konzerns umzusehen und sich auf eine für ihn passende Stelle zu bewerben – ein Element der depressiven Hemmung der Initiative könnte auch sein, nicht zu wissen, was zu ihm passt und was ihm als neuer Bereich liegen würde. Vor dem Hintergrund dieser strukturellen Annahme wird der Prozess der Spontanheilung in drei Sitzungen verständlich: Im persönlichen Kontakt mit der Beraterin kann er Zugang zu seinen Ressourcen finden und neue Initiativen entwickeln. Nachdem er Vertrauen gefasst hat, kann er die Gedanken einer Personalerin im Bewerbungsprozess kennenlernen, neue Ideen und Anregungen aufnehmen. Es gelingt ihm, im Rahmen dieser vertrauensvollen Beratungsbeziehung seine depressive Hemmung der Initiative zu überwinden und sich erfolgreich zu bewerben. Wenn er in der neuen Position guten Anschluss findet, wird er vermutlich dort auch ohne eine erneute Symptomatik weiterarbeiten können. Rückblickend wird hier ein Versagen der Führung im Vorfeld der gezeigten Entwicklung deutlich. Vermutlich hat sich die Führungskraft des Coachee zu wenig mit ihm und seinen persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten in dem Veränderungsprozess beschäftigt. Auch hier wäre kein besonderer Einsatz der Führungskraft erforderlich gewesen, um den Mitarbeiter bei der Veränderung zu unterstützen. Die Führungskraft hätte erkunden können, was ihm liegt und über welche Qualifikationen er verfügt – hierüber informiert zu sein gehört nach meinem Verständnis zu den Grundaufgaben einer Führungskraft. Anschließend hätte sie sich im Unternehmen umhören können und dem Mitarbeiter – wie vor 30 Jahren – einen Anstoß für eine Bewerbung geben können. Allerdings ist zu beobachten, dass Führungskräfte heute für ihre Kernaufgaben immer weniger Zeit und Ressourcen zur Verfügung haben. Ein Hintergrund hierfür ist, dass sie von ihren Führungskräften mit zusätzlichen Aufgaben betraut werden, sodass die Wichtigkeit der persönlichen Führungsbeziehungen in den Hintergrund tritt. Die Beraterin hat den Auftrag aus meiner Sicht kompetent umgesetzt. Persönlich habe ich keine Erfahrungen mit einem solchen Bewerbungs-Coaching. Wenn das Unternehmen an mich herangetreten wäre, hätte ich mich eher mit der Frage der Führung im oben beschriebenen Sinn und der Gestaltung des Veränderungsprozesses beschäftigen wollen. Dafür wäre es sicher sinnvoll gewesen, früher in den Prozess eingebunden zu sein.

Literatur Körner, J. (2018). Die Psychodynamik von Übertragung und Gegenübertragung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Storch, M., & Krause, F. (2017). Selbstmanagement - ressourcenorientiert: Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell (ZRM). Göttingen: Hogrefe.

6

Eigene Abgrenzung der Coachs

6.1

Praxisbeispiel 21

Fallbeschreibung Als Arbeits- und Organisationspsychologe führe ich auf Honorarbasis mehrere Einzel-­ Coaching-­Aufträge in einem Staatstheater durch. Dabei ist eine problematische Situation entstanden, weil ich zwei Einzel-Coachings über die hierarchische Ebene übernommen hatte und zusätzlich zu einem Leitungsgespräch mit der Doppelspitze des Theaters eingeladen wurde. Im Haus geht es immer wieder um das fehlende Führungsverständnis und die notwendigen Führungsqualifikationen. In dieser Situation war es ziemlich schwierig für mich, in der neutralen Coaching-Rolle zu bleiben. Die Konflikte zwischen den Führungsebenen haben sich dermaßen zugespitzt, dass es ziemlich sicher eine Entscheidung der höchsten Führungsebene zur Lösung des Konflikts braucht. Als ich Entscheidungen vorgeben sollte, habe ich mich zwar nicht aus meiner neutralen Position bringen lassen, aber im nächsten Führungs-Coaching war es für mich schwer, zwischen der nötigen Neutralität und meinen Informationen und meinem Wissen unparteilich und authentisch zu bleiben. Die Rollenkonfusion hat sich spürbar auch auf meine Rolle übertragen. Wie ist der Coach vorgegangen? Ich konnte meine eigenen Erwartungen und Über-Ich-Forderungen nach Authentizität abschwächen und fand so eine innere Haltung, die es für den Moment möglich machte, mit der betroffenen Führungskraft weiter zu arbeiten. Es bleibt für mich noch zu überdenken und zu hinterfragen, inwieweit ich meine Rollenüberschneidungen und Konfusionen wieder lösen und klären kann.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Möller, J. Zimmermann, Schwierige Situationen im Business-Coaching, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31076-9_6

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

Tom Levold Offensichtlich geht es hier um das Führungsverständnis im Haus und die Konflikte zwischen unterschiedlichen Führungsebenen, die er parallel berät, was ihn nachvollziehbar in ein Dilemma bringt. Anscheinend wird von ihm eine Stellungnahme hinsichtlich nötiger Entscheidungen erwartet, die er aufgrund seines Anspruchs an Neutralität vermeiden kann, allerdings offenbar um den Preis seiner Rollenkonfusion. Unklar bleibt, was Neutralität in diesem Kontext heißt. Geht es um Neutralität gegenüber nötigen Entscheidungen oder um Neutralität gegenüber Personen oder unterschiedlichen Hierarchieebenen? Führungs- und Entscheidungskonflikte in Organisationen im Kultursektor ergeben sich nicht selten aus der Spannung zwischen der Organisationsform als Unternehmen einerseits und dem Anspruch sowie der Notwendigkeit andererseits, einem Publikum künstlerische Höchstleistungen anzubieten. Ein Theater ist zunächst einmal ein staatlicher, kommunaler oder privatwirtschaftlicher Betrieb mit Personalverantwortung für einen relativ großen Apparat an Menschen, die dauerhaft beschäftigt sind und dann einem künstlerischen Ensemble, deren Mitglieder jeweils für eine begrenzte Zeit oder nur für ein bestimmtes Projekt engagiert sind. Führungsthemen werden in beiden Bereichen unterschiedlich gehandhabt, das ergibt eine spezifische Felddynamik, die sich aus meiner Sicht deutlich von anderen Organisationen unterscheidet. Diese Spannung ist schon strukturell in der Doppelspitze von Geschäftsführung und künstlerischer Intendanz angelegt und anfällig für Rollenkonfusionen. Meiner Erfahrung nach wird einerseits Machtanwendung in solchen Kontexten gern dementiert, gleichzeitig oft sehr rücksichtslos durchgesetzt, sowohl hinsichtlich künstlerischer Autonomie als auch organisatorischer Sachzwänge. Im beschriebenen Fall hat es den Anschein, als würde das Problem des mangelnden Führungsverständnisses bzw. der fehlenden -qualifikation im System als personales und nicht etwa als organisationales Problem präsentiert: Die Organisation als Ganzes gerät nicht in den Blickpunkt, sondern nur der Konflikt zwischen Personen mit unterschiedlicher Eignung auf unterschiedlichen Hierarchieebenen. Der Coach hat sich dabei in diesen Konflikt verwickeln lassen, indem er einen verführerischen Auftrag von der Chefetage angenommen hat, mit der Aufforderung, Entscheidungen vorzugeben, also selbst exekutive Funktionen zu übernehmen, die den Entscheidern im System vorbehalten sein sollten. Auch wenn er erkennt, dass es eine Entscheidung auf der höchsten Führungsebene braucht, sieht er das Problem primär in der Frage, wie er seine eigene Unparteilichkeit und Authentizität aufrechterhalten kann. Konsequenterweise arbeitet der Autor an der Abschwächung seiner eigenen Erwartungen und Über-Ich-Forderungen nach Authentizität, deren Strenge ihm sonst die weitere Arbeit als Coach mit der Führungskraft, die offenbar von einer notwendigen Entscheidung der höchsten Ebene betroffen war, erschwert hätte. Damit macht er seine eigene persönliche Konfusion zum Angelpunkt seines Lösungsversuchs, das System bleibt außen vor. Was würde sich ändern, wenn man die beschriebene Konfusion hinsichtlich der Konflikte um Führungsverhalten und -kompetenz nicht nur als persönliches Dilemma, sondern als Hinweis auf die womöglich fehlende Fähigkeit des Systems betrachten würde, Fragen

6.1 Praxisbeispiel 21

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von Führung, Hierarchie, Verantwortung und Entscheidungen zu klären und konstruktiv zu handhaben? In diesem Fall würde sich der Fokus von der Beratung einer einzelnen Führungskraft auf die Bearbeitung organisationaler Probleme verlagern und einen neuen Auftrag erfordern  – sei es eine Organisationsberatung oder ein Coaching der obersten Führungsebenen. Erscheint eine solche Änderung des Arbeitsauftrags als zu komplex oder als ein Bruch bereits bestehender Arbeitsbündnisse und damit verbundener Loyalitäten, wäre eine freundliche Absage mit dem Hinweis auf die offensichtliche Notwendigkeit einer solchen Klärung angeraten. Ulrich Beumer Rollenanalytisch (vgl. Beumer und Sievers 2000) ist dies eine komplexe Situation, die sich weder durch eine individualistisch verkürzte Sichtweise auf die Professionalität des Beraters noch allein durch eine Fokussierung der manifesten Themen angemessen verstehen lässt. Im Fokus des Verstehens müssen dabei das komplexe Zusammenspiel und Ineinander-­ verwoben-­sein von persönlicher Dynamik des Einzelnen und der psychosozialen Dynamik der Organisation stehen. Ausgangspunkt ist dabei das Symptom, in diesem Fall die Verwirrung und Konfusion des Coachee, nach deren Bedeutung zu fragen ist und deren Sinn und Emotionalität in den Blick genommen werden müssen. Der Coachee nimmt – sicher zu Recht – an, dass diese Konfusion nicht allein persönlich gespeist ist, sondern auf ihn übertragen und zur Bearbeitung und Lösung delegiert ist. Eine Hypothese ist, dass der institutionelle Beitrag zur Konfusion des Beraters und des Theaters in einer ungelösten Führungsthematik liegt, die doppelt genährt wird, nämlich zum einen durch ein insgesamt fehlendes Führungskonzept und darüber hinaus durch divergierende Führungsvorstellungen zwischen den beiden Leitungsfiguren. Die Fantasie, dies sei durch eine Leitungsentscheidung, also durch Macht zu lösen, greift dabei aus meiner Perspektive zu kurz. Im psychodynamischen Coaching geht es um ein umfassenderes Verständnis der Szene in ihren bewussten und unbewussten Anteilen. Vermutlich besteht eine latente Annahme, dass der Aufbau einer eindeutig hierarchischen Struktur die Lösung aller Probleme bedeuten würde. Dies ist aber angesichts der spezifischen Kultur eines Theaters mit einer grundlegenden Spannung zwischen ökonomischer Notwendigkeit und künstlerischer Freiheit, bzw. zwischen einer Kultur der Ordnung und einer emotionalen Kultur unrealistisch und möglicherweise für ein gutes Theater eher schädlich. Neben der institutionellen Dynamik fällt die Betonung der Konfusion hinsichtlich der eigenen Rolle bzw. des Widerspruchs zwischen Erleben und professionellen Anspruchs auf. Dabei steht eine neutrale Coaching-Rolle im Vordergrund. Vermutlich verunsichert die Einbindung in die oberste Leitungsebene und stellt das Rollenverständnis des Coachs infrage. Traditionellerweise sind besonders supervisorisch geprägte Berater eher leitungskritisch und es fällt ihnen eher schwer, sich mit dieser Rolle bzw. der Aufgabe von Leitung zu identifizieren. Darüber hinaus ist der Anspruch auf Neutralität zum einen im Sinn einer Allparteilichkeit, wie sie in mediativen Konzepten vorherrscht, und zum zweiten im Sinn einer Distanz zur emotionalen Identifikation bzw. zu großer Nähe vorherrschend.

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

Wenn dieser Coach zu mir in die Supervision käme, würde ich zunächst versuchen, die Geschichte der Beratung besser zu verstehen, um gemeinsam mit ihm zu verstehen, wie es zur Rollenkonfusion gekommen ist. Sodann wäre es sinnvoll, im Sinn einer Klärung an diesem Erleben von Rollenkonfusion zu arbeiten und im Sinn eines rollenanalytischen Verstehens daran zu arbeiten, welche Teile der Konfusion Spiegelung und Delegation der Organisation sind und welche Teile eher durch die Berufsbiografie und das professionelle Selbstverständnis als Berater bedingt werden. Grundsätzlich ist es aus psychodynamischer Perspektive nicht schädlich, über mehrere hierarchische Ebenen hinweg in einer Organisation zu arbeiten, sondern es bedarf dazu v. a. eines Selbstmanagements in Rollen (vgl. Lawrence 1998), also einer Rollenklarheit, und des gekonnten Umgangs mit Grenzen. Gerade die Arbeit mit verschiedenen Ebenen bietet dann eine Chance zum umfassenderen Blick auf die psychosoziale Dynamik der Organisation. Der Coach kann zu einer Art „sounding board“ für die Führung werden, um diese in Entscheidungen zu unterstützen. Im Hinblick auf die Führungsproblematik heißt dies z. B. herauszufinden, woher der beschriebene Druck zur Entscheidung kommt oder inwieweit die fruchtbare Spannung zwischen Ökonomie und künstlerischer Leitung nicht zur grundlegenden Verfasstheit eines guten Theaters gehört. Darüber hinaus wäre der beschriebene Fall eine gute Gelegenheit, mit dem Coachee an den Fragen des professionellen Selbstverständnisses zu arbeiten. Zum einen würde ich fragen, wofür die Behauptung einer emotionalen Neutralität eigentlich dient und ob sie nicht auch ein Zeichen einer Form der Angstabwehr (vgl. Menzies-Lyth 1974) ist. Gerade im Coaching-Bereich erlebe ich häufig diese Form der Distanzierung, um die eigene Unsicherheit und die Angst vor Fehlern abzuwehren. Coaching muss sich aber zwischen den Polen der Bereitschaft, sich verwickeln zu lassen, und der Fähigkeit, aus der Identifikation und Emotionalität wieder herauszutreten, fruchtbar entfalten. Konzeptionell wäre darüber hinaus daran zu arbeiten, ob das Arbeiten über verschiedene Hierarchieebenen nicht Ausweis einer Kompetenz und weniger Ausdruck einer nicht gelungenen Rollenklarheit ist. Gerade größere Institutionen arbeiten mit Coachs, die in unterschiedlichen Rollen (bezogen auf Hierarchie und Tätigkeit) eingesetzt werden, und die Kompetenz, sowohl die Führungs- als auch die Mitarbeitersicht einnehmen zu können, wird erwartet und ausdrücklich gewünscht. Unabdingbar ist dazu eine stetige Bereitschaft zur Selbstreflexion, zum Aushalten von Konfliktspannungen und emotionalen Verwicklungen, auch Konfusionen, um diese konstruktiv für die Weiterentwicklung der Organisation einsetzen zu können. Agnes Büchele Der Coaching-Auftrag scheint interessant und herausfordernd zugleich, die Darstellung bleibt aber nebulös. Der Coach ringt darum, „neutral und unparteilich zu bleiben“ – man fragt sich: Wobei konkret? Wem gegenüber? Anspruch an Neutralität birgt generell das Risiko, in affektgeladenen Konflikten in ein Korsett zu geraten und als Coach in der Handlungsfähigkeit gebremst zu sein. Neutralität steht auch in Widerspruch zu Authentisch-sein.

6.1 Praxisbeispiel 21

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Indem der Coach bei sich einen Konflikt registriert und darüber reflektiert, schafft er sich eine günstige Voraussetzung, in Distanz zu den Teamkonflikten seiner Auftraggeberinnen zu kommen, und er könnte damit auch die Enge starrer Ansprüche an sich selbst lockern. Es ist ja ein stetiges und generelles Thema von Coaching und Beratung, die eigene Resonanzen in der Gegenübertragung zu reflektieren – hinsichtlich Neutralität, Parteilichkeit, Authentizität, und bei sich selbst zu ergründen, wohin, zu wem die Parteilichkeit wandert, um dadurch die personalen und organisatorischen Systeme zu verstehen. Neutralität wahren zu wollen, könnte darauf hinweisen, dass der Coach in unrealistischen Ansprüchen feststeckt, die ihn in Überforderung bringen. Das könnte für das Coaching ein Hinweis sein, zu klären, welche konkreten Anforderungen die einzelnen Beteiligten und das gesamte Team aktuell zu bewältigen haben. Dazu wäre wichtig zu wissen, welche Ebenen und Bereiche des Theaters in den Coaching-Auftrag involviert sind. Wenn dieser Coach zu mir in die Supervision käme, ginge es für mich also darum – wie so oft – die Rollen und Positionen der Beteiligten zu klären und zu besprechen, welche Vorstellungen seitens des Theaters mit dem Coaching-Auftrag verbunden werden. Vorstellbar ist, dass Konflikte am Theater oft in Verwicklungen zwischen komplexen betrieblichen Notwendigkeiten und Ansprüchen der künstlerischen Freiheit bestehen. Es stünde jetzt also an, die Ebenen zwischen Strukturen der Organisation, dem persönlichen Verständnis der Konfliktbeteiligten und möglicherweise – Staatstheater – auch der Kulturpolitik zu sortieren. Dieses erste Nachdenken über sich selbst in der Coach-Position, seine Bedrängnisse mit der Rollenkonfusion könnten somit zu einer analytischen Perspektive führen, in der die strukturellen Bedingungen des Theaterbetriebs mit den Anforderungen an Führung und persönlichen Verwicklungen in Zusammenhang gesehen werden (vgl. Lohmer und Möller 2014). Das weitere Vorgehen des Coachs könnte dann verstehend – sowohl emotional wie fachlich wissend – statt neutral distanziert sein. Die Probleme des Coachs mit diesem Auftrag scheinen mir auch exemplarisch für die Bedeutung und das Verstehen der Organisationskultur (vgl. Schein 2003) und davon abgeleitet für die Bedingungen, eine bestimmte Organisation zu führen. Für die Organisation Theater müssten entsprechend Kenntnisse über die Eigenheiten der Schauspielkunst, der Regie, der Intendanz u. v. a. m. auch in Verbindung mit Kulturpolitik bekannt sein oder vertieft werden. Die Funktion von Rollen im wörtlichen Sinn, sind am Theater Kern der Existenz und stetiger Quell von persönlichen, sozialen, künstlerischen und organisatorischen Konfusionen und Widersprüchen. Jeder möchte Star sein und ist doch angewiesen auf Ensemble, Regie und nur Teil einer komplexen und in sich widersprüchlichen, kulturellen organisatorischen Gesamtheit. Das (auch theoretische) Studium dieser Bereiche kann den Coach auf der Achse „fachliches Wissen – emotionales Erleben“ im Sinn von Feldkompetenz, stärken (vgl. zum Thema auch Klein 2009). Vermehrte Vorkenntnisse ermöglichen Vorannahmen über manifeste wie unbewusste Konfliktlagen der Organisation wie der Personen und sind geeignet, sich stimmiger auf das Coaching einzustellen. Mit dem Coach wäre zu klären, welche Ansprüche er sich mit dem Bestreben um Neutralität auferlegt, und er könnte ermuntert werden, mitschwingende Empfindungen und Emotionen bei sich zu ergründen; aus der Perspektive der Gegenübertragung ließen sich

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

Überlegungen zur Problematik der Coachees ableiten. Andererseits könnten auch biografische Erfahrungen mit Theater und Schauspiel, mit Hierarchien und gesellschaftlichem Prestige im Sinn der Übertragungen des Coachs bedeutsam sein. Welche Hindernisse und welche Kompetenzen könnten in seinen eigenen Erfahrungen beinhaltet sein? Achim Mollbach Die Ausführungen des Fallgebers lassen darauf schließen, dass er erstens zu Beginn seines Mandats kein für ihn nützliches Bild der Organisation als Orientierung hatte und zweitens möglicherweise kein Bewusstsein für die Notwendigkeit eines solchen Bilds für das erfolgreiche Agieren als Berater und als Coach in einer Organisation hat. Diese Notwendigkeit aber besteht v. a. dann, wenn es mehrere und schlecht definierte Aufträge gibt, die in ein und demselben Klientensystem realisiert werden. Falls die von ihm angesprochenen „mehreren Einzel-Coaching-Aufträge“ mehr oder weniger parallel und isoliert als Erstaufträge kamen, ist tatsächlich das Risiko groß, dass der Coach in die Konflikte, Macht- und Einflussbeziehungen etc. hineingezogen wird, selbst dann, wenn er das Bewusstsein für solche potenziellen Dynamiken hat. Die Konfusion entsteht dadurch, dass der Berater (wie auch der Auftraggeber) seine Rolle aus den einzelnen, isolierten Beratungsaufträgen ableitet und für die Tatsache, dass die Beratungsprozesse in ein und demselben Klientensystem stattfinden und die Klienten im Klientensystem interagieren, kein Beratungs- oder Coaching-Format sowie keine Rolle oder kein Rollenmodell parat hat. Der vorliegende Fall zeigt, dass der Coach, der in einer Organisation tätig ist und gegebenenfalls mehrere Beratungs- oder Coaching-Aufträge erhält, Modelle, Kompetenzen und Techniken braucht, die über das unmittelbare Coaching-Wissen hinausgehen. Dies sind bezogen auf Coaching Wissen-Metamodelle und dem Coaching übergeordnete organisationsdiagnostische und systemische Kompetenzen. Denn es geht hier um die Verfügbarkeit nicht eines Coaching-Modells, sondern eines umfassenderen Organisationsmodells als Orientierung, wie die einzelnen Coaching-Prozesse und die Klienten selbst in der formalen und informalen Organisation des Klienten eingebettet sind, welche Erwartungen, Konflikte etc. sich daraus innerhalb der Organisation und an den Coach und Berater ergeben. Insbesondere in Kulturen, die durch schwache Formalisierung gekennzeichnet sind, ist es für einen Berater besonders notwendig, ein Bewusstsein für diese Dynamiken zu haben, da die ordnende und abgrenzende Funktion formaler Prozesse sowohl im Beratungs- wie auch im Klientensystem fehlt. Für die Beratung und das Coaching in einer eher schwach formalisierten Organisation ist es umso notwendiger, dass der Berater und Coach ein Bewusstsein für die informale Organisation, d. h. Kultur, Rituale, Beziehungsnetzwerke, Macht- und Einflussmechanismen der Organisation, hat und sich in diesem Kontext souverän bewegen kann. Kurzfristig wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, dass sich der Coach erst einmal – z. B. in einer Supervision – über die gesamte Landschaft Klarheit schafft. Dabei sollte nicht bei den eigenen Erwartungen angesetzt werden, sondern zunächst einmal die Organisation bzw. das System Staatstheater, in der formalen und v. a. informalen Dimension rekonstruiert werden. Hierzu gehören auch die Rekonstruktion der Konflikte und der

6.1 Praxisbeispiel 21

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­ onfliktkontexte. Es geht also darum, eine dezidiert organisationale bzw. eine systemiK sche Perspektive einzunehmen. Als nächstes wäre in der Supervision zu rekonstruieren, welche formulierten, aber auch impliziten Erwartungen die verschiedenen Player in der Organisation aus Sicht des Coachs an den Coach haben und wie diese Erwartungen aus Sicht des Coachs zueinander stehen. Es gilt also, in der Supervision zwischen Reflexion der Organisation und Selbstreflexion zu pendeln, damit sich beim Coach eine Position entwickelt, die Antwort auf zwei Fragen gibt: Was ist in dieser Organisation möglich und was nicht? Was brauche ich als Coach an Klarheit und Eindeutigkeit, damit ich gut arbeiten kann. In der Supervision wäre dann auch eine Handlungsstrategie für ihn als Berater und Coach zu entwickeln. Langfristig wäre es im Sinn von Lernen aus Erfahrung sicher sinnvoll, wenn der Coach lernt, dass ein Coaching immer eingebettet ist in einen organisationalen Kontext – und d. h. auch, dass der Coach sein Verständnis von Organisation klärt und gegebenenfalls erweitert. Zudem wäre es sinnvoll, wenn der Coach auf einer praktischen Ebene im Rahmen der Auftragsklärung stärker die Exploration der formalen und informalen Organisation berücksichtigt. Darüber hinaus macht es für bestimmte Personen auch Sinn, für sich selbst Prinzipien festzulegen, wo Grenzen der Auftragsannahme bzw. Mandatsübernahme liegen. Edeltrud Freitag-Becker Ohne Rollenvielfalt kein Theater, ohne Rollenkonfusion kein Drama. Das Theater lebt von Verwechslungen, verschlungenen Rollenbesetzungen, dem Gleichzeitigen im Ungleichzeitigen, von Sehnsüchten und anderen Gefühlen, von Auf-Lösungen und der Suche nach dem Realen im Irrealen. Das Staatstheater als Organisation organisiert die Abläufe, trägt die Verantwortung rund um die strukturellen und ökonomischen Belange des Hauses sowie für die passenden Besetzungen all der notwendigen Rollen, die für das Zusammenspiel nötig sind  – und muss zudem dem öffentlichen Interesse zu Diensten sein. Nutzen wir den metapheranalytischen Zugang, so wird deutlich, dass die Vorstellung von Rollen und Rollenbesetzungen, von Inszenierungen und Dramen etc. in beiden Strukturformen unterschiedliche Bedeutungen haben und infolgedessen die Arbeitsbeziehungen prägen. Der Coach gerät in diese schillernde Welt und verfängt sich in der Vielschichtigkeit. Er gerät von der Hinterbühne auf die Vorderbühne – und steht im Scheinwerferlicht. Er soll die Lösung bringen, die Spannungen auflösen – und kennt seine Rolle nicht. Sein Grübeln verweist auf ein individualistisches Beratungsverständnis; sein Blick in die Organisation bleibt verhangen. Es scheint, als hätte der Coach sich diese Organisation noch nicht zu Eigen gemacht. Er entwickelt kein Gesamtbild, sondern bleibt an aktuellen Anforderungen und Stimmungen hängen, sozusagen an Szenen. Das Ergründen und Verstehen der Szenen könnte einen anderen Blick auf die Organisationsdynamik werfen und ihm die Möglichkeit geben, seine Rolle und Aufgabe klarer zu

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

fassen. Er ist bemüht, neutral zu bleiben – Neutralität in einer Organisationskultur, in der das Lebenselixier die Identifikation ist und die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Rolle die primäre Anforderung darstellt. Die Angst vor Parteinahme konfrontiert ihn mit der Notwendigkeit sich einzugestehen: Wer denn nun bin ich an diesem Ort und wie machtvoll will ich sein? Wenden wir uns dem angedeuteten Konflikt zu, könnten wir es hier mit einer institutionalisierten Angstabwehr zu tun haben: Was geschieht auf der Hinterbühne wirklich? Welche Dramen schwelen im Hintergrund? Wovon sollen die Szenen ablenken? Damit gerät die gesamte Organisation Theater in den Blick und in den Beratungsfokus. Dazu bräuchte der Coach mehr als einen individuenbezogenen Beratungsansatz. Behält die Angst vor dem Sich-verlieren-können beim Coach die Oberhand, wird er ein unsicher Suchender bleiben. Bleiben wir in der Theatermetapher, dann haben wir es bei jedem Theaterstück mit einer Als-ob- oder Was-wäre-wenn-Situation zu tun. Was wäre, wenn die Organisation Theater im Coaching auf die Bühne gestellt würde? Was könnte sich verdeutlichen, welche Bilder entstehen, welche Rollen werden sichtbar, welche Rolle könnte der Coach einnehmen? Szenisches Verstehen als Einladung an die Beteiligten, gemeinsam in die Analyse der Situation einzusteigen, könnte folgende Themen ermöglichen: • • • •

sich involvieren lassen und die Kultur verstehen, die Doppelspitze ergründen und den Konflikt spürbar werden lassen, die Führungsrollen identifizieren und ihnen nachspüren, die Angst vor den Dramen der Organisation verstehen wollen.

Legen wir diese szenische Beschreibung auf das Theater im Theater, wird deutlich, dass sich dort oft die wahren Gestalten und die wahre Geschichte erst mit der Zeit herausstellt. Das Spiel muss sich entwickeln, entrollen, dem Höhepunkt zugeführt werden. Erst der Blick zurück, erst nach der Vorstellung weiß man, was man gesehen hat und wie es möglicherweise zu deuten und zu verstehen ist. Es braucht Geduld und die Bereitschaft, sich in die Tiefen der Irritationen und des Nichtverstehens ziehen zu lassen, bis sich ein Gesamtbild einstellt und die Entwicklung der eigenen Rolle möglich wird. Meines Erachtens ist ein organisations- und kulturanalytischer Zugang für diesen Coaching-­Auftrag unerlässlich. Die Verführungen und Verwirrungen, die die Organisation Theater ausstrahlt und zu denen sie einlädt, benötigen sowohl Verstehen und Einfühlung als auch Distanzfähigkeit. Auch das Führungskräfte-Coaching ist nicht losgelöst von dieser Dynamik. Es wäre wunderbar, der Coach bekäme Lust, mit Metaphern und Szenen zu arbeiten, sowie die Coachees zu Assoziationen und Resonanzen einzuladen. Der spielerische Zugang könnte eine Leichtigkeit in die Schwere der angedeuteten Szenen bringen und den beteiligten Protagonisten die Chance bieten, mehre Betrachtungsblickwinkel auf die Konflikte zuzulassen.

6.2 Praxisbeispiel 22

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Heidi Möller Wenn ich mich mit dem Coach identifiziere, spüre ich sofort meine eigene Faszination. Es gibt ja dieses schillernde Feld: Das Staatstheater! Da ruft es in mir sofort „Hurra“, endlich mal ein interessantes Feld! In mir bestünde die Gefahr, vor lauter Begeisterung über das Feld die rationale Analyse außer Kraft zu setzen. Ein cooles Feld: Alle duzen sich, vordergründiges „easy going“. An der Stelle wäre ich gefährdet, mich verwickeln zu lassen, vor lauter Begeisterung, engagiert worden zu sein. Die aufregende Frage ist ja, wie wird Führung am Theater sinnvoll realisiert? Wie führt man Schauspieler? Braucht man da andere Konzepte als die typischen Führungskonzepte, die wir alle kennen? Braucht es für den Kreativbereich andere Zugänge? Es hätte auch für mich einen großen Charme, eine Hofoder Theaterpsychologin zu sein, die immer bei Bedarf präsent ist, wie eine Konsiliarärztin, v.  a. weil ich die Welt des Theaters stark bewundere. Da ich meine Verführbarkeit kenne, würde ich mit Kolleginnen arbeiten, eine Beratungsarchitektur basteln, mit der ich nicht allein bin. Systeme brauchen Systeme, um sich zu spiegeln. Ich würde mir zusammen mit anderen Resonanzräume für mich schaffen. Eine letzte Bemerkung: Was ist Authentizität in der Beratung? Darunter verstehe ich, nicht immer alles zu sagen, sondern meine Gegenübertragungen, Wahrnehmungen und Bewertungen gezielt zu veröffentlichen.

6.2

Praxisbeispiel 22

Fallbeschreibung Es geht um eine Situation, in der mir die Coachee von einem Anwalt erzählte, mit dem sie beruflich zu tun hatte und über den sie unendlich unflätig und diskriminierend sprach. Im Lauf des Gesprächs stellte sich heraus, dass ich diesen Anwalt kannte und ihn für unsere Familie ein paar Jahre zuvor schon zweimal beauftragt hatte. Wir fanden ihn gut und konstruktiv. Ich hatte mir vorgenommen, dies der Klientin nicht zu sagen. Als wir aber eine kleine Aufstellung zu der Berufsbeziehung der beiden Parteien machten und sie mir sagte, sie würde den besagten Anwalt duzen, rutschte mir dummerweise sein Vorname heraus. Darauf sagte die Klientin: „Woher wissen Sie, wie er heißt?“ Nach dieser Stunde brach die Klientin das Coaching ab. Ich schrieb ihr noch einmal, dass ich die Gründe für ihr Fernbleiben gern wissen wollte, aber sie antwortete nicht. Wie ist die Coach vorgegangen? Ich habe mich selbst unprofessionell erlebt. Ich hätte besser gleich sagen sollen, dass ich diesen Anwalt kenne und daher vielleicht befangen sein könnte, wenn wir weiter über ihn sprechen. Mathias Lohmer Die Schwierigkeit beginnt damit, dass die Coach ein gemeinsames Dilemma der Coach-Coachee-Beziehung (die gemeinsame Kenntnis des Anwalts als Kontrahenten der

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

Klientin) als ein eigenes Dilemma behandelt. Sie möchte es ohne Einbeziehung der Coachee lösen. Die Coach vermeidet damit auf kurze Sicht, eine Beendigung des Coaching-­ Prozesses zu riskieren  – auf lange Sicht riskiert sie aber, dass ihre Klientin ihr auf die Schliche kommt, was dann ja auch prompt passiert, das Vertrauen beschädigt und der Coaching-Prozess umso konflikthafter beendet wird. Hier empfiehlt sich wiederum eine Gegenübertragungsanalyse im Sinn eines „containment“ (eines Haltens, Verstehens und Verarbeitens; vgl. Giernalczyk et al. 2012) der momentanen Spannung: 1. Ich bemerke eine Irritation, Hemmung, Ängstlichkeit (über die Kenntnis des Anwalts zu sprechen) und nehme diese ernst. 2. Ich halte inne und analysiere diese Irritation für mich: Was befürchte ich, wenn ich diese Komplikation anspreche? Ärgere ich mich über die entwertende Art der Klientin? Warum könnte ich ein schlechtes Gewissen über meine Kenntnis des Anwalts haben? Fühle ich mich in ein Entweder-oder (ich nehme Partei für die Klientin oder für den Anwalt) gedrängt? Hätte ich für mich die Möglichkeit, mit der Klientin weiter zu arbeiten, oder ist dies ein Problem von Parteilichkeit und Abstinenz, das eine Beendigung des Coachings nahelegt? 3. Ich nehme meinen inneren Prozess als Ausgangspunkt für eine Intervention zur Klientin, z. B.: „Ich würde gern für einen Moment mit Ihnen innehalten. Mir ist gerade klar geworden, dass ich Ihren Kontrahenten persönlich aus einer früheren beruflichen Erfahrung kenne. Nachdem ich in keiner Beratungsbeziehung zu ihm stehe, könnte ich mir vorstellen, mit Ihnen auch über diese für Sie problematische Beziehung weiter zu arbeiten. Ich könnte aber auch verstehen, wenn Sie an dieser Stelle zunächst genauer überprüfen wollen, ob der Coaching-Prozess für Sie weiterhin Sinn macht. Was meinen Sie dazu?“ Klaus Eidenschink Dreieckskonstellationen sind grundsätzlich schwierig zu handhaben und lassen sich häufig aber nicht vermeiden. Triangulierungen – also Beziehungssituationen, in denen es einen Ersten, Zweiten und Dritten gibt  – stimulieren in jedem Menschen grundlegende, existenzielle Fragen wie: Kann ich der ausschließende Erste (der Drei) werden? Drohe ich der ausgeschlossene Dritte zu werden? Werde ich als Zweiter vereinnahmt oder missbraucht? Bezahle ich gegenüber dem Dritten einen Preis, wenn ich als Zweiter dem Ersten nahekomme? In der Fallbeschreibung steht die Frage im Raum, wer zu wem aus welchen Gründen loyal ist und wer mit wem paktiert. Solche Konstellationen sind im Coaching häufig, wenn nicht die Regel, da der Coach ja z. B. immer sowohl der Coachee als auch dem Unternehmen verpflichtet ist. Die kunstvolle Handhabung dieses Phänomens – in der Branche wird dies als Dreiecksvertrag bezeichnet –, ist Teil der professionellen Kompetenz jedes Coachs. Dabei ist zu konstatieren, dass es in diesem Gelände keinen Weg gibt, bei dem die Hände der Coach, des Coachee und der abwesenden Dritten zur Gänze sauber bleiben

6.2 Praxisbeispiel 22

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können. Es werden immer Situationen entstehen, in denen eine Partei eine andere zu ihren Gunsten zu funktionalisieren versucht. Unternehmen geben (verdeckte) Aufträge an die Coach, der Coachee macht in Pseudo-Compliance sein Coaching, um das Unternehmen zu besänftigen oder die Coach versucht über den Coachee Zugang zu anderen Auftraggebern im Unternehmen zu bekommen. Vollständige Transparenz oder Ehrlichkeit ist oft genauso dysfunktional wie Opportunismus oder verdeckte Interessenbearbeitung. Dies ist der übergeordnete Rahmen der hier geschilderten Situation. Die Fallgeberin wird hier vordergründig Opfer eines Versprechers, der  – verständlicherweise – das Vertrauen der Klientin in sie vollständig zerstört. Hintergründig könnte man vermuten, dass die Coach ihrerseits erbost war, über die aus ihrer Sicht abwertende Rede über eine Person, die sie selbst schätzt und die ihr selbst schon hilfreich war. Die von der Coach geäußerte Idee einer Lösung ist naheliegend und selbstverständlich möglich, aber nicht zwingend nötig oder in jedem Fall hilfreich. Die Klientin wäre aller Voraussicht nach mit dem Tolerieren von der Doppelloyalität der Coach sehr überfordert gewesen, sonst hätte sie keinen solchen Bedarf an Abwertungen gegenüber diesem Anwalt. Ihre eigene Kenntnis der Person des Anwalts hätte die Coach meines Erachtens genauso gut im Hintergrund nutzen können, um die Verzerrungen der Klientin in diesem Konflikt besser beurteilen zu können. Damit hätte sie ideale Bedingungen gehabt, die eigenen Anteile der Klientin an dem Konflikt gut erkennen zu können. In jedem Fall ist der Ausgang der Beratung ein lehrreiches Beispiel dafür, dass Kontakt zwischen Personen nicht wirklich entstehen kann, wenn das, was innerlich vorgeht, nicht rollen- und situationsgerecht ausgedrückt wird. Der Fehler der Coach war weniger die versäumte Information über die Kenntnis des Anwalts, sondern ein ungeschickter Umgang mit ihrer Gegenabwertung der „unflätigen und diskriminierenden“ Rede der Klientin. Thomas Giernalczyk Die Coach beschreibt eine kritische Szene in einer Sitzung und geht davon aus, dass sie fehlerhaft gehandelt hat. Am deutlichsten drückt sich dies in der Formulierung „rutschte mir dummerweise der Vorname raus“ aus. In ihrer Gegenübertragung wirkt sie, als fühle sie sich schuldig und sei beschämt für ihr Vorgehen. Ich habe den Eindruck, dass dies mit der enormen Diskrepanz zusammenhängt, mit der beide den Anwalt einschätzen. Für den Fall, das eine spürbare Irritation bei der Coachee während der Interaktion auftritt, bietet es sich an, dies z. B. mit folgender Formulierung aufzugreifen: „Kann es sein, dass ich Sie irritiert/verärgert habe? Mich würde interessieren, womit ich den Affekt ausgelöst habe.“ Möchte man dieses Vorgehen als Methode beschreiben, so wenden wir die Stopptasten-Technik an und führen diese beispielsweise wie folgt ein: „Ich würde gern unser Gespräch unterbrechen und die Stopptaste drücken. Anschließend möchte ich gemeinsam mit Ihnen untersuchen, wie wir unser Gespräch erlebt haben und welche Weichenpunkte für Sie und für mich kritisch waren.“ Ein derartiges Vorgehen setzt allerdings voraus, dass die Coach nicht selbst zu stark mit der eigenen Affektregulation beschäftigt ist. Nochmals an der Vignette angeknüpft, geht es vor der Anwendung der Stopptasten-Technik darum, die eigene Gegenübertra-

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

gung auszuwerten und zu nutzen: Ich fühle mich ertappt und beschämt, ich glaube ich habe einen großen Fehler gemacht. Womit kann das zu tun haben? Vielleicht habe ich mich über die Herabsetzung des von mir geschätzten Anwalts schon länger geärgert und fühlte mich auch in meinem Ärger über die Coachee ertappt. Vermutlich spiegelt sich in meiner Beschämung die Scham meiner Coachee, denn sie fühlt sich sicherlich ebenso entlarvt, da ich den Beschimpften kenne und mir ein eigenes Bild machen kann. Durch Gedanken dieser Art kann die Coach die Situation mehr als eine intensive emotionale Begegnung wahrnehmen und kommt von der einseitigen Zuschreibung des Fehlers weg und erlebt den Moment eher als Offenbar-werden einer Verstrickung. Aus dieser Gegenübertagungsanalyse ließe sich folgende Intervention ableiten: „Jetzt sind wir wohl beide erschrocken, denn Sie bemerken, dass ich den Anwalt kenne und ich geniere mich, dass ich es Ihnen nicht schon gleich am Anfang gesagt habe. Sollen wir diese schwierige Situation zusammen untersuchen und schauen, was wir daraus lernen können?“ Die Vignette wirft generell die Frage auf, welche Informationen eine Coach weitergeben bzw. für sich behalten sollte. Die Vignettengeberin scheint von einem an Transparenz orientierten Modell auszugehen. Dem möchte ich entgegenhalten, dass eine Coach ähnlich einer Führungskraft eine Filterfunktion auszuüben hat (vgl. Giernalczyk und Möller 2018). Sie entscheidet anhand ihrer Professionalität, welche Informationen sie hineingibt und welche sie zurückhält. Stellen wir uns vor, der Anwalt wäre ebenfalls ein Coachee der Coach, so läge auf der Hand, dass sie dies nicht gesagt hätte. In der Kultur zahlreicher Organisationen ist es immer noch ein Makel, sich coachen zu lassen, deshalb unterliegt die Frage, wer im Coaching ist, der Filterfunktion der Coach. Im Sprachgebrauch der Psychoanalyse wird die Filterfunktion wesentlich strikter als Abstinenz eingeführt. Demnach soll der Coach seinen Coachee nicht mit Material belasten, das den Coach (konflikthaft) beschäftigt, sondern sich auf die Perspektive des Coachee konzentrieren.

6.3

Praxisbeispiel 23

Fallbeschreibung Ich erhalte einen Anruf einer Coachee, die ich bereits vor acht Jahren in ihrem Versuch, das Unternehmen zu wechseln, unterstützt habe. Damals ist der Wechsel nicht gelungen. Nun möchte sie unbedingt erneut das Unternehmen verlassen und sich auf eine neue Stelle mit mehr Kundenkontakt bewerben. Aktuell ist sie in einer Stadtverwaltung tätig und zuständig für den Finanzbereich. Dort wird sie laut eigener Aussage zunehmend ins Controlling gedrängt. Meine Schwierigkeit besteht darin, dass ich eigene Vorstellungen davon habe, in welchen Bereich sie passt und in welchen Bereich sie nicht passt. In der Position, die sie anstrebt, sehe ich sie eindeutig nicht. Sie reagiert mimisch kaum, strahlt keine Dynamik aus und wirkt immer wieder abweisend, auch wenn sie nur nachdenkt. Soweit meine eigene Falle: meine eigene langjährige Personalererfahrung.

6.3 Praxisbeispiel 23

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Wie ist der Coach vorgegangen? Zuerst analysierten wir das Anforderungsprofil des Wunschjobs und betrachteten die Personalperspektive. Dann erarbeiteten wir konkrete Situationen, in denen sie diese fachlichen und insbesondere weichen Eigenschaften gut zeigen konnte. Hier fand ein zunehmender Aufbau des eigenen Selbst-Bewusstseins statt. Im zweiten Termin haben wir dann nochmal zu den Aspekten Verhalten und Wirkung gearbeitet und Aspekte angesprochen, die für sie heikel sein könnten. Jetzt durfte sich meine Personalererfahrung Raum nehmen und über ein sehr behutsames Beschreiben ihres Verhaltens und ihrer Wirkung auf mich konnte sie Selbstbeschreibungen entwickeln, mit denen sie gleichermaßen authentisch, ehrlich und positiv ins Bewerbungsverfahren gehen konnte. Ich war nach wie vor skeptisch, ob sie das im Vorstellungsgespräch ausreichend vertreten könnte. Sie konnte! Was hier hilfreich war: Vor Beginn der zweiten Zusammenarbeit habe ich mir klargemacht, was mich an der Situation gerade irritiert. Somit konnte ich ein Vorgehen entwickeln, das es uns beiden erlaubte, sie zu Beginn faktisch und zunehmend auch mit ihren weichen Kompetenzen positiv wahrzunehmen. Brigitte Fritschle In dieser Fallvignette ist eine Coaching-Aufgabe anzugehen, die unter Umständen von einer früheren Erfahrung zwischen Coach und Coaching-Partner überlagert wird. Eine Erfahrung, die möglicherweise nicht für beide positiv ausgegangen ist. Die Kundin hat ganz am Anfang gesagt, dass der Wechsel zu einem anderen Unternehmen damals nicht gelang. Es wird aber nicht geklärt warum. Das ist eine wichtige Eingangsfrage: Was hat nicht funktioniert? War sie zu alt, zu jung, zu teuer? Und jetzt möchte sie unbedingt (wieder) weg, aber es gibt keine Begründung, keine Erklärung, warum diesmal. Mein Eindruck ist, dass der Coach sich selbst im Weg steht. Er spricht von seiner langjährigen Personalerfahrung, was ihn möglicherweise mental beeinflusst. Die Gefahr, die hier entstehen kann, besteht darin, dass er versucht, die Coaching-Kundin anders zu verorten, als sie sich verorten möchte oder zukünftig verorten will. Das könnte eine sehr starke Rollenkonfusion für den Coach bedeuten. Möglicherweise empfindet er es deshalb als schwierig, die nötige Distanz zu sich selbst und zu seiner Coaching-Kundin aufzubauen. Ich frage mich, ob im beschriebenen Fall nicht auch eine Übertragung aus der Szene von vor acht Jahre besteht. Diese wird der Coach nicht einfach abstreifen können. Wie war denn das genau vor acht Jahren? Heute, zum Zeitpunkt des Anrufs, haben wir eine neue Situation, eine neue Fragestellung. Als Coach würde ich mir die neue Lage mit großer Gelassenheit anschauen. Es gibt einen neuen Einstieg, obwohl ich glaube, ich kenne die Person mit ihren Möglichkeiten und Unzulänglichkeiten. Ehe ich mir Übertragungsprobleme einhandle, schaue ich mir die Situation erst einmal eine Weile an. Möglicherweise benötige ich dazu zwei Sitzungen. Ich nehme die Diagnostik sehr, sehr ernst. Meine Empfehlung: Die Kundin reden lassen, zuhören ist das erste Gebot! Bei Bedarf flankierend Fragen stellen, die nicht nur den Bedarf des Coachs decken, sondern in erster Linie Klärung und Entwicklung für die Kundin bedeuten. Nachfragen und vertiefen: Wie kommt sie auf die Idee? Was ist ihre Motivation? Niemals unterbrechen. Dass sich jemand

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

öffnet, ist das Wichtigste an der ganzen Maßnahme. Und dann kann man irgendwann dazu kommen, Erklärungen abzugeben oder mitzuteilen, was einem dabei durch den Kopf geht. Aus dem Finanzbereich in einen kundenbezogenen Bereich zu wechseln, scheint mir ein Riesensprung zu sein, der vielleicht zu groß für die Kundin ist. Als Coach könnte ich mit ihr erörtern, was dieser Sprung für sie bedeuten würde. Was könnte es bedeuten, wenn der Sprung gelingt, und was, wenn der Sprung nicht gelingt? Ich würde versuchen, ihre Wünsche oder ihre Zielvorstellungen zu reflektieren: Wie passt das denn zusammen? Der Coach könnte die Kundin um ihr Einverständnis bitten, einen Test zur Verstärkung der Diagnostik einzusetzen, der ihre Kompetenzen zeigt. Wenn sie damit einverstanden wäre, hätte der Coach stabilisierendes Material. Der Eindruck, der durch ihre Mimik entsteht, könnte zu einem falschen Schluss führen. Hier gilt es als Coach sehr vorsichtig und zurückhaltend mit Zuschreibungen zu sein. Der Wunsch der Coaching-Kundin ist erst einmal absolut legitim. Erst im Lauf des Prozesses können beide – Coach und Coaching-­ Partner – gemeinsam prüfen, ob und wie das Anliegen sinnvoll und erfüllbar wird. Je nach Entscheidung kann an der Entwicklung einer zukünftigen Mitarbeiterin „mit mehr Kundenkontakt“, ihrer Haltung, ihrem Ausdruck etc. gearbeitet werden. Auf der Basis eines wachsenden Vertrauens kann der Coach Empfehlungen sowie Für und Wider abwägend aussprechen. Vielleicht hat sie, weil sie kein Feedback bekommen hat, nie gelernt, welche Wirkung sie hinterlässt. Es handelt sich hier um Dinge, die lernbar sind: über Beschreibung, Paraphrase und Feedback. Ich erwarte von mir als Coach, dass ich eine souveräne Distanz zu meinem Coaching-­ Partner und seinem Problem habe. Ich habe lange Zeit und Geduld, mir das Verhalten des Coaching-Partners anzuschauen, ohne jemandem meine eigenen Assoziationen und Bilder überzustülpen oder nahezubringen. Ich schaue mir die Kontaktaufnahme zu mir mit großem Langmut an. In meinem Verständnis ist der Coach für den Prozess verantwortlich, nicht für die Bewegung oder den Inhalt. Für mich und mein Verständnis von Coaching steht eine wertfreie Kommunikation an erster Stelle, insbesondere am Anfang des Prozesses. Ich halte mich anfänglich möglichst zurück, kann aber dann im Lauf des Prozesses sehr deutlich werden und kann dann auch gegenüberstellen: Das ist der Wunsch. Mit welcher Berechtigung? Was sind die Gründe dafür, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen könnte, oder will sie das nächste Waterloo erleben wie vor acht Jahren? Sodass ich dann doch sehr deutlich werde. Aber ich steige nicht mit Hypothesen ein. Für mich sind Hypothesen immer ein gefährliches Mittel. Bevor ich meine Hypothesen hätte überprüfen können, liefe der Prozess ja weiter. Silja Kotte Der Coach sieht sich im vorliegenden Fall mit einem Konflikt konfrontiert, der durchaus auch ohne seine Personalerfahrung entstehen könnte. Mir erscheint an dieser Stelle der Verweis auf seine eigene langjährige Personalerfahrung auch als eine rationalisierte Erklärung, warum es zu der erlebten Schwierigkeit gekommen ist. Dass ich als Coach denke, für meine Coachee wären bestimmte Aufgaben passend, andere dagegen unpassend, dass

6.3 Praxisbeispiel 23

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ich sie in einer bestimmten Rolle sehe, in einer anderen dagegen nicht, ist nichts Ungewöhnliches und erst einmal unabhängig von meinem beruflichen Hintergrund (als Personalerin, als Freiberuflerin etc.). Spannend wird es daher bei der Frage: Inwieweit exploriere ich dann als Coach? Inwieweit gehe ich der Frage nach, warum bei mir ein bestimmter Eindruck entsteht? Als Coach würde ich bei meinem Erleben ansetzen, konkret hier, dass ich der Coachee einen Aufgabenbereich mit intensivem Kundenkontakt nicht zutraue. Frei nach Kernberg: Genieße Deine Gegenübertragung, auch die negativen oder gerade die negativen! Meiner Meinung nach ist es wichtig, den eigenen Eindruck gerade am Anfang wahrzunehmen, zuzulassen und ihm nachzugehen. Im eigenen Erleben sind immer auch Informationen enthalten, die sich durch eine Reflexion für den Coaching-Prozess (besser) nutzbar machen lassen. Reagiere ich beispielsweise stark im Sinn von „Ich sehe gar nicht, dass meine Klientin das hinkriegt“, kann dies darauf hinweisen, dass es auch andere Menschen in ihrem beruflichen Umfeld gibt, die diesen Eindruck teilen (im Sinn der komplementären Gegenübertragung; vgl. Racker 1978; Möller 1996). Vielleicht weist es aber auch darauf hin, dass die Klientin selbst gar nicht weiß, ob sie einen Wechsel schaffen kann, mir meine eigene kritische Einschätzung also einen Zugang zu ihrer eigenen Unsicherheit und Ambivalenz ermöglicht, die ich andernfalls übergehen würde (im Sinn der konkordanten Gegenübertragung; vgl. Racker 1978; Möller 1996). Eine negative Gegenübertragung kann auch durchaus als etwas Positives, als ein Mehrwert für das Verstehen, verstanden werden! Mein Erleben würde ich nicht gleich verbalisieren und ansprechen, sondern erst einmal hintergründig als eine Verstehensoption nutzen und diese im weiteren Verlauf des Coachings überprüfen und gegebenenfalls explorieren. So würde ich im weiteren Verlauf des Coachings sowohl Raum geben, dass die Coachee ihre Ambivalenz bezüglich der mit dem Stellenwechsel verbundenen Veränderungen bearbeiten kann, als auch anregen, dass sie sich mit dem Bild auseinandersetzt, das berufliche Interaktionspartner von ihr haben, dass sie sich dazu eventuell Feedback einholt und prüft, inwiefern sie das Coaching nutzen möchte, um Dinge zu verändern. Im beschriebenen Fall scheint es mir, als bleibe der Coach in einer etwas technischen und für das Handeln eines Personalers üblichen Arbeitsweise verhaftet. Dies kann man als das Bewegen auf sicherem Terrain verstehen. Das erscheint mir verständlich, birgt aber auch die Gefahr, dass die eigenen Interventionsmöglichkeiten dadurch eingeschränkt werden. Sich auf das eigene Erleben und die damit verbundene Gegenübertragung einzulassen und zu reflektieren, wo die eigene (Personaler-)Erfahrung hilfreich, aber auch hinderlich ist, kann hier eine hilfreiche Erweiterung sein. Uwe Böning Als erster Eindruck zu der Coaching-Situations-Vignette stellt sich ein: Der Coach reagiert anscheinend spontan mit einer Bewertung der Situation, ohne sie genügend analysiert und neutral verstanden zu haben. Ein altes Muster springt bei ihm an, ohne mögliche Entwicklungen der Coaching-Partnerin in den vergangenen acht Jahren und ohne eine

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

aktuelle Situationsbetrachtung neutral geprüft zu haben. Es scheint, als ob er schnell bis zu schnell in eine Fachexpertenrolle hineingeht. Eine diagnostische Verlangsamung bei der Personen- wie der Situationseinschätzung und eine angemessene Motivations- und Zielanalyse scheinen mir hier angebracht. Aus meinem Coaching-Verständnis heraus fehlen mir in dem dargestellten Fall die Redundanzen einer sauberen, d.  h. einer relativ neutralen Datenerhebung, um zu einer seriösen, abgesicherten Einschätzung zu gelangen. Zu frühe Annahmen und auch deren zu frühe Rückmeldung oder interaktionelle Prüfung lösen nach meinem Verständnis die Gefahr einer zufälligen thematischen Verstärkung von Aspekten aus, die eine eigene und von der Coaching-Partnerin vielleicht nicht beabsichtigte Richtung einnehmen. Sie können also auch unbeabsichtigte Interpretationen und Dynamiken bewirken. Die von meiner Seite praktizierte Verknüpfung eines stark verhaltensorientierten und eines systemischen Vorgehens beabsichtigt gerade nicht ein sogenanntes szenisches Verstehen, das aus dem zu frühen dialogischen Einbringen eigener Fantasien, Vermutungen, Interpretationen und Hypothesen1 in den anfänglichen Prozess entstehen könnte. Eine mögliche Folge hiervon wäre eine Wahrnehmungsverengung bzw. Wahrnehmungsverzerrung durch den Coach. Wesentliches Ziel dieses Teils der Eingangsdiagnostik sollte vielmehr die Suche nach relevanten Redundanzen und thematischen, inhaltlichen, gefühlsmäßigen oder prozessualen Merkmalen sein, bevor eine wertende Interpretation bzw. eine interpretative Wertung und deren Prüfung im Dialog mit der Coaching-Partnerin stattfindet. Aus meiner Sicht erscheint es sinnvoll, nach einer diagnostisch eher neutralen Anfangsphase eine vertiefte Klärungsphase zu den Vorstellungen der Coaching-Partnerin bezüglich der von ihr angestrebten Stelle anzuschließen, also das Anforderungsprofil der neuen Wunschstelle zu präzisieren, um später zu einem realistischen Abgleich ihrer Vorstellungen kommen zu können. Auch für diese Phase erscheint mir eine kritische Diskussion ihrer Vorstellungen und Einschätzungen, also auch eine selbstkritische Betrachtung einer möglichen Passung, noch zu früh. Die möglichst sachliche Beschreibung und Analyse des Anforderungsprofils wäre aus meiner Sicht ein wichtiger Baustein für ein selbstwertunterstützendes Auf- und Annehmen ihrer Sicht auf die Situation und ihrer Passungsvorstellungen. In dieser Phase wäre mir auch ein erstes Auf- bzw. Abklären ihrer Wechselmotive und Zielbedürfnisse wichtig. Was steckt eigentlich hinter ihrem Wechselwunsch? Hier würde auch meine kritische Überprüfung ihrer Vorstellungen, Motive und des Ausmaßes der einschätzbaren Erreichbarkeit ihres Wunschs Schritt für Schritt beginnen – allerdings nicht ohne vorherige wertneutrale Zusammenfassung der geäußerten Wünsche und Einschätzungen. Dies wäre ein wesentlicher Bestandteil der von mir zu äußernden Wertschätzung  – vor jeder explizit positiven Verstärkung ihrer Selbsteinschätzung oder einer kritischen Betrachtung ihrer Vorstellungen und Motive zu der möglichen Passung auf den neuen Job.  Falls wichtige Eindrücke oder gar Interpretationen dieser Art auftauchen, könnten sie Bestandteil einer zweiten Protokollspalte werden, auf die der Coach explizit in einer späteren Prozessphase zurückkommen kann. 1

6.4 Praxisbeispiel 24

141

An dieser Stelle einer möglichen abwägenden oder gar kritischen Auseinandersetzung mit ihrer Sicht und Erlebensweise erscheint mir wichtig, eine mehrperspektivische Betrachtung ihrer Situation durch verschiedene tatsächliche oder mögliche Betrachter der Szene herauszuarbeiten, bevor meine persönliche Betrachtung und Bewertung in den Dialog einfließen könnte bzw. sollte. Mein Ziel: Nicht nur eine kritische Betrachtung ihrer Sichtweise durchzuführen, sondern auch alle anderen möglichen Betrachtungen zu prüfen und eventuell auch zu relativieren. Im Sinn des Vertrauensaufbaus bzw. des Erhaltens des Vertrauens zwischen der Coaching-Partnerin und mir als Coach wäre auch meine Sichtweise durch sie zu prüfen und abzuwägen. Würde sich herausstellen, dass es zwischen ihr und mir wesentliche Einschätzungsunterschiede gäbe, dann könnte es immer noch möglich sein, dass ich meine eigene Vorstellung und Empfehlung deutlicher mache. Heidi Möller Das kann passieren, jemand kommt zu mir ins Coaching und möchte gern Bundeskanzlerin werden. Meine Einschätzung mag lauten: Sie eignet sich wirklich überhaupt gar nicht dafür! Coachees haben Selbstbilder, die sich mitunter mit meiner Fremdwahrnehmung nicht decken. Coachees unter- oder überschätzen sich aus meiner Sicht. Jetzt können ja beide Perspektiven verzerrt sein. Was kann ich also tun? Überschätzt sich jemand, so ist es meine Fürsorgepflicht, jemanden davon abzuhalten, ins Messer zu rennen. Unterschätzt sich jemand, muss die Selbstsicht nach oben korrigiert werden, um den Möglichkeitsraum für den Coachee zu erweitern. Gleiches Diskrepanzerleben kann es bei der Zielformulierung geben. Die Ziele, die mein Coaching-Kunde ansteuert, kann ich für erreichbar oder unrealistisch halten. Alle Coachs entwickeln ab dem ersten Moment der Begegnung mit einer Coachee Bilder. Bilder über das Person-Job-Fitting, Bilder über Zukunftsszenarien, Bilder über ein gelungenes Arbeitsleben unserer Kunden. Das können Entwicklungsimpulse für den Coaching-­Prozess sein. Wichtig scheint mir zu sein, dass eine Triangulierung der Wahrnehmung auch mithilfe diagnostischer Instrumente erfolgen kann (vgl. Böning und Kegel 2013). Reliable und valide Instrumente in der berufsbezogenen Persönlichkeitsdiagnostik und zu unterschiedlichen Themen und Anlässen der Coachees stehen als diagnostische Hilfe zur Verfügung.

6.4

Praxisbeispiel 24

Fallbeschreibung Zeitlich versetzt und unabhängig voneinander haben zwei Mitglieder desselben Arbeitsteams bei mir eine Einzelsupervision angefragt. In beiden Einzelsupervisionen berichteten sie davon, dass ihre Vorgesetzte aus ihrer Sicht unfähig wäre und keine fachliche Anleitung geben könne. Zwei Wochen später wurde ich von eben dieser Vorgesetzten mit einer Teamsupervision beauftragt. Zunächst hatte ich Sorge, ob ich mit den Vorinformationen noch unvoreingenommen die Teamsupervision durchführen könne.

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

Wie ist der Supervisor vorgegangen? Nach vorheriger Reflexion mit meiner eigenen Supervisorin habe ich die Teamsupervision durchgeführt. Es war eine sehr offene und konstruktive Sitzung, da der Konflikt offen thematisiert werden konnte. Die Vorgesetzte sprach selbst an, dass sie die fachliche Anleitung nicht machen könne, außerdem konnten die Mitarbeiterinnen ihre Anliegen konstruktiv einbringen. Im Nachhinein stellte sich raus, dass es sogar günstig war, dass ich in den Einzelsupervisionen mit zwei Mitarbeiterinnen bereits gesprochen hatte. Joachim Sauer An dieser ungewöhnlichen Anfragesituation fällt auf, dass es keinerlei Information über eine jeweilige Auftragsklärung gibt, die die Komplexität des Problems und die inhaltliche Bestimmung der Konflikte deutlich macht. Vielmehr steht die Sorge des Supervisors im Vordergrund, ob er mit den Vorerfahrungen in den Einzelsupervisionen „noch unvoreingenommen“ die Teamsupervision anbieten könne. Die voneinander unabhängigen Anfragen der beiden Mitarbeiterinnen reduzieren den wahrscheinlich schon eskalierten Konflikt auf eine Dichotomie bipolaren Denkens (vgl. Tietel 2012, S. 141) im Sinn von fähigen Mitarbeiterinnen und einer unfähigen Vorgesetzten. Darin kann ein verdeckter Auftrag an den Supervisor stecken, die Unfähigkeit der Vorgesetzten zu bestätigen. Gefordert wäre die triadische Kompetenz des Supervisors (vgl. Tietel 2012; Busse und Tietel 2018, S. 57ff.), über die Basistriangulierung der Supervision zu einem Dreieckskontrakt (vgl. Pühl 2009; Gotthardt-Lorenz 1994, 2009) zu gelangen oder über eine gründliche Sondierung der Beratungsanfrage (vgl. Rappe-Giesecke 2012) zu einem möglichen Kontrakt zu finden, bei dem der Supervisor den Auftrag in der Rolle des institutionell Handelnden (vgl. Gotthardt-Lorenz 1994, 2009) aktiv mitgestaltet. Meines Erachtens ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass durch die beiden bereits begonnenen Einzelsupervisionen eine Dynamik im Team ausgelöst wurde, die schließlich zur Anfrage der Vorgesetzten nach Teamsupervision führte. Ein für mich wichtiger Punkt beim supervisorischen Vorgehen mit der zuerst anfragenden Mitarbeiterin wäre eine Auftragsklärung im Sinn einer triadischen Struktur, in der der Supervisor nicht einfach den zugewiesenen und noch unklaren Auftrag übernimmt, sondern in einer professionellen Nachfrageanalyse den triadischen Raum2 offen hält. So wird dem nicht anwesenden Dritten eine quasivirtuelle Position eingeräumt, z. B. repräsentiert durch leere Stühle. Zu balancieren wäre die Frage, wie mit dem bereits gewonnenen Wissen umzugehen ist, ohne dass die Supervision zu einer Klagemauer über die unfähige Vorgesetzte missbraucht wird. Verschärft wird die Situation noch durch die unabhängig davon anfragende Kollegin, wobei hier schon das Problem der Unvoreingenommenheit auftaucht und nicht erst bei der Anfrage der Vorgesetzten. Der Supervisor sollte nicht zum Geheimnisträger des Systems werden. Insgesamt geht es in den Einzelsupervisionen um den versuchten Ausschluss

2

 Klientinnen/Vorgesetzte/Organisation und ihre Primäraufgabe.

6.4 Praxisbeispiel 24

143

e­ ines relevanten Dritten, der nur in Form von Zuschreibungen und Projektionen in subjektiver, entstellter Form präsent ist. Ziel sollte es meiner Meinung nach sein, als Supervisor in der jeweils nächsten Sitzung mit den Mitarbeiterinnen die Situation mit der stellvertretenden Präsenz der ausgeschlossenen Dritten in der Supervision zu klären, – was Busse und Tietel (2018, S. 82) die triadische Rehabilitierung nennen und eine weitgehend unparteiische Rolle des Supervisors einschließt – um diese Form der Einzelsupervisionen zu beenden und in einer möglichen Teamsupervision fortzusetzen. Die Transparenz durch alle Beteiligten (Supervisor und Supervisandinnen) muss Teil der Sondierungsgespräche für einen möglichen Auftrag und Dreieckskontrakt für eine Teamsupervision sein, sollte dies von allen Beteiligten akkordiert werden können. Wenn nicht, kommt kein gemeinsamer Kontrakt zustande: Die Weichen werden am Anfang gestellt (Rappe-Giesecke 2012, S. 65)! Eugen Würz Die kurze Problembeschreibung des Supervisors lässt aus meiner Sicht unterschiedliche Interpretationen des Problementstehungsprozesses der Situation zu. Was die für mich sinnergebenden Interpretationen gemeinsam haben, ist die Frage nach der erfolgten Auftragsklärung im Vorfeld der Supervisionsprozesse. Wie kam es zustande, dass der Supervisor zwei Einzelsupervisionen innerhalb eines Teams angenommen hat? Wie wurde bei der Beauftragung das Auftragsdreieck – Supervisandin, Teamleiterin, Organisation – hinreichend geklärt? Bei welchem Teil des Auftragsdreiecks auch angesetzt wird, es eröffnen sich eine Reihe von Ungeklärtheiten, die mir einen Beginn der Einzelsupervisionen als fragwürdig erscheinen lassen. Im Vordergrund stehen für mich dabei Klärungen, die es mit der Teamleitung – und in der Folge möglicherweise auch mit der Organisation – offenbar nicht gegeben hat. Zentrale Fragen dabei wären beispielsweise: Was war die Intention der Supervisandinnen, in Einzelsupervision zu ein und demselben Supervisor zu gehen? Wie wurde der Auftrag zur Einzelsupervision im Sinn der Auftragsklärung und der Haltung der Teamleitung und Organisation geprüft? Erfolgte eine ausreichende Abklärung der Bereitschaft und Informationstransparenz zur Einzelsupervision der beiden Kolleginnen? Aus den im Fallbeispiel offenbleibenden Aspekten entsteht für mich das Bild, dass die Annahme der beiden Supervisionsaufträge aufgrund der fehlenden Klärungen durch den Supervisor infrage gestellt werden kann. Anzumerken ist: Ungeklärtheit kann prozesshaft durch entsprechende Interventionen korrigiert werden. Der Aufwand und der dazu notwendige Einsatz durch den Supervisor, stellen dabei jedoch Kosten dar. Im beschriebenen Fall scheint mir eine Vereinbarkeit dieser Gegensätze kaum gestaltbar und unlösbar. In der weiteren Folge entstand das meiner Erfahrung nach in Supervisionen durchaus häufig vorkommende Phänomen der Abwertung anderer Personen in deren Abwesenheit. Als Erklärungsmodell kann dazu ein Fehlerspiel herangezogen werden: die Abwertung anderer Personen, um das eigene Minderwertigkeitserleben zu kompensieren. Bedeutsamer scheint mir hier jedoch die beiderseitige, voneinander unabhängige, kollektive Wirklichkeitskonstruktion durch die beiden Supervisandinnen. Gleichzeitig entspricht sie nur der Wirklichkeitskonstruktion zweier Personen. Für mich besteht die dringende Frage, ob

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

hier der Auftrag zu einer gemeinsamen Teamsupervision vereinbar ist. Die offensichtliche Dynamik in diesem Team beinhaltet thematische Vorgaben. Im allfälligen Auftragsgespräch für eine Teamsupervision könnten diese Themen bereits angesprochen werden. Die Unbefangenheit als Supervisor erscheint dabei von vornherein massiv eingeschränkt. Ein klares „contracting“ könnte allein aus dem Blickwinkel der bereits getroffenen Vertraulichkeitsvereinbarung mit den Einzelsupervisandinnen kaum zu realisierbar sein. Mir erscheint es hier sinnvoll, als Supervisor die Unvereinbarkeit der getroffenen Zusammenarbeitsvereinbarung transparent zu machen und zu kommunizieren. Das Dilemma der Beraterzwickmühle könnte in einer entsprechenden Aufklärung an die jeweiligen Supervisandinnen herangetragen werden, was die weitere Zusammenarbeit durch ein angepasstes, neues „contracting“ gestaltbar machen würde. Die Annahme des Teamsupervisionsauftrags erscheint mir als nicht sinnstiftend und in diesem Sinn nicht umsetzbar. Dieser Prozess könnte sinnvollerweise noch vor der anstehenden Kooperationsvereinbarung abgelehnt werden. Für den Supervisor könnte es sinnbringend sein, die eigene Verführtheit zur Annahme der komplexen Auftragssituation eingehend zu reflektieren. Etwa mit der Frage: Inwiefern kam es hier möglicherweise zu einem Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomen durch eigene Bewertungsdynamiken im Umgang mit Profession und Anspruch? Isabell Braumandl Mit Blick auf die Fallbeschreibung wäre meine Empfehlung, den Fokus in dieser Supervision nicht auf die Sorgen, sondern auf die Ressourcen zu legen, die sich hier zeigen. Alle Beteiligten wurden bereits durch die verschiedenen Anfragen nach Supervision aktiv. Ich interpretiere das als Ressource, weil eine Lösung für eine schwierige Situation angestrebt wird – das könnte also ein gemeinsames, verbindendes Ziel sein. Möglicherweise sind nur die Wege und Ideen dazu unterschiedlich. Das gilt es für den Supervisor zu klären. Interessant wäre aus meiner Sicht auch, den konkreten Anlass zu erfragen, der gerade zu diesem Zeitpunkt zur Aktivität (Anfrage nach Supervision) der einzelnen Personen führte. Welche Veränderungen oder Diskrepanzen im Ist-Soll-Status gab es gegebenenfalls im Team und in seinem Umfeld? Das Erleben von Diskrepanzen könnte als bedrohlich wahrgenommen worden sein und zu negativem Affekt (z. B. Abwertungen) geführt haben. Für mich ergibt sich daraus eine zentrale Fragestellung für den Fall: Was also brauchen die Beteiligten zur selbstständigen Lösung der schwierigen Situation und zum wertschätzenden Umgang miteinander? Um ein umfassenderes Bild von den Beteiligten und der Situation für die Ableitung genauerer Arbeitshypothesen und Interventionen zu erhalten, sind aus meiner Sicht u. a. noch folgende Fragen zu klären: Was wurde von den einzelnen Beteiligten bisher unternommen, um die aktuelle Thematik zu lösen? Was war das Ergebnis, worauf könnte man also aufbauen und was ist noch offen und ungelöst? Was ist also das Ziel der jeweils Beteiligten? Welche Bedürfnisse liegen dahinter? Worauf haben die Beteiligten selbst Einfluss und was liegt außerhalb ihres Einflussbereichs?

6.4 Praxisbeispiel 24

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Ich würde ein Einzel-Coaching mit der Vorgesetzten durchführen, um diese dabei zu unterstützen, ihr Selbstvertrauen in ihre Lösungsfähigkeit als Führungskraft durch Entscheidungen und Handlungen zu stärken. Schaffen wir es im Prozess, die Führungskraft psychologisch zu empowern, die Probleme im Team selbstständig zu lösen, ist eine Intervention mit den Mitarbeiterinnen gar nicht mehr von primärem Interesse – und ein Verzicht darauf zudem effizient. Mein Ziel in diesem Coaching wäre, alle Ressourcen zu aktivieren, die sie zu dieser Position als Führungskraft geführt haben. Ich würde darauf vertrauen, dass sie ihre Verantwortung als Führungskraft voll übernehmen kann, sonst wäre sie nicht in dieser Position. Wie kann ich sie also dabei unterstützen und befähigen, handlungsfähig im Sinn einer Lösung der Thematik zu sein? Folgende Reflexionsinhalte könnte ich mir beispielsweise vorstellen: • Ziele und psychische Bedürfnisse der Beteiligten für den jeweiligen Interventionswunsch mit ihren jeweiligen Gemeinsamkeiten und Unterschieden • Hinterfragen von verbalen oder nonverbalen Abwertungen durch unbefriedigte und verletzte eigene Bedürfnisse, z. B. durch die Methode des Perspektivenwechsels • Identifikation persönlicher Stärken, Kompetenzen und Ressourcen sowie Entwicklungsfelder, um selbst Einfluss nehmen zu können • Rollen im Team und die Passung zu den personalen Kompetenzen

Sandra J. Schiemann Meines Erachtens ist es in einer solchen Teamsupervision wichtig, eine gute Vertrauensbasis zwischen allen Beteiligten zu schaffen. Besonders im beschriebenen Fall scheint mir dies wichtig, da sich zwei Teammitglieder bereits vor Beginn der Teamsupervision dem Supervisor anvertrauen und ihm gegenüber ein gewisses Vertrauen entwickeln. Das bedeutet für mich, es gibt eine Vorgesetzte und weitere Teammitglieder, die noch keinen Vertrauensvorsprung besitzen und ins Boot geholt werden sollten. Insbesondere zur Vorgesetzten als Auftraggeberin sollte meiner Meinung nach eine Vertrauensbasis hergestellt werden – beispielsweise in einem Einzelgespräch, um neben dem Vertrauensaufbau ihren Auftrag und ihre Sichtweise zu erheben. Dieses Vertrauen kann nach Schoorman et al. (2007) durch Benevolenz, Kompetenz und Integrität hergestellt werden – also durch eine wohlwollende und wertschätzende Zusammenarbeit (Benevolenz), in der der Supervisor als authentischer (Integrität), kompetenter und fairer Prozessgestalter (Kompetenz) auftritt. Jedes Teammitglied sollte ehrlich (Integrität) und dennoch wertschätzend (Benevolenz) eigene Meinungen vertreten können sowie die Meinungen anderer respektieren (Benevolenz). Die Kompetenzen der Teammitglieder und insbesondere der Vorgesetzten sollten klar herausgearbeitet werden (vgl. Schiemann et al. 2019). Diese feinen Punkte zeigen, dass es während eines solchen Einzelgesprächs und in der Teamsupervision wichtig ist, viel Fingerspitzengefühl und (Selbst-)Reflexion für die Bedürfnisse und Standpunkte aller zu zeigen, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen.

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

Eva Jonas Mein Blick auf die geschilderte Situation ist durch die Sozialpsychologie geprägt. Die Sozialpsychologie beschäftigt sich mit dem Erleben und Verhalten von Personen in sozialen Situationen und versucht entsprechend der wohl bekanntesten Definition der Sozialpsychologie von Gordon Allport (vgl. 1954, S. 5) „zu verstehen und zu erklären, wie das Denken, Fühlen und Verhalten von Individuen durch die tatsächliche, vorgestellte oder implizite Anwesenheit anderer Menschen beeinflusst werden“. Diese Definition macht deutlich, dass der soziale Kontext für die menschliche Informationsverarbeitung und das emotionale Erleben ganz wesentlich ist. Personen beeinflussen unser Erleben und Verhalten demnach nicht nur bei direkter physischer Anwesenheit, sondern auch, wenn sie nur indirekt dabei sind. Dementsprechend wäre es interessant zu wissen, inwiefern die in den Einzelsupervisionen abwesende Chefin dennoch implizit im Raum war. Vielleicht wurde sogar explizit mit der Vorstellung gearbeitet, dass sie auf einem leeren Stuhl saß, oder es gab ein Rollenspiel, in dem ihre Rolle übernommen wurde – hierzu wissen wir zu wenig aus der Fallbeschreibung. Der Unterschied zwischen der tatsächlichen, vorgestellten oder impliziten Anwesenheit scheint mir für diesen Fall aber ganz wesentlich. Wenn Personen real anwesend sind oder dies nicht sind, hat dies einen Einfluss auf die Analyseebene. Während in Einzelsupervisionen eher die intrapersonale Ebene des Erlebens betrachtet wird, werden in Teamsupervisionen verstärkt interpersonale und Intragruppenprozesse sichtbar. Es wird deutlich, dass die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeiterinnen und der Vorgesetzten aus der Perspektive aller drei Personen Fragen aufwirft. Alle drei Supervisandinnen wurden aktiv, d. h. es scheint bei allen ein Veränderungswunsch vorzuliegen. Insofern erscheint eine Teamsupervision, in der sich die drei auf der arbeitsbezogenen Ebene ihrer Zusammenarbeit im Team begegnen können, meines Erachtens sinnvoll. Als Supervisorin stellt sich jedoch für mich die Frage, ob ich unvoreingenommen sein kann, wenn ich zuvor intensiv mit den zwei Mitarbeiterinnen jeweils allein gearbeitet habe. In der Fallbeschreibung fehlen uns hier weitere Informationen über die Einzelsupervisionen. Haben sich die Mitarbeiterinnen individuell oder unter Beteiligung ihrer Organisation an den Supervisor gewandt? Sind die Einzelsupervisionen bereits abgeschlossen oder laufen sie noch? In Abhängigkeit davon könnte man überlegen, mit der Vorgesetzten zunächst einzeln zu arbeiten und ihr ein Einzel-Coaching vorzuschlagen. Als direkteren Weg würde ich allerdings eine Teamsupervision durchführen. Da Wirklichkeit immer konstruiert wird, sehen alle Beteiligten (inklusive Supervisor) immer nur Ausschnitte einer Gesamtsituation. Wenn Personen gut zusammenarbeiten möchten, müssen sie die Ausschnitte, die sie jeweils sehen, zusammenfügen. Insofern würde ich es als wichtig betrachten, dass die Mitarbeiterinnen mit ihrer Chefin ins Gespräch kommen und ihre Sichtweisen abgleichen. Auch ich wäre als Supervisorin neugierig und offen, meine bisherigen Sichtweisen zu erweitern. Auch wenn sich Personen in Interaktionen selten als unbeschriebenes Blatt wiederfinden, sondern ihre Wahrnehmung und Informationsverarbeitung immer durch ihre Vorerfahrungen und durch vorherige Aktivierungen in ihrem kognitiven Netzwerk beeinflusst werden, heißt das nicht, dass sie diesen Prozessen wehr-

6.4 Praxisbeispiel 24

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los ausgeliefert sind und vorheriges Wissen automatisch übertragen. Laut den Zwei-­ Prozess-­Theorien (vgl. Kahneman 2014; Sherman et al. 2014) der sozialen Informationsverarbeitung können wir bei hoher Motivation und Fähigkeit diese Prozesse durchaus reflektieren und beeinflussen. Insofern stellt sich hier die Frage an mich als Supervisorin: Welche Regeln gebe ich mir? Arbeite ich z. B. mit zwei Personen aus einer Organisation parallel? In welchem Setting kann ich gut arbeiten, um möglichst unvoreingenommen Informationen aufnehmen zu können? Inhaltlich interessant finde ich in dem Fallbeispiel die Abwertung der Vorgesetzten, die von beiden Mitarbeiterinnen ausgedrückt wurde. Als Sozialpsychologin frage ich, ob diese Abwertung eine Verteidigungsstrategie der Mitarbeiterinnen im Sinn motivierter Kognition ist oder ob hier auf einen tatsächlichen Mangelzustand hingewiesen wird. Im Fall motivierter Kognition hat die Kognition eine Funktion – vermutlich die des eigenen Schutzes –, aber wovor? Ich würde anhand verschiedener Kontextfaktoren versuchen zu erfassen, ob es Veränderungsprozesse in der Organisation, im Team oder im wirtschaftlich-­ gesellschaftlichen Kontext gegeben hat, die zu einer Verunsicherung der Mitarbeitenden geführt haben könnten. Möglicherweise fühlen sich die Mitarbeiterinnen selbst überfordert, erleben Angst, die sie bislang noch nicht ausdrücken konnten oder sie fühlen sich nicht wertgeschätzt und in ihrer Autonomie eingegrenzt. Es kann auch eine direkte Diskrepanzsituation in Bezug auf das Verhalten der Vorgesetzten vorliegen, die zu dem Konflikt führt. In diesem Fall würde ich wie in einem moderierten Konfliktgespräch oder einer Mediation versuchen, die Sichtweisen der verschiedenen Parteien zu erfassen und mich zu vergewissern, dass ich die Position der jeweiligen Parteien verstanden habe. Dies ist zen­ tral, damit ich nicht durch meine Vorerfahrungen beeinflusst werde, die beiden Mitarbeiterinnen besser zu verstehen als die Chefin. Oft hat diese Übersetzungsarbeit schon eine gute Wirkung – sodass die drei wieder ins Gespräch kommen können und jeweils auch das hören, was dem Gegenüber wichtig ist, und nicht nur das, was sie erwarten zu hören. Heidi Möller Ein Klassiker: „Meine Chefin, diese blöde Kuh, die kann ja gar nichts“. Diese Form des Bossing lässt sich psychodynamisch als psychosozialer Abwehrmechanismus beschreiben (vgl. Möller et al. 2018) und ist vielfach gerade in klinischen Organisationen und psychosozialen Dienstleistungsunternehmen zu finden. „Anstelle – gemeinsam mit der Führung – den Blick auf die Entwicklungsnotwendigkeiten der Institution angesichts der Forderungen und Möglichkeiten der Umgebung zu richten und dabei zwangsläufig immer wieder auch unangenehme Gefühle von Hilf- und Hoffnungslosigkeit zu erleben, kommt es auch unter den Bedingungen einer aufgeschlossenen und partizipationsbereiten Führung bei den Mitarbeitern auf der Gruppenebene häufig zu einem Hervortreten einer Kampf-Flucht-Grundannahme (Bion 1961)“ (Lohmer 2019, S. 208). Persönliche Abwertung und Beziehungskriege werden hier verstanden als eine dysfunktionale ­Abwehrstrategie, um sich nicht den Primäraufgaben der Organisation zu stellen. Die äußere Realität wird ausgeblendet und die Mitarbeitenden richten ihren Blick auf die Vorgänge innerhalb der Organisation. Anstelle der externen Herausforderungen wird jetzt die Führung als der

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

Feind erlebt, der die Mitarbeiter mit mehr Sicherheit und Schutz versorgen könnte, aber anscheinend zu selbstbezogen, machtbesessen oder inkompetent ist, dieses zu tun. Wird die Führung bekämpft, dann entsteht eine Illusion von Kontrolle: Hätten wir nur eine andere Chefin, alles wäre gut! Der fortgesetzte Kampf und das Gerangel mit der Führung führen zu einer hohen Kohärenz im Team. Der Preis ist jedoch hoch: Vertrauen auf und Loyalität zur Führung gehen verloren, an die Stelle tritt Misstrauen bis hin zu paranoiden Erwartungen. Hier könnte das „containment“ des Supervisors helfen, diese Abwehrfunktion zu verstehen, die Funktion zu deuten und angemessenes, konstruktives organisationales Verhalten aufzubauen. Eine supervisorische Arbeit in Richtung eines Erwartungsmanagements könnte im vorliegenden Fall hilfreich sein: Was will die Führungskraft von den Mitarbeitenden, was wollen diese von der Vorgesetzten? Dieses Rollenverhandeln hilft, unausgesprochene Erwartungen, die immer aneinander gerichtet, aber nur selten ausgesprochen werden, zu klären. An nicht verbalisierten Erwartungen können Menschen nur scheitern. Dies kann in Form eines Ampelsystems erfolgen: • Grün: Klar, einverstanden, mache ich! • Gelb: Ich weiß noch nicht und muss darüber nachdenken. • Rot: Das mache ich auf keinen Fall. Ich suche mit dem Team nach Alternativen, um die dahinterliegenden Bedürfnisse der Mitarbeitenden für alle Beteiligten adäquat zu beantworten.

6.5

Praxisbeispiel 25

Fallbeschreibung Es handelt sich um ein erst kürzlich gestartetes Einzel-Coaching mit einer noch sehr jungen Führungskraft ohne Führungserfahrung. Die Führungskraft scheint mit ihrer neuen Rolle stark überfordert zu sein. Sie hat v. a. Probleme mit einer älteren Mitarbeiterin, die sie nicht zu akzeptieren scheint und mit der sie nicht umgehen kann. Die Schwierigkeit für mich war, dass die Coachee sehr verloren und hilflos während des Erstgesprächs wirkte und ich schließlich zu stark inhaltlich Tipps gegeben habe, wie die Coachee vorgehen könnte, um ihre Situation zu verbessern. Ihre Hilflosigkeit (im Sinn eines Übertragungsangebots) verleitete mich dazu. Das war im Nachhinein wenig hilfreich, da es wichtiger gewesen wäre, die Coachee in ihrer Selbstwirksamkeit und ihren Kompetenzen zu stärken. Wie ist die Coach vorgegangen? Ich habe gespürt, dass ich Rettertendenzen entwickelte und mich verantwortlich fühlte, dass die Coachee schnell gute Lösungen entwickelt. Ich hatte Angst um sie, dass diese Überforderung noch stärker werden könnte. An ihrer Reaktion habe ich nach einer Weile erkennen können, dass meine Ratschläge nicht wirklich sinnvoll sind für ihren Selbstwert und ihre Handlungsfähigkeit. Ich habe mir für den in der Zukunft liegenden zweiten Ter-

6.5 Praxisbeispiel 25

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min vorgenommen, meine Wahrnehmung der Verlorenheit der Klientin anzusprechen und zu fragen, wie sie die erste Sitzung erlebt hat. Ich werde meine Interventionen achtsamer einsetzen und v. a. den lösungsorientierten Ansatz in den Fokus stellen. Eva Jonas Wenn eine junge Führungskraft ohne bisherige Führungserfahrung in ihre Rolle hineinwachsen muss, ist für mich zunächst einmal die Frage, welche Art von Unterstützung sie hierzu benötigt und welches Beratungsformat für sie geeignet ist. Ein Coaching ist dabei nur eine Option unter mehreren. Andere Möglichkeiten wären beispielsweise ein Mentoring durch eine erfahrene, vorzugsweise ebenfalls weibliche Führungskraft oder ein Training und Erfahrungsaustausch mit anderen jungen Führungskräften. Als Coach würde ich dies zunächst mit ihr besprechen. Wenn Coaching als Methode gewählt wird, würde ich versuchen, sie sehr ressourcenorientiert darin zu unterstützen, ihren individuellen Weg als Führungskraft im Kontext ihrer Organisation und Arbeitstätigkeit zu finden. Hierzu würde ich daran arbeiten, ihre aktuellen Erfahrungen mit bereits vorhandenen Erfahrungen und Erlebnissen zu verbinden, zu integrieren und ihr Zutrauen in ihre eigene Kraft zu unterstützen. Aber was mache ich, wenn zum zentralen Problembereich noch kein Erfahrungsnetzwerk vorhanden ist? In diesem Fall finde ich es sinnvoll, als Modell zu fungieren, von meinen eigenen Erfahrungen zu berichten oder auch Wissen weiterzugeben. Diesen Rollenwechsel würde ich deutlich machen und im Anschluss würde ich die Coachee wiederum unterstützen, selbst einen Bezug zu ihrer Person herzustellen. Da soziale Interaktionen jedoch immer eine Folge von Aktion und Reaktion sind, sollte ich als Coach selbst kritisch reflektieren, worauf ich mit meinen potenziellen Ratschlägen reagiere. Das Erleben meiner Klientin als hilflos und verloren könnte auch Resultat meines eigenen Musters sein. In diesem Fall würde mein Verhalten eher meinen eigenen Bedürfnissen dienen und wenig auf die Bedürfnisse meiner Klientin abgestimmt sein. Auch meine Klientin befindet sich mit ihren Mitarbeiterinnen in sozialen Interaktionen, in denen Aktion und Reaktion aufeinander folgen. Die schwierige Interaktion mit der älteren Mitarbeiterin sollte im Coaching gesondert betrachtet werden, um besser zu verstehen, welche Emotion aus der aktuellen Situation resultiert und welche Rolle eventuelle Vorerfahrungen der Klientin hier spielen. Joachim Sauer Was ist da in der Gegenübertragung und im Beratungsangebot der Coach an die scheinbar so hilflose Coachee passiert? Welche Resonanzen – v. a. Selbstresonanzen – sind da bei der Coach im Sinn von Bauer (2016) und Schmid (2008) ausgelöst worden? Ein kleiner Exkurs: Entsteht in einem Menschen eine Resonanz, reagiert dieser Mensch auf andere Menschen, seine Umgebung und sein inneres Erleben in Form von Selbstresonanz, empathischer (konkordanter oder komplementärer) und personaler oder dialogischer Resonanz (vgl. Schmid 2008). Bauer (2016) spricht hier, abgeleitet aus der Arbeit der Spiegelneuronen, von konkordanter und komplementärer Spiegelung. Ein in Beraterinnen ausgelöstes Echo auf eigene Gefühle, Ängste, Wünsche etc. wird als Selbstresonanz be-

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

zeichnet. Dieser Selbstresonanz sollte man sich im Beratungskontext mehr oder weniger bewusst sein, um diese Emotionen nicht unreflektiert dem Ratsuchenden überzustülpen. Aus dem Gegenübertragungskonzept in Beratungsprozessen (vgl. Schreyögg 2018) wäre für die Coach zu klären, warum sie die Rolle der Besserwisserin so stark übernommen hat, um die hilflose Coachee möglichst schnell mit Tipps zu füttern. Spannend wäre auch die Analyse von Spiegelphänomenen nach Kutter (2012, S. 81ff.), um die zunächst unbewusste Dimension der Beziehung im Hier und Jetzt zwischen Coach und Coachee bewusster zu machen und als Spiegelung der realen Begegnung im Dort und Dann zwischen der jungen Führungskraft und der erfahrenen Mitarbeiterin vor dem Hintergrund des jeweiligen Arbeitsauftrags zu verstehen. Ein weiterer diagnostischer Zugang zum besseren Verständnis der Coaching-Situation, der über die (un)bewusste Dichotomisierung hilflose, überforderte junge Führungskraft und erfahrene, tippsgebende Coach hinausgeht, wäre es, die Komplexität triadischen Denkens in der Thematisierung arbeitsweltlicher und lebensweltlicher Triaden seitens der Coach auf der einen Seite und der Coachee auf der anderen Seite einzuführen (vgl. Busse und Tietel 2018, S. 80ff.). Die Coach müsste sich in ihrer Selbstreflexion – mit oder ohne supervisorischer Unterstützung  – ihrer Verwicklungen in der Arbeitsbeziehung zur Coachee bewusst werden. Dies geschieht laut Fallbeschreibung zumindest in Ansätzen. Die Fallbeschreibung selbst könnte bereits wieder eine Spiegelung der Arbeitsbeziehung zwischen der jungen Führungskraft und der älteren Mitarbeiterin sein. Damit könnte das etwas aus dem Blick geratene Dritte wieder in den beraterischen Fokus kommen, sich immer wieder der doppelten triadischen Funktion der Coach bewusst zu werden. „In dieser Doppelfunktion, zugleich ein Dritter (der Dritte) als auch Repräsentant des Dritten (das Dritte) zu sein, können Supervisoren gar nicht ständig auf der Höhe triadischen Denkens oder triadischer Kompetenz sein. Wir können uns allenfalls bemühen […], immer wieder erneut um diese doppelte Haltung und um trianguläre Räume zu ringen“ (Tietel 2012, S. 147). Vor dem Hintergrund der Selbstreflexion und des entstandenen Unbehagens der Coach, würde es in der nächsten Sitzung um eine differenzierte Klärung des Auftrags, der Ziele und gegenseitigen Erwartungen sowie der Arbeitsbeziehung zwischen Coach und Coachee gehen. Im Sinn der Selbsteinbringung könnte die Coach mit ihren affektiven Reaktionen und den Reflexionen darüber nach dem Erstgespräch starten, um den Raum auch für die Selbstexploration der Coachee zu öffnen, um letztlich ihre Selbstwirksamkeit und ihre eigenen Ressourcen zu stärken. Dabei könnte das Modell der Coach, schwierige innere Prozesse und ihre eigene innere Arbeit anzusprechen – quasi nach Busse und Tietel (2018, S. 90f.) einen Blick in das innere Dreieck aus Reflexion, Empathie und Resonanz der Coach zu gewähren – hilfreich für die Coachee sein, um ihr eigenes Verhalten im Arbeitsprozess komplexer zu sehen und zu verstehen. Im weiteren Verlauf des Coaching-Prozesses könnte es dann um die gemeinsame Erarbeitung ihrer noch neuen Führungsrolle und ihrer Arbeitsbeziehungen zu Mitarbeitern gehen. Wobei letztere immer auf die Primäraufgaben bezogen werden müssen, was im arbeitsweltlichen Kontext hin und wieder aus dem Blick gerät (vgl. Tietel 2012).

6.5 Praxisbeispiel 25

151

Eugen Würz Für mich wird hier eine Selbstbewertung der Coach sichtbar, was sie „hätte besser machen können“. Die beschriebene Schwierigkeit liegt für mich zunächst in der Unzufriedenheit mit dem vorläufigen Ergebnis des Coachings. Zudem besteht Unzufriedenheit mit der gewählten Intervention: Verabreichen von stark inhaltlichen Tipps. Diese Handlungsverführung kann durchaus auch als hilfreiches Element aufgefasst werden. Das mögliche Übertragungsphänomen ist vielleicht weitgreifender, als es die Coach momentan betrachtet. Was hat es mit ihr zu tun, dass sie dazu verführt wird, zu wissen, was für die Führungskraft hilfreich ist? Woher kennt sie das genaue Erleben und Verhalten in der Organisation, die sie lediglich aus der Schilderung der Coachee kennt? Wie sehr überträgt sich hier eine Thematik der Coach auf die Coachee? Auf Basis einer reflektierten Übertragungsoption könnte die Coach einen Ansatz verfolgen, der diese Wahrnehmungen aktiv in das weitere Coaching einbezieht. Das Transparentmachen, die eigene Verführtheit anzubieten, löste bei der Coachee möglicherweise einen Perspektivenwandel aus. Das Anbieten von Ratschlägen oder Tipps stellt nicht zwingend eine unangebrachte Intervention dar (vgl. Radatz 2009). Die Frage ist: Inwiefern stimmt das Anbieten von Lösungen und Tipps mit der Bereitschaft der Coachee überein, Ratschläge auch anzunehmen? Das Ausschöpfen systemischer Fragetechniken (vgl. Patrzek 2017) zur Anregung der eigenen Wandlungsfähigkeit bei der Coachee könnte hier dienlich sein: „Woran würde Ihr Kollege XY bemerken, dass Sie das Verhalten XY angewandt haben?“ Das Stärken der Selbstkompetenz und Selbstwirksamkeit kann in dem offenbar noch jungen Coaching-Prozess eine neue Zielsetzung darstellen. Ziele können sich im Coaching-­ Prozess durchaus ändern und es ist sinnvoll, diese notfalls zu revidieren. Das Bild der als etwas voreilig erscheinenden Bewertung der Coaching-Situation und die beschriebene geringe Dauer des bisherigen Coachings, machen die Reflexion der eigenen Ungeduld der Coach mit dem bisherigen Verlauf schmackhaft: Entschleunigung als Intervention lässt möglicherweise eine Lösung auf anderen Ebenen zu. Etwa auf der Themenebene, dass die Coachee als noch sehr junge Führungskraft gegenüber einer älteren Mitarbeiterin vermutlich ein anderes Tempo an den Tag legt. Dieser Tempo- und Auffassungsunterschied könnte ebenfalls die Schwierigkeiten zwischen der Coachee und ihrer Mitarbeiterin bedingen. Isabell Braumandl Die Coach reflektiert selbst – was ich als Ressource bei ihr sehe –, dass „stark inhaltlich[e] Tipps“ wenig hilfreich im Coaching sind. In einem Beratungsformat, das nach meiner Vorstellung die Autonomie der Klientin unterstützen sollte. Sinnvoller wären hier nach meinem Verständnis andere Interventionstechniken gewesen, z.  B.  Fragen, die zur Selbstreflexion und Lösungsfindung der Coachee führen. Sollte sich diese Coach von mir beraten lassen, würde ich mit ihr an der Frage arbeiten, wie sie dabei unterstützt werden kann, mit ihrer Coachee erfolgreich weiterzuarbeiten. Die Coach scheint mehr mit sich als mit der Klientin beschäftigt zu sein. Deswegen sollte sich

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

die Coach mit ihrer eigenen Haltung, ihren Aufgaben und ihren Rollen im Coaching auseinandersetzen. Das professionelle Setting dafür wäre aus meiner Sicht z. B. eine (Einzel- oder Gruppen-)Supervision. Meiner Erfahrung nach birgt das Fallbeispiel ein typisches Thema, das immer auch Inhalt in Gruppensupervisionen ist, die im Rahmen der Ausbildung von Coachs stattfinden. Für Handlungsableitungen der Coach könnten folgende Fragen zielführend sein (u. a.): • Wie ist die Rolle, die Haltung und das Selbstverständnis als Coach? • Was ist zuträglich, um den Zielfokus für die junge Führungskraft im Coaching sicherzustellen? • Welche Ressourcen bringt die junge Führungskraft mit? • Was konkret verunsichert die Coach? Welche eigenen Muster werden möglicherweise aktiviert, die den Fokus weg von der Klientin hin zu den Themen der Coach führen? Sinnvoll erscheint mir auch eine Rückfallprophylaxe mit der Coach. So hätte diese einen Plan und eine Handlungsableitung, wenn es erneut solche Herausforderungen geben sollte. Hierfür können u. a. folgende Fragen leitend sein: Was kann sie künftig vor, in und nach einer Coaching-Sitzung konkret tun? Was ist hilfreich, um eigene angestoßene Themen nicht auf seine Klientinnen zu übertragen? Wenn diese junge Führungskraft meine Klientin wäre, würde ich zunächst daran arbeiten, welche Ressourcen und Stärken die Coachee mitbringt. Nach meinem Verständnis trägt diese jeder Mensch in sich, nur verliert er sie in bedrohlich wirkenden Momenten oft aus den Augen. Hierdurch sinkt das Vertrauen in sich, Herausforderungen zu meistern. Mein Ziel wäre es also, die Bedrohlichkeit der Situation und der beteiligten Personen durch eine Stärkung der Selbstwirksamkeitsüberzeugung zu relativieren. Ein Perspektivenwechsel, also ein Hineinversetzen in die ältere Mitarbeiterin, könnte helfen, die Situation aus einer Metaperspektive zu analysieren, um die ältere Mitarbeiterin und deren Verhalten zu verstehen und daraus mögliche Lösungsansätze abzuleiten. Sandra J. Schiemann Im Vordergrund steht hier meiner Meinung nach, dass die Coach sehr hilfsbereit ist – also schnell die Klientin als hilfesuchend bzw. -brauchend erlebt und bei sich das Bedürfnis oder die Pflicht sieht, helfen zu wollen oder zu sollen. Ich glaube, dass es hier für die Coach wichtig ist, zu sehen, wie sie am besten helfen kann. Denn als Coach ist es wichtig, die Klientin in ihrer Autonomie zu unterstützen und darin nicht einzuschränken (vgl. Imel et al. 2011; Schiemann et al. 2018). Autonomieeinschränkendes Verhalten, wie Ratschläge zu geben, kann schnell passieren, ist jedoch für den Erfolg hinderlich: Forscher fanden heraus, dass Coachs und Consultants oft autonomieeinschränkend sein können, indem sie beispielsweise Tipps geben (vgl. Imel et  al. 2011). Daher ist es meiner Meinung nach wichtig, sich klar zu werden, dass die Klientin ja bereits zuvor gut leben hat können und dies auch nach dem Coaching tun wird. Wenn wir uns die geschilderte Klientin ansehen:

6.5 Praxisbeispiel 25

153

Trotz ihres jungen Alters ist sie bereits Führungskraft und hat somit bereits ganz ohne Coach großartige berufliche Erfolge erzielen können. Ich als Coach sollte mir daher meiner Rolle bewusst sein, dass die Klientin selbstständig und selbstbestimmt eigene Ziele erreichen kann – und daher definitiv nicht hilflos ist. Es geht also mehr darum, der Klientin die Möglichkeit zu geben, eigene Wege zu bestimmen und auszuprobieren – also ihr mit autonomieunterstützenden Techniken (z. B. Empathie zeigen) zu begegnen. Hier kann die Coach unterstützen, Ressourcen (z. B. Fähigkeiten, Stärken und Erfolge) zu erarbeiten und mit Gedankenspielen durch gut gestellte Fragen mögliche Wege für Lösungen verfügbar zu machen. Kleine Formulierungen können hierbei den Unterschied machen: Unsere neueste Forschung zeigt, dass „imagine-­other“ (ich verstehe, wie es dir in deiner Situation geht) autonomiefördernd und „imagine-self“ (ich verstehe durch meine Erfahrung, wie es dir geht) autonomieeinschränkend wirken kann (Schiemann et  al. 2019). Weitere förderliche autonomieunterstützende Strategien finden sich in der Forschung zu Motivational Interviewing (vgl. Cramer und Sauer 2014). Heidi Möller Prozessberatung und Expertenberatung fließen in modernen Beratungskonzepten ineinander und ergeben neue, hybride oder komplementäre Angebote (vgl. Königswieser et al. 2012). Schein (1990) hatte diese Beratungstypen noch sauber voneinander getrennt und für Beratende ist es nach wie vor wichtig zu wissen, was sie gerade tun. Welches Format sie situativ anbieten, sollte von Coachs fachlich entschieden sein und sich nicht einfach ereignen. Beratungsalltag bedeutet aber oft ein wendiges Hin und Her von prozessualen und instruktiven Elementen. Zumal die Unterscheidungen Kunden wenig interessieren, noch für sie hilfreich sind. Mich interessiert an dieser Stelle ein anderer Aspekt: das normative Geschehen in Ausbildungskontexten. Der Eindruck, etwas ganz Schlimmes gemacht zu haben, kann Ergebnis von Ausbildungsdiskursen sein, die überaus starr das Prozessgeschehen als Königsweg des Coachings beschreiben. Coachees einmal etwas zu erklären ist keine Todsünde. Bei der Coach im Fallbeispiel führte der streng normativ geführte Diskurs zu einer negativen Selbstevaluation ihres Vorgehens. Wenn mein Coachee keine Ahnung von Projektmanagement hat, kann ich ihm schon sagen, was Meilensteine sind. Gleiches gilt beim Verbot geschlossener Fragen, wie es in Lehrbüchern aufgestellt wird. Wie unsere Untersuchung von Lehrvideos berühmter Coachs zeigt, stellen diese dauernd geschlossene Fragen und behaupten in einer schriftlichen Befragung etwas Abweichendes (vgl. Deplazes et al. 2016). Der Eindruck der Coach, zu viel fachlich beraten zu haben, kann übertragungsgeschuldet sein. Die Klientin wird als hilflos beschrieben. Eine wichtige Frage für die berufliche Selbsterfahrung von Coachs könnte lauten: „Was passiert mit mir, wenn ich jemanden als hilflos erlebe? Mit welchen Gefühlen komme ich dann in Kontakt?“ Ohnmacht und Hilflosigkeit sind zweifelsohne die unbeliebtesten Gefühlszustände. Um diese containen zu können, ohne etwas tun zu müssen – also psychodynamisch gesprochen, um das Agieren zu vermeiden – braucht es viele Phasen der Selbstreflexion in der Weiterbildung zum Coach.

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6  Eigene Abgrenzung der Coachs

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7

Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

7.1

Praxisbeispiel 26

Fallbeschreibung Der Auftrag war ein Coaching für eine neue Führungskraft, bezahlt durch den Arbeitgeber. Ich sollte diese Führungskraft in ihrer neuen Rolle unterstützen. Während der zweiten Coaching-Sitzung wurde deutlich, dass die Loyalität der Coachee für ihren Arbeitgeber nicht gegeben ist. Durch ihren Einfluss könnten Motivation und Loyalität weiterer Mitarbeiter möglicherweise stark beeinträchtigt werden. Da es sich um ein Auftrags-Coaching mit klaren Zielen handelte, die mit dem Vorgesetzten vereinbart wurden, war es für mich als Coach schwierig, die vereinbarten Ziele im Kopf zu haben und gleichzeitig auf die negativen und negierenden Äußerungen des Coachee zu reagieren. Wie ist der Coach vorgegangen? Ich habe in der Situation zunächst in Ruhe zugehört und die Schilderungen und Wahrnehmungen der Coachee ohne Wertung zur Kenntnis genommen. Danach habe ich die Coachee gefragt, wie sie gern unsere Zusammenarbeit nutzen möchte bzw. welche Ideen sie hat, wie dieses Coaching sie in den vereinbarten Zielen voranbringen kann. Darauf gab die Coachee keine klare Antwort. Die Coaching-Sitzung wurde mit dem Hinweis der Coachee abgeschlossen, dass sie darüber nachdenken wolle. Daraufhin gab es acht Monate keinen Kontakt zwischen uns; auf Nachfrage habe ich dies auch der Personalabteilung ohne nähere Begründung mitgeteilt. Nach den besagten acht Monaten wurde ich zu einem Abschlussgespräch des Coachings eingeladen. An dem Termin nahmen auch ihre Führungskraft und die Personalentwicklungs(PE)-Leitung teil. Im Vorfeld des Termins hatte ich zwei bis drei Stunden Zeit, allein mit der Coachee zu arbeiten. Während dieses Termins bezog sich die Coachee ausschließlich auf die im Vorfeld vereinbarten Ziele und gab an,

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Möller, J. Zimmermann, Schwierige Situationen im Business-Coaching, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31076-9_7

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

dass das Coaching sie zur Reflexion angestoßen hätte. Was ihre Körpersprache und Haltung insgesamt anging, machte die Coachee für mich aber einen komplett anderen Eindruck. Was genau in der Zwischenzeit, also den vergangenen acht Monaten, passiert war, weiß ich bis heute nicht. Sie wurde von ihrem Vorgesetzten und der PE-Leitung für ihre Führungsarbeit in schwierigeren Zeiten gelobt. Sandrina Lellinger In der dargestellten Situation liegt ein klassischer Dreieckskontrakt vor, in dem Auftraggeber und Klientin nicht identisch sind. Diese Situation ergibt sich immer dann, wenn Organisationen Coachs für die Arbeit mit Mitarbeiterinnen beauftragen. Im Rahmen eines Auftragsklärungsgesprächs hat der Coach die Ziele des Coachings mit dem Auftraggeber geklärt und stellt nun im Kontakt mit der Klientin fest, dass sie anscheinend andere Interessen hat. Statt nun die Klientin auf die Ziele des Arbeitgebers einzuschwören, gilt es, ihre Wünsche und Ziele für das Coaching herauszuarbeiten. Etwaige Abweichungen oder Unvereinbarkeiten mit den Zielen des Arbeitgebers müssen zunächst der Klientin und dann gegebenenfalls dem Auftraggeber rückgemeldet werden. Um solchen Situationen vorzubeugen, kann ein Auftragsklärungsgespräch unter Einbezug aller Beteiligten – in diesem Fall: Klientin, Auftraggeber und Coach – stattfinden. Der Coach scheint stark mit den Zielen des Auftraggebers identifiziert zu sein und tritt auf, als sei er Teil der Organisation. So sorgt er sich beispielweise, dass durch die von ihm als illoyal wahrgenommene Haltung der Klientin gegenüber ihrem Arbeitgeber andere Mitarbeiter auf negative Weise beeinflusst werden könnten. Wie kommt es zu dieser Sorge? Sieht der Coach es als seine Verantwortung, seine Klientin zu einer aus Sicht des Auftraggebers vorbildlichen Mitarbeiterin zu machen? Damit wird der Coach zum Instrument des Auftraggebers. Aus Coaching wird dann eine Anwendung, die Klienten allein im Sinn des Auftraggebers entwickeln will, statt sie als Individuen mit eigenen Anliegen ernst zu nehmen. Unklar ist, was in der Zeit zwischen der zweiten Coaching-Sitzung und dem Abschlussgespräch passiert ist. Der Anteil des Coachings an der Entwicklung der Klientin und ihrer von den Auftraggebern gelobten Führungsarbeit ist als gering einzuschätzen. Möglicherweise erfüllt das Coaching hier die Funktion eines Alibis für den Vorgesetzten, alles für die gelingende Einarbeitung seiner Mitarbeiterin getan zu haben. Mit ihrem Handeln erhält die Klientin diesen Eindruck aufrecht, sie spielt also das Spiel mit, ohne sich aber wirklich einzulassen. Sebastian Kunert Mein Blick hier ist, dass der Untersuchungsteilnehmer einen typischen Fall im Dreieckskontrakt thematisiert: Der Mittelgeber ist nicht der Coachee, sondern eine dritte Partei. Dadurch stellt sich die Frage: Wer ist der Klient, wem gegenüber bin ich loyal? In einem guten Dreieckskontrakt gibt der eine das Geld, damit der andere sich entwickeln kann. Im vorliegenden Fall hat der Mittelgeber einen Schmerz und die Klientin soll ihn lindern. Dies ist keine Intervention in Zusammenarbeit mit dem System, sondern am System

7.1 Praxisbeispiel 26

159

­ orbei. Das Coaching wird so zur Dienstleistung für den Auftraggeber und ersetzt dessen v Führungstätigkeit. In gewisser Weise nimmt die falsche Person an den Sitzungen teil. Statt der Führungskraft sollte der Auftraggeber sich darin unterstützen lassen, wie man schwindendes Commitment erkennt und erwidert. Meine methodische Vorgehensweise wäre im ersten Schritt, um dem Dilemma zu entkommen, das Herstellen von Transparenz: „Liebe Klientin, dies ist mein Auftrag durch Ihre Führungskraft, wussten Sie das und deckt es sich mit Ihren Vorstellungen?“ Für den Fall, dass letzteres verneint wird, kann man Rücksprache mit dem Mittelgeber halten, ob man trotz veränderter Themenstellung weiterarbeiten soll, oder man gibt sein Mandat zurück. Die größte Gefahr besteht in solchen Konstellationen jedoch darin, das Vertrauensverhältnis mit der Klientin zu beschädigen (bei Psychologen, Theologen, Ärzten, Anwältinnen und Sozialpädagogen ist dies sogar ein Straftatbestand nach § 203 StGB). Die entscheidende Grenze ist in jedem Fall, dass die Inhalte der Coaching-Sitzungen vertraulich sind und – wenn überhaupt – nur in Absprache an Dritte, z. B. den Auftraggeber, weitergegeben werden dürfen. Eine elegante Lösung besteht meines Erachtens darin, die Klientin und die Führungskraft zu ermutigen, miteinander ins Gespräch zu gehen, einen gemeinsamen Auftrag zu formulieren und gegebenenfalls ein Feedback zu vereinbaren. Vonseiten des Coachs sollte dem Auftraggeber gegenüber unmissverständlich kommuniziert werden, dass man keinerlei Inhalte und Fortschritte über den Coaching-Prozess öffentlich macht oder Bewertungen über die Klientin preisgibt. Thomas Bachmann Aus meiner Sicht ist die Fallgeschichte eine klassische Konstellation für das Coaching im Organisationskontext: Die Auftragstriade Auftraggeber, Klientin, Coach. Als Coach ist man jetzt in der Zwickmühle, weil es Unterschiede in den Zielvorstellungen gibt, was das Coaching bewirken soll. Was mir hier ein wenig aufstößt ist, dass der Coach, der hier berichtet, stark mit dem Auftraggeber und weniger mit der Klientin identifiziert zu sein scheint, der eigentlich unsere unbedingte positive Zuwendung gehören sollte. Die Loyalität ist nicht ausgewogen. Als Coach sollte man in beide Richtungen schauen und sagen: „Ok, die Klientin hat hier Schwierigkeiten und kann die Coaching-Ziele so nicht für sich annehmen, die da vereinbart wurden. Gleichzeitig bin ich dem Auftraggeber verpflichtet und muss das entstandene Dilemma jetzt professionell angehen.“ Eben diese zweiseitige Loyalität oder Allparteilichkeit kommt in der Fallgeschichte nicht klar zum Ausdruck. Ich bin mir sicher, dass die Klientin das gespürt hat. Für das weitere Vorgehen hieße das, mit der Klientin den Auftrag klar nachzuverhandeln und über die Abweichung von den Coaching-Zielen zu sprechen. Für den Coach könnte die Frage lauten: Kann ich mit dieser Triade umgehen? Oder ist die Differenz der jeweiligen Intentionen so stark, dass das Coaching nicht weitergehen kann und wir nicht miteinander arbeiten können? Für mich klingt der Fall nach einer Auftragsklärungsproblematik, die insbesondere das professionelle Handeln des Coachs betrifft. Ich möchte dies folgendermaßen verdeutlichen: Im Auftragsklärungsgespräch werden im Idealfall g­ emeinsam die Ziele zwi-

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

schen Auftraggeber, Klientin und Coach vereinbart. Dann taucht in den ersten Sitzungen die Lücke zwischen den Vorstellungen der Klientin und denen des Auftraggebers auf, die so groß ist, dass wir nicht mehr arbeitsfähig miteinander sind. Als Coach bin ich dann in einem typischen Loyalitätsdilemma und muss dies thematisieren. Die Frage sollte lauten: Warum kann sich die Klientin nicht auf das Coaching einlassen und was kann ich dafür tun, es ihr zu ermöglichen? Ein Zugang wäre durch Transparenz und über möglichst gute Vorklärung dieses gemeinsame Ziel zu erreichen. Wenn ich als Coach für ein Unternehmen arbeite, kann ich klar machen, dass ich ergebnisoffen arbeite, dass es auch mal passieren kann, dass jemand im Verlauf des Coachings seine Stelle kündigt oder eine bestimmte Unternehmensentscheidung nicht mitträgt. Coaching ist eine personenzentrierte Beratung und kein Fitness-, Erziehungs-, oder Anpassungsprogramm für Mitarbeiterinnen. Nach Sichtung des Lösungsansatzes fiel mir ein ganz ähnlicher Auftrag ein. Damals wurde ich gebeten, eine Rechnung zu stellen, obwohl ich den Kunden nie gecoacht hatte. Das heißt, der Klient hat so getan, als ob er beim Coaching war und als ob er sich auf einen tiefen Arbeitsprozess eingelassen habe. Die Klientin in der vorliegenden Fallgeschichte hat eine starke Anpassungsreaktion an ihre Firma gezeigt und alle sind am Ende zufrieden. Die Frage ist nur, ob man solche Spiele spielen sollte. Vermutlich nicht! Beate Fietze Hier haben wir eine schöne Steilvorlage für die professionsethische Fragestellung und überhaupt für die Professionsfrage. Durch die widerstrebenden Ausrichtungen der beauftragenden Führungskraft und seiner Klientin gerät der Coach in einen Loyalitätskonflikt, den er meiner Interpretation nach zugunsten der Auftraggeberin beantwortet: Er sorgt sich um die negative Wirkung seiner Coachee auf ihre Mitarbeiter. Das hört sich ein bisschen so an, als sei der Coach selbst ein Angestellter des Unternehmens. Der Coach sollte aber prinzipiell unabhängig sein und dem einzelnen Klienten aus der Position der sogenannten Klientenautonomie begegnen können – und zwar ökonomisch wie auch mental. In dem hier diskutierten Fall müsste der Coach darüber aufklären, wenn er einen Widerspruch zwischen den Erwartungen des Auftraggebers und den professionsethischen Anforderungen des Coachs erkennt. Man kann sich im Rahmen eines Dreieckkontrakts sehr wohl darauf einlassen, festgelegte Themen zu bearbeiten, ohne die Loyalität gegenüber dem Klienten zu verletzen. Aus der Perspektive einer Profession sollte man aber davon ausgehen dürfen, dass der beauftragte Coach im Rahmen seines professionellen Ermessens selbst entscheidet, wie er die Coaching-Themen bearbeitet. Nach Sichtung des Lösungsansatzes und vom Ende des Falls her betrachtet, scheint das Coaching von beiden Seiten, von der Führungskraft wie von der Klientin, instrumentalisiert worden zu sein. An diesem Beispiel lässt sich gut ablesen, wie wichtig es ist, dass Coaching eine eigenständige Profession wird, die die Regeln ihrer beruflichen Praxis auch und gerade im Verhältnis zu den beauftragenden Organisationen selbst definiert.

7.2 Praxisbeispiel 27

161

Heidi Möller In diesem Fallbeispiel wird die zentrale professionsethische Frage aufgeworfen: Wer ist der Kunde im Coaching? Laut aktuellen Untersuchungen (vgl. Middendorf 2019, 2020) werden ungefähr zwei Drittel aller Coachings in Deutschland durch das Unternehmen beauftragt und gezahlt. Hier können wir der Schwierigkeit mit der allerortens proklamierten Allparteilichkeit zuschauen. Hat die Macht, wer zahlt (also das Unternehmen)? Gelingt es den Coachs wirklich, das gleichschenklige Dreieck zwischen Unternehmen Coach und Coachee zu halten? Der Coaching-Klient tut ja zunächst gut daran, seine Nichtloyalität mit seiner Firma in einer Auftragsklärungssituation im Dreiecks- oder Viereckskontraktgespräch gar nicht deutlich werden zu lassen. Wir Coachs können davon ausgehen, dass diese Dynamik erst in der dyadischen Situation deutlich wird. Ist dann mein Ziel, Loyalität herzustellen? Auch wenn ich dies vehement verneine, spielt vermutlich vorbewusst eine Rolle, wer die Beauftragung (und weiter) zahlt. Die Souveränität in der Allparteilichkeit ist ein hohes Gut, selbstkritische Fragen zur Abstinenz im Sinn des Freiseins von eigenen Triebwünschen sind dennoch stets wichtig.

7.2

Praxisbeispiel 27

Fallbeschreibung In diesem Einzel-Coaching für die mittlere Führungsebene im Logistikbereich schien alles klar kommuniziert. Zuerst kontaktierte mich die Personalleiterin, dann gab es ein Kennenlernen mit dem Standortleiter und dem Klienten (Bereichsleiter) des weltweit agierenden Logistikkonzerns. Im Vorfeld wurde mir gesagt, dass der Klient (Anfang 30) seit der Lehre im Konzern und mit kurzer Unterbrechung an diesem Standort sei. Seitdem hat er sich vom Lehrling hin zum Bereichsleiter qualifiziert. Wobei – und hier komme ich zum Anlass des Coachings  – er nun überfordert scheint; sich nicht mehr durchsetzen kann (vom Mitarbeiter bzw. Teamkollegen zum Vorgesetzten). Der Klient bestätigte dies. Im Coaching selbst stellte sich in den ersten drei Sitzungen heraus, dass er gar nicht führen möchte, der Job ihm keine Freude macht und er das Unternehmen zu wechseln überlegt. Zudem wird zum Thema, dass er gerade Vater geworden ist und sich hier überfordert sieht. Er wirkt auf mich persönlich labil. Nach der vierten Sitzung sagte er per SMS die nächste Sitzung ab. Anschließend kam er nicht mehr zu den Sitzungen. Mein Bestreben, eine Abschlusssitzung zu initiieren, blieb erfolglos. Der Kontakt zum Konzern brach ebenfalls ab. Wie ist der Coach vorgegangen? Im Coaching habe ich versucht, mit dem Klienten Strategien zu erarbeiten, wie er den Bereich leiten kann. Am Punkt, an dem sein Wunsch, die Leitung abzugeben und später das Unternehmen zu verlassen, deutlich wurde, versuchte ich den Klienten darin zu bestärken, mit seinen Vorgesetzten zu sprechen und gemeinsam zu schauen, welche Möglichkei-

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

ten es alternativ zur Leitungsaufgabe gibt. Wir wussten beide, dass ihn der Konzern ­aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit, seiner Zuverlässigkeit und des akuten Fachkräftemangels halten wollte. Klaus Obermeyer Spannend scheint mir die Frage, ob die im Fall beschriebene Leistungskrise des Coachee in einer inneren Verbindung zu seiner neuen Rolle als Familienvater steht. Christophe Dejours (2012), ein psychoanalytisch inspirierter französischer Arbeitsmediziner, hat die These vertreten, dass Einbrüche der Leistungsfähigkeit in der Regel nicht allein durch ein bloßes Zuviel an Arbeit zu erklären sind. Kritisch wird es laut Dejours (2012) v. a. dann, wenn sich die seelischen Funktionslogiken und Bewältigungsmechanismen des Arbeitslebens nicht mehr ohne Weiteres mit denen des Privatlebens in Einklang bringen lassen. In seiner neuen Rolle als Vater ist der Coachee mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert als in seiner bisherigen beruflichen Rolle im Unternehmen, in dem er bisher in quasi väterlicher Färbung gefördert wurde und die Rolle des guten Sohns einnehmen konnte. Als neu ernannte Führungskraft steht er nun ebenfalls vor der neuen Anforderung, sich seinen Mitarbeiterinnen in ermöglichenden und begrenzenden Haltungen zuzuwenden. Gegenüber seinen eigenen früheren beruflichen Förderern wäre Abgrenzung und Verhandlung auf Augenhöhe erforderlich. Im Privaten ist die Rolle des jungen Vaters naheliegenderweise mit Qualitäten der fürsorglichen Hingabe und Verantwortung verknüpft. Plötzlich passt der Privatraum nicht mehr zum Arbeitsraum und der Zusammenbruch in einer der beiden Sphären nimmt zumindest die Spannung der Unvereinbarkeit aus diesem Dilemma. Das Misslingen des Optimierungsversuchs ist einerseits schmerzlich und spricht andererseits eine klare Sprache. Es nimmt Druck aus dem Kessel der unvereinbar anmutenden wechselseitigen Erwartungen. Es ist leichter gesagt als getan, hier sinnvoll zu intervenieren. Der Fall wirft einmal mehr Licht auf die Notwendigkeit und Schwierigkeit der Erarbeitung differenzierter Dreieckskontrakte. Es passiert uns allzu schnell, dass Klientinnen im Coaching durch ihr Unternehmen quasi bei uns zur Reparatur abgegeben werden. Wenn wir Dreieckskontrakte ernstnehmen, sind die Auftraggeberinnen durchgängig an Coaching-Prozessen beteiligt, auch wenn sie nicht durchgängig in den Gesprächen anwesend sind. Wir sind als Coachs auf die Bereitschaft der Auftraggeberinnen angewiesen, ihre Aufträge im Lauf des Prozesses anzupassen, sich in ihrem Handeln zu hinterfragen und gegebenenfalls konkrete Konsequenzen aus den Ergebnissen eines Coaching-Prozesses zu ziehen. In diesem Verständnis hat Coaching eigentlich immer mehr als eine Klientin. Wenn wir dieses Programm akzeptieren, liegt es nahe, dass es in aller Regel keine sauberen Lösungen gibt, die alle Beteiligten gleichermaßen zufrieden stellen. Wir sitzen eben keineswegs alle im gleichen Boot. Einige zusätzliche Gespräche zur Auftragsklärung mit dem Coachee und seinem Standortleiter hätten unter Umständen eine Chance geboten, die Option der Zurückweisung der Führungsaufgabe durch den Coachee als ein mögliches Ergebnis auf dem offiziellen Radarschirm zu halten. Dies hätte das Risiko begrenzt, die Möglichkeit des Versagens an der

7.2 Praxisbeispiel 27

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Führungsaufgabe allein in das Innenleben des ohnehin unter Druck stehenden Coachee zu exkommunizieren. Wenn Coach und Klient – wie in diesem Fall – auseinanderlaufen, habe ich gute Erfahrungen damit gemacht, der Frage nachzugehen, was beide möglicherweise miteinander verbindet, ohne sich dies bislang eingestanden zu haben. Ein letzter Gedanke: Das Scheitern des Happy Ends ist im Erleben des Coachs vermutlich mit Versagensängsten, Angst und Trauer um den Verlust bisheriger Anerkennung, vielleicht auch mit Scham verbunden. Ein Tableau an Affekten, das nicht allzu weit vom Erleben des Klienten entfernt sein dürfte. Es hätte möglicherweise einen Raum eröffnet, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen, wenn Coach und Klient diese Gefühlslagen miteinander geteilt, und damit das Risiko der Verbundenheit (vgl. Jaenicke 2014) eingegangen wären. Unter Umständen wären Motive wie Variationen des Versagens im doppelten Wortsinn, oder die Kunst des besseren Scheiterns ins Zentrum des Coachings gerückt. Magret Lüdemann Der Coach hat versucht, die Beauftragung durch die Organisation gewissenhaft umzusetzen, aber unter Umständen an dem vorbei gearbeitet, was der eigentliche Konflikt, die innere Lage des Coachee war. Ich vermute, dass der Kontrakt hier zu eng gefasst und der inhaltliche Korridor unzureichend beschrieben wurde. Der Ausgang des Coachings würde dazu passen. Die Fokussierung auf die Person sollte im Coach wachrufen, was ausgeblendet ist: Alle Fragen danach, was die Organisation und die relevanten Agierenden (Standortleiter, Teammitglieder) mit der Ausgangsproblematik zu tun haben könnten. Es kann sinnvoll sein, folgendes in den Verhandlungsraum sinngemäß mit aufzunehmen: „Erfahrungsgemäß zeigen sich in den Sitzungen Dinge, die wir jetzt noch nicht bedenken. Eventuell auch solche, die Ihren Einbezug günstig machten. Wie wollen wir da verfahren?“ Initial sollte im vertraulichen Setting des Coachings noch einmal herausgefunden werden, wie aus Sicht des Coachee das Ziel des Coachings heißt. So könnte die frühe Festlegung, dass die Person das Problem hat, eine Weitung erfahren. Als Coach würde ich noch einmal vertiefend in die prozessuale Diagnostik einsteigen. Der Coachee ist, so scheint es, zweifach als Führungskraft gefordert: Im Betrieb und seinem Kind gegenüber. Er wirkt geradezu eingeklemmt. Es sind zwei Identitäts- und Rollenangebote, die der Coachee scheinbar nicht ich-synton beantworten kann, mit der Konsequenz einer psychischen Labilisierung, also einer Krise, die die Person im Ganzen ergriffen hat. Entsprechend der operationalisierten psychodynamischen Diagnostik (vgl. Benecke und Möller 2019) wäre die Hypothese zu prüfen, ob hier gerade ein Bindungs-/Autonomiekonflikt virulent ist. Entsprechend des Bilds der Klemme würde ich als Coach, die Situation, wie sie erlebt wird, nachbilden. Sowohl die Lage am Arbeitsplatz als auch die private Situation würde eine Repräsentanz im Raum bekommen. So könnte der Coachee mit dem Coach den Grad der Bedrängung und Beeinträchtigung herausfinden. Nach diesem Schritt wäre es möglich, das Dritte  – vielleicht durch einen Stuhl repräsentiert  – einzuführen. Erst mit der

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

dritten Position ist der Raum eröffnet und das, was Moreno „surplus reality“ nennt, als Projektion der Innenwelt des Coachee, kann sichtbar werden (vgl. Ameln 2013). Es entsteht eine Probebühne, die weg von einer Entweder-oder-Logik hin zu einer Sowohl-als-­ auch-Logik führen kann. Heidi Möller Wenn ich mich zunächst auf den Coachee als Individuum konzentriere, dann stellt sich hier die Frage des diagnostischen Zugangs (vgl. Möller und Kotte 2016). Erlebt der Kunde einen neurotischen Konflikt, der ihn hindert, die Führungsrolle auszufüllen? Sind es möglicherweise negative Erfahrungen mit Macht und Einflussnahme, die ihn biografisch hemmen? Wenn es in der Lebensgeschichte viele Negativerfahrungen mit mächtigen Menschen gab, müssen zunächst diese alten Szenen bearbeitet werden, um frei zu werden, konstruktiv und gemeinschaftsdienlich Macht auszuüben (vgl. Krug und Kuhl 2006). Ein anderer diagnostischer Zugang wäre eine Analyse der Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen des Coachee (vgl. Heppelter und Möller 2013). Gibt es einen Person-Job-Fit in dieser Aufgabenkonstellation? Auch persönlichkeitsdiagnostische Zugänge sind wertvoll (vgl. Böning und Kegel 2013). Talentanalysen, wie bei Rappe-Giesecke (2017) beschrieben, ergeben an dieser Stelle Sinn: • Was fällt dem Coachee leicht? • Was geht ihm leicht von der Hand? • Was macht er wirklich gern? Der Auftrag hat seine spezifische Herausforderung dadurch, dass in den meisten Organisationen der hierarchische Aufstieg die höchste Form der sozialen Anerkennung darstellt (vgl. Möller und Volkmer 2005). In diesem Fall ist die Problematik verschärft, da aus Sicht des Unternehmens eine Logik gebrochen wird. Vorgesetzte und Personalentwicklung sind vermutlich recht stolz, dass aus dem Lehrling ein Bereichsleiter wurde. Das gängige Prinzip Höher-Schneller-Weiter, das Karriere als eine unentwegte Bewegung nach oben versteht, geht hier nicht auf. Vergessen wird in dieser Dynamik oft, dass Karrierezuwachs auch Schattenseiten hat. Beförderungen bedeuten Milieuwechsel und diese bringen Abschiede von dem Vertrauten mit sich. Entwicklungstempi können auch zu hoch sein. In der Entwicklungspsychologie spricht man von akzelerierter Entwicklung: Die Seele kann mit dem Mehr an Verantwortung und Gestaltungsspielraum nicht mitwachsen. Die gesellschaftliche Bewertung des hierarchischen Aufstiegs als höchst erstrebenswert erzeugt kollektive Abwehrmechanismen (vgl. Möller et al. 2018) und damit blinde Flecke in der Perspektive von Personalern und Führungskräften. Das macht autonome Akte in einer Firma schwer, etwa zu sagen: „Nee. Ich mache das Coaching nicht. Ich will diese Karriere nicht.“ In dem Fallbeispiel klingt wenig Entschiedenes auf. Als letzten Aspekt möchte ich die Möglichkeit des Vorliegens eines Derailment (vgl. Möller und Müller 2017) nicht ganz ausschließen. Gut funktionierende Führungskräfte

7.3 Praxisbeispiel 28

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werden plötzlich aus der Bahn geworfen, wenn ihre Bewältigungsstrategien überlastet sind oder sich der Kontext ändert.

7.3

Praxisbeispiel 28

Fallbeschreibung Bei einem Team-Coaching berichteten die Teilnehmerinnen, dass sie in vielen Bereichen sehr unzufrieden mit der Geschäftsleitung (dem Inhaber) seien. Sie berichteten, dass Gehälter nicht vertragsgemäß bezahlt, Fahrtkosten genau kontrolliert und teilweise gestrichen würden. Versuche, mit dem Chef zu reden, seien bisher gescheitert, weil er dann persönlich gekränkt reagieren würde. Die Unzufriedenheit war sehr groß. Nach Absprache mit dem Team schlug ich deshalb vor, den Chef zum Team-Coaching einzuladen und den Konflikt unter meiner Moderation anzusprechen. Leider wurde dies von der Geschäftsführung abgelehnt, mit dem Hinweis, meine Aufgabe sei es, das Team zu motivieren. In der nächsten Sitzung teilten mir die Mitarbeiterinnen mit, dass sie nun beabsichtigen würden, einen Betriebsrat zu gründen. Wie ist die Coach vorgegangen? Der Auftrag, das Team zu motivieren, war nicht zu erfüllen, da eine wichtige Grundlage, die Vertragstreue, nicht gegeben war. Der Versuch, das Setting entsprechend anzupassen, scheiterte leider, da die Geschäftsführung meine Sichtweise nicht teilen konnte und nicht gesprächsbereit war. Die Mitarbeiterinnen des Teams habe ich dann in einer letzten Sitzung zum Thema Betriebsratsgründung beraten. Hierbei bin ich in einer neutralen Haltung geblieben. Die Frage war: Welche Möglichkeiten gibt es, den Konflikt zu lösen? Was könnte die beste Idee sein? Wie kann diese Idee umgesetzt werden? Die Mitarbeiterinnen habe ich gut beraten und ihnen dabei geholfen, eine bewusste Entscheidung zu treffen. Den Auftrag habe ich verloren. Der Chef war sauer, weil er glaubte, ich hätte Mitarbeiterinnen angestiftet. Klaus Obermeyer Im beschriebenen Fall scheint das Gespräch zwischen Geschäftsführung und Mitarbeiterinnen über diese Unebenheiten mittlerweile in Hoffnungsarmut versandet und einer wechselseitigen Abschottung gewichen zu sein. Vieles erinnert an die von Bion (2001) beschriebene Variante, in der Leitung und Mitarbeiterinnen v. a. auf die Grundannahme ihrer unausweichlichen wechselseitigen Abhängigkeit fokussiert sind. Leitung und Mitarbeiter scheinen davon überzeugt, dass sie jeweils wechselseitig Ursache ihres Elends sind. In solchen, in der Regel auch emotional überhitzten Choreografien, ist es für Beraterinnen extrem schwer, ihre Unabhängigkeit zu schützen. Schneller als ihnen lieb ist, werden sie in Bündnisse – hier mit den Mitarbeiterinnen – gezogen. Im beschriebenen Fall spürt die Coach anscheinend dieses Risiko und versucht, den Chef mit ihrer Einladung ins Beratungssetting einzubeziehen.

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

Der Geschäftsführer formuliert in diesem Zusammenhang, zum ersten oder zum wiederholten Mal, einen Auftrag an die Coach: diese möge die Mitarbeiterinnen motivieren. So findet sich die Coach in der Zwickmühle idealisierender Erwartungen des Chefs und der Mitarbeiterinnen. Motivierungsaufträge erscheinen mir grundsätzlich problematisch. Ich neige zu der Auffassung (Sprenger 2014), wonach Motivation nicht von außen zu stiften ist, sondern sich im Individuum autonom entfaltet, solange die Rahmenbedingungen stimmen. Jede Motivierung hat demnach etwas Infantilisierendes im Sinn des angeleiteten Fühlens und untergräbt letztendlich, was sie zu fördern vorgibt. Das Team-Coaching mündet in einem vitalen Impuls zur Gründung eines Betriebsrats. Aus der Perspektive des Auftraggebers ist dies vermutlich eine unerwünschte Nebenwirkung des Team-Coachings, für die Mitarbeiterinnen hat das Coaching zu einer Entscheidung geführt. Ist es damit gescheitert? Kann Beratung überhaupt scheitern, wenn wir in Rechnung stellen, dass sich die Beteiligten eigentlich immer zu Verlauf und Ergebnis der Beratung ins Verhältnis setzen und irgendetwas damit anfangen (vgl. Lackner 2015)? Ich finde es schwer zu sagen, ob hier eine konstruktive Intervention möglich gewesen wäre. Vermutlich hätte der Geschäftsführer deutlich stärker in die Klärung des Auftrags und der jeweiligen Rollen von Beraterin und Geschäftsführer einbezogen werden sollen. Spätestens in dem Moment, in dem die Coach die Gründung des Betriebsrats beraten hat, ist die Legitimation des Auftraggebers fraglich. Oft ist es hilfreich, schon am Beginn von Team-Coachings mit den Beteiligten zu untersuchen, wer im Arbeitsprozess des Teams wofür Verantwortung trägt und tragen kann. Kaldenkerken (2014, S.  242f.) hat vorgeschlagen, dies entlang der Kaskade einzelne Person im Team, Team als Kollektiv, Teamleitung, Organisation bzw. Institution und Gesellschaft zu tun. Die kann transparent machen, welche Beiträge auf welcher Ebene erforderlich und leistbar sind oder eben auch vergeblich sein müssen. Dennoch: Die Coach findet in diesem Fall von Anfang an eine Kampfformation vor. Arbeitsteams bereiten sich in der Zusammenarbeit auch bittere Enttäuschungen (vgl. Scanlon 2019), die Erwartungen brüskieren und verstoffwechselt werden müssen. Wenn dies nicht gelingt, kann langanhaltender Groll die Arbeitsfähigkeit des Teams einschränken. Die gemeinsame Arbeitsaufgabe entwickelt unter solchen Frustrationsverhältnissen oft keine verbindende Kraft mehr. Es bleibt also die Frage: Auf welches gemeinsame, verbindende Dritte können sich Leitung und Mitarbeiterinnen hier noch beziehen? Um diese Gretchenfrage zu klären und das Team zu entwickeln, müssen sowohl Leitung als auch die Mitarbeiterinnen im Beratungsraum anwesend sein. Die Gründung des Betriebsrats eröffnet zumindest die Möglichkeit, einen gegebenen arbeitsrechtlichen Rahmen wieder zum gemeinsamen Bezugspunkt zu machen. Das stabilisiert aber bestenfalls den strukturellen Rahmen. Damit sich Leitung und Mitarbeiterinnen ohne Kriegsbemalung begegnen können, braucht es vermutlich Anerkennungskontexte (vgl. Benjamin 2019).

7.4 Praxisbeispiel 29

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Magret Lüdemann In diesem Fall werden hoch unzufriedene Mitarbeitende beschrieben, ausgelöst durch das Verhalten des Chefs. Meine Hypothese lautet: In der beschriebenen Organisation herrscht ein Kommunikations- und Interaktionsmuster vor, das sich mit den konfliktkonstituierenden Rollen Verfolger (Täter), Opfer, Retter des Dramadreiecks (vgl. Karpman 1968) der Transaktionsanalyse fassen lässt. Während sich Geschäftsführer und Team wechselnd als Verfolger oder Opfer sehen, bekommt die beratende externe Person automatisch die Rolle der Rettenden zugeschrieben – eine Einladung, die ein hohes Maß an Selbstreflexivität braucht (vgl. Zimmer-Leinfelder 2003). In Erzählungen, die so einig wie in dieser Fallschilderung die Schuld bei dem Vorgesetzten sehen, braucht die Beraterin eine hohe triadische Kompetenz, also die Fähigkeit, mit den in der Organisation vorfindlichen Paradoxien, Widersprüchen und Ambivalenzen balancierend umzugehen (vgl. Heltzel 2001). Der Geschäftsführer begründet seine Ablehnung am Team-Coaching teilzunehmen, um beide Seiten in einen Raum zu bringen, mit dem Auftrag an die Coach, diese solle das Team motivieren. Motivieren wozu? Die Frage, ob Coaching motivieren kann, muss zweifelnd gestellt werden. Das Beratungsformat kann allerdings Beratungssuchende darin begleiten, ihre persönlichen Motive herauszufinden. Lässt sich mit empörten Teams, in denen der Affekt führt, arbeiten? Grundsätzlich ja. Die Hypothese, dass es sich bei der vorherrschenden Stimmung um eine kollektive Regression im Sinn der Grundannahmegruppe von Kampfflucht handelt (vgl. das Konzept der Grundannahmegruppen, Bion 2001), wäre zu prüfen. Sie führte zu dem Versuch, das Team zu begleiten, in die Verfassung einer Arbeitsgruppe zurückzufinden. Die Empörung ist erst einmal zu konstatieren. Sie bräuchte die Übersetzung der Coach. Es wäre auszuloten, wie es um die Grundbedürfnisse von ausreichender Sicherheit, Beziehung und Autonomie an diesem Arbeitsort bestellt ist. Erst wenn eine Beruhigung gelänge, könnten Fragen wie: Was hält Sie (Motive) im Unternehmen? Was ist der Wert dieses Tuns, dieser Aufgaben? überhaupt Resonanz bekommen. Das Ende überrascht mich nicht. Der unmögliche Auftrag hätte meines Erachtens in der Kontraktierung den Versuch gebraucht, zu einer verbindenden Fragestellung des Geschäftsführers, des Teams mit dem Organisationsauftrag zu kommen. Spätestens nach der ersten Sitzung, in der sich das Team über den Inhaber empört und massiv Kritik an seiner Art, die Geschäfte zu führen zeigte, hätte es eine (Nach-)Verhandlung benötigt. Aufträge dieser Art stellen unsere triadische Kompetenz auf die Probe. Es droht, der Kontakt zu einer Seite hin abzureißen. „Den Winkel halten“ nennt Bauriedl (2004) den Versuch, das vom Zusammenklappen bedrohte Dreieck zu bewahren.

7.4

Praxisbeispiel 29

Fallbeschreibung Ein Coachee erklärt beim Kontraktieren, dass er sich als Plaudertasche wahrnimmt und im Coaching gern mit kreativen Methoden arbeiten möchte: „Ich rede so viel, da will ich

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

nicht auch noch im Coaching nur monologisieren“. Der Coachee kommt nach einer Krebserkrankung an seinen Arbeitsplatz zurück und möchte entscheiden, ob er den Arbeitsplatz aufgrund der hohen Belastung verlassen soll oder Strategien entwickeln kann, um mit der Belastung umzugehen. Bei der dritten Sitzung gibt es eine Einheit zu den Themen Körperwahrnehmung und Körpererinnerung während der Arbeit. Der Coachee geht inspiriert und gut gestimmt aus dem Coaching. In der nächsten Sitzung eröffnet er das Gespräch damit, dass es ihm nach dem Coaching nicht gut ging. An seinem Arbeitsplatz hat er mit seinen Kolleginnen über das Coaching gesprochen. Alle waren der Meinung, dass es ihm besser gehen würde, wenn er das Coaching beende und in eine Gesprächstherapie wechsle, weil er sich damit leichter tue, zu sprechen. Der Kontrakt wird wunschgemäß aufgelöst. Wie ist der Coach vorgegangen? Mein emotionales Erleben: Überraschung, Enttäuschung, Ärger und Hilflosigkeit. Ich bedanke mich beim Coachee, dass er die Auflösung des Kontrakts persönlich vornimmt, nicht per E-Mail oder am Telefon. Der Vorschlag zur Nachbesprechung der vorangegangenen Einheiten ergab: Das Vertrauen des Coachee ist durch die Rücksprache mit seinen Kolleginnen so stark beeinträchtigt, dass er sich nicht auf eine Auswertungsarbeit einlassen möchte. Wir besprechen, was ihm gutgetan hat und was nicht. Die Entscheidung, das Coaching zu beenden, ist meiner Auffassung nach leichter, als den Arbeitsplatz zu verlassen. Der Mut, das Coaching zu beenden und im Gespräch zu klären, dass die menschliche Ebene nicht belastet ist, also keine Kränkung vorliegt, ist eine erfolgreich angewandte Strategie. Vielleicht ist es auch eine gute Vorübung für seinen weiteren Berufsweg. Klaus Obermeyer Das Zusammenspiel des Coachee mit seinem Coach scheint sich v. a. in psychodynamischen Spannungsfeldern von Autarkie und Versorgung, vielleicht auch von Kontrolle und Hingabe zu bewegen (vgl. Benecke und Möller 2019). Der Klient hat vor vermutlich nicht allzu langer Zeit von seiner Krebserkrankung erfahren. Gleich am Anfang des Coachings bittet der Klient seinen Coach mit kreativen Methoden zu arbeiten, um seinen – wie er meint – oft ausufernden Redefluss zu kontrollieren. Diese Bitte an den Coach scheint mir Ausdruck einer paradoxen Sehnsucht: Fürsorge und Kontrolle sollen einerseits in die Hände des Coachs abgegeben werden, andererseits müssen eben Selbstfürsorge und Kontrolle nicht gänzlich aufgeben werden, da der Methodeneinsatz ja auf expliziten Wunsch des Klienten erfolgt. Der Coach mag hier in einem ähnlichen Widerspruch gefangen gewesen sein. Einerseits gibt er ein Stück Regie und Kompetenz in die Hände seines Klienten ab, wenn er dessen methodischer Anregung folgt. Gleichzeitig wählt er vielleicht eine potenziell regressionsfördernde, körperorientierte Methode, die dem Klienten fürsorglich begegnet, aber einen gewissen Kontrollverlust abfordert. Dies scheint zunächst wie Schlüssel und Schloss zusammen zu passen. Der Klient verlässt scheinbar beschwingt die Sitzung, um kurz danach sich unwillkürlich einstellende, irritierende Nachwirkungen zu verzeichnen. Er offenbart sich seinen Kolleginnen und scheint bei diesen fürsorgliche Impulse ausgelöst zu haben. Diese münden in den besorgten Rat, das Coaching nicht

7.4 Praxisbeispiel 29

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­ eiterzuführen und stattdessen therapeutische Hilfe zu suchen. In einer interaktionellen w Perspektive – die davon ausgeht, dass sich Klient und Coach eine gemeinsame Wirklichkeit kreieren und teilen (vgl. Mittelsten-Scheid 2012) kann vermutet werden, dass Klient und Coach gemeinsam Kontrolle über den Modus ihrer Zusammenarbeit suchen, nur um sie am Ende gemeinsam zu verlieren und die Kooperation zu beenden. Was versorgend und unterstützend konzipiert war, scheint sich rasch in eine eher überfordernde Beziehungsqualität zu wandeln. Das noch junge Arbeitsbündnis zwischen Klient und Coach wird rasch zum Opfer seiner ersten Krise. Das dürfte für beide auch eine schmerzlich-frustrane Erfahrung gewesen sein. Vielleicht waren sowohl Klient als auch Coach von der möglichen Intensität der Affekte, von Versorgungssehnsüchten und der Not, diese zu ertragen, überrascht, die ja unter Umständen auf eine regressive Überfrachtung des Coachings-Kontexts hätten hinauslaufen können. Stattdessen entscheidet er sich für eine Gesprächspsychotherapie. Vor diesem Hintergrund scheint es plausibel, dass der Klient keinen Spielraum gesehen hat, diese Krise gemeinsam mit dem Coach zu verstehen und für eine Verbesserung des Arbeitsbündnisses zu nutzen. Die Entscheidung zum Rückzug vom eher arbeitsbezogenen und leistungsaffinen Coaching hin zur psychotherapeutischen Option kann durchaus als progressiv-selbstfürsorgliche Bewegung verstanden werden. Die an dieser Weggabelung aufscheinende Ambivalenz wirft ein Licht auf eine Komplikation des beschriebenen Falls, der auf einer Grenze von arbeitsbezogener Beratung und medizinischer Rehabilitation zu balancieren scheint. Hier überlappen auch unterschiedliche Funktionslogiken dieser beiden Stränge. Coaching setzt auf Optimierung und Ausschöpfung verfügbarer personaler und organisationaler Ressourcen. Die medizinische Rehabilitation fokussiert auf die Bewältigung der durch Erkrankung vermittelten Einschränkungen. Sie hält damit auch im Blick, dass die Frage der Arbeitsfähigkeit nicht allein durch Anstrengung und Performance der Betroffenen einzulösen ist, sondern auch schicksalhaft vermittelten Begrenzungen unterliegt. Die Frage Coaching und/oder Psychotherapie ist deshalb gar nicht so einfach abzuwägen. Die Fallskizze illustriert, mit welcher Geschwindigkeit sich die Verhältnisse im Coaching von heiter nach wolkig verschieben können. Solche Krisen bergen aber auch die Chance, Arbeitsbündnisse über die erfolgreiche Bewältigung der Krise zu vertiefen und das Dilemma der jeweiligen Klientinnen besser zu verstehen. Es kann hilfreich sein, mit Klienten schon in Erstgesprächen über den Wert solcher Krisen zu sprechen und dafür zu werben, entstehende Irritationen anzusprechen, um sie bearbeiten zu können. Ein Gedanke zum Schluss: Wir können darauf vertrauen, dass sich die Probleme, mit denen die Klienten im Alltag kämpfen, auch im Beratungsraum in Szene setzen. Solche Inszenierungen können als eine Sprache des Handelns, eines Handlungsdialogs, verstanden werden, in der Bedeutungsdimensionen ausgedrückt werden, für die uns manchmal die Worte fehlen. Alfred Lorenzer (1973) hat die Entschlüsselung dieser Verwobenheit von Sprache, Handlung, Körper, Verstand und Unbewusstem als szenisches Verstehen beschrieben. Es wäre schön gewesen, wenn Klient und Coach in unserem Fall

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

gemeinsam darüber hätten nachdenken können, was sie in der kurzen Phase ihrer Zusammenarbeit gemeinsam angerichtet haben und was dies über die Coaching-Anliegen des Klienten erzählt. Magret Lüdemann In der Beschreibung des Falls fällt auf, dass der Coachee sich initial als Plaudertasche apostrophiert, weshalb er mit kreativen Medien arbeiten wolle. Als Coach würde ich dieses folgendermaßen übersetzen: „Ich rede viel und nicht besonders tiefgehend. Überlisten Sie mich mit nonverbalen Methoden, sonst wird das hier nichts.“ Das Vielsprechen ließe sich als Möglichkeit zur Nähe-Distanz-Regulation und als Wortmauer deuten, die die Person umgibt. Meine Resonanz darauf wäre das Gefühl einer Einengung, einer Art der Bemächtigung durch den Coachee: „Ich sag Ihnen, wie Sie sein sollen!“ Die Aufforderung: „Schalten Sie mein Mundwerk durch andere Methoden aus!“ käme der Erlaubnis einer Bemächtigung durch den Coach gleich. Scheinbar wird Kontrolle abgegeben und sich der Führung des Coachs anvertraut. Gleichzeitig wird über das Wissen, was hier richtig zu tun sei, Kontrolle ausgeübt. Entsprechend meiner Resonanz würde ich mit dieser Ausgangsfigur, dem Wunsch Kontrolle auszuüben und abzugeben, auf der Beziehungsebene arbeiten: „Gut, dass Sie wissen, was Sie brauchen! Erlauben Sie mir bitte, mir auch ein Bild zu machen. Dazu würde ich Ihnen gern einige Fragen stellen. Daraus ergeben sich meine Ideen, wie ich mit Ihnen zu Ihrer Frage arbeiten würde. Sie könnten dann prüfen, ob das für Sie passt.“ Vor irgendeiner Methodenwahl bräuchte ich Antwort u. a. auf die Frage, wie viel Zeit der Coachee uns gibt, um seine Antwort zu finden. Welche Bedeutung haben die Säulen Arbeit und Leistung und Leiblichkeit für seine Identität (vgl. auch das Modell der fünf Säulen der Identität bei Petzold 1993) und wie sind die anderen drei Säulen betroffen? „Sie würden hier ja Strategien lernen wollen, mit denen sie der Belastung am Arbeitsplatz begegnen. Dazu möchte ich wissen, wie es Ihnen aktuell geht. Eine Krebserkrankung zu bewältigen, ist ja herausfordernd. Nicht ohne Grund wird den Genesenen ja die Möglichkeit gegeben, sich Behinderungsgrade zuerkennen zu lassen, die als Nachteilsausgleich im Verhältnis zu voll leistungsfähig und belastbar anzusehen sind. Wie ist das bei Ihnen?“ Ob diagnostisch die Karriereanker (vgl. Schein 1996) bestimmt werden, Resilienz stärkend mit dem Zürcher Ressourcen Modell (vgl. Storch et al. 2018) gearbeitet wird, Modelle des Selbstmanagements zu Anwendung kommen, könnte ich an dieser Stelle noch nicht sagen. In diesem Coaching geht es aus meiner Sicht zentral darum, ob eine tragfähige Arbeitsbeziehung entsteht. Aus der Wahrnehmung der gelungenen dritten Sitzung ist es nur zu verständlich, dass der Coach von der Beendigung des Coachings überrascht ist. Auch der Ärger darüber, dass professionsfremde Arbeitskolleginnen besser wissen, was der Coachee braucht, ist nachvollziehbar. Am Ende wiederholt sich der Anfang. Der Coachee möchte sich auf keine Auswertungsarbeit einlassen und übernimmt die Regie in der letzten Stunde. Ob die per-

7.4 Praxisbeispiel 29

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sönliche Aufkündigung des Coachings die Vorübung zur Kündigung des Arbeitsplatzes oder eine Ersatzhandlung ist, kann als entlastende Interpretation der beratenden Zunft gewichtet werden, wenn wir mit Gefühlen des Scheiterns in Berührung kommen. Heidi Möller Die Fallbeschreibung führt uns zu einem zentralen Coaching-Thema: Wie gehe ich mit der Wunschwelt der Kunden um? Ich würde vermutlich verwundert bis ärgerlich reagieren, wenn mir mein methodisches Vorgehen vorgeschrieben würde. Die Frage der Gestaltung der Arbeitsbeziehung nimmt in dieser Schilderung gleich an Fahrt auf: Wer folgt und wer führt in diesem Prozess? Wünsche der Kundinnen eins zu eins zu bedienen, halte ich fachlich für nicht vertretbar. Ohne saubere Diagnose zur Differenzialindikation, kann ich noch nicht sagen, welche Methodik wohl angemessen und wirksam sein wird. Ich reklamiere für mich als Coach die Expertinnenschaft für das methodische Vorgehen. Sicherlich ist die körperliche Dimension im Coaching vernachlässigt, sie bedarf aufgrund ihrer Wirkmächtigkeit aber recht viel Obacht und leibtherapeutische Kompetenz. Irritieren würde mich zudem, dass der Kunde der Auffassung ist, dass es ihm gelingen könnte, im Coaching zu monologisieren. Monologisieren bedeutet, nicht im Kontakt mit dem Coach zu sein. Schon bald würde ich die Kontaktgestaltung thematisieren und in keinem Fall geschehen lassen. Es mag eine Sehnsucht aus dem Coachee sprechen, die Einsamkeit aufzuheben, die ihn vermutlich umgibt, wenn er die Erfahrung gemacht hat, nur allzu häufig der Bestimmer zu sein. Es kann sein, dass die Wahrnehmung des Coachs, dass der Klient „inspiriert und gut gestimmt“ aus dem Coaching gegangen ist, nicht stimmt. Es kann aber auch sein, dass die Wahrnehmung eben gerade stimmt, und dann stellte sich auf der vorbewussten Ebene des Coachee eine ganz andere Frage: Darf es mir gutgehen? Darf mir Gutes wiederfahren? Da gibt es einen Coach, der in der Lage ist, so viel wohltuende Gefühlslagen in mir auszulösen, das bringt gefährliche Nähe mit sich. Wenn es mir gut geht, verliere ich meinen sekundären Krankheitsgewinn. Vielleicht hat der Kunde ein inneres Glücksverbot. Er geht inspiriert und gut gestimmt aus dem Coaching und erschrickt sich: Das darf doch nicht sein! Negative therapeutische Reaktion wird dieses Erleben in der Psychotherapie genannt. Die Psyche widersetzt sich dem Fortschritt im Coaching. Die überraschende Wende mag ein Indiz dafür sein. Freud (1923) macht ein unbewusstes Strafbedürfnis für dieses Phänomen verantwortlich. Oberflächlicher interpretiert hieße dies frei nach Tucholsky: Lieber das altbekannte Leid als das unbekannte Glück. Das Erwägen einer negativen Coaching-­Reaktion ist mir wichtig, da es die Gefahren der reinen Lösungsorientierung aufzeigt. Systemischen Interventionen, die naiv davon ausgehen, die Menschen möchten Fortschritt und Bewältigung ihrer Problematiken, liegt dieser Gedanke recht fern. Der Ausgang des Coachings würde mich gekränkt zurücklassen. Die Reaktion des Falleinbringers kommt mir ein wenig vor, wie das Pfeifen im Wald – Vorübung zur Kündigung: Ich möchte keinen Schmerz über ein nicht gelungenes Coaching spüren, auch nicht mit mir hadern und grübeln. Wie aber wollen wir Coachs uns weiterentwickeln, wenn wir alles schönreden müssen?

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

Optimal wären die Gefühle von Ärger, Enttäuschung, Überraschung und Hilflosigkeit zu zweit erlebt worden, jedes davon wäre ein Ansatzpunkt, ein gangbarer Weg für den weiteren Prozess gewesen.

7.5

Praxisbeispiel 30

Fallbeschreibung Der Coaching-Auftrag kam vom internen Institut für Coaching einer großen christlichen Behörde. Eine Coachee in hoher Führungsposition wurde von ihrem neuen Dienstherrn ins Coaching geschickt. Der Dienstherr empfand die Coachee als wenig kooperativ, spröde, unflexibel und wenig lernbereit. Er fand sie falsch am Platz, musste jetzt aber – da sie nun einmal zum engsten Führungsstab gehörte – mit ihr arbeiten. Im Coaching sollte sie sich ändern. Dazu hatte er drei Aufgaben formuliert, die die Coachee im Coaching lernen sollte. Die Coachee erklärte sich bereit, zusammen mit mir zu arbeiten. Sie war der Ansicht: Jetzt steht der Auftrag, jetzt schauen wir mal, was wir daraus machen. Gleichzeitig erklärte sie, dass sie ihren neuen Dienstherrn ebenfalls für unfähig hält und sich bereits überlegt, selbst die Institution zu wechseln. Ich machte mit ihr eine Potenzialanalyse, mit deren Sprache sie in der Auswertung nur wenig anfangen konnte. Sie fand die Sprache hölzern, unsensibel und veraltet. Ich konnte ihr da nur wenig widersprechen. Sie kannte das Enneagramm, was ihr mehr zusagte. Wie ist der Coach vorgegangen? Wir sind die Potenzialanalyse dennoch mit dem Fokus auf die drei Fragen des Dienstherrn durchgegangen. Möglicherweise gab es diesbezügliche Hinweise auf ihre Persönlichkeit, mit denen man weiterarbeiten konnte. Ansonsten hat sie sich einverstanden erklärt, mit den gestellten Fragen zu arbeiten. Sie zeigte sich sehr verletzt durch das verpflichtende Coaching. Mit dieser Verletzung haben wir uns ebenfalls ausführlich beschäftigt. Meines Erachtens gab sie ihr Bestes, obwohl sich ihr Schreibtisch bog und sie während einer weiteren Führungskräfteausbildung für höhere weibliche Angestellte noch ein anderes zusätzliches Coaching hatte. In einem gemeinsamen Gespräch mit dem Dienstherrn konnten nach sechs Stunden Coaching Antworten auf seine Fragen präsentiert werden. Der Dienstherr bot weitere sechs Stunden Coaching für die Führungskraft an. Sowohl die Führungskraft wie auch ich lehnten dies bis zur Beendigung ihrer weitere Führungskräfteausbildung ab. Erst danach wollten wir weitersehen. Inzwischen hat der Dienstherr seine Stelle gewechselt. Kornelia Steinhardt Richtet man den Blick auf die Organisation, so lässt sich erahnen, dass hier eine stark hierarchisch geprägte Kultur herrscht. Hier wird Coaching zu einem Vollstreckungsorgan von Führungsvorgaben. Die offensichtlich konfliktreiche Beziehung zwischen Vorgesetztem und Coachee wird im Rahmen des Coachings nicht reflektier- und bearbeitbar, weil

7.5 Praxisbeispiel 30

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sich der Vorgesetzte dem entziehen kann. Das interne Coaching stellt in dieser Organisation letztlich keinen sozioemotionalen Ort des Reflektierens und (Neu-)Gestaltens der Arbeitsbeziehungen dar. Ganz wesentlich ist hier schon in der Kontraktgestaltung zu Beginn des Prozesses die Triade von Vorgesetztem, Coachee und Coach in die Auftragsklärung einzubeziehen. Mit dieser triadischen Auftragsklärung steht und fällt der Coaching-Auftrag. Denn es ist in dieser gemeinsamen Kontraktphase zu klären, inwieweit das Anliegen des Vorgesetzten zu einem gemeinsamen Auftrag werden kann, der von allen drei Beteiligten getragen wird. Der Prozess der Kontraktgestaltung sollte nicht darauf reduziert werden, dass der Vorgesetzte Anweisungen gibt, was im Coaching bearbeitet werden soll. In der triadischen Auftragsklärung kann überprüft werden, ob Coaching überhaupt das richtige Format ist oder ob die Anliegen des Rahmens einer anderen Fortbildungsmaßnahme bedürfen. Darüber hinaus könnte abgeklärt werden, ob es hier zu einer Verschiebung einer vom Vorgesetzten nicht übernommenen Leitungsaufgabe auf das Coaching kommt. Hier ist die Verführung für einen Coach immer wieder groß, unbewusst die zugeschobene Leitungsaufgabe zu übernehmen und sich nicht auf die eigene Rolle zu besinnen. Es könnte auch geklärt werden, dass Coaching keine Maßnahme der Persönlichkeitsveränderung darstellt, sondern zur Bearbeitung arbeitsbezogener Anliegen dient. Im Rahmen der triadischen Kontraktgestaltung würde dann auch zur Sprache kommen, dass die potenzielle Coachee eine Führungskräfteausbildung absolviert, in der es schon ein begleitendes Coaching gibt. Es könnte dann hinterfragt werden, inwieweit zwei parallele Coaching-Prozesse sinnvoll sind. Mit einer solch sorgfältigen Abklärung in der Kontraktphase könnte die (potenzielle) Coachee ermächtigt werden, für die eigenen Interessen einzustehen. Es könnte überlegt werden, ob ein Coaching mit Vorgesetztem und (potenzieller) Coachee angezeigt ist oder ob ein Einzel-Coaching mit dem Vorgesetzten das Mittel der Wahl wäre – wobei dies kaum im Dreiergespräch angesprochen werden kann. Wolfgang Knopf Hier wird ein spannendes Bild einer Organisation, einer christlichen Behörde, gemalt: Im engsten Führungsstab werden Mitarbeiterinnen vom Leiter, dem Dienstherrn, als unfähig für diese Position bezeichnet. Die Leitung hat aber nicht die Kompetenz, diese Person abzulehnen oder zu entfernen. Es gibt eine nicht genannte obere Instanz über dem Dienstherrn, die entscheidet, die die Macht hat. Aufträge sind zu akzeptieren und werden dann im Konkreten so abgewandelt, wie man es möchte: Jetzt schauen wir mal, was wir daraus machen. Es gibt ein internes Institut für Coaching, also Fremde sollen die Probleme nicht sehen. Und das Wir ist wichtig: Gemeinsamkeit und Abgrenzung nach Außen sind vorrangig. Konflikte werden auf andere Ebenen wie Ausbildungen und Gerüchte verschoben. Verfahren und Prozesse, hinter denen man persönlich inhaltlich nicht steht, werden trotzdem durchgeführt (siehe Potenzialanalyse). Zweimal werden die Attribute spröde (hölzern), unflexibel, wenig kooperativ (unsensibel) und wenig lernbereit (veraltet) in der Beschreibung von Person und Methodik verwendet. Eigenschaften, die auch auf die Organisation zuzutreffen scheinen.

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

In dieser Organisation übernimmt ein interner Coach einen Auftrag, der sich als Weiteroder Ausbildungsaufgabe darstellt. Vielmehr noch, es geht darum, eine Person und die Verhaltensweisen der Coachee zu ändern. Gegen diesen Auftrag wehren sich weder Coach noch Coachee. Im Gegenteil, sie verbünden sich und schauen, was sie daraus machen können. Diese Auftragsinterpretation hat etwas unproduktiv Subversives! Ganz skurril wird es meines Erachtens mit dem Enneagramm als Orientierung. Das Enneagramm wird in der Esoterik zur Entfaltung der Persönlichkeit verwendet. Das beschriebene Vorgehen des Coachs passt zu der eingangs erwähnten Organisationskultur: keinen offensiven Widerstand zeigen; Konflikte delegieren, wie hier in die als Coaching getarnte Weiterbildung; sich anpassen, wenn es sein muss pseudomäßig, und abwarten; Verfahren trotz Skepsis und Kritik doch durchführen. Die Fallbeschreibung zeigt auch eine Problematik interner Coachs auf: Wie sehr können sie in Distanz, in eine kritische Distanz zur eigenen Organisation gehen? Erkennen sie die Dynamiken der Organisation im Kleinen? Wenn es eine interne Instanz für Supervision gibt, wird es mit Sicherheit auch eine für interne Weiterbildung in dieser Organisation geben. Dorthin würde ich als Coach das Ansinnen des Dienstherrn leiten! Ursula Hermann Wenn ein Vorgesetzter zum Thema machen will, welche Wirkung eine Mitarbeiterin auf ihn hat, gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, Feedback zu geben und Interventionen zu setzen. Im beschriebenen Fall wird ein Coach durch das interne Coaching-Institut engagiert, nicht um den Vorgesetzten in seiner Mitarbeiterinnenführung zu unterstützten, sondern, um die Führung auszulagern und aus einer vermeintlich spröden, unflexiblen, wenig kooperativen und wenig lernbereiten Mitarbeiterin durch Coaching das genaue Gegenteil zu machen. Bei der Kontraktierung wurden die Erwartungen des Vorgesetzten – so scheint es – unhinterfragt (vom internen Institut für Coaching und vom Coach selbst) zum Auftrag. Die starke Methodenfokussierung bei der Umsetzung des Auftrags lässt auf ein Coaching-Verständnis schließen, das Beratung mehr von den anzuwendenden Methoden her denkt und das Subjekt der Beratung der Methode unterordnet (vgl. Weigand 2009). In diesem Fall wird der Versuch beschrieben, mithilfe von Coaching Führungsaufgaben an eine Beratung zu delegieren. Als Coach würde ich meine Intervention nicht erst im Lauf des Coaching-Prozesses ansetzen, sondern schon bei der Phase der Kontraktierung. Dem Anliegen des Vorgesetzten, dass sich die Mitarbeiterin in ihrem Auftreten, ihrer Motivation und Haltung durch das Coaching ändern soll und zwar so, wie er sich das vorstellt, wäre ich mit der Frage begegnet, ob ein Gespräch mit dem Vorgesetzten möglich sei, um den Auftrag zu klären. Die Rolle des internen Instituts für Coaching wirkt wie ein verlängerter Arm des Vorgesetzten, daher scheint mir eine konkrete Auftragsklärung mit dem Vorgesetzten und in weiterer Folge auch mit der Coachee entscheidend. Es gilt Klarheit zu bekommen über die Hintergründe der bisherigen Zusammenarbeit und darüber, welche Vorstellungen der Vorgesetzte von Coaching hat. Es ist möglich, dass sich mit der Thematisierung dieser beiden Punkte ein Coaching-Auftrag ergeben hätte, vielleicht für den Vorgesetzten selbst, nicht jedoch ein Auftrag, wie er oben beschrieben wurde.

7.6 Praxisbeispiel 31

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Heidi Möller Das Verblüffende für mich ist: Die Coachee nimmt das verordnete Coaching widerstandslos an. Sie bekommt von ihrem Chef gesagt: „Werde eine andere“ und sie sagt: „Selbstverständlich. Das machen wir jetzt!“ Coaching als eine Kurzintervention zur Persönlichkeitsveränderung zu denken, ist schon fragwürdig genug. Ist doch der Begriff der Persönlichkeit gerade durch Überdauerndes, Wiedererkennbares, Stabiles gekennzeichnet. Das Vorgehen im Coaching über eine wie auch immer angelegte Potenzialanalyse, heißt ja als Botschaft des Coachs: „Ich gehe jetzt an die archäologische Arbeit und schaue, was ich noch für unentdeckte Schätze heben kann, damit diese dem obersten Dienstherrn gefallen.“ Zunächst aber scheint der Coach die Persönlichkeitsanalyse des Chefs zu übernehmen: spröde, unflexibel, wenig kooperativ und lernbereit. Durch diese Perspektivübernahme würde ich mich als Mitaggressor fühlen. Dass die Coachee diese Sichtweise übernimmt und sich auf den Weg macht, hat für mich fast masochistisch anmutende Züge. Zudem sehe ich eine Überschätzung des Formats Coaching. Da soll jemand von spröde nach geschmeidig, von unflexibel nach flexibel, von unkooperativ auf Kooperation getrimmt werden und dann noch lernfähig sein. Es scheint aber für den Coach kein Thema zu sein, dass diese Ziele gar nicht erreichbar sind. Vielleicht sind die oben beschriebenen Merkmale für die Funktion der Coachee sogar nützlich!? Pseudoanpassung und Abwarten waren zumindest in diesem Fall die richtige Wahl, der Chef ist weg. Die Willfährigkeit der Coachee lässt sich sowohl als subversive Geste, als auch als Unterwerfungsakt lesen. Sich dem Chef an der Stelle zu verweigern, hätte Konsequenzen – insofern ist die Frage der Freiwilligkeit beim Coaching in Organisationen immer zu stellen.

7.6

Praxisbeispiel 31

Fallbeschreibung Eine Bereichsleitung eines Altenhilfeträgers fragte mich für ein Coaching einer Hausleitung an. Es gebe Kommunikationsprobleme zwischen der Leitung und dem Team. Nach einem Sondierungsgespräch zwischen Bereichsleitung, Hausleitung und mir, erhielt ich den Auftrag für ein Coaching, bei dem die Kommunikationskompetenz der Hausleitung gefördert werden sollte. Bereits in der ersten Coaching-Sitzung musste ich die Einschätzung der Problematik durch die Bereichsleitung als nicht angemessen bewerten. Ich habe von da an die Kontraktentwicklung mit der Hausleitung fortgeschrieben. Das Thema des Coachings war jetzt die Frage, wie die Hausleitung ihr verwahrlostes Team an Regeln bindet und das Team nicht weiter mit ihr als Leitung um das Recht kämpft, Arbeitsweisen und Kooperationsformen zu bestimmen. Das Team war zuvor mehrere Jahre ohne Leitung und habe eigene Arbeitsweisen entwickelt, die häufig nicht den Regelvorgaben entsprächen. Meine Konfliktspannung: Habe ich mich zu sehr mit der Hausleitung verbündet? – Nach meiner Überzeugung war dieses Arbeitsbündnis die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und für die positive Entwicklung der Arbeit des Hauses.

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

Wie ist der Coach vorgegangen? Am Ende der vertraglich festgelegten zehn Sitzungen schlage ich ein abschließendes Gespräch mit der Bereichsleitung vor, um den Prozess und dessen Ergebnisse auszuwerten. Andreas Knierim In vielen Punkten deckt sich die Schilderung der Auftraggeber, hier die Bereichsleitung, wenig bis gar nicht mit der des Coachee, hier die Hausleitung. Da der Kontrakt mit der Bereichsleitung vereinbart wurde, sollten Änderungen mit dieser gemeinsam abgesprochen werden, damit später, z. B. in einem gemeinsamen Bilanzgespräch, die Ergebnisse verwertbar sind. Hier sieht es nach einer einseitigen Umdeutung des Kontrakts aus. Hier würde ich direkt am Anfang des Prozesses ansetzen und das Sondierungsgespräch anders gestalten: Wie beim Dreieckskontrakt üblich, sitzen beim Erstgespräch der Coachee, die Führungskraft, der Coach und eventuell noch jemand aus der Personalentwicklung am Tisch. Was ich hilfreich finde – und immer sehr formal gestalte – ist der Ablauf in diesem Dreiergespräch mit konkreten Fragen. Im ersten Teil – hier würden sowohl die Haus- als auch die Bereichsleitung gemeinsam am Tisch sitzen – stelle ich als Coach die Frage, die dem Vorgesetzten oder dem Chef gestellt werden kann: Was ist nach dem Coaching mit der Hausleitung anders? So bekomme ich als Coach konkrete Antworten, dokumentiere und werde beim späteren Bilanzgespräch darauf verweisen. Im zweiten Teil wird das Gespräch nur mit dem Coachee weitergeführt – der Auftraggeber ist nicht mehr dabei – und ich stelle die Frage erneut: Dann also unter uns im Vertrauen – das bleibt auch hier Raum – was ist denn Ihr Gewinn am Ende des Coachings? Ich vermute, dass sich in diesem Austausch die Divergenz zwischen den Zielen der Bereichsleitung und dem Coachee schon vor dem eigentlichen Coaching zeigt – darauf können wir reagieren und z. B. mit der Bereichsleitung einen veränderten Kontrakt schließen. Zur Frage des Settings will ich sagen: Nach meiner Erfahrung gibt es die Möglichkeit, mit einem Coach-Kollegen Leitung und Team getrennt zu coachen. Mit dem Auftraggeber wird vereinbart, dass sich beide Coachs im Lauf des Coaching-Prozesses allein austauschen können. Beide Positionen (Team und Leitung) können in diesen Gesprächen auftauchen, beide Coachs könnten Deutungen und Arbeitshypothesen einbringen und mit diesen Anregungen wieder in ihre jeweiligen Coaching-Prozesse gehen. In dieser Auswertung, einer Intervision sehen wir die eigenen blinden Flecken, die Ausgangspunkt für eine anschließende Supervision sein können. Im Einzel-Coaching verbünde ich mich immer mit meinem Klienten, um die Vertrauenssituation zu stabilisieren. Wir würden gemeinsam ergründen, was genau die Verwahrlosung überhaupt ausmacht, warum der Coachee hier stark wertet und vielleicht projiziert. Das Verbünden als vertrauensbildende Maßnahme würde ich nach einigen Sitzungen im Coaching-Prozess ansprechen und reflektieren: Was geschieht, wenn wir uns verbünden? Wo findet die Verbündung vielleicht im Team statt, dessen Spiegel wir gerade sind? Ein Schritt in die Metaposition unterstützt das Verlassen der Rollen: sowohl für den Coachee, der sein Arbeitsteam und sich selbst sehen kann, als auch für den Coach, der in

7.6 Praxisbeispiel 31

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seiner Supervision ebenfalls wahrnehmen kann, was er im Arbeitsprozess mit dem Coachee übersehen hat. Als Format hat sich in meiner Supervision die systemische Aufstellung bewährt: Im besprochenen Fall wäre das Klientensystem und die Rolle des Coachs schnell sichtbar. In einer Aufstellung habe ich einen Stellvertreter und sehe oft nach ein paar Minuten, wo die Problematik liegt, wo ich als Coach zu sehr involviert war, wo ich zu stark verbündet war. Regina Gibhardt Die Schilderung des Falls lässt die Vermutung zu, dass in dem Gespräch zwischen Bereichsleitung und Hausleitung zu wenig nach den Ursachen für die aktuelle Situation gefragt und diese zu wenig beleuchtet wurde. Ein Klassiker als Hintergrund für Beratungsanfragen ist häufig, dass ein Schuldiger gesucht und auch schnell gefunden wird, wenn etwas nicht läuft. Dabei bleibt natürlich der komplette Systemzusammenhang außen vor. Wäre schon im ersten Gespräch deutlich geworden, dass es sich hier in erster Linie um eine Systemdynamik und in zweiter Linie um ein Kommunikationsthema handelt, wäre auch ein sinnvollerer Coaching-Auftrag dabei entstanden. Bereichs- und Hausleitung hätten ein gemeinsames Verständnis über das eigentliche Coaching-Ziel. Die Aussage, dass es sich um ein „verwahrlostes Team“ handelt, macht deutlich, dass hier wohl ein etwas längerer Prozess benötigt wird. Das muss mit den beiden Führungskräften besprochen und dabei festgelegt werden, welche Meilensteine erreicht werden sollen und woran klar wird, dass diese erreicht wurden. Dazu gehört natürlich auch, dass von Zeit zu Zeit ein Coaching gemeinsam mit der Bereichs- und Hausleitung stattfindet, um zu überprüfen, ob alle Beteiligten auf einem sinnvollen Entwicklungsweg sind. Im eigentlichen Coaching-Prozess würde ich folgende Leitfragen im Blick haben: Wer braucht was von wem? Wo fehlt es an Transparenz und guter Kommunikation? Welche Selbstorganisationsmethoden können hilfreich sein? Welche neuen Spielregeln würden dem Team gut tun? Welche Einflüsse auf das Team von außen sind hinderlich? Welches zusätzliche Führungs- und Kommunikations-Know-how braucht die Hausleitung? Nützlich wäre sicher auch zu erfragen, warum der Bereichsleitung nicht klar war, dass das Team verwahrlost ist. Was wurde in der Vergangenheit getan, um diesen Zustand zu ändern bzw. was wurde nicht dafür getan? Grundsätzlich vereinbare ich im gemeinsamen Gespräch zwischen Auftraggeber und Kunde, dass ich für die Person arbeite, die ins Coaching kommt, und zwar immer vor dem Hintergrund der Frage, was die Organisation braucht. Ich mache deutlich, dass im Coaching-­Verlauf Themen auftauchen können, die eine erneute Abstimmung bzw. Korrektur des Auftrags erfordern. Und ich weise darauf hin, dass durch ein Coaching auch sichtbar werden kann, dass sich die gemeinsamen Wege trennen könnten. Abgesehen von der nicht genügenden Auftragsklärung habe ich mir bei dieser Fallschilderung die Frage gestellt, ob der Coach wohl ein eigenes Parentifizierungsthema mit in den Auftrag hineinbringt. Wenn ein Coach mit dem Thema Sich-verbünden eigene ungelöste systemische Baustellen oder blinde Flecken hat, kann es in der Folge eben auch zu einer solchen Auftragskonstellation kommen. Unter Parentifizierung wird die Umkehr der

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

Eltern-Kind-Beziehung verstanden: Kinder übernehmen die Elternrolle oder werden in ungute Loyalitätskonflikte hineingezogen. Klassische Parentifizierungsdynamiken sind z. B.: Die Mutter bespricht mit dem Kind Dinge, die sie eigentlich mit dem Vater besprechen sollte, es aber aus einer Konfliktscheu heraus nicht tut. Der Sohn wird zum emotionalen Ersatzmann, weil der Vater durch eigene Traumata nur physisch, nicht aber emotional in der Familie anwesend ist. Wenn ein Coach mit dem Thema Sich-verbünden eigene ungelöste systemische Baustellen oder blinde Flecken hat, kann es in der Folge auch zu einer solchen verwickelten Auftragskonstellation kommen. Zu Beginn eines Coaching-Prozesses und in Sondierungsgesprächen mit Dritten verdeutliche ich grundsätzlich meine Haltung als Coach: Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, mich so zu verhalten, dass ich Auftraggeber und Kundinnen gefalle. Meine Haltung als Coach ist vielmehr, zu Bewusstsein, Entwicklung und Know-how-Zuwachs im Coaching-­ Kontext beizutragen. Das bedeutet auch, dass ich unangenehme Dinge thematisiere und den Finger in die Wunde lege. Wenn diese Vorgehensweise für die Beteiligten als genauso essenziell angesehen wird wie für mich, ist eine gute Arbeitsgrundlage gegeben. Des Weiteren weise ich zu Beginn auch darauf hin, dass ich den Prozess gern in andere Hände abgebe, wenn ich den Eindruck gewinnen sollte, mit meiner Kompetenz nicht mehr hilfreich sein zu können. An diesen Punkt meines Selbstverständnisses als Coach zu kommen, war natürlich auch ein persönlicher Entwicklungsprozess, in dem ich alte Verstrickungsmuster und Glaubenssätze über Bord werfen durfte. Jannik Zimmermann Im berufsbezogenen Coaching beeinflusst die Organisation, für die ein Coachee arbeitet, den Coaching-Prozess vielseitig. Hierdurch entstehen mitunter Herausforderungen (vgl. Louis und Fatien Diochon 2014), denen man an verschiedenen Stellen eines Coachings begegnen kann. Dies wird auch im beschriebenen Fall deutlich: Nach kurzer Zeit stellt sich der Auftrag, den die Bereichsleitung erteilt hat, als nicht zielführend heraus. Der Coach sieht sich im weiteren Verlauf mit unterschiedlichen Interessen, Forderungen und Meinungen konfrontiert; es ergibt sich für ihn die Frage, wie er sich positionieren soll. Er entscheidet sich dazu, vom ursprünglichen Auftrag abzuweichen, hat hierbei jedoch Bedenken, sich zu sehr mit der Hausleitung zu verbünden. In dem beschriebenen Fall besteht ein Unterschied zwischen dem ursprünglich von der Organisation erteilten Auftrag und den zwischen Coach und Coachee erarbeiteten und gewünschten Zielen des Coachings. Auch scheint es, dass die Interessen der drei beteiligten Parteien Coach, Hausverwaltung und Bereichsleitung nicht balanciert sind. Darüber hinaus besteht Unsicherheit des Coachs, ob er seine Allparteilichkeit als Coach gewahrt hat. Mit einer solchen Situation als Coach umzugehen, ist auf verschiedene Art und Weise möglich. An dieser Stelle möchte ich kurz auf drei unterschiedliche Ansatzpunkte eingehen.

7.6 Praxisbeispiel 31

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Den ersten Ansatzpunkt sehe ich in der (Selbst-)Reflexion des Coachs. Mögliche Fragen, die hierfür herangezogen werden können, lauten: Wem gegenüber fühle ich mich im Coaching verpflichtet? Ab welchem Punkt fühle ich mich mit einer Partei verbündet? Wie gehe ich mit den einzelnen Parteien um, wenn eben diese Parteien unterschiedliche Interessen haben? Für diese Reflexion bieten sich neben der Selbstreflexion der kollegiale Austausch oder eine Supervision an. In Rahmen einer solchen Reflexion ist es möglich, an der eigenen Haltung zu arbeiten, um mit derartigen Situationen zukünftig sicherer umzugehen. Auch werden gegebenenfalls neue Impulse vermittelt, in Form von Denkanstößen und neuen Lösungswegen. Einen zweiten Ansatzpunkt sehe ich in der Diagnostik im Coaching (vgl. Möller und Kotte 2013). Insbesondere wenn der ursprüngliche Auftrag der Organisation und die erarbeiteten Ziele im Coaching nicht übereinstimmen, ist es hilfreich, die eigenen Arbeitshypothesen zusätzlich abzusichern. Dies bezieht sich vornehmlich auch auf Annahmen zu bestehenden Problemen und bestehenden Zielen. Hierdurch ist es dem Coach möglich, die eigenen Arbeitshypothesen vor der beauftragenden Partei sicherer vertreten zu können und zusätzliche Klarheit für das eigene weitere Vorgehen zu gewinnen. Den dritten Ansatzpunkt sehe ich in der Kontraktgestaltung und der Einbeziehung der Organisation. Bei der Kontraktgestaltung gilt es, die Interessen der beteiligten Parteien möglichst ausgewogen zu berücksichtigen. Stellt sich der Kontrakt und Auftrag als zu starr und nicht zielführend heraus, ist es sinnvoll, frühzeitig mit allen drei Parteien zu sprechen. Lässt ein Kontrakt einer Person in der Rolle als Coach keinerlei Spielraum, auf Veränderungen im Coaching-Prozess zu reagieren, kann in einem derartigen Zwischengespräch darüber verhandelt werden, den Kontrakt anders zu gestalten. Peter Döring Zunächst kommt es seitens des Beraters zu einer unkritischen Übernahme der Problemdefinition der Bereichsleitung. Auch die Hausleitung, deren Kommunikationskompetenz ja hier als Problem adressiert wird, ist bei diesem Gespräch anwesend und stimmt durch ihre Anwesenheit implizit der Problemdefinition zu. Anschließend jedoch schreibt der Berater die Kontraktentwicklung gemeinsam mit der Hausleitung fort, ohne die Bereichsleitung in diese Veränderung einzubinden. Er übernimmt jetzt die Problemdefinition der Hausleitung. Abschließend fragt sich der Berater, ob er sich zu sehr mit der Hausleitung verbündet hat. Auch, wenn sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Hausleitung entwickelt hat, die zu einer positiven Entwicklung der Arbeit des Hauses führte, würde ich diese Frage mit einem Ja beantwortet. Durch das Bündnis mit der Hausleitung bleibt die Differenz in der Problemdefinition zwischen Bereichsleitung und Hausleitung ungeklärt. Auch wird die unterwürfige Haltung der Hausleitung nicht zum Thema; im gemeinsamen Gespräch stimmt sie der Problemdefinition der Bereichsleitung zunächst zu, widerspricht allerdings dem Berater im ersten Gespräch so deutlich, dass dieser sich der Hausleitung anschließt. Wenn das Team tatsäch-

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

lich verwahrlost sein sollte, weil es mehrere Jahre ohne Leitung eigene Arbeitsweisen entwickelt hat, so wäre zu klären, wer dies zu verantworten hat. Dadurch, dass hier eine Klärung der Verantwortung offenbleibt, wird die Chance vertan, ein gemeinsames Problem- und Aufgabenverständnis zwischen Bereichsleitung und Hausleitung zu erarbeiten. Ein Risiko des Vorgehens des Beraters liegt schließlich auch darin, dass er einen Konflikt mit der Bereichsleitung fürchten muss, wenn diese mitbekommt, dass er nicht im Sinn des mit ihr vereinbarten Auftrags arbeitet. Als im ersten Gespräch deutlich wurde, dass die Hausleitung eine ganz andere Pro­ blemdefinition hat, hätte ich dies als Coach zunächst mit ihr thematisiert und z. B. gesagt: „Das ist ja interessant, das wirkt ja jetzt ganz anders als im Gespräch mit Ihrer Führungskraft auf mich.“, um sie anzuregen, zunächst selbst etwas dazu zu sagen. Wichtig wäre für mich, ein erneutes gemeinsames Gespräch mit beiden Parteien zu initiieren, um den Auftrag neu zu klären. Hier wäre das Ziel, die unterschiedlichen Sichtweisen zum Thema zu machen und den Auftrag entsprechend anzupassen. Für die Auftragsklärung läge mir ein anderes Vorgehen näher: Bei Aufträgen mit einem Problemfall werde ich schnell hellhörig und schlage vor, in einem ersten Auftragsschritt Interviews mit den verschiedenen Beteiligten zu führen (hier Bereichsleitung, Hausleitung und Teammitglieder). Dabei würde ich die Gespräche mit den Teammitgliedern in zwei oder drei kleinen Gruppen führen. Aus den Inhalten würde ich eine Analyse erstellen und einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen machen – z. B. einen Workshop zur Klärung von Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen Team und Hausleitung. Mir liegt ein solches Vorgehen näher, mit dem die unterschiedlichen Sichtweisen der Beteiligten gehoben werden, die sonst unter dem Teppich bleiben. Gleichzeitig wäre es mein Ziel, dass alle Parteien (hier mindestens drei) mir vertrauen, dass ich einem übergeordneten Klärungsinteresse verpflichtet bin. Bei meinem Vorgehen könnte das dazu führen, dass ich den Auftrag dann nicht bekomme, weil dieser zu kompliziert und aufwendig ist. Für mich hat es sich allerdings bewährt, dies in Kauf zu nehmen, um nicht für Interessen eingespannt zu werden, die ich nicht ausreichend verstehe. Claudia Bredt Es scheint so, als ob der Coach von zwei entgegengesetzten Tendenzen im Fühlen und Handeln umgeben berät und sich damit in einen intrapersonalen Konflikt begibt: Einerseits fühlt sich der Coach dem Auftrag der Bereichsleitung zur Verbesserung der Kommunikationskompetenz der Hausleitung verpflichtet, andererseits dem eigentlichen Anliegen der Hausleitung: Wie führe ich das Team? Er löst den Konflikt vordergründig durch die Überzeugung, dass das Arbeitsbündnis Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und für die positive Entwicklung der Arbeit des Hauses ist. Doch der Konflikt bleibt: „Habe ich mich zu sehr […] verbündet?“ Der Coach hat sich hiermit in einen Delegationsprozess von Schuld ziehen lassen, der möglicherweise von Anfang an eine klare Kontraktierung im Sondierungsgespräch erschwerte. Eine mögliche Hypothese lautet: Die Bereichsleitung ließ es zu, dass die Stelle

7.6 Praxisbeispiel 31

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der Hausleitung mehr oder weniger lang vakant blieb. Möglicherweise hat sie wenige Kenntnisse über die Arbeitsweise des Teams. Die Fürsorgepflicht für ihren Aufgabenbereich scheint sie damit zu meiden. Die damit verbundene Schuld wird an die Hausleitung und auch an den Coach, der es richten soll, übertragen: Der Hausleitung mangelt es an Kommunikationskompetenz. Damit delegiert die Bereichsleitung auch einen Teil ihrer Verantwortung an den Coach. Die Hausleitung delegiert die Schuld an das Team, schildert es als „verwahrlost“. Der Coach übernimmt diese Schuld durch den Verbündungsgedanken. Zunächst scheint der Coach die Problemdefinition der Bereichsleitung zu übernehmen, in der ersten Sitzung beurteilt er die Sichtweise der Bereichsleitung aber als nicht angemessen und schließt sich der Interpretation der Hausleitung an. Er stellt sich neben die Hausleitung, um die Regelvorgaben im Team durchzusetzen. Der Coach scheint nur die Möglichkeit zu haben, dem einen oder anderen gegenüber loyal zu sein. Eine dritte Position wird nicht ersichtlich. Eine Interventionsrichtung wäre, bereits im Kontraktgespräch die verschiedenen Per­ spektiven zu explorieren: Die Sicht des Teams, die Sicht der Bereichsleitung und die Sicht der Hausleitung. Beachtet werden sollten hierbei explizit auch die organisationalen Bedingungen zur Entstehung der Situation. Dann würde die Schuldthematik nicht den Blick im Beratungsprozess verengen. Heidi Möller Die Bewertung eines Teams als verwahrlost schwebt im Raum. Darin zeigt sich eine Distanznahme der Hausleitung zu diesem Team: Mit denen möchte ich eigentlich lieber nichts zu tun haben. Oder: Ich finde hier eine Mitarbeiterschaft vor, die meinen Vorstellungen über gutes Arbeiten nicht entspricht. Es schwingt ein erzieherischer Aspekt mit, dass dieses Team erzogen oder gewaschen werden muss, oder was immer man mit Verwahrlosten macht. Diese Perspektive mag als ein Hinweis auf die Organisationskultur der Altenhilfe verstanden werden. In diesem Feld zu arbeiten, heißt ja, sich stetig im Defizit zu fühlen: zu wenig Zeit, zu wenig Personal usw. Ein chronifiziertes Schuldgefühl begleitet Altenhelferinnen; sie können die Nähe der oft fehlenden Angehörigen nicht ersetzen, sie haben begrenzte Ressourcen, z. B. Demenzkranke zu füttern und geben dennoch ihr Bestes. Die organisationale Dynamik dieser Branche spiegelt sich in den Seelen der Mitarbeiterinnen: die ständige Gegenwärtigkeit des Sterbens, die Ohnmacht den Alterungsprozessen gegenüber. Die Gefahr des Bündnisses zwischen Hausleitung und Supervisorin ließe sich mit dem Abwehrmechanismus der Paarbildung nach Bion (vgl. Lohmer und Möller 2019; Möller et al. 2018) beschreiben. Die Stabilität in der Paarbildung zu suchen, dient der Angstabwehr, so droht eine Front: zwei gegen das Team. Das Fallbeispiel zeigt anschaulich, wie schwer es oft ist, das professionelle Über-Ich der Allparteilichkeit, der Neutralität oder Abstinenz zu realisieren. Parteilichkeit kann nach den vorbewussten psychodynamischen Mechanismen untersucht und zugleich einer Realitätsüberprüfung unterzogen werden. Gelingt es mir, gut zu triangulieren, obwohl die Machtverhältnisse unterschiedlich sind und klar ist, wer die Kosten trägt?

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7  Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation

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Literatur

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Schlussbetrachtungen

In Gestaltsprache ausgedrückt, kann man davon ausgehen, dass die in der Online-­ Befragung geschilderten Situationen, die als Vorlage für die 31 diskutierten Praxisbeispiele dienten, keine geschlossenen Gestalten sind. Ich werde als Coach in einem Fragebogen aufgefordert, schwierige Situationen meiner Beratungspraxis zu schildern. Wir können davon ausgehen, dass mir als Befragter Geschichten einfallen, die noch nicht ausreichend verstanden oder verdaut sind. Etwas fehlt, um diese einfach im Gedächtnis abzulegen oder womöglich zu vergessen. Die Hintergründe können vielfältig sein: Es mag um Kränkungen gehen, mein professioneller Selbstwert mag in der Situation angekratzt worden sein oder eine diffuse berufsbezogene Unzufriedenheit hält sich bis zum Zeitpunkt der Befragung. Die Teilnahme an einer solchen Befragung kann also auch als vorbewusster Problemlöseversuch gelesen werden. Vielleicht steht der Wunsch hinter der Beteiligung an der Forschung, eine ungute Situation möge einer Lösung zugeführt werden. Im günstigsten Fall erkennen sich die Kolleginnen wieder, lesen die Kommentare der Teilnehmenden der Gruppendiskussionen und erfahren konstruktive Hinweise, die ihnen die Situation besser begreiflich machen. Die eine oder andere Perspektive mag zukünftig in der Berufspraxis Berücksichtigung finden. Auf diese Weise könnte die Gestalt geschlossen werden. Die Beschreibungen der Situationen unterliegen sicherlich einer nachträglichen Bearbeitung. Wir alle wollen uns kompetent, fachlich versiert und souverän fühlen. Unser Gedächtnis verleiht schwierigen beruflichen Situationen eine Weichzeichnung. Unter diesem Blickwinkel nimmt es nicht wunder, dass manche der beschriebenen Szenen sich nicht wie schwierige Situationen darstellen, sondern wie Heldengeschichten, da die Auflösung des Falls den gekonnten Umgang mit den Herausforderungen beschreibt. Das Ausfüllen eines Fragebogens setzt zumeist eine imaginative Gesprächspartnerin voraus. Ich erzähle meine Geschichte einer unsichtbaren Anderen: In diesem Fall dem

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Möller, J. Zimmermann, Schwierige Situationen im Business-Coaching, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31076-9_8

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Forschungsteam der Universität Kassel, Lehrgebiet Theorie und Methodik der Beratung. Das professionelle Über-Ich mag gern gut dastehen wollen. Die Untersuchung von Hinn et al. (2015) zeigt, dass nicht schlechter dastehen zu wollen, als die oft nur fantasierten besseren Kolleginnen ein oft genannter Hinderungsgrund ist, sich an Coaching-­Forschung zu beteiligen. Forschung kommt in die Rolle eines Zensors, der die Spreu vom Weizen trennt. Trotz vollständiger Anonymisierung scheinen Forschungspartner sich mit ebenfalls unsichtbaren Anderen zu vergleichen und es scheint wichtig zu sein, in diesem imaginären Konkurrenzkampf gut abzuschneiden. Zu coachen ist ein einsamer Beruf. Die Türen sind geschlossen, wir sind allein mit der Kundin. Lediglich in Supervisions- oder Intervisionsgruppen oder, wenn es eine Praxisgemeinschaft gibt, im Gespräch mit Kollegen werden Fragen gestellt, Fehler eingeräumt und Irritationen eingestanden. Ich bin allein mit der Frage: Wie gut bin ich als Coach? In weniger einsamen Berufen habe ich die Möglichkeit, mich täglich zu messen und dadurch eine sichere berufliche Identität zu entwickeln. Als Autoverkäuferin weiß ich, wie viele Autos ich im Vergleich zu meinen Kollegen umgesetzt habe. Als Coach weiß ich es nicht und bin meinen inneren Bewertungsmustern ausgeliefert und diese sind nicht immer freundlich gestimmt. Kompetenzzweifel sind die Folge. Zu coachen heißt sein Angebot, seine Arbeitskraft zu Markte zu tragen. Das kollektive mentale Modell der Community scheint zu lauten: Nur perfekte Coachs machen ihr Geschäft! In Akquise-Situationen braucht es „impression management“! Wir glauben das nicht, denn Verkauf kann auch über Authentizität erfolgreich sein. Den Mut zu haben, zu zeigen, dass ich nicht alles kann, hilft auch den Kunden, die unter Umständen selbst einer dysfunktionalen Perfektionismusdoktrin unterliegen. Das Buch will hier einen Beitrag leisten und wir hoffen, dass Sie sich alle wohlfühlten, in einer Gemeinschaft unvollkommener Coachs! Folgen wir Schröder und Davis (2004), bietet sich für die Hintergründe schwieriger Situationen – zumindest in der Psychotherapie, wo schon vergleichsweise viel Forschung zu diesem Gebiet vorliegt – folgende Klassifikation an: Schwierige Situationen sind zu erklären durch • schwierige Rahmenbedingungen (Krisen in der Organisation, Setting-Struktur, Corona-­ Pandemie usw.); • Kompetenzzweifel oder -defizite der beratenden Partei (fehlendes Wissen, fehlende methodische Expertise etc.); • Merkmale der beratenden Partei (interpersonelle Schwierigkeiten mit spezifischen Menschen, persönliche Vulnerabilitäten, eigene, nicht verarbeitete Thematiken usw.). Schröder weist in seiner Publikation 1997 auch die Kategorie schwieriger Patient als Erklärungsmodus aus. In unserem Kontext werden Coachees als schwierig erlebt, wenn sie blockieren, wir sie unsympathisch finden, uns ihre Werte und Ansichten widerstreben und vieles andere mehr.

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In der Online-Befragung wiesen die geschilderten schwierigen Situationen wiederholt verbindende inhaltliche Aspekte auf. Zu nennen sind hier • Verhaltensweisen der Coachees (Unzuverlässigkeit, hoher Redebedarf usw.); • Herausforderungen bei psychischen Problemen der Coachees (Abgrenzung des Coachings zur Psychotherapie, Weiterleitung des Coachee usw.); • Erwartungen an die Coachs, ausgehend von den Coachees (nach hoher Solidarität, Erfüllung anderer Dienstleistungen etc.); • anspruchsvolle Arbeits- oder Lebensbedingungen aufseiten der Coachees (Lebenskrisen, Mobbing usw.); • (geringe innere) Abgrenzung der Coachs (Verliebtsein, Vorbehalte etc.); • Verhaltensweisen der Coachs (Übergriffigkeit, unangemessenes Handeln usw.); • Einfluss (aus) der beauftragenden Organisation (Zwangs-Coaching, Missverständnisse in der Auftragsklärung etc.). Interessanterweise sind die meisten der Fallbeispiele diesen Klassifikationen zuzuordnen. Das Problem wird oft bei dem Klienten verortet, vielfach den Coachees attribuiert. Sehr viel weniger wird von den eigenen Überforderungsgefühlen berichtet. Selten lasen wir von Hilflosigkeitsgefühlen, von Ärger auf den Coachee, von andauernden Grübeleien, Angst oder gar somatischen Reaktionen, wie sie in der Psychotherapieforschung als Antwort auf schwierige Klientinnen vielfach beschrieben sind (vgl. Odyniec et al. 2016). Sicher, unsere Klientel ist anders, aber die wenigen Berichte über Kompetenzzweifel oder Überforderungsgefühle der Coachs können auch mit dem „impression management“ der Coaching-Community zu tun haben. Das ist schade, denn die Psychotherapieforschung zeigt, dass häufige Kompetenzzweifel von Therapeuten mit einer besseren Beziehungsqualität und besseren Therapieergebnissen korrelieren (vgl. Nissen-Lie et al. 2010, 2015). Selbstzweifel sind also durchaus förderlich, sie erhöhen die Qualität der Arbeit und fördern Selbstreflexion. Die Voraussetzung aber, dass aus Selbstzweifel eine Verbesserung des Coaching-Angebots resultiert, ist, dass die Selbsthinterfragung aus einer wertschätzenden Haltung sich selbst gegenüber erfolgt. Nur unter dieser Bedingung kann das Infragestellen des eigenen professionellen Tuns zu einer Qualitätsverbesserung beitragen. Eidenschink beschreibt es in der Gruppendiskussion folgendermaßen: „Ich sage zu unseren Ausbildungsteilnehmern: ‚Ihr könnt so selbstkritisch sein, wie ihr wollt. Nur nicht während ihr arbeitet.‘ Sonst nehme ich es mir übel und immer, wenn ich mir was übelnehme, wird es schwerer, wird die Schwelle damit in den Kontakt zu gehen oder freundlich mit mir zu sein, höher.“ Unsere Kundinnen kommen mit ihren schwierigen Situationen zu uns, so ist es nahezu folgerichtig, dass auch wir Coachs von Zeit zu Zeit irritiert und verunsichert sind, den Eindruck haben, festzustecken und nicht recht weiter zu kommen. Nicht alle Coachs werden ein und dieselbe Situation als schwierig erleben. Manch ein Leser mag sich bei den Fallbeschreibungen fragen, was soll denn daran schwierig sein? Nehmen wir das Stress-

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modell von Lazarus (vgl. Lazarus und Folkman 1987; Abschn.  1.2) zur Erklärung ­schwieriger Situationen zur Hand, dann sind es immer bewertete innere oder äußere Anforderungen, die herausfordern. Als schwierig wird eine Situation dann bewertet, wenn die vorhandenen Handlungsstrategien und/oder fachlichen und persönlichen Ressourcen als nicht ausreichend gesehen werden. Die professionellen Coping-Strategien kommen an eine Grenze, die Anforderungen des jeweiligen Coaching-Prozesses lassen sich nicht einfach mit den erworbenen Routinen beantworten. Dann tritt ein Störgefühl ein, dem unsere Forschungspartnerinnen in ihren Antworten Ausdruck verliehen. Die psychodynamisch orientierten Coachs (Eidenschink, Lohmer, Giernalczyk) aus der Münchner Gruppendiskussion zogen am Ende Bilanz. Was sie über die behandelten Fälle hinweg beobachten konnten ist, dass es oft dann zu Krisen im Coaching kommt, wenn die Fähigkeit, in die Metaebene zu wechseln, verloren geht. Wir alle kennen Verwicklung und Verstrickung (vgl. Lohmer 2019) – diese sind dadurch gekennzeichnet, dass Agieren und Gegenagieren dominieren und der Absprung in die Metaebene nicht mehr gelingt. Hier braucht die Coach entweder supervisorische Hilfe oder sie kann ihre eigene selbst-­ supervisorische Haltung aktivieren: Was passiert hier gerade mit mir? Was passiert hier gerade mit uns? Komisch, warum bin ich gerade so streng? Komisch, warum bin ich so ungehalten? Warum will der Klient gerade aufspringen? Eine „Lösung erster Ordnung“ (Watzlawick et  al. 1979) aus der Verwicklung wäre demnach die Selbstbefragung oder Gegenübertragungsanalyse: Komisch, was ist hier gerade? Komisch, ich verhalte mich anders als normal. – Ein Denken und Sprechen mit sich selbst. Das kann dann auch in ein lautes Denken und Sprechen mit dem Klienten übergehen: „Mir fällt gerade auf, ich kann mir noch keinen Reim darauf machen.“ Da kann auch der Humor helfen: „Ich habe das Gefühl, ich möchte Sie fast an die Wand stellen, sowas kenne ich gar nicht von mir. Was ist denn da los?“ Eine Lösung zweiter Ordnung läge dann in der supervisorischen Arbeit nach dem Eintreten der Verwicklung mit der Hilfe von anderen. Ich schildere den Fall in einer supervisorischen Sitzung, dadurch kommen Gruppenmitglieder und Supervisor in die Lage, sich mit mir und dem Klienten zu identifizieren, blinde Flecken zu beleuchten und die Fähigkeit des Coachs, in die Metaebene zu gehen, zu stärken. In der Supervision der Coaching-­ Prozesse könnte die zentrale Frage lauten: Wie kann ich selbst in meinem inneren Dialog eine solche Triangulierung herstellen, dass ich mich aus einer exzentrischen Position – von außen – beobachten kann? Im Coaching wird viel zu Fehlerfreundlichkeit im Unternehmen gearbeitet. Diese muss aber einhergehen mit der Frage: Wie kann ich als Coach fehlerfreundlich mit mir umgehen und Fehler als wichtigen Hinweis gewichten. In der übertragungsfokussierten Methode Kernbergs (vgl. Yeomans et al. 2017), so schildert Lohmer, wäre der Weg: „Interessant, dass ich gerade auf diese Weise reagiere und wir jetzt eine Spannung zwischen uns haben. Wie geht es Ihnen denn damit?“ Ich erlaube mir also zunächst einmal erschrocken, verärgert und beschämt über mich zu sein, bagatellisiere es nicht – gehe dann weiter und nutze diese Empfindungen für den Erkenntnisprozess. Giernalczyk beschreibt den Prozess folgendermaßen: „Also ich merke, ich bin verwickelt. Dann habe ich etwas gemacht, womit

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ich unzufrieden bin und kann es thematisieren. Ich könnte sagen: ‚Oh, jetzt habe ich was Blödes gesagt‘ oder ‚Ich glaube, das hat Sie gekränkt‘ oder ‚Jetzt wollen Sie am liebsten wegrennen. Was ist passiert?‘. Den potenziellen Fehler, die Missstimmung, die Verwicklung sofort benennen, ohne das Phänomen Verwicklung in der ganzen Fülle schon verstanden zu haben.“ Zentral ist es, nicht noch mehr desselben ungünstigen Verhaltens zu zeigen, also nicht weiter so zu handeln und sich nichts anmerken zu lassen, anstatt Stopp zu sagen. Das entbindet uns selbstredend nicht von der Pflicht, wenn wir tatsächlich einen Fehler gemacht haben, diesen nicht zu kaschieren, sondern ihn offen einzugestehen, zu bedauern und im Anschluss psychodynamisch zu untersuchen.

Literatur Hinn, D. E., Kotte, S., & Möller, H. (2015, Mai). Why do coaches (not) participate in coaching research? Unveröffentlichte Posterpräsentation auf dem 17. Kongress der European Association of Work and Organizational Psychology, Oslo, Norwegen. Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1987). Transactional theory and research on emotions and coping. European Journal of Personality, 1(3), 141–169. https://doi.org/10.1002/per.2410010304. Lohmer, M. (2019). Der Umgang mit Verwicklungen und Verstrickungen – Abstinenz, Containment und Verantwortung im Beratungsprozess. In M. Lohmer, & H. Möller, Psychoanalyse in Organisationen (S. 226–236). Stuttgart: Kohlhammer. Nissen-Lie, H. A., Monsen, J. T., & Rønnestad, M. H. (2010). Therapist predictors of early patient-­ rated working alliance: A multilevel approach. Psychotherapy Research, 20(6), 627–646. Nissen-Lie, H. A., Rønnestad, M. H., Høglend, P. A., Havik, O. E., Solbakken, O. A., Stiles, T. C., & Monson, J. T. (2015). Love yourself as a person, doubt yourself as a therapist? Clinical Psychology & Psychotherapy, 24(1), 48–60. https://doi.org/10.1002/cpp.1977. Odyniec, P., Victor, P. P., Berner, A., & Willutzki, U. (2016). Schwierigkeiten in der psychotherapeutischen Arbeit. Psychotherapeut, 61(3), 216–221. https://doi.org/10.1007/s00278-016-0105-4. Schröder, T. (1997). Was lange währt, wird auch nicht leichter – Schwierigkeiten und Bewältigungsstrategien in der psychotherapeutischen Arbeit. In P. L. Janssen, M. Cierpka, & P. Buchheim (Hrsg.), Psychotherapie als Beruf (S. 223–239). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schröder, T. A., & Davis, J. D. (2004). Therapists’ experience of difficulty in practice. Psychotherapy Research, 14(3), 328–345. https://doi.org/10.1093/ptr/kph028. Watzlawick, P., Weakland, J. H., & Fisch, R. (1979). Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern: Hans Huber. Yeomans, F. E., Clarkin, J. F., & Kernberg, O. F. (2017). Übertragungsfokussierte Psychotherapie für Borderline-Patienten. Das TFP-Praxismanual. Stuttgart: Schattauer.